Wiege, Bett und Recamier : Kleine Kulturgeschichte des Liegens 3517008893


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Wiege, Bett und Recamier : Kleine Kulturgeschichte des Liegens
 3517008893

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ANTHONY BURGESS

OCCL KLEINE KULTURGESCHICHTE

DES LIEGENS

SÜDWEST

Jan van Eyck: Die Geburt Johannes des Täufers

Anthony Burgess

Kleine Kulturgeschichte des Liegens

Südwest Verlag München

Titel der Originalausgabe Anthony Burgess, On going to Bed. Titel der italienischen Ausgabe Anthony Burgess, Letti Rechte der italienischen Ausgabe: Rizzoli Editore, Mailand Realisation: Harald C. Lindinger Grafische Gestaltung: Gerry Valsecchi und Pippo Ansaldo Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Weyergraf Text: © 1982 Anthony Burgess Illustration und ergänzende Texte: © 1984 Rizzoli, Mailand Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe: Südwest Verlag GmbH & Co. KG, München 1. Auflage 1985 ■ ISBN 3-517-00889-5 Schutzumschlagentwurf: Adolf Bachmann, Reischach

Schutzumschlagabbildung: Carl Spitzweg ( 1808-1885), Der arme Poet (1839, Ausschnitt), Bayerische Staatsgemälde-Sammlungen, Neue Pinakothek, München. Foto: Artothek - Joachim Bland, München. Gesamtherstellung: Rizzoli Editore, Mailand Printed in Italy

Bildnachweis Borromeo: 16 Mitte; 40 o. / Compagnie Internationale des Wagons-Lits: 39 o. r. / The Cooper Bridgeman Library: 17 u.; 26/27; 50 o.; 51 u.; 64 u.; 79 o. 1. und o. r. / Costa: 12 o.; 13 Mitte 1.; 14 Mitte; 28/29; 38 Mitte; 41 o.; 51 o. r.; 54; 55 Mitte 1. und u. 1.; 79 u. r.; 87 / E T Archive: 78 u. / Mary Evans Picture Library: 16 u.; 17 o.; 18; 78 o.; 79 u. I. / Arch. Fabbri: 6; 76/77 / Magnum-Barbey: 92 o. / Magnum Kessel: 61 / Magnum-Lessing: 42; 66 o.; 75 o. 1. und u. / Mairani: 36/37 Mitte; 37 o.; 65 o. r.; 89 o. 1. / M. Pedone: 24 o. / Pizzi e Chiari: 12 u. 1.; 38 u. r. und u. 1.; 62 Mitte, zweites und drittes Bild von oben; 74 u.; 89 o. r.; 91 o. 1. / Pucciarelli: 13 o.; 13 Mitte r.; 14 u.; 16 o.; 24 u.; 25 u.; 36 o. und Mitte; 37 u.; 55 o. r.; 62 o.; 64 o.; 65 Mitte o. und u.; 66 u. r.; 88; 89 Mitte o.; 90 o. r. / Ricciarini-Simion: 25 o.; 49; 63 o. r.; 65 o. 1.; 67 u.; 74 o.; 91 o. r. und u. / Ricciarini-Tomsich: 90 o. 1. / Arch. Rizzoli: 2; 12 u. r.; 14 o.; 23; 30; 38 o.; 39 u. 1.; 51 o. 1.; 56; 62 u.; 63 o. 1.; 66 Mitte und u. 1.; 75 o. r.; 80; 89 u.; 90 u.; 92 u.; 96 / Ann Roman Picture Library: 39 o. 1. / Scala: 11; 13 u.; 15 u.; 35; 50 u.; 52/53; 55 o. 1. und u. r.; 67 o.; 73; 74 Mitte / SEF: 12 Mitte r. und Mitte 1.; 24 Mitte; 41 u. 1. und u.r.; 63 u. / SNCF: 39 u. r. / Titus: 15 o.; 36 u.; 37 Mitte r.; 40 u.; 68 /

Die Gemälde stammen aus folgenden Museen Amsterdam Rijksmuseum: 12 u. r. / Amsterdam, Stedelijk Museum: 96 / Assisi, San Francesco: 74 Mitte 1. / Barcelona, Museum of Modern Art: 50 u. / Birmingham, City Art Gallety: 50 o. / Bombay, Prince of Wales Museum: 40 o. / Buffalo, Albright Knox Art Gallery: 62 u. / Kairo, Ägyptisches Museum: 16 Mitte / Detroit, Institute of Arts: 75 o. r. /Ferrara, Palazzo di Schifanoia: 55 u. r. / Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana: 73 / Florenz, Archäologisches Museum: 24 u. / Florenz, Museo degli Argenti: 52/53 / Florenz, Uffizien: 80 / Genua, Galleria d’Arte Modema: 67 o. / Genua, Palazzo Reale: 67 u. / London, Tate Gallery: 75 u. / London, Victoria & Albert Museum: 26/27 / Madrid, Prado: 23; 62 o.; 74 o. / Mailand, Brera: 91 u. / Montpellier, Musée Fabre: 66 u. 1. / München, Alte Pinakothek: 14 o. / New York, Museum of Modem Art: 92 u. / Paris, Louvre: 30; 49; 76/77; 15 o. r. 62 zweites Bild von oben; 63 o. 1.; 65 u.; 66 Mitte; 91 o. r. / Paris, Musée Carnavalet: 56 Paris, Musée de P Armée: 42 / Paris, Musée d'Art Moderne: 62 drittes Bild von oben; 63 o. r. /Paris, Petit Palais: 75 o. 1. / Perugia, Galleria Nazionale delPUmbria: Il / Prato, Duomo: 15 1. / Rom, Galleria Borghese: 14 u. / Rom, Galleria Nazionale d’Arte Modema: 88 u. / Rom, Vatikanische Museen: 6,16 o.; 51 o. 1. / Rom, Museo die Villa Giulia: 25 o. / San Gimignano, Pinacoteca Civica: 55 / Tarquinia, Archäologisches Museum: 24 Mitte; 66 u. / Teheran, Gulistan Palast: 41 u. 1. / Turin, Museo Civico: 2 / Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana: 68 / Wien, Kunsthistorisches Museum: 13 Mitte r. / Volterra, Etruskisches Museum: 24 o. / Washington, National Gallery: 90 u. / Winterthur, Reinhart Coll.: 89 u.

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Erstes Kapitel

er Prophet Moses, der uns aus der Knechtschaft der Vielgötterei befreite und uns lesen und schrei­ ben lehrte, damit wir Verträge und Bündnisse schließen können, zeigt sich uns zuerst in einem Korb, wie er den Nil hinab seiner königlichen Adoption entgegentreibt. Seine Schwester Miriam hatte seinen Korb aus Binsen geflochten, und während sie die kostbare Fracht zum Ufer hinuntertrug, sang sie vielleicht das erste Wiegen­ lied. Dabei durfte der spätere Befreier seines Volkes keines­ falls schreien. Er hätte sonst die Aufmerksamkeit der ägypti­ schen Häscher auf sich gelenkt, die den Befehl hatten, alle männlichen israelischen Kinder zu töten. Wir zweifeln nicht, daß schon in diesem Lied der Buchstabe L vorkam, ein flüssiger Konsonant, den man auch eine Liquida nennt. Er ist der wohltuendste und beruhigendste Laut im ganzen Alphabet. Kein Wiegenlied kommt ohne ihn aus. Miriam, die jungfräuliche und künftige Prophetin, ist die erste der Gro­ ßen Mütter. Eva hat ihren Kindern außer der Erbsünde nichts mitgegeben. Eine Flüssigkeit ist auch unser erstes Bett. Das Wasser, auf dem Moses ausgesetzt und wiedergeboren wurde, ist ein Symbol des mütterlichen Fruchtwassers, das ihn kurze Zeit zuvor noch umschloß. Vor der Geburt ist das Leben eines Kindes ein sanftes Wiegen, und unsere klugen Vorfahren wußten sehr gut, daß man diesen Gleichtakt auch nach der Geburt noch eine Weile lang fortsetzen müsse. Das Schau­ keln der Wiege, in dem sich das Wogen und Fluten des Meeres wiederholt, ist einer der ältesten musikalischen Rhythmen. „Geschaukelt in der Wiege der Tiefe“, heißt es in einem alten Lied, und Walt Whitmans Sea Drift beginnt: „Aus der ewig schaukelnden Wiege.“ Schlaf ist eine sanfte, wiegende Fahrt entlang dem Fluß der Finsternis. Dieser sanfte und gleichmäßige Rhythmus kann zuweilen in einen heftigen und weniger regelmäßigen

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Takt übergehen, etwa in das Schaukeln des Windes. Ein altes Kinderlied, das uns aus dem sechzehnten Jahrhundert überliefert ist, aber vielleicht noch älter ist, beginnt ein­ schmeichelnd: Rockabye baby ort the tree-top When the Wind blows the cradle will rock

Wiege mein Kind in dem Wipfel Wenn der Wind weht, schaukelt die Wiege

Doch es endet mit einer Erinnerung an die Mitgift Evas: When the bough breaks the cradle will fall Down will come cradle and Baby and all Wenn der Zweig bricht, wird die Wiege fallen Herab stürzt die Wiege mit dem Kind und mit allem

Eine Mahnung auch an die Mutter, die Wiege nur kräfti­ gen Zweigen anzuvertrauen. Tacitus erzählt, daß die ger­ manischen Stämme zweitausend Jahre vor unserer Zeit nicht nur ihre Kinder, sondern auch die alten Männer in Wiegen legten und diese an Bäume hängten. Die ganz Jun­ gen wie die ganz Alten sind ebenso liebenswert wie lästig. Sie können weder das Feld pflügen noch Waffen tragen. Die ägyptische Hieroglyphe für Kind und Greis ist ein und die­ selbe. Alte Männer wiegen sich in Schaukelstühlen, wäh­ rend sie an ihrer Pfeife saugen. Kleine Kinder saugen an ihren Flaschen. Zahnlos und mit schlaffen, unbewegten Churchillgesichtern erkennen sie ihre Verwandtschaft. Einer der frühesten Gerüche, die ein Säugling außer denen der Mutter wahrnimmt, ist wohl der Duft des Holzes. Das Holz der Wiege war ursprünglich Birkenholz, das die bösen Geister vertreibt. Holunderholz war gefährlich, denn es lockt die Elfen an, die das Kind drücken und bedrücken.

