Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik [4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reprint 2017] 9783486812220, 9783486272369

Die Wirtschaftssystemtheorie ist ein für jedes wirtschaftswissenschaftliche Studium zentrales Gebiet, auf dem der Erwerb

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German Pages 318 [320] Year 2002

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort zur dritten Auflage
Vorwort zur vierten Auflage
Teil 1. Klassifikatorische Grundlagen
Teil 2. Funktionen, Bestimmungsfaktoren und Strukturen von Wirtschaftssystemen
Teil 3. Typisierungen von Wirtschaftssystemen
Teil 4. Vergleich, Entwicklung und Transformation von Wirtschaftssystemen
Teil 5. Ordnungstheoretische Grundlagen der Allgemeinen Ordnungspolitik
Teil 6. Allgemeine Ordnungspolitik: Ordnungspolitische Gestaltungen der verschiedenen realtypischen Wirtschaftssysteme
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik [4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reprint 2017]
 9783486812220, 9783486272369

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Wirtschafts systemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik Von

Univ.-Prof. Dr. Hans-Rudolf Peters Ordinarius für Volkswirtschaftslehre

4., überarbeitete und erweiterte Auflage

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Peters, Hans-Rudolf: Wirtschaftssystemtheorie und allgemeine Ordnungspolitik / von Hans-Rudolf Peters. - 4., Überarb. und erw. Aufl.. München ; Wien : Oldenbourg, 2002 ISBN 3-486-27236-5

© 2002 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH ISBN 3-486-27236-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Auflage

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Vorwort zur zweiten Auflage

X

Vorwort zur dritten Auflage

X

Vorwort zur vierten Auflage

XII

Teil I: Klassifikatorische Grundlagen 1. Kapitel: Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie 1.1 Definition „Wirtschaftssystemtheorie" 1.2 Wirtschaftssystemtheorie als Kybernetik 1.3 Bestimmung des Analyseobjektes „Wirtschaftssystem" 1.4 Abgrenzung gegenüber artverwandten Analyseobjekten 1.5 Interdependenzen von Systemen 2. Kapitel: Wissenschaftlicher Standort der Wirtschaftssystemtheorie .... 2.1 Stellung in den Sozial-und Wirtschaftswissenschaften 2.2 Stellung in der Volkswirtschaftslehre 2.2.1 Gliederungsschema der Volkswirtschaftslehre 2.2.2 Bezüge der Wirtschaftssystemtheorie 3. Kapitel: Arten der Wirtschaftssystemtheorie 3.1 Funktionelle Wirtschaftssystemtheorie 3.2 Strukturelle Wirtschaftssystemtheorie 3.3 Idealtypische Wirtschaftssysteme 3.3.1 Reine Marktwirtschaft 3.3.2 Totale Zentralverwaltungswirtschaft

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Teil 2: Funktionen, Bestimmungsfaktoren und Strukturen von Wirtschaftssystemen 4. Kapitel: Aufgaben und Bestimmungsfaktoren von Wirtschaftssystemen . 4.1 Funktionen von Wirtschaftssystemen 4.2 Grunderfordernisse: Verfügen-Planen-Koordinieren . . 4.3 Konstitutive und integrierte Faktoren 4.4 Überblick über die Grundelemente 5. Kapitel: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen 5.1 Verfügungssystem 5.1.1 Übertragungssystem 5.1.2 Verwendungskontrollsystem 5.2 Planungssystem 5.2.1 Informations-und Knappheitsanzeigesystem 5.2.2 Leistungsanreizsystem 5.2.3 Planaufstellungssystem 5.3 Koordinierungssystem 5.3.1 Planabstimmungssystem 5.3.2 Plankontrollsystem 5.3.3 Sanktionssystem

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Teil 3: Typisierungen von Wirtschaftssystemen 6. Kapitel: Typisierungsansätze und Typologien

51 51

VI

Inhaltsverzeichnis

6.1 Begriffsinterpretatorische Ansätze 6.2 Entwicklungshistorische Ansätze 6.3 Strukturanalytische Ansätze 6.4 Dominanzfaktorenansätze 6.5 Typologie von Walter Eucken 6.6 Typologie von K. Paul Hensel 6.7 Typologie von Norbert Kloten 6.8 Typisierungsmerkmale von Karl C. Thalheim 7. Kapitel: Typisierungsansatz für die Analyse 7.1 Realtypen statt Idealtypen 7.2 Verfügungsgewalt statt Eigentumsordnung 7.3 Komplexe Koordinierungssysteme 7.4 Interdependenzen zwischen Verfügungsgewalt und Lenkungssystem 7.5 Anwendung des Dominanzkriteriums 7.6 Typologietableau und Beispiele realtypischer Wirtschaftssysteme

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Teil 4: Vergleich, Entwicklung und Transformation von Wirtschaftssystemen 8. Kapitel: Systemvergleiche 8.1 Zum Werturteilsproblem 8.2 Zur Problematik von Systemvergleichen 8.3 Wissenschaftliche Systemvergleiche 8.4 Formen des Systemvergleichs 9. Kapitel: Systementwicklungs- und Transformationstheorien 9.1 Determinismustheorien 9.2 Kumulationseffekttheorien 9.3 Konvergenztheorien 9.4 Ordnungstheorien 9.5 Herrschaftspoltheorie

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Teil 5: Ordnungstheoretische Grundlagen der Allgemeinen Ordnungspolitik 10. Kapitel: Gesellschaftliche Ideensysteme 10.1 Überblick über die Ideensysteme 10.2 Entwicklungslinien des Liberalismus 10.3 Entwicklungslinien des Sozialismus 10.4 Entwicklungslinien des Konservatismus 10.5 Ordnungsrelevante polare Gesellschaftstheorien . . . . 10.5.1 Klassisch-liberale Gesellschaftstheorie 10.5.2 Marxistisch-sozialistische Gesellschaftstheorie 11. Kapitel: Konservative und sozialistische Ordnungsleitbilder 11.1 Konservative Leitbilder 11.1.1 Zünftlerisches Leitbild 11.1.2 Merkantilistisches Leitbild 11.1.3 Leitbild der nationalen Produktivkräfte 11.2 Sozialistische Leitbilder 11.2.1 Leitbild der sozialistischen Planwirtschaft 11.2.2 Leitbild des Konkurrenzsozialismus 11.2.3 Leitbild der Arbeiterselbstverwaltung 12. Kapitel: Liberale und modifiziert-liberale Ordnungsleitbilder 12.1 Liberale Leitbilder 12.1.1 Leitbild des Ordoliberalismus 12.1.2 Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft

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Inhaltsverzeichnis

12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.3 12.3.1 12.3.2

Stabilitätsorientierte Leitbilder Leitbild des Keynesianismus Leitbild des Monetarismus Leitbild der Globalsteuerung Struktur-und verteilungsorientierte Leitbilder Leitbild der indikativen Strukturplanung Leitbild des Wohlfahrts- und Verteilungsstaates

Teil 6: Allgemeine Ordnungspolitik: Ordnungspolitische Gestaltungen der verschiedenen realtypischen Wirtschaftssysteme 13. Kapitel: Gegenstand und Aufgaben der Allgemeinen Ordnungspolitik . 13.1 Zum Begriff „Ordnung" 13.2 Verschiedene Ordnungspolitik-Definitionen 13.3 Ordnungspolitische Spannweite 13.4 Funktionen und Objektbereiche der Allgemeinen Ordnungspolitik 14. Kapitel: Ordnungspolitik in Wirtschaftssystemen vorherrschender privater Verfügungsgewalt über Produktionsmittel 14.1 Ordnungspolitik in Wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaften 14.1.1 Verfügungssystem 14.1.2 Planungssystem 14.1.3 Koordinierungssystem 14.2 Ordnungspolitik in Globalgesteuerten Marktwirtschaften 14.2.1 Verfügungssystem 14.2.2 Planungssystem 14.2.3 Koordinierungssystem 14.3 Ordnungspolitik in Strukturgesteuerten Marktwirtschaften 14.3.1 Verfügungssystem 14.3.2 Planungssystem 14.3.3 Koordinierungssystem 14.4 Ordnungspolitik in Verteilungsgesteuerten Marktwirtschaften 14.4.1 Verfügungssystem 14.4.2 Planungssystem 14.4.3 Koordinierungssystem 75. Kapitel: Ordnungspolitik in Wirtschaftssystemen vorherrschender arbeitskollektiver oder staatlicher Verfügungsgewalt über Produktionsmittel 15.1 Ordnungspolitik in Strukturgesteuerten Kollektivwirtschaften 15.1.1 Verfügungssystem 15.1.2 Planungssystem 15.1.3 Koordinierungssystem 15.2 Ordnungspolitik in Zentralgesteuerten Planwirtschaften 15.2.1 Verfügungssystem 15.2.2 Planungssystem 15.2.3 Koordinierungssystem 16. Kapitel: Transformationstheoretische Ordnungspolitik 16.1 Transformationstheoretische Grundlagen 16.1.1 Tranformationsanlässe und Umbruchtheorien 16.1.2 Transformationsformen

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VIII

Inhaltsverzeichnis

16.1.3 Transformationshemmnisse 16.2 Aufgaben und Methoden der Transformationspolitik . . 17. Kapitel: Transformationspolitik in Deutschland 17.1 Tranformationspolitik in Westdeutschland 17.1.1 Westdeutsche Wirtschaft vor der Währungsreform . . . 17.1.2 Währungsreform von 1948 und Preisfreigabe 17.1.3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Grundgesetz der Marktwirtschaft 17.2 Transformationspolitik in Ostdeutschland 17.2.1 DDR-Wirtschaft bis zur Wende 17.2.2 Unverzügliche Transformation: Politische versus ökonomische Rationalität? 17.2.3 Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion 17.2.4 Eigentumsordnung und Privatisierung 17.2.5 Flankierende Maßnahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik

259 260 266 266 266 268

282

Literaturverzeichnis

291

Sachverzeichnis

303

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IX

Vorwort zur ersten Auflage Von Anbeginn der Volkswirtschaftslehre gehört die Analyse von Wirtschaftssystemen zu den zentralen Aufgaben in Forschung und Lehre. Ein wirtschaftswissenschaftliches Studium ohne Erwerb gründlicher Kenntnisse über die Wesensmerkmale und Funktionsweisen von Wirtschaftssystemen ist höchst unvollkomm e n . Auch nach dem Studium wird jeder Absolvent - besonders im geteilten Deutschland - fast täglich in Presse, Funk und Fernsehen mit Problemen von Wirtschaftssystemen konfrontiert. Trotz des breiteren Interesses an Fragen der Wirtschaftssysteme, ist das Angebot an Lehrbüchern über dieses Wissensgebiet relativ gering geblieben. Zwar mangelt es nicht an Darstellungen länderspezifischer Wirtschaftsordnungen und spezieller Systemprobleme, aber es fehlt an Zusammenschauen von Wirtschaftssystemen. Vorhanden sind zwar einige Ansätze zu einer Wirtschaftssystemtheorie, die sich aber - der ordnungstheoretischen Tradition im deutschen Sprachraum folgend - meist auf modelltheoretische Analysen von idealtypischen Wirtschaftssystemen beschränken. Die Betrachtung der beiden idealtypischen Wirtschaftssysteme „reine Marktwirtschaft" und „reine Zentralverwaltungswirtschaft" leistet jedoch außer einer gewissen systemtheoretischen Denkschulung wenig für das Verständnis von Systemwirklichkeiten. D a die gesamte Realität von Wirtschaftssystemen zwischen den beiden idealtypischen Denkmodellen liegt, gilt es die Charakteristika und Funktionsweisen der hauptsächlichen realtypischen Wirtschaftssysteme ausfindig zu machen, was das zentrale Anliegen dieses Werkes ist. Nachdem ich viele Jahre Wirtschaftsordnungspolitik im Bonner Bundeswirtschaftsministerium aus der Nähe miterlebt sowie teils mitgestaltet und anschließend mehr als fünfzehn Jahre Lehrveranstaltungen über Theorie und Praxis von Wirtschaftssystemen an drei Universitäten abgehalten habe, erscheint es mir nicht mehr gar zu vermessen, ein Lehrbuch über die „Theorie der Wirtschaftssysteme" vorzulegen. Manche Anregung habe ich in Fachgesprächen mit Kollegen - besonders im Ausschuß zum Vergleich von Wirtschaftssystemen des Vereins f ü r Socialpolitik - erfahren. Nützlich für die Stoffaufbereitung war sicherlich auch die stets didaktische Rückkoppelung in meinen Lehrveranstaltungen. Aus den manchmal „heißen" Systemdiskussionen mit und unter den Seminarteilnehmern, in denen so manche verbal-radikale These den Härtetest wissenschaftlicher Disputation nicht bestand, habe ich einige fruchtbare Hinweise auf junge Menschen bewegende Fragestellungen erhalten. Für alle Anregungen bin ich dankbar. Was den Lehrbuchcharakter anbetrifft, so wird nicht dem Ehrgeiz gefrönt, den zahlreichen didaktischen Konzepten eine neue unerprobte, möglichst originelle Version hinzuzufügen. Einzige Richtschnur für die Stoffdarstellung ist das stete Bemühen um Verständlichkeit bei klarer Gedankenführung. Realitätsferne Modellkonstruktionen und unnütze mathematische Produktionsumwege, die erfahrungsgemäß oft die systemtheoretischen und ordnungspolitischen Probleme verstellen, werden vermieden. Auch die theoretischen Grundlagen werden nicht rein abstrakt und nur um ihrer selbst willen, sondern problem- und anwendungsorientiert dargestellt. Auf diese Weise hofft der Verfasser, unfruchtbaren akademischen Haaarspaltereien zu entgehen, keinen ordnungspolitischen Scheinproblemen aufzusitzen und anwendungsreife theoretische Methoden zur Analyse realtypischer Wirtschaftssysteme aufzuzeigen sowie durch eigene Ansätze (wie z . B . in der Herrschaftspol-Theorie) zu bereichern. Hans-Rudolf

Peters

X

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage Als die erste Auflage dieses Lehrbuches 1987 erschien, war ein bedeutender Teil der Welt noch zweigeteilt in einen Block westlicher Länder mit dominant marktwirtschaftlichen Systemen und einen Block östlicher Staaten mit sozialistischen Planwirtschaften. Zwei Jahre später sah die Welt ganz anders aus, indem das Langzeitexperiment eines totalitären Sozialismus, das in der ehemaligen Sowjetunion über 70 Jahre und in deren einstigen Satellitenstaaten über 40 Jahre dauerte, unter Zurücklassung funktionsunfähiger Gesellschaftssysteme und verwüsteter Volkswirtschaften total gescheitert war. Natürlich verschiebt sich nach dem Scheitern des Realsozialismus in Osteuropa die Systemdebatte von der bisher ausgiebigen Erörterung der polaren Wirtschaftssysteme privatkapitalistische Marktwirtschaft und sozialistische Planwirtschaft mehr zu den Alternativen innerhalb des marktwirtschaftlichen Systemspektrums (ordoliberale, globalgesteuerte oder struktuigesteuerte Marktwirtschaft). Der umgearbeitete Teil 6 des Lehrbuches wurde um ein Kapitel „transformationstheoretische Grundlagen" ergänzt. In einem weiteren Kapitel ist zudem eine konkrete TVansformationspolitik am instruktiven Beispiel der Umwandlung der ostdeutschen Wirtschaft nach der deutschen Wiedervereinigung dargestellt worden. Ansonsten sind das Kapitel über Vergleiche von Wirtschaftssystemen erweitert und die Darstellungen der verschiedenen Entwicklungs- und Transformationstheorien von Wirtschaftssystemen komplettiert worden. So wurde bei den Determinismustheorien neben der Marxschen Theorie auch die Schumpetersche Variante dargestellt. Ferner ist die Herrschaftspoltheorie des Autors so ausgebaut worden, daß sie sowohl Erklärungen für die Entwicklung als auch die Transformation von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen zu bieten vermag. Letztlich sind in der Neuauflage die Daten und Literaturhinweise auf den neuesten Stand gebracht und ergänzt worden. Hans-Rudolf Peters

Vorwort zur dritten Auflage Die völlige Überarbeitung des Lehrbuches hat zu beträchtlichen Textänderungen im Bereich der Wirtschaftssystemtheorie und zu einer Erweiterung in Form einer Einführung in die Allgemeine Ordnungspolitik geführt. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, daß hier nicht versucht worden ist, eine allgemeingültige Ordnungspolitik zu entwickeln, die auf alle Arten realtypischer Wirtschaftssysteme gleichermaßen anwendbar ist. Ein solcher Versuch wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, weil es aufgrund der jeweils systemspezifischen Ordnungsprobleme keine einheitlichen Problemlösungsansätze und damit auch keine allgemeingültige Ordnungspolitik geben kann. Der Terminus „Allgemeine Ordnungspolitik" wurde aus zwei Gründen gewählt: Zum einen, um ihn von dem - vor allem im deutschen Sprachraum - üblichen Begriffsinhalt einer Ordnungspolitik marktwirtschaftlicher Prägung abzugrenzen, und zum anderen, weil hier - statt der speziellen Ordnungspolitik nur eines Wirtschaftssystems - auch die jeweiligen Ordnungspolitiken in allen anderen Arten realtypischer Wirtschaftssysteme dargestellt und kritisch beleuchtet werden. Das „Allgemeine" ergibt sich aus der Konzentration der Ordnungspolitik auf das gesamtwirtschaftliche Systemgefüge aus Verfiigungs-, Planungs- und Koordinierungssystem, das in allen Wirtschaftssystemen - unabhängig von deren jeweiliger Art und Struktur - ordnungspolitisch so gestaltet werden muß, daß rationales Wirtschaften möglich ist.

XI Vorwort zur dritten Auflage

Im Teil 5 des Lehrbuches werden die ordnungstheoretischen Grundlagen der Allgemeinen Ordnungspolitik ausführlich behandelt, wobei vor allem die gesellschaftlichen Ideensysteme des Liberalismus, Sozialismus und Konservatismus sowie die sich aus diesen Gesellschaftsideen entwickelten Ordnungsleitbilder dargestellt werden. Sodann werden im Teil 6 die ordnungspolitischen Gestaltungen der verschiedenen realtypischen Wirtschaftssysteme systematisch anhand der jeweils verfügungs-, planungs- und koordinierungssystembezogenen Ordnungselemente aufgezeigt und auf ihre jeweilige Funktionsfähigkeit überprüft. Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich mit der transformatorischen Ordnungspolitik, wobei nach einer Darstellung der transformationstheoretischen Grundlagen die Transformationspolitik in Deutschland erörtert wird. Hierbei werden sowohl die Grundzüge der Transformationspolitik in Westdeutschland ab der Währungsreform von 1948 als auch die Transformationspolitik in Ostdeutschland nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 dargestellt und ihre Auswirkungen beleuchtet. Zum Schluß sei noch auf die Frage nach dem Sinn und Zweck der Weiterführung dieses Lehrbuches eingegangen. Tatsache ist, daß sich der Umfang des Untersuchungsgegenstandes durch den Zusammenbruch aller Sozialistischen Gesellschaftssysteme und Zentralgesteuerten Planwirtschaften in Osteuropa in den Jahren 1989 bis 1991 vermindert hat. Da alle gegenwärtigen Transformationen von Wirtschaftssystemen in Richtung auf marktwirtschaftlich orientierte Systeme verlaufen und die zunehmenden internationalen Systemverflechtungen zur Globalisierung der Märkte und letztlich zur weltweiten Herausbildung eines einheitlichen Wirtschaftssystemtypus führen können, ist die Entwicklung einer Weltwirtschaftsordnung marktwirtschaftlicher Prägung zumindest denkbar. Allerdings zeigen die mühsamen Transformationsprozesse, daß der Weg bis dahin noch weit ist. Zudem ist nicht ausgeschlossen, daß einzelne Staaten - zermürbt von den enormen Transformationsanforderungen - auf halbem Wege zur Marktwirtschaft stehen bleiben oder sogar den Rückzug in planwirtschaftliche Gefilde antreten. Möglicherweise können Systemanalysen, welche die Vor- und Nachteile der verschiedenen ordnungspolitischen Gestaltungen von realtypischen Wirtschaftssystemen beleuchten, politisch-staatliche Entscheidungsträger von übereilten Kehrtwendungen abhalten. Eventuell trägt die Systemanalyse auch dazu bei, nachwachsende Studentengenerationen vor der Illusion der 68er Studentenbewegung zu bewahren, es gäbe Systemalternativen zur Wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft, die noch höhere volkswirtschaftliche Effizienz, mehr individuelle Freiheit sowie größere Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit schaffen könnten. An dieser Stelle danke ich allen Kollegen, insbesondere im Ausschuß für Wirtschaftssysteme des Vereins für Socialpolitik, sowie den Tutoren und auch manchen Studierenden meiner Lehrveranstaltungen, die mir wertvolle Anregungen gegeben haben. Besonderer Dank gebührt meiner Assistentin, Frau Dipl.-Oec. Sylke Behrends, die mir tatkräftig und zuverlässig bei der formalen Gestaltung der Neuauflage geholfen hat. Herzlich danke ich meiner Frau sowohl für die wohlwollende Tolerierung meiner Zeitknappheit für das Familienleben während der Schreibphase als auch für ihre wertvolle Unterstützung bei der Endfassung des Werkes. Ohne Rückgriff auf die weitaus besseren Sprachkenntnisse meiner Frau wäre mir der Zugang zur angelsächsischen und französischen Fachliteratur viel schwerer gefallen und ohne ihre sorgfältigere Durchsicht der Druckfahnen hätte der Druckfehlerteufel sicherlich sein Unwesen in dem Werk weiter treiben können. Hans-Rudolf Peters

XII

Vorwort zur vierten Auflage

Vorwort zur vierten Auflage Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme in Mittel- und Osteuropa im Zeitraum von 1989 bis 1991 hat sich auch die jahrzehntelange Systemkonkurrenz zwischen markt- und planwirtschaftlichen Systemen in Europa aufgelöst. Zudem ist im Zuge der Globalisierung weltweit ein transformatorischer Trend zu marktwirtschaftlichen Systemen zu beobachten, der jedoch bisher zu keinem einheitlichen Marktwirtschaftstyp geführt hat. Da sich die Differenzierung der realtypischen Wirtschaftssysteme lediglich in den marktwirtschaftlichen Systembereich verlagert hat, ist die Wirtschaftssystemtheorie nicht überflüssig geworden. Zudem gewinnen die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen im Bereich der verschiedenen Marktwirtschaftstypen, die unter dem Oberbegriff „Allgemeine Ordnungspolitik" zusammengefaßt werden können, an Bedeutung. Ferner muß bedacht werden, daß auch nichtmarktwirtschaftliche Systeme zu ihrer Funktionsfähigkeit ordnender Elemente und Regelungen bedürfen. Im deutschen Sprachraum wird der Terminus „Ordnungspolitik" oft auf die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen nur eines Marktwirtschaftstyps, nämlich des rein wettbewerblich gesteuerten Systems, bezogen. Damit wird jedoch die Ordnungspolitik zur speziellen Ordnungspolitik für nur einen Marktwirtschaftstyp und die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für global-, struktur- oder verteilungsgesteuerte Marktwirtschaften bleiben außer Betracht. In diesem Lehrbuch werden auf der Basis einer entwickelten Wirtschaftssystemtheorie die Ordnungspolitiken für alle realtypischen Wirtschaftssysteme - zusammengefaßt unter dem Oberbegriff „Allgemeine Ordnungspolitik" - dargestellt. Der Lehrbuchtext wurde an verschiedenen Stellen aktualisiert, korrigiert und erweitert. Dabei wurden sinnentstellende Druckfehler, die sich insbesondere in einige Tableaus eingeschlichen hatten, ausgemerzt. Die Transformationspolitik in Deutschland, insbesondere die transformatorische Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, wurde einer vertiefenden Analyse unterzogen. Abschließend ist eine Transformationsbilanz nach zehn Jahren deutscher Wiedervereinigung gezogen worden, die Erfolge und Mißerfolge der Transformationspolitik sichtbar macht. Ausgehend von den Bilanzergebnissen wird letztlich der staatlichen „Aufbau- und Angleichungspolitik" für die ostdeutschen Bundesländer geraten, die Sondervergünstigung für ostdeutsche Betriebe sukzessive auslaufen zu lassen und die vielfältigen Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung mit nur geringer Effizienz zu reduzieren. Stattdessen sollte sich der Staat auf den Ausbau der Infrastruktur und Qualitätsverbesserungen in Bildung und Forschung konzentrieren, wodurch der ostdeutsche Aufholprozeß zum höheren Entwicklungsniveau in Westdeutschland indirekt und voraussichtlich wirkungsvoller unterstützt würde. Die durchweg positive Aufnahme, die das Lehrbuch in Fachkreisen und in der universitären Lehre gefunden hat, läßt hoffen, daß auch diese vierte Auflage ihren Zweck erfüllen wird, nämlich einen fundierten Überblick über die Theorie und Ordnungspolitik der verschiedenen realtypischen Wirtschaftssysteme zu bieten und damit zum besseren Verständnis der Funktionsweisen und Ordnungsproblematiken von Wirtschaftssystemen beizutragen. Baden-Baden

Hans-Rudolf

Peters

Teil 1 Klassifikatorische Grundlagen 1. Kapitel Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie 1.1 Definition „Wirtschaftssystemtheorie" Die Theorie der Wirtschaftssysteme verfügt - wie jede eigenständige wissenschaftliche Disziplin - über spezifische Erkenntnisobjekte und Analysewerkzeuge. Erkenntnisobjekte der Wirtschaftssystemtheorie sind die verschiedenen Wirtschaftssysteme ideal- und realtypischer Art, die ihrerseits dann als Werkzeuge zur Analyse konkreter Wirtschaftsordnungen in den Nationalstaaten und Staatenbünden sowie zur Typisierung deren Wirtschaftssysteme dienen können. Hauptaufgabe der Theorie der Wirtschaftssysteme ist es, die Wirtschaftssystemtypen - auch unter Offenlegung ihrer geistigen Wurzeln - zu bestimmen, deren jeweilige Systemelemente zu analysieren und die arteigenen Funktionsweisen jedes Wirtschaftssystemtypus herauszuarbeiten. Auf eine Kurzformel gebracht: Wirtschaftssystemtheorie ist die Lehre von den Arteigenheiten und Funktionsweisen der Wirtschaftssystemtypen. Arten von Wirtschaftssystemen

Wirtschaftssysteme

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Realtypische Wirtschaftssysteme

Reine Marktwirtschaft

Wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft

Totale Zentralverwaltungswirtschaft

Globalgesteuerte Marktwirtschaft Strukturgesteuerte Marktwirtschaft Verteilungsgesteuerte Marktwirtschaft Strukturgesteuerte Kollektivwirtschaft Zentralgesteuerte Planwirtschaft

Idealtypische Wirtschaftssysteme sind Denkmodelle von Wirtschaftssystemen, die monostrukturierte Verfügungs-, Planungs- und Koordinierungssysteme aufweisen und deren Funktionsweisen eindeutig bestimmbar und voraussagbar sind. Realtypische Wirtschaftssysteme sind Typen von Wirtschaftssystemen, deren Verfügungs-, Planungs- und Koordinierungssysteme sich aus gemischten Elementen zusammensetzen und deren charakteristische Funktionsweisen durch die jeweilige Dominanz von Systemelementen bestimmt wird.

