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German Pages 217 [220] Year 2013
Elke Brendel Wissen
Grundthemen Philosophie
Herausgegeben von Dieter Birnbacher Pirmin Stekeler-Weithofer Holm Tetens
Elke Brendel
Wissen
ISBN 978-3-11-022012-4 e-ISBN 978-3-11-022013-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / Boston Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Fragen nach der Natur, dem Wert, den Quellen sowie den Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Wissens stehen bereits seit der Antike im Zentrum erkenntnisphilosophischer Untersuchungen. Das vorliegende Buch widmet sich diesen Fragen vorwiegend aus der Perspektive der modernen analytischen Erkenntnistheorie und gibt einen problemorientierten, systematischen Einblick in aktuelle erkenntnistheoretische Debatten und Positionen. So werden etwa Fragen nach der Begriffsanalyse von Wissen und dem Verhältnis von Wissen und Zufall behandelt. Es werden moderne Lösungsansätze zum Wissensskeptizismus vorgestellt sowie kontextualistische und relativistische Wissensansätze kritisch analysiert. Ebenso wird die erkenntnistheoretische Diskussion über den Wert des Wissens erörtert, neueste empirische Untersuchungen zu epistemischen Intuitionen im Rahmen der „experimentellen Philosophie“ werden vorgestellt und deren Relevanz für die philosophische Erkenntnistheorie untersucht. Ein weiteres Ziel dieses Buches besteht darin, eine eigene Position in Form einer bestimmten externalistischen und antikontextualistischen Wissenstheorie der epistemischen Methodensicherheit zu entwickeln und zu verteidigen. Die Arbeiten zu diesem Buch wurden gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes als Fellow am Lichtenberg-Kolleg der Georg-August-Universität Göttingen vom Oktober 2011 bis Juli 2012. Ich möchte der DFG und dem Lichtenberg-Kolleg für ihre Unterstützung sehr herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt auch Frau Barbara Dienst für das sorgfältige Korrekturlesen des Buchmanuskripts. Göttingen, im Mai 2012
E. B.
Inhalt 1 Einleitung 1 2 Begriffsanalyse von Wissen 7 2.1 Die traditionelle Wesensdefinition von Wissen 7 2.2 Definition, Familienähnlichkeit und Explikation 9 2.3 Formen des Wissens 14 2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus 17 2.5 Zusammenfassung 24 3 Die klassische Wissenskonzeption und das Gettier-Problem 27 3.1 Platons Konzeption von Wissen 27 3.2 Die klassische Analyse propositionalen Wissens 28 3.3 Gettiers Einwände gegen die klassische Wissensanalyse 36 3.4 Lösungsansätze zum Gettier-Problem 40 3.5 Begriffsanalyse und das Gettier-Problem 49 3.6 Zusammenfassung 50 4 Wissen und Zufall 53 4.1 Evidentieller vs. veridischer Zufall 53 4.2 Das Prinzip der epistemischen Sicherheit 56 4.3 Tugenderkenntnistheorien 69 4.4 Epistemische Sicherheit und intellektuelle Tugenden 74 4.5 Zusammenfassung 77 5 Wissen und Skepsis 81 5.1 Universeller Wissensskeptizismus 81 5.2 Lösungsansätze zum Wissensskeptizismus 85 5.3 Skepsis und „epistemische Angst“ 104 5.4 Zusammenfassung 107 6 Wissen und Kontext 111 6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen 111 6.2 Relativistische Semantiken für Wissensaussagen 124 6.3 Subjektsensitiver Invariantismus 129 6.4 Zur Pragmatik von Wissensaussagen 133 6.5 Zusammenfassung 137
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Inhalt
7 Wissen und Werte 141 7.1 Die erkenntnistheoretische Wertediskussion 141 7.2 Das epistemische Werteproblem 143 7.3 Der finale Wert des Wissens 150 7.4 Zusammenfassung 161 8 Wissen und epistemische Intuitionen 165 8.1 Intuitionen in der Philosophie 165 8.2 Epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen 165 8.3 Epistemische Intuitionen in der experimentellen Philosophie 167 8.4 Zusammenfassung 177 9 Fazit und Ausblick 179 Anmerkungen 183 Literatur 195 Sachregister 203 Namenregister 207
1 Einleitung Wissen spielt in allen Bereichen unseres Lebens eine wichtige Rolle und ist der zentrale Untersuchungsgegenstand der philosophischen Erkenntnistheorie von der Antike bis heute. Wir wissen bereits von Kindheit an eine ganze Menge: Wir wissen, wie wir heißen. Wir wissen, wann wir geboren wurden. Wir wissen, wo der nächste Supermarkt ist. Wir wissen, warum wir nicht zu viele Süßigkeiten essen sollen. Wir wissen, wer uns nicht leiden kann. Wir wissen, wie man den Fernseher einschaltet. Wir wissen, dass 2 und 2 gleich vier ist. Wir wissen, dass Hunde Tiere sind. Und wir wissen, dass der Griff auf eine heiße Herdplatte schmerzt. Wir erlangen diese unterschiedlichen Arten des Wissens offenbar auf recht einfache und unmittelbare Weise, wie z. B. durch Wahrnehmung, Beobachtung, Erfahrung und Lernen. Die Gewinnung manch anderen Wissens, wie etwa des Wissens über die Unvollständigkeit der Peano-Arithmetik, über den strukturellen Aufbau der DNA oder über die Beschaffenheit der Marsoberfläche, kann jedoch kognitiv sehr anspruchsvoll, forschungsaufwendig und kostspielig sein. Wissen ist ein Erfolgsbegriff. Wissen dient als wichtige Entscheidungsgrundlage und hilft bei der Durchsetzung unserer Interessen und der Erfüllung unserer Wünsche. Wissen befriedigt aber auch das menschliche Bedürfnis der intellektuellen Neugier. „Alle Menschen streben von Natur nach Wissen“, stellt bereits Aristoteles zu Beginn seiner Metaphysik fest.1 Wir schätzen Wissen im Unterschied zum Nichtwissen und zur Ignoranz. Nichts zu wissen oder nichts wissen zu wollen, kann sogar als moralisch verwerflich verurteilt werden. „Deutsche einer bestimmten Generation“, so beklagt etwa Elizabeth Costello, die Protagonistin in J. M. Coetzees Roman Das Leben der Tiere, hätten nicht etwa deshalb ihr „Menschsein verloren“, weil sie einen Expansionskrieg geführt und verloren hätten, sondern „weil sie von bestimmten Dingen nichts wissen wollten“2. Sich auf philosophische Weise mit Wissen zu beschäftigen, bedeutet, über das Phänomen des menschlichen Wissens in systematischer und grundlegender Weise nachzudenken. Zu den traditionellen Fragen der philosophischen Erkenntnistheorie zählen insbesondere die folgenden Fragen: (1) (2) (3) (4)
Was ist Wissen? Ist Wissen überhaupt möglich? Was ist der Wert des Wissens? Wie gelangen wir zu Wissen?
(1) ist die metaphysische Frage nach der Natur und dem Wesen von Wissen. (2) betrifft die skeptische Frage nach den prinzipiellen Möglichkeiten und den
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Grenzen von Wissen. In (3) wird die axiologische Frage gestellt, ob und warum Wissen für uns Menschen wertvoll ist, und (4) formuliert die epistemologische Frage nach den Quellen von Wissen und den Wegen der Erkenntnisgewinnung.3 Die Frage „Was ist Wissen?“ ist die erkenntnistheoretisch grundlegende Frage. Im zweiten Kapitel sollen daher zunächst einige methodologische Vorüberlegungen darüber angestellt werden, wie man diese Frage nach der Natur von Wissen verstehen und beantworten kann. Es wird sich zeigen, dass eine Wesensdefinition von Wissen, wie sie etwa Platon beabsichtigte und in der der Wissensbegriff auf seine essentiellen Merkmale reduziert werden soll, zum Scheitern verurteilt ist. Es wird vielmehr dafür argumentiert, dass es sinnvoller und vielversprechender ist, eine Explikation von Wissen anzustreben, die zwar unserer intuitiven Verwendung des Wissensbegriffs möglichst gerecht wird, zugleich aber auch einigen erkenntnistheoretischen Anforderungen genügen muss. So sollte die intendierte Explikation in der Lage sein, notorische Probleme und Paradoxien des Wissens zu lösen. Insbesondere sollte sie dem radikalen Wissensskeptizismus Paroli bieten können. Doch worin genau besteht eigentlich das Explikandum dieser Wissensexplikation? Ein Blick auf die eingangs erwähnten Beispiele zeigt bereits, dass der Wissensbegriff in sprachlich verschiedenen Varianten benutzt wird. „Wissen“ kann zum einen substantivisch („das Wissen“) verwendet werden. Zum anderen drückt „wissen“ aber auch eine Relation zwischen einem Wissenssubjekt und einem Objekt des Wissens aus und wird als Verb verwendet, wie in „Peter weiß, wo der nächste Supermarkt ist“ oder „Maria weiß, warum Peter gestern nicht nach Hause kam“. In den Wissen-dass-Formulierungen – wie in „wissen, dass 2 und 2 gleich 4 ist“, „wissen, dass Hunde Tiere sind“ oder in „wissen, dass der Griff auf eine heiße Herdplatte schmerzt“ – wird das Objekt des Wissens in Form einer Aussage formuliert, die einen bestimmten Sachverhalt, einen sogenannten propositionalen Gehalt, zum Ausdruck bringt. Diese Form des Wissens wird daher auch als propositionales Wissen bezeichnet. Nach einer systematischen Analyse der Beziehungen zwischen den verschiedenen Wissensformen soll gezeigt werden, dass es aus erkenntnisphilosophischer Sicht gute Gründe gibt, das propositionale Wissen in den Fokus der Untersuchungen zu stellen. Aber selbst wenn man sich auf das propositionale Wissen konzentriert, ist es alles andere als klar, wie sich dieses Wissen genau explizieren lässt. Dieser Frage geht das dritte Kapitel nach. Es werden dort die klassische, auf Platon zurückgehende Wissensdefinition von Wissen als wahrer, mit einer Erklärung verbundenen Meinung sowie einige zentrale Wissensansätze des 20. und 21. Jahrhunderts vorgestellt. Die meisten der „neoklassischen“ Ansätze sind Reaktionen auf einen Einwand von Edmund Gettier aus dem Jahr 1963, der zeigte, dass die klassischen Definitionsbestandteile von Wissen – nämlich wahre Überzeugung und epistemische Rechtfertigung – nicht zusammen hinreichend für Wissen sind. Es gibt also
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wahre und gerechtfertigte Überzeugungen, die nicht als Wissen gelten. In vielen dieser modernen Wissensansätze wird daher versucht, entweder eine weitere Bedingung zu formulieren, die dann zusammen mit der wahren Überzeugung und der Rechtfertigung hinreichend für Wissen ist, oder es wird eine Wissensdefinition angestrebt, die vollständig auf den problematischen Begriff der epistemischen Rechtfertigung verzichtet. Die Einwände Gettiers zeigen, dass die traditionelle Wissensdefinition ein charakteristisches Merkmal (propositionalen) Wissens nicht hinreichend berücksichtigt. Wissen ist nämlich mit bestimmten Formen des Zufalls unvereinbar. Im vierten Kapitel soll daher den systematischen Zusammenhängen bzw. Unvereinbarkeiten zwischen Wissen und Zufall genauer nachgegangen werden. Es wird sich zeigen, dass eine bestimmte Art des epistemischen Zufalls, der sogenannte veridisch epistemische Zufall, mit Wissen unverträglich ist. Es wird sodann eine Wissenskonzeption der epistemischen Methodensicherheit vorgeschlagen, die den Wissensbegriff so expliziert, dass wahre Überzeugungen, die dieser Form des epistemischen Zufalls unterliegen, nicht als Wissen gelten. Dabei wird sich herausstellen, dass diese Wissenskonzeption die geeignete Grundlage für die gesuchte Explikation propositionalen Wissens darstellt. Eine Antwort auf die skeptische Frage – „Ist Wissen überhaupt möglich?“ – zu finden, zählt zu einer weiteren zentralen Aufgabe einer jeden philosophischen Wissenstheorie. Der radikale Wissensskeptiker fordert uns nicht nur dazu auf, unsere Erkenntnisprozesse und Wissensbehauptungen kritisch zu überprüfen. Vielmehr stellt er sämtliches Wissen, eventuell mit Ausnahme bestimmter apriorischer Erkenntnisse oder analytischer Wahrheiten, grundsätzlich in Frage. Sein Wissensskeptizismus wird meist in Gestalt bestimmter skeptischer Szenarien veranschaulicht und motiviert. Eine der berühmtesten skeptischen Hypothesen besteht in der Annahme, wir könnten doch alle nur Gehirne sein, die in einem Tank mit Nährflüssigkeit schwimmen, und ein genialer, wenngleich überaus böser Wissenschaftler würde mittels eines Supercomputers die Nervenenden unserer Gehirne so geschickt reizen und manipulieren, dass uns die perfekte Illusion einer Außenwelt vorgegaukelt wird. Der Skeptiker gibt nun zu bedenken, dass wir nicht ausschließen können, dass dieses schreckliche Szenario real ist. Daher können wir, so der Skeptiker, auch nicht wissen, dass wir keine Gehirne im Tank sind. Und wenn wir dies nicht wissen können, dann können wir auch nicht wissen, dass die Dinge, die wir gerade wahrzunehmen glauben, wie z. B. unsere Hände auf einer Computertastatur, tatsächlich existieren. Empirisches Wissen über die Außenwelt ist daher für den Skeptiker unmöglich. Dies erscheint jedoch äußerst kontraintuitiv. Zumindest außerhalb philosophischer Seminare über Erkenntnistheorie sind wir keine radikalen Wissensskeptiker. Ohne zu Zögern sprechen wir uns und anderen Wissen der verschiedensten Art zu.
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Im fünften Kapitel wird das Argument des Wissensskeptikers näher untersucht, und es werden verschiedene Strategien skizziert, wie Philosophen auf diese skeptische Herausforderung reagiert haben. Der hier vertretene Wissensansatz, der Wissen als eine wahre und auf einer epistemisch sicheren Methode beruhenden Überzeugung auszeichnet, erweist sich dabei als sehr geeignet, um dem Wissensskeptizismus zu begegnen. Ein weiteres zentrales Thema in der aktuellen philosophischen Wissensdebatte betrifft die Frage nach der Kontextsensitivität des Wissensbegriffs. Kontextualistische Wissenstheorien, die sich in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie großer Beliebtheit erfreuen, gehen davon aus, dass die Wahrheitsbedingungen von Wissensbehauptungen von kontextuell variierenden Wissensstandards abhängen. Für Kontextualisten ist Wissen daher kein absoluter Begriff, sondern kann, ähnlich wie indexikalische Ausdrücke, seine Bedeutung je nach Kontext, in dem sich der Wissenszuschreiber befindet, ändern. Werden dem Wissenszuschreiber beispielsweise Irrtumsmöglichkeiten gewahr, die das vermeintlich Gewusste in Zweifel ziehen, oder steht für das Erkenntnissubjekt sehr viel auf dem Spiel, wenn sich das vermeintlich Gewusste dennoch als falsch herausstellen sollte, werden, nach Ansicht der Kontextualisten, die Standards für Wissen erhöht, so dass es schwieriger wird, in diesem Kontext die Bedingungen für Wissen zu erfüllen. Die zentrale Frage im Zusammenhang mit kontextualistischen Wissenstheorien betrifft den genauen semantischen Status der behaupteten Kontextsensitivität von Wissensaussagen. Um diese Frage adäquat beantworten zu können, hat sich die Berücksichtigung sprachphilosophischer und linguistischer Untersuchungen zur Semantik und Pragmatik kontextsensitiver Ausdrücke als äußerst fruchtbar erwiesen. Ebenso hat die jüngste Debatte um den Wahrheitsrelativismus der Diskussion zum Kontextualismus in der Erkenntnistheorie wichtige neue Impulse verliehen. Das sechste Kapitel greift diese aktuelle Diskussion auf. Es werden die verschiedenen Arten kontextualistischer Wissensansätze näher untersucht und mit alternativen Positionen, wie dem Relativismus und dem sogenannten subjektsensitiven Invariantismus, verglichen. Selbst wenn man die Frage nach der Natur und der Möglichkeit von Wissen in Form einer Begriffsexplikation propositionalen Wissens zufriedenstellend geklärt hat, ist damit jedoch nicht zugleich auch die Frage nach dem Wert des Wissens beantwortet. Im siebten Kapitel soll daher diese Frage aufgegriffen werden, die in der gegenwärtigen philosophischen Erkenntnistheorie eine immer bedeutendere Rolle spielt. Ich werde zeigen, dass man die Frage nach dem Wert des Wissens auf verschiedene Weise verstehen kann. Ihre traditionelle Form besitzt sie in Gestalt der Frage nach dem Mehrwert von Wissen gegenüber bloßer wahrer Meinung, die bereits in Platons Dialog Menon aufgeworfen wird. Natürlich
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besitzt Wissen oftmals einen instrumentellen Wert, da wir durch Wissen unser Leben erfolgreicher gestalten, unsere Ziele konsequenter verfolgen und unsere Wünsche besser realisieren können. Allerdings stellt sich zum einen die Frage, ob dieser instrumentelle Wert des Wissens sich nicht bereits schon dadurch einstellt, dass wir eine wahre Überzeugung haben. Ist es nicht vielmehr Wahrheit, wonach wir streben? Liegt nicht eigentlich in der Wahrheit und nicht im Wissen das Ziel unserer Erkenntnisbemühungen? Zum anderen scheint Wissen auch einen Wert zu besitzen, der über die reine instrumentelle Nützlichkeit hinausgeht. Wissen ist ein Gut, das wir manchmal um seiner selbst willen schätzen. Doch worin besteht dieser intrinsische und finale Wert des Wissens? Wissen scheint gerade deshalb wertvoll zu sein, weil es uns oftmals dazu verhilft, Dinge zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen. Ist es also nicht eher das Verstehen und nicht das Wissen, das wir eigentlich epistemisch wertschätzen? Diesen Fragen wird das siebte Kapitel nachgehen. Insbesondere werden dort auch die systematischen Zusammenhänge zwischen Wissen, Wahrheit und Verstehen analysiert. In der erkenntnistheoretischen Debatte zu Wissenstheorien dienen sehr häufig Gedankenexperimente und zum Teil recht bizarre Beispielfälle (wie etwa das „Gehirn-im-Tank“-Szenario) der Illustration, aber auch der intuitiven Stützung von Argumenten und Positionen. Während Philosophen lange Zeit davon ausgegangen sind, dass Intuitionen über Wissen von den meisten Menschen geteilt werden und daher stabil und intersubjektiv gültig sind, haben jüngste empirische Untersuchungen im Rahmen der sogenannten „experimentellen Philosophie“ die Universalität epistemischer Intuitionen in Frage gestellt. Was als Wissen gilt, scheint nach diesen Untersuchungen u. a. kultur- und geschlechtsspezifisch zu variieren. Auch scheinen die Intuitionen der Fachphilosophen über Wissen nicht immer von Nicht-Philosophen geteilt zu werden. Das achte Kapitel untersucht diese aktuellen empirischen Studien zu epistemischen Intuitionen und diskutiert deren Relevanz für die philosophische Diskussion über Wissen. Auch wenn die Fragen nach der Natur, den Möglichkeiten und Grenzen, dem Wert und den Quellen des Wissens schon immer im Zentrum philosophischer Betrachtungen standen, so ist doch die Tiefe und Genauigkeit der Reflexion über diese Fragen insbesondere im Rahmen der modernen analytischen Erkenntnistheorie des 20. und 21. Jahrhunderts gestiegen und hat dadurch das Verständnis von Wissen als zentralem Thema der Erkenntnistheorie entscheidend verbessert. Dies zu zeigen, ist eines der zentralen Anliegen dieses Buches.
2 Begriffsanalyse von Wissen 2.1 Die traditionelle Wesensdefinition von Wissen „Was ist Wissen?“ – so lautet die grundlegende Frage der philosophischen Erkenntnistheorie. Diese Frage nach der Natur des Wissens kann jedoch auf sehr unterschiedliche Weise verstanden werden. In Platons Dialog Theaitetos wendet sich Sokrates an Theaitetos mit der Frage, was Wissen sei. Nachdem Theaitetos eine Reihe von Künsten wie die Messkunst, die Schuhmacherkunst und andere Handwerkskünste als Beispiele für Wissen aufgezählt hat, erwidert Sokrates, dass seine Frage nicht darauf abzielte, zu erfahren, wovon es Wissen und wie viele Arten von Wissen es gebe. Vielmehr wolle er begreifen, was Wissen selbst sei.1 Sokrates sucht somit nach einer Definition von Wissen, denn erst durch eine Definition werden, so Sokrates, die Wesensmerkmale von Wissen deutlich, d. h. charakteristische Eigenschaften, die allen Wissensformen zukommen. Das Projekt der Suche nach einer Wesensdefinition von Wissen zur Auf deckung der essentiellen Attribute von Wissen ist allerdings mit zahlreichen Problemen behaftet. In der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden Definitionslehre werden einige Bedingungen formuliert, die geglückte Definitionen erfüllen müssen. Insbesondere sollte das Definiens (die definierenden Bestimmungen) aus möglichst einfachen und klaren Elementen bestehen und die Wesensmerkmale des Definiendums (des zu Definierenden) vollständig zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus darf die Definition nicht zirkulär sein, d. h. die definierenden Bestandteile dürfen nicht selbst wiederum das Definiendum enthalten. Eine zirkuläre – und nach der traditionellen Definitionslehre damit illegitime – Definition von Wissen läge etwa dann vor, wenn die definierenden Bestimmungen den Wissensbegriff bereits implizieren würden. Auch die von Sokrates in Platons Theaitetos-Dialog nach mehreren Definitionsversuchen letztlich vorgeschlagene Definition von Wissen als richtiger Meinung mit Erklärung erweist sich nach Platon als zirkulär: Wer über eine Erklärung von X verfügt, der besitzt seiner Auffassung nach nämlich ein Wissen von den verschiedenen und bestimmenden Merkmalen von X. Der definierende Bestandteil der Erklärung verweist somit offenbar implizit bereits auf den Wissensbegriff. Die vorgeschlagene Definition von Wissen scheint somit ein vorheriges Verständnis von Wissen bereits vorauszusetzen.2 In der Gegenwartsphilosophie ist insbesondere Timothy Williamson der Auffassung, dass eine Definition von Wissen, die in zirkelfreier Weise den Wissensbegriff auf elementare Begriffsbestandteile in Form von notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen von Wissen zu reduzieren versucht, nicht
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gelingen kann. Für ihn ist das Projekt einer derartigen Wissensanalyse sogar ein „degeneratives Forschungsprogramm“3. Es stehe nämlich keineswegs von vornherein fest, dass sich notwendige Bedingungen für einen Begriff immer durch die Addition weiterer notwendiger Bedingungen zu einer zirkelfreien Begriffsdefinition, d. h. zur Angabe notwendiger und zusammen hinreichender Bedingungen, verschärfen lassen. So ist etwa die Bedingung, farbig zu sein, zwar notwendig für die Bedingung, rot zu sein. Dennoch findet man, laut Williamson, keine weitere nicht zirkuläre Bedingung, die zusammen mit der Bedingung, farbig zu sein, hinreichend für das Rotsein wäre: If G is necessary for F, there need be no further condition H, specifiable independently of F, such that the conjunction of G and H is necessary and sufficient for F. Being coloured, for example, is necessary for being red, but if one seeks a further condition for being red, one finds only conditions specified in terms of ‘red’: being red; being red, if coloured.4
Das Kriterium des Verbots der Zirkularität von Definitionen ist vor allem dann wichtig, wenn man, wie in der traditionellen Definitionslehre, Definitionen im Sinne eines reduktiven Projekts versteht, in dem das Definiendum auf einfache, isolierte und letztlich nicht weiter zerlegbare Basiselemente zurückgeführt werden soll. Ein solches reduktives Projekt scheitert natürlich dann, wenn sich herausstellt, dass einer der vermeintlich basalen Bestandteile des Definiendums dieses bereits als Teil enthält. Wenn man jedoch, wie es Peter Strawson vorgeschlagen hat, ein „verknüpfendes oder konnektierendes“ Modell einer begrifflichen Analyse zugrunde legt, sind zumindest bestimmte Formen von Zirkularitäten durchaus zulässig. In einem konnektierenden Modell besteht das primäre Ziel der Analyse in der Aufdeckung zentraler systematischer begrifflicher Zusammenhänge, in denen das Definiendum steht, und nicht in der Reduktion eines Begriffs auf seine elementaren Bestandteile: Stellen wir uns […] das Modell eines kunstvollen Netzes vor, eines Systems verknüpfter Einzelheiten, verknüpfter Begriffe, derart, dass jeder Begriff aus philosophischer Sicht nur verstehbar wird, wenn man seine Verknüpfung mit den anderen Begriffen versteht, seinen Platz innerhalb des Systems […]. Wenn wir das zu unserem Modell machen, brauchen wir uns nicht zu beunruhigen, wenn wir beim Aufspüren von Verknüpfungen in diesem Netz wieder zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren oder daran vorbeikommen.5
Selbstverständlich sind auch in einem konnektierenden Modell nicht alle Zirkularitäten tolerabel. Betrachten wir etwa die folgende „Definition“ von Wissen: „Ein Subjekt S weiß genau dann, dass p, wenn S weiß, dass p wahr ist.“ Der offenkundige Zirkel ist hier zu unmittelbar und zu eng. Eine wirklich erhellende systematische Verknüpfung mit anderen Begriffen wird hier nicht geleistet, so dass
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diese „Definition“ als philosophisch unbefriedigend angesehen werden muss. Die Akzeptanz eines Zirkels in einer konnektiven Analyse ist, so Strawson, vor allem auch „eine Frage der Beurteilung“6 und ist unter anderem davon abhängig, mit welchen Interessen und Absichten eine solche Analyse durchgeführt wird. Entscheidend ist jedoch, dass in einem konnektierenden Modell das Ideal einer zergliedernden Analyse in elementare begriffliche Basisbestandteile aufgegeben wird. Ein solches Ideal mag etwa für die Begriffe der Mathematik, Logik oder Geometrie sinnvoll sein, für den komplexen und facettenreichen natürlichsprachlichen Begriff des Wissens scheint eine derartige reduktive Analyse jedoch von vornherein fehlgeleitet. Dass Wissen beispielsweise mit den Begriffen der Überzeugung, Wahrheit, Erklärung und Begründung systematisch zusammenhängt, kann auch dann eine wichtige Einsicht in die Natur von Wissen ermöglichen, wenn diese Begriffe selbst wiederum erklärungsbedürftig sind und sich nicht in vollständig zirkelfreier Weise definitorisch auf elementare Grundbegriffe zurückführen lassen.
2.2 Definition, Familienähnlichkeit und Explikation Aber selbst wenn wir uns bei einer Definition von Wissen nicht von der strengen Forderung der vollständigen Zirkelfreiheit leiten lassen und eine Wissensanalyse im Rahmen eines konnektierenden anstelle eines reduktiven Modells anstreben, könnte das sokratische Projekt einer Wesensdefinition von Wissen sich immer noch als zu ambitioniert herausstellen. In der traditionellen Definitionslehre wird zwischen Nominal- und Realdefinition unterschieden. Nominaldefinitionen sind konventionelle Begriffsfestlegungen. Sie dienen in der Regel dazu, einen neuen Ausdruck definitorisch einzuführen oder einen komplexen Sachverhalt mit einem Begriff abkürzend zu beschreiben – wie etwa in der folgenden Definition von „Drehmoment“: „Ein Drehmoment ist das Produkt aus Kraft und Länge des Kraftarms.“ Nominaldefinitionen sind aus theoretischen Gründen überflüssig, da mit ihnen keine neuen inhaltlichen Erkenntnisse gewonnen werden. Sie sind jedoch oftmals von enorm praktischem Nutzen. Nominaldefinitionen können somit auch nicht als „wahr“ oder „falsch“ bezeichnet werden, sondern eher als mehr oder weniger sinnvoll. In Realdefinitionen wird hingegen ein bereits bekannter Ausdruck definiert. Realdefinitionen sollen die essentiellen Attribute des Definiendums darlegen. Sie können daher durchaus wahr oder falsch sein – je nachdem, ob sie das Wesen des Definiendums korrekt wiedergeben oder nicht.7 Die sokratische Wesensdefinition von Wissen versteht sich natürlich als Realdefinition.8 Der Wissensbegriff ist schließlich kein künstlicher Begriff, den
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man konventionell per Nominaldefinition einführen könnte, sondern ein bereits vielfach verwendeter Begriff, über dessen Bedeutung wir vortheoretische Kenntnisse besitzen und dessen genaue Wesensmerkmale durch philosophische Überlegungen ans Tageslicht gefördert werden sollen. Im Unterschied zu Nominaldefinitionen besteht jedoch bei Realdefinitionen oftmals die Schwierigkeit, dass die meisten Alltagsbegriffe sich nicht durch notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen in dem Sinne vollständig definieren lassen, dass wirklich alle Anwendungsbeispiele für diese Begriffe durch die Definition erfasst werden. Selbst bei dem Begriff des Junggesellen, der in der Literatur hierbei oft als rühmliche Ausnahme angesehen wird9, ist es bei genauer Betrachtung zweifelhaft, ob wirklich eine vollständige Realdefinition gelingt. Zwar sind die Bedingungen, männlich und unverheiratet zu sein, notwendige, aber zusammen genommen eben keine hinreichenden Bedingungen dafür, ein Junggeselle zu sein. Ein zweijähriger Junge, ein seit 30 Jahren in fester eheähnlicher Beziehung lebender Mann oder der Papst sind zwar männlich und unverheiratet, sie als „Junggesellen“ zu bezeichnen, wäre aber nicht richtig. Es müssen also weitere notwendige Bedingungen hinzugefügt werden, wie etwa im heiratsfähigen Alter sein, in keiner festen Beziehung lebend oder nicht dem Zölibat unterworfen sein, um eine vollständige Definition von „Junggeselle“ anzustreben. Aber auch mit diesen zusätzlichen notwendigen Bedingungen lassen sich Gegenbeispiele finden: Würde man etwa einen verwitweten Mann oder Kaspar Hauser als „Junggesellen“ bezeichnen? Da sich also eine Realdefinition des recht einfachen Begriffs des Junggesellen bereits als schwierig erweist, scheinen die Aussichten auf eine erfolgreiche Realdefinition des wesentlich komplexeren Begriffs des Wissens nicht besonders gut zu stehen. Die Skepsis gegenüber der Durchführbarkeit des sokratischen Projekts einer Wesensdefinition von Wissen erhielt vor allem durch einen Aufsatz von Edmund Gettier aus dem Jahre 1963 zusätzliches Gewicht.10 Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, hat Gettier anhand von Gegenbeispielen gezeigt, dass die auf Platon zurückgehende traditionelle Definition von Wissen als wahrer und gerechtfertigter Überzeugung nicht adäquat ist, da diese Bedingungen zwar notwendig, nicht jedoch zusammen hinreichend für Wissen sind.11 Bisher ist es nicht gelungen, durch die Angabe von zusätzlichen Bedingungen eine vollständige Definition von Wissen zu erzielen. Dass eine intuitiv befriedigende und allgemein akzeptierte Realdefinition von Wissen bis heute nicht vollständig erreicht wurde, könnte jedoch auch darauf hinweisen, dass das metaphysische Projekt der Suche nach dem Wesen von Wissen grundsätzlich fehlgeleitet ist. Vielleicht ist die sokratische Wesensanalyse nicht die geeignete Methode, um die Frage „Was ist Wissen?“ zu beantworten. Es könnte ja schließlich sein, dass das metaphysische Projekt von einer prinzipiell falschen Annahme ausgeht. Vielleicht gibt es ja gar nicht so etwas
2.2 Definition, Familienähnlichkeit und Explikation
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wie das „Wesen“ von Wissen, das allen und nur den Fällen, die wir als „Wissen“ bezeichnen, zukommt. So hat etwa Ludwig Wittgenstein betont, dass es nicht notwendigerweise ein gemeinsames Wesensmerkmal von Dingen geben muss, wenn diese unter einen gemeinsamen Begriff fallen. Um herauszufinden, welche Beziehungen zwischen den Dingen bestehen, die wir unter einen Begriff subsumieren, sollten wir nach Wittgenstein nicht abstrakt nach einer Wesensdefinition suchen, sondern uns die jeweiligen Einzelfälle genau ansehen. „Denk nicht, sondern schau“, lautet daher die berühmte Parole Wittgensteins. Am Beispiel des Ausdrucks „Spiel“ macht Wittgenstein deutlich, dass es Begriffe gibt, die sich nicht sinnvoll in Form von notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen definieren lassen: Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir „Spiele“ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: „Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‚Spiele‘“ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe.12
Anstelle eines gemeinsamen Wesensmerkmals bestehen zwischen einzelnen Fällen, die wir als „Spiele“ bezeichnen, lediglich bestimmte Ähnlichkeitsbeziehungen. Viele Spiele dienen etwa der Unterhaltung. Das Geigenspiel eines lustlosen Geigenschülers oder das alleine von der Spielsucht getriebene Bedienen eines Spielautomaten besitzen dieses Merkmal sicherlich nicht. In vielen Spielen gibt es Gewinner und Verlierer. Für das Patiencenlegen gilt dies nicht. Bei einigen Spielen, wie beim Würfeln, ist Glück involviert. Bei anderen Spielen, wie beim Schachspielen, spielt dieses Merkmal keine bedeutende Rolle. Weit entfernt von einer Wesensdefinition sehen wir daher, so Wittgenstein, „ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen“13. Diese Art der Ähnlichkeitsbeziehungen bezeichnet Wittgenstein als „Familienähnlichkeiten“: Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort „Familienähnlichkeiten“; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament etc. etc. – Und ich werde sagen: die ‚Spiele‘ bilden eine Familie.14
Vielleicht, so könnte man sich angesichts der Schwierigkeiten bei einer Wesensdefinition von Wissen fragen, verhält es sich mit dem Wissensbegriff ja ähnlich wie mit dem Begriff des Spiels? Könnte es nicht sein, dass die verschiedenen Beispiele für Wissen lediglich eine Begriffsfamilie bilden, so dass die Suche nach
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notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen für Wissen von vornherein fehlschlagen muss? Ich denke jedoch, dass der Wissensbegriff sich von Begriffen, die im Sinne Wittgensteins bloße Familienähnlichkeiten aufweisen, klar unterscheidet. Familienähnlichkeiten erlauben Grade der Zugehörigkeit zu einem Begriff. Umso stärker die Merkmalsähnlichkeit eines Beispiels ist, umso deutlicher und klarer fällt es unter den in Frage stehenden Begriff. Darüber hinaus gibt es bei bloßen Familienähnlichkeiten keine substantiellen notwendigen Bedingungen für einen Begriff. Der Wissensbegriff ist jedoch zum einen kein gradueller Begriff. Wissen scheint ein Alles-oder-nichts-Begriff zu sein: Ein Subjekt verfügt entweder über Wissen oder nicht. Wir sagen zwar manchmal, dass eine Person etwas besser weiß als eine andere Person. Hiermit meinen wir aber lediglich, dass eine Person mit dem Inhalt des Wissens besser vertraut ist als die andere. Zum anderen scheint es für den Wissensbegriff eindeutige notwendige Bedingungen zu geben. So ist etwa, wie wir in den nächsten Kapiteln noch genauer sehen werden, die Bedingung der wahren Überzeugung für Wissen immer notwendig. Ist die Bedingung der wahren Überzeugung nicht erfüllt, dann liegt einfach kein Wissen vor. Ebenso ist Wissen nur dann gegeben, wenn das Wissenssubjekt nicht bloß zufälligerweise eine wahre Überzeugung besitzt. Eine Person, die das Wahre nur erraten hat oder die auf der Basis eines unzuverlässigen Meinungsbildungsprozesses zu einer wahren Überzeugung gelangt, besitzt kein Wissen. Bisher wurde gezeigt, dass eine gewisse Skepsis gegenüber einer Realdefinition von Wissen angebracht ist. Selbst wenn man auf die strenge Forderung eines vollständigen Zirkularitätsverbots verzichtet und eine Analyse des Wissensbegriffs in Form eines konnektierenden Modells anstrebt, dessen Ziel es ist, zentrale systematische Beziehungen des Wissensbegriffs zu anderen Begriffen aufzudecken, ist es höchst fraglich, ob es tatsächlich für den komplexen Begriff des Wissens eindeutige notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen gibt, die einen universellen und intersubjektiv akzeptierten Wissensbegriff definieren. Allerdings wurde auch dafür argumentiert, dass der Wissensbegriff keine bloßen Familienähnlichkeiten im Sinne Wittgensteins aufweist. Es gibt nämlich eindeutige notwendige Bedingungen für Wissen. Zumindest aus diesem Grund scheint das begriffsanalytische Projekt zur Beantwortung der Frage „Was ist Wissen?“ nicht bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Aber selbst wenn eine monolithische und umfassende Realdefinition von Wissen, die intersubjektiv geteilt wird und alle intuitiven Beispielfälle von Wissen abdeckt, nicht vollständig zu erzielen ist, kann eine philosophisch befriedigende Begriffsanalyse von Wissen dennoch gelingen. Rudolf Carnap hat anstelle der sokratischen Methode der Wesensdefinition die Methode der Begriffsexplikation als geeignetes Vorgehen bei der Bestimmung eines Ausdrucks vorgeschla-
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gen, über dessen Bedeutung keine hinreichende „praktische Klarheit“ besteht. Um eine Begriffsexplikation überhaupt durchführen zu können, müssen, laut Carnap, zunächst nicht intendierte Bedeutungen ausgesondert werden, so dass ein hinreichend großes Vorverständnis über den zu explizierenden Ausdruck erzielt wird. Carnap erläutert dieses Verfahren am Beispiel des Ausdrucks „wahr“: Wenn z. B. jemand darangeht, den Ausdruck „wahr“ zu explizieren, so kann er etwa mit der Bemerkung beginnen, daß er nicht für die Verwendung der Ausdrücke „wahr“ bzw. „Wahrheit“ in Kontexten wie „ein wahrer Freund“, „eine wahre Liebe“, „eine wahre Demokratie“, „in vino veritas“ eine Explikation suche, sondern für jene Verwendung, die sich im Alltag, in der Rechtssprache sowie in den Einzelwissenschaften findet, wenn der Ausdruck „wahr“ auf Behauptungen, Erzählungen, Zeitungsberichte, Reportagen u. dgl. angewendet und dabei ungefähr in dem Sinne von „zutreffend“, „nicht falsch“, „richtig“, „weder Irrtum noch Lüge“ gebraucht wird.15
Erst nachdem das Explikandum auf diese Weise präzisiert wurde, kann die eigentliche Begriffsexplikation beginnen. Eine solche Explikation sollte nach Carnap die Forderungen der Ähnlichkeit, der Exaktheit, der Fruchtbarkeit sowie der Einfachheit hinreichend erfüllen.16 Das Explikat sollte somit dem Explikandum möglichst ähnlich sein, d. h. die vorgeschlagene Explikation sollte möglichst viele Fälle, in denen man üblicherweise das Explikandum verwendet, abdecken. Von dieser geforderten Ähnlichkeit zwischen Explikandum und Explikat kann durch die Bedingungen der Exaktheit und der Fruchtbarkeit mehr oder weniger stark abgewichen werden. So besteht etwa die übliche vorwissenschaftliche Bedeutung des Ausdrucks „Fisch“ in folgender Beschreibung: „Ein Fisch ist ein Tier, das im Wasser lebt.“17 Diese Verwendungsweise des Ausdrucks „Fisch“ ist jedoch für zoologische Belange, wie z. B. für die Einteilung in zoologische Arten oder für die Formulierung allgemeiner zoologischer Gesetze, nicht hinreichend exakt und zu wenig wissenschaftlich fundiert. Eine exaktere, wissenschaftlich fruchtbarere, zugleich aber auch einfache und dem ursprünglichen Sprachgebrauch ähnliche Explikation des Ausdrucks „Fisch“ wird daher etwa durch die folgende Formulierung ausgedrückt: „Fische sind wechselwarme, fast ausschließlich im Wasser lebende Wirbeltiere mit Kiemen.“ Auch bei einer Explikation von „wahr“ sollte nach Carnap ein Zusammenspiel von Kriterien der Ähnlichkeit, Exaktheit, Fruchtbarkeit und Einfachheit die Begriffsanalyse leiten. Neben der möglichst weiten Übereinstimmung mit einem vortheoretischen intuitiven Wahrheitsverständnis wäre eine wichtige Forderung an die Exaktheit und Fruchtbarkeit der Explikation die Widerspruchsfreiheit des explizierten Begriffs. Paradoxien und Antinomien der Wahrheit, wie etwa die berühmte Lügner-Antinomie, die durch bestimmte selbstbezügliche Anwendungen des Wahrheitsbegriffs zustande kommen, sollten somit in einer Begriffsexplikation von „wahr“ ausgeschlossen werden.18
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2 Begriffsanalyse von Wissen
Vor dem Hintergrund der diskutierten Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer universellen Wesensdefinition von Wissen scheint eine Explikation im Sinne Carnaps auch für den Wissensbegriff ein vielversprechendes und geeignetes methodisches Vorgehen auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „Was ist Wissen?“ darzustellen. Ähnlich wie bei der Wahrheitsexplikation ist es auch hier wichtig, neben der weitgehenden Übereinstimmung mit unserem intuitiven Wissensverständnis bestimmten theoretischen Anforderungen zu genügen. Insbesondere sollte der explizierte Wissensbegriff nicht widersprüchlich sein. Aber auch die Entgegnung auf die bereits erwähnte skeptische Herausforderung sollte ein wichtiges Kriterium für eine befriedigende und philosophisch fruchtbare Wissensexplikation sein. Ein explizierter Wissensbegriff, der kaum Anwendungsfälle besitzt, mag zwar exakt und einfach sein, allerdings entspräche ein solcher Wissensbegriff weder unserem vortheoretischen Wissensverständnis, noch wäre er wissenschaftlich und philosophisch sinnvoll. Doch bevor wir uns dem Unterfangen einer Explikation des Wissensbegriffs zuwenden können, sollten wir, ganz im Sinne Carnaps, zunächst das Explikandum möglichst klar festlegen. Dies bedeutet insbesondere, dass wir uns zunächst die verschiedenen sprachlichen Verwendungsweisen von „Wissen“ vergegenwärtigen und diejenige Form von Wissen herausheben, die im Zentrum der philosophischen Begriffsexplikation stehen soll.
2.3 Formen des Wissens „Wissen“ kann als Substantiv oder als Verb in der Sprache vorkommen. Das Verb „wissen“ wird häufig im Zusammenhang mit einem eingebetteten Fragesatz verwendet. Im Folgenden werde ich diese Form des Wissens als interrogatives Wissen bezeichnen. Beispiele für interrogatives Wissen sind: (1) Ingrid weiß, wann Markus nach Hause kommt. (2) Christian weiß, wo Johann Wolfgang von Goethe geboren wurde. (3) Peter weiß, wer 2010 Fußballweltmeister wurde. (4) Maria weiß, warum Peter gestern Abend nicht zu Hause war. Unter den interrogativen Wissensformen spielen bestimmte „Wissen-wie“-Konstruktionen, die praktisches Wissen des epistemischen Subjekts zum Ausdruck bringen, eine besondere Rolle. Beispiele für praktisches Wissen sind: (5) Ingrid weiß, wie man den Fernseher einschaltet. (6) Peter weiß, wie man Fahrrad fährt. (7) Obama weiß, wie man Menschen begeistert.
2.3 Formen des Wissens
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Hiervon zu unterscheiden sind Formen des Wissens, die bestimmte phänomenale Erlebnisse, Gefühle oder Empfindungen ausdrücken, die aus der Ersten-PersonPerspektive des Wissenssubjekts erfahren werden. Sprachlich wird diese Art von Wissen, das im Folgenden als phänomenales Wissen bezeichnet wird, meist in Formulierungen der Form „Wissen-wie-es-ist“ bzw. „Wissen-wie-es-sich-anfühlt“ ausgedrückt. Beispiele für phänomenales Wissen sind: (8) Maria weiß, wie es ist, von Hartz IV zu leben. (9) Peter weiß, wie es sich anfühlt, auf einer zehn Meter hohen Welle zu surfen. In „Wissen-dass“-Konstruktionen wird hingegen zum Ausdruck gebracht, dass das Wissenssubjekt über bestimmte Tatsacheninformationen verfügt. Diese Form des „Wissen-dass“ drückt das sogenannte propositionale Wissen (oder auch theoretische Wissen) aus. Beispiele für propositionales Wissen sind die folgenden Aussagen: (10) Peter weiß, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist. (11) Maria weiß, dass Peter sie betrügt. (12) Ingrid weiß, dass jeder Mensch einmal sterben muss. Das u. a. von Bertrand Russell diskutierte Wissen durch Bekanntschaft19 wird im Deutschen nicht durch das Wissensprädikat, sondern durch das transitive Verb „kennen“ ausgedrückt, wie etwa in: (13) Maria kennt Peter. (14) Sokrates kennt den Weg nach Larissa. Es stellt sich nun die Frage, welche der erwähnten Wissensformen das Explikandum einer philosophischen Wissensanalyse sein soll. Um diese Frage beantworten zu können, ist es zunächst wichtig, die begrifflichen Beziehungen zwischen den aufgezeigten Wissensformen genauer zu untersuchen. Es könnte ja beispielsweise der Fall sein, dass sich manche Formen auf andere reduzieren lassen. Vielleicht gibt es ja sogar nur eine basale Art des Wissens, so dass die anderen Formen des Wissens sich lediglich als unterschiedliche sprachliche Realisierungen dieser basalen Wissensform herausstellen. Ein offenkundiger Zusammenhang besteht zwischen bestimmten Formen von interrogativem Wissen und propositionalem Wissen: Wissen-wann, Wissenwo, Wissen-wer, Wissen-warum etc. scheint sich auf naheliegende Weise auf Wissen-dass zurückführen zu lassen. Die Beispielsätze (1)–(4) könnte man etwa in die folgenden Aussagen mit propositionalem Wissen (1)*–(4)* überführen: (1*) Ingrid weiß, dass Markus um 20 Uhr nach Hause kommt. (2*) Christian weiß, dass Johann Wolfgang von Goethe in Frankfurt am Main geboren wurde.
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2 Begriffsanalyse von Wissen
(3*) Peter weiß, dass Spanien 2010 Fußballweltmeister wurde. (4*) Maria weiß, dass Peter gestern Abend mit Ingrid im Kino war. In den Sätzen (1)–(4) wird den jeweiligen epistemischen Subjekten (Ingrid, Christian, Peter und Maria) implizit bestimmtes propositionales Wissen zugeschrieben, das in den Sätzen (1*)–(4*) explizit gemacht wird. Diese interrogativen Wissensformen beinhalten jeweils eine bestimmte Frageklausel – „Wann kommt Markus nach Hause?“, „Wo wurde Johann Wolfgang von Goethe geboren?“, „Wer wurde 2010 Fußballweltmeister?“, „Warum war Peter gestern Abend nicht zu Hause?“ –, auf die in den zugehörigen propositionalen Formulierungen eine zutreffende Antwort gegeben wird.20 Zu beachten ist jedoch, dass die Antwort insbesondere dem Informationsstand des epistemischen Subjekts zum Zeitpunkt der Wissenszuschreibung entsprechen muss. Betrachten wir hierzu das folgende Beispiel einer interrogativen Wissenszuschreibung (zum Zeitpunkt der Heirat des Ödipus): (15) Ödipus weiß, wen er geheiratet hat. Die interrogative Wissensaussage (15) ist eine wahre Aussage, da Ödipus das propositionale Wissen besitzt, dass er Iokaste geheiratet hat, welches eine wahre Antwort auf die eingebettete Frageklausel – „Wen hat Ödipus geheiratet?“ – ausdrückt. Aussage (15) lässt sich also auf die wahre propositionale Wissensaussage (15*) reduzieren: (15*) Ödipus weiß, dass er Iokaste geheiratet hat. Zum Zeitpunkt seiner Heirat weiß Ödipus jedoch nicht, dass seine Ehefrau Iokaste fatalerweise auch seine Mutter ist. Obwohl also die Proposition, dass Ödipus seine Mutter geheiratet hat, eine wahre Antwort auf die in (15) eingebettete Frageklausel gibt, kann man Ödipus (zum Zeitpunkt der Heirat) diese Proposition nicht als Wissen zuschreiben. Die folgende Aussage (15**) wäre somit keine zu (15) bedeutungsgleiche propositionale Wissensaussage: (15**) Ödipus weiß, dass er seine Mutter geheiratet hat. Stehe im Folgenden „w“ für ein Fragepronomen („wann“, „wo“, „wer“, „warum“ etc.) und „w x“ für die entsprechende Frageklausel, dann lässt sich die bisher diskutierte Zurückführung von interrogativem auf propositionales Wissen durch die folgende Reduktionsthese zusammenfassen:
2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus
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These der Reduktion von interrogativem auf propositionales Wissen Interrogatives Wissen der Form „S weiß, w x“ bedeutet so viel wie „S weiß, dass p“, wobei p eine Antwort auf eine wahre und dem Informationsstand des Erkenntnissubjekts S zum Zeitpunkt der Wissenszuschreibung entsprechende Antwort auf die Frage ist, die durch die Frageklausel w x ausgedrückt wird. Die Form des interrogativen Wissens wird häufig auch dann verwendet, wenn der Wissenszuschreiber das entsprechende propositionale Wissen nicht angeben möchte oder kann. Wenn z. B. ein Gefangener zu einem Mitsträfling sagt: „Meine Frau weiß, wo das Diebesgut versteckt ist, und wenn ich hier ’rauskomme, machen wir uns damit ein schönes Leben“, dann möchte er die Information über das Versteck des Diebesgutes aus verständlichen Gründen nicht preisgeben und verzichtet daher auf die entsprechende propositionale Wissensaussage – wie etwa „Meine Frau weiß, dass das Diebesgut unter dem Birnbaum in unserem Garten vergraben ist, und wenn ich hier ’rauskomme, machen wir uns damit ein schönes Leben“. Anders verhält es sich, wenn der Wissenszuschreiber aufgrund von Unkenntnis über den genauen Inhalt des entsprechenden propositionalen Wissens nur zu einer wahren interrogativen Wissensaussage fähig ist. Auch ist manchmal die Formulierung des entsprechenden propositionalen Wissens zu umständlich, so dass man auf die einfachere interrogative Wissensform zurückgreift. Anstelle von „Maria weiß, dass man den Fernseher entweder dadurch einschaltet, dass man den Einschaltknopf direkt am Fernseher betätigt oder indem man den grünen Knopf an der Fernbedienung, die man in die Nähe des Fernsehers hält, drückt“ ist die interrogative Wissensform „Maria weiß, wie man den Fernseher einschaltet“ natürlich wesentlich einfacher und für den kommunikativen Zweck auch meistens ausreichend. Wenn es allerdings interrogatives Wissen geben sollte, von dem man das entsprechende propositionale Wissen prinzipiell deshalb nicht genau kennen kann, weil es sich nicht vollständig auf propositionales Wissen zurückführen lässt, wäre dies ein klarer Einwand gegen die allgemeine Gültigkeit der Reduktionsthese. Die Frage ist jedoch, ob es derartiges nicht-propositionales Wissen überhaupt gibt – und wenn ja, von welcher Art dieses nicht-propositionale Wissen ist.
2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus Die Frage, ob es nicht-propositionales Wissen gibt, ist in der Literatur äußerst umstritten. Im sogenannten „Intellektualismus“ in Bezug auf Wissen wird die Existenz von nicht-propositionalem Wissen bestritten. Intellektualisten sind der Meinung, dass man letztlich alle Formen des Wissens auf propositionales Wissen
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2 Begriffsanalyse von Wissen
zurückführen kann. „Anti-Intellektualisten“ in Bezug auf Wissen sind hingegen der Auffassung, dass es nicht-propositionales Wissen gibt, welches sich nicht vollständig auf propositionales Wissen reduzieren lässt. Mögliche Kandidaten für derartiges nicht-propositionales Wissen, die in der Literatur häufig zur Rechtfertigung einer anti-intellektualistischen Position herangezogen werden, sind bestimmte Formen des praktischen Wissens-wie sowie phänomenales Wissen. Einer der wichtigsten und einflussreichsten Vertreter des „Anti-Intellektualismus“ ist Gilbert Ryle.21 Auch gegenwärtig werden in der Erkenntnistheorie und Philosophie des Geistes verschiedene anti-intellektualistische Positionen bezüglich des Wissens vertreten. Viele Anti-Intellektualisten machen geltend, dass manches praktische Wissen-wie einfach ein rudimentäres Können, eine Fähigkeit oder Fertigkeit eines epistemisches Subjektes darstellt. Dieses praktische Wissen manifestiere sich z. B. in bestimmten Handlungen des Subjekts, die ohne theoriegeleitetes Wissen über bestimmte Tatsachen vollzogen werden. Eine Person, die beispielsweise weiß, wie man Fahrrad fährt, verfügt über die Fähigkeit, Fahrrad zu fahren. Diese Fähigkeit manifestiert sich jedoch nicht darin, so die Anti-Intellektualisten, dass die Person Wissen von bestimmten Tatsachen über Fahrradfahren besitzt. Dass unser praktisches Wissen nicht durch entsprechendes theoretisches Wissen konstituiert ist bzw. sich nicht durch theoretisches Wissen erklären lässt, zeigt sich nach anti-intellektualistischer Auffassung z. B. auch in der Fähigkeit, eine Muttersprache zu sprechen, ohne die genauen Regeln der Grammatik dieser Sprache zu kennen. Auch das phänomenale Wissen-wie-es-ist bzw. Wissen-wie-es-sich-anfühlt scheint den Anti-Intellektualismus zu stützen. Das Wissen, wie es ist, eine Rotempfindung zu haben, Wärme wahrzunehmen oder Schmerzen zu spüren bzw. das Wissen, wie es sich anfühlt, auf einer zehn Meter hohen Welle zu surfen, drückt jeweils einen bestimmten subjektiven phänomenalen Gehalt aus, der offenbar nicht durch propositionales Wissen über objektive Tatsachen zum Ausdruck gebracht werden kann. In diesem Sinne erläutert etwa Dov Hugh Mellor, ein bedeutender Vertreter des Anti-Intellektualismus, die These der Nichtreduzierbarkeit bestimmter Formen von Wissen-wie auf Wissen-dass: Knowing what feeling warm is like is not knowing any fact, because it is not knowing that any proposition is true: it is just knowing how to imagine feeling warm. In this respect it is like knowing how to ride a bicycle. I cannot state the fact that I know then either, because there is no such fact to state. I must of course know some facts about bicycles to know how to ride one, but having this ability is obviously neither constituted nor entailed by knowing those facts.22
Einige Anti-Intellektualisten, wie Mellor, berufen sich insbesondere auf die berühmten Argumente des unvollständigen Wissens, wie sie z. B. von Frank
2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus
19
Jackson und Thomas Nagel entwickelt wurden23, um die Nichtreduzierbarkeit von Wissen-wie auf Wissen-dass zu unterstreichen. In einem viel diskutierten Gedankenexperiment von Jackson besitzt eine Person namens Mary, die eine hervorragende Expertin auf dem Gebiet der Neurophysiologie der Farbwahrnehmung ist, alle nur erdenklichen physikalischen Informationen über neurophysiologische Vorgänge beim Farbensehen. Mary selbst ist jedoch zeit ihres Lebens in einem vollständig schwarz-weißen Raum eingeschlossen. Sie hat außer schwarz und weiß (und verschiedenen Grautönen) noch nie eine andere Farbe wahrgenommen. Mit ihrer Außenwelt kommuniziert sie ausschließlich über einen schwarzweißen Monitor. Wenn Mary nun aus ihrem schwarz-weißen Raum entfliehen und zum ersten Mal in ihrem Leben etwa den blauen Himmel oder eine rote Kirsche sehen würde, dann, so Jackson, würde sie ganz offensichtlich ein neues Wissen erwerben. Somit ist laut Jackson der Physikalismus falsch, da selbst vollständiges physikalisches Wissen über Farbwahrnehmung bestimmte Aspekte des phänomenalen Erlebens aus der subjektiven Perspektive der Ersten Person nicht erfassen kann. Trotz ihres Expertenwissens kann Mary, solange sie in ihrem schwarzweißen Raum eingeschlossen ist, niemals zu dem Wissen gelangen, wie es ist, etwas Blaues oder Rotes wahrzunehmen. Auch Nagels bekanntes „Fledermaus“Gedankenexperiment soll zeigen, dass ein bestimmtes subjektives Erleben sich einer objektiven Beschreibung mittels physikalischer Tatsachen prinzipiell entzieht. Selbst wenn wir noch so viele Informationen darüber besäßen, wie eine Fledermaus lebt und sich durch Echolotung in ihrer Umwelt orientiert, könnten wir niemals wissen, so Nagel, wie es ist, eine Fledermaus zu sein – bzw. wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Die Frage, welche systematischen Beziehungen zwischen phänomenalem Wissen aus der Ersten-Person-Perspektive und Tatsachenwissen aus der DrittenPerson-Perspektive bestehen, wird in der Philosophie des Geistes kontrovers diskutiert. Es ist allerdings meines Erachtens fraglich, ob die Gedankenexperimente von Jackson und Nagel tatsächlich die Nichtreduzierbarkeit von Wissenwie auf Wissen-dass zeigen. Selbstverständlich erlebt Mary nach dem Verlassen ihres schwarz-weißen Gefängnisses etwas, was sie zuvor noch nie erfahren hat. Auch würden wir natürlich etwas grundsätzlich Neues erleben, wenn wir uns plötzlich in eine Fledermaus verwandelten. Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass phänomenales Erleben sich der Form propositionalen Wissens vollständig entzieht. Die plötzlich farbensehende Mary und wir (als in Fledermäuse Verwandelte) haben zwar nun einen anderen Zugang zur Welt als zuvor und haben etwas Neues erfahren. Jedoch könnte man diese neuen Erfahrungen durchaus als propositionales Wissen charakterisieren, nämlich z. B. als das Wissen, dass eine Rotwahrnehmung sich so und so anfühlt, bzw. dass es sich so und so anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Über das propositionale Wissen, dass sich eine Rotwahrneh-
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2 Begriffsanalyse von Wissen
mung so-und-so anfühlt, verfügte Mary vorher deshalb nicht, weil dieses Wissen nur aus der Ersten-Person-Perspektive erworben werden kann. Zwar lässt sich phänomenales Wissen-wie-es-ist bzw. Wissen-wie-es-sich-anfühlt je nach Differenziertheit der phänomenalen Beschreibung sowie der Empathiefähigkeit des Rezipienten zumindest in Ansätzen vermitteln. Ohne selbst die subjektive Erlebnisperspektive einnehmen zu können, bleibt für das epistemische Subjekt jedoch stets eine Wissenslücke bestehen. Diese Wissenslücke ist allerdings nicht notwendigerweise dem Umstand geschuldet, dass das fehlende Wissen nicht von propositionaler Struktur ist, sondern dem Umstand, dass es nur aus der ErstenPerson-Perspektive erlangt werden kann.24 Die Tatsache, dass manche Formen des Wissens nur schwer beschreibbar sind oder nicht allein durch theoretische Vermittlung erworben werden können, scheint ebenfalls keinen grundsätzlichen Einwand gegen die intellektualistische These darzustellen. Gerhard Ernst hat darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur Formen des Wissens-wie, sondern auch manche anderen interrogativen Wissensformen sich nur durch das Geben von Beispielen beschreiben und vermitteln lassen: Jemand, der weiß, wie ein Vermeer aussieht, kann beim Anblick eines Vermeers sagen, dass ein Vermeer beispielsweise so aussieht. Jemand, der weiß, wann beim Schach ein Bauernopfer zu bringen ist, kann eine Spielsituation beschreiben und dazu sagen, dass beispielsweise in einer solchen Situation ein Bauernopfer zu bringen ist. Jemand, der weiß, wo Blumenschmuck am besten wirkt, kann die Blumen selbst aufstellen und darauf hinweisen, dass beispielsweise diese Platzierung die beste Wirkung erzielt. Umgekehrt schreiben wir demjenigen entsprechendes Wissen zu, der sich bei der Auswahl beziehungsweise Auszeichnung von genügend vielen Beispielen bewährt hat.25
Während für Ernst die genannten Fälle Formen von nicht-propositionalem Wissen darstellen, könnte man allerdings auch dafür argumentieren, dass das Wissen, wie ein Vermeer aussieht, das Wissen, wann beim Schach ein Bauernopfer zu bringen ist, oder das Wissen, wo Blumenschmuck am besten wirkt, ein Wissen darstellt, das nicht nur durch theoretische Vermittlung, sondern vor allem durch praktische Übung an vielen Einzelbeispielen erworben werden kann, dem man deshalb jedoch nicht prinzipiell die propositionale Struktur absprechen muss. Jemand, der weiß, wie ein Vermeer aussieht, weiß eben, dass ein Vermeer so-undso aussieht. Jemand, der weiß, wann beim Schach ein Bauernopfer zu bringen ist, weiß, dass in den und den Spielsituationen ein Bauer zu opfern ist, und jemand, der weiß, wo Blumenschmuck am besten wirkt, weiß, dass in den und den Konstellationen Blumenschmuck am besten wirkt. Auch das prototypische Beispiel aus der Literatur für nicht-propositionales praktisches Wissen – das Wissen, wie man Fahrrad fährt – ist selbstverständlich
2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus
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ein Wissen, das man nur durch Üben erlangt. Das Wissen über bestimmte Tatsachen im Zusammenhang mit dem Fahrradfahren kann zwar beim Erwerb des Wissens, wie man Fahrrad fährt, hilfreich sein, das praktische Erlernen dieser Fähigkeit aber nicht ersetzen. Jemandem, der das Gleichgewichthalten auf dem Fahrrad durch mathematische Formeln beschreiben kann, wird dieses Wissen alleine nicht dazu verhelfen, Fahrrad zu fahren. Die Tatsache, dass bestimmtes Wissen nur durch einen Praxisvollzug in hinreichendem Maße erworben werden kann, spricht nun meines Erachtens nicht per se gegen die Annahme, dass dieses Wissen von propositionaler Struktur ist. Ryles Hauptargument gegen die sogenannte „intellektualistische Legende“ besteht in einem reductio ad absurdum-Schluss: Nimmt man nämlich an, dass jegliches praktische Wissen-wie immer propositionales Wissen-dass voraussetzt, dann wäre, so Ryle, das intelligente Ausführen von Handlungen nicht möglich. Ein Subjekt müsste also nach intellektualistischer Auffassung zur intelligenten Ausführung von Handlungen vorher eine unendliche Menge von propositionalem Wissen heranziehen, was natürlich unmöglich ist. Die (intelligente) Ausführung einer Tätigkeit setzte voraus, dass man weiß, wie man diese Tätigkeit ausführt. Wenn nun aber, so Ryle, „zur intelligenten Ausführung einer Tätigkeit eine vorhergehende theoretische Tätigkeit nötig ist, und zwar eine, die intelligent ausgeführt werden muß, dann wäre es unmöglich, dass irgend jemand in diesen Zirkel eindringen könnte“26. Unter einer „vorhergehenden theoretischen Tätigkeit“ versteht Ryle nun gerade das Erwägen von Propositionen, das für ihn offenbar eine notwendige Bedingung für Wissen-dass darstellt. Würde also jedes Wissen-wie vollständig in Wissen-dass aufgehen, so würde jede Tätigkeit, die nach Ryle ja ein Wissen-wie zum Ausdruck bringt, ein Wissen-dass nach sich ziehen, welches nun wiederum in einer (theoretischen) Tätigkeit, dem Erwägen von Proposi tionen, besteht. Auch diese Tätigkeit beinhaltet ein Wissen-wie, welches wiederum (nach der intellektualistischen These) ein Wissen-dass nach sich zieht, das nun seinerseits in einer (theoretischen) Tätigkeit besteht usw. – ad infinitum. Da niemand „in diesen Zirkel eindringen kann“, ist somit das intelligente Ausführen einer Tätigkeit unmöglich. Offenkundig ist jedoch intelligentes Ausführen von Tätigkeiten möglich. Ergo muss, laut Ryle, die unterstellte intellektualistische These falsch sein. In der gegenwärtigen Diskussion richtet sich die Kritik am Anti-Intellektualismus im Sinne Ryles häufig bereits gegen die unterstellte Identifizierung von Wissen-wie mit dem Besitz einer praktischen Fähigkeit bzw. Fertigkeit. Ryles reductio-Argument setzt nämlich voraus, dass das Ausführen einer Tätigkeit T immer mit dem Wissen, wie man T tut, verbunden ist. Weiterhin unterstellt Ryle, dass das Wissen-dass immer in einer bestimmten Tätigkeit, dem Erwägen von Propositionen, besteht. Beide Prämissen lassen sich kritisieren. Formulieren wir
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2 Begriffsanalyse von Wissen
zunächst die beiden Annahmen in Ryles Argument durch die folgenden allgemeinen Thesen (T1) und (T2): (T1) Wenn S T ausführt, dann weiß S, wie man T ausführt. (T2) Wenn S weiß, dass p, dann erwägt S die Proposition, dass p. Jason Stanley und Timothy Williamson haben dafür argumentiert, dass beide Thesen nur für bewusste, absichtliche, d. h. intentionale Tätigkeiten wahr sind. (T1) ist, so Stanley und Williamson, beispielsweise für die nicht-intentionale Tätigkeit des Verdauens von Nahrung falsch. Wenn Peter Nahrung verdaut, dann besteht diese Tätigkeit nicht darin, dass Peter weiß, wie man Nahrung verdaut. Auch kann man von einer Person, die in einer (fairen) Lotterie gewonnen hat, nicht sagen, dass sie wüsste, wie man in einer (fairen) Lotterie gewinnt.27 Hiergegen könnte man allerdings einwenden, dass Verdauen oder in einer Lotterie gewinnen eher etwas ist, das mit einer Person geschieht oder das einer Person zustößt und daher nicht sinnvollerweise als eine Tätigkeit bezeichnet werden kann, die von einer Person ausgeführt wird.28 Wenn man (T1) auf klare Fälle intentionaler Tätigkeiten einschränkt, ergibt sich jedoch ein Problem mit der zweiten These. (T2) ist nach Stanley und Williamson nur dann allgemeingültig, wenn man unter der „theoretischen Tätigkeit des Erwägens einer Proposition“ auch unbewusst ablaufende Prozesse versteht, die nicht im bewussten Formulieren dieser Proposition bestehen. Selbstverständlich kann eine Person etwa aufgrund einer spontanen Wahrnehmung wissen, dass vor ihr ein Laptop steht, ohne dass sie hierbei die Proposition, dass vor ihr ein Laptop steht, bewusst ausspricht oder denkt. Da (T1) sich allerdings nur für intentionale Tätigkeiten als gültig erweist, das „Erwägen von Propositionen“ jedoch auch eine unbewusst ablaufende, nicht intentionale Tätigkeit sein kann, ist nach Stanley und Williamson Ryles Argument nicht gültig und der vermeintlich infinite Regress in Ryles Überlegungen vermeidbar: […] Ryle’s argument does not get off the ground. There is no uniform reading of the two premises in Ryle’s argument on which both are true; the argument is unsound. It therefore fails to establish any difficulty for the thesis that knowledge-how is a species of knowledgethat.29
Gegen die anti-intellektualistische Identifizierung von Wissen-wie mit dem Besitz einer praktischen Fähigkeit bzw. Fertigkeit lässt sich aber auch unabhängig von Ryles reductio-Argument argumentieren. In der Literatur finden sich vor allem zahlreiche Beispiele, die zeigen sollen, dass eine praktische Fähigkeit nicht notwendig für das entsprechende Wissen-wie ist.30 Betrachten wir hierzu etwa das folgende Beispiel: Die berühmte Eiskunstläuferin Katarina Witt, die in den
2.4 Intellektualismus vs. Anti-Intellektualismus
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80er Jahren des 20. Jahrhunderts zweifache Olympiasiegerin und vierfache Weltmeisterin war sowie zahlreiche DDR-Meisterschaftstitel errungen hatte, konnte während ihrer aktiven Zeit als Profieiskunstläuferin den dreifachen Salchow stehen. Auch wenn sie heute diesen Dreifachsprung nicht mehr beherrscht, so scheint es dennoch plausibel zu sein, ihr auch heute noch das Wissen, wie man diesen Sprung ausführt, zuzuschreiben. Selbst auf dem Höhepunkt ihrer Profieiskunstlaufkarriere war sie allerdings nicht in der Lage, einen vierfachen Axel zu stehen. Auch hier würde man ihr jedoch zugestehen, dass sie damals (wie wohl auch heute) über das Wissen verfügte, wie man einen solchen extrem schwierigen Sprung ausführt. Wissen, wie man p tut, scheint somit nicht die Fähigkeit, p tun zu können, einschließen zu müssen.31 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man Ryles Identifikation von Wissen-wie mit dem Besitz einer entsprechenden Fähigkeit, etwas zu tun, in Frage stellen kann. Auch spricht die Tatsache, dass bestimmtes Wissen nur aus der subjektiven Erlebnisperspektive bzw. nur durch einen Praxisvollzug erworben werden kann, nicht per se gegen die Annahme, dass dieses Wissen sich als propositional darstellen lässt. Ein Anti-Intellektualismus im Sinne von Ryle steht also auf argumentativ wackligen Beinen. Die Frage, ob sich Wissen-wie begrifflich auf Wissen-dass zurückführen lässt, ist allerdings von der Frage zu unterscheiden, ob Subjekte, denen wir Wissen-wie zuschreiben, dadurch auch über entsprechende Begriffe verfügen und Propositionen erfassen. Letztere Frage ist von empirischer Natur und lässt sich meines Erachtens nicht durch rein philosophische und erkenntnistheoretische Überlegungen klären. So ist es etwa kognitionspsychologisch umstritten, ob und in welcher Weise Tiere oder Kleinkinder Begriffe besitzen. Zugleich sprechen wir ihnen aber durchaus praktisches Wissen-wie der verschiedensten Art zu32: Manche Hunde wissen, wie man eine Frisbee-Scheibe fängt. Und schon Säuglinge wissen, wie sie Aufmerksamkeit erzeugen. Die obigen erkenntnistheoretischen Überlegungen konnten somit zwar zeigen, dass der begriffliche Zusammenhang zwischen Wissen-wie und praktischen Fähigkeiten nicht so eng ist, wie er in anti-intellektualistischen Positionen à la Ryle oftmals angenommen wird, und dass der praxisbezogene oder phänomenale Charakter bestimmter Wissensformen nicht gegen ihre Rekonstruierbarkeit als propositionales Wissen spricht. Über die kognitionspsychologischen Prozesse, die in Erkenntnissubjekten vorgehen, denen wir praktisches Wissen zusprechen, können jedoch ohne empirische Daten keine verlässlichen Aussagen getroffen werden. Eine philosophische Erkenntnistheorie mit ihrer Methode der Begriffsanalyse stößt hier naturgemäß an ihre Grenzen. Aus erkenntnisphilosophischer Perspektive legen es die bisherigen Überlegungen nahe, dass das propositionale Wissen epistemische Priorität besitzt. Proposi-
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2 Begriffsanalyse von Wissen
tionen werden zudem üblicherweise als Wahrheitsträger betrachtet, d. h. durch propositionales Wissen können Wahrheiten ausgedrückt werden. Wissen wird insbesondere deshalb als Ziel unserer Erkenntnisbemühungen angesehen, weil wir durch Wissen zu wahren Überzeugungen gelangen. Auch aus diesem Grund sollte daher das propositionale Wissen im Zentrum der erkenntnisphilosophischen Begriffsexplikation stehen.