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Die Wiege der niedriggeborenen Kinder wurde meist aus Holz gefertigt, die der hochgeborenen aus Metall. Ein gewölbter Schild war eine herrliche Schaukel für Offiziers­ kinder: Der erste Prinz von Wales lag auf einem solchen Schild, als er dem Volk gezeigt wurde. Georg IV. von Eng­ land schlief in einer goldenen Wiege. Doch alle diese noblen Wiegen, ob sie nun aus Gold, Silber oder Eisen waren, erfüllten ihren Zweck doch erst, wenn sie auf Kufen stan­ den. Denn auf das Schaukeln kam es an. Und dieses Schau­ keln scheint heute in der kindlichen Lebensordnung nicht mehr vorzukommen. Irgendwer hat einmal gesagt, daß es blutarm mache und zu Kopf steige. Heute werden die Kinder in Bettchen gelegt, die kleine vergitterte Kerker sind. Ihr kleines Universum ist bewegungslos geworden. Und doch schlafen wir weit bis in unser Erwachsenenle­ ben am besten, wenn wir in Bewegung versetzt werden — wie das Moseskind. Als ich das erste Mal auf einem Trup­ penschiff fuhr, mußte ich mit einer Hängematte umzugehen lernen, mußte zusehen, wie ich in sie hineingelangte. Als ich das einmal heraushatte, schlief ich so gut wie niemals zuvor. Jetzt, da wir nicht mehr so oft zu See reisen, sind Schlafwa­ gen die beste Art, aktiv zu werden (indem wir uns etwa von A nach B oder sogar nach Z fortbewegen lassen) und dabei doch nichts zu tun (nämlich zu schlafen). Doch bleibt uns noch anzumerken, was es mit dem Schlafen in einem halb­ leeren Jumbo auf sich hat. Als ich vor kurzem von Kuala Lumpur nach London flog, schlief ich auf Plastikkissen und unter papierdünnen Decken auf einer langen Sitzreihe, deren Armlehnen man hochgestellt hatte. Das Flugzeug sackte bei Turbulenzen durch und wurde wieder emporge­ rissen, und so war an einen ruhigen Schlaf nicht zu denken. Aber die Unterbrechungen waren von der Art, die das Ver­ gnügen am Schlaf noch steigerten. Auch ein Film wurde gezeigt. Doch niemand schaute hin. Allenfalls erlebte man

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ihn in den Verwandlungen eines Traums. Seine Schlüssel­ szene war ein brennendes Flugzeug. Doch ein Schlafwagen ist nicht zu übertreffen. Irgend etwas in uns ist dem Schlaf nicht wohlgesinnt - „Kurz, ja kurz deine Herrschaft sei und gib der Welt uns wieder frei“ und irgendwie fühlen wir uns betrogen, wenn wir gerade dort aufwachen, wo wir eingeschlafen sind. Außer Erschöp­ fung, einigen dummen Träumen, einer überfüllten Blase und einem trockenen Mund ist nichts gewonnen. In einem Schlafwagen erreicht man Paris oder Barcelona, Bom oder Mailand. Hin und wieder wecken einen das Licht eines Bahnhofs und das Pfeifen des Stationsbeamten. Es ist, als hätten wir einen Diener beauftragt, uns zuweilen zu wekken, aber doch nur, um uns zu sagen, daß es noch lange nicht an der Zeit sei aufzustehen. Man wird zudem wie ein Kind zu Bett geschickt. Man findet sich in einem Baum wieder, der nur zum Schlafen da ist. Man ist für nichts verantwortlich und muß auch den Zug nicht selber führen. Man wird wie ein Kind gewiegt, aber zugleich bewältigt man eine typische Erwachsenenaufgabe: Man reist von einem Ort zum anderen. Aber es kommt auch vor, daß sich der wiegende Rhythmus in eine peinigende Musik verwandelt. Dann nämlich, wenn wir betrunken schlafen gehen und das ganze Bett zu schwanken beginnt. Das Fußende des Bettes kommt uns entgegen, und eine überreizte innere Stimme sagt uns, daß es ein schlimmes Erwachen geben wird. Es gehört wohl zu den unerfreulichsten Eindrücken, die das Leben bereithält, wenn man in einer Schiffskabine nicht einschlafen kann. Man ist vollkommen nüchtern und hat doch das Gefühl, betrunken zu sein. Eine solche Situation läßt einen an den Sündenfall glauben.

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Piero della Francesca: Predella eines Altarpolyptychons mit einem Wunder des hl. Antonius

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Wiegen

Eine Wiege aus i 'altellina, Italien, 19. Jahrhundert

Ärzte und Psychologen wissen noch nicht genau, warum das Wiegen ein Neugeborenes beru­ higt. Sie stimmen lediglich dar­ in überein, daß es seine Wir­ kung tut - zurgroßen Erleichte­ rung aller Eltern und Ammen. Das erklärt auch, warum die Wiege bis in die früheste Ge­ schichte, vielleicht sogar bis in die vorgeschichtliche Zeit, zu­ rückgeht. Ihre Form wurde vielfach ab­ gewandelt und reicht von dem einfachen ausgehöhlten Baum­ stamm der frühgeschichtlichen Kulturen bis hin zu der aufwen­ dig verzierten Brustolon-Wiege aus Nußbaum (jetzt im Mu seum Hörne, Florenz), der Wie­ ge von lältellina, in der sich Jahrhunderte volkstümlicher Tradition vereinigen, oder bis zu jener Wiege aus dem 16. Jahrhundert, die im Casa Cavassa Museum in Saluzzo zu besichtigen ist. Ein Mittelding zwischen Schlichtheit und Kunstfertigkeit stellt der Brut­ kasten dar, und, ein anderes Extrem, die Wiege, die für Na­ poleon Bonapartes Sohn ange­ fertigt wurde, der mit dem Titel eines Herzogs von Beichstadt am Wiener Hofaufwuchs. Nach dem Holz ist Flecht­ werk aus Weidenruten das ge­ bräuchlichste Material. Es wurde in Holland im 17. Jahr­ Brutkasten hundert (vgl. das Bild von Maes) und im 19. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern verwendet und ist auch heute noch in Gebrauch. Im allgemeinen werden Wiegen auf gebogenen Kufen hin und her bewegt. Sie können aber auch, wie in syrischen Häusern, an Biemen oder Stricken hän­ gen. Schließlich gibt es auch Spielzeugwiegen. So schließt sich der Kreis, und wir kehren zur Kindheit zurück.

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N. Maes: Junge Frau mit Kind (Ausschnitt)

Nußbaumwiege, wahrscheinlich aus dem späten !8. Jahrhundert

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Bett und Geburt Unser Herr begnügte sich mit ein wenig Stroh und einer Krip­ pe. Manche erblicken in einem Taxi, einem Fahrstuhl oder in einer Flughafenhalle das Licht der Welt. Doch das sind Aus­ nahmen. Die meisten wurden und werden immer noch in ei­ nem Bett geboren. Und sie wer­ den aller Voraussicht nach auch weiterhin dort zur Welt Meister des Marienlebens: GeburtMariens (Ausschnitt) kommen allerdings höchst­ wahrscheinlich in einem dieser maschinenähnlichen Folterbet­ ten, wie sie in den modernen Entbindungskliniken stehen. Mit der Gestalt der Betten än dert sich auch die Szenerie der Geburt. Wir brauchen uns nur die Geburtsdarstellungen auf den Renaissancebildern anzu­ schauen, um festzustellen, was sich seitdem alles gewandelt hat. So zum Beispiel das Bild des Meisters des Marienlebens (heute in der Münchener Alten Pinakothek), das der „Geburt Mariens“ oder das Gemälde Lambert Sustris’, das in der Galleria Borghese in Rom hängt: Frauen, Diener und so­ Das Leben gar Fremde trösten, ermuntern, Griseldas beglückwünschen und stören (anonym) wohl auch die Gebärende. Die Methode, Säuglinge in Bänder einzuwickeln, wird auf dem Bild „Die Anbetung der Hl. r ■ .i drei Könige“ von George de La R V Tour, die heute im Louvre hängt, anschaulich dargestellt; aber auch auf einem Fresko im ■ ■ Castello von Roccabianca, das i i um 1480 entstand und durch die zehnte Geschichte des zehn­ ten Tages im Decamerone an­ geregt wurde.

Lambert Sustris: Eine Geburt

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Festmahl Didos und Aneas’ (anonym)

Ein Bett für alle Gelegenheiten Ein Bett ist kein Uöhnraurn; doch es kann etwas Ähnliches sein, und vielleicht noch etwas mehr. Es ist ein Holzmöbel mit vielen Funktionen, um das her­ um sich das Familienleben ganz oder teilweise abspielt. So ist das Bett im täglichen Leben zu einem Symbol der Bequem­ lichkeit und der Entspannung geworden, ob man sich darin nun ausstreckt, um ein Nicker­ chen zu machen, oder auf ihm liegend seine Gäste empfängt, wie dies die Damen im acht­ zehnten Jahrhundert zu tun pflegten. Den typischen Komfort, vom Bett aus die Mahlzeiten einzu­ nehmen, wußte man in derAnti ke zu schätzen, wie es ägypti­ sche Darstellungen auf der Ste­ le des Pharaos Amenemhet (12. Dynastie ca. 2000 v. Chr.) und das durch die Geschichte von Dido undÄneas’ angeregte Bild im Vatikanischen Museum be­ zeugen. Für Kinder ist das Bett ein Inbegriff der Geborgenheit und Frühstück eines kleinen Kindes (anonym) der Liebe, weshalb sie auch mit allen Tricks in das Bett der El­ tern zu gelangen versuchen. Für die Eltern wiederum ist das Füttern der Kinder im Bett eben­ falls ein Akt der Zuneigung, wie man auf den Abbildungen un­ ten auf dieser Seite sieht. Früh stück im Bett: Unter den auf­ merksamen Blicken zweier Spielkameraden wird das Kind gleich nach dem Gebet seine Mahlzeit genießen. Und was könnte es Schöneres geben, als am Morgen nach ei­ nem vergnüglichen Ball in ei­ nem weichen Bett aufzuwachen und genüßlich die Klatschspal­ ten der Zeitung durchzugehen?

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Stele des Pharaos Amenemhet: Familienszene

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Betende Kinder (anonym)

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------------------------------- — Zweites Kapitel--------------------------- - ------

enn es nicht gerade Zeit zum Aufstehen ist, kann größeren Kindern das Bett zur wahren Qual werden. Das Ärgste für ein Kind: die Androhung, es ins Bett zu schicken. Doch wenn es sich einmal hingelegt hat und eingeschlafen ist, wäre es grausam, es dort wieder herauszuholen. Unser Leben besteht aus Widersprüchen und Gegensätzen. Schlafen und Wachen sind zwei verfeindete Königreiche. Wir sollten mit beiden verbündet bleiben. Als Kind habe ich immer geweint, wenn es hieß, daß es Zeit sei, ins Bett zu gehen. Nicht nur, weil ich den warmen Kamin verlassen und in die Kälte und Finsternis hinaus­ mußte. Es war wie ein Todesurteil mit der sicheren Hölle danach. In jenen Tagen wurden die Schlafzimmer niemals geheizt, und wenn man das Hemdchen auszog, war es, als käme man mit Metall in Berührung. Überall in der Dunkel­ heit drohten Henkerbeile. Und ich wußte, daß mir das eilige Nachtgebet da auch nicht helfen konnte. „Sterb’ ich, noch eh’ ich erwachen kann; nimm Gott Dich meiner Seele an.“ Was anderes konnte dies schon bedeuten, als daß die Ursa­ che für solchen frühen Tod im Schlaf selber verborgen war. Wenn der Schlaf ein Bild des Todes war, dann konnte er sich nur allzu leicht in diesen selbst verwandeln. Doch ich kroch in das große, kalte Bett und überlebte - in einer grausigen Welt der Gespenster. An der Wand gegenüber meinem Bett hing das Bild einer Zigeunerin, die Karten legte. Auf dem Rahmen stand: Nimm dich in acht! Das letzte, was ich sah, ehe ich das Licht löschte, war dieses Bild. Aber wenn das Licht erlosch und ich die Augen schloß, dehnte es sich aus und wurde zu einer riesigen Tür. Diese Tür öffnete sich. Eine blecherne, höhni­ sche Musik ertönte, und es zeigte sich eine Landschaft aus Knochen und Pferdemist, die von einer Art Höllenfeuer strahlend erhellt wurde. Winzige Männer mit Hundegesich­ tern sprangen von einem Bein aufs andere und riefen mei­ nen Namen. Sie wollten mich bei sich haben, wahrschein­ lich, um mich zu töten und zwischen all den Knochen im Dreck zu verscharren. Ich schrie und schrie und fuhr aus dem Schlaf. Es war dunkel. Nur das trübe Licht der Straßen­ laterne lag auf der Zigeunerin mit ihren Karten (hatte sie die