2

Teil 1: Klassifikatorische Grandlagen

1.2 Wirtschaftssystemtheorie als Kybernetik Üblicherweise unterscheidet die allgemeine Systemtheorie 1 zwischen zwei Systemarten, nämlich zwischen der Theorie statischer und der Theorie dynamischer Systeme, wobei die letztere Art auch als Kybernetik bezeichnet wird. Wichtige Bestandteile bezieht die Kybernetik, die vergleichende Betrachtungen über Steuerungs- und Regelungsvorgänge anstellt, sowohl von der Informationsals auch von der Regelungstheorie. Überblick über die allgemeine Systemtheorie

Die Regelungstheorie „ist die Lehre von der Steuerung, Regelung und Adaption in dynamischen Systemen mit Hilfe von Instrumenten, die einen gewünschten Zustand des Systems dadurch herbeizuführen trachten, daß bei Störungen des Systems zielkonforme Reaktionen ausgelöst werden" 2 . Die Informationstheorie verschafft dem Regelungstheoretiker wichtige Anhaltspunkte beispielsweise darüber, ob und inwieweit mit Störungen von Abläufen und Anpassungsprozessen im System zu rechnen ist. Dadurch wird es möglich, eventuell Regler in das System einzubauen, die Abweichungen der Istwerte von vorgegebenen Sollwerten vermeiden oder zumindest reduzieren. Die kybernetische Analyse ökonomischer Phänomene und Probleme erfolgt im Rahmen von Modellen, was jeweils eine mehr oder weniger große Abstraktion von der Vielfalt realer Vorgänge erfordert. Die Entwicklung von Modellen geschieht in folgender Stufenfolge3: (1) Abgrenzung des Systems entsprechend der Problemstellung und damit Festlegung der zu analysierenden Elemente des Systems. (2) Bestimmung der Modellvariablen und -parameter, womit die Auswahl der in das Modell eingehenden Faktoren abgeschlossen ist. (3) Aufstellung von Hypothesen, d.h. versuchsweisen Aussagen über kausale Zusammenhänge zwischen den Modellvariablen. (4) Überprüfung des Modells hinsichtlich seiner Aussagekraft, wobei insbesondere die Annahmen funktionaler Beziehungen zwischen den Modellvariablen zu testen sind.

1 2 3

Vgl. J. Baetge, 1977, S.511. Ebendort, S.512. Vgl. ebendort, S.512f.

1. Kap.: Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie

3

Modellbildungen richten sich nach der jeweiligen Frage- und Problemstellung. Je nachdem, ob eine erklärungs- oder entscheidungsorientierte Zielsetzung gegeben ist, werden Erklärungsmodelle oder Entscheidungsmodelle gebildet. Erklärungsmodelle dienen vornehmlich dazu, bestimmte funktionale Beziehungen zwischen endogenen Variablen bzw. den internen Systemelementen offenzulegen, die Wirkungen des Gesamtsystems zu klären sowie bei offenen Systemen die Ursachen und Wirkungen von systembeeinflussenden Außeneinflüssen aufzudecken. Entscheidungsmodelle ermöglichen die Findung optimaler Entscheidungen oder Strategien, um ein angestrebtes ökonomisches oder politisches Ziel entsprechend dem ökonomischen Prinzip mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz oder mit begrenzten Mitteln den höchstmöglichen Grad der Zielerfüllung zu erreichen. Die Wirtschaftssystemtheorie bewegt sich im Rahmen der Theorie dynamischer Systeme. Als kybernetische Systeme verfügen die Wirtschaftssysteme über ökonomische Informationssysteme in Form von Güterknappheitsanzeige-Systemen, die je nach der Art des jeweiligen Verfügungssystems über Produktionsmittel entweder über Marktdaten oder administrative Plandaten gespeist werden. Zudem sorgen Regelungssysteme dafür, daß Wirtschaftssysteme ihre Funktion der Verminderung von Güterknappheiten erfüllen können. So wirkt z.B. die Selbstorganisation des Marktes als ein derartiges Regelungssystem in Marktwirtschaften.

1.3 Bestimmung des Analyseobjektes „Wirtschaftssystem" Um das Analyseobjekt „Wirtschaftssystem" definieren zu können, muß zunächst das Wesen von Systemen erläutert werden. Häufig wird System mit Systematik gleichgesetzt. In diesem Sinne bedeutet dann System, Phänomene anhand bestimmter Kriterien zu systematisieren. Ferner dienen Systeme als Denkund Arbeitskategorie dazu, komplexe Erscheinungen auf ihre jeweilige Grundstruktur und deren Ordnungsprinzipien zu reduzieren und vielfältige Zusammenhänge von Elementen auf ihre jeweiligen Prägungskomponenten und deren Relevanz zurückzuführen. Durch Reduktion komplexer Erscheinungen und vielfältiger Zusammenhänge auf ein analytisch faßbares und zu bewältigendes Maß wird es oft erst möglich, den Kern einer Sache oder den wesentlichen Grund eines Problems freizulegen. Hierbei kann es geschehen, daß in dem scheinbaren Chaos von unübersehbar vielen Elementen und deren mehr oder weniger festen bzw. losen Zusammenhängen latent vorhandene Ordnungselemente auf Teilgebieten entdeckt werden. Mit dem Systembegriff werden also auch Phänomene wie Ordnung und Organisation verknüpft, mit deren Hilfe aus der Vielfalt der Erscheinungen oder einem chaotischen Wirrwarr ein überschaubares Ordnungssystem entstehen kann. In der Realität sind Systeme konstruiert worden, die dem Zweck dienen, bestimmte technische oder gesellschaftliche Aufgaben oder Probleme zu lösen. So wurden beispielsweise Sozialsysteme geschaffen, um die potentiellen Lebensrisiken und die damit verbundenen Kosten für die Betroffenen tragbar zu machen. Neben den konstruierten bzw. gesetzten Systemen sind gewachsene Systeme in der Natur und der gesellschaftlichen Realität vorfindbar, die spontane Ordnungen hervorgebracht haben, die ständig auf ein bestimmtes Ziel hinwirken. So haben sich z.B. Marktsysteme entwickelt, die permanent das Wirtschaftsgeschehen zielgerichtet auf den ökonomischen Zweck der gütermäßigen Knappheitsminderung hinsteuern und die Handlungen der Wirtschaftssubjekte zweckrational koordinieren.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

Generell ist ein System ein einheitlich geordnetes Ganzes, das ein hohes Maß an Integration und Geschlossenheit seiner Elemente aufweist. Systeme entstehen durch Grenzziehungen zur Umwelt und zu anderen Systemen. Die Komplexität der Gesellschaft wird durch Reduktion in überschaubare gesellschaftliche Systeme zerlegt, wodurch häufig erst die Charakteristika bestimmter Phänomene erkannt werden können und rationales Handeln überhaupt möglich wird. Ein System stellt also eine spezifische Ordnung dar, deren miteinander verbundene Elemente widerspruchsfrei sind und zu einem gemeinsamen Zweck kooperieren. Demnach weist ein System folgende Merkmale auf: - Eine systemspezifische Ordnung, d . h . eine Ordnung, die das System als Gesamterscheinung gegenüber anderen Erscheinungen abgrenzbar macht. - Eine systemrationale Struktur, d . h . die einzelnen Teile des Systems sind widerspruchsfrei, also in sich stimmig. - Eine Verbindung von Elementen zu einem gemeinsamen Zweck. Nach diesen Vorklärungen läßt sich das zentrale Analyseobjekt der Wirtschaftssystemtheorie wie folgt bestimmen: Das Wirtschaftssystem verknüpft eine bestimmte Art des Verfiigungssystems über Produktionsmittel und Ertragsverteilung mit einem systemkonformen gesamtwirtschaftlichen Planungs- und Koordinierungssystem zu einem widerspruchsfreien Ordnungsgefüge, das ständig das Wirtschaftsgeschehen zielgerichtet auf den ökonomischen Zweck der güterwirtschaftlichen Knappheitsminderung hinlenkt und die Handlungen der Wirtschaftssubjekte im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß zweckrational koordiniert.

1.4 Abgrenzung gegenüber artverwandten Analyseobjekten Da bekanntlich unklare Abgrenzungen des Analyseobjektes oft den Gegenstand der Untersuchung verstellen und unbestimmte Begriffe zu unzutreffenden Schlußfolgerungen bei Analysen führen, muß der zentrale Untersuchungsgegenstand „Wirtschaftssystem" auch von artverwandten Analyseobjekten, wie insbesondere Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung, abgegrenzt werden. Die Begriffe Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung, die manchmal im alltäglichen Sprachgebrauch als identische Termini verwandt werden, haben in der wissenschaftlichen Literatur einen unterschiedlichen Inhalt. So versteht Walter Eukken unter Wirtschaftsordnung „die Gesamtheit der realisierten Formen, in denen in concreto jeweils der alltägliche Wirtschaftsprozeß abläuft" 4 . Dagegen sind für ihn Wirtschaftssysteme analytisch mittels „pointierend hervorhebender Abstraktion" aus der Wirklichkeit gewonnene Idealtypen, die der Erkenntnis konkreten Wirtschaftsgeschehens dienen. Auch Hedtkamp macht die Unterscheidung deutlich, indem er ausführt, daß „unter Wirtschaftsordnung die bestehenden Organisationen und Institutionen sowie die konkret angewandten oder geforderten Regeln verstanden werden, nach denen in einem Wirtschaftsgebiet die ökonomischen Aktivitäten der Privaten und des Staates de jure (Wirtschaftsverfassung) wie de facto bestimmt werden. Solche Wirtschaftsordnungen können sich dabei aus sehr unterschiedlichen Teilsystemen und Elementen zusammensetzen, die ihrerseits einem bestimmten, streng theoretisch konzipierten Wirtschaftssystem zugeordnet werden können, also einem System von Regeln angehören, die einem gemeinsamen Ordnungsprinzip gehorchen" 5 . Die Wirtschaftsordnung ist demnach umfassender, da sie sowohl die systemprägenden und -steuernden Ordnungselemente des Wirtschaftsgeschehens, die in ihrer Gesamtheit das Wirtschaftssystem bilden, als

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W. Eucken, 1960, S.372. G. Hedtkamp, 1974, S.97.

1. K a p . : G e g e n s t a n d der W i r t s c h a f t s s y s t e m t h e o r i e

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auch die Vielfalt ordnender und regulierender Praktiken der Wirtschaftspolitik mit oft widersprüchlicher Zielsetzung und gegenläufiger ökonomischer Wirkung umfaßt. Zwar ist das Wirtschaftssystem das ökonomisch zweckrationale Kernstück einer meist breitgefächerten Wirtschaftsordnung, aber im Gegensatz zur umfassenden Wirtschaftsordnung, die auch widersprüchliche Ordnungselemente aufweist, enthält das Wirtschaftssystem nur ordnungskonforme und systemkonstitutive Elemente. Manchmal sind wirtschaftsrechtliche Bestimmungen in die politische Verfassung aufgenommen worden, die bei Verdichtung zu einem ordnungspolitischen Gesamtgefüge eine komplette Wirtschaftsverfassung ergeben können. Jedoch kann selbst bei politischen Verfassungen, die keine ausformulierte Wirtschaftsverfassung enthalten, gelegentlich aus dem Charakter der Gesamtverfassung und den garantierten Grundrechten auf die gewollte Ausgestaltung von Wirtschaftssystemen geschlossen werden. 6 Zur Wirtschaftsverfassung gehören aber nicht nur die wirtschaftsrelevanten Bestimmungen und Prinzipien der politischen Verfassung, sondern auch jene bedeutenden Rechtsnormen, die wirtschaftsordnungspolitischen Grundgesetzcharakter haben. So wird beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen oft als Grundgesetz oder gelegentlich als Magna Charta der Marktwirtschaft bzw. des mikroökonomischen Bereichs und das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft als Grundgesetz des makroökonomischen Bereichs bezeichnet. Würde ferner der Gesetzgeber ein Rahmengesetz zur Strukturpolitik - wie vom Verfasser vorgeschlagen - erlassen, so könnte dieses als strukturpolitisches Grundgesetz für den mesoökonomischen Bereich gelten. 7 Als Ergänzung zur geschriebenen Verfassung und eventuell davon abgeleiteter Prinzipien der Wirtschaftsverfassung sind manchmal höchstrichterliche Urteile ordnungspolitisch bedeutsam. Als Beispiel kann die Kartell-Entscheidung des Reichsgerichts vom 4. Februar 1897 gelten, in der das damals höchste deutsche Gericht Kartelle unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärte. 8 Die seinerzeitige höchstrichterliche Entscheidung zugunsten einer weitgehenden Kartellierung verformte die freiheitliche Wirtschaftsverfassung, indem sie der ökonomischen Vermachtung den Weg ebnete und somit zur Zerstörung einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft beitrug. 9 Gleichzeitig wurden auch die Grundrechte ausgehöhlt. Was nutzte dem selbständigen Gewerbetreibenden oder dem potentiellen Unternehmer die Gewerbefreiheit und das Recht der freien Entfaltung, wenn er an der Ausübung seines Gewerbes oder am Marktzu-

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So teilt z.B. N i p p e r d e y d e n in der d e u t s c h e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t v o r h e r r s c h e n d e n Standpunkt nicht, d a ß sich d e r G e s e t z g e b e r im G r u n d g e s e t z für die B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d v o n 1949 für k e i n b e s t i m m t e s Wirtschaftssystem e n t s c h i e d e n h a b e . Er verwirft die T h e s e v o n der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Neutralität unter H i n w e i s auf die im G r u n d g e s e t z - namentlich in d e n G r u n d r e c h t e n - e n t h a l t e n e n verfassungsrechtlichen Prinzipien, die in ihrer G e s a m t h e i t s o w o h l die z e n t r a l g e s t e u e r t e Planwirtschaft als auch d i e Laissez-faire-Wirtschaft ausschließen und statt d e s s e n das Wirtschaftsverfassungssystem der S o z i a l e n Marktwirtschaft einschließen. Vgl. H . - C . N i p p e r d e y , 1965.

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V g l . H . - R . P e t e r s , 1996a, S . 2 0 6 f f . V g l . R e i c h s g e r i c h t , 1897, S . 1 5 8 f f . D i e v o m R e i c h s g e r i c h t g e z o g e n e G r e n z e für e i n e K a r t e l l b e a n s t a n d u n g , die erst b e i m o f f e n sichtlichen A n s t r e b e n e i n e r M o n o p o l s i t u a t i o n und bei w u c h e r i s c h e r A u s b e u t u n g d e r Konsum e n t e n g e s e h e n w u r d e , war s o w e i t h i n a u s g e s c h o b e n , d a ß sie e i n e n n a h e z u u n b e s c h r ä n k t e n S p i e l r a u m für Kartellbildungen aller A r t z u l i e ß . Für Kartelle w a r es leicht, durch faktische o d e r auch nur s c h e i n b a r e Selbständigkeit e i n e s A u ß e n s e i t e r s o d e r m e h r e r b e d e u t u n g s l o s e r M i t k o n k u r r e n t e n nach a u ß e n hin die M o n o p o l s i t u a t i o n zu v e r m e i d e n und sich damit d e m V e r d a c h t d e r w u c h e r i s c h e n K o n s u m e n t e n a u s b e u t u n g zu e n t z i e h e n .

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

gang durch Sperren und andere Kampfmaßnahmen von Kartellen gehindert wurde ? Eine ursprünglich freiheitlich orientierte Wirtschaftsverfassung, welche allen Bürgern bestimmte Freiheitsrechte garantierte, erhielt also durch die Zulassung von Kartellen und deren wettbewerbsbeschränkende Praktiken nunmehr freiheitsbeschränkende Züge. Zusammenfassend läßt sich der Bereich der Wirtschaftsverfassung wie folgt eingrenzen: Die Wirtschaftsverfassung ist derjenige Teil des Rechtssystems, der die wirtschaftsrelevanten Bestimmungen der politischen Verfassung und andere, für die Wirtschaftsordnung und den gesamten Wirtschaftsprozeß gleich bedeutsame Gesetze und Rechtsetzungen umfaßt. Damit ist klargestellt, daß zur Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne nicht das gesamte Wirtschaftsrecht in all seinen Details, sondern nur das die Wirtschaftsordnung und den gesamten Wirtschaftsprozeß wesentlich formende Recht gehört. Inhaltlich sind Wirtschaftsverfassungen meist konglomerate Gebilde, die ein mehr oder weniger buntes Gemisch von Ordnungserfordernissen im Zeitpunkt der Verfassungsschaffung widerspiegeln. Nur selten enthalten die Verfassungen ein eindeutiges Ordnungsleitbild, das in all seinen ökonomischen Komponenten widerspruchsfrei ist. Zudem können im Laufe der Zeit schwerwiegende Veränderungen in den Lebens- und Arbeitsverhältnissen sowie beträchtliche Diskrepanzen zwischen Wirtschaftsverfassung und Verfassungswirklichkeit auftreten, die Änderungen, Ergänzungen oder Uminterpretationen bestimmter wirtschaftsrelevanter Verfassungsbestimmungen erforderlich machen. Wirtschaftsverfassungen spiegeln also günstigstenfalls das anzustrebende Wirtschaftssystem wider, sind aber in der Verfassungswirklichkeit kaum jemals mit dem praktizierten Wirtschaftssystem identisch. Der meist breitgefächerte Ordnungsrahmen einer Wirtschaft bzw. die Wirtschaftsordnung umschließt in der Regel sowohl die Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne sowie nicht rechtlich verankerte Wirtschaftsregeln als auch das Wirtschaftssystem, welches das Verfügungssystem über Produktion und Verteilung mit einem zweckrationalen Planungs- und Koordinierungssystem verknüpft. Ökonomischer Ordnungsrahmen

Die Wirtschaftsordnung ist der Ordnungsrahmen, innerhalb dessen sich das Wirtschaftsgeschehen eines Landes oder eines weitergefaßten Wirtschaftsgebietes vollzieht. Sie umfaßt die Gesamtheit aller ökonomischen, rechtlichen, systemsteuernden und institutionellen Ordnungselemente, die für die Wirtschaft des betreffenden Wirtschaftsraumes bedeutsam sind. Die Wirtschaftsverfassung

1. Kap.: Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie

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im engeren Sinn ist derjenige Teil der Rechtsordnung, der die wirtschaftsrelevanten Verfassungsbestimmungen und andere, für die Wirtschaftsordnung gleich bedeutsame Gesetze (wie z.B. das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und Rechtssetzungen (wie z . B . höchstrichterliche Urteile) umfaßt. Die Wirtschaftsregeln sind ökonomische Verhaltensregeln mit Ordnungscharakter, die nicht rechtlich verankert sind. Sie umfassen alle institutionell bedingten Regeln des ökonomischen Handelns, die z.B. aufgrund von Sitten und Traditionen gebräuchlich sind oder beispielsweise auf der Solidaritätsidee beruhen und in Solidargemeinschaften ohne rechtlichen Zwang freiwillig angewandt werden. Während die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften der Neuzeit vorwiegend „gesetzte Wirtschaftsordnungen" aufweisen, vollzog sich das Wirtschaften und der Güteraustausch in den frühen Jäger- und Sammlerkulturen sowie in den ausschließlichen Agrargesellschaften in der Regel im Rahmen „gewachsener Ordnungen", die vor allem durch Sitten und Tradition geprägt waren.

1.5 Interdependenzen von Systemen Leben und arbeiten in Gemeinschaften und vielfältige zwischenmenschliche Interaktionen finden meist im Rahmen von umfassenden Gesellschaftssystemen statt. Gesellschaftssysteme sind komplexe Gebilde, die wesentlich von der Art und Weise geprägt werden, wie die Menschen zusammenleben und ihre jeweiligen Bedürfnisse nach knappen Gütern, politischer Mitwirkung, sozialer Sicherung, Rechtsschutz, gesunder Umwelt und kulturellen Werten befriedigen. Das Gesellschaftssystem läßt sich dementsprechend in sechs Subsysteme gliedern: -

ökonomisches System politisches System soziales System rechtliches System umweltschützendes System kulturelles System.

Das ökonomische System umfaßt neben dem Verfügungssystem über Produktionsmittel und Ertragsverteilung vor allem das gesamtwirtschaftliche Steuerungsund Koordinierungssystem, das die wirtschaftlichen Interaktionen der Wirtschaftssubjekte auf die rationale Verminderung der Güterknappheiten und die optimale Befriedigung materieller Bedürfnisse hinlenkt. Das politische System umschließt vor allem die staatlichen Institutionen und Sicherungen der Funktionsfähigkeit des politischen Systems, die Handlungsmaximen der politischen Entscheidungsträger, das Parteiensystem und die Wahlverfahren sowie die politischen Mitwirkungsrechte der Bürger. Das soziale System umfaßt primär die Leitbilder, Einrichtungen und Regelungen der Sozialversicherung, die Prägeprinzipien sozialverpflichtenden politischen Handelns in der Sozial- und Steuerpolitik sowie Anreize zur Stärkung der Selbstverantwortung bezüglich der privaten Absicherung gegenüber den Lebens- und Berufsrisiken. Zum rechtlichen System gehören insbesondere die verfassungsmäßigen Grundrechte und anderen Verfassungsbestimmungen, die Einrichtungen der Rechtspflege und das gestufte Gerichtswesen, das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz sowie alle Rechtsnormen, die der Sicherung friedlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft und dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger dienen. Dem umweltschützenden System dienen hauptsächlich die Praktiken zur Vermeidung von Umweltschäden, Anreize zur Reduzierung vermeidbarer Umweltbelastungen, Sanktionen bei Mißachtung von Umweltschutznormen sowie Mittel zur Stärkung des allgemeinen Umweltbewußtseins. Zum kulturellen System zählen vor allem die kulturellen Werte, Kulturträger und Institutionen sowie Traditionen, die das künstlerische, wissenschaftliche und religiöse Leben der Menschen prägen und bereichern.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

Stehen Systeme oder Systemelemente mit anderen Systemen oder Elementen der Systemumweit in Beziehung, so können Außeneinflüsse den Zustand des Systems verändern. Bei solchen offenen Systemen müssen deshalb außer den inneren Zusammenhängen auch relevante Umweltbeziehungen zu anderen Systemen beachtet werden. Beispielsweise kann ein Wirtschaftssystem marktwirtschaftlicher Prägung durch interventionistische und protektionistische Praktiken des politischen Systems ausgehöhlt und letztlich funktionsunfähig werden. In einem solchen Fall beruht die Funktionsschwäche oder sogar die Funktionsunfähigkeit des ursprünglich marktwirtschaftlichen Systems nicht auf einer Fehlkonstruktion des Systems oder auf einzelnen widersprüchlichen Elementen innerhalb des Systemgefüges, sondern sie resultiert aus systemschädigenden Einflüssen eines anderen Systems. Bei der Analyse von Wirtschaftssystemen ist also darauf zu achten, ob etwa beobachtete Funktionsschwächen endogen, d . h . systembedingt auftreten oder exogen, d . h . von außen in das System hineingetragen werden. Durchweg alle Teilsysteme des Gesellschaftssystems stehen - wenngleich in unterschiedlichem Maße - miteinander in Verbindung oder in Wechselbeziehung. So sind vor allem die Wechselbeziehungen zwischen dem politischen und ökonomischen System evident. Je nach Staatsform - wie Demokratie und Rechtsstaat oder Diktatur und totalitärer Machtstaat - sind die Rahmenbedingungen für die Ausprägung von Wirtschaftssystemen verschieden. Eine Demokratie im Rahmen eines freiheitlichen Rechtsstaates erfordert die Gewährung relativ großer Spielräume für die Selbst- und Mitbestimmung der Staatsbürger und für die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte. Dagegen setzt der totalitäre Machtstaat, der alle Lebensbereiche der Staatsbürger seiner diktatorischen Gewalt unterwirft, die totale Unterordnung der Staatsbürger und Werktätigen voraus. Aus der Sachlogik heraus verbinden sich Demokratien in der Regel mit Wirtschaftssystemen dezentraler Planung und marktwirtschaftlicher Koordinierung, die erfahrungsgemäß den Individuen ein Höchstmaß an ökonomischer Entscheidungsfreiheit gewähren. Totalitäre Staaten verbinden sich dagegen aus dem Sachzwang heraus regelmäßig mit Wirtschaftssystemen, die vorwiegend zentral geleitet werden und den planausführenden Individuen und Arbeitskollektiven nur eng begrenzte Entscheidungsspielräume lassen. Die engen Beziehungen zwischen dem politischen und ökonomischen System werden auch am Parteiensystem deutlich. In Staaten mit Einparteiensystem sind stets die politischen und ökonomischen Freiheiten der Staatsbürger und Wirtschaftssubjekte beschränkt, weil ihnen keine Wahlalternativen zwischen Parteien mit unterschiedlicher ordnungs- und wirtschaftspolitischer Programmatik geboten werden. Selbst wenn die meisten Individuen mit der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik der „Staatspartei" nicht zufrieden sind, können sie die monopolisierte Parteiherrschaft günstigstenfalls durch Drohung mit massenhaftem Streik beeinflussen oder letztlich durch Revolution beseitigen. In Demokratien mit Mehrparteiensystem, in denen die Staatsbürger die Regierungspartei(en) abwählen und durch die Oppositionspartei(en) ersetzen können, haben die Staatsbürger und Wirtschaftssubjekte dagegen weitaus größere Chancen, ihre politischen Präferenzen auf friedlichem Wege zum Ausdruck zu bringen und die Berücksichtigung ihrer ökonomischen Interessen bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen durchzusetzen. Rechtssystem und Wirtschaftssystem stehen ebenfalls in enger Wechselbeziehung, indem einerseits das Rechtssystem die Ausgestaltung des Wirtschaftssystems beeinflußt und andererseits das Wirtschaftssystem die Ausgestaltung des Rechtssystems für das Wirtschaftsleben gleichsam vorprogrammiert. Rechtssysteme basieren meist auf rechtsphilosophischem Gedankengut, da sich das Recht unter verschiedenen Aspekten - wie z. B. ethisch-moralischen, sozial-anthropologischen, historisch-entwicklungsmäßigen oder positivistisch-begriffstheoretischen

1. Kap.: Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie

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Gesichtspunkten - betrachten läßt. So haben unterschiedliche rechtsphilosophische Zeitströmungen naturrechtlicher, historischer, positivistischer 10 oder anderer Art die Rechtssysteme der Epochen geprägt. Gleichgültig, ob das Recht als Naturrecht begriffen, an die Idee der Gerechtigkeit gekoppelt oder mit den positiven Gesetzesformen gleichgesetzt wird, es formt in jedem Fall die wirtschaftlichen Aktivitäten und Beziehungen der Menschen mit. Nicht nur das friedliche Zusammenleben der Menschen, sondern auch ihre wirtschaftlichen Beziehungen und Handlungen verlangen bestimmte Rechtsnormen, die vor allem verhindern, daß sich die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung des einzelnen zu Lasten anderer vollzieht. So bedürfen marktwirtschaftlich orientierte Systeme regelmäßig einer Privatrechtsordnung, welche den Ordnungsrahmen für die Beziehungen der Bürger untereinander setzt. Privatrechtsordnungen basieren auf dem Grundsatz der Autonomie der Privatleute und dem Prinzip des Interessenausgleichs der Vertragspartner im Geschäftsverkehr. Im Ordnungsrahmen des Privatrechts (Schuld-, Sachen-, Familien-, Erb-, Handels-, Gesellschafts-, Wechsel-, Scheck-, Urheber-, Wettbewerbsrecht) kann jeder seine privaten Angelegenheiten und Interessen verfolgen. Wirtschaftssysteme liberaler Prägung stützen sich in der Regel auf einige wenige grundlegende Rahmengesetze, innerhalb deren Grenzen die einzelnen Wirtschaftssubjekte frei schalten und walten können. Im Gegensatz dazu bedienen sich Wirtschaftssysteme dirigistischen Einschlags regelmäßig einer Vielzahl von Gesetzen zur Regelung von Berufen und Gewerbeausübungen. Die in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Demokratien anschwellende Flut von Branchen- und Detailgesetzen, die meist gruppenspezifische Sonderregelungen enthalten, sind ein deutliches Zeichen für die Aufweichung allgemeingültiger Ordnungsprinzipien. Nach v. Hayek erfordert nämlich die Verfassung der Freiheit samt einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, daß sich der Gesetzgeber auf die Setzung allgemeiner, abstrakter, auf alle gleich anwendbare Verhaltensregeln beschränkt. 1 1 Allgemeingültige Gesetze garantieren einen wirksamen Schutz gegen private Eingriffe in die Freiheitsrechte anderer und gegen staatliche Übergriffe in Form von Gruppenbegünstigungen, die stets die individuelle Freiheit der Nichtbegünstigten beeinträchtigen. Auch das Sozialsystem steht in enger Wechselbeziehung zum Wirtschaftssystem, indem es zum einen das ökonomische System in bestimmter Weise ergänzen muß und zum anderen auf dessen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Sozialleistungen angewiesen ist. Da in marktwirtschaftlichen Systemen die primäre Einkommensverteilung von der Marktleistung, die nicht alle Menschen beispielsweise infolge von Krankheit oder Behinderung erbringen können, bestimmt wird, müssen für diese Sozialleistungen zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gewährt werden. Zudem bedürfen bestimmte Lebensrisiken der sozialen Absicherung, insoweit sie nicht im Wege der individuellen Vorsorge bewältigt werden können. So schafft die Sozialversicherung, die in Deutschland seit über einem Jahrhundert besteht, durch Zwangssparen in Form von gesetzlich festgelegten Versicherungsbeiträgen eine Art solidarischer Selbsthilfe. Die Sozialversicherung, die unvorhersehbare Lebensrisiken gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Arbeitslosigkeit sowie vorhersehbare Versorgungsfälle im Alter abdeckt, führt zu einem im wesentlichen selbstfinanzierten Leistungsanspruch im Versicherungsfall und zu einem intertemporalen Einkommensausgleich im Rentenalter. 10