2.5 Zusammenfassung Es wurde dafür argumentiert, dass eine konnektive Begriffsanalyse im Vergleich zu einer reduktiven Begriffsanalyse von Wissen für die Beantwortung der Frage „Was ist Wissen?“ vielversprechender ist. Es sollte jedoch der viel zu hohe Anspruch aufgegeben werden, mit einer solchen Begriffsanalyse eine vollständige Realdefinition von Wissen erzielen zu können. Die Suche nach einer Realdefinition, die tatsächlich alle Fälle von Wissen durch die Angabe notwendiger und zusammen hinreichender Bedingungen für Wissen abgedeckt, scheint aufgrund der Vielschichtigkeit des Wissensbegriffs kaum sinnvoll und erfolgsversprechend zu sein. Dennoch ist das Projekt einer Begriffsanalyse von Wissen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Wissensbegriff scheint nämlich, im Gegensatz zu Begriffen, deren Anwendungsfälle bloße Familienähnlichkeiten aufweisen, bestimmte stabile Wesensmerkmale zu besitzen. Wie wir in den nächsten Kapiteln noch genauer sehen werden, handelt es sich hierbei insbesondere um die Bedingung, dass eine wahre Überzeugung notwendig für Wissen ist, sowie die Bedingung, dass eine wahre Überzeugung nur dann zu Wissen führt, wenn sie in einer noch genauer zu spezifizierenden Weise nicht auf einem bloßen Zufall beruht. Es wurde des Weiteren dafür argumentiert, dass ein geeignetes methodisches Vorgehen auf der Suche nach der Natur von Wissen in einer Begriffsexplikation besteht, welche zum einen unserem intuitiven Verständnis von Wissen weitestgehend gerecht wird, jedoch auch bestimmten theoretischen Anforderungen an den Wissensbegriff genügen muss. Die Frage nach dem Explikandum dieser Wissensanalyse führte zur Unterscheidung von verschiedenen Formen des Wissens, wie dem interrogativen Wissen, sowie seinem Spezialfall, dem praktischen Wissen-wie, dem phänomenalen Wissen und dem propositionalen Wissen-dass. Es wurde anhand der These der Reduktion von interrogativem auf propositionales Wissen gezeigt, dass es für die interrogativen Wissensformen der Art „Wissen-wann“, „Wissen-wo“, „Wissen-wer“, „Wissen-warum“ etc. eine naheliegende Zurückführung auf propositionales Wissen gibt. Diese interrogativen Wissensformen beinhalten nämlich eine Frageklausel, auf die die jeweiligen propositionalen Wissensformen eine zutreffende Antwort geben. Aber auch das
2.5 Zusammenfassung
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praktische Wissen-wie sowie phänomenale Wissensformen der Art „Wissen-wiees-ist“ bzw. „Wissen-wie-es-sich-anfühlt“ scheinen sich zumindest prinzipiell durch Formen des propositionalen Wissens rekonstruieren zu lassen. Das propositionale Wissen, so wurde argumentiert, scheint die erkenntnisphilosophisch primäre Wissensform zu sein, so dass im propositionalen Wissen daher das Explikandum der anzustrebenden Begriffsexplikation bestehen sollte. Inwiefern alle Wissenssubjekte, denen man praktisches oder phänomenales Wissen zuschreibt, auch tatsächlich in der Lage sind, Propositionen zu begreifen und mental zu verarbeiten, ist allerdings eine empirische Frage der Neuro- und Kognitionswissenschaften. Fassen wir hier noch einmal die verschiedenen Adäquatheitsbedingungen für eine Explikation des Wissensbegriffs zusammen:
Adäquatheitsbedingungen für eine erkenntnisphilosophische Begriffsexplikation von Wissen 1. Das propositionale „Wissen-dass“ dient als Explikandum. 2. Die Explikation sollte eine konnektive Analyse anstreben, in der insbesondere die systematischen Zusammenhänge des (propositionalen) Wissensbegriffs mit anderen erkenntnistheoretischen Begriffen aufgedeckt und untersucht werden. 3. Die Explikation sollte unserem intuitiven Verständnis von „Wissen“ weitgehend entsprechen, d. h. sie sollte unseren Intuitionen über die Verwendung des Wissensbegriffs in der natürlichen Sprache möglichst gerecht werden. 4. Die Explikation sollte konsistent sein, d. h. aus ihr sollten sich keine Widersprüche ableiten lassen. 5. Die Explikation sollte eine Antwort auf die skeptische Herausforderung, die die Möglichkeit von Wissen generell in Frage stellt, geben können. 6. Die Explikation sollte in der Lage sein, erkenntnisphilosophische Probleme und Paradoxien im Zusammenhang mit dem Wissensbegriff (wie z. B. das Gettier-Problem) zu lösen. Nach diesen methodologischen Vorbetrachtungen wollen wir uns nun im Folgenden dem Projekt einer solchen konnektiven Begriffsanalyse propositionalen Wissens zuwenden.
3 Die klassische Wissenskonzeption und das Gettier-Problem 3.1 Platons Konzeption von Wissen Wie im letzten Kapitel erwähnt, wurde in Platons Dialog Theaitetos der Definitionsvorschlag von Wissen als mit einer Erklärung verbundenen richtigen Meinung als letztendlich zirkulär zurückgewiesen, da der im Definiens vorkommende Begriff der Erklärung nach Ansicht Platons implizit auf den Wissensbegriff rekurriert. In einer konnektiven Begriffsexplikation im Sinne Strawsons wird jedoch ohnehin keine reduktive Analyse des Wissensbegriffs in seine elementaren Bestandteile angestrebt. Viel wichtiger ist es, die systematischen Zusammenhänge zwischen dem Wissensbegriff und anderen Begriffen aufzudecken, um auf diese Weise eine Explikation von Wissen zu erzielen, die sowohl unseren epistemischen Intuitionen gerecht wird, als auch bestimmten theoretischen und erkenntnisphilosophischen Anforderungen genügt. Platons Definitionsvorschlag von Wissen als richtiger Meinung, verbunden mit einer Erklärung, beinhaltet wichtige Einsichten, die es in einer Begriffsexplikation von Wissen zu bewahren gilt. Nicht nur in Platons Dialog Theaitetos, sondern auch im Dialog Menon wird die Frage nach einer geeigneten Definition von Wissen diskutiert. Für Platon steht es außer Frage, dass derjenige, der Wissen über einen Gegenstand besitzt, hierüber auch eine wahre Meinung hat. Eine wahre Meinung über X zu haben ist somit notwendig dafür, Wissen über X zu besitzen. Etwas Falsches kann nicht gewusst werden. Allerdings ist eine wahre Meinung noch nicht hinreichend für Wissen. Nur derjenige, so Platon, der seine wahre Meinung auch begründen kann, d. h. der mittels guter Gründe erklären kann, warum seine Meinung wahr ist, verfügt über Wissen. Wissen ist nach Platon epistemisch wertvoller als bloße wahre Meinung. Jemand, der eine wahre Meinung über etwas besitzt, seine Meinung aber nicht durch gute Gründe rechtfertigen kann, glaubt zwar an etwas Wahres und kann daher auch z. B. korrekte Informationen weitergeben. Jedoch fehlt ihm die Kenntnis der rechtfertigenden Gründe, die seiner Meinung eine gewisse Art von Stabilität verleiht. Wer die rechtfertigenden Gründe für seine wahre Meinung kennt, lässt sich nämlich von seiner Meinung nicht mehr so leicht abbringen. Die wahre Meinung ist dann fest im Überzeugungssystem des Wissenden verankert. 1 Die platonische Konzeption von Wissen als mit einer Erklärung verbundenen wahren Meinung dient vor allem in der analytischen Erkenntnistheorie des 20. und 21. Jahrhunderts als Ausgangspunkt und Richtschnur für Begriffsanalysen von Wissen, ist aber auch, wie noch zu zeigen sein wird, heftiger Kritik ausgesetzt.
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3.2 Die klassische Analyse propositionalen Wissens Während Platon direkt nach der Natur und dem Wert von Wissen fragt, steht in der klassischen Analyse propositionalen Wissens der modernen Erkenntnistheorie meist die semantische Frage nach den Wahrheitsbedingungen von propositionalen Wissensaussagen der Form „S weiß, dass p“ (wobei „S“ ein beliebiges epistemisches Subjekt und „p“ eine beliebige Proposition ausdrückt) im Vordergrund. In Anlehnung an Platons Wissenskonzeption sind (i) die Bedingung des Überzeugtseins von S, dass p, (ii) die Bedingung der Wahrheit von p sowie (iii) die Bedingung, dass p epistemisch gerechtfertigt ist, notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen für die Wahrheit der Aussage „S weiß, dass p“:
Klassische Analyse propositionalen Wissens Eine Aussage der Form „S weiß, dass p“ ist genau dann wahr, wenn die folgenden drei Bedingungen (i)–(iii) erfüllt sind: (i) S ist davon überzeugt, dass p, (ii) p ist wahr, (iii) Ss Überzeugung, dass p, ist epistemisch gerechtfertigt. Ist mindestens eine der Bedingungen (i)–(iii) verletzt, dann ist die Aussage „S weiß, dass p“ falsch bzw. die Aussage „S weiß nicht, dass p“ wahr. Zu beachten ist hierbei, dass die in der klassischen Analyse propositionalen Wissens explizierten semantischen Wahrheitsbedingungen für Wissensaussagen bestimmte sprachpragmatische Aspekte bei der Verwendung von Wissensaussagen in der menschlichen Kommunikation nicht immer berücksichtigen. Eine negierte Wissensaussage der Form „S weiß nicht, dass p“ scheint etwa sprachpragmatisch zu implizieren, dass p wahr ist. Äußert ein Sprecher beispielsweise den Satz „Ingrid weiß nicht, dass Markus gestern Abend bei Maria war“, so will der Sprecher damit zu verstehen geben, dass Markus gestern Abend bei Maria war, dass Ingrid allerdings von dieser Tatsache keine Kenntnis besitzt. Wäre Markus gestern Abend gar nicht bei Maria gewesen, so wäre obige Äußerung aus sprachpragmatischen Gründen missglückt, wäre jedoch aus semantischen Gründen nicht falsch. Nach der obigen semantischen Analyse von Wissensaussagen ist nämlich bei falschem p (d. h. wenn die Bedingung (ii) verletzt ist) „S weiß nicht, dass p“ wahr. In semantischer Hinsicht ist also etwa auch die Aussage „Markus weiß nicht, dass Deutschland 2010 Fußballweltmeister wurde“ wahr, denn Deutschland wurde 2010 nicht Fußballweltmeister (sondern Spanien). Im Folgenden sollen zunächst nur die semantischen Aspekte von Wissensaussagen im Vordergrund stehen.
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Die zentralen Begriffe, die in der klassischen Analyse propositionalen Wissens vorkommen, bedürfen nun einer genauen Erläuterung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob diese Bedingungen einzeln tatsächlich alle notwendig und zusammen hinreichend für propositionales Wissen sind. Zu beachten ist zunächst, dass das Explikandum dieser Analyse das Verb „wissen“ ist, welches eine zweistellige Relation zwischen einem Erkenntnissubjekt S und einer Proposition p zum Ausdruck bringt. Ist der Zeitpunkt des Wissens für die Frage nach der Wahrheit einer Wissenszuschreibung relevant, wird häufig auch noch eine Zeitvariable t als weiterer Parameter hinzugenommen, so dass dann nach den Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen der Form „S weiß, dass p zu t“ gefragt wird. Aus Gründen der Einfachheit soll im Folgenden immer dann auf den Zeitparameter verzichtet und „wissen“ als zweistellige Relation verstanden werden, wenn der Zeitparameter für die Überlegungen zur Wahrheit von Wissensaussagen keine Rolle spielt. Das Objekt der Wissensrelation ist in der klassischen Analyse eine Proposition, also der Inhalt oder der Gedanke, der durch eine deskriptive Aussage ausgedrückt wird. Gewusst werden können somit nur bestimmte bestehende Sachverhalte oder Tatsachen.2 Wer (oder was) als Subjekt propositionalen Wissens gilt, ist umstritten. In der traditionellen Erkenntnistheorie wird unter einem epistemischen Subjekt meist ein einzelnes Individuum verstanden, das in der Lage ist, propositionale Einstellungen in Form von Meinungen und Überzeugungen auszubilden. Gegenwärtig werden im Rahmen der sogenannten „sozialen Erkenntnistheorie“ aber auch bestimmte Gruppen, wie Mitglieder sozialer, politischer oder wissenschaftlicher Gemeinschaften, als potentielle Wissenssubjekte in Betracht gezogen.3 Beschränkt man sich auf Individuen als Wissenssubjekte, stellt sich die Frage, welche dieser Individuen zum Kreis der potentiell Wissenden zu zählen sind. Die Diskussion um die Bedingung (iii) der obigen Analyse wird zeigen, dass die Beantwortung dieser Frage auch von den kognitiven Anforderungen abhängt, die zusätzlich zur wahren Überzeugung an das Wissenssubjekt gestellt werden. Ist man etwa der Meinung, dass Ss wahre Überzeugung, dass p, nur dann als Wissen angesehen werden kann, wenn die rechtfertigenden Gründe für die Wahrheit von p S auch kognitiv zugänglich sind, und fordert man zudem, dass S auch in der Lage sein muss, seine Überzeugung mittels dieser Gründe zu rechtfertigen, dann scheiden als Wissenssubjekte bereits all diejenigen Individuen aus, die diese Rechtfertigungsleistung nicht (bzw. noch nicht oder nicht mehr) erbringen können – wie etwa Tiere, kleine Kinder, stark demenziell Erkrankte etc. Bei weniger „intellektualisierten“ Rechtfertigungsbedingungen ist der Kreis der potentiellen Wissenssubjekte dann entsprechend größer.
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3.2.1 Überzeugung Der Begriff der Überzeugung in Bedingung (i) soll im Sinne einer hohen subjektiven Sicherheit in Bezug auf die Wahrheit der entsprechenden Proposition verstanden werden. Jemand, der davon überzeugt ist, dass p, hat einen starken epistemischen Glauben an die Wahrheit von p. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Analyse der Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen soll daher im Folgenden vorwiegend der Begriff der Überzeugung anstelle des Begriffs der Meinung verwendet werden, da der Begriff der Überzeugung deutlicher als der Begriff der Meinung einen solchen hohen subjektiven Grad der Sicherheit zum Ausdruck bringt. Die Bedingung (i) scheint klarerweise eine notwendige Bedingung für propositionales Wissen auszudrücken. Ist eine Aussage der Form „S weiß, dass p“ wahr, so ist auch die Aussage „S ist davon überzeugt, dass p“ wahr. Ein Subjekt, das nicht davon überzeugt ist, dass p, kann auch nicht wissen, dass p. Wer behauptet, zu wissen, dass p, gibt damit u. a. zu verstehen, dass er der Überzeugung ist, dass p auch der Fall ist. Daher erscheint es uns als inkohärent oder sogar selbstwidersprüchlich, wenn beispielsweise ein Sprecher behauptet: „Ich weiß, dass Carl Friedrich Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde.“ Indem der Sprecher behauptet zu wissen, dass Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde, drückt er damit auch seine Überzeugung aus, dass Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde. Wenn der Sprecher jedoch diese Überzeugung explizit verneint, so kann er offenbar nicht ohne Selbstwiderspruch im selben Atemzug behaupten, dass er dennoch wüsste, dass Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde. Nun gibt es allerdings Fälle, in denen Personen zwar behaupten, etwas zu wissen, gleichzeitig aber auch behaupten, das Gewusste eigentlich nicht glauben zu können – und daher eine entsprechende Überzeugung zu leugnen scheinen. So schildert etwa Leo Auberg, der Erzähler des Romans „Atemschaukel“ der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, seine schrecklichen Erlebnisse im sowjetischen Arbeitslager mit den Worten: „Man redet sich ein, dass die Fehlenden nur in ein anderes Lager gekommen sind. Was man weiß, gilt nicht, man glaubt das Gegenteil.“4 Das Gewusste ist hier so unerträglich, dass man es lieber verdrängt und erst gar nicht als eigene Meinung zu akzeptieren bereit ist. Dies ist psychologisch nur allzu verständlich, bedeutet aber natürlich nicht, dass Wissen rationalerweise nicht doch eine entsprechende Überzeugung begrifflich impliziert. Auch sind Fälle, in denen beispielsweise eine Mutter eines Mörders behauptet: „Ich weiß, dass mein Sohn den Mord begangen hat, aber ich glaube es einfach nicht“, oder (um ein erfreulicheres Beispiel anzuführen), in denen eine Lottogewinne-
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rin sagt: „Ich weiß zwar, dass ich im Lotto gewonnen habe, kann es aber nicht glauben“, keine echten Fälle von „Wissen ohne Überzeugung“. Diese Beispiele lassen sich nämlich so deuten, dass lediglich zum Ausdruck gebracht wird, dass das Gewusste mitsamt der entsprechenden Überzeugung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Subjekt überraschend und unerwartet ist. Von Colin Radford stammt das folgende viel diskutierte Beispiel eines vermeintlichen Falls von „Wissen ohne Überzeugung“5: Jean wird von seinem Freund Tom in einem Geschichtsquiz über einige Daten zur britischen Monarchie befragt. Jean behauptet, dass er absolut keine Ahnung von den Lebens- und Sterbedaten der Tudors und Stuarts habe. Dennoch liegt er bei vielen Fragen hierzu richtig. So gibt er beispielsweise die korrekten Antworten auf die Fragen, wann Elisabeth I. und wann James I. gestorben sind (1603 und 1625). Auch wenn Jean sich nicht daran erinnert, wurde im Geschichtsunterricht seiner (französischkanadischen) Schule einmal englische Geschichte behandelt, und dabei wurden insbesondere die Sterbedaten von Elisabeth I. und James I. erwähnt. Diese Daten sind nun irgendwie noch in seinem Unterbewusstsein gespeichert und führen dazu, dass Jean die korrekten Antworten im Geschichtsquiz geben kann. Jean ist jedoch keineswegs davon überzeugt, dass seine Antworten auf die Quizfragen korrekt sind. Er zweifelt sogar eher daran, dass sie richtig sind. Er ist daher äußerst überrascht, als er erfährt, dass er u. a. mit den Sterbedaten von Elisabeth I. und James I. genau richtig lag. Obwohl Jean von der Korrektheit seiner Antworten nicht überzeugt ist, liegt hier, so Radford, dennoch ein Fall von Wissen vor. Jeans Antworten sind schließlich keine bloßen Zufallsprodukte, sondern sie sind Resultat seiner noch unbewusst vorhandenen Kenntnisse aus vergangenen Geschichtsstunden.6 Für Radford muss daher eine Person, um zu wissen, dass p, nicht notwendigerweise auch davon überzeugt sein, dass p. Die fehlende Überzeugung, dass p, führt nach Radford zwar dazu, dass die Person nicht daran glaubt zu wissen, dass p. Dennoch bedeutet dies seiner Auffassung nach nicht, dass deshalb auch kein Wissen vorliegt.7 Zeigt das Radford-Beispiel, dass die Bedingung (i) der klassischen Analyse nicht notwendig für Wissen ist? Zunächst einmal ist es meines Erachtens nicht unumstritten, dieses etwas konstruierte Beispiel als eindeutigen Fall von Wissen auszuzeichnen. Ob man hier von Wissen sprechen möchte oder nicht, hängt davon ab, wie man die Überzeugungsbedingung (i) interpretiert. Würde man von einem Wissenssubjekt verlangen, über die betreffende Proposition eine bewusste Überzeugung zu haben, die explizit vertreten und verteidigt werden kann, liegt im Radford-Fall sicherlich kein Wissen vor. Nach dieser „intellektualistischen“ Auffassung weiß nur derjenige, dass p, der auch weiß, dass er die Überzeugung, dass p, besitzt. In einer weniger stark intellektualistischen Auslegung könnte
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man eine Person auch dann als Wissende betrachten, wenn sie über eine wahre Überzeugung verfügt, die bloß unbewusst oder dispositional vorhanden ist. Da die korrekten Antworten Jeans aus verschütteten Erinnerungen an früher Gelerntes stammen, kann man meines Erachtens ihm hier durchaus in diesem Sinne unbewusste Überzeugungen über die korrekten Daten zuschreiben. Jeans korrekte Antworten stammen aus einer zuverlässigen, wenngleich unbewussten Quelle und sind nicht bloß aus zufällig richtigem Raten entstanden. Das Radford-Beispiel ist somit entweder gar kein Fall von Wissen, oder es beschreibt einen Fall von Wissen mit einer unbewussten Überzeugung. Es ist daher kein Gegenbeispiel zur Bedingung (i) der klassischen Analyse propositionalen Wissens.
3.2.2 Wahrheit Überzeugung ist kein faktiver Begriff. Jemand, der von etwas überzeugt ist, kann sich dennoch irren: Im 18. Jahrhundert waren die Anhänger der sogenannten Phlogistontheorie der Überzeugung, dass allen brennbaren Körpern ein bestimmter Stoff, das sogenannte „Phlogiston“, innewohne und dieser bei Verbrennung entweiche. Ende der 1950er Jahre waren viele Mediziner und Verbraucherinnen der Überzeugung, dass das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan keine gravierenden Nebenwirkungen besäße. Und die meisten Betreiber des japanischen Atomkraftwerks Fukushima waren wohl der Überzeugung, dass das Atomkraftwerk selbst schwersten Erdbeben standhalten würde. Es scheint intuitiv unmittelbar einleuchtend, dass diese und andere falsche Überzeugungen nicht als Wissen ausgezeichnet werden können. Die Überzeugung, dass p, ist somit zwar notwendig, aber dennoch alleine nicht hinreichend für das Wissen, dass p. Insbesondere muss eine Überzeugung auch wahr sein, um als Wissen gelten zu können. Wahrheit, so die fast einhellige Meinung der Erkenntnisphilosophen, ist eine weitere notwendige Bedingung für Wissen. Zwar sprechen wir manchmal von „falschem Wissen“, etwa wenn behauptet wird: „Früher wusste man, dass die Erde eine Scheibenform hat, heute weiß man, dass dies falsch war.“ Einmal abgesehen davon, dass bereits in der Antike viele von der Kugelform der Erde überzeugt waren, sprechen derartige Aussagen nicht gegen die Wahrheitsbedingung (ii) als notwendige Bedingung für Wissen. Wenn wir von früherem „falschen Wissen“ reden, dann meinen wir damit lediglich, dass man früher geglaubt oder behauptet habe, zu wissen, nicht aber, dass man damals tatsächlich etwas Falsches gewusst habe.8 Angesichts der Möglichkeit, dass selbst die besten Wissenschaftler sich prinzipiell irren können, ist es natürlich möglich, dass auch die Wissensbehauptungen heutiger Experten sich als falsch erweisen. Die Fallibilität der meisten unserer Überzeugungen steht jedoch nicht im Widerspruch zur Wahrheitsbedin-
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gung (ii) als notwendiger Bedingung von Wissen, sondern verweist vielmehr auf den Umstand, dass Wissensbehauptungen sich als falsch herausstellen können.9
3.2.3 Epistemische Rechtfertigung Die Bedingung (iii) der klassischen Analyse der Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen ist sicherlich die umstrittenste. Auch bedarf der Begriff der epistemischen Rechtfertigung der Präzisierung. Unter Erkenntnisphilosophen herrscht zudem Uneinigkeit über die Stärke und Struktur der für Wissen als notwendig erachteten Form epistemischer Rechtfertigung. Das Adjektiv „epistemisch“ in „epistemische Rechtfertigung“ soll zum Ausdruck bringen, dass der hier betrachtete Rechtfertigungsbegriff von erkenntnistheoretischer Natur und daher auf die Wahrheit ausgerichtet ist. Mittels dieser Art der Rechtfertigung wollen wir Erkenntnisse über die Welt erlangen, und dies erreichen wir dadurch, dass wir Überzeugungen erlangen, die auf „wahrheitszuträgliche Mittel“ gestützt sind.10 Rechtfertigung im epistemischen Sinne – im Unterschied etwa zur moralischen, religiösen oder juristischen Rechtfertigung – hat das Ziel, die betreffende Überzeugung als wahr auszuweisen. Eine Überzeugung wird daher durch die Angabe von Gründen, die die Wahrheit dieser Überzeugung stützen, epistemisch gerechtfertigt. Erkenntnisphilosophische Auseinandersetzungen um die Struktur epistemischer Rechtfertigung werden vor allem in den Diskussionen zwischen erkenntnistheoretischen Fundamentalisten und Kohärentisten sowie zwischen erkenntnistheoretischen Internalisten und Externalisten geführt. In der Debatte zwischen Vertretern fundamentalistischer und kohärentistischer Theorien epistemischer Rechtfertigung geht es um die Frage, ob es so etwas wie basale Überzeugungen gibt, die selbst keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedürfen und als Fundament von Rechtfertigungsprozessen dienen, oder ob Überzeugungen dadurch gerechtfertigt werden, dass sie sich in bestehende Überzeugungssysteme möglichst stimmig und kohärent einfügen lassen. Erkenntnistheoretische Fundamentalisten gehen von der Existenz basaler Überzeugungen aus. Der genaue ontologische und epistemische Status dieser basalen Überzeugungen wird jedoch innerhalb des Fundamentalismus zum Teil sehr unterschiedlich bestimmt. Während rationalistische Fundamentalisten (wie Platon, Descartes oder Kant) gewisse erste Prinzipien oder notwendige Wahrheiten, die vor aller Erfahrung alleine durch die Vernunft eingesehen werden können, als Erkenntnisbasis betrachten, sind für empiristische Fundamentalisten (wie John Locke, David Hume, Alfred Jules Ayer oder Moritz Schlick) bestimmte basale Sinneseindrücke Fundament und Ausgangspunkt der Erkenntnis. Für einige Fundamentalisten sind die Elemente der
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Erkenntnisbasis keine eigentlichen Überzeugungen mehr, da sie nicht begriffliche und nicht propositionale Zustände des erkennenden Subjekts beinhalten. So besteht etwa für Schlick das Erkenntnisfundament in vorbegrifflichen und unmittelbaren Sinneseindrücken der Form „Hier jetzt so und so“, die er als „Konstatierungen“ bezeichnet.11 Unter Fundamentalisten ist darüber hinaus umstritten, ob die Elemente der Erkenntnisbasis infallibel oder aber anfechtbar und fehlbar sein können. Viele zeitgenössische erkenntnistheoretische Fundamentalisten, wie etwa Laurence BonJour12, gehen jedoch von einer falliblen Erkenntnisbasis aus. Die Kohärenztheorie der epistemischen Rechtfertigung wird vor allem seit dem 20. Jahrhundert als wichtige Gegenposition zum erkenntnistheoretischen Fundamentalismus vertreten (u. a. von Brand Blanshard, Otto Neurath, W. V. O. Quine, Wilfried Sellars, Keith Lehrer und Donald Davidson). Kohärentisten sind insbesondere der Meinung, dass prinzipiell alle Überzeugungen in einem wechselseitigen Rechtfertigungszusammenhang stehen. Für sie gibt es daher keine basalen, selbst gerechtfertigten Überzeugungen. Kohärentisten setzen der fundamentalistischen Auffassung einer linearen Begründungskette, die in bestimmten basalen Überzeugungen ihren Ausgangspunkt hat, eine holistische Rechtfertigungsstruktur entgegen, wonach Überzeugungen sich als epistemisch gerechtfertigt erweisen, wenn sie kohärent in ein bestehendes Überzeugungssystem eingefügt werden können, d. h. insbesondere, wenn sie in einem Verhältnis der gegenseitigen Stützung zu anderen Überzeugungen stehen, die sich bereits bewährt haben.13 In der Debatte zwischen erkenntnistheoretischen Internalisten und Externalisten geht es um die Frage, ob und wenn ja, inwiefern die rechtfertigenden Gründe dem epistemischen Subjekt selbst auch kognitiv zugänglich und bekannt sein müssen, um zu Wissen zu führen. Die Bedingung (iii) kann man nämlich zum einen internalistisch deuten, wonach das Subjekt S, um zu wissen, dass p, seine Überzeugung durch die eigene Angabe von Gründen rechtfertigen können muss. Zum anderen kann die Bedingung (iii) aber auch externalistisch in dem Sinne verstanden werden, dass es für Wissen ausreicht, wenn es, von außen betrachtet, Gründe gibt (die S nicht unbedingt bekannt sein müssen), die die wahre Überzeugung von S als gerechtfertigt ausweisen.14 Zu den intuitiven Eigenschaften epistemischer Rechtfertigung zählen insbesondere ihre Fallibilität und Gradualität.15 Zwar zielt die epistemische Rechtfertigung darauf ab, unsere Überzeugungen als wahr auszuzeichnen, dennoch ist es möglich, dass dieses Ziel verfehlt wird. Trotz des Vorliegens hervorragender rechtfertigender Gründe für die Wahrheit von p kann sich p dennoch als falsch herausstellen. Der Chemiker Georg Ernst Stahl hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufgrund bestimmter empirischer Befunde gute Gründe für die Annahme der Existenz des Phlogistons. Auch schien in den 1950er Jahren die Annahme,
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dass das Medikament „Contergan“ zu keinen gravierenden Nebenwirkungen beim Menschen führt, epistemisch gut gerechtfertigt zu sein (da es u. a. im Tierversuch keine Nebenwirkungen zeigte). Beide Annahmen, die zu ihrer Zeit durch vermeintlich stützende Belege eine gute Rechtfertigungsbasis besaßen, haben sich jedoch als falsch herausgestellt. Die vorliegenden rechtfertigenden Gründe wurden durch spätere Erkenntnisse (Lavoisiers Entdeckung der Gewichtszunahme beim Verbrennen von Metallen, erste Missbildungen bei Neugeborenen von Müttern, die das Medikament „Contergan“ während der Schwangerschaft eingenommen haben etc.) angefochten. In vielen Fällen, in denen alles dafür spricht, dass p, ist es sogar ein Gebot der Rationalität, p als epistemisch gerechtfertigt und daher als wahr anzusehen. So ist beispielsweise die Überzeugung hochgradig epistemisch gerechtfertigt, dass ein bestimmtes Lotterielos eine Niete sein wird, wenn die Chance, ein Gewinnerlos zu ziehen, extrem niedrig ist. Wenn jemand aus bloßem Wunschdenken der Überzeugung ist, dass er bei der nächsten Samstagsziehung der Lottozahlen sechs Richtige haben wird, so ist diese Überzeugung natürlich nicht epistemisch gerechtfertigt. Die statistischen Evidenzen sprechen klar gegen einen solchen Lottogewinn (sie liegen bei fast 1 zu 14 Millionen). Selbst wenn der extrem unwahrscheinliche Fall eintreten sollte und die Person sich tatsächlich über einen Lottogewinn mit sechs Richtigen freuen kann, würden wir ihre auf Wunschdenken beruhende Überzeugung dennoch nicht als epistemisch gerechtfertigt ansehen.16 Aufgrund der Fallibilität epistemischer Rechtfertigung können Überzeugungen somit bereits dann als epistemisch gerechtfertigt ausgezeichnet werden, wenn gute Gründe die Wahrheit der Überzeugung stützen bzw. für eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wahrheit der Überzeugung sprechen. Die epistemische Rechtfertigung einer Überzeugung muss die Wahrheit der Überzeugung jedoch nicht garantieren. Epistemisch gerechtfertigte Überzeugungen können sich somit auch als falsch herausstellen – oder sie können auch auf der Grundlage von nicht wahrheitserzwingenden Gründen als wahr angesehen werden. Die Annahme der Fallibilität epistemischer Rechtfertigung ist prima facie sehr plausibel. Würde man von der epistemischen Rechtfertigung verlangen, dass die rechtfertigenden Gründe die Wahrheit einer Überzeugung stets erzwingen, würde der intuitive Unterschied zwischen wahren und epistemisch gerechtfertigten Überzeugungen nivelliert. Zudem halten wir viele Überzeugungen auch dann für epistemisch gerechtfertigt, wenn die prinzipielle Möglichkeit des Irrtums besteht. Auch der dem Wissensbegriff zugrundeliegende Rechtfertigungsbegriff sollte daher als fallibel aufgefasst werden. Würde man verlangen, dass eine Person nur dann weiß, dass p, wenn die epistemische Rechtfertigung die Wahrheit der Überzeugung, dass p, stets garantiert, wären die meisten unserer (positiven) Wissensaussagen falsch. Intuitive Plausibilität sowie die Bedingung, dass der Wissensbegriff nicht
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nahezu leer sein darf, sind jedoch wichtige Adäquatheitsbedingungen für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens. In einer solchen Begriffsexplikation sollte man daher an der Fallibilität epistemischer Rechtfertigung festhalten. Auch die Gradualität ist eine wichtige Eigenschaft epistemischer Rechtfertigung. Bestimmte Gründe können eine Überzeugung mehr oder weniger stark epistemisch rechtfertigen. Ein fehlendes Alibi und ein Tatmotiv liefern rechtfertigende Gründe für die Überzeugung einer Kommissarin, dass eine bestimmte Person einen Mord begangen hat. Werden zusätzlich noch DNA-Spuren dieser Person auf der Tatwaffe gefunden und wurde die Person von glaubwürdigen Zeugen zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes gesehen, so ist die Überzeugung der Kommissarin noch stärker gerechtfertigt. Wenn graduelle epistemische Rechtfertigung für Wissen notwendig ist, stellt sich allerdings die Frage, ab welchem Grad der epistemischen Rechtfertigung eine wahre Überzeugung als Wissen ausgezeichnet werden kann. Selbst wenn sich die Überzeugung der Kommissarin als wahr herausstellen sollte und die verdächtige Person tatsächlich der Mörder ist, ist es fraglich, ob das fehlende Alibi und das Vorliegen eines Tatmotivs alleine ausreichen, um von der Kommissarin zu behaupten, dass sie wusste, dass die Person den Mord begangen hat. Insbesondere Vertreter bestimmter kontextualistischer Wissenstheorien sind der Auffassung, dass sich die Gradualität des Begriffs der epistemischen Rechtfertigung auch auf den Wissensbegriff überträgt, da epistemische Rechtfertigung eine Komponente des Begriffs des Wissens darstellt.17 Welche rechtfertigenden Gründe für eine wahre Überzeugung ausreichend sind, um diese als Wissen auszeichnen zu können, hängt nach dieser Wissenstheorie von bestimmten Standards für Wissen ab, die je nach Kontext, in dem die Wissenszuschreibung erfolgt, variieren können.18
3.3 Gettiers Einwände gegen die klassische Wissensanalyse Die auf Platon zurückgehende klassische Analyse propositionalen Wissens galt lange Zeit als unumstrittene erkenntnistheoretische Standardtheorie des Wissens. Auch wenn über die genaue Ausformulierung der einzelnen Analysebestandteile Uneinigkeit herrschte, so war doch die fast einhellige Meinung unter den Erkenntnisphilosophen, dass propositionales Wissen in einer wahren und epistemisch gerechtfertigten Überzeugung besteht und daher die Bedingungen (i)–(iii) notwendig und zusammen hinreichend für propositionales Wissen sind. Mit einem knappen, nur zweieinhalb Seiten langen Aufsatz, der 1963 in der Zeitschrift Analysis erschien, änderte sich diese Situation jedoch schlagartig. Edmund Gettier, der Autor dieses Aufsatzes, zeigte anhand von zwei einfachen Gegenbeispielen, dass die klassische Analyse offenbar doch nicht geeignet ist,
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Wissen adäquat zu definieren. In seinen beiden Beispielfällen werden nämlich Situationen konstruiert, in denen das jeweilige epistemische Subjekt über eine wahre und auch gerechtfertigte Überzeugung verfügt, die jedoch nicht als Wissen angesehen werden kann.19 Betrachten wir zunächst Gettiers eigene Beispiele:
Beispiel 1: Der Job und die Münzen Smith und Jones haben sich um dieselbe Stelle beworben. Smith hat jedoch sehr gute Gründe, anzunehmen, dass nicht er, sondern sein Konkurrent Jones die Stelle erhalten wird. Der Chef der Firma hat ihm nämlich versichert, dass er sich für Jones entschieden habe. Des Weiteren hat Smith gerade gesehen, dass Jones zehn Münzen in seine Hosentasche gesteckt hat. Smith können wir daher die folgende gerechtfertigte Überzeugung zuschreiben: (a) Jones wird die Stelle bekommen, und Jones hat zehn Münzen in seiner Hosentasche. Aus dieser Überzeugung zieht Smith nun den folgenden einfachen logischen Schluss: (b) Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn Münzen in seiner Hosentasche. Da Smith in seiner Überzeugung (a) epistemisch gerechtfertigt ist und er (b) aus dieser gerechtfertigten Überzeugung (a) logisch erschlossen hat, ist Smith somit klarerweise auch in der Überzeugung (b) epistemisch gerechtfertigt. Die Geschichte nimmt allerdings eine unvorhergesehene Wendung: Entgegen allem Anschein erhält Smith nun doch die Stelle. Vielleicht hat sich der Firmenchef noch spontan umentschieden oder wollte Smith zunächst nicht die Wahrheit sagen. Und nun kommt auch noch der Zufall ins Spiel: Ohne dass ihm dies bewusst ist, hat Smith nämlich ebenfalls genau zehn Münzen in seiner Hosentasche. Obwohl Smith’ Überzeugung (a) somit falsch ist, erweist sich durch diese glücklichen Begebenheiten seine Überzeugung (b) dennoch als wahr. Da Smith’ Überzeugung (b) auch epistemisch gerechtfertigt ist, ist (b) somit eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung. Wäre eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung hinreichend für Wissen, müsste Smith also auch wissen, dass (b). Dies erscheint jedoch höchst unplausibel. Schließlich wurde Smith’ Überzeugung (b) auf der Grundlage der falschen Überzeugung (a) gebildet. Dass sich (b) dennoch als wahr herausgestellt hat, ist zwei glücklichen Umständen zu verdanken, die Smith gar nicht bekannt waren – nämlich, dass er entgegen der Aussage des Personalchefs trotzdem die Stelle bekommt und dass er zufällig zehn Münzen in seiner Tasche hat. Es scheint intuitiv klar, dass eine Überzeugung, deren Rechtfertigung auf einer falschen Annahme beruht und die sich nur zufälligerweise dennoch als wahr erweist, kein
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Wissen darstellt. Smith hat daher entgegen der klassischen Analyse propositionalen Wissens eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung, die intuitiv kein Wissen ist.
Beispiel 2: Der Ford und die Stadt Smith hat in diesem (ebenfalls etwas konstruierten) Beispiel gute Gründe für die Überzeugung, dass Jones einen Ford besitzt. Nach Smith’ Erinnerung hat Jones nämlich bisher niemals ein anderes Auto als einen Ford besessen. Außerdem hat Jones erst kürzlich, in einem Ford sitzend, Smith angeboten, ihn nach Hause zu fahren. Somit ist Smith in der Überzeugung (c) epistemisch gerechtfertigt: (c) Jones besitzt einen Ford. Smith hat einen Freund Brown, von dem er aber lange nichts mehr gehört hat und absolut keine Ahnung hat, wo er sich momentan aufhalten könnte. Rein willkürlich wählt Smith nun drei Städtenamen und bildet (warum auch immer) hieraus die folgenden drei Propositionen: (d) Jones besitzt einen Ford, oder Brown ist in Boston. (e) Jones besitzt einen Ford, oder Brown ist in Barcelona. (f) Jones besitzt einen Ford, oder Brown ist in Brest-Litowsk. Smith, der einen Logikgrundkurs besucht hat, ist sich natürlich darüber im Klaren, dass (d), (e) und (f) aus seiner Überzeugung (c) logisch folgen. Da Smith’ Überzeugung (c) epistemisch gerechtfertigt ist, sind daher auch (d), (e) und (f) Überzeugungen, in denen Smith epistemisch gerechtfertigt ist. Auch in diesem Beispiel gibt es zwei unerwartete Ereignisse: Zum einen erweist sich (c) wider Erwarten als falsch. Jones besitzt gar keinen Ford. Der Ford, mit dem Jones kürzlich gefahren ist, war bloß ein Leihwagen. Zum anderen spielt wieder der Zufall mit, und Brown hält sich gerade, ohne dass dies Smith bekannt ist, in Barcelona auf. Somit erweist sich Smith’ Überzeugung (e) als wahr und epistemisch gerechtfertigt. Auch in diesem Fall ist man sicherlich nicht geneigt, von Smith zu behaupten, er wüsste, dass (e). Die Rechtfertigung der Überzeugung (e) beruhte auf einer falschen Annahme – der Annahme (c) –, und nur durch puren Zufall hat Smith den richtigen Aufenthaltsort von Brown erraten, so dass sich (e) als wahr erwies. Hier, wie in Beispiel 1, hat zwar Smith eine wahre Überzeugung, jedoch aus den falschen Gründen. Wissen ist mit derartigen zufälligerweise wahren und auf falschen Gründen beruhenden Überzeugungen jedoch nicht vereinbar. Es scheint ein einfaches Muster für die Konstruktion von Gettier-Beispielen zu geben: Wir gehen davon aus, dass ein epistemisches Subjekt S die Überzeugung,
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dass p, besitzt. Diese Überzeugung kann aufgrund vorliegender Evidenzen bzw. guter Gründe als epistemisch gerechtfertigt angesehen werden kann. Dennoch erweist sich p als falsch. Die Falschheit dieser Überzeugung ist etwas, das angesichts der gegebenen Evidenzen überraschend und unerwartet ist. Nun kommt ein weiteres Element des Zufalls ins Spiel: Aus der falschen, aber gerechtfertigten Überzeugung, dass p, gewinnt S nämlich die Überzeugung, dass q, die sich zufälligerweise als wahr herausstellt. Die Überzeugung, dass q, ist zudem gerechtfertigt, da S sie aus der gerechtfertigten Überzeugung, dass p, logisch gefolgert hat. Eine bestimmte Verkettung von fallibel gerechtfertigter Überzeugung mit gewissen Zufallsereignissen scheint somit für Gettier-Beispiele typisch zu sein.20 Die Ansicht, dass die Gettier-Beispiele Fälle von wahren und epistemisch gerechtfertigten Überzeugungen sind, die jedoch kein Wissen darstellen, wird von einer Mehrheit der Philosophen geteilt. Die Gettier-Beispiele scheinen zudem von recht plausiblen und unproblematischen Annahmen auszugehen, wie der Fallibilität epistemisch gerechtfertigter Überzeugungen. In Beispiel 1 hat Smith gute Gründe für die Überzeugung (a) und ist deshalb in dieser Überzeugung epistemisch gerechtfertigt, obwohl sich diese Überzeugung als falsch erwiesen hat. Auch in Beispiel 2 hat Smith eine falsche epistemisch gerechtfertigte Überzeugung – die Überzeugung (c), dass Jones einen Ford besitzt. Neben der Fallibilität epistemischer Rechtfertigung wird in den Gettier-Beispielen 1 und 2 auch das Prinzip der Abgeschlossenheit epistemischer Rechtfertigung gegenüber logischer Implikation vorausgesetzt, das allgemein folgendermaßen formuliert werden kann:
Abgeschlossenheitsprinzip epistemischer Rechtfertigung gegenüber logischer Implikation Ist Ss Überzeugung, dass p, epistemisch gerechtfertigt, und ist q eine logische Folgerung aus p, und erkennt S, dass q aus p logisch folgt und gelangt aufgrund dieser Erkenntnis zur Überzeugung, dass q, dann ist Ss Überzeugung, dass q, auch epistemisch gerechtfertigt. Im Gettier-Beispiel 1 ist (b) eine einfache logische Folgerung aus Ss gerechtfertigter Überzeugung (a). Da Smith aufgrund dieser logischen Folgerungsbeziehung zur Überzeugung gelangt, dass (b), wurde unter Anwendung des obigen Abgeschlossenheitsprinzips auch (b) als eine epistemisch gerechtfertigte Überzeugung von Smith angesehen. Auch in Beispiel 2 wurde das Abgeschlossenheitsprinzips benutzt, als geschlussfolgert wurde, dass Smith’ Überzeugung (e), die ja eine logische Implikation aus Smith’ gerechtfertigter Überzeugung (c) darstellt, epistemisch gerechtfertigt ist.
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Das Abgeschlossenheitsprinzip epistemischer Rechtfertigung gegenüber logischer Implikation ist sehr plausibel, da es eine allgemein übliche rationale Methode zur Gewinnung gerechtfertigter Überzeugungen zum Ausdruck bringt. Gerechtfertigte Überzeugungen erlangen wir eben nicht bloß alleine aufgrund vorliegender Evidenzen, die die Wahrheit einer Überzeugung stützen, sondern auch dadurch, dass wir aus bereits epistemisch gerechtfertigten Überzeugungen logische Schlüsse ziehen.
3.4 Lösungsansätze zum Gettier-Problem Gettiers Beispiele 1 und 2 zeigen, dass die Bedingungen (i)–(iii) nicht zusammen hinreichend für Wissen sind, da es wahre und gerechtfertigte Überzeugungen gibt, die intuitiv kein Wissen darstellen. Welche Konsequenzen sich hieraus für die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Begriffsanalyse propositionalen Wissens ergeben, ist jedoch umstritten. Klar ist allerdings, dass die Gettier-Beispiele ernst zu nehmende Probleme für die lange Zeit akzeptierte Auffassung von Wissen als wahrer und gerechtfertigter Überzeugung darstellen. In der Literatur wird daher auch oftmals vom „Gettier-Problem“ gesprochen. Das Gettier-Problem hat zu unterschiedlichen Reaktionen und Lösungsstrategien in der „posttraditionellen“ Erkenntnistheorie geführt.21 Einige versuchen, an den Bedingungen (i)–(iii) als notwendige Bedingungen für Wissen festzuhalten und eine weitere Bedingung hinzuzufügen, die dann zusammen mit den Bedingungen (i)–(iii) für Wissen hinreichend ist. Andere versuchen, den Begriff der epistemischen Rechtfertigung zu modifizieren bzw. den Zusammenhang von epistemischer Rechtfertigung und Wahrheit so zu fassen, dass die Gettier-Beispiele und ähnliche Fälle nicht mehr unter den neu definierten Wissensbegriff fallen. Wieder andere versuchen, eine „Gettier-resistente“ Wissensanalyse zu entwickeln, indem sie vollständig auf den Begriff der epistemischen Rechtfertigung verzichten. Manche Erkenntnistheoretiker versuchen sogar, die Intuition, wonach in den Gettier-Beispielen kein Wissen vorliegt, zurückzuweisen und die Gettier-Beispiele doch als bestimmte Formen des Wissens zu betrachten. Schließlich gibt es eine nicht geringe Zahl an Philosophen, die die Gettier-Beispiele als unüberwindbares Problem für eine Wissensanalyse deuten und in ihnen ein Indiz dafür sehen, dass das klassische begriffsdefinitorische Projekt der Angabe notwendiger und zusammen hinreichender Bedingungen für Wissen ein für alle Mal als gescheitert anzusehen ist. Im Folgenden werden einige dieser Ansätze vorgestellt und deren Probleme diskutiert.
3.4 Lösungsansätze zum Gettier-Problem
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3.4.1 Gewissheit und Infallibilität der epistemischen Rechtfertigung Die Fallibilität der epistemischen Rechtfertigung ist eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung des Gettier-Problems. Würde die epistemische Rechtfertigung die Wahrheit der Überzeugung stets erzwingen, wären in den obigen Beispielen die Überzeugungen (a) und (c) bereits nicht gerechtfertigt – und das Gettier-Problem würde folglich nicht auftreten. Eine mögliche Lösungsstrategie zur GettierProblematik könnte daher darin bestehen, dem Wissensbegriff einen wahrheitsgarantierenden Begriff der epistemischen Rechtfertigung zugrunde zu legen. Bereits in der Antike, vor allem aber in der cartesianischen Erkenntnistheorie der Philosophie der Neuzeit, wurde Wissen als eine bestimmte infallibel gerechtfertigte wahre Überzeugung konzipiert. Für Descartes kann ein Erkenntnissubjekt weder durch die Sinne noch die Vorstellungskraft zu Wissen gelangen, sondern alleine durch evidentes und unbezweifelbares Erfassen des Erkenntnisgegenstandes. Nach Descartes sind Intuition und Deduktion die einzig möglichen Wege zur Wissensgewinnung – und damit zur Wissenschaft. Unter „Intuition“ versteht Descartes jedoch keine durch die Sinne oder Erfahrung geleitete und prinzipiell fehlbare Erkenntnisform, sondern vielmehr ein bestimmtes subjektiv evidentes Begreifen, das unmittelbar, unfehlbar und objektiv gewiss ist: Unter Intuition verstehe ich nicht das schwankende Zeugnis der sinnlichen Wahrnehmung oder das trügerische Urteil der verkehrt verbindenden Einbildungskraft, sondern ein so müheloses und deutlich bestimmtes Begreifen des reinen und aufmerksamen Geistes, daß über das, was wir erkennen, gar kein Zweifel zurückbleibt […].22
Durch Deduktion, d. h. durch notwendige Schlussfolgerungen aus dem intuitiv Erkannten, gewinnt man nun weitere notwendige Gewissheiten. Eine Überzeugung ist für Descartes somit nur dann Wissen, wenn ihre Wahrheit objektiv begründet und durch subjektiv gewisses intuitives Erfassen bzw. durch deduktives Schließen aus intuitiv Erfasstem garantiert ist. Da vor allem empirisch gewonnene Überzeugungen über die Außenwelt niemals den Status subjektiver Gewissheiten besitzen, denn Sinneswahrnehmungen können sich stets als trügerisch erweisen, sind die potentiellen Kandidaten für Wissensobjekte in Descartes’ Wissenskonzeption sehr eingeschränkt: So kann jeder intuitiv mit dem Verstande sehen, daß er existiert, daß er denkt, daß ein Dreieck von nur drei Linien, daß die Kugel von einer einzigen Oberfläche begrenzt ist und Ähnliches […].23
Dieser sehr strenge Wissensbegriff bei Descartes ist allerdings problematisch und intuitiv unplausibel, da er insbesondere einen radikalen Skeptizismus bezüglich
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empirischen Wissens über die Außenwelt nach sich zieht. Aufgrund der prinzipiellen Fehlbarkeit empirisch gewonnener Überzeugungen erscheint empirisches Wissen unmöglich. Nur die selbst evidenten und infallibel gerechtfertigten Überzeugungen, wie „Ich denke, daher bin ich“ oder „Ein Quadrat hat vier Seiten“, können nach Descartes als Wissen gelten. Seine Wissenskonzeption steht daher im starken Gegensatz zum „alltäglichen“ Verständnis von Wissen, wonach wir uns und anderen in vielen Bereichen, auch ohne infallible Rechtfertigungsbasis, Wissen zuschreiben. Der Wissensbegriff Descartes’ hat zudem einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Dies bedeutet, dass die cartesianische Wissenskonzeption einige der Adäquatheitsbedingungen für eine erkenntnisphilosophische Begriffsexplikation von Wissen aus Kapitel 2 nicht erfüllt.24 Des Weiteren ist Wissen in der cartesianischen Tradition Resultat einer introspektiven und reflektiven Tätigkeit des Erkenntnissubjekts. Nur wenn das Subjekt selbst die Gewissheit der Überzeugung durch Intuition erkannt hat, liegt Wissen vor. Diese Wissenskonzeption ist mit einer externalistischen Vorstellung epistemischer Rechtfertigung25 von vornherein unvereinbar und verlangt vom Erkenntnissubjekt zudem, wie Grundmann ausführt, ein bestimmtes Wissen zweiter Ordnung: Gewissheit liegt also nur vor, wenn das Erkenntnissubjekt etwas weiß und außerdem weiß, dass es dieses Wissen hat. Gewissheit impliziert neben Wissen erster Ordnung auch Wissen, dass man weiß.26
Da somit die cartesianische Wissenskonzeption einen sehr anspruchsvollen introspektiven Wissensbegriff unterstellt, der zudem unserem üblichen Verständnis von Wissen nicht gerecht wird und einen Wissensskeptizismus heraufbeschwört, wird das Gettier-Problem hier nur um den Preis einer Wissenstheorie gelöst, die vielen Adäquatheitsbedingungen an eine Explikation propositionalen Wissens zuwiderläuft.
3.4.2 Wissen als wahre und gerechtfertigte Überzeugung ohne falsche Gründe Eine naheliegende Lösungsmöglichkeit des Gettier-Problems besteht darin, die Wahrheitsgarantie epistemischer Rechtfertigung dadurch zu erzwingen, dass man verlangt, dass der Prozess der Überzeugungsbildung sich nicht auf irgendwelche falschen Gründe stützen darf. Dieser Lösungsvorschlag wurde z. B. von Michael Clark unmittelbar nach Bekanntwerden der Gettier-Beispiele unterbreitet.27 Im Beispiel 1 wurde die Überzeugung (b) durch einen logischen Schluss aus der falschen Überzeugung (a) gewonnen, und im Beispiel 2 war die falsche Überzeugung (c) Rechtfertigungsgrund für die Überzeugung (e). Fügt man der klassi-
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schen Begriffsanalyse von Wissen noch eine vierte Bedingung hinzu, die fordert, dass Ss Überzeugung, dass p, nicht aus falschen Gründen gewonnen werden darf, würden folglich die Überzeugungen (b) und (e) nicht als Wissen gelten. Allerdings ist diese Lösungsstrategie problematisch. Betrachten wir hierzu zwei weitere bekannte Beispiele für wahre und gerechtfertigte Überzeugungen, die intuitiv kein Wissen darstellen:
Beispiel 3: Das Schaf und der Hund Ein Mann sieht auf einer Weide in einer gewissen Entfernung ein einzelnes Tier mit weißlichem Fell, das er für ein Schaf hält, und gewinnt hieraus unmittelbar die Überzeugung, dass auf der Weide ein Schaf steht. Da die Lichtverhältnisse sehr gut sind, er zudem über ein gutes Sehvermögen und recht gute Kenntnisse über das Aussehen von Schafen verfügt, sei angenommen, dass seine Überzeugung auch epistemisch gerechtfertigt ist. Unter normalen Bedingungen würde der Mann ohne weiteres aus dieser Entfernung ein Schaf auf einer Weide identifizieren können. Jedoch handelt es sich bei dem Tier, das der Mann auf der Weide sieht, wider Erwarten nicht um ein Schaf, sondern um einen Hund, der einem Schaf zum Verwechseln ähnlich sieht. Wie es der Zufall will, steht jedoch, für den Mann nicht sichtbar, hinter einem Baum auf der Weide tatsächlich ein Schaf. Somit ist die epistemisch gerechtfertigte Überzeugung des Mannes, dass auf der Weide ein Schaf steht, wahr. Jedoch würde man dem Mann wohl kaum zugestehen, dass er wüsste, dass auf der Weide ein Schaf steht.28
Beispiel 4: Die stehengebliebene Uhr Eine Person schaut auf eine Uhr und gelangt daraufhin zur Überzeugung, dass es fünf vor zwölf ist. Die Uhr hat bisher immer sehr zuverlässig die Uhrzeit angegeben, und es gibt für die Person auch keinerlei Anzeichen dafür, dass die Uhr dieses Mal nicht korrekt funktioniert. Wir können daher annehmen, dass die Person in ihrer Überzeugung auch epistemisch gerechtfertigt ist. Entgegen allem Anschein ist die Uhr jedoch stehen geblieben – und zwar am Vortag um fünf vor zwölf. Wie es der Zufall will, schaut die Person heute genau um fünf vor zwölf auf die Uhr, so dass ihre gerechtfertigte Überzeugung auch wahr ist. Allerdings scheint auch hier kein Fall von Wissen vorzuliegen, da die Überzeugung sich nur durch einen glücklichen Umstand als wahr erwiesen hat.29 In beiden Beispielen gewinnt eine Person unmittelbar eine wahre Überzeugung aufgrund einer Wahrnehmung. Diese Überzeugung wurde scheinbar nicht durch einen expliziten logischen Schlussfolgerungsprozess der Person aus einer falschen Überzeugung gewonnen. Man könnte hier allerdings den jeweiligen
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Erkenntnissubjekten eine unterschwellige falsche Annahme unterstellen, die bei der Gewinnung der wahren Überzeugung implizit beteiligt war. In Beispiel 3 kann man der Person die falsche implizite Überzeugung unterstellen, dass das Tier, das sie betrachtet, ein Schaf ist – woraus dann die wahre Überzeugung abgeleitet wurde, dass auf der Weide ein Schaf steht. Im Beispiel 4 könnte man dem Subjekt die falsche implizite Überzeugung unterstellen, dass die Uhr korrekt funktioniert, welche dann zur zufällig wahren Überzeugung führte, dass es fünf vor zwölf ist. Ist also eine Wissensanalyse, die neben der üblichen Überzeugungs-, Wahrheits- und Rechtfertigungsbedingung zusätzlich fordert, dass zur Rechtfertigung der fraglichen Überzeugung an keiner Stelle eine falsche Annahme involviert sein darf (sei es in Form einer bewussten falschen Überzeugung, die als Prämisse in einem expliziten Schlussfolgerungsprozess verwendet wurde, oder als stillschweigende implizite Annahme des Erkenntnissubjekts), die ultimative Lösung des Gettier-Problems? Die bloße Existenz falscher Annahmen im Prozess der Rechtfertigung einer Überzeugung vereitelt nicht per se Wissen. Eliminierbare falsche Annahmen, die für den Rechtfertigungsprozess nicht essentiell sind, können durchaus mit Wissen verträglich sein.30 Hätte Smith in Beispiel 2 neben den Gründen für die Überzeugung, dass Jones einen Ford besitzt, auch noch zusätzliche gute Gründe für die Überzeugung, dass Brown in Barcelona ist, und würde er aus beiden gerechtfertigten Überzeugungen die Überzeugung (e), dass Jones einen Ford besitzt oder Brown in Barcelona ist, logisch ableiten, dann ist diese wahre und gerechtfertigte Überzeugung auch Wissen. Schließlich würde die Überzeugung (e) dann bereits alleine aus der Annahme, dass Brown in Barcelona ist, folgen. Die weitere falsche Annahme, dass Jones einen Ford besitzt, würde hier also keine essentielle Rolle für die Rechtfertigung von (e) spielen. Aber selbst wenn man die Wissensanalyse dahingehend präzisiert, dass man von der epistemischen Rechtfertigung verlangt, dass sie nicht in essentieller Weise auf falschen Annahmen beruhen darf, lassen sich weitere grundsätzliche Einwände in Form neuer Gegenbeispiele formulieren. Betrachten wir hierzu das folgende berühmte, ursprünglich von Carl Ginet stammende und von Alvin Goldman diskutierte Beispiel:
Beispiel 5: Henry und die Scheunenattrappen Henry fährt mit seinem Auto übers Land. In der Ferne sieht er etwas, das genau wie eine Scheune aussieht, so dass er die Überzeugung gewinnt, gerade auf eine Scheune zu blicken. Die Lichtverhältnisse sind hervorragend. Henry hat auch sehr gute Augen und weiß darüber hinaus, wie Scheunen aussehen. Allerdings ist ihm überhaupt nicht bewusst, dass es in der Gegend, durch die er gerade fährt,
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sehr viele Scheunenfassaden aus Pappmaché gibt, die echten Scheunen zum Verwechseln ähnlich sehen. (In der Gegend wurde nämlich gerade ein Western gedreht, und die Scheunenattrappen gehören zur Filmkulisse, die noch nicht abgebaut wurde.) Zufälligerweise schaut Henry jedoch auf eine der ganz wenigen echten Scheunen, die sich auch in der Gegend befinden. Seine Überzeugung ist daher wahr. Aber ist sie auch Wissen? Intuitiv ist man hier eher nicht geneigt, Henry Wissen zuzusprechen, da die Wahrheit der Überzeugung bloß einem glücklichen Umstand geschuldet ist.31 Dieses Beispiel ist insofern ähnlich wie die Beispiele 1–4, als auch hier ein Zufallselement im Spiel ist, das die Wahrheit der Überzeugung sicherstellt. Hätte Henry nämlich nicht durch Zufall auf die echte Scheune geschaut, sondern auf eine der vielen Scheunenattrappen, hätte er eine falsche Überzeugung erlangt. Seiner wahren Überzeugung scheint also ebenfalls eine gewisse Zuverlässigkeit und epistemische Sicherheit zu fehlen, die für Wissen aber intuitiv erforderlich ist. Im Unterschied zu den anderen Beispielen hat hier jedoch das epistemische Subjekt weder eine falsche Überzeugung, noch beruht der Prozess der Überzeugungsgewinnung an irgendeiner Stelle auf einer falschen Annahme. Henrys wahre Überzeugung, dass er auf eine (echte) Scheune schaut, wurde alleine durch die Wahrnehmung einer (echten) Scheune erzeugt. Während es etwa in Beispiel 4 noch plausibel schien, einer Person, die durch den Blick auf eine Uhr eine Überzeugung über die korrekte Uhrzeit gewinnt, die implizite Annahme zu unterstellen, dass die Uhr auch korrekt funktioniert, wäre es meines Erachtens abstrus und sehr weit hergeholt, Henry in Beispiel 5 etwa die implizite falsche Annahme zu unterstellen, dass er sich nicht gerade in einer Gegend mit Scheunenfassaden aus Pappmaché befindet. Dass im Beispiel 5 intuitiv kein Wissen vorliegt, hängt nicht an irgendwelchen (impliziten oder expliziten) essentiell falschen Annahmen im Überzeugungsbildungsprozess, sondern ist alleine den ungewöhnlichen äußeren Umständen geschuldet. Die Lösungsstrategie zum Gettier-Problem, wonach man zusätzlich zu den Bedingungen der wahren und gerechtfertigten Überzeugung fordert, dass die Rechtfertigung nicht auf essentiell falschen Annahmen beruhen darf, scheint also zu kurz zu greifen.
3.4.3 Unanfechtbarkeit der epistemischen Rechtfertigung Eine andere Lösungsstrategie des Gettier-Problems, die ebenfalls in einer Modifizierung der Rechtfertigungsbedingung besteht, jedoch nicht auf den problematischen Begriff der essentiellen impliziten Annahme im Überzeugungsbildungsprozess Bezug nimmt, wird durch die sogenannten „Unanfechtbarkeitstheorien“ (engl.: „indefeasibility theories“) epistemischer Rechtfertigung verfolgt. Eine
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wahre und epistemisch gerechtfertigte Überzeugung ist nach diesen Theorien genau dann Wissen, wenn die Rechtfertigung unanfechtbar ist, d. h. wenn die Rechtfertigung der Überzeugung durch keine relevanten Informationen zunichte gemacht werden kann.32 Im Beispiel 1 ist etwa Smith’ Rechtfertigung für seine wahre Überzeugung (b), dass derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in seiner Hosentasche hat, anfechtbar. Würde er nämlich mit der (für ihn erfreulichen) Tatsache konfrontiert werden, dass er selbst die Stelle bekommt, wären seine ursprünglichen rechtfertigenden Gründe für die Überzeugung (b) aufgehoben. Folglich kann er auch nicht wissen, dass (b). Auch in den anderen Beispielen sind die Rechtfertigungen der in Frage stehenden wahren Überzeugungen anfechtbar, so dass die jeweiligen wahren Überzeugungen nicht als Wissen der Erkenntnissubjekte ausgezeichnet werden können: Im Beispiel 2 unterminiert die Tatsache, dass Jones keinen Ford besitzt, die ursprüngliche Rechtfertigung von Smith’ Überzeugung (e). Im Beispiel 3 wäre der Mann nicht mehr in seiner Überzeugung gerechtfertigt, dass auf der Weide ein Schaf steht, würde man ihn darüber informieren, dass das Tier, auf das er blickt, kein Schaf, sondern ein Hund ist. Im Beispiel 4 führt natürlich die Information, dass die Uhr stehengeblieben ist, zur Aufhebung der Rechtfertigung der Überzeugung, dass es fünf vor zwölf ist. Und im Beispiel 5 wäre Henry nicht mehr in seiner Überzeugung, auf eine echte Scheune zu blicken, gerechtfertigt, wenn man ihm von den Scheunenattrappen aus Pappmaché, die in der Gegend aufgestellt sind, erzählen würde. Aber auch die Unanfechtbarkeitstheorien sind problematisch und als Lösungsansätze zum Gettier-Problem nicht unumstritten. Zum einen ist der Begriff der relevanten Information, durch die die Rechtfertigung anfechtbar wird, stark kontextabhängig. Nicht jede Information, die eine Rechtfertigung aufheben würde, scheint nämlich geeignet zu sein, Wissen zu vereiteln. Dies zeigt das folgende Beispiel von Keith Lehrer und Thomas Paxson Jr.:
Beispiel 6: Tom Grabit und seine geistig verwirrte Mutter Ich sehe, wie eine Person in der Bibliothek ein Buch aus dem Regel nimmt, es in ihrer Jackentasche verschwinden lässt und dann schnell zum Ausgang geht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei der Person um Tom Grabit handelt. Ich habe klare Sicht auf den Bücherdieb und weiß genau, wie Tom Grabit aussieht. Folglich gelange ich zu der gerechtfertigten Überzeugung, dass Tom Grabit ein Buch aus der Bibliothek gestohlen hat. Zusätzlich sei angenommen, dass Tom Grabit tatsächlich das Buch aus der Bibliothek gestohlen hat, so dass meine gerechtfertigte Überzeugung auch wahr ist. Tom Grabits Mutter hingegen behauptet, dass Tom Grabit zum Zeitpunkt des Bücherdiebstahls gar nicht
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in der Bibliothek gewesen sein kann, da er tausende Kilometer weit weg war. Allerdings sei sein ihm zum Verwechseln ähnlich sehender Zwillingsbruder in der Bibliothek gewesen. Diese Aussage der Mutter führt nun dazu, dass meine frühere Rechtfertigung für die Überzeugung, dass Tom Grabit ein Buch aus der Bibliothek gestohlen hat, angefochten wird. Folglich kann ich auch nicht wissen, dass Tom Grabit ein Buch aus der Bibliothek gestohlen hat. Die Geschichte nimmt allerdings noch eine weitere Wendung: Tom Grabits Mutter ist nämlich, wie ich erfahre, geistig verwirrt. Sie erzählt sehr oft die Unwahrheit, und der angebliche Zwillingsbruder von Tom Grabit ist bloß erfunden. Diese neue Information führt nun ganz offensichtlich dazu, dass der frühere Anfechtungsgrund meiner Überzeugung außer Kraft gesetzt und mein Wissen, dass Tom Grabit ein Buch aus der Bibliothek gestohlen hat, wiederhergestellt wird.33 Die Tatsache, dass die Mutter behauptet, Tom Grabit sei gar nicht in der Bibliothek gewesen, scheint hier also kein relevanter Grund dafür zu sein, dass mein Wissen aufgehoben wird. Wäre die Mutter hingegen nicht geistig verwirrt und gäbe es einen Zwillingsbruder von Tom Grabit, der sich in der Bibliothek aufgehalten hat, wäre die Aussage der Mutter durchaus eine relevante Information, die in der Lage wäre, die Rechtfertigung meiner Überzeugung zu untergraben – solange es nicht andere Tatsachen gibt, die die Aussage der Mutter in Zweifel ziehen. Was als relevanter Anfechtungsgrund gilt, hängt somit auch davon ab, ob dieser Grund nicht letztlich selbst wiederum durch weitere Informationen angefochten werden kann.34 Allerdings ist natürlich in den meisten Fällen sehr schwer feststellbar, ob vorliegende Rechtfertigungsgründe tatsächlich relevant sind oder ob sie nicht doch durch irgendwelche anderen Gründe anfechtbar sind. Außerdem besteht die Gefahr der Trivialisierung dieser Theorien, da natürlich die Information, dass die fragliche Überzeugung wahr ist, letztlich jeden Anfechtungsgrund wieder zunichtemacht. Würde man beispielsweise Henry neben der Information, dass sich in der Gegend zahlreiche Scheunenattrappen befinden, auch noch mit der Information versorgen, dass er aber auf eine der wenigen echten Scheunen schaut, würde natürlich Henry dann zu Recht behaupten, dass er wüsste, dass er auf eine (echte) Scheune schaut. Des Weiteren sind nicht alle Anfechtungsgründe, die die ursprüngliche Rechtfertigung der Überzeugung in Zweifel ziehen können, geeignet, Wissen aufzuheben. Es hängt insbesondere sehr viel davon ab, ob die Überzeugung unter Berücksichtigung dieser Gründe tatsächlich sich leicht hätte als falsch herausstellen können. Wären keine Scheunenattrappen in der Nähe, dann wäre beispielsweise die Tatsache, dass Henry eine echte Scheune nicht von einer Scheunenattrappe unterscheiden kann, kein Anfechtungsgrund, der dafür hinreichend wäre, Henrys wahrer und gerechtfertigter Überzeugung den Status des Wissens zu nehmen. Wenn eine Wissenstheorie eine Lösung für die skeptische Heraus-
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forderung bereitstellen will, dann dürfen zudem radikal skeptische Einwände, die die Möglichkeit empirischen Wissens prinzipiell in Frage stellen, nicht per se als relevante Anfechtungsgründe für gerechtfertigte Überzeugungen über die empirische Außenwelt angesehen werden. Vertreter von Unanfechtbarkeitstheorien müssen also vor allem Relevanzkriterien für diejenigen Anfechtungsgründe angeben, die in der Lage sind, Wissen zu vereiteln. Unanfechtbarkeitstheorien versuchen, zur klassischen Analyse propositionalen Wissens noch eine vierte Bedingung hinzuzufügen, die die Rechtfertigungsbedingung derart spezifiziert, dass Fälle, wie sie in den Beispielen 1–5 diskutiert wurden, nicht als Wissen ausgezeichnet werden. Hiergegen kann man grundsätzlich einwenden, dass der Begriff der epistemischen Rechtfertigung vielleicht gar nicht die zentrale Rolle für Wissen spielt, wie es noch in Platons oder Descartes’ Wissenskonzeptionen der Fall war. In vielen externalistischen Theorien des Wissens wird auf den Begriff der epistemischen Rechtfertigung sogar ganz verzichtet. In diesen Theorien muss das Erkenntnissubjekt nicht notwendigerweise über rechtfertigende Gründe für seine wahre Überzeugung verfügen, um Wissen besitzen zu können. Eine wichtige Spielart externalistischer Wissenstheorien sind die Verlässlichkeitstheorien oder reliabilistischen Theorien des Wissens. Im sogenannten „Prozessreliabilismus“ ist eine wahre Überzeugung bereits dann Wissen, wenn sie durch einen zuverlässigen Prozess gebildet wurde. Natürlich könnte man auch hier sagen, dass die wahre Überzeugung dadurch, dass sie durch einen zuverlässigen Prozess entstanden ist, epistemisch gerechtfertigt sei. Allerdings spielt dann der Begriff der epistemischen Rechtfertigung in der prozessreliabilistischen Wissensanalyse keine systematische Rolle mehr. Wenn eine wahre Überzeugung z. B. durch eine verlässliche Sinneswahrnehmung entstanden ist, besitzt das entsprechende Erkenntnissubjekt Wissen – ganz unabhängig davon, ob die wahre Überzeugung für das Erkenntnissubjekt oder einen Dritten sich als gerechtfertigt erweist. Der Begriff der epistemischen Rechtfertigung ist zudem für Verfechter externalistischer Wissenstheorien, für die z. B. auch Tiere als Wissenssubjekte gelten können, oftmals zu „intellektualistisch“. In diesem Sinne plädiert auch Fred Dretske für eine externalistische Wissenskonzeption, die ohne den Begriff der epistemischen Rechtfertigung auskommt: If an animal inherits a perfectly reliable belief-generating mechanism, and it also inherits a disposition, everything being equal, to act on the basis of the beliefs so generated, what additional benefits are conferred by a justification that the beliefs are being produced in some reliable way? If there are no additional benefits, what good is this justification? Why should we insist that no one can have knowledge without it?35
3.5 Begriffsanalyse und das Gettier-Problem
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Da Unanfechtbarkeitstheorien am Begriff der epistemischen Rechtfertigung festhalten, sind sie nicht in der Lage, reliabilistischen Wissenstheorien gerecht zu werden.
