Wissen gegen Glauben: Der Beginn des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben im alten Indien und Griechenland [Reprint 2021 ed.] 9783112541982, 9783112541975


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German Pages 198 [202] Year 1980

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Wissen gegen Glauben: Der Beginn des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben im alten Indien und Griechenland [Reprint 2021 ed.]
 9783112541982, 9783112541975

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ABHANDLUNGEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Gesellschaftswissenschaften Walter Ruben

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Der Beginn des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben im alten Indien und Griechenland

Akademie-Verlag Berlin

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ABHANDLUNGEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Abteilung Gesellschaftswissenschaften Jahrgang 1979 N r . G l

Walter Ruben

Wissen gegen Glauben Der Beginn des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben im alten Indien und Griechenland

AKADEMIE-VERLAG

B E R L I N 1979

Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR von Vizepräsident Prof. Dr. Heinrich Scheel Dieser Arbeit von Walter Rüben, Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, liegen seine in der Klasse Gesellschaftswissenschaften II der AdW gehaltenen Vorträge und Diskussionsbeiträge mit zugrunde. Verantwortlich für dieses Heft: Akademiemitglied Prof. Dr. Walter Rüben

Redaktionsschluß: 26. 2. 1979 Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-108 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 © Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/204/79 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus Kothen Bestellnummer: 753 737 4 (2001/79/1/G) • LSV 0703 Printed in GDR DDR 1 8 , - M

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung 1. 2. 3.

7

Das Thema und dessen bisherige Behandlung Chronologie der altindischen Texte, in denen Philosophie begann Die Entwicklung der indischen Gesellschaft vor dem Beginn der Philosophie . . . .

7 11 12

I. Möglichst abstrakte Darlegung der Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins zu seiner philosophischen Form

14

II. Die historische Entwicklung des alten Indien zwischen 900 und 600 v.u.Z., konkreter gesehen

18

1. 2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 4. 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.3.

Grundsätzliche Erwägungen über die historische Entwicklung Zur politischen Geschichte Zur Geschichte der Basis Voräryas und Aryas Die Volksmassen Die Ausbeuter Zur Geschichte der geistigen Kultur Im Allgemeinen Überblick der Geschichte der Religion bis zur Erlösungsreligion und zum Ubergang zur Philosophie Vorarische Magie-Mythologie Die Religion der Indusgesellschaft Arische Magie-Mythologie Zur Entwicklung der Moral

III. Von Magie-Mythologie zu Philosophie 1. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.4.1. 1.2.4.2 1.2.4.3. 1.3 1.4. 2. 2.1.

Durch Wissen contra Glauben zu Materialismus Zerfall der vedischen Magie-Mythologie Aufklärung als Zweifel an vedischen Mythen Aufklärung als Zweifel an vedischen Riten Zur Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens Ansätze wissenschaftlichen Denkens von der Urgesellschaft bis zu den Upanisads Sämantheologen Atem-Wind-Magier Vorhylozoistische Spekulationen über Raum, Feuer und Wasser Raum Feuer Wasser Lehren lebensfroher Moral Schlußbemerkung Durch Glauben contra Wissen zu Idealismus Vedische Theologen und Mimämsä

18 19 20 20 21 22 24 24 26 26 27 28 29 30 30 30 30 32 36 36 41 46 49 49 51 52 54 55 55 55

3

2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.3.

Beginn der Erlösungsreligion „Romantik" und „Utopik", rückwärts und vorwärts blickender Glaube Sonnenverehrer Theologen des Herzens, des Lichts und des Denkens (manas) Morallehren des Tatvergeltungsglaubens Erlösungsglaube und Lebensüberdruß Schlußbemerkung

IV. Die beiden ersten Philosophen Indiens A. Uddälakas Hylozoismus 1. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4.

Uddälakas Persönlichkeit Der Text des Uddälaka Erste Unterweisung, 1.-7. Abschnitt (ChU VI, 1-7; B 167 ff.) 1. Abschnitt: Aufgabenstellung (ChU VI,1; B 167f.) • 2. Abschnitt: Kosmogonie (ChU VI,2; B 168f.) 3. Abschnitt: Das Entstehen der Dinge des Makrokosmos (ChU VI,3; B 170) 4. Abschnitt: Die vier Lichter (Kosmologie, ChU VI,4; B 170ff.) 5.-7. Abschnitt: Mikrokosmos (ChU VI,5-7) 2.1.5. 5. Abschnitt: Verdauung (ChU VI,5; B 172f.) 2.1.6. 6. Abschnitt: Verdauen als Quirlen (ChU VI,6; B 173) 2.1.7. 7. Abschnitt: Das Experiment des Fastens (ChU VI,7; B 173) 2.1.8. Die Disposition dieser Unterweisung 2.2. Zweite Unterweisung, 8.-16. Abschnitt (ChU VI,8-16; B 175ff.) 2.2.1. 8. Abschnitt: Schlaf, Hunger und Durst (ChU VI,8; B175f.) 2.2.2. 9. und 10. Abschnitt: Honig und Flüsse im Kreislauf des Seienden (ChUVI,9f.; B 177f.) 2.2.3. 11. Abschnitt: Der lebende Baum (ChU VI,11; B 179f.) 2.2.4. 12. Abschnitt: Der Feigenkern (ChU VI,12; B 180f.) 2.2.5. 13. Abschnitt: Das Experiment mit dem Salz (ChU VI,13; B 181) 2.2.6. 14. Abschnitt: Über den Lehrer (ChU VI,14; B 182) 2.2.7. 15. Abschnitt: Über das Sterben (ChU VI,15; B 183) 2.2.8. 16. Abschnitt: Über das Grdal (ChU VI,16; B 183f.) 2.2.9. Die Disposition der 2. Unterweisung 3. Das System des Materialismus des Uddälaka 3.1. Naturphilosophie 3.1.1. Das Seiende: Der Welt.stofF 3.1.2. Definition des Weltstoffs 3.1.3. Definition der makrokosmischen Produkte 3.1.4. Das Seiende ist materiell 3.1.5. Die Entwicklung des Seienden 3.1.6. Naturwissenschaftliche Gedanken 3.1.6.1. Die anorganische Materie 3.1.6.2. Die organische Materie 3.2. Erkenntnislehre 3.3. Ethik 4. Neues Wissen gegen alten/altes Glauben im Text Uddälakas 4.1. Erste Unterweisung 4.1.1. 1. Abschnitt: Aufgabenstellung 4.1.2. 2. Abschnitt: Kosmogonie 4.1.3. 3. Abschnitt: Das Entstehen des Makrokosmos 4.1.4. 4. Abschnitt: Die vier Lichter (Kosmologie) 4.1.5. 5. Abschnitt: Mikrokosmos, Verdauung 4.1.6. 6. Abschnitt über das Quirlen als Analogie des Verdauens 4.1.7. 7. Abschnitt: Das Experiment des Fastens 4.2. Zweite Unterweisung 4.2.1. 8. Abschnitt über Schlaf, Hunger und Durst

4

56 56 57 58 60 62 65 66 66 66 67 67 67 69 71 71 72 72 73 73 74 75 75 78 79 80 81 82 83 84 84 86 86 86 86 87 88 89 90 90 91 92 94 96 97 97 97 103 104 106 109 110 111 111

4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5. 4.2.6. 4.2.7. 4.2.8. 4.2.9.

9. und 10. Abschnitt: Honig und Flüsse im Kreislauf des Seienden 11. Abschnitt über den lebenden und sterbenden Baum 12. Abschnitt über die Feinheit innerhalb des gespaltenen Feigerikems 13. Abschnitt über das Salzexperiment 14. Abschnitt über die Notwendigkeit des Lehrers 15. Abschnitt über das Sterben 16. Abschnitt über das Ordal Zusammenfassung

B. Yäjnavalkyas Idealismus

113 114 115 115 117 118 119 119 120

1.

Chronologie der Texte der Brhadäranyakopanisad

121

2.

Yäjnavalkyas Persönlichkeit

122

3.

Yäjnavalkyas Haupttext (BU III-IV)

124

3.1.

I. Unterweisung: Große Disputation in neun Streitgesprächen am Hofe Janakas (BU 111,1-9; B 195ff.) 3.1.1. Asvala (BU 111,1 ; B 195ff.) 3.1.2. Arthabhäga (BU 111,2; B 198ff.) 3.1.3. Bhujyu (BU 111,3; B 201f.) 3.1.4. Usasta (BU 111,4; B202f.) 3.1.5. Kahola (BU 111,5; B 204f.) 3.1.6. Gärgl (BU 111,6; B 205f.) 3.1.7. Uddälaka (BU 111,7; B 206ff.) 3.1.8. Gärgi (BU 111,8; B 210ff.) 3.1.9. Vidagdha (BU 111,9; B 213 ff.) 3.1.10. Schlußbemerkung 3.2. II. Unterweisung: Erster Dialog Yäjnavalkyas mit Janaka über das brahman (BU IV, 1 - 2 ; B 222ff.) 3.3. III. Unterweisung : Zweiter Dialog Yäjnavalkyas mit Janaka (BU IV,3-4 ;B 229ff.) 3.4. IV. Unterweisung: Abschied von Maitreyï (BU IV,5 (11,4) ; B 244ff.) 3.5. Schlußbemerkung

137 139 143 146

4.

Das System des Idealismus des Yäjnavalkya

147

5.

Neuer Glaube gegen alten Glauben und gegen Wissen im Text Yäjnavalkyas . . . . 150

V. Die spätere Entwicklung der altindiscben Philosophie

124 124 125 127 127 129 131 132 134 135 137

155

1.

Theologisch-philosophische Kompilationen in den alten Upanisads nach Uddälaka und Yäjnavalkya 155

1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.

Sanatkumära (ChU VII,1-26; B 297ff.) Ajätssatru (KU IV, BU 11,1; B 312ff.) TU I I (B 285ff.) Varuna (TU I I I ; B291ff.) Pratardana (KU I I I ; B 321

2.

Die Entwicklung der Philosophie von Buddha bis zu den Guptas (500 v.u.Z. bis 161 500 u.Z.)

2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3.

Die Die Der Der Die Die Die Die

3.

Ausblick bis heute

ff.)

Lage um 500 v.u.Z gesellschaftliche Lage Materialismus Idealismus gesellschaftliche Entwicklung vom 4. J h . v.u.Z. bis zum 5. Jh. u.Z Unterscheidung von Theologie und Philosophie im 4. J h . v.u.Z Entwicklung dos Materialismus Entwicklung des Idealismus

155 158 159 159 159

161 161 162 164 166 167 169 169 171

5

VI. Vergleich des Beginns der alten indischen und griechischen Philosophie im Rahmen der Menschheitsgeschichte 173 1. 2. 3. 4. 5.

Raum und Zeit Die gesellschaftliche Entwicklung Die Entwicklung des Glaubens der Erlösungsreligion Die Entwicklung des Wissens Ausblick auf die indische und europäische Philosophie bis heute

173 174 175 179 182

Abkürzungen

184

Verzeichnis d.er zitierten Sekundärliteratur

185

Anmerkungen I zu Kapitel I - I I I

186

Anmerkungen I I zu Kapitel IV-VI

191

6

Vorbemerkung

1. Das Thema und dessen bisherige Behandlung 1 Der Kampf von Wissen gegen Glauben 2 und umgekehrt war und ist grundlegend für die Geschichte der Klassengesellschaft in Indien und Griechenland vom Zerfall der klassenlosen Urgesellschaften der Aryas und Voräryas und dem Beginn der Gangesgesellschaft Indiens und der Antike der Griechen um etwa 900 v.u.Z. bis heute. Um 600 v.u.Z. stellte dann der erste indische Philosoph, der sich um Wissenschaftlichkeit des Denkens bemühte, der Materialist, genauer Hylozoist, Uddälaka, sein neues Wissen gegen den Glauben des damals beginnenden Hinduismus, dieser Erlösungsfeligion des beginnenden Despotismus. Umgekehrt stellte fast gleichzeitig der erste Idealist, Yäjnavalkya, seinen neuen Glauben gegen das neue Wissen. Und wiederum ungefähr gleichzeitig stellte in der griechischen Demokratie der Hylozoist Thaies sein Wissen gegen den Erlösungsglauben der Mysten, Orphiker und Pythagoräer. In der altorientalischen Klassengesellschaft der Sumerer, der Ägypter, der Tndusgesellschaft oder der ägäischen war es nicht zu Philosophie, offenbar zu keinem dafür ausreichenden Kampf des Wissens gegen den oder das Glauben gekommen. In unserer Epoche des weltweiten Übergangs von der Klassengesellschaft zur klassenlosen Gesellschaft legt dagegen der im jungen Kapitalismus begründete dialektische und historische Materialismus als die eigentliche wissenschaftliche Philosophie der Menschheit die Grundlagen für die Überwindung des Glaubens, u.a. des Idealismus, und lehrt zugleich das ständige, auch in Zukunft notwendige Überwinden alles unwissenschaftlichen bzw. überholten Glaubens-Meinens. Beide, diese erste und letzte Philosophie der Menschheit, begannen, eingebettet in den gesamten jeweiligen Umwälzungsprozeß von Basis und überbau, 3 und sind nur in einer allseitigen und in unserem Fall Inder und Griechen vergleichenden Geschichte der Menschheit verständlich zu machen. Hier sollen jedoch nur die spezifischen Vorbedingungen insbesondere der altindischen Philosophie behandelt werden, mit einem kurzen Ausblick auf die griechische. Hylozoismus konnte und mußte sich damals gesetzmäßig im beginnenden Klassenkampf des alten Indien herausbilden, als das urgesellschaftliche vorwissenschaftliche und vorphilosophische Denken wissenschaftlichem Denken über das Weltall, den Menschen und dessen Stellung in Natur und Gesellschaft nahe kamen. Neben den Hylozoismus trat in Indien sofort ein objektiver Idealismus; dieser war von Anfang an eine Stütze der damals neuen hinduistischen Religion und war in deren neue Theologie eingebettet, d.h., er verteidigte den neuen Glauben gegen das neue Wissen und den alten Glauben. Es ist bis heute schwierig, die indische Philosophie, insbesondere den indischen Idealismus, aber auch den Hylozoismus und die Kompromisse zwischen Idealismus und Materialismus, von Theologie zu unterscheiden. Aber dies ist für das wissenschaftliche Verständnis der altindischen Philosophie entscheidend, 7

wenn uns auch noch ungewohnt. Hier wird darüber ein Versuch zur Diskussion gestellt. E r kann sich auf eine altindische Diskussion über Theologie und Philosophie um 300 v.u.Z. stützen. 4 Mit dieser damals in Indien und Griechenland beginnenden Problematik des Kampfes des Wissens gegen den Glauben, aber auch gegen das traditionelle Glauben-Meinen sich auseinanderzusetzen ist für uns heute wahrhaftig keine müßige Beschäftigung, wollen wir unseren eigenen Platz und den der Inder in der Menschheitsgeschichte verstehen, u.a. gerade durch das Vergleichen unserer mit der weitgehend andersartigen indischen Kultur. Vergleichen ist ja kein Gleichsetzen. Beide Kulturgeschichten sind einzigartig und doch nur zwei Linien der Menschwerdung zweier heute befreundeter Völker. Die letzten Schritte des Denkens zur Philosophie hin und die ersten Schritte der Philosophie, die Herausbildung von Materialismus und Idealismus, waren im 7. J h . v.u.Z. im alten Indien und Griechenland wichtige Elemente des ständigen fruchtbaren Kampfes, des unüberbrückbaren 5 Widerspruchs des Wissens gegen den bzw. das Glauben. Diese sehr komplizierten Schritte waren bezeichnend für jene frühe Stufe der Menschheitsgeschichte und sind nur in dieser verständlich, bzw. sind uns heute noch in mancher Hinsicht leider recht unverständlich und fordern gerade damit unser Bemühen heraus. Wie dieser Kampf der Philosophen von damals bis heute ausgefochten wurde, gehört zum unvergänglichen kulturellen Erbe der Völker insbesondere des heutigen Südasien und Europa. Hinweise auf die Anfänge des neuen klassengesellschaftlichen religiösen, theologischen, wissenschaftlichen und philosophischen Denkens sind uns nur innerhalb der Texte jener alten theologischen Schulen erhalten. Deren Autoren waren keine Wissenschaftler; sie waren sich nicht bewußt, daß ihre ererbte vedische Religion durch die neue hinduistische bedrängt - nicht verdrängt - wurde und daß zugleich wissenschaftliches und philosophisches Denken begannen. Die Deutung dieser alten schwierigen Texte, die nur für damalige Fachleute der Theologie bestimmt waren und vor dem Volk und vor allen Nichttheologen geradezu geheimgehalten wurden, steht erst am Anfang. Der große Indologe Max Müller erklärte die Brähmanas 1869 für theologisches Gefasel und von geringem Interesse für das gebildete europäische Publikum; und Moritz Winternitz erklärte 1909 deren Lektüre für ungenießbar, aber für das Verständnis der ganzen späteren, religiösen und philosophischen Literatur der Inder für unentbehrlich. 6 Dementsprechend stellt die vorliegende Untersuchung hohe Ansprüche an die Ausdauer des Lesers. Wir müssen langsam zu erklären versuchen, was sogar den alten Theologen und ersten Philosophen des alten Indien selber unklar war und wonach sie nicht fragten: Wie begann Wissenschaft und Philosophie, und was war und ist Philosophie ? Die Unklarheit ihres Denkens spiegelt sich in der Unverständlichkeit der alten Texte wider, und es ist gar nicht anders möglich, als daß der heutige Historiker mehr Fragen aufwirft, als er beantworten kann. I n dieser Abhandlung eines Indologen werden nach einigen Vorbemerkungen zunächst im I . sehr kurzen Teil einige unabdingbare Voraussetzungen des Entstehens der philosophischen Form des gesellschaftlichen Bewußtseins herausgestellt. Dabei wird deren gesetzmäßige Abfolge als ein - wie man manchmal sagt - „logischer" Prozeß mit dei heute möglichen höchsten Abstraktion bestimmt. Diese Abfolge wird dann im Teil I I in einer kurzen historischen Darstellung der gesellschaftlichen, der materiellen und ideellen Entwicklung des alten Indien zwischen etwa 1000 oder 900 und 600 v.u.Z. bis zum Beginn der Philosophie etwas konkretisiert. Im I I I . Teil wird der Beginn der alt-

8

indischen Philosophie als Entwicklung von urgesellschaftlicher Magie-Mythologie zu klassengesellschaftlicher Philosophie, zu Hylozoismus und Idealismus, ausführlicher dargelegt. Im IV. Teil werden die Textstücke der beiden ersten indischen Philosophen möglichst konkret daraufhin untersucht, ob es richtig ist, daß Uddälaka, der erste indische Philosoph, ein Hylozoist gewesen ist und der Idealist Yäjnavalkya, sein vielleicht etwas jüngerer Zeitgenosse, ihm folgte, wie es der Stammbaum der Lehrer in B U VI, 5 angibt, d. h. seinen Hylozoismus voraussetzte. So abstrakt und so konkret ist der Beginn der indischen Philosophie noch nicht untersucht worden. Es folgt, im V. Teil ein kurzer Ausblick auf die weitere Entwicklung der indischen Philosophie und im VI. ein knapper Vergleich mit der griechischen Entwicklung. Der Kampf des Materialismus und des Idealismus bestimmte die Entwicklung auch der europäischen Philosophie bis zum dialektischen und historischen Materialismus. Die altindische Philosophie gelangte von sich aus trotz solchen Kampfes nicht so weit. Dagegen ist es „außerordentlich kompliziert, die verschiedenen Richtungen des altchinesischen Denkens in Hinblick auf Materialismus und Idealismus zu bestimmen" 7 , und Naturphilosophie und Erkenntnistheorie, diese Disziplinen der Philosophie, sind dort kaum ausgearbeitet worden.8 Es gab im alten China vor dem Eindringen des Buddhismus aus Indien im Grunde also offenbar keine Philosophie, sondern nur mehr oder weniger theologisch fundierte Morallehren, welche Natur und Gesellschaft parallel betrachteten. Auch die anderen altorientalischen Gesellschaften in Europa (Etrusker, Ägäis), im Vorderen Orient, Asien, Afrika und Lateinamerika entwickelten keine Philosophien, bis christliche, islamische und jüdische Religionen ihre Philosophien dort im Mittelalter verbreiteten. Anscheinend waren nur im alten Indien und Griechenland auf Grund von Klassenkämpfen Wissen und Glauben ausreichend zu Wissenschaft und Erlösungsreligion ausgebildet worden, um auf die magisch-mythologischen, religiösen bzw. theologischen Weltanschauungen philosophische folgen zu lassen. Hylozoismus9 war in Indien und Griechenland die erste Form des Materialismus, dessen Gegensatz zum Idealismus man damals aber noch nicht erkennen konnte. E r umfaßte schon die drei Disziplinen der Philosophie, ohne sie unterscheiden zu können oder ein System der Philosophie aufzubauen, und behielt noch Reste urgesellschaftlicher magisch-mythologischer Weltanschauung bzw. der „naturwüchsigen Religion, in der ,Betrug' noch keine Rolle spielte", 10 bei, um die Bewegungen und Entwicklungen eines einzigen Weltstoffes aus dessen Lebendigsein zu verstehen. Die damalige Periode des Übergangs der indo-arischen, d.h. rgvedischen, und der griechischen Ur- zur Klassengesellschaft war eine objektiv notwendige, langsame Revolution. Es ist aber noch nicht zu sagen, wieweit sie als solche den damaligen Menschen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten bewußt war. So wurde die neue hinduistische Religion der Upanisads von deren Lehrern der vedischen der Brähmanas doch wohl als ein mehr oder weniger bewußt Neues hinzugefügt, wie es etwa Aruna andeutete, und Uddälaka sprach es geradezu aus, daß er Neues lehre, 11 ohne freilich dessen Neuheit definieren zu können oder zu wollen. Es ist Sache unserer Geschichtsschreibung, solche Fragen zu klären, und die Bereitschaft dafür wächst in unserer Epoche revolutionärer Entwicklung. Dafür wäre es nützlich, die Entwicklung unserer Geschichtsschreibung über den Beginn der Philosophie in Indien und Griechenland zu charakterisieren. Man kann mit Colebrooke (1823/24) und Hegel (1825/26) beginnen.12 Hegel bemühte sich als Idealist; die Verwandtschaft von Religion und Philosophie, aber auch ihre Verschiedenheit, ja

9

Feindschaft, und endlich auch ihre Versöhnbarkeit nachzuweisen. 13 Was die Griechen angeht, so hat zumindest schon Eduard Zeller 1855 darauf hingewiesen, daß die griechische Philosophie von der Religion herzuleiten ist, aber „ohne die freie Bewegung der Wissenschaft unmöglich zu machen oder wesentlich zu beschränken" 14 . 1876 hat F. A. Lange in seiner „Geschichte des Materialismus" Philosophie „in einem unvermeidlichen Kampf mit der Theologie ihrer Zeit" beginnen lassen. 15 1899 hat Paul Deussen seine „Allgemeine Geschichte der Philosophie" mit dem rgvedischen Zweifel an überkommenen Mythen beginnen lassen, den wir als Zeugnis damaliger Aufklärung verstehen; 16 er hat aber im Banne der fast dreitausendjährigen indischen theologischen Tradition Uddälaka noch nicht als Hylozoisten erkannt. 1913 schilderte J . B. Bury ganz kurz den Kampf von Wissen und Glauben in der europäischen Geschichte. 17 Kaum aber hatte 1917 unsere Epoche begonnen, so schrieb Hermann Oldenberg in der jungen Weimarer Republik in einem grundlegenden Buch, daß bei Uddälaka „eine der naturwissenschaftlichen Art sich nähernde Betrachtung des Geschehens ... bemerkbar im Vordringen begriffen ist" (1919)18. Dies wird kein Zufall gewesen sein. Die Republik wuchs damals unter den Bedingungen dieser Epoche heran 19 und gab damit diesem deutschen bürgerlichen Universitätsprofessor die Möglichkeit, den Materialismus richtiger zu sehen und zu beschreiben als vorher im Kaiserreich. 1922 und 1923 erkannte Hermann Jacobi, selber ein Kantianer, Uddalaka als Materialisten. 20 1925 folgte Otto Strauss, ein Schüler Deussens, ein wenig den Gedanken Oldenbergs. 21 Andererseits hatte sich unsere Epoche damals auch in Indien stark ausgewirkt, und ab 1921 verurteilte der Indische Nationalkongreß die Politik aller imperialistischen Mächte und ergriff international immer entschiedener die Partei des historischen Fortschritts. 22 Der junge indische Patriotismus weckte auch in dem indischen Philosophiehistoriker R. D. Ranade ein stolzes Gefühl der Gleichberechtigung mit dem „Westen". Er stellte 1926 den Wasserhylozoismus des Thaies neben die anonyme Wasserkosmogonie in BU V, 5, 1, schrieb, daß Pravähana den Raum so auffaßte wie die verschiedenen Ionier ihren Urstoff, verglich Raikvas Atemwindlehre mit der des Anaximenes und erklärte solche Gemeinsamkeiten mit unabhängiger Parallelentwicklung in Indien und Griechenland, 23 ohne als bürgerlicher Historiker von historischen Gesetzmäßigkeiten sprechen zu können. Er stellte als Idealist und Erbe des indischen Idealismus Uddälaka als den zweitgrößten Denker der Upanisads nur hinter Yäjnavalkya, erkannte, daß er eine materielle Ursache der Welt lehrte, erklärte ihn aber trotzdem für einen idealistischen Monisten. 24 Ranade glaubte eben wie Deussen an die uralte vedäntische Tradition, daß die Lehre der Upanisads einheitlich idealistisch sei. 1931 deutete Jacobis Schüler W. Rüben noch in der Weimarer Zeit Uddälaka als Hylozoisten wie Thaies 25 und führte diese Auffassung von 1954 bis heute in der DDR weiter. 26 Auf ihn beriefen sich Dale Riepe 196 1 27, während Erich Frauwallner 1953 und Debiprasad Chattopadhyaya 1959 sich auf Jacobi stützten, 28 D. Chattopadhyaya 1970 auf Rüben 2 9 . Er konnte 1970 und 197630 darauf hinweisen, daß der mittelalterliche Logiker Jayanta Bhatta allem Anschein nach an Uddälaka, und zwar an dessen 5. Abschnitt, dachte, wenn er den Materialisten vorwarf, sie ließen das Denken aus der genossenen Speise werden. Er wäre demnach der einzige altindische Philosoph, der diesen Materialismus erkannt hat, 31 und dies ein Jahrtausend vor H. Jacobi. Für Rüben wurde und ist entscheidend, daß sich in der DDR der dialektische und historische Materialismus mit seiner Auffassung der Philosophie durchgesetzt und sich drei Jahrzehnte lang entwickelt hat, so daß alle Voraussetzungen gegeben sind, den 10

Prozeß des Beginns des Philosophierens immer richtiger zu erkennen. Oldenberg konnte Uddälaka mit Thaies „von fern vergleichen" 32 , ohne auf Einzelheiten einzugehen. Heute gilt es, vom Klassenstandpunkt des Kommunisten die Gesetzmäßigkeiten dieses Schrittes im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben im Rahmen der allseitigen vergleichenden Geschichte der Menschheit immer besser zu verstehen. Oldenberg schrieb als bürgerlicher Demokrat; wir schreiben als sozialistische Internationalisten und Freunde der fortschrittlichen Inder. Unsere Ansicht ist insbesondere neben die Debiprasad Chattopadhyayas, N. P. Anikeevs, D. Riepes und A. K. Warders (1971) zu stellen.

2. Chronologie der altindischen Texte, in denen Philosophie begann Die für den Beginn der Philosophie in Indien in Frage kommende Zeit von etwa 1000 bis 600 oder 530 v.u.Z. läßt sich schätzungsweise so aufteilen: Die nach Indien zunächst in das Panjab einwandernden Indoärya hatten auf der Stufe der militärischen Demokratie das Nomadisieren ihrer Stämme dort fortgesetzt. Aber ihre Stämme zerfielen, und ab 900 etwa drangen nicht mehr Stämme, sondern Könige mit ihren Gefolgschaften und Herden weiter nach Osten in das Gangesgebiet vor. Dort setzten sie das Wandern zunächst noch fort und wurden erst langsam seßhaft, und zwar als neue, sich aus den Aryas und den dortigen gentilen Voräryas bildende Völkerschaften. Ihre Heerführer wurden dabei zu Despoten regionaler Staaten mit einem zunächst wenig ausgebildeten Machtapparat. Erst ab 600 etwa kann man von Städten in dieser Gangesgesellschaft sprechen; sie war eine indische Form der altorientalischen Klassengesellschaft mit der traditionellen „asiatischen" Produktionsweise. Was nun die Chronologie der sich zur Philosophie hin entwickelnden Texte angeht, so kann man diese Jahrhunderte in folgender Weise aufteilen: Als untere, einigermaßen gesicherte Grenze ist die Zeit Buddhas anzusetzen. Er erlebte seinen Höhepunkt mit der Gründung seiner Religion, Theologie und Philosophie ab etwa 530, da er vermutlich von 560 bis 480 gelebt hat. Die 470 Jahre von 1000 bis 530 sind so aufzugliedern, daß man den Rgveda von etwa 1200 bis 1000 datiert und danach, dem Umfang der Texte entsprechend, dem Atharvaveda die ersten 100 Jahre (1000-900), den Brähmanas 33 250 (bis 650) und den fünf alten Upanisads 120 Jahre (650-530) zugesteht. Die Periode der Brähmanas wäre die des Nomadisierens der Aryas im Gangesgebiet und die der Upanisads die ihrer dortigen Seßhaftwerdung mit Städtegründungen ab etwa 600. Aber es ist anzunehmen, daß einzelne Stücke der genannten Textarten älter oder jünger als deren Masse sind. Der Hylozoist Uddälaka ist dann mit seiner Blüte in die Mitte der Upanisadperiode, also um etwa 600, d.h. ungefähr in die Zeit des Thaies, zu setzen. Sein Text steht in der ChU als deren VI. Buch. Nimmt man an, daß im großen und ganzen diese ChU durch Anfügen immer neuer, d.h. jüngerer Texte gewachsen ist, so sind die Bücher I - V älter, VII und VIII aber jünger als Uddälaka. Inhaltlich paßt diese Auffassung der Textgeschichte. 34 Yäjnavalkyas Text steht in der BU als deren III.-IV. Buch; diese Upanisad ist aber anscheinend nicht so gewachsen.35 Yäjnavalkya war ein etwas jüngerer Zeitgenosse Uddälakas. Die anderen drei alten Upanisads, die AU, TU und KU, sind weit kürzere Texte und scheinen inhaltlich jünger als die beiden ersten Philoll

sophen zu sein. Diese drei kleinen Upanisads gehören zum RV, die ChU zum Säma-, und die BU zum Yajurveda. Was die Entwicklung des Inhalts dieser Texte angeht, so bezeugt bereits der Rgveda aufklärerisches Zweifeln 36 einzelner Priester-Dichter an überkommenen Göttern und Mythen. Feueropferpriester grübelten damals schon in theologisch abstrahierender Weise darüber, daß ihr Feuer nur eines sei, nämlich der eine Gott Agni, den einige Priester freilich fälschlich mit den Namen anderer Götter benannt hätten; es gäbe nur eine Sonne und eine Morgenröte und so auch nur ein Feuer. 37 Hier ist in den religiösen Text der zerfallenden Urgesellschaft bereits theologisches Denken eingedrungen. In analoger Weise grübelten - vielleicht damals schon - vorarische Theologen und abstrahierten einen Klangott aus denen der vielen Klans.

3. Die Entwicklung der indischen Gesellschaft vor dem Beginn der Philosophie Schon der sich aus dem Tier langsam entwickelnde Mensch brauchte, um sich ernähren, fortpflanzen, behausen, bekleiden und schmücken, um sich Feuer und Werkzeuge, Geräte und Idole aus Holz, Stein und Ton machen zu können, ein Minimum an Wissen. Da er die Natur gerade erst zu beherrschen anfing, brauchte er neben Wissen magischmythologischen, auf seinem Nichtwissen beruhenden Glauben, um sich seiner ständigen allseitigen Ängste zu erwehren. Er konnte aber auch nicht anders, als den Alten, diesen angeblich Wissenden, zu glauben, ihr Wissen und Glauben fortzusetzen, ohne an den Traditionen seiner Gruppe, seines Stammes zu zweifeln, ohne Neues zu wollen, ohne daß Wissen und Glauben in einen ihm auffallenden Konflikt gekommen wären. Deswegen ging die Entwicklung des Denkens in der Urgesellschaft lange Zeit kontinuierlich, d. h. ohne Bruch und ungemein langsam, vor sich. Einen langsam ablaufenden revolutionären Sprung machte die Urgesellschaft erst im Neolithikum mit der agrarischen Revolution, 38 die auf neuem Wissen, auf Beherrschen des Pflanzenanbaus und der Tierzucht beruhte und dieses Wissen sich ständig, wenn auch langsam, erweitern und vertiefen ließ. Seit damals entwickelte sich die „asiatische" Produktionsweise u.a. in Indien, die vor allem auf Kenntnis des Bewässerungsanbaus von Reis beruhte. 39 In den langen Jahrtausenden dieser vorarischen Urgesellschaft lebte in Indien andererseits der Glaube an Magie-Mythologie, an Seelen, Geister und Götter, ja an über Nacht auftauchende, also wohl lebende Steine (Kult-phalli),40 ohne daß man zu einer Gegenüberstellung von Materiellem und Ideellem oder zu einer hylozoistischen Philosophie gekommen wäre; der Kampf zwischen Wissen und Glauben hatte ja noch nicht begonnen. Glaube und Wissen wurden, ohne sie zu unterscheiden, in Rätseln, Sprüchen, Mythen und Märchen gelehrt, und es gab Rätselwettkämpfe, in denen es um den Nachweis des Mehrwissens, nicht der Richtigkeit des Wissens einer der streitenden Parteien ging, eben weil Wissen noch nicht gegen Glauben auftrat. Es begannen schon gewisse medizinische, astronomische, biologische, physikalische und sonstige Kenntnisse. Aber es gab keinen Zweifel und damit keinen Kampf von Wissen gegen Glauben. Man dachte in unkontrollierten Assoziationen, Einfällen, man vererbte geerbtes Wissen und Glauben weiter. 41 Man ordnete gewisse Begriffe in Reihen, z.B. der Himmelsrichtungen, Farben, Tageszeiten, Klans usw., und legte damit im vorderen Orient die Grundlage für die sogenannte ord12

nende Wissenschaft der altorientalischen Klassengesellschaft, 42 die vermutlich auch in der Indusgesellschaft üblich war. 43 Solch Wissen wurde in dieser ersten Klassengesellschaft in Tempelschulen von Priestern als Teil des Glaubens gelehrt; so kam es auch damals noch zu keinem Kampf von Wissen gegen Glauben, geschweige zu Philosophie. Dazu waren diese Art Wissenschaft und diese Religion noch nicht entwickelt genug; diese Wissenschaft kannte u.a. noch keine Naturgesetze, sondern nur Begriffsreihen, und diese Religion trat noch nicht gegen das irdische Leben als Leiden auf, schloß das sehr unzureichende Wissen noch nicht in dieses Leiden ein. Die Macht des Despoten zusammen mit der der Priester machte trotz gewisser Klassenkämpfe und ideologischer Kämpfe einen Kampf des Wissens gegen den/das Glauben noch nicht möglich oder notwendig. Die herrschende Klasse des Kriegeradels und der Priester dachte nicht daran, Wissen von Glauben zu unterscheiden, und die Ausgebeuteten konnten wegen ihrer Unbildung nicht dagegen auftreten, mochten sie auch gegen den Despoten und dessen Kriegspolitik gelegentlich murren. Ihre Produktion trieb sie zu keiner Gegenüberstellung von Wissen und Glauben. Mit den Kämpfen der Despoten verschiedener Staaten gegeneinander kam es zu Glauben an Kämpfe der Götter solcher Staaten gegeneinander, und darauf fußte wohl die Kritik, die z.B. Enkidu im Gilgamesch-Epos gegen Ishtar richtet. Wenn eine Hetäre den Gilgamesch mit hedonistischen Gedanken vom Suchen nach der Insel der Seligen abzuhalten sucht, 44 so fußte solch Hedonismus weder auf Wissen, noch war er atheistisch gemeint, geschweige materialistisch. Er gehörte wohl nur zur Idologie kleiner Kreise der wohlhabenden Kaufleute, die als solche nicht glauben konnten, nach dem Tode auf solche Insel Auserwählter zu gelangen. Ihnen verhießen die Priester die Unterwelt, die ein Held wie Gilgamesch so mißachtete, daß er die Insel der Seligen suchte. Analoge Kämpfe der Gläubigen mag es auch in der Indusgesellschaft gegeben haben. Erst mit den Aryas begann Philosophie in Indien, etwa sechs Jahrhunderte nach ihrer Einwanderung, noch nicht, solange sie ihr Nomadisieren im Panjab und Gangesgebiet fortsetzten (1200-600 v.u.Z.), sondern erst, als sie dort allmählich seßhaft geworden waren.

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I. Möglichst abstrakte Darlegung der Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins zu seiner philosophischen Torrn

Es gilt zunächst, den Sinn der im folgenden verwendeten Begriffe, der Vorbedingungen der Philosophie und das Schema der Abfolge dieser Vorbedingungen als eine „logische" Entwicklung des Denkens zur Philosophie hin klarzustellen. Unter Philosophie wird im Sinne des Marxismus-Leninismus die theoretisch begrün^ dete Gesamtauffassung des Weltganzen und der Stellung des Menschen in ihm im Unterschied zu Glaube und Mythus verstanden. Sie behandelt die allgemeinen Bewegungsund Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des Menschen und geht in ihren beiden Grundrichtungen, der materialistischen und der idealistischen, vom Primat der Materie oder des Bewußtseins aus. Eine solche Auffassung der Philosophie konnte es vor Marx und Engels nicht geben, also auch nicht im alten Indien oder in der bürgerlichen Indienforschung und Geschichte der indischen Philosophie. Aber es gab im alten Indien Philosophie in diesem Sinne in diesen beiden Grundrichtungen seit dem Hylozoismus des Uddälaka und dem Idealismus des Yäjnavalkya etwa um 650 v. u. Z. Freilich traten die beiden Grundrichtungen der Philosophie mit ihrem Widerspruch mehrere Jahrhunderte lang nicht deutlich, bewußt und kämpferisch gegeneinander, es kam zu vielen Kompromissen, und die Zusammengehörigkeit von Materialismus mit Wissen und die von Idealismus mit Glauben wurde nicht durchschaut. Aber wir können als Historiker nicht anders, als die heutigen Begriffe unserer dialektisch-materialistischen Weltanschauung auf die Philosophie und Philosophiegeschichte des alten Indien anzuwenden und den Kampf der beiden Grundrichtungen der Philosophie im alten Indien wie in den anderen Gesellschaften der Menschheitsgeschichte in den umfassenderen Kampf von Wissen gegen Glauben so wissenschaftlich wie möglich einzugliedern. Damit die altindische Philosophie beginnen konnte, mußten einige unabdingbare Vorbedingungen erfüllt sein. Vor dem Beginn der Philosophie ist demnach der Beginn des Wissens, des Glaubens und des Kampfes dieser beiden Formen des gesellschaftlichen Bewußtseins, der wissenschaftlichen und religiösen Form, zunächst in möglichst hoher Abstraktion, dann immer konkreter in der allseitig betrachteten altindischen Geschichte zu behandeln. Um es auf die Formel eines Entwicklungsschemas zu bringen: Der beginnende Materialismus setzte Wissen in der Form von Wissenschaft und diese setzte Aufklärung 4 5 voraus. Gleichzeitig setzte Idealismus die religiöse Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, Glauben in der klassengesellschaftlichen Form der Erlösungsreligion mit deren Opiumcharakter voraus. Zu dieser gehörten einerseits romantisches Zurückblicken auf eine glückliche, aber verlorene (urgesellschaftliche) Vergangenheit und andererseits utopisches Vorausblicken auf eine glückliche Zukunft auf Erden bzw. deren Verheißung eines seligen Weltalters und/oder die Verkündung des Ziels absoluter Befreiung der Gläubigen von allen Leiden des Diesseits im Jenseits. Der Weg zu Materialismus setzte 14

eine lebensbejahende moralische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins voraus, der Weg zu Idealismus eine lebensverneinende. Der Idealismus war eine Stütze des Despotismus und setzte damit eine konservative politische Haltung voraus. Es waren Despoten wie Asvapati, Janaka, Pravähana, Ajätasatru und Pratardana, die in Brähmanas und Upanisads die Erlösungsreligion des Hinduismus propagierten und dazu den Glauben an die Wiedergeburt von den Voräryas aufgriffen, um diese, die Volksmassen, für sich zu gewinnen. Man kann hier geradezu von einer Kulturpolitik 46 der Despoten als einer Vorbedingung des Idealismus reden. Zum Materialismus aber gehört in der französischen Aufklärung und im dialektischen und historischen Materialismus die entgegengesetzte, die revolutionäre politische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, aber anscheinend nicht zum Materialismus im alten Indien (oder Griechenland). Für die juristische und ästhetische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins läßt sich noch kein entsprechender Gegensatz, der zu den beiden beginnenden philosophischen Grundrichtungen im alten Indien geführt hat, belegen. Zum wissenschaftlichen Denken der Klassengesellschaft gehörte von Anfang an als Erbe der urgesellschaftlichen mythologischen Kosmo- und Anthropogonien und zahlloser Ätiologien ein mehr oder weniger dialektisches Denken mit dem Wissen oder Ahnen des ewigen Werdens in Natur und Gesellschaft. Oder soll man dieses als eine besondere Vorbedingung des Philosophierens aufzählen ? Eine weitere Vorbedingung war die Herausbildung denkerischer Persönlichkeiten, die für ihr Denken gegen andere einzutreten bereit waren. Sie wuchsen mit der Teilung der Kopf- und Handarbeit im beginnenden Klassenkampf, der wenigen Denkern die Muße für ihr Denken ermöglichte. Auch dies war eine Vorbedingung des Philosophierens. Eine andere war die Ausbildung der Sprache; man brauchte neue Fachausdrücke und auch auf dem Gebiet der Syntax etwas Neues: Begründungssätze zum Beweisen der eigenen und zum Ablehnen der gegnerischen Gedanken in den Diskussionen, in denen es um das Besserwissen, nicht wie vorher bloß um das Mehrwissen ging. Im alten Indien gehörte zu den Vorbedingungen des Philosophierens (im Gegensatz zu Griechenland) aber nicht die Schrift und deren Verwendung für literarische Texte. In Griechenland schrieben die ersten Philosophen Bücher, die dann bis auf wenige Fragmente, Zitate bei späteren Autoren, verlorengingen, weil diese Philosophien veralteten. Die Brahmanen der alten Inder dagegen überlieferten ihre Upanisads und damit die Texte ihrer ersten Philosophen nur mündlich durch Auswendiglernen und Kommentieren in ihren brahmanischen Theologenschulen, da die Schrift erst vom 2. Jh. u.Z. an für Literatur verwendet wurde. Nur wissen wir noch nicht, wie getreu die Brahmanen ihre alten Upanisads bis dahin erhielten. Die ersten Philosophen Indiens setzten weiter bereits eine gewisse Höhe der individuellen Dichtung (neben der Volksdichtung der Epen usw.) voraus, sonst wäre ihnen die Darstellung ihrer Dialoge und so manche lyrische Schilderung nicht gelungen. 47 • Von den anderen Künsten können wir noch nicht als Vorbedingungen der Philosophie reden, aber es ist im Grunde selbstverständlich, daß alle, auch die künstlerische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins eine gewisse Höhe erreicht haben mußte, als dessen philosophische Form begann. Vorbedingungen des Beginns der indischen und griechischen Philosophie waren schließlich die beiden Räume, Zeiten und Völker. Kurz, man muß von der sich allseitig entwickelnden Menschheitsgeschichte und dem Platz der alten Inder und Griechen in 15

ihr ausgehen, will man verstehen, warum gerade bei ihnen ungefähr gleichzeitig Philosophie begann. Die einzelnen Schritte dieser Entwicklung, die dank der ständigen allseitigen Widersprüche beider Linien, der zu Materialismus und Idealismus, ablief, lassen sich als solche und in ihrer genauen Abfolge noch nicht genau nachzeichnen. Dieses Schema der Vorbedingungen ergibt sich aus solchen methodologischen Erwägungen, die sich durch die Behandlung des Beginns des dialektischen und historischen Materialismus von Engels und Lenin stützen lassen; diese Methodologie ist aber zugleich aus ständig verbesserten Untersuchungen der betreffenden Texte und der altindischen Geschichte überhaupt zu gewinnen. Es handelt sich im Grunde um die vergleichende Analyse einer sehr frühen Revolution, die sich auf Lenins Analyse der bürgerlichen Revolution in Frankreich, den USA, Deutschland und Rußland zwischen 1789 und 1848 stützen kann. 48 Was die Entwicklung der Disziplinen der Philosophie angeht, so ist als Ausgangspunkt der Entwicklung der Philosophie, d.h. des Hylozoismus, aber auch des Idealismus des alten Indien neben oder im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben die Ethik geeignet, denn Materialismus und Idealismus gingen u. a. von dem Gegensatz moralischer Standpunkte der Bejahung und Verneinung des Lebens aus, der zum Kampf Wissen contra Glauben dazugehörte. Beide fundierten dann ihre Ethiken mit Naturphilosophien und diese mit Erkenntnistheorien. Die lebensfrohe Ethik des ersten indischen Hylozoisten war seine Antwort auf die etwas ältere Theologie oder religiös bestimmte Lebensphilosophie, die den asketischen Lebensweg im Greisenalter als Weg zur Erlösung pries. Dieser wurde dem Uddälaka vorgetragen, und zwar von dem König Pravähana, aber von Uddälaka nicht angenommen, sondern nur schweigend angehört. 49 Der erste Idealist, Yäjnavalkya, Uddälakas etwas jüngerer Zeitgenosse, aber formulierte als erster Inder das Erlösungsziel der Religion als das Anliegen seines Idealismus pathetisch und tiefsinnig; in dieser Form blieb es für den Hinduismus bis heute gültig. Er stellte seinen Idealismus als das höhere (vedäntische) „Wissen" (er erkannte den Gegensatz Glauben-Wissen noch nicht) gegen das niedere „Wissen" der älteren, vedischen Theologen. Den grundlegenden und bewußten Gegensatz asketischer und lebensfroher Moral und Religion, der „Religion des Mönchs und der Bajadere", 5 0 hatte es schon in der Indusgesellschaft gegeben, aber erst der Idealismus Yäjnavalkyas stellte in seiner hinduistischen (vedäntischen) Ethik dem Leiden des Diesseits die Wonne des brahman gegenüber. Uddälaka schwieg auch zu Pravähanas hinduistisch-theologischer Lehre der Wiedergeburt : Er glaubte als materialistischer Philosoph an keine geistige Seele im materiellen Leib, sondern ließ das Denken aus dem genossenen Essen entstehen, lehrte damit in seiner Naturphilosophie den Primat des Materiellen. Dagegen übernahm Yäjnavalkya von König Janaka die im Grunde urgesellschaftliche vorarische Wiedergeburtslehre und bildete sie als Theologe zur klassengesellschaftlichen hinduistischen weiter. Die idealistische Lehre vom Primat des Geistigen verwendete er vor allem bei seiner Kosmologie und Kosmogonie, die beide, mythologisch-theologisch gesehen, pantheistisch waren. Sowohl dieser Hylozoismus wie dieser Pantheismus-Idealismus stammen aber aus urgesellschaftlichem magisch-mythologischem Animismus und haben noch Elemente von diesem in ihren Philosophien. Die uns allein erhaltenen theologischen Grübler der vedischen Magie-Mythologie hatten vor Uddälaka viele Formen der Kosmologie und Kosmogonie gelehrt; sie hatten dabei unter Verwendung vorwissenschaftlieher Gedanken den Menschen als physio16

logischen Mikrokosmos verstanden und dem Makrokosmos der Natur gegenübergestellt, den Leib der Seele und dem Denken, das Diesseits dem Jenseits, und sie hatten diese beiden Welten im Raum lokalisiert und damit zusammen mit vorwissenschaftlichen Grüblern den ersten Philosophen zu deren naturphilosophischen Themen verholten. Sie hatten über das Verhältnis von Mensch, Denken und Reden, über Zahlen, über Gestalten und Namen der geschaffenen Dinge, über Wahres und Unwahres und über den Wert von Sehen und Hören 5 1 in ihrer uns nur schwer verständlichen theologischen, vorwissenschaftlichen und vorphilosophischen Weise debattiert und damit zum Beginn der Erkenntnistheorie beigetragen. Aber eine Unterscheidung dieser drei Disziplinen versuchten die ersten Philosophen noch nicht.

2 Abhandlungen l/G/79

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II. Die historische Entwicklung des alten Indien zwischen 900 und 600 v.u. Z., konkreter gesehen

1. Grundsätzliche Erwägungen über die historische Entwicklung Es handelt sich zunächst um die altindische Geschichte von etwa 900 bis 600 v.u.Z., und zwar um 1) die Geschichte des Staates bzw. der Staaten der sich herausbildenden Gangesgesellschaft, die erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts endete, die politische Geschichte, 2) die Entwicklung der Basis als sozialökonomische Geschichte und 3) die Geschichte der Kultur, zu der die Philosophie gehört. Diese drei Arten der Geschichte zusammen sind die allseitige Geschichte, deren Zweige sich in ständiger Wechselwirkung entwickeln. Lenin 52 hat 1923 diese drei Arten oder Bestandteile der Geschichte in dieser Reihenfolge zusammengestellt, um die revolutionäre Umwälzung am Beginn unserer Epoche darzulegen. Er hat dabei mit dem Primat der Politik nicht etwa gegen F. Engels' Ablehnung der „Gewalttheorie" des Herrn Eugen Diihring (1878) verstoßen. Auch Engels 53 leugnete die Bedeutung der Gewalt bei der Entstehung des Staates nicht, betonte aber, „daß die Gewalt nur das Mittel, der ökonomische Vorteil dagegen der Zweck ist". „Die Unterjochung des Menschen zum Knechtsdienst, in allen ihren Formen, setzt beim Unterjocher die Verfügung voraus über die Arbeitsmittel, vermittels deren er den Geknechteten verwenden ... kann." Es ist nun einmal eine Tatsache, daß sowohl der Übergang zur Gangesgesellschaft wie der zur Antike und der zum Feudalismus von indoeuropäischen Eroberern ausgelöst wurde, die die Stufe der militärischen Demokratie erreicht hatten. Sie waren offenbar die notwendigen Katalysatoren des jeweils Neuen, denn die Unterworfenen, die urgesellschaftlichen Voräryas, die urgesellschaftlichen und altorientalischen Bewohner Griechenlands und die Römer ihrer Verfallszeit waren offenbar von sich aus nicht in der Lage, in revolutionärer Umwälzung von Basis und Überbau die neue Gesellschaft zu schaffen. Nur die gewaltsame Eroberung zusammen mit der Steigerung der Produktivität der Arbeit der unterworfenen Voräryas Indiens, der importierten antiken Sklaven und der aus der Verschmelzung des antiken colonus mit dem freien fränkischen Bauern hervorgegangenen Hörigen führte zu den Übergängen zu diesen drei neuen Gesellschaften. Im Gangesgebiet gab es damals - vermutlich im Gegensatz zum Indusgebiet vor den Aryas - noch keine Staaten der Voräryas wie beim Beginn des Feudalismus keine der mitteleuropäischen Kelten, Germanen und Slawen; aber es gab sie in Gallien, Italien usw. in der Form römischer Provinzen. Zur politischen Entwicklung gehört in diesen drei Räumen und Zeiten der Beginn der altindischen, griechischen und feudalen Philosophie.

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2. Zur politischen Geschichte Von der politischen Geschichte der sich bildenden Staaten des Ganges- und Indusgebietes zwischen dem Panjab und der Westgrenze Bengalens in diesen Jahrhunderten von 900 bis 600 v.u.Z. und von deren friedlichen und kriegerischen Beziehungen wissen wir noch sehr wenig. Ähnlich steht es um unsere Kenntnis des staatlichen Machtapparats und seiner damaligen Entwicklung. Wir können nur u. a. die Titel der Typen der „Männer" oder „Juwelen" des Despoten zusammenstellen, die den Staatsapparat leiteten. 54 Dieser Staat fußte auf seinen vier Ständen (Brahmanen, Ksatriyas, Vaisyas, Südras) und hatte die Form des Despotismus. 55 Die rgvedische Königswahl durch den Stamm bzw. das Volk entfiel bis auf mythologische Reste etwa im Anfang des Räma-Epos, ebenso die Volks- und Heeresversammlung. 56 Die Dorfgemeinde wurde zur festen Grundlage des Despotismus und blieb die Basis der „asiatischen" Produktionsweise der Gangesgesellschaft bis zum Einbrechen des kolonialen Kapitalismus. 57 Die einwandernden Ärya verhalfen der Dorfgemeinde zu dieser Funktion. Es ist auch noch nicht sicher, ob es damals schon neben den Despotien die sogenannten Aristokratien gab und ob der Gegensatz dieser beiden Staatsformen für den Beginn der Philosophie von Bedeutung war; er war dies sicher für den Beginn des Buddhismus und Jinismus um 550 v.u.Z., und ein buddhistischer Text bezeugt, daß der letzte König der Videhas, also ein Nachfolger des Janaka, des Gönners des Yäjnavalkya, zu Buddhas Zeit gestorben ist, so daß Videha damals erst eine Aristokratie wurde. 58 Ob der Gegensatz dieser beiden Staatsformen zur Aufklärung, zum Beginn der damaligen Staatslehre und Philosophie beigetragen hat ? 59 In den Texten der beiden ersten Philosophen spielen vor allem drei Despoten eine Rolle, Pravähana, der der Pancälas, und Asvapati, der der Kekayas, diskutierten mit Uddälaka, Janaka aber, der der Videhas, mit Yäjnavalkya. Asvapati ist im Rämäyana der Vater der Kaikeyl, die Räma in den Wald verbannen ließ, und Janaka ist dort Rämas Schwiegervater. 60 In diesem Epos treten sie aber nicht als theologisch oder sonstwie gelehrte Denker und Disputanten auf. Diese und andere Despoten der Brähmanas und Upanisads mit den in den Epen und Puranen genannten zu vergleichen ist noch nicht recht gelungen, 61 obgleich diese beiden Arten der Volksliteratur bereits von Aruna, dem Vater Uddälakas, gleichberechtigt neben die Veden gestellt werden (ChU III, 4; B 164)62 und die puranische Tradition vermutlich ebenso alt ist wie die vedische und in den Hinduismus einmündete. Der Gegensatz dieser beiden Traditionen und Religionen war für den Beginn der Philosophie wichtig. Ob diese Despoten historische Persönlichkeiten waren und dieser Zeit angehörten, ist freilich nicht sicher. Die damaligen Despoten hatten schon das Ideal des Weltherrschers vor Augen, das typisch altorientalisch; sumerisch, chinesisch usw. ist. Die Theologen der Brähmanas lehrten einen sehr aufwendigen Ritus für den- erfolgreichen Welteroberer. 63 Dabei bedeutet „Welt" nur das Gebiet der nordindischen Ebene, das der frühen Gangesgesellschaft, nicht, wie später, das des ganzen südasiatischen Subkontinents. Der Weltherrscher war ein Oberherr einer Staatengemeinschaft, als solcher von den sich ihm ergebenden Despoten der umliegenden Staaten anerkannt, nach einer Norm, die man als altes indisches Völkerrecht bezeichnen kann. Es handelte' sich nicht etwa um einen zentralisierten GroßStaat. Von den Nandas und Mauryas des 4.-3. Jahrhunderts v.u.Z. bis zu den Moguls1 des 17. J h . können wir soloh eine „Weltherrschaft" hier und da beobachten. Vielleicht war schon die Indusgesellschaft zeitweilig solch ein Staatenbund. 2*

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Immerhin hatten Yäjnavalkya sowohl wie Uddälaka vage geographische Vorstellungen eines solchen nordindischen Riesengebietes, seiner Flüsse und des westlichen und östlichen Ozeans, der in Wirklichkeit einer ist. Aber sie ordneten dieses indische Gebiet nicht wie die späteren Kosmographen der Puranen in eine Erdscheibe als deren südlichen Teil mit dem Weltberg Meru (im Transhimalaya) als deren Mittelpunkt ein. Die Eroberungen der Arya hatten noch keinen so weiten geographischen Überblick ermöglicht.

3. Zur Geschichte der Basis

3.1. Voräryas und Aryas Das Gangesgebiet war nach paläolithischen von mikrolithischen Jäger-Sammlern bewohnt gewesen und nach der agrarischen Revolution von Osten her von urgesellschaftlichen neolithischen Mundastämmen mit Reisanbau, zunächst in Rodungs-, dann in Bewässerungsanbau, und von Westen her von Dravidastämmen besiedelt worden, die sich den Mundas anglichen. Im 2. Jahrtausend v. u. Z. gelangten dorthin Elemente der Indusgesellschaft, die vermutlich eine Form der altorientalischen Klassengesellschaft war, die man auch als erste Klassengesellschaft, patriarchalische Sklavenhaltergesellschaft oder patriarchalische Ausbeutergesellschaft64 bezeichnet hat. Mundas und Dravidas lebten dort um 900 v.u.Z. in verschiedenen Formen der Urgesellschaft von JägerSammlern bis zur militärischen Demokratie nebeneinander, zum Teil schon in Frühformen der typisch indischen autarken und in den unendlichen Wäldern isolierten Dorfgemeinde.65 Vor Beginn des letzten Jahrtausends v.u.Z. drangen Aryas mit ihrer zerfallenden Urgemeinde aus Innerasien nomadisierend in das Gebiet der zerfallenden oder schon zerfallenen Indusgesellschaft ein. Von etwa 900 an stießen einige von ihnen, immer noch nomadisierend, weiter nach Osten in das Gangesgebiet vor, aber meist nicht mehr als Stämme, denn diese waren bereits zerfallen, sondern als Gefolgschaften (Trecks) von Heerführer-Königen mit Gruppen von sich herausbildendem Kriegeradel (Ksatriyas), Priesteradel (Brahmanen) und Hirten mit ein wenig Gersteanbau und Handwerk (Vaisyas). Sie unterwarfen die dortigen vorarischen zerfallenden Stämme zu Südras und bildeten mit denen vereint Völkerschaften, wie die Videhas, Kurus, Kosalas usw., mit solchen vier Ständen. Sie legten anscheinend keine eigenen Rodungen an, da sich ihr Gersteanbau hier nicht bewährte; sie ließen vielmehr die vorarischen Reisbauern, von deren Bewässerungsanbau sie nichts verstanden, weiter in deren Dorfgemeinden produzieren und beuteten diese mit einer Naturalabgabe als Grundsteuer staatlich aus.66 So wurden die Völkerschaften zu Staaten unter Despoten der jetzt erst allmählich endgültig seßhaft werdenden Aryas. In den Brähmanas ist noch vom Wandern die Rede, in den Upanisads nicht mehr, aber Städte begannen erst um 600. So begannen Despotismus und Ständewesen. Pravähana und Yäjnavalkya nannten als verachtetste Menschen noch unter den Südras die Candälas67, die man später als „Unberührbare" bezeichnete. Diese kamen als vermutlich sehr primitive Voräryas in Gruppen aus den Wäldern und siedelten sich am Rande der fortlebenden Dorfgemeinden für die niedrigsten Dienstleistungen an. 20

3.2. Die Volksmassen Die Südras bildeten das Gros der damaligen Volksmassen, zusammen mit den Candälas. Die Rolle der Südras läßt sich für die damalige Gesellschaft schon etwas beschreiben: Sie waren in vieler Hinsicht grundlegend, letztlich auch für den Beginn der Philosophie. Sie waren die Erzeuger der materiellen Güter, ohne die auch die ideelle Produktion, die Kopfarbeit, und die Muße u.a. der ersten Philosophen, nicht möglich geworden wären. Diese Volksmassen wollten zwar ganz sicher keinen revolutionären Übergang zur ersten, altorientalischen Klassengesellschaft, aber sie legten dafür die wesentlichen materiellen und ideellen Grundlagen, natürlich unbewußt, aber doch objektiv revolutionär. Sie brachten die typische indische, durch Jahrtausende kontinuierliche Dorfgemeinde als kulturelles Erbe in die „asiatische" Produktionsweise der neuen Klassengesellschaft ein; sie machten ihre Dorfgemeinde zur festen Grundlage des Despotismus und des Aberglaubens 68 der Gangesgesellschaft. Sie steigerten gleichzeitig dank dem Aufkommen von erst Kupfer-Bronze, dann Eisen ihre Arbeitsproduktivität, aber auch durch Übernahme des Anbaus von Weizen und Baumwolle der Indusgesellschaft und von Gerste der Aryas und schließlich auch von neuer Keramik. Sie wollten wie alle Menschen besser leben, aber sie erreichten vor allem die Erzeugung eines ständigen Mehrprodukts, regten damit die Ausbeutung an, ermöglichten so den Übergang zur neuen Gesellschaftsformation der Klassengesellschaft, den die Eroberung der Aryas auslöste, und gelangten damit zu einer wesentlichen ökonomischen, sozialen und politischen Verschlechterung ihrer Lage, zu einem helotenartigen Elend. Dieser Widerspruch wirkte sich in der damaligen revolutionären Lage u.a. dahin aus, daß sie aus dem Machtbereich ihres Despoten in neue Rodungen in den unendlichen Wäldern auswichen und zugleich unbewußt einen im wesentlichen moralischen Druck von unten auf die Ausbeuter ausübten. Beides trieb die arischen Ausbeuter zur Errichtung des Staates mit seinem Machtapparat und seiner Ideologie, u.a. zur Erlösungsreligion als dem Opium des Volkes, zum Hinduismus, der den ideellen Charakter der Gangesgesellschaft wesentlich bestimmte. Der Glaube an Seelen Wanderung und Erlösung und die weltentsagende Morallehre des Hinduismus hingen direkt mit dem Beginn des Idealismus in der Person des Yäjnavalkya zusammen. Dorfgemeinde und Erlösungsreligion bestimmten die Geschichte Indiens bis heute oder gestern. Die Dorfgemeinde erhielt bis in unser Jahrhundert gewisse gentile Bindungen lebendig, den Glauben an gemeinsame Ahnen der Bauern, bzw. der Dorfhandwerker, und an Tabus der Eheschließung und gemeinsamen Essens; aber diese wurden von damals an in der Klassengesellschaft zu wesentlichen Elementen der zahllosen lokalen Kasten der kleinen Bauern und Dorfhandwerker, dieser typisch indischen gesellschaftlichen Institution innerhalb der gesamtindischen Vierständeordnung. Trotz des Elends der Ausbeutung erhielt sich die Dorfgemeinde ihre alten Feste im Zyklus der Jahreszeiten und des Einzellebens mit der dazugehörenden Lebensfreude, die sich in Dichtung, Tanz und Musik ausdrückte. Und der Druck von unten erreichte, daß die Ausbeuter an diese Dinge nicht rührten, sie vielmehr in den Hinduismus übernahmen. Damit wurden die Volksmassen damals, kurz vor dem Beginn der Stadt, Träger des Hinduismus, den sie trotz seinem neuen Ziel der Erlösung nicht als etwas Fremdes empfanden. Sie zwangen durch ihren Druck von unten die Ideologen der Ausbeuter zur Schaffung der hinduistischen Erlösungsreligion als des Opiums des Volkes, und die Volksmassen schlucken dieses bis heute. Sie und die Despoten zwangen die Brahmanen zur 21

Errichtung des Glaubensgebäudes der Theologie und damit zur Aufstellung des neuen -hinduistischen Rechts-cum-Moral (dharma) und zu einer Ätiologie des dharma, zu dessen Utopien der Stände- (bzw. Klassen-)harmonie und des sich moralisch an das Recht bindenden Despoten. Sie trieben Theologen-Idealisten zur demagogischen Utopie des Glaubens an religiöse Befreiung vom irdischen Jammertal, in der alle Standesunterschiede aufhören. Der leidenden Volksmassen wegen lehren hinduistische Theologen in jenen Puranen von damals bis heute die mythologische Utopie eines kommenden seligen Zeitalters und die Romantik eines vergangenen glücklichen Weltalters hier auf Erden als eine theologische hinduistische Weltgeschichte. Letztlich regte das Elend der Massen für wenige Denker den Beginn des Idealismus als eine Stütze und Folge der im ganzen Volk herrschenden Erlösungsreligion an. Aber ob, wie und wieweit diese Bauern-Hirten-Handwerker auch am Beginn von Aufklärung, Wissenschaft und Materialismus beteiligt waren oder ob dies nicht vielmehr nur eine Leistung der neuen Intelligenz in Fortführung gewisser richtiger lebensnotwendiger Erfahrungen, wie medizinischer, schon der Urgesellschaft und deren Magier war, ist schwer zu klären. Sicher lag ihre aus der Urgesellschaft weiterlebende Lebensfreude letztlich der des Hylozoisten Uddälaka zugrunde. Sicher ist weiter, daß dieser seinen Materialismus mit den Analogien der Ton, Kupfer und Eisen bearbeitenden Dorfhandwerker zu beweisen suchte, während er keinen Gott als handwerklichen Schöpfer neben der Urmaterie annahm. Es ist unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich, daß die Volksmassen oder auch nur wenige von ihnen Natur- oder Gesellschaftswissenschaften selbst auf deren damaligem niedrigem Entwicklungsstand gekannt, geschweige beherrscht und als Wissen im Gegensatz zum Glauben geschätzt hätten. In Brähmanas und Upanisads diskutieren und lehren nur Brahmanen und einige wenige Despoten. Wenn der weise Atemwindmagier Räikva den an seiner Lehre interessierten Janasruti einen Südra nennt 69 , so interpretieren die Kommentatoren dies mit Recht als bloßes Schimpfwort, nicht als Standesbezeichnung dieses reichen, wohltätigen und verständigen Mannes.

3.3. Die Ausbeuter Die Ausbeuter des Priester- und Kriegeradels delegierten alle politische Macht an den Despoten, der die Grundrente eintrieb und an die Mitglieder der beiden oberen Stände verteilte. Diese beiden Ausbeuterstände hielten als solche gegen die Volksmassen zusammen, waren aber Konkurrenten beim Verteilen der Naturalabgaben. Dabei forderten die Brahmanen, die Ideologen des Kriegeradels, als der erste Stand anerkannt zu werden und als solcher das Privileg des Lehrens zu haben. Als solche Ideologen hatten sie die ersten Ansätze einer Rechts-Moral-Lehre und einer Staatslehre u. a. mit einer Definition der vier Stände zu formulieren, 70 aber auch die vedische Magie-Mythologie in Theologien der verschiedenen Priestertypen festzulegen. Die Brahmanen forderten weiter als ihre Standesprivilegien, als oberster Stand sakrosankt zu sein und als einziger Geschenke annehmen zu dürfen; Geschenke beanspruchten sie für ihre Dienste als Priester, Richter, Theologen und Lehrer bzw. Ideologen. Sie sprachen von Geschenken statt von entehrendem Gehalt oder Lohn. Damit gewannen sie die Muße, als Lehrer sowohl Theologie als auch Aufklärung, aber auch ein wenig Wissenschaft und Philosophie treiben zu können. Sie forderten für sich Freiheit, d.h. vor allem, daß sie sich ihren Auftraggeber selber 22

aussuchen durften. Dem Despoten gestanden sie dafür dessen Freiheit zu, keiner gesellschaftlichen Institution Rechenschaft zu schulden - nur dem Gotte Varuna, forderten aber, er solle ihrer Moral-cum-Rechts-Lehre folgen; dieses war ejn utopischer Wunsch bzw. Volksbetrug. Ohne die Erbfolge der Despotendynastien anzweifeln zu können, forderten sie die Anerkennung ihres Privilegs, bei der Krönung des neuen Despoten mit diesem eine Art moralischen Vertrags zur Sicherung ihrer Privilegien abzuschließen. Einige Brahmanen gingen in ihrem Standesstolz so weit, sich damit zu brüsten, sie hätten mit ihrer Magie Vaisyas zu Rebellionen gegen Despoten getrieben. 71 Solche Erschütterungen der jungen Gangesgesellschaft in der revolutionären Periode ihres Entstehens haben sich sicher in derselben Richtung wie der Druck von unten der vorarischen Südra-Volksmassen auf die ideologischen Kämpfe und damit auf die Herausbildung des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben ausgewirkt, u.a. auf die Entwicklung der Lehre des Rechts-cumMoral mit dessen Utopie der Ständeharmonie; diese Lehre galt als ein Teil der Theologie, und es ist noch unklar, wie wissenschaftlich sie damals war. Die verschiedenen Interessen der beiden Ausbeuterstände bei der Verteilung des Mehrprodukts der Volksmassen ließen ständig Rivalitäten sowohl innerhalb des Priesterund Kriegerstandes wie zwischen diesen beiden und zwischen Gruppen beider auftreten. Unter den Despoten begannen damit ständige innenpolitische Machtkämpfe. Der Priesterstand aber wurde damals vermutlich zunächst durch den Zusammenstoß der alten mit der neuen Religion, der arischen und der aus der vorarischen sich entwickelnden hinduistischen, der tempellosen und der Tempelreligion, gespalten. Auch innerhalb der vedischen Religion gab es Spaltungen, u. a. den der drei verschiedenen im Kult agierenden Priester einerseits und einem „brahman-Priester" andererseits, der ihre Handlungen, Gesänge und Formeln mit seinem bloßen Denken magisch absicherte. Aus solchem Gegensatz priesterlicher „Hand- und Kopfarbeit"' entwickelte sich der der Mlmäiiisä (Theologie des Kults und der Mythologie von den Brähmanas an) und des Vedänta (mystische Spekulation und Idealismus von den Upanisads an). Innerhalb der Brahmanen begann weiter ein ununterbrochener Wettstreit um die einträglichsten Priesterposten am Despotenhof und damit um eine Art Pfründe. Und die Autokraten säten nach Kräften Streit unter ihren Brahmanen (divide et impera). Sie veranstalteten Disputationen 72 unter ihnen, um den „wissendsten", d.h. theologisch gebildetsten und damit magisch wirksamsten, für ihre Riten und Geschenke herauszufinden. Sie setzten manchmal Riesenrinderherden als Preis aus. Zugleich begannen Despoten aus politischen Gründen, den vorarischen Volksmassen ideologisch entgegenzukommen und Elemente von deren Religion in den Hinduismus aufzunehmen, während die Brahmanen zunächst am vedischen Erbe festhielten. In dieser Lage unternahmen es einige wenige Könige, mit Brahmanen zu diskutieren, und Brahmanen diskutierten unter sich, um ihr Mehrwissen klarzustellen; aber Könige diskutierten anscheinend nicht mit ihresgleichen. Solch Wettstreit führte u. a. zur Profilierung von Persönlichkeiten innerhalb der beiden Ausbeuterstände, ohne den das Philosophieren nicht möglich geworden wäre. Er führte aber auch zur Entwicklung des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben, zum Kampf nicht nur um Mehr-, sondern um Besserwissen und schließlich zu erkenntnistheoretischem Denken. In dieser Periode des Übergangs zur Klassengesellschaft hatten die Priester-Theologen als Ideologen der sich in komplizierter Weise entwickelnden Völker, Staaten, Stände, Religionen, Morallehren, ja Wissenschaften und Philosophien eine Fülle von Möglieh23

keiten der Herausbildung der verschiedensten Standpunkte. Aber die Individuen, die Lehrer dieser Theologien, waren zugleich in erster Linie Produkte ihrer jeweiligen Schule; sie erbten ihr geistiges Gut, ihren Glauben, zu einem großen Teil von ihren Vätern und (bzw. als) ihren Lehrern, als geglaubtes Meinen. Einige begannen mit der Aufstellung von Stammbäumen ihrer Lehrer analog den dynastischen Stammbäumen ihrer Despoten. Der Priesteradel wollte es dem Kriegeradel gleichtun. Aber diese Priester-Theologen wollten zugleich ihre Lehren als ihr Eigentum bewahren, um als Lehrer unentbehrlich zu bleiben, und vertrauten es nicht der Schrift an, als Schreiben zunächst für Verwaltung aufkam. Sie gaben ihr „Wissen" nur in mündlichem Unterricht an ausgewählte, zuverlässige Schüler ihres Standes weiter. So wuchsen Schulen dieser Theologen heran, deren geistiges Gut sich in je einem Brähmana und/oder einer Upanisad niederschlug. Die Analyse dieser Texte ist eine unserer ständigen Aufgaben; sie wurden fast ein Jahrtausend lang auswendig gelernt, und es ist erstaunlich, daß dabei die Originalität mancher individueller Denker erhalten blieb, wie getreu, wissen wir freilich noch nicht. Jedenfalls war die Herausbildung von Denkerpersönlichkeiten eine der Vorbedingungen für den Beginn der Philosophie.

4. Zur Geschichte der geistigen Kultur 4.1. I m Allgemeinen Beim Beginn der Gangesgesellschaft wälzte sich mit der Veränderung der Produktionsweise der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. 73 Unsere damaligen Zeugen, die Brähmanas und Upanisads, sind theologische Texte. Sie lassen uns aus Andeutungen immerhin das Entstehen des Staates und der vier Stände, das des Ständerechts und -brauchs und der Moral aus dem Stammesbrauch, das der Aufklärung in verschiedenen Formen, das gewisser Wissenschaft, der neuen Erlösungsreligion, und deren Theologie und damit neuer Weltanschauungen, kurz, der ideellen Voraussetzungen der Philosophie erkennen. 74 Diese begann noch nicht in den Brähmanas, sondern erst auf dem Höhepunkt der Upanisads; u.a. auch in dieser Hinsicht sind diese Texte immer genauer zu studieren. Über die damalige Umwälzung auf dem künstlerischen Gebiet können wir nur vermuten, daß die Künste in der Dorfgemeinde weitgehend als Volkskünste lebendig blieben, daß sie aber an den neuen Despotenhöfen und Tempeln neue Qualitäten erhielten. So entwickelten sich Spezialisten verschiedener Musikinstrumente. Im Kult wurden epische Heldenlieder vorgetragen, wie zitierte Strophen zeigen.75 Archäologisches Material für die bildenden Künste ist kaum vorhanden. Ähnliches gilt für die damalige Entwicklung von Bildung und Ausbildung. Die vorarische Bildung der Südrabauern lebte weitgehend weiter, aber die Übernahme von Weizen, Baumwolle, Kupfer und Eisen zwang zu verbesserter Ausbildung. Gleichzeitig führte die beginnende Ausbeutung zu einem Zurückbleiben ihrer Bildung hinter der der Ausbeuter. Es begann noch nicht (wie im Kapitalismus) der Gegensatz zweier Kulturen, der der Ausbeuter und der Ausgebeuteten, sondern wenn man es auf eine kurze Formel bringt, könnte man an eine Vierteilung der Kulturen nach den vier Ständen denken, denn sie war anders am Despotenhof (Ksatriyas), im Tempel (Brahmanen), in der Dorfgemeinde (Südras) und ab 600 etwa unter den wohlhabenden Städtern (Vaisyas). Die ideologische Bewältigung der Ausbeutung stellte an Ausbeuter und Ausgebeutete 24

hohe Anforderungen in ihrer Bildung, Weltanschauung, K u l t u r . Die vorarischen Sprachen gingen bis auf wenige Reste innerhalb der Volkssprachen unter, und die indoarischen Volkssprachen begannen sich zu entwickeln. Das Sanskrit wurde zur Gelehrtensprache und blieb es bis heute, aber es mußte sich auch entwickeln, m u ß t e z.B. für den Kampf des Wissens gegen den/das Glauben neue Begriffe f ü r Ursache, Grund, Materie, Bewußtsein usw. schaffen und für die Diskussion neue Begründungssätze. Auch n u r das Hören der kultischen vedischen Lieder und Sprüche wurde den Südras verboten, sie durften am vedischen K u l t nicht teilnehmen, es sei denn als bloße Zuschauer dieser vor ihnen geheimgehaltenen Religion der Brahmanen, die sich in den Dorfgemeinden einnisteten. S t a t t dessen bauten andere Brahmanen für sie die Erlösungsreligion aus. Die vorarischen Ausgebeuteten, die Südras, merkten wohl kaum, wie die neue Religion von Despoten und Brahmanen aus ihrer vorarischen gentilen Magie-Mythologie entwickelt wurde. Drei Despoten lehrten je einen ausgewählten Brahmanen Elemente der der Klassengesellschaft angepaßten vorarischen Doktrin der Seelen Wanderung, J a n a k a 7 6 den Yäjnavalkya, P r a v ä h a n a 7 7 und Asvapati 7 8 aber den U d d ä l a k a ; dieser nahm diese religiöse Doktrin nicht an, wohl aber Yäjnavalkya, u n d dieser baute sie zur Erlösungsreligion aus. Drei Despoten vertraten, in der folgenden Generation, diese neue hinduistische Religion in den alten Upanisads: Citra 7 9 , A j ä t a s a t r u 8 0 und P r a t a r d a n a 8 1 . Dabei sprach P r a v ä h a n a es dem Uddälaka gegenüber aus, daß die Herrschaft, die Befehlsgewalt 8 2 , gerade (eva) deswegen bei dem Ksatriya liegt, weil dieses „Wissen" (Glauben) nur diesem gehört und bis dahin noch zu keinem Brahmanen gelangt war. Die politisch wichtige Frage, welcher Stand der höchste sei, war damals noch nicht entschieden, wenn es auch nach den brahmanischen Texten, den Brähmanas und Upanisads, so scheint, als ob der brahmanische Anspruch auf dieses Privileg unumstritten war. Damals, im 6. J h v.u.Z., bildeten sich neben den Despotien die sogenannten Aristokratien, eine Art Republik des großgrundbesitzerischen Ksattriya-Adels. I n diesen waren die Brahmanen nach den Vorstellungen dieses Kriegeradels der zweite Stand, und aus solch einem S t a a t stammten Buddha und die buddhistische antibrahmanische Erlösungsreligion, aber auch Mahävlra und der Jinismus. Wenn also drei Despoten Brahmanen f ü r den Wiedergeburtsglauben der vorarischen Ausgebeuteten zu gewinnen suchten, so k a n n man darin ein wichtiges Element ihrer Kulturpolitik 8 3 sehen. Auch diese war eine der wesentlichen Vorbedingungen f ü r den Beginn des Idealismus des Y ä j n a v a l k y a ; dieser gab seine neue moralisierende Fassung der hinduistischen Wiedergeburtslehre in seiner großen Disputation am Hofe eben jenes Despoten J a n a k a ausdrücklich als eine Geheimlehre dem Brahmanen Artabhäga weiter. Uddälaka aber schwieg dem Despoten P r a v ä h a n a gegenüber, nahm die Seelenwanderungslehre also nicht an, lehrte sie in seinem Hylozoismus nicht, baute diesen vielmehr auf einer lebensfrohen Moral auf, die im Gegensatz zur lebensverneinenden Moral des Yäjnavalkya u n d des Hinduismus stand. Auch f ü r diesen Materialismus war also der Seelenwanderungsglaube eine Vorbedingung, eine wesentliche, wenn auch negative oder indirekte. Die damaligen Südramassen sind für uns noch stumm, und es ist noch nicht sicher, ob sie wie die damaligen Vaisyas (s.o.) rebelliert haben, sich der Ausbeutung hier u n d da durch Flucht in neue Rodungen in den riesigen, wenig kontrollierten Grenzwäld,ern zwischen den Staaten entzogen; wir ahnen nur ihren moralischen Druck von unten. Nur mit solchem mit der Klassengesellschaft beginnenden Kampf der Klassen u n d Ideologien ist der grundlegende Wandel der Weltanschauung der Ausbeuter und Aus25

gebeuteten begreifbar, der von der trotz aller Ängste allgemeinen urgesellschaftlichen Lebensfreude zur herrschenden Lebensverneinung der Klassengesellschaft führte, für alle Gebiete der ideellen Kultur, auch für das vorphilosophische Denken grundlegend wurde, das freilich nur die Höchstgebildeten unter den Ausbeutern betreiben konnten. Für die Massen blieb bis heute der damals beginnende hinduistische Erlösungsglaube herrschend. Mit diesem mußten und müssen die wenigen Gebildeten ihr wissenschaftliches und philosophisches Denken, so gut sie es konnten bzw. können, verbinden, und sei es auf Kosten einer unbewußten Widersprüchlichkeit in ihnen selber.84 Als damaliges vorwissenschaftliches Denken kann man das aufklärerische 85 anführen, das das schon in indoeuropäischer Urgesellschaft keimhaft begonnene medizinischphysiologische, aber auch kosmologisch-astronomische Denken fortsetzte; damit begann jetzt in der Klassengesellschaft der Kampf des Wissens gegen den Glauben, in einem Brähmana der eines Arztes gegen einen vedischen Heilmagier 86 . Das allgemeine weltanschaulich-moralische, weitgehend theologische und das fachspezifische wissenschaftliche Denken waren mit ihren vielen urgesellschaftlichen magisch-mythologischen und klassengesellschaftlichen Standpunkten notwendig für das philosophische Denken, das ebenso wie das theologische die gesamte Realität, Weltall, Erde und Mensch betraf. Wir müssen daher mit einem kurzen Überblick der Grundzüge der altindischen Religionsgeschichte, wie sie sich vor dem Übergang zur Philosphie abspielte, beginnen.

4.2. Uberblick der Geschichte der Religion bis zur Erlösungsreligion und zum Übergang zur Philosophie 4.2.1. Vorarische Magie-Mythologie Die Weltanschauung der vorarischen Urgesellschaft war durch den magisch-mythologischen Glauben ihres Animismus bestimmt, dieser durch ihre Produktionsweise; der Animismus beherrschte deren ganze geistige Kultur, wirkte aber auch stark auf ihre materielle Produktion zurück. In der Urgesellschaft war in allen Kontinenten die Produktivität der Arbeit so gering, daß alle Mitglieder des Stammes durch ständige Unsicherheit des Lebens zu allseitigen Ängsten getrieben wurden. Da es nur wenig richtiges Wissen gab, das nur zu einem armseligen materiellen Leben ausreichte, erklärten arische und vorarische Stämme Indiens sich Glück und Unglück mit Gunst und Mißgunst von Geistern, die aber von Magiern beeinflußt werden können. 87 Dieser Aberglaube verhalf ihnen zu ihrem erstaunlichen, auf Nichtwissen fußenden Optimismus, der neben ihren Ängsten stand, ohne daß ihnen dieser Widerspruch auffiel.88 Die Stammesmitglieder untermauerten unter Leitung ihrer Magier gemeinsamen in langen Zeiten mit ihrer „Volksphantasie" 89 die traditionellen magischen Verhaltensweisen urjd Anschauungen mit Mythen. So lebte und entwickelte sich die magisch-mythologische Weltanschauung mit der urgesellschaftlichen Produktionsweise lange, ohne von jemandem bezweifelt zu werden. Neue, eigene Gedanken von Grüblern wurden allgemein angenommen 90 oder starben mit diesen. Es gab keine Meinungsverschiedenheiten, Zweifel oder Diskussionen. Nur die wenigen Magier erhielten eine gesonderte Ausbildung; sie vererbten sie meist in ihrem Klan. Alle Menschen meinten, sich mit Hilfe solchen Glaubens an Geister, die man sich nach menschlichem Vorbild dachte, in Natur, Gesellschaft und Denken zurechtzufinden. Es gab anscheinend noch keinen aufklärerischen Zweifel und keine 26

Kollision oder Streit mit anderen Religionen benachbarter Stämme, und dementsprechend brauchte man keine Theologie; so ist zumindest die Lage der Voräryas in ihren heutigen Rückzugsgebieten, oder so war sie gestern noch und vermutlich vor 3000 Jahren. Die Ängste der Urgesellschaft bezogen sich mehr oder weniger bewußt ganz allgemein auf zwei Gebiete, auf den Unterschied oder gar Gegensatz und die magisch-mythologische Zusammengehörigkeit von 1. Mensch und Umwelt bzw. Natur (Mikro- und Makrokosmos) und 2. Leib und Seele bzw. Bewußtsein, wenn man hier schon die späteren Begriffe der frühen Klassengesellschaft anwenden will. Damit die urgesellschaftlichen Magier die notwendige Harmonie von Mikro- und Makrokosmos bei deren Störung wiederherstellen können, dachte man sich alles durch Geister belebt, die den Handlungen und Befehlen des Magiers gehorchen. Die Seele galt als ein Geist im Mikrokosmos. Die Angst vor dem Sterben überwand man mit Glauben an a) eine Ahnen- oder Totenseele, die magisch in ein Jenseits geleitet werden und von dort aus den Nachkommen im Diesseits helfen kann, b) an eine Lebensseele, die bei Krankheiten beschworen werden kann, und c) an eine Traumseele, die den schlafenden Leib verläßt und Lust und Leid der Traumwelt erlebt, was zum Teil als magischer Hinweis auf künftiges Schicksal aufgefaßt wurde. 91 Manche Urgesellschaften glaubten ferner im alten Indien an Schamanismus mit besonders ausgeprägtem Unterscheiden von Leib und Tranceseele und mit Glauben an Wiedergeburt der Ahnenseelen in Nachfahren. 92 Diese gentile Unterscheidung von Leib und Seele und von Mikro- und Makrokosmos, vom Menschen und seiner Umwelt mit deren Geistern (Seelen) und Göttern wurde in der Gangesgesellschaft zum Ausgangspunkt der klassengesellschaftlichen, hinduistischen Unterscheidung der wiedergeborenen und erlösten Seelen, des Subjektiven und Objektiven, des Ideellen und Materiellen, des Idealismus und Materialismus.

4.2.2. Die Religion der Indusgesellschaft Die Religion der Indusgesellschaft war eine andere Vorform des Hinduismus, ja auch des Buddhismus und Jinismus. Sie hatte in den Typen ihrer Asketen Elemente dieser drei damals wohl noch kaum unterschiedenen Religionen, und sie war noch keine Erlösungsreligion. Von Streit dieser Religionen, von Zweifel, Aufklärung und Theologie ist aus den archäologischen Materialien bisher nichts herauszulesen. Erlösungsglauben gab es damals noch nirgends, auch im alten Babylonien nicht, dessen Kultur der altorientalischen Kultur der Indusgesellschaft analog, wenn nicht gar genetisch verwandt war. 93 Im Gilgameschepos z.B. ist nicht von Erlösung, sondern einerseits von Gilgameschs mühevollem Suchen der Insel der wenigen unsterblich gewordenen Menschen die Rede, andererseits von dem hedonistischen, zweifelnden, also aufgeklärten Standpunkt einer Schankwirtin, daß sich solche Mühe nicht lohne. 94 Als die klassengesellschaftliche Religion um 3000 v.u.Z. in Sumer und analog etwas später in der Indusgesellschaft begann, wollten offenbar die Ideologen der Ausbeuter die Ausgebeuteten glauben machen, Despot, Priester und Volk litten gemeinsam - im Gegensatz zu den Göttern - vor allem unter der Sterblichkeit als dem Erzübel des Menschen; einige Aristokraten aber hätten die Möglichkeit, als Auserwählte auf einer Insel der Seligen auf der Erde, im Diesseits, wenn auch in weiter Ferne, ewiges Leben mit ihrem Leibe zu finden. Hier ist noch nicht von einer ewigen Seele im Leibe die Rede wie später in der Erlösungsreligion. 27

Dieser altorientalische Glaube wurde in ein universistisches Weltbild eingekleidet, d.h., Theologen lehrten in einer merkwürdigen Verbindung von mythologischer Kosmologie und Moral, die beiden Ordnungen des Mikro- und Makrokosmos, der Welt und des Menschen bzw. der Gesellschaft, seien magisch voneinander abhängig, analog oder gar im magischen Wesen identisch, und der Mensch müsse unter Anleitung seiner Mythologen und mit Hilfe der Magier für sein eigenes Wohl, das der Gesellschaft (Menschheit) und das der Welt dementsprechend leben. Von China, wo der Universismus besonders ausgebaut und uns zuerst bekannt geworden ist, bis Griechenland finden sich mehr oder weniger deutliche Spuren eines solchen Universismus.

4.2.3. Arische Magie-Mythologie Universismus drang aus dem alten Orient auch in die indoiranische Religion ein,95 als diese die einer militärischen Demokratie am Nordrand des Alten Orients war, der chinesische Glaube an das dao ähnelt dem an das rta-asha der Indo-Iranier, an die den Makro- und Mikrokosmos lenkende Macht. Er blieb in beachtlichen Resten in der rgvedischen Religion des 2. Jahrtausends v.u.Z., insbesondere in der Religion des Gottes Varuna, des Hüters des rta, erhalten, Varuna ist längst als mythologisierter altorientalischer Despot erkannt. 96 Daneben läßt sich aus einigen spätrgvedischen Götterliedern für die Zeit um etwa 1000 für einige Gläubige folgendes mythologische Weltbild rekonstruieren: Yama, der Sohn der Sonne, war der erste Mensch. Er verzichtete für sich und seine Nachkommen, die Menschen, auf Unsterblichkeit, überließ diese den Göttern und gewann damit für sich und die Menschen die Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen.97 Er war als erster Mensch der erste Opferer, d. h. der erste rgvedische Magier und Vertreter des Kults des rituellen Soma-Trinkens. Der Somarausch der rgvedischen Priester und Krieger hing für das damalige Denken vermutlich mit der Zeugungslust zusammen. Dieser Yama fand als erster Sterblicher den Weg zur Sonne, zu seinem Vater im Himmel, wo er seine (jenseitige) Unsterblichkeit gewann. 98 Die gläubigen Menschen folgten ihm, um dort in seligem Gelage unter der Herrschaft Yamas mit ihrem durch die Leichenverbrennung ,,gar" gekochten Leib unsterblich zu leben, und zwar die auserwählten, aristokratischen, reichen Menschen, die sich den Somakult leisten konnten. 99 Dies war die rgvedische Form der „Insel der Seligen", bezeugt für die Aryas, kurz bevor sie in das Gangesgebiet einwanderten und dort die Voräryas unterwarfen. Daneben lebte der uralte indoeuropäische, aber für Indien erst weit später bezeugte, durch die Epan-Puränen lebendig erhaltene Glaube: Der gefallene Held kommt (als eine Art Auserwählter) in einen Walhall-Himmel, selbst wenn er ein Sünder gewesen ist. In Brähmanas und Upanisads ist dieser Glaube bisher nicht gefunden worden, aber er spielt noch in Bhäsas Drama Urubhanga bei Duryodhanas Tod eine wesentliche Rolle.100 Es scheint, daß die priesterlich-brahmanische vedische Tradition an Yamas seliges Reich in der Sonne als Lohn hervorragender Opferer glaubte, daß es daneben aber eine episch-puranische Tradition der Krieger, der Ksatriyas, über einen solchen Walhallhimmel für gefallene Helden gab und daß beide Traditionen gleich alt sind; im Rgveda ist ein Ksatriya-Barde als rebha bezeugt, Vorläufer des süta und Gegenstück zum priesterlichen kavi-Dichter.

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4.3. Zur Entwicklung der Moral In der Urgesellschaft wie u. a. auch in der vorarischen des alten Indien gehörten moralisches Verhalten und moralische Anschauungen zum Leben. Zur Belehrung über die zahllosen Tabus erzählten die Alten den Jungen u.a. Märchen und Mythen. Die damals noch durchweg lebensbejahende Weltanschauung fußte auf der traditionellen MagieMythologie. Wenn Magier sich damals in asketischer Weise gewisser Annehmlichkeiten als Vorbereitung für Riten enthielten, hatte dies nichts mit der allgemeinen Moral der Stammesmitglieder zu tun. Aber schon in der Indusgesellschaft, der ersten indischen Klassengesellschaft, begann innerhalb der altorientalisehen Religion das Neben- und Gegeneinander der beiden Ideale des lebensfeindlichen Mönchs (yogi) und der lebensbejahenden, hedonistischen Hetäre (devadäsi, Tempeltänzerin). Er ist uns greifbar in Plastiken verschiedener Arten von Yogis und einer Tempeltänzerin. Sie sind analog dem mühevoll Unsterblichkeit suchenden Gilgamesch und der hedonistischen Schankwirtin im altbabylonischen Epos. 101 Unabhängig davon ist ein analoger Widerspruch schon in der zerfallenden Urgesellschaft des Rgveda zu belegen, und zwar u. a. in den Mythen über die Versuchung des asketischen Agastya durch Lopämudrä und des keuschen Yama durch Yaml. 102 Das Ideal des Sprechens der Wahrheit bzw. des Wahrmachens des gegebenen Wortes läßt sich sogar bis in die indo-iranische Urgesellschaft zurückverfolgen, 103 und das moralische Schuldgefühl des Sünders vor der magischen, universistischen, mikro-makrokosmischen Weltordnung (rta-asha) des Asuras Varuna bzw. Ahura Mazda 104 dürfte ebenfalls in diese alte Zeit der militärischen Demokratie zurückgehen. Es hat mit dem späteren Pessimismus des Hinduismus nichts zu tun. Rgvedische Priesterdichter priesen andererseits in ihrer Weisheitslyrik moralische Werte wie Einigkeit des Stammes und Wohltun und scheuten sich nicht, den Rausch (vielleicht nur den kultischen) zu verherrlichen ; aber die Spielleidenschaft klagten sie an. 105 Die herrschende Weltanschauung war damals noch trotz aller Nöte die lebensbejahende. In den Brähmanas fuhren Theologen fort, solche oder ähnliche Moralanschauungen zu propagieren, wie z.B. Uddälakas Vater Aruna lehrte, wer sein Opferfeuer angelegt habe, müsse wahr reden. 106 Uddälaka selber soll als Theologe solche Hochschätzung der Wahrheit fortgeführt haben. 107 Von Jenseitssehnsucht ist in dieser Theologie noch nicht die Rede, erst in den Upanisads, hier von König Pravähanas Verherrlichung des Weges des sterbenden Waldasketen zur brahman-Welt bis zu Yäjnavalkyas Erlösungssehnsucht. Damals begannen sich die beiden Wege der lebensbejahenden und -verneinenden Moral erneut zu trennen; der erste führte zu Uddälakas Materialismus, 108 der aber kein Hedonismus 109 war wie doch der spätere altindische und griechische, der zweite zu Yäjnavalkyas Idealismus. 110

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III. Von Magie-Mythologie zu Philosophie

1. Durch Wissen contra Glauben zu Materialismus 1.1. Zerfall der vedischen Magie-Mythologie Die vedischen und hinduistischen Theologen von Mimäinsä und Vedänta sahen weder damals noch später den Kampf des Wissens gegen den Glauben, sondern sie sahen den Glauben (sraddhä, lateinisch credo, ein indoeuropäischer Begriff) als die Erlebens- und Anschauungsweise an, die das vedische Dogma, das „Wissen" (veda) des vedischen Glaubens, zum Inhalt hat und zu religiösem Verhalten in Kult und Moral im ganzen Leben befähigt. Schon ein rgvedischer Priesterdichter stellte aber den Glauben dem (aufklärerischen) Zweifel 111 gegenüber, als dieser in der militärischen Demokratie begann.