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Der Rechtspositivismus lehnt es ab, das Recht an überpositiven Werten - wie z.B. am Naturrecht oder einer Gerechtigkeitsidee - zu messen. Nur das vom Gesetzgeber gesetzte Recht hat Gültigkeit, und zwar auch dann, wenn der Gesetzestext eventuell ethisch-moralischen Auffassungen der jeweiligen Zeit widerspricht. In letzter Konsequenz führt das zur Begriffsjurisprudenz, welche die Rechtsordnung als ein geschlossenes System von Rechtsbegriffen begreift und aus dem lückenlosen Begriffssystem ihre Rechtsentscheidungen ableitet. Vgl. F. A. v. Hayek, 1971b, S.186.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

Je nach Ordnungsvorstellung in der Sozialpolitik, die z.B. der Eigenvorsorge oder der Kollektivversorgung den Vorzug geben kann, ist das Netz der sozialen Sicherung unterschiedlich gestaltet und mehr oder weniger dicht geknüpft. Die staatliche Sozial- und Umverteilungspolitik, deren finanzielle Mittel letztlich aus dem erwirtschafteten Volkseinkommen bestritten werden müssen, beeinflußt das Wirtschaftsgeschehen und kann in bestimmten Fällen die Funktionsfähigkeit eines Wirtschaftssystems beeinträchtigen. Während eine maßvolle, auf die Bedürfnisse sozial Schwacher begrenzte Sozial- und Umverteilungspolitik eine Soziale Marktwirtschaft überhaupt erst möglich und funktionsfähig macht, schwächen bedürfnisunabhängige Sozialsubventionen und eine ausgeuferte Einkommensnivellierungspolitik regelmäßig den Leistungswillen und den marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus. Führt die gesunkene Leistungsbereitschaft zur Verminderung der volkswirtschaftlichen Produktivität und der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, so ist oft auch die Aufrechterhaltung eines weitverzweigten Sozialleistungssystems bedroht. Ein Sozialstaat, der weit über die Hilfsbedürftigkeit sozial Schwacher und zu Lasten der Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft ausgedehnt wird, kann unsozial wirken. Er wirkt in der Tat immer dann unsozial, wenn er das Eigeninteresse an der individuellen Vorsorge und der Risikenvermeidung mindert sowie den mißbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen und damit die Ausbeutung der Solidargemeinschaft ermöglicht. Aufgrund zunehmender Umweltbelastungen und Umweltschäden, die vor allem produktionstechnische sowie Wachstums- und agglomerationsbedingte Ursachen haben, ist es notwendig geworden, das Wirtschaftssystem um ein Umweltschutzsystem zu ergänzen. Die Wechselbeziehungen zwischen den beiden Systemen ergeben sich daraus, daß einerseits ohne effektiven Umweltschutz bestimmte umweltschädigende Produktionen kaum mehr erträglich sind, und andererseits die beträchtlichen Finanzierungskosten für den Umweltschutz nur von einem leistungsfähigen Wirtschaftssystem erwirtschaftet werden können. Meist sind die Umweltschäden der Art nach technikbegleitend, dem Umfang nach entwicklungsniveauabhängig und der Intensität nach raumbedingt. Hinzu kommen noch Umweltschäden, die kostenrechnungsbedingte Ursachen haben oder auf mangelnder Umweltmoral beruhen. Erfahrungsgemäß sind die Wirtschaftssubjekte bestrebt, ihre Eigeninteressen bestmöglich zu verwirklichen, und sei es gelegentlich auch auf Kosten anderer Wirtschaftssubjekte oder der Allgemeinheit. Kostenrechnungsbedingte Umweltschäden treten auf, wenn das Verursacherprinzip bei der Kostenanlastung im Umweltschutz nicht durchgesetzt wird. Es besteht dann die Gefahr, daß die Wirtschaftssubjekte aus Gründen der Gewinnund Nutzenmaximierung Umweltschutzerfordernisse mißachten und die Kosten zur Beseitigung der Umweltschäden auf die Allgemeinheit abwälzen. Gelingt es Wirtschaftssubjekten, sich der Intemalisierung von Umweltschutzkosten in ihre Wirtschaftsrechnungen zu entziehen, so werden wegen der verfälschten Wettbewerbsbedingungen die Produktionsfaktoren in der Volkswirtschaft fehlgesteuert. Diejenigen Produzenten, die ihre Umweltschutzkosten als social costs auf die Allgemeinheit verlagert haben, binden in leistungsmäßig nicht gerechtfertigter Weise zu viele Produktivkräfte. Auch kann die Branchenstruktur der Volkswirtschaft eventuell infolge einer überproportionalen Ausdehnung von umweltschädigenden Wirtschaftszweigen suboptimal werden. So können sich ökonomische Monostrukturen (z.B. Eisen- und Stahlindustrie, Steinkohlenbergbau oder chemische Industrie) in Problemregionen verfestigen, wenn der dominierende Wirtschaftszweig seine Kosten für die Beseitigung von produktionsbedingten Umweltschäden auf den Staatshaushalt bzw. die Gesamtheit der Steuerzahler abwälzen kann.

1. Kap.: Gegenstand der Wirtschaftssystemtheorie

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Die zentrale ordnungspolitische Aufgabe besteht darin, möglichst solche funktionsfähigen Steuerungsmittel in das Umweltschutzsystem zu installieren, die dahin wirken, daß die Wirtschaftssubjekte aus Eigeninteresse keine oder möglichst wenig produktions- und konsumbedingte Umweltschäden bzw. Umweltbelastungen entstehen lassen. Sorgen die Umweltpolitiker für die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips und damit für die Internalisierung der Umweltschutzkosten in die Wirtschaftsrechnungen der umweltschädigenden Wirtschaftssubjekte, so werden diese die knappen Umweltgüter um so sparsamer einsetzen und um so pfleglicher behandeln, je mehr sie von den Aufwendungen für die Verhütung oder Beseitigung von Umweltschäden selbst tragen müssen. Umweltschutz kann sich jedoch nicht damit begnügen, nur die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen umweltfreundlich zu gestalten und ansonsten sich darauf zu verlassen, daß die Wirtschaftssubjekte jeweils aus eigenem Antrieb die Belange des Umweltschutzes beachten. Ein einziger allgemein gültiger Ordnungsmechanismus (z.B. in Form eines Marktes für Umweltbelastungszertifikate), der mittels marktähnlicher Steuerungselemente die Umweltbelastungen in Schach hält, existiert nicht. Auch Umweltschutzsteuern allein sorgen nicht in jedem Fall für umweltfreundliche Handlungen. Deshalb kommt die Umweltschutzpolitik um spezifische Nonnenfestsetzungen für bestimmte umweltbelastende Produktionszweige und Handlungen ebensowenig wie um unmittelbar umweltgestaltende Eingriffe in die Wirtschafts- und Siedlungsstruktur herum. Die Umweltschutzpolitik wirkt also nicht allein durch Setzung eines Ordnungsrahmens für den Umweltschutz auf das Wirtschaftssystem ein, sondern sie beschränkt darüber hinaus notfalls auch die freie Verfügung über den Einsatz der Produktionsmittel und Produktionsfaktoren in umweltgefährdenden Verwendungen und an umweltbelasteten Orten. Umgekehrt setzt die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftssystems und die Belastbarkeit der Volkswirtschaft mit Umweltschutzkosten auch der Umweltschutzpolitik Grenzen, die ohne Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht überschritten werden können. Ebenso wie das kulturelle System mit seinen Bildungseinrichtungen der materiell-ökonomischen Basis bedarf, kommt kein Wirtschaftssystem ohne funktionsfähiges Ausbildungssystem aus. Das Bildungssystem, das institutionell meist in allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und Einrichtungen der außerschulischen Qualifizierung gegliedert wird, dient im wesentlichen der Vorbereitung auf eine berufsqualifizierende Tätigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Infolge der Verflechtungen von Volkswirtschaften im Rahmen supranationaler Gemeinschaften (wie z.B. in der Europäischen Union) zeichnen sich gegenwärtig gewisse Tendenzen zur Vereinheitlichung der nationalen Bildungssysteme und zur Harmonisierung der Bildungsabschlüsse ab, welche die Funktionsfähigkeit von Wirtschaftssystemen in größeren internationalen Wirtschaftsräumen stärken sollen. Probleme der Finanzierung öffentlicher Bildungseinrichtungen treten vor allem bei nachlassender Wirtschaftskraft und sinkenden Steuereinnahmen des Staates auf, was dazu führen kann, daß die Bildung aus der Sphäre der öffentlichen Güter wieder stärker in den Bereich der privaten Güter mit Nutzungsentgelten gerückt wird. Die Verzahnungen zwischen dem kulturellen und ökonomischen System werden auch daran deutlich, daß gewisse moralische Wertvorstellungen und ethische Maßstäbe das ökonomische Handeln der Wirtschaftssubjekte (mit-)bestimmen können. Manchmal ist sogar den verschiedenen Wirtschaftssystemen eine jeweils spezifische Moral oder Unmoral zugeschrieben worden. So wirken nach Ansicht von Anhängern kommunistischer Ideologien marktwirtschaftliche Systeme deshalb unmoralisch, weil das Markt- und Wettbewerbssystem angeblich die zwischenmenschlichen Beziehungen zerstört. Da nach marxistischer Gesellschaftstheorie die Moral durch die jeweiligen Produktionsverhältnisse geprägt wird und

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

somit im Kapitalismus die Werte und Normen der kapitalistischen Produktion herrschen, werden auch die Verhaltensweisen der Menschen durch Eigennutz, Rivalität und aggressiven Wettbewerb auf den Märkten bestimmt, was - von einer anderen ethischen Warte aus gesehen - als unmoralisch gelten kann. Dagegen ändert sich nach marxistischer Lehre auch die Moral mit dem Umbruch der Produktionsverhältnisse und der Entstehung sozialistischer Gesellschaften. Es bildet sich dann angeblich eine sozialistische Moral heraus, die durch allseitig harmonische und freundschaftliche Beziehungen zwischen den gleichberechtigten Werktätigen geprägt ist. Von der als qualitativ höherstufig geltenden sozialistischen Moral wird erwartet, daß sie die Werktätigen vor allem dazu veranlaßt, ihr Verhalten am sozialistischen Wertekodex und ihre Arbeitsmoral an den planwirtschaftlichen Zielen der Produktionssteigerungen auszurichten. Offensichtlich hat es jedoch die sozialistische Moral - zu deren Aufrechterhaltung ständige Appelle seitens der politisch-staatlichen Instanzen für notwendig erachtet wurden - nicht vermocht, die weitgesteckten Planziele der ehemals Zentralgesteuerten Planwirtschaften zu erreichen und die sozialistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas vor Armut, beträchtlichen ökologischen Schäden und letztlich vor dem wirtschaftlichen Ruin am Ende ihrer politischen Existenz zu bewahren. Umgekehrt wird von liberaler Warte aus gerade als ein Vorteil angesehen, daß die Menschen in marktwirtschaftlichen Systemen keiner moralischen Appelle an ihre Arbeitsdisziplin und Leistungsbereitschaft bedürfen, weil jedes Wirtschaftssubjekt aus Eigeninteresse nach möglichst viel Gewinn oder hohem Nutzen strebt. Dennoch können sich unter Wettbewerbsbedingungen die Eigeninteressen des Verkäufers oder des Käufers auf den Gütermärkten nicht zu Lasten des Marktpartners durchsetzen; denn nach dem Prinzip des freiwilligen Tausches kommt nur dann eine Transaktion Ware gegen Geld zustande, wenn sich beide Marktpartner davon einen Nutzen versprechen. Auf den wettbewerblich strukturierten Gütermärkten kann also niemand übervorteilt werden, da jeweils äquivalente Leistungen getauscht werden. Der Marktmechanismus schließt eine Marktmoral ein, die keine Diskriminierung und Übervorteilung zuläßt, aber auch von keinem Marktteilnehmer persönliche Sympathie oder altruistische Einstellungen gegenüber den anonymen Marktpartnern verlangt. „Die moralischen Postulate des Sozialismus (und auch des Christentums), wie Altruismus und Solidarität, waren gut für die Kleingruppe; sie sind aber nicht mehr gut für die große Gesellschaft." 12 In den großen anonymen Marktgesellschaften der Gegenwart lassen sich die täglich vielen Millionen von ökonomischen Produktions-, Investitions- und Konsumentscheidungen der Wirtschaftssubjekte nur über den Markt, nicht jedoch im Rahmen von altruistischen Wertvorstellungen kleiner Familienverbände abstimmen. Ferner ist die liberale Auffassung, der zufolge das eigennützige Streben nach Gewinn und individuellem Nutzen das allgemeine Wohlstandsniveau der Gesellschaft vergrößert, ohne daß das einzelne Wirtschaftssubjekt gewollt und bewußt einen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlfahrt anstrebt, durch die Erfahrung bestätigt worden. Demnach besitzt die „Marktmoral" gegenüber der sozialistischen Moral den Vorzug, daß sie eine weitaus höhere ökonomische Effizienz bewirkt und eine größere Verteilungsmasse schafft, die zu einem Teil über die Steuerpolitik abgeschöpft und dann von der Sozialpolitik zum sozialen Ausgleich verwandt werden kann.

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E. Waibl, 1989, S.212.

2. Kap.: Wissenschaftlicher Standort der Wirtschaftssystemtheorie

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2. Kapitel Wissenschaftlicher Standort der Wirtschaftssystemtheorie 2.1 Stellung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Die Wirtschaftssystemtheorie ist unmittelbar eine Teildiszipiin der Wirtschaftstheorie, die ihrerseits wieder ein Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist. Anhand einer Systematik der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften läßt sich der wissenschaftliche Standort der Wirtschaftssystemtheorie verdeutlichen.

Systematik der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften

Wie der schematischen Darstellung zu entnehmen ist, weist die Theorie der Wirtschaftssysteme sowohl Bezüge zur Mikro- und Mesoökonomik als auch zur Makroökonomik auf. Dieses wird besonders bei der Analyse von gesamtwirtschaftlichen Lenkungs- und Koordinierungssystemen deutlich, bei der die Wirtschaftssystemtheorie sowohl mikro- und mesoökonomische Steuerungs- und Koordinierungselemente (z.B. Märkte und Gruppenverhandlungen) als auch solche makroökonomischer Art (z.B. volkswirtschaftliche Planungen) untersucht.

2.2 Stellung in der Volkswirtschaftslehre 2.2.1 Gliederungsschema der Volkswirtschaftslehre Die traditionelle Einteilung der Volkswirtschaftslehre in Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft hat heute an Bedeutung eingebüßt, nachdem sich die Finanzwissenschaft von einer ausschließlichen Staatswirtschafts- und Budgetlehre zu einer wirtschaftstheoretisch fundierten antizyklischen Fiskalpolitik entwickelt hat. Seitdem die öffentlichen Haushalte auch in

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

den Dienst der Konjunktursteuerung gestellt werden, hat die Verzahnung von Wirtschafts- und Finanzpolitik in Theorie und Praxis zugenommen. Demnach geht die einstmals selbständige Disziplin Finanzwissenschaft immer mehr in den anderen beiden volkswirtschaftlichen Disziplinen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik auf. Die heute üblichen Schemata gliedern die Volkswirtschaftslehre meist in Mikround Makroökonomie sowie neuerdings in Mikro-, Meso- und Makroökonomie. Bei der Einteilung der Volkswirtschaftslehre in Mikro- und Makroökonomie stehen hauptsächlich folgende wirtschaftstheoretische Gegenstandsbereiche im Mittelpunkt: Die MikroÖkonomik analysiert vor allem im Rahmen der Marktund Preistheorie das ökonomische Geschehen von Einzelwirtschaften, das sich aus dem Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf den Märkten ergibt. Die MakroÖkonomik untersucht dagegen hauptsächlich im Rahmen der Konjunkturtheorie gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, die vornehmlich an den Beziehungen von volkswirtschaftlichen Kreislaufgrößen deutlich werden. Bei dieser Zweiteilung sind die strukturellen Probleme der Gruppen, Branchen und Regionen - also von mittleren Aggregaten zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft - weitgehend dem Blick entrückt und bleiben meist unanalysiert. Zudem eignet sich häufig weder das mikro- noch das makroökonomische Instrumentarium für die Erforschung gruppenspezifischer Erscheinungen, und zwar insbesondere dann nicht, wenn das Gruppenverhalten von den individuellen Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte oder von gesamtwirtschaftlich erwarteten Reaktionen der Bevölkerung abweicht. Dieses hat den Verfasser seinerzeit bewogen, für die Schaffung einer Mesoökonomie zu plädieren 13 , welche die gruppenspezifischen Probleme und strukturellen Phänomene in den heutigen Gruppengesellschaften erforscht und dabei insbesondere die vielfältigen Interaktionen zwischen strukturpolitischen Entscheidungsträgern und Interessengruppen offenlegt. Inzwischen gibt es deutliche Anzeichen, daß sich eine derartig strukturierte Mesoökonomie als dritte Säule neben der Mikro- und Makroökonomie durchzusetzen beginnt. 14

13 14

Vgl. H.-R. Peters, 1977a, S.300ff. Derselbe, 1981a. So wird im Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft ( H d W W ) ausgeführt, daß „sich eine Dreiteilung in Mikro-, Meso- und Makropolitik als zweckmäßig erwiesen (hat), um die immer mehr an Bedeutung gewinnende Wirtschaftspolitik der ,mittleren Reichweite', die sich auf einzelne Branchen, Regionen und Personengruppen erstreckt, besser einordnen zu können". E. Tuchtfeldt, 1982a, S.193. Vgl. ferner das Stichwort Mesoökonomik, in: A . Wo», 1996, S . 4 7 7 f .

2. Kap.: Wissenschaftlicher Standort der Wirtschaftssystemtheorie

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Systematik der Volkswirtschaftslehre Disziplin

Ansatzpunkte

MikroÖkonomie

Unternehmungen

Systembereiche

• Unternehmenspolitik • Verbrauchspolitik • Personelle Verteilungspolitik - Einkommenspolitik - Vermögenspolitik • Ordnungspolitik - Eigentums- und Verfügungspolitik - Marktzugangspolitik - Wettbewerbspolitik

Mesoökonomik

• Gruppenwirtschaftliche MesoTheorie politik - Gruppen-, Genossenschafts- und Verbändetheorie - Theorie des kollektiven Handelns - Mesoökonomische Interaktionstheorie • Sektorale Strukturtheorie Sektorale Entwicklungstheorie - Theorie des Strukturwandels - Branchenregulierungstheorie - Indikative Strukturplanungstheorie • Regionale Strukturtheorie - Regionale Entwicklungstheorie - Standorttheorie - Infrastrukturtheorie - Umweltschutztheorie

• Gruppen spezifische Wirtschaftspolitik - Berufsordnungspolitik - Mittelstandspolitik - Industriepolitik • Sektorale Strukturpolitik - Sektorale Entwicklungspolitik - Branchenregulierungspolitik - Indikative Strukturplanungspolitik • Regionale Strukturpolitik - Raumordnungspolitik - Gewerbeansi edlungspolitik - Entbai lungspolitik - Infrastrukturpolitik - Umweltschutzpolitik

Makroökonomik

• Theorie des Wirtschaftskreislaufs • Theorie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung • Konjunkturtheorie • Arbeitsmarkttheorie • Außenwirtschaftstheorie • Geld- und Währungstheorie • Wachstumstheorie • Funktionelle Verteilungstheorie • Wirtsc h aftspl anungstheorie

• Konjunktur- und Stabilitätspolitik - Geld- und Kreditpolitik - Antizyklische Fiskalpolitik • Beschäftigungspolitik - Arbeitsmarktpolitik - Lohnpolitik • Außenwirtschaftspolitik • Wachstumspolitik • Indikative Wirtschaftsplanungspolitik • Imperative Volkswirtschaftsplanungspolitik

Branchen Regionen

Makroökonomie

Volkswirtschaftliche Kreislaufgrößen Gesamtwirtschaft

Sachbereiche in der Wirtschaftspolitik

• Theorie der UnternehMikromung politik - Kostentheorie - Produktionstheorie • Theorie des Haushalts - Konsumtheorie - Nachfragetheorie • Personelle Verteilungstheorie • Markt- und Preistheorie • Wettbewerbstheorie

Märkte

Gruppen

Systembereiche

Mikroökonomik

Haushalte

Mesoökonomie

Sachbereiche in der Wirtschaftstheorie

Makropolitik

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

2.2.2 Bezüge der Wirtschaftssystemtheorie Die vorstehende Systematik gliedert die Volkswirtschaftslehre in Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sowie nach den drei Disziplinen Mikro-, Mesound Makroökonomie. Letztere umschließen jeweils einen wirtschaftstheoretischen Systembereich (Mikro-, Meso- und MakroÖkonomik) und einen wirtschaftspolitischen Systembereich (Mikro-, Meso- und Makropolitik). Bei dieser Gliederung der Volkswirtschaftslehre läßt sich keine eigenständige Position „Theorie der Wirtschaftssysteme" ausweisen. Das bedeutet jedoch nicht, daß es eine derartige wirtschaftstheoretische Teildisziplin überhaupt nicht gibt. Es spiegelt lediglich die Tatsache wider, daß die Theorie der Wirtschaftssysteme nicht einem einzelnen wirtschaftstheoretischen Systembereich zuzuordnen ist, sondern Bestandteile aus allen drei Bereichen in sich vereinigt. Für den Teil der Wirtschaftssystemtheorie, der sich mit marktwirtschaftlichen Systemen befaßt, sind aus dem Bereich der MikroÖkonomik insbesondere die Markt- und Preistheorie sowie die Wettbewerbstheorie von zentraler Bedeutung. Für Systemanalysen von Strukturgesteuerten Kollektivwirtschaften, in denen Arbeitskollektive die maßgeblichen Planungsträger sind, ist aus dem Bereich der Mesoökonomik vor allem die Gruppen- und Genossenschaftstheorie bedeutungsvoll. Dagegen ist für Untersuchungen Zentralgesteuerter Planwirtschaften hauptsächlich aus dem Bereich der MakroÖkonomik die Wirtschaftsplanungstheorie wichtig. Die Theorie der Wirtschaftssysteme bezieht ihre Bausteine also sowohl aus der Mikro- und Mesoökonomik als auch aus der MakroÖkonomik.

3. Kap.: Arten der Wirtschaftssystemtheorie

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3. Kapitel Arten der Wirtschaftssystemtheorie 3.1 Funktionelle Wirtschaftssystemtheorie In der funktionellen Wirtschaftssystemtheorie läßt sich in Analogie zu den Funktionen der allgemeinen Wirtschaftstheorie zwischen folgenden Arten von Theorien unterscheiden: 15 erklärende (nomologische) Theorien, - klassißkatorische (definitorische) Theorien, - entscheidungslogische (dezisionslogische) Theorien. Aufgabe nomologischer Theorien ist es, in der Realität vorfindbare Phänomene und Zusammenhänge aufzudecken und zur Erklärung möglichst universale Hypothesen bzw. allgemeine Regeln aufzustellen, die durch Beobachtung und Erfahrung nachprüfbar und falsifizierbar sein müssen. Damit erklärende Wirtschaftstheorien ihre Funktion erfüllen können, bedürfen sie zweckmäßiger Begriffe und Gliederungsschemata, mit deren Hilfe der Analysegegenstand abgegrenzt und verschiedene Aspekte der Untersuchung verdeutlicht werden können. Für diese Zuliefererfunktion eignen sich die klassifikatorischen Theorien, die aussagefähige Termini schaffen, Abgrenzungsschemata entwerfen und wirtschaftswissenschaftliche Analysewerkzeuge systematisch nach ihrer jeweiligen Wirkungsweise zusammenstellen. Während erklärende Theorien die tatsächlichen und empirisch überprüfbaren Faktoren und Zusammenhänge der Untersuchungsobjekte zu erforschen bestrebt sind, versuchen entscheidungslogische Theorien, mittels Modellkonstruktionen die logischen Folgen von bestimmten Verhaltensweisen und -änderungen - unter der Annahme rationalen Verhaltens der Handelnden - herauszufinden. Dezisionslogische Theorien arbeiten also in der Regel mit mehr oder weniger wirklichkeitsfernen Prämissen bzw. Idealtypen, wie z . B . dem sich rein ökonomisch-rational verhaltenden homo oeconomicus oder dem ausschließlich im eigenen Interesse politisch-rational handelnden homo politicus.