3.5 Begriffsanalyse und das Gettier-Problem Die Suche nach einer geeigneten Begriffsanalyse propositionalen Wissens, die insbesondere in der Lage ist, das Gettier-Problem zu lösen, ist ein zentrales Anliegen in der erkenntnistheoretische Diskussion seit den 1960er Jahren. Die Diskussion um das Gettier-Problem hat bisher zu keiner allgemein akzeptierten Lösung geführt. Zudem wurden immer weitere neue Gettier-Beispiele von wahren und gerechtfertigten Überzeugungen konstruiert, die intuitiv kein Wissen darstellen. Einige Philosophen sahen in dem Gettier-Problem daher ein Indiz dafür, dass eine Begriffsanalyse, die notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen für propositionales Wissen zu explizieren versucht, unmöglich ist.36 Andere Philosophen hielten die „Gettierologie“, d. h. die unermüdliche Suche nach Begriffsanalysen propositionalen Wissens, die das Gettier-Problem lösen können, sogar für eine Fehlentwicklung in der analytischen Erkenntnistheorie. Die Fokussierung auf das begriffsanalytische Projekt der Suche nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Wissen führe nämlich dazu, dass man die eigentlich zentralen erkenntnistheoretischen Fragen vernachlässige. So kritisiert etwa Edward Craig, dass das Analysieren des Wissensbegriffs als Antwort auf das Gettier-Problem sich immer stärker verselbstständige: „Das analytische Programm wird so betrieben, als wäre das Analysieren Selbstzweck.“37 Man hätte, so Craig, lediglich „ein schwieriges Stück Lexikographie erfolgreich abgeschlossen“38, wenn es gelänge, den Begriff des Wissens so zu explizieren, dass das Gettier-Problem vermieden wird. Die wichtige erkenntnistheoretische Frage nach dem Zweck und dem Wert von Wissen für unser menschliches Leben sei damit jedoch noch nicht beantwortet. Für Craig besteht ein wichtiger Zweck von Wissen gerade darin, dass ein Erkenntnissubjekt durch den Besitz von Wissen als guter Informant dienen könne. Ich teile diese pessimistische Einschätzung von Craig in Bezug auf die Sinnhaftigkeit des begriffsanalytischen Projekts von Wissen nicht. Auch wenn die Gettier-Beispiele ungewöhnliche und konstruierte Fälle beschreiben, weisen sie dennoch auf einen wesentlichen und zentralen Umstand hin, der sowohl für die Beantwortung der Frage nach der Natur des Wissens als auch nach dem Wert des Wissens wichtig ist. In allen diskutierten Gettier-Beispielen ist Zufall im Spiel, der trotz wahrer und gerechtfertigter Überzeugung Wissen vereitelt. Wissen, so die Lehre aus den Gettier-Fällen, ist mit Zufall unvereinbar. Wer eine Überzeu-
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gung besitzt, die nur aufgrund glücklicher Umstände wahr ist, hat kein Wissen. Gerade weil zufälligerweise wahre Überzeugungen, auch wenn sie gerechtfertigt sind, die epistemischen Subjekte nicht als generell zuverlässige Informationslieferanten erscheinen lassen, liegt in diesen Fällen intuitiv kein Wissen vor. Eine bestimmte „Antizufallsbedingung“ scheint somit zentraler Analysebestandteil des Wissensbegriffs zu sein. Zugleich könnte diese Bedingung aber auch für die Frage nach dem Wert des Wissens eine wichtige Rolle spielen, da zufälligerweise wahre (und gerechtfertigte) Überzeugungen intuitiv epistemisch weniger wertvoll sind als nicht zufällige wahre (und gerechtfertigte) Überzeugungen.39
3.6 Zusammenfassung Ausgehend von Platons Konzeption von Wissen als wahrer Meinung, verbunden mit einer Erklärung, wurde die klassische Begriffsanalyse propositionalen Wissens in Form einer semantischen Analyse der Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen der Form „S weiß, dass p“ diskutiert. Eine Aussage „S weiß, dass p“ ist nach dieser Analyse genau dann wahr, wenn S davon überzeugt ist, dass p, p wahr ist und Ss Überzeugung, dass p, auch epistemisch gerechtfertigt ist. Die Begriffe der Überzeugung, der Wahrheit und der epistemischen Rechtfertigung wurden sodann genauer expliziert. Es wurden insbesondere bestimmte vermeintliche Gegenbeispiele zur Notwendigkeit wahrer Überzeugungen für Wissen zurückgewiesen. So wurde dafür argumentiert, dass in den von Radford diskutierten Fällen von vermeintlichem „Wissen ohne Überzeugung“ das Erkenntnissubjekt dennoch eine zumindest unbewusste Überzeugung besitzt. Auch die angeblichen Fälle von „falschem Wissen“ ließen sich als bloße fehlerhafte Wissensbehauptungen interpretieren. Als eine der zentralen Eigenschaften epistemischer Rechtfertigung erwies sich deren Fallibilität. Epistemisch gerechtfertigte Überzeugungen sollen zwar wahrheitsindikativ sein, sie garantieren jedoch nicht die Wahrheit der Überzeugung. Diese sehr plausible Annahme der Fallibilität epistemischer Rechtfertigung führte jedoch u. a. zur Entstehung sogenannter „Gettier-Beispiele“, d. h. Fälle von wahren und gerechtfertigten Überzeugungen, die jedoch intuitiv nicht als Wissen angesehen werden können. Die Gettier-Beispiele scheinen daher zu zeigen, dass eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung nicht hinreichend für Wissen ist – und dass somit die klassische Analyse propositionalen Wissens zurückzuweisen oder zu modifizieren ist. Es wurden sodann aus der Vielzahl der verschiedenen Lösungsansätze zum Gettier-Problem einige zentrale Wissenskonzeptionen vorgestellt und kritisch analysiert. In vielen Lösungsstrategien wird versucht, den drei „klassischen“
3.6 Zusammenfassung
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Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen noch eine vierte, für Wissen notwendige Bedingung hinzuzufügen, die den Begriff der epistemischen Rechtfertigung derart spezifiziert und einschränkt, dass die Gettier-Fälle nicht mehr als Wissen ausgezeichnet werden können. Die erste diskutierte Lösungsmöglichkeit bestand darin, auf die Wissenskonzeption Descartes’ zurückzugreifen, wonach Wissen in einer bestimmten Überzeugung besteht, die objektiv gewiss ist und durch ein bestimmtes infallibles intuitives Erfassen des Erkenntnisgegenstandes gewonnen wurde. Diese Wissenskonzeption erwies sich jedoch als zu streng, da sie insbesondere unserem natürlichsprachlichen Wissensbegriff nicht gerecht wird und zudem zu einem radikalen Wissensskeptizismus Anlass gibt. Auch diejenigen Lösungsansätze, die von einer epistemisch gerechtfertigten Überzeugung verlangen, dass sie sich in bestimmter Weise nicht auf falsche Annahmen stützen darf, stellten sich als inadäquat heraus. Diese Ansätze waren vor allem nicht in der Lage, bestimmten anderen Gettier-Beispielen Paroli zu bieten, in denen ein Subjekt bei der Gewinnung der Überzeugung sich zwar nicht auf falsche Annahmen stützt, die Überzeugung dennoch aufgrund äußerer Umstände bloß zufälligerweise wahr ist. In sogenannten „Unanfechtbarkeitstheorien“, wonach die Rechtfertigung der Überzeugung durch keine relevanten Informationen anfechtbar sein darf, konnten zwar alle diskutierten Gettier-Fälle in intuitiv plausibler Weise analysiert werden. Jedoch haben diese Theorien Schwierigkeiten bei der genauen Spezifizierung der Relevanzkriterien für Anfechtungsgründe. Außerdem ist die Wissenszuschreibung in Unanfechtbarkeitsansätzen fast unmöglich, da man meistens nicht wirklich alle Informationen kennt, die eine vorliegende Rechtfertigung eventuell zu Fall bringen könnten. Zudem scheint der Begriff der epistemischen Rechtfertigung gar nicht die zentrale Rolle in einer Wissenskonzeption zu spielen, wie in der klassischen Analyse propositionalen Wissens angenommen wird. Vertreter externalistischer Wissenstheorien machen geltend, dass es für Wissen z. B. ausreicht, dass das Erkenntnissubjekt seine wahre Überzeugung auf eine zuverlässige Weise erworben hat. Da die bisher diskutieren Lösungsansätze zum Gettier-Problem nicht vollständig überzeugen konnten, wird zu untersuchen sein, ob eine Wissenstheorie, die grundsätzlich auf den Begriff der epistemischen Rechtfertigung verzichtet, plausibler wäre und zudem auch die anderen Adäquatheitsbedingungen für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissen erfüllen kann. Weiterhin wurde dafür argumentiert, dass in allen Gettier-Beispielen Zufall involviert ist, der Wissen vereitelt. Bestimmte Formen epistemischen Zufalls sind offenkundig mit Wissen unvereinbar. Eine Wissensanalyse muss somit insbesondere eine Bedingung enthalten, die zufälligerweise wahre (und gerechtfertigte) Überzeugungen, wie sie etwa in den Gettier-Beispielen vorkommen, nicht als
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Wissen auszeichnet. Eine derartige „Antizufallsbedingung“ könnte sich auch für die Beantwortung der Frage nach dem Wert von Wissen als relevant erweisen. Im folgenden Kapitel 4 soll nun die Beziehung zwischen Wissen und Zufall näher untersucht und eine bestimmte externalistische Wissenstheorie entwickelt werden, der das Konzept der epistemischen Sicherheit anstelle des Begriffs der epistemischen Rechtfertigung zugrunde liegt. Diese Wissenskonzeption, so wird sich zeigen, bietet u. a. auch eine vielversprechende Lösung für das Gettier-Problem.
4 Wissen und Zufall 4.1 Evidentieller vs. veridischer Zufall Dass Wissen mit Zufall unvereinbar ist, erscheint prima facie sehr plausibel. Duncan Pritchard bezeichnet die Inkompatibilität von Wissen und Zufall als „epistemic luck platitude“. Wissen, so Pritchard, ist eine bestimmte kognitive Errungenschaft, die durch den Einfluss von epistemischem Zufall bei der Überzeugungsgewinnung zunichte gemacht werden kann: Knowledge does appear to be a cognitive achievement of some sort, and luck seems to militate against genuine achievements. Accordingly, to say that an agent has knowledge is to imply that she didn’t gain knowledge simply via good fortune.1
Die Frage ist allerdings, was genau mit epistemischem Zufall gemeint ist, welche Formen epistemischen Zufalls mit Wissen tatsächlich unvereinbar sind und in welchen Beziehungen epistemischer Zufall und kognitive Errungenschaften von Erkenntnissubjekten stehen. In gewisser Weise ist all unser Wissen ein bloßes Zufallsprodukt. Dass ich beispielsweise weiß, dass Gauß 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde, ist vielen Zufällen in meinem Leben zu verdanken, die dazu führten, dass ich mich für das Leben von Gauß interessiere. (Dass Gauß überhaupt 1807 Direktor der Göttinger Sternwarte wurde und ich diesbezüglich eine wahre Überzeugung erlangen konnte, ist natürlich wiederum zufälligen Begebenheiten in Gauß’ Leben zuzuschreiben.) Viele zufällige Ereignisse liefern Daten und Informationen, die uns Wissen vermitteln. Im Kinofilm „Sie liebt ihn – Sie liebt ihn nicht“ („Sliding Doors“) von Peter Howitt erreicht in einem Handlungsstrang der Geschichte eine Frau namens Helen in letzter Sekunde eine Londoner U-Bahn, so dass sie früher als erwartet nach Hause kommt. Dort erwischt sie ihren Lebenspartner in flagranti mit seiner Ex-Freundin. Dass Helen weiß, dass ihr Partner sie betrügt, ist also dem bloßen „glücklichen“ Umstand geschuldet, dass sie gerade noch die frühere U-Bahn erreicht hat. Hätte sie, wie geplant, die spätere U-Bahn bekommen, wäre ihr Partner alleine zu Hause gewesen (diese Geschichte wird dann im zweiten Erzählstrang des Films erzählt), und folglich würde sie auch nicht wissen, dass er sie betrügt. Auch beruhen zahlreiche wissenschaftliche Entdeckungen auf bestimmten zufälligen Ereignissen. So war dem Bakteriologen Alexander Fleming 1928 ein Schimmelpilz in eine Bakterienkultur geraten, die er vergaß, sofort zu vernichten. Nach der Rückkehr in sein Labor stellte er fest, dass die Pilze offenbar eine bakterientötende Substanz ausgesondert hatten. Auf diese Weise wurde durch einen schieren Zufall das Penicillin erfunden. Auch Isaac Newton soll der Legende nach
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4 Wissen und Zufall
die Gravitationskraft zufälligerweise entdeckt haben, nachdem ihm ein Apfel direkt auf den Kopf fiel – und er daraufhin die Idee von der Anziehung der Himmelskörper hatte. In all diesen Fällen ist zwar der Zufall bei der Gewinnung von Überzeugungen im Spiel, dieser Zufall verhindert aber nicht, dass die jeweiligen Personen Wissen erlangen. Das zufällige Ereignis betrifft hier lediglich die Art und Weise, wie das Erkenntnissubjekt die für sein Wissen nötigen Hinweise, Informationen und empirischen Belege erlangt. In Anlehnung an Pritchards Begriff des „evidential epistemic luck“2 sollen diese Fälle von zufälligerweise wahren Überzeugungen als „evidentiell epistemisch zufällig“ bezeichnet werden. Evidentieller epistemischer Zufall lässt sich somit wie folgt bestimmen:
Evidentieller epistemischer Zufall Eine wahre Überzeugung ist evidentiell epistemisch zufällig genau dann, wenn der Erwerb der stützenden Belege für die Überzeugung glücklichen Umständen zu verdanken ist. Evidentieller epistemischer Zufall betrifft somit nur den Prozess der Erlangung der Evidenzen, die zur wahren Überzeugung Anlass geben, nicht jedoch die Wahrheit der aus diesen Evidenzen gefolgerten Überzeugungen. Dass die Überzeugungen, die Fleming in Bezug auf die Wirkung des Penicillins und die Newton in Bezug auf die Gravitationskraft gewonnen haben, wissenschaftlichen Tatsachen entsprechen, ist keineswegs ein Zufallsprodukt. Es bedarf natürlich der Kompetenz der Wissenschaftler, aus den (durch Zufall erworbenen) Daten das entsprechende Wissen zu generieren. Evidentieller Zufall ist also mit Wissen kompatibel. Mit Wissen unvereinbar ist hingegen eine andere Form von epistemischem Zufall, die Pritchard als „veridischen epistemischen Zufall“ („veritic epistemic luck“) bezeichnet.3 Veridischer epistemischer Zufall bezieht sich auf die Wahrheit einer Überzeugung. Stellt sich eine Überzeugung nur aufgrund glücklicher Umstände als wahr heraus, ist sie veridisch epistemisch zufällig – und kann daher nicht als Wissen gelten:
Veridischer epistemischer Zufall Eine wahre Überzeugung ist veridisch epistemisch zufällig genau dann, wenn die Wahrheit der Überzeugung glücklichen Umständen zu verdanken ist. Einfache und klare Fälle von Überzeugungen, die einem veridischen epistemischen Zufall unterworfen sind, sind Überzeugungen, die alleine auf irrationalem
4.1 Evidentieller vs. veridischer Zufall
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und unzuverlässigem Wege entstanden sind, wie durch Raten, reines Wunschdenken, unkorrektes logisches Schließen, Kaffeesatzlesen oder durch das Konsultieren von „Wahrsagern“ und „Hellsehern“, die aber dennoch zufälligerweise wahr sind. Diese Methoden der Überzeugungsgewinnung führen in sehr vielen ähnlichen Fällen nicht zu wahren Überzeugungen. Eine Überzeugung, die auf diesen Wegen zustande gekommen ist, kann daher, selbst wenn sie zufälligerweise wahr ist, nicht als Wissen angesehen werden. Veridischer epistemischer Zufall ist auch in den Gettier-Beispielen involviert. Im Unterschied zu den obigen Fällen verhält sich hier das epistemische Subjekt bei der Erlangung der Überzeugung jedoch nicht irrational. In den Gettier-Beispielen ist veridischer epistemischer Zufall auf unterschiedliche Weise im Spiel. Stephen Hetherington weist in diesem Zusammenhang auf eine wichtige erkenntnistheoretische Differenz zwischen den Gettier-Fällen der Beispiele 1–4 und dem Scheunenattrappen-Beispiel 5 hin. Hetherington nennt Fälle, wie sie im Scheunenattrappen-Beispiel beschrieben werden, „gefährliche“ Gettier-Fälle, die Gettier-Fälle der Beispiele 1–4 hingegen „hilfreiche“ Gettier-Fälle.4 In den „gefährlichen“ Gettier-Fällen ist das ungewöhnliche und unerwartete Ereignis (wie das Vorhandensein zahlreicher Scheunenfassaden aus Pappmaché) eher eine Gefahr für die Erlangung einer wahren Überzeugung. In den „hilfreichen“ Gettier-Fällen steht hingegen das ungewöhnliche und unerwartete Ereignis (Smith bekommt den Job und hat zehn Münzen in seiner Tasche, Brown ist in Barcelona, ein für den Beobachter nicht sichtbares Schaf steht hinter einem Baum auf der Weide, die Uhr ist genau zu dem Zeitpunkt am vergangenen Tag stehengeblieben, an dem die Person nun auf die Uhr schaut etc.) der Gewinnung einer wahren Überzeugung hilfreich zur Seite. Ohne das ungewöhnliche Ereignis hätte das Subjekt in den „gefährlichen“ Gettier-Fällen klarerweise Wissen. In den „hilfreichen“ Gettier-Fällen hätte das Subjekt ohne das ungewöhnliche Ereignis noch nicht einmal eine wahre Überzeugung. Der Zufall spielt also in den „gefährlichen“ Gettier-Fällen eine andere Rolle als in den „hilfreichen“ Gettier-Fällen. Im Scheunenattrappen-Fall greift der Zufall nicht wie in den Gettier-Fällen 1–4 in den Überzeugungsbildungsprozess ein, sondern ist nur peripher beteiligt. Die wahre Überzeugung ist hier lediglich aufgrund der ungewöhnlichen äußeren Umstände, dass sich Scheunenattrappen in der Gegend befinden, fehleranfällig. Pritchard bezeichnet diesen im Beispiel 5 involvierten Fall von veridischem epistemischen Zufall daher auch als „umgebungsbedingten Zufall“ („environmental luck“).5 Entgegen der großen Mehrzahl seiner Philosophenkollegen ist allerdings Hetherington der Meinung, dass sowohl in den „gefährlichen“ wie in den „hilfreichen“ Gettier-Fällen das Wissen zwar „sehr fehleranfällig“ sei, man hier aber dennoch von einer Form des Wissens sprechen könne.6 Auch William Lycan nimmt in der intuitiven Bewertung der Gettier-Fälle eine Sonderposition ein,
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da für ihn zumindest die „gefährlichen“ Gettier-Fälle aufgrund des bloß peripher involvierten Zufallselements durchaus mit Wissen kompatibel sind.7 In den „hilfreichen“ Gettier-Fällen ist hingegen eine falsche Überzeugung Ursache dafür, dass das Erkenntnissubjekt eine Überzeugung erlangt, die sich dann nur durch ein Zufallselement dennoch als wahr herausstellt. Im Unterschied zu den „gefährlichen“ Gettier-Fällen kann man hier auch nach Lycan dem Subjekt kein Wissen mehr zuschreiben.8 Hetheringtons und Lycans Analyse der Gettier-Fälle sind meines Erachtens jedoch problematisch. Im Scheunenattrappen-Beispiel liegt zwar, im Unterschied zu den anderen Beispielen 1–4, im Prozess der Überzeugungsbildung durch das Erkenntnissubjekts kein Fehler vor. Weder ist in diesem Prozess eine falsche Überzeugung involviert, noch ist Henrys Sinneswahrnehmung fehlerhaft. Dennoch hätte Henrys wahre Überzeugung aufgrund der gegebenen äußeren Umstände sehr leicht falsch sein können. Würde man Henry bitten, uns die Scheunen in der Gegend zu zeigen, so würde er auch die Scheunenattrappen für Scheunen halten – und uns daher viele falsche Hinweise geben. Durch den Besitz von Wissen sollte jedoch ein Erkenntnissubjekt in der Lage sein, auf zuverlässige Weise Informationen zu erlangen. Ein Subjekt, das nur zufälligerweise wahre Überzeugungen hat und unter nur leicht veränderten Umständen falsche Überzeugungen erwerben würde, erlangt jedoch keine stabilen Überzeugungen und wäre daher insbesondere auch kein guter und zuverlässiger Informant. Aus diesen Gründen scheint es höchst plausibel zu sein, im Scheunenattrappen-Beispiel – wie auch in den Beispielen 1–4 – dem Subjekt kein Wissen zuzusprechen. Wahre Überzeugungen, die sehr leicht hätten falsch sein können (sei es nun durch fehlerhafte Annahmen im Überzeugungsbildungsprozess des Subjekts oder durch rein umgebungsbedingte äußere Faktoren), können nicht als Wissen angesehen werden. Wissen ist daher mit allen Formen von veridischem epistemischen Zufall unvereinbar, und eine Wissensanalyse sollte diesem Umstand Rechnung tragen.
4.2 Das Prinzip der epistemischen Sicherheit Den veridisch epistemisch zufälligen Überzeugungen mangelt es somit an einer gewissen Form von Stabilität und epistemischer Sicherheit, um als Wissen angesehen werden zu können. Sie sind fehleranfällig, sie hätten auch sehr leicht falsch sein können. In vielen „nahen möglichen Welten“, in denen das epistemische Subjekt auf die gleiche Weise zur Überzeugung gelangt wäre wie in der aktualen Welt, hätte sich die Überzeugung als falsch erwiesen. Für Wissen scheint es daher essentiell zu sein, dass die Überzeugung nicht bloß de facto wahr ist. Vielmehr sollte die wahre Überzeugung auch in dem Sinne epistemisch sicher sein, dass sie
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in allen nahen möglichen Welten (d. h. in Welten, die sich von der aktualen Welt nur leicht unterscheiden) bei gleicher Art der Überzeugungsgewinnung ebenfalls wahr ist. Diese für Wissen notwendige Bedingung fasst das folgende Prinzip der epistemischen Sicherheit zusammen:
Das Prinzip der epistemischen Sicherheit Ss wahre Überzeugung, dass p, ist genau dann epistemisch sicher, wenn in allen nahen möglichen Welten, in denen S auf die gleiche Weise zu der Überzeugung, dass p, gelangt wie in der aktualen Welt, Ss Überzeugung, dass p, immer noch wahr ist.9 Wissenstheorien, die ein Prinzip der epistemischen Sicherheit annehmen, werden in jüngster Zeit von vielen Erkenntnisphilosophen vertreten, wie z. B. von Duncan Pritchard, Ernest Sosa oder Timothy Williamson.10 Derartige „sicherheitsbasierte Wissenstheorien“ lassen sich folgendermaßen allgemein formulieren:
Sicherheitsbasierte Wissenstheorien Eine Aussage der Form „S weiß, dass p“ ist in sicherheitsbasierten Wissenstheorien genau dann wahr, wenn (i) S davon überzeugt ist, dass p, (ii) p wahr ist, (iii) Ss wahre Überzeugung auch epistemisch sicher ist. In sicherheitsbasierten Wissenstheorien ist der Begriff des Wissens somit ein modaler Begriff, da die Beantwortung der Frage, ob eine wahre Überzeugung Wissen darstellt, auch davon abhängt, ob die Überzeugung, wenn sie in nahen möglichen Welten auf die gleiche Weise wie in der aktualen Welt erlangt wurde, immer noch wahr wäre. Sicherheitsbasierte Wissenstheorien sind offensichtlich in der Lage, das Gettier-Problem zu lösen. Der in den Gettier-Fällen involvierte veridische epistemische Zufall führt dazu, dass die jeweiligen wahren Überzeugungen nicht epistemisch sicher sind und daher nicht als Wissen gelten können. Bei geringer Änderung der jeweiligen Situationen wäre das epistemische Subjekt ebenfalls zur Überzeugung gelangt, dass p; p wäre dann aber falsch gewesen. Hätte z. B. Smith keine zehn Münzen in seiner Tasche gehabt, wäre seine Überzeugung, dass derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in seiner Tasche hat, nicht richtig. Hätte sich Brown nicht zufälligerweise in Barcelona aufgehalten, wäre Smith’ Überzeugung, dass Jones einen Ford besitzt oder Brown in Barcelona ist, falsch. Wäre kein Schaf auf der Weide gewesen und wäre die Uhr um zehn vor zwölf
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stehengeblieben, hätten die jeweiligen epistemischen Subjekte auf der Basis der vorliegenden Evidenzen falsche Überzeugungen erworben. Auch Henry wäre zu der falschen Überzeugung gelangt, dass er gerade eine echte Scheune betrachtet, wenn er auf eine der Scheunenattrappen geschaut hätte. Obwohl diese Änderungen der aktualen Welten die jeweiligen Überzeugungen zu falschen machen, würden die epistemischen Subjekte ihre Überzeugungen dennoch nicht ändern, da es für sie in diesen neuen Situationen keine Anhaltspunkte für die Falschheit ihrer Überzeugungen gäbe. Sie würden auf der Grundlage derselben Evidenzen wiederum zur Überzeugung, dass p, gelangen – die diesmal aber falsch wäre. Das Prinzip der epistemischen Sicherheit wirft natürlich einige Fragen auf. Zunächst erscheint der Begriff der „nahen möglichen Welt“ erläuterungsbedürftig. Was als jeweils „nahe mögliche Welt“ gilt, ist kontextsensitiv und hängt von bestimmten relevanten Umständen ab, die in der aktualen Welt vorliegen. Betrachten wir hierzu ein Beispiel von Fred Dretske:
Beispiel 7: Die Schnatterente und der sibirische Lappentaucher Ein Amateur-Ornithologe, nennen wir ihn „Birdy“, beobachtet eine Ente in einem See an seinem Wohnort in Wisconsin. Er kennt die heimischen Vögel recht gut und schließt aufgrund des sehr markanten spezifischen Federkleides, dass es sich bei dem beobachteten Tier um eine Schnatterente handelt. Weiterhin sei angekommen, dass seine Überzeugung auch wahr ist. Das Tier ist tatsächlich eine Schnatterente. In der Gegend befindet sich noch ein weiterer Ornithologe, dessen profunde ornithologische Kenntnisse weit über die heimischen Vogelarten hinausgehen und der nach sibirischen Lappentauchern Ausschau hält. Ihm ist nämlich die Hypothese zu Ohren gekommen, dass einige sibirische Lappentaucher ihre heimischen Gefilde verlassen und sich im Mittleren Westen der USA angesiedelt haben sollen. Diese sibirischen Lappentaucher sind von den heimischen Schnatterenten, zumal wenn sie sich im Wasser befinden, aufgrund ihres sehr ähnlichen Federkleides kaum zu unterscheiden.11 Die Frage ist nun, ob Birdy weiß, dass es sich bei dem beobachteten Tier um eine Schnatterente handelt. Ist seine wahre Überzeugung auch epistemisch sicher? Die Beantwortung dieser Frage scheint vor allem davon abzuhängen, ob die Hypothese des anderen Ornithologen zutreffend ist. Wenn es tatsächlich sibirische Lappentaucher in der Gegend gibt, dann beschreibt die Möglichkeit, dass Birdy statt auf eine Schnatterente auf einen sibirischen Lappentaucher blickt, eine nahe mögliche Welt. Da Birdy in dieser Welt ebenfalls zu der Überzeugung gelangen würde, dass das Tier eine Schnatterente ist und die Überzeugung dann falsch wäre, hätte Birdy somit keine epistemisch sichere Überzeugung. Obwohl seine Überzeugung in der aktualen Welt wahr ist, würde er also nicht wissen, dass
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er eine Schnatterente betrachtet. Wenn hingegen die Hypothese falsch wäre und sibirische Lappentaucher ihre Heimat nicht verlassen hätten, dann wäre eine Welt, in der die Ente in dem See in Wisconsin ein sibirischer Lappentaucher ist, eine von der aktualen Welt aus gesehen unrealistische und sehr weit entfernte mögliche Welt. Da Birdy alle anderen heimischen Vögel sehr gut von Schnatterenten unterscheiden kann, ist daher in diesem Fall Birdys wahre Überzeugung, dass er eine Schnatterente betrachtet, epistemisch sicher und daher auch Wissen. Des Weiteren ist es wichtig zu beachten, dass nahe mögliche Welten nicht notwendigerweise Situationen beschreiben, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten ereignen können. Nahe mögliche Welten sind vielmehr solche, die sich durch nur wenige Änderungen der aktualen Welt hätten ergeben können. Mittels dieser Auffassung von naher möglicher Welt lässt sich auch die sogenannte Lotterieparadoxie der klassischen Analyse propositionalen Wissens auflösen12: Eine Schwierigkeit für die klassische Analyse besteht nämlich darin, dass sie nicht gut erklären kann, warum wir intuitiv eine Person zwar als hochgradig epistemisch gerechtfertigt in ihrer Überzeugung ansehen, dass ihr Lotterielos verlieren wird, wir jedoch dennoch nicht geneigt sind, der Person ein entsprechendes Wissen zuzuschreiben – selbst dann nicht, wenn sich die Überzeugung, wie erwartet, als wahr erweist. Vorausgesetzt ist hierbei, dass die Person das Lotterielos in einer fairen Lotterie erworben hat, in der die Chancen, ein Gewinnerlos zu ziehen, verschwindend gering sind (z. B. 1 zu 10 Millionen). In der Lotterieparadoxie wird also ein weiterer Fall einer wahren und gerechtfertigten Überzeugung beschrieben, die wir intuitiv nicht als Wissen ansehen würden. Sicherheitsbasierte Wissenstheorien können dieser Intuition Rechnung tragen. Die Überzeugung, dass das Lotterielos verlieren wird, ist nämlich nicht epistemisch sicher. Auch wenn es, wahrscheinlichkeitstheoretisch betrachtet, extrem unwahrscheinlich ist, dass die Person ein Gewinnerlos gezogen hat, so ist die Welt, in der sie zu den glücklichen Gewinnern zählt, dennoch eine nahe mögliche Welt. Die aktuale Welt hätte sich für das Eintreten dieses Falls nämlich kaum ändern müssen. Der Begriff der nahen möglichen Welt ist jedoch nicht immer ganz eindeutig festzulegen. In Beispiel 5 ist es zwar evident, dass aufgrund der Existenz zahlreicher Scheunenattrappen in der unmittelbaren Umgebung eine Welt, in der Henry auf eine der Scheunenattrappen schaut, eine nahe mögliche Welt ist – und seine in der aktualen Welt wahre Überzeugung, dass er auf eine echte Scheune schaut, kann daher nicht als Wissen gelten. Wenn es hingegen in weit entfernten anderen Landstrichen, die Henry niemals aufsuchen würde, Scheunenattrappen gäbe, wäre eine Welt, in der Henry auf diese Scheunenattrappen schaut, klarerweise keine nahe mögliche Welt. Seine in der aktualen Welt wahre Überzeugung wäre daher epistemisch sicher und somit auch Wissen. Was wäre aber, wenn sich zwar nicht in ganz unmittelbarer Umgebung, aber doch in nur wenigen Kilome-
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tern Entfernung zahlreiche Scheunenattrappen befänden? Kann die Existenz dieser Scheunenattrappen Henrys wahre Überzeugung in der aktualen Welt epistemisch unsicher machen und somit Wissen verhindern? Hierauf lässt sich wohl keine ganz eindeutige Antwort geben. Derartige Beispiele zeigen meines Erachtens, dass der Wissensbegriff einen gewissen Vagheitsspielraum hat. Dies spricht jedoch nicht gegen sicherheitsbasierte Wissenstheorien. Die Unklarheit, ob wir Wissen in derartigen Fällen zuschreiben sollen oder nicht, entspricht durchaus unserem intuitiven Wissensverständnis. Ist der Wissensbegriff in einigen Anwendungsfällen intuitiv vage, dann sollte eine philosophische Theorie des Wissens dieser Vagheit auch Rechnung tragen und explizieren, wodurch diese Vagheit ausgelöst wird.
4.2.1 Ist epistemische Sicherheit notwendig für Wissen? Epistemische Sicherheit als notwendige Bedingung für Wissen anzusehen, hat, wie gezeigt wurde, sehr viele Vorteile: Sicherheitsbasierte Wissenstheorien werden unserer Intuition gerecht, wonach Wissen mit veridisch epistemischem Zufall unvereinbar ist. Sie liefern zudem eine plausible Auflösung des GettierProblems und der Lotterieparadoxie. Dennoch wurden sicherheitsbasierte Wissenstheorien aus verschiedenen Gründen kritisiert. Zum einen wurde in Form vermeintlicher Beispielfälle von „epistemisch unsicherem Wissen“ die Notwendigkeit epistemischer Sicherheit für Wissen in Frage gestellt. Zum anderen wurde auch dafür argumentiert, dass eine epistemisch sichere wahre Überzeugung für Wissen nicht hinreichend ist, da es Fälle von epistemisch sicheren wahren Überzeugungen geben soll, die nicht als Wissen ausgezeichnet werden können. Des Weiteren wurde aber auch der Begriff der epistemischen Sicherheit als unklar und grundsätzlich problembehaftet zurückgewiesen. Im Folgenden soll zunächst auf die Kritik an der Notwendigkeit epistemischer Sicherheit für Wissen eingegangen werden. Betrachten wir hierzu zwei Beispielfälle, die (in etwas abgewandelter Form) von Ram Neta und Guy Rohrbaugh diskutiert werden13:
Beispiel 8: Das vergiftete Wasser – Variante 1 Ram trinkt ein Glas reines Wasser und gewinnt hieraus die wahre Überzeugung, dass er ein Glas reines Wasser trinkt. Was er jedoch nicht weiß, ist, dass Guy vorhatte, ihn zu vergiften, und das Wasser in dem Glas mit einer geruchs- und geschmacksneutralen tödlichen toxischen Substanz versehen wollte. Guy ist in größter Geldnot, und er ist der einzige Erbe von Rams beträchtlichem Vermö-
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gen. Guy wurde jedoch im letzten Moment von diesem kriminellen Vorhaben abgebracht. Er erfuhr nämlich kurz bevor er das tödliche Gift in das Wasserglas tropfen wollte, dass er eine hohe Geldsumme in einer Lotterie gewonnen hat.
Beispiel 9: Das vergiftete Wasser – Variante 2 Ram öffnet einen Kühlschrank, der voller Wasserflaschen ist. Er greift wahllos hinein und nimmt sich eine der Wasserflaschen heraus, füllt das Wasser in ein Glas und trinkt es – und gewinnt daraufhin die wahre Überzeugung, dass er ein Glas reines Wasser trinkt. Was Ram nicht weiß, ist, dass Guy, der sich in Geldnöten befindet und welcher der einzige Erbe von Rams beträchtlichem Vermögen ist, ihn vergiften möchte und daher die Wasserflaschen im Kühlschrank mit einer geruchs- und geschmacksneutralen tödlichen toxischen Substanz versehen hat. Allerdings hat er dabei eine Flasche vergessen – und es ist nun genau diese Flasche, die Guy aus dem Kühlschrank nimmt. Beide Beispiele, so Neta und Rohrbaugh, beschreiben Fälle, in denen Ram eine wahre Überzeugung besitzt, die leicht hätte falsch sein können. Jedoch würden wir nur im Beispiel 9 Ram das Wissen, ein Glas reinen Wassers zu trinken, absprechen. In Beispiel 8 liegt hingegen intuitiv Wissen vor, obwohl es, laut Neta und Rohrbaugh, nahe mögliche Welten gibt (Welten, in denen Guy nicht in der Lotterie gewonnen hat), in denen Guy ebenfalls zur Überzeugung gelangt wäre, ein Glas reines Wasser zu trinken; diese Überzeugung hätte sich dann aber fatalerweise als falsch herausgestellt. Es scheint also, dass Beispiel 8 einen Fall einer wahren Überzeugung beschreibt, die nicht epistemisch sicher ist, aber dennoch Wissen darstellt. Epistemische Sicherheit, so Neta und Rohrbaugh, ist somit nicht notwendig für Wissen. Sicherheitsbasierte Wissenstheorien seien daher zurückzuweisen, da in diesen Theorien Wissen niemals mit epistemisch unsicheren Überzeugungen vereinbar sein kann. Zudem könnten sicherheitsbasierte Wissenstheorien den intuitiven Unterschied zwischen Beispiel 8 und 9 nicht erklären. Ich halte Netas und Rohrbaughs Kritik an sicherheitsbasierten Wissenstheorien jedoch für nicht stichhaltig. Beispiel 9 ist strukturell analog zum Scheunen attrappen-Beispiel. Auch hier verhindert eine Form von umgebungsbedingtem Zufall, dass Rams wahre Überzeugung zu Wissen wird. In Beispiel 8 ist jedoch bei näherer Betrachtung gar keine Form von veridischem epistemischen Zufall involviert. Vielmehr ist die wahre Überzeugung in evidentieller Weise epistemisch zufällig. In Beispiel 8 hat ein zufälliges Ereignis (Guys Lotteriegewinn) dazu geführt, dass Ram in eine Situation gebracht wurde, in der er in epistemisch sicherer Weise eine wahre Überzeugung erlangt hat. Rams wahre Überzeugung ist zwar evidentiell epistemisch zufällig. Evidentieller epistemischer Zufall ist aber,
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wie bereits gezeigt wurde, mit Wissen durchaus kompatibel. Nachdem Ram durch den evidentiell glücklichen Umstand, dass Guy in der Lotterie gewonnen hat, ein Glas Wasser vorfindet, das nicht vergiftet ist, ist seine wahre Überzeugung, ein Glas reines Wasser zu trinken, epistemisch sicher und gilt als Wissen. Unter den bereits gegebenen Umständen, dass Guy in der Lotterie gewonnen und das Wasser folglich nicht vergiftet hat, sind mögliche Welten, in denen das Wasser doch vergiftet ist, sehr unrealistisch (wir nehmen an, dass nicht noch andere nach Rams Leben trachten) und keine nahen möglichen Welten. Netas und Rohrbaughs vermeintliches Gegenbeispiel zum Prinzip epistemischer Sicherheit als notwendige Bedingung für Wissen ist daher kein Fall von „epistemisch unsicherem Wissen“. Sicherheitsbasierte Wissenstheorien können sowohl den intuitiven Unterschied zwischen Beispiel 8 und 9 erklären, als auch Beispiel 8 den Intuitionen entsprechend als Fall von epistemisch sicherem Wissen auszeichnen. Auf sehr ähnliche Weise lässt sich auch Juan Comesañas Kritik an der Notwendigkeit epistemischer Sicherheit für Wissen zurückweisen. Comesaña diskutiert den folgenden Fall von vermeintlichem „epistemisch unsicheren Wissen“:
Beispiel 10: Die Halloweenparty Juan ist von Andy zu einer Halloweenparty eingeladen. Andys Freundin Judy steht an der Straßenkreuzung und dirigiert die Gäste nach links in die Straße, wo sich Andys Haus befindet. Andy will auf keinen Fall, dass sein Bekannter Michael zur Party kommt. Falls Michael, obwohl er nicht eingeladen wurde, dennoch an der Straßenkreuzung auftaucht, soll Judy sofort bei Andy anrufen, so dass die Partygäste schnell ins Haus von Andys Freund Adam, das sich rechts von der Straßenkreuzung befindet, hinüberwechseln können, um dort ungestört ohne Michael die Party zu feiern. Juan, der keine Ahnung von all dem hat, überlegt sich, welches von zwei Halloweenkostümen er zur Party anziehen soll. Er könnte sich entweder als Michael verkleiden, oder er trägt ein Gorillakostüm. Da er sich nicht entscheiden kann, wirft er eine Münze. Bei Kopf verkleidet er sich als Michael, bei Zahl trägt er das Gorillakostüm. Die Münze zeigt Zahl. Daher geht er als Gorilla verkleidet zu Andys Party. Er trifft an der Straßenkreuzung Judy, die ihn zu Andys Haus nach links weist. Folglich gelangt Juan zur wahren Überzeugung, dass die Halloweenparty im Haus links die Straße hinunter stattfindet.14 Auch in diesem Beispiel hätte sich Juans wahre Überzeugung sehr leicht als falsch herausstellen können. Hätte der Münzwurf Kopf ergeben, wäre Juan als Michael verkleidet an der Straßenkreuzung aufgetaucht. Judy hätte ihn folglich für Michael gehalten und daher Andy informiert, so dass die Party dann in Adams Haus rechts die Straße hinunter gefeiert worden wäre. Juan wäre dann immer noch der Überzeugung gewesen, dass die Party in der linken Straße stattfindet,
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was dann aber falsch gewesen wäre. Allerdings, so Comesaña, würden wir trotz der vermeintlichen epistemischen Unsicherheit von Juans wahrer Überzeugung ihm dennoch Wissen zusprechen. Der glückliche Ausgang des Münzwurfs, der mit dafür verantwortlich war, dass Juan eine wahre Überzeugung über den Ort der Halloweenparty erlangte, scheint es nicht zu verhindern, dass Juan weiß, dass die Party im Haus auf der linken Straße stattfindet. Für Comesaña zeigt dieser Fall somit, dass epistemische Sicherheit keine notwendige Bedingung für Wissen ist. Beispiel 10 beschreibt jedoch, ebenso wie Beispiel 8, einen Fall von evidentiellem epistemischen Zufall. Der Ausgang des Münzwurfs und Juans sich daraus ergebende Entscheidung, sein Gorillakostüm zu tragen, sind glückliche Umstände, die die Art und Weise betreffen, wie Juan die für seine wahre Überzeugung nötigen Evidenzen erlangt. Unter der gegebenen Situation, dass er als Konsequenz aus dem Münzwurf als Gorilla verkleidet an der Straßenkreuzung auftaucht, ist Judy für ihn eine sehr zuverlässige Informantin in Bezug auf den Ort der Party. Mögliche Welten, in denen der als Gorilla verkleidete Juan durch Judy fehlgeleitet und daher eine falsche Überzeugung erlangen würde, sind somit keine nahen möglichen Welten. Juans wahre Überzeugung, dass die Party im Haus links die Straße hinunter stattfinden wird, ist daher, entgegen Comesañas Analyse, epistemisch sicher – und ein Fall von Wissen. Auch Comesañas Kritik an der Notwendigkeit epistemischer Sicherheit für Wissen anhand dieses vermeintlichen Gegenbeispiels lässt sich daher zurückweisen.
4.2.2 Ist epistemische Sicherheit hinreichend für Wissen? Die Notwendigkeit epistemischer Sicherheit für Wissen hat sich bisher als sehr plausibel erwiesen und konnte gegenüber Kritik in Form von angeblichen Beispielen von „epistemisch unsicherem Wissen“ verteidigt werden. Ist jedoch, wie in sicherheitsbasierten Wissenstheorien behauptet, eine wahre und epistemisch sichere Überzeugung auch bereits hinreichend für Wissen? Führen also alle epistemisch sicheren wahren Überzeugungen zu Wissen? Ein naheliegender Einwand gegen die Auffassung, dass wahre epistemisch sichere Überzeugungen immer Wissen darstellen, betrifft Überzeugungen in Bezug auf notwendig wahre Propositionen. Derartige Propositionen, wie etwa „2+2=4“, „Ein Quadrat hat vier Seiten“ oder „Junggesellen sind unverheiratet“, sind auch in allen nahen möglichen Welten wahr und daher immer epistemisch sicher, ganz unabhängig davon, wie ein epistemisches Subjekt eine wahre Überzeugung über diese Propositionen erlangt hat. Nehmen wir an, dass eine Person absolut keine Ahnung selbst von elementarster Arithmetik besitzt und insbesondere das Konzept der Addition nicht versteht. Gefragt, was denn 2 plus 2 sei, weiß
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sie daher zunächst keine Antwort. Da gerade ein Würfel neben ihr liegt, nimmt sie diesen und würfelt. Zufälligerweise bleibt dieser mit der „4“ oben liegen. Die Person nimmt dies als Wink einer höheren Macht an und gelangt daraufhin zu der Überzeugung, dass 2 plus 2 4 ist. Die Person hat somit eine wahre Überzeugung, die auch epistemisch sicher ist, denn es gibt keine mögliche Welt, in der 2 plus 2 nicht 4 ist. Allerdings würde man in einem solchen Fall nicht sagen wollen, dass die Person weiß, dass 2 plus 2 4 ist. Sie ist zu dieser Meinung auf extrem unzuverlässige Weise gelangt. Pritchard, der sich dieses Problems durchaus bewusst ist, schränkt das von ihm vertretene Prinzip epistemischer Sicherheit daher zunächst auf sogenannte „vollständig kontingente Propositionen“15 ein, d. h. auf Propositionen, die weder aus logischen, metaphysischen oder physikalischen Gründen bereits mit Notwendigkeit gelten – und für die es somit nahe mögliche Welten geben kann, in denen sie auch falsch sein können. Diese Einschränkung des Prinzips epistemischer Sicherheit auf „vollständig kontingente Propositionen“ ist jedoch zum einen höchst unbefriedigend, da eine sicherheitsbasierte Wissenstheorie dann nicht alle Formen propositionalen Wissens berücksichtigt und somit eine explanatorische Lücke und Unvollständigkeit aufweist. Zum anderen würde diese Einschränkung jedoch ohnehin nicht alle Formen von „epistemisch sicherem Nichtwissen“ verhindern. Es scheint nämlich einige Fälle von wahren Überzeugungen auch in Bezug auf kontingente Propositionen zu geben, die zwar in allen nahen möglichen Welten wahr sind, jedoch deshalb nicht als Wissen angesehen werden können, weil sie durch eine unzuverlässige Methode gewonnen wurden. Betrachten wir hierzu das folgende Beispiel, in dem eine Person zur Überzeugung gelangt, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, weil sie der Meinung ist, dass die bevölkerungsreichste Stadt eines Landes immer dessen Hauptstadt ist.16 Es scheint, dass diese Person auch in nahen möglichen Welten zu dieser wahren Überzeugung gelangen würde. Die Person würde nur dann fälschlicherweise glauben, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, wenn zwar Paris weiterhin die größte Stadt Frankreichs, jedoch eine andere Stadt Hauptstadt wäre. Es scheint jedoch, dass derartige Welten äußerst unrealistisch sind und sich von der aktualen Welt drastisch unterscheiden würden. In diesem Beispiel würde man der Person nicht deshalb das Wissen, dass Paris die Hauptstadt Frankreichs ist, absprechen, weil ihre Überzeugung leicht hätte falsch sein können, sondern weil die Methode der Überzeugungsgewinnung in anderen ähnlichen Fällen zu falschen Überzeugungen geführt hätte. So würde die Person nämlich beispielsweise auch zu den falschen Überzeugungen gelangen, dass Istanbul die Hauptstadt der Türkei oder Sydney die Hauptstadt Australiens wäre. Die Person hat zwar eine epistemisch sichere Überzeugung, sie wendet jedoch bei der Gewinnung ihrer Überzeugung eine Methode an, die nicht epistemisch sicher ist.
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4.2.3 Das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit Die diskutierten Fälle von wahren epistemisch sicheren Überzeugungen, die kein Wissen sind, zeigen, dass das Prinzip der epistemischen Sicherheit, so wie es bisher formuliert wurde, abgeändert werden muss. Damit eine wahre Überzeugung zu Wissen führt, muss die Methode, d. h. die Art und Weise, mittels derer S zur wahren Überzeugung in der aktualen Welt gelangt ist, auch in allen nahen möglichen Welten zu Überzeugungen führen, die ebenfalls wahr sind. Der Begriff der epistemischen Sicherheit soll daher im Folgenden auch auf überzeugungsbildende Methoden angewendet werden und eine Methode, die der oben genannten Bedingung genügt, als epistemisch sicher ausgezeichnet werden. Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit sind dann diejenigen Wissenstheorien, die eine wahre Überzeugung nur dann als Wissen ansehen, wenn die Methode der Überzeugungsgewinnung auch epistemisch sicher ist:
Das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit Hat S zur Erlangung der wahren Überzeugung, dass p, die Methode M verwendet, dann ist M genau dann epistemisch sicher, wenn S durch Verwendung von M (d. h. auf die gleiche Art und Weise, in der S in der aktualen Welt zur Überzeugung, dass p, gelangt) in allen nahen möglichen Welten keine falschen Überzeugung gewinnt.
Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit Eine Aussage der Form „S weiß, dass p“ ist in Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit genau dann wahr, wenn (i) S davon überzeugt ist, dass p, (ii) p wahr ist, (iii) Ss wahre Überzeugung, dass p, durch eine epistemisch sichere Methode gewonnen wurde.17 In dem oben angeführten Beispiel des „Mathematik-Banausen“ ist natürlich die Methode des Würfelns keine epistemisch sichere Methode zur Gewinnung der Überzeugung, dass 2 plus 2 4 ist, da die Person mittels dieser Methode sehr leicht zu falschen Überzeugungen hätte gelangen können. Hätte die Person beispielsweise eine 5 gewürfelt, dann hätte sie durch diese Methode die falsche Überzeugung erlangt, dass 2 plus 2 5 ist. Auch führt die Annahme, dass die bevölkerungsreichste Stadt eines Landes immer dessen Hauptstadt ist, zu keiner epistemisch sicheren Methode zur Erlangung von Überzeugungen hinsichtlich der Haupt-
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städte von Ländern. Diese Methode liefert zwar die wahre Überzeugung, dass Paris die Hauptstadt Frankreichs ist, sie hätte in Bezug auf Länder, deren Hauptstädte nicht ihre bevölkerungsreichsten Städte sind, jedoch zu falschen Überzeugungen Anlass gegeben. Methoden können auf verschiedene Weise und in unterschiedlichen Graden epistemisch unsicher sein: Eine Methode kann prinzipiell unzuverlässig sein, wenn sie in Bezug auf eine zu untersuchende Frage in allen Situationen sehr leicht zu falschen Antworten führt. Die Methode des Würfelns zur Beantwortung der Frage, was das Ergebnis von 2 + 2 ist, wäre etwa in diesem Sinne epistemisch unsicher. Auch wäre das Konsultieren von Wahrsagern zur Beantwortung der Frage, wie die Lottozahlen bei der nächsten Samstagsziehung lauten, eine solche epistemisch unsichere Methode. Eine Methode kann aber auch epistemisch unsicher sein, wenn sie bloß in der gegebenen Situation der Überzeugungsbildung unzuverlässig ist bzw. wenn sie in einem Bereich angewendet wird, in dem sie nicht zuverlässig funktioniert. In diesem Sinne ist beispielsweise die visuelle Wahrnehmung von Scheunen unter guten Lichtverhältnissen und bei gutem Sehvermögen des epistemischen Subjekts epistemisch unsicher, wenn sie in einer Gegend mit Scheunenfassaden erfolgt. Eine Methode kann zudem auf der Grundlage falscher Annahmen sich als epistemisch unsicher erweisen. In diesem Sinne sind etwa die Prozesse der Überzeugungsgewinnung in den ursprünglichen Gettier-Fällen epistemisch unsicher. Auch verwendet eine Person eine epistemisch unsichere Methode, wenn sie auf der Grundlage der Meinung, dass die bevölkerungsreichste Stadt eines Landes immer dessen Hauptstadt ist, zu der wahren Überzeugung gelangt, dass Paris die Hauptstadt Frankreichs ist. Das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit impliziert das Prinzip der epistemischen Sicherheit von Überzeugungen. Eine wahre Überzeugung, die auf einer epistemisch sicheren Methode beruht, ist auch eine Überzeugung, die nicht leicht hätte falsch sein können. Wie gezeigt wurde, müssen jedoch nicht alle wahren Überzeugungen, die nicht leicht hätten falsch sein können, auch epistemisch methodensicher sein. Wahre Überzeugungen, die nicht leicht hätten falsch sein können, aber dennoch auf unsicheren Methoden beruhen, sind intuitiv kein Wissen. Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit besitzen somit alle bereits diskutierten Vorteile der ursprünglichen sicherheitsbasierten Theorien und können zudem alle Beispiele von wahren Überzeugungen, die durch epistemisch unsichere Methoden erworben wurden, aus der Wissensdefinition ausschließen. Die Plausibilität des Prinzips der epistemischen Methodensicherheit hängt jedoch entscheidend davon ab, ob es gelingt, geeignete Identifizierungskriterien für die von S bei der Überzeugungsgewinnung verwendeten Methode M anzugeben. Ob eine Methode zur Gewinnung einer wahren Überzeugung epistemisch
4.2 Das Prinzip der epistemischen Sicherheit
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sicher ist oder nicht, beruht u. a. darauf, wie der Prozesstyp, der der Methode zugrunde liegt, individuiert wird.18 Würde man im Scheunenattrappen-Beispiel Henrys Wahrnehmungsprozess, der zur wahren Überzeugung führte, dass er auf eine echte Scheune schaut, sehr spezifisch individuieren, dann könnte Henrys wahre Überzeugung trotz Scheunenattrappen in der Gegend auf einer epistemisch sicheren Methode beruhen. Angenommen, man beschriebe den Wahrnehmungsprozess als „visuelle Wahrnehmung von echten Scheunen bei guten Sichtverhältnissen und gutem Sehvermögen“. Ein in dieser Weise spezifizierter Wahrnehmungsprozess kann in nahen möglichen Welten nicht zu falschen Überzeugungen führen. In einer nahen möglichen Welt, in der Henry ebenfalls eine visuelle Wahrnehmung von einer echten Scheune hätte, würde er selbstverständlich auch die wahre Überzeugung gewinnen, auf eine echte Scheune zu schauen. Dass Henry auf eine der Scheunenattrappen in der Gegend blicken könnte, ist durch die Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses einfach ausgeschlossen.19 Der Prozesstyp, der einer angewendeten Methode zur Überzeugungsgewinnung zugrunde liegt, darf somit nicht derart spezifisch individuiert werden, dass die epistemische Sicherheit der Methode sich bereits allein durch die Beschreibung des Prozesstyps notwendigerweise ergibt. Dass sich Scheunenattrappen in der Nähe befinden, ist ein relevanter Umstand, der die Validität von Henrys Wahrnehmungsprozess in diesem Beispiel beeinträchtigt. Die Beschreibung des Prozesstyps sollte daher diesem Umstand Rechnung tragen und den Prozesstyp so weit fassen, dass auch die Möglichkeit der Wahrnehmung von Scheunenattrappen berücksichtigt wird. Betrachten wir noch die folgende Variante des Scheunenattrappen-Beispiels, um das Problem der angemessenen Spezifizierung des bei der Überzeugungsgewinnung involvierten Prozesstyps weiter zu verdeutlichen: Henry fährt durch eine Gegend, in der es neben echten Scheunen auch zahlreiche Scheunenattrappen gibt. Henry beachtet jedoch diese Scheunen bzw. Scheunenattrappen gar nicht. Vielmehr fällt sein Blick auf eine schöne Birke (die sich in der Nähe der Scheunenattrappen befindet), woraufhin Henry die wahre Überzeugung erlangt, dass sich in der Gegend eine Birke befindet. Des Weiteren sei angenommen, dass die Sichtverhältnisse gut sind und Henry über ein gutes Sehvermögen verfügt. Ob Henrys Wahrnehmungsprozess eine epistemisch sichere Methode zur Erlangung der wahren Überzeugung, dass sich in der Gegend eine Birke befindet, darstellt, hängt offenbar auch davon ab, wie dieser Wahrnehmungsprozess beschrieben wird. Wird er etwa als „visuelle Wahrnehmung bei guten Sichtverhältnissen und gutem Sehvermögen, die ein Wahrnehmungserlebnis einer Birke hervorruft“ beschrieben, so beruht Henrys wahre Überzeugung, dass sich in der Gegend eine Birke befindet, auf einer epistemisch sicheren Methode. In nahen möglichen Welten, in denen er ebenfalls einen visuellen Wahrnehmungseindruck einer Birke
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4 Wissen und Zufall
hat, würde er hieraus keine falschen Überzeugungen gewinnen.20 Wird Henrys Wahrnehmungsprozess jedoch unspezifischer als „visuelle Wahrnehmung von Objekten mittlerer Größe bei guten Sichtverhältnissen und gutem Sehvermögen“ beschrieben, dann beruht seine wahre Überzeugung, dass sich in der Gegend eine Birke befindet, offenbar nicht mehr auf einer epistemisch sicheren Methode. Es gibt nämlich nun eine nahe mögliche Welt, in der er durch diesen Wahrnehmungsprozess zu einer falschen Überzeugung gelangt. Diese nahe mögliche Welt ist eine Welt, in der er auf eine Scheunenattrappe schaut – und daraufhin z. B. die falsche Überzeugung gewinnt, dass er auf eine echte Scheune blickt. Es scheint somit, dass der Spezifizierungsgrad des Prozesstyps der angewandten Methode die epistemische Sicherheit der Methode beeinflussen kann. Wäre die Festlegung des Spezifizierungsgrades des Prozesstyps rein willkürlich, dann wäre dem Begriff der epistemischen Methodensicherheit jegliche Objektivität genommen, und Wissenstheorien der epistemischen Methodensicherheit müssten daher als unhaltbar zurückgewiesen werden. Die Identifizierung des Prozesstyps der angewandten Methode einer Überzeugungsgewinnung ist jedoch keineswegs rein willkürlich. Wie wir bereits gesehen haben, darf der Prozesstyp nicht zu spezifisch beschrieben werden, so dass die epistemische Sicherheit der Methode schon durch die Beschreibung des Prozesstyps garantiert ist. Darüber hinaus sollte der Prozesstyp aber auch nicht zu weit gefasst werden. Betrachtet Henry beispielsweise eine echte Scheune und gelangt daraufhin zur wahren Überzeugung, dass er auf eine echte Scheune schaut, dann sollte dieser Wahrnehmungsprozess nicht deshalb als epistemisch unsicher ausgewiesen werden, weil der Prozesstyp so weit gefasst wurde, dass er auch Wahrnehmungsprozesse von sehr kleinen oder weit entfernten Objekten miteinschließt. Gibt es keine Scheunenattrappen in der Gegend, dann ist Henrys Wahrnehmungsprozess einer echten Scheune in der aktualen Welt epistemisch sicher. Dass er in Bezug auf sehr kleine oder weit entfernte Gegenstände zu falschen Wahrnehmungsüberzeugungen gelangen könnte, beeinträchtigt dabei die epistemische Sicherheit dieses Wahrnehmungsprozesses nicht. Die epistemische Sicherheit des Prozesses – und damit Henrys Wissen, dass er auf eine echte Scheune schaut – sollte nicht dadurch vereitelt werden, dass in der Beschreibung des Prozesstyps der Anwendungsbereich des Wahrnehmungsprozesses auf unnatürliche Weise ausgedehnt wird. Die Identifizierung des geeigneten Prozesstyps hängt auch von den relevanten Umständen sowie den Interessen, Zielen und Fragestellungen bei der Überzeugungsgewinnung ab. Ist beispielsweise eine Person daran interessiert, ob sich in einer Gegend eine Birke befindet oder nicht, dann kann ihre visuelle Wahrnehmung einer Birke in dieser Gegend eine epistemisch sichere Methode zur Gewinnung der wahren Überzeugung sein, dass sich in der Gegend eine Birke befin-
4.3 Tugenderkenntnistheorien
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det – und zwar auch dann, wenn es in der Gegend von Scheunenattrappen nur so wimmelt. Die Existenz von Scheunenattrappen spielt für die korrekte Beantwortung der erkenntnisleitenden Frage des Subjektes offenbar keine störende Rolle. Dass die Person auf eine Scheunenattrappe schauen könnte und dabei zu der falschen Überzeugung gelangen würde, dass sie eine echte Scheune betrachtet, scheint die epistemische Sicherheit der durch die Wahrnehmung einer Birke verursachten wahren Überzeugung, dass sich in der Gegend eine Birke befindet, nicht zu beeinträchtigen. Der in diesem Beispiel relevante Prozesstyp müsste in diesem Fall daher so beschrieben werden, dass er Wahrnehmungsprozesse von Scheunenattrappen nicht mit einschließt. Es gibt natürlich Fälle, in denen nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob eine Methode der Überzeugungsgewinnung epistemisch sicher ist oder nicht. Dies kann daran liegen, dass der genaue Prozesstyp, der der Methode zugrunde liegt, nicht klar bestimmbar ist, da z. B. relevante Umstände der Überzeugungsgewinnung oder die Ziele und Interessen des epistemischen Subjektes nicht vollständig bekannt sind. Wie bereits im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Prinzip der epistemischen Sicherheit von Überzeugungen erwähnt, ist zudem die Frage, welche Welten in bestimmten Fällen als nahe mögliche Welten anzusehen sind, nicht immer eindeutig zu beantworten. Diese Unklarheiten bei der Bestimmung von epistemisch sicheren Methoden in einigen Fällen sprechen jedoch keineswegs gegen Ansätze der epistemischen Methodensicherheit als geeignete Theorien des Wissens. Sie verweisen vielmehr auf die offenkundige Tatsache, dass wir in manchen Fällen eben keine klaren Intuitionen darüber haben, ob ein Subjekt über Wissen verfügt oder nicht. Wissenstheorien der epistemischen Methodensicherheit zeigen, warum dies so ist.
4.3 Tugenderkenntnistheorien Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit haben sich bisher als erfolgversprechende Kandidaten für eine geeignete Begriffsexplikation propositionalen Wissens erwiesen. Derartige Wissenstheorien definieren Wissen in rein externalistischer Weise. Eine wahre Überzeugung, die durch eine epistemisch sichere Methode gebildet wurde, ist Wissen – ganz unabhängig davon, ob dem Erkenntnissubjekt die epistemische Sicherheit der Methode auch bewusst ist. Wissen ist in Theorien epistemischer Methodensicherheit daher nicht immer ein Resultat intellektueller Anstrengungen, das dem Erkenntnissubjekt als eigenes kognitives Verdienst zugesprochen werden kann. Sind z. B. wahre Überzeugungen, die durch Sinneswahrnehmungen entstehen, keinem umgebungsbedingten epistemischen Zufall ausgesetzt, liegt nach diesen Theorien Wissen vor. Die Sin-
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neswahrnehmung von scheunenartigen Objekten unter guten Sichtbedingungen und in einer Gegend, in der sich keine Scheunenattrappen befinden, ist eine epistemisch sichere Methode zur Erlangung einer wahren Überzeugung, dass eine echte Scheune betrachtet wird. Unter diesen Bedingungen weiß das Subjekt somit auch, dass es auf eine echte Scheune schaut. Es braucht für dieses Wissen somit „nichts weiter zu tun“ als auf eine Scheune zu blicken. Aufgrund der günstigen Bedingung, dass keine Scheunenattrappen in der Nähe sind, muss sich das Subjekt nicht weiter kognitiv anstrengen, um zu Wahrnehmungswissen über die Existenz einer echten Scheune zu gelangen. Es muss insbesondere nicht über Gründe verfügen, die die Sicherheit seiner Sinneswahrnehmung rechtfertigen. Es muss beispielsweise nicht in der Lage sein, zu erkennen, dass es sich in einer Gegend ohne Scheunenattrappen befindet. Das Erkenntnissubjekt braucht somit in Theorien epistemischer Methodensicherheit nicht zu wissen, dass es weiß, dass p, um zu wissen, dass p. In einigen Versionen sogenannter „Tugenderkenntnistheorien“ (engl.: „virtue epistemology“) wird Wissen hingegen als ein bestimmtes Ergebnis intellektuellkognitiver Anstrengungen der Erkenntnissubjekte aufgefasst. Wissenstheorien der epistemischen Methodensicherheit werden daher von manchen Vertretern dieser Ansätze entweder komplett zurückgewiesen oder als nicht vollständige Explikationsversuche von Wissen aufgefasst. Die Tugenderkenntnistheorie ist eine einflussreiche Strömung innerhalb der modernen Erkenntnistheorie, die unter Rückgriff auf epistemische Tugenden zentrale erkenntnisphilosophische Begriffe wie „Rechtfertigung“ oder „Wissen“ zu bestimmen versucht. Je nachdem, was unter „epistemischen Tugenden“ verstanden wird, unterscheiden sich die einzelnen Varianten tugenderkenntnistheoretischer Positionen zum Teil erheblich voneinander. Mit Wissenstheorien der epistemischen Methodensicherheit durchaus vereinbar sind die reliabilistischen Tugenderkenntnistheorien, wonach insbesondere stabile und verlässliche perzeptive oder kognitive Fähigkeiten des Menschen, wie gut funktionierende Sinneswahrnehmungen, korrektes Erinnerungsvermögen sowie rationales und logisches Schließen, als epistemische Tugenden gelten.21 In Verantwortlichkeitstheorien epistemischer Tugenden, wie sie etwa von Lorraine Code, James Montmarquet oder Linda Zagzebski vertreten werden22, zählen u. a. auch bestimmte epistemisch löbliche Charaktereigenschaften von Erkenntnissubjekten zu den epistemischen Tugenden. Beispiele für epistemische Tugenden dieser Art sind intellektuelle Aufgeschlossenheit, Offenheit, Wissbegierde, Ehrlichkeit, Inte grität, Unvoreingenommenheit, Objektivität oder kritisches Reflexionsvermögen. Wissenssubjekte sind z. B. nach Zagzebski nur diejenigen Personen, die epistemisch tugendhaft sind, d. h. die durch Ausübung dieser epistemischen Tugenden nach Wahrheit streben und auch dazu in der Lage sind, wahre Überzeugungen
4.3 Tugenderkenntnistheorien
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dadurch in verlässlicher Weise zu erzielen. Verantwortlichkeitstheorien epistemischer Tugenden scheinen mit Theorien epistemischer Methodensicherheit schwer vereinbar zu sein. Jemand, der unter günstigen Bedingungen auf epistemisch sichere Weise zu einer wahren Wahrnehmungsüberzeugung gelangt, ist nicht notwendigerweise durch das Streben nach Wahrheit zu dieser Überzeugung motiviert worden. Auch muss eine solche wahre Überzeugung nicht das Resultat der Ausübung epistemischer Vortrefflichkeiten des Erkenntnissubjekts sein, um als Wissen gelten zu können. Wissen kann sich in Theorien epistemischer Methodensicherheit auch spontan und ohne willentliche Kontrolle durch das Erkenntnissubjekt einstellen. Der Tugenderkenntnistheoretiker John Greco hält eine solche Position jedoch für unhaltbar und macht daher gegen Theorien epistemischer Methodensicherheit geltend, dass Wissen stets als eine bestimmte Art von Erfolg verstanden werden muss, der den kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten der Erkenntnissubjekte zuzurechnen ist. Zu wissen, so Greco, bedeute, aufgrund von subjektiven intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten von etwas Wahrem überzeugt zu sein.23 Auch für Ernest Sosa verlangt Wissen nach einer „passenden Überzeugung“ („apt belief“), d. h. einer Überzeugung, deren Wahrheit der kognitiven Kompetenz des Erkenntnissubjektes zuzuschreiben ist.24 Epistemische Sicherheit, so Sosa, sei mit dieser Form von Wissen nicht vereinbar. Sosa erläutert die vermeintliche Inkompatibilität von epistemischer Sicherheit und Wissen als Resultat kognitiver Fähigkeiten der Erkenntnissubjekte am Beispiel eines Bogenschützen, der aufgrund seiner Fähigkeiten ein Ziel trifft, auch wenn dieses Resultat auf unsicherem Wege erreicht wurde:
Beispiel 11: Archie, der Bogenschütze Ein exzellenter Bogenschütze, nennen wir ihn „Archie“, nimmt eine Zielscheibe ins Visier, schießt einen Pfeil ab und trifft genau ins Schwarze. Die Windbedingungen sind allerdings recht ungünstig, da immer wieder starke Windböen aufkommen, die die Pfeile in unabsehbarer Weise ablenken. Glücklicherweise erwischt Archie aber einen windstillen Moment, so dass der Pfeil ohne Ablenkung sein Ziel erreicht.25 Auch wenn der Pfeil sehr leicht durch eine plötzlich aufkommende Windböe hätte abgelenkt werden können und Archies Bogenschuss somit einer gewissen Unsicherheit ausgesetzt war, würden wir natürlich dennoch den Treffer ins Schwarze als Resultat seiner Schützenkünste ansehen. Analog sollten daher auch wahre Überzeugungen, die epistemisch unsicher sind bzw. durch unsichere Methoden gewonnen wurden, die aber dennoch als Resultat kognitiver Errungenschaften des Erkenntnissubjektes gelten, als Wissen betrachtet werden. Wissens-
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theorien epistemischer Methodensicherheit müssen daher nach Sosa verworfen werden. Beispiel 11 scheint einen Fall zu beschreiben, der gewisse Analogien zu den „gefährlichen“ Gettier-Fällen aufweist. Während etwa im ScheunenattrappenFall eine äußere Bedingung (das Vorhandensein zahlreicher Scheunenattrappen in unmittelbarer Umgebung) eine Gefahr für die Wahrheit von Henrys Überzeugung darstellte, führte auch in Beispiel 11 eine äußere Bedingung (die unsteten Windverhältnisse) beinahe zur Vereitelung von Archies Schusserfolg. Auch im Scheunenattrappen-Fall würde man, trotz epistemischer Unsicherheit der von Henry gewonnenen wahren Überzeugung, dass er auf eine echte Scheune schaut, diese Überzeugung dennoch als Resultat seiner perzeptiven Fähigkeiten ansehen. Das Scheunenattrappen-Beispiel beschreibt jedoch einen Fall, in dem mit Wissen unvereinbarer umgebungsbedingter Zufall im Spiel ist. Dieses Beispiel zeigt somit, dass Wissen nicht als wahre Überzeugung definiert werden kann, die Resultat kognitiver Errungenschaften epistemischer Subjekte ist. Das Beispiel 11 ist daher, im Gegensatz zu Sosas Intention, eher dazu geeignet, durch den Vergleich mit dem Scheunenattrappen-Beispiel einen Unterschied zwischen Wissen und epistemisch tugendhaft erworbenen wahren Überzeugungen aufzuzeigen. In diesem Sinne kritisiert auch Pritchard „robuste Tugenderkenntnistheorien“, die Wissen als kognitive Errungenschaft epistemischer Subjekte auszeichnen, folgendermaßen: […] there is sometimes more to knowledge than merely a cognitive achievement, contrary to what the robust virtue epistemologist […] argues. That is, there can be cases in which (environmental) knowledge-undermining luck is involved where the luck does not in the process undermine the achievement in question. Merely exhibiting a cognitive achievement will not suffice to exclude all types of knowledge-undermining epistemic luck.26
Das Scheunenattrappen-Beispiel zeigt somit, dass wahre Überzeugungen, die Resultat kognitiver Errungenschaften sind, nicht immer zu Wissen führen, d. h. nicht hinreichend für Wissen sind. Es scheint aber auch, dass kognitive Errungenschaften als Resultat der Ausübung epistemischer Tugenden noch nicht einmal notwendig für Wissen sind, da es Beispiele von Wissen gibt, die nicht als das Resultat kognitiver Errungenschaften der Erkenntnissubjekte angesehen werden können. So lassen sich etwa viele Fälle von Testimonialwissen eher als Resultat kognitiver Errungenschaften der Informationsquellen und nicht der Erkenntnissubjekte verstehen. Testimonialwissen ist dasjenige Wissen, dass aus dem Zeugnis anderer, aus Büchern, Zeitungen, Fernsehen, Internet etc. erworben wurde. In diesem Zusammenhang diskutiert Jennifer Lackey das folgende Beispiel:
4.3 Tugenderkenntnistheorien
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Beispiel 12: Morris, der Fremde in Chicago Morris ist gerade am Bahnhof in Chicago eingetroffen und möchte von dort direkt zum Sears Tower gehen. Er ist jedoch in Chicago fremd und völlig ortsunkundig. Er fragt daher eine Frau, die gerade vorbeikommt, nach dem Weg zum Sears Tower. Die Passantin kennt sich in Chicago sehr gut aus und weiß natürlich, wo sich das Wahrzeichen und höchste Gebäude der Stadt, das heute als „Willis Tower“ bezeichnet wird, befindet, und gibt Morris daher eine korrekte Auskunft: Der Tower liegt zwei Straßen östlich des Chicagoer Bahnhofs im South Wacker Drive, Ecke Adams Street. Daraufhin erlangt Morris eine entsprechende wahre Überzeugung über den richtigen Weg zum Sears (Willis) Tower.27 Es scheint evident, dass Morris weiß, dass der Sears Tower sich zwei Straßen östlich des Chicagoer Bahnhofs befindet, obwohl seine wahre Überzeugung sicherlich nicht primär als Resultat seiner eigenen kognitiven Fähigkeiten angesehen werden kann. Vielmehr verdankt er sein Wissen den Ortskenntnissen der Passantin. Sosa gibt zu, dass Testimonialwissen oftmals der Kompetenz anderer zuzuschreiben ist: Others no doubt made the relevant discovery – perhaps a historian, or a detective, or a scientist, or a physician – and the information was then passed down, resulting in some later recipient’s belief, whose correctness then owes little to his own individual accomplishment, if all he does is to receive the information.28
Dies spreche jedoch nicht, so Sosa, gegen tugenderkenntnistheoretische Wissensansätze, da es ausreichend sei, dass die epistemische Kompetenz des Erkenntnissubjekts zumindest zu einem geringen Teil am Erwerb der wahren Überzeugung beteiligt sei.29 So sei etwa im Beispiel 12 die wahre Überzeugung über den richtigen Weg zum Sears Tower zum Teil auch Resultat kognitiver Bemühungen von Morris. Schließlich habe er eine Passantin nach dem Weg gefragt, die kompetent und vertrauenerweckend erschien – und nicht etwa ein kleines Kind oder einen offenkundigen Touristen. Allerdings würden wir Morris’ wahre Überzeugung über den richtigen Weg zum Sears Tower wohl auch dann als Wissen ansehen, wenn er einen Passanten gefragt hätte, der für Morris wie ein ortsunkundiger Tourist ausgesehen hätte, der sich jedoch in Wirklichkeit sehr gut in Chicago ausgekannt hätte. Morris hätte sich dann bei der Wissensgewinnung epistemisch nicht tugendhaft verhalten. Sich auf Personen zu verlassen, die als unzuverlässig und inkompetent erscheinen, ist natürlich epistemisch unverantwortlich. Ob ein Subjekt über Wissen verfügt, scheint jedoch nicht davon abzuhängen, ob seine wahre Überzeugung aus einer Wissensquelle stammt, die aus seiner Perspektive als zuverlässig erscheint. Die Wissensquelle muss vielmehr de facto zuverlässig sein – und dies ist genau die
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Bedingung, die eine Theorie der epistemischen Methodensicherheit von Wissen fordert. Das Scheunenattrappen-Beispiel sowie das Beispiel 12 stellen somit die Plausibilität tugenderkenntnistheoretischer Wissensansätze von verschiedenen Seiten in Frage. Das Scheunenattrappen-Beispiel beschreibt einen Fall einer wahren Überzeugung, die auf epistemisch tugendhafte Weise entstanden ist, die aber dennoch kein Wissen darstellt. Das Beispiel 12 zeigt, dass eine wahre Überzeugung, die nicht (oder nur zu einem sehr geringen Teil) als Resultat epistemisch tugendhafter Bemühungen und Errungenschaften des Erkenntnissubjektes angesehen werden kann, trotzdem zu Wissen führen kann.
