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German Pages 248 Year 1989
Linguistische Arbeiten
202
Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Wissen, Wahrnehmen, Glauben Epistemische Ausdrücke und propositionale Einstellungen Herausgegeben von Gabriel Falkenberg
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wissen, Wahrnehmen, Glauben : epistemische Ausdrücke und propositionale Einstellungen / hrsg. von Gabriel Falkenberg. - Tübingen : Niemeyer, 1989. (Linguistische Arbeiten ; 202) NE: Falkenberg, Gabriel [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30202-X
ISSN 0344-6727
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.
Inhalt
Vorwort
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Axel Bühler Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen
9
Gabriel Falkenberg Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben
27
Ulrike Haas-Spohn Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen
49
Walter Kasper Situationen und Einstellungen
97
Jürgen Pafel icheinen + Infinitiv. Eine oberflächengrammatische Analyse
123
Eckard Rolf Zur (vermeintlichen) Ambiguität der Glaubenssätze
175
Peter Simons Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen
199
Michael Sukale Wahrnehmung und Abstraktion
219
Sachregister
243
Personenregister
251
„Kennst du den verhüllten Mann dort?" — „Nein."— „Aber es ist dein Vater; also kennst du deinen Vater nicht." (Eubulides)
Vorwort Die folgenden Aufsätze entstanden in ihrer Mehrzahl aus Vorträgen auf der 9. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (Universität Augsburg, 4.-6. März 1987), Arbeitsgruppe Epistemische Ausdrucke und propositionale Einstellungen. Die leitende Idee war, zu diesem an der Schnittstelle von Grammatik, Logik, Ontologie, Epistemologie und Psychologie liegenden Thema das Gespräch zwischen Linguisten und Sprachphilosophen zu fördern. Das gleiche Ziel verfolgt der vorliegende Band. In diesem Vorwort sollen nur einige erklärende Anmerkungen zum Untertitel gemacht, und auf die entsprechende Literatur verwiesen werden (soweit sie nicht aus den einzelnen Aufsätzen zu entnehmen ist); anschließend sind die folgenden Beiträge kurz zusammengefaßt. Der Ausdruck propositionale Einstellung (engl. prepositional attitude) ist bekanntlich von Russell (1940) eingeführt - von ihm der Sache nach allerdings schon in (1904) und (1919:50=1956:218) thematisiert - worden und bezeichnet Einstellungen zu etwas, deren sprachlicher Ausdruck ein ganzer Satz ist. Beispiele für solche Einstellungen sind Glauben oder Wissen, aber auch Sehen, Sich-Erinnern, und Denken. Eine Übersicht über verschiedene Arten propositionaler Einstellungen gibt etwa Hintikka (1975). Ob solche Einstellungen als Einstellungen zu Sätzen, zu Propositionen, zu Sachverhalten oder zu anderen Gebilden aufzufassen sind, ist nach wie vor Gegenstand der Diskussion, wie auch die Frage nach dem Verhältnis von propositionalen zu anderen Einstellungen. Die Problematik führt zurück auf die bereits im Mittelalter intensiv diskutierte Frage nach der Beziehung von Geist bzw. Bewußtsein und seinen Gegenständen oder Inhalten, einer Beziehung, die als spezifische Gerichtetheit (Intentionalität) gedeutet wurde und wird (siehe Chisholm 1976, 1981).
Das Wort Einstellung selbst wurde ebenso wie sein englisches Äquivalent bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Psychologie gebraucht, und nach und nach in verschiedener Weise als terminus technicus verwendet (z.B. motorische Einstellung im Sinne von motorischer Prädisposition·, in der Würzburger Schule auch sensorische und motorische Impulse umfassend; von der Gestalttheorie als „determinierende Tendenz" bezeichnet; eine ausführliche Darstellung der vergleichbaren Entwicklung von engl. attitude gibt Fleming 1967). Der Begriff ist heute in der Sozialpsychologie, etwa bei der Untersuchung von Vorurteilen, gängig (für einen repräsentativen Überblick siehe den Sammelband von Warren/Jahoda 1973). Die bekanntesten Beispiele für den sprachlichen Ausdruck von Einstellungen liefern Sätze, in denen epistemische Ausdrucke vorkommen, z.B. epistemische Verben wie etwa wissen. Die Arbeiten Freges, Russells und Wittgensteins haben das Augenmerk wieder auf Einstellungsausdrücke und ihre semantischen Eigentümlichkeiten gelenkt, und die daran anschließenden Beiträge der sprachanalytischen Philosophischen Psychologie (philosophy of mind) haben eine Fülle neuer Perspektiven eröffnet (siehe etwa die in Bieri 1981 versammelten Aufsätze). Dabei spielt in den letzten Jahren aufgrund der Arbeiten insbesondere von Kripke und Putnam der Unterschied zwischen Einstellungen de re (d.h. ursprünglich Einstellungen, die auf tatsächlich Existierendes, res bezogen sind) und Einstellungen de dicto (d.h. ursprünglich solchen, die nicht notwendigerweise auf tatsächlich Existierendes, sondern sprachlich Repräsentiertes, dicta, bezogen sind) eine zunehmend größere Rolle (siehe etwa die Beiträge in Woodfield 1982). Das Begriffspaar de re/de dicto selbst stammt aus der mittelalterlichen Modallogik. Der Terminus epistemisch - von griechisch € (Wissen) - ist in neuerer Zeit von dem Logiker W.E. Johnson in die sprachanalytische Literatur eingeführt worden (Johnson 1921). Seit den modallogischen bzw. modallogisch angelegten Arbeiten v.Wrights (1951) und Hintikkas (1962) wird der Ausdruck in zwei etwas unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: im engeren Sinn ist er nur bezogen auf Wissen, und dann z.B. vom sog. doxastischen Bereich unterschieden, der Glaubensphänomene umfaßt; im weiteren Sinn umschließt er dagegen alle für die Erkenntnis relevanten Phänomene einschließlich Glauben, Wahrnehmen, usw. - und in diesem zweiten, übergreifenden Sinn ist der Terminus hier zu verstehen (vergleiche auch Goldman 1986, Doherty 1987). Er deckt sich weitgehend mit dem Verständnis von kognitiv in der kognitiven Psychologie und in dem Gebräu von Disziplinen, das in den letzten Jahren oft als „cognitive science" bezeichnet wird. Zu den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes im einzelnen:
Vorwort
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Axel Bühler (Mannheim) zeigt in Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen die Problematik der von Fodor und anderen in der Psychologie postulierten Symbolsysteme auf. Unter der Annahme, daß es nur ein einziges Symbolsystem gibt und kognitive Ausdrücke Beziehungen zu mentalen Repräsentationen bezeichnen, vermag eine mentalistische Semantik gewisse umgangssprachlich schlüssige Folgerungen nicht zu erfassen. Sie scheint zudem Wahrheitsbedingungen mit -gründen zu verwechseln. Ich selbst thematisiere in Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben die Besonderheiten dieser Verbklasse anhand der vielfältigen Verwendung von sehen. Die Untersuchung zentraler Konstruktionsmöglichkeiten (Acl, Akkusativobjekt, wie-Satz, daß-S&tz) ergibt ein bestimmtes Hierarchiemuster syntaktisch-semantischer Beziehungen, von dem aus auch Licht auf die Besonderheiten anderer Perzeptionsverben fällt. Ulrike Haas-Spohn (München) stellt in ihrem Überblick Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen eine Reihe wichtiger Beiträge der logisch-grammatischen Analyse propositionaler Einstellungen dar (Montague, Quine, Kaplan, Loar und Cresswell/Stechow). Sie konzentriert sich dabei auf die Kennzeichnungen im Komplement des EinsteDungsprädikats und weist eine hinter dem Begriffspaar de re/de dicto verborgene Doppeldeutigkeit nach. Walter Kasper (Stuttgart) gibt in Situationen und Einstellungen einen Abriß der Analyse propositionaler Einstellungen durch die Situationssemantik von Barwise/Perry. Im Vergleich mit den ebenfalls modelltheoretisch verfahrenden Konzeptionen von Hintikka und Cresswell wird deutlich, welche grundlegenden Probleme in der Situationssemantik noch ungelöst sind. Jürgen Pafel (Tübingen) entwickelt in scheinen + Infinitiv. Eine oberflächengrammatische Analyse den konzeptionellen Rahmen einer Theorie, die logische und grammatische Ebene nicht voneinander trennt. Es wird gezeigt, daß die Betrachtung von scheinen als Satzoperator problematisch ist, und insbesondere für die Konstruktion mit Infinitiv eine syntaktische Behandlung mittels zweistufiger Selektion entwickelt, die die Anwendung semantisch konzipierter Satzglieder möglich macht. Eckard Rolf (Münster) äußert sich kritisch Zur (vermeintlichen) Ambiguität der Glaubenssätze in solche des de re- und des de dicto-Typs. Statt zwei verschiedene Bedeutungen von glauben (Quine) oder daß (Cresswell) anzunehmen, plädiert er im Anschluß an andere Arbeiten dafür, eher zwei Arten des Berichtens über Glaubensinhalte zu unterscheiden, da die Ambi-
guität nicht in irgendeinem Ausdruck der betreffenden Sätze zu lokalisieren sei. Peter Simons (Salzburg) stellt in Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen eine Semantik vor, die auf einer naturalistischen von der Phänomenologie wie vom logischen Atomismus inspirierten - Ontologie beruht. Nach der Unterscheidung verschiedener Ansprüche an eine Theorie der Wahrmacher skizziert er eine Analyse, in der Wahrmacher für Einstellungssätze die psychischen Zustände der Person sind, welcher der betreffende Satz zugeschrieben wird. Michael Sukale (Konstanz) attackiert in Wahrnehmung und Abstraktion alle bekannten Theorien der abstraktiven Herleitung von Allgemeinbegriffen. Insbesondere richtet sich seine Kritik gegen Quines Versuche der Ableitung von Begriffen aus der Wahrnehmung, insofern diese nämlich entweder einen angeborenen Ähnlichkeitsmaßstab oder aber den Identitätsbegriff voraussetzen. Er schlägt stattdessen vor, Begriffe als theoretische Hypothesen aufzufassen. Alle Aufsätze sind Originalbeiträge. Leider fehlen hier trotz der Bemühungen des Herausgebers vier in der Arbeitsgruppe gehaltene Vorträge, nämlich: Ulrich Blau, Intentionale Prädikate und das de re/de iftc/o-Problem; Michael Grabski, Funktionen der Inversionen Information in Barwise/Perrys Situationssemantik; Uwe Mönnich, Propositionale Einstellungen und die Interpretation von Eigenschaften und propositionalen Funktionen; Günther Öhlschläger, Modalverben und epistemische Einstellungen. Dafür sind die Beiträge von Ulrike Haas-Spohn und Walter Kasper neu hinzugekommen. Es gelten folgende typographische Konventionen im laufenden Text: • Kursiv gesetzt sind objektsprachliche Belege (sofern sie nicht als Beispielssätze eigens eingerückt sind), Termini der Metasprache, Titel, sowie Kürzel im Text (Pou/, de dicto, The Philosophy of Logical Atomism, D, usw.). Dabei steht das Kürzel gdw für genau dann wenn. • Gesperrt sind Termini dort, wo sie neu eingeführt werden (Proposition, mentale Repräsentation, usw.). • Fett gedruckt sind Hervorhebungen (alle, nicht, usw.). Dieses Buch wurde gesetzt mittels lATjrX, einem von Leslie Lamport auf der Grundlage von Donald Knuths TßX entwickeltem Textsatzsystem. Ich
Vorwort
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danke Klaus Kemper und Rüdiger Wilke für Unterstützung bei der technischen Erstellung des Manuskripts in verschiedenen Phasen eines oft aussichtslos erscheinenden Kampfes mit dem Großrechner, sowie dem Rechenzentrum der Universität Düsseldorf, ganz besonders Margit Backhaus, für großzügigen Beistand.
Düsseldorf
im Sommer 1988
Literatur P. Bieri (Hg.) 1981. Analytische Philosophie des Geistes. Königstein: Hain (=Philosophie. Analyse &: Grundlegung 6). R. Chisholm 1976. Person und Object. A Metaphysical Study. London: Routledge & Kegan. —
1981. The First Person. An Essay on Reference and Intentionality. Brighton: Harvester.
M. Doherty 1987. Epistemic Meaning. Berlin: Springer (=Language & Communication 21). D. Fleming 1967. Attitude: The History of a Concept. In: D. Fleming/R. Bailyn (Eds.), Perspectives in American History I. Cambridge, Mass.: Harvard College, 287-357. A.I. Goldman 1986. Epistemology and Cognition. Cambridge, Mass.: Harvard University Press. J. Hintikka 1962. Knowledge and Belief. An Introduction to the Logic of the Two Notions. Ithaca: Cornell University Press. —
1975. Different Constructions in Terms of the Basic Epistemological Verbs: A Survey of Some Problems and Proposals. In: Hintikka, The Intentions of Intentionality and Other New Models of Modality. Dordrecht: Reidel (=Synthese Library 90), 1-25.
W.E. Johnson 1921. Logic, Part I. Cambridge: University Press. B. Russell 1904. Meinong's Theory of Complexes and Assumptions. In: Mind 13, 204-19, 336-54, 509-24. Abdruck in: Russell, Essays in Analysis (Ed. D. Lackey). London: Allen & Unwin 1973, 21-76. —
1919. The Philosophy of Logical Atomism, §III-IV. In: The Monist 29, 32-63. Abdruck in: Russell, Logic and Knowledge (Ed. R.C. Marsh). London: Allen & Unwin 1956, 203-28.
—
1940. An Inquiry into Meaning and Truth. London: Allen & Unwin.
N. Warren/M. Jahoda (Eds.) 21973. Attitudes. Selected Readings. Harmondsworth: Penguin.
Vorwort A. Woodfield (Ed.) 1982. Thought and Object. Essays on Intentionality. Oxford: Clarendon. G.H. v.Wright 1951. Holland.
An Essay in Modal Logic.
Amsterdam: North-
Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen Axel Bühler
INHALT
0 Einleitung 1 Die Aufgaben einer Semantik kognitiver Sätze 2 Grundgedanken einer mentalistischen Semantik kognitiver Sätze 3 Die Inhalte mentaler Repräsentationen 4 Unterschiedliche Verwendungszwecke kognitiver Sätze 5 Definition der Wahrheit versus Erklärung von Wahrheit Literatur
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Axel Bühler
0 Einleitung Kurz zur Terminologie: die sprachlichen Ausdrücke, um die es uns hier geht, werden auf verschiedene Weisen bezeichnet: als Ausdrücke für propositionale Einstellungen, als intentionale Ausdrücke, als epistemische Ausdrücke. Ich spreche von kognitiven Ausdrücken, weil sie alle irgendwie mit kognitiven Einstellungen und Tätigkeiten zu tun haben.1 Kognitive Sätze 1
Kognitive Ausdrücke bezeichnen geistige Zustände und Prozesse, die kognitiver Art sind: d.h. es geht um Prozesse des Denkens und Überlegene, Zustände des Meinens, Wünschens, Zweifeins usw. Zum Ausdruck kognitiv siehe etwa Flavell 1977: 2. - Welche Terminologie wir hier wählen, ist ja letzten Endes ohne große Bedeutung, solange wir wissen, wovon die Rede ist. Dennoch kurz eine Bemerkung zu den jeweiligen Bezeichnungen: (1) Ausdrücke für propositionale Einstellungen - diese Redeweise legt nahe, es handele sich bei Einstellungen wie Meinen oder Wünschen um Einstellungen zu Propositionen. Sofern man unter einer Proposition dasjenige versteht, was logisch äquivalente Sätze ausdrücken (z.B. eine Funktion von möglichen Welten in die Menge der Wahrheitswerte), sind Meinungen oder Wünsche nicht Einstellungen zu Propositionen. Denn es ist ja möglich, zu glauben, daß q, und zugleich nicht zu glauben, daß p, wo p und q logisch äquivalente Sätze sind. (Innerhalb der modernen kognitiven Psychologie wird auch von Propositionen gesprochen: man sagt etwa, daß Bedeutungen in der Form von Propositionen im Gedächtnis repräsentiert und gespeichert sind; vgl. Anderson 1980:101. Diese Verwendungsweise von Proposition meint offenbar strukturierte Einheiten in einem System interner Repräsentation und somit etwas anderes als das, was man in Logik und Sprachphilosophie unter Proposition versteht.) (2) Intentionale Ausdrücke - diese Redeweise soll beinhalten, daß es sich bei den fraglichen Ausdrücken um solche handelt, die intentionale Zustände (oder Prozesse) bezeichnen. Worm nun aber die Intentiona-
Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen
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sind Sätze, deren Hauptverben kognitive Verben sind. Aufgabe einer Semantik kognitiver Sätze ist es, Wahrheitsbedingungen so anzugeben, daß die Relation der logischen Folgerung zwischen solchen Sätzen definiert werden kann. Ist die Idee der mentalen Repräsentation für die Erstellung einer Semantik kognitiver Sätze relevant? Seit Anfang der 70er Jahre sind mehrere Semantiken kognitiver Sätze vorgeschlagen worden, die unter Rekurs auf mentale Repräsentationen die Wahrheitsbedingungen kognitiver Sätze anzugeben suchen. Ich möchte im Folgenden Grundannahmen solcher Semantiken herausstellen und kritisieren. Im ersten Abschnitt skizziere ich, worin die Problematik einer Semantik von Sätzen mit kognitiven Ausdrücken besteht. Im zweiten Abschnitt lege ich Grundgedanken einer Semantik dar, die mentale Repräsentationen zur Lösung des Problems heranzieht. In den dritten, vierten und fünften Abschnitten trage ich einige Argumente gegen die skizzierte Problemlösung vor.
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Die Aufgaben einer Semantik kognitiver Sätze
Wenn wir im Alltag, aber auch wenn wir in den Wissenschaften argumentieren, bedienen wir uns der natürlichen Sprache. Wenn wir sodann untersuchen, wie wir die Gültigkeit von in der natürlichen Sprache vorgebrachten Argumenten begründen sollen, werden wir zum Studium der spezifischen Logik geführt, von der wir meinen, daß sie der Argumentation in der natürlichen Sprache zugrundeliegt. Nun ist ja kein Bereich der natürlichen Sprache davon ausgenommen, daß in ihm argumentiert wird, kein Gegenstandsbereich davon ausgenommen, daß über ihn argumentiert wird. Auch in dem Bereich der Sprache lität geistiger Zustände oder Prozesse besteht, scheint keineswegs eindeutig zu sein; vgl. hierzu Spiegelberg 1936. (3) Epistemische Ausdrücke - diese Redeweise legt nahe, daß die fraglichen Ausdrücke ausschließlich solche sind, die mit Erkenntnis zu tun haben, also Ausdrücke wie wissen, glauben, zweifeln; außerdem wird suggeriert, daß diese Ausdrücke allein in den Kontexten relevant sind, in denen es um Erkenntnis geht. (4) Kognitive Ausdrücke - diese Redeweise mit der dazu gegebenen obigen Erläuterung legt nahe, die fraglichen Ausdrücke würden ausschließlich zum Berichten über geistige Zustände und Prozesse verwendet. Wie wir aber weiter unten, in Abschnitt 4, sehen werden, geht es bei der Verwendung solcher Ausdrücke keineswegs immer nur darum. So wird man häufig über Meinungen berichten, insofern sie für den Hörer relevant und verständlich sind, und dabei davon absehen, welche Meinung im einzelnen diejenige Person hat, der wir die Meinung zuschreiben.
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Axel Buhler
wird argumentiert, in dem wir Ausdrücke verwenden, die sich auf psychische Zustände und Prozesse beziehen oder mit ihnen zu tun haben. Und in diesem Zusammenhang erweisen sich bekanntlich solche Ausdrücke als interessant, die die Einstellungen von Personen gegenüber - allgemein gesprochen - Inhalten ihres Denkens betreffen: die kognitiven Ausdrücke. Die Frage nach der Logik des Bereichs der Sprache, in dem kognitive Ausdrücke verwendet werden, ist nunmehr zunächst die Frage nach für diesen Bereich spezifischen Argumentationsweisen. Zum zweiten ist es die Frage nach einer Definition der Folgerungsbeziehung zwischen Sätzen dieses Bereiches. Wenn wir angeben können, was die Wahrheitsbedingungen für solche Sätze sind, dann können wir Folgerung etwa so definieren: Sei 5 ein Satz, M eine Satzmenge. Dann folgt S aus M genau dann wenn, falls die Sätze aus M in einer zulässigen Interpretation wahr sind, dann auch 5 wahr ist. Die Problematik der Semantik von kognitiven Sätzen stellt sich dann folgendermaßen dar: was sind die logischen Formen kognitiver Sätze? Was ist eine zulässige Interpretation von logischen Formen kognitiver Sätze? Wann sind kognitive Sätze in einer solchen Interpretation wahr? Wann sind Sätze wie a glaubt, daß p oder a sieht, daß p wahr? Die Frage nach der Semantik kognitiver Sätze ist somit die Frage nach einer Wahrheitsdefinition für diese Sätze und einer auf ihr beruhenden Folgerungsdefinition. Bezeichnen wir p als das Komplement solcher Sätze. Für das Erstellen einer Wahrheitsdefinition ist nun insbesondere problematisch, wie das Komplement solcher Sätze semantisch zu deuten ist. Verweist der kognitive Ausdruck etwa auf eine Klasse von Situationen, die durch das Komplement spezifiziert werden? Setzt der kognitive Ausdruck also die Person mit diesen Situationen in Bezug? Oder setzt der kognitive Ausdruck das Subjekt mit einem Satz der deutschen Sprache in Bezug? Oder mit einer abstrakten Bedeutung, einer Proposition? Zur Problematik der Semantik kognitiver Sätze gehört also die Frage, welche solcher semantischen Deutungen des Komplements kognitiver Sätze zutreffend ist.2 Viele Autoren meinen, daß das Studium der Semantik auch aus anderen Gründen als den hier aufgeführten von Bedeutung sei. Die Angabe der 2
Einen kurzen Überblick über verschiedene Deutungsversuche des Komplements kognitiver Sätze gebe ich in Bühler 1983:148. In diesem Buch diskutiere ich auch des längeren Freges Analyse kognitiver Sätze sowie Hintikkas Anwendung der mögliche-WeltenSemantik auf kognitive Sätze.
Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen
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Wahrheitsbedingungen von Sätzen einer Sprache sei deswegen wichtig, weil man die Kenntnis der Bedeutung eines Satzes mit der Kenntnis seiner Wahrheitsbedingungen identifizieren könne.3 Ich möchte hier nicht diskutieren, ob und inwieweit diese Identifikation gerechtfertigt ist. Sicherlich aber kann man zugestehen, daß die Fähigkeit, wenigstens elementare Folgerungszusammenhänge zu erkennen, wohl mit zur Sprachkompetenz gehört. Und da das Vorliegen von Folgerungsbeziehungen mit einer Abhängigkeit der Wahrheitsbedingung der Konklusion von den Wahrheitswerten der Prämissen zu tun hat, gehört dann auch Kenntnis der Wahrheitsbedingungen von Sätzen mit zur Sprachkompetenz. Wann kann eine Semantik kognitiver Sätze als adäquat gelten? Eine Bedingung hierfür ist, daß die Semantik bestimmte Argumentmuster, die wir intuitiv für gültig erachten, als gültig auszeichnet, bzw. daß sie Gründe angibt, die zur Revision unserer intuitiven Urteile führen können.4 Zwei Argumentmuster, die zumindest ich für gültig erachte, möchte ich hier kurz aufführen, weil sie in der späteren Diskussion von Bedeutung sein werden:
(A) (1) (2)
Maria glaubt, daß Peter Brigitte rote Rosen mitgebracht hat. Maria glaubt, daß Peter Brigitte Rosen mitgebracht hat.
In diesem Argument folgt aus der Zuschreibung einer Meinung die Zuschreibung einer weniger präzisen Meinung.
(B) (1) (2) (3)
Erika sah, daß Peter Maria betrügt. Erika erzählt, daß Peter Maria betrügt. Also erzählt Erika das, was sie gesehen hat.
Die Konklusion dieses Arguments identifiziert das, was gesehen wird, mit dem, was erzählt wird: Inhalt von Wahrnehmung und Erzählung ist derselbe.
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Siehe hierzu Davidson 1967 und Cresswell 1978. Siehe hierzu Bühler 1983:§2 und 3. - Neben der im Text aufgeführten Bedingung gibt es sicher auch Anforderungen eher theoretischer Natur. So wird zum Beispiel eine Rolle spielen, wie gut eine vorgeschlagene Semantik für einen Bereich der natürlichen Sprache zu semantischen Analysen anderer Bereiche der natürlichen Sprache paßt. 4
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Axel Buhler
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Grundgedanken einer mentalistischen Semantik kognitiver Sätze
Zunächst möchte ich auf den Begriff der mentalen Repräsentation eingehen, sodann auf eine Weise, wie mentale Repräsentationen für die Semantik kognitiver Sätze nutzbar gemacht werden können. Mit der Abkehr von behavioristisch orientierten Erklärungsprogrammen in der Psychologie begann sich die Aufmerksamkeit auf die internen Prozesse der Informationsverarbeitung zu richten. Man begann, den Gedanken ernst zu nehmen, daß Individuen sich Aspekte der Umwelt irgendwie vorstellen, „intern repräsentieren", und daß die Art und Weise der internen Repräsentation und ihrer Verarbeitung für das Verhalten von Individuen relevant wird. Die theoretische Erfassung kognitiver Prozesse behandelt diese Prozesse als solche eines regelgeleiteten Operierens mit Symbolen; und dabei wird ein Medium vorausgesetzt, dem diese Symbole angehören: ein Repräsentationssystem. Die diesem System zugehörigen Symbole sind eben die mentalen Repräsentationen. 5 Verschiedene Entwicklungen in der neueren Psychologie scheinen die Hypothese vom Vorliegen eines solchen Systems zumindest im menschlichen Organismus nahezulegen. So postulierten etwa Anderson und Bower bei der Entwicklung ihres theoretischen Modells des menschlichen Gedächtnisses die Existenz eines Repräsentationssystems im menschlichen Organismus.6 Denn sie meinten, daß der Organismus ein Medium benötigt, in welchem ihm zukommende Informationen repräsentiert werden, um sie in rückrufbarer Form zu lagern. Jerry Fodor hat argumentiert, daß u.a. theoretische Konzeptionen zum BegrifFslernen, Theorien über Wahrnehmung und Theorien zum Spracherwerb zur Annahme eines Repräsentationssystems im Organismus zwingen.7 Wie kann nun die Annahme eines Systems mentaler Repräsentationen zu einer Semantik kognitiver Sätze führen? Zu diesem Zweck muß man im wesentlichen drei weitere Annahmen machen:
5
Aus der Literatur zu Begriff und Theorie des Repräsentationssystems erwähne ich hier Fodor 1976, Sober 1976, Field 1978, Simon 1978, Anderson 1980, insbesondere 94127, Fodor 1987:Appendix. 6 Anderson/Bower 1974:151. 7 Fodor 1976:34-53,58-64.
Semantik· Jrognitiver S&tze und mentale Repräsentationen
(1)
Es gibt nur ein einziges Repräsentationssystem; bzw. andere Formen interner Repräsentation sind auf ein bestimmtes System mentaler Repräsentation rückführbar.
(2)
Die kognitiven Ausdrücke der natürlichen Sprache bezeichnen Operationen, die auf mentalen Repräsentationen durchgeführt werden; oder sie bezeichnen Beziehungen, in denen Organismen sich zu mentalen Repräsentationen befinden.
(3)
Mit dem Komplement eines kognitiven Satzes wird ein Name geformt, der bestimmte - näher zu spezifizierende - Bestandteile des Repräsentationssystems bezeichnet. (Diese Bestandteile nenne ich im folgenden auch Gedanken.)
