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German Pages 324 [322] Year 2003
Hand- und Lehrbücher der
Pädagogik Herausgegeben von Dr. Arno Mohr Bisher erschienene Werke: Calle-, Modelle des Erziehungsbegriffs Faulstich, Weiterbildung Faulstich-Wieland, Individuum und Gesellschaft Haefner, Gewinnung und Darstellung wissenschaftlicher
Erkenntnisse insbesondere für universitäre Studien-, Staatsexamens-, Diplom- und Doktorarbeiten Kammerl (Hrsg.), Computerunterstütztes Lernen May, Didaktik der ökonomischen Bildung, 4. Auflage Schröder, Lernen Lehren Unterricht, 2. Auflage Schröder, Didaktisches Wörterbuch, 3. Auflage Werning Balgo Palmowski Sassenroth, Sonderpädagogik -
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Weiterbildung Begründungen Lebensentfaltender Bildung
Von
Universitätsprofessor Dr. Peter Faulstich
R.01denbourg Verlag München Wien
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© 2003 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0
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Langensalza
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Vorwort Nach Begründungen von Weiterbildung zu fragen, mag verwundern, da diese mittlerweile ein bedeutender, wachsender und anscheinend selbstverständlicher Lernbereich geworden ist. Wenn man allerdings anfangt, nach empirischen Belegen und begrifflicher Klarheit zu suchen, gerät man in ein offenes Feld. Es geht mir hier deshalb darum, eine theoretische Grundlegung vielfältiger praktischer Aktivitäten „lebenslangen Lernens" einzubeziehen in humane Perspektiven zukunftsfähiger Entwicklung. Wenn Weiterbildung allein instrumenteilen Zugriffen ausgesetzt wäre das ist meine hätte dies für die Lernenden Grundeinschätzung vielfältige negative Konsequenzen. Eine reflexive Konzeption dagegen kann ausden Potenzialen und indivon gehend gesellschaftlicher Gestaltung vidueller Entfaltung durch Bildung Alternativen entwickeln. Es braucht theoretische Anstrengungen, um die gegenwärtige Situation zu begreifen und Perspektiven zu klären. Ich unternehme dazu fünf Anläufe. Erstens werden Geschichte und aktuelle Lage auf fortdauernde Probleme und weiterführende Konzepte hin durchsucht. Ich finde in der Idee der Aufklärung dafür Ansätze. Zweitens werden wissenschaftstheoretische Grundlagen diskutiert und hingeführt zu einem kritisch-pragmatischen Konzept. Drittens und viertens werden die zentralen Kategorien Arbeit, sowie Wissen und Lernen auf ihre Tragfähigkeit geprüft. Abschließend können dann fünftens zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten „lebensentfaltender Bildung" skizziert werden. Ich hoffe, dass sich das Lesen und Durcharbeiten lohnt und wünsche viel Spaß und möglicherweise neue Einsichten. -
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Peter Faulstich
Hamburg 2003
Inhaltsverzeichnis
Ansatz
Überblick 1. Zugänge 1.1 Anlässe
1.1.1 Weiterlernen 1.1.2 „Bedarfe" und Lerninteressen 1.1.3 Bildsamkeit und Lernwiderstände 1.2 Auslese 1.2.1 Statusdistribution und Zertifikate 1.2.2 Doppelte Selektivität und soziale Milieus
10 16 19 23 23 24 28
33 35 38
1.2.3 Gerechtigkeit des Zugangs 1.3 Teilhabe
49
1.3.1 Wissenschaft und Bildung
53
1.3.2 Wellenbewegungen 1.3.3 Öffentliche Wissenschaft 2. Wenden Wissenschaftstheoretische Bezüge 2.1 Relevanz und Expansion der Erwachsenenbildung 2.2 Wissenschaftstheorien für Bildungskonzepte 2.2.1 Geisteswissenschaften und Bildungstheorie 2.2.2 Positivismus und analytische Empirie 2.2.3 Kritische Theorie 2.2.4 Konstruktivismus 2.2.5 Pragmatismus 2.3 Kritischer Pragmatismus als Begründung -
„lebensentfaltender Bildung"
53 57 77
82 86 90
97 106 116 126 139 151
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3. Arbeit und Beruf: Bildung 3.1 „Arbeitsgesellschaft" als Diagnose 3.1.1 Gesellschaft ohne Arbeit? 3.1.2 Traditionelle Arbeitsbegriffe 3.1.3 Erweiterung des Arbeitsbegriffs 3.2 Beruflichkeit von Arbeit 3.3
Arbeitsorientierung in der Bildungskonzeption 4. Wissen und Lernen: Bildung 4.1 Wiederentdeckung des Wissens 4.1.1 Wissen als Bezugsgröße der Erwachsenenbildung 4.1.2 Wissensarbeit 4.1.3 Hinweise: Wissen als didaktisches Problem
160 161 163 167 171
175 183 188 190 191 193 202
4.2 Lernen und Bedeutsamkeit
205
4.2.1 Das „Eigene" und das „Fremde" des Lernens 4.2.2. Lernen in Bedeutungszusammenhängen 4.2.3 Lernchancen über die Lebensspanne 4.2.4 Intervention und Vermittlung von Lernen 4.3 „Expansives Lernen", „Selbst" und Bildung
206 212 226 229
237 245
5. Zukunft, Wandel, Fortschritt und Lebenszeit 5.1 Erwachsenenbildung in den Krisen der Moderne 246 5.2 „Lebenslanges Lernen" und Lernzeiten 261 5.2.1 Lebenslanges Lernen und Zeitverwendung 262 5.2.1.1 „Lebenslanges Lernen" und „Individualisierung" 265 5.2.1.2 Arbeitsperspektiven und veränderte Zeitstrukturen 268 5.2.1.3 Individuelle Lebensführung 271 5.2.2 Umsetzung „lebenslangen Lernens" 275 5.2.2.1 Verlauf der LLL-Diskussion 278 5.2.2.2 Internationale Debatten um LLL 283