3.2 Strukturelle Wirtschaftssystemtheorie In der strukturellen Wirtschaftssystemtheorie läßt sich nach der Struktur und dem jeweiligen Realitätsgrad der Analyseobjekte zwischen ideal- und realtypischer Wirtschaftssystemtheorie unterscheiden. Die idealtypische Wirtschaftssystemtheorie, die Systemsachverhalte hauptsächlich anhand von Entscheidungsmodellen analysiert, legt ihren Modellen regelmäßig relativ einfache Systemstrukturen zugrunde. Um Vorhersagen von Entscheidungen bei bestimmten Systemsituationen treffen zu können, wird bei derartigen Entscheidungsmodellen durchweg rationales Verhalten der Entscheidungsträger unterstellt. Da zudem in solchen Entscheidungsmodellen kaum jemals die komplexe Systemwirklichkeit abgebildet werden kann, wird regelmäßig nur mit relativ wenigen Variablen gearbeitet. Um die Zusammenhänge der Modellvariablen überschaubar zu halten, werden völlig homogene Verfügungs-, Planungs- und Koordinierungssysteme auf allen Gebieten der Wirtschaft unterstellt. So wird im Modell der reinen Marktwirtschaft angenommen, daß überall private Verfügungsgewalt über Pro-

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Vgl. R. Jochimsen, H. Knobel, 1971, S.45.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

duktionsmittel und Ertragsverteilung gegeben ist sowie der gesamte Wirtschaftsprozeß nur durch dezentrale Planungen einer Vielzahl von privaten Unternehmen und Haushalten sowie ausschließlich durch wettbewerbliche Marktkoordinierung der Handlungen der Wirtschaftssubjekte gestaltet wird. Dagegen wird im Modell der totalen Zentralverwaltungswirtschaft unterstellt, daß in der gesamten Volkswirtschaft ausschließlich staatliche Verfügungsgewalt über Produktion und Verteilung existiert sowie der gesamte Wirtschaftsprozeß aufgrund vollzugsverbindlicher Volkswirtschaftspläne und mittels zentraler Plananweisungen gelenkt wird. In der Realität weisen jedoch Wirtschaftssysteme marktwirtschaftlicher Prägung neben der dominierenden privaten Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und Ertragsverteilung auch noch andere Verfügungsformen auf, und zwar solche staatlicher und genossenschaftlicher Art. Z u d e m existieren in diesen Systemen neben vorwiegend dezentralen auch zentrale Planungselemente. Ferner ist das dominierende marktwirtschaftliche Koordinierungssystem in eine Wettbewerbso r d n u n g eingebunden (also Wettbewerbs- und ordnungsorientiert) u n d / o d e r konjunktur- und strukturpolitisch beeinflußt. Auch in Wirtschaftssystemen zentralplanwirtschaftlicher Art gibt es neben der vorherrschenden staatlichen Verfügungsgewalt über Produktion und Verteilung in beschränktem Maße private Verfügung über Produktionsmittel (so z . B . im privaten Handwerk) oder über den Produktionsfaktor Boden (z.B. private Bewirtschaftung einer kleinen Landparzelle). Ferner existieren auch in diesem dominant zentralgeleiteten Wirtschaftssystem meist in geringem Maße Märkte, auf denen die Angehörigen von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die Erzeugnisse ihrer privaten Bewirtschaftung eines kleinen Hausackers frei verkaufen können. Alle realen Wirtschaftssysteme sind also Mischsysteme mit heterogenen Systemelementen, wobei sich der jeweilige Realtypus nach der vorherrschenden Art des Verfügungs-, Planungs- und Koordinierungssystems bestimmt. Somit wird das Kriterium der Dominanz der jeweiligen systemkonstitutiven Elemente zum entscheidenden Bestimmungsfaktor realtypischer Wirtschaftssysteme. D a die idealtypische Wirtschaftssystemtheorie bisher nur Modelle von Wirtschaftssystemen mit homogenen Systemelementen konstruiert hat, können ihre Analysen die Systemwirklichkeiten kaum widerspiegeln, sondern lediglich funktionelle Zusammenhänge zwischen fiktiven Systemelementen in idealtypischen Wirtschaftssystemen aufzeigen. Dagegen versucht die realtypische Wirtschaftssystemtheorie näher an die Wirklichkeit der Wirtschaftssysteme heranzukommen, indem sie die Homogenitätsprämisse der Systemelemente aufgibt und existierende Mischungen von Systemelementen bei ihren Systemanalysen berücksichtigt. Dabei konzentriert sie sich insbesondere auf die Schaffung einer Typologie von Mischsystemen mit heterogenen und kombinierten Systemelementen, mit Hilfe deren Realtypen konkrete länderspezifische Wirtschaftsordnungen analysiert werden.

3.3 Idealtypische Wirtschaftssysteme Idealtypische Wirtschaftssysteme sind abstrakte Modellkonstruktionen, die aus G r ü n d e n der Modellvereinfachung teils mit fiktiven Systemelementen und teils mit unrealistischen Prämissen arbeiten, so daß sie die Systemwirklichkeit nur entfernt in einigen systemelementaren Grundzügen und bei A n n a h m e systemrationaler Handlungsweisen abzubilden vermögen. D a es aufgrund der Systemkomplexitäten keiner Modellbildung gelingt, alle Bestimmungsfaktoren und jede Facette der vielen Systemelemente zu berücksichtigen, muß eine Auswahl zwischen den Determinanten getroffen werden, so daß manches systemrelevante Element außer Ansatz bleibt. Trotz dieser methodischen Beschränkungen kön-

3. Kap.: Arten der Wirtschaftssystemtheorie

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nen derartig vereinfachende Modellbildungen in begrenztem Maße nützlich sein, weil mit ihrer Hilfe zumindest einige systemökonomische Grundsachverhalte im Prinzip erklärt und denkbare Funktionsstörungen bei Systemabweichungen offengelegt werden können. Allerdings wäre es wissenschaftlich nur wenig fruchtbar, wenn sich die Wirtschaftssystemtheorie in der Konstruktion von Modellen idealtypischer Wirtschaftssysteme mit sehr begrenztem Aussagewert erschöpfen und nicht versuchen würde, den Systemrealitäten durch die Analyse realtypischer Wirtschaftssysteme näherzukommen. Zudem muß bedacht werden, daß sich die Modelle der idealtypischen Wirtschaftssysteme nicht in die Wirklichkeit umsetzen lassen. Bisher gibt es in keiner Volkswirtschaft eine reine Marktwirtschaft, deren Wirtschaftsprozeß ohne jede staatliche Beeinflussung allein durch die dezentralen Planungen einer Vielzahl von machtlosen Wirtschaftssubjekten und ausschließlich mittels Abstimmung der einzelwirtschaftlichen Pläne im Rahmen der Marktform vollständiger Konkurrenz gesteuert wird. Desgleichen existiert bisher in keiner Volkswirtschaft eine totale Zentralverwaltungswirtschaft, in der geldlos und rein mengenmäßig sämtliche Produktions- und Verteilungsvorgänge zentralplanerisch gesteuert werden und selbst in Friedenszeiten ein perfektes Rationierungs- und Zuteilungssystem jede selbstbestimmte Beschaffung von Produktionsmitteln und eine freie Konsumwahl ausschließt.

3.3.1 Reine Marktwirtschaft Das Modell der reinen Marktwirtschaft weist folgende Prämissen auf: - Es herrscht überall in der Wirtschaft private und unbeschränkte Verfügung über Produktionsmittel und Ertragsverteilung. - Alle Wirtschaftssubjekte lassen sich nur von ökonomischen Überlegungen und ihren jeweiligen Eigeninteressen leiten. - Nur die Wirtschaftspläne und ökonomischen Handlungen vieler machtloser Einzelwirtschaften (Unternehmen und Privathaushalte) bestimmen den Wirtschaftsprozeß und die Wirtschaftsentwicklung. - Die Privathaushalte beziehen alle Güter und Dienstleistungen von den Unternehmungen. Sie stellen selbst nichts her und verrichten auch keine handwerklichen Arbeiten im eigenen Haushalt. - Alle Handlungen der Unternehmungen und Privathaushalte werden über Märkte koordiniert. - Auf den „vollkommenen Märkten" herrscht überall die Marktform der vollständigen Konkurrenz im streng markt- und preistheoretischen Sinn. - Weder der Staat noch irgendwelche Machtgruppen beeinflussen das Wirtschaftsgeschehen. Der Staat reguliert weder das Wirtschaftsgeschehen noch gibt er Subventionen. Anhand des folgenden Kreislaufmodells läßt sich das Wirtschaftsgeschehen in der reinen Marktwirtschaft schematisch darstellen.

3. Kap.: Arten der Wirtschaftssystemtheorie

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In dem vorstehenden Modell der reinen Marktwirtschaft sind die zahlreichen Haushalte und Unternehmungen, die als autonome Planungsträger jeweils nur ihre eigenen Wirtsehaftspläne aufstellen, jeweils zu einer Gruppe in einem Planungssektor zusammengefaßt. Betrachtet man den Wirtschaftsprozeß in der reinen Marktwirtschaft als einen güter- und geldwirtschaftlichen Austauschprozeß zwischen dezentral planenden Unternehmen und autonom handelnden Haushalten mit dazwischen geschalteten Märkten, so läßt sich das ökonomische Geschehen als Wirtschaftskreislauf mit Gegenstromprinzip darstellen. Innerhalb dieses Wirtschaftskreislaufs kommen den Güterströmen, die von den Unternehmen über die Gütermärkte zu den Haushalten fließen, wertgleiche Geldströme, die in Form von Güterentgelten aus Güterverkäufen den Unternehmen zufließen, entgegen. Auch dem Strom der Produktionsfaktoren, der von den Haushalten zu den Unternehmenssektoren verläuft, fließt ein Geldstrom in Form von Faktorenentgelten für die genutzten Produktivleistungen entgegen. Das Modell der reinen Marktwirtschaft spiegelt also einen allseits harmonischen Wirtschaftskreislauf wider, der durch keinerlei Störungen güteroder geldwirtschaftlicher Art beeinträchtigt wird. Da der Verlauf des Wirtschaftsprozesses in der Marktwirtschaft maßgeblich durch die effektive Nachfrage der Konsumenten gesteuert wird, empfiehlt sich, von den grundsätzlichen Planüberlegungen der Haushalte auszugehen. Die Mitglieder der Haushalte haben bestimmte Bedürfnisse und Wünsche, die sie befriedigen wollen. Um ihre Bedarfspläne verwirklichen zu können, müssen sie die dafür nötige Kaufkraft erlangen. Sie werden also ihre Arbeitskraft und andere in ihrem Besitz befindlichen Produktionsfaktoren (Kapital und Boden) auf den Märkten für Produktionsfaktoren anbieten, wo ihr Angebot auf die Nachfrage der Produktionsunternehmen trifft. Angebot und Nachfrage auf den Märkten der Produktionsfaktoren bestimmen dort die Entgelte für Produktivleistungen, die in Form von Löhnen, Zinsen, Pachten und Mieten den Haushalten zufließen und für deren Einkommen und Kaufkraft bestimmend sind. Die Haushalte treten nunmehr als Nachfrager nach bestimmten Gütern auf den Konsum- und Gebrauchsgütermärkten auf. Die Unternehmungen sind bestrebt, möglichst die Bedürfnisse und Wünsche der kaufkräftigen Nachfrager zu befriedigen, um Umsatz und Gewinn zu erzielen. In der Marktwirtschaft üben also die Konsumenten und Nachfrager die zentrale Lenkungsfunktion aus, indem sie mittels ihrer effektiven Nachfrage die Richtung und den Umfang der Produktionen sowie die Qualität der Waren und das Warensortiment bestimmen. Die dezentralen Planungen der Unternehmungen stützen sich auf die Marktpreise und deren Veränderungen, die anzeigen, welche Güter knapp sind und in welchen Bereichen sich eine Ausdehnung des Güterangebotes lohnt. Steigt beispielsweise der Marktpreis infolge vermehrter Nachfrage, so wird dieses zu Produktionsausdehnungen anreizen. Steigendes Güterangebot führt jedoch auf den wettbewerblich strukturierten Märkten dazu, daß die Marktpreise wieder sinken, wodurch sich die Gewinnchancen der Produzenten verringern. Der Marktpreismechanismus bringt den Marktpreis auf einen Stand, bei dem es für die Produzenten nicht mehr lohnt, eine zusätzliche Gütereinheit zu produzieren und bei dem auch die Nachfrager nicht mehr bereit sind, eine zusätzliche Gütereinheit zu erwerben. Dieser Gleichgewichtspreis sorgt demnach für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Gleichgewichtspreise bilden sich jedoch nur automatisch auf vollkommenen Märkten im Rahmen der Marktform vollständiger Konkurrenz. Markt- und preistheoretisch setzt die Marktform vollständiger Konkurrenz folgendes voraus: - Angebot und Nachfrage bestehen jeweils aus einer Vielzahl von Marktteilnehmern, die als einzelne keinerlei Einfluß auf den Marktpreis haben.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

- Der Marktzugang ist für alle offen, da keinerlei rechtliche oder faktische Zutrittsbeschränkungen für Anbieter und Nachfrager bestehen. - Es herrscht völlige Markttransparenz, so daß alle Marktteilnehmer über jedes Marktdetail informiert sind. - Es besteht völlige Mobilität der Produktionsfaktoren, so daß keine Friktionen in Form von Engpässen beim Produktions-Input auftreten können. - Alle Marktteilnehmer verfügen über eine unendlich große Reaktionsgeschwindigkeit sowie Anpassungsfähigkeit und -Willigkeit. - Das Güterangebot ist in den Augen der Nachfrager völlig homogen, d . h . die Nachfrager bringen keinerlei sachliche, persönliche, räumliche oder zeitliche Präferenzen bestimmten Anbietern oder deren Waren entgegen. - Anbieter und Nachfrager verhalten sich völlig rational und verfolgen das Ziel der Gewinn- und Nutzenmaximierung. - Selbst eine nur minimale Preisabweichung vom Marktpreis nach oben oder unten bewirkt für den Anbieter den Verlust bzw. Gewinn der gesamten Marktnachfrage. - Der Preisbildungsprozeß auf dem Markt ist völlig frei, da weder der Staat noch private Machtgebilde (z.B. Monopole oder Kartelle) den Marktpreis beeinflussen. - Externe Effekte, die sich als Handlungsfolgen in Ersparnissen oder Verlusten anderer niederschlagen, bleiben außer Ansatz. Es ist offenkundig, daß in der Realität - außer den Wertpapier- und Warenmärkten an den Börsen - nur selten die konkreten Güter- und Dienstleistungsmärkte alle Prämissen der Marktform der vollständigen Konkurrenz in preistheoretischer Strenge erfüllen. Der Marktpreismechanismus verknüpft auch die Güter- und Produktionsfaktorenmärkte miteinander. Steigt beispielsweise die Nachfrage nach bestimmten Konsumgütern, so löst dieses bei ausgeschöpften Produktionskapazitäten eine erhöhte Nachfrage nach Produktionsfaktoren aus. Diese aus der vermehrten Güternachfrage „abgeleitete Faktorennachfrage" hat ebenfalls preisliche Auswirkungen. Handelt es sich um Konsumgüter, die in arbeitsintensiver Produktion erzeugt werden, so steigen infolge der erhöhten Nachfrage nach Arbeitsleistungen die Löhne. Lohnerhöhungen haben ihrerseits Rückwirkungen auf die Konsumgüterpreise, indem diese infolge vermehrter kaufkräftiger Konsumnachfrage ansteigen. Gleichzeitig führen Lohnerhöhungen zu steigenden Arbeitskosten, welche die Gewinne der Unternehmen vermindern. Die Unternehmen werden also versuchen, Arbeit durch Kapital zu ersetzen. Gelingt dieses, so geht die Nachfrage nach Arbeitsleistungen wieder zurück und es werden die Löhne sinken. Lohnsenkungen machen es jedoch unter Umständen für die Unternehmen wieder attraktiv, Arbeitskräfte einzustellen, und zwar immer dann, wenn die Entgelte für den Produktionsfaktor Arbeit unter die Kosten für das Produktionskaptial gesunken sind. Letztlich kommt es infolge des Marktpreismechanismus zu Gleichgewichten sowohl auf den Produktionsfaktoren- als auch auf den Gütermärkten. Zwar ist es unrealistisch, aber modelltheoretisch durchaus denkbar, daß alle produzierten Konsumgüter mit den verdienten Einkommen - unter Ausklammerung des Sparens - aufgekauft werden, so daß sich entsprechend dem Sayschen Theorem das Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Auf dieser Basis sorgt nach klassischer Markttheorie der Marktpreismechanismus bei vollständiger Konkurrenz für ein Preis-, Lohn- und Zinsniveau, das stets zur Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren führt. Im Modell der reinen Marktwirtschaft kommen also Systemstörungen aufgrund ungenutzter Produktionsfaktoren und somit auch in Form von Arbeitslosigkeit nicht vor.

3. Kap.: Arten der Wirtschaftssystemtheorie

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Als positive Analyseresultate des Modells der reinen Marktwirtschaft lassen sich die Grundfunktionen des Marktpreismechanismus bestimmen, die unter bestimmten Bedingungen auch für die Systemwirklichkeit bedeutungsvoll sind. Prinzipiell erfüllt der Marktpreismechanismus folgende drei Funktionen: - Informationsfunktion, indem er Knappheiten von Gütern und Produktionsfaktoren zuverlässig anzeigt. - Lenkungsfunktion, indem er die knappen Produktionsfaktoren in die rentabelsten Verwendungen und die Güter in die Nachfragebereiche des dringendsten Bedarfs lenkt. - Ausgleichsfunktion, indem er Angebot und Nachfrage auf den Märkten zum Ausgleich bringt. 3.3.2 Totale Zentralverwaltungswirtschaft Das Modell der totalen Zentralverwaltungswirtschaft weist folgende Prämissen auf: - Der Staat verfügt über alle Produktionsmittel und ist alleiniger Planungsträger des Wirtschaftsprozesses. - Es herrscht ein Staatsmonopol auf allen Gebieten der Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen sowie der Ausbildung und des Einsatzes der Arbeitskräfte. - Die Staatsführung legt die grundlegenden Planziele fest, die dann von der staatlichen Plankommission aufzuschlüsseln und von den volkseigenen Betrieben planmäßig zu verwirklichen sind. - Die zentrale Planbehörde schreibt den volkseigenen Betrieben vor, was, wo, wann in welchen Quantitäten und Qualitäten zu produzieren und an wen, wann in welchen Mengen zu liefern ist. - Die Produktionsfaktoren Arbeit, Sachkapital und Boden werden den volkseigenen Betrieben gemäß dem ihnen auferlegten Produktionssoll zugeteilt. - Die Konsumgütermengen und die Gebrauchsgüter werden den Haushalten geldlos mittels eines Rationierungs- und naturalen Verteilungssystems zugeteilt. - Der Umfang und das Sortiment der Güterzuteilung bemessen sich nach staatlich festgesetzten Bedarfsnormen, die für die Werktätigen leistungsbezogen auf der Basis der Arbeitswertlehre nach der Normarbeitszeit bestimmt werden.

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Teil 1: Klassifikatorische Grundlagen

3. Kap.: Arten der Wirtschaftssystemtheorie

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In dem vorstehenden Modell der totalen Zentralverwaltungswirtschaft sind die volkseigenen Betriebe und die Haushalte der Werktätigen, die jeweils ihre Plananweisungen von der zentralen Planungsbehörde des Staates erhalten, jeweils zu einer Gruppe in einem Planungssektor zusammengefaßt. Betrachtet man den Wirtschaftsprozeß in der totalen Zentralverwaltungswirtschaft als einen geldlos ablaufenden Planungs- und Plandurchführungsprozeß, bei dem die planmäßig erstellten Güter nach bestimmten Zuteilungsnormen den Haushalten der Werktätigen zufließen und diese wiederum den volkseigenen Betrieben planmäßig ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, so läßt sich das ökonomische Geschehen als Wirtschaftskreislauf darstellen. Um den Wirtschaftsprozeß offenzulegen, empfiehlt sich, von der zentralen Planungsbehörde des Staates auszugehen. Die zentrale Planbehörde plant zunächst auf der Grundlage von Vorgaben der politischen Staatsführung das Gütervolumen für die nächste Planperiode und das für die Güterproduktion notwendige Arbeitsvolumen. Zwecks Vereinfachung des Modells wird angenommen, daß die volkseigenen Betriebe für die Güterproduktion nur den Produktionsfaktor Arbeit benötigen. Dabei geht die Planbehörde so vor, daß sie nach dem Bilanzierungsprinzip die in den Güter- und Arbeitskräftefonds vorhandenen Mengen bzw. Kapazitäten den für die Zielerreichung erforderlichen Bedarfsquantitäten gegenüberstellt und aus dem Bilanzsaldo die gegenwärtigen Verfügbarkeiten bzw. Knappheiten der Güter und Arbeitskapazitäten ermittelt und dann den Produktions- und Arbeitskräftebedarf der nächsten Planperiode berechnet. Sodann schreibt die staatliche Planbehörde den volkseigenen Betrieben das jeweils zu erfüllende Plansoll für die Güterproduktion vor. Gleichzeitig werden die Arbeitsnormen für die Produktion festgelegt, womit das Plansoll an Arbeitsleistungen der Werktätigen bestimmt ist. Nach Abschluß der Produktionsplanung erfolgt die Zuteilung von Arbeitskräften an die volkseigenen Betriebe. Diese führen die planmäßig produzierten Güter an den volkswirtschaftlichen Konsum- und Gebrauchsgüterfonds ab. Daraus erhalten dann die Haushalte der Werktätigen gemäß staatlich festgesetzten Bedarfsnormen, die für die arbeitsfähigen Haushaltsmitglieder auf Basis der Arbeitswertlehre nach der Normarbeitszeit bestimmt sind, ihre Zuteilungen an Konsum- und Gebrauchsgütern. Das Modell der totalen Zentralverwaltungswirtschaft ist wie das Modell der reinen Marktwirtschaft wirklichkeitsfremd, wobei jedoch der Grad der Realitätsferne jeweils unterschiedlich ist. Entfernt sich das Modell der reinen Marktwirtschaft eine Reihe von Schritten von der Wirklichkeit marktwirtschaftlich orientierter Systeme, so ist das Modell der totalen Zentralverwaltungswirtschaft meilenweit von der Systemwirklichkeit entfernt. Das Totalmodell der Zentralverwaltungswirtschaft ist vor allem wirklichkeitsfern, weil es wegen des enormen und kaum verminderbaren Wissensmangels und des riesigen Planungsumfangs in einer Volkswirtschaft nicht möglich ist, sämtliche Produktions- und Verteilungsvorgänge zentral und aufeinander abgestimmt zu planen. Weder die Mengenrechnung, welche die Bilanzierungsmethode auf Millionen von Güterpositionen anwenden müßte, noch die Wertrechnung auf der Basis der marxistischen Arbeitswertlehre, die in einer hochtechnisierten und durchrationalisierten Wirtschaft zu suboptimalen ökonomischen Ergebnissen führen würde, sind für eine rationale Wirtschaftsrechnung und funktionsfähige Wirtschaftslenkung geeignet. Zentrale Elemente des Modells der Zentralverwaltungswirtschaft blockieren also die Funktionsfähigkeit eines derartigen Systems, wenn versucht wird, es auf konkrete Volkswirtschaften anzuwenden. Allenfalls eignet sich das Modell einer total zentral gelenkten Wirtschaft für überschaubare und sich selbst versorgende Wirtschaftsgebilde. Nur in kleinen Selbstversorgungswirtschaften, wie es sie z.B. auf mittelalterlichen Burgen und gelegentlich auf einsamen Gutshöfen noch im 19. Jahrhundert gegeben hat, ist es bisher mittels zentraler Planung und Leitung (z.B. eines Burg- oder Gutsherren) gelungen, den gesamten Wirtschaftsprozeß rational durchzuplanen und ökonomisch funktionsfähig zu lenken.

Teil 2 Funktionen, Bestimmungsfaktoren und Strukturen von Wirtschaftssystemen 4. Kapitel Aufgaben und Bestimmungsfaktoren von Wirtschaftssystemen 4.1 Funktionen von Wirtschaftssystemen Gewirtschaftet wird, um Bedürfnisse der verschiedensten Art zu befriedigen, wie z . B . das Bedürfnis nach Nahrung und Kleidung, das Verlangen nach Vermögens- und Wohlstandsmehrung oder die Schaffung der Voraussetzungen für die Befriedigung bestimmter geistiger und kultureller Bedürfnisse. Da einerseits die Bedürfnisse der Menschen meist sehr zahlreich und manchmal sogar unbegrenzt sind, andererseits aber die Mittel für die Befriedigung zahlreicher Bedürfnisse begrenzt sind, setzt eine optimale Bedürfnisbefriedigung in der Regel die vorherige Lösung des Güterknappheitsproblems voraus. Auch die meisten Ziele der außerwirtschaftlichen Lebensgestaltung sind ohne Verfügbarkeit über bestimmte private und/oder öffentliche Güter nicht erreichbar. So bedingt Lesen das Vorhandensein von Büchern, Reisen erfordert die Nutzung eines Verkehrsmittels und eine Theateraufführung bedarf meist einer Ausstattung in Form von Kulissen, Kostümen und Bühnenbeleuchtungen. Zu den Basisfunktionen jedes Wirtschaftssystems gehört es, die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, die Planungsregeln, Steuerungselemente und Koordinierungsmechanismen so zu ordnen bzw. zu gestalten, daß die Güter und Dienste für eine optimale Befriedigung von Bedürfnissen der Menschen bereitgestellt werden. Im einzelnen hat jedes Wirtschaftssystem folgende Aufgaben zu erfüllen: • die Zuordnung der ökonomischen Entscheidungsbefugnisse mit dem Ziel zu regeln, daß die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel den bestgeeigneten Dispositionsträgern, die für eine optimale Allokation der Ressourcen und die bestmögliche Bedarfsdeckung sorgen, übertragen wird; • die sachgerechte und umweltschonende Verwendung der Produktionsmittel zu kontrollieren und die Verfügungsgewalt den Dispositionsberechtigten eventuell zu entziehen, wenn z. B. der Produktionsmitteleinsatz Umweltschäden verursacht. • die Wirtschaftssubjekte zutreffend über Güterknappheiten und andere relevante ökonomische Fakten zu informieren und sie in die Lage zu versetzen, rationelle Wirtschaftspläne zur bestmöglichen Verminderung der Güterknappheiten aufzustellen; • die Wirtschaftssubjekte anzureizen, mit den Produktionsmitteln (einschließlich der Umweltgüter) pfleglich sowie mit den Roh- und Hilfsstoffen im Produktionsprozeß sparsam umzugehen und letztlich qualitativ hochwertige Güter zu erzeugen;

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Teil 2: Funktionen von Wirtschaftssystemen

• die Planungen und Handlungen der Wirtschaftssubjekte im arbeitsteiligen Wirtschaftsgeschehen zu koordinieren und so zu steuern, daß eine bedarfsgerechte Produktion erfolgt; • die zweckgerichteten Planungen und Handlungen der Wirtschaftssubjekte zu kontrollieren sowie Fehlplanungen und Fehlhandlungen zu ahnden, damit künftig sorgfältiger geplant und ökonomisch zweckmäßiger gehandelt wird.

4.2 Grunderfordernisse: Verfügen - Planen - Koordinieren Arbeitsteiliges Wirtschaften in Volkswirtschaften ist ohne Verfügung über Produktionsfaktoren und -mittel, Planung (dezentrale oder zentrale) und Koordinierung der Wirtschaftspläne nicht möglich. Bedarfsgerechtes Produzieren setzt die Verfügung über Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Boden) und Produktionsmittel (Anlagen, Maschinen usw.) voraus, wobei die Art und Weise des Wirtschaftens sowie der Umfang und die Struktur der Bedarfsdeckung wesentlich von der Art des Verfügungssystems über Produktion und Verteilung abhängen. In jeder Wirtschaft wird geplant; denn Wirtschaften bedeutet planvolles Disponieren. Wesentlich für das Wirtschaftsgeschehen in der Volkswirtschaft ist jedoch, wer was wie plant. Je nachdem, ob die einzelnen Wirtschaftssubjekte ihre wirtschaftlichen Aktivitäten selbst planen oder eine staatliche Zentralplanbehörde den volkswirtschaftlichen Prozeß plant, ergeben sich systemspezifische Wirtschaftsabläufe sowie unterschiedliche Erfordernisse und Methoden der Koordinierung. Die Arbeitsteilung wirft für jedes Wirtschaftssystem die Kardinalfrage auf, wie können die Wirtschaftspläne der privaten Haushalte und der Betriebe sowie die Einzelpläne staatlicher und kollektiver Wirtschaftseinheiten so koordiniert werden, daß die ökonomischen Handlungen ineinandergreifen und das Ziel einer optimalen Bedarfsdeckung erreicht wird. Die optimale Allokation der Ressourcen bedingt den Einsatz der knappen Produktionsfaktoren in jenen Verwendungen, in denen sie am dringendsten benötigt werden und in denen sie den höchsten Nutzen stiften. Dafür bedarf es der Entfaltung eines gesamtwirtschaftlichen Koordinierungssystems. Gewichtigste Bestimmungsfaktoren von Wirtschaftssystemen sind also neben den Verfügungssystemen die Planungs- und Koordinierungssysteme, deren überragende Bedeutung sich auch an ihrer Prägekraft für die anderen ökonomischen Subsysteme zeigt. So verbinden sich ein dezentrales Plansystem und ein marktwirtschaftliches Koordinierungssystem regelmäßig mit einem Knappheitsanzeigesystem, das Güterknappheiten durch frei gebildete Marktpreise sichtbar macht. Ferner fungieren in einem solchen Lenkungssystem die legalisierten Gewinninteressen sowie der Wettbewerbsdruck als Mittel des Leistungsansporns. Darüber hinaus werden durch den Leistungswettbewerb effektive Leistungskontrollen ausgeübt und schlechte Leistungen in Form von Verlusten bestraft. Dagegen sind ein zentrales Plansystem und ein administratives Koordinierungssystem mangels Wettbewerbskontrolle ausschließlich auf behördliche Leistungskontrollen und Sanktionen angewiesen. Ein solches zentralgesteuertes System verbindet sich ferner regelmäßig mit einem Knappheitsanzeigesystem, das die Knappheitsgrade der Konsum- und Investitionsgüter durch mengenmäßige Bilanzierung der Güterverfügbarkeiten und des Güterbedarfs zu ermitteln versucht. Bei zentraler imperativer Wirtschaftsplanung ist auch meist das Leistungsanreizsystem vorstrukturiert. Als Leistungsanreizmittel dienen dabei neben immateriellen Anerkennungen von Leistungen in Form von Orden und Ehrentiteln hauptsächlich Prämien, die sachliche und zeitliche Plansollerfüllung und eventuell wünschenswerte Planübererfüllung belohnen.