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Aus diesen drei Annahmen folgt nun die Grundidee einer Semantik kognitiver Sätze, die auf mentale Repäsentationen rekurriert: Stehe K für irgendein kognitives Verb. Ein Satz der Form a K daß p ist wahr genau dann, wenn sich in der durch K bezeichneten Beziehung zu dem von daß p bezeichneten Gedanken befindet. Die Annahmen (2) und (3) bedeuten im einzelnen: für positive oder affirmative Attributionen kognitiver Einstellungen soll gelten, daß die Individuen die Gedanken, die durch daß p spezifiziert werden, tatsächlich haben: das informationsverarbeitende Individuum speichert die gegebene mentale Repräsentation auf einer bestimmten Verarbeitungsebene. A glaubt, daß p haben wir so zu verstehen, daß die mentale Repräsentation, daß p, sich in irgendeinem Speicher des informationsverarbeitenden Individuums befindet und das Individuum zu diesem Einzelvorkommnis (token) einer mentalen Repräsentation in der Relation des Glaubens steht. Der Grundgedanke der hier skizzierten Semantik muß nun in zweierlei Hinsicht angereichert werden, wenn wir eine empirisch einigermaßen funktionierende Semantik erhalten wollen, und zwar:
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Axel Bühler (a) (b)
mit genaueren Angaben über das Repräsentationssystem und seinen Aufbau; mit genaueren Angaben über die Zuordnung von Gedanken aus dem Repräsentationssystem zu Komplementen kognitiver Sätze.
Diese Angaben sollen es uns ermöglichen, verschiedene Einzelprobleme einer Lösung näher zu bringen, etwa: welche Gedanken müssen Komplementen zugeordnet werden, in denen deiktische Ausdrücke vorkommen? Wie sind Sätze zu analysieren, in deren Komplement Selbstbezugnahme auf das Subjekt des Satzes stattfindet? Haben wir bei Einstellungen de expresaione eine spezielle Form von Gedanke zu postulieren? Wie sind Komplemente zu deuten, die mit einer de re-Verwendung kognitiver Verben verbunden sind? Legt die iterative Verwendung kognitiver Ausdrücke die Postulierung einer speziellen Art von Gedanke nahe?8 Im folgenden werde ich nun nicht diese speziellen Probleme diskutieren, die sich für die hier skizzierte Semantik kognitiver Sätze bei der Analyse der natürlichen Sprache stellen. Anstatt dessen möchte ich auf Probleme eingehen, die mit den grundlegenden Annahmen (l)-(3) verbunden sind. Außerdem möchte ich untersuchen, ob die skizzierte Semantik - die ich manchmal auch einfach mentalistische Semantik nennen werde - überhaupt als Lösungsversuch für das Ausgangsproblem der Angabe von Wahrheitsbe8
Zwei der im Text erwähnten Probleme möchte ich hier kurz erläutern: (1) Betrachten wir folgenden Satz: Lauben glaubt, daß er verwundet worden ist. Dieser Satz exemplifiziert ein Phänomen, das ich Selbstbezugnahme im Komplement kognitiver Sätze nennen möchte. Solche Sätze behaupten, daß eine Person in dem, was sie denkt, auf sich selbst Bezug nimmt. Ausführlich wurde diese Problematik von Castaneda 1966 und Perry 1979 behandelt. Innerhalb einer mentalistischen Semantik löst sich dieses Problem ziemlich einfach auf: man nimmt an, daß es im Repräsentationssystem einen fixierten, primitiven Ausdruck gibt, der sich sozusagen automatisch immer auf den Träger des kognitiven Prozesses bezieht (vgl. bereits Fodor 1975:142). (2) Viel diskutiert wurden in den letzten Jahren Probleme im Zusammenhang mit de re-Verwendungweisen kognitiver Verben. De re-Verwendung liegt etwa in folgendem Satz vor: Ralph glaubt vom Bürgermeister, daß er ein Spion ist. Dieser Satz kann wahr sein, während gleichzeitig der de dicio-Satz Ralph glaubt, daß der Bürgermeister ein Spion ist falsch ist. Das Problem für eine mentalistische Semantik ist es nun, anzugeben, zu welchem Gedanken Ralph in der Beziehung des Glaubens steht.
Semantik kognitiver Sätze und mentaJe Repräsentationen
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dingungen betrachtet werden kann.9 9
Entwürfe zu einer mentalistischen Semantik sind von mehreren Autoren vorgelegt worden: (1) von Fodor 1978, (2) von Moore/Hendrix 1982, (3) von Johnson-Laird 1983 und (4) auch von mir, in Bühler 1978 und 1983. Es folgen einige kurze Bemerkungen über die Spezifika der einzelnen Vorschläge: ad (1): Fodor hat den Grundgedanken der mentalistischen Semantik zu allererst formuliert und verteidigt. In Fodor 1978 schlägt er vor, kognitive Sätze als Sätze zu analysieren, die eine Relation zwischen Individuen und Einzelvorkommnissen von Sätzen in einem internen Repräsentationssystem behaupten. Bei Fodor fehlt eine Ausarbeitung dieser Semantik für Einzelprobleme - insbesondere hinsichtlich der de re-Verwendung kognitiver Verben. ad (2): Moore und Hendrix betrachten in 1982 Berechnungsmodelle kognitiver Prozesse, d.h. Modelle, die geistige Prozesse als Durchführungen von Rechenoperationen ansehen. Sie nehmen an, daß eine Sprache des Denken, die in ihren angeborenen Teilen weniger reich ist als die von Fodor 1975 angenommene, als Medium fungiert, in dem der Geist seme Berechnungen durchführt. Die Grundidee ihrer Semantik kognitiver Sätze ist wie folgt: „..A glaubt, daß S ist wahr genau dann, wenn das durch A bezeichnete Individuum die Formel seiner internen Sprache, die S entspricht, unter seinen Meinungen hat, oder S aus seinen Meinungen mit geringem Aufwand abgeleitet werden kann" (Moore/Hendrix 1982:117). Sie beantworten auch die Frage, wie Selbstbezugnahme im Komplement kognitiver Sätze zu analysieren ist, und die Frage nach der de re-Verwendungsweise kognitiver Verben. Wie aus dem Zitat zu ersehen ist, schwächen Moore und Hendrix die von mir im Text aufgestellte Forderung ab, glaubt, daß p sei so zu verstehen, „daß die mentale Repräsentation, daß p, sich in irgendeinem Speicher des informationsverarbeitenden Individuums befindet". Sie meinen, glaubt, daß p sei auch dann wahr, wenn p aus den Meinungen a's mit nur geringem Aufwand abgeleitet werden kann. ad (3): Ein Kapitel in Johnson-Laird 1983 ist der Semantik kognitiver Sätze gewidmet (430-38). Johnson-Laird unterscheidet verschiedene Ebenen mentaler Repräsentation: zum einen postuliert er eine Ebene propositionaler Repräsentation, die insbesondere bei der Produktion und beim Verstehen der Sprache von Bedeutung ist. Tiefer liegt die Ebene der Darstellung durch mentale Modelle. Auf der Grundlage der Wahrheitsbedingungen mentaler Propositionen werden mentale Modelle des durch die Proposition Dargestellten aufgebaut. Dies sind nicht-sprachliche und teilweise sprachunabhängige Darstellungsvehikel, für Johnson-Laird die eigentlichen Medien des Denkens und der Informationsverarbeitung. Mentale Modelle werden nun auch für die Zwecke einer Semantik kognitiver Sätze bzw. von Sätzen über kognitive Einstellungen verwendet: „Eine propositionale Einstellung ist eine Relation zwischen einem Individuum und dem mentalen Modell dieses Individuums vom relevanten Sachverhalt" (433). Als besonderen Vorzug seiner Semantik betont Johnson-Laird, daß sie sich nicht auf einzelne, isolierte Meinungen konzentriert. Er betont, daß Menschen Meinungssysteme haben und dies in einer Semantik kognitiver Sätze zu berücksichtigen sei. Eben dies leisteten die mentalen Modelle. ad (4): In Bühler 1978 und 1983 habe ich mich an die Grundideen von Fodor (1975 und 1978) angeschlossen, und in ausführlicher Weise die Probleme behandelt, die mit der de re-Verwendungsweise kognitiver Verben verbunden sind, mit der Iteration kognitiver Verben und mit der Selbstbezugnahme im Komplement kognitiver Sätze.
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Axel Bühler 3 Die Inhalte mentaler Repräsentationen
Gibt es nur ein System mentaler Repräsentation? Wenn diese Frage negativ zu beantworten ist, dann ist die hier skizzierte Semantik auf jeden Fall unzutreffend. Dies wird klar, wenn wir das Argument (B) aus Abschnitt l betrachten. Nehmen wir nämlich an, daß es mehrere Repräsentationssysteme gibt und gehen wir davon aus, daß die Verarbeitung von Wahrnehmung in einem anderen Medium stattfindet als die Verarbeitung von Sätzen und Meinungen, dann ist die mentalistische Semantik klarerweise inadäquat: denn die Konklusion (B3) identifiziert das Gesehene mit dem Erzählten; nun sind aber der erzählte Gedanke und das Gesehene laut Voraussetzung nicht dasselbe; bei der Identifikation des Gesehenen mit dem Erzählten kann es sich also nicht um eine Identifikation von mentalen Repräsentationen als solchen handeln. Wir müssen vielmehr annehmen, daß der Inhalt des von Erika Gesehenen mit dem Inhalt des von Erika Erzählten identisch ist. (Bl) und (B2) können dann nicht mehr als Sätze verstanden werden, die behaupten, daß Erika sich in der jeweiligen Beziehung zu dem Gedanken, daß Peter Maria betrügt, befindet - sie müssen vielmehr dahingehend verstanden werden, daß sie das Vorliegen der Relation des Sehens bzw. des Erzählens zwischen Erika und dem Inhalt des Gesehenen bzw. dem Inhalt des Erzählten behaupten.10 Nun ist es aber keineswegs ausgemacht, daß es nur ein einziges Repräsentationssystem gibt. Eine ganze Reihe von Autoren argumentiert für die Existenz verschiedener Repräsentationssysteme im Organismus. So schreibt etwa Johnson-Laird: „Meine These ist, daß verschiedene Typen von Repräsentation auf einzelnen Analyseebenen unterscheidbar sind, und daß sie darüberhinaus als unterschiedliche Optionen für das Enkodieren von Information in Frage kommen."11 Er unterscheidet drei Hauptarten mentaler Repräsentation: mentale Modelle, propositionale Repräsentationen und Bilder.12 Wir sehen, daß die Annahme nur eines Repräsentationssystems in einem Organismus umstritten ist. Aber außerdem müssen wir unter Umständen in anderen Kulturen mit der Existenz anderer Repräsentationssysteme rechnen, insbesondere aber bei Angehörigen anderer Spezies. Für die mentalistische Semantik genügt es nun nicht, die Angabe der Wahrheitsbedingungen auf das Repräsentati10
Vgl. hierzu Cresswell 1985:53-60,157-61. Johnson-Laird 1983:146. 12 Vgl. den Teil von Anmerkung 9, der sich auf Johnson-Lairds Theorie bezieht. 11
Semantik .kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen
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onssystem der jeweiligen Spezies bzw. der jeweiligen Kultur zu relativieren. Betrachten wir hierzu die Situation eines Bauern, der mit seinem Schwein auf Trüffelsuche geht. In einer solchen Situation mag es angemessen sein, zu sagen: Der Bauer und sein Schwein glauben, daß sich unter der Eiche Trüffel befinden. Da wir - wie mir scheint - nicht von der Identität der mentalen Repräsentationen bei Mensch und Schwein ausgehen können, wir also Mensch und Schwein nicht dasselbe Repräsentationssystem zuordnen, kommen wir nicht umhin, so etwas wie einen Inhalt anzunehmen, der den Repräsentationen von Mensch und Schwein gemeinsam ist. Wir sehen also: es gibt verschiedene Gründe, die für die Existenz mehrerer Repräsentationssysteme sprechen. Verschiedene Sätze der natürlichen Sprache machen es aber erforderlich, so etwas wie Inhalte anzunehmen, die Repräsentationen aus unterschiedlichen Repräsentationssystemen gemeinsam haben. Wenn dem so ist, ist nicht mehr einsichtig, warum wir in der Semantik kognitiver Sätze überhaupt noch auf mentale Repräsentationen Bezug nehmen sollten und nicht unmittelbar auf die Inhalte.
4 Unterschiedliche Verwendungszwecke kognitiver Sätze Aber nehmen wir an, es gäbe nur ein Repräsentationssystem. Selbst wenn dies zuträfe, wäre immer noch nicht garantiert, daß (a) die Komplemente kognitiver Sätze Gedanken bezeichnen, die Individuen haben, und daß (b) kognitive Verben Relationen zwischen Personen und Gedanken bezeichnen. Dagegen, daß die Komplemente kognitiver Sätze - immer - zur Bezeichnung von Gedanken verwendet werden, die die Individuen tatsächlich haben, die also bei ihnen repräsentiert sind, sprechen verschiedene Argumente. Wenn die Komplemente kognitiver Sätze aber nicht solche Gedanken bezeichnen, dann kann auch die Relation, die durch die kognitiven Verben bezeichnet wird, keine Relation sein, deren zweites Relatum Gedanken sind. Dann bezeichnen kognitive Ausdrücke der natürlichen Sprache nicht in jedem Fall Beziehungen, in denen Organismen sich zu mentalen Repräsentationen befinden. Ich trage nunmehr zwei Einwände dagegen vor, daß die Komplemente kognitiver Sätze immer Gedanken bezeichnen, die bei den Individuen repräsentiert sind.
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AxeJ BüJiJer
(1) Betrachten wir das Argument (A) aus Abschnitt 1. Wenn wir die mentalistische Semantik unterstellen, behauptet Satz (AI), daß Maria in der Relation des Glaubens zu dem Gedanken steht: Peter hat Brigitte rote Rosen mitgebracht. Dann befindet sich Maria - normalerweise - nicht gleichzeitig in der Beziehung des Glaubens zu der weniger spezifischen Repräsentation Peter hat Brigitte Rosen mitgebracht. D.h., wir nehmen zwar an, daß ein Einzelvorkommnis des Gedankens Peter hat Brigitte rote Rosen mitgebracht von Maria gespeichert ist, aber wir nehmen nicht an, daß ein Einzelvorkommnis des weniger präzisen Gedankens Peter hat Brigitte Rosen mitgebracht von Maria gespeichert ist. Wenn (AI) also wahr ist, dann kann (A2) laut der mentalischen Semantik falsch sein. Es scheint aber, daß (A2) aus (AI) logisch folgt. Und das bedeutet, daß zumindest (A2) nicht so gedeutet werden kann, daß sein Komplement einen Gedanken bezeichnet, den Maria tatsächlich hat.13 (2) Mehrere Autoren haben darauf hingewiesen, daß die Identität von Meinungen, die wir Personen zuschreiben, vom Kontext der Zuschreibung abhängt. So hat Tyler Bürge bemerkt: „Wenn wir Behauptungen oder Meinungen berichten, ist uns der genaue Wortlaut, den wir im Bericht verwenden, oft gleichgültig. Eine Formulierung gilt der anderen gleichwertig, und normalerweise gehen wir davon aus, daß diese verschiedenen Formulierungen ausdrücken, was im gegebenen Kontext auf dasselbe hinausläuft. Unsere Beurteilungsmaßstäbe dafür, ob Formulierungen dieselbe Meinung oder dieselbe Behauptung ausdrücken, variieren von Fall zu Fall. Manchmal machen wir sehr feine Unterschiede. Oft sind wir großzügiger gesonnen und erlauben sogar den Austausch von Ausdrücken, die miteinander nicht synonym sind. Unsere Maßstäbe hängen vom Zweck des Berichts ab und von Tatsachen, die den betreffen, der die Meinungen hat."14 Die mentalistische Semantik muß dagegen davon ausgehen, daß es uns im Normalfall um eine möglichst akkurate Beschreibung und Wiedergabe von Meinungen und Urteilen anderer geht. Sie verlangt, daß wir im Komplement des kognitiven Satzes das festhalten, was einem Individuum in einem gegebenen Moment als mentale Repräsentation präsent ist. Alle anderen Fälle erfordern eine spezielle Behandlung. In Berichten über Meinungen und Urteile geht es uns aber wohl eher darum, bestimmte Aspekte des Inhalts der Meinung, des Urteils, wiederzugeben; es geht uns normalerweise nicht um eine genaue Wiedergabe eines internen Zustande - und diese ist ja auch wegen der Un13
Man beachte, daß dieser Einwand nicht ohne weiteres gegen die Semantik von Moore und Hendrix gerichtet werden kann. 14 Burge 1978:136. Ähnliche Auffassungen werden häufig in der Literatur vertreten. Sehr ausführlich sind sie von Stich 1983:§4 erläutert worden.
Semantik kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen
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beobachtbarkeit mentaler Repräsentationen wenigstens in den gewöhnlichen Kommunikationssituationen überhaupt nicht möglich.15
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Definition der Wahrheit versus Erklärung von Wahrheit
Bislang habe ich bestimmte Annahmen diskutiert, die uns von der Postulierung mentaler Repräsentationen zu einer Semantik kognitiver Sätze führen können. Nunmehr möchte ich in grundsätzlicherer Weise die Frage stellen, ob die skizzierte mentalistische Semantik nicht auf einem Mißverständnis der Aufgabe einer semantischen Theorie beruht. Hierzu werde ich einige Überlegungen zur Aufgabe von Wahrheitsdefinitionen anstellen. Wie ich eingangs dargelegt habe, geht es einer Semantik kognitiver Sätze um die Aufstellung einer Wahrheitsdefinition für kognitive Sätze. Diese Wahrheitsdefinition soll in eine Folgerungsdefinition eingehen, die die in der natürlichen Sprache vorliegenden Folgerungsbeziehungen wiederspiegelt. Zentrale Aufgabe einer Wahrheitsdefinition ist nun - wie mir scheint - anzugeben, wie der Wahrheitswert eines Satzes durch seine syntaktische Form bestimmt ist.16 Eine Wahrheitsdefinition für die Aussagenlogik etwa sagt uns, wie der Wahrheitswert einer Konjunktion von den Wahrheitswerten der Konjunkte abhängt. Eine Wahrheitsdefinition für die Prädikatenlogik Erster Ordnung sagt uns etwa, wie der Wahrheitswert eines Allsatzes von den Erfüllungsbedingungen offener Sätze abhängt. Sie sagt uns auch, wovon die Erfüllungsbedingungen offener atomarer Sätze abhängen, indem sie auf die Erfüllungsbedingungen für einfache Prädikate oder Relationen rekurriert. Wahrheitsdefinitionen führen also den Wahrheitswert komplexer Sätze auf semantische Werte elementarer Satzbestandteile zurück. Wie der semantische Wert der elementaren Satzbestandteile zustandekommt, wird aber in einer solchen Wahrheitsdefinition nicht problematisiert und deswegen auch nicht angegeben. Die semantischen Werte der elementaren Satzbestandteile werden einfach als gegeben hingenommen. Betrachten wir etwa den offenen Satz ist rothaarig. Dieser offene Satz 15
Meines Erachtens würde Fodor dies heute auch zugestehen. Vgl.: „Die Moral scheint zu sein, daß man aus den Einstellungen, wie sie der Alltagsverstand individuiert, keine respektable Wissenschaft machen kann. Dieser Denkweise stehe ich tatsächlich recht positiv gegenüber" (Fodor 1987:30). In dieser Veröffentlichung wie auch in 1985 propagiert Fodor nicht mehr explizit das Programm der mentalistischen Semantik für kognitive Sätze. 16 Siehe hierzu insbesondere Tarski 1935.
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AxeJ Bühler
wird unter einer Bewertungsfunktion erfüllt, wenn die Person, die unter der Bewertungsfunktion der Variablen zugeordnet ist, ist rothaarig erfüllt, also rothaarig ist. Was die Erfüllungsdefinition nicht leistet, ist zweierlei: (a)
(b)
Sie gibt nicht an, worin Rothaarigkeit besteht, wie sie zustandekommt, wie es kommt, daß die durch bezeichnete Person rothaarig ist, auf welchen chemischen Eigenschaften der Haare etwa ihre Rothaarigkeit beruht. Die Erfüllungsdefinition gibt nicht an, warum ist rothaarig auf rothaarige Personen zutrifft. Sie sagt uns also nicht, erklärt nicht, warum das Prädikat ist rothaarig auf das zutrifft, worauf es zutrifft.
Eine Erfüllungsdefinition und die auf sie aufbauende Wahrheitsdefinition sollen also angeben, wie der Wahrheitswert eines Satzes durch seine syntaktische Form bestimmt ist. Anzugeben und zu erklären, wie die semantischen Werte der elementaren Bestandteile Zustandekommen, gehört dagegen nicht zu den Aufgaben einer Wahrheitsdefinition. Betrachten wir nunmehr, was die mentalistische Semantik tut. Sie geht mit der modernen kognitiven Psychologie davon aus, daß der Mensch ein informationsverarbeitendes Wesen ist. In Gestalt mentaler Repräsentationen verarbeitet und lagert der Mensch Informationen über seine Umwelt, und hierdurch soll erklärt werden, wie der Mensch in seinem Verhalten auf die Umwelt reagiert und einwirkt. Innerhalb des Modells der Informationsverarbeitung erhält der Begriff der mentalen Repräsentation seine schärfere Bedeutung; und unter Rückgriff auf dieses Modell wird auch die Semantik kognitiver Sätze gegeben. Nun scheint mir, daß diese Semantik zweierlei leisten will: sie versucht nicht bloß, eine Wahrheitsdefinition für die kognitiven Sätze zu liefern, sondern sie sagt uns darüberhinaus - oder will uns sagen -, worin die eventuelle Wahrheit eines kognitiven Satzes besteht, wie sie zustandekommt. Dies ersehen wir, wenn wir die Analyse des folgenden Satzes durch die mentalistische Semantik betrachten: (1)
a glaubt, daß Peter Maria rote Rosen mitgebracht hat.
Wenn wir die mentalistische Semantik voraussetzen, haben wir nämlich sowohl
Semantü kognitiver Sätze und mentale Repräsentationen (a)
(b)
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Satz (1) ist wahr gdw a in der Relation des Glaubens zu der mentalen Repräsentation Peter hat Maria rote Rosen mitgebracht steht, wie auch Satz (1) ist wahr, weil a in der Relation des Glaubens zu der mentalen Repräsentation Peter hat Maria rote Rosen mitgebracht steht.
Die mentalistische Semantik gibt also nicht nur eine Wahrheitsdefinition, sondern sie erklfirt auch, warum kognitive Sätze wahr sind (sofern sie wahr sind). In diese Erklärung gehen psychologische Theorien über Informationsspeicherung und Informationsverarbeitung ein. Dadurch wird aber aber unter Umständen die Bedeutung der analysierten kognitiven Sätze verändert: die in ihnen enthaltenen Ausdrücke erhalten eine spezifischere und engere Bedeutung als die, die sie de facto im natürlich-sprachlichen Gebrauch aufweisen. So erklärt sich auch, daß die vielfältigen kommunikativen Verwendungszwecke, denen kognitive Sätze dienen, aus dem Blickfeld geraten, und allein der Zweck der akkuraten psychologischen Beschreibung berücksichtigt wird. Meine Einwände gegen mentalistische Semantiken sind also: (I) Die mentalistische Semantik muß auf Inhalte mentaler Repräsentationen zurückgreifen, da die Annahme, es gäbe nur ein einziges System mentaler Repräsentation, sehr fragwürdig ist. Dann ist aber nicht mehr einsichtig, warum in einer Semantik kognitiver Sätze überhaupt auf mentale Repräsentationen rekurriert werden sollte. (II) Die mentalistische Semantik berücksichtigt die vielfältigen kommunikativen Verwendungszwecke kognitiver Sätze nicht in hinreichendem Ausmaß: kognitive Sätze werden keineswegs ausschließlich dazu verwendet, in möglichst akkurater Weise über die psychologischen Einstellungen anderer zu berichten. (III) Es scheint, daß die mentalistische Semantik zuviel zu leisten versucht und deswegen ihr Ziel verfehlt. Dadurch, daß sie die Angabe der Wahrheitsbedingungen mit der Erklärung der eventuellen Wahrheit kognitiver Sätze verbindet, wird kognitiven Sätzen eine spezifischere und engere Bedeutung unterschoben als die, die sie tatsächlich haben.
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Axel Bühler
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Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben
Gabriel Falkenberg
INHALT
0 1 2 3 4 5 6
Einleitung Perzeptive Verben Sehen: Syntaktische Formen Sehen: Semantische Beziehungen Sehen: Einige problematische Fälle Ein Blick auf andere Verben der Sinneswahrnehmung Die Erforschung perzeptiver Verben Literatur
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GabrieJ Falkenberg
0 Einleitung Im Deutschen wie in einer Reihe anderer Sprachen sind sowohl kognitive als auch perzeptive Verben verbindbar mit rfojß-Sätzen, direktem Objekt, und anderen Konstruktionen: (1) (2)
a. b. a. b.
Paul Paul Paul Paul
glaubt, daß Peter krank ist. glaubt das. sieht, daß Peter krank ist. sieht das.
Parallelen wie diese sind ein Grund gewesen, kognitive und perzeptive Verben auch semantisch gleich zu behandeln und als Einstellungen zu Propositionen (Sachverhalten) zu analysieren. In anderen Hinsichten weichen beide Verbklassen jedoch voneinander ab:
Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben (1)
c. d. e. f.
(2)
c. d. e. f.
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Paul glaubt, Peter zu sehen. (*Paul weiß, Peter zu sehen.) Paul glaubt ihm das. *Paul glaubt, wie Fritz kam. (Paul weiß noch genau, wie Fritz kam.) *Paul glaubte, wer kam. (Paul wußte, wer kam.) Paul Paul Paul Paul
sah Fritz kommen. sah Fritz. sah, wie Fritz kam. sah, wer kam.
Wo wir bei glauben eine abhängige Infinitivkonstruktion mit zu finden, liegt bei sehen ein Akkusativ-cum-Infinitiv (Acl) vor. Insbesondere die für Verben der Wahrnehmung charakteristische Konstruktion (2c) wurde jüngst als Beleg dafür angeführt, daß perzeptive Verben semantisch als Einstellungen zu sog. Szenen zu analysieren seien. Dahinter steht die Sichtweise, daß Sehen eine Aktivität ist, durch welche Informationen über die Umwelt gewonnen werden. Es sollen im folgenden die für perzeptive Verben charakteristischen Konstruktionen, insbesondere (2c) bis (2e), näher untersucht werden; auf diese Weise hoffe ich Vorarbeiten zur Beantwortung der Frage zu liefern, ob die Gemeinsamkeiten von perzeptiven und kognitiven Verben es rechtfertigen, beide semantisch gleich zu behandeln.1 auf der 9. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, Arbeitsgruppe Epistemische Ausdrücke und propositionale Einstellungen, Universität Augsburg, 5. März 1987. Eine umfangreichere Version wurde im Linguistischen Arbeitskreis der Universität Köln, 21. Januar 1987, vorgetragen. Für kritische und hilfreiche Bemerkungen danke ich insbesondere Jürgen Lenerz, Susan Olsen, Marga Reis und Heinz Vater. Probleme der lexikalischen Dekomposition von Wahrnehmungsverben (wie sie Miller/Johnson-Laird 1976:§7.3 für das Englische unternommen haben) sind hier ganz ausgespart, und damit auch eine überfällige Kritik an der in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachten Auffassung, Wahrnehmungsverben seien in irgendeinem Sinne Bewegungsverben (siehe beispielsweise verschiedene Versionen der -Theorie). Eine Entscheidung darüber ist nur möglich, wenn man die Datenbasis erheblich ausdehnt und Präpositionen, Präfixe, aspektähnliche Phänomene u.a. im Zusammenhang mit der Semantik von Ereignis-, Vorgangs- und Zustandeverben untersucht.
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GabrieJ Faücenberg
l
Perzeptive Verben
Perzeptive Verben sind solche Verben, die sich auf den Vorgang oder Zustand der Sinneswahrnehmung beziehen, also z.B. sehen, hören, schmecken, u.a. Ich möchte folgendermaßen vorgehen: Zunächst sollen die Konstruktionsmöglichkeiten nach sehen dargestellt (Abschnitt 2), sodann ihre semantischen Beziehungen zueinander angegeben (Abschnitt 3) und im einzelnen nachgewiesen werden (4); vor einem Schlußabschnitt darüber, welche Lehren für die grammatische Erforschung perzeptiver Verben zu ziehen sind (6), werde ich kurz auf das Verhältnis von sehen zu einigen anderen transitiven Verben der Sinneswahrnehmung eingehen (5). Dabei berücksichtige ich hier nicht übertragene oder metaphorische Verwendungen dieser Verben, wie in (3)
a. b.