7
5.2.2.3 Alternativen des „lifelong learning" 286 5.3 Reorganisation des Lernsystems und Bildungschancen 289 5.3.1 Systematisierungsgrade und Machbarkeitsillusionen 289 296 5.3.2 Defizitaspekte und strategische Perspektiven Literatur
302
Verzeichnis der Abbildungen
321
Ansatz und
8
Überblick
Einleitung, Ansatz und Überblick Mit dem Stichwort
„Lebenslanges
Lernen" wird der Erwachse-
nenbildung eine große Zukunft verkündet allerdings seit nun niemals dreißig Jahren. Beim Nachdenken über die Diskrepanz zwischen Postulat und Realität stößt man auf einige immer wieder wiederholte Mythen Wandelmetapher und Krisengerede, Wissensexplosion und Selbstorganisation, neue Lernkultur und Kompetenzentwicklung, Kooperationsverbünde und Kompetenznetze usw. welche meist unbefragt als Hintergrundannahmen in die bildungspolitischen -
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und wissenschaftlichen Diskussionen einfließen. Zwar werden „Weiterbildung" und „Lebenslanges Lernen" hoch bewertet bei Jubiläen, Empfängen, Debatten, Diskussionen und in vielen Foren. Dabei klaffen aber Begründungslücken, wenn nach durch empirische Forschung erhärteten und durch theoretische Klärung fundierten Belegen gefragt wird. Gerade Beratungsaktivitäten für eine Bildungspolitik zum „Lebenslangen Lernen" offenbaren Theoriefragen und Forschungsdefizite. Dies irritiert und stößt kritisches Überprüfen an. Dabei gerät man nicht nur in Unklarheiten hinsichtlich gegenstandsbezogener Angemessenheit, sondern auch hinsichtlich wissenschaftsreflexiver Fundiertheit vieler Aussagen. Sich des Gegenstandes, der Interessen und Methoden einer Wissenschaft zu vergewissern, die sich mit der Bildung Erwachsener beschäftigt, ist so einfach nicht. Schon der Gegenstand fluktuiert. War „Erwachsenenbildung" zunächst phasenbezogen abgegrenzt von Kindererziehung und Jugendbildung, so ist mit „lifelong learning" eine Kontinuität angezeigt, die sich über den Lebenslauf erstreckt. Wenn wir über „Weiterbildung" reden, kommt das gesamte Lerngeschehen in den Blick, das über Erst- und Grundausbildung
hinausgeht. „Erwachsenenbildungswissenschaft" befindet sich in einem unabgeschlossenen Konstitutionsprozess, dessen Kontext und Perspek-
tiven unklar sind. Zwar wird mittlerweile als selbstverständlich unterstellt, dass „lebenslanges Lernen" unerlässlich geworden sei, sowohl aus der Perspektive der Individuen, die sich eine verändernde Welt aneignen, als auch in Bezug auf ökonomische, soziale, politi-
Ansatz und Überblick
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sehe und kulturelle Probleme, deren Komplexität zunimmt und sich überstürzt. Beim Nachdenken aber wird das auch wieder fraglich, weil empirische Belege für die Beschleunigungsthese fehlen. Die Wandelmetaphorik, dass sich angeblich Anforderungen an Lernen und Wissen mit progressiver Dynamik ändern, ist zum zentralen Legitimationsmuster für das „Lebenslange Lernen" geworden. Eine „Wissensgesellschaft", in der Lernen ubiquitär, permanent und total geworden sei, wird als das „zukunftsfähige" und „nachhaltige"
Entwicklungsmodell ausgemalt. Gemessen an solch hohem Anspruch
sind Wissenschaftsansätze für diesen Bereich immer noch nur unzureichend entwickelt. Dies hat zum einen damit zu tun, dass das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Erwachsenenbildung lange Zeit ein Schwergewicht auf der Seite der Verwendbarkeit hatte. So wurde Theorie seit dem Ausklang geisteswissenschaftlicher Pädagogik in den 1960er und dem Niedergang kritischer Theorie in den 1970er Jahren oft kurzschlüssig als Unterstützungsaktion für das Praxisfeld betrieben. Instrumente und Methoden waren gefragt. Langsam befreit sich Wissenschaft, die das „lebenslange Lernen" thematisiert, aus bloß technizistischen Impulsen wieder hin zu einer stärker reflexiven Position. Es gibt ein unauflösbares Spannungsfeld zwischen Erzeugung und Umsetzung von Wissenschaft, zwischen Theorie und Praxis, die nicht bruchlos ineinander aufgehen. Zwar gab es immer schon Fragen nach den Ursachen und dem Sinn von Erwachsenenbildung; ein hinreichend begründeter und intensiver Diskussionszusammenhang zwischen Wissenschaftlern und Vermittlern, von „Theoretikern" und „Praktikern" ist aber daraus nicht entstanden. Dazu war die Institutionalisierung im Wissenschaftsbereich noch zu wenig vorangeschritten. „Erwachsenenbildung" als wissenschaftliche Disziplin gibt es an deutschen Hochschulen erst seit etwa 30 Jahren. Insofern gab es kaum genug „kritische Masse", um eine Diskussion zwischen konkurrierenden Ansätzen voranzutreiben. Dies hat sich mittlerweile geändert. An zahlreichen Hochschulen existieren Professuren für Erwachsenenbildung. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema z. B. in der Sektion Erwachse-
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Ansatz und Überblick
nenbildung der Deutschen
Gesellschaft für erreicht ein ansehnliches Potenzial.
