Wohnen im Kaiserreich: Einrichtungsstil und Möbeldesign im Kontext bürgerlicher Selbstrepräsentation 9783110650525, 9783110650259

Wie man sich standesgemäß einrichtet, war im Kaiserreich eine zentrale Frage bürgerlicher Lebensführung. 'Wohnsücht

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German Pages 464 [444] Year 2019

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INHALT
1. VORBEMERKUNG
2. EINLEITUNG
3. QUELLENLAGE
4. BÜRGERTUM, BÜRGERLICHKEIT UND MITTELSTAND
5. DIE WOHNUNG ALS BÜHNE: SELBSTREPRÄSENTATION IM KAISERREICH
6. PRODUKTIONSABLÄUFE: DER ÜBERGANG ZUR SERIENMÖBELFERTIGUNG
7. MARKTMECHANISMEN: SERIENMÖBELFERTIGUNG UND VERFÜGBARKEIT
8. STILENTWICKLUNG: KUNDENWÜNSCHE UND GESCHMACKSBILDUNG
9. ANSÄTZE NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG
10. MÖBELPRODUKTION ALS SPIEGEL VON STIL UND MARKT
11. ANHANG
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Wohnen im Kaiserreich: Einrichtungsstil und Möbeldesign im Kontext bürgerlicher Selbstrepräsentation
 9783110650525, 9783110650259

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Wohnen im Kaiserreich

Maren-Sophie Fünderich

WOHNEN IM KAISERREICH Einrichtungsstil und Möbeldesign im Kontext bürgerlicher Selbstrepräsentation

ISBN 978-3-11-065025-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-065052-5 Library of Congress Control Number: 2019949949 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston D.30 Einbandabbildung: Wohnzimmergarnitur 1902/03 von Joseph Maria Olbrich (Ausschnitt) © Stadtmuseum München Covergestaltung: Katja Peters, Berlin Satz: Andreas Eberlein, aromaBerlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

INHALT

1 VORBEMERKUNG 9 2 EINLEITUNG 13 3 QUELLENLAGE 21 4  BÜRGERTUM, BÜRGERLICHKEIT UND MITTELSTAND 25 4.1  Bürgerlichkeit als Konzept 25 4.1.1  Rückblick auf die Bürgertumsdiskussion 26 4.1.2  Bürgerlichkeit und ‚bürgerlicher Wertehimmel‘ 30 4.1.3  Rückblick auf die ökonomische Haushaltsforschung 35

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht 38 4.2.1  Abgrenzung zu anderen bürgerlichen Schichten 39 4.2.2  Kennzeichen des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘ 44

5  DIE WOHNUNG ALS BÜHNE: SELBSTREPRÄSENTATION IM KAISERREICH 53 5.1  Wohnen als symbolische Welt 53 5.1.1  Symbolische Welt und sozialer Status 54 5.1.2  Merkmale bürgerlichen Wohnens 57 5.1.3  Ausgewählte Möbelstücke und Zimmereinrichtungen 63

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘ 78 5.2.1  Lage und Größe der Wohnungen 80 5.2.2  Ausstattung und Ausgaben für Wohnungen 95 5.2.3  Verfügbarkeit von Möbeln als zentrale Frage 104

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Inhalt

6  PRODUKTIONSABLÄUFE: DER ÜBERGANG ZUR SERIENMÖBELFERTIGUNG 107 6.1  Bedingungen der Möbelherstellung 107 6.1.1  Waldvorrat, Holzarten, Furniere und Sperrholz 107 6.1.2  Standorte der Möbelherstellung 116 6.1.3 Maschinenentwicklung 125

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung 134 6.2.1  Handwerk, Verlag, Manufaktur und Fabrik als Betriebsformen 139 6.2.2  Veränderungen in den Betriebsformen 146 6.2.3  Betriebsformen an ausgewählten Beispielen 155

7  MARKTMECHANISMEN: SERIENMÖBELFERTIGUNG UND VERFÜGBARKEIT 181 7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz 181 7.1.1  Betriebsgrößen und regionale Bedeutung 184 7.1.2  Nachfrage, Gebrauchtwaren, Erbstücke 192 7.2  Betriebsformen des Möbelhandels 198 7.2.1 Detailhandel 201 7.2.2 Möbelmagazin 203 7.2.3 Großmagazin 206 7.2.4 Großhandel 209 7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten 210 7.3.1  Wertheim und KaDeWe 216 7.3.2  Bayer-Kaufhaus und C. Duisberg Prämien-Stiftung 220 7.4  Messen und Ausstellungen 229 7.4.1 Weltausstellungen 230 7.4.2  Leipziger Messe 243 7.4.3  Industrie- und Gewerbeausstellungen 249 7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler 255 7.5.1  ‚Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration‘ 261 7.5.2  ‚Deutsche Kunst und Dekoration‘ 265 7.5.3  ‚Dekorative Kunst‘ 267 7.5.4  ‚Die Kunst für Alle‘ 267

Inhalt

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8  STILENTWICKLUNG: KUNDENWÜNSCHE UND GESCHMACKSBILDUNG 271 8.1  Stilpluralismus als Problem 271 8.1.1  Kennzeichen des Stilpluralismus 271 8.1.2  Kritik in Zeitschriften und Ratgebern 275

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung 282 8.2.1  Fachschulen und ihre Lehrinhalte 283 8.2.2 Vorlagensammlungen 295 8.2.3  Fachzeitschriften für Tischler, Schreiner und Möbelhändler 300

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘ 317 8.3.1 Wohnungsausstellungen 318 8.3.2  Preisausschreiben in der Zeitschrift Innen-Dekoration 334 8.3.3  Werkswohnungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. 344

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund 351 8.4.1  Geschmackserziehung und Maschinenmöbel 357 8.4.2  Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst 365

9  ANSÄTZE NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG 375 9.1 Möbelproduktion 375 9.2 Marktentwicklung 378 9.3 Stilentwicklung 382 10  MÖBELPRODUKTION ALS SPIEGEL VON STIL UND MARKT 391 11 ANHANG 399 11.1 Abkürzungen 399 11.2  Archive und Bibliotheken 400 11.3 Quellen 400 11.3.1  Unveröffentlichte Quellen 400 11.3.2  Gedruckte Quellen 408

11.4 Literatur 426 11.5 Internetseiten/Mails 438 11.6 Expertengespräche 439 11.7 Abbildungsverzeichnis 439 11.8 Personenregister 440

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1  VORBEMERKUNG

Die vorliegende Dissertation wurde unter dem Titel „Möbelproduktion als Spiegel von Stil und Markt. Eine Studie zu den Bedingungen bürgerlicher Selbstrepräsentation im Kaiserreich“ im Wintersemester 2018/19 (Tag der Disputation: 5. Dezember 2018) vom Fachbereich 08 Philosophie und Geschichtswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main angenommen. Die Promotionsschrift wurde von Prof. Dr. Andreas Fahrmeir und Prof. Dr. Werner Plumpe begutachtet. Für den Druck wurde die Studie geringfügig überarbeitet. Die Drucklegung wurde durch großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht. Allen Zuschussgebern bin ich dafür sehr dankbar. Zu ihnen gehören der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), die Wilhelm Hahn und Erben-Stiftung in Bad Homburg, mobile – Gesellschaft der Freunde von Möbel- und Raumkunst e. V., die Richard Stury Stiftung in München sowie historiae ­faveo – Förder- und Alumni-Verein der Geschichtswissenschaften an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. Meinen Betreuern, Herrn Prof. Dr. Andreas Fahrmeir und Herrn Prof. Dr. Werner Plumpe, möchte ich an dieser Stelle für die sehr gute Zusammenarbeit und die wertvollen Anregungen sehr herzlich danken. Während des Studiums hat mich Prof. Dr. Andreas Fahrmeir darin bestärkt, das Thema des bürgerlichen Wohnens im Kaiserreich weiterzuverfolgen und zu vertiefen. Weitere wichtige Anregungen und Hinweise für die Dissertation habe ich in den Kolloquien meiner Betreuer erhalten. Besonders hervorheben möchte ich Herrn Prof. Dr. Johannes Bähr, Herrn Prof. Dr. Ralf Banken sowie Herrn Dr. Jörg Lesczenski. Ohne Zugang zu Quellen in Bibliotheken und Archiven und die im Internet verfügbaren Quellen wäre diese Dissertation nicht möglich gewesen. Mein großer Dank gilt dem Promotionskolleg des Fachbereichs 08, das die Reisen zu den Archiven und Bibliotheken großzügig gefördert hat. Dort haben mich zahlreiche Bibliothekare und Archivare unterstützt, denen ich dafür danken möchte. Im Landesarchiv NRW/Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold liegen Quellen zur allgemeinen Lage der Möbel­hersteller in Ostwestfalen-Lippe sowie zu verschiedenen Ausstellungen, auf denen die ostwestfälischen Möbelhersteller ihre Möbel präsentierten. Für die gute Unterstützung möchte ich besonders Frau Dr. B ­ ettina Joergens danken. Im Kommunalarchiv Herford gibt es trotz der hohen Bedeutung der Herforder Möbel­fabrik Gustav Kopka für die Anfänge der Serien­möbelfertigung in Ostwestfalen-Lippe nur sehr wenig Quellenmaterial. Mein großer Dank gilt hier vor allem Herrn Christoph Laue. Im Stadtarchiv Bielefeld lagern

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1 Vorbemerkung

Berichte zu Bielefelder Maschinenherstellern, die sich um 1900 auf die Produktion von Maschinen für die Möbelindustrie spezialisiert haben, aber auch Grundrisse bürgerlicher Wohnungen. Mein besonderer Dank gilt hier Herrn Bernd J. Wagner, der mich sehr unterstützt und mir Zugang zu entlegenen Quellen verschafft hat. Ebenfalls möchte ich mich für die stets zuverlässige Unterstützung bei Frau Karina Langguth und Frau Katja Wiebe bedanken. Das Westfälische Wirtschaftsarchiv Dortmund verfügt über Geschäftsbücher einzelner Firmen mit Kundendaten und über Festschriften zu Firmenjubiläen, aber auch über Quellen zur Leipziger Messe, auf der Hersteller ihre Möbel präsentierten. Für die Akteneinsicht danke ich Herrn Klaus Pradler. Die Hochschule Ostwestfalen-Lippe, jetzt Technische Hochschule Ostwest­falenLippe, besitzt an ihrem Standort Detmold einen Quellenbestand zur 1893 gegründeten privaten Detmolder Tischler-Fachschule, die im Kaiserreich großen Einfluss auf die Ausbildung von Tischlern und Schreinern hatte. Für die Akteneinsicht und die gute Unterstützung danke ich Herrn Prof. Dr. Andreas K. Vetter. Die Staatsbibliothek zu Berlin verfügt über einen großen Bestand an zeitgenössischen Tischler- und Schreinerfachzeitschriften, in denen über Stil, Markt und Produktion diskutiert wird. Für die unkomplizierte Einsichtnahme und für die schnelle Erstellung der Kopien danke ich den MitarbeiterInnen im Haus Unter den Linden. Im Firmenarchiv der Bayer-Werke in Leverkusen sind Unterlagen zum eigenen Werkskaufhaus sowie zu Rechnungen und Preislisten vorhanden. Für die gute Unterstützung vor Ort gilt mein Dank Herrn Hans-Hermann Pogarell und Herrn Michael Frings. Im Hauptstaatsarchiv Dresden gibt es umfangreiche Geschäftsakten, Modellzeichnungen und Prospekte der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, die nach der Jahrhundertwende schlichte Möbel zu erschwinglichen Preisen auf den Markt brachten. Für die Erlaubnis, die Akten der Dresdner Werkstätten im Hauptstaatsarchiv Dresden einzusehen, danke ich Frau Dr. Anette Hellmuth von den Deutschen Werkstätten Hellerau GmbH und für die Unterstützung im Hauptstaatsarchiv Dresden Herrn Bernd Scheperski. Das Staatsarchiv Leipzig besitzt Unterlagen zur Leipziger Messe seit den Anfängen. Für die Akteneinsicht und die gute Unterstützung vor Ort danke ich stellvertretend Frau Birgit Richter. Bei der Firma Thonet in Frankenberg lagern Quellen zur Firmengeschichte. Für entscheidende Hinweise und die gute Unterstützung gilt mein Dank besonders Frau Susanne Korn. Im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main befinden sich Grundrisse und Fotos zu bürgerlichen Wohnungen im Kaiserreich. Für die Akteneinsicht und die gute Unterstützung danke ich vor allem Frau Sylvia Goldhammer, Frau Annette Handrich und Frau Ulrike Heinisch. Wichtige Hinweise zu hessischen Möbelfabriken erhielt ich von Herrn Dr. Ulrich Eisenbach vom Hessischen Wirtschaftsarchiv e. V. Darmstadt, dem ich hiermit recht herzlich danken möchte. Neben den Recherchemöglichkeiten in den Archiven hatte ich auch die Gelegenheit, mit Nachkommen von Firmengründern ostwestfälischer Möbelfirmen zu sprechen. So gilt mein besonderer Dank dem Ehepaar Gustav und Elisabeth Bergmann von der ehemaligen Firma Gustav Bergmann aus Lage. Sie haben mich durch ihr Privatmuseum geführt, mir mit ihren vielen Hinweisen zur Firmengeschichte die Welt eines mittelständischen Betriebes um die Jahrhundertwende nähergebracht und mir wichtige Quellen zur Verfügung gestellt. Auch möchte ich an dieser Stelle Herrn Johannes Waldhoff vom Steinheimer Möbelmuseum für die

1 Vorbemerkung

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zahlreichen Informationen zur Steinheimer Möbelindustrie danken. Mit weiteren wichtigen Hinweisen hat mich Frau Ursula Spilker von der früheren Steinheimer Möbelfirma Anton Spilker unterstützt. Ich bedanke mich auch sehr dafür, dass sie mir alle relevanten Quellen ihres Privatarchivs zur Verfügung gestellt hat. Mein besonderer Dank gilt auch dem Verein historiae faveo, mit dessen finanzieller Unterstützung ich im Oktober 2017 die Fachtagung „Haus.Wesen – Häuser und ihre Materialitäten von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ auf Schloss Beuggen besuchen und dort vortragen konnte. Für alle organisatorischen Fragen im Zusammenhang mit der Promotion war Frau Maja ­Ljubicic-Kukavica immer ansprechbar. Dafür danke ich ihr herzlich. Beim Sichten der Quellen und beim Schreiben hat mich vor allem die Musik des Oboisten Albrecht Mayer von den Berliner Philharmonikern begleitet. Ich freue mich, dass der Wissenschaftsverlag De Gruyter meine Dissertation in sein Programm aufnimmt. Für die gute Betreuung und viele wertvolle Hinweise danke ich insbesondere Frau Dr. Katja Richter und Frau Arielle Thürmel. Universitätsbibliotheken, Archive, Museen und Auktionshäuser haben mir Bildmaterial für den Druck unbürokratisch zur Verfügung gestellt. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Meinen Freunden danke ich für ihr Zuhören und Nachfragen und ihr Verständnis, dass ich während der Promotion oft wenig Zeit für sie hatte. Susanne Lange Wissinger und Prof. Dr. Jochen Wissinger danke ich herzlich für ihr ‚Notfallpaket‘. Bei Sylvia Münstermann und Karl-Otto Reker bedanke ich mich sehr für Zeit und gute Gespräche. Für eine besondere Aufmunterung danke ich sehr herzlich meiner Tante Gabriele Mahren. Schließlich gilt mein großer Dank ­meinen Eltern Cornelia Matz-Fünderich und Gerd Fünderich, die mir das Studium und die Dissertation finanziert und mich über all die Jahre unterstützt haben. Ihnen widme ich diese Arbeit.

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2  EINLEITUNG

„Möbel dein Leben auf “.1 An diesem Werbespruch eines Beckumer Möbelhauses wird die Bedeutung des Wohnens deutlich: Man präsentiert sich durch die Einrichtung und stellt sich mit den Möbeln dar. ‚Aufgemöbelt‘ wird nicht erst im 21. Jahrhundert, das tat man auch schon früher, im Kaiserreich zum Beispiel. Wohnen und Einrichten bildeten damals einen Kernbereich bürgerlicher Selbstrepräsentation. Wer ein Bürger2 sein wollte, musste einem spezifischen Lebensstil folgen, der Normen wie Leistungsbereitschaft und Pflichtbewusstsein, aber auch Umgangsformen, Kleidung und Sprache umfasste. Von herausragender Bedeutung für die Selbstrepräsentation bürgerlicher Schichten war die Gestaltung der Wohnung. Dazu gehörten die Auswahl der Möbel und des Möbelstils sowie die Ausstattung mit Teppichen, Tapeten und Vorhängen.3 Denn eine Wohnung mit Samt und Plüsch, mit Klavier und Bücherschrank, mit Herren- und Damenzimmer und auch mit Dienstboten erlaubte es bürgerlichen Familien, sich gegenüber ‚niederen‘ Schichten abzugrenzen und ‚höheren‘ nachzueifern. Aber dieser aufwendige Lebensstil hatte erhebliche Kosten. Abgesehen von der Nahrung entfielen in bürgerlichen Haushalten die meisten monatlichen Ausgaben, zwanzig bis dreißig Prozent, auf Wohnen und Einrichten. Fast ebenso viel wurde für Kultur, Bildung und Reisen ausgegeben. Auf Dienstboten entfielen weitere zehn Prozent, auf Kleidung etwas weniger.4

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Das Möbelhaus Berkemeier in Beckum wirbt für sich mit diesem Spruch. Internet: www.berkemeier-­ homecompany.de (Zugriff: 2.9.2017); Ähnlich lautet auch die Imagekampagne des Handwerks: „Die Welt war noch nie so unfertig. Möbel sie auf “. Internet: https://werbemittel.handwerk.de/node/3742 (Zugriff: 2.9.2017) Bei Begriffen wie zum Beispiel „Bürger“, „Käufer“, „Kunde“, „Leser“ sind im Singular wie im Plural selbstverständlich Frauen wie Männer gemeint. Um der besseren Lesbarkeit willen wird hier auf Binnen-I, Gendersternchen oder die ausdrückliche Nennung beider Geschlechter verzichtet. Vgl. Jürgen Kocka: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 21–63 Vgl. Toni Pierenkemper: Der bürgerliche Haushalt in Deutschland an der Wende zum 20. Jahrhundert – im Spiegel von Haushaltsrechnungen, in: Petzina, Dietmar (Hrsg.): Zur Geschichte der Ökonomik der Privathaushalte (Schriften des Vereins für Socialpolitik. Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften N. F., Bd. 207), Berlin 1991, S. 149–185, hier: S. 167, S. 170

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2 Einleitung

Von großer Bedeutung war die aufkommende Herstellung von Serienmöbeln. Sie machte vor allem für den wachsenden, vielfach akademisch geprägten bürgerlichen Mittelstand eine ‚großbürgerliche‘ Selbstrepräsentation verfügbar. Zu dieser Schicht gehörten zum Beispiel leitende Angestellte, Pfarrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Professoren, Richter, Techniker, Ingenieure, Künstler und Journalisten. Sie alle hatten das Ziel, sich durch ihren bürgerlichen Lebensstil als Mittelstand zu zeigen und sich von Arbeitern und Kleinbürgern zu unterscheiden. Aber erst durch die Serienmöbelproduktion konnte sich der Mittelstand so ‚repräsentativ‘ einrichten, wie es für die bürgerliche Oberschicht aus Groß- und Wirtschaftsbürgertum längst üblich war. Ihm war es jetzt möglich, modische Verbrauchsgüter spontan und zu annehmbaren Preisen zu erwerben, nicht mehr nur auf Bestellung beim Tischler, sondern auch in Magazinen und Warenhäusern. In dieser Dissertation geht es um die Frage, inwieweit Möbelkauf und Einrichtung für den bürgerlichen Mittelstand im Kaiserreich eine eigenständige Wahl waren, um sich auf diese Weise selbst darzustellen, oder in welcher Weise diese Wahl durch die noch näher zu bestimmenden Zwänge von Stilentwicklung, Produktionsverfahren und Marktmechanismen entscheidend beeinflusst wurde. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit die Wünsche der Verbraucher Rückwirkungen auf Stilentwicklung, Produktionsverfahren und Marktmechanismen hatten. Es geht auch darum, inwieweit die Entwicklung von Technik und Produktion zum Beispiel durch neue Holzbearbeitungsverfahren, den Abrichter als Universalmaschine und den Einsatz des Elektro­ motors in der Tischlerwerkstatt den Übergang von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Möbelproduktion vorangetrieben haben; wie die anschließende Vermarktung im Möbelhandel wiederum bei den Verbrauchern im bürgerlichen Mittelstand die Entwicklung von Stil und Geschmack bestimmt und deren Konsumverhalten wiederum Stil, Technik und Produktion beeinflusst haben. Durch die Komplexität des Themas sind gewisse Wiederholungen im Text unvermeidbar, durch sie wird die Verschränkung unterschiedlicher Aspekte deutlich. Fragestellungen aus der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte werden mit denen aus der kunsthistorischen Möbelforschung zusammengebracht. Das ist der neue Ansatz dieser Arbeit: Was die Kunstgeschichte über die Entwicklung von Einrichtungsstilen herausarbeitet, muss aus wirtschafts-, sozial- und technikgeschichtlicher Perspektive ergänzt werden. Hier setzt die in der Dissertation vertretene These an: Die genaue Beschreibung der Gestaltung der Wohnung mit Möbeln, Teppichen und Tapeten erfasst die Selbstrepräsentation nur partiell. Für die Selbstrepräsentation entscheidend war die Verfügbarkeit der Möbel und der gesamten Raumausstattung. Erst was verfügbar war, konnte genutzt werden, und was genutzt werden sollte, musste verfügbar gemacht werden. Die Verfügbarkeit ergibt sich aus der Verbindung von Produktionsverfahren, Stilbildung und Marktmechanismen. Mit dieser These greift die Arbeit die Diskussion um die ‚Bürgerlichkeit‘ Ende des 19. Jahrhunderts wieder auf, verschiebt aber zugleich die Perspektive und erweitert den Blick auf die Stil- und Konsumgeschichte des Kaiserreichs. Aufgrund des durch vielfältige Differenzierung diffus gewordenen Begriffs des ‚Bürgertums‘ wurde ein ‚bürgerlicher Lebensstil‘ als das Merkmal identifiziert, das dem heterogenen Bürgertum Zusammenhalt nach innen und Abgrenzung nach außen ermöglichte. Im Hinblick auf Wohnen und Einrichten fragt die Arbeit also nach

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den konkreten Bedingungen bürgerlicher Selbstrepräsentation. Damit will die Dissertation eine neue Perspektive auf die bislang vielfach bloß deskriptive Stilgeschichte des Kaiserreichs entwickeln. In der Arbeit wird außerdem deutlich, wie sehr das Kaiserreich zugleich für die Moderne und die Antimoderne steht.5 Diese Gleichzeitigkeit von Aufbruch und Rückwärtsgewandtheit betraf viele Lebensbereiche und wird heute als Ausdruck von „Fortschrittsbegeisterung und Orientierungskrise“6 verstanden. Besonders sichtbar wird diese Gleichzeitigkeit in der Architektur. Die repräsentativen Bauten in Berlin wurden in Neorenaissance, Neobarock oder Neo­ rokoko errichtet, und wie in der jungen Hauptstadt prägten historisierende Stile überall im Kaiserreich Bahnhöfe, Kaufhäuser und Banken, die neuartigen Gebäude für die Erfordernisse des modernen Lebens. In der bürgerlichen Wohnungseinrichtung setzte sich diese Gleichzeitigkeit fort. Reich verziert und verschnörkelt sollten die Möbel bürgerliches Selbstbewusstsein zur Schau stellen. Solche Rückgriffe in die Vergangenheit blieben aber schon in den Anfangsjahren des Kaiserreichs nicht unwidersprochen. Vielmehr löste der Historismus jahrelange Kontroversen aus. Auch sie belegen die Ambivalenz von Moderne und Antimoderne. Das Kaiserreich ist durch einen umfassenden Modernisierungsprozess mit drei großen Umbrüchen gekennzeichnet: Der erste Umbruch betraf Innovationen in der Produktion. Lange Zeit wurden Möbel bei Handwerkern in Auftrag gegeben und als teure Einzelstücke von Hand gefertigt. Im Kaiserreich begann aber die Serienmöbelfertigung. Der kleine Tischlerbetrieb war nicht mehr unbedingt konkurrenzfähig, die Handwerksbetriebe wurden größer, es kamen Maschinen zum Einsatz, und es begann die Fertigung von ‚Maschinenmöbeln‘. Möbel wurden nicht mehr auf Bestellung produziert, jedes Möbelstück ein Auftrag, sondern auf Vorrat und für einen anonymen Kundenkreis. Der zweite Umbruch betraf Innovationen auf dem Markt. Die kleinen Tischlerwerkstätten konkurrierten nun mit größeren Handwerksbetrieben und neuartigen Fabriken, die genügend Kapital für den Einsatz von Maschinen zur Verfügung hatten. Auf den Markt trat als Verbraucher der stark wachsende bürgerliche Mittelstand mit seinem Bedürfnis nach Selbstrepräsentation. Er hatte seine soziale Stellung nicht durch Herkunft, sondern durch Bildung erworben. Diese Stellung wollte er im bürgerlichen Lebensstil für alle sichtbar machen. Der dritte Umbruch betraf Innovationen im Stil. Lange Zeit waren historistische Stilmöbel gefragt, die sehr verziert und überladen waren. Häufig war jedes Zimmer in einem anderen historisierenden Stil eingerichtet, Neorenaissance neben Barock, Rokoko oder Louis-Philippe-Stil beispielsweise. An diesem Stilpluralismus und an billiger Massenware entzündete sich die Kritik in Kunstzeitschriften und Ratgeberliteratur. Ein zeitgemäßer Stil mit modernen und 5

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Zum Kaiserreich in der Geschichtsschreibung: Vgl. Cornelius Torp/Sven Oliver Müller: Das Bild des Deutschen Kaiserreiches im Wandel, in: Dies. (Hrsgg.): Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 9–27; Vgl. Dieter Langewiesche: Der historische Ort des deutschen Kaiserreiches, in: Heidenreich, Bernd/Neitzel, Sönke (Hrsgg.): Das Deutsche Kaiserreich 1890–1914, Paderborn 2011, S. 23–35; Vgl. Andreas Fahrmeir: Deutsche Geschichte, München 2017, S. 66; Vgl. Franz J. Bauer: Das ‚lange‘ 19. Jahrhundert (1789– 1914). Profil einer Epoche, Stuttgart 2010, S. 99, S. 107 Herbert, Ulrich: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 42–55, hier: S. 42

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2 Einleitung

schlichten Möbeln wurde gefordert. Es ging um qualitätvolle Serienmöbel in geradlinigem Design, die für den neu entstehenden massenhaften Bedarf in größeren Handwerksbetrieben und ersten sogenannten ‚Möbelfabriken‘ hergestellt wurden. Daraus wurde sogar eine politische Forderung. Deutschland solle aus nationalökonomischem Interesse mit schlichten, qualitätvollen Möbeln auf den ausländischen Märkten eine Führungsrolle erlangen, so formulierten es der Deutsche Werkbund mit Friedrich Naumann als Wortführer und die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst. In dieser Arbeit sollen ausgewählte Geschäftsmodelle von Möbelherstellern und Möbelhändlern, aber auch zeitgenössische Ratgeberliteratur, Lebenserinnerungen und Briefe da­ rauf­h in untersucht werden, wie bürgerliche Selbstrepräsentation und aufkommende Serienmöbelfertigung aufeinander eingewirkt haben. Damit sollen ganz unterschiedliche Quellen zueinander in Beziehung gesetzt und so „zum Sprechen gebracht werden“7, wie es Reinhart Koselleck gefordert hat. Hierbei treffen Geschichte und Kunstgeschichte aufeinander. Auf diese Weise führt die Dissertation den neuen fächerübergreifenden Ansatz der von Prof. Dr. Andreas Fahrmeir betreuten und im März 2015 vorgelegten Magisterarbeit8 weiter aus. Er will sowohl die Bürgertumsforschung als auch die Möbelforschung weiter vorantreiben. Was die Kunstgeschichte über die Entwicklung von Einrichtungsstilen herausarbeitet, berücksichtigt kaum die genaueren Bedingungen von Produktion und Handel. Untersuchungen zur Entwicklung der Holzbearbeitungsverfahren oder des Möbelmarktes wiederum umreißen nur grob die Rückwirkungen auf die Gestaltung der Möbel und die Veränderungen bei Angebot und Nachfrage, wie sie in Handwerksbetrieben und Möbelfabriken, in Zeitschriften und Ratgebern, in den großen Warenhäusern und auf Möbelmessen anschaulich wurden. Die Wirtschaftsgeschichte liefert schließlich mit der historischen Haushaltsforschung und den Haushaltsrechnungen bürgerlicher Familien wichtige Erkenntnisse über die Einkommensverhältnisse und macht zahlreiche Angaben zu den Ausgaben für Wohnen und Einrichten. Sie macht aber weder Aussagen zur Möbelgestaltung noch zu Einrichtungsstilen beziehungsweise Rauminszenierungen. Die Haushaltsforschung muss also um Briefe und Lebenserinnerungen, aber auch um die Ergebnisse der kunsthistorischen Möbelforschung ergänzt werden. Nach dieser Einleitung und der dann folgenden Übersicht über die Quellenlage fasst das vierte Kapitel über Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand den Forschungsstand zusammen und zieht daraus wichtige Schlussfolgerungen für die Fragestellung dieser Arbeit. Zunächst wird Bürgerlichkeit als Konzept vorgestellt, das als ‚bürgerlicher Lebensstil‘ dem heterogenen Bürgertum zu Zusammenhalt und Abgrenzung verhalf. Dazu ist ein Rückblick auf die Bürgertumsdiskussion notwendig. Anschließend wird der Beitrag der Möbelforschung 7 8

Koselleck, Reinhart: Archivalien, Quellen, Geschichten, in: Dutt, Carsten (Hrsg.): Reinhart Koselleck: Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten, Berlin 2010, S. 68–79, hier: S. 74 Fünderich, Maren-Sophie: Bürgerlichkeit als kulturelle Praxis. Die Selbstrepräsentation des Bürgertums und die Anfänge der Serienmöbelfertigung am Beispiel der bürgerlichen Stadtwohnung im Kaiserreich, Magisterarbeit Frankfurt/M. 2015 (unveröffentlicht) (Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Goethe-Universität Frankfurt/M.; Zweitgutachterin: Prof. Dr. em. Marie-Luise Recker, Goethe-Universität Frankfurt/M.)

2 Einleitung

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beleuchtet. Schließlich wird mit Hilfe der ökonomischen Haushaltsforschung der ‚bürgerliche Mittelstand‘ näher beschrieben und von anderen Schichten abgegrenzt. Diese im Kaiserreich schnell wachsende Schicht des ‚neuen Mittelstandes‘ ist mit Blick auf die Wohnungseinrichtung im Gegensatz zu Arbeiterschaft und Großbürgertum bislang kaum untersucht worden. Dabei zeigen Ratgeber, Fachzeitschriften, Kammer- und Magistratsberichte, dass der bürgerliche Mittelstand als Käuferschicht für Hersteller und Händler immer wichtiger wurde. Das fünfte Kapitel beschreibt Wohnen und Einrichten als Kernbereich bürgerlicher Selbstrepräsentation. Zunächst wird die Wohnung als symbolische Welt vorgestellt. Wesentlich ist das Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Der Salon war Mittelpunkt der bürgerlichen Selbstrepräsentation. Hier stellte sich die bürgerliche Familie dar. Das Wohnzimmer hingegen war der Ort des privaten Rückzugs. Hier war die Familie unter sich. Die soziale Welt wurde also in der symbolischen Welt sichtbar. Was das für bürgerliches Wohnen bedeutete, wird an der Aufteilung einer Wohnung und ihrer Einrichtung sowie an einzelnen charakteristischen Möbelstücken beschrieben. Schließlich werden die Wohnverhältnisse des bürgerlichen Mittelstandes untersucht. Am Beispiel der aufstrebenden Industriestadt Bielefeld und der Handelsstadt Frankfurt am Main soll die Lage dieser Wohnungen in besonderen Straßenzügen und ihre Größe anhand einzelner Grundrisse erläutert werden. Aufgrund der großen Nachfrage wurden für den bürgerlichen Mittelstand Mietwohnungen gebaut. Der Zuschnitt der Wohnungen hatte auch Folgen für die Auswahl und Gestaltung der einzelnen Möbel. Das sechste Kapitel behandelt die Produktionsabläufe und die Entwicklung des Übergangs von der Tischlerfertigung zur Serienmöbelfertigung. Zunächst werden die Bedingungen der Möbelherstellung am Beispiel verschiedener Holzarten und der Entwicklung der Maschinen zur Möbelherstellung im Kaiserreich erläutert. Der Übergang von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Herstellung war fließend. Zwar konnten sich auch kleinere Handwerksbetriebe den Abrichter, die neue Universalmaschine im Tischlerhandwerk, und später auch den Elektromotor leisten, trotzdem waren Fachkräfte weiterhin notwendig. Die Maschine konnte sie nicht ersetzen. Das Kapitel 6.2 geht näher auf die Möbelherstellung und die Möbelgestaltung ein. Mit dem neuen bürgerlichen Mittelstand entstand eine große Nachfrage nach Möbeln, die das Tischlerhandwerk alleine nicht mehr decken konnte. So wurden aus kleineren Tischlereien, wenn sie über Kapital verfügten, Großbetriebe mit einigen Holzbearbeitungsmaschinen. Am Beispiel der Herforder Möbelfabrik Gustav Kopka lässt sich dieser Übergang zur arbeitsteiligen und maschinellen Serienmöbelfertigung zeigen. Quellen aus Ostwestfalen-Lippe belegen, dass unterschiedliche Betriebsformen nebeneinander existierten, der kleine Tischlerbetrieb und die Manufaktur, in denen noch von Hand gefertigt wurde, neben dem Verlagswesen und der Möbelfabrik mit arbeitsteiliger maschineller Produktion. Quellen belegen außerdem eine zunehmende Typisierung und Normierung der Werkstücke in Mittel- und Großbetrieben. Das siebte Kapitel beleuchtet genauer die Marktmechanismen. Die Möbelhersteller kümmerten sich um eine rationelle Produktion der Serienmöbel, warben in Zeitungsanzeigen und betrieben die Vermarktung der Möbel, bis schließlich der Möbelhandel diese Aufgabe übernahm. Der Möbelmarkt im Kaiserreich war vor allem ein regionaler Markt. Überregional tätige Hersteller gab es nur wenige. Während Kapitel 7.1 Möbelmarkt und Möbelabsatz un-

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2 Einleitung

tersucht, werden in Kapitel 7.2 die unterschiedlichen Betriebsformen des Möbelhandels mit Detailhandel, Möbelmagazinen, Großmagazinen und Großhandel erläutert. Der Handel band die Kunden an sich und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Preisgestaltung. Deshalb warfen die Hersteller dem Handel vor, die Preise zu drücken. Kapitel 7.3 befasst sich anschließend mit Kaufhäusern als Orten bürgerlicher Wohnwelten. Hier konnten sich Kunden bei freiem Eintritt schnell über die neuesten Angebote informieren. Die Präsentation der Waren beschränkte sich nicht nur auf das Schaufenster und die Auslagen im Warenhaus selbst. Es gab eine großflächige Präsentation der Möbel, außerdem Werbeanzeigen in Zeitungen, Flyer und eigene Versandkataloge. Schließlich hatten auch große Arbeitgeber wie zum Beispiel die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. ein eigenes Kaufhaus, in dem Arbeiter, Angestellte und sogenannte ‚Fabrikbeamte‘ auch eigens für Bayer produzierte Möbel für ihre Werkswohnungen kaufen konnten. Neben Möbelgeschäften und Kaufhäusern waren für Kunden und Hersteller auch Weltausstellungen, die international beachtete Leipziger Messe sowie regionale Industrie- und Gewerbeausstellungen wichtige Orte, um sich über die neuesten Moden der Wohnungseinrichtung zu informieren. Darum geht es in Kapitel 7.4. Als Geschmacksvermittler spielten auch kunstgewerbliche Zeitschriften und Ratgeber eine herausragende Rolle. Sie werden in Kapitel 7.5 näher untersucht. Zeitschriften wie beispielsweise ‚Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration‘, die ab 1900 ‚Innendekoration‘9 hieß, sowie ‚Dekorative Kunst‘ und ‚Deutsche Kunst und Dekoration‘ veranschaulichten in ihren Artikeln, worauf der bürgerliche Mittelstand bei Wohnungsgestaltung und Möbelkauf zu achten hatte. Eine ganz bedeutende Rolle nahm der Kunsthistoriker Jakob Falke10 ein, dessen Ratgeber in fast jedem bürgerlichen Haus gelesen wurden. Das achte Kapitel befasst sich mit der Stilentwicklung, den Kundenwünschen und der Geschmacksbildung unter den Zwängen der Serienmöbelfertigung. Zunächst geht es in Kapitel 8.1 um den Stilpluralismus in der herkömmlichen Zimmereinrichtung, der unterschiedliche Formen von Gotik, Renaissance, Barock und Rokoko wahllos miteinander kombinierte. Autoren wie Jakob Falke oder Ferdinand Luthmer beispielsweise kritisierten schon früh den Stilpluralismus als unhistorisch und forderten wie Jahre später der Politiker Friedrich Naumann schlichtere, aber qualitätvolle Möbel. Inwieweit diese Forderungen in der Handwerkerausbildung durch Fachschulen berücksichtigt wurden, untersucht das Kapitel 8.2. Im Kaiserreich genossen die Detmolder Tischlerfachschule und die Fachschule für Drechsler in Leisnig sowohl in Deutschland als auch im Ausland einen exzellenten Ruf. Auch Tischlerfachzeitschriften und Fachbücher werden auf ihren Qualitätsbegriff hin genauer untersucht. Schließlich werden in Kapitel 9

Die ‚Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration‘ und die ‚Innendekoration‘ hatten im Laufe der Zeit jeweils unterschiedliche Untertitel, noch dazu in verschiedenen Schreibweisen. Der Einfachheit halber nennt diese Arbeit im Text sowie in den Fußnoten nur den jeweiligen Haupttitel. Auch bei den anderen kunstgewerblichen Zeitschriften verwende ich nur den Haupttitel, also ‚Dekorative Kunst‘ beziehungsweise ‚Deutsche Kunst und Dekoration‘. 10 Die Namensnennung ist nicht eindeutig, er hatte schon einige Bücher veröffentlicht, als ihm 1873 der Adelstitel verliehen wurde. In Quellen und Literatur ist nicht nur Jacob von Falke gebräuchlich, sondern auch Jakob (Jacob) Falke. In diesem Text wird er Jakob Falke genannt. Die Schreibweise in den Quellen ist davon selbstverständlich nicht betroffen.

2 Einleitung

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8.3 besondere, für die Verbraucher veranstaltete Ausstellungen zum Wohnen und Einrichten behandelt. So präsentierte die 1899 in Dresden stattfindende Ausstellung „Haus und Herd“ komplette Wohnungseinrichtungen zum Niedrigpreis von 750 Mark. Zehn Jahre später zeigte eine Ausstellung in Elberfeld, wie man sich in einer Mietwohnung bürgerlich einrichten konnte. Auch wird noch einmal auf die Werkswohnungen von Bayer eingegangen, weil sie für die Geschmacksbildung bedeutsam waren. Als Reaktion auf die Kritik an der mangelnden Qualität der Möbelproduktion und auf den ihrer Ansicht nach schlechten Geschmack der Verbraucher forderten Kunstgewerbe, Künstler und einige Fabrikanten, die industrielle Produktionsweise mit guter Qualität zu fairen Preisen zu verbinden. So bemühten sich Anfang des 20. Jahrhunderts Dürerbund und Deutscher Werkbund darum, industrielle Massenproduktion und künstlerische Gestaltung in Einklang zu bringen. Dies wird in Kapitel 8.4 thematisiert. Damit wurden wesentliche Neuerungen angestoßen: schlichte Formensprache, qualitätvolle Gestaltung in der industriellen Produktion und Geschmackserziehung der Verbraucher. Allerdings konnte der Deutsche Werkbund von seiner Gründung 1907 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges keinen nachhaltigen Einfluss auf das Bürgertum und seine Selbstrepräsentation ausüben, weil 1914 die Möbelproduktion fast komplett einbrach. In Kapitel 9 geht es schließlich um die Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg. So entstand ab 1918 unter den vollkommen veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit wieder ein Möbelmarkt und auch die Möbelnachfrage nahm wieder zu. Die Diskussion um die Stilentwicklung, die mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges abrupt abgebrochen werden musste, wurde ebenfalls wieder aufgegriffen. Das abschließende zehnte Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und erläutert, wie die Möbelproduktion als ein Spiegel von Stilentwicklung und Marktmechanismen beschrieben werden kann. Es soll deutlich werden, in welcher Weise die Selbstrepräsentation des bürgerlichen Mittelstands im Kaiserreich von der Verfügbarkeit von Möbeln und Einrichtungsarrangements abhing. Erst ein fächerübergreifender Zugang zu Produktionsverfahren, Stilentwicklung und Marktmechanismen macht die genauen Bedingungen des Wohnens und Einrichtens sichtbar und bietet eine neue Perspektive für die Stilgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

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3  QUELLENLAGE

Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit besteht in der Auswertung von Firmenarchiven kleinerer Möbelhersteller, Verwaltungsakten, Unterrichtsmaterialien von Tischlerfachschulen, Publikumszeitschriften und Ratgeberliteratur zur Inneneinrichtung, Fachzeitschriften für Tischler und Schreiner, aber auch von Haushaltsrechnungen, Briefen, Biographien und Romanen sowie von Grundrissen von Wohnungen und Häusern. In der Auswertung geht es um die Frage, inwieweit sich die gegenseitige Beeinflussung von Herstellung, Stil und Markt anhand des Archivbestands nachvollziehen lässt. Deshalb war es anfangs beabsichtigt, Firmen zu finden, deren Archivbestand aussagekräftig genug ist, um gesicherte Aussagen über Geschäftspolitik, Maschinenausstattung, Kundenkreise und Möbelprogramme zu treffen. Es zeigte sich aber schnell, dass es von vielen Firmen keinen Archivbestand gibt und vorhandene Bestände oft nicht aussagekräftig genug sind. Quellen wurden nicht gut erschlossen und nicht systematisch archiviert oder sind durch die Weltkriege verloren gegangen. Deshalb müssen mehr und unterschiedlichere Firmen behandelt werden als anfangs geplant. Große Bedeutung haben auch die Haushaltsrechnungen, die das Konsumverhalten individueller Haushalte abbilden und die nach der Jahrhundertwende Gegenstand mehrerer Untersuchungen waren.1 Im Landesarchiv NRW/Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold liegen die Geschäftsakten der Möbelfirma Gustav Schlingmann aus Lemgo. Nach seiner Promotion in Frankfurt/M. 1931 über die Entwicklung der Möbelindustrie in der Nachkriegszeit2 führte der Sohn, Gustav Schlingmann, die Firma des Vaters weiter. Daneben finden sich hier auch Quellen zur allgemeinen Lage der Möbelhersteller in Ostwestfalen-Lippe sowie zu verschiedenen Ausstellungen, auf denen die Hersteller ihre Möbel der Kundschaft präsentierten, etwa zu der Gewerbeausstellung

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2

Vgl. hierzu: Erna Meyer-Pollack: Der Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906. Untersucht an Hand von Wirtschaftsrechnungen, in: Eulenburg, Franz (Hrsg.): Kosten der Lebenshaltung in deutschen Großstädten, I. Ost- und Norddeutschland, zweite Hälfte (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 145, H. 4), München/Leipzig 1915, S. 1–92; Vgl. Henriette Fürth: Ein mittelbürgerliches Budget über einen 10-jährigen Zeitraum nebst Anhang: „Die Verteuerung der Lebenshaltung im Lichte des Massenkonsums“, Jena 1907; Vgl. Margarete Freudenthal: Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen und proletarischen Hauswirtschaft zwischen 1760 und 1910, Frankfurt/M./Berlin 1986 [1934] Schlingmann, Gustav: Die Entwicklung der deutschen Möbelindustrie in der Nachkriegszeit, Lippe 1931

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3 Quellenlage

in Detmold 1881, der Herforder Gewerbe- und Industrieausstellung 1910 oder der Mindener Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung 1914. In einem Privatarchiv in Lage im Kreis Lippe befindet sich der gut erhaltene Aktenbestand der früheren Polstermöbelfabrik Gustav Bergmann. 1903 gegründet, produzierte die Firma für bürgerliche Käuferschichten. Es liegen auch noch Schriften zu verschiedenen Firmenjubiläen und mehrere Verkaufskataloge vor. Ebenfalls sind hier einzelne Möbelstücke aus der Produktion in einer kleinen Ausstellung zu sehen. Die Stadt Steinheim im Kreis Höxter war im Kaiserreich ein wichtiger Ort für die Möbelproduktion. 1864 gründete hier Anton Spilker seine Möbelfabrik mit dem Ziel, repräsentative und kunsthandwerklich geschnitzte Möbel in hoher Qualität für bürgerliche Schichten zu produzieren. Im Steinheimer Möbelmuseum lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen. Das Kommunalarchiv Herford verwahrt die jährlichen Verwaltungsberichte des Magistrats zur Lage der Herforder Industrie während des Kaiserreichs. Hier geht es auch um die wirtschaftliche Lage der Möbelfabriken. Außerdem verfügt das Kommunalarchiv über einige Quellen zur Möbelfabrik Gustav Kopka, die für die Anfänge der Serienmöbelproduktion in Ostwestfalen-Lippe von entscheidender Bedeutung ist. Im Stadtarchiv Bielefeld lagern Berichte zu Bielefelder Maschinenherstellern, die sich um 1900 auf die Produktion von Maschinen für die Möbelindustrie spezialisierten und einen großen Anteil an der technischen Entwicklung der Serienmöbelfertigung hatten. Daneben gibt es Grundrisse ‚typisch bürgerlicher‘ Wohnungen, an denen sich die Raumgrößen ablesen lassen, und Adressbücher mit Berufsangaben, die Hinweise auf bürgerliche Wohnviertel geben. Das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main verfügt ebenfalls über Wohnungsgrundrisse bürgerlicher Haushalte. Auch lassen sich über die Adressbücher der Stadt Eigentümer und Bewohner der Wohnungen herausfinden. Im Hessischen Wirtschaftsarchiv Darmstadt gibt es einige Unterlagen zu Möbelherstellern, die für bürgerliche und adelige Kundenkreise produziert haben. Dazu gehört auch die Festschrift für die Darmstädter Möbelfabrik Ludwig Alter anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Jahr 1921. Das Westfälische Wirtschaftsarchiv in Dortmund verfügt über einzelne Geschäftsbücher von Firmen mit Kundendaten und über Festschriften zu Firmenjubiläen. Außerdem gibt es dort Quellen zur Werkbundausstellung in Köln 1914. Die Hochschule Ostwestfalen-Lippe besitzt an ihrem Standort Detmold einen größeren Quellenbestand zur 1893 gegründeten privaten ‚Tischler-Fachschule Detmold‘, die im Kaiserreich großen Einfluss auf die Ausbildung von Tischlern und Schreinern hatte. Zu den Quellen gehören nicht nur Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien, sondern auch Entwürfe und Vorlagen von Schülern. An ihnen kann deutlich werden, in welcher Weise eine damals so anerkannte Ausbildungsstätte wie die in Detmold in ihren Lehrplänen die zeitgenössische Diskussion zu Stilentwicklung, Marktmechanismen und Produktionsentwicklung berücksichtigte. In der Staatsbibliothek zu Berlin befindet sich eine größere Reihe von Jahrgängen verschiedener Fachzeitschriften für Tischler und Schreiner. An ihnen lässt sich ablesen, auf welche Weise im Handwerk die Diskussion um Stil, Markt und Produktion verfolgt wurde. Diese Zeitschriften sind eine aufschlussreiche Ergänzung zu den online verfügbaren kunstgewerblichen

3 Quellenlage

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Zeitschriften, die sich im Kaiserreich ausführlich mit Fragen der Wohnungseinrichtung befasst haben. Beide Arten von Zeitschriften geben wertvolle Hinweise, auch wenn die Autoren der Artikel häufig unbekannt sind, gar nicht oder nur mit Initialen genannt werden. Die Bayer-Werke in Leverkusen betrieben seit Ende des 19. Jahrhunderts ein eigenes Kaufhaus, in dem Arbeiter, Angestellte und ‚Fabrikbeamte‘, die leitenden Mitarbeiter, neben Artikeln des täglichen Bedarfs auch Möbel für ihre Werks- und Beamtenwohnungen kaufen konnten, die vor allem preisgünstig, schlicht und pflegeleicht waren. Die Möbel ließ Bayer von kleinen Firmen aus der Umgebung von Leverkusen und aus Elberfeld anfertigen, von denen aber in den Stadtarchiven Leverkusen3 und Wuppertal4 sowie im Rheinischen Wirtschaftsarchiv in Köln5 keine Quellen vorhanden sind. Im Firmenarchiv von Bayer finden sich unter anderem Rechnungen und Preislisten sowie Fotos von Einrichtungsvorschlägen der Werkswohnungen. 3

Im Stadtarchiv Leverkusen gibt es keine Quellen zur Leverkusener Möbelfirma Steiner, die für Bayer Möbel produziert hat, wie Gabriele John bestätigte: „[L]eider ist in den hier vorliegenden Unterlagen für die Jahre 1910 bis 1930 keine Firma mit Namen Steiner nachweisbar; Festschriften, Firmenporträts o. ä. sind nicht vorhanden. Laut Adressbuch 1911 ist in Wiesdorf, Niederfeldstr. 19 ein Schreiner Johann Josef Stein gemeldet, in der Ausgabe 1913/14 ist er unter Niederfeldstr. 35 eingetragen. In der Ausgabe 1920 findet sich ein Schreiner Josef Stein in der Schießbergstr. 82. Ob es sich bei diesem Betrieb um den gesuchten Hersteller handelt, ist fraglich.“ (Mail von Gabriele John aus dem Stadtarchiv Leverkusen vom 1.8.2016 an die Autorin) 4 Im Stadtarchiv Wuppertal gibt es keine Quellen zur Elberfelder Möbelfirma Marschner, die für Bayer Möbel produziert hat, wie Markus Teubert bestätigte: „Leider habe ich keine Originalquellen oder Literatur zu der Wuppertaler Möbelfirma Marschner ermitteln können. Weder in den Unterlagen des Gewerbeaufsichtsamtes noch in der Zeitgeschichtlichen Sammlung und der Chronik ließen sich entsprechende Hinweise finden“. Nur in den Adressbüchern der Stadt finden sich entsprechende Hinweise, wie Markus Teubert bestätigte: „Zwar sind nicht für jedes Jahr vor 1945 Adressbücher der Stadt Elberfeld überliefert, jedoch fand ich erstmals im Adressbuch des Jahre 1877 einen Reinhold Marschner, Beruf Schreinermeister und wohnhaft in der Albrechtstraße 38. 1882 taucht ein Reinhard Marschner im Adressbuch auf, mit der Angabe „Schreinermeister und Möbelhandlung“, Friedrichstraße 2. 1885 wird die Bezeichnung erweitert angegeben als „Möbel-, Spiegel- und Polsterwaarenfabrik und Lager“, Friedrichstraße 2. 1890/91 findet sich dieselbe Angabe zu Reinhard Marschner, jedoch tritt nun ein Alwin Marschner, Schreiner, ebenfalls Friedrichstraße 2, hinzu. Im Adressbuch des Jahres 1901 finden sich die Angaben: „Alwin Marschner, Möbelfabrik, Friedrichstraße 2; Reinhard Marschner, Möbelfabrik, Berlinerstraße 75.“. Im Adressbuch des Jahres 1911: „Alwin Marschner, Möbelfabrik. Spez.: Schlafzimmereinrichtungen eigener Anfertigung, Friedrichstraße 2; Reinh. Marschner. Inhaber: Reinhold Marschner, Möbelfabrik mit Dampfbetrieb, Berliner Straße 75.“. Im Adressbuch des Jahres 1914 fehlt der Name Alwin Marschner; stattdessen taucht der Name „Witwe Alwin Marschner“ auf. Die Firma von Reinhold Marschner besteht zu diesem Zeitpunkt noch. Im Adressbuch des Jahres 1916 fehlt dann auch die Angabe „Witwe Alwin Marschner“ und im Jahre 1919 taucht der Name Marschner überhaupt nicht mehr auf.“ (Mail von Markus Teubert aus dem Stadtarchiv Wuppertal vom 1.8.2016 an die Autorin) 5 Dr. Jürgen Weise vom Rheinischen Wirtschaftsarchiv Köln bestätigte, dass es keine Quellen zu den Kölner Möbelfirmen und Möbelhäusern Jan van Norden, Zimball, Christian Meyer, Rahm& Dahmen vorm. Leissner Möbel, Wilhelm Schlösser GmbH, Möbel Stock und Möbelhaus Johann Schlüssel gibt, die Bayer beliefert haben, oder vorhandene Quellen für meine Fragestellung nicht aussagekräftig genug sind: „[W]ir müssen Ihnen mit Bedauern mitteilen, dass wir zu den von Ihnen aufgeführten Möbelhäusern weder Archivbestände haben noch in unseren Bibliotheksbeständen und Festschriften-Sammlungen entsprechende Kataloge oder Festschriften ausmachen konnten. Da wir die historischen Archive der rheinischen IHKs verwalten, verfügen wir teilweise über die sogenannten Firmen- und Beitragsakten der erloschenen Unternehmen. Marschner in Wuppertal konnten wir nicht ermitteln. Diese ist evtl. noch aktiv oder ist fusioniert worden? Jakob van Norden war ein renomiertes [sic!] Handels- Unternehmen in Köln für Haushaltswaren, Küchenmöbel usw. Leider sind dieser Akten hinsichtlich der Produktion dieser Unternehmen nicht aussagefähig und würden Ihnen für Ihren Forschungsansatz keine Hilfe sein“ (Mail von Dr. Jürgen Weise vom Rheinischen Wirtschaftsarchiv Köln vom 5.8.2016 an die Autorin)

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3 Quellenlage

Das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in Berlin gab regelmäßig Versandkataloge heraus. Der Hauptkatalog für Frühjahr und Sommer 1913 ist 1998 als Reprint erschienen. Darin ist auch das Angebot an Möbeln erhalten. Weitergehende Quellen zur Möbelabteilung gibt es im Firmenarchiv des KaDeWe nicht.6 Im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden gibt es umfangreiche Geschäftsakten, Modellzeichnungen und Prospekte der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, die nach der Jahrhundertwende mit schlichten Maschinenmöbeln zu erschwinglichen Preisen große Aufmerksamkeit fanden. Im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig finden sich Quellen zur Leipziger Messe. An ihnen wird deutlich, wie viele Möbelhersteller wie oft auf der Messe vertreten waren. In der Statistik wird allerdings nur die Anzahl und Herkunft der Aussteller erfasst, nicht jedoch deren Namen. Daneben berichten die Leipziger Mess-Zeitung, Bruhns Messanzeiger und Kunst und Industrie. Zeitschrift für die Vermittlung zwischen Künstlern und Fabrikanten (Beilage der Zeitschrift Die Leipziger Messe) über neue Einrichtungsstile und Produktionsverfahren.

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In der Mail des KaDeWe-Kundenservice an die Autorin vom 22.3.2017 heißt es: „Wir haben in unserem Archiv gesucht, aber leider nichts derartiges gefunden“.

4  BÜRGERTUM, BÜRGERLICHKEIT UND MITTELSTAND

4.1  Bürgerlichkeit als Konzept Die Bürgertumsforschung der 1980er und 1990er Jahre wollte ein umfassendes Bild des Bürgertums und seiner Geschichte gewinnen, die „mit all ihren, oft sehr tiefgreifenden regionalen, ja, lokalen Unterschieden bisher nur fragmentarisch erforscht“1 gewesen ist. Als wichtigstes Ergebnis lässt sich festhalten, dass das Bürgertum nicht als homogene Gruppe verstanden werden kann und damit der Begriff des ‚Bürgertums‘ durch vielfältige Unterscheidungen ungenau geworden ist. Stattdessen geriet die bürgerliche Kultur in den Mittelpunkt der Forschung, die als Gesamtheit bürgerlicher Kulturmuster, als Bürgerlichkeit nach diesem Verständnis die unterschiedlichen Gruppen des Bürgertums vereinte. Ein bürgerlicher Lebensstil ermöglichte dem heterogenen Bürgertum Zusammenhalt und Abgrenzung und war damit sozial exklusiv. Doch die neuere Forschung zeigt, dass auch dieses Konzept der Bürgerlichkeit nicht trennscharf genug ist, wie nach dem Rückblick auf die Bürgertumsdiskussion erläutert wird. Es ist deshalb bemerkenswert, dass unabhängig von der wissenschaftlichen Diskussion in aktuellen Debatten über die Gegenwartsgesellschaft die Begriffe ‚Bürgertum‘ und ‚Bürgerlichkeit‘ als positive Leitbilder wieder eine Rolle spielen. So stellt Werner Plumpe fest, dass sich hinter dieser Maskerade weder ein ernst zunehmender Lebensentwurf noch eine auch nur im Ansatz zutreffende Beschreibung der Probleme der Gegenwartsgesellschaft [verbirgt].2

Auch haben die aktuellen Leitbilder mit den historischen Begriffen nur sehr wenig zu tun. Deshalb verweist Andreas Fahrmeir auf die Klassengesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts: das ‚Bürgertum‘ [war] nur um den Preis erfolgreich, dass es ‚seine‘ politischen Visionen modizifierte oder aufgab, indem es zunehmend galt, nicht allgemeinen Aufstieg zu ermöglichen, sondern den Aufstieg konkurrierender ‚Klassen‘ zu begrenzen.3 1 2 3

Gall, Lothar: Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 20 Plumpe, Werner: Stichwort: Neue Bürgerlichkeit? Tragödie oder Farce, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 6 (2009), H. 1, S. 101–106, hier: S. 101 Fahrmeir, Andreas: Das Bürgertum des „bürgerlichen Jahrhunderts“. Fakt oder Fiktion, in: Bude, Heinz, et al. (Hrsgg.): Bürgerlichkeit ohne Bürgertum. In welchem Land leben wir?, München 2010, S. 23–32, hier:

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

Plumpe und Fahrmeir stellen also beide heraus, dass ein Modell der Lebensführung aus dem 19. Jahrhundert nicht auf das 21. Jahrhundert übertragen werden kann.

4.1.1  Rückblick auf die Bürgertumsdiskussion In den 1980er Jahren war das Bürgertum ein wichtiger Bestandteil der historischen Forschung, insbesondere in Frankfurt am Main mit Lothar Gall und in Bielefeld mit Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka. Ziel der Forschungen war es, dass damals vorherrschende negative Bild des Bürgers als „philisterhaftem Bourgeois“4 empirisch genauer zu überprüfen und im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern zu untersuchen, ob und wie das deutsche Bürgertum wenige Jahrzehnte später Deutschland in den „Sonderweg“ führte. Es ging darum, Ursachen zu finden, warum der westliche Weg in die Moderne in Deutschland verlassen wurde. Das Bürgertum im 19. Jahrhundert grenzte sich von der alten, höfischen Ordnung ab und stieg durch Industrialisierung und Urbanisierung zur bedeutenden Gesellschaftsschicht auf, die sich vor allem über Bildung und Besitz definierte. Dem Bürgertum war vor allem das Prinzip Leistung wichtig, es berief sich nicht auf Herkunft. Charakteristisch für das Bürgertum war die sehr große soziale Differenzierung. Es lässt sich unterscheiden in das Kleinbürgertum mit Händlern und Handwerkern, das Bildungsbürgertum mit Pfarrern, Lehrern, Richtern und Ministern, das Wirtschaftsbürgertum mit Fabrikanten und Bankiers sowie das Großbürgertum mit Industriellen und Fabrikbesitzern.5 Zum Kleinbürgertum gehörte der alte Mittelstand aus selbständigen Handwerkern, kleinen Ladenbesitzern, mittleren und kleinen Angestellten im Industrie- und Dienstleistungsbereich sowie unteren Beamten6, die zum neuen Mittelstand zählten.7 Er war keine homogene Gruppe8 und durch die Verbindung von unterschiedlichen Lebenslagen und dem „Streben nach Sicher-

4 5 6 7 8

S. 31; So auch Dieter Hein: „Das Bürgertum verengte sich also im dritten Jahrhundertviertel zu einer nur noch die gehobenen Kreise von Besitz und Bildung umfassenden Sozialformation. […] Eine Verwendung des Bürgerbegriffs in einem umfassenderen, vormärzlichen Sinne lief hingegen mehr und mehr auf eine rein ideologisch motivierte Beschwörung eines untergegangenen sozialen Phänomens hinaus“ (Hein, Dieter: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, München 2016, S. 73) Fahrmeir, Das Bürgertum des „bürgerlichen Jahrhunderts“, S. 29 Vgl. Andreas Fahrmeir: Art. ‚Bürgertum‘, in: Jaeger, Friedrich (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 583–594, hier: Sp. 584–587 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 36 Vgl. Bernd Fuhrmann, et al.: Geschichte des Wohnens: vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2008, S. 112 Vgl. Frank-Lothar Kroll: Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg (Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 1340), Bonn 2013, S. 72; Vgl. Jürgen Kocka: Arbeiten an der Geschichte. Gesellschaftlicher Wandel im 19. und 20. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 200), Göttingen 2011, S. 179; Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der ‚Deutschen Doppelrevolution‘ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 135; Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Die Geburtsstunde des deutschen Kleinbürgertums, in: Puhle, Hans-Jürgen: Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft, Politik, Kultur (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1), Göttingen 1991, S. 199–210, hier: S. 205; Vgl. Jürgen Osterhammel: Das 19. Jahrhundert 1850–1880, in: Ders.: Das 19. Jahrhundert (Informationen zur politischen Bildung, Heft 315), Bonn 2012, S. 30–54, hier: S. 38

4.1  Bürgerlichkeit als Konzept

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heit“9 gekennzeichnet. Es stand auf der unteren Ebene im System der sozialen Ungleichheit10 und versuchte kaum, sich anderen bürgerlichen Schichten anzunähern. Für die Arbeiterschaft war das Kleinbürgertum ein Aufstiegsziel.11 Das Bildungsbürgertum verfügte über ein höheres Einkommen durch spezialisiertes Wissen nach einem Studium an einer Universität. Dieses erlangte Wissen war Teil der Persönlichkeit und nicht mehr nur eine äußere Erscheinung.12 Zum Bildungsbürgertum zählte ein Prozent der Bevölkerung13, unter anderem Ärzte, Pfarrer, Anwälte, Bischöfe, Richter, Gymnasiallehrer, höhere Verwaltungsbeamte sowie Wissenschaftler und Minister. Aber auch Angehörige neuer Berufe versuchten in das Bildungsbürgertum zu gelangen, zum Beispiel Ingenieure und Architekten. Volksschullehrern gelang dieser Aufstieg lange Zeit nicht.14 Eine Vielfalt an Berufen und Interessen15, die so in anderen bürgerlichen Schichten nicht zu finden war16, zeichnete das Bildungsbürgertum aus. Durch die gemeinsame Studienzeit mit Adeligen kam es zu einer Vermischung von bildungsbürgerlichen und adeligen Lebensstilen.17 Bildungsbürger genossen hohes Ansehen, nahmen wichtige Positionen in Justiz und Medizin ein, aber auch in Bildung, Kunst und Verwaltung. Sie zählten zu den Gewinnern rechtlicher und sozialer Reformen.18 Das Wirtschaftsbürgertum umfasste Selbständige besonders in „innovative[n] oder wohlhabende[n] Sektoren des verarbeitenden Gewerbes, Handels und Finanzwesens (=Bank)“19 mit erheblichen wirtschaftlichem Erfolg. Dazu gehörten viele Unternehmer, die sich für den

9 10 11 12 13 14 15 16 17

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Haupt, Heinz-Gerhard/Crossick, Geoffrey: Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, München 1998, S. 290 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 135 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt: Kleine und große Bürger in Deutschland und Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 2, München 1988, S. 252–276, hier: S. 267–268 Vgl. ebd., S. 274 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 36 Vgl. Andreas Fahrmeir: Art. ‚Bildungsbürgertum‘, in: Jaeger, Friedrich (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 242–246, hier: Sp. 245 Vgl. M. Rainer Lepsius: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 79–100, hier: S. 86 Vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 2013 [1990], S. 54 Vgl. Susann Trabert: Popularisierung der Luxuswerbung im „Journal des Luxus und der Moden“ 1786–1795, in: Jeggle, Christof, et al. (Hrsgg.): Luxusgegenstände und Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Produktion, Handel, Formen der Aneignung (Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N. F., Bd. 8), Konstanz/München 2015, S. 475–488, hier: S. 483; Vgl. Christof Jeggle: Luxus, Kunst und Ökonomie, in: Ders, et al. (Hrsgg.): Luxusgegenstände und Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Produktion, Handel, Formen der Aneignung (Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N. F., Bd. 8), Konstanz/München 2015, S. 513–534, hier: 524–525: „Die neuen Qualitätsprodukte wurden dann auf spezialisierten Märkten dem interessierten Publikum dargeboten. Luxuswaren wurden damit zunehmend zu Konsumartikeln, die von einem breiteren Publikum erworben wurden“ Vgl. Jürgen Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit, S. 34 Fahrmeir, Andreas: Art. ‚Wirtschaftsbürgertum‘, in: Jaeger, Friedrich (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 19, Stuttgart 2011, Sp. 1142–1148, hier: Sp. 1142

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

Ausbau einer modernen Industriegesellschaft einsetzten und in der Welt Handel trieben.20 Das Wirtschaftsbürgertum hatte einen höheren Anteil jüngerer Bürger und eine höhere Quote an Managern als andere bürgerliche Schichten.21 Wirtschaftsbürger gehörten bis zum Ersten Weltkrieg zur Vermögenselite und verstanden sich zusammen mit den Bildungsbürgern als Träger der neuen bürgerlichen Gesellschaft. Sie hielten aber Abstand zu Höfen, Staatsregierungen und Landadel.22 Zum Großbürgertum gehörte eine Gruppe von etwa eintausend bis zweitausend Personen aus Großunternehmern und Industriellen, die sich aufgrund ihres Vermögens einen luxuriösen Lebensstil leisten konnten, in schlossartigen Villen wohnten und glänzende Empfänge gaben.23 Durch seine finanziellen Möglichkeiten unterschied sich das Großbürgertum sehr deutlich von den anderen Gruppen des Bürgertums. In der Bürgertumsforschung befassten sich die Frankfurter Historiker um Lothar Gall24 mit der Frage nach der „Individualität einer präzise umschriebenen und präzise faßbaren sozialen Einheit ‚Bürgertum‘“.25 Dabei verstanden sie die Stadt als den zentralen bürgerlichen Ort des Handelns. Das Bürgertum betrachteten sie aus dem Blickwinkel der „Rechtsform der ständischen Gesellschaft“.26 Entscheidend für das Frankfurter Verständnis ist der Rückgriff auf die altliberale Vorstellung von einer zukünftigen Gesellschaft mit dem Bürgertum als „allgemeine[m] Stand“.27 Diese „Idee der klassenlosen Bürgergesellschaft“28, wie Lothar Gall sie beschreibt, war die Utopie und Ideologie der Liberalen im 19. Jahrhundert29, die aber Besitzlose 20 Vgl. ebd.; Vgl. Jürgen Reulecke: Die Mobilisierung der „Kräfte und Kapitale“: der Wandel der Lebensverhältnisse im Gefolge von Industrialisierung und Verstädterung, in: Ders. (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 3: 1800–1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 15–145, hier: S. 75; Vgl. Youssef Cassis: Wirtschaftselite und Bürgertum. England, Frankreich und Deutschland um 1900, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 2, München 1988, S. 9–35, hier: S. 9; Vgl. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1044), Bonn 2012, S. 1096 21 Vgl. Andreas Fahrmeir, Art. ‚Wirtschaftsbürgertum‘, Sp. 1142 22 Vgl. ebd., Sp. 1147 23 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 36; Kaelble, Hartmut: Französisches und deutsches Bürgertum 1870–1914, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1, München 1988, S. 107–140, hier: S. 126 24 Gall, Lothar: Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, in: Ders. (Hrsg.): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft (Stadt und Bürgertum, Bd. 4), München 1993, S. 1–12; Gall, Lothar: Liberalismus und „Bürgerliche Gesellschaft“. Zu Charakter und Entwicklung der Liberalen Bewegung in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 220 (1975), S. 324–356; Vgl. Dieter Hein: Soziale Konstituierungsfaktoren des Bürgertums, in: Gall, Lothar (Hrsg.): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft (Stadt und Bürgertum, Bd. 4), München 1993, S. 151–183; Vgl. Hans-Werner Hahn/Dieter Hein: Bürgerliche Werte um 1800. Zur Einführung, in: Dies. (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf, Vermittlung, Rezeption, Köln 2005, S. 9–31 25 Gall, Stadt und Bürgertum, S. 3 26 Mergel, Thomas: Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren. Für Hans-Ulrich Wehler zum 70. Geburtstag, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 515–538, hier: S. 518 27 Gall, Liberalismus und „Bürgerliche Gesellschaft“, S. 350 28 Ebd., S. 327 29 Vgl. ebd.; Vgl. Hans-Ulrich Wehler: „Bürgerliche Gesellschaft meint bekanntlich seit den großartigen Entwürfen des 18. Jahrhunderts auch die Zielutopie einer Gesellschaft rechtlich gleicher, durch Besitz und Bildung ausgezeichneter, wirtschaftlich frei konkurrierender, besitzindividualistischer, politisch handlungs-

4.1  Bürgerlichkeit als Konzept

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und ‚Unge­bildete‘ ebenso ausgeschlossen hat wie Frauen und Minderheiten wie Juden.30 Sie fassten das gehobene Bürgertum und das Kleinbürgertum zum Bürgertum zusammen.31 Den Schwerpunkt legten sie auf das gehobene Bürgertum, das die Frankfurter als ein übergreifendes „soziales Netz“32 verstanden, während das Kleinbürgertum zusammengefasst nur als eine Schicht vorkommt.33 Die Frankfurter Historiker setzten die bürgerliche Hochphase in die Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Kaiserreich ist für sie der Niedergang des Bürgertums in vollem Gange. Die Bielefelder Historiker um Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka34 sahen die Hochphase des Bürgertums erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und unterschieden sich damit von den Frankfurter Forschern. Die Bielefelder verstanden demgegenüber das Bürgertum seit Ende des 18. Jahrhunderts als den eigentlichen Träger einer „aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit“35 und sahen im Bürgertum, anders als die Frankfurter, unter Rückgriff auf Max Weber eine Klasse. Zu den Bürgern zählten ihrer Ansicht nach akademisch Gebildete und Unternehmer, also das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, das insbesondere an der Verbreitung bürgerlicher Gedanken und der Durchsetzung bürgerlicher Normen beteiligt war. Die Gruppe der Kaufleute wurde in Bielefeld weitgehend außer Acht gelassen.36 In der Entwicklung vom ständischen Stadtbürger zum modernen Staatsbürger sieht Hans-Ulrich Wehler einen Emanzipationsakt: Die bürgerlichen Kräfte schließen sich mit dem Staat zu einem Modernisierungsbündnis zusammen. Die Modernität des Kaiserreichs in vielen Bereichen ist für Wehler größtenteils bürgerliche Leistung.37 Diesen Modernisierungsprozess belegt Wehler anhand zahlreicher Tabellen und Statistiken mit sozioökonomischen Strukturen, so dass für den Gestaltungsspielraum historischer Akteure

fähiger das ‚vernünftige‘ Gemeinwohl ermittelnder und verwirklichender Bürger. Diese Gesellschaft ist prinzipiell offen: Leistung und Talent qualifizieren für den Eintritt. Es ist ihrem eigenen Anspruch nach keine geschlossene, segmentierte Gesellschaft, wie immer auch die historische Wirklichkeit aussehen mag“ (Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich?, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 243–288, hier: S. 253). Diese Gesellschaft, „die auf dem selbständigen bürgerlichen Individuum aufbaut, [befürwortet] die Selbstorganisation der Gesellschaft als grundlegendes Strukturmerkmal“ (Hettling, Manfred: Politische Bürgerlichkeit (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 13), Göttingen 1999, S. 27) 30 Wehler, Wie bürgerlich?, S. 254 31 Vgl. Thomas Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, S. 521 32 Ebd. 33 Vgl. ebd. 34 Vgl. Jürgen Kocka: Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1, München 1988; Vgl. Jürgen Kocka: Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 2, München 1988; Vgl. Jürgen Kocka: Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 3, München 1988; Vgl. Jürgen Kocka: Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel, in: APuZ 9–10 (2008), S. 3–9; Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich?, S. 243–288; Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3 35 Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung, Köln 2009, S. 75 36 Vgl. hierzu: Thomas Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, S. 522 37 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Wie bürgerlich, S. 244; Ähnlich wie Hans-Ulrich Wehler formulierte es auch Thomas Nipperdey: „Die Modernität, die um 1900 in den Künsten entsteht, ist, das ist meine These, ein Produkt des Bürgertums, auch des Bürgertums“ (Nipperdey, Thomas: Kann Geschichte objektiv sein? Historische Essays, München 2013, S. 203)

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in Wehlers Ansatz der historischen Sozialwissenschaft als Gesellschaftsgeschichte kaum Platz bleibt.38 Entscheidend für die weitere Forschung war die Frage von Jürgen Kocka, ob wegen der inneren Differenzierung das Bürgertum vielleicht weder ein Stand noch eine Klasse sei, sondern vielmehr eine Kultur. Ihre besondere Bedeutung für das Bürgertum als soziale Formation verdichtete Kocka im „Konzept der ‚Bürgerlichkeit‘“.39 Dabei machte Kocka darauf aufmerksam, dass sich die Anlehnung an die Kultur, also an „Lebensweisen, Gebräuche [und] Deutungsmuster“40 nur sehr schwer charakterisieren lasse und es auch schwierig sei, „von der Beschreibung der bürgerlichen Kultur zur Frage nach der kollektiven Handlungsfähigkeit des Bürgertums vorzustoßen“.41 In der Folge wurde in der Forschung über das heterogene Bürgertum im Kaiserreich die Bürgerlichkeit als kulturelle Praxis zum zentralen Element, das die sozial, politisch und habituell unterschiedlichen Gruppen miteinander verbinden sollte. Im Konzept der Bürgerlichkeit und des bürgerlichen Lebensstils zeigt sich also die „kulturhistorische[…] Wende“42 der Bürgertumsforschung, die als Sozialgeschichte Anfang der 1980er Jahre begonnen hatte und als Sozial- und Kulturgeschichte endete.43

4.1.2  Bürgerlichkeit und ‚bürgerlicher Wertehimmel‘ Bürgerlichkeit umschreibt die Gesamtheit von Gewohnheiten und Werten, die sich als ‚bürgerlicher Lebensstil‘ identifizieren lassen.44 Dazu zählen die besondere Wertschätzung von individueller Leistung und regelmäßiger Arbeit, aber auch eine rationale Lebensführung, die Pünktlichkeit, Sparsamkeit und Solidität einschließt, außerdem Bildung und Wissenschaft, die

38 Kritik an der Historischen Sozialforschung der 1970er Jahre kam vor allem in den 1980/90er Jahren durch Vertreter der Geschlechtergeschichte, Alltagsgeschichte und neueren Kulturgeschichte auf. Sie kritisierten ebenfalls die zu stark betonte Macht sozio-ökonomischer Strukturen und Theorien, die dazu führten, dass historische Akteure nicht mehr genauer betrachtet und Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungen ausgeblendet würden. So forderten die Kritiker, den Leitbegriff „Gesellschaft“ durch den Begriff „Kultur“ zu ersetzen. (Vgl. Klaus Nathaus: Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft, in: Docupedia-Zeitgeschichte (24.9.2012). Internet: http://docupedia.de/zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft#Kritik_an_der_neuen_Sozialgeschichte:_Die_1980.2F90er-Jahre) (Zugriff: 1.12.2017) 39 Roth, Ralf: Entfaltungsprozesse (19. Jahrhundert). Der Durchbruch der bürgerlichen Gesellschaft, in: Wirsching, Andreas (Hrsg.): Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Neueste Zeit, München 2006, S. 17–32, hier: S. 22 40 Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, S. 523 41 Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, S. 44 42 Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, S. 524 43 Vgl. ebd., S. 517 44 Vgl. Jürgen Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklung und deutsche Eigenarten, in: Ders. (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1, München 1988, S. 11–79, hier: S. 27–28; Vgl. Thomas Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, S. 525; Vgl. Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann (Hrsgg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000

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Wertschätzung von Kultur und Kunst sowie ein besonderes bürgerliches Familienideal45 mit den anerkannten Tugenden Ordnung und Pflicht, Genügsamkeit und Bescheidenheit46 als Abwehr gegen Vermassung, Materialismus und Entfremdung.47 Bürgerlichkeit zeigte sich nicht auf dem Land, sondern in der Stadt.48 Hier wurden bürgerliche Kultur, bürgerliche Lebensform und bürgerliche Werte sichtbar, denn erst durch die Urbanisierung hatte das städtische Bürgertum an Bedeutung gewonnen. In der Bürgerlichkeit zeigte sich in kultureller Hinsicht jene „Vergesellschaftung von Mittelschichten“49, die das Bürgertum ausmachten. Diese gemeinsam geteilten Werte und Normen verbanden die verschiedenen Schichten des Bürgertums untereinander: das Kleinbürgertum mit Händlern und Handwerkern, das Wirtschaftsbürgertum mit Fabrikanten und Bankiers, das Bildungsbürgertum mit Pfarrern, Lehrern, Richtern und Ministern sowie das Großbürgertum mit Industriellen. Zwischen diesen Schichten gab es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten50, aber Bürgerlichkeit hielt das heterogene Bürgertum zusammen. Für diese kulturelle Orientierung in der Lebensführung prägten Manfred Hettling und ­Stefan-Ludwig Hoffmann den Begriff des ‚bürgerlichen Wertehimmels‘.51 Er bildete den Erfahrungsraum für individuelle Lebensformen einer bestimmten Sozialformation, welcher in der Mitte des 18. Jahrhunderts entstand und seit dem späten 19. Jahrhundert rapide erodierte. Er umfaßt damit die klassische bürgerliche Epoche, die zur Zeit der Aufklärung begann und spätestens im Ersten Weltkrieg ihr Ende fand.52

Dieser ‚bürgerliche Wertehimmel‘ hatte aber keine „strikten ‚Verhaltensvorschriften‘, sondern ‚Grundsätze‘ und ‚abstrakte Prinzipien‘“.53 Damit war er offen für Veränderungen. Er ist ein 45 Roth, Entfaltungsprozesse, S. 22 46 Vgl. Gunilla Budde: Bürgertum und Konsum. Von der repräsentativen Bescheidenheit zu den ‚feinen Unterschieden‘, in: Haupt, Heinz-Gerhard/Torp, Claudius (Hrsg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990, Frankfurt/M. 2009, S. 131–144, hier: S. 134 47 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 45 48 Vgl. Jürgen Kocka, Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft, S. 27–28; Vgl. hierzu auch: Thomas Mergel, Bürgertumsforschung, S. 525; Vgl. Werner Plumpe: Die Wirtschaft des Kaiserreiches. Anmerkungen zur Genealogie des deutschen Kapitalismus, in: Meyer, Tilmann, et al. (Hrsgg.): Modell Deutschland, Berlin 2013, S. 13–37, hier: S. 20–21: „Deutschland war vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein vergleichsweise dicht besiedeltes Land, dessen Zentren von Industriestädten mit hoher Verdichtung bestimmt wurden. […] das Land war sukzessive urbaner geworden; ländliche Subsistenzexistenzen verloren an Bedeutung. Das Leben in der Stadt war einerseits durch eine Zunahme der formalen Bildung, andererseits durch die Abhängigkeit von kommunaler Infrastruktur und Daseinsfürsorge geprägt. […] die Stadt schuf […] einen völlig neuen, viele Menschen herausfordernden Lebensraum, den es erst zu bewältigen galt“. 49 Lepsius, Zur Soziologie des Bürgertums, S. 96 50 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt, Kleine und große Bürger, S. 252–276 51 Vgl. Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, S. 7–23 52 Hettling, Manfred: Bürgerliche Kultur. Bürgerlichkeit als kulturelles System, in: Lundgreen, Peter (Hrsg.): Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986– 1997), Göttingen 2000, S. 319–340, hier: S. 337; Einen guten Überblick zu den bürgerlichen Werten und dem Lebensstil bietet auch Birgit Wörner: Frankfurter Bankiers, Kaufleute und Industrielle. Werte, Lebensstil und Lebenspraxis 1870 bis 1930 ('Mäzene, Stifter, Stadtkultur'. Schriften der Frankfurter Bürgerstiftung und der Ernst Max von Grunelius-Stiftung, Bd. 9), Frankfurt/M. 2011 53 Lesczenski, Jörg: August Thyssen 1842–1926. Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 81), Essen 2008, S. 13

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vital[es] und zeitgemäß[es] [Element], das […] nicht die Antwort vorgibt, sondern dazu befähigt, mit dieser Frage zu leben und eigene Antworten zu finden.54

Hinter dem ‚bürgerlichen Wertehimmel‘ steht also ein normatives Konstrukt, das für die „Ambivalenz bürgerlicher Lebensführungen“55 offen sein soll. Hieran zeigt sich schon, dass der ‚bürgerliche Wertehimmel‘ als Erklärungsansatz Probleme aufwirft. Denn in seiner Definition stecken ähnliche Schwierigkeiten wie in der Definition des Bürgertums. So wenig das Bürgertum eine analytische Einheit ist, so wenig eindeutig ist auch der ‚bürgerliche Wertehimmel‘ als normatives Konstrukt für eine ambivalente Lebensführung. Auf dieses entscheidende Dilemma macht Andreas Fahrmeir aufmerksam. Der ‚bürgerliche Wertehimmel‘ ist nicht trennscharf genug: War ein Privatbankier wirklich so viel fleißiger als ein Landadeliger? […] Selbstverständlich gab es auch uninteressierte und uninteressante Bürger, die sich kaum um Bildung scherten, genau wie es Adelige gab, die kaum einem Verein fern blieben, rational wirtschafteten und bedeutende Stiftungen hinterließen.56

Stattdessen plädiert Fahrmeir für eine ständisch-materielle Beschreibung, weil sich in ihr die Selbstbeschreibung einer bürgerlichen Gesellschaft bündelte.57 Es bedurfte schon eines bestimmten Einkommens, um bürgerlich leben zu können. Insoweit war Bürgerlichkeit keine individuelle Wahl, sondern immer auch abhängig von Einkommens- und Lebensverhältnissen, in denen Zeit für Vorträge, Theater und Museen genauso vorhanden sein musste wie Geld für Gymnasium und Studium.58 Das galt erst recht für die angemessene Wohnungseinrichtung. Deshalb werden zunächst Forschungsansätze zur Gestaltung und Produktion von Möbeln vorgestellt, bevor mit Hilfe der ökonomischen Haushaltsforschung bürgerliche Lebensverhältnisse untersucht werden. Für das Verständnis bürgerlichen Wohnens bietet zunächst die kunsthistorisch breit angelegte Möbelforschung wichtige Ansätze. Als einer der ersten Autoren zur Geschichte des deutschen Möbels bezeichnete Adolf Feulner in seinem 1927 erstmals erschienenem Werk Kunstgeschichte des Möbels seit dem Altertum Möbel als „Gegensatz oder […] Zusammenspiel 54 Hettling, Manfred: Bürgerlichkeit – nostalgisches Relikt oder dauerhaftes Kulturmuster, in: West-End. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 6 (2009), H. 1, S. 116–125, hier: S. 124 55 Hettling, Manfred/Hoffmann, Stefan-Ludwig: Der bürgerliche Wertehimmel. Zum Problem individueller Lebensführung im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), H. 3, S. 333–359, hier: S. 346; Vgl. auch: Manfred Hettling, Bürgerliche Kultur. Bürgerlichkeit als kulturelles System, S. 337; Werner Plumpe verweist in seinen Überlegungen zum Wirtschaftsbürgertum 1870 bis 1930 darauf, dass die Verbindlichkeit des ‚bürgerlichen Wertehimmels‘ nach dem Ersten Weltkrieg nachlässt: „Zwar gab es nach dem Ersten Weltkrieg im subjektiven Sinne noch Bürger, und Thomas Mann mag sich als ein solcher verstanden haben […]. Überhaupt wird hier nicht die Weiterexistenzs von bürgerlichen Attitüden bestritten; nur verloren diese spätestens mit dem Ersten Weltkrieg ihren verbindlichen Gehalt und wandelten sich zu Meinungsäußerungen und eine eindeutige Definition von Bürgertum und Bürgerlichkeit war damit nicht mehr verbunden. Eine bürgerliche Lebensführung ist weiterhin möglich; aber eben als individuelle Wahl und nicht als verbindliche Vorgabe“ (Plumpe, Werner: Einleitende Überlegungen. Strukturwandel oder Zerfall: das Wirtschaftsbürgertum 1870 bis 1930, in: Ders./Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 8–13, hier: S. 10) 56 Fahrmeir, Das Bürgertum des „bürgerlichen Jahrhunderts“, S. 28 57 Vgl. ebd. 58 Vgl. ebd., S. 27–28

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von Zweckform und Kunstform“.59 Damit benennt Feulner kulturelle Aspekte der Möbelgestaltung, die er später aber nicht weiterverfolgt, weil er sich in seiner Analyse nur auf die Begriffe ‚Bequemlichkeit, Sachlichkeit und Wohnlichkeit‘ stützt.Was Feulner nur fordert, aber nicht einlöst, wird später bei Georg Himmelheber60 zugespitzt. Er prägte bis zur Mitte der 1980er Jahre maßgeblich die deutschsprachige Möbelforschung mit seinem Verständnis des Möbelstils als Ausdruck einer schichtenspezifischen Selbstdefinition. Erst Hans Ottomeyer61 stellte in seiner Kritik an Himmelheber die überragende Bedeutung des Stilbegriffs in Frage. Unter dem Einfluss der sozialgeschichtlichen Bürgertumsforschung forderte er eine stärkere Berücksichtigung ökonomischer und sozialer Aspekte der Möbelgestaltung. Aber Ottomeyers Anregung wurde lange Zeit nicht aufgegriffen. Christian Witt-Dörring62 untersuchte in den 1980er Jahren die Wiener Möbelkunst bis 1850 und setzte die Vielfalt der Gestaltung in Beziehung zu neuen Ersatzstoffen, modernen Dekorationsprinzipien und den finanziellen Möglichkeiten des Bürgertums. Zur gleichen Zeit untersuchte Heidrun Zinnkann die Gestaltung der Möbel von Mainzer Möbeltischlern, jedoch ohne Rückgriff auf die Umstände der Produktion.63 Barbara Post64 belegte in den 1990er Jahren die Gleichzeitigkeit verschiedener schichtenübergreifender Einflüsse auf die Möbelgestaltung und erwähnte neben künstlerischen eben auch ökonomische und gesellschaftliche Faktoren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der alten Möbelforschung der Fokus auf dem einzelnen Möbelstück lag und dieses mit anderen stilistisch verglichen wurde. Die neuere Möbelforschung hingegen will die Möbel in ihren historischen Kontext stellen und fragt dabei nach den Bedingungen für Produktion, Konsum und Stil. Genau das ist der Beitrag, den die kunsthistorische Möbelforschung liefern muss, wenn sie zur Frage nach der Selbstrepräsentation im bürgerlichen Wohnen wichtige Erkenntnisse beisteuern will. Damit muss die kunsthistorische Möbelforschung um Ergebnisse aus technik-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive ergänzt und vertieft werden.65 59 Feulner, Adolf: Kunstgeschichte des Möbels seit dem Altertum, Berlin 1927, S. 8 60 Himmelheber, Georg: Die Kunst des deutschen Möbels. Bd. 3: Klassizismus, Historismus, Jugendstil, München 1973 61 Seinen Ansatz erläutert er am Beispiel von Möbeln aus dem Bestand des Münchner Stadtmuseums: Ottomeyer, Hans: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, in: Ders. (Hrsg.): Biedermeiers Glück und Ende…die gestörte Idylle 1815–1848, München 1987, S. 91–127 62 Vgl. Christian Witt-Dörring: Zur Ästhetik des Biedermeier-Möbels, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 57–71 63 Vgl. Heidrun Zinnkann: Mainzer Möbelschreiner der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main, Bd. 17), Frankfurt/M. 1985 64 Post, Barbara: Schreibmöbel der Bremer Tischler aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bremen 1995; Vgl. auch: Barbara Post: Kleinmöbel im Biedermeier. Herkunft der Möbeltypen, Probleme der stilistischen Einordnung, Herstellungsbedingungen, in: Zinnkann, Heidrun (Hrsg.): Der feine Unterschied. Biedermeiermöbel Europas 1815–1835, München 2007, S. 42–50 65 Wie wichtig ein interdisziplinärer Zugang ist, zeigte auch der 2015 vom Westfälischen Landesmuseum für Handwerk und Technik in Hagen in Kooperation mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund organisierte Workshop zu den aktuellen Per­ spektiven der interdisziplinären Handwerksforschung. Einigkeit bestand darin, dass sowohl das Handwerk im 19. und 20. Jahrhundert als auch die Organisationsform gewerblicher Produktion und Dienstleistung noch stärker interdisziplinär erforscht werden müssen. Vgl. hierzu: Christof Jeggle: Tagungsbericht Fokus Handwerk: Aktuelle Perspektiven einer interdisziplinären Handwerksforschung. Themen, Frage­stellungen,

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In der Technikgeschichte untersuchte Peter Benje66 2002 am Beispiel der maschinellen Holzbearbeitung, auf welche Weise neue Werkzeuge und Maschinen wie zum Beispiel der Abrichter als Universalmaschine die Herstellung in Handwerksbetrieb und Manufaktur wesentlich beschleunigten und damit grundlegend veränderten. In der Folge kam es außerdem zu neuen Betriebsformen, da sich viele kleinere Tischlereien bis zum Ersten Weltkrieg zu größeren Betrieben mit einigen Holzbearbeitungsmaschinen entwickelten. Der Markt veränderte sich. Eine viel größere Stückzahl an Möbeln konnte jetzt deutlich schneller hergestellt werden, Möbel und Dekorationsgegenstände wurden billiger. Bürgerliche Familien konnten sich nun ganz nach ihren jeweiligen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten einrichten. In welcher Weise sich aufgrund neuer technischer Möglichkeiten die Gestaltung der Möbel, das Angebot und die Nachfrage veränderten, wird bei Benje allerdings nur allgemein angesprochen. Dabei berichteten Zeitschriften und Ratgeber67 über neue Trends, große Warenhäuser präsentierten ganze Zimmereinrichtungen, es gab erste Möbelmessen. Geschmacksbildung wurde als neue Aufgabe gesehen. Es ist also notwendig, anhand maßgeblicher Zeitschriften und Ratgeber zur Inneneinrichtung und Fachzeitschriften für Tischler und Schreiner diese Entwicklung zu untersuchen und dabei die Frage zu behandeln, inwieweit sich Herstellung, Stil und Markt gegenseitig beeinflussten. Aus einem wirtschaftsgeschichtlichen Blickwinkel untersuchte Dirk Fischer68 2004 die ökonomischen Folgen der beginnenden maschinellen Produktion am Beispiel der Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe. Er sieht einen fließenden Übergang von der handwerklichen zur fa­brik­mäßigen Herstellung von Möbeln und benutzt die Begriffe ‚Möbelindustrie‘ und ‚Serienmöbelfertigung‘ als Synonyme. Die entstehende Serienmöbelfertigung veränderte die Beziehung des Herstellers zum Kunden grundlegend. Der Tischlermeister arbeitete noch für Kunden am Ort und auf Bestellung, er war mehrere Wochen oder Monate mit diesem Auftrag beschäftigt. Dagegen produzierte der Hersteller in der Serienmöbelfertigung auf Vorrat und für einen entstehenden überregionalen Markt mit einem anonymen Kundenkreis, dessen Wünsche er vor der Produktion abschätzen musste, ohne dafür Konsumforschung zu betreiben. Als Folge übernahm der Möbelhandel die Absatzwerbung, während sich die Hersteller auf die Produktionsabläufe konzentrierten, denn eine gute Qualität war für sie die beste Werbung. In Fischers wirtschaftshistorischer Untersuchung bleibt allerdings offen, auf welche Weise Angebot und Nachfrage auf einem größer werdenden Markt die Gestaltung der Möbel und die Attraktivität einzelner Möbelstile beeinflussten. Auch die Stilentwicklung und die Geschmacksvorlieben der bürgerlichen Verbraucher werden nur sehr allgemein angesprochen. Quellen und Methoden. 10.6.2015–11.6.2015, Hagen, in: H-Soz-Kult (30.7.2015). Internet:www.hsozkult.de/ conferencereport/id/tagungsberichte-6102 (Zugriff: 7.9.2017) 66 Benje, Peter: Maschinelle Holzbearbeitung. Ihre Einführung und die Auswirkungen auf Betriebsformen, Produkte und Fertigung im Tischlereigewerbe während des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Darmstadt 2002 67 Zum Beispiel Dekorative Kunst oder Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration aber auch Fachblätter für Tischler und Schreiner, vor allem aber auch Ratgeberliteratur wie zum Beispiel Jacob Falkes Die Kunst im Hause (1873) oder Joseph August Lux‘ Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung (1905) 68 Fischer, Dirk: Die Geschichte der Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe von 1861–1945, Bielefeld 2004

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In der Wirtschaftsgeschichte liefert schließlich die ökonomische Haushaltsforschung wertvolle Hinweise zu den Einkommensverhältnissen bürgerlicher Haushalte und zu den Kosten des bürgerlichen Lebensstils. Bis Anfang der 1980er Jahre waren Forschungen über private Haushalte vor allem Teil der Wirtschaftswissenschaften, ehe sie zum Gegenstand historischer Untersuchungen69 wurden. Vor allem Toni Pierenkemper70 hat schon früh auf die Aussagekraft von Haushaltsrechnungen aufmerksam gemacht. Diese Verbrauchsstatistiken galten schon im 19. Jahrhundert als wichtige Quelle71, weil sie alle Einnahmen und Ausgaben individueller Familienhaushalte in einem bestimmten Zeitraum erfassen. Ihr Vorteil besteht gerade darin, dass sie im Gegensatz zu den Pro-Kopf-Verbrauchsrechnungen keinen statistischen Durchschnitt liefern, sondern schichtenspezifische Unterschiede im privaten Verbrauch sichtbar machen.72 Deshalb drängen sich Haushaltsrechnungen für Pierenkemper bei einer Analyse von Klassen und Schichten geradezu auf.73 Weil sie das tatsächliche Verbrauchsverhalten individueller Familienhaushalte abbilden, können aus diesem empirisch nachweisbaren Verhalten auch die Kriterien für schichtenspezifischen Verbrauch abgeleitet werden. Eine Analyse von Haushaltsrechnungen kann deshalb auf vorab zugrunde gelegte klassen- oder schichtenspezifische Merkmale wie etwa Einkommen und Bildung verzichten.74 Es lohnt sich also, Haushaltsrechnungen75 auf Einkommens- und Lebensverhältnisse genauer durchzusehen.

4.1.3  Rückblick auf die ökonomische Haushaltsforschung Bei den Haushaltsrechnungen handelt es sich natürlich nicht um eine repräsentative Auswahl von Haushalten des Deutschen Reiches im statistischen Sinn, sondern um ein „surviving sample“76, eine Sammlung überlieferter historischer Daten, die „bei genügend hoher Zahl“77, wie Toni Pierenkemper anmerkt, und im Vergleich mit anderen Quellen wie Lebens69 Vgl. hierzu: Armin Triebel: Ökonomie und Lebensgeschichte. Haushaltsforschung im gehobenen Mittelstand Ende des 19. Jahrhunderts, in: Conrad, Christoph/Kondatowitz, Hans-Joachim, von: Gerontologie und Sozialgeschichte. Wege zu einer historischen Betrachtung des Alters. Beiträge einer internationalen Arbeitstagung am Deutschen Zentrum für Altersfragen, Berlin (5.–7.7.1982), Berlin 1983, S. 273–317; Fischer, Hendrik K.: Konsum im Kaiserreich. Eine statistisch-analytische Untersuchung privater Haushalte im wilhelminischen Deutschland (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 15), Berlin 2011, S. 80 70 Vgl. Toni Pierenkemper (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in historischer Perspektive, St. Katharinen 1987 71 Vgl. Ernst Engel: Das Rechnungsbuch der Hausfrau und seine Bedeutung im Wirtschaftsleben der Nation, Berlin 1882 72 Vgl. Toni Pierenkemper, Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive, S. 16 73 Vgl. Toni Pierenkemper: Kommentar zum Beitrag von Armin Triebel, in: Ders. (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in historischer Perspektive, St. Katharinen 1987, S. 122–124, hier: S. 123 74 Vgl. ebd. 75 Vgl. hierzu: Toni Pierenkemper: Haushalte, in: Ambrosius, Gerold, et al. (Hrsgg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 2006, S. 39–62 76 Hudson, Pat/Ishizu, Mina (Hrsg.): History by numbers. An introduction to quantitative approaches, London 2017, S. 211; Zum Aussagewert von begrenzten Quellen vgl. Reinhart Koselleck, Archivalien – Quellen – Geschichten, S. 68–80 77 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 161

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beschreibungen und amtlichen Statistiken aber trotzdem Aussagen zu schichtenspezifischem Verbrauchsverhalten zulassen. Mit Hilfe von Haushaltsrechnungen soll deshalb im nächsten Kapitel begründet werden, warum der bürgerliche Mittelstand als untersuchte Schicht vielversprechend ist und wie er sich gegen andere bürgerliche Schichten abgrenzen lässt. Die Haushaltsforschung kennzeichnen unterschiedliche methodische Ansätze. So ging Reinhard Spree 198778 in seiner Analyse von 852 Haushaltsrechnungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes von 1907 davon aus, dass sich im Konsum nicht nur Klassen- und Schichtzugehörigkeit ausdrückt, sondern auch ein Entscheidungsspielraum bei der Verwendung des vorhandenen Einkommens übrigbleibt, der auch Möglichkeiten der „Selbstzuordnung zu verschiedenen Sozialschichten“79 bietet. Spree nahm anhand der Haushaltsausgaben für Nahrung, Bekleidung, Wohnen, Bildung usw. eine Clusteranalyse80 vor und kam zu dem Schluss, dass Konsummuster durch Haushaltseinkommen, also durch Klassenlage bestimmt werden, aber auch durch die Kinderzahl als Ausdruck eines Lebensstils.81 Die Unterschiede werden außerdem größer und die Bedürfnisse differenzierter, je höher das Pro-Kopf-Einkommen steigt.82 Einfluss haben auch Wohnort und Gemeindegröße, denn Haushalte in Großstädten zahlen mehr Miete und haben weniger Kinder. Beruf und Berufsgruppen spielen dagegen keine Rolle bei den Konsummustern, sie ziehen sich durch alle Cluster.83 Hendrik K. Fischer wandte gegen Sprees Analyse 2011 ein, dass Spree sich allein auf das Quellenmaterial des Kaiserlichen Statistischen Amtes von 1907 stützte. Dies sei „keineswegs repräsentativ für die Bevölkerung des Reiches“.84 Aber Spree selbst hat in seiner Untersuchung darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Quellenmaterial vom Kaiserlichen Statistischen Amt „relativ willkürlich“85 herausgegriffen worden sei und vor allem „minderbemittelte Familien“86 berücksichtige, so dass dieser Gesamtbestand daher „in verschiedener Richtung verzerrt“87 sei. Einen anderen Ansatz mit anderem Quellenmaterial wählte Armin Triebel 1990 in seiner Dissertation Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierung bei abhängig Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.88 Er ordnete in dem von ihm 78 Spree, Reinhard: Klassen- und Schichtbildung im Spiegel des Konsumentenverhaltens individueller Haushalte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine clusteranalytische Untersuchung, in: Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 56–80 79 Ebd., S. 58 80 Ebd., S. 60 81 Ebd., S. 64, S. 69 82 Ebd., S. 68 83 Ebd., S. 69 84 Fischer, Konsum im Kaiserreich, S. 38 85 Spree, Klassen- und Schichtbildung im Spiegel des Konsumentenverhaltens, S. 61 86 Ebd. 87 Ebd. 88 Vgl. hierzu: Armin Triebel: Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierung bei abhängig Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Bd. 1, (Materialien aus der Bildungsforschung, Bd. 41), Berlin 1991; Vgl. Armin Triebel: Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierung bei abhängig Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Bd. 2, (Materialien aus der Bildungsforschung, Bd. 41), Berlin 1991

4.1  Bürgerlichkeit als Konzept

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erstellten ‚Berliner Datensatz‘ 5.120 Jahresbudgets privater Haushalte zwischen 1901 und 1937 nach Berufsbezeichnungen und Berufsgruppen. Daraus entwickelte er eine „differentielle Konsumanalyse“89 mit dem Ziel, das Verbrauchsverhalten von Arbeitern, Angestellten und Beamten genauer zu bestimmen90 und so Haushaltsrechnungen als historische Quelle „übersichtlicher und trennschärfer nach sozioprofessioneller Schichtzugehörigkeit zu ordnen“.91 Triebel untersuchte die Konsummuster auf Qualifikation und Status hin sowie auf „Gewerbezweige[…], Branchen und Verwaltungsbereiche[…]“.92 Er kam zu dem Schluss, dass gerade Beamte „keine homogene soziale Klasse“93 bildeten und für bürgerliche Mittelschichten „divergierende[…] Konsumstile“94 charakteristisch seien. Dabei hatte er allerdings nicht den Anspruch, mit den nach Berufsgruppen sortierten Haushaltsrechnungen „Lebensstile ausschließlich und erschöpfend sichtbar werden zu lassen“.95 Seine Ergebnisse müssten in die Lebensverhältnisse von Arbeitern und Angestellten, Kleinbürgern und Beamten eingebettet werden.96 Dazu passt ein Vorschlag von Uwe Spiekermann in seinem 1994 publizierten Aufsatz Haushaltsrechnungen als Schlüssel zum Familienleben? Ein historischer Rückblick.97 Er spricht sich dafür aus, Familienhaushalte als „kulturelles, soziales und ökonomisches Totalphänomen“98 zu analysieren und nennt als Vorbild die vor dem Ersten Weltkrieg vorherrschende, von Spiekermann so bezeichnete „qualitative Haushaltsrechnung“99, die zusätzlich zu den Einnahmen und Ausgaben auch ausführliche Angaben zum Familienleben enthielt, z. B. zu Nahrung, Nahrungszubereitung und Speisenfolge, aber auch zu Einzelpersonen. Aus Tabellen allein lässt sich noch kein Lebensstil ablesen. Schließlich erstellte Hendrik K. Fischer 2011 für seine Untersuchung Konsum im Kaiserreich100 aus 3.994 überlieferten historischen Haushaltsrechnungen der Jahre 1871 bis 1914 den neuen ‚Kölner Datensatz‘. Ihn ordnete er nach Variablen zu Ort und Haushaltsstruktur, Beruf, Stand und Klasse sowie zu Einkommen und Ausgaben. Fischer unterzog diese Quellen anschließend einer methodisch aufwendigen Clusteranalyse, die im nächsten Kapitel genauer vorgestellt wird. Sie zeigt anhand ihrer neun Cluster mit jeweils vier Konsumtypen, wie sehr das Bürgertum Wohnung und Einrichtung für die Selbstrepräsentation nutzt und dafür große Teile seines Budgets ausgibt. Bürgerliche Haushalte folgen einem teureren Lebensstil, als sie ihn sich

89 Triebel, Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums, Bd. 1, S. 8; Vgl. hierzu: Hendrik K. Fischer, Konsum im Kaiserreich, S. 91 90 Triebel, Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums, Bd. 1, S. 8 91 Ebd., S. 72 92 Ebd., S. 90 93 Ebd., S. 415 94 Ebd., S. 416 95 Ebd., S. 15 96 Vgl. ebd., S. 16 97 Spiekermann, Uwe: Haushaltsrechnungen als Schlüssel zum Familienleben? Ein historischer Rückblick, in: Hauswirtschaft und Wissenschaft 4 (1994), S. 154–160 98 Ebd., S. 158 99 Ebd., S. 157 100 Vgl. Hendrik K. Fischer, Konsum im Kaiserreich

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

eigentlich leisten können.101 Außerdem kommt Fischer zu dem Schluss, dass nicht der Beruf des Haushaltsvorstands maßgebend für das Verbrauchsverhalten ist, sondern die Höhe des Einkommens und damit auch die Höhe der Mittel, die für den Konsum zur Verfügung stehen.102 Auf diese Bedeutung des Einkommens wies Toni Pierenkemper bereits 1991 hin. So verglich er die Ausgaben bürgerlicher Haushalte mit denen adeliger und proletarischer Haushalte und kam, ähnlich wie Fischer, zu dem Ergebnis, dass bürgerliche und adelige Haushalte einen fast gleich hohen Teil ihres Einkommens für ihre Selbstrepräsentation aufwenden konnten.103 In seinem Aufsatz Der bürgerliche Haushalt in Deutschland an der Wende zum 20. Jahrhundert im Spiegel von Haushaltsrechnungen104 hält Pierenkemper aber daran fest, dass das Einkommen nur deshalb so entscheidend für die soziale Schichtung sein kann105, weil verschiedene Berufe und Berufsgruppen eben mit verschieden hohem Einkommen verbunden sind.106 Pierenkempers Ausführungen sind für diese Arbeit auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil er im Anschluss an die Bürgertumsdiskussion der 1980er Jahre den bürgerlichen Lebensstil als gemeinsames Kennzeichen des heterogenen Bürgertums identifiziert und sich in der Haushaltsforschung auf „mittelbürgerliche[…] Familien“107 konzentriert, mit denen sich auch diese Arbeit befasst. Im nächsten Kapitel wird der bürgerliche Mittelstand noch genauer untersucht und abgegrenzt.

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht Die Analyse von Haushaltsrechnungen bürgerlicher Familien, wie sie vor allem Toni Pierenkemper zum Beispiel in seinem schon erwähnten Aufsatz Der bürgerliche Haushalt in Deutschland108 umrissen hat, legt nicht nur dar, wie heterogen das Bürgertum war und wodurch sich bürgerliche Haushalte von adeligen oder proletarischen Haushalten abgrenzten. Pierenkempers Analyse zeigt auch auf, wie verschieden die einzelnen Konsummuster waren, mit denen bürgerliche Familien einem bürgerlichen Lebensstil folgten. Mit Hilfe der Haushaltsrechnungen lässt sich also auch das Konsummuster bürgerlicher Schichten herausarbeiten: Ein bürgerlich mittelständisches Konsummuster erscheint also empirisch auffindbar, auch wenn darin weiterhin Raum für eine Vielfalt bürgerlicher Konsumstile existiert, aber eben innerhalb eines generellen Musters.109

101 Vgl. Hendrik K. Fischer, Konsum im Kaiserreich, S. 270 102 Vgl. ebd., S. 272 103 Vgl. hierzu: Toni Pierenkemper: Informationsgewinne und Informationsverluste einer Analyse von Haushaltsrechnungen auf massenstatistischer Basis – am Beispiel ausgewählter bürgerlicher Haushalte im 19. Jahrhundert (Stiftung „Der private Haushalt“, Bd. 12), Frankfurt/M. 1991, S. 61–75, hier: S. 64 104 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 149–185 105 Ebd., S. 156 106 Ebd., S. 157 107 Ebd., S. 170; Vgl. ebd., S. 156, S. 173 108 Vgl. ebd. 109 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 156

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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Für die weitere Untersuchung wird anhand der Haushaltsforschung eine Schicht herausgegriffen: Es ist der bürgerliche Mittelstand oder „mittelbürgerliche[…] Familien“110 nach Toni Pierenkemper, die mit Hilfe des sogenannten „gespaltenen Konsums“111 Repräsentationszwecke verfolgen und trotzdem im Alltag auch sparen müssen. Diese Einschränkung ergibt sich aus der Fragestellung, da diese Arbeit die Bürgertumsforschung anhand empirischer Beispiele konkretisieren möchte, die vor allem die Möglichkeiten bürgerlichen Konsums und bürgerlicher Repräsentation in der Breite in den Blick nehmen. Es geht darum, die kunsthistorisch interessante Frage nach bürgerlicher Selbstrepräsentation durch Wohnen und Einrichten im Kaiserreich mit historischen Methoden zu bearbeiten. So hilft die Haushaltsforschung dabei, eine bürgerliche Schicht herauszuarbeiten, die im Unterschied zu Arbeiterschaft und Kleinbürgertum aufgrund ihres Einkommens monatlich über ökonomische Spielräume verfügte, aber in Abgrenzung zu Wirtschafts- und Großbürgertum ihr Einkommen in Konsum und Repräsentation auch nicht verschwenden konnte. Ein solcher Zugang kann die Bürgertumsforschung konkretisieren und die Stil- und Konsumgeschichte des Kaiserreichs weiter vorantreiben. Im folgenden Kapitel soll dieser Mittelstand anhand eines Beispiels einer Familie genauer beschrieben und von anderen bürgerlichen Schichten abgegrenzt werden.

4.2.1  Abgrenzung zu anderen bürgerlichen Schichten „Die Rechnung lasse klein; im großen kaufe ein“112, zitiert Margarete Freudenthal als Geleitwort aus dem Haushaltsbuch einer Frankfurter Familie, das sie für ihre 1934 erschienene Dissertation herangezogen hat. Sparsamkeit bestimmte also den Alltag in diesem Haushalt eines ­Gymnasialprofessors an einem Frankfurter Gymnasium. Der Haushalt bestand zwischen 1880 und 1894 aus sieben Personen. Hierzu gehörten neben den Eltern drei Söhne, eine Tochter und ein Dienstmädchen. Die Familie wohnte immer in einer Etagenwohnung, nur einmal in vierzig Jahren zog sie um. Die Anzahl der Zimmer wird nicht genannt. Das Haushaltsbuch wurde vom Hausherrn geführt.113 Für die Einnahmeseite im Haushaltsbuch wird eine vierteljährliche Gehaltseinnahme von 1200 Mark (Jahresgehalt 4800 Mark) angegeben, für 1901 dagegen eine monatliche Gehaltseinnahme von 1000 Mark, die Freudenthal für sehr hoch hält.114 Zusätzlich gab es noch Nebeneinnahmen aus Privatunterricht in ungenannter Höhe. Freudenthal vermutet auch ein kleines 110 Ebd., S. 170 111 Wierling, Dorothee: Der bürgerliche Haushalt der Jahrhundertwende aus der Perspektive der Dienstmädchen, in: Pierenkemper, Toni: Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 282–302, hier: S. 290–298 112 Freudenthal, Gestaltwandel, S. 100 113 Ebd.; Laut Freudenthal ist das Haushaltsbuch von der Frau des Gymnasialprofessors 1923 im Stadtarchiv Frankfurt am Main abgegeben worden. Es wurde von ihr im Archiv eingesehen, sie verzichtete aber auf die Nennung der Namen der beschriebenen Familie, da zum Zeitpunkt der Drucklegung ihrer Dissertation noch Familienangehörige lebten. Nachfragen im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main haben ergeben, dass dieser Nachlass im Zweiten Weltkrieg verbrannt ist. Auch zur Familie liegen keine Angaben mehr vor. (Mail von Frau Sylvia Goldhammer vom Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/M. vom 8.11.2017) 114 Freudenthal, Gestaltwandel, S. 100

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

Vermögen, da einige Male von Sparkasse und Gewerbekasse die Rede ist. Die jährlichen Ausgaben der Familie steigen von 5766 Mark im Jahr 1880 auf 9163 Mark im Jahr 1891 und auf 12.790 Mark im Jahr 1901.115 Besonders auffällig für Freudenthal ist das langsame Ansteigen der Miete von 275 Mark pro Vierteljahr (also 1100 Mark pro Jahr) im Jahr 1880 auf 1442 Mark pro Jahr im Jahr 1891.116 Aus einem Geleitbrief der Hausfrau aus dem Jahr 1923 gehen nach Angaben von Freudenthal weitere wichtige Einzelheiten hervor. So kaufte die Hausfrau Mehl, Zucker, Eier und Hülsenfrüchte immer in großen Mengen auf Vorrat und nähte alle Kleider für sich und die Kinder selbst. Es wurde pro Jahr eine Reise unternommen, zunächst vom Mann alleine, später zusammen mit seiner Frau und schließlich auch in Begleitung der Kinder.117 In späteren Jahren sind auch noch die Studiengelder für die drei Söhne vermerkt. Eine Berufsausbildung der Tochter wird nicht erwähnt. Es heißt, sie sei viel krank gewesen. Die Lebensverhältnisse dieser Frankfurter Familie sind kennzeichnend für den bürgerlichen Mittelstand im Kaiserreich. Der Hausherr verfügte als Gymnasialprofessor über akademische Bildung, auch seine Söhne studierten später. Seine Frau ging keiner Beschäftigung nach, sondern kümmerte sich um Haushalt und Familie. Auch gab es in diesem Haushalt einen ‚gespaltenen Konsum‘.118 In großen Mengen und auf Vorrat wurde eingekauft, aber trotz der Sparsamkeit hatte die Familie mehrmals im Monat bei verschiedenen Mahlzeiten mehrere Personen zu Besuch und praktizierte so häusliche Geselligkeit. An Reisen wurde gespart, nicht aber an der Bildung der Söhne. Außerdem wurde ein Dienstmädchen beschäftigt, das Statussymbol, mit dem sich bürgerliche Familien vom Kleinbürgertum abgrenzten und das wiederum unter anderem eine Vorratshaltung ermöglichte oder erleichterte.119 Aus Haushaltsbüchern wie dem der Frankfurter Familie lässt sich ein schichtenspezifischer Konsum ableiten. Hier finden sich alle Kennzeichen bürgerlicher Lebensführung, die Pierenkemper aufführt: insbesondere die Ausgaben für Bildung, für Vereine, die Wertschätzung von Kunst, Literatur, Musik und Wissenschaft, aber auch allgemeine Sparsamkeit und Einschränkungen bei den Ausgaben für Nahrung.120 In der jeweiligen Höhe der Ausgaben werden unterschiedliche Gruppen des Bürgertums erkennbar und ihre ökonomischen Möglichkeiten, einen bürgerlichen Lebensstil umzusetzen.121

115 Vgl. ebd. 116 Das sind 31 % in elf Jahren oder 2,5 % pro Jahr. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Zwischenkriegszeit ist das vielleicht wenig, vor dem Hintergrund weitgehender Preisstabilität vor 1914 aber nicht völlig unerheblich, zumal dann, wenn das Einkommen der Mieter konstant geblieben wäre. 117 Vgl. ebd., S. 101 118 Vgl. Dorothee Wierling, Der bürgerliche Haushalt der Jahrhundertwende aus der Perspektive der Dienstmädchen, S. 290 119 Vgl. Klaus Tenfelde: Klassenspezifische Konsummuster im Deutschen Kaiserreich, in: Siegrist, Hannes, et al. (Hrsgg.): Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums, Frankfurt/M. 1999, S. 245–267, hier: S. 249; Die Kosten für Dienstmädchen machten, nach allgemeinen Berechnungen von Erna Meyer-Pollack, etwa drei Prozent eines Jahreseinkommens in einem Beamtenhaushalt aus (Vgl. Erna Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 87) 120 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 162 121 Pierenkemper, Haushalte, S. 42

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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Es ist nicht einfach, das heterogene Bürgertum nach Hauptgruppen zu gliedern. Klaus Tenfelde erwähnt die freien Berufe, Kaufleute und Unternehmer sowie Beamte und weitere Bildungsbürger. Bei Kaufleuten und Beamten sieht er die Grenzen zum Kleinbürgertum als fließend an.122 Pierenkemper nimmt eine ähnliche Aufteilung vor. Er gliedert das Bürgertum für den Zeitraum von 1886 bis 1913 nach unteren Beamten, Lehrern, höheren Beamten und Kaufleuten.123 So verdienten Lehrer im Jahr rund 3050 Mark, während höhere Beamte über ein Jahreskommen von etwa 9060 Mark verfügten und Kaufleute wiederum im Jahr etwa 8400 Mark als Einkommen hatten.124 Deutlich wird hierbei die große Diskrepanz: Höhere Beamte verfügten fast über das Dreifache eines Lehrereinkommens. Einen Eindruck davon, wie unterschiedlich hoch Einkommen sein konnten, gibt auch der berufliche Lebensweg des Nationalökonomen Karl Bücher, den Beate Wagner-Hasel in ihrem Buch Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930) nachzeichnet.125 Bücher, Sohn eines Handwerkers und Landwirts, fing nach seinem Studium der Klassischen Philologie und Geschichte 1872 als Hilfslehrer für 500 Taler (1500 Mark126) im Jahr an, verdiente dann als Lehrer an der Frankfurter Gewerbeschule 3000 Mark im Jahr (1875) und bekam als Leiter der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Zeitung 5000 Mark im Jahr (1878) und zusätzlich Honorare für die veröffentlichten Artikel. Schließlich gehörte Karl Bücher als Universitätsprofessor in Leipzig, nach Stationen in Basel und Karlsruhe, zu den Spitzenverdienern mit 12.000 Mark (1896). Das war doppelt so viel wie zur gleichen Zeit Max Weber in H ­ eidelberg oder Werner Sombart in Breslau bekamen.127 Beide Wissenschaftler, Bücher und Sombart, veröffentlichten im Übrigen wichtige Arbeiten zu Geschichte und Entwicklung von Handwerk und Handel im Kaiserreich und sind deshalb auch grundlegend für die späteren Kapitel zu Produktion und Markt. Von solchen Einkommenshöhen war der durchschnittliche bürgerliche Haushalt weit entfernt. So errechnet Pierenkemper128 in der Analyse von 327 bürgerlichen Haushalten nach Haushaltsrechnungen für die Zeit von 1859 bis 1913 ein durchschnittliches Einkommen von 6215,80 Mark im Jahr. Dieses Durchschnittseinkommen besteht zu 83,9 % aus dem Einkommen des Mannes und zu 11,8 % aus sonstigen Einnahmen, zum Beispiel aus Vermögen. Diesem Durchschnittseinkommen stehen für denselben Gesamtzeitraum Durchschnittsausgaben von 5973 Mark gegenüber, davon für Nahrung 30,7 %, Wohnung 21 % und Kleidung 10 %. Die Ausgaben für Kultur, Bildung, Freizeit und Reisen ergeben zusammen 17,3 %. Auf sonstige Ausgaben, zum Beispiel Dienstboten, entfallen 10,9 %. Daraus ergibt sich ein bemerkenswerter 122 Tenfelde, Klassenspezifische Konsummuster, S. 249 123 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 168 124 Vgl. ebd., S. 166 125 Vgl. Beate Wagner-Hasel: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011 126 Deutsche Bundesbank: Kaufkraftvergleiche historischer Geldbeträge. Internet: www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Statistiken/kaufkraftvergleiche_historischer_geldbetraege.html#doc124142bodyText2 (Zugriff: 10.11.2017) 127 Vgl. Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 35–36; S. 46; S. 115–116 128 Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 166–167

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

finanzieller Spielraum in bürgerlichen Haushalten, weil die Ausgaben für Nahrung, Wohnung und Kleidung zusammen als sogenannter Grundbedarf nur knapp zwei Drittel der Gesamtausgaben ausmachen. Mit Blick auf die innere Differenzierung des Bürgertums beim Verbrauchsverhalten weist Pierenkemper darauf hin, dass kleinbürgerliche Haushalte von unteren Beamten und Angestellten und großbürgerliche Haushalte von höheren Beamten und Kaufleuten sich „weit weniger in der Struktur ihres Ausgabenbudgets als im Niveau der Lebensführung“129 unterscheiden. Auch in kleinbürgerlichen Haushalten entfielen auf Nahrung, Wohnung und Kleidung etwa 70 bis 75 % der Ausgaben, so dass noch 25 bis 30 % frei verfügbar blieben. Diese innere Differenzierung des bürgerlichen Verbrauchsverhaltens lässt sich noch weitertreiben, wie im Anschluss an Pierenkemper Hendrik K. Fischer 2011 mit seiner schon erwähnten Arbeit Konsum im Kaiserreich zeigte, einer statistisch-analytischen Untersuchung von 3.994 Haushaltsrechnungen aus dem Kaiserreich aus 116 Quellen. Sie stammen aus volkswirtschaftlichen, soziologischen oder sozialstatistischen Werken, die größtenteils vor 1914 veröffentlicht wurden. Ihre Gesamtheit ergibt den sogenannten ‚Kölner Datensatz‘. Fischer unterscheidet neun verschiedene Cluster, die er nach unterschiedlichen Konsumstrukturen in vier Typen aufteilt: den grundbedarffixierten Konsum, den gehobenen Konsum, den komfortablen Konsum und den luxuriösen Konsum. Für diese Arbeit sind mit Blick auf die Ausgaben für Wohnen und Einrichten zwei Konsumtypen bedeutsam, der gehobene Konsum und der komfortable Konsum. Zum gehobenen Konsum gehört in Cluster 3 der bescheiden-wohlständische Konsum, der den größten Teil der mittleren und gehobenen Beamten sowie der Lehrer umfasst. Die Gesamtausgaben betragen hier knapp 3400 Mark, davon entfallen auf Ausgaben für die Wohnung 18 %. Zum gemäßigt-komfortablen Konsum in Cluster 4 zählen höhere und hohe Beamte sowie Richter mit Gesamtausgaben von rund 7670 Mark, davon entfallen auf Ausgaben für die Wohnung mehr als 21 %. Zum zweiten Konsumtyp, der hier noch interessant sein kann, dem komfortablen Konsum, gehört der bildungsbeflissene Konsum in den Clustern 7 und 9. Er umfasst Pfarrer, höhere und hohe Beamte und Juristen wie zum Beispiel Oberlandesgerichtsräte. Die Cluster unterscheiden sich nur durch die Höhe der Ausgaben. In Cluster 7 liegen die Gesamtausgaben bei 12.200 Mark, davon entfallen rund 22 % auf die Ausgaben für die Wohnung. In Cluster 9 liegen die Gesamtausgaben bei 19.000 Mark, davon sind rund 18 % Ausgaben für die Wohnung. Auffallend ist der hohe Anteil an Ausgaben für Kultur und Bildung, also für Schule, Internat und Universität, für Musikunterricht, Bücher und Zeitungen. In Cluster 7 machen diese Ausgaben 14 % aus und 20 % in Cluster 9. An Fischers Clusteranalyse ist methodische Kritik geäußert worden. Sie betrifft zum einen die genaue Anlage der Analyse und Einzelheiten der statistischen Verfahren130, zum anderen 129 Ebd., S. 168 130 Pfister, Ulrich: Rezension zu Hendrik K. Fischer: Konsum im Kaiserreich, in: H-Soz-Kult. Internet: http:// www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-16393 (Zugriff: 10.11.2017)

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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aber auch den umfangreichen methodischen Aufwand, mit dem die historischen Daten analysiert werden.131 Es bleibe am Ende bei einer „(sehr fortgeschrittenen) Datendeskription“.132 Trotzdem wird allgemein anerkannt, dass diese Studie die Forschung über den Konsum im Kaiserreich deutlich weitertreibt und ungeachtet der methodischen Einwände einen „Meilenstein“133 darstellt. Fischer macht nämlich klar, dass sich Konsummuster nicht allein nach Schichten und Klassenlagen unterscheiden lassen und damit nicht einheitlich sind, sondern auch nach Einkommenshöhe und somit deutlich differenzierter sind als aufgrund einer schichtenspezifischen Differenzierung des Verbrauchsverhaltens lange Zeit angenommen. So stellt auch Toni Pierenkemper 2006 in seinem Aufsatz Haushalte fest, dass sich „deutlich unterscheidbare Konsumgewohnheiten […] auch innerhalb der sozialen Schichten selbst finden“.134 Diese Befunde von Fischer und Pierenkemper sind grundlegend für diese Arbeit. Sie stützen auch die Entscheidung, aufgrund ähnlicher und vergleichbarer Einkommenshöhen den gehobenen neuen Mittelstand, das untere und mittlere Bildungsbürgertum sowie das untere und mittlere Wirtschaftsbürgertum für die Zwecke dieser Untersuchung als Mittelschicht, ‚mittelbürgerlich‘ oder ‚bürgerlichen Mittelstand‘ zusammenzufassen, wie im folgenden Kapitel über die Kennzeichen des bürgerlichen Mittelstandes noch genauer ausgeführt wird. Fischers Clusteranalyse zeigt außerdem, dass Wohnen und Einrichten Ende des 19. Jahrhunderts einen wesentlichen Teil der bürgerlichen Selbstrepräsentation ausmachten und bürgerliche Familien einem teureren Lebensstil folgten, als sie sich eigentlich leisten konnten. Fischer belegt auch, dass mit steigendem Wohlstand die Ausgaben für die Wohnung nicht stetig fallen, wie es als Gesetzmäßigkeit 1868 von Hermann Schwabe135 formuliert worden ist, sondern ansteigen und von einem bestimmten Punkt an auf einem hohen Niveau bleiben. Schließlich zeigt Fischer für die zweite Hälfte des Kaiserreichs einen ‚Fahrstuhleffekt‘ und einen zunehmenden Lebensstandard in der gesamten Gesellschaft.136 Dies ist wichtig für die Bedingungen der Möbelproduktion und kann erklären, warum die Nachfrage nach Möbeln im Kaiserreich zugenommen und die Entwicklung zur Serienmöbelfertigung vorangetrieben hat. Aber so wichtig Einzelheiten der Clusteranalyse und der Haushaltsforschung auch sind, aus ihnen geht nicht hervor, wie Bürgerlichkeit und bürgerliche Lebensführung im Einzelnen aussahen. Darauf weist Pierenkemper ausdrücklich hin:

131 Spoerer, Mark: Rezension zu Hendrik K. Fischer: Konsum im Kaiserreich, in: Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 2012, H. 4, S. 471–472; Ebenfalls kritisch nicht zu dieser Untersuchung, sondern zur Aussagekraft aufwendiger Clusteranalysen allgemein äußerte sich Toni Pierenkemper. Er wählt eine tabellarische Beschreibung der Befunde anstelle komplexerer Verfahren (Vgl. Toni Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt, S. 164) 132 Spoerer, Rezension zu Hendrik K. Fischer, S. 472 133 Ebd. 134 Pierenkemper, Haushalte, S. 42 135 Vgl. Hermann Schwabe: Das Verhältniß von Miethe und Einkommen in Berlin, in: Berlin und seine Entwickelung. Gemeinde-Kalender und städtisches Jahrbuch 2 (1868), S. 264–267, hier: S. 267, zit. in: Fischer, Konsum im Kaiserreich, S. 181 136 Vgl. Hendrik K. Fischer, Konsum im Kaiserreich, S. 275

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

Das Bild, das von den dürren Daten der statistischen Analyse der Haushaltsrechnungen bürgerlicher Haushalte herzuleiten ist, erfaßt deshalb notwendigerweise nicht die ganze Fülle der historischen Informationen über diesen Haushaltstyp.137

Dazu sind weitere Quellen nötig wie Ratgeberliteratur und kunstgewerbliche Zeitschriften, aber auch Briefe, wie sie zum Beispiel Emilie Bücher138, die Frau des Universitätsprofessors Karl Bücher, an ihre Eltern und ihre Schwester schrieb und die Beate Wagner-Hasel erstmals veröffentlichte. Diese Briefe dienten einem „gezielten Informationsaustausch über Alltagserfahrungen“.139 Mit ihren vielen Details machen sie Lebensverhältnisse anschaulich. So lässt sich auch erklären, was die Haushalte des bürgerlichen Mittelstandes auszeichnete, wie viel Geld sie zur Verfügung hatten und wie die Lebensverhältnisse waren. Das soll im folgenden Kapitel beschrieben werden.

4.2.2  Kennzeichen des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘ „Unser Bad macht uns wirklich Freude, es ist bequem u. kolossal“140, schrieb Emilie Bücher im Oktober 1892, als sie mit Mann und Sohn in eine Leipziger Stadtwohnung gezogen war. Aber es wurde gerechnet und gespart. So schrieb Emilie Bücher einen Monat später, im November 1892: Keine Wagen nehmen, die Tram summiert sich schon so! Mit dem Sofa lassen wir es vorerst sein. Dagegen wollen wir Gaslüster für Eßz[immer] u. Salon anschaffen. Ich freue mich sehr darauf.141

Zu Weihnachten 1897 bekam der Sohn elektrisches Spielzeug, in seinem Zimmer hing die erste elektrische Glühbirne der Wohnung. Elektrisches Licht gab es aber noch nicht in allen Räumen.142 Die Familie bewohnte eine Fünf-Zimmer-Wohnung. Salon, Esszimmer und Arbeitszimmer waren wie üblich die größten Räume. Der Salon wurde nur zu besonderen Gelegenheiten genutzt, etwa wenn Kollegen von Karl Bücher zu Besuch kamen.143 Die Wohnungen wurden moderner und komfortabler, es entstanden neue Stadtviertel. Arbeitsstätte und Wohnort bürgerlicher Familien waren getrennt. Der Nahverkehr wurde ausgebaut. Die Pferdebahn wurde von der Trambahn ersetzt und die später von der Schnell- und Untergrundbahn. Mit der Zeit kamen auch die Nachteile zum Vorschein, vor allem beim Heizen mit Braunkohle wie in Leipzig. So schreibt Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde:

137 Pierenkemper, Informationsgewinne, S. 67 138 Emilie Bücher, geb. Mittermaier, (1853–1909), Tochter des großherzoglichen badischen Baurats Philipp Mitter­maier und Enkelin des Heidelberger Professors für Strafrecht Carl Joseph Anton Mittermaier (1787– 1867) (Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 52) 139 Ebd., S. 23 140 Ebd., S. 104 141 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde, 25.11.1892, zit. nach: Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 116 142 Vgl. Emilie Bücher: Brief von Emilie Bücher an die Eltern, 27.12.1897, zit. nach: Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 105 143 Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 105–106

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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Mit Staub u. Ruß ist es wahrlich schauderhaft hier. […] Frau Geh. Rath. Wach geb. Mendelssohn-Bartholdy, eine sehr feine Dame, sagte neulich, man bekäme hier einen ganz anderen Maßstab für Sauberkeit. Es ist einfach unmöglich, wie anderswo sauber zu halten. Es ist alles mit einer Rußschicht überzogen.144

Was Emilie Bücher im Kleinen beschreibt, sind Folgen eines gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses von ungeheurer Dynamik.145 Diesen Prozess nennt Werner Plumpe in seinem Aufsatz Die Wirtschaft des Kaiserreiches ein regelrechtes Wirtschaftswunder, in dessen Ergebnis das Reich die lange als uneinholbar geltende Weltmacht Großbritannien wirtschaftlich überflügelte und in der wirtschaftlichen Dynamik nur noch von den USA übertroffen wurde.146

Die industrielle Produktion versechsfachte sich147, vor allem in den Bereichen Eisen-, Stahlund Textilproduktion, und die Wertschöpfung verdoppelte sich von 16,3 Milliarden Mark im Jahr 1873 auf 33,1 Milliarden Mark im Jahr 1900 und verdreifachte sich bis 1913 auf 48,4 Milliarden Mark.148 Wesentlicher Träger des wirtschaftlichen Aufstiegs in Deutschland waren neben den vergleichsweise preiswerten und nach und besser ausgebildeten Arbeitskräften sowie dem sich mit dem Bevölkerungswachstum vergrößernden Binnenmarkt – quantitativ gesehen – vor allem die außerordentlich hohen und bis zum Ersten Weltkrieg steigenden Investitionsquoten, die das westeuropäische Niveau deutlich überstiegen.149

Die Industrialisierung mit einem stark ansteigenden Bevölkerungswachstum in den Großstädten zwischen 1870 und 1900, eine expandierende Verwaltung, zunehmender Handel und Gewerbe und Fortschritte in Wissenschaft und Technik sind weitere Stichworte für diesen Modernisierungsprozess150, der eine Industriegesellschaft mit starken Klassengegensätzen151 hervorbrachte. Als Träger dieser Modernisierung galt das Bürgertum, das etwa acht bis zehn Prozent der Bevölkerung umfasste, knapp fünf Millionen Menschen.152 Welche Bedeutung dabei der bürgerliche Mittelstand hatte, soll im Folgenden mit Blick auf die Berufe und den sozialen Status untersucht werden. Dann lässt sich der bürgerliche Mittelstand im Verständnis dieser Arbeit genauer bestimmen. Im Allgemeinen wird der bürgerliche Mittelstand zum Kleinbürgertum gerechnet und umfasst den sogenannten ‚alten Mittelstand‘ aus Handwerkern und Kleinhändlern sowie den ‚neuen Mittelstand‘. Dazu gehört die schnell wachsende Zahl der kleinen und mittleren Beamten, zum Beispiel in den Kommunen oder bei den Staatsbetrieben Post und Eisenbahn, 144 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde, 25.11.1892, zit. nach: Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 109–110 145 Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 26–28 146 Plumpe, Die Wirtschaft des Kaiserreiches, S. 13 147 Vgl. Gerd Hohorst/Jürgen Kocka/Gerhard A. Ritter: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch II. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870–1914, München 1978, S. 64 148 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 28 149 Plumpe, Die Wirtschaft des Kaiserreiches, S. 16–17 150 Vgl. ebd., S. 20; Vgl. hierzu: Andreas Fahrmeir, Deutsche Geschichte, S. 64–66 151 Vgl. Dieter Hein, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, S. 67–78 152 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 36

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

sowie die ebenfalls stark zunehmende Zahl der Angestellten in Handel, Banken und Versicherungen, in öffentlicher Verwaltung und Industrie, also Handlungsgehilfen aus Kontoren und Kaufmannsgeschäften, Buchhalter und Verkäufer.153 Zum neuen Mittelstand kamen später die damals so bezeichneten „Privatbeamten“154 hinzu, also Angestellte aus Unternehmensverwaltungen und Produktionsbetrieben, zum Beispiel Techniker und Ingenieure, Industriemeister und Geschäftsführer.155 So zählte Gustav Schmoller 1897 in seinem vielbeachteten Vortrag Was verstehen wir unter dem Mittelstande? Hat er im 19. Jahrhundert zu- oder abgenommen? vor dem 8. Evangelisch-Sozialen Kongress in Leipzig zu den „breite[n] neue[n] Schichten eines Mittelstandes […], die schwer ins Gewicht fallen“156, das Verwaltungs-, Aufsichts- und Büropersonal aus den Unternehmen mit wissenschaftlich-technischer Ausbildung, aber ohne Leitungsaufgaben157, das Verwaltungspersonal in Staats-, Gemeinde-, Kirchen- und Schuldienst, außerdem die freien Berufe und die „große Mehrzahl“158 der höheren Beamten und Ärzte. Deshalb spricht Schmoller auch von einer „Neubildung des Mittelstandes“.159 In seinem Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre schreibt er: „In mancher Kleinstadt sind heute so viel oder mehr Schul- und Gymnasiallehrer, Postbeamte, Ärzte, Gemeindebeamte, als früher Handwerksmeister“.160 Auch wenn an seinem statistischen Material später Kritik geübt wurde161, ist seine Analyse doch aussagekräftig, weil sie auf die Selbstbeschreibung dieser neuen bürgerlichen Mittelschichten abzielte, die wiederum für die in dieser Arbeit untersuchte Selbstrepräsentation entscheidend ist. Der neue Mittelstand162 war nicht mehr selbständig wie der alte, sondern arbeitete in Abhängigkeit.163 Sein wesentliches Merkmal war das feste Gehalt, also kein nach Stunden und 153 Vgl. Gustav Schmoller: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, Leipzig 1904, S. 462 154 Die „Privatbeamten“ wurden auch „Fabrik-“, „Büro-“ oder „Betriebsbeamte“ genannt. Der „Privatbeamte“ umfasste zunächst die Angestellten in Vertrauensstellungen, bevor sich der Begriff der Angestellten ab 1890 mehr und mehr durchsetzte. Doch bis in die 1920er Jahren war der Begriff „Privatbeamter“ in den Betrieben noch verbreitet. Mit ihm verband man „Treueverhältnis zum Arbeitgeber, Dienstethos, Teilhabe an (betrieblicher) Herrschaft, Kontrolle, Anordnungsbefugnis und große Sicherheit vor der Entlassung“ (Vgl. Günther Schulz: Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 54), München 2000, S. 3) 155 Vgl. ebd., S. 13–23 156 Schmoller, Gustav: Was verstehen wir unter dem Mittelstande? Hat er im 19. Jahrhundert zu- oder abgenommen? Vortrag auf dem 8. Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 11. Juni 1897, Göttingen 1897, S. 5–33, hier: S. 25 157 Vgl. ebd. 158 Ebd., S. 26 159 Ebd., S. 31 160 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 462 161 So wurden Schmollers Zahlen in einer Untersuchung von Johann Wernicke von 1907 geprüft und revidiert (Vgl. Günther Schulz, Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert, S. 64–65) 162 Diesen Begriff verwendet auch Karl Bücher (Vgl. Karl Bücher: Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 161–196; Vgl. Karl Bücher: Die Anfänge des Zeitungswesens, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 197–228, hier: S. 228) 163 „Und in dem Maße, als die großen Organisationen aller Art zunehmen, hat zugleich die Sitte und der Grundsatz gesiegt, daß geschäftlicher Gehorsam und pflichttreuer Dienst in den Geschäftsstunden mit sonstiger

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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Tagen berechneter Lohn wie bei Arbeitern, sondern monatlich gleichbleibende Einkünfte, die mit zunehmendem Dienstalter anstiegen. Der neue Mittelstand wollte bürgerlich sein und sich durch seine Lebensführung von den Arbeitern abgrenzen.164 So hatte ein Viertel der Angestelltenhaushalte in den 1890er Jahren ein Dienstmädchen. Außerdem legte man Wert auf Bildung. Zwei Drittel der technischen Angestellten besuchten mittlere oder höhere Schulen, bei den kaufmännischen Angestellten war es noch ein Drittel.165 Steigende Abiturienten- und Studentenzahlen belegen einen starken Drang der Angestelltenhaushalte zum sozialen Aufstieg. So erlebten die Universitäten zwischen 1870 und 1914 einen massiven Anstieg der Studentenzahlen um 325 % auf insgesamt 60.000 immatrikulierte Studenten.166 Dieser Drang zum sozialen Aufstieg traf auf eine soziale Öffnung der Universitäten. Nach 1900 kamen mehr als die Hälfte der Studenten aus dem mittleren Bürgertum und dem Kleinbürgertum, vor allem aus hochschulfernen Familien des alten und neuen Mittelstandes. Denn die neuen akademischen Berufe boten vielversprechende Karrieremöglichkeiten.167 Die Abgrenzung des neuen Mittelstandes nach oben bildete ein akademischer Abschluss. Er war im Staatsdienst die Vorbedingung für die höhere Beamtenlaufbahn. Für diese Arbeit ist interessant, dass nicht wenige aus dem Kleinbürgertum trotz aller Schwierigkeiten einen akademischen Abschluss machten und damit ins Bildungsbürgertum aufstiegen. Ihre Väter waren einfache Beamte, Angestellte, Ladenbesitzer oder Handwerksmeister. Etwa ein Drittel der Bildungsbürger stammte aus solchen Familien.168 An dieser Stelle greife ich die methodische Vorentscheidung aus Kapitel 4.2 noch einmal auf. Mit Bezug auf Toni Pierenkemper steht ein bürgerlich mittelständisches Konsummuster und dessen Repräsentationsspielräume im Mittelpunkt dieser Arbeit. Dazu gehören in diesem Zusammenhang jene Teile des neuen Mittelstandes, die über gewisse finanzielle Spielräume verfügen. Aber zwei weitere Gruppen kommen hinzu: zum einen jene bildungsbürgerlichen Schichten von Akademikern, höheren Beamten und Vertretern der freien Berufe, die im Verbrauchsverhalten einen ‚gespaltenen Konsum‘ zeigen, weil sie trotz ihres akademischen Abschlusses nicht zu den Spitzenverdienern gehören. Zum anderen sollen aus dem Wirtschaftsbürgertum jene kleinen und mittleren Unternehmer und Kaufleute hinzukommen, die als kaufmännisches Bürgertum in ihrem Verständnis von Kultur und Lebensführung dem Bildungsbürgertum

Unabhängigkeit der Gesinnung, des Charakters, der Lebensführung vereinbar sei“ (Schmoller, Was verstehen wir unter dem Mittelstande, S. 25) 164 „Die Angestellten wollten sich innerbetrieblich und gesellschaftlich von den Arbeitern unterscheiden, auch bei gleicher Höhe des Einkommens. Sie verstanden sich überwiegend als nicht proletarisch, ja als antiproletarisch und manifestierten dies auch in der Lebensführung“ (Schulz, Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert, S. 7) 165 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, S. 376 166 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1281 167 Vgl. ebd. 168 Vgl. Michael Schäfer, Geschichte des Bürgertums, S. 108

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

­ ahestehen und auf Repräsentation Wert legen, aber deren Einkünfte und Vermögen begrenzt n sind und deshalb einen ‚gespaltenen Konsum‘ erfordern.169 Die bildungsbürgerlichen Schichten nehmen nicht nur zu, weil die Bevölkerung wächst, sondern weil für immer mehr Berufe ein Studienabschluss notwendig ist. Das betrifft Wirtschaft, Verwaltung und freie Berufe. Das Erziehungswesen wird ausgebaut, außerdem die Gesundheitsversorgung, das Rechtswesen und die Kultur, die Bürokratisierung der Wirtschaft kommt voran und die von Technik und Naturwissenschaften geprägte Industrieproduktion.170 Diese Entwicklung hat auch Folgen für das Wirtschaftsbürgertum. Kaufleute und Unternehmer brauchen mehr Bildung, viele von ihnen studieren. 1907 hatten mehr als Dreiviertel der ­Manager und ein knappes Drittel der Eigentümer-Unternehmer einen Studienabschluss.171 Wirtschaftsbürger übernehmen Wertvorstellungen der Bildungsbürger. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen also diese verschiedenen Gruppen: der gehobene neue Mittelstand und die unteren beziehungsweise mittleren Schichten von Bildungsbürgertum und Wirtschaftsbürgertum. Diese Mittelschichten sollen für die Zwecke dieser Untersuchung als ‚bürgerlicher Mittelstand‘ oder auch ‚neuer Mittelstand‘ zusammengefasst werden. An diesen Mittelschichten soll bürgerliche Selbstrepräsentation unter den Zwängen des ‚gespaltenen Konsums‘ beschrieben werden. Der Haushalt eines Gymnasialprofessors aus Frankfurt/M. wurde bereits vorgestellt. Im Folgenden geht es um den Haushalt eines Frankfurter Kaufmanns, der sich in wesentlichen Punkten von dem des Gymnasialprofessors unterscheidet und trotzdem bürgerlich ist. Die Lebenshaltungs­ kosten dieser Kaufmannsfamilie beschreibt Henriette Fürth 1907 in ihrer Untersuchung Ein mittel­bürgerliches Budget über einen zehnjährigen Zeitraum.172 Dabei stützte sie sich auf die Haus­ halts­bücher mit den täglichen Aufzeichnungen der Hausfrau in den Jahren von 1896 bis 1906. Die Familie hatte neun Kinder, zwischen 1878 und 1899 geboren, eines davon starb kurz nach der Geburt. Sie lebte im dritten Stock eines Etagenhauses in mittlerer Gegend einer Vorstadt in einer Sieben-Zimmer-Wohnung auf einer Fläche von 204 m² mit Bad und einer Warm169 Ähnliches schrieb der damals anerkannte Kunsthistoriker und Werkbund-Mitbegründer Paul Schultze-Naumburg in der Häuslichen Kunstpflege über den Mittelstand: „Rechnen wir zum ‚Mittelstande‘ ganz allgemein, was man so die ‚Gebildeten‘ nennt und was über ein Einkommen von drei- bis zwölftausend Mark verfügt. Es lässt sich da mit Ziffern nicht viel ausrichten, denn eine Familie mit fünf studierenden Söhnen wird ja bei demselben Einkommen weniger bemittelt sein, als ein kinderloses Ehepaar. Ich denke mir also beim ‚Mittelstand‘ die gewöhnlichen Verhältnisse in gut gestellten Beamtenkreisen, bei Lehrern höherer Bildungsanstalten, gebildeten Kaufleuten u. s.w.“ (Schultze-Naumburg, Paul: Häusliche Kunstpflege, Leipzig 1903, S. 9); Der Kulturreformer Schultze-Naumburg entwickelte sich allerdings gegen Ende der 1920er Jahre zum Rassenideologen. Er verfasste 1928 die Hetzschrift Kunst und Rasse und wurde 1930 von Thürigens erstem nationalsozialistischen Innen- und Volksminister Wilhelm Frick zum Direktor der ‚Vereinigten Kunstlehranstalten Weimar‘ ernannt. Von 1932 bis 1945 war er NSDAP-Reichstagsabgeordneter. (Vgl. Winfried Nerdinger: Das Bauhaus. Werkstatt der Moderne, München 2018, S. 94); Dazu vertiefend vgl. auch Hans-Rudolf Meier/Daniela Spiegel (Hrsgg.): Kulturreformer. Rassenideologe. Hochschuldirektor: Der lange Schatten des Paul Schultze-Naumburg, Heidelberg 2018 170 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, S. 384–385; Vgl. Andreas Fahrmeir, Deutsche Geschichte, S. 64–66 171 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, S. 389–390 172 Vgl. Henriette Fürth, Ein mittelbürgerliches Budget

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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wassereinrichtung. Die Miete lag anfangs bei 1500 Mark jährlich und erhöhte sich später auf 1700 Mark.173 Dieser Mietpreis befand sich 1902/1903 für eine Sieben-Zimmer-Wohnung im unteren Mittelfeld, wie aus einer Aufstellung von Henriette Fürth hervorgeht.174 45 Wohnungen wurden für 1500 bis 2000 Mark angeboten, 45 Wohnungen dieser Größe waren günstiger und kosteten zwischen 700 und 1500 Mark. Die meisten Wohnungen dieser Größe waren aber teurer und kosteten zwischen 2000 und 2500 Mark (50 Wohnungen) beziehungsweise noch mehr (78 Wohnungen).175 Der Mann und Vater dieser Frankfurter Kaufmannsfamilie war das fünfte Kind eines Lehrers und durfte nicht studieren. Er machte eine Banklehre und eröffnete 1876 ein Manufakturwarengeschäft en gros und en détail, das er aber einige Jahre nach dem Verlust einer übernommenen Bürgschaft im Jahr 1900 aufgeben musste. Er arbeitete dann als kaufmännischer Beamter und fühlte sich finanziell sicherer und zufrieden. Seine Frau, Tochter eines Gutsbesitzers, hatte eine Schneiderlehre gemacht, hörte aber mit der Heirat auf zu arbeiten und schneiderte nur noch für den privaten Bedarf. Erst als das Geschäft des Mannes in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war, arbeitete die Frau zu Hause wieder als Schneiderin und baute sich einen größeren Kundenkreis auf. Außerdem kümmerte sie sich um Haushalt und Kinder. Der Mann gehörte einem liberalen politischen Verein an, die Familie war Mitglied eines Vereins für Bildungsbestrebungen mit mehreren Vortragskursen im Jahr.176 Die Eltern legten sehr großen Wert auf eine gute Ausbildung der Kinder und gaben dafür „fast über ihre Verhältnisse und ihr Können hinaus Opfer“.177 Einer der Söhne sollte studieren, vielleicht auch die beiden kleineren Kinder. Alle anderen machten eine kaufmännische Ausbildung. Sobald sie verdienten, gaben sie ihr Einkommen an die Eltern ab und waren bis zu ihrer Heirat Teil einer „familiären Erwerbsgenossenschaft“.178 Eine Bilanz des Familieneinkommens während der letzten fünf Jahre von 1901 bis 1906 zeigt, dass der Mann knapp 47 % der Familieneinkünfte erwirtschaftete, die Frau knapp 9 % und die Kinder zusammen knapp 30 %. Außerdem gab es Einnahmen durch Zinsen (knapp 7 %), Kapitalvermögen (knapp 8 %) und Geschenke (knapp 0,4 %).179 Trotz der Berufstätigkeit der Frau und trotz des Beitrags der Kinder zum Familieneinkommen hielt die Familie an einer bürgerlichen Lebensführung fest. So spricht Henriette Fürth von einer „mittelbürgerliche[n] Wohnung guten und teilweise vornehmen Stils. Möbel, denen man es ansieht, daß bei ihrer Anschaffung nicht gespart worden [ist]“.180 Es fällt auf, dass die Familie

173 Vgl. ebd., S. 29 174 Vgl. ebd., S. 128–129 175 Ebd. 176 Vgl. ebd., S. 36 177 Ebd., S. 21 178 Ebd., S. 22 179 Ebd., S. 31; Zur Rolle des Taschengeldes für Kinder im 19. Jahrhundert und damit zur Erziehung der Kinder zu Sparsamkeit und finanzieller Disziplin vergleiche auch Frank Trentmann: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute, München 2017, S. 652 180 Fürth, Ein mittelbürgerliches Budget, S. 11

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4  Bürgertum, Bürgerlichkeit und Mittelstand

die Ersteinrichtung beibehielt und sich später keine neuen Möbel mehr kaufte, sondern die alten ausbesserte.181 Ausführlich beschreibt Henriette Fürth die Wohnung der Familie: Die Räume sind alle behaglich ausgestattet, einzelne nach Maßgabe des anfänglichen Besitzstandes sogar luxuriös. Sie bestehen aus: 1) Schlafzimmer der Eltern (2 Betten, Waschtisch, Nachtschränke, Chaiselongue, Spiegelschrank, Stühle) 2) Schlafzimmer der erwachsenen Töchter (3 Betten, Waschtisch, Kleiderschrank, Schneidertisch, 2 Nähmaschinen, Stühle, Nachtschränke); 3) kleineres Schlafzimmer der zwei ältesten Söhne (2 Betten, Schrank, Waschtisch, Arbeitstisch und Bücherbrett); 4) Schlafzimmer der drei jüngeren Kinder (2 Bettchen, 1 großes Bett, Schrank, Waschtisch, Nachtschrank, Stühle); 5) Badezimmer (2 Schränke, Bügelbrett etc., dient auch noch als Nähzimmer, daher noch ein Schneidertisch etc.); 6) Salon mit üblichem Mobiliar, (6 Sessel, Vertikow, Bücherschrank, kleiner Tisch) dient gleichzeitig als Empfangszimmer für die Schneiderei; 7) Anprobezimmer, mit einem während der Berichtszeit angeschafften Schrank zur Aufbewahrung der fertigen oder halbfertigen Kleider (er wurde alt gekauft und kostete 120 M.) und ein drehbarer Stehspiegel, der gleichfalls während der Berichtszeit für 100 M. angeschafft wurde. Einige Sessel und ein Tisch vervollständigen das Mobiliar; 8) ein großes Speisezimmer in Eichenholz (Buffet, Kredenz, Ausziehtisch, Sofa mit Spiegel, 8 Stühle, 4 Sessel). Daneben eine wohleingerichtete Küche, reichlich Wäsche, Silber etc. […] Das gesamte Mobiliar befindet sich in gutem und geschontem Zustand. Die Salongarnitur mußte einmal aufgearbeitet werden, doch fällt das vor die Berichtszeit. Während dieser Zeit wurden verschiedene Betten und die wenigen Polstermöbel des Speisezimmers aufgearbeitet.182

Die Wohnung war also zweckmäßig eingerichtet nach bürgerlichen Standards. So gab es den Salon mit Bücherschrank und Vertiko und ein großes Speisezimmer mit Sitzecke und Tischgruppe, wo die Familie in ihrem Rahmen repräsentieren konnte. Als Kaufmann und Schneiderin hatten die Eltern nicht die gesellschaftlichen Verpflichtungen wie die Beamten, die regelmäßig ihren Kollegen einluden. Die Familie gab deshalb keine Gesellschaften, hatte aber einen größeren Freundeskreis und lud einen Abend in der Woche „nach Tisch“183 zu sich nach Hause ein. Es gab also kein Abendessen, sondern nur Bier, Mineralwasser, Obst und selbstgebackenes Konfekt.184 Das bedeutete wenig Aufwand und geringe Kosten. Von Dienstmädchen ist bei Fürth nicht die Rede. Mit der Familie des Kaufmanns und der des Gymnasialprofessors sind zwei Haushalte des mittleren Bürgertums beschrieben worden. So gut es die jeweiligen Umstände und das Einkommen zuließen, folgten sie einer bürgerlichen Lebensführung. Beide Familien mussten genau rechnen und machten trotzdem durch Kleidung, Bildungsstreben, Wohnen und Einrichten sowie Geselligkeit ihre Zugehörigkeit zum Bürgertum deutlich. Beide Familien lebten außerdem mit ihren Kindern in einer Mietwohnung in der Stadt. Diese Wohnform war im

181 Ebd., S. 30 182 Ebd. 183 Ebd., S. 26 184 Vgl. ebd.

4.2  ‚Bürgerlicher Mittelstand‘ als untersuchte Schicht

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Bürgertum besonders weit verbreitet und bestand im Durchschnitt aus etwa sechs Zimmern.185 Sie war deutlich kleiner als die Villa186 oder das großbürgerliche Wohnhaus, erfüllte aber die gleichen Funktionen von Repräsentation und Selbstfindung der bürgerlichen Familie. Ein eigenes standesgemäßes Haus war für viele Familien viel zu teuer, die Mietwohnung war außerdem praktischer. Denn die steigende Mobilität im Kaiserreich erforderte Berufswechsel und Umzüge, wie im folgenden Kapitel an einem weiteren Beispiel deutlich werden wird, der Familie eines Richters, die aus einer norddeutschen Kleinstadt nach Berlin gezogen ist. Doch bevor der Haushalt dieser Familie genauer beschrieben wird, soll zunächst beleuchtet werden, was bürgerliches Wohnen im Einzelnen bedeutete. Es bildete eine symbolische Welt, die den sozialen Status spiegelte.

185 Vgl. Sophie Hellgarth: Zehn Zimmer. Die bürgerliche Stadtwohnung des 19. Jahrhundert. Eine Analyse nach Norbert Elias, Köln 2011, S. 109 186 Vgl. hierzu: Thomas Weichel: Bürgerliche Villenkultur im 19. Jahrhundert, in: Hein, Dieter/ Schulze, Andreas (Hrsgg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, S. 234–251, hier: S. 234, S. 246; Vgl. Wolfgang Brönner: Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830–1890 unter besonderer Berücksichtigung des Rheinlandes (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland, Bd. 29), Düsseldorf 1987, S. 67

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5  DIE WOHNUNG ALS BÜHNE: SELBSTREPRÄSENTATION IM KAISERREICH

5.1  Wohnen als symbolische Welt Die bürgerliche Selbstrepräsentation verlangte nach Inszenierung im Wohnbereich. Welche Bedeutung Wohnen und Einrichten damals hatten, bringt Walter Benjamin in seinem 1940 herausgegebenen Passagen-Werk auf den Punkt: „Das 19. Jahrhundert war wie kein anderes wohnsüchtig“.1 Denn das 19. Jahrhundert begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, daß man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte.2

Die Wohn- und Lebensverhältnisse sind nicht nur Ausdruck individueller Entscheidungen und Vorlieben. In ihnen zeigen sich auch gesellschaftliche und schichtenspezifische Normen.3 Sie drücken eine soziale Lage aus. Wohnviertel, Straße, Wohnhaus und Rauminszenierung sind immer auch Indikatoren sozialer Strukturen. So ist zum Beispiel für Norbert Elias der Niederschlag einer sozialen Einheit im Raume, der Typus ihrer Raumgestaltung, eine handgreifliche, eine -im wörtlichen Sinne- sichtbare Repräsentation ihrer Eigenart.4

Diese Rauminszenierung ist grundlegend für das Selbstverständnis des Bürgertums5, das im 19. Jahrhundert deutlich an Bedeutung gewann und als gesellschaftliche Schicht eine wesentliche Rolle spielte. Es definierte sich selbst als „der oberste Träger […] der socialen Reform“6, wie 1 Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften, Band V, 2, Frankfurt/M. 1991 [1940], S. 292 2 Ebd. 3 Vgl. Ruth-E. Mohrmann: Wohnkultur städtischer und ländlicher Sozialgruppen im 19. Jahrhundert: Das Herzogtum Braunschweig als Beispiel, in: Teuteberg, Hans Jürgen (Hrsg.): Homo habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit (Studien zur Geschichte des Alltags, Bd. 4), Münster 1985, S. 87–115, hier: S. 89 4 Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Frankfurt/M. 2002 [1969], S. 78 5 Vgl. Elisabeth Katschnig-Fasch: Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile (Kulturstudien Bibliothek der Kulturgeschichte, Sonderband 24), Wien 1998, S. 20 6 Riehl, Wilhelm Heinrich: Die bürgerliche Gesellschaft. Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 2, Stuttgart 1861, S. 245–248, hier: S. 245

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Wilhelm Heinrich Riehl 1861 in seinem Werk Die bürgerliche Gesellschaft schreibt. Das Bürgertum grenzte sich vom Adel, den Bauern, den Arbeitern und der katholischen Geistlichkeit ab – von der alten Ordnung des 18. Jahrhunderts. Es erschien als „Verkörperung der dynamischen Kräfte“7 und vereinte verschiedene soziale, politische und habituell unterschiedliche Gruppen, die sich nach Bildung, Beruf, Einkommen und sozialer Herkunft unterschieden.

5.1.1  Symbolische Welt und sozialer Status In seinen Lebenserinnerungen Damals bei uns daheim schildert Hans Fallada, wie sein Vater, ein Gerichtspräsident, zu einem Festessen nach Hause einlud. Er schlug seiner Frau vor, dieses Mal aufgrund der Raumgröße die Zahl der Gäste zu reduzieren: ‚Aber das sage ich dir, Louise: mehr als fünfundzwanzig Personen laden wir diesmal nicht ein! Das vorige Mal war eine Fülle, daß keiner bei Tisch die Ellbogen bewegen konnte!‘ Worauf Mutter ihm zu bedenken gab, daß wir, bloß um uns zu ‚revanchieren‘, mindestens vierzig Personen einladen müßten‘. ‚Sonst müssen wir eben zwei Diners geben, und zweimal diesen Aufstand im Hause zu haben, das bringt dich und mich um! Außerdem würden die zum zweiten Diner Eingeladenen alle gekränkt sein, denn ein zweites Diner gilt doch nur als Lumpensammler!.8

An diesem Beispiel lassen sich die Mechanismen der bürgerlichen Selbstrepräsentation sehr gut ablesen. Regelmäßig lädt man einen größeren Kreis von Freunden und Bekannten zu sich nach Hause ein, so wie man selbst auch eingeladen wird, wie Fallada beschreibt: Alles, was sich in der Juristerei kannte, lud sich alle Winter gegenseitig ein, wie das Offizierskorps sich untereinander einlud, wie die Geistlichkeit zu einem Teller Suppe bat, der auch vier Stunden dauerte – alles schön nach Ämtern und Klassen getrennt, daß nur kein neuer Gedanke in die altgewohnten Kreise kam!9

Als Gastgeberin übernimmt die bürgerliche Frau dabei eine wichtige Rolle. Sie organisiert die Einladungen, trifft alle Vorbereitungen und wählt zum Beispiel zusammen mit einer Köchin, die ins Haus kommt, die Speisenfolge aus: „nach einer heiligen Tradition mußten es sieben oder neun [Gänge] sein, ich weiß es so genau nicht mehr“.10 Fallada beschreibt aber auch, dass andere Familien, „ganz Fortgeschrittene“11, das Essen schon aus der Stadtküche kommen ließen und am Abend nur aufwärmten. In diese Fragen mischte sich Falladas Vater nicht ein. Der „Vater, der ein sparsamer Mann war und es auch sein mußte“12, hatte aber bei den Kosten eines solchen Festessens das letzte Wort: Denn eine solche Abfütterung kostete immer drei- bis vierhundert Mark und das spielte im Etat eines Kammergerichtsrats, der vier Kinder hochzubringen hatte, eine sehr erhebliche Rolle!13

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Gall, Lothar: Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890 (Oldenbourg Grundriss Geschichte, Bd. 14), München 2009, S. 104 Fallada, Hans: Damals bei uns daheim. Erlebtes, Erfahrenes und Erfundenes, Berlin 2017 [1941], S. 7 Ebd., S. 7–8 Ebd., S. 10 Ebd., S. 9 Ebd., S. 11 Ebd., S. 10

5.1  Wohnen als symbolische Welt

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Was Hans Fallada über den Haushalt seiner Eltern schreibt, zeigt im Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit die Grundprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft. Die Erwerbstätigkeit des Mannes und die Mitgliedschaft in den vielen neuen Vereinen14, Assoziationen und Gesellschaften, besonders in Wissenschaft und Kultur, gehören zur öffentlichen Sphäre. Dagegen ist die Geselligkeit zu Hause halböffentlich, während Individualisierung und Intimität in der Familie die private Sphäre ausmachen. Mit seinem Beruf war der Mann in gewisser Weise ‚öffentlich‘: er ging außer Haus einer Arbeit nach, sorgte damit für das Einkommen und traf zu Hause die wichtigen Entscheidungen. Die bürgerliche Frau hingegen war ‚privat‘: sie ging, anders als die proletarische Frau, keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern war für den Haushalt mit der häuslichen Geselligkeit und das vor der Öffentlichkeit verborgene Familienleben mit der Erziehung der Kinder nach bürgerlichen Prinzipien zuständig. Im Haushalt half ihr das Dienstmädchen. Es war ein Statussymbol, der „dominierende Frauenberuf im 19. Jahrhundert“.15 Das Dienstmädchen schuf die Voraussetzung für eine standesgemäße Führung des Haushalts.16 Meist waren es unverheiratete junge Frauen vom Land, die sich damit die Aussteuer verdienten.17 Das Dienstmädchen reinigte täglich die Wohnung, half beim Kochen und Einkaufen, Putzen, Waschen und Flicken und teilweise auch bei der Betreuung der Kinder. Die Arbeit konnte täglich bis zu 18 Stunden umfassen.18 Oft lebte das Dienstmädchen in der Wohnung der Familie. Wurden zwei Dienstmädchen beschäftigt, teilten sie sich ein kleines Zimmer von etwa 6m² Größe.19 Zu besonderen Anlässen wie den Festessen wurden zusätzlich Lohndiener beschäftigt.20 Diese Kosten für Dienstmädchen und Lohndiener mussten häufig an anderer Stelle im Haushalt wieder eingespart werden.21 Die bürgerliche Wohnung war der Ort, wo die Familie zurückgezogen vor den Augen der Öffentlichkeit lebte, aber auch das Zentrum bürgerlicher Geselligkeit. Es gab nicht nur die Festessen, wie sie Fallada beschreibt, sondern auch andere Einladungen nach Hause, um miteinander zu reden und Tee zu trinken.22 14 Vgl. Andreas Fahrmeir: Revolutionen und Reformen. Europa 1789–1850, München 2010, S. 250; Vgl. hierzu auch: Frank Becker: Bürgertum und Kultur im 19. Jahrhundert: die Inszenierung von Bürgerlichkeit, in: Lütteken, Laurenz (Hrsg.): Zwischen Tempel und Verein. Musik und Bürgertum im 19. Jahrhundert (Zürcher Festspiel-Symposium, Bd. 4), Kassel 2013, S. 14–34, hier: S. 19 15 Schulz, Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert, S. 23; Vgl. hierzu den Thorstein-Veblen-Effekt: „Güter und Dienstleistung [dienen] auch dem Streben nach Prestige und Distinktion“ (König, Wolfgang: Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne, Stuttgart 2008, S. 19) 16 Vgl. Joachim Petsch: Eigenheim und gute Stube. Zur Geschichte des bürgerlichen Wohnens. Städtebau, Architektur, Einrichtungsstile, Köln 1989, S. 38; Vgl. Klaus Tenfelde, Klassenspezifische Konsummuster, S. 249 17 Vgl. Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 128; Vgl. auch Günther Schulz, Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert, S. 23–24 18 Vgl. Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 129 19 Vgl. Adelheid von Saldern: Im Hause, zu Hause. Wohnen im Spannungsfeld von Gegebenheiten und Aneignungen, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 3: 1800–1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 145–332, hier: S. 185 20 Vgl. Hans Fallada, Damals bei uns daheim, S. 11–12 21 Klaus Tenfelde weist darauf hin, dass sich erst der bürgerliche Mittelstand ein Dienstmädchen leisten kann. Dem Kleinbürgertum ist das nicht möglich. (Vgl. Klaus Tenfelde, Klassenspezifische Konsummuster, S. 249) 22 Vgl. Gisela Mettele: Der private Raum als öffentlicher Ort. Geselligkeit im bürgerlichen Haus, in: Hein, Dieter/Gall, Lothar (Hrsgg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt [Lothar Gall

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Die größten Zimmer in der besten Lage der Wohnung zur Straße hin zeigten das „kulturelle Kapital“23 der Familie, die kleineren Zimmer im hinteren Teil waren Orte für das Private und Intime. Die bürgerliche Wohnung war sorgfältig arrangiert, sie verbarg zugleich die Dinge, die die Familie den Blicken ihrer Besucher vorenthalten wollte. Was das Selbstbild störte, wurde beiseite geräumt. Damit drückte die Inszenierung in der Wohnung das bürgerliche Selbstbild nicht nur bloß aus, sondern es wurde durch die Inszenierung erst hervorgebracht.24 Aber die Inszenierung wandelte sich. Noch schlicht und bescheiden im Geist des Biedermeiers am Anfang, sollte sie später immer aufwendiger erscheinen, wie es Carl Behr im Fachblatt für Innen-Dekoration erläuterte. Der Technische Direktor der Mainzer Möbelfirma Anton Bembé beschrieb 1890 in seinem mehrteiligen Artikel Ueber Dekoration und Möblirung die damals weitverbreitete Auffassung, dass eine Wohnung nach mehr scheinen soll als sie tatsächlich in Wirklichkeit darstellt: Wenn auch nicht gesagt sein soll, dass Alles immer absolut billig sein muß, denn es gibt ja auch herrschaftliche Miethwohnungen, so muß es doch jedenfalls nach mehr aussehen, als danach, was es kostet, denn sonst kann der Besitzer kein Geschäft mit seiner Wohnung machen.25

Damit ist ein zentrales Problem der bürgerlichen Selbstrepräsentation angesprochen. Denn Einrichtung und Lebensführung sind teurer, als es sich viele Familien leisten können. So wird der Schein zu einem wesentlichen Element der Wohnungseinrichtung. Sie gibt etwas vor, was so nicht vorhanden ist. Die symbolische Welt verspricht mehr als der soziale Status erlaubt. Je stärker sich diese Entwicklung in den Jahren vor der Jahrhundertwende durchsetzt, um so mehr stößt sie auf Kritik. Hermann Muthesius, Architekt, preußischer Regierungsbeamter und später Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, schreibt in seinem 1904 im Kunstwart publizierten Artikel Unsere Kunstzustände. Ausdruck unserer Kultur: Genau so unecht und auf den Schein berechnet wie die heutige Gastfreundschaft ist die heutige Wohnung. Auch wird hier der Versuch gemacht, den Anschein aufrecht zu erhalten, als handle es sich um fürstliche und nicht um bürgerliche Insassen.26

In der Auseinandersetzung mit einer Rauminszenierung, die im Schein stecken bleibt und nur Vergangenes zitiert, wird die Forderung nach einer zeitgemäßen Einrichtung immer lauter. zum 60. Geburtstag], München 1996, S. 155–170, hier: S. 166 23 Vgl. Joachim Eibach: Das Haus in der Moderne, in: Ders./Schmidt-Voges, Inken (Hrsgg.): Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, Berlin 2015, S. 19–37, hier: S. 25 24 Vgl. Adelheid von Saldern: Rauminszenierungen. Bürgerliche Selbstrepräsentationen im Zeitenumbruch (1880–1930), in: Plumpe, Werner/Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 39–58, hier: S. 41 25 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 4, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 7, S. 52–53, hier: S. 53 26 Muthesius, Hermann: Unsere Kunstzustände. Ausdruck unserer Kultur, in: Der Kunstwart 17,2 (1904), H. 23, S. 464–473, hier: S. 467; Ähnlich sah diese Entwicklung Paul Schultze-Naumburg. In seinem 1903 erschienenen Buch Häusliche Kunstpflege schrieb er: „Ein Professor oder sogar ein Kommerzienrat ist in der Regel kein Fürst, oder, was hier dasselbe sagen will, er verfügt nicht über Stellung und Einkommen eines Fürsten. Aber das Parvenütum ist so tief eingedrungen, dass es eine Sitte geworden ist, die jeder ganz gedankenlos mitmacht: aus seiner Wohnung eine reduzierte Fürstenwohnung zu machen. Den Ausdruck seiner eigenen Stellung, seiner Mittel, des eigenen Seins zu suchen, daran denkt niemand“ (Schultze-Naumburg, Häusliche Kunstpflege, S. 14).

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Eine zeitgemäße Formensprache fordert auch der Schriftsteller und Kunsthistoriker Joseph August Lux, ebenfalls Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, der später an den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst arbeitet: Während vor dem Hause das Automobil, das Fahrrad, die elektrischen Bahnen vorbeirasen, können wir im Innern des Hauses, wo wir alle technischen Vorteile auszunützen suchen, vom Telephon bis zu den elektrischen Glühkörpern, nicht den historischen Biedermeier spielen. […] Wohl aber können wir Biedermeier im modernsten Sinne sein, indem wir uns treu zu dem bekennen, was unserer Zeit gemäß ist, so wie es unsere Großväter für ihre Zeit getan haben.27

In diesen drei Zitaten werden die Bedingungen bürgerlicher Selbstrepräsentation im Kaiserreich angesprochen, die in den nächsten Kapiteln weiter behandelt werden. Es geht um die Frage, wie mit Möbeln, Teppichen und Tapeten, aber auch im richtigen Stockwerk, in einem repräsentativen Haus, in einer bevorzugten Straße und in einem bürgerlichen Wohnviertel der soziale Status ausgedrückt werden kann, und zwar so, dass diese Selbstrepräsentation den gegebenen technischen und künstlerischen Möglichkeiten entspricht und zusätzlich für eine bürgerliche Familie finanziell tragbar, also verfügbar ist.

5.1.2  Merkmale bürgerlichen Wohnens Wer bürgerlich wohnen wollte, musste sich diesen Lebensstil auch leisten können. Aufschluss darüber geben Haushaltsbücher. Wie ein Landrichter mit seiner Frau und seinen zunächst drei und später fünf Kindern wohnte, hat die Ökonomin Erna Meyer-Pollack 1915 anhand von Haushaltsrechnungen dieser Familie in ihrer Dissertation Der Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906 untersucht.28 Die Familie lebte zunächst in einer norddeutschen Kreisstadt, bevor der Mann und Vater nach Berlin versetzt und schließlich auch Vorsitzender einer Kammer wurde. Der Wechsel nach Berlin bedeutete für die Familie erhebliche Mehrausgaben durch eine doppelt so hohe Miete von 900 Mark im Jahr, teurere Nahrungsmittel, höheres Schulgeld und beträchtliche Aufwendungen für die Geselligkeit, die im zweiten Jahr nach dem Umzug nach Berlin aus Kostengründen deutlich eingeschränkt werden mussten.29 Aber trotzdem blieben die Ausgaben höher als die Einnahmen. Deshalb war die Familie zunächst auf die finanzielle Unterstützung von Verwandten angewiesen, bis der Mann eine zusätzliche Einnahmequelle als Hilfsrichter beim Reichsversicherungsamt gefunden hatte.30 Doch wenig später nahmen die Ausgaben wieder beträchtlich zu. Die Kinder wurden größer, die Kosten für Nahrungsmittel und Kleidung für die Familie stiegen erheblich. Arztkosten fielen an, schließlich kosteten Studium und Examen der Söhne ebenfalls viel Geld. Außerdem erfolgte ein Umzug in Berlin, der

27 Lux, Joseph August: Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung, Wien 1905, S. 10; Wortlaut identisch auch bei: Lux, Joseph August: Biedermeier als Erzieher, in: Hohe Warte (1904), S. 145–155, hier: S. 147 28 Meyer-Pollack, Der Haushalt eines höheren Beamten 29 Vgl. ebd., S. 71–72 30 Vgl. ebd., S. 73

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weitere Anschaffungen für die neue Wohnung notwendig machte. Die neue Miete war ebenfalls 200 Mark teurer. So musste in diesem Haushalt immer gerechnet werden. Alle Wohnungen, in denen die Familie lebte, bestanden aus sieben Zimmern: 1. ein Schlafzimmer der Eltern, in dem auch immer das jüngste Kind zu schlafen pflegte, 2. und 3. zwei Zimmer für die übrigen Kinder; 4. ein Esszimmer; 5. ein Arbeitszimmer des Mannes; 6. ein sogenannter Salon; 7. ein Fremdenzimmer, in dem zuerst der Vater, dann die Schwester der Frau wohnten. Eine Küche, das Zimmer für die Dienstmädchen und das Badezimmer bildeten die nötigen Ergänzungen. Am Tage wurden sämtliche Zimmer, mit Ausnahme des Schlafzimmers der Eltern und des Salons, zum Wohnen benutzt, während letzterer nur, wenn Besuch da war, dem Aufenthalte diente.31

Nicht nur die Raumaufteilung ist genau überliefert und typisch bürgerlich, sondern auch die Ausstattung der Wohnung, in der die Familie des Richters lebte.32 Sie soll im Folgenden um allgemeine Hinweise auf Einrichtungsgewohnheiten bürgerlicher Familien ergänzt werden. Es ist ein erster Überblick, denn ausführlich werden die Ausstattung und ihre Kosten in Kapitel 5.2 beschrieben. Zu bürgerlichen Wohnungen gehörten immer ein Ess- oder Speisezimmer und ein Salon. Das Esszimmer des Richters und seiner Familie bestand aus Eichenmöbeln, und zwar aus einem Buffet, einer Anrichte, einem Esstisch mit zwölf Stühlen, einem Sofa mit Sofatisch und einem Blumenständer. Im Salon gab es ein Plüschsofa mit sechs gleichen Stühlen, einen Tisch, den Damenschreibtisch, den Stehspiegel und das Klavier. Es fällt auf, dass in diesem Salon keine Polstermöbel standen. Sie waren in der Anschaffung besonders teuer. Deshalb wurden häufig Stühle durch Sitzkissen und ein schlichter Tisch durch kostbare Tischdecken aufgewertet.33 In vielen Wohnungen war zusätzlich auch ein Wohnzimmer vorhanden. Hier war die bürgerliche Familie unter sich. Das Wohnzimmer bestand aus einer Sitzgruppe mit Stehlampe, über dem Sofa hing häufig ein Bild, darum herum standen Blumen und Bücherregale. Außerdem gab es Ahnenbüsten, Bildnisse und Fotos verstorbener Familienmitglieder.34 Die Anordnung des Tisches unter der Lampe, umgeben von Sitzmöbeln mitten im Raum, war seit dem Biedermeier Sinnbild für bürgerliches Familienleben, für Gemütlichkeit und Geborgenheit. Bequemlichkeit und Wohnlichkeit waren anfangs wichtiger als vorgetäuschte Eleganz.35 Zwar beschrieb Carl Behr 1890 in seinem Aufsatz Ueber Decoration und Möblirung unserer Wohnungen mehr Schein als Sein in der Wohnungsausstattung36, aber ein Vierteljahrhundert vorher

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Ebd., S. 33 Ebd., S. 43–44 Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 90 Vgl. Martin Warnke: Zur Situation der Couchecke, in: Habermas, Jürgen: Stichworte zur ‚Geistigen Situation der Zeit‘, Bd. 2: Politik und Kultur, Frankfurt 1979, S. 673–689, hier: S. 677; Vgl. auch Ursula A. J. Becher: Geschichte des modernen Lebensstils. Essen, Wohnen, Freizeit, Reisen, München 1990, S. 120 35 Vgl. Burkhard von Roda: Das Interieur-Bild als Quelle. Wohnen in Basel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Kunst+Architektur in der Schweiz 2 (2004), S. 27–34, hier: S. 27 36 Vgl. Carl Behr, Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 4, S. 53

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hatten noch andere Maßstäbe gegolten. So schrieb Henriette Davidis 1864 in ihrem Ratgeber Die Hausfrau: Die Ausstattung des Wohnzimmers sei dauerhaft, einfach und geschmackvoll. Hierbei ist es eine Hauptsache, daß die ganze Einrichtung mit einander harmonirt und sowohl Tapeten, Vorhänge und Tischdecken so gewählt werden, daß sie den Eindruck von Geschmack, Dauerhaftigkeit und wirklichem Gebrauch gewähren, als auch, daß die Möbel an Werth, Facon und Farbe zusammen passen und das Ganze nicht über die Verhältnisse hinausgeht.37

In der Wohnung des Richters fehlte allerdings ein eigenes Wohnzimmer. Es wurde als Wohnzimmer von den Kindern genutzt. Das Arbeitszimmer des Richters war zugleich das Herrenzimmer, in das sich der Hausherr nach dem Essen mit seinen männlichen Gästen zurückzog und über politische Themen diskutierte.38 Hier gab es einen Eichenschreibtisch mit Aktenbock, ein Sofa, zwei Lehnsessel und sechs Stühle sowie einen Bücherschrank, der den Besuchern den Bildungsstand der Familie vor Augen führen sollte. Häufig lagen im Herrenzimmer auch Zeitungen und Zeitschriften aus, die wichtigsten Zeichen der bürgerlichen Öffentlichkeit.39 In der Wohnung des Richters fehlte auch das Damenzimmer, wo die bürgerliche Frau ihre Freundinnen empfing, Briefe schrieb und der Handarbeit nachging.40 Einen eigenen Schreibtisch hatte die Frau des Richters trotzdem. Ihr Sekretär stand im Salon, zusammen mit einem Stehspiegel und einem Klavier mit Notenständer.41 Das elterliche Schlafzimmer hatte zwei große Betten und ein Kinderbett, einen Waschtisch, einen Wäsche- und einen Kleiderschrank sowie Spiegelkommode, Nähmaschine und Nähtisch. Der Schlafbereich war streng vom Wohnbereich getrennt. Zu dem „tabuierten Intimbereich“42 hatten nur Eltern und sehr enge Freunde Zutritt. Die Betten waren meistens Himmelbetten, die mitten im Raum standen. Sie waren oft aus Eisen, denn Betten aus Holz könnten Gerüche und Feuchtigkeit aufnehmen.43 Das Schlafzimmer sollte „geräumig, hoch und luftig“44 sein, denn Sauberkeit war das Gebot des Bürgertums, wie auch Manuel Frey 1997 in seiner Untersuchung Der reinliche Bürger herausgearbeitet hat.45 Tagsüber bekamen die Betten einen Überwurf und 37 Davidis, Henriette: Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbständigen und sparsamen Führung des Haushalts. Mitgabe für junge Hausfrauen, Leipzig 1864, S. 101–102 38 Vgl. Gisela Mettele, Der private Raum, S. 167 39 Vgl. Gertrud Benker: Bürgerliches Wohnen. Städtische Wohnkultur in Mitteleuropa von der Gotik bis zum Jugendstil, München 1984, S. 63; Vgl. Joachim Petsch, Eigenheim und gute Stube, S. 41 40 Vgl. Annemarie Weber: Immer auf dem Sofa. Das familiäre Glück vom Biedermeier bis heute, Berlin 1982, S. 98 41 Vgl. Erna Meyer-Pollack, Der Haushalt eines höheren Beamten, S. 44 42 Zinn, Hermann: Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, in: Niethammer, Lutz (Hrsg.): Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 13–27, hier: S. 27 43 Vgl. Pascal Dibie: Wie man sich bettet. Die Kulturgeschichte des Schlafzimmers, Stuttgart 1989, S. 167 44 Dornblüth, Friedrich: Unser Schlafzimmer, in: Die Gartenlaube 40 (1878), S. 656–659, hier: S. 656. Internet: https://de.wikisource.org/wiki/Unser_Schlafzimmer (Zugriff: 27.5.2018) 45 Vgl. Pascal Dibie, Wie man sich bettet, S. 173; Vgl. Manuel Frey: Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland 1760–1860, Göttingen 1997, S. 16: Die Reinlichkeit war „ein wichtiges Stück der kulturellen Führungsrolle des Bürgertums in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts“.

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wurden so zu zweckmäßigen und eleganten Möbelstücken. Es durften keine Polstermöbel im Schlafzimmer stehen, weil „die Polsterung verdorbene Luft anzieht und festhält, auch dem Staube Lagerplätze bietet“.46 Das Schlafzimmer der Kinder bestand aus drei Betten, einem Tisch, sechs Rohrstühlen, einer Kommode, einem Schreibtisch, einem Waschständer und einem Kleiderschrank. Das zusätzliche Wohnzimmer der Kinder hatte eine Chaiselongue, einen Schreibtisch, einen großen Tisch mit vier Stühlen und einen Schrank. Es wurde allmählich zum Standard, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer bekam. In der Familie des Richters war dies mit fünf Kindern nicht möglich. Meistens waren die Möbel wie Tische, Bänke und Hocker auf die Körpergröße des Kindes ausgerichtet.47 Die Kinder sollten ihre Persönlichkeit entfalten können und die Normen und Werte des bürgerlichen Lebens erlernen. Mädchen spielten mit Puppenhäusern und übten damit die bürgerliche Wohnkultur ein.48 Jungen hatten einen Bauernhof aus Holz, Zauberkasten, Kulissenbögen, singende Kreisel, Dampfschiffe und Armeen von Zinnsoldaten.49 Ihre Erziehung war breiter, freier und fundierter als die der Mädchen.50 Das Fremdenzimmer, in dem später die Schwester der Frau lebte, hatte Schlafsofa, Spiegelkommode, Tisch und vier Stühle, Schrank und einen abdeckbaren Waschtisch. Auch für die Dienstmädchen gab es ein Zimmer. Ebenso war ein Badezimmer vorhanden. Oft gab es nur Waschschüsseln im Schlafzimmer. Erst als Ende des 19. Jahrhunderts fließendes Wasser selbstverständlich wurde, war das Badezimmer kein Luxus mehr.51 Diese Aufstellung der genauen Einrichtung enthält nur wenige Angaben zu Fußböden, Teppichen, Tapeten und Vorhängen. Sie sollten in der Wohnung des Richters Behaglichkeit und Gemütlichkeit schaffen: Im Eßzimmer, Salon und Arbeitszimmer des Mannes hingen Bilder an den Wänden, die fast ausschließlich geschenkt erhalten oder ererbt worden waren, ebenso eine große Steh- und eine Wanduhr. In den drei genannten Zimmern lag je ein großer Teppich, in den anderen nur Strohmatten vor den Waschtischen. An allen Fenstern hingen Gardinen, in jedem Zimmer eine Glaskrone (erst seit 1898) oder eine Hängelampe.52 46 Dornblüth, Unser Schlafzimmer, S. 656 47 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann: Die gute Kinderstube. Zur Geschichte des Wohnens von Bürgerkindern, in: Niethammer, Lutz: Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 44–65, hier: S. 45 48 Vgl. Gottfried Korff: Puppenstuben als Spiel bürgerlicher Wohnkultur, in: Niethammer, Lutz (Hrsg.): Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 28– 44, hier: S. 41 49 Vgl. Carl Ludwig Schleich: Besonnte Vergangenheit. Lebenserinnerungen (1859–1919), Berlin 1930, S. 62 50 Vgl. Gunilla Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914, Göttingen 1994, S. 195 51 Vgl. Manuel Frey, Der reinliche Bürger, S. 276: „Die Reinlichkeit des Körpers und in der Wohnung galt gleichermaßen als die Grundbedingung des inneren Friedens und Ausdruck materiellen Reichtums. Da es bequemer war, zu Hause zu baden als in die Badeanstalt zu gehen, gehörte dem ‚häuslichen Comfort‘ die Zukunft. […] Mit der Ausweitung des Gebrauchs moderner Hygienemöbel auch im mittleren und kleinen Bürgertum und der zunehmenden Differenzierung und Intensivierung der körperlichen Reinlichkeit im Zeitalter der Cholera ging zunächst ein immer breiteres Angebot an stetig aufwendiger gestalteten Kon­struk­ tionen von Hygienemaschinen zum häuslichen Gebrauch einher“. 52 Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 44

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An den Wänden hingen Familienbilder, häufig in ovalen Holzrahmen, Stillleben, Historienbilder, Genremalerei sowie kostengünstige Kopien von Meisterwerken, vor allem mit Schlachtund Jagdszenen, Landschaften und Portraits von Fürsten.53 Die Funktion des Bildes wird in der Zeitschrift Die Leipziger Mustermesse genau angesprochen: Das Bild an der Wand ist der Gradmesser für die Bildung des Bewohners. Gute Bilder erst machen eine Wohnung behaglich, machen sie zu einem Aufenthalt der Freude.54

Die Wände waren meistens gestrichen oder mit Kalk getüncht.55 Die Papiertapete gab es zwar schon seit Ende des 18. Jahrhunderts, aber sie war teuer und nur in repräsentativen Räumen üblich. Sauber und unempfindlich gegenüber Insektenfraß und Mottenbefall56, ersetzte sie deshalb die noch teureren Textilbespannungen. Außerdem war die Papiertapete in einer großen Auswahl an Mustern zu haben57 und konnte, je nach Mode und Stil, schnell ausgewechselt werden. Häufig zeigten die Tapetendrucke „Blumen, Stoffdraperien [und] architektonische Versatzstücke“.58 Die Grundfarben der Tapete sollten die Töne der Möbel, Sitzbezüge, Vorhänge, Teppiche und Tischdecken aufnehmen. Für das Wohnzimmer werden vorzugsweise für Tapeten und Teppiche warme Töne gewählt, ein tiefes Blau, Braunroth und Oliv sind kälteren und helleren Tönen immer vorzuziehen.59

Damit bestimmte die Tapete die Raumatmosphäre wesentlich mit. Als Sockel diente eine Fußoder Scheuerleiste, mit einer Zierleiste wurde die Decke abgeschlossen. Exotik und einen Hauch von großer weiter Welt vermittelten Perserteppiche und orientalische Topfpflanzen wie Stechpalme oder Papyrus, die häufig im Erker standen.60 Zugleich holte man sich damit den fernen Orient nach Hause. Es gab nicht nur Gardinen, sondern häufig auch vierfach mit Vorhängen bekleidete Fenster, die für die Dimmung des Lichts sorgten: Lange gewichtige Vorhänge, seidig glänzend, mit gewundenen, spiraligen und ewig sich neu verschlingenden Litzen und Borden benäht, waren nur wenig zur Seite gerafft, und wieder hingen die schweren Troddeln, die doppelten Schnüre und hielten den Stoff in zurechtgelegten und aufdringlich drapierten 53 Vgl. Georg Jäger (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1: Das Kaiserreich 1870–1918, Teil 1, Frankfurt/M. 2001, S. 616 54 Zeitler, Julius: Das Bild an der Wand, in: Die Leipziger Mustermesse 4 (1920), H. 24 (23.10.1920), S. 334–335, hier: S. 334 55 Vgl. Hermann Zinn, Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten, S. 18 56 Vgl. Sabine Thümmler: Tapeten, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 214– 225, hier: S. 214 57 Vgl. Georg Bötticher: Papiertapete und Linoleum, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 13 58 Thümmler, Tapeten, S. 215 59 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 12, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 15, S. 124–125, hier: S. 125 60 Vgl. Jürgen Osterhammel: Das 19. Jahrhundert: 1880–1914, in: Ders: Das 19. Jahrhundert (Informationen zur politischen Bildung, Heft 315), Bonn 2012, S. 56–81, hier: S. 64; „Man partizipiert, zumindest symbolisch, an den Taten und Erfolgen der deutschen Außen- und Handelspolitik“ (Korff, Puppenstuben als Spiegel bürgerlicher Wohnkultur, S. 36)

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Falten. Daran an den Kanten ein Fransensaum seidender Knötchen und Büschel, Büschel und Knötchen, endlos sich wiederholend, von oben bis unten, quer unter den gerafften Überhängen, unten auf dem Boden, wo lange Schleppen von den Fenstern bis ins Zimmer lagen.61

Für Licht sorgten die neuen Petroleumlampen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Wohnraumbeleuchtung schlechthin wurden.62 Sie leuchteten den Raum gut aus und beschädigten nicht mehr wie die Kerzen früher die Möbel durch heruntertropfendes heißes Wachs.63 Der Fußboden bestand vielfach aus Linoleum und war kein Staubfänger wie beispielsweise Holzdielen, die als „Gipfel des Unhygienischen“64 galten. Linoleum hielt Feuchtigkeit fern, dämpfte den Schall der Schritte und wurde oft für Schlaf-, Speise-, Wohn-, Kinder- und Arbeitszimmer gewählt. Weniger oft betretene Räume wie Salon und Ankleidezimmer hatten meistens einen Teppich.65 Gefragt waren auch Fußböden aus Eichenholz, wegen der warmen Holzfarbe, der Langlebigkeit und der Festigkeit.66 Die bürgerliche Wohnung sagte viel über ihre Bewohner aus. Zur symbolischen Welt gehörte auch die Lage der Wohnung, die ‚gute Adresse‘. Die Fassade eines Hauses hatte ebenfalls Aussagekraft. Je aufwendiger sie gestaltet war, desto wohlhabender waren die Bewohner und desto besser war der Ruf des Architekten, wie Bruno Bucher in seinem Artikel Stilvolle Wohnungs-Einrichtung in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration 1891 deutlich machte.67 Sogar das Stockwerk hatte eine Bedeutung. Es enthielt Informationen über die finanziellen Mittel ihrer Bewohner. Im ersten oder zweiten Stock lagen häufig Wohnungen mit bis zu sieben Zimmern, im dritten und vierten Stock mit bis zu drei oder vier Zimmern.68 Welche Bedeutung das Wohnen hatte, brachte Otto Schulze 1893 in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration auf den Punkt: Im ‚Heim‘ ruht Seele und Leben, in ihm wächst der Karakter zu einem stimmungsvollen Ganzen, in ihm liegt […] der Grundstock des Wohlgedeihens von Staat, Familie und Religion.69

Bei allem Gebot der Repräsentativität der bürgerlichen Wohnung waren anfangs noch Sachlichkeit und Sparsamkeit die wichtigsten Prinzipien bürgerlicher Wohnkultur. In Abgrenzung zum Adel und seinen prachtvollen Schlössern und von Parks umgebenen Gutshäusern kam es 61 Saldern, Im Hause, S. 183 62 Vgl. Wolfgang Schivelbusch: Lichtblicke. Zur Geschichte der Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983, S. 155 63 Vgl. Ingrid Ehrensperger: Im Lichtkreis der Petroleumlampe. Der Einfluss der neuen Lichtquellen auf die Einrichtung der Räume und das Zusammenleben ihrer Bewohner, in: Kunst+Architektur in der Schweiz 2 (2004), S. 54–60, hier: S. 57–58 64 Wörner, Frankfurter Bankiers, S. 56 65 Vgl. Georg Bötticher, Papiertapete und Linoleum, Teil 1, S. 13 66 Vgl. Rainer Haaff: Eichenmöbel von Barock bis Jugendstil. Bürgerliche und ländliche Möbel, Germersheim 2005, S. 15 67 Vgl. Bruno Bucher: Stilvolle Wohnungs-Einrichtung, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 125–128, hier: S. 125 68 Vgl. Adelheid von Saldern, Im Hause, S. 174 69 Schulze, Otto: Uebt die Ausstattung der Wohnung einen Einfluß auf den Menschen aus?, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 4 (1893), H. 1, S. 9–11, hier: S. 11

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dem aufstrebenden Bürgertum zunächst auf Bildung, Wissenschaft und Kultur an, auf Leistung statt Herkunft, auf ‚innere Werte‘, die den verschwenderischen Glanz adeliger Lebensführung überstrahlen sollten. Im Haus und in der Wohnung sollte jeder Raum „aufs Rationellste auf praktische Zwecke angelegt sein“70, verboten waren eine zu pompöse Gestaltung und die „Verschwendung des Raumes für ‚luxuriöse Zwecke‘“.71 Noch im 18. Jahrhundert waren die Zimmer durch Barock und Rokoko deutlich prunkvoller und sehr viel stärker auf Repräsentation ausgelegt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Möbel dann schlichter und zierlicher, Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich wieder wuchtiger und reicher verziert. Auch kombinierte man verschiedene Stile miteinander, wie Thomas Nipperdey beschreibt: Der Möbelstil ist in der Abkehr von der Schlichtheit des Biedermeier schwer und wuchtig (Buffet und Schreibtisch), er ist ganz historistisch und eklektizistisch […], meist schon fabrikgefertigt: Industriehistorismus. Plüsch und Polster bestimmen die Sitzmöbel, Diwan oder Ottomane geben dem Interieur einen orientalischen Akzent, die Möbel sind unregelmäßig verteilt. […] eine Fülle und Überfülle an Zutaten, Deckchen und anderes Selbstgefertigte, Silber und Kristall, Vasen, Tigerfelle, Büsten, Bilder, Kunstgewerbe-Dinge – der horror vacui regiert.72

Neben historisierenden Möbelstilen wie Rokoko und den Interieurs des Louis XIV. und des Louis XVI. gab es auch Neogotik, Neorenaissance oder Neorokoko. Bald setzte sich auch ein geschlechterspezifischer Blick auf die Möbelstile durch. Den altdeutschen Stil, insbesondere die Neorenaissance, gab es häufig im Herren- oder Esszimmer, weil dieser schwere, wuchtige Stil für einen gediegenen nationalen Geschmack stand73, wie Georg Hirth 1880 in seinem Buch Das deutsche Zimmer der Renaissance. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege deutlich macht. Das Rokoko dagegen galt als Stil der Damen, als ‚femininer Stil‘. Es wurde wegen seiner zierlichen Gestaltung eher für Salons und Schlafzimmer verwendet.74 Im nächsten Kapitel sollen einige Möbelstücke und Zimmereinrichtungen beschrieben werden, die für bürgerliches Wohnen charakteristisch sind. Dazu gehören Bücherschränke, Schreibtische, Sofas und Truhen.

5.1.3  Ausgewählte Möbelstücke und Zimmereinrichtungen Möbel sind nicht nur ein schlichter Gebrauchsgegenstand, sondern als Stilelement sind sie auch ein Zeichen. Möbel aus teurem Mahagoniholz beispielsweise machten die Zugehörigkeit zum gehobenen Bürgertum sichtbar. Es kam außerdem auf Bequemlichkeit, Wohnlichkeit und Praktikabilität an.