Ersah (=sah ein), daß er falsch gehandelt hatte. Ich sehe ihn noch vor mir (=vor meinem geistigen Auge), wie er damals kam.
Insbesondere bleibt damit die Frage ausgespart, wie solche Verwendungen von wörtlichen Verwendungen abzugrenzen sind; vergleiche die Beispiele (Clement 1971:247) (3)
c. d.
*Ich sehe das Argument zutreffen. *Ich sehe (=sehe ein), wie das Argument zutrifft.
2 Sehen: syntaktische Formen 2.0 Führen wir uns zunächst einmal die Fülle der Konstruktionsmöglichkeiten nach sehen vor Augen: (4) (5) (6) (7)
Paul sah Fritz kommen. (Acl) Paul sah, wie Fritz kam. (une-Satz) Paul sah Fritz' Kommen, (substantivierter Infinitiv) Paul sah Fritz, (direktes Objekt)
Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben (8) (9) (10) (11) (12)
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Paul sah, daß Fritz kam. (daß-Sutz) Paul sah, Fritz kam. Paul sah, wer kam. Sieht Paul, ob Fritz kommt? Paul sah Fritz von Sorgen belastet.
Die Konstruktionen (8) bis (12) haben sehen und weitere Wahrnehmungsverben mit anderen Verben gemeinsam; wir konzentrieren uns hier auf die für perzeptive Verben charakteristischen Vorkommensmöglichkeiten, die wir - unter Einbeziehung der Kombination mit direktem Objekt (7) zunächst nacheinander durchgehen wollen. 2.1 Sehen + Acl (Beispiel 4). Diese Konstruktion ist die für Wahrnehmungsverben des Deutschen typische insofern, als - von den Modalverben abgesehen - überhaupt nur Wahrnehmungsverben und das Verb lassen den reinen Infinitiv regieren (sog. Statusrektion im Sinne von Bech 1955): (13) (14) (15)
*Ich glaube ihn kommen. Ich sehe (höre, etc.) ihn kommen. Ich lasse ihn kommen.
Der Akkusativ in der AcI-Konstruktion spielt eine doppelte Rolle: bezogen auf das Hauptverb scheint er ein Akkusativobjekt zu sein, bezogen auf die eingebettete Konstruktion dagegen das Subjekt. Dies zeigt sich daran, daß das Konstituentenverb nach sehen mit diesem keine prädikative Einheit bildet, im Unterschied etwa zu den Modalverben: (16) (17)
a. b. a. b.
Ich will ihn schlagen, *Ich will ihn schlafen. Ich sehe ihn schlagen, Ich sehe ihn schlafen.
Satz (17a) hat die Bedeutung: Ich sehe ihn jemanden schlagen. Der Acl tritt somit als eine doppelgesichtige, zusammengeschobene Konstruktion auf (Ich sehe ihn: Er schläft); es erscheint berechtigt, den abhängigen Teil einem Nebensatz gleichzustellen, d.h. als satzförmig anzusehen. Hierfür sprechen auch die logisch-semantischen Verhältnisse. Daß nämlich die AclKonstruktion (ebenso wie der abhängige hören > berühren > riechen/schmecken vorzunehmen.
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GabrieJ Fallrenberg
Es liegt nahe, aus den in Schaubild (58) dargestellten Verhältnissen die folgende Hypothese abzuleiten:
(59)
Wenn ein einfaches transitives Verb der sinnlichen Wahrnehmung den Konstruktionstyp 6 zuläßt, so läßt es auch alle semantisch schwächeren Konstruktionstypen zu.
Die Erforschung perzeptiver Verben Traditionell ging man von der Konstruktion sehen + direktes Objekt aus, wodurch sich das Problem ergab, wie die anderen Konstruktionsmöglichkeiten auf diese zu beziehen waren. Es ist instruktiv, sich noch einmal vor Augen zu führen, daß und warum die propositionale Form sich semantisch nicht auf irgendeine Variante der objektualen zurückführen läßt. (Zum folgenden vergleiche die lehrreiche Fingerübung von Severens 1967.) Man könnte zunächst vorschlagen, einen Satz wie (60)
a.
Johnny sieht, daß das Kind kahl ist
zu analysieren als: (60)
b.
Johnny sieht das kahle Kind.
Das schlägt selbstverständlich fehl; denn natürlich ist es möglich, ein kahles Kind zu sehen, ohne zu sehen, daß es kahl ist. (Das Kind kann beispielsweise eine Perücke tragen, oder Johnny mag die Kahlheit schlichtweg nicht bemerkt haben.) Satz (60b) widerspricht also gar nicht der Negation von (60a), er ist mit dieser kompatibel. Es nützt nichts, das Analysans mit weiteren substantivischen Ausdrücken anzureichern, etwa so: (60)
c.
Johnny sieht das kahle Kind und sieht dessen kahlen Kopf,
denn Johnny kann auch den kahlen Kopf sehen, ohne zu sehen, daß dieser kahl ist. Der nächste Anlauf zur Analyse von (60a) bestünde in folgender Modifikation der zweiten Klausel von (60c): (60)
d.
... und erkennt ihn als kahl.
Einige Bemerkungen zu perzeptiven Verben
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Doch selbst dies scheint nicht auszureichen, denn Johnny kann das Kind auch anders als durch visuelle Mittel als kahl erkennen, ohne zu sehen, daß es kahl ist (z.B., indem er den Kopf des Kindes betastet); wenn aber visuelles Erkennen gemeint sein soll, so scheint wenig damit gewonnen zu sein, die propositionale «eÄen-Konstruktion auf visuell erkenen als reduziert zu haben. Als einzig gangbarer Weg erweist sich offenbar nur derjenige, die propositionale Konstruktion auf die objektuale plus weitere propositionale Konstruktionen anderer epistemischer Ausdrücke wie glauben zurückzuführen, wie dies in dem bislang durchdachtesten Versuch einer repräsentationellen Wahrnehmungstheorie geschieht (Jackson 1977:§7). Diese anderen propositionalen Konstruktionen übernehmen dann aber einen erheblichen Teil der Explikationslast der propositionalen Konstruktion von sehen. Aufgrund dieser und verwandter Überlegungen, sowie aus dem beschreibungsökonomisch motivierten Wunsch nach einer möglichst einheitlichen Art von wahrgenommenen Entitäten wurde in der logischen Semantik beispielhaft bei Hintikka - die propositionale Konstruktion für grundlegend erklärt. Diese Strategie setzt bei derjenigen Form an, die zwar aus allen hier betrachteten Formen folgt (die logisch schwächste ist), die aber zugleich gerade die für perzeptive Verben charakteristischen Konstruktionsmöglichkeiten nur unvollständig erhellt. In den letzten Jahren ist die Einsicht gewachsen, daß auch die propositionale Perspektive zum Dogma werden kann, das manche Fakten unerklärt läßt oder nur auf sehr künstliche Weise erfaßt. Die schlichte Opposition von propositionalem und objektualem Gebrauch ist zudem zu grob, insofern sie z.B. die AcI-Form und das Vorgangswie (bzw. das englische progressive) unberücksichtigt läßt. Was in dieser Situation zu helfen scheint, sind nicht so sehr neue semantisch-logische Theorien mit globalem Anspruch als vielmehr bessere Beschreibungen der Bedeutung und Form einzelner Konstruktionen.5
5
Die Entwicklung der Mikrologik der englischen Konstruktion knows who und ihrer näheren Umgebung durch Boer/Lycan 1986 vermittelt einen Eindruck von den Ansprüchen und möglichen Leistungen einer präzisen lokalen Semantik.
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Gabriel Falkenberg
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Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen Ulrike Haas-Spohn
INHALT
0 1 2 3 4 5 6
Vorbemerkung Einleitung Montagues einheitliche Analyse Quines Problem und sein Lösungsvorschlag Kaplans Verbesserung von Quines Lösung Loars Verbesserung von Quines Lösung Die einheitliche Analyse von Cresswell und Stechow Literatur
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Uhike Haas-Spohn
0 Vorbemerkung Dieser Aufsatz ist eine gekürzte Version eines Arbeitspapiers, das ich während meiner Anstellung am DFG-Sonderforschungsbereich 99 an der Universität Konstanz (1984/85) verfaßt habe. Ich stelle darin einige meiner Meinung nach zentrale Beiträge zur Thematik der propositionalen Einstellungen dar, insbesondere zur Analyse von Kennzeichnungen im Komplement des Glaubensprädikats. Es geht mir dabei um zwei Punkte. Zum einen möchte ich zu einer Klärung der - oft verwirrend uneinheitlich verwendeten - Begriffe de re und de dicto beitragen. Ich habe versucht herauszuarbeiten, daß sich hinter diesem Begriffspaar zwei verschiedene Unterscheidungen verbergen, die tunlichst auseinanderzuhalten sind. Zum anderen sollte deutlich werden, welche Probleme im Bereich der angesprochenen Thematik man als gelöst betrachten darf und bei welchen eine Lösung noch aussteht. Zum Beispiel wird meiner Meinung nach bereits in Quines erstem Aufsatz zur Analyse propositionaler Einstellungen (Quine 1956) klar gemacht, daß es unmöglich ist, starre oder singuläre Propositionen zur direkten Wiedergabe des Inhalts von Überzeugungen zu verwenden - eine Einsicht, die wohl erst in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit Kripkes Puzzle in ein allgemeineres Bewußtsein gedrungen ist. Noch nicht gelöst scheint mir hingegen das Problem der sogenannten Hyperintensionalität von Einstellungszuschreibungen zu sein. Zur Lösung dieses Problems gibt es einen Vorschlag von Cresswell und Stechow, den ich im letzten Abschnitt darstelle. Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, die von Quine, Kaplan und Lewis entwickelte de re-Analyse auf abstrakte Gegenstände zu übertragen. Doch bedarf dieser Ansatz, wie ich zeigen will, einer weitergehenden inhaltlichen Ausarbeitung - nämlich einer Klärung der Frage, was es heißt, in einer Bekanntschaftsrelation zu Abstrakta zu stehen.
Zur Interpretation der Eiastellungszuschreibungen
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Ich möchte an dieser Stelle Anna Kusser, Wolfgang Spohn, Arnim von Stechow und Wolfgang Sternefeld, die mir bei der Verfertigung meiner Gedanken immer wieder hilfreich zur Seite gestanden haben, aufrichtig dafür danken.
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Einleitung
Was man unter Einstellungszuschreibungen versteht, läßt sich, ohne vorwegzugreifen, nur auf eine vage und tautologisch anmutende Weise sagen: Einstellungszuschreibungen beschreiben Einstellungen von Personen bezüglich gewisser Gegenstände, wobei der Begriff des Gegenstandes zunächst gleichfalls in seinem weitesten und vagesten Sinn zu verstehen ist. Einstellungszuschreibungen macht man, wenn man Sätze wie die folgenden äußert: (1) Norbert glaubt, daß der beste Kandidat die Stelle bekommt. (2) Andreas hofft, daß der beste Kandidat die Stelle bekommt. (3) Hartmut will ein Mädchen mit braunen Augen heiraten. (4) (5) (6)
Susanne sucht ein Einhorn. Susanne fürchtet sich vor dem Jäger des Einhorns. Hans liebt Dorothea.
Verben wie glauben, hoffen, wollen, suchen, sich fürchten, lieben bezeichnen wir als Einstellungsprädikate oder Einstellungsverben. Einstellungsprädikate kommen, wie man an den obigen Beispielen bereits sieht, in verschiedenen syntaktischen Konstruktionen vor; in ihrem Komplement können vollständige Sätze, Infinitivkonstruktionen, Präpositional- oder Nominalphrasen stehen. Einstellungszuschreibungen sind Aussagen über innere Zustände von Personen. Man hat es hier also mit einem ohnehin problematischen Gebiet zu tun, denn zu inneren Zuständen anderer gibt es keinen unmittelbaren Zugang. Ein mittelbarer Zugang ergibt sich, wenn man aus dem Verhalten einer Person, ihren Reaktionen auf das, was sie umgibt, und aus gewissen allgemeinen psychologischen Annahmen auf ihre inneren Zustände zu schließen versucht. Ein anderer mittelbarer Zugang eröffnet sich, wenn die Person über sich und ihre Einstellungen redet.
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Dabei ist man allerdings nicht nur auf ihre Aufrichtigkeit angewiesen, sondern gleichfalls darauf, daß sie die Worte, die sie verwendet, auch so meint, wie wir sie verstehen. Dahinter verbergen sich natürlich viele und tiefe philosophische, semantische und gar praktische Probleme. Im folgenden wird es jedoch nur um einige eher oberflächliche Aspekte dieser Tiefen gehen. Wenn wir Einstellungszuschreibungen betrachten, so fällt auf, daß die Ausdrücke im Komplement eines Einstellungsprädikats in gewisser Weise eine doppelte Funktion erfüllen: einerseits dienen sie der Charakterisierung des inneren Zustandes einer Person, andererseits setzen sie dabei häufig die Person in Beziehung zu bestimmten Dingen in der Welt. Insoweit sie bewußte innere Zustände charakterisieren, liegt es nahe, die Wahrheit oder Falschheit einer Einstellungszuschreibung von der Zustimmung der betreffenden Person abhängig zu machen. Denn, so könnte man argumentieren, seine bewußten inneren Zustände kennt doch jeder selbst am besten. Insoweit es aber um eine Beziehung zwischen der Person und Gegenständen in der Welt geht, scheint es nicht so zwingend zu sein, die Person als letzte Autorität über Wahrheit und Falschheit der Zuschreibung anzusehen. Wie sich dieses Spannungsverhältnis in der Semantik der Einstellungszuschreibungen widerspiegelt, sei kurz anhand einiger Beispiele skizziert. Nehmen wir an, daß Andreas sagt: Möge der beste Kandidat gewinnen, und daß wir davon mittels des obigen Satzes (2) berichten. Nehmen wir ferner an, daß in der Tat Andreas selbst der beste Kandidat ist. Können wir dann daraus und aus (2) den nachstehenden Satz (7) folgern, selbst wenn Andreas unsere Einschätzung seiner Qualifikation gar nicht teilt? (7)
Andreas hofft, daß er die Stelle bekommt.
Ein anderer Fall: Können wir sagen, daß Satz (8) oder Satz (9) wahr sind, auch wenn Ödipus ihnen nicht zustimmt, wir es aber sozusagen besser wissen als er? (8) (9)
Ödipus will seine Mutter heiraten. Ödipus liebt seine Mutter.
Ein drittes Beispiel: wenn der folgende Satz (10) wahr ist, können wir dann über Toms Glauben auch mittels Satz (11) berichten, selbst wenn Tom nicht weiß, daß Cicero und Tullius ein und dieselbe Person sind? (10) (11)
Tom glaubt, daß Cicero Catilina beschimpft hat. Tom glaubt, daß Tullius Catilina beschimpft hat.
Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen
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Unsere Intuitionen bezüglich dieser Beispiele werden schwanken, und die Beantwortung der obigen Fragen wird auf ein Einerseits ja, andererseits nein hinauslaufen. Das aber heißt nichts anderes, als daß wir die Beispielsätze als mehrdeutig empfinden. Diese Mehrdeutigkeit greift die oben angesprochene Doppelfunktion der Ausdrücke im Komplement eines Einstellungsverbs auf: In einer Lesart - der, die uns mit Ja antworten läßt - geht es nur um die Beziehung zwischen einer Person und Dingen in der Welt; insofern können wir unser Wissen und unsere Ausdrucksweise in die Beschreibung des jeweiligen Sachverhalts einfließen lassen. Man nennt diese Lesart die transparente oder de re-Lesart einer Einstellungszuschreibung. In der anderen Lesart - die uns mit Nein antworten läßt - steht hingegen die möglichst unverfälschte Wiedergabe des inneren Zustands der Person im Vordergrund. Diese Lesart nennt man die opake oder de dicto-Lesart. Damit sind natürlich nur vorläufige Benennungen eingeführt und noch keine Klärungen oder Erklärungen erreicht. Im folgenden soll daher die beobachtete Mehrdeutigkeit der Einstellungszuschreibungen genauer untersucht werden: Um welche Art von Ambiguität oder Ambiguitäten handelt es sich, wie lassen sich die verschiedenen Lesarten voneinander abgrenzen und zueinander in Beziehung setzen, woran lassen sich die Mehrdeutigkeiten festmachen, und wie kann man sie in geregelter Weise beschreiben? Diesen Fragen will ich nun in Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur nachgehen. Das hat im übrigen auch zur Folge, daß ich mich weitgehend auf Glaubenszuschreibungen als paradigmatiscb.es Beispiel für Einstellungszuschreibungen konzentrieren werde. Wir beginnen mit dem, was man die bisherige Standardtheorie nennen könnte, nämlich mit der intensionalen Semantik von Richard Montague.
2 Montagues einheitliche Analyse Die Behandlung der Einstellungsprädikate bei Montague greift einerseits auf Überlegungen von Frege, andererseits auf eine Idee von Russell zurück.1 In seinem Aufsatz Über Sinn und Bedeutung (1892) beschäftigt sich Frege mit dem, was wir heute das Funktionalitätsprinzip oder auch das Kompositionalitätsprinzip der Semantik nennen. Es besagt, daß die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks eine Funktion der Bedeutung seiner wohlgeformten Teile ist. Aus dem Funktionalitätsprinzip folgt unter anderem, daß sich in einem Ausdruck bedeutungsgleiche Ausdrücke füreinander ersetzen las1
Das folgende bezieht sich im wesentlichen auf Montague 1973 und 1970.
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sen, ohne daß sich die Bedeutung des Ganzen ändert. Die Bedeutung eines Ausdrucks ist für Prege zunächst das, was der Ausdruck tatsächlich bezeichnet, also seine Extension. So ist beispielsweise die Bedeutung eines Namens der Gegenstand, auf den er zutrifft, und die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert. Frege betrachtet dann aber die Einbettung von Sätzen in sogenannte ungerade Kontexte, zu denen auch die Einstellungsverben gehören. In einem Satz wie Kopernikus glaubte, daß die Bahnen der Planeten Kreise seien kann es nicht die gewöhnliche Bedeutung des daßSatzes, d.h. sein Wahrheitswert, sein, die zur Bedeutung des Gesamtsatzes beiträgt. Denn erstens ist es für die Wahrheit des Gesamtsatzes ganz unerheblich, ob der daß-Satz wahr oder falsch ist, und zweitens wäre damit das Prinzip der Substituierbarkeit des Bedeutungsgleichen ungültig: man kann den daß-S&tz nicht durch beliebige falsche Sätze ersetzen, ohne daß sich der Wahrheitswert des Gesamtsatzes ändert. Frege geht daher davon aus, daß ein Satz in solchen ungeraden Kontexten eben nicht seinen Wahrheitswert, sondern stattdessen seinen Sinn, den Gedanken, den er ausdrückt, bedeutet. Im Komplement eines Einstellungsverbs lassen sich darum nur sinngleiche Sätze füreinander ersetzen, und innerhalb solcher Sätze nur sinngleiche Teilausdrücke, also Ausdrücke, die den Sinn des Satzes unverändert lassen. Frege liefert damit eine Erklärung der Opakheit von Einstellungskontexten, und Montague übernimmt sie, indem er Einstellungsprädikate als Relationen zu Sinnen deutet.2 Sinne oder Intensionen werden in Montagues mengentheoretisch formulierter Semantik als Funktionen von möglichen Welten in Extensionen rekonstruiert. Insbesondere sind Satzintensionen oder Propositionen Funktionen von möglichen Welten in Wahrheitswerte oder, was auf dasselbe hinausläuft, Mengen von möglichen Welten. (Dies geht auf eine Idee von Carnap in Meaning and Necessity (1947) zurück, die besagt, daß der Sinn eines Ausdrucks festlegt, was der Ausdruck in jeder möglichen Situation bezeichnet.) Wir wollen sehen, wie Montague einen Satz wie unser obiges Beispiel (1) in seiner opaken Lesart analysiert: (1)
Norbert glaubt, daß der beste Kandidat die Stelle bekommt.
Syntaktisch wird dieser Satz in die Teilausdrücke Norbert, glauben daß und der beste Kandidat bekommt die Stelle zerlegt. Bei dieser Analyse und den 2
Daß bei Montague natürlich alles noch viel komplizierter ist als wir es hier darstellen (z.B. daß nicht nur Einstellungsprädikate, sondern zunächst einmal alle Verben als Relationen zwischen Intensionen gedeutet werden), braucht uns nicht zu kümmern, da es für unseren Gedankengang irrelevant ist.
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Montagueschen Interpretationsregeln wird (1) genau dann wahr, wenn Norbert zu der Proposition, die durch den eingebetteten Satz ausgedrückt wird, in der Relation des Glaubens steht. Und diese Proposition besteht aus der Menge derjenigen Welten, in denen es genau einen Gegenstand gibt, der dort der beste Kandidat ist und die Stelle bekommt. Wir sehen, daß bei dieser Interpretation der Term der beste Kandidat nicht durch einen Term ersetzt werden darf, der den besten Kandidaten in der wirklichen Welt bezeichnet. Denn dadurch würde sich die vom eingebetteten Satz ausgedrückte Proposition ändern: Die Menge der Welten, in denen der die Stelle bekommt, der in unserer Welt der beste Kandidat ist, ist eine andere Menge als die Menge der Welten, in denen der dort jeweils beste Kandidat die Stelle bekommt. (Es könnte beispielsweise Welten geben, in denen es bessere Kandidaten als den unsrigen gibt.) Montagues Interpretation trägt damit nicht nur der Ungültigkeit des extensionalen Substitutionsprinzips bei der opaken Lesart einer Einstellungszuschreibung Rechnung, sondern auch der Tatsache, daß Einstellungszuschreibungen sogenannte nicht-referentielle Kontexte bilden können: Aus der Verwendung eines Terms im Einstellungskontext und der Wahrheit des Gesamtsatzes folgt nicht die reale Existenz eines Gegenstandes, auf den der Term zutrifft. So kann Satz (1) wahr werden, ohne daß die wirkliche Welt zu der Proposition des eingebetteten Satzes gehört, also auch dann, wenn es in der wirklichen Welt gar nicht genau einen besten Kandidaten gibt.3 Schließlich behandelt Montagues intensionale Semantik auf diese Weise nicht nur Einstellungsverben mit Satzkomplementen, sondern auch Prädi3
Man sollte hier beachten, dafl die Ungültigkeit des extensionalen Substitutionsprinzips, also die Intensionalität einer Konstruktion, und die Nicht-Referentialität im Prinzip, das heifit vor einer theoretischen Erklärung, zwei voneinander unabhängiger Merkmale sind. Es gibt Konstruktionen, die zumindest bei oberflächlicher Analyse intensional, aber dennoch referentiell sind. Dazu gehören beispielsweise alle faktiven Einstellungsprädikate: Aus dem Satz Franz weiß, daß der französische Präsident Sozialist ist folgt zwar nicht Franz weiß, daß Mitterand Sozialist ist, wohl aber Es gibt genau einen französischen Präsidenten; aus Franz kennt den Verfasser des Hamlet folgt nicht Franz kennt Shakespeare, wohl aber Es gibt genau einen Verfasser des Hamlet. Beispiele für extensionale, aber nicht-referentielle Kontexte zu finden, ist schon etwas schwieriger. Ein zugegebenermaßen künstlicher Fall ist die Satznegation. So folgt in den üblichen Semantiken aus dem Satz Es ist nicht der Fall, daß der französische Präsident Kommunist ist zwar der Satz Es ist nicht der Fall, daß Mitterand Kommunist ist, aber nicht Es gibt genau einen französischen Präsidenten. Das Beispiel ist künstlich, da man es nur insofern plausibel formulieren kann, als der fragliche Term de facto referentiell ist. Denn im Prinzip macht die Rede von der Substitution extensionsgleicher Terme ja nur dann Sinn, wenn die Terme überhaupt eine Extension haben. - In einer Theorie wie der Prege-Montagueschen fallen Intensionalität und Nicht-Referentialität allerdings automatisch zusammen.
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kate in anderen syntaktischen Konstruktionen. Ein Satz wie (4): (4)
Susanne sucht ein Einhorn
gliedert sich in seiner opaken Lesart in die Teilausdrücke Susanne, sucht und ein Einhorn; suchen wird als Relation zwischen Susanne und der Intension von ein Einhorn gedeutet.4 Nominalphrasen haben bei Montague Eigenschaften zweiter Stufe als Sinne. Die Intension von ein Einhorn ist also diejenige Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge der Eigenschaften zuordnet, die in ihr auf ein Einhorn zutreffen. Dies mag künstlich erscheinen, liefert aber semantisch die richtigen Folgerungen: (4) kann wahr werden, auch wenn es kein einziges Einhorn gibt. Außerdem lassen sich auf diese Weise für Sätze wie (4) natürliche syntaktische Zerlegungen annehmen.5 Freges Analyse der Einstellungskontexte erfaßt nun aber nur den einen Aspekt dieser Konstruktionen, ihre Opakheit oder Intensionalität. In der Einleitung hatten wir jedoch gesehen, daß Einstellungssätze auch eine andere, eine transparente Lesart haben. Dabei ist allerdings zu beachten, daß Einstellungsprädikate nie als voll extensionale Kontexte analysiert werden können: intuitiv lassen sich immer nur einzelne Tenne und vielleicht auch Prädikate durch extensionsgleiche ersetzen, aber nie ganze Satze durch wahrheitswertgleiche; und eine adäquate semantische Theorie muß dem natürlich Rechnung tragen. Montagues Behandlung der Transparenz von Einstellungssätzen geht, wie bereits angedeutet, auf eine Idee von Russell zurück. In On Denoting (1905) beschäftigt sich Russell mit definiten Nominalphrasen im Satzkomplement von Einstellungsprädikaten. Russell analysiert Kennzeichnungen, und Nominalphrasen im allgemeinen, nicht wie Frege als Namen für Extensionen oder Sinne, sondern als Ausdrücke, die nur innerhalb eines Satzkontexts etwas bedeuten oder bezeichnen. Um ihre Bedeutung zu erfassen, müssen sie kontextuell in komplexe Ausdrücke aufgelöst werden. So ist beispielsweise die Nominalphrase der Autor von Waverley in einem Satz wie (12): (12)
Der Autor von Waverley ist Scott
nicht einfach als eine Individuenbezeichnung, die für Scott steht, zu betrachten, sondern vielmehr auf die folgende Weise wegzuanalysieren: (12) 4
a.
Es gibt genau einen Mann, der Waverley geschrieben hat, und dieser Mann ist Scott.
Vgl. Fußnote 2. Anders als dies etwa bei Quines Analyse der Fall ist; vgl. Abschnitt 3.
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Wenn (12) nun als Komplement eines Einstellungsverbs vorkommt, wie etwa in (13): (13)
Georg glaubt, daß der Autor von Waverley Scott ist,
so gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, die Kennzeichnung aufzulösen, nämlich (13a) und (13b): (13)
a.
(13)
b.
Georg glaubt, daß es genau einen Mann gibt, der Waverley geschrieben hat, und dieser Mann Scott ist. Es gibt genau einen Mann, der Waverley geschrieben hat, und Georg glaubt, daß dieser Mann Scott ist.
Für Russell ist also ein Satz wie (13) ambig, und diese Ambiguität ist zunächst eine syntaktische: die Kennzeichnung kann in der logischen Form des Satzes primär oder sekundär vorkommen - dies ist Russells Terminologie in On Denoting· heute hat sich die Redeweise eingebürgert, daß die Kennzeichnung weiten oder engen Skopus bezüglich des Glaubensprädikats haben kann. Montague hat die Skopusambiguität von Nominalphrasen systematisch in seine Syntax eingebaut. Jede Nominalphrase kann bezüglich jedes Satzoperators engen oder weiten Skopus haben. Syntaktisch wird dies über Montagues sogenannte Substitutionsregel erreicht: NP-Positionen dürfen bei der Erzeugung eines Satzes zunächst mit syntaktischen Variablen besetzt werden, die dann erst beim weiteren Aufbauprozeß durch die entsprechende Nominalphrase ersetzt werden. Findet diese Substitution erst nach der Einbettung des Satzes unter einen Operator statt, so erhält die Nominalphrase damit weiten Skopus bezüglich dieses Operators. Findet sie vor der Einbettung statt oder wird die NP gleich an der entsprechenden Position erzeugt, so entspricht dies dem engen Skopus bezüglich des Operators. Die syntaktische Ambiguität von (13) wird bei Montague also in nachstehender Weise repräsentiert: (13)
a'
(13)
b'
Georg glaubt-daß [ [der Autor von Waverley] p^p ist Scott] g [der Autor von Waverley]j^p1 [Georg glaubtdaß [z1 ist Scott]g].