Erziehungswissenschaft
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Ansatz Damit hat sich aber ein anderes Problem verschärft: der Befund, dass die Theoriediskussion wenig profiliert worden ist. Vieles, was zum „lebenslangen Lernen" diskutiert, konzipiert und realisiert wird, entzieht sich dem Status entwickelter, empirisch fundierter Theorie. Über Lernen, Institutionen und System von Erwachsenenbildung wird meist mit einem impliziten Vorverständnis geredet. Dahinter liegende Theoriekonzepte werden kaum explizit ausgeführt. In vielen Fällen sind sich die Texte ihrer eigenen erkenntaistheoretischen Prämissen und ethischen Voraussetzungen nicht bewusst. Es handelt sich vielfach um systematisiertes Alltagswissen, manchmal um instrumentelles Berufswissen, auch Versatzstücke aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen, aber oft nicht um reflektiertes wissenschaftliches Wissen. In der seit den 1990er Jahren laufenden, verwirrenden Debatte ein Theoriekonzept, das die Hergestelltum „Konstruktivismus" heit wissenschaftlicher Erkenntnis betont als möglichem Begründungsansatz ist immerhin einiges an theoretischer Reflexion in Bewegung gekommen. Mit dieser wissenschaftsstrategischen Perspektive ist die Wissenschaft, die sich ausgehend von Erwachsenenbildung mit „lebenslangem Lernen" beschäftigt, anschlussfähig an Diskussionen in anderen Disziplinen geworden, in denen „Konstruktivismus" ebenfalls Theoriekonjunktur hatte. Allerdings sind auch hier schon wieder Verkürzungen zu spüren, indem nämlich in der Konstruktivismusdebatte vielfaltige Elemente eklektizistisch zusammengetragen werden, die als Hauptgegner einen naiven Realismus unterstellen, der so kaum vorzufinden ist. Insofern geht es darum, das Spektrum wissenschaftstheoretischer Theoriegeschichte und -breite zu rekapitulieren, um nicht wieder in neue Halbheiten zu verfallen. Die Konstruktivismusdebatte hat nachdrücklich die Differenz von Denken und Sein aufgezeigt, gleichzeitig aber die vielfältigen Mög-
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Ansatz und Überblick
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lichkeiten der
Bearbeitung dieses Problems verdeckt. Man kann die gesamte Philosophiegeschichte lesen als Versuch, immer neue und ausgefeiltere Varianten der Orientierung von Handeln in der „Wirklichkeit" vorzuschlagen. Hinter die damit gewonnene Problemlö-
sungskapazität kann man ohne Ignoranz oder schlechtes Gewissen nicht zurückfallen. Wenn man daher darangeht, Bildungswissenschaft bezogen auf „lebenslanges Lernen" mit dem Fokus auf Erwachsenenbildung in der theoretischen Diskussion zu konstituieren, muss man sich grundlegend von einem naiven Alltagsverständnis lösen, das glaubt, wissenschaftliche Gegenstände seien abschließend präzise bestimmbar und eindeutig definiert. Das fängt z.B. schon damit an, dass je mehr man über den Terminus „Erwachsenen-Bildung" nachdenkt, beide Begriffsteile „Erwachsene" und „Bildung" immer fragwürdiger werden. So ist kaum geklärt, was in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft das Wesen von Erwachsensein ausmacht. Wenn man über „Erwachsene" redet, ist dies letztlich nur historisch und kulturell zu begründen. Die Rolle des Erwachsenen wird Personen zugewiesen, und ihre Unterscheidung von anderen biographischen Phasen ist ein kontextuelles Konstrukt. Auch unter der Perspektive verschiedener Wissenschaften gibt es unterschiedliche Bestimmungsmöglichkeiten. Außer Definitionsvorschlägen des Menschenbildes in biologischen, psychologischen und anthropologischen Konzepten gibt es auch gleichzeitig Ansätze, welche von Gesellschaftsbildern ausgehen, in soziologischen, juristischen und ökonomischen Konzepten. Körperliche Reife, sozialer Status, Entwicklungsstufen, Rollenübernahme, Erwerb von Pflichten und Rechten sowie wirtschaftliche Selbstständigkeit sind im historischen und kulturellen Zusammenhang unterschiedlich variabel oder gefasst. Alle diese Konstrukte liefern keine trennscharfen Einteilungen oder eindeutige Begriffsschachteln, so dass man bestimmte Personen in die Kiste „Erwachsene" einsortieren könnte. Die Bestimmung dessen, was als Erwachsensein gilt, enthält gleichzeitig auch Aussagen über Kindheit und Alter. Noch schlimmer ist es mit dem Begriff Bildung. Auch hier gibt es eine lange Diskussion, welche die historischen Permutationen des -
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Ansatz und
Überblick
Begriffs zeigen. Bildung richtet sich in der humanistischen Tradition auf ein Handeln, bei dem es um die Aneignung und Vermittlung von kulturellem Wissen und die Entfaltung der Person geht. So ist Bildung immer Selbstentfaltung, aber immer auch schon in einer mit anderen geteilten Welt. Hier bereits, nach einigen erklärungsbemühten Sätzen, stockt die Argumentation, indem bewusst wird, welche traditionsbelasteten und theoriegeladenen Begriffe die Sprache uns aufdrängt und diese angesichts vielfältiger und tiefgründiger Bedeutungsgeflechte fast unbenutzbar macht. Es gibt kein Wort, das naiv als auf die „wirkliche Wirklichkeit" hinweisend, verwendet werden kann. Jeder Begriff und jede Aussage wurden schon tausendmal reflektiert und kritisiert. So sind „Erwachsensein" und „Bildung", aber auch „Aneignung" und „Vermittlung", gar „Selbst" und „Welt" unauflösbar eingebunden in wissenschaftliche Kontexte und philosophische Fragen, die einmal aufgeworfenvirulent bleiben und das Denken umtreiben. Dies
gilt auch für Positionen, welche auf solche anspruchsvolle Begrifflichkeit ganz verzichten, und „Bildung" z.B. durch die scheinbar neutralere Kategorie Lernen ersetzen wollen. Sobald man darüber nachdenkt, stößt man auf die Tatsache, dass auch mit „Lernen" sehr Unterschiedliches gemeint sein kann. In behavioristischen Lemtheorien wird der Begriff völlig anders gefasst als in kognitivistischen, individualpsychologischen oder hermeneutischen Ansätzen.
Unvermeidlich sind also Äußerungen über Lernen oder gar über Bildung eingebunden in Interpretationskonflikte bezogen auf divergierende Menschen- und Gesellschaftsbilder. Dies zu konstatieren ist gegenwärtig nicht „in". Wissenschaftliche Theoriekonzepte entwinden sich gern dieser Auseinandersetzung und gebärden sich abstrakt und neutral. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist z.B. eine zentrale Problematik von Bildung, nämlich die Generierung sozialer Differenz, wie sie in der Diskussion um Chancengleichheit aufschien, aus dem hegemonialen Diskurs verschwunden. In systemtheoretischen, konstruktivistischen und „postmodernen" Ansätzen findet sich eine Hochschätzung von Differenz und eine Verdrängung
Ansatz und Überblick
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des Egalitätsprinzips, das durch Pluralisierung und Individualisierung aufgelöst scheint. Fokus des Lernens wäre dann lediglich noch die instrumenteile Kompetenz isolierter Individuen. Da aber um nur ein Problem zu benennen Lernen eine Form menschlicher Täim Rahmen tigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ist, also praktisch relevant wird, ist es selbst und ebenso die darauf bezogenen Theorien immer schon interessenorientiert. Deshalb kann sich die Diskussion nicht loslösen von der perspektivisch absehbar zentralen gesellschaftlichen Alternative zwischen einem instrumentellen Individualismus und kollektiver Solidarität: Sind Menschen nur kühle Rechner als rationale Egoisten oder sind Anerkennung des Anderen, Verantwortung, kollektive Solidarität begründbar? Ist Gesellschaft vorstellbar als Konglomerat atomistischer Kalkulatoren oder hat nicht eine kulturelle Sozietät weitergehende, wenn auch anspruchsvollere Prämissen? Die Antworten auf diese oft unerwünschten und gern vermiedenen Kernfragen haben unmittelbare Konsequenzen für die praktische Lern- und Lehrtätigkeit und konkretisieren sich: Geht es nur um die instrumentelle Entwicklung und Bereitstellung effizienter Lernarrangements oder aber ist soziales Engagement legitimierbar? Wissenschaft besteht nun gerade darin, die Verwendungszusammenhänge und Folgen von Begriffen und Aussagen zu überprüfen, weiterzuentwickeln und zu schärfen. Als Orientierungsstrategie hat dies immer zugleich theoretische wie auch praktische Relevanz. Es geht darum, scheinbare Selbstverständlichkeiten zu durchbrechen und Offenheit aufzuzeigen und herzustellen. Also muss man sich des -
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Theoriespektrums vergewissern.