1.1.1 Aufklärung als Zweifel an vedischen Mythen Es handelt sich hier nicht um atheistisch-wissenschaftlich-materialistischen Zweifel der vedischen Stämme an ihrer geerbten gentilen Mythologie oder gar an Mythologie überhaupt, sondern nur um einzelne Zweifel , einzelner Denker als Vertreter einer uns noch unbekannten kleinen gesellschaftlichen Schicht oder Gruppe, zu der vielleicht der Arzt gehörte,112 an einzelnen Mythen, aber auch um Zweifel eines Mythologen an der Meinung eines anderen Mythologen. Solche Zweifel, durch den Zusammenstoß verschiedener Religionen und durch den Zerfall der indoarischen Urgesellschaft und der rgvedischen Religion zugunsten der neuen, hinduistischen Religion hervorgerufen, regten ihrerseits eine vedische Theologie zur Verteidigung und Systematisierung der alten Religion an, aber auch zu Ansätzen einer hinduistischen Theologie. So kam es am Beginn der Gangesgesellschaft zu einer wichtigen Periode zwischen 900 und 600 v.u.Z., die man geradezu als eine durch Theologie beherrschte bezeichnen möchte, weil in ihr nur Lehrtexte von Theologenschulen in den umfangreichen Brähmanas der vier Veden für so wichtig gehalten wurden, daß der neue Priesterstand der Brahmanen sie auswendig lernte und bis heute überlieferte. Der sich neu herausbildende Despotismus brauchte damals aber auch die neue hinduistische Religion, deren Theologie und Idealismus. Diese sind uns durch die fünf alten Upanisads bezeugt. Die vorarischen Stämme dagegen, die nicht zu Südras wurden, sondern sich in südliche Berggebiete zurückzogen und in Urgesellschaft beharrten, kamen fast zu keiner Theologie,113 sondern erhielten ihre gentile MagieMythologie. Diese vedischen Theologen beherrschten offenbar weitgehend das Denken und Leben der Aryas in dieser Periode zwischen der bis etwa 900 noch lebenden rgvedischen Magie-Mythologie und der der neuen hinduistischen Religion und Theologie, der ersten angehenden Wissenschaftler und Philosophen in den alten Upanisads um 600. Schon die Teilung des Veda in die vier Textsammlungen (samhitä) des Rg-, Säman-, Yajurveda für die allgemeinen Riten und des Atharvaveda für den Magier-Mediziner 30

nach den Bedürfnissen der entsprechenden drei Typen von Priestern und jenes Sondermagiers und die Herausbildung eines fünften Typs, des bloß denkenden, dem Vollzug des Ritus assistierenden brahman-Priesters neben jenen drei agierenden Priestern, machten damals theologische Erörterungen notwendig, und es ist kein Zweifel, daß unter diesen Theologen große Denker waren. Die vorarischen Stämme aber kannten neben dem allgemeinen Priester des Kults der Dorfgemeinde nur einen Zauberpriester oder Medizinmann für Magie einzelner Auftraggeber und brauchten so gut wie keine Theologie. Wir wissen noch nicht, ob es Zufall war, daß der Hylozoist Uddälaka aus den Theologen des Sämaveda hervorging und daß sein Lehrtext der Höhepunkt der ChU des Sämaveda war, daß aber der Idealist Yäjnavalkya zu den Theologen des Yajurveda gehörte und der Höhepunkt der BU dieses Veda war. Es ist dementsprechend notwendig und möglich, den Hylozoismus von älteren chronologisch geordnet überlieferten Sämantheologen der ChU herzuleiten, aber für den Idealismus liegt in der BU kein entsprechend chronologisch angeordnetes Textmaterial vor. 114 Es ist bekannt, daß schon in den Liedern des Atharvaveda eine Fülle neuer religiöser Spekulationen vorkommt, 115 ja daß Zweifel an einzelnen Mythen schon im Rgveda begann. 116 In dessen späteren Liedern, also noch im Pänjabi als die Stämme zerfielen, wird Zweifel an Mythen und Göttern, ja an der Existenz des Indra, der den meisten Aryas als der höchste Gott galt, wach, aber auch am polytheistischen Pantheon zugunsten eines (im Grunde hinduistischen) Monotheismus. 117 Schon von indo-iranischer Urzeit her gab es den Gegensatz einer im Kern indoeuropäischen Indrä-deva-Religion und einer universistischen, vielleicht letzten Endes ostasiatischen Varuna-asura-Religion. Beide Götter verloren dann im Hinduismus ihre hohe Bedeutung. Solch Zweifel an Indra zugunsten eines konkurrierenden Gottes war etwas anderes als der rgvedische Zweifel am Mythus des Inzests Yamas und seiner Schwester YamI, aus dem nach gentiler Mythologie die Menschheit »hervorgegangen sein sollte. 118 Hier trat Vernunft, eine aufklärende Vorform des Wissens, eine moralische Haltung, die wohl auf Wissen um die Schädlichkeit solchen Inzests fußte, gegen tradierte religiöse Lehren auf. Ein anderer rgvedischer Priesterdichter zweifelte mit Recht am traditionellen Mythenthema der Kosmogonie: Diese könne keiner sagen (lehren), auch keiner der vielen Götter; selbst diese hätten sie nicht beobachtet, da sie damals noch nicht existiert hätten, sondern erst im Verlauf der Kosmogonie entstanden seien, nur der höchste „Aufseher" im Himmel, der als der Schöpfer galt, vielleicht aber auch der nicht. 119 Leider begründete der Dichter diese seine letzten fünf Worte nicht. Er bezweifelte nicht die vielen Götter des rgvedischen Polytheismus noch den einzigen Schöpfergott, bezweifelte auch nicht die Kosmogonie an sich, er zweifelte nur daran, daß der Mensch sie wissen könne. Sie ist noch heute ein umstrittenes Problem der astronomischen Wissenschaft und damit der Philosophie, war damals eines der Mythologie, des Glaubens, aber dieser Dichter wollte wissen. Dieser kühne Zweifler war aber noch kein Astronom, sondern er zog die mythologische Kosmogonie „vor den Richterstuhl der Vernunft" 1 2 0 und war damit einer der uns greifbaren frühen Vertreter altindischer Aufklärung 121 in der Periode des Zerfalls der rgvedischen Urgesellschaft. Er war aber noch kein Wissenschaftler, Atheist oder Materialist. Solche Aufklärung aber war eine der Vorbedingungenen der Philosophie.122 • Solch Zweifel war fortschrittlich und führte, wenn auch nicht direkt, zur hylozoistischen Kosmogonie des Uddälaka. Zugleich aber begann Glaube an einen neuen Schöpfer31

gott, Visvakarman, den „Allmacher", einen vergöttlichten Handwerker, oder an Prajäpati, den „Herren der Geschöpfe", oder an jenen „Aufseher" im höchsten Himmel. Gegen ererbtes Glauben trat eben nicht nur Wissen, sondern auch neuer Glaube auf, der zum monotheistischen hinduistischen Gott (Isvara), dem „Herren" (Despoten), überleitete, dem Schöpfer und Lenker der Welt, in dem wohl auch der Siva der Indusgesellschaft steckt. Dieser Monotheismus führte im Despotismus zu Pantheismus und Idealismus. Der eine Gott war doch wohl eine Analogie zu dem einen Despoten der Menschen und diente dessen Sanktionierung durch seine theologischen Ideologen. Das Ideal des Despoten war ja der Weltherrscher (cakravartin). Der Weltschöpfer der Aryas bzw. Hindus übernahm gleichzeitig Züge des vorarischmundaischen Schöpfergottes; dieser ließ z. B. die Erde durch tauchende Tiere aus dem Urwasser hervorholen, wie es im Hinduismus Visnu als Eber tat. Man hat diesen hinduistischen Mythus bis in den Atharvaveda zurückverfolgt. 123 Mit dem Zweifel an der arischen Magie-Mythologie begann auch die Übernahme mancher religiöser Elemente der Indusgesellschaft, wie Tempel- und Idolkult (püjä statt yajna), das Weltelternpaar Siva-Devi, aber auch Mythen der Wanderhelden Räma-Krsna, die Tempeltänzerin und der Tempelteich, yoga und vieles andere. Damals begann der Hinduismus als Synkretismus der vorarischen und arischen Götter. Hier sieht man überall brahmanische Theologen am Werk, auch in der Gegenüberstellung des bloß magisch denkenden brahmanPriesters und der traditionellen handelnden, singenden und sprechenden Typen der Priester der drei Veden, in dieser merkwürdigen Teilung priesterlicher Hand- und Kopfarbeit (wenn man diese Begriffe nicht ganz wörtlich nimmt). Von dieser Periode, vom Beginn der Upanisads zumindest, an begannen vedische Theologen den „Weg der Handlungen" (der Riten) von dem „Weg des Wissens" (jnäna) immer stärker zu unterscheiden. Der erste, vertreten in den Brähmanas, führt zum Himmel, der zweite, der der Upanisads, zur Erlösung. Beide zusammen galten und gelten als Veda (Wissen, statt jnäna, s.o., besser: Glaube), der erste führte zur „Philosophie" der Mlmämsä, der zweite zu der des Vedänta. Dieser geht auf Yäjnavalkyas Idealismus samt Pantheismus bzw. Monotheismus des Hinduismus zurück; die Mlmämsä wurde erst spät zu einer dualistischen Philosophie. Beide waren Gegner und gehörten dennoch zusammen, beide gehören zum Hinduismus und konnten in dessen Synkretismus, in diesem Kompromiß von Religion und Philosophie, fast ohne Kampf durch fast drei Jahrtausende zusammen leben. Die herrschenden konservativen Kräfte der Gesellschaft brauchten beide, und das Wissen entwickelte sich im Despotismus nicht stark genug, diesen Wirrwarr zu durchleuchten, beinahe bis heute.

1.1.2. Aufklärung als Zweifel an vedischen Riten Es handelt sich hier nicht um atheistisches, wissenschaftliches oder materialistisches Zweifeln an Magie überhaupt, sondern nur um das Weg- oder Umdeuten einzelner vedischer Riten aus hinduistischem Glauben, in den der Despitismus Elemente des vorarischen gentilen Glaubens aufnahm, um die Volksmassen für sich zu gewinnen. Dazu mußte er sie aber gleichzeitig umdeuten lassen. Ein Zeuge dieser komplizierten Entwicklung ist König Janaka, ein Herrscher, ein sich damals vom Heerführer der militärischen Demokratie zum altorientalischen Despoten entwickelnder Autokrat auf einer noch nicht näher bekannten Stufe dieser unheilvollen politischen Entwicklung. Der 32

J a n a k a des Brähmana war wohl ein ungefährer Zeitgenosse jenes Despoten, der sich zynisch-offen J a n a m t a p a , d. h. Volksquäler, nannte, und er war ein Vorläufer des Pratardana, der sich in der Upanisad schamlos seiner Despotenunmoral rühmte. 1 2 4 J a n a k a war als Beschenker von Brahmanen berühmt und besaß beträchtliche Bildung, so daß er an Disputationen teilnehmen k o n n t e . , E r diskutierte nach einem Brähmana mit Brahmanen, unter diesen mit dem Sohn Uddälakas und mit Yäjiiavalkya, über das Feueropfer und lehrte, es sei bereits vollzogen f ü r denjenigen (brauchte also nicht mehr praktisch vollzogen zu werden f ü r den), der „weiß" (glaubt), wie die Opferspenden bei diesem R i t u s zum Himmel aufsteigen, wieder herabsteigen, durch den Mann in die Frau gelangen u n d aus dieser als Sohn geboren werden, und der mit diesem „Wissen" zur Paarung schreitet. 125 Anscheinend meint ein schwer verständlicher Schlußsatz, daß der Vater im Sohn wiedergeboren wird, aber nicht als Folge dieses Opfers, sondern des „Wissens" des Vaters, das dieses Opfer f ü r ihn überflüssig macht. I n seinem Streben nach Fortführung seiner Dynastie kam seine pro-hinduistische Kulturpolitik in Konflikt mit dem Erbe vedischer Magie-Mythologie. Und ihm schwebte wohl auch das Denken des brahman-Priesters vor Augen, der nicht rituell handelt, der P r o t o t y p des Vedäntin im Gegensatz zum Mlmämsaka. Die Mundas glaubten an Wiedergeburt eines Ahnen in seiner Sippe, J a n a k a an die des Vaters im Sohn, der Hinduismus aber glaubt seit Yäjiiavalkya an Wiedergeburt jeder Seele nicht als Sohn, sondern je nach ihrem moralischen Verdienst in diesem oder jenem Stand, und erst in dieser Form diente und dient die Seelenwanderungslehre zusammen mit dem Erlösungsglauben als das Opium des Volkes. Vermutlich schon etwas vor J a n a k a hatte ein anonymer Theologe gelehrt, daß die Geschenke des Herren, des Auftraggebers, an seine opfernden Brahmanen dem Spender einen „feinen" Leib für den Himmel vorbereiten, 128 a n den man schon im späten Rgveda glaubte. Vielleicht glaubte J a n a k a , daß solch himmlischer Leib bei der Begattung zum Sohn werde. Ungefähr gleichzeitig wollte König Pravähana den Hylozoisten Uddälaka einen ähnlichen Glauben an Wiedergeburt lehren; dieser nahm ihn aber nicht an. Der Idealist Yäjiiavalkya indessen bildete J a n a k a s Lehre in der Upanisad weiter (s.o.) 127 . I m b r ä h mana erklärte er als eine Art Antiritualist wie J a n a k a , daß er das rituelle Spenden von Butter usw. im Feuer nicht vollziehe, und J a n a k a lobte ihn deswegen. 128 D a ß die Götter (die Opferspenden) weder essen noch trinken, sondern ohne beides satt werden, lehrte damals auch Aruna, 1 2 9 der Vater Uddälakas, ohne daraus aber Ablehnung des Ritus zu folgern. Schon die rgvedischen Theologen wußten, daß die Götter die ihnen geopferten Speisen nicht wirklich essen, aber erst Yäjiiavalkya sah zwischen solchem mythologischen Denken und rituellen Verhalten einen Widerspruch, den er als hinduistischer Theologe gegen vedischen Ritualismus ausnutzte. Aus Yäjiiavalkya spricht hier eine aufklärerische Vernunft, die von J a n a k a s Ablehnung des Ritus zu unterscheiden ist, denn dieser folgte der Staatsräson, die die Voräryas durch Übernahme ihres Wiedergeburtsglaubens zu gewinnen suchte, einer besonderen Art Vernunft. J a n a k a s Wiedergeburtslehre d ü r f t e außerdem mit damaligen vorwissenschaftlichen Spekulationen über den Kreislauf des Wassers, das zum Himmel aufsteigt und herabregnet, zusammenhängen, aber auch mit der Verbindung von Somarausch, Somaopfer und religiöser Fortpflanzungspflicht der rgvedischen Aryas. 130 Neben J a n a k a und Yäjiiavalkya ist der Brahmane Ghora 1 3 1 zu stellen. Nach unglaubwürdiger theologischer Tradition war dieser der Verfasser der zehnten Strophe von R V I I I , 36 1 3 2 : Der Sorna trinkende Indra möge uns (den opfernden Aryas) Reichtum, 3 Abhandlungen l/G/79

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langes Leben und viele Söhne gewähren. Er lehrte in ChU III, 17 den hinduistischen epischen Helden Krsna: Der Hunger des Mannes, sein Durst und seine Freudlosigkeit (diese täglichen Erfahrungen des Ausgebeuteten und des armen Priester-Theologen) sind die Riten der Weihe des Opferers für das Opfer; dessen Essen, Trinken und Freude sind die Riten des Pressens des Somarauschtrankes für das Opfer; dessen Lachen, ' Schmausen und sich-Freuen sind das Singen und Rezitieren beim Opfer. Auf diese drei Reihen von je drei Begriffen des leid- und lustvollen Lebens folgt eine Fünferreihe moralischer Tugenden: Dessen Entsagen, Geben, Redlichkeit, Nichtverletzen (Verzicht auf Gewalt) und Wahrreden (Sein-Wort-halten) (diese fünf Tugenden des Ideals des moralischen Despoten) sind die Opfergeschenke. Alle diese vierzehn menschlichen Verhaltensweisen machen die traditionellen vedischen Riten überflüssig. Das Sterben schließlich wird als das Abschlußbad des Ritus aufgefaßt. So unsystematisch uns diese Reihen von Begriffen anmuten, sie sollen doch wohl bedeuten, daß das ganze Leben ein Opfer ist und besondere Riten nicht notwendig sind für den Weisen, der dieses „Wissen" hat und - wenn der Schluß des Textes so richtig verstanden wird - glaubt, daß das Leben durch Zeugen auf Erden immer weitergeht, der Gierlose aber, wenn er in der Todesstunde an das Unzerstörte, Unerschütterte, zum Leben Gerüstete denkt, zum höchsten Licht, zum Sonnengott jenseits der Finsternis gelangt. Gierlos sollte wohl sowohl der Despot wie der Untertan sein; Ausbeuter wie Ausgebeutete sollten sich begnügen, dies im Sinne der utopischen Klassenharmonie. Diese letzten Textzeilen erinnern an die Gebetsworte, die ein Opferherr nach einem der Atem-Wind-Magier murmeln sollte: Führe mich aus dem Nichtseienden zum Seienden, aus Finsternis zum Licht, aus Tod zu Unsterblichkeit. 133 Als Führer zum Licht ist hier wohl der Atem-Wind gemeint. Ghoras Unzerstörtes usw. kann sowohl das Seiende des Uddälaka wie das brahman des Yäjnavalkya oder ein magisch-mythologischer Vorläufer beider sein. Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit in der Sonne, in Yamas Reich, war typisch spätrgvedisch. 134 Der epische Krsna stellte dagegen später, vielleicht im 3. Jh. v.u.Z., in seiner Bhagavadgltä den hinduistischen Heilsweg des „Wissens" (Glaubens) und der Gottesliebe hoch über den des vedischen Ritualismus. Anders als bei Janaka spielte bei GhoraKrsna die Moral eine wesentliche Rolle, und es war fortschrittlich, humanistische Moral an die Stelle des Ritualismus zu setzen. Leider bleibt bei Entsagung unklar, ob die uralte des Magiers oder die des hinduistischen Yogi oder die des sich ganz allgemein bescheidenden Menschen gemeint ist. Soll man armen Menschen oder nur Brahmanen geben f Redlichkeit, ein sonst nicht üblicher Fachausdruck, wird von Krsna in der Gltä in vier ähnlichen Aufzählungen von Tugenden angeführt, 135 Nichtverletzen ebenso 136 ; dieser Begriff mag einerseits vom Wunsch der Volksmassen herstammen, der Despot möge Gewalt gegen Feinde oder als „Welteroberer" und gegen seine Untertanen vermeiden, andererseits vom Wunsch der Ausbeuter, die Ausgebeuteten möchten auf Auflehnung verzichten. Das Wahrreden schließlich wurde bereits in indoiranischer Urzeit13.7 dem Herrscher der militärischen Demokratie als seine moralische Pflicht vorgehalten und war später die Haupttugend des hinduistischen epischen Helden Räma. An diese indoiranische Moralvorstellung aber appellierte noch im späteren Despotismus der Richter, wenn er einen Zeugen zur Wahrheit ermahnte. 138 Diese Fünferreihe ist bei all ihrer Naivität ein Zeugnis der damals noch „ordnenden Wissenschaft" der theologischen Morallehre; diese war antiritualistisch und damit antivedisch, aufklärerisch, aber zugleich hinduistisch. Krsna hat übrigens später im Epos die. Notlüge einem Bösen gegen34

über zugunsten eines Guten ausdrücklich verteidigt, war also kein unvernünftiger Wahrheitsfanatiker wie Räma.139 Diese Fünferreihe hat man als ein sehr altes Zeugnis der späteren „allgemeinen" Tugenden aufgefaßt, die für alle vier Stände, für alle Menschen gelten sollen, auch für die nichtarischen Südras.140 Ob Ghora das schon gemeint hat? Krsna hat in der Gltä jedenfalls gelehrt, daß der hinduistische Glaube der Gottesliebe auch für die Südras gelten soll.141 Dies war um 300 v.u.Z ein so fortschrittlicher Standpunkt wie JanakaPravähanas Übernahme des Wiedergeburtsglaubens der Voräryas. Dazwischen, kurz nach Buddha, im 4. Jh., bezeugen Dharmasütren einerseits den humanen, toleranten Standpunkt einer solchen theologischen Morallehre und führen als die allen vier Ständen gemeinsamen Tugenden Wahrheit, Freiheit von Zorn und (rituelle) Reinheit auf.142 Es gab damals aber auch den diskriminierenden Standpunkt, den Südra schlechthin für unrein zu erklären.143 Insbesondere die von Ghora in der Upanisad als erstes angeführte asketisch-moralische Lebensführung war z. B. einem Kavasa, dem Sohn einer Sklavin (vermutlich einer versklavten Südrafrau), zunächst von Brahmanen verboten worden; aber durch Vollzug einer Wundertat errang er sich Anerkennung durch Brahmanen.144 Man bedenke, daß gerade in der Periode der beginnenden Erlösungsreligion das Entsagen durch Yäjnavalkya als Quietismus u.a. im Sinne des Verzichts der Ausbeuter und Ausgebeuteten auf Gewalt, nicht nur als yoga-Asketismus, einen neuen moralischen Sinn bekam, daß dieser Quietismus aber von Krsna in der Gltä als weniger wertvoll dem selbstlosen, selbstbeherrschten Handeln gegenübergestellt wurde. Diese lebensfrohe moralische antiritualistische, aber nicht antireligiöse, sondern im spät-rgvedischen Sinne Unsterblichkeit verheißende theologische Morallehre kann als ein Vorläufer der Ethik des Hylozoisten Uddälaka angesehen werden. Die Kritik an Riten führte einerseits also zu Yäjnavalkyas Idealismus und Hinduismus, andererseits zu Uddälakas Hylozoismus. Dem Text des Ghora-Krsna geht der des Mahidäsa („Sklaveder Erdgöttin") Aitareya in ChTJ III, 16 voran; er faßte das Leben als Opfer auf. Die Sämantheologen dieser Upanisad wählten diesen Platz für Ghoras Text, weil er als ein etwas jüngerer inhaltlich zu dem des Mahidäsa paßte, obgleich es damals nicht etwa eine Schule von Antiritualisten gab und Mahidäsa keinen Ritus wegdeutete. Mahidäsa setzte den Menschen (das Menschenleben) dem Opfer gleich: die drei Lebensabschnitte von 24, 44 und 48 Jahren sollen je einem der drei täglichen Opfer und je einer der drei Göttergruppen, der Vasus, Rudras und Adityas, entsprechen, so daß der diese Lehre „Wissende" (und Opfernde?) alle drei Lebensabschnitte mit ihren 116 Jahren zu leben vermag, weil er die betreffende Göttergruppe notfalls um Hilfe anrufen kann. Diese drei Gruppen, die auch Uddälakas Vater Aruna verehrte, werden mikrokosmisch als die physiologisch-psychologischen Lebenskräfte aufgefaßt, denn sie lassen alles wohnen (vas, leben), weinen (rud) und mit ihnen (sie mitnehmend, ädä) ausziehen (aus dem Leibe beim Sterben); dieses wird mit diesen falschen Etymologien der drei Götternamen „bewiesen". Dieser Theologe stand wohl dem Atem-Wind-Magier nahe, der im Aus- und Einatmen die einzigen Gelübde sah, die der Mensch zu befolgen habe.145

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1.2. Zur Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens

1.2.1. Ansätze wissenschaftlichen Denkens von der Urgesellschaft bis zu den Upanisads Der Mensch hätte von seinen Anfängen an ohne gewisses Wissen über eßbare und ungenießbare Pflanzen und Tiere, über Fortpflanzung und gesellschaftliche Beziehungen in und außer der Horde, über Jagd- und Sammelmethoden und vieles andere nicht leben können. Sehr früh bildeten sich Priester heraus, die wohl mehr als die anderen Stammesmitglieder über die Stellung des Menschen in der Natur und Gesellschaft grübelten, über den Ablauf der Tages- und Jahreszeiten in Verbindung mit den Bewegungen der Gestirne zur Berechnung von Festen, die den Wechsel der Jahreszeiten und damit der menschlichen Jagd- und Sammel-, später der Anbautätigkeiten dem alten Brauch entsprechend regelten. Sie konnten notfalls ihre Stammesmitglieder bzw. ihre Jagdoder Dorfgemeinde über die Himmelsrichtungen belehren. Sie dachten aber auch über den Menschen, seine Fortpflanzung, sein langes Leben als Kind, Erwachsener und Alter und seine sich damit ändernden Pflichten und Rechte innerhalb der Gesellschaft nach. Insofern legten die Priester gewisse Grundlagen für die Entwicklung des Wissens in ihrer Magie-Mythologie und mit diesen die Grundlage des Denkens. Neben dem Priester stand in der Urgesellschaft vermutlich von Anfang an (soweit man überhaupt einen Anfang der Menschheit fixieren kann) der Medizinmann, der Zauberer für private Aufträge, u. a. für Heilung von Krankheiten. In den Resten urgesellschaftlicher vorarischer Stämme Indiens ließ sich dergleichen noch gestern ethnologisch erfassen. Aber der damalige Arzt war trotz seines Sonderberufs noch kein Wissenschaftler. Er war Zauberer, Magier und arbeitete u.a. mit Geisterbeschwörung, zum Teil mit schamanistischem Glauben an seine Kraft, die aus dem Leibe entwichene Seele des Kranken mit seiner eigenen Seele zurückholen zu können. Aber er verdankte seine gesellschaftliche Sonderstellung auch seinen Erfolgen, die auf gewissen Kenntnissen von Drogen und Kuren fußten, ohne indessen seine richtigen Heilmethoden von den unrichtigen phantastischen, magischen, ohne sein Wissen von seinem Glauben unterscheiden zu können oder zu wollen. Er erklärte Krankheiten noch magisch mit Einflüssen von Geistern, nicht wissenschaftlich, hatte aber gewisse physiologisch-medizinische Kenntnisse, um Krankheiten mehr oder weniger heilen zu können. E r gehörte zu den Kopfarbeitern, hatte die Muße zum Denken und mußte sich ständig gegen die Priester, diese andere Art Magier, zur Wehr setzen, d. h. den Kampf des Wissens gegen den Glauben auf dieser unterentwickelten Stufe führen. So wie die Priester hatten auch die Ärzte ihre besondere Ausbildung bei einem Lehrer. Von anderen urgesellschaftlichen Schulen, etwa der Astronomen, ist bislang nichts bekannt geworden. In der ersten, der altorientalischen Klassengesellschaft entwickelte sich u. a. auch die Medizin wie die Astronomie zu einer „ordnenden" Wissenschaft mit Begriffsreihen. Für die Indusgesellschaft ist dies noch nicht belegt. Was die indoarische Urgesellschaft angeht, hat es sicher nicht nur schon indoeuropäische Medizinmänner gegeben, sondern ein Punkt ihrer Lehre läßt sich belegen, da die Merseburger Zaubersprüche im AV ihr indisches Analogon haben. 146 Für die indoiranische Urzeit kann man schon eine physiologische universistische Lehre rekonstruieren, die den Menschen und wichtige Teile seines Lebens mit Phänomenen der Natur, 36

mikrokosmische mit makrokosmischen Größen, in Parallele setzt. Im Rgveda läßt sich der Sonderberuf des Arztes (bhisaj) belegen, und zwar galt er ebenso wie seine Spezialgötter, die Asvin-Brüder, als unrein, d. h., er wurde von den Priestern als ihr Konkurrent einer gewissen Verachtung der Stämme preisgegeben.147 An einer wichtigen Stelle in einem Brähmana wird der Arzt als ein Konkurrent der Brahmanen gekennzeichnet; er darf nur neben einem Brahmanen heilen, denn bei diesem liege die eigentliche Heilkraft. 148 Der Atharvaveda als der Veda des Zauberers ist besonders reich an medizinischem Zauber. In den alten Upanisads tritt unerklärterweise kein Arzt auf, vielleicht weil er von den Theologen schon abgesondert war. Physiologisches Denken aber spielte seit jener indoarischen Urzeit eine große Rolle, in den Brähmanas und alten Upanisads u.a. bei den Atem-Wind-Magiern, universistischen und damit theologischen Grüblern ohne medizinische Praxis oder Theorie; von diesen, aber auch vielleicht von den damaligen Medizinmännern, die sich langsam bis etwa zum Arzt Jivaka in Buddhas Zeit zu wissenschaftlich gebildeten Ärzten entwickelten, stammten physiologische Denkweisen, die grundlegend für den Hylozoismus des Uddälaka wurden, der Verdauen, Schlafen, Sterben usw. behandelte; aber sie gelangten auch in den Idealismus des Yäjnavalkya, der Schlaf, Traum und Sterben in seiner idealistischen Weise behandelte. So läßt sich schon andeuten, daß es neben der uns literarisch einzig erhaltenen Theologie dieser Zeiten noch Wissen und anderes Glauben gab, aus dem sich Philosophie entwickeln konnte. Aber wie sich die verschiedenen Zweige des Wissens in dieser Periode des revolutionären Übergangs zur Klassengesellschaft entwickelten, ist noch nicht rekonstruiert worden. Der Despot, der Brahmane, alle Ausbeuter brauchten Ärzte wie die Ausgebeuteten. Sie brauchten aber auch eine gewisse Astronomie zur Berechnung der Zeiten für gewisse Riten oder des Beginns der Regenzeit, für die rechtzeitige Beendigung der Aussaat. Der Despot mit seinem Ideal des Weltherrschers brauchte eine Geographie Nordindiens innerhalb der „Welt", wie sie uns Yäjnavalkya andeutete. 149 Im Zusammenhang der vom Monsun abhängigen Bewässerung der Reisfelder baute man eine im Kern schon rgvedische Lehre des kosmischen Kreislaufs des Wassers 150 von der Erde bzw. vom Ozean zum Himmel und zurück aus, aber es gab noch keine Physik. Man schaffte Menschenopfer ab und brauchte vielleicht dafür eine physio-psychologische Unterscheidung von Tier und verstandbegabtem Menschen,181 aber auch eine von ei-, lebendund keimgeborenen Lebewesen. 152 Der Despot brauchte Anfänge einer Recht-cumMoral-Lehre mit Definitionen der vier Stände, ihrer Rechte und Pflichten, 153 und mit einer gewissen Kasuistik musterhafter Rechtsfälle. 154 Er brauchte auch Ansätze einer Staatslehre, daß er u. a. seinen Gegner aufmerksam beobachten und demgemäß handeln sollte. 155 Theologen begannen, eine Grammatik, Lexikographie, Phonetik und Etymologie ihrer Gelehrtensprache, des Sanskrit, 156 eine Metrik und Musiklehre aufzubauen. In den damaligen Lehren der Epen und Puranen 157 kann man Anfänge einer Lehre der Geschichte sehen. So spiegelt sich damaliges Wissen in den Texten der Theologen wider. Ein Text wie ChU I I , 1-23 ist geradezu ein Kompendium damaligen Wissens, 158 und das trotz all seiner Magie-Mythologie. Hier sei nur eine sehr kurze, aber eigenwillige, noch kaum übersetzbare allumfassende Lehre (BU I I , 3) wiedergegeben. Ein Yajustheologe lehrte, das brahman (d.h. hier die Realität, Weltall und Mensch) habe zwei „Formen" (rüpa), ein Begriff, der hier nicht (nur?) die sichtbare Form meint; diese „Form" wird vielmehr mit vier Begriffen gekennzeichnet: 1. gestalthaft (mürta), 37

2. sterblich, 3. feststehend und 4. seiend (und mit deren Negationen). Makrokosmisch nichtgestalthaft, unsterblich, sich bewegend und real (mehr als seiend) sind der Wind und der Luftraum (die Welt, in der der Wind weht). Makrokosmisch gestalthaft, sterblich, feststehend und seiend ist dagegen alles andere außer Wind und Luftraum. Mikrokosmisch nichtgestalthaft sind der Atem und der Raum im Herzen; diese beiden sind zugleich unsterblich, sich bewegend und real; mikrokosmisch gestalthaft endlich sind alle anderen mikrokosmischen Phänomene. Hinzugefügt wird, daß die Quintessenz (rasa) (s.u.) des makrokosmischen Gestalthaften die Sonne, die des Gestaltlosen aber der „Mann" (Geist) in ihr, die des mikrokosmischen Gestalthaften das Auge, die des gestaltlosen Mikrokosmischen aber der „Mann" im rechten Auge ist. Dieser (gestaltlose mikrokosmische) „Mann" hat die Gestalt (rüpa, hier: Farbe) eines safranfarbigen Gewandes, weißer Wolle, eines Feuerfunkens, eines weißen Lotus' oder eines Blitzaufleuchtens. Solches Aufleuchten bringt dem, der dieses „weiß", Glück. Daher lautet die Unterweisung: nicht, nicht; dieses ist die „Namengebung" 159 des Wahren des Wahren; wahr ist wahrlich der Atem; dieser (aufleuchtende „Mann" im rechten Auge) aber ist das Wahre des Wahren. Er war ja als Quintessenz des gestaltlosen Mikrokosmischen bezeichnet worden. Hier wird er wie das brahman, wie der im Grunde Sinzig reale geistige Urgrund aller Phänomene in Yäjnavalkyas Idealismus, mit dem „Nicht, nicht" bezeichnet, d.h., er ist anders als alles, was es sonst gibt. Dieses kurze yajus-theologische Lehrstück über Weltall und Mensch ist wegen seiner Mystik im Grunde nicht verstehbar. Aber in ihm steckt das kühne Denken, das alles mit den Gegensatzpaaren des Mikro- und Makrokosmischen und des Gestalthaften und Gestaltlosen erkennen möchte, plus jenen beiden „Männern". 160 Der Gegensatz des Materiellen und Ideellen spielt hier keine Rolle; jener „Mann" im Auge hat Gestalt, ist also materiell. Von Denken, Bewußtsein ist keine Rede, nur von dem, der dieses „weiß" und glücklich wird, d.h. der der Wonne des yäjnavalkyaschen Idealismus nahe kommt. Diese Lehre steht mit der Hervorhebung des Atem-Windes als des ersten aus sich selber bewegten Phänomens den Atem-Wind-Magiern nahe, ist aber wegen seiner am Schluß deutlich werdenden Tendenz eher als Atem-Wind-Mystik zu bezeichnen. Ihr relatives Alter innerhalb der BU ist noch nicht zu bestimmen. Ihr geht die späte Disputation König Ajätasatrus mit dem Animisten Gärgya (BU II, 1) und eine merkwürdige Spekulation über den Atem im Kopf mit dessen Augengottheiten (II, 2) voran, ihr folgt Yäjnavalkyas Abschied von Maitreyl (II, 4), dann eine wiederum kaum verständliche Makro-Mikrokosmoslehre (II, 5) und der Stammbaum der Lehrer der BU (BUII, 6). Dieser Yajustheologe spricht von keinem Ritus, Gott oder Mythus, aber in seinem mystischen Glauben steckt tiefes Verlangen nach Wissen, nach Kosmo- und Anthropologie. Neben diesen Text kann man manche anderen theologischen Texte, wie die der beiden Könige Asvapati 161 und Pravähana 1 6 2 und den eines Yajustheologen in SB X, 3, 5 163 , stellen, die vor Uddälakas Hylozoismus anzusetzen sind und ebenfalls große Weltbilder gezeichnet haben, deren Verfasser noch keine Philosophen waren, keine Wissenschaftler, sondern Mythologen bzw. Theologen 164 und gerade mit solchen Entwürfen kurzer Darstellungen von Natur und Mensch zu Philosophie hinführten, nicht nur zu Idealismus, sondern auch zum Hylozoismus. Theologen grübelten damals aber auch über Fragen der Kausalität. Man kann daran denken, daß schon in der Urgesellschaft kosmologisches neben kosmogonischem Denken 38

stand und daß beide Vorstellungen, die vom Sein bzw. der Form und die vom Werden der Welt, auch bei den ersten Philosophen ihre Rolle spielten. Ob aber solche Theologen und Philosophen nur widerspiegelten, was in Wissenschaft, wie z.B. der Medizin, mit dem Beschreiben der Krankheiten und mit dem Darlegen ihrer Kausalität geleistet wurde bzw. worden war, ist noch nicht zu entscheiden. Wie dem auch sei, für uns waren es Theologen, die damals den entscheidenden Schritt taten, der von der altorientalischen, bloß „ordnenden" Wissenschaft zur eigentlichen Wissenschaft führte, die mit der dem Fach entsprechenden Kausalität zur Erkenntnis von Kausalzusammenhängen gelangt. Der erste, also vermutlich älteste Text der ChU I, 1 läßt uns die Schwierigkeiten dieses Schrittes ahnen. Da wollte ein Säman-Theologe die magische Silbe OM erklären, d.h. kausal ableiten, offenbar weil sie ihm besonders wichtig war. Er lehrte: OM ist die höchste oder letzte bzw. erste „Quintessenz" der Quintessenzen, die neunte einer Reihe, deren erste bis achte Quintessenz 1. diese Gewordenen (oder Wesen), 2. Erde, 3. Wasser, 4. Pflanzen, 5. Mensch, 6. Rede, 7. Rc-Kultlied und 8. Säman-Kultlied sind. Der Yajüs-Kultspruch und das Zauberlied des Atharvaveda werden nicht genannt. Der Begriff Quintessenz (rasa), Saft, kommt bereits im RV vor und entstammt der Technik des Pressens des Somasaftes, dieses Produkts der Somapflanze, aus dem der rituelle Rauschtrank gewonnen wurde. Man möchte aus dieser Reihe herauslesen, daß die magische Silbe OM, die man entfernt dem Amen der Christen an, die Seite stellen kann, der Gipfel des Sämanliedes, dieses wichtiger als das Rclied, dieses das wichtigste Produkt der Rede, diese das des Menschen, dieser das der Pflanzen (Nahrung) wie diese das des Wassers (Monsunregens) sind. Aber ist Wasser wirklich als das Produkt der Erde gemeint ? Und ist diese das Produkt der Wesen (oder alles Gewordenen) ? Dies wird durch keinen anderen Text gestüzt. Eher könnte man diese Reihe so deuten, daß aus dem Wasser einerseits die Erde wie in manchen Kosmogonien und aus dieser alle „Gewordenen" (materiellen Dinge), andererseits aus dem Wasser die Pflanzen, Menschen, deren Rede und insbesondere deren kultische Lieder und als deren Gipfel jene magische Silbe hervorgegangen sind. Dann würde der Begriff Quintessenz bei den drei ersten Gliedern dieser Reihe Ursache bedeuten, bei drei bis sieben aber Wirkung, und acht und neun wären mit sieben gar nicht kausal, sondern bewertend verbunden. Wasser aber, dieser traditionelle Anfang vieler Kosmogonien, wäre nur Ursache. Es nützt uns wenig, wenn in BU VI, 4, 1 ein Yajus-Theologe eine ganz ähnliche Reihe von acht Quintessenzen aufstellte: 1. diese Gewordenen, 2. Erde, 3. Wasser, 4. Pflanzen, 5. Blüten, 6. Früchte, 7. Mensch und 8. dessen Same. Für den Samen schuf der Schöpfer das Weib; wer dies weiß und dem Weibe beischläft, hat magischen Gewinn, als hätte er eines der großen Opfer vollbracht. Dieses soll u.a., wie hier versichert wird, der Hylozoist Uddälaka gelehrt haben (BU VI, 4, 4). Freilich lehrte er in seiner ersten Unterweisung, daß aus Wasser Speise entsteht, und behandelte das Verdauen des Essens und den Aufbau des Leibes. Man sieht bei solchem Vergleich beider Texte den bedeutenden Fortschritt des Wissens zwischen diesem ersten Text der ChU I, 1 und deren Höhepunkt im VI. Buch bei Uddälaka. Sanatkumära hat im letzten Text der ChU wiederum Uddälakas Gedanken fortgeführt und die K r a f t des Menschen aus dem Essen und dieses aus dem Wasser abgeleitet (ChU VII, 8f., B 304); er begann seine Gedankenreihe aber ähnlich dem Theologen von ChU I, 1 mit den Veden, leitete diese von der Rede ab und ließ seine lange kausale Reihe 39

mit der „Fülle" endigen (bzw. beginnen), mit dem Vollen, oder wie man seinen wohl idealistisch gemeinten Begriff der höchsten Realität übersetzen will. E r war ja in seinem theologischen Wirrwarr ein später Kompilator von Gedanken Uddälakas und Y ä j n a valkyas. Ein anderer Fortsetzer von Ch I, 1 war König P r a v ä h a n a in Ch I, 8 (B 256f.), aber auch Satyakäma. Dieser, der den Atem-Wind-Magiern nahe stand, lehrte in ChU IV, 17 (falls IV, 16f. noch dem Lehrer von IV, 10-15 gehören) seinen Schüler Upakosala eine Kosmogonie, daß P r a j ä p a t i die drei Welten (Erde, L u f t r a u m und Himmel) bebrütete, so daß aus jeder Gottheit als ihre Quintessenz hervorkam: Feuer, Wind und Sonne, aus diesen dreien dann deren Quintessenzen, die drei Veden, und aus diesen die drei magischen Wörter bhüh, bhuvah und svah, s t a t t wie in Ch 1,1 OM. Diese drei Wörter bezeichnen die drei genannten Welten; mit ihnen kann man Fehler beim Opfer beheben, 1 6 5 indem man das betreffende Opfer mit diesen Wörtern, mit der K r a f t der Welten, Götter und Veden „zusammenbindet", wie man Silber mit Gold, Zinn mit Silber, Blei mit Zinn, Eisen mit Blei und Holz mit Eisen oder Leder zusammenbindet (ChU IV, 17, 7). Die Reihe Erde, Feuer, Rc und bhüh, dieser ersten Begriffe der vier Dreierreihen, entspricht der von Erde, Wasser usw. bis OM in Ch I, 1. Neu ist, daß Satyakäma rasa-Quinte'ssenz als vlrya, als magische K r a f t definierte. Ein anderer Atem-Wind-Magier erklärte dreimal in BU I, 3, 19 (B 141) den Atem als den rasa der Körperglieder und fügte als Erläuterung hinzu, daß dasjenige Glied, aus dem der Atem hinausgeht, vertrocknet, weil Atem dessen rasa ist. Er sagte nicht, wann dies beim Leibe eintritt; etwa beim langsamen Sterben? Uddälaka aber ließ in seinem 11. Abschnitt abgehauene Teile des Baumes, der „lebend" (seinen S a f t ? ) strömen läßt, trocken werden. Er sprach von Leben, dem Lebeselbst, statt vom Saft oder der Quintessenz des Baumes. E r sprach weiter in seinem 9. Abschnitt vom Saft (rasa) des Honigs wie sein Vater Aruna; dieser ließ in ChU I I I , 1 (B 163) die Bienen, er meinte damit die Rc-Lieder, die Blüten des Rgveda bebrüten und aus diesem R u h m , Glanz, Stärke und Speise als rasa entstehen. Er erklärte in entsprechender Weise die Upanisads f ü r die Essenz der Essenzen. Etwa so spät wie Sanatkumära mag der Text TU I I , l f f . (B 285ff.) sein. Dieser erinnert mit seiner Reihe ä t m a n , R a u m , Wind, Feuer, Wasser, Erde, Pflanzen, Essen und Mann immer noch an P r a v ä h a n a und ChU 1,1, zumal der Mann ausdrücklich als aus der Quintessenz der Speise bestehend aufgefaßt wird. Aber hier folgen auf ä t m a n erst die Gruppe der fünf Elemente und dann die traditionellen drei Begriffe Pflanzen, Essen, Mann. Diese Reihe ist an Sachlichkeit weit über die von ChU I, 1 hinausgelangt. Yäjnavalkya hat als erster rasa f ü r den Geschmack als Sinnesempfindlichkeit verwendet (BU I I , 4, 11; I I I , 2, 4; IV, 5, 12; B 199, 244), so daß es f ü r die späteren Schulen der Philosophen als Quintessenz entfiel. Bei diesen sehr alten vorwissenschaftlichen und vorphilosophischen Ansätzen des Wissens muß man bedenken, daß im Grund nur die Medizin und die Staatslehre 1 6 6 sich später von der Theologie weitgehend lösen konnten, daß es zu Naturwissenschaften wie Physik und Chemie im alten Indien im Grunde nicht gekommen ist und daß der spätere Materialismus des Lokäyata sich n u r auf die Lehre des Staates (AS) und der Lust (kämasästra) stützte. 1 6 7 Diese Ansätze zu wissenschaftlichem Denken, soweit sie uns innerhalb der Theologie erhalten sind, reichten gerade aus, den Hylozoismus des Uddälaka möglich zu machen und bei ihm zur ersten Ahnung von Naturgesetzlichkeit bei seinem Salzexperiment im 13. Abschnitt seiner 2. Unterweisung zu führen. 40

Der Idealist Yäjnavalkya aber bemerkte, daß auf dem Gebiet des Denkens etwas Neues begonnen hatte, und führte als Produkte des Geistes eine zwölfgliedrige Reihe an, ohne diese indessen zu erläutern: die vier Veden, Epos und Puräna, Lehren (vidyäs), Upanisads, Strophen, Merksätze (sütra), Erklärungen und Nacherklärungen (Kommentare und Superkommentare ?).168 Epen und Puranen hatte kurz vorher schon Aruna, der Vater Uddälakas, neben die vier Veden gestellt; dieser hatte wohl auch schon die Upanisads als etwas Neues erkannt. In Strophen wurden schon damals Epen und Puranen verfaßt, in Merksätzen die etwas jüngeren uns erhaltenen „vedischen Hilfswissenschaften" wie die Lehre von Recht-Moral. Was mit Lehren 169 , Kommentaren und Superkommentaren gemeint ist, kann die etwas jüngere neunzehngliedrige Reihe des Sanatkumära ein wenig andeuten: die vier Veden, Epen und Puranen als fünfter Veda, der Veda der Veden (Grammatik nach dem Kommentar), Ahnen (wissen, d.h. Ahnenkult?), Rechnen, Vorzeichenlehre, Chronologie (?), Staatslehre, Etymologie, Götterlehre, Brahmanlehre, Bhüta (Wesen ? Geister ? Gewordenes ?)lehre, Ksatralehre (Waffenkunde ?), Sternbilderlehre (Astronomie), Schlangen(geister)lehre und Götterwesenlehre (d.h. Musik und Tanz, die Künste himmlischer Geister) 170 . Die letzten sieben werden ausdrücklich als Lehren (vidyä) bezeichnet, was hier aber sicher noch nicht Wissenschaft bedeutet. Verstehen können wir diese Begriffe der meisten Lehren noch nicht. Alle Lehren dieser Reihe werden als „Name" zusammengefaßt, der ein Produkt der „Rede" ist, also so etwas wie literarische Produktion meinen könnte. An eine Unterscheidung von Wissen und Glauben kann man hier noch nicht denken.

1.2.2. Sämantheologen Die Zweifel, die im Sinne des beginnenden Hinduismus an Riten und Mythen des Veda geäußert wurden, 171 wurden in den Upanisads nicht bekämpft, aber gegen solches aufklärerische Zweifeln wurde die Theologie der Brähmanas in den Upanisads ausgebaut, um den Glauben zu erhalten, wenn dies auch nicht ausgesprochen wurde. Als Stütze des Glaubens wurde Theologie zugleich eine Voraussetzung des Idealismus, aber auch der Hylozoismus baute auf ihr auf, wie im vorangegangenen Kapitel angedeutet wurde. Da Uddälaka und sein Vater einer Familie von Sämantheologen entstammten, sind hier weiter insbesondere Texte, die in der ChU vor dem Text des Uddälaka stehen, als theologische Voraussetzungen des Hylozoismus, so paradox das klingen mag, zu behandeln. Wir sind indessen noch weit davon entfernt, alle Texte der Theologen der Brähmanas und alten Upanisads in die beiden Richtungen einzuordnen, die zu Hylozoismus und Idealismus führten. Ein umfangreicher Text (ChU II, 1-23 oder 24) spekuliert über das säman, das Opferlied, als ein fünf-, sechs- oder siebengliedriges Lied und stellt es fünf- bis siebengliedrigen natürlichen Prozessen gleich. Das magische Gleichsetzen gleichzahliger Phänomene war unter Theologen damals üblich. Es mutet uns als Zahlenspielerei an; es mag aber mit damaligem vormathematischem, rechnerischem Grübeln und den Begriffsreihen der „ordnenden" Wissenschaft zusammenhängen und damit eine gewisse Stufe der damals erreichten Wissenschaftlichkeit andeuten. Dieser Theologe teilte das Monsungewitter, von dem ja alles Leben in Indien abhängt, in fünf Glieder eines Prozesses: Wind, aufkommende Wolken, Regnen, Blitzen (samt 41

Donnern) und Aufhören. Er verhieß dem, der das fünfgliedrige säman im (oder als das) Gewitter verehrt, daß er regnen lassen kann (BU II, 3 und 15). Es folgt das Thema, daß auf Wolkenzusammenballung Regen, Ost- und Westwärtsfließen von Flüssen und deren Münden in den Ozean folgen (ChU II, 4), ein natürlicher, richtig beobachteter Prozeß, den Uddälaka in seinem 10. Abschnitt als Analogon verwendet hat. Der Theologe zergliedert weiter den Jahresablauf in fünf Jahreszeiten (ChU II, 5 und 16) und den Tagesablauf in fünf Abschnitte der Bewegung der Sonne, ihr Aufgehen, Aufsteigen, Gehen am Mittag, am Nachmittag und ihr Untergehen (ChU II, 14). Er unterteilt den Sonnenlauf auch siebenfach, indem er zu diesen fünf Stadien die Zeit vor dem Aufgang und die des Melkens der Kühe nach dem Untergang hinzufügt (ChU II, 9). Er unterteilt das Brennen sechsfach in Reiben des Feuers,' Rauchbildung, Aufflammen, Kohlebildung, Verglühen und Erlöschen (ChU II, 12) und ebenso den Liebesverkehr in Ansprechen der Frau, Antragstellen, Sichzusammenlegen, auf der Frau liegen, zum Ziel kommen und zum Ende gelangen (ChU II, 13).172 - Eine Kosmogonie fehlt in diesem Text. Neben diesen Fünferreihen von Begriffen dieser Prozesse stehen in diesem Text sechs Begriffsreihen, die keine Prozesse widerspiegeln: 1. die physiologisch-psychologischen „Atemkräfte": Atmen, Reden, Sehen, Hören und Denken (ChU II, 7 und 11) und 2. die Teile des Leibes: Haare,"Haut, Fleisch, Knochen und Mark (ChU II, 19). Diese beiden Reihen gehören wohl ursprünglich Atem-Wind-Magiern (s.u.). 3. Warmblütler: Ziegen, Schafe, Rinder, Pferde und Mensch (ChU II, 6 und 18), 4. die drei „Welten": Erde, Luftraum und Himmel samt Himmelsgegenden und Meier (ChU II, 17); diese Fünferreihe ist eine Kosmologie der drei Welten übereinander, verbunden mit dem horizontalen Paar der Erde und des sie umgebenden Ozeans. Ähnlich ist 5. Erde, Luftraum und Himmel, Feuer (auf Erden) und Sonne (im Himmel) (ChU II, 2); hier ist der Wind im Luftraum fortgelassen, um zu ¡einer Fünferreihe kommen zu können. Wer diese zum Himmel auf- und wieder absteigende Reihe weiß, dem gehören die drei Welten. Dies kann bedeuten, daß der Magier wissen soll, daß die Totenseelen wie das Wasser durch diese Welten in ewigem Kreislauf auf- und absteigen, will er erreichen, daß seine ewige Seele und damit er selber in ihren Wiedergeburten in allen Welten immer glücklich ist. In König Pravähanas Raumlehre (s.u.) 173 fand solche Seelenwanderung ihren Platz. Wiederum ähnlich ist die 6. Reihe: Feuer, Wind, Sonne, Mondhäuser (Sternbilder) und Mond (ChU II, 20). Diese drei letzten Fünferreihen, die 4.-6., zeigen die archaische Begrenztheit und zugleich Variationsmöglichkeit der theologischen Kosmologie, die sich auf eine Astronomie stützte. Es folgt eine noch kompliziertere, sehr umfassende, uns noch schwer verständliche Kosmo- und Anthropologie in einer Fünferreihe, in der jedes Glied mit drei Erscheinungen gleichgesetzt wird: 1. die drei Veden (Rg-, Yajur-, Sämaveda), 2. drei Welten (Erde, Luftraum, Himmel), 3. deren Gottheiten (Feuer, Wind, Sonne), 4. Sterne, Vögel und Lichtstrahlen (die alle fliegen?) und 5. Schlangen-, Gandharva- und Ahnengeister. Dieser umfassende Text wird eröffnet und beschlossen mit je einem Abschnitt über Moral: 1. Das Säman als Ganzes ist das Gute, und gut ist das Verehren des Säman. „Säman" bedeutete nämlich auch gutes, politisch kluges, dem Gegner entgegenkommendes Verhalten, wie es die spätere (AS) und die beginnende Staatslehre vielleicht damals schon vertrat. Wer dieses weiß und das Säman als das Gute verehrt, zu dem werden gute dharmas kommen, d.h. wohl, ihm werden gute Anschauungen und Verhaltensweisen gelingen (ihn zu Erfolg, Himmel und/oder guter Wiedergeburt führen?). 2. Es 42

gibt drei Zweige des dharma (Moral), nämlich Opfern, Lehren und Geben. Von diesen ist der erste die Enthaltsamkeit (vor dem Opfer), der zweite das Wohnen (des keuschen Brahmanenjünglings) im Hause des Lehrers und das dritte die vollständige (lebenslange) Enthaltsamkeit des Schülers, der im Hause des Lehrers bleibt (ChU II, 23). Diesem Sämantheologen kam es hier auf rituelle Enthaltsamkeit an, nicht auf Verzicht oder Askese der Erlösungsreligion. Von fünf der 24 Abschnitte dieses Textes behandeln zwei gewisse für die Theologie wichtige Silben (ChU II, 8 und 10), einer die Vortragsweisen des säman und Laute (ChU II, 22; B 329f.), also beginnende Grammatik, Phonetik und Musiklehre. Ein sehr kurzer Abschnitt enthält statt einer Kosmogonie eine Ätiologie, wie Prajäpati, der Schöpfergott, aus den „Welten" durch die Glut seiner Askese die drei Veden, aus diesen die Worte für die drei Welten und aus diesen die magische Silbe OM hervorbrachte, die „dieses Alles" ist (ChU II, 23, 2-3). Diese Ätiologie erinnert an die Satyakämas. Ein längerer Abschnitt lehrt als Abschluß, daß die Götter dem Opferer seine „Welt", 174 seinen Anteil am Opfer geben, wenn er diese magische Bedeutung des Opfers „weiß" (ChU II, 24). Dieser letzte Abschnitt gehört wohl kaum ursprünglich zu diesem Text. Elf der 24 Abschnitte, der 11.-21., enden mit je einem Gelübde. Wer das säman in den fünf Lebenskräften verehrt, soll großmütig (hochherzig?) sein; wer es in Begattung verwoben weiß 175 , soll keine Frau abweisen; wer es in die fünf Lichtergottheiten verwoben weiß, soll keinen Brahmanen tadeln (diese sind Gottheiten auf Erden). Neben diesen drei moralischen stehen sieben magische Gelübde: Wer das Feuerreiben weiß, soll dem Feuer gegenüber weder Wasser schlürfen noch ausspeien. Wer den Sonnenlauf weiß, soll die Sonne nicht tadeln. Wer das Gewitter, die Jahreszeiten, die Welträume oder die Haustiere weiß, soll diese nicht tadeln. Wer die Leibesglieder weiß, soll ein J a h r lang oder überhaupt kein Mark essen. Das Gelübde des Wissers des All, das Bewußtsein „Ich bin das All" zu verehren, kann man magisch und mystisch auffassen. Diese Theologen verlangten magisch-moralisches Verhalten aus dem Bewußtsein magischer Verantwortung für den „wissenden" praktizierenden Magier. Dieser Text eines umfassenden theologischen Weltbildes ist eine Art Kompendium des damaligen magischen „Wissens" über Weltall, Mensch und Denken mit Elementen von Wissenschaften, von Grammatik, Phonetik, Musiklehre, Moral- und Staatslehre, weiter von Naturwissenschaften bei Gewitter, Flüssen, Physiologie und Psychologie, aber nicht von Philosophie. Man vergleiche dieses Weltbild in theologischer Prosa mit dem „ordnenden" Wissen im rgvedischen Lied der Schöpfung des Alls aus dem Weltriesen ( R V X , 90) und mit dem Weltbild von BU II, 3 (s.o.) einerseits und mit Uddälakas System des Hylozoismus andererseits, um sich die Entwicklung von Mythos zu Theologie und Philosophie zwischen etwa 900 und 650 v.u.Z. klarzumachen. Uddälaka gehörte ja als Sämantheologe zur Tradition dieser Upanisad. Der Abschnitt der Kosmologie dieses Theologen verspricht dem „Wissenden", daß er zum All wird, und sein Gelübde ist (sich bewußt zu sein), daß er das All ist. Solche theologischen Gedanken des Magiers, der die Welt lenken zu können meinte, mögen zum Pantheismus-Idealismus Yäjnavalkyas geführt haben, aber auch dazu, daß der Hylozoist Uddälaka den Menschen samt dem Denken wie die Welt aus dem Seienden, dem lebenden Urstoff, hervorgehen, aus ihm bestehen und in diesen wieder eingehen, mit ihm wieder eins werden ließ: „Das bist Du." Aber Uddälaka hatte kein theologisches Interesse mehr an Magie, allenfalls an hylozoistischer Erklärung des Ordals im letzten Abschnitt seines Lehrtextes. 43

Die ChU beginnt mit den merkwürdigen kausalen Spekulationen eines Sämantheologen über die magische Silbe ,OM' (ChU I, 1), den „Saft" (rasa, Quintessenz, Wirkung) des säman (s.o.). Einer dieser Theologen verherrlichte diese Silbe OM mit einem für diesen Zweck erdichteten Mythus, daß die Götter vor dem Todesgott in die drei Veden flüchteten, aber der Tod sah sie auch dort. Dann traten sie in diese magische Silbe OM ein, die als der Klang an sich ausgegeben und als das Unsterbliche, Furcht(oder G e f a h r lose gekennzeichnet wird. In dieser Silbe wurden sie unsterblich (als wäre diese Silbe der Himmel). So wird auch der, der dieses „weiß", unsterblich (ChU I, 4). Vor der hinduistischen Erlösung galt ja die Unsterblichkeit als das Ziel der vedischen Religion, denn nicht das Leben an sich galt als Leid, sondern nur die Sterblichkeit. In Uddälakas Hylozoismus aber war für dieses Erbe kein Platz. Der oben herangezogene Sämantheologe von ChU I, 1 setzte die magische Silbe OM „in bezug auf die Gottheiten" (makrokosmisch) der Sonne und „in bezug auf das Selbst" (mikrokosmisch) dem Atem im Munde gleich. Ein anderer identifizierte das rc-Lied mit der Erde, dem Luftraum, dem Himmel, deii Sternbildern und dem weißen Licht der Sonne, das säman-Lied aber mit dem Feuer, dem Wind, der Sonne, dem Mond und dem Dunklen der Sonne, so daß Erde mit Feuer, Luftraum mit Wind usw. je ein übliches Paar bilden. Er sah in der Sonne ferner einen goldenen Mann (purusa, Geist) mit roten Augen, der über alle Übel erhaben und der Herr der jenseitigen Welt ist. Soweit in bezug auf die Gottheiten (makrokosmisch, ChU I, 6). In bezug auf das Selbst (mikrokosmisch) aber ist die rc die Rede, das Auge, das Ohr und das weiße Licht im Auge, das säman aber der Atem, das Selbst, das Denken und das Dunkle im Auge. Der Mann (purusa), der im Auge gesehen wird, hat die Gestalt und den Namen des Mannes in der Sonne (deren Geist), und er herrscht über die Welten wie jener und über die Wünsche der Menschen (ChU I, 7).176 Auch noch Uddälaka und dessen Vater Aruna sprachen von Farben der Sonne. In ChU I, 8 f. folgt ein Text des Königs Pravähana, der einerseits an die SämanSpekulation von Ch I, 1 (s.o.) anzuschließen,andererseits für die damaligen Lehren über den Raum wichtig ist und im Zusammenhang mit diesen behandelt werden soll. Aus dem IV. Buch der ChU ist die Lehre, die Satyakäma als Hirt der Rinder seines Lehrers von Tieren im Walde gelernt haben soll (ChU IV, 4-9; B 189ff.), der Sämantheologie zuzuweisen. Sie umfaßt in ihrem Weltbild ähnlich wie ChU II, 1-24 vier eigenartige Viererreihen, 1. die makrokosmische der Himmelsrichtungen, der Welten (Erde, Luftraum, Himmel, Ozean) und Lichter (Feuer, Sonne, Mond, Blitz), 2. die mikrokosmische der Lebenskräfte (Atem, Sehen, Hören, Denken). Zu den üblichen drei Welten ist hier der Ozean hinzugekommen, und von den fünf Lebenskräften ist die Rede fortgelassen, um diese Viererreihen zu erhalten. Das Ganze soll vier Viertel, also 16/16 des brahman umfassen. Immerhin stimmen Uddälakas vier Lichter mit denen des Satyakäma überein. 177 Im folgenden Abschnitt ChU IV, 10-15 wird Satyakämas Schüler Upakosala von drei Opferfeuern über je eine Fünferreihe belehrt: 1. Erde, Feuer, Essen, Sonne und der Mann in der Sonne, 2. Wasser, Himmelsrichtungen, Sternbilder, Mond und der Mann im Mond und 3. Atem, Raum, Himmel, Blitz und der Mann im Blitz (IV, 10-13 bzw. 15). Das jeweils vierte Glied ist eines der traditionellen drei Lichter, und das jeweils fünfte ist ein Mann (Geist, purusa) in diesem. Die anderen Begriffe lassen sich nicht so klar in Gruppen ordnen, wenigstens noch nicht. Zu den drei genannten Männern wird dann von Satyakäma der Mann hinzugefügt, der im Auge gesehen wird, und dieser wird als 44

ätman (Selbst), das Unsterbliche (oder Gefahrlose, Ungefährdete), als das brahman aufgefaßt 1 7 8 - ähnlich wie von Yäjnavalkya - . Und dem „Wissenden"wird verheißen, daß er nach dem Tode (aus dem Leichenbrand ?) in einen Strahl (des Feuers oder der Sonne), in den Tag, in die Monatshälfte des zunehmenden Mondes, in das Sommerhalbjahr, in die Sonne, den Mond und den Blitz eingehen und weiter auf diesem „Götterweg" zum brahman gelangen wird, ohne wiederzukehren, was an Pravähanas Götterweg erinnert. Vor der Lehre des ersten Feuers war von den vier Feuern unter sich das brahman als Atem, kam und kham (d.h. angeblich Freude und Raum), definiert worden. Ob diese beiden Auffassungen des brahman dasselbe meinen oder ob bzw. wie diese beiden mit Yäjnavalkyas vermutlich etwas späterer Auffassung der Wiedergeburt und des brahman als Wonne zusammenhängen, ist schwer auszumachen. Von Idealismus ist hier jedenfalls noch nicht die Rede. Dieser Text wird kurz vor Uddälaka anzusetzen sein; die Begriffe des Unsterblichen und Furchtlosen finden sich schon bei dem etwas älteren Theologen in Ch I, 4 (s.o.). Im nächsten Abschnitt (ChU IV, 16) wird das Opfer mit demjenigen (masculinum) gleichgesetzt, der die ganze Welt läutert, d.h. mit dem Wind. Als Pfade des Opfers werden das Denken des Brahmanpriesters (der nur schweigend das Opfer beobachtet) und die Rede des hotr-, des adhvaryu- und udgätr-Priesters ausgegeben. Mit solchem „Wissen" macht man (als der brahman-Priester mit seinem Denken) beim Opfer gemachte Fehler wieder gut. 179 Stände hier nicht Wind, sondern Atem, so wäre die Reihe Atem —Denken—Reden ein Vorläufer der Reihe des Uddälaka in dessen 5. Abschnitt, die wohl mit der Lehre der Atem-Wind-Magier zusammenhängt. Im V. Buch belehrt König Asvapati als Theologe, der freilich an sich nicht als Sämantheologe zu erkennen ist, Uddälaka und fünf andere Brahmanen über das „Selbst in allen Männern", den Weltriesen, eine phantastische Kosmologie (ChU V, 11-24; B 271 ff.), die letztlich einerseits von der rgvedischen Kosmogonie aus dem Urmann oder Urriesen (RV X, 90; B 23ff.) herzuleiten ist, andererseits von dem rgvedischen Agni vaisvänara (RV III, 6 etwa), dem Allmännerfeuer, das alle Menschen erwärmt. 180 Im Brähmana steht eine ältere Version dieses Upanisadtextes; dort behandelt Asvapati das Allmännerfeuer (SB X, 6, 1; B 105ff.). In beiden Texten des Königs werden dieselben sechs kosmologischen Größen abgehandelt, nur in umgekehrter Reihenfolge, und die Disputanten sind andere; an die Stelle Arunas, des ersten im Brähmana, ist z.B. sein Sohn Uddälaka als der letzte in der Upanisad getreten, beide reden von der Erde als der Grundlage des Kosmos, des Weltriesen. Dessen Kopf ist der Himmel, sein Sehen die Sonne, sein Atem der Wind, seine Blase das Wasser, und seine Füße sind die Erde. Beim Opfer werden mit der ersten Spende der Atem und mit diesem das Sehen, die Sonne und der Himmel satt, mit der zweiten der Zwischenatem (zwischen Ein- und Ausatmen), das Hören, der Mond und die Himmelsrichtungen, mit der dritten der Abatem (Wind im Darm), die Rede, das Feuer und die Erde, mit der vierten der Zusammenatem, das Denken, der Regengott und der Blitz, mit der fünften der Aufatem, die Haut, der Wind und der Raum. Wer dies „weiß", sättigt mit seinem Opfer alle Welten und verbrennt alles Übel. Alle Wesen hocken ja (hungrig) um das Opfer, wie die Kinder um die Mutter. Diese Lehre der Mikro-Makro-Kosmosbeziehungen dürfte mit der eines Herzmystikers zusammenhängen (ChU III, 13; B 159ff.). Dieser Text des Asvapati steht unmittelbar vor dem des Uddälaka. Der Despot stellt sich in ihm zu Anfang als den „wissenden" Herren seines Volkes hin; in diesem gäbe 45

es keine Verbrecher oder Sünder. Man soll wohl heraushören, daß der Herrscher kraft seines theologischen „Wissens" das Volk auf magische Weise moralisch-juristisch gut machte. Sein Weltriese, das Feuer oder das Selbst in allen Männern, das er „weiß", ist die einzige Kraft, die in allen Menschen und im All wirkt. Asvapati wird etwas älter als sein Hörer Uddälaka gewesen sein, sein Weltriese ein mythologischer Vorläufer des Seienden, der lebenden Weltmaterie des Hylozoisten. 1.2.3. Atem-Wind-Magier Gewisse vorwissenschaftliche physiologische Kenntnisse lassen sich bis auf die indoiranische Mythologie zurückverfolgen, Spekulationen über Atem und Wind auf den Rgund Atharvaveda, 181 und in einem Brähmana trat bereits ein Brahmane, Priester bzw. Theologe gegen einen Arzt auf;!182 darauf ist oben hingewiesen. Lehrer einer noch magisch-mythologischen Physiologie waren die Atem-Wind-Magier. Zu dieser Denkrichtung kann man in Brähmanas und Upanisads bisher siebzehn Grübler rechnen.183 Ihre Lehren wurden als Mittel für einen magisch zu erreichenden nicht medizinischen Zweck vorgetragen. Ihr physiologisches Wissen soll ihnen u. a. ihre jeweiligen Wünsche verwirklichen (B 138), sie nach dem Tode zu der Gottheit führen, zu der sie möchten (B 100, 144, 149), sie zum Ehrwürdigsten der Ihren machen (B 96) oder zum größten König über seinen Nachbarkönigen (B 102). Abgesehen von dieser Bindung an MagieMythologie sehen sie - darin beinahe wie Hylozoisten - im Atem-Wind eine Art lebenden Weltstoff, aus dem alles im Mikro- und Makrokosmos hervorgeht, in den es wieder eingeht und der seinem Wesen nach bewegt und alles bewegend ist. Sie glaubten an keinen vedischen oder hinduistischen Weltschöpfer und an keine ewige geistige Seele. Ihnen war Atem-Wind die erste und letzte Realität. Mit der Anerkennung dieser suchten sie ihren Platz in der Welt zu verstehen. Damit waren sie innerhalb der damaligen Theologie relativ fortgeschritten und fortschrittlich. Sie hatten vor allem Interesse an physiologischem Wissen im Sinne der „ordnenden." Wissenschaft. Sie lebten z.T. als verkannte Denker in Armut. Ihre Texte zeigen kein Interesse an Moral oder an aufklärerischem Antiritualismus. Immerhin lehrte einer von ihnen, man solle das Ein- und Ausatmen als einziges „Gelübde" befolgen 181 mit dem Verlangen, daß einen das Übel, der Tod, nicht erreiche. Dieses magische Beschwören der Unsterblichkeit kraft des alltäglichen Atmens zusammen mit diesem magischen Bewußtsein, aber ohne Riten, steht dem oben bei Ghora-Krsna angeführten Mahidäsa Aitareya nahe. Die Deutung eines natürlichen, biologischen, gesetzmäßigen Vorgangs als Gelübde (bzw. als dessen Befolgung) macht einen Ritus entbehrlich, aber nicht etwa Magie-Mythologie überhaupt. Diese, wie ihre Texte andeuten, z.T. zunächst verkannten Atem-Wind-Magier und jener von einem Brahmanen in seiner Bedeutung herabgeminderte Arzt (s.o.) machen nicht den Eindruok, antidespotische Ideologen der Volksmassen zu sein. Es scheint sich vielmehr um zwei oder nur um eine kleine, relativ unabhängige und „vorwissenschaftlich" gebildete, antiorthodoxe, fortschrittliche Gruppe der brahmanischen Intelligenz zu handeln. Sie wurde(n) wohl von einigen aufgeklärten Despoten oder Adligen wegen des Nutzens der Medizin und wegen ihrer Aufgeklärtheit ihren vedischen Ritualisten vorgezogen. Einer dieser Atem-Wind-Magier hängte an seine Lehre einige Sätze, die man der damals beginnenden Staatslehre zuweisen kann 185 und die vielleicht damals schon aufgeklärter Staatsräson folgte. 46

Die Texte von vier Atem-Wind-Magiern gehen in ChU I - V dem Text des Uddälaka voran. Einer von diesen, Baka, Sohn des Dalbha, ein udgätr-Priester der Leute im Naimishawald, ersang als Magier einer Meute Hunde, die ihn darum bat, Fressen (Ch I, 12).,Mag er uns damit als ein warmherziger und aufgeklärter Priester erscheinen, kein standesbewußter Brahmane hätte diesen „unreinen" Tieren gegenüber so gehandelt. Er „wußte" nach Ch I, 2, 13 (B 138), daß das rituelle Singen, sein Beruf, mit dem Atem im Munde (mit dem man ja singt) gleichgesetzt werden kann, mit keinem der anderen Lebenskräfte (wie etwa der Rede), Nur der Atem im Munde wird vom Übel nicht berührt, wohl aber wird es der Atem in der Nase, mit dem man Übles riecht, und ebenso die Rede, das Sehen, das Hören und Denken, denn alle diese Lebenskräfte (Atemarten) reagieren (wie wir sagen) auf Übles. Dieser Vorrang des Atems im Munde wird zur Uberzeugung der Hörer mit einer Legende illustriert, wie die Götter einst die Dämonen besiegten, weil sie nach den anderen Lebenskräften den Atem im Munde als das rituelle Singen verehrten und die Dämonen wohl die anderen Lebenskräfte, aber nicht den Atem im Munde mit Übel packen konnten (ChU I, 2, 1-9). Dies ist eine Variante der in den Upanisads beliebten Parabel vom Wettstreit der Lebenskräfte; eine andere steht irj Ch V, l f . (s.u.). Der altorientalische Typ dieser Geschichte mag von der altägyptischen Parabel vom Rangstreit der Glieder des Leibes, vor allem von Kopf und Magen, herzuleiten sein, 186 die auch nach Rom bis zu Menenius Agripa ausstrahlte. Auch Arunas Glaube an fünf Weltalter, die Sintflutsage usw. kamen damals aus dem Vorderen Orient nach Indien (s.o.). In Ch I, 10f. (B 132f.) wird erzählt: Usasti war sehr arm und zog in einer Hungersnot bettelnd umher, aß Bohnen, den unreinen Essenrest eines niederen Mannes; er war eben aufgeklärt; kein orthodoxer Brahmane hätte dies gegessen. Diese Unbekümmertheit wird bei ihm hervorgehoben wie bei Baka das Singen für die Hunde, die den Orthodoxen als unrein galten. E r stellte einst den drei Priestern eines Königs Fragen nach den drei Gottheiten, die an dem Drittel des Gesanges, das je einem der drei Priester zufiel, beteiligt sind. Sie „wußten" sie nicht. Daraufhin gab der König dem Usasti alle drei Priesterposten, und Usasti belehrte die drei Priester: Atem, Sonne und Essen sind diese drei Gottheiten, denn alle diese „Gewordenen" (hier: die Lebenskräfte) folgen dem Atem bei dessen Eintreten (in den Leib) und bei seinem Verlassen (des Leibes), sie alle (alle Wesen) besingen die Sonne (die für viele die höchste Gottheit war) und leben (wie alles Lebende) vom Essen. Diese Auffassung vom Beginn und Ende des Lebens ohne Erwähnung einer Seele ist bezeichnend für die Atem-Wind-Magier. Atem, Sonne und Essen aber erinnern an Uddälakas Elemente: Wasser (Leben, Atem), Glut und Essen. In Ch IV, 1-3 (B 128ff.) wird von einem Raikva erzählt, wie er in äußerster Not lebte, bis ein Fürst durch Vogelstimmen von ihm erfuhr, ihm seine schöne Tochter schenkte, ihn damit für sich gewann und zu sich holte. Raikva lehrte ihn: Feuer, Sonne, Mond und Wasser gehen bei ihrem Verlöschen, Untergehen und Verdunsten in den Wind ein; soweit in bezug auf die Gottheiten. In bezug auf das Selbst aber gehen Reden, Sehen, Hören und Denken beim Einschlafen in den Atem ein. Darum sind Wind und Atem die „Zusammenbringer". — Daß Feuer und Wasser in den Wind eingehen und daß der Schlafende nur atmet, nicht redet, sieht, hört oder denkt waren richtige physikalische und physiologische Beobachtungen. Daß aber die Sonne abends und der Mond am Tage in den Wind eingehen (d. h. in die die Erde umgebende Windwelt eingehen), ist kosmologische Phantasie, Glaube, hinzugefügt, um die traditionelle Fünf47

zahl der Gottheiten und Lebenskräfte vollzumachen. Dieses „Wissen" soll magisch zu Essen verhelfen, lehrt der arme Magier. Raikva war ein Nachfolger des Weisen, des Dhlra, der in SB X, 3, 3 (B 92ff.) gelehrt hatte, daß die Rede des Einschlafenden in den Atem eingeht, daß analog das Sehen, Denken und Hören handeln und daß sie beim Erwachen aus ihm wieder hervorkommen. Diesen mikrokosmischen Kräften stehen makrokosmische Gottheiten gegenüber. Feuer verlischt im Wind, Sonne und Mond gehen beim Untergehen in den Wind (in die Windwelt, s.o. Raikva) ein, und auf diesem fußen die (bzw. er ist die Gottheit der) Himmelsrichtungen, die dem Hören entsprechen. Aus dem Wind werden sie wiedergeboren. Wer dieses „weiß", geht beim Sterben mit der Rede ins Feuer, mit dem Sehen in die Sonne, mit dem Denken in den Mond, mit dem Hören in die Himmelsrichtungen und mit dem Atem in den Wind. 187 Der Mikrokosmos geht ohne Seele im Makrokosmos auf und ist mit diesem unsterblich. Uddälaka benutzte in seinem 8. und 15. Abschnitt solche Lehren vom Einschlafen und Sterben für seine entsprechenden Lehren. In seiner Upanisad, in Ch V, 1-2 (B 144), steht noch vor seinem Text eine andere Variante der Parabel vom Rangstreit der Lebenskräfte: Nacheinander zogen jeweils Reden, Sehen, Hören und Denken aus dem Leibe aus, und der Mensch lebte jeweils wie ein Stummer, Blinder, Tauber und Tor weiter. Als aber der Atem ausziehen wollte, hätte er die vier anderen Kräfte mitgerissen. Da erkannten diese ihn als den besten unter sich an. Wer dieses „weiß", kann u.a. einen trockenen Pfosten wieder ergrünen lassen und sich mit gewissen Riten zum Ehrwürdigsten, Besten, König und Oberherren machen. Wind und Atem werden beinahe als eine Art lebender Weltstoff angesehen, ähnlich wie der Raum von Pravähana (s.u.), Atem-Wind von Anaximenes und das Seiende von Uddälaka. Aber diese Atem-Wind-Lehren zielten auf Magie ab, jedoch nicht auf Medizin; sie waren keine Philosophie oder Physiologie-Psychologie; sie dienten dem Glauben, nicht dem Wissen. Andererseits kannte diese Art Magie keine Seelen und half damit dem Kampf des Wissens gegen den Glauben in Richtung auf Hylozoismus, der ebenfalls noch an Gottheiten und Ordale glaubte. Abgesehen vom Lokäyata-Materialismus verschmolzen ja auch später alle indischen Philosophien mit Religion. Den Text Bakas (ChU I, 2, B 136ff., s.o.) hat ein Sämantheologe als eine mikrokosmische Lehre „in bezug auf das Selbst" aufgefaßt und eine entsprechende makrokosmische „in bezug auf die Gottheiten" angehängt (ChU I, 3): Der Hymnus (udgltha) ist die Sonne und der Atem (samäna, der Atem im Munde?), denn diese beiden sind warm. Der Hymnus ist aber auch der Zwischenatem (vyäna, das Nichtatmen zwischen Ein- und Ausatmen), daher ist dieser Zwischenatem die Rede; deswegen atmet man beim Reden weder ein noch aus. Rede ist /las rgvedische Lied. Ohne zu atmen singt man es und verrichtet man anstrengende Handlungen, wie Quirlen des Feuers, Wettlaufen und Spannen des starken Bogens. - Diese Verbindung von Unsinn der Sämantheologie mit guten physiologischen Beobachtungen paßt in diese um Philosophie ringende Periode vor dem Beginn des hylozoistischen Materialismus.

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1.2.4. Vorhylozoistische Spekulationen über R a u m , Feuer und Wasser 1.2.4.1. R a u m Einer der frühesten vorhylozoistischen Y a j us-Theologen mit Elementen der AtemWind-Magie legte sein Weltbild in einem Brähmana (ÖB X , 3, 5; B 95f.) dar. W e n n m a n seine sehr verwickelten Gedankengänge, ohne sie bislang ganz verstehen zu können, kurz zusammenzufassen versucht, lehrte er: Der Opferspruch (yajus), der alles antreibt, (nichts geschieht ja ohne das Opfer und kein solches ohne Opferspruch) ist 1. makrokosmisch a) der sich bewegende und (alles) antreibende Wind und b) der L u f t r a u m (der R a u m zwischen Erde und Himmel, in dem er geht), vor allem aber c) das Feuer, bzw. d) die (stets im Laufraum „gehende") Sonne. E r erklärte andererseits den Opferspruch 2. mikrokosmisch a) f ü r den Atem, der sich bewegt und alles (Lebende) entstehen läßt (in Bewegung-Entwicklung bringt), und b) f ü r den R a u m im Selbst (im Mund? Herz ? Leib?), in dem der Atem geht und (den Menschen) antreibt, schließlich 3. f ü r das Essen, durch das alles (Lebende) geboren wird und sich bewegt, vor allem aber 4. f ü r das Denken, die erste der Lebenskräfte, und f ü r das Sehen, das das Gehen ist, denn k r a f t dessen bewegt man sich. Dieses (sich und alles Bewegende) ist das ehrwürdige brahman (d.h. wohl die höchste Realität, wie dieser Theologe sie meinte, ohne Ideelles und Materielles zu unterscheiden). Wer dieses weiß, wird magisch der Ehrwürdigste unter den Seinen. Der R a u m , der makro- wie der mikrokosmische, galt diesem Y a j us-Theologen im Gegensatz zu späteren Philosophen weder als leer bzw. nichtseiend noch als eines der fünf Elemente, nämlich als Träger des Schalls, sondern als magisch-mythologischer Antreiber, als bewegende K r a f t , ohne daß er ihn als natürliche K r a f t oder Stoff charakterisiert hätte. Noch vor Uddälaka lehrte König Pravähana seine Raumlehre zwei Brahmanen. Diese f ü h r t e n zunächst als Sämantheologen im Anschluß an den Theologen von Ch I, 1 (s.o.) das säman auf den Ton, diesen auf den Atem, den auf die Nahrung und diese auf das Wasser zurück, dieses (als Regen) auf das Jenseits (den Himmel) und dieses auf das Diesseits (die Erde, von der das Wasser in seinem Kreislauf auf- und zu der es wieder absteigt und die Pflanzen wachsen läßt). P r a v ä h a n a f ü h r t e das Diesseits dann weiter auf den R a u m zurück, denn aus diesem entstehen alle diese „Gewordenen" (alle Prod u k t e dieser Reihe von der Erde bis zum säman bzw. alle Wesen-Gewordenen), in ihn gehen diese aber auch zur Ruhe, er ist ihr höchster „ G a n g " (ChU I, 8 - 9 ; B 256ff.). P r a v ä h a n a ging über den Kreislauf des Wassers, von dem die beiden Brahmanen gesprochen hatten, weit hinaus und lehrte einen Kreislauf des Werdens des gesamten „Gewordenen" (wir würden lieber sagen: Werdenden), Alles aus dem und in den R a u m . E r faßte diesen damit fast so auf wie die griechischen Hylozoisten ihre Urmaterie (arche) und wie Uddälaka das Seiende. Pravähana hat den R a u m aber nicht als Materie, geschweige als lebende beschrieben, war insofern kein Hylozoist, kein Philosoph, u n d er war auch kein Naturwissenschaftler, sondern ein Sämantheologe; er war, wie es heißt, „im Hymnensingen erfahren" wie die beiden Brahmanen, und es ging ihm um die Ableitung des säman letztlich aus dem R a u m . E r stellte diesen nicht etwa etwas Ideellem gegenüber, nicht das säman als entgegengesetzter (ideeller) N a t u r dem (materiellen) R a u m . Uddälaka hat kurz nach ihm in seiner Philosophie den R a u m nicht behandelt; er hat sich vielleicht in diesem P u n k t wie in dem der Wiedergeburtslehre 4

Abhandlungen l/G/79

(s. gleich) von dem König distanzieren wollen und den Raum als nicht seiend, nicht neben dem Seienden seiend, aufgefaßt, als leer, immateriell, ohne dies aber polemisch zu sagen. Wenn Pravähana aber Atem von Essen und dieses vom Wasser herleitete, so hat Uddälaka dieselben drei Realitäten etwas anders verbunden und in seiner Kosmogonie aus dem Wasser Essen entstehen lassen, in seiner Anthropologie aber Atem als Produkt des getrunkenen Wassers aufgefaßt. Eine ähnliche Raumspekulation trug Pravähana an einer wohl etwas späteren Stelle in nicht gerade exakter Weise innerhalb seiner Wiedergeburtslehre dem Uddälaka vor (ChU V, 3-10; B 249ff.). Er verwendete den Begriff Raum (äkäsa) für das, was von den Theologen sonst als Luftraum (antariksa) bezeichnet wurde, die dritte Welt zwischen Erd- und Himmelswelt. Uddälaka schwieg dazu (s.o.). Diese Wiedergeburtslehre des Königs ist uns mit ihrer Theologie noch so unverständlich wie zwei ihrer Vorläufer im Brähmana (SB IX, 3, 3, 15-17; XI, 6,2; B 120ff.). Bei Pravähana handelt es sich um eine Art Kreislauf des Menschen, genauer: seiner Opferspenden (nicht seiner Seele) aus dem Feuer des Leichenbrandes zu Wiedergeburt mit neuem Leichenbrand. Aus diesem Feuer steigt er (d.h. die Spende von Wasser, die sein Sohn ins Feuer gießt) auf dem ,,Ahnenweg" zum Himmel auf und von dort, durch fünf Opferfeuer hindurchgehend, in einen Embryo hinab. Diese fünf Opferfeuer sind 1. der Himmel, 2. der Regengott (der Monsun), 3. die Erde, 4. der Mann und 5. das Weib. In diesen opfern die Götter der Reihe nach 1. den Glauben, 2. König Sorna, 3. den Regen, 4. das Essen und 5. den Samen. So wird das Wasser der Opferspende (des Sohnes) für den gestorbenen Gläubigen beim Durchlaufen dieses Kreislaufs durch diese fünf (oder, wenn man den Leichenbrand hinzuhält, sechs) Feuer zum Wiedergeborenen. Der Verstorbene wird dadurch vielleicht als Sohn seines opfernden Sohnes, vielleicht eines Vaters des Standes, den der Verstorbene durch seinen Lebenswandel sich moralisch verdient hat, wiedergeboren, um wieder im Feuer zu enden. Dieser Kreislauf des Menschen bzw. des Wassers der Opferspende ist nach dem Muster dessen des Wassers des Regens gesehen. Von einer wandernden Seele ist keine Rede. Wie dieser mikrokosmische Kreislauf des Wassers aus dem und in das Feuer sich in Pravähanas theologischem System zu dem makrokosmischen Kreislauf des Alls aus dem und in den Raum verhält, ist noch nicht geklärt. Die fünf Feuer erinnern an König Asvapatis „Allmännerfeuer" und an rgvedische Feuerspekulationen. Der Kreislauf der Opferspenden war ein Vorläufer des karman des Yäjnavalkya. Anders ist nach Pravähana das Ende des Asketen im Walde und dessen, der Pravähanas Lehre „weiß". Dieser geht auf dem Götterweg zum brahman. Dies erinnert an Yäjiiavalkyas Erlösungsglauben, an Hinduismus. Uddälaka aber nahm die Lehre des Königs über die Wiedergeburt so wenig an wie die über den Raum. Dagegen nahm der Idealist Yäjnavalkya die Wiedergeburtslehre des Königs Janaka an, die der Pravähanas ähnelte: Die Opferspenden des Feueropfers (des täglichen Agnihotra) steigen auf, gelangen durch fünf Opferfeüer, nämlich den Luftraum, den Himmel, die Erde und den (einen?) Mann in die (eine?) Frau und werden als deren Sohn (in einem bestimmten Stand?) wiedergeboren als „die sich wiedererhebende Welt" 1 8 8 (des Vaters?). Hier könnte es sich um die Wiedergeburt des Vaters im Sohn handeln; so dachte wohl ein König im Interesse seiner Dynastie. Vom Raum ist hier nicht die Rede, nur von der Welt des Luftraums, ebensowenig von einer Seele. Beide Könige aber knüpften an den schamanistischen Glauben der Voräryas an Wiedergeburt eines Ahnen in seiner Sippe an. Janaka lehrte dies den Idealisten Yäjnavalkya mit der Tendenz, die Paarung 50

eines, der dieses weiß, als dessen Agnihotra aufzufassen, so daß dieser dieses nicht mehr praktisch zu vollziehen brauchte. Er deutete als Aufklärler diesen Ritus an. 189 Ein Sämantheologe, den man zu den Raum-Lehrern stellen könnte, obgleich er den Raum nicht nannte, und der älter als Uddälaka sein dürfte, fabelte von der Welt (d. h. den drei Welten) als einem Schatzkasten (kosa) (statt Raum) mit der Erde als Boden, den Himmelsrichtungen als Kanten, dem Luftraum als Höhlung und dem Himmel als obere Öffnung. Die vier Himmelsrichtungen werden als vier Kultgeräte (Libationslöffel) gedeutet, der Wind als das Kind der Himmelsrichtungen (er galt ja allgemein als die Gottheit des Luftraums) und weiter als alles „Gewordene", ein Begriff, der auch für Pravähana bezeichnend war (s.u.). Dem Gläubigen wird empfohlen, seine Zuflucht zum Wind zu nehmen, aber auch zu den drei Welten, zu deren drei Göttern (Feuer, Wind, Sonne) und den drei Veden (ChU I I I , 15). Ein anderer Sämantheologe erklärte das Metrum GäyatrI bzw. dessen Viertel für alles „Gewordene" (s.o.), nämlich 1. für die Rede, die alles Gewordene schützt, 2. für diese Erde, in der alles Gewordene gegründet ist; diese Erde ist 3. der Leib, in dem alle Lebenskräfte gegründet sind, und dieser Leib ist 4. das Herz, in dem alle Lebenskräfte gegründet sind. E r erklärte die gäyatri aber auch für das brahman (d.h. für) den (unendlichen?) Raum außerhalb des Menschen, der dem im Menschen gleicht wie dieser dem im Herzen (ChU I I I , 12). Der so dreigeteilte Raum umfaßt also, wie es scheint, als das brahman die ganze gewordene Welt (und ist selber ungeworden). Der Theologe erklärte alle Gewordenen (und damit Natur und Mensch) für ein Viertel des purusa (des Urriesen, aus dem die Welt nach RV V, 90 geschaffen wurde), drei Viertel aber seien unsterblich (weil ungeworden?) im Himmel. (Sind diese drei Viertel Himmelsetagen?) An diese Herz-Raum-Spekulation schließt in ChU I I I , 13 ein Herzmystiker an. In ChU I I I , 18 hat ein Sämantheologe das brahman mikrokosmisch mit dem Denken gleichgesetzt; dies klingt schon fast idealistisch. Aber er hat zugleich das brahman makrokosmisch mit dem Raum gleichgesetzt, hat dem Denken vier andere Lebenskräfte: Rede, Atem, Gesicht und Gehör, dem Raum aber Feuer, Wind, Sonne und Himmelsrichtungen als ihre vier Viertel zugewiesen, so daß in der damals üblichen Denkweise Rede—Feuer, Atem—Wind, Gesicht—Sonne, Gehör—Himmelsrichtungen, aber auch Denken—Raum je ein mikro-makrokosmisches Paar bilden. 1.2.4.2. Feuer König Pravähana hat in seiner Raum- und Wiedergeburtslehre vom Kreislauf durch fünf Feuer und vom Wandern aus dem Leichenbrand und in diesen gesprochen (s.o.). Er ist aber nicht etwa soweit gegangen, von der Einheit dieser Feuer als dem Weltstoff zu sprechen. Bei dem Mann—Feuer, seinem vierten Feuer, hat er immerhin die Rede als dessen Brennstoff, den Atem als Rauch, die Zungen als Flamme, das Sehen als Kohlen und das Hören als Funken ausgegeben. Bei der Frau ist das männliche Glied das Brennholz, was er mit ihr verabredet, der Rauch, die Scham die Flamme, was er da hinein tut, sind die Kohlen, und die Wonnen sind die Funken. Diese fünffachen Gleichsetzungen erinnern an die sechs Teile des Geschlechtsaktes im Kompendium des Sämantheologen ChU I I , 13; dieses hatte ja auch das Brennen in sechs Teile geteilt. 190 Das brennende, wärmende und leuchtende Feuer hatte in der Magie-Mythologie schon früh eine bedeutende Rolle gespielt. Im Rgveda ist es der Gott Agni (lateinisch ignis, also indoeuropäisch), der die Opfer zu den Göttern in den Himmel bringt, der 4*

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Bote zwischen Himmel und Erde, der Erzeuger dieser beiden Welten, der Nabel der Erde. Es (er) wirkt und wohnt in allen Wesen 191 und heißt darum u.a. das „Allmännerfeuer". Im Atharvaveda X I I , 1, 9, in einem gewaltigen Hymnus auf die Erde, heißt es: Feuer ist in der Erde, in den Pflanzen (Holz), Gewässern, Steinen (aus denen man Feuer schlagen kann), in Menschen, Rindern und Rossen. Feuer fällt vom Himmel; dem Gotte Feuer gehört der Luftraum; Feuer entzünden die Sterblichen, die Opferträger. Nach beiden Veden ist Feuer also das Allbelebende, aber kein Welturstoff. Nach einem Brähmana ist das „Allmännerfeuer" Erde, Luftraum und Himmel mit dem Feuer, dem Wind und der Sonne als den drei „Männern" (Geistern, Göttern) in je einer dieser drei Welten (SB I X , 3, 1, 3-6; B 108f.). Nach einem anderen Brähmana sind das Reden, Sehen, Denken und Hören die vier Feuer, die in das Atemfeuer 192 eingehen, wenn der Mensch einschläft (und nicht mehr sieht usw.). Unter den entsprechenden makrokosmischen Größen Feuer, Sonne, Mond und Himmelsrichtungen sind drei Lichter (aber deswegen noch keine Feuer). 193 Nach einem dritten Brähmana ist das Opferfeuer makrokosmisch „diese Welten" (wohl Erde, Luftraum, Himmel), und diese Welten sind bzw. dieses Feuer ist auf das Wasser gestützt (die Erde schwimmt auf dem Wasser); die Sonne bindet die Himmelsrichtungen an diese Welten. Aber auch das J a h r ist dieses Opferfeuer; es stützt sich auf Tag und Nacht, und der Mond bindet die Jahreszeiten an das Jahr. Schließlich ist mikrokosmisch das Opferfeuer das Selbst (der Leib des Menschen); es stützt sich auf das Denken, und die Speise bindet die Lebenshauche an das Selbst (SB VI, 7, 1, 16-21; B 92f.). Aber das Verhältnis von Welten, Jahr und Selbst, d.h. von Raum, Zeit und Mensch, diesen drei Formen des Opferfeuers, zueinander wird hier nicht erörtert, es kam noch zu keinem Feuerhylozoismus, auch nicht bei König Asvapati in dessen Lehre vom Allmännerfeuer im Brähmana. 194 Von dem Licht in All und Mensch, das man als Körperwärme fühlt, handelte ein Herzmystiker. 195 In B U I I , 5 steht der elfgliedrigen makrokosmischen Reihe: Erde, Wasser, Feuer, Wind, Sonne, Himmelsrichtung, Mond, Blitz, Donner, Raum und Recht (Moral) eine mikrokosmische, so gut es ging, Glied für Glied entsprechende gegenüber: Leib, Same, Rede, Sehen, Hören, Denken, Feuergeist (zum Blitz fand der Grübler nichts Passenderes), Schall—Ton—Geist (Gegenstück zu Donner), Raum im Herzen und Recht —Moral —Geist. Eine dritte Elferreihe ordnet jedem Glied einen solchen „aus Glut bestehenden Mann (Geist)" 196 zu, der wohl das jeweilige mikro- und makrokosmische Glied der Kette belebt. Bei Blitz und Donner fehlen also im Grunde die mikrokosmischen Glieder. Und nach jenem Raumtheologen in ChU I I I , 18 (B 187f.) „glänzt" und „brennt" jede der vier Lebenskräfte, das Reden, Atmen, Sehen und Hören durch das Feuer der ihr entsprechenden kosmischen Größe: Feuer, Wind, Sonne und Himmelsrichtungen. Merkwürdigerweise gilt dies nicht vom DenkenRaum-brahman. An solche Vorstellungen kann man die buddhistische pessimistische anschließen, daß alles menschliche Erleben ein Leiden, ein Brennen ist, das nur in seinem Verlöschen (nirväna) sein Ende finden kann.