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Montague kann die Russellsche Idee der Skopusambiguität von Nominalphrasen übernehmen, ohne diese als nur kontextuell interpretierbare Ausdrücke aufzufassen. Vielmehr deutet er in seiner Semantik alle Nominalphrasen einheitlich als verallgemeinerte Quantoren, also als Prädikate zweiter Stufe. Auf diese Weise kann er einerseits das Pregesche Funktionalitätsprinzip beibehalten, andererseits aber auch der Russellschen Einsicht Rechnung tragen, daß Nominalphrasen sich semantisch wie Quantoren verhalten. Die syntaktische Skopusvariation von Nominalphrasen bezüglich eines Einstellungsprädikats wird nun also von Montague zur Erklärung der semantischen Mehrdeutigkeit von Einstellungszuschreibungen herangezogen (auch hierin folgt er Russell). Enger Skopus der NP bezüglich des Einstellungsverbs erzeugt die opake, weiter Skopus die transparente Lesart. Man muß diese Redeweise jetzt etwas präzisieren: Ein Einstellungssatz ist nicht schlechthin ambig zwischen einer transparenten und einer opaken Lesart, sondern jede NP im Komplement des Einstellungsverbs ist ambig zwischen einer transparenten und einer opaken Interpretation.6 Wie der syntaktische Skopusunterschied semantisch interpretiert wird, wollen wir anhand unseres obigen Beispiels (1) etwas genauer illustrieren. Der Übersichtlichkeit halber geben wir nachstehend sinngemäß die logischen Übersetzungen der Montagueschen Lesarten von (1) an (BK steht für bester Kandidat, BS für die Stelle bekommen, N für Norbert)7: (1)
a.
(1)
b.
Glauben (N, [ ( ( ) Vy (BK(y) -> y = ) BS(x))]) 3x [BK(x) Vy (BK(y) -+ y = ) Glauben A (N, [BS(x)])].
Die Lesart (la), bei der die NP der beste Kandidat opak oder de dicto gedeutet wird, haben wir bereits erläutert. Aus der Formel (Ib) können wir nun ersehen, daß das Glaubensprädikat auch bei der transparenten Lesart als Relation zu einer Proposition, als „propositionale Einstellung" gedeutet wird. Allerdings handelt es sich hier um eine andere Proposition als bei (la): sie besteht jetzt aus der Menge 6
Damit ist im Prinzip auch schon erklärt, wieso in der transparenten Lesart immer nur einzelne Tenne und nie wahrheitswertgleiche Sätze substituiert werden dürfen. 7 Die logischen Übersetzungen, die wir hier und im folgenden angeben, entsprechen nie exakt dem, was eine getreuliche Anwendung der Montagueschen Übersetzungsregeln liefern würde; sie sind, wie gesagt, immer sinngemäß zu verstehen. Insbesondere verwenden wir hier x, y, usw. als Variablen für Individuen und nicht für Individuenkonzepte.
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der Welten, in denen dasjenige Individuum die Stelle bekommt, das in unserer Welt der beste Kandidat ist. Wir verfolgen also sozusagen ein und dasselbe Individuum, das von außen, in der wirklichen Welt gekennzeichnet wird, durch alle anderen möglichen Welten. Technisch wird dies bei Montague dadurch erreicht, daß der Satz, der hier als Komplement des Glaubensprädikats auftaucht, an der NP-Position eine freie Variable enthält und Variablen semantisch immer unabhängig vom Parameter der möglichen Welt interpretiert werden; Variablen sind direkt referentiell, wie man sagt. Eine Proposition, die von einem Satz ausgedrückt wird, der an einer Stelle einen Ausdruck enthält, dessen Interpretation nicht mit der betrachteten Welt variiert, nennt man eine (bezüglich dieser Stelle) starre oder singular« Proposition. Wir können auch hier wieder unmittelbar erkennen, daß Montagues Semantik bei der transparenten Lesart einer NP die Substitution extensionsgleicher Tenne erlaubt. Denn es ist egal, wie wir das fragliche Individuum in der wirklichen Welt kennzeichnen, die eingebettete Proposition verändert sich dadurch jedenfalls nicht. Fassen wir kurz zusammen, wie Montague die im ersten Abschnitt beobachtete Ambiguität von Einstellungszuschreibungen deutet, wenn es sich bei dem Komplement des Einstellungsverbs um einen Satz handelt: Die Mehrdeutigkeit wird an der syntaktischen Position der Nominalphrasen festgemacht; je nach Position der Nominalphrase erhalten wir entweder eine Einstellung zu einer „normalen" oder zu einer starren Proposition. Die Verschiedenheit der Lesarten wird demnach über eine strukturelle Verschiedenheit des Inhalts der Einstellung analysiert (und nicht etwa, wie wir im Abschnitt l nahegelegt hatten, als eine Verschiedenheit in der Art der Beschreibung). Was es intuitiv heißen soll, daß transparente oder de re-Lesarten dann wahr werden, wenn die Einstellung eine starre Proposition zum Inhalt hat, müßte natürlich noch erläutert werden: wann glaubt man eine starre Proposition? Montague will hier offensichtlich das erfassen, was man häufig als intuitive Umschreibung des de re-Glaubens findet: nämlich daß der de reGlaube eine Einstellung zu einem Gegenstand als solchem ist, unabhängig von der Art und Weise seines Gegebenseins. (In eine starre Proposition geht ja in gewisser Weise nur das Individuum selbst und keinerlei Beschreibung des Individuums ein.) Wir werden allerdings im nächsten Abschnitt sehen, daß die Analyse von Einstellungsverben als Relationen zu starren Propositionen in ernsthafte Schwierigkeiten gerät und unseren Intuitionen nicht wirklich gerecht wird. Eine weitere Bemerkung ist hier noch wichtig. In Montagues Semantik werden Eigennamen über ein Bedeutungspostulat als sogenannte starre De-
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signatoren, also ähnlich wie freie Variablen als direkt referentielle Ausdrücke behandelt. Daraus folgt, daß ein Glaubenssatz, in dessen Komplement ein Eigenname vorkommt, auch in der de dtcio-Lesart eine Einstellung zu einer starren Proposition ausdrückt. Das heißt natürlich nicht, daß der Eigenname auch in der de A'cfo-Interpretation durch beliebige koreferentielle (referenzidentische) Ausdrücke substituiert werden dürfte; er darf allerdings durch koreferentielle Eigennamen ersetzt werden, da diese ja die gleiche starre Proposition liefern würden. Abschließend sei kurz vorgeführt, wie Montague die Mehrdeutigkeit von Einstellungssätzen behandelt, die keinen Satz im Komplement haben, sondern nur eine Nominalphrase. Wie zu erwarten, geschieht auch dies über eine Skopusvariation. Unser obiger Satz (4) erhält, wieder mittels der Substitutionsregel, zwei verschiedene syntaktische Analysen: (4) (4)
a. b.
[Susanne [sucht [ein EinhornJ^p] ]s [[ein Einhorn]Np2 [Susanne [sucht x2 ]g ]g.
Daraus ergeben sich die folgenden formalen Übersetzungen: (4) (4)
a'. b'.
Suchen (Susanne, [3x (Einhorn(x) ( ))]) 3x [Einhorn(x) Suchen* (Susanne, x)].
Die Bedeutung von (4a'), das (4a) und damit der opaken Lesart entspricht, hatten wir schon kurz besprochen; der -Ausdruck an der zweiten Argumentstelle von Suchen bezeichnet gerade die Intension von ein Einhorn. (4b') drückt die transparente, die de re-Lesart von (4) aus. Sie wird dann wahr, wenn es einen realen Gegenstand gibt, der ein Einhorn ist und von Susanne gesucht wird. Wir haben bei dieser Lesart, streng genommen, ein anderes Suchen-Prädikat als bei (4a'), was wir (und Montague) durch den Stern an Suchen gekennzeichnet haben. Suchen bezeichnet eine intensionale Relation dritter Stufe, Suchen* eine extensionale Relation erster Stufe. (4V) ist natürlich nicht das unmittelbare Übersetzungsresultat von (4b), denn in Übereinstimmung mit dem Funktionalitätsprinzip wird Suchen auch in der de re-Lesart zunächst als intensionale Relation interpretiert. Aber (4b') erweist sich als logisch äquivalent mit dieser unmittelbaren Übersetzung. Wir wollen uns die Details dieser Ableitung ersparen und nur festhalten, daß der weite Skopus der Nominalphrase bezüglich des Einstellungsverbs hier in gewisser Weise eine Umdeutung des Verbs selbst nach sich zieht (anders als bei den Verben der propositionalen Einstellung wie glauben).
Zur Interpretation der Einstellungszuschrelbungen
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Als nächstes wenden wir uns einer anderen Auffassung von Einstellungszuschrelbungen zu, nämlich der von W.V. Quine. Sie wird uns gleichzeitig einige kritische Punkte der Theorie Montagues aufzeigen.
3 Quines Problem und sein Losungsvorschlag In Quantifiers and Prepositional Attitudes (1956) gehen Quines Überlegungen von dem nachstehenden Satz (14) aus: (14)
Ralf glaubt, daß jemand ein Spion ist.
Auch Quine übernimmt die Russellsche Einsicht, daß der Skopus der indefiniten Nominalphrase hier variieren kann. Dies führt vorderhand zu den beiden Lesarten (14a) und (14b) des Satzes (14): (14) (14)
a. b.
Ralf glaubt [3x (x ist ein Spion)] 3x (Ralf glaubt [x ist ein Spion]).
Quine nennt (14a) die notionale, (14b) die relationale Lesart von (14). (Dies entspricht dem, was wir die de dicto- beziehungsweise die de reInterpretation der NP genannt haben.) Der Unterschied zwischen diesen beiden Lesarten ist Quine wichtig: (14a) sagt nur, daß Ralf glaubt, daß es Spione gibt; (14b) hingegen besagt, daß er jemand bestimmten im Verdacht hat; im Normalfall ist (14a) wahr und (14b) falsch. Quine bezweifelt nun allerdings, daß sich der Unterschied zwischen der relationalen und der notionalen Lesart eines Satzes einfach über einen Skopusunterschied der Nominalphrase erklären läßt. Er bezweifelt insbesondere, daß ein Satz wie (14b), bei dem mit einer Gegenstandsvariablen in einen Einstellungskontext hineinquantifiziert wird, überhaupt Sinn ergibt. Zur Begründung dieses Zweifels dient Quine die folgende Geschichte: „Es gibt da einen gewissen Mann in einem braunen Hut, den Ralf einige Male unter fragwürdigen Umständen erblickt hat, auf die wir hier nicht näher einzugehen brauchen; es reicht hin zu sagen, daß Rah0 diesen Mann im Verdacht hat, ein Spion zu sein. Ferner ist da ein Mann mit grauem Haar, den Ralf nur flüchtig, aber eher als eine Stütze der Gesellschaft kennt, den er jedoch nur einmal bewußt, und zwar am Strand, gesehen hat. Nun, Ralf weiß es nicht, aber die beiden Männer sind ein und derselbe [...] (wir wollen ihn Bernard J. Ortcutt nennen)" (Quine 1956:179=1976:187).
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In dieser Geschichte gelten die nachstehenden Sätze: (15) (16)
Ralf glaubt, daß der Mann mit dem braunen Hut ein Spion ist. Ralf glaubt, daß der Mann am Strand kein Spion ist.
Wenn wir davon ausgehen, daß diese Sätze auch eine wahre de re-Lesart haben und wenn wir Montagues Analyse von de re-Lesarten (nicht seinen Formalismus) auf sie anwenden, so können wir damit Ralf die folgenden relationalen Überzeugungen zuschreiben: (17) (18)
3x (Ralf glaubt [x ist ein Spion]) 3y (Ralf glaubt [y ist kein Spion]).
Damit, und weil es in beiden Fällen derselbe Gegenstand, nämlich Ortcutt, ist, auf den sich Ralfs Überzeugungen beziehen, der also (17) und (18) erfüllt, gilt dann aber auch (19): (19)
3x (Ralf glaubt [x ist ein Spion] [x ist kein Spion]).
Ralf glaubt
Und damit wird Ralf ein widersprüchlicher Glaube zugeschrieben, was intuitiv nicht die Moral der Geschichte sein sollte. Die Situation läßt sich noch verschärfen. In unserer Geschichte gilt ja nicht nur Satz (16), sondern auch Satz (20): (20)
Ralf glaubt nicht, daß der Mann am Strand ein Spion ist.
Aus (15) und (20), relational verstanden, können wir, über (21), endgültig einen Widerspruch, nämlich (22), ableiten: (21) (22)
3x (Ralf glaubt nicht [x ist ein Spion]) 3x (Ralf glaubt [x ist ein Spion] Ralf glaubt nicht [x ist ein Spion]).
Es ist klar, daß die obige Argumentation unabhängig davon gültig ist, ob man den Glauben als Einstellung zu Sätzen analysiert - wie Quine es letztlich tut - oder ihn als Einstellung zu Propositionen behandelt. (22) stellt auf jeden Fall einen Widerspruch dar, und (19) schreibt auch mit Montagues Interpretationsregeln gedeutet Ralf einen widersprüchlichen Glauben zu: die starren Propositionen, die von x ist ein Spion und x ist kein Spion
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ausgedrückt werden, sind disjunkt; es gibt keine mögliche Welt, die in beiden Propositionen enthalten wäre, da in keiner Welt ein und derselbe Gegenstand widersprüchliche Eigenschaften haben kann. Angesichts der Unerwünschtheit dieser Ergebnisse kann man nun zwei verschiedene Positionen einnehmen: Man kann zum einen die Gültigkeit der Schlüsse von (15) auf (17), von (16) auf (18) und von (20) auf (21) leugnen. Das würde bedeuten, daß man den Sätzen (15), (16) und (20) eine wahre de re-Lesart abspricht. Man würde behaupten, daß man diese Sätze immer de dicto verstehen muß, also nie so, daß sie etwas über das Individuum Ortcutt aussagen. Denn in der de dictoLesart dieser Sätze ist von Ortcutt nicht die Rede; in de dicto-Lesaiten ist überhaupt nie von irgendwelchen Gegenständen die Rede - jedenfalls dann nicht, wenn man sie so rekonstruiert wie Montague (oder auch wie Quine). Die andere Reaktion besteht darin, darauf zu beharren, daß (15) und (16) intuitiv eine wahre de re-Lesart haben, aber die Analyse von de re-Lesarten als Einstellungen zu starren Propositionen aufzugeben. Damit lehnt man (17) und (18) und natürlich auch die entsprechenden Lesarten von (15) und (16), in denen die Kennzeichnung mit weitem Skopus konstruiert wird, als adäquate Repräsentationen von Ralfs de re-Glauben ab. Man muß dann freilich nach einer neuen Repräsentation und nach einer neuen Erklärung der Ambiguität von Glaubenssätzen suchen. Dies ist die von Quine eingeschlagene Linie. Für ihn ist der Fall von Ralf und Ortcutt der Beweis dafür, daß man den de re- und den de rftcio-Glauben nicht mit ein und demselben Glaubensprädikat erfassen kann. Entweder ist ein Prädikat opak, oder es ist transparent, aber nicht beides zugleich: Es ergibt keinen Sinn, die Intensionalität des Glaubensprädikats zu erkennen, und diese Erkenntnis dann einfach zu ignorieren, indem man gewisse Positionen im Komplement des Prädikats dennoch als extensional und referentiell behandelt; und genau das tut man, wenn man die Position mit einer von außen gebundenen Gegenstandsvariablen besetzt. Dies meint Quine, wenn er sagt, daß es sinnlos ist, in Einstellungskontexte hineinzuquantifizieren. Und für ihn folgt daraus, daß die Ambiguität von Einstellungssätzen nicht einfach über eine Skopusambiguität der Nominalphrasen im Komplement der Einstellung, sondern über eine systematische Mehrdeutigkeit der Einstellungsprädikate selbst zu behandeln ist. Verweilen wir aber, bevor wir Quines Position genauer studieren, noch kurz bei der ersten Position. Wenn man diese Position wirklich vertreten will, so muß man sich darüber im klaren sein, daß sie einer ziemlich extremen Explikation des intuitiven de re-Begriffs gleichkommt. Denn Quine inszeniert mit seiner Geschichte von Ralf und Ortcutt nicht eine besonders
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Ulriie H&as-Spohn
ausgefallene und insofern marginale Situation. Zwar befinden wir uns gegenüber den meisten Dingen, mit denen wir Umgang haben, nicht in der Lage, in der sich Ralf gegenüber Ortcutt befindet. Aber das berechtigt uns nicht dazu, uns wenigstens in Bezug auf diese Dinge de re-Einstellungen im Sinne Montagues zuzuschreiben. Denn es ist im Prinzip immer denkbar, daß man auch den vertrautesten Gegenstand unter seltsamen Umständen nicht wiedererkennt, daß man ein und dasselbe Ding für zwei verschiedene hält. Es ist immer denkbar, daß ein uns wohlvertrauter Gegenstand außerdem noch perfekt verkleidet in unser Leben tritt und daß wir also durch bloße Anhäufung zusätzlicher Überzeugungen in Ralfs Lage geraten, in der wir Montagues Analyse zufolge keine de re-Einstellung mehr gegenüber diesem Gegenstand haben können. Wie aber soll sich durch Überzeugungsanreicherung eine de re-Einstellung verlieren? Hier liegt der Schluß viel näher, daß wir unter Montagues Analyse von vorneherein keine de re-Einstellungen gegenüber den Gegenständen haben.8 Es ist mir nicht bekannt, daß Montague explizit zur Geschichte von Ortcutt und dem damit verbundenen Quineschen Argument Stellung genommen hätte. Es finden sich nur allgemeine Bemerkungen dahingehend, daß das Problem, wie sich in Einstellungskontexte hineinquantifizieren läßt, in Montagues Semantik in befriedigender Weise und endgültig gelöst sei. Dies ist insofern richtig, als die entsprechenden Formeln in Montagues Logik wohldefiniert und interpretierbar sind, trifft jedoch, wie deutlich geworden sein dürfte, den Quineschen Punkt nicht wirklich.9 8
Vgl. dazu etwa Montague 1969:166=1974:155-56. Die Schwierigkeiten, in die Montague dadurch gerät, daß er Russells Kennzeichnungstheorie anwendet und damit de re-Überzeugungen als ein Glauben von starren Propositionen analysiert, hat Russell selbst in seinem logischen Atomismus schon konsequent weitergedacht. Die Überlegung läuft in etwa folgendermaßen: Wir hatten gesehen, daß wir nie eine starre Proposition, ausgedrückt etwa durch den Satz ist F, glauben, sofern i darin für einen gewöhnlichen Gegenstand steht. Sofern aber darin für etwas steht, das uns unmittelbar vertraut ist, über das wir uns nicht täuschen können, wenn es uns gegeben ist, dann könnten wir eine solche Proposition glauben. Russell nahm an, daß sich alle komplexen Propositionen aus atomaren Propositionen der Form ist F, usw. aufbauen und daß es gerade solche atomaren oder komplexen Propositionen sind, die wir glauben. Und folglich suchte er sich geeignete unverwechselbare Entitäten, für die z stehen darf. Es sind seine particulars; seine proper names stehen gerade für solche particulars, und über beide schreibt er: „[...] in order to understand a name for a particular, the only thing necessary is to be acquainted with that particular. When you are acquainted with that particular, you have a full, adequate, and complete understanding of the name, and no further information is required. No further information as to the facts that are true of that particular would enable you to have a fuller understanding of the meaning of the name" (Russell 1918-19:525=1956:202). Heute wird Russells logischer Atomismus im allgemeinen als absurd empfunden; er selbst hat ihn nicht aufrecht erhalten. Wir dürfen 9
Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen
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Ähnliches gilt für die Position von Hintikka, dessen Glaubenslogik in den uns hier interessierenden Punkten mit Montagues Analyse der Einstellungsprädikate übereinstimmt. Hintikka geht in Knowledge and Belief (1962:§6.6-10) direkt auf Quine ein und diskutiert einen zu Ralf und Ortcutt analogen Fall. Dort sagt er, daß ein Satz wie (15) oder (16) nur dann einen de re-Glauben ausdrückt, wenn man annehmen kann, daß das Subjekt der Einstellung weiß, wer der Gegenstand ist, auf den die Kennzeichnung zutrifft. A weiß, wer b ist wird dabei formal als 3x Ka [x = b] analysiert (wobei Ka für weiß, daß steht) . Diese Bedingung spiegelt also so etwas wie die Starrheit der Kennzeichnung wider. B muß in allen Welten - Welten, die mit dem verträglich sind, was weiß, und insofern auch in allen Welten, die mit dem verträglich sind, was glaubt - dasselbe Individuum bezeichnen.10 Im Fall von Ralf kann demnach nicht gelten, daß Rah0 weiß, wer der Mann mit dem braunen Hut ist, und gleichzeitig weiß, wer der Mann am Strand ist. (Die Formel 3x 3y (KR[x = a] AKR[y = b] BR[& b] = y), wobei für der Mann mit dem braunen Hut, b für der Mann am Strand, R für .Kai/und B für Glauben steht, ist nicht erfüllbar.) Demzufolge kann Ralf höchstens mit einem der beiden Sätze (15) und (16) eine de re-Einstellung zugeschrieben werden, was natürlich unbefriedigend ist, da die Geschichte so erzählt war, daß (15) und (16) mit gleichem Recht in der de re-Lesart gelesen werden dürfen (und Hintikkas Analyse von wissen, wer jemand ist liefert keine Kriterien für diese Entscheidung). Quine schlägt hier, wie gesagt, einen anderen Weg ein. Er will auf die Möglichkeit des Ausdrucks relationaler Einstellungen nicht verzichten - unter anderem deswegen nicht, weil ihm an einer Erfassung des Unterschieds zwischen den beiden Lesarten des eingangs angeführten Satzes (14) gelegen ist. Oder allgemeiner und etwas paradox formuliert: weil er die Notwendigkeit des Hineinquantifizierens in Einstellungskontexte erkannt hat. Da er gleichzeitig gezeigt hat, daß das Hineinquantifizieren die Extensionalität eines Prädikats bezüglich der mit einer Variablen besetzten Stelle erfordert, besteht sein erster Schritt nun darin, zwei Glaubensprädikate zu unterscheiden: In die notionale Lesart von Sätzen wie (14), (15) oder (16) geht ihn daher wohl als einen weiteren Ausdruck der Schwierigkeiten auffassen, in die man sich mit der Annahme von starren Propositionen als Gegenständen von Überzeugungen hineinmanövriert. 10 Hier ergibt sich ein kleiner Unterschied zwischen Montague und Hintikka. „Starrheit der Kennzeichung" heißt bei Montague, daß die Kennzeichnung in jeder Welt, die Element der geglaubten Proposition ist, dasselbe Denotat hat; bei Hintikka heißt es nur, daß sie in jeder Welt, die mit dem verträglich ist, was das Subjekt weiß, dasselbe Denotat hat. Doch wirkt sich dieser Unterschied auf unsere Diskussion nicht aus.
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Uhike Haas-Spohn
ein zweistelliges Prädikat GZ ein, dessen zweite Stelle intensional ist und das, wie gehabt, eine Relation zwischen Individuen und Propositionen (oder Sätzen) ausdrückt; in die relationale Lesart geht hingegen ein dreistelliges Prädikat GS ein, das an der zweiten Stelle extensional, an der dritten intensional ist, und eine Relation zwischen zwei Individuen und einer Eigenschaft (bzw. einem Prädikat) ausdrückt. Die Syntax dieser Prädikate ist so geregelt, daß an den intensionalen Stellen keine freien Variablen vorkommen dürfen. Damit werden die beiden Lesarten von (15) mittels (15a) und (15b) repräsentiert; analoges gilt für (16) (der Mann mit dem braunen Hut kürzen wir nun immer mit der MH ab, und der Mann am Strand mit der MS): (15) (15)
a. b.
G 2 (Ralf, der MH ist ein Spion) G3 (Rah0, der MH, Spionsein).
Die Sätze (17) , (18) und (19) gelten nicht mehr als wohlgeformt und gehen über in: (17) (18) (19)
a. a. a.
3x (G3 (Ralf, x, Spionsein)) 3y (G3 (Ralf, y, Nicht-Spionsein)) 3x (G3 (Ralf, x, Spionsein) G 3 (Ralf, x, NichtSpionsein)).
Es ist klar, daß das zweistellige und das dreistellige Glaubensprädikat nur Spezialfälle einer weitergehenden systematischen Mehrdeutigkeit des umgangssprachlichen glauben (beziehungsweise der Einstellungsverben im allgemeinen) sind. Denn wenn im Komplement eines Glaubenssatzes mehrere Nominalphrasen vorkommen, von denen jede sowohl de re als auch de dicto gelesen werden kann, so muß man gegebenenfalls auch vier- oder fünfstellige Prädikate annehmen. Unser Satz (10) zum Beispiel erhält bei Quine die nachstehenden möglichen Repräsentationen: (10) (10) (10) (10)
a. b. c.
(10)
d.
Tom glaubt, daß Cicero Catilina beschimpft hat G 2 (Tom, Cicero hat Catilina beschimpft) G3 (Tom, Cicero, Catilina Beschimpfen) G3 (Tom, Catilina, von Cicero Beschimpft Werden) G 4 (Tom, Cicero, Catilina, Beschimpfen).
Diese Darstellungsweisen des relationalen Glaubens sind für sich genommen natürlich noch nicht sehr erhellend; sie bedürfen noch einer weiteren Analyse des darin vorkommenden Glaubensprädikats und einer Erläuterung
Zur Interpretation der Einstellungszuschreibungen
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der Beziehung, die es zwischen seinen Argumenten stiftet. Aber zumindest ist mit einer Ausdrucksweise wie (19a), im Gegensatz zu (19), nicht mehr präjudiziert, daß Ralf damit ein widersprüchlicher Glaube zugeschrieben wird. Der Inhalt des Glaubens einer Person kommt in gewisser Weise in den Quineschen de re-Darstellungen gar nicht mehr vor: sie enthalten keine Konstituente mehr, die den Glaubensinhalt direkt bezeichnen würde. Quines Erläuterung der relationalen Glaubensprädikate läuft nun darauf hinaus, sie auf das notionale, das de Jtclo-Glaubensprädikat zurückzuführen. Den Zusammenhang stellt die sogenannte Exportationsregel her: Man darf von einer de «ft'cio-Glaubenszuschreibung schon dann zur entsprechenden de re-Glaubenszuschreibung übergehen, wenn der Satz, der in den de dictoGlauben eingeht, einen Ausdruck enthält, der tatsächlich den Gegenstand bezeichnet, von dem in der de re-Glaubenszuschreibung die Rede ist. Die Umkehrung dieser Regel ermöglicht es, den de re-Glauben über den de dictoGlauben zu definieren. Diese Definition findet sich streng genommen nicht bei Quine selbst, sondern erst in Kaplans Rekonstruktion der Quineschen Ideen in seinem Quantifying In (1969). Sie lautet: Eine Person a glaubt (de re] von einem Gegenstand b, daß er die Eigenschaft F hat, genau dann, wenn es einen Ausdruck gibt, der b denotiert, und a (de dicto) glaubt ncx ist ein F~\ Etwas allgemeiner und formaler können wir dies folgendermaßen formulieren (hier steht DEN für die Denotationsrelation): Definition 1: G n+1 (a, b x , . . . , b„, Fn-heit) gdw Bai . . . an [aiDENbiA...AanDENbn G 2 (a, Fn[c*i, . . . ,an])]. Damit wird unmittelbar einsichtig, inwiefern (19a) Ralfs Glauben nicht mehr als widersprüchlich behauptet. (19a) ist jetzt nämlich folgendermaßen auszuschreiben: (19) b. 3x 3cri 3 london; yes (Barwise/Perry 1983:252=1987:337-38). Es ist auffällig, daß das problematische Merkmal des Pierre-Beispiels, daß nämlich zwei Namen, London und Londres, für dasselbe Objekt erscheinen, in dieser Repräsentation völlig unter den Tisch gefallen ist. Die Namen kommen überhaupt nicht vor. Doch geben B/P auch ein Beispiel, in dem ein Objekt unter verschiedenen Namen vorkommt. Peter wird die Frage: Wahr oder Falsch?: Tullius war ein römischer Redner vorgelegt, wobei vorausgesetzt wird, daß er Cicero kennt. Peter kommt zu einem Glauben, daß es jemanden namens Tullius gab, der ein römischer Redner war oder nicht. Die Repräsentation sieht wie folgt aus: EI = zu 1: römischer-Redner, aj; yes refer to, Tullius, ai; yes £2 = zu 1: rÖmischer-Redner, au no refer to, Tullius, ai; yes £3 = zu 1: römischer-Redner, 02; yes named cicero, 02; yes S = {Ei,E 2 } CQ = zu 1: Gr, peter, S; yes G r , peter, EI; no G r , peter, £2; no G r , peter, £3; yes of, ai, cicero; yes of, 02, cicero; yes (Barwise/Perry 1983:262-63=1987:351-52). Man erkennt hier, daß die Objekte, auf die der Name referiert, in den Glaubensschemata nicht erscheinen. Statt dessen tauchen metasprachliche Relationen wie refer und named recht unmotiviert auf. Tullius erscheint hier nur als Name, nicht aber das damit benannte Objekt. Es soll nicht bestritten werden, daß dies eine plausible Repräsentation von Peters Glauben ist, nur
Situationen und Einstellungen
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pflegt die Semantik üblicherweise die Kenntnis der Sprache bzw. ihrer Bedeutung vorauszusetzen und nicht zu einem Parameter der Interpretation zu machen. Wenn die Interpretation oder Bedeutung eines Satzes - auch von Sätzen, die Einstellungen charakterisieren - eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile ist, wie es auch B/P anstreben, dann sollte in die Bedeutungen der Sätze entsprechend die Bedeutung der Namen eingehen. Wenn diese das benannte Objekt ist, dann muß es an passender Stelle erscheinen. Das ist das systematische Problem, das die MWS und Frege zu lösen versucht haben. Wie B/P die Komposition von Bedeutungen bewerkstelligen wollen, so daß obige Repräsentation herauskommt, bleibt völlig dunkel. Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Namen ist die Annahme, daß die Objekte, über die man sprechen kann, „real" sind. Nun wäre fiktionale Literatur ziemlich unmöglich, wenn Namen nicht verwendet werden könnten, um über nicht-reale „Dinge" zu sprechen. In diesen Fällen gibt es weder eine Verankerung für die Konzepte, die jemand von einem solchen fiktionalen Objekt hat, noch hilft es weiter, metasprachliche Relationen wie refer und named zu verwenden, da es in der situationssemantischen Ontologie keine Objekte gibt, die benannt werden bzw. auf die referiert wird. Dementsprechend kann es keine Einstellungen geben, die solche Objekte betreffen.