4. Kap.: Aufgaben und Bestimmungsfaktoren von Wirtschaftssystemen

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4.3 Konstitutive und integrierte Faktoren Wirtschaftssysteme sind komplexe Gebilde, deren funktionale Subsysteme hinsichtlich ihrer systemformenden Prägekraft von unterschiedlichem Gewicht sind. Wären alle Systemkomponenten gleichrangig und für Systemabgrenzungen gleich bedeutsam, so gäbe es bei Kombination unterschiedlicher Formen und Arten von Strukturelementen eine Vielzahl von Wirtschaftssystemtypen. Die Wirtschaftssysteme lassen sich jedoch auf relativ wenige Grundtypen reduzieren, weil es systemkonstitutive (systemformende) und systemintegrierte (systemzugehörige) Faktoren gibt. Während die systemkonstitutiven Faktoren ein Wirtschaftssystem in seinem Kern prägen, sind die systemintegrierten Faktoren quasi aus der Sachlogik heraus - den jeweiligen systemformenden Faktoren verbunden bzw. integriert. Die systemformenden Faktoren programmieren gleichsam die Art bzw. die Ausgestaltung der anderen Systemelemente vor. Konstitutive Faktoren von Wirtschaftssystemen, die den jeweiligen Systemtypus prägen, sind die Arten und Formen der Verfügungssysteme sowie die Arten und Ausprägungen der komplexen Planungs- und Koordinierungssysteme. Dagegen gehören zu den systemintegrierten Faktoren, die ein Lenkungs- und Koordinierungssystem in bestimmter Weise ergänzen, vervollkommnen und funktionsfähig halten, die Informations-, Leistungsanreiz-, Kontroll- und Sanktionssysteme.

4.4 Überblick über die Grundelemente Wirtschaftssysteme weisen entsprechend ihren Funktionen drei Grundsysteme und mehrere Subsysteme auf: a) Verfügungssystem - Übertragungssystem - Verwendungskontrollsystem b) Planungssystem - Informations- und Knappheitsanzeigesystem - Leistungsanreizsystem - Planaufstellungssystem c) -

Koordinierungssystem Planabstimmungssystem Plankontrollsystem Sanktionssystem

Im Planungs- und Koordinierungsprozeß treten die einzelnen ökonomischen Subsysteme in verschiedenen Phasen in Erscheinung und wirken aufeinander ein. Vorplanungs( Initiativ-) Phase:

Planungs- und KoordinierungsPhase:

Kontroll-Phase:

Übertragungssystem

Informations- und Knappheitsanzeigesystem

Planaufstellungssystem

Kontrollsystem

Leistungsanreizsystem

Planabstimmungssystem

• Sanktionssystem

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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5. Kapitel Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen 5.1 Verfügungssystem Jedes Wirtschaftssystem, das auf Minderung der Güterknappheiten und Bedürfnisbefriedigung unter Kostenminimierung ausgerichtet ist, bedarf der Kompetenzregelung hinsichtlich der Verfügungsgewalt über Produktion und Verteilung. Nur wenn Klarheit über die Verfügungs- und Handlungsrechte sowie die Entscheidungsfolgen und Verantwortlichkeiten besteht, können sich zielgerichtete rationale Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte entwickeln. Bleiben dagegen die Entscheidungsrechte unbestimmt oder können die Verfügungsrechte der Wirtschaftssubjekte jederzeit beliebig (z. B. durch hoheitliche Gewalt oder private Macht) beschnitten werden, so kommt kaum ein rationaler, gesamtwirtschaftlicher Prozeß zustande. Beispielsweise wird kein privater Investor auf Dauer bereit sein, Entscheidungen über kostspielige Investitionen und Produktionen zu treffen, wenn er nicht auf stabile Dispositionsrechte über seine Produktion und seine erwirtschafteten Erträge sowie auf die Gültigkeit von vertraglichen Vereinbarungen (z.B. über Bezüge von Investitionsgütern und Lieferungen von Erzeugnissen) vertrauen kann. Allerdings kommt es für die Wirtschaftssubjekte darauf an, daß sie über die Nutzungsrechte nicht nur de lege, sondern auch de facto verfügen. Bestimmend für das Wirtschaftsgeschehen ist also die (faktische) Verfügungsgewalt über Produktion, Verteilung und Konsumtion; denn regelmäßig setzt Produktion die Verfügung über Produktionsmittel und Konsumtion von Erwerbsgütern die Verfügung über Kaufkraft voraus. 5.1.1 Übertragungssystem Rechtliche Grundlage und Legitimationsbasis für die Übertragung der Verfügungsgewalt über das Produktivvermögen ist meist die Eigentumsordnung, deren Charakter sich im Laufe der Wirtschaftsgeschichte verändern kann. So gibt es sowohl Beispiele für die Überführung von Privat- in Gemeineigentum infolge von Enteignungen und Verstaatlichungen als auch Fälle von Umwandlungen von Staatseigentum in Privateigentum mittels Bodenreformen und Reprivatisierungen. Vorherrschende Eigentumsform in Marktwirtschaften ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, das sowohl als individuelles (Einzel-)Eigentum als auch als kollektives (Unternehmens-)Eigentum vorkommt. Privateigentum an einer Sache beinhaltet grundsätzlich das Recht, andere vom Gebrauch des Gegenstandes auszuschließen, über die Sache nach eigenem Gutdünken zu verfügen und eventuelle Nutzungserträge nach Belieben zu verwenden. In der Realität unterliegt jedoch die aus Eigentumsrechten resultierende private Verfügungsgewalt manchen Beschränkungen. So begrenzen oft gewerberechtliche Vorschriften (z.B. zur Vorbeugung von Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz) und Umweltschutznormen (zur Vermeidung von Umweltschäden) den beliebigen Gebrauch bestimmter Produktionsmittel oder die Anwendung bestimmter Herstellungsverfahren. Außerdem mindern Steuern und Sozialabgaben den Umfang der verteilungsfähigen Erträge. Generell enden private Eigentumsrechte des einzelnen dort, wo sie die (Eigentums-)Rechte anderer verletzen. Bei breit gestreutem Produktiveigentum kontrollieren sich zudem die Inhaber der privaten Verfügungsrechte gegenseitig, indem sie sich gegen Einschränkungen ihrer Dispositionsrechte durch andere Wirtschaftssubjekte juristisch oder auf andere Weise wehren. Verfassungsrechtlich garantiertes Privateigentum schützt den einzelnen Staatsbürger auch vor eigentumsaushöhlenden Übergriffen des Staates. Dagegen

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kann zunehmende Managermacht, die sich in bestimmten großbetrieblichen Wirtschaftsbereichen ausbreitet, die Position der Eigentümer schwächen. So können sich beispielsweise in Aktiengesellschaften bei mangelnder Kontrolle des geschäftsführenden Managements durch den Aufsichtsrat und die Kapitaleigner selbst (z.B. durch Kleinaktionäre) eventuell die Eigeninteressen der Manager zu Lasten der Eigentümerinteressen durchsetzen. Als ein Vorteil individuellen Privateigentums gegenüber kollektiv genutzten Eigentums wird manchmal die klare Zuweisung von Verfügungsrechten und von Ansprüchen aus der Eigentumsnutzung sowie die meist damit verbundene Abgrenzung der Verantwortlichkeiten der namhaft gemachten Eigentümer angesehen. In der Tat können sich bei Kollektiveigentum infolge ungeregelter Nutzungsrechte Mißstände einstellen, die letztlich den Nutzen aller schmälern. Dieses wird schon am historischen Beispiel der Allmenden-Nutzung deutlich. Früher führte nämlich die gemeinsame Nutzung der allen Dorfbewohnern gehörenden Viehweiden häufig zur Übernutzung der Weiden und zur Auspowerung des Bodens. Erst die Privatisierung der dörflichen Viehweiden schaffte klare Verantwortlichkeiten und führte zur pfleglichen Behandlung der Viehweiden durch die Privateigentümer. In den sozialistischen Staaten tritt das Eigentum hauptsächlich in zwei Formen auf, nämlich als Staatseigentum (gesamtgesellschaftliches Eigentum, Volkseigentum) und als genossenschaftliches Eigentum (Kollektiveigentum werktätiger Kollektive). Das Volkseigentum, das als höchst entwickelte Stufe des sozialistischen Eigentums angesehen wird, gilt für alle Bodenschätze und Naturreichtümer, Verkehrswege, Bergwerke, Banken und alle Industriebetriebe. Obwohl der eigentliche Eigentümer das Volk ist, übt der Staat die Verfügungsgewalt und die Nutzungsrechte des Eigentümers durch die von ihm eingesetzten Wirtschaftsplanungs- und Verwaltungsorgane aus. Faktisch handelt es sich also um Staatseigentum. Die volkseigenen Betriebe sind an die Plananweisungen der staatlichen Organe gebunden und dürfen das volkseigene Betriebsvermögen nicht schmälern, also auch nicht verkaufen oder verpfänden. Das genossenschaftliche Eigentum, das als niedere Form des sozialistischen Eigentums gilt, erstreckt sich auf kollektive Betriebsformen in der Landwirtschaft und im Handwerk. Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und die Genossenschaften des Handwerks sind in der Regel Zwangsgenossenschaften, die durch staatlichen Druck auf die einstmals freien Bauern und ungebundenen Handwerker zustande gekommen sind. Diese Art Genossenschaften sind keine Staatseinrichtungen, aber auch keine privaten Personenvereinigungen. Sie sind quasi Zwangszusammenschlüsse, die unter weitreichender staatlicher Aufsicht und Weisungsbefugnis stehen und bestimmte Produktionsaufgaben zu erfüllen haben. Die in der Realität vorfindbaren Übertragungssysteme beruhen sowohl auf bestimmten ideologischen Vorstellungen über die beste oder gerechte Verteilung der Dispositionsgewalt über Produktionsmittel als auch auf Erfahrungen mit Übertragungen von Verfügungsrechten an bestimmte Personengruppen oder den Staat. Dementsprechend sind die Begründungen für die Ausgestaltung der Eigentumsordnungen unterschiedlich. So wird in marktwirtschaftlich orientierten Systemen das vorwiegend existierende und rechtlich geschützte Privateigentum an Produktionsmitteln meist damit begründet, daß dieses - vorausgesetzt es ist breit gestreut - machtzerstreuend sowie Wettbewerbs- und innovationsfördernd wirkt. Es wird auf die Erfahrungen hingewiesen, daß die Menschen mit ihren eigenen Produktionsmitteln besonders pfleglich umgehen und deren Einsatz äußerst sorgfältig planen. Indem die Privateigentümer ihre Produktionsmittel in die nachfragemäßig effizientesten und damit gewinnträchtigen Verwendungen lenken, tragen sie auch zur optimalen volkswirtschaftlichen Allokation der Produktionsfaktoren bei. Das Privateigentum am Produktiv- und Sparvermögen kann

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individuelle Handlungsspielräume erweitern, materielle Sicherheit bei Lebensrisiken und Notfällen geben sowie auch Unabhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Kräften gewährleisten. Obwohl für die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft „keine Gleichverteilung von Eigentumsrechten erforderlich ist", können sehr wohl „Konzentrationen des Privateigentums die marktwirtschaftliche Allokation stören, wenn sie zu verfestigter Marktmacht führen". 1 6 Deshalb fordern ordoliberale Nationalökonomen für die Marktwirtschaft nicht Privateigentum in jeder Form, sondern breit gestreutes und wettbewerblich kontrolliertes Privateigentum an Produktionsmitteln. Aus liberaler Sicht werden breit gestreute Eigentums- und Verfügungsrechte in der Hand vieler privater Wirtschaftssubjekte, die für den Abschluß frei ausgehandelter Liefer- und Kaufverträge und somit für die marktwirtschaftliche Koordinierung erforderlich sind, sowohl unter gesamtwirtschaftlichem Aspekt (Wachstums- und Produktivitätssteigerungen) als auch unter ordnungs- und gesellschaftspolitischem Aspekt (Machtbegrenzung, Erhöhung individueller Freiheitsspielräume) als Positivum gewertet. Ganz anders dagegen sehen Marxisten das Privateigentum an Produktionsmitteln, das nach ihrer Ansicht vorwiegend der Ausbeutung der Lohnarbeiter dient und den Kapitalisten einen Mehrwert und arbeitsloses Einkommen verschafft. Sie erwarten von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und damit der Beseitigung des Privateigentums die Aufhebung der angeblichen Ausbeutung und Entfremdung im Lohnarbeitsverhältnis und die Hinwendung zur klassenlosen Gesellschaft, in der jeder die gleichen Rechte genießt. Findet jedoch die Vergesellschaftung lediglich in Form einer Verstaatlichung der Produktionsmittel und eines Austausches der Dispositionsberechtigten (Ersatz privater Unternehmer durch staatliche Wirtschaftsfunktionäre) statt - wie in den meisten sozialistischen Ländern geschehen - , so bleibt die Masse der weisungsgebundenen Werktätigen weiterhin von der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel ausgeschlossen und kann nun durch überzogene Planauflagen und Produktionsnormen von prestigesüchtigen und karrierebesessenen Staatsfunktionären ausgebeutet werden. Zudem kann das alleinige Staatseigentum an den Produktionsmitteln die Entfremdungsprozesse im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß und Gesellschaftsleben noch verstärken; denn nunmehr sind alle dem mit allumfassenden politischen und ökonomischen Zuständigkeiten ausgestatteten Staat, der sowohl als alleiniger Arbeitgeber und somit Monopolist den Arbeitsmarkt beherrscht als auch nahezu alle Lebensbereiche reglementiert, ausgeliefert. Die Eigentumsart läßt nicht immer zutreffende Rückschlüsse auf die tatsächliche Verfügungsgewalt über Produktionsmittel zu. So verbirgt sich häufig hinter der Fassade sozialistischen Volkseigentums, die eine Mitwirkung aller Gesellschaftsmitglieder bei ökonomischen Entscheidungen vorspiegelt, die auf faktischer Dispositionsgewalt beruhende Funktionärsmacht. Dabei basiert die Dispositionsgewalt der Funktionäre in sozialistischen zentralgeleiteten Volkswirtschaften meist nicht auf wahl-demokratischer Legitimation, die eigentlich an die Stelle der fehlenden eigentumsrechtlichen Legitimation treten und die Funktionäre mit Vertretungsbefugnis zur Wahrnehmung der Interessen der Werktätigen ausstatten müßte. Statt dessen erhalten in derartigen Wirtschaftssystemen die Funktionäre ihre Dispositionsrechte von oben, d . h . von der politischen Führung, ohne daß die Werktätigen als Miteigentümer der sozialistischen Produktionsmittel auf Auswahl und Kompetenzausstattung der Wirtschaftsfunktionäre wesentlich Einfluß nehmen können. Der fundamentale Irrtum von Karl Marx bestand darin, daß er die ökonomische und gesellschaftliche Macht ausschließlich im Privateigentum an Produk16

H. Willgerodt, 1980, s. 182.

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tionsmitteln und nicht in der faktischen Verfügungsgewalt, die Privateigentum nicht unbedingt voraussetzt, begründet sah. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß breit gestreutes Privateigentum an Produktionsmitteln durchaus als Mittel der Machtbegrenzung wirkt. Dagegen bietet sozialistisches Gesellschaftseigentum am Produktionsapparat noch keine Gewähr gegen Machtmißbrauch. Ballt sich nämlich die Verfügungsgewalt über den formal allen gehörenden Produktionsapparat in der Hand einer politisch-ökonomischen Funktionärsklasse zusammen, so kann diese Machtanhäufung in unkontrollierten Machtmißbrauch ausarten. Das Übertragungssystem, das primär durch die Art und die Aufteilung der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel charakterisiert ist, prägt meist auch das Verteilungssystem. In der Regel entscheiden nämlich die Inhaber der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel auch mehr oder weniger über die Verteilung des Güter-Outputs oder des erwirtschafteten Ertrags. So wird in zentral geleiteten Wirtschaftssystemen, in denen das Produktions-Soll der Güter ex ante festgelegt wird, das Ausmaß und die Art der Bedürfnisbefriedigung im wesentlichen durch die volkswirtschaftliche Produktionsplanung vorprogrammiert. Ob und inwieweit die Produktionsplanung bedarfsgerecht oder mangelhaft war, zeigt sich dann nach der Plandurchführung am Grad der erreichten Bedarfsdeckung bzw. eventuell an Produktionsengpässen und Warteschlangen. In marktwirtschaftlich orientierten Systemen ist die funktionelle Einkommensverteilung, welche die Entlohnung der Produktionsfaktoren in Form der Lohnquote (Einkommensanteil aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen) und der Profitquote (Anteile der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen) widerspiegelt, das ex post statistisch erfaßbare Gesamtergebnis der Entscheidungen vieler autonomer Wirtschaftssubjekte. Die personelle Verteilung, welche ein Bild der Einkommensverteilung der Haushaltungen und sozialen Gruppen vermittelt, wird in Marktwirtschaften überwiegend durch den entlohnungsfähigen Arbeitsbeitrag und die Gewinn erwirtschaftende Unternehmertätigkeit und zusätzlich durch Transfereinkommen aus der staatlichen Umverteilungspolitik bestimmt. Bei der Verteilung des betrieblichen Nettoergebnisses (Gewinn nach Abzug von Steuern und Abgaben) auf die verschiedenen Verwendungsarten (z.B. Rücklagen, Investitionen, Gewinnausschüttung, Lohnaufbesserungen) kommt den Unternehmensleitungen die entscheidende Rolle zu. Dagegen haben in der Verteilungspolitik die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als Lohntarifvertragsparteien und in der Umverteilungspolitik der Staat die zentrale Stellung inne. Die Sozialpartner und der Staat treffen Verteilungsentscheidungen nicht aufgrund eigener Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und deren Nutzungen, sondern auf tarifvertraglicher oder hoheitlicher und fiskalischer Verfügungsbasis. Die staatliche Umverteilungspolitik strebt hauptsächlich unter sozialen Gesichtspunkten eine stärkere Gleichmäßigkeit der personellen Nettoeinkommen bzw. der Güterverfügbarkeiten an, als sie sich bei der unbeeinflußten (primären) Verteilung der Bruttoeinkommen ergeben würde. Die Bedeutung der staatlichen Umverteilungspolitik zeigt sich an der Maßzahl des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, bei der die Ausgaben des staatlichen Sektors (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) zum nominalen Bruttosozialprodukt in Relation gesetzt werden. In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Staatsanteil, der größtenteils durch Steuern und Sozialabgaben finanziert wird, von 1970 bis 1980 von rund 38 auf rund 48 Prozent und nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 von rund 46 Prozent infolge der Transfers für Ostdeutschland auf über 50 Prozent. Wenn also durch die öffentlichen und sozialen Haushalte über die Hälfte des Volkseinkommens fließt und nach Abzug der Mittel für den Staatsverbrauch und die öffentlichen Investitionen größtenteils in Form von Transfereinkommen umverteilt wird, so ist die Verfügungsgewalt der Wirtschaftssubjekte über die Verteilung ihrer erwirtschafteten Bruttoergebnisse beträchtlich eingeschränkt.

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Auch die Theorie der property rights, die insbesondere von anglo-amerikanischen Wissenschaftlern (Alchian, Demsetz, Furubotn, Pejovich) entwickelt worden ist, verdeutlicht den Aspekt der Verdünnung (attenuation) von Eigentumsund Verfügungsrechten. Vor allem steigende Transaktionskosten sowie Beschränkungen der Ressourcen-Nutzung führen zur Verminderung der Spielräume, in denen sich die Verfügungs- und Handlungsrechte der Entscheidungsträger entfalten können. Transaktionskosten umfassen alle jene sachlichen und zeitlichen Aufwendungen, die zur Herstellung, Durchsetzung und Sicherung von property rights entstehen. Hierzu gehören beispielsweise alle Kosten, die bei der Erfüllung von Verträgen, der Kontrolle von Geschäfts- und Betriebsführungen, den Einigungsbemühungen bei genossenschaftlicher Wirtschaftsführung und der staatlichen Wirtschaftslenkung anfallen. Transaktionskosten entstehen also nicht nur im alltäglichen Geschäftsverkehr, sondern auch im volkswirtschaftlichen Steuerungs- und Koordinierungsprozeß.

5.1.2 Verwendungskontrollsystem Während das Übertragungssystem festlegt, wer die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel aufgrund welcher Legitimation in welchen Verwendungsgrenzen oder Verwendungsarten ausüben darf, ist das Verwendungskontrollsystem auf die Überwachung der Einhaltung der Übertragungsbedingungen gerichtet. In marktwirtschaftlich orientierten Systemen wird kontrolliert, ob sich die Verfügungsberechtigten bei dem Einsatz der Produktionsmittel an die rechtlichen Bedingungen, z.B. des Gewerberechts und der Umweltschutznormen, gehalten haben. Neben derartigen Verwendungskontrollen über die Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen bedarf es in Marktwirtschaften keiner weiteren administrativen Kontrollen über den Einsatz der Produktionsmittel, da diese unter privatwirtschaftlichen Produktionsbedingungen regelmäßig mit dem Ziel der Gewinnmaximierung ökonomisch sachgerecht eingesetzt werden. In zentralgesteuerten Planwirtschaften wird dagegen regelmäßig - insbesondere im Falle von Planrückständen - administrativ nachgeprüft, ob und gegebenenfalls in welchem Maße volkseigene Produktionsmittel außerplanmäßig und damit zweckentfremdet eingesetzt oder möglicherweise zu privaten Zwecken mißbraucht wurden. Werden mittels des Verwendungskontrollsystems Gesetzesverletzungen, mißbräuchliche Verwendungen oder Umweltschädigungen beim Einsatz der Produktionsmittel festgestellt, so können je nach Schwere des Falles Sanktionen bis hin zum Einsatzverbot oder zum Entzug der Produktionsmittel verhängt werden.

5.2 Planungssystem Kernstück jedes Wirtschaftssystems ist das Planungssystem, das auch die jeweilige Art des Koordinierungssystems bestimmt. In der Regel werden erst dann Planungsanstrengungen unternommen, wenn das Phänomen der Güterknappheit in Erscheinung tritt oder zu treten droht. Wenn Güterknappheiten bestmöglich gemindert werden sollen, bedarf es zunächst Informationen über den Knappheitsgrad und den Gütermangel an bestimmten Orten. Ohne Leistungsanreize unterbleibt in der Regel die freiwillige Produktion für andere. Haben sich die autonomen Wirtschaftssubjekte oder die staatlichen Planstellen aufgrund ausreichender Informationen über die vorhandenen Güterknappheiten und in Erwartung der Wirkungen bestimmter Leistungsanreize zur Produktion bestimmter Sachgüter und Dienste entschlossen, so müssen rationale Wirtschaftspläne aufgestellt werden.