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Pik Neun aufgeschlagen? Ich verstand damals noch nichts von Wahrsagerei) und den Worten, die ich schon ausspre­ chen konnte: „Nimm dich in acht!“ Auch als Erwachsener werde ich immer noch von Alp­ träumen heimgesucht, und selbst heute noch gehe ich aus Angst vor ihnen nur widerwillig zu Bett. Oft bestehen die Nachtmare aus Knochen und Tierexkrementen, und manchmal verwandelt sich ein solcher Kothaufen in eine Schlange. Freud hätte diese wiederkehrenden Symbole zweifellos deuten können. Doch habe ich auch schon geträumt, wie er eine solche Deutung vornahm. Sie war nicht sehr zufriedenstellend. Wie kann man von gesegnetem Schlaf sprechen, vor allem gegenüber einsamen und phantasiebegabten Kin­ dern, denen der Schlaf so viele Schreckgestalten schickt? Tagmare gibt es nicht, weshalb auch der Schlaf im Schutz des Morgenlichts der beste ist. Es ist geradezu ein Verbre­ chen, Kinder zur Winterzeit frühmorgens aus dem Bett zu treiben, um sie in die Schule zu schicken. Wenn ein Kind sogar im Sommer unbedingt im Bett bleiben möchte, dann haben ihm die gespenstischen Erlebnisse der Nacht offen­ sichtlich alle Kraft geraubt. Die Nacht ist eine schlimme Zeit. Deshalb wird Schwarz auch unter denen, die sich selber Schwarze nennen, für eine böse Farbe angesehen. Keiner, und mag seine Haut auch noch so dunkel sein, wird sich in der Farbe der Nacht wiedererkennen wollen. Vielleicht vergleicht er sich mit der Farbe der Brombeeren oder Auberginen, die rund und lebendig sind, doch niemals mit dieser Verneinung des Lichts, die voller Räuber und Kobolde ist. Neben den bedrückenden Erscheinungen, die sich im Gehirn verbor­ gen halten und nur auf den Schlaf warten, um freizukom­ men, gibt es Dinge, die sich selbst in einem Haus ereignen, an dem sonst überhaupt nichts Geheimnisvolles ist. Es kni­ stert und knarrt in den Möbeln, als wenn sie gerne wüßten, ob sie nun lebendig werden sollen oder nicht. Da sind im Haus die anderen Schläfer, die im Traum seltsame Worte sprechen oder gar schlafwandeln; und man darf sie, um sie nicht tödlich aufzuschrecken, in ihrem Umhergehen nicht stören. Ich erinnere mich, wie ich einmal mit zwei Geschwi20

Stern, Bruder und Schwester, zusammen war, die beide gegen drei Uhr in der Frühe gleichzeitig zu ihrer nächtli­ chen Wanderung aufbrachen. Wunderbarerweise kamen sie sich dabei nicht ins Gehege, sondern setzten ihren Gang unabhängig voneinander fort. Der Junge drehte sämtliche Lichter an, die er erreichen konnte, und legte auf meinem Bett Whistkarten für vier Spieler aus. Das Mädchen wan­ delte lachend durch das Haus und ließ immer wieder das Wort „Paste“ vernehmen. Es gibt viele bizarre Geschichten über das Schlafwandeln. Wir haben wohl alle schon einmal von der Frau gehört, die, als sie in einem großen Hause zu Gast war, in den frühen Morgenstunden aufwachte und das Atmen und die Schritte eines männlichen Wesens vernahm. Sie spürte, wie auf ihrer Bettdecke irgendwelche Gegenstände sorgfältig und offenbar in bestimmter Absicht angeordnet wurden. Sie wagte sich nicht zu bewegen und war so klug, in eine Ohnmacht zu fallen. Gegen Morgen entdeckte sie, daß der Diener schlafend umhergegangen war und auf ihrem Bett für vierzehn Personen den Tisch gedeckt hatte. Der betten­ kundige Lawrence Wright berichtet von dem Baronet von Hampshire, der Abend für Abend im Nachthemd schlafen ging und jeden Morgen splitternackt erwachte. Nachdem auf diese Weise Hunderte von Nachthemden verschwunden waren, bat er einen Freund, an seinem Bett Nachtwache zu halten. Gesagt, getan. Als es ein Uhr schlug, sah dieser, wie der Baronet aus seinem Bett stieg, eine Kerze entzündete und das Zimmer verließ. Der Freund folgte ihm in gehöri­ gem Abstand bis in den Stallhof. Dort sah er, wie der Baronet sich entkleidete, eine Forke nahm und sein Nachtgewand im Misthaufen vergrub. Dann kehrte er, immer noch in tiefem Schlaf, nackt in sein Bett zurück. Eines Morgens erwachte ich und las diese mit einem Lippenstift an die Wand meines Eßzimmers geschriebenen Verse: Laß seine Kohle aufrecht steh’n Und weck allen Anhang, ihr Licht zu seh’n Es war meine Handschrift und der Lippenstift meiner Frau. Manche Leute sprechen von der Inspiration des Schlafes

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und versichern allen Ernstes, daß man im Unbewußten großen Weisheiten auf die Spur kommen könne. Wenn dieser Zweizeiler für Weisheiten dieser Art ein Beispiel sein sollte, so möchte ich lieber bei Bewußtsein bleiben. Anekdoten über das Umhergehen und Schreiben im Schlaf sind entweder peinlich oder erheiternd. Doch sollten sie eher abschreckend sein. Jedes Kind, das in sein Schlaf­ zimmer geht, weiß, daß die Gesetze der Nacht dem Irratio­ nalen angehören, und das Irrationale ist für gewöhnlich bösartig. Was hält uns davon ab, das Bett zu verlassen, einen Mord zu begehen, um sodann wieder in unsere unschuldi­ gen Träume oder unbedeutenden Alpträume zurückzukeh­ ren? Nie werde ich vergessen, was ich 1946 in London erlebt habe. Dieses Jahr hat eine besondere Bedeutung, lag doch hinter uns allen eine alptraumhafte Welt, und unser Denken war aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Gleichgewicht geraten. Ich hatte mich in meinem Hotelzimmer nüchtern ins Bett gelegt, und als ich erwachte, ertappte ich mich zu meiner Überraschung dabei, wie ich in dem Zimmer eines mir völlig fremden Menschen einen Hering verzehrte. Der Fremde plauderte mit mir, als wären wir alte Freunde. Was hatte ich in der Zwischenzeit nur angestellt? Ich traute mich nicht, diese Frage zu stellen. Dieser Vorfall läßt sich am besten mit einem Verlust der Erinnerung erklären: Ich hatte mich ganz normal verhalten, litt aber unter Gedächtnis­ schwund. Doch dies alles wäre nicht geschehen, wenn ich nicht zu Bett gegangen wäre. Auden schrieb: „Vergiß den Tod und alles, was du gelesen, und auch alle Verwirrungen und Schrecken des Betts.“ Ein Kind vergißt niemals diese Schrecken. Am ehesten lassen sie sich durch die Gegenwart eines anderen Menschen vertreiben. Vorausgesetzt natürlich, daß dieser keine bösen Absichten hegt. Aber die Schrecknisse beginnen, wenn das Kind zu alt wird, um bei seiner Mutter zu schlafen, und noch zu jung ist, um mit einem Liebhaber oder einer Geliebten das Bett zu teilen. Für die Liebenden oder Verheirateten wird das Bett zu einem Schauplatz der Verwirrung. Doch mit Glück oder Können läßt sich ihrer Herr werden. Aber gegen die Schrecken der Nacht ist kein Kraut gewachsen. Es sei denn, man ginge erst gar nicht zu Bett.

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Francisco Goya: Saturn

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Das etruskische Bett

Sarkophag mit weiblicher Figur

In der Reihe der antiken Mittel meervölker, die das Bett nicht nur zum Schlafen, sondern auch als einen wichtigen Ort des geselligen Lebens benutz­ ten, stehen die Etrusker an er­ ster Stelle. Unter den Hinterlas­ senschaften ihrer Kultur er­ scheinen Betten auf Fresken, Lasen und Sarkophagen. Tat­ sächlich sind diese Darstellun­ gen so häufig, daß man ihnen kultische Bedeutung beimessen kann. Auf ihren Bettstätten stel­ len sich Männer, Frauen und Paare heiter und gelassen dar. Fast immer stützen sie sich auf ihren linken Arm, während sie bei den Mahlzeiten einen Wein becher in ihrer Rechten halten, oder die Gefährtin liebkosen, die an ihrer Seite hingelagert ist - wie auf dem berühmten Sar­ kophag im Museum der Filia Giulia in Rom. Es wurden ver schiedene Arten Marmor ver­ wendet; aber auch Alabaster, wie für eine weibliche Skulptur im etruskischen Museum zu Pblterra. Die Betten selbst waren recht verschieden ge­ staltet. Dazu gehört auch das klassische Ruhelager mit ge­ schmiedeten Beinen. Der zwi­ schen 217 und 147 v. Chr. da­ tierte Sarkophag der Larthia Seianti befindet sich im Archäo­ logischen Museum zu Florenz. Der Schmuck des „dorischen“ Bettes erinnert an eine dorische Metope (s. den Sarkophag des Richters im Archäologischen Museum, Tarquinia). Sehr mo­ dern wirkt das merkwürdige Alkovenbett aus der Reliefgrab­ stätte in der Nekropole von Cerveteri.

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Sarkophag mit derDarstellung eines verheirateten Paares

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Betten und Baustile

Diwan im Militärstil

Zuerst war es eine Strohschütte in der Ecke, dann wurde das Stroh in einen Sack gefüllt, schließlich wurde eine Matrat­ ze daraus. Das war die ur­ sprüngliche Bedeutung des Bet­ tes: etwas, worauf man liegen und ausruhen konnte. Heute be­ tont man wieder, mit Rücksicht auf ergonomische Prinzipien, die reine Funktion des Bettes. Doch in den Jahrtausenden zwischen der prähistorischen und unserer eigenen Kultur ha­ ben die Bettenbauer etwas ganz anderes vertreten. Und dies gilt besonders für die Zeit zwischen der zweiten Hälfte des 17. Jahr­ hunderts und der ersten des 19. Jahrhunderts. Die eigentli­ che Form des Bettes war da­ mals vergleichsweise unwich tig, und die Elemente, die das Bett bereichern können, traten hervor: das Kopfende, die Bei ne, die Seitenbretter, der Balda­ chin. Auf diese charakteristi­ schen Bestandteile wurde be­ sonderer Wert gelegt. Es entfal tete sich ein verschwenderi­ scher Gebrauch von exotischen Hölzern, Furnieren, von Samt und Brokat, zusammengestellt zu Verzierungen, die einzig da­ zu dienten, Aufsehen zu erregen. Diese Betten, die um jeden Preis auffallen sollten, künden von dem raschen Geschmacks­ wandel in Frankreich von der Regentschaft Ludwigs XV. und Ludwigs XVI., bis zum Kaiser­ reich Napoleons III. Die Abbildungen auf diesen Seiten, entnommen aus Muster­ katalogen und Inventarver­ zeichnissen des Möbelhand Werks, zeugen von den extrava­ ganten Stilformen jener Zeit.