Dabei stößt man unausweichlich auf das Erkenntnisproblem und die Kategorie Wahrheit. Wissenschaft beansprucht überprüfbare und nachvollziehbare Aussagen über Wirklichkeit zu machen. Dabei ist aber, was unter „Wahrheit" und unter „Wirklichkeit" verstanden wird, selbst wieder problematisch. Aussagen darüber, sind eingebunden in divergierende und konkurrierende erkenntnistheoretische Positionen. Jedoch erst in einem solchen Zusammenhang können die
Kernfragen von „Erwachsenenbildungswissenschaft" herausgearbei-
Ansatz und Überblick
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geht um das Lernen im biographischen Prozess, dabei „Erwachsensein" und „Bildung" jeweils historisch-konkret zu
tet werden. Es
sind bestimmen. Die eh schon schwierige Diskussion hat sich noch erweitert, nachdem Erwachsenenbildung einbezogen worden ist in ein umfassendes Konzept „lebenslangen Lernens". Dies ist nicht der claim einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin. „Lifelong learning" ist Gegenstand der Entwicklungs- und Lernpsychologie, der Arbeitsund Betriebssoziologie, der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, der Personalwirtschaftslehre und der Erwachsenbildungswissenschaft um nur einige zu nennen. Ich versuche hier, die Sichtweise einer Wissenschaft, welche Erwachsenbildung als Fokus hat, zu erweitern. Damit haben sich die Theorieprobleme jedoch eher noch potenziert. Die scheinbar neutralen, auf Kontinuität des Prozesses des Lernens während der gesamten individuellen Biographie betonenden Begrifflichkeiten „Weiterbildung" und „lebenslanges Lernen" erhalten vielfältige Konnotationen. Ich bevorzuge deshalb zum einen weil aktiv „lebensentfaltend", zum anderen halte ich fest am stark aufgeladenen Begriff Bildung, der gegenüber ökonomischen und sozialen Anpassungszwängen personale Entfaltungsmöglichkeiten betont. Uber dem Titel habe ich lange gebrütet. Erwachsenenbildung erhält durch „Weiterbildung" und im „lifelong learning" biographische Kontinuität über alle Phasen des Lebens und entgrenzt sich aus den traditionellen Institutionen. Schon der Begriff Weiterbildung, der in den 1970er Jahren in Mode kam, deutete Unabgeschlossenheit in umfassenden Lernzusammenhängen an. Wenn es nicht um die Banalität gehen soll, dass wir nie auslernen, solange wir leben, ist ein Konzept der Aneignung und Vermittlung in intentionalen Lernpro-
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gemeint. „Lifelong learning" „lebenslanges Lernen" einen negativen Mitklang von „lebenslänglich" in einer Zwangsanstalt. Schon früh ist auf die Unentrinnbarkeit der „Lebenslähglichkeit", aus der man nie entfliehen kann, und auf Anpassungstendenzen an eine unbegriffene Wandeldynamik hingewiesen worden. Und der
zessen verteilt über die Lebensphasen hat aber in der deutschen Fassung als -
Ansatz und Überblick
15
Begriff Lernen bleibt inhaltsleer, wenn er sich der Tradition und Perspektive von „Bildung" verweigert. „Lebensbegleitend" klingt zu nebensächlich und könnte „sterbebegleitend" werden.; „lebensumspannend" oder „lebensumfassend", die ebenfalls als Stichwörter der Debatte auftauchen, haben fast totalitäre Konnotationen. Demgegenüber ist „lebensentfaltend" verbunden mit aktiver Gestaltung und Erweiterung der eigenen Horizonte und Handlungsmöglichkeiten. Gleichzeitig halte ich den Begriff Bildung für einen Entwurf, der nach wie vor Lernen auf individuelle und gesellschaftliche Perspektiven hin orientieren kann. Also: lebensentfaltende Bildung. Ob sich dieser Begriff durchsetzt ist fraglich, weil er querliegt zum hegemonialen wissenschaftlichen und politischen Diskurs, in dem „Bildung" sowieso schlechte Karten hat und als überholtes und überzogenes Konzept dargestellt wird. Aber begründbar erscheint mir eine solche Begriffsstrategie, welche die Konstitution ihrer Thematik interessenorientiert reflektiert, durchaus. Ausgehend von einer solchen Einordnung ihres Gegenstandes begründet Wissenschaft unterschiedliche Handlungsbezüge. Immer schon fließen in wissenschaftliche Gegenstandskonstitutionen Erkenntnisinteressen ein, welche ethisch reflektiert werden müssen, um standzuhalten. Dies erst liefert die moralische Legitimation unterschiedlicher Konzepte „lebenslangen Lernens", die sich interessenbezogen unterscheiden im Spannungsfeld von Anpassung und
Gestaltung.
Neben der Gegenstandskonstitution und den Erkeruitnisinteressen, wird damit auch das Feld der Methodenreflexion eröffnet, je nachdem, ob mehr ein instrumenteller Zugriff oder eher reflexives Verstehen intendiert ist. Aus dem Begründungsdreieck von Gegenstand, Interesse und Methode ergeben sich dann die Perspektiven von Bildungswissenschaft, welche unterschiedlich je nach den einfließenden divergierenden Positionen gefasst werden können und müssen.