70 Zinn, Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten, S. 18 71 Ebd. 72 Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 139–140 73 Vgl. Georg Hirth: Das deutsche Zimmer der Renaissance. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege, München 1880, S. 32, S. 66–67 74 Vgl. Adelheid von Saldern, Im Hause, S. 182

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Eines der wichtigsten Möbelstücke ist das Sofa, Mittelpunkt der häuslichen Geselligkeit im Salon. Wer sich ein Sofa nicht leisten konnte, hatte ein Kanapee, eine gepolsterte Bank mit Seitenlehnen.75 Für das Familienoberhaupt war der Ohrensessel oder Lehnsessel bestimmt. In der Regel war er mit Leder bezogen. Als weiteres wichtiges Möbelstück gilt die Truhe. Sie war vielseitig einsetzbar. In ihr wurden Gegenstände verstaut, die sie vor Feuchtigkeit schützen sollte. Die Truhe gab es in verschiedenen Typen, als Koffer, Lade oder Kasten.76 Sie diente auch als Kastentisch oder als Tischpult mit eingebauten Kästen. Daneben gab es auch Truhenbettbänke. Tagsüber wurde in ihr die Bettwäsche verstaut und abends konnten die Kinder hier schlafen, wenn der Platz in der Wohnung nicht ausreichte. Auch der Schrank war ein wesentliches Möbelstück. Denn er stand für den Besitz, den man verwahren wollte. Ihn gab es als schlichten Kommoden- oder repräsentativen Vitrinenaufsatzschrank. Der Schrank sorgte für Ordnung. Von außen war nicht zu erkennen, welche Unordnung vielleicht in seinem Innern herrschte.77 Ein besonderer Schrank war der Bücherschrank. Er sollte nichts verbergen, sondern im Gegenteil mit den Büchern das Ausmaß der Bildung ausstellen, das die Familie ihren Gästen präsentieren wollte. Die Bücher standen hinter Glas, damit sie vor Staub und Schmutz geschützt waren. Zunächst werden Möbel des Biedermeier beschrieben, nämlich Kontorschreibschrank und Kommode sowie die Wohnzimmereinrichtung des Autors Georg Schwanthaler. Im Anschluss geht es um Möbel des Historismus: einen neogotischen Bücherschrank, einen Ohrenbackensessel im Louis-XVI.-Stil, einen Damenaufsatzschreibtisch im Louis-Philippe-Stil und eine Truhen­bank aus der Neorenaissance. Danach wird eine historistische Wohnzimmereinrichtung vorgestellt. Anschließend werden Möbel des Jugendstils beschrieben: ein Aufsatzschreibtisch, ein Jugendstilschrank und eine Wohnzimmergarnitur von Joseph Maria Olbrich. Zum Schluss werden Möbel des Deutschen Werkbunds vorgestellt, darunter ein Schrank von Richard Riemerschmid, und eine schlichte Einrichtung für eine bürgerliche Etagenwohnung, die in einem Berliner Möbelhaus ausgestellt war. Der im Jahr 1810 entstandene Kontorschreibschrank aus dem Biedermeier (Abb.  1) ist sehr schlicht gehalten und hebt damit die Maserung des Holzes hervor. In geschlossenem Zustand ist der Schreibschrank in zwei Ebenen aufgeteilt. Der obere Bereich ist quadratisch und mit einem aus Metall beschlagenen Schloss in Rautenform versehen. Dieser Bereich ist nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Dann hält man eine stabile, teilweise mit Leder überzogene Schreib­unterlage in Händen, die man zum Schreiben herunterklappen kann. Sie liegt auf den beiden geöffneten und zur Seite geklappten Türen des unteren Bereichs auf. Auch die beiden Türen sind nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Hinter der aufklappbaren Schrei75 Vgl. ebd. 76 Vgl. Petra Schneider: Truhen, Kisten, Läden – eine kleine Wort- und Möbelkunde, in: Daxelmüller, Christoph: GeWOHNheiten. Vom alltäglichen Umgang mit Möbeln, Bad Windsheim 2005, S. 43–47, hier: S. 43 77 Vgl. Petra Schneider: Von realen, kombinierten, virtuellen und phantasievollen Schränken, in: Daxelmüller, Christoph: GeWOHNheiten. Vom alltäglichen Umgang mit Möbeln, Bad Windsheim 2005, S. 57–64, hier: S. 59–61

5.1  Wohnen als symbolische Welt

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1  Kontorschreibschrank offen, um 1810, in: AK: Bieder­meier. Die Erfindung der Einfachheit, ­Ostfildern 2006, S. 127, Abb. 3.

bunterlage befinden sich im oberen Teil zwei mit einem Schlüssel zu öffnende Türen, darunter links und rechts jeweils zwei gleich große Schubladen, die mit einem Türknopf versehen sind. In der Mitte des oberen Bereichs ist ein offenes Fach. Der untere Bereich des Kontorschreibschrankes besteht aus den beiden Türen, die auch mit zwei aus Metall beschlagenen ­Schlössern in Rautenform versehen sind und die die Schreibunterlage tragen. Nur die rechte Tür lässt sich mit einem Schlüssel öffnen, erst dann kann durch einen nicht sichtbaren Schließmechanismus von innen auch die linke Tür geöffnet werden. Stehen beide Türen offen, sieht man zwei schmale Fächer jeweils mit zwei Türknöpfen rechts und links und darunter ein größeres Fach mit einem Schloss. Schließlich befindet sich darunter ein offenes Fach für den Fußraum. Die aus Kiefern- und Birkenholz gefertigte Kommode (Abb. 2) wurde um 1815/1820 hergestellt und ist ebenfalls sehr schlicht. Sie steht auf breiten Sockelfüßen und hat insgesamt drei Schubladen. Die beiden oberen Schubladen sind gleich groß und haben in der Mitte jeweils ein Schloss. Sie betonen besonders die Maserung des Holzes. Die untere dieser beiden Schubladen weist in der Mitte eine halbrunde Fläche auf, die vom Boden der Schublade bis oberhalb des Schlosses geht und mit einer braunschwarzen Maserung versehen ist. Unterhalb dieser beiden Schubladen befindet sich eine weitere Schublade, die deutlich schmaler ist und in der Mitte auch ein Schloss hat. Sie ist mit einer schmalen schwarzen Umrandung versehen.

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2  Kommode in Kiefernholz, in: Himmelheber, ­Georg: Kunst des Biedermeier 1815–1835, München 1989, S. 132

3  Bücherschrank, in: Haaff, Rainer: Prachtvolle Stilmöbel. Historismus in Deutschland und Mittel­europa, Leopoldshafen 2012, S. 47, Abb. 139

Der um 1825/30 im Rheinland angefertigte Bücherschrank aus dem Biedermeier (Abb. 3) weist bereits neogotische Formen auf. Er besteht aus massivem Kirschholz und steht auf kleinen, schlichten Füßen. Er hat zwei Türen. Die rechte Tür hat ein kleines Schloss. Wenn man sie öffnet, kann man vermutlich durch einen Haken innen auch die linke Tür öffnen. An der Vorderseite hat der Bücherschrank eine aufwendige Türglasversprossung im neogotischen Stil. Die Verglasung schützt die Bücher vor Staub und Schmutz, lässt sie aber sichtbar bleiben. Der Schrank schließt mit einem gereihten Spitzbogenmotiv im Gesims ab. Die Türglasversprossung ist nicht einheitlich, sondern hat drei unterschiedliche Formen: In der oberen Partie ähnelt sie dem Spitzbogen, in der mittleren Partie besteht sie aus einfachen Sprossen und in der unteren Partie schließlich wieder aus einer eher ovalen Versprossung. Im oberen Teil der linken Seite des Schrankes ist eine Maserung erkennbar. Der Künstler Gustav Seeberger hat 1857 das Wohnzimmer des Autors Georg Schwanthaler gemalt. Es ist im Biedermeierstil eingerichtet (Abb. 4). Die Tapete hat einen beigefarbenen Grund mit Ornamenten, die Efeublättern ähneln. Die Decke des Raumes ist weiß, sie hat drei verschiedene Umrandungen und eine Rosette in der Mitte. Der Raum hat zwei weiße Türen, rechts befinden sich zwei große weiße Sprossenfenster mit geöffneten Fensterbeschlägen. Im Bild sitzt der Autor links auf einem gepolsterten Sofa im Biedermeierstil. Es hat nach außen gebogene Armlehnen und einen mit Ornamenten verzierten schwarz-beige gemusterten Stoff.

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4  Gustav Seeberger: Wohnung Schwanthalers (1857), in: AK: Biedermeiers Glück und Ende…die gestörte Idylle 1815–1848, München 1987, S. 465

An der Wand hängen zahlreiche Landschaftsbilder, Porträts und Büsten. Gegenüber dem Sofa steht ein runder brauner Tisch, der mit einer langen grünen Decke mit Fransen geschmückt ist. Auf dem Tisch stehen zwei Topfpflanzen auf Untertellern neben einer weißen Skulptur. Links vom Tisch befindet sich eine braune Kommode mit drei Schubladen. Ihre Ablage ist wahrscheinlich aus schwarzem Marmor. Auf der Kommode stehen zahlreiche Büsten und antike Figuren. Oberhalb der Kommode hängen drei in Gold­rahmen gefasste Bilder, umrahmt von zwei antiken Figuren. Rechts vom runden Tisch in der Mitte befindet sich eine weitere Kommode mit großer Schublade und zwei Türen. Auf ihrer Ablage aus Marmor befindet sich unter einer Glaskugel eine goldene reich verzierte Standuhr mit weißem Zifferblatt. Oberhalb der Uhr hängt ein nach vorne kippender Spiegel mit Goldrahmen. Neben der Kommode befinden sich links und rechts jeweils zwei braune schlichte Stühle mit geflochtenen Sitzen. Eine Tür steht offen und der Betrachter blickt in den nächsten Raum. Auch hier gibt es zahlreiche Bilder und Büsten. In der Mitte steht ein runder Tisch mit Tischdecke und einem Stuhl davor. Der Ohrenbackensessel (Abb. 5) im Louis-XVI.-Stil besteht aus Hartholz und wurde um 1890 in Norddeutschland angefertigt. Das Hartholz wurde klassizistisch fein beschnitzt und anschließend mit einer Ölvergoldung versehen. Die Stuhlbeine sind mit Kanneluren verziert. Oberhalb der Stuhlbeine zeigt sich eine Perlschnur. Der Sessel steht auf kleinen, sehr schmalen

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5  Ohrenbackensessel, in: Haaff, Rainer: Prachtvolle Stilmöbel. Historismus in Deutschland und Mitteleuropa, Leopoldshafen 2012, S. 251, Abb. 1180

6  Damenaufsatzschreibtisch, in: Haaff, Rainer: ­Louis-Philippe-Möbel/furniture. Bürgerliche ­Möbel des Historismus, Stuttgart 2004, S. 83, Abb. 126

original ölvergoldeten Füßen. Sitzfläche, Rückenlehne und Seitenlehne sind gepolstert und jeweils mit einem blassgrünen Stoff mit Blumenmuster bespannt. Der um 1860/70 im Stil des Louis-Philippe hergestellte Damenaufsatzschreibtisch (Abb. 6) ist aus furniertem Mahagoni. Er hat einen Tablettschub und einen sechsschübigen Aufsatz. Oben wird der Aufsatzschreibtisch von Schnitzereien abgeschlossen, die keine filigrane Verzierung zeigen, sondern nur eine relativ grobe Ornamentierung. Der aus sechs Schubladen bestehende Aufsatz hat links und rechts jeweils drei kleine Fächer, die mit einem Schlüssel abgeschlossen werden können. In der Mitte gibt es zwei offene Fächer. Die gebogenen verzierten Schreibtischbeine wirken sehr filigran und leicht. Die Schreibtischfläche an sich ist relativ klein im Gegensatz zu den schweren großen Herrenschreibtischen. Die um 1900 hergestellte Truhenbank (Abb. 7) weist den Stil der Neorenaissance auf. Sie ist aus dunklem massivem Eichenholz und hat reiche Verzierungen an Rücken- und Armlehne. An der Vorderseite sowie an den Füßen sind Früchte-, Blatt- und Volutendekor erkennbar. An der Rückenlehne und an der Truhenvorderseite sind jeweils identische Maskaronen, also Fratzengesichter, die dem menschlichen Gesicht in gewisser Weise ähnlich sind. Eine kleine Maserung zeigt sich auch im Holz der Rückenlehne. Der Deckel der Truhe, der zugleich als Sitzfläche dient, kann mit zwei kleinen Scharnieren geöffnet werden.

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7  Truhenbank, in: Haaff, Rainer: Prachtvolle Stilmöbel. Historismus in Deutschland und Mitteleuropa, Leopoldshafen 2012, S. 162, Abb. 709

8  Aufsatzschreibtisch, in: Haaff, Rainer: Eichenmöbel. Bürgerliche und ländliche Möbel von Barock bis Jugendstil. Bürgerliche und ländliche Möbel, Germersheim 2005, S. 325, Abb. 998

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9  Jugendstilschrank, in: Haaff, Rainer: Eichenmöbel. Bürger­liche und ländliche Möbel von Barock bis Jugendstil. Bürger­liche und ländliche Möbel, Germers­heim 2005, S. 327, Abb. 1001

Der um 1900 im Stil des Jugendstils gefertigte Aufsatzschreibtisch ist aus massiver und furnierter Eiche. Er ist in einen Schreibtisch und einen Aufsatz unterteilt (Abb. 8). Der Schreibtisch hat eine große Arbeitsfläche aus Holz und darunter drei Schubladen mit verzierten Beschlägen als Griffe. Links und rechts darunter befindet sich jeweils ein großes abschließbares Fach. Die Türen dieser abschließbaren Fächer haben Beschläge mit sehr geschwungenen Linien. Die Fächer im oberen Teil sind gerade, im unteren Teil schließen sie mit einer geschwungenen Linie ab, die nicht direkt bis zum Boden reicht. Damit wirkt dieser Schreibtisch nicht so mächtig. Rund zwei Drittel des Aufsatzes dienen als freie Fläche, ein Drittel des rechten Teils wird für das abschließbare Fach genutzt. Dieses leicht erhöhte Fach befindet sich in der Mitte, so dass sich darüber und darunter weitere freie Flächen ergeben. Der um 1900 aus massiver und furnierter Eiche hergestellte Jugendstil-Schrank (Abb. 9) steht auf runden kleinen Füßen und ist sparsam verziert. Er hat zwei abschließbare große Türen und einen in der Mitte gebogenen Aufsatz. Im unteren Bereich des Schrankes gibt es noch zwei gleich große Schubladen, die sich jeweils mit zwei Griffen öffnen lassen. Der Aufsatz des Schrankes ist in der Mitte mit einer Blume verziert. Ranken und Wurzeln dieser Blumen erscheinen wellenförmig. Die Türen des Schrankes sind nur im oberen Teil mit Pflanzen und

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10  Wohnzimmergarnitur 1902/03 von Joseph Maria Olbrich (Ausschnitt), in: Ottomeyer, Hans: AK: Möbelsammlung Münchner Stadtmuseum, Jugendstilmöbel, München 1988, S. 36, Abb. 24

Blumenblüten verziert. Die Maserung kommt gut zum Ausdruck. Umrahmt werden diese Türen jeweils von einer Blume und ihren wellenförmigen Blättern. Die Wohnzimmergarnitur wurde 1902/3 von den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst ausgeführt. Einen Ausschnitt zeigt Abb. 10. Die vollständige Garnitur besteht aus einem großen Magazin- oder Schranksofa, zwei Sesseln mit Brettrücken, einem Stuhl, einem quadratischen Pfeilertisch mit Glasplatte und einer Etagère. Die Möbel sind aus massivem Mahagoni, die Intarsien aus Ahorn und weißem Zelluloid, die Sitzmöbel sind mit rotem Samt bezogen. Die zwei Sessel entwickelte Mackay Hugh Baillie Scott für ein Damenzimmer, alle anderen Möbel entwarf Joseph Maria Olbrich. Auffällig sind vier Eckpfosten an Sofa und Tisch, die in hochrechteckigen Feldern fünf an den Rand gerückte Halbkreise zeigen. Die Lehne des Sofas schließt mit einem Giebelaufsatz. Damit folgt dieses Sofa einem klassizistischen Typ des Magazinsofas. In den Lehnen befinden sich seitliche Türen, hinter denen Gegenstände aufbewahrt werden konnten. Stuhl und Sofa weisen Elemente des Jugendstils auf. An der Möbelgestaltung von Olbrich fällt auf, dass sie nicht homogen ist, sondern ältere Formen mit neuen geometrischen Formen verbindet wie beispielsweise dem Wiener Sezessionsstil, dem österreichischen Ableger des Jugendstils. Auch werden unterschiedliche Farben für das Zimmer verwendet, so dass keine Einheit gegeben ist.

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11  Riemerschmid, Richard: Schrank (Dresdner Hausgerät 1907) (SHStAD, Nr. 3925)

Der von Richard Riemerschmid entworfene Schrank (Abb. 11) steht auf einem Sockel und ist sehr schlicht gehalten. Er ist eine Mischung aus einem Schrank und einem Aufsatzschrank. Der mittlere Teil des Schranks ist erhöht, der linke und der rechte Teil sind gleich hoch. Der linke Teil des Schranks besteht aus einem größeren Fach und den darunter befindlichen drei Schubladen. Der obere Teil des Aufsatzschranks hat ein größeres Fach, das durch zwei aufklappbare Türen abgeschlossen ist. Das Türschloss mit dem Schlüssel befindet sich links in der Mitte. Die rechte obere Tür lässt sich vermutlich durch einen Haken innen hinter der Türfläche mittig öffnen. Die Türen weisen die gleiche Ornamentierung auf, an den Rändern haben sie jeweils zwei bronzene Scharniere. Darunter befindet sich ein offenes Fach, das im oberen Teil ein schmales Brett hat. Der untere Teil des Aufsatzschranks besteht aus einem großen Fach, das durch zwei aufklappbare Türen verschlossen ist. Rechts im Schrank befindet sich ein großes Fach. Seine Tür ist mit drei Scharnieren versehen. Insgesamt weist der Schrank keine Verschnörkelungen auf, nur die scheinbar nach hinten gedrückten Flächen können als Ornamentierung verstanden werden. Das im Fachblatt für Innen-Dekoration abgebildete sehr große Wohnzimmer (Abb. 12) aus der Bayerischen Hofmöbelfabrik J. A. Eyßer in Nürnberg ist im Renaissancestil eingerichtet. Das überladen wirkende Zimmer hat eine reich verzierte Holzdecke und ist in zwei Bereiche unterteilt. Im vorderen Teil sind zwei Sitzgruppen. Die erste Sitzmöglichkeit besteht aus einem

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12  Wohnzimmer im Renaissance-Stil, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 7, S. 56

mit Fransen geschmückten Sessel vor einer Wand und einem runden Tisch, dahinter steht eine sehr verzierte Standuhr. Die zweite Sitzmöglichkeit befindet sich gegenüber. Hier stehen drei gepolsterte und sehr verschnörkelte Stühle an einem mittelgroßen Tisch. Auf dem Tisch befindet sich in der Mitte eine Kanne auf einem Stövchen. Über dem Tisch hängt ein verzierter Leuchter. Neben dieser Sitzgruppe befindet sich ein Buffetschrank mit einem Aufsatz. Der Buffetschrank wirkt durch seine Verschnörkelungen wuchtig, der Aufsatz dagegen wirkt durch seine kleinen Verzierungen sehr viel leichter. Der hintere Teil des Zimmers ist erhöht und über zwei Stufen erreichbar. Hier steht ein kleiner Tisch, der vermutlich auch als Schreibtisch diente. Davor befindet sich ein kleiner runder gepolsterter Hocker. Insgesamt wirkt der eigentlich große Raum durch seine Sitzgruppen und die vielen Tische eher klein. Das in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration abgebildete ‚Gothische Büffet mit Flachschnitzerei‘ des Kasseler Architekten Georg Zimmer (Abb. 13) besteht aus zwei Teilen. Der Schrank unten trägt den Aufsatz und der trägt einen kleineren Schrank auf vier Füßen. Das Büffet ist gotisch sehr verziert, an den Türen gibt es zahlreiche Pflanzenornamente, nur an den Seiten nicht. Bekrönt ist der Aufsatz des Büffets durch eine verzierte Leiste.

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13  Gothisches Büffet mit Flachschnitzerei (Entwurf von Georg Zimmer), in: Schliepmann, Hans: Fortschritte in der Möbelgestaltung, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 9, S. 149–154, hier: S. 152

Seitlich ist dieser Aufsatz mit weiteren Ablageflächen geschmückt. Unterhalb dieses Aufsatzes ist genug Platz, um Teller und Gläser abzustellen. Trotz der starken Verzierung wirkt dieses Büffet nicht so überladen wie viele andere historistische Möbel. In der Zeitschrift Innendekoration  wird eine moderne zeitgemäße Wohnungseinrichtung aus dem Berliner Möbelhaus Herrmann Gerson vorgestellt.78 Gerson folgte immer der ­jeweiligen Mode.79 Während er zur Zeit des Stilpluralismus vor allem historistische Möbel und Einrichtungen verkaufte, präsentierte er den Kunden später moderne schlichte Einzelmöbel, aber auch Zimmereinrichtungen. Die Möbel entwarf Gerson teilweise selbst, Zimmereinrichtungen ließ er von Architekten entwerfen. Das Wohnzimmer etwa entwickelte der Berliner Architekt Albert Gessner (Abb. 14). 78 Breuer, Robert: Moderne Etagen-Wohnungen im Möbelhaus Herrmann Gerson in Berlin, in: Innendekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376 79 Vgl. ebd., S. 359–360

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14  Modernes Wohnzimmer, in: Breuer, Robert: Moderne Etagen-Wohnungen im Möbelhaus Herrmann Gerson in Berlin, in: Innendekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376, hier: S. 364

15  Damensalon, in: Breuer, Robert: Moderne ­Etagen-Wohnungen im Möbel­haus Herrmann ­Gerson in Berlin, in: ­Innendekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376, hier: S. 364

Es wirkt sehr luftig und ist vollkommen schlicht gehalten. Es besteht aus zwei Schränken, einem Sofa, einem runden Tisch und drei Stühlen. Das Sofa mit einer halbrunden Lehne ist aus einem weichen Stoff. Auf ihm liegt rechts ein helles Kissen mit dunkleren Kreisen. Umrahmt ist das Sofa links von einem Holzschrank, der mit Sprossenglas versehen ist, hinter dem sich Porzellan und Vasen befinden. Auf dem Schrank selbst steht eine Figur. Rechts neben dem Sofa ist ein schlichter Schrank in der Form eines Oktogons. Auf ihm steht auch eine Figur. Über dem Sofa hängt ein Blumenbild in einem schlichten Rahmen. Vor dem Sofa steht ein mit einem Tischläufer und einer Vase mit Blumen geschmückter achteckiger Tisch. Um den Tisch befinden sich drei schlichte Stühle, der linke und der rechte Stuhl haben, anders als der Stuhl in der Mitte, keine Armlehne. Auf dem Fußboden liegt ein großer Teppich mit quadratischen

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Formen als Ornament. Er ersetzt den bislang üblichen orientalischen Teppich. Insgesamt wirkt dieser Raum gemütlich und schlicht. Herrmann Gerson hat auch einen Damensalon entworfen (Abb. 15). Neben einer Sitzecke, die im Bild nicht zu sehen ist, steht, direkt am Fenster, in der Zimmerecke schräg der Schreibtisch der Dame. Damit hat sie genügend Licht zum Briefeschreiben. Der Schreibtisch wirkt aufgrund seiner schmalen Tischbeine sehr leicht und ist sehr schlicht gehalten. Es gibt keine Verschnörkelungen, stattdessen eine relativ große Arbeitsfläche. Die Tischplatte steht nach vorne etwas ab, rechts unterhalb des Tisches befindet sich ein kleines Fach, das mit einer Tür verschlossen werden kann. Umrandet ist die Tischplatte von weiteren Fächern und unterschiedlich großen Ablageflächen. Der gepolsterte Schreibtischstuhl mit Armlehne ist sehr schlicht gehalten und hat leichte Stuhlbeine. Die Lehne ist auf der Rückseite mit einer Holzumrandung versehen, die in die hinteren Stuhlbeine übergeht. Insgesamt bietet dieser Damenschreibtisch sehr viel mehr Platz als die Damenschreibtische aus der Zeit des Historismus. Gerson hat auch einen schlichten Büffetschrank für das Speisezimmer entwickelt (Abb. 16). Dieser Büffetschrank bietet viel Stauraum. Unterteilt ist der Schrank in zwei Teile. Während der obere Teil aus zwei eckigen Glasschränken links und rechts besteht, die in drei Fächern jeweils Stauraum für Geschirr bieten, gibt es in der Mitte ein offenes Regal, das in vier gleich hohe Fächer unterteilt ist. Dieser offene Stauraum bietet Platz für Vasen, Schüsseln und Teller, die hochkant präsentiert werden sollen. Der untere Teil des Büffetschranks bietet weiteren Stauraum. Hier gibt es jeweils vier gleich große Schubladen mit jeweils gleich großen Schränken darunter. Die Schranktüren sind mit einem rautenähnlichen Muster versehen. Trotz seiner Größe wirkt dieser Büffetschrank deutlich leichter und zurückgenommener als die historistischen Möbel. Das mit einem Teppich ausgelegte schlichte Speisezimmer (Abb. 17) hat Albert Gessner entworfen. In der Mitte des Raumes steht ein großer runder Tisch mit weißer Tischdecke und vier Stühlen, deren Sitzfläche und Rückenlehne gepolstert sind. Oberhalb des Tisches hängt ein Lampenkranz aus zwölf Einzellampen. Links vom Tisch steht an der Wand ein großer Schrank, der links und rechts in gleichgroßen kleinen Fächern jeweils Platz für Geschirr bietet. In der Mitte des Schrankes gibt es oberhalb zwei kleine Türen, die Stauraum bieten. Darunter befinden sich drei gleich große Schubladen, die mit Knöpfen zu öffnen sind. Unterhalb dieser Schubladen sind zwei Türen, hinter denen sich vermutlich größerer Stauraum befindet. Rechts neben dem Schrank steht direkt am hohen Sprossenfenster in der Ecke ein quadratischer Tisch. Weil vermutlich Platz fehlt, stehen dort keine Stühle, sondern nur eine Sitzbank. Auf dem Tisch befindet sich eine Vase mit Blumen, über der Bank hängt an der Wand ein Bild. Auf der Fensterbank stehen zahlreiche Topfpflanzen und Blumen in Vasen. Insgesamt bietet dieses Speisezimmer viel Platz und wirkt sehr groß. Auch das Kaufhaus Wertheim in Berlin hatte eine große Möbelabteilung. Das dort ausgestellte Schlafzimmer (Abb. 18) hat Anton Bohngen entworfen. Das Doppelbett ist aus gewachstem Rüsternholz mit schwarzen Leisten und besteht aus zwei zusammengeschobenen Betten mit jeweils kleinen schwarzen Füßen. Die Kopfteile der Betten sind deutlich höher und nur mit jeweils zwei umrandeten Flächen verziert, so dass die Maserung durch ihre Großflächigkeit besonders in Erscheinung tritt. Auf dem Bett liegt tagsüber eine Tagesdecke. Links und rechts

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16  Büffetschrank im Speise­zimmer, in: Breuer, Robert: Moderne EtagenWohnungen im Möbelhaus Herrmann Gerson in Berlin, in: Innen­ dekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376, hier: S. 365

17  Speisezimmer, in: Breuer, Robert: Moderne Etagen-Wohnungen im Möbelhaus Herrmann Gerson in Berlin, in: Innendekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376, hier: S. 364

18  Präsentation eines Schlafzimmers im Warenhaus Wertheim, in: Breuer, Robert: Moderne Wohnräume bei A. Wertheim, in: Innendekoration 23 (1912), H. 6, S. 242–245, hier: S. 244

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des Bettes befindet sich jeweils ein schmaler Nachttisch aus Holz mit einer weißen Platte. Auf beiden Nachttischen steht eine Vase mit Blumen. Über dem Bett hängt ein Bild. Links vor dem Bett liegt ein Orientteppich. Rechts neben Bett und Nachttisch steht ein großer Kleiderschrank, der aus drei Schranktüren besteht, die mittlere Tür hat einen Spiegel. An der rechten und linken Tür, die jeweils mit einem Schlüssel zu öffnen ist, tritt die Maserung besonders hervor. Rechts neben dem Schrank steht ein gepolsterter Stuhl, der vermutlich als Ablage für Kleidung genutzt wird. Die Wand schmückt eine mit Blumenmotiven bedruckte Tapete. Vor dem Bett liegt ein weiterer großer Teppich mit einem geometrischen Muster. Insgesamt wirkt auch dieses Zimmer sehr schlicht. An diesen Beschreibungen zeigt sich, welche Möbel und Einrichtungsmerkmale für die Selbstrepräsentation wichtig waren: um die Sitzgruppe mit Sofa und Tisch herum die Bilder und Porträts in Petersburger Hängung, die reich ornamentierte Tapete, Bücherschrank, Truhen und Kommoden. Diese Beschreibungen machen die Raumwirkung deutlich, aber ihre Aussagekraft ist trotzdem begrenzt. Sie sagen nämlich nichts darüber aus, wer sich diese Einrichtung leisten konnte, wie verbreitet diese Möbel waren und in welcher Qualität die Möbel hergestellt wurden. Sie geben auch keine Auskunft darüber, wer durch die unterschiedlichen Einrichtungsstile angesprochen wurde. Im folgenden Kapitel 5.2 möchte ich genauer auf die Wohnungen, ihre Lage, Größe und Ausstattung eingehen. Sie sind, wie Werner Sombart 1902 in Wirthschaft und Mode beschreibt, „[v]on großem Einfluss auf die Art der Bedarfsgestaltung“80 und haben „das moderne Nomadenthum geschaffen und mit ihm die Abnahme der Lust am Dauernden, Festen, Soliden in der Wohnungseinrichtung“.81 Viele bürgerliche Familien dürften das anders gesehen haben. Sie suchten eine Wohnung, die ebenso repräsentativ wie bezahlbar war. Nach einleitenden Bemerkungen über die Stadtentwicklung im Kaiserreich sollen die Wohnverhältnisse des Mittelstandes am Beispiel der Städte Bielefeld und Frankfurt am Main untersucht werden.

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘ Die Städte im Kaiserreich erlebten eine innere Differenzierung nach Stadtvierteln und eine räumliche Ausweitung ihres Stadtgebietes. Hintergrund war ein immenses Städtewachstum. Bis 1871 lebten noch 64 % der Bevölkerung auf dem Land. 1910 dagegen lebten fast zwei Drittel der Bevölkerung in Städten. Die Einwohnerzahl stieg in Deutschland von 14,8 Millionen in 2.338 Städten im Jahr 1871 auf 38,97 Millionen in 3.740 Städten im Jahr 1910.82 80 Sombart, Werner: Wirthschaft und Mode. Ein Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltung (Grenzfrage des Nerven- und Seelenlebens. Einzel-Darstellungen für Gebildete aller Stände, H. 12), Wiesbaden 1902, S. 9 81 Ebd. 82 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 512; Vgl. auch: Thomas Spohn: Verdichtung und Individualisierung. Bauen und Wohnen, in: Ditt, Karl, et al. (Hrsgg.): Westfalen in der Moderne 1815–2015. Geschichte einer Region (LWL-Institut für Westfälische Regionalgeschichte Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster), Münster 2015, S. 601–624

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Die Nachfrage nach erschwinglichen und zugleich schönen Wohnungen wuchs rasant, deshalb stiegen auch die Mieten beträchtlich. Die Wohnungsfrage wurde zu einem politischen Problem, wie J. Lehr in seinem 1890 im Handwörterbuch der Staatswissenschaften veröffentlichten Artikel Wohnungsfrage beschreibt: Mit der Kultur steigen auch die Anforderungen […] an die baulichen und inneren Einrichtungen der Wohnungen […]. Der Mangel an passenden Wohnungen wird dann um so unangenehmer empfunden, je besser und je vollständiger die bemittelten und reichen Klassen der Bevölkerung für sich sorgen können. […] Der Mietpreis ist je nach Lage, Beschaffenheit und Größe der Wohnungen verschieden. Im allgemeinen ist er seit einer längeren Reihe von Jahren gestiegen, teils infolge der stetigen Zunahme der Nachfrage, teils auch infolge von Verbesserungen. […] Die Wohnung […] soll auch ein behagliches Heim trauter Häuslichkeit sein, wo nach der Arbeit, Ruhe, Erholung und Zerstreuung, bei Krankheit gute treue Pflege zu finden ist, wo der Liebe und der Anhänglichkeit, gegenseitiger Fürsorge und allen häuslichen Tugenden eine Stätte echten Gedeihens bereitet ist.83

Eine kommunale Wohnungsbaupolitik gab es noch nicht, sie entwickelte sich erst langsam. Privatunternehmer und Wohnungsgesellschaften waren die Bauherren. Wohnungs- und Bodenpreise steuerten die Entwicklung, neue Wohngebiete wurden erschlossen. In den Vororten entstanden Villenviertel, Einfamilienhaussiedlungen und Viertel mit Mietwohnungen. Es gab jeweils Wohnviertel für Bürgertum und Arbeiterschaft. Die alte soziale Durchmischung innerhalb der Häuser fiel langsam weg. Es gab nicht mehr die Gebäude mit der großen repräsentativen Wohnung im ersten Stock und den kleineren und billigeren Wohnungen in den Stockwerken darüber. Die alten Stadtkerne mit kleinen altmodischen Häusern verfielen.84 So galt zum Beispiel die Altstadt in Frankfurt am Main schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts als städtebauliches Problem: „Die Straßen – oder vielmehr Gassen – waren eng, dunkel und feucht. Es fehlte an den einfachsten sanitären Anlagen, ein Drittel der Kinder litt an Tuberkulose“.85 Hier wohnten nur Geringverdiener, die Eigentümer hatten sich längst andere Wohnviertel gesucht. Bis heute liegen die feineren Wohnviertel wegen der Windverhältnisse immer im Westen, in Frankfurt am Main genauso wie in Bielefeld. Im Osten befinden sich häufig die Fabrikanlagen mit ihrer Belästigung durch Lärm und Geruch86 und in der Nähe auch die Arbeiterwohnungen. Im Folgenden wird anhand von beispielhaften Grundrissen aus Bielefeld und Frankfurt am Main Lage und Größe von Wohnungen näher beschrieben.

83 Lehr, J.: Art. ‚Wohnungsfrage‘, in: Conrad, Johann (Hrsg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, Jena 1890, S. 727–753, hier: S. 727; S. 734; S. 739 84 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2: Machtstaat vor Demokratie, München 2013 [1992], S. 142; Vgl. auch: Karl Scheffler: Kultur und Geschmack des Wohnens, in: Heyck, Eduard: Moderne Kultur. Ein Handbuch der Lebensbildung und des guten Geschmacks, Bd. 1: Grundbegriffe, Die Häuslichkeit, Stuttgart/Leipzig 1907, S. 149–263, hier: S. 186 85 Brockhoff, Evelyn: Von der Steinzeit bis in die Gegenwart. 8.000 Jahre städtebauliche Entwicklung in Frankfurt am Main (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. in Verbindung mit dem Institut für Stadtgeschichte, Bd. 76), Frankfurt/M. 2016, S. 96 86 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2, S. 146

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

5.2.1  Lage und Größe der Wohnungen Bielefeld, die Stadt des Leinengewerbes und Leinenhandels, war mit Spinnereien, Webereien, Wäsche-, Textil- und Metallfabriken erheblich am Industrialisierungsprozess beteiligt. Als mittelgroße Stadt zählte sie im Jahr 1875 knapp 26.400 Einwohner, 1890 schon fast 40.000 Einwohner, kam 1910 auf ungefähr 78.600 Einwohner und erlangte 1913 mit 83.000 Einwohnern den Höchststand im Kaiserreich.87 Es entstand mit komfortablen Etagenwohnungen ein neuer Wohnungstyp für die Bielefelder Mittelschicht, die durch den beruflichen Aufstieg von Facharbeitern zu Angestellten immer weiter zunahm.88 Diese Etagenwohnungen mit Badezimmer und elektrischer Beleuchtung wurden von Kaufleuten und Handwerkern errichtet89 und lagen vor allem im Westen der Stadt, abseits der Industrieanlagen. Sie waren geräumig und repräsentativ im Innern, die Fassade der Häuser hatte zahlreiche Ornamente und Giebel. Ebenso stand die „betonte […] Eckgestaltung mit aufgesetztem Türmchen“90 für Repräsentation. Der Hausbesitzer wohnte zusammen mit zwei bis vier Mietparteien im eigenen Haus, das häufig „in einigem Abstand von der Straße […] unbefangen innerhalb der Grundstücksfläche seinen Platz“91 hatte. Er kam meistens aus der Mittelschicht, war der für Bielefeld typische

87 Vogelsang, Reinhard: Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988, S. 103; Vgl. Johannes Altenberend: Die Wohnsituation der Bielefelder Arbeiter im Kaiserreich, in: 72. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld 1980, S. 113–206, hier: S. 131; Vgl. Karl Ditt: Bielefeld im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Industrialisierung einer Textilstadt im europäischen Vergleich, in: Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (Hrsgg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse (17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e. V.), Bielefeld 2014, S. 247–266, hier: S. 247 88 Zu diesem in der Industrialisierung deutlich zunehmenden Mittelstand in Bielefeld zählt Reinhard Vogelsang nicht nur die Meister in den Fabriken: „Vor allem aber entstand in den Fabriken, Banken, Versicherungen und Verwaltungen das Heer der Angestellten und Beamten – Menschen mit einer von der Arbeiterschaft genauso wie von der Führungsschicht abgehobenen Berufsausbildung, mit eigener Lebensauffassung, eigenen Wohnvierteln am Rande der Innenstadt und einem besonderen politischen Verhalten. […] Die Industrialisierung bot mithin bisher unbekannte Aufstiegsmöglichkeiten. Der für viele Angestellte und Beamte typische Weg führte über den – gelernten – Facharbeiter in der Vatergeneration zum Status des Mittelstandsbürgers“ (Vogelsang, Reinhard: Eine Stadtgesellschaft im Umbruch. Bielefeld im 19. Jahrhundert, in: Beaugrand, Andreas (Hrsg.): Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2014, S. 94–101, hier: S. 99); Vgl. Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2, S. 113; Die Anzahl der Wohnungen nahm in Bielefeld aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums um 125,9 % zu (Vgl. Friedrich W. Bratvogel: Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse in Bielefeld unter dem Einfluß der Industrialisierung im 19. Jahrhundert (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte, Bd. 7), Dortmund 1989, S. 356); Vgl. auch Claudia Quiring: Vom ‚kleinsten Haus‘ bis zur ‚aufgelockerten Stadtlandschaft‘. Wohnen in Bielefeld von der Jahrhundertwende bis in die 1960er Jahre, in: Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (Hrsgg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse (17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e. V.), Bielefeld 2014, S. 443–462, hier: S. 443 89 Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse S. 372; Vgl. Bernd Hey et al. (Hrsgg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 7), Bielefeld 1990, S. 219–220; Vgl. Heidi Wiese: Von der Feldmark zum Wohlfühlviertel, in: Beaugrand, Andreas (Hrsg.): Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2014, S. 440–445, hier: S. 442 90 Hey, et al., Geschichtsabläufe, S. 227; Vgl. Ludwig Klarhorst: Die absolute Baukunst. Die Baugeschichte des Bielefelder Wohnhauses und die Abstraktion seiner Raum- und Körperform, Bielefeld 1919, S. 93 91 Klarhorst, Die absolute Baukunst, S. 93

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Eigentümer92 und blieb es auch in den folgenden Jahrzehnten trotz wachsender Bevölkerung und dichter werdender Bebauung, wie Friedrich W. Bratvogel 1989 in seiner Untersuchung Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse in Bielefeld unter dem Einfluß der Industrialisierung im 19. Jahrhundert feststellt: Ein Kaufmann oder Unternehmer der Mittelschicht legte sein Vermögen gern in einem solchen Mehrfamilienhaus an, in dem er auch selbst wohnen konnte; denn er mußte dazu nun anders als noch in den 1860er Jahren, als allgemein einfachere Häuser gebaut wurden, mehr Geld aufwenden. […] Größere Wohnungen im selbstgenutzten Haus anzubieten, war dagegen nicht nur wegen der sicheren Mieteinnahmen, sondern auch wegen der größeren Nähe zum Eigentümer beliebter als der Bau von Kleinwohnungen.93

Eine Übersicht über den Bielefelder Wohnungsbestand und die Mieten während der Jahre 1904 bis 1913 zeigt, dass es einen Mangel an günstigen Arbeiterwohnungen gab und zum Beispiel Spinnereiarbeiterinnen mit rund 7 Mark pro Quadratmeter für ein Zimmer die höchste Miete zahlen mussten. Im Vergleich dazu mussten Arbeiter für eine 3–4-Zimmer-Wohnung rund 4 Mark pro Quadratmeter und mittlere Beamte für ihre größeren Wohnungen rund 6 Mark pro Quadratmeter zahlen.94 Der Bestand an Wohnungen für bürgerliche Schichten zu Mieten von 480 Mark bis über 1000 Mark blieb relativ konstant und hatte die stabilsten Mieten. Diese Wohnungen machten 1904 15,8 % am Gesamtbestand aus und nahmen bis 1913 auf 19,8 % zu.95 Als Momentaufnahme zeigen die zum 1. Juni 1912 „angestellten Erhebungen über die Wohnverhältnisse im Stadtbezirk Bielefeld“96 folgendes Bild: Es gab 5202 Wohnhäuser, davon 1205 Einfamilienhäuser (23,17 %), 909 Zweifamilienhäuser (17,47 %), 863 Dreifamilienhäuser (16,59 %), 729 Vierfamilienhäuser (14,01 %), 418 Fünffamilienhäuser (8,04 %) und 1078 Häuser mit mehr als fünf Familien (20,72 %). Insgesamt zählte Bielefeld 1912 18.193 Wohnungen, von denen 3703 (20,35 %) vom Hauseigentümer bewohnt wurden. Die restlichen 14.409 Wohnungen (79,65 %) waren Mietwohnungen.97 Gegenüber dem Vorjahr gab es jetzt 619 Wohnungen mehr (1911: 17.574 Wohnungen). Die Wohnungen teilten sich folgendermaßen auf: 32 Wohnungen hatten einen Raum (0,18 %), 718 Wohnungen zwei Räume (3,95 %), 5122 Wohnungen drei Räume (28,15 %), 6823 Wohnungen vier Räume (37,50 %), 2754 Wohnungen fünf Räume (15,14 %) und 2744 Wohnungen mehr als fünf Räume (15,08 %). 105 Wohnungen (0,58 %) standen zu der Zeit leer.98 Die Statistik gibt auch Auskunft über die Höhe der Mieten. So gab es 2335 Wohnungen mit einer Miete bis 150 Mark (12,84 %), 7.206 Wohnungen mit einer Miete zwischen 150 und 240 Mark (39,61 %), 3552 Wohnungen zwischen 240 und 360 Mark (19,52 %), 1762 Wohnungen zwischen 360 und 480 Mark (9,69 %), 1202 Wohnungen zwischen 480 und 600 Mark (6,61 %), 92 93 94 95

Vgl. Friedrich W. Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse, S. 377–378 Ebd., S. 355; Vgl. ebd., S. 207; S. 359 Vgl. Johannes Altenberend, Die Wohnsituation der Bielefelder Arbeiter im Kaiserreich, S. 157 Vgl. Verwaltungsberichte der Stadt Bielefeld 1904–1913, zit. in: Johannes Altenberend, Die Wohnsituation der Bielefelder Arbeiter im Kaiserreich, S. 156; Vgl. auch Claudia Quiring, Vom ‚kleinsten Haus‘ bis zur ‚aufgelockerten Stadtlandschaft‘, S. 443–447 96 o. A.: Wohnungsstatistik vom 1.6.1912, in: Volkswacht. Organ für Sozialdemokratie für das östliche Westfalen und die lippischen Fürstentümer 23 (1912), Nr. 174 (26.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 43) 97 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 43) 98 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 43)

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

934 Wohnungen zwischen 600 und 800 Mark (5,13 %), 400 Wohnungen zwischen 800 und 1000 Mark (2,20 %), 221 Wohnungen zwischen 1000 und 1200 Mark (1,21 %), 164 Wohnungen zwischen 1200 und 1400 Mark (0,90 %) und schließlich 417 Wohnungen mit einer Miete über 1400 Mark (2,29 %).99 Daraus wird deutlich, dass 1912 jede zweite Wohnung vier oder fünf Zimmer hatte, knapp jede dritte Wohnung nur drei Zimmer. Die Verteilung der Mieten zeigt außerdem, dass rund 60 % der Wohnungen zwischen 150 und 360 Mark kosteten. Daraus lässt sich folgern, dass größere Wohnungen im Verhältnis deutlich günstiger waren als kleinere. In Frankfurt am Main ergibt sich ein anderes Bild. Die Stadt gehörte zu den überdurchschnittlich wachsenden Städten mit 100.000 Einwohnern 1875, 180.000 im Jahr 1890, mehr als 400.000 Einwohnern im Jahr 1910 und mit knapp 450.000 Einwohnern 1914, also ein Anstieg von 525 %.100 In keiner Zeit hat sich die Stadt hinsichtlich ihrer Fläche und ihrer Architektur so verändert wie im 19. Jahrhundert.101 Knapp 50 % der neu gebauten Häuser hatten drei Obergeschosse.102 Frankfurt lebte vom Handel und von den Banken. Dort wurde gut verdient. Im Handel hatten 70 % der Haushalte zwischen 1800 und 6000 Mark Jahreseinkommen, im Bankenwesen hatten 40 % der Haushalte mehr als 6000 Mark Jahreseinkommen. Trotzdem verfügte nicht einmal jeder dritte Haushalt Frankfurts über so viel Einkommen, dass er bei der Wahl der Wohnung auf Wohnqualität hätte achten können, die für viele Familien genauso wichtig war wie die Zentrumsnähe, wie Jörg R. Köhler in seiner Untersuchung über Städtebau und Stadtpolitik im Wilhelminischen Frankfurt erläutert.103 Der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes setzte sich in seiner Amtszeit von 1890 bis 1912 für eine offene Bauweise ein, die den Wandel vom dicht bebauten Wohnen zur „suburbanen Wohn- und Lebensweise“104 ermöglichte und damit den gesamten Stadtraum in Blick hatte. Damit führte er die Idee der freien offenen Bauweise weiter, die bereits in den Bauvorschriften der Jahre 1849 und 1851 gefordert wurde.105 Bei der Gestaltung der Straßen wurde auf die Ideen des Pariser Stadtplaners Georges-Eugène Haussmann zurückgegriffen. Diese 99 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 43) 100 Vgl. Jörg R. Köhler: Städtebau und Stadtpolitik im Wilhelminischen Frankfurt (Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. 37), Frankfurt/M. 1995, S. 30–31; Vgl. Dieter Rebentisch: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Eingemeindungen. Das Beispiel Frankfurt am Main 1870–1914, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modernen deutschen Stadtgeschichte, Wuppertal 1980, S. 90–113, hier: S. 95; Vgl. Alexander Askenasy/G. A. Franze (Hrsgg.): Frankfurt am Main 1886–1910. Ein Führer durch seine Bauten. Den Teilnehmern an der Wanderversammlung des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine gewidmet vom Frankfurter Architekten- und Ingenieur-Verein, Frankfurt/M. 1910, S. 33 101 Vgl. Evelyn Brockhoff: Frankfurt am Main ändert sein Gesicht: Vom Klassizismus zum Historismus, in: Dies. (Hrsg.): Von der Steinzeit bis in die Gegenwart. 8000 Jahre städtebauliche Entwicklung in Frankfurt am Main (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. in Verbindung mit dem Institut für Stadtgeschichte), Bd. 76, Frankfurt/M. 2016, S. 80–97, hier: S. 80; Vgl. Martin Wentz: Wohnen in Frankfurt am Main, in: Mohr, Christoph: Wohnen in Frankfurt am Main. Wohnformen, Quartiere und Städtebau im Wandel der Zeit (Die Zukunft des Städtischen, Frankfurter Beiträge Bd. 8), Frankfurt/M. 1995, S. 10–11, hier: S. 10 102 Vgl. Alexander Askenay/G. A. Franze, Frankfurt am Main 1886–1910, S. 34 103 Vgl. Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 46 104 Ebd., S. 313; Vgl. auch ebd. S. 9 105 Vgl. Martin Wentz, Wohnen in Frankfurt am Main, S. 54

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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­ lanungen hatten hohe Kosten, machten Frankfurt aber attraktiv.106 Das Stadtbild wurde in verP schiedene Zonen aufgeteilt, in Luxusquartier, mittelständische Wohnviertel, Geschäftsviertel und separat gelegene Viertel für die Fabriken. Das wohlhabende Wirtschafts- und Großbürgertum wohnte seit den 1870er Jahren im Westen und Nordwesten der Stadt zwischen Mainufer und Eschersheimer Landstraße. In diesen exklusiven Vierteln hatte im Jahr 1890 mehr als jeder zweite Haushalt Dienstpersonal – auf ganz Frankfurt bezogen war es jeder fünfte.107 Im Nordwesten der Stadt, also nordwestlich der Eschersheimer Landstraße, hatte sich das „neue städtische Bürgertum aus Wirtschaft und Bildung, aber ohne Verpflichtungen der Familientradition gegenüber“108 niedergelassen. Man war stolz darauf, hier unter sich zu sein, wie 1892 aus einer Selbstdarstellung des Stadtteils durch den Bezirksverein Nordwest hervorgeht: In der nordwestlichen Außenstadt enthalten die Wohnungen durchschnittlich fünf geräumige Zimmer mit reichlichem Zubehör und angemessener Bequemlichkeit. Die Preise für Wohnungen sind in diesem Stadtteil auffallend hoch, was sich aber leicht durch die hübschere Lage und die bessere Ausstattung erklärt; namentlich sind kleine Wohnungen gegenüber dem Durchschnittspreise in der Stadt, abnorm teuer. Es kostet in der nordwestlichen Außenstadt eine Wohnung von zwei heizbaren Zimmern jährlich 509 Mark Miete, eine solche von drei heizbaren Zimmern 543 Mark und eine solche von vier heizbaren Zimmern 801 Mark im Durchschnitt, während die entsprechenden Durchschnittspreise für die ganze Stadt 364, bzw. 526 und 754 M. sind.109

Dieselben Durchschnittsmieten finden sich bereits zwei Jahre zuvor in einer Untersuchung des Statistischen Amtes der Stadt von 1890. Hier gibt es auch die Miete für eine Fünf-Zimmer-Wohnung. Sie kostet im Jahr 1250 Mark.110 Interessant ist auch der Anstieg der Mieten zwischen 1897 und 1910. Er betrug im Durchschnitt 30 %, so dass häufig mehr als 25 % des Einkommens für die Miete aufgebracht werden mussten.111 Das würde auch den oben genannten Zahlen entsprechen. Das benachbarte Westend war mit seinen freistehenden Villen das Wohngebiet des Großbürgertums. Hier gab es Häuser und Wohnungen mit bis zu zehn Zimmern.112 Diese Wohnund Lebensverhältnisse im Frankfurter Westend zur Jahrhundertwende hat Siegfried Kracauer in seinem 1928 erschienenen Roman Ginster beschrieben. Der junge Architekt Ginster erinnert sich bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges an die Spaziergänge, die er als Kind mit seinem Vater durch das Westend gemacht hat. Der Vater stellt sich vor, dort zu wohnen: ‚Dieses Haus muß mindestens zehn Zimmer haben‘, sagte er, ‚drei nach der Straße, die Küche im Souterrain; dann noch die vielen Nebenräume und der schöne Garten. Es wird kosten, nun, sagen wir, sechstausend Mark Miete überschlägig gerechnet, wahrscheinlich mehr. Seht nur die hohen Spiegelscheiben,

106 Vgl. Wolfgang Bangert: Baupolitik und Stadtgestaltung in Frankfurt am Main, Würzburg 1937, S. 20 107 Vgl. Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 47 108 Ebd., S. 138 109 Mitteilungen des Bezirksvereins Nordwest zu Frankfurt a. M., Nr. 7 (1892), S. 1, zit. nach Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 139 110 Statistisches Amt (Hrsg.): Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt am Main II. (N. F.), im Auftrag des Magistrats, 1. Heft, 1. Teil (1892), S. 35, zit. nach Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 46 111 Vgl. Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 318 112 Vgl. Alexander Askenasy/G. A. Franze, Frankfurt am Main 1886–1910, S. 150; Vgl. Wolfgang Pülm: Als die Festungswälle geschleift wurden: Westend, Nordend, Ostend, Frankfurt/M. 2003, S. 19

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

die Zimmer sind heller als unsre. Nach hinten zu ist sicher eine große Veranda angebaut. Wenn wir die Villa hätten, könnte ich bei warmen Wetter im Lehnstuhl auf der Veranda liegen.113

Kracauer macht auch die soziale Trennung der Wohnviertel deutlich: Sie [=die Familie von Ginster] gingen durch das Westend, wo die Villen und die Herrschaftshäuser sich in ihre Vorgärten zurückziehen, damit der Asphalt sie nicht streift. Hier sind die Straßen am Sonntagnachmittag verlassen, und die Häuser verstecken ihre Türen. Nur Dienstmädchen auf den Trottoirs, frisch gescheuert, mit Burschen, und in Abständen kleine Gruppen, die der Weg aus ihren Stadtteilen nach anderen Gegenden führt. Die Herrschaften sitzen hinter den Vorhängen oder sind auf dem Land.114

Nicht im Westend, sondern in der nördlichen und östlichen Außenstadt Frankfurts wohnte das mittlere Bürgertum mit der wachsenden Gruppe der Kaufleute und Angestellten. Die Wohnungen sollten möglichst Wohn-, Ess- und Arbeitszimmer haben.115 Viele Angestellte zogen auch in den Südwesten der Stadt und in die äußeren Bereiche von Sachsenhausen. Hier ließen Unternehmer für ihre leitenden Angestellten Wohnungen in Firmennähe bauen. Im Folgenden wird an ausgewählten Grundrissen aus Bielefeld und Frankfurt am Main Größe und Ausstattung der Wohnungen näher erläutert. Für Bielefeld wurden die Wohnungen des Maurermeisters August Gravenstein und des Prokuristen Arthur Herholz ausgewählt. Zum Vergleich wird die großbürgerliche Villa des Verlegers Wilhelm Velhagen beschrieben. Für Frankfurt am Main werden im Anschluss die Wohnungen des Maurers Johann Philipp Freyeisen und das Haus des Bankiers Carl Friedrich Jäger vorgestellt. Beide hatten Mieter aus dem Mittelstand, wie aus den Adressbüchern hervorgeht. In Bielefeld ist der Maurermeister August Gravenstein als Bauherr interessant. Er hatte ein Baugeschäft und baute Häuser und Wohnungen für den bürgerlichen Mittelstand, zum Beispiel die Häuser Dorotheenstraße 2 und 4 im Bielefelder Westen. Das Haus Dorotheenstraße 4 und seine Bewohner sollen genauer untersucht werden. Hier lebte August Gravensteins 33-jähriger Sohn Christian, ein Bautechniker, mit seiner Frau Ida, geborene Görtz, und ihrem knapp zweijährigen Sohn Walter.116 Die Töchter Ilse und Margarethe und der Sohn Hans Albrecht wurden 1900, 1902 und 1909 geboren.117 Eigentümer des Hauses war August Gravenstein (Abb. 19). Das Haus bestand aus Keller-, Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Das Grundstück von August Gravenstein118 grenzte an die beiden Grundstücke des Maurermeisters Karmeyer an. Die Wohnfläche des Hauses betrug knapp 240 m², Erdgeschoss und Obergeschoss hatten jeweils 120 m².119 Die Hausvorderseite war mit schweren Säulen und Giebeln verziert, die auch die Fenster einrahmten. Die über mehrere Stufen zu erreichende Haustür befand sich ganz links. Sobald man die ersten Stufen des Hauses betreten hatte, stand man im Erdgeschoss. Erd- und Obergeschoss 113 Witte, Karsten (Hrsg.): Schriften, Bd. 7: Kracauer, Siegfried: Ginster, Frankfurt/M. 1973 [1928], S. 41–42 114 Ebd., S. 41 115 Vgl. Jörg R. Köhler, Städtebau und Stadtpolitik, S. 48 116 Vgl. Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Dorotheenstraße 4 (Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 117 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 118 Vgl. Entwurf zu einem Wohnhaus für Herrn A. Gravenstein, Maurermstr., Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 2101a) 119 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 2101a)

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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19  Entwurf eines Wohnhauses für Herrn A. Gravenstein, Maurermstr. (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5/­ Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 2101a)

hatten die gleiche Raumaufteilung. Hier gab es fünf Zimmer, Küche, Speisekammer und einen ‚Vorplatz‘, die Diele. Leider sagt der Grundriss nichts darüber aus, welches ‚Zimmer‘ wie genutzt wurde. Es kann nur vermutet werden, dass die beiden größten zur Straße gelegenen Zimmer (19,45 m² beziehungsweise 25,74 m²) als Salon und Wohnzimmer genutzt wurden. Sie waren nämlich deutlich größer als die drei Zimmer neben der Küche. Vom ‚Vorplatz‘ wie auch von jedem anderen Zimmer gelangte man ins nächste Zimmer, allerdings erreichte man die Küche nur über den Flur. Neben der Küche befand sich die Speisekammer. Beide Räume lagen nah an der Wohnungstür, so dass die Lebensmittel nach dem Einkauf schnell in der Speisekammer verstaut werden konnten. Der Keller umfasste einen links vom Vorplatz gelegenen Raum für die Waschküche, um den Vorplatz herum lagen die fünf eigentlichen Kellerräume, wobei der ganz rechte Raum nicht vom Vorplatz zu erreichen war, sondern nur über einen anderen Kellerraum. Das Dachgeschoss bestand aus sechs Räumen, dem Vorplatz und weiteren zwei kleinen an der Treppe befindlichen Räumen. Die Funktion dieser beiden Zimmer lässt sich jedoch nicht zurückverfolgen. Interessant ist, dass einer dieser sechs Räume auf dem Plan explizit als ‚Zimmer‘, die anderen fünf als ‚Kammer‘ bezeichnet sind. Wahrscheinlich ­waren in

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

den Kammern Dienstmädchen und Mägde untergebracht. In den Jahren gab es vielfach einen Wechsel der Bediensteten und Bewohner. Zusammen mit der Familie Gravenstein zog am 12.2.1899 für ein halbes Jahr auch der Fabrikant Karl Rudolf Köster mit seiner Frau Luise und den 1880 beziehungsweise 1885 geborenen Töchtern Elisabeth und Emmy in das Haus Dorotheenstraße 4 ein. Außerdem zog am gleichen Tag für zwei Monate das 21-jährige Dienstmädchen Katharina Johanna Luise Lohmeyer ein.120 Es ist unklar, ob die Familie Gravenstein oder die Familie Köster ihr Arbeitgeber war. Ihr folgte am 5.4.1899 das Dienstmädchen Emilia Hüls.121 Im Haus lebten außerdem zwei Mägde im Alter von 20 und 25 Jahren und eine Köchin. In die freigewordene Wohnung von Fabrikant Köster zog am 5.10.1899 der Kaufmann Hermann Fiedler mit seiner Frau und zwei Töchtern ein. Am 13.4.1901 folgte der Einzug des Rentners W. Niemeyer mit seiner Frau Minna. Sie starb 1912, ihr Mann lebte hier noch bis zu seinem Tod 1916. Das Ehepaar Niemeyer hatte immer auch eine Magd, die über kürzere oder längere Zeit auch im Haus wohnte.122 Am 1.5.1905 zog Familie Gravenstein in das Nachbarhaus in der Dorotheenstraße 2. Vielleicht reichte der Platz in der Wohnung Dorotheenstraße 4 für die größer gewordene Familie mit damals drei Kindern nicht mehr aus.123 Außerdem war der Vater August Gravenstein 1905 gestorben, als Eigentümerin des Hauses war jetzt Witwe Gravenstein vermerkt, nach deren Tod das Haus 1907 an „Gravenstein (Erben)“124 ging. Das Baugeschäft wurde von Sohn Christian weitergeführt. Zwar fehlen die Adressbücher von 1916 bis 1918, aber 1919 wurde er als Eigentümer des Baugeschäftes August Gravenstein aufgeführt.125 Die frei gewordene Wohnung wurde an den Fabrikdirektor Wilhelm Hoppe und seine Frau Anna, geborene Huck, vermietet. Sie wohnten dort zusammen mit dem Pflegesohn Alfred Huck. Die Familie hatte eine Magd. Sie blieben bis zum 1.10.1910126 und zogen dann in das Haus Herforder Straße 52. Ihr Nachmieter war der Kaufmann Hugo Römer mit seiner Frau Elly und zunächst einem, später zwei Kindern. Ab 1.9.1915 lebte in der Wohnung der Kaufmann August Consemüller mit seiner Frau Sophie. Zum Haushalt gehörte immer eine Magd, Haushälterin oder Stütze. Sie wohnten hier bis 1922. Es waren vor allem Kaufleute, aber auch ein leitender Angestellter wie der Fabrikdirektor Hoppe und ein Unternehmer wie der Fabrikant Köster, die in diesem bürgerlichen Haus zusammen mit den Hausangestellten wohnten. Es fällt auf, dass man gewissermaßen im Haus unter sich blieb und der Kreis der Mieter sehr homogen war. 120 Vgl. Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Dorotheenstraße 4 (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 121 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 122 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 123 Vgl. Entwurf zu einem Wohnhaus für Herrn A. Gravenstein, Maurermstr., Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 2101a) 124 Adressbuch der Stadt Bielefeld 1907, S. 31 (Stadtarchiv Bielefeld: X Bi Z 10) 125 Vgl. Adressbuch der Stadt Bielefeld 1919, S. 92 (Stadtarchiv Bielefeld: X Bi Z 10) 126 Vgl. Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Dorotheenstraße 2 (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21)

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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20  Zeichnung zum Neubau des Wohnhauses für den Kaufmann Herrn Arthur Herholz zu Bielefeld (Stadt­ archiv Bielefeld: 108,5 Nr. 1930)

Mehr Vielfalt unter den Mietern zeigt sich im Haus Bismarckstraße 14, einer Parallelstraße der Dorotheenstraße. Es ist auch von den Raumgrößen interessant. Außerdem wird hier auch sozialer Aufstieg deutlich, beispielsweise beim Hauseigentümer Arthur Herholz. Er war Buchhalter und lebte mitten in der Stadt im Haus Obernthorwall 11, wo auch eine Näherin, eine Witwe, ein Buchhalter und ein Kaufmann wohnten. Herholz stieg 1894 zum Prokuristen auf. Dieser Karrieresprung muss absehbar gewesen sein, denn bereits im Frühjahr 1892 beauftragte er den Maurermeister H. Wöhrmann mit dem Bau des Hauses.127 Offenbar gab es Verzögerungen beim Bau, denn Herholz verließ 1893 das Haus Obernthorwall 11, zog für ein Jahr in die Bergstraße 19 nach Hoberge weit außerhalb der Stadtmitte, bevor er dann, wie aus dem Adressbuch 1894/95 hervorgeht, wieder in die Stadt zurückkehrte und in das Haus Bismarckstraße 14 einzog (Abb. 20).128 1896 wurde Landgerichtsrat Teipel Mieter. Mehr geht aus den Adressbüchern aber nicht hervor. Die Hausakten bis 1898 sind verschollen. In der Hausakte 1899 wird Teipel nicht mehr aufgeführt. 127 Vgl. Entwurf zu einem Wohnhaus für Herrn Herholz (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5/Bauordnungsamt Hausakten Nr. 1930) 128 Vgl. Adressbuch der Stadt Bielefeld 1884, S. 81 (Stadtarchiv Bielefeld: X Bi Z 10)

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Schon 1897, also zwei beziehungsweise drei Jahre nach dem Einzug von Herholz, gab es einen Eigentümerwechsel. Das Haus ging an den Amtsrichter R. Schulze aus Minden. Er zog am 12.2.1899 mit seiner Frau Liese und Tochter Edith ein. Auch als er 1902 Amtsgerichtsrat wurde, blieb er hier wohnen.129 Er lebte bis zu seinem Tod 1922 in dem Haus, seine Frau bis zu ihrem Tod 1945. Ebenfalls am 12.2.1899 zog der Kaufmann Albert Hallier mit seiner Frau Helena und den Kindern Elsbeth und Kurt ein. Sie blieben bis zum 2.4.1900. Ihr Nachmieter war der Kaufmann Wilhelm Börkmann mit seiner Frau Emma, die aber nur ein Vierteljahr dort wohnten. Weitere Mieter sind in den Hausakten nicht mehr verzeichnet. Es sind aber viele Dienstmädchen, Mädge, Köchinnen, Hausmädchen, Stützen und Ammen vermerkt, die jeweils nur für drei oder sechs Monate hier gemeldet waren. Von außen wirkt das Haus durch die bossierten Steine. Der Hauseingang war ein kleiner nach hinten gerückter Anbau, der mit Säulen und einem Giebeldach verziert war. Das Haus bestand aus Keller, erstem und zweitem Stock sowie Dachgeschoss. Mit Betreten der Haustür ging man rechts in die Wohnung im ersten Stock und über eine Treppe in die Wohnung im zweiten Stock. Erster und zweiter Stock hatten die gleiche Aufteilung. Die Wohnfläche betrug jeweils knapp 120 m². Jede Wohnung bestand aus Küche und fünf Zimmern, die im Eingangsbereich kleiner und am Ende des Flures größer waren: jeweils 14 m² am Wohnungseingang, jeweils etwa 18 m² in der Mitte und am Ende des Flures jeweils knapp 26 m². An dieser Aufteilung und der zunehmenden Raumgröße zur Straße hin erkennt man auch die wachsende repräsentative Bedeutung der Räume. Vermutlich befand sich die Speisekammer in einem etwa 5 m² großen Raum mit direktem Zugang zu einem als Küche genutzten Zimmer. An den beiden vorgestellten Bielefelder Häusern zeigt sich, dass in jedem Haus etwa zwölf Personen wohnten. Damit hatte Bielefeld die geringste Zahl an Hausbewohnern aller industriegeprägten Städte in Westfalen mit mehr als 50.000 Einwohnern. So wohnten in vielen Städten im Ruhrgebiet in einem Haus durchschnittlich weit über 20 Personen.130 Das Haus Bismarck­ straße 14 unterschied sich vom Haus Dorotheenstraße 4 aber dadurch, dass es nicht nur von Kaufleuten, sondern auch von Richtern bewohnt wurde, deren berufliche Stellung mit repräsentativen Pflichten verbunden war. Dafür war die Bismarckstraße 14 mit größeren Räumen zur Straße hin sicher besser geeignet als die Dorotheenstraße 4. Welche Möglichkeiten der Selbstrepräsentation dagegen das Großbürgertum hatte, lässt sich an der Villa des Bielefelder Verlegers und Buchhändlers Wilhelm Velhagen in der Wertherstraße 3 etwas außerhalb des Stadtkerns zeigen. Ihre Bewohner wohnten vorher in der Obernstraße 23 mitten in der Stadt und wollten jetzt der engen Bebauung in der Stadt entfliehen.131

129 Vgl. Adressbuch der Stadt Bielefeld 1896, S. 9 (Stadtarchiv Bielefeld: X Bi Z 10) 130 Vgl. Johannes Altenberend, Wohnsituation Bielefelder Arbeiter im Kaiserreich, S. 120 131 Vgl. Adressbuch der Stadt Bielefeld 1873, S. 119 (Stadtarchiv Bielefeld: X Bi Z 10); Vgl. Bernd Hey et al., Geschichtsabläufe, S. 219; Weitere Beispiele für Villen und großbürgerliches Wohnen bis in die 1860er Jahre in Bielefeld vgl. Lutz Volmer: Bürgerliche Baukultur im 18. und 19. Jahrhundert. Lokale Prägungen und überregionale Einflüsse, in: Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (Hrsgg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse (17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e. V.), Bielefeld 2014, S. 399–413

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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21  Ansicht der Villa Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5 Nr. 1060)

Die Villa (Abb. 21) wirkte eher wie ein Schloss und war ein „Beispiel für den Villenbau der späten Gründerjahre“.132 1896 beauftragte Wilhelm Velhagen den Baumeister Alex Trappen mit dem Bau der Villa. Drei Jahre später, am 12.2.1899, zog Wilhelm Velhagen mit seiner Frau Theresa und den Kindern Gerda, August, Wilhelm und Kurt133 in die Wertherstraße 3 ein. Sie war eine der teuersten Adressen der Stadt.134 132 Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2, S. 83 133 1902 wurde noch der Sohn Rudolf geboren (Vgl. Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Wertherstraße 3 (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/Einwohnermeldeamt Nr. 21) 134 Die Häuser in der Wertherstraße 1–18a gehörten mit Angerstraße, Bergstraße, Kleine Bergstraße, Brüderstraße, Bürgerweg, Goldbach, Grünstraße, Hammerschmidstraße, Hochstraße, Am Zwinger, Reichsbankstraße, Am Bahnhof, Altstädter Kirchplatz, Niederwall ab Nr. 14a, Coblenzer Straße, Fußbach zu den teuersten Straßen der Stadt (Vgl. Friedrich W. Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse, S. 381, Fußnote 438)

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

22  Grundriss des Erdgeschosses in der Villa ­Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5 Nr. 1060)

Die Villa hatte zwei Etagen sowie Keller- und Dachgeschoss. Im Erdgeschoss (Abb. 22) gab es einen großen Saal (75 m²), einen kleinen Salon (49 m²), einen großen Salon (145 m²), ein Esszimmer (24 m²) mit angrenzender Terrasse, einen Korridor (19 m²), ein Herrenzimmer (39 m²) und ein Damenzimmer (17 m²). Damit hatte das Erdgeschoss insgesamt eine Größe von 368 m². Allein der große Salon war 25 m² größer als die 120 m² große Wohnung des Bielefelder Kaufmanns Arthur Herholz. Das Obergeschoss hatte zwölf Räume: ein Arbeitszimmer (25  m²), ein Schlafzimmer (35 m²), vier weitere Schlafzimmer (ohne Angabe der Raumgröße), ein Wohnzimmer (30 m²), Bad und Toilette (20 m²), ein Spielzimmer (25 m²), ein weiteres Wohnzimmer (ohne Angabe der Raumgröße) sowie ein Schrankzimmer. Im Dachgeschoss waren eine Küche, zwei Personalzimmer, zwei Fremdenzimmer, eine Garderobe und ein Bodenraum.135 Im Kellergeschoss waren Hauptküche und Vorratsräume, Weinkeller und zwei Räume für Koks und Kohle (12 m² beziehungsweise 11 m²). Außerdem hatte das Haus noch zahlreiche Balkone, einen Wintergarten und einen Eckturm. Viele Gitter aus Schmiedeeisen grenzten das Grundstück von der 135 Vgl. Grundriss der Villa des Verlegers Wilhelm Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld: 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 1060)

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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23  Grundriss der Wohnungen im Erdgeschoss und 1. Stock in der Fichardstraße 34, Frankfurt (ISG, S8-1/4747b)

Straße ab. Zum Dienstpersonal gehörten ein Kutscher, der mit seiner Frau in der Villa wohnte, eine Wärterin, eine Köchin, ein Küchenfräulein, ein Hausmädchen, eine Wirtschafterin, eine Magd, ein Kindermädchen, ein Dienstmädchen, eine Erzieherin sowie eine Stütze.136 Die großbürgerliche Villa sprengte also mit Raumkonzept und Dienstpersonal jeden Rahmen, der für den bürgerlichen Mittelstand erreichbar war. Im Folgenden werden Wohnungen des bürgerlichen Mittelstands im Frankfurter Nordend vorgestellt. Sie lagen in Fichardstraße und Finkenhofstraße, zwei Parallelstraßen. Mietshäuser wie diese hatten in der Regel drei bis vier Stockwerke und ebenso viele Fensterachsen. Das Haus Fichardstraße 34/Ecke Bornwiesenweg (Abb. 23) wurde 1875 von Johann Philipp Freyeisen erbaut, der im Adressbuch 1875 als Maurer aufgeführt ist und der ein Haus weiter in einer größeren Wohnung in der Fichardstraße 36 wohnte.137 Das Haus hatte drei Wohnungen. Nachdem man mehrere Stufen zum Haus genommen hatte, stand man im Erdgeschoss. Die

136 Vgl. Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Wertherstraße 3 (Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) 137 Vgl. Grundriss der Wohnung Fichardstraße 34, Frankfurt (ISG: S8–1/4747b); Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1875, S. 483

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Wohnung hatte fünf unterschiedlich große Zimmer, eine Küche mit angrenzender Speisekammer, Bad mit eigener Toilette sowie den Vorplatz, von dem die fünf Zimmer und ein kleiner Flur zur Küche abgingen. Das rechts neben der Wohnungstür gelegene Zimmer war relativ groß, die beiden in der Mitte gelegenen Zimmer waren deutlich kleiner. Die beiden dann folgenden Zimmer nach vorn zur Straße beziehungsweise nach hinten zur Veranda waren die größten der Wohnung und repräsentativ. Vermutlich wurden sie für die häusliche Geselligkeit genutzt. Ungewöhnlich ist, dass nicht beide Räume zur Straße lagen, sondern einer von ihnen zur Veranda ging. Leider nennt auch dieser Grundriss nicht die Funktion der Räume, alle sind nur als ‚Zimmer‘ gekennzeichnet. Auch gibt der Grundriss keinen Hinweis auf die eigentliche Zimmergröße. Hinweise auf die Bewohner liefern nur noch die Adressbücher, die aber in ihren Angaben nicht ganz genau sind. Sämtliche Hausakten sind vernichtet.138 Nach Fertigstellung des Hauses 1875 zog 1876 der Jurist und Hypothekenbuchführer a. D. Dr. Georg Philipp Gottfried Fresenius junior ein.139 1877 werden alle Mieter der drei Wohnungen genannt: der Agent August Göbel, der Gewürzkaufmann Valentin Hildenbeutel (Mieter bis 1882) und der Kaufmann Gustav Seckel. Ein Jahr später, 1878, zog die Kaufmannsfamilie Moritz Trier ein (Mieter bis 1885). Nachmieter von Gewürzkaufmann Hildenbeutel wurde der Specereihändler (Gewürzkaufmann) Valentin Hildmann.140 Von 1884 bis 1885 lebte hier sogar der Lohndiener Römer. 1889 wurde der Milch- und Colonialwarenhändler Johannes Kleinböhl neuer Mieter.141 Von diesem Zeitpunkt an gab es einen häufigen Mieterwechsel. Es überwiegen Kaufleute und Händler, aber auch Hausverwalter, Schuhmacher und Privatiers leben hier. Man kann vermuten, dass Bewohner ihre Kollegen auf das Haus aufmerksam machten: So zog ein Gewürzkaufmann einen anderen Gewürzkaufmann nach oder ein Schuhmacher einen zweiten. Von dem Jahr 1905 an bis etwa 1918 veränderte sich die Zusammensetzung der Bewohner weiter. Jetzt wohnten hier beispielsweise auch die Damenschneiderin R. Schelhaas, der Oberlehrer Dr. B. Wohlfeihl142, die Witwe W. Mayer143, der Bankvorsteher K. Pape oder der Packer W. Heuser, der zum Telefonisten aufstieg, aber hier wohnen blieb. So war dieses bürgerliche Frankfurter Mietshaus im Vergleich zu den Bielefelder Beispielen in der Zusammensetzung der Mieter nicht so homogen. Außerdem fällt auf, dass die Hauseigentümer oder deren Angehörige, anders als in Bielefeld üblich, häufig nicht mit im Haus wohnten.

138 Die Bauakten der Stadt Frankfurt wurden im Zweiten Weltkrieg fast komplett vernichtet. Das betrifft leider auch die hier ausgewählten Frankfurter Häuser, wie Annette Handrich vom Institut für Stadtgeschichte Frankfurt bestätigte. Daneben wurden auch die Frankfurter Adressbücher der Jahre 1894 bis einschließlich 1897 zerstört. „Da die Frankfurter Bauakten im Zweiten Weltkrieg fast komplett vernichtet wurden, gibt es nur eine rudimentäre Überlieferung zu Privatbauten der Vorkriegszeit. […] Zu den von Ihnen gesuchten Gebäuden liegen uns damit keine Bauakten vor“ (Mail von Annette Handrich vom 23.11.2017 an die Autorin) 139 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1876, S. 513; S. 112 140 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1882, S. 628 141 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1889, S. 720 142 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1908, S. 49 143 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1907, S. 48; Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1908, S. 49

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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24  Grundriss 1. Obergeschoss ­Finkenhof­straße 32 (ISG, S8-1/7364)

Das zeigt auch das vor 1870 erbaute Haus in der Finkenhofstraße 32, das anfangs dem Bankier Carl Friedrich Jäger gehörte. Er wohnte in der Großen Eschersheimerstraße 35.144 Schon 1872 verkaufte er das Haus an den Rentner Binding, der bis 1888 Eigentümer blieb und im Haus selbst wohnte. Im gleichen Jahr ging das Haus an das Ev.-Luth.-Predigerministerium145, einen Verein zur Pflege der Frankfurter Kirchengeschichte, bevor es vermutlich vor 1905146 der Bauunternehmer G. Schmidt kaufte und nach 1912 umbaute. Das Haus bestand aus Erdgeschoss, zwei Obergeschossen und dem Dachgeschoss.147 Erhalten sind der Plan der Hausfassade, der Grundriss des Obergeschosses und der Grundriss vom Neubau im Obergeschoss (Abb. 24).

144 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1870, S. 28 145 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1888, S. 688 146 Die Adressbücher der Stadt Frankfurt von 1898 bis 1904 sind nicht erhalten. 147 Vgl. Fassade Finkenhofstraße 32 auf einem Foto von 1982 (ISG: S7C-1998/25547)

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Die Wohnung im 1. Obergeschoss hatte sechs Zimmer. Hinzu kamen Küche, Bad mit Toi­ lette und eine separate Gäste-Toilette.148 Von einem knapp 4m² großen Vorplatz gelangte man fast in alle Zimmer. Die repräsentativen großen Zimmer lagen im vorderen Teil der Wohnung zur Straße hin, die kleineren privaten Räume im hinteren Teil. Der repräsentative Bereich bestand aus vier unterschiedlich großen Zimmern, eines davon hatte einen Erker. Neben der Wohnungstür lag ein kleines, knapp 14 m² großes Zimmer. Daran schloss sich das mit einem runden Erker versehene 29 m² große Zimmer an. Von hier aus gelangte man in den nächsten 24,5 m² großen Raum, von dem es wiederum in das nächste knapp 24 m² große Zimmer ging. Diese drei relativ gleich großen Zimmer wurden wahrscheinlich als Wohnzimmer, Salon, Esszimmer beziehungsweise Herren-/Damenzimmer genutzt. Ganz genau lässt sich dies aufgrund der fehlenden Zimmerbezeichnung nicht feststellen. Zu vermuten ist jedoch auch, dass das Zimmer mit der Größe von 24 m² als Schlafzimmer genutzt wurde, weil sich direkt daneben das 7,27 m² große Badezimmer mit Toilette, Waschtisch und Badewanne befand. Für die damalige Zeit war das großer Luxus. Das Bad hatte zwei Türen, von denen man einerseits in den Flur, andererseits in ein Zimmer gehen konnte. Interessant ist dabei die zweite separate Toilette mit kleinem Waschbecken in einem 1,85 m² großen Raum. Die beiden hinteren Zimmer neben dem Bad hatten eine Größe von knapp 14,68 m² beziehungsweise 21,3 m². Von beiden Zimmern gelangte man auf den gemeinsamen knapp 4,5 m² großen Balkon. Neben dem größeren hinteren Zimmer lag die 17,75 m² große Küche mit integrierter kleiner Speisekammer. Die Sechs-Zimmer-Wohnung hatte eine Größe von etwa 163 m² und ist auch für heutige Maßstäbe sehr geräumig. Zu den Bewohnern des Hauses gehörten der Rentner Bittel, der kaufmännische Angestellte (Expedient) Danneil und die Witwe Sparwasser.149 1871 wohnte in der Wohnung des Rentners Bittel, der entweder ausgezogen oder verstorben war, der Privatier Stallon de Bierre.150 Dieser lebte hier nur höchstens ein Jahr, genauso wie sein Nachmieter, der Kaufmann Danneil. Von 1873 an nennen die Adressbücher nur noch den Eigentümer Rentner Binding als Bewohner. Nach 1880 kamen bis 1887 neue Bewohner hinzu: die Witwe Rosenlecher und der Privatier Vogt.151 Mit der Übernahme 1888 durch das Ev.-Luth. Predigerministerium wurde das Haus als evangelische Diakonenhaus genutzt.152 1890 zog für zwei Jahre noch der Privatier Schnatter ein.153 1905 übernahm das Haus G. Schmidt aus der Eschersheimer Landstraße 47. Einzige Mieterin war nach den Adressbüchern von 1905 bis 1907 die Pensionärin Ella Rechberg.154 Von 1908 bis 1909 lebte hier außerdem die Pensionärin Berta Frank.155 Ab 1910 wohnten hier die Witwe Juliette Stocker-Haiß, der Kaufmann Adolf Buchdahl, der Jurist Dr. Friedrich Freiherr 148 Vgl. Grundriss des Neubaus Finkenhofstraße 32 (ISG: S8–1/7364) 149 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1870, S. 28 150 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1871, S. 414 151 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1880, S. 591 152 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1888, S. 688 153 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1890, S. 787 154 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1905, S. 958 155 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1908, S. 49

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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von Dungern und die Witwe E. Heiß. Zu weiteren Mietern gehörten in den Folgejahren der Redakteur Artur Lauinger, der promovierte Jurist D. von Levezow oder der Schauspieler Alfred Auerbach. 1911 gab es einen weiteren Eigentümerwechsel. Jetzt gehörte das Haus dem Privatier G. ­Bickel.156 Er verkaufte es 1912 wieder an den Bauunternehmer G. Schmidt, der das Haus bis 1914 umbaute. Der neue Grundriss ist aber nicht mehr erhalten. Das Haus Finkenhofstraße 32 ist bemerkenswert, weil es von allen vorgestellten Häusern aus Bielefeld und Frankfurt die größte Wohnfläche und die repräsentativste Ausstattung hatte und zugleich die meisten Eigentümerwechsel erlebte. Unter den Mietern fällt die hohe Zahl der Privatiers und Pensionäre auf, weil diese sich solche geräumigen Wohnungen leisten konnten. Aus der Tatsache, dass das Predigerseminar das Haus wieder verkaufte und ein Bauunternehmer das Haus erneut umbaute, lässt sich möglicherweise schließen, dass die Wohnungen zu teuer waren und nicht mehr gut zu vermieten waren. Im folgenden Kapitel soll es um die Einrichtung bürgerlicher Wohnungen gehen. Sie wird erläutert anhand von Einrichtungsratgebern, beispielhaft auch am Angebot eines Frankfurter Kaufhauses und den Ausgaben des oben schon vorgestellten Berliner Richterhaushaltes.

5.2.2  Ausstattung und Ausgaben für Wohnungen Ab den 1860er Jahren erschienen erste Einrichtungsratgeber von Kunsttheoretikern. Besonders einflussreich wurden die Schriften von Jakob Falke (1825–1897), einem Altphilologen, der nach Tätigkeiten am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg 1864 das Österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien mitbegründete und dort als Kustos arbeitete. 1873 wurde er in den Adelsstand erhoben und übernahm 1885 die Leitung des Museums.157 In seinen eher theoretisch angelegten Büchern äußert sich Falke unter anderem zu einem harmonischen Einrichtungsstil, dem richtigen Mobiliar, zu Tapeten und Dekor, zu Wandmalereien, Teppichen und Füßen an Schränken, Stühlen und Tischen. Sein 1871 erschienenes Buch Die Kunst im Hause, eine Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen, war der „erste Einrichtungsratgeber überhaupt“158 und ein damaliger Bestseller, der auch ins Amerikanische, Schwedische und Ungarische übersetzt wurde.159 Falke wollte, so formulierte er es 1897 in seinen Lebenserinnerungen, „aufklären und zum weiteren Nachdenken anregen, auch Lust an der Sache erwecken“.160 Die Bücher und Aufsätze von Falke stehen für eine ganze Richtung der Einrichtungsliteratur. Es lohnt sich, seine kunsttheoretischen Schriften mit zeitgenössischen Ratgebern aus England und Amerika zu vergleichen, die ihren Lesern vor allem praktische Tipps geben, wie schon 156 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1911, S. 56 157 Vgl. Eva B. Ottillinger: Jakob von Falke (1825–1897) und die Theorie des Kunstgewerbes, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 42 (1989), H. 1, S. 205–223, hier: S. 205 158 Ebd., S. 219 159 Vgl. Jakob Falke: Die Kunst im Hause. Geschichtliche und kritisch-ästhetische Studien über Decoration und Ausstattung der Wohnung, Wien 1873; Vgl. Jakob von Falke: Lebenserinnerungen, Leipzig 1897, S. 222; Vgl. Stefan Muthesius: The Poetic Home. Designing the 19th-century domestic interior, London 2009, S. 45 160 Falke, Lebenserinnerungen, S. 222

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die Titel deutlich machen: Suggestions for House Decoration in Painting, Woodwork and Furniture von Rhoda und Agnes Garrett (1877), The House Beautiful. Essays on Bed and Tables, Stools and Candlesticks von Clarence Cook (1878) oder Decoration and Furniture of Town Houses. A furniture of cantor lectures delivered before the society of arts, 1880, amplified and enlarged von Robert William Edis (1880).161 Garrett, Cook und Edis hatten für den Mittelstand in England und Amerika nicht nur in etwa die gleiche Bedeutung wie Jakob Falke für den Mittelstand in Deutschland. Ihre Empfehlungen und Ratschläge zur geschmackvollen Einrichtung sind auch überraschend ähnlich. Der große Unterschied besteht allerdings darin, dass der Tonfall bei Garrett, Cook und Edis sehr viel leichter und bei weitem nicht so erzieherisch wirkt wie bei Falke und den anderen deutschen Autoren dieser Zeit. Die beiden englischen Inneneinrichterinnen Rhoda und Agnes Garrett162 machten schon in der Kapiteleinteilung deutlich, dass bei ihnen der praktische Nutzen im Vordergrund steht. Sie beschäftigen sich zunächst mit den ‚Häusern wie sie sind‘, dann mit ‚Häusern wie sie sein sollen‘, anschließend mit Stoff und Vorhängen und schließlich mit der Frage, ‚was das alles kosten wird‘. Im ersten Hauptkapitel beschreiben sie auch die einzelnen Räume der Wohnung und ihre jeweilige Funktion, allerdings ausführlicher als Falke und genauer, wenn sie zum Beispiel weitere Details zur Hausfassade erwähnen. Mit ihrer Verzierung sollten die Hausfassaden auch in England den finanziellen und beruflichen Status der Bewohner nach außen sichtbar machen. Außerdem sollte die Haustür braun, das Geländer an der Haustür grün oder braun und der Türklopfer nicht aus Gusseisen, sondern aus Messing oder Schmiedeeisen sein. Das Oberlicht über dem Türeingang, charakteristisches Merkmal eines Hauseingangs, sollte aus mattem Glas bestehen.163 Der britische Architekt Robert William Edis kritisierte in seinem Werk Decoration and Furniture of Town House eine Entwicklung, die auch Jakob Falke und andere deutsche Autoren wie Ferdinand Avenarius in den Mittelpunkt ihrer Kritik stellten. Edis erwähnt die Neigung der Mittelschicht, für die Einrichtung vor allem billige und schlechte Imitationen zu kaufen: If we examine any of the best work of pages ages, either in textile fabrics, furniture, or decoration, we shall see the truth and fitness in design and construction, and harmony in colour and arrangement, are carefully carried out; that there is no sham or imitation, but, so far as practicable, the work is essentially real and true. To carry into our houses the shadow of unreality, by graining or marbling in imitation of the real materials, by giving to cast iron the semblance of wrought, by putting of papers painted to represent various woods, tiles, or marble, is simply teaching a lie, and asserting in the worst possible taste the semblance of a truth which does not exist.164

161 Vgl. Rhoda Garrett/Agnes Garrett: Suggestions for House Decoration in Painting, Woodwork and Furniture, London 1877; Vgl. Clarence Cook: The House Beautiful. Essays on Beds and Tables, Stools and Candlesticks, New York 1878; Vgl. Robert William Edis: Decoration and Furniture of Town Houses. A furniture of cantor lectures delivered before the society of arts, 1880, amplified and enlarged, London 1881; Vgl. hierzu auch: Frank Trentmann, Herrschaft der Dinge, S. 300; Vgl. Karl Scheffler, Kultur und Geschmack des Wohnens, S. 152: „Der Engländer ist stark durch einen unbeirrbaren Sachsinn, durch eine Vernunft, die allen Anforderungen des praktischen Lebens überlegen, gewachsen ist“. 162 Rhoda und Agnes Garrett sind Cousinen und haben 1875 das erste von Frauen geführte Inneneinrichtungsgeschäft in England gegründet. 163 Garrett/Garrett, Suggestions for House Decoration, S. 35–36 164 Edis, Decoration and furniture, S. 21–22

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Solche Imitationen waren weit verbreitet, denn ohne größeren Aufwand ließ sich der Schein teurer Materialien hervorrufen. Deshalb gehörten auch solche Imitationen zu den gern genutzten Möglichkeiten bürgerlicher Selbstrepräsentation. In Kapitel 6 wird noch ausführlich beschrieben, mit welchen Hilfsmitteln und Techniken Tischler den Schein teurer Möbel erzeugen konnten. Die Imitationen waren bei Verbrauchern so beliebt, dass Fachleute mit ihrer Kritik an diesen Fälschungen kaum durchdrangen. Robert William Edis aber appelliert wie auch die deutschen Autoren an die Leser, sich vor allem gute, qualitätvolle und schlichte Möbel anzuschaffen, die man nicht so schnell leid werde.165 Doch seinem Appell schien er nicht ganz zu trauen, denn er verlangt zugleich von der Regierung Geschmackserziehung: And now that the Government is dealing in a measure with the art educotion [sic!] of the people, and the knowledge of good and evil in drawing, design, and colouring is being largely disseminated, let us hope that the fine arts, as applied to the internal decoration of our homes, as well as to architecture, sculpture, and painting, may be felt as the higher intellectual agents in fostering and promoting the well-being of man.166

Die gleiche Entwicklung gab es auch in Deutschland. Aber während sich Edis damit bereits 1880 an seine Regierung wandte, formulierte in Deutschland erst nach 1900 der Politiker Friedrich Naumann, Reichstagsabgeordneter und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, Geschmackserziehung und Qualitätsverbesserung als politische Aufgabe.167 Die amerikanische Autorin und Kunstkritikerin Clarence Cook beschreibt in ihrem Werk The House Beautiful die drei wichtigsten Räume eines amerikanischen Hauses, nämlich Wohn-, Speise-, und Schlafzimmer. Bemerkenswert ist hierbei, dass es sich um keine idealtypische, sondern um eine real existierende Wohnung handelt. In den Grundriss mit Raumgrößen fügt sie die Abbildungen wichtiger Möbel ein und macht damit alles für den Leser anschaulicher168: The house was sixteen feet wide, and, as will be seen, the first floor was taken up with the dining-room, pantry, staircase, and the hall. The second floor had two rooms, one in front and one at the rear, with a large open hall (not a dark room) between them, and above were the bedrooms in two stories.169

Ähnlich beriet später der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt170 seine deutschen Leser. Aber Cook formulierte auch einen Grundsatz, den Falke ebenfalls in seinen Schriften immer wieder hervorhob.171 Die Räume sollen die Gewohnheiten der Bewohner widerspiegeln und nicht die Vorlieben anderer kopieren:

165 Vgl. Ebd. S. 31 166 Ebd, S. 39 167 Vgl. hierzu: Friedrich Naumann: Der Geist im Hausgestühl. Ausstattungsbriefe, Berlin 1909; Vgl. Friedrich Naumann: Berliner Gewerbekunst, in: Die Hilfe. Beiblatt 15 (1909), H. 27 (4.7.1909), S. 425–426 168 Cook, The house beautiful, S. 26 169 Ebd., S. 28 170 Vgl. Cornelius Gurlitt: Im Bürgerhause. Plaudereien über Kunst, Kunstgewerbe und Wohnungs-Ausstattung, Dresden 1888 171 Vgl. Jakob Falke, Die Kunst im Hause, S. 1–2

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

The room ought to represent the culture of the family, – what is their taste, what feeling they have for art; it should represent themselves, and not other people.172

An anderer Stelle ergänzt Cook: We ought to seek (at least so it seems to me) the individual expression of ourselves, of our own family life, our own ways of living, thinking, acting, more than the doing as other people, more than the having what other people having.173

Was die englischen und amerikanischen Autoren ihren Lesern empfahlen, sah Falke ähnlich. Denn er orientierte sich vor allem an Grundsätzen der englischen Kunstgewerbereform, als er sich mit gutem und geschmackvollem Wohnen beschäftigte. Ausgangspunkt war eine breit geführte Diskussion über die Formgebung im Kunstgewerbe, die aus der Kritik am Rokoko entstand.174 Dabei setzte sich Falke von Gottfried Semper ab und teilte die Ansichten englischer Autoren: Ich kann auch wohl sagen, daß alle die ästhetischen Grundsätze, die ich später anzuwenden hatte, schon fertig in mir lagen, als ich nach Wien übersiedelte. Ich sage das absichtsvoll und ausdrücklich mit Rücksicht auf Sempers berühmtes, unzählig ausgebeutetes Werk: ‚Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten‘ […] ich befand mich schon von Anfang an mit seinem Grundgedanken von der Bekleidungstheorie in Widerspruch. Viel bedeutsamer für mein Wirken auf dem Gebiete des Geschmacks sind mir die englischen Werke gewesen: das kleine, aber inhaltsvolle, gesund durchdachte Buch von Ralph Wornum ‚Analysis of Ornament‘ und Owen Jones’ bewunderungswürdiges, großartiges Werk ‚Grammar of Ornament‘, beides litterarisch-artistische [sic!] Erstlingsfrüchte des vom South Kensington Museum ausgehenden Geistes.175

Viele Einrichtungsratgeber jener Jahre waren in erster Linie eine kunsthistorische Stilkunde mit mehr oder weniger praktischen Ratschlägen. Wie die Einrichtung produziert wurde, spielte hier keine Rolle. Auch Falke beschäftigte sich in seinen Schriften weder mit den Unterschieden zwischen handwerklicher und maschineller Herstellung noch mit den Auswirkungen der maschinellen Produktion. Dabei war das, wie in Kapitel 6.1 an den Schriften von Gustav Schmoller, Karl Bücher und Werner Sombart noch erläutert wird, ein beherrschendes Thema jener Jahre. Es war der Schriftsteller Ludwig Pfau, der bereits 1866 in seiner Schrift Freie Studien einen Zusammenhang zwischen Produktion und Gestaltung erkannte und die Vorteile der maschinellen Produktion für die Gestaltung der Möbel formulierte: Die theilweise Mechanisirung der kunstgewerblichen Arbeit mußte anfänglich störend auf die künstlerische Gestaltung der betreffenden Gegenstände einwirken. Dieser Nachtheil ist aber nur ein augenblicklicher und wird durch ebenso große Vortheile, die sich im Laufe der industriellen Entwicklung geltend machen, allmälig wieder aufgehoben. Denn wenn die moderne, auf massenhafte Erzeugung gerichtete Industrie in ihren Anfängen die größtmöglichste Vereinfachung anstrebte und so ihren Erzeugnissen das Gepräge unkünstlerischer Rohheit aufdrückte, so verliert sich dieß mit Vervollkommnung der ­Maschinen und Verfahrungsarten mehr und mehr, und die zierlichste Ausstattung kostet am Ende nicht so viel Mühe und Arbeit, als beim Beginne der Fabrikation die nüchternste Formenarmuth verursachte. 172 Cook, The house beautiful, S. 48–49 173 Ebd., S. 319 174 Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 206; Vgl. Eva B. Ottillinger: Möbelgeschichten, ein Katalog, in: Dies. (Hrsg.): Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten (Museen des Mobiliendepots, Bd. 37), Wien 2018, S. 15–107, hier: S. 16 175 Falke, Lebenserinnerungen, S. 191

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Das Zufällige, Individuelle der Handarbeit fällt freilich weg; dagegen begünstigt die Ueberwindung der Technik, die Leichtigkeit der Vervielfältigung und die damit verbundene Wohlfeilheit und allgemeine Anwendung die Verbreitung guter Kunstformen ungemein. Und ist die Industrie einmal ihrer Mittel ganz Herr geworden, so wird sich aus der neuen Verfahrensart ein neuer und eigenthümlicher Styl entwickeln. Dieß hat theilweise schon begonnen und der gewerbliche Geschmack hat, trotz aller Hindernisse, seit Jahrzehnten entschiedene Fortschritte gemacht.176

Pfau nahm hiermit eine Diskussion vorweg, die etwa vierzig Jahre später mit der Forderung nach einer Verbindung von Handwerk, Kunstgewerbe und Industrie zur Gründung des Deutschen Werkbundes führte. Solche Überlegungen findet man bei Falke nicht. Er verstand die kunstgewerbliche Gestaltung als unabhängig von den Produktionsbedingungen177 und schrieb stattdessen über die Schönheit: Das Schöne redet eine eigene Sprache, und wir müssen sie erlernen wie eine andere. Wer sie aber erlernt hat, diese Sprache, und sie zu gebrauchen versteht, der hat, um mit Goethe zu reden, von jener Nektar­ schale getrunken, welche Minerva ihrem Liebling Prometheus vom Himmel herabbrachte, und hat dadurch Antheil erhalten an dem schönsten Glück, der Kunst.178

Für sein Buch Die Kunst im Hause zog Falke qualitätvolle Beispiele aus der Vergangenheit heran, um gegenwärtige Gestaltungsprinzipien zu entwickeln. Diese Beispiele sollten jedoch nicht einfach so übernommen werden, wie er schreibt: „Macht nicht, was wir gemacht, sondern wie wir es gemacht haben“.179 Seine Intention lag darin, Schönheit, Anmut, ästhetisches Wohlgefallen in das Haus zu bringen und durch den Reiz der künstlerischen Harmonie das Gefühl der Befriedigung, der Behaglichkeit, des Glückes in unseren vier Wänden fördern zu helfen.180

Zugleich verfolgte er das Ziel, dem „Schmuck unserer Wohnung als etwas ganz Gleichgiltiges [sic!] und Nebensächliches“181 entgegenzutreten und Hilfestellungen zum Schmücken und Dekorieren zu geben. Denn für Falke musste der „Mikrokosmos unserer Wohnung“182, genau wie bei Clarence Cook, die Charaktereigenschaften seiner Bewohner widerspiegeln: Sollten wir es nicht der Mühe werth erachten, ihn gerade so zu schmücken und so einzurichten und auszustatten, daß er ganz und gar mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen harmonirt, daß er, gleichsam ein weiteres Kleid, mit seinem ästhetischen Charakter so genau zu unserem eigenen Geiste und Wesen paßt, wie das Kleid zu unserem Körper?183

176 Pfau, Ludwig: Die Kunst im Gewerbe, in: Ders. (Hrsg.): Freie Studien, Stuttgart 1866, S. 415–476, hier: S. 422; Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 214 177 Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 214 178 Falke, Die Kunst im Hause, S. 374 179 Ebd., S. 201 180 Ebd., o. S. 181 Ebd., S. 1 182 Ebd. 183 Ebd., S. 2

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

Falke setzte auf „Harmonie in Farbe und Form“184 und führte aus: Wenn das letzte künstlerische Ziel für bewohnte Räume die Harmonie ist, Harmonie in den Farben und Harmonie in den Formen, so muß alles, was zum Schmucke dienen soll, sich dieser Harmonie unterordnen, sich in dieselbe einfügen. Der Schmuck ist also unfrei, er hat eine Bestimmung und ist nichts für sich; er darf den Raum, den er verschönern, den er idealisiren soll, nicht vergessen machen. Es muß nicht scheinen, als ob die Mauern für den Schmuck da seien, sondern umgekehrt, der Schmuck ist des Raumes wegen da und muß ihm dienen.185

Er riet dazu, sich nicht mit geschweiften und verschnörkelten Möbeln im Stil von Rokoko oder Louis XVI. aus Magazinen einzurichten.186 Falke hob vielmehr die Zweckmäßigkeit der Möbel und die Beschaffenheit des Materials hervor. Möbel sollten in demselben Stil und aus einem Holz gefertigt sein, das „virtuos behandelt werden und die Künstlerhand zeigen soll“.187 Er sprach von der Notwendigkeit, „die Schönheit der Möbel in ihnen selber [zu] finden“188 und formulierte damit einen Grundsatz, den drei Jahrzehnte später auch die Mitbegründer des Deutschen Werkbunds aufstellten. Falke kritisierte aber auch einzelne Möbelstücke wie den damals beliebten Bücherschrank mit geschmückten Glastüren: Einen anderen Fehler, den ich nicht unerwähnt werden lassen will, finde ich oftmals bei den Bücherkasten, bei jenen nämlich, die mit Glasthüren geschlossen sind. Ich will nichts gegen die Glasthüren, obwohl sie unbequem und meist überflüssig sind, an sich sagen, da sie den Inhalt der Kasten gegen den Staub schützen, aber man überzieht nicht selten die Glastafeln vollständig mit einem weißen, undurchsichtigen Ornamente, welches die Bücher vollkommen verdeckt. […] Anstatt Verzierung zu sein, sind sie ein häßlicher Flecken, während die Bücher selbst mit ihrem farbigen Rücken und zierlichen goldenen Ornamenten für sich selber schon einen trefflichen Schmuck geben. Will man Glasthüren haben, so muß man demnach einfaches klares Glas dazu nehmen.189

Ähnlich deutlich äußerte er sich zur Funktion eines Tisches. Die Tischplatte sollte eigentlich keine oder nur sehr diskrete Ornamente aufweisen: Die entsprechendste und naturgemäßeste Verzierung bilden eingelegte Holzornamente in Form einer Bordüre; auch mag die ganze Fläche mit gleichgültigem, regelmäßigem Ornamente überzogen sein. Zu weit gegangen ist es schon, wenn an Stelle desselben Städteansichten oder gar historische Bilder in Holzmosaik treten. Noch verkehrter sind Oelmalereien, da ihre Bestimmung ja doch nur wäre, zerkratzt und abgerieben zu werden, wenn sie nicht allen und jeden Gebrauch verhindern sollen.190

An den Möbeln im Salon schätzte Falke vor allem die Sessel, in denen der „Körper zu solcher Ruhe gelangen [sollte], daß er sich in keiner Weise fühlbar macht[e]“.191 184 Ebd, S. 199; Ähnlich wie Falke äußerte sich im gleichen Jahr, 1893, die amerikanische Designerin für Innendekoration, Candace Wheeler, in ihrem Buch Household art: „[Colour] is the most powerful mental influence of the home“ (Wheeler, Candace: Household art, New York 1893, S. 7) 185 Falke, Die Kunst im Hause, S. 189–190 186 Ebd., S. 272 187 Ebd., S. 277 188 Ebd., S. 274 189 Ebd., S. 278 190 Ebd., S. 279 191 Ebd., S. 283

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Schließlich befasste er sich mit Wand, Boden und Decke. Die Wand sollte ruhige Farben aufweisen, um die Möbel besser zur Geltung bringen zu können. Mit der Farbe könne ein Zimmer zugleich „enger oder weiter, niedriger oder höher“192 wirken. Deshalb sollte die Wand weder weiß noch schwarz, sondern farbig und mit Ornamenten geschmückt sein193: Für unsere Wohnung in den gut bürgerlichen, wohlhabenden Classen können wir die Wand als einfache, ebene Fläche betrachten, deren Schmuck gemalte Decoration ist, sei es nun, daß sie wirklich als Malerei ausgeführt oder durch Tapeten oder gewebte Stoffe ersetzt werde. Dieser verschiedene Stoff oder die verschiedene Technik kann auf die Prinzipien, soweit sie auf der Eigenthümlichkeit der Wand beruhen, keinen Unterschied machen.194

Die Fenster neben der Wand seien der Ort für die „in Falten zusammengefaßt[en]“195 Vorhänge, deren Muster durch einen Faltenwurf optisch nicht gestört werden sollte.196 Ähnliche Vorgaben für eine geschmackvolle Einrichtung wie Falke machte der ebenfalls einflussreiche Schriftsteller Ferdinand Avenarius. In seiner Zeitschrift Der Kunstwart griff er immer wieder Fragen der Raumgestaltung auf und erläuterte 1885 in der Gartenlaube in seinem Aufsatz Der Stil in der Wohnung einem breiteren Publikum, was eine geschmackvolle Wohnung ausmache: Zweckmäßig! Das ist die Hauptsache, denn entspricht sie dem Zwecke nicht, bewohnt zu werden, so ist sie eben keine Wohnung, und entspricht sie ihm schlecht, so ist sie eine schlechte. Zur guten gehört, dass sie gesund sei. Sie braucht Wärme, Licht, Luft, nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern angemessen dem Ort, auf dem sie steht, den Bewohnern, die darin hausen, und ihren Bedürfnissen.197

Diese Kriterien der Zweckmäßigkeit von Möbeln und der Individualität der Wohnung wurden erst um die Jahrhundertwende, also fünfzehn Jahre später, populär. So entwickelte Avenarius um 1900 seine zehn Gebote einer zeitgemäßen Wohnungseinrichtung. Sie erschienen in dem Ausstellungskatalog Haus und Herd der gleichnamigen Dresdner Ausstellung von 1899, die zeit-

192 Ebd., S. 180; Ähnlich wie Jakob Falke äußerte sich bereits drei Jahre zuvor, 1870, der englische Industriedesigner Christopher Dresser, der sich auch mit theoretischen Geschmackfragen beschäftigte, zur Wohnlichkeit: „Colour, lovely colour, of itself would make our rooms charming“ (Dresser, Christopher: Principles of decorative design, London 1870, S. 31) 193 Falke, Die Kunst im Hause, S. 222; S. 225–227; Vgl. Jakob von Falke: Poesie in der Wohnung, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 2; Vgl. Jakob von Falke: Poesie in der Wohnung, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 9–11; Vgl. Jakob von Falke: Poesie in der Wohnung, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 18–19; Vgl. Jakob von Falke: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 133; Vgl. Jakob von Falke: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 10, S. 141; Vgl. Jakob von Falke: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 12, S. 173 194 Falke, Die Kunst im Hause, S. 220 195 Ebd., S. 291 196 Vgl. ebd. 197 Avenarius, Ferdinand: Der Stil in der Wohnung, Teil 1, in: Gartenlaube 1 (1885), H. 17, S. 278–279, hier: S. 278; Avenarius, Ferdinand: Der Stil in der Wohnung, Teil 2, in: Gartenlaube 1 (1885), H. 17, S. 294–295; Vgl. hierzu auch: Dirk Stegmann: Kulturzeitschriften und intellektuelle Milieus, in: Faulstich, Werner (Hrsg.): Das Erste Jahrzehnt (Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts), München 2006, S. 47–58, hier: S. 51

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

gemäße bürgerliche Wohnungseinrichtungen vorstellte. Diese Gebote wurden zur gleichen Zeit mit leichten redaktionellen Änderungen in seiner Zeitschrift Der Kunstwart wieder abgedruckt: 1. Richte dich zweckmäßig ein! 2. Zeige in deiner Wohnung deinen Geist! 3. Richte dich getrost nach deinen Geldmitteln ein! 4. Vermeide alle Imitationen! 5. Gib deiner Wohnung Leben! 6. Du sollst nicht pimpeln! [=laß die überflüssigen Zierätchen und Ornamentchen weg] 7. Fürchte dich nicht vor der Form! 8. Fürchte dich nicht vor der Farbe! 9. Strebe nach Ruhe! 10. Führe auch freie Kunst in dein Heim!198

Bei diesen ‚zehn Geboten‘ handelte es sich um die einprägsamsten Ratschläge, die ein Autor zur modernen Wohnungseinrichtung im Kaiserreich machte. Neben Falke hatten noch zwei weitere Autoren großen Einfluss: der Schriftsteller, Journalist Georg Hirth (1841–1916) mit seinem 1880 herausgegebenen Werk Das deutsche Zimmer der Renaissance. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege199 und der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt (1850–1938) mit seinem 1888 erschienenen Essay Im Bürgerhause. Plauderei über Kunst, Kunstgewerbe und Wohnungsausstattungen.200 Hirth wollte die ‚deutsche Renaissance‘ als ‚deutschen Nationalstil‘ in Kunstgewerbe und Architektur sichtbar werden lassen, um damit die nationale Kunstindustrie Deutschlands voranzutreiben und einen ‚nationalen Geschmack‘ herauszubilden.201 Er wandte sich gegen den „Geschmackmischmasch“202 und riet davon ab, die Wohnung sofort komplett einzurichten, sondern erst nach und nach: Das sollten doch namentlich verlobte und jung verheiratete Leutchen bedenken, die nicht schnell genug einen ‚Salon‘ und ein ‚Speisezimmer‘, vom Boudoir der Gnädigsten und dem Wohnzimmer abgesehen, einrichten können, um schon nach Jahr und Tag einzusehen, daß solche Uebereilung weder mit Rücksicht auf die lieben Freunde und Verwandten, noch auf die Vermehrung des eigenen Familienstandes ein Gebot war.203

Mit seinem Werben für einen einheitlichen Einrichtungsstil lag Hirth ganz auf der Linie von Falke. Aber mit seinem Einsatz für die ‚deutsche Renaissance‘ als ‚Nationalstil‘ setzte sich Hirth von Falke ab. Falke hatte zwei Jahre zuvor, 1878, in seinem Aufsatz Die moderne Kunst­industrie 198 Avenarius, Ferdinand: Zehn Gebote zur Wohnungseinrichtung, in: Der Kunstwart 13,1 (1899–1900), H. 9, S. 341–344; Die Zehn Gebote zur Wohnungseinrichtung sind ebenfalls zur gleichen Zeit abgedruckt in: Avenarius, Ferdinand: Die zehn Gebote fürs deutsche Heim, in: AK: Für Haus und Herd. Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899, S. 8–11 199 Vgl. Georg Hirth: Das deutsche Zimmer der Renaissance. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege, München 1880 200 Vgl. Cornelius Gurlitt: Im Bürgerhause. Plaudereien über Kunst, Kunstgewerbe und Wohnungs-Ausstattung, Dresden 1888 201 Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 220 202 Hirth, Georg: Das Deutsche Zimmer der Gothik und Renaissance, des Barock-, Rococo- und Zopfstils. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege, München/Leipzig 1886, S. 13 203 Ebd., S. 442

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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und die Renaissance einen ‚Nationalstil‘ für untauglich gehalten und auch ökonomische Aspekte erwähnt: [D]ie österreichische Kunstindustrie […] [hatte es] niemals darauf abgesehen, Werke der Renaissance […] in ihrem reinsten Style durchzuführen. […] Der Eindruck war so, dass man in Deutschland daraus den Schluss zog, die Renaissance sei der hoffnungsreiche und der einzig gemässe Styl für Gegenwart und Zukunft […] [um] deutsches Nationalgefühl zu schaffen. […] Hauptirrtum ist, dass die Renaissance unzugänglich ist, für alle künstlerischen Bedürfnisse Vorbilder zu liefern […] Geschirr z. B. für Tee und Kaffee ist ihr völlig unbekannt […] deutsche Renaissance, schwere, plumpe Formen der Spätrenaissance […], wenn das der deutsche Styl der Zukunft sein soll, ist er der Welt nicht gefährlich. Was ist die Folge? […] der Ausschluß vom Weltmarkt, die commercielle Beschränkung auf das Vaterland, eine patriotische Befriedigung, aber ein schlechtes Geschäft.204

Mit dieser einige Jahre andauernden Debatte um einen ‚Nationalstil‘ entfernten sich die Kunsttheoretiker von den Interessen der bürgerlichen Kunden. Erst der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt gab wieder Ratschläge in seinem 1888 erschienenen Essay Im Bürgerhause.205 Er verstand die Innendekoration als „letztes Refugium der Individualität in den äußerlich immer gleicher werdenden Großstädten“206 und riet ganz praktisch seinen Lesern, genau wie die Amerikanerin Clarence Cook, sich anhand des Wohnungsgrundrisses zuerst Gedanken über die Raumnutzung zu machen: Man fordere den Plan der Wohnung. Wer einigermassen Ortssinn hat, macht sich wohl selbst einen solchen. Die Fenster, Thüren, Oefen müssen angegeben sein. Auf einen besonderen Bogen starken Papiers zeichnet man in gleichem Massstab, wie den Plan, den Grundriss der Möbel auf und schneidet die Figuren mit der Schere aus. Nun kann man Schrank und Tisch, Stühle und Betten bequem auf dem Plane hin und her rücken, erwägen, ändern, sich einrichten, ehe man an’s Einziehen denken kann. Hat man endlich die Vertheilung gefunden, so klebt man die Möbelfiguren in den Plan ein und hat nun den Vortheil, beim Einzug zu wissen, wohin die Dienstmänner jedes Stück zu stellen haben. Im Allgemeinen schaue man auf grosse Wandflächen in den Zimmern.207

Der Bewohner habe die engste Beziehung zur Wohnung, nicht der Dekorateur oder Tapezierer: Denn eines kann weder der Architect, noch der Tapezierer, noch der Decorateur: keiner vermag dem so künstlerisch gestalteten Raum jene enge Beziehung zu seinem Bewohner zu geben, welche dem Zimmer erst das Wesen eines Heims verleiht. Das vermag nur dieser selbst. […] Schaffe dir ein eigenes, deinem Wesen entsprechendes Nest und es wird dir gefallen.208

Die Bewohner sollten also wissen, wie sie sich ihrer Persönlichkeit gemäß einzurichten hatten. An dieser Stelle lohnt deshalb ein Blick auf die tatsächlichen Ausgaben für Möbel und die Gründe für ihre Anschaffung, wie sie sich aus Haushaltsbüchern ablesen lassen. Einen ersten Überblick gibt das Haushaltsbuch des Richters aus Berlin, dessen Haushalt und Wohnung schon in Kap. 5.1.2 besprochen wurde. Es waren meist dringliche Anschaffungen, entweder weil die Familie schneller umzog, sich die Möbel schneller abnutzten, oder Kinder geboren wurden, 204 Falke, Jakob, von: Die moderne Kunstindustrie und die Renaissance, in: Mitteilungen des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (1878), S. 158–161, hier: S. 158–161 205 Gurlitt, Im Bürgerhause 206 Gurlitt, Im Bürgerhause, S. 2 und S. 56; Vgl. auch: Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 219 207 Gurlitt, Im Bürgerhause, S. 87–88 208 Ebd., S. 4

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5  Die Wohnung als Bühne: Selbstrepräsentation im Kaiserreich

heranwuchsen und mehr beanspruchten, etwa einen Schreibtisch.209 Erna Meyer-Pollack hat in einer Tabelle die Möbelkäufe der Familie zwischen 1881 und 1906 in jeweils fünf Jahresabschnitten aufgelistet und nennt dabei häufig auch den Kaufgrund. Damit lässt sich nachvollziehen, dass die Familie bei ihren Käufen nicht verschwenderisch war, sondern im Gegenteil nur die dringend anstehenden Käufe erledigte. Es wurden neue, aber auch gebrauchte Möbel gekauft. Auf „Wohlhabenheit, Behaglichkeitsbedürfnisse und dergleichen“210 konnte jedoch nicht geachtet werden. Die häufigen Umzüge der Familie wurden dafür genutzt, „um möglichst alle alten, verbrauchten Gegenstände, auch die Kleinigkeiten, durch neue zu ersetzen“.211 Zu den neuen Anschaffungen zählten zum Beispiel 1882 für das Herrenzimmer eine Chaiselongue für 114 Mark, 1885 Wandbretter aus Eiche für die Neugestaltung des Esszimmers für 45 Mark, 1886 ein eichenes Esszimmer für 500 Mark. 1888 folgte ein Teppich für 154 Mark, 1890 ein Sofa, ein Schreibtisch und eine Glaskrone für insgesamt 375 Mark. Zu den Gebrauchtmöbeln zählten beispielsweise 1885 ein von Bekannten bei deren Wohnungsauflösung erworbener Teppich und ein ebenfalls erworbener Schrank im Wert von 68 Mark sowie weitere Möbel in Höhe von 232 Mark.212 1893 wurde eine alte gebrauchte Truhe im Wert von 242 Mark gekauft, anstatt ein Darlehen zurückzuzahlen.213 1896 wurden bei Auflösung eines Haushalts Stehspiegel und Krone für 170 Mark sowie Gardinen für 55 Mark erworben.214 Die Ausgaben für die Einrichtung in der Familie des Richters sind nur ein Beispiel. Weitere werden noch in Kapitel 7.1 vorgestellt. Aber schon hier zeigt sich: Anschaffungen wie in dieser Familie, ob neu oder gebraucht, auf der einen Seite und die Empfehlungen aus Einrichtungsratgebern von Falke oder Avenarius auf der anderen Seite illustrieren sehr anschaulich die ganz unterschiedlichen Anforderungen an die Selbstrepräsentation des bürgerlichen Mittelstands im Kaiserreich. Damit ist die zentrale Frage der Verfügbarkeit von Möbeln angerissen, die im folgenden Kapitel präzisiert werden soll.

5.2.3  Verfügbarkeit von Möbeln als zentrale Frage In diesem Kapitel ist deutlich geworden, welche Anforderungen an die bürgerliche Wohnungseinrichtung in Einrichtungsratgebern gestellt wurden. Sie sollte keine Vorbilder kopieren und nicht standardisiert sein, sondern zweckmäßig, auf die jeweiligen Bewohner zugeschnitten und Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Zugleich sollten Wohnung und Einrichtung für alle erkennbar durch Lage, Größe, Grundriss und Ausstattung den sozialen Status der Bewohner deutlich machen. Empfohlen wurde ein einheitlicher Einrichtungsstil von guter Qualität. Er setzte aber Geschmacksbildung bei Handwerkern, Verkäufern und Kunden voraus, damit solche Möbel produziert und gekauft wurden. 209 Vgl. Erna Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 39–40 210 Ebd., S. 38 211 Ebd., S. 40 212 Vgl. ebd., S. 41 213 Vgl. ebd. 214 Vgl. ebd.

5.2  Wohnverhältnisse des ‚bürgerlichen Mittelstandes‘

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Damit ist die Frage nach der Verfügbarkeit von Möbeln für die Selbstrepräsentation des bürgerlichen Mittelstandes aufgeworfen.215 Die Verfügbarkeit betrifft ja nicht nur die Stilentwicklung, also den ‚guten Geschmack‘, sondern auch die Entwicklung der Produktion, die ‚gute Qualität‘, und die Entwicklung des Marktes, den ‚guten Preis‘. Der Schriftsteller Ludwig Pfau hatte schon 1866 darauf hingewiesen, wie der Einsatz von Maschinen in größeren Handwerksbetrieben durch mechanisch vorgefertigte Einzelteile, die Halbfabrikate, die Gestaltung der Möbel veränderte und den Preis, aber häufig auch die Qualität senkte. Es konnte schneller und in größeren Stückzahlen produziert werden, so dass aus lokalen Herstellern größere regionale Anbieter wurden. Jetzt konnten bürgerliche Kunden neue Maschinenmöbel kaufen statt gebrauchter Möbel, denn handgefertigte Tischlermöbel waren häufig viel zu teuer. In den folgenden drei Kapiteln soll die Verfügbarkeit von Möbeln genauer untersucht werden. Das betrifft zunächst die Produktion. Es geht dabei um Holzarten und Waldvorräte, um die Standorte der Möbelherstellung und die Entwicklung der Maschinen, die entscheidenden Einfluss auf Angebot und Nachfrage hatten. Daran schließt sich das Kapitel über die Veränderungen des Möbelmarktes an. Dazu gehören zum Beispiel das Angebot der Hersteller und ihre wachsende Betriebsgrößen und die steigende Nachfrage der Verbraucher. Schließlich geht es um die Stilentwicklung unter den Zwängen der Serienmöbelproduktion.

215 Vgl. hierzu auch Dominik Schrage: Die Verfügbarkeit der Dinge. Eine historische Soziologie des Konsums, Frankfurt/M. 2009, S. 8

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6  PRODUKTIONSABLÄUFE: DER ÜBERGANG ZUR SERIENMÖBELFERTIGUNG

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung Im Kaiserreich fand eine grundlegende Veränderung in der Möbelproduktion statt. Sie ging von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Produktion über. Das hatte große Auswirkungen auf den Arbeitsprozess, weil die Arbeitsvorgänge in großen Handwerksbetrieben und den neuen Fabriken nun strukturiert und in einzelne Produktionsschritte unterteilt wurden. Durch die maschinelle Produktion wurden alte Handwerkstechniken zurückgedrängt, blieben aber lange Zeit noch maßgebend für die Herstellung. Denn das Arbeiten mit Holz erforderte weiterhin eine handwerkliche Präzision, die die mit Dampf, Gas oder Elektrizität betriebenen Holzbearbeitungsmaschinen allein noch nicht gewährleisten konnten. Aber die neuen Fabriken übten starken Konkurrenzdruck auf das Handwerk aus. Sie konnten mehr Holz zu günstigeren ­Preisen kaufen und lagern. Außerdem konnten Fabriken auf veränderte Stilmoden und Verbraucherwünsche schneller reagieren als kleine Handwerksbetriebe. Auf diese Entwicklungen in der Möbelproduktion und ihre Auswirkungen auf das Möbel­ handwerk geht das Kapitel 6.2 ein. Zuvor sollen aber in Kapitel 6.1.1, 6.1.2 und 6.1.3 die Bedeutung des Werkstoffs Holz und der verschiedenen Holzarten sowie die Entwicklung der Holz­ bearbeitungsmaschinen im Kaiserreich erläutert werden.

6.1.1  Waldvorrat, Holzarten, Furniere und Sperrholz Zum Waldbestand im Kaiserreich liefert das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich erstmals 19031 grundlegende Angaben. Sie beziehen sich auf eine statistische Erfassung aus dem Jahr 1900, die zunächst 1902 in Teil II der Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs erschienen ist.2 Weitergehende Zahlen bietet, allerdings ohne nähere Angaben von Quellen, Erwin Dieterich in seiner Allgemeinen Holzstatistik.3 1 2 3

Vgl. Kaiserlich Statistisches Amt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1903, S. 16 Vgl. ebd. Vgl. Erwin Dieterich: Allgemeine Holzstatistik, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 278–324

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Deutschland hatte um die Jahrhundertwende rund 14 Millionen ha Wald4, europaweit lag es damit an dritter Stelle5 hinter Finnland mit 20 Millionen ha Wald und Schweden mit 19,6 Millionen ha Wald. Aufschlussreicher war das Verhältnis des Waldes zur Einwohnerzahl. Da entfielen in Deutschland 25 ha Wald auf 100 Einwohner, in Finnland jedoch 750 ha Wald und in Schweden 381 ha Wald auf 100 Einwohner. Deutschland lag gleichauf mit Frankreich (25 ha Wald/100 Einwohner) oder der Schweiz (26 ha Wald/100 Einwohner).6 Deutschland war inzwischen nicht mehr Holzausfuhrland wie noch in den 1860er Jahren7, sondern „notorisches Holzeinfuhrland“.8 Das meiste Holz wurde aus Europa eingeführt, einige Lieferungen kamen aber auch aus den USA, Britisch-Südafrika, Argentinien und Australien.9 Der Holzverbrauch wuchs ständig, denn trotz der immer stärkeren Bedeutung von Kohle und Stahl blieb Holz für Teilbereiche der Industrie ein wichtiger Rohstoff.10 Deshalb wurde auch der Ertrag der Wälder kräftig gesteigert11, reichte aber trotzdem nicht aus. Es wurde Holz eingeführt, allerdings schwankte die Menge von Jahr zu Jahr.12 Im Jahr 1900 führte Deutschland beispielsweise rund 10 Millionen Festmeter Holz ein; das entsprach etwa 7 Millionen ha, also der Hälfte des gesamten deutschen Waldbestandes.13 Innerhalb Deutschlands hatte Preußen im Jahr 1900 mit 8,27 Millionen ha den größten Waldbestand14, hier stachen vor allem Brandenburg mit 1,33 Millionen ha und Schlesien mit 1,16 Millionen ha hervor, Westfalen hatte etwa 566.280 ha und Hessen-Nassau rund 623.000 ha Wald. An zweiter Stelle hinter Preußen lag Bayern mit 2,47 Millionen ha Waldfläche, davon hatte Oberbayern 502.000 ha und die Oberpfalz 358.000 ha. Weitere wichtige Waldgebiete in

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Vgl. Kaiserlich Statistisches Amt: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1903, S. 16 Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 279 Vgl. ebd. Vgl. Joachim Radkau: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt (Stoffgeschichten, Bd. 3), München 2012, S. 234 Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 280 Vgl. ebd., S. 314–318; So kam Buchenholz, Zedernholz, Eichenholz und weiches Laubholz auch aus den USA, Quebrachoholz aus Argentinien und Akazienrinde aus Britisch-Südafrika und dem Australischen Bund (Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 314–318); So schreibt ein unbekannter Autor, dass gerade die weichen australischen Hölzer aufgrund ihres geringen Gewichtes und ihrer leichten Bearbeitung „für die Fabrikation von Möbeln und für andere industrielle Zwecke hervorragend geeignet seien“ (o. A.: Weiche australische Hölzer, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 26 (19.8.1912), S. 182 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695)) Vgl. Karl Bunke: Die deutsche Möbelindustrie unter besonderer Berücksichtigung der Möbelindustrie in Ravensberg und Lippe, Münster 1926, S. 7 Vgl. Joachim Radkau, Holz, S. 234 Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 312–313 Vgl. ebd., S. 280; Vgl. auch: Bernhard Maaß: Möbelproduktion und Möbelkonsumtion. Ein Vergleich der Vor- und Nachkriegszeit, Frankfurt/M. 1922, S. 20–21; Weitere ausführliche Statistiken zur Einfuhr des Holzes sind bei Paul Krais (Hrsg.) nach Bezugsgebieten und Transportart (Eisenbahn oder Schiff) geordnet (Vgl. die Aufsätze: Otto Münsterberg: Holzeinfuhr und Einkaufshandel auf dem Fluß- und Landwege, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 5–27; Vgl. Arno Schade: Die Einfuhr auf dem Seewege, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 27–78; Vgl. auch: Joachim Radkau, Holz, S. 234) Vgl. Kaiserlich Statistisches Amt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1903, S. 16

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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Deutschland waren Württemberg mit rund 600.000 ha und Baden mit etwa 568.000 ha. Zum Vergleich: Lippe hatte knapp 33.500 ha Wald.15 Wie sich die Waldbestände nach Laubholz und Nadelholz aufteilten, zeigt erstmals das Statistische Jahrbuch für das Deutschen Reich für das Jahr 1904.16 Die Angaben beziehen sich auf eine Erfassung im Jahr 1900 und wurden zunächst in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs 1903, Teil II17 abgedruckt. Die Gesamtfläche von 14 Millionen ha Wald im Deutschen Reich setzte sich zusammen aus 4,5 Millionen ha Laubwald und 9,5 Millionen ha Nadelwald. Das bezog sich auf alle Wälder: Nieder-, Mittel- und Hochwald.18 Im Hochwald entfielen auf den Laubwald 2,5 Millionen ha, davon auf Buchen und sonstiges Laubholz 1,8 Millionen ha, auf Eichen knapp 532.400 ha und auf Birken, Erlen, usw. 212.340 ha. Im Hochwald entfielen auf den Nadelwald 8,4 Millionen ha, davon auf Kiefern 5,6 Millionen ha, auf Fichten (Rottannen) rund 2,5 Millionen ha, auf Tannen (Weißtannen) knapp 300.000 ha und auf Lärchen schließlich rund 13.300 ha.19 Welche Holzarten in der Möbeltischlerei Ende des 19. Jahrhunderts Verwendung fanden, haben die befreundeten Architekten Theodor Krauth, Professor an der Baugewerkeschule in Karlsruhe, und Franz Sales Meyer, Professor an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe, in ihrem 1902 in vierter Auflage erschienenen zweibändigen Werk Schreinerbuch, Bd. 2: Die gesamte Möbelschreinerei mit besonderer Berücksichtigung der kunstgewerblichen Form beschrieben. Aufschlussreich ist ebenfalls der von dem Tübinger Chemiker Paul Krais 1910 im Auftrag des Deutschen Werkbunds herausgegebene erste Band Hölzer20 aus der Reihe Gewerbliche Materialkunde. Hier behandelt der Berliner Ingenieur Max Naumann die einzelnen in der Möbel­ tisch­lerei verwendeten Holzarten. Ergänzende Hinweise gibt mit Blick auf die Holznutzung im Kaiserreich auch Alfred Marquard mit seinem für ein breites Publikum geschriebenen Buch Das hohe Lied vom Holz aus dem Jahr 1928.21 Die am meisten verarbeiteten heimischen Hölzer waren Kiefer, Tanne, Eiche und Buche. Die Kiefer, der wichtigste Waldbaum Norddeutschlands, diente als Konstruktionsholz (Blindholz) und war Trägermaterial für Furniere. In der Möbeltischlerei war sie kaum in Gebrauch.22 Die Tanne war vor allem für einfache gebeizte, mit Ölfarbe gestrichene oder naturpolierte Möbel beliebt.23 Die Eiche, das je nach Mode am meisten verarbeitete Hartholz und besonders 15 16 17 18 19 20 21

Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 280–282 Vgl. Kaiserlich Statistisches Amt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1904, S. 27 Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 29 Vgl. Paul Krais (Hrsg.): Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910 Vgl. Alfred Marquard: Das Hohe Lied vom Holz. Das Holz in der Kultur aller Zeiten und Völker. Illustriertes Handbuch der Holzkunde, Stuttgart 1928 22 Vgl. Max Naumann: Das Holz in der Möbeltischlerei, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 471–571, hier: S. 473; Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer: Das Schreinerbuch, Bd. 2: Die gesamte Möbelschreinerei mit besonderer Berücksichtigung der kunstgewerblichen Form, 1. Teil: Text, Leipzig 1902, S. 2 23 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 473; Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 2

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fest, wurde fast ausschließlich für Speise- und Herrenzimmer verwendet.24 Meistens wurde die Eiche gebeizt oder gewachst, seltener poliert, sie war geeignet für massive und furnierte Möbel.25 Ihr Vorteil lag in dem „sehr dauerhaft[en], fäulnisresistent[en] und kaum insektenanfällig[en]“26 Kernholz. Die deutsche Sommereiche galt wegen ihrer Farbe und Beschaffenheit sogar als das „wertvollste Holz für Europa“.27 Früher wurde die Eiche oft als Bauholz verwendet, war dafür im Kaiserreich zu teuer und auch zu knapp geworden, so dass Eiche in großen Mengen importiert werden musste.28 Die Buche, die sehr gut zu bearbeiten und polieren ist, wurde für einfache Hocker und Stühle, vor allem aber für gebogene Möbel verwendet, zum Beispiel für den Thonetstuhl, kam aber auch nach entsprechendem Dämpfen für gerade Möbel zur Verwendung.29 Die deutschen Buchenbestände reichten Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr aus, so dass Buchenholz aus Ungarn und Frankreich importiert werden musste. Nussbaum war neben der Eiche das am meisten verwendete Holz für bürgerliche Einrichtungen. Dunkles Nussbaumholz, das nach dem Polieren matt gebürstet wurde und damit ‚vornehm‘ wirkte, wurde bei ganz feinen Möbeln verwendet. Es war beliebter als helles, dagegen war gemasertes und geflammtes beliebter als schlichtes Nussbaumholz.30 Weil die deutschen Wälder nicht so viel Nussbaum hergaben wie die Möbelherstellung verlangte, wurde sehr viel Nussbaum importiert, vor allem aus Spanien, Italien und dem Kaukasus. Mahagoni galt als „König aller Möbelhölzer“31, wurde seit 1724 aus Übersee importiert32 und wegen seiner schönen Färbung für sehr teure Möbel verwendet. Die Hauptmärkte für Mahagoniholz befanden sich in London, Liverpool und Hamburg.33

24 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 476; Vgl. Alfred Marquard, Das Hohe Lied vom Holz, S. 89; Vgl. hierzu auch: Albert Dresdner: Bürgerlicher Hausrath, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 9 (1898), H. 11, S. 161–167, hier: S. 166 25 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 3; „Die Schönheit des Eichenholzes kommt unter einem dünnen matten Überzug am besten zur Geltung, während Hochglanz auf ihm seine Schönheit sehr beeinträchtigt“ (Augst, Emil: Der deutschen Holzwarenindustrie. Ein Mahnwort, in: Die Leipziger Messe (1909), 4. Heft Michaelismesse, S. 85; 88–90, hier: S. 89) 26 Haaff, Eichenmöbel von Barock bis Jugendstil, S. 15 27 Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 476 28 Vgl. Alfred Marquard, Das Hohe Lied vom Holz, S. 89 29 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 474; Vgl. Theodor Krauth/ Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 4 30 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 3; Vgl. hierzu auch: Friedrich August Büchner: Die Möbeltischlerei umfassend die Holzarten des Möbeltischlers, das Einkaufen des Holzes, die Holzpflege, die vervollkommnete Schnittware, die Werkstatteinrichtung, die Holzverarbeitung, den Zusammenbau der Möbel, die wichtigsten Gebrauchsmöbel im Wohn-, Schlaf-, Speise- und Herrenzimmer, die Küchenmöbel, das Anschlagen der Möbelbänder sowie die Veredelungsarten des Möbelholzes, Intarsien und Furniere. Als Handbuch für den praktischen Tischlergesellen sowie als Lehrbuch für den Kunstgewerbeschüler, Leipzig 1922, S. 12 31 Naumann, Max, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 472 32 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 11; Vgl. hierzu auch: o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 45 (4.11.1910), S. 2715–2716; o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 46 (11.11.1910), S. 2776–2777 33 Vgl. o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 47 (18.11.1910), S. 2835– 2836, hier: S. 2836

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Weitere wichtige Holzarten waren Fichte, Ahorn, Erle, Kirschbaum und Birke. Die Fichte war wegen ihrer groben Struktur nur für billige Möbel oder auch als Blindholz geeignet.34 Aus dem gut zu bearbeitendem Ahornholz wurden Schlafzimmermöbel hergestellt. Es eignete sich schwarz gebeizt auch zur Imitation von Ebenholz.35 Vogelaugenahornholz wurde für das Innere von Möbeln genutzt. Das Kirschbaumholz wurde wegen der besonderen Wirkung dieses „gestreift[en] und geflammt[en]“36 Holzes für Möbel verwendet, die eine „vornehme, ruhige Form“37 hatten, schreibt Max Naumann 1910 in Paul Krais‘ Buch Gewerbliche Materialkunde. Krauth und Meyer hingegen sahen hierin ein „hübsches Möbelholz für minderwertige Sachen“.38 Die Birke war ein wichtiges Furnierholz, wurde für Stühle, aber auch für Salons, Damenund Musikzimmer und für eingelegte Arbeiten verwendet.39 Daneben gab es eine ganze Reihe importierter Hölzer, die im Einzelnen aber hier nicht aufgeführt werden können. Krauth/Meyer nennen in ihrer Liste 38 exotische Hölzer.40 Sie reichen von Pitch-Pine (Nordamerika) und Ebenholz (Südasien und Afrika) über Guajakholz (Westindien und Mexiko) und Kampherholz (China und Japan) zu Zebraholz (Brasilien und Venezuela), Königsholz (Jamaika) und Tampinziranholz (Mexiko). Erwähnenswert ist auch, dass die Hamburger Firma Wedekind & Müller ungefähr 300 verschiedene Holzarten im Angebot hatte.41 Nicht alle Holzarten waren zur selben Zeit beliebt, es gab schnell wechselnde Moden.42 Bis in die 1840er Jahre, im Biedermeier, waren vor allem Erle und Birke gefragt.43 In den 1850er und 1860er Jahren ging die Nachfrage nach Birkenholz zurück und vor allem Mahagoni wurde geschätzt. Ab den 1870er Jahren, als die Renaissancemöbel aufkamen, war besonders Nussbaum beliebt. Auch die Behandlung der Hölzer unterlag dem Zeitgeschmack. Manchmal waren polierte Möbel gefragt, zu anderen Zeiten dann gebeizte und gewachste Möbel. Das Polieren, Beizen und Wachsen diente vor allem dazu, das natürliche Aussehen zu verstärken und zu verschönern44, die Struktur hervorzuheben und mögliche Fehler im Holz auszugleichen. Durch das Beizen konnten dem Holz aber auch blaue, gelbe und grüne Töne gegeben werden.45 Daneben gab es Techniken, neues Holz so zu bearbeiten, dass es wie altes aussah. Es gab vor, ein besseres Holz zu sein, als es tatsächlich war. Hieran wird deutlich, wohin bürgerliche Selbstrepräsentation auch führen konnte, wenn originale Materialien zu teuer waren, aber der Schein gewahrt 34 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 473; Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 2 35 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 3; Vgl. hierzu auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 8 36 Naumann, Max, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 478 37 Ebd. 38 Krauth/Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 7 39 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 479; Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 4; Vgl. hierzu auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 8 40 Vgl. Theodor Krauth/ Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 8–12 41 Vgl. ebd., S. 14 42 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 472 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. Wilhelm Schinkel: Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, Bünde 1926, S. 139 45 Vgl. Ludwig Reineking: Die Tischlerwerkstatt des Land- und Möbeltischlers, des Bau- und Kunsttischlers, sowie des Spezialtischlers mit und ohne Maschinenbetrieb, Leipzig 1911, S. 50

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werden sollte. Solche Techniken beschreibt etwa Paul Eudel in seinem 1885 erschienenen Buch Fälscherkünste.46 Mit einem wässrigen Extrakt aus Nußholzrinde oder Walnussschalen wurde das Möbelstück abgerieben, seine Kanten mit einer Bürste abgestumpft, Staub und Straßen­schmutz kamen hinzu und sollten neue Möbel wie gotische oder Renaissancemöbel wirken lassen.47 Außerdem konnte Holz durch Holzimitate ersetzt werden. Feines Holzmehl aus Holzabfall und Sägespänen wurde mit gebrauchter und getrockneter Gerberlohe und mit Leim versetzt, anschließend gepresst und dann bearbeitet.48 Von solchen ‚Fälscherkünsten‘ wurde viel Gebrauch gemacht. So erwähnt die Zeitschrift Der Innenausbau 1914 in dem Artikel Der Althandel den Schwindel mit nachgemachten sogenannten Antikmöbel[n]. Da die vorhandenen Antikmöbel lange nicht der Nachfrage genügten, so blühte in den letzten Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts die Fälschungsindustrie in außerordentlicher Weise, so daß ein Kenner dreiviertel der feilgebotenen echten Antikmöbel als ganz oder teilweise gefälscht bezeichnete. Diese Nachahmungskünstler wurden mit der Zeit außerordentlich geschickt, so daß es selbst gewiegten [sic!] Kennern passierte, eine Fälschung für echt zu erklären.49

Es war aber auch Mode, Hölzer zu imitieren und auf diese Weise ein weniger gutes Holz für ein besseres auszugeben.50 Solche Techniken gab es bereits Anfang des 17. Jahrhunderts: „nach Entdeckung Amerikas […] regte sich der Wunsch, auch unseren einheimischen Hölzern den prächtigen Farbenton der tropischen Holzarten zu geben“.51 So diente zum Beispiel die Erle gefärbt oder gebeizt zur Imitation von Mahagoni, Palisander und Ebenholz.52 Aber auch Birnbaum und Buche kamen dafür in Frage. Die Eibe, hart und glänzend, konnte ebenfalls zur Imitation von Ebenholz eingesetzt werden.53 Solche Imitationen waren für die Architekten Krauth und Meyer „eigentlich ein Unfug. Derselbe ist aber so allgemein in Uebung, dass es zwecklos erscheinen muss, sich gegen denselben zu ereifern“.54 Der Lack- und Firnisfabrikant Louis-­Edgar Andés gab deshalb in seinem Buch über Die technischen Vollendungsarbeiten der Holzindustrie55 46 Vgl. Paul Eudel: Fälscherkünste, Leipzig 1885; Vgl. auch: Johannes Harder: Imitationen, Ersatzprodukte und Täuschungen, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 395–399 47 Vgl. Paul Eudel, Fälscherkünste, S. 164 48 Vgl. Johannes Harder, Imitationen, Ersatzprodukte und Täuschungen, S. 397 49 R., J. H.: Der Althandel, in: Der Innenausbau 17 (1914), H. 21 (22.5.1914), S. 282 50 Vgl. hierzu auch: Louis-Edgar Andés: Holz- und Marmor-Malerei. Praktische Anleitung zur Herstellung von Holz- und Marmor-Imitationen, Imitation eingelegter Arbeiten mittelst Anstrich, Übertragen von Drucken auf Holz, Glas, Decoriren von Fensterscheiben, Wien 1901; Vgl. o. A.: Holzimitation, in: Neue Tischler-Zeitung 20 (1885), S. 1; Vgl. o. A.: Lackierungen auf Hartholz, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 7 (1896), H. 1, S. 10–11; Vgl. o. A.: Das Färben des Holzes, in: Neue Tischler-Zeitung 9 (1881), S. 1–2, hier: S. 1 51 Zimmermann, Wilhelm: Das Beizen des Holzes, Teil 1, in: Innendekoration 15 (1904), H. 1, S. 42–44, hier: S. 43 52 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 478; Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 4; S. 22 53 Vgl. ebd., S. 473; Vgl. Heinrich Eduard von Egidy: Der Holzkenner, oder die kunstgerechte Ausnutzung, Vorrichtung und Verwerthung. Ein nützliches Hülfs- und Handbuch für Gewerbetreibende, Freiberg 1852, S. 33–34; Vgl. hierzu: F. A. Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 3 54 Krauth/ Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 22 55 Vgl. Louis-Edgar Andés: Die technischen Vollendungsarbeiten der Holz-Industrie: Das Schleifen, Beizen, Poliren, Lackiren, Anstreichen und Vergolden des Holzes, Wien/Leipzig 1895

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Ratschläge und Anleitungen, mit welchen Hilfsmitteln man die „Schönheit der Imitation“56 edler Hölzer am besten erreichen konnte. Um zum Beispiel Fichten- oder Tannenholz wie Palisanderholz erscheinen zu lassen, wurde es zuerst mit einer Lösung aus Blauholz, Alaun und Stärke oder Mehl angestrichen und nach dem Trocknen wiederum mit einer Mischung aus Eisen, Essigsäure und Kochsalz.57 Auch Nussbaumholz konnte wie Palisanderholz aussehen, wenn 100 Gramm brauner Teerfarbstoff in 300 Gramm Spiritus aufgelöst wurden und die Holzfläche damit gebeizt wurde, bevor nach dem Trocknen die Flammen und Adern des Holzes mit einem flachen Borstenpinsel und einer weiteren Lösung aus 20 Gramm Blauholz-Extrakt, 200 Gramm kochendem Wasser, 1 Gramm gelbem chromsaurem Kali und 5 Gramm Gummi arabicum gebeizt wurden. Schließlich musste das Holz noch vorsichtig mit Bimsstein und Öl abgeschliffen und mit einer mit etwas purpurnem Farbstoff (Orseille) versehenen Schellackpolitur poliert werden.58 Andés gab noch einige weitere Beispiele zur Nachahmung edler Hölzer wie beispielsweise Zedernholz oder Ebenholz, doch er sah noch sehr viel mehr Möglichkeiten: Man ahmt jedes Holz täuschend nach und nur die Kostenfrage ist ausschlaggebend für die mehr oder minder naturgetreue Wiedergabe der Textur einer beliebigen Holzart.59

Die „Schönheit der Imitation“60 war sehr beliebt. Entscheidend aber für die weiteren Verfahren der Holzbearbeitung und für die Verfügbarkeit von Möbeln war eine andere Entwicklung. Massive Möbel aus edlem Holz waren nicht nur viel zu teuer, sondern wegen der Empfindlichkeit des Holzes auch nicht beständig genug. Für bessere Möbel setzten sich Furniere61 durch, die das Arbeiten des Holzes weitgehend verhinderten. Nur Stuhlbeine, Möbelfüße oder andere geschnitzte Elemente waren massiv, aber Tischplatten, Schrankteile oder Füllungen waren fast immer furniert. Dazu wurde minderwertiges, aber leichter zu bearbeitendes Holz als sogenanntes Blindholz mit ganz dünn geschnittenen besseren Hölzern verkleidet.62 Für die zwischen 0,5 und 1mm63 dünnen Furniere wurden Nussbaum, Eiche, Ahorn und Esche verwendet.

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Ebd., S. 84 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 84–85 Ebd., S. 208 Ebd., S. 84 Viele Furnierhölzer waren außerdem als Massivholz ungeeignet (Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 1); Vgl. hierzu: Johannes Harder: Veredlung und Verschönerung des Holzes, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 388–394, hier: S. 392; Vgl. auch: Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 547–551; „Die rechte Seite eines Furniers kann man leicht von der linken unterscheiden durch deutlich fühlbare kleine wulstige Stellen, die erhaben sind, während die linke Rückseite hier Vertiefungen aufweist. Diese bildet die spätere Leimseite, während die rechte Seite, die später glatt gehobelt, abgezogen und geschliffen wird, die Außenseite des Furniers bildet. Die natürlich gerauhte linke Seite eignet sich auch besser für die Leimung auf das Blindholz“ (Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 37); Sehr anschaulich werden die Funktion des Furniers und der Produktionsprozess auch bei Wilhelm Schinkel beschrieben (Vgl. Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 139) 62 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 1; Vgl. auch: Johannes Harder, Veredlung und Verschönerung des Holzes, S. 389 63 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 16

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In allen größeren Städten gab es Furnierfabriken oder Furnierhandlungen, bei denen Möbeltischlereien einkauften.64 Die Preise für Furniere waren ganz unterschiedlich und richteten sich nicht nur nach der Art des Holzes, sondern auch nach Farbe, Maserung und Größe. So kostete 1m² Eichen- oder Nussbaumfurnier zwischen 30 und 80 Pfennig, schön gemustertes Nussbaumfurnier dagegen 1,20 Mark und mehr. Mahagonifurnier gab es für 40 bis 50 Pfennig, gesägtes Mahagonifurnier aber für 1,20 Mark bis 2 Mark pro Quadratmeter. Gesägte Ebenholzfurniere kosteten 8 bis 12 Mark pro Quadratmeter.65 Aus der Furniertechnik entwickelte sich nach 1870 die Herstellung von Sperrholz. Furniere hatten gezeigt, wie man das Verziehen des Holzes verhindern kann. Auf diesem Prinzip baute das Sperrholz auf. Hier wurde erstmals Holz aufgelöst und zu einem neuen Stück Holz zusammengesetzt. So stand ein Werkstoff zur Verfügung, den man in beliebiger Menge herstellen kann und der in seiner Beständigkeit dem Massivholz weit überlegen ist. Mit dem Sperrholz wurde der Produktionsprozess in der Möbelherstellung entscheidend vorangetrieben, wie der Lemgoer Möbelfabrikant Gustav Schlingmann in seiner Frankfurter Dissertation über Die Entwicklung der deutschen Möbelindustrie in der Nachkriegszeit 1931 schreibt: Das Sperrholz wird dadurch gewonnen, daß Weichholzbretter (Kiefer, Fichte, Tanne, Erle) auf beiden Seiten quer zu ihrem Wachstum laufend mit 3–4mm starkem Furnier (meistens Gabun oder amerikanische Pappel) überklebt werden. Durch dieses Verfahren wird erreicht, daß die Spannungen im Holze kompensiert werden, und daß es gegen atmosphärische Einflüsse unempfindlicher wird.66

Damit war ein entscheidendes Problem im Umgang mit dem empfindlichen Rohstoff Holz gelöst. Lange Zeit musste Holz auf natürliche Weise vollständig getrocknet werden, um ein Reißen zu verhindern. So wurde in dem Artikel Das Tischlerholz und seine Eigenschaften in der Zeitschrift Der deutsche Tischlermeister 1911 darauf hingewiesen, dass auch durch zu schnelles Trocknen das Holz reißen und dadurch das Möbelstück nicht richtig genutzt werden kann.67 „Es muß an völlig trockenen, recht luftigen Orten gestapelt werden“.68 Bei gestapelten 64 Vgl. ebd., S. 17; Vgl. auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 35–37 65 Vgl. Theodor Krauth/Franz Sales Meyer, Das Schreinerbuch, Bd. 2, 1. Teil: Text, S. 20 66 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 33; Vgl. auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 33 67 Vgl. o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 11 (17.3.1911), S. 615–616, hier: S. 616; „Bei Möbeln aus nicht trockenem Holz schließen die Thüren nicht, die Schubladen u. s.w. wollen häufig nicht functionieren, weil sich das ganze Stück geworfen hat, ja häufig reißen solche Möbel plötzlich unter einem vernehmbaren Krachen; sie stehen jetzt in einem mäßig warmen Raume und machen nun erst alle jene Veränderungen durch, welchen sie vor ihrer Verarbeitung hätten unterzogen werden sollen“ (Andés, Louis Edgar: Das Conserviren des Holzes, Wien 1895, S. 16–17); Noch 1911 spricht Joseph August Lux in der Leipziger Messe die zu kurze und schnelle Holztrocknung frisch gefällten Holzes an: „Drei Jahre braucht das Holz unter günstigen Umständen Zeit, um für die Verarbeitung reif zu werden. Im Durchschnitt kommt das gefällte Holz schon im nächsten Jahre zur Verarbeitung. Wie groß die Rache des vergewaltigten Materials ist, weisen die Reperaturkontos [sic!] aus. Man sieht also, daß es noch immer Probleme zu lösen gibt. Der moderne Fortschritt im Kunsthandwerk und in der Industrie wird und muß sie lösen“ (Lux, Joseph August: Die neuen kunstgewerblichen Probleme, in: Die Leipziger Messe 7. Heft Ostermesse 1911, S. 1–3, hier: S. 3) 68 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 10 (10.3.1911), S. 557–558, hier: S. 557; „Die Stapel selber beginnen etwa 50 cm über Fußboden, wobei deren unterlegte Lagerhölzer genau horizontal nach der Wasserwage [sic!] zu verlegen sind. Über dem obersten

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Hölzern sollte allerdings die Zugluft in Längsrichtung vermieden werden.69 Dörrräume für Holz seien keine Alternative. Sie bewirkten zwar ein schnelles Austrocknen, aber das Holz werde brüchig.70 Die natürliche Holztrocknung bedeutete für die Betriebe ein im Vergleich zur Produktion unverhältnismäßig großes Holzlager und Wartezeiten von durchschnittlich vier Jahren.71 Vielen Betrieben war das zu aufwendig und zu teuer, notierte die Leipziger Mess-Zeitung 1910: Viele Fabrikanten scheuen die Kosten und den Zeitverlust […] und verarbeiten lieber ein Holz, welches weniger sorgfältig behandelt ist. Für gute Möbel ist eine solche Behandlung aber doch sehr empfehlenswert.72

Das Sperrholz setzte dem ein Ende. Deshalb entstand nach 1870 mit der Sperrholzindustrie ein neuer „Industriezweig, der einen glänzenden Aufschwung erlebt hat“.73 Er belieferte Kleinbetriebe mit Sperrholz in beliebiger Menge und Größe, Großbetriebe gaben die eigene Sperrholzherstellung auf und ließen sich ebenfalls beliefern.74 Dieser Verzicht auf die kapitalinten­ sive Lagerhaltung bedeutete für die Betriebe eine „ungeahnte Kostensenkung“.75 Das Sperrholz machte Möbel nicht nur billiger als Massivmöbel, sondern auch noch haltbarer. Mit Sperrholz und Furnierholz, mit den Techniken der Veredelung und der Imitation, aber auch mit dem Überblick über die Holzarten und ihre Verwendung wurden schon wichtige Bedingungen der Möbelherstellung angesprochen. Im folgenden Kapitel werden Standorte der Möbelherstellung vorgestellt, bevor anschließend näher auf die Entwicklung der Maschinen eingegangen wird. Auch sie ist entscheidend für die Verfügbarkeit von Möbeln.

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Stapelbrett bis zum Dach hat ein Luftraum von etwa 1 ½ m freier Höhe zu verbleiben. […] Zum Stapeln gehören sog. Stapelhölzer von 30–50 cm Länge, 2 cm Breite und 10 mm Dicke“ (Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 28); Ergänzend ist auch Ludwig Reineking: „Größere Tischlereien besitzen besondere, meist zweistöckige Holzschuppen; in dem unteren Raum wird das nicht ganz trockene Holz untergebracht, während im oberen die trockene Ware gelagert wird. Die Werkstätten selbst sind in 2 bis 4 Stockwerken angeordnet“ (Reineking, Die Tischlerwerkstatt, S. 1) Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 28 Vgl. o. A., Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 3, S. 616 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 32; Vgl. Johannes Harder, Veredlung und Verschönerung des Holzes, S. 388; Vgl. o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 9, S. 499–500, hier: S. 500; Vgl. o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 4, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 12, S. 677–680, hier: S. 680; „Als Grundsatz soll bei auf längere Zeit aufgestapelten Hölzern die Jahreszahl ihrer Fällungen zur sicheren Kontrolle des Grades ihrer Trockenheit ersichtlich sein“ (Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 28) o. A.: Trocken-Verfahren für Nutzholz, aus: Leipziger Mess-Zeitung 7 (1910), H. 39 (30.11.1910), S. 369 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695) Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 33; Vgl. hierzu: Joachim Radkau, Holz, S. 247 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 33; In England wurde Sperrholz sogar für Luxusmöbel verwendet (Vgl. Joachim Radkau, Holz, S. 247) Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 33

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6.1.2  Standorte der Möbelherstellung Kleinere Tischler- und Schreinerbetriebe gab es überall im Kaiserreich. Die Handwerker auf dem Land produzierten auf Bestellung einfache Möbel für den täglichen Gebrauch. Sie arbeiteten für die Kunden am Ort und im näheren Umland. Aus ihren Werkstätten gingen allmählich mittlere und größere Betriebe hervor, die auch für weiter entfernte Kunden arbeiteten. In den Residenzstädten arbeiteten größere Möbelwerkstätten, die auf Luxusmöbel für den Adel spezialisiert waren. Sie gab es in Berlin, Dresden, München und Stuttgart, aber auch zum Beispiel im kleinen Fürstentum Lippe. In der Residenzstadt Detmold fertigte die Hoftischlerei Louis ­Beneke für den Adel und die höhere Beamtenschaft Einzelmöbel und komplette Einrichtungen an.76 Genaue Zahlen zu Möbeltischlereien im Kaiserreich sind kaum vorhanden. Im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich sind 1895 noch gar keine holzverarbeitenden Betriebe aufgeführt. Im Jahr 1900 wird nur die Zählung der Gewerbebetriebe vom 14. Juni 1895 angegeben, in der aber „Tischlerei und Parket-Fabrikation“77 zusammengefasst werden. Aufschlussreich ist erst die nächste Zählung vom 12. Juni 1907, die erstmals die Möbeltischlerei erfasst und im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich für das Jahr 1910 abgedruckt ist.78 Danach gab es in der Gewerbeklasse XII Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, Gewerbeart b3 Möbeltischlerei 17.863 Kleinbetriebe mit jeweils 1–5 Beschäftigten, insgesamt 39.717 beschäftigten Personen; 4.726 Mittelbetriebe mit jeweils 6–50 Beschäftigten, insgesamt 62.616 beschäftigten Personen, und 458 Großbetrieben mit jeweils 51 und mehr Beschäftigten, insgesamt 49.454 beschäftigten Personen. Das ergibt zusammen 23.047 (Haupt-)Gewerbebetriebe mit 151.787 Beschäftigten. Unter Bezug auf diese Zählung vom 12. Juni 1907 kommt allerdings Dieterich in seinem Aufsatz Allgemeine Holzstatistik zu etwas anderen Zahlen.79 Er nennt in der Möbeltischlerei insgesamt 25.301 Betriebe, davon die oben schon genannten 23.047 Hauptbetriebe. Von diesen Hauptbetrieben waren 6.588 Alleinbetriebe und in 16.459 Betrieben arbeiteten mehrere Personen. Insgesamt arbeiteten in den Möbeltischlereien des Deutschen Reiches einschließlich Betriebsstättenleiter 151.787 Personen, darunter waren 4.487 Frauen.80 Die Gesamtzahl der Beschäftigten ist wieder mit der oben angeführten Beschäftigtenzahl identisch. Die Zählung unterscheidet die Betriebe der Möbeltischlerei zwar nach Betriebsgrößen, aber nicht nach Betriebsformen. Neben dem Handwerksbetrieb und der Möbelfabrik gab es noch die Möbelmanufaktur als handwerklichen Großbetrieb und das Verlagswesen, die Haus­ industrie. Auch die Statistischen Jahrbücher für das Deutsche Reich geben keine Hinweise auf die Verteilung nach Betriebsformen, wie Bernhard Maaß in seiner Frankfurter Dissertation 76 Vgl. Thomas Dann: Möbelschätze aus Lippe. Vier Generationen Tischler Beneke (1816–1964), Bielefeld 2011, S. 153–159 77 o. A.: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1900, Berlin 1900, S. 36 78 o. A.: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1910, Berlin 1910, S. 58 79 Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 322 80 Zum Vergleich: Unter „sonstige Tischlerei und Veredelung“ verzeichnet die Zählung von 1907 82.695 Betriebe mit insgesamt nur 167.193 Beschäftigten, einschließlich Betriebsstättenleiter (Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 322)

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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Möbel­produktion und Möbelkonsumtion. Ein Vergleich der Vor- und Nachkriegszeit 1923 ebenfalls feststellt.81 Auf die Unterschiede der einzelnen Betriebsformen wird innerhalb des Kapitels 6.2 ausführlich eingegangen. Zentren der Möbelherstellung könnte man dort vermuten, wo Waldgebiete sind und viel Holz vorhanden ist. Doch das trifft in Deutschland meistens nicht zu. Möbel werden in der Regel nicht dort in Menge produziert, wo der Rohstoff Holz wächst, sondern wo qualifizierte Arbeitskräfte und viele Konsumenten vorhanden sind. Dorthin wurde das Holz transportiert, auch schon im Kaiserreich. Denn die Eisenbahnen als wichtigstes Verkehrsmittel boten, weil der Absatz und die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Gebiete gefördert werden sollten, für den Transport von Roh- und Schnittholz eine Reihe günstiger Frachttarife an.82 So verlangten die Spezialtarife I–III der Eisenbahnen im Deutschen Reich zwischen 4,5 Pfennig und 2,2 Pfennig pro Tonne Holz und Kilometer, ‚Ausnahmetarife‘ und ‚besondere Ausnahmetarife‘ waren noch günstiger.83 Es war für die Möbelfabriken also billiger, den Rohstoff Holz zu transportieren als später die daraus gefertigten sperrigen und empfindlichen Möbel. Die Transportkosten waren geringer, wenn Möbel dort hergestellt wurden, wo die Kunden wohnten. So stellte der Lemgoer Möbelfabrikant Gustav Schlingmann fest, dass „eine Bindung der Möbelindustrie an das Rohstoffgebiet nicht in Frage kommt“.84 Viel wichtiger sei die Konsumorientierung der Möbelindustrie.85 Zwar gab es in den waldreichen Gegenden Badens, Bayerns und Schlesiens Möbelfabriken, aber eben auch in Gebieten wie Ostwestfalen-Lippe, wo Möbelhersteller trotz der lippischen Wälder auf Holzzufuhr aus dem In- und Ausland angewiesen waren.86 Wir finden die Möbelindustrie in den Großstädten und an der Peripherie größerer Verbrauchszentren. Berlin, München, Stuttgart, Dresden und andere sind Plätze großer Möbelfabriken, ebenso wie Herford, Lippe, Oeynhausen, Taunus und Zeulenroda typische Plätze der Möbelindustrie sind.87

Auch der Vordertaunus, Darmstadt und Höchst, heute ein Stadtteil von Frankfurt am Main, waren um die Jahrhundertwende bedeutende Standorte der Möbelindustrie.88 Die Entwicklung

81 Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 15 82 Vgl. C. Niedtner: Fracht- und Verladungsverhältnisse, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 84–96, hier: S. 89–94 83 Vgl. ebd., S. 89 84 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 35 85 Vgl. ebd, S. 36 86 Vgl. Christian Kleinschmidt: Vom Hinterland zum internationalen Wirtschaftszentrum. „Westfalen und die Welt“ vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 23–42, hier: S. 23; Vgl. Werner Plumpe: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 116–124; Vgl. Dirk Fischer: „Die bedeutenden Betriebe der Tischlerei nehmen eine Umwandlung vor“. Zur Geschichte der Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe, in: Kreisheimatverein Herford e. V. (Hrsg.): Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford, Bielefeld 1999, S. 95–126, hier: S. 102 87 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 36 88 Vgl. Herbert Büschenfeld: Höchst. Die Stadt der Farbwerke. Zur Frage der Auswirkung von Eingemeindungen auf das Funktionsgefüge der betroffenen Städte (Rhein-Mainische Forschungen, H. 45), Frankfurt/M. 1958, S. 66

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

der Möbeltischlerei im Vordertaunus verlief aber anders als in Ostwestfalen-Lippe und soll anschließend erläutert werden. Über Ostwestfalen-Lippe schrieb 1926, also fünf Jahre früher als Gustav Schlingmann, Wilhelm Schinkel in Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford: Es ist eine bedeutungsvolle Tatsache, daß seit den 1860er Jahren die Stadt Herford, anschließend daran auch der Landkreis Herford, u. a. Bünde, und darüber hinaus später Oeynhausen und das benachbarte Lippe die Standorte einer Möbelindustrie, die zum großen Teile die fabrikmäßige Produktion für den größeren Markt betreibt, geworden sind.89

Neben den Transportkosten waren für die Standortwahl eines Unternehmens die Lohnkosten entscheidend, der „Ort günstigster Arbeitskräfte“90, meistens also Städte und Großstädte. Die Arbeitskosten geben aber erst dann den Ausschlag, wenn die Lohnersparnisse am Ort größer sind als die Transportkosten, die ein Ort verursacht. Schlingmann trifft aber noch eine wichtige Unterscheidung, die sich auf die Qualität der Möbel bezieht. Günstige Möbel, sogenannte Stapelware, dürfen keine hohen Transportkosten aufweisen, weil sie dadurch teurer würden als nötig. Damit auch die Herstellung keine zu hohen Kosten verursacht, reichen weniger qualifizierte Arbeitskräfte und angelernte Arbeiter aus. Bei Qualitätsmöbeln dagegen werden qualifizierte Arbeitskräfte benötigt, so dass die Arbeitskosten in der Gesamtkalkulation viel mehr ins Gewicht fallen und eine „Ersparnis an Arbeitskosten durch geringere Löhne bei der Standortswahl [sic!] sehr wesentlich ist“.91 Die Bedeutung der Kosten für Arbeit und Transport soll im Folgenden am Beispiel der Möbelregion Ostwestfalen-Lippe erläutert werden, wo seit 150 Jahren Möbel hergestellt werden. Schon 1870 gab es in Herford eine Gewerbe- und Industrieausstellung, die zu den ersten ihrer Art im Kaiserreich gehörte. Hier präsentierten unter anderem Tischlereibetriebe vom 15. bis 29. Mai 1870 ihre Möbel.92 Gefragt waren keine „Schaustücke, […] sondern Geräthschaften, Vorrichtungen des alltäglichen Gebrauches, zweckmäßig, solide und preiswürdig gearbeitet“.93 Werner Abelshauser spricht deshalb von einer „alten vorindustriellen Gewerberegion“94, die ein „nachindustrieller, regionaler Wirtschaftsverbund“95 geworden ist und „der sich seitdem über alle Krisen hinweg gut behauptet“.96 Unter welchen Bedingungen die Produktion im preußi89 90 91 92 93

Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 138 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 36 Ebd., S. 37 Vgl. Katalog der Herforder Gewerbeausstellung 1870 (KAH, ohne Signatur) o. A.: Programm der Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in Herford Mai 1870 (KAH, StAH: Hist. Sammlung Gewerbe- und Industrieausstellung 1870) 94 Abelshauser, Werner: OWL. Region im Aufwind, in: OstWestfalenLippe. Das Magazin. Region im Aufwind 20 (2014), S. 16–18, hier: S. 17; Wortgleich auch: Abelshauser, Werner: Warum OWL so erfolgreich ist, in: OWL Wirtschaft (Beilage des Westfalen-Blattes), Nr. 3 (3.9.2015), S. 16-18, hier: S. 16 95 Abelshauser, OWL. Region im Aufwind, S. 17; Wortgleich auch bei Abelshauser, Warum OWL so erfolgreich ist, S. 16 96 Abelshauser, OWL. Region im Aufwind, S. 17; Wortgleich auch bei Abelshauser, Warum OWL so erfolgreich ist, S. 16; Wichtig ist die Möbelindustrie auch heute noch: Von Januar bis Oktober 2017 lag der Umsatz der 96 Betriebe in Möbelindustrie und Möbelhandel in Ostwestfalen-Lippe mit ihren rund 18.000 Mitarbeitern bei 6 Millionen Euro. Das entspricht einem Drittel des Gesamtumsatzes von Möbelindustrie und Möbelhandel in Deutschland. (Internet: https://www.ostwestfalen.ihk.de/fileadmin/user_upload/Ow_2017_­

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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schen Regierungsbezirk Minden und dem Fürstentum Lippe erfolgte97, soll in dieser Arbeit als Beispiel dafür dienen, wie Möbelhersteller auf die Bedürfnisse des bürgerlichen Mittelstandes nach Selbstrepräsentation eingegangen sind. Der 1847 erfolgte Anschluss an die Köln-Mindener-Eisenbahn war ein wichtiger Standortfaktor in Ostwestfalen-Lippe, denn damit erhielt die Region direkten Anschluss an die Eisenbahn nach Hannover und Berlin.98 1880 gab es mit der Strecke Herford-Detmold-Altenbeken auch eine direkte Verbindung nach Mittel- und Süddeutschland.99 So hat die Eisenbahn die Entwicklung entscheidend vorangetrieben: The railway infrastructure was also excellent by late 19th-century standards; as the district towns (Kreisstädte) of Minden and Herford were directly connected with consumer centers such as Hanover and Berlin, the Ruhr area and the Rhineland.100

Mit der Köln-Mindener-Eisenbahn konnten sich die Tischlereibetriebe günstige Hölzer liefern lassen und wurden damit unabhängig vom Waldbesitz der heimischen Bauern. Die fertigen Möbel lieferten sie wieder mit der Eisenbahn auch an die weiter entfernten Kunden zum Beispiel in Sachsen oder Thüringen. Durch die Eisenbahn waren die Kunden nähergerückt. From the 1890s onwards the Ravensberg hinterland was opened up by light railways (Kleinbahn) which helped to preserve the decentralized, rural structure of this […] manufacturing cluster.101 Januar-Oktober.pdf (Zugriff: 5.1.2018); https://www.detmold.ihk.de/de/standort-lippe/wirtschaftsregion-­ lippe/zahlen-und-fakten (Zugriff. 5.1.2018); Zur Wirtschaftsregion Westfalen auch Werner Plumpe: „Für die westfälische Wirtschaft ist hingegen seit dem 18. Jahrhundert eine bemerkenswerte Mischung von familiär geprägten kleinen und mittleren Unternehmen kennzeichnend, die nur in seltenen Fällen in anonyme Gesellschaften umgewandelt werden. Selbst bei großer Expansion und mittlerweile weltweiter Bedeutung sind Unternehmen wie Benteler und Dr. Oetker in Bielefeld, Bertelsmann und Miele in Gütersloh oder die Warsteiner Gruppe in Warstein […] weiterhin familiär geprägt“ (Plumpe, Einführung, S. 119) 97 Wichtig ist hierfür die 2004 an der Universität Bielefeld eingereichte Dissertation von Dirk Fischer, Die Geschichte der Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe von 1861 bis 1945 98 Vgl. Christopher Kopper: Räumliche Integration: Verkehr und Mobilität, in: Ditt, Karl, et al. (Hrsgg.): Westfalen in der Moderne 1815–2015. Geschichte einer Region (LWL-Institut für Westfälische Regionalgeschichte Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster), Münster 2015, S. 213–232, hier: S. 215; Vgl. auch Karl Ditt: Aufstiege und Niedergänge. Sektoren, Branchen und Räume der Wirtschaft, in: Ders., et al (Hrsgg.): Westfalen in der Moderne 1815–2015. Geschichte einer Region (LWL-Institut für Westfälische Regionalgeschichte Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster), Münster 2015, S. 235–267, hier: S. 256 99 Vgl. Michael Oldemeier: Das Wachstum der Stadt Herford im 19. und 20. Jahrhundert, in: Helmert-Corvey, Theodor: 1200 Jahre Herford. Spuren der Geschichte (Herforder Forschungen Bd. 2), Herford 1989, S. 103–130, hier: S. 108; Vgl. auch: Dieter Ziegler: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 696–707, hier: S. 699 100 Ziegler, Dieter: Beyond the Leading Regions: Agricultural Modernization and Rural Industrialization in North-Western Germany, in: Czierpka, Juliane, et al. (Hrsg.): Regions, industries and heritage. Perspectives on economy, society and culture in modern western Europe, Hampshire 2015, S. 148–173, hier: S. 153 101 Ziegler, Dieter: Nebenbahnen und Kleinbahnen in Westfalen, in: Reininghaus, Wilfried/Teppe, Karl (Hrsgg.): Verkehr und Region im 19. und 20. Jahrhundert. Westfälische Beispiele, Paderborn 1999, S. 127–154, hier: S. 144; Ausführlicher zu Kleinbahnen in Westfalen, zum Beispiel im Kreis Herford und Bielefeld, noch einmal Dieter Ziegler, Einführung, S. 701–702; „Ihre Funktion [=Funktion der Kleinbahn] bestand vor allen darin, landwirtschaftliche Produkte wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Getreide, aber auch industrielle Rohstoffe wie Sand, Zement oder Erze zum nächstgelegenen Staatsbahnhof zu transportieren. […] Manche Kleinbahnen dienten auch als Zubringer für Pendler, die im Umland wohnen und nicht in die Stadt ziehen wollten“ (Ziegler, Einführung, S. 701)

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Das trifft nicht nur auf das Minden-Ravensberger Land zu, sondern auch auf das angrenzende Fürstentum Lippe. So trug die Erste Lippische Eisenbahn dazu bei, dass die Möbelfabrik Gustav Schlingmann aus Lemgo nach eigenen Angaben zu einem der größten Serienmöbelhersteller in Ostwestfalen-Lippe aufstieg.102 Die niedrigen Lohnkosten waren der zweite wichtige Standortfaktor. Arbeitskräfte waren billig, weil das alte Leinengewerbe in Minden-Ravensberg mit der Heimarbeit zusammengebrochen war und es keine konkurrierenden großen Unternehmen gab, die Arbeitskräfte hätten abwerben können.103 So spricht Werner Sombart von einer „für gewerbliche Arbeit disponsible[n] Überschußbevölkerung“104 auf dem Land und erwähnt ausdrücklich den Regierungsbezirk Minden mit „den Kreisen Bielefeld, Herford, Minden und Lübbecke“.105 Diese Arbeitskräfte, häufig Landwirte mit einem kleinen Hof, die zu einem Nebenerwerb gezwungen waren, arbeiteten jetzt zum Beispiel in der Kleider- und Wäschekonfektion sowie im Tischlerhandwerk.106 Bis zum Ersten Weltkrieg bauten die Tischlermeister ihre Werkstätten nach und nach aus, statteten sie mit Maschinen aus, organisierten den Arbeitsprozess arbeitsteilig und machten aus kleinen und mittleren Betriebe Möbelfabriken. Das bedeutete den Übergang zur Serienmöbelfertigung. Im Jahresbericht des Herforder Magistrats über die Lage der Industrie vom 20. Oktober 1898 wird diese Entwicklung beschrieben: Bei dem Handwerke – so namentlich in der Tischlerei – hat sich ein Umschwung bemerkbar gemacht. Die bedeutenden Betriebe der Tischlerei nehmen eine Umwandlung vor, indem sie sich immer mehr der maschinellen Einrichtung zuwenden, damit sie in der Lage sind, den fabrikmäßigen Großbetrieben Concurrenz bieten (zu) können. Infolge dessen wird auch die Vorbildung bezw. Beschäftigung der Lehrlinge und Gesellen eine andere, nämlich auf bestimmte Vorrichtungen zielende. (: Der eine hat die Kreissäge zu bedienen, der andere das Herrichten der geschnittenen Stücke zu besorgen, der dritte das Zusammenfügen u. s.w.:) Unsere Tischlereien liefern meist nur Möbelprodukte. Die Bauartikel lassen sie sich vielfach von auswärts – so z. B. von Schweden – kommen, weil die Herstellung hier theurer wird, hier am Orte werden nun die eingehenden Theile – so z. B. die Thüren – zusammengefügt. Der kleine Handwerker, der obige Anlagen aus Geldmangel sich nicht leisten kann bleibt zurück.107

Einige Unternehmen sind besonders bedeutend für die Entwicklung. Deshalb wird auf sie in dieser Arbeit immer wieder eingegangen. Einer der Vorreiter zwischen Köln und Berlin war der Herforder Kaufmann Gustav Kopka, der den Leinenhandel aufgab und als Möbelfabrikant 102 Vgl. Gebr. Schlingmann: 50 Jahre Möbelschaffen (1897–1947): Gebrüder Schlingmann, Möbelfabrik Lemgo, o. O., 1947, o. S. (LAV NRW OWL, Bibliothek H 209) 103 Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der ostwestfälischen Möbelindustrie, S. 45; Vgl. Werner Plumpe, Einführung, S. 116–124; Vgl. Wilfried Reininghaus: Das Handwerk: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 192–202; Vgl. Christian Kleinschmidt: Vom Hinterland zum internationalen Wirtschaftszentrum, S. 24; Vgl. Karl Ditt, Aufstiege und Niedergänge, S. 243 104 Sombart, Werner: Der moderne Kapitalismus, Bd. 2: Theorie der kapitalistischen Entwicklung, Leipzig 1902, S. 490 105 Ebd., S. 490–491 106 Ebd., S. 491; Vgl. Willi Kulke: Die Möbelindustrie in Westfalen, in: AK: In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 9–23, hier: S. 13 107 Jahresbericht des Herforder Magistrats über die Lage der Industrie vom 20.10.1898, o. S. (KAH, A 1309)

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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Tischler für sich arbeiten ließ.108 Aus seiner Möbel- und Detailhandlung 1861 entwickelte er eine Möbelfabrik, die 1872 die Herstellung von Serienmöbeln aufnahm. Er begann mit 40 Arbeitern und einer Dampfmaschine von 10 PS und lieferte seine Möbel aus Nussbaum, Mahagoni und Kirschbaum bis ins Bergische Land.109 The success of Kopka’s factory encouraged some of his executives to set up their own furniture factories, so that a cluster of woodworking workshops and factories with different specializations emerged.110

Bis 1910 gab es in Herford 28 Möbelfabriken, sie lagen damit hinter den 37 Wäsche- und Konfektionsfabriken an zweiter Stelle.111 Herforder Möbel galten als preiswerte Qualitätsware, die vom mittleren Bürgertum gefragt war, obwohl bürgerliche Käuferschichten lange Zeit Fabrikmöbel ablehnten.112 Bedeutung erlangte auch die Steinheimer Möbelindustrie. Fast alle hier ansässigen Firmen produzierten hochwertige Stilmöbel für das gehobene Bürgertum113, aber auch für den Adel und die Kirche. Der Bildhauer Anton Spilker zählte hier zu den bedeutenden Unternehmern, der nach der Ausbildung bei dem Detmolder Hoftischler Beneke114 die Tischlerei 1864 von seinem Vater übernahm, aus ihr eine Möbelfabrik machte und sich in den Entwürfen der kunstvoll verzierten Möbel an der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-­Dekoration orientierte.115 Anton Spilker gilt als Begründer der Steinheimer Möbelindustrie, weil seine Auszubildenden nach der Lehre Kunstgewerbeschulen besuchten und sich anschließend in Steinheim mit eigenen Betrieben selbständig machten. Spilker warb auf Gewerbeausstellungen für seine Möbel und machte zu Werbe- und Dokumentationszwecken Fotos von den Möbeln, bevor diese das Werk verließen.116 Er verzichtete weitgehend auf die Serienmöbelproduktion, hatte aber eine große Nachfrage und musste seine Werkstatt wegen Platzmangels 1924 erweitern.117 Die 1903 gegründete Steinheimer Möbelfabrik Winkelmann & Albert hingegen baute in der

108 Vgl. Günther Voß: Aus den Gründerjahren der Herforder Industrie, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1993, Bielefeld 1992, S. 55–75, hier: S. 67 109 Vgl. Historisch-biographische Blätter: Industrie, Handel und Gewerbe: Gustav Kopka, Möbelfabrik Herford i. W., Berlin 1911, o. S. (KAH, HF WIII-1027); Vgl. Anzeige von Gustav Kopka in dem Herforder Adressbuch von 1876, o. S.; Vgl. Günther Voß, Aus den Gründerjahren der Herforder Industrie, S. 67 110 Ziegler, Beyond the Leading Regions, S. 158 111 Die Herforder Wäsche- und Bekleidungsindustrie war aus den ehemaligen Leinenhandlungen entstanden. (Vgl. Michael Oldemeier: Das Wachstum der Stadt Herford im 19. und 20. Jahrhundert, S. 109); Vgl. Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 138 112 „Inzwischen war es auch gelungen, die Vorurteile des kaufenden Publikums gegenüber der Fabrikware durch Steigerung der Qualität zu beseitigen“ (Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 138) 113 Vgl. Johannes Waldhoff: Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie. Kulturgeschichtlicher Beitrag als Beilage zum Jahresbericht der Sparkasse Höxter, H. 2, Höxter 2000, o. S.; Vgl. Ursula Spilker/Johannes Waldhoff: 1864 bis 2014. 150 Jahre Steinheimer Möbel (Heimatgeschichtliche und volkskundliche Schriften der Stadt Steinheim, Bd. 17), Steinheim 2014 114 Vgl. Thomas Dann, Möbelschätze aus Lippe, S. 153–159 115 Gespräch mit Frau Ursula Spilker, Urenkelin des Firmengründers Anton Spilker, am 30.6.2017 in Steinheim 116 Spilker/Waldhoff, 1864 bis 2014. 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 54 117 Vgl. Johannes Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie, o. S.

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Serienmöbelherstellung Schlafzimmer für den Möbelhandel und nahm in Steinheim damit eine Sonderstellung ein.118 Die 1897 in Lemgo gegründete Firma Gustav Schlingmann setzte schon früh auf den Einsatz von Maschinen, verarbeitete Halbfabrikate und bezeichnete sich bald als größten Produzenten von Serienmöbeln in Lippe. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte die Fabrik zwischen 60 und 100 Mitarbeiter. Einen anderen Weg ging die 1903 gegründete Lippische Polstergestellfabrik des Tischlers Gustav Bergmann aus Lage. Sie blieb bis zum Ersten Weltkrieg ein Handwerksbetrieb, dessen Polstermöbel sich in der Formensprache deutlich von historistischen Vorbildern der Zeit absetzten und der seinen Kunden qualitätvolle schlichte Massivholzmöbel in großer Vielfalt anbot.119 Bergmann arbeitete im Vertrieb mit örtlichen Händlern zusammen, veröffentlichte jedes Jahr einen Katalog und betrieb Werbung und Marketing. Diese Beispiele zeigen ganz unterschiedliche Firmenstrategien. Sie reichen in der Produktion von weitgehender Handarbeit bis zur maschineller Serienmöbelherstellung und im Stil von historistisch verzierten bis zu ganz schlichten Möbeln. Wichtige Anstöße erhielten die Möbelhersteller in Fragen von Produktion, Stil und Markt auch von außen. Die Produktionsentwicklung wurde durch Maschinenfabriken vorangetrieben, die Holzbearbeitungsmaschinen und Dampfmaschinen entwickelten wie Meyer & Schwabedissen in Herford120 oder die Bielefelder Firmen W. Kampmann & Kracht121 und Th. Calow & Co..122 Die Markt- und Stilentwicklung wurde durch die 1893 gegründete Tischlerfachschule in Detmold beeinflusst, eine von zweien in Deutschland.123 Sie vermittelte in ihren Kursen nicht nur technische und handwerklich-praktische Kenntnisse wie Kalkulation und Buchführung, gewerbliches und technisches Rechnen für Betriebsleiter und Werkmeister, sondern in gleichem Umfang auch künstlerisch notwendige Fähigkeiten wie Skizzen-, Entwurfs- und Ornamentzeichnen für Tischler, Bildhauer und Graphiker.124 Wenn es um die Stilentwicklung geht und um die Frage, welche Stile sich wie in der Produktion durchgesetzt haben, werden die Tischlerfachschulen, die Lehrbücher und die Zeitschriften für Tischler von Bedeutung sein. 118 Vgl. ebd. 119 Vgl. Elisa Groß: Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann- Polstermöbel aus Lage, in: LWL-Industriemuseum (Hrsg.): In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 121–129, hier: S. 126 120 Meyer & Schwabedissen entwickelten für die Möbelindustrie unter anderem eine Dampfkesselanlage (Vgl. o. A.: Gewerbliche Anlagen, o. J.) (KAH, A 1343) 121 Die Werkzeugmaschinenfabrik Kampmann & Kracht produzierte vor allem Holzbearbeitungsmaschinen (Vgl. Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld: Anweisung vom 26.2.1892 zur Ausführung der Gewerbe-Ordnung der Polizeiverwaltung in Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 300,4/Firmenschriften Nr. 4/2)); Kampmann & Kracht warb unter anderem mit Anzeigen in Tischlerzeitschriften, zum Beispiel in Der Deutsche Tischlermeister 23 (1917), H. 5, S. 105 oder in F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 40 (1913), H. 27, S. III 122 Vgl. Schreiben der Firma W. Kampmann & Kracht an die Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld vom 17.9.1901 (Stadtarchiv Bielefeld, 101,13/Nr. 23); Vgl. Angebot an Dampfmaschinen der Bielefelder Maschinenfabrik Th. Calow & Co (Stadtarchiv Bielefeld, 101,13/Nr. 23) 123 Die zweite renommierte Fachschule in Deutschland für den Möbelbau war die Fachschule für Drechsler in Leisnig (Vgl. Programm der Fachschule für Drechsler in Leisnig (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854)) 124 Vgl. Bilder und Programm der Tischlerfachschule, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2)

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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Zunächst soll näher auf die Entwicklung der Maschinen in der Möbelproduktion eingegangen werden, die sowohl in Tischlereibetrieben als auch in kleineren und größeren Möbelfabriken zum Einsatz kamen. Von den Maschinen hing ab, welche Möbel in welcher Qualität, in welchem Stil und zu welchem Preis hergestellt werden konnten. An dieser Stelle soll abschließend noch die Möbelherstellung im Vordertaunus betrachtet werden, die sich in einigen Aspekten wesentlich von der Entwicklung in Ostwestfalen-Lippe unterscheidet. Sie entwickelte sich ab 1860 in dem Leineweberdorf Kelkheim und den angrenzenden Nachbarorten wie Fischbach, Bockenhausen und Hornau nach dem Niedergang des Leinengewerbes, als der zunächst betriebene Abbau von Brauneisenstein nicht den erhofften wirtschaftlichen Erfolg brachte. Die Entwicklung der Möbelherstellung hat Leonhard Dichmann, Sohn des Kelkheimer Möbelfabrikanten Wilhelm Dichmann, in seiner 1927 erschienen Frankfurter Dissertation Die Möbelschreinerei im Vordertaunus nachgezeichnet.125 Wichtige Hinweise gibt auch Heinrich Back, Direktor der Frankfurter Gewerbeschule, in seinem 1909 veröffentlichten Aufsatz Die Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen.126 Anders als Ostwestfalen-Lippe war der Vordertaunus mit den großen Buchen- und Eichenbeständen ein gutes Rohstoffgebiet, das mit den nahe gelegenen Städten Frankfurt/M., Mainz und Wiesbaden zugleich über „ein geradezu ideales Absatzgebiet für Wohnungsmöbel“127 verfügte und schließlich sogar Abnehmer in Köln, Düsseldorf oder Saarbrücken belieferte.128 Anfangs gab es noch keine Eisenbahnverbindung, die Bahnlinie von Königstein nach Höchst wurde erst 1902 eröffnet. Trotzdem konnte sich die Möbeltischlerei entwickeln und auch stetig wachsen. Landwirte fertigten zunächst im Nebenerwerb als Hausindustrielle Kommoden, Betten und Nachttische und lieferten sie samstags per Fuhre an Frankfurter Möbelgeschäfte.129 Die 25 hausindustriellen Betriebe mit insgesamt 45 Beschäftigten arbeiteten also selbständig und ohne Verleger direkt für den Handel. Dann gab es für die nächste Generation einen Einschnitt: Nach 1885, als der Absatz weiter wuchs, aber ihnen die kaufmännischen Kenntnisse fehlten, gaben die Hausindustriellen ihre Selbständigkeit auf und fertigten, nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über für Verleger in Höchst.130 Dabei nutzten sie auch die Lohnarbeit an Holzbearbeitungsmaschinen in Sägewerken und spezialisierten sich. Die Hausindustriellen kauften das Material selber ein, und jeder von ihnen fertigte nach Maßgabe der Verleger über zwei Jahrzehnte131 hinweg immer das gleiche Möbelstück an. Das bedeutete eine starke Rationalisierung, die den Absatz weiter steigerte. Es ist bemerkenswert, dass nach 1905 ein weiterer 125 Dichmann, Leonhard: Die Möbelschreinerei im Vordertaunus, Jena 1927 126 Back, Heinrich: Die Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen, in: Arndt, Paul (Hrsg.): Die Heimarbeit im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet, Bd. 1, Jena 1909, S. 126–152 127 Dichmann, Möbelschreinerei im Vordertaunus, S. 6 128 Vgl. Heinrich Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen, S. 129 129 Vgl. Leonhard Dichmann, Möbelschreinerei im Vordertaunus, S. 7; Back untersucht genauer die Lebensbedingungen von Hausindustriellen anhand von drei Einzelfällen, die sehr anschaulich sind, hier aber nicht weiter vertieft werden können (Vgl. Heinrich Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen, S. 133–136) 130 Dichmann, Möbelschreinerei im Vordertaunus, S. 7 131 Vgl. ebd., S. 8

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großer Einschnitt erfolgte. Die Verleger gründeten in Höchst eigene Fabriken und brauchten die Hausindustriellen nicht mehr. Die 105 Möbeltischler mit ihren 365 Beschäftigten mussten sich wieder neu orientieren.132 Jetzt arbeiteten sie als unabhängiges Kleingewerbe und gaben ihr Spezialistentum auf. „Ein Meister nach dem anderen“133 fertigte auch nicht mehr immer die gleichen Möbelstücke, sondern zunächst einfache, später dann bessere Schlafzimmereinrichtungen134 und lieferte sie über die inzwischen eröffnete Bahnlinie an Frankfurter Möbelhändler. Auch zu dieser Zeit erfolgte der Maschineneinsatz noch über Lohnarbeit, sogenannte „Lohnhobelwerke“.135 Erst in der Nachkriegszeit verfügten die Betriebe über eigene Maschinen.136 Die Entwicklung der Möbelschreinerei im Vordertaunus ist bemerkenswert, weil ihr Aufstieg ohne die Eisenbahn erfolgte und die Entwicklung gewissermaßen andersherum verlief. Die Hausindustriellen gaben ihre Selbständigkeit auf und spezialisierten sich in der Fertigung, bevor sie, wieder unabhängig von Verlegern, nicht mehr einzelne Möbelstücke, sondern ganze Zimmereinrichtungen herstellten. Die Weiterentwicklung zur Fabrik vollzogen sie nicht137, weil diesen Schritt ja schon die Verleger in Höchst gegangen waren. Diese Anmerkungen machen anschaulich, dass es in der Möbelherstellung zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht eine vorherrschende Entwicklung gab, sondern auch Ausnahmen und Sonderfälle, die in den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der jeweiligen Region begründet waren.

132 Vgl. ebd.; Heinrich Back nennt unter Bezug auf die Berufszählung vom 12. Juni 1907 in Kelkheim 104 Möbelschreinereien und 3 Dampfsägewerke. Zu einem der Sägewerke gehört auch eine Holzbearbeitungsfabrik mit 95 Beschäftigten. Die 104 Möbelschreiner beschäftigen 225 Arbeiter und 29 Lehrlinge (Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen, S. 128) 133 Dichmann, Möbelschreinerei im Vordertaunus, S. 9 134 So schreibt auch Heinrich Back, dass die funierten Möbel „vorwiegend Schlafzimmergarnituren“ waren. „Sie bestehen aus einer Waschkommode und 2 Nachtschränken. Außerdem werden ein- und zweitürige Spiegel- und Kleiderschränke, Betten und auch Vertikos angefertigt. Diese Möbel sind durchweg Nußbaum furniert; es werden aber auch an Stelle der Nußbaum-Furniere solche von Mahagoni, Rüster, Satin und Eiche verwendet. Meistens sind die Möbel poliert, sie werden aber auch matt und blank gehalten. […] Spiegel- und Kleiderschränke, außen Nußbaum, innen Eiche, erfordern je nach Größe und Ausführung 40–60, auch 80 Arbeitsstunden zu ihrer Herstellung. Ein Durchschnitt von 65 Arbeitsstunden dürfte im allgemeinen das Richtige treffen. Vertikos werden in etwa 50 Arbeitsstunden fertiggestellt“ (Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend und in Oberhessen, S. 131) 135 Dichmann, Möbelschreinerei im Vordertaunus, S. 9 136 Vgl. ebd. 137 Aus „‚Heimarbeitern‘ sind dann, wo es galt, Aufträge mit möglichster Beschleunigung auszuführen oder umfangreichere Aufträge zu erledigen, Kleinmeister geworden, die anfänglich 2 und 3 Arbeiter beschäftigt haben. Bei steigender Konjunktur haben sich solche Kleinmeister auch wohl ermutigen lassen, größere Werkstätten einzurichten, diese und jene Maschine einzustellen, und so sind in vereinzelten Fällen aus ganz kleinen Verhältnissen größere Geschäftsbetriebe hervorgegangen. Daß die letzten Jahren der Möbelindustrie in den Taunusdörfern günstig gewesen sein müssen, das beweisen die zahlreichen Neubauten, zum Teil Wohnung und Werkstatt unter einem Dach enthaltend“ (Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend, S. 130)

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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6.1.3 Maschinenentwicklung Mit dem Einsatz von Maschinen in der Holzbearbeitung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden Produktion und Gestaltung der Möbel stark verändert. Das hatte auch Auswirkungen auf die Betriebsformen. Die Produktion ging von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Herstellung über.138 Wichtige Quellen für die Entwicklung der Holzbearbeitungsmaschinen sind Monographien wie das 1877 erschienene Werk Holzbearbeitungsmaschinen von August Graef.139 Der Erfurter Zeichenlehrer und Herausgeber des Praktischen Journals für Bau- und Möbeltischler beschreibt in sieben Kapiteln Maschinen zum Trennen und Schneiden von Hölzern, Hobelmaschinen, Maschinen zum Bohren, Stemmen und Zapfen des Holzes, Maschinen zum Fräsen oder Kehlen des Holzes und schließlich kleinere Ergänzungs- und Hilfsmaschinen.140 Den genauen technischen Aufbau dieser Maschinen erläutert Hermann Fischer, Professor an der Königlich Technischen Hochschule Hannover, in seinem 1900 erschienenen Buch Die Holzbearbeitungs-Maschinen.141 Welche Bedeutung einzelne Maschinen für den Betriebsablauf haben, schildert ein unbekannter Autor 1910 in dem zweiteiligen Aufsatz Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes in der Zeitschrift Der deutsche Tischlermeister.142 Entscheidend ist auch das 1911 veröffentlichte Buch Tischlerwerkstatt des Land- und Möbeltischlers von Ludwig Reineking. Der Gründer und Direktor der Detmolder Tischlerfachschule gibt hier Hinweise und Ratschläge zur Gründung von Tischlereien, zur Anordnung von Maschinen und zur Ausweitung des Betriebs. Wichtig ist auch Die Möbeltischlerei von Friedrich August Büchner143 von 1922. Dieses Buch richtet sich vor allem an „Praktiker im Möbeltischlergewerbe“144 und behandelt neben Holzarten und Holzverarbeitung auch die Holzbearbeitung mit Werkzeugen und die Werkstatt des Möbeltischlers. Schließlich beschreibt Peter Benje in seiner 2002 veröffentlichten Dissertation Maschinelle Holzbearbeitung die Entwicklung der Holzbearbeitungsmaschinen und die Folgen für den Produktionsprozess im Übergang von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Herstellung. Die Holzbearbeitungsmaschinen wurden ursprünglich von den Handwerkern selbst hergestellt.145 Diese ersten aus einer Verbindung von Holz und Eisen bestehenden Maschinen standen häufig auf Holzgestellen und hatten den Nachteil, dass an ihnen nur sehr langsam gearbei138 Vgl. Peter Benje, Maschinelle Holzbearbeitung, S. 225 139 Graef, August (Hrsg.): Die Holzbearbeitungsmaschinen für Tischler, Bildhauer, Zimmerleute, Wagenfabrikanten und Stellmacher, Dampfschneidereien und Fräseanstalten, Goldleistenfabrikanten u. u., Weimar 1877 140 Vgl. ebd., S. V–VIII 141 Vgl. Hermann Fischer: Die Werkzeugmaschinen, Bd. 2: Die Holzbearbeitungsmaschinen, Berlin 1901, S. 191 142 Vgl. o. A.: Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 34 (19.8.1910), S. 2039–2040; Vgl. o. A.: Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 35 (26.8.1910), S. 2099–2100 143 Vgl. Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, o. S. 144 Ebd. 145 Vgl. Markus Miller: Weltausstellungsmöbel 1851–1867, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 49 (1998), S. 185–246, hier: S. 188

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tet werden konnte und auch das Holz nur sehr unsauber aus der Maschine kam. Schließlich wurden bessere Maschinen von Maschinenherstellern entwickelt.146 Zu den wichtigsten Holzbearbeitungsmaschinen gehörten Band- und Kreissäge147, die in jeder Tischlerei zu finden waren. Die Bandsäge sollte helfen, alle vorkommenden Aufgaben in der Werkstatt ohne großen Kraftaufwand zu erledigen.148 Sie ersetzte Block- und Trenn-, Furnier- und Decoupier-, Abkürz- und Saumsäge. Damit war sie die „Dienerin aller in einer Fabrik beschäftigten“149 Menschen. Es gab „hunderte von verschiedenen Konstruktionen“.150 Die Kreissäge eignete sich vor allem für das Auftrennen von Hölzern und für das Erstellen gleich breiter Stücke.151 Mit ihr konnten ganz kleine Arbeiten am Holz erledigt werden, aber auch größere Blöcke konnten geschnitten werden. Einfache Bedienung152 und hohe Geschwindigkeit waren ihre großen Vorteile.153 Graef wies aber darauf hin, dass es in den Betrieben durch den ununterbrochenen Betrieb von Band- und Kreissäge häufig zu größeren Störungen und längeren Verzögerungen kam. Er empfahl daher, nur Qualitätswerkzeug für die Werkstatt anzuschaffen.154 Die Fräsmaschine war eine der vielseitigsten Maschinen155 und notwendig, um Nuten und Schlitze, Ecken oder Kannelüren im Holz herzustellen. Sie bestand aus einer mit Messer versehenen, sich schnell drehenden Spindel, die vertikal oder horizontal angeordnet sein konnte. Eine vertikale Spindel wurde benutzt, um Leisten oder Tischplatten, Stuhllehnen oder Gesimse an den Seiten mit Kehlungen zu versehen.156 Die horizontale Spindel wurde bei geschweiften Arbeiten benötigt, also für Stühle und Sofas.157 Diese Fräse war vielseitig verwendbar, weil sich mit ihr nach jeder Richtung fräsen ließ.158

146 Vgl. Hermann Fischer, Die Werkzeugmaschinen, Bd. 2; Vgl. Hermann Fischer: Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Holzhobel und Fräsmaschine, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie: Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure 1 (1909), S. 176–181 147 Zur Geschichte der Säge vgl. Hermann Fischer: Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Die Holzsäge, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie: Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure 1 (1909), H. 3, S. 61–78 148 Vgl. Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 51; Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 80 149 Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 10; Vgl. Martina Heßler: Mensch und Maschine: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 272–279, hier: S. 273 150 Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 10 151 Vgl. Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 53; Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 89 152 Vgl. August Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 11 153 Vgl. Hermann Fischer, Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Die Holzsäge, S. 75; Vgl. auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 53; Vgl. o. A., Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 1, S. 2039 154 Vgl. August Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 10 155 Vgl. o. A., Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 2, S. 2099 156 Vgl. August Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 74; Vgl. Hermann Fischer, Die Werkzeugmaschinen, Bd. 2, S. 196–199; Vgl. Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 51–52; Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 88 157 Vgl. August Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 76 158 Vgl. ebd.