1.2.4.3. Wasser Urgesellschaftliche Kosmogonien beginnen häufig mit dem Wasser, 197 so bei manchen Voräryas Indiens mit dem Mythos, 198 daß ein Gott oder ein Tier auf dessen Anweisung hin die Erde tauchend aus dem Wasser hervorholte. Im Hinduismus tat dies Visnu als Eber. Im Rgveda schuf „er" (ein Gott?) die Wasser und in diesen den goldenen 52

Keim, aus dem der Herr der Geschöpfe oder des Gewordenen, der Schöpfergott Prajäpati, entstand. 199 Prajäpati war im späten Rgveda ein abstrakter, geradezu von Theologen geschaffener Schöpfer. Solche Kosmogonien aus einem Urwasser sind im Rgveda schon in einer sehr verklausulierten, theologischen Weise ausgedrückt und ebenso im Atharvaveda 200 und in den Brähmanas. In diesen ist das Urwasser animistisch belebt, will sich mit einem goldenen Ei fortpflanzen, aus dem jener Prajäpati entsteht, und dieser schafft Erde, Himmel usw. mit seinem Munde, indem er nur deren Sanskritworte (wie ein Magier) ausspricht. Er sagt nicht etwa: „Es werde Licht!" Der Verfasser dieser Stelle ist auch kein Idealist, der aus einer Vorstellung deren Objekte entstehen läßt. Er ist Theologe und wiederholt: „Die Wasser wahrlich sind dieses alles", und fährt fort: Sie sind auch Recht-Moral (dharma), denn bei Dürre nimmt der Stärkere die Schwächeren, d.h., er treibt von ihnen mit Gewalt seinen unverminderten Ernteanteil ein. Diese Vorstellung von der Dürre hat in einem anderen Brähmana zu einer entsprechenden Ätiologie des dharma geführt. 201 Mit dem lebensnotwendigen Monsunregen hängen die Vorstellungen des Kreislaufs des Wassers als eines ewigen Prozesses zusammen, die bereits im Rgveda belegt sind: Es steigt auf mit dem Rauch des Opfers, das von Kampf nicht unterschieden wird, und regnet wieder herab. 202 Dies war eine großartige, richtige, aber noch nicht wissenschaftliche Erkenntnis, es fehlt ja, abgesehen von der Verwechslung von Rauch und Dampf, die Kausalität der Erwärmung und Abkühlung des Wassers. Erst nach dem Beginn der Philosophie mit Uddälaka und Yäjnavalkya lehrte König Citra, offenbar ein Nachfolger Yäjnavalkyas, mit eindrucksvoller Kürze am Ende seines Textes den Sohn Uddälakas, Svetaketu: „Wasser wahrlich ist mir ja diese Welt, ist sie Dir", wenn so richtig übersetzt ist.203 Und damals lehrte der mythische Weise Sanatkumära im Anschluß an manche Gedanken Uddälakas: „Nur Wasser ist dieses, festgewordenes (Wasser). Was diese Erde, der Luftraum, der Himmel, die Berge, Götter und Menschen, Vieh und Vögel, Gräser und Bäume, reißende Tiere bis zu Würmern, Motten und Ameisen (sind), Wasser, festgewordenes (Wasser) 204 ist dieses." An diese etwas fragliche Art eines Wasserhylozoismus hängte er freilich noch ein Textstück an, in dem er mit längerer Begründung lehrt, daß die Glut größer sei als Wasser (was an Uddälaka erinnert), daß endlich der Raum größer sei als Glut (was an jene RaumTheologen erinnert), und er meinte, der Raum sei das brahman, ohne dieses zu charakterisieren; größer als Raum sei die Erinnerung, und damit begann er eine Reihe von Begriffen, die mit dem Atem endet wie bei den Atem-Wind-Magiern. Sanatkumära war also ein eigenwilliger Kompilator. Faßt man diese drei Urstoffe Raum, Feuer und Wasser mit dem Wind der AtemWind-Magier zusammen und fügt Erde hinzu, so hat man die fünf Elemente, die nicht von dem Hylozoisten Uddälaka, sondern von dem Idealisten Yäjnavalkya in seiner Antwort auf die Frage Uddälakas nach dem Faden, der diese und jene Welt zusammenbindet, zuerst zusammengestellt worden sind. Dieser Faden ist nach Yäjnavalkya der „innere Lenker" 2 0 5 (er meint das geistige brahman), der (alles Materielle) Erde, Wasser, Feuer, Luftraum, Wind, Himmel, Sonne, Himmelsrichtungen, Mond-Stern, Raum, Finsternis und Glanz von innen lenkt, aber auch (mikrokosmisch) Rede, Sehen, Hören, Denken, Haut (als Tastorgan), Erkennen und Samen (BU III, 7, 3ff.; B 208f.). Damit knüpfte der Idealist an das Kompendium des Sämantheologen in ChU II, 1-24 an (wie es in anderer Weise Uddälaka tat). Alle diese mythologisch-theologischen Spekulationen über Feuer, Wasser, Raum und 53

Atem-Wind, ja auch damalige Lehren über das Denken (manas),206 ätman und brahman, die zu Idealismus führten, sind aus kosmogonischem Denken hervorgegangen und von dem gentilen vorwissenschaftlichen Wissen des Kreislaufs des Wassers so beeinflußt, daß immer wieder der Gedanke auftaucht, daß alles Gewordene (bhüta) aus dem Nichtgewordenen, das am Anfang da war, sei es nun Wasser oder das Seiende des Uddälaka, hervorgegangen ist und in dieses wieder eingeht. Man spekulierte über etwas, was der arche der jonischen Hylozoisten ähnelt, aber erst Uddälaka scheint zur philosophischen Gegenüberstellung von Materiellem und Ideellem gelangt zu sein; man blieb meist bei der von Natur und Mensch, von Mikro- und Makrokosmos, aber man kam dem Beginn der Philosophie nahe; insofern war diese Mythologie-Theologie eine Vorbedingung der Philosophie.

1.3. Lehren lebensfroher Moral 2 0 7 Nur wenige Textstücke der ChU lassen sich wegen ihrer Stellung in dieser Upanisad als vorhylozoistische Morallehren erkennen. 1. Der Sämantheologe des großen Kompendiums des damaligen Wissens in ChU I I , 1-24 lehrte in seiner knappen Weise mit erschütternder Offenheit, daß man keine Frau auslassen solle, und wie der Liebesverkehr in sechs Stufen verlaufe.208 2. Der aufgeklärte Ritenbezweifler Ghora lehrte Krsna, daß Lachen, Schmausen und Sich-paaren als gewisses rituelles Singen und Rezitieren, als Teil des vedischen Ritus aufzufassen sind, so daß man den Ritus nicht mehr zu vollziehen braucht, wenn man dies weiß. 209 3. Satyakäma, der wissensdurstige Schüler und nomadisierende Hirt im Dienst seines brahmanischen Lehrers, trug seinen Namen „Wahrheitsliebender" mit Recht, denn der Lehrer nahm ihn als Schüler an, weil er ihm offen gestand, daß er der uneheliche Sohn einer Magd war. Wegen dieser Wahrheitsliebe erklärte der Lehrer ihn (wie seinen Vater) für einen Brahmanen, nur ein Brahmane rede so wahr (ChU IV, 4; B 189). 4. Satyakämas Schüler Upakosala war nur zeitweilig aus bestimmtem Anlaß asketisch. Als sein Lehrer ihn nach zwölf Jahren Dienst immer noch nicht belehrte, begann er zu fasten, weil es im Menschen (in ihm selbst) viele Gelüste gäbe; daraufhin lehrten ihn die Opferfeuer des Lehrers traditionelle Begriffsreihen der Sämantheologen. Als (ChU IV, lOff.) Asket folgte er nicht etwa einer lebensfeindlichen Weltanschauung, sondern er setzte sich aus zeitweiligem Trotz nieder, um mit solcher Askese magisch einen Erfolg zu erringen; manche nannten diese Art Askese das ,,dharnä"-Sitzen oder upavesana. - Erst nach Uddälaka-Yäjnavalkya ist eine Art Hedonismus210 belegt. In der indischen Ur- und Klassengesellschaft waren die meisten Menschen, wie die Feste der Urgesellschaft und die Volksfeste, aber auch die Epen und Dramen der Gangesgesellschaft mit ihrem grundsätzlichen glücklichen Ausgang zeigen, Optimisten, und das trotz aller gesellschaftlichen Leiden. Nur mit riesigem Aufwand konnten wenige Inder für pessimistische Berufsaskese gewonnen werden, obgleich jeder Inder der letzten 3000 Jahre an die Erlösungsreligion glaubt oder fcu glauben meint bzw. vorgibt. Uddälaka war anscheinend ein in dieser Hinsicht noch unverdorbener und gerade mit seiner Parteinahme für Wissen gegen Glauben lebensbejahender Optimist und stützte seinen Optimismus zugleich mit seinem Optimismus.

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1.4. Schlußbemerkung In dieser Weise lassen sich bisher einige Linien des aufklärerischen und zu Wissenschaftlichkeit drängenden Wissens samt einer lebensbejahenden Moral zeichnen, welche alle ideelle Voraussetzungen für philosophisches, hylozoistisches Denken wurden. Diese Entwicklung war nur möglich, weil sich mit dem Ubergang zur Klassengesellschaft Klassenkampf, Despotismus und Erlösungsreligion entwickelten. Damit begann der Kampf des Wissens und der Lebensfreude gegen Glauben und Lebensüberdruß in einer Entwicklungslinie, die zu Uddälakas Hylozoismus führte. Eine entgegengesetzte Linie führte gleichzeitig zu Yäjnavalkyas Idealismus. Diese wird im folgenden nachgezeichnet, so gut es geht. In welcher zeitlichen und kausalen Abfolge die einzelnen Schritte beider Entwicklungslinien aufeinander reagierten, ist freilich noch ungeklärt. Es mag wie ein Zufall aussehen, daß zwei philosophische Genies, Uddälaka lind Yäjnavalkya, ungefähr gleichzeitig geboren wurden, um Materialismus und Idealismus zu begründen. Aber Wissen war langsam bis zu Anfängen von Wissenschaft und Glauben bis zu Anfängen der Erlösungsreligion herangereift, und ihr Kampf forderte den Beginn beider Grundrichtungen der philosophischen, der höchsten Form des gesellschaftlichen Bewußtseins heraus, um den höchst gebildeten Denkern einen weltanschaulichen Standpunkt der einen oder anderen Art in bezug auf die letzte, höchste, abstrakteste Frage nach der Realität und dem Wesen von Natur und Mensch zu ermöglichen, u.a. die Frage nach der Existenz und Bedeutung einer ewigen geistigen Seele. Diese beiden ersten Philosophen des alten Indien trafen einmal (zumindest) in einer Diskussion zusammen, vermieden aber dabei eine grundsätzliche Auseinandersetzung, wie Uddälaka auch Pravähanas Wiedergeburtslehre nicht widersprach, vielmehr schwieg, wie es im Despotismus für ihn als Materialisten wohl ratsam war.

2. Durch Glauben contra Wissen zu Idealismus 2.1. Vedische Theologen und Mimämsä Manche Lehren vedischer Theologen trugen zur Herausbildung des Hylozoismus des Uddälaka bei, aber vor allem zu der des Idealismus des Yäjnavalkya. An sich war die Theologie der Brähmanas und zum Teil der Upanisads indessen nichts anderes als eine frühe Form der Mimämsä, denn auch diese war eine Theologie, keine Philosophie. Die Philosophen der. alten Inder haben sie freilich als eines der Systeme ihrer Philosophie aufgezählt, aber sie gingen dabei natürlich nicht wie wir seit Marx — Engels — Lenin von der Grundfrage der Philosophie und ihrer Beantwortung aus, nicht von der Frage, ob die Mimämsä sie mit dem Primat des Ideellen idealistisch oder mit dem Primat des Materiellen materialistisch beantwortet. Die Mimämsä an sich hat dies nicht getan und ist deswegen keine Philosophie. Sie hat nur erst zwischen 300 und 500 u.Z. an die Spitze ihrer Theologie nach dem Vorbild der anderen Philosophien ein Kapitel der Erkenntnistheorie und Logik gestellt. Nachdem die Frage nach dem Kriterium der Praxis in der Guptazeit aufgeworfen worden war, mußte sie ihr eigentümliches Erkenntnismittel, das religiöse Dogma, d. h. die drei Veden, Rg-, Säman- und Yajurveda, deren Samhitäs und Brähmanas, als selbstgenug, keines Kriteriums der Praxis bedürftig, darstellen, denn welche Praxis konnte beweisen, daß der Opferer in den Himmel kommt 55

oder magisch sonstige vedische Verheißungen erfüllt bekommt. Deswegen fügte ein anonymer Kommentator in seinem Kommentar zum Mlmämsäsütra 211 eine kurze polemische Behandlung dieses Themas ein. Die Historiker der altindischen Philosophie stellten bis vor ganz kurzer Zeit diese Frage nicht 212 und erkannten den theologischen Charakter der Mimämsä nicht. Sie stellten fest, daß diese Lehre Leib und Seele bzw. Denken, Menschen und vedische Götter unterscheidet, stellten fest, daß sie keinen hinduistischen Schöpfergott und im Grunde keine Erlösung anerkennt, stellten sie dem Vedänta damit richtig gegenüber, erkannten aber nicht die erstaunliche Kontinuität des alten Indien und seiner Theologien durch etwa 3000 Jahre, die sich eben auch hier zeigt. Die Mimämsä ist die Fortsetzerin der vedischen Theologie der Brähmanas und ließ sich durch keinen Hylozoismus oder Idealismus, Mono- oder Pantheismus der Upanisads beeinflussen und hat schließlich gegen solche Denkrichtungen polemisiert; sie wollte vermutlich Uddälaka sowohl wie Yäjnavalkya als vedische Theologen angesehen wissen, ohne deren Überschreiten der Grenzen der Theologie in Richtung auf die beiden grundlegenden Philosophien zur Kenntnis zu nehmen. Insofern triumphierte in der vedischen Theologie bis heute vedis'cher Glaube gegen neues Wissen und Materialismus, aber auch gegen den neuen Glauben der hinduistischen Erlösungsreligion und des Idealismus. Die Theologen der Brähmanas und Upanisads haben keinen Hylozoismus des Denkens (manas) 213 entwickelt oder etwas, was einem solchen nahegekommen wäre, es sei denn einige Lehren innerhalb dessen, was als Herzmystik unten behandelt werden wird. Es gab ja schon im Rgveda eine einzigartige, theologisch stark mystifizierte Kosmogonie, die die Entstehung der Welt aus dem ,,weder-Seienden-noch-Nichtseienden" (eine Art Urchaos) lehrte, über das hinaus (statt: aus dem) zuerst am Anfang das Verlangen (käma), der erste Same des Denkens (manas, das irgendwie in jenem Chaos war), kam (RV X, 129; B 27ff.) 214 . Diese Vorstufen des späteren Vedänta-Idealismus und des Idealismus des Yäjnavalkya ergaben sich mit dem Übergang zur Gangesgesellschaft, zur Klassengesellschaft, aber die vedischen Theologen ignorierten die damaligen revolutionären religiösen, wissenschaftlichen, philosophischen Neuerungen und hielten an der Fiktion der Ewigkeit des Veda fest. Offenbar erst nach dem Idealismus des Yäjnavalkya ist in der TU III, 1-10 (B 291ff.) etwas gelehrt worden, was man einen brahnian-Hylozoismus nennen könnte: Aus dem brahman werden alle Gewordenen geboren, durch dieses leben sie und in dieses gehen sie (sterbend) ein. Dabei wird das brahman zunächst der Reihe nach als Essen, Atem, Sehen, Hören, Denken und Rede verstanden; da diese traditionellen Lebenskräfte aber nicht ausreichten, wurde brahman über das Denken hinaus als Erkennen und Wonne aufgefaßt, was Yäjiiavalkyas Idealismus entspricht.

2.2. Beginn der Erlösungsreligion 2.2.1. „Romantik" und „Utopik", rückwärts und vorwärts blickender Glaube Der Glaube wurde damals nicht etwa durch Wissen aufgehoben. Da dem vedischen Glauben die Erlösungsverheißung fehlte, wurde er in der Klassengesellschaft durch die hinduistische Erlösungsreligion beiseite gedrängt. Deren neuer Glaube wurde notwendig, weil das damalige Wissen allzu gering war. Was konnte es schon bei Krankheiten, beim 56

Berechnen des Beginns des Monsunregens und der Gestirnbewegungen, bei Schwierigkeiten sozialökonomischer, juristischer und politischer Probleme, bei solchen der Geschichte, der Dichtung, Sprache, Metrik und Musik leisten! Es konnte die Fragen nach dem Sinn des Lebens der Ausgebeuteten und der Ausbeuter in der beginnenden Klassengesellschaft und nach der Herkunft der neuen gesellschaftlichen Übel nicht ausreichend beantworten, konnte den Klassenkampf nicht verstehen lehren und sollte dies im Interesse der Ausbeuter auch nicht. Die ideologische Bewältigung der sich entwickelnden gesellschaftlichen Leiden der Volksmassen wurde in den Köpfen und Herzen der meisten durch den sich ausbreitenden Erlösungsglauben und die zugehörigen Riten, bei wenigen durch neue Theologie und durch Idealismus geleistet, und zwar in den Upanisads. Aber die Theologen wollten die neue Religion als ewige Wahrheit, als ewiges Wissen erscheinen lassen und übersahen geflissentlich, wenn sie dazu überhaupt imstande waren, wie Aruna und Uddälaka, in bezug auf ihre Lehren das Neue, die allseitige Entwicklung in Basis und Überbau. Die Aryas verschweigen im Gangesgebiet ihre Übernahme des Reisanbaus und manches Ideellen von den Voräryas, wie auch später „barbarische" Eroberer Indiens, wie die Türken und Moguln, durch die höhere Kultur der Eroberten erobert 215 wurden. Es gab damals vermutlich schon Theologen, die die Volksmassen mit dem hinduistischen, aus dem Vorderen Orient damals nach Indien gewanderten Mythus zu trösten suchten, daß die Geschichte der Menschheit in vier Weltaltern ablaufe, die sich vom ersten, paradiesischen (d. h. urgesellschaftlichen, klassenlosen) bis zum damaligen vierten (klassengesellschaftlichen) gesellschaftlich-moralisch immer mehr verschlechtert hätten, daß aber einst ein Heiland erstehen und ein seliges fünftes Weltalter als wiedererstandenes erstes herbeiführen werde. Aruna, Uddälakas Vater, machte diesen Mythus für seine Sonnenverehrung (s.u.) passend. Diesem Mythus mag u.a. eine Ahnung der Dialektik der Entwicklung der klassenlosen Urgesellschaft über die Klassengesellschaft zu klassenlosem Sozialismus-Kommunismus zugrunde gelegen haben. Vor allem aber blickten damals Grübler im Leid der neuen Klassengesellschaft mit dieser Art Romantik auf die verlorene Stammesgesellschaft zurück, und zugleich sahen sie utopisch deren Wiederkehr (in neuer Qualität?) voraus.

2.2.2. Sonnenverehrer Der Kult des Sonnengottes (Sürya, Helios, Sol, also indoeuropäisch) hatte im Rgveda eine ganz große Rolle gespielt. In RV I, 115, 1 wird die Sonne der ätman, das Selbst (die Lebenskraft), das Sichbewegenden und Stehenden ( = RV VII, 101, 6) genannt, welches Erde, Luftraum und Himmel (die drei Welten) erfüllt ( = RV IV, 14, 2). Und in dem ,,Rätsellied" RV I, 164, 4 wird neben dem Leben (asu) und Blut der Erde ihr ätman genannt, was hier also mehr als Lebensprinzip bedeuten muß. Im Brähmana vertraten einige Theologen, die man Sonnenverehrer nennen kann, obgleich sie nicht nur die Sonne anbeteten, neue Formen der vedischen Mythologie und Magie. Statt gentilem Somarausch kam es ihnen auf „Wissen" an, auf Glauben an die magische Entsprechung z.B. der Sonne und der Goldplatte, die der Opferer beim Opfern trägt; beide sind, lehrten sie, das Wahre, d. h. das magisch Mächtige, die Sonne im Makro-, die Goldplatte im Mikrokosmos (ÖB VI, 7, 1; B 68ff.). Der Magier ist ja mächtig kraft seines wahren „Wissens". Oder: die Goldplatte und der „goldene Mann" steigen zur 57

Sonne auf; diese Goldplatte sei das Weiße im Auge, und der goldene Mann (Geist) sei der Mann in ihr, den man im rechten Auge sieht (das Spiegelbild des Betrachters?). Diese beiden seien wiederum der Gott Indra und dessen Frau, dieses höchste Götterpaar, das in das Herz des schlafenden Gläubigen (aus den Augen) eingeht und dort glücklich ruht; aus ihrem Samen entstände das All (ohne daß diese Kosmogonie ausgemalt würde oder hier von Pantheismus, geschweige Idealismus die Rede sein könnte). Wer dieses „weiß" und zu den Königssippen gehört, erhält einen kraftvollen Sohn. Mit der Paarung dieser Götter in seinem Herzen schläft der Mensch ein (SB X, 5, 2ff.; B 70ff.). Die Sonne gilt diesem Theologen als die Speise, der „Mann" in der Sonne als der Esser; das soll wohl bedeuten, daß er (als Subjekt) die Sonne (als Objekt) „ißt", erkennt und (magisch) lenkt (wie der Despot die Untertanen „ißt"). Oder: Die Sonne ist der Opfergeweihte (sich für das Opfer, für Stärke, Ehrwürdigkeit, Vorherrschaft Weihende), und dieser ist der „Mann" im Auge (JB II, 62ff.; B 74ff.). Oder: Drei (oder vier) Himmelsrichtungen sind (oder entsprechen) drei Stationen der Sonne (morgens, mittags, abends), drei Veden und drei Ständen (den arischen) (TB III, 12, 9; B 76f.). 216 In Upanisads heißt es dann in einer merkwürdigen Kosmogonie: Die Sonne ist das brahman (die magisch-mystische, nicht die geistige Urrealität), das das „Wahre" 2 1 7 (Mächtige) ist, das aus dem Wasser entstand. Die Sonne ist durch ihre Strahlen mit dem Menschen verbunden, und der „wissende" Sterbende sieht sie ganz rein, in ihrer Wahrheit, ohne durch die Strahlen geblendet zu sein (BU V,5). Oder: Die Sonne ist der Deckel, der die Wahrheit verhüllt; der „Wissende" betet im Sterben, Yama möge die Strahlen auseinander tun, damit er die schönste (wahre?) Gestalt der Sonne im Sterben sehe, d.h. in der Sonne jenen „Mann" sehe, der er selber ist, und nach dem Tode dorthin gelange. Der Leib möge verbrennen, der Wille möge sich an das Handeln (wohl an das kultisch-magische) erinnern (und den Sterbenden zur Sonne führen) (BU V,15). Man möchte auch eine andere Kosmogonie (ChU III, 19; B 157) einem Sonnenverehrer zuweisen. Der Gipfel dieser Glaubensrichtung war Aruna, der Vater Uddälakas (ChU III, 1-11; B 162ff.). Die Sonne ist der goldgelbe Honig am Himmel. 218 Ihn haben die Bienen, die Veden, zusammengetragen. Die Sonne hat fünf Strahlen nach den fünf Himmelsrichtungen (O-S-W-N-Zenith) mit je einer der fünf Farben rot, weiß, schwarz, ganz schwarz und zitternd, mit je einer Gruppe von Göttern und mit je einem Veda: 1) Rg2) Yajur-, 3) Säman-, 4) Atharvaveda samt Epen-Puranen und 5) die „geheimen Anweisungen", die ihm wohl die Brähmanas bedeuteten. Die Sonne hat weiter je einen Aufund Untergang in jeder der fünf Himmelsrichtungen für je ein Weltalter, das jeweils doppelt so lange währt wie das vorangegangene, bis die Sonne danach (d.h. in einem ewigen sechsten Weltalter, wenn die Menschen (?) die Upanisad wissen) niemals und nirgends mehr auf- oder untergeht, sondern im Zenith bleibt. Aruna verband den rgvedischen Mythus der auserwählten Unsterblichen bei Yama in der Sonne 219 mit dem hinduistischen Mythus der Weltalter und mit Spekulationen wie denen des Herztheologen über die fünf „Götteröffnungen" des Herzens (s.u.). 220 Uddälaka wurde von Arunas Lehre der Farben der Sonne angeregt. Arunas „Wisser" der Upanisads aber erleben in ihrem ewigen Weltalter, das Pravähanas Leben in der Brahman weit entspricht, im Grunde schon die Erlösung, die in der folgenden Generation Yäjnavalkya ausmalte. 2.2.3.

Theologen des Herzens, des Lichts und des Denksns (manas)

Im Rgveda grübelten Priester-Dichter der zerfallenden Urgesellschaft, die sich zu spezialisierten Kopfarbeitern herausgebildet hatten, über ihr Denken und Fühlen und unter58

schieden, wenn auch nicht klar, d. h. wissenschaftlich, zwischen dem leiblichen Herzen und dem geistigen „Denken" (manas); 221 sie stellten aber auch das Denken dem Fühlen des Herzens gegenüber oder stellten beide ohne für uns ersichtliche Unterscheidung nebeneinander, und einige sahen im Herzen die Quelle ihrer geistigen Produktion, ihrer dichterisch-religiös-mythologischen Schau (Intuition) 222 . In einer Textsammlung des Yajurveda ist uns ein besonderer Hymnus auf das Denken erhalten, das unsterbliche Licht im Innern der Geschöpfe, das weithin gehende einzige Licht der Lichter usw. (VS 34, 1 - 5 ; B 34ff. 2 3 3 ) Unter den Theologen der Brähmanas begannen dann Spekulationen über das Denken als eine der Lebenskräfte des Menschen, nicht des Tieres, neben Atmen, Hören, Reden und Sehen; dies war unter anderem charakteristisch für die Atem-Wind-Magier, andere Theologen griffen geradezu erkenntnistheoretische Fragen nach dem höheren Wert des Denkens oder des Redens oder nach deren gegenseitiger Abhängigkeit auf (B 86ff.). Ein Kosmogone ließ den späten Schöpfergott Prajäpati aus seinem Denken den Menschen, aus seinen anderen vier Lebenskräften vier Arten Haustiere schaffen. 224 Ein anderer ließ seine Kosmogonie mit dem „Gleichsam-weder-Seienden-noch-Nichtseienden", das ihm das Denken war, beginnen, denn das Denken sei ja weder seiend noch nichtseiend; 225 vielleicht meinte er: weder materiell noch nichtseiend. Einer der im Brähmana viel genannten Theologen war Sändilya (SB X,6,3; B 118f.). E r verstand das brahman und den ätman, diese damals schon weit verbreiteten Schlagworte, als das „Wahre" 2 2 6 . Eine spätere Variante seines Textes, die wohl in seiner Schule entstanden ist, steht in ChU 111,14 (B 193f.), ist also ebenfalls älter als Uddälaka. Beiden Fassungen gemeinsam ist: Mein ätman in meinem Herzen besteht aus Denken, hat den Atem als Leib, das Licht als Gestalt, den Raum als sein Selbst und ist in meinem Herzen feiner als ein Hirsekorn oder als dessen Kern; es ist aber zugleich größer als der Raum. Diese coincidentia oppositorum kennzeichnet diesen Theologen des Herzens und des Denkens als einen Mystiker, d. h. als einen Lehrer des Dunklen, das den Sinnen und der Vernunft verschlossen ist, 2 2 7 nicht etwa als einen Dialektiker. Nach beiden Texten glaubte Sändilya, daß er nach dem Tode zu diesem Selbst werden würde, das er in der Upanisad - wie kurz nach ihm Yäjnavalkya - mit dem brahman gleichsetzte. Vielleicht glaubte er damit schon an eine Art Erlösung wie Yäjnavalkya. Dieser Herzmystiker war aber noch kein Idealist. Ihm war zwar das mikrokosmische Selbst (ätman) gleich Denken ünd zugleich gleich dem makrokosmischen brahman, das den damaligen Magier-Theologen als die Urmaeht und Urrealität galt; er hat aber diesem Denken-Bewußtsein keinen Stoff als Objekt gegenübergestellt und also die Grundfrage der Philosophie nicht gestellt. Dieser Herzmystik des Sändilya geht in ChU 111,13 (B 159ff.) eine verwandte, theologische, vermutlich etwas ältere Lehre unmittelbar voran. Diese ist ebenfalls kein Idealismus oder Pantheismus. Ihr Grübler sah das Herz (d.h. doch wohl: sein eigenes) als das Zentrum der Welt an, das sich mit seinen fünf „Götteröffnungen" nach allen fünf Richtungen (O-S-W-N-Zenith, nicht nach unten) 228 öffnet als mit je einer der fünf Atem (wobei der Abatem nicht nach unten, sondern nach Westen abgeht), zugleich als mit je einer der psychologisch-physiologischen Kräfte (sehen, hören, reden, denken, aber nicht, wie sonst üblich, atmen, sondern Wind nach oben) und mit je einer der fünf Gottheiten (Sonne, Mond, Feuer, Parjanya (dem Regengott) und Raum, der sonst nie als Gottheit gilt). Diese fünf Gottheiten sind die Dienstmannen des brahman, die Hüter der fünf Tore der Himmelswelt. Das (makrokosmische) Licht jenseits dieser Himmels59

weit auf den Rücken (Plural) des Alls in den höchsten Welten (Himmelsetagen ?) ist das (mikrokosmische) Licht innerhalb dieses Menschen (d.h. des Grüblers selber?); man fühlt dieses (Licht) als Wärme des Leibes, 229 man hört es (d. h. das Rauschen des eigenen Blutes) gleichsam knistern, wenn man die Ohren zudrückt. Verstehen konnte und kann bzw. sollte und soll man solche Herzmystik nicht, vor allem nicht in den Einzelheiten der Zuordnung der drei Fünfergruppen zu den fünf Richtungen und Götteröffnungen. Man ahnt nur etwas von der den Gläubigen beglükkenden Einheit des Lichts im Herzen und im Jenseits kraft jener Götteröffnungen. Wir möchten in diesem Licht 2 3 0 eine Vorstufe des Geistes sehen, von dem der IdealistPantheist Yäjnavalkya sprach. Dessen eigene Theologie-Philosophie sah das Herz als den seligen Ruheplatz Indras und seiner Gattin an (BU IV,2,3f.; B 288); es hat Lebenskräfte nach den sechs Richtungen, hat feine Adern, und in das Herz steigt der ä t m a n hinab, wenn der Mensch stirbt, um aus dem Herzen über Auge, Kopf oder eine andere Stelle des Leibes aus diesem auszuziehen (BU IV,4,1 ff.; B 237), man möchte sagen: aus der oberen „Götteröffnung" des Herzens in den Himmel. An solche Herz-Raum-Licht-Mystik ist ferner diejenige anzuschließen, nach der Yäjnavalkya den Vidagdha in seiner großen Disputation fragte (BU I I I , 9 , l l f ; B 216). Dieser Brahmane vertrat selber eine an anderer Stelle nur kurz angedeutete Herz-RaumTheologie (BU IV,1,7; B 226). Etwas jünger als Sändilya, aber ebenfalls noch ein wenig älter als Yäjnavalkya dürfte der anonyme Theologe sein, der lehrte, das (mikrokosmische) Denken als das brahman zu verehren, welches der (makrokosmische) R a u m sei (ChU 111,18,1; B 187). In die späteste Upanisadzeit wird der Text des Theologen und Herzmystikers gehören, der den Raum im Herzen mit dem des Alls gleichsetzt, den ätman in den Adern des Herzens traumlos schlafen und im Sterben mit den Strahlen der Sonne aufwärts steigen läßt (ChU VIII, 1-6). 2.2.4.

Morallehren des Tatvergeltungsglaubens 2 3 1

Bei den Kreislauf]ehren des Wassers usw. ist oben im Kapitel über die Raum-Spekulationen (III.1.2.4.1.) auf den Kreislauf des Menschen vom Sterben zur Wiedergeburt und neuem Sterben hingewiesen worden. Diesen lehrten die beiden Könige Pravähana und J a n a k a die beiden Brahmanen Uddälaka und Yäjnavalkya. Diese Könige übernahmen den vorarischen Glauben an Wiedergeburt in der Sippe, und Pravähana (ChU V, 10; B 254f.) wandelte ihn in der Klassengesellschaft zu hinduistischem Glauben an Wiedergeburt in einem durch das Handeln im vergangenen Leben magisch verdienten Stand um. Er drohte dabei den Untertanen, die einen stinkenden (meinte er u.a. womöglich einen rebellischen?) Lebenswandel führten, mit schlimmer Wiedergeburt als Hund, Schwein oder Candäla („Unberührbarer"), 2 3 2 verhieß aber Menschen mit erfreulichem Wandel Wiedergeburt in einem der drei arischen Stände oder in dem der Südras; er versprach schließlich Waldasketen Aufstieg zum brahman in dessen Himmel im Sinne der hinduistischen Erlösung. Er erklärte Uddälaka, früher hätten Brahmanen diese Lehre nicht gewußt, nur Ksatriyas, und gerade wegen dieses „Wissens" seien diese die Herrscher (ChUV,3; B U V I , 2 ; B 249ff.). K a n n er gemeint haben, daß die damaligen frühen Despoten ihre Macht über die vorarischen Volksmassen vor allem der Übernahme von deren Wiedergeburtsglauben zuschrieben, der auch noch ein Südra-Bauern-Dasein der Masse der Voräryas auf gutes Handeln zurückführte, den Königen (Ksatriyas) aber zu60

gleich den politischen Vorrang vor den Brahmanen sicherte, die am alten vedischen Glauben an das Jenseits festhielten ? Die Tatvergeltungslehre teilte ungefähr gleichzeitig der Bramahne Yäjnavalkya in seiner großen Unterredung dem Brahmanen und Theologen Artabhäga als sein Geheimnis mit (BU 111,2; B 198ff.). Er hatte offenbar inzwischen die von Janaka übernommene Lehre in diesem Sinne ähnlich wie Pravähana mit Moral ausgebaut und lehrte Erlösung als (utopisches) Ziel allen Lebens und Denkens (Glaubens). Der Wiedergeburts- und Erlösungsglaube dürfte danach damals zunächst ein Privileg einiger Ausbeuter gewesen sein, oder diese Könige und ihr Ideologe suchten den neuen hinduistischen Glauben gerade dadurch für die Massen und Theologen anziehend zu machen, daß sie ihn als ihr Geheimnis ausgaben, das sie nur Begünstigten weitergaben. Zu Buddhas Zeiten, also knapp ein Jahrhundert später, war dieser hinduistische Erlösungsglaube der im Gangesgebiet herrschende geworden; er begann seine Funktion als das Opium des Volkes. Da die Herausbildung der Gangesgesellschaft damals ein Fortschritt war, so sehr auch die Volksmassen darunter zu leiden hatten, waren auch die ersten Gläubigen und Theologen des Hinduismus in ihrer Weise fortschrittlich; 233 sie waren zumindest gesetzmäßig notwendig, u. a. für den Beginn der Philosophie. Die Staatslehrer und Ökonomen fanden damals vielleicht schon eine Verbindung der vorsichtigen staatlichen Ausbeutung mit der materiellen Interessiertheit der Volksmassen, so daß diese glauben konnten, mit dem Steigern ihrer Produktion auch ihren eigenen Anteil am Produkt ihrer Arbeit, nicht nur den staatlichen Anteil, steigern zu können. Diese materielle Interessiertheit zusammen mit dem Tatvergeltungs- und Erlösungsglauben sicherten die ungemeine Kontinuität der altindischen Dorfgemeinde, Produktionsweise und Klassengesellschaft bis Mitte des 19. Jahrhunderts oder gar teilweise bis heute. Der Wiedergeburtsglaube isolierte jeden Menschen, ja jedes Lebewesen völlig von allen anderen. Jeder ist seines Glückes Schmied. Die Seelen von Mann, Frau und Kind treffen nur zufällig in seiner Familie zusammen, jede nach ihren Verdiensten. Dieser Glaube be- oder verhinderte u. a. auch das Aufkommen von Klassensolidarität, und das in einer Gesellschaft, in der sich unter den Intellektuellen einerseits ein starkes Selbstbewußtsein herausbildete, das sich u.a. in den üblichen Disputationen auslebte, 234 in der andererseits jedes Individuum durch unlösliche, geradezu noch gentile Bande, durch Erbschaft, an seine Familie, Sippe, Dorfgemeinde, Kaste und an seinen Stand gebunden war. Von diesen Fesseln gab es eine utopische Befreiung nur als religiöse Erlösung, die angeblich jeder erreichen konnte, freilich nicht zu seinen Lebzeiten, sondern nur nach zahllosen Wiedergeburten mit höchst einseitigem moralischem, letztlich restlos entsagendem Lebenswandel, völligem Verzicht auf alle gesellchaftlichen Erfolge, auf jegliche Solidarität und persönliche Wünsche, auf „irdisches" Glück. Dieses war der moralische Unterbau, auf dem Yäjnavalkya seinen objektiven Idealismus aufbaute: Das brahman, d. h. das geistige Reale, welches zu Natur, Mensch und Gesellschaft wird, ist gleich dem ätman, dem Selbst, der anfanglösen, individuellen, geistigen Seele, die aus Verblendung, welche ihren Sünden entspringt, von leidvoller Wiedergeburt zu Wiedergeburt wandert und ihr religiöses Ziel der Freiheit, der Erlösung, durch Glauben bzw. Idealismus, „Wissen", zu erreichen sucht. Yäjnavalkya lehrte den Primat des Ideellen, des ätman-brahman, vor dem Materiellen, Natur und Mensch bzw. Kosmos und Leib, die kosmogonisch aus ihm entstehen. Morallehren, die diese Erlösungsreligion berücksichtigen, finden sich in den alten Upanisads vermutlich erst nach Yäjnavalkya; zum Beispiel: Es kommt für den Men61

sehen auf rta (die spätrgvedische magisch-moralische Einordnung in den Kosmos und dessen Werden), auf Wahrheit, Askese (!), Selbstbeherrschung (!) und Ruhe (!), aber auch auf Ausführen der Riten, Gastfreundschaft, „Menschlichkeit" 235 und Zeugen von Nachkommenschaft an, für den Brahmanen außerdem auf Lernen und Lehren dieser theologischen Morallehre (TU 1,9). 236 - An anderer Stelle wird Selbstbeherrschung den Göttern (als mythischen Stellvertretern der irdischen Herren), aber Freigebigkeit den Menschen und Mitleid den Dämonen (als den bösen Herren) angeraten (BU V ^ ) . 2 3 ' Solche Empfehlungen der Selbstbeherrschung, Ruhe, des Verzichts auf gewalttätiges Handeln galt offenbar sowohl für den idealen, sich freiwillig an Moral bindenden Despoten im Interesse der Ausgebeuteten als auch für diese im Interesse der Ausbeuter, denn die Massen sollten ohne Neid ihr Schicksal tragen. Am rgvedischen rta hielten konservative Brahmanen, Vorläufer der Mimämsä, fest. Andere sprachen statt dessen von dharma (TU 1,11,1) und erdachten eine Kosmogonie als letztlich eine Ätiologie des dharma (Recht-Moral), der den Schwachen gegen den Starken schützt, 238 weil er über allen vier Ständen steht; dies ist wieder jene Utopie des moralisch sich selber bindenden Despoten.

2.2.5.

Erlösungsglaube und Lebensüberdruß

Kaum hatten Könige wie Pravähana und Janaka den Wiedergeburtsglauben, der für alle Wesen gelten sollte, zu propagieren begonnen, baute Yäjnavalkya ihn zur Erlösungsreligion aus, die von allen Indern mit Ausnahme der gentilen Voräryas in ihren Rückzugsgebieten und der wenigen Materialisten angenommen wurde, wenn auch in verschiedenen Formen, in hinduistischer, buddhistischer und jinistischer, in zahllosen Sekten. Yäjnavalkya dachte als Theologe und Idealist im Grunde in jenem konsequenten Egozentrismus der im oben erwähnten Sinne vereinzelten 239 Wesen, der Menschen, Tiere, Pflanzen, Götter und Geister. Er dachte im Grunde nur an seine eigene Erlösung, die seines Selbstes, das aber doch wohl als mit allen anderen Selbsten im brahman eins gedacht war, und lehrte Erlösung unter anderem seinen König Janaka und seine zweite Frau, Maitreyl, die er liebte, gerade weil sie glauben und darüber reden konnte. 240 In Yäjnavalkyas objektivem Idealismus steckt somit ein gewisses solipsistisches Element, aber es ist deswegen noch kein subjektiver Idealismus. Die Erlösungsreligion begann in der beginnenden Klassengesellschaft als „der Seufzer der bedrängten Kreatur", als der Schrei nach völliger, abstrakter individueller Freiheit, 2 4 1 nicht nach sozialer, ökonomischer, politischer oder rechtlicher, sondern nach utopischer religiöser Freiheit von allen Banden und Leiden in Natur, Gesellschaft und eigenem Ich. Aber Yäjnavalkya definierte den Begriff der ersehnten und theoretisch für alle Wesen angeblich erreichbaren Freiheit nicht in solcher Weise, sondern verhieß an einer Stelle Befreiung von Tod, von Tag und Nacht, vom Wechsel des Mondes (BU 111,1; B 195f.), an anderer Stelle: von Hunger und Durst, Kummer, Verblendung (Unglauben), Alter und Tod, von Streben nach Söhnen, nach Hab und Gut, nach (Wiedergeburt in den drei) Welten und nach (theologischer) Gelehrsamkeit, aber auch von Streben nach deren Gegenteil, nach Kindlichkeit (So ihr nicht werdet wie die Kindlein ...), sogar darüber hinaus nach dem Schweigen des Waldeinsiedlers, denn alles dieses sei „leidvoll" gegenüber der Erlösung (BU 111,5; B 204). Frei sei der, der über alles Begehren hinaus sei, der damit alles Übel von sich abgeschlagen habe und furchtlos sei. An diesem hafte weder Gutes noch Übles, er sei über 62

alle Sorgen des Herzens hinausgelangt (BU IV,3,21f.; B 233f.). 2 4 2 Konsequenterweise behauptete er nicht, diese Utopie selber in seinem Leben verwirklicht zu haben, sondern nur, daß der höchste Weise die einzige Realität, das Selbst oder das brahman, in sich verwirkliche, zu diesem werde; in diesem brahman würden alle Unterschiede, die man in der Erfahrung mache, aufgehoben; dann seien, fuhr Yäjnavalkya fort, Vater und Mutternichtmehr die Eltern, dann seien die (drei Welten) und die (drei Veden) alle eines, nur brahman, und ebenso der Dieb, der Embryotöter (Abtreiber), der Candäla und der Paulkasa (die „Unberührbaren"), 243 aber auch der Bettelmönch und der Wanderasket (BU IV,3,22), also die (ständisch-juristisch-moralisch gesehen) niedersten und die höchsten Menschen. Yäjnavalkya war damit ein Mystiker, der in utopisch-egalitärer Weise intuitiv in dem unerkennbaren letzten Einen auch den Sünder und den Heiligen, als — wie Mystiker mittelalterlicher Sekten sagten — eins in Gott erlebte. Er lehrte aber nicht, daß im gesellschaftlichen Leben auch der „Unberührbare" als vollgültiger Mensch anzusehen und zu behandeln sei. Meinte er, daß ein solcher ein Weiser werden dürfe ? Immerhin hat er ausgesprochen, daß erst der, der über den Schweiger hinausgewachsen ist, ein Brahmane wird. Ein wahrer Brahmane wird man eben nicht durch Geburt im Brahmanenstand und die dazugehörige theologische Gelehrtheit. Dies zu behaupten war ungemein kühn. Brahmane wird man, lehrte Yäjnavalkya, durch festen Glauben an Erlösung, an utopische Freiheit, vielleicht an Idealismus. Im letzten Textstück des Yäjnavalkya, als der Weise am Ende seines Lebens seine Frau Maitreyi noch einmal belehrte 244 und dann in die Heimatlosigkeit zog, gestand er ihr seine hoch vergeistigte Liebe. Er wurde dann ein Schweiger, wußte und lehrte aber schon vorher, daß er auch über das Schweigen des Einsiedlers und Mystikers hinausgelangen müsse, daß der wahrhaft Liebelose der sei, der (nur) das (sein) Selbst, das brahman, das einzige Reale, liebe, der darin die Liebe (seinen Wunsch) erreicht habe und damit die objektlose Wonne des reinen Geistes erlebe. Der theologische Lehrer der religiösen Erlösung wurde damit zum Idealisten und Mystiker, dem das einzige Reale jenseits aller Erfahrung nichts als Wonne und Geist war. Er lehrte als Nachfolger Sändilyas, daß der Mensch aus Liebe (Lust, Wunsch) bestehe und gemäß seinem Wunsch wolle. E r verlangte Wunschlosigkeit bis zum Schweigen des heimatlosen Wanderbettlers, der aus der Klassengesellschaft heraustrat, um in objektlosem Wonnerausch „frei" von Natur und Gesellschaft zu werden. Aus der Klassengesellschaft fiel er zugleich an deren Anfang als heimatloser Wanderer, als romantischer Utopist in eine neue Form des urgesellschaftlichen Sammlers zurück. Dies war seine moralische Form der Kritik an der jungen Klassengesellschaft, eine radikale, aber nur religiöse, nicht sozial-politische revolutionäre Haltung eines sich bewußt Vereinzelnden, eine unmenschliche Konsequenz des die Menschen isolierenden Tatvergeltungsglaubens und zugleich ein den Volksmassen im Interesse der Ausbeuter vorgelebtes Muster der Enthaltsamkeit, der äußersten Armut und Hinnahme aller Leiden, wie es der Despotismus für die Ausgebeuteten brauchte, die lernen sollten, solche Muster der Tugend zu verehren und zu unterhalten, die bei aller Freiheit von der Gesellschaft in dieser Weise an sie gebunden blieben. Soweit wähnte sich Yäjnavalkya schon hier auf Erden frei. 245 Spätere Mystiker nannten solche „Weise" die schon „bei Lebzeiten Erlösten" (jivanmukta). Waren die Massen gemäß der Tatvergeltungslehre an die Moral gebunden, die der neue Staat brauchte (s.o.), so glaubte der Mystiker und Idealist für sich und lehrte seinesgleichen, diese winzige geistige „Elite", über die üblichen Moral erhaben zu sein,

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denn am Selbst der Weisen, am brahman, am Geist, hafte kein Übel, keine Schuld. Yäjnavalkyas Haltung war zugleich tief moralisch mit seiner mutigen Ablehnung des Standesbrahmanen und mit der humanistischen Erklärung seiner vergeistigten Liebe beim endgültigen Scheiden von seiner Frau Maitreyl, die hoch über der durch den Rgveda vielfach bezeugten gentilen Erotik stand. Er war ja auch groß als Prosalyriker, wenn er den Übergang vom rastlosen Tag zur Ruhe der Nacht und des Denkens schilderte 246 (BU IV,5,5; B 245; B U IV,3,1-6; B 229f.). Eine theologische, aber nicht idealistische Morallehre, die dieser Mystik weitgehend entsprach, lehrte damals Dadhyanc, ein Atharvavedabrahmane, wie der Text (BU I I , 5-16) angibt. Er schilderte Erde, Wasser, Feuer, Wind, Sonne, Himmelsrichtungen, Mond, Blitz, Donner und Raum als zehn makrokosmische Objekte aller Wesen, als deren' „Honig" (die süßeste Speise, die sie genießen), und stellte jedem ein mikrokosmisches Analogon im Menschen an die Seite: Leib, Same, Rede, Atem, Augen, Hören, Denken, das leuchtende Selbst, das tönende Selbst und den Raum im Herzen (der auch in Yäjnalvakyas Mystik eine große Rolle spielte). 247 Der Leib ist eben aus Erde, der Same aus Wasser usw. Dadhyanc setzte diese Doppelreihe mit moralischen Begriffen fort, als wären diese ebenfalls solche Begriffspaare, mit dem (makrokosmischen, objektiven?) Recht-Moral (dharma) und dem (mikrokosmischen, subjektiven?) Rechtsselbst, mit Wahrheit und Wahrselbst, mit Menschlichkeit 248 und Menschlichkeitsselbst. Oder meinte er das Recht, die Wahrheit und die Menschlichkeit und lichthafte „Geister" in diesen ? Lebten sie kraft solcher Geister ? Er schloß mit dem (eigentlichen) ätman, diesem aus Glut-Licht bestehenden (also nicht geistigen) unsterblichen „Mann" (dem „Geist" im Sonne des rgvedischen kosmogonischen Urriesen), der das brahman und das All ist (BU 11,5). Alle Wesen, auch der Südra und der „Unberührbare", sind (wenn man diese Morallehre ausdeutet) brahman-ätman-All, denn die höchste Tugend über Recht und Wahrheit hinaus ist „Menschlichkeit", die doch wohl das moralische Erlebnis des Humanismus, der allgemeinen Menschlichkeit vom Mystiker bis zum „Unberührbaren" nieint. Diese drei moralischen Werte verstand dieser Mystiker sowohl als objektive Wirklichkeit wie als subjektive, als habe er eine Art Widerspiegelung der objektiven moralischen Wirklichkeit im Subjekt gemeint, moralische Anschauungen und Verhaltensweisen unterscheiden wollen. Vielleicht schwebte ihm das Paar der kosmischen, universistischen Ordnung (rta-asha-dao) und des menschlich-gesellschaftlich-individuellen dharma vor. Auch satya = Wahrheit wurde ganz allgemein als objektive Realität (Wirklichkeit) und als subjektive Haltung aufgefaßt. Man möchte annehmen, daß die moralische Forderung nach Menschlichkeit (mänusa) letztlich einem tiefen Bedürfnis der Volksmassen entsprang; sie wollten als Menschen leben und anerkannt sein, und ihr zäher Druck von unten errang ihnen langsam bis zum goldenen Zeitalter des Guptas in der Tat einen gewissen sozialen Aufstieg und ermöglichte den großen Dichtern in deren Zeit, wie Kälidäsa und Südraka, einen bewundernswerten Humanismus. 249 Eine weltliche, vielleicht hedonistisch gemeinte moralische Haltung wird in einer anderen, etwa ebenso alten bzw. jungen Textstelle von einem Mystiker und Idealisten abgelehnt (ChU V I I I , 7 - 1 2 ; B 278f.). Sie gilt hier als asurisch (teuflisch), 250 versteht (im Sinne des Materialismus) den Leib als das Selbst (als die Seele); sie lehnt Geben, Glauben und Opfern ab, obgleich ihre Anhänger angeblich die Leiche schmücken, damit diese dadurch die Himmelswelt ersiege. Der Verfasser spricht nicht von Schmücken des lebenden Leibes; er mag an rgvedische Vorstellungen, daß auserwählte Menschen mit gargekochtem Leib zu Yamas Himmel kommen können, 251 gedacht und diese im Sinne der 64

Erlösungsreligion als relativ unfromm abgelehnt haben, denn er stellte nach Yäjnavalkya als richtige Lehre die des von Lust und Leid freien ätman-brahman hin, der sich im Sterben vom Leibe löst und zum höchsten Licht gelangt.

2.3. Schlußbemerkung In dieser Weise lassen sich bisher einige Linien der Herausbildung der neuen Erlösungsreligion, der Theologien der vedischen und hinduistischen Religion und der Moral der Entsagung und des Lebensüberdrusses zeichnen, welche Voraussetzungen für philosophisches, idealistisches Denken wurden. Diese Linie von Magie-Mythologie zu Idealismus lief neben der zu Hylozoismus einher, ohne daß wir bisher beide in ihrer Wechselwirkung Schritt für Schritt darstellen könnten. Sie mündeten beide annähernd gleichzeitig in die Philosophien des Uddälaka und Yäjnavalkya und entfalteten sich gesetzmäßig in derselben Periode, der des Beginns der Klassengesellschaft. Beide waren noch von Mythologie-Theologie durchsetzt, beide Philosophen waren von Haus aus Theologen.

5 Abhandlungen l/G/79

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IV. Die beiden ersten Philosophen Indiens

A. Uddälakas Hylozoismus Im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben trat Uddälaka, der erste indische Philosoph, als Hylozoist auf. Er war ein vedischer Sämantheologe. Sein Haupttext steht in der ChU des Sämaveda. Im Brähmana trat er im wesentlichen noch als Theologe auf. Die Chronologie der ChU und ihrer Teiltexte ist am Anfang dieser Arbeit als 2. Vorbemerkung kurz behandelt worden. 1. Uddälakas Persönlichkeit Uddälaka war ein Brahmane der Kuru-Paiicäla, zweier vereinigter, im Doab zwischen Gangä und Yamunä seßhaft gewordener Völker, deren Herrscher etwa im 8. Jh. schon begannen, in epischen Liedern, aus denen das Epos Mahäbhärata erwuchs, ihre Ahnen glorifizieren zu lassen, und damit eine Art Führungsanspruch über ganz Indien ausbildeten. 1 Sein Vater Aruna aus der Familie der Gautama war wie sein Sohn einer der Theologen des Sämaveda. Uddälaka erbte, wie es üblich war, den Beruf des Vaters und wurde eines Tages von seinen Standesgenossen als ihr Vorkämpfer 2 zu einer Diskussion mit den Brahmanen der „Nördlichen" geschickt und von diesen geschlagen (SB XI,4,1; B 114ff.). Diese können die des Panjab, etwa die der Kekayas, gewesen sein, deren König Asvapati „mehrwußte" als Uddälaka (ChU V , l l f f . ; B 271 ff.), oder weiter östlich die derVidehas des Königs Janaka, des Patrons des Idealisten Yäjnavalkya. Dieser Idealist soll einmal über Uddälaka und andere Brahmanen der Kuru-Pancälas gesiegt haben (BU 111,9,19; B 217). In einem Brähmana werden Uddälaka und Satyakäma mit etwas voneinander abweichenden theologischen Ansichten nebeneinander gestellt (AB VIII,7,); sie waren eben Zeitgenossen, die gelegentlich als Sämantheologen fast dasselbe lehrten. In der Upanisad gibt es wiederum gewisse Gemeinsamkeiten beider, diesmal unter dem Einfluß der Atemwindmagier. 3 Als Uddälaka von dem Vorkämpfer der Nördlichen als Unwissender geschlagen wurde (s.o.), handelte es sich um ritualistische Spintisierereien über physiologische Fragen, über das Wachsen der Zähne und Haare und über Zeugungspotenz des jungen und alten Mannes (SB XI, 4,1; B 114ff.). Diese Niederlage ihres Vorkämpfers mag für die Brahmanen des Doab und für ihn selber wichtig gewesen sein. Vielleicht trieb sie Uddälaka zu ernsterem physiologischem Lernen, das sich damals vor allem auch unter den . Atemwindmagiern auszubreiten begann. Uddälaka eignete sich aber nicht deren magische Denkweise an. Er gab am Ende das Vollziehen von Riten vielleicht ganz auf, schickte zumindest, als ein Fürst Citra ihn für seine Opfer als Priester wählte, seinen Sohn Svetaketu, statt selber zu gehen (KU I; B 258). Citra vertrat damals eine Theologie, die 66

mit Yäjnavalkyas mystischen Elementen gemischt und also relativ spät war; er lehrte zugleich eine Art Wasserkosmogonie oder Wasserhylozoismus. Aber Uddälaka übernahm Citras Lehre nicht. Er übernahm auch nicht von dem Despoten Pravähana dessen Wiedergeburtslehre oder Raumspekulation, sowenig er von König Asvapati dessen Theologie des „Selbst in allen Männern" übernahm, dessen eigenartige Kosmo- und Anthropologie; Asvapati behauptete, kraft des besonderen theologischen „Wissens" dieser seiner Lehre das All und das Ich mit seinen traditionellen Riten zu sättigen (ChU V,19ff. B 275f.), wie Uddälaka schon jenem oben erwähnten Theologen erklärt hatte, er sättige alle Götter mit seiner Art, das Opfer zu vollziehen (SB XI,5,3,12; B 112). Das vedische Opfer was ja ursprünglich eine Bewirtung geladener Götter. Uddälaka lernte indessen vielleicht von König Pravähana dessen Denken in einer Kausalkette (ChU 1,-8 f.; B 256 ff.). Er setzte sich wohl mit so gut wie allen wichtigen damaligen Denkrichtungen auseinander.

2. Der Text des Uddalaka Der Haupttext Uddälakas hat die Form seines Dialogs mit seinem Sohn Svetaketu. Er ist nicht in der Ich-Form erzählt, also wohl kaum von Uddälaka selber oder Svetaketu in dieser Form ihren Schülern vorgetragen worden. Dialoge dieses Typs sind von Buddha sowohl wie von Sokrates und Konfuze, von großen Schulgründern, überliefert, sind aber von mehr oder weniger jüngeren Anhängern ihrer Lehren abgefaßt, zwar auf gewisser historischer Grundlage, aber doch mehr oder weniger frei in manchen Einzelheiten. Ob und wieweit man indessen von einer hylozoistischen Schule des Uddälaka sprechen kann, ist noch zu untersuchen (s.u.); der spätere indische Materialismus des Lokäyata hat nicht direkt an ihn angeknüpft, und kein späterer Materialist hat ihn zitiert, 4 wohl aber tat dies der Idealismus des Vedänta, der diesen Hylozoismus als Pantheismus-Idealismus auffaßte. Wir können bei dieser Lage der Überlieferung nicht sicher sein, daß Uddälaka selber etwa am Ende seines Lebens sein System in dieser Form abgeschlossen, dargestellt und es seinen Sohn als sein philosophisches Erbe gelehrt hat. Wir müssen vielmehr immer wieder Wort für Wort fragen, ob und wieweit dieser Text den ersten indischen Hylozoismus richtig wiedergibt, ob und wieweit er in diesem Sinne echt ist.

2 1. Erste Unterweisung, 1.-7. Abschnitt (ChU V I , 1 - 7 ; B 167ff.) 2.1.1.

1. Abschnitt: Aufgabenstellung (ChU VI,1; B 167f.)

Uddälaka erläuterte die Aufgabe, die er sich als Denker und Lehrer als etwas Neues stellte, damit, daß er erklärte, er wolle das (von den Theologen bisher) „nicht Gehörte, Gedachte oder Erkannte" lehren, (eben seinen Hylozoismus). Er verwendete hier diese Gruppe der drei Verben anscheinend als erster Inder. Yäjnavalkya gebrauchte sie etwas später für die Erkenntnis des brahman, des Geistes, in seiner Unterredung mit seiner Frau Maitreyl (BU IV,5,6; B 246), also erst am Ende seines Lebens als Lehrer, und der mythische Sanatkumära (ChU VII,3,1; B 306) an einer Stelle, an der er gerade vorher Uddälakas Reihe Glut-^-Wasser—Speise verwendet hatte, also sicher von ihm auch zum Gebrauch dieser drei Verben angeregt war. 5*

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Hören bedeutete das Auswendiglernen dessen, was die Lehrer vorsprachen; Schrift wurde ja noch nicht für Literatur verwendet, und Hörung (sruti) bedeutete später die orthodoxe Tradition des Glaubens. Denken bedeutete u.a. das des gesunden Menschenverstandes, das subjektive Meinen oder das Glauben an das Gehörte; von denken = man ist das Nomen manas = Denken abgeleitet, das bei Uddälaka und schon vom Rgveda an eine große Rolle spielte. Es heißt z.B.: dies oder das meinte Gärgya (BU 11,1,16) oder Säkalya (BU 111,9,26; B 220). Erkennen bedeutete das (wissenschaftlich-philosophische) Verstehen des Gehörten und Überdachten, das Wissen, mehrfach in Uddälakas Text verwendet in dem Sinne, daß sein Sohn ihn verstand. Es wurde von Yäjnavalkya in seiner Definition des brahman als des Geistes verwendet (BU 111,9,28,7; B 221). Uddälaka verwendete hier aber nicht das Verbum vid, das von den Theologen für ihr „Wissen" = Veda mißbraucht wurde, so daß es richtiger mit Glaube wiedergegeben wird. Die Theologen wollten ja nicht wahr haben, daß der Kampf des Wissens gegen den/das Glauben heftig entbrannt war. Uddälaka hat aber wohl von seiner Rolle in diesem Kampf des Wissens (Verstehens) gegen das traditionelle Glauben, Meinen und Lehren etwas geahnt. Sein Vater Aruna war wohl einer der ersten Brahmanen gewesen, der es aussprach, daß die Kenner der „Brahman-Upanisad" ewig-selig leben werden (ChU 111,11,3; B 166); er stellte die Upanisad über oder nach die Veden, Epen-Puranen und Brähmanas als etwas Neues. Aruna blieb indessen ein Theologe, ein Sonnentheologe; auch die anderen Upanisaddenker einschließlich des Idealisten Yäjnavalkya und des Hylozoisten Uddälaka wurden als Theologen anerkannt, und ihre Texte wurden deswegen in die Upanisads aufgenommen. Selbst diese beiden ersten Philosophen wußten nicht, daß sie Philosophen waren. Uddälaka behauptete sogar wenig später, große Lehrer hätten seine Lehren schon vorgetragen (ChU VI,4,5; B 171). Er wollte also gar nicht eindeutig als ein Lehrer des Neuen dastehen und hatte ja in der Tat seine Vorläufer. In der von damals an bis zum 19. J h . kontinuierlich lebenden Gangesgesellschaft mit ihrem Despotismus und ihrer Orthodoxie galt vielleicht schon damals manchen Ausbeutern Neues als solches nichts. Uddälakas Hylozoismus wurde in der Tat von damals bis heute oder gestern nicht als etwas Neues aufgefaßt, sondern wurde als eine Art Pantheismus dem Idealismus des Yäjnavalkya an die Seite gestellt. Wie wenig die damaligen Gebildeten den Hylozoismus als Materialismus verstanden haben, können wir nur ahnen und können auch von den mittelalterlichen vedäntisch-idealistischen Kommentatoren der Upanisads in dieser Hinsicht keine Hilfe erwarten. Andererseits ist bisher an keiner Stelle des Textes der Verdacht aufgetaucht, daß dieser Hylozoismus von den Theologen zugunsten der Theologie oder des Idealismus verfälscht worden wäre. Der Text ist zum Auswendiglernen sehr knapp abgefaßt, und es ist unsere unerschöpfliche Aufgabe, aus ihm herauszulesen, was Uddälaka als Materialist und Wissenschaftler erkannt und gesagt, was er gedacht, geglaubt und geahnt hat. Mit Hören, Denken und Erkennen soll die Realität verstanden werden, wie Uddälaka sagte. Er fuhr fort: Das geschieht so, wie durch einen Tonklumpen, eine Kupferperle und eine eiserne Nagelschere alles, was sonst noch aus Ton, Kupfer und Eisen besteht, erkannt wird, nämlich als bloße Umwandlungen dieser drei Stoffe; zugleich erkennt man (als Naturwissenschaftler bzw. Naturphilosoph) diese drei Stoffe als die „Wahrheit" (besser die Wirklichkeit). Mit diesen drei Beispielen bzw. Stoffen und deren Produkten will er den Schüler darauf vorbereiten, daß der Materialist-Hylozoist mit einem einzigen Weltstoff alle realen oder genauer: materiellen und ideellen Erscheinungen überhaupt 68

erkennen kann, daß der Philosoph in den vielen Erscheinungen den einen Weltstoff zu erkennen hat und wissen muß, wie dieser sich zu den Erscheinungen „umwandelt". Ohne die Realität der Erscheinungen anzuzweifeln, stellt er sie, d. h. die sinnlich erfahrbare Welt, für den Philosophen als unwichtig gegenüber dem nur mit Denken zu erkennenden Weltstoff hin. Sein naturwissenschaftliches Interesse war eben gering, nicht so groß wie sein philosophisches, deutete er an. Da es damals im Sanskrit kein Wort für Materie gab, da Philosophie ja gerade erst begann, konnte Uddälaka seinen materialistischen Monismus nicht besser kennzeichnen. Uddälakas Sohn erkannte, daß seine vedischen Lehrer diese Lehre nicht gewußt haben. Er verwendet hier das Verbum vid (s. o.). Uddälaka konnte hier von Umwandlung der drei Stoffe Ton, Kupfer und Eisen reden, sagte aber leider nicht, daß sie und der Urstoff sich in ewigem Wandel befinden, obgleich er solches sicher geahnt hat. Auf das Verhältnis des einen Weltstoffs zu diesen drei konkreten Werkstoffen ging er auch später nicht ein. Die drei galten ihm wohl wie alle materiellen Dinge als Stoffe, die aus den drei Elementen Wasser, Glut und Essen gemischt sind wie die Lichter, die er im 4. Abschnitt behandelte. Den Begriff Umwandlung rahmen zwei andere ein: „Schöpfung der Rede" und „Namengebung", die sein Sohn ohne Erläuterung offenbar aus der Tradition verstand; Uddälaka verwendete sie in seiner Definition der Produkte des Urstoffs, die wir uns mühsam klarzumachen haben (s.u.).

2.1.2.

2. Abschnitt: Kosmogonie (ChU VI,2; B 168f.)

Um die Wichtigkeit des Weltstoffs als des Erkenntnisgegenstandes seiner Naturphilosophie zu zeigen, begann der Hylozoist mit einer Kosmogonie besonderer Art. Kosmogonie und Kosmologie (diese wird im vierten Abschnitt behandelt) waren schon die beiden wesentlichen urgesellschaftlichen Formen der Betrachtung des Weltalls, der Natur, gewesen. Da für Uddälaka die Umwandlung des Weltstoffs, des „Seienden", grundlegend war, begann er mit Kosmogonie, mit dem Beginn des Werdens des (ungewordenen) „Seienden" zu seinen Produkten. Uddälaka konnte indessen noch nicht konsequent materialistisch die Ewigkeit und also Anfangslosigkeit dieses Umwandlungsprozesses erfassen, behielt als Rest der gentilen Mythologie das Motiv der Kosmogonie bei, ließ nur das Seiende „am Anfang" schon da sein und seine Umwandlung beginnen. Er polemisierte im zweiten Satz gegen diejenigen, die ihre Kosmogonie damit begannen, aus dem Nichtseienden sei das Seiende entstanden. Aber, fragte er als Philosoph, wie könnte das so sein (oder werden)! Dieses ist nach der Abgrenzung seiner Lehre von der der anderen Theologen im Abschnitt der Aufgabenstellung die zweite grundlegende Polemik. 5 Die philosophische Frage, wie könnte aus Nichtseiendem Seiendes entstehen, war höchst abstrakt. Mehrere Kosmogonien hatten mit dem Werden des Seienden aus dem Nichtseienden begonnen. 6 Uddälaka aber lehrte, daß das Seiende als solches kein Gewordenes ist, ein Begriff, der bei Pravähana und anderen Grüblern üblich war. Uddälaka meinte im Grunde als Philosoph die Ewigkeit der sich ständig umwandelnden Materie, sprach nie von deren Ende, aber lehrte hier als mythologischen Rest in seinem hylozoistischen Philosophieren den Beginn nicht des Seienden, sondern den der Umwandlung des Seienden, als es „am Anfang" nur dieses Seiende gab, d.h. neben diesem 69

keinen Schöpfer oder den Raum, wohl aber Zeit, eben die des Beginns, ohne Erwähnung einer vorangegangenen Zeit. Uddälaka handelte auch sonst nicht eingehender von Raum und Zeit, erkannte beide natürlich noch nicht als reale Daseinsformen der Materie. E r lehnte Pravähanas Lehre vom Raum schweigend ab; von der Zeit als Schöpferkraft hatten schon Theologen des AV gehandelt. 7 Er sprach auch nicht von einem chaotischen Urzustand des Seienden vor diesem Beginn seiner Umwandlung zur beobachtbaren Welt und nannte als Anlaß zu diesem Werden nur den irgendwann „am Anfang" unbegründet auftretenden Wunsch des Seienden, sich fortzupflanzen. Das Seiende lebt, denkt und wünscht eben bei diesem Hylozoisten, aber es sollte dies ewig, ohne Anfang tun in einem ewigen Kreislauf des Seienden in seine „gewordenen" Produkte und dieser wieder in das Seiende. Für solche konsequente Überwindung der Mythologie war das wissenschaftliche Denken damals noch nicht genügend entwickelt. Diese Kosmogonie als der erste Teil der Naturphilosophie hat' keine Beziehung zu Astronomie oder Geologie, ist hylozoistische Spekulation. Das materiell gemeinte Seiende wünscht seine Umwandlung zur Welt „am Anfang" und wird als Gottheit (devatä) bezeichnet; dieser Hylozoismus ähnelt eben einem Pantheismus, aber damit wurde das Seiende nicht ideell. Begriffe für materiell und ideell gab es noch nicht. Das Seiende war der abstrakteste und für den Philosophen geeignetste Begriff, der in der kosmogonischen Tradition seit langem zur Verfügung stand und dort etwas wie eine Undefinierte Urmaterie meinte. E r wurde damals vom Idealisten Yäjnavalkya nicht verwendet (wie doch im späteren Vedänta, vielleicht unter Uddälakas Einfluß), war damals nicht umstritten, aber nicht ausdrücklich für den Begriff „materiell" verwendet. Bis zum Schluß des Textes wird sein Sinn immer deutlicher. So gebar, lehrt diese hylozoistische Kosmogonie mit ihren drei ersten Schritten, das Seiende die Glut, diese das Wasser, dieses das Essen. Statt des Essens erwartet man etwa das Feste oder gar die Erde, die in manchen alten Kosmogonien aus dem Wasser hervorkam. Auch diese drei Stoffe werden als Gottheiten bezeichnet; man möchte sie als drei Elemente zusammenfassen, aber für Element gab es noch kein Wort. Mit Essen hat Uddälaka u. a. die dank dem Regen (aber auch der Erde) wachsenden Pflanzen gemeint, die Brahmanen waren ja damals schon vermutlich Vegetarier; er hat ja den Schritt Wasser—Essen hier mit der Analogie Regen—Pflanzenwuchs zu belegen gesucht, den vorhergehenden von Glut zu Wasser damit, daß brennender Kummer und Hitze die Tränen und den Schweiß hervorbringen. Aber für den ersten Schritt vom Seienden zu Glut hat er keine Analogie angeführt, hat er wohl keine überzeugende gefunden. Er stellte diese seine eigenartige kosmogonische Dreierreihe vermutlich auf, um u.a. das Sterben im 15. Abschnitt erklären zu können, aber auch der Dreierreihe Rede(Glut) — Atem(Wasser) — Denken(Essen) im 5. Abschnitt wegen; Physiologie war ja im Grunde die für seinen Hylozoismus grundlegende Naturwissenschaft. Nur sie war vor ihm von den Atemwindmagiern ein wenig durchdacht, nicht Astronomie oder Physik. Wegen seiner physiologischen Interessen hat er vermutlich das dritte Element Wasser genannt. Im 5.-8. Abschnitt seiner Lehre ist er ja auf das Essen, Verdauen, Fasten und Hungern eingegangen, und das Essen war auch für andere damalige und ältere Denker ein Problem gewesen, zumal Arme und Asketen hungern mußten und „essen" u.a. das Ausbeuten der Untertanen durch den Despoten meinte. 8 Man kann aber auch darauf aufmerksam machen, daß Wasser das Gegenteil von Glut ist und Essen (als Festes) das von Wasser, daß hier also eine Ahnung dialektischen Werdens vorliegt.

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2.1.3.

3. Abschnitt: Das Entstehen der Dinge des Makrokosmos (ChU VI,3; B 170)

Der erste Satz, daß „diese gewordenen Dinge" (bhütäni 9 , was auch „Wesen" bedeuten kann wie in diesem Satfc) dreierlei Samen haben, insofern sie ei-, lebend- und keimgeborene sind, paßt sachlich nicht zu diesem Abschnitt über die gewordenen Dinge des Makrokosmos. Dieser biologisch richtige, im Sinne der Begriffe in Reihen anordnenden Wissenschaft geradezu wissenschaftliche und damals vielleicht neue Gedankensplitter des Hylozoisten über die Lebewesen mag gerade wcjgen der doppelten Bedeutung des Wortes bhüty hierher geraten sein: auch deswegen, weil es sich bei diesen Lebewesen und den makrokosmischen Dingen um je drei handelt. Aus den drei Elementen sind im Verlauf der kosmogonischen Umwandlung des Seienden alle Dinge des Makrokosmos entstanden. Das Seiende wünschte nämlich als die höchste Gottheit, alle diese Dinge dadurch zu schaffen, daß es mit „diesem", d.h. doch wohl mit dem dem Schüler bereits bekannten „Lebeselbst", in die drei Gottheiten einging, Namen und Farbe (oder Gestalt) ausbreitete, d. h. die drei Elemente sich zu allen einzelnen Dingen aufspalten und zugleich verbinden ließ, so daß diese offenbar wurden. Es machte zunächst jedes der drei Elemente dafür dreifach. Das Seiende war damit zuerst zu den drei Elementen umgewandelt, blieb aber die höchste Gottheit und als solche gestaltlos. Jetzt ging es nicht selbst, sondern mit seinem „Lebeselbst" in seine ersten Produkte, die drei Elemente-Gottheiten, ein. Dabei wird das Verhältnis des Seienden zu diesem „Lebeselbst" und die Frage, ob die Elemente-Gottheiten etwa keine! „Lebeselbste" haben, nicht geklärt. Es ist auch zu fragen, ob dieses „Lebeselbst" (jivätman) des Seienden dasselbe Selbst (ätman) ist, das eine der Bestimmungen des Seienden in dessen Definition (s.u.) ist. Dieses Wort „Selbst", das vom Rgveda an eine Art Lebensprinzip bedeutete, wurde damals für Yäjnavalkyas Idealismus bezeichnend und bedeutete diesem soviel wie Geist oder Seele, die einzige, geistige, höchste Realität. Statt dessen brauchte der Hylozoist sozusagen als Physiologe des Seienden den Begriff Lebeselbst, der das Lebendigsein, nicht die Geistigkeit des Seienden, ausdrückte. Er dachte an keinen Dualismus Weltstoff—Lebeselbst im Sinne von Materie und Leben, geschweige Geist. Er wollte auch nicht von einem Atem (Leben) des lebenden Seienden sprechen; er wollte nicht wie die Atemwindmagier im Atem-Wind den Urstoff des Mikro- und Makrokosmos sehen. In seiner hylozoistischen Kosmogonie geht das Lebeselbst des Seienden in die drei Elemente (dann in deren drei Teile ?) und danach wohl in alle Dinge, in die Produkte der drei Elemente, ein, wenigstens erwähnt Uddälaka es im 11. Abschnitt im lebenden Baum. Über die Begriffe Name und Farbe oder Gestalt (s.o.) deutete Uddälaka erst im folgenden Abschnitt einige Einzelheiten an. Uddälaka ging hier auf die Entstehung des Makrokosmos im einzelnen nicht weiter ein.

2.1.4.

4. Abschnitt: Di« vier Lichter (Kosmologie, ChU VI,4,; B 170ff.)

Von den durch die Dreifachmachung der drei Elemente entstandenen makrokosmisehen Dingen behandelte Uddälaka nur die traditionellen vier Lichter: Feuer, Sonne, Mond und Blitz. Neu war aber: Jedes von ihnen hat drei Farben, ihre rote Farbe ist die der Glut, die weiße die des Wassers und die schwarze die des Essens. Diese vier Lichter stehen hier als Beispiele aller makrokosmischen Dinge, dieser Produkte oder „Verbindungen" der 71

drei Elemente. Diese vier Lichter sind vier ,,Namen und Farben", d.h. konkrete Einzeldinge. Für den Hylozoisten ist ihr Name Feuer usw. aber unwichtig; dieser Name, d. h. das „Feuertum" usw., sind bei seiner philosophischen Betrachtungsweise „weggegangen", sagt Uddälaka, ihn geht ja vor allem ihr Stoff, d.h. die Gruppe der drei Elemente und letztlich der eine Weltstoff, an. Die Magier interessierten sich dagegen für die Namen, mit denen sie die Dinge beschworen. Uddälaka wiederholte hier aus seinem ersten Abschnitt die Definition der Produkte des Seienden: 10 Die vier Lichter sind je eine Schöpfung der Rede, eine Umwandlung (des Seienden), eine Namengebung. Insofern sind sie Namen. Jedes der vier Lichter ist aber zugleich Farbe (es hat drei Farben). Nur die drei Farben (die drei Elemente, letztlich das Seiende) sind das Wahre (oder die Wahrheit bzw. Wirklichkeit). Damit sind die Lichter durch den Materialisten erkannt, gemäß der Aufgabe, die er sich gestellt hatte: die Lichter sind letztlich das Seiende, das sich mit seinem Lebeselbst in sie umgewandelt hat. Die Wirklichkeit ist das lebende Seiende. Uddälaka hat hier als Philosoph im Gegensatz zu den theologischen Kosmologen nicht die Welten, die Ober- und Unterwelten mit ihren Göttern (die Sonne als der Gott des Himmels, das Feuer als der der Erde usw.) behandelt, aber auch nicht Regen und Wind, Jahreszeiten, Flüsse oder Berge, auf die er z.T. später gelegentlich zu sprechen kam, nicht einmal die Sterne. Er hat auch nicht die Bewegungen von Sonne und Mond auf das Lebeselbst des Seienden zurückgeführt oder als Astronom auf ihre Regelmäßigkeit hin untersucht. Er berief sich als Abschluß des vierten oder des zweiten bis vierten Abschnitts darauf, daß schon früher große Gelehrte „dieses" gelehrt hätten, so daß es (für sie und ihre Schüler) nichts Ungehörtes, Ungedachtes und Unerkanntes mehr gab, weil sie in allem die drei Farben erkannten: Was anderen Lehrern unerkannt war, war jenen ja eine „Verbindung" jener drei Gottheiten. Hier steht „Verbindung" der drei Farben der drei Gottheiten letztlich an Stelle von Umwandlung des Seienden, der Dreifachmachung. Dieser vierte Abschnitt ist, insofern er das Dreifachsein, nicht die Dreifachmachung der drei Elemente darlegt, kein Teil der Kosmogonie des 2. und 3. Abschnitts, sondern ist Uddälakas Abschnitt der Kosmologie. Das Wort für Farbe, rüpa, bedeutet später zugleich Gestalt. Beide Bedeutungen hat Uddälaka noch nicht unterschieden.

5.-7. Abschnitt: Mikrokosmos (ChU VI,5-7) 2.1.5.

5. Abschnitt: Verdauung (ChU VI,5; B 172f.)

Beim Mikrokosmos, beim Menschen, bei seinem lebenden Leib wird hier nicht mythologische Anthropologie abgehandelt, auch keine Embryologie, sondern, wie der Mensch durch das Verdauen immer wieder aufgebaut wird, und zwar aus den drei Elementen. In ganz anderer Weise als in der Kosmogonie und Kosmologie, aber analog dem (einmaligen) physikalischen Werden der vier Lichter, handelt es sich hier um das (ständige) physiologische Werden des Leibes. Das Lebeselbst, die Farben der Elemente, das Eingehen des Seienden in die Elemente und den Leib, die Begriffe der Umwandlung, der Verbindung der Elemente oder der Namengebung werden nicht mehr erwähnt. Nur der Begriff der Dreifachmachung der drei Elemente ist grundlegend geblieben. 72

Wenn (nicht nur das dritte Element, Essen, sondern) die drei Elemente, aus denen ja Speise und Trank wie alles Gewordene (Konkrete) bestehen (obgleich dies nicht gesagt wird), genossen und verdaut werden, werden sie nämlich alle drei in ihrer Weise dreifach gemacht, d.h. in Grobes, Mittleres und Feines zerlegt, das Essen zu Kot (grob), Fleisch (mittel) und Denken (fein), das Wasser entsprechend zu Harn, Blut und Atem, die Glut zu Knochen, Mark und Rede. Uddälaka hob abschließend hervor, daß das Denken aus Essen, der Atem aus Wasser und die Rede aus Glut bestehen. Auf Denken und Atem kam es ihm als Hylozoisten wesentlich an; das Denken aus Essen entstehen zu lassen war schockierend, materialistisch, wenn auch naiv. Der Hylozoist stellte die Dreifachmachung der drei Elemente bei den vier makrokosmischen Lichtern anders dar als bei dem mikrokosmischen Leib, d. h. anders bei der anorganischen als bei der organischen Materie. Die Theologen pflegten den Makrokosmos als „Bereich der Gottheiten" vom Mikrokosmos als,, Bereich des Selbst" zu unterscheiden. Uddälaka leitete demgemäß sein Mikrokosmöskapitel mit der Bemerkung ein: Erkenne, wie die drei Gottheiten (Elemente), zum Menschen gelangt (von ihm gegessen), dreifach werden. Er meinte den Unterschied von organischer und anorganischer Naturwissenschaft statt mikro- und makrokosmischer Mythologie. Diese Kosmogonie, Kosmologie und Anthropologie bilden ein sehr knapp gefaßtes, umfassendes und einheitliches hylozoistisches Weltbild. Es ging um die Problematik von Weltstoff, Elementen, Gestirnen, Leib, Geist, Seele und Leben. 2.1.6.

6. Abschnitt: Verdauen als Quirlen (ChU VI,6; B 173)

Uddälaka machte seine Theorie des Verdauens mit der Analogie des Quirlens von Milch, das täglich in jedem Haushalt üblich war, glaubwürdig; er war sich offenbar bewußt, daß solch Beweis notwendig war. Dabei wird das Feinste der Milch zu Rahm-Butter und steigt nach oben, und auch das Feinste von Essen, Wasser und Glut steigt als Denken, Atem und Rede nach oben (d.h. in den Kopf). Auf den Unterschied, daß das Verdauen organisch vor sich geht, das Quirlen aber ein mechanischer Vorgang war, ging der Hylozoist hier sowenig ein, wie er in der Aufgabenstellung die aus Ton, Eisen und Kupfer gewordenen (gemachten) Produkte mit den aus dem lebenden Seienden gewordenen (gezeugten) verglich. Bemerkten er und seine Hörer diesen Unterschied nicht, oder verheimlichte der Lehrer ihn ? Wie unreif diese Art Materialismus war, zeigt sich gerade an solchen Unstimmigkeiten. Darf oder soll man aus dem Makrokosmosabschnitt über das Entstehen der vier Lichter ergänzen, daß bei dieser Analyse des Menschen für den Philosophen das Denkwesen des Denkens, weil es nur ein Produkt des Seienden ist, davongegangen ist, nur das Essen, das Seiende als das Wirkliche und die Ursache geblieben ist ? 2.1.7.

7. Abschnitt: Das Experiment des Fastens (ChU VI,7; B 173)

Das Problem des Denkens und Atmens (Lebens) war für Uddälaka so wichtig, daß er seinen Schüler sich einem Experiment unterziehen ließ. Dieser, sollte fünfzehn Tage fasten, dabei aber Wasser trinken. Am Ende konnte dieser die drei Veden (die er ja gehört hatte) nicht mehr hersagen. Als er dann aber wieder aß, fielen sie ihm wieder ein. Das Wasser hatte ihm eben (nur) den Atem (das Leben) erhalten. Damit bewährte sich 73

Uddälakas Lehre, daß Atem aus Wasser entsteht. Aber der Mangel an Essen hatte das Denken in fünfzehn Tagen auf einen kleinen Rest zurückgehen lassen wie Mangel an Brennstoff das Feuer, genauer auf ein Sechzehntel. Erneutes Essen hat diesen Rest dann wieder vervollständigt, wie neuer Brennstoff das Feuer wieder aufleben läßt. Nach den ersten Worten dieses Abschnitts besteht der Mensch aus sechzehn Teilen. Diese hängen mit den im 5. Abschnitt behandelten neun-Neunteln des Menschen nicht zusammen, kommen sonst bei Uddälaka nicht vor und sind noch nicht erklärt. Jene Neuntel sind Drittel der drei Elemente; die Sechzehntel sind aber keine Viertel einer Vierergruppe, sind wohl von den fünfzehn Fastentagen her zu verstehen. Aus Essen entstehen Denken, Fleisch und Kot; aber bleibt nach fünfzehn Tagen von diesen dreien wirklich nur je ein Sechzehntel? Bleiben dank dem Trinken und Atmen die anderen sechs Neuntel ungemindert ? Warum dauerte das Fasten gerade fünfzehn Tage ? Führte der Hunger an jedem der fünfzehn Tage ein Sechzehntel von Fleisch, Kot und Denken fort, so daß nur ein Sechzehntel blieb ? Könnte ein solcher Gedanke im Sinne Uddälakas zum 8. Abschnitt überleiten ? Dieses Fastenexperiment wurde wohl kaum wirklich durchgeführt, zumindest das Gewicht des Sohnes nicht vorher und nachher gewogen. Es handelt sich doch wohl nur um eine aufklärende Fiktion, wenn auch eine geistreiche. Sicher hatte Uddälaka durch Beobachtung des Fastens, das im Kult vielfach geübt wurde, die Anregung zu diesem experimentellen, d.h. wissenschaftlichen Denken gewonnen, aber dieses Experiment konnte seine Thesen nicht beweisen. Es zeigt nur den nach Wissenschaftlichkeit drängenden Geist des Hylozoisten. Er meinte dieses Experiment als Abschluß des 5. und 6. Abschnitts und verwies deswegen auf seine frühere These, daß Denken aus Essen, Atem aus Wasser und Rede aus Feuer entstehen, und merkte an, daß sein Sohn dieses durch ihn erkannt, d.h. als seine Philosophie verstanden, nicht bloß gehört und gedacht hat.

2.1.8.

Die Disposition dieser Unterweisung

Mit diesem Rückverweis werden der 6. und 7. Abschnitt des Quirlens und Fastens als zwei Überzeugungsmittel des im 5. Abschnitt behaupteten Bestehens des Menschen, des Mikrokosmos, aus neun Neunteln hingestellt. Diesen zusammengehörenden drei Abschnitten 5-7 des Mikrokosmos gehen die drei des Makrokosmos, 2.-4. Abschnitt, voran: einer mit der Kosmogonie und zwei mit der Dreifachmachung. Den beiden Abhandlungen über den Makrokosmos und Mikrokosmos schließlich geht der 1. Abschnitt, der der Aufgabenstellung, voran. Der Aufbau dieser ersten Unterweisung mit ihren sieben Abschnitten ist also sehr kunstvoll, um nicht zu sagen künstlich. Es handelt sich um eine dreifache Teilung in je eine plus zwei oder mehr Teile: a) 1. und 2.-7. Abschnitt, b) 1. und 2.-3. Abschnitt und c) 5. und 6.-7. Abschnitt. Da es sich um die älteste Darstellung eines philosophischen Systems im alten Indien handelt, ist diese Disposition eine Leistung gewesen. Dies zeigt ein Vergleich u. a. mit den Texten Arunas, Pravähanas, des Sämantheologen von ChU 11,1-23 und Yäjnavalkyas; der uns erhaltene Text ist indessen, wie oben angedeutet, weder in allen Einzelheiten noch als Ganzes mit Sicherheit als wörtlich echtes Dokument Uddälakas nachzuweisen.. Die erste Unterweisung schließt zunächst mit jenem Rückverweis auf seine Behandlung des Mikrokosmos, nicht auf seine Aufgabenstellung. Damit ist angedeutet, daß der 74

Text noch nicht als ganzer abgeschlossen ist. In der Tat geht die Behandlung des Mikrokosmos weiter. Es folgt der Satz: Diese seine Lehre verstand er. Mit denselben Worten schließt auch die zweite Unterweisung.

2.2. Zweite Unterweisung, 8.-16. Abschnitt (ChU V I , 8 - 1 6 ; B 175ff.) Die zweite Unterweisung folgt, ohne daß ihr zeitliches Verhältnis zur ersten angedeutet würde. Es heißt nur: Uddälaka sagte zu seinem Sohn ... Am Ende des 5. und 6., nicht des 7. Abschnitts hatte Svetaketu um weitere Belehrung gebeten. Diese Bitte wird in der zweiten Unterweisung erst am Ende des 8.-15. Abschnitts formelhaft wiederholt, und am Ende des 16. Abschnitts wird die kurze Schlußfloskel der ersten Unterweisung wiederholt, daß er dies von ihm lernte. Damit wird die zweite Unterweisung als Fortsetzung der ersten charakterisiert. Dies geschieht weiter dadurch, daß der 8. Abschnitt mit seinem physiologischen bzw. mikrokosmischen Inhalt an den 5.-7. Abschnitt anschließt. Er behandelt drei Themen, den Schlaf (genauer das Einschlafen), Hunger und Durst; aber Hunger—Durst sind zu einem Paar zusammengefaßt. Damit ist auch hier die für die erste Unterweisung charakteristische Dreiergruppe eines einzelnen Themas und eines Paares von Themen zugrunde gelegt. Von diesen drei Themen des 8. Abschnitts wird das erste etwas anders abgehandelt als die beiden anderen. 2.2.1.