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Ansatz und Überblick
Überblick kann sich einem wissenschaftlichen Bereich auf unterschiedliche Weise nähern: Man kann sich an die Hand nehmen und einfuhren lassen „theory light" unterläuft aber den unabweisbaren Anspruch fundierter Wissenschaftlichkeit. Man kann versuchen, einen Überblick über die Gegenstände zu erreichen (vgl. dazu Faulstich/Zeuner 1999). Man kann sich aber auch darüber hinausgehend bemühen, die Grundlagen wissenschaftlicher Positionen zu verstehen. Um eine solche Auseinandersetzung mit Theoriekonzepten geht es mir hier. Allerdings hat sich wie gesagt der Gegenstandsbereich ausgeweitet. Während lange Zeit eine Trennung von Bildungsbereichen nach Lebensaltern als vorgegeben und selbstverständlich unterstellt wurde und Erwachsenenbildung oder Weiterbildung höchstens proklamatorisch neben Schule, Berufsausbildung und Hochschule als „vierte Säule" aufgewertet wurde, ist durch die Diskussion um „lebenslanges Lernen" die Kontinuität und die Kontextualität des Lernens im Lebensverlauf deutlich geworden. Insofern ist vieles von dem, was bisher für die Erwachsenenbildung diskutiert wurde, zu verallgemeinern und gleichzeitig zu überprüfen. Es geht also um eine theoretische Grundlegung „lebensentfaltender Bildung". Daher soll weniger im Sinne eines Überblicks alles das angesprochen werden, was die Vielfalt der aktuellen Situation in der Erwachsenenbildung und des „lebenslangen Lernens" kennzeichnet, sondern es sollen zentrale Kategorien und Probleme aufgezeigt werden. Ich unternehme dazu mehrere Anläufe auf verschiedenen Ebenen, wobei ich an einigen Stellen ausführlich auf in anderen Kontexten von mir Geschriebenes rekurriere. Man
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1.
Zugänge „Lebenslanges
Lernen" zielt auf Aneignung gesellschaftlichen Wissens. Es mag antiquiert erscheinen, diese Diskussion in den Kontext von Gerechtigkeit und Gleichheit der Bildungschancen zu
Ansatz und Überblick
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stellen. Aber der fortdauernde Widerspruch zwischen Bildung und Herrschaft erzeugt unerledigte Teilhabeansprüche. Die Anlässe „lebenslangen Lernens" haben sich vermehrt (1.1). Nichtsdestoweniger verstärkt sich weiter die Auslese (1.2), wenn Teilhabe an der „Wissensgesellschaft" sozial diskriminiert (1.3).
„Wenden"
2.
Die Entwicklung des Selbstverständnisses der Erwachsenenbildung vollzieht sich vor dem Hintergrund historischer Bezüge der Institutionen, der Programme und der wissenschaftstheoretischen Paradigmen. Angesichts der Expansion des Gegenstandsbereichs wächst die Begründungsnotwendigkeit (2.1). Es wechseln Theorie-
rückbezüge
von geisteswissenschaftlicher, empirisch-analytischer, kritischer, konstruktivistischer und einer pragmatischen Perspektive (2.2) Ich selbst schlage ein kritisch-pragmatisches Konzept vor (2.3) das versucht, Verkürztheiten aufzuheben, allerdings hier vor.
,
erst nur skizziert werden
kann.
3. Arbeit
Auf dieser Grundlage wird bzw. bleibt der Arbeitsbegriff eine der zentralen Kategorien für einen kritisch-pragmatischen Ansatz (3.1). Allerdings beschränkt sich dies nicht auf „Erwerbsarbeit", sondern erweitert sich im Spektrum gesellschaftlicher Tätigkeiten. Nichtsdestoweniger bleibt ,3emflichkeit" trotz nicht zu leugnender Erosionstendenzen absehbar Struktur- und Identitätskern sozialer und personaler Bezüge (3.2). Arbeitsverhältnisse orientieren weiterhin Konzepte des Lebenslaufs, von Persönlichkeit und der Herausbildung von Identität. Arbeitsbezüge können dann auch einen „zukunftsfähigen" Begriff von Bildung stützen (3.3). 4. Wissen und Lernen
Obwohl
eigentlich unterstellen könnte, dass im Konzept „lebenslangen Lernens" „Wissen" zur zentrale Kategorie aufsteigen müsse, gilt dies bisher höchstens postulatorisch in den Entwürfen man
18
Ansatz und Überblick
„Wissensgesellschaft". Mit dem Wissen über Wissen ist es eher schlecht bestellt. Das Verhältnis von Wissen, Kompetenz und Bildung bleibt weitgehend ungeklärt und der Blick auf Themen der Aneignung ist gegenüber dem Prozess des Lernens unterbelichtet. Dies liegt an der Formalität des herkömmlichen Lernbegriffs, der die Bedeutsamkeit der Lemgegenstände für die Lernenden ausblendet (4.2). Ohne eine Kritik instruktionistischer Lerntheorien und eine Neufassung didaktischer Begründungen von „Vermittlung" kommt man dann nicht aus, wenn es um Lernchancen Erwachsener geht. Erst dann wird die Diskussion um „Selbstorganisiertes Lernen" anschlussfähig an den Bildungsbegriff (4.3). zur
5. Wandel Die Kategorie Wandel ist zur zentralen Legitimationsmetapher „Lebenslangen Lernens" geworden. Allerdings ist sie entleert gegenüber dem anspruchsvolleren Begriff Fortschritt, der angesichts des Desasters technikbasierter Zukunftshoffhungen zurecht problematisch geworden ist. Nichtsdestoweniger sind nicht alle Perspektiven verdunkelt. Zukünftige Entwicklungen von Möglichkeiten lebensentfaltender Bildung entstehen aber immer nur vor dem Hintergrund ihrer historischen Herausbildungen, die das Institutionenspektrum von Trägern und Einrichtungen, Programme und Akzente einordenbar (5.1) und die Diskussion um „Lebenslanges Lernen" begreifbar machen (5.2). Letztlich geht es bei lebensentfaltender Bildung um alternative Formen der Verwendung von Zeit und deren Verfügbarkeit. Dazu bedarf es politischer Gestaltung. Ausgehend von dem in der Weiterbildung erreichten Grad „mittlerer Systematisierung" müssen Regulationsstrategien ausgebaut werden, wenn das sich entwickelnde Lernsystem die Möglichkeiten lebensentfaltender Bildung nicht einschränken, sondern ausweiten soll (5.3).
Zugänge
1.
19
Zugänge
Um anzufangen kann ich einige große Begriffe nicht vermeiden, die sofort viele Fragen aufwerfen und die später erst auf Tragfähigkeit geprüft werden können: Bildung, Kultur, Aneignung, Biographie und Persönlichkeit. Bildung eines der schwierigsten Worte der deutschen Tradition gefasst als die immer wieder neue Aneignung von Kultur durch die einzelnen Menschen, ist eingebunden in den Verlauf ihrer Biographien über die ganze Lebensspanne. Im Ablauf des Lebens entfaltet sich Persönlichkeit. Und dies steht immer schon in einem sozialen Kontext. Gleichzeitig mit der individuellen Entwicklung erfolgt gesellschaftliche Verortung. Es entsteht ein Widerspruch zwischen Entfaltung und Anpassung. Der Nachweis erworbener Kompetenz wird gleichzeitig zum Privileg der „Gebildeten". Es öffnet sich ein Spannungsverhältnis zwischen humaner Gestaltung und systemischer -
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Entfremdung.