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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Hobelmaschinen schließlich ersetzten das Hobeln von Hand und wurden zum Hobeln starker Holzstücke eingesetzt.159 Sie leisteten das 50fache der Handarbeit160, arbeiteten sehr viel genauer und sehr schnell.161 Bis Mitte der 1870er Jahre waren sie äußerst schwere, große und teure Maschinen. Erst die 1877 konstruierte Holzhobelmaschine „nach amerikanischem System“162 der Mannheimer Firma Bassermann & Mondt war leichter, weil an einem festen Messerkopf ein seitlicher Arbeitstisch angebracht war.163 Sie war von „überaus einfacher, aber ausgezeichnet bewährter Konstruktion“.164 Ähnlich arbeiteten weitere Maschinen wie die im gleichen Jahr vorgestellte Holzhobelmaschine der Werkzeugmaschinen-Fabrik zu Chemnitz.165 Entscheidend für die weitere Entwicklung in der Möbeltischlerei war Anfang der 1880er Jahre der moderne Abrichter, eine „Universalmaschine“166 von herausragender Bedeutung. Mit ihr konnten Leimfugen und Schrägabkanten hergestellt oder Rahmenwerk, Nuten und Federn abgeputzt werden.167 Diese Maschine, schreibt ein unbekannter Autor in Der Deutsche Tischlermeister 1910, „hat eine so rapide Verbreitung gefunden, daß sie selbst da nicht fehlt, wo die sonstigen Einrichtungen die allerprimitivsten sind“.168 Ohne Abrichter galten die Betriebe nicht mehr als konkurrenzfähig.169 Was vorher in Handarbeit an einem ganzen Tag produziert wurde, konnte mit dem Abrichter jetzt in nur einer Stunde erledigt werden170: Die Arbeit mit dem modernen Abrichter erlaubte es jedem erfahrenen Facharbeiter, alle nur erdenklichen Formen in der Holzbearbeitung auszuführen. Der Tisch dieser Universalmaschine war der Breite nach in der Mitte oberhalb des Messerkopfes zweigeteilt. Jede Hälfte des Tisches konnte unabhängig von der anderen Hälfte waagerecht oder senkrecht zur Stellung der Messerwelle verschoben werden. Die Arbeiten mit diesem Abrichter konnten so sauber ausgeführt werden, daß nur noch selten Nacharbeiten per Hand und mit Sandpapier notwendig waren.171

Der Abrichter gilt deshalb als wichtigste Voraussetzung dafür, dass es sich für Tischlereibetriebe lohnte, maschinell zu produzieren. Allerdings nutzten anfangs nur größere Betriebe den Abrichter, solange er nur mit Dampfkraft betrieben werden konnte. Es entstand die „Möbelfabrik 159 Zur Geschichte der Holzhobelmaschine vgl. Hermann Fischer, Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Holzhobel und Fräsmaschine, S. 176–181 160 Vgl. Faust: Die Dicktenhobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 46 (13.11.1913), S. 361–362, hier: S. 361 161 „Von den Holzbearbeitungsmaschinen gehören weiters zu den gefahrbringendsten in zweiter Linie die Hobelmaschinen und unter diesen besonders diejenigen, bei denen der Arbeiter das zu hobelnde Holz der Messerwelle mit der Hand zuführen muß“ (Lauböck, Georg: Unfälle durch Holzbearbeitungs-Maschinen, Teil 4, in: Neue Tischler-Zeitung 33 (1884), S. 1–2, hier: S. 1); Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 81 162 Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen, S. 52 163 Vgl. ebd. 164 Vgl. ebd. 165 Vgl. ebd., S. 53 166 Vgl. Peter Benje, Maschinelle Holzbearbeitung, S. 122–123 167 Worauf es beim Kauf eines Abrichters ankommt, erklärt der Artikel Die Abrichthobelmaschine: Vgl. o. A.: Die Abrichthobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 27 (3.7.1913), S. 211–213 168 o. A., Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 2, S. 2099 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. Peter Benje, Maschinelle Holzbearbeitung, S. 123–125; Vgl. Dirk Fischer, Möbelindustrie, S. 101 171 Fischer, Möbelindustrie, S. 101; Vgl. Hermann Fischer, Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Holzhobel und Fräsmaschine, S. 176–181

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mit Dampfbetrieb“.172 Welches wirtschaftliche Risiko damit verbunden war, zeigt der Fall der 1893 in Steinheim gegründeten mittelgroßen Firma Josef Gemmeke, die als erste in Steinheim 1894 eine Dampfmaschine anschaffte, aber schon ein Jahr später den Betrieb komplett einstellen musste.173 Die maschinelle Holzbearbeitung im Kaiserreich setzte sich in Schüben durch. Erst als der Elektromotor entwickelt war, „ein treuer und dabei bescheidender Freund des Handwerkers“174, konnten auch kleinere Betriebe den Abrichter nutzen, wie der Journalist Damian Gronen 1910 in seinem Artikel Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien in der Zeitschrift Der deutsche Tischlermeister schreibt: In der Elektrizität war dem Handwerker und Kleingewerbetreibenden eine Retterin erschienen, so gut und zweckdienlich, wie man es sich nur wünschen konnte. […] Für seine wenigen Arbeitsmaschinen konnte er sich jetzt eine billige Betriebskraft verschaffen, die noch den Vorzug der Bequemlichkeit und Betriebssicherheit hatte. Außerdem war die Bedienung höchst einfach und vollständig gefahrlos. Der Handwerker konnte nun mit dem fabrikmäßigen Großbetrieb in wirksame Konkurrenz treten.175

Allerdings verlief die Entwicklung bei weitem nicht so positiv, wie Gronen es beschreibt. Der Einsatz von Kleinmotoren, der nun technisch möglich wurde, war für kleinere Betriebe immer noch zu teuer, wie später in Kapitel 6.2.1 weiter ausgeführt wird. Das zeigt sich auch an den Zahlen, die Karl Heinrich Kaufhold nennt: Während 1895 der Motorisierungsgrad bei mittleren und größeren Betrieben bei 32,6 Prozent lag, betrug er bei Kleinbetrieben nur 3,8 Prozent. Bis 1907, in zwölf Jahren also, stieg der Motorisierungsgrad in Kleinbetrieben auf 5,8 Prozent, in mittleren und größeren Betrieben dagegen auf 45,5 Prozent.176 Die maschinelle Herstellung veränderte aber auf jeden Fall den Produktionsablauf. Maßgebend war jetzt nicht mehr der Arbeitsgang des Handwerkers, sondern die technischen Erfordernisse der Maschine. Der Handwerker reiht einzelne Produktionsschritte aneinander und arbeitet ganzheitlich an seinem Werkstück mit dem „Anbilden oder Anformen an das Vorangehende“.177 Die Maschine verlangt dagegen, dass das Produkt in verschiedene Einzelteile zerlegt, in Teilen gefertigt und anschließend in der Montage zusammengesetzt wird. Allerdings gab es auch Zwischenformen. So gab es in der Herforder Firma Gustav Kopka in den Anfangsjahren 172 Benje, Maschinelle Holzbearbeitung, S. 67; Vgl. o. A.: Welche Kraftmaschine wählt der Handwerksmeister?, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 34 (25.8.1911), S. 1995–1996 173 Vgl. Johannes Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie, o. S. 174 Gronen, Damian: Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 47 (18.11.1910), S. 2841–2842, hier: S. 2841 175 Gronen, Damian: Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 46 (11.11.1910), S. 2777–2778, hier: S. 2777; Trotzdem gab es immer wieder Diskussionen um die Höhe des Strompreises, zum Beispiel in der Steinheimer Möbelindustrie. Eine Kilowattstunde Strom kostete schließlich 1907 30 Pfennig, in etwa der Stundenlohn eines Tischlergesellen (Vgl. Ursula Spilker/ Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 29) 176 Vgl. Karl Heinrich Kaufhold: Das Handwerk zwischen Anpassung und Verdrängung, in: Pohl, Hans (Hrsg.): Sozialgeschichtliche Probleme in der Zeit der Hochindustrialisierung (1870–1914) (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N. F., H. 1), Paderborn 1979, S. 103–141, hier: S. 115; Vgl. auch: o. A.: Welchen Motor wähle ich, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 9, S. 501–504, hier: S. 503 177 Benje, Maschinelle Holzbearbeitung, S. 188

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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eine Arbeitsteilung auch ohne Maschinen. Kein Möbelstück hatte ein einzelner Handwerker allein gefertigt. Vielmehr waren Einzelteile genormt und arbeitsteilig hergestellt worden. Damit hatte der Kaufmann Kopka seine Erfahrungen aus dem Textilhandel auf die Möbeltischlerei übertragen178 und wurde zum Vorreiter. Mit seiner Produktionsweise erzielte er Vorteile, die andere Betriebe damals noch nicht gesehen hatten. Die handwerkliche Produktion ging mit zunehmender Arbeitsteilung, Rationalisierung und Mechanisierung zur fabrikmäßigen Produktion über. Der Übergang zur Serienmöbelfertigung war fließend. Eine Möbelindustrie in Großserien und an Fließbändern, wie wir sie verstehen, entstand allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg.179 Es ist deshalb richtig, mit Blick auf die Produktion im Kaiserreich von einer „semi-industriell handwerklichen Produktionsweise“180 zu sprechen, denn handwerkliches Können wurde nicht vollständig von Maschinen und Hilfskräften ersetzt. Auch in der Serienmöbelherstellung konnten einige Arbeitsschritte nur von Fachkräften ausgeführt werden. So stellte Schlingmann fest, dass der Maschinenbetrieb im Handwerk die Verwendung von gelernten Arbeitern nicht entbehrlich [macht], denn da es sich meistens um kombinierte Maschinen handelt, erfordert deren Bedienung solche Arbeitskräfte, die in einer regelrechten Lehre ausgebildet sind.181

Zu den Fachkräften in Tischlereien und kleineren Fabriken gehörten Schreiner, Polierer und Kunsttischler (Ebenisten). Wie sie, von Maschinen unterstützt, zusammenarbeiteten, macht der folgende typische Produktionsablauf deutlich.182 Es wird erkennbar, wie viel Fachkenntnis trotz der Maschinen immer noch notwendig war. Deshalb ist es hilfreich, den Produktionsablauf ausführlicher zu schildern. Zuerst wurden die Hölzer an Sägen in die jeweilige Länge geschnitten, etwa an der Kreissäge, der Blocksäge oder Bandsäge.183 Anschließend lagerten die geschnittenen Hölzer in Trocken­kammern, also in geschlossenen und heizbaren Räumen184, denn das Trocknen an der Luft hatte sich für die Betriebe als zu lang andauernd erwiesen. In diesen Trockenkammern konnten die Holzbretter von allen Seiten durch erwärmte Luft trocknen. Dabei war darauf zu achten, dass weiche und harte Hölzer nicht zusammen zum Trocknen gelagert wurden.185 Um Reißen beim Holz zu verhindern, wurde weichem Holz eine geringere Menge an Wärme hinzugefügt als hartem Holz186: die Hitze lag bei Laubhölzern bei 30–40°C, bei ­dünnen Nadelhölzern bei 80–95°C und bei starken Nadelhölzern bei 50°C. Anschließend wurden die Hölzer vom 178 Vgl. Dirk Fischer, Möbelindustrie, S. 75 179 Vgl. ebd. S. 99; Vgl. Joachim Radkau, Holz, S. 251 180 Fischer, Möbelindustrie, S. 4 181 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 20; Vgl. Martina Heßler, Mensch und Maschine: Einführung, S. 275 182 Vgl. zum Produktionsablauf  Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Lippe, S. 139 183 Vgl. August Graef, Die Holzbearbeitungsmaschinen für Tischler, S. 2 184 Für den Holztrockenraum wird eine „seitlich oder nach oben zu bewegen[de]“ feuersichere Schiebetür empfohlen (Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 30); Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 22 185 Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 26 186 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 535–536; Vgl. auch: Friedrich August Büchner, Die Möbeltischlerei, S. 30; Vgl. auch: o. A., Trocken-Verfahren für Nutzholz, S. 369 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695)

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Zuschneider geschnitten, damit sie an den unterschiedlichen Maschinen wie Hobelmaschine, Dickenhobelmaschine (auch Dicktenhobelmaschine), Schleifmaschine, Fräsmaschine, Langlochbohrmaschine oder Schlitzmaschine weiterbearbeitet werden konnten. Dabei war darauf zu achten, dass die jeweiligen Maschinen dem Arbeitsablauf entsprechend aufgestellt waren.187 Der Zuschneider hatte eine der wichtigsten Aufgaben.188 Er musste sich sehr eng mit dem Arbeiter absprechen, der nach ihm das Holz zum Weiterbearbeiten bekam, und gleichzeitig darauf achten, in welcher Weise er die Bretter zu schneiden hatte. Das Brett schnitt er immer rechtwinklig durch, um den Abfall so gering wie möglich zu halten. Danach wurde das geschnittene Holz an der Kreissäge auf die richtige Länge und Breite hin geschnitten189 und kam zum Abrichter, dem wichtigsten Gerät innerhalb der Produktion. Hier konnte das im Abrichter „gerichtet[e] und eingespannt[e] Holz“190 sehr leicht mit einem Hobel korrigiert werden. Es musste aber darauf geachtet werden, dass der Abrichter mit einem flächenebenen Tisch versehen war.191 Eine besondere Form des Hobels ist die Dickenhobelmaschine. Mit ihr konnte das Stück Holz um das 50fache schneller gehobelt werden als in Handarbeit.192 Um eine gute Arbeit zu erzielen, durften die Hölzer nicht zu dick sein.193 Anschließend wurde das Holz vom Verleimer verleimt. Dabei sollte guter Leim verwendet werden194, denn billiger Leim „bindet deutlich schlechter und ist deutlich weniger ergiebig“.195 Nach dem Trocknen des Leimes wurden die einzelnen geschnittenen Hölzer im Maschinenraum vom Tischler weiterbearbeitet. Er verfügte über eine große Zahl an Profilhobeln und „profilierten Stech- und Stemmeisen“.196 War das Möbelstück nun dekorativ verziert und geschliffen, wurde es anschließend vom Polierer mit Polierwachs poliert, um den gewünschten Glanz zu erzielen. Vor allem harte Hölzer ließen sich so gut polieren, während weiche Hölzer die Politur oft nicht annahmen.197 Anschließend wurde das Holz mit einem Wolllappen glänzend gerieben, weil das Polierwachs alleine häufig nicht den gewünschten Effekt erbrachte. Wurde keine Politur verwendet, bekam das Möbelstück einen Firnis, den „letzte[n] glänzende[n], auf das Holz übertragene[n]

187 Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 5 188 Vgl. Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 543 189 Vgl. ebd., S. 546 190 Graef, Holzbearbeitungsmaschine, S. 49 191 Vgl. Brutus: Abrichthobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 27 (3.7.1913), S. 211–213, hier: S. 213 192 Vgl. Faust, Die Dicktenhobelmaschine, S. 361 193 Vgl. Ludwig Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 83 194 Vgl. Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Lippe, S. 139; „Die Aufgabe des Verleimers ist es ferner, bei den trockenen Platten den hervorgequollenen Leim zu entfernen, ehe diese zur Hobelmaschine zurückkommen“ (Reineking, Tischlerwerkstatt, S. 6) 195 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 6, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 14, S. 799–800, hier: S. 800 196 Kaiser, Hermann: Schreiner, Tischler, Ebenisten, in: Reith, Reinhold (Hrsg.): Lexikon des alten Handwerks. Vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 1990, S. 223 197 Vgl. Hans Issel: Das Tönen, Färben, etc.: Behandlung mit wässrigen Flüssigkeiten, Firnissen und Ölen, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 413–445, hier: S. 432; Vgl. Louis-Edgar Andés, Die technischen Vollendungsarbeiten der Holz-Industrie, S. 3

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Überzug“198, der mit einem Pinsel in mehreren Schichten auf die Holzoberfläche aufgetragen wurde. Dabei war darauf zu achten, dass jede einzelne Schicht erst vollständig getrocknet war und danach direkt geschliffen wurde. Für den Firnis war es entscheidend, dass die Holzoberfläche sehr glatt geschliffen war, denn sonst richtete sich die Holzfaser auf und es kam zu einer rauen Holzoberfläche. Eine weitere Möglichkeit, das Holz schön wirken zu lassen, konnte mittels einer Lackierung erreicht werden.199 Danach konnte das Holz noch vergoldet werden. Sobald das Möbelstück fertig war, bekam es einen dauerhaften Anstrich, wurde danach gebeizt, erhielt mehrere Schichten gekochtes Leinöl zum Schutz vor dem Holzwurm200 und wurde gewachst oder poliert. Schließlich wurde das Möbelstück für den Versand vorbereitet und schützend eingepackt.201 Häufig jedoch gab es eine „beispiellos schlechte Verpackung der deutschen Waaren […], ein schwer zu beseitigendes Übel der deutschen Fabrikanten“202, wie die Neue Tischler-Zeitung 1881 kritisierte. Wie viele Maschinen den Produktionsablauf in den Werkstätten und Fabriken bestimmt haben, lässt sich nicht genau sagen. „Im ganzen waren jedenfalls nach der Betriebszählung von 1907 29753 Arbeitsmaschinen aufgestellt. Die Zahl der einzelnen Betriebe, die sich der Maschinen bedienten, lässt sich aber nicht ermitteln“.203 Auch in den vorhandenen Quellen und Unterlagen der ausgewählten Unternehmen wie zum Beispiel Kopka in Herford oder Schlingmann in Lemgo sind die Angaben zum Maschineneinsatz sehr bruchstückhaft.204 So hatte die 1903 gegründete Firma Gustav Bergmann aus Lage eine Maschine mit einem großen Motor.205

198 Stratmann-Döhler, Rosemarie: Möbel, Intarsie und Rahmen, in: Weiß, Gustav et al. (Hrsg.): Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Bd. 3: Glas, Keramik und Porzellan. Möbel, Intarsie und Rahmen Lackkunst, Leder, Stuttgart 1986, S. 135–210, hier: S. 198; Vgl. Gustav Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe, S. 116 199 Vgl. o. A., Lackierungen auf Hartholz, S. 10–11 200 Vgl. Rs.: Über die Bekämpfung des Holzwurmes, in: Leipziger Mess-Zeitung 6 (1909), H. 7 (28.2.1909), S. 83–84, hier: S. 83 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693) 201 Vgl. o. A.: Die Verpackung der Möbel, in: Neue Tischler-Zeitung 3 (1881), H. 3 (1.2.1881), S. 3; Vgl. Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Lippe, S. 139 202 o. A., Die Verpackung der Möbel, S. 3; Hier ist abgedruckt der Brief aus Odessa von Louis Wedde von der Firma Jules Wedde vom November 1880: „Im Sommer dieses Jahres kaufte ich in Berlin […] eine größere Partie Möbel, theils glatte, einfache, als auch feine Möbel, so auch Spiegel. […] Beim Auspacken der Kisten zeigte es sich, daß die Verpackung eine solch‘ schlechte und nachlässige war, daß die Möbel zerbrochen, zerschunden und zerkratzt waren, die einzelnen Stücke waren nicht einmal in Papier gewickelt, geschweige denn ordentlich in die Kiste gelegt, kurz der Zustand dieser Möbel ist ein nicht zu beschreibender und [deshalb] waren zwei Tischler mehrere Wochen mit der Instandsetzung beschäftigt, jedoch lassen sich nicht mehr überall die Spuren der erlittenen Beschädigungen verwischen. Ein Spiegel hat ebenso stark gelitten. […] Bei den Möbeln, die ich aus Paris empfange, ist die Verpackung nicht theuer, dagegen so gewissenhaft, daß beinahe jedes Stück sofort dem Verkaufe übergeben werden kann und Fälle von Bruch oder sonstiger Beschädigung höchst selten sind“ (o. A., Die Verpackung der Möbel, S. 3) 203 Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 14–15 204 So stellen auch Ursula Spilker und Johannes Waldhoff fest, dass „die für das Jahr 1907 vorliegende Aufstellung der Anzahl und Stärke der Motoren […] uns mehr Fragen als Antworten [gibt], zumal die Betriebe zweigleisig mit eigenem und städtischem Strom fuhren“ (Spilker/Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbelindustrie, S. 28) 205 Gespräch mit Herrn Gustav Bergmann, Enkel des Firmengründers Gustav Bergmann, am 14.4.2016 in Lage

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Aufschlussreich ist auch, was Ursula Spilker und Johannes Waldhoff über die Steinheimer Möbelindustrie und ihre Maschinen zusammenfassen. Im Jahr 1890 gab es die erste Dampfmaschine in Steinheim. Der Drechslermeister Friedrich Schwertfeger trieb damit seine Drehbank an, er kaufte Säge- und Hobelmaschinen und vermietete sie stundenweise an die anderen Hersteller. Erst als 1904 „auf Betreiben der Steinheimer Tischlereien“206 die Stadt ein Elektrizitätswerk errichtet hatte, waren nach kurzer Zeit die meisten Werkstätten mit elektrischem Licht, Kreissäge und Bandsäge ausgestattet. Häufig wurde die Kreissäge mit einer Spindel versehen und so in eine Fräsmaschine umgewandelt. Spilker und Waldhoff weisen darauf hin, dass es einfach konstruierte Maschinen waren. Teure Hobelmaschinen waren selten, weil die Hersteller im Lohnverfahren in anderen Betrieben hobelten.207 Die Mehrzahl der Steinheimer Betriebe setzte die Maschinen als Hilfsmittel für die groben Vorarbeiten ein und fertigte weiterhin „vom Kunden vorgegebene oder für diesen entworfene Einzelmöbel in höchster handwerklicher Qualität“.208 Der Einsatz der Maschinen führte in der Möbelproduktion zu standardisierten Produkten und in der Folge zu einer Spezialisierung der Hersteller. So gab es Betriebe, die nur Waschtische oder Stühle oder Schlafzimmer herstellten, oder andere, die nur Sitzmöbel oder nur Büroeinrichtungen produzierten.209 Schon 1899 stellte Der deutsche Tischlermeister fest: Größer und immer größer ist das Spezialitätenwesen geworden. Nicht nur arbeiten Tischlermeister jahraus, jahrein denselben Gegenstand, Komoden, irgend eine Sorte Schränke u. s.w. u. s.w., sie haben sogar ihren Betrieb auf eine besondere Stilart eingerichtet. […] So giebt [sic!] es in Berlin viele Gesellen, die in 12 Arbeitstagen 4 zweithürige Nußbaum-Kleiderschränke fertig bringen und wenn sie dabei alle Vorteile der Maschine ausnutzen können, werden’s in der Zeit sogar 6 Stück. Dabei ist thatsächlich jeder einzelne Handgriff berechnet. Es wird sogar bei der Fournierung der verschiedenen Hölzer darauf geachtet, daß die Schraubzwingen nicht unnütz auf- oder zugeschraubt werden. Daß mit solchen Spezialtischlern ein Meister, der wegen Gestalt und Konstruktion eines Gegenstandes erst Betrachtungen anstellt und Zeichnungen anfertigt, nicht konkurrieren kann, liegt auf der Hand.210

In Berlin war die Spezialisierung am weitesten entwickelt, sie begann schon in den 1830er Jahren, „als die Berliner Möbeltischlerei sich auf die Massenproduktion warf “211, wie Paul Voigt in seinem Bericht über das Tischlergewerbe in Berlin für die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik berichtet. Aber viele weitere Beispiele gibt es auch aus anderen Orten. In Höchst 206 Spilker/Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 27 207 Vgl. ebd., S. 28 208 Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie, o. S. 209 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 21, S. 75 210 o. A.: Tischlerei und Möbelhandel, in: Der Deutsche Tischlermeister 5 (1899), H. 2 (7.1.1899), S. 17–18, hier: S. 17 211 Voigt, Paul: Das Tischlergewerbe in Berlin, in: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Bd. 4: Königreich Preußen, Zweiter Teil (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 65), Leipzig 1895, S. 325–498, hier: S. 379; Friedrich Lenger bemerkt dazu: „Am meisten fortgeschritten war die Spezialisierung sicherlich in Berlin. Hier gab es am Vorabend des Ersten Weltkriegs ‚Tischlereibetriebe, die nur Schränke, Tische, Stühle, Kommoden, Nähtische, Nachttische, Waschtische, Spiegeluntersätze, Vertikos, Büffets, Bettstellen, Spiegelrahmen, Gardinenhalter, Sofas, Fauteuils, Herrenschreibtische, Damenschreibtische, Küchenschränke usw. anfertigen. Und auch bei dieser Teilung hat man noch nicht Halt gemacht“ (Lenger, Friedrich: Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, Frankfurt/M. 1988, S. 131)

6.1  Bedingungen der Möbelherstellung

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fertigte die Firma Halm Bettstellen an, die Firma Jughardt Schränke und Tische und die Firmen Rötger und Kreusel nur Schlafzimmer.212 Im lippischen Blomberg arbeiteten überregional erfolgreiche Stuhlfabriken wie die 1885 von einem Kaufmann gegründete Stuhltischlerei Eduard Krohne, die Stuhlfabrik Brede & Schwarz, die mechanische Bau- und Möbeltischlerei Ramm & Co., die ab 1909 nur noch Stühle herstellte, oder auch die Holzsägerei Hausmann. Diese Firmen stellten 1900 jeweils 10.000 Stühle her, „hauptsächlich Küchenstühle, verzierte Speisezimmerstühle und gepolsterte Stühle“.213 Die Spezialisierung in der Produktion sagt noch nichts über die Qualität der Möbel aus. So erwähnt der unbekannte Autor in seinem Artikel Tischlerei und Möbelhandel in der Zeitschrift Der deutsche Tischlermeister vom 7. Januar 1899 ausdrücklich die schlechte Qualität und „viel Möbelplunder“.214 Das deckt sich mit Gustav Schlingmanns Feststellung, dass „[i]m Fabrikbetriebe […] die Maschine eine Verbilligung der Produktion infolge Ersetzung von Facharbeitern durch angelernte Kräfte herbeiführen [soll]“.215 Doch dieser Zusammenhang ist nicht zwangsläufig, es gab auch Gegenbeispiele. So spricht der unbekannte Autor in demselben Artikel im Deutschen Tischlermeister auch von „Spezialwerkstätten, die allerbeste Arbeiten herstellen“216 und lobt deren Angebote: In jeder besseren Berliner Möbelhandlung findet man Schränke, Büffets, Tische und Stühle, die geradezu meisterhaft gearbeitet sind, und alle die Dinge sind in Spezialwerkstätten hergestellt worden.217

Damit ist eine entscheidende Frage angesprochen, sie betrifft die Qualität der sogenannten ‚Maschinenmöbel‘. Waren diese exakter gearbeitet als handgefertigte Möbel oder waren sie schlechter, weil ein ausgebildeter Tischler mehr konnte als die Maschine? Ludwig Pfau sah durchaus die Vorteile präzise gearbeiteter ‚Maschinenmöbel‘, wie in Kapitel 5.2.2 erläutert wurde. Viele Tischler waren lange Zeit gegen Maschinen und setzten auf das Handwerk. Dieser Gegensatz bestimmte die Diskussion im Kaiserreich. Sie betraf nicht nur die Produktion der Möbel, sondern auch ihre Gestaltung und den Stil. So setzte die Detmolder Tischlerfachschule auf die Individualität des Handwerkers, der Deutsche Werkbund hingegen suchte nach Wegen, in qualitätvollen Fabrikmöbeln die Vorzüge von Handwerk und Industrie zu verbinden. Das 212 Vgl. Herbert Büschenfeld, Höchst. Die Stadt der Farbwerke, S. 66 213 Kulke, Die Möbelindustrie in Westfalen, S. 14; Vgl. hierzu auch: Lieselotte Krull: Vom Handwerk zur Industrie: Die Entwicklung der Holzindustrie in Blomberg, in: Stadt Blomberg (Hrsg.): In Blomberg…über die Mauern der Stadt hinaus. Bautätigkeit und Stadtentwicklung, Holzverarbeitung vom Handwerk zur Industrie, Von der Spar- und Leih-Casse zur Stadtsparkasse. Eine Dokumentation aus Anlass des 125jährigen Bestehens der Stadtsparkasse Blomberg/Lippe, Blomberg 1995, S. 53–85, hier: S. 60, S. 74; Vgl. Wilfried Reininghaus, Das Handwerk, S. 198; Die Spezialisierung auf einzelne Möbelarten wie Stühle wird in Kapitel 6.2.1 näher beleuchtet. Allerdings liegen die Anfänge der Blomberger Stuhlproduktion bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Damals hatten die Blomberger Tischler nicht nur Möbel, Holzwaren und Holzgeräte für die Landwirtschaft produziert, sondern auch mit der Herstellung von Stühlen begonnen (Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 171–172); Vgl. Thomas Dann, Möbelschätze aus Lippe, S. 9 214 o. A., Tischlerei und Möbelhandel, S. 17 215 Schlingmann, Die Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 20 216 o. A., Tischlerei und Möbelhandel, S. 17 217 Ebd.

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

wird in Kapitel 8 näher erläutert. Zunächst aber soll untersucht werden, welche Folgen die maschinelle Holzbearbeitung für die Betriebe in Produktion und Gestaltung hatte. Dabei geht es um die unterschiedlichen Betriebsformen vom Handwerksbetrieb über Manufaktur und Verlagswesen zur Serienmöbelfabrik.

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ging die Möbelproduktion von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Herstellung über und machte damit die Serienmöbelfertigung möglich. Der Einsatz von Maschinen veränderte nicht nur den Produktionsprozess, sondern auch die Betriebsformen. Es blieb nicht mehr bei Handwerksbetrieb, Manufaktur und Verlag, sondern es entstanden größere Unternehmen mit Lohnarbeitern, die Fabriken, die vor allem den kleinen Handwerksbetrieben erhebliche Konkurrenz machten. Schon 1857 sprach Hermann Schultze-Delitzsch in der Gartenlaube von der „Handwerkernoth“218, bei der die „Stellung der Handwerker den Fabrikanten gegenüber mit jedem Tag unhaltbarer“219 werde. Es war damals allgemein üblich, in dieser Entwicklung einen von der Maschine herbeigeführten unaufhaltsamen ‚Niedergang des Handwerks‘220 zu sehen. Auch Gustav Schmoller sprach in seinen 1870 erschienenen Untersuchungen Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert221 von einer „Krisis des Handwerks“.222 Die Ursache waren für ihn aber nicht die neuen Maschinen und die Fabriken, eine „landläufige Phrase“223, sondern „die totale Aenderung der Verkehrsverhältnisse und die hieraus folgende Revolution in der ganzen Produktion und in der lokalen und geschäftlichen Gruppirung der Menschen“.224 Dieser grundlegende Moderni218 Schulze-Delitzsch, Hermann: Die Handwerkernoth. Ihr Grund und die Mittel zur Hebung, in: Die Gartenlaube 9 (1857), S.125–128, hier: S. 126 219 Ebd. 220 Vgl. Toni Pierenkemper: Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 62–67 221 Vgl. Gustav Schmoller: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Statistische und nationalökonomische Untersuchungen, Halle 1870, S. 196–211 222 Ebd., S. 660–670, hier besonders S. 660 223 Ebd., S. 166; „Es ist mir gleichgültig, ob der sich ändernde Verkehr die erste, die Umbildung der Produktion die zweite Ursache ist; ich kann nicht genau ausscheiden, wie viel auf die erwähnten Ursachen, wie viel auf Rechnung des größern Wohlstandes und Kapitalbesitzes kommt. Wesentlich ist mir ja nur, zusammenfassend zu zeigen, wie alle diese Ursachen in Verbindung mit der ganzen Lebensrichtung der neuen Zeit dem wirthschaftlichen Leben der Familie und damit dem Handwerke eine andere Stellung gegeben haben.“ (Ebd., S. 176) 224 Ebd., S. 175; „Ueberall und in allen Beziehungen hat er die Fäden des wirthschaftlichen Lebens auseinandergezogen, künstlicher und komplizirter geknüpft, er hat geschäftlich und lokal – dem Wohnorte nach – die Menschen anders gruppirt, er hat den Handel wie die Produktion, die Anschauungen und Bedürfnisse der Menschen, wie ihre Sitten und Lebensgewohnheiten umgestaltet. Durch diesen Verkehr vor Allem ist es anders geworden in der Welt, seit der Großvater die Großmutter nahm, ist es anders geworden in Haus und Hof, am Familientisch wie in der Gesindestube, auf dem Jahr- und Wochenmarkt wie im Laden des Städtchens, auf den großen Börsen wie auf den riesigen Stapelplätzen, wo zwei Welten ihre Schätze tauschen.“ (Schmoller, Kleingewerbe, S. 174–175); vgl. hier auch Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 166–167; Maschineneinsatz und Fabrikarbeit haben Auswirkungen bis in die Familie und die Beziehungen der Familienmitglieder ­unter­ein­ander. Ein schönes Beispiel findet sich bei Wilhelm Roscher: Ansichten der Volkswirtschaft aus dem

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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sierungsprozess im Kaiserreich bot aus Schmollers Sicht auch viele Chancen für das Handwerk, wenn der Meister auf Vorrat arbeitete, den technischen Fortschritt nutzte, besser hergestellte Teile von Lieferanten zukaufte, veränderte Bedürfnisse bei den Kunden berücksichtigte, ganz neue Artikel herstellte und nicht mehr nur den lokalen Absatz verfolgte.225 Es ist damit sozial ein ganz anderer Stand von kleinen Unternehmern entstanden, die nicht sowohl durch die Größe des Geschäfts und Kapitals als auch durch die Art des Betriebs vom alten Handwerk und zwar zu ihrem Vortheil sich unterscheiden. Viele waren ursprünglich tüchtige Gesellen, oft einfache Arbeiter, manche sind ursprünglich Kaufleute, – alle nennen sich aber jetzt mit Vorliebe Fabrikanten, auch wenn sie nur einen einzigen oder zwei Arbeiter beschäftigen. […] Es sind Leute, die auf Fortbildungs-, auf Gewerbe- und polytechnischen Schulen etwas gelernt haben, Leute, die auf Reisen, auf Jahrmarkts- und Meßbesuchen sich Bezugsquellen und Absatz verschafft haben.226

Schmollers Beobachtungen wurden zwei Jahrzehnte später durch Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik zur Lage des Handwerks bestätigt. Der Verein beauftragte mit Organisation und Durchführung der Studie den bereits erwähnten Nationalökonomen Karl Bücher227 und veröffentlichte die Untersuchungen in neun Bänden.228 Die Ergebnisse zeigten deutliche Veränderungen in der Stadt, jedoch viel geringere auf dem Land.229 Außerdem machten sie auf die Chancen des Handwerks aufmerksam und belegten, dass in den Städten die Zahl der Meister abnahm, die der Gehilfen stieg, die Betriebe also größer wurden und Aussicht hatten zu überleben.230 In seinem Vortrag231 über diese Untersuchungen auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Köln erwähnte Bücher eine Vielzahl städtischer Handwerks­meister,

geschichtlichen Standpunkte, Leipzig/Heidelberg 1861, S. 231: „Hier sind die Träumereien alter und neuer Sophisten von der Weiberemancipation bereits einigermaßen verwirklicht: die Frau denselben Geschäften hingegeben wie der Mann, selbständig wie er; aber auch eine furchtbare Anzahl von wilden Ehen. Was soll man zu dem Extreme sagen, welches hier und da vorgekommen ist, daß die Frau in der Fabrik arbeitete, während der Mann zu Hause kochte, die Kinder wartete und Strümpfe ausbesserte?“; Allerdings kritisiert Roscher im Folgenden auch deutlich „die frühe wirthschaftliche Selbständigkeit von Kindern, die weder geistig noch körperlich dafür reif sein können“ (Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 231) 225 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 198; auch gibt es einen Trend zur Spezialisierung im Handwerk, zum Beispiel in der Möbeltischlerei (Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 201) 226 Ebd., S. 198–199; vgl. dazu auch 1861 die Angaben bei Wilhelm Roscher: „Je größer die Stadt, um so mehr pflegt das Handwerk einen fabrikähnlichen Charakter anzunehmen: in Preußen kommen auf 100 Meister in den großen Städten 117 Gehülfen, in den kleinen 58, in Flecken und Dörfern 28. Bei den Maurern und Zimmerleuten, die gewöhnlich mit größerem Kapitale arbeiten, haben in Preußen 100 Meister sogar 801 und 648 Gehülfen“ (Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 134) 227 Zu Büchers Arbeit als Nationalökonom vgl. Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten; Büchers Laufbahn vom Hilfslehrer zum Universitätsprofessor wurde bereits in den Kapiteln 4.2.1 und 4.2.2 erwähnt; seine Ehefrau Emilie vermittelt in ihren Briefen an ihre Schwester einige wertvolle Einblicke in den Alltag einer Professorenfamilie in Leipzig (Vgl. Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten, S. 102–136) 228 Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie vgl. Schriften des Vereins für Socialpolitik (1895–1897), Bd. 62–70 229 Vgl. Karl Bücher: Der Niedergang des Handwerks, in: Ebd.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung. Tübingen 1917, S. 197–228, hier: S. 220–221 230 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 220; Vgl. auch Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 340–342 231 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 197–228; Vgl. auch Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. V–VI; Vgl. auch Friedrich Lenger: Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 1994, S. 118

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

die zu Fabrikanten oder kleineren Unternehmern geworden waren.232 Er beurteilte diesen „Verwitterungs- und Umbildungsprozess“233 im Handwerk ähnlich skeptisch wie Schmoller und kam zu dem Schluss, dass das Handwerk als Betriebsform nicht vollkommen verschwinden, sondern überall dort weiterbestehen werde, wo es seine Vorzüge weiterhin ganz zur Geltung bringen könne.234 Es werde aber deutlich an Bedeutung verlieren, und zwar auch dann, wenn es kleinere Maschinen mit Elektromotor in der Produktion einsetze235 oder sich zum Kunsthandwerk entwickele.236 So stellte Bücher fest, daß das Handwerk in allen Fällen, wo es gebrauchsfertige, raschem Verderben nicht ausgesetzte Ware liefert, die in bestimmten Typen für Durchschnittsbedürfnisse hergestellt werden kann, im höchsten Maße gefährdet ist, selbst da, wo eine technische Überlegenheit des Großbetriebes nicht vorhanden ist.237

Auch werde manchen Branchen im Handwerk nichts anderes übrigbleiben, als nur noch Fabrik­ ware auszubessern und damit ein „Reparaturgewerbe mit oder ohne Ladengeschäft“238 zu sein. Von einer „durchgängigen Gefährdung“239 und einer „Zersetzung der einzelnen Handwerke“240 sprach schließlich auch Werner Sombart in seinem 1903 erschienenen Buch über Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert.241 Trotzdem stellte er fest, dass das Handwerk auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Teil der Volkswirtschaft bleiben werde.242 Diese 232 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 205; So auch Werner Sombart: „Es scheint nun, als ob sich in vielen Fällen der Übergang von der handwerksmäßigen in die kapitalistische Gewerbeverfassung in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland nicht sowohl mit einem plötzlichen Sprung in die Großindustrie vollzogen habe als vielmehr in der Weise, dass aus dem Handwerkerstande selber eine Anzahl kräftiger Naturen zu solchen kleinkapitalistischen Unternehmern emporgewachsen sind“ (Werner Sombart: Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, Berlin 1909, S. 319). Danach haben zwischen 1882 und 1895 die Betriebe mit 6 bis 10 Beschäftigten um 65,1 % und die mit 11 bis 50 Beschäftigten sogar um 76,9 % zugenommen. (Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 319) 233 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 205 234 Vgl. ebd., S. 225 235 Karl Bücher äußert sich dazu kritisch (Vgl. ebd., S. 223) 236 Auch hier widerspricht Karl Bücher (Vgl. ebd., S. 222) 237 Ebd., S. 219–220 238 Ebd., S. 211; Sombart erkennt auch positive Aspekte dieser Entwicklung: „Die rasche Neugestaltung des gewerblichen Lebens in den Großstädten schafft im jeden Augenblick Arbeitsgelegenheiten neu, deren sich der gewandte Handwerker bemächtigen kann; wir haben an verschiedenen Stellen solche Fälle beobachtet: namentlich auf dem Gebiet der Baugewerbe, bei der Installation von Gas- und Wasserleitungen etc. fallen immer wieder Brosamen ab, von denen sich der Handwerker – eine Zeit lang wenigstens – nähren kann. Auch die umfassenderen Reparaturen in den reichbevölkerten Städten geben dem Handwerke größeren Arbeitsstoff, als er in den extensiven Siedlungsgebieten findet“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 616); Zum Handwerk als ‚Reparaturgewerbe‘ vgl. auch Hans-Heinrich Müller: Produktivkräfte in Deutschland 1870–1917/18, Berlin 1985, S. 72 239 „[N]icht eine Vernichtung, wohl aber eine durchgängige Gefährdung des Handwerks, auch in den Gewerbezweigen, in denen es noch standgehalten hat, ist das Ergebnis der Wandlungen im neunzehnten Jahrhundert.“ (Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 323) 240 Ebd., S. 308–309 241 Zu den Kontroversen zwischen Sombart, Bücher und Schmoller vgl. auch Friedrich Lenger, Werner Sombart, S. 49–50; S. 118–119, hier auch Fußnote 27 242 Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 305; Hier wagt Sombart eine Prognose, obwohl er selbst warnt: „Deutsche Professoren haben die Undurchführbarkeit des Dampfschiffsbetriebes, der Eisenbahnen und anderer Neuerungen haarklein nachgewiesen. Sollten wir immer noch nichts gelernt haben? Die Spuren schrecken!“ (Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 308)

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Frage, ob das Handwerk im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert von der Industrie allmählich verdrängt wurde oder sich nur neuen Verhältnissen angepasst hat, aber im Kern eine eigenständige Betriebsform geblieben ist, beschäftigt die Handwerksgeschichte im Übrigen bis heute243, kann hier aber nicht weiter vertieft werden. Die wesentliche Ursache für die Verdrängung des Handwerks lag auch für Bücher in erster Linie nicht in dem Einsatz von Maschinen und den dadurch gesunkenen Produktionskosten, sondern in einer neuartigen „volkswirtschaftlichen Bedarfsgestaltung“.244 Es gehe um einen gleichartigen und massenhaften Bedarf245, der Unterschiede in den Lebensgewohnheiten ausgleiche und der, wie man Bücher ergänzen kann, auch auf die Nachfrage nach Möbeln übertragbar ist und die wachsende Bedeutung der Serienmöbelfertigung für bürgerliche Selbstrepräsentation erklären kann: Die Ausstattung der Wohnung, der Küche ist zwar reicher, aber auch einförmiger geworden. Auch im geringsten Haushalt findet sich eine Petroleumlampe, eine Kaffeemaschine, etwas emailliertes Kochgeschirr, ein paar eingerahmte Photographien. Um die begehrte Ware auch den weniger begehrten Volksklassen zugänglich zu machen, muss sie leicht und billig hergestellt werden. Unterliegt nun ein Artikel raschem Modewechsel, so steigt der Bedarf an billiger Ware auch bis in die besser gestellten Schichten der Gesellschaft hinauf, indem man sich so die Kosten der Modetorheit erträglich macht. So entsteht ein Massenbedarf an billiger Ware, für dessen Herstellung der ältere Typus der Fabrik die gegebene Produktionsform ist. Handwerksarbeit ist dafür zu teuer; wo sie technisch möglich bleibt, muss sie aufs äußerste spezialisiert werden und verliert dann notwendig den Boden der Kundenproduktion unter den Füßen.246

Dieser veränderte Bedarf wird später in Kapitel 7 über die Marktentwicklung noch genauer untersucht.247 Dabei geht es auch um die neuen Konsumgewohnheiten, die auch den bürgerlichen

243 Vgl. hierzu die vom Westfälischen Wirtschaftsarchiv 2015 mitorganisierte Tagung „Fokus Handwerk: aktuelle Perspektiven einer interdisziplinären Handwerksforschung: Themen, Fragestellungen, Quellen und Methoden“ (vgl. Kap. 4, Anm. 65); Vgl. Wilfried Reininghaus, Das Handwerk: Einführung, S. 192–202; „Dem Handwerk wurde gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts der baldige Untergang prognostiziert, der jedoch nicht eintrat. Im 20. und 21. Jahrhundert besteht das Handwerk als Betriebsform weiter und setzt Maschinen ein, während sich Fabriken durch den vermehrten Einsatz von Mikroelektronik immer weiter von der Dampfmaschine entfernt haben“ (Reininghaus, Das Handwerk: Einführung, S. 192–193); Vgl. Toni Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 61–73; Vgl. Jürgen Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert (Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 2), Bonn 1990; Vgl. Karl Heinrich Kaufhold, Das Handwerk zwischen Anpassung und Verdrängung, S. 103–141; Vgl. David Blackbourn: Handwerker im Kaiserreich: Gewinner oder Verlierer?, in: Wengenroth, Ulrich (Hrsg.): Prekäre Selbständigkeit. Zur Standortbestimmung von Handwerk, Hausindustrie und Kleingewerbe im Industrialisierungsprozess (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte), Beiheft 31, Stuttgart 1989, S. 7–21 244 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 206 245 Vgl. ebd., S. 208 246 Ebd., S. 208.; vgl. dazu auch Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 327–345 247 Schon 1861 bemerkt Roscher, dass „durch die Wohlfeilheit der Maschinenproducte Jedermann heutzutage in Stand gesetzt [ist], mit seinen Kleidungsstücken, Geräthschaften etc. häufiger zu wechseln. Das Bedürfniß solcher Abwechslung ist in Klassen heimisch geworden, die sonst gar nicht daran denken konnten. Hierbei mag oftmals der Solidität der Arbeit wirklicher Abbruch gethan sein, durch alle Klassen der Consumenten hindurch, weil sich der Gewerbefleiß eben nach der Mehrzahl seiner Kunden eingerichtet hat. Allein ich wiederhole, technisch darf man die Maschinen hierfür durchaus nicht verantwortlich machen.“ (Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 197)

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Mittelstand betreffen.248 Im Folgenden werden zunächst die Betriebsformen der Produktion erläutert. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie in der Produktion durch unterschiedliche Betriebsformen zwischen Handwerk und Fabrik die Voraussetzungen für die Verfügbarkeit von Möbeln geschaffen werden und welche Folgen die jeweilige Betriebsform für Herstellung und Gestaltung der Möbel haben kann. Bei den Betriebsformen stößt man allerdings schnell auf die Schwierigkeit, dass eine allgemeingültige Begrifflichkeit fehlt. Aus keiner Gewerbestatistik geht hervor, wie handwerkliche und fabrikmäßige Herstellung in der Möbeltischlerei um die Jahrhundertwende genau verteilt waren. So ordnen zum Beispiel die Gewerbestatistiken249 von 1882, 1895 und 1907 die Betriebe nur nach Mitarbeiterzahl in kleine, mittlere und große Betriebe250 und nehmen dabei, wie damals schon Sombart kritisierte251, eine begrenzte Aussagekraft in Kauf. Die Gewerbestatistik zeigt zwar, dass es in der Möbelproduktion nicht nur Klein- und Großbetriebe gab, sondern dass die Betriebe über die Mitarbeiterzahl von 4 bis 200 ziemlich gleich verteilt waren und also auch ein erheblicher Bestand an mittelgroßen Tischlereibetrieben existierte.252 Aber diese Einteilung in drei Betriebsgrößen sagt nichts über die Besonderheiten der Betriebsorganisation, die die Betriebsformen ja voneinander unterscheiden wie zum Beispiel das Ausmaß der Arbeitsteilung.253 Auf diese Besonderheiten in der Betriebsorganisation kommt es jedoch an, wenn die Folgen des Maschineneinsatzes für Herstellung und Gestaltung von Möbeln unter248 Auch Bücher beschreibt die praktischen Folgen für den Konsum: „Wenn unsere Großeltern ein Sofa brauchten, so ließen sie zuerst den Schreiner das Gestell anfertigen, kauften dann das Leder, die Roßhaare, die Federn und nahmen den Polsterer ins Haus. Ähnlich wurde fast bei jedem größeren Arbeitsstücke verfahren. Heute erlaubt die Berufsarbeit, welche die Kräfte jedes einzelnen völlig und oft bis zur Erschöpfung in Anspruch nimmt, eine derartige Teilnahme an der Produktion nicht mehr. Wir wollen und müssen, was [sic!] wir bedürfen, gebrauchsfertig [Hervorhebung im Original] kaufen; wir wollen rasch versorgt sein und verzichten lieber auf Liebhabereien des persönlichen Geschmacks, als daß wir die Gefahr der Bestellung bei verschiedenen Produzenten übernehmen. Danach hat sich das Gewerbe einzurichten.“ (Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 209) An anderer Stelle führt Bücher weiter aus: „Wer täglich Gelegenheit hat, in den Straßen, die er vielleicht ohnehin mehrfach durchschreiten muss, alles zu seinem Bedarfe Notwendige fix und fertig ausgestellt zu sehen, so daß er sich in wenigen Minuten in den Besitz des Gewünschten setzen kann, der wird selten Lust haben, dem sinkenden Handwerk zu Liebe sich nach einer entfernteren Vorstadt zu bemühen, um dort nach langem Fragen und Suchen drei oder vier finstere Treppen hinaufzusteigen, ehe er seine Bestellung anbringen kann, bei deren Ausführung dann vielleicht der versprochene Termin nicht einmal eingehalten wird. Und soll etwa jemand, der in einem Möbellager alles, was sonst zur Zimmerausstattung gehört, vorfindet, soll eine junge Hausfrau, die in einem Haushaltungsgeschäft sich in wenigen Stunden eine ganze Kücheneinrichtung zusammenstellen kann, lieber ein halb Dutzend Handwerker aufsuchen, mit denen sie erst nach Wochen zum Ziele gelangt?“ (Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 219) 249 Vgl. o. A., Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1900, S. 36; Vgl. o. A., Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1910, S. 81; Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 592, Anlage 35; Vgl. zu 1907 auch Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 322 250 Die Gewerbestatistiken unterscheiden zwischen Alleinbetrieben und Betrieben mit 2–5, 6–10, 11–50, 51–200, 201–1000 und über 1000 Beschäftigten. Betriebe bis 5 Beschäftigten gelten als Klein-, bis 50 als Mittel- und über 50 als Großbetriebe (Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 592, Anlage 35); Vgl. auch: Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 13–15 251 Vgl. Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd. 1: Die Genesis des Kapitalismus, Leipzig 1902, S. 19; Dazu kritisch auch Jürgen Kocka (Vgl. Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 302) 252 Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 14 253 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 19–20

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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sucht werden sollen. Die folgende Darstellung der Betriebsformen orientiert sich deshalb an den Unterscheidungen, die Karl Bücher in seinem Aufsatz über Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung254 ausführt und die sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt haben, ohne allerdings mit dem Determinismus der Wirtschaftsstufen255, die Bücher mit seiner Typologie verbindet. Noch früher hat sich Gustav Schmoller in seiner Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert mit den Veränderungsprozessen im Handwerk befasst. Auch Schmoller ist deshalb für diese Darstellung wichtig. Schließlich gibt Werner Sombart in seinem 1902 veröffentlichten Werk Der moderne Kapitalismus256 wesentliche Einblicke in die Betriebsformen. Er stützt sich ausdrücklich auf die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik zur Lage des Handwerks257 und greift dabei immer wieder auch Entwicklungen aus der Möbeltischlerei auf. Sombarts Buch bezeichnete Gustav Schmoller „als deutsche Handwerksgeschichte“.258

6.2.1  Handwerk, Verlag, Manufaktur und Fabrik als Betriebsformen „Der Handwerker pflegt im Kleinen zu arbeiten, gewöhnlich auf Bestellung“259, schreibt der Historiker und Ökonom Wilhelm Roscher 1861 in seinen Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geistlichen Standpunkte und zeichnet damit das vorherrschende Bild des Handwerks. Es ist in Büchers Worten „besitzender Produzentenstand“.260 Als Meister ist der Handwerker ein kleiner Unternehmer mit eigener Werkstatt. Er kann entweder allein arbeiten oder mit der Familie oder auch mit Lehrling und Gesellen261, die er, wie damals üblich, in seinen Familienverband262 254 Vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung 255 Vgl. Karl Bücher: Die Entstehung der Volkswirtschaft, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 83–160; Vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung, S. 189; Vgl. Wilfried Reininghaus, Das Handwerk: Einführung, S. 192 256 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 500–508; zur Spezialisierung in der Möbeltischlerei vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 546; zu Ausstattungsgeschäften und Möbelmanufakturen vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 563–564, zur Situation des Möbelhandwerks mit Berichten aus verschiedenen Städten und Regionen vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 606–612; zur Bedeutung der Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik für Sombarts Buch vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 662 257 Vgl. Friedrich Lenger, Werner Sombart, S. 118 258 Schmoller, Gustav: Besprechung von Werner Sombart Der moderne Kapitalismus, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 27 (1903), S. 291–300, wieder abgedruckt in: Brocke, Bernhard, vom (Hrsg.): Sombarts Moderner Kapitalismus. Materialien zur Kritik und Rezeption, München 1987, S. 135–146, hier: S. 137 259 Roscher, Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geistlichen Standpunkte, S. 119 260 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung, S. 184; Sombart nennt den Handwerker „selbständiger Produzent“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 87) 261 Sombart zählt zu den verschiedenen Individualbetrieben, wie er sie nennt, den Alleinbetrieb, den Familienbetrieb, den Gehilfenbetrieb, also den Kleinbetrieb. (Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 59); Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 28–33; Vgl. Gustav Schmoller: Die Entwicklung der Unternehmung, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich 14 (1891), S. 1035–1076, hier: S. 1047, S. 1051 262 „Die Familiengemeinschaft ist der älteste Träger dieser Wirtschaftsform, und sie bleibt es auch dann noch, als schon fremde Personen zur Mitwirkung herangezogen werden. Geselle und Lehrling treten in den

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aufnimmt. Er arbeitet wie sie in der Werkstatt mit denselben Werkzeugen oder Maschinen und fertigt jedes Arbeitsstück vollständig selbst an. Den Preis für die hier hergestellten Produkte setzt der Handwerker selber fest, aus den Rohstoffen, die er selbst beschafft, und aus der in das Produkt eingegangenen körperlichen Arbeit. Für den Absatz der Produkte am Ort und in seinem Umland, auf einem eng begrenzten lokalen Markt ist der Meister selbst verantwortlich. Zur ökonomischen Selbständigkeit des Handwerkers gehört es, dass er der Eigentümer des Betriebes ist, ohne Anweisungen Dritter den gesamten Produktionsprozess selbständig leitet und eigenverantwortlich über den Absatz entscheidet.263 Was der Meister betreibt, ist nach der Definition von Bücher „Kundenproduktion“264 und zugeschnitten auf die Wünsche der Verbraucher, denen gegenüber der Meister verantwortlich ist. Aber schon Roscher erwähnt Beispiele, wo Handwerker wie etwa Seiler und Bürstenbinder auf Vorrat arbeiten265 oder in der Werkstatt ihre Handarbeit schon arbeitsteilig organisieren.266 Sombart hält dagegen die wesentlich von Bücher bestimmte vorherrschende Auffassung vom Handwerk für zu eng267 und führt mit Hinweis auf den Wirtschaftshistoriker Georg von Below268 Beispiele an, wo Handwerker eben nicht nur auf Bestellung und für einen begrenzten lokalen Markt arbeiteten, sondern schon von vornherein auf Vorrat und für einen großen überregionalen Markt.269 Diese Handwerker verkauften ihre Waren auch als Hausierer, auf Märkten und Messen oder an Zwischenhändler. Schmoller fügt ein weiteres Merkmal an, das Ende des 19. Jahrhunderts immer wichtiger wird. Es genügt nicht mehr, dass der Handwerker in erster Linie „technischer Arbeiter“270 ist. Er muss immer häufiger fertige Waren verkaufen, Rohstoffe besorgen, Lager halten und mit Vorräten kalkulieren. Mit technischen Kenntnissen allein kommt der Handwerker nicht mehr aus. Er braucht kaufmännische Bildung und Kapital, was auch eine höhere soziale Stellung voraussetzt.271 Schmoller sagt auch voraus, dass eine kleinere Zahl größerer Handwerksbetriebe entstehen und die Arbeit der

­Familienverband ein mit ihrer ganzen Persönlichkeit und werden von ihm umschlossen zunächst in der gesamten Bethätigung ihres Daseins. Die Familie samt Gesellen und Lehrlingen ist Produktions- und Haushaltungseinheit. Alle ihre Glieder sind Schutzangehörige des Meisters, sie bilden mit ihm ein organisches Ganze, ebenso wie es die Kinder mit ihren Eltern thun.“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 118) 263 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 92. Damit grenzt Sombart den Handwerker auch vom ‚Hausindustriellen‘ ab (Vgl. ebd., S. 92) 264 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 183 265 Vgl. Wilhelm Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 119 266 Vgl. ebd., S. 123 267 „Diese Auffassung hat außerordentlich viel Verführerisches. […] Man wird sich daher erst nach langem und reiflichem Überlegen dazu aufraffen, sie fallen zu lassen. Aber man wird doch schließlich nicht umhin können, es zu thun. Denn so bestechend die Konstruktion ohne Zweifel ist: ebenso zweifellos ist sie falsch“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 93) 268 Vgl. Georg von Below: Die Entstehung des Handwerks in Deutschland, Teil 2, in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte 5 (1897), S. 225–247 269 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 95–113, hier: S. 95; Nach Sombarts Angaben spielt das Hausierhandwerk auch Ende des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Er verweist dazu auch auf die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik über die Lage des Hausierhandwerks. (Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 96, Fußn. 4) 270 Schmoller, Kleingewerbe, S. 183 271 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 183

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größeren Zahl von Alleinbetrieben übernehmen wird.272 Schmoller sollte recht behalten, wie die Gewerbestatistiken von 1892 und 1895 belegen.273 So erfolgte 1895 nur noch die Hälfte der handwerklichen Arbeit in Kleinbetrieben.274 Im Verlag oder Verlagssystem, das häufig auch ‚Hausindustrie‘275 genannt wird, steht mit dem Verleger ein kaufmännischer Leiter an der Spitze, für den eine größere Zahl von Arbeitern in ihren eigenen Wohnungen oder Werkstätten tätig ist.276 Zu ihnen gehören ehemalige Handwerker oder auch Bauern im Nebenerwerb, vielfach auch Frauen und Mütter, die zu Hause arbeiten können.277 Als ‚Hausindustrielle‘ sind sie kleine Produzenten, die sich auch Gesellen halten können. Sie arbeiten für einen einzelnen Verleger, bleiben jedoch Eigentümer ihrer Werkzeuge und in vielen Fällen auch der Rohstoffe. Sie betreiben „dezentralisierte Warenproduktion“.278 In dem Verlagssystem sieht Schmoller das „notwendige historische Mittelglied zwischen Handwerk und Fabrik“.279 Der Verleger organisiert die Produktion mit einfacher Technik280 in weit verstreuten Werkstätten, sein Kapital sind die fertiggestellten Produkte. Er wälzt sämtliche Kosten für Produktionsgebäude, Geräte und Maschinen auf die Hausindustriellen ab und kann billige Waren dort produzieren lassen, wo auch die Arbeitskräfte am billigsten sind.281 Er organisiert auch den Vertrieb, vom Markt und seinen Absatzchancen sind die ‚Hausindustriellen‘ weit entfernt. In dieser Abhängigkeit des Hausindustriellen vom Verleger sieht Bücher „die Hauptursache seiner trostlosen Schwäche“.282 Auch Schmoller erwähnt solche Verhältnisse wie bei Bürstenbindern und Nagelschmieden zum Beispiel283, wo der Verleger das Rohmaterial liefert, das Werkzeug stellt und den Lohn so drückt, dass Familien verarmen müssen. Aber Schmoller hält diese Entwicklung nicht für zwangsläufig, sondern sieht sie in Abhängigkeit von 272 Vgl. ebd. 273 1882 gab es 62.649 und 1895 dann 53.465 allein ohne Motoren arbeitende Selbständige; In anderen mit 1 Person und in Betrieben mit 2–5 Personen arbeiteten 1882 insgesamt 128.929 Selbständige und 1895 bereits 140.404. (Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, S. 640) 274 Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 320 275 Vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 167; Vgl. Gustav Schmoller, Die Entwicklung der Unternehmung, S. 1060–1061 276 Vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 185–186 277 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 502 278 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 189 279 Schmoller, Die Entwicklung der Unternehmung, S. 1071 280 Für fortgeschrittenere Technik braucht man Handwerk oder Fabriken (Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 503) 281 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 502–503. In diesem Zusammenhang nennt Sombart „die hausindustrielle Organisationsform […] den Gipfelpunkt kapitalistischer Verschlagenheit“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 502); Vgl. Gustav Schmoller, Die Entwicklung der Unternehmung, S. 1071 282 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 186: „Mag der Verleger das Produkt auf den Weltmarkt bringen, mag er in der Stadt ein Verkaufsmagazin halten, mag er die Ware fertig zum Verschleiß vom Hausarbeiter empfangen, mag er sie einer letzten Appretur unterwerfen; mag der Arbeiter sich Meister nennen und Gesellen halten, mag er nebenbei Landwirtschaft treiben – immer wird der Hausindustrielle von dem eigentlichen Markte seines Produkts und von der Kenntnis der Absatzverhältnisse weit entfernt sein, und darin liegt die Hauptursache seiner trostlosen Schwäche.“ 283 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 204; Vgl. Gustav Schmoller, Die Entwicklung der Unternehmung, S. 1068

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der jeweiligen Branche und dem Bildungsgrad der dort beschäftigten Handwerker. Je besser die Branche angesehen ist und je höher der Bildungsgrad, desto eher können Hausindustrielle auch selbständige Unternehmer werden und wie etwa in der Uhrenindustrie für einen Verleger arbeiten, der die fertige Ware nur noch zusammensetzt.284 So stellt Schmoller schließlich fest, dass sich „viele blühende Hausindustrien noch heut zu Tage“285 erfolgreich gegen Fabriken behaupten können, wenn die Meister qualifiziert sind und der Produktionsprozess nicht die ganz großen Maschinen erforderlich macht, die sich kleine Meister nicht leisten können.286 Wie Schmoller sieht auch Sombart die Möglichkeit, dass in der Hausindustrie nicht nur billigste Massenartikel287, sondern auch Qualitätsware entstehen kann, feines Schuhwerk oder elegante Kleidung zum Beispiel.288 Hier hat sich „die kapitalistische Organisation mit am frühesten […] der Qualitätsware bemächtigt“.289 So sind in Schneiderei oder Schuhmacherei hochqualifizierte kleine Meister „Lohnarbeiter im Dienste eines kapitalistischen Unternehmers, nicht anders wie jeder Fabrikarbeiter“.290 Auch in der Möbeltischlerei mit ihren vielen kleinen und mittelgroßen Betrieben (‚Mittelbetrieben‘291) zeigt sich für Sombart der „gewerbliche Kapitalismus“292, der von handwerksmäßiger Organisation kaum zu unterscheiden ist.293 Diese drei Beispiele der Möbeltischlerei, Schneiderei und Schuhmacherei sind für Sombart „moderne oder auch großstädtische“294 Hausindustrien, die nach der Gewerbestatistik 1895 im Vergleich zu 1882 auch deutlich zugenommen haben.295

284 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 203–204 285 Ebd., S. 205–206 286 Vgl. Ebd., S. 206; „Bei richtiger Bildung der kleinen Meister, bei richtiger lokaler Vereinigung, bei Benutzung gemeinsamer mechanischer Kräfte ließen sich auch hier die kleinen Geschäfte halten […] Die Fabrik siegt nicht sowohl, weil sie dauernd absolut bessere Produkte liefert, sondern weil die kleinen Meister den Uebergang zu manchem Neuen nicht zu machen verstehen.“ (Schmoller, Kleingewerbe, S. 659) 287 Sombart nennt hier fertige Kleider- und Wäschestücke (Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 316) 288 Vgl. ebd., S. 315–316 289 Ebd., S. 315 290 Ebd. S. 315 291 Vgl. ebd., S. 340. In Mittelbetrieben „können zwar auch Großhandwerker ihr Wesen treiben. Aber häufiger doch wohl dasjenige, was ich kleinkapitalistische Unternehmer genannt habe. Die kleinkapitalistische Unternehmung […] wird dadurch gekennzeichnet, dass bei ihr die Funktion der Ordnung und Leitung zwar nur vom Kapitalisten ausgeübt wird, dieser aber […] daneben auch als technischer Arbeiter auftritt. Die kleinkapitalistische Unternehmung stellt sich damit systematisch als eine Zwitterbildung, historisch als eine Übergangserscheinung dar: es finden sich Bestandteile der kapitalistischen Unternehmung mit solchen der handwerksmäßigen Organisation gepaart.“ (Ebd., S. 319) 292 Ebd., S. 312; Karl Bücher spricht auch davon, dass „dem Gewerbe das Wesen des Handwerks verloren [geht]; es wird kapitalistisch, es verlangt eine kaufmännische Behandlung, und nun hängt alles davon ab, ob der Großbetrieb oder der Kleinbetrieb größere Vorteile bietet“ (Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 209) 293 Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 312, 320–322, 333 294 Ebd., S. 333 295 Webereien und Spinnereien als ‚alte Hausindustrien‘ spielen für die Volkswirtschaft keine Rolle mehr (Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 333). Vgl. ebd., Anlage 39, S. 562

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Manufaktur und Fabrik gelten nach damaligem Sprachgebrauch als ‚Großbetrieb‘296 oder ‚Großindustrie‘297 und sind zwei sehr verwandte Betriebsformen, die als die am höchsten entwickelten gelten.298 Beide sind arbeitsteilig organisiert und auf Massenproduktion ausgerichtet, nur die Art des Maschineneinsatzes ist in Manufaktur und Fabrik verschieden. Beide Betriebsformen regeln nicht bloß den Vertrieb wie in der Hausindustrie299, sie bestimmen den gesamten Produktionsprozess. Er kann an einem oder an voneinander getrennten Standorten erfolgen, entweder als „zentralisierte“300 oder „dezentralisierte Warenproduktion“.301 Die Arbeiter sind nicht mehr im Besitz der Werkzeuge und Rohstoffe wie in der Hausindustrie, sondern sie stellen in Manufaktur und Fabrik ihre Arbeitskraft gegen Lohn zur Verfügung und werden in einem System „gegenseitiger Über- und Unterordnung“302 zusammengefasst. Der Produktionsprozess ist außerdem in einzelne kleine Arbeitsschritte gegliedert und also vollkommen arbeitsteilig organisiert. Daraus ergeben sich für Bücher die anderen Merkmale von Manufaktur und Fabrik: die Beschaffenheit als Großbetrieb, die Notwendigkeit eines großen Kapitalbestandes und die Unselbständigkeit der Arbeiter. Diese „Arbeitszerlegung“303 ist für Bücher das entscheidende Merkmal, weil durch sie, sowohl in der Manufaktur als auch in der Fabrik, ein ununterbrochener Betrieb der Maschinen während des Produktionsprozesses überhaupt erst möglich wird.304 Die Art der Maschinen hält Bücher allerdings nicht für wesentlich und unterscheidet deshalb auch nicht genauer zwischen Manufaktur und Fabrik.305 Sombart dagegen hebt die Unterschiede im Maschineneinsatz hervor und sieht deshalb in Manufakturen nur „Vorstufen zur Fabrik“306, weil sie „unvollkommener“307 sind. Denn in der Manufaktur besteht für ihn die Produktion im Wesentlichen noch

296 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 162 297 Vgl. ebd., S. 160 298 Vgl. Wilhelm Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 136; Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 49 299 Schmoller erwähnt die Vorteile der Fabrikarbeit im Vergleich zur Arbeit der Hausindustriellen aus Sicht der Beschäftigten: „So lagen […] die Verhältnisse derart, daß es als Fortschritt, als Glück betrachtet werden mußte, wenn das frühere Comptoir und Lager des Verlegers sich vollends ganz zur Fabrik umgestaltete und die früheren Hausindustriellen als Fabrikarbeiter in dieselbe berufen wurden“ (Schmoller, Die Entwicklung der Unternehmung, S. 1070) 300 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 189 301 Ebd. 302 Ebd., S. 187 303 Ebd., S. 188; Aber auch ebd., S. 187: Die Fabrik gelangt „zu einem System aufeinander folgender Verrichtungen und wird in den Stand gesetzt, Menschenkräfte der verschiedensten Art: gelernte und ungelernte, Männer, Frauen und Kinder, Hand- und Kopfarbeiter, technisch, künstlerisch und kaufmännisch gebildete, neben und nach einander zu beschäftigen“. 304 Vgl. ebd., S. 188; Vgl. Wilhelm Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 136: „Es müssen die gewöhnlichen Bedingungen der höhern Arbeitstheilung zuvor gegeben sein. Also bedeutende Kapitalisten und wissenschaftliche Techniker müssen existiren, ein weiter Absatz vorhanden sein, auch ein dürftiger und doch zahlreicher Arbeiterstand sich gebildet haben, der in strenger Subordination und ohne viel Aussicht auf Beförderung zu dienen bereit ist.“ 305 Vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 185–186 306 Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 330 307 Ebd.

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aus Handarbeit, die von einfachen Maschinen308 unterstützt und dadurch erleichtert wird. In der Fabrik werden dagegen technisch weiterentwickelte Maschinen eingesetzt, die die Arbeit nicht nur erleichtern, sondern sie überflüssig machen und ersetzen. Diese Maschinen sind für Sombart das entscheidende Merkmal, das die moderne Fabrik grundlegend von der älteren Manufaktur unterscheidet. Der Produktionsprozess in der Fabrik wird von den arbeitenden Menschen losgelöst und im Einsatz der Maschinen einem „selbstthätig wirkenden System lebloser Körper übertragen“.309 Daher findet in der Fabrik „der Entseelungsprozeß der modernen Technik seinen betriebsorganisatorischen Ausdruck“.310 Die Folgen sieht Sombart in einer zunehmenden Spezialisierung und Vergrößerung der Betriebe sowie in der ständigen Weiterentwicklung der Maschinenausstattung.311 Es ist angebracht, wie Sombart die besondere Bedeutung technisch weiterentwickelter Maschinen hervorzuheben und die Fabrik dadurch von der Manufaktur abzugrenzen. Es fällt aber in den Begriffsbestimmungen bei Sombart und bei Bücher auf, dass beide die Arbeitsteilung und auch den notwendigen größeren Kapitalbedarf hervorheben, aber die Art der Betriebsführung überhaupt nicht erwähnen. Dabei hat schon Roscher 1861 darauf hingewiesen, dass auch in der Form der Leitung die Fabrik sich vom Handwerk unterscheidet. So hebt er hervor, „daß in der Fabrik ein gebildeter Mann schon durch die bloße Oberleitung vollständig beschäftigt wird, im Handwerke dagegen diese Oberleitung dem Unternehmer noch Zeit genug übrig läßt, um auch an der unmittelbaren Ausführung teilzunehmen“.312 Dieses Merkmal der besonderen kaufmännischen Betriebsführung sollte sich erst Jahrzehnte später allgemein durchsetzen, als festgestellt wurde, dass „die Tätigkeit des Unternehmers […] in der Fabrik eine überwiegend kaufmännische und beaufsichtigende“313 ist. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erwähnen, dass damals erstaunlicherweise eine allgemeingültige Definition des Begriffs ‚Fabrik‘ noch fehlte, wie auch das Kaiserliche Statistische Amt 1895 mit Bedauern feststellte.314 Bei dieser begrifflichen Leerstelle blieb es im Übrigen auch nach der Jahrhundertwende noch, so dass es auch dann noch Schwierigkeiten machte, zwischen großen Handwerksbetrieben und Fabrikbetrieben zu unterscheiden, wie im nächsten Abschnitt noch erläutert wird. Bei den hier aufgeführten Betriebsformen Handwerksbetrieb, Verlagssystem beziehungsweise Hausindustrie sowie Manufaktur und Fabrik handelt es sich eher um idealtypische Be308 Vgl. Wilfried Reininghaus, Handwerk, S. 192 309 Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 49 310 Ebd., S. 329; „Die besondere Funktion der Fabrik ist diese: eine Betriebsform zu sein, in welcher die durch die Einführung der Maschinerie und des wissenschaftlichen chemischen Verfahrens in die Produktion ermöglichte Überwindung der qualitativen wie quantitativen Beschränktheit des individuellen Arbeiters in jeweils höchst vollendeter Weise in die Wirklichkeit übertragen wird.“ (Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 329) 311 Vgl. ebd., S. 334 312 Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, S. 121 313 Pape, Richard: Beiträge zur Lösung der Frage Handwerk oder Fabrik? Auf Grund zahlreicher Entscheidungen von Gerichts- und Verwaltungsbehörden, Insterburg 1905, S. 7 314 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 45; Sombart sieht eine „schier unabsehbare Reihe der Definitionen des Begriffes ‚Fabrik‘“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 45)

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schreibungen. Tatsächlich brachte die Entwicklung vom Handwerksbetrieb zur Fabrik mit ihren maschinengesteuerten Produktionsprozessen eine Reihe von Mischformen hervor, die im folgenden Kapitel am Beispiel der Möbelproduktion genauer vorgestellt werden sollen. Diese Mischformen entstanden langsam und allmählich, in einem fließenden Übergang zu einer „semi-industriell handwerklichen Produktionsweise“315 und waren eine Reaktion der Betriebe auf drei unterschiedliche Vorgänge: Dazu zählte erstens die fortlaufende technische Entwicklung, die auch in der Möbelproduktion immer bessere Maschinen zur Bearbeitung und Verarbeitung des Holzes hervorbrachte; zweitens der steigende Kapitalbedarf, den der Erwerb dieser neuen, teureren Maschinen erforderte, um konkurrenzfähig bleiben zu können; und drittens schließlich die veränderten Erwartungen der Verbraucher an Auswahl, Qualität und Verfügbarkeit der Möbel, die sich aus grundlegenden Änderungen der Lebensverhältnisse im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ergaben und für den bürgerlichen Mittelstand neue Möglichkeiten der Selbstrepräsentation eröffneten. Auf diese neuen Erwartungen und den veränderten Bedarf wird im folgenden Kapitel 7 über Marktentwicklung und Verbrauchernachfrage sowie im sich daran anschließenden Kapitel 8 über Stilentwicklung und die Geschmacksvorlieben des bürgerlichen Mittelstands noch genauer eingegangen. Es soll an dieser Stelle aber noch darauf hingewiesen werden, dass Karl Bücher auf den bürgerlichen Mittelstand am Ende seiner Darstellung der gewerblichen Betriebsformen mit Blick auf die Bevölkerung in den Städten genauer eingeht. Als Kern der neuen Stadtgesellschaft sieht er „eine zusammenhangslose Masse abhängiger Existenzen“316, die die breite Schicht selbständiger Handwerker abgelöst habe: Aus der Menge der Abhängigen erhebt sich ein ‚neuer Mittelstand‘, dem alten Kleinbürgertum an wirtschaftlicher Energie und sozialer Anpassungsfähigkeit überlegen: ein Gesellschafts-Element, das die moderne Großindustrie ausgebildet und für ihre Zwecke erzogen hat.317

An Büchers Zustandsbeschreibung fällt auf, dass er einen direkten Zusammenhang zwischen der modernen Großindustrie und dem neuen bürgerlichen Mittelstand herstellt. Für ihn gehört also beides zusammen. Erst die Massenproduktion machte es möglich, dass das mittlere Bürgertum sich als soziale Schicht selbst darstellen und sich entsprechend seinen Möglichkeiten selbst repräsentieren konnte. Damit berührt Bücher die zentrale Frage dieser Arbeit. Bevor dies in Kapitel 7 weitergeführt wird, soll im folgenden Kapitel zunächst untersucht werden, wie sich diese Massenproduktion in der Möbelherstellung auswirkte, auf welche Weise also sich die herkömmlichen Produktionsprozesse veränderten und wie sich in der Betriebsorganisation neben Handwerk und Fabrik neue Mischformen herausbildeten.

315 Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 4; Zur eigentlichen industriellen Möbelherstellung mit Groß­ serien und an Fließbändern kam es erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. hierzu: Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 99 316 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 228 317 Ebd.

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

6.2.2  Veränderungen in den Betriebsformen Die bereits erwähnten, vom Verein für Socialpolitik durchgeführten Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland gaben sowohl Sombart als auch Bücher entscheidende Anstöße, auf die beide sich ausdrücklich bezogen.318 Sombart319 untersuchte am Beispiel verschiedener Handwerkszweige die für ihn zentrale Frage einer wachsenden Abhängigkeit handwerklicher Kleinbetriebe vom ‚gewerblichen Kapitalismus‘.320 Bücher321 entwickelte eine systematische Übersicht über die unterschiedlichen Anpassungsprozesse, mit denen das Handwerk auf die wachsende Konkurrenz der „kapitalistische[n] Großproduktion“322 reagierte. Hier sind aber nur diejenigen Beispiele von Sombart und Bücher von Interesse, die die Möbelherstellung betreffen und sie zum Teil erheblich verändern. Diese unterschiedlichen Entwicklungen verliefen gleichzeitig und waren unterschiedlich stark ausgeprägt. Eine der Entwicklungen in der Möbelproduktion führte dazu, dass sich verschiedene selbständige Handwerkszweige wie Tischlerei, Drechslerei, Holzbildhauerei und Lackiererei zusammenschlossen und zu einer neuen „einheitlichen Produktionsanstalt verschmolzen“.323 In dieser Möbelmanufaktur oder Möbelfabrik wurden Möbel nach Entwürfen „‚akademisch‘ ausgebildete[r] Zeichner“324 hergestellt. Der Fertigungsprozess erforderte jeweils nur noch bestimmte Arbeitsvorgänge, die beteiligten einzelnen Handwerkszweige waren nicht mehr in der ganzen Breite ihrer Fertigkeiten gefragt und wurden eingeschränkt.325 Die Möbelmanufaktur oder Möbelfabrik entwickelte sich aber Schritt für Schritt weiter. Bald fertigte sie nicht nur Holz-, sondern auch Polstermöbel, die sie anfangs noch außer Haus durch Polsterer fertigstellen ließ, bis im Betrieb eigene Polsterwerkstätten eingerichtet wurden und die Polsterei als Handwerkszweig zu den anderen hinzukam. Später wurde auch die Dekoration von Innenräumen mit den erforderlichen Tapezierarbeiten angeboten, „so daß dann gemeinsame ‚Polster- und Dekorationswerkstätten‘ als ein eigenes Hauptdepartement neben der eigentlichen

318 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 501, S. 565; Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 220 319 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 486–619; Vgl. Friedrich Lenger, Sombart, S. 119–120 320 „Die ökonomische Revolution des gewerblichen Lebens […] ist zu einem vorläufigen Abschluß gelangt: die handwerksmäßige Produktionsweise hat aufgehört, dem Wirtschaftsleben ihren Stempel aufzudrücken; kapitalistisches Wesen ist auf der ganzen Linie zur Herrschaft gelangt, ist vor allem für alles Wirtschaften tonangebend geworden.“ (Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 653–654) 321 Vgl. Karl Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 210–218 322 Ebd., S. 211 323 Ebd., S. 212; Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 344–345 324 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 565 325 Bücher ist da sehr pessimistisch und vermutet, „das Handwerk kann an Entkräftung sterben“ (Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 212); Vgl. hierzu Heinrich Pudor: Kunstgewerbliche Handwerker-Fachausstellungen. Ein Beitrag zur Lösung der Handwerkerfrage, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe, 6. Heft Michaelismesse 1910, S. 67–72, hier: S. 67: „Auf der anderen Seite geht es den Handwerkern so schlecht zum Teil deshalb, weil sie ihr Handwerk nicht als Kunst, sondern nur als ein Gewerbe ausüben, weil sie keine künstlerischen und keine ästhetischen Ziele verfolgen. An dieser Stelle heißt es also den Hebel anzusetzen“.

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Möbeltischlerei“326 entstanden. Ein entscheidender Entwicklungsschritt war getan: Die Möbelfabrik ging in den Handel über, in „das moderne Ausstattungs- und Einrichtungsgeschäft größten Stils“.327 In einer weiteren Entwicklung wechselte zum Beispiel die gesamte Produktion von Kunstmöbeln328 von kleineren Handwerksbetrieben zu Manufakturen und Fabriken. Das ist insofern bemerkenswert, als noch einige Zeit vorher kleinen Meistern gerade die Fertigung kunstgewerblich hochwertiger Möbel als Ausweg aus ihrer schwierigen Lage empfohlen worden war, um dort ihre ganzen handwerklichen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen.329 Doch Bücher schreibt, dass nicht die kleinen Meister, sondern „Fabrikbetriebe größeren und größten Stiles“330 die erfolgreichen Hersteller von Kunstmöbeln wurden. Nach Sombarts Schätzung stammten „99% aller wirklich künstlerisch ausgeführten Möbel aus Möbelmanufakturen großen Umfangs“.331 Ihre Zentren waren Mainz, Stuttgart und München.332 Diese Betriebe sind für Sombart deshalb besonders bemerkenswerte Beispiele für Manufakturen333, weil sie einerseits die jeweiligen Arbeitsprozesse in Holzbearbeitung, Montage und Verzierung zerlegten und damit vereinfachten, andererseits in der Arbeit von Bildhauern, Drechslern, Polierern, Lackierern und Vergoldern aber individuelle schöpferische Leistungen verlangten. Solch eine Verbindung zwischen besonderer Leistung nach Zerlegung und Vereinfachung der Arbeitsschritte war nur in Großbetrieben möglich.334 326 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 566 327 Ebd.; Das Einrichtungsgeschäft, das „am liebsten – selbstverständlich begnügt es sich auch mit geringeren, partiellen Aufträgen – eine neu erbaute Villa in Berlin W. vom untersten Treppenläufer bis zur letzten Prunkvase durch seine eigenen Leute einrichten läßt. Und zwar in der Hauptsache mit Gegenständen eigener Produktion. Die größten dieser Ausstattungsgeschäfte haben auch eigene Stoff- und Teppichwebereien“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 566).; Ein Beispiel für eine solche Fabrik ist die Möbelfabrik Pallenberg in Köln mit ihren 200 Beschäftigten: „Neben dem kaufmännischen Personal beschäftigt Pallenberg in seiner Fabrik 8 Zeichner, etwa 20 Bildhauer, ferner Modelleure und Stuckateure, ungefähr 120 Schreiner, dann Vergolder, Drechsler, Polsterer, Schlosser, Näherinnen und Arbeitsleute zum Packen und Wegbringen der Waren […]. Früher stellte die Pallenberg’sche Fabrik nur Möbel her; heute umfasst ihr Produktionsgebiet die ganze Möbel- und Bauschreinerei, sowie die Herstellung aller Dekorationen, der Stuckverzierungen im Innern der Gebäude (Decken, Thüraufsätze etc.) und an der Facade, endlich die Herstellung von Facaden-Modellen, überhaupt die ganze innere und äußere Ausstattung eines im Rohbau fertigen Gebäudes. Specialität ist aber die Möbelfabrikation und die hiermit zusammenhängende Zimmer-Dekoration geblieben. Alle Gegenstände werden in bester Qualität und feinster Ausstattung hergestellt“ (Schönebeck, Franz, von: Die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, in: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Bd. 1: Königreich Preußen, Erster Teil (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 62), Leipzig 1895, S. 261–309, hier: S. 279–280) 328 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 606 329 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 222; Vgl. auch: Bernd Holtwick: Untergangsszenario und Selbstbehauptung. Der Wandel des Handwerks, in: Ditt, Karl, et al. (Hrsgg.): Westfalen in der Moderne 1815–2015. Geschichte einer Region (LWL-Institut für Westfälische Regionalgeschichte Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster), Münster 2015, S. 411–430, hier: S. 412 330 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 222; Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 608 331 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 565 332 Vgl. ebd. 333 Vgl. ebd., S. 41 334 Vgl. ebd., S. 42–43

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

In einem anderen Anpassungsprozess zogen Möbelfabriken nur bestimmte Vorgänge der Produktion an sich und fertigten Halbfabrikate wie zum Beispiel Furniere oder Massivholzleisten (‚Kehlleisten‘), die sie zur individuellen Ausarbeitung dann den Handwerksbetrieben überließen. Diese Spezialbetriebe waren für Sombart ein Beispiel „des kapitalistischen Großbetriebs im Dienste des Handwerks“.335 Die von der Spezialfabrik gelieferten Halbfabrikate bedeuteten für die holzverarbeitenden Betriebe einen Vorteil, weil sie den Produktionsprozess verkürzten und vereinfachten, auch wenn die Betriebe, wie Bücher anmerkt, an Fabrikanten und Händler nicht nur für das Rohmaterial zahlen mussten, sondern auch für die Erstellung des Halbfabrikats.336 Mit Halbfabrikaten konnte der Betrieb Umschlag und damit Kapitalprofit steigern, arbeitete damit aber nicht mehr handwerklich, sondern ‚kapitalistischer‘.337 Bücher nennt auch das weitergehende Beispiel, „wo der ganze produktive Teil des Arbeitsprozesses aus dem Handwerk hinausfällt“338 und das Produkt nur noch vor Ort ohne größere handwerkliche Kenntnisse angebracht oder angepasst werden musste. Darüber hinaus entstanden „Holzbearbeitungsgeschäfte[…]“.339 Sie stellten alle notwendigen Holzbearbeitungsmaschinen auf und überließen sie stundenweise den Möbeltischlern. Maschinenkraft war teuer.340 Die Tischler kamen mit den zu bearbeitenden Werkstücken ins Geschäft und nutzten die Maschinen. In diesen Holzbearbeitungsgeschäften, die auch „Lohnschneidereien“341 genannt wurden, sieht Sombart den „reinsten Typus“342 für die kapitalistische Durchdringung des Handwerks. Bücher bestätigt diese Entwicklung und merkt dazu an, dass „keiner der vielen größeren Handwerksbetriebe in der Berliner Möbeltischlerei – darunter auch kapitalkräftige Mittelbetriebe von 20 und mehr Arbeitern“343 Kraftmaschinen aufgestellt hatte, sondern stattdessen Lohnschneidereien nutzte. Nur die größten Fabriken verfügten über eigene Maschinen. So war es, wie bereits geschildert, auch in der Steinheimer Möbelindustrie, wo teure Hobelmaschinen in Spezialbetrieben gemietet werden konnten.344 Das aber entsprach ganz und gar nicht den Erwartungen, die Franz Reuleaux345 geweckt hatte. Er hatte wie später auch 335 Ebd., S. 547; Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 343–344 336 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 214 337 Vgl. ebd., S. 215 338 Ebd. 339 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 546 340 Bücher nennt die Kosten für einen Kleinmotor nach PS je zehnstündiger Betriebsdauer in Pfennig nach einer im „Zentralblatt deutscher Ingenieure“ für 1891 erfolgten Zusammenstellung. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Gesamtkosten eines Elektromotors sind am höchsten, gefolgt von Gasmotor, Druckluftmotor und Dampfkleinmotor (Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 223) 341 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 547 342 Ebd. 343 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 224 344 Vgl. Ursula Spilker/Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 28 345 Franz Reuleaux macht den kleinen Handwerkern viel Hoffnung: „Geben wir dem Kleinmeister Elementarkraft zu ebenso billigem Preise, wie dem Kapital die grosse mächtige Dampfmaschine zu Gebote steht, und wir erhalten diese wichtige Gesellschaftsklasse, wir stärken sie, wo sie glücklicherweise noch besteht, wir bringen sie wieder auf, wo sie bereits im Verschwinden ist. Es kommt uns nur zu Gute, dass auch auf anderen Gebieten, z. B. demjenigen der Kunstgewerbe, der dringende Ruf erschallt, dem Kleinmeister wieder auf die Beine zu helfen“ (Reuleaux, Franz: Lehrbuch der Kinematik: Bd. 1: Theoretische Kinematik. Gründzüge einer Theorie des Maschinenwesens, Braunschweig 1875, S. 527)

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Werner von Siemens346 und andere347 behauptet, dass kleinere Betriebe mit Kraftmaschinen in der Konkurrenz zu Großbetriebe viel besser bestehen könnten.348 Bücher bemerkte dazu, man habe dabei „merkwürdigerweise übersehen, dass Maschinenkraft um so teurer ist, in je kleinerem Maßstab sie zur Verwendung kommt“.349 Er ergänzte, dass technische Gleichstellung der Betriebe nicht sofort auch wirtschaftliche Gleichstellung bedeutet.350 Unter Verweis auf amtliche Statistiken sprach Sombart sogar von der „gänzliche[n] Bedeutungslosigkeit der Motoren für das Handwerk“.351 Außerdem bekam der Handel wesentlichen Einfluss auf die Möbelherstellung. Durch ihn wurden die für die Massenproduktion geeigneten Möbelarten „dem Handwerke entzogen“.352 346 Werner von Siemens erklärte dazu in einem Vortrag vor der Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte am 18.9.1886: „Grosse Maschinen geben die mechanische Arbeitsleistung bisher noch viel billiger als kleine, und die Aufstellung der letzteren in den Wohnungen der Arbeiter stösst ausserdem noch immer auf grosse Schwierigkeiten. Es wird aber unfehlbar der Technik gelingen, dies Hindernis der Rückkehr zur konkurrenzfähigen Handarbeit zu beseitigen und zwar durch die Zuführung billiger mechanischer Arbeitskraft, dieser Grundlage aller Industrie, in die kleineren Werkstätten und Wohnungen der Arbeiter. Nicht eine Menge grosser Fabriken in den Händen reicher Kapitalisten, […] ist daher das Endziel der Entwickelung des Zeitalters der Naturwissenschaften, sondern die Rückkehr zur Einzelarbeit oder, wo es die Natur der Dinge verlangt, der Betrieb gemeinsamer Arbeitsstätten durch Arbeiterassociationen, die erst durch die allgemeinere Verbreitung von Kenntnis und Bildung und durch die Möglichkeit billiger Kapitalbeschaffung eine gesunde Grundlage erhalten werden“ (Siemens, Werner, von: Das naturwissenschaftliche Zeitalter, Teil 2, in: Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst 11 (1886), H. 51 (18.12.1886), S. 401–403, hier: S. 402); Vgl. hierzu auch: Werner von Siemens: Das naturwissenschaftliche Zeitalter, Teil 1, in: Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst 11 (1886), H. 50 (11.12.1886), S. 394–395 347 Vgl. Hermann Grothe: Über die Bedeutung der Kleinmotoren als Hülfsmaschinen für das Kleingewerbe, in: Schmollers Jahrbuch (1884), H. 3, S. 899–914; Vgl. J. O. Knoke: Die Kraftmaschinen des Kleingewerbes, Berlin 1899; Vgl. Ernst Claussen: Die Kleinmotoren. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für Gewerbe und Landwirtschaft, ihre Konstruktion und Kosten, Berlin 1908; Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 522 348 So schreibt Hermann Kändler noch 1911 in der Leipziger Messzeitung: „als Grundsatz [kann] für die rationelle Ausstattung von Kleinbetrieben der Tischlerei mit Maschinen die durch die Erfahrung bestätigte Lehre gelten, daß kleine Maschinen, d. h. solche in geringeren Abmessungen, wie sie die Spezialfabriken liefern, dem Kleinbetriebe auch eine erhöhte Konkurrenzfähigkeit zu geben in der Lage sind, namentlich, wenn diese Maschinen in praktischer Weise zu einer Universalmaschine vereinigt sind“ (Kändler, Hermann: Kleinbetriebe der Holzbearbeitungsbranche, in: Leipziger Mess-Zeitung 8 (1911), H. 15 (19.4.1911), S. 131–132, hier: S. 132) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695); Vgl. hierzu auch: Ulrich Wengenroth, Motoren für den Kleinbetrieb, S. 177–205 349 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 223 350 „Eine Maschine muss ausgenutzt, amortisiert werden können, wenn sie die Produktion verbilligen soll. Da sie nicht den ganzen Produktionsprozess übernehmen kann, sondern nur einzelne Teile desselben, so setzt sie, wenn sie anhaltend im Gange bleiben soll, eine Erweiterung des Betriebs, die Einstellung einer größeren Arbeiterzahl, höhere Aufwendungen für Rohstoff, Werkstattmiete voraus. Dazu aber fehlt dem Kleinmeister in der Regel das Kapital. Und hätte er es, so blieben dem Großbetrieb immer noch die Vorteile des günstigeren Rohstoff-Einkaufs, der größeren Arbeitszerlegung […], der besseren Absatzgelegenheit.“ (Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 223) 351 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 522–530, hier: S. 525 352 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 213; Vgl. auch: Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 218–219; Vgl. auch: Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 606; Zu den Gründen dieser Entwicklung schreibt Bücher: „Die Ursache dieser Erscheinung ist eine doppelte: einerseits die hohen Mietpreise in den städtischen Geschäftslagen, die den Meister nötigen, Wohnung und Werkstatt in einem Dachgeschoß oder Hinterhause aufzuschlagen, wo er schwer aufzufinden ist, jedenfalls von der zahlungs-

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Diese Möbel wurden zwar immer noch in kleinen oder mittleren Schreinerwerkstätten hergestellt, aber in Büchers Begriffen nicht mehr als ‚Kundenproduktion‘353, also auf Bestellung einzelner Kunden, sondern als ‚Warenproduktion‘ im Auftrag des Handels. Darin zeigt sich für Sombart, wie sehr kapitalistische Organisation in das Handwerk vordringt.354 Denn die Händler erhielten unmittelbaren Einfluss auf die Möbelproduktion.355 Das traf auf minderwertige Möbel aus Tannenholz ebenso zu wie auf die „Riesenproduktion“356 der sogenannten ‚Berliner Möbel‘357, also die über den Handel vertriebenen Möbel mittlerer Qualität, meistens mit Nußbaumfurnier358, die vor allem in Berlin hergestellt und daher auch so genannt wurden. ‚Berliner Möbel‘ wurden in kleinen und mittelgroßen Tischlereien hergestellt, auf der Londoner Weltausstellung 1851 präsentiert359, in ganz Deutschland und im Ausland vertrieben (z. B. Türkei, Ägypten, Holland, Belgien) und damit an den Weltmarkt geknüpft.360 Viel ausführlicher als Bücher geht Sombart auf diese ‚Berliner Möbel‘ ein361 und bezieht sich dabei auf das Material von Paul Voigt über das Berliner Tischlergewerbe362 für die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik. Der Vertrieb der ‚Berliner Möbel‘ über den Handel führte nämlich dazu, dass die Tischlereien direkt für die Möbelmagazine, also die Händler produzierten. Dabei entwickelten sich unter den 3145 Berliner Tischlermeistern363 verschiedene Stufen der Abhängigkeit vom Handel.364 Manche von ihnen fertigten mit eigenen Rohstoffen und in eigenen Werkstätten, andere bezogen die Furniere von den Magazinen, an die sie lieferten. Es gab auch Tischlermeister, die nur für ein einzelnes Magazin arbeiteten und deren Werkstatt vom kräftigern Kundschaft nicht aufgesucht wird, andererseits die Neigung des Publikums, nur zu kaufen, wo sich größere Auswahl findet und wo der Geschäftsinhaber ‚koulant bedient‘, d. h. Ansichtssendungen macht, nicht Passendes zurücknimmt usw.“ (Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 218) 353 Zu den Begriffen ‚Kundenproduktion‘ und ‚Warenproduktion‘ vgl. Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 189 354 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 606–607 355 Gustav Schmoller führt ein frühes Beispiel für den Einfluss des Handels auf die Produktion an: „Der Hannöversche Handelskammerbericht von 1867 bezeichnet es als eine förmliche Verirrung, daß das Handwerk, unfähig seine Produktion zu vervollkommnen, sich so ausschließlich auf den bloßen Handel gelegt habe; es habe da erst recht die Macht des großen Kapitals kennen lernen müssen, und jetzt erst durch die vielen Mißerfolge klug gemacht, werde es sich wieder mehr der Produktion zuwenden“ (Schmoller, Kleingewerbe, S. 213) 356 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 503 357 Vgl. Karl Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 213 358 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 501 359 Auf der Londoner Weltausstellung stellten u. a. folgende Berliner Tischlerbetriebe aus: George Richt (Manufaktur) (Nr. 229), F. C. Becker (Manufaktur) (Nr. 232), J. F. E. Schievelbein (Manufaktur) (Nr. 237) (Vgl. Great Britain-Comissioners for the Exhibition of 1851 (Hrsg.): Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations. Official descriptive and illustrated catalogue, Vol. 3, London 1851, S. 1061) 360 Vgl. Paul Voigt, Das Tischlergewerbe in Berlin, S. 344; Sombart erwähnt, dass die Berliner Tischlerei schon in Jahren bis 1875 stark im Export war, dann Einbußen erlitt, aber in den 1880er Jahren wieder sehr exportstark wurde, bis es Ende der 1890er Jahre die Ausfuhr nach Südamerika, den USA, Rußland und der Schweiz deutlich eingeschränkt wurde. (Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 23) 361 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 501–502 362 Vgl. Paul Voigt, Das Tischlergewerbe in Berlin 363 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 502 364 Kritisch über „die Magazine […] die Hauptklage des kleinen Meisters“ vgl. auch Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 229

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Magazin eingerichtet wurde. Große Tischlereien365 arbeiteten für dreißig bis vierzig Magazine und waren daher von deren Vorgaben in der Geschäftspolitik weniger abhängig als kleine, die nur für drei oder vier Händler fertigten, deren nachteilige Bedingungen häufig hinnehmen mussten, weil sie nicht länger abwarten und nicht auf Vorrat produzieren konnten366, bis ein besserer Geschäftsabschluss in Sicht sein würde. Die Magazininhaber waren vor allem an Absatz und Verkauf interessiert, weniger an den Umständen der Produktion.367 Schließlich vergrößerte auch die zunehmende Spezialisierung unter den Betrieben die Abhängigkeit von den Magazinen. Dabei gab es nicht nur eine Spezialisierung nach Möbelgruppen wie Tischen, Schränken oder Stühlen368, sondern auch eine weitergehende innerhalb der Möbelgruppen zum Beispiel nach Garderobenschränken oder Bücherschränken und nach gewöhnlichen oder feineren Stühlen.369 Weitere Berichte für die Untersuchungen aus München, Augsburg, Mainz oder Köln zeigten auch, dass in vielen Städten nur Kleinstbetriebe für Magazine arbeiteten370 und Möbeltischler weiterhin um die „Anfertigung solider Mittelware“371 kämpften. Auch gab es durchaus unterschiedliche Magazine mit einfacheren Möbeln, meistens aus Tannenholz, oder besseren furnierten Möbeln im Angebot.372 Schließlich entstand den Möbeltischlereien große Konkurrenz durch neue Rohstoffe und neue Produktionsmethoden, die von vornherein nur für Großbetriebe geeignet waren, wie Bücher anmerkt. Ein herausragendes Beispiel sind die ‚Wiener Möbel‘373 aus gebogenem Bugholz der Firma Thonet. Firmengründer Michael Thonet arbeitete mit einer großen Zahl an Holzbearbeitungsmaschinen und beschäftigte Holzhandwerker ebenso wie Hilfskräfte. Die Technik des Biegens von massivem Holz, der Verzicht auf jegliche Verzierung und die Nutzung 365 2000 Berliner Tischlereien arbeiteten mit weniger als drei Gehilfen, 1110 arbeiteten ohne Gehilfen, zitiert Sombart aus den Arbeiten von Voigt (Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 502.); Zu Betriebsgrößen und Beschäftigtenzahlen vgl. Paul Voigt, Das Tischlergewerbe in Berlin, S. 362–372 366 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 502; Vgl. auch Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 335 367 Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 234; „Wo das Angebot an Arbeitern überwog, wo zahlreiche kleine Meister unbeschäftigt waren, da haben die Magazine arbeiten lassen. Sicher haben sie die Unkenntniß und die Noth der armen Leute oftmals blutig und entsetzlich ausgenutzt. Aber meist geschah es da, wo ohne die Magazine die Arbeiter gar keine Arbeit gefunden hätten, die Noth also noch größer gewesen wäre“ (Schmoller, Kleingewerbe, S. 234–235) 368 Von dieser Spezialisierung ist, wie Schmoller berichtet, schon in den preußischen Handelskammerberichten 1866 die Rede (Vgl. Gustav Schmoller, Kleingewerbe, S. 201); Sombart stellt fest, dass Kisten und Stühle „jetzt wohl in ganz Deutschland so gut wie vollständig in großen Fabriken hergestellt“ werden (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 546). Ein Sonderfall ist die Blomberger Stuhlindustrie. Hier hat die Spezialisierung der Tischler schon nach dem Jahr 1771 eingesetzt. Damals haben die Tischler nicht nur Möbel, Holzwaren und Holzgeräte für die Landwirtschaft hergestellt, sondern auch damit begonnen, Stühle zu fertigen. Das notwendige Buchenholz war leicht und billig aus den Wäldern des Blomberger Umlands zu beschaffen (Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 171–172; Vgl. Lieselotte Krull, Vom Handwerk zur Industrie, S. 62; Vgl. Thomas Dann, Möbelschätze aus Lippe, S. 9; Vgl. Alexander Schwab: Der Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel Deutschlands, Heidelberg 1914, S. 31) 369 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 502 370 Vgl. ebd., S. 503 371 Ebd., S. 607 372 Vgl. ebd., S. 503 373 Vgl. Karl Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 216

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

preiswerten Buchenholzes erlaubten es, mit wenigen Grundmodellen eine breite Produktionspalette mit vielen Variationen und Kombinationen zu erstellen.374 Mit sparsam eingesetztem Material, nämlich sechs Teilen, zwei Muttern und zehn Schrauben, und mit standardisierter Herstellung begann die Serienmöbelfertigung, wie in Kapitel 6.2.3 noch näher ausgeführt wird. Es soll noch kurz darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur neue Produktionsmethoden gab, die von kleinen und mittleren Handwerksbetrieben gar nicht übernommen werden konnten, sondern auch neue Anforderungen in einer Größenordnung, die sich traditionelle Handwerksbetriebe auch als Gemeinschaftsleistung nicht zutrauten. Bücher erwähnt als Beispiel die Haupthalle der sächsisch-thüringischen Industrieausstellung 1896 in Leipzig375, deren Bau größeren Betrieben der Stadt angeboten wurde, die auch mit größerem Kapital zu arbeiten in der Lage waren. Doch ihnen war die vorgegebene Bauzeit zu kurz und das Risiko zu groß, so dass schließlich eine Firma aus Frankfurt am Main gefragt wurde, die wenige Stunden später den Vertrag unterzeichnete und acht Tage später die Baustelle einrichtete. Bevor mit Bezug auf diese allgemeinen Entwicklungen nachher an einzelnen ausgewählten Firmen untersucht wird, wie sie ihren Produktionsprozess organisierten, soll die Konkurrenz zwischen Handwerk und Fabrik angesichts des wachsenden Bedarfs an Massenproduktion abschließend aus dem Blickwinkel des Handwerks selbst erläutert werden. Es geht darum, wie die Konkurrenz durch die „kapitalistische Großproduktion“376 im Handwerk wahrgenommen wurde und wie das Handwerk seinen Einfluss geltend machte. Dies war umso wichtiger, als es, wie oben dargestellt, noch keinen allgemeingültigen Begriff der ‚Fabrik‘ gab. So verfasste Richard Pape, Sekretär der Handwerkskammer zu Insterburg, 1905 seine bereits erwähnten Beiträge zur Lösung der Frage: Handwerk oder Fabrik. Die Frage beschäftigte damals Behörden und Gerichte, weil eine Reihe von Betrieben aufgrund unklarer gesetzlicher Regelungen sowohl von Handwerkskammern als auch von Handelskammern als Mitgliedsbetriebe geführt wurden, also zweimal Beiträge zahlen sollten, dagegen Beschwerde einlegten und auch vor Gericht zogen.377 Papes Beiträge sind deshalb aufschlussreich, weil in ihnen nicht nur die Selbstbeschreibung des Handwerks deutlich wird, sondern in Urteilen der Gerichte und allgemeinen Stellungnahmen auch andere Standpunkte wiedergegeben werden. So stellte die Generalversammlung des Bundes der Industriellen am 19. Oktober 1903 in Berlin in ihrem Beschluss eine Verstimmung zwischen Handwerk und Industrie fest und forderte dann eine umfassende gesetzliche Regelung, weil das Handwerk durch die fortschreitende industrielle Entwickelung teilweise gänzlich aufgelöst, teilweise von der Industrie abhängig geworden, teilweise mit ihr in ständige Wechselwirkung getreten sei.378

374 Vgl. Gebr. Thonet: Möbel aus gebogenem Holze, Wien 1904 375 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 207 376 Ebd., S. 211 377 Vgl. Richard Pape, Beiträge zur Lösung der Frage: Handwerk oder Fabrik, S. 2 378 Ebd., S. 17

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Der Bund der Industriellen machte den Vorschlag, bei der notwendigen Neuregelung allen gewerblichen Betrieben das Recht der Selbstzuordnung zu Handwerks- oder Handelskammer einzuräumen.379 Das war allerdings nicht die Absicht des Handwerkskammer-Sekretärs Pape. Ihm kam es darauf an, dass es auch „nach 10 – 15 Jahren“380 noch ein wirtschaftlich selbständiges Handwerk geben sollte und betonte: Im Interesse der Volkswirtschaft kann es nur liegen, möglichst viele selbständige Klein- und Mittelbetriebe zu erhalten, nicht aber diese aufzureiben.381

Deshalb gibt für Pape auch die Größe eines Betriebes keinen Hinweis auf die Zugehörigkeit zum Handwerk oder zur Industrie. Es könne kleine und große Handwerksbetriebe geben382, stellt er fest und zitiert zustimmend eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 12. März 1891: „Der große Handwerker aber ist nicht Fabrikant“.383 Ähnlich urteilte mehr als ein Jahrzehnt später, am 1. Mai 1902, das Berliner Kammergericht: Die Werkstätten des Großbetriebs bilden […] ein Mittelglied zwischen den Fabriken […] und den Handwerksbetrieben.384

Auch für den Regierungspräsidenten in Posen ist am 31. Dezember 1902 die Auffassung irrig, daß ein kaufmännisch geleiteter Großbetrieb zu Beiträgen für die Handwerkskammer nicht herangezogen werden könne.385

Schließlich entschied das Oberste Landesgericht in München am 1. Dezember 1903: Der Umstand, dass ein gewerbliches Unternehmen einen beträchtlichen Umfang hat, schließt […] die Möglichkeit nicht aus, daß es ein handwerksmäßiges Unternehmen ist, ein großer Handwerksbetrieb kann denselben Umfang haben, wie ein kleiner Fabrikbetrieb.386

Entscheidend waren für das Oberste Landesgericht vielmehr die Führung des Unternehmens, das Verhältnis zwischen Meister und Gesellen, das Ausmaß von Arbeitsteilung und Maschinen­ einsatz sowie der Kapitalbedarf.387 Darauf bezieht sich Pape schließlich in seinen Vorschlägen zur Abgrenzung der beiden Betriebsformen und argumentiert in ähnlicher Weise wie zum Beispiel Bücher und Sombart. Kein Handwerk sind für ihn zum Beispiel Betriebe, in denen „ursprünglich handwerksmäßige Gegenstände von ungelernten Arbeitern hergestellt werden“.388 Auch Betriebe, „die bereits früher bestehende Gewerke gänzlich aufgesogen haben“389, gehören 379 Vgl. ebd. 380 Ebd., S. 133 381 Ebd. 382 Vgl. ebd., S. 132 383 Ebd., S. 138 384 Ebd. 385 Ebd., S. 139 386 Ebd. 387 Vgl. ebd. 388 Ebd., S. 136 389 Ebd.

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

nicht zum Handwerk – selbst dann nicht, wenn noch Reste handwerksmäßiger Ausbildung und Tätigkeit bestehen. Ebenfalls zählen für Pape Betriebe nicht zum Handwerk, in denen Halbfabrikate und Ganzfabrikate massenweise hergestellt werden, […] infolge der Arbeitsteilung und maschineller Einrichtungen die handwerksmäßige Schulung durch bloße Übung ersetzt [und] wo die rein mechanische Tätigkeit durch ungelernte Hilfskräfte ausgeübt werden kann.390

Pape nennt auch positive Beispiele. Als selbständige Handwerksbetriebe sollen Betriebe gelten, in denen „die Arbeit des gelernten Handwerkers auch bei Benutzung von Maschinen überwiegt“391 und auch Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden. Wichtig ist also die handwerkliche Ausbildung. Der Einsatz von Maschinen spricht nicht gegen eine Zuordnung zum Handwerk, weil die „Konkurrenz der Großbetriebe“392 ihn erfordere. Schließlich sind für Pape auch solche Betriebe Handwerk, in denen die Löhne für Gesellen die der ungelernten Arbeiter übersteigen und für den technischen Betriebsleiter eine handwerksmäßige Ausbildung notwendig ist.393 Auch in den folgenden Jahren nach Papes Veröffentlichung gab es keine amtliche Klärung der Unterschiede zwischen Handwerk und Fabrik. Für das Jahr 1911 war eine Konferenz des Reichsamtes des Inneren angekündigt, denn diese Frage „ist in der Tat für unser gesamtes Wirtschaftsleben von der allergrößten Bedeutung“394, wie G. Budjuhn, Syndikus der Handwerkskammer zu Bromberg, in Der deutsche Tischlermeister 1911 ausführte. Er hielt es für „schwer, die richtige Grenze zwischen Fabrik und Handwerk zu finden“.395 Offenbar erbrachte auch die Konferenz kein greifbares Ergebnis, denn die Diskussion ging weiter, wie die Leipziger Messzeitung am 29. Mai 1912 schrieb. So hebt der mit „Dr. B. M.“396 abgekürzte Autor hervor: Bei dem Handwerksbetrieb findet eine mehr kunstmäßige, bei dem Fabrikbetrieb eine mehr mechanische Mitwirkung der Arbeiter statt. Jedoch wird ein Betrieb, der die wesentlichen Merkmale des Fabrikbetriebes aufweist, dadurch, daß er zumeist gelernte Handwerker beschäftigt, nicht zu einem Handwerksbetrieb.397

Es gibt für diesen Autor auch Grenzfälle, wo der Handwerksbetrieb so groß ist wie eine Fabrik und dann die Mehrzahl einzelner Merkmale darüber entscheiden soll, ob der Betrieb noch zum Handwerk oder schon zur Industrie gehört. In diesen Begriffsbestimmungen klingt schon an, was schließlich Karl Heinrich Kaufhold als Merkmal des Handwerks herausstellt. Es ist eine gewerbliche Betriebsform mit dem einzelnen Handwerker und seinen individuell erlernten Fertigkeiten im Mittelpunkt. Sein Werkzeug und seine Maschinen unterstützen ihn bei der Handarbeit, aber ersetzen die Handarbeit nicht, wie Kaufhold am Beispiel der Ausstattung mit Maschinen ausführt: 390 Ebd. 391 Ebd. 392 Ebd., Fußnote 393 Vgl. ebd., S. 137 394 Budjuhn, G.: Fabrik und Handwerk, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 4, S. 212–214, hier: S. 212 395 Ebd., S. 213 396 M., B.: Welches sind die Unterschiede zwischen Fabrik- und Handwerksbetrieb, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 18 (29.5.1912), S. 123–124, hier: S. 123 397 Ebd., S. 124

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Noch 1907 war sie in den Handwerksbetrieben quantitativ und wohl auch qualitativ recht bescheiden und stand weit hinter der der mittleren und größeren Unternehmen zurück. […] Gewichtiger noch als bei der Mechanisierung war das Zurückbleiben des Handwerks bei den Wachstumsraten der Wertschöpfung im Gewerbe.398

Entscheidend ist auch, dass Kaufhold keine Ablösung oder Verdrängung von Betriebsformen sieht, sondern ein Nebeneinander der unterschiedlichen Betriebsformen.399 Die Diskussion war auch 1913 noch nicht beendet. So veröffentlichte die Zeitschrift Der Innenausbau im gleichen Jahr ein Schreiben der Handelskammer in Bielefeld „wegen der Heranziehung von Herforder Möbelindustriellen zur Tischlerinnung“400 an den Magistrat der Stadt Herford. Die Handelskammer Bielefeld wandte sich gegen ein Gutachten der Handwerkskammer und stellte fest, dass in einem Handwerksbetrieb nicht überwiegend Massenfabrikation nach bestimmten Mustern stattfindet, sondern daß in erster L ­ inie Einzelarbeiten auf Bestellung nach vorgeschriebenen Maßen und sonstigen bestimmten Angaben angefertigt werden.401

Die Handelskammer sah deshalb keinen der 16 Herforder Fabrikbetriebe als innungspflichtig an. Im Folgenden sollen die jeweiligen Betriebsformen ausgewählter Möbelfirmen erläutert werden. Leider geben die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik keine Hinweise auf die Möbeltischlerei in Ostwestfalen und Lippe oder in Frankfurt am Main.402 Ausgangspunkt ist deshalb die schon erwähnte 1830 gegründete Fabrik von Michael Thonet aus Boppard/Rhein und später Wien, die als erste Firma konsequent fabrikmäßig schlichte Bugholzmöbel in Serienfertigung und zu einem günstigen Preis produzierte. Damit entwickelten und perfektionierten Thonet und seine Söhne ein neues Produktionsverfahren und waren Vorbild für andere Serienmöbelproduzenten im 19. Jahrhundert. Michael Thonet knüpfte an Erfahrungen an, die im Jahrhundert davor die Kunstschreiner (Ebenisten) Abraham und David Roentgen aus dem benachbarten Neuwied mit ihren Luxusmöbeln für einen ganz anderen Kundenkreis gemacht hatten. Weitere Beispiele für ausgewählte Betriebsformen sind die bereits genannten Firmen Gustav Kopka, die Blomberger Stuhlindustrie, die Steinheimer Möbelindustrie, Gebrüder Schlingmann sowie Gustav Bergmann aus Lippe.

6.2.3  Betriebsformen an ausgewählten Beispielen Der Bau- und Möbeltischler Michael Thonet (1796–1871) aus Boppard am Rhein schuf eine der ältesten Möbelmarken und prägte die Geschichte des Designs mit. Seine Firma steht für die Anfänge der Serienmöbelfertigung. Michael Thonet baute 1819 seinen Handwerksbetrieb als 398 Kaufhold, Das Handwerk zwischen Anpassung und Verdrängung, S. 125 399 Vgl. Friedrich Lenger, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, S. 10 400 Handelskammer Bielefeld: Einspruch gegen die Heranziehung von Herforder Möbelindustriellen zur Tischlerinnung, in: Der Innenausbau (1913), H. 44 (31.10.1913), S. 596–601, hier: S. 596 401 Ebd., S. 600 402 Die Untersuchungen behandeln nur das Tischlereigewerbe in Augsburg, Berlin, Eisleben, Emmendingen, Freiburg i. Br., Gahlenz, Jena, Karlsruhe, Köln, Konitz, Mainz, Neudorf bei Straßburg, Posen, Prag, Roßwein und Spreewald. (Vgl. die Übersicht bei Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 669)

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Bau- und Möbeltischler auf, stellte Möbel im Biedermeierstil her403, übertrug Anfang 1830 ein Verfahren aus dem Schiffsbau in die Möbeltischlerei und begann, „Möbelbestandteile aus dicken Fournieren zu biegen“404, experimentierte und perfektionierte das Verfahren immer weiter, meldete 1856 ein Patent an405 und machte Bugholzmöbel zu einem qualitätvollen und schlichten Massenartikel.406 Seit 1837 entwarf und produzierte Michael Thonet Möbel aus gebogenem Buchenholz, hauptsächlich Stühle, die sogenannten Bugholzstühle.407 Thonet ist ein Beispiel für den von Bücher beschriebenen Anpassungsprozess408, indem neue Produktionsverfahren für unternehmerischen Erfolg sorgten und Betriebsformen veränderten, hin zur massenhaften Serienproduktion mit ungelernten und angelernten Arbeitskräften. Wie es gelang, massives Holz zu biegen, beschreibt ausführlich Wilhelm Franz Exner, Direktor des Technologischen Gewerbemuseums Wien, in seinem erstmals 1876 erschienenen Buch Das Biegen des Holzes, ein für Möbelfabrikanten, Wagen- und Schiffbauer, Böttcher, etc. wichtiges Verfahren409: Auf diejenige Fläche des noch ungebogenen, also geraden Stabes, welche nach dem Biegen die konvexe Seiten bilden sollte, wurde ein Streifen aus Eisenblech gelegt und an mehreren Stellen, gewiss aber an beide Enden, durch Schraubenzwingen in unverrückbare, feste Verbindung mit dem Stabe gebracht. Wurde derselbe nun gebogen, so konnte sich der mit dem Blechstreifen verbundene Teil des Holzes nicht mehr strecken, als dieser selbst, also nur um eine verschwindend kleine Grösse verlängern. Damit aber eine Biegung überhaupt eintreten könne, musste sich der gesamte Holzkörper stauchen, und dies um so mehr, je weiter er vom Blechstreifen entfernt, d. h. je näher er zum konkaven Teil der Oberfläche gelegen war.410

403 Vgl. Karl Mang: Thonet Bugholzmöbel. Von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Produktion, Wien 1982, S. 12 404 o. A.: Michael Thonet. Ein Gedenkblatt aus Anlass der hundersten Wiederkehr seines Geburtstages am 2.7.1896, Wien 1896, S. 135–189, hier: S. 137 abgedruckt in: Bangert, Albrecht/Ellenberg, Peter: Thonet M ­ öbel. Bugholz Klassiker von 1830–1930. Ein Handbuch für Liebhaber und Sammler, München 1997, o. S.; Vgl. auch: Max Naumann, Das Holz in der Möbeltischlerei, S. 563–564 405 Vgl. Wolfgang Thillmann: Perfektes Design: Thonet Nr. 14, Bielefeld 2015, S. 39 406 Vgl. o. A., Michael Thonet. Ein Gedenkblatt aus Anlass der hundersten Wiederkehr seines Geburtstages am 2.7.1896, S. 135–189; Vgl. Gebr. Thonet, Möbel aus gebogenem Holze; Vgl. Karl Mang, Thonet Bugholzmöbel; Vgl. auch: Stefan Üner: Gebrüder Thonet, in: AK: Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten (Museen des Mobiliendepots, Bd. 37), Wien 2018, S. 149–152 407 Nach einem Bericht von Michael Thonet begeisterten die Stühle auch den österreichischen Staatskanzler Fürst Klemens Lothar Wenzel Metternich. So schreibt Thonet über Metternich: „Es machte dem Fürsten eine außerordentliche Freude, er sprach in meiner und mehrerer Hofbeamten Gegenwart mit solcher Begeisterung von unseren Sachen, daß er fast niemand zu Worte kommen ließ, er schaukelte sich auf dem Sessel hin und her. […] Der kaiserliche Hofmarschall wurde sofort angewiesen, die Möbel ins kaiserliche Palais zu besorgen, um sie dem Kaiser vorzustellen. […] [Baron von Hügel berichtete Michael Thonet], dem Kaiser hätten die Sachen ausnehmend gut gefallen und Er hege den Wunsch, einiges davon zu behalten“ (Heller, Hermann: Von der kleinen Tischlerwerkstätte zum Weltindustriehaus. Michael Thonet, der Erfinder und Begründer der Bugholzmöbel-Industrie. Lebens- und Charakterbild, Brünn, ohne Datum (nach 1922), zit. in: Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 22) 408 Vgl. Karl Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 216 409 Vgl. Wilhelm Franz Exner: Das Biegen des Holzes, ein für Möbelfabrikanten, Wagen- und Schiffbauer, Böttcher, etc. wichtiges Verfahren. Mit besonderer Berücksichtigung auf die Thonetsche Industrie, Weimar 1893 410 Exner, Biegen des Holzes, S. 12; Dieser Ablauf des Biegeprozesses ist noch heute bei Thonet in Frankenberg ziemlich identisch. Hier werden Einzelanfertigungen hergestellt.

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Mit dieser Technik des Holzbiegens war 1856 ein Durchbruch erreicht.411 Rotbuche war das einzige Holz, das zum Biegen genutzt werden konnte, und es war zugleich auch das günstigste Holz.412 Allerdings machte es einen Unterschied, ob das Holz von Hand gebogen wurde oder mit Hilfe von Maschinen, wie Bruno Otto in seiner 1931 erschienenen Untersuchung Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie hervorhebt.413 Zunächst arbeitete Michael Thonet mit Schichtholz, später dann mit Massivholz.414 Um wirtschaftlich zu sein, mussten große Stückzahlen in einem Großbetrieb produziert werden.415 Thonet „hatte in erster Linie die Absicht, sich auf die Fabrication von Möbeln aus gebogenem Holze zu werfen und namentlich solcher, für welche ein grosser Absatz zu erzielen war“416, wie seine Söhne und Enkel über ihn schreiben. In Koritschan in Mähren errichtete Thonet 1856 die erste größere Fabrik, in der billige, ungeschulte Arbeitskräfte417 als angelernte Arbeiter aus 411 „Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Biegen ist das rechtzeitige Einschneiden des zum Biegen bestimmten Holzes. Eine Lagerung desselben während längerer Zeit in ungesägtem Zustande wirkt ungünstig auf die Biegefähigkeit“ (Otto, Bruno: Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, Eberswalde 1931, S. 6) 412 Vgl. Wilhelm Franz Exner, Biegen des Holzes, S. 13; Das Rotbuchenholz wurde zunächst zwischen zehn Minuten und zwei Stunden gedämpft: „Durch das Dämpfen wird das Längsgefüge des Holzes derart gelockert, daß die Verschiebung desselben beim Biegen ohne Bruch möglich wird. […] Die Aufnahme des Dampfes erfolgt bei keiner Holzart so leicht wie bei der Rotbuche“ (Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 7) 413 „Von jeder brauchbaren Biegemaschine muß verlangt werden, daß man das zu biegende Holz in sehr kurzer Zeit (in 10–20 Sekunden) in die Maschine einspannen und gegen das Biegemodell pressen kann. Je mehr und je rascher das Biegen im dampfheißen Zustande des Holzes vorgenommen wird, desto bessere Resultate werden erzielt“ (Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 8); „Die durch den Handbetrieb gebogenen Hölzer können die Konkurrenz – hier rein technisch-fabrikatorisch gesehen – mit den Produkten des maschinellen Betriebes nicht aushalten. Der Handbetrieb ist nicht imstande, Hölzer formgenau zu biegen und in der gebogenen Form dauernd zu erhalten, denn die geringe Kraft des Handbetriebs kann das Gefüge der Holzfasern nur ungenügend auflösen, verschieben und verpressen. […] Demgegenüber sind Fabrikbetriebe infolge weitgehender Verwendung von Apparaten und Maschinen und der dadurch bedingten anderen Arbeitsweise in einem erheblich größeren Maße qualifiziert, die Genauigkeit in der Ausführung von Bugholz zu erreichen, die für die weitere Verarbeitung der gebogenen Stücke erforderlich ist“ (Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 16–17) 414 Vgl. Karl Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 45; So war beispielsweise saftfrisches Holz „das für die Biegerei am besten qualifizierte“ (Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 6) 415 Vgl. Bruno Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 14; Vgl. hierzu auch Karl Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 68: Von 25 Modellen im Jahr 1859, wuchs die Modellvielfalt auf 80 im Jahr 1873, 1884 gab es bereits 110 Modelle und 1915 schließlich dann 1400 Modelle. 416 o. A., Michael Thonet, S. 150–151 417 Vgl. o. A., Michael Thonet, S. 162; Über die Stuhlproduktion („Sesselfabrication“) in Koritschan heißt es in dem Gedenkblatt zu Michael Thonets 100. Geburtstag: „Professionisten wurden zur eigentlichen Sesselfabrication nicht mehr verwendet. Zu den schweren Arbeiten wurden Männer, zu den leichteren Arbeiten, wie Raspeln, Poliren, Flechten, Einpacken etc, nur jugendliche Hilfsarbeiter, meist Mädchen, angelernt. […] In der ersten Zeit wurde die halbfertige Waare zum Fertigmachen und Montieren von Koritschan in die Wiener Fabrik geschickt und erst Ende 1857 war die Fabrik Koritschan so weit, ausschliesslich fertiges Produkt in directen Versandt zu bringen“ (o. A., Michael Thonet, S. 162). So schreibt Michael Thonet am 4.7.1860 an seine Kinder über die Arbeitskräfte: „[S]chick mir doch sogleich 4 Zimmerleute womit ich etwas ausrichten kann mit den hiesigen ärgere ich mich zu Tod, fauler und dümmer ist mir noch niemand vorgekommen eben so sind die Tagwerker ich habe 15 Sclowaken und 6 Zimmerleute zum Dramen aufziehen was die Leute so faul und grob sind ist nicht zu ertragen wenn alle in der Umgegend so sind dann haben wir einen schlechten Platz gewählt, es wäre mir lieb wenn Orel und Prohaska kämen, sie müssen aber alle ihr Werkzeug

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normierten Bauteilen Möbel in großen Stückzahlen zusammensetzten.418 Zeitweise beschäftigte er hier und in den weiteren Werken rund 10.000 Arbeitskräfte. Die Einzelteile bestehen aus gleichen Formen, weil sie in den gleichen Formen gebogen werden.419 Das unterscheidet die Fertigung von Möbeln aus gebogenem Holz von der Herstellung anderer Möbel. Für die Fabrik entwickelte Thonet eine Reihe von Spezialmaschinen420 und perfektionierte die Produktion. Zwischen 1857 und 1860 wuchs die Stuhlproduktion hier beinahe auf das Fünffache, von 9.300 Stühlen auf knapp 43.400.421 Wesentlichen Anteil daran hatte das 1859 erstmals hergestellte Modell Nr. 14, der sogenannte „Wiener Kaffeehausstuhl“.422 Er war mit 3 Gulden (1885) der günstigste Stuhl, den Thonet produziert hat. Die anderen Modelle von Nr. 1 bis Nr. 20 kosteten zwischen 3,10 Gulden und 10 Gulden.423 Weitere erfolgreiche Massenprodukte, die bis weit ins 20. Jahrhundert angeboten wurden, waren die Stühle Nr. 15 und Nr. 19, aber auch Nr. 18 und Nr. 20, die sich vor allem in der Gestaltung der Rückenlehne unterscheiden.424 In Massenproduktion angefertigt, mit dem „geringste[n] Material- und Arbeitsaufwand aller Serienmodelle“425, wurde das Modell Nr. 14 zum Sinnbild eines modernen Sitzmöbels. Der sogenannte ‚Wiener Kaffeehausstuhl‘ war Thonets größter Erfolg. Er schrieb Designge­ schichte.426 Der Stuhl bestand aus sechs Teilen, zwei Muttern und zehn Schrauben, die Thonet dafür hatte anfertigen lassen.427 Er ließ sich problemlos zerlegen, verpacken, versenden und wieder zusammensetzen. So wurden in einer Transportkiste mit einem Kubikmeter Rauminhalt 36 in ihre Einzelteile zerlegte Stühle verpackt und verschickt.428 mit bringen“ (Thonet, Michael: Brief vom 4.7.1860 an seine Kinder, zit. in: Thillmann, Wolfgang: Perfektes Design, Thonet Nr. 14, Bielefeld 2015, S. 96) 418 Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 39; Über Koritschan heiß es: „Die Wahl fiel auf den drei Meilen westlich von der Nordbahnstation Bisenz-Pisek gelegenen Marktflecken Koritschan bei Gaya in Mähren und dort wurde im Jahre 1856 die erste größere Fabrik zur Erzeugung gebogener Möbel gebaut, nachdem vorher mit dem damaligen Besitzer der Herrschaft Koritschan, Herrn Herrmann Wittgenstein, ein mehrjähriger Holzlieferungsvertrag abgeschlossen wurde“ (Mang, Thonet, S. 36) 419 Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 60; Thillmann sieht hier eine frühe Form der „modularen Produktion“ (Thillmann, Perfektes Design, S. 60) 420 So stellt Exner fest: Bei der Entwicklung „würde der Name Thonet mit einer Reihe von Spezialmaschinen untrennbar verknüpft sein, denn alle diese Vorrichtungen und Maschinen, wie z. B. Schablonen, Drehbänke, Bohr- und Fraismaschinen, Stuhlsitz-Bohrmaschinen und Sitzring-Bohrmaschinen, sowie eine Reihe von anderen Hilfsmaschinen mussten für diesen Industriezweig erst geschaffen werden und heute noch wird an der Ausbildung dieser technischen Einrichtungen eifrigst gearbeitet“ (Exner, Biegen des Holzes, S. 33) 421 Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 39 422 Vgl. o. A.: Zukunftsweisendes Möbeldesign mit langer Tradition. Internet: www.thonet.de/ueber-uns/unternehmen/informationen.html (Zugriff: 26.2.2018) 423 Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 58 424 Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 60; Vgl. Karl Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 72–77 425 Vegesack, Alexander, von: Thonet. Pionier des Industriedesigns 1830–1900, Weil am Rhein 1994, o. S. 426 Er wurde von zahlreichen Firmen nachgeahmt, beispielsweise von der Wiener Firma Krohn. (Vgl. Andrea Gleiniger: Der Kaffeehausstuhl Nr. 14 von Michael Thonet, Frankfurt/M. 1998, S. 4); Die Stuhltypen Nr. 18, Nr. 56 und Nr. 221 wurden für das Café bevorzugt. „[D]er Thonetstuhl [hat] in der Gastronomie seine volle Bewährung, seinen Dauertest bestanden und seine formale Tauglichkeit für jede Art eines Raumkonzeptes erwiesen: vom ‚Beisl‘ an der Ecke bis zum Luxusrestaurant“ (Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 93) 427 Werksführung im Hause Thonet in Frankenberg am 12.3.2018. 428 Vgl. o. A.: Das Prinzip Thonet. Internet: www.thonet.de/inspirationen/magazin/thonet-die-story/das-prinzip-thonet.html (Zugriff: 26.2.2018); So bemerkt Bruno Otto dazu: „der Umstand, daß die einzelnen Teile

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25  Thonet Stuhl Nr. 14, in: Baumstark, Reinhold, et al. (Hrsg.): Pinakothek der Moderne. Kunst, Grafik, Architektur, Design, München/Köln 2002, S. 411

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26  Transportkiste für die Thonetstühle. Internet: www.thonet.de/fileadmin/_migrated/pics/vertriebs idee.jpg (Zugriff: 27.2.2018)

Mit wenigen Grundmodellen wurde, wie der Katalog aus dem Jahr 1904 zeigt, eine breite Produktpalette mit vielen Variationen und Kombinationen erstellt.429 Das Inhaltsverzeichnis nennt „Sessel, Fauteuils, Halbfauteuils, Kanapees“.430 Unter Sessel oder Konsumsessel verstand Thonet Stühle, Fauteuils sind Stühle mit Lehnen und Kanapees sind Sofas aus gebogenem Holz, ebenfalls ohne Polsterung.431 Für Jakob Falke waren die Bugholzmöbel wegen ihrer Leichtigkeit vor allem für Kaffeehäuser geeignet, nicht aber für eine künstlerisch ausgestattete Wohnung […], denn sie geben uns nur durchsichtiges Geflecht, magere, dünne Stäbe, wo das Auge einen bedeutungsvollen, durch Form und Farbe ausgezeichneten Gegenstand verlangt.432

der gebogenen Sitzmöbeln ohne Leimverbindungen nur mittels eiserner Schrauben montiert und zerlegt werden können und in demontiertem Zustande eine – im Gegensatz zu nicht zerlegbaren Stühlen – raum­ ausnützende und damit billige Magazinierung und Verpackung möglich machen, bilden die technischen Gründe für den bedeutenden Export von Bugholzmöbeln“ (Otto, Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, S. 13) 429 Bei der Sitzform konnte zwischen runder, ovaler und trapezförmiger Form unterschieden werden, auch beim Geflecht gab es verschiedene Modelle (Vgl. Karl Mang, Thonet Bugholzmöbel, S. 70); Vgl. Gebrüder Thonet, Möbel aus gebogenem Holze, S. 1–5 430 Gebrüder Thonet: Möbel aus gebogenem Holze, S. c; Außerdem bietet der Katalog zum Beispiel Blumenständer, Fußschemel, Kleiderstöcke, Kofferständer, Klaviersessel oder Gartenmöbel. 431 Thonet bietet auch Möbel mit Polsterung an: Salonsessel, Salonfauteuil und Salonkanapee (Vgl. Gebrüder Thonet, Möbel aus gebogenem Holze, S. 57) 432 Falke, Die Kunst im Hause, S. 287

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27  Schaukelfauteuil Nr. 1 der Gebrüder Thonet, in: Gebrüder Thonet: Möbel aus gebogenem Holze, Wien 1904, Reprint, Hannover 1999, S. 52

Weniger bekannt ist der erste Schaukelstuhl aus gebogenem Holz, ein zunächst „fast unbekannte[s] Möbelstück“433, für das, wie Söhne und Enkel schreiben, „noch kein Bedürfnis vorhanden war“.434 Michael Thonet hatte auf der Londoner Weltausstellung 1851 einen Schaukelstuhl von R. W. Winfield aus Birmingham gesehen und später dann, 1886, selbst einen entwickelt. Dieser von Thonet entwickelte Schaukelfauteuil Nr. 1 wurde wenig später 100.000 mal pro Jahr verkauft, „weil sich Schaukelfauteuils in dieser Vollkommenheit und zu so billigen Preisen eben nur aus gebogenem Holze vorteilhaft herstellen lassen“.435 Mit der von ihm entwickelten und immer weiter verbesserten436 Bugholztechnik gab Th ­ onet entscheidende Anstöße für die Serienmöbelfertigung. Die arbeitsteilige Produktion von Möbeln in hoher Stückzahl war aber schon länger bekannt. Die Ebenisten Abraham Roentgen (1711–1793) und David Roentgen (1743–1807), sein Sohn, aus dem unweit von Michael Thonets Geburtsort Boppard gelegenen Neuwied stellten ab den 1750er Jahren Luxusmöbel für eine adelige Kundschaft her und vertrieben sie europaweit, bis nach der Französischen Revolution die Nachfrage einbrach.437 Die Roentgens waren eine „Ausnahmeerscheinung im 18. Jahrhun433 o. A., Michael Thonet, S. 173 434 Ebd. 435 Ebd., S. 173–174 436 „Michael Thonet war mit seinen Söhnen unermüdlich thätig in der Schaffung neuer Artikel, neuer Formen und in Verbesserungen des Fabricationsverfahrens. In dem fortgesetzten Bestreben, möglichst ökonomisch zu arbeiten, wurde die Theilung der Arbeit weiter entwickelt und so weit als thunlich der maschinelle Betrieb eingeführt. Zu diesem Zwecke mussten eine Menge neuer Hilfsmaschinen und Werksvorrichtungen ersonnen und geschaffen werden“ (o. A., Michael Thonet, S. 164); Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 63–67 437 Vgl. Ursula Weber-Woelk: Die Manufaktur der Roentgens – fünfzig Jahre tonangebend in der Herstellung exquisiter Möbel, in: Büttner, Andreas: Roentgen. Möbelkunst der Extraklasse (Schriftenreihe über die Geschichte der Stadt Neuwied in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Neuwied, Bd. 8), Neuwied 2007,

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28  Schreibtisch von Abraham Roentgen (ca. 1758–1760) Rijksmuseum Amsterdam, Internet: www.rijksmuseum.nl/en/­ collection/BK-16676 (Zugriff: 27.2.2018)

dert in Europa“.438 In ihrer Manufaktur arbeiteten zahlreiche Spezialisten, zum Beispiel für Mechanik, Marketerie und Bemalung.439 Je besser und ausgefeilter die Möbel wurden, um so mehr Spezialisten wurden beschäftigt, die neue Techniken der Verarbeitung entwickelten oder neue Modetrends erkannten und umsetzten. Mit der arbeitsteiligen, beinahe fabrikmäßigen Organisation konnte eine größere Anzahl von Möbeln in kleinen Serien und in ausgezeichneter Qualität hergestellt werden. Dazu zählten ganz unterschiedliche Möbeltypen wie Schreibtisch (Abb. 28), Kabinettsessel, Toilettentisch, Geldschrank und Spieltisch, jeweils in verschiedenen Variationen.440 Gleich gestaltete Korpusformen wurden in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Furnieren dem Geschmack der Kunden entsprechend angeboten.441 Die gleiche S. 47–79, hier: S. 78; Vgl. Andreas Büttner: Die Roentgen-Manufaktur in Neuwied und ihre Mitarbeiter, in: Ders.: Roentgen. Möbelkunst der Extraklasse (Schriftenreihe über die Geschichte der Stadt Neuwied in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Neuwied, Bd. 8), Neuwied 2007, S. 79–102, hier: S. 81; Vgl. Christine Cornet/Wolfgang Thillmann: Abraham und David Roentgens ‚Fabrique‘ des 18. Jahrhunderts und die Fabriken der ‚Gebrüder Thonet‘ im 19. Jahrhundert bis heute, in: Willscheid, Bernd/Thillmann, Wolfgang (Hrsgg.): Möbeldesign. Roentgen, Thonet und die Moderne, Neuwied 2011, S. 17–23, hier: S. 23 438 Weber-Woelk, Manufaktur der Roentgens, S. 47; So ergänzt Bernd Willscheid: „Mit Ausgang des Ancien Régimes änderten sich Lebensstil und Wohnkultur in Europa. Prunkmöbel à la Roentgen waren nicht länger in Mode. Eine Manufaktur vom Range Roentgens, die schon in ihrer Blütezeit unerreicht blieb, ist nie mehr entstanden“ (Willscheid, Bernd: Roentgenmöbel für Könige und Kirchenfürsten, in: Büttner, Andreas: Roentgen. Möbelkunst der Extraklasse (Schriftenreihe über die Geschichte der Stadt Neuwied in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Neuwied, Bd. 8), Neuwied 2007, S. 103–124, hier: S. 124) 439 Vgl. Christine Cornet/Wolfgang Thillmann, Abraham und David Roentgens ‚Fabrique‘ des 18. Jahrhunderts und die Fabriken der ‚Gebrüder Thonet‘ im 19. Jahrhundert bis heute, S. 20 440 Vgl. Heidrun Zinnkann: Entfaltung. Roentgenmöbel aus dem Bestand, Frankfurt/M. 2005, S. 44 441 Achim Stiegel beschreibt die Arbeitsweise der Roentgens: „Der große Kabinettschrank wurde in drei Varianten hergestellt und an drei Herrscher der europäischen Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts verkauft.

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­ ntwurfsidee wurde auf unterschiedliche Möbeltypen übertragen und ermöglichte einheitliE che Raumausstattungen.442 Auch waren die Möbel in austauschbare Bauteile zerlegbar und so vor Transportschäden geschützt. Die arbeitsteilige Produktionsweise hatte Abraham ­Roentgen auf seinen Reisen nach England kennengelernt, wo Londoner Kunsttischler nach 1750 als ‚­cabinet-maker‘ bereits hochgradig arbeitsteilig arbeiteten und mit Hilfe von Zulieferbetrieben oder selbständig arbeitenden Meistern Möbel in großen Stückzahlen für den freien Markt herstellten.443 Diese Produktionsweise war damals in Deutschland völlig unbekannt. Wie später Michael Thonet und seine Söhne arbeiteten schon Abraham und David Roentgen nicht auf Bestellung, sondern auf Vorrat und warben auf Reisen, zum Beispiel nach Sankt Petersburg444, persönlich für ihre Produkte, zeigten ihren Kunden die mitgeführten Möbel und handelten die Preise aus.445 Auf Messen in Frankfurt am Main, Bonn oder Mainz präsentierten sie Standardmöbel, warben in Annoncen, verschickten Geschäftskarten, präsentierten durchreisenden Kunden Ausstellungen in der Werkstatt und unterhielten ein Verkaufslager in Paris.446 Diese Art von Marketing und Vertrieb hatten Abraham und David Roentgen auch bei den englischen Tischlern kennengelernt.447 Ähnlich arbeitete Jahrzehnte später Michael Thonet. Seine Firma hatte eigene Geschäfte in Wien, München, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und siebzehn weitere, unter anderem in New York, London, Moskau, Odessa, Paris, Rom und Neapel.448 Er machte sich damit unab[…] Alle drei Stücke waren keine Auftragsarbeiten, sondern in ihrem finanziellen Risiko bemerkenswerte Vorleistungen mit dem Ziel, das Begehren höchster Adelskreise zu wecken und damit den Absatz auf lange Zeit zu sichern. […] Das erste Exemplar wurde im Sommer 1776 an Carl Alexander von Lothringen und Bar verkauft, den Schwager der Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) und Onkel der französischen Königin Marie Antoinette (1755–1793). […] Der Fürst entschied sich trotz des ungeheuren Preises für den Ankauf – es sollte sein bei weitem kostspieliges Möbel bleiben – des wegen der vielen Mechanik als ‚Maschine‘ bezeichneten Bureaus. […] Ludwig XVI. erwarb das zweite Exemplar des Kabinettschranks als würdigen Nachfolger des zehn Jahre zuvor von seinem Vorgänger Ludwig XV. (1710/15–1774) angeschafften Bureau du Roi, dem berühmten Zylinderbureau aus der Werkstatt von Jean Francois Oeben (1721–1763) und Jean Henri Riesener (1734–1806). […] David Roentgens ursprüngliche Pläne sahen offenbar vor, das dritte Exemplar des Kabinettschranks, das wenige Monate nach dem Verkauf des Pariser Stückks [sic!] vollendet war, dem österreichischen Herrscherhaus in Madrid und Wien anzubieten. Schließlich richtete sich sein Angebot nicht an die betagte Maria Theresia, sondern an ihren Sohn und Nachfolger Kaiser Joseph II. (1741/65–1790)“ (Stiegel, Achim: „Lauter Projekte“- Möbel für den Luxusmarkt, in: Büttner, Andreas/Weber-Woelk, Ursula: David Roentgen. Möbelkunst und Marketing im 18. Jahrhundert, Regensburg 2009, S. 52–66, hier: S. 57–59) 442 Vgl. Christine Cornet/Wolfgang Thillmann, Abraham und David Roentgens ‚Fabrique‘ des 18. Jahrhunderts und die Fabriken der ‚Gebrüder Thonet‘ im 19. Jahrhundert bis heute, S. 20 443 Weber-Woelk, Manufaktur der Roentgens, S. 48; Vgl. Andreas Büttner, Die Roentgen-Manufaktur in Neuwied und ihre Mitarbeiter, S. 81, S. 83–84 444 Stiegel, Lauter Projekte, S. 52 445 Vgl. Christine Cornet/Wolfgang Thillmann, Abraham und David Roentgens ‚Fabrique‘ des 18. Jahrhunderts und die Fabriken der ‚Gebrüder Thonet‘ im 19. Jahrhundert bis heute, S. 20–21; Vgl. Ulrich Leben: Fertig zum Versand: Die Rolle von Mechanik in der Konstruktion von multifunktionalen und für den Export bestimmten Möbeln in Paris und Neuwied, in: Büttner, Andreas/Weber-Woelk, Ursula: David Roentgen. Möbelkunst und Marketing im 18. Jahrhundert, Regensburg 2009, S. 117–127, hier: S. 120 446 Vgl. Heidrun Zinnkann, Entfaltung, S. 18–19; Vgl. Andreas Büttner, Die Roentgen-Manufaktur in Neuwied und ihre Mitarbeiter, S. 83–84, S. 91 447 Vgl. Andreas Büttner, Die Roentgen-Manufaktur in Neuwied und ihre Mitarbeiter, S. 81 448 Vgl. Gebr. Thonet: Möbel aus gebogenem Holze, Wien 1904, Reprint, Hannover 1999, o. S.

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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hängig vom Möbelhandel. Thonet verschickte außerdem ab 1885 eigene viersprachige Verkaufs­ kataloge (deutsch, französisch, englisch und italienisch) und Spezialkataloge für Thea­ter, Gastronomie und Krankenhäuser.449 Der Katalog von 1895 ist sogar sechssprachig und hat bereits 120 Seiten Umfang.450 Trotz vieler Ähnlichkeiten gibt es entscheidende Unterschiede. Die Fertigung bei Roentgen zielte auf einzigartige Produkte, bei Thonet auf Massenartikel. Eine Vielzahl von Spezialisten arbeitete bei Roentgen, bei Thonet waren es angelernte Arbeiter. Roentgen war auf Zulieferer angewiesen, Thonet verzichtete darauf und behielt, auch um ‚Werkspionage‘ auszuschließen451, alle Arbeitsvorgänge in seiner Firma und damit unter seiner Kontrolle. Roentgen verfeinerte Mechanik und Dekor der Möbel immer weiter, Thonet perfektionierte dagegen den Herstellungsprozess seiner schlichten Möbel. Er verband eine eigene Formsprache mit einem günstigen Preis und erfüllte damit Louis Sullivans spätere Forderung ‚form follows function‘.452 Roentgen verzichtete auf eine Signatur, Thonet dagegen machte seinen Namen zur Marke. Sie hatte eine solche Bedeutung, dass das Erscheinungsbild von Schutzmarke und Prägestempel immer wieder verändert wurde.453 Eine solche Kennzeichnung war damals noch selten.454 Ein Merkmal verband Michael Thonet mit Abraham und David Roentgen: Sie waren alle Möbeltischler und dachten kaufmännisch. Damit waren sie ihrer Zeit voraus. Der Herforder Unternehmer Gustav Kopka (1832–1882) dagegen war ein Kaufmann, der Möbeltischler für sich arbeiten ließ. Sein Betrieb hatte mit ihm eine kaufmännische Leitung, die von der Produktion getrennt war. Eine solche Aufteilung war zu der Zeit noch ungewöhnlich und sollte sich in den meisten Betrieben erst nach 1900 durchsetzen.455 Aus Kopkas Betrieb ging die erste ‚Möbelfabrik‘ zwischen Berlin und Köln hervor456, die immer weiter expandierte und 449 Vgl. Alexander von Vegesack, Thonet, o. S. 450 Vgl. Karl Mang, Thonet, S. 69 451 Damit wollte Thonet sein Patent schützen: Vgl. Christine Cornet/Wolfgang Thillmann, Abraham und David ­Roentgens ‚Fabrique‘ des 18. Jahrhunderts und die Fabriken der ‚Gebrüder Thonet‘ im 19. Jahrhundert bis heute, S. 22 452 Vgl. Andrea Gleiniger, Kaffeehausstuhl, S. 44; Vgl. auch: Louis Henry Sullivan: „Das Bürohochhaus, unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet“, in: Lampugnani, Vittorio (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert: Positionen, Programme, Manifeste, Ostfildern-Ruit 2004, S. 22–24, hier: S. 22 453 So wurde der Prägestempel zwischen 1856 und 1882 immer wieder verändert: „GB.THONET Wien“, „GB. THONET WIEN“, „Thonet Wien“, „THONET“ und schließlich „THONET“ im Frästeller (Vgl. Wolfgang Thillmann, Perfektes Design, S. 84–85); Die Stühle für den freien Markt wurden in den 1850er Jahren zunächst mit dem Symbol einer Sonne markiert, später dann mit der Abkürzung „TG“ und dem Symbol einer Sonne. Die Abkürzung „TG“ steht für Thonet Gebrüder. 454 Neben Thonet schützte zur gleichen Zeit, 1857, noch der Mundharmonikahersteller Matthias Hohner seine Ware vor Nachahmern, indem er seinen Namen auf die Deckel der Mundharmonika gravierte (Vgl. Hartmut Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt. Hohner und die Harmonika 1857–1961. Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Paderborn 1997, S. 84) 455 Vgl. Christina Pohl: Geschichte der Möbelindustrie, in: Beaugrand, Andreas, et al.: Der steinerne Prometheus. Industriebau und Städtekultur. Plädoyer für eine neue Urbanität (Herforder Forschungen, Bd. 3), Berlin 1989, S. 102–105, hier: S. 103; Vgl. Christoph Laue: Gustav Kopka – „Ein Unternehmer“, o. J., o. S.; In den 1870er Jahren ließ er auch im Herforder Gefängnis arbeiten. 456 Vgl. Wilhelm Schinkel, Stadt und Land Herford, S. 138; Vgl. Ingrid Schäfer: Vom Leinenland zum Holzland. Zur Entwicklungsgeschichte der lippischen Möbelindustrie, in: AK: Lippische Möbelindustrie 1900–1960, Detmold 1993, S. 25–42, hier: S. 28; Vgl. Gustav Schierholz: Geschichte der Herforder Industrie, Herford

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

1907 schließlich rund 300 Arbeiter beschäftigte.457 Weil mit Kopka die Serienmöbelfertigung in Ostwestfalen-Lippe begann458, sollen diese Möbelfabrik, ihre Vorstufen und ihre Betriebsform genauer untersucht werden. Wichtige Quellen zu Gustav Kopka sind erhalten geblieben und im Kommunalarchiv Herford vorhanden. Wesentliche Aufsätze zu Kopka stammen vom Herforder Archivar Christoph Laue.459 Gustav Kopka war Sohn des Herforder Stadtkämmerers Carl Friedrich Kopka und dessen Frau Henriette Wilhelmine Kopka, geborene Rothe, einer Tochter des Herforder Oberbürgermeisters. Nach Abitur und Baugewerkeschule in Lüneburg460 war Gustav Kopka bis Ende der 1850er Jahre als Kaufmann in verschiedenen Berufsfeldern tätig und nach dem Tod seines Vaters für einen Monat als Interimskämmer für die Stadtfinanzen zuständig.461 Er betrieb eine Filiale der Gladbacher Feuerversicherungs-Actiengesellschaft, eröffnete 1859 im Wohnhaus der Familie, an der Hämelinger Straße mitten in Herford462, einen Handel mit gedrucktem Leinen und Nessel und erweiterte diesen 1861 um Handel mit gefärbtem Leinen. Das Jahr 1861 gilt als Gründungsjahr463 von Kopkas Betrieb, der 1863 zu einer Holzhandlung wurde. Dazu gehörte auch ein kleines Möbelgeschäft, eine Detailhandlung für Wohnungseinrichtungen464, die bis nach 1902 bestehen blieb, als Kopkas jüngster Sohn Ferdinand die Firma übernahm. Gustav Kopkas „Möbel-, Spiegel- und Polsterwaaren-Magazin“465 war eine Mischung aus Verlag und Manufaktur. Sein Vorbild waren die Berliner Fabriken, die bereits preisgünstige

1952, S. 104; Vgl. Christoph Laue: Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, in: AK: In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 60–71, hier: S. 61 457 Vgl. Wilhelm Schinkel, Wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 140–141; Vgl. Dieter Ziegler, Beyond the Leading Regions, S. 158 458 „In Herford, the first modern furniture factory was constructed as early as 1860 by Gustav Kopka, who specialized in cheap coated softwood furniture to be marketed in the Ruhr area. The success of Kopka’s factory encouraged some of his executives to set up their own furniture factories, so that a cluster of woodworking workshops and factories with different specialization emerged” (Ziegler, Beyond the Leading Regions, S. 158) 459 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 60–71; Vgl. Christoph Laue: Gustav Kopka geht in die Strafanstalt. Der Pionier der Serienmöbelfertigung lässt im Gefängnis arbeiten – und gerät dadurch in Schwierigkeiten, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 81 (14.6.2012), S. 8; Vgl. Christoph Laue: Die Küche ist weiblich? Gustav Kopkas Küchen hatten Frauennamen, o. J., o. S.; Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka – „Ein Unternehmer“, o. S.; Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe, S. 148–162 460 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung, S. 64 461 Vgl. Christoph Laue: Der Tod des Kämmerers. Wie der Möbelfabrikant Gustav Kopka kurzzeitig die Stadtfinanzen beaufsichtigte, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 80 (15.3.2012), S. 7 462 Vgl. Christoph Laue: Kopka-Ausstellung in der Bibliothek. Die Anfänge der industriellen Möbelfertigung, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 85 (15.6.2013), S. 8 463 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung, S. 64; Vgl. hierzu auch: Christoph Mörstedt: Preiswerte Möbel für Industriearbeiter. Herford 1861: Der Kaufmann Gustav Kopka fasst einen Entschluss, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische (Hrsg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 93 (18.6.2015), S. 1 464 Historisch-biographische Blätter, Industrie, Handel und Gewerbe, Gustav Kopka, o. S. (KAH, HF WIII-1027) 465 Anzeige von Gustav Kopka im Herforder Kreisblatt (HK) vom 4.12.1869, Velos frei

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Möbel in Masse produzierten.466 Er machte es sich zunutze, dass das Tischlerhandwerk im Minden-Ravensberger Land viele günstige Arbeitskräfte bereitstellte, nachdem die Leinenindustrie als wichtigster Gewerbezweig durch die Mechanisierung in eine schwere Krise geraten war.467 Wie im Verlag produzierten selbständige Handwerker aus Herford und der ländlichen Umgebung nach Stücklohn die Möbel, die Kopka im Magazin verkaufte. Er gab den Handwerkern die Entwürfe mit Angaben zu Maß und Materialien vor und übertrug damit seine Erfahrungen aus dem Leinenhandel auf die Möbelherstellung. Um die Produktionskosten zu senken, ließ er nach seinen Plänen auch inhaftierte Handwerker im Herforder Gefängnis für sich arbeiten. Diese wurden Kopka von der Gefängnisleitung zur Verfügung gestellt und dort wie in einer Manufaktur von Meistern beaufsichtigt. Dass Kopka Gefangene für sich arbeiten ließ, war nicht außergewöhnlich, sondern auch Tischler in Berlin468 und Frankfurt/M.469 beschäftigten Häftlinge. Als Kopka 1872 die Genehmigung für eine „10pferdige Dampfmaschine“470 erhielt, stellte er sie nicht bei sich im Magazin auf, sondern im Gefängnis. Erst als ein Brand im Gefängnis 1873 einen Teil der Maschinen zerstörte, gab er die Produktion dort auf und verlegte sie ganz in sein Möbelmagazin, das nun zur Fabrik wurde. Die Nachfrage nach Möbeln wuchs immer weiter und wurde schließlich so groß, dass die Fabrik 1892 mit Maschinen vollständig neu eingerichtet und eine 100 PS starke Dampfmaschine aufgestellt wurde. Vier Jahre später wurde der Betrieb deutlich vergrößert. In den ersten zehn Jahren wälzte Kopka als Verleger das Risiko auf die zuliefernden Handwerker ab und trug nur die Kosten für die Rohstoffe. Sowohl im Verlag als auch in der Manu­ faktur wurden Möbel ohne Maschinen arbeitsteilig mit immer den gleichen Handgriffen her466 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung, S. 64; Vgl. Willi Kulke, Möbel­ industrie, S. 13; Vgl. Christoph Mörstedt, Preiswerte Möbel für Industriearbeiter, S. 1; Vgl. Paul Voigt: Das Tischlergewerbe in Berlin, S. 379 467 Vgl. Toni Pierenkemper, Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, S. 23, S. 29 468 So gaben drei Berliner Tischlerbetriebe Teile der Produktion an rund 200 Gefangene der Strafanstalt Plötzensee ab. Hier wurden dann für diese Betriebe Bettgestelle, Gardinenbretter, Nähtische und Stühle hergestellt. Die Gefangenen erstellten nicht das Möbel komplett alleine her, sondern jeder Gefangene war nur für einen Arbeitsschritt zuständig. Dadurch wurden die Lehrzeit verkürzt und die Fertigkeiten verringert (Vgl. Paul Voigt, Das Tischlergewerbe in Berlin, S. 438) 469 So beschreibt Heinrich Back zum Beispiel, dass in dem Königlichen Strafgefängnis Frankfurt a. M.-Preungesheim nur solche Gefangene in der Schreinerei beschäftigt sind, die das Handwerk in Freiheit erlernt haben. Sie stellten Möbel und Gebrauchsgegenstände für die Gefängnisverwaltung und für verschiedene Behörden her. Es gab aber auch Gefangene mit längerer Haftstrafe, die in einer drei- bis viermonatigen Lehrzeit angelernt wurden und für ein Frankfurter Unternehmen unter Aufsicht eines Werkmeisters dieses Unternehmens Möbel fertigten. Das taten sie in ihrer eigenen Zelle. Dort wurden Hobelbank und Werkzeug morgens hereingeschafft und abends wieder vor die Zellentür gestellt. Die tägliche Arbeitszeit dauerte von 6.30 Uhr bis 18.30 Uhr. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Gefängnisarbeit sagt Back, dass „sie als wirtschaftlich nachteilig für den freien Arbeiter doch nur dann angesehen werden [kann], wenn die Arbeiten an Fabrikanten oder Händler zu einem Preise abgegeben werden, der sich wesentlich unter dem hält, der von dem freien Arbeiter, um existenzfähig zu bleiben, verlangt werden muß. Wenn solche Minimalsätze bei der Abgabe der Arbeit nicht eingehalten werden, dann kann die Gefängnisarbeit dem freien Arbeiter freilich sehr nachteilig werden. Es liegt im Interesse der Gefängnisverwaltungen selbst, eine Störung der freien Arbeit zu vermeiden“ (Vgl. Heinrich Back, Möbelschreinerei in Frankfurts Umgegend, S. 145–146) 470 Historisch-biographische Blätter, Gustav Kopka, o. S. (KAH, HF WIII–1027)

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gestellt. Das bot beiden Seiten Vorteile. Die Handwerker konnten die normierten Einzelteile, die Halbfabrikate, in größeren Stückzahlen liefern und das Magazin hatte geringere Herstellungskosten und konnte günstige Preise bieten. Nur durch die Arbeitsteilung und noch ohne Maschinen wurde die Produktivität des Betriebs deutlich gesteigert. Erst 1872 verfügte Kopka über so viel Kapital, dass er sich Dampfmaschine, Formatkreissäge, Fräsmaschine und Bandsäge leisten konnte. Damals beschäftigte die Firma schon 100 Mitarbeiter.471 Aber die Einführung der Maschinen bedeutete keine große Umstellung im Betriebsablauf, weil es die arbeitsteilige Fertigung schon gab. Hier war Kopka Vorreiter, genauso wie beim Maschineneinsatz.472 Erst viele Jahre später erwähnte der Jahresbericht des Königlichen Landratsamtes über die Lage der Industrie vom 20. Oktober 1898, dass [d]ie bedeutenden Betriebe der Tischlerei […] eine Umwandlung vor[nehmen], indem sie sich immer mehr der maschinellen Einrichtung zuwenden, damit sie in der Lage sind, den fabrikmäßigen Großbetrieben Concurrenz bieten [zu] können.473

Die Möbelfabrik Kopka war Vorbild für andere Firmengründungen. Einige Beschäftigte von Kopka machten sich mit einer eigenen Fabrik selbständig.474 So nennt der „Verwaltungs-Bericht des Magistrats der Stadt Herford über die Periode vom 1. April 1884 bis dahin 1887“ vier Möbelfabriken in Herford.475 Das Königliche Landratsamt stellt 1890 fest: Die vorhandenen Möbelfabriken haben reichlich zu thun. Bessere Sachen gehen gut und werden hierfür verhältnismäßig hohe Preise gezahlt, wohingegen die Preise für gewöhnliche Möbel sehr gesunken sind.476

Im Bericht für die „Periode vom 1. April 1890 bis dahin 1895“ zählte der Magistrat schon sechs Möbelfabriken477 in Herford. Bis 1900 wuchs die Zahl auf 10 und bis 1905 sogar auf 18 Möbel­

471 Vgl. Verzeichnis der gewerblichen Anlagen in dem Kreise Herford (aufgestellt am 12.6.1894), in: Acta ­speciale betreffend Verzeichnis der gewerblichen Anlagen im Regierungsbezirke Minden 1894–1897 (LAV NRW OWL, M1 I G Nr. 258) 472 Vgl. Christoph Mörstedt, Preiswerte Möbel für Industriearbeiter, S. 1 473 Königliches Landratsamt Herford. Acta specialia betreffend die Lage der Industrie (KAH, A 1309) 474 1873 erhielt die Firma Kopka Konkurrenz durch die Möbelfabrik Schemel & Schwettmann. Schwettmann hatte bei Kopka gearbeitet und die erfolgreiche Firmenentwicklung mitbekommen und zusammen mit dem Finanzier Schemel eine eigene Firma aufgebaut. Die dritte Herforder Möbelfabrik errichtete Karl Ludwig Wolff, der als Tischlermeister zwischenzeitlich bei Kopka gearbeitet hatte und seinen Tischlereibetrieb in eine Fabrik umwandelte (Vgl. Dirk Fischer, „Die bedeutenden Betriebe der Tischlerei nehmen eine Umwandlung vor“, S. 97–98); Im Bericht des Königlichen Landrats-Amtes vom 10.11.1894 an die Regierung über die Lage der Industrie im Jahr 1894 werden zwei größere Möbelfabriken in Herford genannt: „In der Fabrik von Kopka werden 80 Arbeiter, in der Fabrik von Schaper&Blumenthal ca. 60 Arbeiter beschäftigt. Beide Fabriken haben vollauf zu thun, da die Nachfrage sehr rege ist“ (Königliches Landratsamt Herford: Bericht des Königlichen Landrats-Amtes vom 10.11.1894 an die Regierung über die Lage der Industrie im Jahr 1894, o. S. (KAH, A 1308, 10.11.1894)); Vgl. Wilhelm Schinkel, Stadt und Land Herford, S. 138 475 Verwaltungs-Bericht des Magistrats der Stadt Herford über die Periode vom 1. April 1884 bis dahin 1887, S. 9–15, hier: S. 10 (KAH, HFA 314 VerwBer 1884–1887) 476 Schreiben an die Regierung in Minden vom 8.8.1890 über die Lage der Industrie in Herford (KAH, A 1336, 8.8.1890) 477 Verwaltungs-Bericht des Magistrats der Stadt Herford über die Periode vom 1. April 1890 bis dahin 1895 betreffend, S. 27–35, hier: S. 30 (KAH, HFA 314 VerwBer 1890–1895)

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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fabriken.478 1897 schrieb das Königliche Landratsamt an den Regierungspräsidenten zu Minden: Die älteren Möbeltischlereien haben sich bedeutend ausgedehnt, 2 neue Geschäfte sind entstanden. In allen Fabriken wird flott gearbeitet, da Aufträge genügend einlaufen. An Angebot von Arbeitskräften fehlte es nicht, weshalb die Arbeitslöhne unverändert geblieben sind. Die Preise für alle Holzarten sind seit Herbst 1896 um 15–20 % gestiegen, die Preise der fertigen Fabrikate entsprechend erhöht worden. Meistens werden nur gewöhnliche weiße Möbel verarbeitet, das Hauptabsatzgebiet ist im Bergischen. Die Aussichten für das nächste Jahr können als günstig bezeichnet werden.479

Kopkas Ziel war es, preiswerte Möbel in gleichbleibender Qualität herzustellen. Deshalb ließ er sich Holz aus den gleichen wenigen Waldgebieten liefern. Billige Möbel fertigte er wie damals üblich aus Tannenholz, das anschließend von Möbelmalern bemalt wurde und dadurch eine hochwertige natürliche Laubholzmaserung vortäuschte. Es wurde also jene ‚Schönheit der Imitation‘ angeboten, wie es der Firnisfabrikant Louis-Edgar Andés empfahl.480 Tannenund Kiefernholz konnten aber nicht in ausreichender Menge in Ostwestfalen-Lippe geschlagen werden, sondern wurden ab 1845 aus dem Sauerland, dem Harz, dem Schwarzwald und aus Ostpreußen mit Dampfschiffen und Flößen über die Weser bis Vlotho angeliefert und zunächst mit Pferdefuhrwerken, später mit der Herforder Kleinbahn zu Sägewerken und Holzbearbeitungsbetrieben transportiert.481 Die Nachfrage nach Möbeln aus Tannen- und Kiefernholz wuchs auch Ende der 1880er Jahre noch482, so dass Tannen- und Kiefernholz größtenteils aus Schweden, Norwegen und Russland eingeführt wurde.483 Bessere Möbel für bürgerliche Käuferschichten fertigte Kopka ab 1873 als furnierte Möbel aus Mahagoni, Nussbaum und Kirschbaum484, außerdem als natur- und weißlackierte sowie polierte Möbel.485 Weil sich Kopkas Möbel kaum von handwerklich gefertigtem Mobiliar unterschieden, kauften bürgerliche Kunden in Ostwestfalen-Lippe früher als anderswo Fabrikmöbel aus Herford486 und überwanden damit die gängigen Vorurteile gegen ‚minderwertige Fabrik-

478 Verwaltungs-Bericht des Magistrats und Geschichte der Stadt Herford. Die Zeit vom 1. April 1900 bis 31. März 1905 betreffend, S. 50 (KAH, HFA 314 VerwBer 1900–1905) 479 Schreiben an die Regierung in Minden vom 1897 über die Lage der Industrie in Herford (KAH, A 1336, 1897) 480 Vgl. Louis-Edgar Andés, Die technischen Vollendungsarbeiten der Holzindustrie, S. 84 481 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 62; Vgl. Ingrid Schäfer, Vom Leinenland, S. 28 482 „Tannen- und Kiefernholz (Bauhölzer und Bretter) wurden wiederum in beträchtlichen Mengen importiert und erfuhren eine Preissteigerung von ca. 20%. […] Es konnte aber gleichwohl nicht zum Verbrauch inländischen Holzes in größerem Umfange übergegangen werden, da die bezüglich der Beschaffenheit und der Dimensionen bestehenden Anforderungen dies unthunlich machten. Der Bedarf an Eichen- und Buchenholz war ebenfalls ein großer; derselbe wurde zum wesentlichsten Teile aus den benachbarten Waldungen gedeckt“ (Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1888, umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Theil des Kreises Herford, S. 44) (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 483 Vgl. Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1889 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 41 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 484 Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 149 485 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 66 486 Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der Möbelindustrie, S. 151, S. 155–156

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ware‘.487 Kopka lieferte seine Möbel im Umkreis von dreißig Kilometern sogar frei Haus und versuchte, sich damit einen Vorteil gegenüber auswärtigen Herstellern zu verschaffen. Ein wichtiges Absatzgebiet für Kopka war das Ruhrgebiet, das „Bergische“488, wie es in den Berichten des Landratsamtes heißt. Das Ruhrgebiet wurde aufgrund des anhaltenden Zuzugs von Arbeitskräften zu einem immer bedeutenderen Absatzgebiet. Es gehörte neben Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig oder Breslau zu den am stärksten wachsenden Industriegebieten.489 Schon in den 1870er Jahren schickte Kopka Vertreter ins Ruhrgebiet, um Aufträge zu akquirieren. Über ihre Geschäfte gab die Firma Gustav Kopka in den jeweiligen Berichten der Handelskammer zu Bielefeld Auskunft. So heißt es im Bericht für das Jahr 1877: „Die Nachfrage richtet sich vorwiegend auf bessere Möbel“.490 Dieser Trend hielt auch 1878 an.491 Für das Jahr 1880 stellte die Firma fest: [B]esonders schwach war die Nachfrage für gewöhnlichere Sachen. Bei feineren Möbeln, die mehr verlangt wurden, waren nur sehr gedrückte Preise zu erzielen und suchte namentlich die auswärtige Concurrenz durch Verringerung der Qualität eine billigere Preisstellung zu ermöglichen.492

Billige Möbel auswärtiger Konkurrenten beschäftigten die Firma Kopka noch einige Zeit. Man kann vermuten, dass es sich dabei um gängige Ware aus der „Riesenproduktion“493 der sogenannten ‚Berliner Möbel‘ handelte, die in ganz Deutschland abgesetzt wurden.494 Das war die Arbeit von Reisenden, die auf Provision, mit festem Gehalt oder selbständig arbeiteten und mit Musterbüchern zahlreicher Berliner Tischlermeister umherfuhren, um Aufträge zu sammeln und diese dann in Berlin bei ihren Auftraggebern abzuliefern.495 Aber bereits ein Jahr später sah die Firma ihre Lage schon positiver, wie im Bericht der Handelskammer zu Bielefeld 1881 zu lesen ist:

487 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 63; Vgl. Wilhelm Schinkel, Stadt und Land Herford, S. 138 488 Schreiben an die Regierung in Minden von 1897 über die Lage der Industrie in Herford (KAH, A 1336, 1897); Vgl. hierzu auch: Christoph Laue: Küchen tragen Frauennamen. Die Marketing-Ideen des Herforder Möbelpioniers Gustav Kopka, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 90 (4.9.2014), S. 15 489 Vgl. Werner Plumpe, Die Wirtschaft des Kaiserreiches, S. 19 490 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1876 und 1877 umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 105 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 491 Vgl. Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1878 umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 90 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 492 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1880 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 109 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 493 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 503; Vgl. dazu auch Kap. 6.2.2. 494 So heißt es in dem Bericht über die Kölner Möbeltischler: „die ‚Berliner Möbel‘ haben den Markt in fournierten Möbeln schon in bedeutendem Umfange an sich gerissen, und ihre Konkurrenz wächst tagtäglich. Mit den Fabriken dieser ‚Berliner Möbel‘ können die hiesigen Meister [in Köln] […] nicht konkurrieren. […] In Zukunft wird der hiesige Möbelmarkt, soweit es sich um fournierte Möbel handelt, zweifellos zum überwiegenden Teile den sogenannten ‚Berliner Möbeln‘ gehören“ (Schönebeck, Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, S. 293, S. 297) 495 Vgl. Paul Voigt, Das Tischlergewerbe in Berlin, S. 402

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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Die Firma Gustav Kopka in Herford berichtet: […] Das Detailgeschäft war ein günstiges zu nennen und scheint es, als ob die Konsumenten hier am Platze und in der Umgegend endlich das Vorurtheil gegen sogenannte Fabrikarbeit fallen lassen. Vorzugsweise wurden polirte Möbel verlangt, deren Preise indeß noch immer von der auswärtigen Konkurrenz gedrückt werden.496

Die Einschätzung war offenbar richtig, denn 1883 schrieb die Firma Gustav Kopka im Bericht der Handelskammer: In meinem Geschäft speciell gingen die Aufträge von der Engros- sowie der Detail-Kundschaft reichlich ein, so daß ich trotz einer Vergrößerung meiner Fabrik häufig die Kunden nicht schnell genug bedienen konnte.497

Auch 1885 hielt die Entwicklung an: Die in Herford bestehende Fabrik von Gustav Kopka, welche in der Hauptsache Artikel von mittleren und und [sic!] niedrigeren Preisen fertigt, war während des ganzes Jahres in ungestörtem Betriebe.498

Ein Jahr später wurde die Fabrik erweitert und die Zahl der Arbeiter vergrößert.499 Offenbar profitierte auch die Firma Kopka von der wachsenden Nachfrage nach heimischen Möbeln, auf die die Bielefelder Möbelhandlung Eduard Essen im Bericht der Handelskammer für das Jahr 1888 genauer einging: Die Möbel-Industrie kann auch für das verflossene Geschäftsjahr einen Aufschwung verzeichnen, da infolge des in den letzteren Jahren geläuterten Geschmackes der bessere Grundsatz Platz gegriffen hat, auf Qualität derselben zu sehen. Infolgedessen ist der Bezug von Möbeln von Auswärts mehr und mehr geschwunden, weil das Publikum einsehen gelernt, daß die heimische Industrie vorzügliches leistet.500

Die Berichte für die folgenden Jahre bestätigen weiter diese Entwicklung. So heißt es 1891: Unsere Möbelindustrie macht mehr und mehr Fortschritte und ist dahin gelangt, daß sie den einheimischen Bedarf vollständig decken kann.501

Auch 1896 stellte der Bericht der Handelskammer fest: Der Privatbezug der Möbel von auswärts hat auch im Berichtsjahre erfreulicherweise mehr nachgelassen, so daß die eigentliche Kunsttischlerei ein freieres Feld fand und die hiesigen Möbelgeschäfte in der Lage waren, gediegene und teure Waren abzusetzen. Der Verkauf dieser Erzeugnisse nach auswärts hat ebenfalls eine Zunahme erfahren.502

496 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1881 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 61 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 497 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1883 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford. S. 80 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 498 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1885 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 98 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 499 Vgl. Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1886 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 90 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 500 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1888 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 89 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 501 Ebd., S. 84 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 502 Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1896 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 135 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1)

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Schon früh betrieb Kopka Eigenwerbung in Zeitungsanzeigen und besuchte Messen. So präsentierte er auf der ersten Herforder Gewerbeausstellung vom 15. bis 29. Mai 1870, wie aus dem Messeheft hervorgeht, „1 Causeuse (verkäuflich), 2 Fauteuils (verkäuflich), 1 Sessel (verkäuflich), 1 Tisch (verkäuflich), 1 Nähtisch (verkäuflich) und 1 Schreibtisch (verkäuflich)“.503 Auch auf der Gewerbeausstellung in Detmold 1881 war Kopka mit einer Mustersammlung imprägnierter Hölzer vertreten.504 Daneben waren seine Möbel auch in einer eigenen Firmenausstellung zu sehen.505 Von den Möbeln, die Kopka in den ersten Jahrzehnten bis nach 1900 herstellte, sind keine Abbildungen mehr vorhanden. Sie sind vermutlich nach dem Konkurs der Firma 1933 verloren gegangen. Aufschlussreich sind die Anzeigen in Zeitungen und Adressbüchern. So wirbt Kopka im Herforder Kreisblatt vom 10. September 1881 für vorzüglich vollständige Zimmereinrichtungen als: Salons, Speise-, Herren-, Wohn- und Schlafzimmer in allen Styl- und Holzarten, sowie Küchen- und Wirtschaftsmöbel in geschmackvoller und nur gediegener Ausführung […] zu den billigsten festen Preisen bestens empfohlen.506(Hervorhebung im Original).

Die Anzeige wirbt für das Komplettprogramm eines Möbeltischlers. Aber da Kopka auch viel im Ruhrgebiet absetzte, kann vermutet werden, dass es sich bei einem Großteil seiner Möbel um solide und schlichte Fabrikware ohne historistische Verzierungen handelte. Es waren Möbel aus preiswertem Holz für sparsam eingerichtete Wohnküchen in Arbeiterhaushalten. Kopka produzierte schlichte Möbel in guter Qualität und setzte sich bewusst von schlechter Massenware ab. Mit dieser handwerklich guten Fabrikware erfüllte Kopka bereits Anforderungen, die erst Jahre später der Deutsche Werkbund aufstellte. So war Gustav Kopka in mehrfacher Hinsicht Vorreiter: In seinem Betrieb trennte er kaufmännische und technische Leitung, ließ arbeitsteilig produzieren und steigerte dadurch die Produktivität, setzte schon sehr früh auf den Einsatz von Maschinen und verband schließlich handwerkliche Qualität mit maschineller Fertigung. Trotzdem ist Kopka heute weitgehend unbekannt. Denn Gustav Kopka und seine Söhne, die nach seinem plötzlichen Tod 1882 die Firma bis zum Konkurs weiterführten507, haben es im Unterschied zu Thonet und Roentgen nicht geschafft, aus ihrem Namen eine Marke zu machen. Gustav Kopka in Herford war nicht der einzige Kaufmann, der mit einer Möbelfabrik erfolgreich war. 1885 gründete der Kaufmann Eduard Krohne die erste ‚Stuhlfabrik‘ in Blomberg im Fürstentum Lippe, wo schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Stuhlherstellung Tradition hatte.508 Es handelte sich dabei um einfache, aus Buchenholz gefertigte Stühle mit geflochtenem Sitz. Sie wurden auch in die benachbarten Länder Lippes exportiert,

503 Gewerbeausstellung 1870 Kopka (Anzeige), in: Katalog der Gewerbe- und Industrieausstellung auf dem Sützenhofe zu Herford, Herford 1870, o. S. (KAH, ohne Signatur) 504 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 63 505 Vgl. ebd. 506 Anzeige der Firma Gustav Kopka im Herforder Kreisblatt (HK) vom 10.9.1881 (KAH, ohne Signatur) 507 Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 61 508 Von 1885–1991 bestand die Stuhlindustrie in Blomberg. 1991 schloss die letzte Stuhlfabrik Kuhlmann&Lalk. (Vgl. Vortrag zur Stuhlindustrie in Blomberg, o. S. (Internet: http://blomberg-voices.de/vortrag-zur-stuhlindustrie-in-der-stadtbibliothek)) (Zugriff: 7.9.2018)

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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so dass sich die Zahl der Blomberger Tischlereien von 15 im Jahr 1790 auf 38 im Jahr 1871 erhöhte.509 Die ‚Stuhlfabrik‘ von Eduard Krohne ging aus einer Kolonial- und Kurzwarenhandlung hervor, die auch Stühle verkaufte. Die Fertigung erfolgte zunächst nicht in eigenen Räumen, sondern in der Sägemühle von Bernhard Hausmann, mit dem Krohne eine Vereinbarung geschlossen hatte. Hausmanns Betriebsräume wurden Krohne zwischen 19 Uhr und 5 Uhr zur Verfügung gestellt.510 Hier konnte Krohne auch die Wasserkraft nutzen, mit der Hausmann arbeitete. Das Geschäft lief gut, Krohne beschäftigte elf Mitarbeiter. Die Fertigung bei Hausmann dauerte drei Jahre, von 1886 bis 1889, und wurde anschließend nicht verlängert. Danach produzierte Krohne in eigenen Räumen, aber ohne Maschinen, im Handbetrieb mit 24 Arbeitern. Nach Krohnes Tod wurde der Betrieb um 1910 geschlossen. In Blomberg waren Hausmann und Krohne diejenigen Unternehmer, die nicht mehr nur auf das traditionsreiche Handwerk setzten, sondern neue Formen der Fertigung im Blick hatten. Bernhard Hausmann, der später die erste Sperrholzplatte aus Buche511 entwickelte, produzierte zunächst neben Furnieren für die Möbelindustrie vor allem Halbfabrikate für die Stuhlherstellung in Serie. Er handelte gemäß dem von Sombart und Bücher beschriebenen Anpassungsprozess der Betriebsformen, in dem Möbelfabriken nur bestimmte Teile der Produktion an sich zogen und so nicht mehr handwerksmäßig arbeiteten, sondern ‚kapitalistischer‘.512 Diese Halbfabrikate lieferte Hausmann, da andere Stuhlhersteller nicht interessiert waren, zunächst nur an Krohne.513 Aus diesen Halbfabrikaten, zum Beispiel Vorderbeine, Spitzbeine und Sitzrahmen, setzte Krohne alle seine 33 Modelle zusammen514 und konnte so auf Maschineneinsatz verzichten. Krohne wiederum ist ein Beispiel für jenen Anpassungsprozess, „wo der ganze produktive Teil des Arbeitsprozesses aus dem Handwerk hinausfällt“.515 Aus guten Gründen gilt also die Zusammenarbeit zwischen Hausmann und Krohne als „Beginn der Industrialisierung der lippischen Gestellmöbelfertigung“.516 Anders als Blomberg setzte die Möbelstadt Steinheim/Westfalen auf qualitätvolles Kunsthandwerk und machte es zur Marke. Der Begründer der Steinheimer Kunsttischlerei war der Tischlermeister Anton Spilker (1838–1893), der sich nach seiner Ausbildung beim Detmolder Hofmöbelfabrikanten Carl Beneke noch in Zeichnen und Stilkunde weiterbildete und nach einigen Jahren in Berlin 1864 nach Steinheim zurückkehrte. Hier eröffnete er seine Werkstatt, eine ‚Fabrik geschnitzter Möbel‘, die sich durch hohe Qualitätsansprüche auszeichnete und 509 Vgl. Lieselotte Krull, Vom Handwerk zur Industrie, S. 56, 58 510 Vgl. Ingrid Schäfer, Vom Leinenland zum Holzland, S. 35; Lieselotte Krull schreibt hingegen, dass die Räume bis 6 Uhr morgens genutzt werden konnten (Vgl. Lieselotte Krull, Vom Handwerk zur Industrie, S. 65) 511 Vgl. Ingrid Schäfer, Vom Leinenland zum Holzland, S. 38–39 512 Vgl. Karl Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 215; Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 547 513 Vgl. Ingrid Schäfer, Vom Leinenland zum Holzland, S. 35; Vgl. Dirk Fischer, Geschichte der ostwestfälischen Möbelindustrie, S. 174 514 Vgl. Ingrid Schäfer, Vom Leinenland zum Holzland, S. 35 515 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 215 516 Schäfer, Vom Leinenland zum Holzland, S. 38

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

29  Entwurf eines Büffets in Eiche von Anton S­ pilker (1838–1893) für 550 Mark (Foto: Ursula Spilker)

Kunden aus Bürgertum, Adel und Militär belieferte. Diese Kunstfertigkeit hatte allerdings ihren Preis. So kostete zum Beispiel ein kunstvoll verziertes Büffet in Eiche mit 550 Mark mehr als das komplette Esszimmer in Eiche, das sich die Familie des Berliner Richters nach dem Haushaltsbuch im Jahr 1886 für insgesamt 500 Mark anschaffte517 (Abb. 29). Anton Spilker bildete immer wieder Lehrlinge aus, die sich anschließend in Kunstakademien, Kunstgewerbeschulen und bei Bildhauern weiterbildeten518 und sich nach Wanderjahren ebenfalls in Steinheim selbständig machten. Deshalb gingen „(fast) alle 28 Steinheimer Möbelbetriebe direkt oder indirekt auf Anton Spilker“519 zurück. Die Steinheimer Kunsttischlerei blieb beim Handwerk, ohne Arbeitsteilung und ohne maschinelle Produktion. Sie ist damit ein Beispiel dafür, dass sich Handwerker als Kunsttischler behaupten konnten, auch wenn sie, anders als es Bücher und Sombart schreiben, mit 10 bis 20 Mitarbeitern wie bei Spilker keine „Fabrikbetriebe größeren und größten Stils“520 waren. 517 Vgl. Erna Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 41 518 Vgl. Johannes Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie, o. S. 519 Spilker/Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 13 520 Bücher, Der Niedergang des Handwerks, S. 222; Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 606; Sombart schreibt dazu, „daß es am elendsten von allen Tischlern in Augsburg den kleinen Kunsttischlern ergeht“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 608). In Mainz dagegen „herrscht, der Tradition des Ortes entsprechend, der Großbetrieb in der Möbelschreinerei, die größtenteils Kunstgewerbe ist, schon lange vor“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 608); „In München halten sich einige Kunstschreiner notdürftig über Wasser“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 607)

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In der Möbelfabrik Spilker wurde ausschließlich auf Bestellung produziert.521 „Die glanzvolle Kaiserzeit […] erlebte die Kunsttischlerei Spilker als eine sehr erfolgreiche Periode“.522 Wie alle Steinheimer Werkstätten produzierte sie Möbel der Nachfrage entsprechend im Stil des Historismus mit einer Vielzahl von Ornamenten und Schnitzereien. So musste beispielsweise jeder Schrank eine reichverzierte Bekrönung aufweisen.523 „[D]ie Schönheit des natürlichen Holzes und die Zweckmäßigkeit der Möbel traten in den Hintergrund“.524 Die Belegschaft stellte nicht nur Einzelmöbel her, sondern auch komplette Zimmereinrichtungen. Die Möbel fertigte Spilker nach eigenen, in Tusche gezeichneten Entwürfen. Dabei ließ er sich auch von der damals führenden Illustrirten Zeitschrift für Innen-Dekoration sowie von dem Buch Der Praktische Tischler. Handbuch für Bau- und Möbeltischler525 von Christian Hermann Walde, Gründer und Direktor der Tischlerfachschule Warmbrunn in Niederschlesien, anregen. Aus den erhaltenen Rechnungsbüchern lassen sich Preise entnehmen.526 Zum Beispiel wurde dem Arzt Dr. med. Bartschau aus Lichtenau am 4. September 1876 ein geschweiftes Sofagestell aus Nussbaum für 49,50 Mark geliefert, außerdem zwei geschweifte Sessel für 78 Mark, 12 Stühle mit Rohrlehnen für 216 Mark und ein polierter Kleiderschrank mit zwei Türen für 135 Mark. Der Kaufmann L. Falkenstein erhielt am 10. März 1879 eine Kommode aus Nussbaum mit drei Schubkästen für 39 Mark und ein Nachtschränkchen mit weißem Marmorglas für 27 Mark. Spilker nahm auch Reparaturen vor. Am 8. Juli 1879 wurde bei Kaufmann Falkenstein ein Korbsessel für 1 Mark und am 4. Oktober 1879 eine Kinderbettstelle für 0,75 Mark ausgebessert. Die Preise ergaben sich aus einer individuellen Kalkulation. Zum Vergleich lassen sich als grobe Orientierungswerte auch die Preisspannen heranziehen, die August und Max Graef in ihrem Vorlagenbuch Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus 1894 veröffentlichten. Danach kosteten zum Beispiel eine Kommode in Nussbaum oder Mahagoni zwischen 18 und 90 Mark und ein Kleiderschrank aus demselben Holz zwischen 42 und 290 Mark.527 Die Schreiner im Vordertaunus verlangten für zweitürige Kleiderschränke ohne Spiegel und Beschlag zwischen 87 und 130 Mark und für Vertikos zwischen 40 und 52 Mark.528 521 Vgl. Ursula Spilker/Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 259–261 522 Ebd., S. 260 523 Vgl. Gespräch mit Frau Ursula Spilker und Herrn Johannes Waldhoff (beide Möbelmuseum Steinheim) am 29.3.2017 in Steinheim; Für die Möbelentwürfe orientierte sich Anton Spilker (1903–1973) an dem vom Architekten Alexander Speltz erstmals 1904 und 1906 dann in der zweiten Auflage veröffentlichtem Werk Der Ornamentstil. In diesem Buch fasst Speltz die Eigenschaften der jeweiligen Stile kurz zusammen und präsentiert dann dem Leser in vielen Abbildungen die Vielfalt der jeweiligen Stile. (Vgl. Alexander Speltz: Der Ornamentstil zeichnerisch dargestellt, in geschichtlicher Reihenfolge mit textlichen Erläuterungen nach Stilen geordnet. Ein Handbuch für Architekten, Zeichner, Maler, Bildhauer, Holzschnitzer, Ciseleure, Modelleure, Kunsttischler, Kunstschlosser, Fachschulen, Bibliotheken und zum Selbststudium, Berlin 1906) 524 Spilker/Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 18 525 Walde, Christian Hermann: Der Praktische Tischler. Handbuch für Bau- und Möbeltischler, Leipzig 1903 526 Vgl. Rechnungsbücher von Anton Spilker, o. J., o. S. (Privatarchiv Ursula Spilker) 527 Vgl. August Graef/Max Graef: Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus in allen seinen Räumen. Vorlagen zu Möbeln für Wohn- Speise- und Schlafzimmer, Gesellschafts- und Arbeitszimmer, für Toilette, Garderobe, Vorsaal, Kontor, Küche u. s w. in den beliebten Formen der deutschen Renaissance und mit einer abgeschlossenen Einrichtung in Rokoko, Weimar 1894, S. 15–16 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 495) 528 Vgl. Heinrich Back, Möbelschreinerei, S. 132

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Als 1872 die Eisenbahnlinie Hannover-Altenbeken eröffnet wurde, konnten die wertvollen schweren Möbel kostengünstig ins Rheinland und ins Ruhrgebiet, aber auch nach Schlesien und Ostpreußen transportiert werden. Vermögende Kunden bestellten meistens Möbel aus Nussbaum, für die bürgerliche Mittelschicht wurde Eichenholz aus der Region verwendet.529 Die Anfänge der Serienmöbelfertigung beschäftigten um die Jahrhundertwende auch die Steinheimer Kunsttischler, führten aber nur zu kleinen, vorsichtigen Änderungen im Betriebsablauf. Zwar blieb es weiterhin bei individuellen Entwürfen, als nach Antons Spilkers Tod 1893 dessen Sohn Anton (1877–1943) die Firma 1899 übernahm, aber ein Jahr später wurde die erste Maschine aufgestellt. Jetzt konnte nicht mehr ein, sondern schon zwei bis drei Werkstücke produziert werden. Die Arbeitsteilung gab es nach Auskunft von Ursula Spilker erst 1908.530 Als sich in den 1920er Jahren der Möbelhandel in Großstädten durchgesetzt hatte, stieg Spilker in die Serienmöbelfertigung ein.531 Den wirtschaftlichen Durchbruch mit Serienmöbeln schaffte die Firma aber erst Mitte der 1930er Jahre mit Entwürfen des Sohnes Anton Spilker (1903–1973) im Stil von Art Déco, Bauhaus, Chippendale und Italienisch Renaissance. Auch die anderen Steinheimer Werkstätten hielten wie Anton Spilker an der Steinheimer Tradition individuell entworfener Einzelmöbel in hochwertiger Qualität fest. Nur für grobe und schwere Vorarbeiten kamen Maschinen zum Einsatz.532 Aber der Stil änderte sich nicht, erst in den 1920er Jahren öffneten sich die Werkstätten für Art Déco und auch Bauhaus. „Fast alle Stein­heimer Produzenten stellten neben anderen auch diese betont schlichten Möbel her, geliebt wurden sie nicht“.533 Dabei waren diese Möbel leicht zu kombinieren und für unterschiedlich große Räume geeignet. Aber die Betriebe entdeckten eine Nische und spezialisierten sich auch auf schwere Eichenmöbel oder ganze Zimmereinrichtungen im Stil von Barock, Rokoko oder Renaissance.534 Sie produzierten „drei Stück, auch mal sechs Stück von einem Modell. Mehr ließen die Räumlichkeiten und auch die dünne Kapitaldecke nicht zu“.535 Für Möbelhäuser in den Städten produzierten die Steinheimer Kunsttischler allerdings nicht.536 Eine große Ausnahme bildete die ‚Steinheimer Möbelfabrik Winkelmann & Albert‘. Sie war kein gewachsener Familienbetrieb, sondern wurde 1906 von dem Steinheimer Kunsttischlermeister Johannes Winkelmann und dem Herdecker Kaufmann Wilhelm Albert gegründet und schon sieben Monate später von Albert allein weitergeführt.537 Diese Fabrik setzte sich 529 Gespräch mit Frau Ursula Spilker und Herrn Johannes Waldhoff am 29.3.2017; Dass der Firmengründer Anton Spilker so erfolgreich sein konnte, lag auch an dem Steinheimer Pferdehändler Louis Emmerich. Viele Offiziere kauften bei Emmerich ihre Pferde und wurden von ihm auf die Möbel von Spilker aufmerksam gemacht. Ein Offiziersstuhl für einen Offizier aus Schloss Neuhaus kam so gut an, dass auch Offiziere aus Ostpreußen und Schlesien solch einen Stuhl bestellten (Vgl. Ursula Spilker/ Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 10) 530 Gespräch mit Frau Ursula Spilker am 30.6.2017 531 Vgl. Ursula Spilker/Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 259–261 532 Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelschreinerei, o. S. 533 Spilker/Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 74 534 Vgl. ebd. 535 Ebd., S. 71 536 Vgl. ebd. 537 Vgl. ebd., S. 267

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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von der Steinheimer Kunsttischlerei ab und produzierte von Anfang an in Serie. Ihre Schlafzimmermöbel lieferte sie auch nicht an Einzelkunden, sondern an den Möbelhandel. In den 1920er Jahren brachte sie den ersten Möbelkatalog heraus, wahrscheinlich den ersten überhaupt in Steinheim. Wie Johannes Waldhoff schreibt, wurde diese Fabrik aber als Außenseiter wahrgenommen.538 Als einen der größten Produzenten von Serienmöbeln in Lippe bezeichnete sich die Firma Gustav Schlingmann aus Lemgo. Sie wurde erst 1897 gegründet und damit deutlich später als die bisher vorgestellten ‚Möbelfabriken‘ von Gustav Kopka (1861), Anton Spilker (1864) oder Eduard Krohne (1885). Schon bald nach der Gründung setzte die Firma Schlingmann auf den Einsatz von Maschinen und verarbeitete Halbfabrikate. Schlingmann-Möbel sollten „für’s ganze Leben“539 da sein und wurden in der Werbung zu „niedrige[n] Preise[n]“540 angeboten. Zusammen mit seinem Bruder August machte sich Gustav Schlingmann (1872–1959) nach seiner Tischlerlehre mit einer Bau- und Möbeltischlerei 1897 selbständig. Sie lieferten „[j]egliche Gebrauchsmöbel“541 für Speise-, Wohn- und Schlafzimmer in die nähere Umgebung und begannen 1902 mit dem Versandgeschäft per Eisenbahn über die Bahnlinie zwischen Bielefeld und Hameln. Im selben Jahr errichteten sie aber auch einen „Anbau mit Schaufenster“542 für die eigene Möbelhandlung. Sie lieferten zum Beispiel an das Kaufhaus Gebrüder Eppinghausen, ein Spezialhaus für Wohnungseinrichtungen in Dortmund.543 Der Betrieb lief offenbar gut. Für 1904 ist der Kauf mehrerer Maschinen belegt, zum Beispiel bei der 1903 gegründeten Maschinenfabrik, Eisen- und Metallgießerei Irmer & Elze in Bad Oeynhausen, die auf Planung und maschinelle Einrichtung von Möbelfabriken spezialisiert war.544 Weitere Maschinen an Schlingmann lieferten 1904 die Maschinenfabrik W. Kampmann & Kracht in Bielefeld545, die

538 Vgl. Johannes Waldhoff, Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelschreinerei, o. S.; Vgl. Ursula Spilker/Johannes Waldhoff, 150 Jahre Steinheimer Möbel, S. 270 539 Gebr. Schlingmann, Hofmöbelfabrik Lemgo (Lippe): 40 Jahre (1897–1937), o. O., 1937, S. 5 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) 540 Ebd., S. 8 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) 541 Ebd., S. 2 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) 542 Gebr. Schlingmann, 50 Jahre Möbelschaffen (1897–1947), o. S. (LAV NRW OWL, Bibliothek H 209) 543 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. O., o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34, Nr. 237) 544 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. O., o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 498); 75 Jahre Irmer & Elze 1.4.1903– 1.4.1978, Firmenchronik (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, F. 4513/773) 545 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 498); Vgl. Gebr. Schlingmann, o. O., o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/I, Bl. 131); Kampmann & Kracht verfügte über eine „fortwährende Ausstellung von Maschinen im Betrieb“ (Briefkopf der Firma Kampmann & Kracht (Stadtarchiv Bielefeld, 300,2 Briefköpfe Nr. 1777)). Die Firma „beschäftigt [1901] 37 männliche erwachsene und 5 männliche jügendliche [sic!] Arbeiter. Die Arbeitsräume sind hoch und geräumig und haben in den Shedabtheilungen Ventilationsklappen. […] Da die Fabrik hauptsächlich Holzbearbeitungsmaschinen baut, so ist auch die Beschäftigung der Lehrlinge nicht zu anstrengend, auch die Behandlung scheint eine angemessene zu sein“. Das schreibt die Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld am 17. September 1901 und befürwortet das Gesuch der Firma, „Vorkehrungen zur staubfreien Aufbewahrung der Kleidungsstücke der Arbeiter sowie ein im Waschraume unter den Hähnen angebrachtes Abführungsbecken für das verbrauchte Waschwasser“ anzubringen und den Speiseraum mit einer Heizung zu versehen. (Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld, Urschr. gemäss F. IV. 2,3 der Anweisung vom 26.2.1892 zur Ausführung der Gewerbe-Ordnung der Polizeiverwaltung in Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 300,4/Firmenschriften, Nr. 4/2))

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30  Speisezimmer Verona, in: Gebr. Schlingmann, 40 Jahre (1897–1937), S. 14 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380)

Holzhandlung, Sägerei und Hobelwerk Isaac Meyer & Lindemeyer aus Oerlinghausen546 sowie die auf Kreis- und Dampfsägen spezialisierte Firma G. Limprecht in Lemgo.547 Aus den Quellen geht auch hervor, dass sich Schlingmann im Jahr 1904 Halbfabrikate zuliefern ließ. Dazu gehörten Bett- und Sitzfüße von der Firma Heinrich Hartmann in Lemgo548, Sofagestelle von der Sofagestell- und Stahlzugfeder-Matratzen-Fabrik Schickler, Bohle & Co. in Elberfeld549, Spiegel und Spiegelglas von der Spiegel- und Spiegelglas-Manufaktur Gutmann & Clussmann in Fürth550 sowie Stoffe von der Firma Wilhelm Kuhlmann in Lemgo551, Tapezierer und Dekorateur. Holz bezog Schlingmann von der Holzhandlung Rüdiger Schmedes in Bremen.552 1906 erhielt die Firma als „Auszeichnung für hervorragende Leistung“553 vom Fürsten zur Lippe den Titel eines Hoflieferanten. Schlingmann war über Lippe hinaus bekannt und lieferte 1909 an Einzelhändler vor allem im Ruhrgebiet und im Rheinland, nämlich nach Bochum, Gelsenkirchen, Essen, Duisburg, Dortmund, Hamm, Krefeld, Herne, Solingen, Essen und Remscheid.554 Die Betriebsräume wurden schließlich zu klein, so dass 1911 eine moderne Fabrik am Lemgoer Bahnhof errichtet und die Möbelhandlung aufgegeben wurde. Schlingmann beschäftigte zu der Zeit 60 bis 100 Mitarbeiter. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Produktion zeitweise unterbrochen und nach Kriegsende 1918 mit 100 Mitarbeitern wieder aufgenommen. 546 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 106) 547 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 128) 548 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 107) 549 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 119) 550 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 129) 551 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 221) 552 Vgl. Gebr. Schlingmann, o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 123) 553 Gebr. Schlingmann, 50 Jahre Möbelschaffen (1897–1947), o. S. (LAV NRW OWL, Bibliothek H 209) 554 Vgl. Comisionen-Schlafzimmer der Firma Schlingmann, o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 274)

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31  Speisezimmer Hildesheim, in: Gebr. Schlingmann, 40 Jahre (1897–1937), S. 29 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380)

Schon ein Jahr später wurde die Fabrik weiter ausgebaut. Mit 200 Mitarbeitern erfolgte die „Umstellung des Betriebes auf Großserienfabrikation“555, also die fabrikmäßige Herstellung von Möbeln, die unserem heutigen Verständnis von einer Möbelfabrik nahekommt. Von 1923 bis 1925 wurden weitere neue Holzbearbeitungsmaschinen angeschafft. Die Ausweitung der Produktion wird auch an der Zahl der Modellvarianten deutlich. Bis 1917 wurden 17 verschiedene Speisezimmer aus Eiche und 30 gestrichene Schlafzimmer-Modelle angeboten, in den 1940er Jahren waren es dagegen 170 Modelle.556 So zeigt der Jubiläumskatalog zum 40-jährigen Bestehen 1937 reich verzierte Stilmöbel wie das Speisezimmer Verona557 aus Nussbaum in Italienisch Renaissance, antik behandelt und innen Mahagoni. Es gab aber auch schlichte Ausführungen wie das Speisezimmer Hildesheim558 in Palisander oder gestreift Nussbaum und innen Mahagoni. Die Möbelfabrik Schlingmann führte weiter und setzte in größerem Maßstab um, was der Herforder Kaufmann Gustav Kopka als Vorreiter eine Generation vorher und damals noch in einer Verbindung von Verlag und Manufaktur begonnen hatte: die arbeitsteilige Serienproduktion mit Maschinen und Halbfabrikaten sowie die Belieferung eines überregionalen Marktes durch das Versandgeschäft per Eisenbahn. Die Verfügbarkeit von Möbeln nahm zu und die Auswahl für die Verbraucher wurde größer. Leider lassen die vorhandenen Quellen keine Aussage darüber zu, wie die Schlingmann-Möbel vor dem Ersten Weltkrieg aussahen.