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5.2.1 Informations- und Knappheitsanzeigesystem Planen setzt regelmäßig Informationen über planrelevante Fakten und Zusammenhänge voraus. Die Informationsbeschaffung für die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und ökonomisches Handeln verursacht in der Regel Informationsund Transaktionskosten. In marktwirtschaftlich orientierten Systemen fallen bei den Unternehmen beispielsweise Kosten für Marktanalysen an, gleich, ob diese durch Auftragsvergabe an spezielle Marktforschungsinstitute oder von der unternehmenseigenen Marketing-Abteilung erstellt werden. In zentralgesteuerten Planwirtschaften benötigt die Planungszentrale eine Fülle von Informationen aus allen Bereichen der Wirtschaft, um einen in sich widerspruchsfreien Volkswirtschaftsplan aufstellen zu können. Transaktionskosten der Wirtschaftssteuerung schlagen sich in kapitalisiertem Zeitaufwand und Ressourcenverbrauch für bestimmte Zwecke, wie z.B. Informationsbeschaffung und Kontrollen, nieder. Je nach verschiedener Ausgestaltung der Verfügungs- und Planungssysteme lassen sich transaktionskostenintensive und transaktionskostengeringe Wirtschaftssteuerungssysteme unterscheiden. In der Regel sind die Transaktionskosten der Wirtschaftssteuerung in einer zentralgeleiteten Volkswirtschaft höher als in einem marktwirtschaftlich orientierten System. Dieses resultiert vor allem daraus, daß bei wettbewerblich gesteuerten Marktprozessen viele Informationen für die ökonomische Entscheidungsfindung nahezu kostenlos zu haben sind. So können Produzenten, Investoren und Nachfrager die ökonomischen Knappheitsverhältnisse der Güter und Dienstleistungen an den Marktpreisen ablesen und Veränderungen der Knappheitsrelationen relativ schnell an den Preissignalen der Märkte erkennen. Dagegen bedarf eine zentrale Wirtschaftsplanung, die sich zur Knappheitsermittlung hauptsächlich der Methode der mengenmäßigen Bilanzierung bedienen muß, eine Fülle von Informationen, die meist nur im zeitraubenden bürokratischen Verfahren unter großem administrativen Aufwand beschafft werden können. Desgleichen entstehen bei zentraler Wirtschaftslenkung regelmäßig hohe Kosten für administrative Kontrollen der Plandurchführung auf allen Planungsstufen. In Marktwirtschaften dagegen kostet die alltägliche Kontrolle von Planentscheidungen der Wirtschaftssubjekte durch den Wettbewerb fast nichts, und die öffentlichen Aufwendungen für den institutionellen Schutz des Wettbewerbs (z.B. für das Bundeskartellamt) sind relativ gering. Wirtschaften setzt Kenntnis der Güterknappheiten voraus. Im Gegensatz zu freien Gütern, die in beliebiger Menge und brauchbarer Qualität verfügbar sind und kostenlos von jedem genutzt werden können, sind knappe Güter nur quantitativ und/oder qualitativ begrenzt vorhanden sowie unter Arbeits- und Sachaufwand für die Bedürfnisbefriedigung vermehrbar. Güterknappheiten lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen entweder an den Mengensalden in Produktbilanzen oder an Marktpreisen der Güter erkennen. In zentralgeleiteten Planwirtschaften mit staatlicher Preisfestsetzung wird versucht, gesamtwirtschaftliche und sektorale Güterknappheiten mit Hilfe der Bilanzierungsmethode in Planbilanzen sichtbar zu machen. Dieses kann geschehen, indem für alle einzelnen Güter die innerhalb der Planperiode verfügbaren Mengen den jeweils voraussichtlichen Bedarfsmengen gegenübergestellt werden. Aus dem Mengensaldo der Produktbilanz läßt sich dann die jeweilige Güterverfügbarkeit bzw. Güterknappheit des betreffenden Gutes ablesen. Die voraussichtliche Bedarfsmenge ergibt sich aus der Addition der Mengen für inländische Verwendungen, der geplanten Ausfuhr und dem notwendigen Soll-Bestand am Ende der Planperiode. Die Einplanung eines gewissen SollBestandes für das Ende der Planperiode, der meist der Lagerauffüllung dient und bei Planerfüllung als Ist-Bestand in der nächsten Planperiode erscheint, ist in der Regel für eine fortlaufend reibungslose Güterversorgung notwendig. Wird der Bedarfsmenge das verfügbare Güteraufkommen (Summe aus Ist-Bestand, In-

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landsproduktion und Einfuhr) gegenübergestellt, so ergibt sich aus dem Saldo der Knappheitsgrad des betreffenden Gutes. Grundschema einer Planbilanz für das Gut X Art des A u f k o m m e n s - Ist-Bestand zu Beginn der Planperiode

Menge

25

- Aufkommen aus inländischer Produktion - Einfuhr

380 45

- Saldo ( = Knappheitsgrad)

120

Art des Bedarfs - Verwendungen für Produktion für Produktion für Produktion für Konsum A für Konsum B für Konsum C

im Inland A B C

- Ausfuhr - Soll-Bestand am Ende der Planperiode Bilanzsumme

570

Menge

100 50 40 120 80 60 90 30 570

Bedenkt man, daß in einer vollentwickelten Volkswirtschaft mehrere Millionen verschiedene Güter existieren und die meisten Produkte zu mehreren Zwekken verwandt werden können, so wird das enorme Ausmaß an Planungsarbeit für die Aufstellung derart zahlreicher und verzahnter Produktbilanzen in einer total durchgeplanten Wirtschaft deutlich. Zudem sind solche Planbilanzen im volkswirtschaftlichen Maßstab mit mancherlei Unsicherheiten behaftet, weil sich das verfügbare Güteraufkommen oft nur ungenau ermitteln und der künftige Bedarf meist nur grob vorausschätzen läßt. Eine zentrale Planstelle kann beispielsweise weder Mißernten noch alle möglichen Produktionsengpässe sowie Beschaffungsund Lieferschwierigkeiten voraussehen. Allein mit Hilfe der rohen mengenmäßigen Bilanzierungsmethode lassen sich Güterknappheiten in einer komplexen arbeitsteiligen Volkswirtschaft mit ihren unzähligen ökonomischen Interdependenzen nur außerordentlich unvollkommen feststellen. Zudem bietet dieses Verfahren auch keinerlei Anhaltspunkte für rationale Entscheidungen hinsichtlich der Güterverwendung. Eine zentrale Planbehörde kann kaum erkennen, in welchen der unzähligen volkswirtschaftlichen Verwendungen z.B. 100 Tonnen zu verplanenden Rohöls oder Stahls den größten volkswirtschaftlichen Nutzen stiften. Als Orientierungshilfe für die optimale Allokation der knappen Ressourcen sind Marktpreise, die unter Wettbewerbsbedingungen die relativen Güterknappheiten ziemlich genau anzeigen und Anhaltspunkte für die Dringlichkeit des Gütereinsatzes liefern, nahezu unentbehrlich. Dieses wird auch daran deutlich, daß sich sozialistische Staaten bei ihrer Preisfestsetzung - insbesondere für Rohstoffe - häufig an die Weltmarktpreise anlehnen. Nach rein politischen Gesichtspunkten festgesetzte Industrie-, Handels- und Verbraucherpreise führen meist zu einer verzerrten Preisstruktur, welche die tatsächlichen und relativen Güterknappheiten kaum noch widerspiegelt. Werden z.B. vom Staat bestimmte Preise aus politischen Gründen bewußt niedrig - eventuell unter Selbstkostenniveau - festgesetzt, so sind allokative Fehllenkungen der Produktionsfaktoren quasi vorprogrammiert. Letztlich werden dann etwaige Knappheiten an Konsumgütern an der Länge der Warteschlangen vor den Einzelhandelsgeschäften offenkundig. Marktpreise spiegeln bei normalem Angebots- und Nachfrageverhalten sowie funktionsfähigem Wettbewerb und Marktmechanismus die relativen Güterknappheiten unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der effektiven Nachfrage wider. Da bei freier Marktpreisbildung die Güterpreise nicht nur vom Arbeitsund Sachaufwand, sondern auch von den subjektiven Wertschätzungen und der verfügbaren Kaufkraft der Wirtschaftssubjekte und damit letztlich von den Re-

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lationen zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt werden, lassen sich aus Marktpreisen nicht die absoluten Knappheiten im Sinne unbedingter bzw. tatsächlicher Verfügbarkeit des betreffenden Gutes ablesen. Sinkt beispielsweise der Marktpreis für Heizöl infolge Nachfragerückgangs, so kann nicht ohne weiteres auf eine Vermehrung der effektiv vorhandenen Heizölmenge, sondern allenfalls auf ein Überangebot am Markt geschlossen werden. Beschließt ein Kollektivmonopol oder Kartell von Erdölproduzenten Preiserhöhungen und Lieferbeschränkungen, so sind damit die vorhandenen Erdölvorräte der Welt nicht unbedingt kleiner geworden. Knappheit im Sinne der statischen Marktökonomie besteht, wenn bei gegebenem Preis die Nachfrage das Angebot am Markt übersteigt. Da Nachfrageüberhänge regelmäßig Preissteigerungen auslösen, werden bei vermehrbaren Gütern meist die Produktionskapazitäten erweitert und das Angebot erhöht, wodurch tendenziell die Marktpreise wieder sinken. Im Falle nichtvermehrbarer Güter erfolgt der Abbau eines Nachfrageüberhanges aber nicht durch Angebots- sondern durch Preissteigerung, die das Marktgleichgewicht in der Regel durch Reduzierung der Nachfrage erzwingt. Ein extrem hoher Preis wird letztlich jeden Nachfrageüberhang beseitigen. Knappheit im Sinne statischer Marktökonomie kann also nur zeitlich begrenzt bzw. friktionell bestehen und verschwindet mit Beendigung der Anpassungsprozesse auf der Angebots- und/oder Nachfrageseite in jedem Falle. Erwünscht ist jedoch nicht der funktionelle Abbau von Knappheit im Sinne der statischen Marktökonomie, wenn dieser nur zu einem Marktgleichgewicht bei Unterversorgung führt. Anzustreben ist vielmehr eine Knappheitsminderung zur Erreichung eines möglichst hohen Versorgungsgrades. Deshalb ist es Aufgabe eines marktwirtschaftlich orientierten Systems, die Bedingungen für einen möglichst hohen Versorgungsgrad bei Preisen, die sowohl die Anbieter zur Leistung anreizen als auch die Nachfrager zum Kauf befähigen, herzustellen und zu sichern. In jedem Wirtschaftssystem ist das Problem der Knappheitsanzeige nicht nur bei privaten, sondern auch bei öffentlichen Gütern zu lösen. Ein öffentliches Gut ist dadurch charakterisiert, daß • niemand von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden kann (Prinzip der Nichtausschließbarkeit) • und mehrere Nutzer das Gut - ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen nutzen bzw. konsumieren können (Prinzip der Nichtrivalität). Während bei privaten Gütern (z.B. Lebensmitteln) der Verkäufer zahlungsunfähige oder zahlungsunwillige Kunden vom Erwerb des Gutes ausschließen kann, steht das öffentliche Gut (z.B. äußere Sicherheit) allen zur Verfügung. Wenn jeder das öffentliche Gut nutzen kann, ohne einen anderen in der Nutzung zu beeinträchtigen, dann kann sich die Zahl der Nutzer beliebig erhöhen, ohne daß die Nutzung durch zusätzliche Personen Grenzkosten verursacht. Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit Nichtrivalität bei der Nutzung des Gutes gegeben ist, hängt natürlich von der Kapazität des Gutes ab. Eine öffentliche Straße kann von einer gewissen Menge Verkehrsteilnehmer zur gleichen Zeit ohne gegenseitige Beeinträchtigung genutzt werden. Schwillt jedoch das Verkehrsvolumen beträchtlich an, so können sich die Verkehrsteilnehmer gegenseitig behindern. Ein öffentliches Gut kann aus der technischen Unteilbarkeit einer Anlage - wie z . B . bei einer Turmuhr - resultieren, indem niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann. Unternehmen, die private Güter anbieten, werden bei ihrer Preiskalkulation regelmäßig die Elastizität der Nachfrage berücksichtigen, so daß an der Preishöhe in etwa die Dringlichkeit der Nachfrage und die Präferenzen der Nachfrager sichtbar werden. Anders liegen die Dinge bei öffentlichen Gütern (wie z.B. bei öffentlichen Straßen), bei denen das Ausschlußprinzip nicht gilt. Hier versagt der marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismus schon allein deshalb, weil bei Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips die Individuen ihre tatsächlichen

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Präferenzen nicht über einen Preis offenbaren werden. Warum sollen sich die Nutznießer solcher öffentlicher Güter freiwillig an den Kosten beteiligen, wenn sie eine free-rider-Position einnehmen und als Trittbrettfahrer gratis in den Genuß der Leistung kommen können? Öffentliche Güter werden deshalb unter marktwirtschaftlichen Bedingungen von privaten Wirtschaftssubjekten nicht produziert und nicht angeboten, weil sie wegen mangelnder Ausschlußmöglichkeit von Nichtzahlern kaum kostendeckend und ohne Aussicht auf Gewinnerzielung bleiben würden. Da es für öffentliche Güter keine Märkte gibt, existieren somit auch keine Marktpreise als Knappheitsanzeiger. Deshalb müssen die Arten und Mengen der zur Bedarfsdeckung erforderlichen öffentlichen Güter anderweitig - in der Regel mittels politisch-administrativer Entscheidungsfindung - ermittelt werden. Neben den privaten und öffentlichen Gütern gibt es noch Mischformen in Form von meritorischen Gütern, die unter ausschließlich privatwirtschaftlichen Bedingungen - trotz Bedarfs - zu wenig nachgefragt und produziert würden. So würde beispielsweise die Gestaltung des gesamten Erziehungs-, Gesundheits-, und Verkehrswesens nach rein privatwirtschaftlichen Rentabilitäts- und Erwerbsprinzipien zu Verzichten und Nachfrageausfällen nach schulischen, ärztlichen und verkehrsinfrastrukturellen Leistungen führen. Viele Bürger mit relativ geringem Einkommen würden voraussichtlich ihre Kinder nicht in kostenpflichtige Schulen schicken, eventuell nicht an kostenträchtigen Impfaktionen teilnehmen und keine gebührenpflichtigen Straßen benutzen. Da eine breitgestreute bzw. allgemeine Versorgung mit bestimmten Leistungen des Bildungswesens, der Gesundheitsvorsorge sowie der Infrastruktureinrichtungen meist gesellschaftspolitisch als erwünscht oder unerläßlich angesehen wird, sorgt in der Regel die öffentliche Hand mittels eigener Produktion oder durch Übernahme von Kosten für eine Bereitstellung dieser Güter über die privatwirtschaftliche Marktversorgung hinaus. Gleichzeitig beeinflußt der Staat die Konsum- bzw. Nachfragepräferenzen insbesondere minderbemittelter Schichten, indem er diese auf einen vermehrten Verbrauch meritorischer Güter hinlenkt. Die Planung und Bereitstellung meritorischer Güter erfolgt in der Regel - wie bei öffentlichen Gütern - in einem politisch-administrativen Planungs- und Entscheidungsprozeß. In demokratischen Gemeinwesen erfordern die Entscheidungen über Bereitstellung und Rangfolge öffentlicher und meritorischer Güter prinzipiell die Zustimmung der Mehrzahl der stimmberechtigten Bürger, was sich in parlamentarischen Demokratien dann auf Mehrheitsbeschlüsse in den parlamentarischen Gremien reduziert. Ob und inwieweit sich in den Mehrheitsbeschlüssen parlamentarischer Gremien tatsächlich die Präferenzen der Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln, hängt wesentlich von der Zusammensetzung der Parlamente sowie der effektiven Ausschaltung von Eigeninteressen der Parlamentarier und von Beeinflussungen mächtiger Interessengruppen im vorparlamentarischen Raum ab. Aber selbst bei basisdemokratischer Erkundung der Präferenzen der Bürger ist die Aufstellung von widerspruchsfreien Präferenzskalen mit eindeutiger Rangfolge der bereitzustellenden öffentlichen und infrastrukturellen Güter schwierig. Während bei Gültigkeit des Mehrheitsprinzips die Abstimmung über nur zwei Möglichkeiten zu einer klaren Entscheidung für eine Alternative oder zu einem Unentschieden führt, ergeben sich bei Abstimmungen über mehr als zwei Möglichkeiten überhaupt keine eindeutigen Lösungen. Das Arrow-Paradoxon zeigt die Unmöglichkeit, verschiedene individuelle Präferenzen zu einem widerspruchsfreien gesellschaftlichen Präferenzsystem (soziale Wohlfahrtsfunktion) zusammenzufassen. 1 7 Das folgende Beispiel verdeutlicht dieses, indem angenommen wird, daß die Individuen A, B und C ihre Präferenzen hinsichtlich von drei Infrastrukturinve-

17

Vgl. K.J. Arrow, 1951.

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Teil 2: Funktionen von Wirtschaftssystemen

stitionen (Bau einer Schule, eines Krankenhauses und einer Straße) in folgender Rangskala ausdrücken: Individuelle Rangskalen Rangskala

Individuum A

Individuum B

Individuum C

1. Stelle 2. Stelle 3. Stelle

Schule Krankenhaus Straße

Krankenhaus Straße Schule

Straße Schule Krankenhaus

Das politische Entscheidungsgremium, das aus diesen drei individuellen Rangskalen nach dem Mehrheitsprinzip zu einer kollektiven Präferenzordnung zu gelangen versucht, wird scheitern. Bei einer Ermittlung der Präferenzen zunächst gegenüber dem Schul- und Krankenhausbau ergibt sich ein Mehrheitswille (bei A und C) für den Schulbau. Bei der folgenden Präferenzermittlung gegenüber dem Schul- und Straßenbau spricht der Mehrheitswille (B und C) für den Straßenbau. Bei dieser Mehrheitspräferenz müßte der Straßenbau dringlicher als der Krankenhausbau angesehen werden, um zu einer widerspruchsfreien kollektiven Präferenzordnung zu kommen. Tatsächlich wird jedoch der Krankenhausbau mehrheitlich (von A und B) höher eingestuft als der Straßenbau. Deshalb ist bei der angenommenen Präferenzstruktur der drei Individuen die Aufstellung einer widerspruchsfreien gesellschaftlichen Präferenzordnung nicht möglich. 5.2.2 Leistungsanreizsystem Solange Knappheit an lebenswichtigen und lebensverbessernden Gütern und Diensten herrscht, erfordert die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Güterversorgung ständig wirtschaftliche Leistungen bzw. Mehrleistungen, die nur bei angemessener Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Wirtschaftssubjekte erbracht werden. Ökonomische Leistungen sind personen-, gruppen- oder betriebsbezogene Ergebnisse dispositiver und ausführender Tätigkeiten, welche zielgerichtet die naturgegebenen Güterknappheiten vermindern. Zufallsbedingte Ergebnisse, die keinem Wirtschaftssubjekt zugerechnet werden können oder durch außerwirtschaftliche Einflüsse zustande gekommene Erträge gehören nicht zu den ökonomischen Leistungen. Mehrleistungen sind quantitativ dadurch bestimmt, daß ein gleicher bzw. höherer Output an Erzeugnissen bei vermindertem bzw. gleichem Input an Roh- und Hilfsstoffen oder in kürzerer bzw. gleicher Arbeitszeit erbracht wird. Die Leistungsfähigkeit von Menschen hängt im wesentlichen von drei Komponenten ab: • den angeborenen geistigen, musischen und manuellen Anlagen und Begabungen, • den ausgebildeten und entwickelten Fähigkeiten, • dem Umfeld der Leistungserstellung bzw. den Arbeitsbedingungen. Die Leistungsbereitschaft von Individuen, d . h . der Wille zur Leistung, hängt im wesentlichen von folgenden Komponenten ab: • der persönlichen Leistungsmotivation, • der materiellen Gegenleistung für Leistung, • der ideellen Anerkennung von persönlichem Einsatz, • der gesellschaftlichen Einschätzung des Leistungsprinzips, • einer leistungsfördernden oder -hemmenden Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, • einem leistungsfördernden oder -hemmenden Ordnungsrahmen des Wirtschaftssystems.

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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Die Leistungsmotivation umfaßt die wirksamen Ansporne, die das individuelle Streben nach Leistung aktivieren und regulieren. Schaffensfreude und Leistungsdrang können Menschen motivieren, Bestleistungen zu erbringen. Erfahrungsgemäß besitzen dynamische und kreative Persönlichkeiten einen stärkeren Leistungsdrang als von Natur aus träge und unschöpferische Personen . Während erstere aus eigenem Antrieb oft Höchstleistungen anstreben, reagieren die letzteren meist nur auf Leistungsdruck und erbringen allenfalls Durchschnittsleistungen. Persönlichkeiten mit großem Fähigkeitspotential sind in der Regel stärker leistungsorientiert als Unbegabte und Ungeübte, denen jede Art Leistung schwerfällt. Die Leistungsbereitschaft der meisten Menschen wird primär von ihren eigenen Interessen und deren Befriedigung bestimmt. In der Regel leisten die Menschen nur dann etwas für andere, wenn sie damit ihren eigenen Zielen - beispielsweise hinsichtlich eines höheren Lebensstandards, einer verbesserten Berufsposition oder einem höheren Sozialprestige - dadurch näherkommen. Selbstlose Verhaltensweisen, die zur Leistung ohne Gegenleistung führen, sind dem Wirtschaftsleben fremd. Die Leistungsbereitschaft wird also wesentlich von der jeweiligen materiellen Gegenleistung (z.B. der Lohnhöhe oder den Gewinnaussichten) oder der ideellen Anerkennung von persönlichem Einsatz (z. B. Sozialprestige) bestimmt. Bedeutungsvoll für das jeweilige Leistungsklima ist auch die gesellschaftliche Einstellung zum Leistungsprinzip. Gilt Leistung als gesellschaftlicher Grundwert von hohem sozialen Rang - etwa, weil wirtschaftliche Leistungen die Voraussetzungen für die Beseitigung von Elend und Mangel sind - , so wird in der Regel die Leistungsbereitschaft breiter Schichten gestärkt. Wird dagegen das Streben nach Leistung bzw. Mehrleistung als unsolidarisch empfunden und das Leistungsprinzip generell als inhuman angesehen - etwa, weil Leistungswettbewerb zu ungleicher Entlohnung führt und in Leistungsstreß ausarten kann - , so wird dieses sicherlich die Leistungsbereitschaft langfristig erheblich schwächen. Die Wirtschaftspolitik kann beispielsweise durch konsequente Wettbewerbspolitik die Leistungsbereitschaft der Unternehmen, die sich im Wettbewerb auf den Märkten behaupten wollen, fördern. Sie kann aber auch durch strukturpolitische Erhaltungssubventionen den Leistungswillen der subventionierten Unternehmungen dämpfen. Eine Finanzpolitik, die mittels einer überzogenen Steuerprogression die Gewinne und Einkommen weitgehend wegsteuert, kann ebenso hemmend auf die Leistungsbereitschaft wirken wie eine Sozialpolitik, die beispielsweise das Arbeitslosengeld in etwa gleicher Höhe wie das tatsächliche Arbeitsentgelt bemißt und die Arbeitslosenunterstützung ohne Überprüfungen der Arbeitswilligkeit unbefristet fortzahlt. Schon früh ist erkannt worden, daß der Ordnungsrahmen des Wirtschaftssystems die Leistungsbereitschaft positiv oder negativ beeinflussen kann. Allerdings gehen die Meinungen darüber, welcher Ordnungsrahmen optimal auf die Leistungsbereitschaft der Menschen wirkt, je nach anthropologischem Entwurf bzw. unterschiedlichem Menschenbild weit auseinander. Der Prägevater des klassischen Liberalismus, Adam Smith, sieht die Haupttriebfeder für die Leistungsbereitschaft im Streben des einzelnen nach Verbesserung seiner ökonomischen Lage und Befriedigung seiner Eigeninteressen. Nach seiner Auffassung fördert der einzelne - obwohl er primär nur seine eigenen Interessen im Auge hat und nach eigenem Gewinn und Nutzen strebt - durch seine nach höchstem Ertrag strebende rationale Wirtschaftstätigkeit ungewollt und unbemerkt - quasi „von einer unsichtbaren Hand geleitet" 18 - gleichzeitig das Wohl der Allgemeinheit.

18

A . Smith, 1974, S.371.

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Teil 2: Funktionen von Wirtschaftssystemen

Voraussetzung für eine optimale Güterversorgung und leistungsgerechte Entlohnung ist nach liberalem Verständnis also ein ordnungspolitischer Rahmen, der vorwiegend auf der Basis von Privateigentum die Privatinitiative der Wirtschaftssubjekte fördert. Im scharfen Kontrast dazu steht die Auffassung von Karl Marx, der gerade alle Übel des kapitalistischen Systems dem Privateigentum an Produktionsmitteln anlastet. Nach marxistischer Auffassung dient das Privateigentum an Produktionsmitteln lediglich der Ausbeutung der arbeitenden Massen und nicht der Entfaltung des proletarischen Fähigkeitspotentials. Erst nach Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum und dem Aufbau einer kommunistischen Gesellschaftsordnung kann sich angeblich der Mensch voll entfalten. Die grundlegende Änderung des Gesellschaftssystems schafft nach marxistischer Lehre auch einen neuen Menschentyp, der weitgehend frei von rein individuellen Eigeninteressen ist und seine allseitig entwickelten Fähigkeiten freudig in den Dienst der Gesellschaft stellt. Karl Marx sieht das kommunistische Traumziel „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" erfüllbar, „nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen" 19 . Marxisten erwarten also von der Umwandlung kapitalistischer in sozialistische bzw. kommunistische Produktionsverhältnisse, daß die Arbeitsfreude der Massen einen vorher nie gekannten Auftrieb erhält und die Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis jedes Gesellschaftsmitglieds wird. Deshalb bedarf es in kommunistischen Gesellschaften eigentlich keines besonderen materiellen Anreizes mehr, um die Menschen zu Höchstleistungen für die Gesellschaft anzuspornen. In der Realität sozialistischer Volkswirtschaften erwiesen sich bisher diese hochgespannten Erwartungen jedoch als fundamentaler Irrtum, der vor allem an den relativ niedrigen Arbeitsproduktivitäten auf fast allen Wirtschaftssektoren dieser Volkswirtschaften offenkundig geworden ist. Alle Wirtschaftssysteme der Gegenwart operieren mit einem Leistungsanreizsystem, dessen Struktur nach Umfang und Art der Leistungsanreize allerdings unterschiedlich ist. Das realistischere Menschenbild von Adam Smith, das mit den Eigeninteressen der Menschen rechnet, hat über den utopischen Altruismus, den auch die sozialistischen Gesellschaftssysteme den Menschen nicht einimpfen konnten, obsiegt. In marktwirtschaftlich orientierten Systemen dienen die legalisierten Gewinninteressen als wirkungsvoller Anreiz zur quantitativen und qualitativen Leistungssteigerung. In der betrieblichen Lohnpolitik spielt der Akkordlohn, der die Lohnhöhe an das mengenmäßige Arbeitsergebnis koppelt, im Produktionsbereich immer noch eine bedeutende Rolle als Mittel der Leistungssteigerung. Auch in sozialistischen Volkswirtschaften ist erkannt worden, daß die Leistungsbereitschaft wesentlich von der materiellen Interessiertheit der Werktätigen abhängt und sich der Leistungswille der Werktätigen nicht allein mit moralischen Appellen an das sozialistische Gewissen, Orden und Ehrentiteln (wie z.B. Verdienter Arbeiter, Bestarbeiter, Held der Arbeit) stimulieren läßt. So wurde versucht, mittels Prämien und anderen finanziellen Leistungsanreizen die Erfüllung und Übererfüllung der geplanten Leistungsnormen zu erreichen. Selbst private Nutzungsrechte an dem in Gemeineigentum stehenden Grund und Boden sind bestimmten Wirtschaftssubjekten eingeräumt worden, obwohl die private Verfügungsgewalt über Produktionsfaktoren im Sozialismus prinzipiell verpönt ist. So konnten beispielsweise in der ehemaligen Sowjetunion die in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften organisierten Kolchosbauern 19

K. Marx, 1969a, S.21.

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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ein kleines Stück Land selbst nutzen und die dort erzeugten landwirtschaftlichen Erzeugnisse frei auf lokalen Märkten verkaufen. Diese ideologische Konzession an die Privatinitiative, die zur pfleglichen Bewirtschaftung und intensiven Bodennutzung dieser kleinen eigengenutzten Parzellen führte, diente als Leistungsanreiz zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und letztlich der Leistungsverbesserung der Konsumgüterversorgung. Bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern kommen andere Mittel des Leistungsanreizes zur Anwendung. So werden in parlamentarischen Demokratien mit Mehrparteiensystem und periodisch freien Wahlen die Politiker bei ihren Entscheidungen über die Bereitstellung öffentlicher Güter veranlaßt, die erkennbaren Präferenzen der Mehrheit der Wähler zu berücksichtigen und bestmögliche Infrastrukturleistungen für eine möglichst große Zahl von Wahlbürgern zu erbringen. Hier wirkt das Prinzip der Stimmenmaximierung quasi als Leistungsanreiz. Dagegen hängt es in einer Gesellschaftsordnung mit Einparteiensystem und zentralgeleiteter Wirtschaft vor allem von der Stabilität und Machtstellung der entscheidungsbefugten Partei- und Staatsspitzenfunktionäre ab, ob und inwieweit sie bei der Bereitstellung öffentlicher Güter ausschließlich ihren Willen durchsetzen können oder auch abweichende Bedarfsdeckungswünsche der Bevölkerung berücksichtigen müssen. In Infrastruktursystemen mit vorwiegend bürokratisch-hierarchischer Entscheidungsstruktur werden Art und Umfang der Bereitstellung öffentlicher Güter und Infrastrukturleistungen von den jeweiligen Eigeninteressen der Bürokratieangehörigen und deren Durchsetzung im hierarchischen Verwaltungsapparat mitbestimmt. Bei Infrastrukturvorhaben berücksichtigen Behörden mit autonomer Entscheidungskompetenz oder großem freien Entscheidungsspielraum meist, ob und inwieweit alternative Entscheidungen jeweils die institutionelle Bedeutung der Entscheidungsbehörde oder die personelle Bedeutung der Entscheidungsträger stärken oder schwächen. Als Leistungsanreize kann in einem derartigen Entscheidungssystem vor allem das Prinzip der institutionellen und personellen Bedeutungsmaximierung wirken, wobei den Chancen zur Statusverbesserung sowie den Aussichten auf Aufstieg und Beförderung in der Behörden-Hierarchie die größte Bedeutung zukommt. 5.2.3 Planaufstellungssystem Um Güterknappheiten ökonomisch rational zu vermindern, müssen regelmäßig Überlegungen über das geeignetste Vorgehen hinsichtlich der angestrebten Ziele angestellt werden. Hierbei muß insbesondere ausfindig gemacht werden, in welchem Umfang, wie und wann die ebenfalls knappen Produktionsfaktoren eingesetzt und kombiniert werden müssen, damit ein anvisiertes Ziel mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz oder bei vorgegebenen Mitteln der höchstmögliche Grad der Zielerfüllung erreicht wird. Die optimale Minderung von Güterknappheiten bzw. das Wirtschaften erfordert regelmäßig klare Zielvorstellungen, gegebenenfalls die Festlegung von etappenweise anzustrebenden Zielerreichungsgraden und systematisches Abwägen alternativer Methoden und Instrumente zur unmittelbaren oder künftigen Zielerreichung, was im wesentlichen mit dem Tatbestand von Planung übereinstimmt. Wirtschaften ist demnach stets mit planerischer Tätigkeit verbunden bzw. setzt Planung voraus. Die Wirtschaftssysteme der Realität divergieren nicht etwa dadurch, daß in dem einen offensichtlich geplant und in dem anderen das Wirtschaftsgeschehen scheinbar ungeplant verläuft, sondern sie unterscheiden sich dadurch, wer was selbständig plant. In der Volkswirtschaft und von den Wirtschaftseinheiten werden nicht nur Wirtschaftsabläufe und ökonomische Entwicklungen geplant, sondern auch Überlegungen über den optimalen Ordnungsrahmen, innerhalb dessen sich das Wirtschaftsgeschehen vollziehen bzw. entwickeln soll, angestellt. Neben den (beispielsweise aus Sitten und Tradition herrührenden) „gewachsenen Ordnun-

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Teil 2: F u n k t i o n e n von Wirtschaftssystemen

Im f o l g e n d e n Tableau werden die Planungssubjekte und Planungsobjekte systematisch dargestellt und durch Kombination die gebräuchlichen Planungsarten ermittelt.