8. Abschnitt: Schlaf, Hunger und Durst (ChU VI,8; B 175f.)

Uddälaka erläuterte zunächst den üblichen Ausdruck svapiti = er schläft (Präsens) mit einer falschen Etymologie als svam apitas = „er ist in sich selbst eingegangen" (Perfekt) und erläutert diese Vorstellung mit den Begriffen seines Hylozoismus als: Er wird eins (Präsens) mit dem Seienden, d.h., der Einschlafende bzw. sein Denken geht ein in das Seiende, aus dem er (bzw. es) stammt und besteht. Nicht nur sein Denken stammt ja aus dem Essen und damit aus dem Seienden, sondern der Mensch als Ganzes überhaupt stammt aus den drei Elementen und damit aus dem Seienden kraft dessen Lebensselbst. Uddälaka hat dies hier nicht wiederholt und hat über Erwachen, Zeugung, Embryologie und Geburt leider nicht gehandelt. Er versteht hier in ,svam apitas' das sva als ätman, als das Selbst des Menschen und aller anderen Produkte, als das Seiende selbst. In der ersten Unterweisung hatte er von einem solchen ätman-sva nicht gesprochen, aber von diesem 8. Abschnitt an verwendete er regelmäßig das Wort ätman im Sinne des lebenden materiellen Seienden, während Yäjnavalkya es damals in idealistischem Sinne verwendete (s.u.). Uddälaka führte damit im Grunde den Hörer irre und half mit, daß sein Hylozoismus von damals bis auf Oldenberg im Jahre 1919 11 als Idealismus-Pantheismus verstanden wurde. In Wirklichkeit erklärte er sogar das Schlafen oder Einschlafen gar nicht als Eingehen des Denkens in das Seiende bzw. das Selbst. Als solches erklärte er vielmehr erst gegen Ende der zweiten Unterweisung im 15. Abschnitt das Sterben, ohne diesen Unterschied zwischen Einschlafen und Sterben deutlich zu machen. Er schilderte das Einschlafen als eine Bewegung des Denkens, das hier damit als etwas wie ein materielles Denkorgan gekennzeichnet bzw. gemeint ist, ohne daß das Verhältnis von Denken und Herz etwa im Sinne der Theologen des Herzens und Denkens (s. o) auch nur erwähnt würde. Uddälaka fährt vielmehr fort: Wie ein Vogel (vielleicht ein Jagdfalke), der mit einem Faden angebunden ist, sich, vom Umherfliegen ermüdet, auf seinen 75

Bindungsplatz niederläßt, so läßt sich das Denken nach seinem Umherfliegen (im Wachen) auf seinem Bindungsplatz, dem Atem, 12 (beim Einschlafen) nieder. Uddälaka dachte an ein Fliegen des Denkens zu seinen Gegenständen im Wachen, um sie zu erfassen, eine naiv-mechanische materialistische Vorstellung, die vielleicht letztlich auf urgesellschaftlich-schamanistischen Vorstellungen des gelegentlich aus dem Leibe ausziehenden Denkens (manas, Seele) fußte. Er ging aber nicht darauf ein, warum das aus Essen bestehende Denken sich auf dem aus Wasser bestehenden Atem niederläßt und was das Sichniederlassen überhaupt bedeuten soll, etwa ein Eingehen des Denken-Essens in solches Atem-Wasser ? Er sagte auch nicht, daß der Atem das Denken an den Leib bindet, daß er den Atem hier als Selbst verstanden oder mit zum Selbst gerechnet hätte, und er schwieg über das Aufhören des Redens und Denkens beim Einschlafen. Beim Sterben wird er im 15. Abschnitt systematischer vorgehen. Er ging auch nicht wie doch Yäjnavalkya auf das Träumen ein, auf jene Erlebnisse des Denkens im Schlaf, die von denen des Wachens verschieden sind; er lehrte nicht, daß im Schlaf der Leib ruht, daß das Sehen, Hören, Denken und Reden aufhören, aber das Atmen weitergeht, wie es besonders die Atemwindmagier lehrten. Er meinte vielleicht, daß im Schlaf, im Einswerden mit dem Selbst, mit dem Seienden, das Erfahren der Vielheit der konkreten „Namen und Farben" aufhört. Aber hat das Denken im Schlaf das Bewußtsein seiner Einheit mit dem Seienden ? War Uddälakas Lehre hier so kurz, weil er diese Probleme noch nicht behandeln konnte ? Las ein damaliger Hörer mehr als wir heraus ? Ist die Textüberlieferung hier zuverlässig ? Man kann eine Stelle aus Yäjnalvakyas Text heranziehen. Dort fragt Uddälaka Yäjnavalkya nach dem „Faden" und dem „inneren Lenker". Der Idealist erklärt den Wind als den Faden, der alle Welten und Wesen (Makro- und Mikrokosmos) zusammenbindet. „Sie (die Ungebildeten) sagten ja von einem gestorbenen Menschen, seine Glieder fielen auseinander." Uddälaka nahm diese Antwort angeblich an (BU 111,7; B 206ff.); er faßte in der Tat selber den Atem als Bindung des Denkens auf. Er konnte ja das materielle Denken, d. h. das Denkorgan, als ein Glied des Leibes auffassen und den Atem als das Bindemittel der Glieder des Leibes. Es ist noch nicht sicher, ob diese Unterredung wirklich und in dieser Form stattgefunden hat, aber der Theologe und Redaktor der BU, der in Uddälaka nicht den Materialisten erkannte, konnte dessen Bindungstheorie als übereinstimmend mit der des Idealisten auffassen. An diese Lehre des Eingehens des Denkens in das Seiende im Schlaf sind sachlich die beiden folgenden Abschnitte 9 und 10, aber auch 15 (Sterben) anzuschließen. Statt dessen folgen noch in 8 die beiden Unterweisungen über Hunger und Durst als ein im Grunde störendes Einschiebsel; auch sie beginnen mit einer Etymologie. Hunger (asanä) wird fälschlich als „des Essens (as) Wegführung (näya)" etymologisiert: Wasser führt angeblich das Genossene fort, und man nennt angeblich Wasser asanäya, d. h. Essenführer, wie man einen Rinderhirten Rinderführer (gonäya) nennt. Durst (udanyä) wird fälschlich als Wasser(udaka) wegführung(naya) etymologisiert, und zwar soll udanya Glut bedeuten (was noch nicht belegt ist), die das Getrunkene fortführt. Der Schüler soll „dieses" (Hunger? Leib?) als „Schößling" erkennen, der als solcher eine „Wurzel" hat, die nur das Essen sein kann, wie dieses das Wasser, dieses die Glut und diese das Seiende als „Wurzel" hat. Das Seiende sei ja die „Wurzel", die „Grundlage", die „Stütze" aller Wesen. Diese beiden physiologischen Prozesse oder Probleme werden in dieser Weise mit der Theorie der mikrokosmischen Evolutionsreihe Seiendes, Glut, Wasser und Essen mehr 76

schlecht als recht erklärt. Daß Glut Wasser „wegführt", war einleuchtend, weniger, daß Wasser Essen wegführt. Es war bekannt, daß Wasser Essen, d.h. Pflanzen wachsen ließ, aber „wußte" man ebenso, daß es Essen bzw. Pflanzen wegführt? Um hier die Dreierreihe Essen—Wasser—Glut beibehalten zu können, handelt der Philosoph erst Hunger, dann Durst ab. Im 7. Abschnitt ist er beim Experiment des Fastens auf dieses Problem nicht eingegangen; dort erhält das Wasser das Leben; der Fastende ißt ja nichts, was das Wasser fortführen könnte. Wichtig sind hier die bildhaften Begriffe Schößling und Wurzel. Sie meinen das „gewordene" Produkt und dessen Stoff und ersetzen u.a. die unklaren Begriffe wie Quintessenz (rasa) des Säman-Theologen in ChU 1,1 oder gati in ChU 1,8 (Pravähana). Uddälaka ahnte hier zugleich etwas vom späteren Folgern vom sichtbaren Produkt auf dessen unsichtbare causa materialis, das logische Verfahren, das half, um mit Denken über die Sinneserfahrung hinauszugelangen. 13 Mit der Analogie von Schößling und Wurzel machte er diese erkenntnistheoretische Neuerung dem Schüler einleuchtend, wie auch die spätere Logik das Anführen eines Beispiels empfahl. Diese Stelle ist damit geradezu der Beginn der formalen Logik, würdig des Hylozoisten, der an Wissen glaubte. Den Schluß dieses Abschnitts bilden drei einzelne Sätze: 1) Der Lehrer weist auf die Dreifachmachung der drei Elemente, auf seine physiologische Theorie, zurück und hängt damit diesen 8. Abschnitt an den 5.-7. an. So wird die Einheit der ersten und zweiten Unterweisung angedeutet. 2) Er analysiert ganz kurz das Sterben, ohne darauf zu verweisen, daß er dieses im 15. Abschnitt behandeln wird. Vielleicht verweist er mit diesem Satz auf den 9. und 10. Abschnitt (s.u.). 3) Uddälakas Definition des Seienden schließt diesen wie jeden folgenden Abschnitt der zweiten Unterweisung ab und betont die Einheit der zweiten Unterweisung. Diese Definition ist höchst abstrakt ausgedrückt: „Das, was diese Feinheit ist, das Darausbestehen ist dieses Alles, das ist die Wahrheit, das ist das Selbst, das bist Du, Svetaketu." Der Schüler soll verstehen, daß auch er nichts anderes ist als das wahre (wirkliche), feine (nicht wahrnehmbare) Seiende. Die letzten drei Worte dieser Definition: „Das bist D u " pflegen Vedäntins bis heute als Formulierung ihres Idealismus zu zitieren: Du bist der einzig reale reine Geist (ätman-brahman). Der Hylozoist hat diese Formulierung sicher mit Absicht gewählt; sie drückte dem, der den Hylozoismus verstand, diese Art Materialismus aus, tarnte ihn aber gleichzeitig. Daß das Seiende auch hier materiell gemeint ist, konnte der Hylozoist aus dem Begriff des Feinen (anu) herauslesen: Uddälaka wird ihn im 12. und 13. Abschnitt deutlich zu machen versuchen. Er wurde von damals, von Uddälaka im 5. Abschnitt, von Yäjnavalkya, Ajätasatru und Sändilya 14 bis zum späteren Atomismus, der das Atom „das äußerst Feine" nannte, für materielle Feinheit verwendet. Uddälaka dachte aber noch nicht an Atome des Seienden. Warum er aber hier das Abstraktum Feinheit gebrauchte, ist noch nicht geklärt. Analog nannte er das Seiende (sat) hier abstrakt Wahrheit, Seiendsein (satya), und sprach von dem ,,dies-als-das-Selbst-haben" oder von dem „Daraus-bestehen" dieser Welt. Schließlich erklärte er diese Abstrakta als das Selbst, das auch Svetaketu sei. Diese im folgenden noch achtmal wiederholte Definition des Seienden wirkt damit ungemein pathetisch, aber der Begriff des Seienden kommt in ihr nicht vor. Den Ausdruck satya = Wahrheit hatte Uddälaka im 1. Abschnitt für die Rohstoffe Ton, Eisen und Kupfer und im 4. Abschnitt für die drei Elemente bzw. ihre Farben im Unterschied zu deren Funktion, den vier Lichtern, verwendet, also im Sinne von Sat, dem Seienden, dieser Vorwegnahme des Begriffs Materie, die er sich als fein, aber noch nicht als atomar 77

vorstellte. Dieser erste Hylozoismus war eben noch nicht durchdachter als hier angedeutet. Uddälaka kann diese Abstrakta aber nicht so aufgefaßt haben wie im 4. Abschnitt die des Feuerseins usw., die besagen, daß Feuer usw. gerade nicht das Seiende, die Wirklichkeit sind, sondern bloß dessen relativ unwichtige Produkte, die als solche dem Philosophen verschwinden. 2.2.2. 9. und 10. Abschnitt: Honig und Flüsse im Kreislauf des Seienden (ChU VI,9f.; B 177 f.) In dem eben erwähnten vorletzten Satz des 8. Abschnitts schilderte Uddälaka ganz kurz das Sterben: Die Rede des Sterbenden geht in das Denken, dieses in den Atem, dieser in die Glut und diese in die höchste Gottheit (das Seiende) ein. Im 15. Abschnitt wiederholte er diesen Satz wörtlich und machte ihn etwas klarer. Im 9. und 10. Abschnitt kann man an sich zweifeln, ob er das Einschlafen des 8. Abschnitts und das Aufwachen oder das Sterben und Wiedergeborenwerden behandelt. Da er aber an Wiedergeburt nicht glaubte, sie zumindest nicht lehrte, obgleich Pravähana sie ihn zu lehren suchte, dachte er sicher an Schlaf, selbst wenn die Kommentare ihn im Mittelalter auch hier als einen an Wiedergeburt glaubendenVedäntin interpretierten. Er spricht hier, ohne dafür einen Grund anzugeben, nicht vom Menschen, sondern von Lebewesen (prajä), nennt als solche nur Tiere und erklärt, daß diese „Lebewesen", seien sie Tiger, Löwe, Wolf und Eber (vier große Warmblüter) oder Wurm, Motte, Bremse oder Mücke (vier kleine Kaltblüter) 15 , beim Einschlafen bzw. Sterben „in dem Seienden einswerden und beim Erwachen bzw. Geborenwerden wieder zu dem werden (äbhü), was sie ursprünglich geworden sind (bhü), falls diese Übersetzung von sein und werden richtig ist. Die Verbalwurzel bhü bedeutet ja an sich nicht sein, sondern werden, allenfalls : sein unter ständiger Veränderung, was für das Leben der Tiere zutrifft; es meint etwas anderes als äbhü. 16 Beim Aufwachen ist dies kein Problem, da der Tiger als Tiger erwacht, wohl aber bei der Geburt, denn wir können annehmen, daß Uddälaka gewußt hat, daß von einem Tiger ein Tiger geboren wird, aber er hat es nicht ausgesprochen, daß er nicht geglaubt hat, daß gemäß der Tatvergeltungslehre ein Tiger als Mensch oder Gott wiedergeboren werden kann oder ein Mensch als Tier. In jenem Satz über das Sterben heißt es, daß der Sterbende in die höchste Gottheit, das Seiende, eingeht. Im selben Sinne hat der Hylozoist im 8. Abschnitt gelehrt, daß der Schlafende mit dem Seienden eins wird. Worin hat er also den Unterschied zwischen Einschlafen und Sterben gesehen ? Hat er in diesem Zusammenhang das Aufhören des Atems nur im Sterben etwa für unwichtig gehalten ? Hat er übersehen, daß der Leib des Schlafenden nicht im Seienden aufgeht, nur das Bewußtsein ? Sein Sohn hat ihn nicht danach gefragt. Solche Unklarheiten charakterisieren die Unreife dieses Materialismus. Uddälaka kam es hier nur darauf an, daß die Lebewesen (Tiere), wenn sie im Schlafe mit oder in dem Seienden eins geworden sind, dieses nicht wissen (vid), ihren Unterschied als dieses oder jenes Tier nicht „fassen" (labh) und analog, wenn sie wieder ein einzelnes Tier geworden sind, nicht wissen, daß sie aus dem Seienden kommen. Diesen für den Hylozoismus bezeichnenden Kreislauf der konkreten Erscheinungen aus der Urmaterie und wieder in sie machte Uddälaka zu Anfang des 9. Abschnitts mit der Analogie der Bienen glaubhaft» welche die Honige verschiedener Pflanzen zusammentragen und vereinigen, so daß diese Honige nicht mehr wissen, daß sie von verschiedenen Bäumen stammen und verschieden sind, und im 10. Abschnitt mit der Analogie der 78

Flüsse, die von Osten nach Westen fließen und umgekehrt, von einem Ozean zum anderen (vom Bengalischen zum Persischen Golf) fließen; der Fluß wird zum Ozean; die Flüsse wissen (im Ozean) nicht (mehr), ich bin dieser, ich bin jener Fluß. Das Beispiel des Honigs soll den Hörer davon überzeugen, daß alle „gewordenen" Wesen beim Einswerden mit dem Seienden nicht wissen, daß sie mit ihm eins werden (Präsens), und das Beispiel der Flüsse, daß diese, aus dem Seienden gekommen, nicht wissen, daß sie aus ihm kommen. Natürlich wußte Uddälaka, daß die Flüsse der nordindischen Ebene nicht aus einem Ozean in den anderen fließen. Er meinte hier den traditionellen Wasserkreislauf Ozean—Wolken—Regen—Fluß —Ozean.Beim Honig dachte Uddälaka freilich sichernicht an solchen Kreislauf. Er hat weiter nicht bedacht, daß er in seinen beiden Unterweisungen im 8. und 15. Abschnitt wohl Schlafen und Sterben, aber nicht Erwachen und Geburt behandelt hat. Durfte er voraussetzen, daß seine Hörer diese Lücke ergänzen konnten ? Wollte er auch hier vermeiden, als Materialist zü Wiedergeburt und Tatvergeltung Stellung zu nehmen ? Im 9. und 10. Abschnitt wird seine Naturphilosophie nicht bereichert. Es handelt sich vielmehr um das erkenntnistheoretische Problem, daß nur der Philosoph, der Hylozoist, diesen Kreislauf der Lebewesen in das Seiende und aus ihm erkennt, nicht der Laie, Theologe, Wissenschaftler oder Idealist. Uddälaka erklärte aber nicht, warum die Lebewesen, auch die Menschen, keine Erinnerungen an diesen Kreislauf haben. Tiere, Honig und Flüsse sind ja keine passenden Analoga für den denkenden Menschen. Aber beide Abschnitte wirken noch heute emotional, geradezu dichterisch, und lassen uns die denkerischen Schwierigkeiten des beginnenden Philosophierens bei immer genauerer Interpretation des Textes immer deutlicher werden. Der Kreislauf des Wassers war richtig beobachtet, ebenso das Einswerden der Honige. Aber wird das sterbende Tier, von dem hier nach dem Vedänta die Rede sein soll, die Leiche, eins mit der Urmaterie und wieder zum Tier derselben Art ? Von einem Wandern einer Seele ist hier jedenfalls keine Rede. Die Upanisadtradition hat diese Abschnitte erhalten, weil sie auf die be•ginnenden Vedäntins Eindruck machten, weil Honige und Flüsse leben und denken und einswerden, wie die Idealisten meinten, im Geist des ätman-brahman, aus dem sie stammen. Uddälaka wollte hier nicht Biologie, Psychologie, Geographie oder Physik lehren, keine Wissenschaft, sondern er wollte mit naturwissenschaftlichen Beobachtungen die Naturphilosophie des Hylozoismus ausbauen, der alles Materielle als lebend ansah. E r schloß beide Abschnitte mit jener Definition des Seienden. Auch die beiden folgenden Abschnitte bilden ein Paar; es behandelt biologische Fragen des lebenden Baumes.

2.2.3.

11. Abschnitt: Der lebende Baum (ChU VI,11; B 179f.)

Trifft man mit der Axt die Wurzel, den Stamm oder den Ast eines Baumes, d. h. einen Baum unten, in der Mitte oder oben 17 , so fließt er, lebend. Vom Lebeselbst durchdrungen, trinkend und trinkend, freut er sich ständig. Verläßt das Leben einen Ast, vertrocknet dieser, und so auch der ganze Bäum, er stirbt, aber ilicht stirbt das Leben. Angehängt ist wieder die Schlußformel, die Definition des Seienden, der Feinheit* eben des Lebens. Der Baum ist wie Honig und Flüsse ein Produkt des ewig lebenden Seienden. Dieses war bei der Schöpfung des Makrokosmos im 3. Abschnitt mit seinem Lebeselbst in die 79

drei Elemente eingegangen. Mit dem Begriff „durchdrungen" (anuprabhü) wird hier jenes Eingehen (anupravis) wieder aufgenommen. Beim Mikrokosmos wurde es im 5. Abschnitt nicht erwähnt. Der Baum gehört zu den keimgeborenen Wesen des 3. Abschnitts, die dort nach den beiden Tierarten, den ei- und lebendgeborenen, genannt werden, und folgt dementsprechend im 11. Abschnitt, nachdem einige Tierarten im 9. und 10. behandelt worden sind. 18 Auch dieser Abschnitt enthält gewisse naturwissenschaftliche Elemente. Weder bei den Tieren noch beim Baum ist, wie doch beim Menschen im 5. Abschnitt, von dessen neun Neunteln die Rede; das Blut des Menschen gilt dort als mittlerer Teil des getrunkenen Wassers, die beiden anderen sind Harn und Atem; diese konnte Uddälaka beim Baum nicht finden, wie überhaupt kein Verdauen. Er wollte im 11. Abschnitt offenbar keine Pflanzenbiologie ausführlich als eine Wissenschaft betreiben, sondern den Baum vor allemalsein Beispiel dafür anführen, daß beim Sterben das Leben, d.h. das Lebeselbst des Seienden erhalten bleibt. Er hat hier aber nicht auf das Hervorkommen des Schößlings aus der Wurzel, das er im 8. Abschnitt erwähnte, hingewiesen, auch nicht auf die Fortpflanzung durch Samen wie im 12. oder Keim wie im 3. Abschnitt. Der Baum wird weiter nicht unter dem Gesichtspunkt der Dreifachmachung der Elemente betrachtet wie doch die vier Lichter im 4. Abschnitt. Es ist auch nicht vom Wegführen des getrunkenen Wassers und dem Durst die Rede wie im 8. Abschnitt beim Menschen, vom Hunger und Einschlafen ganz zu schweigen, auch nicht vom Eingehen des Saftes des sterbenden Baumes als Wasser in die Glut und das Seiende. Der Kreislauf aus dem und in das Seiende spielt hier nur als Fortbestehen des Lebens eine Rolle. Ob Uddälaka, wenn er seine Schüler jahrelang unterrichtet hat, auf solche Fragen einging ? Dürfen wir seine Lehre in dieser Weise ausbauen-? Auffallend und für diesen Abschnitt wesentlich sind die knappen Worte, daß der saftstrotzende, ständig trinkende Baum sich immer freut. Ist er etwa sein Leben lang ohne Kummer und insofern ein Muster für den Menschen ? Da spricht - sicher nicht zufällig - die Freude des Inders über den Schatten spendenden und Früchte tragenden Baum, seine Liebe zur Natur, aber vielleicht noch mehr, nämlich die lebensfreudige moralische Haltung des Materialisten dieser revolutionären Epoche, der den Tod als Einswerden mit dem ewig lebenden Seienden empfand, aus dem immer neue Lebewesen hervorgehen, auch neue Menschen, aber nicht er selbst in anfangloser Wiedergeburt im irdischen Jammertal bis zur Erlösung. Das Leben wird vielmehr ohne Ende weitergehen trotz aller Leiden in Natur und Gesellschaft. Wie Uddälaka im 9. und 10. Abschnitt den Tieren, auch den Würmern, 1 9 die Fähigkeit des Denkens zutraut, so läßt er hier den Baum empfinden. Er hatte es offenbar nicht nötig, auf solche vom Animismus her noch lebenden Anschauungen besonders einzugehen und in seinen Hylozoismus bzw. seine Biologie ausdrücklich einzubauen. Er hatte aber auch nicht das Bedürfnis (bzw. das Können oder Wissen), seine Naturphilosophie von Naturwissenschaft zu differenzieren und auf biologische Grundfragen wie Wachstum und Fortpflanzung wissenschaftlich einzugehen. Im 12. Abschnitt berührte er zwar diese Frage, aber wiederum vor allem mit philosophischem Interesse. 2.2.4.

12. Abschnitt: Der Feigenkern (ChU VI,12; B 180f.)

Uddälaka ließ seinen Sohn eine Feige pflücken. Vielleicht unterrichtete er ihn unter einem Feigenbaum und meinte diesen Baum schon im 11. Abschnitt. Er ließ ihn die Feige spalten, so daß dieser die „gleichsam feinen" Kerne sah, d.h. wohl die im Ver80

hältnis zur Feige „relativ kleinen" Kerne. E r ließ ihn dann einen K e r n spalten und fragte, was er jetzt sähe. A n t w o r t : Nichts. Uddälaka lehrte: Dieser Feinheit gehört 2 0 auf diese Weise dieser große B a u m ; glaube mir. E r meinte sicher: Aus dieser Feinheit, aus dem Seienden, entstand er, besteht er, in diese (bzw. dieses) geht er wieder ein, und aus dieser (diesem) entsteht ein neuer B a u m (derselben Art, wievielleicht ein Tiger aus einem Tiger im 9. Abschnitt), zumindest ein neues Lebewesen, das Leben ist ja unvergänglich. Diese Feinheit ist nur eine andere Seite des Seienden als das ewige Lebeselbst des 11. Abschnitts. I n diesem Sinne hängte Uddälaka auch hier die Schlußformel über die Feinheit des Seienden an. W a s diese Feinheit ist, möchte Uddälaka hier erkenntnistheoretisch verdeutlichen: Das Feine im gespaltenen K e r n ist das f ü r das Sehen Ununterscheidbare. E r spricht aber nicht vom Nicht-weiter-Teilbaren, vom Atom. Dem unsichtbaren (übersinnlichen) Feinen des Seienden stehen die „ N a m e n und (sichtbaren) F a r b e n " der konkreten Dinge wie der vier makrokosmischen Lichter im 4. Abschnitt, aber auch Name und Farbe des kleinen Feigenkerns gegenüber. Die wirkliche Feinheit ist das dem Laien durch Wahrnehmung Unerkennbare, nur dem Philosophen (und Wissenschaftler) durch Denken verständliche. Uddälaka hat sozusagen geahnt, daß das Sehen nur eine relative, das Denken der Wissenschaft und Philosophie aber eine der Wahrheit mehr u n d mehr näherkommende Erkenntnis ermöglicht, an die er als Materialist glaubte. Wenn der Sohn sagte, er sähe nichts, so ist das zumindest ungenau f ü r : er könne nichts Feineres mehr in dem gespaltenen Kern unterscheiden, keine noch kleineren Teile. Soweit gelangte Uddälaka auf dem Wege zum späteren indischen Atomismus. Unklar ist noch, was er meinte, wenn er den Baum aus dem K e r n „auf diese Weise" entstehen ließ. Der berühmte mittelalterliche Kommentator, der Vedäntin Sankara, erklärte diese Worte nicht. U n s scheinen weiter die W o r t e „glaube mir" oder „vertraue m i r " 2 1 eines Materialisten und Wissenschaftlers unwürdig. Sankara deutete: Sei bei diesem schweren Problem meiner Belehrung aufmerksam. Das Wachsen der „keimgeborenen" Pflanzen k a n n t e doch jeder Inder. Der Hylozoist fühlte wohl als kühner Denker gelegentlich eine gewisse Unsicherheit, nicht so sehr in bezug auf seinen Materialismus als auf seine Fähigkeit, ihn überzeugend zu lehren. Diese Unsicherheit h a t t e er im 4. Abschnitt mit der Berufung auf fingierte oder eingebildete Vorläufer zu bekämpfen gesucht. Diese Bitte um Glauben oder Vertrauen schloß aber seinen Stolz auf sein Wissen, wie er u . a . aus dem 1. und 14. Abschnitt spricht, nicht aus. Dieser innere Widerspruch von Wissen und Glauben störte seine im 11. Abschnitt angedeutete Lebensfreude nicht, trieb ihn vielmehr dazu, seine Philosophie in immer neuen Versuchen in einem umfangreicheren und durchdachteren Text zu lehren, als es vor ihm irgendein Inder getan hatte. Wie der 11. und 12. Abschnitt das Feine im Baum behandeln, so der 12. und 13. Abschnitt die Unsichtbarkeit des Feinen. 2.2.5.

13. Abschnitt: Das Experiment mit dem Salz (ChU VI,13; B 181)

Uddälaka ließ seinen Sohn ein Stück Salz in Wasser legen, so daß es sich auflöste und er es nicht mehr herausholen konnte, wenn er auch nach ihm tastete. E r schmeckte aber das Salz a n allen Stellen des Wassers. Dann goß er es auf Weisung Uddälakas (etwa auf einem sonneerhitzten Fels) aus (das Wasser verdunstete, man k a n n t e ja den Kreislauf des Wassers), und das Salz war, wie es immer (in solchen Fällen) geschieht, wieder sichtbar. Der Schüler konnte zeitweilig das vorhandene Salz nicht wahrnehmen. Diese Feinheit ... bist Du, Svetaketu. 6

A b h a n d l u n g e n l/G/79

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Uddälaka veranstaltete hier ein physikalisches Experiment, um die Richtigkeit seiner Naturphilosophie zu beweisen, die er nicht von Naturwissenschaft, Physik, unterschied. E r fußte auf einer richtigen Beobachtung und machte - modern ausgedrückt - seine Hypothese durch ein Experiment zu seiner Theorie. E r konnte sich auf etwas wie die natürliche Gesetzmäßigkeit berufen, daß nämlich „dieses immer geschieht". Vielleicht dachte er an Salzgewinnung an der Meeresküste. Eine Ahnung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten lag schon im 1. Abschnitt vor, wenn es dem Philosophen darauf ankam, die Stoffe Ton, Eisen, Kupfer und letztlich das Seiende zu erkennen, nicht alles, was immer wieder aus ihnen entsteht. Uddälaka veranstaltete dieses Experiment vor allem als Erkenntnistheoretiker, um zu zeigen, daß man etwas, was, wie man weiß, vorhanden ist, unter Umständen nicht greifen oder tasten kann, wohl aber schmecken. E r spricht hier nicht von der Unsichtbarkeit oder UnUnterscheidbarkeit des aufgelösten Salzes wie im 12. Abschnitt beim Feigenkorn. E r versucht auch nicht, das Sichauflösen und -auskristallisieren des Salzes physikalisch zu erklären. E r benutzt diesen Kreislauf des Salzes auch nicht wie den des Wassers im 10. Abschnitt zur Illustrierung des Kreislauf des Seienden. Das Salz geht nicht in das Seiende ein, nur in das Wasser. E s wird nicht ausdrücklich als das dritte Element Essen aufgefaßt, das in das zweite Element Wasser eingeht, obgleich es im Grunde zum Essen gehört und geholfen haben kann, die Vorstellung, daß Essen (Salz) aus Wasser (des Ozeans) entsteht, zu gewinnen. Auch wird die Glut (der Sonne) nicht herangezogen, die das Wasser verdampfen läßt, wie man doch wußte, und das Salz vom Wasser trennt. E s kommt hier nicht auf die Elementenlehre der Naturphilosophie an, sondern auf die Erkenntnistheorie: Etwas Daseiendes ist unter Umständen nicht greifbar, ist insofern dem nicht mehr unterscheidbaren gespaltenen Feigenkern ähnlich, nur gehört dieser zur organischen, das Salz zur anorganischen Materie, und diese beiden zu unterscheiden war dem Uddälaka auch im 4. und 5. Abschnitt wichtig. Beim Feigenkern und Salz ließ Uddälaka seinen Sohn etwas veranstalten, wie er ihn im 6. Abschnitt hatte fasten lassen. E s paßt zu diesem Experimentieren des Naturwissenschaftlers und Materialisten, wenn er sich im 1. Abschnitt auf das Töpfern und Schmieden berief, um seinen Hylozoismus glaubwürdig zu machen. 2.2.6.

14. Abschnitt: Über den Lehrer (ChU V I , 1 4 ; B 182)

Der 14. Abschnitt schließt als ein erkenntnistheoretischer an den 13. an und zugleich an das „Glaube mir" im 12. Der Mensch braucht einen Lehrer in der Not des Lebens, um sich die natürliche Lebensfreude (s.o. 11. Abschnitt) zu erhalten. Hat er einen Lehrer, und zwar einen materialistischen, so weiß er, daß die Zeit der Not der Unwissenheit so lang ist oder daß er an diesem kurzen und schwierigen Leben nur so lange leidet, wie er nicht vom Lehrer er- oder gelöst sein wird (vimoksye). Danach aber wird er (mit dem Seienden) eins werden (sampat), d.h. doch wohl, sich schon im Leben mit dem Seienden eins und damit unsterblich wissen. Der Materialist schwelgt nicht in Schilderung der Leiden, aber er gebraucht hier - sicher absichtlich - fast die Ausdrucksweise des Gläubigen der-Erlösungsreligion und spricht von Erlösung (sagt aber: vimoksye statt moksye). E r sah seine Art der Erlösung als die Aufgabe der Philosophie als einer Lebensweisheit an, die den Menschen vom Leid befreit, das in der Sterblichkeit liegt, wie der R V lehrte, und das in neuer Qualität in der Klassengesellschaft über die Menschen hereinbrach, aber er lehrte keinen Glauben an 82

Erlösung aus einem irdischen Jammertal. Die Philosophie hilft, meinte der Materialist, sich in den natürlichen und gesellschaftlichen Nöten durch Wissen um die Einheit und Ewigkeit des lebenden Weltstoffs zurechtzufinden und nicht dem Glauben an die alleinige Realität eines ewigen seligen Geistes zu verfallen, denn Materialismus bedeutet Wissen um das Seiende, dessen Lebeselbst und die Berechtigung zu Lebensfreude. So trat er selber als Denker neuer Gedanken auf und verbarg dies gleichzeitig, vermutlich bewußt, durch seine Ausdrucksweise in der Notlage seines Kampfes gegen den Erlösungsglauben im jungen Despotismus und bei dessen Priestermacht. Für die Notwendigkeit eines Lehrers, eines hylozoistischen Philosophen, erzählte er im 14. Abschnitt eine kleine Geschichte von einem Manne, der aus dem fernen Panjab gefesselt und mit verbundenen Augen (damit er nicht zurückfindet) ins Gangesgebiet verschleppt wird (vielleicht als Kriegsgefangener in die Sklaverei), hier aber in menschenleerer Gegend freigelassen wird und umherirrt, bis ihm ein Kluger, Verständiger die Binde von den Augen nimmt und ihm die Richtung in die Heimat weist. Dieser Verständige ist die Analogie zum Lehrer, den der Unwissende braucht, um in die Heimat, zum Seienden, zu finden. Er ist eine Analogie zu Uddälaka selber, der seinem Sohn sein Wissen vermittelt und ihn zugleich mit der moralischen Berechtigung des Materialismus die erkenntnistheoretische Berechtigung der Lehrerautorität erkennen läßt, denn niemand wird als Philosoph geboren. Wenn Gläubige und Theologen an die Dogmen ihrer Religion glauben mußten, so braucht der „aufgeklärte", wissende, ungläubige Mensch eine andere Autorität, einen Lehrer des Materialismus. Svetaketus Lehrer, Theologen des Sämaveda, kannten den Hylozoismus eben nicht (1. Abschnitt); sie konnten ihn nicht die selbstsichere Lebensfreude des Materialisten lehren. Mit diesem Abschnitt hätte Uddälaka seinen Text beenden können. Er hat aber noch zwei Abschnitte angefügt; einer handelt nach dem Leiden des Lebens von dem im 8. Abschnitt kurz erwähnten Sterben eines Leidenden, der andere von der Aufhebung des Leidens eines fälschlich Angeklagten.

2.2.7.

15. Abschnitt: Über das Sterben (ChU VI,15; B 183)

Ein Sterbenskranker kann zunächst nicht mehr sagen, ob er die um ihn versammelten Verwandten noch erkennt, d.h., sein Reden hört auf, danach sein Denken, dann sein Atmen und schließlich seine Körperwärme. Nach der hylozoistischen Elementenlehre bedeutet dies, daß das Sterben ein Prozeß ist, in dem die Rede (die nach dem 5. Abschnitt aus Glut besteht) in das Denken (d. h. das Essen), dieses in den Atem (das Wasser), dieser (dieses) in die Glut (Wärme des Körpers), diese endlich in das Seiende eingeht. Schwer zu erklären ist, daß hier das Element der Glut zweimal, am Anfang der Reihe als Rede und am Ende als Körperwärme, auftritt. Uddälaka hat eben seine richtige biologische Beobachtung des Sterbens nicht zugunsten seiner philosophischen Theorie vergewaltigt, sondern wohl eher seine Theorie der drei Elemente auf solche Beobachtung des Sterbens gegründet, freilich nur mit einmaligem Auftreten der Glut. Über das Verwesen der Leiche lehrte er nichts; danach gefragt, hätte er wohl gesagt, daß die Teile der Leiche, Knochen, Fleisch usw. (s.o. 5. Abschnitt) analog dem Reden, Denken und Atmen, aber in anderer Weise in das Seiende eingehen, sozusagen als Umkehrung des Verdauens im 5. Abschnitt. Er sprach auch nicht davon, daß das Lebeselbst, mit dem das Seiende doch wohl bei der Zeugung in den individuellen Leib eingegangen ist, den ster6*

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benden Leib verläßt. Er verglich den sterbenden Leib nicht mit dem sterbenden Baum des 11. Abschnitts, und er polemisierte nicht gegen den damals allgemeinen Glauben, daß eine ewige Seele den Leib verläßt. 2.2.8.

16. Abschnitt: Über das Ordal (ChU VI,16; B 183f.)

Auf Ordale konnten die damalige Rechtslehre und -findung im altorientalischen Despotismus nicht verzichten, zumal diese beiden in der Hand brahmanischer Theologen blieben. Der Hylozoist versuchte dementsprechend, das magische Wirken des Ordals materialistisch zu erklären, statt es abzulehnen. E r lehrte: Wenn ein schuldiger Angeklagter ein heißes Beil zum Beweis seiner Unschuld anfassen muß, so hüllt er sich bzw. seine Hand durch eine unwahre Aussage, durch Leugnen seiner Schuld, in Unwahrheit, verbrennt sich und wird hingerichtet. Durch eine wahre Aussage seiner Unschuld aber hüllt der Unschuldige sich in Wahrheit, verbrennt sich nicht und wird als unschuldig anerkannt. Diese Wahrheit ist die Feinheit des Seienden, wie in der auch hier wiederholten Definition des Seienden gelehrt wird. Wahrheit ist damit das materiell gemeinte Seiende als das Wirkliche, das die Hand des das Wirkliche sagenden und unschuldigen Menschen umhüllt. Analog ist die Unwahrheit eine besondere Hülle, ohne daß deren Wesen angegeben würde; dachte Uddälaka sie sich etwa als das Element Glut, das den schuldigen Lügner verbrennt ? Oder hüllt sich der Schuldige in Nichtwahrheit, Nichtseiendes, Nichts und wird dadurch verbrannt ? Diese durch die Aussage, die Rede des Angeklagten, geschaffenen beiden Hüllen sind vielleicht ein Sonderfall dessen, daß gemäß dem 4. Abschnitt alle Einzeldinge von Uddälaka als „Geschöpfe der Rede" aufgefaßt wurden. Wie dem auch sei, seine Überzeugung von der wahrheitsgemäßen Wirkung dieser Magie hängt mit der optimistischen Weltanschauung des Hylozoisten zusammen. Er versucht, die als gerecht anerkannte magische Wirkung des Ordals beinahe physikalisch bzw. hylozoistisch zu erklären. Er konnte in der noch wenig entwickelten Kultur seiner Gesellschaft nicht auf den Gedanken kommen, im Begriff Wahrheit deren traditionelle drei Aspekte des Wirklichen, Wahren und Guten philosophisch zu unterscheiden. 22 Dieser 16. und letzte Abschnitt der zweiten Unterweisung und damit des ganzen Textes des Uddälaka schließt wie der 8. und letzte der ersten Unterweisung mit dem kurzen Satz: Diese seine (Lehre) verstand er. Warum aber Uddälaka gerade das Ordal als das Thema seines letzten Abschnitts gewählt hat, ist noch nicht geklärt. Man kann nur darauf hinweisen, daß er seinen Text mit der Kosmogonie, also mit Mythologie, begann und mit Magie beendete, vielleicht um seinen Materialismus zu tarnen und als Theologe des Sämaveda zu lehren. 2.2.9.

Die Disposition der 2. Unterweisung

In der 2. Unterweisung gibt es im Gegensatz zur 1. mit deren drei Teilen keine so großzügige Disposition. Allenfalls läßt sich folgendes anführen: Der 9. und 10. Abschnitt bilden ein Paar (Honig und Flüsse), ebenso der 11. und 12. (Saft und Kern des Baumes) und der 12. und 13. (sinnlich Unfaßbares in Kern und Salzwasser); der 14. (Lehrer) krönt die erkenntnistheoretischen Elemente des 8.-23. Abschnitts und ist zugleich der erste der drei Abschnitte über verschiedene Leiden (14.-16. Abschnitt). 84

Eine bessere Disposition der 1. und 2. Unterweisung ist bisher nicht gelungen. Insbesondere läßt sich der Zusammenhang der beiden Unterweisungen noch nicht deutlicher machen, als daß der 8. Abschnitt (Schlaf) an den 5.-7. (Mikrokosmos) anschließt, an den 8. aber im Grunde der 15. (Sterben). Es fällt auf, daß in der 2. Unterweisung kaum noch vom Makrokosmos die Rede ist, nur beim Wasserkreislauf der Flüsse im 10. Abschnitt; dieser wird hier aber nicht systematisch behandelt, sondern nur als Analogie herangezogen. Die 2. Unterweisung sieht damit wie ein Nachtrag mikrokosmischer Lehren zur 1. Unterweisung aus, wie ein relativ wissenschaftlicher, physiologisch-physikalischer Nachtrag zur mehr philosophischen 1. Unterweisung. Man denkt an Aristoteles' umgekehrte Anordnung in Physik und Metaphysik. Bei Uddälakas Text handelt es sich nicht um den Aufbau seines Systems nach den drei Disziplinen der Philosophie der Klassengesellschaft. Vielleicht liegt eine gewisse formale Absicht darin, daß a) die ersten und b) die letzten drei Abschnitte die Form von Erzählungen haben, die im einzelnen allerdings ganz verschieden sind: 1. über den Beginn der Unterweisung, 2. über Kosmogonie, 3. über das Dreifachmachen, 14. über Belehrung des Verschleppten, 15. über das Sterben und 16. über Wahrheitsfindung, c) In drei weiteren aufeinanderfolgenden Abschnitten, im 11., 12. und 13., aber auch im 7. wird etwas veranstaltet (11: Baumfällen, 12: Kernspalten, 13: Salzauflösen, 7: Fasten), d) In weiteren drei aufeinander folgenden Abschnitten werden Lehren ohne solche besonderen literarischen Formen vorgetragen (4. vier Lichter, 5. Verdauen, 6. Quirlen), und e) bei der restlichen Dreiergruppe (8-10) handelt es sich wohl um die thematische Einheit des Schlafens (plus Hunger und Durst) mit den Analogien des Honigs und der Flüsse. Bei dieser Disponierung der sechzehn Abschnitte in fünf Dreiergruppen, also um 15 Abschnitte plus einen ist der 7. Abschnitt (Fasten) zu den drei anderen Veranstaltungen hinzugestellt. Man kann aber auch den 1. Abschnitt mit der Aufgabenstellung von den übrigen fünfzehn trennen, die drei Abschnitte 2-4 mit dem Makrokosmos den folgenden drei, 5-7, mit deren Mikrokosmos an die Seite stellen und die restlichen Dreiergruppen wie oben belassen. - Unabhängig von diesen Dreiergruppen gab es Paare von Abschnitten, auf die oben vom 9. Abschnitt an aufmerksam gemacht wurde. Die zweimal acht gleich sechzehn Abschnitte hängen eben in komplizierter Weise zusammen. Solche Überlegungen über eine so künstliche Disposition machen es wahrscheinlich, daß der in sich widerspruchslose Text einer einzelnen Persönlichkeit zuzuschreiben ist, aber ob diese Uddälaka, sein Schüler oder ein anderer Theologe des Sämaveda war, ist noch nicht entschieden. Es ist für uns schwer vorstellbar, war aber vielleicht doch so, daß in der Periode des Anfangs der Philosophie ein großer materialistischer Denker nur zum Wissen eines so kurzen - wenn auch relativ langen - Textes gelangen konnte und diesen jahrelang anwachsen und durch mündlichen Vortrag, immer wieder repetierend, auswendig lernen ließ, bis er die jetzige Gestalt erhielt. Uddälaka lehrte als Theologe, und niemand weiß, wie viele Jahre seines Lebens ihm für den Ausbau seines Materialismus zur Verfügung standen. Es ist zumindest unsicher, ob er, wie der Text es will, seine Lehre bereits voll ausgebaut hatte, als sein Sohn seinen vedischen Unterricht beendete, der Vater also bereits ein bei der damaligen Lebenserwartung reifer Mann war. Sein Text ist immer sehr inhaltsreich, soweit es eben damals für einen Hylozoisten möglich war; er wurde für das Auswendiglernen möglichst knapp gehalten.

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3. Das System des Materialismus des Vddalaka Die komplizierte Disposition des Textes des Uddälaka war das Ergebnis seines Bemühens, seinen Hylozoismus möglichst systematisch zu lehren. Für unser philosophisches Verständnis seiner Philosophie haben wir aber seine Gedanken vom Standpunkt unseres wissenschaftlichen Materialismus in unserer Weise zu einem System umzuordnen, nämlich nach den in der Klassengesellschaft, auch in der altindischen Gangesgesellschaft, sich langsam herausbildenden drei Disziplinen der Naturphilosophie, Logik und Erkenntnistheorie und Ethik (Ästhetik fehlt). Es gilt, in dieser Weise herauszufinden, wieweit dieser erste indische Philosoph seinen Materialismus schon durchdenken konnte, wie das Verhältnis seiner persönlichen Variante des Hylozoismus zum sonstigen altindischen und griechischen Materialismus und damit zum vordialektischen Materialismus ist, aber auch zum Idealismus, wieweit sein philosophisches System durchdacht, widerspruchsfrei, vollständig und materialistisch bzw. wissenschaftlich ist. 3.1. Naturphilosophie 3.1.1.

Das Seiende: Der Weltstoff

In seiner Aufgabenstellung im 1. Abschnitt machte Uddälaka es auch für uns mit den Analogien von Ton, Kupfer und Eisen deutlich, daß er unter dem Seienden den Weltstoff verstand, aus dem alles Gewordene entstanden ist und besteht. Immerhin haben einige damalige und alle späteren Inder, anscheinend mit Ausnahme Jayanta Bhattas 2 3 vor über tausend Jahren, sein Seiendes im Sinne des vedäntischen seienden-ätmanbrahman-Geist-Wonne verstanden. Sie waren nicht etwa böswillige Iiltertpreten, sondern waren als Theologen und Idealisten blind für diesen Hylozoismus. Es gab damals und auch später im Sanskrit keinen allgemein gebrauchten Ausdruck für Materie. 24 Uddälaka umfaßte mit dem Begriff des Seienden die materielle und ideelle Realität, ohne beide mit Definitionen zu unterscheiden, und unternahm es, deren Wirklichkeit, Wesen und Erkennbarkeit darzulegen. Daß er mit dem Seienden den Weltstoff meinte, ergibt sich aus seinem ganzen System, wenn wir dieses historisch mit Recht als ersten Versuch eines Materialisten mit all seinen Schwierigkeiten analysieren. Im Begriff des Seienden lag für Uddälaka im Gegensatz zum Nichtseienden, einem Nichts, aus dem das Seiende nicht entstehen kann, zugleich die Ewigkeit des Weltstoffs im Gegensatz zum Gewordenen. Urstoff aber ist das Seiende insofern, als Uddälaka eine Kosmogonie lehrte, ohne damit indessen ein zeitlich festlegbares Entstehen des ewig Seienden zu meinen; er meinte nur den Beginn des Werdens der Erfahrungswelt in Form eines urgesellschaftlichen mythologischen, kosmogonischen Restes in seinem Hylozoismus. Seine Naturphilosophie hat das Verhältnis des philosophisch abstrahierten seienden Weltstoffs zur gewordenen empirischen konkreten Realität zu erklären, das Verhältnis dieses Seienden als der einzigen causa materialis und efficiens der drei Elemente und dann der von deren Produkten, allen Einzeldingen. 3.1.2.

Definition des Weltstoffs

Das Seiende definierte Uddälaka erstaunlieh umsichtig in der neunmal in der 2. Unterweisung wiederholten höchst abstrakten Formel als die Feinheit, das Darausbestehen dieses Alls, die Wahrheit, das Selbst; das bist du. Er meinte mit diesen Abstrakta das 86

Wesen des Seienden: Es ist fein (mit den Sinnen nicht erkennbar), aus ihm besteht alles, es ist wahr (oder wirklich), ist identisch mit allem (auch dem Menschen, bei dem keine Seele vom Leibe zu unterscheiden ist). Diese Abstrakta des höchst abstrakten einzigen Seienden, des Weltstoffs, sind anders gemeint als die Abstrakta der vier Lichter, der Einzeldinge des Makrokosmos im 4. Abschnitt, die ihm als unwichtig verschwinden, wenn der Philosoph ihre Stoffe, die drei Elemente und damit das Seiende erkannt hat; ihm entschwindet das Feuersein des Feuers, das Sonnesein der Sonne usw., ihre individuelle Eigenart. Analoges gilt vermutlich auch fiir die einzelnen Phänomene des Mikrokosmos vom Fleisch bis zum Denken des Menschen, nur wird dies im 5. Abschnitt nicht gesagt. Der Hylozoist nannte das Seiende, d. h. den Weltstoff, die höchste Gottheit und nannte die aus diesem Weltstoff zunächst entstandenen drei Elemente, Glut, Wasser und Essen (Festes, Erde?), ebenfalls Gottheiten. Er, der Sämantheologe, glaubte nicht mehr wie sein Vater Aruna an die vielen Götter des Veda, wie Indra, Mitra usw., und noch nicht an die hinduistischen, wie brahman, Brahma, Siva usw. Die Lichter, Sonne, Mond usw. waren ihm keine Götter mehr wie älteren Theologen. Bei seiner Gottheit Glut kann man noch entfernt an den rgvedischen Gott Agni, bei Wasser an Varuna oder Parjanya denken, bei Essen, daß dieses u.a. im TB 11,8 in einem Hymnus wie ein Gott verherrlicht wurde, aber auch an die rgvedische Göttin Erde. Diese Gottheiten regieren bei Uddälaka aber nicht mehr ihren Himmel oder ihre Welt, sondern sie sind in ihre Produkte, in alle materiellen Dinge eingegangen. Diese Vorstellung macht diesen Hylozoisten dem Pantheismus ähnlich, nur sind diese Gottheiten materiell, und Materie ist das Primäre im Hylozoismus; sie sind nicht etwa Gottheiten in diesem Weltstoff und den drei Elementen. Diese vier materiellen, lebenden Gottheiten entwickeln sich vielmehr nach ihren Wünschen zunächst zu den Phänomenen des Makro-, dann aber auch zu denen des Mikrokosmos. Statt dieser beiden uns geläufigen griechischen Fachausdrücke sprachen einige vedische Theologen vor Uddälaka von den beiden „auf die Gottheiten" und „auf das Selbst" bezüglichen Gebieten der Realität. Ihr Erbe war Uddälaka. In etwas anderer Weise glaubte auch Thaies, daß alles voll Gottheiten sei, d.h. lebe. Beide glaubten an keine Kulte dieser Gottheiten, und Uddälaka nicht an Wiedergeburt, Fortleben in einem Jenseits oder Erlösung.

3.1.3.

Definition der makrokosmischen Produkte

Die makrokosmischen Produkte des Seienden definierte Uddälaka in der in der 1. Unterweisung im 1. bis 4. Abschnitt siebenmal wiederholten Formel als Schöpfungen durch die Rede, Umwandlungen und Namengebungen. Er bezeichnete sie im 3. Abschnitt zugleich zweimal als „Name plus Farbe". Ihren Namen haben sie als Geschöpfe der Rede, ihre Farben als Umwandlungen der drei Elemente, als Mischungen von deren Farben. Die beiden Bestimmungen dieser Definition, Schöpfung durch die Rede, Namengebung, sollte man vielleicht umschreiben: Schöpfung durch die Rede, d.h. Umwandlung zu einem benennbaren Gewordenen, die eine Namengebung ist. Dabei ist die Rede wohl die des Seienden, der höchsten Gottheit, die vieles werden möchte, u. a. Glut, dieses sagt und damit etwas wie die Idee der Glut aussprach, so daß Name und Farben der Glut entstanden. Uddälaka war aber kein Idealist, die Idee war ihm nicht das Primäre vor dem Materiellen, sondern das Erste war der Weltstoff, der wünschte, sprach und damit alles 87

Gewordene aus sich werden ließ. Besser als mit solchem Rest kosmogonischer Mythologie konnte der erste Hylozoist das Verhältnis des Weltstoffs zu seinen Produkten nicht ausdrücken, nicht einmal mit solchem Durchdenken des Schöpfens durch die Rede, der Namengebung, des Kompositums Name plus Farbe (Gestalt), wie wir es versuchen müssen. Diese beiden Definitionen wurden von Uddälaka nicht zusammen- oder einander gegenübergestellt. Die des Seienden steht nur in der 2. Unterweisung, und zwar neunmal, am Ende jedes der neun Abschnitte dieser 2. Unterweisung. Die Definition des Produkts dagegen steht nur in der 1. Unterweisung, und zwar siebenmal, aber nicht am Ende jedes ihrer sieben Abschnitte, sondern im 1. Abschnitt dreimal: 1) bei den Produkten aus den drei Rohstoffen Ton, Kupfer und Eisen, diesen drei Analoga zum Seienden, und 2) im 4. Abschnitt viermal, nämlich bei Feuer, Sonne, Mond und Blitz, diesen vier Lichtern. Sie steht aber weder bei den drei Elementen, diesen Produkten des Seienden im 2. Abschnitt, noch im 3. Abschnitt bei allen Dingen als Produkten der drei Elemente, noch im 5.-7. Abschnitt bei den neun Neunteln des Menschen, die aus den drei Elementen wurden. Dieser Unterschied der Verwendung der beiden Definitionen ist noch nicht erklärt. Man sollte nicht versuchen, ihn damit zu erklären, daß beide Unterweisungen von verschiedenen Philosophen stammten. Er muß wohl irgendwie mit dem inhaltlichen Unterschied der beiden Unterweisungen zusammenhängen; aber daß die 2. uns wie ein Nachtrag mikrokosmischer, relativ wissenschaftlicher Lehren zur 1. Unterweisung anmutet, der vor allem die makroskosmischen Lehren enthält, kann wohl kaum als Grund angenommen werden. In beiden Unterweisungen handelt es sich gleichermaßen um das Werden der Produkte aus dem Seienden. Aber es kam dem Hylozoisten offenbar im 1. Teil mehr auf Dinge wie die kosmischen Lichter und das Denken des Menschen als Produkte der Materie an, im 2. Teil mehr auf das Seiende, das die Schüler wohl nur schwer als die materielle Ursache ihres Lebens und Erlebens verstehen lernten. Im 1. Abschnitt der 1. Unterweisung werden die drei Rohstoffe sozusagen als erste, konkreteste, unterste Wahrheit verstanden, dann im 4. Abschnitt die drei Farben der vier Lichter sozusagen als mittlere Wahrheit, und schließlich wird in der 2. Unterweisung in allen neun mikrokosmischen Abschnitten das Seiende als höchste Wahrheit oder Wirklichkeit aufgefaßt. Eine Definition der mikrokosmischen Produkte fehlt, und eine Definition des Produkts an sich, des makro- und mikrokosmischen, hat Uddälaka ebenfalls nicht gegeben, nicht versucht, vielleicht nicht für notwendig gehalten oder gekonnt.

3.1.4.

Das Seiende ist materiell

Es ist als in Raum und Zeit unbegrenzt zu denken. Wenn Uddälaka in seiner Kosmogonie von dessen Dasein „im Anfang" sprach, meinte er, daß der Weltstoff ohne Anfang, bereits vor dem Beginn unserer Welt (etwa unseres Milchstraßensystems) existierte. Und wenn er in seiner Kosmologie den Raum fortließ und einen Begriff wie das spätere „allerfüllend" (vibhu) ebensowenig kannte wie dessen Gegenteil, den Begriff atomar (paramänu, d. h. äußerst fein), nur „fein" (anu). Andere Denker wie Pravähana haben sich damals mehr oder weniger klar den Raum als allumfassend gedacht, aber Uddälaka hat diese Anschauung Pravähanas nicht angenommen. Nach dem Raum gefragt, hätte er wohl geantwortet, daß es im, neben oder um das einzige Seiende herum kein Zweites, 88

Nichtseiendes, keinen leeren Raum geben könne, daß das Seiende aber auch nicht aus solchem Nichtseienden als dessen Umwandlung hätte bestehen können. Es war Uddälaka nicht so klar, daß er es gelehrt hätte, daß Bewegungen und Umwandlungen der Materie nur als Prozesse in Raum und Zeit möglich sind. Man bedenke aber auch, welche Schwierigkeiten es im Verständnis makro- und mikrophysikalischer Ereignisse noch heute gibt. 25 Immerhin hat Uddälaka vermieden, gegen Pravähanas Raumvorstellung oder den kosmogonischen Zeitbegriff zu polemisieren. Wir, die Erben des griechischen Chaos-Begriffs, können uns dieses Seiende „am Anfang" der Kosmogonie als eine einheitliche, gestaltlose, weder quantitativ noch qualitativ bestimmte Masse vorstellen, als nicht unterscheidbares Feines, ohne speziellen Namen oder Farben, d.h. von keinem Zweiten unterscheidbar, von keinem Schöpfer, Geist, Seele, Zeit, Raum oder sonstigem Nichtseiendem. Dies wird aber nicht ausgeführt. Die altindische Mythologie pflegte die Kosmogonie nicht mit einem Chaos beginnen zu lassen, daher auch nicht Uddälaka. Dieser vermied eine Polemik gegen die uns noch unübersehbare Fülle damaliger kosmogonischer Mythen, leugnete nur, daß das Seiende aus dem Nichtseienden habe entstehen können, denn die Lehre von der Ewigkeit des seienden Weltstoffs war für seinen Materialismus grundlegend. Das Seiende ist lebende Materie, höchste Gottheit, das Selbst (ätman) von allem, und von seinem Leben, seinem Lebeselbst (jlvätman) und damit vom Seienden wird betont, daß es nicht stirbt, selbst wenn (alle seine) lebenden konkreten Produkte wie der Baum sterben müssen. Darin könnte man eine hylozoistische Vorahnung der physikalischen Erkenntnis der Erhaltung der Energie sehen. Dieser höchst abstrahierte lebende Weltstoff wünscht, sich in die konkreten materiellen und ideellen Phänomene zu verwandeln; damit ist das ideelle Wünschen sozusagen als etwas anerkannt, was man später ein .Attribut' des Materiellen nannte. Aber Uddälaka hat nicht einmal Begriffe für organische und anorganische Materie gehabt, sondern nur vom mikro- und makrokosmischen Gewordenen des lebenden Seienden reden können, geschweige daß er das ideelle Denken vom materiellen Denkorgan unterschieden hätte.

3.1.5.

Die Entwicklung des Seienden

Da der Weltstoff samt seinem Lebeselbst sich ewig wandelt, hat dieser Hylozoismus eine dialektische Komponente. Dabei wird nicht gesagt, aber gemeint, daß die (chemischphysikalisch-biologische) Umwandlung des Weltstoffs in seine Produkte und zurück ein ständiger Kreislauf ist. Wie das Seiende ohne ein Zweites ist, so ist die Umwandlung ohne Ruhe gemeint. Entwicklung gehört zum Wesen des Seienden, das als das Werdende gemeint ist. Es handelt sich aber nicht um Entwicklung zu Höherem. Beim Salz wird im 13. Abschnitt ganz nebenbei erwähnt, daß sein Sichauflösen im Wasser und sein Wiederkommen „ständig vor sich geht" (sasvat samvartate), als ob Uddälaka eine Ahnung physikalischer Gesetzmäßigkeit gehabt hätte. Im 12. Abschnitt wird ebenso knapp erwähnt, daß aus dem Kern ein Baum derselben Art erwächst, und im 10. Abschnitt, daß die Flüsse als Teil des Kreislaufs des Wassers aus dem Ozean in den Ozean fließen. Aber bei Sonne, Mond und Blitz werden im 4. Abschnitt ihre Bewegungen nicht behandelt. Uddälaka hat auch noch nicht, wie doch spätere Philosophen Indiens, über die Bewegung des Pfeils oder das Fallen schwerer Dinge gegrübelt. Ihn interessierte die Umwandlung der Materie, nicht die Bewegung der Einzeldinge. 89

Die Umwandlung des Seienden zu Makro- und Mikrokosmos war sein H a u p t t h e m a . 2 6 Jeder dieser beiden Prozesse hatte seine besondere Form des Dreifachmachens der drei Elemente, die erste sozusagen eine anorganische und die zweite eine organische. Wenn auf diese Weise das Werden des Menschen und seiner Umwelt, der Natur, dargestellt ist, wird das Leben des Menschen in der Welt, das Verhältnis des Mikro- und Makrokosmos zueinander, nicht systematisch behandelt, sondern nur gelegentlich etwa beim Verdauen, Einschlafen, Hunger, Durst, Aufwachen, Sterben, Ordal und bei erkenntnistheoretischen Überlegungen. Uddälaka läßt mit Recht den Makrokosmos eher entstehen als den Mikrokosmos, wie ja schon in der Urgesellschaft die Kosmogonie der Anthropogonie voranging; er meinte aber nicht, daß die Materie sich von der anorganischen (z.B. der vier Lichter) zur organischen (den Neunteln des Menschen), also in diesem Sinne höher entwickelt. Die Dauer (sthä) wird bei dem aus der Feinheit des Seienden bestehenden Baum, bei dem sich ständig freuenden B a u m und bei dem ungebildeten, der N o t ausgelieferten Menschen betont. Aber die Vorstellung des ewigen Lebeselbstes des Seienden zielt nicht auf persönliche Unsterblichkeit als Ideal, sondern auf die Gewißheit, selber nichts anderes als ein zeitweiliges, sich ständig wandelndes mikrokosmisches Produkt des ewigen, sich ständig wandelnden, ewig lebenden und unabhängig aus sich selbst schaffenden Weltstoffs zu sein.

3.1.6. 3.1.6.1.

Naturwissenschaftliche Gedanken Die anorganische Materie

W a s die anorganische, nach Uddälaka makrokosmische N a t u r angeht, so sprach er keine Gedanken über Mechanik, Optik, Akustik, überhaupt über Physik oder Chemie aus. E r dachte an keine Atomlehre oder Astronomie der drei Lichter Sonne, Mond und Sterne und an keine Geographie der nordindischen Flüsse. Die drei Elemente und deren Dreifachmachen f ü r die makrokosmischen Lichter und die mikrokosmischen Neuntel des Menschen sind ein Phantasiegebilde. Dieses ist angehängt an eine im K e r n noch mythologische, d. h. vorwissenschaftliche Kosmogonie. Aber das makrokosmische Dreifachmachen ist nicht mehr kosmogonisch, sondern eher kosmologisch gedacht u n d drängt zu physikalischem, das mikrokosmische zu physiologischem Denken hin. Dabei ist die Beschränkung der Elemente auf drei, Glut, Wasser und Essen, u n t e r Fortlassung von L u f t (Wind) u n d R a u m (der später als Äther, als Element, der Träger des Schalls ist), uns noch schwer verständlich, da Wind u n d R a u m damals schon eine große Rolle spielten. W i r wissen auch noch nicht, warum u n d wieso drei Elemente ihm f ü r die Erklärung aller von ihm behandelten Probleme ausreichten. E r ließ Atem aus verdautem Wasser entstehen (5. Abschnitt), aber nicht L u f t aus verdampftem Wasser. Uddälakas drei lebende Elemente bzw. Gottheiten haben mit dem bis heute bekannten System der Elemente u n d deren atomaren Aufbau so wenig Gemeinsamkeiten, daß m a n im Grunde bei Uddälaka auf den Begriff Element überhaupt verzichten sollte, h ä t t e man einen besseren, zumal er selber für die drei außer dem Begriff der Gottheiten keinen zusammenfassenden Begriff benutzt, aber auch das Seiende Gottheit nennt. Andererseits ist der Begriff Element bei uns durch deren traditionelle Behandlung seit der antiken Naturphilosophie eingebürgert. Bei den drei Elementen hebt Uddälaka als deren Qualitäten n u r ihre spe90

zifischen Farben hervor: rote Glut, weißes Wasser und schwarzes Essen, nicht einmal ihr Heiß-, Flüssig- und Festsein. Beim Kreislauf des Wassers spricht er nicht.vom Wechsel seiner Aggregatzustände, und beim Salzexperiment beschreibt er nicht den Prozeß des Sichauflösens im Wasser oder des Sichauskristallisierens. Beide Fakten sind an sich richtig beobachtet, interessieren ihn aber nicht als naturwissenschaftliche Probleme, sondern nur als bekannte Analoga seiner hylozoistischen Lehre vom Kreislauf des Seienden und seiner richtigen erkenntnistheoretischen Vorstellung, daß man das Seiende wegen seiner Feinheit in seinen sichtbaren Produkten nicht mit den Sinnen erkennen kann. Er ging im Unterschied zu späteren Indern noch nicht auf den Prozeß ein, wie der Topf aus Ton oder die Nagelschere aus Eisen entsteht. Er beschrieb weder den handwerklichen Prozeß, noch unternahm er einen naturphilosophischen Versuch, diesen Prozeß mit Hilfe seiner drei Elemente zu erklären. Wie würde er dabei z.B. die Lebendigkeit bzw. Energie des Weltstoffs und der drei Elemente berücksichtigen, insbesondere die des Elements Glut oder die des makrokosmischen Lichtes, des Feuers, bei diesem Wechsel der Aggregatzustände der Stoffe Ton, Eisen und Kupfer ? Später zogen indische Philosophen dafür das als Element angesehene Feuer heran. Solche Überlegungen helfen uns klarzustellen, wieweit der damalige Hylozoismus einerseits, die Naturwissenschaft, diese andere Art des Wissens, andererseits im damals beginnenden Prozeß der Differenzierung und Integrierung dieser beiden Formen des gesellschaftlichen Bewußtseins, im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben gekommen war. Anscheinend hatte Uddälaka keinen Schüler und keinen Gegner, der vor Abschluß des Textes solche Fragen aufgeworfen hat.

3.1.6.2.

Die organische Materie

Was die organische Materie angeht und damit Biologie-Physiologie-Psychologie, so ist das Sterben im 15. Abschnitt relativ richtig beobachtet. Dabei ist aber das Glutelement zweimal, als Rede und Körperwärme, in die Reihe der vier Schritte des Prozesses einzuordnen gewesen, was mit der theoretischen Vorstellung vom Kreislauf des Seienden nur schwer zu vereinigen ist. Beim Sterben hört Atem auf, d.h. Atem = Wasser geht über Glut in das Seiende ein. Aber die Lebenskraft, das „Lebeselbst", des Seienden kehrt doch wohl gleichzeitig in das Seiende zurück, ohne daß diese beiden Seiten des Kreislaufs des Seienden auseinandergehalten oder zusammengestellt würden, ja, über das Lebeselbst des Sterbenden und des Weltstoffs wird hier gar nichts gesagt, nur etwas im 11. Abschnitt beim sterbenden Baum. Dem astweisen Absterben des Baumes würde ein gliedweises Sterben des Menschen entsprechen. Ferner wird beim Baum kurz darauf hingewiesen, daß er aus dem Samen wächst, beim Menschen wird aber die Empfängnis oder Geburt, die Entwicklung des Seienden über den Samen des Vaters und das Blut der Mutter nicht behandelt, obgleich entsprechende Vorstellungen damals bei Pravähana bezeugt sind. So wichtig und im Grunde beinahe richtig, wenn auch allzu vereinfacht damals Uddälakas Ableitung des Denkens vom Essen war, so mythologisch-phantastisch - aber traditionell - war die des Redens von Glut oder Feuer, während die des Atems (Lebens), von (Speise, Pflanzen und damit von) Wasser den damaligen Physiologen einleuchten konnte. Die Erklärungen von Hunger, und Durst im 8. Abschnitt sollen der Theorie 91

der drei Elemente genüge tun, ebenso die kunstvolle Ausdeutung des Verdauens mit seinen dreimal drei Produkten im 5. Abschnitt. Dabei kam es dem Materialisten 1) darauf an, den Atem (Leben) auf Wasser (in Pflanzen und Essen) zurückzuführen, statt diesen wie die Atemwindmagier als Urstoff auszugeben, und 2) wollte er das Denken als materiell-hinstellen. Auch Tiere könnten, meinte er, wissen, daß sie aus dem Seienden kommen, und der Baum freut sich; beide haben Bewußtsein. Neben oder unter den bloß aufgezählten ei-, mutterschoß- und keimgeborenen Wesen werden Menschen nicht erwähnt (3. Abschnitt). Ein Höhepunkt der Physiologie des Uddälaka war das Experiment des Fastens mit dessen Auswirkung auf das Gedächtnis, das Denken, das Denkorgan. Bezeichnend ist für ihn das Heranziehen der Analogie des Quirlens von Milch, bei der die Butter als Feinstes nach oben steigt und in der Tat auf der Molke, dem Mittleren, schwimmt. Aber das Gröbste wird beim Quirlen nicht erwähnt, offenbar weil es dieses nicht gibt. Dieser Unterschied zwischen mechanischem Quirlen und organischem Verdauen hätte angemerkt werden sollen. Gedanken über Fragen der Psychologie der Sinne oder des Denkens, Redens, Lehrens, Erkennens, Wünschens, Zweifeins und Glaubens werden nicht vorgetragen, auch nicht die Unterscheidung des ideellen Denkens vom materiellen Denkorgan. Was oben zur Bewertung des naturwissenschaftlichen Wissens in bezug auf die anorganische Materie gesagt wurde, gilt also im großen ganzen auch für die organische, nur scheint das Physiologische durchdachter zu sein als das Physikalisch-Astronomische. Mathematik spielte keine Rolle. In dieser Weise läßt sich das unbewußte Zusammenwirken von Naturphilosophie und Naturwissenschaft in diesem Hylozoismus Indiens einstweilen andeuten.

3.2. Erkenntnislehre Uddälaka hat seine Erkenntnislehre so wenig als besondere Disziplin der Philosophie erkannt wie Naturphilosophie oder Ethik. Stellt man die Stellen, an denen er das Wort Wahrheit (satya) verwendet, zusammen, und zwar in der Reihenfolge des Textes, so zeigt sich: 1) In der Aufgabenstellung seiner Philosophie gelten ihm als Wahrheit (Wirklichkeit) die drei Rohstoffe (Ton, Eisen, Kupfer), aus denen deren Produkte gewonnen werden. 2) Im Makrokosmosabschnitt werden in der Definition der makrokosmischen Produkte die drei Farben der drei Elemente als Wahrheit den vier aus ihnen gebildeten Lichtern gegenübergestellt. 3) Beim Mikrokosmos und den Analysen vom Schlaf bis zum Ordal, d.h. in der neunmal wiederholten Definition des Seienden wird dieses als Wahrheit bezeichnet. Das Wahre oder die Wirklichkeit ist also dreifach: die höchste Wahrheit des Seienden wird von den beiden Graden niederer Wahrheiten unterschieden, von dem der drei Elemente und dem aller konkreten Rohstoffe. Drei materielle Ursachen sind diese drei Wahrheiten (Wirklichkeiten). Wenn man bedenkt, wie überlegt die Disposition des Textes ist, kann man in dieser Verwendung des Begriffs Wahrheit keinen Zufall erblicken. Uddälaka hat diese drei Grade der Wahrheit aber nicht ausdrücklich oder systematisch mit dem Unterschied der Wahrnehmung und des Denkens in Verbindung gebracht; alle drei Realitäten werden im Grunde gedacht, nur die drei Farben der drei Elemente sind sichtbar. Diese Unterscheidung ist nicht identisch mit der unsrigen, mit der zwischen einer absoluten Wahrheit (des Seienden ?) und vielen relativen 92

Wahrheiten (der Elemente und Rohstoffe?). Es handelt sich vielmehr um drei Grade der Abstraktion der wahren, realen materiellen Ursachen. Die Wahrheit des Ordals ist an sich eine moralische, sie gilt Uddälaka aber zugleich als das Seiende, das Wahre-Wirkliche. Das Seiende, der Weltstoff, ist für Uddälaka real (wahr) und erkennbar, wenn auch wegen seiner feinen Natur nicht zu unterscheiden für das Sehen im Falle des gespaltenen Feigenkerns und unsichtbar und untastbar im Falle des aufgelösten Salzes. Es ist sinnlich nicht wahrnehmbar, durch Wahrnehmung, dieses erste Erkenntnismittel der späteren Erkenntnistheorie, nicht erkennbar. Es ist unsichtbar im Gegensatz zu den vier Lichtern mit den Farben der drei Elemente, denn der Weltstoff hat „noch" keine Farben, und wieder anders war für Uddälaka die Unsichtbarkeit von Zeit, Raum, Nichtseiendem und Seele, denn diese gab es für ihn gar nicht. Die drei Elemente sind schließlich vermutlich an sich trotz ihrer Farben unsichtbar, weil sie fast so abstrakt (fein) sind wie das Seiende, aber weniger abstrakt als Ton, Eisen und Kupfer. Solche Unterschiede hat Uddälaka indessen nicht behandelt. Er betonte bei Hunger und Durst im 8. Abschnitt, daß man (als Philosoph), von den wahrnehmbaren Produkten als „Schößlingen" ausgehend, deren nicht wahrnehmbare „Wurzel" suchen (anvis) müsse (oder könne) und als solche das Essen, das Wasser, die Glut und das Seiende finde. Damit nahm er die später in der Logik aller Systeme als zweites Erkenntnismittel ausführlich untersuchte „Folgerung", den „Schluß für einen selber" (anumäna), für die eigene Erkenntnis u.a. der Ursache aus der Wirkung, vorweg. Das Denken wirkt, wo die Sinne versagen. Er hat immer wieder, bei dem Seienden in der Aufgabenstellung, in der Kosmogonie, beim Feigenkern, beim Saft des Baumes, beim Salz, beim Honig und den Flüssen, beim Quirlen und Fasten, bei Schlaf, Hunger und Durst mit Analogien aus dem täglichen Leben als Überzeugungsmittel bei philosophischen Problemen, beim Beweis oder beim „Schluß für einen anderen" 27 , wie man später sagte, gearbeitet. E r hat schließlich im 14. Abschnitt als das entscheidende Erkenntnismittel für das Seiende bzw. für den Hylozoismus den Lehrer (äcärya) eingeführt. Statt des naturphilosophischen Erkennens sprach Uddälaka im Abschnitt über den Lehrer im Grunde allerdings nur im Sinne seiner Ethik davon, daß der Lehrer das vom Glauben erlösende Wissen vermittelt. Ohne solche Autorität ist eben keine Organisation, auch nicht die einer materialistischen Philosophenschule möglich; Autorität ist ihr inhärentes Prinzip. 28 In den Theologenschulen von damals an und in den späteren Philosophenschulen wurde das Wort des Lehrers mehr oder weniger zum Dogma, zum dritten Erkenntnismittel, zum Zeugnis der betreffenden Schrift, sowohl für den Gläubigen wie auch für den Wissenwollenden. So wird es im Nyäyasütra 1,1,7 als „Unterweisung durch einen Fähigen" definiert. Beim Feigenkern schließlich beschwört der Lehrer den Schüler, ihm zu glauben. E r kann ihm eben nur seine Meinung sagen, ohne wissenschaftliche Argumente anzuführen; er war sich hier selber offenbar nicht ganz sicher, ob seine Argumentation ausreichte. Er hat aber die vor allem für die Mystiker und Idealisten grundlegende und von vedischen Theologen und späteren Philosophen als Art der Wahrnehmung gepriesene Intuition nicht verwendet, nur die drei später klassisch gewordenen Erkenntnismittel der sinnlichen Wahrnehmung, des Schlusses für einen selber und für andere und die Autorität. Er war damit der Vater der indischen Logik und Erkenntnistheorie, ohne dieses zu ahnen. E r war wohl auch der erste Inder, der grundlegende Begriffe wie das Seiende 93

und dessen Produkte so knapp und exakt wie möglich definierte. Aber er hat das Verhältnis von Glauben (Religion, Theologie und Idealismus), Meinen (Menschenverstand) und Wissen (Wissenschaft und Materialismus) nicht erörtert, wenn auch, wie sein erster Abschnitt andeutet, bemerkt. Er hat im 8. Abschnitt dreimal Etymologien 29 als Argumente in Anlehnung an die schon vor ihm innerhalb der Theologie begonnene Sprachlehre zu verwenden gesucht. Er war sich bewußt, mit seinem Philosophieren etwas Neues zu betreiben, aber er hat es auch älteren Lehrern zugeschrieben. Er hat gegen vedischen und alltäglichen Glauben polemisiert und ebenso gegen die Kosmogonie aus dem Nichtseienden, aber nicht gegen den Idealismus und Agnostizismus seines Zeitgenossen Yájñavalkya, gegen die Atemwindmagier oder die Denker anderer Richtungen. Er hat keinen Illusionismus gemeint, wenn er in der Definition der makrokosmischen Produkte erklärte, diese seien von der Rede geschaffen worden; dies verstanden seine Zeitgenossen offenbar richtig, d.h. kosmogonisch-mythologisch. Wie seine Naturphilosophie bedeutete seine Erkenntnislehre einen wesentlichen und weitgehend bewußten Schritt im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben. Aber er hat über die Anzahl, das Wesen und den Wert der Erkenntnismittel, das Verhältnis von Sinnen und Denken, von Namen und Gestalten, von Konkretem und Abstraktem, von Materialismus und Idealismus bzw. Illusionismus, von Abstraktion und Konkretisierung, von Definitionen, Etymologien, Analogien und Experimenten und von mythologischer, theologischer, wissenschaftlicher (etwa physiologischer) und philosophischer Denkweise nicht systematisch gelehrt.

3.3. E t h i k Uddälaka hat seine Ethik, wie es scheint, weniger durchdacht, hat sie zumindest weniger eingehend gelehrt als die beiden anderen philosophischen Disziplinen; er hat sie nicht als besondere Disziplin erkannt und die fundamentale Bedeutung seiner lebensfrohen Moralauffassung für seinen Materialismus-Hylozoismus nicht durchschaut. Mit der Herausbildung der Klassengesellschaft und des Klassenkampfes schieden sich die beiden Standpunkte der lebensfrohen und lebensfeindlichen Moral, und dieser allmählich bewußt werdende Unterschied führte zu Hylozoismus einer-, zu Idealismus andererseits. Die Ausbeuter brauchten lebensfeindliche Moral, um den Ausgebeuteten gegen die damalige Form der Existenzangst das Opium der Erlösungsreligion zu verabreichen, und sie hatten damit Erfolg bis heute. Gegen solchen Glauben mußte das Wissen erstarken, das auf manchen Gebieten ebenfalls für die Ausbeuter wichtig war; aber nur eine offenbar sehr kleine, noch nicht genauer beschreibbare gesellschaftliche Gruppe führte das sich entwickelnde Wissen zu Wissenschaftlichkeit und Hylozoismus im Gegensatz zu Idealismus und Erlösungsreligion. Es konnte aber nicht gegen Despotismus, Aberglauben oder gar Ausbeutung offen auftreten, selbst wenn diese Denker sich dieses Gegensatzes mehr oder weniger bewußt waren. Ausschlaggebend für Uddälakas moralische und damit weltanschauliche und ethische Stellungnahme war sein Stolz auf sein neues, individuelles, philosophisches, eben hylozoistisches Wissen, wie er ihn in seiner Aufgabenstellung aussprach; aber auch seine gelegentliche Unsicherheit war wichtig, wenn er seinen Schüler bat, ihm zu glauben, wie er es bei der Betrachtung des Feigenkerns tat. Solch ein Widerspruch von Stolz und Un94

Sicherheit kann für die damaligen Theologen der Übergangszeit zur Klassengesellschaft geradezu als bezeichnend gelten, 30 und er blieb es bis heute, bis zur ,.Schizophrenie" der zeitgenössischen indischen, kapitalistischen Wissenschaftler, die in der Vergangenheit verwurzelt blieben; so drückte Indira Gandhi (1968)31 die Lage aus, die wir mit dem Begriff Kampf des Wissens gegen den/das Glauben zu beschreiben suchen. Ferner behandelte Uddälaka im Grunde nur drei moralisch ausdeutbare Punkte: sein „Wissen" um 1) die ständige lebensfrohe Haltung des saftstrotzenden Baumes, verquickt mit dem „Wissen" um die Ewigkeit des Lebens, des Seienden, über den Tod des Individuums hinaus; 2) sein „Wissen" um die magische Gerechtigkeit des Ordals und 3) das um die Notwendigkeit und Möglichkeit des Lehrers, der die Loslösung von den Leiden des Lebens bringt. Wenn man die Lebensfreude des Baumes mit Recht auf den Materialisten selber bezieht, so paßt diese zu der humanistischen Grundhaltung des Textes, zum Stolz des einsamen Wissenden, zum Bewußtsein seiner Individualität und seiner Menschenwürde gegenüber der herrschend werdenden Menschenfeindlichkeit in der sich zu Despotismus ausformenden Klassengesellschaft. Uddälaka hat aber nicht etwa zur Ausbeutung der Voräryas durch die Aryas Stellung genommen, und er glaubte an keine egalitäre Utopie wie doch Yäjnavalkya. Seine Lebensfreude paßt zu seiner geistigen Freiheit als „bloß" denkender Intellektueller, Wissenschaftler und hylozoistischer Philosoph; sie entspringt nicht etwa einem Anspruch auf ökonomisch-sozial-politische Freiheit, wie sie jedes Mitglied des Brahmanenstandes beanspruchte, sie setzt keine Freiheit des Hofpriesters, Magiers oder Theologen voraus. Ist es Zufall, daß er nur seinen Sohn belehrte, nur ihm sein Wissen vererbte, aber in Diskussionen mit Yäjnavalkya, Asvapati und Pravähana seinen Materialismus verschwieg ? Hat sein Sohn es verstanden, diesen für die Orthodoxen im Grunde gefährlichen Text in die Upanisad hineinzubringen, ohne daß man dessen Materialismus bemerkte ? Uddälakas Begriff der Freiheit läßt sich weiter der „Freiheit" der Erlösungsreligion gegenüberstellen. Uddälaka war selbstsicher und lebensfroh im Bewußtsein seines Wissens um die Ewigkeit des Lebens; er scherte sich weder um die hinduistische Eflösung aus dem irdischen Jammertal noch um rgvedische Verheißung von Unsterblichkeit im Himmel. Uddälaka konnte es wagen, die theologischen Lehrer seines Sohnes zu kritisieren, und er tat dies aus der notwendigen Vorsicht milder als Yäjnavalkya, der als Idealist das „niedere" Wissen der Theologen schärfer anprangern konnte als der Materialist. Diese von Uddälaka beim Baum geschilderte Lebensfreude, die der Ewigkeit des Lebens verdankt wird, ist leicht von Yäjnavalkyas Lehre der Wonne zu unterscheiden, von der alle Wesen leben, während die höchste Wonne die objektlose Wonne der Erlösung sein soll. Vom Fasten handelt Uddälaka als einem physiologisch-psychologischen Experiment, nicht als zu Intuition und Erlösung führender Askese. Er kannte aber natürlich noch nicht das Ideal der allseitig gebildeten Persönlichkeit, ignorierte die Künste, die Kunstlehre, die damals begann, und auch die damals beginnenden Lehren von Sprache, Recht und Staat. Er durchschaute nicht die Einheit der materiellen und ideellen Kultur. Sein Hylozoismus hat etwas Puritanisches, und ihm fehlt das Streben nach allgemeinem gesellschaftlichem Fortschritt. Er sah das Neue seiner Lehre, aber er konnte seine Parteilichkeit im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben nicht definieren, kannte keine Worte für Aufklärung, Wissenschaft, Religion oder Philosophie, Idealismus, Materialismus, Materie, Ursache, Element, Atom, Wahrnehmung, Grund usw., und wir sehen noch nicht, daß er sich bewußt war, in einer revolutionären Epoche zu leben und zu 95

wirken. Das Problem vom Aktivsein gegen Quietismus begann damals gerade keimhaft bei Yäjnavalkya. Wenige Denker begannen menschlich-moralisches Verhalten dem magischen entgegenzustellen. Das Gewissen der Ausbeuter begann erst, von den Leiden der Ausgebeuteten angerührt zu werden. Demgemäß kann man von Uddälaka noch keine ausgebautere Ethik erwarten.

4. Neues Wissen gegen alten/altes Glauben im Text Uddalakas Uddälakas Hylozoismus wird immer verständlicher, je mehr er in die allseitige gesellschaftliche Entwicklung der damaligen unbewußt revolutionären Epoche des Beginns der Klassengesellschaft (s. o) eingebaut wird, wenn er insbesondere als mehr oder weniger bewußte Aufhebung des denkerischen, theologischen, vor- und frühwissenschaftlichen und vorphilosophischen Erbes dank neuer Denkleistungen Uddälakas im Kampf des Wissens gegen den/das Glauben begriffen wird. Im I . - I I I . Teil dieser Arbeit ist versucht worden, die Entwicklung der Religion und der Theologie vom Rgveda zum Hinduismus anzudeuten und die Richtungen oder Schulen vor allem der Theologen zu charakterisieren, die von Theologie zu Hylozoismus und Idealismus, zu diesen beiden Grundrichtungen der beginnenden Philosophie hinführten. Es kommt aber auch darauf an, die einzelnen Abschnitte der beiden Unterweisungen des ersten Hylozoisten daraufhin zu betrachten, wie deren Themen der Kosmogonie usw. von dem der neuen Aufgabenstellung des Hylozoisten in seinem ersten Abschnitt an, d.h. von dem der hylozoistischen Philosophie in ihrem Gegensatz zur Theologie an, aus den älteren noch theologischen Behandlungen des jeweiligen Themas verständlich zu machen sind. Dabei lassen sich gewisse Wiederholungen des im I . - I I I . Teil Gesagten leider nicht vermeiden. Aber bei der Schwierigkeit der Texte sind sie sogar manchmal nützlich. Man kann natürlich nicht behaupten, daß Uddälaka einige oder alle im folgenden angeführten Stellen aus älteren Texten gekannt und benutzt hat. Wir können nur die Elemente andeuten, die zu seiner Bildung und Ausbildung gehört haben können. Ganz allgemein gesehen, beruhte sein monistischer Materialismus auf der wissenschaftlichen Überwindung des urgesellschaftlichen magisch-mythologischen Dualismus von Leib und Seele, Weltall und Geistern. Sein Vater Aruna, ein Theologe der Sonnenverehrer, hatte gelehrt, daß die „geheimen Anweisungen" etwas anderes seien als die vier Veden samt Epen und Puranen; er meinte wohl die Theologie der Brähmanas und/oder der Upanisads. Uddälaka lehrte in vorsichtiger Weise, daß seine Lehre etwas Neues war. Dieses Beginnen von Neuem gilt es immer genauer darzustellen, und zwar für alle Themen und Begriffe seiner Naturwissenschaft und Naturphilosophie, Erkenntnistheorie und Ethik. In dem Stammbaum (vamsa) der Lehrer am Ende der B U wird Aruna als sein Lehrer angegeben, aber er berief sich nicht auf seinen Vater, und es ist kein Text erhalten, in dem er von seinem Vater unterwiesen worden wäre wie Prätrda von seinem Vater (BU V,12; B 135f.). Dagegen ist die Belehrung durch König Pravähana für Uddälaka wichtig gewesen (ChU 1,8; B 256ff.).

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4.1. E r s t e Unterweisung 4.1.1.

1. Abschnitt: Aufgabenstellung

Es handelt sich in Uddälakas Aufgabenstellung nicht mehr um Theologie, sondern Philosophie, die sich damals von Wissenschaft noch nicht differenziert hatte. Seine Unterscheidung von (theologischem) Lernen (Hören), Denken (gesundem Menschenverstand) und (philosophischem) Erkennen war etwas Neues, von ihm philosophisch richtig Erkanntes. Vor ihm hatten nur Theologen unter sich darüber diskutiert, wer mehr wüßte als die anderen, ohne Polemik der uns einstweilen greifbaren Denkrichtungen gegeneinander. Atemwindmagier wie Räikva und Usasti z.B. „wußten mehr" als die Sämantheologen, ohne indessen deren „Wissen" abzulehnen. Die Theologen hatten vor Uddälaka in ihrem Sinne vieles über die Wahrheit gelehrt. Sie meinten damit gemäß ihrem vedischen Erbe, daß nicht nur ihr „Wissen" (Glauben) das All erkennen könne, sondern auch, daß das gesellschaftliche Verhalten des Aryas dem kosmischen Geschehen gemäß ihrer magisch-mythologischen Weltanschauung entsprechen müsse. Diese Doppeldeutigkeit des Wahren-Guten spiegelt sich noch in Uddälakas 16. Abschnitt über das Ordal wider. In seinem ersten Abschnitt aber geht es dem Materialisten nur um den Primat des Materiellen und die Erkennbarkeit der Welt und des Ich. Erwies hier indessen den Idealismus, den Primat des Bewußtseins des Yäjnavalkya, nicht zurück. Ein gewisses Zweifeln an der Erkennbarkeit der Realität hatte übrigens bereits in RV X,129 begonnen, war aber von den Theologen nicht als herrschende Weltanschauung gelehrt worden. In RV X,125 war von einem Priester-Dichter die Rede als Weltschöpferin verehrt worden; auf solche Denkweise ging die des Uddälaka zurück, wenn er im 1. Abschnitt die Produkte der Materie als deren Umwandlungen, als Schöpfungen der Rede charakterisierte und diese Produkte dem Urstoff als dem Wahren gegenüberstellte. Beide Denker meinten dies aber nicht idealistisch. Dieser Begriff der Umwandlung war eine bedeutende Neuerung Uddälakas gegenüber Pravähanas Begriff „Gang" (ChUI,8; B 256f.) oder dem der „Quintessenz" (Ursache—Wirkung, ChU 1.1). Er war wohl auch der erste Inder, dem solche Definitionen 32 wie die vom Weltstoff und dessen Produkten gelangen. Vor ihm hatten die Theologen statt dessen mystisch-magische Identifikationen 33 verwendet, und bei der Definition oder ausführlichen Beschreibung des Denkens in BU 1,5,3 ist fraglich, ob sie älter als Uddälaka ist. Uddälaka theoretisierte nicht über das Verhältnis von sinnlicher Wahrnehmung und Denken, geschweige Reden. Schon Theologen der Brähmanas hatten über den Wert von Sehen und Hören, Denken und Reden gestritten, 34 und zwischen der uneigentlichen, „vor Augen liegenden" Erscheinungsform und dem eigentlichen, jenseits der Augen liegenden Wesen einer Sache unterschieden, 35 und Yäjnavalkya lehrte noch in dieser Weise von Indra, er sei eigentlich Indha (BUIV,2,2; B 227).36 Der Ausdruck „vor Augen liegend" wurde in der späteren Erkenntnistheorie für Wahrnehmung verwendet. Uddälaka aber mochte wohl diesen damals noch magisch-theologischen Begriff nicht verwenden. 4.1.2.