4.4 Epistemische Sicherheit und intellektuelle Tugenden Bisher wurde gezeigt, dass wahre Überzeugungen, die als Resultat kognitiver Bemühungen und Errungenschaften epistemischer Subjekte gelten, weder hinreichend noch notwendig für Wissen sind. Theorien epistemischer Methodensicherheit erwiesen sich gegenüber tugenderkenntnistheoretischen Ansätzen als wesentlich überzeugender. Alle bisher diskutierten Beispiele konnten mithilfe von Theorien epistemischer Methodensicherheit adäquat analysiert werden. Pritchard ist dennoch der Auffassung, dass tugenderkenntnistheoretische Wissensansätze eine wichtige und bewahrenswerte Idee zum Ausdruck bringen, nämlich die Idee von Wissen als Resultat unserer kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten. Tugenderkenntnistheoretiker begehen nach Pritchards Meinung lediglich den Fehler, aus diesem Gedanken alleine eine Definition von Wissen in Form notwendiger und hinreichender Bedingungen gewinnen zu wollen. Neben der tugenderkenntnistheoretischen Wissensintuition, die er als „ability intuition“ bezeichnet, gibt es nach Pritchard noch eine andere Intuition, der eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens ebenfalls gerecht werden muss und die mit tugenderkenntnistheoretischen Ideen in Konflikt geraten kann. Dies sei die „Antizufallsbedingung“ („anti-luck intuition“), d. h. die Intuition, dass Wissen mit (veridisch) epistemischem Zufall unvereinbar ist.30 Beide Intuitionen stellen, so Pritchard, an eine Wissenstheorie unterschiedliche Ansprüche, sie müssen aber in einer intuitiv vollständig überzeugenden Theorie gleichermaßen berücksichtigt werden. Für Pritchard ist daher eine Theorie der epistemischen Methodensicherheit keine vollständig befriedigende Wissenstheorie, da sie nur der Antizufallsbedingung, nicht jedoch der tugenderkenntnistheoretischen Intuition von Wissen als Resultat kognitiver Fähigkeiten Rechnung trage. Für Pritchard gibt es nämlich Fälle von methodensicheren wahren Überzeugungen, die intuitiv nicht als Wissen gelten können, da gerade diese tugenderkenntnistheoretische
4.4 Epistemische Sicherheit und intellektuelle Tugenden
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Wissensbedingung verletzt sei. Ein solcher Fall wird seiner Meinung nach durch das folgende Beispiel 13 beschrieben:
Beispiel 13: Temp und das defekte Thermometer Eine Person namens Temp schaut in einem Raum auf ein Thermometer. Dieses zeigt 24,8 Grad Celsius an, woraufhin Temp die Überzeugung erlangt, dass es in diesem Raum 24,8 Grad warm ist. Was Temp jedoch nicht weiß, ist, dass das Thermometer nicht mehr funktioniert, dass sich jedoch eine andere Person hinter der Wand, wo sich das Thermometer befindet, versteckt hält und immer dann, wenn jemand auf das Thermometer schaut, dieses heimlich ferngesteuert auf die korrekte Raumtemperatur einstellt.31 Für Pritchard beschreibt dieses Beispiel einen Fall einer wahren und methodensicheren Überzeugung, die er aber dennoch intuitiv nicht als Wissen auszeichnen würde. Durch die im Raum versteckte Person ist sichergestellt, dass das Thermometer immer dann, wenn Temp darauf blickt, die richtige Raumtemperatur anzeigt. Die Methode des Konsultierens dieses Thermometers ist daher für die Erlangung von Temps wahrer Überzeugung in Bezug auf die korrekte Raumtemperatur epistemisch sicher. Allerdings, so Pritchard, liegt hier trotzdem kein Wissen vor, da die Gewinnung dieser Überzeugung in keiner Weise das kognitive Verdienst Temps ist, sondern der im Raum versteckten Person zu verdanken ist.32 Das Temp-Beispiel zeigt somit laut Pritchard, dass neben einer „Antizufallsbedingung“, die Theorien epistemischer Methodensicherheit von Wissen fordert, auch noch eine tugenderkenntnistheoretische Komponente unser intuitives Verständnis von Wissen ausmacht: [K]nowledge is safe belief that arises out of the reliable cognitive traits that make up one’s cognitive character, such that one’s cognitive success is to a significant degree creditable to one’s cognitive character. The safety element of this view is the anti-luck condition, while the virtue-theoretic clause is the ability condition.33
Der Wissensbegriff hat für Pritchard somit eine zweiteilige Struktur, da er sowohl Elemente epistemischer Sicherheit als auch tugenderkenntnistheoretische Elemente aufweist. Unklar bleibt allerdings, wie in einer solchen Tugenderkenntnistheorie epistemischer Methodensicherheit34 die beiden unterschiedlichen Komponenten zusammenwirken, so dass in einigen Fällen Wissen zu-, in anderen jedoch abgesprochen werden muss. Wie die Diskussion der verschiedenen Beispiele gezeigt hat, ist jedoch im Unterschied zur Bedingung der epistemischen Methodensicherheit die tugenderkenntnistheoretische Komponente keine not-
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wendige Bedingung für Wissen, da es Wissen auch ohne das kognitive Verdienst durch das Erkenntnissubjekt geben kann. Die Frage ist allerdings, ob das Temp-Beispiel tatsächlich zeigt, dass eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens eine tugenderkenntnistheoretische Komponente enthalten muss. Meines Erachtens sind wir im Temp-Beispiel nicht deshalb geneigt, Temp Wissen abzusprechen, weil Temp für die Erlangung seiner wahren Überzeugung kognitiv nichts (oder nicht viel) geleistet hat, sondern weil die Wahrheit seiner Überzeugung auf einem glücklichen Umstand beruhte. Normalerweise ist das Konsultieren eines defekten Thermometers keine epistemisch sichere Methode zur Erlangung wahrer Überzeugungen über die korrekte Raumtemperatur. Dass Temp dennoch eine wahre Überzeugung gewann, lag an dem ungewöhnlichen Umstand, dass eine Person die korrekte Temperatur ferngesteuert eingestellt hat. Auch wenn, so, wie das Beispiel beschrieben ist, durch den stetigen Eingriff der Person das Thermometer für Temp immer die korrekte Temperatur anzeigt, erachten wir seine Methode der Überzeugungsgewinnung dennoch nicht als epistemisch sicher, da das Konsultieren eines defekten Thermometers in anderen ähnlichen Situationen, in denen keine Person zufälligerweise zugegen ist und die korrekte Raumtemperatur einstellt, zu falschen Überzeugungen über die Raumtemperatur geführt hätte. Wäre es hingegen absolut üblich, dass defekte Thermometer immer von hilfreichen Personen auf die richtige Raumtemperatur eingestellt würden, wäre unsere intuitive Bewertung des Temp-Beispiels sicherlich eine andere. Es gäbe dann nämlich tatsächlich keine nahen möglichen Welten, in denen das Konsultieren eines defekten Thermometers zu falschen Überzeugungen hinsichtlich der Raumtemperatur führen würde. In diesem Fall wären wir meines Erachtens sehr viel eher geneigt, Temp auch Wissen zuzusprechen. Ich denke also, dass auch das Temp-Beispiel im Rahmen einer Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit vollständig und befriedigend erklärt werden kann. Eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens, in der eine wahre und methodensichere Überzeugung notwendig und hinreichend für Wissen ist, scheint somit philosophisch sehr plausibel zu sein. Ein zusätzliches tugenderkenntnistheoretisches Element in einer solchen Begriffsexplikation ist weder nötig noch sinnvoll. Auch wenn tugenderkenntnistheoretische Ideen in einer Begriffsexplikation propositionalen Wissens offenbar entbehrlich sind, spielen epistemische Tugenden für den Erwerb von Wissen eine wichtige Rolle. Wer intellektuell neugierig ist und unvoreingenommen nach Wahrheit strebt, wer kritisch reflektieren und logisch korrekt schließen kann, gelangt dadurch zu manchem Wissen, das ignoranten, weniger wissbegierigen, unkritischen oder vorurteilsbehafteten Personen erst gar nicht zugänglich ist. Die Ausübung intellektueller Tugenden ist ein gutes Mittel zur Erlangung von wahren Überzeugungen, die als Wissen angesehen
4.5 Zusammenfassung
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werden können. Tugenderkenntnistheoretische Positionen scheinen somit zwar nicht für das Projekt der Angabe begriffsexplikatorischer Elemente propositionalen Wissens relevant zu sein, wohl aber für das Projekt der Angabe von Kriterien für den Wissenserwerb. Diese beiden Projekte sind zu unterscheiden, und es darf auch nicht unbedingt erwartet werden, dass die verschiedenen Fragen dieser Projekte durch ein und dieselbe Wissenstheorie beantwortet werden können. Ähnliches gilt meines Erachtens auch für den Begriff der Wahrheit. Wer den Wahrheitsbegriff etwa im Rahmen einer Korrespondenztheorie analysiert und Wahrheit als eine bestimmte Übereinstimmung von Aussagen mit bestehenden Sachverhalten versteht, hat damit natürlich keine befriedigende Antwort auf die Frage gegeben, wie man denn nun zu wahren Aussagen gelangt oder wie man rechtfertigt, dass Aussagen als wahr gelten können. Um diese Fragen zu beantworten, scheinen epistemische Wahrheitstheorien oder Kohärenztheorien der Wahrheit sehr viel besser geeignet zu sein. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Korrespondenztheorie als Antwort auf die Frage, was Wahrheit ist, deshalb sich als unhaltbar erweisen muss. Wer fragt, wie wir zu Wissen gelangen, und daraufhin die Antwort erhält, dass wir zu Wissen durch wahre Überzeugungen gelangen, die auf epistemisch sicheren Methoden beruhen, hat zwar (aus Sicht der Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit) eine korrekte Antwort erhalten. Diese hilft dem Fragesteller jedoch genauso wenig weiter wie demjenigen, der auf die Frage, wie man denn zu wahren Aussagen gelangt, die Antwort erhält: „Zu wahren Aussagen gelangt man dadurch, dass die Aussagen mit bestehenden Sachverhalten in Übereinstimmung gebracht werden.“ In Theorien epistemischer Methodensicherheit kann eine Person eine auf einer epistemisch sicheren Methode beruhende wahre Überzeugung haben, dass p, jedoch selbst nicht davon überzeugt sein, zu wissen, dass p, weil ihr die epistemische Sicherheit der Methode der Überzeugungsgewinnung nicht durch eigene Reflexion kognitiv zugänglich ist. Um zur Überzeugung zu gelangen, dass die Methode der Bildung der wahren Überzeugung, dass p, epistemisch sicher ist – und um dadurch in die Lage versetzt zu werden, zu wissen, dass man weiß –, kann die Ausübung epistemischer Tugenden sehr hilfreich sein.
4.5 Zusammenfassung Auf der Suche nach einer geeigneten Begriffsexplikation propositionalen Wissens, die insbesondere in der Lage ist, das Gettier-Problem zu lösen, wurde der systematische Zusammenhang zwischen Wissen und Zufall näher analysiert. Es wurde hierbei zwischen zwei Formen epistemischen Zufalls unterschieden – dem evidentiellen und dem veridischen epistemischen Zufall. Evidentieller Zufall
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liegt vor, wenn der Erwerb der Evidenzen, die zur Erlangung einer wahren Überzeugung Anlass gaben, glücklichen Umständen geschuldet ist. Evidentieller epistemischer Zufall, so wurde gezeigt, ist mit Wissen durchaus kompatibel. Mit Wissen unvereinbar ist hingegen veridischer epistemischer Zufall. Dieser liegt vor, wenn die Wahrheit der Überzeugung nur glücklichen Umständen zu verdanken ist. Veridisch epistemischer Zufall ist sowohl in den sogenannten „hilfreichen“ Gettier-Fällen involviert, in denen ungewöhnliche Umstände für die zufällige Wahrheit der betreffenden Überzeugung verantwortlich sind, als auch in den „gefährlichen“ Gettier-Fällen, in denen zufällige Ereignisse die Wahrheit der Überzeugung fast verhindert hätten. Eine Theorie, die das Gettier-Problem zu lösen imstande ist, muss somit den Wissensbegriff derart explizieren, dass Wissen mit wahren Überzeugungen, die auf veridisch epistemisch zufällige Weise entstanden sind, nicht zusammenfällt. Eine solche Wissenstheorie, die zudem nicht die im zweiten Kapitel diskutierten Schwierigkeiten anderer Lösungsansätze aufweist, wurde in Form einer sogenannten „sicherheitsbasierten Wissenstheorie“ vorgestellt. Nach dieser Theorie ist eine wahre Überzeugung genau dann Wissen, wenn die wahre Überzeugung auch epistemisch sicher ist, d. h. wenn die Überzeugung nicht leicht hätte falsch sein können. Argumente gegen die Notwendigkeit von epistemischer Sicherheit für Wissen, wie die vermeintlichen Gegenbeispiele von Neta und Rohrbaugh sowie von Comesaña, konnten zurückgewiesen werden. Schwierigkeiten für das Prinzip der epistemischen Sicherheit als hinreichendes Kriterium für Wissen ergaben sich jedoch bei notwendig wahren Propositionen sowie bei bestimmten wahren Überzeugungen, die auf unzuverlässigen Methoden beruhen. Das Prinzip der epistemischen Sicherheit wurde daher in das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit überführt, wonach eine Methode genau dann epistemisch sicher ist, wenn sie in allen nahen möglichen Welten, in denen das Subjekt ebenfalls diese Methode anwendet, zu keinen falschen Überzeugungen führt. In Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit wird eine wahre Überzeugung genau dann als Wissen ausgezeichnet, wenn die Überzeugung durch eine epistemisch sichere Methode gewonnen wurde. Eine Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit erwies sich als sehr geeignete Kandidatin für eine adäquate Begriffsexplikation propositionalen Wissens, die insbesondere das Gettier-Problem lösen kann. Eine Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit ist zudem eine extensionale Theorie, da die epistemische Sicherheit einer Methode vom Erkenntnissubjekt selbst nicht notwendigerweise erfasst werden muss, um eine auf dieser Methode beruhende wahre Überzeugung als Wissen auszeichnen zu können. Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit verzichten daher insbesondere auch auf den proble-
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matischen Begriff der epistemischen Rechtfertigung. Aus tugenderkenntnistheoretischer Sicht wird diesen Wissenstheorien allerdings vorgeworfen, dass sie eine wichtige und zentrale Intuition in Bezug auf Wissen nicht adäquat berücksichtigen können, nämlich die Vorstellung von Wissen als Resultat kognitiver und intellektueller Errungenschaften des Erkenntnissubjekts. Es wurde jedoch (u. a. anhand des Scheunenattrappen- und des Morris-Beispiels) gezeigt, dass diese tugenderkenntnistheoretische Intuition weder notwendig noch hinreichend für Wissen ist. Zudem ließ sich auch Pritchards Einwand gegen rein sicherheitsbasierte Wissenstheorien entkräften. Das Temp-Beispiel konnte nicht zeigen, dass dem Wissensbegriff ein tugenderkenntnistheoretisches Element zugrunde liegt. Intellektuelle Tugenden und kognitive Fähigkeiten können jedoch für den Erwerb von Wissen äußerst wichtig und nützlich sein.
5 Wissen und Skepsis 5.1 Universeller Wissensskeptizismus Im Kultfilm Matrix der Geschwister Lana und Andrew Wachowski arbeitet Thomas A. Anderson tagsüber als Programmierer in einer Softwarefirma. Nachts schlüpft er in die Rolle eines berüchtigten Computerhackers, der sich unter dem Pseudonym „Neo“ mit illegalen Geschäften sein Gehalt aufbessert. In Wirklichkeit, wie Neo im Laufe der Geschichte schmerzlich erfahren muss, ist jedoch sein ganzes Leben bloß Teil einer gigantischen, computergenerierten Scheinwelt, einer „Matrix“. Seine Wohnung, sein Arbeitsplatz, seine Freunde, die Stadt, in der er lebt, die Restaurants, in denen er isst – all das existiert nicht. Auch schreibt man nicht das Jahr 1999, sondern bereits das Jahr 2199. Anfang des 21. Jahrhunderts übernahmen nämlich intelligente Maschinen die Macht auf der Erde. Die Menschen werden von ihnen in riesigen Anlagen zur Energiegewinnung gehalten. Ihre Körper schwimmen in Kapseln, die mit Nährflüssigkeit gefüllt sind. Sie sind über Schläuche und Drähte an Computer angeschlossen, die den Menschen eine perfekte Scheinrealität vorgaukeln. Während Neo also glaubt, er säße an seinem Schreibtisch, beobachtete durch das Fenster das übliche Chaos im Berufsverkehr und sähe Menschen mit Aktentaschen und Handys am Ohr zu ihren Arbeitsplätzen eilen, liegt sein Körper, wie Abertausende von anderen menschlichen Körpern, in einem Bottich unter völliger Kontrolle der übermächtigen Maschinen. Können wir tatsächlich wissen, dass wir nicht auch Teil einer solchen Matrix sind, die uns in einer Scheinwelt leben lässt? Natürlich hoffen wir, dass es uns nicht so ergeht wie den Menschen in der Matrix, aber ausschließen können wir es offenbar nicht. Angesichts der prinzipiellen Möglichkeit, dass wir in einer solchen simulierten Matrixwelt leben, scheint unser vermeintliches Wissen über eine empirische Außenwelt fraglich zu sein. Die Position des Wissensskeptizismus in der philosophischen Erkenntnistheorie verneint die Möglichkeit jeglichen Wissens über die Außenwelt. Ein Wissensskeptiker nimmt somit eine universelle skeptische Haltung ein, da er nicht bloß skeptisch im Hinblick auf die Möglichkeit des Wissens über bestimmte Bereiche unserer Realität ist. Vielmehr stellt er die Möglichkeit von Wissen allgemein in Frage. Formen des Wissensskeptizismus finden sich bereits in der Antike. Wissensskeptische Positionen wurden von den Vorsokratikern, von Sokrates selbst und den Sophisten vertreten. Nach Pyrrhon von Elis (360 bis ca. 270 v. Chr.) soll der Mensch erst gar nicht versuchen, einen eigenen Standpunkt über die Welt einzunehmen. Nur wer sich völlig gleichgültig gegenüber allem verhalte, gelange
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zur wahren Seelenruhe. Während im antiken Pyrrhonismus die skeptische Einstellung der Urteilsenthaltung somit als ideale praktische Lebensform angesehen wurde, diente der Skeptizismus seit der Neuzeit hingegen als erkenntnisphilosophische Methode in der Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen des Wissens.1 Als Begründer des modernen neuzeitlichen Wissensskeptizismus gilt René Descartes. In der erstmals 1641 erschienenen Meditationes de prima philosophia2 stellt Descartes gleich zu Beginn fest, dass seine Sinne ihn zuweilen betrügen und dass es deshalb ein Gebot der Klugheit sei, „denen niemals gänzlich zu vertrauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben“3. Diese Sinnestäuschungen beträfen aber, so Descartes, in erster Linie die Bereiche „des ganz Kleinen“ oder des „Entfernteren“. Eine skeptische Haltung gegenüber unseren Sinneswahrnehmungen führt also noch nicht in einen generellen Wissensskeptizismus. Eine gravierendere Form des Skeptizismus ergibt sich jedoch anhand seines skeptischen Traumarguments. Descartes gibt zu bedenken, dass wir offenbar über keine eindeutigen empirischen Kriterien verfügen, anhand derer wir feststellen können, ob wir uns im Zustand des Traumes oder des Wachseins befinden. Wie kann Descartes wissen, dass er gerade an seinem Schreibtisch sitzt und ein Blatt Papier in Händen hält, wenn es doch möglich ist, dass er gerade in seinem Bett liegt und dies alles nur träumt?4 Ob es tatsächlich keine Kriterien zur Unterscheidung von Träumen und Wachsein gibt, ist allerdings umstritten. Träume unterscheiden sich oftmals in Inhalt und Struktur erheblich von Wacherlebnissen.5 Auch zeigt das Phänomen des luziden Träumens, dass wir uns während des Traums darüber im Klaren sein können, dass wir gerade träumen. Selbst wenn es tatsächlich zwischen Träumen und Wachsein keine erkenntnistheoretische Differenz geben sollte, zeigt das Traumargument dennoch nicht, dass Wissen über die Existenz von Dingen und deren allgemeine Beschaffenheit in der Realität unmöglich ist, da, so Descartes, das Geträumte aus dem Material der realen Dinge zusammengesetzt sein muss: […] mögen wir träumen, mögen jene Einzelheiten nicht wahr sein, daß wir unsere Augen öffnen, den Kopf bewegen, die Hände ausstrecken, mögen wir vielleicht sogar weder solche Hände noch solchen ganzen Körper haben; dennoch muß man in der Tat einräumen, das durch den Traum Gesehene sei sozusagen wie gemalte Bilder, die nur nach der Ähnlichkeit wirklicher Sachen gestaltet werden konnten […].6
Der Wissensskeptizismus in seiner radikalen und universellen Form wird erst in Descartes’ gedanklichem Entwurf des Täuschungsszenarios eines bösen, mächtigen Dämons erreicht, der uns in allen unseren Wahrnehmungen grundsätzlich und systematisch hinters Licht führt:
5.1 Universeller Wissensskeptizismus
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Ich werde also unterstellen, daß nicht ein allgütiger Gott, eine Quelle der Wahrheit, sondern irgendein bösartiger Dämon sei und daß ebendieser, höchst mächtig und verschlagen, seinen ganzen Fleiß darein gesetzt habe, mich zu täuschen; ich werde annehmen, daß Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne und das Gesamt alles Äußeren nichts anderes sei als ein Gaukelspiel der Träume, durch das er meiner Leichtgläubigkeit hinterlistig Fallen stellt […].7
Descartes ist nicht der Meinung, dass es einen solchen betrügerischen Dämon tatsächlich gibt. Vielmehr verwendet er dieses Gedankenexperiment als Methode eines systematischen und generellen Zweifelns. Dieses Beispiel dient ihm als Ausgangspunkt auf der Suche nach absoluten Gewissheiten, die selbst einem radikalen Zweifel an der Glaubwürdigkeit aller unserer Wahrnehmungen standhalten. Das wohl bekannteste Täuschungsszenario in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, von dem die Wachowski-Geschwister sich für ihren Film Matrix inspirieren ließen, ist das „Gehirn-im-Tank“-Gedankenexperiment von Hilary Putnam8: Man stelle sich vor, dass das Gehirn einer Person von einem überaus bösen, aber sehr fähigen Gehirnchirurgen vom Körper abgetrennt und in einen Tank mit einer Nährflüssigkeit gegeben wurde. Die Nervenenden sind mit einem Hochleistungscomputer verbunden, der durch eine gezielte Reizung des Gehirns eine Scheinrealität erzeugt. Das Gehirn im Tank empfindet sich als ein Mensch mit einem Körper aus Fleisch und Blut, der mit seiner Umwelt interagiert. In Wirklichkeit sind seine Erlebnisse jedoch das bloße Resultat neuronaler Aktivität, elektronischer Impulse, die vom Computer erzeugt und an die Nervenenden übertragen werden. Auch dieses Gedankenexperiment beschreibt eine umfassende Täuschungssituation. Natürlich glaubt niemand, dass wir tatsächlich bloße Gehirne in einem Tank und somit alle unsere Wahrnehmungen trügerisch und die sich darauf stützenden Überzeugungen falsch sind. Aber können wir wirklich wissen, dass wir keine Gehirne im Tank sind? Gedankenexperimente globaler Täuschungsszenarien sind ja gerade so aufgebaut, dass wir nicht vollständig ausschließen können, dass sie nicht doch der Realität entsprechen. Das Argument des universellen Wissensskeptizismus lässt sich auf folgende Weise allgemein formulieren:
Das wissensskeptische Argument (1) Es ist möglich, dass S einer globalen Täuschung (Matrix, böser Dämon, Gehirn im Tank) unterliegt. (2) S kann nicht ausschließen, dass es einer globalen Täuschung unterliegt.
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(3) Wenn es möglich ist, dass S einer globalen Täuschung unterliegt und S diese Möglichkeit nicht ausschließen kann, dann weiß S auch nicht, dass es keiner globalen Täuschung unterliegt. (4) S weiß nicht, dass es keiner globalen Täuschung unterliegt [folgt aus (1), (2) und (3)]. (5) Wenn S nicht weiß, dass es keiner globalen Täuschung unterliegt, dann weiß S auch nicht, dass p. (6) S weiß nicht, dass p [folgt aus (4) und (5)]. („S“ stehe hier wieder für ein beliebiges epistemisches Subjekt, und „p“ stehe für irgendeine beliebige Aussage über die Außenwelt, deren Wahrheit mit der Annahme einer globalen Täuschung nicht vereinbar ist.) Das Fatale am wissensskeptischen Argument ist natürlich, dass es für beliebige Propositionen p gilt, die sich unter der Annahme einer globalen Täuschung als falsch herausstellen würden, wie insbesondere alle Propositionen, die Inhalte von Wahrnehmungsüberzeugungen über eine vermeintliche Außenwelt sind. Wäre ich ein Gehirn, das in einem Tank mit einer Nährflüssigkeit schwimmt, dann wären selbst meine unmittelbarsten Wahrnehmungsüberzeugungen, wie z. B. die, dass ich Hände habe, dass ich gerade an einem Schreibtisch sitze, dass gerade vor mir ein Buch liegt, dass neben mir eine Vase mit Rosen steht etc. falsch. Im skeptischen Argument wird also versucht, einen sehr weitgehenden generellen Wissensskeptizismus zu rechtfertigen. Die Begründung für Annahme (5) im wissensskeptischen Argument ergibt sich u. a. aus dem Prinzip der Abgeschlossenheit von Wissen unter gewusster logischer Implikation. Wie auch das bereits diskutierte Prinzip der Abgeschlossenheit epistemischer Rechtfertigung unter logischer Implikation9 erscheint auch dieses Prinzip als äußerst plausibel – beschreibt es doch eine wichtige rationale Methode der Wissensgewinnung:
Abgeschlossenheitsprinzip von Wissen unter gewusster logischer Implikation Wenn S weiß, dass p, und wenn S weiß, dass q eine logische Folgerung aus p ist (und wenn S aufgrund seines Wissens von dieser Folgerungsbeziehung die Überzeugung, dass q, gewinnt), dann weiß S auch, dass q.10 Nehmen wir also z. B. an, dass „p“ für „S hat Hände“ steht und „q“ für die skeptische Hypothese, dass S ein Gehirn im Tank ist. Es gilt somit: S weiß, dass aus p nicht-q folgt, d. h. S weiß, dass es, wenn es Hände hat, dann kein (handloses) Gehirn im Tank sein kann. Wegen Schlussfolgerung (4) in obigem Argument weiß S jedoch nicht, dass es kein Gehirn im Tank ist, d. h. S weiß nicht, dass n icht-q.
5.2 Lösungsansätze zum Wissensskeptizismus
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Unter Zuhilfenahme des Abgeschlossenheitsprinzips folgt daher, dass S dann auch nicht wissen kann, dass es Hände hat, d. h. S weiß nicht, dass p. Das wissensskeptische Argument ist prima facie recht einleuchtend. Seine Annahmen erscheinen unstrittig. Der Skeptiker behauptet ja nicht, dass wir de facto in einer simulierten Scheinrealität leben oder dass dies auch nur wahrscheinlich wäre. Er behauptet lediglich, dass die Möglichkeit einer Täuschung bestehe (Annahme (1)). Auch ist Annahme (2), wonach wir diese Möglichkeit nicht ausschließen können, plausibel. Da somit die Wahrheit unserer Überzeugungen über die Außenwelt ungewiss ist, ist es für den Skeptiker nur folgerichtig, unser Wissen über die Außenwelt zu bestreiten. Allerdings ist diese Konklusion des skeptischen Arguments natürlich nur schwer annehmbar – würde dies doch bedeuten, dass wir uns permanent irrten, wenn wir uns und anderen Wissen zusprächen. Schon Immanuel Kant bezeichnete es als „Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein außer uns […] bloß auf Glauben annehmen zu müssen und, wenn es jemandem einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können“11. Es stellt sich nun die Frage, ob das wissensskeptische Argument, das eine Herausforderung an jede Wissenstheorie darstellt, angezweifelt werden kann. Eine philosophisch befriedigende Wissenstheorie sollte zum einen die intuitive Plausibilität und Attraktivität des skeptischen Arguments erklären können, zum anderen aber auch in der Lage sein, seine radikal skeptische Konklusion zu vermeiden. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, die Existenz einer bewusstseins unabhängigen Außenwelt zu beweisen? Oder sind wir tatsächlich gezwungen, ohne ausreichende Gründe an die Existenz der Außenwelt einfach zu glauben? Ist es überhaupt nötig, die Existenz von Dingen in der Außenwelt zu beweisen, um Wissen über diese Dinge erlangen zu können? Im Folgenden sollen einige Ansätze diskutiert werden, in denen unterschiedliche Antworten auf diese Fragen gegeben und verschiedene Strategien verfolgt werden, um der skeptischen Herausforderung zu begegnen.
5.2 Lösungsansätze zum Wissensskeptizismus In der Geschichte der philosophischen Erkenntnistheorie finden sich zahlreiche sehr unterschiedliche Reaktionen auf den Wissensskeptizismus. Für manche Philosophen ist der Wissensskeptizismus einfach unvermeidbar und muss als erkenntnistheoretische Position akzeptiert werden. So hält etwa der britische Empirist David Hume eine philosophische Lösung des Skeptizismusproblems für unmöglich. Die Existenz einer Außenwelt ist für Hume genauso wenig mit empirischen oder logischen Mitteln zu begründen wie etwa die Gleichförmigkeit des
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Naturverlaufes oder die Existenz des Ichs als einer Trägersubstanz, die alle sich wandelnden Bewusstseinsinhalte überdauert. Wir sind als Erkenntnissubjekte dazu gezwungen, an die Existenz einer Außenwelt einfach zu glauben. Die Existenz von Körpern in einer bewusstseinsunabhängigen Realität müssen wir voraussetzen, damit wir zu Überzeugungen über die Außenwelt gelangen können. Wissenschaftlich legitime Mittel gibt es nach Hume jedoch nicht, um die Existenz einer solchen Außenwelt auch beweisen zu können. Der Skeptizismus ist nach Hume somit zwar eine rational folgerichtige philosophische Position. Dennoch ist er keine praktizierbare Lebensform. Selbst ein radikaler Skeptiker kann, so Hume, in seinem Leben eine skeptische Haltung nicht konsequent einnehmen. Auch er muss ohne rationalen Beweisgrund auf die Existenz einer Außenwelt vertrauen: So kann der Skeptiker nicht umhin, weiter zu schließen und zu glauben, obgleich er versichert, daß er seine Erkenntnis nicht mit Vernunftgründen verteidigen kann. Er kann aus gleichem Grunde auch nicht umhin, dem Satz, daß Körper existieren, zuzustimmen, obwohl er nicht behaupten kann, daß er seine Richtigkeit mit philosophischen Gründen zu erweisen vermag.12
Die menschliche Natur, so Hume, hat uns so ausgestattet, dass wir in unserem Alltagsleben skeptischen philosophischen Spekulationen kein Gehör verschaffen. Auch wenn Hume als Philosophen gerechtfertigterweise skeptische Zweifel befallen, so trägt die menschliche Natur dazu bei, dass diese skeptischen Zweifel verfliegen, sobald er seine Studierstube verlässt: Da die Vernunft unfähig ist, diese Wolken zu zerstreuen, so ist es ein glücklicher Umstand, daß die Natur selbst dafür Sorge trägt und mich von meiner philosophischen Melancholie und meiner Verwirrung heilt, sei es, indem sie die geistige Überspannung von selbst sich lösen läßt, sei es, indem sie mich aus ihr durch einen lebhaften Sinneseindruck, der alle diese Hirngespinnste [sic] verwischt, gewaltsam herausreißt.13
Den Wissensskeptizismus als prinzipiell unauflösbares erkenntnisphilosophisches Problem einfach zu akzeptieren, ist allerdings für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens, die auch unserem Gebrauch des Wissensbegriffs in der natürlichen Sprache gerecht werden soll, unbefriedigend. Wäre Wissen über die Außenwelt unmöglich (und wäre höchstens ein Glaube an sie gerechtfertigt), würden wir somit immer etwas Falsches behaupten, wenn wir uns oder anderen Wissen über Dinge der Außenwelt zuschreiben. Unser Gebrauch des Wissensbegriffs würde dann einem permanenten, systematischen Irrtum unterliegen. Dies ist natürlich eine Konsequenz, die einigen Adäquatheitsbedingungen für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens, wie sie in Kapitel 2.5 formuliert wurden, zuwiderläuft und daher nicht ohne weiteres akzeptiert werden sollte. Zu diesen Adäquatheitsbedingungen zählen insbesondere die Bedingung 3 der intuitiven Adäquatheit des zu explizierenden Wissensbegriffs sowie die Bedingung 5,
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wonach die Begriffsexplikation eine Lösung des Wissensskeptizismus bereitstellen sollte. Das wissensskeptische Argument einfach zu akzeptieren, würde mit der Verletzung dieser Bedingungen einhergehen und eine Kapitulation vor der skeptischen Herausforderung bedeuten.
5.2.1 Direkte Widerlegungen des Wissensskeptizismus Die stärkste antiskeptische Strategie besteht in der direkten Widerlegung des Wissensskeptizismus durch den Nachweis, dass wir keiner globalen Täuschung unterlegen sein können. Die Annahme 2 des obigen wissensskeptischen Arguments wäre dann also falsch, und die skeptische Konklusion des Arguments könnte vermieden werden. Aber können wir tatsächlich beweisen, dass wir nicht permanent und systematisch getäuscht werden? Wie sollte ein solcher Beweis überhaupt aussehen? Auf rein empirischem Wege, also etwa mittels Wahrnehmung und Beobachtung, können wir offenbar nicht ausschließen, dass wir nur in einer Scheinwelt leben. Selbst wenn ich der festen Überzeugung bin, gerade eine rote Rose in einer Vase auf meinem Schreibtisch deutlich vor mir zu sehen und ihren Duft wahrzunehmen, ja selbst wenn ich sie anfasse und ich mich an ihren Dornen steche, so könnten alle diese Wahrnehmungserlebnisse und die sich daraus ergebenden Überzeugungen dennoch bloß auf einer vollständigen Manipulation meines Gehirns beruhen, die von einem Computer gesteuert wird. Es scheint zwar für den aus der Matrix befreiten Neo eindeutige empirische Hinweise dafür zu geben, dass er nun endlich in der Realität angekommen ist – im Unterschied zu seinem früheren Leben befindet er sich jetzt in einem fliegenden Schiff namens „Nebukadnezar“, ernährt sich von einem glibberigen Brei und hat einen Anschluss am Hinterkopf, mit dem er mit der Matrix und verschiedenen Trainingsprogrammen verbunden werden kann. Was wäre aber, wenn der Film ein anderes Ende hätte und es sich stattdessen herausstellen würde, dass Neos Befreiung aus der Matrix sowie die Nebukadnezar samt der Besatzung und ihrem Kommandeur Morpheus wiederum nur Teil einer weiteren perfiden Computersimulation wären? Während Neo also glaubt, er könne die Welt retten und die Menschen aus den Fängen der Maschinen befreien, läge er in Wirklichkeit immer noch ruhiggestellt in seinem Bottich … Es lässt sich somit immer eine Situation der globalen Täuschung ausmalen, die sich nicht von einer nur vorgegaukelten Scheinrealität unterscheiden lässt. Ein empirischer Nachweis, dass wir nicht in der Matrix leben, dass wir nicht von einem bösen cartesianischen Dämon getäuscht werden oder dass wir keine Gehirne im Tank sind, scheint daher aus prinzipiellen Gründen unmöglich zu sein.
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5.2.2 Descartes’ Gottesbeweise als direkte Widerlegung des Skeptizismus Auch Descartes versuchte, den bösen betrügerischen Dämon, dessen mögliche Existenz ihn zunächst in einen radikalen Zweifel gestürzt hat, mit einer direkten Widerlegung des wissensskeptischen Arguments wieder zu vertreiben. Seine antiskeptische Strategie beruht jedoch nicht auf dem Versuch, den Wissensskeptizismus empirisch zu widerlegen. Vielmehr kann man seiner Meinung nach auf apriorischem Wege nachweisen, dass wir keiner globalen Täuschung unterlegen sein können. Für Descartes gibt es etwas, das selbst bei der Annahme einer globalen Täuschung vom Zweifel ausgenommen ist. Dies ist das „denkende Ich“, das, solange es denkt, notwendigerweise existiert. Gäbe es einen bösen Dämon, der mich in allen meinen Wahrnehmungen täuscht, dann könnte ich mich, so Descartes, zwar über die Existenz und Beschaffenheit meines Körpers und die vom Körper abhängigen Empfindungen prinzipiell irren. Das Denken selbst kann jedoch nach Descartes im Unterschied zum Körperlichen nicht von mir getrennt werden. Solange ich denke, muss demnach ein denkendes Etwas notwendig existieren.14 Dieses Argument Descartes’ zum Nachweis der notwendigen Existenz eines denkenden Ichs ist jedoch umstritten und setzt insbesondere den Dualismus von Körper und Geist voraus. Aber selbst wenn das Argument stichhaltig wäre, kann damit einem Wissensskeptizismus über die Existenz der Außenwelt kein Einhalt geboten werden. Schließlich ist ja weiterhin die Existenz aller körperlichen Dinge einem universellen Zweifel ausgesetzt. Diesem Zweifel begegnet Descartes nun mit dem Versuch, die Existenz Gottes zu beweisen, der als vollkommenes, allgütiges und allmächtiges Wesen kein Täuschergott sein kann bzw. eine generelle Täuschung nicht zulassen würde und diese auch zu verhindern imstande wäre. Für Descartes besitzen wir alle die Idee Gottes als eines vollkommenen Wesens, einer unendlichen, allwissenden, allgütigen und allwissenden Substanz, die alles Seiende erschaffen hat. Die Ursache für diese Idee Gottes muss, so Descartes, einen Realitätsgrad besitzen, der mindestens genauso groß ist wie die durch diese Ursache erzeugte Idee. Die Gottesidee kann daher nicht in einer bloß endlichen Substanz ihren Ursprung haben. Sie kann damit insbesondere nicht aus der Erfahrung oder der Einbildungskraft von uns endlichen Lebewesen stammen. Die Ursache für die Gottesidee muss daher nach Descartes selbst den Realitätsgrad eines unendlichen und vollkommenen Wesens besitzen, d. h. die Idee Gottes kann uns nur von Gott selbst eingegeben worden sein. So wie ein Künstler, der sein Werk signiert, wurden wir nach Ansicht Descartes’ mit der Idee der Vollkommenheit durch unseren Schöpfer versehen. Gott muss deshalb nach Descartes auch existieren, und da er als vollkommenes Wesen nicht betrügerisch sein kann, ist eine permanente systematische Täuschung über unsere Außenwelt unmöglich:
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Und die ganze Kraft des Beweisgrundes liegt darin, daß ich erkenne: es kann nicht sein, daß ich solcher Natur bin, wie ich bin, nämlich die Idee Gottes in mir tragend, wenn Gott nicht auch in Wirklichkeit existierte, jener selbe Gott, sage ich, dessen Idee in mir ist, d. h. der alle jene Vollkommenheiten hat, die ich nicht begreifen, aber auf irgendwelche Weise im Denken berühren kann, und der nach jeder Hinsicht gar keinen Mängeln unterworfen ist. Daraus folgt zur Genüge, daß er nicht betrügerisch sein kann: denn es ist durch das natürliche Licht handgreiflich, daß aller Betrug und alle Täuschung von irgendeinem Mangel abhängt.15
Diesem „ideentheoretischen Gottesweis“, den Descartes in seiner dritten Meditation entwickelt, fügt er noch einen weiteren „ontologischen Gottesbeweis“ in der fünften Meditation hinzu. Aus der bloßen Tatsache, dass man die Idee von einem Ding besitzt, folgt natürlich nicht zwangsläufig, dass dieses Ding auch existieren muss. Aus der Idee eines Einhorns oder eines geflügelten Pferdes folgt nicht die Existenz von Einhörnern oder geflügelten Pferden. Die Gottesidee bildet hier jedoch, so Descartes, eine Ausnahme. Für Descartes kann man Gott nämlich nicht anders als existierend denken. Die Existenz sei von Gott genauso wenig abtrennbar und mit Gott so notwendig verbunden, wie auch ein Berg ohne Tal nicht vorstellbar sei. Gott ist im Besitz aller Vollkommenheiten. Einem Wesen, dem die Existenz fehlt, würde es jedoch, so Descartes, an Vollkommenheit mangeln. Existenz sei somit eine Vollkommenheit, und Gott müsse daher auch mit Notwendigkeit existieren. […] so ist es […] unausweichlich, daß ich ihm alle Vollkommenheiten zuerteile […]: Diese Unausweichlichkeit genügt nach jeder Hinsicht, daß ich hernach, wenn ich bemerke, daß die Existenz eine Vollkommenheit ist, richtig schließe, daß ein erstes und höchstes Seiendes existiert.16
Da Gott somit existiert und nicht betrügerisch sein kann, verfliegen für Descartes alle skeptischen Zweifel. Auch wenn „das menschliche Leben hinsichtlich einzelner Dinge oft Irrtümern unterworfen ist“17, ist angesichts der Existenz eines vollkommenen und allgütigen Gottes eine generelle und systematische Täuschungssituation ausgeschlossen. Descartes’ Gottesbeweise sind allerdings äußerst umstritten und gehen von einigen fragwürdigen Annahmen aus. Im ideentheoretischen Gottesbeweis können etwa die Annahmen, dass wir alle eine Idee der Vollkommenheit besitzen und dass diese Idee vom vollkommenen Wesen selbst stammen muss, kritisiert werden. Die vermeintliche Idee von Vollkommenheit könnte schließlich auch durch Abstraktion und Steigerung aus der Erfahrung und Einbildungskraft endlicher Wesen entstanden sein. So stammt etwa die mathematische Idee der unendlichen Menge aller natürlichen Zahlen aus einer mengentheoretischen Abstraktion
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von Vorstellungen endlicher Mengen. Auch wenn wir an einen „vollkommenen Fußballspieler“ denken, dann gewinnen wir diese Vorstellung aus der Erfahrung von herausragenden Fußballspielern (wie etwa Lionel Messi), deren fußballerische Fähigkeiten wir dann weiter gedanklich steigern. In diesem Sinne könnte auch die Gottesvorstellung eines unendlichen, allmächtigen, allwissenden und allgütigen Wesens, wenn wir sie denn überhaupt besitzen, z. B. aus einer Verabsolutierung von Erfahrungen mit Endlichkeit, Mächtigkeit, Weisheit und Güte entstanden sein. Aus einer auf diese Weise entstandenen Gottesidee folgt natürlich keineswegs notwendigerweise die reale Existenz Gottes – genauso wenig, wie sich aus dem gedanklichen Konstrukt eines vollkommenen Fußballspielers die reale Existenz eines vollkommenen Fußballspielers ergibt. Die Behauptung im ontologischen Gottesbeweis, dass die Existenz Gottes bereits eine begriffliche oder analytische Wahrheit darstelle, wurde bereits zu Zeiten Descartes’, aber auch u. a. von Kant und Gottlob Frege kritisiert. In der Gegenwartsphilosophie zeigen zudem einige modallogische Rekonstruktionen, dass dieser Beweis problematische Prämissen besitzt bzw. ungültige Schlussfolgerungen enthält.18 Kants Diktum, nach dem Existenz kein reales Prädikat sei, das „zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne“19, liefert jedoch kein zwingendes Argument gegen den ontologischen Gottesbeweis. Es ist zwar richtig, dass Existenz nicht immer als Prädikat verstanden wird, das Eigenschaften von Dingen zum Ausdruck bringt. Dies bedeutet aber nicht, dass Existenz niemals als „reales Prädikat“ aufgefasst werden kann. Insbesondere in modalen Kontexten ist es durchaus sinnvoll, Existenz im Sinne eines „realen Prädikates“ zu verstehen – um etwa ausdrücken zu können, dass Objekte in der aktualen Welt (im Unterschied zu nicht-aktualen möglichen Welten) existieren, d. h. zum Objektbereich der aktualen Welt gehören. So kann man beispielsweise ein modallogisches Modell konstruieren, in dem etwa die Extensionen der Prädikate „allmächtig“, „allwissend“ und „allgütig“ genau ein und dasselbe Objekt (Gott) enthalten. Wäre dieses Objekt nur gedacht, aber nicht real existierend (d. h. würde Gott nicht zur Extension des Existenzprädikates in der aktualen Welt zählen), so wäre in diesem Modell die Aussage „Gott ist allwissend, allmächtig und allgütig“ wahr, die Aussage „Gott ist allwissend, allmächtig und allgütig, und Gott existiert“ hingegen falsch. Die Hinzufügung des Begriffs der Existenz schafft hier also – im Unterschied zu Kants Auffassung – durchaus eine neue Aussage. Aus demselben Grund ist auch Freges Behauptung, Existenz sei kein Begriff erster Stufe, d. h. kein Prädikat von Objekten, sondern lediglich ein Begriff zweiter Stufe, der Merkmale von Begriffen erster Stufe ausdrückt, kein schlagkräftiges Argument gegen den ontologischen Gottesbeweis.20 Für Frege bedeutet eine Existenzbehauptung der Art „Pferde existieren“, dass es Dinge gibt, die unter den Begriff Pferd fallen, d. h. dass die Extension des Prädikates Pferd nicht leer ist. Existenz fungiert in
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diesem Sinne logisch zwar tatsächlich als Existenzquantor und nicht als Prädikat erster Stufe. Existenz drückt in diesem Beispiel somit auch keine Eigenschaft von Pferden aus. Allerdings wurde bereits dafür argumentiert, dass es durchaus Kontexte gibt, in denen Existenz auch als Prädikat erster Stufe verwendet werden kann – insbesondere dann, wenn man die reale Existenz eines Objektes im Unterschied zur bloß gedachten Existenz betonen möchte. Diese Art von Existenz als Prädikat erster Stufe scheint aber gerade im ontologischen Gottesbeweis eine zentrale Rolle zu spielen. Den ontologischen Gottesbeweis kann man jedoch aus anderen Gründen anzweifeln. Zunächst ist es, wie auch bereits beim ideentheoretischen Gottesbeweis, unklar, ob wir überhaupt alle eine Gottesidee im Sinne eines vollkommenen Wesens besitzen. Darüber hinaus kann man auch die Prämisse angreifen, wonach Existenz eine Vollkommenheit darstellen soll. Wäre nicht vielleicht sogar, so könnte man etwas ketzerisch fragen, ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Gott noch „vollkommener“, wenn er, ohne real existieren zu müssen, alle diese Eigenschaften besäße und die Welt erschaffen hätte? Das Hauptpro blem des ontologischen Gottesbeweises scheint mir aber darin zu liegen, dass aus der Vorstellung eines vollkommenen Wesens nicht zwingend folgt, dass dieses Wesen dann auch alle diese vollkommenen Eigenschaften in der Realität besitzen muss. Wenn es tatsächlich so ist, dass ich mir ein Wesen nicht anders als existierend denken kann, so folgt daraus noch nicht, dass dieses Wesen dann auch in der Realität existiert. Descartes’ Gottesbeweise sind also höchst problematisch und daher auch nicht als zwingende antiskeptische Argumente überzeugend. Wie auch immer man die Gottesbeweise Descartes’ einschätzt, es wäre jedoch in jedem Fall erkenntnistheoretisch unbefriedigend, wenn eine Widerlegung des Skeptizismus nicht mit philosophischen Mitteln alleine, sondern nur unter der theistischen Annahme der Existenz eines vollkommenen, allmächtigen und allgütigen Gottes gelänge.
5.2.3 Putnams semantisches Argument gegen den Wissensskeptizismus In der Gegenwartsphilosophie gibt es Versuche, das wissensskeptische Argument mit semantischen Überlegungen auszuhebeln. Im Rahmen dieser antiskeptischen Strategien wird die skeptische Hypothese, die die Möglichkeit einer globalen Täuschung in Betracht zieht, mit bestimmten bedeutungstheoretischen Argumenten angegriffen. Ein wichtiger Vertreter semantischer Argumente gegen den Wissensskeptizismus ist Hilary Putnam. Nach dem Entwurf seines bekannten „Gehirn-im-Tank“-
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Szenarios versucht Putnam zu zeigen, dass die Annahme, wir seien Gehirne im Tank, in gewisser Weise „selbstwiderlegend“ ist. Sein Gedankenexperiment beschreibt seiner Meinung nach keine metaphysisch mögliche Situation. Eine wichtige Voraussetzung in Putnams antiskeptischem Argument ist ein semantischer Externalismus oder eine kausale Theorie der Referenz. Putnam lehnt insbesondere die Vorstellung ab, wonach Repräsentationen (wie etwa Namen) eine von der Beschaffenheit der Welt unabhängige intrinsische Beziehung zum Repräsentierten (wie etwa zum Namensträger) besitzen. Für Putnam konstituiert sich die Bedeutung eines Ausdrucks vielmehr durch einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch dieses Ausdrucks durch einen Sprecher und dem Objekt, das für den Erwerb dieses Ausdrucks durch den Sprecher kausal verantwortlich ist. So bezieht sich etwa mein Gedanke „Vor mir steht ein Baum“ auf einen Baum, den ich gerade vor mir sehe. Die Wahrnehmung eines Baumes ist Ursache für meine (gedankliche) Verwendung des Ausdrucks „Baum“. Tippt hingegen ein Schimpanse wahllos auf einer Computertastatur herum und schreibt dabei ganz zufällig „Vor mir steht ein Baum“, so hat nach Putnam diese Ansammlung von Buchstaben keine Bedeutung. Sie bezieht sich insbesondere auch nicht auf einen Baum, da es keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch dieser Buchstabenfolgen und einem Baum gibt. Was wäre nun aber, wenn wir alle Gehirne im Tank sind, denen eine Außenwelt bloß vorgegaukelt wird, so dass der Gebrauch unserer Ausdrücke über Dinge einer vermeintlichen Außenwelt gar nicht durch einen Kontakt zu realen Objekten verursacht wurde? Wenn ich in einer solchen Situation sagen oder denken würde „Vor mir steht ein Baum“, dann bezieht sich der von mir verwendete Ausdruck „Baum“ nicht auf einen wirklichen Baum, denn zu realen Bäumen habe ich als Gehirn im Tank keinen kausalen Kontakt, sondern vielmehr auf die elektro-chemisch induzierte Vorstellung eines Baumes. Dies bedeutet aber auch, dass ein Gehirn im Tank, wenn es die skeptische Aussage „Ich bin ein Gehirn im Tank“ formuliert, sich mit dieser Aussage nicht auf wirkliche Gehirne und wirkliche Tanks, sondern lediglich auf Gehirn- und Tanksimulationen beziehen kann. Wäre ich also ein Gehirn im Tank, könnte ich, so Putnam, gar nicht die Aussage „Ich bin ein (reales) Gehirn in einem (realen) Tank“ formulieren oder auch nur denken. Wäre ich kein Gehirn im Tank und würde die Aussage „Ich bin ein Gehirn im Tank“ formulieren, dann würden sich zwar meine Ausdrücke „Gehirn“ und „Tank“ auf tatsächliche Gehirne und Tanks beziehen, allerdings wäre dann diese Aussage falsch. Die Aussage „Ich bin ein (reales) Gehirn in einem (realen) Tank“ kann nach Putnam daher unmöglich wahr sein: Daraus folgt, daß – sofern ihre „mögliche Welt“ wirklich die tatsächliche ist und wir wirkliche Gehirne in einem Tank sind – wir jetzt mit „Wir sind Gehirne in einem Tank“ meinen,
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daß wir Gehirne in einem Tank im Vorstellungsbild sind oder etwas dergleichen (falls wir überhaupt etwas meinen). Zu der Hypothese, daß wir Gehirne in einem Tank sind, gehört auch, daß wir nicht Gehirne in einem Tank im Vorstellungsbild sind (d. h., was wir „halluzinieren“, ist nicht, daß wir Gehirne in einem Tank sind). Falls wir also Gehirne in einem Tank sind, besagt der Satz „Wir sind Gehirne in einem Tank“ etwas Falsches (falls er überhaupt etwas besagt). Kurz, falls wir Gehirne in einem Tank sind, ist „Wir sind Gehirne in einem Tank“ falsch. Also ist es (notwendig) falsch.21
Da die Wahrheit der Aussage, wir seien tatsächliche Gehirne in einem Tank, nach Putnam ihre eigene Falschheit impliziert, widerlegt sich die Annahme, wir seien tatsächliche Gehirne in einem Tank, selbst.22 Wäre Putnams Argument stimmig, würde sich somit insbesondere die Annahme (1) des wissensskeptischen Arguments als falsch erweisen, und der Wissensskeptizismus wäre direkt widerlegt. Putnams semantisches Argument gegen den Skeptizismus wurde sehr kontrovers diskutiert. Sein Argument hängt von der nicht ganz unumstrittenen sprachphilosophischen Theorie des semantischen Externalismus ab. Aber selbst wenn man den semantischen Externalismus akzeptiert, ist sein Argument auch an anderen Stellen problematisch. Insbesondere ist das Argument nur unter bestimmten Zusatzannahmen überhaupt stichhaltig. Es muss nämlich vorausgesetzt werden, dass die Gehirne schon immer „eingetankt“ sind, so dass sie niemals einen normalen kausalen Kontakt zur Realität hatten. Nur dann ist sichergestellt, dass sich die Ausdrücke in der Sprache der Gehirne im Tank nur auf Computersimulationen (und nicht auf reale Objekte) beziehen. Variieren wir Putnams Science-Fiction-Szenario ein wenig und nehmen an, dass eine Person ihre Sprache unter normalen Bedingungen erworben hat, so dass insbesondere ihr Gebrauch der Ausdrücke „Gehirn“ und „Tank“ durch Kontakt mit realen Gehirnen und Tanks verursacht worden ist. Weiterhin sei angenommen, dass diese Person zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben von bösen und mächtigen Wissenschaftlern entführt wurde, die ihr Gehirn aus dem Körper entfernt und in eine Nährlösung gegeben haben. Die Wissenschaftler haben dann das Gehirn an einen Computer angeschlossen, der durch geschickte Reizung der Nervenenden dem Gehirn eine reale Welt vortäuscht. Außerdem sind die Wissenschaftler in der Lage, alle Erinnerungen an die Entführung zu löschen, so dass das Gehirn im Tank den Unterschied zu seinem früheren Leben in der realen Außenwelt nicht merkt. Da die Person, deren Gehirn nun in einem Tank schwimmt, ihre Sprache durch Kontakt mit den realen Dingen der Außenwelt erworben hat, kann sie als Gehirn im Tank nun durchaus den wahren Gedanken fassen, dass sie ein tatsächliches Gehirn in einem Tank ist. In diesem Fall würde sich die Aussage „Ich bin ein (tatsächliches) Gehirn in einem Tank“ nicht selbst widerlegen. Das Argument Putnams liefert also, selbst wenn man den semantischen Externalismus akzeptiert, nicht für alle Täuschungsszenarien eine antiskeptische Antwort.
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Viel schwerer wiegt aber meines Erachtens der folgende Einwand: Wie kann es sein, dass alleine Überlegungen bezüglich der Bedeutung von Wörtern wie „Gehirn“ und „Tank“ zeigen können, dass wir tatsächlich keiner globalen Täuschungssituation unterliegen? Selbst wenn Gehirne im Tank nicht in konsistenter Weise denken können, dass sie Gehirne im Tank sind, so sagt dies doch nur etwas über die Grenzen der Denk- und Sprachfähigkeiten von global Getäuschten aus. Die faktische Unmöglichkeit eines globalen Irrtums muss hieraus jedoch nicht folgen. Die mögliche Realität einer globalen Täuschung lässt sich alleine mit einem semantischen Argument im Sinne Putnams offenbar nicht wegdiskutieren. Putnams antiskeptische Strategie, mittels rein semantischer Überlegungen die Prämissen (1) und (2) des wissensskeptischen Arguments zu falsifizieren, scheint daher fehlgeschlagen.
5.2.4 Relevante Alternativen, zwingende Gründe und die Verneinung des Abgeschlossenheitsprinzips Auch wenn direkte Lösungsversuche des Wissensskeptizismus offenbar zum Scheitern verurteilt sind, da sich die Prämissen (1) und (2) des wissensskeptischen Arguments als sehr plausibel erwiesen haben, könnte man eventuell an anderer Stelle das Argument in Zweifel ziehen. Ein möglicher Ansatzpunkt der Kritik ist die Prämisse (5), wonach ein Subjekt nur dann eine Proposition über die Außenwelt weiß, wenn es auch zugleich weiß, dass es keiner globalen Täuschung unterliegt. Die Prämisse (5) beruht, wie bereits erwähnt, auf dem Prinzip der Abgeschlossenheit von Wissen unter gewusster logischer Implikation, welches besagt, dass, wenn q eine logische Folgerung aus einer von S gewussten Proposition p ist und S auch weiß, dass q aus p logisch folgt, S dann auch weiß, dass q. Oder mit anderen Worten: Wenn S weiß, dass q eine logische Folgerung aus p ist, S aber nicht weiß, dass q, dann kann S auch nicht wissen, dass p. Im skeptischen Argument wird dieses Prinzip an zentraler Stelle vorausgesetzt: Da empirische Propositionen über die Außenwelt die Negationen skeptischer Behauptungen implizieren, wir jedoch, so der Skeptiker, Wissen über die Negationen skeptischer Behauptungen niemals besitzen können, ist Wissen über die Außenwelt unmöglich. Aufgrund des Abgeschlossenheitsprinzips gilt z. B., dass, wenn ich weiß, dass ich Hände habe, ich auch wissen muss, dass ich kein Gehirn im Tank bin, denn natürlich weiß ich, dass, wenn ich Hände habe, daraus folgt, dass ich dann kein Gehirn im Tank sein kann. Da ich jedoch, so der Skeptiker, nicht wissen kann, dass ich kein Gehirn im Tank bin, kann ich auch nicht wissen, dass ich Hände habe. Würde man das Abgeschlossenheitsprinzip zurückweisen und etwa dafür argumentieren, dass eine Person auch dann Wissen über die Außen-
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welt besitzen kann, wenn sie nicht weiß, dass sie keiner globalen Täuschung unterliegt, wäre die Prämisse (5) des wissensskeptischen Arguments widerlegt und dem Wissensskeptizismus eine wichtige argumentative Grundlage entzogen. Zunächst spricht zwar viel für die Plausibilität des Abgeschlossenheitsprinzips. Dennoch wurde dieses Prinzip von einigen Philosophen kritisiert. Für Fred Dretske ist Wissen ein evidentieller Zustand eines epistemischen Subjektes, in dem alle relevanten Alternativen zur gewussten Proposition ausgeschlossen sind.23 Alternativen zu einer Proposition p sind dabei alle Propositionen q, die zu p im Widerstreit stehen, d. h. die die Falschheit von p implizieren. Von dieser Menge aller Alternativen zu einer Proposition p ist die Menge aller relevanten Alternativen zu p stets eine echte Teilmenge. Welche Alternativen zu p als relevant erachtet werden, hängt für Dretske von bestimmten Faktoren im jeweiligen Kontext der Wissenszuschreibung ab. Für Dretske sind somit nicht schlichtweg alle Alternativen zu p zu eliminieren, um wissen zu können, dass p, sondern nur diejenigen Alternativen, die im gegebenen Kontext relevant sind. In Beispiel 7 des vorherigen Kapitels zählt z. B. die Hypothese, dass es sich bei dem beobachteten Vogel um einen sibirischen Lappentaucher handelt, dann zur Menge der relevanten Alternativen, wenn sich tatsächlich sibirische Lappentaucher im Mittleren Westen der USA angesiedelt haben. Da Birdy nicht in der Lage ist, diese Alternative auszuschließen, weiß er in dieser Situation auch nicht, dass es sich bei dem beobachteten Vogel um eine Schnatterente handelt. Wären hingegen sibirische Lappentaucher niemals in den Mittleren Westen der USA ausgewandert, wäre die Hypothese, dass es sich bei dem beobachteten Vogel um einen sibirischen Lappentaucher handelt, irrelevant. Um zu wissen, dass das Tier eine Schnatterente ist, muss daher Birdy in diesem veränderten Kontext nicht ausschließen können, dass der Vogel ein sibirischer Lappentaucher ist. Betrachten wir hierzu noch den folgenden Fall – in Anlehnung an ein prominentes Beispiel von Dretske:
Beispiel 14: Zebras oder angemalte Maulesel? Fred geht mit seinem Sohn in den Leipziger Zoo. Sie bleiben an einem Gehege mit schwarz-weiß gestreiften, pferdeähnlichen Tieren stehen. Der Sohn fragt ihn, ob er denn wisse, welche Tiere dies seien. Fred antwortet darauf, dass er selbstverständlich wisse, dass dies Zebras sind. Freds Sohn gibt sich aber mit dieser Antwort nicht zufrieden und fragt weiter: „Papa, wie kannst Du aber wissen, dass diese Tiere keine Maulesel sind, die mit schwarz-weißen Streifen so geschickt angemalt wurden, dass man sie von echten Zebras nicht unterscheiden kann?“24 Nehmen wir nun an, dass es sich bei den betrachteten Tieren tatsächlich um Zebras handelt. Weiterhin sei angenommen, dass Fred weiß, wie Zebras ausse-
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hen, und dass sich ein großes Schild mit der Aufschrift „Zebras“ am Gehege befindet. Es scheint daher evident, dass die Aussage „Fred weiß, dass die Tiere Zebras sind“ wahr ist. Fred kann zwar nicht vollständig ausschließen, dass diese Tiere angemalte Maulesel sind, jedoch muss er diese Möglichkeit nach Dretske auch gar nicht ausschließen, um wissen zu können, dass es sich bei den Tieren um Zebras handelt. Die Hypothese mit den angemalten Mauleseln ist unter den gegebenen Umständen nämlich keine relevante Alternative zu Freds Wissen, dass die Tiere Zebras sind. Ebenso wenig relevant für dieses Wissen ist die radikal skeptische Hypothese, dass Fred bloß ein Gehirn im Tank ist, dem durch geschickte Reizung der Nervenenden vorgetäuscht wird, dass er einen Sohn hat, mit dem er gerade einen Zoo besucht und Zebras betrachtet. Es ist zwar angesichts der vorliegenden Situation und des Renommees des Leipziger Zoos natürlich extrem unwahrscheinlich, dass die Tiere angemalte Maulesel sind, und es ist noch viel unwahrscheinlicher, dass diese Zebras bloße Simulationen in einer vorgetäuschten Scheinrealität sind. Dennoch kann man nach Dretske weder behaupten, Fred wüsste, dass diese Tiere keine angemalten Maulesel seien, noch dass er kein Gehirn im Tank sei. Hier ist er mit dem Skeptiker also noch ganz einer Meinung. Da Dretske jedoch das Abgeschlossenheitsprinzip ablehnt, folgt für ihn daraus allerdings nicht, dass Fred dann auch nicht mehr wissen kann, dass die Tiere Zebras sind.25 Wissen ist für Dretske nicht prinzipiell unter allen gewussten logischen Implikationen abgeschlossen, wie der Skeptiker annimmt, sondern nur unter denjenigen gewussten Propositionen, die Negationen relevanter Alternativen sind. Wissen über die Außenwelt ist nach Dretske somit möglich, auch wenn wir nicht wissen können, dass wir keiner globalen Täuschung unterliegen. Doch ist die Aufgabe des Abgeschlossenheitsprinzips tatsächlich plausibel? Wie bereits erwähnt, formuliert das Abgeschlossenheitsprinzip eine offenbar wichtige rationale Methode der Wissensgewinnung. Wissen erlangen wir vor allem auch dadurch, dass wir aus dem, was wir bereits wissen, Schlüsse ziehen. Umgekehrt können wir aus dem, was wir nicht wissen, folgern, welche anderen Dinge wir ebenfalls nicht wissen. Es scheint daher, dass man für die Auflösung des Wissensskeptizismus einen recht hohen Preis zahlt, wenn man dabei auf das Abgeschlossenheitsprinzip verzichten muss. Für viele Philosophen ist es geradezu absurd zu behaupten, ein epistemisches Subjekt wüsste zwar nicht, dass es kein handloses Gehirn im Tank sei, wohl aber, dass es Hände habe.26 Dretske hält dem entgegen, dass man Aussagen der Art „Ich weiß, dass ich Hände habe, aber ich weiß nicht, dass ich kein handloses Gehirn im Tank bin“ nur deshalb als kontraintuitiv empfindet, weil diese Aussagen gegen übliche konversationale sprachpragmatische Prinzipien verstoßen. Das zweite Konjunkt einer solchen Aussage („Ich weiß nicht, dass ich kein handloses Gehirn im Tank bin“) erwähnt nämlich
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eine Möglichkeit (die Möglichkeit, ein handloses Gehirn im Tank zu sein), die normalerweise von einem Sprecher als irrelevant betrachtet wird, der gleichzeitig auch das erste Konjunkt der Aussage („Ich weiß, dass ich Hände habe“) behauptet. Dies bedeute aber nicht, so Dretske, dass derartige Aussagen nicht trotzdem wahr sein können. So erscheine zwar z. B. auch die folgende Behauptung eines Sprechers als absurd: „Der Kühlschrank ist leer, aber es befinden sich jede Menge Dinge in ihm.“ Jedoch könne eine solche Aussage durchaus wahr sein, wenn etwa mit dem ersten Konjunkt der Aussage gemeint sei, dass keine Lebensmittel (oder andere Dinge, die man üblicherweise im Kühlschrank aufbewahre) im Kühlschrank vorhanden seien, und mit dem zweiten Konjunkt, dass sich sehr viele mikrophysikalische Objekte (wie Gasmoleküle) im Kühlschrank befänden.27 Gegen Dretskes Wissenstheorie der relevanten Alternativen könnte man des Weiteren einwenden, dass sie zunächst keine Wissensanalyse darstellt, die unabhängig von ihren antiskeptischen Implikationen motiviert ist. Dretskes Plädoyer für eine Theorie der relevanten Alternativen scheint vorwiegend dadurch begründet zu sein, dass sie eine Lösung für den Wissensskeptizismus durch den Verzicht auf das Geschlossenheitsprinzip liefert: Wir brauchen nicht zu wissen, dass irrelevante Alternativen zu p nicht gelten, um wissen zu können, dass p, da sonst ein radikaler Wissensskeptizismus folgen würde. Diesem Vorwurf hält Dretske seine Theorie von Wissen als einer wahren Überzeugung, die durch zwingende Gründe („conclusive reasons“) verursacht ist, entgegen.28 Diese Theorie bildet nach Ansicht Dretskes auch unabhängig vom Skeptizismus eine Wissenskonzeption, die dem Ansatz der relevanten Alternativen zu seinem Recht verhilft. Gründe für eine Überzeugung, dass p, sind für Dretske dabei alle möglichen Formen von Informationen (wie Wahrnehmungen, Erinnerungen, Berichte von anderen Personen etc.), die die Wahrheit von p stützen. Ein zwingender Grund für p ist nach Dretske ein Grund, der nicht gegeben wäre, wenn p falsch wäre, d. h. ein Grund, der für die Wahrheit von p epistemisch sensitiv ist. Für Dretske ist eine wahre Überzeugung, dass p, genau dann Wissen, wenn diese Überzeugung auf zwingenden Gründen für p beruht. Ein ähnliches Prinzip der epistemischen Sensitivität wird auch in Robert Nozicks sogenannter „truth tracking“-Analyse des Wissens vorausgesetzt. Für Nozick ist es hingegen die epistemische Sensitivität der wahren Überzeugung selbst, die eine notwendige Bedingung für Wissen darstellt. Nach Nozick ist eine wahre Überzeugung, dass p, genau dann Wissen, wenn diese Überzeugung in einer bestimmten engen Verbindung zur Tatsache, dass p, steht und daher die Wahrheit von p sozusagen „aufspürt“: To know is to have a belief that tracks the truth. Knowledge is a particular way of being connected to the world, having a specific real factual connection to the world: tracking it.29
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Damit eine wahre Überzeugung, dass p, diese enge Verbindung zur Tatsache, dass p, aufweist, muss sie nach Ansicht Nozicks unter anderem das Prinzip der epistemischen Sensitivität erfüllen, welches folgendermaßen bestimmt werden kann:
Prinzip der epistemischen Sensitivität Ss wahre Überzeugung, dass p, ist genau dann epistemisch sensitiv (in Bezug auf die Wahrheit von p), wenn S nicht die Überzeugung, dass p, hätte, wenn p falsch wäre – d. h. wenn in nahen möglichen Welten, in denen p falsch wäre, S nicht die Überzeugung hätte, dass p. Die Bedingung der epistemischen Sensitivität als notwendige Bedingung für Wissen soll nach Nozick erklären, warum wir offenbar geneigt sind, uns das Wissen über die Negationen skeptischer Behauptungen abzusprechen. Wenn skeptische Szenarien tatsächlich der Realität entsprächen, wären unsere Überzeugungen im Hinblick auf skeptische Szenarien dennoch nicht sensitiv. Wären wir z. B. tatsächlich Gehirne im Tank, würden wir trotzdem der Überzeugung sein, dass wir keine Gehirne im Tank sind. Wir können daher nach Nozick auch nicht wissen, dass wir keine Gehirne im Tank sind. Allerdings können Propositionen, die die Falschheit skeptischer Aussagen implizieren, durchaus gewusst werden. Würde das epistemische Subjekt S keiner globalen Täuschung ausgesetzt sein, dann kann nach Nozick S wissen, dass es Hände hat. Diese wahre Überzeugung ist nämlich epistemisch sensitiv, denn hätte S keine Hände, würde S auch nicht die Überzeugung haben, Hände zu besitzen. Nahe mögliche Welten, in denen S keine Hände hätte, wären dann z. B. Welten, in denen S bereits von Geburt an keine Hände besäße oder in denen S seine Hände durch einen Unfall verloren hätte. In diesen Welten würde S selbstverständlich nicht die Überzeugung haben, Hände zu besitzen. Nach Nozick kann man also wissen, dass man Hände hat, auch wenn man nicht weiß, dass man kein (handloses) Gehirn im Tank ist. Aus Nozicks Sensitivitätsbedingung für Wissen folgt daher ebenfalls, dass das Abgeschlossenheitsprinzip von Wissen unter gewusster logischer Implikation nicht allgemeingültig ist. Auch aus Dretskes Wissenstheorie der zwingenden Gründe folgt, dass Wissen nicht unter gewusster logischer Implikation abgeschlossen ist. Informationsquellen, die zwingende Gründe für wahre Überzeugungen über die Außenwelt sein können, sind nach Dretske keine geeigneten Informationsquellen zur Erlangung von bestimmtem antiskeptischen Wissen, wie z. B. dass es bewusstseinsunabhängige Objekte in der Außenwelt gibt oder dass die Vergangenheit real ist. Ich kann zwar, so Dretske, durch visuelle Wahrnehmung zum Wissen gelangen, dass Kekse auf einem Teller liegen. Mittels visueller Wahrnehmung kann ich jedoch
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nicht daraus das Wissen gewinnen, dass es bewusstseinsunabhängige Dinge in einer realen Außenwelt gibt, obwohl mir natürlich klar ist, dass das Vorhandensein echter Kekse die Existenz von Objekten in der Außenwelt impliziert. Ich sehe zwar, dass dort Kekse auf dem Teller liegen, nicht aber, dass es dort bewusst seinsunabhängige Objekte in der Außenwelt gibt.30 Informationsquellen, die zum Wissen, dass p, verhelfen, führen auch für weniger radikal skeptische Implikationen q von p nicht immer zum Wissen, dass q: Während Fred durch visuelle Wahrnehmung zum Wissen gelangt, dass die beobachteten Tiere Zebras sind, ist visuelle Wahrnehmung kein geeignetes Mittel, um zum Wissen zu gelangen, dass die Tiere keine angemalten Maulesel sind. Dass die Tiere keine angemalten Maulesel sind, gehört nicht zum Inhalt von Freds Wahrnehmung. Fred sieht, dass die Tiere Zebras sind, nicht, dass die Tiere keine angemalten Maulesel sind. Wären die Tiere angemalte Maulesel, wäre seine Wahrnehmung immer noch die gleiche. Im Zebra-Beispiel ist es allerdings möglich, auf andere Weise als durch reine visuelle Wahrnehmung zum Wissen zu gelangen, dass die Tiere keine angemalten Maulesel sind, z. B. durch Anfassen der Tiere oder durch geeignete genetische Tests. Jedoch gibt es, so Dretske, keine Informationsquellen, die uns Wissen über die Negation radikal skeptischer Propositionen verleihen. Selbst wenn ich die Kekse esse oder sie chemisch untersuchen lasse, gelange ich dadurch nicht zum Wissen, dass es Objekte in einer realen Außenwelt gibt: […] I conclude that none of our accredited ways of knowing about our material world are capable of telling us that there is a material world, none of the accredited ways of finding out about what people feel and think are ways of finding out that they are not mindless zombies, and none of the accepted ways of finding out what, specifically, happened yesterday are ways of finding out that there was a yesterday.31
Für Dretske bedeutet dies nun, dass das Abgeschlossenheitsprinzip nicht allgemeingültig sein kann. Unser Wissen über Dinge in der Außenwelt, über die Gedanken und Gefühle unserer Mitmenschen oder über Ereignisse in der Vergangenheit liefert uns kein Wissen über die Realität einer Außenwelt, des Fremdpsychischen oder der Vergangenheit. Die Ablehnung des Abgeschlossenheitsprinzips von Wissen unter gewusster logischer Implikation im Rahmen der Wissenstheorien von Dretske und Nozicks ist jedoch problematisch. Unter den vielen Kritikern dieser Theorien hat etwa John Hawthorne anhand von Beispielen gezeigt, dass das Abgeschlossenheitsprinzip in Dretskes Wissensansatz in einigen Fällen zu kurz greift, in anderen Fällen jedoch nicht einschränkend genug ist: Nehmen wir an, so lautet eines der Beispiele Hawthornes, eine Person isst ein kleines Lachsschnitzel und kommt daraufhin zur wahren Überzeugung, dass sie weniger als ein Pfund Lachs gegessen hat. Die Wahrnehmung der Person ist ein zwingender Grund für diese wahre
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Überzeugung (man könnte auch sagen, dass die Überzeugung im Sinne Nozicks sensitiv ist in Bezug auf ihre Wahrheit). In nahen möglichen Welten, in denen die Person mehr als ein Pfund Lachs gegessen hätte (z. B. in einer Welt, in der sie eineinhalb Pfund Lachs zu sich genommen hätte), wäre die Person auch nicht zur Überzeugung gelangt, dass sie weniger als ein Pfund Lachs gegessen hätte. Die Person weiß also, dass sie weniger als ein Pfund Lachs gegessen hat. Damit scheint die Person auch a fortiori zu wissen, dass sie nicht mehr als 14 Pfund Lachs zu sich genommen hat. Dies ist jedoch, wie Hawthorne zeigen möchte, nicht notwendigerweise der Fall. Die Wahrnehmung liefert nämlich in seinem Beispiel für die Überzeugung, dass die Person nicht mehr als 14 Pfund Lachs gegessen hat, keinen zwingenden Grund. Der Verzehr großer Mengen Lachs von über 14 Pfund führe nämlich, so Hawthorne, zu starken Halluzinationen, und Hawthorne nimmt nun an, dass die Person nach dem Verzehr von über 14 Pfund Lachs sich einbilden würde, dass sie weniger als ein Pfund Lachs gegessen hätte. Für die Überzeugung, dass die Person nicht mehr als 14 Pfund Lachs gegessen hat, ist eine Welt, in der sie etwas mehr als 14 Pfund Lachs essen würde, durchaus eine nahe mögliche Welt, in der diese Überzeugung falsch wäre. In dieser Welt wäre dann aber die Wahrnehmung der Person nicht mehr zuverlässig, denn sie hätte immer noch die Überzeugung, nicht mehr als ein Pfund Lachs gegessen zu haben. Obwohl die Person in diesem Beispiel zwar weiß, dass sie weniger als ein Pfund Lachs gegessen hat, kann die Person dennoch nicht wissen, dass sie nicht mehr als 14 Pfund Lachs gegessen hat. Dies, so Hawthorne, sei eine höchst kontraintuitive Konsequenz aus Dretskes Wissensanalyse.32 Die Zurückweisung des Abgeschlossenheitsprinzips führt in diesem Fall also dazu, dass auch ganz „gewöhnliche“ Implikationen aus gewussten Propositionen (und keineswegs bloß Negationen von skeptischen Propositionen) vom Wissen ausgeschlossen sind. Auf der anderen Seite kann, entgegen Dretskes Intentionen, sein Wissensansatz nicht immer verhindern, dass sich das Wissen von alltäglichen Propositionen auch auf das Wissen bestimmter Negationen skeptischer Propositionen überträgt. Angenommen, so Hawthorne, ich sehe einen Keks in eineinhalb Metern vor mir liegen. Hieraus gewinne ich die Überzeugung, dass es ein bewusstseins unabhängiges Objekt gibt, das sich in zirka eineinhalb Metern vor mir befindet. Somit, so Hawthorne, weiß ich nicht nur, dass sich ein Keks in eineinhalb Metern Entfernung vor mir befindet, sondern auch, dass es dort ein bewusstseins unabhängiges Objekt gibt.33 Nahe mögliche Welten, in denen es keine bewusstseinsunabhängigen Objekte in eineinhalb Metern Entfernung vor mir gibt, sind einfach Welten, so Hawthorne, in denen sich in eineinhalb Metern vor mir gar nichts befindet. In diesen Welten würde ich aber auch nicht zur Überzeugung gelangen, dass sich dort ein bewusstseinsunabhängiges Objekt befindet. Meine
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Wahrnehmung wäre hier also auch für die Negation einer skeptischen Überzeugung – der Überzeugung, dass sich dort ein bewusstseinsunabhängiges Objekt befindet – ein zwingender Grund. Die von Dretske und von Nozick intendierte Einschränkung des Abgeschlossenheitsprinzips und die sich daraus ergebende Antwort auf die skeptische Herausforderung, wonach Erkenntnissubjekte, obwohl sie nicht wissen können, dass sie keiner Täuschung unterliegen, durchaus Wissen über Objekte der Außenwelt besitzen können, haben sich somit als sehr problematisch erwiesen. Da das Abgeschlossenheitsprinzip sehr plausibel erscheint, ist zu fragen, ob man nicht auch ohne Verzicht auf das Abgeschlossenheitsprinzip zu einer überzeugenden Lösung des Wissensskeptizismus gelangen kann.