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Französisches Landhausbett

drei Betten aus dem 19. Jahrhundert

Unten: ein Bett, wie es zurZeit Franzi, sehr verbreitet war

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Drittes Kapitel

n der Literatur ist über den Schlaf im allgemeinen wenig zu erfahren. Das Leben der meisten Literaten endet, wenn sie zu Bett gehen, um erst mit dem Früh­ stück wieder zu beginnen. Die beiden Traumbücher von Lewis Caroli sind die bekannteste Ausnahme. Aller­ dings beginnen Alices Abenteuer nicht im Bett, sondern auf einer Sommerwiese und vor einem winterlichen Kamin. James Joyces Finnegans Wake macht ebenfalls eine, wenn auch selten gelesene, Ausnahme. In diesem Buch spielt sich die gesamte Handlung im Kopf des schlafenden Helden ab, eines Kneipenbesitzers, der sich nach einer betriebsamen Nacht zu Bett begeben hat. Die Inhalte seines Traums, der eine phantastische Nachbildung der europäischen Ge­ schichte ist, beziehen sich auf das Bett selber, insbesondere auf die vier Bettpfosten, die nach alter Tradition von den Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes bewacht werden, die sich hier in das achtbeinige Geschöpf Mamalujo verwandeln. Einige der Traumepisoden, die sich durch das ganze Gewebe des Schlafs hindurchziehen, han­ deln von verbotener und meist inzestuöser Lüsternheit. Der im Wachzustand begonnene Liebesakt zwischen dem Hel­ den und seiner Frau bleibt ein Versuch und ist ein völliger Fehlschlag. Doch wo sonst in der Literatur von Betten die Rede ist und Finnegans Wake ist nun wirklich ein Sonderfall -, sind es die Szenen sexuellen Triumphes oder sexueller Nieder­ lage, denen komische Seiten abgewonnen werden können. Das erste berühmte Bett für Liebesabenteuer findet sich in Chaucers Canterbury Tales, in den derb-unanständigen Aufschneidereien des Müllers und des Zimmermanns. Die Tradition des pikarischen Romans hat sehr viel mit Wirts­ hausbetten und mit Leuten zu tun, die in der Dunkelheit in das falsche Bett geraten. Wirtshausbetten waren für Lebenslust und nicht für Alpträume bestimmt. Das größte

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Bett dieser Art läßt sich noch heute im Victoria und Albert Museum bewundern. Es ist elf Fuß lang und fast genauso breit. Aufgestellt wurde es um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts im Gasthaus zur Krone in Ware - daher sein Name: das Große Bett von Ware. Shakespeare erwähnte es, und Ben Jonson ebenfalls. Ganze Gesellschaften von Män­ nern und Frauen oder Mätressen verbrachten hier fröhliche Nächte miteinander, und ihre nackten Beine schlugen einen lustigen Takt dazu. Es war eine ganze Welt für sich, eine Welt der Überraschungen und der Lust. Die Ausmaße des Großen Bettes waren zur Zeit der Tudor nichts Ungewöhnli­ ches. Fast alle Ehebetten waren damals riesig und zum übermütigen Herumtollen wie geschaffen. Die athletischen Liebesspiele haben seit jener Zeit wohl an Kraft nachgelas­ sen. Unsere Ehebetten sind schmal und manchmal sogar in zwei Hälften geteilt. Verbotener Liebe kann man sich auch in sehr engen Betten hingeben. Und das kommt ja auch oft genug vor. Das Ehebett hat königlichen Status, was sich auch in seinen Abmessungen ausdrückt. Es dient nicht nur gelegentlicher Vereinigung, in ihm spielt sich auch zwischen Annäherung und Bückzug das ganze Drama der Ehe ab. Es ist für Streit und Versöhnung, für Frühstück und Abendessen da. In ihm werden nach Art der Mistress Caudle Gardinenpredigten gehalten, und der Herr Gemahl tut gut daran, sich dabei herumzudréhen und sich schlafend zu stellen. Auf Sizilien sind die Betten immer schon besonders groß gewesen. Und letzten Endes ist es wohl die Frau des Bosses, der die Leitung der Mafia obliegt. Zerstöre das Doppelbett, und du schmä­ lerst die Herrschaft. Königen und Premiers ist schließlich im Schutze der Dunkelheit gesagt worden, wie sie das Staats­ schiff zu lenken hatten. Ohne die nächtlich-vertraulichen Ratschläge der Frauen in großen Betten wären männliche Herrscher ein Nichts.

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Getrennte Betten sprechen den auf den Körper bezogenen Ablauf einer Ehe nur zu offen aus. Der Wunsch eines Lie­ benden, seine Geliebte schlafend in seinen Armen zu halten, wird sich zwar nur selten verwirklichen lassen, aber es ist nicht die Aufgabe der Hersteller getrennter Ehebetten, uns darauf so unverblümt hinzuweisen. Es sollte einem schon selber überlassen bleiben, ob man eng umschlungen oder für sich alleine schlafen möchte. Und schließlich sollte es möglich sein, sich einfach ein Stück beiseite zu rollen, anstatt sich erst erheben und zu einer anderen Stelle gehen zu müssen, selbst wenn es bis dahin nur ein paar Schritte sein sollten. Wenn uns einzelne Betten so modern vorkom­ men, dann sollten wir daran erinnern, daß diese Einrich­ tung sicher bis in die Zeit Karls des Kühnen und seiner zweiten Gemahlin Isabella zurückgeht und daß der Gedanke einer Trennung der Betten schon immer in den Köpfen asketischer Kirchenväter herumgeisterte. „Im Hin­ blick auf das hehre Ziel, dem himmlischen Königreich neue Seelen zu gewinnen, ist es unkeusch, wenn Mann und Frau beieinanderliegen.“ Wer hat das gesagt? Origenes? Vitellius? Hamlet hat die Unkeuschheit des gemeinsamen Lagers klar genug ausgesprochen: „Nein, zu leben / Im Schweiß und Brodern eines eklen Betts, / Gebrüht in Fäul­ nis; buhlend und sich paarend / Über dem garst’gen Nest Diese Worte sind voller Ekel gegenüber dem blutschänderi­ schen Inzest, doch ohne Zweifel haben sie auch noch eine andere Bedeutung. Shakespeare war ein heikler, überemp­ findlicher Mann. Er hat, wie manche annehmen, Stratford auch deshalb verlassen, weil er einem gewissen Doppelbett entfliehen wollte. Davon wird noch die Bede sein. Dr. Graham, so berichtet uns Wright in seiner gründli­ chen Studie über das Bett, beklagte 1783 die schamlose Gewohnheit, daß „Mann und Frau jahraus, jahrein wie die Schweine zusammenlägen, in ein und demselben Bett,

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schlafend, schnarchend, ausdünstend - und was es sonst noch an Undelikatem gibt -, und das dreihundertfünfundsechzigmal in jedem Jahr“. Und doch war es eben dieser Dr. Graham, der das Doppelbett erfand, das alle anderen Betten ausstechen sollte. Aber seine Erfindung sollte auch einen Wunschtraum erfüllen und nicht so sehr dem ehelichen Beilager dienen. Dieses Bett wurde das „Himmlische“ genannt und 1778 auf einer Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Es war mit einer ganzen Batterie schwerer Magneten ausgerüstet. Mit ihrer Hilfe sollte die nachlas­ sende Sexualkraft zu neuem Leben erweckt und das Bett zugleich in „die süße, wallende, kitzelnde, vibrierende, see­ lenlösende, markschmelzende Bewegung“ versetzt werden, „die zu bestimmten kritischen und wichtigen Gelegenhei­ ten ebenso unerläßlich wie vergnüglich ist“. Überdies strömten kostbare orientalische Parfums „schmeichelnde Düfte“ aus. Allerdings war diese Erfindung weder für die Serienproduktion noch für den Hausgebrauch gedacht. Das „Himmlische Bett“ war durchaus eine Einzelanfertigung. Es stand im Tempel der Gesundheit im Adelphi zu London und gehörte „Vestina, der Rosengöttin der Gesundheit“, eines Hufschmieds Tochter namens Amy Lyon, der späteren Lady Hamilton und Mätresse Lord Nelsons. Es kostete fünfzig Pfund, in diesem Bett zu übernachten, alleine natürlich. Seine Potenz wiederzuerlangen, war eben etwas ganz Besonderes. Heutzutage kann man in amerikanischen Mo­ tels seine Kräfte gegen Einwurf eines Vierteldollarstücks beleben lassen; diese Art der Anwendung des magnetischen Fluidums geht auf Dr. Graham zurück. Wie die meisten großen Erfinder starb er in Armut.

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M. di Filopuccio:Das Schlafzimmer

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Bettenzubehör Ein Bett, etwas, worauf man sich niederlegen und ausruhen kann; dann ein Möbel mit ei­ nem Kopfende, mit Beinen, ei­ ner Matratze, Bettzeug und ei­ nem Behälter für persönliche Sachen ... Doch das war noch nicht genug. Man brauchte auch einen Wasserkrug und ein Glas neben dem Bett; eine Kerze oder eine Lampe und, bevor der Fortschritt es überflüssig mach­ te, dieses nützliche, Nachtge­ schirr genannte Utensil, das ei­ nem lange beschwerliche Aus­ flüge in die Dunkelheit er­ sparte. Es entstanden Gegenstände für jeden Schlafzimmerbedarf. Bald gab es zum Bett einen eige­ nen Tisch, Konsolen, Stühle und Sessel (für Krankenbesucher), Ankleidetische, Spiegel, Begale und Spanische Wände, die für eine wohlerzogene Dame, da sie sich vor ihrem Mann, wäh­ rend sie ihr Nachtgewand an­ legte, nicht nackt zeigen durfte, unentbehrlich waren. Selbstverständlich spiegelt sich in jedem dieser Einrich­ tungsgegenstände die Mode der verschiedenen Epochen. So geht der Blick von dem Empire­ nachttisch, der jetzt in Fon­ tainebleau aufbewahrt wird, zu dem mit Spiegel und Wasch­ becken ausgestatteten Toilet­ tentisch, der einmal in einem südafrikanischen Kolonial­ haus stand und sich heute im Museum in Port Elizabeth be­ findet. Wir sehen sodann einen Wandschirm aus dem Museum für Kunsthandwerk in Paris oder solche einmaligen Stücke, wie das Bett der britischen Kö­ nigin Victoria aus dem Ken­ sington Palace, oder die kunst­ reichen und wertvollen Karaf­ fen aus dem Besitz Kaiser Franz Josephs.