„Es ist dies ein Produkt der modernen Geschichte, daß politische
und wirtschaftliche Macht immer enger mit dem Bildungswesen verknüpft sind. Die Freisetzung der Produktivkräfte, Planung und Steuerung eines riesigen Spinnengewebes, die Öffnung neuer Räume werden entscheidend durch Bildung bestimmt, aber mit dem Vorantreiben der Bildungsentwicklung müssen auch die irrationalen Prämissen vorangetrieben werden, weil der objektive Widerspruch immer größer wird. Die entfremdete Rationalität in ihr Verhältais zur humanen zu setzen, das ist die Aufgabe. Der Mensch soll Täter seiner Taten werden" (Heydorn 1970, 312). Diese Kritik an Macht und Herrschaft und ein Dagegenstellen von Humanität und Mündigkeit bezog Heinz Joachim Heydorn (1916-1974), Mitbegründer des SDS, Synodaler der evangelischen Kirche, zuletzt Professor für Pädagogik an der Technischen Universität Darmstadt, gegen eine „Ungleichheit für Alle", welche im Bildungswesen hergestellt werde, 1970 vorrangig auf Schule. Dreißig Jahre später hat sich Lernen aus den Bildungsinstitutionen ent...
aus der Kindheits- und Jugendphase entgrenzt und ist unter dem Stichwort „lebenslanges Lernen" ubiquitär geworden. Damit
örtlicht,
20
Zugänge
entwickelt sich auch der „Widerspruch zwischen Bildung und Herrschaft" so der Titel von Heydorns Hauptwerk umfassender. Da die Relevanz von Qualifikation für ökonomische Prozesse angesichts der heraufbeschworenen „Wissensgesellschaft" steigt, verstärkt sich gleichzeitig der Versuch, dies in den Griff zu bekommen. Die immensen Potenziale der Informationstechnologie öffnen Verschleierungs- und Verdummungspotenziale, aber auch Handlungsspielräume für menschliche Gestaltung. Spätestens hier wird deutlich, dass Lernen nicht zwangsläufig auf Anpassung an Ökonomie und Technik ausgerichtet sein muss, sondern sich orientieren kann an einer umfassenden Entwicklung von Kompetenz. Während aber einerseits die Zugänge zum Wissen z.B. durch die Informationstechnologie breit öffentlich gemacht werden könnten, wird andererseits versucht sie durch Copyright, Urheberrecht und Patente usw. dem Diktat der Profitinteressen zu unterwerfen. Die zukünftigen Perspektiven werden dann davon abhängen, inwieweit über die Rationalität ökonomischer Verwertung hinaus humane Gestaltung und Verantwortung greifen. Heydorn hält fest an der Hoffnung, dass instrumentelle, formale Rationalität zur inhaltlichen, humanen, die partielle Vernunft zur universellen werden kann. „Es wird darauf ankommen, die gegenwärtige Möglichkeit zu erfassen, sie zu einer vermutbaren Tendenz zu verbinden. Der Prozeß schreitet fort, der rationale Charakter der Bildung muß angesichts der technologischen Bedingungen stetig erweitert werden, der wachsende Überfluß bietet reale Verwirklichung von -
-
...
Mündigkeit an" (ebd. 316/317). Man spürt im Zitat ein unterschwelliges Pathos, das der Selbstbeschwichtigung dient. Heydorn sieht, dass der Griff der Herrschaft enger wird (ebd. 324). Gegen einen nur instrumentellen Zugriff auf Natur und Gesellschaft durch technische Mittel wird ein umfassender Begriff von Vernunft gedacht, der die Ziele von „Bildung als Verfügung des Menschen über sich selbst" (Heydorn 1972, 120) reflektiert. Daraus folgert er:
Zugänge
21
„Die dringlichste Bildungsaufgabe besteht darin, das Bewußtsein des Menschen von sich selber auf die Höhe der technologischen Revolution zu bringen" (ebd. 122). Mittlerweile sind wir skeptischer geworden, wenn es um revolutionäre Kraft des Bewusstseins und um technologische Potenziale geht. Die multimediale Inszenierung von Freiheit in den Informationstechniken z.B. erzeugt im Schein von Aufklärung deren Gegenteil und sichert die Herrschaft unbegriffener Systemimperative. Insofern hat sich der „Widerspruch von Bildung und Herrschaft" nicht aufgelöst, sondern im „lebenslangen Lernen" verschärft. Ungleichheit wird in der Schule begründet und in der Weiterbildung bestätigt und verfestigt. Soziale Selektivität wird legitimiert im Maßstab erfolgreicher Leistung beim Erwerb von gesellschaftlich als relevant angesehenem Wissen. Formal bestätigen Abschlüsse Lernerfolge als Zugangsvoraussetzungen für weiterführende Laufbahnen und soziale Positionen. Hinter der „Illusion der Chancengleichheit" (Bourdieu/Passeron 1971) steht jedoch die faktische Reproduktion sozialer Distinktion und Differenz durch das Bildungssystem und expandiert über den gesamten Lebenslauf. Das Legitimationsprinzip von Ungleichheit durch Bildungsleistungen liefert den Schein von Gerechtigkeit, indem sich der Zwang zur „employability", für seine eigene Beschäftigungsfähigkeit zu sorgen, als Freiheit und Selbstständigkeit der ,vArbeitskraftunternehmer" (Voß/Pongratz 1998) darstellt. Bei alledem ist Lernen nicht möglich ohne Teilhabe der Personen am gesellschaftlichen Wissen. Seit Bildungsleistungen mit dem auf-
steigenden Bürgertum legitimatorische Grundlage von Ungleichheit geworden sind, ist Zugang zum Wissen Konfliktarena politischer und pädagogischer Programme. Bildung, so wird in ökonomischer Perspektive betont, sei zur wichtigsten Grundlage für den Wohlstand moderner Gesellschaften geworden. Nicht länger auf technischen Produktionsinstrumenten
und -Systemen, sondern auf dem Wissensstand der Menschen beruhe Sicherung und Entwicklung der Zukunft. Wuchtige Schlagwörter tauchen auf: Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit, aber auch Stand-
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Zugänge
ortsicherung in globaler Konkurrenz. Vor diesem Hintergrund wird von „Wissensgesellschaft" geredet (s.u. 4.1). Auch hier wieder droht eine Reduktion von Bildung auf Leistungsbewertung zur gesell-
schaftlichen Verortung. Fortschreitend wird die Produktion gesellschaftlichen Wissens dem Partialsystem Wissenschaft übertragen. Die Resultate sind den einzelnen Menschen schon lange nicht mehr verfügbar. Zunehmend setzt jedoch der Umgang mit den Ergebnissen von Wissenschaft, die den Alltag bestimmen, selbst wissenschaftliches Wissen voraus. „Wissenschaftliches Wissen ist nötig, wenn die menschlichen Verhältnisse selber so komplex bzw. so abstrakt oder so könnte selbst schon so verwissenschaftlicht sind, daß sie man sagen mit der quasi natürlichen Ausstattung, die der Mensch im Alltagsleben erwirbt, nicht mehr bewältigt werden können" -
-
(Böhme 1985, 18).