Schluß: Zum Kompositionalitätsproblem Cresswell (1985) hat recht überzeugend argumentiert, daß es gute Gründe für die Annahme gibt, daß die Probleme, welche Einstellungen aufwerfen, mittels einer Verfeinerung der Entitäten, die als Objekte von Einstellungen fungieren, nicht zu lösen sind. Jede kompositionelle Semantik wird mehr oder minder komplexe Funktionen beinhalten, die erlauben, die Bedeutung eines Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Konstituenten abzuleiten. Das wesentliche Problem scheint der Automatismus zu sein, der von Argumenten einer Funktion zu Funktionswerten führt, wie er im Funktionsbegriff der Mengentheorie eingebaut ist. Wenn Funktionen Mengen von Argument-Wert-Paaren sind, dann ist es völlig unbegreiflich, wie man eine Funktion kennen kann, ohne automatisch für ein Argument den Wert zu kennen. Was dabei unter den Tisch fällt, ist die Art, wie tatsächlich mit Funktionen umgegangen wird: Normalerweise muß man „rechnen" (oder in einer Wertetabelle nachschlagen), um von Argumenten zu Funktionswerten zu kommen, und dabei kann ebenfalls einiges schiefgehen, d.h. man kann
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Walter Kasper
sich verrechnen. Diese Aktivität, die Menschen entwickeln müssen, wird in der Semantik normalerweise unterschlagen. Der Ansatz, als Objekte von Einstellungen strukturierte Bedeutungen zuzulassen, wie von Cresswell (1985) und Soames (1985) nahegelegt, scheint eine angemessenere Behandlung zu erlauben. Dieser Ansatz gestattet, die Möglichkeit zu repräsentieren, daß die Funktionen, welche den semantischen Wert von Ausdrücken darstellen, nicht auf ihre Argumente angewandt werden (müssen). Er involviert allerdings eine Abkehr von dem Prinzip, daß die Bedeutung eines Einstellungsausdrucks eine Relation zwischen den semantischen Werten seiner syntaktischen Komplemente ist. Verallgemeinert könnte es eine Auflösung des Kompositionalitätsprinzips in der bisherigen Form beinhalten, daß die Bedeutung eines Ausdrucks eine Funktion der Bedeutungen seiner Konstituenten ist, es sei denn, der Konstituentenbegriff würde entscheidend modifiziert. So kann bei Cresswell (1985) bei Einstellungsausdrücken etwa der Nebensatz als Konstituente völlig verschwinden. Der Ansatz läuft darauf hinaus, daß die Bedeutung eines Ausdrucks nicht nur eine Funktion der Bedeutungen seiner Konstituenten ist, sondern ebenso eine Funktion der Bedeutungen der Konstituenten seiner Konstituenten, der Bedeutungen der Konstituenten der Konstituenten der Konstituenten, usw., sein kann. Die „Bedeutung" eines Nebensatzes kann dann nahezu alles sein, und reichte von der durch den Satz ausgedrückten Proposition im üblichen Sinne bis zu einer Liste der Bedeutungen der in ihm vorkommenden Morpheme. Eine „semantisch unschuldige" Theorie, wie sie B/P vorschwebt, ist dies sicherlich nicht.
Situationen und .Einstellungen
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Literatur J. Barwise 1981. Scenes and Other Situations. In: The Journal of Philosophy 78, 369-97. J. Barwise/J. Etchemendy 1987. The Liar. An Essay on Truth and Circularity. Oxford: University Press. J. Barwise/J. Perry 1981. Situations and Attitudes. In: The Journal of Philosophy 78, 668-91. —
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J. Hintikka 1969. Semantics for Propositional Attitudes. In: Hintikka, Models for Modalities. Dordrecht: Reidel, 87-111. D. Kaplan 1969. Quantifying In. In: D. Davidson/J. Hintikka (Eds.), Words and Objections. Essays on the Work of W. V. Quine. Dordrecht: Reidel, 206-42. W. Kasper 1986. Montague Grammar, Situation Semantics, and Discourse Representation Theory. A Comparison of Three Semantic Theories. ACORD Deliverable Task 1.2. Universität Stuttgart. S.A. Kripke 1972. Naming and Necessity. In: D. Davidson/G. Harman (Eds.), Semantics of Natural Language. Dordrecht: Reidel, 253-355, 763-69. Deutsch: Name und Notwendigkeit. Prankfurt: Suhrkamp 1981. —
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S. Soames 1985. Lost Innocence. In: Linguistics & Philosophy 8, 59-71.
scheinen + Infinitiv Eine oberflächengrammatische Analyse
Jürgen Pafel
INHALT
I II III IV V VI VII
Einleitung scheinen ist kein Kontrollverb Die Ähnlichkeiten von scheinen, Modalverben und Satzadverbien scheinen ist kein Raisingverb scheinen ist kein Satzmodifikator Sind Satzadverbien Satzmodifikatoren? Zur Bedeutung von acheinen + Infinitiv Literatur
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Jürgen Pafel
I Einleitung Das Verb scheinen kennt drei verschiedene grammatische Verwendungen: mit finitem Nebensatz, mit zti-lnfinitiv und mit Prädikativ:1 Mir scheint, daß die Wahl eine Farce ist. Mir scheint die Wahl eine Farce zu sein. Mir scheint die Wahl eine Farce. Wie in diesem, so haben auch in vielen anderen Fällen die Sätze trotz ihres Konstruktionsunterschieds genau dieselben Wahrheitsbedingungen. Der Grund dafür scheint der Umstand zu sein, daß das Verb in allen drei Verwendungen dasselbe bedeutet: einen bestimmten Typ von propositionaler Einstellung. So wie glauben die Einstellung des Glaubens und vermuten die Einstellung des Vermutens bedeuten, so bedeutet scheinen die Einstellung des Scheinens. Daß scheinen wie glauben und vermuten ein Einstellungsausdruck ist, zeigt sich daran, daß es einen opaken Kontext schafft, in dem die Substitution eines Ausdrucks durch einen extensionsgleichen aus einem wahren einen falschen Satz machen kann. Wenn Aphla und Ateb zwei Bezeichnungen für ein-und-denselben Berg sind, so folgt aus der Wahrheit von l
lch bedanke mich bei Volker Beeh, Gabriel Falkenberg, Marga Reis und Inger Rosengren für Hinweise und Einwände.
scheinen + Infinitiv
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Ihm scheint der Aphla nicht mit dem Ateb identisch zu sein nicht die Wahrheit des Satzes Ihm scheint der Aphla nicht mit dem Aphla identisch zu sein. Aufgrund dieser Bedeutung hat scheinen zwei thematische Rollen zu vergeben: die des Trägers der Einstellung (d.h. die Rolle des Einstellungssubjekts, des sog. experiencer) und die des Inhalts der Einstellung (im letzten Beispielsatz ist der Umstand, daß der Aphla nicht mit den Aphla identisch ist, der Inhalt der Einstellung). Angesichts der syntaktischen Unterschiede der drei Verwendungsmöglichkeiten von scheinen stellt sich die Frage, ob man für scheinen im Lexikon mehrere (im äußersten Fall: drei) Selektionsangaben ansetzen muß oder ob man mit einer einzigen auskommt, indem man die drei Konstruktionen aus einer ihnen allen zugrundeliegenden syntaktischen Struktur ableitet. Im letzten Fall gibt es einige Ähnlichkeiten zur Aktiv-Passiv-Relation. Auch dort kommt ein-und-dasselbe Verb in Sätzen mit unterschiedlicher Konstruktion vor, die trotz ihrer Unterschiede dieselben Wahrheitsbedingungen haben (sofern nicht mehr als ein Quantor im Spiel ist, kein passivsensitives Adverb vorkommt, etc.). Wie bei den sc/ietnen-Sätzen bietet die Ableitung aus einer gemeinsamen zugrundeliegenden Struktur eine Erklärung für die Identität der Wahrheitsbedingungen und gestattet die Beschränkung auf eine Selektionsangabe. Bei einem solchen Vorgehen herrscht kein Zweifel darüber, welche der drei Verwendungsweisen von scheinen der zugrundeliegenden Struktur am nächsten kommt. Semantische wie syntaktische Erwägungen scheinen eindeutig die Konstruktion scheinen + finiter Nebensatz als die auszuzeichnen, die die zugrundeliegenden syntaktischen und semantischen Verhältnisse getreu wiedergibt. (Insofern würde sie dem Aktiv entsprechen, von dem ebenfalls behauptet wird, daß es im Unterschied zum Passiv die logischsemantische Struktur unverfälscht wiedergibt.) Im Gegensatz zur transformationellen Analyse nimmt man in einer Montague-Grammatik gewöhnlich an, daß der Verwendung mit finitem Nebensatz und der Verwendung mit zu-Infinitiv keine gemeinsame syntaktischsemantische Struktur zugrunde liegt. Scheinen in der Verwendung mit Infinitiv wird strukturell wie ein Kontrollverb vom Typ versuchen analysiert. Ein Bedeutungspostulat wird benötigt, um die Äquivalenz der beiden Konstruktionsweisen von scheinen zu garantieren. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht die syntaktische und semantische Struktur von scheinen + Infinitiv und ihr Verhältnis zur Konstruktion scheinen + finiter Nebensatz. Insbesondere geht es um die Frage,
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Jürgen PafeJ
ob es aus syntaktischen und/oder semantischen Gründen erforderlich ist, die Infinitivkonstruktion qua Transformation oder Bedeutungspostulat auf die Nebensatzkonstruktion zu beziehen, oder ob erstere nicht vielleicht völlig unabhängig von letzterer analysiert werden kann. Wir beginnen mit der Diskussion der Auffassung, daß die Konstruktion scheinen + Infinitiv dieselbe syntaktisch-semantische Struktur hat wie die Kontrollkonstruktion versuchen + Infinitiv. Bei einer Reihe von Phänomenen verhält sich jedoch die «cAemen-Konstruktion ganz anders als die Kontrollkonstruktion. Und die Natur dieser Phänomene legt es nahe, daß sich die beiden Konstruktionen strukturell erheblich unterscheiden (Abschnitt II). Einige der Eigenschaften, die es von den Kontrollverben abhebt, teilt scheinen mit einer bestimmten Verwendung von Modalverben und mit den Satzadverbien (Abschnitt III) - ein Indiz für strukturelle Ähnlichkeit. Da die Satzadverbien und die infrage stehenden Modalverben gewöhnlich als Satzmodifikatoren betrachtet werden, scheint zu folgen, daß scheinen nicht nur in der Verwendung mit finitem Nebensatz, sondern auch in der Verwendung mit Infinitiv syntaktisch wie semantisch ein Satzmodifikator ist, ein Prädikat mit einem Satz als Argument. Die drei Abschnitte IV, V und VI versuchen zu zeigen, daß diese Schlußfolgerung in mehrfacher Hinsicht angreifbar ist. Zum einen sind die in der Literatur als entscheidend angesehenen syntaktischen Argumente für eine transformationeile Ableitung von scheinen + Infinitiv aus einer Struktur mit eingebettetem Satz nicht zwingend. Insbesondere die Distributionseigenschaften von scheinen lassen sich lexikalistisch recht einfach beschreiben (IV). Zum zweiten gibt es einige Evidenzen, daran zu zweifehl, daß schon scheinen in der Verwendung mit finitem Nebensatz ein Prädikat mit einem Satz als Argument ist (V). Und drittens sprechen gewichtige Gründe dagegen, daß ein Satzadverb wie notwendigerweise ein Satzmodifikator ist (VI). Im letzten Abschnitt wird eine Analyse der semantischen Struktur von scheinen + Infinitiv-Konstruktionen entwickelt, die wenn sie erfolgreich ist - zeigt, daß nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch die Konstruktion scheinen + Infinitiv völlig unabhängig von der Konstruktion scheinen + Nebensatz beschrieben werden kann, wobei sich ohne Zusatzannahmen ergibt, daß die beiden Konstruktionen in den Fällen, in denen dies zutrifft, dieselben Wahrheitsbedingungen haben. Die Ähnlichkeit von scheinen (in der Verwendung mit Infinitiv) mit Modalverben und Satzadverbien erklärt sich aus der Gleichheit der satzsemantischen Funktion dieser Ausdrücke und die Unterschiede zwischen scheinen und Kontrollverben aus der Verschiedenheit ihrer satzsemantischen Funktion.
scheinen + Infinitiv II
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scheinen ist kein Kontrollverb
l Der Satz das Spiel ist spannend ist ein einfacher Subjekt-PrädikatSatz, der besagt, daß das Spiel die Eigenschaft hat, spannend zu sein. Der Satz das Spiel scheint spannend zu sein scheint hingegen kein einfacher Subjekt-Prädikat-Satz zu sein. Denn es klingt irgendwie merkwürdig zu sagen, daß der Satz zu verstehen gäbe, daß das Spiel die Eigenschaft hat, spannend zu scheinen. Viel natürlicher ist die Wiedergabe seiner Bedeutung durch die Formulierung das Spiel scheint die Eigenschaft zu haben, spannend zu sein - eine Formulierung, in der scheint nicht mit zu der Eigenschaft gezählt wird, die dem Spiel zugeschrieben wird. Man vergleiche den inhaltlich wie formal ähnlichen Satz das Spiel dürfte spannend «et'n, der besagt, daß das Spiel die Eigenschaft haben dürfte, spannend zu sein. Diesesmal ist es so gut wie unmöglich, seine Bedeutung durch die Formulierung das Spiel hat die Eigenschaft, spannend sein zu dürfen wiederzugeben, da das Modalverb in dieser Verwendung nicht dieselbe Bedeutung haben kann wie im Ausgangssatz. Nun kann man diese Merkwürdigkeiten durchaus als ein für die Bedeutungsanalyse belangloses Phänomen beiseite schieben, das lediglich die Frage nach der geeigneten Bedeutungsparaphrase aufwirft, - und auf eine SubjektPrädikat-Analyse von das Spiel scheint spannend zu sein setzen: der Satz bedeutetnn, daß zwischen dem Spiel und der Eigenschaft der Spannung die Relation des Schein(en)s besteht. Wenn wir die Analyse erweitern, so daß der Satz die Bedeutung erhält, daß das Spiel, irgendeine Person und die Eigenschaft der Spannung in der Relation des Schein(en)s zueinander stehen, dann entspricht dies der Auffassung von Richard Montague in On the Nature of Certain Philosophical Entities; der Ausdruck seem bezeichnet in der Verwendung mit Infinitiv eine dreistellige Relation (1969:178=1974:169): seems to y P. Als erstes kann man die Frage stellen, wie man bei einer solchen semantischen Strukturierung zu den Wahrheitsbedingungen kommt, wenn man davon ausgeht, daß scheinen ein Einstellungsverb ist, das die zwei thematischen Rollen des Trägers und des Inhalts der Einstellung zu vergeben hat, und die Wahrheitsbedingung des Satzes das Spiel scheint mir spannend zu sein somit wie folgt aussieht: es gibt ein z dergestalt, daß z ein Exemplar des (mentalen) Zustande des Schemens ist, der Sprecher der Träger von z ist und es der Inhalt von z ist, daß das Spiel spannend ist. Wenn nun scheinen in diesem Satz eine dreistellige Relation zwischen dem Spiel, einer Person
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Jürgen Pafel
und der Spannung bezeichnet, dann ist der Sachverhalt, daß das Spiel spannend ist, d.h. der Inhalt der Einstellung, kein Bestandteil der semantischen Struktur des Satzes. Der Übergang von dieser Struktur zu der Wahrheitsbedingung ist nicht unmittelbar möglich. In dieser Lage hilft der Rekurs auf die Konstruktion scheinen + Nebensatz, die ja in sehr vielen Fällen mit der Infinitivkonstruktion logisch äquivalent ist. Erklärt man durch ein Bedeutungspostulat diese beiden Verwendungen von scheinen für äquivalent, so gestattet uns dies, von der Infinitivkonstruktion zu der Nebensatzkonstruktion überzugehen, in deren Bedeutung der betreifende Sachverhalt (in unserem Falle der Sachverhalt, daß das Spiel spannend ist) als ein Bestandteil eingeht. So ist es nun über einen Zwischenschritt möglich, von das Spiel scheint mir spannend zu sein zu der Wahrheitsbedingung zu gelangen, daß der Sprecher den Eindruck hat, daß das Spiel spannend ist. Mit diesem Vorgehen haben wir die Äquivalenz zwischen den beiden Verwendungen schlicht durch ein Postulat wiedergegeben und uns damit der Möglichkeit beraubt, die Äquivalenz aus den semantischen Eigenschaften der beiden Konstruktionsweisen zu erklären. Weiterhin bedeutet die Notwendigkeit eines Zwischenschritts beim Übergang von der semantischen Struktur der Infinitivkonstruktion zu ihrer Wahrheitsbedingung die Annahme eines semantischen Defizits auf Seiten der Infinitivkonstruktion - im Vergleich zu der Nebensatzkonstruktion, die einen analogen Zwischenschritt nicht benötigt. Es ist ein charakteristisches Merkmal des Vorgehens von Montague, daß davon ausgegangen wird, daß scheinen zwei verschiedene Bedeutungen hat. Es bezeichnet in der Verwendung mit Infinitiv eine dreistellige Relation zwischen Gegenständen, Personen und Eigenschaften, in der Verwendung mit Nebensatz eine zweistellige Relation zwischen Propositionen und Personen. Die Annahme einer Ambiguität von scheinen ist kontraintuitiv. Gerade die gegenteilige Auffassung scheint intuitiv die richtige zu sein, daß nämlich das Verb in beiden Verwendungen dasselbe bedeutet und deswegen die beiden Konstruktionen dasselbe bedeuten können (zu einer Verteidigung der Ambiguitätsannahme siehe Dowty 1985:§3.3). Man vergleiche dazu das Verhältnis der folgenden beiden Sätze: Das Bild ist wahrscheinlich sehr kostbar. Es ist wahrscheinlich, daß das Bild sehr kostbar ist. Niemand würde in diesem Fall auf die Idee kommen, zusätzlich zu dem offenkundigen Unterschied in der Konstruktionsweise der Sätze eine Ambiguität von wahrscheinlich anzunehmen.
scheinen + Infinitiv
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Doch davon abgesehen bleibt es nicht bei dieser einen Ambiguität. In es scheint mir zu regnen bezeichnet das finite Verb keine drei-, sondern bestenfalls eine zweistellige Relation, die zwischen einer Person und dem Regnen besteht. Montagues Analyse hat somit die Konsequenz, daß scheinen, wenn es einen Infinitiv statusregiert, zwei verschiedene Relationen bezeichnen kann. Diese Konsequenz kann man umgehen, wenn man anzunehmen gewillt ist, daß das Impersonale es das „ugly object" (Karttunen) denotiert, und wenn man bereit ist, leere -Abstraktion zuzulassen - siehe Sag/Klein (1982), Dowty (1985:315-16).
2 Es gibt eine Reihe Phänomene, die mehr oder weniger deutlich darauf hinweisen, daß zwischen der Konstruktion scheinen + Infinitiv und Kontrollkonstruktionen strukturelle Unterschiede bestehen, daß also eine SubjektPrädikat-Analyse von scheinen + Infinitiv falsch ist. Betrachten wir zuerst die Negation. 2.1 Der Satz (1) (Es ist wahr,) daß Friedrich nicht in die Nähe des Stadions zu kommen versucht hat zwei Lesarten -je nachdem, worauf sich die Negation bezieht. Der einen Lesart zufolge unternimmt Friedrich nicht den Versuch, in die Nähe des Stadions zu kommen (er weiß, daß dort am Samstag der Teufel los ist, und er kann seinen Geschäften auch anderswo nachgehen). Der zweiten Lesart zufolge unternimmt Friedrich den Versuch, nicht in die Nähe des Stadions zu kommen (er muß am Samstag ausgerechnet in dem Stadtteil mehrere Besorgungen machen, in dem das Stadion liegt, bemüht sich jedoch, ihm nicht zu nahe zu kommen). Vergleichen wir nun den Umstand, daß nicht in (1) zwei Bezugsmöglichkeiten hat, mit den Verhältnissen in: (2)
(Es ist wahr,) daß mir Friedrich nicht in die Nähe des Stadions zu kommen scheint.
Dieser Satz scheint genauso wie der folgende (3) Mir scheint Friedrich nicht in die Nähe des Stadions zu kommen die Lesart zu haben, in der scheinen relativ zu nicht weiten Skopus hat. Es deutet einiges darauf hin, daß die Lesart, in welcher nicht außerhalb des Skopus von scheinen steht, unmöglich ist.
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Jürgen Pafel
In Kontrollkonstruktionen kann auch bei kohärenter Konstruktionsweise der Bezug der Negation mitunter eindeutig sein: in (4) sind beide Bezüge möglich (wobei im merkmallosen Fall der Infinitiv negiert zu werden scheint), in (5) aber nur der Bezug auf das finite Verb: (4)
a. b. c. d. e.
(5)
a. b. c. d. e. f.
Da sie Maria nicht überzeugt zu haben fürchtet, ... Da sie Maria nicht zu vergraulen fürchtet, ... Da er das Spiel nicht zu verlieren hofft, ... Da er das Spiel nicht zu verlieren hofft, ... Da sie das Geheimnis nicht preiszugeben versuchen, ... Da er nicht das Spiel zu verlieren fürchtet, ... Da sie nicht Maria zu vergraulen fürchtet, ... Da sie nicht die Bibliothek zu erben hofft, ... Da wir nicht die Schlamperei zu vertuschen versuchen, ... Da sie nicht Maria überzeugt zu haben fürchtet, ... Da er nicht das Spiel zu verlieren hofft, ...
Wenn wir in (4) das Kontrollverb durch scheinen ersetzen, dann erhalten wir völlig akzeptable Sätze, wobei nicht stets im Skopus von scheinen steht (selbst in 6b und 6d): (6)
a. b. c. d. e.
Da sie Maria nicht überzeugt zu haben scheint, ... Da sie Maria nicht zu vergraulen scheint, ... Da er das Spiel nicht zu verlieren scheint, ... Da er das Spiel nicht zu verlieren scheint, ... Da sie das Geheimnis nicht preiszugeben scheinen, ...
Ersetzen wir in (5) das Kontrollverb durch acheinen, so erhalten wir (bei nicht-kontrastiver Negation) wenig akzeptable Sätze: (7)
a.
?Da er nicht das Spiel zu verlieren scheint, ...
scheinen + Infinitiv b. c. d.
131
?Da sie nicht Maria zu vergraulen scheint, ... ?Da wir nicht die Schlamperei zu vertuschen scheinen, ... ?Da wir nicht Maria überzeugt zu haben scheinen, ...
Dies abweichende Verhalten von scheinen kann seinen Grund nicht darin haben, daß scheinen ein Einstellungsausdruck ist, denn das sind fürchten und hoffen auch. Es kann auch nicht daran liegen, daß die Lesart mit nicht außerhalb des Skopus von scheinen semantisch nicht akzeptabel wäre (vergleiche: es scheint nicht, daß es regnet). Auch bei der Betrachtung des Verhaltens von negativen Quantoren bei Kontrollverben und scheinen erleben wir Überraschendes. Wenn bei einem Kontrollverb das Subjekt oder ein von ihm abhängiges Objekt ein negativer Quantor ist, so steht das Kontrollverb immer im Skopus des negativen Quantors. Wenn der negative Quantor ein vom Infinitiv abhängiges Objekt ist, so steht das Kontrollverb außerhalb des Skopus der Negation. Auf den Daten, die wir oben behandelt haben, könnte man die Vermutung gründen, daß scheinen in der Verwendung mit Infinitiv der Negation gegenüber immer weiten Skopus hat. Doch dem ist nicht so. Zwar hat scheinen nicht nur weiten Skopus relativ zu den Objekten, die vom Infinitiv abhängig sind, sondern auch relativ zu einem negativen Quantor in Subjektfunktion: (8)
a. b.
Sie scheint niemanden behelligen zu wollen. Niemand scheint sich diese Last aufbürden zu wollen.
Ist jedoch das Dativobjekt, das den Träger der Einstellung spezifiziert, ein negativer Quantor, so hat dieser weiten Skopus: (9)
a. b.
Keinem scheint die Sache notwendigerweise auffliegen zu müssen. Die Sache scheint keinem notwendigerweise auffliegen zu müssen.
Dieser Asymmetrie zwischen dem von scheinen abhängigen Dativobjekt auf der einen und dem Subjekt und den vom Infinitiv abhängigen Objekten auf der anderen Seite werden wir im nächsten Abschnitt gleich wieder begegnen. Bei scheinen -f Infinitiv steht das Subjekt auf derselben Ebene wie die Objekte des abhängigen Infinitivs, jedoch nicht auf derselben Ebene wie das von scheinen abhängige Dativobjekt. In diesen beiden Punkten sticht scheinen deutlich von den Kontrollverben ab.
132
Jürgen PafeJ
2.2 Ein deutliches Indiz dafür, daß sich die Konstruktion tcheinen + Infinitiv von Kontrollkonstruktionen strukturell unterscheidet, erbringt auch die Beobachtung des Verhaltens von brauchen, das für negative Kontexte sensitiv ist. (10) (11)
a. b. a. b. c.
Einige müssen Sonntags arbeiten. 'Einige brauchen Sonntags (zu) arbeiten. Niemand muß Sonntags arbeiten. Niemand braucht Sonntags (zu) arbeiten. Sophie braucht niemanden zu behelligen.
Brauchen ist bei einem Kontroll verb wie versuchen, hoffen, furchten nur dann als Infinitiv möglich, wenn von brauchen oder von dem von brauchen abhängigen Infinitiv ein Negationsträger abhängig ist: (12)
a. b. c. d. e.