Ein Toilettentisch aus dem 19. Jahrhundert

Bett Königin Victorias

Porzellankrüge und Karaffen aus dem Schlafzimmer Königin Victorias

Links:Nachttisch im Empirestil

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Ein Waschtisch aus dem 19. Jahrhundert Porzellangefäße aus dem Schlafzimmer Franz Josephs in Schönbrunn

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Das Bett auf Reisen „ Time is money“, lautet das be­ kannte Sprichwort. Der Mensch fand sehr bald heraus, daß der Schlaf eine Zeit- und damit auch eine Geldver­ schwendung sei. So verfiel man auf die Idee, daß man auch un­ terwegs schlafen könne, indem man ein Bett oder etwas Ähnli­ ches mit auf die Reise nahm. Schon die Römer, zumindest die reichen, bedienten sich der carruca dormitoria, eines mit Betten ausgestatteten, Wagens. Alle übrigen begnügten sich mit dem Boden eines Fuhrwerks, der mit ein wenig Stroh gepol­ stert wurde. Die Entwicklung neuer Transportsysteme eröjf nete dem menschlichen Erfin­ dergeist neue Möglichkeiten. Die engen Betten und Fänge­ matten der Segelschiffe waren die Vorläufer der luxuriösen Kabinen auf den großen Transatlantikdampfem aus der Zeit, als noch um das „Blaue Band“ gefahren wurde. Für die Eisen­ bahnen wurde ein ganzes Sy­ stem neuer Übernachtungs­ möglichkeiten entwickelt. Es reicht von den Schlafwagen des legendären Orientexpress’ bis zu den bescheidenen Liegewa­ gen. Dabei sollen die Spezialan­ fertigungen für die nächtlichen Reisen der Staatsoberhäupter und Politiker, wie der für Mus­ solini gebaute Schlafsalon, nicht unerwähnt bleiben. In dieser Hinsicht hat sich aber auch im Straßenverkehr sehr viel getan. Die Innenaus­ stattung eines Wohnmobils heißt diejenigen willkommen, die aufihrem Urlaub das Aben­ teuer suchen, während sich in den knapp bemessenen, aber geschickt entworfenen Kojen der großen Fernlastzüge ein Fahrer ausruhen kann.

Schlafkojen in einem amerikanischen Schiffdes 19. Jahrhunderts

Eine Kabine aufdem Transatlanikschiff Roma Bett in einem internationalen Fernlastkraftwagen

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Innenansicht eines Wohnmobils mit Betten

G? WAGON S LITS

Werbepostkarte der Internatio­ nalen Schlafwagen­ gesellschaft

Links: Innenansicht eines Schlafwagens aus dem 19. Jahrhundert

Abteil eines Liegewagens der französischen Eisenbahn

Unten: Bett in Mussolinis Salonwagen

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Exotische Betten Andere Länder, andere Betten. Bei den östlichen Kulturen feh­ len den Betten meist die Kopf­ enden, die Beine und die hölzer­ nen Nachtschränke. Dafür gibt es Matten, Teppiche, Polster, die oft in mehreren Lagen den gan­ zen Boden des Schlafraums be­ decken. Diese Art Bett wird auf einer indischen Miniatur des 14. Jahrhunderts dargestellt. Eine andere Miniatur aus dem 16. Jahrhundert zeigt ein aus gro­ ßen Polstern bestehendes türki­ sches Bett. Es ist bemerkens­ wert, daß solche Betten, wenn sie sich in großen Empfangs­ räumen befanden, zuweilen auch als Thron dienten. Daß dies auch in Persien der Fall war, belegt der Sonnenthron aus dem Gulistan-Palast in Te­ heran, der 1820für den Günst­ ling des Schahs, Fath Ali, ange­ fertigt wurde. Welch ein Kon­ trast zwischen diesem einmali gen Kunstwerk und der armse­ ligen Pritsche, aufder man sich in Delhi unter einer Brücke wohnlich eingerichtet hat! Eine andere ungewöhnliche Art von Bett ist die Hängematte, die indianischen Ursprungs ist. Sie war schon perfekt entwikkelt, als die europäischen Er­ oberer in Amerika an Land gin­ gen. Sie ist nicht nur sehr zweckdienlich und obendrein platzsparend, sie fängt auch Stöße und schlingernde Bewe­ gungen auf, weshalb sie aufden Schiffen der Eroberer sofort Verwendung fand.

Miniatur aus dem Jahre 1580: Porträt Murads III.

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Karibische Hängematte, 18. Jahrhundert

Pritsche unter einer Brücke in Delhi

Der Sonnenthron aus dem Gulistan palastin Teheran

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Feldbett Napoleons

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Viertes Kapitel

ährend das Bett des Liebenden aus Luft, aus duftenden Rosenblättern oder aus Schwanen­ daunen bereitet sein sollte, so muß das Bett des Soldaten hart sein, und das ist es gewöhnlich auch. Als ich 1940 zur Britischen Armee eingezogen wurde, gab es in meiner schottischen Winterunterkunft weder Bett­ gestelle noch Strohmatratzen. Ich schlief auf dem Boden, eingewickelt in sieben Decken, die bei weitem nicht aus­ reichten, und war froh, wenn es ans Wecken ging. Ich wäre am liebsten auch schon viel früher aufgestanden, aber das hätte nach den Militärgesetzen als unerlaubtes Aufsein während der Nachtruhe auch gegen mich ausgelegt werden können. Zum Unteroffizier befördert, wurde mir in einem dreireihigen Schlafraum die untere Koje eines zweistöcki­ gen Bettes zugeteilt. Im Bettkasten über mir schlief ein dürrer Pioniersergeant, ein Trinker, der das Wasser nicht halten konnte. Die ganze Nacht über ließ er es aromatisch auf mich herabtropfen. Seine durchnäßten Decken mußten Tag für Tag getrocknet werden, aber er wechselte sie kei­ neswegs gegen neue aus. Für ihn waren sie so eine Art Tage­ oder Nachtbuch einer vergnüglichen Sauferei. Als ich nach Gibraltar versetzt wurde, machte ich die Bekanntschaft mit Flöhen, Läusen und Wanzen - mit letzteren vor allem. Wenn ich mich des Nachts im Dunkeln niederlegte, fühlte ich, wie meine ganz persönliche Leibschwadron zur Attacke überging. Drehte ich plötzlich das Licht an, sah ich sie ängstlich, aber nur vorübergehend, den Rückzug antreten. Sie marschierten über die Dielen, die Wände hoch und über die Decke, um zu ihrer blutigen Bettschlacht zurückzukeh­ ren, sobald es wieder finster war. Wir stellten die Pfosten der Bettgestelle in paraffingefüllte Zigarettendosen. Das Bettge­ stell selber, aus solidem Eisen, wurde jeden Sonntag im Hof in ein Feuer gestellt. Magritte hätte es nicht besser erfinden können. Die Wanzen jedoch waren nicht kleinzukriegen. Sie waren trotz ihrer weichen, saftigen Beschaffenheit ein unausrottbarer nächtlicher Terror. Ich tröstete mich recht und schlecht mit der Vorstellung, daß mich diese Heimsuchung in einen frühen Zustand der Menschheit zurückversetzte, den die neuzeitliche Hygiene nur vorübergehend geändert hatte. Bestimmte Theologen

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wollen das nicht zugeben. Läuse, Wanzen und Flöhe, sagen sie, wurden nicht von Gott mit den übrigen Tieren des Paradieses geschaffen. Teuflischer Herkunft, warteten sie auf Adams und Evas Vertreibung aus dem Garten Eden. Um diese kleinen Bestien auszurotten, hat man Jahrtausende lang nichts unversucht gelassen: Leimruten, Wurmholz, Feuer aus übelriechenden Kräutern, Mäntel aus Wolfsfell (die nach Auskunft eines Autors im Jahre 1585 Flöhe, Läuse und Wanzen „wie mit Feuer“ vertreiben), Terpentin, Bier aber diese aufdringlichen Liebhaber des menschlichen Geschlechts blieben uns erhalten. Die Bettwanze oder cimex lectularius kann ein ganzes Jahr ohne Nahrung über­ leben, aber wenn sie einmal frißt, dann frißt sie. Der Floh oder pulex irritans kann sich der Gefahr durch schier unglaubliche Sprünge entziehen. Unsere Vorfahren waren philosophischer als wir. Samuel Pepys, das Urbild aller Lobredner des Zubettgehens, sagte immer, wenn er in die­ sem oder jenen Wirtshaus mit anderen Gästen gesellig im Bett lag: „Die Flöhe halten uns munter.“ John Donne geriet über einen Floh in Ekstase, in dessen „Röhren“ das Blut seiner Frau und sein eigenes flösse und der deshalb ein lebender Bürge ihrer Liebesgemeinschaft sei. Als ich, wieder Zivilist und rachdurstig, nach Malaya kam, um dort zu leben, lernte ich andere und größere Bettgenos­ sen kennen. Eine junge Königskobra kroch in meinen Bun­ galow, rollte sich auf meinem Bett zusammen und zischte zufrieden in der menschlichen Wärme. Die Kröten hielten sich normalerweise im Badezimmer auf und ließen von dort her ihr hohles Unken vernehmen. Doch hin und wieder krochen sie auch unter dem Moskitonetz hindurch und hüpften auf mein Bett. Meine Frau erwachte eines Morgens und sah, wie eine Kröte friedlich auf ihrem Kissen saß und ihre Kehle aufblies. Sie schrie, und ich riet ihr, das Tier zu küssen, damit es sich wieder in einen Prinzen verwandele. Der Spaß gefiel ihr nicht besonders. Was das Moskitonetz angeht, so versagte es nicht nur bei Schlangen und Kröten. Es hielt auch die Moskitos nicht ab. Ich hatte - und, da ich am Mittelmeer wohne, habe ich immer noch - ein großes Mitgefühl mit allen, die seit Jahrtausenden unter ihren Stichen zu leiden hatten. Was wurde nicht alles unternom44

men, diese Plagegeister zu vertreiben: Farnbüschel, Milch mit Hasengalle, in Honig getränkte Tücher, Diener, die während der ganzen Nacht einen Wedel schwingen muß­ ten, Abdichten der Fenster mit ölgetränktem Pergament doch man mußte zu guter Letzt auf eine unfehlbare Erfin­ dung warten. Sie wird seit einiger Zeit in Italien hergestellt und besteht aus einer kleinen batteriebetriebenen Vorrich­ tung, die den Lockruf der männlichen Mücke täuschend nachahmt. Dieser Apparat hält die Weibchen, die ja unver­ besserliche Blutsauger und mehr an der Nahrungsauf­ nahme als an Liebe interessiert sind, auf Distanz. In meinem malayischen Haus besaß ich eine ganz schöne Sammlung an Tieren: achtzehn Katzen, zwölf Hühner und einen prächtigen Roten Rhodeländerhahn, zwei Rhesusaf­ fen, einen Otter mit widerhallendem Bellen, eine große Schildkröte, einen Musang oder Zibetkatze, ein Moschustier oder Pelandok und die von mir schon erwähnte junge Königskobra, die wild in unser Haus kam, aber bald ziem­ lich zahm wurde. Als ich am Morgen meines Geburtstages wach wurde, sah ich, daß mein Boy alle diese Tiere in mein Schlafzimmer gelassen hatte, damit sie mir ein ganz beson­ deres Morgenständchen entgegenbrächten. Der Hahn, der Regulus hieß, hatte das Begrüßungskommando an sich ge­ rissen. Das bringt mich auf die Frage, was an einem jeden Mor­ gen die beste Art des Weckens sein könnte. Nur wenigen Leuten steht dazu ein Hahn zur Verfügung. Wecker sind billiger und auch nicht so angriffslustig. Die älteste Weck­ uhr ist die römische clepsydra oder Wasseruhr. Über dem Kopf des Schläfers wurde ein Gefäß postiert, das die clepsy­ dra während der Nacht so lange mit Wasser füllte, bis sie in der Morgendämmerung überfloß. Auf diese Weise wurde man feucht geweckt und gleichzeitig gewaschen. In den Klöstern oblag das Wecken dem Küster, aber dieser selber mußte ja geweckt werden. Dies besorgte eine Kerze, die König Alfred der Große erfunden hatte. Man steckte Glöck­ chen in die Kerze, die sich beim Herunterbrennen lösten und vernehmbar in eine Metallschale fielen. Eine andere Methode bestand darin, daß an einer durch den Kerzenstumpf gezogenen Schnur ein Gewicht befestigt