555 Gebr. Schlingmann, 40 Jahre (1897–1937), S. 2 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) 556 Scheffler, Jürgen: Eine Synthese zwischen handwerklicher Tradition und industrieller Fertigung: Die Möbelfabrik Gebr. Schlingmann in Lemgo, in: AK: In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 73–83, hier: S. 79 557 Gebr. Schlingmann, 40 Jahre (1897–1937), S. 14 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) 558 Gebr. Schlingmann, 40 Jahre (1897–1937), S. 29 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380)

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Da die Firma aber, anders als Kopka, überhaupt nicht für Arbeiterhaushalte produzierte, kann vermutet werden, dass die Möbel sicher auch reich verziert waren. Zum Abschluss soll auf die Möbelfabrik von Gustav Bergmann in Lage eingegangen werden.559 Sie ist aus drei Gründen bemerkenswert: Erstens wurde diese Fabrik erst 1903 gegründet und ist damit der jüngste der hier vorgestellten Betriebe. Zweitens war ihr Gründer, der Tischlergeselle Gustav Bergmann (1872–1951), Sohn eines Maschinisten, kein Einheimischer, sondern er stammte aus Görlitz und war nach Jahren der Wanderschaft über Bayern und Württemberg 1891 ins Fürstentum Lippe nach Lage gekommen.560 Hier war er bei Meistern beschäftigt. Er wollte eigentlich weiter nach Hamburg, lernte aber seine Frau Pauline Louise Albertine Brockschmidt in Lage kennen, ließ sich in der Heimatstadt seiner Frau nieder und gründete den eigenen Betrieb. Lage war ein guter Standort, denn die Stadt lag am ‚Lipper Kreuz‘, dem Schnittpunkt der Bahnstrecken Herford-Altenbeken und Bielefeld-Hameln. Drittens schließlich bot der Betrieb nicht das Komplettprogramm eines Möbeltischlers an, sondern spezialisierte sich von Anfang an auf Polstergestelle. Er ist innerhalb der Anpassungsprozesse der Betriebsformen ein Beispiel für eine weiterentwickelte Fabrik, die mit der Polsterei einen Handwerkszweig in die Produktion hinzunahm.561 Gustav Bergmann begann in angemieteten Räumen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs mit fünf Hilfskräften die Produktion von Sesseln und Sofagestellen in kleinen Serien.562 Sie wurde bereits sechs Jahre später, 1909, in größere, ebenfalls angemietete Räume nach Kachtenhausen bei Lage verlegt, nämlich in einen Teil des Sägewerks Möllmann an der Bahnlinie Lage-Bielefeld. Hier beschäftigte Bergmann schon mehr als zehn Mitarbeiter, die meisten von ihnen ausgebildete Tischler. Die Firmenchronik spricht von Schwierigkeiten, die „der Gründer durch sein fachliches Können“563 aber überwinden konnte. 1912 expandierte Bergmann weiter und gründete ein Zweigwerk in Delmenhorst bei Bremen. „Die Entwicklung beider Werke war zufrieden stellend“.564 Aber nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Zweigwerk 1918 wieder geschlossen. Bis zum Ersten Weltkrieg blieb Bergmann ein reiner Handwerksbetrieb565, der zusätzlich über eine Maschine mit einem großen Motor verfügte.566 Die Einzelteile (Gestellteile) wurden im Maschinensaal gefertigt. Mit der Bandsäge wurden die Teile ausgeschnitten und mit der Kreissäge die geraden Zargen hergestellt, bevor die Einzelteile in der Montage vom Tischler

559 Wichtige Literatur zu Bergmann: Elisa Groß, Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann, S. 121–129; Vgl. Burkhard Meier: 100 Jahre Bergmann. Eine Unternehmerfamilie erinnert sich (Beiträge zur Geschichte der Stadt Lage, Bd. 16), Lage 2003 560 Gespräch mit Gustav Bergmann am 7.4.2016 561 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 566 562 Vgl. Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann: 1903–1953. 50 Jahre Polstergestelle, Lage 1953, o. S. (Privatarchiv Gustav Bergmann, Lage) 563 Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann, 1903–1953. 50 Jahre Polstergestelle, o. S. 564 Ebd. 565 Vgl. Burkhard Meier, 100 Jahre Bergmann, S. 14; Gespräch mit Gustav Bergmann am 14.4.2016. 566 Gespräch mit Gustav Bergmann am 14.4.2016.

6.2  Möbelherstellung und Möbelgestaltung

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zusammengeleimt wurden.567 Die Polstergestelle wurden aus Eiche und Buche568 aus dem Teutoburger Wald569, später aus Kirsche und Rot-Erle gefertigt.570 Man verwendete keine Furniere, sondern Massivholz. Die Kunden kamen aus dem näheren Umland, nämlich Detmold, Hameln, Herford, Bad Oeynhausen und Preußisch-Oldendorf, aber auch aus Berlin, Hannover, Düsseldorf und Leipzig.571 Die vorhandenen Zeichnungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zeigen Sessel und Sofas in unterschiedlichen Stilrichtungen, sowohl ganz zurückhaltend nach Art des Biedermeier, aber auch verzierter in Richtung Historismus mit Bekrönung auf der Lehne und Stoffbesatz unterhalb der Sitzfläche mit Troddeln und Fransen. Die Firma Bergmann steht in der Reihe der hier genannten Möbelfabriken für eine Zwischenposition. Der Firmengründer Gustav Bergmann (1901–1950) war noch sehr dem Handwerk verbunden, wollte aber schon Möbel in größerer Stückzahl produzieren. Das war mit der von ihm verfolgten handwerksmäßigen Fertigung aber nur in begrenztem Umfang möglich. So blieb es nur bei ersten Ansätzen zur Serienmöbelproduktion. Erst sein Sohn Gustav Bergmann führte diese Ansätze nach der Übernahme der Leitung 1934 weiter und baute sie aus. Der leidenschaftliche Techniker, der an der Tischlerfachschule in Detmold ausgebildet war, ließ zwei Waggons mit Maschinen aus Leipzig nach Lage bringen572 und machte aus dem Handwerksbetrieb eine Fabrik, die größere Serien produzierte, jedes Jahr einen Möbelkatalog herausgab, immer weiter expandierte und in den folgenden Jahrzehnten auch unter Leitung seines Sohnes Gustav Bergmann (*1929) eine führende Stellung in der Möbelindustrie behielt. Als die Nachfrage aber in den 2000er Jahren einbrach und weder neue Naturholzmöbel noch moderne Landhausmöbel am Markt erfolgreich waren, musste die Firma 2007 den Betrieb einstellen. Die Geschichte der Firma Bergmann und die der anderen hier vorgestellten Möbelfabriken zeigt, wie unterschiedliche Betriebsformen auf die entstehende Serienmöbelfertigung reagiert haben. Sie belegen die unterschiedlichen Anpassungsprozesse in den Betriebsformen. Entweder wurde die Serienfertigung so früh wie möglich umgesetzt wie beispielsweise bei Gustav Kopka, Eduard Krohne oder Gustav Schlingmann, oder Firmen hielten sich von der Serienfertigung bewusst fern wie Anton Spilker oder stiegen nur sehr langsam ein wie Gustav Bergmann. Diese Firma begann schließlich in den 1930er Jahren mit der Großserienfertigung, immerhin rund zehn Jahre später als Gustav Schlingmann. 567 Gespräch mit Gustav Bergmann am 7.4.2016. 568 „Gustav Bergmann war einer der ersten weitblickenden Holzfabrikanten, der sich anschickte, die Buche in seinen Produktionsprozeß einzuschalten und trotz anfänglicher Schwierigkeiten mit der industriellen Verwertung der Buche als Nutzholz begann. […] Daß er insbesondere auch das bis dahin für industrielle Zwecke als wertlos geltende schwache Buchenholz in zunehmendem Maße verwendete, war eine Pioniertat, die Gustav Bergmann und seinem Betrieb in zunehmendem Maße die Achtung und Wertschätzung der Holz­ industrie wie auch der heimischen Forstämter sicherte und den Sprecher des Verbandes zu dem ehrlichen Bekenntnis zwang: ‚Das Werk Bergmann ist ein starker Zweig am Baum der holzverarbeitenden Industrie des Landes Lippe‘“ (o. A.: Weitschauende Pionierarbeit offenbarte der Holzindustrie einen neuen Rohstoff, in: Sonderbeilage der Lippischen Landes-Zeitung, Nr. 140 (20.6.1953) (LAV NRW OWL, D 107 Q Nr. 511) 569 Gespräch mit Gustav Bergmann am 14.4.2016. 570 Vgl. Elisa Groß, Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann, S. 125 571 Cassa-Buch der Firma Plass & Bergmann 1908–1913, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 Q Nr. 501) 572 Gespräch mit Gustav Bergmann am 14.4.2016.

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6  Produktionsabläufe: Der Übergang zur Serienmöbelfertigung

Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, wie die Serienfertigung die Marktmechanismen beeinflusste und die Verfügbarkeit der Möbel für bürgerliche Mittelschichten vergrößerte. Der Markt wuchs, aber mit dem Anstieg von Angebot und Nachfrage stiegen die Ansprüche des bürgerlichen Mittelstandes ebenfalls und der Absatz in den Firmen wurde zu einer wichtigen betriebswirtschaftlichen Größe. Vertreter wurden losgeschickt, Möbelwagen mit dem Schriftzug der Firma lieferten aus, Anzeigen wurden geschaltet, Musterbücher gedruckt sowie Messen und Ausstellungen besucht. Auf vielen Wegen sollte der neue Mittelstand erreicht werden. Es kam nicht mehr allein auf die Qualität der Möbel an, sondern auch auf die Werbung und die Marke. Für den Absatz wurde der Handel entscheidend, als Vermittler zwischen Hersteller und anonymen Kunden. Schaufenster erlaubten den Blick auf die Möbel, Kaufhäuser präsentierten wie in einer Ausstellung ganze Zimmereinrichtungen und neue spezialisierte Zeitschriften informierten bürgerliche Kunden und betrieben Geschmacksbildung. Überall wurde angeboten, nachgefragt, beraten und in Preis und Qualität verglichen. Bürgerliche Selbstrepräsentation drang jetzt in alle Bereiche des Alltags vor.

7  MARKTMECHANISMEN: SERIENMÖBELFERTIGUNG UND VERFÜGBARKEIT

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz Je mehr über die Möbel geschrieben und geredet wird, je bedeutungsvoller erscheint dem Publikum die Möbelfrage. Ein munteres Frauchen liest morgens in einem Journal einen illustrierten Aufsatz über Möbel, besucht während des Tages verschiedene Geschäfte für Wohnungseinrichtungen und schmeichelt abends ihrem Manne das Versprechen ab, dies oder jenes Zimmer oder wohl gar die ganze Wohnung so oder so modern einrichten zu lassen. Erfahrene ‚Möbelleute‘ wissen, daß große Aufträge sich oft auf solche Vorgänge oder andere Suggestionen zurückführen lassen.1

In diesem zur Leipziger Ostermesse 1909 in der Zeitschrift Die Leipziger Messe erschienenen Artikel wird beschrieben, wie der Markt auf Kunden wirken sollte. Einkaufen wurde durch Zeitschriften populär gemacht2 und bürgerliche Frauen hatten Zeit, Wohnzeitschriften zu lesen, Geschäfte zu besuchen und sich dort über die neuesten Einrichtungstrends zu informieren. Jakob Falke schrieb der Frau „den Geschmack als dem Geschlechte angeboren zu. Sie ist die Herrin des Hauses, darin sie waltet und schaltet als Herrscherin“.3 Solche Rollenmuster der Frau zuzuordnen, war damals üblich4 und ist von Karin Hausen 1976 in ihrem Aufsatz Die 1 2 3

4

Mobilis, A. F.: Wie liesse sich das Möbelgeschäft noch mehr fördern?, in: Die Leipziger Messe, H. 3, Ostermesse 1909, S. 67–68, hier: S. 68 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) Vgl. Gudrun M. König: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900, Köln 2009, S. 306 Falke, Die Kunst im Hause, S. 349; Vgl. Jeremy Aynsley/Francesca Berry: Introduction. Publishing the Modern Home. Magazines and the Domestic Interior 1870–1965, in: Journal of Design History Vol. 18 (2005), Nr. 1, S. 1–5, hier: S. 2; Vgl. Stefan Muthesius: Communications between Traders, Users and Artists. The Growth of German Language Serial Publications on Domestic Interior Decoration in the Later Nineteenth Century, in: Journal of Design History Vol. 18 (2005), Nr. 1, S. 7–20, hier: S. 12 Zum Beispiel Ferdinand Luthmer: Werkbuch des Dekorateurs. Eine Darstellung der gesamten Innendekoration und des Festschmuckes in Theorie und Praxis, Stuttgart 1897, S. 5: „bei jeder Einrichtung einer Mietswohnung [sic!] selbst in die Tapetengeschäfte, in die Möbelmagazine laufen, zur Wahl eines jeden Möbelstoffes sein Placet geben – das fordert mehr Zeit, als wir unserer Berufsarbeit abmüßigen können – das ist doch Sache der Frau! […] Auch wir sind der Ansicht, daß es zunächst die Frau ist, in deren Gebiet die Fragen der Wohnungseinrichtung gehören: ist sie es doch, die in jedem gut geordneten Hauswesen das Ministerium des Innern verwaltet“. Deshalb empfiehlt Henriette Davidis in ihrem Ratgeber Die Hausfrau: „Um sich den Verhältnissen gemäß einzurichten, ist ganz besonders den Frauen zu rathen, ihre Männer zu veranlassen, ihnen monatlich, bei Beamten, sobald sie ihr Gehalt empfangen, ein Gewisses, was mit Vermögen, Gehalt oder Gewinn, auch nicht zu vergessen, mit den Ansprüchen des Mannes, im richtigen Verhältnis steht, zum

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘5 kritisch untersucht worden. Wie Falke sah auch der Schriftsteller und Kritiker Ernst Schur 1910 die Rolle der Frau und appellierte in seinem Artikel Die Frau als Käuferin im Kunstgewerbeblatt: Darum, o Leserin, kaufe nie die billigste Ware. Wisse, daß jedes gute Ding Arbeit verlangt hat. Und du kaufst dir doch deine Zimmereinrichtung schließlich für das ganze Leben. Du lebst mit all den Dingen. […] Nein, scheue nicht das Geld; lege lieber ein wenig mehr an und du wirst sehen, es rentiert sich. Nicht nur, daß es länger hält, du hast auch immer Freude daran.6

Diese Konsumentscheidungen bedeuteten viel Einfluss für die Frauen, wie die bürgerliche Frauenrechtlerin Ines Wetzel 1909 in ihrem Artikel Vom Einrichten des bürgerlichen Heims in der Innendekoration feststellte: Gerade als Hauptkonsumentin und Käuferin auf diesem Gebiete ist es der Frau in erster Linie möglich durch Geschmack und Verständnis für Echtheit und Zweckmäßigkeit den Produzenten zu zwingen […] gediegene, ehrliche Qualitätsware zu produzieren und auf den Markt zu bringen.7

Es waren also vorwiegend Frauen, die sich im Möbelhandel informierten, und es war dieser Möbelhandel, der mit der Serienmöbelfertigung und den standardisierten Produkten eine zentrale Rolle bekommen hatte.8 Im Folgenden soll der Möbelhandel genauer untersucht werden, denn er wurde zum Vermittler zwischen Hersteller und Kunden. Dadurch hatte er großen Einfluss auf den Absatz, wie Gustav Schlingmann erläutert: Ein kapitalkräftiger und fachmännischer geschulter Möbelhandel ist bei der Serienproduktion nicht mehr zu entbehren. Er sorgt für die Komplettierung der Wohnungseinrichtung und für eine Uniformierung des Bedarfs, er nimmt der Industrie die schwierige, auf die Psyche des Konsumenten eingestellte Aufgabe der Werbung und einen Teil der Lagerhaltung ab.9

Je besser geschult die Verkäufer waren, um so besser war auch die Beratung. Kleine Handwerksbetriebe konnten da kaum mithalten, auch wenn sie nicht mehr auf Bestellung, sondern schon auf Vorrat produzierten. Ihnen fehlte nicht nur das Kapital für eine größere Auswahl an Gebrauchsmöbeln im Laden, sondern häufig auch die Kenntnis der neuesten Trends, die in den Zeitschriften besprochen wurden. Nur in der anspruchsvolleren Kunsttischlerei blieb die enge Verbindung zwischen Handwerkern und Kunden erhalten.10 Auch größere Werkstätten Haushalt zu bestimmen, sowie auch monatlich ein bestimmtes Kleidergeld für sich, wenn Kinder da sind, auch für diese, einzeln berechnet, sich vom Manne zu erbitten“ (Davidis, Die Hausfrau, S. 6–7) 5 Hausen, Karin: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas (Industrielle Welt, Bd. 21), Stuttgart 1976, S. 363–393; Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger: Der kleine Unterschied wurde immer größer. Karin Hausens Pionierarbeit, in: FAZ vom 18.3.2018 6 Schur, Ernst: Die Frau als Käuferin, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 21 (1910), S. 232–233, hier: S. 233 7 Wetzel, Ines: Vom Einrichten des bürgerlichen Heims, in: Innendekoration 21 (1910), H. 1, S. 16–30, hier: S. 17 8 Genauer dazu Karl Bücher: „Es werden einzelne lohnende Artikel, welche sich zur fabrikmäßigen oder hausindustriellen Massenfabrikation eignen, dem Handwerke entzogen. […] Der Schlosser hat gar den Artikel eingebüßt, von dem er den Namen hat, das Schloß, […] der Möbelschreiner die Mittelware (Berliner Möbel), und für die gewöhnlichen tannenen Möbel ist er magazinhörig geworden“ (Bücher, Niedergang des Handwerks, S. 213) 9 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 40 10 Vgl. ebd., S. 37

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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und Möbelfabriken, die Kunden in weiter entfernten Gebieten erreichen wollten, waren auf den Verkauf ihrer Möbel durch den Handel angewiesen. Seine Aufgaben im Absatz konnten die Fabriken nicht übernehmen: Der direkte Kundenabsatz ist […] bei den Serienmöbelfabriken mit großen Schwierigkeiten verknüpft, denn bei den wenigen Typen ist ein weit verzweigter Verkaufsapparat erforderlich. […] [I]m Interesse einer reicheren Auswahl wird man auf das Führen anderer Muster nicht verzichten können.11

Nur in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main mit einer großen Anzahl potentieller Kunden in direkter Nähe der Fabriken konnten die Möbelhersteller die unmittelbare Kundenbeziehung beibehalten.12 Hier kauften die Kunden direkt im Lager ein. Die meisten Hersteller aber waren von der Absatzorganisation des Handels abhängig.13 Der Wettbewerb der Hersteller untereinander gab dem Handel außerdem die Möglichkeit, die Hersteller bei Preisverhandlungen gegeneinander auszuspielen. Sie klagten deshalb über die „Preisdrückerei“14 des Handels. Immer wieder bemühten sich deshalb die Hersteller, die Macht des Handels einzuschränken oder ganz auszuschalten.15 Im Gegenzug boykottierte die Vereinigung der Händler, der Deutsche Möbel-Fachverband, diejenigen Hersteller, die ihre Möbel in eigenen Geschäften verkauften.16 Beide Entwicklungen änderten aber nichts mehr daran, dass mit dem Übergang von der ‚Kundenproduktion‘ zur ‚Warenproduktion‘ und mit dem Beginn der Serienmöbelfertigung der Möbelhandel für den Möbelabsatz zuständig und verantwortlich wurde. Im Folgenden sollen der Handel, seine Betriebsgröße und die regionale Bedeutung erläutert werden, bevor auf die Nachfrage aus der Sicht der Kunden eingegangen wird. Daran anschließend wird der Handel in seinen unterschiedlichen Betriebsformen vorgestellt, das Kaufhaus als neuer Ort bürgerlicher Wohnwelten, die Rolle von Messen und Ausstellungen für den Absatz genauer beschrieben und schließlich die Bedeutung von Zeitschriften und Ratgebern untersucht.

11 Ebd., S. 38 12 Vgl. ebd., S. 38–39 13 Vgl. A. F. Mobilis, Wie liesse sich das Möbelgeschäft noch mehr fördern, S. 67 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 14 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 38 15 Vgl. ebd., S. 38–39; Vgl. hierzu Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 70–71: „so hat sich, […] in den Jahren 1910/11 ein heftiger Streit der Berliner Produzenten einerseits und des Möbelhandels andererseits erhoben. Dieser Streit stand auf seiten der Produzenten in der Hauptsache unter der Führung der Tischlerinnungen und hatte die Ausschaltung des Zwischenhandels zum Ziel. Von Berlin dehnte sich die Bewegung bald weiter aus, vor allem auf Hamburg, sowie Rheinland-Westfalen. Und in der Tat ist es in grossen Massen gelungen, den Grosshandel auszuschalten. Inwieweit dieser Sieg des Produzenten von Vorteil ist, soll dahingestellt bleiben. Für den einzelnen Konsumenten liegt jedenfalls der grosse Nachteil des Grosshandels darin, dass er dem Käufer keine oder nur wenig sichtbare Vorteile bietet, ja vielmehr gegenüber dem Kleinhandel als letzter Verkaufsstelle fast nur seine eigenen Interessen im Auge hat“. 16 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 39; Vgl. Alexander Schwab, Einfluß der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 64–71; Vgl. Kap. 7.2.4.

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

7.1.1  Betriebsgrößen und regionale Bedeutung Auch bei bollernder Kundschaft ist immer mit Ruhe und Sachlichkeit mehr zu erreichen, als mit Grobheit und Schreien. Die Kundschaft, auch die ungebildete, hat ein feines Gefühl für ein anständiges Auftreten […]. Jeder eben erfüllbare Wunsch der Kundschaft sei mit großer Zuvorkommenheit gewährt, wenn die Erfüllung, sei es eine Skizze, eine Berechnung, eine Besichtigung ähnlicher Arbeit, auch einige Groschen kostet, in der Regel lohnt sich dies immer.17

Den Tischlermeistern gab der mit „R.“ abgekürzte Autor in der Zeitschrift Der Innenausbau Ratschläge in seinem Artikel Der Verkehr des Handwerkers mit der Kundschaft. Es kam nicht nur darauf an, qualitätvolle Möbel zu produzieren und im Geschäft auszustellen, sondern auch unbekannte Kunden zu informieren und zu beraten. Die Handwerker sollten sich im Kundengespräch ein Beispiel an den Kaufleuten nehmen: Immer zuvorkommend, immer liebenswürdig tritt der Kaufmann seiner Kundschaft gegenüber, er läßt sich durch keine Einwendungen verblüffen, er weiß für alles Rat, er kommt nie in Verlegenheit, kurz und gut: er ist stets Herr der Situation und verkauft gegebenenfalls seiner Kundschaft Waren, welche diese eigentlich gar nicht haben will.18

Die Konsumgewohnheiten des bürgerlichen Mittelstandes hatten sich stark verändert, die Modernisierung im Kaiserreich erfasste alle Lebensbereiche und die Ansprüche waren gewachsen. Wie stark der Alltag davon betroffen war, beschreibt Gustav Schmoller: Heute ist Alles, beinahe Alles anders geworden in jeder halbwegs modernisirten Stadt. Vorräthe hält man nicht mehr – Handlungen aller Art sind ja in der Nähe, die Jahr aus Jahr ein bieten, was man braucht. Man kauft fertige Hemden, fertige Kleider und Schuhe, fertige Möbel, auf Flaschen abgezogenen Wein; Brot und Fleisch wird ins Haus gebracht, theilweise gar das Essen […]. Man hat in den größern Städten weder zum Halten der früheren Vorräthe, noch zur Vornahme aller jener früheren Verrichtungen die Räume.19

Es war vor allem der neue, gut ausgebildete und stark wachsende bürgerliche Mittelstand in den Städten, der ohne langes Warten gebrauchsfertige Waren kaufen wollte. Auf diese neuen Konsumgewohnheiten konnte sich der Handel mit seiner Kapitalkraft am besten einstellen. Er lagerte die Ware nicht nur, sondern stellte sie aus, präsentierte sie im besten Licht, beriet die Kundschaft, machte ihr Angebote, gewährte Rabatte, nahm Ware zurück und tauschte um. Damit erfüllte der Handel die Wünsche der Kunden, wie Sombart schreibt: Wir erheben heute Mindestansprüche an Bequemlichkeit und Eleganz der Darbietung, wie sie uns das Verkaufsmagazin moderner Herrichtung, die komfortablen Ankleideräume […] zu erfüllen vermögen. […] die […] Ankleidezimmer unserer Schneider und Schuster, die Magazine der Möbelfabrik, die Salons anständiger Frisiergeschäfte […]: sie alle wirken ganz unwillkürlich als Lockmittel auf die Kundschaft. […] Wir wollen ‚kulant‘ bedient sein und das wird der Handwerker […] niemals lernen. Weder kann er die Gefälligkeit der Umgangsformen sich zu eigen machen, auf die die Verkäuferin des großen Geschäftes dressiert ist, noch auch wird ihm die einzelne Lieferung so gleichgültig werden können, wie dem Großproduzenten […].20

17 R., I. H.: Der Verkehr des Handwerkers mit der Kundschaft, in: Der Innenausbau 15 (1912), H. 36 (6.9.1912), S. 405–406, hier: S. 406 18 Ebd., S. 405 19 Schmoller, Kleingewerbe, S. 181 20 Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 437–438

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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Möbelgeschäfte waren eine moderne Erscheinung, der Möbelhandel bildete sich erst langsam heraus. Wer sich vor 187021 einrichten wollte, ließ beim Möbeltischler anfertigen oder kaufte bei ihm auf Vorrat gefertigte Möbel. Die Tischler arbeiteten für Kunden am Ort oder in der näheren Umgebung. Wie die Herstellung von Möbeln, so war auch der Verkauf lokal oder regional begrenzt. Nach und nach entstanden aus Tischlerbetrieben größere Werkstätten oder es eröffneten in Städten Möbelmagazine, die anfangs noch einen Teil der Möbel selbst herstellten. Sie warben für sich zum Beispiel als „Möbelmagazin und Dekorationsgeschäft mit Fabrikanlagen“22 oder als „Möbelfabrik mit Dampfbetrieb verbunden mit Dekorationswerkstatt und großem Möbelmagazin“.23 Doch die Betriebe änderten sich. „[I]m Laufe der Zeit trat dann aber die Händlertätigkeit in den Vordergrund und die Möbelherstellung wurde ganz aufgegeben“.24 Möbelproduktion und Möbelhandel trennten sich und wurden eigenständige Wirtschaftsbereiche. Mit den Eisenbahnverbindungen konnten auch weiter entfernte Kunden erreicht werden, es entstand ein überregionaler Markt für Händler und Hersteller. Je stärker sich die Möbeltischlereien, wie in Kapitel 6.2.2 erläutert, auf einzelne Möbelgruppen spezialisierten wie Tische, Schränke oder Stühle, oder innerhalb einer Möbelgruppe auf Garderobenschränke oder Bücherschränke zum Beispiel, desto größer wurde die Bedeutung des Möbelhandels. Die Tischlereien sahen diese Entwicklung mit Sorge, aber ein unbekannter Autor hielt in seinem Aufsatz Tischlerei und Möbelhandel in der Zeitschrift Der deutsche Tischlermeister 1899 diese Entwicklung für zwangsläufig: Eine natürliche Folge des Spezialitätenwesens ist der Möbelhandel. Denn wie könnte wohl vom Publikum verlangt werden, sich die Gegenstände zu einer Wohnungseinrichtung bei den verschiedenen Spezialmeistern zusammenzusuchen?! Das bringt selbst ein erfahrener Möbelhändler nicht ohne Schwierigkeiten und Aerger fertig, geschweige ein Mann, der von der Sache nichts versteht. Es ist denn auch bereits dahin gekommen, daß selbst Tischlermeister in den Möbelladen gehen, wenn sie für sich oder ein Kind eine Wohnungseinrichtung gebrauchen. Der Möbelhandel ist somit heute eine Notwendigkeit. Wie die Dinge heute liegen und die Menschen nun einmal sind, ginge es ohne ihn garnicht mehr.25

Denn mit seiner Kapitalkraft präsentierte der Möbelhandel Erzeugnisse verschiedener Hersteller, stellte sie zu Wohnungseinrichtungen zusammen und wurde damit zum wichtigen Vermittler zwischen Herstellern und Kunden. Wie viele Möbelhändler es im Kaiserreich gab, zeigt erstmals das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich 1910. Es enthält die neue, einige Zeit vorher erhobene ‚Zahl der (Haupt-) Gewerbebetriebe und der darin beschäftigten Personen nach der Zählung vom 12. Juni 1907‘.26 21 „Vor dem Jahre 1870 gab es in Deutschland das Möbelgeschäft überhaupt nicht. Mit verschwindend wenigen Ausnahmen wurden in Landkreisen die Möbel auf direkte Bestellung der Kunden von den Handwerksmeistern ausgeführt, und bis dahin gab es selbst in den großen und größten Städten viele Tischlereien von sechs bis zehn Hobelbänken, worin Arbeiten aller Art und namentlich Wohnungseinrichtungen für die Kundschaft- wie man im Gegensatz zu den Arbeiten für das Möbelmagazin sagte- angefertigt wurden“ (Mobilis, Wie liesse sich das Möbelgeschäft noch mehr fördern?, S. 67) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 22 Berliner Tageblatt vom 21.4.1887, o. S. 23 Berliner Tageblatt vom 6.6.1896, o. S. 24 Bunke, Deutsche Möbelindustrie, S. 72 25 o. A., Tischlerei und Möbelhandel, S. 17; Vgl. Gustav Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe, S. 232 26 Vgl. o. A., Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1910, S. 61

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Sie gibt in der Gewerbeklasse XIX Handelsgewerbe, Gewerbeart 38 (Handel mit Möbeln) auch Auskunft über die Betriebsgrößen.27 Demnach gab es im Möbelhandel 4.937 Kleinbetriebe mit jeweils 1–5 Beschäftigten, insgesamt 8.899 beschäftigten Personen; 618 Mittelbetriebe mit jeweils 6–50 Beschäftigten, insgesamt 6.377 beschäftigten Personen, und 14 Großbetriebe mit jeweils 51 und mehr Beschäftigten, insgesamt 1.013 beschäftigten Personen. Zusammen nennt die Statistik 5.569 (Haupt-) Gewerbebetriebe mit insgesamt 16.289 Beschäftigten. Unter Bezug auf diese amtliche Statistik nach der Zählung vom 12. Juni 1907 und ohne weitere Quellen nennt Dieterich allerdings in seinem Beitrag Allgemeine Holzstatistik etwas andere Zahlen.28 So führt er beim Handel mit Möbeln 9.210 Gewerbebetriebe auf. Davon waren die schon genannten 5.569 Hauptbetriebe, die sich in 1.290 Alleinbetriebe und 4.279 Betriebe mit mehreren Beschäftigten unterteilen lassen. Beschäftigt waren im Möbelhandel insgesamt 16.289 Personen, davon 12.303 Männer und 3.986 Frauen. Die von Dieterich genannten 5.569 Hauptbetriebe mit insgesamt 16.289 Beschäftigten decken sich mit denen im Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches für das Jahr 1910 genannten Gesamtzahlen im Möbelhandel. Es bleibt daher unklar, wieso Dieterich unter Bezug auf dieselbe Statistik insgesamt 9.210 Gewerbebetriebe anführt. Die unterschiedlichen Betriebsformen des Möbelhandels und ihre Bedeutung für Qualität und Geschmacksbildung werden in Kapitel 7.2 näher erläutert. Für den ersten Überblick sollen im Folgenden zwei ausgewählte Handelsbetriebe vorgestellt werden, die Firma Eduard Essen aus Bielefeld und das Einrichtungshaus Helberger aus Frankfurt am Main. Es sind die einzigen Geschäfte, über die in den Archiven beider Städte einige sehr wenige Quellen vorhanden sind. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie der Handel seine Ware präsentierte und wie er um Kunden aus dem bürgerlichen Mittelstand warb. Die Firma Eduard Essen wird in den Bielefelder Adressbüchern erstmals 1876 in der Gadderbaumer Straße 109 im heutigen Stadtteil Gadderbaum als „Möbelgeschäft, Möbel- und Polsterwaaren-Fabrik und Spedition“29 erwähnt. Von Anfang an handelte es sich um eine Möbelhandlung, die erst später um eine Werkstatt ergänzt wurde. Offenbar gab es schon in den 1870er Jahren Betriebe, die nicht zunächst Möbel herstellten und diese dann verkauften, sondern auch solche, die ausschließlich den Zwischenhandel für den Verkauf an die Konsumenten betrieben. Erst 1896, also zwanzig Jahre später, wird Eduard Essen in den Adressbüchern als „Möbel­fabrik“30 aufgeführt, die mit dem Zusatz „permanente Zimmerausstattung, bester und preiswerter Bezug von Aussteuern einzelner Zimmer etc. wie Dekorationen“31 für sich wirbt. Es ist bemerkenswert, dass im Adressbuch 1904/1905 Eduard Essen als „Möbelfabrik und Cigarrenhandlung“32 erwähnt wird und die Fabrik von der Gadderbaumer Straße in die

27 28 29 30 31 32

Vgl. ebd. Vgl. Erwin Dieterich, Allgemeine Holzstatistik, S. 322 Bielefelder Adressbuch 1876, S. 32 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Bielefelder Adressbuch 1896, S. 47 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Bielefelder Adressbuch 1904/1905, S. 194 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10)

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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„Gütersloher Straße 1/3“33 umgezogen ist. Zwischen 1909 und 1943 wurde sie von Eduard Essen junior, Inhaber der Firma Essen, geleitet. Die Architekten Albrecht Essen und Heinrich Essen waren Teilhaber der Firma Eduard Essen, die sich jetzt in der Gütersloher Straße 11 befand.34 Im Adressbuch von 1910 wirbt Eduard Essen mit einer Anzeige für seine Möbelfabrik und das dazugehörige Ausstellungshaus für Wohnungskunst.35 Anzeigen finden sich auch im Bielefelder General-Anzeiger. 1912 wirbt Eduard Essen hier für „neuzeitliche Wohnungs-Einrichtungen handwerksmässig und zweckentsprechend hergestellt, sehr preiswert, Grösstes Lager am ­Platze“.36 Unsicher ist, ob die Firma bis 1953 durchgängig bestand. Am 31. Oktober 1953 wurde das Gewerbe abgemeldet und am 16. Februar 1954 aus dem Handelsregister gelöscht. Die Möbelhandlung Eduard Essen warb für ihre „sehenswerte Ausstellung mit 100 vollständig eingerichteten Räumen“.37 Sie nannte sich später auch „Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungs-Einrichtungen“38 und versprach „[e]rstklassige kunstgerechte Ausführung auch der einfachsten Stücke: künstlerische Beratung kostenlos“.39 Die Firma steht deshalb für die von Sombart beschriebenen „modernen kombinierten Ausstattungsunternehmungen“40, die ganze Wohnungen und Häuser einrichteten, „in der Hauptsache mit Gegenständen eigener Pro­duk­tion“.41 Die Möbelstücke und Zimmereinrichtungen von Eduard Essen, übrigens mit zehnjähriger Garantie42, wurden vom Architekten Heinrich Essen entworfen.43 Dazu gehörten, leider ohne Preisangaben, zum Beispiel ein Speisezimmer und ein Herrenzimmer. Das Speisezimmer gab es in folgender Ausführung: Eiche geraucht in modernem Charakter. Buffet mit Seitenschränken, Eckcredenz, Patent-Ausziehtisch mit 4 Zügen, 6 Stühle mit prima antik-Rindleder.44

Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Vgl. Bielefelder Adressbuch 1909, S. 232 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Vgl. Bielefelder Adressbuch 1910, S. 246 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Anzeige Eduard Essen, in: Bielefelder General-Anzeiger Nr. 180 (3.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/ Zeitungen Nr. 5) 37 Eduard Essen: Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) 38 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) 39 Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 40 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 566 41 Ebd. 42 Vgl. Eduard Essen, Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/ Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) 43 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2); D.: Drei Räume der Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen Ed. Essen, Bielefeld, in: Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtung Eduard Essen (Hrsg.): Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), S. 339–342, hier: S. 339 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 44 Eduard Essen: Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) 33 34 35 36

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Das Herrenzimmer gab es ebenfalls in Eiche geraucht mit poliertem Birnbaum und Perlmutter [sic!]: Bücherschrank, Diplomat mit Zügen, Schreib-Sessel, Tisch, Ledersofa, 2 Stühle.45

An seine Kunden gab Eduard Essen auch eine Zeitschrift weiter, in der in Aufsätzen und Inseraten über die moderne Wohnungseinrichtung informiert wurde. Diese Zeitschrift, Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, gab es nicht nur in Bielefeld. Auch Werkstätten in einer ganzen Reihe anderer Städte, zum Beispiel in Worms46, Reichenberg47, Dresden48, Ulm49 und sogar Graz50, hatten diese Zeitschrift, allerdings mit abgewandeltem Untertitel, für ihre Kunden im Angebot. Es ist zu vermuten, dass die mit dem Namen örtlicher Möbelhäuser und -fabriken versehenen Zeitschriften zentral von einem Verband herausgegeben wurden, dem sich die Werkstätten angeschlossen hatten. Auf die Bedeutung solcher Händlerzeitschriften geht Clive Edwards ein: [T]here was a plethora of ‚how to decorate‘ books and magazine articles which set parameters for the correct styles of furnishing. Although these sources were useful as guidelines, the translation of such general style treatises into commercial reality was often achieved by the publication of furnishing estimates by retailers. Needless to say the firms that published them, mostly in conjunction with an illustrated catalogue, sought to increase their business by winning contracts to furnish complete houses.51

Auch die Bielefelder illustrierten Monatshefte verfolgten Verkaufsabsichten, aber versteckten sie hinter der Geschmacksbildung. So beabsichtigte Eduard Essen „mit der Herausgabe des Blattes dem kunstsinnigen Publikum unserer Stadt und Umgebung […] einen Überblick über ‚Wohnungskunst‘ zu bieten“.52 Ausdrücklich wollte er „das Verständnis […] erwecken, nicht zur Mode, sondern zum Stil“.53 Die Aufsätze befassten sich mit den Themen, die damals auch in den kunstgewerblichen Zeitschriften behandelt wurden, zum Beispiel „Mode in der Wohnungs-Ein-

45 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) 46 Vgl. Die Wohnung der Neuzeit. Wormser illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von Friedrich Huth 47 Die Wohnung der Neuzeit. Reichenberger illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von H. & A. Kirchhof (Möbelfabrik und Kunsttischlerei) 48 Die Wohnung der Neuzeit. Dresdener illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von Raumkunst. Vereinigte Werkstätten für Kunstgewerbe. 49 Die Wohnung der Neuzeit. Ulmer illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von A. Ils & Sohn (Möbelfabrik) 50 Die Wohnung der Neuzeit. Grazer illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst und verwandte Gebiete, herausgegeben von N. Kollndorfer’s Nachf. R. Kollndorfer & Fr. Reil Möbelfabrik, Graz 51 Edwards, Clive: Furnishing a Home at the Turn of the Century: The Use of Furnishing Estimates from 1875 to 1910, in: Journal of Design History, Vol. 4 (1991), Nr. 4, S. 233–239, hier: S. 233 52 Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911) (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 53 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2)

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richtung“54, „Materialschönheit in der Gewerbekunst“55 oder „Wohnungen einst und jetzt“.56 In dem zuletzt genannten Aufsatz geht es auch darum, dass in den Städten teurer Baugrund zu mehr Wohnungen in einem Haus führt, auf Kosten von Zimmergröße und Geräumigkeit, die Ansprüche an den Komfort aber wachsen, also zum Beispiel Badezimmer und elektrische Leitungen gefragt sind.57 Welche Kundschaft Eduard Essen im Blick hatte, zeigt auch der folgende kurze Hinweis: Wenn ich aus naheliegenden Gründen die Mietwohnung bevorzugen muß, werde ich doch auch gelegentlich das Eigenheim besprechen können.58

Eduard Essen sah seine Kundschaft also im bürgerlichen Mittelstand, der zur Miete wohnte und „Interesse für eine gediegene feinbürgerliche Raumkunst“59 hatte. So versprach Essen in einer Anzeige, „daß es sehr wohl möglich ist, sich, ohne viel Geld ausgeben zu müssen, behaglich und praktisch einzurichten“.60 Die Abbildungen in der Zeitschrift waren jeweils über das ganze Heft verteilt und zeigten in Schwarz-Weiß Herren-, Damen-, Schlaf- und Speisezimmer in unterschiedlichen Ausführungen, „von einfacher und billiger bis zur vornehmsten und teuersten Ausstattung“61, also sowohl „einfache, gediegene Einrichtungen“62 als auch „teure und künstlerisch wertvolle Arbeiten“.63 Die meisten Möbel waren schlicht gehalten und hatten, wenn überhaupt, nur wenige Verzierungen wie zum Beispiel das Muster einer Perlschnur an einem Herrenschreibtisch.64 Es waren Möbel, die auch in kleineren Räumen aufgestellt werden konnten und damit auch für Mietwohnungen geeignet waren. Das zweite Beispiel für eine Möbelhandlung ist das Einrichtungshaus Helberger in Frankfurt am Main, das aus einer Möbelfabrikation hervorging und sich schon früh als Möbelhandlung verstand. Es wurde nach und nach erweitert und befand sich schließlich mit fünf nebeneinander liegenden Verkaufshäusern am Römerberg (Nr. 30, 32, 34, 36, 38), ehe es 1900 in die 54 Barber, Ida: Mode in der Wohnungs-Einrichtung, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, 1 (1911), H., 1, S. 1–7 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 55 Pudor, Heinrich: Materialschönheit in der Gewerbekunst, in: Die Wohnung der Neuzeit. Westfälische illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 5, S. 1–11 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 56 Jlazarus, J.: Wohnungen einst und jetzt, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 8–13 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 57 Vgl. ebd., S. 9 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 58 Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 59 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 60 Anzeige der Firma Eduard Essen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 17 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 61 Zu unseren Abbildungen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 16 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 62 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 63 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) 64 Vgl. Abbildung eines Herrenzimmers von Heinrich Essen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Westfälische illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 4, S. 6 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2)

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Dübeler Straße 29 verlegt wurde. Der Möbel- und Bettenfabrikant Johann Heinrich Helberger hatte die Firma 1829 gegründet. Sie nannte sich „Erstes Frankfurter Special-Ausstattungs-Geschäft“65 mit „eigene[r] Polster- und Schreinerwerkstätte im Hause“.66 Bereits 1835 übernahm Johann Thomas Helberger die Leitung. Seine Frau Josefa, eine „fleißige Geschäftsfrau“67, übergab in den 1870er Jahren die Leitung an ihren Sohn Johann Heinrich Helberger.68 Er galt als „ein seiner Zeit weit vorausschauender Kopf “69, der Reisen ins Ausland machte, vor allem zu den Warenhäusern in Paris und London, um die dort gesammelten Ideen auch in Frankfurt umzusetzen. Er war es auch, der als erster in Frankfurt durch eine mechanische Schaufenster-Einrichtung das Interesse für seine Warenauslagen zu steigern verstand, wie er überhaupt mit seinem Werkverständnis für die Bedeutung der Reklame anderen weit voraus eilte.70

Obwohl das Einrichtungshaus für Frankfurt sehr bedeutend war, sind nur sehr wenige Quellen erhalten geblieben und im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte einsehbar. Eine Anzeige aus den Jahren 1900 bis 1903 warb für siebzig unterschiedliche Musterzimmer mit einem breiten Angebot an Einrichtungsvarianten.71 Den Kunden versprach Helberger günstige Preise wegen geringer Ladenmiete: Billigster Einkauf: Der Grund meiner anerkannt enormen Billigkeit ist der, dass mir meine grossen Räumlichkeiten in der Altstadt zu sehr niedrigem Preise zur Verfügung stehen und ich nicht genöthigt bin, ungeheure Ladenmiethe, welche Geschäftsinhaber in frequenteren Strassen bezahlen müssen, auf die Waare zu schlagen.72

In den Anzeigen wurden Preise von einzelnen Möbeln aufgeführt, beispielsweise für die Jahre 1900 bis 1903. So kostete ein Bettgestell 24,50 Mark, ein Salontisch 23 Mark, 1 Stuhl 6,50 Mark, ein Schrank 75 Mark und ein Bauerntisch 10 Mark.73 Aber es gab auch komplette Zimmer- und Wohnungseinrichtungen, wie die 1967 erschienene Firmenchronik74 aufzählt. Ein ‚englisches Schlafzimmer aus Nussbaum‘ kostete nur 235 Mark, dagegen ein modernes Schlafzimmer aus „echtem Nussbaum“75 293 Mark. Außerdem zeigte das Einrichtungshaus den Kunden in einer ‚Special-Abteilung‘ dreißig Mahagonisalons zwischen 430 Mark und 1000 Mark und zwanzig Herrenzimmer zwischen 170 Mark und 1000 Mark.76 Komplette Wohnungseinrichtungen gab es in sechs verschiedenen Preisstufen: von 585 Mark und 750 Mark über 1100 Mark und 1600 65 Rechnungskopf einer Rechnung des Einrichtungshauses Johann Heinrich Helberger (ISG, W 1–24:24) 66 Anzeige des Einrichtungshauses Helberger um 1900–1903, in: Bilanzbuch des Einrichtungshauses Helberger (ISG, W 1–24:24) 67 Helberger, Curt: Einrichtungshaus Helberger, in: Helberger Familien- und Firmenchronik, 1967, S. 5 (ISG, W 1–24:29) 68 Vgl. ebd., S. 34 (ISG, W 1–24:29) 69 Ebd. (ISG, W 1–24:29) 70 Ebd. (ISG, W 1–24:29) 71 Vgl. Anzeige des Einrichtungshauses Helberger um 1900–1903 (ISG, W 1–24:24) 72 Ebd. (ISG, W 1–24:24) 73 Vgl. ebd. (ISG, W 1–24:24) 74 Vgl. Curt Helberger, Einrichtungshaus Helberger, o. S. (ISG, W 1–24:29) 75 Ebd., S. 93 (ISG, W 1–24:29) 76 Vgl. ebd. (ISG, W 1–24:29)

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Mark hin zu 2200 Mark und 3200 Mark.77 In einer Anzeige wurde sogar für komplette Wohnungseinrichtungen ab 185 Mark geworben.78 An der Preisspanne wird deutlich, dass Helberger versuchte, die Wünsche möglichst vieler Kunden mit ihren ganz unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten zu erfüllen79 und ihnen ein möglichst vielseitiges Angebot zu bieten. Das Einrichtungshaus Helberger brachte für seine Kunden sogar eigene illustrierte Kataloge heraus. Das Haus warb für Einrichtungen mit „stilistisch schöne[n] Formen, schlichte[r] Gediegenheit und besondere[r] Preiswürdigkeit“.80 In einer Anzeige von 1919 bezeichnet sich Helberger als das größte Möbel- und Bettenlager in Süd- und Mitteldeutschland: Etablissement für moderne Wohnungseinrichtungen, Villen, Pensionaten und Hotels, ständiges Lager von 300 Zimmer-Einrichtungen, permanente Ausstellung von ca. 70 Muster-Zimmer in allen Stil- und Holzarten, Abteilung für Dekoration und Teppichen, eigene Polster- und Schreinerwerkstätte im Hause, Specialabteilung für Messing-, Eisen- und Holzbettstellen sowie Bettwaren aller Art.81

Im Februar 2007 musste das inhabergeführte Einrichtungshaus Helberger nach 178 Jahren schließen. Als Gründe wurden die zunehmende Zahl großer Möbelfilialisten wie IKEA oder Segmüller genannt, der aus einem Anfang der 1920er Jahre im bayerischen Friedberg gegründeten Handwerksbetrieb für qualitativ hochwertige Polstermöbel hervorgegangen ist.82 An den Möbelhandlungen Helberger in Frankfurt und Eduard Essen in Bielefeld wird deutlich, wie sehr der Handel als Mittler zwischen Hersteller und Kunden den Absatz der Möbel durch verschiedene Maßnahmen zu steigern versuchte. Dazu gehörten die Präsentation der Ware im Schaufenster und im Geschäft83, eine große Auswahl an Möbeln für unterschiedliche Ansprüche von ‚einfach‘ bis ‚vornehm‘, komplette Wohnungseinrichtungen in verschiedenen Preisstufen, außerdem Zeitungsanzeigen, Kataloge oder sogar eine eigene Zeitschrift. Im folgenden Abschnitt soll die Kundenseite genauer untersucht werden. Zunächst sollen die Haushaltsbücher der bereits vorgestellten Familien daraufhin durchgesehen werden, inwieweit sie Angaben zu konkreten Anschaffungen bei der Wohnungseinrichtung enthalten. Anschließend werden diese Angaben zur Analyse bürgerlicher Konsummuster in Beziehung gesetzt.

77 78 79 80 81 82

Vgl. ebd., S. 95 (ISG, W 1–24:29) Vgl. Anzeige des Einrichtungshauses Helberger um 1900–1903 (ISG, W 1–24:24) Vgl. ebd. (ISG, W 1–24:24) Helberger: Einrichtungshaus Helberger, S. 95. (ISG, W 1–24:29) Anzeige des Einrichtungshauses Helberger (ISG, W 1–24:24) Vgl. Jochen Remmert: Einrichtungshaus Helberger schließt (FAZ-Artikel vom 6.9.2006). Internet: www. faz.net/aktuell/rhein-main/wirtschaft/moebelfachhandel-einrichtungshaus-helberger-schliesst-1353928. html (Zugriff: 15.12.2017); o. A.: Unsere Unternehmensgeschichte Segmüller. Internet: www.segmueller.de/ unser-unternehmen (Zugriff: 15.12.2017) 83 „Denn was man bezweckt, ist nichts anderes, als die Waren in solcher Beschaffenheit und Menge in einem Laden zu vereinigen, daß das Publikum seine Freude daran hat, weil es gerade das in geeigneter Qualität beieinander findet, was es in dem Augenblick zu kaufen beabsichtigt, also gereizt wird, gerade in diesem Laden seine Einkäufe zu machen“ (Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 268); Vgl. Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus. Eine internationale Geschichte, Hildesheim 2013, S. 174

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

7.1.2  Nachfrage, Gebrauchtwaren, Erbstücke Die bereits vorgestellten Familien des Richters aus Berlin, des Gymnasialprofessors und des Kaufmanns, beide aus Frankfurt am Main, hatten eine Gemeinsamkeit. Sie gehörten zum bürgerlichen Mittelstand und bemühten sich um einen bürgerlichen Lebensstil. Dabei verfolgten sie, wie in Kapitel 5 ausgeführt wurde, einen ‚gespaltenen Konsum‘. Eine repräsentative Einrichtung wurde erst durch Sparsamkeit im Lebensstil möglich. Selbst im Haushalt des Leipziger Universitätsprofessors Karl Bücher wurde, wie seine Frau Emilie an ihre Schwester Mathilde schrieb, gespart und beispielsweise die Anschaffung eines Sofas hinausgeschoben84, um sich anderes leisten zu können. In der Wohnung des Frankfurter Kaufmanns blieb es bei der Erst­ ein­richtung der Sieben-Zimmer-Wohnung. Die Möbel wurden geschont und, wenn es nötig war, ausgebessert. Das war aber nur einmal der Fall.85 Von der Familie des Frankfurter Gymnasialprofessors ist nur bekannt, dass die sieben Personen eine Etagenwohnung bewohnten und innerhalb von vierzig Jahren nur einmal umzogen.86 Zu Möbeln und Einrichtung fand Margarethe Freudenthal keine Angaben in dem vom Gymnasialprofessor geführten Haushaltsbuch. Aber die in dieser Familie vorherrschende große Sparsamkeit lässt darauf schließen, dass in der Regel keine neuen oder gebrauchten Möbel angeschafft, sondern die vorhandenen höchstens ausgebessert wurden, denn Freudenthal erwähnt Rechnungen von Handwerkern.87 Die Familie des Berliner Richters hat bei der Erstanschaffung überhaupt keine neuen Möbel gekauft, sondern ausschließlich gebrauchte.88 Nach Angaben von Erna Meyer-Pollack wurden auch später, als die Kinder älter wurden, nicht mehr Möbel angeschafft, sondern Ansprüche reduziert.89 Außerdem wurden Reparaturen vorgenommen wie das Aufpolstern eines Sofas.90 Die Familie des Richters gibt damit zwei wichtige Hinweise. Zum einen zeigt diese Familie, dass auch zu ihrer Zeit, also zwischen 1880 und 1906, noch Handwerker ins Haus geholt wurden, um Möbel ausbessern zu lassen. Das war nämlich dreißig Jahre vorher sehr häufig der Fall gewesen, wie Gustav Schmoller über den städtischen Bürger- und Beamtenhaushalt schreibt: Alljährlich erschien […] [der Tischler] wenigstens einmal bei der großen mindestens eine Woche dauernden Reinigung, um zu helfen, auszubessern, aufzupoliren.91

84 So schreibt Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde: „Keine Wagen nehmen, die Tram summiert sich schon so! Mit dem Sofa lassen wir es vorerst sein. Dagegen wollen wir Gaslüster für Eß[zimmer] und Salon anschaffen. Ich freue mich schon sehr darauf “ (Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde vom 25.1.1892, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten, S. 116) 85 Vgl. Henriette Fürth, Ein mittelbürgerliches Budget über einen zehnjährigen Zeitraum, S. 30 86 Vgl. Margarethe Freudenthal, Gestaltwandel, S. 100 87 Freudenthal schreibt zu den Ausgaben: „Hie und da wurde einmal ein Mantel oder eine Hose gekauft. […] Ebenso ist selten von einer Anschaffung die Rede, wohl aber von Handwerkern, die bezahlt wurden und von Matratzen- und Vorhangsstoff, von Seegras und Vorhangkordel“ (Ebd., S. 101) 88 Vgl. Erna Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 42 89 Vgl. ebd. 90 Vgl. ebd., S. 43 91 Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe, S. 179

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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Zum anderen erwähnt die Familie des Richters einen Markt für gebrauchte Möbel92, auf den es ansonsten aber nur wenige Hinweise gibt. So ist in dem Ausstellungskatalog Haus und Herd 1899 in Dresden der Erfahrungsbericht einer Hausfrau abgedruckt, die zum sparsamen Wirtschaften folgenden Ratschlag gibt: „Die erforderlichen Möbelstücke sind am billigsten gebraucht zu kaufen“.93 Offenbar gab es also nicht nur Kunden, für die selbst billige Möbel zu teuer waren, sondern auch solche, die sich den gewünschten Einrichtungsstil nur in gebrauchten Möbeln leisten konnten. Zu diesem letzten Kundenkreis gehörte vermutlich die Familie des Richters, die nach Einschätzung von Erna Meyer-Pollack in diesen gebrauchten Möbeln „durchaus Sinn für Behaglichkeit“94 bewiesen haben musste. In der Berufs- und Betriebszählung von 1907 finden sich in der ‚Gewerbeart XIXa Handel mit Möbeln‘ keine Angaben zum Handel mit gebrauchten Möbeln, obwohl „der keine geringe Rolle spielt“95, wie Alexander Schwab 1914 in seiner Heidelberger Dissertation Der Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel Deutschlands feststellte. Im gleichen Jahr widmet auch Der Innenausbau dem Althandel einen eigenen Artikel96, kritisiert die Vorliebe für alte Möbel und nennt unterschiedliche Beispiele: Es ist ja zu verstehen, wenn ein kapitalkräftiger Mensch hervorragende alte Kunstmöbel sammelt und sich daran erfreut, aber eine unerfreuliche Erscheinung ist es sicherlich, wenn man alten billigen Trödel ohne jeden Kunst- und Gebrauchwert in seiner Wohnung aufstellt, eben nur darum, weil der Kram alt ist. Es wird ja auch andererseits kein Mensch etwas dagegen einzuwenden haben, wenn dem wirklich armen Menschen für wenig Geld noch brauchbare alte Sachen feilgeboten werden.97

Bei einer stichprobenartigen Durchsicht des Berliner Tageblatts und Handels-Zeitung fanden sich keine Anzeigen zum Verkauf gebrauchter Möbel. Es gab allerdings Anzeigen zum Möbel­ aus­verkauf, wenn Fabriken ihre Produktion aufgaben. So wurden beispielsweise im Berliner Tageblatt vom 9. Mai 1878 „sämmtl. Möbel u. Polsterwaaren für die Hälfte d. Kostenpreises, a. auf Theilzahlg.“98 angeboten. Außerdem wurden in Berlin „verliehen gewesene Möbel“99 annonciert, entweder „zu besonders herabgesetzten Preisen“100 in der Möbelfabrik von Gustav Domker oder „zum halben Werth“101 bei L. Fränkel. Möglicherweise handelte es sich um zurückgegebene und umgetauschte Möbel, denn auf einen Verleih von Möbeln gibt es in Literatur und Quellen keine Hinweise.

92 Vgl. Erna Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 41 93 o. A.: Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899, S. 17 94 Meyer-Pollack, Haushalt eines höheren Beamten, S. 42 95 Schwab, Der Einfluss der Konsumtion, S. 44; dazu auch Vgl. ebd., S. 36 96 Vgl. J. H. R., Der Althandel, S. 282 97 Ebd. 98 Anzeige eines Möbelgeschäftes in der Mohrenstraße 55 in Berlin, im Berliner Tageblatt vom 9.5.1878, o. S. 99 Anzeige von L. Fränkel im Berliner Tageblatt vom 16.2.1893, o. S.; Anzeige von Gustav Domker im Berliner Tageblatt vom 21.4.1887, o. S. 100 Anzeige von Gustav Domker im Berliner Tageblatt vom 21.4.1887, o. S. 101 Anzeige von L. Fränkel im Berliner Tageblatt vom 16.2.1893, o. S.

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Erst für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zeigt sich, dass die Nachfrage nach gebrauchten Möbeln „nicht im entferntesten befriedigt werden“102 konnte, wie in Kapitel 9 noch dargestellt wird. Auch Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Altwarenhandlungen eine große Bedeutung.103 Sombart führt dies darauf zurück, dass Erzeugnisse zu jener Zeit viel länger genutzt worden und haltbarer gewesen seien als die Waren, die dann Ende des 19. Jahrhunderts verkauft wurden.104 „Überall rascher Wechsel der Gebrauchsgegenstände, der Möbel, der Kleider, der Schmucksachen“105 stellt Sombart für die Zeit um die Jahrhundertwende fest und ergänzt: Ein Ehepaar richtet sein Haus kaltlächelnd zur silbernen Hochzeit von oben bis unten neu ein, als ob die fünfundzwanzig Jahre gemeinsamer Nutzung nicht tausend Fäden zwischen den Bewohnern und ihren Möbeln gesponnen hätten, die zu zerreißen empfindsamen Naturen als eine Barbarei erscheint.106

Dieser schnelle Wechsel der Einrichtungen wird aber in den Haushaltsbüchern des Richters, des Kaufmanns und des Gymnasialprofessors nicht bestätigt. Auch die Briefe von Emilie Bücher geben keinen Hinweis darauf, dass immer wieder mal Möbelstücke ausgetauscht wurden. Sombarts Beschreibungen lassen sich also nicht verallgemeinern. So sprach der Schriftsteller Ernst Schur von einer „Zimmereinrichtung schließlich für das ganze Leben“.107 Auch in einer Broschüre der Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst findet sich der Hinweis, dass bei der Einrichtung der Wohnung „die meisten nur einmal im Leben Geld zu diesem Zweck ausgeben können“.108 Das bestätigt auch Alexander Schwab 1914 in seiner Dissertation: Bei keinem Einkauf geht der Konsument so zurückhaltend und – wenigstens so gut er es versteht – so vorsichtig zu Weg, wie beim Einkauf von Möbeln. Alle Käufer, soweit sie nicht in der Lage sind, früher oder später nach Belieben irgend eines neues [sic!] ‚Zimmer‘ zu kaufen, müssen auf sorgfältigste darauf achten, dass die Preise ihrer Vermögenslage angemessen sind. […] Derjenige Kreis von Konsumenten, der einem Modewechsel im Gebiet des Möbels wirklich zu folgen vermag, sodass die Produktion sich von einem solchen Wechsel einen greifbaren Erfolg versprechen kann, ist beschränkt auf eine ganz dünne Schicht von Wirtschaftssubjekten, deren Vermögens- oder auch Einkommensverhältnisse es gestatten, ohne dringende Notwendigkeit in einem beliebigen Zeitpunkt eine Wohnungs- oder mindestens eine Zimmereinrichtung neu zu kaufen.109

Bei den meisten Familien des bürgerlichen Mittelstandes erfolgte der Möbelkauf nach der Hochzeit. Genauere Angaben dazu finden sich in den meisten Haushaltsbüchern leider nicht. Aber es gibt andere Hinweise. Die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst veranstalteten 1904 die Ausstellung Heirat und Hausrat, über die Alfred Lehmann in der Deutschen Kunst und Dekoration berichtete. Beim Möbelkauf junger Paare,

102 o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 1, in: Innendekoration 30 (1919), H. 12, S. 420–423, hier: S. 420 103 „Der Handel mit gebrauchten Sachen, die Auffrischung alter Gegenstände waren in früherer Zeit, noch um Mitte des XIX. Jahrhunderts, blühende Erwerbszweige“ (Sombart, Wirthschaft und Mode, S. 8; Identisch auch in: Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 327) 104 Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 369 105 Ebd., S. 328 106 Ebd., S. 329 107 Schur, Die Frau als Käuferin, S. 233 108 Deutsche Werkstätten GmbH Dresden/München: o. T., o. S. (SHStAD 1622) 109 Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 12–13

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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da entscheidet Mama, die den Säckel führt. So bleibts denn bei einer Neu-Einrichtung hübsch beim ‚bewährten Alten‘, bei Renaissance, Rokoko oder Empire.110

Außerdem veröffentlichte die Deutsche Kunst und Dekoration 1908 die Zehn Gebote für Brautpaare von Georg Muschner zur Wohnungseinrichtung. Darin heißt es beispielsweise: So Ihr heiraten wollt, bedenket bei Zeiten die Ausstattungsfrage Eurer Wohnung. Kaufet nicht Möbel in den letzten drei Wochen oder acht Tagen. Benutzet die Brautzeit dazu, Euch auf den großen Gebieten moderner Wohnungs-Ausstattungen umzusehen – es ist vielleicht das einzige Mal in Euerm Leben, daß Ihr diesem Kulturgebiet so nahe tretet.111

Diese damaligen Gewohnheiten junger Paare beim Einrichten schilderte ebenfalls Ines Wetzel, von 1907 bis 1912 Vorsitzende des Bundes für Mutterschutz und Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung112, 1909 in ihrem Artikel Vom Einrichten des bürgerlichen Heims: Wenn zwei Menschen mit dem Willen zu dauernder Gemeinschaft ihren Lebensweg vereinen, so wäre wohl anzunehmen, daß ihnen beiden in gleichem Maße an der Ausgestaltung ihrer Wohnstätte, als dem gegebenen Rahmen ihrer künftigen Gemeinschaftlichkeit, viel gelegen wäre […]. Gleichberufen und gleichberechtigt sollten hier der Mann wie die Frau die Eigenart ihrer Lebensgestaltung bekennen können […]. Aber ebenso weit entfernt wie wohl die meisten unserer Ehen von dem Ideal sind, ebenso abweichend von den obengesagten Voraussetzungen ist auch noch die landläufige Einrichtungsweise neu zu gründender Hausstände. In den meisten Fällen ist da nicht einmal der Geschmack oder Ungeschmack der zukünftigen Bewohner selbst ausschlaggebend, sondern die Mütter bestimmen in der Regel, in Gemeinschaft mit tonangebenden Tapezierern und Möbelhändlern, das Wesentliche der Einrichtung. Ihre Erfahrung, ihr Geschmack oder vielmehr ihr Eingehen auf die Tagesmoden schafft so das Heim für die neuen Menschen, die nächste Generation, die aus anderer Zeit mit anderen Anschauungen groß geworden, anders empfindet und andere Bedürfnisse haben wird.113

Ausdrücklich an die Verlobten richteten sich auch Zeitungsanzeigen von Möbelgeschäften wie dem ‚Bielefelder Möbelhaus‘.114 Eine besondere Werbung machte 1912 die Bielefelder Firma G. Sewing im Bielefelder General-Anzeiger. Über der Verlobungsanzeige ‚Statt Karten‘ von Mimy Strübe und dem Mindener Gerichtsassessor Arthur Stiller mit dem Hinweis „Besuche erbeten am 11. August“115 erschien in gleicher Größe und Aufmachung die Anzeige der Firma G. Sewing: „Statt jeder besonderen Anzeige empfehle ich Verlobten meine Wohnungskunst-Ausstellung anzusehen. Besichtigung ohne Kaufzwang erbeten“.116 110 Lehmann, Alfred: Heirat und Hausrat. Rand-Bemerkungen zur Ausstellung der ‚Dresdner Werkstätten für Handwerks-Kunst‘ von Schmidt & Müller in Dresden, in: Deutsche Kunst und Dekoration 13 (1903/1904), S. 211–222, hier: S. 211 111 Muschner, Georg: Zehn Gebote für Brautpaare, in: Deutsche Kunst und Dekoration 23 (1908), S. 364 112 Vgl. Christina Klausmann: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main (Geschichte und Geschlechter, Bd. 19), Frankfurt/M./New York 1997, S. 398 113 Wetzel, Vom Einrichten des bürgerlichen Heims, S. 16; Die Rolle der Mütter bei der Entscheidung des Möbelkaufs behandelt auch Friedrich Naumann 1906 in seinen Ausstattungsbriefen Der Geist im Hausgestühl. Vgl. dazu Kap. 8.4.1. 114 Das ‚Bielefelder Möbelhaus‘, Jöllenbecker Straße 16–26, „bietet Interessenten und Verlobten die günstigste Gelegenheit zur Anschaffung von Zimmereinrichtungen“ (Anzeige des Bielefelder Möbelhauses, in: Bielefelder General-Anzeiger Nr. 175 (27.7.1912) o. S.) (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) 115 Verlobungsanzeige von Mimy Strübe und Arthur Stiller, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 180 (2.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) 116 Anzeige der Möbelhandlung G. Sewing, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 180 (2.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5)

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

In der Analyse der Haushaltsbücher wurde die Wohnungseinrichtung häufig als gegeben hingenommen.117 Sie wurde anschließend nach Bedarf erweitert, einzelne Möbelstücke wurden später auch ausgebessert oder ganz ausgetauscht, aber die Einrichtung blieb über Jahrzehnte im Allgemeinen doch dieselbe.118 Sicherlich gab es von diesem Konsummuster auch Abweichungen. Denn der Möbelkauf wurde zum Thema, seitdem sich ein eigenständiger Möbelhandel herausgebildet hatte. Händler warben zum Beispiel in großen Zeitungsanzeigen mit billigsten Preisen, in Zeitschriften und Ratgebern wurden Wohnungseinrichtungen besprochen. Wer Geld übrig hatte, konnte es für Möbel, Vorhänge und Tischdecken ausgeben. So schreibt Franz von Schönebeck in seinem Bericht über die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei von einem großen Umschwung bei den heimischen Möbelkäufern: auch hier sucht man in dem Glanze der Wohnungseinrichtungen einander zu überbieten, und dies, falls die Mittel nicht ausreichen, auf Kosten der früher gepflegten Solidität.119

Wie Pierenkemper in seiner Analyse bürgerlicher Haushalte feststellt, gab es über die schichtenspezifische Differenzierung des Verbraucherverhaltens hinaus „deutlich unterscheidbare Konsumgewohnheiten […] auch innerhalb der sozialen Schichten selbst“.120 In Kap. 4.2.1 wurde erläutert, dass Pierenkempers Analyse von 327 bürgerlichen Haushalten einen größeren finanziellen Spielraum ergab, weil der Grundbedarf für Nahrung, Wohnung und Kleidung nur knapp zwei Drittel der Gesamtausgaben ausmachte.121 Ausschlaggebend war also das „Niveau der Lebensführung“122, das die Anforderungen der Selbstrepräsentation mit den vorhandenen finanziellen Möglichkeiten bürgerlicher Familien in Einklang bringen musste. Da gab es also Unterschiede. Interessant ist ein Hinweis bei Sombart, dass am häufigsten Gegenstände der Wohnungseinrichtung wie Möbel, Vorhänge, Teppiche, Spiegel und Bilder mit Ratenzahlung durch sogenannte Abzahlungsgeschäfte erworben wurden.123 Es war ein Mittel des Handels, den Absatz teurer und langlebiger Waren zu steigern. Der Ratenkauf war offenbar weit verbreitet. Dazu gab es umfangreiche juristische Literatur124, und von Sombart zitierte Fachleute, darunter ein

117 Vgl. Alexander Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelhandel, S. 40 118 So weist Schwab darauf hin, dass der „Grundstock der Anschaffungen von Mobiliar aus den gleichzeitigen Käufen grösserer Mengen besteht, da die einmalige Einrichtung einer Wohnung die Regel, der Zukauf einzelner Stücke immer nur eine wenn auch häufige Ausnahme darstellt“ (Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelhandel, S. 12) 119 Schönebeck, Die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, S. 297 120 Pierenkemper, Haushalte, S. 42 121 Vgl. Toni Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 266–267 122 Ebd., S. 168 123 Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 385; Sombart bezieht sich auf Arthur Cohen (Cohen, Arthur: Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Abzahlungsgeschäftes, Leipzig 1891, S. 24) 124 Sombart verweist neben Arthur Cohen auch auf Wilhelm Hausmann: Die Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung (das sog. Abzahlungsgeschäft) nach dem Preußischen Allgemeinen Landrechte und dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich unter Berücksichtigung des österreichischen Gesetzentwurfes, betreffend die „Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung“, Berlin 1891

7.1  Möbelmarkt und Möbelabsatz

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Richter, schätzten, dass „ der Gesamtbevölkerung mittels Abzahlungsgeschäft kaufen“.125 Aber in keinem der angeführten Haushaltsbücher der Familien des Richters, des Gymnasialprofessors und des Kaufmanns wird ein Ratenkauf erwähnt. Das deutet ebenfalls darauf hin, dass diese Familien sparten, Erwerbungen aufschoben und nur das kauften, was sie sich leisten konnten. Möglicherweise wurden einzelne Möbelstücke auch von anderen Familienangehörigen als Erbstücke übernommen, aber in den Quellen lässt sich dazu nichts finden. Allerdings gibt es einen Hinweis zu Erbstücken in einer um 1907 erschienenen Broschüre der Deutschen Werkstätten Dresden/München. Danach seien früher vererbte Möbel von deutlich besserer Verarbeitung als die in den Jahren nach der Jahrhundertwende vererbten.126 Auf jeden Fall traf es zu, wie Alexander Schwab 1914 anmerkte127, dass der Möbelkauf in bürgerlichen Mittelschichten Zeit kostete und Beratung verlangte, gerade weil der finanzielle Spielraum begrenzt war. Dass die finanziellen Möglichkeiten des bürgerlichen Mittelstandes und die Ansprüche der Selbstrepräsentation auseinandergehen konnten, illustriert ein 1910 erschienenes Buch über Die Not des höheren Mittelstandes und Maßregeln gegen Teuerung und Luxus128, das von einem unbekannten Autor, „einem höheren Verwaltungsbeamten“129, geschrieben wurde. Die Forderungen des Buches waren nicht ungewöhnlich und betrafen alle sozialen Schichten. Sie reichten von niedrigeren Grundstückspreisen, einfacherer Bauausführung und niedrigeren Mieten bis zu günstigeren Preisen für Lebensmittel und Kleidung. Bemerkenswert ist aber die Vorrede des Autors, der nicht nur Handwerker und kleine Gewerbetreibende in schwieriger wirtschaftlicher Lage sieht. Er spricht vielmehr auch [v]on der bedrängten Lage des höheren (Hervorhebung im Original) Mittelstandes, zu dem nach Ansicht des Verfassers die meisten höheren Beamten, Universitätsprofessoren und Lehrer aller Art, die Privatgelehrten, Rechtsanwälte, Geistlichen, Ärzte, Künstler und die Offiziere der unteren und mittleren Chargen gehören.130

Der Autor nennt kaum Zahlen und verzichtet auf Statistiken. Aber er erwähnt Beispiele des bürgerlichen Lebensstils wie die repräsentativen Abendeinladungen: Je nach Jahreszeit gibt es überall dasselbe Essen, nur daß hier ein Gang mehr, dort einer weniger gereicht wird. […] Als einziges Ergebnis bleiben die hohen Kosten, die bei vielen Offizieren und Beamten mehr als ein Zehntel ihres Diensteinkommens ausmachen.131

125 Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 385 126 „Wie schön war es früher, Möbel zu erben: es waren Wertstücke, gut angelegtes Geld der Eltern, und die späteren Generationen hegten sie nicht nur aus Pietät, sondern auch wegen ihrer Vortrefflichkeit, wegen ihres realen Wertes. Wir erben heute fast nur Möbel, die uns ärgern, und wir sind auf dem besten Wege, auch unseren Kindern nur Schund zu vererben“ (Deutsche Werkstätten GmbH Dresden/München, o. T., o. S.) (SHStAD 1622) 127 Vgl. Alexander Schwab, Einfluss der Konsumtion, S. 19 128 o. A.: Die Not des höheren Mittelstandes und Maßregeln gegen Teuerung und Luxus, Berlin 1910 129 Ebd., o. S. 130 Ebd., S. 1 131 Ebd., S. 57

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Die Aussagekraft dieser Schrift ist begrenzt, aber sie zeigt doch den mehrfach angeführten ‚gespaltenen Konsum‘ im bürgerlichen Mittelstand. Ihn hat Gustav Schmoller bereits 1904 ausführlich beschrieben: Derjenige, welcher sich in mittlerer wirtschaftlicher Lage befindet, kann sich die notwendigsten, gewöhnlichen Güter im Ganzen verschaffen; er wird, sofern er kein Geizhals oder Sonderling ist, sie bis zur vollen Befriedigung erwerben, unter Umständen so weit, daß der Grenznutzen des einzelnen Gutes für ihn sich dem Nullpunkt nähert; für alle Zwecke und Bedürfnisse höherer, überflüssiger Art aber wird er schon zu Entsagungen schreiten müssen; er kann oft nicht so wohnen, so reisen, für seine und der Seinen Gesundheit nicht so sorgen, seine Kinder nicht so erziehen, wie er möchte. Hier wird er häufig da abbrechen müssen, wo der Grenznutzen noch hoch steht. Seine Nachfrage wird sich dementsprechend abstufen.132

Für den aufstrebenden bürgerlichen Mittelstand war es also von entscheidender Bedeutung, welche Kosten eine repräsentative Wohnungseinrichtung verursachte und wo man sparen konnte, ohne dass es auffiel. Um die Verfügbarkeit von Möbeln genauer zu beschreiben, werden im folgenden Kapitel zunächst die Betriebsformen des Möbelhandels untersucht. Dabei geht es um die Beziehungen zu Kunden und Herstellern und um die Qualität der angebotenen Ware, die um die Jahrhundertwende zu einer Diskussion über qualitätvolle Möbel führte.

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels Der eigenständige Möbelhandel war neu und modern. Er verfehlte auch auf dem Land seine Wirkung auf die Kunden nicht, wie Gustav Schmoller beschreibt: Die Wirkung der städtischen Magazine beschränkt sich nicht auf die Städte; die ganze Umgegend der Stadt fängt an, bei ihnen zu kaufen; Der schöne Laden beginnt auch dem Bauern zu imponiren, der staunend vor den großen Spiegelfenstern und ihrer Schaustellung stehen bleibt. […] Wie der Bauer gerne in die Stadt, so geht der Bewohner des Städtchens gerne auf einen Tag in die Hauptstadt der Provinz; der wohlhabende Bewohner der Provinzialhauptstadt aber würde es unter seiner Würde finden, wenn er nicht Möbel und Kleider von Berlin bezöge; die vornehme Berlinerin hat ihre Putzmacherin in Paris, nur dort kann sie die neuen seidenen Roben einkaufen und erträglich machen lassen.133

Im Handel mit Möbeln gab es die Betriebsformen, die sich allgemein im Handel herausbildeten. Das waren nicht nur das städtische Magazin, sondern auch der Detailhandel oder Kleinhandel, der den Handel in kleinen Mengen, aber durchaus auch in sehr großen Geschäften meinte134, außerdem das Großmagazin und der Großhandel. Sie waren Folgen des schon angesprochenen Übergangs von der ‚Kundenproduktion‘ zur ‚Warenproduktion‘, die mit Hilfe der neuen Transportmöglichkeiten durch die Eisenbahn größere Entfernungen überwinden konnte. Lokale und regionale Kundenkreise und Absatzräume wurden „durch Vermittlung des Handels zu großen Fabrik- und Verlagskundschaften zusammengefaßt“.135 Die Betriebsformen des Handels

132 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 141 133 Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe, S. 236 134 Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 254 135 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 210

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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waren Ausdruck der modernisierten Lebensverhältnisse im Kaiserreich und des veränderten Bedarfs, der ein „konzentrierter Massenbedarf “136 wurde. Diese expansive Kundennachfrage veränderte auch den Handel.137 So musste, wie der Volkswirt Victor Mataja 1891 in seinem Buch Großmagazine und Kleinhandel ergänzte, heutzutage, infolge der lebhaften Konkurrenz und der gestiegenen Ansprüche behufs Erzielung des Absatzes, höheren Anforderungen in Beziehung auf das Lager, die Bequemlichkeit des kaufenden Publikums, die Bekanntmachung der gebotenen Leistungen etc. entsprochen werden.138

Im Handel war nicht nur mehr kaufmännisches Wissen als früher und ein erheblich höherer Kapitaleinsatz notwendig. Um den Absatz zu steigern und Verbraucher auf die Ware aufmerksam zu machen, wurde das „Ankündigungs- und Reklamewesen“139 eine zentrale Aufgabe des Handels, ein „unentbehrlicher Bestandteil rationeller Wirtschaftsführung“.140 Darüber schrieb Mataja das 1910 erschienene damalige Standardwerk Die Reklame141 mit einer Übersicht über die zu dieser Zeit verbreiteten Werbemittel. Dazu gehörten neben der mündlichen Reklame durch Verkäufer und die schriftliche Reklame durch scheinbar individuelle Massenbriefe zum Beispiel auch Reklame in Schaufenstern und an Straßen, durch öffentlichen Ausruf oder den Sandwichman als menschlichen Werbeträger, durch Reklamefahrzeuge, durch Plakate, durch Anzeigen in Zeitungen, Adressbüchern und Katalogen oder auch Reklame in Prospekten, Broschüren und auf Flugblättern, als Geschenkreklame durch kostenlose Kalender oder Notizbücher, aber auch als Muster oder Proben, und schließlich durch öffentliche Vorführungen.142 So entstand die Werbung als „kommunikatives Bindeglied zwischen den Sphären der Produktion und des Verbrauchs“.143 136 Ebd. 137 Dazu Karl Bücher: „Und damit ändert der Handel vollständig seine Natur. Er wird zur allgemeinen Liquidationsanstalt für die gesamte Produktion, und während er früher auf den Ausgleich von Mangel und Überfluß an Rohprodukten gerichtet war, erobert er jetzt ein Gebiet des Fabrikatvertriebs nach dem andern. Zugleich geht die Aufgabe der Vorrathaltung in der Volkswirtschaft im weitesten Umfange an ihn über. Er schießt den Produzenten, noch bevor ihre Erzeugnisse an den letzten Konsumenten gelangt sind, die Mittel zur Weiterproduktion vor und tritt auch nur zu häufig dem Konsumenten gegenüber als Kreditgeber auf “ (Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, S. 143–144); Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd 2, S. 372; Zum Überblick vgl. auch Norbert F. Schneider: Konsum und Gesellschaft, in: Rosenkranz, Doris/Ders. (Hrsgg.): Konsum: Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen 2000, S. 9–23, hier: S. 11; Vgl. auch Dirk Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993, S. 435 138 Mataja, Victor: Großmagazine und Kleinhandel, Leipzig 1891, S. 24 139 Ebd., S. 27 140 Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 374; „Kein Geschäftsmann kann sich ihr [der Reklame] mehr entziehen: Bei Strafe des Untergangs. Es giebt [sic!] genug Leute, die auch ohne Reklame groß geworden sind, die aber jetzt mit einem Male zu ihrem eigenen Erstaunen gewahr werden, daß ihr Geschäft nicht mehr so vorwärts geht, wie ehedem. Sie bemerken, daß neben ihnen jüngere Elemente in die Höhe gekommen sind, die rücksichtlos alle Mittel einer routinierten modernen Geschäftsführung angewandt haben, und daß unter diesen nicht zuletzt eine draufgängerische Reklame sich als wirksam erwiesen hat“ (Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 374); Vgl. zur Situation des Bielefelder Handels Friedrich W. Bratvogel, Stadtentwicklung, S. 255 141 Mataja, Victor: Die Reklame. Eine Untersuchung über Ankündigungswesen und Werbetätigkeit im Geschäftsleben, Leipzig 1910 142 Vgl. ebd., S. 40–58 143 Köhler, Ingo: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2016, S. 380–391, hier: S. 380

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Nur wenige Handwerker und Fabrikanten betrieben wie Michael Thonet oder Gustav Kopka Werbung auf Messen oder schalteten Anzeigen in Zeitungen mit unterschiedlichen Schriftarten und Hervorhebungen etwa durch die hinweisende Hand.144 Den meisten kam es allein darauf an, die Produktion zu verbessern, den Ablauf zu optimieren und wegen steigender Nachfrage weiter zu expandieren. Das war schon Arbeit genug. Es kam aber noch ein weiterer Aspekt hinzu, auf den Hartmut Berghoff in seiner 1997 erschienenen Untersuchung Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt. Hohner und die Harmonika 1857–1961145 aufmerksam macht. Vielen Unternehmern im 19. Jahrhundert wie Werner von Siemens und Alfred Krupp galt die Qualität als beste Werbung für ein Produkt. Wenn sie die Qualität steigerten, verbesserten sie aus ihrer Sicht auch den Absatz. So weist Johannes Bähr in seinem Buch über Werner von Siemens darauf hin, dass er [e]ine ausgeprägte Abneigung […] gegen das Geschäftsmodell von Händlern, Kaufleuten und Bankiers [hatte], die Erlöse nicht durch Fertigung, sondern einzig durch Verkauf erzielten.146

Dagegen kann „absatzwirtschaftliche Kompetenz wichtiger sein als produktionstechnisches Know-how“147, wie Berghoff am Beispiel von Firmengründer Matthias Hohner nachweist, der über Auswanderer aus Baden-Württemberg Kontakt zum amerikanischen Markt knüpfte und über Exporteure von Spielwaren aus Nürnberg in den USA für seine Mundharmonika reißenden Absatz fand. Doch Hohner war damit eher die Ausnahme. Auch in der Möbelproduktion spielte „absatzwirtschaftliche Kompetenz“148 noch kaum eine Rolle. Die Möbelfabriken arbeiteten hauptsächlich für den Inlandsmarkt und überließen dem Handel bereitwillig die Absatzwerbung. Damit sparten sie Kosten für die Reklame und konnten sich vollständig auf die Produktion konzentrieren – ganz im Sinne des Kunstgewerblers Max Seliger, der noch 1909 in der Leipziger Messe empfahl: „Die Qualität und Preiswertheit der Ware ist die beste Reklame und ihre beste Empfehlung“.149 Doch mit ihrem Verzicht auf Absatzwerbung gerieten die Hersteller in die Abhängigkeit des Handels.150 Den Verbrauchern wiederum gefiel die große Auswahl in den Magazinen und die Präsentation der Ware. Den meisten blieb aber verborgen, dass sie es waren, die die Kosten dafür trugen. So fragte Victor Mataja 1891: „Was aber haben die Konsumenten davon“151 und gab als Antwort: Möglicherweise sogar positiven Schaden, da die Geschäftskosten und somit die Preise sich erhöhen, der Vorteil aber, der aus der Anwendung von Reklamemitteln, der luxuriösen Ausstattung von Verkaufs144 Vgl. Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing, S. 218 145 Vgl. Hartmut Berghoff, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, Paderborn 1997 146 Bähr, Johannes: Werner von Siemens 1816–1892. Eine Biographie, München 2016, S. 303 147 Berghoff, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 21 148 Ebd. 149 Seliger, Max: Produktionstugenden und -pflichten, in: Die Leipziger Messe, 3. Heft Ostermesse 1909, S. 58– 60, hier: S. 59 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) 150 Vgl. A. F. Mobilis, Wie liesse sich das Möbelgeschäft noch mehr fördern, S. 67–68 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 151 Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 24–25

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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stätten, der Anstellung eigener redegewandter Verkäufer etc. entspringt, im Verhältnis zu dem dadurch bedingten Mehraufwand leicht als ein sehr fragwürdiger erscheinen kann.152

Wie sich die Betriebsformen des Handels wie Detailhandel, Magazin, Großmagazin und Großhandel im Möbelmarkt auf Hersteller und Kunden sowie auf die Qualität der Möbel auswirkten, soll im Folgenden genauer untersucht werden.

7.2.1 Detailhandel Der Detailhandel oder Kleinhandel, wie der Einzelhandel damals genannt wurde, war ähnlich verstreut wie das Handwerk und auf den lokalen Markt ausgerichtet.153 Es waren offene Läden und kleine Gewerbebetriebe, die meistens direkt beim Produzenten ohne Einschaltung des Großhandels einkauften.154 Die Händler hatten unmittelbaren Kontakt zu den Kunden und konnten auf deren Wünsche eingehen.155 Der Gewinn der Händler war häufig ein „mäßiger, aber doch auskömmlicher“156, wie Gustav Schmoller feststellt. Die Modernisierung der Lebensverhältnisse im Kaiserreich führte dazu, dass mit der gesteigerten Nachfrage die Produktion in den Fabriken ausgeweitet und damit das Angebot an Waren im Handel deutlich erhöht wurde.157 „[K]onzentrierter Massenbedarf “158 bewirkte einen „Konzentrationsprozeß auf dem Gebiete der gewerblichen Produktion“159 und der wiederum eine Zentralisierung im Handel.160 Die Detailgeschäfte konnten nicht mehr mithalten. Den 152 Ebd., S. 25 153 Zum lokalen Markt schreibt Mataja: „Die heutzutage thatsächlich noch vorherrschende Zersplitterung des Detailabsatzes in viele kleine Betriebe stützt sich auf den Umstand, daß er sich in weitem Umfang den lokalen Charakter erhalten hat“ (Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 40); Zur Tätigkeit des Detailhändlers schreibt Sombart: „Die Thätigkeit der Detailleure war nach Umfang wie Inhalt seit Generationen die gleiche, rein handwerksmäßig-mechanische geblieben. Die geringe Handelsentfaltung, wie sie die gering entwickelte Produktivität selbstverständlich machte, die Ständigkeit und Stetigkeit aller Verhältnisse, die festgefügte Kundschaft, alles wirkte zusammen, dem Detailhandel sein handwerksmäßiges Gepräge zu erhalten. Der Absatz war ein Gegebenes: auf ihn brauchte der Krämer-Handwerker nicht zu sinnen: ihn zu organisieren war noch weder eine Kunst oder gar eine Wissenschaft“ (Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 369) 154 Vgl. Gustav Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 37; Vgl. Victor Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 26 155 Dazu Mataja: „Das kleine Detailgeschäft spielt sich vollkommen unter dem Auge des Herrn ab, der Ertrag, den es abwirft, ist nicht oder nicht allein von den Verhältnissen abhängig, die für die Kapitalverwertung gelten; […] es besitzt die Fähigkeit, sich den besonderen Bedürfnissen in der Nachbarschaft, den individuellen Wünschen der Kunden anzupassen, es kann persönliche Beziehungen zu diesen aufrechterhalten. Es steht daher nur bedingt und beschränkt unter der Herrschaft der nackten Umsatzziffer […] das Anwachsen der Umsatzziffer erscheint mehr als Folge denn als alleiniger Zweck einer richtigen Geschäftsführung“ (Mataja, Reklame, S. 371); Zum Detailhandel schreibt Victor Mataja in seiner Schrift Großmagazine und Kleinhandel: „Der Detailhandel kann auch fein und ist zumeist auch Kleinhandel, namentlich wenn sowohl die einzelnen Transaktionen wie der Gesamtumsatz einen nur mäßigen Umfang erreichen. Er muß jedoch nicht Kleinhandel sein, wie eben das Beispiel der Großmagazine beweist“ (Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 4) 156 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 33 157 Vgl. Victor Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 22 158 Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 210 159 Ebd. 160 „Nicht bloß die Industrie, sondern auch die mannigfachsten anderen Erwerbszweige sind von dieser Tendenz ergriffen, so Transportwesen, Bergbau, Banken, Nachrichtendienst, Hotelgewerbe, allerlei Unterneh-

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Bedarf an Massenartikeln deckten die größeren Magazine ab, den Detailhändlern blieb der individuelle Bedarf nach Wünschen der Kunden. Die Detailgeschäfte wurden mehr und mehr zurückgedrängt. Das lag auch daran, dass sie häufig „teure, teilweise schlechte und gefälschte Ware“161 verkauften. Zwischen Detailgeschäfte und Fabriken schoben sich als neue Zwischenhändler die „Engrossortimenter“162, die Magazine und Läden mit Produkten aus zahlreichen Fabriken belieferten. Sombart nennt fünf Arten von Detailhandlungen, die sich nach der Herkunft der Waren unterscheiden163: Ausschnittgeschäfte oder Schnittwarenhandlungen für die Textilwaren; Stahl-, Messing- und Eisenwarenhandlungen; Glas-, Porzellan- und Steinguthandlungen; „Galanterieoder Nürnbergerwaren-Handlungen“164 für Kurzwaren und schließlich die Altwarenhandlungen. Nach dieser Aufteilung gab es also keine auf Möbel spezialisierten Detailhandlungen. Das mag damit zusammenhängen, dass Möbeltischler, wenn sie nicht neben ihrer Werkstatt eigene kleine Ladengeschäfte hatten, vorwiegend die Magazine belieferten, wie in Kapitel 6.2.1 erläutert wurde. Auch Dekorationsgeschäfte waren im Allgemeinen keine Detailhandlungen, sondern Handwerksbetriebe mit eigenem Laden165, bevor sie sich später zu größeren Ausstattungsgeschäften mit angeschlossener kleiner Werkstatt entwickelten. Das trifft zum Beispiel auf die Darmstädter Möbelfabrik Ludwig Alter zu, die von dem jungen Tapezierer und Dekorateur Johannes Justus Ludwig Alter 1871 als Dekorationsgeschäft gegründet wurde und sich zur Hofmöbelfabrik für bürgerliche und adelige Kundenkreise entwickelte.166 Andererseits muss es einen Detailhandel für Möbel gegeben haben. So lieferten die hausindustriellen Möbeltischler aus dem Vordertaunus wie beschrieben schon ab den 1860er Jahren ihre Möbel an Händler in Frankfurt am Main. Dort wird es nicht nur das bereits vorgestellte Einrichtungshaus Helberger gegeben haben, sondern auch einige weitere Händler, die Möbel aus dem Vordertaunus bezogen. Auch Bielefeld hatte ja schon in den 1870er Jahren das Möbelgeschäft Eduard Essen, das zu der Zeit noch keine Fabrik war. Außerdem heißt es in einem Bericht über das Schreinergewerbe in Augsburg, dass es mungen für persönliche Dienstleistungen und anderes. Überall macht sich eine Tendenz zur Vergrößerung und Centralisierung geltend, selbst dort, wo man dies auf den ersten Blick hin gar nicht wahrnimmt“ (Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 37); Dazu auch: Karl Bücher, Die gewerblichen Betriebssysteme, S. 210 161 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 41 162 Ebd., S. 38 163 Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 259–260; Vgl. auch: Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 368–369 164 Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 260 165 Vgl. Friedrich W. Bratvogel, Stadtentwicklung, S. 256 166 Vgl. o. A.: Denkschrift zum 50-jährigen Geschäftsjubiläum des Hauses Ludwig Alter Darmstadt 1871–1921, Darmstadt 1921, S. 1 (HWA, Fm 46); Vgl. Otto Schulze: Neue Räume von Ludwig Alter – Darmstadt, in: Innendekoration 21 (1910), H. 9, S. 333–337, hier: S. 334: „Neben solchen, nur für die oberen Zehntausend geschaffenen Räumen hat aber die Firma niemals ihre eigentliche Missionserfüllung, den gebildeten Ständen überhaupt, selbst bei bescheideneren Anschaffungsmitteln, die Wohltaten einer wirklich dem Leben angepaßten Wohnungskultur in die Praxis zu übersetzen, aus dem Auge verloren. Die Leistungsfähigkeit ist hier nicht einseitig an Spezialitäten und Zimmertypen gebunden, sondern frei und beweglich, unbeschränkt im Dienste des anerkannt guten Geschmacks stehend, gleich, ob dieser von Künstlern in bis aufs Tüpfelchen durchgearbeiteten Entwürfen oder in von Laien umschriebenen Wünschen sich äußert“.

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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[e]ine eigentliche Möbelhandlung im modernen großstädtischen Sinne, die auch dem verwöhnteren Geschmack der oberen Zehntausend entspricht, vollständig kaufmännisch organisiert ist und durch geschmackvoll arrangierte Auslagen in großen Schaufenstern das Auge auf sich zieht, giebt [sic!].167

Deshalb spricht einiges dafür, dass Möbelgeschäfte neben Möbelmagazinen und Großmagazinen existierten.

7.2.2 Möbelmagazin Magazine erstreckten sich auf sehr viele Konsumgüter des gleichmäßigen Bedarfs und erfassten auch Möbel und Wohnungseinrichtungen. Sie lösten den früheren Handel im Handwerk ab.168 Selbständige Tischler fertigten für die Magazine, die nach und nach den Schwerpunkt des Möbelhandels bildeten. Vorläufer dieser Magazine waren, wie zum Beispiel in Paderborn, schon in den 1840er Jahren genossenschaftliche Magazine169, in denen eine Gruppe von Tischlermeistern zusätzlich zu den eigenen Werkstätten wie in einem gemeinsamen Laden einzelne Möbel anbot. Diese genossenschaftlichen Magazine hatten aber keinen großen Erfolg, weil es nicht gelingen konnte, „die Produkte jedes Genossen gleichmäßig zu verkaufen“.170 Außerdem zeigten die genossenschaftlichen Magazine noch keine vollständigen Zimmereinrichtungen171, wie es in einem modernen Magazin üblich war, das zum Beispiel ein unbekannter Autor 1891 in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration vorstellte. Dieses Magazin präsentierte im Erdgeschoss eine „Junggesellenwohnung“172, im ersten und zweiten Stock jeweils „vollständig ausgestattete“173 Wohnungen, einfacher oder elegant, mit ihren unterschiedlichen Räumen, also Salon, Schlaf-, Wohn- und Kinderzimmer, aber auch in verschiedenen Stilen und Ausstattungsvarianten, etwa „in solid bürgerlicher, einfacherer Ausstattung, im Geschmack der Renaissance, des Rokoko [und des] Barock“.174 Die Präsentation ganzer Zimmereinrichtungen war damals noch vollkommen neu und ungewöhnlich, obwohl Autoren aus dem Kunstgewerbe wie Jakob Falke immer wieder die Einheitlichkeit der Wohnung betonten175, wie in Kapitel 5.2.2 erläutert wurde. 167 Cohen, Arthur: Das Schreinergewerbe in Augsburg, in: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Bd. 3: Süddeutschland (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 64), Leipzig 1895, S. 499–572, hier: S. 525 168 Vgl. Uwe Spiekermann: Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850–1914 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 3), München 1999, S. 229 169 In Paderborn waren die Versuche, in den 1840er Jahren Möbelmagazine zu errichten, erfolglos. (Vgl. Wilfried Reininghaus: Das Handwerk in Paderborn im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Westfälische Zeitschrift 139 (1989), S. 361–379, hier: S. 364, S. 369); Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 38; Vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 231–233 170 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 38 171 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 1, S. 468 172 o. A.: Ein modernes Möbel-Magazin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration zur Ausschmückung und Einrichtung der Wohnräume 2 (1891), H. 5, S. 64 173 Ebd. 174 Ebd.; Vgl. Alexander Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 58 175 Vgl. Jakob Falke, Die Kunst im Hause; Vgl. Alexander Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 59

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Am Beispiel der Großstadt Berlin wurde in Kapitel 6.2 beschrieben, dass sich aus der Zusammenarbeit mit den Magazinen für die dortigen 3145 Tischlermeister verschiedene Formen der Abhängigkeit ergaben und der Handel über die Magazine unmittelbaren Einfluss auf die Produktion erhielt. So machte es einen Unterschied, ob eine Berliner Tischlerei für drei oder 30 Händler arbeitete und ob sie mit eigenen Rohstoffen fertigte oder diese von den Magazinen gestellt wurden. Ähnlich war die Entwicklung zum Beispiel in München176 und in abgeschwächter Form auch in vielen anderen kleineren Städten und auf dem Land, wo nach 1870 Möbelmagazine eröffnet wurden und allmählich kleinere Möbelhandlungen verdrängt wurden.177 Es gab auch Städte mit unterschiedlichen Möbelmagazinen wie beispielsweise Köln. Hier bot eine ganze Reihe von Magazinen einfache Möbel aus Tannenholz an, aber „auch die sogenannten ‚besseren Bürger des Mittelstandes‘, der eigentliche Kundenkreis der Meister, kauften fournierte Möbel schon überwiegend in den Magazinen“.178 Die einzelnen Möbelmagazine spezialisierten sich also immer stärker auf bestimmte Käuferschichten und boten ihnen Möbel an.179 An diesem Beispiel zeigt sich, dass Städte aufgrund ihrer Größe „ein gutes Umfeld für Produktdifferenzierung und spezialisierte Dienstleistungen“180 waren und als „Forum […] neue[r] Wünsche […] und neue[r] Vorlieben“181 dienten. Eines der im 19. Jahrhundert bekanntesten Möbelmagazine Deutschlands war das Leipziger Möbelmagazin Paul Michaud, das in einem Artikel in der Zeitschrift Die Leipziger Messe 1909 so vorgestellt wurde: Es besitze einen „alten, untadeligen Ruf “182, einen „exquisiten Geschmack“183 und zeige eine „ständige[…] Ausstellung vollständiger Wohnungseinrichtungen und seine[…] 125 Musterzimmer[…] vornehmer und einfacher Art“.184 Das Angebot erinnerte den unbekannten Autor nicht an schlechte Fabrikware, sondern vielmehr an „ein individuell und mit Liebe zusammengestelltes Ganzes“.185 Die Zimmereinrichtungen seien in ihrer Ausführung „vornehm[...] und geschmackvoll[...] dekorativ[...]“186 und nicht vollkommen modern, sondern zeitlos modern, eben ein „individuell und mit Liebe zusammengestelltes Ganzes“187:

176 Vgl. Friedrich Lenger, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, S. 130 177 So schreibt Wilfried Reininghaus, dass es vor 1860 in größeren westfälischen Städten keine Möbelmagazine gegeben hat wie schon in Berlin oder Wien zu der Zeit (Reininghaus, Das Handwerk: Einführung, S. 196); Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 1, S. 504; Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 438 178 Vgl. Franz von Schönebeck, Die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, S. 270; Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 1, S. 503, S. 607 179 Vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 230 180 Trentmann, Herrschaft der Dinge, S. 129 181 Ebd. 182 o. A.: Künstlerische Wohnungseinrichtungen aus dem Hauptmöbelmagazin Paul Michaud, in: Die Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe, 4. Heft Michaelismesse 1909, S. 54–56, hier: S. 54 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 183 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 184 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 185 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 186 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 187 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715)

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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Man muß sich doch vor Augen halten, daß gerade der Bürger des Mittelstandes seine Wohnungseinrichtung nicht alle paar Jahre zu wechseln imstande ist, daß er sie fürs Leben erwirbt und das das Glück und die Behaglichkeit seines Familienlebens von der Art seiner Möbel und Einrichtungsgegenstände nicht unabhängig ist.188

Die Kunden des Möbelmagazins kamen vor allem aus dem bürgerlichen Mittelstand, aber das Magazin Paul Michaud richtete auch Villen und Landhäuser ein. Den meisten Magazinen ging es vor allem um Absatz und Vertrieb von Massenartikeln. Sie waren deshalb für Schmoller schon 1870 eine „volkswirthschaftliche Nothwendigkeit“189: Die Arbeitstheilung zwischen Produktion und Vertrieb ermöglicht bessere Produktion und bessern Vertrieb. Die Magazine entsprechen dem heutigen Standard der Kapitalansammlung, der Technik, der Geschäftsorganisation. Die Magazine haben Kapital und Kredit, die Konjunkturen zu benutzen, sie bilden, wo sie nicht selbst produziren für die Fabriken oder kleinen Produzenten sichere, zahlungsfähige Abnehmer; sie kaufen, wenn sie selbst produzieren lassen, die Roh- und Hülfsstoffe billig im Großen ein. Sie liefern billigere Waaren als früher, sie bieten dem Publikum die große Auswahl zwischen fertigen Produkten, die es wünscht.190

Die Magazine boten eine große Auswahl an Möbeln, aber die Art der Fertigung und die Qualität der Möbel waren für die Magazinbetreiber Nebensache. Den Magazinbetreibern ging es vor allem um großen Absatz und niedrige Preise. Viele Magazine nutzten außerdem, wie zum Beispiel Gustav Schmoller 1870 kritisierte, die Unwissenheit der Kunden aus und spielten mit „Täuschung und Betrug“191: Im Laden und Magazin stehen sich meist ein Sachverständiger und ein Laie, ein mit den Fälschungen, mit der bestimmten Waare überhaupt wenig oder gar nicht Vertrauter gegenüber.192

Im Vergleich zum „kleine[n] Meister“193 und zum „solide[n] Geschäftsmann“194 war das Magazin für Schmoller „der eigentliche Tummelplatz des modernen Schwindels und Humbugs, ja der eigentlichen Betrügerei“.195 Diese Entwicklung war für ihn auch von Dauer: „was das schlimme ist, der eine kann nicht hinter dem andern zurückbleiben, so häuft sich Täuschung auf Täuschung, Betrug auf Betrug“.196 Damit beschäftigte sich auch 1893 noch der Architekt und Kunsthistoriker Ferdinand Luthmer, Direktor der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbemuseums in Frankfurt/M., in seinem Artikel Abwege der modernen Möbelindustrie in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration. Er beschrieb miteinander konkurrierende Lieferanten und sah die Gefahr, dass

188 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 189 Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe, S. 232 190 Ebd. 191 Ebd., S. 236 192 Ebd., S. 229 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd., S. 230

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

sich dieselben gegenseitig nicht durch künstlerischen Feingehalt ihrer Leistungen, sondern durch das, was ins Auge fällt, durch Prunk und Ueberladung zu überbieten suchen.197

Mit der Kritik an der Verkaufspraxis vieler Magazine stand Schmoller also nicht allein. Auch der Politiker Friedrich Naumann forderte die Leser noch 1908 in seiner Schrift Deutsche Gewerbekunst dazu auf, nicht im mittelgroßen Magazin einzukaufen, denn die „Kunst des Möbelmagazins ist ein seelenloses, nur geschäftliches Zusammenpressen von Materialien und Formen und Farben, schlechter in seiner Wirkung, viel schlechter als das Kunsthandwerk“.198 Ebenso verlangte der Architekt Hermann Muthesius in seinem 1908 erschienenen Werk Wirtschaftsformen im Kunstgewerbe, dass Verkäufer in Möbelgeschäften gelernte Tischler sein sollten: Dann würden sie in der Lage sein, einen weitgehenden Einfluß auf das kaufende Publikum dahin auszuüben, daß sie, wie es in der alten Kundenversorgung der Fall war, das Publikum über das technisch Richtige, das werkmäßig Gediegene aufklärten und vor dem Ankauf von Schund warnten.199

So würde der Sachverständige im Geschäft den Laien als Kunden nicht hinters Licht führen, sondern fachgerecht beraten. Es war der bürgerliche Mittelstand, der zu den Käuferschichten gehörte, die beim Möbelkauf die Beratung suchten und sich nicht nur für den Preis interessierten, sondern auch für die Qualität der Möbel, wie Alexander Schwab 1914 anmerkt: Die relativ grosse Sorgfalt beim Möbeleinkauf […] richtet sich erfahrungsgemäss viel stärker auf den Preis und die Anzahl und Zusammenstellung der Stücke, die für das verfügbare Geld erreichbar sind, als auf die Prüfung der technischen Qualität. […] so ergibt sich, dass die Mittelklasse noch relativ am meisten eigentliche Arbeit auf die Prüfung der technischen Qualität verwendet: sie kann einerseits ziemlich viel Zeit dafür erübrigen, andererseits ist für sie der freie Spielraum zwischen erschwingbarem Preis und erforderlicher standesgemässer Ausstattung relativ der kleinste.200

Da Möbel langlebig und teuer waren, kam es beim Kauf auf die große Auswahl, eine ansprechende Präsentation der Ware und die gute Beratung der Kunden an. Aus den Magazinen bildeten sich Anfang der 1890er Jahre sogenannte Großmagazine heraus, die sich auf Bekleidung, Luxusgüter und Wohnungseinrichtungen spezialisierten.

7.2.3 Großmagazin Großmagazine entwickelten sich in Europa zunächst in den Hauptstädten, später befanden sie sich auch in großen Städten mit kaufkräftigem Kundenpotenzial. Sie brauchten aber mehr Kunden als die am Ort oder die zufällig vorbeikamen. Deshalb setzten die Großmagazine auch auf das Versandgeschäft und erreichten damit schließlich auch Kunden in kleineren Städten und auf dem Land. Im Großmagazin sah Victor Mataja die Entsprechung zum Großbetrieb in der 197 Luthmer, Ferdinand: Abwege der modernen Möbelindustrie, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration zur Ausschmückung und Einrichtung der Wohnräume 4 (1893), H. 4, S. 49–52, hier: S. 51 198 Naumann, Friedrich: Deutsche Gewerbekunst. Eine Arbeit über die Organisation des deutschen Werkbundes, Berlin 1908, S. 8 199 Muthesius, Hermann: Wirtschaftsformen im Kunstgewerbe, Berlin 1908, S. 18 200 Schwab, Einfluss der Konsumtion, S. 19

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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Industrie. Im Großbetrieb konzentrierte sich die Produktion, im Großmagazin der Handel.201 Wie die kleineren Magazine zeichneten sich die Großmagazine durch ihren „kaufmännischen Charakter und [das] große[…] Lager“202 mit der „reiche[n] Auswahl“203 aus. Sie konnten eine „viel größere Specialisierung in den Waren“204 bieten. Der Kundenkreis der Großmagazine gehörte vor allem zum finanziell besser gestellten Mittelstand. Hier stand, wie Sombart formulierte, nicht die Proletarierfrau mit dem Marktkorb am Arm, sondern wo die Mondaine und Demimondaine mittlerer Qualität den Ton angeben, herunter bis zur Offiziers- und Professorenfrau, soweit diese auch schon mit modernen Instinkten erfüllt sind.205

Sombarts Einschätzung bestätigt auch Uwe Spiekermann am Beispiel von Breslau. Die große Auswahl und die Spezialisierung sprachen den gut gestellten Mittelstand an: So verkauften in Breslau während der 1890er Jahre ‚Grossmagazine‘ auf mehreren Etagen gut furnierte Möbel an den gehobenen Mittelstand, boten ‚Durchschnittsmagazine‘ schematisierte furnierte Marktmöbel aus Erlenholz dem Mittelstand an, und vertrieben ‚Handlungen in alten und neuen Moebeln‘ gebrauchte, meist unfurnierte Möbel in der Arbeiterschaft.206

Großmagazine konnten ihre Ware günstiger einkaufen, denn sie „kauft[en] viel und an der ersten Quelle“207, und wegen des großen Absatzes nach der neuesten Mode.208 Trotzdem verkauften die Großmagazine ihre Ware nicht unbedingt viel günstiger als der Kleinhandel209 oder kleinere und mittlere Magazine, aber die Großmagazine drängten den Kleinhandel nach und nach zurück, auch durch das Versandgeschäft. Gustav Schmoller sah diese Entwicklung kritisch. Er bemängelte nicht nur, dass durch Großmagazine viele kleinere Magazine und Detailgeschäfte schließen mussten, sondern kritisierte auch aufdringliche, geschmacklose Reklame, teilweise Schund- und Schwindelware; sie behandeln ihr Personal nicht immer so sehr viel besser als die kleinen Geschäfte.210

201 Vgl. Victor Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 61 202 Ebd., S. 3 203 Ebd., S. 3, S. 32; Vgl. Heinz-Gerhard Haupt: Small Shops and department stores, in: Trentmann, Frank (Hrsg.): The Oxford Handbook of the history of consumption, Oxford 2013, S. 267–285, hier: S. 267 204 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 34 205 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 399 206 Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 230; Für weitere Informationen zur Breslauer Möbeltischlerei vgl. Alois Irmer: Magazinsystem in der Breslauer Möbeltischlerei, in: Hausindustrie und Heimarbeit in Deutschland und Österreich, Bd. 1: Süddeutschland und Schlesien (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 84), Leipzig 1899, S. 441–463 207 Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 45 208 Vgl. ebd., S. 46–47 209 „Nimmt man […] die reiche Auswahl, die rasche Bedienung, die Pünktlichkeit des Großbetriebes, die Möglichkeit, alle zusammengehörigen Artikel oder überhaupt das, was man gerade bedarf, in einem Lokal beisammenzufinden, und anderes minder Belangreiche dazu, so begreift man, daß das Publikum, wenn es auch hinsichtlich der Preise nicht ohne weiteres viel besser fährt als in allen übrigen Detailgeschäften, dort doch ganz gewichtige Vorteile erzielt, welche ihm der Kleinhandel nur ausnahmsweise bietet“ (Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 55) 210 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 41

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Schmoller glaubte aber auch, dass sich Großmagazine mit schlechter Ware und schlechter Beratung nicht lange würden halten können: die meisten werden – durch die Öffentlichkeit kontrolliert – auch bald genötigt, gute billige Waren zu liefern, ihr Personal gut zu bezahlen und zu behandeln; sie müssen coulant verfahren; sie strengen sich bis zum äußersten an, alle technischen Fortschritte anzuwenden, durch großen Umsatz den Nutzen, den sie an jedem Stück haben, herabzusetzen, die große Verteuerung, die aller Zwischenhandel an sich enthält, herabzumindern.211

In der Kontrolle der Großmagazine durch die Öffentlichkeit stimmten Schmoller und Mataja überein. Zeitungsanzeigen, Kataloge und Muster machten es den Kunden der Großmagazine leichter, die Ware selbständig zu prüfen, als im zerstreuten Kleinhandel, „wo die eine Kundschaft nicht sieht und weiß, was die andere erhält und zahlt“212, wie Mataja schreibt. Für ihn stellten die Großmagazine deshalb die oberste Stufe des Handels dar, obwohl ihre Anfänge im Kaiserreich schwierig waren. So wurde das erste Großmagazin im Kaiserreich, der Kaiser-Bazar in Berlin, 1889213 beziehungsweise 1891214 eröffnet, aber schon 1892 wieder geschlossen.215 Daneben nennt Mataja als weitere Großmagazine den ‚Deutschen Offizier-Verein‘ für Angehörige von Armee und Marine (1887) und das ‚Warenhaus für deutsche Beamte‘ (1889)216, die wegen ungünstiger Standorte und ihrer Konzentration auf einen speziellen Kundenkreis allerdings bald wieder schließen mussten.217 Matajas 1891 erschienene Darstellung der Großmagazine konnte den Erfolg der Warenund Kaufhäuser in den 1890er Jahren noch nicht untersuchen. Sombart nannte sie deshalb 1902 eine „heute freilich veraltete Schrift“.218 Für die Selbstrepräsentation bürgerlicher Mittelschichten spielten Waren- und Kaufhäuser219 eine wichtige Rolle. Sie waren „[h]istorischer

211 Ebd. 212 Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 54 213 Sombart bezieht sich dabei auf die „Rechtfertigungsschrift des ehemaligen Direktors des bald nach seiner Begründung verkrachten Kaiser-Bazars: M. Richter, Zur Geschichte des Kaiserbazar, A.-G. zu Berlin 1889–1892 (1892)“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 399, Fußnote 1) 214 Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 19; Vgl. auch: Uwe Spiekermann: Das Warenhaus, in: Geisthövel, Alexa/Knoch, Habbo (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2005, S. 207–218, hier: S. 208 215 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 399, Fußnote 1; Vgl. Gustav Stresemann: Die Warenhäuser. Ihre Entstehung, Entwicklung und volkswirtschaftliche Bedeutung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 56 (1900), H. 4, S. 696–733, hier: S. 704; Vgl. hierzu auch: Jan Hein Furnée/Clé Lesger (Hrsgg.): The Landscape of Consumption. Shopping Streets and Cultures in Western Europe, 1600–1900, London 2014, S. 155, Fußnote 63 216 Vgl. Victor Mataja, Großmagazine und Kleinhandel, S. 17–19; Vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 306; „das Warenhaus für Deutsche Beamte existierte als Verkaufsorganisation jedoch weiter und wurde 1906 als zentrale Verkaufsstätte dem KaDeWe (A. Jahndorf) eingegliedert“ (vgl. o. A.: Manuskript Hertie, o. J., S. 244, zit. in: Simone Ladwig-Winters: Wertheim. Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer. Ein Beispiel der Entwicklung der Berliner Warenhäuser bis zur „Arisierung“ (Anpassung, Selbstbehauptung, Widerstand, Bd. 8), Münster 1997, S. 35) 217 Vgl. Simone Ladwig-Winters, Wertheim. Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer, S. 35 218 Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 399 219 Zur Begriffsbestimmung vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 237–238

7.2  Betriebsformen des Möbelhandels

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Nachfolger […] der Magazine“.220 Warenhäuser waren Filialisten mit überregionaler Bedeutung, Kaufhäuser bedienten einen lokalen oder regionalen Markt.221 Beide inszenierten in großzügig gestalteten Verkaufsetagen Wohnwelten, die wiederum in Zeitschriften ausführlich vorgestellt und besprochen wurden. Wichtig waren auch Kaufhäuser, die große Unternehmen wie zum Beispiel Krupp (1869)222 und Bayer (1897)223 für ihre Beschäftigten einrichteten und die mit ihrem Warenangebot nicht nur Geschmacksbildung betrieben, sondern den sogenannten Fabrikbeamten224 in dem Unternehmen mit dem Angebot an Möbeln und Zimmereinrichtungen Möglichkeiten der Selbstrepräsentation eröffneten. Auf beide Typen von Waren- und Kaufhäusern wird in Kapitel 7.3 näher eingegangen. Zunächst aber soll der Großhandel noch erwähnt werden, weil er mit seiner Stellung zwischen Produktion und Handel starken Einfluss auf das verfügbare Angebot von Möbeln und Wohnungseinrichtungen nahm.

7.2.4 Großhandel Der Großhandel als Zwischenglied zwischen Fabrikanten und Händlern hatte eine besondere Bedeutung, weil er das Kapital und die kaufmännische Orientierung besaß, die der Vielzahl der kleinen Möbelmanufakturen und Möbelfabriken auf der einen Seite genauso fehlte wie den kleinen Möbelhändlern auf der anderen Seite.225 Der Großhandel sicherte Kleinbetrieben den Absatz, weil die mit der Produktion schon ausgelastet waren. Er gewährte Vorschüsse für die Produktion und band sie über größere Bestellungen dauerhaft an sich, denn für ein eigenes Möbellager fehlte vielen kleinen Fabrikanten das Kapital. Der Gewinn im Großhandel war umso größer, je billiger der Einkauf für ihn war. Hierin sieht Schlingmann auch den Grund dafür, dass die vom Großhandel in Kleinbetrieben gekauften und an die Händler gelieferten Möbel „nicht selten Ramschwaren in des Wortes schlimmster Bedeutung“226 waren. Aber mit steigendem Massenbedarf, der Konzentration in der Produktion durch größere Herstellerbetriebe und eine Zentralisierung im Handel wurde Ende des 19. Jahrhunderts die Bedeutung des Großhandels immer geringer, bis er 1913 nach Jahren des Konfliktes mit Innungen und Fachverbänden der Hersteller sogar „vielfach ausgeschaltet“227 wurde. Diese Entwicklung hatte mehrere Gründe. So waren immer mehr Hersteller dazu übergegangen, Reisende,

220 Ebd., S. 236 221 Vgl. ebd.; Mit dieser Unterscheidung zeigt Spiekermann einen Weg, um den begrifflichen Unklarheiten zu entgehen, die sich aus der damaligen Warenhausbesteuerung ergaben.; Vgl. Uwe Lindemann: Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne, Köln 2015, S. 11 222 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 417–418 223 Vgl. Helmut Lehmler: 100 Jahre Bayer-Kaufhaus (1897–1997), Wiesdorf 1997 (BAL, 250/10); Vgl. Anne Nieberding: Unternehmenskultur im Kaiserreich. J. M. Voith und die Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 9), München 2003 224 Oder Privatbeamte vgl. Kapitel 4.2.2 225 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 40–42; Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 5 226 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 41 227 Maaß, Möbelproduktion, S. 6

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

also Vertreter oder Agenten228, zu Händlern zu schicken, um für ihre Möbel zu werben und sie zu vertreiben. Die Zahl der Reisenden hatte „außerordentlich“229 zugenommen, sie stieg in Deutschland von rund 45.000 im Jahr 1884 auf rund 70.000 im Jahr 1893 und stieg auch danach immer weiter an.230 Die Möbelbranche war neben der Schneiderei nach Sombarts Angaben die wichtigste Branche für Vertreter. Denn diese „Möbel-agent[en]“231 waren, weil sie von den Händlern über die Vorlieben der Kunden informiert wurden, auch ein frühes Instrument betrieblicher Marktforschung. Aber der wachsende Bedeutungsverlust des Großhandels hing auch damit zusammen, dass mit zunehmendem Bedarf an Massenartikeln die Möbelproduktion sich in immer mehr Großbetrieben konzentrierte und in der Folge auch der Handel in den Waren- und Kaufhäusern eine Zentralisierung erfuhr. So stellte ähnlich wie Maaß auch Schlingmann fest: „Schon vor dem Kriege wurde der Großhandel sowohl von der Industrie als auch vom Einzelhandel in zunehmendem Maße ausgeschaltet“.232 Wie in diesem bereits angesprochenen Konflikt die Fachverbände der Hersteller und des Handels, also des ‚Vereins Berliner Möbel-Industrieller‘ und des ‚Verbandes der Möbel- und Dekorationsgeschäfte Deutschlands‘ in den Jahren von 1908 bis 1912 im Einzelnen gegeneinander vorgingen, soll hier nicht näher untersucht werden.233 Entscheidend ist für diese Arbeit, dass mit dem Bedeutungsverlust des Großhandels auch Großabnehmer für minderwertige Möbel an Bedeutung einbüßten.

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten Die Leipziger Straße ist eng, und ein Warenhaus braucht Licht, viel Licht: hier nun, durch diese Glasfenster, die schon fast Glaswände sind, strömt Licht in ungehaltener Fülle ein. Zugleich erfüllen diese Riesenfenster die höchsten Anforderungen wieder einer scheinbar ungewollten Reklame: sie gewähren überall Einblick in die Warenlager des Hauses. Nicht bloß durch die Schaufenster zu ebner Erde, von denen sich eins ans andre reiht, sondern ebenso sehr in den oberen Etagen, die wie geöffnet vor dem Beschauer auf der Straße sich aufeinander türmen: das ganze Innere des Hauses mit seinen Warenmassen, seinen Käufermassen, seinen Verkäuferscharen liegt ganz enthüllt vor jedem Passanten: das Wesen des Schaufensters ist hierdurch ins Gigantische übersteigert, so daß es nun keiner Übersteigerung mehr fähig erscheint.234 228 Vgl. Alexander Schwab, Einfluss der Konsumtion, S. 31 229 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 35 230 Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 404; So schreibt Schmoller: „[D]er Reisende ist Beamter eines Geschäfts, einer Fabrik; er wird mit festem Gehalt, vielleicht daneben mit Provision bezahlt. Der Agent ist selbständiger Gewerbetreibender, er erhält regelmäßig eine Provision. Er ist für ein bestimmtes örtliches Gebiet bestellt, hat häufig ein Musterlager, vertritt oft mehrere Häuser, denen er zugleich Mitteilungen über den Bedarf der Kunden, über die Absatzmöglichkeit macht. Er verkauft teils reisend, teils am Ort seines Wohnsitzes, aber nicht auf seine Rechnung, sondern auf die seiner Auftraggeber“ (Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 35) 231 Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 2, S. 411; S. 401–402; Vgl. Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 246, Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 39 232 Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 41 233 Vgl. Kap. 7.1.; Eine genauere Beschreibung der Auseinandersetzungen liefert Alexander Schwab, Einfluß der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 64–71; Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 39 234 Göhre, Paul: Das Warenhaus (Die Gesellschaft. Sammlung Sozialpsychologischer Monographien, Bd. 12), Frankfurt/M. 1907, S. 12

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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Für den Theologen und Politiker Paul Göhre ist das Kaufhaus A. Wertheim in Berlin „das größte und beste deutsche Warenhaus“.235 An seinem Beispiel erläuterte Göhre in seiner 1905 erschienenen Schrift Das Warenhaus diese neue Betriebsform im Einzelhandel sehr detailliert und mit großer Begeisterung. Wertheim war das Haus mit Europas größter Verkaufsfläche und mit zeitweise sechzig unterschiedlichen Abteilungen.236 Das von dem Berliner Architekten Alfred Messel errichtete erste Wertheim-Gebäude an der Oranienstraße aus dem Jahr 1893/1894 setzte Maßstäbe für spätere Warenhäuser.237 Spektakulär war ein weiteres Gebäude238 an der Leipziger Straße, ebenfalls ein Auftragswerk, das wieder von Messel entworfen, 1897 eröffnet und 1901 auf insgesamt 7.800m² Grundfläche erweitert wurde.239 Jetzt verfügte das Warenhaus über 10 Treppenhäuser und 25 Fahrstühle, die Kosten für die Gesamtanlage hatten zusammen mit Grund und Boden die „enorme Höhe von 17 Millionen Mark“240 erreicht, schreibt der Architekt und Berliner Baurat Franz Jaffé 1901 in der Innendekoration: [S]o ist es, dank der fürstlichen Munificenz der Bauherren, dem Architekten Professor Alfred Messel vom Kunst-Gewerbemuseum in Berlin gelungen, einen echt künstlerischen Geist moderner Architektur und Technik diesem Riesen-Organismus einzuhauchen, der das Ganze als etwas Typisches und hochbedeutsam künstlerisches in die Erscheinung treten liess.241

235 Ebd., S. 5 236 Vgl. Heinrich Hartmann: Organisation und Geschäft. Unternehmensorganisation in Frankreich und Deutschland 1890–1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 185), Göttingen 2010, S. 213, S. 223; Zum Warenhaus Wertheim als „Kathedrale des Konsums“ vgl. auch Alarich Rooch: Warenhäuser: Inszenierungsräume der Konsumkultur. Von der Jahrhundertwende bis 1930, in: Plumpe, Werner/Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 17–30, hier: S. 21 237 Zu der Zahl der Abteilungen und Mitarbeiter bei Wertheim nach der Statistik von 1895 vergleiche Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jhr., S. 578; Vgl. die ARTE-Sendung „Die großen Traumkaufhäuser: KaDeWe, Berlin“ (2017) (Regie: André Meier). Internet: www.arte.tv/de/videos/064485-004-A/ die-grossen-traumkaufhaeuser/ (Zugriff: 7.7.2018) 238 Mit der Architektur beschäftigt sich 1898 der Kunstschriftsteller Fritz Stahl ausführlich in seinem Artikel Ein modernes Warenhaus in Berlin und beschreibt sie als „imposant und durchaus künstlerisch“ (Stahl, Fritz: Ein modernes Warenhaus in Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration 2 (1898), S. 242–260, hier: S. 247); Victor Mataja schreibt 1910 allgemein über die Architektur der Warenhäuser: „die Anlage eigener Kaufpaläste mit oft prunkender Ausstattung, mit ausgedehnten Schaufenstern und der die Besichtigung der Waren im Innern möglichst erleichternden Darbietung derselben, bildet bereits einen solchen übereinstimmenden Zug, gleichzeitig aber auch eines der wirksamsten Mittel der Warenhausreklame“ (Mataja, Die Reklame, S. 373) 239 Auch in den Folgejahren wurde Wertheim immer wieder erweitert, nicht nur 1899–1901, sondern auch 1904–1906 und 1909–1911 (Vgl. Simone Ladwig-Winters, Wertheim, S. 60); Dazu schrieb 1913 Eliza Lichhauser, Mitglied des Berliner Lyceum-Clubs, in einem Frauenstadtführer: „Um überhaupt einen Begriff von der gewaltigen Ausdehnung des Wertheimschen Warenhauses zu erhalten, sei erwähnt, daß die Frontlänge in der Leipziger Straße 270 m, die gesamte Grundfläche des Hauses 23.000 qm beträgt. Im Gegensatz dazu hat das Reichstagsgebäude nur eine Grundfläche von 11.300 qm aufzuweisen“ (Lichhauser, Eliza (Hrsg.): Was die Frau von Berlin wissen muß. Ein praktisches Frauenbuch für Einheimische und Fremde, Berlin/Leipzig, o. J. [1913], S. 293–423, hier: S. 330, zit. in: König, Gudrun M.: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt, Köln 2009, S. 96–97); Vgl. hierzu auch Jan Whitakter, Wunderwelt Warenhaus, S. 102, 112, 120 240 Jaffé, Franz: Erweiterungs-Bau des Warenhauses Wertheim in Berlin, in: Innendekoration 12 (1901), H. 7, S. 127–130, hier: S. 127 241 Ebd.

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Wertheim ist Inbegriff des Warenhauses in der Vorkriegszeit in Deutschland.242 Was Emile Zola 1882/1883 in seinem Roman Das Paradies der Damen beschreibt243, macht Wertheim in Berlin244 zum Erlebnis. Hier konnten die Kunden bei freiem Eintritt und ohne Kaufzwang die für jeden sichtbar ausgelegte Ware in großzügig ausgestatteten Verkaufsräumen ganz und gar ungestört begutachten, ihrer „Schaulust“245 nachgehen, auswählen und kaufen. Der mögliche Konsument wurde zum aktiven Konsumenten, der sich an den Auslagen über die neueste Mode und den besten Geschmack informierte246, ohne dabei die Verpflichtung einzugehen, etwas kaufen zu müssen. Aber er kaufte doch auch Waren, die er eigentlich nicht beabsichtigte, zu kaufen.247 242 Französische Warenhäuser waren schon einige Jahrzehnte älter (Vgl. Heinrich Hartmann, Organisation und Geschäft, S. 213); Aus Großmagazinen und Bazaren entstand zu Beginn der 1850er Jahre das Warenhaus, zuerst in Paris mit ‚Bon Marché‘ (1852) und ‚Les Galeries du Louvre‘ (1855) und in London mit ‚Harrods‘ (1834) und ‚Liberty‘ (1875) (Vgl. Gustav Stresemann, Die Warenhäuser, S. 698–703); Mitte der 1870er Jahre „galt Paris in der ‚gesamten zivilisierten Welt‘ als bester Ort zum Einkaufen- ein Ruf, den die Stadt bis zum Ende des Jahrhunderts genoss. […] Das Bon Marché gilt weithin als erstes Kaufhaus der Welt“ (Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 17–18); Vor dem Ersten Weltkrieg eröffneten Pariser Warenhäuser „eigene Ateliers, in denen dekorative Gebrauchsgegenstände und Möbel in Handarbeit hergestellt wurden. Später wurden sie in limitierter Stückzahl in Fabriken in und um Paris produziert“ (Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 92); Werner Sombart schreibt über Wertheim und die Warenhäuser im Ausland: „Ihre einstweilen höchsten Triumphe feiert die großkapitalistische Organisation des modernen Detailhandels in Deutschland in dem öfters erwähnten Warenhause von A. Wertheim in Berlin […]. Kann dieses Geschäft an Größe des Umsatzes zwar noch nicht entfernt wetteifern mit den entsprechenden Unternehmungen im Auslande, wie Bon Marché und Louvre in Paris, deren Umsatz auf je 150 bis 180 Mill. Franken anzusetzen ist, während man den Umsatz des Wertheimschen Ladens vor einigen Jahren auf 30 Millionen Mark schätzte, so wird das deutsche Großmagazin, was künstlerische Ausstattung, Solidität des Geschäftsgebarens und Planmäßigkeit der Organisation betrifft, auch mit den berühmtesten Etablissements des Auslandes jeden Vergleich bestehen. Daß es noch eine glänzende Zukunft vor sich hat, dafür spricht der Aufschwung, den es wiederum in den letzten Jahren gewonnen hat“ (Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, S. 275, S. 578) 243 Vgl. Emile Zola: Das Paradies der Damen, Frankfurt/M. 2010 [1882/1883] (Originaltitel: Au bonheur des dames) 244 Im Rheinland und in Westfalen gründete der Einzelhändler Theodor Althoff aus Dülmen die ersten Warenhäuser. 1885 eröffnete er sein Geschäft in Dülmen, vier Jahre später folgten Geschäfte in Rheine und Borghorst, weitere vier Jahre später in Bottrop, Bocholt und Recklinghausen. Das erste große Warenhaus folgte 1894 in Essen, 1896 dann in Münster, 1899 in Duisburg, 1901 in Gladbeck, Remscheid und Lippstadt, 1902 in Coesfeld. Das 1904 in Dortmund errichtete Warenhaus war das größte in Westfalen (Prinz, Michael: Durchbruch zum Massenkonsum, in: Ditt, Karl (Hrsg.): Westfalen in der Moderne, Münster 2015, S. 625–641, hier: S. 631) 245 Lux, Käthe: Studien über die Entwicklung der Warenhäuser in Deutschland, Jena 1910, S. 169; Vgl. Jan Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 64; S. 202; S. 207 246 Vgl. Jakob Tanner: Konsumtheorien in der Wirtschaftswissenschaft, in: Haupt, Heinz-Gerhard/Torp, ­Claudius (Hrsgg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt/M. 2009, S. 335–354, hier: S. 336; Vgl. Jan Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 64; „Wenn man heute in der Familie hört: Wir gehen zu Wertheim, so heisst das nicht in erster Linie, wir brauchen irgend etwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht wie von einem Ausfluge, den man etwa nach irgend einem schönen Orte der Umgegend macht. Man wählt sich dazu einen Nachmittag, an dem man möglichst viel Zeit hat, verabredet sich womöglich noch mit Bekannten“ (Stresemann, Die Warenhäuser, S. 714) 247 So stellt Käthe Lux in ihren Studien über die Entwicklung der Warenhäuser in Deutschland fest: „Jede einzelne Abteilung profitiert von den Käuferscharen, welche den andern Rayons zuströmen und im Vorbeigehen Einkäufe machen. Ein weiterer Vorteil tritt um so mehr hervor, je stärker der Saisoncharakter eines Artikels ausgeprägt ist: Der Verkauf von Pelzwaren konzentriert sich naturgemäß auf die kalte Jahreszeit. Ein isoliertes Pelzwarengeschäft muß Gehälter, Miete und alle anderen zu seinem Betrieb erforderlichen Unkosten das ganze Jahr ungemindert tragen. Anders die Pelzwarenabteilung im Warenhaus; man wird sich in den Sommermonaten vergeblich nach ihr umsehen. Ihr Platz ist von anderen Waren besetzt; ihr Personal ist – von den Fachleuten abgesehen – teilweise anderen Rayons zur Beschäftigung überwiesen, oder entlassen.

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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Es war „eine Welt für alle und für alles“248, die damals ganz neu und modern war. Sogar Ausstellungen zu altem Porzellan, zu Puppen oder zu Wohnungseinrichtungen gab es, die die Kunden unentgeltlich besuchen konnten. Vor allem im Advent und zu besonderen Extraverkäufen gab es bei Wertheim „ein dichtes Gedräng, das wirksamste Anziehungsmittel“.249 Freundlichkeit und Höflichkeit waren dem Verkaufspersonal vorgeschrieben, „gleichgültig, ob jemand viel oder wenig kauft, vornehm oder gering ist“.250 Jeder Streit mit einem Kunden war zu vermeiden. 75 bis 85 Prozent des Verkaufspersonals waren übrigens Frauen.251 Es gab feste Preise, die jeder Kunde bezahlen musste.252 Alle Artikel waren ausgezeichnet und es wurde Barzahlung verlangt. Kunden konnten die Ware umtauschen und sogar zurückgeben. Wichtige Geschäftsprinzipien waren das umfangreiche und branchenübergreifende Warenangebot, der große Umsatz, die niedrige Gewinnspanne und der schnelle Warenumschlag.253 Von jeder Warengattung sollte es möglichst nur einen Artikel geben, aber alle Artikel, nach der die Kundschaft fragte.254 Die Häuser lebten vom massenhaften Verkauf, billig, aber auch gut, möglichst wie im Spezialgeschäft, sollten die Warenhausartikel sein. Jedes Warenhaus braucht Kundschaft. Zum Kunden aber wird der Käufer nur, wenn er merkt, daß er täglich billig und gut bedient wird,255

Auf diese Weise hat sie nur für wenige Monate Miete und andere Betriebsspesen aufzubringen“ (Lux, Studien über die Entwicklung der Warenhäuser in Deutschland, S. 177–178) 248 Schulz, Walter E.: Warenhäuser, in: Ders. (Hrsg.): Hermann Tietz. Der größte Warenhauskonzern Europas im Eigenbesitz. Ein Buch sichtbarer Erfolge, Berlin 1929, S. 5–6, hier: S. 5; Ausführlich beschreibt der Schriftsteller und Journalist Fedor von Zobeltitz in seiner Chronik der Gesellschaft dieses außerordentlich große Warenangebot: „Die strömende Menschenmenge schob mich hin und her; ich wollte zu den Parfüms und geriet zu den Kurzwaren, und plötzlich stand ich vor einer Dame, die mir Taschentücher zeigte, und eine halbe Minute später war ich mitten unter das Emaillegeschirr geraten. Nun gedachte ich, das Parfüm bis zuletzt zu lassen und mich den Korbwaren zuzuwenden, wo ich einen Triumphstuhl als höchsten Triumph der Madonna della Sedia erstehen wollte. Da mußte ich aber in den dritten Stock. […] Der Gedanke an die Rutschbahn lockte mich; so etwas kannte ich eigentlich nur von Jahrmärkten her oder aus der Hafenheide; in den Berliner Geschäften war das Rutschen bislang nicht üblich. Die Wertheimsche Rutschbahn ist ein trottoir roulant; bei Schwindelfreiheit kann man sich ihm beruhigt anvertrauen. Das tat ich denn auch; aber zu den Korbwaren gelangte ich nicht […] ich befand mich plötzlich in der Gemäldeausstellung. […] Jetzt faßte mich der Grimm; ich beschloß, die Korbwaren zu suchen, koste es, was es wolle. Ich unternahm Gebirgspartien, stieg hinauf in luftige Höhen, geriet unvermutet in ein Menschenknäuel hinein.“ (Zobeltitz, Fedor, von: Chronik der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich 1894–1914, Bd. 2: 1902–1914, Hamburg 1922, S. 49–52) 249 o. A.: Tietz und Wertheim, in: Die Zukunft 32 (1900), S. 537–545, hier: S. 540; Zu den besonderen Verkaufsaktionen im Warenhaus vgl. Jan Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 74–77 250 Göhre, Das Warenhaus, S. 43; Die „Büglerin [konnte] genauso viel Aufmerksamkeit beanspruchen wie die ‚gnädige Frau Geheimrat‘“ (Ladwig-Winters, Wertheim, S. 58) 251 Vgl. Käthe Lux, Studien über die Entwicklung der Warenhäuser, S. 23 252 Vgl. Gustav Stresemann, Die Warenhäuser, S. 712 253 Vgl. Simone Ladwig-Winters, Wertheim – Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer, S. 25, S. 27; Vgl. auch Simone Ladwig-Winters: Wertheim. Geschichte eines Warenhauses, Berlin 1997, S. 11 254 Vgl. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2, S. 398 255 o. A.: KaDeWe. Kaufhaus des Westens 1907–1932, Berlin 1932, S. 10

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heißt es rückblickend über die Entwicklung des Warenhauses als Betriebsform in der Jubiläumsschrift KaDeWe. Kaufhaus des Westens 1907–1932. Nur ein gutes Preis-Leistungsverhältnis brachte damals schon Kunden wie den Schriftsteller Fedor von Zobeltitz, der bei Wertheim, im „Berliner Louvre“256, verschiedene Dinge besorgte, von denen meine Frau behauptete, daß man sie bei Wertheim am billigsten und besten bekäme (aber auf dem ‚billigsten‘ lag der Ton).257

Die Häuser kauften möglichst große Mengen in möglichst guter Qualität direkt beim Hersteller ein und konnten viel niedrigere Preise bieten als kleinere Detailhändler. Häufig setzten die Einkäufer auch die Verkaufspreise fest.258 Mit ihrem massenhaften Angebot zeigten die Häuser den Kunden, dass es Qualität bei ihnen zu kaufen gab und keine Ramschware. Mit ihrem massenhaften Absatz konnten sie das auch durchsetzen. Das Warenhaus „verlangt[e] vom Fabrikanten das, was die Kundschaft im Warenhaus verlangt[e]“.259 Durch den Absatz hatten die Häuser bei den Herstellern großen Einfluss auf Produktion und Qualität der Waren und betrieben auf diese Weise auch Geschmacksbildung.260 Mit diesem modernen Einkaufssystem übertrafen die Waren- und Kaufhäuser um die Jahrhundertwende alle bisher bekannten Betriebsformen des Detailhandels. Da machte es keinen Unterschied, ob die Häuser zentral geführt wurden wie A. Wertheim in Berlin oder als Filialbetriebe wie Leonhard Tietz im Rheinland. Alle Häuser standen für einen „Formwandel des Einkaufs“261, sie machten ihn zu einem sinnlichen Erlebnis.262 Bald kaufte dort auch die ‚bessere Gesellschaft‘ ein, spätestens nachdem Kaiser Wilhelm II. und seine Frau Auguste am 23. Januar 1910 Wertheim einen Besuch abgestattet hatten.263 Anfangs hatte die ‚bessere Gesellschaft‘ noch um neutrales Einwickelpapier gebeten, um den Einkauf im Warenhaus zu verschleiern264, doch schon im Jahr 1900 beschrieb ein unbekannter Autor 256 Zobeltitz, Chronik der Gesellschaft, Bd. 2, S. 49. 257 Ebd. 258 Vgl. Heinrich Hartmann, Organisation und Geschäft, S. 226–227; So schreibt Gustav Schmoller: Die Warenhäuser „haben mehr und mehr alle Arten des Detailsverkaufs unter einem Dach, in großen Palästen vereinigt. Ihr Geheimnis ist billiger Masseneinkauf, großartige Reklame, Anziehung des Publikums durch alle Lockveranstaltungen; sie verkaufen möglichst billig gegen Barzahlung, sie führen möglichst wenige Typen der gangbarsten Waren, die zu Tausenden hergestellt, sehr billig abzugeben sind“ (Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, S. 38); Die großartige Reklame für das Warenhaus waren nicht nur die zahlreichen verfügbaren Produkte und die Warenhauskataloge, sondern auch das Automobil selbst. So boten zahlreiche Warenhäuser ihren Kunden an, ihnen mit dem „automobile[n] Lieferungswagen“ ihre gekaufte Ware nach Hause zu fahren. (Wolff-Friedenau, Th.: Das Automobil im Dienste des modernen Geschäftshauses, in: Die Leipziger Messe (1911), 7. Heft Ostermesse, S. 75–78, hier: S. 75) 259 Rile: Die Stellung der Firma Hermann Tietz in Handel und Industrie, in: Schulz, Walter E. (Hrsg.): Hermann Tietz. Der größte Warenhauskonzern Europas im Eigenbesitz. Ein Buch sichtbarer Erfolge, Berlin 1929, S. 65–79, hier: S. 73 260 Vgl. Rile, Die Stellung der Firma Hermann Tietz in Handel und Industrie, S. 69, S. 71, S. 73; Vgl. Victor Mataja, Die Reklame, S. 371 261 Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 379 262 Vgl. Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne (Kulturen der Gesellschaft, Bd. 2), Bielefeld 2011, S. 195; Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 97 263 Vgl. Simone Ladwig-Winters, Wertheim, S. 50 264 Vgl. ebd.

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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in seinem Artikel Tietz und Wertheim in der Zeitschrift Zukunft, wie die ‚besseren Kreise‘ das Warenhaus entdeckten: Die Bankierdamen, die lange die Berührung mit der roture gescheut hatten, wagten sich sacht, in den stillen Vormittagsstunden, nun hinein und in der Zeit der sinkenden Kurse konnte man in den früher leeren Luxuswaarenrayons die Ehehälften berühmter Bankdirektoren treffen. Die neue Kundschaft tastete vorsichtig das verrufene Gelände ab, das sie sonst nur betreten hatte, um ‚für die Leute‘ Weihnachtsgeschenke zu kaufen; sie fing mit einem Töpfchen Lippenpomade, einem Ondulireisen und einem Apparat für Gesichtsmassage an, erstand dann englisches Silbergeräth für den Frühstückstisch und machte schließlich mit Ballblumen einen kühnen Versuch. Solche Schritte […] wurden zunächst, wie wunderliche Abenteurerfahrten, mit Nachsicht heischendem Lächeln gebeichtet; fast immer aber hieß es am Schluß: ‚Man kauft dort wirklich nicht schlecht, – und lächerlich billig‘.265

Jedes der Berliner Warenhäuser spezialisierte sich in den 1890er Jahren auf andere Kundenschichten.266 A. Wertheim war in seinen Anfängen ein Billigmarkt, verschaffte sich damit Kapital, expandierte und gewann das gehobene Bürgertum als Käuferschicht, die „gute Gesellschaft“267, behielt aber auch die ärmere Kundschaft.268 Hermann Tietz in Berlin hatte die Mittelschichten, also den „behaglichen Mittelstand[…]“269 und Adolf Jandorf bediente die Familien aus der Arbeiterschaft, die „besseren Berliner Arbeiter[…]“.270 Das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) schließlich war im Luxussegment angesiedelt, sprach trotzdem auch das gehobene Bürgertum an und war vergleichbar mit den Kaufhäusern Harrods in London (1834), Macy’s in New York (1858) oder Galeries Lafayette in Paris (1893). Kauf- und Warenhäuser erweiterten auch die Verfügbarkeit von Möbeln und Wohnungseinrichtungen. Das soll im Folgenden am Beispiel von Wertheim und dem Kaufhaus des Westens erläutert werden. Vor allem Wertheim hatte durch seine viel beachteten Ausstellungen, die in Zeitungen und Zeitschriften besprochen wurden, Einfluss auf die Geschmacksbildung. Im Anschluss daran wird das eigene Kaufhaus der Firma Bayer in Leverkusen vorgestellt. Es war kein Kaufpalast wie Wertheim oder das KaDeWe, sondern als Betriebskaufhaus den Arbeitern, Angestellten und Fabrikbeamten von Bayer vorbehalten. Es sicherte die Versorgung, wo keine anderen Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe waren. Auch das Bayer-Kaufhaus stellte also die Verfügbarkeit mit Möbeln und Wohnungseinrichtungen sicher und sollte Geschmacksbildung betreiben. Im Vergleich beider Warenhaustypen wird deutlich, wie unterschiedlich Angebote, Preise und Ausstattungen sein konnten.

265 o. A., Tietz und Wertheim, S. 540 266 Vgl. Alarich Rooch, Warenhäuser, S. 23, S. 25 267 Schweriner, Walter: Das Warenhaus, Heidelberg 1922, S. 16, zit. in: Simone Ladwig-Winters: Wertheim. Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer. Ein Beispiel der Entwicklung der Berliner Warenhäuser bis zur „Arisierung“ (Anpassung, Selbstbehauptung, Widerstand, Bd. 8), Münster 1997, S. 42 268 Vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft, S. 367; Vgl. Heinrich Hartmann, Organisation und Gesellschaft, S. 215; Vgl. Walter Schweriner, Das Warenhaus, S. 16, zit. in: Simone Ladwig-Winters: Wertheim, S. 42 269 Walter Schweriner, Das Warenhaus, S. 16, zit. in: Simone Ladwig-Winters, Wertheim, S. 42; Vgl. Leo Colze: Berliner Warenhäuser (Großstadt-Dokumente, Bd. 47), Berlin 1908, S. 10 270 Walter Schweriner, Das Warenhaus, S. 16, zit. in: Simone Ladwig-Winters, Wertheim, S. 42

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

7.3.1  Wertheim und KaDeWe Der für diese Arbeit entscheidende Ort des Warenhauses Wertheim ist die Dauerausstellung moderner Wohnräume, die im Herbst 1902 eröffnet wurde und drei Jahre unverändert bestand. Hier sollten sich bürgerliche Verbraucher über die neuesten Moden der Einrichtung informieren, bevor sie ihre Möbel kauften. Die Ausstellung war „für die Erziehung des Publikums von unschätzbarem Wert“271, meinte der Kunstkritiker Max Osborn 1902/1903 in der Deutschen Kunst und Dekoration. Nicht das Warenhaus selbst hatte die Ausstellung konzipiert, sondern es gab eine eigenständige künstlerische Leitung. Sie lag bei dieser und den folgenden Ausstellungen in den Jahren 1905, 1908 und 1911 bei dem Architekten Curt Stoeving272, der als Privatdozent Architekturmalerei an der Technischen Hochschule Charlottenburg lehrte. Das Warenhaus betrieb auf diese Weise Geschmacksbildung und Qualitätserziehung. Es erzielte damit große Aufmerksamkeit, denn gleich nach der Eröffnung besuchten Kunden in Scharen die Ausstellung, wie Emil Högg, Direktor des Bremer Gewerbemuseums, berichtete: Daher wollen wir es uns dankbar gefallen lassen, wenn die Leiter der Firma A. Wertheim den schönen Ehrgeiz entwickeln, ihrem modernen Riesenapparat den Ehrentitel einer Pflegestätte der Kunst zu erkämpfen. […] [W]o kann der Künstler die stumpfe breite Masse kräftiger packen als in solcher, inmitten lockender Lager, wie eine Falle für ahnungslose Warenhausbummler sich öffnenden Ausstellung? Diese breite Masse, auf die A. Wertheims Traditionen ihn von jeher in erster Linie hingewiesen haben.273

Stoeving präsentierte 1902 in dieser ersten „räumlich so kleinen“274 Ausstellung vollständig eingerichtete Zimmer. Die Aufgabe war, „gutbürgerliches Mobiliar künstlerischer Qualität zu erschwingbaren Preisen zu schaffen“.275 Jedes Zimmer hatte ein bekannter Architekt entworfen, zum Beispiel Peter Behrens, Richard Riemerschmid, Anton Huber, August Endell und Mackay Hugh Baillie Scott.276 Die Wohnräume waren, so schreibt Karl Scheffler 1902 in der Dekorativen Kunst, in der Art zweier Berliner Etagenwohnungen zu vier und fünf Zimmern angelegt und vollständig eingebaut, so daß man den Eindruck absolut fertiger Wohnungen empfängt.277

Der erste Raum der Ausstellung zeigte ein Entrée von Anton Huber aus Berlin mit praktischen und schlichten Garderobenmöbeln aus hellem Rüsternholz und einer kleinen Petroleumlampe, wie Osborn schreibt.278 Huber berücksichtigte auch neue Herstellungsverfahren. 271 Osborn, Max: Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration (1902/1903), S. 259–304, hier: S. 260 272 In den Quellen gibt es keine einheitliche Schreibweise. Auch ‚Stöving‘ ist gebräuchlich. 273 Högg, Emil: Neue Wohnräume und neues Kunstgewerbe bei A. Wertheim, in: Deutsche Kunst und Dekoration 16 (1905), S. 646–674, hier: S. 648 274 Stoeving, Curt: A. Wertheim. Neue Wohn-Räume, neues Kunstgewerbe, dem Hause eigen: nach Entwürfen von Prof. Curt Stoeving, in: Deutsche Kunst und Dekoration 16 (1905), S. 643–645, hier: S. 643 275 Högg, Neue Wohnräume und neues Kunstgewerbe bei A. Wertheim, S. 648 276 Ausführlicher zur Bedeutung der Möbel von M. H. Baillie Scott vergleiche Hermann Muthesius: Englische Architektur: M. H. Baillie Scott, in: Dekorative Kunst 5 (1900), S. 5–7 277 Scheffler, Karl: Ausstellung einer Gesamtanlage moderner Wohnräume bei A. Wertheim, Berlin, in: Dekorative Kunst 6 (1902/1903), S. 156–160, hier: S. 156 278 Vgl. Max Osborn, Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, S. 262.

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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Messing-Stangen, auf denen die Hüte liegend ruhen sollen, ein Gestell mit abgeschrägtem Linoleum-Boden, zu Abstellen von Gummi-Schuhen etwa sehr geeignet, Ständer mit Linoleum-Füllungen in Holz-Rahmen.279

Das Speisezimmer stammte von Peter Behrens. Es erlangte aufgrund seiner Schlichtheit große Bedeutung und wurde zum berühmten Wertheim-Speisezimmer. Es bestand aus ausziehbarem Esstisch, Stühlen, Büffet, Anrichte mit Aufsatz, Eckschrank, Hängeschrank und Beistelltisch.280 Alle Möbel waren aus dunkel gebeiztem Eichenholz, die Schmuckeinlagen aus anthrazitfarbenen Schiefertafeln und die Beschläge aus vernickeltem Messing. Für den Kunstkritiker Max Osborn war das Speisezimmer von Behrens so interessant, so dass er es ausführlich beschreibt: Es ist eine streng durchgeführte einheitliche Schöpfung, in der sich jede Einzelheit einem ordnenden Willen unterwarf. Behrens ging dabei von einem gradlinigen Ornament aus, dessen Grund-Form ein Rechteck ist, und das durch parallele oder in rechten Winkel zu einander stehende Linien meist in mehrere kleine, rechteckige oder quadratische Teiler weiter zerfällt. […] Es ist keine Frage, dass diese Idee: ein Grundthema bei allen Teilen und Teilchen des Zimmers, immer dem Material und der Bestimmung des betreffenden Gegenstandes entsprechend, zu variieren, sehr viel für sich hat, wenn sie auch für mein Gefühl zu allzu großer Strenge führen muß und dadurch die Gefahr der Pedanterie nahe legt.281

Das Gegenteil von Peter Behrens’ Speisezimmer war das von Paul Schultze-Naumburg entworfene Schlafzimmer, das nicht das Moderne zeigen, sondern die „Biedermeier-Tradition mit neuem Leben […] erfüllen“282 sollte. An den Biedermeierstil knüpften auch die Kopenhagener Thorwald Jörgensen und Karl Petersen mit ihrem Entwurf eines Herrenzimmers an. Damit wollten sie auf die „Brauchbarkeit jener Vorbilder“283 aufmerksam machen. Es war ein „sehr solides modernes Zimmer aus Großvaters Zeiten“284, wie der Kunstkritiker Karl Scheffler kritisierte: „Der Mangel ist nur, daß das Zimmer neu ist“.285 Schließlich wurde ein Wohnzimmer von Richard Riemerschmid, „de[m] beste[n] deutsche[n] Stuhlkonstrukteur“286, gezeigt. Es umfasste einen rechteckigen Tisch, Schrank, Sofa, zwei Lehnstühle sowie zwei weitere Stühle. Das Wohnzimmer sollte eine behagliche Atmosphäre ausstrahlen, wie Osborn beschreibt: Die Sitz-Möbel mit ihrer altväterischen grünen Polsterung, der graugrüne Ton der anderen Holz-Sachen, der achteckige Familien-Tisch und vor allem der erhöhte Sitz für die Frau des Hauses an dem in holländischer Art gehaltenen Fenster weisen darauf hin.287

Die Ausstellung präsentierte außerdem ein Damenzimmer von Thorvald Jörgensen und Karl Petersen, ein Kinderzimmer von Arno Körnig, ein Musikzimmer von Mackay Hugh Baillie

279 Ebd. 280 Vgl. AK: Peter Behrens. Das Wertheim Speisezimmer, Darmstadt 2009, S. 22 281 Osborn, Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, S. 263; Auch Karl Scheffler äußert sich positiv über das Wertheim-Speisezimmer, „das wieder durch großzügig Disposition der farbigen Kontraste, durch die einfache Gediegenheit der Möbel und den festlichen Glanz der gedeckten Tafel imponiert“ (Scheffler, Ausstellung einer Gesamtanlage, S. 160) 282 Osborn, Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, S. 262 283 Ebd., S. 264 284 Scheffler, Ausstellung einer Gesamtanlage, S. 160 285 Ebd. 286 Ebd. 287 Osborn, Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, S. 262

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Scott sowie eine Küche von Patriz Huber. Auch diese Zimmer werden von Max Osborn genau beschrieben.288 Für den künstlerischen Leiter Curt Stoeving war es wichtig gewesen, möglichst unterschiedliche Entwürfe zu präsentieren. Alle Architekten suchten nach einer neuen Formensprache mit einem „diskreten, soliden Geschmack“289 und schufen zweckmäßige Einrichtungen. Aber sie konnten nach dem Urteil etlicher Kritiker die wichtigste Bedingung, den erschwinglichen Preis, nicht erfüllen, wie Karl Scheffler feststellt: So gut auch einzelne Teile sind: so, wie sie ist, kann die Ausstellung nicht permanent bleiben. […] So lange Interieurs mit einer ‚Stimmung‘, die 2500 bis 3000 M. für das Zimmer kostet, in Frage kommen, kauft das große Publikum nicht.290

Auch Högg erwähnt diese offenbar weit verbreitete Kritik an der ersten Ausstellung, „dass diese Preise für den Mittelstand eben doch unerschwingliche seien und dass nur die Reichen hier kaufen können“.291 Die folgende zweite Ausstellung bei Wertheim, wieder mit Entwürfen namhafter Architekten, zu denen etliche aus der ersten Ausstellung gehörten, sieht Högg dagegen als reifere[n] und zielbewusstere[n] Versuch, […] Möbel zu bringen, […] die dem Jahreseinkommen unseres Mittelstandes Rechnung tragen.292

Ob diese Einschätzung von Högg zutrifft, lässt sich nicht klären. Wie teuer die Zimmereinrichtungen im Einzelnen waren, ist nicht mehr festzustellen, denn alle Artikel über die Möbel­ ausstellungen bei A. Wertheim sind genaue Beschreibungen ohne konkrete Preisangaben. Das trifft auch auf die Artikel zu, die der Kunstschriftsteller und Kunstkritiker Robert Breuer in den Jahren 1912 und 1913 über die späteren Ausstellungen schrieb.293 Hier fällt allerdings auf, dass Breuer die Maße der Möbel hervorhebt, die für eine Mietwohnung geeignet seien.294 In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, dass zur selben Zeit, als Wertheim zum ersten Mal Wohnräume präsentierte, die Zeitschrift Innendekoration 1903 einen eigenen Wettbewerb mit einem vorgegebenen Kostenrahmen veranstaltete und die Entwürfe prämierte, die durch Entfaltung der grösstmöglichsten [sic!] Zweckmässigkeit eine billige Ausführung der Zimmer-Einrichtung bei unbedingter Solidität derselben gewährleistet[en].295

288 Vgl. ebd., S. 262–268. 289 Ebd., S. 263 290 Scheffler, Ausstellung einer Gesamtanlage, S. 153 291 Högg, A. Wertheim, Neue Wohnräume, neues Kunstgewerbe, S. 648 292 Ebd. 293 Vgl. Robert Breuer: Moderne Wohnräume bei A. Wertheim – Berlin, in: Innendekoration (1912), H. 6, S. 242–245; Vgl. Robert Breuer: Gutbürgerlich. Zur Ausstellung „Moderne Wohnräume“ bei A. Wertheim, Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration 33 (1913/1914), S. 72–91 294 Vgl. Robert Breuer, Moderne Wohnräume bei A. Wertheim – Berlin, S. 245 295 o. A.: Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, Teil 1, in: Innendekoration 14 (1903), H. 1, S. 16–28, hier: S. 16

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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Auf diese Entwürfe wird in Kapitel 7.5 näher eingegangen, wenn die Bedeutung der Zeitschriften für die Geschmacksbildung untersucht wird. Bei der Gestaltung der Wohnungseinrichtung hatte Wertheim eine besondere Rolle. Die Möbelausstellungen des Kaufhauses waren, wie beschrieben wurde, im Laufe der Jahre immer wieder Gegenstand umfangreicher Aufsätze in Fachzeitschriften. Das fällt umso mehr auf, als in Zeitschriften wie Innendekoration oder Deutsche Kunst und Dekoration über das Möbelangebot im Kaufhaus des Westens (KaDeWe) nichts zu lesen ist. Wenn über das KaDeWe berichtet wurde, dann betraf es vor allem die Architektur des Gebäudes.296 Das Jubiläumsbuch KaDeWe. Kaufhaus des Westens 1907–1932 beschreibt die einzelnen Stockwerke und führt für den fünften Stock den Teppichsaal auf und „die Hauptsache dessen […], was der Wohnungseinrichtung [Hervorhebung im Original] dient“.297 Dazu gehörten dekorative Möbelstoffe, Möbelposamente, Gardinen, viele Arten von Lampen wie Tischlampen, Stehlampen oder Nachttischlampen, Glühbirnen, aber auch Schlafzimmermöbel, meistens weiß lackiert, Ruhebetten und Kissen sowie Gartenmöbel, Dielenmöbel, Kleinmöbel und Korbwaren.298 Der Illustrierte Hauptkatalog des Kaufhaus des Westens für Frühjahr und Sommer 1913 enthält auf 161 Seiten das gesamte Warenangebot von Damen- und Herrenkonfektion über Parfümerie, Schreibwaren, Schmuck und Spielwaren bis zu Glas und Porzellan sowie Haushaltswaren. Alle Waren werden hier mit Preisen und Maßen in unterschiedlichen Schwarzweiß-Zeichnungen mit Artikelnummer und Angaben zur Holzart präsentiert. Sie werden von vorne oder auch von schräg oben abgebildet. Der Katalog zeigt auch, welche Möbel vertrieben wurden. Auf einer Katalogseite sind zwischen zwanzig und dreißig Möbelzeichnungen. Abgebildet sind Ledermöbel wie Klubsessel, Ledersofa, Klubsofa oder Ledersessel, Eisenmöbel und Gartenmöbel, aber auch Wandschränke, Bücher-Etageren, Toilettentische, Garderoben, Kommoden, Notenständer, Hocker und Schreibtischstühle. Schon diese Aufzählung macht den großen Unterschied zu Wertheim deutlich. Im KaDeWe konnte man nicht ganze Zimmereinrichtungen in unterschiedlichen Stilen betrachten und sich über neue Trends informieren, sondern kaufte einzelne schlichter gehaltene Möbel, um die vorhandene Einrichtung zu ergänzen. Auch hatte das KaDeWe nicht den Anspruch, in Zusammenarbeit mit ausgewählten Architekten qualitätvolle Möbel für den bürgerlichen Mittelstand anzubieten. In dieser Hinsicht ist das Betriebskaufhaus von Bayer in Leverkusen, auf das im folgenden Kapitel näher eingegangen wird, sehr aufschlussreich. Auf ganz andere Weise als Wertheim, aber mit ähnlichen Zielen wollte die Firma Bayer in Leverkusen mit ihrem Kaufhaus und einer Prämienstiftung in Zusammenarbeit mit ausgewählten Tischlereien und Möbelhändlern Geschmacksbildung betreiben und der Belegschaft, also auch den Fabrikbeamten aus dem bürgerlichen Mittelstand, haltbare Möbel zu günstigen Preisen anbieten.

296 Vgl. Anton Jaumann: Das neue „Kaufhaus des Westens“ in Berlin, in: Innendekoration 18 (1907), H. 6, S. 173– 184; Vgl. Fritz Wolff: Kaufhaus des Westens – Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration (1907), S. 183–191; Vgl. Max Creutz: Das Kaufhaus des Westens, in: Berliner Architekturwelt 3 (1907), S. 80–106 297 o. A., KaDeWe. Kaufhaus des Westens 1907–1932, S. 129 298 Vgl. ebd., S. 129–130

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

7.3.2  Bayer-Kaufhaus und C. Duisberg Prämien-Stiftung Die 1863 von dem Farbenkaufmann Friedrich Bayer und dem Färbermeister Heinrich Weskott im heutigen Wuppertal-Barmen gegründete Firma Bayer wurde 1891 um die Ultramarinfabrik Dr. Carl Leverkues & Söhne in Wiesdorf nahe dem heutigen Leverkusen erweitert. Mit der 1895 verfassten ‚Denkschrift über den Aufbau und die Organisation der Farbenfabriken zu Leverkusen‘ legte der Chemiker Dr. Carl Duisberg den Grundstein für die Chemieanlagen und Verwaltungsgebäude der heutigen Bayer AG.299 Dieser Aufbau war „Duisbergs eigentliche Lebensleistung“300, wie Werner Plumpe in seiner 2016 erschienenen Biographie Carl Duisberg 1861–1935. Anatomie eines Industriellen formuliert. Am Standort Elberfeld war für notwendige Firmenerweiterungen kein Platz mehr vorhanden, so dass schließlich einzelne Werksteile an den Rhein verlegt wurden. Der Bau einer neuen Chemiefabrik war zunächst gar nicht vorgesehen, sondern wurde im Direktorium erst nach längeren Diskussionen beschlossen. Duisbergs Denkschrift ist für Plumpe „zugleich Ausdruck einer infrastrukturellen Vision wie einer technokratischen Obsession“.301 Als technischer Leiter kannte Duisberg das unübersichtliche Elberfelder Werk und plante die neuen Produktionsanlagen am Rhein nach streng rationalen Kriterien. Außerdem gab er der Fabrik eine neue innere Organisationsstruktur.302 Schließlich baute er nach dem Vorbild der BASF die betriebliche Sozialpolitik wesentlich aus.303 So entstand 1895 die erste Werkskolonie in Wiesdorf, einem Ort mit 3.400 Einwohnern in einem sehr ländlichen Umfeld ohne genügend Wohnraum, Bahnanschluss und Krankenhaus.304 Auch für 299 Vgl. Helmut Lehmler, 100 Jahre Bayer-Kaufhaus (1897–1997), S. 3 (BAL, 250/10) 300 Plumpe, Werner: Carl Duisberg 1861–1935. Anatomie eines Industriellen, München 2016, S. 129 301 Ebd., S. 135 302 Vgl. ebd., S. 137; Duisberg „sah in den Abteilungen nicht allein technische Einheiten, sie sollten zusätzlich eine begrenzte wissenschaftliche und ökonomische Autonomie erhalten. Unter dem Direktorium, bestehend aus Vorstandsmitgliedern, Direktoren und Prokuristen, sollten sieben teilautonome Abteilungen ihre wiederum in Betriebe aufgeteilten Abteilungen technisch wissenschaftlich und ökonomisch führen. Unter ihrer Aufsicht lag die eigentliche operative Leitung bei den Betriebsführern, die ihre Betriebe technisch überwachten, die Produkte laufend kontrollierten und auf Prozessverbesserung hin prüften. Ihnen unterstanden Aufseher/Meister, die den Arbeitsprozess selbst kleinteilig zu kontrollieren hatten. Die Abteilungen hatten eigene Laboratorien, kleine ingenieurtechnische Abteilungen und Reparaturwerkstätten sowie, falls es technisch zwingend war, eigene Versorgungsbetriebe (Gas, Dampf, Eis).“ (Plumpe, Carl Duisberg, S. 137) 303 Vgl. ebd., S. 134–137 304 Vgl. Stefan Blaschke: Unternehmen und Gemeinde. Das Bayerwerk im Raum Leverkusen 1891–1914, Köln 1999, S. 143; Dazu schrieb Carl Duisberg am 11./12.9.1895 an Vorstandsmitglied Friedrich Bayer jr.: „Die Pläne für die Arbeiterwohnungen sind jetzt soweit fertig gestellt, dass auch mit Bau derselben begonnen werden kann und bin ich der Meinung, dass wir vorläufig einmal 9 oder 10 solcher Arbeiter Doppelhäuser bauen sollten, um zu sehen, wie sich das von uns gewählte Prinzip bewährt. Auch mit der Errichtung der Beamtenwohnungen wird es die höchste Zeit, da die in Leverkusen anwesenden Beamten, welche […] die ganze Woche dort zu bleiben haben und nur Samstag nach Hause kommen, anfangen zu jammern. Wir haben infolgedessen auch den Barmer Architekten getreten; derselbe brachte gestern die diversen Grundrisse und Ansichtspläne, die mir sehr gut gefallen haben, zumal auch der Mietpreis ein nicht zu hoher sein wird […]. Ich denke, wir bauen zuerst zwei Doppelhäuser und ein Etagenhaus. Wir haben dann vorläufig für alle Beamten genügend Platz“ (Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Friedrich Bayer jr., 11./12.9.1895: Aufbau der neuen Fabrik Leverkusen, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 87–94, hier: S. 89)

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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die ‚Beamten‘, also die leitenden Mitarbeiter, wurden in der „sogenannten Villenkolonie“305 bei Leverkusen zunächst „in 11 stattlichen Wohnhäusern etwa 30 Beamtenwohnungen eingerichtet“.306 Außerdem wurde zur selben Zeit, 1895, ein Konsumverein gegründet, „um den bei dem Werke Beschäftigten gute Waren gegen ortsüblichen Preis bei Barzahlung zu verschaffen“307, wie es in der Satzung des Konsumvereins heißt. In anderen Orten einzukaufen war kaum möglich, denn die Verbindung nach Opladen, Köln oder Düsseldorf war schlecht.308 Der Konsumverein und die Werkswohnungen sind nur zwei wichtige Beispiele für die umfassende betriebliche Sozialpolitik der Farbenfabriken. Neben Bayer und BASF haben auch Krupp und Hoechst eine solche betriebliche Sozialpolitik verfolgt, deren „Zweck vor allem in der Sicherung einer qualifizierten Belegschaft bestand“.309 Zu Bayer stellt Plumpe in seiner Biographie Carl Duisberg fest: „Bau und Betrieb der Werkswohnungen waren der nach außen hin sichtbarste Teil der Sozialpolitik, umfassten aber zu keinem Zeitpunkt mehr als 15 % der Sozialaufwendungen“.310 Im Konsumverein ging es zunächst um den Verkauf von „preiswerten Lebensmitteln, Schuhwaren, Confectionsartikeln und dergleichen“.311 Außerdem sollten die ortsüblichen Preise reguliert werden312, die Einzelhandelsgeschäfte in der Nähe sollten sich am Kaufhaus orientieren und ebenfalls Sonderangebote machen313, die auch den Beschäftigten bei Bayer zugutekamen. Der Konsumverein war offen für alle Beamten, Arbeiter und sonstige Angestellten der Farbenfabriken, auch wenn sie pensionirt sind, sowie deren Wittwen [sic!], solange sie sich nicht wieder verheiraten.314

Das Hauptgebäude der Konsumanstalt befand sich nahe der Arbeiter-Kolonie I in Wiesdorf, im Jahr 1904 wurde eine Filiale in Flittard eröffnet, wo ebenfalls viele Werksangehörige lebten.315 Nach zweijähriger Bauzeit wurde 1911 schließlich ein großer Neubau fertiggestellt und aus der ‚Konsumanstalt‘ wurde das ‚Kaufhaus der Farbenfabriken Bayer, vorm. Friedrich Bayer & Co‘, das ‚Bayer-Kaufhaus‘.316 Die Außenfassade war im Stil eines „moderne[n] Barock in

305 o. A.: Die Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld und Leverkusen, in: Gemeinwohl Nr. 8, 9, 10 (November, Dezember–Januar 1903), S. 210–226, hier: S. 212 (BAL, 221/17) 306 Ebd. 307 Satzungen der Konsumanstalt, in: Wohlfahrtsbroschüre Ausstellung, Düsseldorf 1902 (BAL, 250/10); Vgl. Johannes Schellwien: Die sozialen Einrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 101, (3. Folge, Bd. 46), 1913, S. 678–687, hier: S. 681 308 Vgl. o. A.: Kaufhaus, o. J., S. 1 (BAL, 1/6.6.24) 309 Plumpe, Die Wirtschaft des Kaiserreiches, S. 34 310 Plumpe, Carl Duisberg, S. 202 311 Mandel, Albert: Wohlfahrtseinrichtungen, S. 45–55, hier: S. 52–53 (BAL, 221/17); So heißt es im General-Anzeiger für Wiesdorf am 2.10.1909 zu preiswerten Angeboten: „Es ist ein alter Erfahrungssatz, der aber leider viel zu wenig berücksichtigt wird: Für das gleiche Geld kann man häßlichen Schund, schlecht haltende Ramschware, aber auch gute, schöne dauerhafte Sachen erwerben“ (o. A.: Ein Gang durch die Arbeiter-Musterwohnung Hauptstraße 28, in: General-Anzeiger für Wiesdorf-Leverkusen (2.10.1909), o. S. (BAL, 241/5)) 312 Vgl. III. Jahresbericht Wohlfahrtseinrichtungen 1912 (BAL, 221/3) 313 Vgl. o. A., Kaufhaus, S. 1. (BAL, 1/6.6.24) 314 Satzungen der Konsumanstalt, o. S. (BAL, 250/10) 315 Vgl. o. A., Kaufhaus, S. 3 (BAL, 1/6.6.24) 316 Vgl. Helmut Lehmler, 100 Jahre Bayer-Kaufhaus (1897–1997), S. 5 (BAL, 250/10)

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

­Terrasitzputz“317 gehalten und bot einen „monumentalen und doch freundlichen Anblick“.318 Der Haupteingang des zweigeschossigen Eckbaus bestand aus „drei mächtigen Vorhallen, die mit einem gemeinsamen Balkon überdeckt sind“319, wie in der Werkszeitschrift Die Erholung beschrieben wurde, die in einer Auflage von 6000 Exemplaren monatlich erschien.320 Links und rechts des Haupteingangs waren an den Straßenfronten in beiden Geschossen die Verkaufsräume untergebracht. Es gab keine Schaufenster. Mit dem Neubau hatte sich auch das Angebot wesentlich erweitert.321 Das Bayer-Kaufhaus folgte dem Grundsatz aller Kaufhäuser und bot ein möglichst vollständiges Sortiment: Wer das Eine kaufen will, sieht das Andere und mit dem Sehen wachsen die Bedürfnisse, und mit der Möglichkeit einer umfassenden Bedarfsdeckung zu sehr vernünftigen Preisen werden ständig weitere Dauerkunden geworben.322

Es gab jetzt auch eine Kolonialwarenabteilung, die am meisten aufgesucht wurde und die 36 Meter lang war. Sie bot Fleisch und Brot, Öle, Fette, Medikamente, Drogerieartikel und Zigarren. Außerdem hatte das Kaufhaus eine Manufakturwarenabteilung von 24 Metern Länge mit Wollwaren, Wäsche und Kleidung sowie eine Schuhabteilung von 15 Metern Länge. Eine Abteilung für Haushaltswaren und „als vorbildlich betrachtete Einrichtungsgegenstände“323 wurde erst einige Monate nach der Eröffnung des Kaufhauses fertig. Damit waren „Einkäufe in fast allen wichtigen Bedarfsartikeln“324 möglich. Eine Besonderheit des Kaufhauses war, ähnlich wie bei Wertheim, die Musterwohnung, in der nicht nur Haushaltswaren und Küchengeräte gezeigt wurden. Selbstverständlich können auch alle andern Bestandteile dieser Musterwohnung, die verschiedenen Möbel, die zur Schau gestellten geschmackvollen Bilder usw. durch Vermittlung des Kaufhauses zu den festgesetzten mässigen Preisen bezogen werden.325

Bei den ausgestellten Möbeln handelte es sich vermutlich noch nicht um komplette Zimmereinrichtungen, die erst einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg im Kaufhaus präsentiert wurden.326 Vor Kriegsbeginn zeigte das Kaufhaus in der Musterwohnung Möbel in kleineren „Mustereinrichtungen“327, über die zum Beispiel in Handel und Industrie328, in der Norddeutschen Allge-

317 o. A.: Das neue Kaufhaus der Farbenfabriken, in: Die Erholung 5 (1911), S. 29–31, hier: S. 30 (BAL, 15 G–6) 318 Ebd. (BAL, 15 G–6) 319 o. A., Das neue Kaufhaus der Farbenfabriken, S. 29 (BAL, 250/10) 320 Vgl. Johannes Schellwien, Soziale Einrichtungen Bayer, S. 684 321 „Es ist einleuchtend, daß durch die Sortimentserweiterung das Kaufhaus seine soziale Aufgabe tatsächlich besser erfüllen kann, als jemals zuvor“ (o. A., Kaufhaus, S. 10) (BAL, 1/6.6.24) 322 o. A., Kaufhaus, S. 9 (BAL, 1/6.6.24) 323 Nieberding, Unternehmenskultur im Kaiserreich, S. 163 324 o. A.: Ein Besuch der Haus- und Küchengeräte-Abteilung des Kaufhauses, in: Die Erholung 2 (1911), Nr. 7 (November 1911), S. 53 (BAL, 250/10) 325 Ebd. (BAL, 250/10) 326 Vgl. Schreiben der Sozialabteilung an Direktor Fürth vom 23.10.1926 (BAL, 338/036) 327 o. A.: Wohnungs- und Haushalts-Ausstattung des Arbeiters, in: Handel und Industrie, Nr. 1044 (9.12.1911), o. S. (BAL, 15 G–6) 328 Vgl. ebd. (BAL, 15 G–6)

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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meinen Zeitung329 oder der Königsberger Hartungschen Zeitung330 berichtet wurde. Es waren gut verarbeitete, haltbare und schlichte Möbel, die von firmeneigenen Architekten entworfen wurden. So kam es dem bei Bayer angestellten Regierungsbaumeister Karl Fabri nicht darauf an, mit Möbeln etwas vorzutäuschen und billiges mit Ölfarbe bestrichenes Tannenholz als teures Holz auszugeben, wie es damals die schon in Kap. 6.1.1 erwähnten Fachbücher zur Holzimitation empfahlen.331 Fabri setzte auf lasiertes und lackiertes Tannenholz. Seine Entwürfe folgten damit einer Leitlinie, die Carl Duisberg in einer Ansprache vorgegeben hatte: Das Glück wohnt […] nicht gern in nackten, kahlen Wänden, in Unordnung und Ungemütlichkeit; es verlangt neben peinlichster Sauberkeit schön dekorierte Wände, gute und schöne Möbelstücke und Ausstattungsgegenstände.332

Bevor das Kaufhaus eröffnet wurde, gab es die Möbel nur in den Musterwohnungen der C. Duisberg Prämien-Stiftung zur Ausschmückung von Arbeiterwohnungen zu sehen. Diese Stiftung hatte eine große Bedeutung bei Bayer: Sie wählte Möbel und Zimmereinrichtungen aus, gab die Produktion über das Bau-Büro von Bayer in Auftrag und hatte außerdem eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung bürgerlicher Werte, wie sie Carl Duisberg in seiner Ansprache umrissen hatte. So zeichnete die Prämien-Stiftung Arbeiter aus, die ihre Wohnung und die Ausstattung am besten in Stand gehalten hatten.333 Ein Ausschuss der Prämienstiftung aus Beamten und Arbeitern besichtigte einmal jährlich sämtliche Wohnungen und vergab anschließend die Prämien, mit denen die Preisträger wiederum neue Möbel oder Ausstattungsgegenstände aus den Musterwohnungen kaufen konnten.334 Wenn es neue Möbel gab, wurde in der Zeit vor Eröffnung des Kaufhauses in der Werkszeitschrift Erholung darauf hingewiesen. So machte die Direktion von Bayer im August 1910 zum

329 o. A.: Die Wohnungseinrichtung des Arbeiters, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 292 (13.12.1911), o. S. (BAL 15 G–6) 330 o. A.: Sparsame Hausratbeschaffung, in: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 482 (13.10.1912), o. S. (BAL, 15 G–6) 331 „Diese Geschmacksverirrung wird nun leider von vielen Möbelfirmen benutzt, um leichtgläubigen Menschen Möbel aufzuhängen, bei dem man nicht weiss, was sich unter der deckenden Oelfarbe mit der meist erbärmlich aufgemalten Maserung befindet“ (Fabri, Karl: Kurzer Führer durch das Musterhaus in Wiesdorf, Kolonie II, Dünstrasse 48/50, Sonderabdruck aus der ‚Erholung‘, Jg. 3, Nr. 11, S. 3) (BAL 241/5) 332 Duisberg, Carl: Ansprache an die Prämierten der Arbeiter-Wohnungen, in: Die Erholung 1 (1910), Nr. 7, S. 49 (BAL, 15 G–6) 333 „Um diejenigen Arbeiter der Firma, welche die von ihr erbauten Häuser bewohnen und diese am besten in Ordnung gehalten haben, behufs solider Ausstattung und schöner Ausschmückung ihres Heims mit Ausstattungsgegenständen aller Art zu versehen, stiftete er [Carl Duisberg] 30 000 Mark als Kapitalbetrag, dessen Zinsen als ‚Wohnungsprämien‘ für obigen Zweck Verwendung finden sollen“ (o. A.: Zur Wohnungsfrage, in: Rheinisch-Westfälische Bürger-Zeitung Nr. 43 (23.10.1909), S. 340) (BAL, I/254 I); Vgl. auch Anne Nieberding, Unternehmenskultur im Kaiserreich, S. 186–187 334 Dazu erklärte Carl Duisberg: „Auf diese Weise kann jeder Prämierte auswählen, was er will und sich, wenn sich die Möbel und Haushaltungsgegenstände praktisch und dauerhaft erweisen und weiter gut gefallen, anstelle des alten, und verschlissenen, Ergänzungsstücke besorgen. Das ist das Ziel der Stiftung, daß so die Arbeiter ihre Wohnungen zu schmücken lernen und sich ihr Heim immer wohnlicher, immer häuslicher, immer gemütlicher gestalten“ (Duisberg, Ansprache an die Prämierten der Arbeiter-Wohnungen, S. 49–50 (BAL, 15 G–6); Vgl. Carl Duisberg/Christian Hess: C. Duisberg Prämienstiftung zur Ausschmückung von Arbeiter-Wohnungen, in: Die Erholung 1 (1910), Nr. 6 (September–Oktober 1910), S. 43 (BAL, 15 G–6))

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Beispiel darauf aufmerksam, dass „seitens der C. Duisberg-Prämien-Stiftung“335 von Handwerksmeistern aus Rothenburg o. d. Tauber eine neue Küchen- und Schlafzimmereinrichtung beschafft worden war, die sonntags zwischen 11 und 13 Uhr in der Musterwohnung in Wiesdorf besichtigt werden konnte.336 Aus dem Archivbestand geht hervor, dass sich ein Ausschuss der Prämienstiftung bereits am 10. Januar 1910 mit diesen Möbeln befasst hatte. Sie waren von Karl Fabri entworfen worden und sollten von Tischlern aus Süddeutschland preisgünstig hergestellt werden. Ein halbes Jahr später, am 23. August 1910, beschäftigte sich der Ausschuss wieder mit genau diesen Möbeln. Die acht Ausschussmitglieder waren mit einer Ausnahme, der von Baumeister Blatzheim, der Ansicht, dass die Küche einen recht guten Eindruck macht, dagegen die Schlafzimmer-Möbel, besonders der Schrank, etwas besser ausgeführt sein könnten. […] Zur Zeit ging man von dem Gedanken aus, den Arbeitern billigere Möbel vorzuführen, jedoch sind wir hier etwas zu weit gegangen.337

Mit der Gegenstimme von Blatzheim sprach sich der Ausschuss dafür aus, trotz mancher Mängel auch die Möbel für das Wohnzimmer der Musterwohnung in Rothenburg in Auftrag zu geben, aber: Der Lieferant soll jedoch nochmals ausdrücklich ermahnt werden, bei der Anfertigung der neuen Möbel grössere Sorgfalt zu verwenden, selbst wenn sie etwas teurer werden.338

An diesem Fall wird deutlich, wie genau ein Ausschuss der Prämienstiftung die Möbel hinsichtlich Entwurf, Gestaltung und Preis begutachtete. Der Ausschuss legte ein weiteres halbes Jahr später, am 22. Februar 1911, auch fest, dass die Möbel aus Rothenburg nicht mehr durch den dortigen Lieferanten weiter ergänzt werden sollten, sondern durch einen Schreinermeister aus Wiesdorf. Der Ausschuss hielt in einem anderen Fall die Möbel des Wuppertaler Möbelschreiners Marschner für tadellos, aber für viel zu teuer, so dass der Ausschuss kurzfristig niedrigere Preise durchsetzen und sich langfristig von Marschner trennen wollte.339 Dem Ausschuss ging es um „preiswerte wie auch gediegene und geschmackvolle Möbel“340, wie Karl Fabri, der dem Ausschuss als Beisitzer angehörte, 1912 in dem Kurzen Führer durch das Musterhaus in Wiesdorf, Kolonie II, Dünstraße 48/50 formulierte: Einfach, ohne Staub- und Schmutzecken, aber doch schön, gediegen und zweckentsprechend und vor allem echt soll ein Möbelstück sein. […] Grosse, das ganze Fenster bedeckende, mit möglichst viel Spitzen, Bändchen und Einsetzen besetzte Vorhänge schliessen Luft und Licht ab, und bieten Raum für viel Staub. Einen derartigen Vorhang zu reinigen und zu waschen, verursacht grosse Kosten, abgesehen von den hohen Anschaffungskosten.341 335 Duisberg/Hess, C. Duisberg Prämienstiftung zur Ausschmückung von Arbeiter-Wohnungen, S. 43 (BAL, 15 G–6) 336 Vgl. ebd. (BAL, 15 G–6) 337 Abschrift der Sitzung in der Musterwohnung am 23. August 1910 (BAL, 15 G–6) 338 Ebd. (BAL, 15 G–6) 339 Vgl. Sitzung in der Musterwohnung am 22. Februar 1911 (BAL, 15 G–6) 340 Schreiben von Herrn Krekeler vom 23. März 1914 an den Bildungsverein der Rheinischen Gummi- und Celluloid-Fabrik Mannheim-Neckarau (BAL, 338/036) 341 Fabri, Kurzer Führer durch das Musterhaus in Wiesdorf, S. 3–4 (BAL, 241/5); Vgl. auch Anne Nieberding, Unternehmenskultur im Kaiserreich, S. 188

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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Arbeiterfamilien sollten auf diese Weise zu ‚bürgerlichem Wohnen‘ und Häuslichkeit erzogen werden.342 Darauf zielte nicht nur die bereits angesprochene Wohnprämie. Schon bei der Auswahl ihrer Möbel wurden alle Familien von Architekten ‚beraten‘: „Nach unseren Erfahrungen ist die persönliche Einwirkung auf die Arbeiter unbedingt erforderlich“343, heißt es in einem Schreiben von Bayer an den Bildungsverein der Rheinischen Gummi- und Celluloid-Fabrik Mannheim-Neckarau. Selbst bei der Aufstellung der Möbel in der Wohnung gab ein Architekt noch Anweisungen. Von dieser betrieblichen Geschmacksbildung profitierten auch die Fabrikbeamten. Zu ihnen gehörten beispielsweise Chemiker mit einem Einstiegsgehalt von 3000 Mark344, die damit zum Berufseinstieg, wie Lehrer mit einem ähnlichen Einkommen, dem neuen akademisch gebildeten bürgerlichen Mittelstand zugerechnet werden können345 und in der Lebensführung zumindest am Anfang auch sparen mussten. Wie Carl Duisberg 1908 in einem Brief an Dr. Fritz Rössler, Direktor der deutschen Gold- und Silberscheideanstalt, erläuterte, stieg das Gehalt der Chemiker von 3000 Mark in den ersten fünf Jahren jeweils um 300 Mark auf schließlich 4200 Mark.346 Bei Erfindungen gab es für „fast alle unsere Chemiker grössere oder geringere Erfindungstantième“347, die in Einzelfällen 80.000 Mark oder 100.000 Mark erreichen konnten. Betriebsführer bekamen eine kleine Beteiligung am Reinertrag. Allerdings beklagte sich Duis­ berg auch darüber, dass es nicht einfach sei, geeignete Chemiker zu finden, und er deshalb häufiger Mitarbeitern bereits nach dem ersten Jahr Betriebszugehörigkeit gekündigt habe.348 342 So erklärte Carl Duisberg in einer Ansprache: „Wir haben daher in unseren Kolonien den Werksangehörigen Wohnungen gegeben, in denen sie nicht nur gut leben, sondern in denen sie auch mit ihren Familienangehörigen glücklich fühlen können. Das Glück wohnt aber nicht gern in nackten kahlen Wänden, in Unordnung und Ungemütlichkeit; es verlangt neben peinlichster Sauberkeit schön dekorierte Wände, gute und schöne Möbelstücke und Ausstattungsgegenstände. Wir suchten daher anstelle der oft häßlichen Wohnungseinrichtungen schönere, anstelle der oft geschmacklosen Wanddekorationen geschmackvollere zu setzen. Es schien lohnend, der Schmückung des Heims mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden“ (Duisberg, Ansprache an die Prämierten der Arbeiter-Wohnungen, S. 49) (BAL, 15 G–6). Dazu positiv die Berichterstattung in der Zeitung Confectionär am 12.10.1911: „Es ist anzunehmen, daß die Firma die Möbel zum Selbstkostenpreis abgibt. Dann ist allerdings der Vorteil für die Arbeiter sehr erheblich. Andererseits wird auch damit gerechnet, dass dadurch die Arbeiter seßhafter werden“ (BAL, 15 G–6). Sehr kritisch dagegen der Vorwärts am 10.10.1911: „Wenn der Abzahlungshandel allgemein derart kapitalistisch in ‚eigene Regie‘ übernommen wird, kann ja auch der Lohn für diese Arbeiter allgemein mehr der Lebensnotdurft des ledigen Mannes angepaßt werden, als der des verheirateten. Welche ‚glänzenden‘ Aussichten für die Ausbeuter im Zeitalter der ‚gehobenen‘ Arbeiterexistenz!“ (o. A.: Kreditmöbel als kapitalistische „Wohlfahrt“!, in: Vorwärts (1911), Nr. 237 (10.10.1911), o. S.) (BAL, 15 G–6) 343 Schreiben von Herrn Krekeler (BAL, 338/036) 344 Auskunft von Herrn Hans-Hermann Pogarell von Bayer Corporate History & Archives 345 Vgl. Kap. 4.2.1 346 Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Dr. Fritz Rössler 6.8.1908: Stellung der angestellten Chemiker, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 138–140, hier: S. 139 347 Ebd., S. 138–140 348 Carl Duisberg bat Prof. Eugen Bamberger am 21.1.1893 um Beurteilung eines jungen Bewerbers. Dabei äußerte er sich auch zu den Anforderungen an junge Chemiker: „Mit der Erledigung der Betriebs-Geschäfte ist es bei unseren Betriebsführern nicht getan. Dieselben müssen vom Laboratorium aus die zahlreichen Artikel ihres Betriebes dauernd verbessern und vervollkommnen und ausserdem ihre zahlreichen praktischen Erfahrungen, die sie sammeln, mit Unterstützung von eigenen Assistenten zur Auffindung von neuen Verfahren

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Im Allgemeinen aber wurde nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit der Arbeitsvertrag neu verhandelt, im zehnten Jahr hatten die Chemiker ein durchschnittliches Einkommen von 8000 bis 9000 Mark.349 Dies lag deutlich über dem von Toni Pierenkemper350 errechneten und schon erwähnten Durchschnittseinkommen in bürgerlichen Familien von jährlich 6215,80 Mark. So stellte auch Duisberg fest: Wir haben aber zahlreiche Chemiker, die sich wesentlich besser in ihren Einkommen wie die preussischen Minister stehen, ohne Prokuristen oder gar Direktoren zu sein.351

Die leitenden Fabrikbeamten wohnten direkt am Werk in Leverkusen. Dorthin hatte auch Carl Duisberg seinen Wohnsitz verlegt: Es war fast eine Form der persönlichen Aneignung, da jetzt auch jeder private Gast der Duisbergs zu ihm in ‚seine‘ Fabrik kommen musste. Und Duisberg verlangte das Gleiche von den ‚leitenden Beamten‘ der Farbenfabriken; sie mussten nicht nur zu einem großen Teil von Elberfeld nach Leverkusen ziehen, sondern ihre Wohnung in Werksbauten direkt beim Werk nehmen. Die berühmte ‚Beamtenkolonie‘ wurde ihre neue Heimat.352

Nach Duisbergs Auffassung hing der Erfolg in der chemischen Industrie „fast ausschliesslich“353 von den leitenden Mitarbeitern ab, aber auch von der „anregenden und fördernden Arbeit der bei uns tätigen wissenschaftlichen und kaufmännischen Kräfte“354, also auch der mittleren und unteren Angestellten. Insgesamt spricht Carl Duisberg von „etwa 400 Beamten und ihren Familien“.355 Es sei deshalb wichtig, „die Verhältnisse der Beamten sicher und klar zu stellen“.356 So gab es an der Düsseldorfer Straße eine weitere „Beamtenkolonie“357, wie Wohlfahrtsdirektor Major a. D. Mandel in seinem Bericht über Wohlfahrtseinrichtungen erwähnte. Hier standen 64 Doppelvillen mit Gas, Wasser, Telefon und kleinem Garten für einen Mietpreis zwischen und Produkten zu verwerten suchen. […] Solche Leute, wie wir sie in vereinzelten Exemplaren besitzen, haben die größten Aussichten in unseren Fabriken und werden vorzüglich bezahlt. Leider bilden sich aber die meisten jüngeren Chemiker ein, wenn sie promoviert haben und einige Jahre Assistenten gewesen sind, […] dass sie nichts weiter als ihre Pflicht zu tun haben, also von morgens 8–12 Uhr & nachmittags von 2–6 Uhr zu arbeiten brauchen“ (Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Prof. Dr. Eugen Bamberger 21.1.1893: Anforderungen an die anzustellenden Chemiker, in: Kühlem, Carl Duisberg, S.  84–86, hier: S.  85–86) 349 Vgl. Carl Duisberg, Schreiben an Dr. Fritz Rössler 6.8.1908: Stellung der angestellten Chemiker, S. 140 350 Vgl. Toni Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 166–167 351 Duisberg, Schreiben an Dr. Fritz Rössler 6.8.1908: Stellung der angestellten Chemiker, S. 140; Kordula Kühlem verweist in einer Anmerkung darauf, dass Chemiker bei der BASF 1899 ohne Sondervergütungen im Durchschnitt auf 3827 Mark kamen. (Vgl. Kordula Kühlem, Carl Duisberg, S. 140) 352 Plumpe, Carl Duisberg, S. 144 353 Duisberg, Carl: Schreiben an Prof. Dr. Julius Pierstorff 11.5.1897: Haltung zur sozialen Fürsorge bei Zeiss, in: Kühlem, Carl Duisberg, S. 97–98, hier: S. 97 354 Ebd.; Vgl. dazu auch Werner Plumpe: „Abteilungsleiter und Betriebsführer sollten im Regelfall akademisch gebildete Chemiker sein, da nach Duisbergs Vorstellung nur entsprechend wissenschaftlich gebildete Chemiker in der Lage waren, das richtige technische Verständnis für die Unternehmensleitung aufzubringen“ (Plumpe, Carl Duisberg, S. 137) 355 Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Johannes Walther, 31.12.1911, BAL AS, zit. in: Plumpe: Carl Duisberg, S. 144 356 Schreiben von Carl Duisberg an Prof. Dr. Julius Pierstorff, in: Kühlem, Carl Duisberg, S. 97 357 Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 51 (BAL, 221/17)

7.3  Kaufhäuser als Orte bürgerlicher Wohnwelten

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650 und 1200 Mark.358 Auch den Beamten wurden also, wie den Arbeitern, Werkswohnungen zur Verfügung gestellt. Außerdem konnten sie, wie die Arbeiter, Möbel über Bayer beziehen. Hierfür gab es allerdings das besondere Formular „Möbellieferung an Beamte“.359 Aus ihm geht hervor, dass die Fabrikbeamten in einem Punkt den Arbeitern gleichgestellt waren. Sie konnten genau wie die Arbeiter die Möbel „mieten“360 und auf diese Weise monatlich abzahlen, bis der Preis vollständig beglichen war. Mit dieser Regelung wollte Bayer die „vielbeklagten Mißstände des Abzahlungswesens“361 bekämpfen, von denen offenbar auch Fabrikbeamte betroffen waren. Dieser Aspekt ist deshalb bemerkenswert, weil es, wie in Kapitel 7.1.2 erläutert, in den untersuchten Haushaltsbüchern aus dem bürgerlichen Mittelstand keine Hinweise auf Abzahlungsgeschäfte gibt. Arbeiter und Beamte aus ganz unterschiedlichen Abteilungen wie Kaufhaus, Feuerwehr und Lagerbuchhaltung, Ingenieur-Abteilung und Ingenieur-Verwaltung, Technische Buchhaltung und Pharmazie kauften Möbel.362 Ein Ausschuss der Prämienstiftung wählte bürgerliche Wohnungseinrichtungen aus und Lieferanten aus Köln, Wuppertal oder Leverkusen waren darauf spezialisiert. Von ihnen sind, wie in Kapitel 4 schon erläutert wurde, in den Stadtarchiven Köln, Wuppertal und Leverkusen aber keine Quellen mehr erhalten. Doch es gibt im Bayer-Firmenarchiv etliche Schreiben an Bayer, in denen sich Möbeltischler und Möbelhändler um Aufträge bewerben. Dazu zählten zum Beispiel die 1876 gegründete Elberfelder Möbelfabrik Karl Pasche, die Anfang der 1930er Jahre Mitglied im ‚DeWoKu-Möbelverband‘ wurde, einem

358 Ebd. (BAL, 221/17) 359 Formular Möbellieferung an Beamte (BAL, 338/036) 360 „Zur Vermeidung einer Kollision mit den Bestimmungen des §115 der G. O. verkaufen wir die Möbel an Arbeiter nicht, sondern wir schliessen zunächst einen Mietvertrag nach anliegendem Muster ab. Sobald die Mietzahlungen und Ersparnisse des Arbeiters den Betrag der Anschaffungskosten erreicht haben, gehen die Möbel in den Besitz des Arbeiters über. Die Ratenzahlungen werden vom Lohn eingehalten, da ein anderes Verfahren in unserer grossen Fabrikorganisation nicht möglich ist. […] Der Hauptvorteil der Arbeiter besteht darin, dass sie sowohl preiswerte wie auch gediegene und geschmackvolle Möbel gegen eine verhältnismässig geringe Anzahlung erhalten. Die Anzahlung soll in der Regel 10% betragen. Indessen wird je nach Lage der Verhältnisse häufig auch hiervon Abstand genommen“ (Schreiben von Herrn Krekeler vom 23.3.1914 an den Bildungsverein der Rheinischen Gummi- und Celluloid-Fabrik Mannheim-Neckarau (BAL, 338/036)); Zum genauen Ablauf des Mietkaufs: „Jeder Angestellte, der ein Jahr bei den Farbwerken tätig war und, durch einwandfreie Führung, die Sicherheit für die eingegangene Verpflichtung gewährleistet, kann eventuell Möbel zunächst mietweise erstehen, wofür an Miete 6 pCt [Prozent] des Anschaffungswertes in wöchentlichen Raten bei der Lohnzahlung zu entrichten sind. Als Anzahlung sind 10 pCt zu errichten, und wird diese Anzahlung auf den Namen des Mieters in der „Sparkasse für Arbeiter der Farbenfabriken“ angelegt, sowie mit 5 pCT verzinst; außerdem muß sich der Mieter verpflichten, außer der Miete noch wöchentlich 1 pCT der Kaufsumme zu zahlen, welche Summe ebenfalls der Sparkasse überwiesen und mit 5 pCT verzinst wird“ (o. A.: Eine neue Einrichtung der Farbenfabriken, in: Confectionär, o. J., o. S. (BAL, 15 G–6)). Es ist nicht ganz ersichtlich, auf welchen Zeitraum sich der Zinssatz von 6 Prozent bezieht. Vermutlich handelt es sich hierbei um den Jahreszinssatz. 361 o. A.: Sparweise Hausratbeschaffung, in: Spar-Korrespondent, Nr. 5 (5.9.1912), o. S. (BAL, 15 G–6); In einer Bekanntmachung von Bayer heißt es dazu: „Wir haben diese Einrichtung getroffen, damit in Zukunft unbemittelte junge Eheleute und Familien, die genötigt sind, ihre Wohnungseinrichtung zu ergänzen, nicht mehr darauf angewiesen sind, die Möbel und andere Haushaltungsgegenstände auf Abzahlung zu kaufen“ (o. A., Kreditmöbel als kapitalistische ‚Wohlfahrt‘, o. S.) (BAL, 15 G–6) 362 Vgl. Warenabgabe an Werksangehörige (Möbellieferung) (BAL, 221/9.1)

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

‚Verband zur Förderung deutscher Wohnkultur‘, Wilhelm Schlösser GmbH, Köln, ein Spezialhaus für gutbürgerliche Wohnungseinrichtungen, oder Rahm & Dahmen, vormals Leissner Möbel, Köln, Bürgerliche Wohnungseinrichtungen und Polsterwaren, auch das Möbelhaus Johann Schlüssel, Köln-Mühlheim oder Möbel-Stock, Köln, Spezialhaus für bessere und mittlere Wohnungsausstattungen.363 Es ist interessant, dass der Ausschuss der Prämienstiftung die Berichterstattung über zeitgemäßes Wohnen in Zeitschriften und Zeitungen sehr genau verfolgte. So befindet sich im Archivbestand ein Artikel des Berliner Tageblatts vom 28. August 1913, in dem über eine Ausstellung von Arbeitermöbeln im Berliner Gewerkschaftshaus berichtet wird.364 Eine Kommission unter Leitung des Kunstschriftstellers Robert Breuer, der ja auch über die Ausstellungen im Kaufhaus Wertheim schrieb, hatte drei Typen von Wohnräumen für die Präsentation ausgewählt, von denen eine Peter Behrens entworfen hatte. Bemerkenswert an dem Zeitungsausschnitt ist der maschinengeschriebene Hinweis, dass „bei uns [also bei Bayer] […] die beiden billigsten Einrichtungen“365 der Schreiner Lützenkirchen und Marschner jeweils mit Wohnküche, Schlafzimmer und Wohnzimmer mit 707 Mark beziehungsweise 876 Mark noch günstiger waren als die günstigste komplett eingerichtete Zwei-Zimmer-Wohnung aus dem Berliner Gewerkschaftshaus mit Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche für 884 Mark.366 Das Bayer-Kaufhaus und die C. Duisberg Prämien-Stiftung wollten mit ihrer betrieblichen Geschmacksbildung unter Arbeitern bürgerliche Werte durchsetzen und beeinflussten damit bei Fabrikbeamten die Selbstrepräsentation durch die Wohnungseinrichtung. Anders als das Kaufhaus Wertheim in Berlin setzte Bayer bei den Möbeln nicht auf Entwürfe namhafter Architekten, sondern auf Entwürfe der eigenen Architekten und auf Betriebe aus der näheren Umgebung. Die Möbel sollten haltbar, geschmackvoll und günstig sein. Der Anspruch war der gleiche wie bei Wertheim: ‚echt‘ sollten die Möbel sein, also ohne Imitationen und gediegen. Wie die Werkswohnungen und ihre Einrichtung im Einzelnen aussahen, wird in Kapitel 8.3.3 genauer ausgeführt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei Wertheim und Bayer in stilistischer Hinsicht mit der Entwicklung hin zu haltbaren und schlichten Möbeln wesentliche Forderungen umgesetzt wurden, die auch der Deutsche Werkbund stellte. Diese Entwicklung wird besonders anschaulich, wenn im folgenden Kapitel die Rolle von Messen und Ausstellungen untersucht wird. Sie waren ab 1870 für Hersteller, Händler und Kunden zentrale Orte, um sich über den Möbelmarkt und die neuesten Trends in Herstellung und Gestaltung zu informieren.