Niemand hofft, Sonntags arbeiten zu müssen. * Niemand hofft, Sonntags arbeiten zu brauchen. Sie hofft, niemanden damit behelligen zu brauchen. Er hofft, niemals arbeiten zu brauchen. *Niemand fürchtet, etwas abgeben zu brauchen.
Dabei scheint es keinen Unterschied zu machen, wenn wir anstelle der inkohärenten die kohärente Konstruktion wählen: (13)
a. b.
*Da niemand Sonntags arbeiten zu brauchen hofft, ... *Da niemand etwas abgeben zu brauchen fürchtet, ...
Dasselbe gilt für Kontrollverben, die den ersten Status (im Sinne von Bech 1955), also den Infinitiv ohne zu regieren: (14)
a. b.
Niemand will die Wäsche waschen müssen. *Niemand will die Wäsche zu waschen brauchen.
Kontrollkonstruktionen, so können wir diesen Daten entnehmen, in denen das negative Polaritätselement brauchen vom Kontrollverb abhängt, sind nur dann akzeptabel, wenn das Verbalfeld von brauchen oder das Verbalfeld des von brauchen abhängigen Infinitivs einen Negationsträger enthält. 5cAemen-Konstruktionen verhalten sich jedoch ganz anders. Ein Satz, in dem scheinen den zweiten Status von brauchen regiert, ist auch dann
scheinen + Infinitiv
133
akzeptabel, wenn nur das Subjekt ein Negationsträger ist (im Kontrast zu 12b, 12e, 13a, 13b und 14b). (15)
a. b.
Niemand scheint die Wohnung räumen zu brauchen, Sie scheint nichts tun zu brauchen.
Der Kontext, für den brauchen sensitiv ist, umfaßt anders als bei den Kontrollkonstruktionen bei scheinen + Infinitiv auch das Subjekt. Ein von scheinen abhängiges Dativobjekt jedoch gehört nicht zu diesem Kontext: (16)
a. b.
Keinem scheint die Sache notwendigerweise auffliegen zu müssen. *Keinem scheint die Sache notwendigerweise auffliegen zu brauchen.
Wir begegnen damit wieder der Asymmetrie zwischen dem von acheinen abhängigen Dativobjekt auf der einen und dem Subjekt und den vom Infinitiv abhängigen Objekten auf der anderen Seite. 2.3 Eine weitere Besonderheit von scheinen + Infinitiv-Konstruktionen zeigt sich, wenn man die möglichen Pronomen-Antezedenz-Beziehungen ausprobiert: ein von acheinen abhängiges Dativobjekt kann weder Antezedenz eines Reflexiv- oder Personalpronomens im abhängigen Verbalfeld sein noch Anapher mit dem Subjekt als Antezedenz (letzteres ist zumindest nicht immer möglich). In Kontrollkonstruktionen kann ein vom Kontrollverb abhängiges Dativobjekt im Supinumfeld entweder ein Reflexiv-, aber kein Personalpronomen, oder umgekehrt ein Personal-, aber kein Reflexivpronomen binden. Dies hängt einerseits von der Bedeutung des Kontrollverbs, andererseits von der Bedeutung des Supinumfelds ab: (17)
a. b.
(18)
a. b.
Du versprachst Maria,· sie, in Rom zu heiraten. *Du versprachst Maria, sich i in Rom zu heiraten. Du versprachst Maria; sich; in Rom ausruhen zu können. *Du versprachst Maria; sie, in Rom ausruhen zu können.
(Für die Nebensatz Varianten dieser Sätze gilt dasselbe.) Betrachten wir nun die infrage kommenden scheinen + Infinitiv-Äquivalente zu es scheint der Maria i, daß du sie i vernachlässigst:
134
Jürgen Pafel (19)
a. b.
?Du scheinst der Maria t- sie i zu vernachlässigen, *Du scheinst der Maria, sichj zu vernachlässigen.
Die Unakzeptabilität von (19b) ist vor dem Hintergrund von (17b) zu erwarten. Doch der Umstand, daß (19a) ebenfalls nicht akzeptabel ist - obwohl nicht ganz so schlecht wie (b) -, zeigt wieder die Sonderstellung des Dativobjekts von scheinen. Man siehe auch (20): (20)
a. b. c.
Es scheint dir, daß er dich ärgern will. ?Er scheint dir dich ärgern zu wollen. Er rät dir, dich erstmal auszuruhen.
Weiterhin kann das Dativobjekt von scheinen nicht vom Subjekt der scheinen + Infinitiv-Konstruktion gebunden werden: (21)
a. b. c.
Es scheint ihm,, daß er,· geschätzt wird. *Er,· scheint ihm,· geschätzt zu werden. ,· scheint sich, geschätzt zu werden.
2.4 Es ist ein wesentliches Merkmal der Konstruktion scheinen + Infinitiv, daß die Distribution von scheinen abhängig ist von der Distribution des statusregierten Infinitivs. Die Grammatikalität bzw. Ungrammatikalität der folgenden Sätze erklärt sich aus den Anforderungen, die der Infinitiv an seine Mitspieler stellt. (22)
(23)
(24) (25)
a. b. a. b. c. a. b. a. b.
Heute scheint die Maschine wie geschmiert zu laufen, *Heute scheint wie geschmiert zu laufen. Es scheint zu regnen. "Heute scheint zu regnen. *Das Wetter scheint zu regnen. Ihm scheint geholfen zu werden. *Sie scheint (ihm) geholfen zu werden. Heute scheint gearbeitet zu werden. *Heute scheint es gearbeitet zu werden.
Auf eine solche distributionelle Abhängigkeit eines Verbs von dem von ihm statusregierten Verb stößt man nicht nur bei scheinen und bestimmten Verwendungen von drohen, pflegen, versprechen und haben (siehe V.2), sondern
scheinen + Infinitiv
135
auch bei den Hilfsverben, den nicht-prädikativen Modalverben (siehe III. 1.3) und einigen Vollverben (anfangen, beginnen, aufhören, fortfahren, etc.). Bei Kontrollverben gibt es solche distributionellen Abhängigkeiten nicht. Wie zu erwarten, sind die Entsprechungen zu (22a) akzeptabel (und die zu 22b unakzeptabel): (26)
a. b. c.
Heute versucht die Maschine wie geschmiert zu laufen. Heute glaubt die Maschine wie geschmiert zu laufen. Heute will die Maschine wie geschmiert laufen.
Doch im Unterschied zu (22a) wird hier die Maschine als ein zu Absichten, Überzeugungen und Handlungen fähiges Wesen behandelt. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist die Unakzeptabilität der Entsprechungen zu (23a), (24a) und (25a): (27)
(28)
(29)
a. b. c. a. b. c. a. b. c.
?Es versuchte zu regnen. ?Es glaubte zu regnen. ?Es will regnen. *Ihm versuchte geholfen zu werden. *Ihm glaubte geholfen zu werden. *Dim will geholfen werden. *Heute versucht gearbeitet zu werden. "Heute glaubt gearbeitet zu werden. *Heute will gearbeitet werden.
Die Unakzeptabilität dieser Sätze erklärt sich aus der Obligatorik eines echten Subjekts bei den Kontrollverben. 2.5 Zum Abschluß wollen wir nach diesen strukturellen Unterschieden zwischen scheinen + Infinitiv-Konstruktionen einerseits und Kontrollkonstruktionen andererseits eine strukturelle Gemeinsamkeit betrachten, die sich auf dem Gebiet der Topologie zeigt. Im Mittelfeld ist die Abfolge „Akkusativ-Pronomen vor Dativ-Pronomen" die unmarkierte Abfolge, wenn beide Pronomen Objekte ein-unddesselben Verbs sind: (30)
a. b.
Ich habe ihn ihr vorgestellt, Ich habe ihr ihn vorgestellt.
136
Jürgen PafeJ
Bei scheinen + Infinitiv ist, wenn das Dativ-Pronomen von scheinen abhängig ist, die Abfolge „Dativ-Pronomen vor Akkusativ-Pronomen" genauso gut, wenn nicht besser als die umgekehrte Reihenfolge. (31)
a. b.
Du scheinst mir ihn zu mögen, Du scheinst ihn mir zu mögen.
Dasgleiche gilt für Kontrollkonstruktionen, wenn das Dativ-Pronomen vom Kontrollverb abhängig ist: (32) a. Ich habe dir ihn zu besuchen versprochen, b. Ich habe ihn dir zu besuchen versprochen. Wenn in dem Fall, wo zwei Pronomen Objekte desselben Verbs sind, das Akkusativ-Pronomen ein es ist, so hat das es die starke Tendenz, vor dem anderen Pronomen zu stehen. (33) a. Ich zeige es dir. b. ?Ich zeige dir es. c. ?Da ich dir es zeigen werde, ... Bei scheinen und versuchen kann ein von ihnen abhängiges Dativ-Pronomen jedoch ohne weiteres auch vor dem es stehen: (34) a. Du scheinst mir es zu mögen, b. Du scheinst es mir zu mögen. (35) a. Er hat dir es zu begutachten versprochen, b. Er hat es dir zu begutachten versprochen. Ich will diese topologischen Betrachtungen jedoch - in Übereinstimmung mit der Generalthese dieses Abschnitts - mit einigen Daten beschließen, die wiederum zu belegen scheinen, daß ein von scheinen abhängiges Dativobjekt einen anderen Stellenwert hat als ein von einem Kontrollverb abhängiges, und daß in einer solchen Kontrollkonstruktion, aber nicht in der scheinenKonstruktion das Subjekt und das Dativobjekt denselben Rang einnehmen. Wenn zwei Pronomen Ergänzungen desselben Verbs sind, dann ist es ganz schlecht möglich, das Dativ-Pronomen vor das Nominativ-Pronomen zu stellen: (36) a. Dann hat es mir seinen besten Freund vorgestellt. b. ?Dann hat mir es seinen besten Freund vorgestellt. (37) a. Dann hat sie ihm den Park gezeigt. b. ?Dann hat ihm sie den Park gezeigt.
scheinen + Infinitiv
137
Für Kontrollkonstruktionen gilt nun dasselbe: (38) (39)
a. b. a. b.
Doch hat es mir pünktlich zu sein versprochen, ?Doch hat mir es pünktlich zu sein versprochen. Allerdings hat sie ihm zu bleiben geraten, ?Allerdings hat ihm sie zu bleiben geraten.
Bei Schemen-Konstruktionen ist jedoch mitunter die umgekehrte Abfolge ohne weiteres möglich: (40)
a. b.
(41)
a. b.
Doch scheint zukommen. Doch scheint zukommen. Doch scheint Doch scheint
mir es gerade noch rechtzeitig anes mir gerade noch rechtzeitig anmir es zu regnen. es mir zu regnen.
Etwas schlechter sind die folgenden Sätze: (42)
a. b.
III
Allerdings scheint mir er gerade noch rechtzeitig anzukommen. Allerdings scheint mir er nicht kommen zu wollen.
Die Ähnlichkeiten von scheinen, Modalverben und Satzadverbien
l Kehren wir nun zurück zu der Formulierung das Spiel scheint die Eigenschaft zu haben, spannend zu sein, die die Bedeutung des Satzes das Spiel scheint spannend zu sein wiedergibt (II. 1). Der Umstand, daß diese Bedeutungsparaphrase natürlicher wirkte als die Formulierung das Spiel hat die Eigenschaft, spannend zu scheinen, war der Auslöser unseres Verdachtes, daß es sich bei einer solchen scheinen + Infinitiv-Konstruktion nicht in dem Sinne um einen einfachen Subjekt-Prädikat-Satz handeln kann, daß scheinen das semantische Prädikat zum Subjekt ist. Dieser Verdacht hat sich nun in so weit erhärtet, daß es zwischen ac/iemen-Konstruktionen und in der Form ähnlichen zweifelsfreien Subjekt-Prädikat-Sätzen von der Art der Kontrollkonstruktion markante Unterschiede struktureller Natur gibt.
138
Jürgen Pafel
Wenn man stark vereinfacht, dann läßt sich das Subjekt eines Satzes als der Teil desselben bestimmen, der den Gegenstand bezeichnet, zu dem eine Eigenschaft in Beziehung gesetzt wird. Das Prädikat drückt die Eigenschaft aus, die zum Subjektgegenstand in Beziehung gesetzt wird. Betrachten wir unter diesem Blickwinkel die Bedeutungsparaphrase das Spiel scheint die Eigenschaft zu haben, spannend zu sein, so ist unser Ausgangssatz kein einfacher Subjekt-Prädikat-Satz. Das Verb scheint läßt sich weder dem Subjekt noch dem Prädikat zuordnen. Etwas ganz Ähnliches läßt sich nun von Sätzen sagen, in denen Modalverben in einer Verwendung vorkommen, die man als subjektiven, inferentiellen, epistemischen oder propositionalen Gebrauch des Modalverbs bezeichnet:
(43) Friedrich
dürfte könnte mag muß soll will
krank gewesen sein.
Am natürlichsten scheint eine Paraphrase zu sein, in der das Modalverb nicht zum Prädikat im oben bestimmten Sinne gehört:
(44) Friedrich
dürfte könnte mag muß soll will
sich im Zustand des Krankseins befunden haben.
In dieser Verwendung zeigen die Modalverben im Hinblick auf die Phänomene, die scheinen- von Kontrollkonstruktionen unterscheiden, ein fast gleiches Verhalten wie scheinen. (Zu den Bindungsdaten in II.2.3 und den topologischen Daten in II.2.5 gibt es bei den Modalverben jedoch keine Entsprechungen, da von ihnen kein Dativobjekt abhängig sein kann, dem sie eine thematische Rolle zuordnen.) 1.1 Der Negationsausdruck nicht steht im Skopus des Modalverbs (vgl. .2.1):
139
scheinen + Infinitiv
(45) Maria
dürfte könnte mag muß soll will
nicht geschlafen haben.
(46) Obwohl Maria nicht geschlafen haben
dürfte könnte mag muß soll will
Wie bei scheinen, und im Unterschied zu Kontrollkonstruktionen, führt die Stellung von nicht vor dem Objekt (bei nicht-kontrastiver Negation) zu wenig akzeptablen Sätzen - im Unterschied zu (48): (47)
(48)
a. b. c.
?Da er nicht das Spiel verloren haben dürfte, ... ?Da sie nicht Maria vergrault haben dürfte, ... ?Da sie nicht die Bibliothek geerbt haben muß, ... d. ?Da wir nicht die Schlamperei vertuscht haben sollen, ... e. ?Da wir nicht Maria überzeugt haben dürften, ... a. Da sie Maria nicht überzeugt haben soll, ... b. Da sie Maria nicht vergrault haben dürfte, ... c. Da er das Spiel nicht verloren haben will, ... d. Da sie das Geheimnis nicht preisgegeben haben sollen, ...
Ebenso steht ein negatives Subjekt oder Objekt im Skopus des Modalverbs:
(49) Obwohl niemand gekommen sein
dürfte könnte mag muß soll
Jürgen Pa/eJ
140
In (49) müssen wir freilich wollen aussparen, das im Skopus des Negationsträgers zu stehen scheint, falls das Subjekt wie in (50) ein negativer Quantor ist.2 (50)
Niemand will der Schuldige sein.
1.2 Der Bereich, für den das von einem Modalverb abhängige negative Polaritätselement brauchen sensitiv ist, umfaßt die ganze Konstruktion einschließlich des Subjekts (vgl. II.2.2): (51)
Da niemand die Wohnung zu räumen gebraucht haben
dürfte soll will mag könnte muß
1.3 Schließlich weist die Distribution der Modalverben dieselbe Abhängigkeit von der Distribution des statusregierten Infinitivs auf wie scheinen - mit dem Unterschied, daß die Modalverben den ersten Status regieren (vgl. II.2.4): (52)
a. b. c. d.
Heute dürfte die Maschine wie geschmiert laufen. Es soll regnen. Ihm könnte geholfen worden sein. Heute mag gearbeitet worden sein.
2 Neben den Modalverben gibt es mit den Satzadverbien eine weitere Gruppe von Ausdrücken, die sich ganz ähnlich wie scheinen verhalten. Wegen ihrer inhaltlichen Nähe zu scheinen mag dies bei anscheinend und 2
Man könnte diesen Umstand mit dem Faktum vergleichen, daß ein negativer Quantor, der das experiencer-Objekt zu scheinen ist, Skopus über scheinen hat. Das Gemeinsame dieser beiden Fakten kann man darin sehen, daß ein Negationsträger, der von dem jeweiligen Verb eine thematische Rolle zugewiesen bekommt, Skopus über das Verb hat. Wollen weist dem Subjekt, genauer den von diesem spezifizierten Gegenständen die Rolle desjenigen zu, der eine Behauptung aufstellt - womit das Subjekt neben der Rolle, die es vom abhängigen Infinitiv bekommt, eine zweite zugewiesen bekommt.
scheinen + Infinitiv
141
scheinbar nicht überraschen. Berücksichtigen wir deswegen auch das Verhalten von wahrscheinlich und notwendigerweise. 2.1 Da Satzadverbien keine Infinitive statusregieren, kann man nicht sagen, daß ihre Distribution wie bei scheinen und den Modalverben von der Distribution des Infinitivs abhängt. Doch kann man die distributionelle Abhängigkeit dieser Verben auch so beschreiben, daß die Ähnlichkeit zu den Satzadverbien erkennbar wird. Ob ein Satz mit scheinen, einem Modalverb oder einem Satzadverb ein grammatisches Subjekt haben muß oder keine haben kann, ein Impersonales Pseudo-Subjekt haben muß, haben kann oder keins haben kann, hängt nicht vom Satzadverb, dem Modalverb (Ausnahme: wollen) oder scheinen ab. Wir treffen somit bei den Satzadverbien diesselben Satzkonstruktionen an wie oben (vgl. Beispiele 22-25 und 52). (53)
a. b. c. d. e.
Die Zahl Sieben ist notwendigerweise ungerade. Ihm ist wahrscheinlich geholfen worden. Es regnet anscheinend. Ihn friert es wahrscheinlich. Heute ist scheinbar gearbeitet worden.
2.2 Der Bereich, für den brauchen sensitiv ist, umfaßt den ganzen von einem Satzadverb modifizierten Satz: (54)
Scheinbar braucht niemand die Anscheinend Wahrscheinlich Wohnung zu räumen. Notwendigerweis e
2.3 Die Datenlage bei der Negation ist etwas uneinheitlich. Zwar haben die Sätze in (55) - wie nach dem Bisherigen zu erwarten - nur die Lesart, in der der Negationsausdruck nicht im Skopus des Satzadverbs steht: (55)
a. b.
Maria ist scheinbar (anscheinend/wahrscheinlich) doch nicht krank. Die Zwei ist notwendigerweise nicht ungerade.
Doch gegenüber negativen Quantoren verhalten sich die epistemischen Satzadverbien scheinbar, anscheinend und wahrscheinlich anders als das
142
Jürgen Pafel
nicht-epistemische notwendigerweise. Die Sätze in (56) haben nur die Lesart mit engem Skopus der Negation, und die in (57) haben dieselbe Bedeutung wie ihre Entsprechungen in (56), sind jedoch deutlich weniger akzeptabel als diese: (56) a. Scheinbar (anscheinend/wahrscheinlich) ist niemand schuldig. b. Scheinbar (anscheinend/wahrscheinlich) braucht niemand Überstunden zu machen. (57) a. Niemand ist scheinbar (anscheinend / wahrscheinlich) schuldig. b. Niemand braucht scheinbar (anscheinend/wahrscheinlich) Überstunden zu machen. Betrachten wir in Kontrast dazu (58): (58)
a. b.
Notwendigerweise ist niemand schuldig, Niemand ist notwendigerweise schuldig.
Diese beiden Sätze sind gleichermaßen akzeptabel und sind bedeutungsverschieden. (58b) hat nur die Lesart mit dem Satzadverb im Skopus des negativen Quantors (es gibt kein dergestalt, daß notwendigerweise schuldig wäre). (58a) jedoch hat - neben der eben angeführten Lesart - zusätzlich die Lesart, aus der folgt, daß niemand schuldig ist, also die Lesart mit weitem Skopus des Satzadverbs. Diese Uneinheitlichkeit in den Negationsdaten bei den Satzadverbien zwingt uns zu der Einschränkung, daß sich relativ zur Negation nur die epistemischen Satzadverbien wie scheinen und die Modalverben (Ausnahme: wollen) verhalten. 2.4 Diejenige Bedeutungsparaphrase eines Satzes mit einem Satzadverb ist die natürlichere, in welcher das Satzadverb weder zum Subjekt noch zum Prädikat gehört: (59)
a.
b.
Das Spiel hat scheinbar (anscheinend/wahrscheinlich/notwendigerweise) die Eigenschaft, spannend zu sein. Das Spiel hat die Eigenschaft, scheinbar (anscheinend/ wahrscheinlich/ notwendigerweise) spannend zu sein.
scheinen + Infinitiv
143
3 Die Verwandtschaft von scheinen (·+- Infinitiv) mit den Satzadverbien manifestiert sich recht anschaulich in einer regionalen Kuriosität. Wenn man sagen will, daß es zu regnen scheint, so kann man mancherorts auch sagen: es regnet scheint's. An seinem Verhalten nicht gegenüber kann man diesen Ausdruck als eine Art Satzadverb erkennen: bei nicht-kontrastiver Verwendung von nicht muß er - wie alle epistemischen Satzadverbien - vor nicht stehen: Es regnet scheint's nicht. *Es regnet nicht scheint's. Jedoch gibt es im Unterschied zu scheinen bei scheint's ebensowenig wie bei den epistemischen Modalverben und Satzadverbien ein von ihnen abhängiges Objekt, dessen Denotat sie die Rolle des Trägers der Einstellung zuweisen würden. Dies hat wohl seinen Grund darin, daß nur echeinen ein Ausdruck ist, der qua Wortbedeutung eine Einstellung eines bestimmten Typs spezifizert und die zwei thematischen Rollen des Trägers und des Inhalts der Einstellung vergibt. Scheint's, die Modalverben und die Satzadverbien spezifizieren keine Einstellung, sondern zum Beispiel die Stärke der Indizien oder Gründe, die dafür sprechen, daß ein bestimmter Sachverhalt zutrifft. Der Satz als ganzer kann natürlich eine bestimmte Einstellung zum Ausdruck bringen (eine Vermutung beispielsweise), deren Art wesentlich vom Satzadverb bzw. Modalverb bestimmt wird. (Auch der scheinen-S&tz bringt, wenn er als Aussage gemeint ist, eine Einstellung zum Ausdruck - die Überzeugung, daß es scheint, daß p.) So - nun scheint ja doch alles klar: in der Verwendung mit Infinitiv ist scheinen wie die Satzadverbien ein Satzmodifikator, ein Prädikat mit einem Satz als Argument. Das beste Indiz dafür ist die Existenz der Konstruktion scheinen + Nebensatz. Die Aufgabe besteht anscheinend lediglich darin, die Infinitiv- syntaktisch aus der Nebensatzkonstruktion herzuleiten, aus der Konstruktion also, die die semantischen Verhältnisse unverfälscht widerspiegelt (dazu Abschnitt IV). Wenn man dieser Auffassung ist, so setzt man offensichtlich zweierlei voraus: zum einen, daß Satzadverbien in dem angegebenen Sinne Satzmodifikatoren sind, und zum anderen, daß in der Konstruktion scheinen + Nebensatz der Nebensatz das (erste) Argument von scheinen ist. Diese beiden Annahmen wollen wir in den Abschnitten V und VI in Frage stellen.
144
Jürgen Pafel IV
scheinen ist kein Raisingverb
l Betrachten wir die syntaktischen Argumente für eine transformationeile Analyse von scheinen + Infinitiv-Konstruktionen (Ebert 1975, Evers 1975, Thiersch 1978, Olsen 1981, McKay 1985).3 So unterschiedlich die Analysen sind - die einen veranschlagen eine Subjektanhebung wie im Englischen, die anderen eine Verbbewegung, für die einen ist in der Oberflächen- bzw. S-Struktur eine Satzeinbettung vorhanden, für die anderen nicht -, so unterschiedlich sie sind, alle gehen davon aus, daß es in der Tiefen- bzw. D-Struktur eines Satzes mit scheinen + Infinitiv eine Satzeinbettung gibt. Um die Argumente für diese letzte Annahme geht es mir im folgenden. Es sind im wesentlichen deren drei (vgl. McKay 1985): (a)
(b)
(c)
Die Satzeinbettung ist notwendig, um zu erklären, warum zwischen dem Subjekt von scheinen und dem Infinitiv Selektionsrestriktionen bestehen und nicht zwischen dem Subjekt und scheinen (Ebert 1975:177). Die Satzeinbettung ist notwendig, um zu erklären, daß Sätze mit zwei Dativobjekten konstruierbar sind - mir scheint ihm die Sache über den Kopf zu wachsen -, obwohl es im Deutschen keine Sätze mit zwei „gleichrangigen" Dativobjekten gibt (Olsen 1981:137). Die Annahme einer Satzeinbettung macht es möglich, für die beiden sc/iemen-Konstruktionen - mit Infinitiv, mitfinitemNebensatz nur geringfügig voneinander abweichende Tiefenstrukturen anzusetzen.
Ich glaube, daß keines dieser Argumente zwingend ist. Beginnen wir mit dem ersten, dem wohl stärksten dieser Argumente. Wir haben schon in II.2.4 gesehen, daß es ein wesentliches Merkmal der Konstruktion scheinen + Infinitiv ist, daß die Distribution von scheinen abhängig ist von der Distribution des Infinitivs. Wir haben erwähnt, daß sich diese distributionelle Abhängigkeit eines Verbs von einem anderen auch bei den Hilfsverben findet. Insbesondere für die Passivhilfsverben hat Tilman N. Höhle (1978) 3
Die beiden klassischen Arbeiten zu Raising-Konstruktionen im Englischen sind Rosenbaum 1967 und Postal 1974.
scheinen 4- Infinitiv
145
sogenannte komplexe Lexikoneinträge vorgeschlagen, die den Umstand, daß die Distribution des Passivhilfsverb abhängig ist von der Distribution des passivierten Verbs, auf nicht-transformationelle Weise zu erfassen gestattet. Dieses Vorgehen will ich in etwas veränderter Form für scheinen nutzbar machen. Der Witz besteht darin, für dieses Verb, wenn es einen Infinitiv statusregiert, eine zweistufige Selektionsangabe anzunehmen, in der auf die Selektionsangabe des Infinitivs bezug genommen wird und in der dessen Selektion zu einem Teil der Selektion von acheinen wird. Dieses Vorgehen sei durch folgenden Graph veranschaulicht:
(60) a.
/ (obj - cas - dat)
sei
In der Umgebung von schein- muß (i) ein Supinum im zweiten Status, d.h. ein zu-Infmitiv vorkommen, der beliebige Selektionseigenschaften haben kann (für diese steht die Variable A"); es muß (ii) in der Umgebung von schein- alles das vorkommen, was der zu-Infinitiv als Umgebung verlangt (also X); und (iii) selegiert schein- fakultativ ein Dativobjekt. Die Selektionsangabe von schein- läßt sich formal adäquater gestalten, wenn man die Selektion in Form einer Liste angibt, die man sich aus einem ersten Element (first) und einer Restliste (rest) zusammengesetzt denkt, wobei die Restliste wieder in ein erstes Element und einen Rest zerfällt (die Fakultativität des Dativobjekts wird vernachlässigt):4
4
Die Reihenfolge der Elemente der Liste soll keine Aussage über die lineare Abfolge beinhalten (anders als bei Shieber 1986:29).
146
Jürgen Pafel
(60) b. first
sei .
rest
, 12, => als Wert ergibt. Diese Struktur gilt dann als Sinn (aufgefaßt im Sinne Freges) des Satzes 5 + 7 = 12, gleichzeitig aber als Referenz des Satzes that 5 + 7 = 12, d.h. „the reference of the that-clause is the sense of the sentence that follows it" (1985:30). Cresswell, der ausdrücklich sagt: „What has been said so far about de re attitudes suggests that, at the level of logical form, a variety of distinct symbols might underlie the one surface that [ . . . ] "(1985:35), nennt das soeben behandelte Wort that that a , um anzuzeigen, daß es den Sinn des folgenden Satzes als Wert liefert. Er unterscheidet es von thato (1985:37), das als eine Identitätsfunktion aufzufassen ist, die auf der Referenz (Bedeutung) des nachfolgenden Satzes operiert; letzterer wird dabei aber als Ganzes behandelt.