Wenn
man
also
von
„lebenslangem
Lernen"
redet, geht
es un-
vermeidbar um das Verhältais von Wissenschaft und Gesellschaft und um die individuelle Aneignung kultureller Erfahrungen und deren wissenschaftlicher Interpretation, in dem Widerspruch von Entfaltung und Verortung. Zweifellos nehmen die Anlässe (1.1) für lebenslanges Lernen zu. Gleichzeitig bleiben die Zugänge beschränkt (1.2). Deshalb gilt es Teilhabestrategien zu prüfen (1.3).
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23
aus, als entstehe eine
„Weiterbildungsgesellschaft"
1.1 Anlässe Es sieht
so
(Arnold/Gieseke 1999). Teilnahme an Weiterbildung ist selbstverständlich geworden, Nichtteilnahme begrühdungspflichtig (1.1.1). Nichtsdestoweniger besteht eine Selektivität der Beteiligung fort, welche nicht nur sozialer Auslese geschuldet ist, sondern auch der begründeten Abstinenz gegenüber Lernzumutungen, welche die Bewältigung gesellschaftlicher Modernisierungsprobleme den Individuen anlasten (1.1.2). Wenn trotzdem
„lebenslanges Lernen" als unverzichtbarer Aspekt gesellschaftlicher Teilhabe begriffen wird, geht es darum, die Entfaltungschancen aufzudecken, die über Anpassungspostulate hinausgehen und verwurzelt sind in der Tradition von Aufklärung (1.1.3). 1.1.1 Weiterlernen Mittlerweile wird fast die Hälfte der Deutschen im Alter zwischen 19 und 64 Jahren in gezielte Lernaktivitäten einbezogen. Der Weiterbildungsumfang expandiert. Die Teilnahme an Weiterbildung stieg belegt durch die Repräsentativumfragen von Infratest zum Weiterbildungsverhalten von 23 % der 19- bis 64jährigen im Jahre 1979 auf 48 % im Jahre 1997 (Kuwan u.a. 2000) und ist im Jahre 2000 erstmals zurückgegangen auf 43 % (Kuwan u.a. 2002). In der längerfristigen Betrachtung ist Weiterbildung dennoch ein stark gewachsener Bereich. Seit 1979 hat sich die Teilnahmequote verdoppelt. Zwar gab es immer wieder Einbrüche, z. B. durch das Schwanken der Förderung nach dem Sozialgesetzbuch III und der damit finanzierten „Maßnahmen" der Arbeitsverwaltung. Dies kehrt aber den langfristigen Trend nicht um. -
-
24
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Tellnahmequote in %
Abb. 1:
Weiterbildungsbeteiligung 1979-2000
Mehr als 20 Millionen Erwachsene hier statistisch gefasst nach Lebensalter zwischen 19 und 64 Jahren beteiligen sich gezielt an Lernaktivitäten. Damit ist mittlerweile Weiterbildung, was die Teilnahmezahlen angeht fast unbemerkt von der Öffentlichkeit zum größten Bildungsbereich gewachsen (allerdings gilt dies nicht, wenn man Weiterbildungsvolumen, also Teilnahmefälle mal -stunden rechnet und dies mit Schulbesuch vergleicht). -
-
-
-
1.1.2 „Bedarfe" und Lerninteressen Auf den ersten Blick könnte die Teilnahmeexpansion interpretiert werden als Explosion des Weiterbildungsbedarfs. Permanenz und Totalität von Lernerfordernissen werden in Sachzwangthesen geschlossen als Anpassungsnotwendigkeit an eine als sich weiter beschleunigend unterstellte Dynamik technisch-ökonomischer Entwicklung. Deshalb ist die Wandelmetapher gekoppelt mit der „Be-
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25 Ik
darfsexpansion" zur zentralen Legitimationsfigur „lebenslangen Lernens" geworden. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich aber solche scheinbar erzwungenen „Bedarfe" keineswegs als interessenneutral in Konsequenz technischer Sachzwänge, sondern als Resultat dahinterstehender Modernisierungsimpulse der Kapitalakkumulation und entsprechender Innovationsstrategien. Anforderungen an die Weiterentwicklung von Weiterbildung hängen ab von den unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure. Diese konkretisieren sich als für unterschiedliche Interessen durchaus divergierende „Weiterbildungsbedarfe" (vgl. Faulstich 1998a, 105-117). Nichtsdestoweniger wird oft so getan, als sei „Bedarf' als feste Größe empirisch-analytisch ermittelbar, bestimmbar und messbar. Die Frage nach „Bedarf ist jedoch von Anfang an verkürzt gestellt und lediglich technokratisch legitimiert, wenn man von scheinbar vorgegebenen Anforderungen ausgeht. Ein solches Konzept würde dazu rühren, nur noch reaktiv auf Funktionalität abzustellen und gleichzeitig einen Vorrang von durch die Ökonomie vorangetriebener Technik gegenüber den Motiven der Personen zu akzeptieren. Die Eigeninteressen der Lernenden und ihre Entfaltungschancen würden ungebrochen ökonomischen Verwertungsinteressen unter-
geordnet.