363 Vgl. Schreiben von Karl Pasche an Bayer (BAL, 338/036); Vgl. Schreiben von Wilhelm Schlösser an Bayer (BAL, 338/036); Vgl. Schreiben von Johann Schüssel an Bayer (BAL, 338/036); Vgl. Schreiben von Möbel-Stock an Bayer (BAL, 338/036) 364 Vgl. o. A.: Arbeitermöbel. Eine Ausstellung im Gewerkschaftshaus, in: Berliner Tageblatt, Nr. 436 (28.8.1913) (BAL, 241/5) 365 Ebd. (BAL, 241/5) 366 Vgl. ebd. (BAL, 241/5)

7.4  Messen und Ausstellungen

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7.4  Messen und Ausstellungen Draußen in der Stadt geht es lebhaft zu, 4 Wochen dauert die Messe. Auf dem Markt, dem Fleischer- und Augustusplatz sowie Roß- u. Königsplatz sowie in den kl. Läden, dann die gemietheten Läden, es ist eine unglaubliche Menge. Wenn man noch nicht weiß, was Handel ist, hier kann man’s lernen. Ich habe mein Porzellan u. Glas vervollständigt und kam im Vergleich zu Läden entschieden billig[er] weg.367

So schilderte Emilie Bücher in einem Brief an ihre Eltern im Frühjahr 1893, wie die Leipziger Messe die Stadt veränderte. Es waren kleinere und mittlere Fabrikanten, die hier ihre Waren ausstellten und bei den Besuchern aus dem In- und Ausland Interesse wecken wollten. Auch für Detailhändler, Handwerker und Gewerbetreibende war die Leipziger Messe der Ort, um sich einen Überblick über die Produktion und den Wettbewerb zu verschaffen und die neuesten Produkte einzukaufen.368 Es war eine Neuheitenschau, nicht nur für die ‚Großindustrie‘, sondern auch für den Mittelstand. Hier zeigten auch zahlreiche Möbelhersteller und Tischler ihre Möbel. Auch wenn die Leipziger Messe sehr bedeutsam war, die „einzige wirklich internationale und universale Weltmesse“369, hat nicht jeder Betrieb diese Möglichkeit wahrgenommen, um sich dort zu präsentieren. Gleichzeitig entwickelten sich im Kaiserreich „[a]us bescheidenen Anfängen“370 zahlreiche Gewerbeausstellungen, teilweise mehrere Hundert pro Jahr, auf denen sich kleinere Unternehmen über Konkurrenten und die technische Entwicklung informierten und ihre „besonders gute[n] Erzeugnisse“371 ausstellten. So gab es ja 1870 die erste Herforder Gewerbeausstellung, auf der beispielsweise Gustav Kopka als einer der ersten Herforder Möbelfabrikanten seine Möbel zeigte. Von ganz anderer Bedeutung waren die Weltausstellungen, die nach Walter Benjamin „das Universum der Waren auf[bauten]“372 und die in den Zeitungen und Zeitschriften ausführlich besprochen wurden.373 So gingen von der Weltausstellung 1876 in Philadelphia wesentliche Anstöße für die Entwicklung von Holzbearbeitungsmaschinen wie dem Abrichter aus. Wie sehr die Weltausstellungen Herstellung und Gestaltung von Möbeln

367 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an die Eltern vom 27.4.1893, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten, S. 110 368 Vgl. Otto von Laube: Die Leipziger Messe und ihre Bedeutung für das Kunstgewerbe, in: Kunst und Handwerk 80 (1930), H. 2, S. 26–48, hier: S. 26; Vgl. Paul Leonhard Heubner: Die soziale Bedeutung der Leipziger Messe, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 9 (1912) Ostermesse 1912, S. 1–3, hier: S. 2; Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 96 369 Voss, Paul: Der Aufschwung der Leipziger Messe seit 1919, Leipzig [1924], S. 3 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1431 (Bd. 2)) 370 Großbölting, Thomas: Die Ordnung der Wirtschaft. Kulturelle Repräsentation in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen des 19. Jahrhunderts, in: Berghoff, Hartmut/Vogel, Jakob (Hrsgg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt am Main 2004, S. 377–403, hier: S. 382 371 Schmidt, W.: Organisationen und Einrichtungen des Handels, in: o. A. (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands, Bd. 4, Leipzig 1907, S. 600–659, hier: S. 622; Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 189 372 Benjamin, Walter: Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, in: Tiedemann, Rolf (Hrsg.): Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, Bd. 5,1, Frankfurt/M. 1982, S. 45–59, hier: S. 51 373 Vgl. S. R. K.: Die Weltausstellung in Philadelphia, in: Zeitschrift für bildende Kunst 10 (1875), S. 79–82, hier: S. 81

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beeinflussten, soll im Folgenden erläutert werden, bevor dann die Bedeutung der Leipziger Messe für den Möbelmarkt untersucht wird. Den Abschluss bildet ein Blick auf die Industrieund Gewerbeausstellungen.

7.4.1 Weltausstellungen Weltausstellungen waren in der Zeit der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine internationale Leistungsschau für gewerbliche, wissenschaftlich-technische, kunstgewerbliche und künstlerische Erzeugnisse.374 Sie standen für Fortschritt, Wohlstand und Modernität, sie verbanden „Weltlust“375 mit „Belehrung“376 und hatten auf die breite Öffentlichkeit eine ungeheure Anziehungskraft, wie Alexander C. T. Geppert 2010 in Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-Siècle-Europe erläutert: After the immense and largely unexpected success of the epoch-making Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations held in London in 1851 […] international expositions quickly became a recurrent feature of public life in western Europe and the United States.377

Den Anstoß zu dieser ganz neuartigen Form der Ausstellung gab 1850 der 32 Jahre alte kunst­ interessierte Prinz Albert, Ehemann von Königin Victoria, ohne den diese Ausstellung nicht stattgefunden hätte: [D]ieses Zusammenführen der Arbeit der ganzen Welt auf einen einzigen Punkt bedeutete ihm die Vereinigung des Menschengeschlechtes in friedlicher Arbeit.378

formulierte 1900 rückblickend Julius Lessing, Kunsthistoriker und Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, in seinem Vortrag Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen. Aber Lessing sprach zugleich auch von einem „internationalen Kampfspiele“.379 In den Ausstellungshallen ging es auch darum, wie der Reichstagsabgeordnete und spätere Werkbund-Mitbegründer Friedrich Naumann schrieb, „die Lebensentwicklung der herrschenden industriell-kapitalis374 Über Weltausstellungen schreibt Georg Simmel: „An Weltausstellungen ist es ein eigenthümlicher Reiz, daß sie ein momentanes Centrum der Weltcultur bilden, daß die Arbeit der ganzen Welt sich, wie in einem Bilde, in diese enge Begrenzung zusammengezogen hat, […] Es fehlt kein Typus wesentlicher Producte, und so sehr das Material und die Muster dieser aus der ganzen Welt zusammengeholt sind, so haben sie doch hier die abschließende Form erhalten, jedes ist hier erst ein Ganzes geworden“ (Simmel, Georg: Berliner Gewerbe-Ausstellung, in: Die Zeit Nr. 59 (25.7.1896), S. 59–60, hier: S. 59) 375 Geppert, Alexander C. T.: Weltausstellungen, in: Europäische Geschichte Online (EGO), S. 1–5, hier: S. 1. Internet: http://www.ieg-ego.eu/gepperta-2013-de (Zugriff: 13.1.2016). 376 Geppert, Weltausstellungen, S. 1; vgl. Christiane Holm: Bürgerliche Wohnkultur im 19. Jahrhundert, in: Eibach, Joachim/Schmidt-Voges, Inken (Hrsgg.): Das Haus in der Geschichte Europas, Berlin/Boston 2015, S. 233–253, hier: S. 236: „Bereits die erste Weltausstellung in London bildete ein Forum für ein folgenreiches Präsentationsformat der materiellen Wohnkultur, das das wachsende Wissen über die Wohnung als Ort der Formation kultureller Identität sozialpolitisch perspektivierte“ 377 Geppert, Alexander C. T.: Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-Siècle-Europe, Basingstoke 2010, S. 7 378 Lessing, Julius: Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen (Vortrag gehalten in der Volkswirthschaftlichen Gesellschaft zu Berlin, März 1900), in: Volkswirthschaftliche Zeitfragen (1900), H. 174, S. 3–30, hier: S. 6 379 Lessing, Julius: Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Berlin 1874, S. 2

7.4  Messen und Ausstellungen

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tischen Kultur vor Augen zu führen“.380 Bereits 1851, schon acht Monate381 nach Prinz Alberts Vorschlag, fand in London die erste Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations statt. Das war erstaunlich, denn die Widerstände gegen seine Idee waren groß, wie Prinz Albert schrieb: „The whole public […] has all at once made a set against me and the Exhibition“.382 Zum Wahrzeichen der Ausstellung wurde eine völlig neue, riesige Konstruktion ganz aus Glas und Eisen383, deren Skizze der Gärtner Joseph Paxton innerhalb von neun Tagen aus dem Gewächshausbau entwickelt hatte. „The result was the great vaulted transept which gave the buildings its most attractive feature, transforming a long glass box into a cathedral-like structure“.384 Ein Reporter des Punch gab dem auffälligen Gebäude im Hyde Park den Namen: Crystal Palace.385 Hier waren nicht nur Errungenschaften aus Europa und den USA zu sehen, sondern zum ersten Mal auch aus den britischen Kolonien. 6.039.195 Besucher kamen in den 141 Tagen der Weltausstellung nach London.386 Überall im Land organisierten Gruppen Fahrten zur Ausstellung. Arbeiter bekamen Urlaub, Werftarbeiter in Portsmouth zum Beispiel sechs Tage und mit ihrem Wochenlohn gründeten sie einen Fonds, um die Fahrt nach London zu finanzieren.387 Queen Victoria nannte die Ausstellung ein „peace festival“.388 Sie war ein so großer und überraschender Erfolg389, dass Weltausstellungen danach in unregelmäßigen Abständen veranstaltet wurden. Das geschah anfangs mehrmals in London und Paris, weil nur diese beiden Metropolen die notwendige Infrastruktur für solche Großereignisse besaßen.390 Später wurden sie auch in Wien und Brüssel, aber auch in den USA, nämlich in Philadelphia, Chicago, St. Louis und San Francisco veranstaltet.

380 Naumann, Friedrich: Pariser Briefe, in: Ders. (Hrsg.): Ausstellungsbriefe: Berlin, Paris, Dresden, Düsseldorf 1896–1906, Basel/Gütersloh 2007 [1909], S. 46–94, hier: S. 57 381 Vgl. Julius Lessing, Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen, S. 7 382 Langdon-Davies, John (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43, London 1971, o. S.; John Langdon-Davies (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: I. The Great Exhibition, London 1971, o. S.: “Abuse came from every direction: the religious fanatics warned that the Almighty would bei angry with such a presumptuous scheme as He had been with the Tower of Babel; radicalscried that it was illegal to build in Royal Parks; agricultural interests pointed outh that they had been forgotten in the glorification of town civilization with its factoriers, its coal and steel, its heavy industry”. 383 Vgl. John Langdon-Davies (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: II. Mr. Paxton’s Crystal Palace, London 1971, o. S. 384 Ebd. 385 Vgl. ebd. 386 Wyss, Beat: Bilder von der Globalisierung. Die Weltausstellung von Paris 1889, Berlin 2010, S. 184; Vgl. John Langdon-Davies (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: IV. The Visitors, London 1971, o. S. 387 Vgl. John Langdon-Davies, The great exhibition 1851: IV. The Visitors, o. S. 388 Langdon-Davies, John (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: V. After the Exhibition, London 1971, o. S. 389 „In its after-effects, the significance of the Great Exhibition as the first decidedly international exposition with its 19,000 exhibits on display and a prevailing ‘spirit of encyclopaedism’ cannot be overstated. It defined mid-century Britain. Establishing an unsurpassed founding myth and profoundly shaping the new medium, the syntax inaugurated in the Great Exhibition remained the standard for decades to come” (Geppert, Fleeting Cities, S. 7) 390 Vgl. Julius Lessing, Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen, S. 15

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

In London sahen die Besucher 1851 „die absolute Überlegenheit des französischen Kunstgewerbes“391, wie Lessing urteilte. Auch als Reaktion darauf entstanden überall im späteren Kaiserreich Kunstgewerbevereine392, die die Entwicklung der folgenden Jahrzehnte in Deutschland bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs maßgeblich mitbestimmen sollten. Was Wohnen und Einrichten betrifft, ergeben die Präsentationen des Kaiserreichs zu den verschiedenen Weltausstellungen eine Stilgeschichte, die in Wien 1873 bei der Suche nach einem ‚deutschen Stil‘ in Abgrenzung zum lange vorherrschenden französischen Geschmack beginnt und in San Francisco 1915 bei der modernen, schlichten Zweckmäßigkeit im Stil des Deutschen Werkbundes endet. Wesentliche Stationen dieser Entwicklung sollen im Folgenden am Beispiel einzelner Weltausstellungen und anhand der Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften aufgezeigt werden. Dabei gilt natürlich, dass die auf Weltausstellungen gezeigten Möbel in den meisten Fällen keine Gebrauchsgüter waren: „zu groß für die zeitgenössischen Wohnungen, zu teuer für die bürgerlichen Käuferschichten und zu kompliziert konstruiert für eine maschinelle Herstellung“.393 Diese Möbel dienten vor allem als Symbole wirtschaftlicher und kultureller Leistungsfähigkeit. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 trat Deutschland erstmals richtig in Erscheinung. Es war ja bei ersten Weltausstellung in London 1851 kaum aufgefallen, aber auch in Paris 1855, London 1862 und Paris 1867 spielten die teilnehmenden deutschen Staaten keine herausragende Rolle.394 Immer präsentierten sie „eine Anzahl kleiner Verschläge […], mit nüchternen in akademischer Steifheit aufgeführten Trennwänden“.395 In Paris 1867 fanden zwar einzelne Kunstwerke Beachtung, zum Beispiel das von dem Berliner Bildhauer Friedrich Drake für die Kölner Hohenzollernbrücke geschaffene Reiterstandbild von König Wilhelm I. von Preußen, aber wieder konnten deutsche Erzeugnisse weder neben denen der englischen Industrie noch denen des französischen Kunstgewerbes bestehen.396 Die Weltausstellung in Wien 1873, die erste nach der Reichsgründung, nutzte die junge deutsche Nation zur Selbstdarstellung. Im Kunstgewerbe wurden Entwicklungen erkennbar, die in den folgenden Jahrzehnten die Diskussion über zeitgemäßes Einrichten im Kaiserreich bestimmen sollten. Erstmals präsentierte sich in Wien ein vorwiegend mit Formen aus der Renaissance verzierter ‚deutscher Stil‘397, den „verschiedene Hauptorte der Tischlerei, wie Mainz, Karlsruhe, Breslau, Dresden, Berlin […] ausdrücklich auf ihre Fahne schreiben“.398 391 Haenel, Erich: Das deutsche Kunstgewerbe im 19. Jahrhundert, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, 12. Heft Michaelismesse 1913, S. 5–8, hier: S. 6 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 708–715); Vgl. Robert Ellis: Official descriptive and illustrated catalogue, Bd. 2, London 1851, S. 729–746 392 Vgl. Jörn Bahns: Zwischen Biedermeier und Jugendstil: Möbel im Historismus, München 1987, S. 22 393 Miller, Weltausstellungsmöbel 1851–1867, S. 193 394 Vgl. Julius Lessing, Weltausstellungen, S. 21; Vgl. Stefan Muthesius, Communications, S. 10 395 Lessing, Weltausstellungen, S. 21 396 Vgl. Julius Lessing, Weltausstellungen, S. 21; Die deutschen Möbel, allen voran die aus Berlin, seien, so Jakob Falke, „durchweg zu schwer gehalten“ (Falke, Jakob: Die Kunstindustrie der Gegenwart. Studien auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867, Leipzig 1867, S. 53) 397 Vgl. Klaus-Peter Arnold: Vom Sofakissen zum Städtebau. Die Geschichte der Deutschen Werkstätten und der Gartenstadt Hellerau, Dresden/Basel 1993, S. 14 398 Falke, Jakob: Das Kunstgewerbe, in: Lützow, Carl Friedrich Adolf, von (Hrsg.): Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Leipzig 1875, S. 41–181, hier: S. 68

7.4  Messen und Ausstellungen

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Diese ‚deutsche Renaissance‘ sollte zum nationalen Stil werden und dem neuen Staat historisches Bewusstsein und Tiefe geben. Unumstritten war dieser Stil nicht, wie die in Kapitel 5.2.2 erwähnte Kontroverse zwischen Jakob Falke und Georg Hirth schon deutlich machte. Falke und auch Lessing hielten eine Abgrenzung durch einen Nationalstil für Unfug.399 Trotzdem sah Falke doch mit Vergnügen und nicht ohne Ueberraschung, wie überall von Berlin bis Mainz und Karlsruhe in der reicheren Hausausstattung die Renaissance durchgedrungen ist, als wäre vom Zopf und moderner französischer Art nichts mehr zu spüren.400

Auch für Julius Lessing war es sehr begreiflich, daß unsere Möbeltischler, welche sich aus der strengen Knappheit der früheren Form heraussehnen, wieder nach dem reichen Gliederschmuck der Barockperiode greifen. […] [M]it dem Schnörkelkram der späteren Periode kommt man leichter zurecht.401

Diese Ansicht, handwerkliches Können nur bei reicher Verzierung beweisen zu können, war damals unter Tischlern weit verbreitet. Deshalb wird in Kapitel 8 untersucht, wie Tischlerfachschulen und Tischlerzeitschriften auf die Diskussionen zur Stilentwicklung eingingen. Auf der Wiener Weltausstellung war der ‚deutsche Stil‘ nicht die einzige Neuerung. Erstmals wurden auch einzelne vollständige Zimmereinrichtungen und die darauf abgestimmte Dekoration präsentiert, nicht mehr nur einzelne ausgewählte Möbel oder kleinere Möbelgruppen. Die Einheitlichkeit der Einrichtung, die Kunsthistoriker und Kunstgewerbelehrer immer wieder gefordert hatten, wurde so für die Besucher nachvollziehbar.402 Für Lessing war die Welt­aus­ 399 So schreibt Julius Lessing: „Wir müssen noch so oft hören, daß es Pflicht Deutschlands wäre, sich von den Vorbildern des Auslands, besonders Frankreichs, frei zu machen […] aber aus dem Prinzip heraus etwas spezifisch Deutsches schaffen zu wollen, ist bei der nahen Verbindung der Kulturvölker Europas absolut unmöglich und ist auch zu keiner Zeit geschehen. […] Wir haben die Renaissance aus Italien, wir haben die Gothik, in die man uns mit deutschthümlichen Redensarten hat hineinjagen wollen, direkt aus Frankreich bekommen, aber jede dieser Kunstformen ist in Deutschland umgewandelt und eigenartig ausgebildet worden. In unserer Zeit, welche den Verkehr der Nationen so außerordentlich befördert hat, ist an eine Abgeschlossenheit noch weniger als in früheren Perioden zu denken.“ (Lessing, Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, S. 4–5). Auch Falke hatte ja einen Nationalstil für unmöglich gehalten, auch weil er sich nicht in Ausland exportieren ließe. Vgl. dazu Kap. 5.2.2 400 Falke, Jakob: Die Kunstindustrie auf der Wiener Weltausstellung 1873, Wien 1873, S. 131; An anderer Stelle schreibt Jakob Falke: „In der Ausstellung von Schönthaler, von Fr. O. Schmidt, von Dübell, auch bei einzelnen Tapezierern, wie Backe, finden wir eine grosse Zahl vortrefflicher und gelungener Sitzmöbel in Geist und Stil der Renaissance, so vorwiegend, dass offenbar die Richtung des modernen Geschmacks hierin geht. Wenn die Franzosen in der Mehrzahl noch widerstreben, so werden sie entweder diesen Widerstand aufgeben und umkehren müssen oder in Zukunft isolirt bleiben.“ (Falke, Die Kunstindustrie auf der Wiener Weltausstellung, S. 401); Vgl. zum Inbegriff moderner Möbeltischlerei auch Julius Lessing, Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung, S. 57 401 Lessing, Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung, S. 57 402 Im Amtlichen Bericht der Deutschen Reichskommission über die Wiener Weltausstellung heißt es: „Eine Ausstellung ganzer Zimmer mit ihrer Einrichtung und Ausschmückung wird stets anregend und geschmacksbildend wirken, indem sie die Vorzüge der Einheitlichkeit in der Ausstattung eines abgeschlossenen Raumes in’s rechte Licht setzt, indem sie veranschaulicht, wie ein Gemach in seinen wesentlichen Möbeln ein dem bestimmten Zweck harmonisch dienendes Ganzes darstellen kann, in welchem jedes Stück sich als eine nothwendige Ergänzung der übrigen darbietet, wie bei der bereichernden Ausschmückung mit Werken der bildenden Kunst, mit Erzeugnissen der textilen, keramischen und metallotechnischen Künste im

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stellung so bedeutsam, dass er seine für die Nationalzeitung geschriebenen Berichte in dem Buch Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873 zusammenfasste, um dem Publikum die Bedeutung wirklich tüchtiger Arbeiten gegenüber dem gewohnheitsmäßigen Mittel­ gut dar[zu]legen.403

Darin wirft Lessing zwei Grundfragen der Wohnungseinrichtung im Kaiserreich auf. Zum einen fragt er nach der Qualität der Durchschnittsmöbel, bei denen an Material und Arbeitskraft gespart wurde404, weil sie unter Einsatz der neu entwickelten Holzbearbeitungsmaschinen gefertigt wurden. So waren Ornamente beispielsweise billig und massenhaft verwendbar, weil sie nicht mehr von Hand geschnitzt, sondern aus künstlicher Masse zusammengepresst und anschließend aufgeleimt wurden.405 Zum anderen erwähnt Lessing die Wohnverhältnisse und fragt, welche Anforderungen an Möbel und Zimmereinrichtung sich daraus ergeben: Welche Familie, die nicht ein eigenes Haus besitzt, hat jetzt noch den Muth, jene großen, prächtigen Schränke herstellen zu lassen, welche einen Theil des Zimmers ausmachen, mit der Täfelung verwachsen sind und dem Zimmer jenen Charakter reichlichen Besitzes und dem Auge entzogenen Vorrathes geben, den das leicht beweglichen Salonmeublement von Stühlen, Tischchen und Etageren nie zu verleihen vermag? Wir müssen unseren ganzen Hausrath darauf einrichten, daß er überall hin paßt, und daher gehört er nirgends nothwendig hin […] Wenn unsere Wohnungsverhältnisse mit dem Miethskasernentum sich weiter entwickeln, so wird man bald dahin kommen, daß man ein selbständiges Meublement, mit welchem man alle Paar [sic!] Jahre umziehen muß, für überflüssig erachten und die Wohnungen für Familien gleich möblirt vermiethen wird. […] [D]amit wird natürlich jeder individuellen Bethätigung des Geschmackes, jeder wirklichen Behaglichkeit der Boden entzogen.406

Dieser Zusammenhang von Wohnungsgröße und Einrichtung, wie ihn hier der Kunsthistoriker Julius Lessing anspricht, spielte in Berichten über spätere Weltausstellungen lange Zeit keine Rolle mehr. Meistens ging es um einen einheitlichen Stil in der Einrichtung, die Originalität des Entwurfs, die Qualität der Ausführung oder der Präsentation. Die Frage nach einer angemessenen Wohnungseinrichtung, die den Ansprüchen bürgerlicher Selbstrepräsentation genügte und den Wohnverhältnissen entsprach, wurde ungefähr erst 25 Jahre später wieder diskutiert, als Zeitschriften Preisausschreiben für Einrichtungen von Mietwohnungen veranstalteten, wie im Kapitel 7.5 erläutert wird. Die nächste Weltausstellung, die aus Anlass der Hundertjahrfeier der USA 1876 in Phila­ delphia stattfand, löste im Kaiserreich eine heftige Kontroverse aus, weil Deutschland nach übereinstimmendem Urteil ‚billige Massenwaare“407 zeigte, „ökonomisch kleinlich, technisch Dienste desselben Grundgedankens zu verfahren ist“ (Deutsche Reichskommission: Amtlicher Bericht über die Wiener Weltausstellung im Jahre 1873, Braunschweig 1874, S. 373); Falke schreibt: „Vielleicht den einheitlichsten Eindruck macht die Ausstellung der deutschen Möbel mit den dazu gehörigen Zimmerdecorationen. Nur hat das Arrangement mit seinen Draperien, mit der Unruhe des hereinhängenden Kronleuchters wieder Manches verdorben.“ (Falke, Kunstindustrie Wiener Weltausstellung, S. 131) 403 Lessing, Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung, o. S. 404 Vgl. ebd., S. 53 405 Vgl. ebd., S. 60 406 Ebd., S. 52–53 407 Lessing, Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen, S. 26

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rückständig, ästhetisch minderwertig“408, „unvollständig im Ganzen und unzureichend in vielem Einzelnen“409, aber in einem offenbar alles beherrschenden nationalen Stil: Deutschland ist unter den europäischen Ländern das einzige, welches die Taktlosigkeit begangen hat, Kriegs- und Siegesbilder zum friedlichen Wettkampfe zu schicken.410

schreibt ein anonymer Autor 1876 in seinem Artikel Die Kunst auf der Weltausstellung in Philadelphia. Es gebe in der deutschen Abteilung „keine anderen Motive mehr als tendenziös-pa­ trio­tische“411, schrieb der Ingenieur Franz Reuleaux, ein Weggefährte von Werner von Siemens und Jury-Mitglied bei der Weltausstellung, gleich im ersten seiner in der Nationalzeitung abgedruckten Briefe aus Philadelphia und erwähnte ein beschämendes Gefühl, wenn wir die Ausstellung durchwandern und in unserer Abtheilung die geradezu bataillonsweise aufmarschirenden Germanien, Borussien, Kaiser, Kronprinzen, ‚red princes‘, Bismarcke, Moltken, Roone betrachten, die in Porzellan, in Biscuit, in Bronze, in Zink, in Eisen, in Thon, die gemalt, gestickt, gewirkt, gedruckt, lithographiert, gewebt an allen Ecken und Enden uns entgegenkommen. Und nun in der Kunstabteilung gar zweimal Sedan! […] Muss man nicht den Chauvinismus und Byzantinismus als bei uns in höchster Blüthe stehend annehmen?412

Daraufhin wurde Reuleaux Vaterlandsverrat vorgeworfen.413 Aber er stieß auch deshalb auf so heftigen Widerspruch, weil er der deutschen Industrie den Grundsatz ‚billig und schlecht‘ unterstellte414 und im dritten seiner Briefe diesen Vorwurf erläuterte. Die Industrie kenne nur die Konkurrenz durch immer weiter herabgesetzte Preise, nicht aber die Konkurrenz durch Steigerung der Qualität bei gleichbleibendem Preis.415 Reuleaux’ Kritik wird sicherlich auch die Möbelherstellung und die aufkommende Serienfertigung betroffen haben, auch wenn sich der Ingenieur in seinen Briefen nicht zu den deutschen Möbeln auf der Weltausstellung äußert. Er spricht nur von dem „Mangel an Geschmack im Kunstgewerblichen und Mangel an Fortschritt im rein Technischen“416 und lobt dagegen die Stahlwaren aus USA, beispielsweise die Holzbearbeitungsmaschinen. Insbesondere die Sägen seien von allererstem Rang. Ich will gleich hinzufügen, dass die größeren Sägemaschinen, die Blocksägen, Gattersägen u. s.w. auf einer Höhe der Entwicklung angelangt sind, daß auch in dieser Beziehung wir sehr viel zu lernen haben.417

Reuleaux‘ deutliche Kritik an der Industrie und ihren Erzeugnissen sollte viele Jahre später Wirkung zeigen. Denn auf der Weltausstellung in Chicago 1893 präsentierte das Kaiserreich 408 Waentig, Heinrich: Wirtschaft und Kunst. Eine Untersuchung über Geschichte und Theorie der modernen Kunstgewerbebewegung, Jena 1909, S. 252 409 Reuleaux, Franz: Briefe aus Philadelphia, Braunschweig 1877, S. 10 410 o. A.: Die Kunst auf der Weltausstellung in Philadelphia, in: Zeitschrift für bildende Kunst 11 (1876), S. 326– 330, hier: S. 328 411 Reuleaux, Franz, Briefe aus Philadelphia, S. 5 412 Ebd., S. 5–6 413 Vgl. dazu auch Johannes Bähr, Werner von Siemens, S. 318 414 Vgl. Franz Reuleaux, Briefe aus Philadelphia, S. 5 415 Vgl. ebd., S. 12 416 Ebd., S. 6 417 Ebd., S. 59

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„zum ersten Male Macht und Glanz seiner Industrie“418, wie Lessing feststellte. Bis dahin war es jedoch ein langer Weg. Denn in der Zeit zwischen 1876 in Philadelphia und 1893 in C ­ hicago spielte Deutschland auf den Weltausstellungen keine besondere Rolle mehr. Es war zum „Aschenbrödel unter den Industrien Europas herabgesunken“.419 Bei der Weltausstellung in Paris 1878, die 16.156.626 Besucher420 hatte, hielt sich das Kaiserreich lange zurück. So hatte die Wirtschaft nach den schlechten Erfahrungen in Philadelphia zwei Jahre später kein Interesse daran, sich schon wieder auf einer Weltausstellung zu präsentieren, wie zum Beispiel in dem Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für die Jahre 1876 und 1877 in deutlichen Worten zu lesen ist.421 Deutschland schickte erst kurz vor Beginn von einem Münchener Künstler innerhalb von vierzehn Tagen ausgewählte Ausstellungsstücke für die Kunstabteilung.422 In der Berichterstattung wurden englische Möbel hervorgehoben, die in Paris 1878 wegen ihrer schlichten Zweckmäßigkeit auffielen und ohne Rückgriff auf einen historischen Stil auskamen. Beachtung fanden auch japanische Malereien und Seidenstickereien mit rein dekorativen Tier- und Pflanzenmotiven. Die dann folgenden Weltausstellungen in Sidney 1879, Melbourne 1880 und 1888 hatten für Europa keine Bedeutung, und an der Weltausstellung in Paris 1889 beteiligte sich Deutschland nicht. Wie Beat Wyss in seinem 2010 veröffentlichten Buch Bilder von der Globalisierung. Die Weltausstellung von Paris 1889 erläutert, war schon zwei Jahre zuvor klar gewesen, dass das „offizielle Europa durch Abwesenheit glänzen würde“423 und Queen Victoria nannte den Grund: die großen Feiern hundert Jahre nach der Französischen Revolution. Die Franzosen vermuteten Fürst Otto von Bismarck als Hintermann des Boykotts und fühlten sich durch die Absagen angespornt. Sie wollten jetzt die schönste Weltausstellung, die die Welt je gesehen hatte.424 Auf der Weltausstellung in Chicago, die 1893 anlässlich des 400. Jahrestages der Entdeckung Amerikas stattfand, war das deutsche Kunstgewerbe wieder dabei. Es zeigte Möbel aus Palisander, Mahagoni und Rosenholz in verschiedenen historischen Stilen.425 Es blieb aber nicht 418 Lessing, Die Weltausstellungen, S. 27 419 Rosenberg, Adolf: Das Kunstgewerbe auf der Pariser Weltausstellung, Teil 1, in: Zeitschrift für bildende Kunst 14 (1879), S. 15–22, hier: S. 19 420 Vgl. Beat Wyss, Bilder von der Globalisierung, S. 184 421 „In Erwägung, daß bei einer so raschen Aufeinanderfolge eine Förderung der Industrie durch die Weltausstellungen nicht zu erwarten sei; daß ferner die in der Verfügung in Aussicht gestellte Beihülfe der Regierung ungenügend erscheine, um eine würdige Vertretung der deutschen Industrie in Paris zu ermöglichen; in weiterer Erwägung, daß die Beurtheilung der deutschen Industrie Seitens des Vertreters der Reichsregierung bei der Philadelphia-Ausstellung die deutschen Interessen, namentlich auf dem ausländischen Markte, auf das empfindlichsten geschädigt habe und man bei der Billigung eines solchen Verfahrens, welche in dem Stillschweigen der Regierung erblickt werden müsse, keine Gewähr gegen die Wiederholung desselben finden könne, müsse sich die Kammer gegen eine Betheiligung der deutschen Industrie bei der Ausstellung zu Paris aussprechen“ (o. A.: Pariser Weltausstellung, in: Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für die Jahre 1876 und 1877, umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Theil des Kreises Herford, S. 29) (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) 422 Vgl. Julius Lessing, Die Weltausstellungen, S. 24 423 Wyss, Bilder von der Globalisierung, S. 59 424 Vgl. ebd. 425 Vgl. Julius Lessing: Das Kunstgewerbe, in: o. A.: Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches auf der Weltausstellung in Chicago, Berlin 1893, S. 126–131, hier: S. 128; Vgl. Jan Whitaker, Wunderwelt Warenhaus, S. 12

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mehr nur bei dem etwa bis 1880426 vorherrschenden ‚Nationalstil‘, der ‚deutschen Renaissance‘, der nämlich in dem kurzen Zeitraum von kaum zwei Dezennien […] das Barock, das Rococo, der Zopfstil und neuerdings unter englischen Einfluß der Empire-Stil und japanische Stilformen gefolgt sind.427

wie es in dem von Leopold Gmelin herausgegebenen Band Das deutsche Kunstgewerbe zur Zeit der Weltausstellung in Chicago 1893 heißt. Jetzt mussten Möbeltischler viele Stile ausführen können, weil ein „einheitlicher Stilcharakter“428 fehlte. Dieser später kritisierte Stilpluralismus muss auf der Weltausstellung in Chicago in deutlichem Kontrast zu dem gestanden haben, was die USA präsentierten: das Geheimnis einer ‚Nutzkunst‘, die die Gesetze praktischer und hygienischer Zweckmäßigkeit mit den Anforderungen eines neuartigen und reizvoll individuellen Geschmacks zu vereinen suchen,429

wie es Richard Graul rückblickend in seinem Buch Die Krisis im Kunstgewerbe formulierte. Auf der Weltausstellung in Paris 1900 präsentierte sich das Kaiserreich „zum ersten Male innerhalb der europäischen Ausstellungen geschlossen und mit Aufwendung wirklicher Mittel“.430 Es zeigte sich mit einem Ausstellungsbau, der einem spätmittelalterlichen Rathaus nachempfunden war. Aber viele dort ausgestellte Möbel hatten nichts mehr von ‚deutscher Renaissance‘ oder anderen Rückgriffen in die Stilgeschichte wie auf der Weltausstellung in Chicago 1893.431 Es gab noch historisierende Formen wie zum Beispiel einen Salon der Frankfurter Firma Schneider & Hanau im Louis-XVI.-Stil432, aber erstmals wurden auch ‚moderne‘, den Erfordernissen des Alltags entsprechende sparsam verzierte Möbel und Räume gezeigt. Die Entwürfe stammten zum Beispiel von Richard Riemerschmid, ­Bruno Paul und Bernhard Pankok von den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München oder von Joseph Maria Olbrich von der Darmstädter Künstlerkolonie Mathil­denhöhe. Diese 1899 vom hessischen Großherzog Ernst Ludwig gegründete Künstlerkolonie und die ein Jahr zuvor von Riemerschmid mitbegründeten Werkstätten machten Darmstadt und München zu Zentren eines ‚neuen Stils‘ im Kaiserreich, der in Paris erstmals 426 Vgl. Julius Lessing, Kunstgewerbe, Amtlicher Katalog Deutsches Reich, S. 128 427 Gmelin, Leopold: Das deutsche Kunstgewerbe zur Zeit der Weltausstellung in Chicago 1893, Bd. 1, Paris 1893, S. 23 428 Ebd., S. 26; An diesem Stilpluralismus hatte Falke schon zur Weltausstellung 1851 in London am Beispiel der französischen Abteilung deutlich Kritik geübt: „Der heutige Franzose lebt, was die Kunst betrifft, im achtzehnten Jahrhundert, er schläft auch darin, aber er speiset im sechszehnten [sic!]. Das ist die Regel, während Salon und Schlafzimmer im Stil Louis XV. und XVI. gehalten sind, das Speisezimmer im Stil der Renaissance eingerichtet ist […] Wir kennen ein vornehmes, von einem französischen Decorateur eingerichtetes Haus in Wien, worin man die ganze Kunst- und Culturgeschichte an einem Tage durchleben kann“ (Falke, Das Kunstgewerbe, S. 46) 429 Graul, Richard: Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): Die Krisis im Kunstgewerbe. Studien über die Wege und Ziele der modernen Richtung, Leipzig 1901, S. 39–52, hier: S. 39–40 430 Lessing, Weltausstellungen, S. 29 431 Vgl. Ferdinand Luthmer: Möbel und Zimmereinrichtungen auf der Pariser Ausstellung, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 12 (1901), H. 8, S. 148–156, hier: S. 149 432 Vgl. ebd., S. 151

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international Beachtung fand.433 So schrieb ein Jahr später Rudolf Rücklin in seinem Aufsatz Die moderne Dekorationskunst im Lichte der Pariser Weltausstellung im Kunstgewerbeblatt: Es ist modern, mit ganz wenigen Ausnahmen; nicht in dem Sinne freilich, der jeden Anklang, jedes Anknüpfen an Bewährtes, Historisches verpönt, aber in dem, der sich scheut, einfach Wiederholungen, oder Arbeiten zu bringen, die lediglich als Beweise einer alteingesessenen, künstlerischen Routine gelten können.434

In Paris zeigte sich, dass der Historismus seine beherrschende Stellung in der Stilentwicklung eingebüßt hatte. ‚Moderne‘ Formen ohne Anleihen an historisierende Vorbilder wurden immer stärker und prägten auf der nächsten Weltausstellung 1902 in Turin die deutsche Abteilung.435 Einige historisierende Möbel, die sich im Möbelhandel noch gut verkauften, wurden trotzdem ausgestellt, auch wenn sie als überholt galten, wie Georg Fuchs 1902 in seinem Aufsatz über die Wohnräume der Deutschen Abteilung in der von ihm geleiteten Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration notiert: Die Dresdener Werkstätten für Handwerks-Kunst greifen noch tiefer in das bürgerliche Wesen hinein […] Ja sie gehen schon ein wenig zu weit herab: aus der romantischen Dachstuben-Poesie und den Bohème-Manieren Derer, die mit der langen Pfeife in Hemdsärmeln hinterm Maßkrug sitzen und Karten dreschen oder für Richard Wagner schwärmen, aus dieser ganzen ‚gemütvollen‘ Barbarei, die die Deutschen so lange unbeliebt und lächerlich machte, wollen wir ja gerade heraus! Mehr Weltmännischkeit thut uns not – auch im sog. ‚Mittelstande‘, gerade da, denn der repräsentiert die ‚kompakte Majorität‘ der ‚Gebildeten.436

Wieder sind es englische Möbel, die Fuchs wegen ihrer „ohne jede Reflexion verständliche[n] Einfachheit“437 besonders hervorhebt. Er verlangte wie Jakob Falke und andere Reformer im Kunstgewerbe einen aus dem modernen Alltag entwickelten Stil, der anders ist als die „Notwendigkeiten, aus denen die alten und fremdländischen Stile entstanden“.438 Als besonders gelungenes Beispiel für eine nüchterne Gestaltung in der deutschen Abteilung erwähnt Fuchs das von Bruno Paul entworfene Speisezimmer aus weißem Eschenholz (Abb. 32). Dagegen erinnert ihn Bernhard Pankok mit Salon und Rauch-Zimmer

433 Vgl. Otto N. Witt: Weltausstellung in Paris 1900. Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reichs, Berlin 1900, S. 324–329; Vgl. W. Fred: Die Wohnung und ihre Ausstattung, Bielefeld 1903, S. 72; Zu den deutschen Möbelfirmen gehörte auch die 1871 gegründete Darmstädter Firma Ludwig Alter. Für die Ausstellung brachte Alter „Räume und Möbel in technischer Vollendung zur Ausführung“. (o. A., Denkschrift zum 50-jährigen Geschäftsjubiläum des Hauses Ludwig Alter Darmstadt 1871–1921, S. 45) (HWA, Fm 46) 434 Rücklin, Rudolf: Die moderne Dekorationskunst im Lichte der Pariser Weltausstellung, in: Kunstgewerbeblatt NF 12 (1901), H. 3, S. 41–50, hier: S. 46 435 Popp, Josef: Die Deutschen Werkstätten. Ein Beitrag zur Geschichte der neuen Raumkunst und des Kunstgewerbes in Deutschland, o. O. ca. 1920, S. 20 (SHStAD 573); Paris war auch ein wirtschaftlicher Erfolg. Die auf der Ausstellung abgeschlossenen Verkäufe lagen bei rund 26 Millionen Mark (Vgl. Johannes Buschmann: Der wirtschaftliche Nutzen der Ausstellungen, in: Die Leipziger Messe, 4. Heft Michaelismesse 1909, S. 1–6, hier: S. 5) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 436 Fuchs, Georg: Die Wohnräume der Deutschen Abteilung der Turiner Ausstellung, in: Deutsche Kunst und Dekoration 11 (1902), S. 45–64, hier: S. 48 437 Ebd., S. 47 438 Ebd.

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32  Speisezimmer von Bruno Paul in ­ eißem Eschenholz, in: Fuchs, Georg: w Die Wohn-Räume der Deutschen Abteilung, in: Deutsche Kunst und Dekoration 11 (1902), S. 45–64, hier: S. 54

trotz seiner ausserordentlichen Qualität noch an das Künstlertum, das […] auf menschenfernen Ateliers in kunstgewerblichen Titanen-Träumen schwelgte.439

Zwei Jahre später, auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis, setzte sich in der deutschen Abteilung der zweckmäßige Stil endgültig durch. Die vielbeachteten Entwürfe stammten von den bekannten Architekten des ‚modernen‘ Stils, den „besten Künstler[n]“440, also Richard Riemerschmid, Peter Behrens, Bruno Paul, Bernhard Pankok oder Joseph Maria Olbrich. Auch die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst zeigten moderne Entwürfe und erhielten dafür den Grand Prix.441 Mit München, Darmstadt und Dresden erschien das Kaiserreich dem Schriftsteller Josef August Lux in St. Louis sogar als „künstlerische Großmacht“.442 Er stellte in seinem 1908 erschienenen Buch Das neue Kunstgewerbe in Deutschland einen „fast völligen Umschwung der künstlerischen Anschauungen in Deutschland“443 fest. Auch Hermann Muthesius, als Architekt ein Theoretiker des ‚modernen‘ Stils und 1907 Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, schreibt als Regierungsrat im Preußischen Handelsministerium über die deutsche Ausstellung in St. Louis, dass 439 Ebd. 440 Waentig, Wirtschaft und Kunst, S. 282; Vgl. o. A.: Weltausstellung St. Louis, o. O. 1903, S. 266 441 Vgl. o. A.: Betriebsgeschichte der Deutschen Werkstätten Hellerau, o. J. (SHStAD 3152); Vgl. Müller: Bericht über Karl Schmidt, o. O. 1945, S. 4 (SHStAD 3152); Vgl. Leo Nachtlicht: Deutsches Kunstgewerbe St. Louis 1904, Berlin 1904, S. 15 442 Lux, Joseph August: Das neue Kunstgewerbe in Deutschland, Leipzig 1908, S. 210 443 Ebd, S. 209

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[g]egenüber früheren Ausstellungen […] eine merkwürdige Klärung zum Einfachen, Edlen und Würdigen stattgefunden [hat]. Die wilden Linien von früher fehlen, statt der ornamentalen und rein ­linearen Entfaltung ist eine schlichte Zweckmäßigkeit eingetreten. […] Man kann sagen, das Problem des ­modernen Innenraumes ist gelöst. So sehr ist diese Innenkunst Gemeingut geworden, daß man auch an Stellen solche einheitlichen, entzückend gefälligen Zimmer findet, wo man sie nicht vermutet.444

Auch bei den Besuchern in St. Louis stieß der neue sachliche Stil im deutschen Kunstgewerbe auf Interesse.445 Nach Ende der Weltausstellung wurden aus dem Bestand der deutschen Abteilung zwanzig Wohn-, Herren-, Musik-, Speise-, Büro- und Schlafzimmer verkauft. Einige gingen an Privatpersonen, aber den Großteil der Zimmereinrichtungen erwarb das Kaufhaus John Wannamaker, eines der größten Geschäfte in den USA, das in New York und Philadelphia zwei neue Department Stores „in vornehmem Stil“446 baute und eine Abteilung mit deutscher Wohnungseinrichtung „in museumsartiger Weise“447 nach dem Vorbild der deutschen Abteilung in St. Louis plante.448 Die Zeitschrift Innendekoration wies darauf hin, dass beim Verkauf jeweils der volle Preis erzielt wurde und einzelne Zimmer sogar zwischen 20.000 und 30.000 Mark kosteten: Es dürfte auch bisher kaum vorgekommen sein, dass für ein deutsches Möbel, das keinerlei kostbare Verzierungen in Bronze oder anderem edlen Metall enthielt, lediglich wegen seines künstlerischen Wertes ein Preis von über 5000 Mk. bezahlt wurde.449

Mit Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 setzte sich innerhalb des Kunstgewerbes die schlichte Formensprache weiter durch. Der Zusammenschluss von zwölf Künstlern aus München, Darmstadt und Dresden und zwölf Firmen450 begriff sich als „geschäftlich-künstlerischer Verband für Qualitätsverbesserungen“451 und hatte auf die Präsentation des deutschen Kunst444 Muthesius, Hermann: Die Wohnungskunst auf der Weltausstellung in St. Louis, in: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1904/1905), S. 209–227, hier: S. 217–218; Besonders lobend erwähnte Hermann Muthesius die Räume von Joseph Maria Olbrich, vor allem das Esszimmer als „Perle der Olbrichschen Räume“ (Muthesius, Die Wohnungskunst auf der Weltausstellung, S. 211); Den Raum von Bruno Paul bezeichnete Olbrich als „Museumsstück“ (Muthesius, Die Wohnungskunst auf der Weltausstellung, S. 211) 445 Vgl. Ebd., S. 293; Vgl. Josef Popp, Die Deutschen Werkstätten, S. 20 (SHStAD 573); Vgl. W.: Wohnungskunst und Kunstgewerbe, in: Kunst und Handwerk 51 (1904/1905), H. 6, S. 155–165, hier: S. 165 446 o. A.: Deutsche Erfolge in St. Louis 1904, in: Innendekoration 16 (1905), H. 7, S. 186–188, hier: S. 187 447 Ebd. 448 Vgl. ebd. 449 Ebd. 450 Zu den Künstlern gehörten Peter Behrens, Theodor Fischer, Josef Hoffmann, Wilhelm Kreis, Max L ­ äuger, Adelbert Niemeyer, Josef Maria Olbrich, Bruno Paul, Richard Riemerschmid, J. J. Scharvogel, Paul ­Schultze-Naumburg, Fritz Schumacher. Zu den Firmen gehörten P. Bruckmann & Söhne, Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden, Eugen Diederichs, Gebr. Klingspor, Kunstdruckerei Künstlerbund Karlsruhe, Poeschel & Trepte, Saalecker Werkstätten, Vereinigte Werkstätten für Kunst und Handwerk München, Werkstätten für deutschen Hausrat Theophil Müller Dresden, Wiener Werkstätten, Wilhelm & Co., Gottlob Wunderlich (Vgl. o. A.: Zur Gründungsgeschichte des Deutschen Werkbundes 6. Oktober 1907, in: Die Form 11 (1932), S. 329–331, hier: S. 329); Vgl. Piergiacomo Bucciarelli: Die Berliner Villen von Hermann Muthesius, Berlin 2013, S. 13; Vgl. Frederic J. Schwartz: Von der Gründung zum ‚Typenstreit‘, in: Nerdinger, Winfried: 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907–2007, München 2007, S. 48–51, hier: S. 48 451 Lamberty, Christine: „Die Kunst des Buttergeschäfts“. Geschmacksbildung und Reklame in Deutschland vor 1914, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 143 (1997), H. 1, S. 53–61, hier: S. 55; In seiner einführenden Ansprache stellte Fritz Schumacher, Professor für Architektur an der Technischen Hochschule in Dresden, die

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gewerbes auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 entscheidenden Einfluss.452 Trotzdem war der preußische Regierungsbeamte und Werkbund-Mitbegründer Muthesius nicht ganz zufrieden. Zwar sprach er davon, dass [a]llgemein […] der starke Wille zur Kultur und die wahrhaft imponierende Kraft Deutschlands anerkannt453

werde. Aber die vierzig aufeinanderfolgenden Innenräume, die Behrens, Riemerschmid, Paul und andere Mitglieder des Werkbundes entworfen hatten, waren zu sehr mit Möbeln vollgestellt.454 Jeden Raum von der ‚vornehmen‘ und der ‚einfachen‘ Wohnung oder in der ‚Wohnung eines Kunstliebhabers‘ empfand Muthesius als zu eng. Ein Gefühl von Behaglichkeit spürte er nicht, denn das Publikum schiebt sich auf den frei gelassenen engen Passagen qualvoll hindurch und ist froh, wenn es aus dem Labyrinth wieder heraus ist.455

Auch Paul Westheim, später einer der wichtigsten Kunstkritiker in der Weimarer Republik, urteilt 1910 in seinem Artikel über die Brüsseler Weltausstellung in den Sozialistischen Monatsheften, einer angesehenen Kulturzeitschrift456, dass „die deutsche Raumkunst kaum einen ernsthaften Konkurrenten“457 hatte. „Diese Tadellosigkeit bis ins letzte Glied macht den Eindruck auf die Ausstellungsbesucher“.458 Westheim merkt aber auch an, dass

Ziele des Werkbundes vor: „Eine gründliche Gesundung unseres Kunstgewerbes ist nur möglich, wenn die erfindenden und ausführenden Kräfte wieder enger zusammenwachsen“ (o. A., Zur Gründungsgeschichte des Deutschen Werkbundes, S. 330) 452 Vgl. Peter Jessen: Der Werkbund und die Grossmächte der deutschen Arbeit, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912: Die Durchgeistigung der Deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenarbeit von Handwerk, Industrie und Kunst, Jena 1912, S. 2–10, hier: S. 3 453 Muthesius, Hermann: Eindrücke von der Brüsseler Weltausstellung, in: Deutsche Kunst und Dekoration 27 (1910–1911), S. 33–37, hier: S. 37 454 Vgl. Friedrich Huth: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 22 (27.5.1910), S. 1319–1320, hier: S. 1320; Friedrich Huth hingegen sieht die Räume positiv. Es seien „kleinere Räume von intime[m] Reiz geschaffen“ worden (Huth, Friedrich: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 27 (1.7.1910), S. 1619–1620, hier: S. 1620). Aber er sieht auch, dass die deutsche Abteilung eine „zielbewußte, wirklich moderne Innenkunst aufweise[…]“ (Huth, Friedrich: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 29 (15.7.1910), S. 1739–1740, hier: S. 1739) 455 Muthesius, Eindrücke von der Brüsseler Weltausstellung, S. 35 456 Dazu schreibt Gudrun M. König: „Die Sozialistischen Monatshefte mit einem angesehenen Rundschauteil zu öffentlichem Leben, Kunst, Kultur und Frauenfragen können als Korrektiv des kulturkonservativen ‚Kunstwarts‘ nicht hoch genug geschätzt werden“. (König, Konsumkultur, S. 36); Die Zeitschrift hatte im Jahr 1914 eine Auflage von 5.000 Exemplaren und „verstand sich als Sammlungsorgan für alle sozialistisch gesinnten Intellektuellen, die eine bildungsbürgerlich motivierte Führung beanspruchten“ (König, Konsumkultur, S. 57) 457 Westheim, Paul: Brüsseler Weltausstellung 1910, in: Sozialistische Monatshefte 19/20 (1910), S. 1338–1340, hier: S. 1339 458 Ebd., S. 1338

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der bei uns üblichen Bürgerswohnung – und der Produktion […] noch recht viel an jener Tadellosigkeit [mangelt].459

Was Deutschland auf Weltausstellungen präsentierte, entsprach also nicht dem, was im Möbel­ handel großen Absatz fand und was deshalb der Nachfrage entsprechend in den Werkstätten in Handarbeit oder mit Maschineneinsatz in der Serienmöbelfertigung hergestellt wurde. Aufschlussreich ist, was ein unbekannter Autor in seinem Aufsatz Die Holzindustrie im Jahre 1910 in der Deutschen Tischlerzeitung mit Blick auf die Brüsseler Weltausstellung schreibt. Er stellt den für viele Tischler entscheidenden Zusammenhang zwischen den sachlich-nüchternen Entwürfen und den dazu notwendigen technischen Fertigkeiten her und lässt zur deutschen Abteilung gleich Distanz erkennen: Deutschland war hauptsächlich nur durch eine Gruppe von Ausstellern, die im Werkbund vereinigt waren, vertreten, und bot zwar für das Publikum durch das hübsche Arrangement kompletter Zimmer viel Sehenswertes, für den Fachmann aber weder technisch besonders Gutes, noch künstlerisch etwas Besonderes.460

Hier kehrt also der schon erwähnte Eindruck vieler Tischler wieder, dass nüchterne, zweckmäßige Möbel nichts künstlerisch Besonderes seien. Trotzdem blieb der Deutsche Werkbund im deutschen Kunstgewerbe aber tonangebend und organisierte auch im Kriegsjahr 1915 die deutsche Abteilung auf der Weltausstellung in San Francisco.461 Die Stilgeschichte des Kaiserreichs begann mit der Weltausstellung in Wien 1873 mit der ‚deutschen Renaissance‘ als gefeiertem Nationalstil des jungen Kaiserreichs, der nach seinem Höhepunkt um 1880 auf der Weltausstellung in Chicago 1893 vom Historismus als Stilpluralismus abgelöst wurde, bevor in Paris 1900 eine schlichte Formensprache aufkam, die sich in St. Louis 1904 durchsetzte und im Kaiserreich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorherrschte. Diese Stilgeschichte der Weltausstellungen ist eine Geschichte repräsentativer künstlerischer Entwürfe, in der die im Kaiserreich viel diskutierte Frage nach qualitätvollen und bezahlbaren, also unter Maschineneinsatz hergestellten Möbeln aus der Serienfertigung genauso ausgeblendet wird wie die Frage nach ihrer Eignung für Mietwohnungen. Es lohnt sich daher, in einem weiteren Schritt die Leipziger Messe als herausragende internationale Messe zu untersuchen, bevor schließlich verschiedene Gewerbeausstellungen in den Blick kommen, die besonders nah an Herstellern, Händlern und Kunden Angebot und Nachfrage bei Möbeln abbilden.

459 Ebd., S. 1339 460 o. A.: Die Holzindustrie im Jahre 1910: Möbelfabrikation und -handel, in: Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 15, S. 117–118, hier: S. 118 461 Vgl. o. A.: Der Deutsche Werkbund und die Welt-Ausstellung in St. Franzisko, in: Der Innenausbau 16 (1913), Bd. 2, H. 50, S. 687; Vgl. Eugen Kalkschmidt: Was will der Werkbund in Köln?, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 6 (15.3.1914), o. S.

7.4  Messen und Ausstellungen

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7.4.2  Leipziger Messe Die Leipziger Messe war wegen der zentralen Lage der Stadt die wichtigste europäische Handelsmesse.462 Hier trafen sich die Händler aus den unterschiedlichsten Ländern für mehrere Wochen, um „Natur- und Gewerbeprodukte aller Gattungen und Herkunftsgebiete zu Stapelung und Umschlag, Kauf-, Speditions- und Geldgeschäften“463 zu präsentieren, Neuheiten vorzustellen und zu verkaufen. Sie versprachen sich davon einen „großzügigen Warenaustausch von einer Erdgegend zur andern“.464 Die Messe geht zurück auf die Verleihung der kaiserlichen Privilegien an die Stadt Leipzig im Jahr 1500. Dadurch bekam die Messe eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung der Stadt und deren internationalen Ruf.465 Im Jahr 1700 war die Leipziger Messe aufgrund ihrer internationalen Anerkennung bedeutender als die Frankfurter Messe, die zu der Zeit eher als Großmarkt beschrieben wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts erhielt die Leipziger Messe durch die von „Friedrich dem Großen privilegierten Breslauer Messen“466 Konkurrenz. Dadurch war der „so wichtige“467 Geschäftszweig mit Händlern aus Russland und Polen gefährdet, wie Ernst Hasse rückblickend 1885 in seiner Schrift über die Geschichte der Leipziger Messe betonte. Die Lage beruhigte sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts wieder468 und die Bedeutung Leipzigs als Messestandort nahm ab Ende der 1880er Jahre wieder zu. Die Zahlen der Aussteller und Einkäufer stiegen wieder deutlich an: während sich auf der Leipziger Messe 1897 rund 1300 Aussteller präsentierten, waren es im Frühjahr 1902 mit 2659 Ausstellern mehr als doppelt so viele. Auch in den folgenden Jahren stieg die Zahl der Aussteller jedes Jahr kontinuierlich an und lag 1914 schon bei 4213 Ausstellern und im Frühjahr 1919 bei 8325.469 462 Vgl. o. A.: Was die Leipziger Messe ist und was sie war, in: Leipziger Mess-Zeitung 5 (1908), H. 38 (25.11.1908), S. 303–304, hier: S. 303 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 690–691); Vgl. auch: o. A.: Leipzig als Messstadt, in: Leipziger Mess-Zeitung 7 (1910), H. 2 (19.1.1910), S. 10–12, hier: S. 10 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 692–693); Vgl. o. A.: Leipzig im Messverkehr, in: Leipziger Mess-Zeitung 8 (1911), H. 8 (6.4.1911), S. 77–78, hier: S. 77 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 693–695); Vgl. Paul Voss, Der Aufschwung der Leipziger Messe seit 1919, S. 3 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1431 (Bd. 2)); Auch die Reichsstädte Naumburg, Braunschweig und Frankfurt/O. hatten vor allem den Ruf eines Großmarktes (Vgl. o. A., Leipzig als Messstadt, S. 10. (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 692–693)); Vgl. hierzu Otto von Laube, Leipziger Messe und Bedeutung Kunstgewerbe, S. 29 463 o. A., Was die Leipziger Messe ist, S. 303 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 690–691) 464 Kötzschke, Rudolf: Entstehung der Märkte und Messen, o. J. [Anfang 20. Jhr.], S. 1 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 820); Vgl. M. Gutkunst: Die Leipziger Messe als Exportförderungsfaktor, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, 11. Heft Ostermesse 1913, S. 4–6, hier: S. 4 465 Vgl. o. A., Was die Leipziger Messe ist, S. 303 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 690–691) 466 Zinck, Paul: Die Leipziger Messen. Eine historische Skizze, Teil 2, in: Leipziger Mess-Zeitung, 1 (1904), H. 2 (20.1.1904), S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 686–688) 467 Hasse, Ernst: Geschichte der Leipziger Messe, Leipzig 1885, S. 102 468 Vgl. Ernst Kroker: Die Leipziger Messe, ihre Entstehung und ihre Privilegien, Leipzig 1908, S. 6 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 893) 469 Vgl. Handelskammer Leipzig Mess-Ausschuß: Die Leipziger Mustermessen (Kurze Denkschrift vom November 1916 als Beigabe zum Reichs-Etat), o. O. 1916, S. 35–36 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 656–686); Vgl. Voss, Leipziger Messe, S. 12 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5, Nr. 1431 (Bd. 2)); Vgl. o. A.: Um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 26 (19.8.1912), S. 181–182, hier: S. 182 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 695–696)

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Jeweils im Frühjahr und im Herbst fand die Leipziger Messe statt. Die Frühjahrsmesse begann am 1. März und dauerte 13 Tage, die Herbstmesse begann am letzten Sonntag im August und dauerte 22 Tage.470 Das Messegelände umfasste zahlreiche ‚Messpaläste‘ für unterschiedliche Branchen: Eingänge, Treppenhäuser, Korridore und Säle sind in Stände oder offene oder geschlossene Kojen geteilt, die jedem Aussteller hinreichend Raum für eine zweckdienliche Ausbreitung seiner Verkaufsmuster bieten.471

Es gab eine ‚Allgemeine Messe‘ und eine ‚Technische Messe‘, wie aus den Ausstellerverzeichnissen der Jahre 1897 bis 1918 hervorgeht.472 Auf der ‚Allgemeinen Messe‘ wurden unter anderem Beleuchtungskörper, Glas und Keramik, Haus- und Küchengeräte, Möbel und Korbmöbel, Nahrungs- und Genussmittel, Musikinstrumente, Sportartikel und Textilwaren präsentiert. Die ‚Technische Messe‘ zeigte Werkzeug-, Kraft- und Arbeitsmaschinen, aber auch Elektro- und Gastechnik oder Bautechnik. Insgesamt gab es auf der Allgemeinen und der Technischen Messe 700 Geschäftszweige und Hauptwarengattungen.473 Lange Zeit reisten die Händler mit allen Waren an, die sie in Leipzig verkaufen wollten. Als die Messe immer weiter wuchs und der Lagerraum nicht mehr ausreichte, wurde es ab den 1880er Jahren üblich, auf der Messe „nach Mustern einzukaufen“474 und sich die Ware anschließend aufgrund der verbesserten Transportwege vom Standort der Fabrik schicken zu lassen. Diese Transportwege sorgten auch dafür, dass ab 1870 „die Bedeutung der Messen relativ zurückgegangen“475 war, wie Paul Zinck in seinem Aufsatz über die Geschichte der Leipziger Messe schreibt. Als Grund führt er auf, dass gerade die grosse Vervollkommnung der Verkehrsmittel […] es den Fabrikanten möglich [machte], mit ihren Abnehmern zu jeder Zeit in Verbindung treten zu können; man brauchte nicht mehr auf die Messen warten; man suchte sie persönlich auf oder liess sie aufsuchen durch Handlungsreisende, die in ihren

470 Vgl. Handelskammer Leipzig, Die Leipziger Mustermessen, S. 33 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 656–686) 471 o. A., Leipzig im Messverkehr, S. 77 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695); „An diesen Straßen erheben sich die gewaltigen Ausstellungspaläste, welche die Musterlager der aus allen Teilen des deutschen Reiches und aus dem Auslande, aus Österreich-Ungarn, Frankreich, Italien, der Schweiz, selbst aus England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika herbeigeströmten Verkäufer umschließen. Viele dieser Gebäude dienen ausschließlich dem Messverkehr und werden die übrige Zeit des Jahres hindurch für andere Zwecke nicht benutzt, wenigstens nur in bescheidenem Maße, wie das Städtische Kaufhaus, der Handelshof, Specks Hof, das Zeißig-Haus, der große Reiter, das Königshaus, Auerbachs Hof, der Silberne Bär, der goldene Hirsch u. a. Andere wieder, besonders die Parterreläden der Messstraßen, werden immer erst eingeräumt. Insgesamt kommen über 20 Gebäude in Betracht, die lediglich von den Musterlagern besetzt sind, während über 30 vorhanden sind, in denen bis 20 Stände untergebracht sind“ (o. A., Leipzig im Messverkehr, S. 77) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695) 472 Vgl. o. A.: Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 81); Vgl. o. A.: Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 82) 473 Vgl. o. A., Was die Leipziger Messe ist und was sie war, S. 303 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 690–691) 474 o. A., Leipzig als Messstadt, S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693); Paul Leonhard Heubner spricht sogar davon, dass es den Musterlagerverkehr auf Messen bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab (Heubner, Paul Leonhard: Der Musterlagerverkehr der Leipziger Messen, Tübingen 1904, S. 15). 475 Zinck, Paul: Die Leipziger Messen, Teil 5, in: Leipziger Mess-Zeitung 1 (1904), H. 5 (17.2.1904), S. 33–34, hier: S. 34 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 686–688)

7.4  Messen und Ausstellungen

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Musterkoffern das Neueste mit sich führen, während man früher mit grossem Aufwand an Zeit, Mühe und Geld die fertigen Waren, oft nutzlos, nach der Messstadt geführt hat.476

Doch das änderte sich, als im Jahr 1894 die Warenmesse in eine reine Mustermesse umgewandelt wurde, die erstmals 1895 stattfand.477 Hier sollten qualitätvolle Musterstücke präsentiert werden, damit die Messe weiterhin ihre soziale und wirtschaftliche Funktion erfüllen konnte: Sozial bedeutsam – und wirksam ist endlich die Messe insofern, als sie durch Steigerung des Absatzes dadurch der Produktion, Billigkeit und Verbreitung der mannigfachsten Gegenstände, durch Weckung und Befriedigung neuen Bedarfes, durch Hebung auch des Geschmackes und Kunstsinnes eine wohlfeilere, vollkommenere und erfreulichere Versorgung aller Bevölkerungskreise gewährleistet, als ohne sie möglich wäre, also die wirtschaftliche und kulturelle Wohlfahrt des Volkes begründen und steigern hilft.478

Außerdem wurde die Frühjahrsmesse von der Zeit nach Ostern auf die erste Märzwoche vorverlegt und es wurde ein städtisches Kaufhaus errichtet. Diese Änderungen und das neue Konzept der Mustermesse waren erfolgreich, denn die Zahl der Aussteller stieg wieder kontinuierlich an. Jetzt kamen nach den Großbetrieben auch immer mehr kleine und mittelständische Fabrikanten479 und Händler nach Leipzig, um am „Wettbewerb mit den kapitalreicheren und organisatorisch entwickelteren größeren Betrieben“480 teilzunehmen. Die Messe bot gerade auch kleineren Herstellern Gelegenheit zur Präsentation, die weder die Kunden aufsuchen noch Reisende mit Musterkoffern durch das Land schicken konnten.481 Nicht nur die Hersteller lernten von der Konkurrenz auf der Messe, auch die Angestellten sowohl der Hersteller wie auch der Händler konnten dort ihre Fachkenntnisse erweitern und danach ihre Aufgaben in Einkauf und Verkauf besser wahrnehmen.482 So half die Messe dabei mit, durch den unmittelbaren Kontakt zwischen 476 Ebd.; Vgl. Johannes Buschmann, Der wirtschaftliche Nutzen der Ausstellungen, S. 1 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 477 Vgl. o. A., Leipzig als Messstadt, S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693); Vgl. Paul Voss, Leipziger Messe, S. 11 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5, Nr. 1431 (Bd. 2)) 478 Heubner, Die soziale Bedeutung der Leipziger Messe, S. 3; Vgl. Ernst H. Nickel: Aussprüche und Urteile von Souveränen und Fürstlichkeiten über die Leipziger Messen, in: Die Leipziger Messe, 2. Heft Herbstmesse 1908, S. 43–44, hier: S. 43 479 Vgl. Heinrich Pudor: Die Zukunft der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe (1908), 2. Heft Herbstmesse 1908, S. 16–19, hier: S. 16; „der weitaus größte Teil dieser Zunahme fällt auf die mittleren und kleineren Betriebe und kann nur auf sie fallen, weil die größeren längst schon fast sämtliche Meßbesucher sind“ (Heubner, Soziale Bedeutung Leipziger Messe, S. 2); „Von den unmittelbar am Meßverkehr selbst teilnehmenden Schichten ist die an Zahl weit überwiegende der Mittelstand, einesteils der selbständige, in den mittleren und kleineren Ausstellern und Käufern auftretend, andernteils der abhängige, die mitkommenden Angestellten der Aussteller und vielfach auch der einkaufenden Firmen umfassend. Oberhalb dieser zusammen als ‚Mittelstand‘ zu bezeichnenden sozialen Hauptgruppe der Meßbesucher stehn [sic!] die Inhaber, Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer usw. der als Aussteller oder Einkäufer beteiligten industriellen Großunternehmungen, Gesellschaften, Engros-, Export- und Kommissionshäuser, großer Spezialgeschäfte und Warenhäuser.“ (Heubner, Soziale Bedeutung Leipziger Messe, S. 1) 480 Heubner, Soziale Bedeutung Leipziger Messe, S. 1 481 Vgl. ebd.; Vgl. o. A.: Die Leipziger Mustermessen, o. J., S. 34 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 656–686) 482 Vgl. Paul Leonhard Heubner, Soziale Bedeutung Leipziger Messe, S. 2; Vgl. auch A. F. Mobilis: Welche Bedeutung könnte die Leipziger Messe für die Möbelindustrie haben?, in: Die Leipziger Messe (1908), H. 2. Herbstmesse 1908, S. 85–89, hier: S. 86

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Herstellern und Händlern den Möbelmarkt weiterzuentwickeln, die Produktionsentwicklung voranzutreiben und die Stilentwicklung zu beeinflussen. In ihrer Vermittlerrolle[…] trägt sie wesentlich dazu bei, der Produktion und Absatzgewinnung die Gestaltung zu geben und die Bahnen zu weisen, die für Industrie und Handel im ganzen und das Gemeinwohl am nützlichsten sind.483

Auf der Frühjahrsmesse wuchs die Zahl der Aussteller bei Möbel- und Korbmöbeln, trotz einiger Rückgänge in manchen Jahren, von 30 im Jahr 1897 auf 60 im Jahr 1901 und auf 90 im Jahr 1914.484 Auf der Herbstmesse stieg die Zahl der Aussteller bei Möbel- und Korbmöbeln ähnlich stark, nämlich von 31 im Jahr 1897 auf 56 im Jahr 1901 und 88 im Jahr 1914. Für diese Arbeit ist es wichtig, dass die Zeitschrift Die Leipziger Messe auch Fragen der Möbelherstellung und Wohnungsausstattung behandelte und außerdem regelmäßig Sonderhefte über Kunstgewerbe und Industrie auf den Leipziger Messen herausgab.485 So erwähnte A. F. Mobilis 1908, dass vor allem die Möbelhersteller und Möbelhändler einen Nutzen aus der Leipziger Messe ziehen könnten, die „auf die drei ewigen kunstgewerblichen Stilgesetze ‚Schönheit, vollkommene Technik und Zweckmäßigkeit‘ bedacht sind“.486 1910 setzte sich Johannes Buschmann mit den wirtschaftlichen Bedingungen eines neuen Stils im Kunstgewerbe auseinander und kritisierte, „trotz mehr als zehnjähriger Mühen haben wir den ‚neuen Stil‘ heute aber immer noch nicht“.487 Vielmehr stellte er einen häufigen Wechsel von Stilmoden und Schwankungen im Geschmack fest, die einerseits den Bedarf und damit auch die Produktion erheblich steigerten, andererseits aber auch mit jedem neuen Entwurf die älteren Entwürfe entwerteten und durch diesen häufigen Wechsel die Produktion auch unrentabler machen könnten.488 Ausdrücklich war von der „Kulturaufgabe“489 der Leipziger Messe die Rede. Die öffentliche Darstellung der Warenmuster, der ständige Vergleich durch die Kaufleute, ihr Informationsaustausch in Versammlungen und Fachsitzungen sowie der „Qualitätsstolz“490, der sich daraus ergebe, wurden als Hauptgründe für die Leipziger Messe als „Kulturfaktor“491 angesehen. So wurde auch darauf verwiesen, dass ohne die Messe neue kunstgewerbliche Stilprinzipien nicht auf Industrieprodukte angewandt worden wären und diese neuen Stilprinzipien dann eine 483 Heubner, Paul Leonhard: Produktion und Absatz der Mess-Industrien, insbesondere der Keramik, in: Die Leipziger Messe (1909), H. 3. Ostermesse 1909, S. 1–3, hier: S. 3 484 Vgl. o. A., Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 81); Vgl. o. A., Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 82) 485 Vgl. Paul Leonhard Heubner: Alte und neue Waren und Geschäftszweige auf der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe (1908), H. 2, Herbstmesse 1908, S. 3–6, hier: S. 6; Vgl. A. F. Mobilis, Möbelindustrie, S. 86; Vgl. Paul Leonhard Heubner, Produktion und Absatz der Mess-Industrien, S. 3 486 Mobilis, Möbelindustrie, S. 86 487 Buschmann, Johannes: Die wirtschaftlichen Bedingungen einer Stilneubildung im Kunstgewerbe, in: Die Leipziger Messe, H. 6., Michaelismesse 1910, S. 3–4, hier: S. 3 488 Vgl. ebd. 489 Kammerbauer, Mathias: Die Kulturaufgabe der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Mustermesse 2 (1918), H. 4 (15.6.1918), S. 45–46, hier: S. 46 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) 490 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) 491 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699)

7.4  Messen und Ausstellungen

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„beschränkte Domäne der bemittelten Kreise geblieben [wären], wie in früheren Zeiten“.492 Aus dieser Sicht beschleunigte die Messe den „Verdauungsprozeß des modernen Kunstevangeliums“493 und half bei der Verbreitung des modernen Kunstgewerbes auch in der bürgerlichen Mittelschicht. Dieser „Verdauungsprozeß“494 war allerdings keine einheitliche Entwicklung. Die Leipziger Messe zeigte nämlich auch, dass eine große Anzahl der dort ausstellenden Möbelhersteller diese Entwicklung hin zu besserer Verarbeitung und zeitgemäßem Stil an sich vorbeiziehen ließen. In diesen Fällen war die Kulturaufgabe der Leipziger Messe anscheinend eher Idealvorstellung als Tatsachenbeschreibung. So fragte Emil Augst, Mitautor des Buches Der praktische Tischler495 sowie Herausgeber und Redakteur von Der Innenausbau. Illustrierte Schreinerzeitung496, in seinem 1909 erschienenen Aufsatz Der deutschen Holzwarenindustrie. Ein Mahnwort in der Leipziger Messe: Vor mir liegen mehrere Kataloge deutscher Holzwaren- und Kleinmöbelfabriken. Bei ihrer Durchsicht frägt man sich immer wieder: Was veranlaßt die Erzeuger all dieser Dinge, jahraus jahrein so ungeheuerliche Geschmacklosigkeiten zu produzieren? In allen anderen Industrien, die auf der Leipziger Messe vertreten sind und über welche die ‚Kunstgewerbliche Rundschau‘ [Hervorhebung im Original497] berichtet, ist doch wenigstens ein erfreulicher Fortschritt bemerkbar; neben konventionell überladenen, auf hohlen Schein und Prunk gestimmten Erzeugnissen sieht man doch auch solche, die durch schlichte Vornehmheit, durch zweckmäßige und materialgerechte Gestaltung auffallen.498

Bei Möbeln gab es nach wie vor Bezeichnungen wie ‚imitiert Nußbaum‘, also braun gebeizte Buche, oder ‚imitiert Mahagoni‘, also rot gebeiztes Erlenholz, ein „Imitationshumbug, der an die Naivität und Unwissenheit der Käufer die höchsten Anforderungen stellt“.499 Außerdem waren viele Möbel weiterhin mit künstlerisch wertlosen Ornamenten beklebt, „um den falschen Schein des Reichtums hervorzubringen“.500 Was Augst hier an „Geschmacklosigkeiten“501 beschreibt, wird durch einen anderen, unbekannten Autor 1907 in Bruhns Messanzeiger gestützt: 492 H.: Was verdankt das moderne Kunstgewerbe der Leipziger Messe, in: Bruhns Mess-Anzeiger (1912), H. 5, S. 1–2, hier: S. 2 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 717)) 493 o. A., Künstlerische Wohnungseinrichtungen, S. 54 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 494 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 495 Walde, Christian Hermann/Augst, Emil: Der praktische Tischler. Handbuch für Bau- und Möbeltischler, Leipzig 1909 496 Vgl. Kap. 8.2.3.; Vgl. H. O. Sperling (Hrsg.): Sperlings Zeitschriften-Adressbuch enthaltend die Zeitschriften und hervorragenden politischen Tageblätter Deutschlands, Österreich und der Schweiz. Hand- und Jahrbuch der deutschen Presse. Vierundzwanzigste Ausgabe 1908, Stuttgart o. J. [1908], S. 81 497 Die „Kunstgewerbliche Rundschau“ ist das „Beiblatt zur Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins“ und „Verkündigungsblatt des Verbandes deutscher Kunstgewerbe-Vereine“. Sie erschien von 1894 bis 1897. Es ist unklar, warum sich Emil Augst im Jahr 1909 auf eine Zeitschrift bezieht, die zwölf Jahre zuvor zuletzt erschienen ist. Möglicherweise liegt eine Verwechslung im Titel vor. So könnte er die Zeitschrift „Kunst und Handwerk. Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851“ gemeint haben. Sie war anstelle der „Kunstgewerblichen Rundschau“ ab 1897 die Vereinszeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbevereins. Der neue Titel sollte die Verbindung von Kunst und Handwerk im Kunsthandwerk ausdrücken. 498 Augst, Der deutschen Holzwarenindustrie, S. 85 499 Ebd. 500 Augst, Emil: Über Entwicklung und Entwicklungsmöglichkeiten der Holzindustrie, in: Die Leipziger Messe, H. 4 Michaelismesse 1909, S. 51; 55–56, hier: S. 55 501 Augst, Der deutschen Holzwarenindustrie, S. 85

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

„Heute blüht mehr als je die Vorliebe für Nippsachen“.502 Dieser Autor beschreibt allerdings zustimmend und nicht kritisch, dass kein Tischchen, kein Bordbrett, kein Trummeau, keine Konsole ohne irgend ein Zierstück [auskommt]. Das ist erfreulich, […] eine Steigerung der Empfänglichkeit […], ein erhöhter Kunstsinn.503

Diese Schlussfolgerung eines ‚erhöhten Kunstsinns‘ dürfte Augst bestritten haben. Dabei setzte sich übrigens auch der unbekannte Autor für eine immer weiter verbesserte Qualität von Nippes ein, als Mittel der Geschmacksbildung: „Die sogenannte hohe Kunst ist und bleibt Muskat für die Kuh oder Kaviar für das Volk“.504 Dagegen ging es Augst nicht um mehr Nippes, sondern um eine schlichte, zweckmäßige Einrichtung von guter Qualität wie den anderen Anhängern des modernen Stils auch: [g]utes Material, keine Imitationen und Surrogate, die so aussehen, als ob sie dies oder jenes wären, es aber nicht sind […] Solide Arbeit, vollendete Technik, restlose Zweckerfüllung.505

Augst wurde aber noch deutlicher. Seine Kritik an den Möbelherstellern auf der Leipziger Messe formulierte er ähnlich scharf wie schon dreißig Jahre vorher Franz Reuleaux beim Besuch der Weltausstellung in Philadelphia 1876. Augst schreibt: Die Grundsätze, nach denen die deutschen Holzwarenfabrikanten ihre Erzeugnisse herstellen, sind dem gekennzeichneten Programm moderner Kunstauffassung genau entgegengesetzt. Entwurf, Material und Arbeit sind gleich schlecht. In dem Bestreben, billige und nichts als billige Waren herzustellen, lassen sie [die Holzwarenfabrikanten] sich von dem Grundsatz leiten, das an Qualität Schlechteste zu bieten, das eben noch Aussicht hat, einen Abnehmer zu finden.506

Diese Kritik von Augst lässt darauf schließen, dass es nach der Weltausstellung 1876 in Philadelphia in der Möbelherstellung keine einheitliche Entwicklung zu besserem Material und besserer Verarbeitung gab, sondern dass offenbar ein erheblicher Teil zumindest derjenigen Hersteller, die auf der Leipziger Messe ausstellten, immer noch dem von Reuleaux kritisierten Prinzip der Konkurrenz durch immer weiter herabgesetzte Preise folgte und nicht dem Prinzip der verbesserten Qualität bei gleichbleibendem Preis. Auch die Entwicklung auf den Weltausstellungen nach 1876 fand bei den Ausstellern auf der Leipziger Messe offenbar kaum Beachtung. Was Deutschland an viel beachteten Möbeln und Zimmereinrichtungen auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis präsentierte, hatte noch fünf Jahre später offenbar keine Auswirkungen auf das Angebot auf der Leipziger Messe 1909. International wurde das Kaiserreich als „künstlerische Großmacht“507 wahrgenommen, aber auf Deutschlands größter und wichtigster Messe mit internationaler Ausstrahlung war davon offenbar sehr wenig zu sehen. Was Deutschlands

502 o. A.: Nippes, in: Bruhns Mess-Anzeiger H. 4 (1907), S. 1–2, hier: S. 1 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 503 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 504 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 505 Augst, Über Entwicklung und Entwicklungsmöglichkeiten der Holzindustrie, S. 55 506 Augst, Der deutschen Holzwarenindustrie, S. 89 507 Lux, Das neue Kunstgewerbe in Deutschland, S. 210

7.4  Messen und Ausstellungen

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„beste[…] Künstler“508 wie Riemerschmid, Behrens, Paul, Pankok oder Olbrich international an moderner Einrichtung ausstellten, entsprach also nicht dem, was in Leipzig in Erwartung guter Geschäfte von den Herstellern angeboten und von den Einkäufern der Händler nachgefragt wurde. Es ist daher aufschlussreich, im Folgenden Angebot und Nachfrage auf Industrie- und Gewerbeausstellungen zu untersuchen, die sich nicht nur an Zwischenhändler, sondern unmittelbar auch an die Endverbraucher wandten.

7.4.3  Industrie- und Gewerbeausstellungen Wir wünschen unsern Frauen, daß sie diese Wohnungseinrichtungen recht eindringlich studieren, damit sie sich von allem Talmi ganz abwenden und von dem Bann der ‚guten Stube‘ mit Plüschsofa, Paneelbrett und Vertiko frei werden.509

Geschmacksbildung war auch ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges immer noch ein großes Thema, wie der Appell in einem Bericht über die Internationale Baufach-Ausstellung in Leipzig 1913 deutlich macht. Diese Fachmesse steht am Ende einer Entwicklung im Ausstellungswesen, die mit allgemeinen Gewerbemessen in den 1840er Jahren begann und sich im Kaiserreich immer weiter spezialisierte, bis in Berlin 1910 die erste reine Möbelmesse veranstaltet wurde, die in ihrer Bedeutung mit der heute stattfindenden Kölner Möbelmesse verglichen werden kann.510 Ausstellungen hatten immer das Ziel, das neue wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Wissen für ein breites Publikum sichtbar zu machen und es damit zu popularisieren. Sie begleiteten den Prozess der Industrialisierung und machten ihn für die Besucher anschaulich.511 Es ging also nicht nur um Gewerbeförderung und Wettbewerb, sondern genauso gut um Belehrung und Bildung des Publikums, dem auf den Ausstellungen das Bild der industrialisierten Gesellschaft und seiner wirtschaftlichen und technischen Fortschritte nahegebracht werden sollte.512 Vor allem nach der Jahrhundertwende wurden Ausstellungen zum neuen Massenmedium. Jedes Jahr gab es zwischen 200 und 260 allgemeine und spezielle Ausstellungen, die zunehmend pädagogische Ziele verfolgten.513 Zugleich entwickelte sich in den nun erscheinenden Fachzeitungen und -zeitschriften die neue Form der Ausstellungs-

508 Waentig, Wirtschaft und Kunst, S. 282; Vgl. o. A., Weltausstellung St. Louis, S. 266 509 o. A.: Raumkunst und Kunstgewerbe auf der Internationalen Baufach-Ausstellung Leipzig 1913, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“ (1913), H. 12, Michaelismesse 1913, S. 61–64, hier: S. 62 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 712) 510 Vgl. Dirk Fischer, Möbelindustrie, S. 371 511 „Allgemein hat das Ausstellen eine lange Tradition, die Expositionen von Industrie und Gewerbe im speziellen waren hingegen ‚an essentially modern developtment, closely connected […] with the changes, social, economic and politcal, associated with what is known as the Industrial Revolution’” (Luckhurst, Kenneth W.: The Story of Exhibitions, London 1951, S. 14, zit. in: Grossbölting, Thomas: Die Ordnung der Wirtschaft. Kulturelle Repräsentation in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen des 19. Jahrhunderts, in: Berghoff, Hartmut/Vogel, Jakob (Hrsgg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt am Main 2004, S. 377–403, hier: S. 378) 512 Vgl. Thomas Großbölting, Ordnung der Wirtschaft, S. 391–395; Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 175 513 Vgl. Thomas Großbölting, Ordnung der Wirtschaft, S. 382; Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 175

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kritik, die die Erzeugnisse beschrieb und ihre Wirkung auf die Besucher bewertete.514 Diese Ausstellungskritik bildet für diese Arbeit einen wichtigen Quellenbestand, um Entwicklung und Präsentation von Möbeln und Wohnungseinrichtungen nachzuvollziehen. An dieser Stelle sollen zunächst nur die Industrie- und Gewerbeausstellungen beschrieben werden, weil bei ihnen das wirtschaftliche Ziel der Absatzförderung Vorrang hatte und sie einen Blick auf die Marktentwicklung ermöglichten. Auf die speziellen Wohnungsausstellungen wird erst im Kapitel 8.3.1 eingegangen, weil bei ihnen das pädagogische Ziel der Geschmacksbildung an erster Stelle stand und sie einen genaueren Blick auf die Stilentwicklung ermöglichten. Für die Hersteller in Ostwestfalen-Lippe war die Herforder Gewerbeausstellung von 1870 bedeutsam, die zu den ersten ihrer Art gehörte. Hier präsentierte sich erstmals der Herforder Kaufmann Gustav Kopka mit seinen Sesseln, Tischen und Sofas.515 Es waren nur solche Branchen eingeladen, „welche in hiesiger Gegend eine hervorragende Stellung haben“516, nämlich Flachs- und Leinengewerbe, Handweberei und Maschinen-Näherei, Tabak- und Zigarren­fa­ bri­kation sowie Fleischwarenindustrie und Baugewerbe. Die ausgestellten Erzeugnisse sollten „zweckmäßig, solide und preiswürdig“517 sein. Außerdem beteiligte sich das Deutsche Gewerbemuseum aus Berlin mit kunstgewerblichen Lehrmitteln und einer „Sammlung mustergültiger Industrie-Erzeugnisse“.518 Es ging nicht nur darum, die eigenen Erzeugnisse vorzustellen oder sich über neueste Techniken und Produktionsverfahren zu informieren, sondern die Aussteller wollten auch verkaufen.519 Hier wurden Geschäfte abgeschlossen. Außerdem machte die Anwesenheit vieler Hersteller und Händler kostspielige Besuche bei Kunden oder im Werk überflüssig. Auf der Herforder Gewerbeausstellung 1870 dürften die Möbelhersteller als eigene Branche noch nicht besonders aufgefallen sein. Das änderte sich einige Jahre später, als auf der Lippischen Gewerbeausstellung in Detmold 1881 nur die Möbelhersteller im repräsentativen Eingangsbereich ausstellten und damit die Blicke auf sich lenkten. Um den Eingangsbereich herum stellten vierzehn Aussteller aus Minden-Ravensberg und Lippe in zehn Ausstellungsräumen Zimmereinrichtungen aus.520 Die Möbelhersteller machten auch dadurch auf sich aufmerksam, dass den Möbelfabriken Beneke und Schieferdecker aus Detmold beispielsweise „silberne Medaillen, die höchsten Preise auf regionalen Ausstellungen“521 verliehen wurden. Hieran zeigt sich auch, wie Ausstellungen mit Medaillen und Marken Symbole schufen, die als „Wegweiser[…] durch die Konsumkultur“522 dienen konnten. Welche Möbel und Wohnungseinrichtungen in Detmold präsentiert wurden, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr feststellen. 514 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 177 515 Vgl. dazu Kap. 6.2.3. 516 o. A., Programm der Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in Herford Mai 1870 (KAH, StH: Historische Sammlung Gewerbe- und Industrieausstellung 1870) 517 Ebd. (KAH, StH: Historische Sammlung Gewerbe- und Industrieausstellung 1870) 518 Ebd. (KAH, StH: Historische Sammlung Gewerbe- und Industrieausstellung 1870) 519 Vgl. Elisa Groß: Möbelmessen, Hausmessen und Vertreter. Der Möbelvertrieb, in: LWL-Industriemuseum (Hrsg.): In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 23–34, hier: S. 24 520 Vgl. Ebd., S. 23; Vgl. Dirk Fischer, Möbelindustrie, S. 373 521 Fischer, Möbelindustrie, S. 372–373 522 König, Konsumkultur, S. 188

7.4  Messen und Ausstellungen

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Die Berliner Gewerbeausstellung 1896 gilt als Höhepunkt des Ausstellungswesens im Kaiserreich. Sie fand aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Kaiserreiches523 statt und wurde damals als „verhinderte Weltausstellung“524 angesehen, „nachdem der große Gedanke einer Weltausstellung an der Zurückhaltung der großindustriellen und der Regierungskreise scheiterte“.525 Es ging darum, Berlins neue Rolle als Hauptstadt und ihre künftige Bedeutung als Weltstadt anschaulich zu machen.526 Diesem Zweck dienten auch die umfangreichen repräsentativen Bauten „von unvergleichlicher Großartigkeit“527, die für die Ausstellung errichtet wurden. Wie der Markusplatz in Venedig der ideale Empfangsplatz für die venetianische Republik in ihrer Glanzzeit war, so ist diese Anlage der Empfangsplatz der Gewerbeausstellung für die hier zusammenströmenden Besucherschaaren.528

Was Handwerk, Gewerbe und Industrie produzierten, wurde in 23 großen Abteilungen ausgestellt: von Maschinenbau, Elektrotechnik, Bau- und Ingenieurwesen und Chemie über Nahrungs- und Genussmittel, Fischerei und Gartenbau, Textil und Bekleidung hin zu Holzwaren, Fotografie, Wohlfahrts-Einrichtungen und Unterricht und Erziehung. Ein grenzenloses Vielerlei! Es ist ganz unmöglich, die Anzahl von Dingen auch nur anzudeuten, die man sieht. Man ist nichts anderes als eine Ameise, die mit 50.000 anderen Ameisen zusammen in einem Bau herumkrabbelt, der aus allen Materialien der alten und neuen Welt zusammengetragen ist. Alle Zeiten, Landschaften, Betriebsformen sind willkürlich gesammelt. […] [E]s ist zum Davonlaufen. Wer das alles fassen will, der verliert den Verstand,529

schrieb Friedrich Naumann 1896 über die Berliner Gewerbeausstellung in der Zeitschrift Die Hilfe. Wie versucht wurde, die Aufmerksamkeit der Besucher immer wieder neu zu wecken, analysierte zur gleichen Zeit Georg Simmel in der Zeitung Die Zeit: [A]lle paar Schritte nämlich wird für eine besondere Schaustellung oder sonstige Darbietung ein kleines Eintrittsgeld erhoben. Dadurch wird die Neugier immer von neuem gespannt, jedes einzelne Vergnügen erscheint durch die dafür gemachte Aufwendung gewichtiger und betonter, das Viele, an dem man vorbeigehen muß, erregt die Vorstellung, daß hier noch vielerlei Ueberraschungen und Vergnügungen aufgespeichert bleiben, kurz die Abtönung auf das leitende Motiv: Amüsement – wird durch diese ste523 Vgl. Alexander C. T. Geppert, Fleeting Cities, S. 16 524 König, Konsumkultur, S. 169; Vgl. Thomas Großbölting, Ordnung der Wirtschaft, S. 381 525 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 1, in: Kunstgewerbeblatt, N. F. 7 (1896), H. 8, S. 121–124, hier: S. 121 526 Geppert, Alexander C. T.: Ausstellungsmüde. Deutsche Großausstellungsprojekte und ihr Scheitern, 1880– 1930, in: Wolkenkuckucksheim 1 (2000), S. 1–15, hier: S. 2 Internet: www.cloud-cuckoo.net/openarchive/ wolke/deu/Themen/001/Geppert/geppert.htm (Zugriff: 13.1.2016); Vgl. Dorothy Rowe: “The 1896 Berlin Trade Exhibition marked a turning-point in Berlin’s representational history which seemed to rest on a consensus that Berlin had successfully transformed itself from an ordinary Großstadt (big city) to a thriving new Weltstadt (world city)”. (Rowe, Dorothy: Georg Simmel and the Berlin Trade Exhibition of 1896, in: Urban History 22.2 (1995) (August), S. 216–228, hier: S. 220); Vgl. Alexander C. T. Geppert, Fleeting Cities, S. 2, S. 16–61 527 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 2, in: Kunstgewerbeblatt. N. F. 7 (1896), H. 10, S. 149–153, hier: S. 150 528 Ebd., S. 150 529 Naumann, Friedrich: Von der Berliner Ausstellung, Teil 1, in: Die Hilfe. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und geistige Bewegung 2 (1896), H. 27, S. 4–5, hier: S. 4

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

ten, nur durch ein kleines Opfer zu überwindenden Hemmungen gründlicher erreicht, als wenn eine einmalige höhere Eintrittszahlung einem alles gleichmäßig zugängig machte, dafür aber dem ‚Vergnügungssinn‘ jene fortwährenden kleinen Reizungen versagte.530

Was die Besucher an Möbeln und Wohnungsausstattungen zu sehen bekamen, hat die Fachleute jedoch enttäuscht, wie der Architekt und Redakteur der Deutschen Bauzeitung Albert Hofmann im Kunstgewerbeblatt deutlich machte. Ohnehin hatte die Berliner Möbelindustrie nicht den besten Ruf: So kommt es, dass die Abteilung für Wohnungseinrichtung nur an wenigen Stellen Anläufe zum Besseren zeigt. Der künstlerische Wert steht im umgekehrten Verhältnisse zu dem nicht unbeträchtlichen Umfange.531

Es herrschten historisierende Stile vor, die an Gotik, Renaissance, Barock und Rokoko erinnern sollten, aber auch einige moderne Entwürfe nach englischen Vorbildern532 gab es. Alle Möbel wurden von Albert Hofmann in der Ausführung als technisch mangelhaft kritisiert. Die Gewerbeausstellung sank „noch unter eine Lokalausstellung“533 herab: Nicht leicht eine andere Kunst wie die des Möbels ist dem einen die hehre Göttin, dem andern die melkende Kuh. Für die Berliner Möbelausstellung von 1896 war sie mit wenigen Ausnahmen die melkende Kuh. Und das ist um so betrübender, als alle technischen Voraussetzungen für eine solche und technisch kunstgerechte Gestaltung des Innenraumes und seiner Ausstattung vorhanden sind.534

Es waren sicher auch diese Eindrücke von der Berliner Gewerbeausstellung 1896, die dazu führten, dass mit Hilfe von Fachausstellungen oder von Preisausschreiben bei Händlern und Kunden der Geschmack gebildet werden sollte, mit dem Ziel, solide Möbel zu guten Preisen in Serienmöbelfertigung herzustellen und damit Handarbeit und Maschine, also Handwerk und Industrie miteinander zu verbinden. Darauf wird in Kapitel 8 genauer eingegangen. Das nächste Berliner Großereignis war die Möbelmesse von 1910, die erste ihrer Art. Hier hatte das Berliner Tischlergewerbe erstmals seit der Gewerbeausstellung von 1896 Gelegenheit, 530 Simmel, Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 59; Vgl. auch Alexander C. T. Geppert, Fleeting Cities, S. 16–62; Hier untersucht Geppert die Rolle Simmels bei der Beurteilung der Gewerbeausstellung 1896. Er war skeptisch, ob Berlin mit den Metropolen Wien, London und Paris als Ausstellungsstandort konkurrieren könne (Vgl. Alexander C. T. Geppert, Fleeting Cities, S. 58) 531 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 3, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 7 (1896), H. 12, S. 189–193, hier: S. 191; Dazu Heinrich Waentig: „Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 erbrachte dann den Beweis, daß man auch unter den günstigsten Bedingungen nichts Befriedigendes zu schaffen vermochte. Großgewerbe und Handwerk stellten nur Massen von unsolider Ware aus. Dekorativer Aufputz sollte über die schlechte Arbeit hinwegtäuschen. […] Immer klarer wurde es, daß der ästhetische Historismus, den man seit 1876 sorglich gepflegt, nimmer eine lebensfähige Zierkunst gebären werde“ (Waentig, Wirtschaft und Kunst, S. 271) 532 „Natürlich haben auch hier englische Einflüsse verheerend gewirkt; missverstandene, gezierte und im schlechtesten Sinne eigenwillige Formen nehmen die Bedeutung für sich in Anspruch, dem ‚neuesten Geschmack‘ zu huldigen. Gemacht wird derselbe vom Tapezier und von Möbelkünstlern, die im besten Falle mit heißem Bemühn die auf dem Büchermarkte erschienenen Veröffentlichungen über englische Innenräume durchgesehen haben, ihrer ganzen geistigen und künstlerischen Veranlagung nach aber nicht in der Lage sind, den tieferen Grund der Gestaltungsformen zu erfassen“ (Hofmann, Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 3, S. 191) 533 Ebd., S. 193 534 Ebd., S. 192

7.4  Messen und Ausstellungen

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Möbel und Zimmereinrichtungen zu präsentieren. An dieser großen Berliner Leistungsschau beteiligten sich 275 Aussteller mit 320 Räumen. Sie zeigten, wie der Autor H. Wolff in der Zeitschrift Kunst und Handwerk 1910 erläuterte, nur wenige Möbelstücke und noch seltener Zimmereinrichtungen, in denen künstlerisches Können und technische Fertigkeiten übereinstimmten.535 Vorherrschend waren keine reinen Stilarten, sondern eine Mischung unterschiedlicher Stile von Louis XVI. über Barock zu italienischer Spätrenaissance und deutscher Renaissance, kaum Empire oder Biedermeier und gar kein ‚neuer Stil‘, weil der von den Berliner Verbrauchern als schlechte Mode angesehen wurde.536 Viele Möbel wiesen Dekorationen ohne Zusammenhang zur Konstruktion auf: Es gab beispielsweise ein Büffet mit einem großen farbigen Stillleben auf seiner Arbeitsfläche oder auch ein Damenwohnzimmer, dessen Stühle mit einem auffälligen Dekor in einer anderen Stilart immer genau an der Stelle versehen waren, wo die Schuhe das Dekor beschädigen oder Kleider es verdecken konnten. Außerdem gab es einen achteckigen Wohnzimmertisch, der kaum Kunden gefunden haben dürfte, wenn man weiter erfährt, daß jede dieser acht Seiten in einem scharfen Bogen nach innen ausholt, so daß der Treffpunkt je zweier Seiten wie eine Lanzenspitze den davor sitzenden Menschen bedroht, und außerdem der Tisch seiner Zweckbestimmung, als Aufnahmestätte von Gegenständen zu dienen, fast ganz entzogen wird, da die Auflagefläche durch die acht Ausschnitte beträchtlich verkleinert ist.537

So kam der Autor H. Wolff zu dem Schluss, dass das Berliner Tischlergewerbe zwar seine technische Leistungsfähigkeit unter Beweis stellte, aber den Gebrauchszweck der Möbel „durch allerlei Phantasiezutaten“538 vernachlässigte. Im Vergleich zur Berliner Gewerbeausstellung 1896 war also die technische Verarbeitung der Möbel deutlich verbessert worden. In ästhetischer Hinsicht waren die Möbel und Wohnungseinrichtungen nach wie vor historistisch reich verziert und vielfach alles andere als zweckmäßig, entsprachen damit aber den weit verbreiteten Anforderungen an die Selbstrepräsentation im kaufkräftigen Mittelstand, an den sich das Tischlergewerbe auf der Berliner Möbelmesse vornehmlich richtete. Deshalb ist es auch bemerkenswert, dass der ‚neue Stil‘ für das Tischlergewerbe so gut wie keine Rolle spielte. Er wurde kaum nachgefragt. Im Vergleich mit der Leipziger Messe 1909 zeigt sich, dass die 1910 ausgestellten Möbel in Berlin also viel besser verarbeitet, in der historisierenden Formensprache aber sehr ähnlich waren. Von der Herforder Gewerbeausstellung 1910 ist nur überliefert, dass eichene Speise-, Herren- und Schlafzimmer ausgestellt waren. Die Möbel waren vor allem aus Tanne oder Naturkiefer gefertigt. Ein Unternehmen zeigte weißlackierte Schlafzimmer und weißlackierte Küchenmöbel.539 Die „Mindener Gewerbe-, Industrie- und Kunstausstellung in Verbindung mit Ausstellung für Landwirtschaft und Gartenbau“ (Gewa) 1914 war die letzte vor Kriegsausbruch

535 Wolff, H.: Die Möbelausstellung in Berlin, in: Kunst und Handwerk 60 (1910), S. 55–59, hier: S. 57 536 Vgl. ebd. 537 Ebd., S. 58 538 Ebd., S. 59 539 Vgl. Wilhelm Schinkel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, S. 139

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

und musste Anfang August vorzeitig beendet werden.540 Sie stand unter dem Einfluss der zur gleichen Zeit stattfindenden Kölner Werkbundausstellung, richtete sich an die Bürger Mindens und der Umgebung541 und präsentierte unter anderem auch qualitativ schlichte Möbel und Wohnungseinrichtungen, wie am 10. Juli 1914 aus dem Bielefelder General-Anzeiger hervorgeht. Er war nach eigener Werbung die „gelesenste Zeitung im ganzen östlichen Westfalen und Fürstentum Lippe. Leserkreis: alle Gesellschaftskreise, hauptsächlich Mittelstand und Beamtenschaft“.542 So erwähnt Freiherr von Ascheraden in seinem Artikel eine auf der Ausstellung gezeigte Wohn- und Speisezimmereinrichtung der Möbelfabrik Horstmann aus Bünde, die von einem Fachlehrer der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Bielefeld entworfen worden war und die „unter Hervorhebung der Materialechtheit und Ausscheidung aller Scheinware“543 damit den Grundsätzen des Deutschen Werkbunds folgte: Es handelt sich hauptsächlich nicht um eingebaute, sondern um bewegliche, von besonderen Raumgrößen unabhängige Möbel. Hierhin gehören Büffet, Anrichte, Tisch, Stühle und Uhr, die in einem quadratischen Raume aufgestellt sind. Die beweglichen Möbel weisen leicht geschwungene Formen auf, die am Büffet am ausgeprägtesten sind. […] Kein Gegenstand drängt sich protzend hervor, alles ist vielmehr einem höheren Gesichtspunkte untergeordnet, dem der Einfachheit, Gediegenheit, Brauchbarkeit und Schönheit.544

Insgesamt wurde die Ausstellung sehr positiv wahrgenommen, die gute Bilanz wurde jedoch vom plötzlichen Kriegsausbruch überschattet. Abseits der großen Kunstgewerbezentren gab es also in der Möbelregion Ostwestfalen nicht nur Entwerfer, die schlichte zweckmäßige Räume schaffen wollten, sondern auch Fabriken, die diese Entwürfe für verkäuflich hielten und umsetzten sowie Ausstellungskritiker, die solche Entwürfe in ihrer Berichterstattung hervorhoben. Inwiefern dies den Lehrinhalten der Detmolder Tischlerfachschule entsprach, wird in Kapitel 8.2 deutlich werden. Zunächst werden im folgenden Kapitel Ratgeber und Zeitschriften untersucht. Sie waren, ähnlich wie Warenhäuser oder Messen und Ausstellungen, ein weiteres Massenmedium, das bei Wohnen und Einrichten die Marktentwicklung dadurch beeinflusste, dass es Kunden auf technische und stilistische Neuheiten aufmerksam machte und diese popularisierte.

540 Vgl. Nora Friederike Bittmann: Versuch einer Profilierung Mindens. Gewerbe-, Industrie und Kunstausstellung verbunden mit Ausstellung für Landwirtschaft und Gartenbau (Gewa), Minden i. W. 1914, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins 84 (2012), S. 127–143, hier: S. 127 541 Vgl. ebd., S. 130 542 Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1908, S. 303; Ascheraden, Frhr., von: Von der Industrie-, Gewerbe- und Kunst-Ausstellung in Minden, in: Bielefelder General-Anzeiger, Neueste Nachrichten, Nr. 159 (10.7.1914) (Stadtarchiv Bielefeld: 400,2/Zeitungen Nr. 5) „Der Stand der Anmeldungen und die Qualität der Aussteller geben schon heute Gewißheit, daß unsere Ausstellung sehr interessant und vorzüglich beschickt wird. […] Herr Marowsky sen. als Vertreter des Presseausschusses machte Mitteilungen über die Plakate und sonstige Reklame, die als gelungen anerkannt wurde“ (Hannoverscher Anzeiger vom 3.3.1914, zit. in: Bittmann, Versuch einer Profilierung Mindens, S. 133) 543 Ascheraden, Frhr., von, Von der Industrie-, Gewerbe- und Kunst-Ausstellung in Minden, o. S. 544 Ebd.

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler Bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts [ca. 1850] hinaus wußten die meisten Fabrikanten und Handwerksmeister der Möbelindustrie nichts von einer Literatur und Presse ihres Faches. Wie anders heute! Nicht allein gibt es für alle Zweige der Möbelarbeit viele Fachblätter, auch alle Tageszeitungen und Journale bringen Abhandlungen über Möbel- und Raumkunst; und nicht allein bedeutende Künstler und Kunstgelehrte und die betreffenden praktischen Fachleute, auch zahllos viele Laien starken und schönen Geschlechts sind wie versessen – man verzeihe den Ausdruck – darauf, ihre ‚Möbelweisheit‘ zu Papier zu bringen und drucken zu lassen.545

In seinem Artikel Wie liesse sich das Möbelgeschäft besser fördern? in der Zeitschrift Die Leipziger Messe beschrieb A. F. Mobilis 1909 die Auswirkungen des um 1870 einsetzenden Modernisierungsprozesses in Europa, der Deutschland aufgrund des schnellen wirtschaftlichen Wachstums in besonderer Weise erfasste und dem bürgerlichen Mittelstand, wie er in dieser Arbeit verstanden wird546, die Möglichkeiten einer bürgerlichen Lebensführung eröffnete. Mit der Wohnungseinrichtung als einem zentralen Bereich bürgerlicher Selbstrepräsentation befassten sich die schon erwähnten Einrichtungsratgeber547 von Jakob Falke Die Kunst im Hause (1871), Georg Hirth Das deutsche Zimmer der Renaissance (1880) und Cornelius Gurlitt Im Bürgerhause. Plauderei über Kunstgewerbe und Wohnungsausstattungen (1888). Daneben gab es auch kleinere Ratgeber wie die 1882 von dem Frankfurter Architekten Eduard Stahl verfasste Schrift Das bürgerliche Wohnhaus, oder wie sollen wir unsere Wohnräume einrichten und ausstatten? Mit Betonung der gesundheitlichen und ästhetischen Forderungen.548 Stahl wollte Laien mit der praktischen Einrichtung von Wohnhäusern bekanntmachen. Es komme nicht darauf an, sich nach einer „Schablone“549 einzurichten, sondern so, daß wir darin ändern können, was wir wollen, je nachdem der wachsende Wohlstand, die Vergrößerung der Familie, der Fortschritt der Zeit und unsere Laune es mit sich bringt.550

Gute Ratschläge gab auch der Architekt Paul Klopfer, von 1910–1922 Direktor der Baugewerkeschule Weimar und Verbündeter von Bauhaus-Gründer Walter Gropius.551 Klopfer veröffentlichte 1905 Die deutsche Bürgerwohnung. Winke und Wege.552 Darin spricht er seine Leser direkt an und gibt praktische Hinweise für die Einrichtung einer Mietwohnung, entweder als „Jung545 Mobilis, Möbelgeschäft, S. 67 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) 546 Vgl. Kap. 4.2.1. 547 Vgl. Kap. 5.2.2. 548 Stahl, Eduard: Das bürgerliche Wohnhaus, oder wie sollen wir unsere Wohnräume einrichten und ausstatten? Mit Betonung der gesundheitlichen und ästhetischen Forderungen (Hausbücher Nr. 5), Stuttgart 1882 549 Ebd., S. 45 550 Ebd. 551 Vgl. Peter Bernhard: Einleitung, in: Ders. (Hrsg.): Bauhausvorträge. Gastredner am Weimarer Bauhaus 1919–1925 (Neue Bauhausbücher, Neue Zählung Bd. 4), Berlin 2017, S. 13–23, hier: S. 20; Vgl. Volker Wahl: Wie Walter Gropius nach Weimar kam. Zur Gründungsgeschichte des Staatlichen Bauhauses in Weimar 1919, in: Das kulturhistorische Archiv von Weimar-Jena 1/3 (2008), S. 167–211, hier: S. 200–201 552 Klopfer, Paul: Die deutsche Bürgerwohnung. Winke und Wege, für die, welche noch kein Eigenheim haben, für die, welche sich eine Mietwohnung einrichten, für die, welche ein deutsches Eigenheim bauen, Freiburg/ Leipzig 1905

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

gesellenwohnung“553 oder als „Familienwohnung“554, und eines Eigenheims. Seine Ratschläge gelten dem „weniger bemittelten Bürgerstande mit einem Jahreseinkommen von 3000 bis 6000 Mark“.555 Über die Lage der Zimmer in einer Mietwohnung schreibt er: Wir, die wir uns glücklich losgerungen haben vom Repräsentieren und Theaterspielen im eigenen Heim, müssen der Straße zuliebe im kalten, grauen Wohnzimmer an der Nordseite sitzen, nur weil dies die Straßenseite ist, derweilen haben Küche und Kammer die schöne warme Sonne des ersten Frühlingsmittags […]. Ihr, die ihr das erste Mal im Leben euch für eine Wohnung entscheiden müßt […] ihr sollt deshalb möglichst die Straßenzeile meiden. Zieht lieber hinaus vor die Stadt, in die euch so viele Fahrgelegenheiten schnell bringen können. Die Wohnungen draußen sind meist billiger als im Zentrum, wenn ihr auch das Geld der Fahrt in die Stadt und wieder heraus in die jährliche Miete mit einrechnen müßt.556

Klopfer geht auch auf die Anzahl der Räume ein. Während die Generation der Großeltern im Wesentlichen mit drei Räumen auskam, dem Wohn-/Speisezimmer, der Guten Stube sowie dem Schlafzimmer, empfiehlt Klopfer 1905 fünf Zimmer mit jeweils mehreren Funktionen: neben dem Speise-/Wohn-/Musikzimmer das Herren-/Rauchzimmer, das Damen-/Empfangszimmer, das Fremden-/Kinderzimmer sowie das Schlafzimmer, außerdem Küche mit Speisekammer, Mädchenkammer, Bad, separate Toilette und Ablageraum. Bei einem Jahresverdienst von 3000 Mark veranschlagt er ein Fünftel für die Miete.557 Einige Jahre später, 1911, schrieb Paul Klopfer den Ratgeber Wie baue ich mein Haus und wie beschaffe ich mir eine gediegene Wohnungseinrichtung?558 und empfahl für die, die durch des Dienstes Uhr den größten Teil des Tages in die Stadt gebannt sind, die Mietwohnung – wohl an der Stadtgrenze am besten – für andere, die ihre Arbeitszeit nach Belieben richten können, das Landhaus draußen vor der Stadt, mit der Vorortbahn zu erreichen.559

Für beide Haustypen erläutert er Grundrisse, Lage und Größe der Räume. Wegen der großen Nachfrage nach Mietwohnungen in Städten aufgrund des Bevölkerungswachstums empfiehlt er in gut gestalteten Vierteln uniforme Bauten.560 Die Wohnungen sollen jetzt allerdings vier normal große Räume haben mit einer Bodenfläche von jeweils 20 bis 25 m²561, also einen Raum weniger als in seinem Buch von 1905: neben Empfangszimmer/Salon/„Bücherzimmer“562 das Speise-/Wohnzimmer, das Schlafzimmer „als drittes Hauptzimmer“563 sowie das Ankleide-/ Kinderzimmer, außerdem Küche mit Speisekammer sowie eine Mädchenkammer außerhalb der Wohnung unter dem Dach. Klopfer formuliert auch Anforderungen an die Möbel und berührt damit auch die Selbstrepräsentation, die sich inzwischen stark gewandelt hat: 553 Ebd., o. S. 554 Ebd. 555 Ebd., S. 11 556 Ebd., S. 14–15 557 Vgl. ebd., S. 13 558 Klopfer, Paul: Wie baue ich mein Haus und wie beschaffe ich mir eine gediegene Wohnungseinrichtung?, Stuttgart 1911 559 Ebd., S. 5–6 560 Vgl. ebd., S. 87 561 Vgl. ebd., S. 90 562 Ebd. 563 Ebd., S. 92

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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Das Theaterspielen soll innerhalb unserer Wohnung aufhören. Mit allem. Auch mit den Möbeln. Also keine Renaissancestücke und keine Louis, sondern ein zeitgemäßes Mobiliar, das in erster Linie uns zu dienen hat und das sich in zweiter Linie unsere Freundschaft wohl erwerben kann.564

Die Eigenschaft des Mobiliars, „‚mobile‘ zu sein“565, hielt Klopfer gerade in der Mietwohnung für wichtig. Es blieb nicht bei diesen Ratgebern. Zum Medium Buch kam das Medium Zeitschrift hinzu. Es erschienen eine Vielzahl aktueller, allgemein zugänglicher Zeitschriften566, die regelmäßig herauskamen und damit fortlaufend über Entwicklungen berichten konnten. Die „Medialisierung der Gesellschaft“567 führte auch zu einem neuen Zeitschriftentyp über Wohnen und Einrichten. Etwa hundert Jahre zuvor gab es von 1786 bis 1827 vor allem das Journal des Luxus und der Moden, das im Verlag von Friedrich Justin Bertuch in Weimar erschien und sich monatlich auf etwa dreißig Seiten mit Mode, Theater, Innenarchitektur, Musik, Literatur und Gartengestaltung beschäftigte. Ab 1870 entstanden eine ganze Reihe von Zeitschriften, in Deutschland deutlich mehr als in England und Frankreich568, die sich mit Architektur, angewandter Kunst und Kunstgewerbe, aber auch mit Mode und Geschmacksfragen befassten und sich nicht nur an Fachleute richteten, sondern für ein breiteres Publikum geschrieben waren.569 Zwei Verleger, Alexander Koch in Darmstadt und Friedrich Bruckmann in München, waren von besonderer Bedeutung, weil sie die vier wichtigsten Kunstzeitschriften herausgaben. Alexander Koch, 1860 als Sohn eines Musikprofessors in Köln geboren, war nach dem Volontariat in einer Druckerei in das Tapetengeschäft seiner Schwiegereltern in Darmstadt eingetreten. Um den Verkauf der Tapeten durch eine künstlerische Gestaltung zu fördern, gründete er 1887 die Verlagsanstalt Alexander Koch und war ab 1888 Verleger und Herausgeber der Tapeten-Zeitung570, die zu einem wirtschaftlichen Erfolg wurde. Daraufhin weitete er das Themengebiet aus und gründete 1890 das Fachblatt für Innendekoration sowie 1897 die Deutsche Kunst und Dekoration. Friedrich Bruckmann, 1814 in Deutz geboren, errichtete dort 1835 nach der Lehre eine Porzellanfabrik und gründete 1858 zusammen mit dem Buchhändler Emil Suchsland in 564 Ebd., S. 47 565 Ebd., S. 90 566 Vgl. Frank Bösch: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen (Historische Einführung, Bd. 10), Frankfurt/M. 2011, S. 59 567 Knoch, Habbo/Morat, Daniel: Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960. Zur historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: Dies. (Hrsgg.): Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003, S. 9–35, hier: S. 19 568 Vgl. Stefan Muthesius, Communications, S. 7; S. 11; “Germany probably produced the largest number of specialized journals in the applied arts of any major country” (Muthesius, Communications, S. 11) 569 Vgl. Katharina Eck/Astrid Silvia Schönhagen: Imaginationsräume des (bürgerlichen) Selbst. Möglichkeiten und Herausforderungen kulturwissenschaftlicher Analysen des Wohnens in Bildtapeten. Interieurs im frühen 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hrsgg.): Interieur und Bildtapete. Narrative des Wohnens um 1800 (wohnen+/-ausstellen Schriftenreihe, Bd. 2), Bielefeld 2014, S. 13–69, hier: S. 35; Vgl. Stefan Muthesius, Communications, S. 11 570 Vgl. Jeremy Aynsley: Graphic Change. Design Change: Magazines for the Domestic Interior 1890–1930, in: Journal of Design History, Vol. 18 (2005), Nr. 1, S. 43–59, hier: S. 46–47; Vgl. Rolf Fuhlrott: Deutschsprachige Architektur-Zeitschriften. Entstehung und Entwicklung der Fachzeitschriften für Architektur in der Zeit von 1789–1918, München 1975, S. 128

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Frankfurt/M. den Verlag für Kunst und Wissenschaft. Drei Jahre später gründete er in Stuttgart seinen eigenen Verlag und kam 1863 nach München. Hier verlegte Bruckmann ab 1885 die Kunst für Alle, die erste deutsche Kunstzeitschrift, und ab 1897 zusätzlich noch die Dekorative Kunst, die damit im selben Jahr erstmals erschien wie die Deutsche Kunst und Dekoration aus dem Verlag von Alexander Koch. Die Zeitschriften richteten sich vornehmlich an die bürgerlichen Mittelschichten, in denen sich vor allem die Frauen über Geschmacksbildung, Einrichtungsfragen, Möbelstile oder dekorative Bilder und Skulpturen informierten und als Kundinnen vom Handel angesprochen wurden.571 Sie seien die besten Expertinnen im Kunstgewerbe, schrieb der Kunsthistoriker ­Cornelius Gurlitt 1891 in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration: Ebenso wie sie [die Frau] selbst ihr liebes Ich täglich neu schmückt, wie sie – und sei sie noch so einverstanden mit den Gaben an Schönheit, die ihr Gott verlieh – doch täglich vor dem Spiegel eine kleine Aenderung mit sich vornimmt, so bastelt auch die Frau, wenigstens jene, die ihr Haus zu einem Ort der Wohnlichkeit, der Häuslichkeit, der Gastfreundschaft machen will, ununterbrochen an ihrer Umgebung herum. Sie ruht nicht, bis diese ihr selbst, ihrem Geschmack, ihrem ganzen Wesen entsprechend ist.572

Frauen hatten das „brennendste Bedürfnis nach immer neuer Orientierung“573, formulierte der Journalist und Kunsthistoriker Franz Servaes in seinem Artikel Wert und Aufgaben der Kunstzeitschriften in der Deutschen Kunst und Dekoration. Zeitschriften waren Wirtschaftsunternehmen, die Trends abbildeten und Produkte vorstellten, damit vorhandene Bedürfnisse aufnahmen und auch neue schufen. Sie griffen auch das Bedürfnis nach Selbstrepräsentation im bürgerlichen Mittelstand auf und verstärkten es mit ihren Artikeln, so dass die Leserinnen noch ausführlicher über Wohnen und Einrichten informiert werden wollten und die Zeitschriften noch mehr Trends und Produkte abbildeten: „the translation of such general style treatises into commercial reality”.574 In dieser Wechselwirkung beeinflussten diese Zeitschriften die Marktentwicklung.575 Als zum Beispiel die Berliner Möbelhersteller über schlechte Geschäfte klagten, warf ihnen Friedrich Naumann vor, dass sie viel zu spät bemerkt hätten, wie

571 Vgl. Jeremy Aynsley, Graphic Change, S. 46–47; Vgl. Stefan Muthesius, Communications, S. 10, S. 12 572 Gurlitt, Cornelius: Das Kunstgewerbe und die Frauen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 10–11, hier: S. 10 573 Servaes, Franz: Wert und Aufgaben der Kunstzeitschriften, in: Deutsche Kunst und Dekoration 21 (1907/1908), S. 328–334, hier: S. 328; Vgl. Jeremy Aynsley/Francesca Berry, Introduction, S. 3; Dazu auch Alexander Koch: Kunstzeitschriften „bieten eine gedrängte Sammlung von Anschauungsmaterial, sie lenken Sinne und Verstand auf das Entstehen neuer Werte, sie machen die Schüler fähig, das künstlerische Ringen der Gegenwart zu begreifen und sich die ästhetischen Grundlagen zur Betätigung des eigenen Geschmackes zu erwerben“ (Koch, Alexander: Erziehung zum Geschmack, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S. 60) 574 Edwards, Furnishing a Home, S. 233 575 „Wie man über die Leistungen der Kämpfer für eine ganz moderne Möbelkunst nun auch denken mag, ob man deren Werke schön oder häßlich findet, darin die Anzeichen eines kunstgewerblichen Aufschwunges oder Niederganges erblickt, zugegeben muß werden, daß hier hervorragend starke Persönlichkeiten begeistert für eine künstlerische Idee wirkten und dadurch das gesamte Möbelgeschäft ganz bedeutend gefördert haben“ (Mobilis, Möbelgeschäft, S. 67) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716)

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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durch Fachzeitschriften die Ansprüche der Kunden gestiegen seien.576 Die populäre Zeitschrift ­ artenlaube, die sich mit einer Gesamtauflage von 285.000 Exemplaren an einfachere, weniger G gebildete Leser richtete, spielte bei Einrichtungsfragen übrigens kaum eine Rolle.577 Sie enthielt Berichte über fremde Länder, Nachrichten über Entdeckungen und Forschungen sowie lange Fortsetzungsromane und nur sehr selten Artikel zu Möbeln und Einrichtungsgegenständen wie beispielsweise die Aufsätze des Mediziners und Sachbuchautors Friedrich Dornblüth über das Schlafzimmer oder über das Bett. Hier ging es aber nicht um Stilfragen, sondern um praktische Ratschläge für den Alltag.578 Die gab in der Gartenlaube auch Ferdinand Avenarius 1885 in seinem schon erwähnten Artikel Der Stil in der Wohnung.579 Wer sich genauer über Wohnen und Einrichten informieren wollte, griff sicher nicht zur Gartenlaube. Die Illustrierte Frauenzeitung. Ausgaben der Modenwelt mit Unterhaltungsblatt dagegen hatte regelmäßig die Rubrik ‚Kunstgewerbliches‘ und informierte über einzelne Möbelstücke und Dekorationsgegenstände. Zwar schrieben hier von Zeit zu Zeit auch Jakob Falke und Julius Lessing, doch gab es keine ausführlichen Artikelreihen über Stil- und Einrichtungsfragen. Die Kunstzeitschriften waren nicht billig. Man musste für sie teilweise deutlich mehr Geld ausgeben als für andere Zeitschriften. Am teuersten war die Deutsche Kunst und Dekoration. Sie erschien monatlich und kostete im Vierteljahr 6 Mark. Etwas günstiger war die Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration, sie kostete im Vierteljahr 5 Mark und erschien ebenfalls monatlich. Sonderhefte waren für 2 Mark erhältlich.580 Deutlich günstiger war die Dekorative Kunst. Sie erschien monatlich und kostete im Vierteljahr 3,75 Mark. Noch etwas günstiger war die zweimal monatlich erscheinende Zeitschrift Kunst für Alle, die im Vierteljahr 3,60 Mark kostete, Einzelhefte gab es auch für 0,75 Mark beziehungsweise später für 1 Mark.581 Zum Vergleich dazu: Die Illustrirte Frauenzeitung erschien ebenfalls zweimal im Monat und 576 „Die Sache ist die, daß in der Tat die Ansprüche der Kundschaft sich gehoben haben, und daß das alte Berliner Geschäft diesem Vorgang zu spät seine Aufmerksamkeit zugewendet hat. Es ist seit zehn Jahren ein neues Empfinden für Hausgestühl und Architektur entstanden, von dem man in Berlin erst dann etwas gemerkt hat, als es zu spät war. Ein Hauptverdienst um das Entstehen dieser neuen Stimmung hat der ‚Kunstwart‘, den die Berliner Möbelfabrikanten in seinen ersten Kampfesjahren nicht gelesen und später als Theoretisiererei verachtet haben. Dazu kamen illustrierte Fachzeitschriften wie „Kunst und Dekoration“ (Darmstadt) und „Die Kunst“ (München), die beide in der Mitte der neunziger Jahre begonnen und viel dazu beigetragen haben, daß ‚die Ansprüche der Kundschaft sich steigerten‘“ (Naumann, Berliner Gewerbekunst, S. 426); In der Zeitschrift Der Kunstwart hatte Ferdinand Avenarius im Jahr 1900 seine Zehn Gebote der Wohnungseinrichtung veröffentlicht (Vgl. Kap. 5.2.2). 577 Vgl. Georg Jäger, Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 1, Teil 1, S. 412 578 Vgl. Johannes Proelß: Zur Geschichte der Gartenlaube, in: Hamouda, Faycal (Hrsg.): Der Leipziger Verleger Ernst Keil und seine „Gartenlaube“, Leipzig 2014, S. 65–145, hier: S. 65; Vgl. Faycal Hamouda (Hrsg.): Der Leipziger Verleger Ernst Keil und seine „Gartenlaube“, Leipzig 2014, S. 13; Vgl. Friedrich Dornblüth, Unser Schlafzimmer, S. 656–659; Vgl. Friedrich Dornblüth: Unser Bett, in: Die Gartenlaube 26 (1878), S. 426–428. Internet: https://de.wikisource.org/wiki/Unser_Bett (Zugriff: 27.5.2018) 579 Vgl. Ferdinand Avenarius, Der Stil in der Wohnung, S. 278; Vgl. Kap. 5.2.2. 580 Vgl. Titelblatt Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1; Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch, Vierundzwanzigste Ausgabe 1908, S. 90 581 Vgl. Titelblatt Kunst für Alle 6 (1890), H. 1; Sperling, H. O. (Hrsg.): Sperlings Zeitschriften-Adressbuch enthaltend die Zeitschriften und hervorragenden politischen Tagesblätter Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Hand- und Jahrbuch der deutschen Presse 1904, Stuttgart 1904, S. 128

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kostete im Vierteljahr nur 2,50 Mark.582 Am günstigsten war die Gartenlaube. Sie erschien wöchentlich und kostete im Vierteljahr 1,60 Mark, im Einzelheft 0,50 Mark.583 Ab 1870 entstanden auch Zeitschriften für Möbelhersteller und Möbelhändler, in denen diese sich regelmäßig und leicht zugänglich über technische Neuheiten und ästhetische Fragen informieren und austauschen konnten.584 Dazu zählten zum Beispiel die Deutsche Tischlerzeitung oder das Annoncenblatt für Tischler, Möbelhändler, Möbelfabrikanten und verwandte Gewerbe585, aber auch F. A. Günthers deutsche Tischlerzeitung.586 Außerdem entstanden wegen der wachsenden Nachfrage nach neuen Dekorationen587 Zeitschriften für technische Vorlagen oder für Designmuster. Sie ergänzten zum Beispiel das Berliner Möbel-Journal. Mustersammlung für Möbel-Fabrikanten, Tischler, Tapezierer und Decorateure.588 Erstmals gab es auch Verbandszeitschriften wie Das Möbelmagazin. Illustriertes Zentralorgan für die Gesamtinteressen aller holzbearbeitenden Industrien, besonders für die Möbelfabrikation, sowie für Tapezierer, Dekorateure, Glaser und Vergolder589 oder Der Möbelhändler. Fachblatt für die Möbel-, Spiegel- und Polsterwarenhandlungen, aber auch die Gewerkschaftszeitung Neue Tischlerzeitung. Organ für die Interessen des Tischlergewerbes, später mit dem Untertitel Zeitschrift für die Interessen des Tischlergewerbes. Publikationsorgan des Deutschen Tischlerverbandes und sämtlicher freien Vereine der Tischler (Schreiner) und verwandten Berufsgenossen, sowie der Zentralkranken- und Sterbe-(Zuschuß-)Kasse aller Arbeiter Deutschlands. Auch gab es eine Zeitschrift für Posamenten-Industrie. Fachblatt für die gesamte Möbel-, Besatz- und Militär-Posamenten-Fabrikation und Handel und deren Nebenzweige, die Schnuren-, Kordel-, Litzen-, Bandund Spitzenfabrikation, sowie die Gold- und Silber-Manufakturen. 582 Vgl. Titelblatt Illustrirte Frauenzeitung 21 (1894), H. 1 583 Vgl. Titelblatt Gartenlaube 30 (1883), H. 1. Internet: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN637243196_1883 (Zugriff: 30.5.2018) 584 „[I]nterior design magazines took formation at the intersection between a variety of other types of magazine, among them, women’s consumer titles, professional art and architectural journals, and trade journals for the building and furniture industries” (Aynsley/Berry, Introduction, S. 1; Vgl. Andreas Graf: Familien- und Unterhaltungszeitschriften, in: Jäger, Georg (Hrsg.): Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1: Das Kaiserreich 1870–1918, Teil 2, Frankfurt/M. 2003, S. 409–522, hier: S. 410); Vgl. Grace Lees-Maffei: Introduction: Professionalization as a Focus in Interior Design History, in: Journal of Design History, Vol. 21, No. 1 (2007), S. 1–18 585 Die Zeitschrift erschien seit Januar 1879 im Verlag Julius Stern Berlin in einer Auflage von 10.000 Exemplaren und war gratis. (Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1904, S. 74) 586 Die Zeitschrift erschien seit Januar 1873 in F. A. Günthers Zeitungsverlag GmbH Berlin und kostete 1,50 Mark im Vierteljahr. Auflagenhöhe unbekannt. (Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1904, S. 76) 587 „What always needed to be communicated, among the traders themselves and to some extent between traders and clients, were actual motifs of decoration. Any décor of some degree of complication had to be either drawn or ‘designed’, or taken from a picture. Facing the growing demand for ‘up-to-dateness’, traders and publishers stepped up the supply of illustrations. The term fashion, or ‘new fashion’ provided the most frequent notion of praise, apart from ‘taste’, which in its most basic sense indicated class aspiration” (Muthesius, Communications, S. 8) 588 Diese und die folgenden Zeitschriften sind der Zeitschriftendatenbank ZDB entnommen und nicht unbedingt in Sperlings Zeitschriften-Adressbuch aufgeführt. 589 Erschien seit Januar 1904 mit einer Auflage von 5000 Exemplaren für 1,25 Mark im Vierteljahr (Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1908, S. 81)

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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Die meisten dieser Zeitschriften berichteten nicht nur über neues Design, sondern waren auch selbst so gestaltet, mit zahlreichen Illustrationen und einem reich verzierten Zeitschriftentitel wie zum Beispiel bei der Zeitschrift für Posamenten-Industrie. Der Zeitschriftentitel nimmt fast die Hälfte der Titelseite ein. Die Buchstaben des Titels sind reich verziert, links und rechts daneben sind Stoffvorhänge abgebildet, unter dem auf der linken Seite eine junge Frau sitzt und mit Fäden an Kordeln und Bordüren arbeitet. Wie die Zeitschriften der Tischler oder der Möbelfabrikanten Möbelherstellung und Stilentwicklung beurteilten, wird in Kapitel 8.2.3 untersucht. Zunächst werden Zeitschriften zur Inneneinrichtung vorgestellt, nämlich die bereits erwähnten Zeitschriften der Verlage von ­Alexander Koch und Friedrich Bruckmann, die auch die höchsten Auflagen hatten. An ihnen lassen sich sehr anschaulich die unterschiedlichen Ansätze bei der Darstellung von Wohnen und Einrichten deutlich machen. Selbstverständlich gab es noch weitere Kunstzeitschriften, die ebenfalls als Quellen für diese Arbeit dienen, auch wenn sie jetzt nicht ausführlich vorgestellt werden. Diese befassten sich nur am Rande mit der Wohnungsausstattung, wie beispielsweise Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen oder waren wie Kunst und Handwerk die Vereinszeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbevereins.

7.5.1  ‚Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration‘ Die Zeitschrift wurde 1890 vom Verleger Alexander Koch zunächst als Fachblatt für Innen-Dekoration verlegt, herausgebracht und von ihm redigiert. Sie war die erste monatliche Zeitschrift über Wohnungseinrichtungen in Deutschland und erschien „auf Anregung mehrerer der angesehensten und maßgebendsten Firmen der Möbel- und Teppich-Industrie“590, wie es im ersten Heft heißt. Das neue Fachblatt für Innendekoration mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren wandte sich in der ersten Ausgabe an Fabrikanten von Möbeln, Möbelstoffen und Teppichen, von Tapeten, Lüstern und Dekorations-Gegenständen jeder Art […] sowie ihre Abnehmer und […] die im reicheren Privatbau beschäftigten Architekten.591

Die Zeitschrift enthielt Leitartikel und Aufsätze zur Wohnungseinrichtung, stellte Neuheiten aus Kunstgewerbe und Dekoration vor, bot Handels-Nachrichten über neu eröffnete Geschäfte, Preisverleihungen oder Konkurse, beantwortete Leserfragen, veröffentlichte Leserbriefe oder erteilte Ratschläge in der Rubrik ‚Nützliche Winke‘. Außerdem gab es eine ‚Bücherschau‘ und Geschäftsanzeigen. Bald stellte Koch fest, dass nicht nur Hersteller und Händler die Zeitschrift lasen, sondern ein viel größerer Leserkreis erreichbar war.592 Deshalb wurde das Fachblatt 1891 590 o. A.: Programm und Einladung, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1 (10.1.1890), S. 2 591 Luthmer, Ferdinand: Vorwort, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1 (10.1.1890), S. 1; Vgl. o. A., Programm und Einladung, S. 2; Die Zeitschrift erschien ununterbrochen bis 1944 (Vgl. Stefan Muthesius, Communications, S. 14) 592 Vgl. Stefan Muthesius: Das englische Vorbild. Eine Studie zu den deutschen Reformbewegungen in Architektur, Wohnbau und Kunstgewerbe im späteren 19. Jahrhundert (Studie zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 26), München 1974, S. 113–114

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

umbenannt in Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration zur Ausschmückung u. Einrichtung der Wohnräume, war über jede Buchhandlung zu beziehen und wandte sich an ein breites Publikum.593 Sie bot wie das Fachblatt allgemeinverständliche Abhandlungen über alle Bereiche der Wohnungseinrichtung, die durch kunstvolle Vignetten und Illustrationen ergänzt wurden. Zu den Autoren zählten Fachleute wie Jakob Falke, Cornelius Gurlitt, Julius ­Lessing oder Max Graef. Carl Behr, Technischer Direktor bei der berühmten Mainzer Möbelfabrik Anton Bembé, schrieb im Fachblatt 1890 in zwanzig Teilen den Artikel ‚Ueber Dekoration und Möblierung unserer Wohnräume‘.594 Im Jahr darauf veröffentlichte die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration in fünfzehn Teilen den Artikel ‚Mein Wohnungs-Ideal‘ des Architekten und Redakteurs Albert Hofmann.595 Es gab auch nament593 Vgl. o. A.: An unsere geehrten Leser und Freunde, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 1; Auch später heißt es: „Es wird also nicht allein der Fachmann, sondern Jeder, welcher das Bestreben empfindet, sein Haus und Heim mit künstlerischem Verständnisse und Geschmack auszugestalten, in diesem in seiner Art einzig dastehenden Organe alles finden können, was er braucht“ (Koch, Alexander: Zur Reform der Wohnungs-Ausstattung, in: Innendekoration 13 (1902), H. 1, S. 3–4, hier: S. 4) 594 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 1, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1, S. 2–3; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 2, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 2, S. 12–13; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 3, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 3, S. 20–21; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 4, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 7, S. 52–53; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 5, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 9, S. 62–63; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 6, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 9, S. 70–71; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 7, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 10, S. 78–79; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 8, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 11, S. 86–87; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 9, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 12, S. 94–95; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 10, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 13, S. 102–103; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 11, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 14, S. 116–117; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 12, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 15, S. 124–125; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 13, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 16, S. 132–133; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 14, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 17, S. 140–141; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 15, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 18, S. 148–149; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 16, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 19, S. 156–157; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 17, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 20, S. 164–165; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 18, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 21, S. 172–173; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 19, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 23, S. 188–189; Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 20, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 24, S. 196–197 595 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 2, S. 26–27; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 3, S. 34–35; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 3, S. 42–43; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 4, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 4, S. 46–47; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 5, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 4, S. 54–55; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 6, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 5, S. 62–63; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 7, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 5, S. 70–71;

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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lich nicht gekennzeichnete Artikel in zwei Teilen über Moderne Möbel 596, über Billige Möbel 597 oder von Georg Bötticher, Musterzeichner von Tapeten und Vater von Joachim Ringelnatz, einen dreiteiligen Artikel zu der Frage Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?.598 Die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration schrieb auch Wettbewerbe aus, zum Beispiel im April 1891 ein „Preisausschreiben für perspektivische Entwürfe von Wohn- und Repräsentations-Räumen, und zwar für Salons, für Speise- und Wohnzimmer, für Boudoirs, für Schlafzimmer und für Herrenzimmer mit daranstoßendem Rauchzimmer“.599 Gefragt waren „Originalität der Gedanken und zwanglose Gruppirung der Möbel“.600 Über die sechs Preise im Wert von insgesamt 640 Mark entschieden Carl Behr, Ferdinand Luthmer, Direktor der Kunstgewerbeschule Frankfurt/M. und der Darmstädter Architekt Hermann Müller. Das Ergebnis der 14 eingereichten Entwürfe war allerdings enttäuschend. Entgegen dem Wunsch der Preisrichter wurde trotzdem ein erster Preis vergeben, und zwar für den Entwurf eines Münchner Kunstgewerbelehrers für ein Schlafzimmer mit dem Motto ‚Zeige mir, wo du schläfst, und ich sage dir, wie du lebst‘.601 Viele Anregungen waren von Frauen eingegangen. Deshalb stellte der nächste Wettbewerb der Zeitschrift im Dezember 1891 die Frage: „Wie können unsere Frauen zur Ausschmückung der Wohnräume beitragen?“. Die drei besten Abhandlungen, nicht länger als zwei Seiten, sollten mit 80 Mark, 60 Mark oder 40 Mark ausgezeichnet werden.602 Aber auch diesmal waren die Preisrichter, drei Schriftsteller und der Herausgeber Alexander Koch, nicht zufrieden:

Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 8, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 6, S. 78–79; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 9, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 6, S. 86–87; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 10, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 7, S. 94–95; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 11, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 7, S. 102–103; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 12, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 8, S. 110–111; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 13, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 8, S. 118–119; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 14, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 126–127; Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 15, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 134 596 o. A.: Moderne Möbel, Teil 1, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1, S. 3–4; o. A.: Moderne Möbel, Teil 2, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 2, S. 12–13 597 o. A.: Billige Möbel, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 13, S. 110 598 Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 1, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1, S. 4–5; Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 2, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 2, S. 14; Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 3, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 3, S. 20–21 599 Verlag und Redaktion: Preis-Ausschreiben, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 4, S. 58 600 Ebd. 601 Vgl. Schriftleitung: Ergebniß unseres Preisausschreibens vom April 1891, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 11, S. 170 602 Schriftleitung: Ein neues Preisausschreiben, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 12, S. 186

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

Der ausgesetzte erste und zweite Preis von Mk. 80 bezw. Mk. 60 konnte leider überhaupt nicht zur Vertheilung gelangen, da von keiner der eingelaufenen 35 Konkurrenz-Arbeiten das Thema im Sinne der Schriftleitung erschöpfend behandelt wurde. Zur Prämiirung mit dem dritten Preis von Mk. 40 wurde einstimmig die Arbeit, Motto: ‚Der schönste Schmuck eines Heims ist das in demselben schaffende Weib‘ vorgeschlagen und erfolgte dieselbe dementsprechend, obwohl eine erschöpfende Behandlung des Themas auch hier bei Weitem nicht stattgefunden hatte, dagegen dem von uns Verlangten am meisten entsprochen war‘.603

Obwohl Anregungen von Frauen den Anstoß zu dem Wettbewerb gegeben hatten, wurde mit dem einzig vergebenen dritten Preis ein Mann ausgezeichnet, nämlich der Kölner Architekt Otto Schulze, der offenbar zu den Mitarbeitern der Zeitschrift zählte. Denn ‚Otto Schulze, Köln‘ schrieb im Heft 5 den Artikel Verkehr mit den Handwerkern bei Einrichtung und Ausschmückung der Wohnräume604 und in den Heften 6 und 7 den zweiteiligen Aufsatz Ueber Bilder-Rahmen und Bilder in ihrem ästhetischen Verhältnis zu einander.605 Schon das Fachblatt enthielt 1898 die Rubrik Mein Heim, mein Stolz, ein Slogan, der im Jahr 1900 als Untertitel der nur noch Innen-Dekoration genannten Zeitschrift übernommen wurde.606 Von Anfang an wollte die Zeitschrift in ihren Artikeln zur Wohnungseinrichtung auch das Leitbild bürgerlicher Harmonie in Haus und Wohnung vermitteln, also das Familienglück, dieses erste Grundelement eines friedlichen, sozialen Lebens, durch Anleitung zur Einrichtung eines behaglichen, sowohl einfachen als luxuriösen Heims, begründen zu helfen.607

Bürgerliches Glück sah die Zeitschrift nicht nur im Einfamilienhaus, sondern auch im modernen Mietshaus, dessen Innenarchitektur zum Beispiel im Januar 1899 besprochen wurde. Damit griff die Zeitschrift die Probleme des bürgerlichen Mittelstandes auf, die schon Julius Lessing mehr als 25 Jahre früher in seinem Buch über die Wiener Weltausstellung 1873 angesprochen hatte.608 Jetzt schrieb Wilhelm Freiherr von Tettau: Was aber soll der Beamte, der Offizier, überhaupt jeder Abhängige, der öfteren Versetzungen ausgesetzt ist, mit dem mehr oder minder individuell gehaltenen eigenen Hause, was wir armen Teufel, die uns das Leben und Interesse ins Centrum der Stadt zieht, ohne dass wir uns ein eigen Haus in seinem theuren Herze leisten können, ohne dass wir Zeit und Geld an die Bahnen zu verschwenden haben?609

603 Verlag und Schriftleitung: Ergebniß unseres Preis-Ausschreibens, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 6, S. 107 604 Schulze, Otto: Verkehr mit den Handwerkern bei Einrichtung und Ausschmückung der Wohn-räume in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 5, S. 75–77 605 Schulze, Otto: Ueber Bilder-Rahmen und Bilder in ihrem ästhetischen Verhältnis zu einander, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 6, S. 99–102; Schulze, Otto: Ueber Bilder-Rahmen und Bilder in ihrem ästhetischen Verhältnis zu einander, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 7, S. 115–118 606 Ab 1902 leitete Alexander Koch zusammen mit Henry van de Velde die Zeitschrift (Vgl. Alexander Koch, Zur Reform der Wohnungs-Ausstattung, S. 3–4) 607 o. A., An unsere geehrten Leser und Freunde, S. 1; „The journal thus combines home decorating with the homemaking ethos” (Muthesius, Communications, S. 16) 608 Vgl. Kap. 7.4.1. 609 Tettau, Freiherr von, Wilhelm: Innen-Architektur des modernen Mieths-Hauses, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 10 (1899), H. 1, S. 9–14, hier: S. 9

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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Auch in den Folgejahren nach 1900 erschien eine Reihe von Artikeln zur Gestaltung von Mietwohnungen. Dazu gab es ebenfalls ein Preisausschreiben, dessen Entwürfe „einfache und billige, aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen“610 sein sollten, und zwar für diejenigen „Gebildeten, welche nicht mehr als ca. 1600 – 2500 Mark zur Einrichtung ihrer Wohnungen anlegen können“.611 Auf diese Entwürfe wird in Kapitel 8.3.2 noch näher eingegangen.

7.5.2  ‚Deutsche Kunst und Dekoration‘ Mit der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration verfolgte der Verleger Alexander Koch ab 1897 einen anderen Ansatz als mit der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration. Ihm ging es jetzt nicht mehr nur um Dekoration und Innenausbau, sondern um Kunst in ihren verschiedenen Bereichen, wie der Untertitel der Deutschen Kunst und Dekoration deutlich macht: Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst und künstlerisches Frauen-Arbeiten. Nach dem Vorbild ausländischer Zeitschriften wie ‚The Artist‘ oder ‚Art et Décoration‘ sollte diese Zeitschrift das deutsche Kunstgewerbe ohne „Deutschthümelei“612 abbilden und gleichzeitig in einem Prozess der Professionalisierung künstlerisch aufwerten, wie Verleger Alexander Koch im ersten Heft formulierte: „Wirkliche, grosse Künstler für die – Kleinkunst!“.613 Darunter verstand Koch die Förderung einer wahrhaft echten deutschen Kunst- und Formen-Sprache in neuzeitlicher Auffassung in Allem […], was uns im Leben an Schmuck und Geräth umgibt.614

Die neue Zeitschrift strebte wie die anderen aus dem Verlag Alexander Koch die „Vermittelung zwischen Künstler und kaufkräftigem Publikum“615 an. Koch hatte auch hier eine klare Vorstellung von der Zeitschrift als Wirtschaftsunternehmen und wollte als Zielgruppe dieses Mal vor allem das kunstinteressierte gehobene Bürgertum ansprechen. Ein weiterer Aspekt kam hinzu: Die Zeitschrift wollte Neuheiten nicht nur präsentieren, sondern fördern und helfen, sie auch durchzusetzen. Wie die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration setzte auch die Deutsche Kunst und Dekoration auf Wettbewerbe, um Anstöße für neue Entwürfe zu geben und die Hersteller davon zu überzeugen: „Ein Tapeten-, ein Möbelfabrikant etc. hat durch Wettbewerbe die denkbar beste Gelegenheit: junge, erfinderische Geister zu entdecken,

610 o. A.: Preis-Ausschreiben zur Erlangung von Entwürfen für einfache und billige Wohnungs-Einrichtungen, in: Innen-Dekoration (1902), H. 1, Inseraten-Beilage, S. 1–2, hier: S. 1 611 Ebd. 612 Koch, Alexander: Unser Programm, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), o. S. 613 Koch, Alexander: An die deutschen Künstler und Kunstfreunde!, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), o. S.; Dazu auch Stefan Muthesius: „Likewise in Germany a new concept of Raumschöpfung (‚space-creation‘) or Raumkunst (‚space-art‘) raised the status of all kinds of interior design from around 1900. What fell by the wayside, however, was the ‚home‘. Neither the interior designer nor the Raumkünstler would now publish their work under the label ‘home’ […]. In Central Europe, gemutlich became a non-word in high architectural circles“ (Muthesius, The Poetic Home, S. 306) 614 Koch, An die deutschen Künstler und Kunstfreunde, o. S. 615 Ebd.

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

neue Ideen zu gewinnen“.616 Im Unterschied zur Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration rief die Deutsche Kunst und Dekoration aber jeden Monat zu einem Wettbewerb auf617, dessen Aufgaben aus der angewandten Kunst stammten und bereits in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für das ganze erste Jahr vorgestellt wurden. So waren folgende Entwürfe gefragt, die jeweils mit drei Preisen ausgezeichnet werden sollten: Muster für eine Papiertapete für ein „mittelgroßes, […] gut erhelltes Wohn- oder Speisezimmer“618 (November 1897), Teppich in Knüpftechnik für ein Herrenzimmer „mit einfarbigem oder Ton in Ton gehaltenem Mitteltheil“619 (Januar 1898), Garnitur Sitzmöbel in Nussbaum „für ein besseres Bürgerheim, doch ohne Prunk“620 (Februar 1898), „Petroleum-Tischlampe in Majolika mit Bronzefassung und Milchglasglocke“621 (März 1898), Tischläufer (April 1898), „Tapeten-Fries für ein besseres Wohn- oder Speisezimmer“622 (Mai 1898), Fensterverglasung für ein dreiteiliges Flurfenster aus farbigem „Kathedralglas ohne Bemalung in Bleifassung“623 (Juli 1898), Garnitur Polstermöbel mit Lehnstuhl, Sessel, Sofa und Doppelsessel (August 1898), Blumentisch in Schmiedeeisen mit sechs geschmückten Ziertöpfen (September 1898) und schließlich ein zweifarbiges Fliesenmuster als „reichere Wandbekleidung“624 (Oktober 1898). Beim Wettbewerb zur Sitzmöbelgarnitur in Nussbaum gehörten zu den Preisrichtern wieder die bekannten Fachleute Carl Behr und Ferdinand Luthmer, außerdem Alexander Koch. Sie entschieden sich unter den 18 zugelassenen von 21 eingegangenen Entwürfen nur für drei zweite Preise von je 40 Mark. Die Entwürfe folgten mit ihrer ornamentalen Linienkunst der „moderne[n] Bewegung“625 des Jugendstils, aber meistens fehlte ihnen die „praktische Benutzbarkeit“.626 Beim Wettbewerb zur Polstermöbelgarnitur mit Lehnstuhl, Sessel, Sofa und Doppelsessel traf die Redaktion die Entscheidung selbst. Sie vergab zwar einen ersten und zweiten Preis, war aber mit den meisten der 23 eingesandten Entwürfe nicht zufrieden. Aus Sicht der Jury achteten die meisten Künstler nur auf malerische Muster, vorwiegend im Jugendstil ausgeführt, dabei sei „[e]in deutscher Stil ohne Konstruktivität und ohne Material-Karakteristik nicht zu denken“.627 In deutlichen Worten fährt die Redaktion fort: Viel Fantasie – wenig Praxis, ja nicht einmal auf den geringen Anspruch hin auf ‚Sitzen‘, geschweige auf Bequemlichkeit. Man sollte mehr auf einfache Logik halten, denn nach gesuchter Originalität streben, die immer auf Abwege führt, sobald lediglich auf Effekthascherei und ‚Wirkung‘ hin gearbeitet wird. So lagen Entwürfe vor, in denen nicht einmal die Abmessungen der Grundformen dem menschlichen 616 o. A.: Wettbewerbe: Plakate, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), S. 56 617 Vgl. Alexander Koch, Unser Programm, o. S. 618 Ebd. 619 Ebd. 620 Ebd. 621 Ebd. 622 Ebd. 623 Ebd. 624 Ebd. 625 Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration: Wettbewerb-Entscheidung IV der „Deutschen Kunst und Dekoration“, in: Deutsche Kunst und Dekoration 2 (1898), S. 281–284, hier: S. 281 626 Ebd., S. 284 627 Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration: Wettbewerb-Entscheidung X der „Deutschen Kunst und Dekoration“, in: Deutsche Kunst und Dekoration 3 (1898/1899), S. 98–102, hier: S. 100

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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Körper angepasst waren; […] Auf der anderen Seite waren die Polsterungen so eckig und anstössig, dass man dafür einem bequemen Brettstuhl den Vorzug gegeben hätte.628

An den beiden Wettbewerben wird erkennbar, dass die Deutsche Kunst und Dekoration zum Sprachrohr der Jugendstilbewegung mit der Mathildenhöhe in Darmstadt als einem ihrer Zen­tren wurde. Die Künstler suchten wie die Zeitschrift nach einer ‚modernen‘ Kunst als Alternative zum Historismus. Die beiden Wettbewerbe zeigen außerdem, dass von Künstlern vielleicht originelle, aber nicht unbedingt praktikable Entwürfe zu erwarten waren. Deshalb war es schwieriger für die Zeitschrift als im Vorwort angenommen, mit prämierten Entwürfen den Herstellern Anregungen zu geben und damit auf Produktgestaltung und Chancen am Markt Einfluss zu nehmen. Ansonsten besprach die Deutsche Kunst und Dekoration vielfach Ausstellungen oder stellte einzelne Künstler vor. Ihr Erscheinungsbild war durch eine moderne Schriftart klarer und durch die Verwendung von Fotos zeitgemäßer als das Erscheinungsbild der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration.

7.5.3  ‚Dekorative Kunst‘ Fast zur gleichen Zeit wie die Deutsche Kunst und Dekoration erschien 1898 die von dem Verleger Friedrich Bruckmann und dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Julius Meier-Graefe gegründete Zeitschrift Dekorative Kunst. Illustrierte Zeitschrift für angewandte Kunst. Sie befasste sich vor allem mit Themen aus der Architektur und beschrieb Landsitze, Villen und Gewerbebauten in ihrer äußeren Bauweise und der inneren Gestaltung. Es gab Aufsätze zu Beleuchtungskörpern und Möbeln, griechischer Glasmalerei, oberhessischer Töpferei, französischen Radierungen, außerdem Besprechungen von Ausstellungen, aber auch Aufsätze über die Wiener Moderne, über Luxuskunst oder Volkskunst629 oder über Kunst und Maschine.630 Zu den Autoren zählten Hermann Muthesius, der Schweizer Kunsthandwerker und Jugendstil-Mitbegründer Hermann Obrist oder der Berliner Kunstkritiker Karl Scheffler, der Kunsthistoriker und spätere Dürerbund-Mitbegründer Paul Schumann und der Kunsthistoriker Ernst Wilhelm Bredt, der auch für die Deutsche Kunst und Dekoration schrieb. Wer die Zeitschrift las, bekam Einblick in aktuelle Diskussionen der zeitgenössischen Kunst. Im Gegensatz zur Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration war die Ansprache an die Leser in der Dekorativen Kunst weniger belehrend und ähnelte damit der Deutschen Kunst und Dekoration.

7.5.4  ‚Die Kunst für Alle‘ Die Zeitschrift Die Kunst für Alle, die ab Oktober 1885 im Verlag von Friedrich Bruckmann in München erschien, wurde von dem Maler und Kunstschriftsteller Friedrich Pecht herausge-

628 Ebd. 629 Obrist, Hermann: Luxuskunst oder Volkskunst?, in: Dekorative Kunst 9 (1902), S. 81–99 630 Muthesius, Hermann: Kunst und Maschine, in: Dekorative Kunst 9 (1902), S. 141–147

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7  Marktmechanismen: Serienmöbelfertigung und Verfügbarkeit

geben und zählte zu den meistgelesenen Kunstzeitschriften.631 Die Zeitschrift erschien alle 14 Tage und hatte eine Auflage von 15.000 bis 18.000 Exemplaren. Als eine der ersten Zeitungen arbeitete sie fast nur mit fotografischen Bildreproduktionen. Ihr Ziel war die Kunstvermittlung für ein breites Publikum. Im ersten Aufsatz der ersten Ausgabe befasste sich Friedrich Pecht mit der ‚deutschen Malerei der Gegenwart‘. Die Zeitschrift legte den Schwerpunkt auf zeitgenössische Kunst, vor allem auf Malerei und Bildhauerei, besprach Ausstellungen und stellte Bücher vor. Es ist bemerkenswert, dass nach sieben Jahren, im Oktober 1892, eine neue Rubrik mit jeweils ein bis zwei Artikeln pro Ausgabe hinzukam und damit die Kunstvermittlung auf die ‚Kunst im Hause‘ ausgeweitet wurde: Unsere Aufgabe wird also darin bestehen, daß wir die Errungenschaften der kunstgewerblichen Wissenschaft nach ihrer praktischen Bedeutung für die Ausschmückung des Hauses in einfacher, bündiger und populärer Weise unsern Lesern zugänglich machen und sie von allen Fortschritten dieser Wissenschaft verständigen. Wir wollen eine praktische und leichtfaßliche Ästhetik für den Hausgebrauch liefern, die der erzieherischen Aufgabe der Kunst im Hause nach allen Richtungen entgegenkommt.632

An dieser neuen Rubrik zeigt sich deutlich die wachsende Bedeutung der Selbstrepräsentation durch Wohnen und Einrichten für den bürgerlichen Mittelstand, so dass auch eine Kunstzeitschrift dieses Thema aufgreifen wollte. Die ersten Artikel befassten sich mit der ‚praktischen Ästhetik von Sitzmöbeln‘ und mit modernen Gobelins. Später ging es um orientalische Teppiche oder Größenverhältnisse von Möbeln, aber auch um das Dekor von Gebrauchsgeschirren oder um den dekorativen Wert eines Spiegels. Zu den Autoren gehörten der Kölner Architekt Otto Schulze, der auch für die Deutsche Kunst und Dekoration schrieb, der Kunsthistoriker Theodor Volbehr und der Volkskundler Robert Mielke. Sie boten in ihren Rubriken einen Überblick für Verbraucher, die sich geschmackvoll einrichten und schnell orientieren wollten. Es ist deutlich geworden, dass die Hinwendung zu einem ‚nationalen Stil‘ im Kaiserreich auch die Inneneinrichtung betraf und sich Kunstzeitschriften damit beschäftigten. Sie hatten unterschiedliche Ansätze und boten damit dem durch Leistung erfolgreichen Mittelstand die Orientierung, die er suchte. Die Kunstzeitschriften kosteten mehr Geld als andere Zeitschriften und belegen deshalb das Streben nach Bildung und bürgerlicher Lebensführung und den Willen, dabei immer auf dem neuesten Stand zu sein. Die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration berichtete ausführlich über alle Bereiche der Wohnungsgestaltung und wollte in ähnlicher Weise wie die Deutsche Kunst und Dekoration in Wettbewerben Einfluss 631 Vgl. Sabine Brantl: Die Kunst für Alle, in: Meister, Jochen/Dies.: Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle, 2006, S. 1–7 Internet: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/102/1/DieKunstfueralle.pdf (Zugriff: 29.5.2018); Die Zeitschrift wurde nach dem Tod von Friedrich Precht 1903 durch den Kunstkritiker Julius Meier-Graefe modernisiert und öffnete sich nun auch für die internationale Kunst. Die Kunst für Alle erschien bis 1944. Für die Münchner Historikerin Sabine Brantl ist Die Kunst für Alle „weder ein reaktionäres Kampfblatt, noch ging sie in Opposition zu der von der Partei gewünschten und verordneten Kunst. Bis zu ihrer Einstellung im Oktober 1944 blieb sie ein gemäßigtes Organ der bürgerlichen Mitte“ (Brantl, Die Kunst für Alle, S. 6). Zu dem Thema organisierte das Zentralinstitut für Kunstgeschichte mit dem Haus der Kunst in München vom 13.–14.7.2006 ein Symposium.) 632 Redaktion der Zeitschrift Die Kunst für Alle: Die Kunst im Hause. Zur Einführung, in: Die Kunst für Alle 8 (1892–1893), S. 14–16, hier: S. 14

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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auf Gestaltung und Produktion nehmen. Die Dekorative Kunst stellte die Fragen der Innen­ einrichtung in einen größeren kunstwissenschaftlichen Zusammenhang, die Kunst für Alle hingegen verkürzte sie auf wesentliche Produktinformationen für einen großen bürgerlichen Leserkreis. Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln Produktionsentwicklung und Marktentwicklung untersucht wurden, soll im Folgenden die Stilentwicklung im Vordergrund stehen. Dabei geht es um die Entwicklung von den schlichten Formen des Biedermeier über den Historismus mit der Kombination stilistischer Elemente aus unterschiedlichen Epochen hin zu den zweckmäßigen und geradlinigen Serienmöbeln in schlichter Formensprache, entsprechend dem 1896 formulierten Satz ‚form ever follows function‘ des Architekten Louis H. Sullivan633, der in den Programmen des Deutschen Werkbundes wiederkehrte. Die Entwicklung zu den sogenannten Maschinenmöbeln stieß lange Zeit auf Kritik, nicht nur bei den Kunden, die nicht auf Pilaster, Friese und Troddeln verzichten wollten, sondern auch in Tischlerzeitschriften und unter Tischlern. Aufzuhalten war die Entwicklung aber nicht. Wohnungsausstellungen zeigten die neuen Serienmöbel für den bürgerlichen Mittelstand, Preisausschreiben prämierten die Möbel. So setzten sie sich langsam auch bei den Kunden durch. Bürgerliche Selbstrepräsentation wurde mit Serienmöbeln schlichter, zweckmäßiger und erschwinglich.

633 Sullivan, Louis H.: The Tall Office Building Artistically Considered, in: Lippincott’s Magazine (März 1896) S. 403–409, hier: S. 408; “Whether it be the sweeping eagle in his flight, or the open apple-blossom, the toiling work-horse, the blithe swan, the branching oak, the winding stream at its base, the drifting clouds, over all the coursing sun, form ever follows function, and this is the law. Where function does not change, form does not change” (Sullivan, The Tall Office Building Artistically Considered, S. 408)

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8  STILENTWICKLUNG: KUNDENWÜNSCHE UND GESCHMACKSBILDUNG

8.1  Stilpluralismus als Problem 8.1.1  Kennzeichen des Stilpluralismus Was verlangt man schließlich? Daß die Wohnung modern sei. […] Wir haben ja, Gott sei Dank, die Auswahl! Also: großer Salon Louis seize, Boudoir Rokoko, Speisezimmer flamändische [sic!] oder deutsche Renaissance, Herrenzimmer spätgothisch (neuerdings in Paris wieder sehr beliebt!). Der Vorplatz – wenn er groß genug ist, nennt man ihn Hall – englischer Queen-Anne-Stil mit etwas japanischem Aufputz.1

Ferdinand Luthmer war nicht der einzige Fachmann2, der kopfschüttelnd beobachtete, wie bürgerliche Mittelschichten bei der Einrichtung ihrer Wohnung sich von allgemeinen Stilvorgaben lösten und alle Spielräume der Verfügbarkeit nutzten, die das Angebot im Handel und die eigenen finanziellen Möglichkeiten hergaben. Im Historismus wurde an Stilelementen miteinander kombiniert, was sich irgendwie kombinieren ließ. Er stand für Wahlfreiheit und kennzeichnete damit die „Normalitäten des mittelbürgerlichen Wohnens“3 im Kaiserreich, wie Thomas Nipper­dey im ersten Band seiner Deutschen Geschichte 1866–1918 schreibt. Als ­Luthmer 1894 in seinem Artikel Der Dekoratör in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift 1 2

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Luthmer, Ferdinand: Der Dekoratör, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 5 (1894), H. 1, S. 12–15, hier: S. 12–13 Ähnlich wie Luthmer äußerte sich Carl Behr 1890: „Es ist Sitte in Deutschland, die verschiedenen Räume in verschiedenen Stilarten auszustatten. Gewöhnlich ist das Speisezimmer in deutscher Renaissance gehalten, der Salon Rokoko, das Boudoir Louis XVI., das Rauchzimmer gothisch oder gar maurisch usw. Der Bewohner entschuldigt sich wohl mit den Worten: ‚Auf diese Art habe ich doch Abwechslung in meinem Hause und nicht immer dasselbe, man sieht sich sonst so leicht müde an seiner Einrichtung‘“ (Behr, Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 7, S. 79); Diese Entwicklung hielt bis 1909 sogar noch an, denn dann schrieb L.: „Unsere schnelllebige Zeit, unser nervös gesteigerter Drang nach Augenfreude treibt nicht still auf fließender Flut; er hastet, er springt, er fordert tausend neue Anregungen. Wer unter den Lebenden vermöchte es über sich, sein Heim, seine Welt in einem Stile zu formen? Ein Zimmer Rokokko [sic!], eines Empire, das andere sezessionistisch, das nächste altdeutsch, ja, das ist wohl üblich und selbst in solchen stilgerechten Räumen regt sich in allen Winkeln die abwechslungssüchtige Moderne“ (L., R.: Geschmackswandlungen. Eine Kunstbetrachtung, in: Leipziger Mess-Zeitung 6 (1909), H. 4 (3.2.1909), S. 36) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693) Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, S. 140

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

für Innen-­Dekoration die Vermischung der Stile beklagte4, war die Zeit des Biedermeier schon lange vorbei. Es war um 1820/30 „zu dem [Hervorhebung im Original] Einrichtungsstil des deutschen Bürgertums“5 geworden, doch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich anstelle des schlichten, einfachen Biedermeier immer mehr der dunkle, schwere und wuchtige Historismus durch, bevor um die Jahrhundertwende allmählich wieder zweckmäßigere, weniger repräsentative Möbel auf den Markt kamen. Es sind vordergründig Stilfragen, die bei der Wohnungseinrichtung den Ausschlag gaben und an denen Luthmer Kritik übte. Aber dahinter zeigen sich doch deutliche Veränderungen in den Formen bürgerlicher Selbstrepräsentation. Anders als der Historismus steht das Biedermeier für die Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit und den Rückzug ins Private, die Abkehr von jedem Luxus und das „Ideal eines zurückgezogenen Lebens“.6 Die Schlichtheit natürlicher Formen und eine Kultur der Einfachheit7 wurden im frühen 19. Jahrhundert zu Maßstäben der Gestaltung. Es kam auf zweckmäßige Form, materialgerechte Verarbeitung und auf die leuchtenden Komplementärfarben rot, blau und gelb an.8 Häufig waren es kleine, aus einheimischen Hölzern gefertigte Möbel ohne Ornamente, um den Verlauf der Maserung nicht zu stören, die vielfach durch eine Politur hervorgehoben wurde.9 Anfangs überwogen klare, später manieristische Formen. So konnten 4

„Denn wer wollte es leugnen, daß im Durchschnitt die Anforderungen auch unseres besseren Bürgerstandes in Bezug auf Hauseinrichtung ziemlich bescheiden sind“ (Luthmer, Der Dekoratör, S. 12); Friedrich Naumann schreibt über die Vorstellung vom Speisezimmer: „Ihr Urgrund ist Würde ohne Leichtigkeit; […] Da sitzen sie auf schweren Stühlen inmitten dunkel gebeizten Holzes unter einem Kronleuchter, der eine Kirche erleuchten könnte, und langweilen sich. Nachher aber reichen die Herren den Damen den Arm und führen sie ins Musikzimmer, wo alles weiß und gold ist wie in Trianon, nur etwas moderner, das heißt formloser. Wenn aber dann die Damen einen Blick ins Kinderzimmer werfen, so sagen sie: ach, wie allerliebst! Das Kinderzimmer ist nämlich ein etwas verzerrtes Nachbild von Schultze-Naumburg“ (Naumann, Berliner Gewerbekunst, S. 426) 5 Petsch, Eigenheim und gute Stube, S. 23; Vgl. Laurie Winters: Die Wiederentdeckung des Biedermeier, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 31–43, hier: S. 32 6 Wilkie, Angus: Biedermeier. Eleganz und Anmut einer neuen Wohnkultur am Anfang des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1996, S. 23 7 Vgl. Adelheid von Saldern, Rauminszenierungen, S. 41 8 Dazu auch der Schriftsteller Joseph August Lux: „Denn Biedermeier lehrt uns nicht nur auf die funktionelle Form und Werkzeugsprache zu achten, sondern auch auf die liebevolle Materialbehandlung und das belebende Element der kunstvoll gemeisterten Stofflichkeit. Man denke an die Intarsien, an die Furnierungen und leuchtenden Polituren alter Möbel, an Schnitzwerk. Das bedarf der sachverständigen Hand“ (Lux, Joseph August: Biedermeiers Geheimnis, in: Innendekoration 29 (1918), H. 12, S. 357–360, hier: S. 359); Vgl. Martin Suppan: Biedermeier Schreibmöbel. Erlesenes Mobiliar aus der Zeit von 1810 bis 1850, Wien 1987, S. 11; Vgl. Hermann Zinn, Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten, S. 18 9 Biedermeiermöbel „waren […] verhältnismässig sehr einfache Sachen. Ohne alle nötigen Verkrümmungen waren die Stücke gearbeitet, sie sahen so zierlich und reizend aus und boten doch jedem Gewähr, dass er sich seelenruhig in ein solches Stück, das zur Sitzgelegenheit aufgestellt war, niederlassen konnte. Aber das allein war es nicht, was Grosselterns Wohnung so reizend macht. Es ging von der Wohnung ein Zauber aus, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Auf dem Spinett standen hübsche Rahmen mit den als Ersatz für die jetzigen Photographien dienenden Silhouetten. Zierliche Kästchen, Kofferchen und Truhen waren auf Konsols und der damals noch beliebten Komode aufgestellt; kleine Schalen, Vasen und Dosen, die als zierliche Bonbonnieren dienten, standen an geeigneten Plätzchen und alle diese reizenden Kleinigkeiten waren in einem harmonischen Stile gehalten, welcher jedem Zimmer etwas ungemein Trauliches gab“ (o. A.: Biedermaierstil, in: Leipziger Mess-Zeitung 4 (1907), H. 9 (5.3.1907), S. 65) (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 688–690); Vgl. Hans Ottomeyer: Möbelfurniere, in: Witt-Dörring, Christian/Ders.: Korpusmöbel, Tische

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Biedermeiermöbel einfach-praktisch und schlicht, aber auch dekorativ und repräsentativ sein.10 Einfachheit war dabei weder eine Geld- noch eine Platzfrage, sondern das „ehrliche Auskommen mit dem Gegebenen“11, ein Sinnbild für die „Einheit des Wahren, Guten, Schönen“.12 In der Kunstgeschichte wurde dieser sparsame Stil des Soliden, Einfachen und Ordentlichen lange als der Stil angesehen, den das Bürgertum als aufstrebende soziale Klasse entwickelt habe, als Inbegriff bürgerlicher Wohnkultur. Doch Ottomeyer sieht darin eine „Fehleinschätzung von Ursprung und Entwicklung des ‚Biedermeier‘“13 und weist darauf hin, dass das Biedermeier schon vor 1815 in Residenzen und Höfen anzutreffen war und viele dieser Möbel Auftragsarbeiten des Adels waren.14 So nutzte das stärker werdende Bürgertum zu Beginn seines gesellschaftlichen Aufstiegs also auch Stilvorlieben des Adels, als es sich in Biedermeiermöbeln gerade von adeliger Prunksucht absetzen wollte. Als Stil blieb das Biedermeier nicht ohne Konkurrenz im frühen 19. Jahrhundert. In „Verbreitung und Geltungsdauer“15 war es mit Spätklassizismus, Neorenaissance, Neogotik und Neobarock durchaus vergleichbar, wie Ottomeyer schreibt. Der am Ende des 19. Jahrhunderts von Luthmer und vielen anderen beklagte Stilpluralismus war also keine völlig neue Erfahrung – im Gegenteil: Die späte Zeit des Biedermeier enthielt bereits alle Züge des nachfolgenden Historismus. Auf der Suche nach Erneuerung verfiel die Epoche den Lebensformen der Vergangenheit. Im Verlauf der wachsenden Desorientierung an der Gegenwart kam das verstärkte Interesse an den Überbleibseln der Vergangenheit auf, die man zu sammeln begann.16

Schon 1834/35 zeigte sich bei Kunstgewerbeausstellungen in München und Wien der Neo­rokokoStil mit zahlreichen neuen Zierformen, auch wenn die Grundformen des Biedermeier noch erkennbar bleiben.17 In den 1840er Jahren sind die ersten Möbel in Neorenaissanceformen nachweisbar, dem ‚altdeutschen Stil‘, der besonders häufig für Ess- und Herrenzimmer gewählt wurde.18

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und Furniere, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 122–123, hier: S. 122; Vgl. Christian Witt-Dörring, Zur Ästhetik des Biedermeier-Möbels, S. 65 Vgl. Christian Witt-Dörring, Zur Ästhetik des Biedermeiermöbels, S. 119; Vgl. Karl Kimmich: Stil und Stilvergleichung. Kurzgefasste Stillehre für Laien, Kunst- und Gewerbebeflissene, Ravensburg 1899, S. 78 Ottomeyer, Hans: Die Erfindung der Einfachheit, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 42–69, hier: S. 47 Häusler, Wolfgang: Versuch über die Einfachheit. Oder: Die Ordnung der Vielfalt in Politik, Bildung und Kunst der bürgerlichen Gesellschaft, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 97–119, hier: S. 99 Ottomeyer, Die Erfindung der Einfachheit, S. 44 So zeigte die Ausstellung „Die Erfindung der Einfachheit: Biedermeier“ 2007 in Milwaukee, Wien, Berlin und Paris, dass die wichtigsten Exponate der Ausstellung damals von Mitgliedern des Hofes und des Adels in Auftrag gegeben wurden (Vgl. Laurie Winters, Die Wiederentdeckung des Biedermeier, S. 34–39, hier: S. 39); Vgl. Hans Ottomeyer, Die Erfindung der Einfachheit, S. 44 Ottomeyer, Die Erfindung der Einfachheit, S. 44 Ebd., S. 45 Vgl. Georg Himmelheber, Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. 3, S. 147; Vgl. Thomas Dann, Möbelschätze aus Lippe, S. 32 Vgl. Joachim Petsch, Eigenheim und gute Stube, S. 45, S. 47; Joseph August Lux schreibt über das Herrenzimmer: „Nun und was das Herrenzimmer betrifft, so gab ja das Arbeitszimmer des Herrn Papa ein sehr beliebtes Vorbild mit gelbrotbraunen Portieren, ebensolchen Vorhängen, Teppichen und Polstermöbeln,

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Zimmer wurden jetzt auch in unterschiedlichen Stilen ausgestattet, für Damenzimmer kamen meistens die zierlichen Rokokomöbel in Frage. Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1844 zeigten 73 Möbelaussteller Möbel im ‚Rococo-Styl‘, im ‚gothischen Stil‘ sowie im ‚modernen Renaissance Styl‘.19 Um 1840/50 erlebte schließlich der Louis-Philippe-Stil seinen Höhepunkt20, ein höfischer Stil, der nach dem zwischen 1830 und 1843 regierenden französischen Bürgerkönig benannt ist. Ab den 1850er Jahren setzte sich der Historismus immer stärker durch, jetzt wurden Formen von Gotik, Renaissance, Barock und Rokoko in gleicher Weise anerkannt.21 Aus der Kombination stilistischer Elemente unterschiedlicher Epochen sollte Neues entstehen. Entwürfe von Künstlern gab es dazu kaum, deshalb erstellten Handwerksmeister oder Gewerbelehrer Vorlagen.22 Samt und Plüsch, Brokat und Troddeln wurden beliebt, Formen und Ornamente wie rahmende Pilaster, Holzintarsien oder Schmuckfriese, die zugekauft und in der Werkstatt aufgeklebt oder mit den neuen Bohr-, Fräs-, Drechsel- und Schnitzmaschinen viel schneller und billiger hergestellt werden konnten als von Tischlern in Handarbeit. Je überladener die Möbel waren, desto besser. Doch der Stilpluralismus wurde im jungen Kaiserreich zum Problem, weil sich die Vielzahl ganz unterschiedlicher Stilelemente nicht mit dem einheitlichen ‚deutschen Stil‘ vereinbaren ließ, den national gesinnte Fachleute des Kunstgewerbes wie Georg Hirth mit der Neorenaissance als Ausdruck eines neuen Nationalbewusstseins durchsetzen wollten. Die Kunstgewerbeausstellung 1876 in München zeigte den neuen Stil in seiner ganzen Pracht23: Tische und Stühle mit Brettlehnen, Leder- oder gemusterten Samtpolstern, die Gestelle aus Balustern und gedrechselten Teilen aufgebaut, geradlinig und schwer.24

Dazu kamen Blumenbänke, Säulen, Paravents, Plastiken und Vasen, außerdem Kissen, Vorhänge, Teppiche und Überwürfe.25 Es waren vollgestellte historisierende Arrangements. Die

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daran Fransen und Trotteln, an denen man so lange zu drehen pflegte, bis sie ausgerissen waren: Dann in der Ecke eine Ritterrüstung von einem kunstgewerblichen Blechschmied en gros fabriziert, ein großes Kreuzfahrerschild an der Wand mit einer Uhr drinnen, imitierte Tigerfelle, Trinkhörner und altdeutsche Humpen, die die Wacht am Rhein spielen, wenn man sie aufdreht“ (Lux, Joseph August: Der Geschmack im täglichen Leben, in: Die Leipziger Messe Heft 4 (Michaelismesse 1909), S. 26–28, hier: S. 26) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) Vgl. Achim Stiegel, Berliner Möbelkunst, S. 172–173; Vgl. Georg Himmelheber, Die Kunst des deutschen Möbels, S. 148 Vgl. Rainer Haaff, Louis-Philippe, S. 23 Vgl. Angus Wilkie, Biedermeier, S. 81; Vgl. Hans Ottomeyer/Alfred Ziffer: Möbel des Neoklassizismus und der Neuen Sachlichkeit, München 1993, S. 11; Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 733; Vgl. Karl Kimmich, Stil und Stilvergleichung, S. 72–74 Vgl. Georg Himmelheber, Die Kunst des deutschen Möbels, S. 149 Dazu schreibt Jakob Falke: „Auf der Münchener Ausstellung im Jahre 1876 schien die Renaissance allein noch Giltigkeit [sic!] zu haben; alles Andere versank, aus dem künstlerischen Gesichtspunkte betrachtet, vor ihr in nichts. Der Eindruck war so, dass man in Deutschland daraus den Schluss zog, die Renaissance sei der hoffnungsreiche und der einzig gemässe Styl für Gegenwart und Zukunft. Statt nach ‚schön und gut‘ rief und ruft man nun aller Orten nach der Renaissance“ (Falke, Die moderne Kunstindustrie und die Renaissance, S. 159) Vgl. Barbara Mundt: Historismus. Kunstgewerbe zwischen Biedermeier und Jugendstil, München 1981, S. 120 Vgl. ebd., S. 121

8.1  Stilpluralismus als Problem

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‚deutsche Renaissance‘ als ‚nationaler Stil‘ dürfte den meisten Familien der bürgerlichen Mittelschichten eher gleichgültig gewesen sein. Repräsentative Stilmöbel waren ihnen wichtig, auch unterschiedliche je nach Zimmer, aber kein bestimmter einheitlicher Stil. Denn inzwischen waren Stilmöbel verfügbar geworden. Man musste sie nicht erben oder wie früher für viel Geld beim Tischler in Auftrag geben, sondern konnte sie in den Magazinen in unterschiedlichen Ausführungen einfach kaufen.26 Deshalb zeigte die durchschnittliche bürgerliche Wohnung ein „Möbel-Ensemble“27 und glich einem historistischen Schauraum. Je stärker diese Entwicklung wurde, desto lauter wurde die Kritik. Sie betraf nicht nur die mangelnde Einheitlichkeit des Stils, sondern vielfach auch die schlechte Verarbeitung der Möbel. Deshalb wurde sie zum Auslöser für eine Reformbewegung um die Jahrhundertwende, die mit der Verbindung von traditionellem Handwerk und moderner Fabrikware auf guten Geschmack, gute Qualität und guten Preis setzte. Der Ende der 1890er Jahre aufgekommene Jugendstil spielte für die bürgerlichen Mittelschichten als Einrichtungsstil keine große Rolle, wie Andreas K. Vetter 1999 in seinem Buch Das schöne Heim ausführt. Der Jugendstil war „[v]on jeher auf wohlhabende Gesellschaftskreise gerichtet, die sich künstlerisch dekorativ interessiert zeigten“28 und Räume als Gesamtkunstwerk begriffen. Er hatte allerdings insofern große Bedeutung für die Stilentwicklung, als der Jugendstil dazu beitrug, die bisherige Gestaltung der Möbel in Frage zu stellen und die Orientierung an historischen Vorbildern zu überwinden. Auf die Kritik am Stilpluralismus des Historismus soll im Folgenden näher eingegangen werden.