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wurde. Sobald die Kerze ganz heruntergebrannt war, ent­ zündete sich die Schnur, das Gewicht fiel herab und weckte den Schläfer. Ich erinnere mich, daß in meiner Kindheit in Nordengland eine humanere Weckmethode in Gebrauch war. Jemand wurde dafür bezahlt, daß er frühmorgens herumging und mit einer langen Stange an die entsprechen­ den Fenster klopfte. Ich hatte einen Onkel, der sich, als er einmal zu spät zur Arbeit erschien, damit entschuldigte, daß es eine heiße Nacht gewesen sei und er sich deshalb mit seinem Kissen auf die Fensterbank gelegt habe. Der Wach­ klopfer hatte mit seiner Stange nun gegen das Kissen gesto­ ßen und war deshalb auch nicht gehört worden. Wieder eine andere Art, sich wecken zu lassen, bestand in einem langen Faden, der um einen Zeh des Schläfers geschlungen wurde. Das andere Ende dieses Fadens hing aus dem Fenster auf die Straße hinab. Wer nun mit dem Wecken beauftragt war, brauchte nur sanft an dieser Schnur zu ziehen, um den Schläfer aus dem Schlaf zu holen. Nebenbei gesagt, das Wecken mit Hilfe eines Hornsignals funktionierte in Wirk­ lichkeit niemals richtig. Vor allem nicht im Winter. Es wurde meist als ein nächtliches Geräusch unter vielen anderen überhört. Soldaten sind am schwersten wach zu kriegen, und wer wird es ihnen verübeln? Die mechanische Weckuhr geht bis auf den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts zurück. Chaucer starb zu früh, um sich ihrer noch zu bedienen. Vielleicht weil sie ihr König dazu ermunterte, haben die Franzosen die ausgeklügeltsten Apparate dieser Art erfunden. Ludwig XIII. besaß eine ganze Sammlung solcher Geräte, und Ludwig XIV. konnte nicht einschlafen, solange er nicht sicher war, daß die Uhr neben seinem Bett auch tickte. Ein Monsieur Musy aus Paris kon­ struierte 1762 eine leilleuse, die während der Nacht leuch­ tete, alle Stunden einen Glockenton ertönen ließ, heiße Suppe oder Kaffee zu jeder Zeit bereithielt und den Schläfer zur Morgenzeit mit einem melodischen Läuten aus dem Schlaf rief. 1781 erfand ein Monsieur Morques aus Marseille eine Uhr, die eine Kerze entzündete, die Vorhänge zurück­ zog und die Fenster öffnete. Der Wiener Joseph Tich baute eine Uhr, deren Weckvorrichtung durch eine Pulverladung verstärkt wurde. Man glaubt, daß Casanova diese Erfindung 46

in Gebrauch hatte. Denn für ihn, der sich ja öfters nicht in seinem eigenen Bett aufhielt, war es geradezu lebenswich­ tig, daß er die Zeit des Aufbruchs nicht verpaßte. Auf der großen Ausstellung des Jahres 1851 stellte ein Mister R. W. Savage ein sogenanntes Alarmbett aus, in dem der Schläfer mit wachsender Grobheit aus seinem Schlaf geholt wurde. Eine Glocke ertönte. Wenn man sie über­ hörte, wurde die Bettdecke automatisch fortgezogen. Schließlich hob sich die Matratze, und der Schläfer rutschte auf den Boden. Wenig später stellte man auf der Leipziger Messe eine etwas zivilisiertere Ausführung eines solchen Automaten vor. Auch hier erklang zunächst eine Glocke, dann eine lautere und schließlich, noch geräuschvoller, eine dritte. Wenn auch das nichts nützte, wurde dem Schla­ fenden die Schlafmütze vom Kopf gezogen und ihm eine schriftliche Aufforderung, das Bett zu verlassen, unter die Nase gehalten. Das äußerste Verfahren, das jedoch durch Darreichung einer Tasse Kaffee gemildert wurde, bestand auch bei diesem Gerät im Ankippen der Matratze. Die ver­ rückteste aller dieser Erfindungen war ein Reisewecker im buchstäblichen Sinn dieses Wortes. Er wurde auf dem Kaminsims abgestellt. Sobald er läutete, begab er sich zugleich auf die Reise und drohte herunterzufallen. Der Aufwachende mußte schon wohl oder übel aus dem Bett springen, um ihn vor der Zerstörung in Sicherheit zu bringen. Die brutalste Form des Weckens ist das Durchschneiden des Seils in gewissen Logierhäusern. Allerdings ist sie in Wirklichkeit nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg übernachtete ich - mehr aus Neugierde als aus Bedürftigkeit - in einem solchen Logier­ haus in London. Zwischen armseligen Kreaturen saß ich auf einer langen harten Bank. Arme und Kopf ruhten auf einem langen, straff gespannten Seil. Als der Wirt dieser Herberge am nächsten Morgen das Seil losband, hätten wir eigentlich alle zu Boden purzeln müssen. Doch ließ ein innerer Mecha­ nismus die meisten von uns kurz zuvor aus dem Schlaf fahren. Oder war es der Warnruf des Wirts? Einer der Schläfer, der diese innere warnende Stimme offensichtlich nicht besaß, ging unsanft zu Boden und wachte noch nicht 47

einmal auf. Er muß wohl außerordentlich erschöpft gewe­ sen sein. Alle die von mir erwähnten Weckvorrichtungen lassen meine Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß es den mei­ sten Menschen sehr schwer fällt, morgens aufzuwachen. Ärzte halten dies allerdings für krankhaft. Wenn einer lange genug geschlafen habe, so verspüre er ihrer Ansicht nach auch den ganz natürlichen Wunsch, das Bett zu verlassen und erfrischt, gut gelaunt und voller Tatendrang den Tag (oder die Nacht, wenn man nachts arbeiten muß) zu begrü­ ßen. Aber was ist schon lange genug? Acht Stunden? Neun? Drei? Ich persönlich glaube, daß man mit dreißig Minuten auskäme, wenn man sein Schlafpensum im Sitzen absolvie­ ren könnte. Nach einer guten Mahlzeit säße man träge in seinem Sessel, hielte die Hände über dem Bauch gefaltet und fiele einem Ruhepol tief in seinem Innern entgegen, den man nur kurz zu berühren bräuchte, um erfrischt wie­ der aufzuwachen. Der Schlaf in einem Bett kommt mir immer irgendwie unnatürlich vor: Erst fällt es schwer, ins Bett zu gehen und dann kommt man nicht wieder heraus. Hier scheint es sich um eine sehr alte Erfahrung zu handeln. Alter und universale Verbreitung der Weckuhren bestätigen dies.

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Guiseppe Maria Crespi: DerFloh

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Aufstehen und Schlafengehen Die persönliche Stimmung hängt mitunter davon ab, wie man aufgestanden ist. Aber wie dem auch sei, wenn wir unseren müden Körper ausstrecken, be­ schließen wir, so oder so, den Tag und bereiten uns auf eine erquickliche Nachtruhe vor. Beide Male handelt es sich um Augenblicke, da wir für kurze Zeit mit uns selber alleine sind. Doch das war nicht immer so. Henn man im Mittelalter (dies zeigt ein Ausschnitt aus einem Gemälde von Gentile da Fabriano) aufstand oder zu Bett ging, so warman in herrschaft­ lichen Häusern von Dienern und Mägden umgeben. In der Benaissance und denfolgenden Jahrhunderten bestand das Aufstehen aus einem strengen Zeremoniell, bei dem jeder Schritt und jede Handreichung der Diener und Höflinge, die sich um das Bett ihres Herrn versammelten, festgelegt war. Im Zeitalter der Bomantik kehrte man zum Privaten zu­ rück. Das idealisierte Bild der Frau trat nun in den Vorder­ grund. Sodann erleben wir, daß man den Augenblick des Schlafengehens als eine Vorbe­ reitung zur Liebe auffaßte (wie auf der Jugenstilillustration zu Balzacs „L’amie du Boi“). Für Kinder sollte es ein Au­ genblick der Zärtlichkeit sein, wenn sie von der Mutter zu Bett gebracht und sanft und liebe­ voll zugedeckt werden. Doch für manche Kinder, wie das kleine Findelkind auf dem Bild Cayley-Bobinsons, bleibt diese zärtliche Fürsorge für immer ein schöner Traum.

Jean François Baffaelli: Le réveil

:LaMandra

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Umseitig: Cosimo Biccardi besucht Gian Gastone de’ Medici

Léon Lebergué zugeschrieben: Illustration zu Balzacs „L’amie du Boi“

Richard Cayley-Robinson: Das Findelkind

Gentile da Fabriano: Das Leben des hl. Nikolaus

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Das Bett und die Erotik

i fiUil ,tl l aviH|l oi »'runnrnl rihjiwt. quoll* liu| iiun’uljiüd (rotroqu* ko nlaniltkro i'Vti Iwuit oolouonl «uh s i\nlw,«qtti lut| i'oh'ul |iluojaókqu¿ aukituo aturo,nour«qiúnvqnlo^Í5 JoV ffliruu Jo loJiol ffi>'t| tiojittoiil ■ 1/ < >' oolrooouolúó.lattl qu’il uoojavoiil sa r. JairolaJi|ji:ron«Joifplattolitoro; gqquanlwuoiour^.oonttnoetloupl voulu iwirot «okhlkifloyi jiouvotit o’uocr ; tnaie il tt’uM quo lut|.lfth'Krli0nw.vt*u qu tl mourulpiirouik »'iuui ’ttr. ■■■■■■ Io J ’atnour.

Man kann sich Liebe ohne ein Bett nur schwer vorstellen. Selbst im Kama Sutra, diesem etwas pedantischen Lehrbuch der Liebeskunst, erfordern die meisten der vorgeführten Tech­ niken ein Bett, wenn sie erfolg­ reich durchgeführt werden sol­ len - um von den außerge­ wöhnlich akrobatischen Part nern erst gar nicht zu reden. Selbst dort, wo indische Lie­ besunterweisung nicht der tan­ trischen Methode folgt, die Se­ xualität als ein Mittel geistiger Erhebung versteht, räumt sie dem Liebesakt doch den Vor­ rang ein. Erotische Skulpturen und Malereien, wiesieinAjanta zu sehen sind, gibt es auch an vielen anderen Orten. Auch die Japaner haben die intimsten anatomischen Einzelheiten kunstvoll festgehalten. Unsere westliche Kultur ist in dieser Hinsicht zurückhalten der. Auf ihren Bildern müssen für erotische Themen oft mytho­ logische Szenen herhalten (wie auf dem Bildausschnitt „Die Liebe des Mars und der Ve­ nus“), oder sie behandeln das Sexuelle in allgemeinerer Form, wie aufder Miniatur des „Theatrum Sanitatis“. Nur gegen Ende des 18. Jahr­ hunderts war man weniger prüde - das Bild J. F. Schalls Léon Leberguézugeschrieben:Illustration zu Balzacs „L’amie du Boi spricht dafür sich. AufderPhotograpie einer amerikanischen Prostituierten aus dem späten 19. Jahrhundert erfüllt das Bett fast schon einen bloßen Rekla­ mezweck. Auf einer Jugendstil­ illustration aus dem Jahre 1902 ist es zum Hauptakteur avan­ ciert.