188
Eckard Rolf
Anders als (22) könnte (23)
Helen believes thato 5 + 7 = 12
nämlich durchaus mit dem äquivalenten Satz (24)
Helen believes thato 12 = 12
gleichgesetzt werden, weil thato, als Identitätsfunktion, sich lediglich auf die Bedeutung (d.h. auf den Wahrheitswert im Sinne Freges) des ganzen folgenden Satzes bezieht, nicht aber auf dessen Teile und dessen Struktur (siehe dazu Cresswell 1985:38). Der doxastische Zustand, in dem Heien sich befindet, wird aber durch (22) korrekt wiedergegeben, während selbiges von (24) nicht gelten muß. Gegen den Analysevorschlag Cresswells möchte ich zweierlei geltend machen: 1. Cresswell offeriert einen Beitrag zur Semantik der pro attitude-Sätze, der, wie die Rede von der „de re-Lösung" bereits anzeigt, deren de reLesarten begünstigt, um nicht zu sagen: der darauf hinausläuft, alle pro attitude-Sätze als de re-Sätze zu behandeln. Cresswell sagt: „the truth or falsity of a prepositional attitude sentence depends on more than the reference of its complement sentence. It must, in addition, take note of the references of the parts of the complement sentence" (1985:28). Das gilt nun aber nur dann, wenn man, was Cresswell tut, von der funktionalen Kompositionalität einer Theorie der Bedeutung ausgeht. Die obige Forderung ergibt sich sozusagen als Konsequenz dieser Voraussetzung. Denn gerade vom Standpunkt einer so konzipierten Theorie aus gesehen bekommt man mit den pro attitude-Sätzen die bekannten Schwierigkeiten, die mit den de tiicfo-Lesarten zusammenhängen, d.h. Probleme mit der Substitution extensionsgleicher Ausdrücke sowie der Existenzgeneralisierung. Was aber unter Zugrundelegung einer bestimmt gearteten Theorie gilt, muß nicht unbedingt, wie oben behauptet, für die Wahrheit oder Falschheit sämtlicher pro attitude-Sätze gelten, - und es gilt auch nicht für alle pro attitude-Sätze. Zwar wird man den Ausdruck that sicherlich so lesen können, wie Cresswell es tut und wie es für seinen Analysevorschlag auch erforderlich ist, also einmal im Sinne einer Identitätsfunktion (that0) und das andere Mal als Funktionsausdruck, der den Sinn des auf ihn folgenden Satzes als Wert ergibt (thata}\ die Frage aber ist, ob man auf diese Weise dem englischen Ausdruck wirklich gerecht wird. Damit komme ich zu meinem zweiten Einwand. 2. Ich glaube nämlich nicht, daß ein Ausdruck wie that oder daß wirklich systematisch mehrdeutig ist (und daß sich die (vermeintliche) Ambiguität der Einstellungssätze in der Tat auf das daß zurückführen läßt). Mit
Zur (vermeintlichen) Ambiguität
189
Davidson (1969:170=1986:158) kann man nämlich durchaus von folgendem ausgehen: das that (bzw. das daß) ist aus dem Demonstrativpronomen that (bzw. das) hervorgegangen; es ist als ein demonstrativer singulärer Terminus einzuschätzen. Ein Satz wie (25)
Klaus glaubt, daß La Paz in Venezuela liegt
(der von jemandem handelt, der La Paz mit Caracas und Venezuela mit Bolivien verwechselt) kann unter Zugrundelegung der obigen Annahme dann folgendermaßen analysiert werden: (26)
Klaus glaubt das. La Paz liegt in Venezuela.
Anders als Bühler (1983:150), der im Hinblick auf Davidsons Theorie sagt: „wie sie auf kognitive Verben wie glauben, wünschen etc. auszudehnen ist, ist mir nicht klar. Davidson behauptet zwar, sie führe zu einer korrekten Analyse psychologischer Verben, er hat seine Theorie aber nur anhand des Verbs sagen entwickelt [·.·]", nehme ich dabei also an, daß sich glauben und sagen in Konstruktionen wie (26) hinreichend ähnlich verhalten, und in Anlehnung an eine entsprechende Bemerkung von Davidson (1969:17071=1986:159) läßt sich dann sagen: Glaubenssätze machen keinen Hehl aus ihrer logischen Form. Sie bestehen aus einem Ausdruck, der sich auf einen Glaubenden bezieht, dem zweistelligen Prädikat glaubt und einem Demonstrativpronomen, das sich auf den Inhalt des Glaubens (resp. auf den Inhalt einer vorangegangenen Glaubensäußerung) bezieht. Punktum. Was danach kommt, gibt den Inhalt des Glaubens des Betreffenden (resp. einer entsprechenden Glaubensäußerung) an, hat jedoch keinen logischen oder semantischen Zusammenhang mit der ursprünglichen Glaubensattribution. Letzteres ist zweifellos das Neue an der Sache, das, wovon alles abhängt. Vom semantischen Standpunkt ist der Inhaltssatz der Glaubensattribution, d.h. der auf diese folgende Satz, nicht in dem Satz enthalten, auf dessen Wahrheit es ankommt, d.h. nicht in dem Satz, der mit das [s] endet. „Das scheinbare Versagen der Gesetze der extensionalen Substitution wird dadurch erklärt, daß wir, was eigentlich zwei Sätze sind, fälschlich für einen halten: In dem einen Satz nehmen wir Substitutionen vor, doch es ist der andere, der [... ] sich im Hinblick auf die Wahrheit ändert. Da eine Äußerung [... ] [des einen]
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Eckaid Rolf
semantisch unabhängig ist von jeder ihr folgenden Äußerung, gibt es keinen Grund, einzig und allein aufgrund der Form vorherzusagen, daß sich wegen einer Änderung in der letzteren ein bestimmter Effekt hinsichtlich der Wahrheit der ersteren ergibt. Andererseits gilt, daß, wenn die zweite Äußerung in irgendeiner ·* Weise anders ausgefallen wäre, die erste Äußerung einen anderen Wahrheitswert hätte haben können, denn der Bezug des dasfsj wäre ein anderer gewesen" (Davidson 1969:172=1986:161). (Ich glaube nicht, daß Bahr (1986:82) mit seinem Vorwurf recht hat, Davidson beziehe hier eine „widersprüchliche Position", da er einerseits einer Substitution im zweiten Satz „keinen Einfluß auf den Wahrheitswert des ersten Satzes" einräume, mit der letzten Bemerkung des obigen Zitats selbiges jedoch gerade zugestehe. Davidsons These von der semantischen Unabhängigkeit der beiden Sätze kann verteidigt werden, weil nicht von einer jeden Änderung des zweiten Satzes zu erwarten ist, daß sie einen bestimmten Effekt im Hinblick auf die Wahrheit des ersten hat, weil nicht eine jede Änderung des zweiten Satzes den Wahrheitswert des ersten ändern muß.) Auf Grund der obigen Zweifel an der Akzeptabilität des Analysevorschlags von Cresswell scheint auch die zweite Möglichkeit der Lokalisierung der (vermeintlichen) Ambiguität der Glaubenssätze in Frage gestellt zu sein. Die Chancen, in dem eingebetteten Satz auf Ausdrücke zu stoßen, die als Ambiguitätsgeneratoren in Frage kommen, haben sich damit drastisch verschlechtert: unter der Voraussetzung, daß dessen Prädikat vernachlässigt werden kann, hat der Komplementsatz an Ambiguitätsgeneratoren nichts mehr aufzuweisen. Ist es denn schließlich und letztlich doch das epistemische Verb, das für die Ambiguität der Einstellungssätze verantwortlich zu machen wäre? Sind epistemische Verben in lexikalischer Hinsicht systematisch ambig? Hat Quine doch recht und hat Stich in den sauren Apfel zu beißen, zwei oder mehrere Glaubenszustände anerkennen zu müssen? Und was, wenn epistemische Verben, von der diesen wie nahezu jedem anderen Ausdruck auch anhaftenden generellen Polysemie einmal abgesehen, sich nicht als systematisch ambig erweisen sollten?
4 Der eigentliche Witz der Einstellungsattribution Ich möchte hinsichtlich des hier behandelten Problems der (vermeintlichen) Ambiguität der Einstellungssätze die These vertreten, daß es nicht einzelne Ausdrücke sind, auf die sich diese (vermeintliche) Ambiguität
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zurückführen läßt. Die Ambiguität läßt sich, mit anderen Worten, nicht in der Ambiguität einzelner Ausdrücke lokalisieren, letztere sind nicht als Ambiguitätsgeneratoren anzusehen. Was soll es dann aber mit der Ambiguität der Einstellungssätze auf sich haben? Ich neige dazu, die These von deren Ambiguität in Zweifel zu ziehen. Es ist einfach nicht der Fall, daß alle (oder die meisten) Einstellungssätze ambig sind. Es gibt vielmehr zwei Sorten der Emstellungsattribution (wie sie in den obigen a- und b-Versionen der Sätze 11-21 zum Ausdruck kommen). Da glauben (wie wünschen, sich bemühen um, sagen, anzeigen, behaupten oder suchen) ein intensionales Verb ist, wird durch sein Auftreten als Matrixverb eines Einstellungssatzes ein intensionaler Kontext geschaffen. In einem intensionalen Kontext kann es Positionen geben, die referentiell opak sind (siehe die a-Versionen). Eine de dtcio-Einstellungsattribution liegt vor, wenn eine von einem potentiell referierenden Ausdruck besetzte Position nicht transparent gemacht worden ist. Andernfalls sind wir mit einer de re-Einstellungsattribution konfrontiert. Die Intensionalität der Einstellungssätze läßt es ratsam erscheinen, diese mit Sätzen in einen Zusammenhang zu stellen, die Ausdrücke wie anzeigen, sagen, behaupten als Matrixverben enthalten, mit Verben also, die selbst nicht zu den epistemischen zu rechnen, nichtsdestoweniger aber auch intensional sind. Eine (verallgemeinerte) Theorie der oratio obliqua müßte sich dementsprechend auch auf die Einstellungssätze anwenden lassen - beispielsweise wie oben im Anschluß an Davidson vorgeführt. Die linguistische Behandlung der Einstellungssätze muß darüber hinaus aber auch noch in den Blick nehmen, was den eigentlichen Witz der Einstellungsattribution auszumachen scheint: die dabei vorhandene Möglichkeit einer Stellungnahme für und durch denjenigen, der die Einstellungsattribution vornimmt, den Sprecher also. Das betont zu haben scheint mir ein Verdienst von Searle zu sein. (Was die Berücksichtigung kommunikativer Zusammenhänge bei der Behandlung der die singulären Terme betreffenden Substitutionsprobleme anbelangt, so siehe aber auch Bahr 1986.) Überhaupt krankt der weitaus größte Teil der bisherigen Beschäftigungen mit dem de dicto/de re-Problem bei Glaubenssätzen daran, weitgehend außer acht gelassen zu haben, worauf sich festlegt, wer solche Sätze ausspricht. Demgegenüber standen bisher Fragen wie die nach einem Kriterium für die Exportation, für den Übergang von einer a- zu einer b-Version, und damit Fragen im Vordergrund, die sich auf das Verhältnis des benannten epistemischen Subjekts zu dem im Komplementsatz erwähnten Redegegenstand beziehen, die Semantik bzw. die Wahrheitsbedingungen der Glaubenssätze also in erster Linie von der Geartetheit dieses Verhältnisses abhängig sehen. Ob
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Eckard Rolf
die Person A, wenn sie glaubt, daß B die Eigenschaft / hat, eine eindeutige und klare Vorstellung von B haben muß (was Kaplans „vividness"Kriterium zufolge der Fall zu sein hat), ob A B kennen, ob A also wissen muß, wer B ist (wie es Hintikkas „knowing-who"-Kriterium fordert), oder ob A B zumindest „im Sinn" haben muß, damit die Exportation möglich ist (vergleiche dazu sowie zu den soeben genannten Autoren Devitt 1981:221-26), das sind Fragen, die bei der bisherigen Beschäftigung mit Einstellungssätzen eindeutig im Vordergrund gestanden haben. Daß sich derjenige, der die Einstellungsattribution vornimmt, je nachdem, ob er die de dicto- oder die de re-Attribution wählt, in unterschiedlichem Grad auf die Existenz (und/oder Identität) eines bestimmten von ihm thematisierten Redegegenstandes festlegt, dieser Tatsache ist vielfach gar nicht oder nur beiläufig Beachtung geschenkt worden. Das ändert sich nun aber mit Searle (1979:§111.4-5 und (ausführlicher) 1983:208-17), der die These vertritt, daß sich die de dicto /de reUnterscheidung auf verschiedene Arten von Berichten über Einstellungen bezieht. Demnach gibt es Berichte de re und Berichte de dicto. Die ersten legen den Berichtenden auf die Existenz des Gegenstandes fest, der den referentiellen Gehalt der attribuierten Einstellung erfüllt; die zweiten tun das nicht. Vergleichsweise wichtig - wenn nicht sogar wichtiger als die Beantwortung der Frage nach der Berechtigung der de re-Attribution (d.h. der Exportation) - scheint dabei die Beantwortung der Frage zu sein, unter welchen Bedingungen ein de re-Bericht einem de diet o -Bericht vorgezogen wird (und umgekehrt), und dazu läßt sich sagen: Der Sprecher wird einen de re-Bericht (über die Einstellung eines anderen) abgeben, wenn er nicht einfach angeben will, welcher Satz geäußert worden ist, sondern welche Feststellung getroffen worden ist. Bei dieser Angabe muß nämlich der sog. primäre Aspekt angegeben werden, d.h. derjenige Aspekt, der auf den Gegenstand der Einstellung wirklich zutrifft „und der in den Wahrheitsbedingungen der Feststellung tatsächlich zählt" (Searle 1979:197=1982:171). Einen de re-Bericht wird man insbesondere dann abgeben, wenn unter sekundärem Aspekt gesprochen worden ist, unter einem Aspekt, der auf den Gegenstand der Einstellung nicht unbedingt zutrifft, also unter einem für die gemachte Feststellung nicht wesentlichen Aspekt (vergleiche 1979:207=1982:185). Berichte de dicto werden wir demgegenüber machen, „wenn unter primärem Aspekt gesprochen wurde" (1979:206=1982:185) bzw. wenn wir nur sagen wollen, was gesagt, welcher Satz geäußert worden ist, wenn wir nur den Einstellungsinhalt wiedergeben wollen, ohne auf die Existenz (und ohne auf die Identität) des Objekts der Einstellung festgelegt zu sein (siehe
Zur (vermeintlichen) Ambiguität
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dazu Searle 1979:206=1982:183). Damit ein de re-Bericht nicht als ein Verstoß gegen die zweite Gricesche Konversationsmaxime der Quantität gewertet, also nicht für „informativer als nötig" (Grice 1975:45=1979:249) gehalten wird (zu weiteren Anwendungen Gricescher Maximen in diesem Zusammenhang siehe Klein 1981:86-87), muß zudem ein besonderes Identifikationsinteresse auf Seiten des Attribuierenden vorliegen, und sei es eines, das ein im Hinblick auf das Objekt vorhandenes gemeinsames Wissen ausbeutet, wie es der Fall ist, wenn Sprecher und Hörer dieses Objekt unter einem Aspekt „kennen", der demjenigen nicht bekannt ist, dem z.B. eine bestimmte Überzeugung zugeschrieben wird (vergleiche 33). Ansonsten dürfte es aber „irreführend oder platterdings falsch sein", wenn man beim Bericht über die Überzeugung eines anderen einen Aspekt benutzt, den der Überzeugungsträger „nicht benutzt hat und deshalb gar nicht hätte benutzen können, weil er nicht wissen konnte, daß der Gegenstand" seiner Überzeugung „auch den im Bericht benutzten Aspekt erfüllt" (Searle 1979:201=1982:177). Gibt es, wo es doch zwei Sorten von Berichten über die Einstellung eines anderen gibt, der Annahme von Stich entgegen und dessen Befürchtung zuwider also letztlich doch zwei (oder mehr) Arten der Überzeugung, des Glaubens, etc.? Ohne dem Vorschlag von Stich, die Annahme zweier Arten von Überzeugungen durch den Hinweis auf die Ambiguität des Komplementsatzes zu umgehen, Folge zu leisten - die hier vorgetragene Analyse einiger Glaubenssätze hat die Identifikation ambiguitätserzeugender Ausdrücke in solchen Sätzen in Zweifel zu ziehen versucht -, kann dennoch festgestellt werden, daß Stich im Hinbück auf sein Hauptanliegen eine schlechte Nachricht nicht zu befürchten hat. Denn: „the belief that there are two different kinds of Intentional states, de re and de dicto, is founded on confusing two different kinds of reports of Intentional states, de re and de dicto reports, with logical features of the Intentional states themselves" (Searle 1983:217). Es lassen sich zwar zwei Sorten von Berichten über die Überzeugung eines anderen unterscheiden. „Aber daraus, daß über eine Überzeugung auf zweierlei Art berichtet werden kann, folgt einfach nicht, daß es zweierlei Arten von Überzeugungen gibt, über die berichtet wird" (Searle 1979:205=1982:18283). Die vielleicht am meisten explizite Beruhigung für Stich aber dürfte von Boer/Lycan (1986:133) kommen, die sagen:
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Eciard Äoif „What is true is (a) that there are not two mutually exclusive kinds of belief, since in our view the de re is but a special case of the de dicto, and certainly (b) that the word believe is not ambiguous as between „relational" and „notional" senses, and (c) that in Dennett's words, there are not „two different sorts of mental phenomena", if by that he means psychologically different sorts. There axe (nevertheless) two kinds of belief: de dido beliefs that are also de re and de dicto beliefs that are not."
Diese letztere Feststellung jedoch wird Stich auf seinem Weg From Folk Psychology to Cognitive Science nicht behindern können.
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195
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Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen Peter Simons
INHALT
0 Übersicht 1 Wahrmachen 2 Allgemeine Bedingungen einer Theorie des Wahrmachens 3 Theorien der Wahrmacher 4 Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen: Möglichkeiten 5 Ein naiver Vorschlag 6 Dagegen und Dafür 7 Ein Vergleich Literatur
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Peter Simons
„ [Wjas an Sarah [... ] bewirkt den Unterschied zwischen dem, was sie weiß, glaubt oder bezweifelt und dem, was sie nicht weiß, glaubt oder bezweifelt? [... ] Was Sarahs Einstellungen [... ] abstutzt und die Aussagen [darüber] wahr macht, sind ( . . . ) zwei Dinge: was in Sarah vorgeht und wie sie sich insgesamt in die Welt einfügt" (Barwise/Perry 1987: 298)
0 Übersicht Die Frage nach den Wahrmachern von Aussagen versteht sich als wesentlicher Teil einer realistischen Wahrheitstheorie. Es werden zunächst Bedingungen einer solchen Wahrheitstheorie angeführt. Anschließend wird untersucht, was eine Aussage über propositionalen Einstellungen, etwa Mikhail glaubt, daß Ronald ein Genie ist wahr macht. Die naive Antwort für diesen Fall: ein besonderes Moment von Mikhail, nämlich ein gewisser Zustand seines Gehirns. Diese Antwort wird mit anderen verglichen, sie wird für Wahrnehmungseinstellungen modifiziert, und sie wird gegen eventuelle Einwände in Schutz genommen.
l
Wahrmachen
Die Theorie des Wahrmachens ist ein wesentlicher Bestandteil jeder realistischen Wahrheitstheorie. Das gilt insbesondere für eine Korrespondenztheorie der Wahrheit. Nicht jede realistische Wahrheitstheorie kann gleichermaßen als Korrespondenztheorie bezeichnet werden. Falls man unter Korrespondenz eine eineindeutige Zuordnung zwischen Wahrheiten und Wahrmachern versteht, bin ich kein Anhänger der Korrespondenztheorie.
Wairmacher fur Aussagen über propositionale Einstellungen
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Deswegen ziehe ich es nun vor, unsere Theorie der Wahrmacher1 schlicht als realistisch zu bezeichnen. Es gehört zur commonsense-Konzeption der Wahrheit - zur folk Semantik, könnte man sagen -, daß die Wahrheit bzw. Falschheit einer Aussage von mindestens zwei Faktoren abhängt: erstens, von der Bedeutung der Aussage, zweitens, von den Tatsachen, davon, wie sich die Sachen verhalten. Wahrheit bzw. Falschheit ist das gemeinsame Ergebnis dieser beiden Beiträge. Ihre Beziehung besteht u.a. darin, daß die Bedeutung einer Aussage die Tatsachen einschränkt, die als Wahr- bzw. Falschmacher in Frage kommen. Obwohl dieses Prinzip des gemeinsamen Ergebnisses äußerst einfach und allgemein ist, gibt es eine Reihe von Wahrheitstheorien, die ihm nicht genügen. Darunter befinden sich die „Welt 3"-Theorien von Bolzano und Frege, aber auch manche Formen der semantischen Wahrheitstheorie, wie etwa Redundanz- und Prosentenztheorien. Obwohl ich den Begriff der Bedeutung für den wichtigsten der Sprachphilosophie überhaupt halte, möchte ich mich hier nicht dazu äußern. Es läßt sich vieles über Wahrmacher für bestimmte Aussagen sagen unabhängig davon, daß man sich zu einer ganz bestimmten Bedeutungstheorie bekennt. Zum Kern einer realistischen Wahrheitstheorie gehören die zwei Beziehungen des Wahrmachens bzw. des Falschmachens. Die Glieder dieser Beziehungen lassen sich funktionell charakterisieren als Wahrheitsträger einerseits und Wahrmacher andererseits. Genau genommen müßte man die Genera als Wahrheitewertträger bzw. Wahrheitswertmacher bezeichnen. Um uns weitere unnötige Häßlichkeiten zu ersparen, betrachte ich den Pol „wahr" der Dichotomic „wahr/falsch" als unmarkiert. Die Idee einer funktioneilen Charakterisierung reicht mindestens bis Husserl und Russell zurück. In diesem Aufsatz brauche ich die Natur der Wahrheitsträger nicht näher zu spezifizieren. Ich werde sie als Aussagen bezeichnen, ohne daß ich mich damit auf eine bestimmte Theorie festlege. In der langen Geschichte der realistischen Theorien, darunter in erster Linie Korrespondenztheorien, sind solche Theorien einer Reihe von Einwänden ausgesetzt. Davon sind wohl die hartnäckigsten die Vorwürfe der Redundanz und der Zirkularität. Für manche Formen der Korrespondenztheorie treffen solche Kritiken wohl zu; deswegen muß eine akzeptable realistische Theorie solchen Einwänden ausweichen. Man kann sie als Bedingungen auffassen, die eine akzeptable realistische Theorie zu erfüllen hat. bezieht sich in diesem Fall tatsächlich auf eine Mehrheit: siehe Mulligan/ Simons/Smith 1984.
202
Peter Simons 2
Allgemeine Bedingungen einer Theorie des Wahrmachens
2.1 Unterscheidungsprinzip: Es muß zwischen Wahrheitsträgern einerseits und Wahrmachern andererseits unterschieden werden. Normalerweise (es gibt vielleicht Ausnahmen) ist der Wahrmacher einer Wahrheit mit dieser selbst nicht identisch. (Mutatis mutandis für Falschheit - der Kürze halber werde ich nur den Fall der Wahrheit erwähnen.) 2.2 Prinzip des gemeinsamen Ergebnisses: Der Wahrheitswert eines Wahrheitsträgers hängt im allgemeinen sowohl von dessen Bedeutung als auch davon ab, was es in der Welt gibt, das als Wahrmacher in Betracht kommt. 2.3
Prinzip der strukturellen Unabhängigkeit:
Man kann nicht erwarten, daß Wahrheitsträger die gleiche logische sowie ontologische Struktur wie ihre entsprechenden Wahrmacher besitzen. 2.4
Prinzip des Wahrmacher-Realismus:
Im allgemeinen gehören Wahrmacher zur bewußtseins- und sprachunabhängigen Wirklichkeit. Es gibt sie, und es würde sie auch dann geben, wenn es keine bewußten Wesen und keine Sprache gäbe. Daraus folgt, falls man einen Wahrheitstrager-Realismus - wie ich - ablehnt, daß die Rolle des Wahrmachens nicht zum Wesen der Wahrmacher gehört, denn ohne Bewußtsein und ohne Sprache gäbe es keine Wahrheitsträger. Der Wahrmacher-Realismus kann jedoch nicht ausnahmslos gelten, weil es auch Wahrmacher gibt, die nicht bewußtseins- und sprachunabhängig existieren. Aber sie existieren in der Regel unabhängig von ihren jeweiligen Wahrheitsträgern. 2.5 Wahrmacher-Naturalismus: Eine besondere Form des Wahrmacher-Realismus liegt darin, daß man sämtliche Wahrmacher als Gegenstände der raum-zeitlichen Natur auffaßt. Demnach gibt es keine außernatürliche Wahrmacher, wie es etwa ein mathematischer Platonist behauptet. Ich neige zu einem solchen Naturalismus, werde ihn hier jedoch nur als stärkere Option erwähnen und nicht als Bedingung einer Wahrmachertheorie überhaupt ansehen.
Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen
203
2.6 Prinzip der semantischen Undurchsichtigkeit der Wahrmacher: Die wesentliche Natur der Wahrmacher liegt nicht in ihrer Wahrmacherrolle. Deswegen kann man von der Semantik, deren Aufgabe es ist, diese Rolle zu durchleuchten, nicht erwarten, daß sie das Wesen der verschiedenen Wahrmacher aufklärt. Wahrmacher sind semantisch opak. Die Klärung ihres Wesens fällt keiner Wissenschaft allein zu: Sie werden von verschiedenen Wissenschaften untersucht, aber nicht qua Wahrmacher. 2.7 Prinzip des Aposteriori: Daraus folgt, daß die Natur der Wahrmacher in der Regel nicht apriori erkennbar ist (Ausnahmen werden nicht ausgeschlossen).
S Theorien der Wahrmacher Grundsätzlich gehören alle Wahrmacher-Theorien zu zwei Sorten, je nachdem, ob sie die Wahrmacher einer eigenen ontologischen Kategorie zuordnen oder nicht. Theorien, wonach Wahrmacher eine eigene Kategorie ausmachen, sind unter Korrespondenztheorien des letzten Jahrhunderts die häufigsten, obwohl solche Theorien in der Antike und im Mittelalter schon vorkommen.2 Die Wahrmacher werden unterschiedlich benannt: Sachverhalt, Tatsache, Urteilsinhalt sind wohl die häufigsten deutschen Bezeichnungen. In letzter Zeit war auch zunehmend von Situationen die Rede. Ich werde den neutralsten Ausdruck Sachverhalt gebrauchen. Die Meinungen über die ontologische Natur solcher Sachverhalte sowie darüber, ob es für alle Aussagen, oder nur für wahre, oder sogar nur für einige wahre Aussagen entsprechende Sachverhalte gibt, gehen auseinander. Da man sich auf Sachverhalte beruft, um semantische Probleme zu lösen, kommt es bei Sachverhaltstheorien oft vor, daß sie eine oder mehrere der Bedingungen 2.3, 2.5, 2.6 (oben) nicht erfüllen. Gerade solche Theorien haben es schwer, dem Einwand zu entgehen, Wahrmacher seien ontologisch überflüssig und trügen nichts zur Klärung der Wahrheit bei. Der logische Atomismus von Russell und Wittgenstein entgeht manchen solcher Einwände. Es war aber weniger die Kritik an der Korrespondenztheorie als der Erfolg der semantischen Theorie, der zu einem Rückgang solcher Theorien in den letzten Jahrzehnten führte. Weitaus weniger beliebt sind Theorien, die auf eine eigene Kategorie 2
Vgl. vor allem Nuchelmans 1973 über Aristoteles' pragmata (§3.3) sowie über das complexe significabile von Wodeham, besonders bei Gregor von Rimini (§14).