2. Abschnitt: Kosmogonie

Uddälaka dachte die Kosmogonie zur ersten indischen hylozoistischen Naturphilosophie um, u.a. damit, daß er den Begriff des Seienden an den Anfang stellte und polemisch 7 Abhandlungen l/G/79

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leugnete, daß dieses aus dem Nichtseienden entstanden sei. Dieser Gedanke leuchtet uns heute noch ein. Dieses war der Abschluß einer langen Entwicklung von urgesellschaftlicher, uns greif barer rgvedischer Mythologie her und der Anfang philosophischer Spekulationen, die später vor allem im Sämkhya fortgesetzt wurden. Verquickt mit diesem Problemkreis des Seienden und Nichtseienden war der, ob es sich beim Umwandeln des lebenden Urstoffs um ein Machen durch einen Gott oder um ein Entstehen, ein Werden oder Geborenwerden handelt. Eine Tendenz der Theologen ging dahin, der magischen Macht der Priester zuliebe die Macht der traditionellen Götter abzuschwächen und das magisch-moralische Werden von Welt und Mensch (rta) universistisch herauszustellen, dem sich der Mensch mittels der Magie der Priester einzuordnen hatte. Diese Ausschaltung des Schöpfergottes war eine Voraussetzung für Uddälakas Hylozoismus. Was das Sein und Nichtsein angeht, so jonglierten die Theologen und schön die Dichter des Rgveda mit diesen Begriffen in mannigfachster Weise, so daß sie den Grüblern geläufig wurden. So wurde ohne kosmogonische Absicht Varuna der König „dieses Seienden" genannt (RV VII,87,6) und Agni, der Feuergott, der Wächter „des Seienden und des Werdenden, des Vielen" (RV 1,96,7). Dabei bleibt noch fraglich, ob hier schon wie später bei Uddälaka das eine Seiende bewußt seinen vielen Produkten gegenübergestellt ist. Im Grunde wollen ja alle Kosmogonien die Vielheit der Erscheinungen aus einem Einen herleiten, sei es ein Urwasser, ein Weltei oder etwas anderes. In RV X,81 macht der Gott als Zimmermann die Welt aus Holz, 37 und man denkt an Aristoteles bzw. Speusipp, die die Materie als hyle bezeichneten, ein Wort, das bei Homer Holz bedeutet. 3 8 Sie dachten irgendwie noch an den Schöpfer als Handwerker, als Zimmermann. Nach RV X,90 machten die Götter die Welt durch das Opfern des Urriesen, des indoeuropäischen Ymir; opfern war das Handwerk der Priester. Nach R V X , 7 2 entstand das Seiende aus dem Nichtseienden, 39 und dieses Entstehen wird mit dem Machen, dem Schmieden des Schöpfers durcheinandergebracht, aber auch mit dem Geboren werden der Götter. Indra hat jeden Tag ein neues Werk getan, hat Nichtseiendes seiend gemacht (RV VI,24,5). In RVX,129 schließlich beginnt die Kosmogonie damit, daß im Anfang weder Seiendes noch Nichtseiendes da war, und der Dichter schließt mit dem theologischen Zweifel, ob selbst der höchste Aufseher im Himmel wisse, aus was die Welt entstand (d.h. wurde), ob er sie geschaffen hat oder nicht. Man kann sich zwischen diesem aufklärerischen Zweifeln in bezug auf Seiendes und Nichtseiendes, Machen und Werden und dem Hylozoismus des Uddälaka im Grunde keinen sehr langen zeitlichen Abstand denken. Der Schöpfergott wird hier im Rgveda dadurch geradezu ausgeschaltet, daß in dem „Einen ohne ein Zweites", das im Anfang da war und ohne alle Unterschiede war, der Wunsch zu werden als der erste Same des Denkens entstand, ohne daß ein Schöpfer als der Denkende und Wünschende aufträte. Dieser höchst abstrakt gedachten Urmaterie steht der höchst abstrakte wünschende Gedanke gegenüber. Bei Uddälaka wünscht das Seiende, dieses Eine ohne ein Zweites, vielfach zu werden, sich fortzupflanzen. Sein Hylozoismus antwortet sozusagen, wenn auch nicht unmittelbar, auf den agnostizistischen Zweifel des rgvedischen Priester-Dichters, des Theologen, der als Aufklärer auch den Gegensatz von Werden und Gemachtwerden bewußt gemacht hatte, aber noch nicht als Philosoph zum Seienden als dem lebenden Weltstoff hatte vordringen können. Wenn man indessen der üblichen Chronologie folgt, ist zwischen Rgveda und Upanisads zunächst der Atharvaveda einzuschieben. In AV X,7,25 entstehen die Götter aus dem Nichtseienden, und in XVII,1,19 fußt das Seiende auf dem Nichtseienden, das Gewordene auf dem Seienden, aber auch auf dem Künftigen (gemäß einem theologischen 98

Gedanken?). Später lehrte das Vaisesika das teleologische Nochnichtsein (z.B. des Topfes im Ton, seiner materiellen Ursache), das Sein und das Nichtmehrsein. Nach AV X I , 8,5 begann im UrwaSser „Handlung" (vermutlich magische, zauberstarke, nicht nur Bewegung), und diese führte zu Askese. In Brähmanas heißt es oft, daß ein Gott kraft seiner Askese schuf. (Der Opfernde bereitete sich ja damals mit Askese auf den Ritus vor.) I n AV IV,1,1 ist das brahman das zuerst Geborene, aus dem das Seiende und das Nichtseiende entstanden. In den Brähmanas begannen einige Theologen ihre Kosmogonie mit dem Nichtseienden, z . B . S B X , 6 , 5 ( = B U 1,2; B 65) mit dem Nichts,das vom Tod, vom Hunger zugedeckt war.'Im relativ späten TA 111,14,9 ließ einer aus dem Nichtseienden das Seiende, aus diesem den Atem hervorgehen, der neun Götter (Öffnungen, 40 Lebenskräfte) im Kopf entstehen ließ: Zwei Augen, Ohren, Nasenlöcher und Mund, und zwei unten im Leib. In S B VI, 1,1 deutete einer das uranfängliche Nichtseiende als die sieben Seher (rsi), deren Saft zum Kopf (mit dessen sieben Öffnungen) wurde. Ähnliche Spekulationen finden sich noch in B U p 11,2 und stehen denen von Atemwindmagiern nahe, die das Thema der Kosmogonie freilich meist nicht pflegten. Ein eigenartiger Theologe knüpfte in S B X,5,3 (B 61ff.) an die rgvedische Kosmogonie aus dem Wederseiendennochnichtseienden an und erklärte das „gleichsam" Seiende und zugleich „gleichsam" Nichtseiende des Anfangs für das Denken (bzw. Wünschen, ohne Schöpfer), das dann Askese trieb und zu schaffen begann. E r meinte wohl, daß das Denken gleichsam weder (materiell) seiend noch nichtseiend (also ideell-real) ist. Ideelles und Materielles zu unterscheiden war vor dem Beginn der Philosophie ungemein schwierig. In S B X I , 2 , 3 (B 78f.) steht das brahman am Beginn der Kosmogonie, es schuf die drei Welten und deren Götter und ging dann in die drei Welten mit der Gestalt und dem Namen ein. E s ähnelte mit seinem Eingehen dem des Seienden bei Uddälaka. Wenn dieses zu schaffen wünscht, so setzte es den Wunsch des Schöpfergottes älterer Kosmogonien fort. Der ätman als Ausgangspunkt einer Kosmogonie ist erst aus B U 1,4,7 bekannt geworden; wenn dieser sich mit „Name und Gestalt" offenbarte oder differenzierte, so kann diese Stelle jünger als Uddälaka sein. Was das anfängliche Nichtseiende ist, durchdachten diese Theologen meist nicht; sie dachten wohl z.T. an ein undifferenziertes Ghaos, ohne dafür ein besonderes Wort zu besitzen, oder sie dachten bloß in unklarer Weise an die Negation der existierenden Welt. Der naturphilosophische Gedanke, das Seiende als einen einheitlichen, ewigen und lebenden Weltstoff an den Anfang des Werdens der aus diesem sich differenzierenden Welt zu stellen, konnte erst gelingen; als man aus dem Begriff des Werdens, Gemachtoder Geborenwerdens (jan) den der Umwandlung (vikära) machte, wie es Uddälaka geleistet hat. In ChU 111,19,1 (B 157), also noch vor Uddälaka, hatte ein Sonnenverehrer gelehrt, dieses (die Welt) sei im Anfang nichtseiend gewesen, und dieses sei das Seiende gewesen; dies sei dann geworden und sei zum Weltei geworden, aus welchem schließlich Himmel, Erde urtd Sonne entstanden. Anscheinend' erst nach Uddälaka aber erklärte ein theologischer Kosmogone in T U 11,7 (B 288), „dieses" (All) sei im Anfang nichtseiend gewesen, daraus sei das Seiende geworden, dieses habe sich zum ätman gemacht. Nach solchen weltfremden theologischen Versuchen der Kosmogonie steht Uddälakas Leistung groß da-; wird es andererseits verständlich, wenn er als Kosmogone noch von dem Seienden „im Anfang" redet, ohne deutlich zu sagen, daß er den Anfang der Umwandlung des schon ewig daseienden - sich vorher aber nicht wandelnden - Seienden 99

meint, und wenn er das Seiende ebenso wie die drei Elemente Gottheiten nennt, um sie wünschen und sich fortpflanzen, d. h. werden, sich umwandeln zu lassen. Die Atemwindmagier hatten vor ihm Wind, Sonne, Feuer, Mond usw., diese kosmischen Größen, mit dem Recht der Tradition Gottheiten genannt, aber in unklarer Weise als lebende Stoffe gemeint, die im Grunde den einen Wind als ihre arche, ihren Weltstoff, haben. Sie kamen einem Atem-Wind-Hylozoismus nahe. Pravähana hatte ähnlich vom Raum gedacht, andere von Feuer und Wasser, ohne dies als lebend und göttlich aufzufassen. 41 In der damaligen revolutionären Epoche wurden die urgesellschaftlichen vedischen Götter durch die klassengesellschaftlichen hinduistischen an die Seite gedrückt, so daß der Sinn des Wortes Gottheit sehr weit gefaßt werden konnte. Daß die Atemwindmagier ihren Weg gingen, war eine Leistung, die ihrem physiologischen Interesse, also dem Wissen entsprang. Noch weiter im Kampf des Wissens gegen den Glauben ging Uddälaka. In RVX,125 (B 33f.) trat die Rede als Schöpferin der Welt auf; von ihr stammen wohl irgendwie Uddälakas Ausdrücke, die Produkte der Materie seien Schöpfungen der Rede und Namengebungen (Ch VI,1,4; B 167). Die Rede ging dabei nach dem RV in Himmel und Erde ein wie Uddälakas Seiendes in die drei Elemente, damit die Einzeldinge Namen und Gestalten oder Farben (rüpa) erhielten. Vielleicht darf man dementsprechend in der 3. Strophe des rgvedischen Liedes ergänzen: Ich, die Rede, die ich viele Gestalten (die der Dinge) annehme ... An den Anfang der Kosmogonie ein Eines ohne ein Zweites zu stellen lag nahe, wenn man neben dem Urstoff keinen Schöpfer mehr benötigte. So heißt es schon in RV VIII, 58,2, daß das Eine sich zu diesem All entfaltet habe. Diese Worte des RV sollen nach der theologischen Tradition die Frage nach der Anzahl der Gewässer in RV X,88,18 beantworten, sie stehen aber im textlichen Zusammenhang mit der Frage nach der Einheit und Vielfalt von Feuer, Sonne und Morgenröte, nach deren Anzahl an jener Stelle ebenfalls gefragt wurde. Man glaubte vielleicht an ein Urwasser und an ein Urfeuer. Daß der Feuergott eine Einheit vieler Götter und Opferfeuer war und mit den Namen vieler Götter benannt wurde, steht in dem Rätsellied RV 1,164,46; in diesem wird auch nach dem Einen gefragt, der als der Ungeborene (also Ewige, Seiende) Himmel und Erde auseinandergestemmt hat; dieser wird als der Sonnenvogel gedeutet. In Kälidäsas Epos „Die Geburt des Kriegsgottes,, stemmt der Feuergott als eine Art Himmelheber 42 die Göttin Pärvati und den äonenlang auf ihr liegenden Siva auseinander. In RV III, 54,8 gelten Himmel und Erde als die beiden (Grundlagen), die alle Geschöpfe tragen, und zugleich als das Eine, das (kosmologisch, nicht kosmogonisch) alles beherrscht, was sich bewegt und fest steht, was geht und fliegt, das Verschiedenartige. In der hohen Abstraktion einer solchen Einheit wirkt das berechtigte, mythologisch-theologische, aber noch nicht wissenschaftliche oder philosophische Streben, die Natur als die Einheit zu fassen, die sie wirklich ist. Fällt der Schöpfer fort, braucht der Urstoff in sich selber die ihn bewegende Urkraft. Urwasser und Urstoff dachte man sich damals wohl als animistisch lebend, ohne darüber sprechen zu müssen oder zu können. Ebenso lebt das anfängliche Weder-seiende-nochnichtseiende in RV X,129, denn es atmet, wenn auch ohne Wind, dieser war ja noch nicht entstanden. Nach RV X,90 entstand die Welt aus dem geopferten lebenden Urriesen, sozusagen aus dem noch mythologisch geglaubten lebenden Urstoff. In AV XI,4 wird der Atem-Wind als der Herr der Welt besungen, auf den sich alles Gewordene und Werden werdende (hier fehlt das Präsens, das Werdende) stützt; ob dieses „sich Stützen" kosmogonisch gemeint ist, wird freilich nicht gesagt. Im ÖB X,3,5 wird der Wind als 100

der Gehende und dieses All Zeugende verherrlicht, aus dem eben dieses Alles entsteht; soweit in bezug auf die Gottheit; in bezug auf das Selbst ist der Atem der Gehende und Zeugende. Wind und Atem waren die beiden lebenden Urstoffe der Atemwindmagier, die freilich an Kosmogonie wenig interessiert waren und keine Atem-Wind-Hylozoisten wurden. Uddälaka konnte also an eine langsame Entwicklung vieler theologischer Vorgänger anknüpfen, als er sprungartig über sie hinausgelangte. Er stellte sich in diesem Punkt nicht ausdrücklich als Entdecker hin, und wir können es noch nicht beurteilen, wieweit seine Hörer merkten, daß seine hylozoistische Kosmogonie aus dem Seienden etwas grundlegend Neues war. Immerhin hielt er es für richtig, gegen die traditionelle mythologisch-theologische Kosmogonie aus dem Nichtseienden zu polemisieren. Er leitete seine Polemik ein mit den Worten: „Einige haben gesagt" (nicht etwa: „Bisher haben alle gesagt"); diese viel verwendete Formel steht u.a. auch in der Polemik des Atemwindmagiers Prätrda in BU V,12 (B 135f.) und in der Rangstreitlegende des Atemwindmagiers i n B U 1,3,27, der lehrte, auf die Rede sei der Atem beim Singen des säman gegründet, „während einige sagten", er seiauf das Essen gegründet. Der Theologe in B V, 14,5 gab die gäyatri als das Metrum von RV 111,57,10 an, „während andere sagten", es sei Anustubh. Pratardana lehrte die Rangordnung der Lebenskräfte in K U 111,2 (B 322), „während einige sagten", daß sie alle zur Einheit werden und gemeinsam fungieren. Schon in RV VIII,100,3 wendet sich der-Dichter gegen einen, der gesagt hat, Indra existiert gar nicht, und in RV 1,164,46 klagt ein Feuerverehrer, daß (sich irrende) Priesterdichter vielfach benennen (vad), was nur eines, Feuer, ist. In RV VIII,82,1 ist vom Geschwätz der Dichter die Rede. Stellen in den Brähmanas leiten zu denen in den Upanisads über, wie denn ein Theologe, der das Roßopfer im Frühling zu vollbringen lehrt, anführte, daß „einige sagen", der Sommer sei dafür geeignet (SB XIII,4,1,2). In &B 1,3,1,27 (B 51) und TB I, 1,4,1,2« wird das von anderen Gehörte grundsätzlich gegenüber dem selber Gesehenen abgewertet, wie es übrigens auch Heraklit (frgm. B 101a) tat. In der umfangreichen vedischen Priesterlehre gab es also, wenn auch nur selten, Ablehnungen gegnerischer Lehren. Herrschend aber war die entgegengesetzte Haltung, in die Sammlung theologischer Texte Lehren verschiedener Standpunkte ohne Kritik, ohne Kennzeichnung der Unterschiede, ja vermutlich ohne diese zu bemerken, aufzunehmen, wie die oben im III. Teil angedeuteten gedanklichen Richtungen, ja sogar den Materialismus Uddälakas und den Idealismus Yäjnavalkyas und die verschiedenen Kompilationen dieser beiden Grundrichtungen der Philosophie. In den seltenen Polemiken sind Dokumente des beginnenden Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben erhalten. Uddälaka aber trat in seiner Polemik als materialistischer Philosoph gegen priesterlichen Glauben auf, und ebenso tat er, wenn er für seine kosmogonischen Schritte vom Seienden bis zum Essen allgemein gewußte, anerkannte Prozesse als Analogien anführte, ein Beweismittel, das in der späteren Logik aber beim „Schluß für einen anderen" behandelt wurde. Uddälakas kosmogonische Schritte vom Seienden über Glut und Wasser zum Essen gehören in einen großen Zusammenhang. Sie mögen ihm in erster Linie wegen seiner Theorie des Sterbens wichtig gewesen sein, aber sie hängen auch mit Begriffen in Pravähanas Kausalitätsreihe zusammen, daß aus dem Wasser (Regen) das Essen (Pflanzen) und aus diesem der Mensch (Same) entstehen (ChU V,6,2,-8,2; B 252), was Janaka ähnlich lehrte (SB XI,6,2, 7-9; B 123f.). Kosmogonische Elemente spielen ja in allen oben 101

angeführten Kausalitätsreihen (Quintessenzen, rasa) von ChU 1,1 an eine Rolle. In einer Kosmogonie in SB X,6,5 und BU 1,2 entstand aus dem Nichts das Wasser; dessen Rahm wurde zur Erde (die auf dem Wasser schwimmt), und auf dieser entstand aus der IJitze der Askese des Todes die Glut. Wasser, Erde und Hitze erinnern an Uddälakas Glut, Wasser und Essen (Festes); und auch dieser ließ die Butter auf der gequirlten Milch schwimmen (6. Abschnitt). Ein Magier in SB 1,5,1,20 rief Feuer, Erde und Wasser an, und einer stellte Wasser und Pflanzen als die beiden Arten des Essens zusammen (SB VII,2,3,2). Ein Magier identifizierte die (feurige) Sonnenscheibe mit Wasser und Essen (JB 11,62). Ein Theologe stellte die Genüsse der Lebewesen auf der Erde, im Feuer und im Wasser zusammen; größer als sie sei die Freude des Vaters am Sohn (AB VII,13,5). Uddälaka konnte also mit seiner Drei-Elementen-Lehre an verschiedene theologische Spekulationen anknüpfen, insbesondere mit der des Essens. . Schon in RV 1,187 ist ein kultisches Loblied auf das Essen erhalten, auf diesen honiggesüßten suppenartigen Trunk aus Milch und Gerste, der im Kult verzehrt und als Gott verehrt wurde, ohne daß erörtert würde, was das Essen an sich sei. Seine Säfte durchdringen wie die Winde die Gegenden bis zum Himmel; es stärkt Menschen und Götter für ihre Taten. 4 4 - Im TB 2,8,8 stellt sich das brahman in einem Lied dem theologischen Grübler als das Essen vor, das Himmel und Erde mit Milch füllt, ohne durch Genuß weniger zu werden. Es ist Auf- und Abatem, Tod und Leben, Altern und Zeugen. Man esse nicht allein, sondern gebe ab. Das Essen ist wahrhaft seiend und ohne Tod. 45 - In der anschließenden, aber wesentlich jüngeren TU 111,1 (B 291 ff.) wird zunächst das Essen als das brahman „erkannt", als das, aus dem alle Wesen (bhüta hier wohl nicht alles Gewordene) entstehen, durch das sie leben (bestehen) und in das sie sterbend eingehen, also als mikrokosmischer Urstoff. Aber auch Atem, Denken, Erkennen und Wonne werden in immer tieferer Schau als das brahman „erkannt". Die beiden letzten Glieder dieser Fünferreihe sind sicher aus Yäjnavalkyas idealistischer Definition des brahman übernommen; die drei ersten Glieder, Essen, Atem und Denken, gehören eher in Uddälakas Denkweise. In diesem späten Kompromiß werden also mehrere brahmans nebenoder besser ineinander anerkannt, zwei materielle (Essen und Atem) und drei ideelle (Denken, Erkennen und Wonne). Prätrda (BU V,12; B 135f.) begann mit einer Polemik gegen einige Theologen, die das Essen mit brahman gleichsetzten, wie es in diesen Taittiriyatexten, aber auch noch in der Lehre des Sanatkumära bezeugt ist, der einiges von Uddälaka übernommen hat (ChU VII,9,2; B 304), wenn er Essen nämlich von Wasser und dieses von Glut herleitet. Prätrda polemisierte weiter gegen einige, die den Atem mit dem brahman gleichsetzen. Meinte er damit Atemwindmagier oder jenen Kompromißler von TU 111,1 ? Er lehnte beide ab, weil Speise ohne Atem stinkig wird und Atem ohne Speise austrocknet. Er lehrte vielmehr, daß diese beiden Gottheiten, Speise und Atem, (im Menschen) zur Einheit geworden, (als das brahman) den höchsten Rang (unter den Göttern) innehaben. 46 Das physiologische Verhältnis von Atem (Leben) und Essen beschäftigte schon Theologen der Brähmanas u. a. in der Form, daß einer - wenn wir ihn schon richtig verstehen lehrte, der Atem (gleich Indra) führe das Essen durch den Atem in sein Selbst (in sich, seinen Leib), ... was einer an Essen mit dem Atem esse, ergieße er als Samen, und der, der dieses „wisse", werde im Sohn wiedergeboren (SB XII,9,l,12ff., B 93f.). Ein anderer identifizierte den Opferspruch (yajus), der sich bewegt (d.h. wohl, mit dem der Magier, der adhvaryu-Priester, All und Mensch bewegt), mit dem Atem,.der geht, aber auch mit 102

dem, Essen. Durch das Essen werde er (wieder?) geboren (s. oben) und bewege er sich. Dabei sei das Denken (Wünsohen-Lieben ?) voran (beim Leben ? bei der Wiedergeburt ?) (SB X,3,5 ; B 95f.). Ein dritter beobachtete: Wer Essen ißt, atmet; der Atem, meinte er, werde durch das Essen gepackt, Essen aber durch Atem; wer atme, der esse und stärke den Leib, und wer diesen stärkender atme und esse; vom Essen lebe das All (SB VII,5,l,16ff.; B 97ff.). Dieser Theologe hatte sich trefflich gewöhnt, in Wechselwirkungen zu denken. Ein vierter lehrte, das Selbst sei mit den Lebenskräften an das Essen gebunden, und das Essen sei das Bindemittel, mit dem das Denken auf das Selbst gestützt sei (SB VI,7,1, 16-21; B 92f.). Ein fünfter stellte sich eine Art Kreislauf der Opferspeise oder des Opfertranks (s.o.) vom Opferherren durch das Opferfeuer zum Himmel, als Regen von dort zur Erde hinab und dann als Milch (Essen) in den Opferveranstalter und damit wiederum in das Opferfeuer vor (SB IX,3,3,15ff.; B 120f.). An eine solche Kreislauflehre knüpften die beiden Könige Janaka und Pravähana den beiden Brahmanen Yäjnavalkya bzw. Uddälaka gegenüber ihre Lehre der Wiedergeburt im Sohne an. Prätrda aber, der in solch einer schon etwas andeutbaren Tradition stand, wurde von seinem Vater abgewiesen: Es komme nur darauf an, daß der „Wissende" zur Entsagung komme, aufhöre (viram), denn vi sei Essen, ram sei Atem, wie mit falschen Etymologien dargelegt wird. Der Vater wollte eben im Sinne Yäjnavalkyas oder älterer Lehrer der Entsagungsmoral über die Speise-Atem-Theologie hinausgelangen. Dieser Text des Prätrda macht, einen relativ späten Eindruck, so daß die doppelte Polemik, die des Sohnes und des Vaters, nicht verwundert. Uddälaka hat leider seine drei Elemente nicht charakterisiert außer im folgenden Abschnitt mit ihren Farben; er hat sie auch nicht definiert; wie er es doch bei dem Seienden und bei dessen Produkten getan hat. Er hat auch ihre Dreizahl nicht begründet. E r kam mit ihnen im folgenden für seine Lehren des Makro- und Mikrokosmos aus.

4.1.3.

3. Abschnitt: Das Entstehen des Makrokosmos

1. Satz: Seit dem Rgveda ist das Rubrizieren von Tierarten zu belegen, z.B. in RV X , 90,10 (B 24), als die, die in der Luft, im Wald und im Dorf leben, und als Pferde, Rinder, Ziegen und Schafe, in S B VII,5,2, 6 (B 87) in dieselben vier Arten der Haustiere und in S B IV,1,3,16 als Vierfüßler, Vögel und Gewürm. Nach diesem Satz erst nannte Uddälaka das Seiende die höchste Gottheit, die drei Elemente aber Gottheiten. Damit knüpfte er daran an, daß die Atemwindmagier den makrokosmischen Bereich der Gottheiten (Wind usw.) dem mikrokosmischen des Selbst (Atem usw.) gegenüberstellten. Dies war eine Errungenschaft dieser Magie in den Brähmanas, wenn ihre Atemwindlehre auch mit R V X,90 (B 23ff.), mit der Schöpfung aus dem Urriesen, dessen Atem zum Wind wurde, zusammenhängt. Zu der Anschauung, daß das Seiende, die höchste Gottheit, in die Elemente einging,47 mag Uddälaka durch Mythen in,den Brähmanas angeregt worden sein, wie durch die relativ späte Wasserkosmogonie, in der der Schöpfer Prajäpati mit seinem „eigenen" Selbst in das eigene Selbst (in das, was er bisher geschaffen hatte und was er selber war) einging, als er die Welten, Wesen und Himmelsrichtungen schuf; so entstanden Sonne, Feuer, Wind, Götter und Menschen (TA 1,23). Uddälaka ersetzte und verdeutlichte dieses „eigene" Selbst des Prajäpati durch das „Lebeselbst" des Seienden. Das Seiende 103

spielte die Rolle des Schöpfers, es lebte; den Begriff Lebeselbst mag Uddälaka erfunden haben. Er hat mit dem gleichlautenden Begriff der individuellen Seele im späteren Vedänta nichts zu tun. Er drückt den Hylozoismus Uddälakas aus, eine Art Physiologie des materiellen Seienden. Der Begriff Name und Gestalt (Farbe) für die Einzeldinge ist vom Rgveda an vorbereitet, wo Name oft fiir das Wesen, Gestalt für die Erscheinung von etwas verwendet wird, und er ist vom Atharvaveda an belegt: Beide, Name und Gestalt, fußen auf dem Opferrest (AV XI,7,1), der von einigen Magiern als die Grundlage der Welt gefeiert wurde; beide hat das brahman dem menschlichen Leib beigelegt, als es ihn schuf (AV X , 2,12); beide verlassen zusammen mit Ruhm, Leben, Atem, Sehen und Hören den Ksatriya, der einen Brahmanen vergewaltigt (AV XII,5,9) (schon im Leben ?). Schon vom Rgveda an bedeutet Name nicht nur nomen oder nomen proprium, sondern oft das Wesen irgendeiner Erscheinung, die der Magier mit Anrufen des Namens beschwören zu können meint, 48 das Wesen aber gehört wohl zur sichtbaren Gestalt jedes Dinges. Das Seiende des Uddälaka hat indessen keine Gestalt (nur einen Namen), und bei den drei Elementen sprach Uddälaka im nächsten Abschnitt nur von der (sichtbaren) Farbe eines jeden, denn auch sie haben als Elemente keine Form (wohl aber einen Namen). Auch bei den makrokosmischen Produkten der drei Elemente spricht er im 4. Abschnitt nur von deren Farben, obgleich diese Produkte Formen haben. Da rüpa Farbe und Gestalt bedeutet, hätte der Philosoph beide unterscheiden sollen, wenn er es gekonnt hätte. - Eine Kosmogonie in TB 11,2,7,1 erzählt, wie das brahman aus seiner Himmelswelt mit Name und Gestalt, diesen beiden Ungetümen und Wundererscheinungen des brahman (die der staunende Theologe nicht durchschaute), in das Diesseits hineinreicht, denn jedes Ding hat sie beide, und die Welt reicht so weit wie sie beide. Dieses Hineinreichen des brahman ist eine sehr abstrakte th'eologische Fortführung der eben herangezogenen Idee des Eingehens des Prajäpati mit seinem Selbst in sein Selbst und ist ein Vorläufer des Eingehens des Seienden in die drei Urelemente in der Kosmogonie Uddälakas. - In der oben herangezogenen Tod-Hunger-Kosmogonie aus dem Nichts in ¡§B X,6,5 heißt es, daß, nachdem Wasser, Erde und Feuer entstanden waren, er (d.h. anscheinend Agni, das Feuer) sich dreifach teilte, zu Sonne und Wind als zu je einem Drittel wurde (das dritte Drittel blieb Feuer). Diese Theologen erklärten ja diese drei, Feuer, Wind und Sonne, für die drei Gottheiten der drei Welten: Erde, Luftraum und Himmel. Daran mag Uddälakas Begriff der Dreifachmachung der drei Elemente Glut, Wasser und Essen anzuschließen sein, wie diese selber an jene drei: Wasser, Erde und Feuer im Brähmana.

4.1.4.

4. Abschnitt: Die vier Lichter (Kosmologie)

Die kosmologischen Vorstellungen des Rgveda sind nicht einheitlich. An vielen Stellen gilt die Welt als Einheit. Manchmal ist von zwei Welten die Rede, manchmal von dreien, wie denn in RV 11,38,11 Himmel, Wasser und Erde nebeneinandergestellt sind, in RV I, 52,13 aber schon Erde, Himmel und Luftraum, wie es die Theologen in Brähmanas und Upanisads allgemein taten. Man ging von dem Mythos aus, daß Vater Himmel auf der Mutter Erde lag, bis ein Himmelheber sie trennte, so daß der Lufträum entstand. 49 Die Theologen ordneten vor Uddälaka jenen drei Welten je einen Gott zu (Feuer, Wind, Sonne), zählten manchmal aber für einen bestimmten magischen Zweck nur fünf dieser 104

sechs kosmischen Größen, wie z.B. Erde, Feuer, Luftraum, Sonne und Himmel, auf (ChU 11,2,1), d.h. drei Welten (Erde, Luftraum, Himmel) und zwei Lichter. Die Fünfzahl war besonders bei den Atemwindmagiern beliebt; sie stellten fünf makrokosmische „Gottheiten" (adhidaivata): Wind, Feuer, Sonne, Mond und Himmelsrichtungen den fünf mikrokosmischen Lebenskräften Atem, Rede, Sehen, Denken und Hören gegenüber. Einer von ihnen lehrte nur zwei Mächte und faßte 1. den Raum als den Antreiber, 2. den Wind aber als das Sichbewegende auf, das dieses All zeugt. Er meinte: Das Weltall bewegt sich im Raum, vom Winde geschaffen (SB X,3,5; B 95f.), ohne daß er das All kosmologisch analysiert hätte. Ein Vorläufer des Idealismus stellte neben den Raum als das makrokosmische brahman das Denken als das mikrokosmische (ChU 111,18; B 187f.). - Ein Herzmystiker schriebdem Herzen fünf „Götteröffnungen" zu, Auge — Sonne, Gehör—Mond, Rede—Feuer, Denken—Reden und Wind—Raum (ChU 111,13; B 159f.). Der Raumtheologe Pravähana sah den Raum als größer (oder älter?) als diese und jene Welt (ChU 1,9,1) und schilderte die drei Welten als 1. den Himmel mit Sonne, Mond und Sternen, als 2. den Regengott (d. h. Wasser statt des Luftraums) mit dem Wind und 3. als die Erde mit dem Jahr (der Zeit der Sterblichen), den Himmelsrichtungen und dem Raum (ChU 1,9,1,; B 256ff.) (abweichend in BU VI,2; B 249ff.). Ihn wie Janaka interessierte das Weltbild zusammen mit ihrer Wiedergeburtslehre. Von den Sonnenverehrern ist noch kein solches Weltbild bekannt geworden. Diese Kosmologie Uddälakas war recht einseitig. In ihr spielen nur die „Lichter" eine große Rolle, eine andere bei Yäjnavalkya (BU IV,3; B 229ff.). Diese vier „Lichter" kommen u.a. in Sataykämas Kosmologie der 16/16 des brahman vor, dort neben den beiden makrokosmischen Viererreihen der Himmelsrichtungen und Welten und neben der mikrokosmischen Reihe der vier Lebenskräfte (ChU IV,4,9; B 189ff.). Dort fehlen aber die Gottheiten der Welten, denn von denen pflegten die Theologen nur drei aufzuzählen, weder das Meer als vierte Welt unter der Erdscheibe noch einen Gott des Meeres neben Sonne, Wind und Feuer. Satyakäma wollte sich wohl nicht allzu deutlich von den Orthodoxen unterscheiden. Was aber mag Uddälaka bewogen haben, seine vier Lichter nicht als Gottheiten zu bezeichnen wie doch das Seiende und die drei Elemente ? Er wollte u. a. wohl nicht neben die traditionellen Gottheiten Sonne, Mond und Feuer den Wind stellen, wie es die Atemwindmagier taten. Er wollte seine vier Lichter vielleicht auch denen Yäjnavalkyas entgegenstellen, der die Viererreihe Sonne, Mond, Feuer und Geist ohne kosmologischen Zusammenhang zusammenstellte (BU IV,3; B 229ff.). Uddälaka mag sein viertes Licht, den Blitz, aus Betrachtungen des Monsuns bei Sämantheologen entlehnt haben (ChU 11,3,1; 16,1; VII,11,1). Satyakämas Schüler Upakosala lernte drei Viererreihen. In ihnen kommen Feuer, Sonne, Stern, Mond und Blitz vor, werden aber nicht als Reihe von Lichtern bezeichnet (ChU IV,10-14). Und der Animist Gärgya, der jünger als Uddälaka sein dürfte, glaubte an acht „Männer" (Geister, purusa) in Sonne, Mond und Blitz, Wind, Raum, J^euer, Wasser und Glut im makrokosmischen Bereich der Gottheiten und ebenfalls acht im Bereich des Selbstes, im Spiegelbild, Schatten, Echo, Ton, Traum, Leib, im rechten und linken Auge (BU 11,1; B 312ff.). Derselben relativ späten Zeit dürfte der dem Dadhyanc zugeschriebene Text angehören, der erst nach Yäjnavalkya den ätman als letzten von vierzehn „Honigen" aller „Gewordenen" des Makrokosmos feiert, unter denen Feuer, Sonne, Mond und Blitz als 3., 5., 7. und 8. erscheinen. In allen soll, wie es animistischem Glauben entspricht, je ein Mann (Getst) sein, dem mikrokosmisch je ein aus Rede, Auge, Denken und Glut bestehender unsterblicher Geist entspricht. Entsprechend ist es bei 105

allen Geistern.. Deren letzter soll das brahman sein, das All, der Herr alles Gewordenen. Der Blitz wurde selber auch als brahman verehrt (BU V,7,l; B 162). Uddälaka hat für seine Kosmologie den Begriff des Raumes nicht von Pravähana übernommen. Zur Kosmologie gehört aber Uddälakas Lehre vom Kreislauf des Wassers aus dem Ozean in den Ozean, die er der Tradition entnahm und im 1. Abschnitt als Analogie zum Kreislauf des Seienden verwendete. Seine vier Lichter aber erleben keinen Kreislauf, ohgleich bei ihnen eine Lehre, wie, wann, wo und aus was sie hervorkommen und wie sie verschwinden, ein naheliegendes Thema war. Die Atemwindmagier haben öfter vom Eingehen von Sonne, Feuer und Mond in den Wind und von ihrem Wiederhervorkommen gehandelt. Uddälaka schwieg auch über die übliche theologische Kosmologie der drei Welten und ihrer Götter, geschweige die seines Gegners Yäjnavalkya, der die Erde (Erdscheibe?) in das Wasser (rings um sie und unter ihr), diese im Wind, in den Luftraum weiten, Gangharva weiten, Sonnenwelten, Mondwelten, Sternbildwelten, Götter-, Indra-, Prajäpati- und letztlich Brahmanwelten „verwebt" sein ließ (BU 111,6; B 205f.). Uddälaka hatte an solchen phantastischen, letztlich wohl schamanistischen Himmelsetagen so wenig Interesse wie an Pravähanas und Janakas Wiedergeburtskosmologien.

4.1.5.

5. Abschnitt: Mikrokosmos, Verdauung

Uddälaka ließ die Anthropogonie, die seit der Urgesellschaft auf die Kosmogonie zu folgen pflegte 80 und im Atharvaveda in einer Mischung von Medizin bzw. Physiologie, Embryologie und Mythologie für die Zwecke der Atharvanmagier gelehrt wurde, 51 aus seiner Philosophie fort. Uddälaka benutzte in seinem 5. Abschnitt nur gewisse überkommene physiologische Kenntnisse, um eine neue Physiologie oder Anthropologie als Teil seines Materialismus auszubauen und zum Problem Leib—Seele Stellung zu nehmen. Von urgesellschaftlichen Jägern und Hirten, insbesondere von gentilen indoeuropäischen und indoiranischen Medizinmännern und Priestern, die Opfertiere zerlegten, waren auf ihn Reihen physiologischer Begriffe überkommen, denen als mikrokosmischen makrokosmische gegenübergestellt wurden, so daß je einer von beiden Reihen im Sinne des Universums ein Paar bildeten. 52 Solche Reihen gehörten zur damaligen „ordnenden" Stufe der Wissenschaft und wurden von Theologen, besonders aber von den Atemwindmagiern der Brähmanas und Upanisads verwendet. Uddälaka hielt an der traditionellen Zusammenstellung oder gar Identifizierung von Feuer und Rede fest, die wohl darauf beruhte, daß das Feuer nach Vorstellungen des Rgveda mit seinem Munde das Holz „frißt", das Opferfeuer aber als der Mund oder die Zunge der Götter galt, während im Mund des Menschen die Rede mit der Zunge geformt wird. 53 Uddälaka hat sich (wie etwa auch bei seinen drei Elementen, neben denen der Wind fehlt) stillschweigend von den Atemwindmagiern abgesetzt und den Atem nicht aus dem Winde hergeleitet, sondern Atem = Leben aus dem getrunkenen Wasser entstehen lassen, darin eher Pravähanas und Janakas Versionen der Lehre des Kreislaufs des Wassers folgend. Aus dem Wasser entsteht, wie diese und Uddälaka in seinem 2. Abschnitt lehrten, das Essen. Dank dem Essen und Atmen lebt man, wie einige Atemwindmagier lehrten (z.B. Prätrda in BVU,12; B 135f.), und präna bedeutet sowohl Atem wie Leben. Diese Unklarheit dieses weitverbreiteten Wortes und Begriffs führte zu gewissen Unklarheiten mancher Denker. Schließlich hat Uddälaka gegen alle Tradition 106

das Denken aus dem Element Essen, das ja in die Nahrung eingegangen und verdaut ist, hergeleitet. Damit wurde seine Physiologie philosophisch, materialistisch bedeutungsvoll. Leider ging Uddälaka hier bei der Ableitung des Atems aus dem Wasser nicht auf das Problem des Lebens des Menschen bzw. seines Leibes ein, erwähnte es gar nicht und erklärte nicht, ob und wie es mit dem allgemeinen Leben bzw. dem Lebeselbst des Seienden zusammenhängt, das im Leben der drei Elemente seine Entsprechung, sicher meinte er, seine Folge hat. Es kann also wohl als das Leben im Leib als Ganzem bzw. in allen neun Neunteln des Menschen (auch in Kot und Urin, wie ja auch im materiellen Seienden) verstanden werden. Man kann sich denken, daß Uddälaka annahm, daß das Lebeselbst, mit dem das Seiende im 3. Abschnitt in die drei Elemente einging, in deren Produkten, in allen neun Neunteln des Leibes, existierte, insbesondere im Blut, wie das Lebeselbst im 11. Abschnitt als im Saft des Baumes wirkend geschildert war. Die für Uddälaka in diesem Abschnitt wichtige Dreierreihe Rede, Atem und Denken hat eine lange Vorgeschichte. Über diese drei Phänomene gab es je ein Loblied im RV X, 125 (B 33f.), im AV XI,4 (B 29f.) und in der YS 34 (B 34ff.). Uber das Verhältnis von Denken zu Reden lassen sich Stellen aus den Brähmanas zusammenstellen (B 88ff.). In Atharvaveda XIX,53, einem Loblied auf die Zeit als Weltschöpferin, heißt es, daß Vergangenes und Gegenwärtiges durch die Zeit wird, die Sonne brennt in der Zeit, in ihr sieht das Auge, in ihr sind Denken, Atem und Name (bzw. nomen, Substantivum, Bezeichnung) gegründet... Hier steht Name wohl für Rede: Man denkt, atmet und redet in der Zeit. Eine Kosmogonie, die schon beträchtlich nach Idealismus tendierte, begann in SB X,5,3 (B 61 ff.) damit, das im Anfang gleichsam Nichtseiende als gleichsam seiend und als das Denken auszugeben. Damit sollte das Denken doch wohl als real, aber nicht materiell aufgefaßt werden. Dieses Denken wollte gestalthafter, offenbarer werden und schuf die Rede, diese wiederum den Atem. In BU V,8,l wird die Rede mit einer Kuh verglichen, ihr Stier soll der Atem sein, ihr Kalb das Denken. In BU 1,5,3 (B184), einer späten Stelle (s.u.), heißt es, daß Prajäpati Denken, Rede und Atem als Essen für sich selber schuf. Wollte er sich mit ihnen in Form vedischer magischer Lieder und Sprüche ernähren? Diese drei Begriffe werden hier ausführlich definiert (s.u.), und am Ende wird gesagt, daß der ätman aus diesen drei Phänomenen besteht. Er ist damit u.a. manomaya, aus Denken bestehend, und zwischen diesem und vijnänamaya, aus Bewußtsein bestehend, dem Begriff Yäjnavalkyas für das geistige brahman, ist kaum ein Unterschied; immerhin stellte Yäjnavalkya diese beiden fast synonymen Begriffe einmal nebeneinander (BU IV,4,5; B 238), dazu aus Atem bestehend, aber nicht aus Rede bestehend. Definiert 54 wird das Denken in BU 1,5,3 (s.o.) als das Moment der Aufmerksamkeit, als das, womit man sieht und hört, als Lust, Entschluß, Zweifel, Glaube, Unglaube, Festigkeit und Unsicherheit, Scham, Einsicht (Intuition?) und Furcht. Spätere Logiker würden dies eine Aufzählungsdefinition nennen; historisch gesehen ist es eine für die „ordnende" Wissenschaft bezeichnende Begriffsreihe. Ihre drei letzten Begriffe sind zusammengestellt, weil sie einsilbig sind und als Vokal ein l haben (hri, dhl, bhi). Zur Wissenschaft tendierend war, daß Begriffe des Fühlens, Wollens und Erkennens zusammengestellt wurden, ohne sie freilich entsprechend zu gruppieren. Aus Denken, Atem und Reden besteht der ätman (BU 1,5; B 184ff., s.o.). Dies erinnert an Sändilyas Lehre, daß das brahman (und damit der ätman) aus Willen und 107

Denken besteht und den Atem als Leib hat (SB X,6,3; B 118f.; ChU 111,14; B 193f.). Von Rede ist hier beim brahman nichts gesagt (im Gegensatz zu Uddälakas Seiendem). Diese Dreiergruppe wird hier (BUI,5,4ff.; B 185f.) mit den z.T. traditionellen drei Welten und Veden, mit Göttern-Ahnen-Menschen, mit Vater-Mutter-Kind, mit Erkanntem-Zuerkennendem und Unerkanntem gleichgesetzt, denn der Atem ist unerkannt. Das Erkannte soll die Form (besser: der Inhalt, der erkannte Gegenstand) der Rede sein, das Zuerkennende soll die Form (bzw. der Inhalt) des Denkens sein, das Denken ist ja zu erkennen, heißt es, und das Unerkannte ist die Form des Atems, denn der Atem ist unerkannt (der Atem ist der Inhalt des Nichtwissens). Psychologie, Erkenntnislehre, schon fast eine Spur Idealismus und vor allem viel theologische Spekulation sind hier noch schwer zu scheiden, wenn z.B. Erde, Himmel und Wasser als Leib von Rede, Denken und Atem erklärt werden. Sändilya hatte im SB X,6,3 (B 118f) den Atem als den Leib des brahman ausgegeben und das Licht als dessen Form. Die Chronologie solcher uns noch kaum verständlichen Texte oder eine Geschichte des Begriffs Denken (manas) auszuarbeiten ist noch schwer. Im Rgveda wird Denken (manas) ganz selten als Bezeichnung einer Art Seele oder für einen Geist gebraucht, der den Menschen zeitweilig verlassen kann, getrieben von einem feindlichen Magier und von einem helfenden zurückgeholt, u. a. in einem Zustand, den wir Scheintod nennen können. Dieser Geist hängt dort mit Sehen, Atmen und Genießen zusammen, und daneben gab es einen Geist des Lebens (asu). 55 Das manas verläßt den Leib aber auch - nach einer etwas jüngeren Quelle - im Wachen und Schlafen, um die Wach- und Traumwelt zu erleben. Es wird als ein Licht im Innern der Geschöpfe aufgefaßt, als unsterblich, auf das Herz gestützt, nicht alternd, als Lenker des Leibes, wie der Wagenlenker den Wagen lenkt; in ihm sind alle Gedanken verwebt, auf es sind die Vedalieder und -Sprüche gestützt. 56 Trotz solcher Anschauungen blieb damals das Verhältnis des Denkens zum Menschen unklar, denn die magisch-mythologische Unterscheidung von Leib und Seele war noch nicht ausreichend zur wissenschaftlich-philosophischen Unterscheidung von Materiellem und Ideellem durchdacht, und Uddälakas hylozoistische Ableitung des Denkens aus dem Essen, dieser Gottheit, fiel noch nicht unliebsam auf. Wenn dagegen christliche Missionare gentile Menschen, Voräryas, ausfragen, dann suggerieren sie ihnen Antworten der Art, daß der Mensch mehrere Seelen habe, eine Lebe-, Traum-, Trance-, Totenseele und dergleichen. Als Yäjnavalkya, angeregt durch Janaka, von solchen Voräryas, die eben zu Südras geworden waren, den Glauben an die Seelenwanderung übernahm, half er mit, den hinduistischen Seelenbegriff zu gestalten, lehrte eine Traum- und Todeswanderung der ewigen Seele aus dem Leib hinaus und stellte sie damit dem vergänglichen materiellen Leib als etwas Geistiges, aus Denken (manas) und Bewußtsein (vijnäna) Bestehendes, als etwas Erlösungsfähiges, ewig Reines dem befleckten Leib gegenüber. Inzwischen hatten Theologen über das Denken für ihre kultischen Zwecke und ihr Standesprivileg des Lehrens gegrübelt und gelehrt, daß das Denken größer sei als das Reden, weil es ihm vorangehe (ÖB 1,4,5,9; B 88), aber auch geringer sei, weil unausgesprochenes Denken nutzlos sei (ÖB IV,6,7,5f.; B 91). Solch Streit mag mit dem Rangstreit der redenden Priester (hotr, udgätr, adhvaryu) und des bloß denkenden brahmanPriesters zusammenhängen. Ein zum Idealismus hin tendierender Theologe lehrte schon in SB X,6,5 (B 65 ff.), daß das Denken der Stützpunkt des Selbstes sei, dieses Selbst aber sei mit den Lebenskräften an das Essen gebunden. Er meinte wohl, daß das Selbst, 108

das Wesen des Menschen, einerseits auf Essen fuße, andererseits wesentlich im Denken bestehe. Viele waren wohl einig darin, daß das Denken den Menschen vom Tier unterscheide (SB VII,5,2; B 86f.), obgleich Uddälaka als Hylozoist im 9.-10. Abschnitt den Tieren denken zugetraut zu haben scheint und im 11. Abschnitt sogar den Baum sich freuen ließ. Zumindest von der rgvedischen Fassung der indoeuropäischen Ymirkosmogonie (RV X,90; B 23ff.) an wird der Mond als makrokosmisches Licht dem Denken gegenübergestellt, so bei den Atemwindmagiern, und es ist fraglich, ob diese Anschauung mit der des Denkens als Licht (s.o.) zusammenhängt. Die eigenartige Lehre im Brähmana, das Denken sei seiend-nichtseiend (real, aber nicht materiell, s.o.), hatte keine bislang greifbare Wirkung auf die Herausbildung des Begriffs des Ideellen. Der Dichter von RV X,90,2-4 konnte das (jenseitige) Unsterbliche dem (diesseitigen) Gewordenen und innerhalb von diesem das „mit Essen" dem „ohne Essen" (Organisches dem Anorganischen) gegenüberstellen, damals galt ja in der zerfallenden Urgesellschaft Sterblichkeit als das wesentliche Leid. 57 Es scheint, daß erst Sändilya in ÖB X,6,3 (B 118f.) als Mystiker das brahman zunächst als aus Willen (kratu) bestehend, dann in ChU III, 14 (B 193f.) als aus Denken-Wünschen (manas) bestehend beschrieben hat, um sich und seinen Anhängern mystische Flucht aus der leidvollen Klassengesellschaft zu ermöglichen, ohne über das Diesseits und dessen Verhältnis zum Geistigen etwas zu sagen. Erst Yäjnavalkya stellte als Idealist die Sinne ihren Sinnesgegenständen gegenüber, das Subjektive dem Objektiven, das Materielle als wertlos dem Ideellen. Die oder einige Voräryas schrieben das Verdauen einer Lebensseele im Leibe zu. 58 In einem Brähmana wird die Wärme des Leibes von der Sonne hergeleitet: Der Atem ist warm durch die Sonne, der Sterbende erkaltet (SB VIII,7,2,11). Nach ChU 111,13,7 (B 160), einem Text vor Uddälaka, entspringt die Körperwärme dem mikrokosmischen Licht im Menschen, das der makrokosmischen Sonne entspricht. Die uns erhaltenen Atemwindmagier, auch die, die Essen und Atem in ihrem gegenseitigen Verhältnis behandelten, schwiegen zum Problem Verdauen-Körperwärme (s.o. Prätrda in BU V,12; B 135f.). In BU V,9,l wird (vielleicht erst nach Uddälaka) das Verdauen (als ein Kochen) dem „Allmännerfeuer" im Menschen zugeschrieben. Uddälaka lehrte im 6. Abschnitt über das Verdauen nichts Näheres, Wissenschaftliches, Physiologisches, beobachtete aber beim Sterbenden im 15. Abschnitt dessen Erkalten. Sein anthropologischer, mikrokosmischer, physiologischer 5. Abschnitt ist ein wertvolles Dokument seiner Periode, in der Medizin-Physiologie sich zur Wissenschaft hin entwickelte.

4.1.6.

6. Abschnitt über das Quirlen als Analogie des Verdauens

Was das Quirlen angeht, so hatte schon ein Kosmogone in BU 1,2,2 das Schwimmen der Erde auf dem Urwasser, dem Ozean, mit dem des Rahms auf der Milch einleuchtend zu machen versucht. Wenn Uddälaka auf diese Weise Rede, Atem und Denken, diese drei feinsten Neuntel des Menschen, nach oben steigen ließ, so siedelte er sie offenbar im Kopfe an. Dies war für Hören, Sehen, Riechen und Atmen seit AV X,2 üblich. Nach SB X,6,l (B 105ff.) soll Uddälakas Vater, Aruna, die Lehre des Königs Asvapati über den Kopf als Gefäß für die beiden Augen, Nasenlöcher und den Mund und damit als mikrokosmisches Gegenstück zum makrokosmischen „Allmännerfeuer" gehört haben, 109

nach ChU V, 11-24 (B 271 ff.) aber Uddälaka selber. Der Kopf mit seinen sieben Öffnungen war bei Voräryas bereits die Antwort auf eine Rätselfrage, 59 und bei Atemwindmagiern lief eine Strophe über ihn um (BU 11,2,3; B 149f.). 60 Bei dieser unterentwickelten Lage der Physiologie und der Philosophie versteht man, daß Uddälaka das Verhältnis von Leib und Seele oder Seelen oder auch nur das von Leib, Atem, Leben, Denken und Reden in seinem 5. Abschnitt nicht wissenschaftlicher behandelt hat und im 8. beim Einschlafen nicht das der Traumseele, bzw. im 15. beim Sterben nicht das der Totenseele. Er hat auf diese späteren Abschnitte hier nicht verwiesen, hat gegen die traditionelle theologische Trennung von Leib und Seele nicht polemisiert, hat nur drei Dreiergruppen von Neunteln des Menschen in traditionellen protowissenschaftlichen Reihen von Begriffen unterschieden, hat die drei „feinsten", Denken, Atem und Rede, als Einheit gesehen, hat sie aber nicht als physiologische und psychologische, materielle und ideelle Erscheinungen voneinander unterschieden. Wenn er auch das Denken als materiell auffaßte, hat er doch das Ideelle wie z.B. die Veden, die von vielen Denkern damals als Realitäten neben die Welten und Götter gestellt wurden, oder seine eigene Lehre nicht als materiell hingestellt.

4.1.7.

7. Abschnitt: Das Experiment des Fastens

Das in den damaligen Texten einzigartige, auf wissenschaftliches Denken hindrängende Experimentieren mit dem Fasten hat Uddälaka anscheinend als neue Methode des Nachweises der Richtigkeit seiner neuen physiologisch-psychologischen Theorie, daß das Denken aus Essen be- bzw. entsteht, selber gefunden, 6 1 während das Anführen einer Analogie wie hier das der Analogie des aufgezehrten und wiederentfachten Feuers als Überzeugungsmittel schon früher üblich war. 62 Bei den Sechzehnteln kann man an folgendes denken: Ungefähr gleichzeitig mit Uddälaka sprach ein theologischer Kosmologe wie Satyakäma in ChU IV,4-9 (B 189ff.) von Vierteln und Sechzehnteln des brahman, des Alls. Ungefähr damals sprach ein Kosmogone in BU 1,5,14f. von Sechzehnteln des Jahres, des Prajäpati und des Menschen; dessen fünfzehn Sechzehntel seien sein Hab und Gut, das sechzehnte sein Selbst; dieses Selbst wachse durch jenes, es sei gleichsam die (eine) Radnabe, Hab und Gut aber seien der Radkranz (mit seinen vielen [fünfzehn ?] Teilen); dieses wachse durch jenes. Hab und Gut mögen verlorengehen, wenn nur das Selbst bleibe. 63 Schon dieser erste Teil des Textes des Uddälaka, die erste Unterweisung Svetaketus, ist etwas umfangreicher als etwa die Unterweisung des Uddälaka durch Pravähana, als die Uddälakas und fünf anderer Brahmanen durch Asvapati oder als der kompendiumartige Text des Sämantheologen von Ch 11,1 ff. mit seinen 23 oder 24 kurzen Abschnitten. Uddälakas Text ist außerdem als philosophische Lehre fortgeschrittener und in ihrer Disposition durchdachter als jener Text. Dieser stand aber als Unterweisung eines Sohnes durch seinen Vater als Lehrer in der Tradition, wie die Belehrung Bhrgus durch dessen Vater Varuna in SB XI, 6,1 zeigt. Die Unterweisung des Prätrda durch dessen Vater in BU V,12 mag etwas jünger sein als Uddälaka. In allen diesen Texten ist die erzählende Einleitung sehr kurz, und es gibt am Schluß keine Fortsetzung der Einleitung. Nur bei Uddälaka heißt es am Schluß der ersten und zweiten Unterweisung ganz kurz : Dieses lernte er von ihm. Dieser Schlußsatz wird an beiden Stellen wiederholt, um den Schluß beider Texte deutlich zu machen. Der Gesamttext des Uddälaka ist der inhalt- und 110

umfangreichste dieser Upanisad. Nur Yäjnavalkyas Text in BU I I I - I V ist mehr als doppelt so lang, ist aber nicht so einheitlich, um nicht zu sagen: wissenschaftlich, disponiert wie UddjLlakas Text. 4.2. Zweite Unterweisung 4.2.1.

8. Abschnitt über Schlaf, Hunger und Durst

Uddälaka bewegte sich in der damaligen Theologentradition, wenn er das Wort für Schlaf - wenn auch unwissenschaftlich - etymologisierte, um das Wesen des Schlafes verstehen zu lernen und das Erkannte zu lehren. Die Priester glaubten ja, mit der magischen Macht der Worte zaubern zu können, und die Theologen hatten ihnen dafür den .wahren' Sinn der Worte mit Hilfe von Etymologien - so gut sie es konnten - zu enthüllen, nicht einem wissenschaftlichen, sprachgeschichtlichen, sondern einem magischmythologischen Zweck entsprechend. Mit Theologie begann daher Etymologie, begann das Etymologisieren als Methode des Argumentierens in den Brähmanas. 64 Es wurde im Laufe der Jahrhunderte, vor allem nach Uddälaka, zur vedischen „Hilfswissenschaft" der Etymologie ausgebaut. 65 Auch in den Upanisads blieb es üblich, u.a. in Prätrdas Text beim Essen und Atmen. 66 Selbst einem Uddälaka fiel nicht auf, daß seine Etymologie des Wortes Schlaf falsch war, ihm also für seine physiologisch-materialistische Theorie nur scheinbar half. Uddälaka sprach hier vom sva = Selbst, nicht wie Yäjnavalkya vom ätman, aber er übernahm das Wort ätman 6 7 in seine Definition des Seienden aus der Tradition der Gegenüberstellung des makrokosmischen Bereichs der Gottheiten (adhidaivata) und des mikrokosmischen Bereichs des Selbst (adhyätman), zu dem die physiologischen und psychologischen Lebenskräfte gehörten, u.a. das Denken, ohne daß ätman aber bei Uddälaka oder den älteren Theologen Geist bedeutet hätte; dies tat es erst in Yäjnavalkyas Idealismus, und vielleicht tendierte es dahin bei dessen Vorläufern wie Sändilya in deren Herztheologie. In Erlösungsreligion und Idealismus wurde ätman der Begriff für eine ewig von Geburt zu Geburt wandernde und Erlösung suchende geistige Seele. Uddälakas Vorstellung des Schlafs fußt letztlich auf arischen und vorarischen Anschauungen. Vom Rgveda an war das Denken (manas) etwas, das im Wachen und im Traum den Leib verläßt, um die Wach- und Traumwelt zu erleben (und widerzuspiegeln). 68 Entsprechend glaubten die Voräryas an eine Traumseele. 69 Das Einschlafen war vor Uddälaka besonders in ChU IV,3,3 (B 130) von dem Atemwindmagier Raikva und in SB X,3,3,6 (B 99) fast wörtlich gleich von dem „Weisen" Dhlra behandelt worden. Beide hatten richtig beobachtet, daß der Schlafende atmet, aber nicht sieht, hört, denkt oder spricht, und deuteten dieses als ein Eingehen dieser Lebenskräfte iü den Atem. Ob auch die Atemwindmagier an «sine Traumwanderung glaubten, ist nicht überliefert. Uddälaka hat vielleicht als ihr Erbe den Traum nicht behandelt. Uddälaka ging bei der anschließenden Analyse von Hunger und Durst vom Mensehen bzw. dessen Leib als „Schößling" auf das Essen als dessen „Wurzel" zurück und weiter auf Wasser, Glut und schließlich das Seiende, das alle Lebewesen als „Wurzel", „Grundlage" und „Stützpunkt" habe I Entsprechende physiologische Überlegungen sind aus der arischen und vorarischen Urgesellschaft nicht bekannt geworden. Bei Uddälaka ist andererseits bisher kein Zusammenhang dieser Lehre des Hungers mit der des Verdauens Iii

im 5. Abschnitt nachgewiesen. Hier im 2. Abschnitt liegt eine fünfgliedrige Kausalkette vor, die sicher mit der etwas älteren neungliedrigen des Pravähana, mit dem „Gang" vom Hymnus bis zum Raum, und mit der noch älteren achtgliedrigen Essenzenkette des Sämantheologen von Ch 1,1 einerseits, mit der des Sanatkumära in dessen Kompilation von Gedanken Uddälakas und Yäjiiavalkyas in Ch VII,1-26 (B 297ff.) andererseits zusammenhängt. In Uddälakas Hylozoismus mündeten auf diese Weise theologische Spekulationen aus mythologischer Kosmogonie; seine Gedanken sind aber auch mit Heraklits Gedanken des „Weges nach unten" zu vergleichen. 70 Die hier bildlich gebrauchten Begriffe Schößling und Wurzel sind ein tastender Versuch kausalen Denkens, fast so archaisch wie die Begriffe Essenz oder Weg 7 1 . Sie sind zugleich eine Art Analogien, wie sie damals und später als Überzeugungsmittel viel gebraucht wurden. 72 Die Entwicklung des ursächlichen und des begründenden Denkens wurde innerhalb der Entwicklung von mythologischem zu wissenschaftlich-philosophischem Denken zusammen mit Polemiken notwendig, eine wesentliche Seite des Kampfes des Wissens gegen den/das Glauben.- Es handelte sich ja nicht mehr darum, in Disputationen mit Mehrwissen einen im Grunde gleichgesinnten Theologen zu übertrumpfen, sondern durch Besserwissen des Wissenschaftler-Materialisten die Theologen der alten und neuen Religion und die Idealisten zu widerlegen. Das Begründen an sich mag sehr alt sein. Im RVX,34,2 heißt es einmal: Um der Würfel wegen (hetoh) verließ der Spieler die Gattin; und in den alten Upanisads heißt es einmal: Deswegen (hetoh), weil man bei schweren Anstrengungen nicht atmet, soll man den Zwischenatem als das Opferlied verehren (ChU 1,3,5). In den Brähmanas begannen vedische Theologen die Begriffe „Grundlage" und „Stützpunkt", die im Rgveda noch nicht vorkommen, im Sinne von Ursache zu verwenden, sozusagen für Uddälaka bereitzustellen. Man hat als ursprüngliche Bedeutung von Grundlage (äyatana) Heimatort, Wohnstatt angenommen, diese Grundlage der Stärke eines Ksatriya. 7 3 Bei der Seßhaftwerdung wurden offenbar schon im 7. Jh. solche Orte, Dorfgemeinden, für die Theologen und ersten Philosophen wichtig. Vor Uddälaka hatte der Begriff „fein" noch keine physikalische Bedeutung. In der späteren Philosophie bedeutet „äußerst fein" als Fachausdruck atomklein. 74 In Uddälakas Zeit wurde „fein" auch von seinem idealistischen Gegner Yäjnavalkya benutzt. Im Tiefschlaf nämlich läßt sich die Seele (purusa) in gewissen „feinen" Adern zur Ruhe nieder; diese sind so fein wie ein tausendfach gespaltenes Haar; ihnen gehört solche Feinheit; sie sind für die Seele, was das Nest für den Vogel ist (BU IV,3,20; B 233). Diese Vorstellung hat Ajätasatru, ein Nachfolger Yäjnavalkyas, wiederholt (KU 4,19; B 318). Yäjnavalkya rezitiert hier Strophen (slokas), in denen von diesen Adern als dem „feinen" Weg zur Erlösung die Rede ist. Ob diese Strophen aber von ihm selber oder von einem Vorläufer stammen, ist noch nicht sicher. 75 Der Mystiker Sändilya hatte vor Uddälaka-Yäjnavalkya in SB X.6,3,2 (B 119) die geistige Seele im Herzen (nicht in jenen Adern) mit einem Reiskorn verglichen, ohne den Begriff der Feinheit zu verwenden, aber in ChU 111,14,3 (B 194), also immer noch kurz vor Uddälaka-Yäjnavalkya, hat er (oder ein Nachfolger?) sie für „feiner" als ein Reiskorn erklärt. 76 Ihm war also nicht klar, daß die Atomkleinheit nur etwas Materiellem zugeschrieben werden kann; er war eben noch kein Philosoph. Er erklärte ja auch u. a. das Licht für die Gestalt des ätman, dachte sich das Geistige also im Prinzip als sichtbar, ohnedies zu sagen, während Yäjnavalkya zwar den Geist (ätman) als Licht des Menschen verstand, dies aber wohl n u r bildlich und nur als beleuchtend, nicht sichtbar meinte. Oder dachten diese beiden al s 112

Mystiker im Gegensatz zu praktischer Wahrnehmung und vernünftigem Denken an Aufleuchten in der Intuition des Yogi ? Dagegen ist Uddälakas Begriff des satya vom Rgveda an belegt, und zwar schon hier in der doppelten oder dreifachen Bedeutung dessen, was so ist, wie es scheint oder wie es sein soll, 77 d.h. als erkenntnistheoretisch wahr, als naturphilosophisch wirklich und als ethisch gut. Noch heute unterscheiden Gandhisten diese drei Bedeutungen nicht, u.a. in dem für sie grundlegenden Begriff, daß der Gandhist „die Wahrheit packen" (satyägraha) soll, und auch Uddälaka hat in seinem letzten Abschnitt diese drei Aspekte der „Wahrheit" nicht unterschieden, noch nicht unterscheiden können.

4.2.2.

9. und 10. Abschnitt: Honig und Flüsse im Kreislauf des Seienden

Schon in Rgveda 1,164,47 und 51 steht eine kurze, rätselhaft gehaltene Anspielung auf das gleiche (das eine) Wasser, das auf- und absteigt, darauf, daß die Opferfeuer den Himmel (bzw. die dortigen Götter mit dem aufsteigenden Rauch, der von Dampf noch nicht unterschieden werden konnte) erquicken und die Regengötter die Erde erquicken. 78 Dies ist eine urgesellschaftliche mythologische Ahnung der richtigen, zur Kosmologie gehörenden Anschauung vom Verdampfen und Kondensieren des Wassers. Diese mythologische Anschauung mag sogar noch älter sein; sie konnte nicht mehr verlorengehen. Sie mag mit dem rgvedischen Glauben an einen Kreislauf des Feuers zusammenhängen, das durch Reiben aus Holz (d.h. aus Wasser) gewonnen wird, beim Löschen des Feuers ins Wasser eingeht und von da wieder ins Holz gelangt. 79 Der bereits indoiranische Begriff, der ausdrückt, daß das Feuer ein Kind des Wassers ist, mag diesen Kreislaufglauben schon als indoiranisch erweisen. 80 Vor jener Rätselstrophe des Rgveda über den Kreislauf des Wassers steht eine Strophe, daß die Götter mit Opfern dem Opfer opferten. Diese Vorstellung wurde zu einem der geheimnisvoll verhüllten Grundgedanken der Theologie der Brähmanas, daß der Schöpfergott Prajäpati einen ewigen Kreislauf zwischen Schaffen der Welt und Geopfertwerden erlebt. 81 Bei ihrer Einwanderung und Seßhaftwerdung im Gangesgebiet übernahmen die Aryas von den Voräryas ferner den Glauben an den Kreislauf der Seelen durch Dies- und Jenseits, Tod und Geburt, und die Könige Janaka im ÖB XI,6,2 (B 121 ff.) und Pravähana in ChU V,3 (B 249ff.) verknüpften diesen Glauben mit der Opfer-Regen-Kreislauf-Vorstellung der vedischen Theologie zu ihrer neuen, hinduistischen Lehre der Wiedergeburt des Opferers. Schon vor Uddälaka wird schließlich der säman-Theologe in ChU 11,4 das fünfgliedrige säman im fünfgliedrigen Kreislauf des Wassers verehrt haben. Bei einem so bekannten Thema der Theologen konnte Uddälaka sich auf seine für uns allzu kurze Anspielung auf den Kreislauf des Wassers begnügen. Was aber das Leben des Menschen angeht, so glaubte er an keine Seele und keine Seelenwanderung. Er lehrte vielmehr als Hylozoist, daß der Sterbende in das ewig lebende Seiende eingeht (15. Abschnitt) und daß der Mensch aus dem Seienden entsteht (5. Abschnitt); hier, im 9. und 10. Abschnitt, lehrte er beides von den Tieren, eben den Kreislauf des Seienden, das Analogon zu Heraklits Weg nach unten und oben. Er übernahm von Pravähana dementsprechend dessen Wiedergeburtslehre nicht, sondern ließ eher den Menschen so ähnlich sterben und wieder werden, wie Pravähana es von den winzigen Tieren wie den Mücken gelehrt hatte (ChU V,10,8; B 255), die keine Seele haben, die zum Himmel auf 8

Abhandlungen l/G/79

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und wieder hinabsteigen könnten. Er folgte ja auch nicht der ihm sicher nicht unbekannt gebliebenen Theologentradition, daß Tiere kein Denken haben und deswegen tiefer stehen als der Mensch (SB VII,5,2,6; B 87); zumindest hat er hier Denken bei den Tieren angenommen.

4.2.3.

11. Abschnitt über den lebenden und sterbenden Baum

Ein noch nicht datierter Atemwindmagier lehrte in BU 1,3,19 (B 141): Der Atem ist der Saft der Glieder; aus welchem Glied er herausgeht, das vertrocknet, S a f t ist hier so wörtlich übersetzt wie bei Uddälakas B a u m : aber k a n n man den Atem einen Saft nennen ? Müßte man nicht Quintessenz übersetzen ? Gingen beide Auffassungen des Wortes dem Magier durcheinander ? Dieser 11. Abschnitt ist wichtig besonders wegen der moralischen Anschauung des Hylozoisten. I n der Urgesellschaft war von den ältesten Jägern her die Angst vor der magischen Rache der erlegten Tiere lebendig. 8 2 Im SB XI,6,1 belehrte Varuna seinen Sohn Bhrgu, daß die Bäume, K r ä u t e r und Tiere sich an ihren Tötern und Verzehrern im Jenseits rächen, indem sie als Baumgeister in Kannibalengestalt die Menschengeister fressen. 8 3 Varuna, der r.gvedische Gott der kosmischen Ordnung, wurde als Richter gefürchtet, ihm gegenüber fühlten sich schon die Aryas des Rgveda schuldig. 8 4 Varuna lehrte in diesem Brähmana gemäß deren Theologie gewisse Riten, mit denen Bhrgu diese Hölle vermeiden könnte. Solche Ängste bereiteten damals schon die spätere Tugend der ahimsä, des Nichtverletzens der Wesen, vor; diese wurde schon vor Uddälaka von Ghora den Krsna' gelehrt (ChU 111,17,4). Uddälaka hat von dieser Tugend aber nicht gehandelt und hat in diesem Abschnitt das Fällen des Baumes nicht als Sünde verurteilt. Vor Uddälaka vertraten die Theologen allgemein den Glauben, daß die richtig und mit theologischem „Wissen" (Glauben) vollzogenen Riten jemand magisch teils zu Glück im Dies- und Jenseits führen, teils zu langem Leben oder gar Unsterblichkeit, zur Erfüllung der menschlichen und göttlichen Wünsche (ChU V,1,4), zu Essen, Nachkommenschaft, zu R u h m und Brahmanglanz, zu „guten d h a r m a s " (moralischem Verhalten) (ChU 11,1,4), zumindest verhüte ihr „Wissen", daß ihm der Kopf zerspringt, wie es dem „Nichtwissenden" drohe (ChU 1,10,10), und es schlage die Übeltat fort (ChU IV, 11,2). Auch die Atemwindmagier versprachen ihren Gläubigen solche magischen Erfolge. Aruna verhieß seinem „Wisser der brahman-Upanisad" ewige Seligkeit, die höher stehe als die der höchsten Götter (ChU 111,11,3; B 166), ein wenig ähnlich der des Erlösten in Yäjnavalkyas Idealismus. P r a v ä h a n ä unterschied zwischen dem Götterweg der gläubigen Asketen zu brahman und dem Ahnenweg der Opfernden zu Wiedergeburt je nach dem Lebenswandel (ChU V,10; B 253f.). Sändilya lehrte in ÖB X,G,3 (B 118), daß der Mensch gemäß seinem Willen (seiner Moral) in die gewünschte Jenseitswelt gelangt, in ChU 111,14,1 (B 193f.), daß sein Wille für sein Leben nach dem Tode bestimmend sei, d. h. eine utopische Freiheit des Willens in der Tatvergeltung. Uddälaka übernahm weder von Aruna noch von Pravähana oder Yäjnavalkya die Tatvergeltungslehre. Er glaubte weder an eine Seele noch an Ritualismus (zumindest nicht in der Upanisad, wohl noch in SB XI,5,3; B 111 f.): Eine aufklärerische Ablehnung von vedischen Riten ist vcr Uddälaka u.a. für Ghora-Krsna in ChU 111,17 bezeugt. Uddälaka vertrat im Klassenkampf dieser revolutionären Epoche die lebensfreudige moralische Einstellung sicher sehr kleiner fortschrittlicher Kreise unter den Ausbeutern. 114

Diese wollten kein Opium der Erlösung und verzichteten auf den Trost der persönlichen Unsterblichkeit. Sie meinten wohl, ohne dies sagen zu können, daß sie mit ihrem Wissen Natur, Gesellschaft und Bewußtsein ausreichend kannten und beherrschten, um von Existenzangst frei zu sein. Die optimistische Vorstellung, daß das Leben auch nach dem Verdorren des Baumes ewig weitergeht, weil es in das ewige Leben des Seienden wieder eingegangen ist, könnte eine hylozoistische, philosophische Fortführung des magisch-mythologischen Optimismus der Atemwindmagier sein, daß die Lebenskräfte beim Sterben in ihre makrokosmischen Entsprechungen eingehen, der Atem in den Wind (SB X,3,3,8; B 100), eine schon in RVX,16,3 (B 25) nachweisbare Vorstellung. Yäjnavalkya aber hat im Sinne der Erlösungsreligion hinzugefügt, wenn diese Lebenskräfte in ihre makrokosmischen Analoga eingegangen sind, folge für den Menschen (bzw. dessen Seele) die Wiedergeburt (BU 111,2,13; B 200). Die Mehrzahl der Hindus behielt den rgvedischen urgesellschaftlichen, sich zum hinduistischen entwickelnden Glauben an Unsterblichkeit in einem ewigen lustvollen Jenseits, sei es als Fortführung indoeuropäischen - in den alten Upanisads nicht belegten - Walhallglaubens, sei es in dem universistischen Glauben an eine Insel der Seligen für Auserwählte, bei. Das bezeugen die Epen und Dramen.85 Aber Uddälaka gehörte als Hylozoist zu den möglichst wenig glaubenden Indern. Seine lebensfrohe moralische Haltung spricht u. a. aus dem Satz des ersten indischen Philosophen, mehr zu wissen als die gelehrten (theologischen) Brahmanen, wie er in seiner Aufgabenstellung betonte. Diese Moral bestimmte sein ganzes Denken. Aber er hielt es offenbar für notwendig oder ratsam, seine im Grunde moralisch-antireligiöse, gegen Erlösung gerichtete Haltung nicht sehr deutlich auszusprechen oder gar gegen die Theologen oder den ersten Idealisten zu rechtfertigen. Er deutete sie nur am Beispiel des saftstrotzenden lebensfrohen Baumes afi.

4.2.4.

12. Abschnitt über die Feinheit innerhalb des gespaltenen Feigenkerns

Uddälaka verwendete, um das Seiende zu definieren, Sändilyas Begriff des „Feinen" (anu) im Kern eines Hirsekorns in dessen etwas älterer Definition des brahman in ChU III,14,2 noch nicht in der in §B X,6,3 (B 194; 119).86 Dieses Wort anu-fein kommt in weit gröberem Sinn bereits im Rgveda mehrfach für das feine (Sieb), durch das der Saft des Sorna von den feinen (Fingern) gepreßt wird, vor. 4.2.5.

13. Abschnitt über das Salzexperiment

Ein älteres physikalisches Experiment ist in Indien noch nicht gefunden worden, wohl aber kurz nach Uddälaka in ChU VIII,7,-12 (B 278ff.): Der vedische Schöpfergott Prajäpati möchte Indra und Virocana, die Könige der Götter und Dämonen, in bezug auf ihr Wissen um das geistige brahman, wie Yäjnavalkya es verstand, auf die Probe stellen und ließ sie sich erst so, wie sie waren, dann schön geschmückt in einer Schüssel Wasser spiegeln. So kamen sie zu der Erkenntnis, das, was in beiden Spiegelbildern dasselbe geblieben sei, ihr Leib, sei das brahman.87 Dieses Experiment ist natürlich als Mythos nur fingiert, aber es fußte wie Uddälakas Experiment des Fastens immerhin an sich auf Erfahrung, d.h. Wissen. 8*

115

Kurz nach Uddälaka hat König Ajätasatru einen Animisten, Gärgya, von Yäjnavalkyas Mystik vom Idealismus überzeugen wollen und ihm erklärt, daß u. a. der „Geist" im Spiegelbild eines Mensehen, an den der Animist glaubte, nicht das brahman sei, nur als das dem Menschen „Ähnliche" zu verehren ist. Um ihn zu überzeugen, daß das Selbst im schlafenden Menschen in den „feinen" Adern um das Herz herum weile, ließ er ihn einen Schlafenden zunächst mit den Namen der Geister im Menschen anrufen, an die der Animist glaubte; aber der Schlafende erwachte nicht. Die Geister hörten nicht, waren eben nicht das Selbst. Dann schlug der König den Schlafenden mit einem Stock, und er erwachte. (Der ätman kam aus seinem Unterschlupf in den Adern heraus und lenkte wieder den Leib). Dieses physio-psychologische Experiment mag wirklich veranstaltet worden sein, beweist aber nichts, und der Animist schwieg (deswegen?) darüber, ob er überzeugt worden ist (BUII,1; K U IV; B 312ff.). Schon in AVXI,4,21 gibt es eine Anspielung auf die Fabel vom Rangstreit der Lebenskräfte, dieses fingierte geistreiche physiologische Experiment, daß sie der Reihe nach den Leib verlassen, um am Ende herauszufinden, daß nur der Atem der lebensnotwendige von ihnen ist. Gerade solche Vergleiche zeigen die Größe des Salzexperiments des Uddälaka, der dabei anscheinend nur nebenbei feststellte: Dies geschieht immer (ChU VI,13,2; B 181), d.h., das Experiment zeigt ein Gesetz des physikalischen Verhaltens des Salzes, das Uddälaka offenbar als erster Inder dank häufiger richtiger Beobachtungen erkannt hat, ohne es in seiner wissenschaftlichen Bedeutung würdigen zu können. Solche Beobachtungen aber waren für den Übergang von Theologie und Mythologie zu Physik und Materialismus notwendige Voraussetzungen. Insbesondere entwickelte sich bei Uddälaka langsam das Denken über Kausalität. Uddälaka beobachtete selber oder übernahm aus der Tradition die Beobachtung des Kreislaufs des Wassers (s. o.), und das Wissen um das Wachstum der Pflanzen, des Essens und Lebens dank dem Wasser, dem Monsunregen und der Bewässerung der Reisfelder. Darauf gibt es Anspielungen schon in AV XI,4,3ff. (B 29f.) und in Brähmanas. 88 Uddälaka stellte im 3. Abschnitt drei Arten von Tieren und Pflanzen zum Teil auf Grund älterer Beobachtungen in Brähmanas 89 zusammen, wie überhaupt manche Begriffsreihen von Sämantheologen auf guten Beobachtungen des Feuerquirlens, des Monsuns, der Jahreszeiten und des Tageslaufs der Sonne beruhten; solch Beobachten hatte sie zu gewissen Abstraktionen der „ordnenden" Wissenschaft geführt. Atemwindmagier beobachteten, daß der Atem im Munde nichts Gutes und Übles riecht, daß er mit dem Essen zusammen das Leben erhält, daß man ohne ihn stirbt, daß es zwischen Aus- und Einätmen eine Fuge gibt, die sie Zwischenatem nannten; diesen setzte einer von ihnen der Rede gleich, weil man ohne ein- oder auszuatmen redet. Ebenso vollzieht man gewisse, Anstrengungen erfordernde Arbeiten ohne zu atmen wie Feuerquirlen, Wettlaufen und Spannen des Bogens; deswegen soll man den Zwischenatem besonders verehren (ChU 1,3,3-5). Sie beobachteten das Verwehen des Feuers im Wind ebenso wie das Verdunsten des Wassers im Wind (ChU IV,3,lf.; B 130). Upakosala lernte, daß am Lotusblatt kein Wassertropfen haftet (sondern abläuft) (ChU IV,14,3). Ein Theologe wußte, daß man verschiedene Metalle verbinden kann wie Silber mit Gold, Zinn mit Silber, aber auch Blei und auch Holz mit Eisen oder Leder (ChU IV,17,7), er hatte von Handwerkern gelernt, wie Uddälaka vom Töpfer, Eisen- und Kupferschmied. Uddälaka beobachtete als Physiologe und Materialist weiter u.a. das Leben und Sterben des Baumes, das Quirlen der Milch, Hunger, Durst und Einschlafen, Fasten und Sterben des Menschen. Beim Sterben beobachtete er im 15. Abschnitt u.a. das Erkalten 116

der Leiche, d.h., daß die Körperwärme den Leib verläßt, daneben aber auch das Fortfallen der Rede, die ihm auf Grund der Tradition ebenfalls als Glut galt; so kam er zu zwei Wärmen, kam seine Theorie in Widerspruch zur Tradition. Die Körperwärme hatten Theologen vielleicht schon vor ihm beobachtet und gelehrt, daß man sie, d.h. das „Feuer in allen Männern", das das Essen verdaut, im Leibe rauschen hören könne, wenn man sich die Ohren zudrücke (BU V,9,l; B 161). Schonin RVIII,30,14deutet man die Worte, daß die rohe (lebende, ungekochte) Kuh (in ihrem Euter) gekochte (warme) Milch dank einem großen „Licht" trage, auf die Vorstellung vom Verdauungsfeuer. Schon im RV kommt der Begriff Allmännerfeuer mehrfach vor, meist aber wohl im Sinne des allen Menschen helfenden Herd- und Opferfeuers. 90 Uddälakas Beobachtungen des Sterbenden, des Quirlens und des Salzes zeigen eine neue Qualität des zu Naturwissenschaft, zu Physik und Physiologie hin tendierenden Wissens, insbesondere dessen des Hylozoisten Uddälaka. Er hat aber keine gesellschaftswissenschaftlichen Beobachtungen gemacht. Seine Deutungen des Ordals oder seine Erzählung vom ratlosen Entführten hatten mit Erkenntnis von Staat, Recht, Moral oder Produktionsverhältnissen nichts zu tun.

4.2.6.

14. Abschnitt über die Notwendigkeit des Lehrers

Schon in der Urgesellschaft hatten die Jungen von den Alten in mehr oder weniger geordnetem Unterricht zu lernen, und in der Periode der beginnenden Klassengesellschaft hatten die vedischen Theologen, die ersten Gelehrten des alten Indien, standesstolze Brahmanen, im Interesse ihies Standes das Privileg des Lehrens in ihren Lehrertraditionen - wir sprechen von Schulen - erreicht. Sie lehrten, wie es nach den Upanisads mit dem Stammbaum der Lehrer (BU VI,5; IV,6) und den Geschichten des Uddälaka-Svetaketu, Satyakäma, Upakosala und Prätrda und seines Vaters scheint, meist nur einen einzigen Schüler zur Zeit, oder auch zwei, wie Prajäpati Indra und Virocana gleichzeitig unterwies. Wir können uns den Betrieb solchen Lehrens, des Vorsprechens und Auswendiglernens der Samhitä eines der vier Veden, seines Brähmana, Aranyaka und seiner Upanisad, das Verhältnis der „Schulen" (carana) zum einzelnen Lehrer und untereinander, etwa das Territorium, in dem eine galt, noch nicht vorstellen. Wie standen die Denkrichtungen der Atemwindmagier, Herztheologen usw. oder die jenes Arztes, der dem vedischen Theologen Konkurrenz machte, zu solchen Schulen ? Soweit ihre Texte etwa in der ChU standen, wurden sie vom Schüler der Sämantheologie doch wohl mitgelernt. Wir wissen noch von keinen damaligen Schulen besonderer Wissenschaften, wie Medizin, Astronomie, Grammatik, Etymologie, Rechts-, Staatslehre oder Mathematik, deren Ergebnis die betreffenden späteren Sütrawerke gewesen wären. Wie wuchs eine Upanisad wie die ChU heran, wie Aruna und sein Sohn Uddälaka, während Övetaketu keinen neuen Text hinterließ ? Zu welchen Lehrern hat Uddälaka seinen Sohn für zwölf Jahre geschickt, damit er alle (vier) Veden lernte (Ch VI,1,2; B 167) ? Danach belehrte er ihn selber in seinen beiden neuen Unterweisungen über den Hylozoismus in wohl mehr als zwei Tagen, und auch diese gelangten in die ChU. Und wie stellte sich Uddälaka seinen Lehrer der Befreiung vor ? Doch wohl als Hylozoisten, der seine Schüler kraft seines Wissens von der Angst vor dem Tode, von dem Glauben und den theologischen Lehren des alten und neuen Glaubens, befreite. Seine 117

Unterweisungen enthielten, wie er sagte, solches Neue, aber, wie er ebenfalls sagte, auch Altes über die vier Lichter und deren Farben. Befreiung bedeutet hier nicht die von Armut, Ausbeutung, Gebundenheit an die Tabus von Stand, Sippe, Dorfgemeinde oder Staat. Für möglichst große derartige Freiheiten dieser Denker in ihrer Gesellschaft sorgten die Privilegien ihres Standes. Schon rgvedische Priesterdichter, besonders solche des Varuna, der von ihnen fast wie ein altorientalischer Despot hingestellt wurde, hatten ihn im Auftrag ihrer Opferherren angefleht, er möge sie, die sündigen Menschen, von der Angst vor dem Strick, mit dem sie durch Varuna, den Richter, gefesselt waren, lösen (vimuc). 91 Im AB 111,14 wird von einem Theologen behandelt, wie ein hotr, von allen Banden, von allen Schandpfählen des Todes befreit (atimuc), sein Leben voll auslebt. Solches Fesseln gehörte zur damaligen Justiz. 9 2 Uddälakas Zeitgenosse, der hotr Asvala, fragte Yäjnavalkya als erster Brahmane in der großen Disputation vor König Janaka, wie der Mensch vom Tode und der Zeit befreit werden könne (atimukti) und was er statt dessen erlangen (sampat) könne (BU 111,1; B 195 ff.). An dieses Erbe knüpfte Uddälaka an und versprach als materialistischer Lehrer der Lebensweisheit dem Schüler Freiheit vom Leiden (des Pessimismus) dank dem Optimismus, der sich auf das hylozoistische Wissen stützt, daß der sich ständig wandelnde lebende Weltstoff die einzige, eigentliche Wirklichkeit ist, daß dessen Leben und damit das Leben an sich unsterblich ist.

4.2.7.

15. Abschnitt über das Sterben

Über das Sterben wurde seit der Urgesellschaft gegrübelt. Voräryas glaubten schon vor Uddälaka wie noch heute, und zwar ziemlich uneinheitlich, an mehrere Geister (Seelen) im Leibe des Menschen. Von denen verläßt einer den sterbenden Leib, um als Ahnengeist in der unterirdischen Ahnenwelt mit seinen verstorbenen Sippengenossen zu leben, von den Nachfahren als Ahnengeist kultisch verehrt und versorgt, damit er ihnen magisch helfe. Unter der Erde ruhen ja seine Gebeine. 93 Von ihm verabschieden sich die Sippengenossen, die sich um den Sterbenden versammeln (wie es Uddälaka und Yäjnavalkya andeuteten), und helfen ihm mit Totenriten auf den Weg. Ein anderer Totengeist bleibt im Hause seiner Familie, vermutlich für Wiedergeburt. 94 Auch die Aryas des Rgveda scheinen an zwei solche Seelen geglaubt zu haben, an die Lebens- und Totenseele (tanu, asu) und an das Denken (manas). Sie (oder einige von ihnen) scheinen die Totenseele als den im Leichenbrand gargekochten Leib und damit als den Gestorbenen selber (sozusagen in neuer Qualität) aufgefaßt zu haben, der zu seliger Unsterblichkeit in das Reich der Ahnen in Yamas Himmel, eine Art Insel der Seligen oder Walhall, oder in Erde oder Wasser als andere Totenreiche eingeht. 95 Aber einer der damaligen Priesterdichter lehrte, daß das Auge des Gestorbenen dabei in die Sonne, sein Atem aber in den Wind eingeht (RV X,16,3; B 25). In der rgvedischen Kosmogonie aus dem Urriesen (Ymir) entstanden ja in entsprechender Weise aus seinem Denken der Mond, aus seinem Munde das Feuer (RV X,90; B 23ff.). Im ÖB X,3,3 (B 98f.) nahm diese Anwendung der Makro-Mikrokosmosanalogie auf das Sterben in der Lehre des „weisen" Atemwindmagiers Dhlra die Form an, daß der Sterbende mit seiner Rede ins Feuer und analog mit seinem Sehen, Denken, Hören und Atmen in (die Gottheiten) Sonne, Mond, Himmelsrichtungen und Wind und daß dadurch er selber in die Gottheit gelangt, in die er möchte. Aus diesen sind ja sein Sehen, 118

Denken usw. geworden (hervorgegangen). Diese Magier glaubten an keine Seele, auch nicht an eine Totenseele, und an keinen der traditionellen Götter. An eine Seele aber glaubte Yäjnavalkya; dieser ließ als hinduistischer Theologe und Idealist demgemäß diese fünf Lebenskräfte des Sterbenden in ihre makrokosmischen Entsprechungen eingehen, lehrte aber für den „Mann" (d. h. die Seele) die Tatvergeltungs- und Wiedergeburtslehre (BU 111,2,13; B 200). Dieser „Mann" ist für den Idealisten Yäjnavalkya das Erkenntnisselbst, das das Leibesselbst (d. h. den eigenen Leib) fährt wie der Wagenlenker den Wagen (BU IV,3,35; B 236). Es steht gewissermaßen dem Lebensselbst d p s H y l o zoisten Uddälaka, das nicht als eine Seele gemeint war, gegenüber. Yäjnavalkyas Erkenntnisselbst löst sich von den Gliedern des Leibes und kehrt an seinen Ursprung, in den Atem, zurück, nach oben (in die himmlische Ahnen weit?) und erwartet (dort) die neue Wiedergeburt. Vor dem Hylozoisten Uddälaka hatte ein Atemwindmagier in ChU 1,11,5 (B 134), ohne an eine Seele zu glauben, gelehrt, daß den Leib des Sterbenden dessen Lebenskräfte zusammen mit dem Atem verlassen. Uddälaka aber glaubte weder an eine ewige Seele noch an den Atem als solch einen Ersatz der Seele, erklärte vielmehr das Sterben mit dem Eingehen jedes der drei Elemente aus dem Leibe in das jeweils entsprechende kosniogonisch ältere Element und schließlich in das Seiende als mikrokosmische Umkehrung der makrokosmischen Kosmogonie und Teil des Kreislaufs des Seienden. Der Fortschritt dieser hylozoistischen Lehre, wir würden sagen, des Sichauflösens der Leiche in der Erde, gegenüber dem urgesellschaftlichen, hinduistischen und idealistischen Aberglauben war ungeheuer.

4.2.8.

16. Abschnitt über das Ordal

Für diesen Punkt der Lehre des Uddälaka hat man noch keine Vorläufer gefunden. Es ist allenfalls darauf hinzuweisen, daß bereits Indoiranier daran geglaubt haben, daß wahre bzw. unwahre Worte ihre gute bzw. schlechte magisch-moralische Auswirkung nach sich ziehen, daß ein Herrscher, der sein gegebenes Wort nicht wahr macht, samt seinen Erben dafür leiden muß. 96 Dessen mikrokosmisches Verhalten war eben nicht so „wahr", wie es der Ablauf des Weltalls, das makrokosmische rta, war, dem sein mikrokosmisches Verhalten entsprechen sollte.

4.2.9.

Zusammenfassung

Uddälaka war gemäß seinem 11. Abschnitt über den Baum lebensfroh im Gegensatz zur gerade beginnenden Erlösungsreligion, weil er gemäß seinem 15. Abschnitt über das Sterben an das ewige Leben des Seienden, der lebenden Materie, glaubte, aus der alles, auch der Mensch, wird und in das er sich beim Sterben wieder auflöst. Er war damit der Erbe eines Atemwindmagiers wie Dhlra, der an eine Auflösung des sterbenden Menschen, insbesondere seiner Lebenskräfte in deren kosmische Entsprechungen, glaubte, zugleich aber im Gegensatz zu Uddälaka an ein individuelles Weiterleben in einer dieser kosmischen Entsprechungen, aus denen die. Lebenskräfte geworden sind; dabei glaubten diese Magier so wenig wie Uddälaka an eine ewige Seele, während Yäjnavalkya an eine solche glaubte, zugleich aber den Leib sich beim Sterben in ganz ähnlicher Weise im Kosmos 119

auflösen ließ. An eine derartige Auflösung glaubten schon einige Grübler des RVX,16, daß nämlich das Sehen des Sterbenden in die Sonne und das Selbst (ätman, hier Atem) in den Wind gehen, während der durch das Leichenfeuer gar gekochte Leib durch dieses Feuer in die Ahnenwelt geleitet wird, sei es in den Himmel (vielleicht in den Yamas), in die Erde, ins Wasser oder in Pflanzen. Zu diesem Eingehen des Mikrokosmischen ins Makrokosmische gehört das Hervorgehen des Makrokosmischen aus dem Mikrokosmischen des Urriesen bei der Schöpfung der Welt aus diesem in RVX,90; und dieser rgvedische Mythus hängt wiederum mit der indo-iranischen Gegenüberstellung solcher mikro- und makrokosmischer Größen zusammen, aber auch mit dem indoeuropäischen Mythus der Schöpfung der Welt durch Opferung des Ymir. Diese Vorstellungen hängen mit physiologischem Wissen zusammen, das bei den Indoeuropäern bereits begann und noch für Uddälakas Materialismus grundlegend war, während er u.a. Astronomie im Grunde gar nicht berücksichtigte. Er wußte etwas vom Kreislauf des Wassers, darin ebenfalls ein Erbe der Aryas des RV, aber sein physikalisches Experiment mit dem Salz und seine sich daraus ergebende Ahnung der Naturgesetzlichkeit war etwas völlig Neues, ebenso sein Experiment des Fastens, um zu beweisen, daß das Denken aus Speise wird, und seine Auffassung des Verdauens als ein Quirlen. Neu war sein Wissen um die ewige Umwandlung des Seienden und sein Glaube an das Lebendigsein dieses Seienden, der höchsten Gottheit, ein Glaube, der ihm den an einen Schöpfergott ersetzte. All dieses Wissen, das vermutlich über das seiner Zeit- und Standesgenossen bzw. der theologisch interessierten Despoten hinausging, so gering es uns anmutet, befähigte ihn, philosophisch, hylozoistisch statt theologisch zu denken, dazu gedrängt, weil er sein Wissen, seine Philosophie, der Theologie des gerade beginnenden Hinduismus mit dem radikalen Pessimismus der Erlösungsreligion und dem Idealismus des Yäjnavalkya entgegensetzen wollte. Man möchte ihn schon als eine Art kleinbürgerlichen Intellektuellen den theologisch-idealistischen Ideologen des sich entwickelnden Despotismus gegenüberstellen.

B. Yajnavalkyas Idealismus Uddälakas Materialismus wird wesentlich verständlicher und ist richtiger zu bewerten, wenn man ihn nicht nur gegen die Theologien seiner Vorläufer, sondern auch gegen den Idealismus seines Zeitgenossen Yäjnavalkya stellt. Ungefähr gleichzeitig mit der Entwicklung des Hylozoismus im Kampf des Wissens gegen den Glauben bildete sich der Idealismus im Kampf des Glaubens gegen das Wissen heraus. Gegen aufklärerisches und wissenschaftliches Denken gewisser Theologen trat mystisches u.a. bei den Theologen des Herzens und des Denkens, bei denen, die zur hinduistischen Erlösungsreligion mit deren Utopie der Erlösung tendierten. Yäjnavalkya war der erste Inder, der als ein vedischer Yajus-Theologe die hinduistische Erlösungsund Tatvergeltungstheologie mit lebensfeindlicher Morallehre bzw. Ethik eines objektiven Idealismus, mit Elementen eines subjektiven, vertrat. Seine philosophischen Haupttexte stehen in der BU des Yajurveda; in den im allgemeinen etwas älteren Brähmanas trat er wohl nur erst als vedischer Theologie auf.

120

1. Chronologie der Texte der Brhadaranyakopanisad Für die BU ist bisher kein solches Anwachsen des Textes wahrscheinlich zu machen wie für die ChU. Ihre Zentralgestalt ist Yäjnavalkya in ihrem III. und IV. Buch. Davor stehen in BU I einige Texte, die sehr alt sein können wie z.B. eine Kosmologie, die die Welt als das Opferroß deutet (1,1), eine Kosmogonie aus dem von Hunger und Tod verhüllten Nichts (1,2) und eine Variante der Parabel vom Rangstreit der Lebenskräfte (1,3; B 138ff.). In dieser wird der Atem als der Saft oder die Essenz (s.o.) der Glieder des Leibes gedeutet (BU 1,3,19; B 141). Dann aber folgt eine Kosmo- und Anthropogonie aus dem ätman, dem Selbst (BU 1,4), die eine sonst nicht bezeugte Anschauung Yäjnavalkyas über die Liebe von Mann und Weib zitiert: Der am Anfang einsame ätman verlangte nach Liebe und spaltete sich deswegen in Mann und Weib; beide sind eben nur halb (BU 1,4,3).97 Dieser Text kann also nicht älter als Yäjnavalkya sein. Vor ihm dürfte der ätman keine solche Bedeutung gehabt haben, daß er (eine mikrokosmische Größe!) an die Spitze einer Kosmogonie treten konnte; was ätman ist, wird hier aber nicht erklärt, und diese Kosmogonie ist damit nicht etwa schon idealistisch. Sie lehrt u.a., daß das Selbst in die Geschöpfe, d.h. in „Namen und Gestalten", einging 98 wie ein Messer in die Scheide (sie ganz ausfüllend). Dies erinnert an eine ähnliche Anschauung in König Ajätasatrus Text in KU IV,20 (B 318), die wahrscheinlich jünger als Yäjnavalkya ist. Auch die anschließenden Gedanken über das Selbst dürften jünger als Yäjnavalkya sein. Nur der magische Glaube, daß das „Wissen" des ätman, ich bin das brahman, dazu führte, daß er zum Weltall wurde (1,4,10), erinnert ein wenig an den sehr alten nichtkosmogonischen Glauben des Sämantheologen in ChU 11,21: „Ich bin das All" (sarvam). Nach Uddälaka ging das Seiende in die drei Elemente ein und schuf damit die „Namen und Gestalten" (Farben). Es ist noch nicht sicher, daß diese materialistische Auffassung älter ist als jenes ihr zum Idealismus neigendes mythologisches Gegenstück. Immerhin gibt der Lehrerstammbaum am Ende gerade der BU (VI,5,3) an, daß Yäjnavalkya von Uddälaka, dieser von Aruna gelernt hat. Im nächsten Abschnitt (1,5, aber auch in V,8,l) spielt die Dreierreihe Denken, Rede und Atem eine beträchtliche Rolle. Sie war für Uddälaka in dessen fünftem Abschnitt (ChU VI,5; B 172) sehr wichtig. Bei Yäjnavalkya wurden die drei - aber nicht als Gruppe - unter den acht Greifern aufgeführt (BU 111,2; B 199). Danach wird in BU 1,5,14 gelehrt, daß Prajäpati das Jahr ist und 16 Teile hat, fünfzehn Nächte im Halbmonat plus einen unwandelbaren Teil. Sollte diese Spekulation auf Uddälakas Vorstellung des sechzehnteiligen Menschen in seinem 7. Abschnitt anregend gewirkt haben, also älter sein ? Danach wird in BU 1,5,16 von den drei traditionellen Welten der Götter, Ahnen und Menschen gehandelt, die in anderem Zusammenhang auch bei Yäjnavalkya (BU 111,1,8; B 197) vorkommen. Es folgt noch eine Fabel vom Rangstreit der Lebenskräfte (1,5,21) mit dem Versuch, ihn auch makrokosmisch auszumalen (22), und ein in manchem noch unverständlicher Abschnitt (1,6,1) über Name, Gestalt (Farbe) und Werk, gemäß dem der ätman das Unsterbliche ist, das durch die Wahrheit (oder Wirklichkeit) verhüllt ist, ein mystisch-idealistischer Gedanke, der jünger als Yäjnavalkya sein dürfte. Das II. Buch beginnt mit der Widerlegung des Animisten Gärgya durch den späten Idealisten König Aj ätasatru (II, 1; B 312 f f.), die auch in der KU 4 steht und wohl ebenfalls jünger als Yäjnavalkya ist. Es folgt ein Atemwindmagier, der den Atem mittels des 121

Essens im Leibe bzw. Kopf angebunden sein läßt wie ein Tier an einem Pfosten (11,2; B 149f.). Dies erinnert an Uddälakas Vorstellung der Bindung des Denkens an den Atem (ChUVI,8,2; B 175). Ein weiterer Atemwindmagier schließt ah Spekulationen im Brähmana über Wind und Raum an; er verbindet so - seine Atemwindmagie mit einer sehr alten Raumlehre (SB X,3,5; B 9öf.) und kommt über den Raum im Menschen zu dem unsterblichen Mann (purusa) im rechten Auge, auf den er Yäjnavalkyas agnostizistische Kurzdefinition des brahman als „Nicht, nicht" anwendet und den er im Sinne dieses Idealisten das Wahre des Wahren nennt (11,3). Es folgt Yäjnavalkyas Belehrung seiner Frau Maitreyl (11,4), die später fast wörtlich in Yäjnavalkyas Text (IV,5) wiederholt ist (B 244ff.). Abgeschlossen wird dieses II. Buch mit einer Verherrlichung des ätman-brahman, das mit den Männern (purusa, Geistern) in den vier Elementen, den vier Lichtern und im Raum, aber auch mit drei moralischen Werten: Recht, Wahrheit und Menschlichkeit, gleichgesetzt wird (11,5). Auch dieser Text ist wohl wie im Grunde die Texte von BU,I,4 an nicht ohne Kenntnis von Yäjnavalkyas Text. Die Texte von BU V und VI sind in derselben Weise wie die in I - I I auf ihre Chronologie hin zu prüfen. An einzelnen Problemen wäre insbesondere zu untersuchen, ob die Dreiergruppe Denken, Reden, Atem in BU 1,5, die Vorstellung von Name und Gestalt (Farbe), das Erschließen des ätman aus seiner Fußspur (1,4,7) und die doppelte Polemik des Prätrda und seines Vaters (BU V,12; B 135f.) älter sind als ihre Entsprechungen bei Uddälaka.