Isoda Koryusai: Shunga oder Bildervom Frühling

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Jean Huber: Das „Lever“ von Voltaire in Ferney

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Fünftes Kapitel

ufwachen ist eine Sache, Aufstehen eine ganz andere. Nicht so sehr, daß man die Augen öffnen muß, obwohl es schon erstaunlich ist, wie - wenn man sie einmal geschlossen hat - sehr sie geschlos­ sen bleiben wollen; die alte Qual besteht vielmehr darin, daß man sich immer wieder aufs neue mit der Welt einlas­ sen muß. Als die Schlafzimmer noch nicht geheizt wurden, setzte man sich einer schneidenden Kälte aus, wenn man im Winter aus dem Bett stieg. Nirgends hat man es so warm wie im Bett, und diese Wärme ist ausschließlich eigene Produk­ tion. Zwar kann sie zuerst auch mit einer Wärmflasche künstlich erzeugt werden, doch letzten Endes müssen wir schon selber für sie sorgen, weshalb wir sie auch nicht so leicht wieder aufgeben möchten. Die Kälte außerhalb des Betts bemißt sich nicht nur nach Thermometergraden. In ihr drückt sich auch die eiserne Härte einer unerbittlichen, der Seele wie dem Körper feindlichen Welt aus. Wenn wir uns entspannt niederlegen, schließen wir Frieden mit der Schwerkraft. Stehen wir dagegen auf, dann bringen wir unseren Körper mühselig in einen Gegensatz zu ihr. Steh niemals, wenn sich eine Sitzgelegenheit bietet! So lautet ein altes Soldatensprichwort. Und sitze niemals, wenn du liegen kannst. Im Liegen oder halb sitzend, halb liegend kann man viele nützliche Dinge tun. Warum sollten wir uns, um zu lernen, Bücher zu schreiben oder ein Land zu regieren, der Kälte aussetzen? Evelyn Waugh stellt uns in seiner Trilogie Schwert der Ehre Winston Churchill vor, wie er einem krieg­ führenden Land „von einem tiefen Bett in einem tiefen Schutzraum aus“ Befehle erteilt. Wenn er das konnte, dann können auch wir, soweit dem nichts entgegensteht, manche wichtige Arbeit wohl zugedeckt im warmen Bett verrichten. Des öfteren wurde zur Brennstoffersparnis schon vorge­ schlagen, daß man im Winter gelegentlich eine Bettarbeits­ woche für alle Beamten, Journalisten und andere Berufe, die es hauptsächlich mit Papier und Telefon zu tun haben, einführen solle. Wirkliche Handarbeit in dem Sinne, daß man dabei nicht die Arme, sondern nur die Finger bewegt, kann man ja durchaus im Bett verrichten. Natürlich gibt es einige Arbeiten, für die ein Bett nicht der geeignete Platz ist. Und dennoch kannte ich einmal einen überaus faulen Men-

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sehen, der es sogar fertigbrachte, auf seine gewohnt lässige Art im Bett Holz zu hacken. Und man hat mir von einer exzentrischen Dame erzählt - der berühmten und ehrenwerten Blanche T. -, die ihre Kuh vom Bett aus gemol­ ken hat. Es war allerdings auch kein gewöhnliches Rind­ vieh, sondern eine preisgekrönte Jerseykuh, die außer ihrer Herrin keinen an sich heranließ. Teigkneten gehört in Rumänien zu den winterlichen Bettbeschäftigungen, und bettlägerige Damen können gleichwohl noch nähen und stricken. Aber damit berühren wir schon künstlerisches Gebiet. Eigentlich läßt sich jede Kunst vom Bett aus betrei­ ben, mit Ausnahme der Bildhauerei im Stil Michelangelos. Fantin-Latour zeichnete im Bett. Dabei trug er Mantel, Schal und Hut. Zumindest hat ihn Whistler so dargestellt. G. K. Chesterton hätte gerne vom Bett aus mit einem langen Farbstift auf die Zimmerdecke gemalt. Und tatsächlich hat sich Matisse diesen Wunsch in seinem späteren Leben erfüllt. Als alter Mann, so hat es uns Cecil Beaton überliefert, zeichnete er mit Kohle, die an einem langen Rohrstock befestigt war, auf die Wände neben seinem Bett. Ich habe gelesen, daß William Morris in seinem Schlafzimmer einen Webstuhl aufgestellt hatte. Doch soll diese Aktion nicht von Erfolg gekrönt worden sein. John Milton hat, wie man weiß, sein Verlorenes Paradies im Bett gedichtet. Abwechselnd mußten seine Töchter das tägliche Zeilenpensum nieder­ schreiben. Er war ja blind und hätte die Blindenschrift sicher sehr gut gebrauchen können, ist diese doch für Blinde und auch für Sehende, sofern sie unter der Bettdecke lesen möchten, von großem Vorteil. Thomas Hobbes benutzte für seine geometrischen Zeichnungen die Bettlaken oder seine Oberschenkel. Als er noch zur Zunft der armen Poeten gehörte und kein Geld zum Heizen besaß, schrieb Samuel Johnson seine Geschichten und Pamphlete im Bett. Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, schnitt er zwei Löcher in die Bettdecke und steckte die Hände hindurch. Auch komponieren läßt sich im Bett. Für die Orchester­ partitur wird man allerdings aufstehen und sich ans Pult begeben müssen. Viele Opern Rossinis sind im Bett entstan­ den. Als Rossini einmal gerade dabei war, ein Duett für eine Oper zu beenden, die am selben Abend uraufgeführt wurde, 58

fiel ihm das Manuskriptblatt auf den Boden. Um es aufzuhe­ ben, hätte er seine bequeme Lage aufgeben müssen, und so schrieb er das Duett noch einmal. Es unterschied sich voll­ kommen von der ersten Fassung, die ihm aus den Händen geglitten war. Auch soll es, wie ich hörte, einen Komponi­ sten gegeben haben, dessen Frau an Dermatographie litt. Mit anderen Worten, ihre Haut besaß die Eigentümlichkeit, daß, wenn man den Fingern darauf schrieb oder zeichnete, die Spuren noch nach einer Stunde zu sehen waren. Eines Nachts überkam es ihren Mann. Er hatte weder Bleistift noch Papier. Mehr muß ich dazu wohl nicht sagen. Unsere Welt ist im allgemeinen zu puritanisch, um die Verbindung von Bett und Arbeit zu tolerieren. Wenn mir gegen elf Uhr morgens der Briefträger meine Post bringt (immer sind es Bücher, die ich besprechen oder ohne Hono­ rar loben soll), bemerkt er mißbilligend: „Nun, einer von uns beiden muß schließlich arbeiten.“ Trägt er doch eine Uniform und ist schon seit vier Stunden auf den Beinen. Es nützte mir auch nichts, wenn ich in derselben Zeit tausend Wörter Prosa geschrieben hätte. Ich hätte dabei ja im Bett gelegen. Das Aufsein ist offensichtlich selber schon eine Tugend. Wir haben es beide mit Schriftlichem zu tun, doch er ist derjenige, der richtig arbeitet. Ich kannte einen pen­ sionierten General, der von seiner Überzeugung, daß frühes Aufstehen der Gesundheit besonders zuträglich sei, nicht abzubringen war. Er wohnte in Sevenoaks, und regelmäßig um sechs stand er auf, badete, rasierte sich, frühstückte und fuhr mit dem Zug nach London. Am Charing Cross bestieg er ein Taxi und fuhr in seinen Club in der Pall Mall. Dort zog er sich in die Bibliothek zurück, setzte sich in einen Sessel und schlief, mit einer kurzen Unterbrechung beim Mittag­ essen, bis es Zeit war, mit dem Zug wieder nach Hause zu fahren. In voller Montur in einem Clubsessel zu schlafen, das war für ihn eine löbliche Beschäftigung. Wahrend ich dies schreibe, sitze ich angezogen und rasiert auf einem harten Stuhl. Ich könnte das im Bett sicher viel besser erledigen, doch habe ich mir die argwöhnische Bemerkung meines Briefträgers zu Herzen genommen. Gontscharows Held Oblomow, der Mann, dessen Diener die Frage stellte: „Was wäre der Schlaf ohne Wanzen?“ -

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wird für den Schutzpatron all derer angesehen, die das Aufstehen hassen. Aber er gilt deshalb auch als Inbegriff russischer Lebensverneinung, obwohl das Bett doch auch ein Ort der Tätigkeit sein kann. Wem es an Phantasie man­ gelt, der wird es sich kaum vorstellen können, daß jemand ohne Bleistift und Papier und selbst mit geschlossenen Augen im Bett liegen und dabei doch künstlerisch oder wissenschaftlich tätig sein kann. Eine, im übrigen ganz moderne Kunst ist es vor allem, bei der sich der Künstler zunächst einmal ins Bett begeben und die Augen schließen muß. Diese Kunst ist das Schreiben von Drehbüchern für den Film oder das Fernsehen. Ein Drehbuchautor muß sich im Dunkeln niederlegen und den Film betrachten, der in seinem inneren Vorführraum abläuft. Ganz ähnlich muß eine Symphonie im Geist komponiert und dort auch bis zum letzten Beckenschlag und Hornstoß gehört werden, ehe sie der Partitur anvertraut werden kann. So arbeitete Sibelius. Einstein sah die Formel e = mc2 im Inneren seines Auges aufflammen, als er eines Tages gerade ausruhte. Im Bett, wie Delmore Schwartz es ausgedrückt haben würde, fallen die Entscheidungen.

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Das Bett in der Malerei nach 1700 Der Mensch im Bett, das war für die Maler immer schon ein beliebtes Thema. Allerdings wurde es vor dem 18. Jahrhun­ dert mit einer gewissen Zurück­ haltung behandelt. Henn es um die Darstellung von Frauen ging, die kaum oder gar nicht bekleidet waren, so bedurfte es einer Rechtfertigung, also wählte der Künstler für sein Porträt die Venus oder eine an­ dere religiöse oder mythologi sehe Gestalt. Doch dies änderte sich nach 1700 völlig. Die ru­ hende weibliche Figur wurde nun ein gängiges Sujet. Nach­ dem nun aufFrauendarstellun­ gen dieser Art nicht mehr nur Göttinnen, sondern auch menschliche Personen abgebil­ detwurden, überrascht es nicht, daß die Modelle jetzt auch oft auf ganz normalen Betten lie­ gen und den üblichen Bettge­ wohnheiten nachgeben: Ruhe, Liebe, Hingabe, Trägheit, Lust. Altere Bilder, wie etwa Goyas Die nackte Maja, setzten einige der traditionellen Götter- und Mythendarstellungen fort, und selbst Manets und Cezannes Olympia war in gewisser Hin sicht noch eine mythologische Figur. Doch die Nackten, die spätere Maler inspirierten, wa­ ren in diesem Sinn gewöhnliche Frauen. Man kann sie auf den Bildern Renoirs, Gauguins oder Suzanne l äladons, einer Male­ rin im Paris der Boheme und der Impressionisten, bewun­ dern. Chagalls weiblicher Akt stellt seine eigene Frau dar.