8.1.2  Kritik in Zeitschriften und Ratgebern Warum lassen wir denn durchaus nicht die tüchtige, praktisch-erfahrene Hausfrau mit ihrer unbefangenen vorurtheilslosen Ansicht durchdringen? Wohl bemerkt, vorausgesetzt, dass sie eben noch unbefangen und vorurtheilslos zu entscheiden vermag. Unsere Hausfrauen haben so recht niemals für die gothischen Möbel, für die Renaissance-Einrichtung geschwärmt. Sie sind mit aller Gewalt dazu gebracht worden, diese Einrichtungen als ‚stilgerecht‘ zu bewundern und sie zu dulden. Jede Hausfrau kann aber einen kleinen Beitrag dazu geben, wieviele Mühe, Sorgfalt, Angst und Sorge diese Möbel mit allen ihren Hindernissen gegen das Abstäuben und Reinigen, gegen das Scheuern der Zimmer, gegen das Verstellen und Verrücken ihr schon gebracht haben. Und alle diese Klagen und Seufzer haben wir durch Jahrzehnte hindurch still ertragen, weil wir eben durchaus ‚stilgerecht’ sein wollten!29

26 So schreibt Paul Hosch 1911 über Stilmöbel und Möbelstile: „Vor allem gibt es nun zwei Arten von Stilmöbeln, den alten und den nachgemachten [Stil, M.-S.F.]. Die alten haben natürlich das erste Recht. Aber da eine lächerliche Sucht, hauptsächlich großgezogen durch unsere Museen und Gelehrten, herrscht, so ist das Angebot nicht im entferntesten in der Lage, der Nachfrage zu entsprechen, und so liegt es auf der Hand, daß eine ganz fabelhaft ausgedehnte Fälscherindustrie über Nacht entstand […]. Die zweite Art, die offen nachgeahmten Stilmöbel, bedeuten beinahe die ganze gegenwärtige Möbelfabrikation“ (Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 1, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 14 (6.4.1911), S. 105–106, hier: S. 106) 27 Saldern, Rauminszenierung, S. 39 28 Vetter, Andreas K. (Hrsg.): Das schöne Heim. Deutsche Wohnvorstellungen zwischen 1900 und 1940 in Bild und Text, Heidelberg 1999, S. 91 29 Metzger, Max: Zur Reform des Möbelstils. Ein Mahnwort an die Möbelfabrikanten und Möbeltischler, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 9 (1898), H. 6, S. 81–86, hier: S. 86

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Der Lübecker Gewerbelehrer Max Metzger fasste in seinem Grundsatzartikel Zur Reform des Möbelstils. Ein Mahnwort 1898 in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration die Einwände gegen den Historismus und die Verbindung unterschiedlicher Stilelemente zusammen. Möbel sollen nicht dekorativ, sondern zweckmäßig sein, Brauchbarkeit und Solidität nennt Metzger als wichtigste Bedingungen für alle Gebrauchsgegenstände und verweist auf englische und amerikanische Möbel, die den Erfordernissen des Alltags entsprachen und ohne überflüssige Dekoration auskamen, wie es zum Beispiel die Cousinen Rhoda und Agnes Garrett, aber auch Clarence Cook oder Robert William Edis jeweils in ihren Einrichtungsratgebern in den 1870er Jahren empfahlen.30 In seiner Bilanz nach 25 Jahren Kunstgewerbe im Kaiserreich erwähnt Metzger die zahlreichen neu gegründeten Gewerbeschulen und Kunstgewerbemuseen, mit deren Hilfe „tüchtig-geschulte Kunsthandwerker“31 ausgebildet worden seien. „Man musste an den Mustern der Vergangenheit das Schöne lehren und Sinn und Verständniss [sic!] für Form und Farbe ausbilden“32, zitiert Metzger zustimmend aus der 1883 erschienenen Ästhetik des Kunstgewerbes von Jakob Falke, die damit den Grundsätzen der englischen Kunstgewerbereform folgt.33 Wie dieser sieht Metzger die kunstvolle Nachahmung historischer Stile aber nur als „Durchgangsstation“34, bis Bildhauer und Maler ihre Ateliers verlassen und in die Werkstätten der Handwerker gehen, um dort einen neuen Stil zu entwickeln.35 Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen spricht Metzger eine Professionalisierung durch Künstler an, die auch der Verleger Alexander Koch verfolgte, als er ein Jahr zuvor, 1897, in der ersten Ausgabe von Deutsche Kunst und Dekoration ‚große Künstler‘ für die Kleinkunst36 forderte, nachdem Architekten wie Richard Riemerschmid, Bruno Paul und andere erstmals Möbel für die Weltausstellung 1893 in Chicago entworfen hatten. Diese Forderung blieb übrigens nicht unwidersprochen.37 Zum anderen führt Metzger den wichtigsten Einwand gegen den Historismus an: Die 30 Vgl. Kap. 5.2.2.; Vgl. zum Beispiel Robert William Edis: „It is unfortunately true that in many houses we still find decoration and furniture in which there is no element of beauty, in which costliness and vulgarity seem to run together, while some of the modern teachers run into eccentricity and grotesqueness of design and colouring, forgetting that in art, as in everyday life, eccentricities, either of design or colouring, are to be avoided; and that, as in the well-dressed woman of our acquaintance, so in all art decoration, we should be able to see general harmony and simplicity of effect, in which there shall be no glaring patterns or colours” (Edis, Decoration and Furniture, S. 12) 31 Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82 32 Ebd., S. 81 33 Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 210 34 Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82 35 Ebd. 36 Vgl. Alexander Koch, An die deutschen Künstler und Kunstfreunde!, o. S.; Vgl. Kap. 7.5.2. 37 Kritisch dazu Joseph August Lux: „Seit einigen Jahren, da sich die Künstler der Sache angenommen, ist die Verwirrung heillos. Ihre persönliche Eigenart wurde alsbald zur Mode, nachgeahmt und schrecklich verzerrt, und dabei wurde das Wichtigste, das sie auszeichnet, ihre Grundsätze einer organischen Konstruktion, das einzige, das Gemeingut werden sollte, übersehen. Die gewagtesten, phantastischen Linien kann man bei allen unpassenden Gelegenheiten wiederfinden; dem Besteller gefällt es, der Hersteller macht es, aber kein Mensch weiß, wozu und warum? Und doch ist das Wichtigste, zu wissen, wozu oder warum etwas so oder so gemacht wird, wenn ein anständiges Produkt zustande kommen soll“ (Lux, Joseph August: Vom guten und schlechten Möbel, in: Innendekoration 19 (1908), H. 2, S. 64); Kritisch äußerten sich die Tischler schon

8.1  Stilpluralismus als Problem

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endlose Nachahmung der historischen Stile […] liess zum grössten Theil moderne Bedürfnisse und moderne Anforderungen ausser acht. […] Nach unseren ureigenen Bedürfnissen und Eigenarten behandelt zu werden, dürfen wir aber wohl verlangen.38

Dieser Einwand von Metzger war 1898 alles andere als neu. Bereits 1873 stellte Jakob Falke in Die Kunst im Hause nicht den Stil in den Mittelpunkt der Wohnungseinrichtung, sondern die Bewohner und ihre Bedürfnisse. Deshalb könne die Einrichtung nicht in sich abgeschlossen sein, sondern müsse sich im Laufe der Zeit mit den Gewohnheiten der Bewohner verändern. Das letzte Wort bei der Einrichtung hatten für Falke also nicht der Architekt oder der Dekorateur, sondern die Bewohner: Wir leben eben in einer schnell wechselnden Zeit; die Familie wächst und mehret sich und schwindet wieder zusammen, wenn die groß gewordenen Kinder das Haus verlassen; […] Die Wohnung möge uns erlauben, dasjenige, dessen wir müde geworden sind, mit dem Besseren und Bequemeren, wie es die im Fortschritt begriffene Zeit erschafft, zu vertauschen, sie möge uns gestatten, Neues, das wir erworben haben, dem Alten gefällig einzufügen und mit dem veränderten und gewachsenen Bedürfniß auch Veränderungen oder Erweiterungen vorzunehmen! So wird die Geschichte unseres Lebens in der Geschichte unserer Wohnung sich reizend und anmuthig abspiegeln.39

Wenn eine Wohnungseinrichtung sich also den Bedürfnissen der Bewohner anpassen soll, dann ist die bloße Übernahme historischer Vorbilder in der Raumausstattung ausgeschlossen. Denn für Falke ist der Stil eigenständig und mehr als bloße Kopie. Das betrifft die gesamte Wohnungseinrichtung, aber auch die einzelnen Gebrauchsgegenstände. Es ist bemerkenswert, mit welcher Entschiedenheit Falke schon damals das gleiche Prinzip formulierte, das rund zwanzig Jahre später, 1896, Louis Sullivan kurz und knapp form follows function nannte:

1893: Die Architekten „haben den armen Tischlern das aufgezwungen, die haben dem Publikum gesagt, so und soviel Säulen, solche und solche weitmächtige Profile u. s.w. muß ein anständiger Schrank wenigstens haben, sonst ist er nicht gesellschaftsfähig. Und nun will es das Publikum so“ (Böttcher, P.: Möbelstudium, in: 2. Beilage der Deutschen Tischler-Zeitung 20 (1893), H. 7 (18.2.1893), o. S.) 38 Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82; „Das heutige Menschengeschlecht ist ein anders geartetes als dasjenige der Zeiten gothischer Stilblüthe, als dasjenige der Renaissance, der moderne Mensch lebt in anderen Gewohnheiten, Sitten und Anschauungen als der Barock- und Rokoko-Mensch“ (Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82); Vgl. dazu Jakob von Falke: „Aber der Hauptirrthum steckt […] in der Sache selbst. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Renaissance […] unzulänglich ist, für alle künstlerischen Bedürfnisse in Decoration, Geräth und Schmuck die Vorbilder zu liefern. Das ganze Geschirr z. B. für den Thee- und Kaffeetisch ist ihr völlig unbekannt und steht noch heute ihren Formen gänzlich ferne“ (Falke, Die moderne Kunstindustrie, S. 161); Dazu gleichlautend Hermann Muthesius: „Ein jeder Stil wächst, altert und stirbt; wir haben aber keinen Stil, der aus unserem Wesen erwachsen wäre, und vertiefen uns deshalb auf dem Wege der Unempfindung in die Ausdrucksweisen vergangener Geschlechter. […] Unser Unglück aber ist das ruhelosen Wechseln von Stil zu Stil“ (Muthesius, Hermann: Unsere Künste. Zum Überblick, in: Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen 1 (1887), H. 1, S. 1–4, hier: S. 2); Ähnlich schreibt ein unbekannter Autor: „Einen neuen Stil kann nur die Kulturbewegung, die Umwandlung des Zeitgeistes – um diesen einigermaßen verpönten und doch guten und vielsagenden Ausdruck zu gebrauchen – nur der Wechsel und Wandel des Zeitgeistes kann ihn schaffen. Das geschieht aber nicht im Handumdrehen von heute auf morgen“ (o. A.: Haben wir einen eigenen Stil?, in: Das Kunstgewerbe, Zweites April-Heft 1891, S. 229–231, hier: S. 229) 39 Falke, Die Kunst im Hause, S. 173–174

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Der Stil ist die Idealisirung des Gegenstandes, die harmonische Uebereinstimmung der Form mit dem Mittel und dem Zweck, die Uebereinstimmung des Gegenstandes mit sich selber, mit seiner Idee. Ein Geräth hat Stil, wenn es in vollendeter Weise das ist, was es sein soll, wenn es genau die Consequenz seiner Bestimmung ist und diese Bestimmung mit unzweifelhafter Klarheit an der Stirne trägt. […] Wir haben heute in allen modernen Kunstarbeiten den Stil verloren, weil wir es verlernt, weil wir es für zu gering geachtet haben für den Gegenstand die wahre und richtige Form zu finden.40

Aus diesem Stilverständnis folgt für die Wohnungseinrichtung, dass sie eben kein historistischer Schauraum sein konnte, sondern nur ein stimmiges Abbild ihrer Bewohner, wie Falke weiter schreibt: So sehen wir nicht selten, daß man das Zimmer durch die Decoration als etwas ganz anderes erscheinen lassen will, als das, was es ist. Aber eben dies verstößt wider die Wahrheit, wider die Einheit mit sich selbst. Wir wollen und sollen den geschlossenen Raum als solchen verschönern, aber ihn nicht in etwas anderes, nicht in die freie Natur, nicht in den Wald oder in einen Garten verwandeln: das wäre Illusion, das wäre Täuschung, nicht die Idealisirung des Gegenstandes, nicht die Uebereinstimmung der künstlerischen Ausstattung mit Zweck oder Idee.41

Die Ratschläge, die Falke in seinem Bestseller Die Kunst im Hause gibt, einem Buch mit mehreren Auflagen und Übersetzungen42, wurden viel gelesen, aber offenbar weniger beachtet. Denn die von Falke beschriebenen Zimmer, die sich durch ihre Dekoration als etwas anderes ausgeben, nennt Max Metzger in seinem Grundsatzartikel 1898 den „unsoliden billigen und unkünstlerischen Luxus“.43 Aber Metzger sieht um die Jahrhundertwende, also 25 Jahre nach Erscheinen von Falkes Buch, Bestrebungen, das fürchterliche Talmi zu verdrängen. […] unechter Prunk, schlecht nachgeahmte Dekoration wird in nicht mehr unabsehbarer Zeit von keinem Gebildeten mehr verlangt werden.44

40 Ebd., S. 181–182; Dazu ähnlich Hermann Muthesius: „Es liegt kein Grund vor, weshalb wir nicht dasselbe in unserm Sinne thun sollten, was man damals in England that: in unserer bürgerlichen Baukunst zur Einfachheit und Natürlichkeit zurückkehren, wie sie in unsern alten ländlichen Bauten eingehalten worden ist, auf jedes Architekturgeklingel an und in unserm Haus verzichten, Gemütlichkeit der Raumbildung, Farbe, natürlichen Aufbau, sinngemäße Gesamtgestaltung einführen, statt uns weiter in die Fesseln formalistischer und akademischer Architekturmacherei zu begeben“ (Muthesius, Hermann: Stilarchitektur und Baukunst: Wandlungen der Architektur im XIX. Jahrhundert und ihr heutiger Standpunkt, Mühlheim/Ruhr 1902, S. 62) 41 Falke, Die Kunst im Hause, S. 183 42 Falke schreibt 1897 in seinen Lebenserinnerungen über Die Kunst im Hause: „Ich meinerseits, […] ließ es bei solchem Theoretisieren im ganzen wie im einzelnen nicht bewenden, sondern suchte, […] in das Leben einzuführen. Aus diesem Bemühen entstand „Die Kunst im Hause“, ein Buch von sehr mäßigem Umfange, dessen Titel ein Schlagwort der Zeit geworden, und dessen Inhalt, wie mehrfache Auflagen und Übersetzungen beweisen, wohl nicht ohne fachlichen Einfluß geblieben ist. […] Aus Vorlesungen hervorgegangen sollte es ein Werk zum Lesen sein; es sollte […] Lust an der Sache erwecken. Ich unterließ es aus diesen Gründen das Buch zu illustrieren“ (Falke, Lebenserinnerungen, S. 222–223) 43 Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82; Vgl. Ferdinand Luthmer: „Es ist […] die Ueberfütterung mit ornamentalen Motiven: das Ersticken des einzelnen Möbels wie der gesammten Wohnungs-Ausstattung mit Zierformen, ein Ueberwuchern von Kringel- und Schnörkelwerk ohne Rücksicht auf gesunde Form, Benutzbarkeit, Solidität und Reinlichkeit“ (Luthmer, Abwege der modernen Möbelindustrie, S. 49) 44 Metzger, Zur Reform des Möbelstils, S. 82

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Damit stand Metzger nicht allein.45 Wenig später veröffentlichte Ferdinand Avenarius im Kunstwart seine ‚zehn Gebote‘ zur Wohnungseinrichtung.46 Sie sind der kürzeste und konkreteste Beitrag zur Geschmacksbildung im Kaiserreich, die mit Falkes Einrichtungsratgeber begann und danach als wichtige Aufgabe in Kunstzeitschriften immer wieder hervorgehoben wurde. Zu den Verfechtern der Geschmacksbildung zählte auch der Schriftsteller und Werkbund-Mitbegründer Joseph August Lux, der nach seinem 1909 erschienenen Aufsatz Der Geschmack im täglichen Leben47 drei Jahre später das Buch Geschmack im Alltag48 veröffentlichte. Darin beschreibt er guten Geschmack als „allerdringendste Bildungsangelegenheit“49 und nennt auch die Zielgruppen: Der gute Geschmack ist aber nicht nur verbindlich für den Hersteller, sondern vor allem für den Käufer, sowie für den Händler oder Kaufmann, weil sich kein Mensch zu den Gebildeten rechnen darf, der nicht imstande ist, den guten Geschmack durch die Tat auszudrücken.50

Geschmacksbildung sollte sicherstellen, dass der erfolgreiche, kaufkräftig gewordene neue bürgerliche Mittelstand nicht nur ‚seinen‘ Stil finden konnte, der den Bedürfnissen und Gewohnheiten bürgerlicher Lebensführung entsprach, sondern auch die im Handel angebotenen Möbel und ihre Verarbeitung beurteilen konnte.51 Das wurde umso wichtiger, je mehr Möbel aufgrund 45 Diese Einschätzung teilte Hermann Muthesius 1907: „Erst in den letzten 10 Jahren hat sich eine Wendung zum besseren vorbereitet durch die künstlerische Entwicklung, die namentlich in unserm Kunstgewerbe Platz gegriffen hat. Das Kulturideal, das sie verkörpert, ist kein aristokratisches, auch verkörpert sie kein Suchen nach Schmuck- und Zierformen, sondern wir beobachten in erster Linie das Streben nach bürgerlicher Gediegenheit. Von der Verwirklichung dieses Ideals wird es abhängen, ob wir einen unserer Zeit entsprechenden Stil ausbilden“ (Muthesius, Hermann: Probleme des Kunstgewerbes, Teil 2, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 38, S. 902–904, hier: S. 902); Ähnlich der Architekt Karl Statsmann über ein Jahrzehnt Innendekoration im Jahr 1909: „Nun erfreuen wir uns wieder heller gesunder Wohnräume mit praktischen und, was den kleineren Mann betrifft, auch nicht zu teueren Mobilien mit ruhiger wirkenden Wänden, Decken, Belägen. Freundlich grüßen Sonne, Blüten, Wald- und Gartengrün ins Fenster statt dunkler Höfe; statt in die Höhe geht’s in die Breite, die Kunstindustrie begleitet geschulter und aufmerksam das Streben nach Besserung in der Ausstattung. Und wird die allgemeine Bildung größer, die Schule natürlicher, so influiert auch stärker und nachhaltiger der Sinn für Beobachtung und Aneignung des Besten, was unsere Väter und Urväter geschaffen haben. Da sind noch große Schätze zu heben“ (Statsmann, Karl: Ein Jahrzehnt der Entwicklung der Innendekoration, in: Innendekoration 20 (1909), H. 1, S. 34–38, hier: S. 38) 46 Vgl. Kap. 5.2.2. 47 Vgl. Joseph August Lux, Der Geschmack im täglichen Leben, S. 26–28 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 48 Lux, Joseph August: Der Geschmack im Alltag. Ein Lebensbuch zur Pflege des Schönen, Dresden 1912 49 Ebd., S. VIII 50 Ebd., S. IV 51 Immer wieder wird der Mittelstand angesprochen. Dazu schreibt Hermann Muthesius: „Das Problem der Wohnungskultur liegt im übrigen, das braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, bei der heraufkommenden Generation, die sich ihr eigenes Mobiliar anzuschaffen in der Lage ist. Wenn hier eine Gesinnung Platz griffe, die nur das Einfache und Gediegene wählte, das Protzige vermiede und jeden Anschein des Täuschenden grundsätzlich abwiese, wieviel wäre dann schon gewonnen! Wir würden ein schlichtes Hausgerät von edlem Anstand und echter Vornehmheit, und zwar von bürgerlicher Vornehmheit haben, nicht der gewollten talmi-aristokratischen Vornehmheit von heute“ (Muthesius, Unsere Kunstzustände, S. 473); Ähnlich Carl Behr: „Daß der ‚pensionirte Geheimrath‘ Geist und Kunstbildung genug besitzt, um an Möbelstücken seine Freude zu haben, die, mit den geringsten Mitteln ihre Aufgabe lösend, einzig in guten Proportionen, gefälliger Färbung, sorgfältiger Profilirung ihre Schönheit suchen, ist ebenso erfreulich wie selbstverständlich. Aber leider ist ebenso wenig das Andere zu leugnen: unser kleiner Bürgerstand ist

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

der wachsenden Nachfrage in der Serienfertigung mit Maschinenunterstützung in größeren Werkstätten und Fabriken hergestellt wurden und als ‚minderwertige Fabrikware‘52 lange Zeit in der Kritik standen, bevor diese Fabrikware schließlich als „Garantie für durchschnittliche Güte“53 anerkannt war. Es ist überraschend, dass sich Falke in seinen Aufsätzen und Büchern äußerst kritisch mit der kunstgewerblichen Gestaltung von Möbeln auseinandersetzte, aber die Herstellungsverfahren dabei vollkommen außer Acht ließ. Er äußerte sich auch nicht zu Fabrik- oder Maschinenmöbeln, obwohl die für die Produktion immer bedeutsamer wurden und damit auch das Stilverständnis breiter bürgerlicher Schichten bestimmten, die Falke mit seinen Schriften erreichen wollte.54 Dagegen erkannte der Schriftsteller Ludwig Pfau schon 1866 in seinen Freien Studien die Chancen der Maschinennutzung, denn die zierlichste Ausstattung kostet am Ende nicht so viel Mühe und Arbeit […] Das Zufällige, Individuelle der Handarbeit fällt freilich weg; dagegen begünstigt […] die Leichtigkeit der Vervielfältigung […] die Verbreitung guter Kunstformen ungemein.55

Den ökonomischen Nutzen der maschinellen Produktion für die dekorative Kunst stellte etliche Jahre später der Kunsthistoriker Albert Dresdner heraus. In seinem Aufsatz Bürgerlicher Hausrath von 1898 in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration empfiehlt er Herstellern und Händlern, mit Künstlern zusammenzuarbeiten und anschließend die bewährten Entwürfe „für schlichte, durchaus zweckmäßige und doch schönheitsvolle Möbel […] fabrikmässig und massenweise herzustellen“56, aber sie auf Bitten einzelner Besteller auch individuell abzuwandeln. So werde dekorative Kunst auch für bürgerliche Familien erschwinglich, die mit 2000 bis 3000 Mark ihre Wohnung einrichten müssten.57

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noch vollständig befangen in dem ungesunden und rohen Gefallen an einem Scheinluxus, der nach mehr aussieht, als er ist“ (Behr, Über Dekoration und Möblierung, Teil 2, S. 13); Ähnlich formuliert es L. Hagen 1897/1898 in seinem Artikel Die stilvolle Wohnung in der Zeitschrift Kunst und Handwerk: „Denn dieser Mittelstand ist es ja gerade, dem die Lehrmeister der Aesthetik fördernd an die Hand gehen müssen, wenn eine neue Volkskunst entstehen soll. […] Gerade dem Mittelstande aber ist die ‚stilvolle‘ Wohnung zum Verhängniß geworden, weil sie in dem Scheinwesen und der Täuschungsindustrie Eingang in eben jene Kreise gewährte, deren gute Familientraditionen bis dahin an solidem, wenn auch dürftig geschmücktem Hausrath gehangen hatten“ (Hagen, L.: Die stilvolle Wohnung, in: Kunst und Handwerk 47 (1897/1898), S. 62–66, hier: S. 65) Vgl. Christoph Laue, Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, S. 63; Vgl. Wilhelm Schinkel, Stadt und Land Herford, S. 138; Vgl. Ernst Zimmermann: Künstlerische Maschinenmöbel, in: Deutsche Kunst und Dekoration 17 (1905), S. 247–263, hier: S. 250; Vgl. Hermann Muthesius, Kunst und Maschine, S. 143; Vgl. Friedrich Naumann: Die Kunst im Zeitalter der Maschine, in: Der Kunstwart 20,2 (1904), S. 317–327, hier: S. 319 Naumann, Die Kunst im Zeitalter der Maschine, S. 319 Vgl. Eva B. Ottillinger, Jakob von Falke, S. 214 Pfau, Die Kunst im Gewerbe, S. 422 Dresdner, Bürgerlicher Hausrath, S. 167; Vgl. auch Hermann Muthesius: „Wenn heute viel davon die Rede ist, dass wir unser Leben wieder künstlerisch gestalten müssten, so sind wohl diejenigen auf falschem Wege zu diesem Ziele, die dies durch eine Gegensatzstellung zur Maschinenarbeit erreichen wollen“ (Muthesius, Kunst und Maschine, S. 146) „Mir schwebt speziell eine Familie vor, die sich vielleicht vier Zimmer – Wohnzimmer, Speisezimmer, Schlafzimmer und ein Zimmer zu besonderen Zwecke, z. B. Arbeitszimmer, Herrenzimmer, Damenzimmer oder Musikzimmer – einzurichten wünscht und dafür etwas 2000–3000 Mark (natürlich ausgenommen die

7.5  Ratgeber und Zeitschriften als Geschmacksvermittler

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Die Maschine und ihre wirtschaftliche Bedeutung für Stil und Einrichtung interessierte Falke nicht. In anderer Hinsicht war er allerdings sehr vorausschauend. Denn er hatte, wie schon in Kap. 5.2.2 ausgeführt, auch den Außenhandel im Blick, als er die Neorenaissance ablehnte: [G]esetzt, das Bestreben gelänge, Deutschland schafft sich auf diese Weise einen eigenen, nationalen Styl – was ist die Folge? Die Folge ist einfach der Ausschluss vom Weltmarkte, die commercielle Beschränkung auf das Vaterland, eine patriotische Befriedigung, aber ein schlechtes Geschäft!58

Diesen Gedanken griff Friedrich Naumann 25 Jahre später wieder auf, als er den Außenhandel mit der wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands verband und in seinem Aufsatz Die Kunst im Zeitalter der Maschine von 1904 qualitätvolle Massenware für den Export forderte: An billiger Massenarbeit ist nichts zu verdienen. Sie muß auch gemacht werden, aber mit deutschen Kräften kann man auch besseres leisten. Die geringen Arbeiten nehmen früher oder später halbgebildete Völker an sich. Was tun wir dann? Dann sind wir entweder ein Volk, dessen Stil und Geschmack sich in der Welt durchgesetzt hat, oder wir hungern mit den Orientalen um die Wette, nur um zu sehen, wer die billigsten Massenartikel aus Fleisch und Blut und Eisen herauspressen kann.59

Für den Kunstkenner und Handelspolitiker Naumann bestand kein Zweifel daran, dass dieser exportfähige „deutsche Stil“60 nur mit starker Maschinenunterstützung hergestellt werden konnte. Auch im Kunstgewerbe wurde die maschinelle Fertigung ja nicht mehr in Frage gestellt. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die maschinelle Fertigung im Tischlerhandwerk gesehen wurde, nach welchen Inhalten Möbeltischler an Fachschulen ausgebildet wurden und wie die Tischlerzeitschriften die in den Kunstzeitschriften geführte Diskussion um qualitätvolle Möbel verfolgten.

­Gegenstände der reinen Dekoration, wie Teppiche, Keramik etc.) aufzuwenden vermag. Die Heranziehung dieser Kreise, die sich bisher in ihrer Auswahl fast ausschliesslich auf die Massen- und Durchschnittswaare der Fabrikation angewiesen sah, würde eine enorme Erweiterung des Abnehmergebietes der modernen dekorativen Kunst bedeuten“ (Dresdner, Bürgerlicher Hausrath, S. 163); Vgl. Friedrich Naumann: „Die Vervielfältigung klargedachter guter Formen ist eines der wertvollsten Mittel, die Lebensumgebung aller derer zu steigern, die nicht in der Lage sind, sich ihre besondren Künstler für sich zu halten“ (Naumann, Friedrich: Kunst und Industrie, Teil 1, in: Der Kunstwart 20 (Oktober) (1906), S. 66–73, hier: S. 71) 58 Falke, Die moderne Kunstindustrie und die Renaissance, S. 162 59 Naumann, Die Kunst im Zeitalter der Maschine, S. 320 60 „Es gehört also zur Markterhaltung noch etwas anderes als Billigkeit und Brauchbarkeit, wie denn überhaupt der Weltmarktgedanke niemals mit bloßer Kalkulation durchgeführt werden kann. Wer nur rechnet, der verrechnet sich. Der nationale Markt muß gewonnen und erhalten werden durch bestimmte Vorstellungen in den Köpfen der kaufenden Völker. Sie müssen von sich aus deutsche Ware haben wollen, gerade deutsche. Es muß für sie am Worte deutsch ein gewisser Liebhaberwert hängen, so daß sie deshalb treu bleiben und zahlen“ (Naumann, Der deutsche Stil, S. 10); „Am Klarsten scheinen Fischer im Bau und Riemerschmid im Gestühl den Sinn für den inneren Geist ihres Stoffes zu besitzen. Sie fühlen in Stein, Beton, Holz oder Messing so, als ob sie diese als ihre Mitarbeiter ansehen“ (Naumann, Der deutsche Stil, S. 20)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung Wo giebt es in Deutschland heute noch kleine Tischler, die gute polierte Möbel herstellen, wo sind Schlosser, Schuhmacher und so weiter, die ihr Handwerk noch im alten Umfang ausüben? Sie sind fast alle Reparaturhandwerker oder Händler geworden.61

Noch 1918 betonte der Tischler und Möbelfabrikant Karl Schmidt, Gründer der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in seinem in Kunst und Künstler veröffentlichten Artikel Der deutsche Lehrling deutlich den Bedeutungsverlust der Tischlerausbildung, den Rückgang der handwerklichen Fähigkeiten und des sinkenden Fachwissens der Tischler. Als Hauptgrund nannte er die Serienmöbelfertigung. So würden vor allem in kleineren und mittleren Fabriken Möbel von Tischlern arbeitsteilig und mit Maschinen produziert, allerdings nicht sorgfältig genug und nicht mehr ausschließlich von Hand. Zugleich würden sich immer mehr Tischler auf Reparaturen spezialisieren. Deshalb sah Karl Schmidt große Probleme für den Tischlerberuf: In zwei Jahren kann niemand ein guter Schlosser oder Tischler werden, dazu muss man mit der Lehrzeit wenigstens sechs Jahre praktisch gearbeitet haben.62

Er forderte eine bessere und längere Ausbildung der Tischler. Es müssten mehr Fachschulen gegründet werden, damit an der Produktion nur „gut erzogen[e] und gebildet[e]“63 Menschen beteiligt seien. Denn nur mit ihnen sei eine „gründliche und gewissenhafte Arbeit“64 möglich. Schmidt stand mit dieser Meinung nicht alleine. So schrieb ein unbekannter Autor bereits elf Jahre zuvor, 1907, in der Leipziger Mess-Zeitung, dass nur mit einer guten und langen Ausbildung Tischlerlehrlinge „mit besserer Vorbildung in das Handwerksleben eintreten“65 sollten. Auch damals war diese Forderung nicht neu. Zwei Handwerker gaben Anfang der 1880er beziehungsweise Anfang der 1890er Jahre Anstöße zur Gründung von zwei Fachschulen, die im Kaiserreich große Bedeutung bekamen. Der Drechslermeister E. A. Martin aus Leipzig sorgte mit einem Antrag dafür, dass 1884 eine Fachschule für Drechsler in Leisnig gegründet wurde, und der Tischlermeister Ludwig Reineking eröffnete 1893 in Detmold seine private Schule für Tischler. Beide sollen im Folgenden vorgestellt werden.

61 Schmidt, Karl: Der deutsche Lehrling, in: Kunst und Künstler 16 (1918), H. 5, S. 167–170, hier: S. 168 62 Ebd., S. 170 63 Ebd., S. 167 64 Ebd. 65 o. A.: „Volontär“ und „Lehrling“ im Handwerk, aus: Leipziger Mess-Zeitung 5 (1907), H. 27 (30.8.1907), S. 223 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 688–690). Ähnlich äußerte sich 1912 der Maler und Kunsthandwerker Hermann Widmer. Er plädierte ebenfalls für eine gründliche Ausbildung: „Wer Gelegenheit hat, in einem guten Geschäft zu lernen und im Anschluß daran in solchen Geschäften zu arbeiten, der soll diesen besten und unersetzbaren Weg in erster Linie benutzen. Wer aber dazu keine Gelegenheit hat, weil eben nur ein Teil aller Geschäfte wirkliche Qualitätsarbeit herstellt, dem ist zu empfehlen, jede andere Ausbildungsmöglichkeit zu Hilfe zu nehmen, und dazu gehören auch die Lehrwerkstätten“ (Widmer, Hermann: Das Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Berufe. Praktische Ratschläge für junge Talente, Berlin 1912, S. 23)

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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8.2.1  Fachschulen und ihre Lehrinhalte Der Drechslermeister E. A. Martin aus Leipzig stellte bei seiner Innung vermutlich um das Jahr 188066 einen Antrag, nach dem Vorbild der Fachschule für Uhrmacher in Glashütte und der Fachschule für Blecharbeiter in Aue auch eine Fachschule für Drechsler zu gründen. Die Drechslerinnung stimmte dem Antrag zu und leitete ihn weiter an den Delegiertentag des Verbandes der Drechsler und Fachgenossen, der ihn 1881 annahm. Denn eine bessere Ausbildung wurde allgemein als notwendig gesehen.67 Drechslermeister Martin leitete später das „provisorische Comité“68 zum Aufbau der Schule. Das Programm der Fachschule für Drechsler und Fachgenossen zu Leisnig von 1882 erwähnt ausdrücklich die Weltausstellungen und die Industrie- und Gewerbeausstellungen. Sie hätten gezeigt, „daß die deutsche Industrie alle Mittel benutzen muss, wenn sie […] im Wettkampf der Völker nicht unterliegen will“.69 Die gewachsene Konkurrenz im Handwerk und die durch Arbeitsteilung gesteigerte Produktion werden als Gründe dafür angeführt, dass viele Lehrlinge und Gehilfen in „Werkstätten mit Theilarbeit“70 gelernt haben und nur einzelne Gegenstände herstellen können, so dass die Betriebe Schwierigkeiten haben, „einen vielseitig ausgebildeten Arbeiter zu erhalten“.71 Nach dem Beschluss des Delegiertentages suchte der Zentralvorstand des Bundes der deutschen Drechslermeister einen geeigneten kleinen Ort, weil hier die Lebenshaltungskosten geringer sind und „weil sich hier weniger als in einer größeren Stadt dem noch unerfahrenen jungen Mann Gefahren und Ablenkungen von seinem Ziele entgegenstellen“.72 Die Kleinstadt Leisnig war bereit, die Schule aufzunehmen und auch für zunächst fünf Jahre finanziell zu unterstützen. Auch die sächsische Staatsregierung zeigte sich gegenüber der Schule aufgeschlossen. Sie wurde von einem Fachschulverein getragen und vom „königl. sächs. Ministerium des Innern“73 beaufsichtigt. Bis 1891 blieb die Fachschule in Leisnig, dann wurde sie nach Leipzig verlegt. Die Ausbildung von Lehrlingen, Meistern und Gehilfen des Drechslergewerbes, von Holz-, Bein- und Kunsttischlern74 war in zwei Kurse zu jeweils einem halben Jahr unterteilt und kostete für das ganze Jahr 200 Mark.75 Der erste Kurs vermittelte die vorbereitenden grundlegenden Kenntnisse und Fertigkeiten, der zweite die Technologie des Drechslerhandwerks und benachbarte Fächer.76 Es ging also nicht nur um Zeichnen und Konstruieren, sondern auch 66 Die Fachschule nennt in ihrem Programm nicht das genaue Datum der Antragsstellung (Vgl. o. A.: Programm der Fachschule für Drechsler und Fachgenossen in Leisnig, Leisnig 1882, S. 5) (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 67 Vgl. ebd. (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 68 Ebd., S. 16 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 69 Ebd., S. 3 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 70 Ebd., S. 4 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 71 Ebd. (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 72 Ebd., S. 9 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 73 Ebd., S. 14 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 74 Vgl. ebd., S. 7 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 75 Vgl. ebd., S. 15 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 76 Vgl. ebd., S. 10–11 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

um kaufmännisches und geometrisches Rechnen, Stilkunde und Abriß der Kunstgeschichte, Buchführung sowie Englisch, Französisch und Korrespondenz.77 Damit sollten die Schüler auf die Führung von Handwerksbetrieben vorbereitet werden: Unser heutiges industrielles Leben verlangt mehr als die praktische Uebung in einer oder in mehreren Branchen; es verlangt einen Sinn für schöne Formen, entwickelten Geschmack, die Fähigkeit, in der Produktion gefällige Abwechslung zu bieten, Geschäftsroutine im Betriebe der Produkte.78

Ähnliche Ziele verfolgte die Detmolder Tischlerfachschule, die allerdings eine private Schule war und anders als die Schule in Leisnig ohne Beteiligung von Innungen oder Zentralverbänden aufgebaut wurde. Ihre Gründung ergab sich aus der über Jahre steigenden Nachfrage nach Abendkursen, die der Tischlermeister Ludwig Reineking erteilte. Die Schule war ganz auf ihn zugeschnitten und wurde von ihm auch sechzehn Jahre lang geleitet. Interessant ist auch die Person Reinekings. Er steht Ende des 19. Jahrhunderts für engagierte bildungswillige Handwerker, die Probleme in der Ausbildung sahen und aufgrund ihres Werdegangs ihre Kenntnisse an Kollegen und Lehrlinge weitergaben und damit Lehrinhalte bestimmten. Deshalb soll im Folgenden genauer auf Reineking und die Detmolder Tischlerfachschule eingegangen werden, die im Kaiserreich eine der führenden Ausbildungsstätten für Tischler war. Ludwig Reineking (1862–1946) aus Detmold begann 1876, im Alter von 14 Jahren, seine Ausbildung in der Tischlerei von Wilhelm Bögeholz in der Brunnenstraße 3 in Detmold. Reineking nahm das Tischlerhandwerk sehr ernst. Schon während der Lehre absolvierte er zusätzlich dreimal in der Woche abends zwischen 20 und 22 Uhr und sonntags vor dem Gottesdienst den Kurs ‚Zeichnen‘ in der Fortbildungsschule. Dort lehrte Baurat Meier, der seinen Schülern sogar anbot, in den Schulferien in seinem Büro weiter das Zeichnen zu üben. Auch diese Möglichkeit nahm Reineking gerne an.79 Seine Ausbildung beendete er mit der Konzeption und Herstellung einer Kommode aus poliertem Nussholz. Im Anschluss war er noch ein Jahr bei der Tischlerei Bögeholz beschäftigt, wechselte dann aber nach Bielefeld zur Tischlerei und späteren Möbelfabrik Gustav Zaunert80, von der aber kein Archivmaterial erhalten ist. Während seiner Wanderjahre war Reineking unter anderem in München beim führenden Hofmöbelfabrikanten Anton Pössenbacher beschäftigt, der damals schon rund 100 Mitarbeiter hatte. Hier bildete sich Reineking weiter fort, fertigte Kehlleisten für die Holzdecke des Ahnensaales im Detmolder Schloss an81, beteiligte sich an Arbeiten für Schloss Linderhof im bayerischen Ettal, wofür er sogar doppelten Gesellenlohn erhielt, und absolvierte Abendkurse an der Münchner Kunstgewerbeschule. Auch daran wird sichtbar, welche Bedeutung die Weiterbildung für Reineking hatte. Nach 18 Monaten in München ging Reineking nach Stuttgart, fand eine Anstellung bei der Hofmöbelfabrik F. W. Bauer, bildete sich weiter fort, besuchte beim 1880 gegründeten ‚Fachverein der Schreiner‘ Abendkurse im Zeichnen und ging auf Anraten 77 Vgl. ebd., S. 11–13 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 78 Ebd., S. 4 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 79 Vgl. Thomas Dann: „Aus eigener Kraft“. Ludwig Reineking und die frühen Jahre der Detmolder Tischlerfachschule, in: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte (2011), H. 12 (September 2011), S. 57–68, hier: S. 57 80 Vgl. ebd. 81 Vgl. ebd.

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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eines Zeichenlehrers im Winter 1885/1886 zur Stuttgarter Kunstgewerbeschule, wo er weiteren Unterricht in Schattenkonstruktion, Ornamentzeichnen, Modellieren, Architekturzeichnen und Möbelzeichnen nahm.82 Kurz darauf bekam Reineking eine Anstellung als Zeichner und Betriebsleiter in der Detmolder Hofmöbelfabrik von Heinrich Ludwig Beneke, genannt Ludwig Beneke (1855-1915), und machte sich einige Jahre später selbständig.83 Er bekam mehr Aufträge, als er bewältigen konnte, und bot ab 1887 in der Detmolder Gaststätte „Zur Markthalle“84 Zeichenkurse als Abendunterricht an, „[i]n der Erkenntnis, dass den meisten Tischlern theoretische Kenntnisse fehlten“.85 Hierüber berichtete sogar ein unbekannter Autor in der Schreinerzeitung vom 14. März 1890: [E]s sei die Anregung gemacht worden, den Mitgliedern sollte durch eine geeignete Persönlichkeit in einigen Abend- und Sonntagsstunden das Notwendigste der Stillehre beigebracht werden. Die meisten vermissten eine diesbezügliche Ausbildung.86

Die Nachfrage war so groß, dass Reineking sechs Jahre nach Beginn der Abendkurse seine Tischlerei 1893 aufgab und nur noch Unterricht erteilte, und zwar in der eigenen Wohnung in der Brunnenstraße 1, also im Haus des Tischlers Voigt und in dessen Werkstatt. 1893 gilt deshalb als Gründungsjahr der Detmolder Tischlerfachschule. Reineking baute nur mit eigenen Mitteln und ohne Unterstützung des Staates87 eine als ‚Tischlerschule‘ betriebene Tagesschule mit dem Namen ‚Tagesschule Reineking & Voigt‘88 auf. Sie bot drei-, sechs- und zwölfmonatige Kurse für Tischler, Bildhauer und Graphiker an. Ihr Schwerpunkt lag im Zeichnen und im Möbelbau. Reineking wollte seine eigenen Erfahrungen weitergeben und jungen, strebsamen Handwerkern eine an die [sic!] erhöhten Anforderungen in einer Zeit wirtschaft­ lichen Aufstiegs entsprechende Ausbildungsmöglichkeit89 82 Vgl. ebd. 83 Vgl. Ludwig Reineking: Aus eigener Kraft. Vom Tischlergesellen zum Fachschuldirektor, Manuskript, o. O. 1934/35, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 84 Vgl. Thomas Dann, Aus eigener Kraft, S. 58 85 Reineking, Aus eigener Kraft. Vom Tischlergesellen zum Fachschuldirektor, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2); Vgl. Thomas Dann: Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus. Die Detmolder Tischlerfachschule zwischen 1914 und 1933, in: Stadt Detmold (Hrsg.): Krieg, Revolution, Republik: Detmold 1914–1933. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts (Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe, Bd. 78), Bielefeld 2007, S. 159–185, hier: S. 159; Vgl. Felix Nitsch: Chronik der Studieneinrichtung Innenarchitektur in Detmold, o. O., o. J., S. 35–37, hier: S. 35 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“); Vgl. Erwin Meyer: Chronik 1893–1971 anläßlich der 90jährigen Ausbildung zum Holzbetriebstechniker und Innenarchitekten, Detmold 1983, S. 3 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“); Vgl. Eckart Bergmann: Die Ausbildung an der Tischlerfachschule Detmold 1893–1960, in: AK: Lippische Möbelindustrie 1900–1960, Detmold 1993, S. 110–123, hier: S. 111 86 o. A.: Die fachliche Weiterbildung. Die Periode von 1887 bis 1943, o. O., o. J., S. 371 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) 87 Vgl. Erwin Meyer: 60 Jahre Tischler-Fachschule Detmold, o. O., o. J. [1953], S. 5–9, hier: S. 5 (LAV NRW OWL, Bibliothek J 159); Vgl. Andreas K. Vetter: 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung. 120 Jahre Lehrtradition an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur, Baunach 2013, S. 15 88 Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 17 89 Meyer, 60 Jahre Tischler-Fachschule Detmold, S. 5 (LAV NRW OWL, Bibliothek J 159); Vgl. Peter Nagel: Fachschule für Holztechnik Detmold. 100 Jahre im Dienst der beruflichen Qualifikation, in: Der Bau- und Möbelschreiner 9 (1993), S. 139–150, hier: S. 139 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 491)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

bieten. Die Tischlerfachschule gilt als Vorgängereinrichtung der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur, eines Fachbereichs der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo.90 Nach dem Vorbild der Detmolder Tischlerfachschule wurden später die Tischlerfachschule Stuttgart und die erste Schweizer Tischlerfachschule in Bern errichtet.91 Zur Ausbildung im Handwerk gehörte nach 1873 der Besuch der 1845 errichteten Gewerbeund Fortbildungsschule in Detmold. Alle Gehilfen, Lehrlinge und Gesellen bis zum 17. Lebensjahr „aus allen Gewerben mit Ausnahme der Kaufleute und Apotheker“92 waren verpflichtet, diese Schule zu besuchen. Der Unterricht wurde abends zwischen 19.30 und 21.30 Uhr erteilt, teilweise auch am Samstag. Diese Schule wurde 1908 städtische Gewerbeschule und nach Einführung der allgemeinen Fortbildungsschulpflicht im Land Lippe 1920 staatliche Berufsschule. Die Tischlerfachschule hatte andere Aufgaben. Sie bildete selbständige Meister und Betriebsleiter, aber auch Zeichner, Raumgestalter, Innenarchitekten und Möbelverkäufer aus, jedoch, anders als Leisnig, keine Lehrlinge. Sie hatte das Ziel, Schüler „aus der Praxis für die Praxis auszubilden“.93 Die Schüler waren zwischen 19 und 48 Jahre alt und kamen nicht nur aus der Umgebung, sondern aus allen Teilen Deutschlands und sogar aus dem Ausland, etwa aus Österreich, der Schweiz, Ungarn, Russland, Holland, Dänemark und den USA.94 Die Schule hatte sich schnell einen guten Ruf erworben, inserierte aber auch in Zeitschriften wie der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration, beispielsweise im Januarheft des Jahres 189595, also schon zwei Jahre nach der Gründung, in der Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister zum Beispiel im Jahr 190096, auch im Jahr 1907 in der Zeitschrift Der Innenausbau. Illustrierte Schreinerzeitung97 oder im Jahr 1911 in der Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister.98 Ihr Gründer Ludwig Reineking und Lehrer wie O. Bornö und W. Brecht schrieben auch für Tischlerzeitschriften.99 Von den Schülern wurde erwartet, dass sie das Wissen und Können hatten, „Zimmereinrichtungen in jeder Stilart“100 auszuführen. Eine Besonderheit waren „In90 91 92 93

Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 12–70 Vgl. Eckart Bergmann, Die Ausbildung an der Tischlerfachschule Detmold 1893–1960, S. 111–112 Ebd., S. 111 Meyer, 60 Jahre Tischler Fachschule Detmold, S. 5 (LAV NRW OWL, Bibliothek J 159); Vgl. o. A.: Tischler-Fachschule Detmold, in: Der Deutsche Tischlermeister 6 (1900), H. 26 (24.6.1900), S. 438–439, hier: S. 438 94 Vgl. o. A., Tischlerfachschule Detmold, S. 438; Bis 1928 bestand die Schule nur aus männlichen Schülern. (Vgl. Thomas Dann, Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus, S. 170) 95 Vgl. Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Innen-Dekoration‘, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. III–VIII, hier: S. V 96 o. A., Tischler-Fachschule Detmold, S. 438–439 97 Vgl. Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Der Innenausbau‘, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 23 (7.6.1907), S. 718 98 Vgl. Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Der Deutsche Tischlermeister‘, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 14 (7.4.1911), S. 820 99 Vgl. O. Bornö: Oberflächenbehandlung, Teil 1, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 50 (11.12.1913), S. 393–395; Vgl. O. Bornö: Oberflächenbehandlung, Teil 2, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 51 (18.12.1913), S. 401–402; Vgl. W. Brecht: Kalkulation und Akkordarbeit, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 27, S. 544–545; Vgl. Ludwig Reineking: Die Farbe im Wohnraum, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 29 (15.7.1910), S. 1743–1747 100 Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Innen-Dekoration‘, S. V

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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tarsia und Holzbrandfüllungen zu billigen Preisen“.101 Das Schulgeld für einen einjährigen Kurs betrug 120 Mark, für einen halbjährigen Kurs 75 Mark. Für Schüler, die den zweijährigen Kurs besuchten, also genügend praktische Vorerfahrung mitbrachten, war der Unterricht sogar kostenlos.102 Schüler ohne praktische Vorerfahrung mussten mit vier Jahren Lehrzeit rechnen. Alle Schüler arbeiteten für sich und wurden einzeln unterrichtet. Dadurch sollte kein Schüler durch einen anderen, langsamer arbeitenden Schüler aufgehalten werden.103 Bereits 1896 wurden die Unterrichtsräume zu klein und Reineking kaufte das Haus in der Lemgoer Straße 9, weitere Unterrichtsräume wurden in der Langen Straße 85 angemietet. Um 1900 hatte die Schule zwischen 60 und 80 Tagesschüler und wuchs weiter, so dass mehrmals die Gebäude gewechselt wurden, bis im Jahr 1903 eine Etage für vier Klassen und einen Werkstatt­ raum in dem neu errichteten Gebäude der städtischen Gewerbeschule in der Woldemarstraße 23 angemietet wurde. Hier blieb die Schule bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.104 Im Jahr 1907 hatte die Schule bereits 152 Schüler und nannte sich „größte Tischlerschule Deutschlands“.105 Der Ausbildungsschwerpunkt lag immer noch auf dem Zeichnen, weil das Zeichnen damals als grundlegend für die Tischlerausbildung angesehen wurde, wie zahlreiche Bücher und Artikel zur Tischlerausbildung damals betonten. Eine Wechselwirkung tritt ein: je mehr er [der Schüler] zeichnet, je besser lernt er sehen. Der Nutzen, der unserem ganzen Kunsthandwerk aus der Einführung des Skizzenbuches in seinem Jugendunterricht erwachsen würde, ist vielleicht grösser, als dass er sich schon übersehen liesse.106

Folgende Fächer wurden unterrichtet, wie im Programm der Fachschule für Tischler aufgeführt ist: Freihandzeichnen, Architekturzeichnen, Grund- und Aufrisslehre, Schattenlehre, Fachzeichnen, Perspektive, Draperiezeichnen, Holzbrandtechnik, Einlagen in Holz sowie Buchführung.107 Der Schwerpunkt der Schule lag auf Entwürfen und „Durcharbeitung der Stilarten in ­Ornament und Detail“.108 Die Schüler wurden dazu angehalten, bei allen Skizzen auf eine 101 Ebd. 102 Vgl. o. A.: Programm der Fachschule für Tischler. Atelier der Innendekoration, Detmold. Praktischer und theoretischer Unterricht. Anleitung zum Einlegen in verschiedenen Holzarten (Intarsien) sowie in der modernen Holzbrandtechnik und Holzmalerei [vor 1899], o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 103 Vgl. Bruno Kolscher: Tischler-Fachschule Detmold. Älteste kunstgewerbliche Lehranstalt dieser Art, o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 104 Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 18; Vgl. Thomas Dann, Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus, S. 160; Vgl. Erwin Meyer, Chronik 1893–1971, S. 3 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) 105 Dann, Aus eigener Kraft, S. 61; Ein Zeitungsartikel vom 26.3.1907 nennt allerdings 130 Schüler, sieht sie aber auch „an die Spitze der Tischlerfachschulen im deutschen Reiche gestellt“ (o. A.: Tischlerfachschule Detmold (Zeitungsartikel vom 26.3.1907), o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 106 Böttcher, F.: Das Skizzenbuch in der Gewerbe-, Fortbildungs- und Zeichenschule, in: Möbel und Decoration 1 (1898), S. 52–53, hier: S. 52; Vgl. F. Böttcher: Das Skizzenbuch in der Tischlerfachschule, in: Möbel und Decoration 1 (1898), S. 117–118 107 Vgl. o. A., Programm der Fachschule für Tischler, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2); Vgl. Thomas Dann, Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus, S. 160 108 Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 21; „Viermal im Jahre finden Kurse über Stillehre statt, die jedesmal ca. 8 Wochen dauern. Täglich 1 Stunde von 4 bis 5 Uhr nachmittags (Direktor Kolscher). Ebenso werden in ¼ jährlichen Zwischenräumen Beizkurse abgehalten“ (Kolscher, Tischler-Fachschule Detmold. Älteste kunstgewerbliche Lehranstalt dieser Art, o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3)

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„gründliche Durchschattierung“109 zu achten, eine sogenannte „flotte Technik“110 wurde erst am Ende der Ausbildung akzeptiert. Zum nächsten Fach durften die Schüler erst übergehen, wenn das alte Fach gründlich erarbeitet war und der jeweilige Lehrer die Zustimmung erteilte. Für Schüler mit Vorkenntnissen gab es Spezialkurse zu Themen wie Treppenbau, Perspektive, Kalkulieren und Buchführung, Skizzieren von Möbeln und Dekorationen, Anfertigen von Holzhandarbeiten und Intarsien111 sowie Zeichnungen zu Grundrissen von Wohnungen und einzelnen Räumen.112 Über die Zulassung zur Prüfung entschied die Lehrerkonferenz. Prüfungsthemen waren Detail in aller Stilart (Profile und Ornamente müssen tadellos stilgerecht sein) mit Preisfestsetzung (Zeit: 1 Tag), Perspektivischer Entwurf in farbiger Ausführung (Zeit: 1 Tag), Mündliche Prüfung in doppelter Buchführung, Handelskorrespondenz und Stillehre.113

Die Lehrer unterrichteten vor allem nach dem 1894 erstmals publizierten Vorlagenwerk Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus in allen seinen Räumen der Innenarchitekten August und Max Graef114, nach dem Lehrbuch, das O. Bornö, ein Lehrer der Schule, eigens geschrieben hatte115, und nach Zeichnungen des englischen Möbeldesigners Edwin Foley, dessen zweibändiges Werk The book of decorative furniture, its form, colour and history 1910 erschien116 und sich an englischen Stilen aus dem 17. und 18. Jahrhundert orientierte, aber zugleich Vorteile in der maschinellen Möbelproduktion sah: Machine work is monotonously smooth and precise. […] It would be absurd not to realise the enormous extension of material comfort which has resulted from machinery, but in art crafts man’s delight is in man’s work, and in the very incidental imperfections which evidence the hand and personality.117

Erhalten geblieben sind Farbzeichnungen von Foley aus den Jahren 1909 und 1910. Sie zeigen einen Vitrinenaufsatzsekretär mit bauchigen Formen, einen Kastenschrank und eine Sitzgruppe aus Rokoko (Abb. 33–Abb. 35). Mit diesen Zeichnungen sollten die Schüler Sicherheit im Zeichnen von Ornamenten und Dekoren bekommen. Dazu gehörten beispielsweise Blätter mit Blüten118 oder auch Kassetten109 Kolscher, Bruno: Allgemeine Grundsätze für die Erteilung des Unterrichts, o. O., o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 110 Ebd. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 111 Vgl. o. A., Tischler-Fachschule Detmold, S. 438; Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule der Gestaltung, S. 72–76 112 Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 72 113 Kolscher, Bruno: Prüfungsordnung der Tischler-Fachschule Detmold 1910–1914, o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 129) 114 Vgl. August Graef/Max Graef, Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus in allen seinen Räumen (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 495); Ein anderes Vorlagenwerk war das der 1885 gegründeten Möbelfabrik Bernhard Bartels aus Langenberg mit Vorlagen für Speise-, Wohn-, Herren- und Schlafzimmer. Es war allerdings nicht so umfangreich wie das Buch von August und Max Graef und enthielt neben den Zeichnungen nur sehr knappe Erläuterungen (Vgl. Möbelfabrik Bartels: Speise-, Wohn-, Herren- und Schlafzimmer, Lagenberg, o. J. (Hochschule OWL, Standort Detmold)) 115 Bornö, O.: Lehrbuch der Tischlerfachschule Detmold, o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 8) 116 Foley, Edwin: The book of decoration furniture. Its form, colour and history, Volume II, London 1910 117 Ebd., S. 376 118 Vgl. Zeichnung von Blättern mit Blüten (Hochschule OWL, Standort Detmold, ohne Signatur)

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33  Vitrinenaufsatzsekretär von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III)

34  Kassettenschrank von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III)

35  Sitzgruppe aus Rokoko von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III)

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decken.119 Daneben zeichneten sie aus den zahlreichen Vorlagenwerken Dekorationen, historische und zeitgenössische Möbelformen und Ornamente ab, um mehr Übung zu bekommen und sie für eigene Entwürfe zu nutzen.120 Um die Jahrhundertwende wurden die Schüler auch im modernen schlichten Stil unterrichtet, vor allem nach Art der Entwürfe von Richard Riemerschmid und Henry van de Velde.121 Dabei ging es um Möbel, Innenräume und architektonische Baudetails: Die stilistische Bandbreite der Entwürfe reicht von einem künstlerisch hochwertigen, an Paris orientierten Art Deco bis zum biederkonventionellen Möbel und seiner formellen wie materiellen ‚Aufwertung‘ im Sinne der bürgerlichen Solidität des ‚Gelsenkirchener Barock‘.122

Die Detmolder Tischlerfachschule achtete darauf, ihren Schülern den Anteil an Praxis und Theorie zu vermitteln, den sie brauchten, um „mit Erfolg einer Werkmeisterstelle vorstehen zu können“.123 Mit seinem Lehrbuch wollte Bornö den Schülern die Stile in all ihren Einzelheiten vermitteln, denn die Geschichte des Möbels sei nur in Verbindung zur allgemeinen Kulturgeschichte und zur Baugeschichte zu beschreiben: Wenn wir etwas schönes und gutes in irgend ein [sic!] Beruf schaffen wollen, müssen wir das betreffende Fach beherrschen, also vollständig verstehen. Je tiefer wir hineindringen können, je sicherer sind wir, dass etwas gutes und brauchbares zu Stande kommt. So ist es auch in der Wohnungskunst, wo wieder das Möbel die Hauptrolle spielt.124

Das Lehrbuch behandelt sämtliche Epochen von den ersten Anfängen in der Eisenzeit bis zum modernen Stil und unterteilt jede Epoche in verschiedene Phasen, nämlich in ‚Frühzeit‘, ‚Blütezeit‘ und ‚Spätzeit‘.125 Außerdem bot die Schule den Schülern auch Material zur Nachbearbeitung. Reineking gab Literaturhinweise126 und erstellte 1906 eigens zwei Hefte zur Stillehre für Tischler, nämlich die Technischen Unterrichtsbriefe für das Selbststudium. Der erste Teil dieser Unterrichtsbriefe 119 Vgl. Zeichnung einer Kassettendecke (Hochschule OWL, Standort Detmold, ohne Signatur) 120 Vgl. Andreas K. Vetter, Chronik, S. 21; Vgl. Andreas K. Vetter, 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung, S. 72 121 Vgl. Eckart Bergmann, Die Ausbildung an der Tischlerfachschule Detmold 1893–1960, S. 113; Vgl. Andreas K. Vetter: Chronik, S. 21–22 122 Bergmann, Die Ausbildung an der Tischlerfachschule Detmold 1893–1960, S. 114–115 123 o. A., Programm der Fachschule für Tischler, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V, Nr. 2 077); Vgl. auch: W. ­Behrens: Handwerkliche Tischlerarbeiten und ihre Gestaltung, o. O., o. J., S. 10–11 (LAV NRW OWL, Bibliothek J 159) 124 Bornö, Lehrbuch der Tischlerfachschule Detmold, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 8); Die Geschichte des Mobiliars „ist aber wieder mit der allgemeine[n] Kulturgeschichte und der Baugeschichte so eng verbunden, dass man die erste ohne die beiden letzteren auch zu kennen, nicht verstehen wird“ (Bornö, Lehrbuch der Tischlerfachschule Detmold, o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 8) 125 Vgl. ebd. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 8) 126 Vgl. Georg Hirth, Das deutsche Zimmer der Renaissance; Vgl. Karl Kimmich, Stil und Stilvergleichung; Vgl. Wilhelm Buchner: Leitfaden der Kunstgeschichte, Essen 1911; Vgl. Jean Pape: Der Stil, o. O., o. J.; Vgl. Heinrich Pudor: Erziehung zum Kunstgewerbe. Beiträge zu einer geschichtlichen, ästhetischen und technischen Betrachtung des neuzeitlichen Kunstgewerbes, Berlin 1906; Vgl. Waldemar Heßling: Der Louis XVI. Stil in der Kunsttischlerei und in der dekorativen Bildhauerei in Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien mit Berücksichtigung der gleichzeitigen Stilrichtung in England, o. O. 1906; Vgl. Ludwig Reineking: Stillehre für Tischler: Barock bis modern (Technische Unterrichtsbriefe für das Selbststudium, Detmold 1906, S. 146 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 10)

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behandelt die Stilrichtungen „Romanisch, Gotik und Renaissance“127 und der zweite Teil die Stilrichtungen „Barock bis modern“.128 Die jeweils etwa 50-seitigen Hefte sind immer gleich aufgebaut. Zunächst werden die Merkmale eines Stils auch mit Zeichnungen erläutert (Teil A), anschließend gibt es eine kurze Zusammenfassung (Teil B), danach kurze Fragen mit Antworten zum Lehrstoff (Teil C) und im vierten und letzten Teil kurze Fragen als Wiederholung (Teil D). Die Kennzeichen der Renaissance beispielsweise wurden an folgenden Fragen überprüft: Frage: Welcher Periode gehört der Stollenschrank an? Antwort: Der Frührenaissance. F.: Ist der Stollenschrank ein constructiver oder decorativer Aufbau? A.: Durch seine durchgehenden Stollen, welche gleich als Füße dienen, sowie angekehlten Leisten und in das volle Holz geschnitzte Bildhauerarbeit gehört der Stollenschrank der constructiven Bauart an. F.: Was für Motive kennen wir in der Frührenaissance? A.: In den Kehlleisten und Rollwerk haben wir teilweise noch gotische Formen, in der Schnitzerei nur Renaissancemotive. F.: Haben wir auch Drechslerarbeit an den Tischlerarbeiten der Frührenaissance? A.: Zunächst an dem mehr decorativen Aufbau, ferner kommt stark ausgedrehte Drechslerarbeit vor, Pilaster, Consolen, Verdoppelungen, Rosetten und decorative Bekrönung. F.: Welcher Vergleich ist zwischen einem Stollenschrank und einem Büffet? A.: Der Stollenschrank ist als ein Stück gearbeitet, das Büffet besteht meistens aus Ober- und Unterteil.129(Hervorhebung im Original).

Der ‚moderne Stil‘ wird im zweiten Heft der Technischen Unterrichtsbriefe für das Selbststudium behandelt und folgendermaßen zusammengefasst: Der moderne Stil hat viel Anklänge an die Biedermeierzeit. Die Schnitzerei hat naturalistische Formen und beschränkt sich nur auf Teile der Füllungen, usw.; ebenso die Einlegearbeit. Die Schmucktechniken können auch ganz fortfallen, trotzdem kann eine schöne Wirkung durch saubere Arbeit und echtes Material erzielt werden. Großer Wert wird auf die Farbenzusammenstellung gelegt, dann wird alles Unechte vermieden, sei es in Holz oder Metall. Drechslerarbeit wird beim modernen Stil wenig gebraucht.130

Reineking wirbt für den ‚modernen Stil‘ und sieht dessen Vorteile im Verzicht auf unnötige Ornamente: Im Biedermeierstil sehen wir die schlichte bürgerliche Richtung vertreten. Der moderne Stil paßt sich den einfachen und reichen Einrichtungen vorzüglich an.131

Damit folgte Reineking den Ansichten Falkes und der anderen Reformer im Kunstgewerbe, die wie der Architekt Paul Klopfer zum Beispiel handwerklich gut gearbeitete und schlichte Möbel forderten. Bis 1909 leitete Reineking die Detmolder Fachschule. In seinem Rückblick erwähnt er „Neider und Nörgler“132 und spricht davon, ohne nähere Einzelheiten zu nennen, dass „einige mißgünstige Detmolder Stadtverordnete glaubten, die Unterstützung der Fachschule könn127 Reineking, Ludwig: Stillehre für Tischler: Romanisch, Gotik und Renaissance (Technische Unterrichtsbriefe für das Selbststudium, Detmold 1906 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 9) 128 Vgl. Ludwig Reineking: Stillehre für Tischler: Barock bis modern (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 10) 129 Reineking, Stillehre für Tischler: Romanisch, gotisch und Renaissance, S. 49 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 9) 130 Reineking, Stillehre für Tischler: Barock bis modern, S. 148 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 10) 131 Ebd., S. 149 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 10) 132 Reineking, Aus eigener Kraft. Vom Tischlergesellen zum Fachschuldirektor, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2)

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te herabgesetzt werden“.133 Stattdessen verlangte der Magistrat Miete von der Schule, der es wirtschaftlich glänzend ging.134 Reineking war dazu nicht bereit, er gab nicht nur die Leitung der Schule ab, sondern verließ Detmold und eröffnete in Blankenburg am Harz eine neue Tischlerfachschule, die 1934 zur „Reichsfachschule des deutschen Tischlergewerbes“135 ernannt wurde. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1932 übernahmen seine beiden Söhne die Schule, wie Reineking in seinem Rückblick schreibt, in dem er sich im Übrigen auch zum „Volkskanzler Hitler“136 bekennt. Die nachfolgenden Direktoren behielten das Konzept bei, aber modernisierten die Inhalte und weiteten den Kreis der Schüler aus. Gewerbeoberlehrer Wilhelm Brecht leitete die Schule, bis er zum Leiter der Berufsschule befördert wurde und Bruno Kolscher, seit 1904 Lehrer an der Schule, 1912 Direktor wurde. Er gab der Schule den Namen ‚Fachschule Detmold für Bauund Möbeltischler und Dekorateure‘137 und ‚Kunstgewerbeschule‘138, außerdem überarbeitete er Didaktik und Lerninhalte, etwa in den Fächern Aquarellunterricht139 und Ornamentzeichnen140, führte das Fach Perspektive141 mit ganz aktuellen Unterrichtsmethoden142 ein. Jetzt wurden nicht nur gelernte Bau- und Möbeltischler, Tapezierer und Bildhauer als Schüler aufgenommen, sondern Handwerker aus dem Dekorationsfach oder Glaser sowie junge Leute ohne praktische Vorkenntnisse, die sich aber technisch und zeichnerisch für das Kunstgewerbe ausbilden woll-

133 Ebd. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 134 Vgl. Thomas Dann, Aus eigener Kraft, S. 62 135 Reineking, Aus eigener Kraft. Vom Tischlergesellen zum Fachschuldirektor, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 136 Ebd. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 137 Vgl. Andreas K. Vetter, Chronik, S. 26 138 Kolscher, Tischler-Fachschule Detmold, o. S. (LAV NRW OWL, D. 107 V Nr. 3) 139 „Zunächst war hier die Ausbildung in Aquarell eine recht mangelhafte und wenig geregelte. Jetzt ist auch hierin Wandel geschaffen. Diejenigen Schüler, denen Zeit und Geld nur erlaubt, sich zu Werkführern auszubilden, werden mit der für sie weniger wichtigen Aquarelltechnik nur so weit unbedingt nötig, bekannt gemacht. Dadurch haben sie aber mehr Zeit wie früher übrig, sich in Detail, Bleiskizze und stilgerechten Profilierungs- und Aufbau-Formen gründlich einzuarbeiten. Die Schüler aber, welche die Schule ganz durchmachen, sich zu Zeichnern, Geschäftsführern etc. ausbilden, werden nach einer neu ausgearbeiteten Methode so in Aquarell ausgebildet, daß sie auch den heute gerade darin ausserordentlich hohen Ansprüchen erster Geschäfte voll und ganz genügen können“ (o. A.: Bericht über das Schuljahr 1911, in: Nachrichten der Tischler-Fachschule Detmold 1 (1911), o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 140 Für den Unterrichtsteil Ornamentzeichnen „wurde ein in sich abgeschlossener Lehrgang ausgearbeitet, der sich gut bewährt hat und der in klarer Weise, von einfachen Formen ausgehend, sämtliche Stilarten in ihren Hauptmerkmalen vorführt. Direkt an den Ornamentkursus schließt sich ein Architekturkursus, der von den klassischen Aufbauformen ausgehend, alle Konstruktions- und Aufbauformen der Innenarchitektur eingehend behandelt. Die Vorlagen für dieses Fach sind alle in Detailgröße aufs sauberste ausgearbeitet und sind mit ihren ausführlichen Schritten gleichzeitig die denkbar beste Vorbildung für das Detaillieren alter Stilarten“ (o. A., Bericht über das Schuljahr 1911, o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 141 „Für die Perspektive wurde ein ganz neuer Lehrgang eingeführt, der nach den neuesten Unterrichtsmethoden für dieses Fach herausgearbeitet, einen zwanglosen Uebergang von der konstrukmäßigen in die freihändige Perspektive ermöglicht. Besonders aber wird durch den Aquarellier-Unterricht dafür Sorge getragen, daß die farbige Behandlung der Perspektiven den hohen Anforderungen der heutigen Zeit entspricht“ (o. A., Bericht über das Schuljahr 1911, o. S.) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 142 Ebd., o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3); Vgl. Erwin Meyer, Chronik 1893–1971, S. 4 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“)

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ten.143 Fünf Lehrer unterrichteten die Schüler: Handelslehrer F. W. Schulze, zugleich Schulsekretär, Tischlermeister F. Meyer als I. Fachlehrer, O. Bornö, Architekt für Innenausbau und II. Fachlehrer, H. Meyer, akademischer Bildhauer und III. Fachlehrer und schließlich B. Wittenstein, ein akademischer Maler, der als Aquarelllehrer die Schüler in Naturstudien ausbildete.144 Es gab eine „reichhaltige Schulbibliothek mit den besten und wertvollsten Fachwerken“145, die von den Schülern selbst verwaltet wurde. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Unterricht eingestellt und nach Kriegsende mit der Rückkehr von Direktor Kolscher wieder aufgenommen, zunächst allerdings nur zur Schulung von Kriegsversehrten.146 Angeboten wurden Ausbildungskurse im technischen Zeichnen für Tischler, Holzbildhauer, Tapezierer, Korbmöbelflechter und Kaufleute der Möbelbranche147, außerdem Ausbildungskurse für Kriegsversehrte aus anderen Berufen, die das Anfertigen von Einlegearbeiten (Intarsien) lernten und zu Beiz- und Poliermeistern ausgebildet wurden.148 Die Kurse dauerten zwischen drei und sechs Monate und ähnelten sehr den Kursen vor dem Krieg. Nach ihrem Abschluss arbeiteten die Schüler als Werkmeister, Techniker und Zeichner, aber auch als Verkäufer im Möbelhandel149 oder als Fachlehrer an Handwerker- und Gewerbeschulen. Die beiden Fachschulen in Leisnig und Detmold belegen unabhängig voneinander zwei Initiativen zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung im Handwerk, die beide von Meistern angestoßen und entweder durch den Berufsverband weiterverfolgt und umgesetzt wurden oder als private Einrichtung erfolgreich waren. Gerade die Schülerzahlen in Detmold, die über Jahre kontinuierlich weiter anstiegen und die Fachschule zu einer der größten für Tischler im Kaiserreich machten150, zeigen die große Nachfrage nach Aus- und Fortbildung. Es ist bemerkenswert, dass das Wachstum der Schule auch nach Reinekings Weggang 1909 anhielt, es also vom Gründer der Schule unabhängig war. Weil dieser Zulauf bis zu Kriegsbeginn und der vorübergehenden Schließung der Schule weiter stieg, wird dadurch auch die anfangs zitierte Einschätzung von Karl Schmidt bestätigt, dass auch 1918 noch Mängel in der Tischlerausbildung vorhanden waren. Beide Fachschulen hatten ähnliche Lehrpläne, die Theorie und Praxis miteinander verbanden und betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelten. Auch die neuen Maschinen im 143 Vgl. o. A.: Tischler-Fachschule Detmold. Älteste kunstgewerbliche Lehranstalt dieser Art, Detmold o. J., o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 144 Vgl. Direktion der Tischler-Fachschule Detmold/Verbände ehemaliger Schüler (Hrsgg.): Unterrichtseinteilung für die Monate Januar, Februar, März 1912, in: Nachrichten der Tischler-Fachschule Detmold, H. 1 (1911), o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 145 o. A., Bericht über das Schuljahr 1911, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) 146 Vgl. o. A.: Ausbildungskurse für Kriegsbeschädigte an der Tischler-Fachschule Detmold, Detmold ca. 1917 (LAV NRW OWL, R 185); Vgl. Thomas Dann, Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus, S. 161 147 Vgl. o. A., Ausbildungskurse für Kriegsbeschädigte, o. S. (LAV NRW OWL, R 185) 148 Vgl. ebd. (LAV NRW OWL, R 185) 149 Vgl. ebd. (LAV NRW OWL, R 185) 150 Vgl. o. A., Tischlerfachschule Detmold (Zeitungsartikel vom 26.3.1907), o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2); Vgl.: o. A.: Von der „Tischlerfachschule Detmold“ 1893 zur „Fachschule für Holzbetriebstechnik 1971“, o. S. (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“)

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Handwerk spielten im Unterricht eine wichtige Rolle. Die Fachschule für Drechsler nennt in ihrem Lehrplan ausdrücklich die Vorführung der verschiedenen Einspann- und Abdrehvorrichtungen mit Erklärung über gemachte Fortschritte im Maschinenwesen; Erklärung der neuesten Konstruktionen von Drehbänken und anderen Maschinen, z. B. Fraise, Bandsäge, Bohr- und Hobelmaschine etc.151

Die Tischlerfachschule geht in ihrem Lehrplan nicht auf den Maschineneinsatz ein, es wird aber an Maschinen gearbeitet worden sein. Denn Ludwig Reineking sah in ihrem Einsatz große Vorteile, wie er in seinem 1911 erschienenen Buch Die Tischlerwerkstatt des Land- und Möbeltischlers, des Bau- und Kunsttischlers, sowie des Spezialtischlers mit und ohne Maschinenbetrieb erläutert: In früheren Jahren sah man in der Maschine den Feind des Handwerks, heute hat man sich allerdings zu einer entgegengesetzten Auffassung bekannt. […] Ganz wird freilich die Maschine die Handarbeit nie verdrängen, obwohl die Maschinentechnik jahrein, jahraus staunenswerte Fortschritte macht, die bereits dazu geführt haben, daß in gewissen Spezialbetrieben fast 9/10 der gesamten Arbeitsleistung durch die Maschine verrichtet wird.152

Unterschiedliche Akzente in den Lehrplänen setzten die beiden Fachschulen allerdings bei der Verbindung von Handwerk und Kunst. So sollte die Drechslerschule nach ihrem Selbstverständnis nicht eine Anstalt, welche Künstler bildet, werden, sondern eine solche, in welcher die betr. Handwerker neben der technischen Fertigkeit, künstlerischen Geschmack und theoretische Fachbildung sich aneignen können.153

Dagegen bildete die Tischlerfachschule ausdrücklich auch in künstlerischer Richtung aus, nannte sich auch ‚Atelier für Innendekoration‘, ‚Werkstätte für Tischlerei, Zeichnen und Entwerfen von Innendekoration‘154 und führte Technik und Kunst im Handwerk zusammen. So wurde auch in Holzbrandtechnik unterrichtet, eine der neuesten Verzierungsweisen für Innenräume. […] Gerade heutzutage, wo das ‚Billig‘ eine so grosse Rolle spielt, sollte man dieser Kunstarbeit volle Aufmerksamkeit schenken, da sich mit wenig Kosten überraschend schöne Erfolge erzielen lassen.155

Außerdem ist ein archivierter Zeitungsartikel vom 12. Januar 1907 erhalten, in dem von einer Studienfahrt nach Hannover berichtet wird: Hauptzweck der Reise war […] das Studium der Raumkunst, d. h. der Kunst, Wohnräume gediegen, stilvoll, zweckmäßig und doch entsprechend billig einzurichten.156

In Hannover besuchten die Schüler die Firma J. G. von der Linde, die zusammen mit der Möbelfabrik Carl Kurmeier aus Peine eine Ausstellung zur Innendekoration veranstaltete, 151 o. A., Programm der Fachschule für Drechsler, S. 12 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 152 Reineking, Die Tischlerwerkstatt des Land- und Möbeltischlers, S. 56 153 o. A., Programm der Fachschule für Drechsler, S. 8 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 154 o. A., Programm der Fachschule für Tischler, o. S. (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 155 Ebd. (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) 156 o. A.: Tischlerfachschule (12.1.1907), o. S. (Zeitungsartikel vom 12.1.1907) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2)

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die […] als ein Meisterwerk bezeichnet werden kann. So konnte den Schülern das ad oculos demonstriert werden, was sonst nur durch weitschweifige Erörterungen und zeichnerische Darstellung dem Verständnis nahe gebracht wird.157

Das Detmolder Unterrichtsmaterial macht außerdem deutlich, dass nicht nur deutsche Renaissance gelehrt wurde, sondern später ausdrücklich auch der ‚moderne‘, an der Schlichtheit des Biedermeier ausgerichtete Stil, den Reineking ebenso für einfache als auch für bessere Wohnungen empfahl und damit aus Sicht von Möbeltischlern und Möbelhändlern für gut verkäuflich hielt.158 Es ist aufschlussreich, im Anschluss an die beiden Fachschulen und deren Lehrpläne genauer auf Vorlagenbücher und -hefte für Tischler einzugehen. Sie waren als Anleitungsmaterial für solche Handwerker gebräuchlich, die sich nicht in Schulen fortbilden konnten oder wollten, aber trotzdem ‚moderne‘ Möbel herstellen wollten. Große Verbreitung fanden das bereits erwähnte Buch Der Möbeltischler von August und Max Graef und der in mehreren Folgen erschienene Frankfurter Möbel-Bazar des Architekten Philipp Niederhöfer, die im nächsten Kapitel vorgestellt werden.

8.2.2 Vorlagensammlungen Der Frankfurter Möbel-Bazar des Frankfurter Architekten für Kunstgewerbe Philipp Niederhöfer, der nach eigenen Angaben „seit Jahren in einem großen Möbelgeschäfte praktisch thätig“159 war, erschien erstmals 1879 im Selbstverlag und bot „neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance“.160 Dazu gehörten zum Beispiel Vorlagen für Speiseschrank, Ausziehtisch und Esszimmerstuhl, Wohnzimmer-Canapé, Schrank mit Schlafzimmertisch und Bettstelle, Bücherschrank, Schreibtisch und Kommode, das Mobiliar für ein Empfangszimmer mit Bilder- und Spiegelrahmen, Blumen-, Pfeiler- und Beistelltisch („Gueridon“) mit zwei Stühlen, aber auch Entwürfe für Profile oder Säulenmotive von deutschen Schränken des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Möbel sind mit Vorder- und Seitenansicht, Grundriss und manchmal auch in perspektivischer Ansicht gezeichnet, ohne genaue Maßangaben, jeweils „in 1/10 der natürlichen Größe“.161 Ein erläuternder Text beschreibt alle Entwürfe und führt auch kalkulierte Preise auf.162 So wird der Speiseschrank in Eiche „mit einfachen aber kräftigen Schnitzereien“163 mit 400 Mk angegeben (Abb. 36), Ausziehtisch in Eiche mit 250 Mk, Esszimmerstuhl mit 28 Mk, 157 Ebd. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) 158 Vgl. Thomas Dann, Von der Deutschen Renaissance zum Bauhaus, S. 160 159 Niederhöfer, Philipp (Hrsg.): Frankfurter Möbel-Bazar. Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance, Erste Serie, München 1879, o. S. 160 Ebd. 161 Ebd. 162 „Die Preise, denen die Berechnung von Seite dreier tüchtiger Techniker zu Grunde liegt, können zwar nicht für alle Fälle als absolut maßgebend erscheinen, werden aber immerhin dazu beitragen, willkommene Anhaltspunkte bei Bestellungen und Berechnungen zu bieten“ (Ebd.) 163 Ebd.

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

36  Speiseschrank in deutscher Renaissance, in: Niederhöfer, Philipp (Hrsg.): Frankfurter Möbel-Bazar. Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance, Erste Serie, 1879, Bl. 2

das Wohnzimmer-Canapé aus Nussbaum mit 275 Mk, die Bettstelle aus amerikanischem Pitch-­ Pine, die „einfach oder doppelt verwendet werden“164 kann, mit 235 Mk und der Schreibtisch aus Nussbaum mit 285 Mk.165 Eine solche Vorlagensammlung war nicht neu. Aber Philipp Niederhöfer hatte mit seinem Frankfurter Möbel-Bazar eine besondere Zielgruppe im Blick. Denn er erwähnt die bekannte Erfahrung, daß eine Reihe von solchen Publikationen mehr für reichere und wohlhabendere Leute bestimmt erscheinen, daß aber gerade der Mittelstand hierbei mehr oder weniger vernachlässigt wird.166

Niederhöfer wollte das ändern. Er sagte von sich, er sei mit Herstellungsarbeiten und technischen Handgriffen vollständig vertraut, an einer Kunstgewerbeschule und Akademie künstlerisch gebildet167

und habe deshalb schöne und zweckmäßige, leicht herzustellende und „mehr für den Mittelstand berechnete Möbel“168 entworfen, die mit dem Frankfurter Möbel-Bazar jeder Fachmann 164 Ebd. 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ebd. 168 Ebd.

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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seinen Kunden anbieten und für sie nachbauen könne. Das hebt auch der Kunsthistoriker Stefan Muthesius in seinem 2009 erschienenen Buch The Poetic Home hervor: Niederhöfer’s was one of the first catalogues explicitly to include a cheaper range of furnishings for the whole room. The table in the corner next to the sofa became a major symbol of family togetherness in Central Europe, representing a modest amount of comfort and coordinated décor for those who could afford only one living room.169

Die erste Ausgabe seiner Vorlagensammlung schickte Niederhöfer an Fachzeitschriften, Kunstgewerbeschulen und -vereine, machte sie damit unter maßgebenden Fachleuten bekannt und druckte deren freundliche Dankschreiben als Werbung in den nächsten Ausgaben ab. Für die Zeitschrift Kunst und Gewerbe. Wochenschrift zur Förderung deutscher Kunstindustrie unterschieden sich Niederhöfers Vorlagen „vortheilhaft von einer großen Menge derartiger Entwürfe durch strenge und korrekte Zeichnung, durch geschmackvolle Formen und äußerst sorgfältige Ausführung“170, und der Kritiker der Deutschen Möbelindustrie-Zeitung hatte „selten […] ein Möbeljournal mit mehr Befriedigung aus der Hand gelegt als das vorgenannte“.171 Ferdinand Luthmer, Direktor des Mitteldeutschen Kunstgewerbe-Vereins in Frankfurt/M., lobte die „auf jede kostspielige Eleganz verzichtende und doch geschmackvolle und klare Vortragsweise“.172 Carl Graff, Direktor der Königlichen Kunstgewerbeschule in Dresden, sah „eine solche Reihe brauchbarer und einfach praktischer Ideen in der Collection, daß man wohl die Einführung in weitere Kreise wünschen dürfte“.173 Prof. Gustav Kachel, Direktor der Großherzoglichen badischen Kunstgewerbeschule in Karlsruhe, hoffte auf „möglichste Verbreitung und namentlich praktische Verwerthung“.174 Nicht nur in diesen Fachkreisen stieß der Frankfurter Möbel-Bazar auf große Zustimmung, sondern auch bei „Fabrikanten und Fachgenossen bis in die kleinsten Werkstätten“175, wie Niederhöfer zu Beginn des vierten Jahrgangs 1884 berichtete. Inzwischen war die Vorlagensammlung auch im Abonnement zu beziehen. Niederhöfer war damit in eine Lücke gestoßen, denn ihm war bewusst gewesen, wie schwierig es oft selbst dem tüchtigsten Meister in grossen Städten, geschweige denn einem, von den Mittelpunkten gewerblicher Thätigkeit ab in kleine Orte eingeschlossenen Meister und Fachgenossen wird, etwas über das Allgewöhnliche hinausgehende Ansprüche zu befriedigen.176

Jedes Jahr legte er eine neue Sammlung von Möbelentwürfen vor, die „nach und nach vollständig ausgeführte und einheitlich behandelte Zimmerausstattungen“177 ergaben. Wieder erwähnt

169 Muthesius, The Poetic Home, S. 169 170 Niederhöfer, Frankfurter Möbel-Bazar, Erste Serie, o. S. 171 Niederhöfer, Philipp: Frankfurter Möbel-Bazar: Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance, 4 (1884), 1. Lieferung, Frankfurt/M., o. J., o. S. 172 Niederhöfer, Frankfurter Möbel-Bazar, Erste Serie, o. S. 173 Ebd. 174 Ebd. 175 Niederhöfer, Frankfurter Möbel-Bazar, Neue Entwürfe, 4 (1884), 1. Lieferung, S. 3 176 Ebd. 177 Ebd.

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37  Wohn- und Speise­ zimmer: in: Niederhöfer, Philipp (Hrsg.): Frank­fur­ter Möbel-Bazar. Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger ­Möbel im Stil der Renaissance, 4 (1884), 1. Lieferung, Bl. 66

Niederhöfer die Zielgruppe seiner Vorlagen, also den bürgerlichen Mittelstand als Kunden und die kleinen und mittelgroßen Handwerks- und Fabrikbetriebe als Produzenten: Reiche und großartige derartige Ausführungen kommen selten in die Hände unseres mittleren Fachgenossenstandes, dafür arbeiten Fabriken ersten Ranges mit unbeschränkten Mitteln. Aber solche Zimmer­ausstattungen für einfache und vermöglichere [sic!] Bürgershäuser herzustellen, diese schön, brauchbar und zu erreichbaren Preisen herzustellen, das ist eine ebenso lohnende wie ehrenvolle Aufgabe unserer Tischler in mehr oder weniger kleinen Städten und Orten. […] Hier soll der ‚Frankfurter Möbel-Bazar‘ helfend einwirken und er soll eine Art Musterbuch in der Werkstätte werden, nach dem die Besteller wählen, nach dem die Meister ausführen.178

Am Ende des vierten Jahrgangs schreibt Niederhöfer von 500 Entwürfen von Möbeln, die sich nicht nur zu einheitlichen Zimmerausstattungen zusammenstellen ließen, sondern auch in unterschiedlichen Ausführungen angeboten werden konnten. Esszimmer gab es entweder ‚einfach‘, ‚reich ausgestattet‘ oder ‚besonders reich ausgestattet‘, Schlafzimmer ‚einfach‘ oder ‚reich ausgestattet‘, es gab ein Herrenzimmer oder ein ‚einfaches Herrenzimmer‘, ein Damenzimmer, ein Wohnzimmer, ein Wohn- und Speisezimmer sowie Küche und Salon (Abb. 37).179 Deshalb erweiterte Niederhöfer nach drei Jahren zu Weihnachten 1882 sein Angebot und ergänzte den Frankfurter Möbel-Bazar um die Zimmer-Ansichten, „12 Tafeln auf feinem Carton ohne Schrift, Preis 18 Mark“.180 Diese Zimmer-Ansichten waren Sonderdrucke der ­Totalansichten vollständig eingerichteter Zimmer aus dem Frankfurter Möbel-Bazar. Mit ihnen als Vorlage konnten Möbelhändler Verkaufsgespräche führen und den Kunden einen Eindruck von fertig eingerichteten Zimmern in unterschiedlichen Ausführungen vermitteln, als die Präsentation 178 Ebd. 179 Ebd. 180 Ebd., o. S.

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von Zimmern im Möbelhandel noch nicht üblich war. Auch als Nachschlagewerk für Handwerker und Fabrikanten waren die Zimmer-Ansichten gedacht, „wenn derartige Aufträge an sie kommen“.181 Schließlich sollten die Abbildungen auch „Sinn und Geschmack für anständig und schön eingerichtete Wohnräume […] verbreiten“.182 Zur selben Zeit gab es das von den Erfurter Innenarchitekten August und Max Graef verfasste Buch Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus in allen seinen Räumen, das 1894 in fünfter verbesserter Auflage erschien und auch große Verbreitung fand. Der Untertitel dieses Buches ist zugleich eine Inhaltsangabe. Es liefert Vorlagen zu Möbeln für Wohn-, Speise- und Schlafzimmer, Gesellschafts- und Arbeitszimmer, für ­Toilette, Garderobe, Vorsaal, Kontor, Küche u. s. w. in den beliebten Formen der deutschen Renaissance und mit einer abgeschlossenen Einrichtung in Rokoko.183

Die Autoren waren sich 1894 sicher, dass deutsche Renaissance der nationale Stil bleiben und sich noch weiter durchsetzen sollte, zeigen aber auch, „um auch die Liebhaberei Einzelner zu beachten“184, einen Salon in Rokoko. Der Aufbau des Buches ist dem Frankfurter Möbel-Bazar ähnlich. Die einzelnen Möbel werden als Vorder- und Seitenansicht oder als Grundriss gezeichnet und in einem erläuternden Text ausführlich beschrieben. Auch Preiskalkulationen gibt es, die von Innungen erstellt wurden und jeweils mit höchstem und niedrigstem Preis angegeben werden, weil die Autoren einen festen Preis für das gesamte Kaiserreich nicht für möglich hielten. Die beiden Autoren haben noch weitere Vorlagensammlungen verfasst, so zum Beispiel das 1900 veröffentlichte Buch Der Dorfschreiner. Vorlagen von Möbeln und anderen Schreinerarbeiten für die einfachsten Verhältnisse mit besonderer Rücksicht auf wohlfeile Herstellung und ansprechende Formen.185 Interessanter mit Blick auf den bürgerlichen Mittelstand ist jedoch das 1906 von Max Graef in dritter Auflage veröffentlichte Buch Der Landtischler. Entwürfe zu einfachen Möbeln für das Haus des Bürgers und Landmannes.186 Auch hier sind Möbel für Empfangs-, Wohn-, Ess-, Schlaf- und Kinderzimmer, Küche und Vorsaal in Zeichnungen abgebildet, und zwar „in möglichst einfacher Ausführung“.187 Auffällig ist, dass die Sammlung keine Möbel für Herren- oder Damenzimmer enthält. Das lässt den Schluss zu, dass diese Räume nach der Jahrhundertwende nicht mehr zum notwendigen Standard im bürgerlichen Mittelstand gehörten, denn auch Paul Klopfer ging ja, wie oben erläutert, in seinem 1911 erschienenen Buch Wie baue ich mein Haus und wie schaffe ich mir eine gediegene Wohnungseinrichtung? von vier Hauptzimmern aus.188 Max Graefs Buch Der Landtischler enthält außerdem ausführliche Beschrei181 Ebd. 182 Ebd. 183 Graef, August/Graef, Max, Der Möbeltischler, Titelblatt 184 Ebd., Vorwort, o. S. 185 Graef, Max/Graef, August: Der Dorfschreiner. Vorlagen von Möbeln und anderen Schreinerarbeiten für die einfachsten Verhältnisse mit besonderer Rücksicht auf wohlfeile Herstellung und ansprechende Formen, Hannover 1992 [1900] 186 Graef, Max: Der Landtischler. Entwürfe zu einfachen Möbeln für das Haus des Bürgers und Landmannes, Leipzig 1906 187 Ebd., o. S. 188 Vgl. Paul Klopfer, Wie baue ich mein Haus, S. 92

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bungen der Möbel, aber die sonst üblichen Preiskalkulationen fehlen. Auch im Einrichtungsstil gibt es einige größere Änderungen. Ausdrücklich wird „die moderne Richtung, die auf allen Gebieten der Kunst und des Handwerks ihren Einfluß geltend gemacht hat, in entsprechender Weise berücksichtigt“189, also schlichtere Formen, die „nordisch“190 oder „vlämisch“191 genannt werden, aber zugleich bleibt es bei den „bewährten Formen der Renaissance und der Gotik“.192 Im Vergleich zu den Entwürfen im Möbeltischler von 1894 bietet Der Landtischler 1906 deutlich schlichtere Ornamente, auch die Renaissance-Möbel sind inzwischen weniger verziert. Wie die Fachzeitschriften für Tischler diese Veränderungen in Produktion, Markt und Stil verfolgt haben, soll jetzt genauer untersucht werden.

8.2.3  Fachzeitschriften für Tischler, Schreiner und Möbelhändler Mit den aufkommenden Veränderungen in den Bereichen Möbelproduktion, Möbelmarkt und Möbelstil beschäftigten sich nicht nur die kunstgewerblichen Zeitschriften, sondern auch die Zeitschriften für Tischler, Schreiner und Möbelhändler. Sie befinden sich verstreut in Universitätsbibliotheken. Einen relativ großen und vollständigen Bestand an unterschiedlichen Tischlerzeitschriften besitzt die Staatsbibliothek zu Berlin. Für die vorliegende Arbeit war es am einfachsten, diesen Bestand auszuwerten, und sich dabei auf wesentliche Tischlerzeitschriften und Zeitschriften für Möbelhändler zu beschränken. F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung erschien seit 1873 im F. A. Günthers Zeitungsverlag in Berlin, der eine Reihe von Fachzeitschriften herausgab, darunter auch die Bäcker- und Konditorzeitung oder der Elektronische Anzeiger. F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung nannte sich auch „aelteste und unabhängige illustrierte Fachzeitschrift der Branche“193 und kostete vierteljährlich 1,75 Mark. Im selben Verlag erschien wöchentlich auch die Deutsche Tischlerzeitung, die vierteljährlich 2,75 Mark kostete. Der deutsche Tischlermeister erschien seit 1895 alle 14 Tage in einer Auflage von 10.000 Exemplaren im Berliner Verlag Stephan Schmitz und kostete vierteljährlich 1 Mk. (1895), später 1,75 Mk. (1904).194 In diesem Verlag erschienen außerdem Fachbücher, für die in der Zeitschrift geworben wurde. Dazu gehörten Bücher über moderne Möbel, Stil und Stilvergleiche, aber auch Bücher zu Holzbildhauerarbeiten, zum Polieren, Beizen, Färben und Lackieren, zu Fachrechnen und Kalkulation sowie zum Einsatz von Kleinmotoren.195 Der Innenausbau erschien im Berliner Verlag Hugo Spamer seit 1906 alle 14 Tage, ab 1908 wöchentlich, kostete im Vierteljahr 2 Mk. und wurde redigiert und herausgegeben von Emil Augst, der auch für die Zeitschrift Leipziger Messe schrieb. Der Innenausbau hieß später Der 189 Graef, Der Landtischler, o. S. 190 Ebd. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Vgl. F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 38 (1911), H. 14 (6.4.1911), Titelblatt 194 H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1904, S. 76 195 Vgl. Der Deutsche Tischlermeister: Empfehlenswerte Werke aus der Fachliteratur, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 30 (22.7.1910), S. 1789

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Innenausbau vereinigt mit Möbel und Decoration. Die Redaktion hatten nun Jacob und Heinrich Nicolini. Ihr Vorgänger Emil Augst war jetzt Abteilungsverwalter des Tischler-Innungsverbandes.196 Die Zeitschrift erschien wöchentlich im Verlag Albert Paul & Co. Berlin und kostete im Vierteljahr 2 Mark. Der Möbelhändler erschien alle 14 Tage im Verlag J. Harrwitz Nachf. G. m.b.H in Berlin und wurde gegen Portoersatz von 1 Mark pro Jahr an alle Möbel-, Spiegel- und Polsterwarenhändler kostenlos versandt. In demselben Verlag erschienen noch drei weitere Zeitschriften: Der Möbelfabrikant war alle 14 Tage ebenfalls kostenlos gegen Portoersatz von 1 Mark pro Jahr zu beziehen; Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche kostete vierteljährlich 1,50 Mk. und erschien ebenfalls alle 14 Tage; schließlich das Annoncenblatt für Tischler-Möbelhändler-Möbelfabrikanten und verwandte Gewerbe mit einer wöchentlichen Auflage von 5500 Exemplaren, das gegen eine Mark Portoersatz pro Jahr kostenlos versandt wurde. Das Möbel-Magazin erschien ab 1904 in der Verlagsgesellschaft ‚Das Möbel-Magazin‘ im Ledermann Verlag Berlin mit einer Auflage von 5000 Exemplaren und kostete vierteljährlich 1,25 Mark.197 Anhand ausgewählter Artikel aus diesen Fachzeitschriften sollen zunächst die Ansichten des Tischlergewerbes zu Veränderungen in der Produktion erläutert werden, bevor es um Markt und Stil geht. 1895 setzte sich Der Deutsche Tischlermeister in seinem ersten Heft des ersten Jahrgangs in einem Grundsatzartikel mit der Lage der Tischlerei198 auseinander und erwähnt den großen Bauboom im Kaiserreich: In den letzten 25 Jahren dürfte in Deutschland mehr gebaut worden sein, als sonst in 100 Jahren. In der Zeit sind auch die Wohnungen der Reichen und Wohlhabenden nahezu verschwenderisch ausgestattet worden, ja selbst die Wohnungen einfacher Bürger und Bauern weisen neue Möbel auf.199

Der mit „K.“ abgekürzte Autor betont außerdem, dass sich die wirtschaftliche Lage der Meister und Gesellen trotzdem nicht verbessert habe. Für ihn steht fest, dass schlecht ausgebildete Tischler und mangelhaft ausgeführte Ware das Handwerk schädigen: Wie den tüchtigen Tischlern wieder aufgeholfen werden könnte, das liegt auf der Hand: die Pfuscher und Schmarotzer müssen aus dem Tischlergewerbe raus.200

Aufschlussreich ist nicht nur, dass ein Autor der Tischlerzeitung eine verbreitete schlechte Qualität im Handwerk feststellt, sondern auch der Schluss, den er daraus zieht. Um die Qualität der Ausbildung im Handwerk zu sichern, hält er den Befähigungsnachweis für genauso notwendig wie die obligatorische Innung. Nur so könne das Tischlerhandwerk in der Konkurrenz

196 Vgl. o. A.: Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, Bielefeld 1912, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld: 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 197 Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1908, S. 81 198 Vgl. G. K.: Zur Lage der Tischlerei, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 1–3 199 Ebd., S. 2 200 Ebd.

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

durch „kapitalistische Großfabriken und Schwindel-Bazare“201 bestehen. Erste Maßnahmen zur Sicherung der Qualität im Handwerk brachte 1897, also zwei Jahre nach Erscheinen dieses Artikels, das sogenannte Handwerkerschutzgesetz als Novelle der Gewerbeordnung mit der Einführung von Innungen und Handwerkskammern sowie dem Schutz des Meistertitels. Es dauerte allerdings bis 1908, dass der Befähigungsnachweis eingeführt wurde und nur Meister ausbilden durften. Mit „Das Handwerk voran!“202 ist in Heft 4 derselben Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister vom 16. Februar 1895 ein Grundsatzartikel überschrieben, der sich mit der Konkurrenz durch Fabriken, dem Einsatz der Maschinen und der Bedeutung des Möbelhandels beschäftigt und damit zentrale Fragen der Produktion und des Marktes anspricht. Deutlich wird die starke Ablehnung der Fabrik: Schon heute widert die geistlose Schablone der Fabrik die feinfühligen Menschen aller Gesellschaftsschichten an. […] Der bessere Teil der Menschheit will weder von der ‚fabrikerischen‘ noch sozialdemokratischen Gleichmacherei und Verbreiung etwas wissen.203

Nach Darstellung des unbekannten Autors kann sich das Tischlerhandwerk gegen die Fabrik­ arbeit nur behaupten, wenn es sich nicht nur auf die Handarbeit verlässt, sondern auch die Maschinen nutzt: Mit der Maschine wird das Handwerk in den Vordergrund kommen und sich immer mehr zur Kunst entwickeln.204

Interessant ist, dass für den Maschineneinsatz geworben wird. Jetzt wurde anerkannt, dass Maschinen den Handwerker nicht ersetzten, sondern ihm vielmehr helfen, seine Arbeiten noch besser auszuführen. Durch den Maschineneinsatz könne auch „der kleinste Dorf-Handwerker“205 gegenüber der „Fabrikschablone“206 bestehen. Es sei aber notwendig, dass die Kunden das anerkennen und mit ihrem Kauf den tüchtigen Handwerkern beispringen, was wirksam nur dann geschehen kann, wenn sie bei diesen, nicht wie bisher bei Reklamehelden, ihre Bedürfnisse an Kleidern, Schuhen, Möbeln u. s.w., u. s.w. decken.207

Den ‚Reklamehelden‘, also den Bazaren und Magazinen, stellt der Autor die „alten soliden Möbelhandlungen“208 gegenüber. Sie

201 Ebd. 202 o. A.: Das Handwerk voran, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 4 (16.2.1895), S. 37–38 203 Ebd., S. 37; „[W]em’s noch in Herz und Sinnen sprudelt, der mag sich und die Seinen und sein Heim nicht nach dem Geschmack der Konfektionäre, Möbelbazarer oder sonstiger Geschäftshelden uniformieren lassen, sondern er will Arbeiten um sich sehen, die in allen Teilen den Stempel menschlichen Fühlens und Denkens tragen“ (o. A., Das Handwerk voran, S. 37) 204 Ebd. 205 Ebd. 206 Ebd. 207 Ebd., S. 38 208 Ebd.

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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drückten ihre Tischlermeister nicht, nahmen den Verdienst von ihren Kunden, hatten sehr hohe, auch wohl unverschämte Preise und gingen so dem Tischlermeister mit gutem Beispiel voran.209

Es gibt auf dem Markt also eine klare Frontstellung für den Autor: Auf der einen Seite die Tischlermeister, die mit Maschineneinsatz individuelle Möbel fertigen, und kleine und mittlere Möbelhändler, die zu fairen Preisen bei den Tischlermeistern einkaufen; auf der anderen Seite die Großbetriebe in Produktion und Handel, also die Fabriken, die Möbel nach Schablonen fertigen, sowie die Möbelbazare und Großmagazine, die die Einkaufspreise drücken und nicht auf Qualität achten. Diese Frontstellung sollte nach Ansicht des Autors helfen, das Handwerk aufzurütteln und zu stärken, „als die wichtigste Stütze höherer Kultur und Gesittung“.210 Diese Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister veröffentlichte nicht nur Grundsatzartikel zur Interessenpolitik, sondern berichtete auch von Innungsversammlungen und behandelte Fachthemen, beispielsweise die Gestaltung von Türen oder von Schlafzimmermöbeln211 oder die Bedeutung der Farbe im Wohnraum212, und druckte Zeichnungen von einzelnen Möbeln und Zimmereinrichtungen ab. Wichtig war der Zeitschrift auch die Kunst. Weil bei der Ausstattung einer besseren Wohnung […] der Tischlermeister auch die Aufstellung von Skulpturen und die Aufhängung der Bilder zu besorgen213

habe, müsse er sich hier auskennen und fortbilden: ‚Der Deutsche Tischlermeister‘ wird natürlich auch allen künstlerischen Dingen größte Beachtung schenken und seinen Spalten geeignetes Material einverleiben.214

Damit werden also die Lehrpläne bestätigt, nach denen beispielsweise die Detmolder Tischlerfachschule zur gleichen Zeit Tischler weiterbildete und in denen sie Handwerk und Kunst miteinander verband. Immer wieder ging Der Deutsche Tischlermeister auch auf die Maschinen in der Möbelherstellung und ihre Kalkulation ein215 und erwähnte Kreis- und Bandsäge, Abrichter und Dickenhobel (Dicktenhobel) sowie Bohr- und Schleifmaschinen, die zur „Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes“216 gehörten. Hier warb 1910 auch der Journalist Damian Gronen in dem bereits erwähnten Aufsatz Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlerei209 Ebd. 210 Ebd. 211 Vgl. o. A.: Schlafzimmermöbel, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 3–4 212 Vgl. Ludwig Reineking, Die Farbe im Wohnraum, S. 1743–1747 213 o. A.: Kunst, in: Der Deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 4 (16.2.1895), S. 137 214 Ebd. 215 Vgl. o. A.: Kalkulation der Maschinenarbeit in der Möbelfabrikation, Teil 1, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 31 (29.7.1910), S. 1859–1860; Vgl. o. A.: Kalkulation der Maschinenarbeit in der Möbelfabrikation, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 32 (5.8.1910), S. 1919–1920; Vgl. o. A.: Kostenfeststellung der Maschinenarbeit bei der Möbelfabrikation, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 31 (29.7.1910), S. 1859–1860; Vgl. o. A.: Kostenfeststellung der Maschinenarbeit bei der Möbelfabrikation, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 32 (5.8.1910), S. 1919–1920 216 o. A., Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 1, S. 2039–2040; o. A., Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 2, S. 2099–2100

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en für den Elektromotor217, mit dessen Unterstützung der Handwerker konkurrenzfähig bleibe. Ein Jahr später stellte Der Deutsche Tischlermeister fest, dass die Ablehnung der Maschine im Handwerk auch deshalb abnehme, weil einerseits die Fabriken durch den Maschineneinsatz leistungsfähiger seien als die herkömmlichen Handwerksbetriebe und es andererseits diesen an gut ausgebildeten Nachwuchskräften fehle. Gelernte Handwerker seien vielen Betrieben zu teuer.218 „Deshalb ist der Maschinenbetrieb für den Handwerksmeister gegenwärtig direkt zu einer Lebensfrage geworden“.219 Zugleich wurde beklagt, dass die Kleinmotoren für die meisten Betriebe noch zu teuer seien.220 F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung widmete 1913 der Dickenhobelmaschine einen Grundsatzartikel. Sie leiste bei der Menge der Arbeit das „50 fache der Handarbeit“221 und bei der Genauigkeit ein „Vielhundertfaches“.222 So ist „die Hand selbst des besten Arbeiters überhaupt nicht in der Lage, […] derartig genaue Brettstärken zu hobeln“.223 Viele Anzeigen in diesen Zeitschriften werben für Motoren und Maschinen, in denen auch Beurteilungen und Empfehlungen von Tischlermeistern zitiert werden. So heißt es beispielsweise über die Universal-Tischlereimaschine Diamant für Hand- und Fußbetrieb der Leipziger Holzbearbeitungsmaschinenfabrik Lorenz & Kirsten in einer Anzeige der Firma: Mit Heutigem teile ich Ihnen mit, dass ich mit der mir gelieferten maschinellen Einrichtung bestehend aus Bandsäge, 750 mm Rollendurchmesser, kombiniert mit Fräse und Bohrmaschine, Universal-Abrichthobel-, Füge- und Kehlmaschine, 400 mm Hobelbreite als auch einer Dicktenhobelmaschine 400 mm Hobelbreite mit Walzenvorschub bis jetzt sehr zufrieden bin. Die Maschinen arbeiten sauber und gehen leicht. Mein 5 PH Elektromotor zieht die beiden Hobelmaschinen, Bandsäge und Bohrmaschine zu gleicher Zeit. Kann einem jeden Kollegen Ihr Fabrikat aufs beste empfehlen, denn die mir gelieferten Maschinen stehen in Bezug auf Leistungsfähigkeit und sauberer Ausführung auf der Höhe. Hochachtungsvoll gez. Heinr. Franz, Tischlermeister.224

Aber die Zeitschriften beschäftigten sich nicht nur mit dem Einsatz der Maschine, sondern auch mit maschinell gefertigten Möbeln. So behandelte die Zeitschrift Der Innenausbau in der Ausgabe vom 17. Januar 1908 die sogenannten ‚Maschinenmöbel‘, die Formen aufweisen, „wie sie für die Maschine typisch und charakteristisch sind“225, von Künstlern geschaffen und in Fabriken hergestellt wurden. Mit ihnen setzte sich der unbekannte Autor sehr kritisch auseinander. Es gebe weder die Maschinenformen noch die Künstler, die diese entwerfen, noch die Fabriken, die künstlerische Maschinenmöbel herstellen.226 Bei diesen Möbeln handele es sich um ein Produkt einer „Minderheit kunsthandwerklicher Betriebe […], die den individuellen Wünschen der Reichen und Wohlhabenden zu dienen haben“.227 Diese Behauptung 217 Vgl. Kap. 6.1.3.; Vgl. Damian Gronen, Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien, Teil 1, S. 2777 218 Vgl. o. A., Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 2, S. 679 219 o. A., Welchen Motor wähle ich?, Teil 1, S. 502 220 Vgl. o. A.: Welchen Motor wähle ich?, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 10, S. 561–565, hier: S. 563 221 Faust, Die Dicktenhobelmaschine, S. 361 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Anzeige der Firma Lorenz & Kirsten, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 38 (6.12.1907), S. 883 225 o. A.: Das Maschinenmöbel, Teil 1, in: Der Innenausbau 3 (1908), H. 3 (17.1.1908), S. 18–20, hier: S. 18 226 Vgl. ebd.; Vgl. o. A.: Das Maschinenmöbel, Teil 3, in: Der Innenausbau 3 (1908), H. 5, S. 35–36, hier: S. 35 227 o. A., Das Maschinenmöbel, Teil 1, S. 18–19

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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überrascht, denn zwei Jahre zuvor hatten die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, wie in Kap. 8.4.2 noch erläutert wird, die ersten Maschinenmöbel von Richard Riemerschmid auf den Markt gebracht, die zugleich für Arbeiterschaft und Mittelstand erschwinglich waren, wie in kunstgewerblichen Zeitschriften ausdrücklich hervorgehoben wurde. Es erstaunt also, dass für den Autor die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst überhaupt keine Rolle spielten, deren Möbelkonstruktionen durch die Maschine vorgegeben war. Denn er betont außerdem, dass „viele Maschinen einen formbestimmenden Einfluss überhaupt nicht ausüben“.228 Deshalb war für ihn nicht der Maschineneinsatz das wichtigste Kennzeichen dieser Möbel, sondern die Massenfertigung in Fabriken.229 Dabei nehme die technische Qualität umso mehr ab, je mehr über den Bedarf hinaus produziert und verkauft werde. Davon sei „bessere Massenware“230 genauso betroffen wie „Schundware“.231 Beide seien „ein den Schwankungen des Marktpreises unterworfener Handelsartikel“.232 Die Zeitschrift Der Innenausbau griff zwei Jahre später, 1910, das Thema der Maschinenmöbel noch einmal auf, nachdem sie mit der Zeitschrift Möbel und Decoration vereinigt und jetzt offizielle Verbandszeitschrift des Rheinisch-Westfälischen-Tischler-Innungsverbandes geworden war. In dieser Zeitschrift beschrieb Georg Brandt die Maschinenmöbel wohlwollend. Er unterschied zwischen „individualisierte[n] Möbel[n]“233 und „typenartige[n] Möbel[n]“.234 Die individualisierten Möbel wurden für einzelne Räume in Villen oder Ein- und Zweifamilienhäusern entworfen und waren „künstlerisch das Allerbeste“.235 Die typenartigen Möbel dagegen waren für „bescheidenere Verhältnisse“236 gedacht, sie mussten sich ganz unterschiedlichen Räumen anpassen, waren gerade nicht individuell und wurden in größerer Menge hergestellt. Trotzdem konnten sie von „guter, von wirklich guter Arbeit“237 sein und „in verschiedenen hervorragenden Werkstätten und Fabriken“238 hergestellt werden. Damit wurden die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst und die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München angesprochen, die für die Verfügbarkeit von guten und erschwinglichen Möbeln für den bürgerlichen Mittelstand von großer Bedeutung waren. Mit dem Begriff der typenartigen Möbel erreichte außerdem die Vorstellung der ‚Typisierung‘ aus den Diskussionen im Deutschen Werkbund die Tischlerzeitschriften. Darunter verstanden zum Beispiel Friedrich Naumann und Hermann Muthesius die Gestaltung von Serienmöbeln aus standardisierten Einzelteilen und die Werbung für einzelne Typen und Marken, wie in Kap. 8.4 noch erläutert wird. 228 o. A., Das Maschinenmöbel, Teil 3, S. 36 229 Vgl. o. A., Das Maschinenmöbel, Teil 1, S. 20 230 Vgl. ebd. 231 Vgl. ebd. 232 o. A., Das Maschinenmöbel, Teil 3, S. 36 233 Brandt, Georg: Individualisierte Möbel – Typenartige Möbel, in: Der Innenausbau 5 (1910), H. 6 (11.2.1910), S. 63–64, hier: S. 63 234 Ebd. 235 Ebd. 236 Ebd., S. 64 237 Ebd. 238 Ebd.

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Mit den Bedingungen der Produktion setzte sich auch 1914 Kuno Mittenzwey in der Zeitschrift Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche auseinander. Er vermisst in seinem Artikel Der moderne Arbeitsprozess und die Produktionsveredelung beim Handwerker „die Liebe […] zu dem Material, das er verarbeitet, zu der Form, die er ihm verleiht“.239 Dafür lasse eine Produktion, die nur auf die geringsten Herstellungskosten und die neuesten Moden für einen unbekannten Markt achte, keinen Platz. Qualität und Mode werden als Gegensätze betrachtet. Drei Forderungen stellt er, um auf den Markt einzuwirken: eine höhere Qualität der Produkte, die „Beseitigung alles Unechten, Falschen, Scheinhaften“240 und schließlich die „Kraft der Anschauung“241 durch die Ausstellung, auf der gute Qualität den Kunden gezeigt wird. Durch Qualitätsverbesserung und Geschmacksbildung sollen die Produkte des modernen Herstellungsprozesses veredelt werden. Was Mittenzwey hier beschreibt, gibt einen damals weit verbreiteten Eindruck wieder. So bemängelte 1912 der mit „N.“ abgekürzte Autor im Annoncenblatt für Tischler, Möbelhändler und Möbelfabrikanten und verwandte Gebiete, dass „das Niveau der gewerblichen Arbeit […] ganz beträchtlich gesunken“242 und den Menschen, „und zwar Produzenten wie Konsumenten, das Gefühl für edles Material und anständige Arbeit darüber verloren gegangen“243 sei. Dazu haben aus damaliger Sicht die arbeitsteiligen Fertigungsprozesse in größer gewordenen Werkstätten und der Verkauf der Möbel für einen anonymen Markt entscheidend beigetragen. Aus Sicht der Tischlerzeitschriften war also die Produktion durch eine schlechte Qualität der Möbel und unzureichend ausgebildete Tischler gekennzeichnet. Daraus ergaben sich Forderungen nach Innungen im Handwerk und einer geregelten Ausbildung durch Meister. Der Einsatz von Maschinen wurde aus mehreren Gründen begrüßt: um fehlenden Nachwuchs zu ersetzen, um an den Werkstücken sehr präzise arbeiten zu können, um in der Konkurrenz mit Fabriken bestehen und um Möbel in großer Menge für einen wachsenden Markt herstellen zu können. Uneinheitlich war die Bewertung der Maschinenmöbel oder typenartigen Möbel und ihrer massenhaften Herstellung. Deshalb soll im Folgenden das Verhältnis zwischen Handwerksbetrieben und Fabrikbetrieben genauer betrachtet werden, wenn es um die Sicht der Tischlerzeitschriften auf den Markt geht. In dem bereits erwähnten, 1895 publizierten Grundsatzartikel Zur Lage der Tischlerei in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister wird erklärt, dass „die Tischlerei nicht angreifbar ist seitens der rationellen Großbetriebe und sie mehr Aufträge hat denn je“.244 Um sich weiter gegen die Großbetriebe zu behaupten, seien „Intelligenz und Vielseitig-

239 Mittenzwey, Kuno: Der moderne Arbeitsprozess und die Produktionsveredelung, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 5 (1.3.1914), o. S. 240 Ebd. 241 Ebd. 242 N., D.: Qualitätsarbeit, in: Annoncenblatt für Tischler, Möbelhändler, Möbelfabrikanten und verwandte Gewerbe 34 (1912), H. 14 (15.7.1912), o. S. 243 Ebd. 244 o. A., Zur Lage der Tischlerei, S. 1

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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keit“245 notwendig. Die Zeitschrift spricht auch von einem „Kampfe ums Besserwerden“246 und fordert „Einigkeit […] zwischen den tüchtigen Meistern und Gesellen und reellen Tischlerwaarenhändlern“.247 Im vierten Heft des Deutschen Tischlermeisters aus dem Jahr 1895 wurde wieder die gute Zusammenarbeit mit Teilen des Handels beschworen, um sich gegen die Fabriken zu behaupten. Der unbekannte Autor stellt in seinem Artikel Das Handwerk voran! fest, dass die tüchtigen Tischlermeister […] die Konkurrenz der Möbelhändler, die wirklich gute Tischlerarbeiten führen und die sich gut bezahlen lassen, nicht zu scheuen brauchen. Im Gegenteil, sie sollten sich diese zu Freunden halten.248

Gute Beziehungen zum Handel sieht der Autor als wichtig an, weil „wirtschaftliche Gesetze stärker sind als alle anderen“249, und nennt als Beispiel den Tischlermeister, der Samstags seine Arbeiten einem Möbelbazarer unter dem Selbstkostenpreise verkaufen muß und ihm Montags vielleicht der Holzhändler einen Elfzölligen – wie der Volksmund im Galgenhumor die Wechsel nennt – präsentiert, wofür die Deckung fehlt?!250

Vier Jahre später, 1899, druckte Der Deutsche Tischlermeister den bereits erwähnten Grundsatzartikel Tischlerei und Möbelhandel, in dem die Spezialisierung vieler Tischlereien auf einzelne Möbelstücke, zum Teil in besonderen Stilarten, und der Möbelhandel als eine „natürliche Folge des Spezialitätenwesens“251 beschrieben werden. Der Handel fasse die unterschiedlichen Warenangebote spezialisierter Tischlereien im Geschäft zusammen.252 In den Spezialtischlereien gab es nach Einschätzung des unbekannten Autors einen hohen Anteil an „Möbelplunder“253, zugleich aber auch einwandfreie Arbeit: In jeder besseren Berliner Möbelhandlung findet man Schränke, Buffets, Tische und Stühle, die geradezu meisterhaft gearbeitet sind, und alle die Dinge sind in Spezialwerkstätten hergestellt worden.254

Dass der Autor in diesem Zusammenhang auch Positives über Berlin erwähnt, ist erstaunlich, denn häufig galten Berliner Möbel nur als Schund. Aber dieses Zitat zeigt auch, dass es im Handel viele Geschäfte gab, die auf Qualität Wert legten und mit denen Tischlermeister zusammenarbeiten sollten: Der reelle Händler ist nicht gefährlich. Nur so ein dreimaldestillierter Schundmöbelhändler ist dem ehrsamen Tischlermeister ein böser Konkurrent. Dieser muß auf jede Weise bekämpft werden, und das geschieht am besten mit Hülfe reeller Möbelhändler.255

245 Ebd., S. 2 246 Ebd. 247 o. A., Zur Lage der Tischlerei, S. 2 248 o. A., Das Handwerk voran!, S. 38 249 Ebd. 250 Ebd., S. 37 251 o. A., Tischlerei und Möbelhandel, S. 17. 252 Vgl. ebd. 253 Ebd. 254 Ebd. 255 Ebd., S. 18

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Aber der Autor empfiehlt nicht nur die Zusammenarbeit mit dem Handel. Tischlermeister sollten ihn auch selbst betreiben und für den Verkauf ihrer Möbel an die Werkstatt ein Geschäft angliedern, „da der Kunde nun einmal die Sachen sehen, kaufen und gleich mitnehmen will“.256 Die Meister sollten auch zu den eigenen Möbeln andere von Spezialisten dazukaufen, um das Angebot zu vergrößern. Wenn ein Tischlermeister es ablehne, „auf händlerische Weise Geld zu verdienen, so ist das eine an Selbstvernichtung grenzende Zimperlichkeit“.257 Es zeigt sich also, dass die Grenzen zwischen Handwerk und Handel durchlässiger wurden und Handwerker auch Kaufleute werden mussten. Das bedeutete erhebliche Konflikte zwischen Möbelfabrikanten und Möbelhändlern, über die zum Beispiel auch die Deutsche Tischler-Zeitung 1911 berichtete258 und von denen schon in Kapitel 7.2 die Rede war. Offenbar war es aber für viele Tischler nicht einfach, sich auch wie Kaufleute zu verhalten. Denn ein Jahr später, 1912, verfasste der mit „R.“ abgekürzte Autor in der Zeitschrift Der Innenausbau den schon angeführten Artikel über den Verkehr des Handwerkers mit der Kundschaft, der dem Handwerker rät, vom Verkaufsgeschick der Kaufleute zu lernen.259 Denn der Handwerker verhalte sich vor allem [s]o schüchtern und verlegen wie nur eben möglich, man wundert sich manchmal, daß er keinen Schüttelfrost vor Angst kriegt.260

Er müsse stattdessen sein handwerkliches Können im Gespräch mit dem Kunden „leuchten [lassen], sei es im Wort oder durch zeichnerische Darstellung seiner Gedanken“.261 Immer wichtiger wurde nach der Jahrhundertwende die Diskussion um die Qualität der Möbel. So machte der mit „N.“ abgekürzte Autor im Annoncenblatt für Tischler – Möbelhändler – Möbelfabrikanten und verwandte Gebiete 1912 mit seinem bereits erwähnten Aufsatz über Qualitätsarbeit darauf aufmerksam, dass schlecht verarbeitete Möbel eine Verschwendung des auf der Erde nur begrenzt vorhandenen Rohmaterials Holz seien. Es komme darauf an, diese Ressourcen nur für Qualitätsarbeit zu nutzen und damit als Exportland erfolgreich zu sein. Der Autor „N.“ hielt es für notwendig, in den nächsten 20 Jahren wenigstens eine größere gebildete Schicht in Deutschland zum Bewußtsein dieser Dinge zu bringen. Wenn in Deutschland das Bedürfnis nach edler Qualitätsarbeit geweckt wird, so bin ich überzeugt, daß wir für die nächsten hundert Jahre die Welt mit Architektur und Kunstgewerbe versehen werden.262

Weil genauso auch der Werkbund-Mitbegründer Friedrich Naumann argumentierte, ist er vermutlich der mit „N.“ abgekürzte Autor, der bei Händlern und Fabrikanten mit nachhaltigen Qualitätsprodukten für Deutschlands Exportinteressen warb.

256 Ebd. 257 Ebd. 258 Vgl. o. A.: Tischlermeister und Möbelhändler, in: Deutsche Tischler-Zeitung 38 (1911), H. 18 (4.5.1911), S. 141– 142; Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 70–71 259 Vgl. R., Der Verkehr des Handwerkers mit der Kundschaft, S. 405 260 Ebd. 261 Ebd., S. 406 262 N., Qualitätsarbeit, o. S.

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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Einen Zusammenhang zwischen Qualitätsarbeit und der Organisation des Tischlerhandwerks brachte der Vorsitzende des Essener Tischlerverbandes Hugo Kükelhaus 1907 in der Artikelreihe Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks263 in der Zeitschrift Der Innenausbau zur Sprache. Darin erwähnt der spätere Geschäftsführer des Rheinisch-Westfälischen Tischler-Innungsverbandes264 eine „heute bestehende[…] Zerrüttung des Tischlerhandwerks“265 und nennt als drei wesentlichen Ursachen den Einfluss der Maschine, die kapitalistische Produktionsweise und die Bewegung der Sozialdemokratie. Im Arbeitsprozess war die Maschine für Kükelhaus sinnvoll, weil sie einen Teil der notwendigen Arbeit abnehme, „während die eigentliche Handwerksarbeit auf immer eine Kunst der Menschen bleiben wird und muss“.266 Doch nach Einschätzung von Kükelhaus richteten sich die Tischler ganz nach den Vorgaben der Maschine, anstatt die Maschine nach Vorgaben der Tischler einzusetzen. Deshalb sei aus den „von den Maschinen roh vorgearbeiteten Materialien“267 keine Handwerkskunst entstanden. Außerdem hielt Kükelhaus qualitätvolle Arbeit in einem kapitalistischen Betrieb für nicht möglich, weil Möbel dort nicht nach den Regeln der Handwerkskunst hergestellt würden, sondern „unter dem allein maßgebenden Gesichtspunkte des Gelderwerbes“.268 Als drittes Hindernis, das einer Qualitätsarbeit entgegenstehe, nannte er die sozialdemokratische Bewegung, die Meister und Gesellen auseinandertreibe, so dass das „Tischlerhandwerk keine Zeit mehr zu verlieren hat, um den Frieden zwischen Meister und Gesellen herzustellen“.269 Als Mittel dazu schlug er „Arbeitskammern“270 im Tischlerhandwerk vor, die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern festlegen sollten.271 Durch eine neue Einrichtung sollten im Handwerksbetrieb die alten herkömmlichen Beziehungen zwischen Lehrling, Geselle und Meister wiederbelebt werden, damit durch ihre Zusammenarbeit unter Einsatz der Maschinen und nach den Regeln des Tischlerhandwerks qualitätvolle Möbel entstehen, die Möbelfabriken nach Kükelhaus‘ Überzeugung nicht liefern konnten. Es ist sehr interessant, dass dieser im Tischlerhandwerk sicherlich weitverbreiteten Auffassung von Kükelhaus einige Jahre später in derselben Zeitschrift ausdrücklich widersprochen wurde. Unter dem Titel Qualität und Betriebsform272 druckte die Zeitschrift Der Innenausbau 263 Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 1, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 23 (7.6.1907), S. 457–458; Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 2, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 24 (14.6.1907), S. 477–478; S. 480; Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 3, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 25 (21.6.1907), S. 500–501; Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 4, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 26 (28.6.1907), S. 519–522; Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 5, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 27 (5.7.1907), S. 542–544 264 Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 265 Kükelhaus, Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 1, S. 458 266 Kükelhaus, Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 2, S. 479 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Kükelhaus, Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 5, S. 542 270 Ebd. 271 Vgl. ebd. 272 Rauecker, Bruno: Qualität und Betriebsform, in: Der Innenausbau 17 (1914), H. 21, S. 278–282, hier: S. 278

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im Jahr 1914 einen Aufsatz des Wirtschaftswissenschaftlers Bruno Rauecker, den die Redaktion für so bemerkenswert hielt, dass sie eine Anmerkung dazu voranstellte: Die Ausführungen geben uns zu denken. Sie geben die Eindrücke und Ansichten, die ein außerhalb des Handwerks Stehender hat, wieder. […] Es wäre töricht, unsere Ohren gegen solche Ansichten zu verschließen.273

Rauecker, ein Sozialversicherungsexperte und Verfasser von Büchern über Sozialpolitik274, sah nicht das Handwerk als ökonomisch bestimmende Betriebsform an, sondern den Großbetrieb mit Arbeitsteilung und Maschineneinsatz. Deshalb formulierte er die Frage, ob es innerhalb unserer heutigen Produktionsform heute überhaupt noch möglich [sei], den Qualitätsgedanken zu verwirklichen, Qualitätsarbeit wirtschaftlich relevant zu leisten.275

Seine Antwort entsprach sicherlich nicht den Erwartungen der Leser. Denn Rauecker hielt Qualitätsarbeit nicht allein im Handwerk für möglich, sondern genauso auch im Großbetrieb. Dieser sei wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung auch der erste Ansprechpartner, wenn Qualitätsarbeit hergestellt werden soll: Es ist einer der größten Schäden der neuromantischen Strömungen des endenden 19. Jahrhunderts gewesen, in uns die Ueberzeugung wach zu rufen, daß gute und schöne Dinge technisch und künstlerisch glückliche Produkte nur in der Handarbeit hergestellt werden können. […] Als ob hinter den gewiß reizenden Puppenköpfen, die in der Sonneberger Hand- und Heimarbeit hergestellt werden, besonders tiefgründige ‚Beseelung‘ und nicht viel mehr eine Unsumme niederer Löhne und elender Arbeitsbedingungen stäke. […] Worauf es uns hier ankommt, ist vielmehr dies: Nachdrücklich zu betonen, daß der Großbetrieb fast durchgehends die unentbehrliche Voraussetzung für die Qualitätsarbeit ist. Schon an und für sich wird er vermittelst seiner Kapitalkraft die besten Arbeitskräfte heranziehen, das beste Material verwenden, die exaktesten Maschinen dauern in Gang halten können.276

Es kam nicht sehr oft vor, dass in einer Tischlerzeitschrift die Fabrik einmal nicht mit billiger Massenware in Verbindung gebracht wurde, sondern mit Qualitätsarbeit. Diesen Gedanken hatte ja schon fünfzig Jahre vorher der Schriftsteller Ludwig Pfau in seinem Werk Freie Studien formuliert, als er die Vorteile der maschinellen Produktion für die Gestaltung von Möbeln hervorhob277, wie in Kapitel 5.2.2 bereits erläutert wurde. Auch der Kunsthistoriker Albert Dresdner hatte ja schon 1898 die massenweise Herstellung zweckmäßiger und qualitätvoller Möbel verlangt.278 Jetzt wurde ausgerechnet in einer Tischlerzeitschrift herausgestellt, dass nur mit den Fabriken und ihrer Bedeutung auf dem Markt Qualitätsarbeit überall durchgesetzt werden könne. Für den Wirtschaftswissenschaftler Bruno Rauecker bedeutete das aber auch, dass eine Fabrik, die Qualitätsarbeit liefern will, nicht mehr „in unerhörter Neuerungswut von Saison zu Saison Nouveautées über Nouveautées auf den Markt werfen“279 sollte. 273 Anmerkung der Redaktion zum Artikel „Qualität und Betriebsform“ von Bruno Rauecker, S. 278 274 Vgl. Joan Campbell: Der Deutsche Werkbund, 1907–1934, München 1989, S. 178 275 Rauecker, Qualität und Betriebsform, S. 278 276 Ebd., S. 280 277 Pfau, Die Kunst im Gewerbe, S. 422 278 Vgl. Albert Dresdner, Bürgerlicher Hausrath, S. 167 279 Rauecker, Qualität und Betriebsform, S. 282

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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Damit gab es aus Sicht der Tischlerzeitschriften einen interessanten Ansatz, der den allgemein anerkannten Gegensatz von guter Handwerksarbeit und schlechter Fabrikarbeit aufgab. Allerdings war diese Ansicht im Tischlerhandwerk noch eine Außenseiterposition. In der Auswahl der Artikel zeigt sich außerdem, dass aufgrund der Spezialisierung im Tischlerhandwerk der Möbelhandel als notwendig angesehen wurde und faire Geschäftsverbindungen mit den Händlern auch den Tischlern nutzten. Auch sollten Tischler in den Möbelhandel einsteigen und durch ressourcenschonende Produktion von Qualitätsware dazu beitragen, den Export zu steigern. Wie die Stilentwicklung von den Tischlerzeitschriften beurteilt wurde, soll im Folgenden untersucht werden. Die Deutsche Tischler-Zeitung vom 18. Februar 1893 erwähnt auf der Titelseite ihrer Beilage eine Möbelausstellung in Berlin vom Sommer 1892 und geht auch auf die „darüber geschriebenen, oft sehr herben Kritiken“280 ein. Zum Beispiel notierte „einer der gröbsten und daher wohl auch ehrlichsten und wahrsten Kritiker geradezu, daß das gesammte [sic!] deutsche Tischlergewerbe von Berlin aus ‚verseucht‘ sei“.281 Diesem Kritiker, dessen Name nicht genannt wird, widerspricht der Autor P. Böttcher in seinem Artikel Möbelstudium für die Beilage der Deutschen Tischler-Zeitung nicht, sondern gibt ihm im Wesentlichen Recht. Dabei bemängelt er Gestaltung und Verarbeitung der Möbel auf die gleiche Weise, wie es damals in kunstgewerblichen Zeitschriften und Büchern üblich war: [A]uch hier und da finden sich noch Tischlermeister und Zeichner, die der Seuche noch nicht zum Opfer gefallen sind, welche uns sonst einfach zu haltende Möbel nicht mit Säulen, Pilastern, Ecken, Konsolen, schweren Bekrönungen, Muscheln, Vasen, Spitzen, Gehängen u. s. w. belasten und das Ganze dann ‚mahagoni- oder nußbaumartig‘ malen – richtiger roth und braun anschmieren lassen, sondern Möbel einfach und originell zu gestalten wissen und unser weiches Holz mit seiner schönen Maserung hell lassen, dasselbe nur firnissen oder nur ein wenig braun beizen.282

Böttcher beantwortet allerdings nicht die von ihm selbst gestellte Frage, ob für diese Entwicklung Architekten verantwortlich waren oder etwa Tischler, die nicht selbstbewusst genug ihr Handwerk verteidigt haben, oder auch Kunden, die solche Möbel verlangt haben. Er lässt es offen, woher dieser Lügengeist stammt, der in jedem Schrank uns einen Prunkbau vorzaubert, der lieber schlechteres Material nimmt, als daß er auf eine Handvoll Säulen, auf prunkende Renaissance-, Rokokooder anders stilisirte Schnitzereien und Mumpitzereien u. s. w. verzichtet.283

Die Kritik ist ähnlich scharf wie bei den Experten aus dem Kunstgewerbe, kommt aber aus einer ganz anderen Richtung. Denn Böttcher stand „dem modernen Kunstgewerbe als erklärter

280 Böttcher, Möbelstudium, o. S. 281 Ebd. 282 Ebd. 283 Ebd.; Vgl. auch: L.: Geschmacksbildung in der Tischlerkunst, in: Deutsche Tischlerzeitung 43 (1916), H. 43/44 (2.11.1916), S. 87: „Am haltlosesten war der Geschmack im späteren 19. Jahrhundert, in der Zeit der Stilwiederholungen; hatte man bis dahin wenigstens eine Zeitlang feste Formenschätze, so hörte diese Sicherheit nunmehr völlig auf. Der Deutsche schwankte von Stil zu Stil, zu Oberflächlichkeit, Geschmacklosigkeit und Unsolidität.“

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Feind gegenüber[…]“.284 Deshalb verlangte er also nicht mehr kunstgewerblichen Sachverstand von den Möbeltischlern – ganz im Gegenteil: Sie sollten sich davon ganz abgrenzen und als solide Handwerker […] für das ganze Volk brauchbare Möbel schaffen, und zwar […] einfache, ehrliche Möbel.285

Damit nannte Böttcher schon 1893 mit Einfachheit und Zweckmäßigkeit zwei wesentliche Anforderungen an die Beschaffenheit von Möbeln, die ungefähr erst ein Jahrzehnt später allgemein anerkannt wurden, als die Begeisterung für dunkle Zimmer mit schweren Vorhängen und reich verzierten Möbeln im Stil des Historismus deutlich nachließ. Aber Böttchers klare Abgrenzung zum Kunstgewerbe dürfte im Tischlerhandwerk auf Widerspruch gestoßen sein. Denn die andere Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister begann, wie schon erwähnt, in ihrer Ausgabe am 16. Februar 1895 eine Artikelreihe über Kunst, weil „ein tüchtiger Tischler auf allen Kunstgebieten soweit zu Hause sein [muß], daß er darin urteilsfähig ist“.286 Dort müsse er sich auskennen: Wie traurig ist es dann, wenn er Gutes von Mittelmäßigem nicht zu unterscheiden weiß, nicht mal erkennt, welches Licht ein Bild gebraucht [sic!], um zur vollen Wirkung zu kommen, welche Farben harmonieren und so weiter.287

Deshalb berücksichtigten auch die Lehrpläne an den beiden neu gegründeten Fachschulen in Detmold und Leisnig kunstgewerbliche Inhalte in der Aus- und Fortbildung, weil Möbeltischler inzwischen nicht mehr nur Möbel herstellten, sondern mehr und mehr auch zu Ratgebern bei der Inneneinrichtung wurden. Wie wichtig kunstgewerbliche Kenntnisse für Tischler waren, belegte 1895 der Artikel Das Ornament in der Möblerei und einiges andere in der Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister. Der Autor Wilhelm Fleck befasst sich mit den Abwegen der Verzierung und bemängelt eine viel zu billige Produktion nur scheinbar wertvoller Möbel mit schlecht hergestellten Ornamenten: Ob das Möbel zunächst seinen Zweck erfüllt – was es doch soll! – ob nicht, das ist heute bei den meisten Fabrikanten Nebensache geworden; der Schmuckzweck, das Verzierte daran, das ist Hauptsache. In Tausende von Staubecken, Nischen, Kröpfen u. s.w. ausgelöst – in Winkel, in die weder ein Staublappen noch ein Pinsel reinigend eindringen kann: das sind so im großen und ganzen unsere modernen Möbel. Giebt [sic!] es nun etwas Widersinniges als einen Küchenschrank oder eine Bettstelle mit vielen scharfen Ecken und Kanten – an Möbeln, die tagtäglich gebraucht und gereinigt werden sollen? Und doch wird dies immer wieder und wieder gemacht, verlangt von den Leuten und gekauft. Warum? Weil Hinz und Kunz solche Wunderwerke der Tischlerei haben, will sie Hans eben nun auch haben! Stilvoll muß es sein, und wenn man sich auch die Schienbeine und Hände blutig reißt und an den Gesimsen den Schädel in Trümmer rennt.288

284 Böttcher, Möbelstudium, o. S. 285 Ebd. 286 o. A.: o. T., in: Der Deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 12 (8.6.1895), S. 137 287 Ebd. 288 o. A.: Das Ornament in der Möblerei und einiges andere, in: Der Deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 29–31, hier: S. 29

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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Fleck wirft den Möbelherstellern Einfallslosigkeit und mangelnde Vielfalt bei Möbeln vor: Und daher kommt’s, daß man überall – im Norden und im Westen, im Süden und im Osten Berlins, in Halle und Frankfurt, Schwerin und Leipzig, in den Schaufenstern dieselben lieben, alten Bekannten (natürlich in Möbelformen) sieht, und alle machen sie den Eindruck, als ob sie von einem Papa herstammten und nicht von so und so vielen verschiedenen Meistern gemacht wären, die doch am Ende auch selbst noch denken und auch mal etwas anderes machen könnten – wenn sie nur wollten.289

Die Zeitschrift Der Innenausbau. Illustrierte Schreinerzeitung ging einige Jahre später einen Schritt weiter und fragte nach der bürgerlichen Selbstrepräsentation. Sie druckte 1907 in zwei Teilen einen Vortrag über die Probleme des Kunstgewerbes ab.290 Nicht nur die Wahl des Thema war möglicherweise überraschend, sondern auch der Verfasser selbst, der Geheime Regierungsrat Hermann Muthesius, einer der Verfechter der Kunstgewerbereform und spätere Werkbund-Mitbegründer, der den Vortrag im Verein für Deutsches Kunstgewerbe in Berlin gehalten hatte. In der Ausgabe vom 6. Dezember 1907 äußerte sich Muthesius über die bürgerliche Lebensführung jener Jahre, die „im Grunde Entlehnung aus den aristokratischen Lebensgewohnheiten und den Geschmacksrichtungen früherer Zeiten“291 sei. Eine eigenständige bürgerliche Kultur stellte er nur in Ansätzen fest, zum Beispiel in der Mode beim Herrenanzug: „Er ist praktisch, nüchtern, schmucklos, aber gediegen, gut gearbeitet, aus bestem Material“.292 Dagegen hielt Muthesius die bürgerliche Wohnung für noch unsachlich, aus falschen Neigungen gebildet, die Nachahmung des Aristokratischen herrscht in ihr vor, man will mehr sein als man ist.293

Die Modernisierung im Kaiserreich, „die großen politischen und wirtschaftlichen Erfolge der letzten 30 Jahre“294, machte Muthesius dafür verantwortlich, dass „der schlichte bürgerliche Sinn verdunkelt worden“295 sei und sich „das einfache, schlichte, aber gediegene gewerbliche Erzeugnis in Deutschland“296 so schwer durchgesetzt habe. Die bürgerliche Wohnungseinrichtung, die Muthesius kritisierte, beschrieb sehr anschaulich im Jahr 1910 der mit „N.“ abgekürzte Autor in dem Aufsatz Zur Entwicklung der Stilformen297 in Der Deutsche Tischlermeister. 289 Ebd. S. 29 290 Muthesius, Hermann: Probleme des Kunstgewerbes, Teil 1, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 37 (30.11.1907), S. 866–868; Muthesius, Probleme des Kunstgewerbes, Teil 2, S. 902–904 291 Muthesius, Probleme des Kunstgewerbes, Teil 2, S. 902 292 Ebd. 293 Ebd.; So schrieb ein unbekannter Autor zur Entwicklung des Geschmacks im Kunstgewerbeblatt 1893: „Für diese Erkrankung unserer Geschmackskultur ist aber nicht nur das Tischlergewerbe, sondern noch mehr die Prunksucht des Publikums verantwortlich zu machen. Jeder will auch in seiner Wohnung mehr scheinen als er ist, und so möchte eine Einrichtung für 1000 M. aussehen, als ob sie 10.000 Mark kostete. Mit einer System- oder Stiländerung kommen wir aus dem Übel nicht heraus“ (o. A.: Vereine und Museen, in: Kunstgewerbeblatt, N. F. 4 (1893), S. 32) 294 Muthesius, Probleme des Kunstgewerbes, Teil 2, S. 902. 295 Ebd. 296 Ebd 297 Vgl. I. H. N.: Zur Entwicklung der Stilformen, Teil 1, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 35 (26.8.1910), S. 2104–2108; Vgl. I. H. N.: Zur Entwicklung der Stilformen, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister, 16 (1910), H. 38 (16.9.1910), S. 2285–2286

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Vermutlich handelte es sich wieder um Friedrich Naumann als Autor, denn die scharfe Kritik unterschied sich nicht von der in kunstgewerblichen Zeitschriften: Man legte sich mit verdoppeltem Eifer auf das Kopieren, kopierte überall und mit möglichster Treue, schuf Chorstühle und Altarschreine als Sofa und Buffet für die moderne Wohnung um, oder machte nach einem Ehrensessel einer deutschen Bürgermeisterstube aus der Renaissancezeit ein Dutzend Speisezimmerstühle für einen internationalen Bankier. Man stritt sich über die mehr oder minder erreichte Stilreinheit und Stilechtheit und als es mit der Renaissance und der Gotik nicht so recht glückte, nahm man flugs das Barock und das Rokoko vor und dann noch schneller Louis XVI. und Empire und dann wurde zur Abwechselung mal wieder ein bischen Japanisch und viel Englisch und Amerikanisch kopiert, bis man endlich alles hübsch nebeneinander hatte und je nach dem Geschmack und dem Geldbeutel der Herren Besteller, nach der Modelaune einzelner finanziell bevorzugter Kreise eine hübsche Abwechselung von Zimmer zu Zimmer zu schaffen vermochte, diese bunte Vielseitigkeit, welche unsere Wohnungskünstler so gerne pflegten.298

Als Ausweg werden jedoch diesmal nicht ‚einfache‘ oder ‚ehrliche Möbel‘ gefordert, sondern anstelle der schablonenhaft-konventionellen, gedankenlos angebrachten […] Verzierungen […] Formen […], welche Beziehung haben zu dem Gegenstande, den sie schmücken oder zu der, bezw. den Personen, für welche der Gegenstand bestimmt ist.299

Es kam also gerade nicht darauf an, handwerkliches Geschick durch möglichst viele besonders aufwendige Ornamente zu beweisen. Dem Autor war stattdessen Geschmacksbildung wichtig, „eine Aufgabe für unser gesamtes Schulwesen“300, denn die Kunden sollten die Qualität zeitgemäßer Tischlerarbeit erkennen und schätzen können. Diese Forderung wurde damals sehr oft erhoben301, und als wichtigstes Medium der Geschmacksbildung wurden damals Ausstellungen angesehen. Deren Nutzen bezweifelte allerdings ein unbekannter Autor 1911 in dem Artikel Ist Schönheit gleichbedeutend mit Zweckmäßigkeit? in der Zeitschrift Der Deutsche Tischlermeister, indem er einen weitverbreiteten Eindruck wiedergibt: Durchwandern wir z. B. die Zimmereinrichtungen, so werden wir sicher meistens eine vorzügliche Arbeit bewundern, die jedoch zur Anschaffung in unseren bürgerlichen Wohnungen viel zu teuer ist.

298 Ebd., S. 2285 299 Ebd., S. 2286 300 Ebd. 301 So zum Beispiel der Autor „L.“ in seinem Artikel Geschmacksbildung in der Tischlerkunst: „[d]as Ziel und Losungswort unserer Tage lautet: Geschmacksempfindung, Geschmackserziehung, ja sogar Geschmacksunterricht“ (L., Geschmacksbildung in der Tischlerkunst, S. 87). Die Unkenntnis beschreibt auch ein unbekannter Autor in einem Artikel für die Rheinisch-Westfälische Zeitung, den die Zeitschrift Der Möbelhändler. Fachblatt für die Möbel-, Spiegel und Polsterwarenhandlungen 1912 abdruckt: „Es ist schon so, daß von zehn jungen Damen, die mit ihren Bräutigamen die Einrichtungshäuser besichtigen, neun nach dem Louis seize-Zimmer verlangen. Daß acht von ihnen nicht wissen, was sie damit fordern, und nicht wenig betreten wären, wenn sie schließlich ihren Worten nach eine richtig nachgemachte Louis seize-Einrichtung nehmen müßten, ist eine andere Sache. Die allermeisten haben nämlich kaum eine Ahnung davon, was Louis seize-Möbel denn überhaupt für Dinger sind. Sie wissen nur, daß Louis seize etwas besonders Kostbares ist, was man als vermögender Mensch eigentlich haben muß, etwas, was die Freundin, die im vorigen Jahr geheiratet hat, sich ebenfalls ausgesucht hat, und was bei ihr wiederum allgemein bewundert worden ist. Und am Ende kauft man leidlich modernen Hausrat mit dem Bewußtsein, seinen Louis seize-Traum verwirklicht zu haben. Das klingt wie eine Uebertreibung und ist doch etwas ganz Alltägliches“ (o. A.: Moderne Wohnungskunst, in: Der Möbelhändler 34 (1912), H. 1 (1.10.1912), o. S.)

8.2  Weiterbildung und Stilentwicklung

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Die Mehrzahl der Besucher solcher Ausstellungen findet wohl an solchen Erzeugnissen Gefallen, jedoch kaufen kann man solche Sachen nicht.302

Unberechtigt war diese Kritik nicht. Doch es gab eine Reihe von Wohnungsausstellungen, die tatsächlich erschwingliche Möbel und Zimmereinrichtungen für den bürgerlichen Mittelstand präsentierten, wie im nächsten Kapitel deutlich wird. Wie ein Schlussstrich unter die jahrelangen Diskussionen über den zeitgemäßen Stil im Kaiserreich wirkt der im April 1911 erschienene vierteilige Artikel über Stilmöbel und Möbelstile in F. A. Günthers Deutscher Tischler-Zeitung. Der Verfasser Paul Hosch, ein Architekt, sah einen „Kampf über Stilrichtungen […], der bald den Religionsstreitigkeiten zur Zeit der Reformation kaum nachsteht“.303 Auch er machte deutlich, dass es „rein ausgeschlossen“304 sei, einen früheren Stil nachzuahmen und als angeblich zeitgemäßen wiederzubeleben. Den Grund dafür, dass dies trotzdem über viele Jahre der Fall gewesen sei, sah Hosch auch in fehlenden Kenntnissen über Geschmack und Stil bei Fabrikanten, Händlern und Kunden.305 So seien künstlerisch aufwendig gestaltete Möbel auf den Markt gelangt, die aber ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllen könnten: Der Schrank ist kein Schrank mehr. Bald ist er ein Tempel, bald erscheint er wie die Fassade eines Palastes, kurz, wenn wir uns unbefangen in unserer Umgebung umsehen, wird plötzlich alles zum größten Maskenball und Fastnachtsstollen [sic!] Wir finden kaum ein Stück, das seinem Zwecke entspricht. Auf nur ganz wenigen Stühlen vermag man zu sitzen, aber an dem nötigen Aufwand in sogenannter künstlerischer Beziehung wird es irgendwo kaum fehlen.306

Zum Schluss seines Artikels erwähnt Hosch ebenfalls die umfassende Modernisierung im Kaiserreich mit Maschinen, Massenartikeln und Warenhäusern als ihren typischen Merkmalen. Deshalb wirbt er sehr deutlich und klar für schlichte, zweckmäßige und haltbare Serienmöbel. Sie seien die zeitgemäße Einrichtung, die den Wünschen der Kunden und den Anforderungen im Alltag entspreche: Unsere Möbel sind Maschinenmöbel. (Wenn nur einmal der Aberglaube an die Handarbeit verschwinden würde.) […] Sie werden so viel billiger und solider. Unsere Zeit ist die der vielen kleinen Leute. […] Alles muß leicht zu reinigen sein, Ueberflüssiges ist in erster Linie überflüssig und nicht Kunst. 302 o. A.: Ist Schönheit gleichbedeutend mit Zweckmäßigkeit, Teil 1, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 40 (6.10.1911), S. 2351–2352, hier: S. 2351 303 Hosch, Stilmöbel und Möbelstile, Teil 1, S. 105 304 Ebd., S. 106; Ähnlich auch: I. H. N.: Zur Entwicklung der Stilformen, Teil 2, S. 2285–2286: „Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte in ihrem Gedanken- und Ideenkreise kaum noch mit der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Fühlung, geschweige denn, daß sich eine Vermittelung herstellen ließe zwischen dem Interessenkreise der modernen Generation und dem längst vergangener Jahrhunderte. Wenn wir demnach die Formensprache der alten Stile nicht übernehmen können, […] so wird uns nichts anderes übrig bleiben, als eine neue, eigene zu schaffen“. 305 „Vielfach kommt nun der Möbelfabrikant in die Lage, irgend einen Stil bestellt zu bekommen, wären aber die Leute nicht so fürchterlich oberflächlich, Besteller wie Fabrikant, so wäre eine solche Forderung ausgeschlossen. Aber gegenwärtig […] herrscht eine Halbbildung, die ärger ist als alle Roheit und Barbarenart“ (Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 2, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 15 (13.4.1911), S. 113–114, hier: S. 114) 306 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 3, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 16 (20.4.1911), S. 121–122, hier: S. 121

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Wir wollen heute nicht einen teuren Gobelin im Zimmer, er ist ein Staubfänger, ein Mottengarten und lange, lange danach erst ein Kunstwerk und oft noch was für eins. Ein Wasserklosett, ein Badezimmer, vielleicht eine Küche mit warmem Wasser, das ist, was unser erstes Bedürfnis ist. Auf unseren Stühlen müssen wir vor allem sitzen können. An unseren Büffets wollen wir keine Schnitzereien, die abplatzen, oder an denen sich die Kinder stoßen. Unsere Betten sollen keine griechischen Tempel sein, sondern leicht beweglich und gut sauber zu halten. An unseren Tisch- und Stuhlbeinen verlangen wir keine Adler- und Löwenklauen, aber solide, schön gedrehte und vielleicht die einem beim Sitzen nicht im Wege sind. Wir schätzen Möbel aus Tannenholz mehr als schlechtfurnierte. […] Wenn wir Löwenfüße sehen wollen, gehen wir in den Zoo, wenn wir Tischbeine sehen wollen nach Hause.307

Was diesen ‚neuen Stil‘ ausmachen sollte, fasste schließlich der Schriftsteller und Kunstkritiker Richard Braungart in F. A. Günthers Deutscher Tischler-Zeitung vom 18. Dezember 1913 so zusammen: Er ist eine dem Bedürfnissen des modernen Lebens angepaßte, zugleich praktische und künstlerische Form, Vermeidung jedes nicht organischen Zierates (was ganz und gar nicht puritanische Schmucklosigkeit bedeutet), Materialechtheit beziehungsweise Behandlung des Materials nach seinen natürlichen Bedingungen und Voraussetzungen. […] Der neue Stil ist die künstlerisch-handwerkliche Formel für den kulturellen Inhalt unserer Zeit.308

Damit greift Braungart wieder den Grundsatz form follows function auf, den mit anderen Worten Jakob Falke bereits 1871 aufgestellt hatte. Die Auswertung der Artikel zeigt, dass sich die Tischlerzeitschriften wiederholt auch mit Stilfragen befassten. Die Autoren waren, soweit sich das nachverfolgen lässt, nicht immer Tischler, sondern auch Architekten oder wie Naumann und Muthesius Fachleute aus der Bewegung zur Kunstgewerbereform, deren Artikel an hervorgehobener Stelle und meistens in mehreren Folgen abgedruckt wurden. In Tonlage und Aussagen waren diese Artikel denen der Kunstzeitschriften weitgehend ähnlich. Möbel sollten zweckmäßig, solide und ohne falschen Prunk sein. Ein Unterschied fällt aber auf: Anders als in Kunstzeitschriften wurde in Tischlerzeitschriften der Einfluss von Architekten, Künstlern oder ‚Professoren‘ auf die Stilentwicklung sehr kritisch gesehen, so dass stattdessen von Tischlern kunstgewerblicher Sachverstand verlangt wurde. Übereinstimmend forderten Tischlerzeitschriften wie auch Kunstzeitschriften mehr Geschmacksbildung bei Herstellern, Händlern und Kunden. Schließlich informierten Tischlerzeitschriften ausführlich über Kleinmotoren und Holzbearbeitungsmaschinen und idealisierten nicht die Handarbeit. Deshalb wurden anhand dieser Auswahl von Tischlerzeitschriften auch 307 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 4, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 17 (27.4.1911), S. 129–130, hier: S. 129–130; Ergänzend aus dem Artikel „Moderne Wohnungskunst“ aus der Zeitschrift Der Möbelhändler: „Man sehe daraufhin nur einmal in den Speisezimmern die Büfetts oder was daraus geworden ist: die Anrichte mit einem kleinen Aufbau an. Gewiß, es gibt noch Menschen, die ohne einen Riesenkasten mit Ausladungen und Schnitzereien nicht auskommen zu können glauben. Aber sie bilden schon die Ausnahme. […] Oder man nehme als noch einleuchtenderes Beispiel das Schlafzimmer. Wo gäbe es da noch den staubfängerischen, farblosen Tapeziererplunder? Wo Betthimmel und bedruckte Gobelins mit der Raffaelschen Madonna? Wer zöge nicht an Betten und Kleiderschränken die glatten, schön gemaserten Flächen heller Hölzer vor?“ (o. A., Moderne Wohnungskunst, o. S.) 308 Braungart, Richard: Vom neuen Stil, in: F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 40 (1913), H. 51 (18.12.1913), S. 410–412, hier: S. 412

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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keine Belege dafür gefunden, dass die so anschaulich beschriebenen „stilisirte[n] Schnitzereien und Mumpitzereien“309 bei Möbeln als Beispiel für ein besonderes künstlerisch-handwerkliches Können von Möbeltischlern beschönigt worden sein könnten. Hätten sich die Handwerker und Fabrikanten also nach den Tischlerzeitschriften gerichtet, wären solche Möbel kaum hergestellt worden. Welche Möbel zum Zwecke der Geschmacksbildung als vorbildlich präsentiert wurden, soll im folgenden Kapitel am Beispiel der Wohnungsausstellungen und der Preisausschreiben in Zeitschriften erläutert werden.

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘ Es gab nicht nur die großen Weltausstellungen als internationale Leistungsschauen, die zweimal im Jahr stattfindende Leipziger Messe oder die regionalen Industrie- und Gewerbemessen. Auch die Wohnungsausstellungen fanden große Beachtung. Sie waren ein neues Medium wie auch die Möbelmessen, die aus den Industrie- und Gewerbemessen hervorgingen. Während sich Möbelmessen hauptsächlich an Hersteller und Händler richteten, wandten sich Wohnungsausstellungen an die breite Öffentlichkeit und verfolgten erzieherische Ziele. Sie wollten Geschmacksbildung betreiben und qualitätvolle Möbel zu erschwinglichen Preisen zeigen. Über die Verbrauchernachfrage wollten sie Herstellung und Verkauf der ausgestellten Möbel fördern und damit den Markt beeinflussen. Im Mittelpunkt der Wohnungsausstellungen standen die verschiedenen Schichten des bürgerlichen Mittelstandes, für die Pierenkemper einen ‚gespaltenen Konsum‘ nachweist und ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 6215,80 Mark angibt, zwischen dem Lehrereinkommen von rund 3000 Mark am unteren und dem eines höheren Beamten von 9000 Mark am oberen Rand.310 Dieses Durchschnittseinkommen bürgerlicher Mittelschichten deckt sich im Übrigen auch mit Angaben wie denen des Architekten Paul Klopfer zum Beispiel, der dem „weniger bemittelten Bürgerstande“311 ein Jahreseinkommen zwischen 3000 und 6000 Mark zuschreibt. Für die komplette Wohnungseinrichtung bürgerlicher Mittelschichten wurden in den zeitgenössischen Zeitschriften und Ratgebern zwischen 1600 und 3000 Mark veranschlagt.312 Unter solchen Bedingungen erweiterte die Serienmöbelfertigung die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation für den bürgerlichen Mittelstand erheblich. Serienmöbel waren nicht nur günstiger als viele herkömmliche Tischlermöbel, auch in Ausstattung und Maßen waren sie besser auf die neu errichteten, normierten Wohnungen für bürgerliche Mittelschichten mit zunächst fünf, später vier Zimmern zugeschnitten.313 Das betraf beispielsweise in Bielefeld die Etagenwohnungen in Mehrfamilienhäusern im Westen der Stadt und in Frankfurt am Main 309 Böttcher, Möbelstudium, o. S. 310 Vgl. Toni Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland, S. 166–167; Vgl. Kap. 4.2.1 311 Klopfer, Die deutsche Bürgerwohnung, S. 11 312 Vgl. Albert Dresdner, Bürgerlicher Hausrath, S. 163; Vgl. o. A., Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, S. 16 313 Vgl. Paul Klopfer, Wie baue ich mein Haus, S. 90–92; Vgl. Paul Klopfer, Die deutsche Bürgerwohnung, S. 13

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

die Wohnviertel in der nördlichen und östlichen Außenstadt, im Südwesten und im äußeren Sachsenhausen, wie bereits in Kapitel 5.2.1 erläutert wurde. Im Folgenden sollen die Wohnungseinrichtungen und die Möbel des bürgerlichen Mittelstandes zunächst am Beispiel ausgewählter Wohnungsausstellungen untersucht werden. Die erste hier dokumentierte Wohnungsausstellung fand 1892 in Berlin statt und wurde in Kunstzeitschriften ausführlich besprochen. Die 1899 in Dresden stattfindende Volksthümliche Ausstellung ‚Haus und Herd‘ zeigte ebenfalls komplette ‚moderne‘ bürgerliche Wohnungseinrichtungen. Im Jahr 1906 stellten die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München bürgerliche Wohnungseinrichtungen von Bruno Paul aus. 1909 fand eine Ausstellung bürgerlicher Wohnungskunst in Elberfeld statt, also abseits der Zentren des modernen Kunstgewerbes. Im Jahr 1912 organisierte der Deutsche Zentralverband der Tischler-Innung eine Wohnungsausstellung in Bielefeld mit kompletten Einrichtungen für Drei- beziehungsweise Vier-Zimmer-Wohnungen. Anschließend geht diese Arbeit in Kapitel 8.3.2 näher auf die Preisausschreiben der Kunstzeitschriften ein, weil die dort angeregten und prämierten Häuser, Möbel und Einrichtungen die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation durch Serienmöbel ebenfalls anschaulich machen. Schließlich sollen in Kapitel 8.3.3 Werkswohnungen und Möbel der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. für die Fabrikbeamten untersucht werden.

8.3.1 Wohnungsausstellungen 1892 fand in Berlin eine Wohnungsausstellung statt, die von der Tischlerinnung und der Freien Vereinigung der Holzindustriellen organisiert und von dem Architekten Karl Hoffacker konzipiert wurde. Wie die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration im Septemberheft 1892 berichtete, sahen die Besucher Möbel und Einrichtungsgegenstände als „harmonische Gesammtbilder“314 und keine „billig[e] und schlecht[e]“315 technische Qualität oder auch „naive[s] Nachahmen“.316 Auf diese Weise sollten die Besucher „Interesse für das Kunsthandwerk“317 entwickeln. Gezeigt wurden Möbel in verschiedenen Stilrichtungen, nämlich Renaissance, Gotik und Rokoko, weil sich eine „allgemeine Geschmacksrichtung […] auch jetzt noch nicht Bahn gebrochen“318 hatte. Der Autor H. S., vermutlich der Schriftsteller und Architekt Hans Schliepmann, bemängelt aber, dass vor allem der „Luxusgeschmack“319, also viel zu teure Objekte ausgestellt wurden und gerade nicht die Gegenstände, die sich der Mittelstand leisten konnte und die zum „gewöhnliche[n] billige[n] Hausrath“320 gehörten. Dabei hätte er „als brennendste moderne Frage besonders in den Vordergrund gestellt werden müssen“.321 314 S., H.: Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen und verwandter Gewerbe im Landes-Ausstellungsgebäude zu Berlin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 9, S. 163 315 Ebd. 316 Ebd. 317 Ebd. 318 Ebd. 319 Ebd. 320 Ebd. 321 Ebd.

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Zwei Monate später, im Novemberheft 1892 der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration, ging Hans Schliepmann auf die inzwischen beendete Berliner Wohnungsausstellung ein. Dieser Artikel ist allerdings viel kritischer als der von „H. S.“ im Septemberheft. So schreibt Schliepmann von ganz tüchtigen Fabrikanten, denen aber jedes eigenartige Denken und Vorwärtsstreben ferner liegt, als die Befriedigung der Wünsche des großen Haufens der Käufer.322

Zugleich wirft er aber wenige Sätze später den Fabrikanten vor, dass „jeder nach anderer Façon selig zu werden“323 suche, auch wenn ein großer Teil „von besserer Marktwaare“324 im Stil der Renaissance gearbeitet sei. Um alle Formen auf dieser Ausstellung erfassen zu können, müsse man ein „ästhetischer Gummimann“325 sein. Schliepmann sieht es als großen Mangel an, dass die Fabrikanten ihre Möbel „stilecht“326, also möglichst genau nach Vorbildern aus der Architektur im sogenannten „Architekturstil“327 entwerfen ließen und herstellten und nicht „stilgerecht“328, also nach ästhetischen Prinzipien im sogenannten „Mobiliarstil“.329 Dazu liefert Schliepmann ein sehr anschauliches Beispiel: Wahre Muster von thörichtem Architektur- statt Mobiliarstil sind die vom kritiklosen Publikum in Verzückung angestaunten Protzenmöbel von J. Groschkus. Säulen auf Karyatiden, die beim Oeffnen einer Thür plötzlich in Karusselbewegung kommen, Schubladen mit geschweifter Vorderseite, die wie Pflugscharen zugeschärft herausfahren, Verdachungen und Voluten in wüster Fülle an allen nur denkbaren Stellen: – das gibt eine Fata Morgana von an sich sehr fein gezeichneten Formen, nur kein Büffet, das noch als Möbel gelten könnte.330

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt Schliepmanns ist der „Mangel gesunder, wohlfeiler, für den Mittelstand berechneter Waare“.331 Er sah vor allem Luxusware und Schund, aber kaum „Hausrath für den gebildeten, aber doch nicht besonders begüterten Mittelstand“.332 In 322 Schliepmann, Hans: Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 11, S. 205–207, hier: S. 205 323 Ebd. 324 Ebd. 325 Ebd. 326 Ebd. 327 Ebd.; Vgl. Hans Schliepmann: Mobiliarstil und Architekturstil, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 11, S. 192–193, hier: S. 192 328 Schliepmann, Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin, S. 205 329 Ebd. 330 Ebd., S. 205–206 331 Ebd., S. 206 332 Ebd.; „Es zeigt sich, daß die Luxusindustrie eine Treibhauspflanze, die keine gesunden Früchte zu zeigen vermag, daß sie im Wesentlichen Nachahmungskunst geblieben ist, die nicht aus dem Verständnis von innen heraus, sondern durch Abgucken und Schielen nach dem, womit etwa schleunigst Geld zu verdienen wäre, entstanden ist. Der einfachere Hausrath ist nicht mehr, wie es unter gesunden Verhältnissen sein müßte, der Ausgangspunkt und Kern auch für Prunkmöbel, sondern dieser Hausrath ist zum Bastard der Luxusindustrie geworden, der nach erlogener Aufgeputztheit strebt und mit kläglichem Surrogatwerk den Geschmack eines Publikums zu befriedigen sucht, das höchstens für einen Fünfzigpfennig-Bazar reif ist – das aber freilich auch breit genug ist, wie das Wuchern letzterer ‚kunstindustriellen‘ (!) Seuchenherde zeigt“ (Schliepmann, Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin, S. 206)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

­Schliepmanns Einschätzung hatten „nur ganz wenige Firmen versucht, […] stilgerechte billige Möbel zu fertigen“.333 Ein Preisgericht habe einige von ihnen ausgezeichnet, doch Schliepmann nennt keine Beispiele. Er äußert nur die Hoffnung, dass die Preisverleihung Schule macht und außerdem eine „Heranbildung des kaufenden Publikums durch eine verständigende Presse“334 eintritt. Die Zeitschrift Kunst für Alle befasste sich im Nachhinein mit der Berliner Wohnungsausstellung. Für die Ausgaben von November und Dezember 1892 verfasste der Maler und Volkskundler Robert Mielke, Sohn eines Tischlermeisters, für die Rubrik Kunst im Hause einen zweiteiligen Artikel, der ähnlich kritisch war wie der zweite Artikel von Hans Schliepmann in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration. Die Wohnungsausstellung zeigte nach Mielkes Einschätzung, dass die Berliner Möbelindustrie trotz zwölf Fortbildungsschulen und zahlreicher Spezialkurse für Tischler im Wesentlichen Möbel in schlechter Qualität herstellte. Mielke führte das darauf zurück, dass die einflussreichen Lehrer in der Tischlerausbildung Architekten waren und Möbel entwarfen, die nicht nur schwer und unbeweglich waren: Ganze Häuserfassande, Thore, Triumphbögen, Säulenstellungen u. s.w. zeigen sich dem erstaunten Blicke, der diese schwülstige Architektursprache am allerwenigsten an beweglichen Möbeln sucht.335

Auch Mielke nennt Beispiele für eine sonderbare Gestaltung von Möbeln336, beschreibt aber auch für ihn gelungene Wohnungseinrichtungen mit einem Speisezimmer in französischer Renaissance, mit einem Wohnzimmer in italienischer Renaissance und mit Schlafzimmer und Toilettenkabinett mit „elfenbeinfarbig lackierte[n], reich vergoldete[n] Möbel[n] […] im englischem Geschmack“.337 Mit Schliepmann stimmte Mielke darin überein, dass die Möbel auf der Berliner Wohnungsausstellung 1892 nicht für eine durchschnittliche bürgerliche Wohnung geeignet waren: Die Berliner Ausstellung enthält vorzugsweise Luxusmöbel oder doch wenigstens solche, die nur für die oberen Zehntausend käuflich sein dürften.338

Damit bestätigte Mielke einen Eindruck, den sogar zwanzig Jahre später Der Deutsche Tischlermeister auch noch eimal wiedergab. Möbel auf Wohnungsausstellungen wurden bewundert, waren aber für bürgerliche Wohnungen in den meisten Fällen zu teuer.339 333 Ebd, S. 205 334 Ebd. 335 Mielke, Robert: Die Ausstellung für Wohnungs-Einrichtungen in Berlin, Teil 1, in: Die Kunst für alle 8 (1892/1893), H. 4 (15.11.1892), S. 62–63, hier: S. 62 336 „Wir haben z. B. einen kommodenartigen Schrank, dessen Kästen nach den Seiten hin aufgezogen werden mußten, während die Vorderseite vollständig als Schubkastenfront behandelt war. Noch andre Wunderlichkeiten konnte man sehen, Bettstellen mit ausziehbaren Wiegen, sonderbar geschweifte Konturen, Zusammenbringung von Politur und Oelfarbe auf derselben Fläche, derb kontrastierende Hölzer u. dgl.“ (Mielke, Die Ausstellung für Wohnungs-Einrichtung in Berlin, Teil 1, S. 62) 337 Ebd., S. 63 338 Mielke, Robert: Die Ausstellung für Wohnungs-Einrichtungen in Berlin, Teil 2, in: Die Kunst für alle 8 (1892/1893), H. 5 (1.12.1892), S. 78 339 o. A., Ist Schönheit gleichbedeutend mit Zweckmäßigkeit, Teil 1, S. 2351

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Auf Anregung von Königin Carola von Sachsen fand vom 25. November 1899 bis zum 7. Januar 1900340 in Dresden die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd statt. Sie sollte haltbare und praktische, aber auch geschmackvolle Möbel und Wohnungseinrichtungen in „mäßigen Preislagen“341 präsentieren, wie es in den Erinnerungsblättern an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd heißt. Dort ist auch der Aufsatz Die moderne Kunst und der Mittelstand von Paul Schumann abgedruckt.342 Der Dresdner Kunsthistoriker und Mitbegründer des Dürerbundes stellt zwei wichtige Aspekte in den Vordergrund. So fragt er zum einen, ob „die moderne decorative Kunst […] nur eine Kunst für die oberen Zehntausend“343 sei und alle anderen Schichten bei der Wohnungsausstattung „nur auf billige und schlechte Nachahmungen“344 angewiesen seien. Aber zum anderen stellt er auch fest, dass der moderne Stil nicht alte Vorbilder kopieren, sondern sich an die neuen Bedürfnisse anpassen müsse. Damit spricht Schumann ausdrücklich die veränderten Wohnverhältnisse im bürgerlichen Mittelstand an: Ein eigenes Haus ist nur einer verschwindenden Minderheit beschieden, die große Mehrheit ist auf die schablonenhaft hergestellten Miethwohnungen angewiesen. Die stetig steigende Bodenrente aber vertheuert diese Miethwohnungen, besonders in den modernen Großstädten, immer mehr; die Wohnungen und die einzelnen Wohnräume werden demgemäß kleiner. Wir nähern uns auch in Berlin, Dresden, Leipzig u. s.w den Verhältnissen, wie sie in Paris schon längere Zeit herrschen. Auch die Seßhaftigkeit schwindet immer mehr. Daß eine Familie ihr ganzes Leben lang, oder wenigstens ein paar Jahrzehnte hindurch dieselbe Wohnung inne hat, kommt immer seltener vor. Beamte und Officiere werden durch ihren Beruf hierhin und dorthin geworfen. […] Nur selten wird Jemand beim Beziehen einer Wohnung die feste Zuversicht haben, daß er ein dauerndes Heim gewonnen habe.345

Daraus folgt für Schumann, dass Möbel im modernen Stil für kleinere Wohnungen ebenfalls kleiner, leichter zu transportieren und haltbarer, aber trotzdem auch zweckmäßig und bequem sein müssen.346 Solche Möbel kämen dem Mittelstand entgegen, weil sie auch mit geringerem Aufwand möglich seien: schöne Formen und Verhältnisse sind nicht theurer als häßliche Formen und Verhältnisse, und Farbe gehört ebenfalls zu den billigen künstlerischen Wirkungsmitteln.347

Dieser moderne Stil hatte aus Schumanns Sicht Folgen für die bürgerliche Selbstrepräsentation: Der Mittelstand muß nur Selbstbewußtsein und den Muth der Wahrheit haben, nicht aber wieder durch die abscheulichen Imitationen, mit einem Talmi-Hausrath den Schein des Höheren hervorrufen wollen. Auch das bürgerlich Bescheidene ist vornehm, wenn es nur echt und gediegen ist.348 340 Popp, Die Deutschen Werkstätten, S. 11. (SHStAD 573); Vgl. Joseph August Lux, Das neue Kunstgewerbe in Deutschland, S. 129 341 Schmidt, Rudolf: Die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd, in: o. A.: Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899, S. 3–4, hier: S. 3 342 Schumann, Paul: Die moderne Kunst und der Mittelstand, in: o. A.: Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899, S. 5–7 343 Ebd., S. 5 344 Ebd. 345 Ebd., S. 6 346 Vgl. ebd. 347 Ebd., S. 7 348 Ebd.

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Die Ausstellung konzentrierte sich auf Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, deren gesamte Anschaffungskosten 750 Mark nicht überschreiten sollten. Für das Wohnzimmer wurden Sofa, Ausziehtisch, vier bis sechs Stühle, Kommode oder Schrank und ein Spiegel verlangt, für das Schlafzimmer zwei Betten, Waschtisch, Schrank, Spiegel und zwei Stühle, für die Küche schließlich Schrank, Tisch, Stuhl und Wandbrett.349 Tischlermeister hatten die Einrichtung entworfen. Zum Stil gibt es keine Angaben, wohl aber zur Ausführung. Die Möbel wurden aus Kiefern-, Eichen-, Erlen- und Fichtenholz gefertigt, das entweder hell oder dunkel, in Einzelfällen auch ‚mahagoniartig‘ gebeizt wurde. Das lässt darauf schließen, dass diese Ausstellung vor allem den ‚einfachen‘ Mittelstand erreichen wollte und gerade nicht den besser verdienenden Mittelstand aus Gymnasiallehrern, Anwälten und Kaufleuten zum Beispiel. So entsprechen die Anschaffungskosten von 750 Mark für die gesamte Wohnungseinrichtung der untersten Preisstufe, die beispielsweise das Frankfurter Einrichtungshaus Helberger für seine Einrichtungen angab.350 Drei Möbelhersteller, darunter auch die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, wurden während der Ausstellung für ihre sehr preisgünstigen Zimmereinrichtungen mit der Sächsischen Staatsmedaille ausgezeichnet, wie Paul Schumann in der Dekorativen Kunst in seinem zweiteiligen Aufsatz Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden rückblickend im Jahr 1900 schrieb.351 Er erwähnte dabei auch bürgerliche Zimmereinrichtungen mit Wohnund Schlafzimmer aus London und Paris, die „bei solider Ausführung so billig [waren], dass sie das allgemeine Erstaunen und zum Teil die Entrüstung der Dresdner Handwerker erreg[t] en“.352 Ernst Zimmermann berichtete 1899 für die Zeitschrift Kunst und Handwerk über die 349 Schumann, Paul: Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden, Teil 2, in: Dekorative Kunst 5 (1900), S. 212–214, hier: S. 212 350 Vgl. Curt Helberger, Einrichtungshaus Helberger, S.  95 (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/M.: W 1–24:29); Vgl. Kap. 7.1.1. 351 Vgl. Paul Schumann, Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden, Teil 2, S. 212–214; Dresdner Werkstätten: „Die ‚Dresdener Werkstätten‘ erhielten hierfür die sächsische Staats-Medaille und die Kritik stellte fest: ‚Das Beste haben die ‚Dresdener Werkstätten‘ geleistet, welche zwei vollständige Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche für 800 und 750 Mark ausgestellt haben. Sie haben durch diese Ausstellung in der Tat bewiesen, daß Billige und Künstlerisches wohl vereinbar sind‘“ (Vgl. Josef Popp, Die Deutschen Werkstätten, S. 11 (SHStAD 573)); Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 34; Zu den besonders hervorgehobenen Entwürfen zählen auch die der Geschwister Erich und Gertrud Kleinhempel aus Bielefeld: „Die originellsten und künstlerisch feinsten Möbel hat jedoch wohl das Ehepaar [sic!] Erich und Gertrud Kleinhempel in ihrer in den Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst ausgeführten Wohnungseinrichtung ausgestellt. Sie sind zwar um Weniges theuerer als die vorerwähnten; für das was sie ‚herzeigen‘ jedoch billig genug: sie wirken einfach, solide, ruhig, vornehm und charakteristisch, alles Eigenschaften, die unsere Möbel bisher am meisten entbehren mußten, und scheinen zugleich auch recht praktisch zu sein, indem sie den Raum gut ausnützen“ (Zimmermann, Ernst: Die volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden, in: Kunst und Handwerk 50 (1899/1900), H. 5, S. 145–153, hier: S. 151); Zur Bedeutung von Gertrud Kleinhempel vgl. Gerhard Renda (Hrsg.): Gertrud Kleinhempel 1875–1948. Künstlerin zwischen Jugendstil und Moderne (Schriften des Historischen Museums der Stadt Bielefeld, Bd. 12), Bielefeld 1998, S. 86–102 352 Schumann, Volksthümliche Ausstellung, Teil 2, S. 214; Paul Schumann fährt fort: „Vielleicht giebt [sic!] Herr Muthesius einmal Auskunft, wie es möglich ist, dass man in London eine Chaiselongue, zwei Lehnstühle und sechs einfache Stühle in rotbrauner Lederpolsterung, dazu ein geschmackvolles Büffett, einen grossen Tisch und einen Kaminaufsatz mit Spiegel in Mahagoniholz für 531 M. herstellen kann. In Dresden und sicherlich auch in München ist das einfach unmöglich“ (Schumann, Volksthümliche Ausstellung, Teil 2, S. 214)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Volksthümliche Ausstellung: „Das Dargebotene ist in der That einem wirklichen Bedürfniß entgegengekommen“.353 Jetzt müssten sich nur noch die Verbraucher für günstige und solide Möbel entscheiden. Er bezweifelte allerdings, dass sich Arbeiterfamilien komplette einfache Wohnungseinrichtungen für 750 Mark leisten konnten. Das „Stammpublikum der Abzahlungsbazare“354 könne nur nach und nach seine Möbel kaufen. Trotzdem war die Ausstellung wegweisend, wie Zimmermann zwei Jahre später in Kunst und Handwerk urteilte: Die Bedeutung dieser Ausstellung für die Weiterentwicklung der Dresdener kunstgewerblichen Richtung und ihre Popularisierung kann nicht überschätzt werden.355

Nach den Luxusmöbeln auf der Wohnungsausstellung in Berlin 1892 und den sehr einfachen Möbeln auf der Volksthümlichen Ausstellung in Dresden 1899 soll jetzt die Wohnungsausstellung in München im Jahr 1906 beschrieben werden, auf der die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk Zimmereinrichtungen von Bruno Paul präsentierten. Er hatte zusammen mit Richard Riemerschmid und Bernhard Pankok auf den Weltausstellungen in Paris 1900 und in St. Louis 1904 dem modernen sachlichen Stil zum Durchbruch verholfen.356 Doch die Vereinigten Werkstätten wollten in der Münchener Ausstellung nicht so sehr einen international beachteten Architekten und dessen Werk vorstellen, sondern, wie es der Schriftsteller und Kunstkritiker Wilhelm Michel in seinem 1906 veröffentlichten Artikel Ausstellung für Wohnungs-Kunst in München in der Deutschen Kunst und Dekoration betonte, mit den ausgestellten Möbeln und Zimmereinrichtungen vielmehr erprobte Formen vorführen, die sich bei häufiger Ausführung vom technischen wie vom praktischen Standpunkte aus als brauchbar erwiesen und ihre Anziehungskraft auf ein breites Publikum bewährt haben. […] [U]nd der Künstler, der sich hier an das Volk wendet, heißt Bruno Paul. Ja, an das Volk!357

Deshalb zeigte die Ausstellung Möbel in mittlerer Preislage, deren Preis etwa dem entspricht, was die sog. guten Bürgerkreise, die weder zu den Armen noch zu den Reichen gehören, für ihr Heim aufzuwenden pflegen.358

Gezeigt wurden zwei Familienwohnungen. Eine bestand aus Schlafzimmer, Herrenzimmer und Empfangszimmer, die zweite, für ein junges Ehepaar, aus Wohnzimmer, Speisezimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer und Küche. Außerdem wurde eine Junggesellenwohnung aus Schlafzimmer und Arbeitsraum sowie eine einzelne Zimmereinrichtung gezeigt, „der ‚Typ eines billigen Wohn-, Arbeits- und Speisezimmers‘ im Preise von ca. 700 Mark“.359 Diese günstige 353 Zimmermann, Die volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden, S. 145 354 Ebd. 355 Vgl. Ernst Zimmermann: Die moderne dekorative Bewegung in Dresden, Teil 1, in: Kunst und Handwerk 53 (1902) H. 5, S. 117–122, hier: S. 121 356 Vgl. Ferdinand Luthmer, Möbel und Zimmereinrichtungen auf der Pariser Ausstellung S. 148–156; Vgl. Hermann Muthesius, Die Wohnungskunst auf der Weltausstellung in St. Louis, S. 209–227 357 Michel, Wilhelm: Ausstellung für Wohnungs-Kunst in München, in: Deutsche Kunst und Dekoration 19 (1906/1907), S. 368–378, hier: S. 368 358 Ebd., S. 370 359 Ebd., S. 378

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Zimmereinrichtung entsprach in etwa auch den Preisen der Volksthümlichen Ausstellung in Dresden 1899. Alle Möbel der Münchner Wohnungsausstellung kennzeichnete Bruno Pauls moderner sachlicher Stil, wie Wilhelm Michel hervorhebt: Das sind reife Früchte eines redlichen Wachstums, keine Experimente und keine fragwürdigen Programm-Möbel. […] Gerade das Unscheinbare, Selbstverständliche und gar nicht Pompöse, das diese Ausstellung an sich hat, ist ihre wertvollste Qualität.360

Offenbar trafen die Vereinigten Werkstätten auch den Geschmack des Publikums, denn Michel erwähnt auch die Verkaufszahlen dieser Ausstellung. In den ersten drei Monaten wurde das Speisezimmer in braun gebeizter Eiche mit schwarzen Intarsien, mit Sofa und sechs Stühlen, jeweils mit schwarzem Lederbezug, mit Büffet und Anrichte für 1300 Mark sechzehnmal verkauft361, ein nicht näher beschriebenes Wohnzimmer in Mahagoni für 1700 Mark sechsmal362 und ebenfalls sechsmal ein Schlafzimmer in hellem Ahorn mit Doppelbett und Nachttischen, Liege und drei Stühlen sowie mit Schrank, Kommode und Waschtisch für 1600 Mark.363 „[U]nd diesen Erfolgen reihen sich die Verkaufszahlen der übrigen Räume in würdiger Weise an“.364 Die Münchener Ausstellung zeigte also, dass Bruno Pauls moderner sachlicher Stil nicht nur auf Weltausstellungen überzeugte, sondern in Gestaltung und Preis auch bei bürgerlichen Kunden ankam, fast fünfzehn Jahre, nachdem die Berliner Wohnungsausstellung 1892 noch Luxusmöbel in Neorenaissance präsentiert hatte. Dabei waren die Preise übrigens deutlich höher als die, die zum Beispiel die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 1902 für durchschnittliche bürgerliche Wohnungseinrichtungen angab und die zwischen 1600 und 2500 Mark lagen.365 Die Berliner Wohnungsausstellung von 1907 fand nicht in einer Ausstellungshalle statt, sondern in einem Berliner Hinterhaus. Dort hatte die 1836 gegründete Berliner Firma ‚Dittmar’s Möbel-Fabrik‘ zusammen mit dem Innenarchitekten Hermann Münchhausen zwei Etagen angemietet und mehrere Wohnungen für „Durchschnittsfamilien von Berlin W“366 mit einem Jahreseinkommen von rund 3000 Mark fertig eingerichtet, „als ob [sie] […] morgen schon […] einziehen“367, wie der Berliner Kunstkritiker Anton Jaumann über die Ausstellung in der Innendekoration schrieb. Stilistisch waren die Wohnungen in ihrer Art „Typen moderner reifer Hauskunst“368, die „zum Verbleiben, zum Erwerben“369 einluden. Häufig würden sich Berliner Mieter von stuckverzierten Fassaden blenden lassen, entsprechend dem Motto: „Mit Speck 360 Ebd., S. 371 361 Vgl. ebd. S. 370, S. 375 362 Vgl. ebd., S. 370 363 Vgl. ed. S. 370, S. 377 364 Ebd., S. 370–371 365 Die Summe setzt sich zusammen aus: Empfangszimmer: 650–850 Mark, Wohn-/Esszimmer: 450–650 Mark, Schlafzimmer: 400–550 Mark und Küche: 150–250 Mark. Auf das Preisausschreiben wird im nächsten Kapitel eingegangen. (Vgl. o. A., Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, Teil 1, S. 16) 366 Jaumann, Anton: Eine Mietwohnungs-Ausstellung, in: Innendekoration 18 (1907) H. 7, S. 201–204, hier: S. 201; S. 202 367 Ebd., S. 201 368 Ebd. 369 Ebd.

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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fängt man Mäuse und mit Fassaden die Mieter“.370 Lobend erwähnt Jaumann, dass auch bei schlechtem Grundriss, ungünstig verteilten Fenstern und Türen und kleinen, kaum beleuchteten Korridoren immer auch ein „freundliches wohnliches Milieu“371 geschaffen werden könne, das außerdem für den bürgerlichen Mittelstand bezahlbar sei.372 Jaumann beschreibt nicht die Einzelheiten der Möbel und der Räume, sondern eine „überall feine, in sich geschlossene Raumstimmung“373, häufig mit Reproduktionen an der Wand. Dennoch mahnt er seine Leser, die „Räume nicht mit hochgespannten künstlerischen Erwartungen [zu] betreten“.374 Neben Jaumann beschäftigte sich auch der Reformpädagoge Ludwig Gurlitt, Bruder des Architekturhistorikers Cornelius Gurlitt, in demselben Heft der Innendekoration mit dieser Ausstellung. Er nannte den Besuch dort ein „freudiges Erlebnis“.375 So seien die „schlichten Räume dreier gewöhnlicher Großraumwohnungen“376 mit Salon, Speise-, Arbeits- und Schlafzimmer, Küche und Zubehör für mittlere Beamte geeignet. Jede Wohnung war in einem anderen Farbton. Deshalb wirkten sie zusammen wie „geschlossene Kunstwerke“.377 Auch Gurlitt erwähnte wie Jaumann lobend die Einrichtungskosten von 3000 bis 5000 Mark, die für den bürgerlichen Mittelstand keinen „mehr als gewöhnlichen Kostenaufwand“378 bedeuteten und die doch an das Doppelte der Summe heranreichte, die dieselbe Zeitschrift Innendekoration im gleichen Jahr als Vorgabe in einem Preisausschreiben gemacht hatte, wie im folgenden Kapitel erläutert wird.379 Dafür gebe es Möbel, wo „[j]edes einzelne Stück […] eigens vom Künstler entworfen und von technischer Meisterschaft in der Ausführung“380 sei, ohne „falschen Schein“381, sondern 370 Ebd. 371 Ebd., S. 202; Ein anschauliches Beispiel beschrieb auch Joseph August Lux: „[E]s gehört schon einmal zu dem eingebürgerten Begriff von einer Stadtwohnung, daß ein Zimmer zwei Fenster haben muß. Die Fensterwand geht natürlich fast verloren, denn links und rechts bleibt kein nennenswertes Stück Wand, und es erübrigt nur noch der Pfeiler, der einen dunklen Schatten mitten ins Zimmer wirft. Die Beleuchtung wird dadurch noch schlechter, daß die Fenster das Hauptlicht nicht von oben her geben, sondern von den untern Flügeln, so daß nur der Fußboden vor dem Fenster die Helle empfängt, was für das Auge das denkbar ungünstigste ist. Die einfachste und natürlichste Lösung wäre nun die, ein einziges etwas breites in der Mitte anzubringen, wobei nicht nur eine ausgezeichnete Belichtung erzielt werden kann, sondern auch links und rechts tiefe Ecken gewonnen werden, die es gestatten, gewisse Möbelstücke, das Sofa zum Beispiel, quer anzuordnen, oder die Nische so auszubauen, daß das Gefühl der Geschlossenheit und Geborgenheit erhöht wird.“ (Lux, Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung, S. 26–27) 372 Vgl. Anton Jaumann, Eine Mietwohnungs-Ausstellung, S. 202 373 Ebd., S. 203; Die Schwierigkeiten bei der Einrichtung ungünstig geschnittener Mietwohnungen beschrieb auch Paul Bachmann 1909 in seinem Artikel „Die Mietwohnung“: Das Ziel der Einrichtung lautete: „Es wird Zeit, daß das Protzentum aus der Wohnung des Bürgers verschwindet, an seine Stelle soll deutsche Gediegenheit, sachliche Schlichtheit treten. Jagen wir doch die nüchterne Vornehmheit und fröstelnde Eleganz zur Tür hinaus, schaffen wir uns ein unsern Verhältnissen entsprechendes, ein bürgerliches Heim, bürgerlich im wahren Sinne des Wortes“ (Vgl. Paul Bachmann: Die Mietwohnung, in: Innendekoration 20 (1909), H. 2, S. 62–65) 374 Jaumann, Eine Mietwohnungs-Ausstellung, S. 202 375 Gurlitt, Ludwig: o. T., in: Innendekoration 18 (1907), H. 7, S. 204–211, hier: S. 204 376 Gurlitt, o. T., S. 204 377 Ebd., S. 208 378 Ebd., S. 206 379 Vgl. o. A., Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, S. 16 380 Gurlitt, o. T., S. 206 381 Ebd.