Ökonomische Planungsarten mit Beispielen Planungsobjekte

Planungssubjekte Einzelwirtschaften

Gruppen

Staat

mikroökonomische Prozesse

Einzelwirtschaftliche Prozeßplanung z.B. Produktionsplanung der Betriebe, Konsumplanung der Haushalte

Gnippenwirtschaftliche Mikro-Prozeßplanung z.B. Planung der Verteilung von Produktionsquoten auf die Kartellmitglieder

Staatliche Mikro-Prozeßplanung z.B. staatliche Planung des Produktions-Solls der Betriebe

mikroökonomische Entwicklungen

Einzelwirtschaftliche Entwicklungsplanung z.B. Investitionsplanung der Betriebe, Sparplanung der Haushalte

Gnippenwirtschaftliche Mikro-Entwicklungsplanung z.B. Planung der Aufteilung der Investitionen auf die Konzernbetriebe

Staatliche Mikro-Entwicklungsplanung z.B. staatliche Planung von Investitionsquoten für Betriebe

mikroökonomische Ordnungen

Einzelwirtschaftliche Ordnungsplanung z.B. Planung von Betriebs- und Geschäftsordnungen

Gnippenwirtschaftliche Mikro-Ordnungsplanung z.B. Planung von Genossenschaftssatzungen

Staatliche Mikro-Ordnungsplanung z.B. Planung eines Ordnungsrahmens für den Wettbewerb der Unternehmungen

mesoökonomische Prozesse

Gnippenwirtschaftliche Meso-Prozeßplanung z.B. verbandsseitige Planung der überbetrieblichen Branchenwerbung

Staatliche Meso-Prozeßplanung z.B. staatliche Planung des Liefer-Solls von Branchen

mesoökonomische Entwicklungen

Gnippenwirtschaftliche Meso-Entwicklungsplanung z.B. verbandsseitige Planung regionaler Infrastrukturen

Staatliche Meso-Entwicklungsplanung z.B. sektorale Programmierung der Wirtschaftsstruktur

mesoökonomische Ordnungen

Gnippenwirtschaftliche Meso-Ordnungsplanung z.B. Planung einer Schlichtungsordnung bei Streitigkeiten über Branchenlöhne

Staatliche Meso-Ordnungsplanung z.B. Planung einer speziellen Wettbewerbsordnung für bestimmte Branchen

makroökonomische Prozesse

Staatliche Makro-Prozeßplanung z.B. staatliche Planung der Aufteilung des Sozialprodukts auf Investition und Konsum

makroökonomische Entwicklungen

Staatliche Makro-Entwicklungsplanung z.B. globale Programmierung der Investitionsentwicklung

makroökonomische Ordnungen

Staatliche Makro-Ordnungsplanung z.B. Planung eines Ordnungsrahmens für die Währung

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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gen" gibt es vielfach „gesetzte Ordnungen", die nach Vorüberlegungen bzw. Planungen gestaltet worden sind. Durchweg alle Wirtschaftssysteme der gegenwärtigen Volkswirtschaften weisen ein komplexes Planungssystem, zusammengesetzt aus mehreren Planungsarten, auf. Systematisch lassen sich die Planungssubjekte in Einzelwirtschaften (z.B. Betriebe, Haushalte), Gruppen (z.B. Konzerne, Kartelle, Handelsketten, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) und Staat (z.B. Zentralstaat, Gebietskörperschaften), gliedern. Die Planungssubjekte können einzelwirtschaftliche (mikroökonomische), gruppenwirtschaftliche (mesoökonomische) oder gesamtwirtschaftliche (makroökonomische) Prozesse, Entwicklungen und Ordnungen planen. In der Regel werden ökonomische Prozesse kurzfristig, Entwicklungen mittelfristig und Ordnungen langfristig geplant. Millionen privater Haushalte und Betriebe stellen Pläne für ihr wirtschaftliches Handeln auf, wobei sie ihre Planungen in der Regel am ökonomischen Prinzip ausrichten. Das ökonomische Prinzip (Wirtschaftlichkeitsprinzip) beinhaltet die Leitregeln für rationales Wirtschaften. Danach ist so zu wirtschaften, daß entweder mit geringstmöglichem Aufwand (Input an Roh- und Hilfsstoffen oder Kosten) ein bestimmtes Ergebnis (Output an Fertigerzeugnissen oder Ertrag) erzielt wird (Sparprinzip) oder mit bestimmtem Aufwand bzw. vorgegebenen Mitteln ein größstmöglicher Erfolg erreicht wird (Maximalprinzip).

5.3 Koordinierungssystem Das Koordinierungssystem muß die Planungen und Handlungen der Wirtschaftssubjekte so aufeinander abstimmen, daß letztlich komsumreife und gebrauchsfertige Güter sowie Investitions- und Infrastrukturleistungen entsprechend dem Bedarf hergestellt und angeboten werden. Ist am Bedarf, der entweder durch die kaufkräftige und effektive Nachfrage oder durch administrative Festsetzung von Verteilungsansprüchen bestimmt wird, vorbeiproduziert worden, so ist das ein Zeichen von Fehlplanung und/oder schlechter Plandurchführung. Derartige Planungsmängel, die auf falschen Investitionsentscheidungen beruhen können, sind von einem Kontrollsystem aufzudecken. Nichtbedarfsgerechte Produktionen in Form von Überproduktionen oder Produktionsengpässen sind durch ein Sanktionssystem, das Fehlentscheidungen ahndet, zu unterbinden oder zumindest einzudämmen. 5.3.1 Planabstimmungssystem Produzieren geschieht in der Regel arbeitsteilig; denn kaum ein Mensch kann all seine Bedürfnisse allein befriedigen. Daraus resultiert das Problem der Koordinierung der einzelwirtschaftlichen Pläne, das zwecks Erreichung einer angemessenen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedarfsdeckung gelöst werden muß. Bedenkt man, daß in einer entwickelten Volkswirtschaft ständig Millionen Wirtschaftssubjekte unzählige Wirtschaftspläne (Produktions-, Investitions-, Finanzierungs-, Konsumpläne) aufstellen, die miteinander verzahnt sind und sich meist nur in gegenseitiger Abstimmung realisieren lassen, so wird die enorme Bedeutung der Lösung des Koordinierungsproblems deutlich. Ein rationales gesamtwirtschaftliches Plansystem, das am ökonomischen Prinzip ausgerichtet ist, setzt Orientierungsmittel für die Planaufstellung und Mechanismen oder Plananweisungen zur Abstimmung der einzelwirtschaftlichen Pläne voraus. In marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen mit dezentralen Planentscheidungen wird ein gesamtwirtschaftlicher Rechnungszusammenhang zur Planabstimmung regelmäßig durch ein funktionsfähiges Preissystem gewährleistet, das mit seinen knappheitsanzeigenden Marktpreisen den Wirtschaftssubjekten wichtige

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Teil 2: Funktionen von Wirtschaftssystemen

Anhaltspunkte für die Planaufstellungen gibt. Die einzelwirtschaftlichen Produktions- und Konsumpläne treffen in Form des effektiven Angebotes und der Nachfrage auf den Märkten zusammen. Nachdem der Marktmechanismus Angebot und Nachfrage ausgeglichen hat, wird offenkundig, ob und inwieweit die Produktions- und Konsumpläne im erwerbswirtschaftlichen und bedarfsdeckenden Sinne richtig bzw. realistisch waren. In zentralgeleiteten Wirtschaftssystemen müssen sich dagegen die Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten im Rahmen der Volkswirtschaftspläne halten, die ihrerseits an den Salden gesamtwirtschaftlicher Planbilanzen ausgerichtet werden. Die Koordinierung der Einzelpläne erfolgt dann mittels Plananweisungen, wobei im nachhinein am Grad der erreichten Bedarfsdeckung deutlich wird, ob und inwieweit die administrative Planung und Koordinierung bedarfsgerecht war oder Mängel aufwies. Als hauptsächliche Koordinierungsmittel fungieren die Eigeninteressen, Märkte, Gruppenverhandlungen, Verträge und Plananweisungen. Die Eigeninteressen der Menschen, die zur Verwirklichung drängen, sind eine mächtige koordinierende Kraft, wenn die Selbstverwirklichung zu Lasten anderer unterbunden wird. Bevor ein Mensch seine Interessen und materiellen Bedürfnisse befriedigen kann, muß er in der Regel Leistungen für andere erbringen und zur Befriedigung der Interessen anderer beitragen. Der Arbeitnehmer muß zunächst Arbeitsleistungen zur Befriedigung von Arbeitgeberinteressen erbringen, bevor er einen Lohn zur Befriedigung seiner eigenen Interessen und Konsumwünsche erhält. Der Produzent kann seine Erwerbs- und Gewinninteressen nur dann befriedigen, wenn er ein marktgängiges Angebot erbringt und damit Nachfragerwünsche erfüllt. Eine Produktion, die am Kaufinteresse der Nachfrager und damit am Markt vorbeigeht, führt in marktwirtschaftlich orientierten Systemen zu Verlusten. Eine arbeitsteilige Produktion, welche die Gewinnchancen mehrerer Produzenten erhöhen kann, kommt nur bei freiwilliger Einigung über die Konditionen der Zusammenarbeit zwischen den Kooperationspartnern zustande. Die Eigeninteressen der Wirtschaftssubjekte drängen also dazu, die eigenen Pläne mit den Plänen und Interessen der Partner im Wirtschaftsverkehr abzustimmen. Wirtschaftssysteme, welche die mächtige Koordinierungskraft der Eigeninteressen der Wirtschaftssubjekte unterschätzen oder bewußt unterdrücken, haben erfahrungsgemäß große Schwierigkeiten, das wahrhaft labyrinthische Geflecht der unzähligen arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesse auch nur einigermaßen rational zu koordinieren. Meist brechen sich die unterdrückten Eigeninteressen der Wirtschaftssubjekte auf andere Weise an anderer Stelle Bahn. So hat sich z.B. gezeigt, daß mit der Unterdrückung von Erwerbs- und Gewinninteressen auch die Bereitschaft zur leistungssteigernden Koordination aus eigenem Antrieb rapide abnimmt, weil sich eine freiwillige Leistungssteigerung für den einzelnen nicht auszahlt. Aus diesem Grunde unterbleiben dann oft auch Anstrengungen zur kostensenkenden Rationalisierung. Märkte sind nicht nur Orte des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage nach bestimmten Gütern, sondern auch wirkungsvolle Mechanismen des Interessenausgleichs. Funktionsfähige Märkte, deren Zugang allen Marktinteressenten offenstehen und die wettbewerblich strukturiert sind, erfüllen wichtige Koordinierungsfunktionen des wirtschaftlichen Geschehens, indem sie vor allem über den Marktpreis die realisierbaren Verkaufswünsche der Produzenten mit den Kaufwünschen der zahlungsfähigen und zahlungswilligen Nachfrager in Übereinstimmung bringen. Neben den formlosen Kauf- und Verkaufsakten auf den anonymen Märkten fungieren oft auch förmlich abgeschlossene Verträge als Koordinierungsmittel im Geschäftsverkehr. Meist werden Verträge dann abgeschlossen, wenn die Lieferung oder Leistung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann. Die vertraglich gesicherten Konditionen (wie z.B. über Art und Menge

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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der zu liefernden Güter, Lieferzeit, Lieferpreis und eventuelle Zahlungsfristen) ermöglichen dem Vertragspartner, seine eigenen Dispositionen vertragsgemäß zu treffen. Wirtschaftssysteme, die das Wirtschaftsgeschehen weitgehend privaten Vereinbarungen überlassen und geschlossene Verträge durch eine Privatrechtsordnung schützen, begünstigen die Entfaltung eines gesamtwirtschaftlichen Vertragssystems, das für eine freiwillige und damit regelmäßig ohne öffentlichen Zwang erfolgende Koordinierung der Pläne und Handlungen der Wirtschaftssubjekte sorgt. Verträge können nicht nur zwischen einzelnen Wirtschaftssubjekten auf privatrechtlicher Basis, sondern z.B. auch von Gruppen im Rahmen des Tarifvertrags- und Arbeitsrechts geschlossen werden, wie es vor allem auf dem Arbeitsmarkt üblich ist. In der Regel gehen dem Abschluß von Lohntarifverträgen zunächst Gruppenverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden voraus, wobei in oft mehreren Verhandlungsrunden um eine Angleichung der unterschiedlichen Vorstellungen über die Lohnhöhe und die Bemessung der Arbeitszeiten gerungen wird. Vorherrschendes Plankoordinierungsmittel in zentralgeleiteten Wirtschaftssystemen ist die Plananweisung, mit deren Hilfe die Einzelpläne horizontal und vertikal im Rahmen des volkswirtschaftlichen Gesamtplanes abgestimmt werden. Auch in den Infrastruktursystemen aller Volkswirtschaften spielen administrative Plananweisungen die größte Rolle als Koordinierungsmittel, weil im Bereich der öffentlichen Güter und der infrastrukturellen Leistungen der Marktmechanismus nicht oder nur unvollkommen funktioniert. 5.3.2 Plankonstrollsystem Erfahrungsgemäß versuchen Wirtschaftssubjekte ihre Wünsche und Absichten selbst dann zu verwirklichen, wenn dieses nur zu Lasten anderer möglich ist. Da selbstloses Verhalten im ökonomischen Bereich selten anzutreffen ist, muß ordnungspolitisch verhindert werden, daß sich im Wirtschaftsleben Tendenzen zur Übervorteilung anderer oder zum Leben auf Kosten anderer ausbreiten. Es müssen also in jedem Wirtschaftssystem ordnungspolitische Elemente oder Mechanismen installiert werden, welche die Verwirklichung der Eigeninteressen der Wirtschaftssubjekte an eine angemessene Leistungserbringung für andere Gesellschaftsmitglieder knüpfen und die Interessenbefriedigung zum Schaden anderer ausschließen. Mit anderen Worten, es müssen die Interessen und Leistungen kontrolliert werden. Dieses kann sowohl im Wege der Selbstkontrolle als auch durch Fremdkontroile anderer Wirtschaftssubjekte oder des Staates erfolgen. Der Eigennutz kann wirksame Kräfte zur Selbstkontrolle aus Eigeninteresse freisetzen, indem er z.B. für sparsame Verwendung von kostspieligen Rohstoffen und betriebliche Qualitätskontrollen zwecks Leistungs- und Absatzsteigerung sorgt. Allerdings funktioniert das System der Selbstkontrolle aus Eigeninteresse, das zu rationellem Wirtschaften und damit zur besseren Güterversorgung der Gesellschaft führt, am wirkungsvollsten in Verbindung mit der Kontrolle durch den Wettbewerb. Der Wettbewerbsdruck und die Interessen- und Leistungskontrolle durch die Konkurrenten führen in der Regel dazu, die eigenen wirtschaftlichen Dispositionen noch sorgfältiger zu planen, um das Leistungsangebot der Mitwettbewerber zu übertreffen. Die Kontrolle durch die Konkurrenten verstärkt also die Selbstkontrolle aus Eigennutz. Wo der Wettbewerbsdruck fehlt und sich ein Monopol gebildet hat, verführt das von außen unkontrollierte Selbstinteresse des Monopolisten regelmäßig zur Ausnutzung seiner Machtstellung und Ausbeutung der schwächeren Marktgegenseite. Die typische Monopolstrategie, die zwecks Hochhaltung der Preise die Angebotsmenge verknappt, bringt eine schlechtere Güterversorgung zu höherem Preis als im Konkurrenzfalle mit sich und führt damit zu gesellschaftlichen Wohlfahrtseinbußen. In der Realität sind jedoch absolute Monopolstellungen äußerst selten, weil meist die

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Teil 2: Funktionen von Wirtschaftssystemen

Substitutionskonkurrenz für eine hinreichende Interessen- und Leistungskontrolle auf den interdependenten Märkten sorgt. Aber unter Wettbewerbsbedingungen auf den Märkten kontrollieren nicht nur die Mitwettbewerber auf der Angebotsseite, sondern auch die Konsumenten bzw. Nachfrager das Leistungsangebot. Die Konsumenten kontrollieren die Leistungen der Produzenten mittels ihrer effektiven Nachfrage, die sich auf die Anbieter mit dem günstigsten Angebot konzentriert. Selbst bei massiver Produzentenwerbung, die Kaufwünsche zu wecken versucht, entscheiden letztlich die Verbraucher durch ihre Kaufentscheidungen oder ihre Kaufverweigerung, ob und gegebenenfalls in welchem Maße sie die angepriesenen Waren als geeignet oder ungeeignet für ihre Bedarfsdeckung ansehen. Die Kontrolle von Produzentenleistungen durch die Nachfrager auf wettbewerblich strukturierten Märkten hält die Produzenteninteressen in Schach und zwingt die Produktion in den Dienst der Bedürfnisbefriedigung der zahlungsfähigen und -willigen Nachfrager. Eine Volkswirtschaft, die sich auf dem Sektor der Konsum- und Gebrauchsgüter die Selbstkontrolle aus Eigeninteresse der Wirtschaftssubjekte nutzbar macht und diese durch den Wettbewerb verstärkt und kanalisiert, erspart sich ein umfangreiches Netz von autoritären Einzelkontrollen des Wirtschaftsgeschehens durch den Staat und einen riesigen Kostenaufwand für den administrativen Kontrollapparat. Allerdings darf nicht verkannt werden, daß ein funktionsfähiges System der Selbst- und Wettbewerbskontrolle eines ordnungspolitischen Rahmens bedarf, der einerseits genügend Spielraum für die Interessenentfaltung und Leistungsmotivation läßt und andererseits die Erringung oder Ausnutzung von Machtpositionen verhindert. Nach den Erfahrungen mit Laissez-faire-Wirtschaften, die dem Spiel der Kräfte in der Wirtschaft freien Lauf ließen und allein auf die Selbstkontrolle im Wirtschaftsleben vertrauten, tendiert der Eigennutz und das Machtstreben der Wirtschaftssubjekte zur Ausschaltung oder Umgehung des Wettbewerbs. Ein funktionsfähiges Kontrollsystem muß also eine staatliche Ordnung zum Schutz des Wettbewerbs errichten. Nur durch eine Wettbewerbsordnung kann verhindert werden, daß Wirtschaftssubjekte durch Kartellierung und andere wettbewerbsbeschränkende Praktiken Machtpositionen erringen oder ausnutzen und damit ihren Willen auch gegen das Widerstreben anderer durchsetzen können. Bei öffentlichen Gütern und infrastrukturellen Leistungen, die von staatlichen und kommunalen Verwaltungsinstanzen geplant und bereitgestellt werden, kommen in allen Volkswirtschaften regelmäßig administrative Kontrollen zur Anwendung. Da erfahrungsgemäß die Entscheidungsträger im öffentlichen Dienst selbst bei dienstrechtlichen Möglichkeiten - nur selten für Fehlentscheidungen tatsächlich voll haftbar gemacht werden und infrastrukturelle Fehlinvestitionen meist die öffentlichen Haushalte belasten, wird mittels Kontrollen durch vorgesetzte Verwaltungsinstanzen, parlamentarische Gremien und Rechnungshöfe versucht, die Quote der Fehlentscheidungen im öffentlichen Dienstleistungsbereich möglichst niedrig zu halten. 5.3.3 Sanktionssystem Ökonomische Fehlentscheidungen resultieren beispielsweise aus Fehleinschätzungen der künftigen Wirtschafts- und Absatzentwicklung, überdimensionierter Bemessung von Investitionen, leichtsinnigen Transaktionen bei der Kapitalanlage oder Verkennung der Berufs- und Verdienstchancen bei der Berufs- oder Arbeitsplatzwahl. In jeder Volkswirtschaft muß deshalb ein Sanktionssystem dafür sorgen, daß Fehlentscheidungen geahndet werden und damit auf die Wirtschaftssubjekte ein ständiger Druck zu sorgfältiger Abwägung von Entscheidungen ausgeübt wird. Da ökonomische Fehlentscheidungen nicht nur zu persönlichen Wohlfahrtseinbußen des Entscheidungsträgers, sondern auch zu Beeinträchtigungen der Interessen anderer Wirtschaftssubjekte führen können, muß für potentielle Schädiger das Haftungsprinzip gelten. Der Grundsatz, dem zufol-

5. Kap.: Grundstrukturen von Wirtschaftssystemen

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ge für wirtschaftliche Fehlentscheidungen der verantwortliche Entscheidungsträger geradestehen muß, läßt sich am ehesten und wirkungsvollsten in einem marktwirtschaftlich orientierten System mit dominierendem Privateigentum an Produktionsmitteln und Eigentumshaftung verwirklichen, weil hier der Unternehmer mit seinem Kapital und Vermögen haftet und aus ökonomischen Fehlentscheidungen resultierende Verluste selbst tragen muß. Werden allerdings die privatwirtschaftlichen Unternehmen bei selbstverschuldeten Verlusten großzügig von der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik subventioniert, so wird das Haftungsprinzip durchbrochen. Eine auf dezentrale Entscheidungsfindung basierende Marktwirtschaft, in der den Gewinnchancen das Verlustrisiko gegenübersteht, verliert ihre Funktionsfähigkeit und Legitimationsbasis, wenn Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Da es in zentralgesteuerten Planwirtschaften keinen Sanktionsmechanismus, der ähnlich wie in Marktwirtschaften wirtschaftliche Fehlleistungen durch Gewinneinbußen oder Verluste bestraft, gibt, müssen dort für offenkundige Fehlentscheidungen Sanktionen auf administrativem Wege verhängt werden. So droht beispielsweise Wirtschaftsfunktionären, die für die Nichterfüllung des Plansolls von volkseigenen Betrieben verantwortlich gemacht werden können, die Versetzung auf einen weniger verantwortungsvollen und schlechter bezahlten Posten. In sozialistischen Staaten sind schärfere Sanktionen im Falle von Fehlentscheidungen im Rahmen des unvermeidlichen Wirtschafts- und Entwicklungsrisikos kaum möglich. Würde der wirtschaftliche Mißerfolg mit drakonischen (Freiheits-)Strafen bedroht, so würde die Entschlußkraft der Wirtschaftsfunktionäre außerordentlich geschwächt. Streng bestraft werden allerdings Straftaten gegen das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln und die vorsätzliche Schädigung der Volkswirtschaft. Überall dort, wo das eigenverantwortliche Verlustrisiko und die Eigenhaftung der Entscheidungsträger ausgeschaltet oder beträchtlich gemindert werden, kann sich kaum ein funktionsfähiges Sanktionssystem als Element einer rationalen Wirtschaftsführung zum Zwecke optimaler Bedarfsdeckung entfalten. Dieses trifft auch auf manche infrastrukturelle (Fehl-)Entscheidungen im Rahmen parlamentarischer Demokratien zu. So haben sich manche „Baudenkmäler" prestigesüchtiger Kommunalpolitiker und manche Infrastrukturruinen persönlich kaum haftender Verwaltungsbeamter später als (Fehl-)Investitionen von keinem oder nur geringem Nutzwert für die Bevölkerung, aber großer finanzieller Belastung für die öffentlichen Haushalte erwiesen. Das wirtschaftliche Sanktionssystem kann sowohl durch die Zulassung von Subventions-Schnorrertum der Unternehmen als auch durch Duldung von Schmarotzertum im sozialen Netz ausgehöhlt werden. Erreichen beispielsweise in einem ausgewucherten Sozialsystem nur zeitweise Arbeitswillige aufgrund eines relativ hohen Arbeitslosengeldes in Verbindung mit anderen Sozialleistungen und einer Rückvergütung aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich ein höheres Nettoeinkommen als das ganze Jahr durcharbeitende Arbeitnehmer einer vergleichbaren Beschäftigungskategorie, so kann dieses zur Arbeitsunwilligkeit und zum Schmarotzertum auf Kosten der Solidargemeinschaft und der echten Arbeitslosen führen.

Teil 3 Typisierungen von Wirtschaftssystemen 6. Kapitel Typisierungsansätze und Typologien 6.1 Begriffsinterpretatorische Ansätze Begriffsinterpretatorische Ansätze versuchen, aus den gebräuchlichen Bezeichnungen für bestimmte Wirtschaftssysteme auf deren Charakteristika zu schließen und durch Systematisierung der (durch Interpretation) gewonnenen Unterscheidungsmerkmale zu einer Typologie der Wirtschaftssysteme zu gelangen. Meist scheitern solche Versuche jedoch schon an dem Begriffswirrwarr für die einzelnen Wirtschaftssysteme. So wird häufig im Schrifttum und in der öffentlichen Diskussion ein und dasselbe Wirtschaftssystem mit verschiedenen Namen - meist von unterschiedlicher Aussagefähigkeit - belegt. So trifft man beispielsweise bei dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland auf Bezeichnungen wie Soziale Marktwirtschaft, sozialverpflichtete Marktwirtschaft, dezentral gesteuerte Wirtschaft, freiheitliches Wirtschaftssystem, kapitalistische Wirtschaft, bürgerliche Profitwirtschaft, unsoziales Wirtschaftssystem, spätkapitalistische Wirtschaft oder staatsmonopolistisches System. Das Wirtschaftssystem der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wurde bzw. wird mit folgenden Namen belegt: Sozialistisches Wirtschaftssystem, geplante Wirtschaft, sozialistische Planwirtschaft, Staatswirtschaft, gelenkte Wirtschaft, zentralgeleitete Wirtschaft, Zentralverwaltungswirtschaft oder Zwangswirtschaft. Die meisten Bezeichnungen sagen kaum etwas Zutreffendes über die Charakteristika der Wirtschaftssysteme aus. So sind beispielsweise vage Bezeichnungen, wie geplante oder gelenkte Wirtschaft, zur Unterscheidung von anderen Wirtschaftssystemen ungeeignet, weil es keine Wirtschaft gibt, in der nicht geplant wird oder kein Lenkungssystem existiert. Entscheidend für die Prägung von Wirtschaftssystemen ist, wer plant den Wirtschaftsprozeß und wodurch wird das Wirtschaftsgeschehen gelenkt. Es ist ein Unterschied, ob als Planungssubjekte viele autonome Wirtschaftssubjekte oder oligarchisch strukturierte Gruppen auftreten oder der Wirtschaftsprozeß allein von einer zentralen Planbehörde gestaltet wird. Zudem verläuft das Wirtschaftsgeschehen regelmäßig anders, je nachdem, ob die Produktion und das Angebot durch die Kaufwünsche und die effektive Nachfrage der Konsumten, durch monopolistische Produktions- und Angebotspolitik oder nach politischen Zielvorstellungen einer Planbehörde gesteuert werden. Auch über die Frage, wann ein Wirtschaftssystem als freiheitlich oder zwangsorientiert anzusehen ist, gehen die Meinungen erheblich auseinander. Für den klassischen Liberalen umfaßt die ökonomische Freiheit im und vom Staate die Garantie des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie die freie Verfügungsgewalt über den Einsatz der Produktionsfaktoren. Dagegen sehen Marxisten gerade im Privateigentum an Produktionsmitteln und der damit angeblich verbundenen Ausbeutung der Arbeiter die Unfreiheit der werktätigen Massen begründet. Erst nach Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln hört ihres Erachtens die Ausbeutung auf und wird die Arbeiterklasse frei.