5.2.5 Epistemische Sicherheit und Wissensskeptizismus Bisher konnte keine der diskutierten antiskeptischen Strategien vollständig überzeugen. Direkte Widerlegungsversuche, in denen versucht wurde, die Prämisse (1) bzw. (2) des wissensskeptischen Arguments zu falsifizieren, erwiesen sich als unhaltbar. Auch die Strategie Dretskes und Nozicks, das Abgeschlossenheitsprinzip (und damit die Prämisse (5) im wissensskeptischen Argument) zurückzuweisen, wurde als höchst problematisch erachtet. Eine andere antiskeptische Strategie könnte jedoch auch darin bestehen, die Annahme (3) des wissensskeptischen Arguments in Frage zu stellen. Muss aus den Annahmen, dass die Möglichkeit einer globalen Täuschung prinzipiell gegeben ist und wir diese Möglichkeit nicht ausschließen können, tatsächlich zwangsläufig folgen, dass wir dann auch nicht wissen können, dass wir nicht getäuscht werden? Insbesondere für eine cartesianische Wissenskonzeption, wonach nur objektiv infallible und durch Intuition gewonnene, absolut gewisse Überzeugungen als Wissen gelten können, ist die Annahme (3) natürlich sehr plausibel, und die sich daraus ergebenden skeptischen Implikationen sind unausweichlich. In Kapitel 3.4.1 wurde jedoch bereits eine cartesianische Wissenskonzeption u. a. aufgrund ihrer radikal skeptischen Konsequenzen zurückgewiesen. Wenn man jedoch, wie etwa in bestimmten externalistischen Wissenskonzeptionen, Wissen auch dann einem Erkenntnissubjekt zuschreibt, wenn ihm die Gründe für die Wahrheit seiner Meinung nicht selbst bekannt und zugänglich sind, ist die Annahme (3) im wissensskeptischen Argument nicht mehr überzeugend. Auch wenn S nicht selbst ausschließen kann, dass es kein Gehirn im Tank ist, kann man nach externalistischer Auffassung dennoch wissen, dass man kein Gehirn im Tank ist. Wenn ich z. B. durch einen zuverlässigen Wahrnehmungsprozess die wahre Überzeugung gebildet habe, dass ich Hände habe, kann ich nach reliabilistischer Wissenskonzeption wissen,
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dass ich Hände habe – und somit (aufgrund des Abgeschlossenheitsprinzips) auch wissen, dass ich kein Gehirn im Tank bin. Vom britischen Philosophen des Common Sense George Edward Moore stammt das folgende schlichte Argument gegen den Skeptiker, das oftmals von Erkenntnisphilosophen belächelt wurde, da es aufgrund seiner Einfachheit die eigentliche skeptische Herausforderung angeblich nicht ernst nehme und dieser folglich nicht gerecht werden könne: Ich kann jetzt z. B. beweisen, daß zwei menschliche Hände existieren. Wie? Indem ich meine beiden Hände hochhebe, mit der rechten Hand eine bestimmte Geste mache und sage: „Hier ist eine Hand“, und dann hinzufüge, wobei ich mit der linken Hand eine bestimmte Geste mache, „Hier ist noch eine“. Und wenn ich, indem ich dies tue, ipso facto die Existenz von Außendingen bewiesen habe, werden Sie alle einsehen, daß ich es auch auf eine Vielzahl von anderen Weisen tun kann: es ist überflüssig, noch weiter Beispiele anzuhäufen.34
Dieser „Beweis“ der Existenz von Dingen in der Außenwelt scheint sich auf den ersten Blick einer petitio principii schuldig zu machen, da man vermuten könnte, dass hier dasjenige, was erst noch bewiesen werden soll, bereits im Beweis voraussetzt wird. Dies ist jedoch, so Moore, nicht der Fall. Die Prämissen seines antiskeptischen Arguments („Hier ist eine Hand“, „Hier ist noch eine“) seien nämlich wesentlich spezifischer als die Konklusion („Es existieren zwei menschliche Hände“). Für Moore steht es darüber hinaus auch außer Frage, dass er die Prämissen seines Arguments weiß, und da es auch unmittelbar einleuchtend ist, dass aus den Prämissen die Konklusion folgt, weiß er auch, so Moore, dass zwei menschliche Hände existieren. Doch wie kann Moore wissen, dass dort zwei menschliche Hände sind, während er bestimmte Gesten macht? Die vermeintliche Wahrnehmung zweier Hände könnte doch durch computergesteuerte Reizungen der Nervenenden eines Gehirns im Tank bloß simuliert sein. Natürlich könnte dies, so Moore, der Fall sein. Moore möchte die Annahmen (1) und (2) des wissensskeptischen Arguments auch gar nicht bestreiten. Allerdings braucht man seiner Meinung nach nicht zu beweisen, dass dort zwei Hände sind, um wissen zu können, dass dort zwei Hände sind: Ich wußte in dem Augenblick mit Bestimmtheit das, was ich durch die Kombination gewisser Gesten mit den Worten „Da ist eine Hand, und hier ist eine andere“ ausgedrückt habe. […] Und schließlich ist es ganz gewiß, daß die Folgerung sich in der Tat aus der Prämisse ergab. Dies ist ebenso gewiß wie gewiß ist, daß – wenn es jetzt hier eine Hand und dort eine andere gibt – daraus folgt, daß jetzt zwei Hände existieren.35
Moore würde somit Prämisse (3) des wissensskeptischen Arguments nicht unterschreiben. Im Unterschied zu Kant ist Moore der Auffassung, dass man Dinge, die man nicht beweisen kann, nicht bloß „auf Glauben annehmen“ muss, sondern
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durchaus wissen kann.36 Er würde sich daher auch nicht zur Schlussfolgerung (4) innerhalb des wissensskeptischen Arguments genötigt sehen, wonach man nicht wissen kann, dass man keiner globalen Täuschung unterliegt. Im wissensskeptischen Argument folgt aus „Moore weiß nicht, dass er kein Gehirn im Tank ist“ und „Wenn Moore nicht weiß, dass er kein Gehirn im Tank ist, dann weiß er auch nicht, dass er Hände hat“ mittels modus ponens die skeptische Konklusion „Moore weiß nicht, dass er Hände hat“. Im Unterschied dazu würde Moore hingegen aus der für ihn evidenten (aber eben nicht streng beweisbaren) Prämisse „Moore weiß, dass er Hände hat“ und aus der Annahme „Wenn Moore nicht weiß, dass er kein Gehirn im Tank ist, dann weiß er auch nicht, dass er Hände hat“ per modus tollens auf die antiskeptische Konklusion „Moore weiß, dass er kein Gehirn im Tank ist“ schließen. Eine externalistische Wissenskonzeption, wie die im letzten Kapitel entwickelte Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit, verhilft nun in gewisser Weise Moore zu seinem Recht, indem sie eine Erklärung für Moores Behauptung, dass wir bestimmte Dinge ohne Beweis einfach wissen können, liefert. Die Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit verfolgt daher eine sogenannte „neo-mooreanische“ antiskeptische Strategie.37 Wenn wir keine Gehirne im Tank sind und z. B. durch Wahrnehmung unseres realen Körpers zur wahren Überzeugung gelangen, dass wir Hände haben, dann beruht diese wahre Überzeugung auf einer epistemisch sicheren Methode. Unsere Wahrnehmungsprozesse würden zwar in Welten, in denen wir Gehirne im Tank wären, zu falschen Überzeugungen führen (insbesondere zur falschen Überzeugung, wir seien keine Gehirne im Tank), jedoch wären diese Welten von der Realität sehr weit entfernte mögliche Welten. Für Wissen ist es jedoch lediglich erforderlich, dass die Prozesse in allen nahen möglichen Welten zuverlässig sind. Ob eine wahre Überzeugung p über die Außenwelt auch als Wissen angesehen werden kann, hängt nach der Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit nicht notwendigerweise davon ab, ob wir auch gute Gründe für die Wahrheit von p kennen und angeben können, sondern davon, ob wir uns in der glücklichen Situation befinden, in der wir nicht global getäuscht werden und in der folglich unsere Sinneswahrnehmungen als epistemisch sichere Methoden zur Gewinnung von Überzeugungen über die Außenwelt dienen können. Wissen über die Außenwelt ist möglich, so lautet in Theorien epistemischer Methodensicherheit die schlichte Antwort auf die skeptische Herausforderung. Wissen ist nämlich genau dann möglich, wenn wir keiner globalen Täuschung unterliegen und unsere Prozesse der Überzeugungsgewinnung über die Außenwelt daher epistemisch sicher sein können. In Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit werden die Prämissen (1) und (2) im wissensskeptischen Argument sowie das Abgeschlossenheitsprinzip und damit auch Prämisse (5)
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akzeptiert. Auch eine Anhängerin von Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit gibt zu, dass es natürlich möglich ist, dass wir einer globalen Täuschung unterliegen und dass wir dies auch nicht ausschließen können. Daraus folgt aber nicht, dass wir deshalb nicht wissen können, dass wir keiner globalen Täuschung unterliegen. Ist die prinzipielle Möglichkeit einer globalen Täuschung nämlich nicht real, können wir durch epistemisch sichere Methoden zum Wissen über die Außenwelt und zum Wissen, dass wir keiner globalen Täuschung unterliegen, gelangen. Die Prämisse (3) im wissensskeptischen Argument und folglich auch der Schluss (4) werden daher in diesen Ansätzen zurückgewiesen – sowie die sich daraus weiter ergebende antiskeptische Konsequenz (6). Eine Wissenstheorie epistemischer Methodensicherheit besitzt somit den Vorteil, eine Antwort auf die skeptische Herausforderung zu geben, die ohne das aussichtslose Unterfangen einer direkten Widerlegung des Wissensskeptizismus auskommt und auf das plausible Prinzip der Abgeschlossenheit von Wissen unter gewusster logischer Implikation nicht verzichten muss.
5.3 Skepsis und „epistemische Angst“ Im Rahmen von externalistischen Theorien epistemischer Methodensicherheit ist Wissen über die Außenwelt möglich, wenn wir in einer Welt leben, in der eine globale Täuschung weder real noch wahrscheinlich ist. Gibt es eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt, in der die von uns wahrgenommenen Objekte und deren Eigenschaften objektiv real und nicht bloß vorgetäuschte Trugbilder sind, dann ist unsere Wahrnehmung in vielen Fällen eine epistemisch sichere Methode zur Gewinnung wahrer Überzeugungen über die Außenwelt. Doch ist diese „Lösung“ des Wissensskeptizismus intuitiv wirklich überzeugend? Vertreter bestimmter internalistischer Wissenstheorien, wonach ein Subjekt nur dann über Wissen verfügt, wenn es auch kognitiven Zugang zu den Gründen für seine wahre Überzeugung besitzt, würden gegen diese antiskeptische Strategie einwenden, dass sie die eigentliche skeptische Herausforderung völlig verkennt. Eine Person, die in einer realen Außenwelt lebt, kann zwar durch epistemisch sichere Methoden (wie etwa durch Wahrnehmung unter Normalbedingungen) zu wahren Überzeugungen über die Außenwelt gelangen; solange sie aber keine hinreichenden Gründe für die Existenz einer realen Außenwelt besitzt, ist die Wahrheit ihrer Überzeugungen dem glücklichen Umstand geschuldet, dass sie nicht in einer bloßen Scheinwelt lebt. Ihre wahren Überzeugungen sind zwar nicht im veridischen Sinne epistemisch zufällig, dennoch scheinen sie einer anderen Form von epistemischem Zufall zu unterliegen, den Pritchard als „reflektiven epistemischen Zufall“ („reflective epistemic luck“) bezeichnet hat.38 Wenn
5.3 Skepsis und „epistemische Angst“
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das epistemische Subjekt nicht in der Lage ist, durch eigene Reflexion Gründe für die Wahrheit seiner Überzeugung zu erkennen, dann ist die Wahrheit seiner Überzeugung reflektiv epistemisch zufällig:
Reflektiver epistemischer Zufall Eine wahre Überzeugung ist reflektiv epistemisch zufällig genau dann, wenn die Wahrheit der Überzeugung vor dem Hintergrund dessen, was das epistemische Subjekt durch eigene Reflexion zu erkennen in der Lage ist, nicht begründet werden kann. Für viele Internalisten ist eine wahre Überzeugung, die reflektiv epistemisch zufällig ist, kein Wissen.39 Ein Beispiel, das eine solche internalistische Wissens auffassung motivieren soll, ist etwa das folgende:
Beispiel 15: Der „Chicken-sexer“ Eine Person, nennen wir sie „Chick“, besitzt die Fähigkeit, in extrem zuverlässiger Weise frisch geschlüpfte Küken nach ihrem Geschlecht zu unterscheiden. In diesem frühen Stadium gibt es noch keine äußerlich wahrnehmbaren Geschlechtsmerkmale bei Küken. Umso erstaunlicher ist es, dass Chick dennoch in der Lage ist, mit einer sehr hohen Trefferquote zu bestimmen, ob es sich bei einem frisch geschlüpften Küken um eine kleine Henne oder um einen kleinen Hahn handelt.40 Chick hat selbst keine Ahnung, wie er die Küken so zuverlässig nach ihrem Geschlecht unterscheiden kann. Er kann keinerlei Gründe dafür angeben, warum er ein geschlüpftes Küken als männlich oder weiblich identifiziert. Es ist jedoch eine Tatsache, dass er ein höchst zuverlässiger „Chickensexer“ ist.41 Auch wenn Chick die Methode der Gewinnung seiner wahren Überzeugungen nicht kennt und seine Überzeugungen nicht durch ihm zugängliche Gründe rechtfertigen kann, ist der Erwerb seiner wahren Überzeugungen dennoch epistemisch sicher. In allen Fällen (oder zumindest in einer sehr hohen Zahl der Fälle) gelangt Chick zu wahren Überzeugungen über das Geschlecht der geschlüpften Küken. Nach Auffassung der Vertreter von Theorien epistemischer Methodensicherheit besitzt daher Chick auch das Wissen über das jeweilige Geschlecht der Küken. Internalisten würden hier nun aber protestieren: Da Chicks wahre Überzeugungen reflektiv epistemisch zufällig sind, können seine wahren Überzeugungen nicht als Wissen ausgezeichnet werden. Erst wenn Chick erkennen könnte, aufgrund welcher Evidenzen er seine Überzeugungen über das Geschlecht der Küken bildet, besitzt er nach internalistischer Auffassung auch Wissen.
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5 Wissen und Skepsis
In derartigen internalistischen Wissenstheorien werden jedoch zu hohe Anforderungen an Wissen gestellt und der Wissensbegriff zu stark „intellektualisiert“. Wie bereits erwähnt, würden in diesen Wissenstheorien nur diejenigen Subjekte als Erkenntnissubjekte in Frage kommen, die zur Reflexion über die Gründe ihrer Überzeugungen in der Lage sind. Intuitiv sprechen wir jedoch vielen Subjekten auch dann Wissen zu, wenn sie nicht in der Lage sind, rechtfertigende Gründe für ihre Überzeugungen anzugeben. Dies ist insbesondere bei spontanen Wahrnehmungsüberzeugungen der Fall, wie etwa bei meiner Überzeugung, dass sich vor mir gerade ein Computer befindet. Für das Projekt der Explikation des Begriffs des propositionalen Wissens erwies sich daher eine externalistische Wissenstheorie in Form der Wissenskonzeption epistemischer Methodensicherheit als wesentlich geeigneter. Auch im Fall des „Chicken-Sexers“ halte ich es für durchaus plausibel, entgegen internalistischen Intuitionen Chick das entsprechende Wissen über das Geschlecht der Küken zuzusprechen. Was Chick jedoch fehlt, ist ein bestimmtes reflektives Metawissen: Da ihm die Gründe für sein Wissen nicht transparent sind, weiß er nicht, warum er weiß. Allerdings verweist der Begriff des reflektiven epistemischen Zufalls auf eine wichtige Eigenschaft, die unsere Überzeugungen über die Außenwelt offenbar auszeichnet. Epistemische Subjekte, die aufgrund des „glücklichen Umstands“, dass sie in einer real existierenden Welt leben, durch epistemisch sichere Wahrnehmungen zu wahren Überzeugungen über die Außenwelt gelangen, unterliegen einem reflektiven epistemischen Zufall. Ihnen stehen keine Gründe zur Verfügung, mit denen sie beweisen könnten, dass es eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt gibt und dass sich ihre Wahrnehmungen daher auf reale Objekte beziehen. Aber gerade in dem Sachverhalt, dass wir selbst durch die besten Erkenntnismethoden der reflektiven epistemischen Zufälligkeit unserer Überzeugungen über die Außenwelt offenbar nicht entrinnen können, besteht nach Ansicht vieler Philosophen (und Nichtphilosophen) die eigentliche skeptische Bedrohung. Wenn die skeptische Herausforderung in der Weise verstanden wird, dass wir den reflektiven epistemischen Zufall unserer Überzeugungen über die Außenwelt vollständig überwinden müssen, dann hat das Problem des Wissensskeptizismus allerdings keine Lösung. Die einzig legitime Antwort auf die skeptische Herausforderung würde dann in einer direkten Widerlegung des Wissensskeptizismus bestehen. Wie jedoch gezeigt wurde, sind direkte Widerlegungsversuche zum Scheitern verurteilt. Die Einsicht in den unvermeidbaren Umstand, dass unsere Überzeugungen über die Außenwelt prinzipiell einem reflektiven epistemischen Zufall unterlegen sind, bedeutet, dass wir nicht sicher sein können, in einer realen Außenwelt zu leben. Dieses Gefühl der Unsicherheit bezeichnet Pritchard mit dem Begriff der „epistemischen Angst“. Epistemische Angst ist somit ein nicht aufzulösender Bestandteil unserer menschlichen epistemischen Situation:
5.4 Zusammenfassung
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[…] what we have seen is that our epistemic condition is unavoidably subject to an epistemic angst, and that this angst turns upon the fact that our beliefs are ineliminably subject to reflective epistemic luck.42
Auch für Grundmann zählt ein so verstandener Skeptizismus zu einem unüberwindbaren Problem, das Teil unserer „conditio humana“ sei: Wenn wir die skeptische Möglichkeit als wirklich offene Möglichkeit betrachten, dann haben wir keine unabhängigen Mittel, um sie auszuschließen. In diesem Sinne ist das skeptische Problem unlösbar und der Skeptizismus nicht zu widerlegen. Das ist vermutlich der tiefere Grund, warum Laien ohne größere erkenntnistheoretische Vorbildung sehr leicht in den Strudel des Skeptizismus hinzuzuziehen sind. Denn wir haben in der Tat keine Chance, den Skeptizismus von einem unparteiischen Standpunkt aus zu widerlegen. Dieser Umstand ist letztlich zwar unbefriedigend, gehört aber unvermeidbar zur conditio humana hinzu.43
Wir können also nur hoffen, dass es uns nicht so ergeht wie den beklagenswerten, getäuschten Helden in den Gedankenexperimenten radikal skeptischer Szenarien. Endgültig ausschließen können wir dies nicht. Argumente der Erkenntnisphilosophen können uns hier auch nicht weiterhelfen.
5.4 Zusammenfassung Der Wissensskeptizismus bestreitet angesichts der Möglichkeit einer globalen Täuschung unser gesamtes Wissen über die Außenwelt. In der Lösung des Problems des Wissensskeptizismus besteht somit eine wichtige Adäquatheitsbedingung für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens. Es wurde zunächst die Struktur des Arguments des Wissensskeptikers näher analysiert und gezeigt, dass das skeptische Argument auf einigen Prämissen beruht, die als Ansatzpunkte zur Kritik am Wissensskeptizismus dienen können. Direkte Widerlegungen des Wissensskeptizismus zielen darauf ab zu zeigen, dass wir keiner globalen Täuschung unterlegen sein können. Für Descartes existiert ein allmächtiges und allgütiges Wesen, das eine globale Täuschung weder wünschen noch zulassen würde. Descartes’ Gottesbeweise erwiesen sich jedoch als problematisch, da sie auf einigen zweifelhaften Annahmen beruhen. So ließe sich etwa bestreiten, dass wir alle eine Idee der Vollkommenheit besitzen und dass diese Idee notwendigerweise selbst von einem vollkommenen Wesen stammen muss. Auch folgt aus der bloßen Idee einer Vollkommenheit und der (ebenfalls problematischen) Annahme, dass wir ein vollkommenes Wesen nicht anders als existierend denken können, nicht zwangsläufig auch die reale Existenz dieses Wesens.
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5 Wissen und Skepsis
Semantische Argumente, die zu zeigen versuchen, dass skeptische Hypothesen gar nicht kohärent formuliert werden können, konnten einer kritischen Analyse ebenfalls nicht standhalten. Putnams Versuch, auf der Grundlage eines semantischen Externalismus nachzuweisen, dass sich die Behauptung, wir seien (tatsächliche) Gehirne im Tank, in gewisser Weise selbst widerlegt, konnte nicht überzeugen. Selbst wenn man den semantischen Externalismus akzeptiert, funktioniert Putnams Argument nur für ganz bestimmte Täuschungsszenarien. Darüber hinaus würde sein Argument ohnehin nur Grenzen des Denkens und Sprechens global Getäuschter aufzeigen, nicht jedoch notwendigerweise auch etwas über die tatsächliche Realität aussagen. Eine andere antiskeptische Strategie besteht darin, das Abgeschlossenheitsprinzip von Wissen unter gewusster logischer Implikation abzulehnen und damit den Schluss vom Nichtwissen, dass wir nicht global getäuscht werden, auf das Nichtwissen über die Außenwelt zu blockieren. Sowohl Dretske als auch Nozick haben dafür argumentiert, dass das Abgeschlossenheitsprinzip eingeschränkt werden muss. Für Dretske muss ein Subjekt irrelevante Alternativen zu p nicht ausschließen können, um wissen zu können, dass p. Für Nozick ist die Überzeugung, wir seien keine Gehirne im Tank, im Unterschied zur Überzeugung, dass wir Hände haben, nicht epistemisch sensitiv in Bezug auf seine Wahrheit. Da epi stemische Sensitivität für ihn eine notwendige Bedingung für Wissen ist, folgt auch für ihn, dass wir wissen können, Hände zu haben, auch wenn wir nicht wissen, dass wir keine Gehirne im Tank sind. Für Dretske liefern die üblichen Informationsquellen, die uns Wissen über die Außenwelt verschaffen, kein Wissen darüber, dass diese Außenwelt auch tatsächlich bewusstseinsunabhängig existiert. So kann für ihn etwa die Wahrnehmung einen zwingenden Grund für die Wahrheit von Überzeugungen über konkrete Dinge der Außenwelt darstellen, nicht jedoch für die Wahrheit der Überzeugung, dass eine Außenwelt existiert. Da für ihn Wissen eine wahre Überzeugung ist, die durch zwingende Gründe verursacht wurde, folgt auch hier aus dem Wissen über konkrete Dinge der Außenwelt nicht das Wissen darüber, dass diese Außenwelt existiert. Dretskes und Nozicks Wissenstheorien erwiesen sich jedoch als problematisch. So hat Hawthorne anhand von Beispielen gezeigt, dass die Einschränkung des Abgeschlossenheitsprinzips nicht immer zu den von Nozick und Dretske intendierten antiskeptischen Konsequenzen führt. Darüber hinaus formuliert das Abgeschlossenheitsprinzip eine intuitiv plausible rationale Methode der Wissensgewinnung, auf die wir nicht ohne Not verzichten sollten. Eine andere antiskeptische Strategie wird von externalistischen Wissenstheorien, wie der hier vertretenen Wissenstheorie der epistemischen Methodensicherheit, verfolgt. In Anlehnung an Überlegungen von Moore müssen wir nämlich nicht ausschließen können, dass wir nicht global getäuscht werden, um wissen
5.4 Zusammenfassung
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zu können, dass eine globale Täuschung nicht vorliegt. In einer Welt, in der wir nicht global getäuscht werden, können unsere Methoden der Überzeugungsbildung nämlich epistemisch sicher und unsere Überzeugungen über die Außenwelt daher auch wahr sein. In einer solchen Welt können wir dann insbesondere auch wissen, dass wir nicht global getäuscht werden. Wissen über die Außenwelt ist somit möglich. Wir können Wissen über die Außenwelt erlangen, wenn wir nicht global getäuscht werden. Dieses Ergebnis erscheint zunächst wenig antiskeptische Sprengkraft zu besitzen. Es ist jedoch insofern eine Antwort auf die skeptische Herausforderung und eine Zurückweisung des wissensskeptischen Arguments, als der Skeptiker ja allein aufgrund der Möglichkeit einer globalen Täuschung und unserer Unfähigkeit, ausschließen zu können, dass wir keiner Täuschung unterliegen, bereits all unser Wissen über die Außenwelt verneint. Diese skeptische Konsequenz wird in Theorien epistemischer Methodensicherheit verhindert: Auch wenn es prinzipiell möglich ist, dass wir global getäuscht werden, und wir dies auch nicht ausschließen können, ist Wissen über die Außenwelt dennoch möglich. Wenn man das eigentliche Problem des Wissensskeptizismus jedoch darin sieht, dass wir nicht ausschließen können, dass wir nicht global getäuscht werden, und unsere Überzeugungen über die Außenwelt daher stets einem reflektiven epistemischen Zufall unterliegen, dann ist ein so verstandenes Skeptizismusproblem tatsächlich unlösbar. Wir müssen dann im Sinne Humes einen solchen Skeptizismus einfach als unüberwindbares philosophisches Problem akzeptieren, auch wenn wir in unserem Alltagsleben natürlich davon ausgehen, dass die skeptischen Szenarien der globalen Täuschung nicht der Wirklichkeit entsprechen. Im nächsten Kapitel wird eine weitere aktuelle Forschungsrichtung in der Erkenntnisphilosophie behandelt, in der die Wahrheit von Wissensaussagen auf bestimmte Kontexte relativiert wird. Wie gezeigt wurde, enthält das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit in Form des Begriffs der nahen möglichen Welten einen kontextsensitiven Faktor. Vertretern sogenannter „subjektsensitiver“, „kontextualistischer“ und „relativistischer“ Wissenstheorien geht diese Art der Kontextabhängigkeit des Wissensbegriffs jedoch nicht weit genug. Für sie bestimmen nicht nur objektive Tatbestände in der aktualen Welt, sondern auch bestimmte Faktoren im Kontext des Wissenssubjektes, des Wissenszuschreibers oder des Bewerters von Wissenszuschreibungen die Wahrheit einer Wissensaussage. In kontextualistischen Wissensansätzen würde sich somit eine neue Perspektive zur Auflösung des Wissensskeptizismus eröffnen: Während die bisher diskutierten antiskeptischen Strategien darin bestanden, einige der Prämissen des wissensskeptischen Arguments anzugreifen, könnte man aus kontextualistischer Sicht das wissensskeptische Argument als Ganzes zurückweisen. Die
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5 Wissen und Skepsis
Kontextualisten könnten dem Skeptiker nämlich vorwerfen, dass das wissensskeptische Argument eine Äquivokation enthalte, da der Ausdruck „wissen“ in den einzelnen Prämissen und Beweisschritten des Arguments in verschiedenen Kontexten – und daher mit unterschiedlichen Bedeutungen – verwendet werde. Ob und inwiefern der Wissensbegriff tatsächlich kontextrelativ ist, soll nun im Folgenden diskutiert werden.
6 Wissen und Kontext 6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen Kontextualistische Wissenstheorien sind wichtige und viel diskutierte Positionen in der modernen Erkenntnisphilosophie. Kontextualisten sind der Auffassung, dass die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen der Form „S weiß, dass p“ von bestimmten kontextsensitiven Wissensstandards abhängen. In Theorien epistemischer Methodensicherheit spielt ebenfalls ein kontextsensitiver Faktor für die Festlegung der Wahrheitswerte von Wissensaussagen eine Rolle. Ob eine Methode, die zu einer wahren Überzeugung, dass p, führte, epistemisch sicher ist, hängt davon ab, ob die Methode auch in allen nahen möglichen Welten zu wahren Überzeugungen führt. Welche Welten zu den nahen möglichen Welten zählen, ist dabei durch bestimmte Tatbestände der aktualen Welt determiniert, in der die Überzeugung gebildet wird. Befinden sich z. B. Scheunenattrappen in der Nähe, dann ist Henrys wahre Überzeugung, dass er auf eine echte Scheune blickt, kein Wissen, da in dieser Situation seine visuelle Wahrnehmung einer Scheune nicht epistemisch sicher ist. Sind hingegen keine Scheunenattrappen in der Nähe, beruht seine wahre Überzeugung, dass er auf eine echte Scheune blickt, auf einer epistemisch sicheren Methode. Seine wahre Überzeugung gilt daher als Wissen. Auch in Dretskes Wissenstheorie der relevanten Alternativen sind die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen u. a. von den objektiven Gegebenheiten, in denen die Wissenszuschreibung erfolgt, abhängig. Im Zebra-Beispiel ist es einfach eine Tatsache, dass im Leipziger Zoo niemals angemalte Maulesel als Zebras „verkleidet“ werden. Die Möglichkeit, dass es sich bei den Tieren um angemalte Maulesel handelt, ist daher, obwohl Fred sie nicht ausschließen kann, keine relevante Alternative zu seiner (wahren) Überzeugung, dass die betrachteten Tiere Zebras sind. Was als relevante Alternative gilt und was nicht, ist somit durch objektive Tatbestände in der Situation der Wissenszuschreibung determiniert und hängt insbesondere nicht davon ab, welche Irrtumsmöglichkeiten der Wissenszuschreiber selbst in Betracht zieht: […] the difference between a relevant and an irrelevant alternative resides, not in what we happen to regard as a real possibility (whether reasonably or not), but in the kind of possibilities that actually exist in the objective situation.1
Dass Freds Sohn die Möglichkeit ins Spiel bringt, es könnte sich bei den Tieren um angemalte Maulesel handeln, kann daher in der gegebenen Situation Freds Wissen, dass die Tiere Zebras sind, nicht vereiteln. Auch wenn Freds Sohn diese Möglichkeit als relevant erachtet und daher von seinem Vater nicht behaupten
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6 Wissen und Kontext
würde, er wüsste, dass die Tiere Zebras sind, so ändert dies nach Dretskes Auffassung nichts an der Tatsache, dass die Aussage „Fred weiß, dass die Tiere Zebras sind“ in der gegebenen Situation wahr ist. Vertreter kontextualistischer Wissenspositionen sind hier jedoch anderer Meinung. Für sie hängen die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen nicht nur von den jeweiligen objektiven Gegebenheiten ab, in denen die Überzeugungen gebildet werden. Vielmehr haben ihrer Auffassung nach auch bestimmte subjektive Faktoren im Kontext der Äußerung, in denen die Wissensaussagen gemacht werden, einen Einfluss auf die Wahrheitswerte dieser Aussagen.2
6.1.1 David Kaplans Semantik für kontextsensitive Ausdrücke David Kaplans sogenannte „zweidimensionale Semantik“ bietet für viele Kontextualisten einen geeigneten formalen Rahmen zur Analyse der Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen. In Kaplans Semantik wird die Bedeutung kontextabhängiger Ausdrücke, wie insbesondere die Bedeutung indexikalischer Ausdrücke (wie z. B. „ich“, „morgen“, „hier“ etc.), formal modelliert.3 Kaplan unterscheidet zwischen dem Charakter (engl. „character“) und dem Inhalt (engl. „content“) von Ausdrücken. Der Charakter eines Ausdrucks bezieht sich dabei auf die Art, wie sein Inhalt in einem Äußerungskontext bestimmt wird, also auf die Art, in der ein Ausdruck das durch ihn Bezeichnete herausgreift. Der Inhalt eines Ausdrucks ist der jeweilige kontextabhängige semantische Gehalt eines Ausdrucks – das, was der Ausdruck in einem gegebenen Äußerungskontext jeweils bezeichnet. In Kaplans Semantik ist der Kontext, in dem ein Satz geäußert wird (sein Äußerungskontext – engl. „context of use“), durch folgende Parameter bestimmt: 1. den Gegebenheiten der „Welt“, in der die Äußerung gemacht wird, 2. den Sprecher der Äußerung, 3. den Zeitpunkt der Äußerung, 4. den Ort der Äußerung. Der semantische Gehalt eines Satzes in einem Äußerungskontext (sein Inhalt) ist dabei die durch den Satz ausgedrückte Proposition. Propositionen haben in Kaplans Theorie einen vom Äußerungskontext abhängigen Wahrheitswert. Sätze, in denen indexikalische Ausdrücke wie „ich“, „morgen“, „hier“ vorkommen, drücken in Äußerungskontexten mit verschiedenen Sprechern, Zeitpunkten oder Orten verschiedene Propositionen aus. Diese Propositionen können daher auch unterschiedliche Wahrheitswerte besitzen. Betrachten wir hierzu die folgenden Beispielsätze:
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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(1) Ich bin eine Frau. (2) Morgen ist Montag. (3) Hier wurde Johann Wolfgang von Goethe geboren. Ob diese Sätze jeweils wahre oder falsche Propositionen ausdrücken, hängt von den Kontexten ab, in denen sie geäußert werden. Wird Satz (1) von einer Frau geäußert, so drückt er eine wahre Proposition aus, wird er hingegen von einem Mann geäußert, ist die ausgedrückte Proposition falsch. Wird Satz (2) an einem Sonntag geäußert, drückt er eine wahre Proposition aus, wird der Satz z. B. an einem Dienstag geäußert, ist die ausgedrückte Proposition falsch. Satz (3) drückt eine wahre Proposition aus, wenn er im Geburtshaus von Goethe im Frankfurter Großen Hirschgraben geäußert wird. Wird Satz (3) z. B. im Geburtshaus Friedrich Schillers in Marbach geäußert, dann drückt dieser Satz eine falsche Proposition aus. Auch graduierbare Adjektive wie „groß“, „flach“, „reich“ etc. sind kontextsensitive Ausdrücke. Ob Sätze mit graduierbaren Adjektiven wahre oder falsche Propositionen ausdrücken, hängt davon ab, welche Standards bzw. welche Bezugsklassen diesen Ausdrücken im jeweiligen Äußerungskontext zugrunde gelegt werden. Die folgenden Beispielsätze sollen dies verdeutlichen: (4) Sarkozy ist groß. (5) Schleswig-Holstein ist flach. (6) Angela Merkel ist reich. Satz (4) drückt sicherlich eine falsche Proposition aus, wenn der Sprecher den Ausdruck „groß“ im Sinne von „groß für einen Mitteleuropäer“ verwendet. Würde er hingegen unter „groß“ „groß gemessen an einem durchschnittlichen Erstklässler“ verstehen, dann wäre die durch (4) ausgedrückte Proposition natürlich wahr. Satz (5) drückt eine wahre Proposition aus, wenn man unter „flach“ ein Landschaftsgebiet versteht, das keine Berge aufweist, die höher als 200 Meter sind. Unter einem „strengeren“ Verständnis von „flach“ kann (5) natürlich durchaus eine falsche Proposition ausdrücken. Satz (6) drückt z. B. dann eine wahre Proposition aus, wenn man zu den „reichen“ Personen diejenigen zählt, die zum oberen Drittel der Bestverdienenden in Deutschland gehören. Versteht der Sprecher unter „reich“ hingegen „reich gemessen am Gehalt eines deutschen Spitzenmanagers“, dann drückt (6) eine falsche Proposition aus.
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6 Wissen und Kontext
6.1.2 Kontextsensitive Standards für „wissen“ Kontextualisten sind nun der Meinung, dass auch der Ausdruck für das Verb „wissen“ in ähnlicher Weise kontextsensitiv ist wie indexikalische Ausdrücke oder graduierbare Adjektive. In kontextualistischen Wissenstheorien drücken Wissensaussagen in verschiedenen Äußerungskontexten verschiedene Propositionen aus.4 Nach kontextualistischer Sicht hängen die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen u. a. von den Standards für „wissen“ ab, die der Sprecher im jeweiligen Kontext einer Wissenszuschreibung in Anschlag bringt. Der Äußerungskontext muss daher nach Ansicht der Kontextualisten nur durch einen zusätzlichen Parameter für die Wissensstandards des Sprechers ergänzt werden, um auch die Kontextsensitivität von Wissensaussagen im Rahmen der kaplanschen Semantik formal beschreiben zu können. Eine Wissensaussage der Form „S weiß, dass p“ ist im Kontextualismus nur dann wahr, wenn S die im Äußerungskontext dieser Aussage gegebenen Wissensstandards erfüllt. Je höher bzw. strenger die Standards für „wissen“ sind, desto schwieriger ist es, dass das Subjekt S diese auch erfüllen kann.5 Es ist daher möglich, dass ein und dieselbe Wissensaussage „S weiß, dass p“ in einem Äußerungskontext wahr, in einem anderen Kontext, in dem höhere bzw. strengere Standards für „wissen“ gelten, jedoch falsch ist. Es ist somit auch möglich, dass zwei Sprecher, obwohl der eine behauptet, S weiß, dass p, während der andere behauptet, S weiß nicht, dass p, gar nicht im Widerspruch zueinander stehen – wenn nämlich die Sprecher in ihren jeweiligen Kontexten unterschiedliche Wissensstandards unterstellen. Stewart Cohen, ein wichtiger Vertreter des Kontextualismus, schreibt daher: […] the theory I wish to defend construes “knowledge” as an indexical. As such, one speaker may attribute knowledge to a subject while another speaker denies knowledge to that same subject, without contradiction.6
Für Cohen verhält sich der Ausdruck „wissen“ semantisch analog zu graduierbaren Adjektiven: The standards that determine how good one’s reasons have to be in order to know are determined by the context of ascription. Of course, many predicates in natural languages are such that the truth value of sentences containing them depend on contextually determined standards, e.g., flat, bald, rich, happy, sad …7
Neben Cohen zählen insbesondere auch Keith DeRose und David Lewis zu den prominenten Vertretern kontextualistischer Wissenstheorien.8 Faktoren, die die Wissensstandards im Äußerungskontext bestimmen, sind ihrer Meinung nach
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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u. a. die Ziele und Absichten des Wissenszuschreibers9, das Erwähnen bzw. InBetracht-Ziehen von Irrtumsmöglichkeiten durch den Wissenszuschreiber10 sowie die Bedeutung und Wichtigkeit der Wahrheit der Überzeugung für den Wissenszuschreiber11. Da die Standards für „wissen“ durch den Kontext des Wissenszuschreibers bestimmt werden, wird diese kontextualistische Position manchmal auch als „Zuschreiberkontextualismus“ bezeichnet. Ebenso ist die Bezeichnung „konversationaler Kontextualismus“ geläufig, um zum Ausdruck zu bringen, dass häufig die Irrtumsmöglichkeiten, die ein Sprecher (sei es im Dialog mit sich selbst oder mit anderen) erwägt, die Strenge der Standards für „wissen“ bestimmen. Hat eine Person S die wahre Überzeugung, dass p, kann jedoch die Wissensstandards im Äußerungskontext nicht erfüllen, dann ist die Aussage „S weiß, dass p“ falsch. Würde beispielsweise Fred, durch die Phantasie seines Sohnes angeregt, die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Tiere angemalte Maulesel sind, so entsteht dadurch ein neuer Kontext mit höheren Wissensstandards. Nach kontextualistischer Auffassung wäre Freds Behauptung „Ich weiß, dass diese Tiere Zebras sind“ in diesem Kontext nun falsch – selbst dann, wenn Fred weiterhin die wahre Überzeugung besäße, dass diese Tiere Zebras sind. Hängt für den Wissenszuschreiber zudem sehr viel davon ab, dass die Überzeugung wahr ist, werden für Kontextualisten ebenfalls die Standards für „wissen“ erhöht. Betrachten wir hierzu die folgenden Beispiele 16 und 17, die auf DeRose zurückgehen12:
Beispiel 16: Hannah und der Verrechnungsscheck – Variante 1 Hannah und ihre Lebensgefährtin Luise gehen an einem Freitag zur Bank, da sie einen Verrechnungsscheck einlösen wollen. Die Warteschlangen an den Bankschaltern sind jedoch sehr lang. Zwar würden sie gerne möglichst bald den Scheck einzahlen, allerdings ist es nicht so wichtig, dass sie dies sofort erledigen. Hannah schlägt daher vor, am nächsten Tag wiederzukommen, um den Scheck dann einzulösen, wenn die Schlangen vor den Schaltern erfahrungsgemäß nicht mehr so lang sind. Luise gibt jedoch zu bedenken, dass diese Bank, wie viele andere Geldinstitute auch, am Samstag geschlossen sein könnte. Hannah antwortet daraufhin: „Nein, ich weiß, dass die Bank morgen geöffnet hat. Als ich nämlich am Samstag vor zwei Wochen hier war, hatte sie auch geöffnet.“
Beispiel 17: Hannah und der Verrechnungsscheck – Variante 2 Hannah und ihre Lebensgefährtin Luise gehen an einem Freitag zur Bank, da sie einen Verrechnungsscheck einlösen wollen. Die Warteschlangen an den Bankschaltern sind jedoch sehr lang. Hannah schlägt daher vor, am nächsten Tag wiederzukommen, um den Scheck dann einzulösen, wenn die Schlangen vor den
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Schaltern erfahrungsgemäß nicht mehr so lang sind. Es ist allerdings äußerst wichtig, dass der Scheck noch vor Montag eingelöst wird, da ansonsten das Konto der beiden für wichtige Abbuchungen nicht mehr ausreichend gedeckt wäre und sich dadurch einige Unannehmlichkeiten ergeben würden – u. a. würden hohe Überziehungszinsen anfallen. Luise gibt zu bedenken, dass diese Bank, wie viele andere Geldinstitute auch, am Samstag geschlossen sein könnte. Hannah antwortet daraufhin: „Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass die Bank morgen geöffnet hat, denn als ich am Samstag vor zwei Wochen hier war, hatte die Bank auch geöffnet, aber ich weiß es nicht wirklich. Lass’ uns besser die Bankangestellten nach den Öffnungszeiten fragen.“ Es sei nun angenommen, dass die Bank tatsächlich am nächsten Tag geöffnet hat. Für Kontextualisten wie DeRose sind sowohl Hannahs Behauptung in der ersten Variante des Beispiels, dass sie wüsste, dass die Bank am nächsten Tag geöffnet hat, als auch Hannahs Verneinung dieser Behauptung in der zweiten Variante wahr. Obwohl Hannahs Informationsstand in Bezug auf die Frage, ob die Bank am Samstag geöffnet hat, in beiden Versionen gleich ist, sind die Kontexte, in denen Hannah ihre jeweiligen Wissensaussagen tätigt, verschieden. In der zweiten Variante würden sich im Unterschied zur ersten Variante für Hannah und Luise sehr negative Konsequenzen ergeben, wenn Hannahs Überzeugung falsch wäre und die Bank am Samstag geschlossen hätte. In der zweiten Variante sind deshalb für DeRose die Standards für „wissen“ höher als in der ersten Variante. Um zu wissen, dass die Bank am Samstag geöffnet hat, reicht es im Kontext mit diesen höheren Wissensstandards nun nicht mehr aus, dass sich Hannah auf ihr Wissen bezieht, dass die Bank zwei Wochen zuvor an einem Samstag geöffnet hatte. Kontextualisten sind zudem der Auffassung, dass die sich ändernden Wahrheitswerte von Wissensaussagen aufgrund von unterschiedlichen Wissensstandards in den jeweiligen Äußerungskontexten unseren natürlichsprachlichen Intuitionen in Bezug auf den Wissensbegriff gerecht werden. Hannahs unterschiedliche Reaktionen in den Beispielen 16 und 17 entsprechen nach kontextualistischer Sicht genau unseren intuitiven Erwartungen.
6.1.3 Die kontextualistische Antwort auf die skeptische Herausforderung Neben der vermeintlich natürlichsprachlichen Plausibilität eines kontextualisierten Wissensbegriffs sehen Kontextualisten einen weiteren Vorteil ihrer Theorie darin, dass durch sie eine Antwort auf die skeptische Herausforderung gelingt, die zum einen die Möglichkeit von Wissen über die Außenwelt nicht prinzipiell leugnet, zum anderen aber auch die intuitive Attraktivität des Wissensskeptizismus erklären kann.
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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Nach kontextualistischer Auffassung hängen die Wahrheitsbedingungen von Wissenszuschreibungen bzw. Verneinungen von Wissen von den epistemischen Standards ab, die in den jeweiligen Äußerungskontexten vorliegen. Die Konklusion (6) im wissensskeptischen Argument13, wonach S kein Wissen über die Außenwelt besitzt, drückt somit nur dann eine wahre Proposition aus, wenn sie im Rahmen eines Kontextes geäußert wird, in dem die Standards für „wissen“ derart hoch sind, dass sie kein epistemisches Subjekt jemals erfüllen kann. Dies wäre z. B. in einem Kontext der Fall, in dem skeptische Hypothesen als saliente Irrtumsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden – also etwa in einem Kontext eines Erkenntnistheorieseminars, in dem die Hypothese einer globalen Täuschung als echte Alternative zu unseren Überzeugungen über die Außenwelt diskutiert wird. In diesen „hyperkritischen“ skeptischen Kontexten drückt z. B. der Satz „Moore weiß, dass er Hände hat“ eine falsche bzw. „Moore weiß nicht, dass er Hände hat“ eine wahre Proposition aus. In „normalen“, alltäglichen Kontexten sind die Standards für „wissen“ jedoch deutlich moderater. Hier muss das Erkenntnissubjekt nicht ausschließen können, dass es ein Gehirn im Tank ist, um wissen zu können, dass es Hände hat. In einem solchen Kontext kann daher die Äußerung „Moore weiß, dass er Hände hat“ durchaus wahr sein. Der Skeptiker hat somit nach kontextualistischer Auffassung nur insofern mit der Verneinung allen Wissens über die Außenwelt Recht, als er seinen Wissensskeptizismus in einem Kontext mit extrem hohen skeptischen Wissensstandards äußert. Hieraus folgt jedoch nicht, dass Wissensbehauptungen generell in allen Kontexten falsch sind: To the extent that the skeptic does succeed, she does so only by raising the standards for knowledge, and so the success of her argument has no tendency to show that our ordinary claims to know are in any way defective.14
Das Problem des Wissensskeptizismus wird oftmals auch in Form einer sogenannten „inkonsistenten Triade“ zum Ausdruck gebracht, d. h. in Form dreier Aussagen, die einzeln betrachtet als wahr erscheinen, zusammengenommen jedoch einen Widerspruch implizieren:
Die inkonsistente Triade (i) S weiß, dass p. (ii) S weiß, dass, wenn p, dann nicht-h. (iii) S weiß nicht, dass nicht-h. („h“ steht für eine skeptische Hypothese der globalen Täuschung und „p“ für eine beliebige Proposition über die Außenwelt, die mit der Wahrheit von h im Widerspruch steht.)
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6 Wissen und Kontext
Sei also z. B. h die Aussage, dass Moore ein Gehirn im Tank (GiT) ist und p die Aussage, dass Moore Hände hat. Die inkonsistente Triade lautet dann folgendermaßen: (i) Moore weiß, dass er Hände hat. (ii) Moore weiß, dass, wenn er Hände hat, er kein GiT ist. (iii) Moore weiß nicht, dass er kein GiT ist. Die Aussagen (i–iii) sind für sich betrachtet plausibel. Die Konjunktion dieser drei Aussagen führt jedoch zu einem Widerspruch. So folgt aus (i) und (ii) die Negation von (iii), und aus (ii) und (iii) die Negation von (i) – jeweils unter Zuhilfenahme des Prinzips der Abgeschlossenheit von Wissen unter logischer Implikation.15 Wie bereits im letzten Kapitel gezeigt, löst der Skeptiker diese inkonsistente Triade dadurch auf, dass er die Wahrheit von (i) bestreitet. Moore selbst würde hingegen die Wahrheit von (iii) leugnen, während Dretske das Abgeschlossenheitsprinzip ablehnen würde, wodurch der Schluss zur widersprüchlichen Konklusion vermieden wird. Kontextualisten halten jedoch jeden dieser Lösungsansätze für verfehlt. Die skeptische Lösung geht ihrer Meinung nach viel zu weit, da hierbei jegliches Wissen über die Außenwelt bestritten wird. Moores Lösung des Common Sense wird, so der Kontextualist, unseren skeptischen Intuitionen nicht gerecht. Kontextualisten halten zudem das Abgeschlossenheitsprinzip für sehr plausibel und lehnen daher auch Dretskes Lösung des Wissensskeptizismus ab. Innerhalb eines Kontextes ist Wissen für Kontextualisten unter gewusster logischer Implikation stets abgeschlossen. Die Kontextualisten lösen die „inkonsistente Triade“ einfach dadurch auf, indem sie zu zeigen versuchen, dass zwischen den Aussagen (i–iii) überhaupt kein Widerspruch besteht. Wer nämlich wahrerweise behauptet zu wissen, dass er Hände hat, befindet sich in einem anderen Kontext (einem Kontext mit weniger strengen Wissensstandards) als derjenige, der ebenfalls wahrerweise behauptet, nicht zu wissen, dass er kein Gehirn im Tank ist. Der Eindruck der Inkonsistenz der drei Aussagen (i–iii) ist daher nur oberflächlich und verschwindet, sobald man erkennt, dass der Ausdruck „wahr“ in den einzelnen Aussagen in unterschiedlichen Kontexten verwendet wird und somit jeweils verschiedene Bedeutung besitzt. In einem normalen alltäglichen Kontext, in dem Gehirn-imTank-Szenarien nicht in Erwägung gezogen werden, sind die Aussagen (i) und (ii) wahr, (iii) dann jedoch falsch. In einem skeptischen Kontext sind (ii) und (iii) wahr, (i) hingegen falsch. Es gibt jedoch keinen Kontext, in dem alle Aussagen (i–iii) gemeinsam wahr sind.
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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6.1.4 Probleme des Kontextualismus Sind kontextualistische Wissenspositionen tatsächlich so plausibel, wie ihre Vertreter behaupten? Die Kontextsensitivität des Wissensbegriffs führt dazu, dass Wissen in bestimmter Weise instabil ist, da die Zuschreibung von Wissen durch sich ändernde Kontexte stets variieren kann. Darüber hinaus führen Erwägungen skeptischer Hypothesen für viele Kontextualisten unweigerlich in einen Kontext, in dem die Wissensstandards derart hoch sind, dass sie von keinem epistemischen Subjekt mehr erfüllt werden können. Skeptische Erkenntnistheorie zerstöre daher, so Lewis, unweigerlich unser Wissen: […] it will be inevitable that epistemology must destroy knowledge. That is how knowledge is elusive. Examine it, and straightway it vanishes.16
Doch es erscheint absurd, dass die bloße Erwägung skeptischer Hypothesen bereits notwendigerweise einen Kontextwechsel herbeiführt. Antonia Barke hat daher eine zum konversationalen Kontextualismus alternative kontextualistische Position vorgeschlagen, in der die Dynamik des Kontextwechsels durch epistemische Faktoren gesteuert ist.17 In Barkes epistemischem Kontextualismus wird die Strenge der Wissensstandards u. a. durch die Ziele, Fragen, Methoden und Voraussetzungen unserer jeweiligen Erkenntnisprojekte bestimmt. Wollen Geologen und Paläontologen Wissen über das Aussterben der Dinosaurier erwerben, ist es sicherlich sinnvoll, die entsprechende Datenlage und die verschiedenen Theorien über das Aussterben der Dinosaurier genau zu hinterfragen. Unsinnig und für ihre Forschungen sogar völlig kontraproduktiv wäre es hingegen, wenn die Wissenschaftler die Standards für „wissen“ derart hoch ansetzten, dass sie auch die skeptische Annahme ausschließen müssten, dass die Welt erst vor fünf Minuten entstanden sein könnte (mit allen Erinnerungen an eine vermeintliche lange Vergangenheit, die jedoch bloß vorgetäuscht wäre und in der es insbesondere auch gar keine Dinosaurier gäbe). Die skeptische Hypothese, so behauptet auch Michael Williams, bildet nicht den strengsten Standard auf einer linearen Skala von Wissensanforderungen. Wer etwa im Rahmen naturwissenschaftlicher Forschungen unmotiviert skeptische Hypothesen über eine mögliche globale Täuschung in Betracht zieht, ist kein besonders kritischer oder skrupulöser Wissenschaftler. Er betreibt vielmehr gar keine naturwissenschaftliche Forschung mehr: Skeptische Erkenntnistheorie betreiben heißt nicht, die Standards zu erhöhen, sondern den Gegenstandsbereich zu wechseln.18
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6 Wissen und Kontext
Auch wurde kritisiert, dass Kontextualisten den Skeptikern zu viele Zugeständnisse machen. Innerhalb skeptischer Kontexte, so räumen Kontextualisten ja immerhin ein, sind alle (positiven) Wissensaussagen über die Außenwelt falsch. Manche Philosophen bezweifeln jedoch, dass radikal skeptische Kontexte, in denen das Wissen als Ganzes in Frage gestellt wird, überhaupt sinnvolle Kontexte darstellen, in denen wir Wissen zu- bzw. absprechen können. So lässt sich für Ludwig Wittgenstein zwar alles prinzipiell in Frage stellen, nicht jedoch alles gleichzeitig. Um Wissen zu erlangen, müssen wir nach Wittgenstein stets bestimmte Voraussetzungen machen, die in der gegebenen Erkenntnissituation vom Zweifel ausgenommen sind. Damit die Tür sich drehen kann, so lautet die berühmte Metapher Wittgensteins, müssen die Angeln feststehen: […] die Fragen, die wir stellen, und unsre Zweifel beruhen darauf, daß gewisse Sätze vom Zweifel ausgenommen sind, gleichsam die Angeln, in welchen jene sich bewegen.19
Barke und Williams lehnen jedoch die generelle kontextualistische Idee eines auf bestimmte Kontexte relativierten Wissensbegriffs keineswegs ab. Auch Wittgenstein vertritt einen gewissen Rechtfertigungskontextualismus, da für ihn die Frage, welche Aussagen einer Rechtfertigung bedürfen und welche Aussagen als unhinterfragte Basis der Rechtfertigung dienen, vom Kontext der Rechtfertigung abhängt. Barkes und Williams’ Kritik bezieht sich lediglich auf bestimmte konversationale Formen des Kontextualismus, in denen die Standards für „wissen“ durch die bloße Erwähnung skeptischer Hypothesen heraufgeschraubt werden und in denen skeptische Kontexte die ultimativ strengsten Kontexte innerhalb einer Skala von Wissensstandards darstellen. Eine grundsätzliche Kritik am Kontextualismus betrifft jedoch die Annahme der vermeintlichen Indexikalität bzw. Kontextsensitivität von „wissen“. Im Folgenden soll nun untersucht werden, ob „wissen“ zu anderen kontextsensitiven Ausdrücken, wie etwa zu graduierbaren Adjektiven, tatsächlich deutliche semantische Analogien aufweist.