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Peter Simons
von Wahrmachern verzichten und sich damit begnügen, Gegenstände aus anderen Kategorien als Wahrmacher einzusetzen. Gerade diese Alternative macht es aber möglich, den Einwänden auszuweichen, die vorher angeführt wurden. Dem Ockhamschen Prinzip nach ist eine solche Theorie ceteris paribus einer Sachverhaltstheorie vorzuziehen. Falls man die Gegenstände, die als Wahrmacher fungieren, ohnehin in seine Ontologie aufnimmt, und falls man meint, eine semantische Theorie der Wahrheit genüge nicht, ist eine solche „schlanke" Wahrmachertheorie durchaus erwägenswert. Ein Ansatz in diese Richtung ist der gemeinsam von Kevin Mulligan, Barry Smith und mir verfaßte Artikel Wahrmacher. Aber in diesem Artikel beschränkten wir unsere Aufmerksamkeit auf logisch einfache Sätze über materielle Gegenstände. Dafür gab es zwei Gründe: erstens, solche Fälle sind sowohl in manchen Hinsichten grundlegend als auch verhältnismäßig einfach; zweitens, wir sind der Auffassung, daß (gemäß 2.8) die Wahrmacher für unterschiedliche Aussagentypen fallwebe untersucht werden können. Es ist nicht von vornherein klar, daß man zu einer uniformen Theorie von Wahrmachern für alle Aussagentypen kommen muß. Daraus entsteht die wissenschaftliche Aufgabe, unsere Theorie auf weitere Aussagentypen auszuweiten. Ein besonders wichtiger Typ bilden Aussagen, die sogenannte prepositional« Einstellungen beschreiben.
4
Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen: Möglichkeiten
Sätze, die propositionale Einstellungen von Einzelpersonen zum Gegenstand haben, nehmen verschiedene Formen an. Ich werde den einfachsten Fall betrachten, nämlich singuläre Sätze der Form
(1)
S v-t, daß p,
wobei 5 einen singulären Term für eine Person, v-t das tempus praesens eines Einstellungsverbs und p einen Satz darstellt. Erst wenn man Wahrmacher für Aussagen angeben kann, die mit solchen Sätzen gemacht werden, lassen sich weitere Fälle behandeln. Man soll nicht erwarten, daß es eine einzige uniforme Theorie für sämtliche solcher Aussagen geben wird. Sie haben unterschiedliche logische Eigenschaften je nachdem, was für ein Verb für v eintritt; sie unterscheiden sich eventuell auch deswegen, weil die Sätze, die den Platz von p einnehmen,
Wahrmacher fur Aussagen über propositionale Einstellungen
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ebenfalls sehr verschieden sein können. Selbst beim gleichen Satz können unter Umständen Aussagen unterschiedlichen Charakters gemacht werden, etwa einmal de re, einmal de dicto. Veridikale oder faktive Verben sind solche, bei denen im Regelfall folgende Implikation gilt: (2)
S v-t, daß p
-»
p.
Beispiel: wissen. Aussagen, die durch solche Sätze ausgedrückt werden, haben mindestens zwei Wahrmacher: erstens, den bzw. die Wahrmacher des Nebensatzes; zweitens, den bzw. die Wahrmacher eines weiteren Einstellungssatzes mit gleichem grammatischem Subjekt und Nebensatz (3)
S w-t, daß p,
wobei w den veridikalen Charakter von v nicht besitzt. Falsidikale oder kontrafaktive Verben sind solche, die im Gegensatz zu veridikalen die Falschheit des Nebensatzes imph'zieren: (4)
S v-t, daß p
->
-p.
Beispiel: wähnen. In solchen Fällen gibt es auch mindestens zwei Wahrmacher, wie im Fall (2). Über die Hyperintensionalität von vielen Aussagen über propositionale Einstellungen braucht man hier nicht lange zu reden. Es wird allgemein, wenn auch mit Ausnahmen akzeptiert, daß die Schlußformen (5)
S v-t, daß p p ist mit q logisch äquivalent S v-t, daß q
(6)
S v-t, daß F(a) Notwendigerweise: a = b S v-t, daßF(b)
sowie
nicht allgemein gelten. Darin liegt ein Teil des Reizes solcher Aussagen. Solche Eigenschaften haben Frege dazu veranlaßt - wie Barwise und Perry im Anschluß an Davidson sagen -, seine semantische Unschuld zu
206
Peter Simons
verlieren. Er führte den Begriff des Sinns eines Ausdrucks ein. Den Sinn eines Aussagesatzes nannte er einen Gedanken. Wir nennen ihn eine Proposition. Wenn etwa gesagt wird, (7)
Mikhail glaubt, daß Ronald ein Genie ist,
dann bedeutet der Nebensatz nicht, wie üblich, einen Wahrheitswert, sondern er bedeutet dessen üblichen Sinn, nämlich die Proposition, daß Ronald ein Genie ist. Auf diese Theorie paßt der Terminus propositionale Einstellung am genauesten: Ein Glauben ist demnach eine Einstellung einer Person zu einer Proposition, glaubt drückt eine zweistellige Beziehung aus. (Hier wie sonst lasse ich den Zeitfaktor außer acht.) Obwohl es Freges Ansichten nicht entspricht - er war Gegner von Korrespondenztheorien - könnte man eine solche Beziehung als Wahrmacher ansehen. Damit wird klar, daß hier unter Beziehung nicht die abstrakte, universale Relation des Glaubens gemeint wird, sondern dieses konkrete, einzelne Glauben, ein Exemplar des Universals. Freges Theorie hat ihre Vorteile; trotz aller Einwände bleibt sie eine klassische Alternative, die nicht zu unterschätzen ist. Die Einwände - abgesehen von dem etwas gefühlsbeladenen Vorwurf des semantischen Sündenfalls sind vorwiegend zwei: iterierte Einstellungssätze lassen die Sinnbevölkerung explodieren, und es lassen sich de re-Lesarten nicht erklären. Zum ersten: in einem Satz wie (8)
Mikhail meint, daß George zweifelt, ob er [Mikhail] glaubt, daß Ronald ein Genie ist
tritt als Bedeutung des Satzes Ronald ist ein Genie weder sein Wahrheitswert noch sein üblicher Sinn auf, sondern ein Sinn, dessen Bedeutung ein Sinn ist, dessen Bedeutung der übliche Sinn ist. Und es kann beliebig weiter gehen. Demnach ist die Anzahl der Propositionen, die ein Satz je nach Kontext als seinen Sinn haben kann, unendlich. Dieser Punkt ist gewiß unerfreulich. Es entsteht zwar kein bösartiger Regreß, aber die Einfachheit und Natürlichkeit der Theorie leidet darunter. Bekanntlich sind de re-Einstellungsaussagen für Fregesche Theorien ein Problem. Ein Satz mit Anapher, wie (9)
Mikhail meint, daß Ronald ein Genie ist, aber er ist es nicht
Wahrmacher für Aussagen über propositionale Einstellungen
207
läßt sich schwer, wenn überhaupt, durch die Fregesche Theorie analysieren. Man sollte daraus den Schluß ziehen, daß die Fregesche Lösung nicht für alle Fälle taugt, nicht unbedingt aber, daß sie niemals am Platze ist. Die Kombination dieser beiden Einwände mit dem oft geächteten aber meines Erachtens starken Einwand Russells aus On Denoting - nämlich, daß die Beziehung zwischen Sinn und Bedeutung völlig dunkel bleibt (Russell 1905:487=1971:14) - läßt es indes wünschenswert erscheinen, nach anderen Wahrmachern zu suchen. Es ist nota bene die allgemeine semantische Tauglichkeit der Theorie, die in Frage steht, woraufhin die Suche nach Wahrmachern, die aus dieser Theorie erwachsen, eingestellt wird. Hier sieht man, daß die Semantik, obwohl sie allein die Natur von Wahrmachern nicht bestimmen kann, gewisse Möglichkeiten auszuschließen vermag. Russells eigener Vorschlag war es, daß die Wahrmacher von Einstellungssätzen Tatsachen sind, die sogenannte multiple Beziehungen enthalten (Russell 1910:155-56=1971:108-09). Demnach wäre der Wahrmacher des Satzes (7) das Bestehen einer dreistelligen Beziehung, die Mikhail, Ronald und das Universal des Genieseins als Terme hat. Russells Theorie hat zwei große Haken. Zum einen gibt sie die Kompositionalität preis, die Frege als Bedingung einer Semantik einführte. Zweitens kann man die Unmöglichkeit, syntaktischen Nonsens zu glauben, durch diese Theorie nicht ausschließen. Die gleiche Beziehung, nennen wir sie C?3, die im Falle (7) besteht: (10)
GS (Mikhail, Ronald, Geniesein)
könnte prinzipiell auch drei andere Gegenstände verknüpfen: (11)
Ga (die Zahl 2, nördlich-sein-von, der Papst),
welche keinem grammatischen Satz entspräche. Demnach kann man grammatischen (nicht nur semantischen!) Unsinn zum Glaubensinhalt haben, was aber nicht vorkommen können sollte. Der Einwand stammt von Wittgenstein, und hat Russell 1913 zur Preisgabe seiner Theorie gezwungen. Die in letzten Jahren - wohl mangels Alternativen - populärste Lösung ist die der mögliche-Welten-Semantik. Demnach besteht ein Glauben darin, daß der Glaubende in einer Beziehung - nennen wir sie die des doxastischen Bestimmens - zu bestimmten möglichen Welten steht, nämlich zu denjenigen, in denen die Aussage wahr ist. Ohne daß ich viel zu den allgemeinen metaphysischen Problemen der möglichen aber nicht wirklichen Gegenstände sagen muß, ist klar, daß diese Theorie nicht mit den Forderungen 2.4, 2.5 und 2.6 in Einklang zu bringen ist. Die Beziehung, die zwischen
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einem Glaubenden und den doxastisch günstigen Welten besteht, ist wohl außer- und transweltlich, daher weder Teil der Wirklichkeit noch auf empirischem Wege erkennbar. Das sind natürlich nicht schlagende Argumente, aber falls es eine metaphysisch kostengünstigere und erkenntnistheoretisch glaubwürdigere Alternative gibt, sollte man sie ceteris paribus vorziehen. Ich werde eine andere Theorie vorschlagen in der Hoffnung, daß sie zu einer tragfähigen Alternative ausgebaut werden kann.
5
Ein naiver Vorschlag
Betrachten wir reine Einstellungen, das sind Einstellungen derart, daß keine der beiden Implikationen der Form (2) und (4) gilt. Als Beispiel können wir wieder den Satz (7) nehmen. Dieser Satz behandelt einen Glauben einer bestimmten Person. Diese Person ist der Träger oder das Subjekt der Einstellung. Eine gewisse Einstellung zu haben ist ein wirklicher Zustand des Trägers, macht an ihm etwas aus. Im Gegensatz dazu könnte man einen Satz nehmen wie (12)
Ronald ist populär,
der zwar Ronald als Subjektgegenstand hat, aber keinen Zustand von ihm beschreibt. Ob Ronald populär ist oder nicht, macht an ihm selber keinen Unterschied. Wie man auch gelegentlich von „Cambridge-Änderungen" spricht, so könnte man hier von einem Cambridge-Zustand sprechen. Eine Einstellung zu haben ist eben kein Cambridge-Zustand. Man beachte, daß der Träger sich nicht unbedingt seiner Einstellung bewußt sein muß. Der Unterschied zwischen bewußten und unbewußten Einstellungen ist für die Theorie der Wahrmacher ohne Belang. Unbewußte Einstellungen müssen genauso Wahrmacher haben; der Unterschied liegt in der Zugänglichkeit durch den Träger. Mein naiver Vorschlag ist, daß wir den Wahrmacher für Satz (7) in Mikhail selbst suchen sollen. Der Satz wäre durch einen Zustand des zentralen Nervensystems von Mikhail wahr gemacht. Daß wir die Einzelheiten eines solchen Zustande (derzeit) nicht kennen, ist kein Argument dagegen. Diese Tatsache entspricht vielmehr dem Prinzip 2.5. Im Normalfall, d.h. dann, wenn einem (meistens Mikhail selbst) klar ist, daß Mikhail dies glaubt, wissen wir zumindest schon einiges von diesem Zustand, nämlich, was der Glauben für einen Inhalt hat. Wir können auf normalem Wege (ohne spezielle
Wahrmacher für Aussagen über propositlonale Einstellungen
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Kenntnisse oder Geräte) auch mehr wissen, z.B. wann der Glauben entstanden ist, wie fest geglaubt wird, usw. Insofern überhaupt jemand von der Existenz dieser Einstellung informiert ist, besitzt man einige (nicht sehr umfangreiche) Erkenntnisse darüber. Falls der Satz (7) falsch ist, findet sich ein solcher Zustand in Mikhail nicht. Ob wir sagen wollen, daß ein anderer Zustand einen solchen ausschließt, oder aber, daß ein solcher Zustand einfach fehlt, liegt an der Theorie der negativen Tatsachen, die wir mit der Wahrmachertheorie im allgemeinen verknüpfen wollen. Diese möchte ich hier als allgemeines Problem offenlassen. Man muß die Möglichkeit widersprüchlicher Glaubensinhalte zulassen: Der physiologische Zustand, der wahr macht, daß Mikhail glaubt, Ronald sei ein Genie, soll nicht ausschließen, daß er auch glaubt, Ronald sei kein Genie. Man muß natürlich zwischen Unverträglichkeit der Zustände und Unverträglichkeit der Inhalte unterscheiden.
Dagegen und Dafür Gegen den hier gemachten Vorschlag scheinen zunächst alle diejenigen Gründe zu sprechen, die gegen mentalistische Bedeutungstheorien im allgemeinen vorgebracht werden. Das sind vor allem die mangelnde Repräsentation des Inhalts des eingebetteten Satzes - etwas, das gar nichts psychologisches zu sein braucht. Damit scheint es auch keine zufriedenstellende Erklärung der Intentionalität des Psychischen zu geben, da die Beschreibung der Einstellung als Gehirnzustand im Fall von Beispiel (7) bestenfalls eine bloß kontingente, schlimmstenfalls gar keine Beziehung zu Reagan herstellt. Dagegen sprechen weiterhin sowohl Standardargumente gegen subjektivistische Bedeutungstheorien als auch Putnamsche Überlegungen, wonach Bedeutung „nichts im Kopf sei. Es gibt, zweitens, einen Gedankengang Wittgensteinscher Prägung, nach welchem wir keinen direkten Zugang zu diesen Gehirnzuständen haben, und sie selbst dann nicht als Wahrmacher der entsprechenden Sätze anerkennen würden, wenn sie uns bloßgelegt werden sollten. Wir verstehen den Satz (7) sehr wohl, ohne daß wir die geringste Ahnung von Mikhails Gehirnzustand zu haben brauchen; wir müssen ihn sogar ohne solchen Zugang verstehen können. Die Gehirnzustände sind für unsere Verifikation bzw. Falsifikation eines Satzes wie (7) völlig irrelevant. Beide Einwände gehen deswegen an der Sache vorbei, weil eine Theorie der Wahrmacher keineswegs den Anspruch erhebt, eine Theorie von Bedeu-
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Peter Simons
tung, Sinn oder Interpretation zu sein. Daß Bedeutung nichts im Kopf sei, heißt nicht, daß Wahrmacher nicht im Kopf sein können. Manche sind es schon: John hat eine Gehirnblutung hat einen Wahnnacher, der im Kopf ist: Deswegen wird John dort geröntgt und operiert. Daß der Wahrmacher eines Satzes nicht in der Analyse seines Sinns und seiner Bedeutung erwähnt werden muß, kann man sich aus mehreren Perspektiven klarmachen. Die meisten Sätze brauchen nicht wahr zu sein, und viele Sätze können von mehreren möglichen Wahrmachern wahr gemacht werden. Kaum ein Satz beschreibt einen Teil der Welt mit solcher Genauigkeit, daß er nicht auch dann wahrgemacht werden könnte, wenn qualitativ andere Zustände herrschten. Daß Hans gerade diesen Apfel ißt, wird durch seine jetzige Handlung wahr gemacht: Wäre das Apfelessen seiner Art nach anders, so würde nicht gerade diese, sondern eine andere Handlung ausgeführt werden. Für Handlungen gilt nämlich eine gewisse modale Starrheit, die es für Kontinuanten wie Hans und Mikhail nicht gibt.3 Selbst Tautologien können unterschiedliche Wahrmacher haben. Der Satz (13)
Dieses Buch hat einen roten Umschlag oder es hat keinen roten Umschlag
wird auf jeden Fall durch das Farbmoment des Buchumschlags wahr gemacht: Falls es ein rotes Moment ist, macht es das erste Disjunkt und somit den ganzen Satz wahr, falls es etwa grün ist, macht es das zweite Disjunkt und somit wiederum den ganzen Satz wahr. Was hier nochmals betont wird, ist die verhältnismäßige Unzulänglichkeit der Wahrmacher für die Semantik. Eine realistische Semantik (einschliesslich Wahrheitstheorie) braucht sie, aber sie braucht nicht übermäßig viel über sie zu wissen. Es gibt sehr wohl viele Fälle, wo man über die Wahrmacher von Sätzen eine Menge wissen möchte, beispielsweise über das, was den Satz (14)
Am 28. Jänner 1986 explodierte die Raumfähre Challenger
wahr gemacht hat, nämlich die Explosion der Challenger. Im Falle der Einstellungen interessiert man sich weniger für die Natur der Wahrmacher selbst, es sei denn, man ist Gehirnforscher. Die Untersuchung der Wahrmacher von Sätzen ist meistens kein Auftrag für Semantiker, sondern für 'Vergleiche Simons 1987:§7.5.
Wahrm&eher für Aussagen über propositionale Einstellungen
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andere Wissenschaftler, die sie unabhängig von ihrer Rolle als Wahrmacher untersuchen. Angenommen also, der Satz (7) wäre durch einen jetzigen Gehirnzustand von Mikhail wahr gemacht. Das beantwortet indessen viele dringende Fragen nicht. Darunter sind die Fragen: (AI) (A2)
Was macht diesen Zustand zu einem Zustand des Glaubens? Was macht ihn zu einem Glauben, daß Ronald ein Ge• · nie sei:
Ich skizziere die Richtung, in die Antworten meines Erachtens gehen sollten. (AI) Ich würde hier im Grunde Frank Ramseys Theorie zustimmen (1927:163=1980:49), nach welcher der Zustand Basis einer komplexen Disposition ist, die sich im beobachtbaren Verhalten äußern könnte, welches Beobachtern Anlaß zu einer richtigen Meinung über Mikhails Glauben bezüglich Ronald geben könnte. Diese Disposition äußert sich nicht nur, sie „innert" sich, indem sie introspektiv beobachtbare Vorgänge zum Ausdruck hat, wie z.B. das Ziehen gewisser Schlußfolgerungen in Mikhails Episoden des stillen Nachdenkens. Man muß hier klar zwischen Wahrmachen und Verifizieren unterscheiden. Etwas kann einen Satz wahrmachen. Das ist eine semantische Tatsache. Das Verifizieren eines Satzes ist eine menschliche Tätigkeit, die darin besteht, daß man sich nach bewährten Methoden von der Wahrheit des Satzes überzeugt, was zuweilen ohne Kenntnisse des Wahrmachers verlaufen kann. Es gibt wahre (daher wahrgemachte) Sätze, die nicht verifiziert werden, es gibt auch falsche Sätze, die verifiziert werden. (A2) Die Frage, was Mikhails Gehirnzustand seinen Glaubensinhalt verleiht, ist meines Erachtens sehr schwierig und gar nicht von einem Einzelwissenschaftler oder gar einer Einzelwissenschaft zu bewältigen. Hier muß man die Verflechtung des Gehirnzustands mit der restlichen Welt um Mikhail herum untersuchen, wie dies Barwise und Perry in dem als Motto verwendetenen Zitat andeuten. Auch hier ist die naive Theorie am wahrscheinlichsten ergänzungsbedürftig, da die Beziehungen zu anderen Gegenständen, mitunter vielleicht sogar diese Gegenstände selbst, eventuell zu den Wahrmachern von Einstellungssätzen gerechnet werden müssen. Mikhails Glauben, daß Ronald ein Genie ist, hängt als individuelles Moment sicherlich mit dem kausalen Erwerb dieses Zustande zusammen, was auch eine direkte oder indirekte kausale Verbindung zwischen Ronald und Mikhail involviert; aber abgesehen von der Tatsache, daß man in manchen Fällen gar keine kausale Verbindung zu einem im Satz erwähnten Gegen-
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Peter Simons
stand haben kann (etwa weil er ein abstrakter Gegenstand oder ein bloß künftiger Gegenstand ist), sagt dies nicht viel aus. Es gibt eine wahrscheinlich unbegrenzte Vielfalt an Arten und Weisen, wie man zu einem bestimmten Glauben kommen kann. Russells bekannte Unterscheidung zwischen knowledge by acquaintance und knowledge by description ist sicherlich zu einfach und bedarf der Erweiterung, aber die Idee, daß man die Vielfalt klassifikatorisch in den Griff bekommen kann, ist nicht überholt. Das hilft uns indes nicht, den bestimmten Zustand zu charakterisieren, da es von den Einzelheiten des bestimmten Falls abhängt, welche Art hier vorliegt: Ob Mikhail Ronalds rednerische Brillanz Angesicht zu Angesicht erlebt hat, ob er sein darstellerisches Können aus alten Streifen entnehmen konnte, ob man ihm schnelles Denken im Kreml nachgesagt hat, ob Mikhail nach einem zu großen Staatsbankett geträumt hat, ob er von einem CIA-Geheimagenten hypnotisiert worden ist, usw. , darüber sagt die Semantik nichts und soll auch nichts sagen. Es muß bei der empirisch gegebenen Vielfalt bleiben. Ich würde keineswegs behaupten, daß alle Einstellungssätze allein durch psychische Ereignisse und Zustände wahr gemacht werden. Die veridikalen und falsidikalen Einstellungen bedürfen mindestens zweier Wahrmacher: der, der die reine Einstellung zugrunde legt, sowie der, der den eingebetteten Satz (der den Inhalt der Einstellung wiedergibt) wahr bzw. falsch macht. Es gibt außerdem manche Einstellungssätze, wie eben die der visuellen Berichte, die von Barwise und Perry betont werden, die nach einer Beziehung verlangen zwischen einerseits der Einstellung als physiologischem Zustand und andererseits der äußeren Ursache, dem Gesehenen, das diese Einstellung bewirkt. Da diese Beziehung als individuelles Moment selbst die Existenz seiner zwei Glieder nach sich zieht (es handelt sich hier um die Beziehung als Einzelnes, nicht als Universal), könnte man die Beziehung als Wahrmacher auffassen. Der Satz (15)
Joseph sieht, daß Maria mit Martha spricht
wäre demnach durch die kausale Beziehung B (unten) wahr gemacht: Josephs psychische Episode des Sehens, daß Maria mit Martha spricht
Disposition Veridikalität der Wahrnehmung 213 Verifikation 209 verifizieren 211 veridisch —* Einstellungausdruck Verursachung 227 vivid —> Name, lebhafter/plastischer Vorurteil 2 Wahrheit 35, 235 -> Begriff Disposition Einzel~ 224, 237
249 Gegenstands^ 233 Wahrnehmungsverb —» Verb, perzeptives Welt, mögliche 54, 58-59, 99-100, 105, 207, 207, 214, ~-Semantik rightarrows Semantik Welthimmel 108 Wert , semantischer 99, 106, 115, 120 widersprüchlich 209 wie 32, 37-39 Wirklichkeit 202, 208, 213, 214, 231 Wissen, gemeinsames 193 Wortbedeutung —> Bedeutung Zugänglichkeitsrelation 100, 109 Zustand 208-09, 211-14 Cambridge-^ 208 Zwickmühle 240
99,
Personenregister Almog, J. 164, 170 Anderson, J.R. 10, 14, 24 Bahr, D. 190, 191, 195 Bartsch, R. 157, 170 Barwise, J. 33, 44, 97-121, 165, 170, 200, 205, 211, 212, 214-15, 216 Bech, G. 31, 32, 44, 132, 151, 170 Berkeley, G. 221, 240 Bieri, P. 2, 6 Bierwisch, M. 39, 44 Blau, U. 178, 195 Boer, S.E. 43, 44, 180, 193-94, 195 Bolzano, B. 201 Bower, G.H. 14, 24 Bürge, T. 20, 224, 74, 78, 93 Castaneda, H.-N. 16, 24, 34, 44 Carnap, R. 54, 93 Chisholm, R.M. l, 6 Chomsky, N. 38, 44, 149, 170, 179, 195 Clarke, T. 39, 44 Clement, D. 30, 34, 44 Cooper, R. 165, 170 Cresswell, M.J. 13, 18, 24, 82-92, 93, 98, 99, 108-09, 114, 119-20, 212, 185, 186-90, 195 Davidson, D. 13, 24, 189-91, 195, 205 Deutschbein, M. 38, 44 Devitt, M. 185, 192, 195 Doherty, M. 2, 6 Donnellan, K.S. 164, 170 Dowty, D.R. 129, 149, 152, 170
Ebert, R.P. 144, 170 Etchemendy, J. 103, 106, 121 Evans, G. 166, 170 Evers, A. 144, 170 Field, H. 14, 24 Fleming, D. 2, 6 Fodor, J.A. 14, 16, 17, 21, 24 Frege, G. 2, 53-56, 58, 76, 93, 149, 164, 187, 188, 201, 20507, 215, 221-23, 233, 23738, 240 Geach, P.T. 165, 170 Gee, J.P. 34, 37, 44 Goldman, A.I. 2, 6 Gorbatschow, M. 200-212 Grice, H.P. 193, 195 Gross, M. 34 Harbert, W. 39, 44 Hendrix, G.C. 17, 20, 25 Hintikka, J. l, 2, 6, 12, 43, 65, 72, 93, 99, 110, 121, 192, 195 Höhle, T.N. 144-45, 154, 170 Hornstein, N. 185, 186, 195, 196 Husserl, E. 201, 221-26, 231-38, 246 Hyvärinen, I. 32, 44 Ineichen, H. 179, 195 Jackson, F. 43, 45 Jahoda, M. 2, 6 Johnson, W.E. 2, 6 Johnson-Laird, P.N. 17, 18, 25, 29, 45
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Kaplan, D. 67-68, 70-76, 79-82, 83, 88-90, 93, 112, 121, 164, 171, 192 Karttunen, L. 129 Kirsner, R.S. 38, 45 Klein, E. 129, 171, 193, 195 Kripke, S. 2, 50, 100, 102, 121, 180, 185, 196 Lenzen, W. 180, 196 Lewis, D. 50, 88-89, 93 Loar, B. 76-80, 89, 93 Lycan, W.G. 43, 44, 180, 193-94, 193-94, 195 McKay, T. 34, 45 Mill, J.S. 223, 240 Miller, G.A. 29, 45 Montague, R. 53-65, 67, 72, 7576, 82-83, 85, 87, 93, 128, 150-51, 171 Moore, R.C. 17, 20, 25 Mourelatos, A.P.D. 38, 45 Mudersbach, R. 183, 196 Mulligan, K. 201, 216 Nuchelmans, G. 203, 216 Olsen, S. 144, 150-52, 171 Partee, B.H. 69, 93 Perry, J. 16, 25, 97-121, 200, 205, 211, 212, 214-15, 216, Platon 224-26, 229, 231, 236-38, 240 Postal, P.M. 144, 171 Putnam, H. 2, 209 Quine, W.V.O. 50, 56, 61-73, 7577, 80-83, 90, 94, 176, 181-84, 190, 196, 222, 223, 227-32, 238-39, 240
PERSONENREGISTER Ramsey, F.P. 211, 216 Reagan, R. 200-212 Rosenbaum, P.S. 144, 171 Russell, B. l, 2, 6, 53, 56-58, 61, 94, 164, 201, 203, 207, 212, 215
Sag, I. 129, 171 Schepping, M.-T. 32, 45 Searle, J.R. 191-94, 196 Seppänen, A. 161, 171 Severens, R. 42, 45 Shieber, S.M. 145, 171 Simon, H.A. 14, 25 Smith, B. 201, 216 Soames, S. 120, 121 Sober, E. 14, 25 Spiegelberg, H. 10, 25 Stalnaker, R. 60, 96 Stechow, A.v. 82-92, 94 Stich, S.P. 20, 25, 176, 183-86, 190, 193-94, 196 Tarski, A. 21, 25, 35, 45 Thiersch, C.L. 144, 172 Thomason, R.H. 34, 45 Thompson, S.A. 38, 45 Vater, H. 32, 45 Vendler, Z. 38, 45 Viberg, Ä. 41, 45 Warren, N. 2, 6 Wiggins, D. 155-56, 172 Wilkinson, R. 168, 172 Wittgenstein, L. 2, 203, 207, 209, 238 Woodfield, A. 2, 7 Wright, G.H.v. 2, 7 Wunderlich, D. 39, 45 Ziff, P. 39, 46