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Teil 3: Typisierungen von Wirtschaftssystemen

Die Meinungen, ob oder inwieweit eine Marktwirtschaft das Etikett „sozial" verdient, sind ebenfalls recht unterschiedlich. Marxisten halten ausnahmslos alle Marktwirtschaften, die ihres Erachtens immer der Ausbeutung der werktätigen Massen dienen, für im höchsten Maße unsozial. Dagegen wirkt nach klassischliberalem Verständnis jede Marktwirtschaft schon allein deshalb sozial, weil sie im wettbewerblichen Marktprozeß die Güterpreise tendenziell auf die Kosten drückt und dadurch auch sozial schwächere Schichten vor preislicher Ausbeutung auf den Gütermärkten schützt. Für andere ist eine Marktwirtschaft nur dann sozial, wenn sie durch ein System sozialer Sicherung ergänzt wird und die als ungerecht empfundenen Verteilungsergebnisse über den Markt durch eine gewisse Einkommensumverteilung korrigiert werden. Weitgehend unbestimmte Begriffe, wie geplante oder gelenkte Wirtschaft, oder wertgeladene Bezeichnungen, wie freiheitliches oder soziales Wirtschaftssystem, sind also zur wissenschaftlichen Typisierung von Wirtschaftssystemen kaum geeignet. Die Wirtschaftssystemtheorie muß sich wie jede andere Disziplin der Volkswirtschaftslehre davor hüten, „Begriffsnationalökonomie" zu betreiben. Wird nämlich von Alltagsbegriffen ohne fundierte Analyse der Tatbestände ausgegangen, so besteht immer die Gefahr, daß durch Deduktion aus solchen vorgefundenen Begriffen nur Aussagen bzw. „Erkenntnisse" gewinnbar sind, die vorher in die Definitionen hineingelegt worden sind. Um zu einer wissenschaftlichen Typologie von Wirtschaftssystemen zu gelangen, muß man deshalb den Irrweg der Begriffsinterpretation von Bezeichnungen der Umgangssprache verlassen.

6.2 Entwicklungshistorische Ansätze Entwicklungshistorische Ansätze wollen die historische Entwicklung von Wirtschaftsgebilden mittels Stufen- und Phasenbildungen erklären, wobei jeder Wirtschaftsstufe ein besonders geprägtes Wirtschaftssystem zugeordnet wird. Karl Bücher unterscheidet bei den europäischen Kulturvölkern folgende drei Entwicklungsstufen20: ,,a) die Stufe der geschlossenen Hauswirtschaft (Eigenproduktion, tauschlose Wirtschaft), auf welcher die Güter in derselben Wirtschaft entstehen, in der sie verbraucht werden; b) die Stufe der Stadtwirtschaft (Kundenproduktion, Stufe des direkten Austausches), auf welcher Güter unmittelbar vom Produzenten zum Konsumenten übergehen; c) die Stufe der Volkswirtschaft (Warenproduktion, Stufe des Güterumlaufs), auf welcher die Güter unternehmungsweise erzeugt werden und in der Regel eine Reihe von Wirtschaften durchlaufen, ehe sie zum Verbrauch gelangen." Dabei dient Bücher als Abgrenzungskriterium „das V e r h ä l t n i s . . . " in welchem die Entstehung der Güter zu ihrem Verbrauche steht" oder - wie man heute sagen würde - die Länge des Absatzweges der Güter. In der geschlossenen Hauswirtschaft werden die in Eigenproduktion hergestellten Güter an Ort und Stelle ihrer Erzeugung verbraucht. Während sich in der Stadtwirtschaft eine Kundenproduktion mit begrenztem Absatzradius entwickelt, weitet die Warenproduktion für den anonymen Markt in der arbeitsteiligen Volkswirtschaft die Absatzwege beträchtlich aus. Bücher schreibt: „Der Weg von der Hand zum Munde wird somit im Verlaufe dieser Entwicklung immer länger." 21 Schon allein

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K. Bücher, 1971, S.89. Ebendort, S.90.

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die Tatsache, daß in jeder entwickelten Volkswirtschaft immer noch Elemente der Eigenproduktion der Haushalte und eine mehr oder weniger große Kundenproduktion von Handwerkern und Dienstleistungsgewerben vorfindbar sind, zeigt die Problematik dieser Abgrenzung. Bücher begegnet derartigen Einwänden mit dem Hinweis, daß man auf jeder Stufe nur „das Normale" ins Auge fassen dürfe. Übergangsbildungen und Reste früherer oder vorauseilende Teile späterer Erscheinungen müßten außer Betracht bleiben. Obwohl deshalb eine genaue zeitliche Abgrenzung der Stufen nicht möglich sei, ließen sich doch historische Zeitabschnitte und Völker angeben, in denen die jeweiligen Entwicklungsstufen als vorherrschend anzusehen seien. 22 Bruno Hildebrand sieht in der Art der Umsetzung der Güter bzw. im Tauschsystem den wesentlichen Faktor für die historische Entwicklung von aufeinanderfolgenden Wirtschaftsformen. „Entweder setzt man Güter unmittelbar gegen Güter um, oder man bedient sich des Tauschmittels der edlen Metalle, des Geldes, oder endlich, man setzt Güter gegen das Versprechen um, in Zukunft denselben oder einen gleichen Wert zurückzuerstatten, das heißt gegen K r e d i t . . . Auf der Grundlage dieser drei Umsatzarten entwickeln sich drei Wirtschaftsformen: die Naturalwirtschaft, die Geldwirtschaft und die Kreditwirtschaft."23 Hildebrand glaubt, daß alle Völker diese drei Entwicklungsformen in gleicher Reihenfolge durchlaufen werden. Er begründet dieses folgendermaßen: „Mit der ersteren (gemeint ist die Naturalwirtschaft, H.-R. P.) beginnt jede Nation ihre ökonomische Laufbahn, denn der Gebrauch des Geldes als Tauschmittel setzt Überfluß an Arbeit oder Arbeitsprodukten voraus, um das Metall zu gewinnen oder zu kaufen. Die Geldwirtschaft kann sich daher erst entwickeln, wenn bereits Wohlstand eingetreten ist, wenn die Völker mehr produzieren, als die bedürfen. Die Kreditwirtschaft kann dagegen erst entstehen, wenn ein geregelter Geldverkehr vollkommen ausgebildet, aber die Schwerfälligkeit des Geldumsatzes bereits empfunden und das Bedürfnis nach Vereinfachung der Zahlmittel geweckt ist. Vorher ist der Kreditumsatz nur Ausnahme von der Regel und Folge augenblicklicher Zahlungsunfähigkeit. Er ist Resultat der Not, aber nicht der Einsicht in seine höhere Zweckmäßigkeit. Diese bestimmte Aufeinanderfolge ist daher in der Natur der einzelnen Wirtschaftsformen begründet und ist deshalb auch allgemeine historische Tatsache." 2 4 Zum Abschluß sei noch auf einen entwicklungstheoretischen Ansatz neueren Datums, der die Stadien wirtschaftlichen Wachstums beschreibt, hingewiesen. Nach Walt W. Rostow „(ist) es möglich, die wirtschaftliche Lage jeder Gesellschaft mit einem der fünf Wachstumsstadien zu charakterisieren: der traditionellen Gesellschaft, der Anlaufperiode, in der die Voraussetzungen für den Beginn des Wachstums gelegt werden, der Periode des wirtschaftlichen Aufstiegs, der Entwicklung zum Reifestadium, dem Zeitalter des Massenkonsums" 25 . Welche Entwicklung nach dem Konsumzeitalter stattfinden wird, läßt sich nach Rostow noch nicht überblicken. Die Entwicklungsstadien „haben angeblich eine innere Logik und Kontinuität" und auch „ein analytisches Gerüst, das in einer dynamischen Theorie der Produktion verankert ist" 26 . Obwohl Rostow bestimmte Aspekte des ökonomischen Wachstumsprozesses unter Hinzuziehung produktionstheoretischer Erkenntnisse plausibel umschreibt, kann er natürlich nicht allein aus den Wachstumsbedingungen die Entwicklung von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen erklären.

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Vgl. ebendort, S.90. B. Hildebrand, 1971, S.56f. Ebendort, S.57. W.W. Rostow, 1971, S. 105. Ebendort, S.116.

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Alle Stufen- und Stadienbildungen lassen sich mit mehr oder weniger plausiblen Argumenten begründen und spiegeln in der Regel bestimmte Wesenszüge eines Wirtschaftssystems in seinem historisch-entwicklungsmäßigen Prozeß wider. Allerdings sind die Entwicklungsprozesse nicht generell in der angenommenen Stufenfolge, die regelmäßig einen kaum reflektierten Fortschrittsglauben impliziert, verlaufen. Ob das jeweils zur Stufenbildung benutzte Kriterium auch der dominierende Prägungsfaktor der Wirtschaftssysteme war oder ist, bleibt meist fragwürdig. „Begreiflicherweise kann die Übereinstimmung mit der Geschichte nicht strikt am historischen Befund nachgewiesen werden, sondern wird bestenfalls an willkürlich herausgegriffenen Beispielen demonstriert, wobei der historische Ablauf in das Prokrustesbett der jeweiligen Stufenlehre gezwängt wird." 27

6.3 Strukturanalytische Ansätze Strukturanalytische Ansätze wollen aus den Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte und beobachteten Wirtschaftsweisen in Vergangenheit und Gegenwart die Strukturprinzipien und Gestaltungsformen, aus denen sich ein Wirtschaftssystem zusammensetzt, finden. Nach Werner Sombart „(muß) eine Idee, die imstande sein soll, die wirtschaftlichen Erscheinungen zu einem System zu gestalten, sich unmittelbar aus der Idee der Wirtschaft selbst ableiten. Sie muß alle der Wirtschaft wesentlichen Züge einschließen und muß diese einzelnen Züge zu einer Einheit zusammenfassen. Nun aber nicht in ihrer abstrakten gedanklichen Form, sondern in ihrer konkreten, historischen Bestimmtheit". 28 Unter „Wirtschaftssystem" versteht Sombart „die als geistige Einheit gedachte Wirtschaftsweise, die (1.) von einer bestimmten Wirtschaftsgesinnung beherrscht wird, (2.) eine bestimmte Ordnung und Organisation hat und (3.) eine bestimmte Technik anwendet" 2 9 . Sombart stellt die verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung, denen das Wirtschaftsleben ausgesetzt sein kann, in folgendem Schema dar 30 : „A. I. II. III.

Geist (Wirtschaftsgesinnung): Bedarfsdeckungsprinzip - Erwerbsprinzip Traditionalismus - Rationalismus Solidarismus - Individualismus

B. I. II. III. IV. V. VI.

Form (Regelung und Organisation): Gebundenheit - Freiheit Privatwirtschaft - Gemeinwirtschaft Demokratie - Aristokratie Geschlossenheit - Aufgelöstheit Bedarfsdeckungswirtschaft - Verkehrswirtschaft Individualbetriebe - gesellschaftliche Betriebe

C. I. II. III.

Technik (Verfahren): Empirisch - wissenschaftlich Stationär - revolutionär Organisch - nichtorganisch (mechanisch - anorganisch)"

Hans Ritsehl, für den Wirtschaftssysteme „Gestaltungsweisen aus einheitlichen Strukturprinzipien" sind 31 , hat den Katalog der Strukturprinzipien und Ge-

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G. Hedtkamp, 1974, S. 124. W. Sombart, 1971, S.361. Ebendort, S.362. Ebendort, S.372. H. Ritsehl, 1965, S.192.

6. Kap.: Typisierungsansätze und Typologien

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staltungsformen in Anlehnung an Sombart weiter aufgefächert. 3 2 So sind seines Erachtens die Prinzipien der Wirtschaftsordnung verschieden, je nach dem Geist der Gesellschaft, der sich im sozialen Bewußtsein und im sozialen Gestaltungswillen niederschlägt. Der Geist der Wirtschaft zeigt sich in den Wirtschaftsmotiven, der Wirtschaftsethik und den Wirtschaftsprinzipien (Bedarfsdeckungs-, Gewinnprinzip). Der Geist der Technik läßt sich angeblich kennzeichnen durch die Gegensatzpaare empirisch - wissenschaftlich und traditional - experimental. Nach Ritsehl entsprechen diesen Prinzipien jeweils bestimmte Gestaltungsformen in den vorgenannten drei Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Technik. Der umfangreiche und teilweise nach historischen Formen aufgefächerte Katalog 33 verliert sich in manchen Detailmerkmalen von offensichtlich untergeordneter Systemrelevanz. Bezogen auf einen erweiterten Katalog von Merkmalen, die Sombart für systemrelevant hält, bemerkt Hedtkamp: „Dies ist ein sehr weiter, von subjektiven Urteilen über die Relevanz von Problemen geprägter in mancher Hinsicht von der wissenschaftlichen Entwicklung abhängiger und damit revisionsbedürftiger Katalog, der je nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und den subjektiven Urteilen über die Relevanz des einen oder anderen Phänomens in der Wirtschaft immer wieder neu aufgestellt werden müßte." 3 4 Dieses trifft auf den noch umfangreicheren und in den Einzelheiten gelegentlich verwirrenden Merkmalskatalog von Ritsehl in noch stärkerem Maße zu. Die Fragen nach dem Geist bzw. Wesen von Gesellschaft, Wirtschaft und Technik und dem Sinnzusammenhang von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen lassen sich ohne subjektive Beurteilung der Sinnrelevanz von Merkmalen und damit ohne Werturteile kaum beantworten. Die Hauptschwäche der strukturanalytischen Ansätze und ihre Ungeeignetheit für wissenschaftliche Typisierungen sowie Vergleiche von Wirtschaftssystemen liegt im Verfahren der subjektiven Kriterienauswahl.

6.4 Dominanzfaktorenansätze Im Gegensatz zu strukturanalytischen Ansätzen, die ein mehr oder weniger breites Spektrum von Merkmalen als systemrelevant ansehen, konzentrieren sich Dominanzfaktoren-Ansätze auf nur einen dominierenden Systemprägungsfaktor oder einige wenige Systemprägungs-Elemente. Als Dominanzfaktoren gelten hauptsächlich die Eigentumsordnungen bzw. die Arten der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel oder die Allokationssysteme bzw. die Arten der Koordination wirtschaftlicher Vorgänge. Manchmal werden auch Kombinationen aus dem Verfügungs- und Allokationssystem als konstitutive Faktoren von Wirtschaftssystemen zugrunde gelegt. Die fundamentale Einteilung der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme in kapitalistische und sozialistische Systeme basiert auf einem Dominanzfaktoren-Ansatz, der die Eigentumsordnung zum alles überragenden Prägungsfaktor von Wirtschaftssystemen erhebt. So sieht Karl Marx in den Produktionsverhältnissen oder - was seines Erachtens nur ein juristischer Ausdruck dafür ist - in den Eigentumsverhältnissen das Wesen jedes Wirtschafts- und Gesellschaftssystems begründet. Nach Marx bestimmen die Eigentumsverhältnisse die (Klassen-) Struktur der Gesellschaft sowie die Produktionsbedingungen und die Verteilungsrelationen. Bei dominierendem Privateigentum an Produktionsmitteln ver-

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Vgl. Ebendort, S. 189ff. Z.B. Trägerverkehr auf Saumpfaden, Karawanenverkehr, Karrenverkehr auf nur gebahnten Wegen, usw. G. Hedtkamp, 1974, S. 121.

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fügt eine Minderheit der Bevölkerung, nämlich die Gruppe der Kapitalisten, über den gesamten Produktionsapparat. Die Mehrheit der Bevölkerung, nämlich die besitzlosen Proletarier, müssen ihre Arbeitskraft den Kapitalisten zum relativ niedrigen Tausch- bzw. Marktwert verkaufen. Die herrschende Klasse der Kapitalisten, die unter dem Zwang der Kapitalverwertung und Mehrwertsteigerung steht, bestimmt die Produktions- und Arbeitsbedingungen, entscheidet über die Arbeitsteilung und die Investitionen und eignet sich den von den Arbeitern geschaffenen Mehrwert an. Gemäß marxistischer Lehre verschwindet nach der Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln und mit dem Übergang zu sozialistischen Produktionsverhältnissen die gesellschaftliche Klassenstruktur, womit auch die Aneignung der Ergebnisse fremder Arbeitskraft und letztlich jedwede Ausbeutung aufhören. Ein Mangel der Klassifizierung nach dem Kriterium der Eigentumsordnung liegt in der Unterstellung, daß die juristischen Eigentumsverhältnisse in jedem Fall mit der tatsächlichen Verfügungsgewalt über Produktionsmittel korrespondieren. Es wird z . B . vorausgesetzt, daß die Privateigentümer selbst und völlig frei über den Einsatz ihrer Produktionsmittel und die Verwendung der Produktionsergebnisse bzw. des Gewinns entscheiden. Dieses trifft z.B. auf Aktiengesellschaften, deren Aktien sich im Streubesitz befinden und die von einem selbständigen Management geführt werden, kaum zu. Die faktische Verfügungsgewalt der Kleinaktionäre, die nur Miteigentümer gemäß jeweiligem Kapitalanteil sind, ist ohne Bündelung der Stimmrechte und ohne organisatorische Vertretungsmacht meist nur gering. Zudem können generell die tatsächlichen Verfügungsund Nutzungsrechte von Privateigentümern an Produktionsmitteln beträchtlich eingeschränkt werden, und zwar sowohl durch gesetzliche und staatlich-administrative Regelungen (z.B. aus Gründen des Arbeits- und des Umweltschutzes) als auch durch steuerliche Abgaben Verpflichtungen. Umgekehrt garantiert die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln allein noch keineswegs, daß in der neuen Eigentumsordnung nunmehr alle Mitglieder der Gesellschaft tatsächlich gleiche Verfügungsrechte besitzen. Marx, der Herrschaftsverhältnisse aufzeigen wollte, hat nicht erkannt oder verdrängt, daß nicht der eigentumsmäßige Rechtstitel, sondern die faktische Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, die ersteres nicht unbedingt voraussetzt, das entscheidende Faktum für ökonomische Machtausübung ist. Möglicherweise hat er dieses Faktum bewußt unterdrückt; denn bei Anerkennung wäre ein wesentliches Glied in seiner Beweiskette, die alle Unterdrückung und Ausbeutung allein dem Privateigentum an Produktionsmitteln anlastete, gebrochen. Außerdem wäre bei Zugrundelegung des Kriteriums der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel deutlich geworden, daß im Sozialismus eine relativ kleine Schicht von Funktionären, die aufgrund ihrer faktischen Dispositionsgewalt über den formal allen Gesellschaftsmitgliedern gehörenden Produktionsapparat die wesentlichen Entscheidungs- und Lenkungsfunktionen ausübt, ihren Willen jederzeit der Masse der weisungsgebundenen Arbeiter aufzwingen kann.

6.5 Typologie von Walter Eucken Eucken, der das „Denken in Ordnungen" entwickelte und zur Richtschnur seines Schaffens machte, schuf einen morphologischen Apparat idealtypischer Wirtschaftssysteme, mit dessen Hilfe er alle konkreten Wirtschaftsordnungen zu allen Zeiten und überall charakterisieren zu können glaubte. Tatsächlich ist es sein bleibendes Verdienst, die Bedingungskonstellationen und die zentralen Aspekte der beiden polaren Grundsysteme „Zentralgeleitete Wirtschaft" und „Verkehrs-

6. Kap.: Typisierungsansätze und Typologien

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Wirtschaft" herausgearbeitet zu haben. D e r Idealtypus Zentralgeleitete Wirtschaft ist dadurch gekennzeichnet, „daß die Lenkung des gesamten wirtschaftlichen Alltags eines Gemeinwesens aufgrund der Pläne einer Zentralstelle erfolgt 3 5 . Die reine Verkehrswirtschaft „besteht aus Betrieben und Haushalten, die miteinander in Verkehr oder Tausch stehen", wobei vorausgesetzt wird, daß die Haushalte kein Gut selbst herstellen (also auch nicht kochen), sondern alle Güter und Dienstleistungen von den Betrieben kaufen und lediglich für den eigenen Bedarf verwenden. 3 6 Es handelt sich hier also um Idealtypen, die nicht Abbilder konkreter Wirklichkeit, sondern „reine F o r m e n " sind. Der instrumentale Wert dieser beiden extremen Formen von Wirtschaftssystemen liegt weniger in der analytischen A n w e n d u n g auf das komplexe Wirtschaftsgeschehen, sondern vielmehr in der Möglichkeit, aufgrund exakt bestimmter Modellprämissen Wirtschaftsabläufe und zentrale ordnungspolitische Probleme sichtbar zu machen. Als Werkzeuge für die Analyse konkreter Wirtschaftsordnungen der Gegenwart sind jene Zwischenformen, die zwischen reiner Zentralverwaltungswirtschaft und reiner Marktwirtschaft liegen, weitaus wichtiger. Schon bei Eucken begegnen uns solche Zwischenformen, die er aus spezifisch terminologischen Gründen den Idealtypen zurechnet. Dabei m u ß beachtet werden, daß Eucken den Begriff „Idealtypus" nicht im gebräuchlichen Wortsinne von „Vollkommenheitsideal" benutzt. Idealtypen sind f ü r ihn gedankliche Modelle, die allerdings nicht willkürlich konstruiert, sondern der wirklichen Wirtschaft in ihren prägenden Elementen nachgebildet wurden. Sie dienen in ihrer Anwendung der Aufdeckung konkreter ökonomischer Zusammenhänge. Eucken möchte die Bezeichnung „Realtypus", die darauf hindeutet, daß konkrete Wirklichkeit abgebildet wird, nur auf solche Typisierungen wie z . B . die Wirtschaftsstufen (Haus-, Stadtwirtschaft etc.) - angewandt wissen, die einen realen Zustand (wenngleich - wie Eucken meint - oft an unanalysierten Tatsachen) zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellen wollen. Idealtypen, die durch pointierend hervorhebende Abstraktion aus der Analyse der wirklichen Wirtschaft gefunden werden, sind dagegen für ihn zeitungebunden. 3 7 Eucken unterscheidet bei den zwei größenmäßig differierenden Formen der „Zentralgeleiteten Wirtschaft", nämlich der „Eigenwirtschaft" und der „Zentralverwaltungswirtschaft" 3 8 , jeweils zwischen drei Varianten: Total zentralgeleitete Wirtschaft, Zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch und Zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Konsumwahl. 39 Die „Total zentralgeleitete Wirtschaft", in der sowohl der Einsatz aller Produktionsfaktoren als auch die Verteilung der Konsumgüter zentral erfolgen, ohne daß ein Tausch der zugeteil-

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38

39

W. Eucken, 1950, S.79. Ebendort, S . 8 7 f . Zur Interpretation des Begriffs „Idealtypus" vgl. W. Eucken, 1950, S.41 und 268. Dazu sei angemerkt, daß es fraglich sein dürfte, o b diese spezifische terminologische Festlegung des Begriffs „Idealtypus", die sich nicht an den üblichen und allgemeinverständlichen Wortsinn hält, wirklich treffend gewählt wurde. Man kann durchaus der Meinung sein, daß die Bezeichnung „Realtypus" im üblichen Sinne ( d . h . näher an der Realität sein!) das Anliegen Euckens, nämlich „die Ordnungsformen der Realität" aufzudecken, eigentlich viel besser ausgedrückt hätte. Zudem wären immer wiederkehrende Mißverständnisse über den Charakter von Idealtypen, der im Gegensatz zu der Euckenschen Definition mehr in der Vorstellung von Utopie und Wirklichkeitsferne gesehen wird, vermieden worden. Es ist deshalb zweckmäßig, nur die beiden Grundformen von Wirtschaftssystemen als Idealtypus im herkömmlichen Sinne, dagegen die Zwischenformen jeweils als Realtypus zu bezeichnen. Die Eigenwirtschaft oder „Einfache zentralgeleitete Wirtschaft", die oft nur eine Familie umfaßt, ist für den Leiter übersehbar, während die Zentralverwaltungswirtschaft wegen ihrer Größe einen besonderen Verwaltungsapparat haben muß. W. Eucken, 1950, S . 8 0 f f .

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ten Güter zugelassen ist, scheidet als extreme Ordnungsform praktisch für reife Volkswirtschaften aus. Bei den anderen beiden Formen zentralgeleiteter Wirtschaft handelt es sich eindeutig um Zwischenformen, die sich von der extremen Form der völlig zentralgeleiteten Wirtschaft wesentlich abheben, ohne sich bereits dem polaren System der reinen Marktwirtschaft zu nähern. Zwar ist bei der „Zentralgeleiteten Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch" der Wirtschaftsplan der Zentralinstanz in erdrückendem Maße dominierend, doch können die Verbraucher wenigstens auf einem kleinen Teilgebiet eigene Pläne aufstellen und die zugeteilte Menge und Zusammensetzung der Konsumgüter durch Tausch untereinander verändern. Eucken charakterisiert die „Zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch" folgendermaßen: „Die Alleinherrschaft eines Planträgers ist dadurch abgemildert, daß auch die Bedürfnisse und Wirtschaftspläne der einzelnen Empfänger von Konsumgütern sich äußern können. Allerdings ist das nur in bescheidenem Ausmaß der Fall. Aber der reine „Monimus" ist beseitigt, und ein gewisser „Pluralismus" der Pläne macht sich geltend. Beim Tausch bilden sich >Tauschwerte< . . . . Ist dieser Tausch von Konsumgütern nicht nur ein gelegentlicher, sondern ein dauernder, so bilden sich Märkte und Preise unter Gebrauch eines allgemein gültigen Tauschmittels, des Geldes. Die Märkte stehen zwar ganz im Schatten der zentralen Leitung und ihrer Entschließungen; dem Wirtschaftsplan der Zentralleitung sind die Wirtschaftspläne der Einzelnen aufs strengste untergeordnet." 4 0 In einer „Zentralgeleiteten Wirtschaft mit freier Konsumwahl" erhalten die Verbraucher die Konsumgüter von der Zentralstelle weder unmittelbar noch mittelbar durch Bezugscheine zugeteilt, sondern sie können die Güter im Rahmen deren Verfügbarkeit frei wählen und kaufen. Eucken betont, daß hier die Nachfragenden ihre eigenen Wirtschaftspläne gegenüber der Zentralleitung zur Geltung bringen können. Seines Erachtens kann sich die Zentralstelle gegenüber solchen Äußerungen der individuellen Wirtschaftspläne in zweifacher Weise verhalten: Sie kann als Monopolverkäufer aller Konsumgüter z.B. die Preise so hoch festsetzen, daß eine wachsende Nachfragemenge auf die quantitativ konstant geplante Produktion zurückgeschraubt wird. Dadurch kann es ihr eventuell gelingen, den zentralen Wirtschaftsplan vom Einfluß der individuellen Nachfragepläne ziemlich unabhängig zu machen. Die Zentralstelle könnte aber auch ganz anders reagieren. Sie könnte nämlich die Nachfrageimpulse bewußt auf ihren Produktionsplan wirken lassen, indem sie z.B. eine steigende Nachfrage zum Anlaß nimmt, auch die zu planende Produktionsmenge zu vergrößern. Ist der Wirtschaftsplan der Zentralstelle völlig von den Wirtschaftsplänen der Nachfrager abhängig, so ist nach Eucken „die Grenze der zentralgeleiteten Wirtschaft erreicht oder überschritten. Man kann diesen . . . Fall . . . schon der Verkehrswirtschaft zuweisen: Eine Monopolverwaltung, die alle Märkte beherrscht, versucht, die Nachfrager nach dem Prinzip »bestmöglicher Versorgung 3 U60 > 60 C