6.1.5 Ist „wissen“ kontextsensitiv? Sprachphilosophische Untersuchungen zum Wissensbegriff haben gezeigt, dass „wissen“ einige für kontextsensitive Ausdrücke untypische semantische Eigenschaften aufweist.20 So hat beispielsweise Jason Stanley darauf aufmerksam gemacht, dass „wissen“ im Unterschied zu graduierbaren Adjektiven sich nicht steigern lässt und keine sinnvollen Komparativbildungen erlaubt. Während man beispielsweise behaupten kann, dass eine Person „sehr groß“ oder „nicht sehr groß“ ist, erscheinen derartige sprachliche Konstruktionen mit „wissen“ inad-
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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äquat. Zu behaupten, jemand wüsste etwas sehr (oder nicht sehr), erscheint nicht sinnvoll. Manchmal behaupten wir, dass wir etwas „wirklich“ (oder „nicht wirklich“) wüssten. Hierbei ist jedoch der Grad der Vertrautheit mit einem bestimmten Wissensbereich gemeint und nicht der Grad, mit dem wir etwas wissen. Allerdings findet man auch Aussagen der Art „Ich weiß dies mit ziemlicher Sicherheit“ oder „Ich weiß dies nach allem menschlichen Ermessen“.21 Ob hier allerdings tatsächlich ein gradueller Wissensbegriff unterstellt wird, ist fraglich. Derartige Aussagen könnten auch so verstanden werden, dass man eigentlich behaupten möchte, dass man in hohem Maße davon überzeugt ist, das Entsprechende zu wissen. Auch können wir natürlich z. B. behaupten, dass eine Person größer (oder nicht größer) ist als eine andere. In Bezug auf „wissen“ erscheinen derartige komparative Konstruktionen sehr ungewöhnlich. So würden wir z. B. normalerweise nicht behaupten, dass jemand etwas in einem höheren (oder niedrigeren) Grade weiß als ein anderer. Diese Beispiele zeigen zwar, dass „wissen“ sich semantisch anderes verhält als graduierbare Adjektive. Allerdings bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass „wissen“ deshalb kein kontextsensitiver Ausdruck ist. Es gibt viele Ausdrücke, die man auf verschiedene Standards relativieren kann, auch wenn sie nicht graduierbar sind.22 Deutliche Asymmetrien zu kontextsensitiven Ausdrücken zeigen sich jedoch bei bestimmten Dissensphänomenen, bei Kontextwechseln und beim Zurücknehmen von Wissensbehauptungen. Der Kontextualismus scheint genuine Dissense über Wissen nicht adäquat erklären zu können. Nehmen wir beispielsweise an, Bart äußere in einem normalen alltäglichen Kontext K1: „Moore weiß, dass er Hände hat.“ Nehmen wir weiterhin an, dass alle Bedingungen für Wissen erfüllt sind, d. h. dass Bart der Überzeugung ist, dass Moore Hände hat, dass Moore auch tatsächlich Hände hat und dass Moore auch in der Lage ist, die Wissensstandards in diesem Kontext K1 zu erfüllen. Es gilt daher: (7) „Moore weiß, dass er Hände hat“ drückt, von Bart in Kontext K1 geäußert, eine wahre Proposition aus. Neo, der Skeptiker, zieht es jedoch in Betracht, dass Moore ein Gehirn im Tank sein könnte. Er befindet sich daher in einem Kontext K2 mit wesentlich strengeren Wissensstandards als in K1 und behauptet in K2: „Moore weiß nicht, dass er Hände hat.“ Es gilt somit: (8) „Moore weiß, dass er Hände hat“ drückt, von Neo in Kontext K2 geäußert, eine falsche Proposition aus. Aus kontextualistischer Sicht widersprechen sich Bart und Neo jedoch nicht. Die Proposition, die durch Barts Äußerung ausgedrückt wird, ist nämlich nicht die Negation der von Neo ausgedrückten Proposition. Die Bedeutung von „wissen“
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6 Wissen und Kontext
ist in den beiden Äußerungen jeweils eine andere, da der Wissensbegriff in Kontexten mit verschiedenen Wissensstandards verwendet wird. Der vermeintliche Dissens zwischen Bart und Neo ist somit nur oberflächlich und verschwindet nach Ansicht der Kontextualisten, wenn man die jeweiligen Äußerungskontexte explizit macht. In ähnlicher Weise werden auch im Zusammenhang mit anderen kontextsensitiven Ausdrücken vermeintliche Dissense als bloße „verbale Dispute“ aufgelöst. Behauptet beispielsweise eine Person, Sarkozy sei groß, eine andere Person jedoch, Sarkozy sei nicht groß, dann erweist sich diese „Meinungsverschiedenheit“ sofort als gegenstandlos, wenn deutlich wird, dass der erste Sprecher „groß“ im Sinne von „groß gemessen an einem durchschnittlichen Erstklässler“, der zweite Sprecher „groß“ jedoch im Sinne von „groß für einen Mitteleuropäer“ verwendet. Allerdings ist es äußerst fraglich, ob es in Bezug auf den Wissensbegriff immer plausibel erscheint, vermeintliche Dissense durch den Verweis auf die unterschiedlichen Äußerungskontexte der Sprecher zu schlichten.23 Insbesondere erscheint der Streit zwischen einem Common-Sense-Philosophen, der Wissen über die Außenwelt für möglich hält, und einem Skeptiker, der dies verneint, als echter inhaltlicher philosophischer Dissens.24 Ein weiteres, noch schwerwiegenderes Problem für den Kontextualismus ergibt sich, wenn z. B. Neo im skeptischen Kontext K2 zu Barts (im Kontext K1 getroffenen) Wissensbehauptung Stellung nimmt. Nach kontextualistischer Sicht müsste nämlich das Folgende gelten: (9) „Moore weiß nicht, dass er Hände hat, aber Barts Behauptung, dass Moore weiß, dass er Hände hat, ist wahr“ drückt, von Neo in Kontext K2 geäußert, eine wahre Proposition aus. Auch wenn in Neos skeptischem Kontext K2 Moore nicht weiß, dass er Hände hat, bleibt die von Bart im Alltagskontext K1 geäußerte Behauptung, dass Moore weiß, dass er Hände hat, weiterhin wahr, da nach kontextualistischer Sicht immer der ursprüngliche Äußerungskontext (in diesem Falle also K1) entscheidend ist für die Festlegung des Wahrheitswertes der Wissensaussage – und nicht der Kontext, in dem die Äußerung im Nachhinein bewertet wird. Satz (9) ist jedoch problematisch. Es wäre aus Neos Sicht sicherlich wesentlich plausibler zu behaupten, Moore wisse nicht, dass er Hände habe, und Barts Behauptung, dass Moore Hände habe, sei daher falsch. Ähnliche kontraintuitive Konsequenzen ergeben sich für kontextualistische Wissenspositionen, wenn Personen im Lichte neuer Informationen früher getroffene Wissensbehauptungen bewerten. Betrachten wir hierzu das folgende Beispiel:
6.1 Kontextualistische Semantiken für Wissensaussagen
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Beispiel 18: Anna und die Fahrraddiebe Anna hat ihr Fahrrad vor dem Gebäude des Philosophieinstituts abgestellt und arbeitet nun in der dortigen Seminarbibliothek. Nach einiger Zeit kommt ihr Kommilitone Bart in die Bibliothek und fragt sie, ob sie denn wisse, wo ihr Fahrrad sei. Anna antwortet darauf: „Natürlich weiß ich das. Mein Fahrrad steht vor der Tür.“ Bart erzählt Anna nun aber, dass gerade Fahrraddiebe einige der vor dem Institut abgestellten Fahrräder gestohlen hätten. Anna ist zwar immer noch der Überzeugung, dass ihr Fahrrad vor der Tür steht (denn sie hat ein sehr gutes Fahrradschloss), jedoch würde sie nun nicht mehr behaupten zu wissen, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht. Sie geht daher sogleich vor die Tür, um nach ihrem Fahrrad zu sehen. Glücklicherweise steht es immer noch vor dem Philosophieinstitut. Es sei nun K1 der Kontext, bevor Anna von den Fahrraddiebstählen erfahren hat, und K2 der Kontext, in dem Anna die Möglichkeit, dass ihr Fahrrad gestohlen sein könnte, in Erwägung zieht. Es gilt somit: (10) „Ich weiß, dass mein Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht“ drückt, von Anna in K1 geäußert, eine wahre Proposition aus. (11) „Ich weiß, dass mein Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht“ drückt, von Anna in K2 geäußert, eine falsche Proposition aus. Nach kontextualistischer Wissenstheorie würde jedoch Anna immer noch etwas Wahres behaupten, wenn sie im Kontext K2 auf der Wahrheit ihrer früheren (im Kontext K1 geäußerten) Wissensbehauptung bestünde: (12) „Ich weiß nicht, dass mein Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht, aber als ich behauptet habe (in K1), dass ich wüsste, dass mein Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht, habe ich etwas Wahres gesagt“ drückt, von Anna in K2 geäußert, eine wahre Proposition aus. Der Satz (12) ist jedoch sicherlich nicht akzeptabel. Anna würde nämlich angesichts der Möglichkeit, dass ihr Fahrrad gestohlen sein könnte, ihre in K1 getroffene Wissensbehauptung zurücknehmen, d. h. sie würde eingestehen, dass sie Bart zunächst etwas Falsches gesagt hat, als sie behauptete zu wissen, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht. Ein weiteres Problem für den Kontextualismus ergibt sich in Fällen, in denen der Wissenszuschreiber sich in einem Kontext mit geringeren Wissensstandards befindet als das Erkenntnissubjekt selbst. Nehmen wir an, dass Carl, ein anderer Kommilitone von Anna, nichts von den Fahrraddiebstählen vor dem Philosophieinstitut mitbekommen hat. Er hat jedoch gesehen, wie Anna ihr Fahrrad vor dem Institut abstellte. Die Wissensstandards sind in Carls Kontext daher geringer als
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6 Wissen und Kontext
in Annas Kontext K2, da er die Irrtumsmöglichkeit des Fahrraddiebstahls nicht in Betracht zieht. Es gilt somit: (13) „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht“ drückt, von Carl geäußert, eine wahre Proposition aus. Auch (13) erscheint äußert kontraintuitiv. Die Tatsache, dass Fahrräder vor dem Philosophieinstitut gestohlen wurden, scheint Annas Wissen, dass ihr Fahrrad vor dem Philosophieinstitut steht, generell zu vereiteln. Carls pure Unkenntnis über diese Tatsache kann nicht dazu führen, Anna nun doch das Wissen, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht, zuzuschreiben. Wissen kann nicht einfach dadurch wieder instand gesetzt werden, dass der Wissenszuschreiber relevante Irrtumsmöglichkeiten nicht kennt oder einfach ignoriert. Während man bei den meisten anderen kontextsensitiven Ausdrücken zwischen den Kontexten leicht hin- und herwechseln kann, scheint dies beim Wissensbegriff nicht so einfach möglich zu sein. So verwenden wir beispielsweise die Standards für „flach“ je nach Anwendungskontext einmal besonders streng (wenn selbst kleine Unregelmäßigkeiten von Oberflächen nicht tolerierbar sind) und ein anderes Mal laxer (wenn man z. B. von einer „flachen“ Landschaft spricht). Man kann von einer dieser Verwendungsweisen von „flach“ auch pro blemlos zur anderen übergehen. Wenn beim Wissensbegriff jedoch die Standards sich erhöhen, z. B. durch das Gewahrwerden von Irrtumsmöglichkeiten zu einer Proposition p, dann stellen diese Irrtumsmöglichkeiten die Wahrheit von p in Frage. Es scheint dann irrational zu sein, diese Irrtumsmöglichkeiten einfach zu ignorieren, um auf diese Weise die Standards für „wissen“ wieder herabzusetzen. Die zentralen kontextualistischen Thesen, wonach die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen mit den unterschiedlichen Wissensstandards im Äußerungskontext variieren und der Ausdruck „wissen“ semantisch analog zu kontextsensitiven Ausdrücken, wie graduierbaren Adjektiven, verstanden werden muss, haben sich somit angesichts der diskutierten obigen Beispiele als unplausibel erwiesen.25
6.2 Relativistische Semantiken für Wissensaussagen Eine andere Art der Kontextrelativierung von „wissen“ findet sich in relativistischen Semantiken für Wissensaussagen, die in jüngster Zeit vor allem von John MacFarlane im Zuge des sogenannten „Neuen Relativismus“ in der Philosophie entwickelt wurden.26 Im „Neuen Relativismus“ soll insbesondere unter Zuhilfenahme von semantischen Modellen der formalen Sprachphilosophie die Relati-
6.2 Relativistische Semantiken für Wissensaussagen
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vierung der Wahrheit bestimmter Aussagen auf Bewertungsperspektiven beschrieben und erklärt werden. Wie im letzten Abschnitt gesehen, hängt in kontextualistischen Semantiken der durch eine Wissensaussage ausgedrückte semantische Gehalt von den Standards für „wissen“ im jeweiligen Äußerungskontext ab. Ob eine Wissensaussage eine wahre oder falsche Proposition zum Ausdruck bringt, wird daher durch die Wissensstandards bestimmt, die der Wissenszuschreiber verwendet. Selbst wenn beispielsweise Annas Fahrrad tatsächlich vor dem Philosophieinstitut steht und sie auch die Überzeugung hat, dass ihr Fahrrad dort steht, hat der Satz „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ ohne einen Kontext, in dem er geäußert wird, zunächst keinen festen Wahrheitswert. Erst wenn der Äußerungskontext gegeben ist, drückt er, je nach Wissensstandard des Sprechers, eine wahre oder eine falsche Proposition aus. Wird er von einer Person P1 geäußert, die die Möglichkeit des Fahrraddiebstahls nicht in Erwägung zieht, dann drückt dieser Satz eine wahre Proposition aus – und die im Kontext von P1 getätigte Äußerung „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ ist folglich wahr. Wird der Satz hingegen von einer Person P2 geäußert, die die Möglichkeit des Fahrraddiebstahls erwägt, drückt der entsprechende Satz eine falsche Proposition aus – und die im Kontext von P2 getätigte Äußerung „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ ist folglich falsch. Man könnte somit kontextualistische Semantiken auch so beschreiben, dass in ihnen zwar Propositionswahrheit, nicht aber Äußerungswahrheit relativiert wird. Wird ein Satz von einem Sprecher geäußert, dann ist damit der Äußerungskontext festgelegt – und somit auch der Wahrheitswert dieser Äußerung eindeutig bestimmt. Die im Kontext von P1 getätigte Äußerung „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ hat dann sozusagen einen absoluten, „ewigen“ Wahrheitswert (nämlich den Wert „wahr“). Auch wenn dieser Satz im Kontext von P2 eine falsche Proposition ausdrückt, ist es für P2 dennoch eine Tatsache, dass die Äußerung dieses Satzes von P1 wahr ist. Es wurde bereits gezeigt, dass genau dieser Umstand zu einigen kontraintuitiven Resultaten führt. So lassen sich z. B. im Kontextualismus im Lichte neuer Informationen frühere Wissensbehauptungen nicht wieder zurücknehmen. Relativistische Semantiken gehen nun mit der Relativierung der Wahrheit noch einen Schritt weiter. Für Relativisten wird nämlich auch die Äußerungswahrheit relativiert. Für MacFarlane sind Wissensaussagen nicht nur kontextsensitiv in Bezug auf den Äußerungskontext, sondern sie sind zusätzlich relativ in Bezug auf die Wissensstandards, die im sogenannten „Bewertungskontext“ (engl. „context of assessment“) vorliegen: Relativism […] is the view about the meaning of knowledge attributions – statements of the form “S knows that p.” Like contextualism, it holds that the truth of knowledge claims
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6 Wissen und Kontext
is sensitive to contextual factors, such as which alternatives are relevant at the context, or how high the stakes are. For the relativist, however, the relevant context is the context from which the knowledge is being assessed, not the context at which it was made.27
MacFarlane versteht „wissen“ daher semantisch nicht analog zu kontextsensitiven Ausdrücken (wie graduierbare Adjektive), sondern vielmehr zu bewertungssensitiven Ausdrücken, d. h. zu Ausdrücken, die je nach Bewertungsperspektive unterschiedlich angewendet werden können. Neben „wissen“ sind für MacFarlane u. a. auch persönliche Geschmacksprädikate (wie „lustig“, „attraktiv“, „lecker“, „cool“ etc.) oder epistemische Modalausdrücke (wie „es könnte sein“, „es kann nicht sein“) bewertungssensitiv. Betrachten wir hierzu etwa die folgenden Beispielsätze: (14) Bart Simpson ist lustig. (15) Catherine Deneuve ist attraktiver als Fanny Ardant. (16) Brokkoli schmeckt lecker. (17) Walter White ist cool. Ob (14)–(17) jeweils wahre oder falsche Propositionen ausdrücken, hängt nach MacFarlane nicht bloß von Faktoren im Äußerungskontext ab (wie z. B. von der Welt und dem Zeitpunkt, in dem diese Äußerungen getätigt werden), sondern auch noch von bestimmten ästhetischen Standards bzw. Standards des persönlichen Geschmacks im Bewertungskontext. Nehmen wir beispielsweise an, Barack Obama findet Brokkoli lecker, George H. W. Bush hingegen nicht. Sie äußern daher nun das Folgende: (18) Obama: „Brokkoli schmeckt lecker.“ (19) Bush: „Brokkoli schmeckt nicht lecker.“ Der Wahrheitswert der in (18) bzw. (19) getätigten Äußerungen liegt hier nicht fest, sondern kann von Bewerter zu Bewerter dieser Äußerungen variieren. So ist beispielsweise Obamas Äußerung in (18) im Kontext von Bushs Geschmacksstandards falsch – und ebenso ist im Kontext von Obamas Geschmacksstandards Bushs Äußerung in (19) falsch. Betrachten wir noch das folgende Beispiel für Aussagen mit epistemischen Modalausdrücken: (20) Es könnte ein Gegenbeispiel zu Fermats letztem Satz geben. (21) Es kann kein Gegenbeispiel zu Fermats letztem Satz geben. Ob (20) und (21) wahre oder falsche Propositionen ausdrücken, hängt offenbar auch vom Kenntnisstand in Bezug auf mögliche Lösungen zu Fermats letztem
6.2 Relativistische Semantiken für Wissensaussagen
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Satz ab.28 Da Andrew Wiles Fermats letzten Satz 1995 bewiesen hat, drückt aus heutiger Perspektive (20) eine falsche und (21) eine wahre Proposition aus. Aus der Perspektive von Mathematikern vor 1995 ist dies genau umgekehrt. Da die Wahrheit dieser Aussagen nicht, wie im Kontextualismus, vom Wissensstand im Äußerungskontext, sondern vom Wissensstand im Bewertungskontext abhängt, können wir daher heute wahrerweise behaupten, dass Mathematiker, die vor 1995 den Satz (20) äußerten, etwas Falsches gesagt haben – auch wenn die Äußerung aus ihrer Perspektive damals wahr gewesen ist.
6.2.1 Vorteile relativistischer Semantiken für Wissensaussagen Eine Relativierung von Wissensaussagen auf die Wissensstandards der Bewertungsperspektive kann nun nach MacFarlane einige Probleme des Kontextualismus lösen, ohne dass man auf die grundsätzliche Idee der Kontextrelativität von Wissenszuschreibungen verzichten muss. Es wurde gezeigt, dass sich im Kontextualismus viele Dissense kontraintuitiverweise als bloße verbale Dispute auflösen, wenn nämlich ein Sprecher Wissen in einem Kontext K1 zuschreibt, während ein anderer Sprecher in einem anderen Kontext K2 (mit strengeren Wissensstandards) Wissen abspricht. Zwar gibt es auch im Relativismus keinen absoluten Wahrheitswert z. B. für die Aussage „Moore weiß, dass er Hände hat“. Es gibt nämlich keinen objektiven Standpunkt, von dem aus entweder Barts Behauptung, dass Moore wisse, dass er Hände habe, oder Neos Behauptung, dass Moore nicht wisse, dass er Hände habe, als korrekt ausgewiesen werden könnte. Dennoch findet sich keine Perspektive, in der beide Behauptungen gleichzeitig wahr sein können. Für MacFarlane ist diese Konsequenz ein eindeutiger Vorteil gegenüber dem Kontextualismus, da sie die Intuition des Dissenses zwischen zwei Parteien, die verschiedene Wissensstandards verwenden, erklären kann.29 Im Unterschied zu kontextualistischen Semantiken kann nun z. B. auch Neo aus seiner skeptischen Perspektive die Äußerung Barts, der im antiskeptischen Kontext behauptet, Moore wisse, dass er Hände habe, ablehnen. Im Rahmen relativistischer Semantiken erweist sich aus Neos skeptischer Perspektive Barts (im antiskeptischen Kontext getroffene) Äußerung, Moore wisse, dass er Hände habe, nämlich als falsch. Auch können im Relativismus eigene Wissensbehauptungen im Lichte neuerer Erkenntnisse zurückgenommen werden. Bewertet Anna ihre in K1 getroffene Behauptung, sie wisse, dass ihr Fahrrad vor dem Philosophieinstitut stehe, vor dem Hintergrund der neu gewonnen Information über die Fahrraddiebstähle vor dem Institut, so kann sie diese Behauptung nun wieder zurücknehmen und als falsch ausweisen. Das Phänomen des Zurücknehmens von Wissensbehauptungen aus der Perspektive eines geänderten Wissenskontextes
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kann im Unterschied zum Kontextualismus in relativistischen Semantiken gut modelliert und erklärt werden.
6.2.2 Probleme des Relativismus Relativistische Semantiken für Wissensaussagen haben jedoch mit einigen ähnlichen Problemen zu kämpfen wie kontextualistische. Zudem ergeben sich durch die Relativierung der Äußerungswahrheit neue Probleme. Zwar erweisen sich im Relativismus Dissense z. B. zwischen einem Wissensskeptiker und einem Antiskeptiker nicht als bloßer „Streit um Worte“. Allerdings sind nun viele Dissense sozusagen „schuldlos“. Weder Bart, der behauptet, Moore wisse, dass er Hände habe, noch Neo, der behauptet, Moore wisse nicht, dass er Hände habe, haben von ihrer jeweiligen antiskeptischen bzw. skeptischen Perspektive aus gesehen Unrecht – und eine objektive Bewertungsperspektive gibt es im Relativismus ja nicht. Der „Dissens“ zwischen einem Skeptiker und einem Antiskeptiker ist genauso schuldlos bzw. fehlerfrei30 wie der „Streit“ zwischen einer Person, die Brokkoli lecker findet, und einer anderen, die Brokkoli nicht lecker findet. Beide haben vor dem Hintergrund ihrer persönlichen gustatorischen Präferenzen Recht, und es gibt keinen objektiven Geschmacksstandard, der einem der beiden Personen „fehlerhafte“ bzw. „richtige“ Geschmackspräferenzen zusprechen würde. Während man in Bezug auf Prädikate des persönlichen Geschmacks derartige schuldlose Dissense plausibel finden mag (über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten), sind sie jedoch in Bezug auf den Wissensbegriff höchst problematisch. So erscheint für viele Philosophen der Streit zwischen einem Wissensskeptiker und einem Antiskeptiker als echter, genuiner Dissens. Der Relativist kann dieser Dissensintuition offenbar nicht gerecht werden. Im Relativismus können zudem kontraintuitive Resultate in Fällen entstehen, in denen der Bewerter einer Wissensaussage ignoranter oder „unwissender“ ist als das Erkenntnissubjekt selbst. Nehmen wir an, dass Bart angesichts seiner Kenntnis von den Fahrraddiebstählen vor dem Philosophieinstitut behauptet: „Anna weiß nicht, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht.“ Von Carls Perspektive aus betrachtet, der von den Fahrraddiebstählen nichts mitbekommen hat, müsste jedoch Barts Äußerung nach relativistischer Semantik als falsch bewertet werden.31 Dies halte ich jedoch für äußerst kontraintuitiv. Natürlich ist es von Carls Standpunkt aus gesehen verständlich, dass er behauptet, Anna wisse, dass ihr Fahrrad vor dem Institut stehe, und es ist folglich auch verständlich, dass er gegenteilige Behauptungen als falsch zurückweist. Dennoch erscheinen Carls Behauptung und seine Bewertung von Barts Äußerung als falsch. Dass Fahrräder vor dem Philosophieinstitut gestohlen wurden, ist eine Tatsache, die Annas
6.3 Subjektsensitiver Invariantismus
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Wissen, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht, generell vereitelt. Wer diese Tatsache nicht kennt oder ohne guten Grund ignoriert, kann Annas Wissen dadurch nicht wieder zurückholen. Im Rahmen relativistischer Semantiken wäre zudem etwa die folgende Aussage von Neos skeptischer Bewertungsperspektive aus betrachtet wahr: „Moore weiß nicht, dass er Hände hat; aus Barts Perspektive gesehen weiß Moore jedoch, dass er Hände hat“. Ebenso wäre nach relativistischer Sicht die Aussage „Anna weiß nicht, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht; von Carls Perspektive aus gesehen weiß Anna jedoch, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ sogar von Annas eigener Perspektive K2 aus betrachtet wahr. Für Prädikate des persönlichen Geschmacks ist eine solche Reaktion zwar völlig angemessen. Obama könnte beispielsweise wahrerweise urteilen: „Brokkoli schmeckt lecker. Aber von Bushs Standpunkt aus betrachtet schmeckt Brokkoli nicht lecker.“ Derartige Urteile in Bezug auf Wissensaussagen sind jedoch nicht plausibel. Sowohl Neos als auch Annas Bewertungen der obigen Aussagen erscheinen kontraintuitiv – wenn nicht sogar selbstwidersprüchlich.32 Weder der Kontextualismus noch der Relativismus führen somit zu einer plausiblen Semantik von Wissenszuschreibungen. Der Ausdruck „wissen“ weist sowohl zu kontext- als auch zu bewertungssensitiven Ausdrücken deutliche Asymmetrien auf.
6.3 Subjektsensitiver Invariantismus Eine Alternative zu kontextualistischen und relativistischen Semantiken für Wissensaussagen bietet der sogenannte „subjektsensitive Invariantismus“ (im Folgenden mit „SSI“ abgekürzt), der u. a. von John Hawthorne und Jason Stanley vertreten wird.33 Im SSI sind die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen der Form „S weiß, dass p“ weder vom Äußerungskontext noch vom Bewertungskontext abhängig, sondern von den Wissensstandards im Kontext des Erkenntnissubjektes S selbst. Für Stanley bestimmen insbesondere die praktischen Interessen von S an p zum Zeitpunkt der Wissenszuschreibung die Standards für „wissen“. Diese Standards steigen, wenn es z. B. nicht im Interesse von S sein kann, wenn p falsch ist. Je mehr für S auf dem Spiel steht, wenn sich p als falsch erweist, umso strikter sind die Standards, die S erfüllen muss, um zu wissen, dass p: [T]he greater the practical investment one has in a belief, the stronger one’s evidence must be in order to know it […].34
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So kann es natürlich nicht in Annas Interesse sein, wenn ihr Fahrrad gestohlen wäre. Nachdem sie von den Fahrraddiebstählen erfahren hat, haben sich daher die Standards für „wissen“ erhöht, und es reicht dann z. B. nicht aus, dass Anna sich erinnert, ihr Fahrrad vor dem Institut abgestellt zu haben, damit die Aussage „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ als wahr ausgewiesen werden kann. Die Aussage „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“ ist daher zu dem Zeitpunkt, als Anna von den Fahrraddiebstählen erfahren hat, stets falsch (auch dann, wenn, wie im Beispiel vorausgesetzt, Annas Fahrrad tatsächlich noch vor dem Institut steht und Anna auch davon überzeugt ist, dass ihr Fahrrad noch dort steht). Im Unterschied zum Kontextualismus ändert sich auch nichts an diesem Wahrheitswert, wenn ein von Anna verschiedener Wissenszuschreiber sich in einem Kontext mit geringeren Wissensstandards befindet. Wenn also Carl, der nichts von den Fahrraddiebstählen mitbekommen hat, behauptet: „Anna weiß, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht“, dann ist diese Aussage gemäß SSI falsch. Umgekehrt gilt natürlich auch, dass, wenn die praktischen Interessen an der Wahrheit der betreffenden Proposition für das Erkenntnissubjekt geringer sind als für den Wissenszuschreiber, es dennoch die Standards des Subjektes sind, die den Wahrheitswert der Wissensaussage bestimmen. Nehmen wir beispielsweise an, dass eine Person, nennen wir sie „Thelma“, im Unterschied zu Hannah keinen wichtigen Verrechnungsscheck dringend vor dem kommenden Montag auf der Bank einlösen muss und dass Thelma sich erinnert, dass die Bank vor zwei Wochen an einem Samstag geöffnet hatte. Für Vertreter des SSI ist in diesem Fall (unter den Voraussetzungen, dass die Bank tatsächlich am Samstag geöffnet hat und Thelma auch die Überzeugung besitzt, dass die Bank am Samstag geöffnet hat) die Aussage „Thelma weiß, dass die Bank am Samstag geöffnet hat“ wahr – ganz unabhängig davon, wer diese Aussage tätigt. Hannah würde somit gemäß SSI etwas Falsches äußern, wenn sie zu Thelma sagen würde: „Du weißt nicht, dass die Bank am Samstag geöffnet hat.“ Es sind im SSI nicht Hannahs praktische Interessen, sondern die des Wissenssubjektes Thelma, die die Wahrheitsbedingungen der Wissensaussage „Thelma weiß, dass die Bank am Samstag geöffnet hat“ festlegen.
6.3.1 Vorteile des subjektsensitiven Invariantismus Da zu jedem Zeitpunkt t die praktischen Interessen von S an p feststehen, hat im SSI eine Wissensaussage „S weiß, dass p“ zu einem bestimmten Zeitpunkt t stets einen invarianten Wahrheitswert. Der Wahrheitswert einer Aussage „S weiß, dass p“ kann sich nur dadurch ändern, dass die praktischen Interessen von S in Bezug auf p sich mit dem Äußerungszeitpunkt t ändern. Der Ausdruck „wissen“ ist dann
6.3 Subjektsensitiver Invariantismus
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nur insofern kontextsensitiv, als er seine Extension mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Wissensbehauptung ändern kann: So, knowledge attributions are context-sensitive, on my view, in the sense that different knowledge attributions are about different times. But this is a relatively innocuous sense of contextualism; it is true of all verbs that they are associated with temporal elements that receive different values at different times. […] there is no specifically epistemological sense in which knowledge attributions are context-sensitive.35
Gemäß SSI verhält sich der Ausdruck „wissen“ genauso wie andere Verben, die ihren semantischen Gehalt zeitabhängig verändern – wie etwa „sitzen“, „lesen“, „schlafen“ etc. So kann beispielsweise der Wahrheitswert der Aussage „Sokrates schläft“ je nach Zeitpunkt der Äußerung variieren: Schläft Sokrates zum Zeitpunkt t1 und ist er zum Zeitpunkt t2 wach, dann ist die Aussage „Sokrates schläft“, wenn sie zum Zeitpunkt t1 geäußert wird, wahr, wenn sie zum Zeitpunkt t2 geäußert wird, hingegen falsch. Im SSI werden hierdurch nun bestimmte kontraintuitive Resultate kontextualistischer und relativistischer Semantiken vermieden. Insbesondere kann der Intuition genuiner Dissense Rechnung getragen werden: Behauptet ein Sprecher A: „S weiß, dass p zu t“ und äußert ein anderer Sprecher B: „S weiß nicht, dass p zu t“, dann kann nur einer von beiden Recht haben. Ist S in der Lage, die Wissensstandards zu erfüllen, die durch Ss praktische Interessen in Bezug auf p zum Zeitpunkt t bestimmt sind, dann ist As Behauptung wahr und Bs Behauptung falsch. Kann S die Standards nicht erfüllen, dann ist As Behauptung falsch, Bs Behauptung hingegen wahr. Ein vermeintlicher Dissens lässt sich im SSI nur dann als bloßer verbaler Disput auflösen, wenn ein Sprecher A „S weiß, dass p“ äußert und ein anderer Sprecher B „S weiß nicht, dass p“, A und B jedoch ihre jeweiligen Aussagen auf andere Zeitpunkte beziehen, in denen die praktischen Interessen von S in Bezug auf p andere sind. In diesem Sinne würde z. B. auch kein Dissens zwischen zwei Sprechern A und B bestehen, wenn A „Sokrates schläft“ und B „Sokrates schläft nicht“ sagt, A jedoch die Aussage auf einen Zeitpunkt bezieht, an dem Sokrates schläft, und B auf einen Zeitpunkt, an dem Sokrates wach ist.
6.3.2 Probleme des subjektsensitiven Invariantismus Subjektsensitiv invariantistische Semantiken führen jedoch auch zu einigen kontraintuitiven Konsequenzen. Ähnlich wie im Kontextualismus kann im SSI das Zurücknehmen bestimmter Wissensbehauptungen nicht adäquat erklärt werden. Nehmen wir an, Bart äußerte zu einem Zeitpunkt t1, als er noch in Bonn wohnte: (22) „Ich weiß, dass die Atomkraftwerke in Indien sicher sind.“
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6 Wissen und Kontext
Bart ist nun inzwischen nach Indien in die Nähe eines Atomkraftwerkes gezogen. Für ihn ist daher die Sicherheit der indischen Atomkraftwerke sehr wichtig. Die Aussage (22) ist dann, wenn Bart sie zu einem Zeitpunkt t2 äußert (als er bereits in Indien lebt), falsch. Vertreter des SSI müssten jedoch die folgende Behauptung Barts zum Zeitpunkt t2 als wahr auszeichnen (wir gehen in diesem Beispiel davon aus, dass die indischen Atomkraftwerke tatsächlich sicher sind): (23) „Als ich noch in Bonn lebte und (zu t1) behauptete, dass indische Atomkraftwerke sicher seien, habe ich etwas Wahres gesagt.“ Satz (23) erscheint jedoch nicht akzeptabel. Es wäre sehr viel plausibler, wenn Bart seine frühere (zu t1 getätigte) Wissensbehauptung nun in t2 zurückziehen würde. Gemäß SSI müsste auch die folgende Aussage Barts zum Zeitpunkt t1 als wahr ausgewiesen werden: (24) „Ich weiß, dass die Atomkraftwerke in Indien sicher sind. Wenn ich aber nächste Woche in Indien bin, weiß ich dies nicht mehr.“ Auch diese Aussage erscheint kontraintuitiv. Bart würde (24) natürlich nicht äußern, da er sich sonst in gewisser Weise selbst widerspräche. Aus dem Wissen, dass die indischen Atomkraftwerke sicher sind, folgt natürlich (da Wissen Wahrheit impliziert), dass die indischen Atomkraftwerke sicher sind. Mit der Behauptung zu wissen, dass die indischen Atomkraftwerke sicher sind, behauptet Bart daher auch, dass die Atomkraftwerke in Indien sicher sind. Diese Tatsache (wie gesagt, wir gehen in diesem Beispiel davon aus, dass die Atomkraftwerke in Indien sicher sind) ändert sich natürlich nicht durch die sich verändernden Interessen von Bart. Wissen, nicht aber Wahrheit ist gemäß SSI sensitiv in Bezug auf die praktischen Interessen der Erkenntnissubjekte. Wenn Bart somit zugleich auch behauptet, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu wissen, dass die Atomkraftwerke in Indien sicher sind, dann steht dies im Widerspruch zum ersten Teil seiner Behauptung. Wenn jemand p nicht weiß, dann sollte er natürlich auch nicht p behaupten. Ein zum Kontextualismus und Relativismus analoges Problem ergibt sich auch für den SSI in bestimmten Fällen, in denen die epistemischen Standards des Erkenntnissubjektes geringer sind als die des Wissenszuschreibers. Nachdem Anna von den Fahrraddiebstählen erfahren hat, müsste dennoch Annas folgende Aussage gemäß SSI wahr sein: (25) „Carl weiß, dass mein Fahrrad vor dem Institut steht.“
6.4 Zur Pragmatik von Wissensaussagen
133
Für Carl, so nehmen wir an, ergeben sich keine größeren negativen Konsequenzen, wenn Annas Fahrrad gestohlen sein sollte. Er befindet sich also im Unterschied zu Anna in einem Kontext mit niedrigeren Wissensstandards. Auch (25) erscheint sehr unplausibel. Die Tatsache der Fahrraddiebstähle verhindert, dass Personen wissen können, dass Annas Fahrrad vor dem Institut steht, wenn diese nicht ausschließen können, dass Annas Fahrrad zum Diebesgut zählt. Ob eine Aussage, in der Wissen zu- bzw. abgesprochen wird, als wahr oder falsch evaluiert wird, scheint von den praktischen Interessen des Erkenntnissubjekts unabhängig zu sein. Jonathan Schaffer hat zudem noch auf ein ganz anderes Problem des SSI hingewiesen: Wären die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen von den praktischen Interessen des epistemischen Subjekts abhängig, könnte Wissen nicht immer sinnvoll an andere vermittelt werden. Eine Person A könnte, so Schaffer, ihr Wissen, dass p, nämlich nur dann an eine andere Person B vermitteln, wenn Bs praktische Interessen in Bezug auf p nicht größer sind als diejenigen für A: The social rule of testimony is to allow for the spread of knowledge […]. If testimony could only transmit knowledge to subjects with comparable stakes (or at least to hearers with no more at stake than testifiers), then our practice of relying on testimony would be troubled.36
Auch der SSI erweist sich damit als letztlich inadäquate Theorie über die Wahrheitsbedingungen von Wissenszuschreibungen.
6.4 Zur Pragmatik von Wissensaussagen Es wurde bisher dafür argumentiert, dass die Wahrheitsbedingungen für Wissens aussagen offenbar weder von den Wissensstandards des Wissenszuschreibers noch von den Standards des Bewerters einer Wissensbehauptung noch von den Standards des Erkenntnissubjektes selbst abhängen. Vom Zuschreiber, Bewerter oder Erkenntnissubjekt in Erwägung gezogene Irrtumsmöglichkeiten zu p oder deren Interessen an der Wahrheit von p scheinen die Wahrheitsbedingungen von Aussagen der Art „S weiß, dass p“ nicht zu bestimmen. Diese Faktoren haben nur insofern einen Einfluss auf die Wahrheitswerte von Wissensaussagen, als diese bei Wissensselbstzuschreibungen dazu führen können, dass die Überzeugung in p verloren geht. Wenn Anna beispielsweise angesichts der Möglichkeit, dass ihr Fahrrad gestohlen sein könnte, nicht mehr davon überzeugt ist, dass ihr Fahrrad noch vor dem Institut steht, dann weiß sie natürlich auch nicht, dass ihr Fahrrad vor dem Institut steht. In diesem Fall ist dann aber bereits die Überzeugungsbedingung für Wissen (d. h. die Bedingung (i) in der klassischen Analyse propositionalen Wissens37) verletzt. Kontextualisten, Relativisten und subjekt-
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6 Wissen und Kontext
sensitive Invariantisten sind jedoch der Ansicht, dass die obigen Faktoren eine Rolle für die Festlegung der Wahrheit oder Falschheit der Aussage „S weiß, dass p“ spielen, wenn S bereits die wahre Überzeugung, dass p, besitzt. Wie gezeigt wurde, ist diese Ansicht jedoch sehr zweifelhaft. Weder der Kontextualismus noch der Relativismus oder der SSI können die Semantik von Wissensaussagen adäquat modellieren. Sie bilden daher meines Erachtens auch keine tragfähigen Alternativen zu Wissenstheorien epistemischer Methodensicherheit, die bisher als äußerst plausible Theorien des Wissens ausgewiesen wurden. Ob in Theorien epistemischer Methodensicherheit eine wahre Überzeugung als wahr ausgezeichnet werden kann, hängt weder von den epistemischen Standards des Wissenszuschreibers noch des Bewerters oder des Erkenntnissubjekts ab, sondern von der Frage, ob die verwendete Methode der Überzeugungsgewinnung epistemisch sicher ist. Ist in einer gegebenen Situation der Wissenszuschreibung die Methode, die zu Ss wahrer Überzeugung, dass p, führt, epistemisch sicher, dann ist „S weiß, dass p“ wahr, und „S weiß nicht, dass p“ falsch – ganz unabhängig davon, wer (und mit welchen Interessen und Absichten) diese Sätze äußert oder bewertet. In Theorien epistemischer Methodensicherheit kann daher der Intuition genuiner Dissense bei sich widersprechenden Wissensbehauptungen Rechnung getragen werden. Der Ausdruck „wissen“ ist in diesen Theorien also weder kontext- noch bewertungssensitiv, sondern hat in jeder Situation der Wissenszuschreibung einen invarianten Wahrheitswert. Dieser invariante Wahrheitswert ist jedoch nicht – wie im SSI – durch die praktischen Interessen des Subjekts zum Zeitpunkt der Wissenszuschreibung bestimmt, sondern durch die objektiven Umstände, die beim Erwerb der wahren Überzeugungen vorliegen. Kontextualisten, Relativisten und subjektsensitive Invariantisten betonen jedoch, dass ihre Theorien die Verwendung des Wissensbegriffs in der natürlichen Sprache in vielen Punkten sehr gut beschreiben können. Werden uns Irrtumsmöglichkeiten gewahr, dann sind wir oftmals nicht mehr geneigt, uns (oder anderen) Wissen zuzusprechen. Jemand, der an allem zweifelt oder ständig sich möglicher Irrtümer bewusst ist, wird kaum Wissen für sich beanspruchen. Auch haben die Beispiele 16 und 17 (und andere ähnliche Beispielfälle) eine nicht zu bestreitende intuitive Plausibilität. Steht für uns sehr viel auf dem Spiel, wenn sich p als falsch herausstellen sollte, dann sind wir oftmals mit der Zuschreibung von Wissen, dass p, zögerlich – und wir sind bereit, mehr Anstrengungen in Kauf zu nehmen, um gerechtfertigterweise behaupten zu können, wir wüssten, dass p, als in Fällen, in denen es für uns nicht so wichtig ist, ob p wahr ist. In Theorien epistemischer Methodensicherheit, so könnte man einwenden, scheinen diese kontextualistischen Intuitionen nicht ausreichend berücksichtigt zu werden. Hat ein epistemisches Subjekt zwar die wahre und auf einer episte-
6.4 Zur Pragmatik von Wissensaussagen
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misch sicheren Methode beruhende Überzeugung, dass p, würde jedoch nicht behaupten wollen, dass es wüsste, dass p (z. B. weil S Irrtumsmöglichkeiten in Betracht zieht oder weil die Falschheit von p negative Konsequenzen für S hätte), dann würde S nach diesen Theorien nicht bereit sein, etwas Wahres zu äußern. Dies ist jedoch meiner Ansicht nach weder irrational noch unplausibel. Unsere Bereitschaft, im Lichte bestimmter Irrtumsmöglichkeiten oder praktischer Interessen Wissen zu- bzw. abzusprechen, betrifft nämlich die sprachpragmatische Frage, was in bestimmten Situationen rationalerweise behauptet werden kann – und nicht die semantische Frage, ob die Behauptungen wahr oder falsch sind. Man könnte daher die Intuitionen der Kontextualisten, Relativisten oder subjektsensitiver Invariantisten als Teil der Sprachpragmatik von Wissensaussagen ansehen und zugleich an einer Theorie der epistemischen Methodensicherheit als Theorie der Semantik von Wissensaussagen festhalten. Theorien der epistemischen Methodensicherheit geben die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen an, nicht jedoch deren rationale Behauptbarkeitsbedingungen. Man könnte somit eine auf Methodensicherheit beruhende Semantik für Wissensaussagen vertreten und die von den Kontextualisten behauptete Kontextvariabilität von Wissensaussagen als sprachpragmatischen Effekt verstehen. So ist etwa auch Kent Bach der Auffassung, dass durch das Erwägen von Irrtumsmöglichkeiten nicht der Wahrheitswert von Wissensaussagen variiert, sondern lediglich unsere Bereitschaft, Wissen zu behaupten, da unser Vertrauen in die Wahrheit der betreffenden Proposition dadurch beeinträchtigt wird: In contexts where special concerns arise […] what varies is not the truth conditions of knowledge attributions but the knowledge attributions people are prepared to make. It is not the standards for the truth of knowledge attributions that go up but the attributor’s threshold of confidence regarding the relevant proposition.38
In der neueren erkenntnistheoretischen Literatur gibt es einige Ansätze zur Sprachpragmatik von Wissensaussagen, die insbesondere bestimmten kontextualistischen Intuitionen gerecht zu werden versuchen. Für Patrick Rysiew löst eine Wissensbehauptung der Form „S weiß, dass p“ eine bestimmte konversationale Implikatur aus. Wer behauptet zu wissen, dass p, meint damit zugleich, dass seine epistemische Situation im gegebenen Kontext gut genug ist, um relevante Irrtumsmöglichkeiten ausschließen zu können.39 Wayne Davis ist der Meinung, dass wir Wissensaussagen meist in mehr oder weniger lockerer oder laxer Weise verwenden. Auch wenn Wissensaussagen semantisch gesehen falsch sind, da die Wahrheitsbedingungen für Wissen seiner Ansicht nach eine bestimmte Art der vollständigen Rechtfertigung verlangen40, können sie dennoch sprachprag-
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6 Wissen und Kontext
matisch angemessen sein, wenn sie nämlich den Anforderungen an den nötigen Grad der Striktheit für Wissen im gegebenen Kontext gerecht werden: […] we may say that when “S knows that p” is used loosely, it is used to implicate that S is close enough to knowing for contextually indicated purposes.41
Während im Kontextualismus durch das Erwägen von Irrtumsmöglichkeiten oder durch ein gestiegenes praktisches Interesse an der Wahrheit der in Frage stehenden Proposition Kontextwechsel ausgelöst werden können, die den Wahrheitswert der Wissensaussage beeinflussen, werden in Davis’ Ansatz dadurch die Grade der Striktheit erhöht, mit denen Wissensaussagen in pragmatisch angemessener Weise behauptet werden können. So erklärt Davis den intuitiven Unterschied zwischen den beiden Varianten des Beispiels von Hannah und dem Verrechnungsscheck nicht dadurch, dass sich die Wahrheitsbedingungen der Wissensaussage „Hannah weiß, dass die Bank am nächsten Tag geöffnet hat“ geändert haben. Vielmehr erfordert es der Kontext, dass die Wissensaussage in der zweiten Variante strikter verwendet werden muss. Werden jedoch die Wahrheitsbedingungen von den Behauptbarkeitsbedingungen für Wissensaussagen zu stark abgekoppelt (wie etwa in Davis’ Ansatz), entsteht das Problem, dass wir sehr häufig mit Wissensbehauptungen nicht das sagen, was wir eigentlich meinen. Für Davis ist in der ersten Variante des Beispiels Hannahs Behauptung, dass sie weiß, dass die Bank am nächsten Tag geöffnet ist, im wörtlichen Sinne falsch, da es einfach zu viele reale Möglichkeiten gibt (die Bank könnte ihre Öffnungszeiten geändert haben etc.), die Hannah nicht ausschließen kann. Dennoch ist seiner Auffassung nach das von Hannah mit dieser Aussage Gemeinte wahr. In diesem Kontext sei es nämlich angemessen, dass Hannah den Wissensbegriff eher lax verwendet.42 Natürlich ist es gar nicht so unüblich, dass wir mit dem, was wir sagen, etwas anderes meinen – wie z. B. bei Ironie oder Übertreibungen. Allerdings ist es uns in diesen Fällen bewusst und von uns intendiert, dass die wörtliche Bedeutung und das eigentlich Gemeinte verschieden sind. In Bezug auf Wissensaussagen scheint uns die Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gemeintem jedoch nicht transparent zu sein. In Davis’ Ansatz sind wir also in Bezug auf unsere Wissensaussagen sozusagen „semantisch blind“. Untersuchungen zu Wissensaussagen im Rahmen sprachpragmatischer Ansätze bilden ein noch recht neues Forschungsfeld, in dem vor allem auch die Expertise von Seiten der Sprachphilosophie und Linguistik gefordert ist. Wie auch immer eine überzeugende Theorie zur Sprachpragmatik von Wissens aussagen im Detail aussehen mag, so können wir angesichts der diskutierten kontraintuitiven Ergebnisse von kontextualistischen, relativistischen und sub-
6.5 Zusammenfassung
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jektsensitiv invariantistischen Semantiken festhalten, dass die von diesen Theorien unterstellte kontextuelle Variabilität von Wissenszuschreibungen besser im Bereich der Sprachpragmatik zu verorten ist. Es scheint somit, dass eine Theorie der epistemischen Methodensicherheit nach wie vor eine geeignete Semantik für Wissensaussagen bietet. Dass z. B. durch Irrtumsmöglichkeiten, die wir nicht ausschließen können, unsere Bereitschaft, Wissen zu behaupten, beeinflusst werden kann, muss dann durch eine zusätzliche sprachpragmatische Theorie von Wissensaussagen erklärt werden. Wichtig dabei ist es, dass das Verhältnis zwischen dem mit einer Wissensaussage Gesagten und dem Gemeinten plausibel analysiert wird.
6.5 Zusammenfassung In kontextualistischen, relativistischen und subjektsensitiv invariantistischen Semantiken werden auf unterschiedliche Weise die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen auf bestimmte Kontexte relativiert. Im Kontextualismus beeinflussen die Standards für „wissen“ im Kontext des Wissenszuschreibers (d. h. des Sprechers) die Wahrheitswerte von Wissensaussagen. Für Relativisten sind es die Standards des Bewerters einer Wissensaussage. Der semantische Unterschied zwischen Kontextualismus und Relativismus tritt vor allem dann zu Tage, wenn eine von Sprecher A getätigte Wissensbehauptung „S weiß, dass p“ von einer Person B beurteilt und bewertet wird. Im Relativismus sind es dann nicht (wie es der Kontextualist behauptet) die Standards von A, sondern die Standards von B, die die Wahrheit dieser Wissensaussage bestimmen. Im Unterschied zum Kontextualismus kann in relativistischen Semantiken daher z. B. das Zurücknehmen von Wissensbehauptungen angesichts neuer Informationen erklärt werden. Kontextualisten verstehen den Ausdruck „wissen“ als kontextsensitiv – in Analogie etwa zu graduierbaren Adjektiven. Im Kontextualismus variiert der semantische Gehalt von „wissen“ durch die verschiedenen Standards, die der jeweilige Wissenszuschreiber in seinem Kontext an den Wissensbegriff anlegt. Relativisten verstehen „wissen“ hingegen eher als bewertungssensitiv. Wissensaussagen verändern im Relativismus ihren Wahrheitswert mit der jeweiligen Perspektive, von der aus sie bewertet werden. Der Ausdruck „wissen“ ist daher im Relativismus ähnlich zu verstehen wie etwa Prädikate des persönlichen Geschmacks oder epistemische Modalausdrücke. Aussagen, in denen diese Ausdrücke vorkommen, haben keinen objektiv feststehenden Wahrheitswert, sondern variieren je nach Geschmacksempfinden oder Informationsstand derjenigen, die diese Aussagen bewerten.
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6 Wissen und Kontext
Sowohl kontextualistische als auch relativistische Semantiken haben kontraintuitive Konsequenzen. Das bloße unmotivierte Erwägen von Irrtumsmöglichkeiten scheint nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Wissensstandards zu führen. Wenn dem so wäre, könnte man sich und anderen immer dann Wissen absprechen, wenn man skeptische Hypothesen ins Spiel bringt. Der Kontextualismus bietet daher auch keine überzeugende Antwort auf die skeptische Herausforderung, denn Kontextualisten geben ja immerhin zu, dass (positive) Wissensaussagen über die Außenwelt innerhalb skeptischer Kontexte niemals wahr sein können. Darüber hinaus zeigen sich deutliche Asymmetrien zwischen „wissen“ und kontext- bzw. bewertungssensitiven Ausdrücken. Während im Kontextualismus viele als genuin empfundene Dissense sich als bloße verbale Dispute auflösen, werden im Relativismus viele derartige Dissense als „fehlerfrei“ oder „schuldlos“ ausgewiesen. Auch ergeben sich Probleme, wenn in Kontexten mit höheren Wissensstandards eigene Wissensbehauptungen in Kontexten mit niedrigeren Wissensstandards beurteilt werden sowie in Fällen, bei denen der Wissenszuschreiber bzw. -bewerter ignoranter ist als das Erkenntnissubjekt selbst. Im subjektsensitiven Invariantismus variieren die Standards für „wissen“ mit den praktischen Interessen des epistemischen Subjekts. Eine Wissensaussage „S weiß, dass p“ hat daher zu einem bestimmten Zeitpunkt t stets einen festen Wahrheitswert. Unterschiede zwischen dieser Theorie und dem Kontextualismus bzw. Relativismus werden vor allem dann deutlich, wenn das Subjekt nicht mit dem Wissenszuschreiber bzw. -bewerter identisch ist. Auch wenn der Bewerter strengere Wissensstandards besitzt als das Erkenntnissubjekt S, so sind es dennoch die Standards von S, die die Wahrheitsbedingungen der Wissensaussage bestimmen. Gemäß SSI verhält sich der Ausdruck „wissen“ semantisch analog zu Prädikaten, die zeitabhängig ihre Extension ändern können. Der SSI kann zwar dadurch der Intuition genuiner Dissense Rechnung tragen, führt aber ansonsten ebenso zu analogen Problemen wie der Kontextualismus oder Relativismus. Die Wahrheitsbedingungen für Wissensaussagen, so lautet das Fazit der Überlegungen in diesem Kapitel, sind (bis auf die Tatsache, dass sie die Überzeugungen des epistemischen Subjekts beeinflussen können) weder von den epistemischen Standards des Subjektes noch des Wissenszuschreibers oder des Bewerters abhängig. Ob eine wahre Überzeugung als Wissen angesehen werden kann, hängt nicht davon ab, welche Irrtumsmöglichkeiten das Subjekt, der Sprecher oder der Bewerter der Wissensaussage in Betracht ziehen oder welche Interessen diese jeweils an der Wahrheit von p haben, sondern davon, wie die objektiven Gegebenheiten in der Situation der Überzeugungsgewinnung sind. Es scheint daher, dass eine nicht auf Kontexte relativierte Semantik für Wissensaussagen, wie sie Theorien epistemischer Methodensicherheit vorschlagen,
6.5 Zusammenfassung
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wesentlich plausibler ist. Dass z. B. angesichts von Irrtumsmöglichkeiten unsere Bereitschaft, Wissen zu behaupten, sinkt, ist hingegen ein sprachpragmatisches Phänomen, das durch eine entsprechende Theorie der Sprachpragmatik von Wissensaussagen analysiert werden muss.
7 Wissen und Werte 7.1 Die erkenntnistheoretische Wertediskussion Dass Wissen einen Wert für uns besitzt, ist offensichtlich. Worin jedoch der Wert des Wissens besteht, ist unter Philosophen umstritten und wird gegenwärtig kontrovers diskutiert. Wayne Riggs spricht sogar von einem „value turn“ in der aktuellen Erkenntnistheorie.1 Wissen hat natürlich gegenüber Nichtwissen oder Ignoranz für uns einen großen Wert. Durch Wissen können wir uns in der Umwelt erfolgreich orientieren. Wissen hilft uns, unsere Interessen durchzusetzen, unsere Ziele zu erreichen und unsere Wünsche zu erfüllen. Derjenige, der weiß, wann der nächste Bus zur Arbeitsstätte fährt, der weiß, wo der nächste Supermarkt ist, der weiß, wem er vertrauen kann, der weiß, dass Fliegenpilze giftig sind, oder der weiß, dass man bei einer roten Ampel stehen bleiben muss, wird sein Leben sehr viel besser meistern als derjenige, der all dies nicht weiß. Auch von Erkenntnisphilosophen wird dies natürlich nicht bestritten. In der erkenntnistheoretischen Wertediskussion geht es vor allem um die Frage, ob es epistemische Werte gibt, die tatsächlich nur für Wissen spezifisch sind. Es wäre ja immerhin möglich, dass der vermeintliche „Wert des Wissens“ nicht dem Wissensbegriff selbst, sondern vielmehr anderen epistemologischen Begriffen zuzuschreiben ist.2 Vielleicht ist Wissen gar nicht per se wertvoll, sondern es sind andere kognitive Zustände, die häufig mit Wissen einhergehen oder durch Wissen befördert werden. Auch wäre es möglich, dass Wissen keinen Wert besitzt, der nicht bereits schon in einem der (echten) Bestandteile von Wissen, wie z. B. der Wahrheit oder der wahren Überzeugung, realisiert ist. Kann derjenige, der eine bloße wahre Überzeugung darüber besitzt, wann der nächste Bus zur Arbeitsstätte fährt, wo der nächste Supermarkt ist, wem er vertrauen kann, dass Fliegenpilze giftig sind oder dass man bei einer roten Ampel stehen bleiben muss, sich nicht genauso erfolgreich in seiner Umwelt orientieren wie derjenige, der dies alles auch noch weiß? Wissen ist für uns natürlich nicht immer von praktischem Nutzen. In einzelnen Fällen kann Wissen im Unterschied zu Nichtwissen negative Konsequenzen für uns haben. Nehmen wir an, dass jemand eine falsche Meinung über die Abfahrtszeit eines Busses hat und deshalb diesen Bus nicht mehr erreicht. Auf seiner weiteren Fahrt explodiert eine in diesem Bus versteckte Bombe, so dass viele Fahrgäste dadurch schwer verletzt werden. Hätte die Person gewusst, wann der Bus abfährt, und wäre deshalb rechtzeitig an der Bushaltestelle gewesen, wäre auch sie jetzt schwer verletzt. Das Nichtwissen hat sie hier also vor einer schweren Verletzung bewahrt. Wissen ist im Unterschied zu Nichtwissen auch
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7 Wissen und Werte
nicht unbedingt immer mit einer höheren Lebensqualität oder Zufriedenheit verbunden. Wer weiß, dass er bald sterben wird, verbringt vielleicht den Rest seines Lebens in Angst und Verzweiflung. Wer weiß, unter welchen Qualen Tiere für die Fleischproduktion gehalten und geschlachtet werden, dem wird sein Steak oder seine Putenbrust vielleicht nicht mehr so köstlich schmecken. Wissen ist also nicht immer für das Leben des Menschen zweckmäßig und macht es auch nicht immer angenehmer. Des Weiteren gibt es natürlich auch Fälle, in denen die bloße wahre Überzeugung denselben Nutzen hat wie das entsprechende Wissen. Es ist sogar möglich, dass eine Person, die noch nicht einmal von der Wahrheit einer Proposition p überzeugt ist, sondern einfach nur die wahre Proposition erraten hat, hieraus denselben Nutzen zieht wie aus dem Wissen, dass p. Wer im Fernsehquiz aus vier Antwortmöglichkeiten auf die Millionenfrage eine der Antworten einfach willkürlich auswählt und zufälligerweise dabei die korrekte Antwort trifft, erhält genauso die Million wie derjenige, der die Antwort kennt und auch noch begründen kann, warum sie korrekt ist. Wer also behauptet, dass Wissen wertvoller ist als bloße wahre Überzeugung, behauptet damit natürlich nicht, dass Wissen immer für das menschliche Leben wertvoller ist als bloße wahre Überzeugung, sondern dass dies oftmals oder typischerweise der Fall ist. Wenn Wissen tatsächlich gegenüber bloßer wahrer Überzeugung einen spezifischen Wert besitzt, dann stellt sich des Weiteren die Frage, von welcher Art dieser Wert ist. Etwas kann z. B. im instrumentellen Sinne wertvoll sein, wenn es zur Erlangung eines Gutes dient. In diesem Sinne sind etwa Lebens-, Arznei-, Verkehrs- oder Zahlungsmittel instrumentell wertvoll. Etwas kann aber auch intrinsisch wertvoll sein, nämlich dann, wenn es aufgrund seiner internen Eigenschaften schätzenswert ist. Etwas besitzt zudem einen finalen Wert, wenn es um seiner selbst willen geschätzt wird. So kann etwa ein Möbelstück instrumentellen Wert besitzen, wenn es als Gebrauchsgegenstand für das Leben eines Menschen dienlich ist. Es kann aber auch aufgrund seines besonderen Materials und seiner Form einen intrinsischen Wert besitzen. Handelt es sich um ein Möbelstück einer sehr berühmten Persönlichkeit, dann besitzt es auch einen finalen Wert. Diesen finalen Wert erlangt das Möbelstück durch seine spezielle Beziehung zu der berühmten Persönlichkeit. Zwischen einem intrinsischen und einem finalen Wert kann es somit einen Unterschied geben.3 So ist etwa der Ball, mit dem im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1966 zwischen England und Deutschland das berühmte Wembley-„Tor“ erzielt wurde, intrinsisch wenig wertvoll. Sein Material und seine Beschaffenheit sind kaum von Wert. Er ist jedoch final wertvoll aufgrund der spezifischen Geschichte, die mit diesem Ball verbunden ist: Mit ihm wurde das vielleicht berühmteste (Nicht-)Tor der Fußballgeschichte geschossen. Ein vollkommen materialgleicher Ball würde diesen Wert natürlich nicht besitzen.
7.2 Das epistemische Werteproblem
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Wenn der Wert des Wissens allein darin bestehen würde, für die Verfolgung anderer Werte und Ziele, wie etwa Macht, Reichtum und Erfolg, nützlich zu sein, dann wäre Wissen rein instrumentell wertvoll. Wissen besäße ebenfalls einen rein instrumentellen Wert, wenn der Wert des Wissens bloß nützlich für die Beförderung eines noch fundamentaleren epistemischen Gutes wäre, wie z. B. die Wahrheit oder die wahre Überzeugung. Es scheint jedoch auch, dass manches Wissen um seiner selbst willen wertvoll ist. Jedenfalls schätzen wir den Wissenden oftmals auch ganz unabhängig davon, welche Ziele und Zwecke er mit seinem Wissen realisieren kann. Ob Wissen instrumentell oder sogar final wertvoll ist, soll nun im Folgenden näher untersucht werden.
7.2 Das epistemische Werteproblem Die Frage, ob Wissen typischerweise epistemisch wertvoll ist – und wenn ja, worin der spezifische epistemische Wert des Wissens besteht –, wird auch als das „epistemische Werteproblem“ bezeichnet.4 Pritchard unterscheidet drei verschiedene Lesarten des Werteproblems: Die Frage, ob Wissen gegenüber bloßer wahrer Überzeugung einen Mehrwert besitzt, nennt er das „primäre Werteproblem“. Das „sekundäre Werteproblem“ bezieht sich hingegen auf die Frage, ob Wissen einen spezifischen Mehrwert gegenüber allen seinen Bestandteilen besitzt. Im tertiären Werteproblem wird der Frage nachgegangen, ob Wissen gegenüber seinen Begriffsbestandteilen einen ganz spezifischen finalen Mehrwert besitzt.5 Die Beantwortung des primären Werteproblems muss nicht zwangsläufig auch eine Antwort auf das sekundäre Werteproblem liefern. Es wäre ja immerhin möglich, dass eine wahre Überzeugung erst gemeinsam mit einer weiteren für Wissen notwendigen Bedingung einen epistemischen Wert besitzt, diese zusätzliche Bedingung aber zusammen mit der wahren Überzeugung noch nicht hinreichend für Wissen ist. Für Pritchard besteht jedoch erst in der Lösung des tertiären Werteproblems die eigentliche Antwort auf die Frage nach dem Wert des Wissens: In essence, then, the challenge we face in trying to account for the distinctive value of knowledge is to find a way of demonstrating that knowledge, unlike, that which falls short of knowledge, is finally valuable.6
7.2.1 Das Menon-Problem Das primäre Werteproblem wird bereits in Platons Dialog Menon behandelt. Sokrates stellt in diesem Dialog die Frage, warum Wissen wertvoller ist als
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7 Wissen und Werte
bloße wahre Meinung.7 Das primäre Werteproblem wird daher auch oftmals als das „Menon-Problem“ bezeichnet. Jemand, so Sokrates, der eine bloße wahre Meinung darüber besitzt, welcher Weg nach Larissa führt, ist doch offenbar kein schlechterer Führer auf dem Weg nach Larissa als derjenige, der dies auch weiß. Es scheint daher, so gibt Sokrates zu bedenken, dass eine wahre Meinung nicht weniger nützlich sei als Wissen. Wenn dem so ist, so entgegnet Menon, dann wundere er sich allerdings darüber, dass „Wissen viel schätzenswerter ist als richtige Meinung“, und frage sich, „worin das eine vom anderen verschieden ist“8. Sokrates entgegnet daraufhin, dass es sich mit den bloß wahren Meinungen genauso verhalte wie mit den Statuen des Dädalus, die davonliefen, wenn man sie nicht anbinde. Eine bloße wahre Meinung sei nämlich genauso flüchtig und müsse ebenfalls „angebunden“ werden, damit sie für den Menschen dauerhaft und stabil bleibe: Denn auch die wahren Meinungen sind eine schöne Sache und bewirken Gutes, solange sie bleiben. Lange Zeit wollen sie aber nicht bleiben, sondern entwischen aus der Seele des Menschen, so daß sie nicht viel wert sind, bis sie jemand anbindet durch eine begründete Argumentation […]. Wenn die Meinungen dann gebunden sind, werden sie erstens Erkenntnisse, zweitens bleibend. Deshalb ist Wissen wertvoller als richtige Meinung, und durch das Anbinden unterscheidet sich Wissen von richtiger Meinung.9
Jemand, der seine wahre Meinung auch durch Gründe argumentativ fundieren kann, verfügt im Sinne Platons über eine feste und stabile wahre Meinung, von der er sich nicht so leicht abbringen lässt. Ist eine Person den Weg nach Larissa schon mehrmals gegangen und kann sich an den Weg sehr gut erinnern oder hat den Weg nach Larissa in einer verlässlichen Landkarte nachgesehen, so ist ihre Meinung über den richtigen Weg nach Larissa nicht bloß wahr, sondern auch noch gerechtfertigt. Die Person wird sich dann insbesondere nicht von gegenteiligen Meinungen ihrer Mitwanderer irreleiten lassen und wird auch nicht an jeder Weggabelung an ihrer Meinung zu zweifeln beginnen. Es ist also nach Platon die epistemische Rechtfertigung, die der wahren Meinung erst ihre Stabilität verleiht und die daher den Wert von Wissen im Unterschied zu bloßer wahrer Meinung ausmacht. Wie jedoch bereits in Kapitel 3 gezeigt wurde, ist der Begriff der epistemischen Rechtfertigung als Bestandteil des Wissensbegriffs problematisch. Auch erwies sich aufgrund des Gettier-Problems eine wahre und epistemisch gerechtfertigte Überzeugung als nicht immer hinreichend für Wissen. Platons Lösung des primären Werteproblems muss also nicht zugleich auch eine Lösung für das sekundäre Werteproblem liefern. Außerdem ist Platon offenbar in seinem Dialog Menon nur am instrumentellen Wert des Wissens interessiert. Die zusätzliche Stabilität, die die Rechtfertigung einer wahren Meinung verleiht, verhilft nämlich
7.2 Das epistemische Werteproblem
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nach Platon dem Wissenden, seine praktischen Ziele zu verfolgen – wie z. B. sicher und verlässlich nach Larissa zu gelangen. Ob – und wenn ja, warum – Wissen auch einen nicht instrumentellen, d. h. finalen Wert besitzt, wird von Platon nicht thematisiert. Eine Antwort auf die Frage des tertiären Werteproblems gibt er daher nicht.
7.2.2 Das Swamping-Problem Aber vielleicht weist Platons Antwort auf die Frage nach dem primären Werteproblem dennoch in die richtige Richtung. Auch durch die epistemische Sicherheit der Methode der Überzeugungsgewinnung wird der wahren Überzeugung eine gewisse Stabilität und Verlässlichkeit verliehen. Allerdings stellt sich nun die Frage, ob es nicht viel eher die wahre Überzeugung selbst ist, die wir als wertvoll erachten. Dass eine Überzeugung durch eine verlässliche oder epistemisch sichere Methode gewonnen wurde, ist nur insofern wertvoll, so könnte man einwenden, als zuverlässige oder epistemisch sichere Methoden Mittel sind, um wahre Überzeugungen zu gewinnen. Ist eine Überzeugung jedoch schon wahr, dann ist damit der eigentliche epistemische Wert bereits realisiert, und sie wird nicht dadurch noch wertvoller, dass sie durch eine epistemisch sichere Methode gewonnen wurde. Ein solcher Einwand gegen den Mehrwert von Wissen im Unterschied zu bloßer wahrer Überzeugung wurde in Form des sogenannten „Swamping-Problems“ vor allem gegenüber reliabilistischen Wissenstheorien ins Feld geführt.10 Wenn wir bereits eine wahre Überzeugung als epistemisch wertvoll erachten, dann, so lautet der Einwand des Swamping-Problems, verdrängt der Wert der Wahrheit sozusagen den Wert einer durch eine zuverlässige Methode gewonnenen wahren Überzeugung. Betrachten wir hierzu etwa das folgende Beispiel: Um die Einnahme eines bestimmten Impfstoffes zu vereinfachen und ihn schmackhafter zu machen, werden Tropfen dieses Impfstoffes auf einen Zuckerwürfel geträufelt und so dem Patienten verabreicht. Natürlich kann man nun sagen, dass der mit Impfstoff beträufelte Zuckerwürfel für den Patienten wertvoll ist, da er ihm Immunität gegen eine bestimmte Krankheit beschert. Allerdings wäre dieser Wert auch dann bereits realisiert, wenn der Patient die Tropfen des Impfstoffes pur verabreicht bekäme. Der Wert liegt also allein in dem Impfstoff und nicht in dem mit Impfstoff beträufelten Zuckerwürfel. Der Zuckerwürfel ist nur eine für den Patienten angenehmere Darreichungsform und hilft, dass der Impfstoff leichter zugeführt wird und somit seinen Wert auch entfalten kann. Vielleicht verhält es sich mit Wissen ja ähnlich: So, wie der Wert des mit dem Impfstoff beträufelten Zuckerwürfels bereits durch einen seiner Bestandteile – nämlich dem Impfstoff – realisiert ist,
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7 Wissen und Werte
ist vielleicht auch der Wert des Wissens schon durch einen Wissensbestandteil – wie etwa die wahre Überzeugung – gegeben. Besitzen wir nicht eigentlich bereits alles, wonach wir epistemisch streben, wenn wir über eine wahre Überzeugung verfügen? Ist der zusätzliche Faktor (wie etwa die epistemische Sicherheit oder Zuverlässigkeit der Methode der Überzeugungsbildung) nicht letztlich epistemisch wertlos? In ähnlicher Weise argumentiert auch Linda Zagzebski gegen die epistemische Mehrwertintuition des Wissens in reliabilistischen Theorien unter Zuhilfenahme der folgenden Analogie: Man stelle sich vor, dass eine Espressomaschine in zuverlässiger Weise sehr schmackhaften Espresso zubereitet. Der Wert des Espressos, nämlich sein guter Geschmack, wird jedoch nicht dadurch gesteigert, dass er aus dieser Espressomaschine stammt. Zwar ist die Verwendung einer zuverlässigen Espressomaschine ein gutes Mittel, um diesen Wert zu realisieren, d. h. die Verwendung einer solchen Espressomaschine ist ein gutes Mittel zur Bereitung eines wohlschmeckenden Espressos. Allerdings erhält ein wohlschmeckender Espresso durch die Tatsache, dass er aus einer zuverlässigen Espressomaschine stammt, keinen zusätzlichen Wert. Wenn es nur darum geht, einen wohlschmeckenden Espresso zu trinken, ist es völlig unerheblich, woher der wohlschmeckende Espresso stammt. Ob dieser Espresso aus einer sehr zuverlässigen Espressomaschine kommt oder ein Zufallsprodukt aus einer Espressomaschine ist, die normalerweise schlecht schmeckenden Espresso erzeugt, spielt hierbei überhaupt keine Rolle. Zagzebski gibt nun zu bedenken, dass es sich mit Wissen genauso verhalten könnte wie mit dem wohlschmeckenden Espresso aus der zuverlässigen Espressomaschine. Ist der eigentliche epistemische Wert, nämlich die Wahrheit der Überzeugung, bereits realisiert, dann wird diesem Wert durch die Tatsache, dass die Überzeugung durch einen zuverlässigen Prozess gewonnen wurde, nichts mehr hinzugefügt.11 Das Swamping-Problem wird in der Literatur somit meist als reductio ad absurdum-Argument gegen reliabilistische Wissenstheorien verstanden: Da wir, so der Einwand des Swamping-Problems, die klare Intuition haben, dass Wissen wertvoller ist als bloße wahre Überzeugung, da jedoch einer wahren Überzeugung durch die Bedingung der Zuverlässigkeit der Methode der Überzeugungsgewinnung kein zusätzlicher Wert verliehen wird, müssen reliabilistische Wissenstheorien zurückgewiesen werden. In diesem Sinne schreibt etwa Ward Jones: […] given the reliabilist’s framework, there is no reason why we should care what the method was which brought about a true belief, as long as it is true. We value the better method, because we value truth, but that does not tell us why we value the true beliefs brought about by that method over true beliefs brought about by other less reliable ones.12
7.2 Das epistemische Werteproblem
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Wenn das Swamping-Problem tatsächlich ein Problem für reliabilistische Wissenstheorien ist, dann ist es jedoch auch in gleicher Weise ein Problem für all diejenigen Theorien, in denen eine wahre Überzeugung als einziger finaler epistemischer Wert gilt und in denen die anderen Begriffsbestandteile von Wissen daher höchstens bloß instrumentell nützlich für die Realisierung dieses Wertes sind, d. h. für all diejenigen Theorien, in denen ein sogenannter „Wahrheitsmonismus“ in Bezug auf epistemische Werte angenommen wird. Wahrheitsmonisten machen geltend, dass Wahrheit der einzige finale epistemische Wert ist, da im Erlangen von wahren Überzeugungen das eigentliche Ziel unserer kognitiven Bemühungen bestehe.13 Ein Wahrheitsmonismus widerspricht daher der Auffassung, wonach dem Wissen, dass p, ein spezifischer finaler Wert zukommt, der nicht bereits schon durch die wahre Überzeugung, dass p, realisiert ist. Einige Wahrheitsmonisten, wie etwa Ansgar Beckermann, wollen sogar auf den Wissensbegriff vollständig verzichten, da er gegenüber dem Begriff der wahren Überzeugung keinen zusätzlichen Wert besitze.14 Die meisten Erkenntnistheoretiker versuchen jedoch, den Wahrheitsmonismus angesichts der Mehrwertintuition von Wissen gegenüber wahrer Überzeugung zu leugnen und eine Antwort auf das Swamping-Problem zu geben, indem sie auf wissensspezifische finale epistemische Werte verweisen. Auch Alvin Goldman und Erik Olssen haben versucht, die durch das Swamping-Problem formulierte Kritik an reliabilistischen Wissenstheorien zurückzuweisen. Für sie gibt es durchaus einen epistemischen Wert, der eine durch eine reliable Methode gewonnene wahre Überzeugung gegenüber einer bloßen wahren Überzeugung auszeichnet. Eine auf zuverlässige Weise erworbene wahre Überzeugung erhöhe nämlich, so Goldman und Olsson, die Wahrscheinlichkeit auf zukünftige wahre Überzeugungen in Bezug auf ähnliche Fälle: What is this extra valuable property that distinguishes knowledge from true belief? It is the property of making it likely that one’s future beliefs of a similar kind will also be true. More precisely, under reliabilism, the probability of having more true belief (of a similar kind) in the future is greater conditional on S’s knowing that p than conditional on S’s merely truly believing that p.15
Derjenige, der ein unzuverlässiges und nicht korrekt funktionierendes Navigationssystem benutzt, wird vielleicht in einigen Fällen wahre Überzeugungen über den korrekten Weg zum Zielort erlangen. In vielen anderen Fällen wird dieses Navigationsgerät jedoch falsche Wegbeschreibungen liefern, aus denen der Nutzer falsche Überzeugungen gewinnt. Ist das Navigationssystem hingegen zuverlässig, so ist das Benutzen dieses Navigationssystems zur Gewinnung von wahren Überzeugungen über den richtigen Weg eine epistemisch sichere Methode und führt daher zu vielen anderen wahren Überzeugungen im Hinblick auf den richtigen Weg zu einem Zielort.
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7 Wissen und Werte
Die Verwendung einer epistemisch sicheren Methode bei der Erlangung einer wahren Überzeugung, dass p, erhöht in diesem Sinne ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, wahre Überzeugungen in Bezug auf ähnliche Propositionen zu erzielen. Wer zu der wahren Überzeugung gelangt, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, weil er der Ansicht ist, dass die bevölkerungsreichste Stadt eines Landes immer dessen Hauptstadt ist, wird auf diese Weise auch zu vielen falschen Überzeugungen gelangen, wie z. B. zu den falschen Überzeugungen, dass Istanbul die Hauptstadt der Türkei oder Sydney die Hauptstadt Australiens ist. Wer hingegen seine Überzeugungen hinsichtlich der Hauptstädte von Ländern aus seriösen Erdkundebüchern gewinnt, erhöht in erheblichem Maße die Wahrscheinlichkeit, in diesem Bereich zu wahren Überzeugungen zu gelangen. Es sind somit, so Goldman und Olsson, nicht bloß singuläre wahre Überzeugungen, die wir anstreben und die einen epistemischen Wert besitzen. Vielmehr schätzen wir wahre Überzeugungen erst dann, wenn sie das Resultat verlässlicher bzw. epistemisch sicherer Methoden der Überzeugungsgewinnung sind. Allerdings, so räumen Goldman und Olsson ein, ist der epistemische Mehrwert von reliabel erzeugten wahren Überzeugungen im Unterschied zu bloßen wahren Überzeugen von bestimmten kontingenten empirischen Annahmen abhängig.16 Erlangt ein epistemisches Subjekt durch die Anwendung einer zuverlässigen Methode die wahre Überzeugung, dass p, dann kann diese Methode nämlich nur dann die Wahrscheinlichkeit auf zukünftige wahre Überzeugungen in ähnlichen Fällen erhöhen, wenn es überhaupt derartige ähnliche Fälle gibt, d. h. wenn der ursprüngliche Überzeugungsbildungsprozess nicht bloß ein einzigartiges, beispielloses Ereignis darstellt. Auch erhöht Wissen im Sinne von Goldman und Olsson nur dann die Wahrscheinlichkeit, zukünftige wahre Überzeugungen zu erlangen, wenn die Welt sich nicht so verändert, dass der gegenwärtig verlässliche Überzeugungsbildungsprozess in Zukunft nicht mehr reliabel ist, oder wenn die Welt sich so verändert, dass Erkenntnissubjekte nicht mehr in der Lage sind, Überzeugungen in ähnlichen Fällen überhaupt zu bilden. Würde alles Leben auf der Welt durch einen gigantischen finalen atomaren Angriff vernichtet, wäre das unmittelbar vor diesem Atomangriff gewonnene Wissen dennoch epistemisch wertvoll und diejenigen bloß wahren Überzeugungen, die auf unzuverlässige Weise entstanden sind, wären es nicht. Des Weiteren erhöht manches Wissen nur dann die Wahrscheinlichkeit, zu weiteren wahren Überzeugungen in ähnlichen Fällen zu gelangen, wenn das Erkenntnissubjekt der verwendeten Methode als Mittel der Erkenntnisgewinnung auch in zukünftigen ähnlichen Fällen vertraut. Wer etwa der falschen Ansicht ist, dass ein bisher zuverlässig arbeitendes Navigationssystem nun nicht mehr korrekt funktioniert, wird auf der Basis der Angaben dieses Navigationssystems keine Überzeugungen im Hinblick auf den korrekten Weg zu einem Ziel mehr
7.2 Das epistemische Werteproblem
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bilden – und deshalb auch nicht zu entsprechenden wahren Überzeugungen gelangen. Obwohl das Navigationssystem tatsächlich immer noch zuverlässig funktioniert, dient es in diesem Falle dann nicht mehr zur weiteren Gewinnung wahrer Überzeugungen. Das auf der Basis der Angaben des Navigationssystems früher gebildete Wissen dürfte dann jedoch im Sinne von Goldman und Olsson keinen spezifischen epistemischen Mehrwert gegenüber einer entsprechenden bloßen wahren Überzeugung besitzen, was kontraintuitiv erscheint. Auch scheint es, dass zumindest der instrumentelle Wert von manchem Wissen im Unterschied zu bloßer wahrer Überzeugung nur dann realisiert ist, wenn dem Erkenntnissubjekt auch bewusst ist, dass es dieses Wissen besitzt. Manches Wissen kann nur dann seinen praktischen Nutzen entfalten, wenn das Erkenntnissubjekt auch weiß, dass es über dieses Wissen verfügt. Im Beispiel 17 des letzten Kapitels17 weiß Hannah zwar nach reliabilistischer Sicht, dass die Bank am nächsten Tag (d. h. am Samstag) geöffnet hat, denn sie verfügt über zuverlässige Evidenzen, wie etwa ihre Erinnerung, dass die Bank erst zwei Wochen zuvor an einem Samstag geöffnet hatte (und ihr Wissen, dass Änderungen von Öffnungszeiten normalerweise einige Wochen vorher durch Aushang bekannt gegeben werden), so dass ihre wahre Überzeugung als Wissen ausgezeichnet werden kann. Dennoch würde Hannah ihrer Überzeugung, dass die Bank am nächsten Tag geöffnet hat, nicht den Status von Wissen zuschreiben. Da für sie sehr viel auf dem Spiel steht, wenn sich ihre Überzeugung wider Erwarten als falsch herausstellen sollte, ist sie nicht bereit, sich so zu verhalten, als ob sie wüsste, dass die Bank am nächsten Tag geöffnet hat. Für sie hat ihr Wissen daher keinen praktischen Wert, da sie ihr Handeln nicht danach ausrichtet. Ihr Wissen führt nicht dazu, dass sie nach Hause fährt und am nächsten Tag wiederkommt. Vielmehr geht sie in die Bank hinein und erkundigt sich nach den Öffnungszeiten – oder stellt sich gleich in der langen Warteschlange am Bankschalter an. Dass sie nicht bloß über eine wahre Überzeugung verfügt, sondern auch noch über eine wahre Überzeugung, die zuverlässig erworben wurde, hat für Hannah hier also keinen weiteren praktischen Nutzen. Goldmans und Olssons Antwort auf das Swamping-Problem hat somit lediglich gezeigt, dass auf verlässliche Weise gewonnene wahre Überzeugungen in einigen Fällen und nur unter bestimmten Umständen einen gewissen instrumentellen Wert gegenüber bloßen wahren Überzeugungen besitzen. Wissen im reliabilistischen Sinne (bzw. Wissen im Sinne von wahren und durch epistemisch sichere Methoden gewonnenen Überzeugungen) kann im Unterschied zu bloßen wahren Überzeugungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, in ähnlichen Fällen zu wahren Überzeugungen zu gelangen. Wissen ist insofern epistemisch wertvoll, als es für das epistemische Ziel, wahre Meinungen zu erlangen, förderlich sein kann.