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A uguste Renoir: Die Rose Links: Francisco Goya: Die nackte Maja Edouard Manet: Olympia Suzanne l aladon: Das blaue Zimmer Paul Gauguin: Tahitianerin mit Idol

Marc Chagall: Meiner Frau Paul Cézanne: Olympia

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Betten berühmter Leute In vielen Privathäusern und Pa­ lästen Europas und Amerikas stehen Betten, in denen einmal Napoleon oder Garibaldi, Friedrich der Große, Washington oder Simon Bolivar ge­ schlafen haben. Wenn aber für eine Person nichts aufschlußrei­ cher ist als ihr Bett, so ist es allerdings nicht dasjenige, in dem sie auf der Durchreise nur einmal übernachtete. Es sind Florence Nightingales Schlafzimmer in Clayton House vielmehr die Betten, die ihre Be sitzer selbst ausgewählt und mit einer unverwechselbaren persönlichen Atmosphäre um­ geben haben. Kaiser Franz Josephs Cha­ rakter spiegelt sich in dem durch und durch bürgerlichen Schlafzimmer, das er einst mit seiner Gemahlin Elisabeth ge­ teilt hat, und deutlicher viel­ leicht noch in dem Feldbett, dem er mitten im Luxus Schön­ brunns den Vorzug gab. George Washington enthüllt uns in Mount Vernon seine Vor­ liebe für koloniale und ländli­ che Lebensweise. Die königlichen Betten in Hampton Court und Chambord legen von der zeremoniel­ len Pracht Zeugnis ab, in der sich das „offizielle“ Leben der englischen Königin Maria Tu­ dor (1553-58) bzw. Franz I. von Frankreich (1515-47) ab­ spielte. Das Bett Karl-Ludwigs von Bourbon-Parma (1803-07) zeigt, daß auch Aristokraten ge­ ringerer Abstammung Luxus anhäuften. Welch ein Kontrast zu dem bescheidenen Schlaf­ zimmer Florence Nightingales im Claydon House, ihrem engli­ schen Landsitz!

Maria Tudors Schlafzimmer in Hampton Court

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Bett Karl-Ludwigs

Das Bett Franz I. in Chambord

Das Schlafzimmer Franz Josephs und Elisabeths in Schönbrunn

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George Washingtons Bett

Das Bett in der Tragödie Wir stellen uns das Bett als ei­ nen Ort der Ruhe vor, doch oft ist es auch eine Stätte der Ge­ walt und der Tragik. Im Mittel­ punkt von Othello, Prototyp ei­ nes Dramas schicksalhafter und leidenschaftlicher Verwick­ lungen, steht ein Bett, das durch Verrat und Eifersucht zur Stät­ te eines unverdienten Todes wird. Das Bett ist seiner Natur nach gleichsam ein Ort der Hin­ Der Tod Wallensteins, 17. Jahrhundert, anonym gabe und deshalb auch eine ideale Bühne für tragisches Sterben oder Selbstmorde aus edlen Motiven. Cato wählte lie­ ber den Freitod, als daß er Ju­ lius Caesars Triumph miterlebt hätte. Kleopatra, die der Viper ihre Brust darbietet, Sardanapal, der Ninive nicht preisgeben will und im schon brennenden Palast seine Frauen an sein La­ ger befiehlt - gibt es für noblen Selbstmord einen besseren Ort als das Bett? Im Kontrast dazu kann das Bett eine Zufluchtsstätte der Entspannung und inneren Ru­ he sein und dennoch aufbrutale und dramatische Weise gewalt­ sam entweiht werden. So als Lucretia in ihrem eigenen Schlafgemach von Tarquín ge­ Delacroix: Der Tod Sardananals schändet, Alexander von Medi­ ci 1531 yon seinem Vetter Lorenzino getötet, Wallenstein von gedungenen Mördern heimtückisch überwältigt wurde.

Delacroix: Der Tod Catos Die Schändung Lucretias, 15. Jahrhundert, anonym

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Castagnola: Der Tod Alexanders vonMedici

Guercino (GiovanniFrancesco Barbieri): Kleopatra

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Anne de Bretagne aufdem Totenbett, anonym

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---------- ------------------------ Sechstes Kapitel----------------------------------

enn man, wie ich, schon älter ist, dann verbin­ det man das Bett allmählich weniger mit Geburt und Liebe und Leben als mit dem Tod. Indes ist das Bett nicht immer der Ort, in dem man sich normalerweise und so entspannt wie möglich auf die Aufgabe des Sterbens vorbereitet. Manchmal führt es selber sogar den Tod herbei. Viele alte Leute, deren Puls noch in gesundem Takt schlägt und deren Magen sich immer noch auf ein gutes Essen freut, zögern die Zeit des Schlafengehens hinaus und ziehen dem Bett einen Sessel vor, in dem sie dösend mit halbgeschlossenen Augen den düsteren Boten erwarten. Man stirbt gewöhnlich nicht auf Stühlen, es seien denn elektrische. Anders dagegen jener neunzigjährige französische Gourmand, der dem Kellner zuflüsterte: „Le dessert, vite - je me sens passer.“ Jedoch schlafend im Bett zu sterben, ist wiederum viel zu gewöhn­ lich. Vielleicht ist diese Todesart nicht einmal zu verachten. Sie bringt wenigstens die anderen nicht um ihren Schlaf. Aber sie betrügt einen um seine Neugierde. Man möchte schließlich doch erfahren, was es mit dem auf sich hat, was Henry James das große Andere genannt hat. Wenn man im Schlaf nicht nur das Zeitliche segnen, sondern auch ernsthaft erkranken kann, so widerlegt das die Ansicht, daß der Schlaf eine gesunde Tätigkeit oder Untätigkeit sei. Wenn man mit einer heftigen Grippe, gefährlich aussehenden Flecken oder halbgelähmt er­ wacht, dann sind im Körper offensichtlich verderbliche Mächte am Werk gewesen, während die Abwehrbereit­ schaft unseres Bewußtseins außer Kraft gesetzt war. Im Bett wache ich immer erschöpft auf, doch niemals, wenn ich in einem Sessel geschlafen habe, und ich weiß auch warum. Das Bewußtsein, dieser Lehrmeister, hat das Klassenzim­ mer verlassen, und die auseinanderstrebenden, sich selbst überlassenen Elemente der Finsternis können nun unbe-

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heiligt Bücher zerreißen und mit Tintenfässern um sich werfen. Es spielten sich haarsträubende, schreckenerre­ gende Psychodramen ab, und kein Schauspieldirektor war da, der den Vorhang herunterzulassen befohlen hätte. Ich bin zu Tode erschrocken, mein Herz schlägt zum Zersprin­ gen, ich wache schweißgebadet auf. Ein jeder, ob er nun unter Alpträumen leidet oder nicht, wacht erschöpft auf. Der Schlaf im Bett ist ohne Zweifel nicht immer zu empfehlen. Die Krankheit verbindet Leben und Tod, und das Kran­ kenlager ist im Unterschied zur Rekonvaleszenz das Feuer­ rad, von dem Shakespeare im King Lear spricht. Nur im Hospital mildert sich der Schrecken. Dort wird das Bett ganz anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Es erinnert an alles andere als an sexuelle Freuden, und tatsächlich ist es mit so viel banaler Ungemütlichkeit umgeben, daß sich die Krankheit erst gar nicht zu nobler Agonie und klassischem Schrecken auswachsen kann. Laken und Decken sind schlicht und so straff eingeschlagen, daß sie alte Erinnerun­ gen an Ketten und Riemen und andere Folterwerkzeuge wachrufen. Man verrichtet seine Notdurft auf ganz unmög­ lichen Gefäßen und wird zu Zeiten geweckt, die noch unmöglicher sind, nur damit die Krankenhausroutine, die sich niemals nach den gewohnten Bedürfnissen der Patien­ ten richtet, wie eine seelenlose Maschine funktionieren kann. Gegen Morgen oder noch früher kann sich die Sorge um die Gesundheit allerdings auch schon einmal in ihr Gegenteil verkehren. Ich weiß noch, wie ich in einer dunk­ len Londoner Dezembernacht aus dem Bett gescheucht wurde, weil ich zu einem Zeitungshändler gehen sollte, der jedoch noch gar nicht geöffnet hatte. So wartete ich also, zitternd vor Kälte, bis ich endlich die gewünschten Exem­ plare des Daily Mirror für die Station kaufen konnte. Am nächsten Tag sollte ich wegen Verdachts auf einen Gehirn­ tumor untersucht werden.

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Das einzige, was im Fall einer schweren Erkrankung für einen Aufenthalt in einer Klinik spricht: Man stirbt dort keinen ruhigen Tod. Ärger und Entrüstung treiben den Puls in die Höhe, und der Ausstoß an Adrenalin feuert die Lebensgeister an. Man ist fest entschlossen, die Widersa­ cher in den weißen Kitteln zu überleben. Das einzige erträg­ liche Krankenhaus, das es wohl jemals gegeben hat, ist dasjenige in Mailand, in dem Ernest Hemingway der einzige Patient war und von einer ganzen Schar bildhübscher Kran­ kenschwestern gepflegt wurde, die nichts besseres zu tun hatten, als sich in ihn zu verlieben. Doch der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Wir sind imstande, auch das zu lieben, was wir verachten, und ich habe gestandene Männer wei­ nen sehen, weil sie als geheilt entlassen wurden und sich von ihren Leidensgenossen, mit denen sie Freundschaft geschlossen hatten, trennen mußten. Eine Krankenhaussta­ tion ist eine echte Bettengemeinschaft, ein gleichge­ schlechtlicher Klub, dessen einzige Aufnahmebedingung die Krankheit ist, die dort denn auch das Hauptthema abgibt. Allerdings geht es in einer Klinik nicht so geruhsam her wie im Athenäum oder Pall Mall. Die Mitglieder wechseln rascher. Sie sterben oder kehren gesund ins Leben zurück. Augenblicke ängstlicher Erwartung, wenn die tägliche Visite bevorsteht. Harmlose sexuelle Erregungen sind auch nicht ganz auszuschließen. Denn die Uniform verschönert die meisten Schwestern. Besucher sind mehr geduldet als willkommen. Als Gesunde gehören sie nicht zum Klub. Die Kündigung der Mitgliedschaft erfolgt, indem man entweder als gesund entlassen oder auf der Totenbahre herausgefahren wird. Wenn unter den Verstorbenen man­ che sind, mit denen man gesprochen, gelacht, heimlich eine Zigarette geraucht hat, so bedrückt einen das vorüberge­ hend, aber es schreckt nicht. Wir alle müssen einmal ster­ ben, und es gehört zu den Aufgaben eines Krankenhauses,

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die Toten ohne Sentimentalität zu behandeln. Wir sehen dem Tod leichter entgegen und finden uns leichter mit ihm ab, wenn wir uns dort aufhalten, wo er alltäglich und allge­ genwärtig ist. Und ich glaube, daß es den meisten ebenso geht. Der Dichter John Betjeman ist von dem Gedanken besessen, in einem Hospital sein Leben zu beschließen. Keiner von uns will zu Hause sterben. Wir möchten weder das Bett, in dem wir glücklich waren und in dem wir uns gestritten haben, entweihen, noch unseren Angehörigen mit unserer Leiche zur Last fallen. Am liebsten würden wir in einem Duell, einer Schlacht, einem Überfall oder bei dem Versuch ums Leben kommen, einen großen Bösewicht zu töten. Doch in einem Krankenhausbett zu sterben - das ja kein richtiges Bett ist, sondern nichts als ein Apparat, der einen unpersönlichen kranken Organismus aufnimmt - das ist das Zweitbeste.

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Anonym: Szene im Hospital

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