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

in „solide[r] Arbeit“382 und stets in „Sachlichkeit und Brauchbarkeit“.383 Auch Gurlitt lobte die ruhige Raumgestaltung: Wer sich von des Tages Last und Mühe und von dem Lärm der Großstadt-Straßen in diese Räume flüchtet, der findet darin für seine gehetzten Nerven ein Asyl.384

Die Wohnung erscheint hier wieder als privater Rückzugsort der bürgerlichen Familie. Einen ähnlichen Weg wie die Berliner Ausstellung in einem Hinterhaus ging zwei Jahre später die Wohnungsausstellung 1909 in Elberfeld. Auch sie fand in einem bestehenden Miets­ haus statt und passte sich an die gegebenen Verhältnisse der Wohnung an. „Diese Möbel, diese Dekorationen, können überall, in jedem Mietshause zur Aufstellung gelangen“385, schreibt Ernst Schur über die Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung in Elberfeld im Kunstgewerbeblatt von 1909, nennt aber keine Anschaffungskosten. Alfred Altherr, Architekt und Lehrer an der Kunstgewerbeschule Elberfeld, hatte fünfzehn der sechzehn Räume selbst entworfen und von Elberfelder Handwerkern herstellen lassen, den sechzehnten Raum gestaltete der Bildhauer Bernhard Hoetger386 als „absolute[n] Ausdruck subjektiver Künstlerphantasie“.387 Die Ausstellung wurde von Kunstfreunden privat finanziert.388 In den Besprechungen wurde besonders hervorgehoben, dass sich die Ausstellung „statt an ein fluktuierendes Fremdenpublikum an die ansässigen Elemente der Einwohnerschaft selbst“389 wandte, noch dazu in Elberfeld, in der Nachbarschaft der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., im „Hexenkessel der Industrien“.390 So sollte diese Wohnungsausstellung dazu beitragen, den „Überschuß des materiellen Wohlstands in ästhetische Bedürfnisse umzusetzen“391, wie es der Kunstkritiker Karl Widmer 1909 in der Innendekoration formulierte. Die Ausstellung zeigte „alle Gattungen bürgerlicher Innenräume vom Salon bis zur Küche“.392 Dazu gehörten im unteren Stockwerk des Mietshauses „reichere Wohnräume“393 aus besonderem Holz und mit ausgewählten Formen und Farben, im oberen Stockwerk „einfachere bürgerliche Einrichtungen“394 aus Wohnzimmer, Herrenzimmer, Schlafzimmer und Küche. Die Abbildungen in den beiden Aufsätzen zeigen ohne Preisangaben relativ schlichte, geradlinige und kaum verzierte Möbel, etwa mit leicht gedrechselten Stuhlbeinen, gebogenen Stuhllehnen oder zurückhaltender Schrankbekrönung. 382 Ebd., S. 206 383 Ebd., S. 210 384 Ebd. 385 Schur, Ernst: Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung in Elberfeld, in: Kunstgewerbeblatt, N. F. 20 (1909), H. 7, S. 129–132, hier: S. 129 386 Vgl. Karl Widmer: Bürgerliche Wohnungs-Ausstellung in Elberfeld, in: Innendekoration 20 (1909), H. 5, S. 155–159, hier: S. 156 387 Ebd. 388 Ebd., S. 158 389 Ebd., S. 155 390 Schur, Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung, S. 129 391 Widmer, Bürgerliche Wohnungs-Ausstellung in Elberfeld, S. 155 392 Ebd., S. 156 393 Ebd. 394 Ebd., S. 155; Vgl. Ernst Schur, Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung, S. 129

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Die gesamte Ausstellung präsentierte Möbel für höhere Ansprüche, „nicht in dem Sinne prunkender Überladung, sondern immer […] bewußt den Standpunkt des modernen Sachstils innehaltend“.395 Das Herrenzimmer mit Wandsofa, Tisch und drei Stühlen mit Armlehnen und verlängerter Rückenlehne, zwei Bücherschränken, Schreibtisch mit Schreibtischsessel war aus Makassar-Ebenholz gefertigt; das Damenzimmer bestehend aus Sofa mit erhöhter Rücken- und Armlehne, durchgehender Sitzfläche sowie Fransen, Tisch, drei Stühlen mit gebogener Lehne, davon zwei mit Armlehne, kleinem niedrigem Beistelltisch und Vitrinenschrank aus Gilletholz; das kombinierte Speise- und Wohnzimmer mit Tisch und zehn gepolsterten Stühlen, jeweils mit drei Rundstreben zwischen den vorne ganz und hinten teilweise gedrechselten Stuhlbeinen, Glasschrank und Standuhr aus Eiche mit oben abgerundetem Zifferblatt sowie einer Deckenlampe mit Stoff und Fransen, ein Speisezimmer mit Tisch und sechs Stühlen jeweils mit vier Querstreben zwischen den Stuhlbeinen und gebogener Rückenlehne, zwei Stühle davon mit Armlehne, dazu Schrank mit Türen, Schubladen und leicht erhöhtem Mittelteil, ein schmales Büffet aus Eiche mit zwei Türen und zwei Schubladen im Mittelteil sowie oben drei getrennten Ablageflächen und eine Deckenlampe mit Stoff und Fransen.396 Bei den Möbeln handelte es sich um Qualitätsarbeit aus dem Handwerk und gerade nicht um qualitätvolle Fabrikmöbel, wie Ernst Schur hervorhebt: Neben das Maschinenmöbel unserer Zeit, wie die Dresdener es schufen, tritt hier wieder das handwerkliche Möbel.397

Hier wird nicht nur die Bedeutung der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst in der Serienmöbelfertigung deutlich, sondern auch die Geschmacksbildung der Verbraucher als Ziel der Elberfelder Wohnungsausstellung. Der Architekt Alfred Altherr beabsichtigte, wie Karl Widmer ergänzt, keine Ausstellung, die es im wesentlichen auf eine künstlerische Hebung des Maschinenmöbels abgesehen hat, sondern vielmehr – so weit das unter heutigen Produktionsverhältnissen durchführbar ist – auch im Bürgerhaus dem Handwerk wieder ein Stück Boden erobern will.398

Hieran zeigt sich, dass sich in den Jahren nach der Jahrhundertwende in den Wohnungen des bürgerlichen Mittelstandes Fabrikmöbel auf Kosten der Handwerksmöbel immer mehr durchsetzten. Jetzt sollte in einer Gegenbewegung die handwerkliche Fertigung wieder hervorgehoben werden. Für Ernst Schur war die Elberfelder Ausstellung keine gewöhnliche Wohnungsausstellung, sondern eine „Bereicherung der Formsprache, des Ausdrucks im Material“.399 Aus Sicht von Karl Widmer hat die Ausstellung „auf dem Gebiet der Wohnungskunst für moderne Anschauungen Bahn gebrochen“.400

395 Schur, Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung, S. 129 396 Vgl. Karl Widmer, Bürgerliche Wohnungs-Ausstellung in Elberfeld, S. 156–159 397 Schur, Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung, S. 130 398 Widmer, Bürgerliche Wohnungs-Ausstellung in Elberfeld, S. 158 399 Schur, Bürgerliche Wohnungskunst-Ausstellung, S. 130 400 Widmer, Bürgerliche Wohnungs-Ausstellung in Elberfeld, S. 158

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Ähnliche Ziele wie die Elberfelder Wohnungsausstellung 1909 verfolgte drei Jahre später eine Wohnungsausstellung in Bielefeld, die vom deutschen Zentralverband der Tischler-Innungen in Zusammenarbeit mit dem Rheinisch-Westfälischen Tischler-Innungsverband konzipiert wurde.401 Sie fand vom 26. Juli bis zum 9. September 1912 auf dem damaligen Kaiser-Wilhelm-Platz statt, dem heutigen Kesselbrink402, der früher ein Exerzierplatz und Ort für Volksfeste und Zirkusvorstellungen war. Die Ausstellung wurde am 26. Juli 1912 um 12 Uhr feierlich durch den Geschäftsführer des Innungsverbandes, Hugo Kükelhaus, eröffnet.403 Er betonte, dass die Ausstellung „nicht [mit] künstlerisch konstruierten Zwecken“404 zusammenhänge, sondern „auf den Bestrebungen [aufbaue], die man im Volke wahrnehme“.405 Deshalb sollte sich auch jeder den Besuch der Ausstellung leisten können. Eine Tageskarte kostete 50 Pfennig, Dauerkarte für Herren 4 Mark, Dauerkarte für Damen nur 3 Mark, für Kinder über 12 Jahre 2 Mark und Kinder unter 12 Jahren in Begleitung eines Erwachsenen hatten freien Eintritt.406 In einer 401 Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 5. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450); Zu den Vorstandsmitgliedern des Ausstellungsvereins gehörten Hugo Kükelhaus, Geschäftsführer des Rheinisch-Westfälischen Tischler-Innungsverbandes und Autor der Tischlerzeitschrift Der Innenausbau, Johannes Ferber, Stadtrat und Vorsitzender des Innungsausschusses zu Gelsenkirchen sowie Adolf Ruthenfranz, Mitglied der Handwerkskammer Dortmund. Zum Ausstellungskommitee gehörten Christian Kühne, Redakteur der Westfälischen Zeitung, A. Schädlich, Redakteur der Westfälischen Volkswacht, Otto Grund, Redakteur des Westfälischen Generalanzeigers, Heinrich Vorm­ brock, Geschäftsführer des Westfälischen Vereins für Kleinwohnungswesen in Münster, Fritz Vogt, Fabrikbesitzer in Bielefeld, August Vorwerk, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Bielefeld, Heinrich Schlingmann, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Heepen, Heinrich Pauck, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Bünde, Wilhelm Puls, Tischlermeister und stellvertretender Obermeister der Tischlerinnung Gütersloh, Wilhelm Schmidt, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Herford, C. Schlüter, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Spenge, Franz Priesemann, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Oeynhausen, August Brink, Tischlermeister und Obermeister der Tischlerinnung Leopoldshöhe, Emil Augst, Tischlerfachredakteur und Abteilungsverwalter des Innungsverbandes, Karl Steffen, Bezirksverwalter des Innungsverbandes, Leo­ pold Orth, Tischlermeister aus Altenhagen, August Thurn, Tischlermeister und Abteilungsverwalter des Innungsverbandes. Emil Augst, Karl Steffen und Leopold Orth waren zugleich Mitglieder des Ausschusses zur künstlerischen und technischen Unterstützung der ausstellenden Meister. Aufgabe des Ausstellungskomitees war zugleich die Errichtung folgender Arbeitsausschüsse: Presseausschuss, Verlosungsausschuss, Prämiierungsausschuss, Ortsausschuss, Preisbildungsausschuss und Platzverteilungsausschuss. (Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 8–9) (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450)); Vgl. O. Gr.: Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 183 (6.8.1912), S. 5–6, hier: S. 5. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) 402 o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 4 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450); Vgl. o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, in: Volkswacht Nr. 164 (15.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43); Vgl. Jörg Koch: Bielefeld vor 100 Jahren, Erfurt 2013, S. 82; Vgl. Claudia Quiring, Vom ‚kleinsten Haus‘ bis zur ‚aufgelockerten Stadtlandschaft‘, S. 447 403 Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 10 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450); Vgl. o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912. Die Eröffnungsfeier, in: 1. Beilage zum Bielefelder General-Anzeiger 13 (1912), Nr. 175 (27.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/ Zeitungen Nr. 5) 404 Kükelhaus, Hugo: Die Wohnungsausstellung Bielefeld 1912 (Der Stand der Vorarbeiten), in: o. T. (15.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 405 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 406 o. A.: Eintrittspreise Ausstellung, in: Volkswacht 23 (1912), Nr. 199 (24.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Anzeige im Bielefelder General-Anzeiger wurde außerdem mit täglichen Konzerten und einem Vergnügungspark geworben.407 Für die Ausstellung wurde eigens ein 4.000 m² großes Ausstellungsgebäude errichtet408, wie die Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912 erläutert: Bei Ausstellungen von Möbeln verfolgen wir zwei Zwecke: 1) Dem Publikum den Beweis zu liefern, daß unser Handwerk sehr wohl in der Lage ist, die Ansprüche an Eigenart, Schönheitsformen und Zweckmäßigkeit im Rahmen der Kaufkraft des Publikums zu befriedigen; 2) Unseren Tischlermeistern Selbstvertrauen einzuflößen und sie fachlich zu erziehen.409

Auch in Bielefeld kam es, ähnlich wie in Elberfeld, darauf an, die Leistungsfähigkeit des Handwerks hervorzuheben und zu zeigen, dass nicht nur Fabrikmöbel, sondern auch herkömmlich gefertigte Möbel erschwinglich, zweckmäßig, geschmackvoll und von guter Qualität sein konnten. Es wurde aber auch betont, dass sich die Tischlermeister fachlich weiterbilden müssten, um den Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden. In der Denkschrift wird die Lage des Tischlerhandwerks aus Sicht des Ausstellungsvereins im Rheinisch-Westfälischen Tischlerverband ausführlich beschrieben. Dessen Geschäftsführer Hugo Kükelhaus hatte einige Jahre zuvor als Autor in der Zeitschrift Innenausbau behauptet, dass in Fabriken keine gute Tischlerqualität entstehen könne. Die Denkschrift sieht daher eine größere Bedeutung des Handwerks aufgrund der Ansprüche der Kunden an ihre Möbel, die so zahlreich und so verschieden geworden seien, dass sie nicht mehr durch massenweise Herstellung in Fabriken berücksichtigt werden könnten, sondern nur durch individuelle Herstellung in kleinen und mittleren Handwerksbetrieben. Als Beleg nennt die Denkschrift die Lagerhaltung von Möbelmagazinen in Großstädten. Zwanzig Jahre früher, also um 1892, seien Möbelmagazine mit fünfzehn bis zwanzig Musterzimmern ausgekommen, jetzt, im Jahr 1912, hätten die Magazine 300 bis 400 Musterzimmer auf Lager.410 Dadurch würden die Möbel in Magazinen um 100 Prozent teurer als beim herstellenden Tischlermeister, behauptet die Denkschrift. Kleine und mittlere Handwerksbetriebe hätten auf dem Markt also große Chancen, weil sie nach Einschätzung des Ausstellungsvereins nicht nur individueller, sondern auch günstiger produzieren können. Diese Auffassung äußerte Kükelhaus auch während der Ausstellung und stieß damit auf heftigen Widerspruch bei Inhabern größerer Betriebe wie beispielsweise Eduard Essen oder den anderen Möbelhändlern Wilhelm und Fritz Barkey sowie Carl Echterbecker. In einem ­Leserbrief an den Bielefelder General-Anzeiger warfen sie Kükelhaus „Täuschung des

407 Anzeige der Bielefelder Wohnungs-Ausstellung, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 164 (15.7.1912), S. 12 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) 408 Vgl. o. A., Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43); Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 6 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 409 o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 1 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 410 Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450)

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­Publikums“411 vor. Auch die größeren Betriebe arbeiteten „mit eigenen technischen Maschinen, ihnen stehen eigene Facharchitekten, erfahrene Werkmeister, wie auch andere, auswärtige namhafte Entwerfer zur Seite“.412 Es gebe keinen Gegensatz zwischen kleinen und mittleren auf der einen und größeren Betrieben auf der anderen Seite: Auf die Vorteile der Großbetriebe: Behandlung der Rohstoffe, künstlerische Beratung, eigene Entwurf-Ateliers, große fertige Auswahl und so weiter soll hier nicht näher eingegangen werden […]. Das Heil liegt nach unserer Ansicht nicht in der dezentralisierten Produktionsform (Handwerk) des Tischlereigewerbes […] noch in der zentralisierten Produktionsform (Großbetrieb). Sondern: beide müssen nebeneinander hergehen.413

Die größeren Betriebe hatten, weil Kükelhaus‘ ablehnende Haltung ihnen gegenüber bekannt war und obwohl sie der Innung angehörten, bereits im Vorfeld „aus sachlichen Gründen geschlossen eine Beteiligung an der Ausstellung abgelehnt“.414 Deshalb nahmen an der Ausstellung 44 kleine und mittlere Tischlereibetriebe aus dem ganzen Innungsverband Minden-Ravensberg415 teil, also Betriebe mit 2 bis 15 Mitarbeitern416, die die „Herstellung und Ausstellung von zusammen 56 Zimmern“417 übernahmen und dabei in „[ihrer] Originalität […] vom Alltäglichen“418 abwichen, wie es 1912 in der 1. Beilage zur Volkswacht, Bielefelds sozialdemokratischer Zeitung, im Artikel Wohnungskultur heißt. Der Autor führt weiter aus: Wir sehen Möbel in der Ausstellung, die eine schöne Gliederung und fein abgewogene Verhältnisse zeigen, Vorzüge, die um so wertvoller erscheinen, wenn man bedenkt, daß sie mit einfachen und natürlichen Mitteln erreicht worden sind.419

Der Beschluss zur Ausstellung fiel im April 1912. Danach hatten sich die Betriebe mit ihren Entwürfen zu bewerben und diese „einer Stelle zur künstlerisch gutachterlichen Äußerung vorzulegen“.420 Offenbar waren die Entwürfe der Tischlereibetriebe entweder nicht gut genug oder es gab zu wenige, denn die meisten ausgeführten Entwürfe stammten vom Zeichenbüro des Zentralverbandes deutscher Tischlerinnungen, das Emil Augst leitete. Er war Mitautor des Buches Der praktische Tischler, Herausgeber und Redakteur von Der Innenausbau. Illustrierte Schreinerzeitung, außerdem Autor der Zeitschrift Leipziger Messe und schließlich künstlerischer Leiter der Bielefelder Ausstellung.421 Das Zeichenbüro war vom Zentralverband eingerichtet 411 Barkey, et al: Die Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, o. J., o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 412 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 413 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 414 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) 415 Vgl. o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 5–6 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 416 Vgl. ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 417 Ebd., S. 6 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 418 o. A.: Wohnungskultur. Betrachtungen zur Wohnungsausstellung, in: 1. Beilage zur Volkswacht, 23. Jg. (1912), Nr. 196 (21.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43) 419 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 43) 420 o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 421 Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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worden, um die Anteile von Mitgliedsbetrieben am Möbelmarkt zu erhöhen und Vorlagenwerke für kleinere Werkstätten zu erstellen, die sich keine eigenen Zeichner leisten konnten.422 In Bielefeld lag wegen der Entwürfe aus dem Zeichenbüro „eine gewisse Einheitlichkeit über dem Ganzen“423, schrieb der Autor „Gr.“ am 6. August 1912 in seinem Artikel Durch die Wohnungs­ ausstellung. Betrachtungen eines Laien im Bielefelder General-Anzeiger, einer bürgerlichen Zeitung.424 „In den Händen der Tischler lag in der Hauptsache die Uebertragung der Pläne in die Praxis, die möglichst solide und schöne Ausführung“.425 Die Ausstellung im Hauptgebäude zeigte vor allem komplette moderne „mustergültige Wohnungseinrichtungen“426 in unterschiedlicher Größe und verschiedenen Preisklassen. Sie waren gedacht für Arbeiterfamilien, aber auch für Familien aus der „blühende[n] kaufkräftige[n] Landwirtschaft“427 und aus dem bürgerlichen Mittelstand. Für Arbeiterfamilien gab es verschiedene Wohnungen mit zwei oder drei Räumen, für bäuerliche Familien mit drei oder vier Räumen und für bürgerliche Familien mit vier bis sieben Räumen, jeweils in unterschiedlicher Ausführung. Der Ausstellungsverein sah zwei wichtige Käuferschichten: zum einen die Angehörigen der Landwirtschaft, die „in den Magazinen der Stadt die massenmäßig hergestellten, teilweise sehr minderwertigen Möbel einkaufen“428 und bessere Qualität verlangten, und zum anderen die bürgerlichen Familien, die keine schweren Möbel geerbt hatten, sondern sich neu einrichteten und sich dies auch leisten konnten. Sie waren „aufgeschlossen und vermögend genug […], um [die] […] Wohnung diesem Zeitgeist anzupassen.“429 So kostete die Einrichtung einer bürgerlichen Vierzimmerwohnung 2150 Mark. Die Möbel für das Wohn-/Esszimmer waren aus Eichenholz, das Schlaf- und Kinderzimmer aus Lindenholz und die mit einem Klapptisch ausgestattete Küche in lackierter Tanne gefertigt.430 Eine Wohnung mit fünf Räumen „einfacher Art“431 bestand aus Küche, Wohn-, Kinder-, Schlaf- und Badezimmer. In einem weiteren Artikel in der 1. Beilage zur Volkswacht unter dem Titel Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912 lobt der ebenfalls unbekannte Autor an dieser Wohnung das Wohnzimmer aus gebeiztem Eichenholz für 1150 Mark mit einem Büffet mit „vollständig oval gearbeiteten Ecken“432, aber auch das Schlafzimmer aus „graublau gebeiztem Lindenholz mit braun gebeizten Füllungen

422 Vgl. Joachim Petsch, Eigenheim und gute Stube, S. 121 423 Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) 424 Vgl. H. O. Sperling, Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1908, S. 303 425 Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) 426 Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse, S. 423. 427 o. A., Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, S. 4 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 428 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) 429 Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse, S. 424 430 Vgl. ebd. 431 o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, in: 1. Beilage zur Volkswacht 23 (1912), Nr. 181 (3.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 432 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34)

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aus Espen-Sperrholz“433, „[e]twas nicht [A]lltägliches“434, auch wenn für ihn eine „etwas heller dargestellte Färbung“435 wirkungsvoller gewesen wäre. Dem Autor gefällt auch die exquisite Sieben-Zimmer-Wohnung mit einem Schlafzimmer aus poliertem Mahagoniholz, auch wenn ihm dadurch der Raum „sehr dunkel“436 erschien, und mit Ess-, Wohn- und Herrenzimmer jeweils aus furniertem Eichenholz. Die Stilart aller Wohnungen sei „äußerst geschmackvoll“437, allerdings bemängelt auch dieser Autor den „ziemlich einheitliche[n] Hauch“438 der Ausstellung und die geringe Menge furnierter Zimmer.439 Trotzdem hält er die Ausstellung für sehr gelungen. Denn jedes Zimmer ist behaglich, ohne daß man im Augenblick erkennt, worauf dies zurückzuführen ist. Doch wird man sich bald darüber klar werden, daß der Grundgedanke auch hier höchste Ordnung, Beschränkung auf das unumgänglich Notwendige, strenge Vermeidung jedes überflüssigen Gegenstandes oder Zierstückes ist. In zweiter Linie ist zu nennen als Ursache des fast in allen Räumen wiederkehrenden schönen Gesamteindrucks die strenge Durchführung des Stiles, der die Möbel eines Raumes als zusammengehörig miteinander verbindet und ihnen ihre besondere Charakteristik verleiht.440

Es fällt auf, dass der Autor der Volkswacht damit die gleichen Maßstäbe von Einheitlichkeit, Zweckmäßigkeit und Schönheit an Möbel anlegt wie die Autoren kunstgewerblicher Zeitschriften. An anderer Stelle wird er sogar noch deutlicher. Er kritisiert in der Produktion die schlechte maschinelle Fertigung in den Jahren von 1870 bis 1900 durch „zahllose trübselige Wiederholungen einer geistlosen Schablone“441 und in der Stilentwicklung dieser Zeit die reich verzierten Möbel als „Flut von Hausgreulen“.442 Wer kennt ihn nicht den berühmten sogenannten Möbelaufsatz? Ob Kleiderschrank, ob Küchenschrank, ob Bibliothek, ganz gleich, er wurde bekrönt mit diesem zu Tausenden noch bewährten Schema hergestellten Muschel-Ornament aus Holz, das zwecklos, widersinnig und häßlich war. Zwecklos, weil es die Reinigung des Schrankes erschwerte, widersinnig, weil es eine Muschel aus Holz vortäuschen wollte und häßlich, weil es eine zum so und so vielten Male wiederholte Geistlosigkeit war.443

Allerdings macht der Autor der Volkswacht seine Leser in der Arbeiterschaft darauf aufmerksam, dass viele ausgestellte Wohnungen „nur für den Mittelstand“444 erschwinglich seien und die ausgestellten Arbeiterwohnungen für viele Arbeiter zu teuer. Diesen Eindruck hatte auch der Autor „Gr.“ im Bielefelder General-Anzeiger:

433 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 434 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 435 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 436 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 437 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 438 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 439 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 440 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 441 o. A., Wohnungskultur, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 442 o. A., Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 443 o. A., Wohnungskultur, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 444 o. A., Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Die Sachen sind an sich wohl in der großen Mehrzahl durchaus preiswert, aber im Hinblick auf ihren Zweck manchmal noch zu teuer. Der eine oder andere Meister mag ein wenig zu viel an die Ausstellung, nicht genug an den Verkauf gedacht haben.445

Der Autor des Bielefelder General-Anzeigers stimmte mit dem Autor der Volkswacht überein, der feststellte, dass „kleinere Meister“446 die Möbel „sehr sauber“447 ausgeführt hätten. Das große Ziel des Ausstellungsvereins, die Leistungsfähigkeit kleinerer und mittlerer Tischlereibetriebe zu zeigen, dürfte also erreicht worden sein. Bereits eine Woche nach Eröffnung hatten rund 10.000 Besucher die Ausstellung gesehen.448 Der Überblick über die Wohnungsausstellungen zeigt, dass es die Anforderung, „stilgerechte billige Möbel“449 zu präsentieren, schon bei der ersten hier vorgestellten Wohnungsausstellung in Berlin 1892 gab. Aber erst knapp fünfzehn Jahre später, bei der Münchner Wohnungsausstellung 1906, wurden gut gestaltete Möbel in Bruno Pauls modernem sachlichen Stil450 und in mittlerer Preislage ausgestellt und gut verkauft. Auch bei der Berliner Wohnungsausstellung 1907 wurde dieser Anspruch eingelöst. Während vorher häufig Möbel gezeigt wurden, die entweder zu teuer oder zu einfach für den bürgerlichen Mittelstand waren, gab es jetzt geschmackvolle Möbel in guter Qualität zu einem guten Preis. Außerdem wurden erstmals die Wohnverhältnisse berücksichtigt, weil die Möbel in einer durchschnittlichen bürgerlichen Wohnung gezeigt wurden. Ganz unterschiedlich waren die Veranstalter dieser Ausstellungen. In München 1906 und Berlin 1907 waren es Möbelfabriken, in Elberfeld 1909 ein Architekt mit einem Innenausstatter und in Bielefeld 1912 der Verband der Tischlerinnungen. Alle Veranstalter hielten es für wichtig, den Anforderungen bürgerlicher Selbstrepräsentation entsprechende Wohnungseinrichtungen zu präsentieren. Die Tatsache, dass die Organisation in Bielefeld bei den Tischlerinnungen lag, zeigt auch, wie groß inzwischen die Konkurrenz der Serienmöbelfertigung aus den Fabriken für das Handwerk geworden war, so dass die kleinen und mittleren Handwerksbetriebe sich dieser Entwicklung mit einer Leistungsschau entgegenstellten und die größeren Handwerksbetriebe darauf bestanden, vergleichbare gute Qualität anzubieten. Mit den gleichen Zielen veranstaltete vor allem die Illustrirte Zeitschrift für Innen-Dekoration Preisausschreiben zur Wohnungseinrichtung, die teilweise auch die Raumaufteilung in Mietwohnungen und Eigenheimen berücksichtigten. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden.

445 Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) 446 o. A., Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34) 447 Ebd. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 34); Gr. lobte im Bielefelder General-Anzeiger, dass die Ausstellung vor allem „solide und ehrliche, allem Blendwerk abholde Arbeit“ (Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5)) zeige und die Wohnungskultur damit „wieder zu ihrer wahren Bedeutung erhoben werde“ (Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5)) 448 Vgl. O. Gr., Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, S. 5 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/ Zeitungen Nr. 5) 449 Schliepmann, Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin, S. 205 450 Vgl. Wilhelm Michel, Ausstellung für Wohnungs-Kunst in München, S. 371

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8.3.2  Preisausschreiben in der Zeitschrift Innen-Dekoration Die Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration und später die Innendekoration veranstaltete in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende fünf Preisausschreiben, die sich mit der Einrichtung und der Raumaufteilung in Häusern und Wohnungen befassten. Damit ging die Zeitschrift neue Wege. „[M]an bediente sich dazu des echt modernen Mittels des Preisausschreibens, das den Prämiirten die Ausführung ihrer Entwürfe in Aussicht stellte“.451 Was Ernst Zimmermann über die Preisausschreiben der Volksthümlichen Ausstellung für Haus und Herd 1899 in Dresden schrieb, traf auch auf die Preisausschreiben der Innendekoration zu. Die Zeitschrift folgte damit einem Beispiel der englischen Kunstgewerbezeitschrift The Studio: International art, die 1893 nach dem ersten Preisausschreiben zur Gestaltung des Titelblattes einen Wettbewerb zur Tapetengestaltung und danach regelmäßig weitere Wettbewerbe ausschrieb, zum Beispiel zur Gestaltung von Gärten, Büchern oder Kleidung, aber auch zu Fotografien für die Wohnzimmergestaltung.452 Ein Wettbewerb der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration im Januar 1896 galt „Entwürfen für einfache und billige aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen“453, ein weiterer im März 1899 beschäftigte sich mit „leicht-transportable[n] Verwandlungs-Möbel[n]“454 für Empfangs- und Wohnzimmer beziehungsweise Wohn- und Speisezimmer. Im Juli 1901 ging es um Entwürfe „für ein herrschaftliches Wohnhaus eines Kunst-Freundes“455, der nächste im Januar 1902 begonnene und 1903 entschiedene Wettbewerb war erneut „billige[n], geschmackvolle[n] Wohnungs-Einrichtungen“456 gewidmet und der letzte Wettbewerb im Oktober 1904 dann „Entwürfe[n] zu einem Einfamilienhause“.457

451 Zimmermann, Die volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden, S. 145 452 Vgl. o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 1 (1893), Nr. 5 (August 1893), S. 204–207; Vgl. o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 1 (1893), Nr. 6 (September 1893), S. 248–251; Vgl. o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 6 (1896), Nr. 33 (December 1895), S. 195–201; Vgl. o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 6 (1896), Nr. 34 (January 1896), S. 260–265 453 Verlag und Schriftleitung der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration: Entwürfe für einfache und billige Wohnungs-Einrichtungen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 7 (1896), H. 1, S. 17–18; Vgl.: Alexander Koch: Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 1–8; Vgl. Alexander Koch: Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 9–10 454 Schulze, Otto: Leicht transportable Verwandlungs-Möbel. Wettbewerb-Ergebniss zu einem Empfangs- und Wohn-Zimmer bezw. Wohn- und Speise-Zimmer, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 10 (1899), H. 3, S. 37–43 455 o. A.: Entscheidung des Wettbewerbes zur Erlangung von Entwürfen für ein herrschaftliches Wohnhaus eines Kunst-Freundes, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 12 (1901), H. 6, S. 109–110, hier: S. 109 456 Schliepmann, Hans: Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen. Einige Worte zum Wettbewerb der „Innen-Dekoration“, in: Innendekoration 14 (1903), H. 1, S. 13–15 457 Vetterlein, Ernst Friedrich: Zu unserm Wettbewerbe „Entwürfe zu einem Einfamilienhaus“, in: Innendekoration 15 (1904), H. 10, S. 247–261

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Der erste Wettbewerb, der im Januar 1896 begonnen und 1897 entschieden wurde, sprach ausdrücklich die Bedürfnisse nach Selbstrepräsentation im bürgerlichen Mittelstand an. Dieser habe schon sehr lange Schwierigkeiten gehabt, preiswerte und gut gearbeitete Wohnungseinrichtungen zu finden, die sich von billiger Massenware absetzten. Immer wieder sei dieser Missstand beklagt worden, doch erst in den vergangenen zehn Jahren seien „die Ansprüche in Bezug auf solide, sinnvolle Wohnungs-Einrichtungen immer reger geworden“.458 Aber gebessert habe sich nichts, schrieb Alexander Koch, Verleger und Herausgeber der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration: Diesem berechtigten Verlangen der nicht reich bemittelten kunstliebenden Kreise in Etwas zu entsprechen, sah sich der Herausgeber dieser Zeitschrift vor etwa Jahresfrist zur Veranstaltung eines ‚Preis-Ausschreibens‘ behufs Erlangung von Entwürfen für einfache, billige, aber dennoch geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen veranlaßt.459

Die eingereichten Entwürfe, jeweils mit Kostenvoranschlag, sollten eine „ungekünstelte, vernünftige Werkform und größtmöglichste Zweckmäßigkeit“460 haben. Die Verzierung sollte sich aus der Konstruktion ergeben und daher „alle sinnwidrigen Dekorationen“461 vermeiden. Die Preise gemäß den Kostenvoranschlägen wurden ab einer bestimmten Anzahl abgenommener Einrichtungen von den Herstellern garantiert. So handelte es sich also um ein Angebot an die Händler, diese Einrichtungen zu bestellen und weiterzuvertreiben. Es ging um eine „bürgerliche 4-Zimmer-Einrichtung zwischen Mk. 1500 und 2250“462 für den „zur Miethe wohnenden gebildeten Mittelstand“.463 Die Einrichtung sollte bestehen aus einem Empfangszimmer für 600 bis 800 Mark mit einem größeren Stilmöbel, zwei Armstühlen, vier Stühlen, Schreibtisch, Tisch, ‚Fantasieschrank‘ und Wand-Bücherbrett; einem Wohn- und Esszimmer für 400 bis 650 Mark mit Speisetisch zum Ausziehen, Speise- und Geschirrschrank, Beisetztisch, Nähtisch (auch als Schreibtisch nutzbar), sechs Stühlen und einem Sofa oder Ecksitz; einem Schlafzimmer für 350 bis 550 Mark mit zwei Bettstellen, zwei Nachtschränken, einem Waschtisch, einem größeren Kleiderschrank, einem Wäscheschrank, zwei Stühlen und zwei Wäschekörben; und einer Küche für 150 bis 250 Mark mit Küchenschrank, Anrichte, Tisch, Abstellgelegenheit für Geschirr, Bank, Trittleiter und einem Stuhl.464 Das Preisgeld von insgesamt 2000 Mark sollte sich auf vier erste Preise zu jeweils 250 Mark, vier zweite Preise zu jeweils 150 Mark und vier dritte Preise zu jeweils 100 Mark verteilen. An diesem Preisausschreiben beteiligten sich dreißig Innenarchitekten mit 93 Entwürfen, viele von ihnen im Stil der modernen Renaissance. Die preisgekrönten Entwürfe wurden mit ihren Vor- und Nachteilen ausführlich in der Zeitschrift vorgestellt. So kritisierte die Jury an 458 Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, S. 1 459 Ebd. 460 Ebd. 461 Verlag und Schriftleitung der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration, Entwürfe für einfache und billige Wohnungs-Einrichtungen, S. 17 462 Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, S. 1 463 Ebd., S. 7 464 Verlag und Schriftleitung der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration, Entwürfe für einfache und billige Wohnungs-Einrichtungen, S. 17

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38  Einfache Küchen-Einrichtung. – I. Preis. – Von Architekt Wilhelm Müller, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 17

den eingereichten Empfangszimmern, dass sie noch zu sehr ‚bürgerliche Stube‘ oder ‚herrschaftlicher Salon‘ waren. Ein bürgerliches Empfangszimmer müsse wegen der Begrenztheit der Wohnung mit nur vier Räumen zugleich auch als Herren- oder Damenzimmer nutzbar sein.465 Deshalb wurde nur ein dritter Preis vergeben. Solche Probleme gab es bei dem kombinierten Wohn- und Esszimmer oder dem Schlafzimmer wegen der klaren Funktionen nicht. Als schwierig galt die Einrichtung der Küche, des „Arbeitsraum[s] der Frau“466, der „in erster Linie viel Licht, einen guten Herd und praktische Möbel“467 brauche. Doch die Jury zeigte sich mit den Entwürfen zufrieden. Der erste Preis zeigt eine Küche mit Wasseranschluss, Trittleiter, Anrichte, Stuhl, Küchenschrank, Tisch, Bank, Besenschrank, Durchgang zur angrenzenden Speisekammer und mit einem Kochherd mit Kohlenkasten und Holzkorb468 (Abb. 38). Diese Küche erfüllt selbst die geheimsten Wünsche einer bereits 25 Jahre der Kochkunst selbstthätig obliegenden Bürgersfrau.469

Beim nächsten Wettbewerb der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration 1899 ging es nicht nur um die Zweckmäßigkeit der Möbel, sondern auch um „grösste Verwendbarkeit und grösste Verstellbarkeit“.470 Das Preisausschreiben fragte nach „leicht-trans465 Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, S. 2 466 Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 2, S. 9 467 Ebd. 468 Vgl. o. A.: Abbildungen, in: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 15–17, hier: S. 17 469 Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 2, S. 9 470 S., O.: Leicht-transportable Verwandlungs-Möbel. Wettbewerb-Ergebnisse zu einem Empfangs- und Wohn-Zimmer bezw. Wohn- und Speise-Zimmer, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 10 (1899), H. 3, S. 37–44, hier: S. 39

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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portable[n] Verwandlungs-Möbel[n]“471 und ging damit auf die Wohnverhältnisse bürgerlicher Mittelschichten innerhalb vorgegebener Grundrisse ein: Von der Erfahrung ausgehend, dass die auf ‚Mieths-Wohnungen‘ angewiesenen bürgerlichen Kreise meistens mit sehr nüchternen, wenig praktischen Grundrissen und einem diesen seit Jahren angepassten Universal-Umzugs-Mobiliar zu rechnen haben, […] scheint uns eine wesentliche Umgehung bezw. Besserung der Uebelstände nur durch Schaffung eigenartiger Möbeltypen [Hervorhebung im Original] möglich – denn einem Aendern der Grundrisse in Miethswohnungen stehen wir machtlos gegenüber – die nicht nur an den Wänden [Hervorhebung im Original], sondern nach Belieben auch frei im Zimmer [Hervorhebung im Original] aufgestellt werden können und zahlreiche Lösungen zur Bildung von Erkersitzen und lauschigen Winkeln zulassen.472

Es veränderten sich aber nicht nur die Mietwohnungen, sondern auch die Anforderungen an die Selbstrepräsentation. Sie wurde individueller und der neue Möbeltyp der Verwandlungsmöbel half dabei. Denn die Wohnungseinrichtung war inzwischen Ausdruck persönlicher Vorlieben und Gewohnheiten geworden, und zwar so, „dass wir fast mit unseren Räumen verwachsen scheinen“.473 Man ahmte in der Einrichtung nicht mehr bloß andere nach, sondern die Möbel halfen dabei, die eigene Persönlichkeit darzustellen: Heute sagt Frau X nicht mehr, meine Einrichtung ist genau derjenigen von Frau Z nachgebildet; denn jede dieser Damen hat für sich erkannt, dass, wenn sie auch in gesellschaftlicher Hinsicht auf gleicher Stufe stehen, ihre Anschauungen und Gewohnheiten, ihre Fähigkeiten und ihr Bildungsgrad wesentlich von einander abweichen. Auch sie empfinden zuerst, dass jede für sich eine Persönlichkeit in einem bestimmt abgemessenen Kreise ist, und streben ganz naturgemäss danach, ihre Persönlichkeit auch in ihrer Wohnung zu allererst zum Ausdruck zu bringen.474

Damit hatte sich allmählich das durchgesetzt, was schon Jakob Falke 1871 in Die Kunst im Hause gefordert hatte und bereits in Kapitel 5.2.2 zitiert wurde: dass der Mikrokosmos unserer Wohnung […] ganz und gar mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen harmonirt, daß er, gleichsam ein weiteres Kleid, mit seinem ästhetischen Charakter so genau zu unserem eigenen Geiste und Wesen paßt, wie das Kleid zu unserem Körper[…].475

Wer ein eigenes Haus besaß, konnte es nach seinen Wünschen gestalten. Wer in der Mietwohnung wohnte, konnte jetzt Verwandlungsmöbel kaufen und sie nach Belieben umstellen. Man war nicht mehr auf große, schwer verrückbare Wandmöbel angewiesen. Mit den Verwandlungsmöbeln anstelle der herkömmlichen Möbelgruppierung entstanden neue Grundsätze der 471 Ebd., S. 37 472 Ebd., S. 39 473 Ebd., S. 38 474 Ebd.; Ähnlich beschreibt es auch Ines Wetzel: „Es ist sicher eine schöne und interessante Aufgabe, welche zwei Menschen in der Einrichtung ihres künftigen Heims gestellt ist, aber sie ist keineswegs eine leichte. Die erste und wesentlichste Bedingung dabei ist das intensive Eingehen auf die Persönlichkeit der Bewohner, […]. Nur wo in diesem Sinne in ehrlicher Weise die Innerlichkeit der Bewohner die Grundlage bildet für den Ausbau ihrer Wohnstätte, kann diese ihrer eigensten Wesensart entsprechen und den Bedürfnissen ihres äußeren Lebens entgegenkommen“ (Wetzel, Vom Einrichten des bürgerlichen Heims, S. 16).; Vgl. auch Andreas K. Vetter, Das schöne Heim, S. 92: „[G]ute Möbel unterwerfen sich nicht vordergründigem Stildiktat, sondern schaffen vielmehr die Grundlage für ein individuelles Wohnen – in ihnen vereinen sich die Bewältigung einer eigenständigen Formaussage mit grundsätzlicher Funktionalität und Materialgerechtigkeit“. 475 Falke, Die Kunst im Hause, S. 1

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39  Freistehendes Bücher-Möbel mit Sitzgelegenheit (Entwurf: H. Mieritz, Berlin), in: Luthmer, Ferdinand: Theilung der Räume durch Möbelgruppen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. 4

Raumaufteilung, nämlich die „sogenannte Zimmer-Auftheilung in Einzelplätze“476, die „Theilung der Räume durch Möbelgruppen“.477 Unter diesem Titel hatte Ferdinand Luthmer schon 1895, also vier Jahre vor dem Wettbewerb, in der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekoration einen Aufsatz geschrieben. Darin empfahl er beispielsweise ein „freistehendes Bücher-Möbel mit Sitzgelegenheit“478, also ein Sofa mit Bücherwand im Rücken und zwei angrenzenden Vitrinenschränken für Bücher (Abb. 39), und auch zwei Chaiselongues um einen Fensterpfeiler herum mit Pol­ ster­bank und Seitenwand (Abb. 40): Eine behaglichere Ecke für eine kleine Gesellschaft, welche nach einem guten Diner bei einer feinen Zigarre ihren Mokka schlürfen will, läßt sich kaum denken.479

Allerdings war die Beteiligung an diesem Wettbewerb 1899 nicht sehr groß. Nur neun Entwürfe gingen ein. Den ersten Preis erhielt der Münchner Kunstschreiner Wilhelm Michael für einen

476 S., Leicht-transportable Verwandlungs-Möbel, S. 39 477 Ebd; Vgl. Ferdinand Luthmer: Theilung der Räume durch Möbelgruppen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. 1–8, hier: S. 1 478 Luthmer, Theilung der Räume durch Möbelgruppen, S. 4 479 Ebd., S. 6

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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40  Pfeiler-Möbel zur Verkürzung einer langen Wand (Entwurf: Martin Kimbel, Breslau), in: o.A.: Zu unseren Illustrationen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-­ Dekoration 6 (1895), H. 1, S. 15

schmalen und hohen ‚Seiten-Schrank‘, der frei im Raum platziert werden konnte, mit Sockel und offenen Aufsatz als Ablagefläche in leichten Jugendstilformen. Fünf Jahre später, 1904, veranstaltete die Innendekoration zu demselben Thema wieder einen Wettbewerb, aber „in neuen Kombinationen und Formen“480, wie Otto Schulze in seinem Artikel Zu unserem Wettbewerbe „Entwürfe Verwandlungs-Möbel“481 erläutert. Leider geht aus dem Artikel nicht hervor, wie viele Einsendungen es gab, doch alle abgebildeten Entwürfe „scheinen uns wert, künftig dieser Gruppe eigenartiger Möbeltypen unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen“.482 Möbel waren teuer. Deshalb waren Verwandlungsmöbel nach Schulzes Einschätzung von ausserordentlicher Bedeutung für alle Mieter, die im grossen ganzen zeit ihres Lebens mit der bei Begründung des Hausstandes zustande gekommenen Einrichtung zu rechnen haben, also nicht daran denken können, wesentliche Neuanschaffungen zu machen.483

Außerdem erwähnt Schulze die unterschiedlichen Funktionen von Räumen, die man aber mit Hilfe der Verwandlungsmöbel miteinander kombinieren könne, vor allem in räumlich begrenzten Mietwohnungen:

480 Schulze, Otto: Zu unserem Wettbewerbe „Entwürfe Verwandlungs-Möbel“, in: Innendekoration 15 (1904), H. 8, S. 199–205, hier: S. 202 481 Ebd., S. 203 482 Ebd. 483 Ebd.

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41  Zimmer mit Verwandlungs-Möbeln (Entwurf: Carl Finkbeiner, Darmstadt), in: Schulze, Otto: Zu unserem Wettbewerbe „Entwürfe Verwandlungs-Möbel“, in: Innendekoration 15 (1904), H. 8, S. 202

[M]an denke an kombinierte Arbeits- und Empfangs-Zimmer oder an Wohn- und Speise-Zimmer innerhalb eines Raumes, wobei dann das Verwandlungs-Möbel eine unendlich gesteigerte Ausdrucksund Verwendungsfähigkeit erfahren kann.484

Im Vergleich zum Wettbewerb von 1899 fällt übrigens auf, dass 1904 die Entwürfe viel geradliniger und die Möbel schlichter geworden waren, aber immer noch Ornamente aufweisen (Abb. 41). Bevor die Innendekoration sich noch einmal mit den Verwandlungsmöbeln befasste, hatte sie im Jahr 1901 einen Wettbewerb zum „herrschaftliche[n] Wohnhaus eines Kunst-Freundes“485 ausgerufen. Die Entwürfe mit Salon oder Musikzimmer mit Bühne, einem Zimmer für die Aufstellung von Kunstwerken, mit Herren- und Damenzimmer, gesonderten Frühstückszimmern im Erd- und Obergeschoss zusätzlich zum Speisezimmer, separatem Schlaf- und Wohnzimmer für Gäste sowie Wohn- und Kinderzimmer für die Töchter übertrafen bei weitem die Möglichkeiten des bürgerlichen Mittelstandes.486 Diese standen im Januarheft 1902 der Innendekoration wieder im Mittelpunkt, als ein „Wettbewerb um die Erlangung von Entwürfen zu billigen Wohnungs-Einrichtungen ausgeschrieben“487 wurde. Damit griff die Zeitschrift ein Thema auf, das sie schon 1896/1897 behandelt hatte. Doch dieses Mal äußerte Hans S­ chliepmann deutliche Kri484 Ebd. 485 Die Redaktion: Unser Wettbewerb: Wohnhaus eines Kunst-Freundes, Teil 1, in: Innendekoration 12 (1901), H. 7, S. 111–115, hier: S. 112 486 Die Redaktion: Unser Wettbewerb: Wohnhaus eines Kunst-Freundes, Teil 2, in: Innendekoration 12 (1901), H. 8, S. 137–139, hier: S. 137 487 Schliepmann, Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, S. 13

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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tik an Herstellern, Händlern und Kunden, weil sie keinerlei Vorstellung von guten, halt­baren und bezahlbaren Möbeln hätten: „Durch das ganze Volk geht das törichte und widerwärtige Streben nach dem Schein“.488 Dem könnten sich Hersteller und Händler nicht entziehen. Der Gross-Betrieb in Schleuder-Waren richtet seine Maschinen auf die neuen Kringel und Schnörkel ein; die Konkurrenz sorgt für immer vermehrte Zierraten für’s liebe Geld, und wir sind schliesslich um viele Mätzchen, aber nicht um ein Atom Kunst-Sinn reicher geworden.489

Schliepmann verlangte stattdessen, Überflüssiges und Billiges zu vermeiden, denn Billigkeit sei „nichts als Lüge und Betrug“.490 Trotzdem sollten für diesen Wettbewerb „[b]illige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen“491 entworfen werden. Die Aufgabenstellung beim Wettbewerb von 1902/1903 war sehr ähnlich der von 1896/1897. Auch die Gesamtsumme für die Einrichtung von 1650 bis 2300 Mark wich nur geringfügig von der Vorgabe von 1500 bis 2250 Mark im Jahr 1896 ab.492 Dieses Mal ging es um ein Empfangszimmer in leicht gebeiztem Mahagoni, das zugleich als Arbeitszimmer des Herrn genutzt werden konnte, für 650 bis 850 Mark mit größerem Sitzmöbel, zwei Lederstühlen, zwei Armstühlen, einem Schreibtisch mit Lederbespannung und dazugehörigem Sessel, einem kleinen Tisch, einem praktischen Schrank, auch für Bücher, und einem Bilderrahmen; ein Wohn-/Esszimmer aus amerikanischem Nussholz für 450 bis 650 Mark mit ausziehbarem Speisetisch, Speise- und Geschirrschrank, Beisetztisch, Nähtisch, sechs Stühlen und einem Sofa; ein Schlafzimmer in Rustenholz für 400 bis 550 Mark mit zwei Bettstellen, zwei Nachtschränken, einem Waschtisch mit Marmorplatte und Aufsatz ohne Spiegel, einem größeren Kleiderschrank ohne Spiegel, einem Wäscheschrank, zwei gepolsterten Stühlen und zwei Wäschekörben; und eine Küche in Pitch-Pine, Lärchenholz oder in Weichholz gestrichen für 150 bis 250 Mark mit Küchenschrank, Anrichte, Tisch, Abstellgelegenheit für Geschirr, Eimerbank, Trittleiter und Stuhl.493 An den preisgekrönten Entwürfen fällt auf, dass sie durchweg schlicht und sehr sachlich gehal-

488 Ebd., S. 14; Damit erwähnt Hans Schliepmann auch die Imitationen und Fälschungen: „Das Surrogatwesen ist als eine wahre und fürchterlichste Pest in alle Handwerke eingezogen, und die Augen der Masse sind so blöde, ihr Gefühl ist so schamlos geworden, dass man die lumpigste Karikatur der Luxus-Kunst verlangend bestaunt und vor dem gediegen Einfachen verständnislos vorübergeht. Gerade unsere landläufigen Wohnungs-Einrichtungen lassen den geradezu verzweifelten Tiefstand des ästhetischen Empfindens der Menge nur allzu deutlich erkennen“ (Schliepmann, Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, S. 14); Vgl. dazu auch Hermann Muthesius: „Die gewerbliche Produktion des 19. Jahrhunderts ist gerade deshalb von der Gediegenheit abgetrieben worden, weil die konsumierenden Kreise ihrerseits nichts auf Gediegenheit gaben. Im Kampf der Gesellschaftsklassen um die Vorherrschaft entstand die gesellschaftliche Prätension. Die Prätension, die Sucht mehr zu scheinen, als man ist, ist in den bürgerlichen Kreisen des 19. Jahrhunderts gerade zur Gewohnheit geworden: wir leben so in ihr, daß wir gar nicht mehr empfinden, wie sehr sie vorhanden ist“ (Muthesius, Hermann: Die Bedeutung des Kunstgewerbes. Eröffnungsrede zu den Vorlesungen über modernes Kunstgewerbe an der Handelshochschule in Berlin, in: Dekorative Kunst 15 (1907), S. 177–186, hier: S. 182) 489 Schliepmann, Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, S. 14 490 Ebd. 491 Ebd., S. 13 492 Vgl. Alexander Koch, Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, S. 1 493 Vgl. o. A., Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, Teil 1, S. 16

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

42  Empfangszimmer und Arbeitszimmer des Herrn (1. Preis) (Entwurf: Hans Schlechta, Otto Wytrlik, Wien), in: o. A.: Ausführung preisgekrönter Entwürfe und deren Kosten, Teil 1, in: Innendekoration 14 (1903), H. 1, S. 20

ten sind, ohne Ornamente oder gebogene Formen. Die Form ergab sich aus der Konstruktion und hatte deshalb jedes Dekor ausgeschlossen. Wohnlichkeit und Behaglichkeit sollte durch das Zusammenspiel der Farben im Raum erreicht werden. So erhielten der Kunstgewerbelehrer Hans Schlechta und der Möbeldesigner Otto Wytrlik, beide aus Wien, den ersten Preis für ihr kombiniertes Empfangs- und Arbeitszimmer des Herrn. Auffallend ist hierbei nicht nur die schlichte Konstruktion der Möbel, sondern auch die maximale Ausnutzung des Raumes. So stehen Schreibtisch und Sitzecke dicht beieinander (Abb. 42). In einem Nachwort zu unseren Wettbewerben weist die Zeitschrift noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass sie mit ihren Preisausschreiben vorbildliche Entwürfe für Handwerk und Industrie anregen wolle, weil dem Verlangen des Minder-Bemittelten und mässig wohlhabenden nach künstlerischer Entfaltungseines Heimes noch recht wenig Entgegenkommen von Seiten der Künstlerschaft und der Möbel-Industrie gezeigt wird.494

Nachdem sich die Innendekoration mehrmals mit Wohnungseinrichtungen und Verwandlungsmöbeln befasst hatte, widmete sich der letzte hier beschriebene Wettbewerb der Zeitschrift 1904 494 o. A.: Ein Nachwort zu unseren Wettbewerben, in: Innendekoration 14 (1903), H. 3, S. 69–74, hier: S. 69

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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dem Einfamilienhaus, das sich auch „weniger begüterte Bürger“495 leisten können sollten, wie Ernst Vetterlein über den Wettbewerb schrieb. Die Zeitschrift wollte auch hier Anstöße geben und bezog sich dabei auf Bauvereine, die für diese Schicht Häuser im Landhausstil bauten. Das begrenzte Kapital der Bauherren sollte möglichst effektiv eingesetzt werden. Der Grundsatz lautete daher: Sparen wir am äusseren so viel wir eben können, um beim inneren Ausbau noch eine Summe zur Verfügung zu haben.496

Am Haus sollte alles Überflüssige vermieden werden. Auf Erker, Türme oder Vorbauten sollte verzichtet werden, und im Inneren des Hauses sollten Vor- und Nebenräume so benutzerfreundlich wie möglich und so raumsparend wie nötig sein.497 Einige Entwürfe wurden nicht zum Wettbewerb zugelassen, weil ihnen diese Selbstbeschränkung fehlte. Der erste Preis ging an den Architekten Erwin Hemann aus Basel. Das Haus in seinem Entwurf bestand aus Sockel- und Erdgeschoss sowie erstem Stock jeweils mit fünf Zimmern und Dachgeschoss mit nur zwei Räumen. Im Sockelgeschoss waren Waschküche, Bügelraum, zwei Kellerräume, Vorratskammer und ein Raum für Gartengeräte. Das Erdgeschoss verfügte über Esszimmer mit angrenzender Veranda und Treppe zum Garten, Wohnzimmer und Diele jeweils mit rundem Erker, Küche, Garderobe und WC. Im ersten Stock befanden sich vier unterschiedlich große Zimmer, Bad, Flur und Terrasse. Das Dachgeschoss schließlich bestand aus zwei unterschiedlich großen Mansarden. Zu Baukosten und Wohnungsgröße gibt es keine Angaben. Vetterlein machte aber deutlich: Das Ganze zeugt von einem gediegenen Wohlstand ohne Prunk; es ladet zu freundlichem Familienleben ein und sichert nach des Tages Mühe Ruhe und weltentrückte aber der Natur nahegerückte Abgeschlossenheit. Das ist Kunst fürs Leben!498

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Innendekoration mit ihren Preisausschreiben Trends setzen und verstärken wollte, um Einfluss auf Produktion, Markt und Stil zu nehmen. Das wird besonders beim Wettbewerb zur Wohnungseinrichtung von 1902/1903 deutlich, als Hans Schliepmann sehr klar Angebot und Nachfrage bei Möbeln kritisierte499 und die von der Zeitschrift preisgekrönten Entwürfe in ihrer nüchternen Zweckmäßigkeit in eine ganz andere Richtung gingen. Manche Preisausschreiben fanden große Resonanz, andere wiederum nicht. Aber eingereichte Entwürfe von Architekten aus der Schweiz, Österreich und England belegen die große Bedeutung der Zeitschrift. In ihren Ausgaben wird anschaulich, wie sich die Selbstrepräsentation weniger begüterter, aber kunstinteressierter Mittelschichten durch Wohnen und Einrichten ausdrückte und mit den Jahren auch veränderte. So fällt auf, dass sich die Einrichtungswettbewerbe von 1896/1897 und 1902/1903 stilistisch sehr voneinander unterschieden. Die Zeitschrift stand auf der Seite der Reformer im Kunstgewerbe500, die nach eigenständigen 495 Vetterlein, Zu unserem Wettbewerbe „Entwürfe zu einem Einfamilienhaus“, S. 247 496 Ebd., S. 248 497 Vgl. ebd. 498 Ebd., S. 255 499 Vgl. Hans Schliepmann, Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, S. 14 500 Vgl. o. A., Ein Nachwort zu den Wettbewerben, S. 69

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Lösungen unabhängig von der Nachahmung historischer Vorbilder suchten. Als ihre Gegner sah sie Fabrikanten, die ihre Serienmöbel nach Schablonen fertigten, aber auch Dekorateure und Ausstattungsgeschäfte, die nach Musterbüchern und Vorlagensammlungen Wohnungen einrichteten.501 Immer wieder behandelte die Zeitschrift auch die Wohnverhältnisse, nicht nur in ihren Preisausschreiben, sondern auch in zahlreichen Artikeln über Möbel und Räume in Mietwohnungen und Eigenheimen.502 Unter anderem ging es auch darum, wie man nicht nur durch Verwandlungsmöbel, sondern auch durch die Gestaltung der Innenräume mit Tapeten, Stoffen und Malerei Räume größer oder kleiner erscheinen lassen kann.503 Schließlich befasste sich die Innendekoration auch mit Werkswohnungen und erwähnte als Beispiel, dass Krupps weltbekannte Kolonien für seine Beamten und Arbeiter […] für ähnliche Gründungen durch andere grosse industrielle Werke geradezu vorbildlich geworden504

seien. Im Folgenden soll deshalb auf die Werkswohnungen eingegangen werden, die Bayer für seine Angestellten und Fabrikbeamten bauen ließ.

8.3.3  Werkswohnungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Von jeher hat sich die Firma zu den Grundsätzen bekannt, dass zu einem glücklichen und zufriedenen Daheim vor allem ausser Gesundheit auch eine auskömmliche und angenehme Wohnung [Hervorhebung im Original] gehört und es eine der vornehmsten Aufgaben des Arbeitgebers ist, dem Arbeitnehmer ein gesundes und menschenwürdiges [Streichung im Original] Unterkommen zu verschaffen, und dass ein freundliches gut eingerichtetes Heim für die gedeihliche Entfaltung eines glücklichen und zufriedenen Familienlebens ein unabweisbares Erforderniss ist.505

501 So spricht „O. S.“ von der „Dutzendwaare der Massenfabrikation, von den Schablonen-Kunststücken und auswendig gelernten Dekorations-Rezepten geschäftskundiger Dekorateure, die nach Musterbüchern Geschäfte abschliessen und Zimmer einrichten“ (S., Leicht-Transportable Verwandlungs-Möbel, S. 38) 502 Tettau, Innen-Architektur des modernen Mieths-Hauses, S. 9–14; Schaukai, Richard: Die sogenannte „moderne“ Wohnung, in: Innendekoration 17 (1906), H. 12, S. 346–350; Migge, Leberecht: Miet-Wohnungen, in: Innendekoration 18 (1907), H. 12,– S. 379–381; Bachmann, Paul: Die Mietwohnung, in: Innendekoration 20 (1909), H. 2, S. 62–65; Schneider, Christian: Mietwohnung und Eigenhaus, in: Innendekoration 20 (1909), H. 11, S. 373–377; Breuer, Robert: Möbel für Miet-Wohnungen, in: Innendekoration 21 (1910), H. 8, S. 329–332; Jaumann, Anton: Möbel und Räume der Mietwohnungen, in: Innendekoration 21 (1910), H. 8, S. 301–308 503 „Mit wie wenig Mitteln das möglich ist, zeigt obiger Fall: ein Überstreichen geblümter, verblaßter Tapeten, eine geschickte Teilung der langen Wand mit Borden und Leisten, dazu ein scheinbares Verbreitern der hohen schmalen Fensteröffnung durch Stoff-Dekoration oder Malerei, eine gewählte Horizontalabteilung des zu hohen Raumes – und was sich sonst alles bei Innehaltung größter Sparsamkeit und Mäßigung zur Veredelung des Raumes und zur Steigerung seiner Wohnlichkeit in Anwendung bringen läßt“ (Bachmann, Die Mietwohnung, S. 63) 504 Vgl. Victor Zobel: Darmstädter Künstler-Kolonie, in: Deutsche Kunst und Dekoration 13 (1903/1904), S. 208– 210; Die Redaktion: Kolonien mit Einfamilien-Häusern, in: Innendekoration 15 (1904), H. 10, S. 261; Die Redaktion der Innendekoration verweist auf Besprechungen der Kolonien in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration. Vgl. hierzu: o. A.: Die „Margarethen-Höhe“ bei Essen, in: Deutsche Kunst und Dekoration 32 (1913), S. 336–348; Vgl. zu den neuen Wohnhäusern in der Karlsruher Siedlung „Hilda“: Otto Sindaco: Neue Wohnhäuser in Karlsruhe, in: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1904/1905), S. 66–72 505 Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 48 (BAL, 221/17)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Was der Wohlfahrtsdirektor der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Major a. D. Albert Mandel, in seinem Bericht über die Wohlfahrtseinrichtungen vermutlich um 1907 schrieb, entsprach genau den Leitlinien der Farbenfabriken und ihres Prokuristen und späteren Direktors Dr. Carl Duisberg. Weil in der Nähe der Chemieanlagen in der damaligen Gemeinde Wiesdorf Wohnraum fehlte und vorhandene Wohnungen in einem schlechten Zustand waren, entstand ab 1895 die erste Werkskolonie, die Kolonie I.506 Sie wurde auf dem Reißbrett geplant und bot, wie die Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt am 1. Dezember 1908 berichtete, „auch in der äußeren Erscheinungsform der Häuser wenig anziehendes“.507 Die Kolonie I umfasste vierzig Häuser mit 160 Wohnungen für Arbeiter und fünf Häuser mit zehn Wohnungen für Aufseher. Die ersten zwei Jahre war die Vermietung schwierig, weil „die Leute keine Fabrikwohnung haben wollten“.508 Später nahm die Nachfrage stetig zu.509 In der Kolonie II, die ab 1900 gebaut wurde, entstanden Häuser nach den „neueren städtebaulichen Grundsätze[n]“.510 Ihnen hat man „ein freundliches und künstlerisches Äußere zu verleihen gesucht“511, berichtete die Concordia. Schließlich sollte nicht nur bloß Wohnraum geschaffen werden, sondern „der Wohnungsbau sollte eben auch gemeinschaftsstiftend wirken“.512 Hier hatten die Küchen eine Wasserleitung, die Straßen Gasbeleuchtung und eine „festgelegte Fahrbahn mit Fussgängerbankets“.513 Außerdem gab es keine Sickerschächte mehr, sondern eine Kanalisation. Die Kolonie II war für Wohlfahrtsdirektor Mandel das „Muster einer modernen Arbeiterkolonie“.514 Die Häuser hatten Holzarchitektur in unterschiedlichen Baustilen, die Straßen verliefen nicht gerade, sondern gewunden, außerdem wurden Plätze angelegt, die wie die Straßen auch mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt wurden. Die Verwaltung der Wohnungen erfolgte durch eine eigene Abteilung im Unternehmen. Zusätzlich gab es einen Wohnungsausschuss unter Vorsitz des jeweiligen Leiters der Wohlfahrtsabteilung mit einem Schriftführer und 15 weiteren Mitgliedern, nämlich neun Arbeitern und sechs Beamten, die allerdings nicht gewählt, sondern jedes Jahr von der Wohlfahrtsabteilung vorgeschlagen und von der Direktion ernannt wurden.515 Im Jahr 1909 beschäftigten die Farbenfabriken vorm. 506 Vgl. Helmut Lehmler, 100 Jahre Bayer-Kaufhaus, S. 3 (BAL, 250/10) 507 o. A.: o. T., in: Concordia 15 (1908), Nr. 23 (1.12.1908), S. 495 (BAL, 221/17) 508 Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 49 (BAL, 221/17); Vgl. Anne Nieberding, Unternehmenskultur, S. 171 509 Vgl. Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 50 (BAL, 221/17) 510 o. A., o. T., S. 495 (BAL, 221/17) 511 Ebd. (BAL, 221/17) 512 Plumpe, Carl Duisberg, S. 202 513 Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 49 (BAL, 221/17) 514 Ebd., S. 49 (BAL, 221/17) 515 o. A., o. T., S. 495 (BAL, 221/17); Vgl. Albert Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 48 (BAL, 221/17); In einem Brief an Prof. Dr. Pierstorff äußert sich Carl Duisberg am 18.8.1902 zu den Wohlfahrtseinrichtungen bei Bayer: „Sehr hat es mich gefreut, neben den meist lobenden anerkennenden Wohlfahrtseinrichtungen auch einmal Kritik über das geringe Mass der Selbständigkeit zu hören, das wir den Arbeitern bei der Verwaltung unserer Wohlfahrtseinrichtungen eingeräumt haben. […] Wir stehen hier als Fabrikanten in einem dauernden Kampf mit der Sozialdemokratie und den Arbeiter-Organisationen. Pflicht der Selbsterhaltung für uns ist es, jegliche Agitationen aus der Fabrik fernzuhalten. Wollten wir aber die Ausschüsse für die verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen durch eine Majoritätswahl bilden lassen, so würden wir die besseren Elemente, welche nicht der sozialdemokratischen Partei angehören, von der Beteiligung an unseren

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Friedr. Bayer in Leverkusen rund 4200 Arbeiter und etwa 800 Beamte, davon rund 250 höhere Beamte, die fast alle in der Kolonie in Wiesdorf wohnten. Dort gab es 250 Arbeiterhäuser mit rund 1000 Arbeiterwohnungen. Weitere rund 80 Wohnungen für Chemiker und Ingenieure gab es im Werk Leverkusen.516 Die leitenden Fabrikbeamten wohnten direkt beim Werk, in der „Beamtenkolonie“517, wie es Carl Duisberg von ihnen verlangte. Er selbst hatte seinen Wohnsitz auch auf dem Werksgelände. Die Werkswohnungen wurden unterschieden nach Wohnungen für Verheiratete und Unverheiratete. Die ersteren waren in Arbeiter-, Meister- und Aufseher- sowie Beamtenwohnungen unterteilt, die zweiten in Junggesellen- und Mädchenheime.518 Die Arbeiterhäuser bestanden aus jeweils vier Wohnungen zu je drei Zimmern. Damit waren zwei Zimmer mit Küche gemeint. Bald wurden 4-Zimmer-Wohnungen gefragt, so dass ein neuer Haustyp mit zwei Zimmern im Erdgeschoss und zwei Zimmern im Obergeschoss errichtet wurde. Wohnungen für kinderreiche Arbeiterfamilien hatten fünf oder sechs Zimmer. Insgesamt gab es 1906 600 Arbeiterwohnungen, ein Jahr später schon über 700 mit zwei, drei, vier, fünf oder sechs Zimmern im Verhältnis 2:16:12:4:1.519 Ihre Miete betrug zwischen 119 und 273 Mark und war damit etwa halb so hoch wie die vergleichbarer Wohnungen in Wiesdorf.520 Die Aufseherhäuser hatten zwei Wohnungen mit je sechs Zimmern, die zwischen 385 und 470 Mark Miete kosteten und ein Drittel billiger als vergleichbare Wohnungen waren.521 Die Angaben zu den Beamtenwohnungen sind spärlicher. So berichtete die Gemeinwohl. Zeitschrift des Bergischen Vereins für Gemeinwohl 1903 in nur drei Zeilen über die Beamtenwohnungen und erwähnte die „Villenkolonie“.522 Sie hatte anfangs „in 11 stattlichen Wohnhäusern etwa 30 Beamtenwohnungen“.523 In seinem undatierten Bericht über die Wohlfahrtseinrichtungen erwähnt Wohlfahrtsdirektor Mandel die Beamtenkolonie Leverkusen mit 64 grösstenteils Doppelvillen, welche drei oder vier Zimmer-Grundriss zeigen und sieben bis 10 bewohnbare Räume […] enthalten.524

Wohlfahrtseinrichtungen fernhalten und auch einen Agitationsstoff in die Arbeiterschaft hineinwerfen, der für uns verhängnisvoll werden könnte“ (Duisberg, Carl: Schreiben an Prof. Dr. Julius Pierstorff vom 18.8.1902, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 118–119); Vgl. hierzu auch die Anmerkungen von Robert Grabendörfer, Ingenieur der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co., Leverkusen (Robert Grabendörfer: Die Arbeiterverhältnisse im Werk Leverkusen, o. J., S. 557) (BAL 212/1) 516 o. A.: Wohnungs- und Siedlungswesen. Musterwohnungen 1909–1955, o. J. (BAL, 241/5) 517 Plumpe, Carl Duisberg, S. 144 518 Vgl. Albert Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 49 (BAL, 221/17) 519 Vgl. o. A.: o. T.: in: Die Erholung 12 (1912), S. 106 (BAL, 15 G–6); Vgl. Geschäftsordnung für die Verwaltung von Arbeiterwohnungen und die Verteilung von Wohnungs- und Gartenprämien, Auflage von Januar 1906 (BAL, 15 G.6.28) 520 Vgl. Albert Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 49 (BAL, 221/17) 521 Vgl. ebd., S. 50 (BAL, 221/17); Vgl. auch: o. A., o. T., S. 495 (BAL, 221/17) 522 o. A., Die Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld und Leverkusen, S. 212 (BAL, 221/17) 523 Ebd. (BAL, 221/17) 524 Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 51 (BAL, 221/17)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

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Diese Doppelvillen waren die ‚Beamtenwohnungen Type A‘ mit jeweils vier Räumen auf jeweils rund 90m² Wohnfläche in Keller-, Erd-, Ober- und Dachgeschoss525 (Abb. 43). Das Haus (Abb. 44) ist ähnlich schlicht gehalten wie die im Kap. 5.2.1 vorgestellten Bürgerhäuser aus Bielefeld zum Beispiel und setzt mit Spitzgiebel, Erker und Rundbogen im Erscheinungsbild deutliche Akzente. Die Fassade zur Straßenfront ist in zweimal drei Achsen gegliedert und hat zu beiden Seiten einen kleinen Vorsprung, der im Dachgeschoss mit einem gotisch verzierten Spitzgiebel versehen ist. Im Erdgeschoss befindet sich vor dem großen dreiflügeligen Fenster ein kleiner Balkon. Der ebenfalls mit Spitzgiebel überdachte Hauseingang liegt jeweils nach hinten versetzt an der Seite. Erdgeschoss und Obergeschoss trennt an der Fassade ein Gurtgesims mit Perlschnurverzierung. Die Hinterfront weist an beiden Seiten für das Treppenhaus einen Erker auf, der unterhalb des Dachgeschosses mit einem Turmaufsatz abschließt. In der Mitte der Doppelvilla gibt es eine für beide Hälften überdachte und mit Mauer getrennte beischlagähnliche Terrasse mit Zugang zum Garten. Alle Fenster im Erdgeschoss haben einen Rundbogen, die kleineren im Obergeschoss sind rechteckig und mit einem Rundbogenaufsatz aus Stein verziert. Das Dach hat sechs Schornsteine und sechs Dachspitzen. Die Beamtenwohnung Type B hat jeweils sechs Räume und jeweils rund 110m² Wohnfläche in Keller-, Erd-, Ober- und Dachgeschoss (Abb. 45). Die Fassade zur Straßenfront (Abb. 46) ist längs in drei Achsen gegliedert. Die mittlere Achse hat einen kleinen Vorsprung, der im Dachgeschoss mit einem gotisch verzierten Spitzgiebel abschließt. Alle Fenster in Erd- und Obergeschoss sind mit einen Rundbogen versehen. Keller und Erdgeschoss sowie Erd- und Obergeschoss sind jeweils durch ein Gesims getrennt. Der überdachte Hauseingang mit Treppenaufgang liegt an der Seite, über ihm befindet sich im Obergeschoss ein überdacher Balkon. Das Dach hat drei unterschiedlich große Schornsteine und fünf Dachspitzen. An der Hinterfront gibt es an der linken Seite einen Vorsprung für das Treppenhaus, an der rechten Seite einen Vorsprung für eine überdachte Veranda, beide mit Zugang zum Garten. Auch an der Rückseite weisen alle Fenster Rundbögen auf. Dieser Haustyp B setzt im Erscheinungsbild ebenfalls einige Akzente zurückhaltender Bürgerlichkeit. Die Beamtenwohnungen in der Kolonie I waren mit Gas, Wasserleitung, Kanalisation, Telefon ausgestattet und hatten auch einen Garten. Ihre Miete betrug zwischen 650 Mark und 1200 Mark und war damit deutlich höher als Meister- oder Aufseherwohnungen.526 Die Anlage der Beamtenwohnungen im Osten der Fabrik war auf beiden Seiten der Köln-Düsseldorfer Provinzialstraße und „gewährt[e] […] einen wirklich schönen Anblick“.527 Weitere Beamtenwohnungen gab es auch in der Kolonie II, die nach 1900 erbaut wurde, und in der Kolonie III, die zwischen 1912 und 1925 entstand, und stärker als die beiden anderen Kolonien das Bild einer Stadt vermitteln sollte.528 525 Vgl. Beamtenwohnungen Type A, Leverkusen, Grundrisse [ca. 1900] (BAL, 0305; Bild Nr. 5–254) 526 Vgl. Albert Mandel, Wohlfahrtseinrichtungen, S. 51 (BAL, 221/17) 527 Ebd. (BAL, 221/17) 528 So schreibt Anne Nieberding über die Kolonie III: „In ihren Entwürfen hatten die 137 an der Ausschreibung beteiligten Architekturbüros nicht nur die entsprechenden Wohnungen zu konzipieren-, sondern auch eine entsprechende Infrastruktur für das 39 Hektar große Gelände zu gestalten. Vorgeschrieben waren zwei bis drei Kinderspielplätze, eine Wirtschaft mit Garten, ein Museumsgebäude für Ausstellungen, eine Filiale des

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

43  Grundrisse Beamtenwohnungen Type A, Leverkusen [ca. 1900] (BAL, 0305) (Bild-Nr. 5-254)

44  Ansichten Beamtenwohnungen Type A, Leverkusen [ca. 1900] (BAL, 0307) (Bild-Nr. 5-256)

8.3  Möbel für den ‚bürgerlichen Mittelstand‘

45  Ansichten Beamtenwohnungen Type B, Leverkusen Grundrisse [ca. 1900] (BAL, 0308) (Bild-Nr. 5-257)

46  Ansichten Beamtenwohnungen Type B, Leverkusen [ca. 1905] (BAL, 0310) (Bild-Nr. 5-259)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Wie die Arbeiter profitierten auch die Fabrikbeamten von der betrieblichen Sozialpolitik und der Geschmacksbildung im Unternehmen. Das bereits erwähnte Formular zur „Möbellieferung an Beamte“529 deutet daraufhin, dass sie ihre Einrichtung ganz oder teilweise in den Musterwohnungen oder im Bayer-Kaufhaus bestellten. In einem Arbeiterhaus in der Hauptstraße in Wiesdorf befand sich eine Drei-Zimmer-Musterwohnung mit Wohnküche, ‚guter Stube‘ und Schlafzimmer. Die Möbel vermittelten den „Eindruck der Wohnlichkeit und Gediegenheit“530, wie der General-Anzeiger für Wiesdorf-Leverkusen am 2. Oktober 1909 notierte. Sie waren von dem firmeneigenen Architekten Karl Fabri entworfen und von der Elberfelder Firma Marschner hergestellt worden. Die Wohnküche umfasste eine als Truhe gedachte Sitzbank mit Tisch, Küchenschrank und Herd.531 Die ‚gute Stube‘ bestand aus einem großen Büffet, Lehnsessel und Sofa mit Tisch und vier Stühlen in Palisanderton. „Die Besucher waren erstaunt über den relativ geringen Preis dieser einfachen aber man kann sagen, vornehmen Möbel“.532 Etwas komfortabler waren die Möbel im 1912 eröffneten Musterhaus der Kolonie II, das Karl Fabri in einem Kurzen Führer beschrieb. In der Wohnküche hatte der Tisch zugleich ein Schränkchen für Spielsachen. Zum Küchenschrank gab es eine Anrichte. Das Wohnzimmer hatte einen breiten Wohnzimmerschrank an der Längswand mit Standuhr als Aufsatz und Geschirrfächern hinter Glastüren. In drei unteren offenen Flächen war Platz für Bücher. Der Wohnzimmertisch konnte auf die doppelte Größe ausgeklappt werden.533 Fabris Kurzer Führer enthält auch eine Übersichtstabelle der Einrichtungskosten. So lag die Einrichtung einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche und zwei Schlafzimmern bei 517,50 Mark, die einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche, Wohnzimmer und Schlafzimmer bei 850,50 Mark. Die Vier-Zimmer-Wohnungen mit Wohnküche, Wohnzimmer und zwei Schlafzimmern kosteten schließlich 1112,50 Mark oder 1198,50 Mark. Zum Vergleich: Die Volksthümliche Ausstellung in Dresden zeigte 1899 eine Wohnung mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche für 750 Mark. Die ausgestellten Wohnungen waren auf die Bedürfnisse von Arbeiterfamilien ausgerichtet. Wer sich bürgerlich einrichten wollte und Bücherschrank, Schreibtisch, Sessel, Beisetztisch oder eine freistehende Sitzgruppe verlangte, kam mit dem Angebot nicht zurecht. In den Quellen gibt es keine Hinweise darauf, dass Bayer auch solche Möbel lieferte. Es ist aber möglich, dass Möbelfirmen wie Marschner in Elberfeld, die für Bayer arbeiteten, oder andere, schon aufgeführte Werkstätten und Händler, die sich bei Bayer um Aufträge bewarBayer-Kaufhauses und eine ‚Badeanstalt mit Waschhaus‘. […] Kolonie III sollte […] vor allem Raum für die Arbeiter und unteren Angestellten sein“ (Nieberding, Unternehmenskultur im Kaiserreich, S. 172) 529 Formular Möbellieferung an Beamte (BAL, 338/036); Vgl. Kap. 7.3.2. 530 o. A.: Bürgermeisterei Küppersteg, in: General-Anzeiger für Wiesdorf-Leverkusen 1909, Nr. 228 (2.10.1909), o. S. (BAL, 241/5) 531 Vgl. ebd. (BAL, 241/5) 532 Ebd. (BAL, 241/5); So wurden für die Musterwohnung 1910 als Preise angegeben: Herd: 60 Mark, Küchenschrank: 85 Mark, Anrichte: 40 Mark, Tisch: 20 Mark; Büffetschrank im Wohnzimmer: 110 Mark, Sofa mit Fantasiebezug 75 Mark, Sofatisch mit aufklappbarem Blatt: 35 Mark, Schlafzimmer: 2 Bettstellen 70 Mark, Kleiderschrank: 90 Mark, Waschtisch mit Linoleumbelag und Spiegel: 70 Mark, Garderobeablage mit Vorhang: 35 Mark (Musterwohnung Duisberg-Stiftung (BAL, 254/1)) 533 Vgl. Karl Fabri, Kurzer Führer durch das Musterhaus, S. 4–5 (BAL, 241/5)

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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ben und auf bessere bürgerliche Wohnungseinrichtungen spezialisiert waren, die Fabrikbeamten belieferten. Außerdem gab es in der Nachbarstadt Köln eine ganze Reihe von Möbelmagazinen, die die „­besseren Bürger des Mittelstandes“534 und unter ihnen sicherlich auch Fabrik­beamte als Kunden hatten. Der Kreis der leitenden Beamten aber hat vermutlich nicht dazu gehört. Die langjährig beschäftigten und überdurchschnittlich gut verdienenden Chemiker mit Erfindungstantieme waren nicht unbedingt auf die günstigen Einrichtungsangebote für bürgerliche Familien angewiesen. Sie mögen sie trotzdem genutzt haben, wie ja auch die Ehefrau des gut verdienenden Universitätsprofessors Karl Bücher in Leipzig sparsam wirtschaftete.535 Werkswohnungen, Preisausschreiben und Wohnungsausstellungen zeigten unterschiedlich teure Möglichkeiten des Wohnens und Einrichtens mit haltbaren, gut gestalteten Möbeln. Sie nahmen damit in unterschiedlicher Weise Einfluss auf Produktion, Markt und Stil. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die großen Vereinigungen wie Dürerbund und Deutscher Werkbund mit den Dresdner Werkstätten Hellerau auf Wohnen und Einrichten wirkten und bürgerliche Selbstrepräsentation beeinflussten.

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund In den Jahren nach der Jahrhundertwende gab es zwei einflussreiche Vereinigungen im Kaiserreich, die die seit Jahren geäußerte Kritik an billiger Massenware aufnahmen und Qualitätsverbesserungen in der maschinellen Produktion durchsetzen wollten. Der erste war der von dem Schriftsteller und Verleger Friedrich Avenarius 1902 gegründete Dürerbund, der wie eine frühe Stiftung Warentest führend in der Geschmackserziehung werden sollte. Die Verbraucher sollten gute Qualitätsware erkennen können und mit ihren Kaufentscheidungen auf die Produktion Einfluss nehmen. Dabei profitierten der Dürerbund und die von Avenarius herausgegebene Zeitschrift Der Kunstwart voneinander. Diese Zeitschrift für den gebildeten Mittelstand wurde über den Dürerbund vertrieben und steigerte dadurch ihren Absatz536, zugleich wurden Gründung und Aufbau des Dürerbundes über den Kunstwart sehr erleichtert und beschleunigt.537 Hier erschien im September 1901 der Aufruf zur Gründung des Dürerbundes: [E]s ist gewiß, daß der natürliche Kunstsinn des Volkes in vieler Beziehung zurückgegangen ist. […] Wir sehen jetzt die Gefahr. Und wenn wir uns organisieren müssen, so wissen wir, was unsres Bundes Gegenstand und Zweck sein muß: Pflege des ästhetischen Lebens.538

534 Vgl. Franz von Schönebeck: Die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, S. 270; Vgl. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus, Bd. 1, S. 503, S. 607 535 Vgl. Kap. 4.2.2 536 Vgl. Gerhard Kratzsch: Kunstwart und Dürerbund, Göttingen 1969, S. 130 537 Vgl. ebd., S. 138 538 Avenarius, Ferdinand: Zum Dürer-Bunde! Ein Aufruf, in: Der Kunstwart 14, 2 (1901), H. 24 (2.9.1901), S. 469– 474, hier: S. 469

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Mit dem Gründungsaufruf wurden der Zeitschrift Anmeldekarten beigelegt. Schon einen ­Monat später hieß es im Kunstwart: „Der Dürerbund ist gesichert“.539 Es folgten regelmäßig weitere Artikel540, und ein gutes Jahr später, im Novemberheft 1902, gab es wieder einen Aufruf, der neuen Vereinigung beizutreten: Wir leben im Zeitalter der ‚Interessen‘ – die politischen, die sozialen, die wirtschaftlichen, die religiösen, sie alle sprechen im öffentlichen Leben mit […] Nur jene Wünsche, die wir mit leider noch unvermeidlichem Fremdwort ‚ästhetische‘ nennen, wo finden sie heute in mächtigen Gruppen Zusammenschluß?[…] Damit sie sich näher treten, haben wir den Dürerbund gegründet. Ein Hundert von Sachverständigen aus allen Gebieten des ästhetischen bilden seine Arbeitsausschüsse, zu Tausenden schon zählen seine Mitglieder.541

Bis 1912 wuchs der Dürerbund auf über 300.000 Mitglieder an.542 Das Ziel einer verbesserten Gestaltung und Qualität verband den Dürerbund mit der zweiten einflussreichen Vereinigung, dem 1907 gegründeten Deutschen Werkbund, einem Zusammenschluss von Künstlern, Architekten, Kunsthandwerkern und Unternehmern. Wie Joan Campbell anmerkt543, legte der Dürerbund mit der viel gelesenen Zeitschrift Kunstwart die Grundlagen für die Gründung des Werkbundes. „Ziel des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit“544, heißt es in den Leitsätzen des Werkbundes, die in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration 1908 abgedruckt wurden. Friedrich Naumann sah in dem Werkbund, wie er in seinem 1908 erschienenen Buch Deutsche Gewerbekunst deutlich machte, die Gewerkschaft der Kunstschaffenden gegenüber den Marktverderbern. Als Marktverderber sind anzusehen: Die Hersteller und Verkäufer von Schund und Scheinkunst, die Scheinkünstler, welche ihren Kunstsinn verleugnen, um den Kunstverderbern zu dienen.545

Die Leitsätze des Werkbundes führen auch die Maßnahmen auf, mit denen die ‚Veredelung der gewerblichen Arbeit‘ vorangebracht werden sollte. Dazu gehörten zum Beispiel: Förderung fruchtbaren Zusammenwirkens von Kunst, Industrie und Handwerk zur Steigerung der Güte ihrer Arbeit; […] Beeinflussung der Jugenderziehung, vor allem der Erziehung des gewerblichen Nachwuchses; Einwirkung auf den Handel, das Submissionswesen und das Sachverständigenwesen im Sinne des Bundeszieles (Hervorhebungen im Original).546

Eine Zusammenarbeit mit der Industrie, die in den Leitsätzen an erster Stelle genannt wird, sollte mit der Einheit von Form und Funktion die klare, schlichte Formensprache durchsetzen, für die Künstler des Werkbundes auf Weltausstellungen Medaillen und Preise bekamen und die das 539 o. A.: Der Dürerbund ist gesichert!, in: Der Kunstwart 15. 1 (1902), H. 2 (2. Oktoberheft 1902), S. 82 540 Vgl. Gerhard Kratzsch, Kunstwart und Dürerbund, S. 137 541 o. A.: Der Dürerbund, in: Der Kunstwart 16,1 (1902) H. 3 (1. Novemberheft 1902), S. 97–98, hier: S. 97–98 542 Vgl. Gerhard Kratzsch, Kunstwart und Dürerbund, S. 336; Vgl. Rüdiger vom Bruch: Kunstwart und Dürerbund, in: Krebs, Diethart/Reulecke, Jürgen (Hrsgg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880– 1933, Wuppertal 1998, S. 429–439, hier: S. 430 543 Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 33 544 L.: Der Deutsche Werkbund, in: Deutsche Kunst und Dekoration 22 (1908), S. 337 545 Naumann, Deutsche Gewerbekunst, S. 14 546 L., Der Deutsche Werkbund, S. 337; Vgl.: Friedrich Naumann: Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln 1914, in: Gegenwart 3 (17.1.1914), o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1425, Bd. 2)

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Bild von modernen deutschen Möbeln im Ausland bestimmte. Das entsprach den Vorstellungen des Werkbund-Mitbegründers Friedrich Naumann, der, wie in Kapitel 8.1.2 erläutert wurde, mit exportfähigem Kunstgewerbe Deutschlands Position im Außenhandel ausbauen wollte.547 Aber diese Zusammenarbeit mit der Industrie blieb nicht ohne Widerspruch und führte auf der Jahresversammlung aus Anlass der ersten großen Werkbundausstellung 1914 in Köln kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu einer heftigen Kontroverse. Schon bei seiner Gründung hatte der Werkbund einen anderen Weg eingeschlagen als die englischen Kunstgewerbereformer im Arts and Crafts Movement, von dem er wichtige Anstöße bekommen hatte. Die englischen Reformer verlangten zur Verbesserung der Qualität nämlich eine Rückbesinnung auf das Handwerk und lehnten die maschinelle Produktion in Großbetrieben ab, wie es auch Hugo Kükelhaus, der Geschäftsführer des Rheinisch-Westfälischen Tischler-Innungsverbandes getan hatte. Aber Friedrich Naumann, Hermann Muthesius und viele andere Mitglieder des Werkbundes sahen im Gegensatz dazu den Großbetrieb mit Arbeitsteilung und Maschineneinsatz als Voraussetzung für Qualitätsarbeit an, wie es einige Jahre später, 1914, auch Bruno Rauecker in der Zeitschrift Der Innenausbau formulieren sollte.548 Für Naumann kam es entscheidend darauf an, die Maßstäbe guter Handwerksarbeit auch an maschinell gefertigte Produkte anzulegen.549 Doch dieser Ansicht waren nicht alle bekannten Mitglieder des Werkbundes. Es stellte sich heraus, dass nicht nur andere von besserer Qualität und Gestaltung zu überzeugen waren, also Verbraucher, Handwerk und Industrie, sondern auch die Künstler selbst. Sie waren es gewohnt, ihre künstlerische Freiheit zu betonen und „allen Geschäftsleuten mit Mißtrauen zu begegnen“.550 An dieser Frage, an der Haltung zur Industrie, entbrannte schließlich 1914 auf der Kölner Jahresversammlung des Deutschen Werkbunds zwischen Hermann Muthesius und Henry van de Velde ein heftiger Streit um ‚Typisierung‘ oder ‚Individualisierung‘.551 Den Wert von Typen und Marken für Hersteller und Kunden hatte Friedrich Naumann schon acht Jahre

547 Vgl. Friedrich Naumann, Die Kunst im Zeitalter der Maschine, S. 320 548 Rauecker, Qualität und Betriebsform, S. 280; vgl. Kap. 8.2.3 549 „Das alte Wort ‚Handwerk hat einen goldenen Boden‘ ist nicht von jedem Handwerker gesagt und beschränkt sich nicht auf handwerksmäßige Kleinbetriebe, sondern bedeutet, daß in aller Welt auf die Dauer nichts besser bezahlt wird, als die wirklich gute persönliche Leistung. Diesen Handwerksglauben in die Verhältnisse des Industriegewerbes überzutragen, ist eine der wichtigsten und schwersten Aufgaben des Werkbundes“ (Naumann, Deutsche Gewerbekunst, S. 33); Ähnlich Peter Jessen, Direktor am Königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin: „Wollen wir eine einheitlich gerichtete Qualitätsarbeit, so müssen wir jetzt die großen technischen Industriezweige für die neue Kunstgesinnung gewinnen. Auch die Fabrikation der Rohstoffe, der Baumaterialien, der Farben, der Maschinen kann in Geschmacksfragen zum Bösen oder zum Guten neigen. Beharrlicher Urgeschmack kann auch diesen Industrien zum Verhängnis werden“ (Jessen, Der Werkbund und die Grossmächte der deutschen Arbeit, S. 4); Vgl. Johannes Buschmann: Das Problem der Qualitätsproduktion und der Deutsche Werkbund, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, 11. Heft Ostermesse 1913, S. 1–3, hier: S. 1–2; Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 7 550 Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 68 551 „Aus den Debatten in den Werkbund-Tagungen von 1910 und 1911 geht klar hervor, wie hartnäckig die Vorliebe für die gewohnten Methoden und Materialien war, und zwar nicht nur bei den Kunsthandwerkern und Fabrikanten, sondern auch bei den Architekten und Formgestaltern. Vielen Werkbund-Künstlern lag mehr an der Hebung der Qualität und Kunstfertigkeit als an der Entwicklung stilistischer Neuerungen; sie fühlten sich deshalb weniger zu einem Bündnis mit der modernen Industrie gedrängt“ (Ebd., S. 70)

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vorher hervorgehoben.552 Jetzt sprach sich Muthesius in seinem Vortrag Die Werkbundarbeit der Zukunft für eine einheitliche Ausdrucksweise in der Gestaltung aus, ohne die künstlerische Freiheit beschränken zu wollen: Die Überführung aus dem Individualistischen ins Typische ist der organische Entwicklungsgang, der nicht nur zu einer Ausbreitung und Verallgemeinerung, sondern vor allem auch zu einer Verinnerlichung und Verfeinerung führt. […] Die Zurückführung der Bewegung auf das Typische ist vor allem auch nötig, um eine Einheitlichkeit des allgemeinen Geschmackes herbeizuführen. […] Wenn ich den Uebergang ins Typische als vorhanden hingestellt und seine Vorteile hervorgehoben habe, so möchte ich von vornherein das Mißverständnis ausgeschlossen wissen, als läge hiermit eine Aufforderung an den schaffenden Künstler, sich möglichster Einförmigkeit zu befleißigen. So verfehlt eine solche Mahnung an und für sich wäre, so wenig könnte sie einschlagen.553

Unmittelbar nach dem Vortrag von Hermann Muthesius meldete sich Henry van de Velde zu Wort und verlas seine „Gegenleitsätze“554: Solange es noch Künstler im Werkbunde geben wird und solange diese noch Einfluß auf dessen Geschicke haben werden, werden sie gegen jeden Vorschlag eines Kanons oder einer Typisierung protestieren. Der Künstler ist seiner innersten Essenz nach glühender Individualist, freier spontaner Schöpfer. […] Qualität wird nicht aus dem Geiste des Exports geschaffen. Qualität wird immer nur zuerst für einen ganz beschränkten Kreis von Auftraggebern und Kennern geschaffen.555

Van de Velde warf Muthesius vor, sich opportunistisch gegenüber der Industrie und dem Export zu verhalten. Beobachter hatten damals den Eindruck, dass „in der Diskussion aneinander vorbeigeredet wurde – und das, wie es scheint, mit einer gewissen Absichtlichkeit“556, wie Georg Jacob Wolf in seinem Artikel Vom Deutschen Werkbund 1914/1915 in der Dekorativen Kunst formulierte. Es war die erste Theoriedebatte um die richtige Gestaltung und die Position

552 Friedrich Naumann schrieb bereits 1906 in seinem Aufsatz Kunst und Industrie: „Ueberall drängt sich als neue Normalform der angewendeten Kunst dieses System auf: daß ein Unternehmer bestimmte charakteristische Typen oder Marken herstellt, für diese Typen dann Reklame macht und auf diese Weise eine Zentralisierung des Geschmacks und des Absatzes auf seinem besondern Gebiet herbeizuführen sucht. Es entstehen Unternehmer, deren Spezialität es sein wird, Arbeiterwohnungen, […] auszustatten, andre Unternehmer, die sich der kleinen Mietswohnung annehmen, wider andre, die dem gebildeten Mittelstand ihre besondre Fürsorge angedeihen lassen“ (Naumann, Kunst und Industrie, Teil 1, S. 70). Alexander Schwab erläutert die Wirkung der Marke in seiner Dissertation Der Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel in Deutschland von 1914: „Die Erzeugnisse führender Firmen werden nicht mehr so sehr auf Grund persönlicher Prüfung als vielmehr auf Grund der Tatsache, dass sie eben Erzeugnisse dieser oder jener Firma sind, gekauft. Es wird hierdurch dem Kunden die schwierige und in gewissen Hinsichten unmögliche Prüfug der technischen und ästhetischen Qualität abgenommen; er verlässt sich auf den Ruf des Hersteellers und in den meisten Fällen des entwerfenden Künstlers. Beispiele dieser Entwicklung bieten die ‚Typenmöbel‘ der Vereinigten Werkstätten in München, die DW-Möbel der Dresdener Werkstätten, die Paderborner Möbel von Bernard Stadler“ (Schwab, Einfluss der Konsumtion auf Möbelindustrie und Möbelhandel, S. 61–62) 553 Muthesius, Hermann: Die Werkbundarbeit der Zukunft, in: Muthesius, Hermann: Die Werkbund-Arbeit der Zukunft/ Naumann, Friedrich: Werkbund und Weltwirtschaft. 7. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 2. bis 6. Juli 1914 in Köln, Jena 1914, S. 33–49, hier: S. 43–44 554 Velde, van de, Henry: Wortbeitrag Henry van de Velde, in: Muthesius, Hermann: Die Werkbund-Arbeit der Zukunft/ Naumann, Friedrich: Werkbund und Weltwirtschaft. 7. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 2. bis 6. Juli 1914 in Köln, Jena 1914, S. 49–51, hier: S. 50–51 555 Ebd. 556 Wolf, Georg Jacob: Vom Deutschen Werkbunde, in: Dekorative Kunst 23 (1914/1915), S. 163–166, hier: S. 164

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des Deutschen Werkbunds. Sie blieb ohne Ergebnis. Einig waren sich die Mitglieder nur im Bekenntnis zur Qualität. Aber auch darunter verstanden sie Verschiedenes: zum Beispiel „gediegene handwerkliche Arbeit“557 wie Heinrich Tessenow, „künstlerische Qualität“558 wie Henry van de Velde oder „im Leben der Gesellschaft verankert[e]“559 Qualität wie Bruno Taut. Diese unterschiedlichen Auffassungen waren für Hermann Muthesius eine Stärke des Werkbundes, dass „so entgegengesetzte Auffassungen im Werkbund sich aussprechen dürfen“.560 Außerdem gab es noch einen grundsätzlichen Konflikt, den der Werkbund nicht lösen konnte561: Er hob den zeitlosen Wert gut gestalteter Gegenstände hervor, wollte außerdem auch einen neuen zeitgemäßen Stil entwickeln und lehnte zugleich Neuerungen um der Neuheit willen ab, so dass Künstler wie Henry van de Velde Mühe hatten, ihre Entwürfe als die jüngsten in der Stilentwicklung zu behaupten. Mit der großen Ausstellung in Köln präsentierte sich der Deutsche Werkbund 1914 erstmals der Öffentlichkeit. Die Stadt war ganz bewusst gewählt, denn Köln war „Deutschlands Warte gegen den Westen“.562 Erstaunlich ist, dass im Tischlereigewerbe, das dem Deutschen Werkbund eher kritisch gegenüberstand und eigene Zeichenbüros unterhielt563, eine Zeitschrift mit positiven Erwartungen auf diese Ausstellung blickte. So schrieb O. Winkelmüller in F. A. Günthers Deutscher Tischler-Zeitung 1914: Die geplante Ausstellung in Cöln wird ihn erst recht populär machen. Besonders wird alles, was den Innenausbau unserer Wohnstätten anbetrifft, mit erhöhtem Interesse gepflegt werden. Möbel und alle anderen Hausgeräte werden uns in schöner Form und bester technischen Vollendung vor Augen treten. Daß daselbst keine Durchschnittsware hinkommt, werden die Prüfungskommissionen an allen größeren Orten zu verhindern wissen, um dadurch zu zeigen, was der Deutsche Werkbund will und was er ist.564

557 Posener, Julius: Zwischen Kunst und Industrie: der Deutsche Werkbund, in: Burckhardt, Lucius (Hrsg.): Der Werkbund in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Form ohne Ornament, Stuttgart 1978, S. 7–15, hier: S. 7 558 Ebd. 559 Ebd. 560 Günter, Roland: Der Deutscher Werkbund und seine Mitglieder 1907 bis 2007. Ein Beitrag des Deutschen Werkbunds zur Kulturhauptstadt Ruhr im Jahr 2010 (Einmischen und Mitgestalten. Eine Schriften-Reihe des Deutschen Werkbunds Nordrhein-Westfalen, Bd. 10), Essen 2009, S. 85 561 Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 52–53 562 Jessen, Peter: Die Deutsche Werkbundausstellung Köln 1914, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes (DWB) 1915, S. 1–42, hier: S. 3; „Unter allen deutschen Städten erschien für diese Ausstellung Köln schon wegen seiner Lage ungewöhnlich geeignet. Deutschlands Warte gegen den Westen, das Eingangstor für so viele nähere und fernere Nachbarn, der überragende Vorort des gewaltigen rheinisch-westfälischen Industriegebietes, eine Stadt zugleich alter Kultur und neuzeitigen Lebens, versprach Köln, einen kraftvollen Resonanzboden für alles zu bieten, was hier gesagt werden sollte“ (Jessen, Die Deutsche Werkbundausstellung Köln 1914, S. 3) 563 So galt der 1907 gegründete Rheinisch-Westfälische Tischler-Innungsverband mit Sitz in Essen als Gegner des Werkbundes. „Die Funktionäre dieser Verbände beklagten die ‚Entlokalisierung‘ der Märkte durch die überregional tätigen Möbelfabriken; sie lehnten sowohl historisierende als auch moderne Stile ab […]. Besonders heftig bekämpften sie die Fabrikmöbel der Deutschen Werkstätten wegen ihreer ‚vereinheitlichenden‘ = ‚nivellierenden‘ und ‚internationalen‘ Produktsprache“ (Petsch, Eigenheim und gute Stube, S. 121) 564 Winkelmüller, O.: Der Deutsche Werkbund, in: F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 40 (1913), H. 44, S. 345–346, hier: S. 346

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Es waren in Köln nicht nur die großen Namen vertreten wie Peter Behrens, Bruno Paul, Richard Riemerschmid oder Bernhard Pankok, sondern auch viele andere weniger bekannte Künstler. Zum Beispiel stellte Ludwig Godewols aus Bielefeld das Schlafzimmer eines Junggesellen aus und Gertrud Kleinhempel im Auftrag der Werkbundausstellung einen Büroraum. Sie wollte „in möglichst schlichter Aufmachung einen kleinen behaglichen Arbeitsraum […] schaffen“.565 Die Besucher kamen in Massen, um das Schaufenster mit den Erzeugnissen des deutschen Kunstgewerbes zu betrachten. Die volle Wirkung konnte die Ausstellung aber nicht entfalten. Wegen des Kriegsausbruchs im August 1914 wurde sie vorzeitig abgebrochen: So jäh ist ihr Ende gewesen, daß nicht einmal in zulänglichen Bildern alles das hat festhalten werden können, was der bleibenden Erinnerung wert gewesen wäre.566

Da Dürerbund und Deutscher Werkbund als gut erforscht gelten567, behandelt das folgende Kapitel die für die Serienmöbelfertigung wichtige Diskussion um Maschinenmöbel und ihre Gestaltung. Dabei ging es Dürerbund und Werkbund auch um Geschmacksbildung von Herstellern, Händlern und Verbrauchern. Beide Vereinigungen waren nicht nur durch inhaltliche Ausrichtung, sondern auch durch zahlreiche Doppelmitgliedschaften stark miteinander verbunden.568 So gehörte Friedrich Naumann beiden Vereinigungen an, wie aus der 1913 im Kunstwart abgedruckten Liste des Gesamtvorstandes hervorgeht569, aber auch Hermann Muthesius, die Architekten Bruno Paul, Heinrich Tessenow und Richard Riemerschmid, Baurat Hans Schliepmann oder auch Peter Jessen, Direktor am Königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin. Danach sollen als Beispiel für Anziehungskraft und Leistungsfähigkeit der Werkbund-Ästhetik die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst beleuchtet werden, die sich als erste Hersteller von Serienmöbeln bezeichnen.570 An ihrem Beispiel soll abschließend untersucht werden, welche Bedeutung die Serienmöbel dieses Unternehmens für die Selbstrepräsentation des bürgerlichen Mittelstandes hatten.

565 o. A.: Zwei Bielefelder Räume auf der Werkbund-Ausstellung in Cöln, S. 242–243, hier: S. 242–243 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr.  325); Vgl. Gerhard Renda, Gertrud ­Kleinhempel, S. 86–102 566 Jessen, Die Deutsche Werkbundausstellung Köln 1914, S. 1 567 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 34; Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 7–104 568 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 49; Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 33. Allerdings gab es einen wichtigen Unterschied. Der Dürerbund war für Mitglieder offen, wie es ja auch die Mitgliederwerbung im ‚Kunstwart‘ unmittelbar nach der Gründung zeigt; Beim Werkbund war es anders: „Die Aufnahme von Mitgliedern unterliegt der Entscheidung des erwählten Ausschusses“, heißt es in Punkt 5 der in der Deutschen Kunst und Dekoration abgedruckten Satzung. (L., Der Deutsche Werkbund, S. 337) 569 Vgl. o. A.: Der neue Gesamtvorstand des Dürerbundes, in: Kunstwart und Kulturwart 27,1 (1913), H. 1 (1. Oktoberheft 1913), S. 32–36 570 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 180

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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8.4.1  Geschmackserziehung und Maschinenmöbel Man könnte eine lange Geschichte von dem mehr als zehnjährigen Kampf des modernen Kunstgewerbes erzählen, der in erster Linie ein Streit um Geschmacksfragen war, die schließlich zu einer industriellen und geschäftlichen Machtfrage wurde und von großer volkswirtschaftlicher Tragweite ist, wenn man bedenkt, daß wir auf dem Weltmarkt es mit starken Konkurrenten zu tun haben, mit England und Frankreich, und daß es Deutschland in diesen zehn Jahren doch gelungen ist, ich will nicht gerade sagen den Franzosen und Engländern, die einmal unsere Meister waren, auf dem Weltmarkt den Vorrang abzulaufen, aber doch erfolgreich in Wettbewerb zu treten, und es ist anzunehmen, daß wir uns auf künftigen Weltausstellungen immer siegreicher mit dem Ausland messen können.571

Es war der Wiener Schriftsteller Joseph August Lux, der mit diesen Worten in seinem Vortrag in Düsseldorf 1909 die Notwendigkeit der Geschmackserziehung betonte und im übrigen mit seiner Prognose Recht behalten sollte. Denn auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 galt deutsche Raumkunst als tonangebend.572 Lux gehörte zum Umfeld des Dürerbundes und war Mitbegründer des Werkbundes, trat aber schon 1908 aus, weil er sich mit Muthesius überworfen hatte.573 Lux hatte die Zeitschrift Hohe Warte gegründet, arbeitete zwei Jahre als Redakteur der Sozialistischen Monatshefte, wo er die Rubrik ‚Kunstgewerbe‘ einrichtete574, und übernahm schließlich im Frühjahr 1907 die Lehrlingswerkstatt der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, wo er „Kunstgeschichte und praktische[…] Formenlehre auf gewerblicher Grundlage“575 unterrichtete. Vor allem aber schrieb er über Geschmack und Stil immer wieder Bücher und Aufsätze in unterschiedlichen Zeitschriften und wurde damit zu einem der Wortführer der Geschmackserziehung im Kaiserreich.576 Deshalb erstaunt es, dass Lux, wie Gudrun M. König anmerkt, „bis heute weitgehend ignoriert“577 wird. Die Geschmackserziehung befasste sich mit Alltagsfragen und erweiterte den Kulturbegriff über Literatur, Kunst und Musik hinaus auf die Belange des täglichen Lebens. Selbstver571 Lux, Der Geschmack im täglichen Leben, S. 26 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 572 Vgl. Kap. 7.4.1. 573 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 59; Vgl. auch Mark Jarzombek: Joseph August Lux: Werkbund Promoter, Historian of a Lost Modernity, in: Journal of the Society of Architectural Historians 63 (2004), Nr. 2, S. 202–219, hier: S. 204: “There were several reasons, but the most important one was that the differences in opinion between Lux and Muthesius that had seemed slight only a few years earlier were now insurmountable. When they first met, around 1903, […] there had been a good deal of affinity between them. […] But soon Muthesius, as is well known, was talking about Typisierung and using a phraseology that emphasized the more pragmatic needs of design. Lux was moving in the opposite direction, going beyond his earlier implicit metaphysical arguments to admit outright that his work, through he still thought of it as modern, now had ‘a Catholic something’ about it”. 574 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 57 575 Ebd, S. 58 576 Vgl. Joseph August Lux, Der Geschmack im täglichen Leben, S. 26–28 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715); Vgl. Joseph August Lux, Der Geschmack im Alltag. Ein Lebensbuch zur Pflege des Schönen; Vgl. Joseph August Lux, Das neue Kunstgewerbe in Deutschland; Vgl. Joseph August Lux: Von guten und schlechten Möbeln. Einige Gestaltungsgrundsätze, in: Innendekoration 15 (1905), H. 11, S. 269–271; Vgl. Joseph ­August Lux: Der Qualitäts-Begriff im Kunstgewerbe, in: Deutsche Kunst und Dekoration 20 (1907), S. 253–269; Vgl. Joseph August Lux: Was ist Stil?, in: Dürerbund. Sechsundzwanzigste Flugschrift zur ästhetischen Kultur, München 1907, S. 4–6; Vgl. Joseph August Lux, Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung. 577 König, Konsumkultur, S. 58

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ständlich war auch die Wohnungseinrichtung Teil dieser Kultur. Bei seinem Vortrag 1909 in Düsseldorf machte Lux anschaulich, wie sich während der vergangenen fünfzehn Jahre mit der Wohnungseinrichtung auch die Anforderungen an die bürgerliche Selbstrepräsentation verändert hatten: Wir wollen kein saucigbraunes Speisezimmer mit dem billigen Schnörkelkram, luftig soll es sein, hell, appetitlich, mit glatten, gut gearbeiteten Möbeln. Wir wollen keinen bric à brac der Bazare, keine schundmäßigen Nippes, keine Photographien und keine schlechten Ölbilder an der Wand, sondern gut gearbeitete, schlichte Möbel, schöne Porzellane aus Kopenhagen oder Nymphenburg, lieber wenig, aber das Wenige gut. Salon? Auch dieser Begriff hat ein wenig abgewirtschaftet, in der durchschnittlichen Stadtwohnung gibt es eigentlich kein solches unnützes Zimmer, das einer ganz unnötigen Repräsen­ tanz dient, es ist einfach das Herrenzimmer oder Arbeitszimmer, wo man seinen Schreibtisch hat, seine Bücherschränke und womöglich seine Klubsessel.578

Danach nutzte Lux in seinem Düsseldorfer Vortrag über den Geschmack im täglichen Leben eine Methode, die in der Geschmackserziehung damals üblich und moderne Didaktik war: Er zeigte auf Lichtbildern eine ganze Reihe von Beispielen für gute und schlechte Fertigung. Denn guter Geschmack war für Lux nicht nur eine Frage des Stils, sondern vor allem auch eine der echten und soliden Herstellung. Gute Gestaltung und Massenware sollten keine Gegensätze mehr sein. Aber in Kaufhäusern werde der Kunde häufig getäuscht, zum Beispiel durch „Schildplattkämme aus Zelluloid, französische Bronzen aus Zinkguß, […] [oder] Seidenblusen mit 70% Baumwolle“.579 In Miethäusern gebe es Zimmerdecken mit der Imitation einer Holztäfelung aus Papier, statt Stuck Gipsrosetten und schlecht gearbeitete Reliefs von Fruchtzweigen sowie die „schrecklichsten Ofengebilde […] [als] wahre Spottgeburten“.580 Die Reihe von Beispielen für Fälschungen und Schund wurde auf den Lichtbildern von Lux anschaulich. Gut und schlecht, richtig und falsch, nützlich und schädlich waren seine einfachen, für jeden verständlichen Maßstäbe.581 Durch solche Gegenüberstellungen wollte Lux die Käufer ‚erziehen‘. Sie sollten durch ihre Kaufentscheidungen und gemeinsam mit dem Kunstgewerbe auf die Industrie einwirken. Damit wurde der gute Geschmack für Lux zu einer „einschneidende[n], soziale[n] Kraft“.582 Sie befähigt die Käufer, in allen unseren Einkäufen dem Händler und dem Erzeuger gegenüber den Grundsatz der gediegenen Herstellung zu betonen und dazu beizutragen, das Können und Ansehen der gewerblichen Arbeit und mithin den Arbeiter in seiner menschlichen und wirtschaftlichen Wohlfahrt zu fördern.583

Aus dieser „soziale[n] Kraft“584 des guten Geschmacks ergab sich nicht nur die große Anzahl von Lux‘ Büchern und Aufsätzen, sondern auch die vielen Einzelheiten, mit denen er sich beschäftigte. Sein 1905 erschienener Ratgeber Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung585, 578 Lux, Der Geschmack im täglichen Leben, S. 28 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 579 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 580 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) 581 So z. B. Joseph August Lux, Von guten und schlechten Möbeln, S. 269–271 582 Lux, Der Geschmack im Alltag, S. 5 583 Ebd. 584 Ebd. 585 Vgl. Joseph August Lux, Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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„mit 173 Bildern und 8 farbigen Tafeln nach Werken und Entwürfen von modernen Architekten und ihren Schulen“586, informiert nicht nur über die „Ästhetik der Miethswohnung“587 und die einzelnen Räume, über „Wände und Decke, Vorhänge und Teppiche“588, „Lichtkörper und Heizkörper“589, sondern auch über die „Ästhetik des Eßtisches“590, über „Das Porträt im Wohnraum“591, über „Blumen am Fenster“592 oder über „Blumenkörbe und Spielzeug“.593 Bei der Einrichtung sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Denn der Ausgangspunkt dieser neuen Ästhetik ist, dass wir allen sogenannten Luxus aus unseren Häusern fortschaffen und zur Aufrichtigkeit und Einfachheit zurückkehren […] Darum muss unsere Sorge darauf gerichtet sein, daß wir nicht die goldene Regel verletzen, die uns William Morris gegeben: Behalten Sie nichts in ihrem Heim, wovon Sie nicht wissen, daß es nützlich ist, wovon Sie nicht glauben, daß es schön ist.594 (Hervorhebung im Original)

Weil der gute Geschmack eine so große soziale Bedeutung bekam, konnte die Geschmackserziehung also keine Nebensache sein. Deshalb sollten die Käufer über gute Ware informiert sein und Hersteller für ihre gute Ware werben. Es gab daher nicht nur Vorträge wie die von Joseph August Lux. So gründete der Dürerbund, wie Ferdinand Avenarius formulierte, „zur Bekämpfung minderwertiger Waren und zur Hebung des deutschen Geschmacks“595 die Gemeinnützige Vertriebsstelle Deutscher Qualitätsarbeit GmbH in Dresden-Hellerau und gab mit ihr zusammen 1912 den Warenkatalog Gediegenes Gerät fürs Haus heraus, ein Verzeichnis mit 900 Waren auf 160 Seiten mit Abbildungen, knapper Beschreibung und Preisangaben. Dieser Katalog war ein Vorläufer des 1915 zusammen mit dem Werkbund herausgegebenen Deutschen Warenbuchs, mit rund 1.660 Gebrauchsgegenständen für jeden Haushalt auf 258 Seiten eine „Art von reich illustriertem Unterrichtsbuch und Übungsbuch des Geschmacks“.596 Prüfungsausschüsse hatten die Waren ausgewählt, die bei 288 Fachhändlern von Amberg bis Zwickau bezogen werden konnten. Diese Waren sollten einfach sein und nicht für „Schein und Trug der Fabrikware“597 stehen. Es gab vor allem „auf Sachlichkeit zielende Formen mit glatten Oberflächen“.598 Aus einer Besprechung des Deutschen Warenbuchs von Robert Breuer in der Innendekoration aus

586 Ebd., o. S. 587 Ebd., Inhalt, o. S. 588 Ebd. 589 Ebd. 590 Ebd. 591 Ebd. 592 Ebd. 593 Ebd. 594 Ebd., S. 24 595 Avenarius, Ferdinand: Das „Deutsche Warenbuch“, in: Deutscher Wille des Kunstwarts 29,1 (1915), H. 1 (1.10.1915), S. 19–22, hier: S. 19 596 Ebd., S. 22; Vgl. Heidi Rezepa-Zabel: Deutsches Warenbuch. Reprint und Dokumentation. Gediegenes Gerät fürs Haus, Berlin 2005, S. 13, S. 87 597 Rezepa-Zabel, Deutsches Warenbuch, S. 5 598 Ebd., S. 64

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

dem Jahr 1916 geht hervor, dass in eine Fortsetzung des Warenbuchs auch Möbel und Textilien aufgenommen werden sollten.599 Qualitätsware war allerdings nicht so unumstritten, wie man heute annehmen könnte. Über eine interessante Kontroverse berichtete in diesem Zusammenhang 1914 die Zeitschrift Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche. In dem Artikel Qualitätsarbeit oder Schund? zitiert der Autor Erich Schaiter zustimmend den Werkbund und ausdrücklich Friedrich Naumann600, die beide bei Herstellern und Käufern das Bewusstsein für Qualitätsware stärken wollten. Den ausführlichen Zitaten von Naumann werden aber Zitate eines Kaufmanns gegenübergestellt, der die vom Werkbund so heftig kritisierte Billigware verteidigt: Wenn das Fabrikmädel Sonntags promenieren will, so kann es heutzutage für 3,75 M. mit einer echten ledernen Handtasche einherstolzieren, und wenn es besonders sparsam veranlagt ist, kauft es eine solche Ledertasche ohne Leder, aus Pegamoid für 1 M., die absolut nicht ohne sachverständige Untersuchung von einer echtledernen zu unterscheiden ist. Die Tasche ist schön, sie ist sogar haltbar, und das glückliche Mädel macht damit Staat – für so billiges Geld. […] Kann sich das Volk nicht immer das Echte gönnen, so wollen wir ihm wenigstens das Unechte gönnen. Es wird vom Kaufmann bei der Anschaffung nicht getäuscht; es will aber selbst bei der Benutzung sich und andere ein wenig täuschen.601

Der Autor Erich Schaiter will seinen Lesern die Antwort überlassen und stellt doch die Frage, ob es richtig sei, dass der Werkbund „so altmodisch ist, wie unsere verspotteten ‚braven Großväter‘, dauerhafte Ware zu verlangen“.602 Plötzlich erscheint der moderne Werkbund wie von gestern. Seine Geschmackserziehung stieß an Grenzen, wenn sich Menschen die geforderte gute Qualität kaum leisten konnten. Um Qualitätsware den Käufern vorzustellen, war nicht unbedingt das Deutsche Warenbuch nötig. Es reichte schon ein gut gestaltetes Schaufenster, denn die Auslage sollte die Kunden von der Qualität der Ware überzeugen. Wenn gute Qualität ansprechend präsentiert werde, 599 Vgl. Robert Breuer: Qualitätsarbeit und Gebrauchsware. Zum „Deutschen Warenbuch“, in: Innendekoration 27 (1916), H. 1, S. 50–54, hier: S. 53; „Das Deutsche Warenbuch ist im wesentlichen eine gewählte Zusammenstellung solcher bewußten Fabrikware; gerade dadurch kennzeichnet es sich als ein wirklich brauchbares Hilfsmittel der modernen bürgerlichen Kultur“ (Breuer, Qualitätsarbeit und Gebrauchsware, S. 54.) 600 Zum Einfluss der Kaufleute auf die Qualität schrieb Friedrich Naumann in der Zeitschrift „Gegenwart“ Nr. 3 vom 17. Januar 1914: „Kein Kaufmann kann nur Waren erster Güter verkaufen, da es von jeder Sache nur eine kleine Menge allererster Erzeugnisse gibt. Auch sind die allerbesten Waren für die allermeisten Käufer zu teuer. […] Wer also den richtigen Gedanken der Qualitätsverbesserung dahin überspannen wollte, dass er gegen alle mittlere und geringere Arbeit überhaupt einen Krieg führen wollte, der würde sich mit den unveränderlichen Vorbedingungen des Menschenlebens in Widerspruch setzen. Auch der saure Wein will getrunken werden, wenn er einmal gewachsen ist, und auch die kleinen Kartoffeln müssen irgendwo unterkommen. […] Aber! […] Es ist nicht nötig, dass halbfertige Ferkel gegessen werden. […] Es ist nicht richtig, Teppiche herzustellen, die im nächsten Jahre schon Lappen sind. […] Es ist volkswirtschaftlicher Unverstand, Arbeit an Waren zu verwenden, die weder einen Gebrauchs- noch einen Schönheitswert haben. Es ist Betrug, einen Gebrauchswert vorzutäuschen, der nicht vorhanden ist. Man soll an jeden Naturstoff diejenige Arbeit verwenden, die seiner Güte entspricht“ (Naumann, Friedrich: Über den Einfluss des Kaufmannstandes auf die Forderung von Qualitätsarbeit (Abschrift), in: Gegenwart 3 (1914), H. 3 (17.1.1914), o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1425 Bd. 2) 601 Schaiter, Erich: Qualitätsarbeit oder Schund?, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 12 (15.6.1914), o. S. 602 Ebd.

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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so glaubte man, dann würden die Kunden auch bereit sein, das Beste zu verlangen und dafür zu bezahlen. Das Schaufenster werte die Ware im Laden auf. Deshalb gründete der Deutsche Werkbund im Herbst 1910 zusammen mit dem Deutschen Verband für das kaufmännische ­Unterrichtswesen und dem Verband der Berliner Spezialgeschäfte die Höhere Fachschule für Dekorationskunst. Auf der Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes 1912 berichtete Else Oppler-Legband vom ersten Schuljahr603 und erwähnte auch, dass auswärtige Händler ihre Dekorateure nach Berlin schickten, um sich die von den Schülern der Fachschule gestalteten Schaufenster anzusehen und zu kopieren. In vielen Städten wurden auch Schaufensterwettbewerbe veranstaltet, um die Präsentation der Ware zu verbessern, zunächst in Berlin, später in Hagen, Halle, Dessau und Braunschweig.604 Das Schaufenster sei wichtiger als die Fassade. „Der Ladenbesitzer ist damit zum Volkserzieher geworden“605, meinte Karl Ernst Osthaus in seinem Vortrag über Das Schaufenster ein Jahr später auf der Jahresversammlung des Werkbundes. Erzieherische Wirkung hatten aber nicht nur Schaufenster, Warenkataloge oder Vorträge über Geschmackserziehung, sondern auch die Ausstellung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe in Hagen, das Karl Ernst Osthaus, Sammler, Mäzen und Gründer des Folkwang-Museums, zusammen mit dem Deutschen Werkbund 1909 aufbaute. Es sammelte Qualitätsware, präsentierte diese auch in Städten wie Hamburg, München, Leipzig, 603 „Was an unserem jungen Menschenmaterial, das wir in kurzer Zeit zu einer relativen Höhe bringen, bildungsfähig ist, hat einen harten Kampf in der nivellierenden Geschäftspraxis zu bestehen. Und da bin ich der festen Überzeugung, daß wir unsere Kurse eigentlich erweitern und den Chefs der meisten Firmen zunächst einmal selber in allen ästhetischen Fragen Unterricht erteilen müßten. Sie glauben gar nicht, wie ungeheuer groß das Vorurteil bei einem bedenklich hohen Prozentsatz von Kaufleuten gegen unsere Bestrebungen noch immer ist. Sie glauben gar nicht, wie schwer ein Chef, dessen Kenntnisse und Erfolge auf rein kaufmännischem Gebiet glänzend sind, in seinen ästhetischen Anschauungen, die er mit der Sicherheit eines Chefs vertritt, zu wiederlegen ist“ (Oppler-Legband, Else: Die Höhere Fachschule für Dekorationskunst, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes (1912): Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie/Handwerk und Kunst, Jena 1912, S. 105–110, hier: S. 106); Vgl. Peter Jessen, Der Werkbund und die Grossmächte der deutschen Arbeit, S. 7: „Mit besonderem Nachdruck hat der deutsche Kaufmann begonnen, auch die kleineren Äußerungen seines Wirkens geschmacklich zu revidieren: die Läden, die Schaufenster, die Plakate, die Drucksachen, die Packungen. Dazu hat der Werkbund in den kurzen Jahren entscheidende Anregungen gegeben. Er hat den Anfang gemacht mit einer künstlerisch gerichteten Ausbildung von Schaufensterdekorateuren, das Museum in Hagen läßt lehrreiche Sammlungen geschäftlicher Drucksachen wandern“. 604 Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 126; Vgl. Karl Ernst Osthaus: Das Schaufenster, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913: Die Kunst in Industrie und Handel, Jena 1913, S. 59–69, hier: S. 60; Vgl. Else Oppler-Legband, Die Höhere Fachschule für Dekorationskunst, S. 109–110: „So hatte der Anhaltische Kunstverein mich aufgefordert, mit meinen Schülern 15 mustergültige Fenster veschiedener Branchen in Dessau zu dekorieren. Der kleine Kunstverein opferte große Mittel, um den Dessauer Geschäftsleuten und Dekorateuren zu zeigen, worauf es eigentlich ankommt. Es schloß sich an diese Dekorationen ein erläuternder Vortrag, und jetzt wird dann von den Dessauer Geschäftsleuten ein Wettbewerb veranstaltet unter sachkundiger Jury. Solche Erfolge ermuntern uns genau so, wie es indirekt auch das in Mode gekommene Bestehlen unserer guten Schaufensterdekorationen tut. Es liegt zwar nichts Erfreuliches, aber doch eine Anerkennung darin, daß auswärtige Firmen fast regelmäßig ihre Dekorateure nach Berlin schicken, um sich die Berliner Fenster zwecks mehr oder minder genaue Nachahmung anzusehen. Ja wir haben sogar naive Anfragen erhalten mit der Bitte um Mitteilung, wann Fenster von uns zu sehen wären, um dann Dekorateure nach Berlin zu schicken. Schreiben wir dann aber den Firmen, ob es nicht besser wäre, die auswärtigen Dekorateure zu uns zu schicken, damit sie es lernen, selbst gute Fenster zu schaffen, so versagen die meisten“ 605 Osthaus, Das Schaufenster, S. 69

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Frankfurt/M., Köln, Magdeburg, Halle, Iserlohn, Hanau oder Bielefeld, damit die Käufer ein ästhetisches Bewusstsein für die Qualität der Ware entwickeln konnten. Dazu erklärte Fritz Meyer-Schönbrunn, Assistent am Hagener Museum, auf der Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes 1912: Die Ausstellungen bieten jede Gewähr für die erzieherischen Momente, die den Veranstaltern gewerblicher Ausstellungen am Herzen liegen. Sie unterrichten den Fachmann über die wichtigsten Erscheinungen auf seinem Gebiete und ermöglichen dem Käufer und Laien eine Kontrolle des Detailhandels, für den, besonders in kleineren Städten, der Gewinn verlockender zu sein pflegt als die Qualität.606

Doch beim Möbelkauf kam es nicht nur auf eine gelungene Präsentation, sondern auch auf gute Beratung an. Deshalb verfasste Friedrich Naumann 1909 seine Schrift Der Geist im Hausgestühl, einen fiktiven Briefwechsel zwischen einer Nichte und ihrem Onkel, der das junge Brautpaar bei der Anschaffung von Möbeln für 2000 Mark beraten soll. Am Ende der zwölf Ausstattungsbriefe schreibt Schwälbchen: „Lieber, lieber Onkel! Mutter gibt nach! Wir dürfen kaufen, was wir wollen“.607 Zuvor sucht das Brautpaar verschiedene Möbelhandlungen auf und lernt durch den Onkel: „Möbel soll alles heißen, was mit der Zeit schlechter wird, und Hausgestühl alles, was mit der Zeit besser wird“.608 Der Onkel macht außerdem klar: Der Unterschied zwischen bester und weniger guter Ware ist also gar nicht der von Maschine und Handwerk, sondern er liegt darin, wie viel Menschengeist außer der Maschinenarbeit in das einzelne Stück hineingelegt wird.609

Als Lösung empfiehlt der Onkel dem Brautpaar, geerbte Möbel mit neuen Möbeln eines Herstellers zu kombinieren, der auch für den Onkel einen Schrank gefertigt hat, und zwar nach einem Entwurf von Richard Riemerschmid, dessen „Zeichnungen hier als Maschinengestühl behandelt werden“.610 An diesem Rat des Onkels sind zwei Aspekte bemerkenswert. Zum einen ist es der Begriff des Maschinengestühls, der die modernen ‚Maschinenmöbel‘ meint und ih606 Meyer-Schönbrunn, Fritz: Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912: Die Durchgeistigung der Deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenarbeit von Handwerk, Industrie und Kunst, Jena 1912, S. 97–100, hier: S. 97; Vgl. hierzu auch: o. A.: Satzungen des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe (1911), o. S. Internet: http://www.keom02.de/ KEOM%202001/archive/dm/a1983a9.html (Zugriff: 15.1.2016); „Das Neue an diesem Museum sei, erläutert [Kurt] Freyer, [Assistent am Folkwang-Museum in Hagen], ‚dass es nicht abwartend dasteht, sondern selber an das Publikum herantritt, und zwar nicht festgebannt an einem Ort, sondern als Wandermuseum überall da, wo sich praktisch die Möglichkeit bietet‘. Dem Museum ginge es nicht um die historische und kulturhistorische Bedeutung, sondern um ‚die Schönheit und technische Vollkommenheit der Dinge‘“ (König, Konsumkultur, S. 275–276); Vgl. hierzu auch: Kurt Freyer: Ein Wandermuseum, in: Museumskunde 9 (1912), H. 3, S. 151–153; Gudrun M. König weist daraufhin, dass im Jahr 1911/1912 der Jahresbericht des Museums rund 50 Ausstellungen im In- und Ausland aufführt (Vgl. Gudrun M. König, Konsumkultur, S. 275) 607 Naumann, Der Geist im Hausgestühl, S. 44; Dazu auch der zehnte Ausstattungsbrief: Mutter „sagt nämlich: die Entscheidung über die Ausstattung liegt bei der Mutter! So eine Vergewaltigung! Als ob sich Mutter noch einmal verheiratete! Wir haben Mutter sehr, sehr gern, aber jetzt haben wir uns doch richtig gewehrt. Auch die Elternrechte haben ihre Grenzen. Ernst hat ihr gesagt: ‚Du kannst, liebe Mutter, uns Geld geben oder nicht, aber den Geist unseres Hausgestühls sollst Du nicht beeinflussen‘“ (Naumann, Der Geist im Hausgestühl, S. 40–41) 608 Ebd., S. 20 609 Ebd., S. 32 610 Vgl. Ebd., S. 40

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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nen wie dem ‚Hausgestühl‘ langlebige Behaglichkeit zuschreibt. So wirbt ein ältlich wirkender Begriff wie Maschinengestühl für ein modernes Industrieprodukt. Zum anderen empfiehlt der Onkel keine gewöhnliche Fabrikware, sondern maschinengefertigte Möbel, deren Form ihrem Zweck und ihrem Material entspricht. Mit Richard Riemerschmid nennt er ausdrücklich einen der bekannten Architekten, dessen für die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst entworfene Maschinenmöbel sehr gelobt wurden, zum Beispiel in der Dekorativen Kunst 1906: Wir verdanken ihm jetzt eine Reihe bürgerlicher Möbel, die endlich, endlich einmal wirklich erfüllen, was schon manche vergeblich versprochen haben: sie sind nämlich ebenso billig wie die gewöhnliche Fabrikware – und hundertmal besser! […] Jetzt aber, wo der Preis keine Rolle mehr spielt, werden Gediegenheit und Geschmack auch wieder mit in die Wagschale fallen. Und wie klar springt bei diesen Stücken die solide Technik, die Schönheit des Materials, die Zweckmäßigkeit und gesunde Anmut der Form in die Augen!611

Naumanns Ausstattungsbriefe Der Geist im Hausgestühl warben so für Fabrikmöbel in schlichter, von Künstlern geschaffener Ausführung und machten sie im bürgerlichen Mittelstand populärer. Mit der Maschinenarbeit im Kunstgewerbe und den ‚Maschinenmöbeln‘ befassten sich außerdem eine ganze Reihe von Zeitschriftenaufsätzen. Es sei ein Fehler, erläuterte Hermann Muthesius 1902 in seinem Aufsatz Kunst und Maschine in der Dekorativen Kunst, nur die Handarbeit zu schätzen und auf die Maschine herabzusehen, während die Fabriken billige Massenartikel produzieren. Das Grundproblem machte Muthesius in seinem 1905 erschienenen zweiteiligen Artikel Der Weg und das Endziel des Kunstgewerbes in der Dekorativen Kunst deutlich. Es sei notwendig, „die richtigen maschinenmäßigen Formen zu erfinden und zu pflegen“.612 Eine Maschine könne nicht die geübten Handgriffe eines Handwerkers mit derselben Präzision ausführen, sondern nur Einzelteile, die Halbfabrikate, in großer Menge herstellen, zum Beispiel „Konsolen, Säulen, Muschelaufsätzen und Schnitzwerk“613, wie er in seinem Aufsatz Maschinenmöbel 1906 erläuterte. Durch diesen Maschineneinsatz sei der Markt mit schlechter Fabrikware überschwemmt worden. Muthesius fordert deshalb für den Maschineneinsatz eine andere Gestaltung und eine andere Fertigung der Möbel: 611 H.: Maschinenmöbel der „Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst“, in: Dekorative Kunst 14 (1906), S. 210–216, hier: S. 216; Ähnlich positiv äußerte sich auch Ernst Zimmermann in seinem Artikel Künstlerische Maschinenmöbel in der Deutschen Kunst und Dekoration 1905/1906 über Richard Riemerschmids Entwürfe: „Die bekannte Dresdener Werkstätte für Handwerkskunst, eine der Hauptvertreterinnen der modernen Möbel-Industrie Deutschlands […] ist jetzt mit Möbeln an die Öffentlichkeit getreten, die auf Grund echter künstlerischer Entwürfe ganz ausschliesslich von Maschinen ausgeführt worden sind. Und zwar handelt es sich hierbei nicht etwas um einzelne Stücke, es liegen schon eine ganze Reihe von Zimmer-Einrichtungen vor, ja ganze Wohnungs-Einrichtungen. Es ist kein schüchterner Anfang mehr mit einigen wenigen Versuchsstücken, vielmehr eine ganze entschlossene Tag, die sofort in die Praxis treten kann, und dann zweifellos erkennen lassen dürfte, wie weiter auf diesem Wege gewandelt werden soll“ (Zimmermann, Künstlerische Maschinenmöbel, S. 253) 612 Muthesius, Hermann: Der Weg und das Endziel des Kunstgewerbes, Teil 1, in: Dekorative Kunst 13 (1905), S. 181–190, hier: S. 188 613 Muthesius, Hermann: Maschinenmöbel, in: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst: Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 9–14, hier: S. 13

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Die neue Gestaltung hat mit der alten, von menschlicher Hand herrührenden Gestaltung prinzipiell nichts mehr gemein. Es erscheint daher notwendig, die früheren Verbindungen und Konstruktionen, die aus der Herstellung von Hand entwickelt waren, einer Revision zu unterziehen, wenn sie einer neuen maschinenmäßigen Herstellung angepaßt werden sollen.614

Bei neuer Gestaltung sah er große Möglichkeiten für Fabrikware von gutem Geschmack und guter Form, „anständige Möbel für den gemeinen Mann“.615 Eine ganz ähnliche Auffassung äußerte Joseph August Lux 1908 in seinem Artikel Das künstlerische Problem der Industrie in der Innendekoration. Er grenzte Industrie und Handwerk voneinander ab und auch die Kunst von der Industrie, die mit den kunstvollen Formen des Handwerks nichts anfangen könne: Streng genommen kann auch ein Maschinenmöbel niemals Kunst sein. Es ist so wenig ein Kunstwerk wie ein anständiger Lederkoffer, ein Fahrrad, ein Automobil. […] Sie haben gar nicht die Aufgabe, es zu sein, sie haben nur die Aufgabe, in menschlicher Angemessenheit zweckvoll, sachlich und schön zu sein. Der Geist des Schönen soll auch über der Alltagsproduktion und der Massenherstellung herrschen.616

Die neue Gestaltung hielt Lux auch deshalb für besonders dringlich, weil das Tischlergewerbe „vollkommen industrialisiert“617 war und die nach alter Tischlertradition gefertigten Möbel die Ausnahme darstellten. Umso wichtiger waren für Lux daher die sachliche Form und die gute Proportion des modernen maschinengefertigten Möbels, also die gute Qualität und Gestaltung, die Dürerbund und Deutscher Werbund durch ihre Geschmackserziehung bei Käufern, Händlern und Herstellern durchsetzten wollten. Als eine Fabrik, die die Herstellung der ersten Serienmöbel für sich in Anspruch nimmt, gelten die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, die mit den Kunstgewerbereformern eng verbunden waren. Es steht fest, dass die Dresdner Werkstätten nicht die ersten Serienmöbel herstellten. Die Bugholzstühle der Firma Thonet waren schon Jahrzehnte auf dem Markt und Archivrecherchen in Kap. 6.2.3 haben gezeigt, dass andere Möbelhersteller zum Beispiel aus Ostwestfalen-Lippe ebenfalls früh mit der Serienherstellung begonnen haben. Auch waren die Dresdner Werkstätten nicht die einzigen, die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München arbeiteten ebenfalls an Maschinenmöbeln und stellten 1908 Bruno Pauls Typenmöbelprogramm vor.618 Diese Möbel entstanden aus dem Wunsch, „die Paulschen Qualitäten 614 Ebd., S. 12 615 Ebd., S. 13 616 Lux, Joseph August: Das künstlerische Problem der Industrie, Teil 1, in: Innendekoration 19 (1908), H. 2, S. 81–84, hier: S. 82 617 Ebd., S. 83 618 Vgl. o. A.: Bruno Pauls Typenmöbel, in: Dekorative Kunst 17 (1908/1909), S. 86–95, hier: S. 86: Die „Typenmöbel Bruno Pauls […] sind wirklich eine Tat, eine in ihrer Art vollendete Lösung der Aufgabe. Für fünf Zimmer: Wohn-, Eß-, Arbeits-, Schlaf-, Kinderzimmer und Küche können in viererlei Holz: Eiche, Birke, Mahagoni oder gestrichenem Fichtenholz, die Möbel geliefert werden, in mannigfachen Varianten und Zusammenstellungen. Denn das Hauptprinzip dieser Möbel ist die Zugrundelegung von Maß- und Formeinheiten, die einerseits die maschinelle Massenherstellung der Holztafeln und daher die Lieferung schöner Arbeit und soliden Materials für den angesetzten Preis gestatten, andrerseits ein Zusammenfügen zu ungemein wechselnden Gestaltungen innerhalb des künstlerisch und praktisch fein durchdachten Formsystems ermöglichen. Z. B. sind alle […] Stollen genau gleich, die Schublade ist eine Einheit die immer wie-

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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auch breiteren Volksschichten zu einem nicht übermäßigen Preise zugänglich zu machen“619, wie Paul Westheim 1911 in seinem Artikel Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk in der Deutschen Kunst und Dekoration formulierte. Doch die Vereinigten Werkstätten blieben nicht bei dieser Richtung. Denn Westheim erläuterte auch, dass nach der Vorstellung der Typenmöbel bei den Vereinigten Werkstätten der „Wille vorhanden [war], auch den Geschmack der ganz Reichen, der Leute mit einem entschiedenen Repräsentationsverlangen zu treffen“620, und stellte in diesem Artikel die neuesten „Prunkräume“621 vor. Im Gegensatz dazu verfolgten die Dresdner Werkstätten die Entwicklung von Maschinenmöbeln für den bürgerlichen Mittelstand viel konsequenter, wie aus Klaus-Peter Arnolds 1993 erschienener ausführlicher Firmengeschichte Vom Sofakissen zum Städtebau. Die Geschichte der Deutschen Werkstätten und der Gartenstadt Hellerau hervorgeht.622 Außerdem hatten die Dresdner Werkstätten den Anspruch, Möbel für alle anzubieten. Deshalb soll ihr Einfluss auf die Serienmöbelherstellung und die bürgerliche Selbstrepräsentation im Folgenden genauer untersucht werden.

8.4.2  Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst Die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst623, ab 1907 die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst, galten als eine der „Hauptvertreterinnen der modernen Möbel-Industrie Deutschlands“.624 Sie waren 1898 von dem Tischlermeister Karl Schmidt (1873–1948) gegründet und von ihm innerhalb eines Jahrzehnts zu einem Großbetrieb ausgebaut worden. 1902 fusionierte das Unternehmen mit den Werkstätten für Wohnungseinrichtung von Karl Bertsch in München und ging 1907 eine Zusammenarbeit mit den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München ein.625 Damit entstanden die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst. Schmidt baute im Dresdner Stadtteil Hellerau eine Lehrwerkstatt mit Fachschule, neue derkehrt, aus der heraus sich der Aufbau der einzelnen Kästen, Kredenzen, Schreibtische entwickelt; so daß ein Bewunderer der Bruno Paul’schen Typenmöbel mit viel Berechtigung die Schublade als die ‚Möbelzelle‘ bezeichnen konnte“.; Vgl. Hermann Post: Typenmöbel, in: Dekorative Kunst 17 (1908/1909), S. 258–264; Vgl. Susanne Graner: Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul. Ihre Bedeutung im Kontext der Technologie im Möbelbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Brachmann, Christoph/Steigenberger, Thomas (Hrsgg.): Ein Schwede in Berlin. Der Architekt und Designer Alfred Grenander und die Berliner Architektur (1890–1914), Korb 2010, S. 392–402 619 Westheim, Paul: Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, in: Deutsche Kunst und Dekoration 28 (1911), S. 95–122, hier: S. 99 620 Ebd., S. 101; Vgl. Beate Dry-von Zezschwitz: Der Wandel des Werkstättengedankens. Bemerkungen zu den Katalogen der Vereinigten Werkstätten und der Dresdener und Deutschen Werkstätten 1898–1915, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Beiträge und Berichte 17 (1985), S. 137–150, hier: S. 140 621 Westheim, Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, S. 101 622 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau 623 In dieser Arbeit wird von „Dresdner“ Werkstätten gesprochen, weil es auch das „Dresdner Hausgerät“ gibt. Gebräuchlich ist aber auch die Schreibweise „Dresdener“ Werkstätten. So verwendet das Preisbuch 1906 beide Varianten nebeneinander: Vgl. ‚Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst‘ S. 1–2; Vgl. ‚Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst‘ S. 6, S. 78–83 (Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): ­Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906) 624 Zimmermann, Künstlerische Maschinenmöbel, S. 253 625 Vgl. Gert Selle: Geschichte des Design in Deutschland, Frankfurt/M. 2007, S. 110

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

Fabrikanlagen und eine Wohnsiedlung für die Arbeiter und Angestellten, eine Gartenstadt nach englischem Vorbild.626 Der Tischler Schmidt wurde zum Möbelbauer und Stadtplaner. Karl Schmidt kam 1873 als Sohn eines Webers im Erzgebirge zur Welt, liebte als Kind die Natur und kam schon früh mit Holz in Berührung.627 Mit 14 Jahren begann er seine Tischlerlehre, ging später nach Chemnitz und Rendsburg, arbeitete in Hoftischlereien in Kopenhagen, Stockholm und Göteborg sowie in Londoner Möbelfabriken. Dort lernte er die Verwendung maschinell hergestellter Halbfabrikate im Möbelbau kennen.628 Über Bremen und Flensburg kam er nach Berlin und besuchte Abendkurse an der Handwerkerschule. Auffällig sind im Lebenslauf die Parallelen zum Werdegang des Direktors der Detmolder Tischlerfachschule Ludwig Reineking.629 Als Tischlergeselle kam Schmidt 1896 in die Stadt Dresden, die sich von der Königlichen Residenzstadt zur Industriestadt entwickelte und zu einem der Zentren der modernen Kunst und des Kunstgewerbes wurde.630 Er arbeitete in einer kleinen Tischlerei, die er schuldenfrei machte, und lernte hier über die Kundenwerbung Architekten und Entwerfer kennen. 1897 nahm er eine Stelle als Werkmeister in Pillnitz an und beschloss, sich selbständig zu machen. Ein Jahr später gründete er seinen eigenen Betrieb in Dresden-Laubegast, eine „Bau-Möbelfabrik, Fabrik kunstgewerblicher Gegenstände“631, fast genau sechs Monate nach der Gründung der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München. Schmidt versprach seinen Kunden: Auf das Vorteilhafteste eingerichtet, versehen mit Motor und Holzbearbeitungs-Maschinen, grossem, trockenen Holzvorrat, kann ich den höchsten Anforderungen preiswert entsprechen.632

Im selben Jahr kam ein Kaufmann als Teilhaber in den Betrieb, der in ‚Schmidt und Engel­ brecht, Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst‘633 umbenannt wurde. Schmidt nutzte das Medium der Ausstellungen, um seinen Betrieb bekanntzumachen und für seine Möbel zu werben. Damit erzielte er schon ein Jahr später, 1899, einen großen Erfolg. Bei der Volksthümlichen Ausstellung in Dresden 1899 wurden die Dresdner Werkstätten für ihre sehr preisgünstigen Zimmereinrichtungen mit der Sächsischen Staatsmedaille ausgezeichnet. Wiederum ein Jahr 626 Die Gartenstadt wurde, wie Joan Campbell schreibt, durch Ebenezer Howards Garden Cities of Tomorrow (1898) angeregt. Zu den Architekten zählten Fritz Schumacher, Hermann Muthesius, Theodor Fischer und Adolf Hildebrand. Die Pläne wurden von Richard Riemerschmid erarbeitet. (Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 27, Fußnote 24) 627 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 18 628 Vgl. AK: Richard Riemerschmid. Möbelgeschichten, Nürnberg 2018, S. 46; Vgl. hierzu auch: Hans-Jürgen Sarfert: Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie, Dresden 1999, S. 16 629 Vgl. Kap. 8.2.1. 630 Vgl. Ernst Zimmermann, Die moderne dekorative Bewegung in Dresden, Teil 1, S. 117–122; Vgl. Ernst Zimmer­mann: Die moderne dekorative Bewegung in Dresden, Teil 2, in: Kunst und Handwerk 53 (1902) H. 6, S. 145–160 631 Schmidt, Karl: Ankündigungsschreiben Firmeneröffnung Hellerau vom 1.10.1898, o. S. (SHStAD 1618); Vgl. AK: Richard Riemerschmid, S. 46 632 Schmidt, Ankündigungsschreiben Firmeneröffnung Hellerau, o. S. (SHStAD 1618) 633 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 19; Vgl. AK: Richard Riemerschmid, S. 46

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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später beteiligten sie sich an der Weltausstellung in Paris, im Kunstgewerbe als einzige Firma aus Sachsen634, und 1902 an der in Turin.635 Zu der Zeit beschäftigten die Werkstätten bereits 60 Mitarbeiter. Schon früh hatte Schmidt den Kontakt zu Künstlern gesucht, die für seinen Betrieb Möbel entwerfen sollten, und schrieb sie persönlich an: Gediegene, einfache, moderne Kunstgegenstände billig herzustellen und zu verbreiten, ist aber keine ganz leichte Sache. Deshalb laden wir Sie hierdurch ergebenst ein, sich für solchen Zweck freundlichst mit uns verbinden zu wollen, wie das eine Anzahl ausgezeichneter Künstler bereits gethan haben. […] Auf jedem Gegenstand ist der Name des Künstlers [Hervorhebung im Original] und Herstellers [Hervorhebung im Original] angebracht.636

Dieser Aufruf zur Mitarbeit enthält bereits drei wichtige Grundsätze der Dresdner Werkstätten: die Zusammenarbeit mit Künstlern, die Herstellung solider, preiswerter Möbel von guter Qualität und schließlich der Vertrieb dieser Möbel als ‚Marke‘, wie es viel früher schon David Roentgen Ende des 18. Jahrhunderts und Michael Thonet Mitte des 19. Jahrhunderts vorgemacht haben. Die Bedeutung der Marke hob Friedrich Naumann einige Jahre später, 1906, in seinem Aufsatz Kunst und Industrie637 hervor. Mit diesen drei Grundsätzen machte Schmidt die Dresdner Werkstätten als Unternehmen zu einer kulturellen Institution im Kaiserreich, die später eng mit dem Werkbund verbunden war. Aber entscheidend war der Einfluss von Friedrich Naumann. Durch ihn löste sich Schmidt von der traditionellen Haltung des Tischlergewerbes und wandte sich dem Einsatz der Maschine und der Industrieproduktion zu.638 Langsam entwickelte sich der Stil zur sachgerechten Zweckform, für die die Dresdner Werkstätten später bekannt wurden. Auf der Weltausstellung in Turin 1902 präsentierten die Werkstätten noch „romantische[…] Dachstuben-Poesie“639 und zwei Jahre später, auf der Weltausstellung in St. Louis, wo auch Möbel von Richard Riemerschmid, Peter Behrens, Bruno Paul, Bernhard Pankok und Josef Maria Olbrich gezeigt wurden, erhielten die Dresdner Werkstätten für ein Zimmer von Wilhelm Kreis den Grand Prix.640 Aber Kreis galt als Anhänger einer eher konservativen Architekturauffassung.641 Er war Professor an der Kunstgewerbeschule in Dresden und hatte im Auftrag des Deutschen Reiches die Ausstellungshalle in St. Louis entworfen. Die Hinwendung zu dem modernen Sachstil begann erst 1905 mit der Entwicklung der Maschinenmöbel durch Richard Riemerschmid. Er war Karl Schmidts Schwager642 und seit 1902 ständiger ­künstlerischer Mitarbeiter. Er wohnte aber nicht in Dresden, sondern hielt sich hier immer nur ein paar Tage auf, häufig auf dem Weg zu anderen Auftraggebern.643 Als Riemerschmids Möbel 634 Vgl. AK: Richard Riemerschmid, S. 47 635 Vgl. Georg Fuchs, Die Wohnräume der Deutschen Abteilung der Turiner Ausstellung, S. 48 636 Schmidt & Engelbrecht: Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst, ca. 1900, o. S. 637 Vgl. Friedrich Naumann, Kunst und Industrie, S. 70; Vgl. Kap. 8.4. 638 Vgl. Joan Campbell, Deutscher Werkbund, S. 26 639 Fuchs, Die Wohnräume der Deutschen Abteilung der Turiner Ausstellung, S. 48 640 Vgl. o. A., Betriebsgeschichte der Deutschen Werkstätten Hellerau, o. S. (SHStAD 3152); Vgl. Müller, Bericht über Karl Schmidt, S. 4 (SHStAD 3152) 641 Vgl. Lothar Weiß: Wilhelm Kreis. Architekt (1873–1955), o. S. Internet: www.rheinische-geschichte.lvr.de/ Persoenlichkeiten/wilhelm-kreis-/DE-2086/lido/57c93971e8f683.92282248 (Zugriff: 16.8.2018) 642 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 80 643 Vgl. AK: Richard Riemerschmid, S. 75

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in der Ausstellung Heirat und Hausrat der Dresdner Werkstätten ab November 1903 im Städtischen Ausstellungspalast gezeigt wurden, schrieb Ernst Haenel 1904 in der Dekorativen Kunst: Man darf das Urteil unterschreiben, das oft in der Ausstellung laut wird: Riemerschmid’s Zimmer möchten wir nicht bewundern, sondern besitzen!644

Riemerschmid hatte wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Dresdner Werkstätten, denn er sorgte im Laufe der Jahre für den mit Abstand größten Umsatz.645 Auf der Dritten Deutschen Kunstgewerbeausstellung 1906 in Dresden wurden nicht nur seine Möbel präsentiert, sondern auch ihre maschinelle Fertigung, wie Paul Schumann 1906 im Kunstgewerbeblatt berichtete: Ein besonderes Haus für Raumkunst haben endlich die Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst [Hervorhebung im Original] aufgeführt. Es birgt nicht weniger als 17 fertige Zimmer nach Entwürfen von Richard Riemerschmid [Hervorhebung im Original], und dazu eine vollständige Werkstatt, wo die Herstellung von Möbeln durch Maschinen gezeigt wird. Der Besitzer der Dresdener Werkstätten Herr Karl Schmidt hat sich seit Jahren die Aufgabe gestellt, die Maschine der Kunst im besten Sinne des Wortes dienstbar zu machen. […] Wir sehen nun in der Dresdener Ausstellung die gesamten Holzbearbeitungsmaschinen (von E. Kießling & Co.- Leipzig-Plagwitz) in Tätigkeit: wir sehen die Maschinen das Holz sägen, schneiden, schleifen, abfasern, fräsen, bohren, usw. Wir sehen auf der einen Seite die groben Bretter liegen, auf der anderen erscheinen die fertigen Möbelteile, die nur noch zusammengesetzt und gestrichen zu werden brauchen, damit das Möbel fertig vor uns stehe.646

Bei den Maschinenmöbeln verwendeten die Dresdner Werkstätten zum Beispiel mit Frässchablonen647 hergestellte und nach Länge, Breite und Höhe standardisierte Einzelteile, die dann zusammengefügt und für ganz unterschiedliche Modelle verwendet werden konnten. Durch diese Typisierung gelang es zum Beispiel, Schubkästen in 108 unterschiedlichen Formaten nur noch aus 72 standardisierten Einzelteilen anstatt aus 324 Teilen zu fertigen.648 Riemerschmid fertigte seine Maschinenmöbel noch aus Massivholz, dem neben furniertem Massivholz wichtigsten Werkstoff im Möbelbau zu dieser Zeit. Er arbeitete noch nicht mit den in den 1890er Jahren entwickelten Sperrholz- und Tischlerplatten, an denen auch Karl Schmidt arbeitete.649 Sie setzten sich erst langsam im Möbelbau durch und wurden von Bruno Paul zum Beispiel 1908 für sein 644 Haenel, Ernst: Ausstellung der Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst, in: Dekorative Kunst 12 (1904), S. 146–167, hier: S. 158; Vgl. hierzu auch: Hans W. Singer: Arts and Crafts at Dresden, in: Studio: international art 31 (1904), Nr. 131 (February 1904), S. 55–58 645 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 80; Vgl. AK: Richard Riemerschmid, S. 84 646 Schumann, Paul: Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906, Teil 3, in: Kunstgewerbeblatt NF 17 (1905/1906), H. 11, S. 205–220, hier: S. 206–207; Wer genauer hin sah, konnte auch die maschinengerechten Konstruktionsformen erkennen, wie Schumann beschreibt: „die geradlinigen Verbindungen, die an Stelle der Gehrungen treten, die vertieften Grenzlinien der Hölzer an den Stellen, wo nur die Hand mit dem Hobel die volle Glätte herstellen könnte, die vor der Verbindungsstelle abbrechenden ornamentalen Profilierungen usw.“ (Schumann, Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906, Teil 3, S. 207) 647 Vgl. Susanne Graner, Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul, S. 396 648 Vgl. R. St.: Die Deutschen Werkstätten-Hellerau, in: Innendekoration 30 (1919), H. 7/8, S. 266–275, hier: S. 274 649 Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 323: Die erste absolut glattflächige Sperrholzplatte entstand zwischen 1916 und 1918.

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Typenmöbelprogramm eingesetzt.650 Bei Riemerschmids Maschinenmöbeln war es notwendig, die maschinell vorgefertigten Teile noch mit Hand nachzubearbeiten, um beispielsweise Oberflächen zu glätten oder Verbindungen zu korrigieren.651 Trotzdem gelten Konstruktion und Produktion von Riemerschmids Maschinenmöbeln nach den Möglichkeiten seiner Zeit als „optimal […] [und] sowohl im Sinne guter Gestaltung als auch einer größeren Effizienz [als] vorbildlich“.652 Deshalb wurden die Möbel auf der Dresdner Kunstgewerbeausstellung 1906 mit der Ehrenurkunde ausgezeichnet. Es war „die höchste und einmalig verliehene Auszeichnung“.653 Auf dieser Kunstgewerbeausstellung stellten die Dresdner Werkstätten insgesamt vierzehn Räume aus. Davon waren sieben für die Arbeiterschaft gedacht und sehr günstig: Küche, Wohnstube und Schlafstube in gestrichenem Fichtenholz kosteten zwischen 570 und 640 Mark. Die anderen sieben Räume waren für den Mittelstand entworfen worden: Wohn- und Esszimmer, aus Erle, aber wie Mahagoni gebeizt, Schlafzimmer, Lärche natur, und Küche, Fichte grau gestrichen, kosteten zusammen 1195 Mark. Ein dreitüriger Kleider- und Wäscheschrank kostete noch 180 Mark zusätzlich. Eine dritte nicht näher bezeichnete Einrichtung für fünf Zimmer mit Flur kostete zwischen 2630 und 3095 Mark.654 Ein Vergleich zeigt: Diese Preise entsprachen beispielsweise den Vorgaben des Preisausschreibens der Innendekoration von 1902 für eine bürgerliche Wohnungseinrichtung zwischen 1600 und 2500 Mark. Auf der Bielefelder Wohnungsausstellung 1912 wurde eine bürgerliche Vierzimmer-Wohnung für 2150 Mark gezeigt. Schon vor Beginn der Dresdner Kunstgewerbeausstellung im Mai 1906 sorgten die Maschinenmöbel von Richard Riemerschmid für Aufmerksamkeit. In der Deutschen Kunst und Dekoration erschien der bereits erwähnte Bericht Künstlerische Maschinenmöbel von Ernst Zimmermann, Direktor der Staatlichen Porzellansammlung Dresden. Er beschrieb die in der eigenen Verkaufsstelle in Dresden zum Verkauf ausgestellten Möbel. Sie umfassten drei Einrichtungen aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, die in unterschiedlichen Ausführungen zwischen 450 Mark, 1200 Mark und 2400 Mark kosteten. Weitere sogenannte Ergänzungsmöbel wie Bücherschrank oder doppelter Waschtisch konnten gegen Aufpreis dazubestellt werden. Zimmermann betonte, dass nicht der Laie, sondern nur der Fachmann die Maschinenmöbel daran erkennen werde, dass beispielsweise Schlösser und Beschläge nicht ins Holz eingelassen, sondern bloß aufgeschraubt seien, weil die Maschine noch keine gleichmäßigen Vertiefungen herstellen könne. Ihr günstiger Preis ergebe sich durch den erwarteten großen Absatz.655 Dabei 650 Vgl. Susanne Graner, Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul, S. 397–399; Vgl. Kap. 6.2.3. zum Blomberger Fabrikanten Bernhard Hausmann in Lippe, der bereits in den 1890er Jahren die Sperrholzplatte entwickelte. 651 Vgl. Susanne Graner, Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul, S. 396; Vgl. auch Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 81: „Bei diesem maschinengefertigten Dresdner Hausgerät handelt es sich also um ein Massivholzmöbel, dessen Oberfläche zwar nicht so gleichmäßig wie beim furnierten Möbel, dafür jedoch von lebendiger Wirkung ist.“ 652 Graner, Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul, S. 396 653 Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 81 654 Schumann, Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906, Teil 3, S. 207 655 Vgl. Susanne Graner, Die ‚Maschinenmöbel‘ von Richard Riemerschmid und die ‚Typenmöbel‘ von Bruno Paul, S. 396: „Etwas irreführend wird mit dem Terminus ‚Maschinenmöbel‘, technologisch gesehen, die

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erwähnt er auch, dass die Möbel für den Versand so geschickt und platzsparend verpackt würden, dass der Laie sie problemlos wieder zusammenbauen könne. Auch das, kann man heute ergänzen, hatte Thonet schon vorgemacht. Für ihre Möbel warben die Dresdner Werkstätten jedes Jahr mit dem sogenannten ‚Preisbuch‘, das mit der entsprechenden Jahreszahl versehen war. Das erste Preisbuch 1906 machte schon auf den ersten Blick den hohen Anspruch der Werkstätten deutlich. Es war kein gewöhnlicher Warenkatalog mit Abbildungen, Maßen und Preisangaben. Wer das Preisbuch 1906 aufschlägt, sieht gleich nach dem Inhaltsverzeichnis das Vorwort mit einer Abbildung Albrecht Dürers, weil sich die Dresdner Werkstätten mit „[e]dle[n] Werkstoffe[n] in künstlerischer und gediegener Verarbeitung“656 in der Tradition Dürers sahen. Es folgen zwei Seiten Lieferbedingungen und danach der fünfseitige Aufsatz Maschinenmöbel von Hermann Muthesius.657 Hier zeichnet er die Entwicklung des Kunstgewerbes bis zur Gründung der Dresdner Werkstätten nach und nennt als Ziel des deutschen Kunstgewerbes die „Schaffung eines Maschinenmöbels […] als anständiges Massenmöbel“.658 Anschließend wird Johann Wolfgang Goethe aus seinen Gesprächen mit Eckermann zitiert, dass ein „Wohnzimmer mit fremder und veralteter Umgebung […] immer eine Art Maskerade“659 sei. Es folgen Adresse und Anschrift der Werkstätten mit Hinweis auf Preise und Auszeichnungen, bevor dann die günstigste Einrichtung (I) mit ‚Wohn- und Essstube‘, ‚Schlafstube‘ und Küche in Stichworten vorgestellt wird.660 Die Möbel waren jeweils aus Fichte, entweder blau, rot oder grün gestrichen und sind auf Einzel- und Gesamtabbildungen mit kurzen Beschreibungen zu Material und Größe zu sehen. Immer wieder steht neben diesen Abbildungen und denen der anderen Einrichtungen das Signet von Richard Riemerschmid, zwei spiegelbildlich verbundene „R“ in einem Quadrat.661 Nach einer Seite mit Sinnsprüchen ist die bessere Einrichtung (II) mit Wohn- und Esszimmer aus Mahagoni, Schlafzimmer aus Lärche und Küche aus rot lackierter Fichte abgebildet. Die Einrichtung wirkt hochwertiger, hier werden auch Details der Beschläge aus Bronze abgebildet. Schließlich folgt die beste Einrichtung (III) mit Wohn- und Empfangszimmer aus Mahagoni, Esszimmer und Herrenzimmer jeweils aus geräucherter Eiche, Schlafzimmer aus Lärche und Küche aus grau lakleinserielle Vorfertigung der Einzelteile beschrieben, die im Gegensatz zum Einzelmöbel kostengünstig ausgeführt werden konnte. An eine industrielle Massenfertigung dieser Möbel war damals […] nicht zu denken“; Vgl. Ernst Zimmermann, Künstlerische Maschinenmöbel, S. 261; Zu den Lieferbedingungen heißt es im sogenannten ‚Preisbuch 1906‘: „Die Kastenmöbel […] sind, der Bequemlichkeit bei Umzügen und des einfachern Versandes halber, ZUM ZUSAMMENLEGEN [Hervorhebung im Original] eingerichtet. Alles Hausgerät, was dieses Buch enthält und das zum Grundstock einer Wohnungseinrichtung gehört, ist SOFORT LIEFERBAR [Hervorhebung im Original]“ (Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 7) 656 Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, S. 6; Vgl. hierzu auch: AK: Richard Riemerschmid, S. 51 657 Muthesius, Maschinenmöbel, S. 9–14 658 Ebd., S. 9 659 o. A.: Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann, in: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 15 660 Vgl. Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 17–23 661 So zum Beispiel im Preisbuch 1906 auf S. 39 (Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, S. 39)

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ckierter Fichte, alle Zimmer in Einzel- und Gesamtabbildungen mit kurzen Beschreibungen. Im Anschluss daran sind auf einer Seite drei Badewannen des Dresdner Herstellers Friedrich Siemens zu sehen. Danach folgen drei Aufsätze: Die Kunst im Zeitalter der Maschine von Friedrich Naumann, ein Abdruck aus dem Kunstwart, Unsere Wohnungen von Hermann Muthesius, ein Abdruck aus Kultur und Kunst, und schließlich Kunstgewerbe-Politik von Peter Stubmann. Dann schließt sich ein Glossar zu mehr oder weniger bekannten Begriffen aus dem Bereich Haus und Wohnung an. Zum Schluss erfolgt der Hinweis, dass die Dresdner Werkstätten auch handgearbeitete Möbel fertigen. Auch dazu gibt es eine Reihe von Einzel- und Gesamtabbildungen. Das Preisbuch 1906 macht deutlich, dass die Dresdner Werkstätten nicht nur Möbel, sondern zusätzlich auch eine neue moderne Einstellung zu Möbeln, ein Image, verkaufen wollten. Dazu dienten auch die umfangreichen Aufsätze, die mehr als nur Geschmackserziehung waren, nämlich auch Ausdruck eines modernen bürgerlichen Lebensstils, der die Maschinenherstellung mit Dürer und Goethe verband. So hießen die Möbel und das im Preisbuch angebotene, von Richard Riemerschmid entworfene gesamte Zubehör, also Teppiche, Lampen und Geschirr, ‚Dresdner Hausgerät‘. Es wurde vermarktet als „Erzeugnis und Ausdruck der durch feinfühlige Maschinen gesteigerten Arbeitsweise unserer Zeit“662, wie es im Preisbuch 1906 heißt. Die Zusammenarbeit mit bekannten Künstlern wie Riemerschmid erwies sich als eine geschickte Strategie des Unternehmens, die damals auch so wahrgenommen wurde. Was die Werkstätten auf den Markt brachten, war nicht „lediglich von der jeweiligen Entwurfs-Stimmung ihrer Hauskünstler abhängig“663, sondern die Möbel „verkörpern […] in allen ihren fühlbaren Daseins-Äusserungen ein stetes Schritthalten mit der Zeit“664, wie die Deutsche Kunst und Dekoration 1904/1905 schrieb. Wer bei den Werkstätten einkaufte, konnte das Gefühl haben, ganz aktuell zu sein. Schließlich kam jedes Jahr ein neues Preisbuch heraus. Die folgenden waren jedoch viel einfacher gestaltet und enthielten vor allem Bilder der Möbel mit Beschreibungen und Angaben zu Maßen und Ausführung. Zu Beginn gab es immer eine ausführliche Einleitung zum Selbstverständnis der Dresdner Werkstätten. In den ersten zehn Jahren erlebten die Dresdner Werkstätten ein großes Wachstum und eröffneten nach und nach Niederlassungen in ganz Deutschland. Sie hatten neben der Verkaufsstelle in Dresden eine in Berlin, eine Filiale in München sowie Vertretungen in Hamburg, Göttingen, Düsseldorf, Hannover, Kassel und Bremen.665 Im Preisbuch 1908 sprechen die Werkstätten ausdrücklich davon, dass sie eine „Kulturmission“666 erfüllen. Die zahlreichen Nachahmungen, die die Dresdner Werkstätten erwähnen, sahen sie als Beweis ihres Ansehens. Außerdem bezeichneten sich die Werkstätten „[u]nter den neuzeitlich organisierten ­Werkstätten […]

662 Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, S. 7 663 o. A.: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1904/1905), S. 73– 79, hier: S. 73 664 Ebd. 665 Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1908, Dresden 1908, S. 4 (SHStAD 2489) 666 Ebd., S. 3 (SHStAD 2489)

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[als] das älteste und zurzeit größte Unternehmen“.667 Erstmals ist 1908 von „[a]lle[n] Vorteile[n] des Großbetriebs“668 die Rede, nämlich Großeinkauf und gute Trockenlagerung des Holzes, die besten und neuesten Maschinen, planmäßige Bearbeitung der gesamten Wohnungseinrichtung mit allen Zubehör an Stoffen, Teppichen und Beleuchtungskörpern, Genauigkeit und wirtschaftliche Organisation der Arbeit, Auswahl der besten Arbeitskräfte, geschultes Zusammenwirken von Künstler, Hersteller und Kaufmann.669

Das Preisbuch 1908 nennt „ca. 300 Arbeiter, Tischler, Lackierer, Polierer, Maler, Tapezierer, Schlosser, Holzbildhauer und Stickerinnen“.670 Von 600 Mitarbeitern spricht dagegen Wolf Dohrn, Mitarbeiter in den Dresdner Werkstätten, in seinem 1909 in der Innendekoration erschienenen Artikel Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst.671 Die Angabe von Wolf Dohrn ist möglicherweise unkorrekt, denn das Preisbuch 1910 nennt 500 Mitarbeiter.672 Besonders aufschlussreich ist das Preisbuch 1909. Über das Dresdner Hausgerät. In der Einleitung Das deutsche Kunstgewerbe und die Deutschen Werkstätten f. Handwerkskunst bezeichnet sich das Unternehmen als das nach Jahresumsatz, Verbreitung und Ausdehnung der Betriebe und Ausstellungen zur Zeit größte Unternehmen. Sie sind mit den Münchner Werkstätten das älteste (gegr. 1898).673

Die Werkstätten erwähnen auch, dass sie handgearbeitete Möbel und kostbare Einzelstücke fertigen. Aber sie stellen außerdem fest, dass sie nicht nur die Villen vermögender Kunden, sondern genauso gut die modernen Wohnverhältnisse des bürgerlichen Mittelstandes im Blick haben: Ebenso wichtig aber erschien von jeher die Herstellung guter aber billiger Möbel für die deutschen Mietwohnungen. Die schöpferische Kraft unserer Künstler der Ausstattung der einfachen bürgerlichen Mietwohnungen von drei und vier Zimmern dienstbar zu machen, scheiterte aber bisher an den hohen Kosten der Handarbeit […]. Erst als die Maschine dem Künstler dienstbar wurde, gelang es, ein künstlerisch vollkommenes, werklich gediegenes Möbel für die deutsche Mietwohnung zu schaffen, und jetzt tadelt die Maschine nur, wer sie nicht zu beherrschen weiß. […] Von dem besten handgearbeiteten unterscheidet es sich nur durch weitgehende Anwendung der Maschine. Dadurch ist es um vieles billiger, und um nichts schlechter.674

667 Ebd. (SHStAD 2489); Zur Größe der Dredner Werkstätten schreibt „R. St.“ 1919 in der Innendekoration: „Mit der Herstellung von Typenmöbeln erfüllten die Deutschen Werkstätten eine praktische und kulturelle Forderung der Zeit. Indem sie sich entschlossen, neben den kostbaren handgearbeiteten Möbeln gute aber billigere Möbel für den mittleren Bürgerstand herzustellen, vollzogen sie zugleich den Übergang von Handwerksbetrieb zum Industriebetrieb“ (St., Die Deutschen Werkstätten-Hellerau, S. 270) 668 Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst, Dresdner Hausgerät Preisbuch 1908, S. 3 (SHStAD 2489) 669 Ebd., S. 3–4 (SHStAD 2489) 670 Ebd., S. 3 (SHStAD 2489) 671 Vgl. Wolf Dohrn: Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst, in: Innendekoration 20 (1909), H. 2, S. 49–51, hier: S. 49 672 Vgl. Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1910, Dresden 1910, S. 5 (SHStAD 2494) 673 Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München (Hrsg.): Preisbuch 1909. Über das Dresdner Hausgerät, Dresden 1909, S. 3 (SHStAD 2490) 674 Ebd., S. 4 (SHStAD 2490)

8.4  Qualitätvolle Fabrikmöbel: Ansätze bei Dürerbund und Werkbund

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Künstlerisch gestaltete Möbel zu günstigen Preisen für die bürgerliche Mietwohnung waren für die Dresdner Werkstätten nur möglich, wenn sie in größeren Mengen hergestellt werden konnten. Darauf weisen sie auch hin: „[D]er gültigste Beweis für die Gediegenheit dieser Formen sind nicht die Neuerungen, sondern die Wiederholungen“.675 Das bedeutete auch, dass in den jährlich erscheinenden Preisbüchern nicht immer wieder neue Möbel angeboten wurden, sondern mehrere Jahre hintereinander größtenteils die gleichen: Wir verkaufen die ersten Stücke des Hausgerätes heute noch ebensogut, ja zum Teil noch besser, als in den ersten Jahren ihrer Herstellung.676

Die Werkstätten sahen darin einen Beleg ihrer Qualität. Die Nachfrage war groß. In einem Brief von Karl Schmidt an Richard Riemerschmid vom 24. Februar 1910 heißt es, dass in Deutschland keine anderen Möbel so oft gekauft würden wie die von Riemerschmid.677 Im Jahr darauf wird im Preisbuch 1910 erwähnt, dass inzwischen auch eigene Spezialwerkstätten aufgebaut wurden, um Zubehörteile selber herzustellen. Die Werkstätten waren ein Großbetrieb, der weiterhin als Werkstatt erscheinen wollte. Deshalb wurden im Preisbuch 1910 auch die Unterschiede zwischen einem kleineren Betrieb im Tischlereihandwerk und dem Großbetrieb bestritten. Nach Vorstellung der Werkstätten wollten beide Betriebsformen Handarbeit und Maschinenarbeit kombinieren: „Der Unterschied ist nur der, daß dieses im Großbetrieb besser gelingt“.678 Wie groß die Werkstätten inzwischen waren, zeigt der Hinweis auf die neue Fabrik­anlage im Dresdner Stadtteil Hellerau. Auf 15.000 m² Fläche standen zwei Dampfmaschinen mit 500 PS und 60 Holzbearbeitungsmaschinen mit elektrischem Einzelantrieb.679 Auch Auslandsvertretungen in Zürich und Kairo waren inzwischen hinzugekommen.680 Die Geschichte der Deutschen Werkstätten bis Kriegsausbruch zeigt, dass sie bereits vor Gründung des Deutschen Werkbundes maschinengefertigte Möbel von Richard Riemerschmid auf den Markt brachten, deren Form sich nach dem Zweck und dem Material richtete. Die Möbel waren durch den Mengenabsatz für Arbeiter und bürgerlichen Mittelstand erschwinglich. Die Werkstätten haben von Anfang an eine Marke geschaffen und durch die Zusammenarbeit mit den Künstlern den Ausdruck eines Lebensstils verkauft. Dies wird erheblichen Anteil am Wachstum der Werkstätten gehabt haben. Auch die Zahl der Verkaufsstellen spricht für eine große Nachfrage. Ihr Angebot war ausdrücklich auf die Mietwohnungen des bürgerlichen Mittelstandes ausgerichtet. Die Maschinenmöbel aus Dresden zeigten, dass Fabrikware solide, haltbar, günstig und schlicht sein konnte. Damit waren sie nicht die ersten Werkstätten, die das bewiesen haben, aber sicher die größten. Deshalb fanden in den kunstgewerblichen Zeit-

675 Ebd., S. 3 (SHStAD 2490) 676 Ebd. (SHStAD 2490) 677 Vgl. AK, Richard Riemerschmid, S. 84; Außerdem schrieb Karl Schmidt: „[…] kein Architekt, kein Künstler in Deutschland, verkauft wie Du für eine Million Mark Möbel.“ (AK: Richard Riemerschmid, S. 84) 678 Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dreden und München: Dresdner Hausgerät Preisbuch 1910, S. 3 (SHStAD 2494) 679 Vgl. ebd., S. 5 (SHStAD 2494) 680 Vgl. ebd. (SHStAD 2494)

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8  Stilentwicklung: Kundenwünsche und Geschmacksbildung

schriften die Möbel der Dresdner Werkstätten große Beachtung.681 Durch diese Artikel und die zahlreichen Fotos haben Karl Schmidt und die Dresdner Werkstätten den modernen Einrichtungsstil entscheidend mitgeprägt682, ganz sicher auch andere Hersteller beeinflusst, wie die angesprochenen Nachahmungen nahelegen, und auch über ihre zahlreichen Verkaufsstellen die Richtung der bürgerlichen Selbstrepräsentation im ausgehenden Kaiserreich entscheidend mitbestimmt. Diese Feststellung bedeutet nicht, dass der sachliche Stil innerhalb weniger Jahre in allen Wohnungen des bürgerlichen Mittelstands zu finden gewesen wäre. Aber wer ihn für seine Einrichtung wählte, wollte auf jeden Fall zeigen, wie modern er ist.

681 Vgl. zum Beispiel: Paul Schumann: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Dekorative Kunst 5 (1900), S. 4–5; Vgl. Karl Meissner: Die Werkstätten für deutschen Hausrat in Dresden, in: Innendekoration 14 (1903), H. 7, S. 178–179; Vgl. Erich Haenel, Ausstellung der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, S. 146–167; Vgl. Erich Haenel: Ausstellung der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Die Rheinlande (1903/1904), S. 257–261; Vgl. E. Beutinger: Die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Innendekoration 15 (1904), H. 6, S. 160–166; Vgl. Wilhelm Michel: Die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 21 (1907/1908), S. 310–319; Vgl. Robert Breuer: Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München, in: Deutsche Kunst und Dekoration 24 (1909), S. 185–201 682 Günther von Pechmann würdigte Karl Schmidt 1943 aus Anlass seines 70. Geburtstages in der Zeitschrift Kunst für Alle wegen seiner „sozialen und kulturellen Gesinnung“. Er habe „nun bald zwei Generationen Käufer – und nicht nur solcher reicher Verbraucherkreise – mit geschmackvollen, gut gestalteten und gediegen ausgeführten Möbeln versorgt“ (Pechmann, Günther, von: Karl Schmidt-Hellerau, in: Die Kunst für alle 58 (1942/1943), S. 136)

9  ANSÄTZE NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG

9.1 Möbelproduktion Wer als Künstler mit der Industrie arbeiten will, muß sich von vornherein klar sein, daß er ebenso wie der Fabrikant Erzieher sein muß, sich sozusagen pädagogisch anpassen muß, um nachhaltige Fort­ schritte zu erzielen, um nicht nur eine oberflächliche Neuheitensucht zu befriedigen.1

Was Karl Groß, Direktor der Dresdner Kunstgewerbeschule, 1920 in der Beilage Kunst und Industrie der Zeitschrift Leipziger Messe formulierte, greift die alten, viel diskutierten Fragen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder auf: die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Industrie, die Rolle von Herstellern und Künstlern als Geschmackserzieher, die Notwendigkeit einer Anpassung des Künstlers als Antwort auf die Frage von Typisierung und Individualisierung, die den Werkbund 1914 beinahe gespaltet hätte, sowie schließlich der Gegensatz von Mode und verbesserter Qualität. Es scheint so, als habe sich nichts geändert. Dabei war durch den Krieg alles anders geworden. Es herrschte „Wohnungsmangel, Möbelmangel, Mangel an Materialien aller Art; und Hand in Hand damit eine sehr erhebliche Teuerung“2, schrieb der Kunsttheoretiker und Philosoph Emil Utitz 1919 in seinem Artikel Wohnungsgestaltung nach dem Kriege in der Innendekoration. Die deutsche Volkswirtschaft litt unter gestiegenen Löhnen und geringer Kaufkraft, den hohen Lebenshaltungskosten und der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Durch Gebietsabtretungen fehlten der Möbelindustrie außerdem wichtige Rohstoffgebiete und Absatzmärkte. Auch wurden die Wohnungen kleiner und teurer und Möbel vielfältiger. So diente beispielsweise eine aufklappbare Ruhebank als Bett.3 Unter dem Kostendruck setzte sich die Spezialisierung in der Möbelproduktion fort, wie Gustav Schlingmann ausführt: Zusammenfassend lässt sich sagen, daß die Möbelindustrie in der Nachkriegszeit unter Anspannung aller finan­ziellen und organisatorischen Kräfte den veränderten Absatzverhältnissen, insbesondere der geschwächten Kaufkraft des deutschen Volkes durch Rationalisierung der Produktion sich anzupassen bestrebt war.4

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Groß, Karl: Die Künstler und die Industrie, in: Kunst und Industrie (Beilage der Zeitschrift Die Leipziger Messe) 1 (1920), H. 2 (14.2.1920), S. 9–10, hier: S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) Utitz, Emil: Wohnungsgestaltung nach dem Kriege, in: Innendekoration 30 (1919), H. 1/ 2, S. 49–60, hier: S. 49 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der deutschen Möbelindustrie, S. 59; S. 61 Ebd., S. 86

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9  Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg

Dieses Kapitel soll deshalb in einem groben Überblick aufzeigen, wie die Möbelproduktion im Spiegel von Stil und Markt in den ersten Jahren nach dem Ende des Kaiserreichs weiterging und sich Möbelproduktion, Marktentwicklung und Stilentwicklung veränderten. Alle drei Entwicklungen hängen wieder voneinander ab, müssen aber nacheinander beschrieben werden. Bei den folgenden Kapiteln kann es sich nur um eine grobe Skizze und nicht um eine systematische Darstellung handeln, die ja auch die weiterführende Literatur zu Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur in den Anfangsjahren der Weimarer Republik einbeziehen müsste. Vom Ausbruch des Krieges war die Möbelproduktion in erheblichem Umfang betroffen. So hieß es beispielsweise in den Mitteilungen der Handelskammer zu Bielefeld am 15.10.1914: Die Möbelproduktion stockte mit Beginn des Krieges vollständig. Voraussichtlich wird diese Betriebshemmung nicht vor Beendigung des Krieges beseitigt werden.5

Drei Jahre später stellte die Handelskammer Bielefeld fest, dass die Anpassung an die Kriegsverhältnisse weitere Fortschritte gemacht habe: „Die mit direkten oder indirekten Heereslieferungen versehenen Betriebe sind meistens voll beschäftigt“.6 Schon seit 1914 hatte sich die Handelskammer Bielefeld um Heeresaufträge bemüht. Aber es war schwer, die Vergabestellen ausfindig zu machen, und noch schwerer, für kleine und mittlere Fabrikanten Aufträge zu besorgen, wie es im Bericht über die Sitzung der Handelskammer am 18.12.1914 heißt.7 Bei den Aufträgen für das Heer handelte es sich um Schlitten, Zeltstockgarnituren, Tornisterrahmen oder Geschosskorbleisten.8 Die Berichte der Handelskammer Bielefeld aus den Kriegsjahren erwähnen häufig einen großen Privatbedarf an Möbeln, der aber nicht gedeckt werden konnte, weil das Rohmaterial fehlte und die meisten gut ausgebildeten Arbeiter im Krieg waren.9 Die Schwierigkeiten dauerten noch an, als der Krieg längst beendet war. So antwortete die Herforder Möbelfabrik Gustav Kopka auf eine Anfrage der Vereinigung Niedersächsischer Handelskammern, die am 17.3.1921 bei der Handelskammer Bielefeld einging:

5

o. A.: Mitteilungen der Handelskammer zu Bielefeld, Nr. 5 (15.10.1914), S. 4 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566); Vgl. Werner Plumpe, Die Wirtschaft des Kaiserreiches, S. 37 6 o. A.: Bericht über die Geschäftslage während des letzten Halbjahres im Handelskammerbezirk Bielefeld von Oktober 1916 bis Ende März [19]17, 1917, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) 7 Vgl. o. A.: Bericht über die Sitzung der Handelskammer am 18.12.1914, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K17 IHK Lippe zu Detmold Nr. 3) 8 Vgl. ebd. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K17 IHK Lippe zu Detmold Nr. 3); Vgl. ähnlich: o. A.: Schreiben an Herrn Major Schmidt-Reder kommandiert beim Generalquartiermeister Grosse Hauptquartier S. M. vom 9.7.1917 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566); Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion, S. 9 9 Vgl. o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während der Zeit vom 1. Januar bis Mitte Oktober 1917, 1917, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566); Vgl. o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während der Zeit vom 30. März bis 1. Oktober 1918 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566); Vgl. o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während des Jahres 1918 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566)

9.1 Möbelproduktion

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Holz war in genügender Menge erhältlich aber nur zu Preisen, die nicht im Verhältnis stehen zu den für die fertigen Fabrikate zu erzielenden Preis. Spiegelgläser, die von der Kundschaft dringend verlangt werden, sind immer noch knapp, und die Preise sind sehr hoch. Die Belieferung mit Brennstoff war sehr mangelhaft sowohl in Bezug auf die Menge wie auch auf die Qualität. Über Verkehrsverhältnisse ist nicht zu klagen.10

Diese Entwicklung zeichnete auch Gustav Schlingmann in seiner Untersuchung ausführlich nach. Viele kleine und mittlere Betriebe konnten teilweise mit ihrer alten Belegschaft wieder arbeiten und mussten jetzt den durch den Krieg entstandenen Bedarfsstau an Möbeln abarbeiten11, zum Beispiel von Eheleuten, die während des Krieges geheiratet und lange auf neue Möbel gewartet hatten. Aber es gab auch andere Betriebe, deren Inhaber oder Tischlermeister (noch) nicht heimgekehrt oder verwundet und nicht arbeitsfähig waren, oder aber deren bislang angestellte Tischlermeister sich selbständig machten, um Unsicherheit und Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Für die Holzbearbeitungsindustrie stellte Bernhard Maaß 1922 fest, dass die Sägewerke mit ihrer Arbeit nicht nachkamen und Lieferfristen immer weiter hinaus­ schoben.12 Schlingmann beschreibt, dass sich in der Produktion der im Kaiserreich begonnende Prozess der Spezialisierung in stärkerem Umfang weiter fortsetzte. Es entstanden viele Fabriken für Speisezimmer, Herrenzimmer, Schlafzimmer, Küchen und für Büromöbel13: [D]ie wirtschaftlichen Notwendigkeiten, der Konkurrenzkampf brachte die Unternehmer dahin, ihr Produktionsprogramm so zu gestalten, dass sie auf ihren Sondergebieten Höchstleistungen erzielen konnten. Die Vorteile dieser weitgehenden Spezialisierung liegen darin, daß Spezialmaschinen in weitestem Maße zur Anwendung gelangen können. Dadurch ist es möglich, immer weitere Teilarbeiten der Produktion der Maschinenarbeit zuzuweisen und den Lohnanteil der teuren Facharbeiter zu reduzieren.14

Diese Spezialisierung bedeutete in der Produktion eine Einschränkung auf wenige Modelle und führte damit zur Typisierung. Eine weitere Folge war die Normung von Einzelteilen wie Einlegeböden, Seitenwände oder Möbelfüße, damit diese für verschiedene Modelle verwendet und auch von Zuliefern bezogen werden konnten. Die Normung der Einzelteile erleichterte die Massenherstellung und verringerte die Produktionskosten weiter. Mit Spezialisierung, Typisierung und Normung wurden Voraussetzungen geschaffen, um die Serienmöbelfertigung entscheidend voranzutreiben. Diese Entwicklung wurde außerdem durch die anhaltend große Nachfrage nach billigen Möbeln begünstigt, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird.

10 Vereinigung Niedersächsischer Handelskammern: Wirtschaftsbericht A über das erste Vierteljahr 1921 der Firma Gustav Kopka an die Handelskammer Bielefeld (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 1012); Vgl. Willi Kulke, Möbelindustrie, S. 16 11 Vgl. o. A. Möbelnot und Möbelpreise, Teil 1, S. 420 12 Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 10 13 Vgl. Gustav Schlingmann, Entwicklung der Möbelindustrie, S. 75 14 Ebd., S. 76

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9  Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg

9.2 Marktentwicklung Die Nachfrage nach Möbeln ist eine sehr große, was allein schon preissteigernd wirkt, dazu kommt aber, daß die Herstellungskosten ganz gewaltig in die Höhe gegangen sind. Wer also heute Möbel braucht, muß sehr viel bezahlen und will er das nicht, so muß er versuchen, gebrauchte Möbel aufzutreiben, oder sich aber mit vorhandenen Stücken behelfen, bis die Zeiten zur Beschaffung von Einrichtungen bessere geworden sind. Meiner Ansicht nach dürfte dies aber noch lange Jahre dauern.15

Geheimrat W. Preetorius von der Mainzer Möbelfirma A. Bembé wurde im Juli 1918 von der Innendekoration zitiert. Unter der Überschrift Die Möbelnot und ihre Bekämpfung beschäftigte sich ein Artikel mit der schwierigen Versorgungslage bei Möbeln. Es gab vor allem eine Nachfrage nach „einfachen, billigen Gebrauchsmöbeln“16, nach Möbeln aus billigem Sperrholz oder in anderer einfacher Ausfertigung. Weil diese Möbel sehr knapp waren, trafen viele Städte Maßnahmen gegen die ‚Möbelnot‘: Die Stadt Solingen wird Maßnahmen zur Behebung der Möbelnot treffen. Sie wird vorsorgen, daß die heimkehrenden Kriegsgetrauten und die jungen Brautleute, die nach Friedensschluß heiraten wollen, die Einrichtung für eine Kleinwohnung, zum mindesten für eine Wohnküche nebst Schlafstube, zu mäßigen Preisen erhalten.17

Der Begriff ‚Möbelnot‘ war damals sehr gebräuchlich. Viele Zeitschriftenartikel befassten sich damit. Wie sie aussah, beschrieb Otto Schulze 1919 in der Innendekoration: Der Abbau der Kriegswirtschaft hat erst eine geringe Menge von Rohstoffen freigegeben; Lohnkämpfe und Streiks beeinflussen auch das am Boden liegende Handwerk sehr ungünstig, viele kleine und mittlere Werkstätten sind noch geschlossen, es fehlt an leitenden Kräften, an Maschinen und Werkstätten, an Rohstoffen. Dabei wächst die Nachfrage, namentlich nach Möbeln und Hausrat für die Kleinwohnung, trotz der hohen Preise von Tag zu Tag; der Althandel blüht, die Möbelämter der Städte können ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, die Lieferungsverträge der Schreinerinnungen erweisen sich meistens als unerfüllbar. Was bleibt anders zu tun, als sich auf irgend eine Weise, so gut das eben geht, selbst zu helfen: Jungpaare wohnen möbliert oder sind Dauergäste eines der Elternpaare.18

Die Lage verschärfte sich ein Jahr später, als politische Unruhen wie der Kapp-Putsch und Streiks die Wirtschaft so stark trafen, „daß viele Unternehmen der Möbelindustrie zusammenbrachen“.19 Im Rückblick beschrieb Karl Bunke 1926 die Nachfrage in der unmittelbaren Nachkriegszeit: 15 o. A.: Die Möbelnot und ihre Bekämpfung, in: Innendekoration 29 (1918), H. 7/8, S. 222–229, hier: S. 226 16 Schlingmann, Entwicklung der Möbelindustrie, S. 68; Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion, S. 10; Vgl. Sigrun Brunsiek: Lippische Möbel und internationales Design, in: AK: Lippische Möbelindustrie 1900–1960, Detmold 1993, S. 98–110, hier: S. 101 17 Bergische Arbeiterstimme (14.12.1917), o. S. Internet: https://archivewk1.hypotheses.org/tag/wohnungsein richtung (Zugriff: 20.8.2018) 18 Schulze, Otto: Raum- und Möbelnot, in: Innendekoration 30 (1919), H. 11, S. 367–368, hier: S. 367; Vgl. Bernhard Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 9: „So trat Mitte des Jahres 1918 eine heftige Beunruhigung des Publikums vielfach dadurch ein, dass die Meinung weit verbreitet war, es könne vielleicht längere Zeit hindurch grosse Möbelnot herrschen und der Bedarf könne auf längere Zeit hinaus nicht befriedigt werden. Diese allgemeine Besorgnis rief eine ganze Reihe von Notstandsaktionen von seiten der Behörden, Gemeinden, Kriegerfürsoregn [sic!] und sonstigen wohltätigen Gesellschaften hervor, die in der Herstellung von sogenannten ‚billigen Hausrat‘ oder ‚Kriegermöbeln‘ wetteiferten“ 19 Schlingmann, Entwicklung der Möbelindustrie, S. 68

9.2 Marktentwicklung

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Mit zunehmender Inflation schied der früher besitzende Mittelstand aus den Reihen der Käufer besserer Möbel aus, sodaß sich eine gewaltige Nachfrage nach billigen Gebrauchsmöbeln einstellte. Andererseits war aber auch die Nachfrage nach Luxusmöbeln stark gesteigert, da weite Schichten der Völker sich infolge der Inflation eine üppige Lebensführung leisten konnten, und dementsprechend auch auf dem Möbelmarkt als Käufer auftraten. Zu diesen beiden Gründen, die den erhöhten inländischen Bedarf begreiflich machten, kommt als weiterer Grund das Ausland, das durch die Markentwertung in Deutschland billig kaufen konnte. Durch die Inflation konnte die deutsche Möbelindustrie auf sämtlichen ausländischen Märkten ihre Ware unterbringen und noch gewaltige Ausfuhrprämien erzielen.20

Für den Mittelstand waren Möbel fast unerschwinglich geworden, ihr Preis stieg auf das Vierbis Fünffache des Vorkriegspreises an, wie der Verband württembergischer Holzindustrieller in einer Stellungnahme für den dreiteiligen Artikel Möbelnot und Möbelpreise in der Innendekoration 1919/1920 formulierte.21 Darin wurde aber auch die Erwartung geäußert, dass die Großbetriebe bald solche Mengen an einfachen Möbeln produzieren würden, dass es eine große Überproduktion gebe und ein Preissturz die Folge sei.22 Wichtig war die Versorgung mit Möbeln, weniger ihre Qualität. So stellte der Architekt Peter Behrens 1919 fest: Aber neben der Wohnungsnot der Minderbemittelten gibt es auch eine Wohnungsnot des Mittelstandes und wie für jene auch für ihn eine Möbelnot. Gerade in diesen Kreisen ist nun die Vorbildung und Empfänglichkeit für die ästhetisch verfeinerten Objekte am meisten vorhanden.23

Das Reichswirtschaftsministerium sah allerdings keine ‚Möbelnot‘, sondern sprach nur von einer „mehr oder weniger lebhaften Nachfrage“24, wie die Frankfurter Zeitung berichtete. Daraufhin veröffentlichte die Innendekoration Zuschriften von Fachleuten. Die Stellungnahmen von sechs Unternehmen aus Berlin, Darmstadt, Mainz, Dresden und München fielen ganz unterschiedlich aus. Für die Hofmöbelfabik M. Ballin in München war „[u]nverkennbar, daß auch im Alt- und Neu-Möbelhandel wie überall, beklagenswerte Fälle von Wuchergeschäften festzustellen sind“.25 Auch bessere Möbel seien kaum erschwinglich. Die Berliner Möbelfabrik W. Dittmar berichtete von einem Aufschlag von rund 700% auf die Friedenspreise. Bessere Möbel seien wirtschaftlicher herzustellen und auch besser zu verkaufen. Die Nachfrage nach einfachen Möbeln war nach Feststellung dieser Firma weniger groß.26 Die Mainzer Möbelfabrik A. Bembé sah keine Möbelnot mehr, weil viele neue Fabriken Arbeitskräfte für sehr höhe Löhne anstellten und mit ihnen produzierten. Bessere Möbel seien im Verhältnis billiger als einfache.27 Gebrauchte Möbel seien im übrigen fast so teuer wie neue, weil jeder, der alte Möbel anbiete, diese so teuer wie möglich verkaufen wolle, um sich neue anzuschaffen. Die Darmstädter

20 21 22 23 24 25 26 27

Bunke, Deutsche Möbelindustrie, S. 49 Vgl. o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 3, in: Innendekoration 31 (1920), H. 3, S. 114–115, hier: S. 114–115 Vgl. ebd., S. 115 Behrens, Peter: Wohnkultur, in: Die Leipziger Mustermesse 4 (1920), H. 24 (23.10.1920), S. 331–332, hier: S. 331 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) o. A., Möbelnot und Möbelpreise, Teil 1, S. 420 o. A., Möbelnot und Möbelpreise, Teil 3, S. 114 Vgl. ebd., S. 115 Vgl. o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 2, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S.  66–68, hier: S. 66; 68

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9  Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg

­ öbelfabrik Joseph Trier beschrieb den Möbelmarkt als „recht undurchsichtig“28, denn die M Möbelproduktion sei „ganz fleißig“29, aber die Menge bleibe deutlich hinter der aus Friedenszeiten zurück. Karl Schmidt von den Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst sah keinen Mangel an einfachen Möbeln und nannte den Verkauf „sehr flott“.30 Er hatte beobachtet, dass „die Magazine wieder anfangen sich zu füllen, und ich bin überzeugt, daß etwa in einem Vierteljahr alles in Ordnung sein wird“.31 Die Lage scheint sich danach etwas entspannt zu haben. In den Jahren nach 1921 gab es keine Zeitschriftenartikel mehr zur Möbelnot, aber es dauerte noch etliche Jahre, bis sich die Lage normalisiert hatte. An die Verbraucher appellierte Emil Utitz 1919 in seinem Artikel Wohnungsgestaltung nach dem Kriege, sich trotz des Mangels keine billigen Möbel zu kaufen, um sie dann so bald wie möglich durch bessere auszutauschen, sondern, wenn es der finanzielle Spielraum möglich mache, von vornherein bessere Möbel zu erwerben: Prinzip muß – wenn es nur irgendwie angeht – stets sein, keine Provisorien zu schaffen, also keine Gegenstände ‚auf Zeit‘ zu kaufen, schon mit dem Gedanken, sie durch ‚bessere‘ zu ersetzen. Denn dann gewinnt man sie nicht lieb sie bleiben fremd; unwillkommene Gäste, auf deren Verabschiedung man ungeduldig wartet.32

Weil dem Mittelstand für den Möbelkauf das Geld fehlte, klagte der Möbelhandel über Absatzschwierigkeiten, unter anderem wirkt gerade der schwere wirtschaftliche Druck, unter dem die deutschen Mittelschichten, die früher auch zum Teil Verbraucher von Qualitätsmöbeln waren, seufzen, lähmend auf deren Kaufkraft in Zukunft ein.33

Demgegenüber zeigte sich eine „außerordentlich schnelle Entwicklung“34 an der Leipziger Messe. Die Zahl der Aussteller stieg von 3700 im Frühjahr 1918 über 5476 im Herbst 1918 auf 8325 im Frühjahr 1919, die „stärkste Beteiligung aller bisherigen Kriegs- und Friedensmessen im In- und Ausland“.35 Zu dieser Frühjahrsmesse 1919 gab es erstmals auch eine Entwurfs- und Modellmesse, die eine „Vermittlungsstelle zwischen Künstlern und Fabrikanten“36 sein sollte. Hersteller sollten Anregungen für Produkte und ihre Gestaltung bekommen, Künstler ihre Ideen vorstellen und Aufträge erhalten. Die Auswahl traf ein Ausschuss aus Künstlern, Fabrikanten und Kaufleuten. Es sind Entwürfe, die den Bedürfnissen der auf der Messe vertretenen Industrien Rechnung tragen, also vor allem für Metallwaren, Schmuck, Möbel, Schnitzereien und Intarsien, Drechlerarbeiten [sic!], 28 o. A., Möbelnot und Möbelpreise, Teil 1, S. 420 29 Ebd. 30 o. A., Möbelnot und Möbelpreise, Teil 2, S. 68 31 Ebd. 32 Utitz, Wohnungsgestaltung nach dem Krieg, S. 54 33 Maaß, Möbelproduktion und Möbelkonsumtion, S. 12 34 Voss, Der Aufschwung der Leipziger Messe seit 1919, S. 17 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1431 (Bd. 2)); Vgl. Kap. 8.3.2. 35 Meßamt für die Mustermesse in Leipzig (Hrsg.): Die Bedeutung der Leipziger Messe für Fabrikanten und Kaufleute, o. O. 1919, S. 7 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D889) 36 Voss, Der Aufschwung der Leipziger Messe seit 1919, S. 19 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 Nr. 1431 (Bd. 2))

9.2 Marktentwicklung

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Spielwaren, Gebrauchs- und Ziergläser, Glasbilder, Spiegel, Keramik aller Art, plastische Modelle, Wirkund Webwaren, bedruckte Stoffe, Gardinen, Spitzen und Stickereien, Perlarbeiten, Teppiche, Linoleum, Plattenbelag und Tapeten.37

Bald zeigten sich die Produktideen auf dem Möbelmarkt. Es wurden neue Möbeltypen angeboten, Nachfolger der „leicht-transportable[n] Verwandlungs-Möbel“38, die 1899 erstmals in einem Preisausschreiben der Illustrirten kunstgewerblichen Zeitschrift für Innen-Dekora­tion angeregt wurden. Die Möbel wurden leichter, beweglicher und handlicher.39 So berichtete Heinrich Geron 1925 in der Innendekoration über den Klubsessel, ein „spezifisch zeitgemäße[s] Möbel[…]“40, das in jeden Raum passe und an keinen gebunden sei: außer dem Speisezimmer gibt es ja kaum einen Raum im Heim, wo man ihn nicht in irgend einem geeigneten Modell gern hätte….Gestehen wir es offen ein: wir nehmen am liebsten in so einem gediegenen, komfortablen ‚Easy-Chair‘ lehnend den Tee.41

Als weitere Sitzgelegenheit kamen Diwan oder Ottomane in Mode, die mit ihrer Kombination von Liegen und Sitzen beide weniger steif wirkten als das Sofa und, ähnlich wie in der Antike, für „zwanglose, sachliche Anmut“42 standen. Kommoden ersetzten mächtige Truhen und statt eines einzigen großen Schranks gab es im Ankleidezimmer häufig zwei kleinere. Anstelle des schweren Schreibschranks kam ein nüchterner „Flach-Schreibtisch ohne Aufsatz“43 ins Arbeitszimmer. Zu den neu entwickelten Möbeln gehörte der Teewagen, ein kleines Regal auf Rädern, um Geschirr, Speisen und Getränke abzustellen und zu transportieren. Während das Kaffeetrinken mit Kuchen nach strengen Regeln am Tisch stattfand, stand auch der Teewagen für das Moderne und Zwanglose: Die große Dame von heute empfängt nicht einmal immer im Salon, sie bittet sogar Herren in ihr Boudoir, man sitzt zwanglos, kann sich im Raum bewegen, ans Fenster oder zum Bücher-Regal gehen, man bedient sich selbst und ist anderen dabei behilflich, man sitzt einmal da im Sessel, und ein andermal setzt man sich ein bißchen aufs Sofa.44

Geron charakterisierte Teewagen, Klubsessel und die anderen leichteren Möbel als „Teil der modernen Wohnlichkeit“45, als Spiegelbild des veränderten Gesellschaftslebens, das auch die Diskussion um den richtigen zeitgemäßen Stil wiederbelebte.