2. Yäjfiavalkyas Persönlichkeit Yäjnavalkya" war ein Brahmane wie Uddälaka, aber er war kein Theologe des Säma-, sondern des Yajurveda. Er wirkte vor allem in Mithilä bei Janaka, dem Herrscher des Videhastaates, nördlich des Ganges, nordöstlich von den Kuru-Pancälas. Er hat dort nach BU 111,9,19 „die Brahmanen der Kuru-Paiicälas" niedergeredet. Diese, unter ihnen Uddälaka, waren anläßlich eines großen Opfers König Janakas bei diesem zusammengekommen. Bei dem Opferfest veranstaltete Janaka eine große Disputation, um den gelehrtesten Priester oder Theologen herauszufinden, und versprach dem Sieger tausend Rinder. Yäjnavalkya erhob gleich zu Anfang den Anspruch zu siegen und siegte. Gegen ihn traten acht Gegner auf, als erster Janakas hotr, sein rgvedischer Opferpriester, Asvala, und wurde wie die anderen von Yäjnavalkya niedergeredet, entstammte also vielleicht den Kuru-Pancälas. Woher Yäjnavalkya stammte, wird nicht angegeben, auch nicht, welche Funktion er bei Janaka hatte; vielleicht war er dessen yajurvedischer Hofpriester (adhvaryu), aber er trat im Brähmana zunächst als Theologe auf, der von Janaka die Wiedergeburtslehre lernt, dann in der BU als dessen geistlicher Lehrer und Idealist. Solche Lehrer der Despoten, die keine Staatsbeamte waren und in der Residenz, bei einer Dorfgemeinde oder in einem Walde oder Hain in deren Nähe wohjiten, werden in den Texten der Epen bezeugt, und man kann in gewisser Hinsicht Gandhi, den Lehrer der Führer des Nationalkongresses, als ihren letzten großen Repräsentanten ansehen. 100 Janaka ist im Rämäyana der Vater der Sitä und damit Rämas Schwiegervater, war eben hoch angesehen. Aber es gab mehrere Videhaherrscher dieses Namens, und man kann noch nicht angeben, wie weit unser Janaka vom König der militärischen Demokratie zum altorientalischen Despoten entwickelt war. Die Videhas entwickelten sich nämlich bis zu Buddhas Zeit nicht zum typischen Despotismus, sondern gingen in der 122

Aristokratie der Licchavis auf. 101 Janaka übernahm, ähnlich wie König Pravähana, von den unterworfenen Voräryas deren Wiedergeburtslehre, lehrte eie Yäjnavalkya (SB XI,6,2; B 121 ff.), dieser Vervollkommnete sie dureh Einfügen der Entsagungsmoral und untermauerte diese mit der Erlösungsreligion und seinem Idealismus. Die gesellschaftliche Stellung der beiden ersten indischen Philosophen war insofern etwas verschieden, als Yäjnavalkya zu König Janaka in einem engeren Verhältnis stand als Uddälaka zu irgend einem König. Vielleicht hängt es u.a. damit zusammen, daß ihre Moral und Philosophie grundverschieden waren. Der moralische Widerspruch von Lebensfreude (Uddälaka) und Lebensüberdruß (Yäjnavalkya) lebte deutlich greifbar in dem späteren klassischen Lyriker Bhartrhari, 1 0 2 aber schwerer faßbar auch in den Volksepen und in den klassischen Dramen mit ihren tragischen Konflikten und dem grundsätzlichen Happy-End. Die Handlung der beiden großen Epen ignorierte im Grunde - außer in tingeschobenen Episoden - die hinduistische Erlösungsreligion. 103 Diese spiegelt die offen bekannte Weltanschauung der meisten Inder wider. Yogis aber gab es immer nur wenige. Materialisten des Lokäyata sind sogar praktisch und historisch unbekannt. Es gab keine gesellschaftliche Schicht, die sich zu Materialismus ^bekannt hätte. Die Dorfgemeinde war die feste Grundlage von Despotismus und Aberglauben, und dieser, die Erlösungsreligion, war gleichzeitig die Religion des Mönchs, des Yogi, und der Bajadere. Dieser Widerspruch lebte in allen Schichten der Gesellschaft, in jedem Individuum, aber niemand außer jenem Bhartrhari wagte, ihn in dieser Weise aufzudecken, zu bekennen, daß zwei Seelen in seiner Brust wohnen. Der Despotismus brauchte das Opium der Erlösungsreligion für das Volk, duldete aber zugleich dessen Lebensfreude, und beides zusammen half mit zur Kontinuität der „asiatischen" Produktionsweise in Indien. Yäjnavalkya hatte als adhvaryu-Priester des Yajurveda ferner eine etwas andere Ausbildung als Uddälaka, dieser udgätr des Sämaveda. Beide waren sich als Theologen ähnlich und werden die Denkrichtungen der Atemwindmagier usw. gekannt haben, stellten sich zu diesen aber verschieden ein, weil sie im Kampf des Wissens gegen den/ das Glauben auf entgegengesetzten Seiten standen, so wie Yäjnavalkya die Wiedergeburtslehre des Königs Janaka annahm, Uddälaka aber die des Königs Pravähana nicht. Wenn aber in der Lehrerliste in BU VI,5,3 am Ende der Upanisad des Yäjnavalkya überliefert ist, daß Yäjnavalkya der nächste Lehrer nach Uddälaka war wie wieder der nach seinem Vater Aruna, so wird darin ein richtiger Kern stecken. Der Idealismus war ja ein Versuch, die Religion gegen den Angriff des Materialismus philosophisch zu untermauern. Hatte Uddälaka den Kampf des Wissens gegen den Glauben mit neuer Qualität geführt, so Yäjnavalkya als Ideologe des Despotismus den Kampf des neuen hinduistischen Glaubens gegen das neue materialistische Wissen. Aber beide taten dies mehr oder weniger unbewußt und ohne ausgesprochene Polemik. Es ist weiter kein Zufall, daß Uddälaka das Werden der Materie und die Kosmogonie betonte, Yäjnavalkya aber das Sein des Geistes und die Kosmologie, daß der Materialist dialektisch dachte, der Idealist metaphysisch. Trotzdem hat der Idealist einige physiound psychologische Beobachtungen verwendet, die bei Uddälaka fehlen, z.B. die Achterreihe der „Greifer", die die fünf Sinne einschließt. Yäjnavalkya ist weiter geradezu revolutionär gegen die standesstolzen vedischen Brahmanen aufgetreten zugunsten der „wissenden", unter denen er die idealistischen Vertreter der eigenen, mit frühhinduistischer Mystik verquickten Richtung im Gegensatz zur vedischen Theologie verstand. Erhob sich Uddälaka manchmal zu dichterisch123

emotionalem Lehren wie beim Baum oder beim Entführten, so Yäjnanalkya, wenn er vom Übergang von Tag zu Nacht, vom Licht der Sonne, des Mondes, des Feuers, der Rede und des eigenen Denkens sprach. 104 Von den damaligen Ideologen sind uns fast ausschließlich umfangreiche Werke der Theologen erhalten, aber in diesen nur geringe Reste der Lehre der Physiologie, des Rechts und Staates, der Grammatik und Etymologie und der Dichter. Wenn Yäjnavalkya als „wissender" Greis statt aufs Altenteil eines reichen Herdenbesitzers in die Heimatlosigkeit zog, so bewundern wir die Menschlichkeit, mit der der Idealist von seiner Frau Maitreyl Abschied nahm, die ihn als gelehrte Theologin und Mystikerin zutiefst verstand. Mit dieser Szene wird die ältere, rgvedische Erotik überwunden zugunsten einer geistigen Liebe des Brahmanen zu seiner Gattin im Sinne einer Art Gleichberechtigung, die zur herrschenden patriarchalischen Unterdrückung der Frau in Gegensatz trat, freilich nur in solch seltener Ausnahme, aber auch in Gärgl (s. gleich).105 In den beiden großen Philosophenpersönlichkeiten Uddälaka und Yäjnavalkya tritt uns in den beiden Upanisads der be : den Veden und Priestertypen der Beginn der Philosophie als erster Schritt zur Polarisierung von Materialismus und Idealismus im alten Indien vor Augen.

3. Yäjnavalkyas Haupttext ( B U I I I - I Y ) 3.1. I. Unterweisung: Große Disputation in neun Streitgesprächen am Hofe J a n a k a s (BU 111,1-9; B 195ff.) Unter den Gegnern Yäjnavalkyas ist eine Frau, Gärgl, die ihm sogar zwei Fragen stellt, theologisch gelehrt wie Maitreyl (s.o.). König Janaka möchte durch die Disputation herausfinden, wer von den Brahmanen derjenige ist, der dem Lehrer am meisten „nachgesprochen" (auswendig gelernt) hat und damit der brahmischste ist, d.h. am meisten „Wissen" hat und damit das brahman, die letzte, höchste Realität, in sich, im ätmanSelbst, am besten realisiert. Es geht nur darum, wer von den Unterrednern mehr weiß, die acht Frager oder der einzige Antworter; es geht nicht um theologische, wissenschaftliche oder gar philosophische Richtigkeit der Antwort. In krassem Unterschied dazu fragte Uddälaka am Anfang seines Textes seinen Sohn, ob er seinen Lehrer nach seinem neuen Materialismus gefragt hat. - Yäjnavalkya beansprucht, dieser brahmischste zu sein, und läßt provokatorisch seinen Schüler die von Janaka als Preis ausgesetzten tausend Rinder forttreiben. Er macht sich damit anheischig, auf alle Fragen der acht eine Antwort zu wissen.

3.1.1.

Asvala (BU III, 1; B 195ff.)

Als erster Disputant frage Asvala, der hotr-Priester des Janaka, Yäjnavalkya in BU III, 1 (B 195ff.), wie die drei Priester der drei Veden ihren Opferherren von etwas lösen und mit etwas verbinden. Antwort: Der hotr vom Tode bzw. mit allem Atmenden der adhvaryu von Tag und Nacht bzw. mit der Götter-, Ahnen- und Menschen weit, der udgätr von der ersten und zweiten Monatshälfte bzw. mit Erde, Luftraum und Himmel, der brahman-Priester aber läßt ihn durch das (sein) Denken die unendliche Welt ersiegen. 124

Yäjnavalkya stellt den Frager mit diesen Antworten zufrieden, er kennt diese Theologie. Bei seinen vier Antworten trägt Yäjnavalkya drei Viererreihen vor: jedem der vier Priester wird eine mikrokosmische Lebenskraft (Rede, Sehen, Atmen und Denken) und eine makrokosmische Gottheit (Feuer, Sonne, Wind und Mond) zugeordnet, wie es in den Kosmologien der Sämantheologen und Atemwindmagier üblich war. Die zumindest seit dem Rgveda traditionelle Frage der Unsterblichkeit als des religiösen Trostes durchzieht die Frage des 1., 2., 3. und 4. Disputanten, den Schluß dieser ersten Unterweisung und alle vier Unterweisungen Yäjnavalkyas überhaupt, im Gegensatz zu Uddälaka. Yäjnavalkya antwortet darauf als Theologe, nicht als Philosoph. Der Materialist Uddälaka hatte im 14. Abschnitt statt dessen von der „Lösung" von Unwissenheit und „Erlangung" von Wissen und im 15. von der Lösung des Sterbenden vom Leib und Erlangung des Seienden gesprochen. Die Geschichte dieses Begriffspaares des Lösens von etwas und Erlangens von etwas anderem ist noch nicht geklärt.

3.1.2.

Ärthabhäga (BU 111,2; B 198ff.)

Arthabhäga fragte in BU 111,2 (B 198ff.) zunächst nach der Zahl der „Greifer" und „Übergreifer", und Yäjnavalkya zählte 1. acht (subjektive) Kräfte auf, mit denen der Mensch die Natur „greift" (sie erkennt und auf sie e'nwirkt): Atem, Rede, Zunge, Sehen, Hören, Denken (Wünschen), Hände und Haut, und 2. die ihnen angeblich entsprechenden acht objektiven Phänomene, die ihrerseits die „Greifer" „übergreifen": Gerüche, Namen, Geschmäcke, Gestalten, Töne, Begierden, Handlungen und Tastgefühle. Dabei ist die Abfolge der acht Greifer uns noch nicht verständlich. Die fünf Sinne sind hier von dem Idealisten als dem ersten Inder zusammengestellt, eine physiologisch-psychologische Leistung. Aber sie stehen nicht zusammen, sondern Reden, Denken und Hände stehen als eine wiederum nicht zusammengefaßte Gruppe anscheinend ohne überlegte Ordnung unter ihnen. Atem ist hier das Riechorgan, aber Atem war von Uddälaka in dessen 5. Abschnitt mit Rede und Denken als seine Dreierreihe der subjektiven (mikrokosmischen) Produkte der drei Urelemente Wasser, Glut und Essen zusammengestellt worden. Yäjnavalkya hat später diese Achterreihe zu einer Zwölferreihe erweitert, die die fünf Sinne, das Paar Denken und Wissen und die Fünferreihe, Hände, Zeugungsglied, After, Füße und Rede umfaßt (BU IV,5,12; 11,4,11; B 247f.). Diese lebte im Sämkhya als die Elferreihe der fünf „Erkenntnissinne", der fünf „Tatsinne" und des Denkens bis heute weiter; hier fehlt nur das „Wissen". Uns und den Indern, die keine Anhänger des Sämkhya waren und sind, ist es fremd, das Reden der Namen (der Bezeichnungen der Dinge) und das Handeln der Hände wie das Gehen der Füße in dieser Weise parallel neben das Einatmen der Gerüche und Sehen der Gestalten zu stellen. Aber der Philosophiehistoriker muß dieses Kapitel als einen großartigen, wenn auch nicht ganz geglückten und lange nachwirkenden Versuch ansehen, den Menschen aktiv und passiv in der Natur zu begreifen. Sollte es gelingen, die Unstimmigkeiten dieses Kapitels aus dem Idealismus des Philosophen zu erklären ? Von einer Seele wird hier nicht gesprochen; dies wird in der Antwort Yäjnavalkyas an seinen vierten Unterredner, Usasta, mit der Hervorhebung des „inneren Selbstes" als des Hörers des Hörens, des Denkers des Denkens und Erkenners des Erkennens nachgeholt, und auch dies blieb im Sämkhya lebendig.

Hier erscheint Atem nur als riechen, nicht als atmen-leben wie doch bei den Atemwindmagiern und Uddälaka. Das alte schwierige Wort rasa für Saft, Quintessenz, Ursache-Produkt (ChU 1,1) steht hier anscheinend zum ersten Male für Geschmack; es behielt diese Bedeutung in allen Schulen indischer Philosophen. Wie Artabhäga auf die Frage nach den für Yäjnavalkya bezeichnenden, nur hier bisher belegten Begriffen der Greifer und Übergreifer kam, ist noch nicht geklärt. In SB VII,5,l,16ff. (B 97f.) greifen sich Atem und Essen gegenseitig. Artabhäga fragte danach in Fortsetzung der Fragen des Asvala, der nach der Lösung vom Tode gefragt hatte, weiter nach dem Besieger des Todes. Antwort: Das Feuer (des Leichenbrandes, s.u.); dieses wiederum wird durch das Wasser besiegt, und dieses (Wasser) besiegt daher den „Wiedertod". Mit Wiedertod ist hier sicher das Sterben im Jenseits und die Wiedergeburt gemeint, wie sie Janaka und Pravähana gelehrt hatten; mit Feuer ist das des Leichenbrandes gemeint, das den Toten zur Wiedergeburt führt, mit Wasser wohl das der Opferspende ins Leichenfeuer, von deren Wiedergeburt König Janaka dem Yäjnavalkya gegenüber in ÖB XI,6,2,6ff. gesprochen hatte. Artabhäga fragte schließlich nach dem Sterben, dem Thema des 15. Abschnitts des Uddälaka. Yäjnavalkya antwortete zuerst, daß die Lebenskräfte den Sterbenden nicht verlassen, man sehe ja das Aufblähen der Leiche (durch den Atem). Dieses war eine richtige Beobachtung, war aber von dem Idealisten bzw. Theologen physiologisch falsch gedeutet, denn nicht der Atem bläht die Leiche auf. Diese Lehre des Idealisten war gegen die Atemwindlehrer bzw. Uddälaka gerichtet, die das Aufhören des Lebens richtiger damit deuteten, daß diese Lebenskräfte mit dem Atem den Leib des Sterbenden verlassen und in ihre makrokosmischen Entsprechungen (s. u.) bzw. in die drei Elemente und das Seiende eingehen. Über das Aufblähen der Leiche hatten sie wohl keine eigene Lehre. Diese Polemik war für den Idealisten wichtig. In der Leiche bleibt nämlich nach Yäjnavalkya keine Lebenskraft, sondern nur der Name zurück, d.h. hier wohl die leiblichirdische Individualität des Gestorbenen. Uddälaka hat von „Name und Gestalt" jedes einzelnen gewordenen Dinges gesprochen. Im Rgveda bedeutet näman sowohl die Erscheinungsform (Uddälaka: Gestalt) wie das Wesen (Uddälaka: Name) etwa eines Gottes. Das Paar Name und Gestalt erhielt später bei Buddhisten geradezu die Bedeutung Ideelles und Materielles. Diese beiden Begriffe bedürfen einer besonderen Untersuchung. Yäjnavalkya meinte anscheinend, daß das zeitweilige Wesen des Menschen in seiner Wiedergeburt an deren Ende in der Leiche bleibt; es wandert nicht mit dessen ewiger geistiger Seele zu neuer Wiedergeburt. Für dieses seelisch-geistige Individuum deutete Yäjnavalkya hier zum ersten Male, und noch als ein Geheimnis, die hinduistische Tatvergeltungs- und Wiedergeburtslehre 1 an. Danach aber erklärte er das Sterben als das Eingehen der Lebenskräfte in ihre makrokosmischen Entsprechungen, der Rede ins Feuer, des Leibes in die Erde, des Selbstes in den Raum usw., wie es zumindest seit RV X,16,3 (B 25) von einigen Theologen und Atemwindmagiern (s.o.) geglaubt und gelehrt wurde, wenn auch nicht in allen Einzelheiten. Dabei bleibt „dieser Mann" (purusa), d.h. ein Geist (im einstigen Animismus), oder eine Seele (in der Erlösungsreligion) übrig, die wiedergeboren wird. Dieses Eingehen der mikrokosmischen Erscheinungen beim Sterben in die makrokosmischen widerspricht dem Vorhergehenden, daß diese Kräfte in der Leiche bleiben. Ist es also als ein späterer Akt des Prozesses des Sterbens aufgefaßt, als der endgültige Verfall der Leiche bei ihrem Verbrennen ? Diese Auffassung des Sterbens und der Unsterblichkeit 126

wird in einer uns ziemlich wirr erscheinenden Weise vorgetragen und ist nicht physiologisch-wissenschaftlich oder idealistisch, sondern magisch-mythologisch bzw. theologisch.

3.1.3.

Bhujyu (BU 111,3; B 201f.)

Bhujyu fragte in BU 111,3 (B 201f.) im Anschluß an das Thema des Sterbens nach den Enden der Welt und nach dem Jenseits derer, die ein Pferdeopfer vollzogen haben. Dies taten nur Despoten, die die politische Oberherrschaft über ganz Indien (Nordindien) beanspruchten. Yäjnavalkya gab in seiner Antwort wieder, was ein Gandharve durch den Mund einer von ihm besessen gemachten Frau gesagt hatte (rühmt sich also keines eigenen „Wissens", traute solches anscheinend keinem Menschen zu). Er schilderte dabei Indien als in 32 Tagen (wohl mit dem Pferdewagen vom Panjab bis Bengalen) zu durchqueren. Darum herum liege die Erde (andere Länder) doppelt so weit und um diese herum der Ozean wieder doppelt so weit. Dies war eine für damalige Verhältnisse einigermaßen richtige kosmologisch-geographische Vorstellung 106 Indiens in Asien und im Weltmeer, ausgedrückt, wie damals üblich, in einer Reihe von drei Begriffen, diese Welt (Indien)—Erde —Wasser, an die der 6. Gegner anknüpfen konnte. Am Ende (Horizont) des Ozeans ist ein winziger Spalt (zwischen Ozean und Himmel). (Durch diesen) ließ Indra die Totenseelen solcher Erdbesieger durch den Wind in der Gestalt eines Vogels, der sie in sich gestellt hatte, zum betreffenden Jenseits (einer Art Walhall) tragen. Dabei wird angemerkt, der Wind sei das Einzelding und das Allgemeine; dieser Satz leitet zum Thema des 4. Fragers über und wird dort erst verständlich. - Wer dieses weiß, besiegt den Wiedertod (im Jenseits), von dem Yäjnavalkya bei Artabhäga gesprochen hatte (und wird damit im Himmel unsterblich). Hier lebt bei Yäjnavalkya anscheinend noch der rgvedische Glaube an Unsterblichkeit bei Yama in dessen Himmel, aber auch noch der Glaube an einen Vogel als Totenseelenträger, wie er in Gestalt eines Pfaus auf Tongefäßen von Völkern, die im 2. Jahrtausend v.u.Z. die Indusgesellschaft überrannt hatten, abgebildet ist; diese setzten wie die späteren Bergvölker der Parsen und Tibeter ihre Toten den Vögeln aus. 107

3.1.4.

Usasta (BU 111,4; B 202f.)

Usasta Cäkräyana, der vierte Disputant in BU 111,4 (B 202f.), war vielleicht der Usasta, der in ChU I,10f. (B 132ff.)' als einer der Atemwindmagier aufgetreten war. Er hatte inzwischen offenbar etwas von Yäjnavalkyas neuer, idealistisch-mystischer Auffassung des Selbst, des ätman-brahman, gehört; damals sprach auch König -Asvapati vom „Selbst aller Männer" (ChU V,11-24; B 271f.) und bestimmte Uddälaka in seiner Definition des Produkts das Seiende u.a. als das Selbst, den ätman, des Svetaketu (ChU IV,8,7; B 176 usw.). Die Atemwindmagier aber verwendeten diesen Begriff des Selbst nicht für Wind oder Atem, stellten nur nach uralter universistischer Denkweise den makrokosmischen Bereich der Gottheiten dem mikrokosmischen des Selbst gegenüber. Hier, in der großen Disputation, aber fragte Usasta nach dem „vor Augen", nicht „jenseits der Augen" liegenden brahman, diesem „Selbst innerhalb von Allem". Yäjnavalkya antwortete zunächst statt einer genauen Darlegung mit einem bloßen 127

Hinweis, der zugleich eine Gleichsetzung war, jenes (makrökosmische bzw. allgemeine) Selbst in Allem sei „dieses" Selbst Usastas, d.h., es sei das mikrokosmische bzw. individuelle, dem Frager doch wohl bekannte (als Selbstbewußtsein vor Augen liegende) eigene Selbst. Usasta war mit dieser „Darlegung" nicht zufrieden und wiederholt seine Frage. Man versteht ja, daß Usasta etwas Konkretes über dieses Selbst gemäß Yäjnavalkyas Idealismus hören möchte. Daraufhin beschrieb Yäjnavalkya es ihm, den er wohl als Atemwindmagier kannte, als das, was (nicht der Atem ist, sondern) mit dem Atem, dem Aus-, Zwischen- und Aufatmen, atmet. Er tat also, als ob diese lebendige geistige K r a f t „vor Augen liege". Dies erklärte er als Idealist apodiktisch ohne Polemik gegen die Atemwindmagier, die an Atem-Wind als die letzte, materielle Realität glaubten, nicht an ätman-brahman. Man erwartet, daß Usasta in diesem Sinne antwortet und entgegnet, Atem-Wind seien dieselbe höchste mikro- und makrokosmische Realität und K r a f t ; es gäbe keine höhere, die durch sie atme oder wehe. Der Wind sei also allenfalls als das makrokosmisch-allgemeine, der Atem als das mikrokosmisch-individuelle Selbst aufzufassen. Damit verstehen wir erst die Bemerkung am Schluß des vorigen Abschnitts über den Wind einerseits als das Einzelding, als die vielen individuellen Atem, und andererseits als das Allgemeine, den einen Wind. Wenn in TU 1,1,1 der Wind als das „vor Augen liegende" brahman hervorgehoben wird, so dürfte diese Textstelle etwas jünger als diese Disputation sein. Usasta erklärte indessen diese zweite Antwort Yäjnavalkyas als einen bloßen Hinweis auf etwas vor Augen Liegendes wie auf eine K u h (die jeder Laie sehen kann) und wiederholte zum dritten Mal seine Frage nach dem vor Augen dargelegten brahman, dem Selbst in Allem. Er wollte wohl wissen, wie es der Theologe, Physiologe-Psychologe und Idealist erkennt, ob etwa mit Wahrnehmung, mit Intuition. J e t z t erst antwortete Yäjnavalkya aus seiner mystisch-agnostizistischen Haltung, daß man den Seher des Sehens, den Hörer des Hörens, den Denker des Denkens und den Erkenner des Erkennens nicht sehen, hören, denken oder erkennen könne. E r erklärte aber gerade dieses Unerkennbare als das Selbst des Fragers und das allem (!) innerliche Selbst, und er fügte die ebenso negative Definition hinzu, alles andere (als dieses Selbst) sei leidvoll. Er hat damit seinen Idealismus in Kürze dargelegt: Das Selbst ist der eine ewig unerkennbare Geist, der alles Leben (Atmen) und Erkennen ermöglicht und als Wonne das einzig wahrhaft Reale ist. Es ist das angeblich reale Gegenstück des allen Menschen bekannten, aber nur scheinbaren Leidens. Dem schon ein wenig physiologisch-wissenschaftlich gebildeten Atemwindmagier wird hier eine der seltenen Polemiken in den Mund gelegt, zugleich mit dem Verlangen nach exakter Definition oder Beschreibung des nur dem Mystiker erlebbaren, dem Idealisten kaum beschreibbaren ätman-brahman. Yäjnavalkya antwortete einerseits naturphilosophisch, ontologisch so sachlich, wie es ihm möglich war. Andererseits kleidete er seine agnostizistische erkenntnistheoretische Einstellung in die Form, daß er leugnete, man könne das ätman-brahman sehen, hören, denken oder erkennen. 1 0 8 Usasta hatte nach dem vor und jenseits der Augen Liegenden gefragt (s.o.). Das vor Augen liegende brahman müßte, wenn es eben nicht das unerkennbare brahman wäre, zu sehen sein, das jenseits der Augen liegende könnte der Schüler vom Lehrer hören, könnte der Theologe bzw. der Atemwindmagier als Physiologe mit dem Verstand denken (aber nicht wissenschaftlich erkennen) und der Philosoph philosophisch erkennen. Yäjnavalkya lehnte diese vier Erkenntnismöglichkeiten für das brahman ab und stand damit im Gegensatz zu Uddälaka, der in seinem 1. Abschnitt als Materialist die drei 128

letzten (hören, denken, erkennen) in dieser Reihenfolge als Erkenntnisweisen für das Seiende gefordert hatte. Sehen kann man dieses auf keinen Fall. Hier liegt eine versteckte Polemik des Idealisten gegen das Wissen vor. Zugleich hat Yäjnavalkya aber mitgewirkt, daß später die entwickelte altindische Erkenntnistheorie der Wahrnehmung aller fünf Sinne (nicht nur dem Sehen), die man als „vor Augen liegend" bezeichnete, die nichtsinnlichen Erkenntnismittel der Folgerung (Denken) und des autoritativen Zeugnisses (Hören) folgen ließ. 109 Die beiden-letzten sind im „nicht vor Augen liegenden" Denken und Hören vorweggenommen, und der Begriff Erkennen (vijnäna) wurde später durch den der Erkenntnis (pramä) als des Produkts dieser drei Erkenntnismittel (pramäna) ersetzt. Hatte Uddälaka diese drei Erkenntniswege des Hörens, Denkens und Erkennens bloß in einer Reihe zusammengestellt, so hat Yäjnavalkya das direkte Sehen den beiden indirekten Erkenntnismitteln vorangestellt und das Resultat, das Erkennen, nachgestellt. So begann die altindische Erkenntnistheorie mit Auseinandersetzungen des ersten Idealisten, des ersten Materialisten und eines Atemwindmagiers, die wir auf diese Weise erschließen können. Usasta wiederum hatte seine damals wichtigen Begriffe aus älterer theologischer Spekulation geerbt, denn in den Brähmanas grübelten schon manche darüber, daß die Götter nicht das vor Augen Liegende lieben, sondern das jenseits der Augen Liegende; sie lieben z.B. den Namen Indra - und deswegen wird er so von den Priestern genannt - , obgleich dieser Gott eigentlich (vor Augen liegend) Indha, der Entflammer, heißt. 110 Dies war eine der üblichen falschen Etymologien. Im Rgveda kommt dieses Begriffspaar noch nicht vor; in AV X I X , 15,6 wird um Freiheit von Gefahr von Bekanntem und jenseits der Augen Liegendem gebetet, wohl im Sinne von sichtbaren und geheimnisvollen (magischen) Gefahren. Den theologischen Aberwitz des Indra-Indha hat Yäjnavalkya noch allen Ernstes wiederholt (BU IV,2,2; B 227). Der relativ wissenschaftlich denkende Usasta aber versuchte in seiner Polemik gegen ihn, dem Vor- und Jenseits-der-Augen-Liegen einen wissenschaftlichen, wenn nicht gar erkenntnistheoretischen Sinn zu geben.

3.1.5.

Kahola (BU 111,5; B 204f.)

Der fünfte Frager war Kahola aus der Sippe der Kausltaki in BU 111,5 (B 204f.). Ein Atemwindmagier Kausltaki - vielleicht dieser Kahola - identifizierte in KU 11,1 (B 153f.) den Atem mit dem brahman als dem König, dessen Hofstaat aus Denken, Sehen, Hören und Rede besteht und dem diese, ohne darum gebeten zu sein, Abgaben bringen. So, lehrte er, bringen alle Wesen dem dieses „Wissenden" ungebeten Abgaben; seine Maxime ist, man soll nicht bitten (betteln). Wenn ihm im Dorf keiner etwas gegeben hat (Atemwindmagier wurden oft verachtet!), soll er sich niedersetzen, um keine Gabe mehr anzunehmen; dann werden sie mit Gaben kommen. - Er zwingt sie dazu mit seiner Atemwindmagie und mit der Magie des trotzigen dharnä-Sitzens, des Hungerstreiks. Es war vielleicht auch derselbe Kausltaki, der den Atem (man erwartet den Wind) mit der Sonne im makrokosmischen Bereich der Gottheiten und mit dem Atem im Munde im mikrokosmischen Bereich des Selbst gleichsetzte, beide mit dem udgltha (ChU 1,5). Er lehrte damit eine Verquickung von Atemwindmagie, Sonnen- und SämanTheologie. 9

Abhandlungen l/G/79

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Dieser fünfte Frager wiederholte die Frage des vierten, der ja auch ein Atem wind magier gewesen war, nach dem vor Augen liegenden brahman und erhielt zunächst dieselbe (die erste) Antwort Yäjnavalkyas, er fragte noch einmal, und Yäjiiavalkya antwortete mit der Wiederholung der knappen negativen Definition vom Schluß des vorigen Abschnitts, alles andere sei leidvoll. Diesen ethischen Aspekt des brahman-ätman malte er hier aus und definierte das brahman als das, was Hunger, Kummer, Verblendung, Alter und Tod (natürliche und geistige Leiden) „überschreitet", d. h. den MystikerIdealisten alle Leiden überwinden (ignorieren) läßt. Am Ende dieser Disputation definierte Yäjiiavalkya deswegen das brahman als Erkenntnis und Wonne. Als erlösungsgläubiger Theologe und idealistischer Entsagungsethiker lehrte er hier den hinduistischen Entwicklungsweg, des „wahren" Brahmanen, nicht etwa jedes Mitglieds des Brahmanenstandes. Ein solcher verzichtet als Wanderbettler auf alles Streben, ja auf Gelehrsamkeit (des Theologen, die auch Uddälaka ablehnte) und auf deren Gegensätze, auf Kindlichkeit und Schweigen, ohne zu verraten, auf welche Weise er dieses Ideal erreichen kann. Er stellte es jedem Brahmanen frei, wie er zu der beglückenden Gelassenheit, zur absoluten Freiheit (Erlösung) des religiös-idealistischen Utopisten kommt. E r selber verließ später seine beiden Frauen und seine Rinderherden und zog als Bettler in die Heimatlosigkeit. Schon in der Indusgesellschaft haben gewisse Asketentypen yoga getrieben. 111 Rgvedische Priester übten bloß Kasteiungen (tapas), um mit ihnen nach dem Tode zur Sonne und zu deren Herrlichkeit zu gelangen (RV X,154,2), und sogar Indra soll so gehandelt haben (RVX,167,1). Im AV 8,10,24f. wird berichtet, daß der Kulturheros Prthl Vainya bei der Welt- und Kulturschöpfung den Menschen den Ackerbau gab (erfand), der Angirasa Brhaspati aber den sieben rsis (als den Ahnen der Brahmanensippen) brahman und tapas. In den Puranen lebte diese Tradition fort. 112 Die Theologen der Brähmanas grübelten über beides, die magische Formel (brahman) und die dazugehörige Magieraskese (tapas). Sie ließen Prajäpati mit der Glut einer solchen Kasteiung die Welt schaffen (AB V,32,l). Ein Sämantheologe und Morallehrer der Zeit kurz vor Yäjnavalkya führte in ChU 11,23 Kasteiung neben anderen Pflichten des Brahmanen an. Yäjnavalkya zog als alter Mann in die Heimatlosigkeit und verwirklichte damit diese Art Askese als „Schweiger" im sogenannten vierten Lebensalter (BU IV,4,22; B 242) (nach den drei Lebensaltern des Schülers, des Familienvaters und des Altenteils). Er wurde damit aber noch kein Yogi. Ein solcher wurde erst Buddha, der schon als jung verheirateter Mann die Heimat verließ, auf das gesellschaftliche Leben verzichtete, um in yoga den Erlösungsweg zu finden. Schon König Pravähana bewunderte die (wenigen), die im Walde Askese trieben, und verhieß ihnen wie auch seinen Anhängern nach dem Tode den Götterweg zu brahman im Gegensatz zu den anderen Menschen, die wiedergeboren werden (ChU V,10; B 253f.). Er war ein Vorläufer Yäjnavalkyas, kannte den Begriff „Erlösung" aber noch nicht, meinte vielleicht mit seinen Asketen die Brahmanen der dritten Lebensstufe, die am Rande des Dorfes im Walde noch Riten vollzogen und an Unsterblichkeit im Himmel glaubten. Erst Yäjnavalkya, nicht etwa schon Sändilya, vergeistigte die uralten magischen Asketentypen zum hinduistischen Yogi, konnte dessen mystisches Erlebnis aber noch nicht schildern, zumindest hat er vor dem König Janaka nur von traumlosem Schlaf und Erlösung geschwärmt, nicht von yoga. Er gebrauchte nur einmal den Ausdruck, daß der Mystiker „konzentriert" (samähita) sein müsse (BU IV,4,23; B 243), was später zum Fachausdruck des Yoga wurde. Zur Zeit der großen Disputation hatte er noch keine J 30

Erfahrung auf diesem Trance-Gebiet, welches irgendwie mit der ekstatischen Intuition des Yogi der Indusgesellschaft und des Priesterdichters des Rgveda zusammenhängt, das diese besangen und u. a. mit Somarausch herbeiführten.

3.1.6.

Gärgl (BU 111,6; B 205f.)

Danach fragte in B U 111,6 (B 205f.) Gärgl, eine Frau. Sie trat mit keiner eigenen Meinung oder erkennbaren Denkrichtung auf, war aber doch gelehrt etwa in der Art, wie Yäjnavalkya seine Frau Maitreyi in B U IV,5,1 (B 244) als Philosophin-Theologin, als „Brahmanrednerin" anerkannte. Gärgi fragte ihn nach der Kosmologie und knüpfte mit ihren ersten beiden Begriffen an Yäjnavalkyas Antworten auf Bujyus Frage an: Das All (1, d.h. offenbar die Erde) ist in den Wassern (2, d.h. im Ozean) „verwebt", 1 1 3 das Wasser aber in was? Yäjnavalkya antwortete (wie zu Bhujyu): in dem Wind (3), dieser in den Luftraumwelten (4), diese in den Gandharvawelten (5), diese in den Sonnen(6), Mond- (7), Sternbild- (8), Götter- (9), Indra- (10), Prajäpati- (11) und diese in den Brahmanwelten (12). Darüber, über diese höchste Gottheit (brahman), hinaus dürfe man nicht fragen, sonst zerspringe dem Frager (als magische Strafe) der Kopf. Man erwartet, daß sich diese zwölfgliedrige Begriffsreihe in vier kosmologische Dreierreihen auflösen läßt. Statt dessen ist die erste Reihe nur zweigliedrig (1-2), erinnert aber an die geographische Dreierreihe: Diese Welt (Indien), Erde und Meer, die Yäjnavalkya dem Bhujyu angeführt hatte (s. o. 3. Gegner). Als zweite Dreierreihe möchte man 1 - 4 - 5 (Erde-Luftraum-Himmel, die traditionellen drei Welten) zusammenfassen; in diese ist Wind (3) als übliche Gottheit des Luftraums (4) eingegliedert. Aber Feuer, die Gottheit der Erde, ist hier nicht genannt, und Sonne (6), die des Himmels, folgt erst in der nächsten Dreierreihe. Es folgen drei Lichter, um Uddälakas kosmologischen Begriff zu gebrauchen, Sonne, Mond und Sternbilder (6-7-8). Während die Welt der Gandharven noch unterhalb der der Sonne liegt, liegt die des Mondes unwissenschaftlicherweise über der der Sonne. Die letzten vier Begriffe (9-12) sind im Grunde eine Dreierreihe (10-12) samt einem Oberbegriff (9), denn der Begriff „Götter" (9) umfaßt die drei: Indra, den rgvedischen Götterkönig, Prajäpati, den abstrakten Schöpfergott, und brahman, das einzige kosmische Reale Yäjnavalkyas und des Hinduismus. Die Götterwelt (9) gehört zugleich in die übliche Dreierreihe der Götter-, Ahnen- und Menschenwelt, die Yäjnavalkya seinem ersten Gegner vorgetragen hatte. Diese lag auch Pravähanas Kosmologie zugrunde, der den „Götterweg" über Sonne und Mond zu brahman von dem „Ahnenweg" der Wiedergeburt unterschied (ChUV,10,2 und 4; B 254). Yäjnavalkya aber erwähnte hier den Raum nicht, der für Pravähana grundlegend gewesen war. Vielleicht darf man diesen Lehrtext des Yäjnavalkya als dessen Kosmologie mit Wasser (2), darauf schwimmender Erde (1) und darüber dem Luftraum (4) und den Himmeln von dem der Gandharven, der Sonne, des Mondes, der Sterne, (5-8) und der Götter unter Indra, Prajäpati und brahman (Brahma) (9-12) auffassen. Dies sieht nach einem Weltbild von Schamanen aus, die ihre Seele vom Körper lösen und in diese neun oder zehn Himmelsstockwerke schicken können, um etwa die Seele eines Kranken von dort in den Leib zurückzuholen.114 Dieser magisch-mythologischen bzw. hinduistischen Kosmologie können wir noch keine astronomische oder hylozoistische des damaligen Indien gegenüberstellen. 9*

131

3.1.7.

Uddälaka (BU 111,7; B 206ff.)

Uddälaka stellte Yäjnavalkya als dessen siebenter Gegner in BU 111,7 wie Artabhäga zwei Fragen, die dem Idealisten die Gelegenheit gaben, seine Auffassung des Alls und damit die seiner Philosophie überhaupt in seiner Weise darzulegen. Ob Uddälaka oder der Redaktor des Textes dies beabsichtig hat ? Er fragte erstens nach dem Faden, der Dies- und Jenseits und alle Wesen (s.u.) zusammenbindet. Er knüpfte damit ein wenig an die kosmologische Frage der Gärgl an. Yäjnavalkya erklärte, daß der Wind erstens beide Welten zusammenbindet. Die Theologen sahen den Wind ja allgemein als die Gottheit des Luftraums zwischen Erde und Himmel an, ohne ihn aber als solchen kosmologischen Faden zu kennzeichnen. Auch die Atemwindmagier taten dies nicht. Diese wären aber wohl damit einverstanden gewesen, daß der Atem als mikrokosmisches Band der Glieder der Wesen, insbesondere des Menschen aufgefaßt wurde wie hier von Yäjnavalkya im zweiten Teil seiner Antwort. Uddälaka selber faßte in seinem 8. Abschnitt den Atem als Band zwischen Denken (und Leib ?) auf; dies sprach er aber hier Yäjnavalkya gegenüber nicht aus, nahm jedoch hier Yäjnavalkyas Antwort ausdrücklich an. Dieser berief sich für seine Auffassung auf die Redensart, daß die Glieder des Sterbenden sich gelöst haben (weil der Atem ihn verlassen hat). Vom Rgveda an ist dieser Begriff der Gliederlösung belegt. 115 Uddälaka fragte zweitens nach dem „inneren Lenker" 116 . Er hat in seinem eigenen Lehrtext als Hylozoist sein Seiendes, diese Gottheit, oder das Lebeselbst nicht als solchen Lenker in der materiellen Welt bezeichnet, aber er entgegnete Yäjnavalkyas idealistischer Darlegung nichts. Er gab diesem mit seiner Frage nach solch einem Lenker wie Artabhäga im Grunde nur ein Stichwort für dessen Meinung, und zwar ein entscheidendes. Yäjnavalkya antwortete zunächst mit einer wieder schwer verständlichen Zwölferreihe kosmologischer Begriffe: Der unsterbliche innere Lenker (Geist-ätmanbrahman) lenkt (die Natur, nämlich) 1. die Erde von innen als deren Selbst, sie aber ist dessen Leib; ebenso lenkt er 2. die Wasser, 3. das Feuer, 4. den Luftraum, 5. den Wind, 6. den Himmel, 7. die Sonne, 8. die Himmelsrichtungen, 9. Mond und Sterne, 10. den Raum, 11. die Finsternis und 12. den Glanz (tejas, Glut). Von diesen gehören 1 (Erde), 2 (Wasser) und 5 (Wind) zusammen wie in Yäjnavalkyas Antwort an Gärgl als seine drei ersten kosmologischen Begriffe; es gehören weiter die fünf ersten als die fünf Elemente zusammen, wobei Luftraum für Raum steht; er stellte als erster diese fünf Elemente zusammen. Die drei Paare 1 und 3 (Erde-Feuer), 4 und 5 (Luftraum-Wind) und 6 und 7 (Wind und Himmel) gehören als die drei Welten und deren Gottheiten gemäß den vedischen Theologen und schließlich 7 und 9 (Sonne und Mond-Sterne) wie Gärgis 6-8 zusammen. Der Raum (10), dieser Begriff Pravähanas, ist als größer als 8 (Himmelsrichtungen) anzusehen. 12 (Glanz, tejas) entspricht Uddälakas erstem Element, Glut, ist aber von 3 (Feuer), 7 (Sonne) und 9 (Mond und Sterne) zu unterscheiden; 11 (Finsternis) ist das übliche Gegenteil von 12 (Glut-Glanz); so soll z.B. der Opferherr, während der prastotr das säman singt, murmeln: Führe mich vom Nichtseienden, Tod und Finsternis zum Seienden, Unsterblichkeit und Licht (BU 1,3,28). Soweit handelt es sich hier bei Yäjnavalkya um den makrokosmischen Bereich der Gottheiten. In mittleren Bereich der Wesen (bhüta) wirkt der innere Lenker in analoger Weise in allen Wesen, ohne daß Einzelheiten angegeben würden. Im mikrokosmischen Bereich des Menschen und des Selbst aber wirkt der innere Lenker in Atem, Rede, 132

Sehen, Hören, Denken (samt Wünschen), Haut, Erkennen und Samen. Dieses sind acht Begriffe, die den acht „Greifern" Yäjnavalkyas in seiner Antwort auf Artabhägas Frage ähnlich sind. Von jenen fehlen hier Zunge und Hände; dafür sind Erkennen und Same hinzugefügt. Damit ist die wichtige Viererreihe Sehen, Hören, Denken und Erkennen erreicht, die von Yäjnavalkya als Antwort auf Usastas Frage gelehrt worden war. 117 Wie dort betonte der agnostizistische Idealist auch hier, daß das Subjekt (Seele, Bewußtsein) dieser vier ideellen Prozesse nicht mittels dieser, mit Sehen usw., erkennbar ist, und betonte damit den idealistischen Dualismus von Leib und Seele, Materiellem und Ideellem, der sich u.a. gegen die allgemeine Meinung, insbesondere gegen die Atemr Wind-Mythologie der Atemwindmagier, aber wohl kaum gegen den unerkannten Hylozoismus des Uddälaka stellte. Für Uddälaka war solche Kosmologie unwichtig; ihn interessierten in seinem 4. Abschnitt nur die vier Lichter. Er stimmte aber hier seinem Gegner stillschweigend zu. E r erklärte indessen zu Anfang ähnlich wie Bhujyu, er stelle zwei Fragen, die ein Geist einst gestellt habe; dieser habe behauptet, wer sie beantworten könne, sei ein Wisser des brahman, der Welten, Götter, Veden und Wesen, des Selbst, des All. Er, Uddälaka, wisse die Antworten auf beide Fragen. Wenn er sich dann am Ende mit der Antwort des Idealisten zufrieden gab, so erkannte er im Grunde nur an, daß dieser wußte, was jener Geist gelehrt hatte; nicht aber stimmte er als Materialist dem Idealisten zu. Der grundlegende Gegensatz der beiden ersten Philosophen Indiens wurde erst in unserer Epoche des Übergangs zur klassenlosen Gesellschaft erkannt. Uddälaka ahnte wohl, daß er sich an Janakas Hof nicht vom Idealismus oder von der pantheistischen Erlösungsreligion distanzieren durfte. Yäjnavalkya stellte hier zwischen den makro- und mikrokosmischen Bereich in einem einzigen Satz den der Wesen (bhüta). Dachte er dabei an Tiere und Pflanzen oder Geister oder an alles Gewordene im Gegensatz zum „ungeborenen" ätman-brahman, das nicht werden kann, weil es schon da ist (jäta, geboren ist), wie Yäjnavalkya ganz am Ende dieser Disputation betonte ? Wenn er hier Lebewesen meinte, war dies die Entdeckung eines biologischen Bereichs zwischen Natur und Mensch, eine wissenschaftliche Leistung des Idealisten 118 , aber der Materialist Uddälaka hatte in seiner Frage an den Idealisten diese Wesen schon zwischen Dies- und Jenseits und den Wisser der Wesen zwischen den der Veden und des Selbst gestellt (s.o.). Die Entdeckung dieses Bereichs war also vielleicht schon damaliger Biologie gelungen. Sie blieb dann aber ohne Folgen, weder für die Naturwissenschaften, für die Entwicklung einer Biologie, noch für die Philosophie des alten Indien. Sanatkumära freilich stellte später mit noch unverstandener Absicht das Wesenwissen zwischen Götter- und Brahmanwissen einerseits und Ksatra- und Sternwissen andererseits (ChU VII,1,2 und 4; B 297).119 Wie dem auch sei, der Hylozoist hat hier dem Idealisten vermutlich bewußt zunächst die Frage nach dem Faden gestellt, in der er seinem Gegner ausdrücklich zustimmen konnte, dann die Frage nach dem inneren Lenker, in deren Beantwortung sich Materialisnus und Idealismus unterschieden. Er hätte hier auf den grundlegenden Unterschied des alle Umwandlungen der Materie in Natur und Mensch (von innen) lenkenden Lebeselbst des Seienden, des lebenden Urstoffs, und des geistigen inneren Lenkers in der materiellen Welt, in Natur und Mensch, hinweisen müssen, sollen oder können, wenn er es gekonnt oder gewollt hätte. Damit hätte er seinen Materialismus gegen Yäjnavalkyas Idealismus abgegrenzt. Ebenso hätte Yäjnavalkya in dieser Disputation auf den hier sachlich vorliegenden, aber nicht behandelten Unterschied der beiden Grund133

richtungen der Philosophie hinweisen sollen. Tatsache ist nach der Upanisad nur, daß der Materialist dem Idealisten die entscheidende Frage nach dem Primat, der Lenkungsrolle, von Materie oder Geist stellte und zu dessen idealistischer Antwort schwieg, als gestände er das Mehrwissen des Idealisteil, wie er bei König Praväharias Darlegung der Wiedergeburtslehre schwieg, in beiden Fällen wohl aus politischer Klugheit. Er konnte sich nicht einmal darauf berufen, daß es in diesem altertümlichen Typ der Diskussion nur um das Mehr-, nicht das Besserwissen ging. Auch die anderen Unterredner hörten nach Beantwortung ihrer Frage stillschweigend auf. Vermutlich hat Uddälaka gerade deswegen seine beiden Fragen einem Gandharven, einer von diesem besessenen Frau, in den Mund gelegt. Diese Unterredung der beiden philosophischen Gegner wird aber in der BU, in Yäjnavalkyas Text, dargestellt; sollte also der Idealist es gewesen sein, der auf den Gedanken kam, seinen materialistischen Gegner als einen so klugen Frager darzustellen ? Oder t a t dies der Redaktor dieses Textes, der die ältere Version dieser Disputation, die im SB (s.o.), bedeutend erweiterte und der ein Theologe des beginnenden Hinduismus gewesen sein muß ? Einstweilen ist ein Ende solcher Fragen noch nicht abzusehen, zumal das bewußte Unterscheiden der beiden Grundrichtungen der Philosophie erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte geleistet wurde, man bei allen betreffenden Texten also nach der Höhe des Bewußtseins dieser Unterscheidung fragen muß, in dieser alten Upanisad aber nicht allzu viel erwarten darf, falls ihr Text getreu überliefert ist.

3.1.8.

Gärgi (BU 111,8; B 210ff.)

Gärgl ergänzte ihre kosmologische Frage von BU 111,6 (B 205 ff.), worin das All bis zum Brahmanhimmel hin verwebt ist, obgleich Yäjnavalkya ihr dort gedroht hatte, man dürfe über den Brahmanhimmel nicht hinausfragen, hier dennoch mit der Frage, was oberhalb des Himmels, unterhalb der Erde und zwischen beiden ist, was man das (bisher) Gewordene, Werdende und Zukünftige nennt: In was ist dieses verwebt ? Antwort: in den Raum. König Pravähana hatte (wohl kurz vorher) den Raum in ChU 1,9,1 (B 257) als größer als Himmel und Erde und. als alles (andere) Gewordene, also fast als ein Raumhylozoist gekennzeichnet, hatte aber in ChU V,10 (B 253f.) den Himmel des brahman als den höchsten verherrlicht und daneben den Raum als das, was man sonst Luftaum nannte, gestellt, ohne das kosmologische Verhältnis von Raum, Luftraum und Brahmanwelt zu klären. Er gelangte zu keinem Raumhylozoismus. Dies macht uns Gärgis Unklarheit verständlich. Hinzu kommt der Begriff Himmelsrichtungen (disas), der in AU 11,4 (B 265) mit dem Gehör zusammengestellt ist, vermutlich weil sie als Träger des Schalls aus allen Himmelsrichtungen zum Ohr galten wie späteren Philosophen der als fünftes Element aufgefaßte unendliche Raum. Yäjnavalkya fuhr eher als Mystiker denn als Idealist fort: Der (materielle?) Raum sei einerseits in das, was Brahmanen das (ideelle) Unvergängliche nennen, verwebt. Belege für solche Brahmanen haben wir noch nicht. Ein unendlicher (materieller) Raum kann natürlich nicht in ein noch ausgedehnteres Ideelles verwebt sein. Besser ist es, wenn Yäjnavalkya den Raum und das Unvergängliche einander gegenüberstellte und dieses durch eine Reihe von Negationen verherrlichte, d.h. den Geist von allem Bekannten (sinnlich und wissenschaftlich) Erkennbaren unterschied, aber nicht als ideell, 134

sondern als das, was (im Gegensatz zu Sändilyas mystischer coincidentia oppositorum im brahman) 1 2 0 nicht grob, nicht fein, nicht kurz, nicht lang, nicht rot (wie Feuer), nicht anhaftend (wie Wasser), ohne Spiegelbild oder Schatten (in denen Animisten wie Gärgya in K U IV Geister sahen), nicht Wind, nicht Raum ist (Wind und Raum hatte ein Atemwindmagier in SB X,3,5 (B 95f.) als die beiden Weltkräfte zusammengestellt), was ohne die fünf Sinne, Rede und Denken (also ist das Unvergängliche nicht ideell?), ohne Glut (aber Finsternis wird nicht genannt, s.o.), ohne Atem, Mund oder Maß, ohne Innen oder Außen ist; nicht ißt es und wird nicht gegessen (d.h., das brahman ist weder ideelles Subjekt (?) noch materielles Objekt, der Gegensatz beider ist nur Schein ?), es hält (als der innere Lenker, s.o.) Sonne und Mond, Himmel und Erde dauernd getrennt. So sondert es auch ständig alle Zeiteinheiten vom Augenblick über Stunden, Tage und Nächte, Halbmonate, Monate und Jahreszeiten bis zum Jahr. Es lenkt die Flüsse nach Osten und Westen (von diesen sprach auch Uddälaka in seinem 10. Abschnitt) und nach irgendeiner anderen Richtung. Es sorgt dafür, daß die Menschen die Schenkenden (die die Brahmanen beschenkenden gläubigen Menschen) preisen, daß die Götter und die Ahnen von Spenden (der Menschen) abhängig sind (daß die Menschen sich in die gesellschaftliche und kosmische Ordnung einordnen). Nur wer dieses Unvergängliche weiß, ist ein (echter, mystischer) Brahmane und stirbt selig. Ohne dieses „Wissen" (Glauben) nützen Opfer und Askese nichts. Dieses Unvergängliche, schließt der Mystiker als Idealist, ist das Sehende, Hörende, Denkende und Erkennende, ohne selber gesehen, gehört, gedacht oder erkannt zu werden. So endet Yäjnavalkyas Kosmologie bzw. idealistische Ontologie (Naturphilosophie) über asketische Ethik in agnostizistischer Erkenntnistheorie, die er mit seiner Mystik aufhob. Er betrieb diese drei Disziplinen der Philosophie ohne bewußte Unterscheidung wie Uddälaka. Gärgl hatte am Anfang ihre theologische Frage für entscheidend erklärt, hatte sie also nach der Absicht des Redaktors des Textes für wichtiger als die vorangegangenen Fragen Uddälakas gehalten. Sie erklärte nach Yäjnavalkyas Antwort, nach dieser Darlegung seines Idealismus, Yäjnavalkya für den künftigen Sieger in dieser Disputation und behielt recht. 3.1.9.

Vidagdha (BU 111,9; B 213ff.)

Als letzter fragte Vidagdha in BU 111,9 (B 213ff.) in einem uns unverständlichen theologischen Kapitel zunächst nach den Zahlen der Götter, die von 3306 bis auf einen einzigen abnehmen, ohne daß dafür ein Grund angeführt würde. Man denkt an Texte wie RV 1,164,46 (B 21), daß die Priesterdichter das einzige Seiende mit den Namen vieler Götter, wie Indra, Mitra usw., benennen. Yäjnavalkya antwortete nach der angeblichen „Götterliste", also als Theologe, z.T. mit kosmologischen Gedanken, die diese Disputation beherrschen. Danach sind z. B. Feuer und Erde, Wind und Luftraum, Sonne und Himmel die sechs Götter, aber samt Mond und Sternen sind diese sechs die acht Vasugötter. Als die zwei Götter werden Essen und Atem genannt, über die Prätrda in BU V,12 (B 135 f.) grübelte. Als anderthalber Gott wird der Wind, als der eine Gott wird der (materielle?) Atem angeführt, der dem brahman gleichgesetzt wird, 121 etwa im Sinne einiger Atemwindmagier. Zweitens fragte Vidagdha Yäjnavalkya nach allerhand Geistern, die z. T. wie die des 135

Echos, Schattens und Spiegelbildes (BU 111,9,13-15) auch bei dem Animisten Gärgya (BU 11,1,11,12 und 14; B 315) und bei Yäjnavalkya (BU 111,9,13 ff.; B 216) vorkommen, die beiden letzten auch in Yäjnavalkyas Antwort an Gärgi (BU 111,8,8; B 212). Zusammen mit diesen Geistern (purusa, Männer) wird der „leibliche Mann", die Seele, der Geist im Leibe, behandelt (vgl. Gärgya in BU 11,1,15; B 316), dessen (materielle) Grundlage die Erde, dessen Welt das Feuer, dessen Licht das Denken ist; er ist zu unterscheiden von dem Leibesselbst, das nach Yäjnavalkya in BU IV,2,3 (B 228); 3,11 (B 231); 3,35 (B 236) den Leib selber meint, in dem das Erkenntnisselbst weilt. Wie Vidagdha glaubte auch Dadhyanc an einen „leiblichen Mann" (BU 11,5,1). - Drittens werden Vorstellungen aneinandergereiht, die an die kosmologische Lehre in der Denkrichtung der Theologen des Herzens erinnern, an das Herz als das materielle-mystische Zentrum des Alls, und an die „Götteröffnungen" des Herzens (ChU 111,13; B 159f.), die Himmelsrichtungen, die subjektiven Lebenskräfte und deren objektive Gegenstücke. Als die Gottheit des Südens aber wird statt dem Mond der Tod genannt, als die des Zeniths statt Wind und Raum das Feuer, das sich auf die Rede (diese Lebenskraft) und damit auf das Herz in uns stützt. Wir und das Selbst sind auf den Atem gestützt. Dieses Selbst ist abschließend nach Yäjnavalkya hier wie auch sonst manchmal nur negativ als nicht greifbar, unzerbrechlich, unverbunden (nicht wirklich mit dem Leibe bzw. der Natur verbunden), nicht schwankend und keinen Schaden nehmend zu charakterisieren. Dieses Selbst ist ja für Yäjnavalkya das Unvergängliche, der innere Lenker, das unerkennbare ewige Subjekt, Geist, Bewußtsein. Dies sagte Yäjnavalkya hier aber nicht, fragte vielmehr jetzt seinerseits den Vidagdha nach dem „Upanisadmann". Vidagdha „wußte" zwar, wie der Text zeigt, die orthodoxe Theologie und daß AtemWind, diese Urkräfte der Atemwindmagier, brahman sind, und er „wußte" die Herztheologie, die Yäjiiavalkya voranging. Er wird damit als der „Wissendste" der Gegner hingestellt, aber er „wußte" weniger als Yäjnavalkya, und sein Kopf zersprang als magische Strafe. Er „wußte" Yäjnavalkyas Upanisadmann nicht, wußte den neuen Idealismus-cumMystik nicht, und Yäjnavalkya fragte alle diese bisher schon niedergeredeten Brahmanen in sieben Strophen nach dem Baum, der lebt wie der menschliche Leib; wenn der gefällte Baum aus seiner Wurzel neu wächst, wie wächst der gestorbene Mensch wieder ? Yäjnavalkya wollte nicht die Antwort, daß er aus dem Samen (des Vaters) wiedergeboren wird wie der Baum. Er meinte vielmehr die Wiedergeburt dank der Tatvergeltung und Seelenwanderung, dieses ewige Leben des seit Ewigkeit geborenen Geistes, der deswegen an sich nicht geboren werden kann (wohl aber als die Einzelseele in ihren Wiedergeburten). Diese seine emphatische Behauptung über den ewigen Geist ist das idealistische Gegenstück zu Uddälakas hylozoistischer Frage in seinem 3. Abschnitt, wie denn das Seiende aus einem Nichtseienden entstehen könne, in seiner Kosmogonie, die er nicht ausdrücklich mit der Ewigkeit des Seins des Seienden kombinierte. Brahman ist Erkenntnis und Wonne, versuchte dann Yäjnavalkya seine eigene Definition des Bewußtseins. Seine pathetische Lyrik über den Baum und dessen Wiedergeburt steht Uddälakas liebevoller Schilderung des saftstrotzenden Baumes in seinem 11. Abschnitt gegenüber, der stirbt, ohne daß das Leben stürbe. Yäjnavalkyas Hinweis auf den Samen aber steht neben Uddälakas Hinweis (im 12. Abschnitt von dessen Unterweisung) auf den Feigenkern, aus dem der Baum neu entsteht. Aber er hat als Idealist nicht bemerkt, daß Mensch und Baum zwar beide aus Samen geboren werden, daß aber das Neuausschlagen eines Baumes aus seiner Wurzel keine Geburt ist und keine Parallele 136

beim Menschen hat, so wenig es eine Wiedergeburt des Menschen gibt. Mit seiner Analogie des Baumes konnte der Idealist dementsprechend keinen Wissenschaftler oder Materialisten zu seinem Glauben bekehren.

3.1.10.

Schlußbemerkung

Vidagdha Öäkalya war im Urtext dieser Disputation in SB XI,6,3 (B 125ff.) der einzige Unterredner Yäjnavalkyas gewesen, und zwar in einem sehr kurzen Dialog über die abnehmenden Zahlen der vielen Götter von dreitausenddreihundertundsechs bis auf den Atem als den einen Gott. Darin fehlen u.a. noch die sechs und acht Götter. In der Upanisad liegt uns eine sehr erweiterte Redaktion dieser Disputation vor, wie auch von den Texten Asvapatis, Pravähanas und Sändilyas in Brähmanas und Upanisads abweichende Versionen vorliegen, in der Upanisad überarbeitete, in diesem Sinne vielleicht unechte. Anders liegt es, wenn Varuna seinen Sohn zweimal unterweist, in SB XI, 6,1122 vollständig anders als in TU 111,1-10 (B 291 ff.), beides können ja nur Fiktionen sein. Warum aber soll dem Yäjnavalkya in dieser großen Disputation etwas untergeschoben worden sein, was er nicht selber gelehrt hat ? Steht hier vielleicht etwas im Widerspruch zu seinem sonst überlieferten Idealismus ? Kann er nicht die alte Version selber bearbeitet haben? Gilt dies auch für Sändilya, Asvapati undPravähana, ja auch f ü r U d d ä laka, von dessen Unterweisungen wir nur keine ältere Version gefunden haben ? Bei der Redaktion in der BU wurde der polytheistische Theologe Vidagdha, dem der Kopf zersprang, zum wissendsten Frager, zum letzten. Ihm wurde am Anfang der hotr-Priester und Theologe Asvala als erster Frager gegenübergestellt; dieser war immerhin damit einverstanden, daß Yäjnavalkya dem udgätr-Priester den Atem, dem brahman-Priester aber das unendliche Denken zuordnete, und er sprach immerhin schon von Erlösungen. Die Frage jedes folgenden Disputanten hängt mehr oder weniger mit der des vorangegangenen Fragers zusammen, ohne daß diese Abfolge der Fragen bisher eine Systematik des Idealismus und seiner Disziplinen erkennen ließe. Indessen werden die Hauptfragen der Ontologie (Kosmologie), Erkenntnistheorie und Ethik Yäjnavalkyas beantwortet. Das Hauptthema ist im Grunde die mythologische Kosmologie, auf die Yäjnavalkya bei jedem Frager irgendwie zu sprechen kommt, und auch die religiöse Frage nach Tod, Unsterblichkeit und Erlösung spielt eine große Rolle. Yäjnavalkya wollte eben als Theologe diesen Glauben propagieren und dafür das Verhältnis von Weltall und Ich in seiner Weise klären; ihm war seine Entdeckung, die idealistische Philosophie, eine Dienerin der Theologie. Keiner der gelehrten Brahmanen „wußte" diesen Idealismus.

3.2. I I . Unterweisung: Erster Dialog Y ä j n a v a l k y a s mit J a n a k a über das b r a h m a n (BU IV, 1 - 2 ; B 222ff.) Yäjnavalkya ging einmal „feiner" Fragen wegen zu Janaka, d.h., um zu diskutieren. Er ließ den König zunächst berichten, was andere (Theologen) ihm gesagt hätten, ohne das Thema auf das brahman, d. h. auf seinen Idealismus, zu begrenzen. Er wollte diese anderen dann wohl so überbieten wie die Frager in der I. Unterweisung. Der König berichtete ihm von sechs Brahmanen, die ihn gelehrt hätten, das brahman mit je einem 137

der fünf Lebenskräfte Rede, Atem, Sehen, Hören und Denken und mit dem Herzen zu identifizieren. Etwas früher hatte König Asvapati in ÖB X,6,l (B 105ff.) sechs Brahmanen nach dem Allmännerfeuer und in ChU V, 11-24 (B 271 ff.) nach dem Allmännerselbst gefragt und ihnen am Ende sein Mehrwissen, nicht sein Besserwissen dargelegt. Wie Janaka dem Yäjnavalkya von den Anschauungen der sechs Brahmanen berichtet, so ließ später Buddha König Ajätasatru von Magadha über dessen seohs Lehrer berichten, um ihn dann selber zu belehren (DN II). 123 Dies war damals offenbar eine praktisch geübte oder zumindest literarisch übliche Form der Diskussion. In Yäjnavalkyas großer Disputation war Vidagdha der letzte, gelehrteste Brahniane gewesen, der am Ende das Herz als die Grundlage von allem herausstellte. Ähnlich trat er hier als sechster und letzter Lehrer auf, der das Herz als das brahman ansah. Die Auffassung des brahman, die jeder der sechs dem König dargelegt hatte, war dem Yäjnavalkya recht, wenn auch ihm als dem Mehrwissenden nicht ausreichend, so waren die Anschauungen über das Allmännerfeuer dem mehrwissenden Asvapati im Brähmana und die über das Allmännerselbst in der Upanisad recht gewesen. Mythologischer Ausgangspunkt aller dieser Begriffe und Vorstellungen war der Urriese (purusa) des R V X , 9 0 (B 23ff.), der wie letztlich der indoeuropäische Ymir geopfert wurde, wobei die Teile der Welt aus seinen Gliedern entstanden. Purusa bedeutete im Rgveda neben Mensch auch Geist in Pflanzen im Sinne des Animismus, in Brähmanas und Upanisads nicht nur in Pflanzen. In dieser rgvedischen Kosmogonie kann von Idealismus natürlich noch keine Rede sein, aber sie war dessen Vorläufer. Am Ende der I. Unterweisung hatte Yäjnavalkya den Vidagdha nach dem Upanisadmann (purusa) gefragt; die Antwort darauf gab er in dieser II. Unterweisung in Übereinstimmung mit seinen Schlußworten in der großen Disputation. Er meinte als Idealist hier wie dort das ätman-brahman als den reinen ewigen Geist. Darauf war es ausgerichtet, daß er die sechs Brahmanen keine makrokosmischen-materiellen Größen darlegen ließ, sondern mikrokosmische, die er als ideelle auffaßte, ohne dies indessen ausreichend klarzustellen. Wenn der 1. Brahmane das Reden, der 3. das Sehen und der 4. das Hören mit dem brahiüan gleichsetzten, so können wir für solche Auffassungen des brahman noch keine weiteren Belege anführen. Diese Angaben bleiben für uns damit einstweilen etwas fraglich. Daß das brahman aber mit dem Atem und Denken identifiziert wurde, wie hier vom 2. und 5. Brahmanen, läßt sich mit Vidagdha in der I. Unterweisung und mit einem Grübler über das Denken in ChU 111,18 (B 187f.) belegen. Dieser faßte Rede, Atem, Sehen und Hören als Viertel des Denkens bzw. des brahman auf, ähnlich wie Satyakäma Atem, Sehen, Hören und Denken als die Viertel des brahman verstand (ChU IV,8,3; B 192). Satyakäma trat in dieser II. Unterweisung als der 5. Brahmane auf und deutete das brahman als Denken. Bei der damals nur mündlichen Lehre und Überlieferung ist solche leidige Ungenauigkeit verständlich. Yäjnavalkya lehnte keine dieser sechs Deutungen des brahman ab, faßte sie wohl gemäß dem Prinzip des Mehrwissens als Teillösungen seines Problems auf. Er erklärte den (makrokosmischen) Raum als den Stützpunkt aller dieser sechs mikrokosmischen Größen, dazu wohl von Pravähanas Raumlehre angeregt. Jede von diesen soll als etwas „verehrt", d.h. als hoher Wert aufgefaßt werden, nämlich als - der Reihe nach - Verstehen (prajnä), Liebes, Wahres, Unendliches, Wonne und Feststehen, denn reden tut man mit Verstand, Atem-Leben ist lieb, wahr ist das Sehen, man hört unendlich (aus allen Himmelsrichtungen), Wonne ist das Denken, und im Herzen ist alles fest gegründet. 138

Janaka und Yäjnavalkya hatten gegen diesen theologischen moralisch-mythischmystischen Wirrwarr nichts einzuwenden. Yäjnavalkya aber lehrte den König weiter im Grunde ohne inhaltliche Überleitung den Totenseelenweg, ausgehend vom Mikrokosmos des Herzens und übergehend zum Makrokosmos. Vidagdha hatte eben Janaka belehrt, wer das Herz, es - wie der Herzmystiker - als brahman „wissend", verehre, gehe, zu brahman geworden, zu brahman ein. Mit diesem Satz stand er zwischen Pravähana, der den Wissenden zur Brahmanwelt gelangen ließ (ChU V,10,2; B 253f.), und Yäjnavalkya. Dieser lehrte jetzt: Im rechten Auge ist der „Mann" (einer der vielen Geister, von denen später Gärgya in K U IV, 17 (B 316) und schon vor Yäjnavalkya ein Theologe in SB X,5,2,8f. (B 71 f.) sprachen) der Gott Indra, eigentlich Indha (s.o. Usasta in BU 111,4; B 202ff.). Im linken Auge ist seine Frau Virät (statt Indräni), beide vereinigen sich in Liebe im Raum des Herzens; ihr Weg von da nach oben sind die „feinen" Adern, Indras sechs (mikrokosmische) Lebenskräfte (wohl die sechs, die von jenem Theologen mit brahman identifiziert wurden) sind die sechs (makrokosmischen) Himmelsrichtungen (vier, O-S-W-N, plus unten und oben). Damit wird dieser „Mann" unausgesprochen als das All und damit als das brahman hingestellt. Vor Yäjnavalkya hatte ein Herztheologe dem Herzen fünf „Götteröffnungen" zugeschrieben („unten" fehlt hier noch als sechste: ChU 111,13; B 159f.). Gegenüber Vidagdha hatte Yäjnavalkya am Schluß der I. Unterweisung eine ähnliche Kosmographie vorgetragen, und analog wiederholte er hier in seiner II. Unterweisung die negative Beschreibung des brahman als ungreifbar usw. aus dem Schluß der I. Unterweisung. So hängen beide Unterweisungen vielfach zusammen; die II. geht über die I. in Theologie und Idealismus im Grunde nicht hinaus.

3.3. I I I . Unterweisung: Zweiter Dialog Y ä j n a v a l k y a s mit J a n a k a (BU I V , 3 - 4 ; B 229ff.) Janaka hatte Yäjnavalkya in ÖB XI,6,2 (B 121ff.) über die Wiedergeburt im Sohn belehrt und damit das Hecht auf eine Frage an den Idealisten als Gegengabe erworben. Darauf berief er sich und fragte ihn eines Tages ganz kurz, was der Mensch als Licht habe. Yäjnavalkya führte ihm in seiner Antwort die Fünferreihe Sonne, Mond, Feuer (des Herdes), Rede und endlich das Selbst als Lichter an, und zwar in einer poetischen Schilderung des Übergangs vom Tag mit seiner Sonne und dem Handeln des Menschen zur Nacht mit ihrer Ruhe und dem Mond. 124 Wenn am Ende Sonne und Mond untergegangen sind, das Feuer verloschen und die Rede verstummt ist, leuchtet dem Menschen sein Selbst, der aus Erkennen bestehende „Mann", das Licht in seinem Herzen. Fast ein Jahrtausend später ließ Kälidäsa in seinem Versepos in neuer Weise und ohne solche Lichtmystik Siva der Pärvati den Übergang von Tag zu Nacht in klassischer Naturlyrik schildern. Drei, vier oder fünf dieser Lichter hatten in den Kosmologien der Theologenrichtungeri und auch bei Uddälaka in dessen 4. Abschnitt eine bedeutende Rolle gespielt, das Opfer-, Herd- und Leichenfeuer, Sonne und Mond schon im Kult des Rgveda. In solchen Kosmologien war aber kein Platz für das Selbst gewesen; dieses dürfte vor Yäjnavalkya nicht als solches Licht aufgefaßt worden sein. Dessen Vorgeschichte kann von dem Denken (manas) ausgehen. Von diesem war u.a. schon in RV VI,9,5f. als dem dauernden Licht im Herzen die Rede und ähnlich in anderen Texten. 125 Janaka hatte 139

Yäjnavalkya gegenüber schon in SB XI,6,2 (B 121 ff.) in seiner Wiedergeburtslehre Leichenbrand, Sonne und Mond als Feuer behandelt. Jetzt aber fragte er den Idealisten mit geradezu erkenntnistheoretischer Absicht nach dem Licht des Menschen. Ohne Licht kann man nicht sehen. Janaka war vielleicht von Vidagdha am Ende der ersten Unterweisung angeregt; dieser hatte dort von den verschiedenen Geistern der Animisten ausgesagt, daß ihr Licht das (ihr?) Denken sei. In der zweiten Unterweisung Yäjnavalkyas hatte keiner der Brahmanen das brahman mit Licht identifiziert. Auch Vidagdha war nicht auf die Lichter zu sprechen gekommen; dieser fußte aber auf dem alten Lehrer der „Götteröffnungen" des Herzens, der das Licht jenseits des Himmels mit dem im Menschen gleichgesetzt hatte (ChU 111,13). Yäjnavalkya definierte jetzt dieses Selbst als Licht im Herzen, als den „aus Erkenntnis bestehenden Geist" in den Lebenskräften. In diesem Begriff sind die beiden Begriffe des Geistes-Bewußtsein (vijnäna-Erkennen) und des animistischen Geistes zusammengestellt, eine kühne Kombination des au Idealismus vorstoßenden Theologen, ein notwendiger Schritt in der Geschichte der Philosophie. Er hatte diesen Geist schon in der I. Unterweisung Uddälaka gegenüber als den unsterblichen inneren Lenker im Denken und in den anderen Lebenskräften von diesen unterschieden und ihn geistreich-idealistisch als den ungedachten Denker, den einzigen Denker und Erkenner, als den Denker des Denkens, den man nicht denken kann, aber noch nicht als Erkenntnisgeist charakterisiert. Damit stellte sich der Idealist, ohne es auszusprechen und vielleicht ohne es zu merken, gegen Uddälaka, der das Denken als Produkt des Essens aufgefaßt hatte, aber auch gegen die Atemwindmagier, die das Denken aus dem Atem hervorkommen und in diesen wieder eingehen ließen und den Atem damit als weit lebenswichtiger als das Denken und die anderen Lebenskräfte bewerteten. Sie erkannten - im Gegensatz zu Yäjnavalkya - ebensowenig wie Uddälaka eine Seele im Leibe an. Wie diese seine beiden Gegner analysierte Yäjnavalkya Schlaf und Sterben, begann aber mit dem von diesen noch nicht behandelten Traum. Die Traumlehre sollte nicht etwa den Idealismus als einen subjektiven einleuchtend machen, nicht als Analogon zur Traumwelt auch die Wachwelt als eine Illusion hinstellen. Im Traum geht nach Yäjnavalkya die Seele in ein Grenzgebiet zwischen der Wachwelt des Diesseits und dem Tod, dem Jenseits, in eine sozusagen so schmale dritte Welt, daß die träumende Seele von ihr (vom Horizont ?) aus diese beiden Welten sehen kann; dort erbaut sie sich bei ihrem eigenen Licht (d.h. mit ihrem eigenen Geist, s.o.) ihre (subjektive) Traumwelt mit (objektivem) Material (? mäträ, s.u.), das sie aus der Wachwelt (mit-)genommen hat, also eine Illusion mit realen Inhalten. Einen entsprechenden Illusionismus lehrte Yäjnavalkya aber über die Wachwelt nicht. Er zitierte dazu Verse, die das Träumen als solches Bauen (Machen, kr), zugleich aber als eine Traumwanderung der Seele in die nähere oder fernere Welt schildern, wie es urgesellschaftlich vorarische Schamanisten lehrten; 126 aber auch Indoeuropäer glaubten anscheinend an Traumwanderung der Seele in wirkliche Gegenden, wie die germanische Sage von König Guntram erzählte. Die Verfasser dieser von Yäjnavalkya zitierten Verse, vedische oder hinduistische Theologen, haben wohl zugleich solche vorarischen Vorstellungen ebenso wie den diesen verwandten Glauben an Seelenwanderung in der Wiedergeburt übernommen. Yäjnavalkya aber wollte als Theologe die Traumwelt, die nur der einzelne Träumende erlebt, von der Wachwelt und der Himmelwelt, die alle Lebewesen gemeinsam erleben, unterscheiden und als Realität besonderer Art, als subjektives Erleben (Erkennen) einer der

Wachwelt individuell nachgebildeten, zeitweiligen, realen dritten Welt hinstellen, ohne diese Problematik als Idealist eingehend zu klären. Er schwieg darüber, ob Traumerlebnisse wichtig wären, weil sie ihm wie den Voräryas als prophetisch galten. Vielleicht behandelte er den Traum gerade, um solchen gentilen Aberglauben, der z. T. im Traumorakel der Vindhyaväsini 127 im Hinduismus weiterlebte, durch Totschweigen abzulehnen. Die Traumwelt legte er in dieser sehr eigenwilligen Kosmologie dieser drei Welten mythologisch nicht sehr genau fest, wohl am Horizont zwischen Erde und Himmel, und vielleicht sollte man ihre Bezeichnung mit „Dämmerungsstätte" übersetzen. Sie galt ihm sozusagen als leer und war vom Träumenden mit eigenen Gebilden aus Wachwelt-„Stoff" (s.o.) 128 aufzufüllen, mit Wagen und Wegen, Wonnen, Seen und Flüssen (an denen er sich erfreut). Die dritte, die Traumwelt, ist also makrokosmisch real und zugleich subjektiv illusorisch gemeint, ohne daß Yäjnavalkya dies hätte sagen können. Der Idealist empfand seinen Glauben an die Wanderung der Seele in Traum (und Wiedergeburt) als dem schamanistischen verwandt und wollte diesem gentilen Erbe einen Platz in seinem Idealismus anweisen. Auf die Erfahrung des Wachseins ging Yäjnavalkya hier nicht ein, wohl aber auf den traumlosen Tiefschlaf. Nach Uddälaka in dessen 8. Abschnitt ließ sich das Denken beim Einschlafen auf dem Atem nieder, einem ermüdeten Vogel vergleichbar. Yäjnavalkya gebrauchte eine ähnliche Analogie. Dieser (aus Erkenntnis bestehende) Mann (Geist, Seele), fuhr er fort, eilt in die feinen Adern um das Herz herum. In diesem ist Indra, wie er Janaka in BU IV,2,3 (B 228) gelehrt hatte, mit seiner Frau glücklich. Wie ein Gott oder ein König denkt (meint, manyate) der Schlafende (im Tiefschlaf) dann: Ich bin das All. 129 - Yäjnavalkya mußte wie die Atemwindmagier wissen, daß es im Tiefschlaf keine Bewußtseinserlebnisse gibt, aber als Mystiker glaubte und lehrte er anders, erklärte aber nicht, was dieses Denken im traumlosen Schlaf sein soll, etwa ein Glauben ? Er sagte, dieser Geist erlebe (außer dem Denken?) dann (wie Indra) Wonne (die man als Wünschen dem Denken zuweisen kann), als umarme er ein Weib, ohne indessen Inneres (sich) und Äußeres (das Weib) zu unterscheiden. Dann hörten, fuhr er fort, alle Unterschiede wie die von Vater und Mutter, von Welten, Göttern, Veden, Verbrechern, Unberührbaren, Bettelmönchen und Asketen und deren Gegenstücken, den Nichtweiten usw., auf. Er stellte sich nicht etwa solche Negationen wie die Nichtweiten usw. als Realitäten vor, dachte an keine coincidentia oppositorum wie Sändilya, meinte nur, daß die Welten, Veden usw. und deren Negationen, die man sich als Götter und Dämonen bzw. Menschen, als Asketen und Weltmenschen usw. denken kann, aufhören, daß alle ihre Eigentümlichkeit (ihre Namen und Gestalten) und Gegensätze der Erfahrung sich in der mystischen Einheit des Geistes verlieren. Er lehrte das mystische Aufhören der Zweiheit von Subjekt und Objekt im Tiefschlaf hier besonders ausführlich (BU IV,3, 25ff.; B 234f.), d.h. das der acht „Greifer" und Ubergreifer. Diese phantastische Einheit des Objektiven und Subjektiven, nicht die des Materiellen und Ideellen, im Schlaf, im Geist, erinnert an die vorphilosophische Lehre der Atemwindmagier, daß beim Einschlafen die anderen Lebenskräfte in den Atem eingehen, und auch an Uddälakas Vorstellung des „Zu-sich-Eingehens" beim Einschlafen in seinem 8. Abschnitt. Nach Yäjnavalkya gibt es in dieser idealistischen Einheit im Schlaf das Selbst nur als Einziges ohne ein Zweites (eka advaita: BU IV,3,32; B 235), was an Uddälakas hylozoistische Anschauung vom einzig Seienden am Anfang der Kosmogonie erinnert (ekam evädvitiyam: ChU VI,2,1; B 168). Das Selbst gilt dem Yäjnavalkya weiter als der höchste Gang (gati, ein Begriff Pravähanas in ChU 1,8,4; B 256), 141

das höchste Hingelangen (sampad) des Uddälaka in ChU VI,8,1 (B 175) und des Asvala in BU 111,1,6 (B 197)) und die höchste Wonne (Erkenntnis und Wonne waren ihm ja in BU 111,9,28,7 (B 221) das Wesen des brahman). 130 Diese ist höher als alle Wonnen der glücklichsten Menschen, Ahnen und Götter der verschiedenen Himmel bis zur Brahmanwelt, von denen Gärgi in BU 111,6 (B 205f.) gehandelt hatte; sie ist brahman, d. h. reiner seliger Geist ohne Objekt. Beim Sterben löst sich das Erkenntnisselbst vom Leibesselbst, löst sich „dieser Mann" (Geist) von den Gliedern seines Leibes wie eine Frucht vom Baum (Wieweit soll, kann und muß man sich diesen Vergleich ausmalen?), und er eilt zu seinem Mutterschoß zurück, zum Atem. Dies war eine Konzession an die Atemwindmagier, die ja das Sterben als Eingehen der anderen Lebenskräfte in den Atem aufgefaßt hatten. Alle Lebenskräfte, fährt Yäjnavalkya ohne deren Aufzählung fort, kommen bei oder in diesem Atem zusammen. Er nimmt „diese Glutstoffe" (oder Lichtmengen) oder „diese nur aus Glut Bestehenden" (Lebenskräfte) 131 zusammen und steigt (mit ihnen aus dem Leibe) ins Herz. Er nimmt nichts mehr durch die „Greifer" wahr. Das Selbst wird ja eines ohne ein Zweites, Geist ohne Objekte. Das Selbst zieht dann samt dem Atem und den anderen Lebenskräften aus dem Herzen aus, wird (wodurch ?) voll (gegenstandsloser) Erkenntnis, und sein Wissen (des Idealismus) und sein (dank seinem Idealismus moralisch gutes) Handeln fassen es an der Hand (und führen es gemäß der Tatvergeltung zu vornehmer Wiedergeburt). Das ist so, wie eine Raupe von einem Grashalm zum anderen übergeht oder wie ein Goldschmied den „Stoff" (mäträ, s.o. oder ein „Maß" Gold) eines Schmuckstückes nimmt und zu einem anderen umgestaltet. Nur wenig anders sprach Uddälaka in seinem 1. Abschnitt vom Töpfer, Eisen- und Kupferschmied, diesen Analoga des sich zur Welt entfaltenden lebenden Seienden. Aber Yäjnavalkya sagte nicht, was die Seele vom sterbenden Leib nimmt, um den neuen zu machen, doch wohl kaum dessen Materie. Hier schiebt der Idealist eine seiner Definitionen des Selbstes als des brahman (des Mikro- und Makrokosmos) ein. Es besteht aus 1. Erkennen, Denken, Atem, Sehen und Hören, 2. aus Erde, Wasser, Wind, Raum, Glut und Nichtglut und 3. aus Begier, Zorn und Recht und deren Gegenteilen, Nichtbegehren usw. (BUIV,4,5; B 238). Der 1. Punkt umfaßt die traditionelle Fünferreihe der Lebenskräfte, in der aber statt Rede Erkennen steht, so daß um den Atem herum eine Viererreihe des direkten und indirekten Erkennens. gruppiert ist, von der Yäjnavalkya in der Diskussion mit Bhujyu gehandelt hatte. 132 Es folgt eine Sechserreihe der fünf Elemente, in der der Raum Pravähanas als eines von diesen anerkannt ist und in der an die Glut des Uddälaka deren Gegenteil, die Nichtglut, ohne Erläuterung, was dies sei (Finsternis? Kälte?), angefügt ist. Schließlich folgt die Sechserreihe von Liebe, Haß und Recht und deren Gegenteilen. Nichtliebe muß hier etwas anderes sein als Haß, Nichthaß etwas anderes als Liebe. Recht ist wohl als notwendig beim Aufeinanderprallen von Liebe und Haß gemeint. „Alles" ist demnach das Makrokosmische, mehr oder weniger Materielle, und das Mikrokosmische, z.T. Ideelle, dieses in das Erkennende und Moralisch-emotional-gesellschaftliche unterteilt, ein Versuch, über kosmologische Reihen der drei Welten und Götter der älteren Theologen und über die Fünferreihe der Lebenskräfte und Gottheiten der Atemwindmagier hinauszugelangen, u.a. durch die Sechserreihe moralischer Werte, die für die inneren und äußeren Kämpfe der jungen Klassengesellschaft wichtig waren. Diese eigenartige Dreiteilung- des Alls wird einerseits mit der in die drei Bereiche der Gottheiten, der Wesen und des Selbstes zusammenhängen, die bei Yäjnavalkya in B 111,7,14 (B 209) ebenfalls etwas Neues war. Andererseits spürt man in dieser Defi142

nition oder Beschreibung des brahman-ätman, in diesen drei Reihen von Begriffen eine Ahnung der Unterteilung der Philosophie in ihre drei Disziplinen, in. Naturphilosophie (Makrokosmos), Erkenntnistheorie (Mikrokosmos) und Ethik. 1 3 3 Insbesondere die ethische Sechserreihe nimmt schon geradezu das Vaisesikasütra VI,2,14 voraus: „Recht und Unrecht werden durch Wunsch (Liebe, icchä) und Haß (dvesa) in Bewegung gesetzt." Philosophische Sütren sind ja großenteils Begriffsreihen. Die moralische Sechserreihe leitet zu einer knappen Schilderung der Tatvergeltungslehre über, die ebenfalls, über Andeutungen bei Pravähana in ChU V,10,33f. (B 254f.) hinausgehend, bei Yäjnavalkya zuerst erscheint. Hatte er eben Liebe, Haß und Recht zusammengestellt, so leitete er das Handeln jetzt von Liebe her und meinte wohl das, was Sändilya in ChU 111,14,1 (B 193f.) als Willen bezeichnet hatte. Durch die Tatvergeltungslehre wurde Sändilyas Willensfreiheit eingeschränkt: Der Wille, das Verlangen, die Liebe ist durch Taten in einem früheren Leben bestimmt. Im Gegensatz zu solchem „aus Liebe bestehenden" Menschen geht der nicht aus Liebe bestehende, von Begierde (angeblich) frei Sterbende, dessen Begehren (da ist, aber) nur auf das Selbst gerichtet ist, zu brahman, von dessen Welt Pravähana in ChU V, 10,2 (B 253) und Gärgi in BU 111,6 (B 205f.) gehandelt hatten. Dieser Mensch ist also brahman und wird bzw. geht zu brahman (BU IV,4,6; B 239). Brahman und ätman sind zwar eigentlich alle Wesen wie das All überhaupt, aber Yäjnavalkya meinte hier, daß der „Begierdefreie" sich dank dem „Wissen" des Idealismus als ätman-brahman mystisch realisiert. Er sagte: Er wird unsterblich (frei von Wiedergeburt), er erreicht das brahman hier (ib. 7), d.h., er wird, wie man später im Hinduismus sagte, ein schon im Leben Erlöster (jivanmukta). Er wird ein strahlender Brahman wisser (ib. 8) (Mystiker-Idealist) im Gegensatz zum Nichtwisser und zum vermeintlichen , aufgeklärten, wissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Wisser (ib. 10). Er ist der Herr des Alls, des Vergangenen und Zukünftigen (ein Element des Pantheismus), er ist das objektlose Subjekt, das über Tatvergeltung erhaben ist (denn es ist ewig unveränderlich). Der „Wissende" ist selbstbeherrscht-asketisch, verzichtet auf Handeln (quietistisch), sieht, konzentriert (in Kontemplation des Yoga), das All als sein Selbst und ist (damit) das ungeborene Selbst. Dies alles wird in ekstatischen Versen und Prosa ausgemalt. Es ist im Grunde bis auf minimale ethische und erkenntnistheoretische Elemente Theologie hinduistischer Mystik.

3.4. IV. Unterweisung: Abschied von Maitreyi (BU IV,5 (11,4); B 244ff.) Yäjnavalkya wollte in die Heimatlosigkeit ziehen und dafür seinen beiden Frauen Kätyäyani und Maitreyi, „ein Ende (Testament?) machen". Maitreyi war eine „Brahmanrednerin", d.h. eine Theologin wie etwa Gärgi, und sie war deswegen ihrem Gatten besonders lieb. Sie verzichtete auf ihr materielles Erbe, da Reichtum nicht zu Unsterblichkeit verhelfe. 134 Sie bat statt dessen, Yäjnavalkya möge ihr alles sagen, was er wisse (glaube). Er war zu dessen Darlegung bereit und stellte zunächst das ideelle Selbst als den höchsten Wert dar, um dessentwegen (d.h., weil er nichts anderes als reiner Geist ist) der Gatte, (aber entsprechend auch) die Gattin und die Söhne, Reichtum und Vieh, der Brahmanen- und Ksatriyastand, die Welten und Götter, die Veden und Wesen (dem idealistischen Philosophen) lieb sind, kurz das All (der Geist) (ihm) lieb ist. Er hatte recht, bei seiner Unterweisung in dieser Weise von der Ethik auszugehen, und es war 143

etwas Neues, wenn der Idealist in der beginnenden Klassengesellschaft eine indische Abart höchst vergeistigter „platonischer" Liebe zu seiner Frau bekundete, die von der urgesellschaftlichen Erotik des Rgveda 135 stark abstach. Es war idealistisch und theologisch-utopisch, in der jungen Klassengesellschaft Reichtum, Familie und Stand als an sich und dem Geist gegenüber im Grunde wertlos hinzustellen. Dieses Selbst gelte es also zu sehen, zu hören, zu denken, zu erkennen, denn damit (mit dieser Viererreihe von Erkenntnisarten) sei alles „gewußt". Um solches „Wissen" (Glauben) hatte Maitreyi ja eben gebeten. Dies war die Aufgabenstellung des Idealisten, die der des Materialisten Uddälaka an die Seite zu stellen ist: Das Seiende sei zu hören, zu denken und zu erkennen. In dieser Dreierreihe fehlt das Sehen, vielleicht weil das höchst abstrahierte Seiende nicht sichtbar ist, wie Uddälaka in seinem 12. Abschnitt über den Feigenkern darlegte; etwas Entsprechendes gilt auch für ätman-brahman, es sei denn, man nähme mystische Schau als Sehen. Der Idealismus folgte hier bei dieser Aufgabenstellung offenbar dem Materialismus ohne Polemik gegen diesen. Der Idealist fügte nur eine (magische) Drohung hinzu, daß die Stände, Welten, Götter, Veden, Wesen und (damit) das All denjenigen (Materialisten? Nichtphilosophen?) verstoßen, der diese als etwas anderes als das Selbst ansieht. Dieser vom All, vom Selbst Verstoßene (Ungläubige) ist das Gegenteil von dem „Wissenden" (Glaubenden), der sich als das Selbst realisiert (s.o.). Uddälaka aber fand seine Lebensfreude im Wissen um die Ewigkeit des lebenden Seienden. Yäjnavalkya fuhr dann mit seiner Erkenntnistheorie fort und führte drei Analogien an: Dieses (Erkennen, Ergreifen des brahman) ist so, wie es (nur) das Ergreifen der Trommel, des Muschelhorns und der Vlnä oder das Ergreifen der diese Instrumente Spielenden ermöglicht, deren Töne, die außerhalb von ihren Instrumenten sind, zu ergreifen (so ist durch Erkennen des brahman das Erkennen aller seiner Produkte, des empirischen Alls, möglich) (BU IV,5,8-10; B 247). Uddälaka hatte in seinem ersten Abschnitt dagegen vom Erkennen der Rohstoffe Ton, Eisen und Kupfer der drei Handwerker gesprochen, mit dem das Erkennen der Produkte dieser Stoffe für den Philosophen unwichtig werde. Beide Philosophen wollten die letzte Realität erkennen, das Seiende und das brahman, den Geist. Im Gegensatz und in Analogie dazu aber ist es bei dem Idealisten für uns einstweilen noch recht unverständlich, wie das Greifen, das Hören der Töne durch das Greifen (Ergreifen) der drei Musikinstrumente oder ihrer Spieler ermöglicht wird. Greifen wird hier doch wohl im selben Sinne gemeint sein, wie in der großen Disputation in B U 111,2 (B 199) Artabhäga Yäjnavalkya nach den acht „Greifern" gefragt hat, unter denen er die fünf Sinne, das Denken (Wünschen), aber auch die Rede bzw. die Hände, die die Namen bzw. das Handeln „ergreifen", aufzählte und wohl alle ideellen und materiellen Beziehungen des Subjekts zum Objekt, des Selbst zur Umwelt, des Menschen zur Natur meinte. Aber es fehlen das Essen und Atmen, diese beiden wesentlichen Arten des Stoffwechsels des Mengchen mit der Natur. Yäjnavalkya wird also wohl analog zu Uddälaka gemeint haben, daß das abstrakte philosophische Erkennen der Ursachen, d. h. der Instrumente und ihrer Spieler, letzlich des brahman, das konkrete alltägliche Erkennen ihrer zahllosen Produkte, der Töne, unwichtig macht, d.h. das philosophische Erkennen des geistigen ätman-brahman das empirische Erkennen der materiellen Erscheinungen. Uddälaka hatte nach seiner Aufgabenstellung die Kosmogonie als seinen 2. Abschnitt behandelt. Yäjnavalkya versuchte anschließend dasselbe in seiner idealistischen Weise: Wie viele einzelne (langsam hoch aufsteigende), sich ausbreitende Rauche (Rauch144

wölken) aus einem einzigen (kleinen) Feuer hervorkommen, so aus dem einen (geistigen) brahman die vier Veden, Epen, Puranen, Erklärungen, Wissen, Upanisads, Verse, Aphorismen und Erläuterungen (BU IV,5,11; B 247). Dies ist eine Reihe ideeller Produkte, mündlich überlieferter theologischer Texte der Brahmanen; nur die Epen könnten auch die von Ksatriyas tagsüber beim Roßopfer vorgetragenen Epen meinen. Diese standen neben den von Brahmanen nachts vorgetragenen Lobpreisungen der Opfer des Königs; beide waren also Bestandteile des Kults. - Die Version des Textes in BU IV,5, (B 247) fügt einige materielle Produkte des brahman hinzu: das Geopferte, Gespendete, zu essen und zu trinken Gegebene, diese und jene Welt und alle Wesen. Der objektive Idealist konnte eine Kosmogonie des Materiellen, an dessen volle Realität Yäjnavalkya eigentlich nicht glaubte, nicht deutlicher machen. Das Feuer erinnert uns an das Licht, das das brahman ist; der hin und her gewehte Rauch gilt als weniger real als seine Ursache das Feuer. - Die hier zusammengestellte Reihe von Texten hatte Yäjnavalkya schon im Anfang seines ersten Dialogs mit Janaka als das, was die Rede dem Hörer verständlich macht, vorgetragen (BU IV,1,2; B 222f.), und Sanatkumära bildete sie weiter aus, als er Yäjnavalkya und Uddälaka kompilierte. 136 Yäjnavalkya versuchte dann, das Erkennen als das Wesen des brahman damit zu erklären, daß, wie alle Flüsse in den Ozean als ihren „Einigungsweg" einmünden, so alle ideellen und materiellen Regungen des Menschen in das betreffende Organ. Er führte als solche Organe (zunächst) die fünf Sinne: das Tasten, Riechen, Schmecken, Sehen und Hören an und fuhr mit Denken, Wissen im Herzen, Handlungen der Hände, Wonne im Zeugungsglied, Entleerungen des Afters, Gehen der Füße und mit den Veden der Rede fort (BUIV,5,2; B 247f.). Dies ist eine Erweiterung seiner Reihe der acht Greifer (s.o. BU III,6) und ist zugleich ein mikro-makrokosmischer kosmologischer Abschnitt, der auf den kosmogonischen folgt, ein Gegenstück zu Uddälakas 4. Abschnitt. Uddälaka hatte in seinem 13. Abschnitt vom Salz, das man in Wasser auflösen kann, gehandelt, um die Realität des Seienden trotz seiner Ungreifbarkeit zu erweisen. Yäjnavalkya benutzt diese damals allgemeine Erfahrung des durch und durch salzigen (materiellen) Wassers (des Ozeans) als Analogon, um als Idealist davon zu überzeugen daß das „unendliche, uferlose" (ideelle) Selbst durch und durch Erkenntnis ist. Dabei ist die Version in BU 11,4,12 (B 248) dem Text Uddälakas ähnlicher als die in BU IV, 5,13 (B 248). An-der zweiten Stelle ist das Auflösen des Salzes getilgt, denn der Idealist wollte nicht lehren, daß die Erkenntnis im Selbst durch irgend jemand aufgelöst sei. Statt dessen ist hier eingefügt, daß Ozean und Selbst ohne innen und außen durch und durch salzig bzw. „Erkennen" (erkennend, zum Erkennen fähig) sind. Es bleibt die Schwierigkeit, daß der Ozean nur ein Teil des Kosmos ist, das Selbst aber den ganzen Kosmos in sich faßt, als Unvergängliches sogar den Raum, wie Yäjnavalkya Gärgl in der großen Disputation belehrt hatte (BU 111,8; B 210ff.). Yäjnavalkya fuhr fort: Aus diesen Wesen (aus den Leibern des Menschen, Götter, Tiere und Pflanzen) erhebt sich das Selbst (im Sterben) und geht in sie (in der Wiedergeburt) wieder ein; nach dem Tode gibt es kein Bewußtsein (in der Leiche). Er lehrte hier eine Art Kreislauf der Seelen aus und in die Lebewesen. Er sprach hier nicht vom Werden aller Gewordenen aus dem brahman und von dem Wiederwerden zu diesem bei deren Untergang. Uddälaka sprach vom Werden alles Gewordenen aus dem Seienden und Wiedereingehen in dieses; bei diesem hylozoistischen Kreislauf des Seienden gelangt auch das Lebeselbst in die Lebewesen und verläßt sie im Sterben, wie z. B. den sterbenden Baum. Die Atemwindmagier sprachen von einem Kreislauf aus und in den Atem-Wind. 10 Abhandlungen l/G/79

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Alle drei Kreislauf Vorstellungen sind vorwissenschaftlich. Aber nicht umsonst k o n n t e Uddälaka seinen Sohn leichter überzeugen als Yäjnavalkya seine Frau. Er lehrte den Glauben, daß das Bewußtsein ewig- sei, also auch nach dem Tode da sei, nur nicht mehr wirke. Er erläuterte seinen objektiven idealistischen Monismus: Der Geist ist allerdings unvergänglich, aber Erfahrung gibt es nur, solange die (zeitweilige) Zweiheit des Objektiven und Subjektiven „gleichsam" (d.h. im nicht voll realen Leben) besteht 1 , nicht dagegen, wenn das Selbst f ü r den „Wissenden" als Geist in seiner eigentlichen Einheit und Einzigkeit alleine ist. Wenn alles eines, Geist, ist, f u h r er fort, wer sollte da was sehen, riechen, schmecken, reden, hören, denken, tasten oder erkennen ? Womit sollte man den Erkenner erkennen ? Von Trance-Vision sprach er hier nicht. - Damit ist die „Unsterblichkeitsunterweisung" abgeschlossen, sagte er und zog fort. So endete Yäjiiavalkyas letzte Unterweisung, die seiner geliebten Frau, direkt vor seinem Fortgang mit einer knappen Darstellung seines Idealismus.