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7 Wissen und Werte
In diesem Sinne besitzt Wissen einen instrumentellen epistemischen Wert, da es das epistemische Gut der wahren Überzeugung befördert. Wissen kann zudem auch einen instrumentellen praktischen Wert besitzen, wenn die wahren Überzeugungen, die es befördert, zu Einsichten führen, Entscheidungshilfen geben oder Handlungen auslösen, die für die Erkenntnissubjekte von Nutzen sind. Diese Antwort auf das Swamping-Problem erklärt aber nicht, wieso Wissen unabhängig von der Frage, ob es auch in ähnlichen Fällen zur Erlangung weiterer wahrer Überzeugungen beitragen kann, intuitiv wertvoll erscheint. Wissen, so scheint es, hat nämlich auch einen spezifischen nicht instrumentellen Wert, der weder in der bloßen wahren Überzeugung noch in einem anderen Begriffsbestandteil von Wissen realisiert ist.18 Doch worin könnte dieser finale Wert des Wissens bestehen? Oder ist diese Intuition eines finalen Wertes des Wissen fehlgeleitet und unhaltbar?
7.3 Der finale Wert des Wissens Etwas, das einen finalen epistemischen Wert besitzt, ist ein fundamentales Gut, das sich nicht bloß als instrumentell nützlich für die Beförderung weiterer fundamentaler Werte (seien diese nun epistemischer oder nicht-epistemischer, praktischer Natur) erweist, sondern das aus sich selbst heraus epistemisch kostbar ist und um seiner selbst willen geschätzt wird. Final Wertvolles wird im Unterschied zu intrinsisch Wertvollem vor allem auch aufgrund seiner relationalen Eigenschaften (z. B. aufgrund seiner speziellen Entstehungsgeschichte oder aufgrund seiner speziellen Beziehung zu Personen) geschätzt. Der Ball, mit dem das Wembley-„Tor“ geschossen wurde, das Original der Gutenberg-Bibel oder eine Lederjacke von Michael Jackson haben einen solchen finalen Wert. Manches, das einen hohen finalen Wert besitzt, ist auch im monetären Sinne wertvoll. Eine Lederjacke von Michael Jackson wurde etwa für rund 1,3 Millionen Euro versteigert, und der Wert der originalen Gutenberg-Bibel liegt bei mehreren Millionen Euro. Etwas kann jedoch auch nur für einzelne Personen final wertvoll sein und weder einen hohen monetären Wert besitzen, noch von anderen für wertvoll erachtet werden – wie etwa ein alter Teddybär, eine Haarlocke der Geliebten oder eine Urkunde über die erfolgreiche Teilnahme an einem AmateurLaufwettbewerb. Der vermeintlich finale Wert des Wissens ist hiervon jedoch zu unterscheiden. Anders als etwa beim Wert der Gutenberg-Bibel ergibt sich der finale Wert des Wissens nicht aus seiner Rarität oder Einzigartigkeit. Auch scheint der Wert des Wissens nicht bloß für besondere wissenschaftliche Errungenschaften zu gelten. Natürlich wird z. B. bestimmtes Wissen über die menschliche DNA, über
7.3 Der finale Wert des Wissens
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die Quantenfeldtheorie oder über die Geschichte des Altertums sehr geschätzt. Der finale Wert des Wissens liegt jedoch nicht in der besonderen intellektuellen oder wissenschaftlichen Signifikanz des Gewussten. Wer das Swamping-Problem durch den Verweis auf die Existenz eines finalen Wertes von Wissen im Unterschied etwa zu bloßer wahrer Überzeugung lösen möchte, spricht auch weniger anspruchsvollem oder weniger außergewöhnlichem Wissen einen spezifischen finalen Wert zu. In diesem Sinne schreibt auch Kvanvig: It may be true that we find wondrous and precious and fascinating the special knowledge found in theoretical physics, but this value does not generalize to our legitimate valuing of comparatively mundane knowing, such as knowing where to find a good set of tires at a decent price. The solution to the Swamping Problem has to have a kind of generality that doesn’t depend on the rarity of knowledge […].19
Wissen ist zudem nicht bloß, wie die Haarlocke der Geliebten, für einige Personen schätzenswert. Wenn Wissen einen finalen Wert besitzt, dann ergibt sich dieser Wert aus seinen spezifischen Eigenschaften und Funktionen für den Menschen und stellt einen objektiven Wert dar, d. h. einen Wert, dem rationale Subjekte Wissen zusprechen würden. In diesem Sinne ist der finale Wert des Wissens etwa mit dem Wert von Menschenrechten zu vergleichen.20 Auch wenn nicht jeder in gleichem Maße das Recht auf Leben und Selbstbestimmung sowie die Meinungsfreiheit oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau schätzt und würdigt, haben Menschenrechte dennoch einen objektiven finalen Wert, der für alle Menschen gilt.
7.3.1 Kognitive Errungenschaften und der finale Wert des Wissens Wie bereits in Kapitel 4.3 gezeigt, wird in Tugenderkenntnistheorien Wissen als wahre Überzeugung analysiert, die durch die Ausübung kognitiver und intellektueller Tugenden gewonnen wurde. Tugenderkenntnistheorien sind offenbar gut in der Lage, den (finalen) Wert des Wissens zu erklären. Ein Erfolg, der sich aufgrund unserer eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten einstellt, wird in einem spezifischen Sinne mehr wertgeschätzt als ein Resultat, das nur durch einen glücklichen Zufall oder ohne eigene Anstrengungen erzielt wurde. Archie, der aufgrund seiner Bogenschützenkünste einen Pfeil genau ins Schwarze befördert, hat etwas Schätzenswertes erreicht, das unsere Anerkennung verdient. Jemand, der einfach aufs Geratewohl einen Pfeil abschießt und dabei ins Schwarze trifft, weil ein Magnetfeld dafür sorgt, dass ohnehin alle Pfeile ins Schwarze befördert werden, hat hingegen keine lobenswerte Tat vollbracht. Auch unabhängig von einem möglichen Ziel oder Nutzen, den wir aus erfolgreichen Tätigkeiten ziehen, scheinen
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7 Wissen und Werte
Erfolge zusätzlich einen gewissen nicht-instrumentellen Wert zu besitzen, wenn sie als Errungenschaften gelten, die man den Fähigkeiten ihrer Akteure zusprechen kann. So schreibt etwa auch der Tugenderkenntnistheoretiker John Greco: […] success from ability itself has final value, in that it is itself valuable as an end, independently of any instrumental value that it might have.21
Da nun Wissen in der Tugenderkenntnistheorie eine bestimmte Form der kognitiven Errungenschaft darstellt und kognitive Errungenschaften anscheinend auch um ihrer selbst willen epistemisch wertvoll sind, besitzt Wissen in diesen Theorien dadurch einen finalen Wert. Dieser finale Wert, der sich aus der Ausübung kognitiver und intellektueller Tugenden des Erkenntnissubjekts ergibt, ist somit etwas, das nur dem Wissen selbst und nicht bereits einem der Begriffsbestandteile von Wissen zukommt. Wissen qua kognitive Errungenschaft des Erkenntnissubjekts hat daher gegenüber einer bloßen wahren Überzeugung einen epistemischen Mehrwert, der zudem auch ein nicht-instrumenteller, finaler Wert ist. Im Rahmen einer Tugenderkenntnistheorie kann also sowohl eine Antwort auf das primäre Werteproblem, wie es in Gestalt des Swamping-Problems formuliert wurde, als auch auf das tertiäre Werteproblem gegeben werden. Allerdings wurde bereits in Kapitel 4 dafür argumentiert, dass ein tugend erkenntnistheoretisches Element in Form der Bedingung, dass die wahre Überzeugung eine kognitive Errungenschaft des Erkenntnissubjektes darstellen muss, weder hinreichend noch notwendig für Wissen ist. Wie die „gefährlichen“ GettierFälle gezeigt haben, kann eine Person sich kognitiv und intellektuell noch so sehr anstrengen, wenn ihre wahre Überzeugung einem umgebungsbedingten Zufall unterworfen ist, besitzt sie kein Wissen. Das „Morris-Beispiel“22 hat gezeigt, dass eine wahre Überzeugung auch ohne größere kognitive Anstrengung des Erkenntnissubjekts zu Wissen führen kann. Wissen ist daher nicht durch den Begriff der kognitiven Errungenschaft definierbar, und der vermeintlich finale Wert des Wissens kann somit auch nicht darin bestehen, dass eine wahre Überzeugung als kognitive Errungenschaft des Erkenntnissubjekts ausgezeichnet wird. In Theorien der epistemischen Methodensicherheit, die sich für das Projekt der Begriffsexplikation propositionalen Wissens als geeignet erwiesen haben, stellt sich Wissen manchmal ohne größere kognitive Anstrengung vonseiten des epistemischen Subjekts ein. Natürlich gibt es einen Unterschied in der epistemischen Wertschätzung von Erkenntnissubjekten im Hinblick auf die Art und Weise, wie sie zum Wissen gelangt sind. Diese Wertschätzung spielt jedoch in Theorien epistemischer Methodensicherheit für die Frage, ob Wissen zugeschrieben werden kann oder nicht, keine Rolle. Solange eine wahre Überzeugung durch eine epistemisch sichere Methode gewonnen wurde, gilt sie in diesen Theorien
7.3 Der finale Wert des Wissens
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als Wissen. Andrew Wiles, der Fermats letzten Satz bewiesen hat und dadurch das Wissen erzielte, dass es kein Gegenbeispiel zu diesem Satz geben kann, hat sich dieses Wissen natürlich auf deutlich kognitiv anstrengendere Weise erworben als derjenige, der von der Gültigkeit dieses Satzes aus einem neueren Mathematiklehrbuch oder einem entsprechenden „Wikipedia“-Eintrag erfahren hat. Wiles gilt daher als herausragender Mathematiker, der unsere größte Wertschätzung verdient. Unter der Voraussetzung, dass das Konsultieren eines neueren Mathematiklehrbuches sowie eines entsprechenden „Wikipedia“-Eintrags für den Erwerb der wahren Überzeugung, dass Fermats letzter Satz gültig ist, epistemisch sichere Methoden darstellen, weiß aber auch derjenige, der auf eine dieser Arten die wahre Überzeugung über die Gültigkeit des Satzes erworben hat, dass es zu Fermats letztem Satz kein Gegenbeispiel gibt. Wissen kann in Theorien epistemischer Methodensicherheit zwar, wie bereits in der Diskussion um reliabilistische Wissenstheorien im Zusammenhang mit dem Swamping-Problem gezeigt wurde, in manchen Fällen einen instrumentellen Wert besitzen. Wer seine wahren Überzeugungen durch epistemisch sichere Methoden erworben hat, wird, wenn er die Methode in ähnlichen Fällen wieder anwendet, ebenfalls zu wahren Überzeugungen gelangen. Er wird dadurch insgesamt erfolgreicher sein und seinen Wünschen und Zielen besser nachgehen können. Der Verweis auf einen instrumentellen Wert von manchem Wissen löst jedoch insbesondere nicht das tertiäre Werteproblem. Theorien epistemischer Methodensicherheit scheinen somit den intuitiv empfundenen finalen Wert von Wissen gegenüber allen Begriffsbestandteilen von Wissen nicht erklären zu können.
7.3.2 Wissen und Verstehen Vielleicht ist es gar nicht das Wissen selbst, sondern ein mit Wissen verbundener oder durch Wissen oftmals beförderter epistemischer Zustand, den wir final wertschätzen? So scheint es etwa, dass Verstehen gegenüber Wissen eine größere epistemische Wertschätzung genießt. Jemand, der, nachdem er einen entsprechenden Wikipedia-Eintrag gelesen hat, Wissen über Fermats letzten Satz gewonnen hat, versteht damit noch lange nicht diesen Satz. Erst derjenige, der die Beweisidee des Satzes nachvollzogen hat, der diesen Satz in den mathematischen Kontext einbetten kann und seine Bedeutung für die Zahlentheorie kennt, hat ein Verständnis über diesen Satz erlangt. Dieses Verstehen ist nun klarerweise epistemisch wertvoller als das bloße isolierte Wissen, dass Fermats letzter Satz gültig ist. Auch derjenige, der z. B. lediglich punktuelles Wissen über einzelne historische Daten über eine bestimmte Epoche der Weltgeschichte besitzt, diese
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7 Wissen und Werte
jedoch nicht in ihren historischen Kontext stellen kann und die Hintergründe der Ereignisse dieser Daten nicht kennt, versteht diese Epoche der Weltgeschichte nicht. Zwar ist dieses Wissen immer noch besser als völlige Unkenntnis, allerdings fehlt der Person etwas epistemisch Wichtiges und Wertvolles – nämlich ein Verstehen der historischen Zusammenhänge und Hintergründe. Auch wenn es zwischen Wissen und Verstehen viele Gemeinsamkeiten gibt, so finden sich zwischen ihnen jedoch auch signifikante Unterschiede. Ein sprachlicher Unterschied zwischen Wissen und Verstehen besteht darin, dass man das Verb „verstehen“, nicht aber das Verb „wissen“ unmittelbar auf bestimmte Gegenstandsbereiche, Objekte oder Personen anwenden kann, wie in den folgenden Beispielsätzen verdeutlicht wird: (1) Anna versteht die Quantenphysik. (2) Peter versteht Fermats letzten Satz. (3) Hannah versteht Luise. Will man den Wissensbegriff auf Gegenstandsbereiche, Objekte oder Personen anwenden, so ist „Wissen“ substantivisch zu verwenden, wie z. B. in: (1)* Anna hat/besitzt Wissen über die Quantenphysik. (2)* Peter hat/besitzt Wissen über Fermats letzten Satz. (3)* Hannah hat/besitzt Wissen über Luise. Die Sätze (1), (2) und (3) sind jedoch nicht völlig bedeutungsgleich mit den jeweils entsprechenden Sätzen (1)*, (2)* und (3)*.23 Wie oben bereits erwähnt, kann jemand über etwas Wissen besitzen, ohne dieses auch zu verstehen. Wer z. B. das Doppelspaltexperiment erläutern und die Schrödingergleichung nennen kann, besitzt sicherlich Wissen über die Quantenphysik. Ein Verständnis über die Quantenphysik stellt sich jedoch erst dann ein, wenn man die einzelnen mathematischen und experimentellen Bestandteile der Quantenphysik in einen Zusammenhang stellen und die Bedeutung dieser Experimente und Gleichungen, auch vor dem Hintergrund der klassischen Physik, erfassen kann. Niels Bohr behauptete sogar, dass man die Quantenphysik unmöglich verstanden habe könne, wenn man nicht zunächst über sie entsetzt sei.24 Verstehen scheint im Unterschied zu Wissen somit stärker holistisch zu sein. Wer etwas versteht, hat nicht bloß über diesen Gegenstand einzelne isolierte Überzeugungen, sondern Überzeugungen, die in einem bestimmten explanatorischen und inferentiellen Zusammenhang stehen. Manche beklagen sogar, dass in unserer „Wissensgesellschaft“, in der uns durch das Internet eine Flut isolierter Informationen zur Verfügung gestellt wird, das Verstehen immer mehr abhanden komme. Ebenso bedenklich ist für viele die Tendenz zum bloßen isolierten Faktenwissen, das z. B. in den zahlreichen und immer populärer werdenden Quiz-
7.3 Der finale Wert des Wissens
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sendungen im Fernsehen propagiert wird. Für Jonathan Kvanvig besitzt Verstehen daher einen höheren epistemischen Wert als Wissen: A head full of trivia and detail is an amazing thing, but nothing to be compared with the reach and sweep of a person of understanding, so if knowledge is a good thing, understanding is even better.25
Wer etwas versteht, kennt darüber hinaus auch die Gründe, warum bestimmte Sachverhalte gelten oder bestimmte Ereignisse eingetreten sind. Verstehen scheint somit ein gewisses Begreifen von Zusammenhängen und Gründen zu involvieren, das für Wissen nicht generell notwendig ist, das aber offenbar einen hohen Wert besitzt. Auch Kvanvig differenziert in diesem Sinne zwischen Wissen und Verstehen: Understanding requires the grasping of explanatory and other coherence-making relationships in a large and comprehensive body of information. One can know many unrelated pieces of information, but understanding is achieved only when informational items are pieced together by the subject in question.26
Wie bereits in Kapitel 2 gezeigt, ist das propositionale Wissen sozusagen die prototypische Form des Wissens. Das propositionale Wissen-dass steht daher auch im Zentrum begriffsanalytischer Untersuchungen in der philosophischen Erkenntnistheorie. Propositionales Verstehen-dass scheint hingegen eher untypisch zu sein. Verstehen-dass-Formulierungen sind sprachlich seltener als Verstehenwarum-Formulierungen. Viele Aussagen, in denen Verstehen propositional verwendet wird, lassen sich auf Verstehen-warum-Formulierungen zurückführen. Betrachten wir hierzu die beiden Beispielsätze: (4) Ich verstehe, dass Du verärgert bist. (5) Ich verstehe, dass Du mir keine Auskunft geben kannst. (6) Ich verstehe, dass Anna nach Berlin gezogen ist. (7) Ich verstehe, dass mein Computer abgestürzt ist. In diesen Sätzen bringt die Sprecherin zum Ausdruck, dass sie die Gründe kennt, warum jemand eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag legt bzw. warum etwas eine bestimmte Reaktion gezeigt hat. Sätze (4)–(7) lassen sich daher durch die folgenden Sätze (4)*–(7)* reformulieren: (4)* Ich verstehe, warum Du verärgert bist. (5)* Ich verstehe, warum Du mir keine Auskunft geben kannst. (6)* Ich verstehe, warum Anna nach Berlin gefahren ist. (7)* Ich verstehe, warum mein Computer abgestürzt ist.
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7 Wissen und Werte
Propositionales Verstehen scheint ebenso wie propositionales Wissen faktiv zu sein. Wenn ich verstehe, dass mein Computer abgestürzt ist, da ich die Gründe für seinen Absturz kenne, dann muss es auch der Fall sein, dass mein Computer tatsächlich abgestürzt ist. Einige Erkenntnistheoretiker leugnen zwar, dass Verstehen notwendigerweise faktiv sein muss; hierbei beziehen sie sich jedoch meist auf globale Verwendungen des Verstehensbegriffs, in denen „Verstehen“ auf Gegenstandsbereiche, Objekte und Personen (und nicht auf einzelne Propositionen) angewendet wird.27 Jemand, der im obigen Sinne über ein umfassendes und kohärentes Verständnis der Quantenphysik verfügt, verliert dieses Verständnis natürlich nicht einfach dadurch, dass er an einer peripheren und irrelevanten Stelle eine einzelne falsche Überzeugung über die Quantenphysik besitzt. In diesem Sinne wäre aber das Wissen über die Quantenphysik nicht immer faktiv, denn auch hier geht Wissen nicht notwendigerweise durch eine einzelne falsche Überzeugung verloren.28 Ebenso kann man natürlich etwas Falsches oder Inkonsistentes verstehen, solange man dabei nicht selbst falsche oder inkonsistente Überzeugungen hat. Wer eine falsifizierte oder inkonsistente Theorie, wie etwa die Phlogistontheorie oder die „naive Mengenlehre“, versteht, kennt die zentralen Annahmen, Theoreme und Gesetze dieser Theorien und versteht, wie diese zusammenhängen. Ein Verständnis der „naiven Mengenlehre“ involviert beispielsweise die Kenntnis des uneingeschränkten Komprehensionsaxioms und ein Verstehen der inferentiellen Zusammenhänge von Axiomen und Theoremen dieser Theorie. Wer dabei erkennt, dass die „naive Mengenlehre“ zu inkonsistenten Resultaten in Form von mengentheoretischen Paradoxien führt, hat eine wichtige wahre Überzeugung darüber gewonnen, dass (und warum) die naive Mengenlehre inkonsistent ist. Wer somit die inkonsistente Theorie der „naiven Mengenlehre“ versteht, besitzt dieses Verständnis, ohne dabei selbst inkonsistente mengentheoretische Überzeugungen zu haben.29 Es wurde bisher gezeigt, dass propositionales Wissen und Verstehen gleichermaßen faktiv sind, dass Verstehen aber im Unterschied zu Wissen ein stärker holistischer Begriff ist, da das Verstehen offenbar ein Erfassen und Begreifen von inferentiellen und explanatorischen Zusammenhängen involviert. Dies erklärt auch die Tatsache, dass Verstehen-warum-Formulierungen typischer sind als Verstehen-dass-Formulierungen. Das Verstehen einer Proposition beinhaltet mehr, als eine bloße wahre Überzeugung über diese Proposition zu besitzen. Wer z. B. versteht, dass sein Computer abgestürzt ist, scheint zu verstehen, warum er abgestürzt ist, d. h. er scheint auch zu wissen, warum sein Computer abgestürzt ist. Bedeutet dies, dass Verstehen sich letztlich als eine bestimmte Form des Wissens, nämlich als Wissen-warum, erweist? Dass dem nicht so ist, zeigen Vergleiche zwischen Verstehen-warum-Formulierungen mit Wissen-warum-Formulierungen. Wenn ein Erkenntnissubjekt S weiß, warum p, dann folgt daraus
7.3 Der finale Wert des Wissens
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nicht, dass S auch versteht, warum p. Nehmen wir an, dass ein medizinischer Laie ein Schmerzmittel von seinem Arzt verschrieben bekommt. Nach der Einnahme dieses Medikamentes lassen seine Schmerzen auch deutlich nach. Nehmen wir weiterhin an, dass dieses Medikament zuverlässig gegen Schmerzen hilft und dass die Einnahme des Medikamentes tatsächlich die alleinige Ursache für die Schmerzlinderung ist. In diesem Fall wäre es sicherlich korrekt zu behaupten, dass die Person weiß, warum ihre Schmerzen nachgelassen haben. Sie besitzt eine wahre und zuverlässige Überzeugung über die Ursache der Linderung ihrer Schmerzen. Allerdings ist man wohl eher nicht geneigt, von der Person zusätzlich auch zu behaupten, dass sie versteht, warum ihre Schmerzen nachgelassen haben. Als medizinischer Laie kennt sie nämlich nicht den genauen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikamentes und dem Nachlassen der Schmerzen. Sie versteht nicht, auf welche Weise das Medikament seine schmerzlindernde Wirkung entfaltet. Diese Kenntnisse über die kausalen Zusammenhänge zwischen Wirkung und Ursache scheinen für das Verstehen, warum die Wirkung eingetreten ist, allerdings wesentlich zu sein. Ebenso kann eine Person zwar wissen, warum ihr Computer abgestürzt ist, ohne jedoch zu verstehen, warum dies passiert ist. Nehmen wir an, dass eine Person, nennen wir sie „Larry“, ein computertechnischer Laie ist und sich wegen eines abgestürzten Computers an einen Computerfachmann wendet. Dieser erkennt sofort, worin das Problem besteht, und erteilt Larry die Auskunft: „Ihr Computer ist wegen Überhitzung der CPU abgestürzt.“ Nehmen wir weiterhin an, dass der Fachmann auch tatsächlich die richtige Ursache für den Absturz des Computers erkannt hat. Auch wenn Larry keine Ahnung davon hat, was genau eine CPU ist und wie eine Überhitzung der CPU zum Absturz des Computers führt, würden wir ihm dennoch das Wissen, warum sein Computer abgestürzt ist, zuschreiben. Nachdem er die Auskunft des Fachmanns erhalten hat, würde er sicherlich auch von sich selbst behaupten, zu wissen, warum sein Computer abgestürzt ist. Um jedoch zu verstehen, warum sein Computer abgestürzt ist, müsste Larry die kausalen Zusammenhänge zwischen der Überhitzung der CPU und dem Absturz des Computers genauer begreifen. Aus diesem Grunde würde Larry auch nach der Information durch den Computerfachmann wohl nicht von sich behaupten, zu verstehen, warum sein Computer abgestürzt ist.30 Aus dem Wissen, warum p, folgt somit nicht notwendigerweise das Verstehen, warum p. Umgekehrt scheint auch das Verstehen, warum p, nicht das Wissen, warum p, zu implizieren. Einige Erkenntnisphilosophen sehen nämlich einen signifikanten Unterschied zwischen Wissen und Verstehen in dem Umstand, dass Verstehen mit epistemischem Zufall kompatibel ist, der jedoch zum Ausschluss von Wissen führt.31 Wie bereits in Kapitel 4 gezeigt, ist Wissen mit veridisch epistemischem Zufall unvereinbar. Eine Überzeugung, die zwar wahr ist, die jedoch
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7 Wissen und Werte
sehr leicht hätte falsch sein können bzw. die durch eine epistemisch unsichere Methode gewonnen wurde, kann nicht als Wissen gelten. Aber auch veridisch epistemischer Zufall einer bestimmten Art kann Verstehen vereiteln. Pritchard ist der Auffassung, dass veridisch epistemischer Zufall, wie er in den ursprünglichen Gettier-Fällen, d. h. in den „hilfreichen Gettier-Fällen“, involviert ist, nicht nur mit Wissen, sondern auch mit Verstehen inkompatibel ist.32 Zur Erläuterung diskutiert Pritchard hierzu zunächst das folgende Beispiel:
Beispiel 19: Der Hausbrand – Variante 1 Als Duncan nach Hause kommt, ist sein Haus bereits bis auf die Grundmauern abgebrannt. Neben dem Haus steht eine Gruppe von Personen, die die typische Kleidung von Feuerwehrleuten tragen. Allerdings sind diese Personen lediglich als Feuerwehrleute verkleidet. Sie sind nur zufällig auf dem Weg zu einer Kostümparty an dem abgebrannten Haus vorbeigekommen. Die Feuerwehr, die versucht hat, den Brand zu löschen, ist bereits abgezogen. Duncan hält diese Gruppe jedoch für die zuständigen Feuerwehrleute und fragt daher eine der Personen nach der Ursache des verheerenden Brandes. Die Person findet nun offenbar daran Gefallen, für einen echten Feuerwehrmann gehalten zu werden. Sie hat keine Ahnung von der Ursache des Hausbrandes, setzt aber eine fachmännische Miene auf und antwortet: „Die Ursache für den Hausbrand war eine schadhafte elektrische Leitung.“ Zufälligerweise war die Ursache für den Hausbrand tatsächlich eine schadhafte elektrische Leitung.33 Beispiel 19 ist „hilfreichen“ Gettier-Fällen ähnlich. Der ungewöhnliche Umstand, dass als Feuerwehrleute verkleidete Personen am Brandort sind, verhalf Duncan zu einer wahren Überzeugung über die Ursache des Hausbrandes. Aufgrund des involvierten epistemischen Zufalls würde man jedoch nicht von Duncan behaupten, er wüsste, warum sein Haus abgebrannt ist. Ebenso wenig würde man von Duncan behaupten, er verstünde, warum sein Haus abgebrannt ist. Man kann offenbar kein Verstehen über die Ursachen eines eingetretenen Ereignisses gewinnen, wenn man von einem unzuverlässigen Informanten bloß zufälligerweise die richtige Auskunft über die Ursachen erhalten hat. Für Pritchard ist Verstehen jedoch im Unterschied zu Wissen nicht mit jeder Form veridisch epistemischen Zufalls unvereinbar. Ist umgebungsbedingter Zufall im Spiel (wie in den „gefährlichen“ Gettier-Fällen), so schließt dies ein Verstehen über die Ursachen eines Ereignisses nicht aus. Betrachten wir hierzu das folgende Beispiel:
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Beispiel 20: Der Hausbrand – Variante 2 Als Duncan nach Hause kommt, ist sein Haus bereits bis auf die Grundmauern abgebrannt. Neben dem Haus steht eine Gruppe von Personen, die die typische Kleidung von Feuerwehrleuten tragen. Allerdings sind diese Personen lediglich als Feuerwehrleute verkleidet. Sie sind nur zufällig auf dem Weg zu einer Kostümparty an dem abgebrannten Haus vorbeigekommen. Unter den Kostümierten befindet sich jedoch auch noch einer der Feuerwehrmänner, der bei der Brandbekämpfung dabei war. Seine Kollegen haben bereits den Brandort verlassen. Duncan hält diese Gruppe für die zuständigen Feuerwehrleute und fragt zufälligerweise den einzigen „echten“ Feuerwehrmann nach der Ursache des verheerenden Brandes. Der Feuerwehrmann kennt die Ursache des Brandes und antwortet: „Die Ursache für den Hausbrand war eine schadhafte elektrische Leitung.“34 Auch in diesem Beispiel erlangt Duncan eine wahre Überzeugung über die Ursache des Hausbrandes. Allerdings handelt es sich hier um einen „gefährlichen“ Gettier-Fall. Der ungewöhnliche Umstand, dass als Feuerwehrleute verkleidete Personen anwesend sind, hat die Erlangung der wahren Überzeugung gefährdet. Aufgrund dieses umgebungsbedingten Zufalls ist die Methode der Überzeugungsgewinnung auch hier epistemisch unsicher, so dass Duncan nicht zum Wissen darüber gelangt, warum sein Haus abgebrannt ist. Jedoch, so argumentiert Pritchard, besitzt die Person hier die wahre Überzeugung über die Ursache des Hausbrandes in einer Weise, die sie verstehen lässt, warum das Haus abgebrannt ist. Die Person hat eine wahre Überzeugung über die Ursache des Hausbrandes. Sie versteht auch, wie eine schadhafte elektrische Leitung zu einem Hausbrand führen kann. Sie hat zudem die wahre Überzeugung über die Ursache des Hausbrandes letztlich von einem zuverlässigen Informanten erhalten. Dass umgebungsbedingter Zufall im Spiel war, so dass die Person zufälligerweise den einzigen echten Feuerwehrmann nach der Ursache für den Hausbrand fragte, scheint nicht zu verhindern, dass die Person versteht, warum das Haus abgebrannt ist: […] environmental epistemic luck, unlike standard Gettier-style epistemic luck, is compatible with understanding. After all, the agent concerned has all the true beliefs required for understanding why his house burned down, and also acquired this understanding in the right fashion. It is thus hard to see why the mere presence of environmental epistemic luck should deprive the agent of understanding.35
Zu verstehen, warum p, impliziert somit nicht notwendigerweise zu wissen, warum p. In Beispiel 20 versteht Duncan, warum sein Haus abgebrannt ist, er weiß jedoch nicht, warum es abgebrannt ist. Fassen wir kurz die bisher gewonnenen Einsichten zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Wissen und Verstehen zusammen: Wissen und Ver-
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stehen sind in ihrer propositionalen Form beide faktiv. Auch sind sowohl Wissen als auch Verstehen mit epistemischem Zufall, wie er in den „hilfreichen“ GettierFällen involviert ist, inkompatibel. Verstehen ist jedoch im Unterschied zu Wissen ein stärker holistischer Begriff. Verstehen bedeutet insbesondere ein Erfassen von Kohärenz- und Erklärungszusammenhängen und nicht bloß die Kenntnis isolierter Fakten. Im Unterschied zum Wissen-warum setzt das Verstehen-warum zudem genaue Kenntnisse der kausalen Zusammenhänge zwischen den Gründen und Ursachen und der eingetretenen Wirkung voraus. Man kann somit wissen, warum p, ohne zu verstehen, warum p. Darüber hinaus ist Verstehen im Unterschied zu Wissen mit umgebungsbedingtem Zufall, wie er in den „gefährlichen“ Gettier-Fällen vorkommt, vereinbar. Aus diesem Grunde kann eine Person verstehen, warum p, ohne zu wissen, warum p. Verstehen erweist sich somit weder als eine spezifische Form des Wissens, noch erweist sich Wissen als eine spezifische Form des Verstehens. Dennoch gibt es natürlich viele Fälle, in denen ein Erkenntnissubjekt sowohl über Wissen als auch über Verstehen verfügt. Situationen (wie in Beispiel 20), in denen aufgrund eines involvierten umgebungsbedingten Zufalls Verstehen, nicht jedoch Wissen, vorliegt, sind recht selten. Ohne das Vorliegen von umgebungsbedingtem Zufall gilt, dass derjenige, der versteht, warum p, auch weiß, dass p. Wie bereits erwähnt, scheint Verstehen einen hohen epistemischen Wert zu besitzen. Ein holistisches Verstehen explanatorischer Zusammenhänge scheint im Vergleich zum bloßen isolierten Faktenwissen epistemisch wertvoller zu sein. Der Wert des Verstehens ist zum einen natürlich auch instrumenteller Natur. Wer Fakten in einen inferentiellen und explanatorischen Zusammenhang stellen kann, wer versteht, wie Dinge zusammenhängen und warum Ereignisse auftreten, gewinnt aus diesem Verstehen leicht neue wahre Überzeugungen. Auch verfügt der „Verstehende“ über ein strukturiertes und kohärentes Überzeugungssystem, das ihm hilft, Ereignisse zu erklären und vorherzusagen. Unser Streben nach Erkenntnis besteht nicht bloß darin, viele wahre Überzeugungen zu gewinnen und falsche Überzeugungen zu vermeiden. Vielmehr wollen wir auch Wichtiges und Relevantes erfassen. Jemand, der etwas versteht, läuft dabei weniger Gefahr, wie Kvanvig betont, Wichtiges und Relevantes zu übersehen: Whereas knowledge can be piecemeal, understanding requires more completeness. Thus, it is not possible for one to miss something important about which one has perfect understanding.36
Zum anderen scheint Verstehen aber auch gerade dadurch, dass es zu einem umfassenden, strukturierten und kohärenten System von Überzeugungen führt, welches explanatorisch und prognostisch relevant ist, final wertvoll zu sein.
7.4 Zusammenfassung
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Verstehen befriedigt im Unterschied zum bloßen Faktenwissen unser Bedürfnis nach Erklärung, Systematisierung und Strukturierung – und unseren Wunsch, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Es ist also meines Erachtens nicht das Wissen selbst, sondern das Verstehen, das wir final wertschätzen. Wenn wir Wissen einen finalen Wert zusprechen, dann meinen wir hierbei sicherlich nicht isoliertes Faktenwissen oder Wissen, das keine relevanten Erklärungszusammenhänge liefert. Jemand, der die Telefonnummern von hunderten von Personen auswendig gelernt hat, oder jemand, der sich die Mühe gemacht, alle Buchstaben in einer Ausgabe von Dantes „göttlicher Komödie“ zu zählen, wird von uns vielleicht bestaunt. Sein Wissen wird jedoch sicherlich nicht epistemisch wertgeschätzt. Es wurde bereits gezeigt, dass derjenige, der versteht, warum p, häufig auch weiß, warum p. In diesem Sinne geht mit Verstehen typischerweise auch Wissen einher. Des Weiteren kann Wissen Verstehen befördern. Erst derjenige, der weiß, was das Doppelspaltexperiment ist und der weiß, wie die Schrödingergleichung lautet, kann zu einem Verstehen der Quantenphysik gelangen. Da Wissen und Verstehen somit trotz der erwähnten Unterschiede systematisch verknüpft sind, ist es nicht verwunderlich, dass wir Wissen intuitiv einen finalen Wert zusprechen, obwohl dieser Wert genau genommen Eigenschaften gilt, die für Verstehen spezifisch sind.
7.4 Zusammenfassung Dass Wissen einen epistemischen Wert besitzt, scheint klar zu sein. Die Frage, worin dieser Wert besteht und ob dieser Wert nicht vielleicht anderen in Wissen enthaltenen oder mit Wissen zusammenhängen Begriffen gilt, ist jedoch alles andere als einfach zu beantworten. Diese Frage steht im Zentrum der gegenwärtigen erkenntnistheoretischen Wertediskussion. In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass es unterschiedliche Arten epistemischer Werte gibt: instrumentelle, intrinsische und finale Werte. Darüber hinaus haben wir gesehen, dass man die Frage nach dem epistemischen Wert von Wissen auf verschiedene Weise verstehen kann: Das primäre Werteproblem fragt nach dem Wert von Wissen gegenüber bloßer wahrer Überzeugung, das sekundäre Werteproblem nach dem Wert von Wissen gegenüber allen anderen Begriffsbestandteilen von Wissen und das tertiäre Werteproblem nach dem spezifischen finalen Wert von Wissen. Bereits in Platons Dialog Menon wird die Frage nach dem primären Werteproblem gestellt. Für Platon verleiht eine bestimmte Form der epistemischen Rechtfertigung der wahren Überzeugung Stabilität, so dass Wissen dadurch gegenüber einer bloßen wahren Überzeugung instrumentell wertvoll ist. In Gestalt des sogenannten „Swamping-Problems“ wird die Frage nach dem Wert des Wissens
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7 Wissen und Werte
insbesondere für reliabilistische Wissenstheorien neu gestellt. Unter Zugrundelegung eines Wahrheitsmonismus scheint die Zuverlässigkeit der Methode der Überzeugungsgewinnung einer bereits wahren Überzeugung keinen zusätzlichen epistemischen Wert zu verleihen. Goldman und Olsson haben jedoch dafür argumentiert, dass eine reliabel gewonnene wahre Überzeugung unter bestimmten Bedingungen gegenüber einer bloßen wahren Überzeugung einen epistemischen Vorteil besitzen könne, da die Wahrscheinlichkeit, in ähnlichen Fällen zu weiteren wahren Überzeugen zu gelangen, dadurch steige. Für die hier vertretene Wissenstheorie der epistemischen Methodensicherheit, die ja ebenfalls eine Art des Reliabilismus darstellt, bedeutet dies, dass propositionales Wissen in Form einer wahren und durch eine epistemisch sichere Methode gewonnenen Überzeugung ebenfalls einen instrumentellen Wert besitzen kann. Die epistemische Sicherheit der Methode der Überzeugungsgewinnung kann das Erkenntnissubjekt in die Lage versetzen, zu anderen ähnlichen wahren Überzeugungen zu gelangen. Die Frage nach dem vermeintlich finalen Wert des Wissens gegenüber anderen Begriffsbestandteilen von Wissen, d. h. die Frage des tertiären Werteproblems, wird hierdurch jedoch nicht beantwortet. Es wurde dafür argumentiert, dass Wissen per se gar keinen finalen Wert besitzt. Insbesondere scheint isoliertes Faktenwissen weder intrinsisch noch final wertvoll zu sein. Was hingegen nicht nur instrumentell, sondern auch um seiner selbst willen wertgeschätzt wird, ist Verstehen. Wissen und Verstehen hängen zwar miteinander zusammen und haben auch gemeinsame Eigenschaften, wie z. B. die Faktivität und die Inkompatibilität mit „hilfreichen Gettier-Fällen“. Allerdings ist Verstehen im Unterschied zu Wissen ein stärker holistischer Begriff. Wer etwas versteht, kann dieses in einen umfassenden inferentiellen und explanatorischen Zusammenhang stellen. Jemand, der weiß, warum p, muss nicht zugleich auch verstehen, warum p, da Letzteres ein genaueres Begreifen der kausalen Zusammenhänge zwischen den Ursachen und Gründen für p und dem Eintreten von p erfordert. Umgekehrt kann es sein, dass derjenige, der versteht, warum p, nicht auch weiß, warum p. Dies ist zwar eher selten der Fall, ist aber möglich, wenn umgebungsbedingter Zufall bei der Gewinnung der Überzeugung, warum p, im Spiel ist. Es sind nun die spezifischen Eigenschaften von Verstehen, die wir als final epistemisch wertschätzen. Es scheint somit, dass nicht die bloße Wahrheit oder die wahre Überzeugung finalen epistemischen Wert besitzt. In der bloßen Wahrheit oder wahren Überzeugung besteht nicht das alleinige Ziel unserer Erkenntnisbemühungen. Der Wahrheitsmonismus muss daher zurückgewiesen werden. Natürlich sind nicht alle wahren Überzeugungen per se epistemisch wertvoll, sondern nur diejenigen, die für uns und unsere epistemischen Projekte, die wir verfolgen, relevant und interessant sind. Wonach wir epistemisch streben und was für uns final wertvoll ist, scheint viel eher im Verstehen von Dingen und
7.4 Zusammenfassung
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Zusammenhängen zu bestehen. Das tertiäre Werteproblem lässt sich daher insofern auflösen, als es gar nicht das Wissen ist, das final wertvoll ist, sondern das Verstehen. Wissen partizipiert in gewisser Weise an diesem Wert, da Wissen systematisch mit Verstehen verbunden ist und Verstehen auch oftmals befördert.
8 Wissen und epistemische Intuitionen 8.1 Intuitionen in der Philosophie In der philosophischen Theoriebildung spielen Intuitionen eine wichtige Rolle. Unsere intuitiven Bewertungen von Beispielfällen oder Gedankenexperimenten bilden oftmals die Grundlage für die Stützung oder Ablehnung philosophischer Positionen. In der Berücksichtigung von Intuitionen scheint geradezu eine charakteristische Methode der Philosophie zu bestehen. So schreibt beispielsweise Hilary Kornblith: Most philosophers do it openly and unapologetically, and the rest arguably do it too, although some of them would deny it. What they all do is appeal to intuitions in constructing, shaping, and refining their philosophical views.1
Trotz des allgemein üblichen Gebrauchs von Intuitionen in der philosophischen Theoriebildung ist es jedoch ziemlich unklar, was Intuitionen eigentlich sind und ob bzw. wenn ja, unter welchen Bedingungen es überhaupt legitim ist, sich auf Intuitionen in der Philosophie zu berufen. Intuitionen sind in jüngerer Zeit vermehrt zum Gegenstand eigener metaphilosophischer Betrachtungen geworden. Insbesondere wird über den ontologischen, erkenntnistheoretischen und wissenschaftsmethodologischen Status von Intuitionen äußerst kontrovers diskutiert.2 So ist es beispielsweise umstritten, ob Intuitionen ein besonderer phänomenologischer Charakter zukommt. Fühlen sich Intuitionen irgendwie auf eine besondere Art und Weise an? Auch ist unklar, ob Intuitionen bestimmte mentale Zustände sui generis sind, die weder inferentiell noch durch Reflexion gewonnen wurden, oder ob Intuitionen sich auf andere mentale Zustände, wie etwa Meinungen oder Überzeugungen, zurückführen lassen. Uneinigkeit herrscht zudem über die Frage, wie wir zu Intuitionen gelangen und ob Intuitionen korrigierbar sind. Darüber hinaus ist der modale Gehalt von Intuitionen nicht geklärt. Können wir notwendige Wahrheiten intuitiv erfassen? Beruhen Intuitionen auf begrifflichen Einsichten? Zudem ist umstritten, ob sich intuitive Urteile nur auf konkrete Einzelfälle beziehen oder ob auch allgemeine Prinzipien Gegenstand intuitiver Überlegungen sein können.
8.2 Epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen In diesem Buch wurden epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen an zahlreichen Stellen bei der Beantwortung der Fragen nach der Natur, den Möglichkei-
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
ten und dem Wert des Wissens berücksichtigt. Doch was genau sind eigentlich epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen? Können epistemische Intuitionen überhaupt als rationale Entscheidungsbasis für die Stützung bzw. Ablehnung von Wissenstheorien fungieren? Sind epistemische Intuitionen – ähnlich wie experimentelle Daten in den empirischen Wissenschaften – Evidenzen, die für oder gegen eine philosophische Wissenstheorie sprechen? Sind Intuitionen in Bezug auf Wissen überhaupt in der Weise intersubjektiv stabil und invariant, dass sie als geeignete Belege für eine universell gültige Wissenstheorie herangezogen werden können? Bisher wurde von den folgenden Annahmen über epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen ausgegangen: Sie sind spontane, subjektiv plausibel erscheinende Einstellungen im Hinblick auf die Frage, ob in einem konkreten Fall Wissen vorliegt oder nicht. In den diskutierten Gettier-Fällen wurde etwa behauptet, dass hier intuitiv kein Wissen vorliege. Epistemische Intuitionen können aber auch auf generelle Wissensprinzipien angewendet werden. So wurden beispielsweise die allgemeinen Grundsätze, dass Wissen Wahrheit impliziert, dass Wissen mit veridisch epistemischem Zufall unvereinbar oder dass Wissen im Unterschied zu bloßer wahrer Überzeugung epistemisch wertvoll ist, als intuitiv plausibel bezeichnet. Epistemische Intuitionen im Bezug auf Wissen besitzen des Weiteren eine zentrale methodologische Funktion in der philosophischen Beurteilung von Wissenstheorien. Eine der Adäquatheitsbedingungen für die angestrebte Begriffsexplikation propositionalen Wissens bestand gerade darin, dass sie unserem intuitiven Verständnis von „Wissen“ möglichst weitgehend entsprechen sollte.3 Eine Theorie, die einen Wissensbegriff expliziert, der unseren „natürlichsprachlichen Intuitionen“ zuwiderläuft, wurde daher zurückgewiesen, wie etwa die cartesianische Wissensauffassung. Darüber hinaus sind Intuitionen im Allgemeinen und Intuitionen in Bezug auf Wissen im Besonderen fallibel. Besonders in komplexen und unüblichen Anwendungsfällen können Intuitionen lokal unzuverlässig, instabil und fehlbar sein. Intuitionen sind oftmals so etwas wie „Daumenregeln“, die durch lebenspraktische Erfahrungen erworben wurden und die durch Effizienz, Einfachheit und Nützlichkeit gesteuert sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass uns Intuitionen in Bereichen im Stich lassen, die mit unserer lebenspraktischen Erfahrung wenig zu tun haben oder die komplizierte Zusammenhänge betreffen. So versagen bekanntermaßen unsere Intuitionen etwa bei mathematischen Überlegungen zu Unendlichkeiten oder bei exponentiell wachsenden Folgen. Wer hat schon die Intuition, dass ein 0,05 Millimeter dünnes Blatt Papier, nachdem man es (theoretisch) fünfzig Mal gefaltet hat, bereits über 50 Millionen Kilometer dick ist? Um dies einzusehen, helfen nur mathematische Berechnungen. Auch erscheint
8.3 Epistemische Intuitionen in der experimentellen Philosophie
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uns etwa das uneingeschränkte Komprehensionsaxiom der „naiven“ Mengenlehre intuitiv als äußerst plausibel.4 Dass dieses Axiom jedoch in bestimmten Anwendungsfällen, an die man zunächst nicht gedacht hat, zu Widersprüchen führt, konnte erst durch logisch-mathematische Überlegungen nachgewiesen werden – wie die bekannte Russell-Paradoxie zeigt. Auch epistemische Intuitionen in Bezug auf Wissen können durch philosophische Reflexionen zurückgewiesen werden. So wurden beispielsweise tugenderkenntnistheoretische Intuitionen für eine Begriffsexplikation propositionalen Wissens abgelehnt, da sich die Auffassung, dass Wissen Resultat kognitiver und intellektueller Anstrengungen und Errungenschaften ist, bei näherer Betrachtung als unhaltbar erwies. Für Wissen, so wurde argumentiert, ist diese tugenderkenntnistheoretische Forderung weder notwendig noch hinreichend. Ebenso erwies sich die Intuition, dass Wissen einen finalen epistemischen Wert besitzt, als letztlich nicht korrekt, da wir eigentlich etwas anderes, das jedoch oft mit Wissen verbunden ist, wertschätzen – nämlich das Verstehen. Epistemische Intuitionen scheinen jedoch trotz ihrer Fallibilität nicht unnütz zu sein, da sie einen ersten und wichtigen Anhaltspunkt für die Verwendung des Wissensbegriffs geben.
8.3 Epistemische Intuitionen in der experimentellen Philosophie Bisher wurde davon ausgegangen, dass Wissensintuitionen weitgehend interwie intrasubjektiv uniform sind. Erkenntnistheoretiker sprechen daher oft in der ersten Person Plural, wenn sie sich auf Intuitionen beziehen. So wird oftmals von „unseren Intuitionen“ in Bezug auf Wissen gesprochen, oder es wird behauptet, dass eine Wissenstheorie den Wissensbegriff in genau der Weise beschreibt, wie „wir“ ihn intuitiv verwenden. Ist allgemein die Rede davon, dass eine Wissenstheorie „intuitiv plausibel“ ist, dann ist damit natürlich nicht gemeint, dass diese Theorie nur für deren Anhänger oder nur für eine ganz bestimmte Personengruppe intuitiv plausibel ist. Intuitive epistemische Bewertungen in Bezug auf Wissenstheorien werden vielmehr als allgemeingültig angesehen. Besonders wichtig ist es für viele Erkenntnistheoretiker, dass ihre Wissenskonzeptionen nicht bloß den (akademisch bereits vorbelasteten) Intuitionen professioneller Philosophen entsprechen, sondern auch mit den Intuitionen philosophischer Laien übereinstimmen. So halten es beispielsweise Kontextualisten5 für einen großen Vorteil ihrer Theorie, dass die Verwendung von „Wissen“ dort wieder stärker an den „Intuitionen von Sprechern der Alltagssprache“ orientiert ist. In diesem Sinne schreibt etwa der Kontextualist Keith DeRose:
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
The best grounds for accepting contextualism concerning knowledge attributions come from how knowledge-attributing (and knowledge-denying) sentences are used in ordinary, non-philosophical talk: what ordinary speakers will count as ‘knowledge’ in some nonphilosophical contexts they will deny is such in others.6
In den letzten Jahren wurde jedoch die intuitionenbasierte philosophische Methode von Seiten der sogenannten „experimentellen Philosophie“ stark kritisiert. Durch die systematische Auswertung verschiedener Umfragen versuchen experimentelle Philosophen herauszubekommen, ob die Intuitionen ihrer „im Lehnstuhl“ arbeitenden Philosophiekollegen auch tatsächlich von einer Mehrheit der Nicht-Philosophen geteilt werden.7 So wurden in zahlreichen empirischen Studien Probanden (meist Studierende außerhalb des Faches Philosophie) nach ihrer intuitiven Einschätzung zu bekannten erkenntnistheoretischen Beispielfällen befragt. Richtungsweisend war hier vor allem eine Studie von Jonathan Weinberg, Shaun Nichols und Stephen Stich zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in der u. a. die epistemischen Intuitionen in Bezug auf die Gettier-Fälle untersucht wurden.8 Seit dieser Zeit sind zahlreiche weitere experimentelle Studien in der Erkenntnistheorie entstanden. Die meisten dieser Studien sprechen gegen die universelle Gültigkeit und Zuverlässigkeit von epistemischen Intuitionen. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass epistemische Intuitionen kulturabhängig sind. Andere Studien zeigen zudem, dass epistemische Intuitionen mit dem Bildungsstand, dem Geschlecht sowie dem Grad der Beschäftigung mit philosophischer Erkenntnistheorie der Probanden variieren können. Darüber hinaus sind epistemische Intuitionen offenbar von Faktoren beeinflussbar, die für die jeweiligen erkenntnistheoretischen Fragegestellungen eigentlich irrelevant sein sollten. So können epistemische Intuitionen beispielsweise von der Reihenfolge, in der die intuitiv zu bewertenden Beispielfälle vorgestellt werden, abhängen. Außerdem legen es einige Studien nahe, dass epistemische Intuitionen nicht oder nicht in eindeutiger Weise mit den Vorhersagen sowohl kontextualistischer als auch subjektsensitiv invariantistischer Theorien übereinstimmen. Im Folgenden sollen nun einige dieser Studien vorgestellt und deren Relevanz für die philosophische Erkenntnistheorie diskutiert werden.
8.3.1 Empirische Studien zu epistemischen Intuitionen In der Studie von Weinberg, Nichols und Stich wurden an der Rutgers Universität Studierende verschiedener ethnischer Gruppen hinsichtlich ihrer Intuitionen in Bezug auf Wissen befragt. Den Studierenden wurde dabei auch ein Gettier-Fall in Form des folgenden Beispiels vorgelegt:
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Studie 1: Gettier-Fall (Variante „Jill und der Buick“) Bobs Freundin Jill hat viele Jahre lang einen Buick gefahren. Bob ist daher der Überzeugung, dass Jill einen Wagen einer amerikanischen Automarke fährt. Bob ist jedoch nicht bekannt, dass Jills Buick vor kurzem gestohlen wurde und dass Jill sich daraufhin einen Pontiac, also einen Wagen einer anderen amerikanischen Automarke, gekauft hat. Weiß Bob wirklich, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt, oder glaubt er dies nur?9 Das Ergebnis der Befragung zeigt deutliche Unterschiede in der intuitiven Bewertung dieses Falls zwischen Studierenden aus US-amerikanischer und europäischer Herkunft und Studierenden aus Ostasien sowie Indien, Pakistan und Bangladesch: Unter den Befragten gab die Mehrheit der Studierenden mit amerikanisch-europäischem Hintergrund (ca. 74 %) die von den Fachphilosophen erwartete Antwort, nämlich dass Bob nicht weiß, sondern nur glaubt, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt. Immerhin war der Rest (ca. 26 %) der Auffassung, Bob wüsste, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt. Interessanterweise verhielt es sich bei den Studierenden aus Ostasien umgekehrt. Hier gab eine Mehrheit der Befragten (ca. 57 %) an, dass Bob weiß, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt. Bei den Studierenden aus Indien, Pakistan und Bangladesch waren sogar 61 % der Meinung, dass Bob weiß, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt.10 Wenn dieses Ergebnis sich tatsächlich verallgemeinern lässt, würde dies, so Weinberg, Nichols und Stich, bedeuten, dass das, was als Wissen gilt, von der Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen abhängt: If these results are robust, then it seems that what counts as knowledge on the banks of the Ganges does not count as knowledge on the banks of the Mississippi.11
Ergebnisse einer anderen Umfrage von Weinberg, Nichols und Stich scheinen zudem darauf hinzuweisen, dass die externalistischen Intuitionen bei Ostasiaten schwächer ausgeprägt sind als in der westlichen Vergleichsgruppe. Folgender „Truetemp“-Fall wurde dabei den Probanden vorgelegt:
Studie 2: „Truetemp“-Fall Durch einen plötzlich herabstürzenden Felsen wurde Charles so unglücklich am Kopf getroffen, dass er das Bewusstsein verlor. Dieser Unfall hat Charles’ Gehirn auf wundersame Weise verändert. Jedenfalls ist Charles seit diesem Unfall in der Lage, stets die genaue Temperatur des Ortes, an dem er sich gerade aufhält, anzugeben. Charles hat jedoch keine Ahnung davon, dass sein Gehirn sich in dieser Weise verändert hat. Einige Wochen nach dem Unfall gelangt er zu der Überzeugung, dass es 21,5 Grad Celsius in seinem Zimmer ist. Diese Überzeugung beruht einzig
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
auf seiner Schätzung, und es gibt für Charles keine weiteren Hinweise auf die Zimmertemperatur. Tatsächlich ist es exakt 21,5 Grad in dem Zimmer. Weiß Charles wirklich, dass es 21,5 Grad Celsius in dem Zimmer ist, oder glaubt er dies nur?12 Zwar war die Mehrheit aller befragten Studierenden der Auffassung, dass Charles nicht weiß, dass die Temperatur 21,5 Grad beträgt. Jedoch waren von den ostasiatischen Studierenden deutlich mehr dieser Meinung (88 %) als Studierende westlicher Herkunft (68 %).13 In einer anderen empirischen Studie konnte sogar nachgewiesen werden, dass Probanden, die vorher mit einem klaren Fall von Wissen konfrontiert wurden, im „Truetemp“-Fall weniger stark geneigt waren, Wissen zuzusprechen, als Probanden, denen vorher ein klarer Fall von Nicht-Wissen präsentiert wurde.14 Epistemische Intuitionen scheinen sogar geschlechtsabhängig zu variieren. In einem jüngsten Aufsatz zu geschlechtsspezifischen philosophischen Intuitionen verweisen Wesley Buckwalter und Stephen Stich auf eine unveröffentlichte Studie von Christina Starmans und Ori Friedman, in der 84 männlichen und 56 weiblichen Studierenden der Universität Waterloo in Kanada u. a. der folgende Gettier-Fall vorgelegt wurde:
Studie 3: Gettier-Fall (Variante „gestohlene Armbanduhr“) Peter sitzt in seiner Wohnung und liest. Wenig später legt er sein Buch sowie seine Armbanduhr auf den Esstisch und geht in das Badezimmer, um zu duschen. Während Peter duscht, bricht jemand in seine Wohnung ein, stiehlt seine Armbanduhr, legt an deren Stelle eine billige Plastikarmbanduhr und verschwindet. Peter war nur wenige Minuten unter der Dusche, hat jedoch nichts von dem Einbruch mitbekommen. Weiß Peter wirklich, dass auf seinem Esstisch eine Armbanduhr liegt, oder glaubt er dies nur?15 Nur 41 % der befragten männlichen Studierenden gaben an, dass Peter wirklich weiß, dass auf seinem Esstisch eine Armbanduhr liegt, während 71 % der weiblichen Studierenden der Ansicht waren, dass Peter dieses Wissen hat. Wenn sich dieses Ergebnis verallgemeinern ließe, so könnte dies bedeuten, dass die Intuitionen der Fachphilosophen (die ja in den Gettier-Fällen fast unisono Wissen absprechen) eher den Intuitionen der Männer als denen der Frauen entsprechen. Bedeutet dies gar, dass die weiblichen Studierenden in den Erkenntnistheorieseminaren Argumente und Positionen kennenlernen, die sie eigentlich mehrheitlich intuitiv ablehnen? Ob die erwähnten experimentellen Studien tatsächlich zeigen, dass in signifikanter Weise die intuitive Zuschreibung von Wissen kultur- und geschlechtsspezifisch variieren kann und zudem von bestimmten äußeren Faktoren (wie dem Kontext und der Reihenfolge, in der die Beispielfälle präsentiert werden) abhängt, ist allerdings alles andere als klar. Derzeit werden zahlreiche weitere
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Studien entwickelt, um die Repräsentativität und Validität dieser Resultate genauer zu prüfen. Auch bedeuten die Ergebnisse dieser Studien nicht zwangsläufig, dass es keinen universellen Wissensbegriff oder keine universellen Prinzipien für die Zuschreibung von Wissen gibt. Es wäre ja immerhin möglich, dass es durchaus intuitive Wissensprinzipien gibt, die von einer großen Mehrheit aller Menschen geteilt werden (wie z. B. das Prinzip, wonach Wissen eine wahre Überzeugung impliziert oder wonach Wissen mit einer bestimmten Form des epistemischen Zufalls unvereinbar ist), die jedoch auf unterschiedliche Weise angewendet werden. So gibt etwa Finn Spicer zu bedenken, dass das Wissensprinzip der epistemischen Sicherheit (wonach ein Subjekt S nur dann weiß, dass p, wenn Ss wahre Überzeugung, dass p, nicht leicht hätte falsch sein können) durchaus universelle Akzeptanz besitzen könnte. Jedoch wäre es möglich, dass es kulturell bedingte unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, in welchen Situationen Ss wahre Überzeugung nicht leicht hätte falsch sein können. Nach Ansicht von Spicer könne es z. B. der Fall sein, dass Ostasiaten kontrafaktische Konditionale in anderer Weise bewerten als Personen westlicher Herkunft.16 Ebenso wäre es denkbar, dass Personen universell akzeptierte Prinzipien bei der Wissenszuschreibung in konkreten Fällen unterschiedlich gewichten. In den Gettier-Fällen (zumindest in den „hilfreichen“ Gettier-Fällen) hat das Subjekt S zwar eine wahre Überzeugung, die Tatsache, die diese Überzeugung wahr macht, ist jedoch nicht der Grund dafür, dass S die Überzeugung hat. Zwischen der Überzeugung und dem „Wahrmacher“ der Überzeugung besteht also keine kausale Verknüpfung. Spicer spekuliert nun, dass Ostasiaten im Vergleich zu den Personen der westlichen Vergleichsgruppe weniger stark geneigt sein könnten, diese fehlende kausale Verbindung in den Gettier-Fällen als Kriterium für die Ablehnung von Wissen anzuwenden. Kausales Denken, so Spicer, könnte in den jeweiligen Bevölkerungsgruppen nämlich eine unterschiedlich starke Rolle spielen.17 Ein grundsätzliches Problem bei der Auswertung dieser Umfragen zu den epistemischen Intuitionen „philosophischer Laien“ besteht jedoch darin, dass den Probanden die philosophischen Hintergrundinformationen zu den Beispielfällen und die Intentionen der Fragesteller nicht bekannt sind. Daher ist es leicht möglich, dass sie von eigentlich irrelevanten Details in den beschriebenen Beispielfällen abgelenkt werden oder dass ihre Antworten von bestimmten, nicht intendierten sprachpragmatischen Faktoren beeinflusst sind. Auch unter den Studierenden mit amerikanisch-europäischem Hintergrund haben in der Studie von Weinberg, Nichols und Stich ja immerhin 26 % behauptet, Bob wisse, dass Jill ein amerikanisches Auto fährt. In der Studie von Starmans und Friedman waren selbst unter den männlichen Studierenden 41 % der Meinung, Peter wisse, dass auf dem Esstisch eine Armbanduhr liegt. Insgesamt gab es also in den Studien
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
zur intuitiven Bewertung der Gettier-Fälle eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Probanden, deren Intuitionen von denen der Fachphilosophen abwichen. Problematisch an den empirischen Studien etwa zu den Gettier-Fällen ist vor allem auch die unterbestimmte Beschreibung der Beispiele, die Anlass zu nicht intendierten Interpretationen bei philosophischen Laien geben kann. In der Formulierung des Gettier-Falls in der Studie von Weinberg, Nichols und Stich wird z. B. nicht ausgeschlossen, dass Bob (neben der Tatsache, dass Jill viele Jahre einen Buick gefahren hat) auch noch andere Evidenzen dafür besitzt, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt. Schließlich sind Bob und Jill miteinander befreundet. Erkenntnisphilosophen wissen natürlich, dass es hier um ein Beispiel geht, in dem ein Subjekt eine gerechtfertigte wahre Überzeugung besitzt, die sich aber dennoch nur zufälligerweise als wahr herausstellt. Sie verstehen und interpretieren das Beispiel daher in der philosophisch intendierten Weise. Personen, die mit den philosophischen Hintergründen der Gettier-Fälle nicht vertraut sind, können dieses Beispiel jedoch auf eine Art und Weise deuten, die vom Fragesteller nicht beabsichtigt war. Wer z. B. das Gettier-Beispiel in der Studie von Weinberg, Nichols und Stich so deutet, dass Jill offenbar eine Vorliebe für amerikanische Wagen besitzt und dass Bob dies (als Jills Freund) natürlich bekannt ist, wird Bobs wahre Überzeugung, dass Jill einen amerikanischen Wagen fährt, nicht mehr als bloßes Zufallsprodukt ansehen. Auch zeigen die Ergebnisse im obigen „Truetemp“-Fall nicht unbedingt, dass externalistisch-reliabilistische Intuitionen nur von einer Minderheit der NichtPhilosophen vertreten werden. Das „Truetemp“-Beispiel beschreibt nämlich eine sehr irreale Situation. Normalerweise führen Steinschläge auf den Kopf nicht zur Fähigkeit, Raumtemperaturen korrekt und absolut verlässlich angeben zu können. Es ist daher durchaus möglich, dass reliabilistische Intuitionen in derart abwegigen Fällen unterdrückt werden. Dass die intuitive Bewertung des „Truetemp“-Falls zudem davon abhängen kann, mit welchen Beispielen die Probanden vorher konfrontiert wurden, ist auch nicht verwunderlich. Nach der sprachpragmatischen Konversationsmaxime der Quantität von Paul Grice soll man den Kommunikationsbeitrag für den gegebenen Zweck so informativ wie möglich (und nicht informativer als nötig) gestalten.18 Wenn jemand eine Frage beantworten soll, deren Antwort vollkommen offenkundig und trivial ist – wie die Antwort auf die Frage, ob in einem klaren Fall von Wissen tatsächlich Wissen vorliegt –, wird er gemäß dieser Maxime den informativen Sinn dieser Frage im kommunikativen Kontext suchen. Wenn er nun anschließend mit dem „Truetemp“-Fall konfrontiert wird, hat er diesen Sinn vermeintlich gefunden: Durch die Voranstellung eines klaren Falls von Wissen (bzw. eines klaren Falls von Nicht-Wissen) soll seine Aufmerksamkeit auf den Kontrast zum „Truetemp“-Beispiel gelenkt werden. Da auch hier den Probanden die phi-
8.3 Epistemische Intuitionen in der experimentellen Philosophie
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losophische Intention der Fragesteller (nämlich zu untersuchen, wie universell und stabil reliabilistische Intuitionen in Bezug auf Wissen sind) nicht bekannt ist, sind die kontextuell variierenden intuitiven Einschätzungen im „Truetemp“-Fall sprachpragmatisch vernünftig und keineswegs irrational.19 Die nicht philosophisch geschulten Probanden können die Absichten der Interviewer sowie den Zweck der Umfrage missverstehen und die Beispielfälle daher in nicht intendierter Weise interpretieren. Eine Diskrepanz zwischen den intuitiven Urteilen philosophischer Laien und professioneller Philosophen ist somit durchaus verständlich. Fachphilosophen sind besser darin geschult, Gedankenexperimente und stark irreale hypothetische Situationen in begrifflich differenzierter Weise zu analysieren. In diesem Sinne schreibt auch Timothy Williamson: Much of the evidence for cross-cultural variation in judgments on thought experiments concerns verdicts of people without philosophical training. Yet philosophy students have to learn how to apply general concepts to specific examples with careful attention to the relevant subtleties, just as law students have to learn how to analyze hypothetical cases.20
Weitere empirische Studien, die nicht intendierte Interpretationen der Beispielfälle und Fehldeutungen im Hinblick auf den Zweck der Umfragen möglichst ausschließen, könnten helfen, die tatsächliche Relativität und Variabilität epistemischer Intuitionen von Nicht-Philosophen zu klären. Darüber hinaus wäre es interessant zu erfahren, ob, wie Williamson vermutet, die intuitiven Einschätzungen in Bezug auf einschlägige Gedankenexperimente (wie etwa Gettier-Fälle oder „Truetemp“-Fälle) bei den Fachphilosophen tatsächlich weniger stark differieren als bei den philosophischen Laien. Experimentelle Studien hierzu wären lohnenswert.