37 o.A: Die Entwurfs- und Modellmesse in Leipzig und die Fabrikanten, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 1 (1.6.1919), S. 85 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D697–699) 38 S., Leicht-transportable Verwandlungs-Möbel, S. 37 39 Vgl. Hartwig Fischel: Die Wohnung des Mittelstandes einst und jetzt, in: Innendekoration 29 (1918), H. 10, S. 282–285, hier: S. 283 40 Geron, Heinrich: Moderne Wohnlichkeit, Teil 2: Wohnform und Gesellschaftsformen, in: Innendekoration 36 (1925), H. 5, S. 178–180, hier: S. 178 41 Ebd. 42 Ebd., S. 180 43 Geron, Heinrich: Moderne Wohnlichkeit, Teil 1: Bemerkungen über Raum und Einzelmöbel, in: Innendekoration 36 (1925), H. 3, S. 94–95, hier: S. 95 44 Geron, Moderne Wohnlichkeit, Teil 2, S. 180 45 Ebd., S. 178

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9  Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg

9.3 Stilentwicklung In ihrem ersten Katalog nach dem Krieg, dem Preisbuch 1919 Das Deutsche Hausgerät, setzten die Deutschen Werkstätten, ehemals Deutsche beziehungsweise Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, ausdrücklich wieder auf den Mittelstand, für den sie schlichte und transportable Möbel produzierten: Die Deutschen Werkstätten bauen ihre Möbel auf den Verhältnissen und Bedürfnissen des Mietshauses auf, das den größten Teil der heutigen Stadtbevölkerung beherbergt. Darnach [sic!] darf die Einrichtung nicht zu umfangreich, noch zu schwer sein; sie muß vielmehr die Fähigkeiten besitzen, sich leicht und angenehm gruppieren zu lassen. Ja selbst innerhalb eines Stückes wird überlegteste Raumaufteilung und Ausnützung nötig. Die Zweckmäßigkeit der Form erhöht sich noch weiter dadurch, daß einzelne Möbel, wie Büchergestelle oder Kleiderkästen, durch Anbauten ergänzt werden können, die sich unauffällig und harmonisch einfügen lassen.46

Es waren nach wie vor gut gestaltete Möbel, die die Deutschen Werkstätten herstellten. In dieser Qualität sahen sie nach dem Krieg ein zusätzliches Verkaufsargument: Denn der Mangel an Rohstoffen mache es nämlich erforderlich, ausschließlich gute Ware zu produzieren. Alles andere wäre „Materialvergeudung“47 und „ein Verbrechen an dem ganzen Volk“.48 Außerdem würden durch die längere Lebensdauer baldige Neuanschaffungen überflüssig. Vor allem aber seien durch die maschinelle Herstellung aus gleichen, standardisierten Bestandteilen für unterschiedliche Modelle diese „Typenmöbel der Deutschen Werkstätten ein typischer Ausdruck unserer Zeit und Lebensansprüche“.49 Die Möbel waren also nicht nur Möbel, sondern wie schon vor dem Krieg auch Ausdruck eines Lebensstils. Es fällt auch auf, dass der frühere Begriff ‚Maschinenmöbel‘ von den Deutschen Werkstätten nicht mehr verwendet wurde. Der stattdessen benutzte Begriff der ‚Typenmöbel‘ stand zunächst für die maschinell gefertigten Möbel von Bruno Paul, die er 1908 für die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München entworfen hatte. Doch nach dem Krieg arbeitete Bruno Paul auch für die Deutschen Werkstätten und lieferte zusammen mit Karl Bertsch in den 1920er Jahren die meisten Entwürfe.50 Der verwandte Begriff der ‚Typisierung‘ hatte sich allgemein durchgesetzt, um die maschinelle Produktion günstiger und qualitativ besserer Möbel für die Mittelstandswohnung zu bezeichnen.51 Die Möglichkeiten der maschinellen Produktion waren weiter fortgeschritten, so dass trotz der Typisierung mit ihrer Vielzahl maschinell hergestellter Formen die jeweilige künstlerische Persönlichkeit des Entwerfers zum Ausdruck kommen könne, wie die Deutschen Werkstätten in ihrem Preisbuch 1919 behaupteten.52 Man kann vermuten, dass Möbel aus der Maschine in der Nachkriegszeit viel selbstverständlicher geworden waren. Jedenfalls gab es 46 47 48 49 50

Deutsche Werkstätten: Preisbuch 1919: Das Deutsche Hausgerät, Hellerau 1919, S. 11 (SHStAD 2943) Ebd., S. 9 (SHStAD 2943) Ebd. (SHStAD 2943) Ebd., S. 13 (SHStAD 2943) Vgl. ebd. (SHStAD 2943); Vgl. Erich Haenel: Neue Räume der Deutschen Werkstätten Dresden, in: Dekorative Kunst 23 (1919/1920), S. 325–348; Vgl. Klaus-Peter Arnold, Vom Sofakissen zum Städtebau, S. 108 51 Vgl. Hartwig Fischel, Die Mietswohnung einst und jetzt, S. 283; Vgl. Deutsche Werkstätten, Preisbuch 1919: Das Deutsche Hausgerät, S. 13 (SHStAD 2943) 52 Deutsche Werkstätten, Preisbuch 1919: Das Deutsche Hausgerät, S. 13 (SHStAD 2943)

9.3 Stilentwicklung

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dazu in der Innendekoration keine Grundsatzartikel mehr, sondern viel eher Empfehlungen für Leser, die noch skeptisch waren. So ist 1924 ein Artikel Räume und Serienmöbel – Gute Serienmöbel sind ‚gangbar‘ überschrieben, in dem der Architekt Carl Müller die Bielefelder Möbelfabrik C. Echterbecker53 erwähnt. Ihre Möbel „werden in sehr großen Serien hergestellt und sind bei allerbester Verarbeitung sehr preiswert“.54 Der Mangel und die beengten Wohnverhältnisse in der Nachkriegszeit wurden in den kunstgewerblichen Zeitschriften häufig angesprochen. Sie erschienen jetzt als gute Voraussetzungen, um den modernen, schlichten Stil durchzusetzen. Der Mangel sollte die Geschmacks­ er­ziehung vorantreiben.55 Über Schönheit in der Beschränkung schrieb Robert Corwegh 1920 in der Innendekoration: Wir werden in unseren Bauten enger aneinander rücken müssen, wir werden dem goldenen Überfluß in jeder Form entsagen; niemals aber wollen und dürfen wir der Kunst entsagen. – Mit dem Überfluß wird auch das Überflüssige aus dem bürgerlichen Heim verschwinden: die wertlosen Nippes, die Bordbretter ausfüllten, der japanische Fächer an der Wand, die Holzbrandmalerei der höheren Tochter, alle geschmacklosen „Galanterie“-Ungeheuerlichkeiten. Wir werden wieder wie unsere Ahnen auf die Dauerhaftigkeit der Kaufgegenstände achten lernen und Formen wählen, denen wir nicht so schnell überdrüssig werden.56

In ähnlicher Weise äußerte sich in derselben Zeitschrift auch die Schriftstellerin Marie von Bunsen. Sie beschrieb ausführlich die Stil-Schönheit der Klein-Wohnung und warb für „harmonische Zweckmäßigkeit“.57 Auch Hermann Muthesius ging 1919 in der dritten Auflage seines 1915 erschienenen Buches Wie baue ich mein Haus? auf die beengten Wohnverhältnisse der Nachkriegszeit ein und beschrieb das Familienwohnzimmer als neuen Mittelpunkt des bürgerlichen Hauses:

53 Leider ist im Stadtarchiv Bielefeld kein Archivbestand der Firma erhalten. 54 Müller, Carl: Räume und Serienmöbel. Gute Serienmöbel sind ‚gangbar‘, in: Innendekoration 35 (1924), H. 12, S. 382–383, hier: S. 383 55 So forderte auch Peter Behrens 1920: „Darum ist es an der Zeit, und wir haben die beste Gelegenheit dazu, aus unserer Not eine Tugend zu machen, indem wir zum Einfachen streben, die schöne Linie des Möbels, seine Verhältnisse, seine handwerkliche gediegene Arbeit höher stellen als alle Politur, geschnitzten Prunk und unangebrachte Monumentalität“ (Behrens, Wohnkultur, S. 331) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701); Vgl. Andreas K. Vetter, Das schöne Heim, S. 92–93 56 Corwegh, Robert: Schönheit in der Beschränkung, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S. 80–81, hier: S. 80 57 Bunsen, Marie, von: Stil-Schönheit der Klein-Wohnung, in: Innendekoration 31 (1920), H. 11, S. 376–377, hier: S. 377; „Diese Größen-Verhältnisse der Vergangenheit ließen sich auch auf unsere unumgänglichen Mietskasernen vorteilhaft übertragen. Beträchtliche Ersparnisse sowohl der Einrichtung wie der Bedienung ergeben sich dann von selber, leichter und sicherer läßt sich das Maßgebende erzielen – die Qualität in der Ausstattung wie der Instandhaltung: das Merkmal einfach gesunder Kultur! Viel hat man in den letzten Jahren über eine geläuterte Geselligkeit geredet, unmerklich verhilft der kleinere Raum zu besseren Gewohnheiten, zu intimerer Bewirtung. Diese erfreulichen Gefolgschaften der Raum-Beschränkung geschehen ohne Einbuße an Schönheit, Gesundheit, Vornehmheit, wenn man den Stil erfaßt. Mögen die Vielen, die sich von nun an beschränken müssen, einsehen: Raumfülle ist nicht unbedingt erforderlich, harmonische Zweckmäßigkeit, geschmackvolle Gediegenheit werde angestrebt“ (Bunsen, Stil-Schönheit der Klein-Wohnung, S. 377)

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9  Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg

Der unglückliche Ausgang des Krieges zwingt uns überall zu äußerster Sparsamkeit, die bisher üblichen großen Häuser werden durch kleine ersetzt werden, wir werden uns in der Anzahl und Ausdehnung der Zimmer bedeutend einschränken müssen. Das ist an sich kein großes Unglück. […] Das Familienwohnzimmer wird dann den Hauptraum des Hauses bilden und im Grundriß die durchaus beherrschende Stellung einnehmen. Das Familienwohnzimmer schließt nicht nur das Empfangszimmer, das Zimmer der Frau und das Musikzimmer in sich und vereinigt somit die zersplitterten Bedingungen dieser drei Räume des größeren Hauses, sondern ersetzt häufig auch das Zimmer des Herrn. […] Ja, dieses Familienwohnzimmer dient im kleineren Hause häufig auch zugleich als Eßzimmer.58

Zur Möblierung dieses Zimmers gehörten der Esstisch, der auch als Sofatisch genutzt werden konnte, ein Schreibtisch am Fenster, Nähtisch, Klavier sowie Bücher- und Glasschrank.59 Man war sich einig, dass für die Einrichtung der Wohnung genutzt werden sollte, was vorhanden und verfügbar war. Damit trat auch das Einzelmöbel in den Vordergrund, denn vollständige Zimmereinrichtungen, die sogenannten ‚Garnituren‘, waren entweder nicht zu haben oder viel zu teuer60, wie der Architekt Karl Pullich 1925 in der Innendekoration deutlich machte. Damit wurde aber die Stilreinheit aufgegeben, die vor der Jahrhundertwende als Reaktion auf den Stilpluralismus im Historismus zum neuen Maßstab von Geschmack und Qualität geworden war. Ausdrücklich empfahl Joseph August Lux jetzt, neue Möbel mit geerbten zu kombinieren, zum Beispiel mit Biedermeiermöbeln, die er für besonders geeignet hielt61, auch wenn dies der Stilreinheit widersprach: Man komme mir nicht mit der Stilfrage und der sogenannten Stilreinheit. Wir pflegen ja auch nicht unseren Großvater zu erschlagen, damit er unsere Persönlichkeit, die wir als Stil empfinden,[nicht] störe. Im Gegenteil, wir ehren ihn, und ehren uns dadurch selbst. Die Stileinheit wird lediglich gewahrt durch Qualität, die uns über das Plebejertum erhöht. […] Die Einheit liegt in dem persönlichen Geschmack, der seine vielseitigen Beziehungen zur Menschheit und dem Besten, was alle Zeiten und Völker hervorgebracht haben, in dem häuslichen Um und Auf abspiegelt.62

58 Muthesius, Hermann: Wie baue ich mein Haus?, München 1919, S. 211–212 59 Vgl. ebd., S. 212; Hermann Muthesius befasste sich 1921 in der Dekorativen Kunst auch mit der Frage, welche Räume notwendig und welche verzichtbar waren: „Das kleinste bürgerliche Haus wird also das mit Küche, vereinigtem Wohn- und Eßzimmer und drei Schlafzimmern [also für Eltern und „Kinder beiderlei Geschlechts“ (S. 116)] sein; das erweiterte wird außer den genannten Räumen noch ein Arbeitszimmer enthalten. Das ist der eiserne Bestand des kleinen Bürgerhauses. Alle weiteren Räume sind zwar angenehm und unter Umständen auch nützlich, aber für das eigentliche Wohnen nicht nötig. Sie sind als Zusatzräume zu bezeichnen, die nur dann herangezogen werden sollten, wenn überschüssige Mittel dafür vorhanden sind“ (Muthesius, Hermann: Die notwendigen und entbehrlichen Räume des Hauses, in: Dekorative Kunst 29 (1921), S. 110–112, S. 116–120, hier: S. 116) 60 Vgl. Karl Pullich: Vom neuen Einzel-Möbel, in: Innendekoration 33 (1922), H. 3, S. 114–116, hier: S. 114: „Garnitur muß sein! Hier äußert sich ein Philistertum ohnegleichen. So entstand die öde Langeweile, die sich heute in den Marktwaren-mäßigen Speise-, Herren-, Schlaf- usw. Zimmern mit ihren ewig wiederkehrenden Zwangs-Einheiten in Tausenden unserer Bürgerwohnung ausdrückt“; Vgl. Heinrich Geron, Moderne Wohnlichkeit, Teil 1, S. 94–95 61 Vgl. Joseph August Lux, Alte Möbel in neuen Räumen, S. 279 62 Lux, Alte Möbel in neuen Räumen, S. 278–279; Vgl. auch Joseph Frank: Die Einrichtung des Wohnzimmers, in: Innendekoration 30 (1919), H. 12, S. 416–417, hier: S. 416: „Wohnzimmer, die nicht nur Repräsentationszwecken dienen, sind keine Kunstwerke und auch keine in Farbe und Form wohlabgestimmten Harmonien, deren einzelne Teile (Tapeten, Teppiche, Möbel, Bilder) ein fertiges Ganzes bilden, in dem sie nun unauflöslich verbunden sind. […] Wohnzimmer sollen im Gegenteil Räume sein, die […] alle die Gegenstände, die

9.3 Stilentwicklung

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Hieran wird deutlich, dass mit dem persönlichen Geschmack die Selbstrepräsentation immer individueller wurde. Schon vor dem Krieg war es nicht mehr darauf angekommen, Vorbilder nachzuahmen, sondern jeder konnte Vorbild werden. Aber nach dem Krieg war das gesellschaftliche Verhalten noch lockerer geworden. Man sollte sich möglichst natürlich geben und nicht bloß förmliche Anstandsregeln peinlich genau befolgen.63 Dieses freiere Verhalten sollte sich auch in der Einrichtung widerspiegeln. Die geschmackvolle Wohnung war deshalb nicht mehr ein „kunstgeschichtliches Beispiel für reinen Stil“64, sie zeigte sich auch nicht als einmaliges Dokument, wie man sich gerade in der Zeit einrichtete, als man sie begründete, sondern als historischer Vorgang, der sich über Jahrzehnte erstrecken kann.65

Denn im Laufe der Zeit wurden selbstverständlich auch damals Möbel ausgetauscht oder ergänzt: So wird man sich da einen bequemeren Stuhl zulegen und dort einen Klubsessel, ein hübsches Tischchen oder eine Vitrine, wenn man genug Glas, Porzellan und andere Niedlichkeiten gesammelt hat.66

Die historische Stillehre war überholt, der schlichte, sachliche Stil, auch ergänzt um ältere Einzelmöbel, war nun der Maßstab – auch in Tischlerzeitschriften. So druckte Der Innenausbau 1920 den von „Cl.“ verfassten dreiteiligen Artikel Gedanken über Wohnkultur ab. Nur das schlichte Möbel sei ein „Qualitätsmöbel“67, schrieb „Cl.“ und kritisierte die Verbraucher, die den schlichten Möbeln die prunkvollen vorzögen und ihre Wohnungen nicht individuell genug einrichteten. Denn der in den Zeitschriften vorgestellte neue sachliche Stil, „diese auf die Einfachheit gerichtete Rückwendung“68 in Formen des Biedermeier, entsprach nicht so sehr den Geschmacksvorlieben weiter Teile des bürgerlichen Mittelstands, wo Möbel im Stil der Neorenaissance weiter wegen ihrer „unhinterfragten repräsentablen Note und dekorativen Raumwirkung“69 geschätzt wurden. Ein Jahr später berichtete die Innendekoration, als sie Möbel von Peter Behrens und Heinrich Tessenow vorstellte, über den neuen sachlichen Stil und über einige Initiativen zur Geschmackserziehung:

die Bewohner in ihrer Umgebung haben wollen, als organischen Bestandteil in sich aufnehmen […] können, ohne den Charakter zu verlieren.“ 63 „Konventionen werden nicht mehr als absolut autoritativ angesehen, Steifheit und Formalität sind schon geradezu Unform. Freimut und Offenheit, ganz natürliches Sichgeben anstatt des Zeremoniellen und der Poliertheit sind zur Ziemlichkeit des erzogenen Erdenbürgers geworden. Wer zwangshaft und mit betonter Bewußtheit äußere Anstandsregeln befolgt, der wirkt entweder gekünstelt oder so, als ob er den inneren Takt nicht hätte, der ist alles andere in seinem Benehmen, nur nicht modern, er paßt nicht in die Zeit, nicht in den Klubsessel“. (Geron, Moderne Wohnlichkeit, Teil 2, S. 180) 64 Utitz, Wohnungsgestaltung nach dem Kriege, S. 59 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Cl.: Gedanken über Wohnkultur, Teil 2, in: Der Innenausbau 19 (1920), H. 16/17 (23.4.1920), S. 151–152, hier: S. 151 68 Vetter, Das schöne Heim, S. 92 69 Ebd., S. 93

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Um die breite Masse mit dem Gedanken dieser neuzeitlichen Wohnungs-Bestrebung vertraut zu ­machen, finden ständig Führungen der Schulen, die dort zeichnen, der Gewerkschaften und Angestellten-Verbände, Hausfrauen- und Beamten-Organisationen statt, bei denen es hauptsächlich darauf ankommt, in weitesten Kreisen für den Qualitäts-Gedanken Schule zu machen. Das Technische, der Charakter der Handarbeit, wird an Modell-Stücken erläutert und gezeigt, mit welchen geringen Mitteln die Möglichkeit besteht, sich ein Heim freundlich und wohnlich zu gestalten.70

Solche Initiativen zur Geschmackserziehung wurden aber bei weitem nicht als ausreichend angesehen. Künstler und Fabrikanten sollten, wie vor dem Krieg auch, als Geschmackserzieher wirken, verlangte Karl Groß, Direktor der Dresdner Kunstgewerbeschule, 1920 in seinem Artikel Die Künstler und die Industrie in der Beilage Kunst und Industrie zur Zeitung Die Leipziger Mustermesse.71 Als „Geschmacksmesser für die deutsche Produktion“72 wurde die Leipziger Mustermesse deshalb verändert. Sie war nämlich, wie Hermann Muthesius 1920 in der gleichen Beilage Kunst und Industrie schrieb, „im großen ganzen heute noch eine Anhäufung von Kitsch“.73 Hier wurden vor allem Massenerzeugnisse ausgestellt, aber keine Qualitätsprodukte. Deshalb war bereits ein Jahr zuvor, 1919, erstmals die Entwurfs- und Modellmesse veranstaltet worden. Hier war ein kleiner Teil der Mustermesse für künstlerisch gestaltete Qualitätsprodukte vorgesehen: Sie werden von dem Heer der Meßbesucher zum mindesten betrachtet werden. Und der erfolgreiche Kitschhändler mag noch so sehr die Achsel zucken, er wird ein Gefühl der Achtung vor diesem Edelerzeugnis nicht unterdrücken können.74

Diese Entwurfs- und Modellmesse war eine Idee des Deutschen Werkbundes, die er schon 1918 geäußert hatte.75 Ihm ging es um eine „Qualitätsschau als Erziehungsmittel vor allem für die Hersteller“76, um auch Deutschlands Stellung im Außenhandel zu stärken. Er schlug deshalb eine Sonderschau im Anschluss an die Messe vor, die aber nach vielfachen Bedenken in die Messe eingegliedert wurde.77 Sie sollte Künstler mit Fabrikanten zusammenbringen, um ihnen laufende Aufträge oder dauernde Beschäftigung zu vermitteln, wie es in den Leitsätzen zur ersten Modellmesse im Frühjahr 1919 heißt.78 Für den Werkbund, der nach dem Krieg mit einer 70 Redslob, Erwin: Hausrat von gestern und heute. Möbel von Prof. Behrens und Tessenow, in: Innendekoration 32 (1921), H. 12, S. 378–380, hier: S. 380 71 Vgl. Karl Groß, Der Künstler und die Industrie, S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) 72 Muthesius, Hermann: Die Mustermesse als Geschmackserzieherin, in: Kunst und Industrie 1 (1920), H. 5 (8.5.1920), S. 51–54, hier: S. 53 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) 73 Ebd. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) 74 Ebd., S. 54 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) 75 Vgl. Heinrich Osel: Der Deutsche Werkbund und die Leipziger Messe, in: Die Leipziger Mustermesse 2 (1918), H. 4 (15.6.1918), S. 76–77, hier: S. 76 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) 76 Corwegh, Robert: Modellausstellung für Produzenten als Qualitätsschau, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 4 (11.7.1919), S. 54–55, hier: S. 55 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699); Vgl. Heinrich Osel, Der Deutsche Werkbund und die Leipziger Messe, S. 76 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) 77 So forderte der Münchner Landtagsabgeordnete Heinrich Osel: „Also: Eingliederung der Arbeit des Werkbundes in den bewährten Betrieb der Leipziger Messe, nicht Separation, die immer nach Ueberhebung schmeckt und damit dem guten Kern der Werkbundbestrebungen Schaden bringt!“ (Osel, Der Deutsche Werkbund und die Leipziger Messe, S. 77) (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) 78 Vgl. o.A: Der Deutsche Werkbund und die Entwurfs- und Modellmesse, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 4 (11.7.1919), S. 79 (SStAL, Leipziger Messamt (I) D 697–699)

9.3 Stilentwicklung

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Ausstellung in Kopenhagen 1919 an die Öffentlichkeit ging79, war die Nachkriegszeit in Bezug auf die „hochwertige Arbeit im Handwerk, Gewerbe und Industrie“80 der richtige Moment, um sich wieder Gehör zu verschaffen: Niemals waren die Umstände günstiger; denn jetzt erst, wo es Deutschland bitter schlecht geht, wird die sittliche Idee des Bundes recht lebendig, jetzt erst kann er seine Mission ganz erfüllen.81

Mit der Entwurfs- und Modellmesse wollte der Werkbund großen Einfluss auf die Leipziger Messe nehmen, denn er glaubte weiterhin an die erzieherische Wirkung von Ausstellungen. So oblag die Organisation der Entwurfs- und Modellmesse einem Sachverständigenausschuss, dem neben dem Messamt Vertreter von Fabrikanten, Händlern, Künstlern und Presse angehörten. Die Heilbronner Möbelfabrik Bruckmann & Söhne zählte als einziger Möbelhersteller zu den vier Fabrikantenvertretern, Peter Behrens und Adelbert Niemeyer, Mitbegründer der Deutschen Werkstätten und des Deutschen Werkbundes, waren zwei der vier Künstlervertreter.82 Die Aussteller wählte der Hauptaufnahme-Ausschuss aus, dem namhafte Künstler und langjährige Werkbund-Mitglieder wie Peter Behrens, Walter Gropius, Bernhard Pankok, Bruno Paul, Richard Riemerschmid und Adelbert Niemeyer angehörten, außerdem Direktoren und Lehrer der Kunstgewerbeschulen in Frankfurt/M., Dresden, Breslau, Stuttgart, Berlin und München. Aber bereits ein Jahr später verzichtete der Werkbund wieder auf die Teilnahme, weil die Leitung von Deutschlands größter und wichtigster Messe in Leipzig angeblich kein Verständnis für die Vorstellungen des Werkbundes hatte und „dessen Ansehen nur rein kaufmännisch auszunützen“83 suchte. Tatsächlich war dieser Entschluss Ergebnis eines Richtungsstreits im Werkbund84 und viele Mitglieder nahmen trotzdem als Einzelpersonen an der Messe teil. Die Absage an Leipzig war auch keine allgemeine Absage an Messen. Denn der Werkbund arbeitete danach mit der neuen Frankfurter Messe zusammen und zeigte ausgewählte Qualitätsprodukte in dem dort 1921 eingerichteten ‚Haus Werkbund‘. Zur gleichen Zeit beschloss er außerdem die Teilnahme an der seit 1919 geplanten ‚Deutschen Gewerbeschau‘ in München, die dann 1922 stattfand.85 Der Werkbund setzte nicht nur auf Geschmackserziehung durch Messen, sondern er konnte 1919 auch durchsetzen, dass die Reichsregierung für die Beziehungen zu den Künst79 Dazu Theodor Heuss in einem Bericht über die Ausstellung: „Was wir wollten und was erreicht wurde, ist eine geistige Auseinandersetzung mit dem, was in den letzten zwanzig Jahren von deutschen Künstlern und Industriellen in der geschmacklichen Durchbildung und Formung der Produktion geleistet wurde“ (Heuss, Theodor: Werkbund-Ausstellung in Kopenhagen, in: Deutsche Kunst und Dekoration 43 (1918/1919), S. 253– 263, hier: S. 256) 80 Scheffler, Karl: Ein Arbeitsprogramm für den Deutschen Werkbund, in: Kunst und Künstler (1920), S. 43–52, hier: S. 48–49 81 Ebd., S. 49 82 Vgl. o. A.: Die Organisation der Entwurfs- und Modellmesse, in: Kunst und Industrie 1 (1920), H. 1, S. II 83 Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 187 84 Vgl. ebd., S. 187–188 85 So schrieb Richard Graul in der Dekorativen Kunst: „Wie richtig diese Auffassung von dem kulturellen Wert des Kunstgewerbes ist, wird auf der Frankfurter Messe das Werkbundhaus beweisen. Und die großen Unternehmungen des nächsten Jahres, wie die Gewerbeschau München 1922, die keramische Fachausstellung in Dresden und wohl auch die Veranstaltungen der Exportwoche in Hamburg sind alle durchdrungen von dem Gedanken, das Kunstgewerbe in bestmöglichen Auslesen und repräsentativer Vorführung zu zeigen“

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lern das Amt des ‚Reichskunstwarts‘ einrichtete, das dem Innenministerium unterstellt war.86 Noch wichtiger aber war, dass zwei langjährige Werkbund-Mitglieder Schulen leiteten und im Sinne des Werkbundes erzieherisch tätig waren.87 Walter Gropius gründete 1919 das Staatliche Bauhaus Weimar und wurde dabei vom Werkbund durch Schreiben an die Regierung von Sachsen-Weimar unterstützt. Bruno Paul vereinte die Kunstgewerbeschule in Berlin, die er seit 1906 leitete, mit der Hochschule der Freien Künste Berlin und wurde 1924 Direktor der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin.88 Zum Ende des Jahrzehnts, 1929, zog die Innendekoration eine Bilanz der Stilentwicklung seit Kriegsende.89 Diese Zeitschrift hatte wie auch die Dekorative Kunst zwischen 1918 und 1929 in vielen Artikeln über zeitgemäßes Wohnen und Einrichten berichtet, zum Beispiel über Das neuzeitliche Bürgerhaus, Neue Architektur und Wohnungskultur, Praktische Wohnräume, Räume für den Mittelstand, Ein neuzeitliches Wohnhaus, Eine ‚Einzimmer-Wohnung‘, Die Miethaus-Wohnung, Das Klein-Wohnhaus, Kleinhausmöbel oder auch über Wohnkultur und Raum-Einrichtung.90 Dabei ging es um qualitätvolle Möbel, moderne Raumgestaltung oder neue Wohnformen. Besprochen wurde die bürgerliche Raumgestaltung des Bielefelder Architekten Paul Griesser von den Paderborner Werkstätten Bernard Stadler91, aber auch die von Adolf G. Schneck entworfene Möbelserie Die billige Wohnung der Deutschen Werkstätten,

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(Graul, Richard: Kunstgewerbe auf der Leipziger Herbstmesse, in: Dekorative Kunst 25 (1921/1922), S. 14–24, hier: S. 16) Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 145–147 Vgl. Walter Gropius Die neue Bau-Gesinnung. Lebenskultur ist die Voraussetzung einer Baukultur, in: Innendekoration 36 (1925), H. 4, S. 134–137; Vgl. Walter Gropius: Das Wohnhaus der Neuzeit. Einige Äusserungen zu einem aktuellen Problem, in: Innendekoration 37 (1926), H. 8, S. 310; Vgl. Walter Gropius: Standardisierung und Handwerk. Die unentbehrliche Mitarbeit des Handwerks, in: Innendekoration 38 (1927), H. 9, S. 360; Vgl. Andreas Bossmann/Wolfgang Thöner: Das Bauhaus 1919 bis 1933. Ursprünge und Vorgeschichte des Bauhauses, in: Leismann, Burkhard (Hrsg.): Das Bauhaus. Gestaltung für ein modernes Leben, Köln 1993, S. 15–27 Vgl. Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund, S. 151–152 Vgl. Josef Berger: Die Stil-Richtungen. Versuch einer Sichtung, in: Innendekoration 40 (1929), S. 210–214 Kutzner: Das neuzeitliche Bürgerhaus, in: Dekorative Kunst 32 (1928/1929), S. 1–7; Schürmeyer, Walter: Neue Architektur und Wohnungskultur, in: Dekorative Kunst 30 (1926/1927), S. 273–286; R.: Praktische Wohnräume, in: Innendekoration 40 (1929), H. 8, S. 132–134; Freund, C. M.: Räume für den Mittelstand: Die ‚Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk‘, in: Innendekoration 39 (1928), H. 2, S. 99; May, Ernst: Ein neuzeitliches Wohnhaus, in: Innendekoration 38 (1927), H. 1, S. 38–41; R.: Eine ‚Einzimmer-Wohnung‘ und andere Arbeiten von Otto Niedermoser und Hans Vöth, in: Innendekoration 37 (1926), H. 8, S. 306–307; Marso, Fritz: Die Miethaus-Wohnung: Forderungen der Neuzeit, in: Innendekoration 37 (1926), H. 11, S. 407–408; Lang, H.: Das Klein-Wohnhaus, in: Innendekoration 37 (1926), H. 11, S. 408; Wiener, Alfred: Kleinhausmöbel, in: Dekorative Kunst 30 (1921/1922), S. 139–142; Wenzel, Alfred: Wohnkultur und Raum-Einrichtung, Teil 1: das Problem und das Problematische, in: Innendekoration 37 (1926), H. 11, S. 390–393; Wenzel, Alfred: Wohnkultur und Raum-Einrichtung, Teil 2: das Problem und das Problematische, in: Innendekoration 37 (1926), H. 12, S. 422–423 Die Paderborner Werkstätten Bernard Stadler hatten schon vor dem Krieg große Bedeutung: Vgl. Wilfried Reininghaus, Das Handwerk in Paderborn im frühen 19. und 20. Jahrhundert, S. 365: „Stadler war ein Mitbegründer des Werkbundes, seine Möbel fanden große Beachtung auf den Werkbund-Ausstellungen vor dem Ersten Weltkrieg. Er betonte ein Jugendstil-Design und verkaufte seine Möbel in eigenen Verkaufsstellen in Berlin und anderen Großstädten. 1914 beschäftigte er weit mehr als 100 Gesellen und Lehrlinge“.; Vgl. Ernst Schur: Die Werkstätten Bernard Stadler in Paderborn, in: Dekorative Kunst 20 (1912), S. 281–293; Vgl. Hugo Lang-Danoli: Die Paderborner Werkstätten, in: Innendekoration 20 (1909), H. 3, S. 105–108

9.3 Stilentwicklung

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schließlich die von Ernst May gestalteten Wohnhäuser in Frankfurt/M. mit den Typenmöbeln des Frankfurter Hochbauamtes und der ‚Frankfurter Küche‘ von Margarete Schütte-Lihotzky.92 In den beiden Zeitschriften nahmen die Themen um Wohnen und Einrichten so viel Platz ein, dass man nachvollziehen kann, warum Herausgeber Alexander Koch zum Beginn des vierzigsten Jahrgangs der Innendekoration 1929 in den Fragen des Wohnens „Weltfragen“93 sah. In dem Rückblick der Innendekoration auf die Stilentwicklung seit 1918 schrieb der Architekt Josef Berger, das Kunstgewerbe habe sich nicht so vollständig von den Traditionen lösen können wie Literatur, Theater und Musik.94 Den neuen sachlichen Stil sah er aber 1929 als vorherrschend an und unterschied drei Richtungen: eine ‚leichte‘ Richtung nach anglo-amerikanischem Vorbild, in der die Wohnung nach Vorgaben des Bewohners gestaltet wird und sich mit der Zeit verändert; die zweite ‚schwere‘ Richtung gestaltet den Raum als Kunstwerk nach den strengen Vorgaben des Architekten, denen sich der Bewohner anpasst; und die dritte ‚extrem sachliche‘ Richtung schließlich ahmt in der Wohnung mit Metall und Glas Maschinenformen nach.95 Man kann vermuten, dass bürgerliche Mittelschichten Wohnung und Haus weder als Kunstwerk noch als Maschinenraum gestalteten, sondern die Räume nach ihren Bedürfnissen einrichteten, entweder im zeitgemäß sachlichen Stil oder aber in einer „nostalgischen Nachkriegsromantik“96 noch immer etwas verziert und verschnörkelt.

92 Vgl. Fritz Philipp Baader: Von bürgerlicher Raumgestaltung. Arbeiten von Professor Paul Griesser, in: Innendekoration 38 (1927), H. 2, S. 76–80; Vgl. o. A.: Arbeiten von Architekt Professor Paul Griesser, Bielefeld, in: Dekorative Kunst 35 (1926/1927), S. 225–229; Vgl. Rudolf von Delius: Neue Arbeiten der Deutschen Werkstätten, in: Dekorative Kunst 37 (1928/1929), S. 142–146; Vgl. Walter Schürmeyer, Neue Architektur und Wohnungskultur, S. 273–286; Vgl. zu Adolf G. Schneck: Susanne Graner, Die Maschinenmöbel von Richard Riemerschmid und die Typenmöbel von Bruno Paul, S. 401 93 Koch, Alexander: Zum Beginn des vierzigsten Jahrgangs, in: Innendekoration 40 (1929), o. S. 94 Vgl. Josef Berger, Die Stil-Richtungen, S. 210, S. 214 95 Vgl. ebd. 96 Vetter, Das schöne Heim, S. 93

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10  MÖBELPRODUKTION ALS SPIEGEL VON STIL UND MARKT

Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, den Einrichtungsstil des bürgerlichen Mittelstandes im Kaiserreich zu untersuchen. Es ging darum, anhand empirischer Beispiele die Bürgertumsforschung zu konkretisieren und die Möglichkeiten bürgerlichen Konsums und bürgerlicher Repräsentation in der Breite in den Blick zu nehmen. Dazu wurde mit dem bürgerlichen Mittelstand eine Bevölkerungsschicht ausgewählt, deren Wohnverhältnisse bislang nicht so detailliert erforscht sind wie die von Arbeiterschaft auf der einen oder Wirtschaftsund Großbürgertum auf der anderen Seite. Der schon von Karl Bücher so bezeichnete ‚neue Mittelstand’ innerhalb des Bürgertums war eine wachsende und bedeutsamer werdende, in sich aber heterogene Bevölkerungsschicht. Sie bestand nach Gustav Schmoller aus breiten neuen Schichten und war nach Toni Pierenkemper in ihrem Ausgabenverhalten durch einen ‚gespaltenen Konsum‘ gekennzeichnet. Zu diesem Mittelstand gehörten nach dem Verständnis dieser Arbeit höhere Beamte und Angestellte, Anwälte, Richter, Pfarrer, Ärzte, aber auch Kaufleute, Techniker und Ingenieure, Lehrer und Professoren. Am Beispiel dieses Mittelstandes wurde die bürgerliche Selbstrepräsentation durch Wohnen und Einrichten untersucht. Die bloße Beschreibung der Wohnungseinrichtung mit Möbeln, Vorhängen, Teppichen und Tapeten, mit Klavier und Bücherschrank erfasst die Selbstrepräsentation nur partiell. Entscheidend war die Verfügbarkeit, die sich aus der Verbindung von Produktionsverfahren, Stilbildung und Marktmechanismen ergibt. Dazu wurde die kunsthistorische Möbelforschung um Ergebnisse aus Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte ergänzt und zu einem neuen fächerübergreifenden Ansatz erweitert, der die Bedingungen der Stilentwicklung anschaulich macht. Die Möbelproduktion wurde deshalb als Spiegel von Stil- und Marktentwicklung beschrieben. Die entstehende Serienmöbelfertigung erweiterte die Verfügbarkeit der Wohnungseinrichtung und machte für den bürgerlichen Mittelstand die Selbstrepräsentation erschwinglich. Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Die Auswertung einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Quellen aus den Anfängen des Kaiserreichs bis in die Jahre des Ersten Weltkriegs hinein hat deutlich gemacht, welche große Bedeutung Wohnen und Einrichten als zentraler Teil der Selbstrepräsentation für die aufstrebenden bürgerlichen Mittelschichten hatte. Dadurch wurde Zusammenhalt nach innen und Abgrenzung nach außen möglich. Viel stärker, als man es sich vielleicht heute vorstellt, waren

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10  Möbelproduktion als Spiegel von Stil und Markt

Wohnen und Einrichten ein vorherrschendes gesellschaftliches Thema. Es entstanden neue Wohnviertel innerhalb der Stadt oder in den Vororten, die Mobilität hatte zugenommen und mit jedem beruflichen Aufstieg sollten die Wohnung und ihre Lage besser werden, wenn die steigenden Mieten in den gefragten Straßen und Vierteln es zuließen. So stellte sich bei jedem Umzug die Frage nach der standesgemäßen Einrichtung immer wieder neu. Es gab nicht nur Einrichtungsratgeber, die ‚den Ton angaben‘, sondern monatlich erscheinende Fachzeitschriften, zahlreiche Wohnungsausstellungen in größeren und kleineren Städten und auch neuartige Möbelhandlungen mit Dekorationsabteilungen, die schon für das Großbürgertum die gesamte häusliche Ausstattung erledigten, aber zunehmend auch für Teile des Mittelstandes arbeiteten. Damit wurde eine soziale Schicht in Einrichtungsfragen beraten, die ihre gesellschaftliche Stellung nicht durch Herkunft, sondern durch Bildung und Leistung erlangt hatte und die wissen wollte, wie man gemäß den sozialen Anforderungen und dem Stil der Zeit entsprechend, aber auch innerhalb des finanziell beschränkten Rahmens eines ‚gespaltenen Konsums‘ seine Wohnung oder sein Haus einrichtete. Außerdem stellte diese heterogene soziale Schicht des bürgerlichen Mittelstandes eine wichtige Käuferschicht dar, deren Konsumverhalten wiederum Rückwirkungen auf Marktentwicklung, Stilentwicklung und Produktionsentwicklung hatte. Diese wachsende Käuferschicht war für Hersteller und Händler wichtig, aber auch für das Kunstgewerbe, das sich für das dekorative ‚Gesicht‘ des Kaiserreichs verantwortlich fühlte und nach einem ‚nationalen Stil‘ als Schmuck des jungen Staates suchte. So wollte der Mittelstand nicht nur von sich aus Bescheid wissen, wie man standesgemäß wohnte, er sollte es auch wissen. Daher musste er aus Sicht des Kunstgewerbes in Geschmacksfragen ‚erzogen‘ werden. Das traf ebenfalls auf Möbelhändler und Möbelhersteller zu, die auch zum neuen Mittelstand gehörten, wenn sie nicht aus dem Großbürgertum stammten und durch ihre Herkunft schon über Geschmack verfügten. Diese Geschmackserziehung in Vorträgen, Wanderausstellungen, durch besondere Schaufenstergestaltung oder durch Kataloge vorbildlicher Produkte wie das Deutsche Warenbuch belegt die große Bedeutung des Mittelstandes als Käuferschicht. Auf ihn zielte die Produktion für den massenhaften Bedarf. Sie schaffte die Voraussetzungen, dass sich der Mittelstand in Konsum und Lebensstil von anderen sozialen Schichten abgrenzen konnte. Entscheidend für die Selbstrepräsentation des neuen Mittelstandes durch Wohnen und Einrichten war die beginnende Serienmöbelfertigung. Durch den Maschineneinsatz wurden Möbel billiger und für breitere Schichten erschwinglich. Aber am Anfang dieser Entwicklung stand nicht die Maschine, sondern die umfassende Modernisierung der Lebensverhältnisse im Kaiserreich, die zum Beispiel mit der Eisenbahn und dem Ausbau der Verkehrswege Entfernungen verringerte, Absatzmärkte erweiterte und damit Angebot und Nachfrage deutlich vergrößerte und anonymisierte. Der Kundenproduktion folgte die Warenproduktion. Das betraf selbstverständlich auch die Versorgung mit Möbeln. Es entstand ein massenhafter Bedarf, den die Handwerksbetriebe nicht mehr alleine decken konnten und der in Manufaktur und Fabrik neue zeitgemäße Betriebsformen herausbildete. Dem Handwerk wurde die hausindustrielle Massenware entzogen. In der Möbelproduktion entwickelten sich kleine Handwerksbetriebe zu größeren Werkstätten, die unter neuartiger kaufmännischer Leitung wie in der Herforder Möbelfabrik Gustav Kopka mit Fachkräften den Produktionsprozess arbeitsteilig organisierten

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und anfangs auch noch ohne Einsatz von Maschinen aus standardisierten Einzelteilen Möbel zusammenbauten. Aus vielen Handwerksmeistern wurden Fabrikanten, die in Zeitungsanzeigen für ihre Möbel warben, sie auf Gewerbeausstellungen zeigten und selber auf Reisen gingen oder Vertreter losschickten, um Aufträge zu akquirieren. Die maschinelle Holzbearbeitung erforderte erhebliches Kapital und setzte sich daher nur in Schüben durch. Erst mit dem Abrichter als Universalmaschine und dann mit dem Elektromotor waren die technischen Voraussetzungen vorhanden, um die Produktion zu beschleunigen und die Produktivität deutlich zu erhöhen. Bis sich die neue Maschinenkraft auch kleinere Betriebe leisten konnten, boten neuartige Lohnschneidereien stundenweise die maschinelle Holzbearbeitung an. Es gab keine einheitliche Entwicklung in den Betriebsformen, sondern unterschiedliche Anpassungsprozesse an den gesteigerten Maschineneinsatz, den erhöhten Kapitalbedarf und die veränderte Verbrauchernachfrage. So zeigen sich zum Beispiel in Ostwestfalen-Lippe verschiedene Betriebsformen für einen regionalen oder auch überregionalen Markt mit Versandgeschäft per Eisenbahn: die arbeitsteilige Serienproduktion mit Maschinen in Halbfabrikation, aber auch die Montage ausschließlich zugekaufter Halbfabrikate ohne Maschineneinsatz zu Serienmöbeln und weiterhin die kunsthandwerklich hochwertige Einzelfertigung auf Bestellung. Im Vordertaunus blieb es dagegen bei der Hausindustrie als vorherrschender Betriebsform, die Holzbearbeitungsmaschinen in Lohnarbeit nutzte. Sie spezialisierte sich zunächst mit wöchentlicher Fuhre und ohne Eisenbahn auf einzelne Möbelstücke, später auf ganze Zimmereinrichtungen für Verleger, Fabriken oder Händler in Frankfurt/M. Auch hier im Vordertaunus zeigte sich wie in der ganzen Möbelproduktion eine Entwicklung hin zu standardisierten Möbeln und spezialisierten Herstellern. Das Angebot an Möbeln wurde deutlich größer und vielfältiger, aber über die Qualität ist damit noch nichts ausgesagt. Der wirtschaftliche Nutzen des Maschineneinsatzes für den Betrieb war offensichtlich, doch die Qualität der Fabrikware war im Vergleich zu den handwerklich gefertigten Möbeln sehr umstritten. Die massenweise maschinell hergestellten und deutschlandweit vertriebenen ‚Berliner Möbel‘ waren das bekannteste und damals immer wieder angeführte Beispiel für minderwertige Fabrikware, von dem sich viele Möbelhersteller mit ihrer maschinellen Produktion von preiswerter Qualitätsware bewusst absetzen wollten. Die Frage, wie mit Maschineneinsatz nicht nur günstige, sondern auch solide und qualitätvolle Möbel hergestellt werden konnten, war zentral für Hersteller, Händler und Kunden. Sie wurde in Tischler- und Kunstgewerbezeitschriften immer wieder behandelt und beeinflusste auch die Ausbildung an den Fachschulen für Tischler in Detmold und für Drechsler in Leisnig. Im Unterricht wurde traditionelles Handwerk mit dem Einsatz der neuen Holzbearbeitungsmaschinen verbunden und kunstgeschichtliches Grundlagenwissen vermittelt, damit die Möbeltischler auf die veränderte Verbrauchernachfrage anspruchsvoller gewordener Kunden vorbereitet waren. Gerade weil die Tischler die Fabrikware ablehnten, war ihnen der Maschineneinsatz im Handwerk wichtig, um konkurrenzfähig zu bleiben. Zur Qualitätsverbesserung sollten auch Ratgeber für Tischler und regelmäßig erscheinende Vorlagensammlungen beitragen. Wie aus den Quellen hervorgeht, blieb es jedoch lange Zeit bei der Gegenüberstellung von ‚guter Handwerksarbeit‘ und ‚minderwertiger Fabrikware‘. Zwar forderte schon 1898 der Kunsthistoriker

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10  Möbelproduktion als Spiegel von Stil und Markt

Albert Dresdner, schöne Möbel massenweise in der Fabrik herzustellen, aber erst 1910 sprach der Wirtschaftswissenschaftler Bruno Rauecker von der Fabrik als Voraussetzung für Qualitätsarbeit, weil sich nur die Fabrik mit ihrer Kapitalkraft die modernsten Maschinen und besten Fachkräfte leisten könne. Als Bestätigung dieser Aussage können die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst gelten, die sich wenige Jahre nach ihrer Gründung zu einer großen Fabrik entwickelten und die mit Richard Riemerschmids erfolgreichen Maschinenmöbeln nicht die ersten und einzigen, aber die bekanntesten maschinell gefertigten qualitätvollen Serienmöbel herausbrachten. Die veränderten, beschleunigten Lebensverhältnisse führten dazu, dass die Kunden ihre Möbel kaum noch beim Tischler auf Bestellung nach Vorlagenzeichung kaufen und monatelang darauf warten wollten. Die Kunden verlangten vielmehr eine Auswahl an fertiggestellten Möbeln im Geschäft und eine schnelle Lieferung der bestellten Ware. Damit der Tischler mit seinem Handwerksbetrieb konkurrenzfähig blieb, brauchte er nicht nur kaufmännische Kenntnisse, um eine größer gewordene Werkstatt zu führen. Er wurde in vielen Fällen auch zum Händler, weil er seiner Werkstatt ein Geschäft angliederte, in dem er die eigenen auf Vorrat produzierten Möbel ausstellte und später diese auch durch zugekaufte Ware ergänzte. So entwickelten sich eigenständige Möbelhandlungen mit und ohne Werkstatt, die es vor 1870 kaum gegeben hatte. Aus diesen wiederum bildeten sich die Ausstattungsgeschäfte heraus, die zusätzlich zu den Möbeln mit Vorhängen, Teppichen und Tapeten die komplette Raumausstattung anboten und aus dem Tischler nicht nur einen Händler, sondern auch noch einen Dekorateur machten. Je stärker die Händler wurden und sich mit der Zeit ein eigenständiger Möbelhandel entwickelte, desto schwieriger wurde das Verhältnis zu denjenigen Herstellern, die neben ihrer Möbelfabrik auch ein Möbelgeschäft führten und mit dem Handel konkurrierten. Der eigenständige Möbelhandel in den neuartigen Möbelmagazinen wurde als volkswirtschaftliche Notwendigkeit angesehen, weil hier die unterschiedlichsten Angebote spezialisierter Hersteller an einem Ort zusammengeführt und den Verbrauchern präsentiert wurden. Die in der Produktion wichtige Frage nach der Qualität maschinell hergestellter Möbel betraf auch den Handel. So galten Möbelmagazine als Geschäfte, in denen vielfach Schund und Plunder verkauft wurde. Je größer die Stadt, desto differenzierter war allerdings das Angebot an Magazinen, die sich nach Qualität der Ware und nach Kundenkreisen unterschieden. Außerdem gab es Einrichtungshäuser wie Eduard Essen in Bielefeld und Helberger in Frankfurt/M., die Qualitätsware für unterschiedliche Ansprüche von ‚einfach‘ bis ‚vornehm‘ anboten und den Absatz der Ware nicht nur durch die Gestaltung im Schaufenster, sondern auch durch Zeitungsanzeigen, Kataloge und eine eigene Hauszeitschrift steigerten. Damit reagierten die Einrichtungshäuser nicht nur auf den wegen der erheblichen Kosten höheren Beratungsbedarf beim Möbelkauf, sondern auch auf gestiegene Ansprüche der Kunden, die sich vor dem Kauf über Stil und Einrichtungsfragen informiert hatten. Zu diesem Zweck gab es viel gelesene Ratgeber, aber auch neue Zeitschriften, die jeden Monat weitere Anregungen zur Selbstrepräsentation gaben und damit immer wieder bewusst machten, wie bedeutsam im gesellschaftlichen Umgang die richtige Einrichtung war. An diesen Anregungen lässt sich auch eine Individualisierung erkennen. Während es anfangs darauf ankam, sich standesgemäß wie alle anderen einzurichten, rieten die Zeitschriften ab Ende der

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1890er Jahre zunehmend dazu, die Wohnung nach der eigenen Persönlichkeit zu gestalten. Jetzt konnte jeder Vorbild sein, wenn er Geschmack hatte. Auf die dadurch erforderliche größere Auswahl und Vielfalt reagierte der Handel. Aus den Magazinen entwickelten sich Großmagazine und es entstand zum Beispiel das Warenhaus A. Wertheim in Berlin, das auf völlig neue Weise und unter kunstgewerblicher Leitung Möbel als bürgerliche Wohnwelten inszenierte. In der Stilentwicklung begann das Bürgertum im frühen 19. Jahrhundert seinen sozialen Aufstieg mit dem Biedermeier und dessen schlichten, zweckmäßigen Möbeln in einer Kultur der Einfachheit. Aber die bürgerlichen Mittelschichten zu Beginn des Kaiserreichs wollten mehr Schein als Sein und liebten den Prunk. Ihre Möbel waren dunkel, schwer und wuchtig im Stil des Historismus, der seit den 1850er Jahren das Biedermeier als vorherrschenden Stil abgelöst hatte. Er vermischte mehrere Stile wie Renaissance, Gotik, Barock, Rokoko oder Louis-Philippe-Stil miteinander und kombinierte, was sich kombinieren ließ. An diesem viel kritisierten Stilpluralismus änderte sich auch kaum etwas, als von einigen Autoren aus dem Kunstgewerbe wie beispielsweise Georg Hirth die deutsche Renaissance zum ‚nationalen Stil‘ erkoren wurde und die zahlreichen Formen und Ornamente dieser überladenen Möbel mit Hilfe der neuen Holzbearbeitungsmaschinen in Fabriken billig hergestellt werden konnten. Doch dieser historisierende Stil war nicht die zeitgemäße Form, nach der das Kunstgewerbe suchte. Vielmehr wurde nach englischem und amerikanischem Vorbild eine dem Material und dem Zweck entsprechende schlichte Form der Möbel gefordert, die der Kunsthistoriker Jakob Falke bereits 1871 verlangt hatte. Sie setzte sich erst nach der Jahrhundertwende langsam durch, als unter großem Einfluss des Deutschen Werkbundes die historistische Einrichtung als ein immer größerer Widerspruch zu den modernen Lebensverhältnissen empfunden wurde und die Maschinenmöbel von Richard Riemerschmid als preisgünstige und qualitätvolle Alternative gesehen wurden, die nicht bloß Möbel waren, sondern zugleich als Ausdruck eines modernen bürgerlichen Lebensstils verkauft wurden. Die Arbeit hat gezeigt, dass die Entscheidung bürgerlicher Mittelschichten für historistische Möbel keine eigenständige Wahl aus beliebigen kulturellen Präferenzen war, sondern durch die Zwänge von Produktion und Markt entscheidend mitbestimmt wurde. Auf der Leipziger Messe wurde lange Zeit vor allem schlecht gearbeitete historisierende Fabrikware ausgestellt, weil sie dem verbreiteten Geschmack entsprach und die Hersteller vor allem über herabgesetzte Preise und weniger über verbesserte Qualität miteinander konkurrierten. Was zur gleichen Zeit auf Weltausstellungen an Möbeln und Zimmereinrichtungen im modernen sachlichen Stil präsentiert wurde, hatten Künstler entworfen und war von guter Gestaltung und Qualität, aber für den Mittelstand häufig viel zu teuer. Deshalb veranstalteten Zeitschriften Preisausschreiben für gut gestaltete, aber auch erschwingliche Möbel. Entscheidend für die Serienmöbelfertigung war eine grundlegende produktionstechnische Innovation nach der Jahrhundertwende: In den Fabriken wurden handwerkliche Arbeitsschritte im Möbelbau nicht durch maschinelle bloß ersetzt, sondern die ganze Konstruktion und Gestaltung der Möbel wurde verändert. Die Fertigung der Einzelteile wurde vollkommen auf die Möglichkeiten der Maschine abgestimmt und an ihr ausgerichtet. Damit konnten qualitätvolle Möbel im neuen zweckmäßigen Stil mit schlichter Formensprache und sparsamer Materialverwendung zu guten Preisen produziert

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10  Möbelproduktion als Spiegel von Stil und Markt

und im Handel angeboten werden, weil durch die große Absatzmenge der Preis gesenkt wurde. Das bedeutete einen Durchbruch in der Serienmöbelfertigung. Wie wichtig die Frage nach der zeitgemäßen und erschwinglichen Wohnungseinrichtung war, belegen auch die verschiedenen Wohnungsausstellungen, auf denen Architekten und Möbelhersteller nicht nur Möbel präsentierten, sondern sich auch mit den tatsächlichen Wohnverhältnissen des Mittelstandes auseinandersetzten. Weil der Bedarf an Mietwohnungen in den Städten ständig stieg, wurden viele Mietwohnungen kleiner und machten deshalb neue kleinere, variable Möbel erforderlich. Einige Zimmer wurden multifunktional und verbanden Salon und Wohnzimmer miteinander, Wohnzimmer mit Esszimmer und Arbeitszimmer oder wie im Familienzimmer der Nachkriegszeit sogar Empfangs-, Musik-, Herren-, Damen- und Esszimmer. Die Wohnungen waren standardisiert, ein Grundriss ähnelte dem anderen, aber trotzdem sollte man sich weiterhin so individuell wie möglich einrichten. Das erklärt auch, warum nach der Jahrhundertwende weitere Ratgeber erschienen und in kunstgewerblichen Zeitschriften die Anzahl der Artikel über zeitgemäße Einrichtung in Mietwohnungen noch einmal deutlich zunahm. Diese Diskussion wurde im Übrigen unter den ganz anderen Bedingungen des Mangels und der Produktionseinschränkungen in den ersten Jahren der Nachkriegszeit weitergeführt. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, welchen großen Nutzen eine Verknüpfung von wirtschafts-, sozial-, technik- und kunstgeschichtlichen Sichtweisen bietet. Sie erlaubt einen genaueren Blick auf bürgerliches Wohnen im Kaiserreich als Ausdruck der Selbstrepräsentation des bürgerlichen Mittelstandes. Erst diese Verknüpfung erfasst die ganze Breite der Bedingungen, von denen die bürgerlichen Wohnverhältnisse abhingen. Anschaulich wird auch die Verschränkung unterschiedlicher Innovationen. Erst dieser Ansatz zeigt an vielen Stellen, wie die Übergänge in der Produktion von handwerklicher zu fabrikmäßiger Fertigung, in der Marktentwicklung vom lokalen Kleingewerbe zum regionalen oder auch überregionalen Handel und in der Stilenwicklung vom Historismus zur modernen schlichten Formensprache bei sparsamer Materialverwendung zusammenhingen und aufeinander einwirkten. So ergibt die Einbeziehung ganz unterschiedlicher Quellen ein komplexes Bild, das ohne diesen fächerübergreifenden Ansatz gar nicht entstehen könnte. Ein solches Vorgehen setzt allerdings voraus, dass Produktion, Markt und Stil gezielt untersucht und vor allem daraufhin befragt werden, was sie zur Ausgangsfrage nach den Bedingungen bürgerlicher Selbstrepräsentation und zum angestrebten Gesamtbild beitragen können. Dabei begrenzte der verfügbare Quellenbestand die wissenschaftliche Recherche. So gab es keine umfangreichen Archivbestände von regionalen Möbelherstellern, in denen Möbelserien aus dem Kaiserreich beschrieben oder abgebildet und Kundenkreise dokumentiert sind. Es war deshalb notwendig, diese Lücken über andere Quellen von Ämtern und Behörden oder Selbstbeschreibungen der Firmen zu schließen. Dieser Ansatz, die kunsthistorische Möbelforschung um die wirtschaftlichen, sozialen und technischen Bedingungen der Stilentwicklung zu erweitern, bietet außerdem weitere Möglichkeiten: Er ist nicht auf das Kaiserreich beschränkt, sondern kann auch auf andere Zeitabschnitte und deren zeit- und schichtenspezifische Formen der Selbstrepräsentation übertragen werden. Auch können andere Länder untersucht werden wie zum Beispiel England, dessen Kunstgewerbe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vieler Hinsicht Vorbild für deutsche

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Kunsthistoriker war. Außerdem lassen sich mit diesem Ansatz auch andere soziale Schichten als der bürgerliche Mittelstand untersuchen. Schließlich ist dieser Ansatz auch noch auf andere der Repräsentation dienende Gegenstände übertragbar, beispielsweise auf Kleidung, Schmuck oder Geschirr. Er ist besonders vielversprechend, wenn sich die Lebensverhältnisse ändern und es aufgrund von Innovationen zu Umbrüchen in Produktion, Markt und Stil kommt. Dieser fächerübergreifende Ansatz bietet eine neue historische Konkretion und damit eine neue Perspektive auf die Stilgeschichte.

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11  ANHANG

11.1 Abkürzungen & = und / = pro % = Prozent † = gestorben […] = Auslassung [Jahreszahl] = Datum der Erstveröffentlichung Abb. = Abbildung AK = Ausstellungskatalog Anm. = Anmerkung APuZ = „Aus Politik und Zeitgeschichte“ Art. = Artikel BAL = Bayer AG: Corporate History & Archives, Leverkusen Bd. = Band Ders. = Derselbe Dies. = Dieselbe / Dieselben Dr. = Doktor Ebd./ebd. = Ebenda e. V. = eingetragener Verein FAZ = „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Frankfurt/M. = Frankfurt am Main Fußn. = Fußnote Gebr. = Gebrüder GmbH = Gesellschaft mit beschränkter Haftung H. = Heft ha = Hektar Hrsg. = Herausgeber Hrsgg. = mehrere Herausgeber HWA = Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt ISG = Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Jg. = Jahrgang KaDeWe = Kaufhaus des Westens KAH = Kommularchiv Herford LAV NRW OWL = Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe M. = Mark M. A. = Magistra Artium / Magister Artium m² = Quadratmeter mm = Millimeter

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11 Anhang

Mill. = Millionen Mk. = Mark N. F. = Neue Folge Nachf. =Nachfolger Nr. = Nummer o. A. = ohne Autor o. O. = ohne Ort o. S. = ohne Seite Prof. = Professor/Professorin PS = Pferdestärke S. = Seite Sic! = sic erat scriptum Sp. = Spalte SStAL = Sächsisches Staatsarchiv Leipzig SHStAD = Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden StAH = Stadtarchiv Herford Taf. = Tafel u. s.w./usw. = und so weiter VerwBer = Verwaltungsberichte Vgl./vgl. = Vergleiche/vergleiche Vol. = Volume zit. in = zitiert in zit. nach = zitiert nach

11.2  Archive und Bibliotheken Bayer Business Services GmbH, Information Center, Corporate History & Archives, C 302, 51368 Leverkusen Bibliothekszentrum Geisteswissenschaften (BZG) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main Bibliothek Recht und Wirtschaft (BRUW) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Theodor-W.-Adorno-Platz 4, 60323 Frankfurt am Main Bibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie (BSP) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Theodor-W.-Adorno-Platz 6, 60323 Frankfurt am Main Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Adickesallee 1, 60322 Frankfurt am Main Hauptstaatsarchiv Dresden, Archivstraße 14, 01097 Dresden Institut für Stadtgeschichte, Münzgasse 9, 60311 Frankfurt am Main Kommunalarchiv Herford, Amtshausstraße 2, 32051 Herford (ehemals Stadtarchiv Herford) Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Willi-Hofmann-Straße 2, 32756 Detmold Staatsarchiv Leipzig, Schongauerstraße 1, 04328 Leipzig Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden, Dorotheenstraße 27, 10117 Berlin Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Neumarkt 1, 33602 Bielefeld Universitätsbibliothek Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bockenheimer Landstraße 134–138, 60325 Frankfurt am Main Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Dortmund, Märkische Straße 120, 44141 Dortmund

11.3 Quellen 11.3.1  Unveröffentlichte Quellen Bayer AG: Corporate History & Archives, Leverkusen o. A.: o. T., in: Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt 15 (1908), H. 23 (1.12.1908), S. 495 (BAL, 221/17)

11.3 Quellen

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o. A.: o. T.: in: Die Erholung 12 (1912), S. 106 (BAL, 15 G-6) o. A.: Arbeitermöbel. Eine Ausstellung im Gewerkschaftshaus, in: Berliner Tageblatt, Nr. 436 (28.8.1913), o. S. (BAL, 241/5) o. A.: Bürgermeisterei Küppersteg, in: General-Anzeiger für Wiesdorf-Leverkusen 1909, Nr. 228 (2.10.1909), o. S. (BAL, 241/5) o. A.: Das neue Kaufhaus der Farbenfabriken, in: Die Erholung 5 (1911), S. 29–31 (BAL, 15 G–6) o. A.: Die Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld und Leverkusen, in: Gemeinwohl H. 8, 9, 10 (November, Dezember–Januar 1903), S. 210–226 (BAL, 221/17) o. A.: Die Wohnungseinrichtung des Arbeiters, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 292 (13.12.1911), o. S. (BAL, 15 G-6) o. A.: Ein Besuch der Haus- und Küchengeräte-Abteilung des Kaufhauses, in: Die Erholung 2 (1911), H. 7 (November 1911), S. 53 (BAL, 250/10) o. A.: Ein Gang durch die Arbeiter-Musterwohnung Hauptstraße 28, in: General-Anzeiger für Wiesdorf-Leverkusen (2.10.1909), o. S. (BAL, 241/5) o. A.: Eine neue Einrichtung der Farbenfabriken, in: Confectionär, o. J., o. S. (BAL, 15 G–6) o. A.: Kaufhaus, o. J. (BAL, 1/6.6.24) o. A.: Kreditmöbel als kapitalistische „Wohlfahrt“!, in: Vorwärts (1911), Nr. 237 (10.10.1911), o. S. (BAL, 15 G–6) o. A.: Sparsame Hausratbeschaffung, in: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 482 (13.10.1912), o. S. (BAL, 15 G–6) o. A.: Sparweise Hausratbeschaffung, in: Spar-Korrespondent, Nr. 5 (5.9.1912), o. S. (BAL, 15 G–6) o. A.: Wohnungs- und Haushalts-Ausstattung des Arbeiters, in: Handel und Industrie, Nr. 1044 (9.12.1911), o. S. (BAL, 15 G–6) o. A.: Wohnungs- und Siedlungswesen. Musterwohnungen 1909–1955, o. J. (BAL, 241/5) o. A.: Zur Wohnungsfrage, in: Rheinisch-Westfälische Bürger-Zeitung Nr. 43 (23.10.1909), S. 340 (BAL, I/254 I) Abschrift der Sitzung in der Musterwohnung am 23. August 1910 (BAL, 15 G–6) Beamtenwohnungen Type A, Leverkusen Grundrisse [ca. 1900] (BAL, 0305) (Bild-Nr. 5–254) Ansichten Beamtenwohnungen Type A, Leverkusen [ca. 1900] (BAL, 0307) (Bild-Nr. 5–256) Ansichten Beamtenwohnungen Type B, Leverkusen Grundrisse [ca. 1900] (BAL, 0308) (Bild-Nr. 5–257) Ansichten Beamtenwohnungen Type B, Leverkusen [ca. 1905] (BAL, 0310) (Bild-Nr. 5–259) Auskunft von Herrn Hans-Hermann Pogarell von Bayer Corporate History & Archives Confectionär vom 12.10.1911 (BAL, 15 G–6) Duisberg, Carl: Ansprache an die Prämierten der Arbeiter-Wohnungen, in: Die Erholung 1 (1910), H. 7, S. 49 (BAL, 15 G–6) Duisberg, Carl/Hess, Christian: C. Duisberg Prämienstiftung zur Ausschmückung von Arbeiter-Wohnungen, in: Die Erholung 1 (1910), Nr. 6, S. 43 (BAL, 15 G–6) Fabri, Karl: Kurzer Führer durch das Musterhaus in Wiesdorf, Kolonie II, Dünstrasse 48/50, Sonderabdruck aus der „Erholung“, Jg. 3, Nr. 11, S. 3–4 (BAL, 241/5) Formular Möbellieferung an Beamte (BAL, 338/036) Geschäftsordnung für die Verwaltung von Arbeiterwohnungen und die Verteilung von Wohnungs- und Gartenprämien, Auflage von Januar 1906 (BAL, 15 G.6.28) Grabendörfer, Robert: Die Arbeiterverhältnisse im Werk Leverkusen, o. J. (BAL, 212/1) III. Jahresbericht Wohlfahrtseinrichtungen 1912 (BAL, 221/3) Lehmler, Helmut: 100 Jahre Bayer-Kaufhaus (1897–1997), Wiesdorf 1997 (BAL, 250/10) Mandel, Albert: Wohlfahrtseinrichtungen, o. J., S. 45–55 (BAL, 221/17) Musterwohnung Duisberg-Stiftung (BAL, 254/1) Satzungen der Konsumanstalt, in: Wohlfahrtsbroschüre Ausstellung, Düsseldorf 1902 (BAL, 250/10) Schreiben der Sozialabteilung an Direktor Fürth vom 23.10.1926 (BAL, 338/036) Schreiben von Herrn Krekeler vom 23. März 1914 an den Bildungsverein der Rheinischen Gummi- und Celluloid-Fabrik Mannheim-Neckarau (BAL, 338/036) Schreiben von Karl Pasche an Bayer (BAL, 338/036) Schreiben von Wilhelm Schlösser an Bayer (BAL, 338/036) Schreiben von Johann Schüssel an Bayer (BAL, 338/036) Schreiben von Möbel-Stock an Bayer (BAL, 338/036) Sitzung in der Musterwohnung am 22. Februar 1911 (BAL, 15 G–6) Warenabgabe an Werksangehörige (Möbellieferung) (BAL, 221/9.1)

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11 Anhang

Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt o. A.: Denkschrift zum 50-jährigen Geschäftsjubiläum des Hauses Ludwig Alter Darmstadt 1871–1921, Darmstadt 1921 (HWA, Fm 46) Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Standort Detmold o. A.: Die fachliche Weiterbildung. Die Periode von 1887 bis 1943, o. O., o. J. (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) o. A.: Von der „Tischlerfachschule Detmold“ 1893 zur „Fachschule für Holzbetriebstechnik 1971“, o. S. (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) Meyer, Erwin: Chronik 1893–1971 anläßlich der 90jährigen Ausbildung zum Holzbetriebstechniker und Innenarchitekten, Detmold 1983 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) Möbelfabrik Bartels: Speise-, Wohn-, Herren- und Schlafzimmer, Lagenberg, o. J. (Hochschule OWL, Standort Detmold)) Nitsch, Felix: Chronik der Studieneinrichtung Innenarchitektur in Detmold, o. O., o. J., S. 35–37 (Hochschule OWL, Standort Detmold, Ordner „Chronik Ausbildung“) Zeichnung von Blättern mit Blüten (Hochschule OWL, Standort Detmold, ohne Signatur) Zeichnung einer Kassettendecke (Hochschule OWL, Standort Detmold, ohne Signatur) Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Anzeige des Einrichtungshauses Helberger um 1900–1903, in: Bilanzbuch (ISG, W 1–24:24) Foto der Fassade Finkenhofstraße 32 (1982) (ISG, S7C-1998/25547) Grundriss der Wohnungen im Erdgeschoss und 1. Stock in der Fichardstraße 34, Frankfurt (ISG, S8–1/4747b) Grundriss 1. Obergeschoss Finkenhofstraße 32 (ISG, S8–1/3.420:6) Grundriss 1. Obergeschoss Finkenhofstraße 32 (ISG, S8–1/3.420:7) Helberger, Curt: Einrichtungshaus Helberger, in: Helberger Familien- und Firmenchronik, 1967 (ISG, W 1–24:29) Rechnungskopf einer Rechnung des Einrichtungshauses Johann Heinrich Helberger (ISG, W 1–24:24) Kommunalarchiv Herford o. A.: Programm der Gewerbe- und Industrie-Ausstellung in Herford Mai 1870 (KAH, StH: Historische Sammlung Gewerbe- und Industrieausstellung 1870) o. A.: Gewerbliche Anlagen, o. J. (KAH, A 1343) Anzeige von Gustav Kopka im Herforder Adressbuch von 1876 (KAH, ohne Signatur) Anzeige von Gustav Kopka im Herforder Kreisblatt (HK) vom 4.12.1869, Velos frei (KAH, ohne Signatur) Anzeige der Firma Gustav Kopka im Herforder Kreisblatt (HK) vom 10.9.1881 (KAH, ohne Signatur) Anzeige der Firma Gustav Kopka auf der Gewerbeausstellung 1870, in: Katalog der Gewerbe- und Industrieausstellung auf dem Sützenhofe zu Herford, Herford 1870 (KAH, ohne Signatur) Historisch-biographische Blätter: Industrie, Handel und Gewerbe: Gustav Kopka, Möbelfabrik Herford i. W., Berlin 1911, o.S (KAH, HF WIII-1027) Jahresbericht des Herforder Magistrats über die Lage der Industrie vom 20.10.1898 (KAH, A 1309) Katalog der Herforder Gewerbeausstellung 1870 (KAH, ohne Signatur) Königliches Landratsamt Herford. Acta specialia betreffend die Lage der Industrie (KAH, A 1309) Königliches Landratsamt Herford: Bericht des Königlichen Landrats-Amtes vom 10.11.1894 an die Regierung über die Lage der Industrie im Jahr 1894 (KAH, A 1308, 10.11.1894) Schreiben an die Regierung in Minden vom 1897 über die Lage der Industrie in Herford (KAH, A 1336, 1897) Schreiben an die Regierung in Minden vom 8.8.1890 über die Lage der Industrie in Herford (KAH, A 1336, 8.8.1890) Verwaltungs-Bericht des Magistrats der Stadt Herford über die Periode vom 1. April 1890 bis dahin 1895 betreffend, S. 27–35 (KAH, HFA 314 VerwBer 1890–1895) Verwaltungs-Bericht des Magistrats der Stadt Herford über die Periode vom 1. April 1884 bis dahin 1887, S. 9–15 (KAH, HFA 314 VerwBer 1884–1887) Verwaltungs-Bericht des Magistrats und Geschichte der Stadt Herford. Die Zeit vom 1. April 1900 bis 31. März 1905 betreffend, S. 50 (KAH, HFA 314 VerwBer 1900–1905)

11.3 Quellen

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Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. OWL o. A.: Ausbildungskurse für Kriegsbeschädigte an der Tischler-Fachschule Detmold, Detmold ca. 1917 (LAV NRW OWL, R 185) o. A.: Bericht über das Schuljahr 1911, in: Nachrichten der Tischler-Fachschule Detmold 1 (1911), o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) o. A.: Programm der Fachschule für Drechsler und Fachgenossen in Leisnig, Leisnig 1882 (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854) o. A.: Programm der Fachschule für Tischler. Atelier der Innendekoration, Detmold. Praktischer und theoretischer Unterricht. Anleitung zum Einlegen in verschiedenen Holzarten (Intarsien) sowie in der modernen Holzbrandtechnik und Holzmalerei [vor 1899] (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) o. A.: Tischlerfachschule Detmold (26.3.1907), o. S. (Zeitungsartikel vom 26.3.1907) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) o. A.: Tischlerfachschule (12.1.1907), o. S. (Zeitungsartikel vom 12.1.1907) (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) o. A.: Tischler-Fachschule Detmold. Älteste kunstgewerbliche Lehranstalt dieser Art, Detmold o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) o. A.: Weitschauende Pionierarbeit offenbarte der Holzindustrie einen neuen Rohstoff, in: Sonderbeilage der Lippischen Landes-Zeitung, Nr. 140 (20.6.1953) (LAV NRW OWL, D 107 Q Nr. 511) Behrens, W.: Handwerkliche Tischlerarbeiten und ihre Gestaltung, o. O., o. J., S. 10–11 (LAV NRW, OWL, Bibliothek J 159) Bilder und Programm der Tischlerfachschule, o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) Bornö, O.: Lehrbuch der Tischlerfachschule Detmold, o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 8) Cassa-Buch der Firma Plass&Bergmann 1908–1913 (LAV NRW OWL, D 107 Q Nr. 501) Comisionen-Schlafzimmer der Firma Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 274) Direktion der Tischler-Fachschule Detmold/Verbände ehemaliger Schüler (Hrsgg.): Unterrichtseinteilung für die Monate Januar, Februar, März 1912, in: Nachrichten der Tischler-Fachschule Detmold Nr. 1 (1911), o. S. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) Gebr. Schlingmann: 50 Jahre Möbelschaffen (1897–1947): Gebrüder Schlingmann, Möbelfabrik Lemgo, o. O., 1947 (LAV NRW OWL, Bibliothek H 209) Gebr. Schlingmann, Hofmöbelfabrik Lemgo (Lippe): 40 Jahre (1897–1937), o. O., 1937 (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 380) Gebr. Schlingmann, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107/34, Nr. 237) Gebr. Schlingmann, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/I, Bl. 131) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 106) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 107) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 119) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 123) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 128) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 129) Gebr. Schlingmann (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 495/III, Bl. 221) Gebr. Schlingmann, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107/34 Nr. 498) Graef, August/Graef, Max: Der Möbeltischler für das bürgerliche Wohnhaus in allen seinen Räumen. Vorlagen zu Möbeln für Wohn- Speise- und Schlafzimmer, Gesellschafts- und Arbeitszimmer, für Toilette, Garderobe, Vorsaal, Kontor, Küche u. s w. in den beliebten Formen der deutschen Renaissance und mit einer abgeschlossenen Einrichtung in Rokoko, Weimar 1894 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 495) Kassettenschrank von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III) Kolscher, Bruno: Allgemeine Grundsätze für die Erteilung des Unterrichts, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) Kolscher, Bruno: Prüfungsordnung der Tischler-Fachschule Detmold 1910–1914, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 129) Kolscher, Bruno: Tischler-Fachschule Detmold. Älteste kunstgewerbliche Lehranstalt dieser Art, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 3) Meyer, Erwin: 60 Jahre Tischler-Fachschule Detmold, o. O., o. J. [1953], S. 5–9 (LAV NRW OWL, Bibliothek J 159) Nagel, Peter: Fachschule für Holztechnik Detmold. 100 Jahre im Dienst der beruflichen Qualifikation, in: Der Bau- und Möbelschreiner 9 (1993), S. 139–150 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 491) Programm der Fachschule für Drechsler in Leisnig, o. O., o. J. (LAV NRW OWL, L 80.16 Nr. 854)

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11 Anhang

Reineking, Ludwig: Aus eigener Kraft. Vom Tischlergesellen zum Fachschuldirektor, o. O., 1934/1935 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 2) Reineking, Ludwig: Stillehre für Tischler: Barock bis modern (Technische Unterrichtsbriefe für das Selbststudium), Detmold 1906 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 10) Reineking, Ludwig: Stillehre für Tischler: Romanisch, Gotik und Renaissance (Technische Unterrichtsbriefe für das Selbststudium), Detmold 1906 (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 9) Sitzgruppe aus Rokoko von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III) Verzeichnis der gewerblichen Anlagen in dem Kreise Herford (aufgestellt am 12.6.1894), in: Acta speciale betreffend Verzeichnis der gewerblichen Anlagen im Regierungsbezirke Minden 1894–1897 (LAV NRW OWL, M1 I G Nr. 258) Vitrinenaufsatzsekretär von Edwin Foley (LAV NRW OWL, D 107 V Nr. 222, Bd. III) Privatarchiv Gustav Bergmann, Lage Lippische Polstergestellfabrik Gustav Bergmann: 1903–1953. 50 Jahre Polstergestelle, Lage 1953 Privatarchiv Ursula Spilker, Steinheim Entwurf eines Büffets in Eiche von Anton Spilker I für 550 Mark (Foto: Ursula Spilker) Rechnungsbücher von Anton Spilker, o. J. Sächsisches Staatsarchiv Leipzig o. A.: Biedermaierstil, in: Leipziger Mess-Zeitung 4 (1907), H. 9 (5.3.1907), S. 65 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 688–690) o.A: Der Deutsche Werkbund und die Entwurfs- und Modellmesse, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 4 (11.7.1919), S. 79 (SStAL, Leipziger Messamt (I) D 697–699) o.A: Die Entwurfs- und Modellmesse in Leipzig und die Fabrikanten, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 1 (1.6.1919), S. 85 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) o. A.: Die Leipziger Mustermessen, o. J. (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 656–686) o. A.: Künstlerische Wohnungseinrichtungen aus dem Hauptmöbelmagazin Paul Michaud, in: Die Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe, H. 4 Michaelismesse 1909, S. 54–56 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) o. A.: Leipzig als Messstadt, in: Leipziger Mess-Zeitung 7 (1910), H. 2 (19.1.1910), S. 10–12 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 692–693) o. A.: Leipzig im Messverkehr, in: Leipziger Mess-Zeitung 8 (1911), H. 8 (6.4.1911), S. 77–78 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 693–695) o. A.: Nippes, in: Bruhns Mess-Anzeiger. Abteilung für Glas-, keramischen und verwandten Branchen Nr. 4 (1907), S. 1–2 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) o. A.: Raumkunst und Kunstgewerbe auf der Internationalen Baufach-Ausstellung Leipzig 1913, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 12, Michaelismesse 1913, S. 61–64 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 712) o. A.: Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 81) o. A.: Statistik über Aussteller der Leipziger Messe (1897–1918) (SStAL, Leipziger Messeamt (I), Nr. 82) o. A.: Trocken-Verfahren für Nutzholz, in: Leipziger Mess-Zeitung 7 (1910), H. 39 (30.11.1910), S. 369 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695) o. A.: Um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 26 (19.8.1912), S. 181–182 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 695–696) o. A.: „Volontär“ und „Lehrling“ im Handwerk, in: Leipziger Mess-Zeitung 5 (1907), H. 27 (30.8.1907), S. 223 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 688–690) o. A.: Was die Leipziger Messe ist und was sie war, in: Leipziger Mess-Zeitung 5 (1908), H. 38 (25.11.1908), S. 303– 304 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 690–691) o. A.: Weiche australische Hölzer, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 26 (19.8.1912), S. 182 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695) Behrens, Peter: Wohnkultur, in: Die Leipziger Mustermesse 4 (1920), H. 24 (23.10.1920), S. 331–332 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) Buschmann, Johannes: Der wirtschaftliche Nutzen der Ausstellungen, in: Die Leipziger Messe, H. 4 Michaelismesse 1909, S. 1–6 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715)

11.3 Quellen

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Corwegh, Robert: Modellausstellung für Produzenten als Qualitätsschau, in: Die Leipziger Mustermesse 3 (1919), H. 4 (11.7.1919), S. 54–55 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) Groß, Karl: Die Künstler und die Industrie, in: Kunst und Industrie (Beilage der Zeitschrift Die Leipziger Messe) 1 (1920), H. 2 (14.2.1920), S. 9–10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) H.: Was verdankt das moderne Kunstgewerbe der Leipziger Messe, in: Bruhns Mess-Anzeiger (1912), H. 5, S. 1–2 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 717) Haenel, Erich: Das deutsche Kunstgewerbe im 19. Jahrhundert, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 12 Michaelismesse 1913, S. 5–8 (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 708–715) Handelskammer Leipzig Mess-Ausschuß: Die Leipziger Mustermessen (Kurze Denkschrift vom November 1916 als Beigabe zum Reichs-Etat), o. O. 1916 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 656–686) Kammerbauer, Mathias: Die Kulturaufgabe der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Mustermesse 2 (1918), H. 4 (15.6.1918), S. 45–46 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) Kändler, Hermann: Kleinbetriebe der Holzbearbeitungsbranche, in: Leipziger Mess-Zeitung 8 (1911), H. 15 (19.4.1911), S. 131–132 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 693–695) Kötzschke, Rudolf: Entstehung der Märkte und Messen, o. O., o. J. [Anfang 20. Jhr.] (SStAL Leipziger Messeamt (I) D 820) Kroker, Ernst: Die Leipziger Messe, ihre Entstehung und ihre Privilegien, Leipzig 1908 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 893) L., R.: Geschmackswandlungen. Eine Kunstbetrachtung, in: Leipziger Mess-Zeitung 6 (1909), H. 4 (3.2.1909), S. 36 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693) Lux, Joseph August: Der Geschmack im täglichen Leben, in: Die Leipziger Messe, H. 4 (Michaelismesse 1909), S. 26–28 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 708–715) Meßamt für die Mustermesse in Leipzig (Hrsg.): Die Bedeutung der Leipziger Messe für Fabrikanten und Kaufleute, o. O. 1919 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 889) Mobilis, A. F.: Wie liesse sich das Möbelgeschäft noch mehr fördern?, in: Die Leipziger Messe, H. 3, Ostermesse 1909, S. 67–68 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 716) Muthesius, Hermann: Die Mustermesse als Geschmackserzieherin, in: Kunst und Industrie 1 (1920), H. 5 (8.5.1920), S. 51–54 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) Osel, Heinrich: Der Deutsche Werkbund und die Leipziger Messe, in: Die Leipziger Mustermesse 2 (1918), H. 4 (15.6.1918), S. 76–77 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 697–699) Rs.: Über die Bekämpfung des Holzwurmes, in: Leipziger Mess-Zeitung 6 (1909), H. 7 (28.2.1909), S. 83–84 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 692–693) Seliger, Max: Produktionstugenden und -pflichten, in: Die Leipziger Messe, H. 3 Ostermesse 1909, S. 58–60 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 699–701) Zinck, Paul: Die Leipziger Messen. Eine historische Skizze, Teil 2, in: Leipziger Mess-Zeitung 1 (1904), H. 2 (20.1.1904), S. 10 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 686–688) Zinck, Paul: Die Leipziger Messen, Teil 5, in: Leipziger Mess-Zeitung 1 (1904), H. 5 (17.2.1904), S. 33–34 (SStAL, Leipziger Messeamt (I) D 686–688) Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden o. A.: Betriebsgeschichte der Deutschen Werkstätten Hellerau, o. J. (SHStAD 3152) Deutsche Werkstätten GmbH Dresden/München: o. T., o. S. (SHStAD 1622) Deutsche Werkstätten: Preisbuch 1919: Das Deutsche Hausgerät, Hellerau 1919 (SHStAD 2943) Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1910, Dresden 1910 (SHStAD 2494) Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München (Hrsg.): Preisbuch 1909. Über das Dresdner Hausgerät, Dresden 1909 (SHStAD 2490) Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1908, Dresden 1908 (SHStAD 2489) Müller: Bericht über Karl Schmidt, o. O. 1945 (SHStAD 3152) Popp, Josef: Die Deutschen Werkstätten. Ein Beitrag zur Geschichte der neuen Raumkunst und des Kunstgewerbes in Deutschland, o. O. ca. 1920 (SHStAD 573) Riemerschmid, Richard: Schrank (Dresdner Hausgerät 1907) (SHStAD, Nr. 3925) Schmidt, Karl: Ankündigungsschreiben Firmeneröffnung Hellerau vom 1.10.1898, o. S. (SHStAD 1618)

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11 Anhang

Stadtarchiv Bielefeld o. A.: Denkschrift zur Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, Bielefeld 1912 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6450) o. A.: Eintrittspreise Ausstellung, in: Volkswacht 23 (1912), Nr. 199 (24.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/ Zeitungen Nr. 43) o. A.: Pariser Weltausstellung, in: Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für die Jahre 1876 und 1877, umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Theil des Kreises Herford, S. 29 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) o. A.: Wohnungsstatistik vom 1.6.1912, in: Volkswacht 23 (1912), Nr. 174 (26.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43) o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, in: Volkswacht 23 (1912), Nr. 164 (15.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43) o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912, in: 1. Beilage zur Volkswacht 23 (1912), Nr. 181 (3.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43) o. A.: Wohnungs-Ausstellung Bielefeld 1912. Die Eröffnungsfeier, in: 1. Beilage zum Bielefelder General-Anzeiger 13 (1912), Nr. 175 (27.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) o. A.: Wohnungskultur. Betrachtungen zur Wohnungsausstellung, in: 1. Beilage zur Volkswacht 23 (1912), Nr. 196 (21.8.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 43) Abbildung eines Herrenzimmers von Heinrich Essen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Westfälische illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 4, S. 6 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1873 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1876 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1884 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1896 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1907 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1910 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Adressbuch der Stadt Bielefeld 1919 (Stadtarchiv Bielefeld, X Bi Z 10) Angebot an Dampfmaschinen der Bielefelder Maschinenfabrik Th. Calow & Co (Stadtarchiv Bielefeld, 101,13/ Nr. 23) Ansicht der Villa Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/Nr. 1060) Anzeige der Firma Eduard Essen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 17 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Anzeige Eduard Essen, in: Bielefelder General-Anzeiger Nr. 180 (3.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/ Zeitungen Nr. 5) Anzeige der Möbelhandlung G. Sewing, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 180 (2.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) Anzeige des Bielefelder Möbelhauses, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 175 (27.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) Anzeige der Bielefelder Wohnungs-Ausstellung, in: Bielefelder General-Anzeiger Nr. 164 (15.7.1912), S. 12 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) Ascheraden, Frhr., von: Von der Industrie-, Gewerbe- und Kunst-Ausstellung in Minden, in: Bielefelder General-Anzeiger Nr. 159 (10.7.1914), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Zeitungen Nr. 5) Barber, Ida: Mode in der Wohnungs-Einrichtung, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 1–7 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Barkey, et al.: Die Wohnungsausstellung Bielefeld 1912, o. J., o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1896 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1889 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1888 umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Theil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1886 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1)

11.3 Quellen

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Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1885 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1883 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1881 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt- und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Theil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1880 umfassend die Kreise Bielefeld (Stadt und Land-), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford, S. 109 (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1878 umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1876 und 1877 umfassend die Kreise Bielefeld, Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Herford (Stadtarchiv Bielefeld, Z 40 Bie 1) Briefkopf der Firma Kampmann & Kracht (Stadtarchiv Bielefeld, 300,2/Briefköpfe Nr. 1777) D.: Drei Räume der Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen Ed. Essen, Bielefeld, in: Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtung Eduard Essen (Hrsg.): Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), S. 339–342 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911) (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Eduard Essen: Bielefelder Kunstwerkstätten für Wohnungseinrichtungen, o. O., o. J. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/ Westermann Sammlung, Nr. 42, Bd. 2) Entwurf zu einem Wohnhaus für Herrn A. Gravenstein, Maurermstr., Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 2101a) Entwurf zu einem Wohnhaus für Herrn Herholz (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 1930) Gr., O.: Durch die Wohnungs-Ausstellung. Betrachtungen eines Laien, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 183 (6.8.1912), S. 5–6 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) Grundriss der Villa des Verlegers Wilhelm Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/ Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 1060) Grundriss des Erdgeschosses in der Villa Velhagen (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 1060) Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Dorotheenstraße 2 (Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Dorotheenstraße 4 (Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) Hausbücher Mitte (auch Schildesche, Stieghorst und Sieker) Straßen A–Z, hier: Wertherstraße 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/ Einwohnermeldeamt Nr. 21) Jlazarus, J.: Wohnungen einst und jetzt, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 8–13 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld: Anweisung vom 26.2.1892 zur Ausführung der Gewerbe-Ordnung der Polizeiverwaltung in Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 300,4/Firmenschriften Nr. 4/2) Kükelhaus, Hugo: Die Wohnungsausstellung Bielefeld 1912 (Der Stand der Vorarbeiten), in: o. T. (15.7.1912), o. S. (Stadtarchiv Bielefeld, 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 13) Pudor, Heinrich: Materialschönheit in der Gewerbekunst, in: Die Wohnung der Neuzeit. Westfälische illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 5, S. 1–11 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2) Schreiben der Firma W. Kampmann & Kracht an die Königliche Gewerbe-Inspection zu Bielefeld vom 17.9.1901 (Stadtarchiv Bielefeld, 101,13/Nr. 23) Verlobungsanzeige von Mimy Strübe und Arthur Stiller, in: Bielefelder General-Anzeiger 1912, Nr. 180 (2.8.1912), S. 3 (Stadtarchiv Bielefeld, 400,2/Nr. 5) Zeichnung zum Neubau des Wohnhauses für den Kaufmann Herrn Arthur Herholz zu Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld, 108,5/Nr. 1930) Zu unseren Abbildungen, in: Die Wohnung der Neuzeit. Bielefelder illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete 1 (1911), H. 1, S. 16 (Stadtarchiv Bielefeld, ZJ K2)

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11 Anhang

Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund 75 Jahre Irmer & Elze 1.4.1903–1.4.1978, Firmenchronik (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, F. 4513/773) o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während der Zeit vom 30. März bis 1. Oktober 1918 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während des Jahres 1918 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Bericht über die Geschäftslage während des letzten Halbjahres im Handelskammerbezirk Bielefeld von Oktober 1916 bis Ende März [19]17, 1917, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Bericht über die Lage von Handel und Industrie im Bezirk der Handelskammer zu Bielefeld während der Zeit vom 1. Januar bis Mitte Oktober 1917, 1917, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Bericht über die Sitzung der Handelskammer am 18.12.1914, o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K17 Nr. 3) o. A.: Mitteilungen der Handelskammer zu Bielefeld, Nr. 5 (15.10.1914), S. 4 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Schreiben an Herrn Major Schmidt-Reder kommandiert beim Generalquartiermeister Grosse Hauptquartier S. M. vom 9.7.1917 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 566) o. A.: Zwei Bielefelder Räume auf der Werkbund-Ausstellung in Cöln, S. 242–243 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 325) Naumann, Friedrich: Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln 1914, in: Gegenwart 3 (17.1.1914), o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 IHK zu Münster Nr. 1425, Bd. 2) Naumann, Friedrich: Über den Einfluss des Kaufmannstandes auf die Forderung von Qualitätsarbeit (Abschrift), in: Gegenwart 3 (1914) (17.1.1914), o. S. (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 IHK zu Münster Nr. 1425 Bd. 2) Vereinigung Niedersächsischer Handelskammern: Wirtschaftsbericht A über das erste Vierteljahr 1921 der Firma Gustav Kopka an die Handelskammer Bielefeld (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K3 IHK zu Bielefeld, Nr. 1012) Voss, Paul: Der Aufschwung der Leipziger Messe seit 1919, Leipzig [1924], S. 3 (Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, K5 IHK zu Münster Nr. 1431 (Bd. 2))

11.3.2  Gedruckte Quellen o. A.: o. T., in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 12 (8.6.1895), S. 137 o. A.: Abbildungen, in: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 15–17 o. A.: An unsere geehrten Leser und Freunde, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 1 o. A.: Arbeiten von Architekt Professor Paul Griesser, Bielefeld, in: Dekorative Kunst 35 (1926/1927), S. 225–229 o. A.: Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann, in: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 15 o. A.: Ausführung der preisgekrönten Entwürfe und deren Kosten, Teil 1, in: Innendekoration 14 (1903), H. 1, S. 16–28 o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 1 (1893), Nr. 5 (August 1893), S. 204–207 o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 1 (1893), Nr. 6 (September 1893), S. 248–251 o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 6 (1896), Nr. 33 (December 1895), S. 195–201 o. A.: Awards in „The Studio” Prize Competitions, in: The Studio: International art 6 (1896), Nr. 34 (January 1896), S. 260–265 o. A.: Billige Möbel, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 13, S. 110 o. A.: Bruno Pauls Typenmöbel, in: Dekorative Kunst 17 (1908/1909), S. 86–95 o. A.: Das Färben des Holzes, in: Neue Tischler-Zeitung. Organ für die Interessen des Tischlergewerbes 9 (1881), S. 1–2

11.3 Quellen

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o. A.: Das Handwerk voran, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 4 (16.2.1895), S. 37–38 o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 45 (4.11.1910), S. 2715–2716 o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 46 (11.11.1910), S. 2776–2777 o. A.: Das Mahagoniholz, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 47 (18.11.1910), S. 2835–2836 o. A.: Das Maschinenmöbel, Teil 1, in: Der Innenausbau 3 (1908), H. 3 (17.1.1908), S. 18–20 o. A.: Das Maschinenmöbel, Teil 3, in: Der Innenausbau 3 (1908), H. 5 (31.1.1908), S. 35–36 o. A.: Das Ornament in der Möblerei und einiges andere, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 29–31 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 9 (3.3.1911), S. 499–500 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 10 (10.3.1911), S. 557–558 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 11 (17.3.1911), S. 615–616 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 4, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 12 (24.3.1911), S. 677–680 o. A.: Das Tischlerholz und seine Eigenschaften, Teil 6, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 14 (7.4.1911), S. 799–800 o. A.: Der Deutsche Werkbund und die Welt-Ausstellung in St. Franzisko, in: Der Innenausbau 16 (1913), Bd. 2, H. 50, S. 687 o. A.: Der Dürerbund, in: Der Kunstwart, 16,1 (1902), H. 3 (1. Novemberheft 1902), S. 97–98 o. A.: Der Dürerbund ist gesichert!, in: Der Kunstwart 15,1 (1902), H. 2 (2. Oktoberheft 1902) S. 82 o. A.: Der neue Gesamtvorstand des Dürerbundes, in: Kunstwart und Kulturwart 27,1 (1913), H. 1 (1. Oktoberheft 1913), S. 32–36 o. A.: Deutsche Erfolge in St. Louis 1904, in: Innendekoration 16 (1905), H. 7, S. 186–188 o. A.: Die Abrichthobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H 27 (3.7.1913), S. 211–213 o. A.: Die Holzindustrie im Jahre 1910: Möbelfabrikation und -handel, in: Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 15, S. 117–118 o. A.: Die Kunst auf der Weltausstellung in Philadelphia, in: Zeitschrift für bildende Kunst 11 (1876), S. 326–330 o. A.: Die „Margarethen-Höhe“ bei Essen, in: Deutsche Kunst und Dekoration 32 (1913), S. 336–348 o. A.: Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 34 (19.8.1910), S. 2039–2040 o. A.: Die Maschinenanlage eines modernen Tischlereibetriebes, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 35 (26.8.1910), S. 2099–2100 o. A.: Die Möbelnot und ihre Bekämpfung, in: Innendekoration 29 (1918), H. 7/8, S. 222–229 o. A.: Die Not des höheren Mittelstandes und Maßregeln gegen Teuerung und Luxus, Berlin 1910 o. A.: Die Organisation der Entwurfs- und Modellmesse, in: Kunst und Industrie 1 (1920), H. 1, S. II o. A.: Die Verpackung der Möbel, in: Neue Tischler-Zeitung 3 (1881), H. 3 (1.2.1881), S. 3 o. A.: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1904/1905), S. 73–79 o. A.: Ein modernes Möbel-Magazin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 5, S. 64 o. A.: Ein Nachwort zu unseren Wettbewerben, in: Innendekoration 14 (1903), H. 3, S. 69–74 o. A.: Entscheidung des Wettbewerbes zur Erlangung von Entwürfen für ein herrschaftliches Wohnhaus eines Kunst-Freundes, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 12 (1901), H. 6, S. 109–110 o. A.: Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899 o. A.: Haben wir einen eigenen Stil?, in: Das Kunstgewerbe, Zweites April-Heft 1891, S. 229–231 o. A.: Holzimitation, in: Neue Tischler-Zeitung. Organ für die Interessen des Tischlergewerbes 20 (1885), S. 1 o. A.: Ist Schönheit gleichbedeutend mit Zweckmäßigkeit, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 40 (6.10.1911), S. 2351–2352 o. A.: KaDeWe. Kaufhaus des Westens 1907–1932, Berlin 1932 o. A.: Kalkulation der Maschinenarbeit in der Möbelfabrikation, Teil 1, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 31 (29.7.1910), S. 1859–1860 o. A.: Kalkulation der Maschinenarbeit in der Möbelfabrikation, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 32 (5.8.1910), S. 1919–1920

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11 Anhang

o. A.: Kostenfeststellung der Maschinenarbeit bei der Möbelfabrikation, Teil 1, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 31 (29.7.1910), S. 1859–1860 o. A.: Kostenfeststellung der Maschinenarbeit bei der Möbelfabrikation, Teil 2, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 32 (5.8.1910), S. 1919–1920 o. A.: Kunst, in: Der Deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 4 (16.2.1895), S. 137 o. A.: Lackierungen auf Hartholz, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 7 (1896), H. 1, S. 10–11 o. A.: Manuskript Hertie, o. J., S. 244, zit. in: Simone Ladwig-Winters: Wertheim. Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer. Ein Beispiel der Entwicklung der Berliner Warenhäuser bis zur „Arisierung“ (Anpassung, Selbstbehauptung, Widerstand, Bd. 8), Münster 1997, S. 35 o. A.: Michael Thonet. Ein Gedenkblatt aus Anlass der hundersten Wiederkehr seines Geburtstages am 2.7.1896, Wien 1896, S. 135–189, abgedruckt in: Bangert, Albrecht/Ellenberg, Peter: Thonet Möbel. Bugholz Klassiker von 1830–1930. Ein Handbuch für Liebhaber und Sammler, München 1997, o. S. o. A.: Moderne Möbel, Teil 1, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1, S. 3–4 o. A.: Moderne Möbel, Teil 2, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 2, S. 12–13 o. A.: Moderne Wohnungskunst, in: Der Möbelhändler 34 (1912), H. 1 (1.10.1912), o. S. o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 1, in: Innendekoration 30 (1919), H. 12, S. 420–423 o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 2, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S. 66–68 o. A.: Möbelnot und Möbelpreise, Teil 3, in: Innendekoration 31 (1920), H. 3, S. 114–115 o. A.: Preis-Ausschreiben zur Erlangung von Entwürfen für einfache und billige Wohnungs-Einrichtungen, in: Innen-Dekoration (1902), H. 1, Inseraten-Beilage, S. 1–2 o. A.: Programm und Einladung, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1 (10.1.1890), S. 2 o. A.: Schlafzimmermöbel, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 3–4 o. A.: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1910, Berlin 1910 o. A.: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1900, Berlin 1900 o. A.: Tietz und Wertheim, in: Die Zukunft 32 (1900), S. 537–545 o. A.: Tischlerei und Möbelhandel, in: Der Deutsche Tischlermeister 5 (1899), H. 2 (7.1.1899), S. 17–18 o. A.: Tischler-Fachschule Detmold, in: Der Deutsche Tischlermeister 6 (1900), H. 26 (24.6.1900), S. 438–439 o. A.: Tischlermeister und Möbelhändler, in: Deutsche Tischler-Zeitung 38 (1911), H. 18 (4.5.1911), S. 141–142 o. A.: Vereine und Museen, in: Kunstgewerbeblatt, N. F., 4 (1893), S. 32 o. A.: Welche Kraftmaschine wählt der Handwerksmeister?, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 34 (25.8.1911), S. 1995–1996 o. A.: Welchen Motor wähle ich?, Teil 1 in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 9 (3.3.1911), S. 501–504 o. A.: Welchen Motor wähle ich?, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 10 (10.3.1911), S. 561–565 o. A.: Weltausstellung St. Louis, o. O. 1903 o. A.: Wettbewerbe: Plakate, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), S. 56 o. A.: Wohnzimmer im Renaissancestil, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 7, S. 56 o. A.: Zur Gründungsgeschichte des Deutschen Werkbundes 6. Oktober 1907, in: Die Form 11 (1932), S. 329–331 o. A.: Zu unseren Illustrationen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. 15–16 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1870 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1871 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1875 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1876 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1880 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1882 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1888 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1889 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1890 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1905 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1907 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1908 Adressbuch der Stadt Frankfurt 1911

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11 Anhang

Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 12, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 15, S. 124–125 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 13, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 16, S. 132–133 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 14, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 17, S. 140–141 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 15, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 18, S. 148–149 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 16, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 19, S. 156–157 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 17, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 20, S. 164–165 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 18, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 21, S. 172–173 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 19, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 23, S. 188–189 Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, Teil 20, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 24, S. 196–197 Below, Georg, von: Die Entstehung des Handwerks in Deutschland, Teil 2, in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte 5 (1897), S. 225–247 Berger, Josef: Die Stil-Richtungen. Versuch einer Sichtung, in: Innendekoration 40 (1929), S. 210–214 Berliner Tageblatt vom 21.4.1887, o. S. Berliner Tageblatt vom 6.6.1896, o. S. Beutinger, E.: Die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Innendekoration 15 (1904), H. 6, S. 160–166 Bornö, O.: Oberflächenbehandlung, Teil 1, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 50 (11.12.1913), S. 393–395 Bornö, O.: Oberflächenbehandlung, Teil 2, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 51 (18.12.1913), S. 401–402 Böttcher, F.: Das Skizzenbuch in der Gewerbe-, Fortbildungs- und Zeichenschule, in: Möbel und Decoration 1 (1898), S. 52–53 Böttcher, F.: Das Skizzenbuch in der Tischlerfachschule, in: Möbel und Decoration 1 (1898), S. 117–118 Böttcher, P.: Möbelstudium, in: 2. Beilage der Deutschen Tischler-Zeitung 20 (1893), H. 7 (18.2.1893), o. S. Bötticher, Georg: Papiertapete und Linoleum, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 13 Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 1, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1, S. 4–5 Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 2, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 2, S. 14 Bötticher, Georg: Entsprechen unsere Tapetenmuster die Anforderungen, die man an Wandmuster stellen soll?, Teil 3, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 3, S. 20–21 Brandt, Georg: Individualisierte Möbel – Typenartige Möbel, in: Der Innenausbau 5 (1910), H. 6 (11.2.1910), S. 63–64 Braungart, Richard: Vom neuen Stil, in: F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 40 (1913), H. 51 (18.12.1913), S. 410–412 Brecht, W.: Kalkulation und Akkordarbeit, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 27, S. 544–545 Breuer, Robert: Qualitätsarbeit und Gebrauchsware. Zum „Deutschen Warenbuch“, in: Innendekoration 27 (1916), H. 1, S. 50–54 Breuer, Robert: Gutbürgerlich. Zur Ausstellung „Moderne Wohnräume“ bei A. Wertheim, Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration 33 (1913/1914), S. 72–91 Breuer, Robert: Moderne Wohnräume bei A. Wertheim – Berlin, in: Innendekoration 23 (1912), H. 6, S. 242–245 Breuer, Robert: Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden und München, in: Deutsche Kunst und Dekoration 24 (1909), S. 185–201 Breuer, Robert: Moderne Etagen-Wohnungen im Möbelhaus Herrmann Gerson in Berlin, in: Innendekoration 19 (1908), H. 12, S. 359–376 Breuer, Robert: Möbel für Miet-Wohnungen, in: Innendekoration 21 (1910), H. 8, S. 329–332

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Brutus: Abrichthobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 27 (3.7.1913), S. 211–213 Bucher, Bruno: Stilvolle Wohnungs-Einrichtung, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 125–128 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an die Eltern, 27.12.1897, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011, S. 105 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an die Eltern vom 27.4.1893, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011, S. 110 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde, 25.11.1892, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011, S. 109–110 Bücher, Emilie: Brief von Emilie Bücher an ihre Schwester Mathilde vom 25.1.1892, zit. nach: Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011, S. 116 Bücher, Karl: Die Anfänge des Zeitungswesens, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 197–228 Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 83–160 Bücher, Karl: Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung, Tübingen 1922, S. 161–196 Bücher, Karl: Der Niedergang des Handwerks, in: Ders.: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Aufsätze. Erste Sammlung. Tübingen 1917, S. 197–228 Büchner, Friedrich August: Die Möbeltischlerei umfassend die Holzarten des Möbeltischlers, das Einkaufen des Holzes, die Holzpflege, die vervollkommnete Schnittware, die Werkstatteinrichtung, die Holzverarbeitung, den Zusammenbau der Möbel, die wichtigsten Gebrauchsmöbel im Wohn-, Schlaf-, Speise- und Herrenzimmer, die Küchenmöbel, das Anschlagen der Möbelbänder sowie die Veredelungsarten des Möbelholzes, Intarsien und Furniere. Als Handbuch für den praktischen Tischlergesellen sowie als Lehrbuch für den Kunstgewerbeschüler, Leipzig 1922 Buchner, Wilhelm: Leitfaden der Kunstgeschichte, Essen 1911 Budjuhn, G.: Fabrik und Handwerk, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 4, S. 212–214 Bunke, Karl: Die deutsche Möbelindustrie unter besonderer Berücksichtigung der Möbelindustrie in Ravensberg und Lippe, Münster 1926 Bunsen, Marie, von: Stil-Schönheit der Klein-Wohnung, in: Innendekoration 31 (1920), H. 11, S. 376–377 Buschmann, Johannes: Die wirtschaftlichen Bedingungen einer Stilneubildung im Kunstgewerbe, in: Die Leipziger Messe, H. 6 Michaelismesse 1910, S. 3–4 Buschmann, Johannes: Das Problem der Qualitätsproduktion und der Deutsche Werkbund, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 11. Ostermesse 1913, S. 1–3 Cl.: Gedanken über Wohnkultur, Teil 2, in: Der Innenausbau 19 (1920), H. 16/17 (23.4.1920), S. 151–152 Claussen, Ernst: Die Kleinmotoren. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für Gewerbe und Landwirtschaft, ihre Konstruktion und Kosten, Berlin 1908 Cohen, Arthur: Das Schreinergewerbe in Augsburg, in: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Bd. 3: Süddeutschland (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 64), Leipzig 1895, S. 499–572 Cohen, Arthur: Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Abzahlungsgeschäftes, Leipzig 1891 Colze, Leo: Berliner Warenhäuser (Großstadt-Dokumente, Bd. 47), Berlin 1908 Cook, Clarence: The House Beautiful. Essays on Beds and Tables, Stools and Candlesticks, New York 1878 Corwegh, Robert: Schönheit in der Beschränkung, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S. 80–81 Creutz, Max: Das Kaufhaus des Westens, in: Berliner Architekturwelt 3 (1907), S. 80–106 Davidis, Henriette: Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbständigen und sparsamen Führung des Haushalts. Mitgabe für junge Hausfrauen, Leipzig 1864 Delius, Rudolf, von: Neue Arbeiten der Deutschen Werkstätten, in: Dekorative Kunst 37 (1928/1929), S. 142–146 Der Deutsche Tischlermeister: Empfehlenswerte Werke aus der Fachliteratur, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 30 (22.7.1910), S. 1789 Deutsche Reichskommission: Amtlicher Bericht über die Wiener Weltausstellung im Jahre 1873, Braunschweig 1874 Dichmann, Leonhard: Die Möbelschreinerei im Vordertaunus, Jena 1927 Dieterich, Erwin: Allgemeine Holzstatistik, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 278–324

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11 Anhang

Die Redaktion: Kolonien mit Einfamilien-Häusern, in: Innendekoration 15 (1904), H. 10, S. 261 Die Redaktion: Unser Wettbewerb: Wohnhaus eines Kunst-Freundes, Teil 1, in: Innendekoration 12 (1901), H. 7, S. 111–115 Die Redaktion: Unser Wettbewerb: Wohnhaus eines Kunst-Freundes, Teil 2, in: Innendekoration 12 (1901), H. 8, S. 137–139 Die Wohnung der Neuzeit. Dresdener illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von Raumkunst. Vereinigte Werkstätten für Kunstgewerbe Die Wohnung der Neuzeit. Grazer illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst und verwandte Gebiete, herausgegeben von N. Kollndorfer’s Nachf. R. Kollndorfer & Fr. Reil Möbelfabrik, Graz Die Wohnung der Neuzeit. Reichenberger illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von H. & A. Kirchhof (Möbelfabrik und Kunsttischlerei) Die Wohnung der Neuzeit. Ulmer illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von A. Ils & Sohn (Möbelfabrik) Die Wohnung der Neuzeit. Wormser illustrierte Monatshefte für Wohnungskunst, Hausbau und verwandte Gebiete, herausgegeben von Friedrich Huth Dohrn, Wolf: Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst, in: Innendekoration 20 (1909), H. 2, S. 49–51 Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (Hrsg.): Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906 Dresdner, Albert: Bürgerlicher Hausrath, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 9 (1898), H. 11, S. 161–167 Dresser, Christopher: Principles of decorative design, London 1870 Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Friedrich Bayer jr., 11./12.9.1895: Aufbau der neuen Fabrik Leverkusen, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 87–94 Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Dr. Fritz Rössler 6.8.1908: Stellung der angestellten Chemiker, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 138–140 Duisberg, Carl: Schreiben von Carl Duisberg an Prof. Dr. Eugen Bamberger 21.1.1893: Anforderungen an die anzustellenden Chemiker, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 84–86 Duisberg, Carl: Schreiben an Prof. Dr. Julius Pierstorff 11.5.1897: Haltung zur sozialen Fürsorge bei Zeiss, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 97–98 Duisberg, Carl: Schreiben an Prof. Dr. Julius Pierstorff vom 18.8.1902, in: Kühlem, Kordula (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 68), München 2012, S. 118–119 Duisberg, Carl: Schreiben an Johannes Walther, 31.12.1911, BAL AS, zit. in: Plumpe, Werner: Carl Duisberg 1861– 1935. Aufstieg eines Industriellen, München 2016, S. 144 Edis, Robert William: Decoration and Furniture of Town Houses. A furniture of cantor lectures delivered before the society of arts, 1880, amplified and enlarged, London 1881 Egidy, Heinrich Eduard, von: Der Holzkenner, oder die kunstgerechte Ausnutzung, Vorrichtung und Verwerthung. Ein nützliches Hülfs- und Handbuch für Gewerbetreibende, Freiberg 1852 Ellis, Robert: Official descriptive and illustrated catalogue, Bd. 2, London 1851 Engel, Ernst: Das Rechnungsbuch der Hausfrau und seine Bedeutung im Wirtschaftsleben der Nation, Berlin 1882 Eudel, Paul: Fälscherkünste, Leipzig 1885 Exner, Wilhelm Franz: Das Biegen des Holzes, ein für Möbelfabrikanten, Wagen- und Schiffbauer, Böttcher, etc. wichtiges Verfahren. Mit besonderer Berücksichtigung auf die Thonetsche Industrie, Weimar 1893 F. A. Günthers Deutsche Tischler-Zeitung 38 (1911), H. 14 (6.4.1911), Titelblatt Falke, Jakob, von: Lebenserinnerungen, Leipzig 1897 Falke, Jakob, von: Poesie in der Wohnung, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 2 Falke, Jakob, von: Poesie in der Wohnung, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 9–11 Falke, Jakob, von: Poesie in der Wohnung, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 18–19

11.3 Quellen

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Falke, Jakob, von: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 133 Falke, Jakob, von: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 10, S. 141 Falke, Jakob, von: Unsere Wohnung von einst und jetzt, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 12, S. 173 Falke, Jakob, von: Die moderne Kunstindustrie und die Renaissance, in: Mitteilungen des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (1878), S. 158–161 Falke, Jakob: Das Kunstgewerbe, in: Lützow, Carl Friedrich Adolf, von (Hrsg.): Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Leipzig 1875, S. 41–181 Falke, Jacob: Die Kunst im Hause. Geschichtliche und kritisch-ästhetische Studien über Decoration und Ausstattung der Wohnung, Wien 1873 Falke, Jakob: Die Kunstindustrie auf der Wiener Weltausstellung 1873, Wien 1873 Falke, Jakob: Die Kunstindustrie der Gegenwart. Studien auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867, Leipzig 1867 Faust: Die Dicktenhobelmaschine, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 40 (1913), H. 46 (13.11.1913), S. 361–362 Feulner, Adolf: Kunstgeschichte des Möbels seit dem Altertum, Berlin 1927 Fischel, Hartwig: Die Wohnung des Mittelstandes einst und jetzt, in: Innendekoration 29 (1918), H. 10, S. 282–285 Fischer, Hermann: Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Die Holzsäge, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie: Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure 1 (1909), H. 3, S. 61–78 Fischer, Hermann: Zur Geschichte der Holzbearbeitungsmaschinen: Holzhobel und Fräsmaschine, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie: Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure 1 (1909), S. 176–181 Fischer, Hermann: Die Werkzeugmaschinen, Bd. 2: Die Holzbearbeitungs-Maschinen, Berlin 1901 Foley, Edwin: The book of decoration furniture. Its form, colour and history, Volume II, London 1910 Frank, Joseph: Die Einrichtung des Wohnzimmers, in: Innendekoration 30 (1919), H. 12, S. 416–417 Fred, W.: Die Wohnung und ihre Ausstattung, Bielefeld 1903 Freund, C. M.: Räume für den Mittelstand: Die ‚Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk‘, in: Innendekoration 39 (1928), H. 2, S. 99 Freyer, Kurt: Ein Wandermuseum, in: Museumskunde 9 (1912), H. 3, S. 151–153 Fuchs, Georg: Die Wohnräume der Deutschen Abteilung der Turiner Ausstellung, in: Deutsche Kunst und Dekoration 11 (1902), S. 45–64 Fürth, Henriette: Ein mittelbürgerliches Budget über einen 10-jährigen Zeitraum nebst Anhang: „Die Verteuerung der Lebenshaltung im Lichte des Massenkonsums“, Jena 1907 Garrett, Rhoda/Garrett, Agnes: Suggestions for House Decoration in Painting, Woodwork and Furniture, London 1877 Gebr. Thonet: Möbel aus gebogenem Holze, Wien 1904, Reprint, Hannover 1999 Geron, Heinrich: Moderne Wohnlichkeit, Teil 1: Bemerkungen über Raum und Einzelmöbel, in: Innendekoration 36 (1925), H. 3, S. 94–95 Geron, Heinrich: Moderne Wohnlichkeit, Teil 2: Wohnform und Gesellschaftsformen, in: Innendekoration 36 (1925), H. 5, S. 178–180 Gmelin, Leopold: Das deutsche Kunstgewerbe zur Zeit der Weltausstellung in Chicago 1893, Bd. 1, Paris 1893 Göhre, Paul: Das Warenhaus (Die Gesellschaft. Sammlung Sozialpsychologischer Monographien, Bd. 12), Frankfurt/M. 1907 Graef, August (Hrsg.): Die Holzbearbeitungsmaschinen für Tischler, Bildhauer, Zimmerleute, Wagenfabrikanten und Stellmacher, Dampfschneidereien und Fräseanstalten, Goldleistenfabrikanten u. u., Weimar 1877 Graef, Max: Der Landtischler. Entwürfe zu einfachen Möbeln für das Haus des Bürgers und Landmannes, Leipzig 1906 Graef, Max/Graef, August: Der Dorfschreiner. Vorlagen von Möbeln und anderen Schreinerarbeiten für die einfachsten Verhältnisse mit besonderer Rücksicht auf wohlfeile Herstellung und ansprechende Formen, Hannover 1992 [1900] Graul, Richard: Kunstgewerbe auf der Leipziger Herbstmesse, in: Dekorative Kunst 25 (1921/1922), S. 14–24 Graul, Richard: Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): Die Krisis im Kunstgewerbe. Studien über die Wege und Ziele der modernen Richtung, Leipzig 1901, S. 39–52

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11 Anhang

Great Britain-Comissioners for the Exhibition of 1851 (Hrsg.): Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations. Official descriptive and illustrated catalogue, Vol. 3, London 1851 Gronen, Damian: Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 46 (11.11.1910), S. 2777–2778 Gronen, Damian: Der Elektromotor als Kraftquelle für kleine Tischlereien, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 47 (18.11.1910), S. 2841–2842 Gropius, Walter: Standardisierung und Handwerk. Die unentbehrliche Mitarbeit des Handwerks, in: Innendekoration 38 (1927), H. 9, S. 360 Gropius, Walter: Das Wohnhaus der Neuzeit. Einige Äusserungen zu einem aktuellen Problem, in: Innendekoration 37 (1926), H. 8, S. 310 Gropius, Walter: Die neue Bau-Gesinnung. Lebenskultur ist die Voraussetzung einer Baukultur, in: Innendekoration 36 (1925), H. 4, S. 134–137 Grothe, Hermann: Über die Bedeutung der Kleinmotoren als Hülfsmaschinen für das Kleingewerbe, in: Schmollers Jahrbuch (1884), H. 3, S. 899–914 Gurlitt, Cornelius: Das Kunstgewerbe und die Frauen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 1, S. 10–11 Gurlitt, Cornelius: Im Bürgerhause. Plaudereien über Kunst, Kunstgewerbe und Wohnungs-Ausstattung, Dresden 1888 Gurlitt, Ludwig: o. T., in: Innendekoration 18 (1907), H. 7, S. 204–211 Gutkunst, M.: Die Leipziger Messe als Exportförderungsfaktor, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 11 Ostermesse 1913, S. 4–6 H.: Maschinenmöbel der „Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst“, in: Dekorative Kunst 14 (1906), S. 210–216 Haenel, Erich: Neue Räume der Deutschen Werkstätten Dresden, in: Dekorative Kunst 23 (1919/1920), S. 325–348 Haenel, Ernst: Ausstellung der Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst, in: Dekorative Kunst 12 (1904), S. 146–167 Haenel, Erich: Ausstellung der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, in: Die Rheinlande (1903/1904), S. 257–261 Hagen, L.: Die stilvolle Wohnung, in: Kunst und Handwerk 47 (1897/1898), S. 62–66 Handelskammer Bielefeld: Einspruch gegen die Heranziehung von Herforder Möbelindustriellen zur Tischlerinnung, in: Der Innenausbau 8 (1913), H. 44 (31.10.1913), S. 596–601 Harder, Johannes: Imitationen, Ersatzprodukte und Täuschungen, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 395–399 Harder, Johannes: Veredlung und Verschönerung des Holzes, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 388–394 Hasse, Ernst: Geschichte der Leipziger Messe, Leipzig 1885 Hausmann, Wilhelm: Die Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung (das sog. Abzahlungsgeschäft) nach dem Preußischen Allgemeinen Landrechte und dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich unter Berücksichtigung des österreichischen Gesetzentwurfes, betreffend die „Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung“, Berlin 1891 Heller, Hermann: Von der kleinen Tischlerwerkstätte zum Weltindustriehaus. Michael Thonet, der Erfinder und Begründer der Bugholzmöbel-Industrie. Lebens- und Charakterbild, Brünn, ohne Datum (nach 1922), zit. in: Mang, Karl: Thonet Bugholzmöbel. Von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Produktion, Wien 1982, S. 22 Heßling, Waldemar: Der Louis XVI. Stil in der Kunsttischlerei und in der dekorativen Bildhauerei in Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien mit Berücksichtigung der gleichzeitigen Stilrichtung in England, o. O. 1906 Heubner, Paul Leonhard: Die soziale Bedeutung der Leipziger Messe, in: Rundschau des Kunstgewerbes „Die Leipziger Messe“, H. 9 Ostermesse 1912, S. 1–3 Heubner, Paul Leonhard: Produktion und Absatz der Mess-Industrien, insbesondere der Keramik, in: Die Leipziger Messe, H. 3 Ostermesse 1909, Leipzig 1909, S. 1–3 Heubner, Paul Leonhard: Alte und neue Waren und Geschäftszweige auf der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe H. 2 (1908), Herbstmesse 1908, S. 3–6 Heubner, Paul Leonhard: Der Musterlagerverkehr der Leipziger Messen, Tübingen 1904 Heuss, Theodor: Werkbund-Ausstellung in Kopenhagen, in: Deutsche Kunst und Dekoration 43 (1918/1919), S. 253–263

11.3 Quellen

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Hirth, Georg: Das deutsche Zimmer der Gothik und Renaissance, des Barock-, Rococo- und Zopfstils. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege, München/Leipzig 1886 Hirth, Georg: Das deutsche Zimmer der Renaissance. Anregungen zur häuslichen Kunstpflege, München 1880 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 1, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 7 (1896), H. 8, S. 121– 124 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 2, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 7 (1896), H. 10, S. 149–153 Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, Teil 3, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 7 (1896), H. 12, S. 189–193 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 2, S. 26–27 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 3, S. 34–35 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 3, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 3, S. 42–43 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 4, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 4, S. 46–47 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 5, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 4, S. 54–55 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 6, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 5, S. 62–63 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 7, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 5, S. 70–71 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 8, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 6, S. 78–79 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 9, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 6, S. 86–87 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 10, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 7, S. 94–95 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 11, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 7, S. 102–103 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 12, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 8, S. 110–111 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 13, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 8, S. 118–119 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 14, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 126–127 Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, Teil 15, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 9, S. 134 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 1, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 14 (6.4.1911), S. 105–106 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 2, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 15 (13.4.1911), S. 113–114 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 3, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 16 (20.4.1911), S. 121–122 Hosch, Paul: Stilmöbel und Möbelstile, Teil 4, in: F. A. Günthers Deutsche Tischlerzeitung 38 (1911), H. 17 (27.4.1911), S. 129–130 Högg, Emil: Neue Wohnräume und neues Kunstgewerbe bei A. Wertheim, in: Deutsche Kunst und Dekoration 16 (1905), S. 646–674 Huth, Friedrich: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 22 (27.5.1910), S. 1319–1320 Huth, Friedrich: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 27 (1.7.1910), S. 1619–1620 Huth, Friedrich: Tischlerei und Innendekoration auf der Brüsseler Weltausstellung, Teil 3, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 29 (15.7.1910), S. 1739–1740

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11 Anhang

Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Innen-Dekoration‘, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. III-VIII Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Der Innenausbau‘, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 23 (7.6.1907), S. 718 Inseraten-Beilage zur Zeitschrift ‚Der Deutsche Tischlermeister‘, in: Der Deutsche Tischlermeister 17 (1911), H. 14 (7.4.1911), S. 820 Irmer, Alois: Magazinsystem in der Breslauer Möbeltischlerei, in: Hausindustrie und Heimarbeit in Deutschland und Österreich, Bd. 1: Süddeutschland und Schlesien (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 84), Leipzig 1899, S. 441–463 Issel, Hans: Das Tönen, Färben, etc.: Behandlung mit wässrigen Flüssigkeiten, Firnissen und Ölen, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 413–445 Jaffé, Franz: Erweiterungs-Bau des Warenhauses Wertheim in Berlin, in: Innendekoration 12 (1901), H. 7, S. 127– 130 Jaumann, Anton: Möbel und Räume der Mietwohnungen, in: Innendekoration 21 (1910), H. 8, S. 301–308 Jaumann, Anton: Eine Mietwohnungs-Ausstellung, in: Innendekoration 18 (1907) H. 7, S. 201–204 Jaumann, Anton: Das neue „Kaufhaus des Westens“ in Berlin, in: Innendekoration 18 (1907), H. 6, S. 173–184 Jessen, Peter: Die Deutsche Werkbund Ausstellung Köln 1914, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1915: Deutsche Form im Kriegsjahr. Die Ausstellung Köln 1914, München 1915, S. 1–42 Jessen, Peter: Der Werkbund und die Grossmächte der deutschen Arbeit, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912: Die Durchgeistigung der Deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenarbeit von Handwerk, Industrie und Kunst, Jena 1912, S. 2–10 K., G.: Zur Lage der Tischlerei, in: Der deutsche Tischlermeister 1 (1895), H. 1 (6.1.1895), S. 1–3 K., S. R.: Die Weltausstellung in Philadelphia, in: Zeitschrift für bildende Kunst 10 (1875), S. 79–82 Kaiserlich Statistisches Amt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1904 Kaiserlich Statistisches Amt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1903 Kalkschmidt, Eugen: Was will der Werkbund in Köln?, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 6 (15.3.1914), o. S. Kimmich, Karl: Stil und Stilvergleichung. Kurzgefasste Stillehre für Laien, Kunst- und Gewerbebeflissene, Ravensburg 1899 Klarhorst, Ludwig: Die absolute Baukunst. Die Baugeschichte des Bielefelder Wohnhauses und die Abstraktion seiner Raum- und Körperform, Bielefeld 1919 Klopfer, Paul: Wie baue ich mein Haus und wie beschaffe ich mir eine gediegene Wohnungseinrichtung?, Stuttgart 1911 Klopfer, Paul: Die deutsche Bürgerwohnung. Winke und Wege, für die, welche noch kein Eigenheim haben, für die, welche sich eine Mietwohnung einrichten, für die, welche ein deutsches Eigenheim bauen, Freiburg/Leipzig 1905 Knoke, J. O.: Die Kraftmaschinen des Kleingewerbes, Berlin 1899 Koch, Alexander: Zum Beginn des vierzigsten Jahrgangs, in: Innendekoration 40 (1929), o. S. Koch, Alexander: Erziehung zum Geschmack, in: Innendekoration 31 (1920), H. 1/2, S. 60 Koch, Alexander: Zur Reform der Wohnungs-Ausstattung, in: Innendekoration 13 (1902), H. 1, S. 3–4 Koch, Alexander: An die deutschen Künstler und Kunstfreunde!, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), o. S. Koch, Alexander: Unser Programm, in: Deutsche Kunst und Dekoration 1 (1897/1898), o. S. Koch, Alexander: Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 1–8 Koch, Alexander: Billige, einfache – aber geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen, Teil 2, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 1, S. 9–10 Krais, Paul (Hrsg.): Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910 Krauth, Theodor/Meyer, Franz Sales: Das Schreinerbuch, Bd. 2: Die gesamte Möbelschreinerei mit besonderer Berücksichtigung der kunstgewerblichen Form, 1. Teil: Text, Leipzig 1902 Kutzner: Das neuzeitliche Bürgerhaus, in: Dekorative Kunst 32 (1928/1929), S. 1–7 Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 1, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 23 (7.6.1907), S. 457–458 Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 2, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 24 (14.6.1907), S. 477–478; S. 480

11.3 Quellen

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Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 3, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 25 (21.6.1907), S. 500–501 Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 4, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 26 (28.6.1907), S. 519–522 Kükelhaus, Hugo: Die Reorganisation des deutschen Tischlerhandwerks, Teil 5, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 27 (5.7.1907), S. 542–544 L.: Geschmacksbildung in der Tischlerkunst, in: Deutsche Tischler-Zeitung 43 (1916), H 43/44 (2.11.1916), S. 87 L.: Der Deutsche Werkbund, in: Deutsche Kunst und Dekoration 22 (1908), S. 337 Lang, H.: Das Klein-Wohnhaus, in: Innendekoration 37 (1926), H. 11, S. 408 Lang-Danoli, Hugo: Die Paderborner Werkstätten, in: Innendekoration 20 (1909), H. 3, S. 105–108 Laube, Otto, von: Die Leipziger Messe und ihre Bedeutung für das Kunstgewerbe, in: Kunst und Handwerk 80 (1930), H. 2, S. 26–48 Lauböck, Georg: Unfälle durch Holzbearbeitungs-Maschinen, Teil 4, in: Neue Tischler-Zeitung 33 (1884), S. 1–2 Lehmann, Alfred: Heirat und Hausrat. Rand-Bemerkungen zur Ausstellung der ‚Dresdner Werkstätten für Handwerks-Kunst‘ von Schmidt&Müller in Dresden, in: Deutsche Kunst und Dekoration 13 (1903/1904), S. 211–222 Lehr, J.: Art. ‚Wohnungsfrage‘, in: Conrad, Johann (Hrsg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, Jena 1890, S. 727–753 Lessing, Julius: Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen (Vortrag gehalten in der Volkswirthschaftlichen Gesellschaft zu Berlin, März 1900), in: Volkswirthschaftliche Zeitfragen (1900), H. 174, S. 3–30 Lessing, Julius: Das Kunstgewerbe, in: o. A.: Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches auf der Weltausstellung in Chicago, Berlin 1893, S. 126–131 Lessing, Julius: Das Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Berlin 1874 Lichhauser, Eliza (Hrsg.): Was die Frau von Berlin wissen muß. Ein praktisches Frauenbuch für Einheimische und Fremde, Berlin/Leipzig, o. J. [1913], S. 293–423, hier: S. 330, zit. in König, Gudrun M.: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900, Köln 2009, S. 96–97 Luthmer, Ferdinand: Möbel und Zimmereinrichtungen auf der Pariser Ausstellung, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 12 (1901), H. 8, S. 148–156 Luthmer, Ferdinand: Werkbuch des Dekorateurs. Eine Darstellung der gesamten Innendekoration und des Festschmuckes in Theorie und Praxis, Stuttgart 1897 Luthmer, Ferdinand: Theilung der Räume durch Möbelgruppen, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 6 (1895), H. 1, S. 1–8 Luthmer, Ferdinand: Der Dekoratör, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 5 (1894), H. 1, S. 12–15 Luthmer, Ferdinand: Abwege der modernen Möbelindustrie, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 4 (1893), H. 4, S. 49–52 Luthmer, Ferdinand: Vorwort, in: Fachblatt für Innen-Dekoration 1 (1890), H. 1 (10.1.1890), S. 1 Lux, Joseph August: Biedermeiers Geheimnis, in: Innendekoration 29 (1918), H. 12, S. 357–360 Lux, Joseph August: Der Geschmack im Alltag. Ein Lebensbuch zur Pflege des Schönen, Dresden 1912 Lux, Joseph August: Die neuen kunstgewerblichen Probleme, in: Die Leipziger Messe, H. 7 (Ostermesse 1911), S. 1–3 Lux, Joseph August: Das künstlerische Problem der Industrie, Teil 1, in: Innendekoration 19 (1908), H. 2, S. 81–84 Lux, Joseph August: Das neue Kunstgewerbe in Deutschland, Leipzig 1908 Lux, Joseph August: Vom guten und schlechten Möbel, in: Innendekoration 19 (1908), H. 2, S. 64 Lux, Joseph August: Der Qualitäts-Begriff im Kunstgewerbe, in: Deutsche Kunst und Dekoration 20 (1907), S. 253–269 Lux, Joseph August: Was ist Stil?, in: Dürerbund. Sechsundzwanzigste Flugschrift zur ästhetischen Kultur, München 1907, S. 4–6 Lux, Joseph August: Von guten und schlechten Möbeln. Einige Gestaltungsgrundsätze, in: Innendekoration 15 (1905), H. 11, S. 269–271 Lux, Joseph August: Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung, Wien 1905 Lux, Joseph August: Biedermeier als Erzieher, in: Hohe Warte (1904), S. 145–155 Lux, Käthe: Studien über die Entwicklung der Warenhäuser in Deutschland, Jena 1910 M., B.: Welches sind die Unterschiede zwischen Fabrik- und Handwerksbetrieb, in: Leipziger Mess-Zeitung 9 (1912), H. 18 (29.5.1912), S. 123–124

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11 Anhang

Maaß, Bernhard: Möbelproduktion und Möbelkonsumtion. Ein Vergleich der Vor- und Nachkriegszeit, Frankfurt 1923 Marquard, Alfred: Das Hohe Lied vom Holz. Das Holz in der Kultur aller Zeiten und Völker. Illustriertes Handbuch der Holzkunde, Stuttgart 1928 Marso, Fritz: Die Miethaus-Wohnung: Forderungen der Neuzeit, in: Innendekoration 37 (1926), H. 11, S. 407–408 Mataja, Victor: Die Reklame. Eine Untersuchung über Ankündigungswesen und Werbetätigkeit im Geschäftsleben, Leipzig 1910 Mataja, Victor: Großmagazine und Kleinhandel, Leipzig 1891 May, Ernst: Ein neuzeitliches Wohnhaus, in: Innendekoration 38 (1927), H. 1, S. 38–41 Meissner, Karl: Die Werkstätten für deutschen Hausrat in Dresden, in: Innendekoration 14 (1903), H. 7, S. 178–179 Metzger, Max: Zur Reform des Möbelstils. Ein Mahnwort an die Möbelfabrikanten und Möbeltischler, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 9 (1898), H. 6, S. 81–86 Meyer-Pollack, Erna: Der Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906. Untersucht an Hand von Wirtschaftsrechnungen, in: Eulenburg, Franz (Hrsg.): Kosten der Lebenshaltung in deutschen Großstädten, I. Ost- und Norddeutschland, zweite Hälfte (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 145, H. 4), München/ Leipzig 1915, S. 1–92 Meyer-Schönbrunn, Fritz: Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912: Die Durchgeistigung der Deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenarbeit von Handwerk, Industrie und Kunst, Jena 1912, S. 97–100 Michel, Wilhelm: Die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 21 (1907/1908), S. 310–319 Michel, Wilhelm: Ausstellung für Wohnungs-Kunst in München, in: Deutsche Kunst und Dekoration 19 (1906/1907), S. 368–378 Mielke, Robert: Die Ausstellung für Wohnungs-Einrichtungen in Berlin, Teil 1, in: Die Kunst für alle 8 (1892/1893), H. 4 (15.11.1892), S. 62–63 Mielke, Robert: Die Ausstellung für Wohnungs-Einrichtungen in Berlin, Teil 2, in: Die Kunst für alle 8 (1892/1893), H. 5 (1.12.1892), S. 78 Migge, Leberecht: Miet-Wohnungen, in: Innendekoration 18 (1907), S. 379–381 Mitteilungen des Bezirksvereins Nordwest zu Frankfurt a. M., Nr. 7 (1892), S. 1, zit. in: Köhler, Jörg R.: Städtebau und Stadtpolitik im Wilhelminischen Frankfurt (Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. 37), Frankfurt/M. 1995, S. 139 Mittenzwey, Kuno: Der moderne Arbeitsprozess und die Produktionsveredelung, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 5 (1.3.1914), o. S. Mobilis, A. F.: Welche Bedeutung könnte die Leipziger Messe für die Möbelindustrie haben?, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe (1908), 2. Heft Herbstmesse 1908, S. 85–89 Muschner, Georg: Zehn Gebote für Brautpaare, in: Deutsche Kunst und Dekoration 23 (1908), S. 364 Muthesius, Hermann: Die notwendigen und entbehrlichen Räume des Hauses, in: Dekorative Kunst 29 (1921), S. 110–112, S. 116–120 Muthesius, Hermann: Wie baue ich mein Haus?, München 1919 Muthesius, Hermann: Die Werkbundarbeit der Zukunft, in: Muthesius, Hermann: Die Werkbund-Arbeit der Zukunft/ Naumann, Friedrich: Werkbund und Weltwirtschaft. 7. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 2. bis 6. Juli 1914 in Köln, Jena 1914, S. 33–49 Muthesius, Hermann: Eindrücke von der Brüsseler Weltausstellung, in: Deutsche Kunst und Dekoration 27 (1910–1911), S. 33–37 Muthesius, Hermann: Wirtschaftsformen im Kunstgewerbe, Berlin 1908 Muthesius, Hermann: Probleme des Kunstgewerbes, Teil 1, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 37 (30.11.1907), S. 866–868 Muthesius, Hermann: Probleme des Kunstgewerbes, Teil 2, in: Der Innenausbau 2 (1907), H. 38 (6.12.1907), S. 902–904 Muthesius, Hermann: Die Bedeutung des Kunstgewerbes. Eröffnungsrede zu den Vorlesungen über modernes Kunstgewerbe an der Handelshochschule in Berlin, in: Dekorative Kunst 15 (1907), S. 177–186 Muthesius, Hermann: Maschinenmöbel, in: Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst: Dresdner Hausgerät Preisbuch 1906, Dresden 1906, S. 9–14

11.3 Quellen

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Muthesius, Hermann: Der Weg und das Endziel des Kunstgewerbes, Teil 1, in: Dekorative Kunst 13 (1905), S. 181– 190 Muthesius, Hermann: Die Wohnungskunst auf der Weltausstellung in St. Louis, in: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1904/1905), S. 209–227 Muthesius, Hermann: Unsere Kunstzustände. Ausdruck unserer Kultur, in: Der Kunstwart 17,2 (1904), H. 23, S. 464–473 Muthesius, Hermann: Kunst und Maschine, in: Dekorative Kunst 9 (1902), S. 141–147 Muthesius, Hermann: Stilarchitektur und Baukunst: Wandlungen der Architektur im XIX. Jahrhundert und ihr heutiger Standpunkt, Mühlheim/Ruhr 1902 Muthesius, Hermann: Englische Architektur: M. H. Baillie Scott, in: Dekorative Kunst 5 (1900), S. 5–7 Muthesius, Hermann: Unsere Künste. Zum Überblick, in: Der Kunstwart 1 (1887), H. 1, S. 1–4 Müller, Carl: Räume und Serienmöbel. Gute Serienmöbel sind ‚gangbar‘, in: Innendekoration 35 (1924), H. 12, S. 382–383 Münsterberg, Otto: Holzeinfuhr und Einkaufshandel auf dem Fluß- und Landwege, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 5–27 N., D.: Qualitätsarbeit, in: Annoncenblatt für Tischler, Möbelhändler, Möbelfabrikanten und verwandte Gewerbe 34 (1912), H. 14 (15.7.1912), o. S. N., I. H.: Zur Entwicklung der Stilformen, Teil 1, in: Der deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 35 (26.8.1910), S. 2104–2108 N., I. H.: Zur Entwicklung der Stilformen, Teil 2, in: Der deutsche Tischlermeister, 16 (1910), H. 38 (16.9.1910), S. 2285–2286 Nachtlicht, Leo: Deutsches Kunstgewerbe St. Louis 1904, Berlin 1904 Naumann, Friedrich: Deutsche Gewerbekunst. Eine Arbeit über die Organisation des deutschen Werkbundes, Berlin 1908 Naumann, Friedrich: Berliner Gewerbekunst, in: Die Hilfe. Beiblatt 15 (1909), Nr. 27 (4.7.1909), S. 425–426 Naumann, Friedrich: Der Geist im Hausgestühl. Ausstattungsbriefe, Berlin 1909 Naumann, Friedrich: Kunst und Industrie, Teil 1, in: Der Kunstwart 20 (Oktober) (1906), S. 66–73 Naumann, Friedrich: Die Kunst im Zeitalter der Maschine, in: Der Kunstwart 20,2 (1904), S. 317–327 Naumann, Friedrich: Von der Berliner Ausstellung, Teil 1, in: Die Hilfe. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und geistige Bewegung 2 (1896), H. 27, S. 4–5 Naumann, Max: Das Holz in der Möbeltischlerei, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 471–571 Nickel, Ernst H.: Aussprüche und Urteile von Souveränen und Fürstlichkeiten über die Leipziger Messen, in: Die Leipziger Messe, 2. Heft Herbstmesse 1908, Leipzig 1908, S. 43–44 Niederhöfer, Philipp (Hrsg.): Frankfurter Möbel-Bazar. Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance, Erste Serie, München 1879 Niederhöfer, Philipp: Frankfurter Möbel-Bazar: Neue Entwürfe zur praktischen Ausführung billiger Möbel im Stil der Renaissance, 4 (1884), 1. Lieferung, Frankfurt/M., o. J. Niedtner, C.: Fracht- und Verladungsverhältnisse, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 84–96 Obrist, Hermann: Luxuskunst oder Volkskunst?, in: Dekorative Kunst 9 (1902), S. 81–99 Oppler-Legband, Else: Die Höhere Fachschule für Dekorationskunst, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes (1912): Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie/Handwerk und Kunst, Jena 1912, S. 105–110 Osborn, Max: Die modernen Wohnräume im Waren-Haus von A. Wertheim zu Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration (1902/1903), S. 259–304 Osthaus, Karl Ernst Osthaus: Das Schaufenster, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes (1913): Die Kunst in Industrie und Handel, Jena 1913, S. 59–69 Otto, Bruno: Die Entwicklung der mitteleuropäischen Bugholzmöbel-Industrie, Eberswalde 1931 Pape, Jean: Der Stil, o. O., o. J. Pape, Richard: Beiträge zur Lösung der Frage Handwerk oder Fabrik? Auf Grund zahlreicher Entscheidungen von Gerichts- und Verwaltungsbehörden, Insterburg 1905 Pechmann, Günther, von: Karl Schmidt-Hellerau, in: Die Kunst für alle 58 (1942/1943), S. 136 Pfau, Ludwig: Die Kunst im Gewerbe, in: Ders. (Hrsg.): Freie Studien, Stuttgart 1866, S. 415–476 Post, Hermann: Typenmöbel, in: Dekorative Kunst 17 (1908/1909), S. 258–264

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11 Anhang

Pudor, Heinrich: Kunstgewerbliche Handwerker-Fachausstellungen. Ein Beitrag zur Lösung der Handwerkerfrage, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe (1910), 6. Heft Michaelismesse 1910, S. 67–72 Pudor, Heinrich: Die Zukunft der Leipziger Messe, in: Die Leipziger Messe. Sonderheft über Kunstgewerbe und Industrie auf der Leipziger Messe (1908), 2. Heft Herbstmesse 1908, S. 16–19 Pudor, Heinrich: Erziehung zum Kunstgewerbe. Beiträge zu einer geschichtlichen, ästhetischen und technischen Betrachtung des neuzeitlichen Kunstgewerbes, Berlin 1906 Pullich, Karl: Vom neuen Einzel-Möbel, in: Innendekoration 33 (1922), H. 3, S. 114–116 R.: Eine ‚Einzimmer-Wohnung‘ und andere Arbeiten von Otto Niedermoser und Hans Vöth, in: Innendekoration 37 (1926), H. 8, S. 306–307 R.: Praktische Wohnräume, in: Innendekoration 40 (1929), H. 8, S. 132–134 R., I. H.: Der Verkehr des Handwerkers mit der Kundschaft, in: Der Innenausbau 15 (1912), H. 36 (6.9.1912), S. 405–406 R., J. H.: Der Althandel, in: Der Innenausbau 17 (1914), H. 21 (22.5.1914), S. 282 Rauecker, Bruno: Qualität und Betriebsform, in: Der Innenausbau 17 (1914), H. 21 (22.5.1914), S. 278–282 Redaktion der Zeitschrift Die Kunst für Alle: Die Kunst im Hause. Zur Einführung, in: Die Kunst für Alle 8 (1892–1893), S. 14–16 Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration: Wettbewerb-Entscheidung X der „Deutschen Kunst und Dekoration“, in: Deutsche Kunst und Dekoration 3 (1898/1899), S. 98–102 Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration: Wettbewerb-Entscheidung IV der „Deutschen Kunst und Dekoration“, in: Deutsche Kunst und Dekoration 2 (1898), S. 281–284 Redslob, Erwin: Hausrat von gestern und heute. Möbel von Prof. Behrens und Tessenow, in: Innendekoration 32 (1921), H. 12, S. 378–380 Reineking, Ludwig: Die Tischlerwerkstatt des Land- und Möbeltischlers, des Bau- und Kunsttischlers, sowie des Spezialtischlers mit und ohne Maschinenbetrieb, Leipzig 1911 Reineking, Ludwig: Die Farbe im Wohnraum, in: Der Deutsche Tischlermeister 16 (1910), H. 29 (15.7.1910), S. 1743–1747 Reuleaux, Franz: Briefe aus Philadelphia, Braunschweig 1877 Reuleaux, Franz: Lehrbuch der Kinematik: Bd. 1: Theoretische Kinematik. Gründzüge einer Theorie des Maschinenwesens, Braunschweig 1875 Riehl, Wilhelm Heinrich: Die bürgerliche Gesellschaft. Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 2, Stuttgart 1861 Rile: Die Stellung der Firma Hermann Tietz in Handel und Industrie, in: Schulz, Walter E. (Hrsg.): Hermann Tietz. Der größte Warenhauskonzern Europas im Eigenbesitz. Ein Buch sichtbarer Erfolge, Berlin 1929, S. 65–79 Roscher, Wilhelm: Ansichten der Volkswirtschaft aus dem geschichtlichen Standpunkte, Leipzig/Heidelberg 1861 Rosenberg, Adolf: Das Kunstgewerbe auf der Pariser Weltausstellung, Teil 1, in: Zeitschrift für bildende Kunst 14 (1879), S. 15–22 Rücklin, Rudolf: Die moderne Dekorationskunst im Lichte der Pariser Weltausstellung, in: Kunstgewerbeblatt N. F. 12 (1901), H. 3, S. 41–50 S., H.: Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen und verwandter Gewerbe im Landes-Ausstellungsgebäude zu Berlin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 9, S. 163 S., O.: Leicht-transportable Verwandlungs-Möbel. Wettbewerb-Ergebnisse zu einem Empfangs- und Wohn-Zimmer bezw. Wohn- und Speise-Zimmer, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 10 (1899), H. 3, S. 37–44 Schade, Arno: Die Einfuhr auf dem Seewege, in: Krais, Paul: Gewerbliche Materialkunde. Erster Band: Die Hölzer, Stuttgart 1910, S. 27–78 Schaiter, Erich: Qualitätsarbeit oder Schund?, in: Der Fabrikant und Händler in der Möbelbranche 37 (1914), H. 12 (15.6.1914), o. S. Schaukai, Richard: Die sogenannte „moderne“ Wohnung, in: Innendekoration 17 (1906), H. 12, S. 346–350 Scheffler, Karl: Ein Arbeitsprogramm für den Deutschen Werkbund, in: Kunst und Künstler (1920), S. 43–52 Scheffler, Karl: Kultur und Geschmack des Wohnens, in: Heyck, Eduard: Moderne Kultur. Ein Handbuch der Lebensbildung und des guten Geschmacks, Bd. 1: Grundbegriffe, Die Häuslichkeit, Stuttgart/Leipzig 1907, S. 149– 263 Scheffler, Karl: Ausstellung einer Gesamtanlage moderner Wohnräume bei A. Wertheim, Berlin, in: Dekorative Kunst 6 (1902/1903), S. 156–160

11.3 Quellen

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Schellwien, Johannes: Die sozialen Einrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 101, (3. Folge, Bd. 46), 1913, S. 678–687 Schinkel, Wilhelm: Die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Land Herford, Bünde 1926 Schleich, Carl Ludwig: Besonnte Vergangenheit. Lebenserinnerungen (1859–1919), Berlin 1930 Schliepmann, Hans: Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen. Einige Worte zum Wettbewerb der „Innen-Dekoration“, in: Innendekoration 14 (1903), H. 1, S. 13–15 Schliepmann, Hans: Fortschritte in der Möbelgestaltung, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 8 (1897), H. 9, S. 149–154 Schliepmann, Hans: Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 11, S. 205–207 Schliepmann, Hans: Mobiliarstil und Architekturstil, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 11, S. 192–193 Schlingmann, Gustav: Die Entwicklung der deutschen Möbelindustrie in der Nachkriegszeit, Lippe 1931 Schmidt & Engelbrecht: Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst, ca. 1900, o. S. Schmidt, Karl: Der deutsche Lehrling, in: Kunst und Künstler 16 (1918), H. 5, S. 167–170 Schmidt, Rudolf: Die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd, in: o. A.: Erinnerungsblätter an die Volksthümliche Ausstellung für Haus und Herd in Dresden 1899, Dresden 1899, S. 3–4 Schmidt, W.: Organisationen und Einrichtungen des Handels, in: o. A. (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands, Bd. 4, Leipzig 1907, S. 600–659 Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, Leipzig 1904 Schmoller, Gustav: Besprechung von Werner Sombart Der moderne Kapitalismus, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 27 (1903), S. 291–300, wieder abgedruckt in: Brocke, Bernhard, vom (Hrsg.): Sombarts Moderner Kapitalismus. Materialien zur Kritik und Rezeption, München 1987, S. 135–146 Schmoller, Gustav: Was verstehen wir unter dem Mittelstande? Hat er im 19. Jahrhundert zu- oder abgenommen? Vortrag auf dem 8. Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 11. Juni 1897, Göttingen 1897, S. 5–33 Schmoller, Gustav: Die Entwicklung der Unternehmung, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich 14 (1891), S. 1035–1076 Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Statistische und nationalökonomische Untersuchungen, Halle 1870 Schneider, Christian: Mietwohnung und Eigenhaus, in: o. A.: Innendekoration 20 (1909), H. 11, S. 373–377 Schönebeck, Franz, von: Die Lage des Kleingewerbes in der Kölner Schreinerei, in: o. A.: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie, Bd. 1: Königreich Preußen, Erster Teil (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 62), Leipzig 1895, S. 261–309 Schriftleitung: Ein neues Preisausschreiben, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 2 (1891), H. 12, S. 186 Schriftleitung: Ergebniß unseres Preisausschreibens vom April 1891, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration zur Ausschmückung und Einrichtung der Wohnräume, Bd. 2 (1891), H. 11, S. 170 Schultze-Naumburg, Paul: Häusliche Kunstpflege, Leipzig 1903 Schulz, Walter E.: Warenhäuser, in: Ders. (Hrsg.): Hermann Tietz. Der größte Warenhauskonzern Europas im Eigenbesitz. Ein Buch sichtbarer Erfolge, Berlin 1929, S. 5–6 Schulze, Otto: Raum- und Möbelnot, in: Innendekoration 30 (1919), H. 11, S. 367–368 Schulze, Otto: Neue Räume von Ludwig Alter – Darmstadt, in: Innendekoration 21 (1910), H. 9, S. 333–337 Schulze, Otto: Zu unserem Wettbewerbe „Entwürfe Verwandlungs-Möbel“, in: Innendekoration 15 (1904), H. 8, S. 199–205 Schulze, Otto: Leicht transportable Verwandlungs-Möbel. Wettbewerb-Ergebniss zu einem Empfangs- und Wohn-Zimmer bezw. Wohn- und Speise-Zimmer, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 10 (1899), H. 3, S. 37–43 Schulze, Otto: Uebt die Ausstattung der Wohnung einen Einfluß auf den Menschen aus?, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 4 (1893), H. 1, S. 9–11 Schulze, Otto: Verkehr mit den Handwerkern bei Einrichtung und Ausschmückung der Wohnräume, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 5, S. 75–77 Schulze, Otto: Ueber Bilder-Rahmen und Bilder in ihrem ästhetischen Verhältnis zu einander, Teil 1, in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration 3 (1892), H. 6, S. 99–102

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11 Anhang

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11.3 Quellen

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11.4 Literatur

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11.4 Literatur

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11 Anhang

Langdon-Davies, John (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: II. Mr. Paxton’s Crystal Palace, London 1971 Langdon-Davies, John (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: IV. The Visitors, London 1971 Langdon-Davies, John (Ed.): The great exhibition 1851, in: Jackdaw Nr. 43. The great exhibition 1851: V. After the Exhibition, London 1971 Langewiesche, Dieter: Der historische Ort des deutschen Kaiserreiches, in: Heidenreich, Bernd/Neitzel, Sönke (Hrsgg.): Das Deutsche Kaiserreich 1890–1914, Paderborn 2011, S. 23–35 Laue, Christoph: Gustav Kopka. Der Pionier der Möbel-Serienfertigung aus Herford, in: AK: In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 60–71 Laue, Christoph: Küchen tragen Frauennamen. Die Marketing-Ideen des Herforder Möbelpioniers Gustav Kopka, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 90 (4.9.2014), S. 15 Laue, Christoph: Kopka-Ausstellung in der Bibliothek. Die Anfänge der industriellen Möbelfertigung, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 85 (14.6.2013), S. 8 Laue, Christoph: Gustav Kopka geht in die Strafanstalt. Der Pionier der Serienmöbelfertigung lässt im Gefängnis arbeiten – und gerät dadurch in Schwierigkeiten, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 81 (14.6.2012), S. 8 Laue, Christoph: Der Tod des Kämmerers. Wie der Möbelfabrikant Gustav Kopka kurzzeitig die Stadtfinanzen beaufsichtigte, in: Kreisheimatverein Herford/Neue Westfälische Herford (Hrsgg.): HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 80 (15.3.2012), S. 7 Laue, Christoph: Die Küche ist weiblich? Gustav Kopkas Küchen hatten Frauennamen, o. J., o. S. Laue, Christoph: Gustav Kopka – „Ein Unternehmer“. In den 1870er Jahren ließ er auch im Herforder Gefängnis arbeiten, o. J., o. S. Leben, Ulrich: Fertig zum Versand: Die Rolle von Mechanik in der Konstruktion von multifunktionalen und für den Export bestimmten Möbeln in Paris und Neuwied, in: Büttner, Andreas/Weber-Woelk, Ursula: David Roentgen. Möbelkunst und Marketing im 18. Jahrhundert, Regensburg 2009, S. 117–127 Lees-Maffei, Grace: Introduction: Professionalization as a Focus in Interior Design History, in: Journal of Design History, Vol. 21, No. 1 (2007), S. 1–18 Lenger, Friedrich: Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 1994 Lenger, Friedrich: Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, Frankfurt/M. 1988 Lenz, Thomas: Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne (Kulturen der Gesellschaft, Bd. 2), Bielefeld 2011 Lepsius, M. Rainer: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 79–100 Lesczenski, Jörg: August Thyssen 1842–1926. Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 81), Essen 2008 Lindemann, Uwe: Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne, Köln 2015 Luckhurst, Kenneth W.: The Story of Exhibitions, London 1951, S. 14, zit. in: Grossbölting, Thomas: Die Ordnung der Wirtschaft. Kulturelle Repräsentation in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen des 19. Jahrhunderts, in: Berghoff, Hartmut/Vogel, Jakob (Hrsgg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt am Main 2004, S. 377–403 Mang, Karl: Thonet Bugholzmöbel. Von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Produktion, Wien 1982 Meier, Burkhard: 100 Jahre Bergmann. Eine Unternehmerfamilie erinnert sich (Beiträge zur Geschichte der Stadt Lage, Bd. 16), Lage 2003 Meier, Hans-Rudolf/Spiegel, Daniela (Hrsgg.): Kulturreformer. Rassenideologe. Hochschuldirektor: Der lange Schatten des Paul Schultze-Naumburg, Heidelberg 2018 Mergel, Thomas: Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren. Für Hans-Ulrich Wehler zum 70. Geburtstag, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 515–538 Mettele, Gisela: Der private Raum als öffentlicher Ort. Geselligkeit im bürgerlichen Haus, in: Hein, Dieter/Gall, Lothar (Hrsgg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt (Lothar Gall zum 60. Geburtstag), München 1996, S. 155–170 Miller, Markus: Weltausstellungsmöbel 1851–1867, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 49 (1998), S. 185– 246

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11 Anhang

Pierenkemper, Toni: Informationsgewinne und Informationsverluste einer Analyse von Haushaltsrechnungen auf massenstatistischer Basis- am Beispiel ausgewählter bürgerlicher Haushalte im 19. Jahrhundert (Stiftung „Der private Haushalt“, Bd. 12), Frankfurt/M. 1991, S. 61–75 Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in historischer Perspektive, St. Katharinen 1987 Pierenkemper, Toni: Kommentar zum Beitrag von Armin Triebel, in: Ders. (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in historischer Perspektive, St. Katharinen 1987, S. 122–124 Plumpe, Werner: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 116–124 Plumpe, Werner: Carl Duisberg 1861–1935. Aufstieg eines Industriellen, München 2016 Plumpe, Werner: Die Wirtschaft des Kaiserreiches. Anmerkungen zur Genealogie des deutschen Kapitalismus, in: Meyer, Tilman, et al. (Hrsgg.): Modell Deutschland, Berlin 2013, S. 13–37 Plumpe, Werner: Einleitende Überlegungen. Strukturwandel oder Zerfall: das Wirtschaftsbürgertum 1870 bis 1930, in: Ders./Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 8–13 Plumpe, Werner: Stichwort: Neue Bürgerlichkeit? Tragödie und Farce, in: Westend. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 6 (2009), H. 1, S. 101–106 Pohl, Christina: Geschichte der Möbelindustrie, in: Beaugrand, Andreas, et al.: Der steinerne Prometheus. Industriebau und Städtekultur. Plädoyer für eine neue Urbanität (Herforder Forschungen, Bd. 3), Berlin 1989, S. 102–105 Posener, Julius: Zwischen Kunst und Industrie: der Deutsche Werkbund, in: Burckhardt, Lucius (Hrsg.): Der Werkbund in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Form ohne Ornament, Stuttgart 1978, S. 7–15 Post, Barbara: Kleinmöbel im Biedermeier. Herkunft der Möbeltypen, Probleme der stilistischen Einordnung, Herstellungsbedingungen, in: Zinnkann, Heidrun (Hrsg.): Der feine Unterschied. Biedermeiermöbel Europas 1815–1835, München 2007, S. 42–50 Post, Barbara: Schreibmöbel der Bremer Tischler aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bremen 1995 Prinz, Michael: Durchbruch zum Massenkonsum, in: Ditt, Karl (Hrsg.): Westfalen in der Moderne, Münster 2015, S. 625–641 Proelß, Johannes: Zur Geschichte der Gartenlaube, in: Hamouda, Faycal (Hrsg.): Der Leipziger Verleger Ernst Keil und seine „Gartenlaube“, Leipzig 2014, S. 65–145 Pülm, Wolfgang: Als die Festungswälle geschleift wurden: Westend, Nordend, Ostend, Frankfurt/M. 2003 Quiring, Claudia: Vom ‚kleinsten Haus‘ bis zur ‚aufgelockerten Stadtlandschaft‘. Wohnen in Bielefeld von der Jahrhundertwende bis in die 1960er Jahre, in: Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (Hrsgg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse (17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e. V.), Bielefeld 2014, S. 443–462 Radkau, Joachim: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt (Stoffgeschichten, Bd. 3), München 2012 Rebentisch, Dieter: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Eingemeindungen. Das Beispiel Frankfurt am Main 1870–1914, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modernen deutschen Stadtgeschichte, Wuppertal 1980, S. 90–113 Reinhardt, Dirk: Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993 Reininghaus, Wilfried: Das Handwerk: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 192–202 Reininghaus, Wilfried: Das Handwerk in Paderborn im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Westfälische Zeitschrift 139 (1989), S. 361–379 Renda, Gerhard (Hrsg.): Gertrud Kleinhempel 1875–1948. Künstlerin zwischen Jugendstil und Moderne (Schriften des Historischen Museums der Stadt Bielefeld, Bd. 12), Bielefeld 1998, S. 86–102 Reulecke, Jürgen: Die Mobilisierung der „Kräfte und Kapitale“: der Wandel der Lebensverhältnisse im Gefolge von Industrialisierung und Verstädterung, in: Ders. (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 3: 1800–1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 15–145 Rezepa-Zabel, Heidi: Deutsches Warenbuch. Reprint und Dokumentation. Gediegenes Gerät fürs Haus, Berlin 2005

11.4 Literatur

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Roda, Burkhard, von: Das Interieur-Bild als Quelle. Wohnen in Basel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Kunst+Architektur in der Schweiz 2 (2004), S. 27–34 Rooch, Alarich: Warenhäuser: Inszenierungsräume der Konsumkultur. Von der Jahrhundertwende bis 1930, in: Plumpe, Werner/Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 17–30 Roth, Ralf: Entfaltungsprozesse (19. Jahrhundert). Der Durchbruch der bürgerlichen Gesellschaft, in: Wirsching, Andreas (Hrsg.): Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Neueste Zeit, München 2006, S. 17–32 Rowe, Dorothy: Georg Simmel and the Berlin Trade Exhibition of 1896, in: Urban History 22.2 (1995) (August), S. 216–228 Sarfert, Hans-Jürgen: Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie, Dresden 1999 Saldern, Adelheid, von: Rauminszenierungen. Bürgerliche Selbstrepräsentationen im Zeitenumbruch (1880– 1930), in: Plumpe, Werner/Lesczenski, Jörg (Hrsgg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009, S. 39–58 Saldern, Adelheid, von: Im Hause, zu Hause. Wohnen im Spannungsfeld von Gegebenheiten und Aneignungen, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 3: 1800–1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 145–332 Schäfer, Ingrid: Vom Leinenland zum Holzland. Zur Entwicklungsgeschichte der lippischen Möbelindustrie, in: AK: Lippische Möbelindustrie 1900–1960, Detmold 1993, S. 25–42 Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung, Köln 2009 Scheffler, Jürgen: Eine Synthese zwischen handwerklicher Tradition und industrieller Fertigung: Die Möbelfabrik Gebr. Schlingmann in Lemgo, in: AK: In Serie. 150 Jahre Möbelindustrie in Westfalen, Essen 2015, S. 73–83 Schierholz, Gustav: Geschichte der Herforder Industrie, Herford 1952 Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983 Schneider, Norbert F.: Konsum und Gesellschaft, in: Rosenkranz, Doris/ Ders. (Hrsgg.): Konsum: Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen 2000, S. 9–23 Schneider, Petra: Truhen, Kisten, Läden – eine kleine Wort- und Möbelkunde, in: Daxelmüller, Christoph: GeWOHNheiten. Vom alltäglichen Umgang mit Möbeln, Bad Windsheim 2005, S. 43–47 Schneider, Petra: Von realen, kombinierten, virtuellen und phantasievollen Schränken, in: Daxelmüller, Christoph: GeWOHNheiten. Vom alltäglichen Umgang mit Möbeln, Bad Windsheim 2005, S. 57–64 Schrage, Dominik: Die Verfügbarkeit der Dinge. Eine historische Soziologie des Konsums, Frankfurt/M. 2009 Schulz, Günther: Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 54), München 2000 Schwartz, Frederic J.: Von der Gründung zum ‚Typenstreit‘, in: Nerdinger, Winfried: 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907–2007, München 2007, S. 48–51 Selle, Gert: Geschichte des Design in Deutschland, Frankfurt/M. 2007 Spiekermann, Uwe: Das Warenhaus, in: Geisthövel, Alexa/Knoch, Habbo (Hrsgg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2005, S. 207–218 Spiekermann, Uwe: Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850–1914 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 3), München 1999 Spiekermann, Uwe: Haushaltsrechnungen als Schlüsse zum Familienleben? Ein historischer Rückblick, in: Hauswirtschaft und Wissenschaft 4 (1994), S. 154–160 Spilker, Ursula/Waldhoff, Johannes: 1864 bis 2014. 150 Jahre Steinheimer Möbel (Heimatgeschichtliche und volkskundliche Schriften der Stadt Steinheim, Bd. 17), Steinheim 2014 Spoerer, Mark: Rezension zu Hendrik K. Fischer: Konsum im Kaiserreich, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2012, H. 4, S. 471–472 Spohn, Thomas: Verdichtung und Individualisierung. Bauen und Wohnen, in: Ditt, Karl, et al. (Hrsgg.): Westfalen in der Moderne 1815–2015. Geschichte einer Region (LWL-Institut für Westfälische Regionalgeschichte Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster), Münster 2015, S. 601–624 Spree, Reinhard: Klassen- und Schichtbildung im Spiegel des Konsumentenverhaltens individueller Haushalte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine clusteranalytische Untersuchung, in: Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 56–80 Stegmann, Dirk: Kulturzeitschriften und intellektuelle Milieus, in: Faulstich, Werner (Hrsg.): Das Erste Jahrzehnt (Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts), München 2006, S. 47–58

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11 Anhang

Stiegel, Achim: „Lauter Projekte“- Möbel für den Luxusmarkt, in: Büttner, Andreas/Weber-Woelk, Ursula: David Roentgen. Möbelkunst und Marketing im 18. Jahrhundert, Regensburg 2009, S. 52–66 Stollberg-Rilinger, Barbara: Der kleine Unterschied wurde immer größer. Karin Hausens Pionierarbeit, in: FAZ vom 18.3.2018 Stratmann-Döhler, Rosemarie: Möbel, Intarsie und Rahmen, in: Weiß, Gustav, et al. (Hrsgg.): Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Bd. 3: Glas, Keramik und Porzellan. Möbel, Intarsie und Rahmen Lackkunst, Leder, Stuttgart 1986, S. 135–210 Sullivan, Louis Henry: „Das Bürohochhaus, unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet“, in: Lampugnani, Vittorio (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert: Positionen, Programme, Manifeste, Ostfildern-Ruit 2004, S. 22–24 Suppan, Martin: Biedermeier Schreibmöbel. Erlesenes Mobiliar aus der Zeit von 1810 bis 1850, Wien 1987 Tanner, Jakob: Konsumtheorien in der Wirtschaftswissenschaft, in: Haupt, Heinz-Gerhard/Torp, Claudius (Hrsgg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt/M. 2009, S. 335–354 Tenfelde, Klaus: Klassenspezifische Konsummuster im Deutschen Kaiserreich in: Siegrist, Hannes, et al. (Hrsgg.): Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt/M. 1997, S. 245–267 Thillmann, Wolfgang: Perfektes Design: Thonet Nr. 14, Bielefeld 2015 Thümmler, Sabine: Tapeten, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 214–225 Torp, Cornelius/Müller, Sven Oliver: Das Bild des Deutschen Kaiserreiches im Wandel, in: Dies. (Hrsgg.): Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 9–27 Trabert, Susann: Popularisierung der Luxuswerbung im „Journal des Luxus und der Moden“ 1786–1795, in: Jeggle, Christof, et al. (Hrsgg.): Luxusgegenstände und Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Produktion, Handel, Formen der Aneignung (Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N. F., Bd. 8), Konstanz/München 2015, S. 475–488 Trentmann, Frank: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute, München 2017 Triebel, Armin: Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierung bei abhängig Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Bd. 1 (Materialien aus der Bildungsforschung, Bd. 41), Berlin 1991 Triebel, Armin: Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierung bei abhängig Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Bd. 2 (Materialien aus der Bildungsforschung, Bd. 41), Berlin 1991 Triebel, Armin: Ökonomie und Lebensgeschichte. Haushaltsforschung im gehobenen Mittelstand Ende des 19. Jahrhunderts, in: Conrad, Christoph/Kondatowitz, Hans-Joachim, von: Gerontologie und Sozialgeschichte. Wege zu einer historischen Betrachtung des Alters. Beiträge einer internationalen Arbeitstagung am Deutschen Zentrum für Altersfragen, Berlin (5.–7.7.1982), Berlin 1983, S. 273–317 Üner, Stefan: Gebrüder Thonet, in: AK: Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten (Museen des Mobiliendepots, Bd. 37), Wien 2018, S. 149–152 Vegesack, Alexander, von: Thonet. Pionier des Industriedesigns 1830–1900, Weil am Rhein 1994 Vetter, Andreas K.: 1893–2013. Eine Schule für Gestaltung. 120 Jahre Lehrtradition an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur, Baunach 2013 Vetter, Andreas K. (Hrsg.): Das schöne Heim. Deutsche Wohnvorstellungen zwischen 1900 und 1940 in Bild und Text, Heidelberg 1999 Vogelsang, Reinhard: Eine Stadtgesellschaft im Umbruch. Bielefeld im 19. Jahrhundert, in: Beaugrand, Andreas (Hrsg.): Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2014, S. 94–101 Vogelsang, Reinhard: Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988 Volmer, Lutz: Bürgerliche Baukultur im 18. und 19. Jahrhundert. Lokale Prägungen und überregionale Einflüsse, in: Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (Hrsgg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse (17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e. V.), Bielefeld 2014, S. 399–413 Voß, Günther: Aus den Gründerjahren der Herforder Industrie, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1993, Bielefeld 1992, S. 55–75 Wagner-Hasel, Beate: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847–1930), Frankfurt/M. 2011

11.4 Literatur

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Wahl, Volker: Wie Walter Gropius nach Weimar kam. Zur Gründungsgeschichte des Staatlichen Bauhauses in Weimar 1919, in: Das kulturhistorische Archiv von Weimar-Jena 1/3 (2008), S. 167–211 Waldhoff, Johannes: Die Geschichte der Steinheimer Kunsttischlerei und Möbelindustrie. Kulturgeschichtlicher Beitrag als Beilage zum Jahresbericht der Sparkasse Höxter, H. 2, Höxter 2000 Warnke, Martin: Zur Situation der Couchecke, in: Habermas, Jürgen: Stichworte zur ‚Geistigen Situation der Zeit‘, Bd. 2: Politik und Kultur, Frankfurt/M. 1979, S. 673–689 Weber, Annemarie: Immer auf dem Sofa. Das familiäre Glück vom Biedermeier bis heute, Berlin 1982 Weber-Kellermann, Ingeborg: Die gute Kinderstube. Zur Geschichte des Wohnens von Bürgerkindern, in: Niethammer, Lutz: Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 44–65 Weber-Woelk, Ursula: Die Manufaktur der Roentgens – fünfzig Jahre tonangebend in der Herstellung exquisiter Möbel, in: Büttner, Andreas: Roentgen. Möbelkunst der Extraklasse (Schriftenreihe über die Geschichte der Stadt Neuwied in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Neuwied, Bd. 8), Neuwied 2007, S. 47–79 Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich?, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 243–288 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der ‚Deutschen Doppelrevolution‘ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995 Wehler, Hans-Ulrich: Die Geburtsstunde des deutschen Kleinbürgertums, in: Puhle, Hans-Jürgen: Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft, Politik, Kultur (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1), Göttingen 1991, S. 199–210 Weichel, Thomas: Bürgerliche Villenkultur im 19. Jahrhundert, in: Hein, Dieter/ Schulze, Andreas (Hrsgg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, S. 234–251 Wentz, Martin: Wohnen in Frankfurt am Main, in: Mohr, Christoph: Wohnen in Frankfurt am Main. Wohnformen, Quartiere und Städtebau im Wandel der Zeit (Die Zukunft des Städtischen, Frankfurter Beiträge Bd. 8), Frankfurt/M. 1995, S. 10–11 Whitaker, Jan: Wunderwelt Warenhaus. Eine internationale Geschichte, Hildesheim 2013 Wierling, Dorothee: Der bürgerliche Haushalt der Jahrhundertwende aus der Perspektive der Dienstmädchen, in: Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 282–303 Wiese, Heidi: Von der Feldmark zum Wohlfühlviertel, in: Beaugrand, Andreas (Hrsg.): Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2014, S. 440–445 Wilkie, Angus: Biedermeier. Eleganz und Anmut einer neuen Wohnkultur am Anfang des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1996 Willscheid, Bernd: Roentgenmöbel für Könige und Kirchenfürsten, in: Büttner, Andreas: Roentgen. Möbelkunst der Extraklasse (Schriftenreihe über die Geschichte der Stadt Neuwied in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Neuwied, Bd. 8), Neuwied 2007, S. 103–124 Winters, Laurie: Die Wiederentdeckung des Biedermeier, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 31–43 Witt-Dörring, Christian: Zur Ästhetik des Biedermeier-Möbels, in: AK: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern 2006, S. 57–71 Witte, Karsten (Hrsg.): Schriften, Bd. 7: Kracauer, Siegfried: Ginster, Frankfurt/M. 1973 [1928] Wörner, Birgit: Frankfurter Bankiers, Kaufleute und Industrielle. Werte, Lebensstil und Lebenspraxis 1870 bis 1930 (‚Mäzene, Stifter, Stadtkultur‘. Schriften der Frankfurter Bürgerstiftung und der Ernst Max von Grunelius-Stiftung, Bd. 9), Frankfurt/M. 2011 Wyss, Beat: Bilder von der Globalisierung. Die Weltausstellung von Paris 1889, Berlin 2010 Ziegler, Dieter: Einführung, in: Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsgg.): Westfälische Wirtschaftsgeschichte. Quellen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Münster 2017, S. 696–707 Ziegler, Dieter: Beyond the Leading Regions: Agricultural Modernization and Rural Industrialization in North-Western Germany, in: Czierpka, Juliane, et al. (Hrsgg.): Regions, industries and heritage. Perspectives on economy, society and culture in modern western Europe, Hampshire 2015, S. 148–173 Ziegler, Dieter: Nebenbahnen und Kleinbahnen in Westfalen, in: Reininghaus, Wilfried/Teppe, Karl (Hrsgg.): Verkehr und Region im 19. und 20. Jahrhundert. Westfälische Beispiele, Paderborn 1999, S. 127–154

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11 Anhang

Zinn, Hermann: Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, in: Niethammer, Lutz: Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 13–27 Zinnkann, Heidrun: Entfaltung. Roentgenmöbel aus dem Bestand, Frankfurt/M. 2005 Zinnkann, Heidrun: Mainzer Möbelschreiner der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main, Bd. 17), Frankfurt/M. 1985 Zola, Emile: Das Paradies der Damen, Frankfurt/M. 2010 [1882/1883]

11.5 Internetseiten/Mails o. A.: Das Prinzip Thonet. Internet: www.thonet.de/inspirationen/magazin/thonet-die-story/das-­prinzip-thonet. html (Zugriff: 26.2.2018) o. A.: Satzungen des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe (1911), o. S. Internet: http://www. keom02.de/KEOM%202001/archive/dm/a1983a9.html (Zugriff: 15.1.2016) o. A.: Schreibtisch von Abraham Roentgen (ca. 1758–1760), entnommen aus: Rijksmuseum Amsterdam. Internet: www.rijksmuseum.nl/en/collection/BK-16676 (Zugriff: 27.2.2018) o. A.: Unsere Unternehmensgeschichte Segmüller. Internet: www.segmueller.de/unser-unternehmen (Zugriff: 15.12.2017) o. A.: Zukunftsweisendes Möbeldesign mit langer Tradition. Internet: www.thonet.de/ueber-uns/unternehmen/ informationen.html (Zugriff: 26.2.2018) Bergische Arbeiterstimme (14.12.1917), o. S. Internet https://archivewk1.hypotheses.org/tag/wohnungseinrichtung (Zugriff: 20.8.2018) Brantl, Sabine: Die Kunst für Alle, in: Meister, J­ ochen/Dies.: Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle, 2006, S. 1–7. Internet: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/102/1/DieKunstfueralle.pdf (Zugriff: 29.5.2018) Das Handwerk: Imagekampagne: „Die Welt war noch nie so unfertig. Möbel sie auf “. Internet: https://­werbemittel. handwerk.de/node/3742 (Zugriff: 2.9.2017) Deutsche Bundesbank: Kaufkraftvergleiche historischer Geldbeträge. Internet: www.bundesbank.de/Redaktion/ DE/Standardartikel/Statistiken/kaufkraftvergleiche_historischer_geldbetraege.html#doc124142bodyText2 (Zugriff: 10.11.2017) Dornblüth, Friedrich: Unser Schlafzimmer, in: Die Gartenlaube 40 (1878), S.  656–659. Internet: https://de.­ wikisource.org/wiki/Unser_Schlafzimmer (Zugriff: 27.5.2018) Dornblüth, Friedrich: Unser Bett, in: Die Gartenlaube 26 (1878), S. 426–428. Internet: https://de.wikisource.org/ wiki/Unser_Bett (Zugriff: 27.5.2018) Geppert, Alexander C. T.: Weltausstellungen, in: Europäische Geschichte Online (EGO), S. 1–5. Internet: http:// www.ieg-ego.eu/gepperta-2013-de (Zugriff: 13.1.2016) Geppert, Alexander C. T.: Ausstellungsmüde. Deutsche Großausstellungsprojekte und ihr Scheitern, 1880– 1930, in: Wolkenkuckucksheim 1 (2000), S.  1–15. Internet: www.cloud-cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/­ Themen/001/Geppert/geppert.htm (Zugriff: 13.1.2016) IHK Ostwestfalen: Standort Ostwestfalen. Wirtschaft Januar bis Oktober 2017. Internet: https://www.ostwestfalen. ihk.de/fileadmin/user_upload/Ow_2017_Januar-Oktober.pdf (Zugriff: 5.1.2018) Jeggle, Christof: Tagungsbericht Fokus Handwerk: Aktuelle Perspektiven einer interdisziplinären Handwerksforschung. Themen, Fragestellungen, Quellen und Methoden. 10.6.2015–11.6.2015, Hagen, in: H-Soz-Kult (30.7.2015). Internet: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6102 (Zugriff: 7.9.2017) Mail des KaDeWe-Kundenservice an die Autorin vom 22.3.2017 Mail von Annette Handrich an die Autorin vom 23.11.2017 Mail von Sylvia Goldhammer an die Autorin vom 8.11.2017 Mail von Gabriele John an die Autorin vom 1.8.2016 Mail von Markus Teubert an die Autorin vom 1.8.2016 Mail von Dr. Jürgen Weise an die Autorin vom 5.8.2016 Meier, André: ARTE-Sendung „Die großen Traumkaufhäuser: KaDeWe, Berlin“ (2017) (Regie: André Meier). Internet: www.arte.tv/de/­videos/064485-004-A/die-grossen-traumkaufhaeuser/ (Zugriff: 7.7.2018) Möbelhaus Berkemeier. Internet: www.­berkemeier-homecompany.de (Zugriff: 2.9.2017)

11.7 Abbildungsnachweis

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Nathaus, Klaus: Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft, in: Docupedia-Zeitgeschichte (24.9.2012). Internet: http://docupedia.de/zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft#Kritik_an_der_neuen_Sozialgeschichte:_Die_1980.2F90er-Jahre) (Zugriff: 1.12.2017) Pfister, Ulrich: Rezension zu Hendrik K. Fischer: Konsum im Kaiserreich, in: H-Soz-Kult. Internet: http://www. hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-16393 (Zugriff: 10.11.2017) Remmert, Jochen: Einrichtungshaus Helberger schließt (FAZ-Artikel vom 6.9.2006). Internet: www.faz.net/ aktuell/rhein-main/wirtschaft/moebelfachhandel-einrichtungshaus-helberger-schliesst-1353928.html (Zugriff: 15.12.2017) Thonet: Transportkiste für die Thonetstühle. Internet: www.thonet.de/fileadmin/_migrated/pics/­vertriebsidee. jpg (Zugriff: 27.2.2018) Titelblatt Gartenlaube 30 (1883), H. 1. Internet: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN637243196_1883 (Zugriff: 30.5.2018) Vortrag zur Stuhlindustrie in Blomberg. Internet: http://blomberg-voices.de/vortrag-zur-­stuhlindustrie-in-derstadtbibliothek) (Zugriff: 7.9.2018) Weiß, Lothar: Wilhelm Kreis. Architekt (1873–1955), o. S. Internet: www.rheinische-geschichte.lvr.de/­ Persoenlichkeiten/wilhelm-kreis-/DE-2086/­lido/57c93971e8f683.92282248 (Zugriff: 16.8.2018)

11.6 Expertengespräche Gespräch mit Frau Ursula Spilker, Urenkelin des Firmengründers Anton Spilker, am 30.6.2017 in Steinheim Gespräch mit Frau Ursula Spilker und Herrn Johannes Waldhoff (beide Möbelmuseum Steinheim) am 29.3.2017 in Steinheim Gespräch mit Herrn Gustav Bergmann, Enkel des Firmengründers Gustav Bergmann, am 14.4.2016 in Lage Gespräch mit Herrn Gustav Bergmann, Enkel des Firmengründers Gustav Bergmann, am 7.4.2016 in Lage Werksführung im Hause Thonet in Frankenberg am 12.3.2018

11.7 Abbildungsnachweis Auktionshaus Mehlis GmbH Plauen  (Abb. 7) Bayer AG, Corporate History & Archives, Leverkusen  (Abb. 43, 44, 45, 46) Bolland & Marotz Hanseatisches Auktionshaus Bremen  (Abb. 5) Deutsches Historisches Museum Berlin (Inv.-Nr. 35/2224) Prov. Galerie am Herzogpark München  (Abb. 1) Gründerzeit-Keller Hermann Schmutzler Berlin  (Abb. 6) Henry’s Auktionshaus Mutterstadt  (Abb. 8, 9) Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main  (Abb. 23, 24) Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe  (Abb. 30, 31, 33, 34, 35) Nagel Auktionen GmbH & Co. KG Stuttgart  (Abb. 3) Privatbesitz München  (Abb. 2) Rijksmuseum Amsterdam  (Abb. 28) Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden  (Abb. 11) Stadtarchiv Bielefeld  (Abb. 19, 20, 21, 22) Stadtmuseum München  (Abb. 4), Sammlung Angewandte Kunst  (Abb. 10) Universitätsbibliothek Heidelberg entnommen aus: Illustrirte Zeitschrift für Innen-Dekoration  (Abb. 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 38, 39, 40, 41, 42), entnommen aus: Deutsche Kunst und Dekoration  (Abb. 32) © Thonet GmbH Frankenberg  (Abb. 25: Fotograf: Michael Gerlach), (Abb. 26, 27) Universitätsbibliothek Frankfurt am Main  (Abb. 36, 37) Ursula Spilker Steinheim  (Abb. 29) © VG Bild-Kunst, Bonn 2019  (Abb. 11, 32) Stadtmuseum München, Sammlung Angewandte Kunst  (Umschlag)

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11 Anhang

Personenregister Abelshauser, Werner  118 Adickes, Franz  82 Albert, Prinz von England  230 f. Albert, Wilhelm  174 Alter, Johannes Justus Ludwig  202 Alter, Ludwig  22, 202, 238 Altherr, Alfred  326 f. Althoff, Theodor  212 Andés, Louis-Edgar  112–114, 130, 167 Arnold, Klaus-Peter  365 f. Augst, Emil  247 f., 300, 328, 330 Avenarius, Ferdinand  101, 104, 258 f., 279, 351, 359 Back, Heinrich  123 f., 165, 173 Bähr, Johannes  200, 235 Baillie Scott, Mackay Hugh  71, 216–218 Bamberger, Eugen  225 f. Barkey, Fritz  329 Barkey, Wilhelm  329 Bauer, F. W.  284 Bayer, Friedrich  18, 220, 344–346 Bayer, Friedrich, jr. 220 Behr, Carl  56, 58, 61, 261–263, 266, 271, 279 f. Behrens, Peter  216 f., 228, 239–241, 248, 356, 367, 379, 383, 385, 387 Below, Georg, von  140 Bembé, Anton 56, 262, 378 f. Beneke, Carl 171 Beneke, Heinrich Ludwig 285 Beneke, Louis  116, 285 Benjamin, Walter  53, 229 Benje, Peter  34, 125, 127 f. Berger, Josef 389 Berghoff, Hartmut  200, 249 Bergmann, Gustav (1872–1951)  11, 22, 122, 131, 155, 178 f. Bergmann, Gustav (1901–1950) 179 Bergmann, Gustav (*1929)  11, 131, 179 Bergmann, Pauline Louise Albertine, geb. Brockschmidt 178 Bertsch, Karl 365, 382 Bertuch, Friedrich Justin  257 Bismarck, Otto, von  236 Blatzheim 224 Bögeholz, Wilhelm 284 Böttcher, P.  277, 311 f. Bötticher, Georg  61, 262 Bohngen, Anton  76 Bornö, O.  286, 288, 290, 293  Brandt, Georg  305 Bratvogel, Friedrich W.  80 f., 199 Braungart, Richard  316 Brecht, Wilhelm  286, 292

Bredt, Ernst Wilhelm  267 Breuer, Robert  74 f., 77, 218, 228, 344, 359 f., 374 Brink, August  328 Bruckmann, Friedrich  257, 261, 267 Bücher, Karl  41, 44, 46, 98, 135–153, 171 f., 182, 192, 198 f., 201 f., 351, 391 Bücher, Emilie  44 f., 192, 194, 229 Bücher, Mathilde  44, 192 Büchner, Friedrich August 111 f., 114 f., 125 f., 129 Budjuhn, G. 154 Bunke, Karl  108, 185, 378 Bunsen, Marie, von  383 Buschmann, Johannes  246 Carl Alexander von Lothringen und Bar 162 Carola, Königin von Sachsen  321 Cohen, Arthur  196, 203 Cook, Clarence  96–99, 103, 276 Corwegh, Robert 383, 386 Davidis, Henriette  59, 181 Dichmann, Leonhard  123 Dichmann, Wilhelm  123 f. Dieterich, Erwin  107–109, 116, 138, 186 Dohrn, Wolf  372 Domker, Gustav  193 Dornblüth, Friedrich  259 Drake, Friedrich  232 Dresdner, Albert  280, 317, 394 Duisberg, Carl  220 f., 223, 225 f., 345 f. Dürer, Albrecht  370 Echterbecker, Carl  329, 383 Edis, Robert William  96 f., 276 Elias, Norbert  51, 53 Emmerich, Louis  174 Endell, August  216 Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen 237 Essen, Albrecht  187 Essen, Eduard  169, 186–189, 191, 202, 329, 394 Essen, Heinrich  187, 189 Eudel, Paul  112 Exner, Wilhelm Franz  156–158 Eyßer, J. A.  72 Fabri, Karl  223 f., 350 Fahrmeir, Andreas  9, 15 f., 25–28, 32, 45, 48, 55 Falke, (Jacob) Jakob (von)  18, 34, 95–102, 104, 159, 181 f., 203, 232 f., 238, 255, 259, 261, 274, 276–281, 291, 337, 395 Fallada, Hans  54 f. Ferber, Johannes  328 Feulner, Adolf  32 f.

Personenregister

Finkbeiner, Carl  340 Fischer, Dirk  34, 58, 117, 119 f., 129, 133, 145, 166 f., 249 f. Fischer, Hendrik K.  35–38, 42 f. Fischer, Hermann 125–127 Fischer, Theodor  240 Foley, Edwin  288 f. Fränkel, L. 193 Fred, W.  238 Freudenthal, Margarete  21, 39 f., 192 Frey, Manuel  59 f. Freyeisen, Johann Philipp  84, 91 Friedrich der Große  243 Fuchs, Georg  238 f., 367 Fürth, Henriette  48–50, 192 Gall, Lothar  25 f., 28, 54 f. Garret, Agnes  96, 276 Garret, Rhoda  96, 276 Geron, Heinrich  381, 385 Gerson, Herrmann  74–77 Gessner, Albert  74, 76 Gmelin, Leopold  237 Godewols, Ludwig  356 Göhre, Paul  210 f., 213 Goethe, Johann Wolfgang  370 Graef, August 125–127, 129 f., 173, 288, 295, 299 Graef, Max 173, 261, 288, 295, 299 Graff, Carl  297 Graul, Richard 237, 387 Gravenstein, August  84–86 Gravenstein, Christian 84, 86 Gravenstein, Hans Albrecht  84 Gravenstein, Ida, geb. Görtz  84 Gravenstein, Ilse  84 Gravenstein, Margarethe  84 Gravenstein, Walter  84 Griesser, Paul  388 Gronen, Damian 128, 303 f. Gropius, Walter  255, 387 f. Groß, Karl  375, 386 Grund, Otto  328 Gurlitt, Cornelius  97, 102 f., 255, 258, 261, 325 Gurlitt, Ludwig  325 f. Habermas, Jürgen  58 Haenel, Ernst  368, 374, 382 Harrwitz, J.  301 Hasse, Ernst  243 Hausmann, Bernhard  133, 171, 369 Hausmann, Wilhelm  196 Haussmann, Georges-Eugène  82 Hein, Dieter  26, 28, 45, 51, 55 Helberger, Curt  190, 322 Helberger, Johann Heinrich  190 f., 394

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Helberger, Johann Heinrich (junior)  190 Helberger, Johann Thomas  190 Helberger, Josefa  190 Hemann, Erwin  343 Herbert, Ulrich  15, 26–28, 31, 45 Herholz, Arthur  84, 87 f., 90 Hettling, Manfred  29–32 Heuss, Theodor  387 Himmelheber, Georg  33, 273 f. Hirth, Georg  63, 102, 233, 255, 274, 290, 395 Hofmann, Albert  252, 262 Hoffacker, Karl  318 Hoffmann, Josef  240 Hoffmann, Stefan-Ludwig 30–32 Hohner, Matthias  163, 200 Hosch, Paul  275, 315 Högg, Emil  216, 218 Huber, Anton  216 Huber, Patriz  218 Jäger, Carl Friedrich  84 Jaffé, Franz  211 Jandorf, Adolf  215 Jaumann, Anton  219, 324 f., 344 Jessen, Peter  353, 355 f., 361 Joseph von Österreich-Lothringen  162 Jörgensen, Thorwald  217 Kachel, Gustav  297 Kaufhold, Karl Heinrich  128, 137, 154 f. Keil, Ernst  259 Kimbel, Martin  339 Klarhorst, Ludwig  80 Kleinhempel, Erich  322 Kleinhempel, Gertrud  322, 356 Klopfer, Paul  255 f., 291, 299, 317 Koch, Alexander  257 f., 261, 263–266, 276, 335 f., 341, 389 Kocka, Jürgen  13, 26–31, 45, 137 f. König, Gudrun M.  181, 249, 357, 362 Körnig, Arno  217 Kolscher, Bruno  287 f., 292 f. Kopka, Carl Friedrich  164 Kopka, Ferdinand  164 Kopka, Gustav  9, 17, 22, 120 f., 128 f., 131, 155, 163–170, 175, 177–179, 200, 229, 250, 376, 392 Kopka, Henriette Wilhelmine, geb. Rothe  164 Koselleck, Reinhart  16, 35 Kracauer, Siegfried  83 f. Krais, Paul  108 f., 111–113 Krauth, Theodor  109 f., 112–114 Kreis, Wilhelm  240, 367 Krohne, Eduard  133, 170 f., 175, 179 Krupp, Alfred  200 Kühne, Christian  328

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11 Anhang

Kükelhaus, Hugo  309, 328–330, 353  Kurmeier, Carl 294 Läuger, Max  240 Lehmann, Alfred  194 Lepsius, M. Rainer  27, 31 Lessing, Julius  230, 232–234, 236, 259, 261, 264 Leverkues, Carl  220 Linde, J. G., von der 294 Ludwig XV., König von Frankreich  162 Ludwig XVI., König von Frankreich  162 Luthmer, Ferdinand  18, 181, 205 f., 263, 266, 271 f., 278, 297, 323, 338 Lux, Joseph August  34, 57, 114, 239, 248, 272–274, 279, 321, 357–359, 364, 384 Lux, Käthe  212 f. Maaß, Bernhard  108, 116 f., 131, 138, 209 f., 377 f., 380 Mandel, Albert  221, 226, 344–347 Maria Theresia, Kaiserin von  Österreich 162 Marie Antoinette von Österreich-Lothringen, Königin von Frankreich  162 Marquard, Alfred  109 f. Marschner, Alwin  23 Marschner, Reinhard  23, 350 Marschner, Reinhold  23, 350 Martin, E. A.  282 f. Mataja, Victor  199–201, 206–208, 211 May, Ernst  388 f. Meier, Baurat  284 Meier-Graefe, Julius  267 Mergel, Thomas  28–31 Messel, Alfred  211 Metternich, Klemens Lothar Wenzel, von, Fürst  156 Metzger, Max  275–279 Meyer, Erwin 285 Meyer, F.  293 Meyer, Franz Sales  109 f., 112–114 Meyer, H.  293 Meyer-Pollack, Erna  21, 40, 57, 59 f., 104, 172, 192 f. Meyer-Schönbrunn, Fritz  362 Michael, Wilhelm  338 Michaud, Paul  204 f. Michel, Wilhelm  323 f., 333, 374 Mielke, Robert  268, 320 Mittenzwey, Kuno  306 Mobilis, A. F.  181, 183, 245 f., 254 f., 258 Müller, Carl  383 Müller, Hermann  263 Münchhausen, Hermann  324 Muschner, Georg  195 Muthesius, Hermann  56, 206, 239–241, 267, 278– 280, 313, 316, 323, 341, 353–357, 363, 370 f., 383, 386

Naumann, Friedrich  18, 97, 206, 230, 251, 258, 272, 280 f., 314, 316, 352–354, 356, 360, 362, 367, 371 Naumann, Max  109–113, 129 f., 156 Nicolini, Heinrich  301 Nicolini, Jakob  301 Niederhöfer, Philipp  295–298 Niemeyer, Adelbert  240, 387 Nipperdey, Thomas  27, 29, 47 f., 63, 79, 271 Obrist, Hermann  267 Oeben, Jean Francois  162 Olbrich, Joseph Maria  64, 71, 237, 239 f., 248, 367 Opper-Legband, Else  361 Orth, Leopold  328 Osborn, Max  216–218 Osterhammel, Jürgen  26, 28, 61 Osthaus, Karl Ernst  361 Otto, Bruno  157–159 Ottomeyer, Hans  33, 71, 272–274 Pallenberg 147 Pankok, Bernhard  237–239, 248, 323, 356, 367, 387 Pape, Richard  144, 152–154 Pasche, Karl  227 f. Pauck, Heinrich  328 Paul, Bruno  237–241, 248, 276, 318, 323 f., 333, 356, 364 f., 367, 369, 382, 387 f. Paxton, Joseph  231 Pechmann, Günther, von  374 Pecht, Friedrich 267 f. Petersen, Karl  217 Pfau, Ludwig  98 f., 105, 133, 280, 310 Pierenkemper, Toni  13, 35, 38–44, 47, 134, 137, 165, 196, 226, 317, 391 Pierstorff, Julius 226, 346 Plumpe, Werner  9, 25 f., 31 f., 45, 56, 117, 120, 168, 211, 220 f., 226, 345 f. Pössenbacher, Anton  284 Posener, Julius  355 Post, Barbara  33 Precht, Friedrich  267 Preetorius, W.  378 Priesemann, Franz  328 Pudor, Heinrich  146, 189, 245, 290 Pullich, Karl 384 Puls, Wilhelm  328 Radkau, Joachim  108, 115, 129 Rauecker, Bruno  309 f., 353, 394 Rebentisch, Dieter  82 Reineking, Ludwig  111, 115, 125–127, 129 f., 282, 284– 287, 290–295, 303, 366  Reuleaux, Franz  148, 235, 248 Riehl, Wilhelm Heinrich  53 f.

Personenregister

Riemerschmid, Richard  64, 72, 216, 237, 239–241, 248, 276, 290, 305, 323, 356, 362 f., 365–371, 373, 387, 394 f. Riesener, Jean Henri  162 Ringelnatz, Joachim  263 Roentgen, Abraham  155, 160–163, 170 Roentgen, David  155, 160–163, 170, 367 Rössler, Fritz  225 f. Roscher, Wilhelm  134 f., 137, 139 f., 143 f. Rücklin, Rudolf  238 Ruthenfranz, Adolf  328 Schaiter, Ernst  360 Scharvogel, J.J.  240 Schädlich, A.  328 Scheffler, Karl  79, 216–218, 267, 387 Schinkel, Wilhelm 111, 113, 118, 121, 129–131, 164, 166, 168, 253, 280 Schlechta, Hans  342 Schliepmann, Hans  318–320, 333 f., 340 f., 343, 356 Schlingmann, Gustav (1872–1947)  21, 122, 155, 175– 177, 179, 182 f., 203, 208–210, 377 f. Schlingmann, Gustav (1900–1977)  21, 114 f., 117 f., 129, 131–133, 375 Schlingmann, Heinrich  328 Schlösser, Wilhelm 228 f. Schlüssel, Johann  229 Schlüter, C.  328 Schmidt, Karl  239, 282, 365–368, 373 f., 380 Schmidt, Wilhelm  328 Schmitz, Stephan  300 Schmoller, Gustav  46 f., 98, 131, 134–136, 139–143, 150 f., 184 f., 192, 198, 201 f., 205, 207 f., 210, 214, 391 Schneck, Adolf G.  388 Schönebeck, Franz von  196, 204, 351 Schütte-Lihotzky, Margarete  389 Schulze, F. W.  293 Schulze, Otto  62, 202, 264, 268, 334, 339 f., 378 Schultze-Delitzsch, Hermann  134 Schultze-Naumburg, Paul  48, 56, 217, 240  Schumacher, Fritz  240 Schumann, Paul  267, 321 f., 368, 374 Schur, Ernst  194, 326 f. Schwab, Alexander  151, 183, 193 f., 196 f., 203, 206, 210, 354 Schwabe, Hermann  43 Schwanthaler, Georg  64, 67 Schwertfeger, Friedrich  132 Seeberger, Gustav  66 f. Seliger, Max  200 Semper, Gottfried  98 Servaes, Franz  258 Sewing, G.  195 Siemens, Friedrich  371 Siemens, Werner, von  149, 200, 235

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Simmel, Georg  251 Sombart, Werner  41, 78, 98, 120, 135–144, 146–151, 153, 168, 171 f., 178, 184, 191, 194, 196–199, 201–204, 207 f., 210 f., 213 Spamer, Hugo 300 Sperling, H. O.  247, 254, 260, 301, 331 Spiekermann, Uwe  37, 203 f., 207 f. Spilker, Anton (1838–1893)  22, 121, 171–175 Spilker, Anton (1877–1943)  174, 179 Spilker, Anton (1903–1973)  174 Spilker, Ursula  11, 121, 128, 131 f., 148, 172–175 Spree, Reinhard  36 Stadler, Bernard  388 Stahl, Eduard  255 Stahl, Fritz  211 Statsmann, Karl  279 Steffen, Karl  328 Stoeving, Curt  216, 218 Stresemann, Gustav  208, 212 Stubmann, Peter 371 Suchsland, Emil  257 Sullivan, Louis H.  163, 268-269, 277 Taut, Bruno 355 Tenfelde, Klaus  40 f., 55 Tessenow, Heinrich  355 f., 385 Tettau, Wilhelm, Freiherr von  264, 344 Thonet, Michael  151 f., 155–160, 162 f., 170, 200, 364, 367 Thurn, August  328 Tietz, Hermann  213, 215 Tietz, Leonhard  214 Trappen, Alex  89 Triebel, Armin  35–37 Utitz, Emil  375, 380, 385 Velde, Henry, van de  264, 290, 353–355 Velhagen, August 89 f. Velhagen, Gerda  89 Velhagen, Kurt 89 Velhagen, Theresa  89 Velhagen, Wilhelm  84, 88–90 Velhagen, Wilhelm (Sohn von Wilhelm Velhagen)  89 Vetterlein, Ernst  334, 343 Victoria, Königin von England  230 f., 236 Vogelsang, Reinhard  80 Vogt, Fritz  328 Voigt, Paul  132, 150 f., 165, 168 Volbehr, Theodor  268 Vormbrock, Heinrich  328 Vorwerk, August  328 Wagner-Hasel, Beate  41, 44, 55

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11 Anhang

Walde, Christian Hermann  173, 247 Waldhoff, Johannes  11, 121, 128, 131 f., 148, 172 f., 175 Walther, Johannes  226 Warnke, Martin  58 Weber, Max  29, 41 Wehler, Hans-Ulrich  26–30, 47, 78 Wertheim, A.  76 f., 211, 214–216, 218, 395 Weskott, Heinrich 220 Westheim, Paul  241, 365 Wetzel, Ines  182, 195, 337 Widmer, Karl  282, 326 f. Wierling, Dorothee  39 f. Wilhelm I., König von Preußen 232 Wilhelm II., Kaiser  214

Winfield, R. W.  160 Winkelmann, Johannes  174 Witt-Dörring, Christian  33, 272 f. Wittenstein, B.  293 Wytrlik, Otto  342 Zaunert, Gustav  284 Ziegler, Dieter 164 Zimmer, Georg  73 f. Zimmermann, Ernst  280, 322 f., 334, 365 f., 369 f. Zinck, Paul  244 Zinnkann, Heidrun  33 Zobeltitz, Fedor, von  213 f. Zola, Emile  212