3.5. S c h l u ß b e m e r k u n g Vergleicht man Yäjnavalkyas vier Unterweisungen mit den beiden Uddälakas, so sind sie nicht wie diese nach einem einheitlichen Plan disponiert. Vielmehr scheint die 4. Unterweisung, diese Gesamtdarstellung seines Idealismus, eine Nachahmung der beiden Unterweisungen des Uddälaka zu sein, besonders in der Version BU 11,4, die den drei anderen, etwas abgewandelt, als BU IV,5 angehängt wurde. Die I. und II. Unterweisung zeigen Yäjnavalkya als Mann, der offen sagt, daß er nach Kühen verlangt. In der I I I . verhieß er dem von Begierde Freien Erlösung schon im Leben. In der IV. zog er für dieses Ziel aus der Heimat fort. Demnach können die vier Unterweisungen biographisch angeordnet sein, dies aber wohl erst von einem Redaktor. Es k a n n sein, daß dieser zunächst versucht hat, in BU 11,4 (B 244ff.), Uddälaka folgend, eine Art Grundlehre oder System des. objektiven Idealismus zu lehren, daß er oder ein anderer dieses aber bei den anderen drei Unterweisungen nicht mehr angestrebt hat. Im Grunde freilich lehrt jede der vier Unterweisungen die Grundzüge der ganzen Lehre. Wenn sie aber biographisch angeordnet sind, ist es noch nicht gelungen, eine Entwicklung des Idealismus des Yäjnavalkya zu rekonstruieren. Gewiß ist die Disputation mit Vidagdha in der Fassung des Brähmana (B 125ff.) in der Upanisad (B 213ff s ) als I. Unterweisung gewaltig ausgebaut worden, und auch die L T nterweisung Yäjnavalkyas durch J a n a k a über die Wiedergeburt im Brähmana (B 121 ff.) ist sicher älter als die I. und II. Unterweisung J a n a k a s durch Yäjnavalkya in der Upanisad. Ebenso ist ja auch Uddälakas Unterweisung durch Svaidäyana im ÖB XI,4,1 (B 114ff.) älter als seine Unterweisung Svetaketus in der Upanisad (B 167ff.). Wenn Yäjnavalkya in der großen Disputation den Artabhäga über acht Greifer belehrt (B 184ff.), die Gärgl aber über etwas andere acht (B 205ff.), in der II. Unterweisung nur sechs solche K r ä f t e a n f ü h r t (B 223ff.), in der I I I . die acht Greifer einmal in etwas anderer Reihenfolge (B 234ff.), einmal etwas abweichend (B 237) und in der IV. wiederum anders anführt (B 249) und dort einmal auf zwölf erweitert (B 247f.), so ist noch nicht deutlich, ob dies biographisch zu erklären ist. Ebenso steht es mit den verschiedenen Definitionen des ätman-brahman. Auch die Anknüpfungen der I. Unterweisung mit Vidagdha als wissendstem Brahmanen an die Disputation im Brähmana mit ihm 146

als einzigem Gegner und andererseits an die II. Unterweisung mit Vidagdha als letztem Gegner hilft noch nicht zur Festlegung der Chronologie dieser Texte. Die vier Unterweisungen bilden insofern eine Einheit, als die Unsterblichkeit in ihnen als höchster (theologischer) Wert des objektiven Idealismus gilt und die IV. Unterweisung am Ende ausdrücklich als die der Unsterblichkeit (amrtatva) gekennzeichnet wird (BUIV,5,15; B 249), falls damit nicht sogar die ganze Vierergruppe der Unterweisungen gemeint ist. Persönliche Unsterblichkeit wie die rgvedische in Yamas Reich ist aber nicht gleich der Erlösung im brahman. Dies wird nicht klargestellt. Wie dem auch sei, in der Lehrerliste am Ende des VI. Buches der BU wird Yäjnavalkya als der Schüler oder Nachfolger Uddälakas hingestellt wie dieser als der seines Vaters Aruna; nicht so in der Liste am Ende des IV. Buches, die unmittelbar' nach dem Text Yäjnavalkyas steht. Der Versuch, umgekehrt Uddälaka als abhängig von Yäjnavalkya darzustellen, ist noch nicht gemacht worden. ' I m Prozeß der ungefähr gleichzeitigen Polarisierung von Hylozoismus und Idealismus und der Differenzierung der Philosophie von Theologie vedischen und hinduistischen Glaubens ist die logische und historische Abfolge der einzelnen Schritte immer genauer festzulegen.

4. Das System des Idealismus des Yäjnavalkya Die Philosophie Yäjnavalkyas ist Idealismus, insofern das Bewußtsein gegenüber der Materie als das Primäre, das Bestimmende gilt, und sie ist objektiver Idealismus, insofern das Bewußtsein als eine selbständige, objektive Wesenheit gilt, die der materiellen Welt als schöpferisches, ursprüngliches Prinzip übergeordnet ist; die Realität gilt ihm nicht bloß wie im subjektiven Idealismus als Inhalt des subjektiven menschlichen Bewußtseins. 137 Dies aus dem Text eindeutig herauszulesen ist indessen nicht ganz einfach. Solche Definition konnte von damals bis heute oder gestern kein indischer Philosoph aufstellen. Aber der Idealisnus Yäjnavalkyas entsprach sachlich weitestgehend dieser Definition. Wenn Yäjnavalkya das Träumen als Illusion schilderte, meinte er dies nicht als Beispiel für das Wachen. Er erkannte als letztlich einzige Realität das ätman-brahman als Bewußtsein, Geist (Erkennen, vijnäna) an, aber zugleich als Wonne. Auch das manas wurde damals allgemein als Denken und Wünschen verstanden. Er stellte den traditionellen Begriff brahman aber nicht als makrokosmisch dem mikrokosmischen ätman gegenüber. Er meinte zwar mit dem ätman das Selbst, meinte als Theologe die eigene ewige geistige Seele, ohne aber nach deren Verhältnis zu den Seelen der anderen in der Seelenwanderung leidenden individuellen, ja isolierten Seelen der Menschen, Götter, Geister, Tiere und Pflanzen zu fragen. Beide Begriffe, ätman und brahman, aber auch der Zweifel, die Kosmogonie usw. hatten damals schon eine lange Geschichte, uns greifbar zumindest seit dem Rgveda; in diesem kann man auch schon eine gewisse magisch-mythologische Unterscheidung von Ideellem und Materiellem nachweisen. 138 Aber sogar Uddälaka und Yäjnavalkya hatten für beide noch keine Fachausdrücke. Auf solche Fragen der Tradition ist oben nach Kräften hingewiesen. Historisch gesehen war das Bewußtsein, der eine Geist (ätman-brahman), eine Zusammenfassung oder Abstraktion aller Geister der animistischen Magie-Mythologie der Urgesellschaft. Da diese vielen Geister „Mann" (purusa) genannt wurden, hieß der eine Geist der Upanisadmann (BU 111,9,26; B 219), was upanisad hier auch immer bedeuten lu*

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möge, 139 vermutlich den Geist, wie ihn diese Upanisad Yäjnavalkyas verstand. Wie der animistische Magier seinen eigenen Geist als Herren aller Geister verstanden hatte, die seinem Geist gehorchten, weil er sie „wußte", so verstand Yäjnavalkya den einen bzw. seinen Geist als den „Allherren" (BU IV,4,22; B 242). Dies war schon ein hinduistischer theologischer Gottesbegriff. Yäjnavalkyas objektiver Idealismus hatte damit einen egozentrischen oder solipsistischen, zur Isoliertheit aller wandernden Seelen passenden theologischen Einschlag, der die Unterscheidung von objektivem und subjektivem Idealismus bei Yäjnavalkya erschwert. Von einer bewußten oder ausgereiften Unterscheidung von Materialismus, subjektivem und objektivem Idealismus, Theologie, Wissenschaft, Wissen und Glauben kann man eben auf dieser Stufe der Entwicklung noch nicht sprechen. Der eine Geist (ätman-brahman) war für diesen im Kern objektiven Idealismus die einzige Kraft in Makro- und Mikrokosmos, in Weltall und Mensch. Neben diesem Geist erkannte dieser idealistische Monismus keinen mikro- oder makrokosmischen Stoff als ursprüngliche, selbständige, in diesem Sinne wirkliche Realität an, sondern ließ Stoff sozusagen als Realität minderen Grades in einer Art Kosmogonie aus dem Geist wie Rauch aus Feuer hervorkommen und ließ den Geist, ohne ihn als mikrokosmischen Geist zu bezeichnen, sich von seinem stofflichen Leibe, seinem Leibesselbst, mit dem er bei der Geburt (Zeugung) verbunden wurde, in Traum, Tiefschlaf, Sterben und Erlösung trennen, beim Erwachen wieder verbinden und in der Wiedergeburt mit einem neuen Leib verbinden, soweit es neben dem geistigen Selbst überhaupt Materie und einen materiellen Leib gibt. Diese Problematik eines Dualismus wurde aber von Yäjnavalkya nicht erkannt, geschweige definiert. Er lehrte z.B. nicht, daß die Seele sich für ihre Wiedergeburt aus sich selber einen Leib schafft. Das Selbst selber kann aber auch gar nicht geboren (nur wiedergeboren) werden, da es bereits real, d.h. anfangslos, „geboren" ist (BU 111,9,28,7; B 221). Es ist der „innere Lenker" in Makro- und Mikrokosmos, in dieser minderen Realität. Es ist das Unvergängliche, das in sich Raum und Kosmos trägt. Der höchste Himmel im Kosmos wird als die Brahmanwelten bezeichnet, über die hinaus man nach nichts Höherem oder Größerem fragen darf, sonst trifft einen magische Strafe, der Kopf zerspringt, ein unphilosophisches Argument. Brahmanwelten ist ein mytho- bzw. theologischer kosmographis'cher Name für das Unvergängliche, den inneren Lenker, das Selbst, philosophisch: den Geist, das Bewußtsein. Diesen ersten Idealismus von Mythologie und Theologie bzw. Mystik zu unterscheiden gelingt bisher nur in erster Annäherung. Yäjnavalkya polemisierte ja nicht einmal dagegen, daß das brahman als die Rede oder eine andere der traditionellen Lebenskräfte aufgefaßt wurde; er deutete diese vielmehr als Teilaspekte oder Teilkräfte des einen Geistes, um die unter den Theologen damals übliche gegenseitige Toleranz fortzuführen, die bei deren Redewettkämpfen nur den Mehr-, nicht den Besserwissenden herausstellen wollte. Sein starkes Interesse an Kosmologie erstreckte sich nur z. T. auf die philosophische Frage des Materiellen und Ideellen, mehr auf die Himmelsetagen der verschiedenen Götter, also auf Mythologie, kaum auf Astronomie, auf die Himmel von Sonne, Mond und Sternen, aber gar nicht auf deren Bewegungen. Er wußte etwas über Geographie, Erde, Flüsse, Meer bzw. den indischen Subkontinent. Im Gegensatz zu Uddälaka behandelte er nicht den Kreislauf des Wassers, behandelte er die Kosmogonie weit unwissenschaftlicher, kannte aber schon die fünf Elemente gegenüber nur dreien des Uddälaka. 148

Man übersehe auch nicht, daß es dieser Idealist war, der einen eigenartigen Begriff für Stoff zu verwenden versuchte, mäträ. Im RV bedeutet er Maß. Er hat ihn einmal für den Werkstoff (oder dessen Menge, Maß) des Goldschmieds (BU IV,4,4,; B 238), einmal für den Stoff, den der Träumende aus dem Wachsein als Erinnerung in den Traum hinübernimmt (BU IV,3,9; B 231), aber einmal, mit Glut (Glanz? tejas) zu „Glutteilchen" oder „nur aus Glut bestehend" komponiert, als Bezeichnung der (ideellen) Lebenskräfte (sehen, riechen, schmecken, reden, hören, denken, tasten, erkennen) verwendet (BU IV,4,1; B 237). Dieses unklare Wort für Stoff setzte sich in der späteren Philosophie nicht durch. Man einigte sich nie auf ein Wort für Materie. Bei dem Idealisten spielt das Werden, das für den Hylozoisten als Umwandlung des Seienden grundlegend war, keine nennenswerte Rolle - außer in der phantastischen Feuer-Rauch-Kosmogonie (BU IV,5,11; B 247). Ihm lag eben daran, daß der unwandelbare reine Geist an sich als ewige, unvergängliche und nicht durch Gut und Böse affizierbare höchste, einzige Realität anerkannt wurde. Dementsprechend verwendete er seine physiologischen und psychologischen Erfahrungen für die Deutung von Traum, Schlaf und Sterben, um zu lehren, daß der Idealist von allem Leiden erlöst wird, wenn er sich als der reine Geist realisiert. Diesem theologischen Zweck dienten auch seine erkenntnistheoretischen Überlegungen. Der Idealist sollte erkennen (glauben), daß der Geist die eine geistige K r a f t in den vielen Lebenskräften, in den acht Greifern (BU 111,2; B 198ff.), ist; so ist z.B. der Geist der Seher, der das Sehen sehen macht, aber nicht gesehen wird (BU 111,4,2; B 203). Es gibt ja nur den einen Geist wirklich, der nicht sein eigenes Objekt ist. In seiner undialektischen Denkweise verstand er nicht, daß das Subjekt das Objekt seiner selbst werden kann. Er ahnte nichts von der Rolle des sogenannten Selbstbewußtseins in der späteren Philosophie. Der Idealist und Gläubige sollte streben, die mystische Einheit des Geistes zu realisieren, lehrte er, ohne zu sagen, wie. Dieser sollte die zweitrangige Realität der Objektwelt hinwegdenken. Dafür mußte er sich im späteren Vedänta und Yoga in einer qualitativ neuen, religiös-mystisch-idealistischen Kontemplation in sich versenken, die über die magische Askese älterer Yogitypen bzw. über die Intuition der Dichter vom Rgveda an weit hinausging. Solche Schau sollte den Agnostizismus ausgleichen. Beide halfen aber nicht dem Wissen, sondern dem Glauben. Trotzdem ist Yäjnavalkyas Acht- oder gar Zwölfzahl der Lebenskräfte als-wissenschaftliche, physiologisch-psychologische Leistung anzuerkennen, 140 ebenso seine in der Not der Disputation erreichte erkenntnistheoretische Unterscheidung von ausreichender und ungenügender, direkter und indirekter Darstellung, 141 aber obgleich er der Unterscheidung der drei Disziplinen der Philosophie in seinen Begriffsreihen nahekam, 142 unterschied er diese nicht als Teile seines Systems. Seine Beschreibung des Geistes, die keine Definition ist, weil sie nicht auf dem Wissen des Unterschiedes Geist—Stoff fußt, war für die Entwicklung der Philosophie grundlegend. Er hat den Geist in immer wieder mehr oder weniger abgewandelter und gestraffter Weise von verschiedenen Gesichtspunkten aus, bald als Philosoph, bald als Theologe oder Mystiker beschrieben. Er stand damit in bedeutendem Gegensatz zum Hylozoisten Uddälaka, der seine Definition des Seienden neunmal, die von dessen Produkten siebenmal wörtlich wiederholte. Dieser hielt sie eben für exakt genug und stand damit im Gegensatz zum un- oder gar antiwissenschaftlich denkenden und Glauben propagierenden Idealisten, der die Upanisads und alles damalige „Wissen" als bloßes, vom Geist ausgehauchtes Objekt und als Realität minderer Realität ansah (BU IV,5,11; B 247) 149

und vom wahren (idealistischen) Brahmanen verlangte, daß er alle vedisch-theologische Gelehrsamkeit ablege und ein agno'stizistischer Schweiger (muni) werde (BU 111,4,5; B 204). Ohne diese Entwicklung des Idealismus wäre andererseits die des ihm gegenübertretenden Materialismus nicht möglich gewesen, sowohl damals, am Beginn der Philosophie, wie später in den langen Zeiten der Klassengesellschaft. Mit der theologischen Wissenschaftsfeindlichkeit des Idealismus wird es zusammenhängen, daß Yäjnavalkya seine Lehre nicht systematisch, nicht in einem klar und bewußt disponierten Text vortrug, wie es doch der Vorkämpfer des Wissens, Uddälaka, damals leistete. Stützte die idealistische Erkenntnistheorie Yäjnavalkyas dessen Naturphilosophie, so diese seine Ethik, 143 wie diese die neue Entsagungsmoral und Erlösungsreligion des Hinduismus, wie diese die Klassengesellschaft. Für dieses theologische Ziel der Erlösung lehrte die Ethik dieses Idealismus die Begierdelosigkeit bis zur Aufgabe der Heimat, des Berufs und der Familie, damit unausgesprochen das Aufgeben von Stand und Kaste, ja auch des gesamten Wissens zugunsten des theologischen „Wissens" (Glaubens). Sie wendete sich dabei natürlich nur an eine sehr kleine Zahl. theologischphilosophisch Gebildeter um einige Despoten herum (wie in anderer Weise der Hylozoismus an wenige andere). Diese asketischen Idealisten sollten wiederum den Massen als Vorbild des Maßhaltens, der Zufriedenheit dienen. Zum Verzicht auf Materialismus konnte Yäjnavalkya noch nicht raten, weil er - bzw. man - diesen damals in Uddälakas Hylozoismus noch nicht erkennen konnte. Es war dabei kühn, wenn dieser Idealist die gesellschaftlichen Privilegien des Brahmanenstandes und der Ksatriyas verwarf und damit einen egalitären Utopismus lehrte, wenn dieser auch rein geistig ohne praktische Folgen gedacht war. Es handelt sich dabei um die erste altindische religiöse Reformbewegung, die in dieser revolutionären Epoche die vedische Magie-Mythologie durch die hinduistische Erlösungsreligion verdrängte. Ihr folgten bis heute immer wieder neue ähnliche Bewegungen, u.a. die der Bhakti, der Gottesliebe, sie alle rüttelten an Staat und Recht nicht, im Gegenteil, diese Religion und dieser Idealismus halfen mit, daß die altindische Gesellschaft kontinuierlich bis heute oder gestern fortlebte, ohne indessen große Denkleistungen auch in späteren Sekten mit ihren Idealismen auszuschließen.

5. Neuer Glaube gegen alten Glauben und gegen Wissen im Text Yäjnavalkyas Yäjnavalkya begann seine erste Unterweisung nicht zufällig mit der vedischen theologischen Frage nach der „Lösung" des Opferers von dem Tode, d.h. nach der Erlangung der Unsterblichkeit auserwählter Weniger, großer vedischer Opferherren, in Yamas Himmel. Das Ziel seiner eigenen Theologie der neuen hinduistischen Mystik, die von seinem Idealismus nicht zu trennen ist, war indessen die Erlösung von der Wiedergeburt, vom Leben, vom Leiden des Dies- und Jenseits, das neue Opium des Volkes. Aber er knüpfte mit dem Begriff „Lösung" wohl bewußt an vedischen Glauben an, der aus der zerfallenden Urgesellschaft des Rgveda noch in die junge Klassengesellschaft hineinlebte. Im Rgveda war vom „Lösen" (muc) die Rede, das Yäjnavalkya als religiöses Erbe weiterführte; da betete z.B. ein Priesterdichter zu Sorna und Rudra um Lösung von der Sünde, die an unsere Leiber gebunden ist, von der Fessel, mit der Varuna uns wegen unserer Sünde gebunden hat (RV VI,74,3f.). Ein anderer betete zu Agni um Lösung von der Pein (vorher ist vom aus Unkenntnis begangenen Unrecht, ja von Gewalttat die Rede) und um Verlängerung des Lebens (RV IV,12,6). Dieser Vers wird in 150

einem Gebet an alle Götter wörtlich wiederholt; sie sollten, wie man aus dem Vorhergehenden ergänzen kann, von der Pein lösen, d.h. gegen alle Unfälle und Anfeindungen helfen (RV X,126,ß). Den neuen Glauben an die Erlösung von der Wiedergeburt lernte Yäjnavalkya der Brähmanatradition nach von König Janaka (SB XI,6,2; B 123f.). Für die Erlösung zog Yäjnavalkya am Ende in die Heimatlosigkeit, zu einem asketischen Lebenswandel, der ihn, den reichen Brahmanen, aus der Klassengesellschaft in die neue Form des urgesellschaftlichen Sammlertums, ins Bettlertura, versetzte. Diese neue, hinduistische Askese konnte wiederum an rgvedisches Erbe anknüpfen; dort war Askese (tapas) ein Mittel zur Ertötung der Sinnlichkeit und zur Versenkung ins Übersinnliche 144 der urgesellschaftlichen Magie-Mythologie. Yäjnavalkya führte aber auch die Tradition der Yogis aus der Indusgesellschaft fort, die vermutlich zu einer Unsterblichkeit Auserwählter (wie Gilgamesch) auf der Insel der Seligen führen sollte. Der neue Erlösungsglaube erforderte eben eine neue Morallehre des vollständigen Entsagens, die über das Asketenideal des Rgveda weit hinausging und ein neues egalitäres utopisches Ideal verherrlichte, das es in der klassenlosen Urgesellschaft nicht geben konnte. Yäjnavalkya malte es am Ende aller seiner Unterweisungen seiner Frau Maitreyi gegenüber aus, er, der früher, wie er selber gestand, mit seinen Diskussionen auf das Erwerben riesiger Rinderherden ausgewesen war, wie es schon im Rgveda üblich gewesen war. Die neue Morallehre erforderte etwas völlig Neues: eine neue Naturphilosophie, Idealismus, und wurde damit zu idealistischer Ethik. Religion, geschweige Magie-Mythologie, reichte nicht mehr, Natur und Mensch als leidvoll zu erweisen, oder dies zumindest zu versuchen. Yäjnavalkya fand (bzw. erfand) dafür seine Gegenüberstellung des Ideellen und Materiellen, des ewigen, reinen, im Grunde von allem Übel unberiihrbaren Geistes und der ihn trotzdem wenigstens zeitweilig, im Leben während der anfanglosen Wiedergeburten befleckenden Materie, so unausgereift dieser Grundgegensatz auch damals erst erkannt werden konnte. Die neue Vorstellung des Ideellen ging zumindest auf den rgvedischen Mythus der Entstehung der Welt aus dem Urriesen (Ymir) zurück, aus dem purusa, dem Mann oder Geist. Leider bezeichnen wir noch heute im Deutschen mit dem Wort Geist das unheimliche, vom Magier zu beschwörende mythologische übermenschliche Wesen ebenso wie das Bewußtsein, das Ideelle. Auch bei uns lebt eben noch das Erbe, das die alten Inder vom Rgveda bis in die dualistische Säriikhyaphilosophie hinein pflegten, welche den purusa neben prakrti, Geist neben Materie (Urmaterie), stellte. Yäjnavalkya nannte diesen Geist einmal den Upanisadmann 145 und sprach in diesem Sinne von dem „Mann", der im Schlaf in die „feinen" Adern um das Herz eilt und sich dort selig als das All (brahman) weiß. Dieser sich im Leibe bewegende Geist kann nur klein, vielleicht fein (anu) wie jene Adern und damit im Grunde materiell sein, ist also ein noch magisch gemeinter Geist; aber wenn er sich als das All „weiß" und damit selig ist (wie der die Gattin umarmende Indra im Herzen des gläubigen Idealisten), 146 so ist er als das Ideelle als eigentliche, einzige Realität gemeint, als Bewußtsein und Wonne, 147 wie unser Idealist den Geist beschrieb. In der Erlösung ist dieses Ideelle objektloses Bewußtsein und Wonne, erlöst von den von ihm selber wie von einem Feuer ausgehauchten Rauchwolken. Er wird öfter nur mit Negationen 148 alles dessen, was Menschen „wissen", definiert, als „nicht, nicht", steht dabei aber nicht als Ideelles Materiellem, sondern als Mystisches Empirischem gegenüber, als unerkennbares, einziges oder höchstes Reales dem von unwissenden Menschen „Gewußten" bloß Scheinbaren oder minder Realen gegenüber. Dieser Idealismus ist aber nicht nur mit solcher Mystik, sondern auch mit mono- oder 151

pantheistischer hinduistischer Theologie durchsetzt (oder diese drei Denkarten waren damals noch nicht differenziert), denn dieser Geist ist der innere Lenker, der Allherr in Natur und Mensch, wie Yäjnavalkya dem Hylozoisten Uddälaka mit mehreren, theologisch schwierigen Fachausdrücken erklärte (BU IV,4,22; B 242). Erlösung erreicht der diesen Idealismus wissenden, d. h. an diese Art Erlösung glaubende, hochgelehrte Mystiker, der kraft seines „Wissens" der Einheit des Alls und des Ich bzw. kraft des „Wissens", daß das ätman-brahman die einzige bzw. höchste Realität ist, zum brahman wird, es realisiert, wie man mangels eines besseren Wortes sagen könnte. Wer das Selbst in sich selbst (intuitiv) sieht, der „wird" das brahman (BU IV,4,23;25; B 243f.), obgleich er es ist und stets war und obgleich das brahman nicht werden kann, weil es schon immer geboren ist (BU 111,9,28,7; B 221). Man kann alle solche Äußerungen des Mystiker-Idealisten nur gläubig hinnehmen, nicht wirklich verstehen, es sei denn historisch. Man muß versuchen, sie auf jene rgvedischen Zweifler zurückzuführen, die die Dichter kritisierten, weil sie das eine einzig Seiende mit den Namen der vielen Götter benannten (RV 1,164,46; B 21). Yäjnavalkya setzte aber nicht die Aufklärung solcher Zweifler fort (wie Uddälaka), sondern stellte dieser den neuen Glauben des hinduistischen Mono-Pantheismus, verquickt mit Mystik und Idealismus, entgegen. Als Erbe solcher hinduistischen bzw. vorarischen Traditionen lehrte Yäjnavalkya, an den Kosmos (die Natur) als ein Gebilde mehrerer Stockwerke der Erde und über ihr verschiedener Himmel bis zum brahman-Himmel, von dem Pravähana gesprochen hatte, zu glauben. ImRgveda ist die Welt nur dreigeteilt: Erde—Luftraum—Himmel; diehinduistische Kosmographie aber ist vor allem in den Puranen überliefert. Deren Himmelsstockwerke dürften auf schamanistische Magie-Mythologie, vermutlich unter den Voräryas, 149 zurückgehen. Die puranische Tradition braucht ja nicht jünger als die vedische zu sein. Jedenfalls führte Yäjnavalkya Epen und Puranen in seiner Liste der Gattungen der Literatur an (BU IV,1,2; 5,1). Zu Yäjnavalkyas Kosmographie gehört aber auch eine Geographie des südasiatischen Subkontinents, die auf Wissen beruht, das für damalige Despoten, vielleicht auch Kaufleute 150 , wichtig war. Diese ging ebenfalls in die puranische Kosmographie ein, vielleicht damals schon. Vom Beginn der Gangesgesellschaft an gab es ja das altorientalische Ideal des Weltherrschers auch in Indien, z.B. bei dem Despoten Jänamtapi, der die Uttarakurus nördlich des Himalaya erobert wollte. 151 Die Vorstellung der vom Ozean umgebenen bzw. auf ihm schwimmenden Erdscheibe mag wesentlich älter sein; ebenso die der vier Himmelsrichtungen. Woher aber Yäjnavalkyas Vorstellung kommt, daß die Welten bzw. Himmelsstockwerke ineinander „verwebt" sind, ist noch unklar, zumal es sich um den dreidimensionalen Kosmos, nicht um die zweidimensionale Erdscheibe handelt. Diese Vorstellung soll die Einheit des Kosmos zeigen. Sie wird von Gärgl in die Diskussion geworfen, unmittelbar, nachdem Uddälaka die Frage nach dem inneren Lenker in allem gestellt hat, d.h. nicht nur in den fünf Elementen, in Himmel, Sonne, Himmelsrichtungen usw., d. h. im kosmographisch gesehenen All, sondern auch in allen Wesen und in deren Lebenskräften. Gärgl war es, die Yäjnavalkya dazu brachte, den „inneren Lenker" in allem einerseits mit Negationen (s.o.), andererseits als das herrschende Unvergängliche darzustellen, ohne freilich auf die Frage nach dem Grundunterschied von Ideellem und Materiellem einzugehen, wie Yäjnavalkya es auch in der Antwort an Uddälaka nicht getan hatte. 152

Um ätman-brahman als das Ideelle historisch abzuleiten, kann man u.a. davon ausgehen, daß ätman im Rgveda manchmal so etwas wie ein Lebensprinzip oder eine Seele bedeutet, z.B. das des Kranken sowohl wie das seiner Krankheit, der Schwindsucht, die der Magier mit Heilkräutern aus diesem vertreiben will ( R V X , 9 7 , 4 ; 8; 11). Es ist damit ein magisch-mythologisch gemeinter „Geist", ähnlich wie der purusa vom Rgveda an (s.o.). Atman steht im Rgveda weiter gelegentlich für Atem, der im Sterben in den Wind eingeht (RV X,16,3; B 25), 152 wie es später noch die Atemwindmagier lehrten. Aber ätman hat im RV mit Denken (Geist) nichts zu tun, dieses wird vielmehr als manas bezeichnet, und dieses wird manchmal als eine Art Seele aufgefaßt. Es spielt als Denken in den Brähmanas und Upanisads eine große Rolle, 1 5 3 bleibt aber auch noch bei Yäjnavalkya wie später im Sämkhya und anderen Philosophenschulen von ätman unterschieden, wird dessen materielles Instrument des Denkens-Wünschens, wie Denken nach Uddälaka materiell war. Bei Yäjnavalkya ist schließlich der ideelle Denker des materiellen Denkens (des manas) der ätman, wie im Sämkhya das manas nur kraft des purusa, des Geistes, denkt und wünscht. Yäjnavalkya geht hier auf Herztheologen wie Sändilya und diesem nahestehende Grübler zurück, die das brahman u. a. als aus Denken (manas) bestehend auffaßten. In derselben Zeit erklärte Uddälaka das manas für materiell, glaubte aber an keine es benutzende geistige Seele. Es denkt wohl, weil auch in ihm das Lebeselbst des Seienden lebt und denkt. Er folgte der Tradition der Atemwindmagier, die ebenfalls an keine Seele glaubten und das Denken als eine der fünf Lebenskräfte auffaßten, diese aber im Grunde (nicht bewußt) als materiell, als aus dem Atem hervorgekommen und in ihn wieder eingehend. Die Differenzierung von Idealismus und Materialismus läßt sich also auch in diesem Punkt als ein Prozeß der Brähmana- und Upanisadperioden und des Kampfes von (physiologisch-psychologischem) Wissen gegen Glauben an eine Seele und deren Erlösung auffassen. Das Wort brahman andererseits bedeutet im R V das magisch wirksame Wort bzw. Lied, 1 5 4 dann die magische Macht, 155 mit der der rgvedische Magier, wie man glaubte, Natur und Mensch lenken kann. In der Klassengesellschaft wurden die Priester, die Herren dieser magischen Macht, zum Stand der Brahmanen, und diese nannten ihre theologischen Texte Brähmanas. Ein Brahmane erklärt die Sonne für das brahman (ChU I I I , 19; B 157), 156 wie schon ein rgvedischer Dichter die Sonne den ätman (das Lebensprinzip, die Seele) des Sichbewegenden und Stehenden genannt hatte. 157 Und im vorhergehenden Text (ChU 111,18; B 187f.) setzt ein Brahmane das brahman mit dem Denken (manas) gleich. Es verwundert daher nicht, wenn Sändilya, der Mystiker des Herzens und Vorläufer Yäjnavalkyas, an einer etwas früheren Stelle lehrt, man solle das Wahre (Wirkliche) als das Brahman, das Selbst, verehren, das aus Denken besteht und das Selbst des Atems ist (SB X,6,3; B 197; ChU 111,14; B 193f.). Damit ist schon beinahe der objektive Idealismus des Yäjnavalkya erreicht, der alles erfahrbare Reale für das kosmogonische Produkt des Geistes, des brahman-ätman, erklärte, das die einzige wirkliche und geistige Realität ist, die die Erfahrungsrealität, Natur und Mensch, von innen lenkt. Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, daß Yäjnavalkya auch das Wissen seiner Zeit bereichert hat. Dazu gehört, wie oben erwähnt, seine Geographie und seine Zusammenstellung der fünf Sinne innerhalb der acht „Greifer" (graha) 158 , deren Bezeichnung sich bis auf das rgvedische „greifen" (grabh) zurückführen läßt; Agni greift als Weiser mit dem Denken (manas) (RV 1,145,2); man greift mit dem ätman den Klang 153

des Somapreßsteins (RV 1,139,10), ein Magier greift die Namen gewisser böser Dämonen (RV 1,191,13), d.h. doch wohl, er spricht sie beschwörend aus. Eine der Leistungen des Idealisten (oder Uddälakas?) war es, den biologischen Bereich der Lebewesen zwischen den makro- und mikrokosmischen zu stellen 159 und als erster Inder die fünf Elemente zusammenzustellen, freilich ohne sie, die ersten fünf innerhalb einer Reihe von zwölf Begriffen, als eine besondere Gruppe hervorzuheben und unter Anführung von Luftraum statt Raum, der als zehnter dieser Reihe, sozusagen als größter der kosmischen Größen nach Himmel, Sonne, Himmelsrichtungen, Mond und Sternen, erscheint. Yäjnavalkya hat schließlich neben Uddälakas Salzexperiment mitgeholfen, daß die spätere Erkenntnistheorie zwischen direkten (sinnlich wahrnehmbaren) und indirekten Erkenntnismitteln unterscheiden lernte; 160 vor ihm gab es im AV XIX,15,6 erste Ansätze dazu, andere in Brähmanas; aber im TA gibt es sogar schon die Aufzählung von Überlieferung, Wahrnehmung, Tradition und Folgerung, eine Stelle, die etwas jünger als Yäjnavalkya sein dürfte. 1 6 1 Hierher ist auch die Ahnung der drei Disziplinen der Philosophie zu stellen, die unser Idealist anscheinend hatte und in die sich von uns die Materialien seines Systems des Idealismus ebenso gruppieren lassen 162 wie die des Uddälaka in dessen System des Hylozoismus.

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Y. Die spätere Entwicklung der altindischen Philosophie

1. Theologisch-philosophische Kompilationen in den alten Upanisads nach Uddälaka und Yäjnavalkya Es wäre notwendig, die Entwicklung der altindischen Philosophie in den restlichen Texten der fünf alten Upanisads mit derselben Ausführlichkeit weiter zu verfolgen. Da diese aber Uddälaka und Yäjnavalkya nicht ebenbürtig waren, sei hier zunächst nur einiges, was insbesondere den Kampf des Materialismus mit dem Idealismus angeht, aus den fünf alten Upanisads zusammengestellt, und zwar über fünf Denker, die sichtlich weiter waren als die vorphilosophischen Sämantheologen, Atem-Wind-Magier usw. In diesen ging, vermutlich noch vor Buddha, etwa zwischen 650 und 530 v.u.Z., die Entwicklung der altindischen Philosophie damit weiter, daß Yäjnavalkyas Theologie des Hinduismus samt seinen idealistischen Grundgedanken mit wenigen materialistischen Anschauungen Uddälakas und mit Resten der Atemwindmagie, der Raumlehre, der Herztheologie und anderer älterer Theologien kompiliert wurden. Den Unterschied der beiden philosophischen Grundrichtungen verstanden die damaligen Denker nicht. Sie setzten die dem philosophischen Denken mehr oder weniger nahekommende theologische Denkweise fort, die vorher herrschend gewesen war. 1.1. Sanatkumära [(ChU VII, 1-26; B 297ff.) Auf den Text des Uddälaka in ChU VI folgt in ChU VII,1-26 (B 297ff.) der Text, der dem mythischen Weisen Sanatkumära 163 in den Mund gelegt ist, als er dem um diese Unterweisung bittenden Närada eine lange und für das altindische Denken bezeichnende Kompilation vieler älterer Gedanken vortrug, aber nicht etwa einen bewußten Kompromiß zwischen Materialismus und Idealismus; der Gegensatz beider war offenbar auch jetzt noch nicht erkannt. Sanatkumära war u.a. ein Magier und Sonnenverehrer, der an die vorwissenschaftlichen Versuche kausaler Begriffsreihen von ChU 1,1 und 1,8 (Pravähana, B 256f.), an Uddälaka, aber auch an Yäjnavalkya und Atemwindmagier anschloß und eine Reihe von 23 Begriffen lehrte. Von denen ist meistens der folgende die Ursache des vorhergehenden, ist es aber nicht immer (s.u. über die Begriffe 15 und 20-22). Diese lassen sich in zwei Reihen vqn 15 und 8 Begriffen teilen, und diese ersten 15 Begriffe bestehen wiederum aus drei Gruppen der Begriffe 1-7, 8-12 und 13-15. Sanatkumära ging als Theologe vom Namen-(1) aus, d.h. vom Gesprochenen, Zulernenden, von einer Liste von 18 (damals nur mündlich gelehrten) vedischen und hinduistischen Literaturarten, die an Yäjnavalkyas entsprechende 12gliedrige Liste anzuschließen ist. 164 Sie umfaßt alle Lehren, die die gelehrten Brahmanen „wußten" oder glauben mußten. Von deren „Wissen" waren Janaka und Maitreyl ausgegangen, als sie Yäjnavalkya um Belehrung baten wie hier Närada Sanatkumära. Bei diesem war diese das Produkt des brahman, bei Sanatkumära aber war dieser Name das erste (oder das letzte, kausal gesehen) der 155

23 Produkte der „Fülle" (bhüman). Diese „Fülle" wird mit Yäjnavalkyas ätmanbrahman = Wonne gleichgesetzt und dem „Wenigen" (alpa), d.h. allen anderen 22 Produkten, die „weniger" sind als diese Fülle, gegenübergestellt. Das Wort Fülle stammt wohl von jenem Kausitaki, dem Atemwindmagier, der der 5. Gegner Yäjnavalkyas in der großen Disputation war und in ChU 1,5 die Sonne und den Atem im Munde verehrte, und zwar als Fülle. Mit diesem „Wissen" bekam er angeblich magisch einen Sohn. „Mehr" als dieser „Name" ist in Sanatkumäras Begriffsreihe die Rede (2). Sie ist mehr, insofern sie die Ursache des „Namens" ist und zugleich außer diesem auch den Himmel, die fünf Elemente, Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen, Recht, Wahres, Gutes und Schönes (eine gute Dreierreihe!) erkennen läßt, also alles lernt der Schüler vom Lehrer, der alles redend benennt, d.h. dem Schüler vorspricht. Wenn hier Rede „mehr" als Name ist, so war in ChU 1,1 der Hymnus (rc) die Essenz (rasa), d.h. das Produkt der Rede genannt worden. „Mehr" als die Rede ist das Denken (3), es „umfaßt" die (subjektive) Rede und die (objektiven) Namen. Die Rede verbindet sozusagen das Erkannte mit dessen Bezeichnung. Damals lehrte Pratardana, daß aus dem Bewußtsein die Rede und aus dieser der Name heraustreten. Denken war für Sanatkumära wie ganz allgemein damals aber auch meinen-wünschen. Er setzte das Denken des Menschen hier im Sinne Yäjnavalkyas ausdrücklich mit dem Selbst, der Welt und dem brahman, also dem (ideellen) Urgrund des All gleich. Mehr als Denken ist der Entschluß (4), denn der Entschluß des Menschen regt dessen Denken und Reden an. Durch den Entschluß des Himmels, der Erde und der anderen vier Elemente (Wind, Raum, Wasser und Glut) entschließt sich der Regen, und durch den Entschluß des Regens entschließen sich die Lebenkräfte, die kultischen Sprüche und Handlungen (Riten), durch deren Entschluß entschließen sich die Welt und (?) alles. Der Monsunregen regt ja alles kultische Handeln des Menschen an (und dieses wiederum fördert das Regnen als kosmisches Geschehen, ist wohl gemeint). Man denkt hier an Uddälakas Hylozoismus, der das Seiende und die drei Elemente wünschen und sich vermehren bzw. umwandeln ließ. Aber Sanatkumära behandelte magische Handlungen und versprach seinem Schüler als magischen Erfolg Sättigung und glutvolle Welten; er stand damit in Gegensatz zu Uddälaka, der das Ordal nur geradezu wissenschaftlich verstehen lehren wollte. Auch diese Stelle zeigt, daß Uddälaka von diesem Nachfolger Yäjnavalkyas nicht als Materialist erkannt oder gar verurteilt wurde. Damals war Kompilation von Magie mit Hylozoismus möglich. Hylozoismus war von Animismus nicht zu unterscheiden. Mehr als Entschluß (4) ist Verstand (5, citta) und mehr als dieser ist Sinnen (6, dhyäna); auch Erde, Luftraum, Himmel, Berge, Götter und Menschen sinnen. Bedeutet Sinnen hier das Grübeln des Yogi ? Mehr ist Erkennen (7, vijnäna), das wie das Reden alle obigen Arten der Literatur „erkennt", lernt, sich aneignet. D.as philosophische Erkennen stellten Uddälaka und Yäjnavalkya höher als Hören und Denken; es ist das Wesen des Geistes bei Yäjnavalkya; es schließt bei Sanatkumära die erste Gruppe seiner 15 bzw. 23 Begriffe ab. Mehr als Erkennen (7) ist Kraft (8),165 denn hundert Erkennende zittern vor einem Kräftigen, hundert Brahmanen-Theologen vor einem Ksatriya-Despoten. Mit diesem „Kräftigen" könnte aber auch ein Niederredner in einer Disputation gemeint sein, wie Yäjnavalkya einer gewesen war (BU 111,9,19; B 217), wie er Sanatkumära in ChU VII, 15,4 (B 308) vorschwebte und von ihm in VII,25,2 (B 310) (wie ein Despot) als Selbst156

herrscher bezeichnet wurde. Durch Kraft besteht aber auch die Erde und das übrige All. Diese K r a f t im Sieger und im All kann das brahman Yäjnavalkyas, der innere Lenker, der Geist sein bzw. Sanatkumäras „Fülle" am Ende seines Textes. Nur ist die K r a f t bei ihm mehr als Erkennen, während dieses bei Yäjnavalkya in BU 111,9,28,7 (B 221) das Wesen des brahman ist. Man kann auch an das Lebeselbst bei Uddälaka denken oder an das brahman als die magische Macht bzw. das r t a des Rgveda. Die zweite Gruppe der Begriffe lehrt: Mehr als K r a f t ist Essen (9), wie das Fasten zeigt; mehr als dieses ist Wasser (10) und ist Glut (11). Diese Dreiergruppe stammt wie der Hinweis auf das Fasten von Uddälakas Kosmogonie mit deren drei Urelementen her. Mehr ist der Raum (12), den Pravähana als das Größte herausgestellt hatte. In diesem sind nach Sanatkumära Sonne, Mond, Blitz, Sterne und Feuer, die mit Uddälakas vier Lichtern zusammenhängen. Raum gilt hier aber auch schon wie später als der Träger des Schalls: durch den Raum ruft, hört und antwortet man. Mehr als der Raum ist die Erinnerung (13). Damit beginnt ohne bisher uns ersichtlichen kausalen Zusammenhang die dritte Gruppe von Begriffen, die an die zweite anschließt, aber im Grunde besser an die erste anzuschließen ist, denn ohne Erinnerung, heißt es hier, gibt es kein Hören, Denken (3) oder Erkennen (7) (diese drei Erkenntnisarten Uddälakas in dessen 1. Abschnitt). - Mehr (d.h. Ursache der Erinnerung?) ist die Hoffnung (14), denn aus Hoffnung auf Erfolg, auf Söhne, Vieh und Glück im Jenseits lernt der Magier (wie Sanatkumära von dem Atemwindmagier Kausitaki den Begriff der Fülle lernte, s.o.) und handelt er (vollzieht Riten). Mehr ist Atem (15), denn in ihm ist alles (auch Hoffnung) befestigt wie die Speichen in der Radnabe. Auch diesen letzten Begriff dieser Reihe von 15 Begriffen hatte Sanatkumära vom Atemwindmagier gelernt. Er fuhr fort: Der Atem geht kraft des Atems. Yäjnavalkya aber hatte gelehrt, daß das ätman-brahman als innerer Lenker im Atem weilt (BU 111,7,16; B 209). Yäjnavalkya hatte dies als idealistischer Monist gelehrt, Sanatkumära aber fuhr als Dualist fort: Wenn einer die Leichen von Eltern, Geschwistern, Lehrern oder Brahmanen durchspießte, ehe sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wäre er doch kein Mörder, denn dpr Atem ( = Leben) sei bereits aus dem Leibe ausgezogen. Diese im Grunde für uns selbstverständliche moralische Konsequenz ist von keinem Atemwindmagier bezeugt. Anders hat später Krsna in der Bhagavadgltä II, 19 f. einen solchen Leib-Seele-Dualismus des Sämkhya zur Rechtfertigung des Kämpfens, des Erschlagens, verwendet: 166 Mit der Tötung des Leibes wird die Seele nicht getötet. Auch die folgende Reihe von acht Begriffen fragt nicht mehr nach einem „Mehr", d. h., sie ist nicht mehr wie bisher kausal geordnet: 12 ist kein Produkt von 13, und 20-22 sind die Folge, nicht die Ursache von 19. Die Fortsetzung der Reihe beginnt damit, daß ein solcher „Wisser" des Atems (15) ein Niederredner ist, der mit Wahrem (16) niederredet. Wahres muß man erkennen; demgemäß muß man (als Erkenntnistheoretiker? Magier? Theologe?) auch das Erkennen (17) erkennen, das schon als 7. Glied der ersten Reihe vorgekommen war. Wer denkt, erkennt; also ist das Denken (mati, 18) zu erkennen, das von Denken = manas, dem 3. Glied (s.o.), für uns noch nicht zu unterscheiden ist. Voraussetzung des Denkens ist Glaube (19), was ein Uddälaka nicht anerkennen würde, also ist auch der Glaube zu erkennen. Hier spricht der Magier-Theologe, während man die Begriffe 13 und 16 bis 18 für wissenschaftliche oder erkenntnistheoretische halten könnte. Selbst Uddälaka hatte einmal von seinem Sohn in seinem 12. Abschnitt verlangt, er solle ihm (dem Materialisten) glauben. 157

Sanatkumära fährt damit fort, daß der Glaubende Vorbereitungen (für Riten) trifft (20), handelt (21) und Glück (22) erlangt. Glück aber ist allein die Fülle (23); nicht gibt es Glück bei „Wenigem". Fülle ist der Zustand, in dem der „Wissende" nichts anderes sieht, hört und erkennt als diese Fülle (des ätman-brahman). Bei einem Wenigen, d.h., wenn einer etwas Anderes, Geringeres als diese Fülle erlebt, auffaßt, als Objekt erfährt, ist kein Glück (nicht z.B. bei Reichtum). - Dies ist eine der auch nach Uddälaka noch seltenen Polemiken. Die Fülle ist das All (der Makrokosmos), das Ich (daß man sich als das All „erkennt"), das Selbst. Wer so sieht, hört, denkt und erkennt, paart sich mit dem Selbst (wird nicht ätman-brahman), hat damit seine Wonne im Selbst, wird Selbstherrscher, hat niemanden als Herrscher über sich, wandelt (als lebend Erlöster) frei in allen Welten. Wer so sieht, denkt und erkennt, der versteht, daß aus dem Selbst der Atem (15), die Hoffnung (14), Erinnerung (13), Raum (12), Glut (11), Wasser (10), Hervorkommen und Wiedereingehen (bisher nicht erwähnt), Essen (9), Kraft (8), Erkennen (7), Sinnen (6), Verstand (5), Entschluß (4), Denken (3), Rede (2), Name (1), aus dem Selbst das vedische Lied und der Ritus, kurz, alles entstammt. Bei (kultisch) reiner Lebensweise zeigt Sanatkumära ihm, wie er sagt, das jenseitige Ufer der Finsternis. - Hier fehlen die Begriffe 16-22 und ist zwischen 10 und 9 ein Begriffspaar eingefügt. Von wem ? Yäjnavalkya hatte liebend-nicht liebend-ätmanliebend nach dem Selbst verlangt (BU IV,4,6; B 239). Sanatkumära aber hat im Gegensatz zu ihm die „Fülle" weder als Erkennen, als Geist, gekennzeichnet noch diesem einen Stoff gegenübergestellt. Er war ein Theologe mehr vedisch-ritualistischer als hinduistisch-mystischer Richtung; er stand den Atemwindmagiern nahe und hatte einige animistisch-hylozoistische Elemente, aber er war kein Philosoph. Seine 23 Begriffe lassen sich in keine philosophische oder wissenschaftliche, sondern nur in eine uns und Hindus kaum verständliche, kompromißlerische, theologische Reihe ordnen.

1.2. A j ä t a s a t r u ( K U IV, B U 11,1; B 312ff.) Ajätasatru 167 , König von Käsi (Benares), deutete in einer Diskussion mit dem Animisten Gärgya, die noch auf Mehrwissen aus war (KU IV, BU 11,1; B 312ff.), dessen sechzehn, je acht makro- und mikrokosmische Geister: 1) in Sonne, Mond, Blitz, Donner, Raum, Wind, Feuer und Wasser und 2) im Spiegel, Schatten, Echo, Ton, Traum, Leib, rechten und linken Auge als eine Art Nachfolger Asvapatis (SB X,6,l; B lOöff.) als den einen Geist Yäjnavalkyas. Er verstand diesen einen Geist also noch recht animistisch, aber auch schon idealistisch. Er lehrte nämlich einen Dualismus dieser Geister in der Sonne usw. und im Leibe mit einem gewissen Primat des Geistes. Dieses „Erkenntnisselbst" 168 ist nämlich - wie das Messer in die Scheide - mit den Lebenskräften in den Leib eingegangen wie der Beste (der Herr) mit den Seinen (in was? in seine Burg?). Er „ißt" sie (beutet sie aus, aber nicht den Leib, die Materie), und sie „essen" ihn (leben von ihm). 169 In diesen im Grunde theologischen, animistischen Dualismus sind aber anscheinend keine philosophischen Gedanken Uddälakas eingegangen. Ajätasatru ließ, die Feuer-Rauch-Kosmogonie Yäjnavalkyas fortführend und im Sinne des Primats des Geistes, in seiner Kosmogonie aus dem Geist (Selbst) die Lebenskräfte, aus diesen alle Welten, Gottheiten und Wesen hervorgehen (BU 11,1,20; B 320): Wie aus der Spinne ihr Faden, so kommen diese Größen kosmogonisch aus dem Selbst 15S

hervor. 170 Statt der Analogie der physikalischen Feuer-Raueh-Kausalität ist Ajätasatru mit der der Spinne zu einer biologischen übergegangen. Es handelt sich ähnlich wie bei Sanatkumära um Theologie, eher um hinduistische als vedische.

] .3. T U I I (B 285ff.) Komplizierter ist die als eine Art Dualismus gemeinte Theologie 171 eines Anonymus in TU 11,1-2; B 285ff. Dieser nahm, ohne auf den Primat des Bewußtseins oder der Materie einzugehen, im leiblichen Selbst, von dem Yäjnavalkya in BU 111,9,10, IV,2,3 und 3,11 (B 216, 228, 231) gesprochen hatte, vier Selbste an, je ein aus Atem, Denken, Erkennen und Wonne bestehendes Selbst. Das leibliche Selbst entsteht und besteht aus Essen und geht in dieses .wieder ein (d.h. vielleicht, die Leiche, verbrannt, wird Regen-Pflanzen wie ähnlich bei Pravähana). Essen galt ihm gemäß dem Leib-Seele-Dualismus, ohne daß er dieses als dualistischer Philosoph gesagt oder gedacht hätte, als Materie und als solche als brahman (Realität), eine Gleichsetzung, die Prätrda in BU V,12 (B 135f.) seinem Gegner zugeschrieben hatte. Diese Hochschätzung des Essens kann auch irgendwie mit Uddälakas drittem Element zusammenhängen. Auch die anderen vier Selbste werden für brahman erklärt, was im Geiste Yäjnavalkyas gesagt ist, nur ist Atem nicht ideell. Die Dreierreihe Essen, Atem und Denken erinnert an Uddälakas drittes Element (Essen) und an die beiden feinsten mikrokosmischen Produkte aus Wasser (Atem) und Essen (Denken) in dessen 5. Abschnitt über das Verdauen. Die Verherrlichung des Atems stammt von den Atemwindmagiern. Das 3. und 4. Selbst, Erkennen und Wonne, aber gehören Yäjnavalkya (am Ende der großen Disputation in BU 111,9,28,7; B 221); insbesondere die lange Skala der Wonnen der Menschen, Geister und Götter bis zu der des brahman (TU 11,8; B 289) ähnelt der in Yäjnavalkyas Belehrung Janakas (BU IV,3,32; B 235).

1.4. Varuna (TU I I I ; B 291ff.) Diese Fünferlehre wird im selben Sinne im nächsten Text (TU I I I ; B 291 ff.) fortgesetzt und dem Gott Varuna 172 in den Mund gelegt: Dieser ließ seinen Sohn Bhrgu fünfmal Askese treiben und meditieren, schon wie ein vedäntischer Yogi, und jedesnal fand er ein tieferes brahman als Urrealität: Essen, Atem, Denken, Erkennen und Wonne.

1.5. P r a t a r d a n a ( K U I I I ; B 321ff.) Ungefähr gleichzeitig lehrte Pratardana, ein Despot von Käsi (Benares) (KU I I I ; B 321 ff.) 173 , eine Kompilation der Mystik bzw. des Idealismus Yäjnavalkyas mit AtemWind-Magie und Indratheologie ohne Uddälakas Hylozoismus (KU 111,1-8; B 321ff.). Eine solche Mischung konnte zu keinem überzeugenden Philosophiesystem führen. Die vedische Theologie des Götterkönigs Indra diente, wie der Despot zu Anfang seines Textes schamlos offen darlegte, der Rechtfertigung des Despotismus. Indra habe ihm, lehrte er, gestanden, daß er viele Verträge gebrochen habe, aber ihm sei für diese Sünden bzw. Verbrechen kein Haar gekrümmt worden; darum solle der Despot ihn, Indra, er159

kennen (an ihn glauben), der der Atem, das Erkenntnisselbst, sei, das dürch gute und böse Taten nicht affiziert werde. Er, Indra, sei (zugleich) sein (des Menschen) Selbst. Pratardana fügte ganz am Ende als Theologe und Despot einen wesentlichen Punkt hinzu: Er, Indra (der Herr der Götter und der Welt), das einzig Reale, lasse den Menschen gut oder böse handeln. Dies ist eine Art theologische Prädestinationslehre, die den sündigen Despoten entschuldigen sollte und die der hinduistischen Tatvergeltungslehre und Sändilyas Lehre der Freiheit des Willens entgegentrat, ohne daß dies gesagt würde und ohne diese Besonderheit zu begründen. E s war ein Versuch, den Sieg des Glaubens über das Wissen mit bestimmtem Interesse festzulegen, nämlich als zynische Rechtfertigung des Despotismus in einem der spätesten Texte der alten Upanisads, als der Despotismus offenbar ein politisches Problem geworden war. Pratardana lehrte als Idealist, daß der Atem (der Atemwindmagier) gleich dem Erkenn tnisselbst (Yäjnavalkyas) sei, denn diese beiden verlassen den Sterbenden gemeinsam (was nicht beweist, daß beide ideell sind). Bei Atem und Erkenntnis unterschied er nicht zwischen Materiellem und Ideellem, Makro- und Mikrokosmischem oder zwischen dem All, Indra, Pratardana und den übrigen Menschen als Subjekten. In einer Art Kosmogonie ließ er aus dem einen Atem-Erkenntnisselbst-Indra, das wir uns nicht als ideell vorstellen können, die zehn (subjektiven, mikrokosmischen) „Nuraus-Erkenntnis-bestehenden" (ideellen), d.h. die traditionellen Lebenskräfte (die aber nicht alle ideell sind), heraustreten und aus diesen die zehn „Nur-aus-Gewordenembestehenden" (die nicht alle materiell sind), d.h. die Objekte der Lebenskräfte. Daher „ergreifen" 1) die Rede die (ideellen) Namen, 2) der Atem in der Nase die Gerüche, 3) das Sehen die Gestalten (Farben), 4) das Hören die Töne, 5) die Zunge die Geschmäcke, 6) die Hände die Handlungen, 7) der Leib (ideelle) Lust und Leid, 8) das männliche Glied. Wonne-Liebe-Zeugung, 9) die Füße die Gehungen und 10) die Erkenntnis die (ideellen) Empfindungen, das zu Erkennende, die Lüste. Dabei besteigt er (man, das individuelle Erkenntnisselbst) mit der Erkenntnis die Rode usw. und erlangt damit alle Namen usw.; Rede usw. und Namen usw. sind gegenseitig füreinander da. Soweit Pratardanas Erkenntnistheorie. Aber, fuhr er fort, (der Philosoph) soll nicht die Rede usw. (geschweige die Namen usw.) erkennen, sondern den nicht alternden, unsterblichen Erkenner (das Erkenntnisselbst), den Atem, die Wonne, Indra, kurz, den Geist als die einzige (echte) Realität. Pratardanas idealistische Vorstellung der zehn Lebenskräfte als aus dem Erkenntnisselbst herausgetretene Phänomene erklärte er selbst ein wenig mit dem Erwachen des Menschen, bei dem man dies angeblich beobachten kann (nicht bei der Geburt). Er verwendete dort in K U 111,3 (B 323) dafür wieAjätasatru (KU IV,20; B 318) die Analogie der Funken, die aus dem Feuer stieben. Dies erinnert an Yäjnavalkyas Vergleich der Kosmogonie mit den aus dem Feuer kommenden Rauchen (BU IV,5,11; 247). Von Yäjnavalkyas acht Greifern aber stammen sicher Pratardanas zehn Lebenskräfte her; er hat deren Reihenfolge geändert und nur zwei: die Füße (9) und das Mannesglied (8) hinzugefügt, wenn man annimmt, daß sein „Leib" (7), der Lust und Leid erfährt, an die Stelle von Yäjnavalkyas „Haut", die die Tastgefühle wahrnimmt, getreten ist. Pratardana, Yäjnavalkya und. die Atemwindmagier gingen letztlich auf indoiranische Reihen physiologischer-mikrokosmischer und ihnen entsprechender makrokosmischer Phänomene zurück, 174 und Pratardanas doppelte Zehnerreihe lebt als philosophisches Erbe u.a. im Buddhismus und Sämkhya bis heute fort. Der Buddhismus ließ den fünf Sinnen plus Denken als den sechs subjektiven, ideellen Phänomenen, die er Name 160

(näma) nannte, die sechs objektiven, materiellen Phänomene, die er Farbe, Gestalt (rüpa) nannte, entsprechen und zwischen den entsprechenden Gliedern beider Reihen einen Kontakt (sparsa) stattfinden, der zum Erleben (vedanä) führt. Beide „Bereiche" (äyatana) der je sechs Namen und Gestalt entstammen (kosmogonisch bzw. embryologisch) dem Bewußtsein (vijnäna), dem Nachfolger des Erkenntnisselbstes. So wurden diese von Buddha der Upanisadtradition entnommenen Begriffe in den für seine Dogmatik grundlegenden zwölfgliedrigen Kausalnexus als 3. und 7. Glied eingeordnet. Diese zwölfgliedrige Kette von Ursachen und Wirkungen sollte die Leiden der Menschheit geradezu medizinisch erklären. 175 Nach dem Sämkhya entsteht beim ewigen Sichwandeln der Urmaterie (dieser auf Uddälaka zurückgehenden Vorstellung) aus dieser der Intellekt, aus diesem das Ichbewußtsein und aus diesem die „Sechzehnergruppe": die fünf Sinnesorgane und deren fünf Gegenstände plus Denken und die fünf „Tatorgane". Die Sinnesgegenstände aber erscheinen hier auf dieser Stufe der Kosmo- bzw. Anthropogonie als die fünf „nur aus diesem Bestehenden" (tanmätra), die aus Farbe, Ton, Geruch, Geschmack und Tastgefühl Bestehenden. Dieser Begriff setzt Pratardanas Begriff des „nur aus dem Gewordenen Bestehenden" 176 fort.

2. Die Entwicklung der Philosophie von Buddha bis zu den Guptas (500 v.u.Z. bis 500 u.Z.) 2.1. Die Lage um 500 v . u . Z . 2.1.1.

Die gesellschaftliche Lage

Ab 600 v.u.Z. rechnet man in Nordindien mit der Entwicklung von Städten der Gangesgesellschaft. Dies dürfte damit zusammenhängen, daß Eisen für Arbeitsgeräte verwendet wurde, die Produktivität der Arbeit stieg, ein staatlicher Sektor der Wirtschaft aufgebaut wurde, Geldprägung aus dem Vorderen Orient übernommen wurde, Städte sich als Zentren des Handels, insbesondere des Fernhandels der Staaten herausbildeten, kurz, Handel und Wandel gediehen. Magadha entwickelte sich als das Land mit den besten Eisenerzvorkommen zum Zentrum eines Nordindien beherrschenden Staatenbundes, und Buddhismus und Jinismus begannen damals als neue Erlösungsreligionen. Damit begann ein Jahrtausend, das erst mit dem Ende der Gupta-Dynastie, mit dem Ende der höchsten. Blüte der Gangesgesellschaft um 500 u.Z. endete. In den Städten bildeten sich neue gesellschaftliche Schichten heraus, einerseits Kaufleute, Fernhändler, aber auch Handwerker und Dienstleitende. Diese gehörten großenteils zum Stand der Vaisyas und nahmen z.T. insbesondere den Jinismus an. Andererseits wurde ein Teil des großgrundbesitzenden Kriegeradels von Ksatriyastand stadtsässig, insbesondere in den Städten der sogenannten Aristokratien, d. h. despotenlosen Staaten. 177 Diese Ksatriyas erklärten sich für den ersten Stand, über dem der Brahmanen, die sich mehr auf die Dorfgemeinde stützten. Aus einer solchen antidespotischen Ksatriyadynastie stammte Buddha. Bei Buddhismus und Jinismus handelt es sich um soziale Bewegungen, die mit dem Aufleben der Stadt in Beziehung standen, aber sie traten in religiösem Gewände auf. U

A b h a n d l u n g e n l/G/79

161

Damals begann die kleine Schicht wohlhabender Städter, d.h. Kaufherren (Vaisyas), ihre eigene Kultur neben der der Dorfgemeinde (Südras), des Despotenhofes (Ksatriyas) und des hinduistischen Tempels (Brahmanen) zu entwickeln. Damals, vielleicht u.a. mit dem damaligen berühmten Arzt Jivaka, wurde die Medizin zur Wissenschaft, die nach den Ursachen der Krankheit 1 7 8 im Leibe des Kranken fragte und danach die entsprechenden Ursachen für die Heilung anwendete. Die Entdeckung dieser Fachkausalität, dieser neuen Qualität des Wissens, war so bedeutend, daß der Buddhismus diesen Begriff der Ursache (nidäna) der Krankheit und Heilung übernahm und sich als (religiöse) Heilkunde der leidenden Lebewesen, nicht nur der Menschheit, ansah. Wie vedischer Glaube sich „Wissen" (veda) nannte, so gab der Buddhismus seine Erlösungsreligion als eine Art medizinische Wissenschaft aus. Im 5. Jahrhundert wurde auch die Grammatik dank Pänini zur Wissenschaft, 179 die noch von unseren heutigen Sprachwissenschaftlern bewundert wird. Aber die Medizin tarnte sich als von Heiligen verkündeter „Veda" des Lebens, und Grammatik, Astronomie und Recht-Moral-Lehre galten als „Glieder des Veda", als Zweige der Theologie, ein Begriff, den die bürgerliche Indologie mit „vedische Hilfswissenschaft" zu übersetzen pflegt. Die fünf alten Upanisads waren mit Pratardana usw. abgeschlossen, und es begannen die sogenannten mittleren Upanisads. 180 Der Kampf zwischen Wissen und Glauben ging in neuer Qualität weiter. Er führte zur Ausbildung des eigentlichen, nicht mehr hylozoistischen Materialismus, des Lokäyata. Dies veranlaßte die Jainas, als Nachfolger Uddälakas einen Atomismus als Teil ihrer dualistischen Philosophie aufzubauen; 181 der Lokäyatamaterialismus tat dies nicht, weil er sensualistisch blieb. An die Umwandlungsvorstellungen Uddälakas knüpften weiter die Dualisten des Sämkhya an, wiederum nicht der Materialismus. Der Idealismus Yäjnavalkyas wurde zu dem des Vedänta, aber einstweilen blieben Vedäntaund Mlmämsä noch wesentlich hinduistische und vedische Theologie.

2.1.2.

Der Materialismus

Zur Zeit Buddhas vertrat nach buddhistischen Texten, die ein wenig jünger sein mögen, Ajita Kesakambala so etwas wie eine dem Materialismus nahe kommende Physiologie gegenüber dem Despoten von Magadha, Ajätasatru, dem größten Herrscher des damaligen Indien. Dieser bat einst Buddha als den größten Weisen dieser Zeit um Unterweisung über den Nutzen des Asketentums. Buddha ließ ihn erst über die Lehren berichten, die er von anderen Lehrern gehört habe, und der König führte ihm sechs an. Diese Form des Dialogs ist im Grunde noch die, die wenige Jahrzehnte vorher Yäjnavalkya in seinem ersten Dialog mit König Janaka verwendet hatte. 182 Erst nach diesem Bericht unterwies Buddha den Ajätasatru wie einst Yäjnavalkya den Janaka. Der dritte der sechs von Ajätasatru angeführten Lehrer war Ajita „mit dem härenen Gewände", also eine Art armer oder asketischer Lehrer. Dieser leugnete angeblich als Atheist den moralisch-religiösen Nutzen nicht nur des Verzichts, d.h. einer Askese, die über Yäjnavalkyas Auszug in die Heimatlosigkeit hinausging, sondern auch des Opferns und Almosenspendens. Gute und schlechte Werke hätten keine religiösen Folgen, da es keinen Unterschied von Dies- und Jenseits gebe (also wohl auch weder Tatvergeltung noch Erlösung); es gebe auch keinen vollendeten Weisen (keine Autorität wie Buddha) zur Entscheidung dieses (theologischen) Problems (der Tatvergeltung u n d 162

Erlösung). Solch (theologisches) Gerede sei Unsinn. Der Mensch sei aus den vier Elementen gebildet, und beim Sterben gehe das Erdige, Flüssige, Feurige und Luftige des Menschen (wieder ?) in die betreffenden vier Elemente ein, die Sinne in den Raum (als fünftes Element?). Es gebe nichts (außer dem Leibe), nur dessen Vernichtung im Tode. Ajita stellte demnach nicht ausdrücklich die Frage nach der. Realität und Erkennbarkeit der Welt und des Ich und nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein. Er war damit - wenigstens nach diesem kurzen Bericht seiner buddhistischen Gegner kein Philosoph, sondern eine Art atheistischer, aufgeklärter, physiologisch interessierter Grübler, 183 dem die Sinne das ersetzten, was Gläubige die Seele nannten, wie es bei Uddälaka in dessen fünftem Abschnitt die materielle Dreierreihe Denken, Atem und Rede tat. Die Sinne gehen nach Ajita beim Sterben in den (wissenschaftlich-philosophisch nicht erklärten) Raum ein, wie es das Selbst nach dem vedischen Theologen Artabhäga in dessen Disputation mit Yäjnavalkya tat. Ajita lehrte eine Moral, die so wenig wie die des Uddälaka auf ein Jenseits ausgerichtet war. Er betonte die Lehre, daß es im Leibe keine ewige Seele gibt. Seine relativ wissenschaftliche Physiologie paßt dazu, daß die Medizin damals bedeutende Fortschritte machte. 184 Er war nicht mehr Magier, wie es doch die einstigen Magier des Atem-Windes gewesen waren. Seine drei Lehren 1) der „Vernichtung" des Menschen im Sterben, 2) der Identität von Leib und Seele und 3) des Bestehens des Leibes aus den vier Elementen waren materialistisch, wenn er auch nicht vom Primat des Materiellen sprach, und sie gingen in den Lokäyata-Materialismus ein. Sie lassen sich andererseits von Uddälaka herleiten, wenn sie auch nicht von einer lebenden Materie ausgehen. Dieser aber hatte seinen Hylozoismus noch nicht so ausführlich polemisch gegen Theologen vorgetragen wie Ajita. Uddälaka gab nur den kurzen Hinweis in seiner Aufgabenstellung, daß er etwas Neues lehre. Uddälaka hatte das Polemisieren begonnen, aber gegen Theologie, nicht gegen Idealismus, wie es noch Ajita im Grunde ganz ähnlich tat. Uddälaka hatte die Notwendigkeit des hylozoistischen Lehrers betont, während Ajita die Autorität des geistlichen Lehrers (wie etwa Buddhas als Religionsgründer) leugnete, auch hierin ein Bahnbrecher des Lokäyata. Ajita benutzte nach diesem kurzen Bericht, den seine buddhistischen Gegner uns vielleicht nicht ganz zuverlässig überliefert haben, seine Physiologie nicht zur Begründung des Primats des Materiellen bzw. des Materialismus, erklärte aber auch nicht die Existenz des Ideellen im Materiellen im Gegensatz zu Uddälaka, der das Denken des menschlichen Leibes vom Essen hergeleitet hatte. Weitere fünf Lehrer Ajätasatrus traten ebenfalls nicht als Philosophen auf. Unter ihnen waren die Begründer der Erlösungsreligionen der Jainas und Ajivikas als 2. und 5. Lehrer, als Theologen; der 1. - darin Pratardana ähnelnd - war ein Lehrer skrupelloser Gewaltmoral, wie sie für Despoten geeignet war, eine Art Staatslehrer, der 6. ein radikaler Aufklärer oder Skeptiker, ein Fortsetzer der rgvedischen Zweifler, der Jenseits, Tatvergeltung und Erlösung leugnete; er ist weder als Atheist noch als Materialist gekennzeichnet. Der 4. Lehrer ist für uns ein dualistischer Theologe; er erkennt als die Realität sieben Elemente an, neben den vier (materiellen) des Ajita die beiden (ideellen): Lust und Leid, und als siebentes das Leben (das für uns wie für Uddälaka organisch, physiologisch und materiell ist bzw. war). Dieser 4. Lehrer machte solche Unterscheidung des Materiellen und Ideellen aber nicht. Ajita wurde weder von Ajätasatru noch von Buddha als Materialist entlarvt oder verdammt; der Gegensatz Materialismus-Idealismus war eben immer noch nicht als grundlegend für die Philosophie erkannt. Seine physiologische Lehre, noch mehr geil*

163

kürzt, steht im D N I, im Lehrstück „Das Netz des brahman", der im buddhistischen Kanon jenem Text der Unterweisung des Ajätasatru durch die sechs Lehrer vorangeht, nur wird dort sein N a m e Ajita nicht genannt u n d ist vom Selbst (dem Lieblingsbegriff Yäjnavalkyas, aber auch Uddälakas) s t a t t vom Menschen die Rede. Diese anonyme Physiologie steht dort als erste in einer Gruppe von sieben Lehren; die anderen sechs sind theologisch und dualistisch und lehren, daß die Vernichtung des Selbstes nicht mit der des Leibes (dem Verfall oder Verbrennen der Leiche) abgeschlossen ist, sondern daß andere Selbste als das Leibesselbst weiterleben, Selbste verschiedener Stufen der Meditation bis hin zur Ruhe, zur Erlösung. Ein Vorläufer dieser Lehre war die des Varuna, der in T U I I I (B 291 ff.) seinen Sohn Bhrgu durch immer höhere (bzw. tiefere) Meditationen über die theologischen Erkenntnisse der aus Essen, Atem, Denken, Erkennen und Wonne bestehenden Selbste hatte zu Yäjnavalkyas Mystik gelangen lassen; diese fünf Selbste waren nach TU I I das des Leibes und der anderen vier in diesem (s.o.). 185 In diesem buddhistischen Text DN I wird auch der Skeptiker unter den Lehrern des Ajätasatru herangezogen (s.o.), und zwar wiederum eingeordnet in eine Vierergruppe von theologischen Lehrern, die über das Verstehen und Nichtverstehen des religiös Heilsamen und Unheilsamen verschiedener Meinung sind. Kein Lehrer dieser beiden Vierergruppen in diesen beiden Texten v e r t r a t Philosophie. In die Zeit des frühen Buddhismus versetzt die buddhistische Tradition weiter den Kleinfürsten Päyäsi 1 8 6 , der an kein Jenseits glaubte, weil es keine Seele im Leibe gebe. Man könne sie weder sehen noch durch vergleichendes Wiegen des lebenden u n d toten Leibes erkennen (erschließen). Dies wollte er mit physiologischen Experimenten an Verbrechern, die er vor und nach deren Hinrichtung wiegen ließ, wissenschaftlich festgestellt haben. Dieser höchst „aufgeklärte" Despot wollte sich und seinesgleichen offenbar die F u r c h t vor dem Tode, vor der Hölle, nehmen (die jedem Despoten drohte). 1 8 7 E r experimentierte d a f ü r mit Verbrechern u n d ging damit als Despot über Uddälakas Fastenexperiment weit hinaus. Aber er lehrte im Grunde keine Philosophie, keinen Materialismus, sondern Physiologie wie Ajita 1 8 8 u n d andere und lehrte wie dieser das Aufhören (bzw. die Vernichtung des Lebens) mit dem Sterben, ohne dieses ausdrücklich zu sagen, wenigstens in dieser buddhistischen, also gehässigen Wiedergabe seiner Lehre. E r war ein Gegner der Religion auch nur mit gewisser Einschränkung, er glaubte nämlich an Sonne u n d Mond als Götter (sei es der vedischen oder der hinduistischen Religion). Diese beiden waren auch von Atemwindmagiern als Gottheiten anerkannt worden, nicht dagegen von Uddälaka in seinem 4. Abschnitt über die vier Lichter. Ajita und Päyäsi k ä m p f t e n um 500 v.u.Z. in ihrer Weise für das Wissen gegen den Glauben in der Zeit zwischen Uddälakas Hylozoismus und dem mechanischen Materialismus des Lokäyata. Dieser ist erst für das E n d e des 4. J a h r h u n d e r t s v.u.Z. durch den Staatslehrer K a u t a l y a wenigstens mit seinem Namen bezeugt, und zwar neben dem Dualismus des Sämkhya (s.u.). 189 2.1.3.

Der Idealismus

I m Gegensatz zu solchen Physiologen und Theologen seiner Zeit k ä m p f t e B u d d h a für seinen neuen Glauben gegen das Wissen, im Grunde auch das philosophische, und gegen die Formen des Glaubens in den anderen damaligen Religionen. Der Buddhist sollte n u r nach ewiger R u h e in der Erlösung, im Nirväna, und nach zeitlicher R u h e im buddhistischen Orden als Mönch oder Nonne (Maitreyl konnte noch keine werden!) streben 164

und dafür auf alles Streiten der Philosophen, Wissenschaftler, Aufklärler und Theologen verzichten und nur das Dogma des buddhistischen Lehrers glauben. Die gegnerischen Standpunkte brachte Buddha nach buddhistischer Tradition in folgendes System von zweimal fünf, also zehn Problemen, die seiner Meinung nach für Vernunft, Wissenschaft und Philosophie unlösbar sein sollen: 1) Ewigkeit oder Vergänglichkeit der Welt, 2) ihre (räumliche) Endlich- oder Unendlichkeit, 3) Gleichheit oder Verschiedenheit von Leib Und Seele, 4) Weiterbestehen oder Nicht weiterbestehen des Buddha nach dessen Tod und 5) Weder-Weiterbestehen noch Nicht-Weiterbestehen des Buddha nach dessen Tod. Die beiden Grundrichtungen der Philosophie werden nicht erwähnt. Buddha stellte hier und sonst als Theologe nicht die Frage nach dem Primat des Materiellen oder Ideellen, sondern lehnte alles Diskutieren ab, das doch für die Entwicklung der Philosophie wesentlich war. Er lehrte seinen „mittleren Weg" zwischen diesen Paaren gegensätzlicher Lehren, 190 nicht zwischen Idealismus und Materialismus, Religion und Atheismus, Theologie und Philosophie oder Glauben und Wissen. Zu Buddhas Zeit war man eben über die Unklarheiten der Upanisad-Denker noch nicht wesentlich hinausgelangt. Unter den sechs Lehrern, von denen Ajätasatru dem Buddha berichtete (s.o.), war kein idealistischer Monist, den man zwischen Yäjnavalkya und dem Vedänta einordnen könnte, sondern nur Theologen mit jeweils abweichenden Lehren der Tatvergeltungs- und Erlösungslehre, ferner ein Fatalist und ein Skeptiker. Wohl aber wird im Text „Das Netz des brahman" (s.o.) eine Vierergrupps von Brahmanen angeführt, die lehrten, daß Seele und Welt aus dem Denken entstanden sind. Sie beriefen sich dafür auf je eine Art intuitiver Schau und setzten sehr alte Kosmogonien solcher Art fort. Diese lebten auch im zwölfgliedrigen Kausalnexus Buddhas und im Evolutionsschema des Sämkhya fort, dort insbesondere in Nachfolge Pratardanas. Man kann weiter einen frühen Theologen oder Vertreter des dualistischen Sämkhya in dem Dualisten sehen, der in diesem buddhistischen Text Seele und Welt als die beiden ewigen Realitäten nebeneinander stellte. Wieweit beide philosophisch als Ideelles und Materielles durchdacht wurden, ist aber aus dem kurzen Text nicht herauszulesen. Auch gegen den ungläubigen Wissenschaftler, den Fürsten Päyäsi, trat kein VedäntinIdealist, sondern ein physiologisch interessierter buddhistischer Mönch und Theologe auf und verwendete u. a. als idealistischer oder dualistischer Gläubiger das Beispiel der Muschel, die nur, wenn sie (mit Atem) geblasen wird, tönt; so empfinden die Sinne des Leibes nur, wenn dieser mit Lebenskraft (Atem), Wärme und Bewußtsein drei traditionelle Begriffe! - verbunden ist, ohne daß er als Buddhist eine ewige geistige Seele erwähnte. Die Buddhisten glaubten ja an keine solche Seele, aber trotzdem an eine Art Seelenwanderung ohne Seele und deswegen an eine solche geistige oder lebendige K r a f t im materiellen Leib statt einer Seele. Sie waren aber keine Hylozoisten, sondern Dualisten, deren Kausalnexus an Pratardana anzuschließen ist (s.o.) und das idealistische Motiv enthält, daß auf das „Bewußtsein" „Name und Form" (Subjektives und Objektives, Ideelles und Materielles) folgen. Päyäsi wäre dagegen ein materialistischer Monist geworden, wenn er bis zu philosophischem Denken gelangt wäre. Das Beispiel der tönenden Muschel jenes gläubigen Mönchs erinnert an den Idealisten Yäjnavalkya, der in BU IV,5,9 (B 247) gelehrt hatte, man könne mit der Muschel deren Töne fassen. Dieser Mönch kam der Anschauung vom „inneren Lenker" des Yäjnavalkya nahe und damit derri Idealismus. Der buddhistische Seelenleugner und Physiologe meinte, mit diesem Dualismus den ihm materialistisch erscheinenden Physiologen widerlegen zu können. 12 Abhandlungen l/G/79

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In damaligen brahmanischen Texten, in den mittleren Upanisads und Epen, zeigt sich eine analoge Unklarheit in bezug auf dualistischen und monistischen Idealismus insofern, als deren „episches" Sämkhya an sich monistisch war, 191 nicht dualistisch wie das voll entwickelte Sämkhya. Es ist dadurch von Vedänta oft nur so schwer unterscheidbar wie Uddälaka von Yäjnavalkya. Um den Weg der Erlösung und zugleich eine Kosmogonie zu lehren, benutzte das Sämkhya ähnlich wie der Buddhismus eine auf Pratardana und letztlich auf die Reihe der acht Quintessenzen in ChU 1,1 zurückgehende Kausalitätsreihe, deren Anfang im monistischen Sämkhya der Geist (purusa) war, im dualistischen die durch den Geist angeregte Materie (prakrti). Die Unterscheidung von Sämkhya lind Vedänta fehlt dementsprechend noch in diesen mittleren Upanisads, diese sind weit mehr theologisch als physiologisch, und der Kampf gegen Lokäyata, Buddhismus oder Jinismus spielt in ihnen keine nennenswerte Rolle. Die Datierung und Entwicklung der komplizierten Seelen- und Atomlehren der Jainas sind noch unsicher. 192 Hier sei weiterfolgendes angedeutet. In der Brhaddevatä 1,61 ff., einem Text der „Etymologie", dieser „vedischen Hilfslehre" kurz vor 400 v.u.Z., heißt es, daß einige (Theologen) die Sonne den Ursprung und die Auflösung von Allem, dem Gegenwärtigen, Vergangenen und Künftigen, dem Sichbewegenden und Festen, nennen. Dieser Mutterschoß des Nichtseienden und Seienden sei Prajäpati, dieses ewige brahraan. Sonne, Wind und Feuer, diese drei Götter der drei Welten (in der traditionellen Kosmologie der vedischen Theologen) seien nur ein einziges Feuer in drei Formen. 193 Diese Sonne-Feuer-Theologie läßt sich u.a. auf RV 1,164,46 (B 21) zurückführen, daß Priesterdichter das eine Feuer (den einen Feuergott Agni) mit den Namen vieler Götter benennen, auf RVX,114,5 (B 21), daß sie die eine Sonne vielfach benennen, auf RV VIII,58,2 (B 21), daß ein Einziges, Feuer, zu diesem Allen geworden ist, und auf einige Sonnentheologen verschiedener Richtungen in Brähmanas und Upanisads.

2.2. Die gesellschaftliche Entwicklung vom 4. J h . v . u . Z . bis zum 5. J h . u . Z . Im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts v.u.Z. wurde Magadha unter der MauryaDynastie zur führenden Macht Nordindiens, ja bis weit in den Süden Indiens. Der Despot von Magadha war nicht mehr der kriegerische Welteroberer vedischen Typs, sondern das politische Oberhaupt einer durch Verträge, friedlich, wenn auch unter politischem Druck geschaffenen Staatenunion. 194 Magadhas politischer Vorrang fußte auf seiner wirtschaftlichen Macht und seiner neuen, friedlichen Politik. Diese ist mit dem Namen des Kautalya verknüpft, des genialen Beraters des ersten Mauryaherrschers, Candragupta. Yäjnavalkya war anscheinend der erste Berater dieser Art bei König Janaka gewesen. Indien hatte eben auch in der damaligen Zeit - im Gegensatz zu Europa mit seinem Übergang von der griechischen zur hellenistischen und römischen Stufe der Antike und zum Feudalismus - einerseits eine enorm kontinuierliche Entwicklung von Basis und Überbau bis zur Philosophie, andererseits eine sehr wechselnde Geschichte von Staaten und Dynastien, u. a. mit neu aus dem Nordwesten eindringenden Eroberern, wie den Kushan; diese führten die Gangesgesellschaft in Nordwestindien im 2. Jh. u.Z. zu einem neuen Gipfel ihrer Kultur. Durch die Fremdherrschaft war die Macht der Brahmanen geschwächt, und die wohlhabenden Städter konnten beginnen, literarische Werke niederschreiben zu lassen, u.a. auch philosophische, so die bis damals langsam herausgebildeten Grundwerke (Sütras) der Hauptschulen der Philosophie. 195 166

Von 300 bis 500 u.Z. beherrschten dann die Gupta-Despoten von Magadha den größten Teil des südasiatischen Subkontinents; diese zwei Jahrhunderte waren das goldene Zeitalter der Gangesgesellschaft nach deren zwölfhundertjährigem Aufstieg und vor ihrem dreizehnhundertjährigen Verfall. 2.2.1.

Die Unterscheidung von Theologie und Philosophie im 4. Jh., v.u.Z.

Kautalya war in dieser großen Zeit des 4. Jahrhunderts ein großer Wissenschaftler; erhalten ist uns seine Staatslehre (AÖ). Dieses wichtige Werk des Theoretikers und Praktikers der Politik beschäftigt sich u.a. mit dem noch für uns heute grundlegenden Problem der Unterscheidung der indischen Philosophie (änviksikl, etwa: nachprüfende Untersuchung) und Theologie (trayl, die der drei Veden) 196 . Der Begriff „nachprüfende Untersuchung'' ist nicht älter belegt; er kennzeichnet die Auffassung des damaligen Gelehrten von der Philosophie als einer Lehre, die über den anderen Lehren (auch der Theologie) steht bzw. diese untermauert. Eine solche Unterscheidung hatte vermutlich etwas vor ihm der spätvedische Rechtslehrer Gautama kurz erwähnt. Aber Kautalya sah sie als so wichtig an, daß er sie an den Anfang seines Werkes stellte. Dessen erstes Buch behandelt die Moral des Despoten und seiner höchsten Beamten nicht utopisch, sondern aufgeklärt. Tugend ist ihm lehrbar (Ai§ I,5,5f.). Im 2. Kapitel seines I. Buches (das 1. ist das Inhaltsverzeichnis) zählte Kautalya Philosophie, Theologie, Ökonomie und Staatslehre als die vier „Wissen" (vidyä) auf. Dieses Wort kann Wissenschaft bedeuten, wird hier wie auch schon in den alten Upanisads aber am besten mit Lehre, deren Wissen damals in einer speziellen Schule überliefert wurde, übersetzt. Kautalya hat hier angedeutet, daß Wissen neben (nicht gegen) Glauben steht. E r polemisierte indessen gegen die Mänavas, eine uns nicht erhaltene Schule der Staatslehre, die die Philosophie als eine Art Theologie auffaßte. Kautalya kämpfte weiter gegen zwei Schulen der Staatslehre, die Theologie und Philosophie überhaupt nicht als Lehren (Wissen) anerkannten, sondern nur Ökonomie und Staatslehre. Theologie und Idealismus gehören ja im wesentlichen in der Tat nicht zum Wissen. Diese beiden Schulen von Staatslehrern standen dem Atheismus bzw. Materialismus in ihrer Weise nahe. Im Mittelalter erkannten in ähnlicher Gesinnung die Materialisten des Lokäyata nur die beiden Lehren der Politik (und damit auch die des schlauen Verhaltens im Leben, in der despotisch regierten Klassengesellschaft) und der Lust (Liebe) bzw. des Genusses als die beiden Anleitungen des Menschen zum Handeln, zum Erreichen seiner Ziele, an; die beiden jenseitigen Ziele des Himmels- und Erlösungsglücks leugneten sie. Kautalya dagegen sprach sich weder gegen religiösen Glauben noch Idealismus aus. E r definierte, sein zweites Kapitel zusammenfassend, die Philosophie als die Lehre, die der „Welt" (Gesellschaft) hilft, indem sie mit Begründung (!) innerhalb der Theologie (d.h., wenn es dem Despoten oder Richter um die Anwendung der vedischen Hilfslehre Recht-cum-Moral geht) Recht und Unrecht (Gut und Böse), innerhalb der Ökonomie Nutzen und Schaden und in der Staatslehre richtige und falsche Schachzüge unterscheiden hilft; sie hilft der Welt, festigt den Verstand in Glück und Unglück und verhilft zu Klarheit in Denken, Reden und Handeln. Kautalya schloß dieses Kapitel mit einem Vers, vielleicht einem Zitat: Die Philosophie erleuchtet stets alle Lehren (Wissenschaften), hilft allen Handlungen und fundiert alle Moral. 12*

167

Wenn die hinduistische Theologie vier Ziele des Menschen lehrte: Moral-Recht, sozialökonomisch-politischen Erfolg, Liebe-Genuß und Erlösung, so anerkannte Kautalya in Übereinstimmung mit den Materialisten nur die ersten drei, die irdischen Ziele. Er lehrte, diese in richtigen Proportionen zu verfolgen (AS 1,7,3) und durch den Staat und dessen Machtapparat im Volk verbreiten zu lassen (1,44,11). Für diese Aufgabe sollte die Philosophie den Verstand des Despoten schulen, sollte er als Prinz und Schüler alle diese vier Lehren von Lehrern und Praktikern lernen (1,5,8). Für diesen Zweck hat Kautalya für den Despoten nach dem Studium aller Lehren (sästra) und nach praktischer Erfahrung seine Staatslehre verfaßt (11,10,63). Seine Unterscheidung von Theologie und Philosophie versuchte ein wesentliches Problem zu lösen, aber er konnte das Wesen der Philosophie weder nach ihren beiden Grundrichtungen noch nach ihrem Verhältnis zum Glauben (Theologie) und Wissen soweit klarstellen wie wir heute. Als Staatslehrer, der selber kein Philosoph war, meinte er wohl eher etwas wie eine Lebensphilosophie 197 oder Weltweisheit 198 des damaligen Despotismus, die dem Ökonomen und Politiker mit weltanschaulichen Argumenten in schwierigen Situationen half, sich zu entscheiden. Er mag dabei an Lehrtexte wie die Bhagavadgitä 199 gedacht haben, in der Krsna dem Arjuna in dessen Gewissensnot, ob er gegen die eigenen Verwandten kämpfen dürfe oder müsse, mit Argumenten des Sämkhyia und Yoga half. Kautalya aber konnte (und wollte?) nicht verhindern, daß auch später in Indien alle monistischen oder dualistischen Idealismen ihre wesentliche Aufgabe in der Darlegung des Weges zur Erlösung sahen und damit von Theologie beherrscht blieben oder daß, wie man in unserem christlichen Mittelalter sagte, die Philosophie als Magd der Theologie galt. Kautalya konnte sich darauf stützen, daß neben die Schulen der Theologen die der Philosophen, er nannte die des Sämkhya, Yoga und Lokäyata, getreten waren, während er offenbar, und dies mit Recht, Mimäiiisä und Vedänta noch nicht als Philosophie, sondern als Theologie ansah. Da Schrift immer noch nicht für Literatur verwendet wurde, waren Schulen zum Auswendiglernen für alle vier Lehren, für Philosophie, Theologie, Ökonomie und Staatslehre, unumgänglich. Kautalya dachte sich also Philosophie als eine Ethik, die zu rechtem Handeln dadurch verhilft, daß sie ihre Ziele mit naturphilosophischen Lehren untermauert, wie Krsna damals die Notwendigkeit des Kämpfens in der Bhagavadgitä mit dem Dualismus des Sämkhya begründete. Vermutlich dachte Kautalya auch schon an eine Untermauerung der Naturphilosophie durch Erkenntnistheorie, so wenig man damals in den fast tausend Jahren zwischen Yäjnavalkya und dem Nyäyasütra (s.u.) von den drei Disziplinen der Philosophie wußte. Das Begründen war offenbar als Methode der Wissenschaft, insbesondere der Medizin von Buddhas Zeit an, als wichtig auch für die Philosophie erkannt worden. Als aufgeklärter Staatslehrer (s.o.) wollte Kautalya Despoten und Prinzen durch Lehren (Wissenschaften) einschließlich Philosophie moralisch erziehen lassen (AS I, 5-6; I, 17,30-33), und so auch die höchsten Beamten des Staates (s.o.). Von der Moral auszugehen war bei der Betrachtung der Philosophie völlig berechtigt. Und es ist kein Zufall, daß Kautalyas Definition der Philosophie als „Leuchte aller Lehren ..." (s.o.) von Vätsyäyana, dem großen Nyäyaphilosophen der Guptazeit, zitiert wurde, und zwar am Ende seines Kommentars zu Nyäyasütra 1,1,1; seine Größe zeigte er u.a. am Anfang seines Werkes; dort hat er als erster Inder das Kriterium der Praxis in seiner altindischen Form aufgestellt, und zwar zur Ablehnung des subjektiven Idealismus und Agnostizismus der buddhistischen Idealisten der voraufgehenden Zeiten. 200

168

2.2.2.

Die Entwicklung des Materialismus

Der Höhe der Entwicklung des damaligen Sämkhya, wie es u. a. Krsna in der Bhagavadgitä vertrat, wird die des Lokäyata-Materialismus entsprochen haben, den Kautalya mit Sämkhya und Yoga zusammenstellte, 201 und zwar als die drei Philosophien, die er als solche anerkannte. Dieser Materialismus ist aus verstreuten materialistischen Gedanken in Kautalyas Staatslehre, im damaligen epischen Königsrecht und in einem physiologischen Text des Epos zu rekonstruieren. 202 In einem Teilstück der Bhagavadgltä wird die Notwendigkeit ständiger selbstloser Aktivität des Menschen damit begründet, daß die Materie (prakrti, ein Ausdruck des Sämkhya) aus sich heraus ewig in BewegungVeränderung ist und der Mensch deswegen ständig in Bewegung (Handlung) sein muß, um seinen Leib zu erhalten. Hier wird die Meditation des Yogi-Mystikers abgelehnt und der „Tatyoga", jene selbstlose Selbsterhaltung, als ständige Aktivität verherrlicht. Hier ist von keiner Seele die Rede, so daß es sich im Grunde um ein materialistisches und geradezu dialektisches Lehrstück handelt. 203 Dieses könnte ungefähr dieser Zeit um 300 v.u.Z. angehören. Ähnlich steht es mit der Unterweisung des Helden Räma durch den königlichen R a t Jäbäli, der physiologische Gedanken mit der Lehre vom Sterben, also Leugnung der ewigen Seele, mit hedonistischer Moral verband: Man halte sich an das sinnlich Erkennbare, glaube nicht an Seele und Jenseits, wie schon Päyäsi und vor diesem Usasta als Befrager Yäjnavalkyas (BU 111,4; B 202f.) verlangt hatten, die Seele zu sehen, sollten sie an sie glauben. Dieses epische Textstück mag erst um die Zeitenwende verfaßt worden sein. 204 In die Zeit des großen Kushan-Herrschers Kanishka, in das 2. Jh.u.Z., mag dann der naive Analogieschluß eines Materialisten gehören, daß der Mensch nicht ewig ist, wie der zerbrechliche Topf, denn er ist wie dieser sinnlich wahrnehmbar. Diesen Schluß hat der Mediziner Caraka dieser Periode uns erhalten. 205 Anzeichen, daß es im з. Jh. u.Z. ein gewisses materialistische System mit den drei Disziplinen gegeben hat, kann man aus etwas jüngeren antimaterialistischen Polemiken imNyäyasütra gewinnen. 206 Um 300 begann dann die Guptazeit. Der Nyäya und das Vaisesika hatten beide schon kurz vorher starke materialistische bzw. naturwissenschaftliche Elemente ausgebildet wie einen Atomismus und Lehre der Bewegungen, der Kausalität, der Kategorien wie Substrat, Attribut, Bewegung usw., die an Aristoteles erinnern; aber sie lehrten Glauben an den hinduistischen Gott, Seele, Tatvergeltung und Erlösung, grenzten sich beide polemisch vom Materialismus, aber nicht von Theologie ab. Das Nyäyasütra wurde als erster philosophischer Text in gewisser Weise nach den drei Disziplinen der Philosophie disponiert. 207 Ähnlich taten von damals an mehr oder weniger ausgesprochen die übrigen dualistischen, kompromißlerischen philosophischen Systeme innerhalb des brahmanischen Hinduismus, des Buddhismus und Jinismus.