8.3.2 Empirische Studien zum Kontextualismus und subjektsensitiven Invariantismus In jüngster Zeit wurden zahlreiche empirische Studien durchgeführt, um zu überprüfen, ob die Vorhersagen kontextualistischer und subjektsensitiv invariantistischer Ansätze mit den intuitiven Wissenszuschreibungen von Nicht-Philosophen übereinstimmen. Wie bereits in Kapitel 6 näher ausgeführt, sind Vertreter kon textualistischer Wissenstheorien der Meinung, dass die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen u. a. von den epistemischen Standards der Wissenszuschreiber im gegebenen Kontext abhängen.21 Subjektsensitive Invariantisten sind hingegen der Auffassung, dass die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussa-
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gen durch die Wissensstandards im Kontext des Erkenntnissubjekts determiniert sind.22 Für Vertreter des subjektsensitiven Invariantismus (SSI) sind es zudem in erster Linie die praktischen Interessen des epistemischen Subjekts S, die die Standards für Wissen beeinflussen. Je mehr für S auf dem Spiel steht, wenn sich die in Frage stehende Proposition p als falsch herausstellt, desto höher sind die Standards für Wissen. Im Kontextualismus sind die Standards insbesondere auch dadurch determiniert, welche Irrtumsmöglichkeiten im Kontext der Wissenszuschreibung salient sind. Es ist daher möglich, dass eine Wissensaussage „S weiß, dass p“ in einem Kontext K1 wahr, in einem anderen Kontext K2 mit strengeren Wissensstandards jedoch falsch ist, da der Wissenszuschreiber in K2 Irrtumsmöglichkeiten zu p in Erwägung zieht, die S nicht ausschließen kann. Sowohl Kontextualisten als auch subjektsensitive Invariantisten sind der Meinung, dass die von ihnen behauptete semantische Variabilität von Wissensaussagen dem natürlichsprachlichen Gebrauch von Wissensaussagen entspricht und dass ihre jeweiligen Theorien daher den epistemischen Intuitionen auch von Nicht-Philosophen gerecht werden. In den meisten der bisher durchgeführten empirischen Studien zu kontextualistischen und subjektsensitiven Intuitionen wurden Probanden nach ihrer Zustimmung zu Wissensaussagen befragt, in denen ein Subjekt von sich selbst behauptet, Wissen zu besitzen. Wissenszuschreiber und Erkenntnissubjekt waren somit jeweils identisch. Ziel der Studien war es, zu untersuchen, ob und in welchem Maße praktische Interessen des Subjekts sowie die Erwähnung von Irrtumsmöglichkeiten einen Einfluss auf die Bereitschaft haben, sich selbst Wissen zu- bzw. abzusprechen. In einer Studie von Wesley Buckwalter wurde 544 Studienanfängern der State University von New York in Buffalo (aus verschiedenen Fachbereichen) jeweils eine der folgenden drei Variationen von DeRoses BankBeispielen23 vorgelegt24:
Studie 4: Varianten des Bank-Beispiels Bank. An einem Freitag Nachmittag gehen Sylvie und Bruno in eine Bank, um einen Scheck einzuzahlen. Allerdings sind die Schlangen vor den Bankschaltern sehr lang. Sie möchten zwar gerne den Scheck so schnell wie möglich einzahlen, jedoch ist es nicht sonderlich wichtig, den Scheck sofort einzuzahlen. Bruno sagt zu Sylvie: „Ich war erst letzte Woche hier und weiß, dass die Bank samstags geöffnet hat. Lass’ uns daher nach Hause fahren und morgen wiederkommen.“ Als sie am Samstag wiederkommen, hat die Bank geöffnet. High Stakes. An einem Freitag Nachmittag gehen Sylvie und Bruno in eine Bank, um einen Scheck einzuzahlen. Wenn der Scheck nicht bis zum Montag eingezahlt
8.3 Epistemische Intuitionen in der experimentellen Philosophie
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ist, wird er platzen, was Bruno in eine äußerst missliche Situation mit seinen Kreditgebern bringen würde. Allerdings sind die Schlangen vor den Bankschaltern sehr lang. Bruno sagt zu Sylvie: „Ich war erst letzte Woche hier und weiß, dass die Bank samstags geöffnet hat. Lass’ uns daher nach Hause fahren und morgen wiederkommen.“ Als sie am Samstag wiederkommen, hat die Bank geöffnet. High Standards. An einem Freitag Nachmittag gehen Sylvie und Bruno in eine Bank, um einen Scheck einzuzahlen. Allerdings sind die Schlangen vor den Bankschaltern sehr lang. Sie möchten zwar gerne den Scheck so schnell wie möglich einzahlen. Allerdings ist es nicht sonderlich wichtig, den Scheck sofort einzuzahlen. Bruno sagt zu Sylvie: „Ich war erst letzte Woche hier und weiß, dass die Bank samstags geöffnet hat. Lass’ uns daher nach Hause fahren und morgen wiederkommen.“ Sylvie gibt jedoch Folgendes zu bedenken: „Banken haben normalerweise am Samstag geschlossen. Vielleicht hat auch diese Bank morgen geschlossen. Banken können jederzeit ihre Öffnungszeiten ändern. Diese Bank hat auch schon oft ihre Öffnungszeiten geändert.“ Als sie am Samstag wiederkommen, hat die Bank geöffnet. In der ersten Variante („Bank“) hat das Subjekt weder ein sehr starkes Interesse daran, den Scheck sofort einzuzahlen, noch werden explizit Irrtumsmöglichkeiten in Betracht gezogen. In der zweiten Variante („High Stakes“) ist es für die betreffende Person äußerst wichtig, den Scheck vor Montag einzuzahlen. In der dritten Version („High Standards“) hat das Subjekt zwar kein starkes Interesse daran, den Scheck gleich einzuzahlen, allerdings wird die Möglichkeit, dass die Bank am Samstag geschlossen haben könnte, explizit erwähnt. Die Probanden sollten nun anhand einer Skala von 1 bis 5 (1 = starke Ablehnung, 2 = Ablehnung, 3 = neutrale Position, 4 = Zustimmung, 5 = starke Zustimmung) angeben, in welchem Maße sie Brunos Behauptung „Ich weiß, dass die Bank am Samstag geöffnet hat“ zustimmen. Die Ergebnisse der Studie sind in der folgenden Tabelle angegeben25: Anzahl
Mittelwert
Standardabweichung
Bank
183
3,83
1,065
High Stakes
181
3,71
1,108
High Standards
180
3,64
1,102
Total
544
3,73
1,093
Entgegen den Vorhersagen kontextualistischer bzw. subjektsensitiv invariantistischer Theorien ließen sich somit keine signifikanten Unterschiede in der Bewer-
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
tung der einzelnen Fälle erkennen. In dieser Studie ist die Bereitschaft, Wissen abzusprechen, nicht deutlich mit den praktischen Interessen des Subjekts oder der Erwähnung von Irrtumsmöglichkeiten gesunken. Darüber hinaus lagen die Mittelwerte in allen Beispielvarianten über dem Wert 3, d. h. die Probanden haben in allen Beispielen im Durchschnitt Brunos Behauptung, zu wissen, dass die Bank am Samstag geöffnet hat, zugestimmt. Ähnliche Ergebnisse liefern auch andere empirische Studien zu den Intuitionen in Bezug auf die „Bank“-Beispiele.26 Sollten diese Ergebnisse repräsentativ sein, scheinen somit der Kontextualismus und der SSI den Intuitionen von NichtPhilosophen zu widersprechen. Diesen zentralen Wissenstheorien der modernen Erkenntnistheorie wäre daher eine wichtige Motivationsgrundlage genommen. Allerdings sind die erwähnten experimentellen Studien zur intuitiven Plausibilität des Kontextualismus und des SSI problematisch. So lässt sich beispielsweise kritisieren, dass die verschiedenen Varianten von DeRoses Bank-Beispielen ohne philosophisches Hintergrundwissen und ohne Kenntnis der Ziele und Zwecke der Studie nicht leicht einzuschätzen sind. Es wäre durchaus möglich, dass die Antworten der Probanden von irreführenden Faktoren beeinflusst sind. Probanden könnten etwa den „High Standard“-Fall so interpretieren, dass die erwähnte Irrtumsmöglichkeit durch Brunos Kenntnis, dass die Bank am Samstag zuvor geöffnet hatte, ausgeräumt wird. Ebenso könnten die erzielten Ergebnisse durch den Einfluss sprachpragmatischer Faktoren verzerrt sein. Gibt eine Person explizit zu verstehen, sie wisse, dass p, dann könnte dies beim Hörer z. B. die Implikatur auslösen, dass die Person über sehr gute Belege verfügt, die die Wahrheit von p rechtfertigen. Diese Implikatur könnte nun dazu führen, dass die Probanden in allen Varianten der Bank-Beispiele der Wissensbehauptung durchschnittlich eher zustimmen. In neueren experimentellen Studien, in denen versucht wurde, derartige unbeabsichtigte Implikaturen bei den Probanden zu verhindern, wurden zum Teil auch andere Ergebnissen erzielt. So scheint etwa eine experimentelle Studie von Chandra Sekhar Sripada und (dem subjektsensitiven Invariantisten) Jason Stanley für die intuitive Plausibilität des SSI zu sprechen.27 Die Aussagekraft dieser neueren Studien ist jedoch meines Erachtens ebenfalls begrenzt. Kontextualismus und SSI sind semantische Theorien über die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen. Selbst wenn wir tatsächlich intuitiv weniger stark geneigt sind, zu behaupten, wir wüssten, dass p, wenn uns Irrtumsmöglichkeiten zu p in den Sinn kommen oder für uns viel auf dem Spiel steht, sollte sich p als falsch herausstellen, bedeutet dies noch lange nicht, dass deshalb eine dieser Wissenstheorien die Semantik von Wissensaussagen adäquat beschreibt. Wie in Kapitel 6 bereits anhand sprachphilosophischer Überlegungen gezeigt wurde, gibt es zwischen dem Wissensbegriff und kontextsensitiven Ausdrücken deutliche Asymmetrien. Es wurde daher dafür argumentiert, dass Intui-
8.4 Zusammenfassung
177
tionen über die kontextuelle Variabilität des Wissensbegriffs die Bedingungen der pragmatischen Behauptbarkeit von Wissensaussagen, nicht jedoch deren Wahrheitsbedingungen beeinflussen. Der Unterschied zwischen den semantischen Wahrheitsbedingungen und den pragmatischen Bedingungen für die angemessene Behauptbarkeit von Wissensaussagen ist zwar sprachphilosophisch sehr zentral, wird jedoch von Nicht-Philosophen leicht übersehen. Experimentelle Studien über die intuitive Plausibilität des Kontextualismus oder des SSI als Theorien zur Semantik von Wissensaussagen sind daher wenig aussagekräftig. Antworten auf viele der eigentlich erkenntnistheoretisch relevanten Fragen lassen sich aus den Ergebnissen der Umfragen nicht zuverlässig gewinnen. Ob Irrtumsmöglichkeiten bzw. praktische Interessen die Wahrheitsbedingungen oder die Behauptbarkeitsbedingungen von Wissensaussagen beeinflussen, ist eine akademisch philosophische Frage, die sich nicht anhand der Intuitionen von Personen, die diese begrifflichen Differenzierungen nicht explizit kennen, beantworten lässt. In den meisten Studien wurden Probanden nach ihrer Zustimmung zu bestimmten Wissensselbstzuschreibungen befragt. Die für die Debatte zwischen Kontextualisten und subjektsensitiven Invariantisten relevante Frage, ob die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen durch die epistemischen Standards eines vom Wissenssubjekt verschiedenen Wissenszuschreibers variieren können, wurde in diesen Umfragen somit gar nicht gestellt. Um diese Frage zu klären, müssten u. a. in experimentellen Studien sehr spezielle Gedankenexperimente und Beispielfälle konstruiert werden, deren Zielsetzungen für Personen, die mit der Debatte um den Kontextualismus nicht vertraut sind, jedoch nicht leicht zu durchschauen wären, so dass die Ergebnisse dieser Studien sicherlich wenig Aussagekraft hätten. Nur die Expertise von Fachphilosophen, die über die nötigen Sachkenntnisse, wichtige begriffliche Differenzierungen und geeignete Methoden verfügen, kann hier zu einem reflektierten und begründeten Urteil über die beste semantische Theorie des Wissens führen.
8.4 Zusammenfassung Epistemische Intuitionen in Bezug auf konkrete Fallbeispiele und allgemeine Wissensprinzipien dienen als wichtiger Beleg für die Überzeugungskraft philosophischer Theorien des Wissens. Dass eine Wissenstheorie auch den Intuitionen philosophischer Laien entspricht, wird oftmals als entscheidender Vorteil der Theorie angesehen. Allerdings scheinen einige experimentelle Studien zu zeigen, dass die epistemischen Intuitionen von Nicht-Philosophen instabil sind und intersubjektiv variieren können. Einige Studien scheinen etwa darauf hinzuweisen, dass es in der intuitiven Bewertung der Gettier- und „Truetemp“-Fälle u. a.
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8 Wissen und epistemische Intuitionen
kultur- und geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Darüber hinaus zeigte sich in empirischen Untersuchungen, dass die Intuitionen von Nicht-Philosophen mit kontextualistischen Wissensansätzen nicht übereinstimmen. Auch sprachen die experimentellen Befunde nicht eindeutig dafür, dass die Zuschreibung von Wissen durch die praktischen Interessen des Subjekts in signifikanter Weise determiniert ist. Es wurde jedoch dafür argumentiert, dass die Ergebnisse dieser Studien problematisch sind. Insbesondere schien es möglich, dass die Beispielfälle von den Probanden in nicht intendierter Weise interpretiert wurden und dass deren Intuitionen durch sprachpragmatische Faktoren beeinflusst waren. Darüber hinaus verlangen Antworten auf einige erkenntnistheoretisch wichtige Fragen eine differenzierte Kenntnis philosophischer Begriffe, Ansätze und Methoden. Epistemische Intuitionen auch von Nicht-Philosophen sind zwar Anhaltspunkte für die Entwicklung von Wissenstheorien, können aber durch Überlegungen professioneller Philosophen, die geschulter im Umgang mit epistemischen Begriffen sind, zurückgewiesen oder zurechtgerückt werden. Epistemische Intuitionen von Personen, die nicht über die philosophischen Begriffsdifferenzierungen verfügen und die die philosophischen Fragestellungen und damit die Ziele und Zwecke der empirischen Umfragen nicht kennen, können unzuverlässig sein. Experimentelle Philosophen, die die Intuitionen von Nicht-Philosophen testen, sollten bei der Formulierung der Beispielfälle in ihren Fragebögen hierauf besonders achten. Die Beantwortung einiger erkenntnistheoretisch wichtiger Fragen setzt jedoch zwingend die Kenntnis der Fachphilosophen voraus. Intuitionen können somit meines Erachtens – im Unterschied zur Auffassung radikaler Kritiker an der intuitionenbasierten Philosophie28 – durchaus als Evidenzen für die philosophische Theoriebildung herangezogen werden. In der erkenntnistheoretischen Diskussion zu Theorien des Wissens spielen sie, wie ja auch dieses Buch zeigt, eine zentrale und unverzichtbare Rolle. Sie sind jedoch besonders in der Bewertung von komplexen Gedankenexperimenten, in denen es um epistemisch subtile Unterscheidungen geht, fehleranfällig. In diesen Fällen sind die Intuitionen geschulter Fachphilosophen zuverlässiger als die von philosophischen Laien. Die intuitive Plausibilität ist jedoch nur eine der Adäquatheitsbedingungen einer Begriffsexplikation propositionalen Wissens. Konsistenz, Kohärenz, Erklärungskraft sowie die Auflösung von epistemischen Paradoxien sind zusätzliche wichtige Kriterien, die ebenfalls in die Waagschale auf der Suche nach einer geeigneten Begriffsexplikation propositionalen Wissens geworfen werden.
9 Fazit und Ausblick Die Suche nach einer adäquaten Begriffsexplikation propositionalen Wissens hat uns zu einer Wissenskonzeption geführt, die Wissen als eine bestimmte wahre Überzeugung auszeichnet, die durch eine epistemisch sichere Methode gewonnen wurde. Die Diskussion zum Gettier-Problem hat gezeigt, dass Wissen mit veridisch epistemischem Zufall unvereinbar ist. Eine Theorie epistemischer Methodensicherheit trägt diesem Umstand Rechnung. Zudem kann diese Theorie der wissensskeptischen Herausforderung begegnen. Ist eine Überzeugung wahr und beruht der Prozess der Überzeugungsbildung auf einer epistemisch sicheren Methode, dann besitzen wir Wissen – auch wenn wir nicht durch eigene Reflexion ausschließen können, dass wir nicht global getäuscht werden. Selbst wenn unsere Überzeugungen über die empirische Außenwelt einem reflektiven epistemischen Zufall unterliegen, ist somit dennoch Wissen über die Außenwelt möglich. Des Weiteren wurde gezeigt, dass weder der Kontextualismus noch der Relativismus noch der subjektsensitive Invariantismus als geeignete semantische Theorien über die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen angesehen werden können. Die Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen variieren weder mit den epistemischen Standards des Wissenszuschreibers noch mit denen des Bewerters der Wissensaussage noch mit denen des Subjekts. „Wissen“ ist nur insofern kontextabhängig, als die Frage, ob eine verwendete Methode epistemisch sicher ist, von objektiven Umständen in der gegebenen Situation abhängt, in der die Überzeugung gebildet wurde. Dass wir etwa angesichts von Irrtumsmöglichkeiten vorsichtiger mit positiven Wissensäußerungen sind, ist offenbar ein sprachpragmatisches Phänomen, das die Bedingungen der angemessenen Behauptbarkeit von Wissensaussagen betrifft. Des Weiteren wurde gezeigt, dass Wissen qua methodensichere wahre Überzeugung einen bestimmten instrumentellen Wert für uns besitzen kann, der über die bloße wahre Überzeugung hinausgeht. Wissen kann uns aber auch dazu verhelfen, Dinge zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen. Es ist also eher das Verstehen und weniger das Wissen, das für uns in einem nicht-instrumentellen finalen Sinne epistemisch wertvoll ist. Wissensintuitionen, so wurde ebenfalls gezeigt, spielen in der Theoriebildung der philosophischen Erkenntnistheorie eine wichtige Rolle. Experimentelle Studien scheinen jedoch die intersubjektive Instabilität epistemischer Intuitionen von Nicht-Philosophen zu zeigen. Es wurde jedoch dafür argumentiert, dass die Repräsentativität und Validität der Ergebnisse dieser Studien aufgrund von möglichen Fehlinterpretationen der Beispielfälle und nicht intendierter sprachpragmatischer Einflüsse in Zweifel gezogen werden können. Außerdem sind manche Fragen und Probleme der philosophischen Erkenntnistheorie recht subtil und komplex, so dass die Intuitionen von Nicht-Philosophen hier nicht sehr aussa-
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9 Fazit und Ausblick
gekräftig sind. Die intuitive Akzeptanz einer Theorie auch von Seiten der NichtPhilosophen ist zwar eine zentrale Adäquatheitsbedingung für jede Theorie des Wissens. Intuitionen können jedoch durch andere Adäquatheitskriterien, wie die Erklärungskraft und theoretische Fruchtbarkeit, „übertrumpft“ werden. Einige der hier diskutierten Positionen und Argumente mussten skizzenhaft bleiben und bedürfen der weiteren Analyse und Ausdifferenzierung. Viele der erwähnten Ansätze sind Gegenstand gegenwärtiger erkenntnisphilosophischer Diskussionen und werden in Zukunft sicherlich noch weiterentwickelt. Theorien der epistemischen Methodensicherheit spielen etwa derzeit eine wichtige Rolle in der Debatte zwischen erkenntnistheoretischen Externalisten und Internalisten. Worin genau eine epistemisch sichere Methode besteht und wie man derartige Methoden in geeigneter Weise typisiert, ist eine zentrale Frage, die ebenfalls kontrovers diskutiert wird. Ein weiteres noch näher zu bearbeitendes Aufgabenfeld besteht in erkenntnis- und sprachphilosophischen Untersuchungen zur Semantik und Pragmatik von Wissenszuschreibungen. Auch ist die Tugenderkenntnistheorie ein wichtiges Forschungsgebiet für gegenwärtige und zukünftige philosophische Analysen zu Wissen. Zwar wurden tugenderkenntnistheoretische Elemente als weder notwendig noch hinreichend für die Begriffsexplikation propositionalen Wissens angesehen, jedoch sind intellektuelle Tugenden für die Erlangung und Aufrechterhaltung von Wissen von zentraler Bedeutung. Des Weiteren hat die Diskussion um den Wert des Wissens andere epistemische Begriffe in den Fokus aktueller erkenntnistheoretischer Untersuchungen gerückt, wie etwa Verstehen, Klugheit oder Weisheit.1 Zudem werden in der experimentellen Philosophie derzeit zahlreiche weitere empirische Studien zu epistemischen Intuitionen durchgeführt. Auch hier sind neue interessante Ergebnisse sowie weitere metaphilosophische Analysen zum Status und zur Funktion von Intuitionen in der Philosophie zu erwarten. Aber auch andere Positionen spielen in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie eine große Rolle, die in diesem Buch wenig oder keine Beachtung haben finden können. Zu erwähnen ist hier insbesondere die soziale Erkenntnistheorie. Während in der erkenntnisphilosophischen Tradition des Empirismus und des Rationalismus Wahrnehmung, Beobachtung, Erinnerung, Introspektion und Vernunftschlüsse als zentrale und primäre Erkenntnisquellen gelten, werden in dieser Theorie auch verschiedene soziale Formen des Wissenserwerbs untersucht. Wissen wird nämlich zum großen Teil durch Mitteilung anderer, aus Büchern, aus Funk und Fernsehen oder dem Internet erworben. Dieses Testimonialwissen, d. h. Wissen aus dem Zeugnis anderer, wird von sozialen Erkenntnistheoretikern als weitere zentrale Form des Wissens angesehen.2 Untersuchungen zu den sozialen Aspekten des Wissens und der Wissenserlangung, wie etwa die Beantwortung der Fragen, worin legitime soziale Wissensquellen bestehen und wem man auf
9 Fazit und Ausblick
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der Suche nach Wissen vertrauen sollte, stehen dabei im Zentrum der sozialen Erkenntnistheorie.3 Die traditionellen Fragen nach der Natur, den Möglichkeiten und Grenzen sowie dem Wert und den Quellen des Wissens werden also auch in Zukunft die Erkenntnisphilosophen beschäftigen.
Anmerkungen Kapitel 1 1 Aristoteles: Metaphysik (A 980a21). 2 Coetzee (2000), 13. 3 Zwischen „Wissen“ und „Erkenntnis“ gibt es im Deutschen einen Unterschied, der im Rahmen dieses Buches jedoch vernachlässigt werden soll. „Erkenntnis“ kann sowohl den Vorgang als auch das Resultat des Erkennens bedeuten, während „Wissen“ hingegen stets das Resultat eines Erkenntnisprozesses zum Ausdruck bringt. Auch ist der Begriff der Erkenntnis durch die philosophische Tradition, wie etwa durch Kants Erkenntnistheorie, bereits stark geprägt. Ich werde deshalb auf den Begriff der Erkenntnis im Rahmen dieses Buches weitestgehend verzichten. Allerdings wird das epistemische Subjekt, d. h. das Subjekt, dem Wissen zugesprochen wird, manchmal als das „Erkenntnissubjekt“ bezeichnet.
Kapitel 2 1 Platon: Theaitetos (146e, 7–10). 2 Siehe Theaitetos (210a); zu Platons Wissensanalyse im Theaitetos sowie zur Frage der Zirkularität der vorgeschlagenen Definitionen vgl. z. B. Hardy (2001), insbes. Kap. 4. 3 Vgl. Williamson (2000), 31. 4 Williamson (2000), 32. 5 Strawson (1994), 33f. 6 Strawson (1994), 34. 7 Der Übergang von Nominal- zu Realdefinitionen kann jedoch manchmal fließend sein, zum Beispiel dann, wenn aus dem Vokabular der Alltagssprache Kunstbegriffe gebildet werden – vgl. hierzu Essler (21982), 72. 8 In der Literatur findet man auch die Bezeichnungen „analytische Definition“ und „stipulative Definition“ anstelle der Ausdrücke „Realdefinition“ und „Nominaldefinition“ – siehe Hempel (1974), 120ff. 9 Siehe z. B. Ernst (2007), 42. 10 Vgl. Gettier (1963). 11 Vgl. Kap. 3.3. 12 Wittgenstein (1977), § 66. 13 Wittgenstein (1977), § 66. 14 Wittgenstein (1977), § 67. 15 Carnap (1959), 13. 16 Vgl. Carnap (1959), 15. 17 Vgl. Carnap (1959), 14. 18 Zur Diskussion um die Lügner-Antinomie vgl. z. B. Brendel (1992). 19 Vgl. Russells Unterscheidung zwischen Wissen durch Bekanntschaft – knowledge of acquain tance – und Wissen durch Beschreibung – knowledge by description – in Russell (1910–1911). 20 Zur Reduktion von interrogativem auf propositionales Wissen vgl. z. B. Higginbotham (1996). 21 Vgl. Ryle (1969). 22 Mellor (1993), 8.
184
Anmerkungen zu Kapitel 2 und 3
23 Jackson (1982, 1986), Nagel (1974). 24 Vgl. hierzu auch Grundmann (2008), 76f. 25 Ernst (2007), 47. 26 Ryle (1969), 34. 27 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 415. 28 Vgl. hierzu z. B. auch Noë (2005), 279. 29 Stanley/Williamson (2001), 416. 30 Vgl. z. B. Stanleys und Williamsons Beispiel des Skitrainers, der nicht (mehr) in der Lage ist, bestimmte komplizierte Stunts auf Skiern auszuführen, dem man aber dennoch das Wissen, wie man diese akrobatischen Sprünge auf Skiern ausführt, zuschreiben würde. Weitere Beispiele finden sich z. B. in Snowdon (2003), 8f. In Snowdon (2003, 11) werden auch Beispiele diskutiert, die zeigen sollen, dass eine praktische Fähigkeit auch nicht hinreichend für das entsprechende Wissen-wie ist. 31 Das Zuschreiben von Wissen-wie ohne das Vorhandensein der entsprechenden Fähigkeit wurde sogar durch empirische Studien anhand von Umfragen gut bestätigt – vgl. Bengson et al. (2009). 32 Vgl. Noë (2005), 286.
Kapitel 3 1 Vgl. Platon: Menon (97e–98a). Zur Frage nach dem Wert des Wissens in Platons Menon vgl. auch Kap. 7.2.1. 2 Auch hier unterscheidet sich die klassische Analyse der Wahrheitsbedingungen von Wissensaussagen vom ursprünglichen platonischen Definitionsvorschlag von Wissen, nach dem primär Gegenstände oder Sachen Objekte des Wissens darstellen, welche durch eine vollständige Beschreibung ihrer charakteristischen Merkmale durch den Wissenden erkannt werden. 3 Siehe z. B. Goldman (1999). 4 Müller (2011), 149. 5 Vgl. Radford (1966), 2ff. 6 Siehe Radford (1966), 5. 7 Vgl. Radford (1966), 11. 8 Allerdings gibt es auch nicht notwendigerweise faktive Verwendungsweisen von „Wissen“, in denen der Wissensbegriff auf ganze Gegenstandsbereiche oder „Wissensgebiete“ angewendet wird, wie etwa in „Peter besitzt Wissen über die Quantenmechanik“. Wenn Peter eine einzelne irrelevante falsche Überzeugung im Bereich der Quantenphysik besitzt, ansonsten aber sehr viele für die Quantenphysik zentrale wahre Überzeugungen hat, würde man ihm sicherlich nicht das Wissen über die Quantenphysik absprechen wollen. Wissen wird hier jedoch nicht als Relation zwischen einem Erkenntnissubjekt und einer einzelnen Proposition verstanden und ist daher nicht Gegenstand einer Begriffsanalyse propositionalen Wissens. 9 Der Wahrheitsbegriff wird im Rahmen dieses Buches nicht näher untersucht und problematisiert. Wahrheit soll hier lediglich als semantische Eigenschaft von Propositionen verstanden werden. Eine Proposition p ist genau dann wahr, wenn der durch p ausgedrückte Sachverhalt besteht, d. h. eine Tatsache darstellt. Ich möchte hier eine möglichst neutrale Position in Bezug auf den ontologischen Status von Tatsachen sowie hinsichtlich der genauen semantischen Beziehung zwischen wahren Propositionen und bestehenden Sachverhalten einnehmen. Eine de-
Anmerkungen zu Kapitel 3
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taillierte Analyse zum Wahrheitsbegriff und dessen systematische Beziehungen zum Begriff des Wissens finden sich in Brendel (1999). 10 Vgl. Grundmann (2008), 223. 11 Vgl. Schlick (1934). 12 Vgl. BonJour (1998). 13 Eine Ausarbeitung der Kohärenztheorie der epistemischen Rechtfertigung findet sich u. a. in Bartelborth (1996). Zu einer Synthese zwischen erkenntnistheoretischem Fundamentalismus und Kohärentismus siehe Susan Haacks „foundherentism“ in Haack (1993). 14 Eine eingehende Analyse dieser Debatten zwischen Fundamentalisten und Kohärentisten sowie zwischen Externalisten und Internalisten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine detaillierte Darstellung fundamentalistischer und kohärentistischer sowie internalistischer und externalistischer Konzeptionen epistemischer Rechtfertigung findet sich u. a. in Grundmann (2008), Kap. 4. 15 Siehe auch die weiteren Merkmale von epistemischer Rechtfertigung in Grundmann (2008), 228. 16 Grundmann unterscheidet hierbei zwischen „übertrumpfenden Anfechtungsgründen“, die die Wahrheit einer gerechtfertigten Überzeugung angreifen, und „unterminierenden Anfechtungsgründen“, die sich gegen die Rechtfertigung der Überzeugung richten – siehe Grundmann (2008), 227. In diesem Sinne ist das letztgenannte Beispiel ein Fall von einem übertrumpfenden Anfechtungsgrund, während die ersten beiden Beispiele Fälle von unterminierenden Anfechtungsgründen sind. 17 Siehe Cohen (2000), 97. 18 Für eine detaillierte und kritische Analyse kontextualistischer Wissenstheorie siehe Kap. 6. 19 Vgl. Gettier (1963). 20 Für Linda Zagzebski ist diese „unheilvolle“ Kombination von Fallibilismus und Zufall der Grund für die Unvermeidbarkeit von Gettier-Fällen und die Unauflösbarkeit des Gettier-Problems – siehe Zagzebski (1994). 21 Zu den verschiedenen Lösungsansätzen des Gettier-Problems vgl. auch Shope (1983). 22 Descartes (1973), Regel 3, 15. 23 Descartes (1973), Regel 3, 19. 24 Insbesondere sind die Bedingungen 3 und 5 verletzt – siehe Kap. 2.5. 25 Zu externalistischen Auffassungen epistemischer Rechtfertigung vgl. Abschnitt 2.3 in diesem Kapitel. 26 Grundmann (2008), 117f. 27 Vgl. Clark (1963). Eine ähnliche Lösungsstrategie des Gettier-Problems, in der eine wahre Überzeugung nur dann als Wissen ausgezeichnet wird, wenn die Rechtfertigung der Überzeugung nicht auf falschen Annahmen beruht, wird auch von Keith Lehrer vertreten – vgl. Lehrer (1990), Kap. 1. 28 Vgl. Chisholm (31989), Kap. 6. 29 Vgl. Russell (1948), 154 und Scheffler (1965), 112. 30 Vgl. Harman (1973), 47. 31 Vgl. Goldman (1976), 772f. 32 Vgl. Lehrer/Paxson (1969). 33 Vgl. Lehrer/Paxson (1969), 228. 34 Vgl. Grundmann (2008), 115. 35 Dretske (1989), 95. 36 Siehe z. B. Zagzebski (1994) und Floridi (2004).
186
Anmerkungen zu Kapitel 3 und 4
37 Craig (1993), 21. 38 Craig (1993), 22. 39 Zum Zusammenhang zwischen einer „Antizufallsbedingung“ in einer Wissensanalyse und der Frage nach dem Wert des Wissens vgl. auch Kap. 7.
Kapitel 4 1 Pritchard (2005), 1. 2 Pritchard (2005), 136. Mylan Engel Jr. hat bereits früher auf diese Form des evidentiellen Zufalls hingewiesen – siehe Engel (1992). 3 Vgl. Pritchard (2005), 146. 4 Siehe Hetheringtons Unterscheidung zwischen „dangerous“ und „helpful Gettier cases“ z. B. in Hetherington (1999) und (2001), Kap. 3. 5 Vgl. z. B. Pritchard (2008), 330. 6 Vgl. Hetherington (2001), 81. 7 Vgl. Lycan (2006), 163. 8 Da ja gerade die „gefährlichen“ Gettier-Fälle als vermeintliche Gegenbeispiele zur Analyse von Wissen als wahrer und gerechtfertigter Überzeugung, die auf keinen falschen Annahmen beruhen darf, herangezogen wurden, für Lycan in diesen Fällen jedoch ohnehin Wissen vorliegt, sieht Lycan auch keinen Grund dafür, nicht an dieser Wissensanalyse festzuhalten. 9 Zu ähnlichen Formulierungen des Prinzips der epistemischen Sicherheit vgl. Pritchard (2005), 156, Pritchard (2007b), 292 und Brendel (2009a), 161. 10 Siehe z. B. Pritchard (2005, 2007b), Sosa (1999) und Williamson (2000). 11 Vgl. Dretske (1981), 368f. 12 Zur Diskussion über die Lotterieparadoxie siehe z. B. Hawthorne (2004). 13 Vgl. Neta/Rohrbaugh (2004), 399ff. 14 Vgl. Comesaña (2005), 397. Auch hier habe ich Comesañas Originalbeispiel leicht verändert. 15 Siehe z. B. Pritchard (2009), 34. 16 Vgl. Brendel (2013), 235. 17 Ein ähnliches Prinzip der Methodensicherheit wird z. B. von Williamson vertreten – siehe Williamson (2009), 325. Auch Pritchard erwähnt, dass sein ursprüngliches Prinzip epistemisch sicherer Überzeugungen im Sinne eines Prinzips der Methodensicherheit ausgedehnt werden müsse – vgl. Pritchard (2009), 34. 18 Vgl. hierzu auch die Diskussion zum „Generalitätsproblem“ reliabilistischer Ansätze in der Erkenntnistheorie z. B. in Conee/Feldman (1998). 19 Auch in den beiden Varianten des Beispiels mit dem vergifteten Wasser war es für die Frage, ob Wissen vorliegt oder nicht, entscheidend, wie die Methode der Überzeugungsgewinnung jeweils beschrieben wurde. Im Beispiel 8 wurde der Überzeugungsbildungsprozess in der Weise spezifiziert, dass das zufällige Ereignis und die sich daraus ergebenden Konsequenzen bereits Teil der Situation waren, in der Ram seine Überzeugung bildete. Unter den gegebenen Umständen, dass Guy in der Lotterie gewonnen und folglich das Wasser nicht vergiftet hat, beruhte Rams wahre Überzeugung, dass er ein Glas reines Wasser trinkt, auf einer epistemisch sicheren Methode. Im Beispiel 9 war hingegen die Möglichkeit, dass Ram ein Glas vergiftetes Wasser trinkt, in der Beschreibung der Umstände, unter denen Ram seine Überzeugung bildete, nicht
Anmerkungen zu Kapitel 4 und 5
187
ausgeschlossen – und die Methode seiner Überzeugungsgewinnung daher auch nicht epistemisch sicher. 20 Es sei hier angenommen, dass es keine Birkenattrappen oder andere Objekte in der Gegend gibt, die Henry fälschlicherweise für Birken halten würde. 21 Vgl. z. B. Sosa (1980). 22 Vgl. z. B. Code (1987), Montmarquet (1993), Zagzebski (1996). 23 Vgl. Greco 2010, 12. 24 Vgl. Sosa (2007), 92. Sosa unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Arten von Wissen: „animal knowledge“ und „reflective knowledge“. Während „animal knowledge“ eine „passende Überzeugung“ darstellt, deren Verlässlichkeit nicht notwendigerweise vom Erkenntnissubjekt erkannt werden muss, ist „reflective knowledge“ epistemisch anspruchsvoller: „[…] animal knowledge does not require that the knower have an epistemic perspective on his belief, a perspective from which he endorses the source of that belief, from which he can see that source as reliably truth conducive. Reflective knowledge does by contrast require such a perspective.“ (Sosa 2009, 135.) Ich werde in den folgenden Überlegungen zu Sosas Position seinen Begriff des „animal knowledge“ zugrunde legen. 25 Vgl. Sosa (2007), 29. 26 Pritchard/Millar/Haddock (2010), 36. 27 Vgl. Lackey (2007), 352. 28 Sosa (2007), 93. 29 Vgl. Sosa (2007), 95. 30 Vgl. z. B. Pritchard/Millar/Haddock (2010), 51. 31 Vgl. Pritchard (2009), 40f., Pritchard/Millar/Haddock (2010), 49. 32 Pritchard/Millar/Haddock (2010), 49. 33 Pritchard/Millar/Haddock (2010), 54. 34 Pritchard nennt die von ihm vertretene Position „anti-luck virtue epistemology“.
Kapitel 5 1 Zu antiken Formen des Skeptizismus siehe z. B. Ricken (1994). Eine historische Einführung in verschiedene Positionen der philosophischen Skepsis findet sich auch in Gabriel (2008). 2 Siehe Descartes (1956). 3 Descartes (1956), 1. Meditation, 29. 4 Vgl. Descartes (1956), 1. Meditation, 29. 5 Zur Asymmetrie zwischen Träumen und Wachsein vgl. auch Grundmann (2008), 371f. 6 Descartes (1956), 1. Meditation, 31. 7 Descartes (1956), 1. Meditation, 37. 8 Vgl. Putnam (1990), 21. 9 Siehe Kap. 3.3. 10 Zu den verschiedenen Versionen dieses Prinzips vgl. z. B. Grundmann (2008), Kap. 3.5. Für eine Kritik an der Plausibilität des Prinzips für nicht vollständig rationale epistemische Subjekte vgl. z. B. Hales (1995). 11 Kant (1998), B XL, Anm. 12 Hume (1989), Teil IV, 250. 13 Hume (1989), Teil IV, 347.
188
Anmerkungen zu Kapitel 4 und 5
14 Vgl. Descartes (1956), 2. Meditation, Abschnitt 6. 15 Descartes (1956), 3. Meditation, 91. 16 Descartes (1956). 5. Meditation, 119. 17 Descartes (1956), 6. Meditation, 159. 18 Zur kritischen Diskussion um Descartes’ Gottesbeweise vgl. z. B. Mackie (1985), Kap. 2 und 3 und Bromand/Kreis (Hrsg.) (2011), Teil II, Kap. 5 und 6. Eine wichtige Kritik an ontologischen Gottesbeweisen aus modallogischer Sicht ist David Lewis’ einflussreicher Aufsatz „Anselm and Actuality“, Noûs 4, 1970: 175–188. Dt. in Bromand/Kreis (Hrsg.) (2011), Teil V, Kap. 19. 19 Kant (1998), A 599/B 627. 20 Vgl. Frege (1988), § 53. 21 Putnam (1990), 32f. 22 Vgl. Putnam (1990), 23. 23 Vgl. Dretske (1981), 367. 24 Vgl. Dretske (1970), 1015f. 25 Vgl. Dretske (1970), 1016. 26 So bezeichnet etwa Keith DeRose die Aussage „S weiß, dass es Hände hat, aber S weiß nicht, dass es kein Gehirn im Tank ist“ als „abscheuliche Konjunktion“ („abominable conjunction“) und als „bizarres Resultat“ einer Wissenstheorie, die auf das Abgeschlossenheitsprinzip verzichtet – siehe z. B. DeRose (1995), 28. 27 Vgl. Dretske (2005), 17. 28 Vgl. Dretske (1971). 29 Nozick (1981), 178. 30 Vgl. Dretske (2005), 14. 31 Dretske (2005), 23. 32 Vgl. Hawthorne (2005), 36f. 33 Vgl. Hawthorne (2005), 36. 34 Moore (1969), 178. 35 Moore (1969), 179. 36 Vgl. Moore (1969), 184. 37 Zur „neo-moorean strategy“ vgl. auch Pritchard (2005), 71f. 38 Vgl. Pritchard (2005), 175. 39 Vgl. z. B. Zagzebski (1996), 304. 40 Wer als kleiner Hahn identifiziert wurde, hat allerdings nur noch wenige Augenblicke zu leben. Da er als Eierlieferant ausscheidet, wird er zusammen mit Tausenden seiner „unprofitablen“ Geschlechtsgenossen erstickt und in einem sogenannten „Kükenmuser“ zerhäckselt. Auf diese Weise werden jährlich in Deutschland geschätzte 45 Millionen männliche Küken getötet. Aber auch den weiblichen Küken ergeht es als zukünftige Legehennen nicht viel besser. 41 Vgl. z. B. Pritchard (2005), 43f. 42 Pritchard (2005), 249. 43 Grundmann (2008), 450f.
Anmerkungen zu Kapitel 6
189
Kapitel 6 1 Dretske (1981), 377. 2 Dretskes Theorie der relevanten Alternativen unterscheidet sich somit von den eigentlichen kontextualistischen Wissensansätzen. Seine Position war jedoch richtungsweisend für die Entwicklung des Kontextualismus in der modernen Erkenntnistheorie und wird daher auch als „Proto-Kontextualismus“ bezeichnet – vgl. z. B. Pritchard (2002), 20. 3 Siehe Kaplan (1989). 4 Die hier diskutierte Form des Kontextualismus ist genau genommen eine Variante des indexikalischen Kontextualismus. Der indexikalische Kontextualismus ist die am häufigsten vertretene Art des Kontextualismus. Im nicht-indexikalischen Kontextualismus (vgl. Kompa (2002)) ist die durch eine Wissensaussage „S weiß, dass p“ ausgedrückte Proposition in den verschiedenen Äußerungskontexten invariant. Diese invariante Proposition erhält dann durch die verschiedenen Standards in den Äußerungskontexten variierende Wahrheitswerte. Dieser feine semantische Unterschied zwischen indexikalischem und nicht-indexikalischem Kontextualismus soll jedoch in den folgenden Überlegungen nicht weiter berücksichtigt werden. 5 Ähnliches gilt auch für die Standards für „groß“, „flach“ oder „reich“: Je strenger diese sind, desto schwieriger wird es, dass man die durch diese Ausdrücke bezeichneten Eigenschaften Personen bzw. Objekten zuschreiben kann. Versteht man unter „groß“ z. B. „groß für einen NBABasketballspieler“, erfüllen nur noch wenige Personen diesen Standard für „groß“. Zählt man zu den „flachen“ Oberflächen nur noch diejenigen, die noch nicht einmal mikroskopisch kleine Unregelmäßigkeiten aufweisen, und wendet man „reich“ nur noch auf diejenigen Personen an, die ein durchschnittliches Jahreseinkommen von mehr als 100 Millionen Euro haben, dann werden diese Ausdrücke kaum noch anwendbar. 6 Cohen (1988), 97. 7 Cohen (2000), 97. 8 Vgl. z. B. DeRose (2009) und Lewis (1996). 9 Vgl. Cohen (2000), 94. 10 Vgl. z. B. DeRose (1992), 914 und Lewis (1996), 559. 11 Vgl. DeRose (1992), 914. 12 Vgl. DeRose (1992), 913. Ich habe DeRoses berühmte Bank-Beispiele nur leicht verändert. 13 Vgl. Kap. 5.1. 14 DeRose (1995), 6. 15 Vgl. Kap. 5.1 und Kap. 5.2.4. 16 Lewis (1996), 560. 17 Vgl. z. B. Barke (2005). 18 Williams (2003), 989. 19 Wittgenstein (1969), § 341, 89. Auch Williams hält einen skeptischen Kontext, in dem unser Wissen als solches auf dem Prüfstand steht, für unsinnig – vgl. Williams (2003), 983. 20 Vgl. z. B. Cappelen/Lepore (2005) und Stanley (2004). 21 Vgl. Ludlow (2005), 41ff. 22 Robert Stainton nennt als Beispiel für einen Ausdruck, der auf Standards relativiert ist, jedoch nicht graduierbar ist, den Ausdruck „Vegetarier“. So gibt es z. B. Ovo-Lacto-Vegetarier, Lacto-Vegetarier und Veganer. Dennoch erscheint es unüblich, von jemandem zu behaupten, er sei in einem höheren (oder geringeren) Maße ein Vegetarier als ein anderer – vgl. Stainton (2010), 152. 23 Vgl. hierzu auch Hawthorne (2004), 106.
190
Anmerkungen zu Kapitel 6 und 7
24 Als Kontextualist könnte man hier eventuell entgegnen, dass Bart und Neo sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Äußerungskontexte zwar nicht widersprechen, dass aber dennoch ein Dissens zwischen beiden in Bezug auf den geeigneten Wissensstandard besteht. Neo könnte also z. B. behaupten, dass Bart etwas falsch macht, wenn er einen nicht-skeptischen Wissensstandard verwendet. Ebenso könnte z. B. ein Sprecher behaupten, dass es eine bestimmte Gesprächssituation erfordere, „groß“ im Sinne von „groß für einen durchschnittlichen Mitteleuropäer“ zu verwenden. Allerdings gibt es im Kontextualismus keine kontextunabhängigen Wissensstandards, so dass ein Streit über die geeigneten Wissensstandards nicht sinnvoll erscheint. 25 Andere Überlegungen weisen sogar darauf hin, dass der Kontextualismus zu logischen Inkonsistenzen führt. Betrachtet man etwa eine Aussage der Form „S weiß, dass p“, die nach kontextualistischer Sicht in einem Kontext mit hohen Wissensstandards K2 falsch, in einem anderen Kontext mit niedrigeren Wissensstandards K1 jedoch wahr ist. Das sogenannte „Faktivitätsproblem“ zeigt nun, dass S nicht in konsistenter Weise in K2 wissen kann (bzw. nicht ohne gegen bestimmte rationale Prinzipien der Behauptbarkeit zu verstoßen, in K2 behaupten kann), dass es in K1, nicht aber in K2 weiß, dass p. S kann somit bestimmte zentrale Einsichten des Kontextualismus selbst nicht wissen bzw. behaupten – vgl. z. B. Brendel (2003, 2005, 2007, 2009b, 2012) und Baumann (2008). 26 Siehe z. B. MacFarlane (2005a, 2005b, 2011). 27 MacFarlane (2011), 536. 28 Fermats letzter Satz – manchmal auch als „großer fermatscher Satz“ bezeichnet – besagt, dass es keine positiven ganzen Zahlen x, y und z gibt, die die Gleichung xn + yn = zn für n > 2 erfüllen. 29 Vgl. MacFarlane (2011), 542. 30 In der englischsprachigen Literatur hat sich für diese Art des Dissenses der Ausdruck „faultless disagreement“ etabliert – siehe z. B. Kölbel (2003). 31 Zum Problem „ignoranter Bewerter“ vgl. Brendel (2009b), 412. 32 Zum „Faktivitätsproblem“ für den Relativismus vgl. Brendel (2012). 33 Vgl. Hawthorne (2004) und Stanley (2005). 34 Stanley (2005), 88. 35 Stanley (2005), 90. 36 Schaffer (2006), 97. 37 Siehe Kap. 3.2. 38 Bach (2005), 85. 39 Vgl. z. B. Rysiew (2005), 55. 40 Vgl. Davis (2007), 414. 41 Davis (2007), 409. 42 Vgl. Davis (2007), 414.
Kapitel 7 1 Riggs (2007). 2 Vgl. z. B. Kvanvig (2003) oder Pritchard/Millar/Haddock (2010), Teil I. 3 Vgl. Rabinowicz/Roennow-Rasmussen (1999). 4 Zum Problem des Wertes von Wissen vgl. Schönrich (Hrsg.) (2009). 5 Vgl. Pritchard (2007a).
Anmerkungen zu Kapitel 7
191
6 Pritchard/Millar/Haddock (2010), 8. 7 Da in der Diskussion um das Menon-Problem (und in den Übersetzungen des Ausdrucks „dóxa“) meist der Begriff der Meinung anstelle des Begriffs der Überzeugung verwendet wird, werde ich hier diesen Begriff ebenfalls verwenden und später wieder zum Begriff der Überzeugung übergehen. Auch wenn der Begriff der Überzeugung meines Erachtens einen höheren Grad an subjektiver Gewissheit konnotiert, sollen die Begriffe der Meinung und der Überzeugung hier synonym verwendet werden – siehe hierzu auch Kap. 3.2.1. 8 Platon: Menon (97d). 9 Platon: Menon (97e-98a). 10 Vgl. z. B. Jones (1997), Kvanvig (2003) oder Zagzebski (2003). 11 Vgl. Zagzebski (2003), 13. 12 Jones (1997), 426. 13 Vgl. z. B. Pritchard/Millar/Haddock (2010), 14 und Kvanvig (2003), Kap. 2; eine Kritik am Wahrheitsmonismus findet sich u. a. bei Koppelberg (2009). 14 Vgl. z. B. Beckermann (2001). 15 Goldman/Olsson (2009), 28. 16 Vgl. Goldman/Olsson (2009), 29f. 17 Siehe Kap. 6.1.2. 18 Goldman und Olsson geben zu, dass Wissen natürlich nicht immer gegenüber bloßer wahrer Überzeugung einen Mehrwert besitzt. Für sie können reliable Überzeugungsbildungsprozesse auch einen sogenannten „autonomen Wert“ besitzen. Da reliabel gewonnene wahre Überzeugungen typischerweise epistemisch wertvoll sind, sprechen wir, so Goldman und Olsson, bestimmten Typen von reliabel gewonnenen Überzeugungen einen epistemischen Wert zu, auch wenn sie in konkreten Fällen diesen instrumentellen Wert nicht realisieren. In diesem Sinne sei z. B. auch der Besitz von Geld instrumentell wertvoll, selbst wenn er in einigen Fällen nicht zum gewünschten Ziel (Zufriedenheit, Glück oder ein angenehmes Leben) führe – vgl. Goldman/Olsson (2009), 32. Zur Kritik an Goldmans und Olssons Idee eines autonomen Wertes von Wissen vgl. Kvanvig (2010). 101ff. 19 Kvanvig (2010), 105. 20 Siehe hierzu auch Kvanvig (2010), 109. 21 Greco (2010), 98, FN 12. 22 Vgl. Kap. 4.3. 23 Auch sind entsprechende Formulierungen mit dem Verb „kennen“, wie z. B. in „Peter kennt Fermats letzten Satz“ oder „Hannah kennt Luise“, nicht mit den Sätzen (2) und (3) synonym. 24 Vgl. Heisenberg (1969), 280. 25 Kvanvig (2003), 186. 26 Kvanvig (2003), 192. Auch für Wayne Riggs hat Verstehen diese Bedeutung, wenn er schreibt: “Understanding something requires a deep appreciation, grasp, or awareness of how its parts fit together, what role each one plays in the context of the whole, and of the role it plays in the larger scheme of things.” Vgl. Riggs (2003), 217. 27 Vgl. z. B. Elgin (2006), 202f. und Riggs (2003), 218. 28 Siehe hierzu auch Kap. 3.2.2, FN 45. 29 Vgl. hierzu auch Kvanvig (2003), 201. 30 Vgl. hierzu auch Pritchard (2008), 335. 31 Vgl. Kvanvig (2003), 198f., Pritchard (2008), 334ff. und Pritchard/Millar/Haddock (2010), 77ff. Während Kvanvig jedoch der Meinung ist, dass Verstehen im Unterschied zu Wissen mit allen Formen epistemischen Zufalls kompatibel ist, argumentiert Pritchard, dass nur umge-
192
Anmerkungen zu Kapitel 7 und 8
bungsbedingter epistemischer Zufall mit Verstehen vereinbar ist. Ich werde mich im Folgenden Pritchards Auffassung anschließen. 32 Zum Begriff der „hilfreichen“ Gettier-Fälle sowie zur Unterscheidung von „hilfreichen“ und „gefährlichen Gettier-Fällen“ vgl. auch Kap. 4.1. 33 Vgl. Pritchard/Millar/Haddock (2010), 78. 34 Vgl. Pritchard/Millar/Haddock (2010), 79. 35 Pritchard/Millar/Haddock (2010), 79. 36 Kvanvig (2003), 203.
Kapitel 8 1 Kornblith (1998), 129. 2 Vgl. z. B. DePaul/Ramsey (Hrsg.) (1998); eine Kritik an intuitionenbasierter Philosophie findet sich z. B. in Cappelen (2012). 3 Siehe die dritte Adäquatheitsbedingung für eine erkenntnisphilosophische Begriffsexplikation von Wissen in Kap. 2.5. 4 Dieses Axiom besagt (informell formuliert), dass man für irgendeine Eigenschaft eine Menge von Dingen bilden kann, die diese Eigenschaft haben. Für inkonsistente Eigenschaften, wie etwa für die Eigenschaft, ein rundes Quadrat zu sein, lässt sich ebenfalls eine Menge bilden, deren Elemente auf diese Eigenschaften zutreffen – nämlich die leere Menge. 5 Vgl. die in Kap. 6 diskutierten kontextualistischen und relativistischen Wissensansätze. 6 DeRose (2005), 172. 7 Eine Übersicht zu zentralen empirischen Studien im Rahmen der experimentellen Philosophie und deren Auswertungen gibt der Sammelband Knobe/Nichols (Hrsg.) (2008). 8 Vgl. Weinberg/Nichols/Stich (2001). 9 Vgl. Weinberg/Nichols/Stich (2001), 29; diese und die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe Knobe/Nichols (2008). 10 Insgesamt wurden in dieser Studie 102 Personen gefragt; 68 hiervon waren Studierende aus Nordamerika bzw. Europa, 23 waren Studierende ostasiatischer Herkunft und 25 Studierende kamen aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Zur Berechnung der statistischen Signifikanz wurde der exakte Text nach Fisher verwendet. Beim Vergleich von Studierenden aus Nordamerika/Europa und Ostasien war der Signifikanzwert p = 0.006414, und beim Vergleich zwischen Studierenden aus Nordamerika/Europa und Indien/Pakistan/Bangladesch war p = 0.002407. 11 Weinberg/Nichols/Stich (2001), 30. 12 Vgl. Weinberg/Nichols/Stich (2001), 26. 13 Insgesamt wurden 214 Studierende befragt, davon waren 25 Studierende ostasiatischer Herkunft (p = 0.020114). Diese Differenz in der Bewertung sank allerdings in einer anderen Variante des „Truetemp“-Falls, in der die Veränderung nicht durch einen herabstürzenden Felsen, sondern durch eine Gehirnoperation ausgelöst wurde. Ein signifikanter Unterschied in der Bewertung zwischen ostasiatischen und westlichen Studierenden verschwand sogar vollends, als der „Truetemp“-Fall so modifiziert wurde, dass die Veränderung des Gehirns nicht nur eine einzelne Person, sondern die Gesellschaft als Ganzes betraf. 14 Vgl. Swain/Alexander/Weinberg (2008). Der klare Fall von Nicht-Wissen wurde in dieser Studie durch ein Beispiel beschrieben, in dem eine Person der irrigen Meinung ist, sie könne den Ausgang von Münzwürfen vorhersagen. Bei einem Münzwurf hat sie nun zufälligerweise
Anmerkungen zu Kapitel 8 und 9
193
den richtigen Ausgang („Zahl“) erraten. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben hier die Befragten selbstverständlich geantwortet, dass diese Person nicht weiß, dass die Münze bei „Zahl“ landen wird. Der klare Fall von Wissen wurde in Form eines Beispiels präsentiert, in dem eine ChemieExpertin eine wahre Überzeugung in ihrem Fachgebiet durch das Nachschlagen in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift erlangt. Der in dieser Studie beschriebene „Truetemp“-Fall unterschied sich von der obigen Beispielstudie 2 nur dadurch, dass die Person durch eine bestimmte Gehirnoperation in die Lage versetzt wurde, zuverlässig die Raumtemperatur anzugeben. Die Probanden konnten auf einer Likert-Skala zwischen 1 und 5 ihre Zustimmung bzw. Ablehnung zur Behauptung, dass die Person im „Truetemp“-Fall Wissen besitzt, angeben. „1“ bedeutete dabei, dass sie der Aussage „stark widersprechen“, „2“, dass sie der Aussage „widersprechen“, „3“ signalisierte eine neutrale Position, „4“ bedeutete, dass sie der Aussage „zustimmen“ und „5“, dass sie der Aussage „stark zustimmen“. Bei der Gruppe der Studierenden, die vorher den klaren Fall von Wissen präsentiert bekamen, lag der Mittelwert bei 2.4. Bei der Gruppe von Studierenden, die vorher den klaren Fall von Nicht-Wissen erhielten, lag er hingegen bei 3.2. 15 Vgl. Buckwalter/Stich (im Erscheinen). 16 Vgl. Spicer (2010), 525. 17 Vgl. Spicer (2010), 527. 18 Vgl. Grice (1975). 19 Vgl. hierzu auch Cullen (2010). 20 Williamson (2007), 191. 21 Vgl. Kap. 6.1.2. 22 Vgl. Kap. 6.3. 23 Vgl. DeRose (1992), 913; vgl. auch die Beispiele 16 und 17 aus Kap. 6. 24 Vgl. Buckwalter (2010), 400f. 25 Vgl. Buckwalter (2010), 404. 26 Vgl. z. B. Feltz/Zarpentine (2010), 691f. Auch in einer Untersuchung von Joshua May et al. haben sowohl im „High Stakes“-Fall als auch im „High Standards“-Fall die Probanden der Behauptung des Erkenntnissubjekts zu wissen, dass die Bank am Samstag geöffnet hat, durchschnittlich zugestimmt. Allerdings zeigte sich im „High Stakes“-Fall (nicht jedoch im „High Standards“-Fall) eine etwas geringere Bereitschaft, Wissen zuzuschreiben, als im normalen „Bank“-Fall; vgl. May/Sinnott-Armstrong/Hull/Zimmerman (2010), 270ff. 27 Vgl. Sripada/Stanley (2012). 28 Vgl. z. B. Cappelen (2012).
Kapitel 9 1 Vgl. z. B. die Beiträge zu Understanding und Wisdom von Grimm (2011) und Whitcomb (2011) und die dort angegebene weiterführende Literatur. 2 Vgl. hierzu auch die Diskussion zum „Morris“-Beispiel in Kap. 4.3. 3 Grundlegende Werke zur sozialen Erkenntnistheorie sind z. B. Goldman (1999, 2002), Scholz (2001), Lackey/Sosa (Hrsg.) (2006), Lackey (2010), Haddock/Millar/Pritchard (Hrsg.) (2010) und Mößner (2010).
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Sachregister Abgeschlossenheitsprinzip 39–40, 84–85, 94–96, 98–103, 108, 118, 188 – epistemischer Rechtfertigung 39–40 – von Wissen 84–85 Adäquatheitsbedingung 25, 36, 42, 51, 86, 107, 166, 178, 180, 192 Äußerungskontext 112–117, 122, 124–127, 129, 189–190 Äußerungswahrheit 125, 128 Anfechtungsgrund 47–48, 51, 185 Angst, epistemische 104, 106–107 Anti-Intellektualismus 17–18, 21, 23 Antizufallsbedingung 50, 52, 74–75, 186 Bank-Beispiel 174, 176, 189 Begriffsanalyse 7, 12–13, 23–25, 27, 40, 43, 49–50, 184 Begründung 9, 34, 84 Behauptbarkeitsbedingung 135–136, 177, 179 Beobachtung 1, 87, 180 Bewertungskontext 125–127, 129 Bewertungsperspektive 125–129 bewertungssensitiver Ausdruck 126, 129, 134, 138 Chicken-sexer-Beispiel 105–106 Common Sense 102, 118, 122 Dämon 82–83, 87–88 Deduktion 41 Definition 2, 7–10, 27, 74, 183–184 – Nominaldefinition 9–10, 183 – Realdefinition9–10, 12, 24, 183 – Wesensdefinition 2–3, 7, 9–12, 14 Dissens 121–122, 127–128, 131, 134, 138, 190 – fehlerfreier/schuldloser 128 – genuiner 121, 128, 131, 134, 138 Empirismus 180 Erinnerung 32, 38, 70, 93, 97, 119, 149, 180 Evidenz 35, 39–40, 54, 58, 63, 78, 105, 149, 166, 172, 178
experimentelle Philosophie 5, 167–168, 178, 180, 192 Explikation 2–4, 9, 12–14, 24–25, 27, 36, 42, 51, 69, 70, 74, 76–78, 86–87, 106–107, 152, 166–167, 178–180, 192 Externalismus 92–93, 108 – semantischer 92–93, 108 Faktivität 162, 190 Faktivitätsproblem 190 Fallibilität 32, 34–36, 39, 41, 50, 167 Familienähnlichkeit 9, 11–12, 24 Fundamentalismus, erkenntnistheoretischer 33–34, 185 Gedankenexperiment 5, 19, 83, 92, 107, 165, 173, 177–178 Gehirn im Tank 5, 83–84, 92–94, 96–98, 101–103, 117–118, 121, 188 Geschmacksprädikat 126 Gettier-Beispiel 10, 37–40, 42, 49–51, 55, 172 Gettier-Fall 49–51, 55–57, 66, 158, 166, 168–173, 177, 185 – gefährlicher 55–56, 72, 78, 152, 158–160, 186, 192 – hilfreicher 55–56, 78, 158, 160, 162, 171, 186, 192 Gettier-Problem 25, 27, 40–42, 44–46, 49–52, 57, 60, 77–78, 144, 179, 185 Gewissheit 41–42, 83, 191 Gottesbeweis 88–91, 107, 188 – ideentheoretischer 89, 91 – ontologischer 88–91, 188 Gradualität 34, 36 graduierbares Adjektiv 113–114, 120–121, 124, 126, 137 Holismus 34, 154, 156, 160, 162 Implikation, logische 39–40, 84, 94, 96–99, 104, 108, 118 Implikatur 135, 176 indexikalischer Ausdruck 4, 112, 114
204
Sachregister
Indexikalität 120 Infallibilität 41 inkonsistente Triade 117–118 Intellektualismus 17–18, 21, 23 Internalismus, erkenntnis theoretischer 33–34, 104–106, 180, 185 Introspektion 42, 180 Intuition 40–42, 59, 74, 101, 118, 127–128, 131, 134–135, 138, 165–174, 176–180, 192 – epistemische Intuition/in Bezug auf Wissen 5, 25, 27, 60, 62, 69, 74, 79, 106, 116, 146–147, 150, 165–168, 170–174, 176–180 intuitionenbasierte Philosophie 168, 178, 192 kausale Theorie der Referenz 92 Klugheit 82, 180 Können 18 Kohärentismus 33–34, 185 Komprehensionsaxiom 156, 167 konnektierendes Modell 8–9, 12 Konsistenz 94, 178 Kontextsensitivität 4, 114, 119–120 Kontextualismus 4, 114–115, 119–123, 125, 127–138, 173–174, 176–177, 179, 189–190 – epistemischer 119 – indexikalischer 189 – konversationaler 114–115, 119 – nicht-indexikalischer 189 Korrespondenztheorie 77 Lotterie-Paradoxie 22, 30, 35, 59–62, 66, 186 Lügner-Antinomie 13, 183 Matrix 81, 83, 87, 145, 161, 184 Menon-Problem 143–144, 191 Methodensicherheit, epistemische 3, 65–72, 74–78, 103–109, 111, 134–135, 137–138, 152–153, 162, 179–180, 186 Modalausdruck, epistemischer 126, 137 Mögliche Welt 58–59, 62–63, 64, 68–69, 92, 98, 100, 103 „naive“ Mengenlehre 156, 167 Neuer Relativismus 124
Physikalismus 19 Pragmatik 4, 133, 180 Proposition 16, 21–23, 25, 28–31, 38, 63–64, 78, 84, 94–96, 98–100, 112–114, 117, 121–127, 130, 135–136, 142, 148, 156, 174, 184, 189 propositionaler Gehalt 2 Propositionenwahrheit 125 Proto-Kontextualismus 189 Prozessreliabilismus 48 Pyrrhonismus 82 Rationalismus 180 Rechtfertigung, epistemische 2–3, 33–42, 44–52, 70, 79, 84, 120, 135, 144, 161, 185 Rechtfertigungskontextualismus 120 Reduktionsthese 16–17 reduktives Modell 9 Relativismus 4, 124, 127–129, 132, 134, 137–138, 179, 190 relevante Alternative 94, 96, 111 Reliabilismus 162 Scheunenattrappen-Beispiel/ Scheunenattrappen-Fall 44–47, 55–59, 61–67, 72, 74, 79, 111 Semantik 4, 111–112, 114, 124–125, 127–129, 131, 134–135, 137–138, 176–177, 180, 195 – kaplansche 112, 114 – zweidimensionale 112 Sensitivität, epistemische 97–98, 108 Sicherheit, epistemische 30, 45, 52, 56–58, 60–71, 74–75, 77–78, 101, 121, 145–146, 162, 171, 186 sicherheitsbasierte Wissenstheorie 57, 59–62, 64, 79 Sinneseindruck 33–34, 86 Sinneswahrnehmung 41, 48, 56, 69–70, 82, 103 skeptische Herausforderung 4, 14, 25, 101–104, 106, 109, 116, 138 skeptisches Szenario 3, 5, 82–83, 92–93, 98, 107–109, 118 Skeptizismus (siehe Wissensskeptizismus) soziale Erkenntnistheorie 180 Sprachpragmatik 135, 136, 137, 139
Sachregister
subjektsensitiver Invariantismus 4, 129–131, 138, 173–174, 179 Swamping-Problem 145–147, 149–153, 161 Temp-Beispiel 75–76, 79 Testimonialwissen/ Testimonialerkenntnis 72–73, 180 Traumargument 82 Truetemp-Beispiel/Truetemp-Fall 169–170, 172–173, 177, 192–193 truth-tracking-Analyse des Wissens 97 Tugend, epistemische 70–72, 76–77 Tugenderkenntnistheorie 69–70, 72, 75, 151–152, 180 – reliabilistische 70 Unanfechtbarkeitstheorie 45–46, 48–49, 51 Verantwortlichkeitstheorie 70–71 Verstehen 5, 153–163, 167, 179–180, 191–192 Wahrheit 3–5, 9, 13–14, 23–24, 28–30, 32–35, 37, 40–42, 44–45, 50–51, 54, 70–72, 76–78, 83–85, 90, 93, 97–98, 100–101, 103–105, 108–109, 111–112, 114–118, 122–127, 129–138, 141–143, 145–147, 162, 165–166, 173, 176–177, 179, 184–185, 189, 191 – notwendige 33, 165 Wahrheitsbedingung 4, 28–30, 32–33, 50–51, 111–112, 114, 117, 124, 129–130, 133, 135–138, 173, 176–177, 179, 184 Wahrheitsmonismus 147, 162, 191 Wahrheitsrelativismus 4 Wahrnehmung 1, 22, 41, 43, 45, 66–71, 82–84, 87–88, 92, 97–104, 106, 108, 111, 180 Weisheit 90, 180 Wert 1, 4–5, 28, 49–50, 52, 125, 141–155, 160–163, 166–167, 176, 179–181, 184, 186, 190–191 – finaler 5, 142, 145, 147, 150–152, 161–162 – instrumenteller 5, 142–144, 149–153, 162, 179, 191 – intrinsischer 5, 142, 161–162
205
Wertediskussion, erkenntnistheoretische 141, 161 Werteproblem 143–145, 152–153, 161–163 – primäres 143–145, 152, 161 – sekundäres 143–144, 161 – tertiäres 143, 145, 152–153, 161–163 Widerspruchsfreiheit 13 Wissen 1–5, 7–12, 14–25, 27–57, 59–66, 68–88, 91, 93–101, 103–112, 114–125, 127–139, 141–163, 165–174, 176–181, 183–193, 195, 197, 199–200 – aus dem Zeugnis anderer 72, 180, 199 – durch Bekanntschaft 15, 183 – durch Beschreibung 183 – interrogatives 14–17, 20, 24, 183 – nicht-propositionales 17–18, 20 – phänomenales 15, 18–20, 24–25 – praktisches 14, 18, 20–21, 23–25 – propositionales 2–4, 15–25, 28–30, 32, 36, 38, 40, 42, 48–51, 59, 64, 69, 74, 76–78, 86, 106–107, 133, 152, 155–156, 162, 166–167, 178–180, 183–184 – theoretisches 15, 18 wissensskeptisches Argument 83–85, 87–88, 91, 93–95, 101–104, 109–110, 117 Wissensskeptizismus 2–4, 42, 51, 81–88, 91, 93–97, 101, 104, 106–107, 109, 116–118 Zebra-Beispiel 95–96, 99, 111–112, 115 Zirkularität 8, 12, 183 Zufall 3, 24, 31, 37–39, 43, 45, 49, 51–57, 60–61, 63, 69, 72, 74, 77–78, 104–106, 109, 151–152, 157–160, 162, 166, 171–172, 179, 185–186, 191–192 – evidentieller 53–54, 61, 63, 77–78, 186 – reflektiver epistemischer 104–106, 109, 179 – umgebungsbedingter 55–56, 61, 69, 72, 152, 159–160, 162, 192 – veridisch epistemischer 3, 53–57, 60–61, 74, 77–78, 104, 157–158, 166, 179 Zuschreiberkontextualismus 115 zwingender Grund 94, 97–101, 108
Namenregister Alexander, J. 192 Ardant, F. 126 Aristoteles 1, 7, 183 Bach, K. 135, 190 Barke, A. 119–120, 189 Bartelborth, T. 185 Baumann, P. 190 Beckermann, A. 147, 191 Bengson, J. 184 Blanshard, B. 34 Bohr, N. 154 BonJour, L. 34, 185 Brendel, E. 183, 185–186, 190 Bromand, J. 188 Buckwalter, W. 170, 174, 193 Bush, G. W. 126 Cappelen, H. 189, 192–193 Carnap, R. 12–14, 183 Chisholm, R. 185 Clark, M. 42, 185 Code, L. 70, 187 Coetzee, J. M. 1, 183 Cohen, S. 114, 185, 189 Comesaña, J. 62–63, 78, 186 Craig, E. 49, 186 Cullen, S. 193 Davidson, D. 34 Davis, W. 135–136, 190 Deneuve, C. 126 DePaul, M. 192 DeRose, K. 114–116, 167, 174, 176, 188–189, 192–193 Descartes, R. 33, 41–42, 48, 51, 82–83, 88–91, 107, 185, 187–188 Dretske, F. 48, 58, 95–101, 108, 111–112, 118, 185–186, 188–189 Elgin, C. 191 Engel, M. Jr. 186 Ernst, G. 20, 34, 183–184 Essler, W. K. 183
Feltz, A. 193 Fermat, P. de 126–127, 153–154, 190–191 Fleming, A. 53–54 Floridi, L. 185 Frege, G. 90, 188 Gabriel, M. 187 Gauß, C. F. 30, 53 Gettier, E. 2–3, 10, 25, 27, 36–42, 44–46, 49–52, 55–57, 60, 66, 72, 77–78, 144, 152, 158–160, 162, 166, 168–173, 177, 179, 183, 185–186, 192 Goethe, J. W. von 14–16, 113 Goldman, A. 44, 147–149, 162, 184–185, 191, 193 Greco, J. 71, 152, 187, 191 Grice, P. 172, 193 Grimm, S. R. 193 Grundmann, T. 42, 107, 184–185, 187–188 Gutenberg, J. 150 Haack, S. 185 Haddock, A. 187, 190–193 Hales, S. 187 Hardy, J. 183 Harman, G. 185 Hawthorne, J. 99–100, 108, 129, 186, 188–190 Heisenberg, W. 191 Hempel, C. G. 183 Hetherington, S. 55–56, 186 Higginbotham, J. 183 Howitt, P. 53 Hull, J. 193 Hume, D. 33, 85–86, 109, 187 Jackson, F. 19, 184 Jackson, M. 150 Jones, W. 146, 191 Kant, I. 33, 85, 90, 102, 183, 187–188 Kaplan, D. 112, 114, 189 Knobe, J. 192 Kompa, N. 189
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Namenregister
Koppelberg, D. 191 Kornblith, H. 165, 192 Kreis, G. 188 Kvanvig, J. 151, 155, 160, 190–192 Lackey, J. 72, 187, 193 Lavoisier, A. L. de 35 Lehrer, K. 34, 46, 185 Lepore, E. 189 Lewis, D. 114, 119, 188–189 Ludlow, P. 189 Lycan, W. 55–56, 186 MacFarlane, J. 124–127, 190 Mackie, J. L. 188 May, J. 193 Mellor, D. H. 18, 183 Merkel, A. 113 Messi, L. 90 Millar, A. 187, 190–193 Mößner, N. 193 Montmarquet, J. 70, 187 Moore, G. E. 102–103, 108, 117–118, 121–122, 127–129, 188 Müller, H. 30, 184 Nagel, T. 19, 184 Neta, R. 60–62, 78, 186 Neurath, O. 34 Newton, I. 54 Nichols, S. 168–169, 171–172, 192 Noë, A. 184 Nozick, R. 97–101, 108, 188 Obama, B. 14, 126, 129 Olsson, E. J. 147–149, 162, 191 Paxson, T. Jr. 46, 185 Platon 2, 4, 7, 10, 27–28, 33, 36, 48, 50, 143–145, 161, 183–184, 191 Pritchard, D. 53–55, 57, 64, 72, 74–75, 79, 104, 106, 143, 158–159, 186–193 Putnam, H. 83, 91–94, 108, 187–188 Pyrrhon von Elis 81 Quine, W. V. O. 34
Rabinowicz, W. 190 Radford, C. 31–32, 50, 184 Ramsey, W. 192 Ricken, F. 187 Riggs, W. 141, 190–191 Roennow-Rasmussen, T. 190 Rohrbaugh, G. 60–62, 78, 186 Russell, B. 15, 167, 183, 185 Ryle, G. 18, 21–23, 183–184 Rysiew, P. 135, 190 Sarkozy, N. 113, 122 Schaffer, J. 133, 190 Scheffler, I. 185 Schiller, F. 113 Schlick, M. 33–34, 185 Schönrich, G. 190 Scholz, O. 193 Schrödinger, E. 154, 161 Sellars, W. 34 Shope, R. K. 185 Simpson, B. 126 Sinnott-Armstrong, W. 193 Snowdon, P. 184 Sokrates 7, 15, 81, 131, 143–144 Sosa, E. 57, 71–73, 186–187, 193 Spicer, F. 171, 193 Sripada, C. 176, 193 Stahl, G. E. 34 Stainton, R. 189 Stanley, J. 22, 120, 129, 176, 184, 189–190, 193 Stich, S. 166, 168–172, 192–193 Strawson, P. F. 8–9, 27, 183 Swain, S. 192 Wachowski, A. und L. 81, 83 Weinberg, J. 168–169, 171–172, 192 Whitcomb, D. 193 White, W. 126 Wiles, A. 127, 153 Williams, M. 119–120, 189 Williamson, T. 7–8, 22, 57, 173, 183–184, 186, 193 Witt, K. 22 Wittgenstein, L. 11, 120, 183, 189
Namenregister
Zagzebski, L. 70, 146, 185, 187–188, 191 Zarpentine, C. 193 Zimmerman, A. 193
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