2.2.3.

Die Entwicklung des Idealismus

Für die Entwicklung des Idealismus in seinen verschiedenen Richtungen in diesen acht Jahrhunderten von 300 v.u.Z. bis 500 u.Z. steht uns, vielleicht weil Schrift vom 2. Jh. и.Z. an für Literatur verwendet wurde, eine Fülle von Texten zur Verfügung. Jeder moderne Historiker dieser Philosophenschulen folgt bisher seiner eigenen Theorie von deren Entwicklung. 208 Hier sei nur ganz kurz einiges angedeutet, zunächst über die 169

drei Paare brahmanischer Philosophenschulen: Sämkhya-Yoga, Mimämsä-Vedänta und Nyäya-Vaisesika. Der. Dualismus des Sämkhya brachte es bis zu Isvarakrsnas Darstellung, die im Mittelalter immer wieder kommentiert wurde, d.h. bis zu seiner vorläufig abschließenden, sozusagen klassischen Gestalt. Am Anfang dieser Periode war es als sogenanntes episches Sämkhya oft in monistischer Form aufgetreten, d.h., nur der eine Geist (purusa) wurde als erste Realität anerkannt, aus dem sich die Materie entwickelte; und im späteren Mittelalter wurde es manchmal wieder so dargestellt. Der Dualismus des Sämkhya ist also zwar für diese Schule bezeichnend, ist aber in gewisser Weise nur vorübergehend herrschend gewesen; es verband Uddälakas Hylozoismus mit Yäjnavalkyas Idealismus. Das Yogasütra des Patafijali behandelte als Systematik des Yoga an philosophischen Themen nur kurz die Erkenntnistheorie, um das mystische Erlebnis des Yogi von den üblichen fünf Erfahrensweisen zu unterscheiden, von Erkennen, Irrtum, bloßem, gegenstandslosem Denken, Schlaf und Erinnerung. Der Yogi soll dagegen das Aufheben aller solcher Funktionen des menschlichen Denkens erleben. Der Dualismus des Sämkhya wird im Yoga stillschweigend vorausgesetzt. In dieser langen Periode kamen die beiden Theologenschulen der Brahmanen, die vedische der Mimämsä und die hinduistische des Vedänta, insofern zu einem vorläufigen Abschluß, als sie ihre seit den Brähmanas und Upanisads langsam ausgebildeten Dogmatiken in je einem Sütrawerk niederlegten, um die vermeintliche Einheit der Lehren der Brähmanas bzw. Upanisads darzulegen, u.a. auch die Uddälakas und Yäjnavalkyas. Sie dachten ebensowenig wie die anderen Philosophenschulen an eine Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie, wie sie doch die Staatslehrer diskutiert hatten. Hier muß auch auf die Sütrawerke des Nyäya und Vaisesika hingewiesen werden, deren materialistische Elemente oben bereits erwähnt worden sind. Im Nyäya werden die Themen der Theologie der Erlösungsreligiön als die „Gegenstände" seiner dualistischen Philosophie behandelt: Seele, Leib, Sinnesorgan, Sinnesgegenstand, Denken, Denkorgan, Handeln, moralische Fehler, Wiedergeburt, Leid und Erlösung. Unter den Mitteln zur Erkenntnis dieser Gegenstände erscheint das Dogma, definiert als Unterweisung durch einen Wissenden. Der Nyäya begann damals auch mit der Aufstellung eines ontologischen Gottesbeweises, der im Mittelalter breit ausgebaut wurde. Auch die Theologen des Jinismus bauten in der Guptazeit einen philosophischen Dualismus mit einer eigenen Seelen- und Atomlehre, Erkenntnistheorie und Ethik j,us. 209 Die des Buddhismus stellten mehrere Philosophien auf, darunter zwei subjektive Idealismen, die Lehre der „Leere" als extremen Agnostizismus und die Lehre des Bewußtseins (vijnäna), unter Verwendung des Terminus technicus des Yäjnavalkya in dessen objektivem Idealismus. 210 In der Polemik gegen diese Idealismen stellte der Nyäya des Vätsyäyana (s.o.) das Kriterium der Praxis auf, eine bedeutende Leistung. Unter dem Einfluß dieses buddhistischen subjektiven Idealismus begann dann Bhartrhari, den Vedänta zum objektiven Idealismus auszubauen. 211 Man könnte Bhartrhari einen idealistischen Sprachtheologen nennen. Er ließ alle materiellen und ideellen Erscheinungen aus dem „Wortbrahman" entstehen in einem Prozeß^ den er gelegentlich mit dem Fachausdruck des späteren Vedänta vivarta nannte und als eine Entwicklung niederer Realität aus der höchsten Realität des brahman verstand; er war damit ein Erbe Yäjnavalkyas. Gegen dieselben buddhistischen Idealismen leitete der anonyme „Kommentator" des Grundwerks der Mimämsä deren vedische Theologie mit einer 170

dualistischen, also philosophischen Einleitung ein, so daß die Mimämsä von damals an als Philosophensystem anerkannt werden konnte. 2 1 2 Damit waren von den philosophischen Ideologen des Ksatriyaadels und des Despoten, des Brahmanenstandes und verschiedener Gruppen der Schicht der wohlhabenden, gebildeten Städter die von da an allgemein anerkannte Sechszahl der brahmanischen, orthodoxen Philosophiesysteme (Vedänta-Mimämsä, Sämkhya-Yoga, Nyäya-Vaisesika) und die als nicht orthodox angesehenen Gruppen der buddhistischen und jinistischen Philosophien samt dem Materialismus (Lokäyata) geschaffen.

3. Ausblick bis heute Im Mittelalter, von 500 u.Z. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, ging mit der altorientalischen Klassengesellschaft die Entwicklung der traditionellen Schulen kontinuierlich weiter. Neue Schulen kamen nur als Theologien bzw. als Philosophien neuer religiöser Sekten ohne wesentliche philosophische Neuerungen auf. Der Buddhismus mit seinen Sekten und Philosophien starb aus, aber der Islam kam mit seinen letztlich auf Aristoteles zurückgehenden Philosophien, die zum Teil dem Materialismus nahestanden, nach Indien, ohne anscheinend die altindischen Philosophien wesentlich zu beeinflussen. Die gegenseitige Polemik der Kommentatoren und Subkommentatoren der alten Systeme wurde immer gelehrter bzw. spitzfindiger und führte zu raffiniertester Scholastik; der Kampf der Religionen und Sekten verband noch in diesen späten Zeiten diese Scholastik der Idealismen, insbesonder des Vedänta, mit Mystik bzw. mit deren Theologie verschiedener Richtungen. I m Mittelalter blieb der objektive Vedänta-Idealismus die herrschende Philosophie. Ihm wurde der Materialismus manchmal in der Form entgegengestellt, wie Mädhava im 13. J h . seine „Zusammenfassung aller Philosophien" mit dem Lokäyata als der verwerflichsten begann und mit dem Vedänta als der einzig richtigen enden ließ. Damit war aber nicht erkannt, daß der Gegensatz von Materialismus und Idealismus das Wesen und die Entwicklung der Philosophie in der Klassengesellschaft bestimmt hat. An eine Entwicklung der Philosophie und an Philosophiegeschichte dachten die alten Inder nicht, selbst wenn sie Geschichten kleiner Völkerschaften, wie der Ceylonesen oder Kaschmirer, verfaßten und von dem Götterlehrer Brhaspati als Begründer des Materialismus und von Kapila als dem des Sämkhya fabelten, nicht etwa von Uddälaka, oder von Yäjnavalkya als dem des Vedänta. Neben den Materialismus wurden von Mädhava die Idealismen-Dualismen-Theologien der Buddhisten und Jinisten als fast ebenso verwerflich gestellt. Sie galten alle zusammen als die ungläubigen oder unorthodoxen (nästika), d.h. falschen Philosophien im Gegensatz zu den orthodoxen brahmanischen. Diese theologische Unterscheidung war statt der philosophischen nach den beiden Grundrichtungen der Philosophie üblich. Wesentliches Neues wurde auf dem Gebiet der Philosophie nicht erkannt. Von 1800 an drangen dann europäische und amerikanische bürgerliche Philosophien mit Kolonialismus und Neokolonialismus nach Indien ein und wirkten auf gewisse Kreise der Intelligenz der middle classes. Last but not least kam nach 1917 der dialektische und historische Materialismus nach Indien. Nach der Vorgeschichte der Menschheit in der Ur- und Klassengesellschaft beginnt mit der Gründung der kommunistischen Partei die eigentliche, die wissenschaftliche Philosophie auch in Indien, 2500 J a h r e nach Uddälaka 171

und Thaies. Gegen sie wehrt sich die Mehrheit der bürgerlichen Intelligenz; diese sucht in Indien noch heute den objektiven Idealismus des Vedänta, also letztlich des Y ä j n a valkya samt dem nicht erkannten Hylozoismus des Uddälaka, weiter als herrschende Philosophie zu erhalten, ohne sie von Theologie zu sondern. Wir haben als sozialistische Internationalisten mitzuhelfen, das vorwärtsweisende altindische Kulturerbe, auch das der Philosophie von Uddälakas Hylozoismus an, immer besser aufzudecken und mit unserem eigenen Erbe, auf Gemeinsamkeiten und Besonderheiten hinweisend, zu vergleichen, um den Platz beider Philosophieentwicklungen in der Geschichte der Menschheit zu erkennen.

172

YI. Vergleich des Beginns der alten indischen und griechischen Philosophie im Rahmen der Menschheitsgeschichte

Will man die Einzigartigkeit des heutigen altindischen philosophischen Erbes und seiner Entwicklung historisch klarstellen, so ist ein systematischer Vergleich mit der griechischen Philosophie und deren Entwicklung im Rahmen der allseitigen Menschheitsgeschichte unter möglichst richtiger, d. h. wissenschaftlicher und damit materialistischparteilicher Hervorhebung der Gemeinsamkeiten und Besonderheiten nützlich, ja unentbehrlich. Nur durch solches Vergleichen aller Philosophien können wir aber auch unsere eigene Philosophie und deren Entwicklung verstehen. Ansätze zu solchen Vergleichen liegen bereits vor, 213 hier sei nur auf einige wichtige Punkte hingewiesen. Eine Schwierigkeit liegt dabei darin, daß die erhaltenen griechischen Quellen für die ersten Philosophen und die denen vorangegangenen Denker weit unzureichender sind als die indischen, und auch dies bedarf historischer Erklärungen.

1. Raum und Zeit Man kann von der vergleichenden Betrachtung der beiden Räume und Zeiten ausgehen, von dem Unterschied der Klimata, der Feldfrüchte, der Handelswege usw. Zwischen Indien und Griechenland liegt in Vorderasien der Raum der agrarischen Revolution im 10. bis 7. Jtsd., 2 1 4 die nach beiden Seiten gewirkt hat; Indien wurde aber daneben vor allem durch die agrarische Revolution, die in SO-Asien zum Anbau von Reis geführt hat, 215 beeinflußt. Die Indusgesellschaft hing um 2000 v.u.Z. recht eng mit der vorderorientalischen im Westen die Gangesgesellschaft von 900 v.u.Z. ab aber außerdem mit der östlichen zusammen. Beide Gesellschaften waren die beiden indischen Formen der altorientalischen, 216 der ersten oder der patriarchalischen Klassengesellschaft oder Ausbeutergesellschaft, 217 die man auch patriarchalische Sklavenhaltergesellschaft 218 genannt hat. Die Inder lebten im Osten, die Griechen im Westen Vorderasiens, dieses riesigen Raumes zwischen drei Kontinenten, der seit jenen alten Zeiten von Karawanen durchzogen wurde, so daß vieles an materieller und geistiger Kultur sich nach beiden Seiten ausbreitete oder in ihm hin und her wanderte, wie u. a. die Zeichenschrift und die Buchstabenschrift, die Mythen der vier Weltalter mit ihrer Romantik und Utopik.und der Sintflut, einige Motive des Heldenlebens der Krsna, Paris, Kyros oder BhimasenaTheseus und religiöse Motive wie das des Stiergottes, das der Insel der Seligen und des, Gegensatzes von Askese und Lust. 219 Zu vorarischen Indern und zu Griechen (mit den Wundermännern wie Aristeas) gelangten vor dem Beginn der Philosophie auch für die beiden Religionen wichtige Elemente des innerasiatischen Schamanismus mit seinem Leib-Seele-Dualismus und mit dem Glauben an zwei Arten der Wanderung der Seele 1) aus dem lebenden Leib etwa 173

bei Krankheit und 2) aus dem sterbenden Leib zu Wiedergeburt. Aus Innerasien kamen indoeuropäische Stämme mit militärischer- Demokratie ungefähr gleichzeitig in beide Räume. Die Stämme der Griechen wanderten von der Mitte des 13. Jh. an zunächst nach Griechenland ein, in den Raum der ägäischen Kultur altorientalischen Typs, und Gruppen verarmter Griechen wanderten in der großen Kolonisationsbewegung um die Mitte des 8. Jh. nach Osten, nach der kleinasiatischen Küste, und nach Großgriechenland weiter. Die Stämme des Aryas wanderten zunächst von etwa 1250 v.u.Z. an nomadisierend ins Panjab, ohne von der doit schon zerfallenden Indusgesellschaft wesentlich beeinflußt zu werden, und Gefolgschaften einiger ihrer Könige zogen dann ab 900 etwa in das Gangesgebiet weiter, wo sie langsam seßhaft wurden. _ Beide Landnahmen waren also im Charakter sehr verschieden, zumal die Aryas im Gangesgebiet den bewässerten Reisanbau der Voräryas - im Gegensatz zu den Griechen fortführten. Beide Indoeuropäer, die an sich schon bei ihrer Einwanderung ihre Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, ja Einzigartigkeit hatten, lösten in ihren neuen Räumen den Übergang zu neu'en Klassengesellschaften aus, die Griechen den zur antiken Gesellschaft, die Aryas den zur altorientalischen Gangesgesellschaft. Beide veranlaßten im Verlauf der beginnenden Klassenkämpfe den Beginn der beiden Philosophien mit Hylozoismus. Zu diesem trugen sie mit ihren angestammten indoeuropäischen Kulturen ebenso bei wie die Unterworfenen, die Aryas und Griechen insbesondere mit ihren Mythen und ihren verwandten Sprachen, die beide so grundlegende philosophische Begriffe wie „das Seiende" bilden konnten.

2. Die gesellschaftliche Entwicklung Was die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der beiden Gesellschaften in den Zeiten vor dem Beginn der beiden Philosophien angeht, so sind in beiden Fällen einstweilen nur Vermutungen möglich. Während sich im Gangesgebiet mit der sozialen und politischen Unterdrückung vor allem der Voräryas der Despotismus in regionalen Staaten ab 900 langsam herausbildete, führte der entgegengesetzte Klassenkampf etwas später in den griechischen Stadtstaaten zum Kampf der demokratischen Bürger gegen das angestammte Königtum der militärischen Demokratie, zur Polisdemokratie, oft unter zeitweiliger Einsetzung von Tyrannen, die eine ähnliche und zugleich ganz andere Art Autokraten waren als die indischen Despoten. Diese revolutionären Kämpfe liefen in Griechenland zwischen etwa 700 und 500 ab. Die drei Hylozoisten, Thaies (625-545), Anaximander (610-545) und Anaximenes (595-525), waren während dieser Zeit aktiv, 220 während Uddälaka und Yäjnavalkya nur wenig vorher, zwischen 650 und 530 etwa, während der entsprechenden Periode der Herausbildung des Despotismus wirkten, noch ehe Städte ab 600 in Indien (nach dem Zerfall der'Städte der Indusgesellschaft) eine Rolle zu spielen begannen und auch dieses im Gegensatz zu- Griechenland, wo das Städtetum seit der vorgriechischen Zeit mit der neuen Demokratie fortlebte. Erwähnenswert ist weiter, daß Schrift damals in Indien noch nicht für literarische Zwecke verwendet wurde, Denker also nur in Schulen wirken konnten, in denen ihre Lehren auswendig gelernt wurden, insbesondere in Schulen verschiedener Arten von Theologen, die den Despoten unterstützten und von diesem unterstützt wurden. In Griechenland aber müssen wir für die Epen Homers und die Theologie Hesiodsum 700 zumindest teilweise Verwendung der Schrift annehmen, 221 und sicher für die Lyriker der Mitte des 7. Jahrhunderts. 2 2 2 174

Immerhin verdanken wir der mündlichen Tradition Indiens so alte und wichtige vedische Texte wie die vier Sammlungen des Rgveda usw. und deren Brähmanas und alten Upanisads, Textmassen, die zwischen dem 12. und 6. Jh. verfaßt wurden, und dies vermutlich im wesentlichen in ihrer erst weit später niedergeschriebenen Form. Von profaner Epik, Lyrik und Dramatik dieser alten vorbuddhistischen Inder sind uns indessen nur minimale Reste erhalten. Die indischen Epen z.B. lebten in mündlicher Tradition der Barden (sütas) bei gewaltigem Wachstum bis in die Guptazeit weiter, 223 bis die Archetypen ihrer uns überkommenen Handschriften niedergeschrieben wurden, darin anders als die griechischen Epen, die fast ein Jahrtausend vorher etwa um 550 v.u.Z. unter Peisistratos aufgeschrieben wurden und sich schon von etwa 700 v.u.Z. an nicht mehr wesentlich entwickelten. 224

3. Die Entwicklung des Glaubens der Erlösungsreligion In beiden Räumen wurden in den beginnenden Klassengesellschaften u.a. neue Religionen, Erlösungsreligionen, zur Beschwichtigung der Ausgebeuteten, neben den alten Magie-Mythologien der arisch-vedischen und griechischen Götter notwendig. In Griechenland ist diese mit Dionysos verbunden, der kurz vor Thaies im 7.-6. Jh. seinen Triumphzug durch Griechenland begann, getragen von den unteren Schichten, mit kultischem Weinrausch, mit orgiastischen Festen und mit Hoffnung auf Erlösung. Die Griechen haben Dionysos als ,,Löser" (lysios) vom Leid des Lebens aufgefaßt und meist aus Thrakien oder Phrygien, 225 aber einige griechische Indienreisende haben ihn aus Indien hergeleitet, 226 haben den indischen Siva als Dionysos gedeutet (wie den Krsna als Herakles). 227 Man kann dementsprechend wohl die Verbindung des Dionysos mit dem griechischen228 Drama, das mit seiner Leidenschaftlichkeit zum dionysischen Kult paßt, 229 dem nordindischen kultischen Seiltänzer (nata), dem Prototyp des Schauspielers, gegenüberstellen, dessen „Herr" der als nata tanzende Gott Siva war. 230 Dieser Seiltänzer (aber nicht der Schauspieler) galt als Siva, wie der Tragöde als eins mit Bacchos galt. 231 Der „Löser" Dionysos wurde u.a. von den Orphikern verehrt, 232 diesen Theologen, Verfassern dogmatischer Schriften, 233 die in ihren Mysteriengemeinden der Ausgebeuteten Zeus pantheistisch auffaßten. 234 Die indische Erlösungsreligion war bei all ihrem Polytheismus pantheistisch (panentheistisch) oder monotheistisch. Im Rgveda 1,164,46 (B 21) versteht bereits vor 900 v.u.Z. ein Pantheist die traditionellen Götter Indra, Mitra, Varuna, Garuda, Agni, Yama und Mätarisvan als bloße Namen des einen einzigen Seienden (ekam sat: denselben Ausdruck verwendete später der HylozoistUddälaka!). In den orphischen Diathekai wird betont, daß Zeus, Hades, Helios, Dionysos der eine Gott in allen (Göttern) ist. 235 Im RV X,90 (B 23ff.) wird die Welt aus dem Urriesen (germanisch Ymir), dem purusa (dem Mann, Geist (Dämon)) geschaffen, aus seinem Haupt der Himmel, aus seinem Auge die Sonne, aus seinen Füßen die Erde, aus seinem Atem der Wind usw. Nach der orphischen Theogonie ist Zeus Anfang, Mitte und Ende aller Dinge, der Himmel sein Haupt, Mond und Sonne sind seine Augen, die Unterwelt ist sein Fuß, die Luft seine Brust usw. 236 Die Orphiker bekämpften den ererbten Polytheismus, wie es später Xenophanes tat. 237 Der nach Griechenland im 7.-6. Jh. kurz vor Thaies einbrechende Dionysoskult dürfte die Orphiker angeregt haben. Er wurde von den unteren Schichten getragen (s.o.). In

den Rgveda drang dieser Zweifel an den ererbten Göttern vermutlich aus dem Hinduismus, der schon in der Indusgesellschaft eine frühe Blüte erlebt hatte und in den alten Upanisads zu neuem Leben erwachte; arische Herrscher übernahmen ihn offenbar von den vorarischen unterworfenen, ausgebeuteten Massen aus politischen Gründen. Die Orphiker lehrten den Glauben an eine moralisch bedingte Seelenwanderung und an utopische Freiheit, an Erlösung der Seele vom Leib, an den sie nur zeitweilig gefesselt ist, ganz ähnlich wie die Hinduisten seit Yäjnavalkya. Geweiht wurde man bei den alten Griechen durch geheime Riten, Magie der Weihen und durch Glaube an das theologische „Wissen"; man wurde von Sünde entsühnt und damit vom Jammer des Daseins erlöst, d. h. mit dem Gotte vereinigt, aus dem man stammt. 2 3 8 Über die Weihen und die theologischen Lehren ist wenig bekannt. In den Mysterien der Demeter in Eleusis 239 wurde dem Geweihten, wie er glauben sollte, die Angst vor dem Tode genommen; seliges Sterben sollte ihn zu seligem Weiterleben beim Gotte führen, dieser neuen Form der Insel der Seligen, im Gegensatz zur Unterwelt, in der die Unrast angeblich in grausamer Weise noch verschärft war. 240 Bei den alten Juden ist ein Aufgeben des urgesellschaftlichen Ahnenkultes bei ihrem "Übergang zur altorientalischen Klassengesellschaft um 1000 v.u.Z. festgestellt worden. 241 Dementsprechend fehlte ihnen der Glaube an unsterbliche Seelen und Tatvergeltung im Jenseits; 242 schon deswegen mußte ihre prophetisch-apokalyptische Form der Religion eigenartig werden. Die Propheten hielten in ihren utopisch-egalitären Gemeinden an antidespotischen, urgesellschaftlichen, hirtennomadischen Idealen fest, eine besondere Form der „Romantik", verbunden mit Kritik an den Reichen. 243 Was das Moralische angeht, wurde von Theologen vom Stand der Leviten das politische Leiden des ganzen Volkes auf dessen Ungehorsam gegen Gottes Gebote zurückgeführt; 244 dies war ein Gegenstück zum Glauben an die Tatvergeltung des einzelnen Inders und Griechen. Alle Leiden sind selbstverschuldet, sagen die theologischen Ideologen der Ausbeuter. Das Utopische wird andererseits deutlich, wenn von Propheten nach dem Zerfall des Reiches J u d a ein künftiges Reich unter Davids Sproß verheißen wird, ein seliges Weltreich des jüdischen Gottes auf Erden. Es wird in der Apokalyptik kurz vor der Zeitwende als nahe bevorstehend verkündet, 245 eine geradezu „revolutionäre" Idee, die zum Christentum überleitete. 246 Diese Vorstellung der leidvollen Endzeit vor solch utopischem Reich wird von Historikern meist von Iran hergeleitet. Der Glaube an die Prophezeiung des künftigen Kindes als des Erlösers, des Messias, stammt indessen letzten Endes aus dem alten Ägypten und ist nicht nur auf Kyros übertragen worden, sondern auch auf Krsna 2 4 7 und von Vergil auf den Sohn des Asinius Pollio, der das goldene Zeitalter einleiten würde. 248 Eine der indischen und griechischen analoge Weltalterlehre spielt bei Daniel eine Rolle. 249 Man lehrte die Auferstehung der Toten. Die Sekte der Essener 250 stammt mit ihrer Wüstenaskese in ihren Gemeinden mit deren religiös fundiertem mystischen Kommunismus, mit dieser ihrer Form des utopischen Hoffens, von den Propheten her, kann aber auch von Indien beeinflußt sein. Die Essener hielten sich für Kinder des Lichts, was von Zarathustra hergeleitet werden kann. Sie waren die Vorläufer der christlichen Erlösungsreligion. Diese begann auf der römischen Stufe der Antike gleichzeitig mit der Mithrasreligion, die in analoger Weise aus iranischem Zarathustrismus herzuleiten ist. So lassen sich die Anfänge der Erlösungsreligionen der Inder, Griechen, Iranier und Juden (und später der Christen) in analogen Schritten in annähernd gleichen Zeiten des letzten Jahrtausends v.u.Z. unter analogen gesellschaftlichen Bedingungen beim Über176

gang zur Klassengesellschaft aus verschiedenen urgesellschaftlichen Magie-Mythologien herleiten. Aber es k a m bei den J u d e n und Iraniern zu keinem Kampf des Wissens gegen den/das Glauben, zu keinen solchen Wissenschaften oder Philosophien wie bei Indern und Griechen. Andererseits haben Theologen der Inder, Iranier und J u d e n im Gegensatz zur wissenschaftlichen Geschichte des Hekataios (550 v.u.Z.) 2 5 1 eine theologische Weltgeschichte entwickelt: P u r ä n a , Bundahisn und Altes Testament sind sich auffallend ähnlich, und das Neue Testament ist mit den Biographien K r s n a s , Buddhas und Zarathust r a s zusammenzustellen. 2 5 2 I n diesem Zusammenhang ist d a r a n zu erinnern, daß Despotismus und Priesterstände diesen drei Gesellschaften im Gegensatz zu den Griechen gemeinsam waren. E s handelt sich bei Indern, Iraniern, Griechen u n d J u d e n um ein kompliziertes Zusammenspiel von typologischen und genetischen Analogien, um gesetzmäßige Entwicklungen mit starken regionalen („nationalen") Besonderheiten in den d a f ü r reif werdenden Klassengesellschaften. Diese vier Völker wanderten mit ihren besonderen Formen der militärischen Demokratie annähernd gleichzeitig (die J u d e n nur zufällig gleichzeitig mit den drei Indoeuropäern) in je einen besonderen R a u m der altorientalischen Klassengesellschaft ein, begannen dort ungefähr gleichzeitig ihre Klassengesellschaften aufzubauen, erreichten ihre Formen der Erlösungsreligion aber in Indien und Griechenland schon etwa im 7.-6. J h . v.u.Z., in Palästina u n d Iran erst um die Zeitwende. Solches Vergleichen zeigt, daß Inder und Griechen dank ihrer Wissenschaften und Philosophien einander besonders ähnliche Kulturen hatten. Dabei ist der indische Erlösungsbegriff zum Teil weit konsequenter als der griechische. Die indische Erlösungsreligion hat sich im Mittelalter andererseits in verschiedenen Formen weithin nach Norden und Osten, nach Inner-, Ost- und Südostasien ausgebreitet, die christliche, nicht die griechische, in alle Erdteile, aber erst im Kapitalismus. D a n k der Kontinuität der altorientalischen Gangesgesellschaft blieb die indische Erlösungsreligion grundlegend f ü r die indische K u l t u r bis heute. Dagegen war die griechische Erlösungsreligion wie die griechische Gesellschaft sehr kurzlebig und starb mit der europäischen Entwicklung von der Antike zum Feudalismus. Die Erlösungsreligion hat aber in Indien nicht direkt zu idealistischer Philosophie geführt, sondern erst wurde im Kampf der Religionen, der alten und neuen, der arischen u n d nichtarischen, die Theologie geboren, zunächst die vedische der Brähmanas, dann die hinduistische der Upanisads, und in diesen begann Philosophie. Gab es Entsprechendes in Griechenland ? Daran Rollte man nicht zweifeln. Gewiß gab es dort keinen dem der Brahmanen (Leviten, Mobeden) entsprechenden Stand von Priestern, Lehrern, Theologen, demgemäß keine entsprechende Dogmatik, keine ausgebaute, allgemein anerkannte Religionslehre. 2ä3 Man k a n n zweifeln, ob nicht die griechische Philosophie eher auf die uns nur schlecht bezeugten theologischen Lehrvorträge der Mysterienkulte eingewirkt hat als umgekehrt. 2 5 4 Man k a n n bestreiten, daß ein griechischer Hylozoist wie Anaximander mit dem Begriff des „Unendlichen" oder „Unbegrenzten" von Theologie a b s t a m m t , obgleich dieses „in gewisser Weise" die Rolle des Zeus übernommen hat und obgleich dieses „Unendliche", aus dem sich die begrenzten, endlichen Welten entwickeln, dem mythologischen grenzenlosen Chaos des Theologen Hesiod ähnlich ist. 2 5 5 Aber man bedenke, daß uns entsprechende vorphilosophische griechische Texte im Gegensatz zu Indien nicht erhalten sind. Die Frage ist im Grunde, ob die griechische Theologie, die es u.a. in jenen Mysterien gegeben hat, zusammen mit Wissenschaften und Philosophie im Hylozoismus erst begonnen hat oder 177

ob Ansätze von Theologie und Wissenschaft, von Glauben und Wissen, diesem vorausgegangen sind. Unabdingbare Vorbedingungen waren sie auf jeden Fall. Es ist auch zu untersuchen, ob ein „Priestergremium" wie das in Delphi mit Mythologie auskam oder Theologie brauchte, um die Worte der Pythia zu deuten und seine Weissagekunst zu popularisieren, oder wenn es u.a. die moralische Maxime vertrat: „Erkenne dich selbst"; diese wurde auch dem Philosophen Thaies zugeschrieben. Thaies trat mit seiner wissenschaftlichen Voraussage der Sonnenfinsternis von 585 v.u.Z. gerade dem priesterlichen Weissagewesen bzw. mit seinem Hylozoismus dessen theologischer Theorie entgegen. Als einer der sieben Weisen lehrte er Moral oder Lebensweisheit wie die dieser Maxime, und er wurde Philosoph, d.h. „Freund der Weisheit" 256 nach damaliger Auffassung gerade deswegen. Er gründete seine Morallehre nicht mehr auf Religion oder Theologie, sondern offenbar (wie Uddälaka) auf seinen Hylozoismus, wenn er überhaupt darüber grübelte. Solon, ein anderer der sieben Weisen, bezeugt „die Rückwirkung der sittlichen Reflexion auf die Vorstellung der Gottheit", wenn er Zeus und dessen Gerechtigkeit preist. Der Dichter, Weise und Gesetzgeber dachte hier offenbar als Theologe, und ähnlich grübelte der Lyriker Archilochos, ein streitbarer Gesellschaftskritiker in der Mitte des 7. Jahrhunderts, auch darin dem Solon vergleichbar. Solon schloß an Hesiods Rechtsdenken an. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob nicht Hesiods Theogonie an sich schon im wesentlichen Theologie ist, dieses „komplizierte Denkgebäude", diese „systematische Verarbeitung" und „Zusammenfassung alter und neuer Göttergeschichten". „Der Glaube an Zeus und damit an die Allmacht des Rechts" in Hesiods „Werke und Tage" 2 5 7 erinnert sehr an die Bemühungen der brahmanischen Theologen um das indische Rechtcum-Moral in Brähmanas, Upanisads und Dharmasütras. Gerade durch diesen ihren theologischen Charakter unterscheidet sich die hesiodsche Epik von der in ihrem Wesen altertümlicheren, aber gleichzeitigen homerischen. Und es ist noch eine Frage, ob nicht die griechische Stadtstaatdemokratie im Gegensatz zum indischen Despotismus daran schuld ist, daß uns keine den Brähmanas und Upanisads entsprechenden griechischen Texte erhalten sind, obgleich solche, beim frühen Übergang zur Klassengesellschaft vielleicht von Priestern irgendwie gelehrt wurden. Daß es innerhalb der gesamten griechischen Philosophie theologische Elemente, Grübeln über Gott und Götter gegeben hat, z. B. bei Thaies, Heraklit, Xenophanes, Sokrates, Piaton, Aristoteles, ja bei dem Atomisten Demokrit, insbesondere bei den Idealisten, ist bekannt. Der Zusammenstoß altvererbter, im Kern indoeuropäischer, mit ägäischer und anderer vorgriechisch-urgesellschaftlicher Religion in Griechenland, steht dem der arischen, altorientalischen und vorarisch-gentilen Religionen in Indien gegenüber; er mag bei Indern und Griechen zu Theologie geführt haben, wenn nicht schon der Übergang von Urgesellschaft zu Klassengesellschaft dafür ausreichte. Eine Theologie der polytheistischen Stadtstaatreligion als Antwort auf die homerische Aufklärung (s.u.) ist im Grunde zu erwarten. Gegen die Theologie dieses Polytheismus aber wandte sich die monotheistische der Pythagoräer, die schwer von deren Philosophie zu, unterscheiden ist, und in anderer Weise Xenophanes mit der seines Monotheismus. Er sowohl wie sein Schüler Parmenides gelten als Philosophen, und zwar als Hylozoisten (s.u.). Auch im Hylozoismus des Thaies steckt ein gut Teil Theologie des Animismus, denn nach seiner Lehre ist alles oder der Kosmos voll von Göttern oder Dämonen. Gerade dadurch lebt die Materie und ist diese 178

Philosophie hylozoistisch. Das paßt dazu, daß es den damaligen Indern nicht gelang, den Idealismus-Pantheismus des Yäjnavalkya vom Hylozoismus des Uddälaka zu unterscheiden; wohl aber diskutierte ein Theologe des Pantheismus wie König Ajätasatru gegen einen Animisten wie Gärgya bzw. ein Idealist wie Yäjnavalkya gegen den Theologen des Polytheismus, Säkalya. In Griechenland verschmolz bei Piaton und Aristoteles die Theologie mit Idealismus. So begann in Indien und Griechenland Philosophie u.a. aus - um nicht zu sagen: mit - Theologie. Mangels uns erhaltener Texte können wir noch nichts darüber aussagen, ob Theologen der Griechen so kühne vorwissenschaftliche und vorphilosophische Weltbilder entworfen und über kausale Zusammenhänge in Natur und Mensch gegrübelt haben wie die der Inder.

4. Die Entwicklung des Wissens Die altindische Produktionsweise, aber auch der gesamte Überbau blieben so primitiv, daß es zu keiner der griechischen vergleichbaren Entwicklung von Technik und Wissenschaft kam. Despotismus und Priestermacht hinderten die Ausbildung von Astronomie und Mathematik, aber Medizin, Recht, Staatslehre und Grammatik entwickelten sich besser. Dieses Zurückbleiben der Wissenschaft in Indien hemmte das Fortschreiten der Philosophie, und die Theologen der Erlösungsreligion wurden wiederum gerade deswegen so stark, daß sie diese Wissenschaften als „Glieder des Veda", als vedische Hilfslehren, und die monistischen und dualistischen idealistischen Philosophien als Lehren (darsana) zur „Erkenntnis" der Tatvergeltungs- und Erlösungsdogmen in ihrer Hand zu behalten vermochten, selbst das an Physik, an Atomismus und Fragen der Bewegung und Entwicklung relativ interessierte Vaisesika. Dieses hatte u.a. mit seiner Kategorienlehre wesentliche Gemeinsamkeiten mit Aristoteles, aber dessen Sonderung der „physika" von den ,,metä tä physika", der Naturwissenschaft von der Naturphilosophie, hat kein Inder so wie er betont. Andererseits hat auch Aristoteles seine Metaphysik , die bei ihm als die „erste Philosophie" neben Physik und Mathematik steht, als Theologie bezeichnet, denn Gott war ihm die Ursache der Bewegung der Welt. 258 Die griechische Demokratie war für die Entwicklung des Wissens günstiger als der indische Despotismus, nur wissen wir über die alten Griechen vor Thaies auch in dieser Hinsicht wenig. Man hat darauf hingewiesen, daß Zweifel an Mythen bereits bei Homer in der Form der Persiflierung von Mythen wie des der Aphrodite, Hephäst und Ares nachzuweisen ist.'259 Dem steht in Indien schon rgvedischer, noch zur militärischen Demokratie gehörender, ein paar Jahrhunderte älterer Zweifel u.a. an Indra gegenüber. 260 Beim Übergang zur Klassengesellschaft begann eben eine Art theologische Aufklärung u.a. in dieser Weise in beiden Gesellschaften. Man nimmt an, daß die Griechen von den Babyloniern schon früh Lehren über die Einteilung des Jahres in zwölf Monate und . des Tages in vierundzwanzig Stunden übernommen haben. 261 Demgegenüber spekulierte schon in einem Brähmana ein vedischer Theologe u.a. über das Opfer und die 2x360 = 720 Tage und Nächte des Jahres, setzte diese gleich 720 Ziegeln für den Opferaltar und errechnete sozusagen als theologischer Mathematiker vierzehn Aufteilungen der 720 Ziegel in ganzzahligen Lösungen (SB X, 4,2; B 84ff.). Man nimmt weiter an, daß Thaies (625-545) aus. dem Orient gewisse Verfahren der Meß- und Rechenkunst übernommen und womöglich weiterentwickelt hat, 179

ohne aber zu wirklicher Mathematik zu gelangen. Er soll auch von Assyrern statistisches Material über Sonnen- und Mondfinsternisse übernommen haben, so daß er die Sonnenfinsternis von 585 voraussagen konnte. Auf Pythagöras werden die Zahlengesetze der Grundintervalle als Teil einer Musiktheorie zurückgeführt. 262 Oben wurde weiter darauf hingewiesen, daß bereits in indo-iranischer Urzeit eine Art physiologischen Denkens der „ordnenden" Wissenschaft aufkam, das Reihen analoger mikrokosmischer (physiologischer) und makrokosmischer Begriffe zusammenstellte, darunter Atem und Wind, 263 wie es im alten Indien noch die Atem-Wind-Magier und so manche Theologen in Brähmanas und Upanisads taten, in Griechenland aber der dritte Hylozoist, Anaximenes, (585-5*25)264. Universistisches Gegenüberstellen des Mikro- und Makrokosmos und priesterlich-magische Beobachtungen an zerlegten Opfertieren mögen dieser noch gentilen, ordnenden, indo-iranischen Physiologie zugrunde liegen. Physiologie spielte in Indien u. a. bei dem Hylozoisten Uddälaka eine große Rolle; dieser ließ das Seiende leben und betrachtete dieses in seinem dritten Abschnitt physiologisch, nicht physikalisch. Anaximenes aber lehrte als Erbe derselben gentilen indoiranischen, mikro-makrokosmischen Physiologie, daß alles sich aus dem Urstoff AtemLuft durch Verdichtung und Verdünnung (dieses waren neue physikalische Begriffe) entwickelt. Uddälaka deutete bei seinem Salzexperiment in seinem 13. Abschnitt eine Ahnung von Naturgesetzlichkeit an. Aber weder indische noch griechische Hylozoisten haben wirkliche Naturwissenschaft erreicht und von Naturphilosophie unterschieden. Dies tat erst Aristoteles. Wenn Anaximenes seinen Urstoff Luft-Atem als räumlich unbegrenzt bezeichnete, so hätte Uddälaka der Anwendung dieses Begriffs auf das Seiende sicher nicht widersprochen. Indische Atem-Wind-Magier haben diesen Begriff des Unbegrenzten anscheinend ebenfalls nicht verwendet, wohl jedoch tat dieses der Theologe, der das Hören als das brahman verehrte (ChU 1,9); das Hören nimmt ja aus allen Himmelsrichtungen des unendlichen Raumes Töne wahr (BU IV,1,5; B 225). Zwischen Thaies und Anaximenes lehrte Anaximander (610-545), der Urstoff sei das Unendliche, sonst würde das Werden aus ihm aufhören. 265 Dieses abstrakte Eigenschaftsneutrum, das Unendliche = der unendliche Urstoff, ähnelt dem höchst abstrakten Seienden (Urstoff) des Uddälaka, aber auch des Parmenides. Anaximander lehrte eine gewisse physikalische Gesetzmäßigkeit des kosmischen Geschehens dieses Unbegrenzten, sprach aber dabei von einer moralischen oder gar juristischen „Notwendigkeit", denn die Produkte des Unendlichen büßen ihr Unrecht nach der Zeitordnung. Zum Hylozoismus gehören eben in Indien und Griechenland noch mythologische Reste wie dieses Büßen innerhalb der schon ein wenig naturwissenschaftlichen und philosophischen Denkweise, in der die Zeitordnung aber auch noch etwas Schicksalhaftes an sich zu haben scheint. Als den vierten jonischen Hylozoisten pflegt man Heraklit, einen Zeitgenossen des Parmenides, anzuführen, dessen Feuerlehre wie die anderen griechischen Hylozoismen ein gewisses indisches Analogon hat, ohne daß es in Indien aber zu wirklichem Feuerhylozoismus gekommen wäre, wie ja auch nicht zu dem von Wasser, Atem-Wind oder Raum. Jedenfalls begann Philosophie in Indien und Griechenland ungefähr gleichzeitig und in der ersten Periode der beiden Klassengesellschaften aus analogen Vorbedingungen mit Hylozoismus. Dieser ließ alles Objektive und Subjektive, Materielle und Ideelle sieh aus dem einen und einzigen Urstoff (arche) entwickeln, dachte mehr oder weniger wissenschaftlich und dialektisch und enthielt Elemente mythologisch-theologischen Denkens, 180

ohne einem Idealismus gegenüberzutreten. Die Geschichte der Philosophie hat die Entwicklung dieser Punkte zu betrachten. Der Gegensatz Materialismus—Idealismus wurde in Griechenland erst in der Generation Demokrit—Piaton deutlich, 266 den Begriff Materie = hyle (wörtlich Holz) verwendete gar erst Aristoteles. Er ging dabei vom Zimmermann aus wie Uddälaka vom Töpfer, Kupfer- und Eisenschmied, und bereits im Rgveda hatte ein Dichter einmal den Schöpfer Prajäpati Holz (Wald, vana) zum Zimmern der Welt verwenden lassen. 267 Aber ein eigentliches, allgemein anerkanntes Wort für Materie gab es weder im damaligen Sanskrt (s.o. über mäträ) 268 noch im späteren, nur eines für Element (bhüta) oder Fachausdrücke einzelner Systeme wie prakrti (Sämkhya), rüpa (Buddhismus) oder pudgala (Jinismus). In Indien gab es nur den einen Hylozoismus des Uddälaka, den des Seienden; dieses entspricht sprachlich dem Seienden des Parmenides (530-460 v.u.Z.), des Zeitgenossen des Heraklit und Buddha, weitgehend aber wohl auch inhaltlich. Ob Parmenides es als materiell oder ideell aufgefaßt hat, ist umstritten. 269 Seine idealistisch aussehende Gleichsetzung von Sein und Denken 270 ist ebenfalls problematisch. Aber er kam von Xenophanes her (580-480), der ein Zeitgenosse des Pythagoras und ein Theologe des Monotheismus gewesen war, ein streitbarer Gegner des damals herrschenden Polytheismus; er hatte angeblich erklärt, daß die eine Gottheit „ganz sieht, hört und denkt", Gott sei also Denken, 271 sei geistig, wenn wir seine Aussage richtig verstehen, daß die Gottheit „ganz" denkt und sinnlich wahrnimmt, d.h. mit ihrem ganzen Selbst (wie ein damaliger Inder gesagt hätte), das durch und durch geistig ist; neben ihr gibt es kein zweites Seiendes oder Nichtseiendes, u.a. nichts Materielles. Damit wäre dieser monooder gar pantheistische Theologe gleichzeitig Idealist gewesen - ähnlich dem Yäjnavalkya - , aber leider sind die späten Zeugnisse vieldeutig und unsicher, und in welchem Verhältnis Natur und Mensch nach Xenophanes zu diesem Geist stehen, ist (im Gegensatz zu Yäjnavalkya) bei Xenophanes noch nicht geklärt, so wenig wie bei Parmenides. Dieser setzte einerseits Sein und Denken gleich (s.o.), so daß das Seiende etwas Ideelles sein könnte; andererseits dachte er sich das Seiende kugelförmig (also materiell). 272 Diese beiden Bestimmungen des Seienden werden von einigen antiken Zeugen schon dem mono- bzw. pantheistischen Gott des Xenophanes zugeschrieben, 273 sind aber für unser Denken unvereinbar, denn nur Materielles kann eine Gestalt haben. Idealismus und Materialismus waren auf dieser Stufe des griechischen Denkens noch nicht so klar unterschieden, daß wir neben den Hylozoismus des Thaies, Anaximenes, Anaximander und Heraklit einen Idealismus des Parmenides stellen könnten. Vielleicht kann man bei Parmenides wie bei Uddälaka von einem Hylozoismus des einen denkenden (und lebenden) Seienden sprechen, zumal sich auch Uddälaka das Seiende als Gottheit dachte, nur hat er dessen bzw. deren Stofflichkeit verhältnismäßig deutlich gemacht, wenn auch nicht mit einem Fachausdruck für Materie ausgesprochen. Beiden Hylozoisten kam es auf die Einheit und Einzigkeit des Seienden an. Uddälaka ließ das Denken aus dem verdauten Essen und damit aus dem lebenden und denkenden Seienden entstehen; Parmenides leitete das Denken aus der Mischung des Warmen und Kalten, dieser Stoffe im Körper, her. 274 In Indien war dagegen eine frühe, relativ ausgereifte Form des Idealismus-Pantheismus, die des Yäjnavalkya, unmittelbar neben den Hylozoismus des Uddälaka getreten, nur hatten beide (wie alle ihre Nachfolger und Kommentatoren) ihre Philosophien nicht als einander entgegengesetzt erkannt; erst mit der Herausbildung des Lokäyata und Sämkhya kurz vor 300 v.u.Z., d.h. noch während des Aufstiegs der Gangesgesellschaft, deren Krise erst nach 500 u.Z. einsetzte, be13 Abhandlungen l/G/79

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gann in Indien der K a m p f des Materialismus und Idealismus. Dies geschah kurz nach Demokrit—Piaton, die im 4. Jahrhundert, in der Krise der griechischen Stufe der Antike, lehrten. Zu diesen beiden Abläufen der Entwicklung des Denkens zur Philosophie gehört die Herausbildung des individuellen Selbstbewußtseins, das die Griechen, wenn man den erhaltenen Texten glauben darf; schon im 8.-7. J h . unter ihren Lyrikern bei deren Eingreifen in den Klassenkampf um die sich herausbildende Polisdemokratie errangen, 2 7 5 die alten Inder aber ungefähr gleichzeitig in ihrem beginnenden Despotismus unter den miteinander wetteifernden Denkern in den Brähnianas und Upanisads. Die Entwicklung der griechischen Philosophie brauchte nur etwas über 200'Jahre von Thaies bis Aristoteles, der erst in der Krise der griechischen Stufe der Antike wirkte, die der indischen aber brauchte etwa >1100 Jahre von Uddälaka bis zu Vätsyäyanas Kriterium der Praxis, das man als einen oder gar den Höhepunkt der altindischen Philosophie ansehen kann, wie Aristoteles als den der griechischen. Auf die Philosophie der Stufe der Griechen folgte die des Hellenismus mit bedeutenden Neuerungen ihrer verschiedenen Schulen, und auf diese folgte die wiederum eigenartige antike Philosophie der Römer bis zum Untergang der Antike um 500 u.Z. Dieser war annähernd gleichzeitig mit dem Ende der Guptazeit, des goldenen Zeitalters der Gangesgesellschaft, das man der Blüte der Polis in Griechenland zwischen 500 und 404 v.u.Z. gegenüberstellen kann. Diese relative Langsamkeit der Entwicklung der altindischen Philosophie beruhte auf der Kontinuität der gesellschaftlichen Entwicklung der Gangesgesellschaft,' die die indische Geschichte von der europäischen unterscheidet.

5. Ausblick auf die indische und europäische Philosophie bis heute Auch im Mittelalter waren alle Idealismen, christliche, jüdische, islamische, hinduistische, buddhistische und jinistische, religiös bzw. theologisch gebunden. Im indischen Mittelalter lebte die „asiatische" Produktionsweise und damit die altorientalische Gangesgesellschaft in ihrer dritten Hauptperiode, in der ihres langsamen Verfalls, einer Art Stagnation, die aber große Leistungen nicht ausschloß, weiter. E s blieb die Basis und der ererbte Überbau bis zum Eindringen des kolonialen Kapitalismus, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in jener uns Europäern fremd erscheinenden Kontinuität. 2 7 6 Dies zeigt «ich auoh auf allen Gebieten des Überbaus, u.a. der Philosophie, Religion und Theologie. Keine neue Erlösungsreligion verdrängte im mittelalterlichen Indien altorientalisches „Heidentum", wie doch in Europa das Christentum antikes Heidentum verdrängte, sondern die alten Erlösungsreligionen lebten in Indien weiter und mit diesen deren theologisch-idealistische Schulen der Philosophie. Trotzdem sehen christliche, islamische und jüdische Scholastik und Mystik des Feudalismus der gleichzeitigen indischen in mancher Hinsicht sehr ähnlich, u.a. darin, daß die idealistische Philosophie nach wie vor* als Magd der Theologie galt und philosophische Gedanken in den überwiegend theologischen Texten nicht leicht herauszuschälen sind. Erstaunlich ähnlich sind z . B . die christlichen und hinduistischen ontologischen Gottesbeweise. Der europäische Feudalismus war die Negation der Antike und damit die Negation der Negation der altorientalischen Klassengesellschaft, die aber in der Gangesgesellschaft des Mittelalters noch lebte. Wie in dieser erhob sich im Feudalismus auf einer überwiegend agrarischen Basis eine Ständegesellschaft mit einem Lehr-, Wehr- und 182

Nährstand. Andererseits ging der Kaiser über den römischen Imperator, auf den hellenistischen König und damit auf den altorientalischen Despoten zurück. Analog ging der Hörige des Feudalismus über den römischen colonus auf den hellenistischen und altorientalischen Teilpächter zurück, und auch das Christentum stammte aus dem alten Orient der römischen Stufe der Antike. Im europäischen Feudalismus und in der dritten Hauptperiode, in der nachguptaischen Verfallsperiode der altorientalischen Gangesgesellschaft waren die Wissenschaften in analoger Weise unterentwickelt; damit wurde der Kampf des Wissens gegen den/das Glauben in Indien immer noch so ungleich zugunsten des Glaubens ausgefochten wie vorher. In Europa aber schaffte das Bürgertum in mehreren Schritten vom 16. Jahrhundert an den revolutionären Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus und belebte noch im 16. Jahrhundert die geistige Kultur der Antike samt der antiken Philosophie wieder, zunächst für sich selber im Kampf gegen das Christentum. Vom Ende des 17. Jahrhunderts an nahm die bürgerliche Aufklärung den Kampf gegen die Scholastik auf und ging bis zu Materialismus. In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich der Kapitalismus durch und begann der dialektische und historische Materialismus. Das englische Bürgertum unterwarf im 18. Jahrhundert Indien, wie ja das europäische Bürgertum im späten Feudalismus fast die ganze Welt eroberte ui>d zu einer einheitlichen weltgeschichtlichen Entwicklung zwang. Aufklärung gelangte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nach Indien, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Indien als englische Kolonie kapitalistisch; damit drang auch europäische bürgerliche Philosophie nach Indien. Erst in unserer Epoche des weltweiten Übergangs zu Sozialismus-Kommunismus begann in Indien die Kommunistische Partei und damit der dialektische und historische Materialismus. Er hatte die Auseinandersetzung mit dem komplizierten altindischen philosophischen Erbe aufzunehmen, mit der in Brahmanenkreisen immer noch lebenden, in den alten Upanisads begonnenen hinduistischen Philosophie mit deren alten Schulen vom Lokäyata bis zum Vedänta, mit der der Buddhisten und Jainas, der Muslems und der Christen. Er stützt den dialektischen und historischen Materialismus nicht nur auf das Erbe des Lokäyata, sondern auch auf das der materialistischen Elemente im Vaisesika und in den anderen Kompromissen zwischen Idealismus und Materialismus urd auf die besonders im Buddhismus entwickelte Dialektik. Er erstrebt in der heutigen Lage Indiens, das seit mehr als einem Jahrhundert den Weg des Kapitalismus eingeschlagen hat, Säkularismus, Rationalismus und Orientierung auf Wissenschaft gegen Obskurantismus und Mystizismus; er beruft sich gelegentlich auf den Gegensatz des Uddälaka gegen Yäjnavalkya, 2 7 7 kurz, er kämpft für Wissen gegen Glauben auf der heute international erreichten Entwicklungsstufe beider. Die materialistischen Indologen der DDR, Südasiens und der anderen Länder aber sehen zuversichtlich der Zukunft entgegen. In ihr werden unsere heutigen Bemühungen, diesen Kampf und die philosophischen Unklarheiten der ersten indischen Philosophen zu verstehen, dank der Entwicklung des Sozialismus-Kommunismus, seiner Philosophie und Philosophiegeschichte ständig verbessert und selber Gegenstand der Geschichte der Philosophie werden.

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Abkürzungen

Altindische Texte AB AS AU AY BhG BU ChU DN JB KU MbH Räm RV SB SK SV TA TB TS TU VS YV B

-

Aitareyabrähmana Arthasästra Aitareyopanisad Atharvaveda Bhagavadgitä Brhadäranyakopanisad Chändogyopanisad Dlghanikäya Jaiminiyabrähmana Kausltakyupanisad Mahäbhärata Rämäyana Rgveda ' Satapathabrähmana Sämkhyakärikä Sämaveda Taittirlyäranyaka Taittirlyabrähmana Taittiriyasamhitä Taittiriyopanisad Väjasaneyisamhitä Yajurveda Rüben, W., Beginn der Philosophie in Indien, Berlin 1955

Sekundärliteratur DLZ EAZ KA MEW OLZ PhWb R I-VI

SBAW ZDMG

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Deutsche Literaturzeitung Ethnographisch-archäologische Zeitschrift Kulturgeschichte der Antike 1 Griechenland, von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Reimar Müller, Berlin 1976 Karl Marx-Friedrich Engels, Werke, Berlin 1961 bis 1968 Orientalische Literaturzeitung Philosophisches Wörterbuch 1-2, hrsg. v. Klaus, G., und Buhr, M., 10. Aufl., Leipzig 1974 Rüben, W., Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien I. Die Entwicklung der Produktionsverhältnisse, Berlin 1967 II. Die Entwicklung von Staat und Recht, Berlin 1968 III. Die Entwicklung der Religion, Berlin 1971 IV. Die Entwicklung der Philosophie, Berlin 1971 V. Die Entwicklung der Dichtung, Berlin 1973 VI. Die Entwicklung der Gangesgesellschaft, Berlin 1973 Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

Verzeichnis der zitierten Sekundärliteratur (soweit die bibliographischen Angaben nicht in den Anmerkungen angeführt sind)

Anikeev, N. P., Modern Ideological Struggle for the Ancient Philosophical Heritage of India, Indian Studies, Past an Present, Soviet Indology Series No. 1, Calcutta o. J . (1969). Chattopadhyaya, Debiprasad, Lokäyata, A Study in Ancient Indian Materialism, People's Publishing House, New Delhi 1959. Indische Philosophie, Berlin 1975. - , What Is Living and What Is Dead in Indian Philosophy, People's Publishing House, New Delhi 1976. Dandekar, R. N., Der vedische Mensch, Heidelberg 1938. Gonda, J., Die Religionen Indiens, I. Veda und älterer Hinduismus, Stuttgart 1960. Geldner, K. F., Der RigTVeda, aus dem Sanskrit ins Deutsche übersetzt, I-IV, Wiesbaden 1951 bis 1957. Grassmann, H., Wörterbuch des Rig-Veda, Wiesbaden 1955. Herrmann, J., Spuren des Prometheus, Leipzig-Jena-Berlin 1975. Herrmanns, M., Die religiös-magische Weltanschauung der Primitivstämme Indiens, I - I I I , Wiesbaden 1964-1973. Horsch, P., Die vedische Gäthä- und Sloka-Literatur, Bern 1966. Kane, P. V., History of Dharmasästra, I-IV, Poona 1930-43. Oldenberg, H., Vorwissenschaftliche Wissenschaft, Die Weltanschauung der Brähmana-Texte, Göttingen 1919. Radhakrishnan, S., The Principal Upanisads, London 1953. Ruben, W., Über die Literatur der vorarischen Stämme Indiens, Institut für Orientforschung, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Nr. 15, Berlin 1952. - , Die homerischen und die altindischen Epen, Sbr. d. Ak. d. Wiss. d. DDR, Nr. 24, Berlin 1975. Thomson, G., Die ersten Philosophen, Berlin 1961 (engl. 1955). Zeller, E., Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1-111,2; 5. Aufl. Leipzig 1923.

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Anmerkungen I zu Kapitel I—III

1 Diese Studie geht über R IV und VI und meine Kulturgeschichte Indiens, die 1978 erschienen ist, hinaus. D. Chattopadyaya, N. F. Anikeev und die „Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie" der Ak. d. Wiss. der UdSSR, Berlin 1971, 13ff., weichen von dem hier Vorgetragenen nur in Einzelheiten, wenn auch manchmal beträchtlich, ab. - Von Polemik gegen idealistische bürgerliche Historiker der indischen Philosophie ist hier abgesehen, z. B. Gonda I, 204; Glasenapp, H. v., Die Philosophie der Inder, Stuttgart 1949, 110 ff., 117; Frauwallner, E., Geschichte der indischen Philosophie I, Salzburg 1953, 1,39 ff.; oder Radhakrishnan, Indische Philosophie, Bd. I, Darmstadt-Baden-Baden-Genf o. J., 119 ff. 2 Vgl. PhWb 1053. 3 MEW 13, 9; vgl. Knepler, G., Zum Problem der Universalgeschichte, in: Universalhistorische Aspekte und Dimensionen des Jakobinismus, SBAW, Gesellschaftswissenschaften, 1976, 10 G, 15ff.;s. u. b. A. 73. 4 PhWb 253. 5 PhWb 1053. 6 Winternitz, M., Geschichte der indischen Literatur, I, Leipzig 1909, 136f. 7 Moritz, R., Hui Shi und die Entwicklung des philosophischen Denkens im alten China, Berlin 1973, 1. 8 Ders. im PhWb 242. 9 PhWb 535. 10 R IV,4f. 11 S.u. IV. 2.1.1. 12 R IV,lf. 13 Rüben, W., Hegel über die Philosophie der Inder, in: Asiatica, Pestschrift Fr. Weller, Leipzig 1954, 554. 14 Zeller 58. 15 Lange, F. A., Geschichte des Materialismus, Iserlohn 1887, 1,4. 16 R IV,11; s.u. b. A. 111. 17 Chattopadhyaya, D., Indian Atheism, Calcutta 1969, 55. Ch. schrieb dieses Buch, um Naturwissenschaft (science) und auf dieser fußende „naturalistische" Philosophie (diesen Begriff übernahm er offenbar von Riepe, D., The Naturalistic Tradition in Indian Thought, Seattle 1961) der Religion (und zwar der theistischen, insbesondere monotheistischen, hinduistischen) gegenüberzustellen, nicht Wissen (auch das der Gesellschaftswissenschaften) dem Glauben (auch der Magie-Mythologie, dem Poly- oder Pantheismus bzw. der Theologie) und dem veraltenden Meinen-Glauben. Vgl. Rüben, W., „Naturalistische" Darstellung der altindischen Philosophie (1961-1971), in: Altorientalische Forschungen (IV,347ff., Berlin 1976). 18 Oldenberg 158 f. 19 Klassenkampf Tradition Sozialismus, Grundriß, Berlin 1974, 370. 20 R IV,309. 21 Strauss, O., Indische Philosophie, München 1929, 47f. 22 Weidemann, D., Die Haltung des Indischen Nationalkongresses zu internationalen Fragen, in: Politik und Ideologie im gegenwärtigen Indien, hrsg. v. Komarov, E. N., Litman, A.D., Schorr, B., Weidemann, D., Berlin 1976,82f. 23 Ranadfe, R. D., A Constructive Survey of Upanishadic Philosophy, Poona 1926, 77, 81, 101 ff. 24 Ebenda 53 ff. 25 Indische und griechische Metaphysik, Ztschr. f. Indologie und Iranistik VIII, 1931, 147 ff., 170.

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26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 3G 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

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Geschichte der indischen Philosophie, Berlin 1954, 82ff. R IV, 310. R IV, 309. Indian Materialism, in: Krüger, H., Neue Indienkunde, Berlin 1970. 1970, s.o. A. 29; Chattopadliyaya 1976 (s.o. S. 185), 474. S. u. A. I I , 4 und 23. Oldenberg (s. o. A. 18) 159. Die Aranyakas lassen sich in unserer Hinsicht noch nicht besonders charakterisieren. S. u. IV. A. 2. in diesem Buch. S. u. IV. B. 2. in diesem-Buch. S. u. I I I . 1.1.1. in diesem Buch. RV V I I I , 58, 2; B 21; s. u. I I I . 2.2.2. in diesem Buch. Herrmarm 51 ff. R VI, 14ff. Rüben, W., Eisenschmiede und Dämonen, Leiden 1939, 190. R I V , 21 ff. Rüben, W., Einige Probleme der altorientalischen Klassengesellschaft, von der indischen Geschichte her gesehen. Die Eigenart der Kultur der altorientalischen Klassengesellschaft, EAZ 15, 1974,1, 27ff„ bes; 53ff. R IV, 25f. Rüben, W., Die homerischen und die altindischen Epen, SBAW 24, 1973, 44; s. u. b. A. 50. S. u. I I I . 1.1.1. in diesem Buch; s. u. b. A. 111, 122. S. u. II. 3.3. in diesem Buch; s. u. b. A. 83. S. u. IV. B. 3.3. in diesem Buch; s. u. b. A. I I , 124. Vgl. Bleiber, H., in seiner Rezension von M. Kossoks Studien in DLZ 1976, 11, 983ff. ChU V, 10, l f . ; B 253 f. MEW 9, 128; R VI, 38; s. o. b. Ä. 44. B 78 ff. Lenin, Werke 33, 461; vgl. Schlemm, H., Zu einer allgemeinen Wesenfebestimmung der Kultur, Berlin 1975, 27, 30f.; Schuppan, P., Marx und Engels über Kulturentwicklung, in: Jahrbuch f ü r Volkskunde und Kulturgeschichte, 19, 1977, 9ff., bes. 13ff. MEW 20, 147 ff. R VI, 87. R H , 66ff. Rüben (s. o. A. 44) 30 ff. R V I , 3ff.; Rüben, W., Herders Vorstellungen zur Periodosierung der Weltgeschichte und die marxsche „asiatische" Produktionsweise. SBAW 1976, 10 B, 297ff.; ders., Die Periodisierung der indischen Geschichte in Nehrus „Weltgeschichtlichen Betrachtungen" in: Beiträge zur Indienforschung, Festschrift für E. Waldschmidt, Berlin (West) 1977, 431ff. R II, 69; VI, 102. S. u. IV. B. 3.1. in diesem Buch; s. u. b. A. I I , 177. R V, 116f. R V, 106 ff. Auch von Sanatkumära: ChU VII, 1, 2; B 297. R I I , 66; VI, 89. Herrmann 79 ff. Vielleicht handelt es sich aber noch um militärische Demokratie. R VI, 13 ff. R V I , 82ff. BU IV, 3, 22 (B 234); BU IV, 10, 7 (B 255). MEW 9, 132. ChU IV, 2, 3; B 129. R V I , 81; I I , 65; I, 71, 73. Die Frage nach der Weisheit der Brahmanen oder Ksatriyas in Brähmanas und Upanisads ist seit langem diskutiert worden (Gonda I, 199). Rüben, (s. u. A. 148) 113. S. u. b. A. 234. S. o. b. A. 3. R VI, 78 ff.

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75 R V, 106 ff. 76 SB XI, 6, 2; B 121 ff. 77 ChU V, 3; B 249ff. 78 SB X, 6, 1; B 105ff. 79 KU I ; B 258ff. 80 KU IV; B 312 ff. 81 KU III, B 321 ff. 82 prasäsana; vgl. räjasäna in AS III, 1, 39. 83 S. o. b. A. 46. 84 Vgl. Chattopadhyaya, D. 1975, 229: Schizophrenes Leben; s. u. b. A. 88. 85 S. o. b. A. 45 und b. A. 111. 86 S. Ii. b. A. 148. 87 Besprechung von Hermanns in OLZ 62, 1967, 69; 67, 1972 Nr. 3/4 184ff. und demnächst. 88 S. o. b. A. 84. 89 MEW 13, 641. 90 Vgl. neue Lieder einzelner Dichter in Rgveda aufgenommen: R V, 61. 91 R IV, 17 und 38f. spricht fälschlich von einer Bewußtseinsseele. 92 R VI, 26. 93 Vgl. Rüben, W., Probleme der Indusgesellschaft, in: Festschrift H. Mode, in Wiss. Ztsclir. d. Martin-Luther-Universität Halle 1973, 53ff. 94 S. u. b. A. 101. 95 R VI, 47f.; zum Universismus vgl. Schwarz, E., Norm und „Gesetz" im Weltbild des alten China, in: EAZ 16, 1975, 637ff. 96 Rüben, W., Der Charakter der Weltanschauung im alten China, Indien und Griechenland, in: Klio 55, 1973, 5-41, besonders 7 ff. 97 RV V, 13, 4. 98 S. u. b. A. 219, 251. 99 RV IX, 113, 7ff.; X, 14; X, 15,14. 100 Rüben, W., About the Drama in Ancient India and Greece, in: Marxist Miscellany 7, New Delhi 1975, lff., bes. 8. - Über den rebha: R VI, 50. 101 S. o. b. A. 94. 102 R VI, 66. 103 R VI, 47, 62. 104 R III, 18; VI, 47. 105 R VI, 69f. 106 SB II, 2, 2; B 110. 107 SB XI, 5, 3; B 112. 108 S. u. b. A. 207. 109 PhWb 515: Hedonismus. 110 S. u. b. A. 231. 111 S. o. b. A. 16, 45 und 85; s. u. b. A. 116,121; Rüben, W., Die Philosophie der Upanishaden, Bern 1947, 62 ff. 112 S. u. b. A. 148. 113 Gonda III, 243ff.: Fürer-Haimendorf, Die Religionen der Primitivvölker, 261: Die Kolam verehren den Gott Ayam als den einen Klangott ihres Stammes, obgleich jeder ihrer Klane seinen Klangott hat, der mit dem Zusatz des Dorfs des betreffenden Klans charakterisiert wird. Solche Abstraktion dürfte eine vortheologische sein. 114 S. u. IV. 3.2. in diesem Buch. 115 R III, 49 f. 116 S. o. b. A. 111. 117 R VI, 65. 118 R VI, 66. 119 RV X, 129, 6f.; B 28. 120 PhWb 153; MEW 20,16. 121 S. o. b. A. 16,111. 122 S. o. b. A. 45. 123 R III, 54; Horsch 263; s. u. b. A. 198. JS8

124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140

R H , 66f. SB XI, 6, 2; B 121ff.; vgl. J B I, 22; R III, 62; Horsch 112f.; s. u. b. A. 189. SB IV, 3, 4, 4f.; B 119f. ChU V, 3; B 249ff. SB XI, 5, 2, 4; B 122f. ChU HI, 6, 1; B 164. S. o. b. A. 98f. ChU III, 17; R III, 62; s. u. b. A. 209. Sarvänukramanl, Aufrecht, Th., Die Hymnen des Rigveda, II, Bonn 1877, 474. BU I, 3, 28. S. o. b. A. 98. BhG 13, 7; 16, 1; 17,14; 18,42. BhG 13, 7; 16,2; 17, 14; 10,5. S. o. b. A. 103. R II, 103. Mbh VIII, 49, 20 ff. Kane II, 1, 5; Rüben, W., Über die frühesten Stufen der Entwicklung der altindischen Südras Berlin 1963, 51. 141 BhG I X , 32. 142 Kane a. a. O. 10 nach Gautama X. 52. 143 Rüben (s. o. A. 100), 47. 144 AB II, 17. 145 BU I, 5, 23; s. u. b. A. 184. 146 Winternitz, M. (s. o. A. 6) 111. 147 RV IX, 1: Der Arzt wünscht sich einen Bruch eines Kranken, um seinen Unterhalt zu finden. 148 TS VI, 4, 9, lff.; Rüben, W., Einführung in die Indienkunde, Berlin 1954, 113; s. o. b. A. 86 112; Renou, E., et Filliozat, J., L'Inde Classique II, Hanoi 1953 § 1623; R VI 104; s. u. b. A. 182 149 BU III, 3. 2; B 202; s. u. b. A. II, 106. . 150 S. u. b. A, 202. 151 SB VII, 5, 2; B 86f. 152 ChU VI, 3 1; B 170; R VI, 10 6f.; Physiologie. 153 R VI, 105; II, 65. 154 R VI, 92. 155 AB VIII, 28, 19; B 102; s. u. b. A. 185. 156 R VI, 104. 157 ChU III, 4, 1; B 164. 158 S. u. III. 1.2.2. 159 nämadheya, ein Fachausdruck Uddälakas: ChU VI, 1, 4 (B 167) usw. 160 Zu diesen beiden purusas s. u. b. A. 176, 178, 196. 161 SB X, 6, 1; B 105ff. - S B IX, 3, 1; B 108ff. - ChU V, llff.; B 271ff. 162 ChU V, 3; B 249ff. - ChU I, 8; B 256ff. 163 B 95 ff. 164 S. u. III, 1, 2.2. u. f. 165 S. u. b. A. 179. 166 S. u. V, 2.2.1. 167 Sarvadaräanasamgraha (ed. Poona 1924), S. 2. 168 BU IV, 5,11; B 247. 169 Vidyä schon in RV X , 71,11; offenbar damals schon von veda unterschieden. 170 ChU VII, 1, 3 ; B 2 9 7 . 171 S. o. III. 1.1. 172 S. u. b. A. 190, 208. 173 S. u. III. 1.2.4.1. 174 S. u. b. A. 188, 203. 175 S. u. b. A. 189 und II, 113. 176 S. o. b. A. 160: zwei purusas. 177 S. u. b. A. II, 3. 178 S. o. b. A. 160. 189

179 S. o. b. A. 165. 180 S B X , 6, 1; B lOoff.; s. u. b. A. 191, 194. , 181 RV X , 90, 13; B 24; Geldner IV, 183 s. v. Lebenshauch. AV X I , 4; B 29ff.; RV I, 187: Lied an das Essen (vgl. Chattopadhyaya, D., -1959, 546); T B II, 8, 8 (vgl. Zimmer, H. Philosophie und Religion Indiens, Zurich 1961, 310 ff.). 182 S. o. b. A. 148. 183 B 95 ff., 128 ff. 184 B I, 5, 23; s. o. b. A. 145. 185 S. o. b. A. 155. 186 R V, 119. 187 Vgl. RV X , 16, 3, s. u. b. A. 193. 188 S. o. b. A. 174. 189 S. o. b. A. 175. 190 S. o. b. A. 172. 191 S. o. b. A. 180; Geldner IV, Iff., besonders 4. 192 S. u. b. A. 195: Körperwärme. 193 S. o. b. A. 187. 194 S. o. b. A. 180. 195 S. u. b. A. 229. 196 S. o. b. A. 160. 197 Frauwallner (s. o. A. 1) I, 49 ff. 198 R I V , 18; s. o. b. A. 123. 199 R IV, 46f„ 50. 200 Ebenda 66. 201 R I I , 64. 202 R I V , 44, vgl. 75; s. o, b. A. 150. 203 K U I, 7; B 263; Radhakrishnan 760: Die Wasser sind meine Welt (s. o. b. A. 174). 204 Ch VII, 10, 1; B 304; Radhakrishnan 478; Water is all these forms. 205 S. u. b. A. II, 116. 206 S. u. b. A. 213, 225. 207 S. o. b. A. 109. 208 S. o. b. A. 172, 190. 209 S. o. b. A. 131. 210 S. u. b. A. 250. 211 R IV, 225 ff. 212 Chattopadhyaya 1975, 61 ff. 213 S. o. b. A. 206. 214 R IV, 53. 215 Vgl. MEW 9, 221. 216 Vgl. TA X , X I I I f f . : Ragh^van, V., The Indian Heritage, Bangalore 1956, 40. 217 S. u. b. A. 226. 218 Die vier Himmelsströme lassen Honig fließen: Lüders, H., Varuna Bd. II, Göttingen 1959, 339ff. 219 S. o. b. A. 98. 220 S. u. b. A. 228; II, A. 156. 221 R IV, 38. 222 Dandekar 60 ff. 223 Dandekar 53f.; R IV, 71. 224 R IV, 71. 225 Ebenda; B 61 ff.; Oldenberg 181; s. o. b. A. 206. 226 S. o. b. A. 217. 227 PhWb 839. 228 S. o. b. A. 220. 229 S. o. b. A. 195; vgl. TA I I I , 14, 9: neun Öffnungen, s. u. A. II, 40. 230 Vgl. Sändilya: ätman ist lichtgestaltig (B 118, 194); Yäjnavalkya in BU IV, 3 - 4 ; B 229 f ; s. u. b. A! 247. 231 S. o. b. A. 110. 232 S. u. b. A. 243.

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233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250

Rüben 1976 (s. o. A. 57), 301. S. o. b. A. 72; s. u. b. A. 239. S. u. b. A. 248. Rüben 1947 (s. o. A. 111), 291 ff. Ebenda 297; Kane I I , 1, 5. R VI, 93. S. o. b. A. 234. S. u. b. A. 244. MEW 1, 378; vgl. Chattopadhyaya 1976, 564ff. Später: Mbh I I I , 177, l ö f f . : Brahmane durch Tugend, nicht durch Geburt. S. o. b. A. 232. S. o. b. A. 240. BU IV, 4, 7: atra (B 239); Horsch 163. R V, 102f„ 119; VI, 115f. S. o. nach A. 230. S. o. b. A. 235. R VI, 271ff.; vgl. 252 über Devala. S. o. b. A. 210. Vgl. Chattopadhyaya 3 959, 43f.; Bihari, Bepin, Science, Culture and Man Delhi 1963, 81: Asura-Philosophie. 251 S. o. b. A. 98.

Anmerkungen II zu Kapitel IY—YI 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

S. o. b. A. 1,149; R V, 106ff. Solche Vorkämpfer gab es bereits im R V : R I, 41. S . o . b. A. 1,177. S. o. b. A. I, 31: J a y a n t a . S. u. b. A. 46. R IV, 51 f. R IV, 64f. R I I , 67. Bhüta, s. u. b. A. 15, 18. S. u. IV. A. 3.1.3.: Definition der makrokosmischen Produkte. S. o. b. A. I, 18. Vgl. B U I I , 2, 1; B 149. R VI, 232f. ; Uddälakas Erkenntnislehre. Yäjnavalkya: BU IV, 3.20 (B 233); 36 (B 236: abgemagert); 4, 8 (B 240). Ajätasatru: K U IV, 19 (B 318). Sändilya (ChU I I I , 14, 3; B 194) (noch nicht SB X, 6, 3; B 118f.). S. o. b. A. 9 . ' äbhü = wieder werden: Yäjnavalkya in BU I I I , 9, 28 (B 221): ein mit der Wurzel gerodeter Baum wächst nicht wieder. Vgl. die entsprechende Dreiteilung im 5. Abschnitt. . S. o. b. A. 9. Im Gegensatz zu Pravähana: ChU V, 10, 8 (B 255). T i s t h a t i mit dem Genetiv wie im 14. Abschnitt. Vgl. Köhler, H.-W., Sraddhä in der vedischen und altbuddhistischen Literatur, Wiesbaden 1973. S. u. b. A. 77. S. o. b. A. I, 31. I m Sämkhya: p r a k r t i oderpradhäna, in Vedänta jada oderacit (Radhakrishnan, S.,.The Brahma Sütra, London 1960, 573, 588), im Buddhismus rüpa, im Jinismus vielleicht pudgala (Atom). P h W b 1014. R VI, 109. R IV, 167, 216. P h W b 190. Oldenberg 246.

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233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250

Rüben 1976 (s. o. A. 57), 301. S. o. b. A. 72; s. u. b. A. 239. S. u. b. A. 248. Rüben 1947 (s. o. A. 111), 291 ff. Ebenda 297; Kane I I , 1, 5. R VI, 93. S. o. b. A. 234. S. u. b. A. 244. MEW 1, 378; vgl. Chattopadhyaya 1976, 564ff. Später: Mbh I I I , 177, l ö f f . : Brahmane durch Tugend, nicht durch Geburt. S. o. b. A. 232. S. o. b. A. 240. BU IV, 4, 7: atra (B 239); Horsch 163. R V, 102f„ 119; VI, 115f. S. o. nach A. 230. S. o. b. A. 235. R VI, 271ff.; vgl. 252 über Devala. S. o. b. A. 210. Vgl. Chattopadhyaya 3 959, 43f.; Bihari, Bepin, Science, Culture and Man Delhi 1963, 81: Asura-Philosophie. 251 S. o. b. A. 98.

Anmerkungen II zu Kapitel IY—YI 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

S. o. b. A. 1,149; R V, 106ff. Solche Vorkämpfer gab es bereits im R V : R I, 41. S . o . b. A. 1,177. S. o. b. A. I, 31: J a y a n t a . S. u. b. A. 46. R IV, 51 f. R IV, 64f. R I I , 67. Bhüta, s. u. b. A. 15, 18. S. u. IV. A. 3.1.3.: Definition der makrokosmischen Produkte. S. o. b. A. I, 18. Vgl. B U I I , 2, 1; B 149. R VI, 232f. ; Uddälakas Erkenntnislehre. Yäjnavalkya: BU IV, 3.20 (B 233); 36 (B 236: abgemagert); 4, 8 (B 240). Ajätasatru: K U IV, 19 (B 318). Sändilya (ChU I I I , 14, 3; B 194) (noch nicht SB X, 6, 3; B 118f.). S. o. b. A. 9 . ' äbhü = wieder werden: Yäjnavalkya in BU I I I , 9, 28 (B 221): ein mit der Wurzel gerodeter Baum wächst nicht wieder. Vgl. die entsprechende Dreiteilung im 5. Abschnitt. . S. o. b. A. 9. Im Gegensatz zu Pravähana: ChU V, 10, 8 (B 255). T i s t h a t i mit dem Genetiv wie im 14. Abschnitt. Vgl. Köhler, H.-W., Sraddhä in der vedischen und altbuddhistischen Literatur, Wiesbaden 1973. S. u. b. A. 77. S. o. b. A. I, 31. I m Sämkhya: p r a k r t i oderpradhäna, in Vedänta jada oderacit (Radhakrishnan, S.,.The Brahma Sütra, London 1960, 573, 588), im Buddhismus rüpa, im Jinismus vielleicht pudgala (Atom). P h W b 1014. R VI, 109. R IV, 167, 216. P h W b 190. Oldenberg 246.

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30 31 32 33 34 35 36 37 38

R III, 43 ff. Chattopadhyaya 1975, 229. Oldenberg 280 f. Ebenda 110 ff. B 88 ff. Oldenberg 107, 221, 226; s. u. A. 110. Vgl. AU I, 3, 14; B 268: Indra ist paroksa für Idandra. R IV, 48. Happ., H., Hyle, Studien zum aristotelischen Materie-BegrifF, Berlin-New York 1971, 274; vgl. Belvalkar-Ranade, History of Indian Philosophy Vol. I I : The Creative Period, Poona 1927, 22: vana - hyle. 39 R IV, 51. 40 S. o. A. I, 229. 41 S.o. III. 1.2.4. 42 S. u. A. 49. 43 Oldenberg 222. 44 Chattopadhyaya 1959, 545fF.; Lommel, H., Gedichte des Rig-Veda, München-Planegg 1955, 100 f. 45 Zimmer (s. o. A. I, 181) 310 ff. 46 R IV, 77f.: Polemik; s. o. b. A. 5. 47 S. u. b. A. 98. 48 Dandekar 38f.; Gonda I, 26ff. 49 S. o. A. 42. 50 Rüben 1952, 52ff. ; Hermanns III, 56f.; SB VII, 5, 2; B 86f. 51 R I V , 61 fF., 67ff. 52 Ebenda 29 f. 53 Geldner IV, 6f.: Belege unter „Agni". 54 R IV, 71ff., 80, 83: manas. 55 Ebenda 37. 56 VS 34, 6; B 34ff. 57 Cholker, V. B., Physico-Mathematical Concepts in the Purusasükta, Journal of the Oriental Institute Baroda XXIII, 1974, 4, 269-282. 58 Herrmanns III, 118. 59 Rüben 1952, 115. 60 Horsch Nr. 126f. (AV X, 8, 9 und X, 2, 6). 61'Vgl. die späteren Experimente Ajätaäatrus (Wecken: KU IV, 19; B 317f.) und Prajäpatis (ChU VIII, 8; B 279: Sichspiegeln). 62 TS VI, 2, 5, 3 (Oldenberg 235); ChU II, 23, 3; Rüben, W., Über die Debatten in den alten Upanisads, in: ZDMG 1929, 3/4, 238ff., bes. 255; s. u. b. A. 72. 63 Wie dieser Satz dachten Maitreyi-Yäjnavalkya, s. u. b. A. 134. 64 Oldenberg 104, 118, 221, 229; R IV, 78. 65 R IV, 104. 66 BU V, 12 (B 135f.); I, 2, 7 usw.; Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 332. 67 Atman in RV: R IV, 40; in AV: ebenda 67. 68 R I V , 37f., 41; Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 337: Traumwanderung; 332: Denken; VS 34, 1-6 (B 34ff.); Dandekar 53f. 69 R IV, 18. 70. Ranade (s. o. A. I, 23) 79 f. 71 S. o. III. 1.2.1. in diesem Buch. 72 S. o. b. A. 62. 73 Mylius, K., Indien in spätvedischer Zeit, Leipzig 1967 (Ms.) I, 112f. 74 Rüben, W., Die Nyäyasütras, Leipzig 1928, 221. 75 R V, 102f.; BU 4,8ff. (B 240); Horsch Nr. 40ff. 76 S. u. b. A. 86. 77 Grassmann s. v. satya; s. o. b. A. 22. 78 Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 68; R IV, 44. 79 Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 66; Gonda I, 68.

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80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117

118 119 120 121 122 123 124 125 126

R III, 18: RV III, 1,13. R IV, 75; Gonda I, 190; Horsch S. 74: Opfer als ewiger Kreislauf. Rüben 1947 (s. o. A. 1,111), 18 ff. Ebenda 254. R II, 29ff., H I , 31 f., VI, 64. Rüben, W., Die homerischen und die altindischen Epen, SBAW 1973, Nr. 24, 21 ff.; Rüben 1975 (s. o. A. I, 100), 8. S. o. b. A. 76. Chattopadhyaya 1959, 43ff.; Bihari, B., Science, Culture and Men, Delhi 1963, 81; R III, 68; IV, 96. Oldenberg 158. Ebenda 41; Mylius (s. o. A. 73) 124ff.: Viehzucht; 128-31: sonstige Tiere. Grassmann 1355; Geldner IV, 4. RV I, 25, 31; II, 48, 6; R II, 28ff., III, 31 f. R II, 61f. Herrmanns III, 122f. Ebenda 309ff., 120, 124 (lehnt Zusammenhang mit Wiedergeburtslehre ohne Begründung ab); R IV, 38 f. R III, 30; IV, 33 f. R II, 36. S. u. b. A. 135. S. o. "b. A. 47. R IV, 88ff.; Horsch 380ff. bezweifelt die Möglichkeit, die historische Persönlichkeit zu rekonstuieren. Rüben, W., Gandhis Stellung in der indischen Tradition, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung XVI, 1970, 3, 450-81. R H , 88; Horsch 382. R V, 266f. Rüben 1973 (s. o. A. 85) 21; 1975 (s. o. A. 1,100), 9ff. R V, 119; 102 ff. R V I , 115f. Vgl. Dasarathas Abschied von Kausalyä: Rüben, W., Vier Liebestragödien des Rämäyana (ZDMG 100, 1950, 287ff., bes. 285). S. o. b. A. I, 149; s. u. b. A. 150. R VI, 51. Diese Viererreihe s. u. b. A. 117, 132. S. u. b. A. 142,160. Oldenberg 107, 118, 221, 226; s. o. A. 35. R III, 14. Kirfel, W., Das Purana Pancalakshana, Bonn 1927, 244, 77-80. S. o. b. A. 1,175. R III, 11; s. u. b. A. 149. Geldner zu RV II, 39, 4d. S. o. b. A. I, 205. S. o. b. A. 108. Yäjnavalkya zitiert die Strophe IV, 4, 18 (B 241); deren Reihe: Atem, Sehen Hören und Denken wird in ChU IV, 8, 3 (B 192) dem Satyakäma zugeschrieben und dürfte ebenso wie die ähnliche Reihe in ChU III, 18, 3 ff. (B 188) alter sein als Yäjnavalkya. S. u. b. A. 281: Sehen, Hören und Denken bei Xenophanes. S. u. b. A. 159. S. u. b. A. 164. S. u. b. A. 148. Zum Beispiel AB VIII, 28, 2 (B 101); BU V, 12, 1 (B 135); KU II, 1, 1 (B 153); vgl. KU II, 14: Atem = Erkenntnisselbst. Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 253 ff. S. u. b. A. 182. R VI, 115; vgl. V, 103f.; s. o. b. A. I, 47. Vgl. Geldner IV, 184 (Licht) und II, 101 zu RV VI, 9 Anm. 4; Dandekar 61. Vgl. Herrmanns II, 324f.; Rüben 1947 (s. o. A. I, 111), 20, 200, 337.

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127 Rüben, W., Krishna, Istanbul 1943, 55. 128 mäträ, s. u. b. A. 131, 140, 268. Mäträ bedeutet eigentlich Maß (Länge dfer Zeit: ChU I I I , 19, 1) oder Teil (BU IV, 3, 32: der Wonne). 129 S. u. b. A. 146. 130 S. u. b. A. 147. 131 S. o . A . 128; vgl. b h ü t ä m ä t r ä (KU I I I , 8 (B327): „nur aus Gewordenen bestehend"? Die Objekte der Sinne. Vgl. t a n m ä t r a im Sämkhya (SK 38): die „feinen" Elemente. 132 S. o. b. A. 108. 133 S. u. b. A. 143. 134 S. o. b. A. 63. 135 R VI, 72, 116; s . o . b. A. 97. 136 S. u. b. A. 164. 137 P h W b 539. 138 R VI, 67 ff. 139 S. u. b. A. 145. 140 S. o. b. A. 128, 131. 141 S. u. b. A. 158. 142 S. o. b. A. 109. 143 S. o. b. A. 109, 133 und den Schluß der Analyse von BU I I I , 8 (Gärgl) zwischen Anm. 120 und 121; s. u. b. A. 162. 144 So Grassmann s. v. tapas. 145 S. o. b. A. 139. 146 S. o. b. A. 129. 147 S. o. b. A. 130. 148 S. o. b. A. 120. 149 Rüben, W., Schamanismus im alten Indien, in: Acta Orientalia X V I I I , 1939, 164f., bes. 169; s. o. b. A. 114. 150 S. o. b. A. 106; zum damaligen Handel vgl. R I, 67; VI, 80. 151 R I I , 67. 152 R IV, 33; vgl. RV X, 90, 13: Wind aus Atem des purusa (B 24; R IV, 32). 153 R IV, 37. ' ' 154 Geldner IV, 148. 155 Gonda I, 32 ff. 156 S. o. b. A. I, 220. 157 RV I, 115, l ; s . u. b. A. 193. 158 S. o. b. A. 141. 159 S. o. b. A. 118. 160 S. o. b. A. 109. 161 R IV, 79. 162 S. o. b. A. 143. 163 R IV, 95f. 164 S. o. b. A. 119, 136. 165 Vgl. BU V, 14, 4: Wahr = Sehen; Wahrheit f u ß t auf K r a f t = Atem = Leben; daher ist K r a f t stärker als Wahrheit. 166 R IV, 132. 167 R IV, 96 f. 168 P r a j n ä t m a n (KU IV, 20; B 318) = vijnänamayapurusa (BU II, 1, 16; B 316), ein Begriff Yäjnavalkyas (BU IV, 4, 5 und 22; B 238 und 242). 169 R I, 71; gegenseitiges Essen bedeutet Utopie der Klassenharmonie. Heute wird das Verhältnis von „Arbeitgebern" und „Arbeitnehmern" in der Landwirtschaft als patronage bezeichnet (Breman, J., Patronage and Exploitation, Berkeley, Los Angeles, London 1974). 170 Ähnlich beim Erwachen: K U IV, 20 (B 318) unter Vergleich mit Funken des Feuers. 171 S. u. b. A. 185. 172 R IV, 95. 173 R IV, 97. 174 R IV, 29 f. 175 R IV, llOf.

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176 177 178 179 180

R IV, 222. S. o. b. A. I, 59. R VI, 145; s. u. b. A. 184. R VI, 146. Der Begriff „höher" (para) in der Käthakopanisad (R IV, 120) s^tzt Sanatkumäras bhüyas (mehr) fort. 181 R IV, 116f. 182 S. o. b. A. 123. 183 S. u. b. A. 188. 184 R I V , 103f.; s. o. b. A. 178. 185 S. o. b. A. 171. 186 R IV, 106f. 187 Diese gesellschaftskritische Stelle in Mbh XVIII, 3, 11; 35 (crit.) ist von Nilakantha nicht erklärt, sie ist nacherzählt in: Narasimhan, Ch., The Mahäbhärata, New York-London 1965, 213, aber fortgelassen von Jacobi, H., Mahäbhärata, Bonn 1903, 191. 188 S. o. b. A. 183. 189 S. u. b. A. 201. 190 Übersetzung: Oldenberg, H., Reden des Buddha, München 1922, 126ff.; vgl. ders., Buddha, Stuttgart-Berlin 1920, 80ff.: gegen Sophistik; R III, 76f.; IV, 114f.; VI, 148f. 191 R IV, 118f. 192 R IV, 115 ff. 193 R III, 95; s. o. b. A. 157. 194 R VI, 165,180. 195 R VI, 204f.; 224ff. 196 R IV, 128ff.; VI, 187ff. - Vgl. Radhakrishnan, S., Indian Philosophy, London-New York 1927, II, 18. 197 PhWb 713f. 198 Rüben, W., Zur Frühgeschichte der indischen Philosphie, in: Beiträge zur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Indiens, ed. Kirfel, W., Bonn 1926, 347. 199 R I V , 131 ff. 200 R IV, 199 f. 201 S. o. b. A. 189. 202 R IV, 138 ff. 203 R IV, 132; VI, 192. 204 R I V , 142f.; V, 223. 205 R IV, 181. 206 R IV, 181-183. 207 R VI, 228. 208 R IV, 199ff.; VI, 266ff. 209 R IV, 185 ff. 210 R IV, 190 ff. 211 R IV, 230 ff. 212 R IV, 225 ff. 213 R IV, 13ff. usw.; VI, 120f. usw. 214 Herrmann 51ff. 215 E&enda 55. 216 R VI, 3 ff. 217 Herrmann 79 ff. 218 Weltgeschichte in Daten, hrsg. von einem Kollektiv, Berlin 1965, 159ff. 219 R III, 13; IV, 24; V 48ff.; VI, 38. 220 Diese und die folgenden Angaben über die Griechen sind der KA entnommen. 221 KA 73. 222 KA 121. 223 Rüben VI, 273. 224 Rüben 1975 (s. o. A. I, 100), 12 ff. 225 KA 164. 226 Trencsenyi-Waldapfel, I., Die Töchter der Erinnerung, Berlin 1966, 227: Der sogenannte „In-

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dische Dionysos"; Breioer, B., et Sömer, R., Fontes Historiae Religionum Indicarum, Bonn 1930, 17ff.: Megasthenes. 227 Rüben, W., Krishna, Istanbul 1943 (1941), 278ff. 228 KA 165. 229 Trencsenyi-Waldapfel (s. o. A. 226), 226. 230 R V, 53, 80, 122, 162f. (198: kuällava), 239f. 231 Trencsenyi-Waldapfel (s. o. A. 226), 228. 232 KA 165f„ 262. 233 KA 166. 234 Zeller I, 1, 66. 235 Ebenda. 236 Ebenda. 237 Ebenda. 238 Ebenda 82f.; KA 166. 239 KA 166f. 240 Trencsenyi-Waldapfel (s. o. A. 226), 212, 214. 241 Robbe, M„ Der Ursprung des Christentums, Berlin 1967, 33 ff. 242 Tokarew, S. A„ Die Religion in der Geschichte der Völker, Berlin 1968, 468f., 473. 243 Walter, G., Histoire du Communism, I, Paris 1931, 16ff.; Robbe, a. a. O., 48f.: Utopie, die an Vergangenheit orientiert ist. 244 Tokarew, a, a. O., 469. 245 Robbe, a. a. O., 54. 246 Vgl. MEW 22, 464. 247 Rüben 1943 (s. o. A. 227), 54. 248 Trencsenyi-Waldapfel, I., Untersuchungen zur Religionsgeschichte, Budapest 1966, 366. 249 MEW 22, 458; Robbe, a. a. O., 55. 250 Robbe, a. a. O., 64ff.; Tokarew, a. a. 0 . , 478. 251 KA 162. 252 Rüben, W., Bibel und Puräna, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 1967, 83ff. 253 Zeller I, 1, 59. 254 Ebenda 62. 255 KA 148f. 256 Vgl. Oiserman, T. T., Probleme der Philosophie und der Philosophiegeschichte, Berlin 1972, 17ff. 257 KA 74f. 258 Zeller II, 2, 177, 179, 791. 259 KA 50, 83f., 98; vgl. 144ff.: ratio gegen Mythus (d.h. Wissen gegen Glauben). 260 R V, 83. 261 KA 34. 262 KA 161. 263 Rüben, W., Geschichte der indischen Philosophie, Berlin 1954, 58f. 264 KA 150 zu kurz; Zeller I, 1, 319 A. 1; Diels, H., Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1912. I, 26: Fragm. 2. 265 KA 148. 266 KA 350. 267 S. o. A. 37f. 268 S. o. A. 128. 269 KA 156: materiell. 270 Zellerl, 1, 687, 694, 699; Diels, a. a. O., Fragm. 5. Thomson, G., Die ersten Philosophen, Berlin 1961, 246; vgl. R IV, lOOf. 271 Zeller I, 1, 646; s. o. b. A. 117: Atem, Sehen, Hören, Denken in ChU IV, 8, 3 (B 192). 272 Ebenda 695. 273 Ebenda 646: Geist; 661: kugelförmig. 274 Ebenda 720, 700. 275 KA 120f. 276 Chattopadhyaya 1975, 20. 277 Rüben, W., Bemerkungen zu einer Periodisierung der Geschichte Indiens im Rahmen der Universalgeschichte, in: Asien, Afrika, Lateinamerika I, 1973, 1, 117ff.; Rüben 1977 (s. o. A. I, 57).

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