Die Debatte verfängt sich allerdings in einem Scheinproblem, wie das oft der Fall ist eine abstrakte Polarität von Münwenn und digkeit Tüchtigkeit, von Qualifikation und Identität konstruiert und gegeneinander ausgespielt wird. Es gibt durchaus auch Interessenüberschneidungen und entsprechende Konsensfelder bezogen auf Arbeitsfähigkeit, aber auch Partizipationschancen. Gegenüber einer technokratischen Sachzwangslogik begreift ein pragmatisches und interessenorientiertes Konzept „Bedarfe" als Ergebnis gesellschaftlicher Kontexte und Perspektiven sowie von Dis-
kussionsprozessen
-
und Aushandlungen. Dies ist nur möglich, wenn die verschiedenen Akteure bei der Bestimmung dessen, was als ,3edarf bestimmt wird, beteiligt sind. Insofern kann ein „Rahmenbedingungen-Spielraum-Modell" unterstellt werden. Es gibt
26
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jeweils dominante Prämissen und Tendenzen, welche durch konkrete Interessenbezüge und Machtkonstellationen ausgefüllt werden. „Bedarf' ist demgemäss nicht technokratisch exakt bestimmbar, und es gibt kein Instrumentarium, mit dem er empirisch-analytisch eindeutig ableitbar wäre. Es geht um Einschätzungen und Bewertungen. Diese variieren nach den sich aus verschiedenen gesellschaftlichen Lagen ergebenden Interessen. Ökonomische Perspektiven fließen vorrangig in die von den Unternehmen artikulierten Bedarfe ein. Unternehmensziele wie Gewinnsteigerung und Kostensenkung werden übersetzt in Weiterbildungsbedarfe bezogen auf Effizienz und
Flexibilität des Personaleinsatzes. Dies kann durchaus Motivation und ,,Mitarbeiterzufriedenheit" einschließen. Die Interessen der Beschäftigten jedoch gehen über die Anbindung an den einzelnen Betrieb hinaus. Einkommenssteigerung und Arbeitsplatzsicherung machen eine Erweiterung von Handlungsspielräumen nötig, die auch Arbeitsplatz- oder Berufswechsel einschließen. Neben die Bewältigung der Arbeitsanforderungen treten tätigkeitsinhaltliche Interessen sowie Entfaltung und Beteiligung im Rahmen der eigenen Lebens-
führung.
Über die Interessenstrukturen, wie sie durch die Erwerbsarbeit konstituiert werden, hinaus gibt es individuell weitergehende und gesellschaftlich relevante „Bedarfe". So sind z.B. gesamtwirtschaftlich wirksame Bedarfsargumente in der „Standortdebatte" (Nuissl 1995) artikuliert worden. Aber auch politische Perspektiven gesellschaftlicher Entwicklung wie Demokratie und Friedenssicherung werden gewichtig. Am deutlichsten hat das Bundesverfassungsge-
richt in seinem Urteil über das Recht auf Bildungsurlaub, d.h. die bezahlte Freistellung von der Erwerbsarbeit für Bildungszwecke ein gesellschaftliches Interesse formuliert. „Unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels wird lebenslanges Lernen zur Voraussetzung individueller Selbstbehauptung und gesellschaftlicher Anpassungsfähigkeit im Wechsel der Verhältnisse. Dem Einzelnen hilft die Weiterbildung, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Wirtschaft und Gesellschaft erhält so die erforderliche Flexibilität, sich auf veränderte
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Lagen einzustellen" (Bundesverfassungsgericht 15. Dezember 1987, 34-35). Es besteht also ein breites Spektrum von Interessen, die zum Teil
kompatibel, zum Teil divergierend sind. Entsprechend ist zu erwar-
ten, dass Kriterien mit unterschiedlichen Gewichten für Weiterbil-
dungsentscheidungen herangezogen werden. Teilnahme oder auch sind Konsequenz von Aufwand-Ertragsdie Einschätzungen, sich jedoch nicht auflösen in monetäre KostenNutzen-Kalküle (vgl. Bolder/Hendrich 2000). Belegt sind durch Einzeluntersuchungen die Interessen der verschiedenen betrieblichen Entscheidungsträger, so Management eiNicht-Teilnahme
nerseits und Betriebs- und Personalräte andererseits, sowie deren
Überschneidung (Bahnmüller u.a. 1992).
Das Berichtssystem Weiterbildung VI (Kuwan u.a. 1996) fragte 1994 nach den beruflichen Lerninteressen der Erwerbstätigen und von Personen, die bald wieder erwerbstätig werden wollten. An
Entwicklungen anpassen Berufliche Verschlechterungen vermeiden Berufliche Verbesserungen erreichen neue
55% 54%
53%
Berufliche Kenntnisse erweitern Veraltete Kenntnisse auffrischen
45%
aufsteigen können Beruflich nicht so festgelegt sein
27%
Auf einen anderen Beruf umgeschult werden
10%
Beruflich
33%
17%
Berufliche Abschlussprüfung nachholen
6%
Hochschulabschluss nachholen
4%
Abb. 2: Berufliche Lerninteressen 1994 (Berichtssystem VI)
zeigt sich das Spannungsverhältnis von „An neue Entwicklungen anpassen" und „Berufliche Verbesserungen erreichen". Diese Liste ist allerdings keineswegs vollständig. Es werden Status- und Konsuminteressen bezogen auf „berufliche" Weiterbildung abgeHier
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während arbeitsinhaltliche Interessen ausgeblendet bleiben. Ganz außerhalb dieser Fragestellung bleiben Interessen an „allgemeiner Weiterbildung". Nichtsdestoweniger kann man die Interessenvielfalt belegen, welche langfristig steigende Weiterbildungsteilnahme anstößt, die sich aber bei unterschiedlichen Beschäftigtengruppen und in verschiedenen Milieus auch als Abstinenz oder sogar Widerstand ausprägen kann.
fragt,
1.1.3 Bildsamkeit und Lernwiderstände Dies hat Dirk Axmacher in einer historischen Studie schon für die Anfänge der Handwerkerfortbildung als „Wandelwiderstand" belegt (Axmacher 1990a). Es häufen sich in den Akten über das Fortbildungswesen im 18. und 19. Jahrhundert im Königreich Hannover Hinweise auf Renitenz und verbreiteten Widerstand von Lehrlingen, Gesellen und Meistern gegen die Zumutung sich verschultes Fachwissen anzueignen und gleichzeitig Erfahrungswissen enteignen zu lassen (Axmacher 1990b, 64).
auch heute Erwachsene trotz erfahrener gesellschaftlicher Dynamik und der Explosion wissenschaftlichen Wissens bei gleichzeitig mediengestütztem Dauerappell, dass lebenslanges Lernen unverzichtbar sei, davon abhält, Weiterbildungsangebote zu ergreifen, deren Notwendigkeit sie nicht offen ablehnen (ebd. 55). Die Argumentation bei Dirk Axmacher ist in diesem Punkt gekennzeichnet durch Pauschalität. Wenn man genauer auf die belegten Phänomene hinsieht und diese begrifflich klarer fasst, geht es nicht generell um „Widerstand gegen Bildung", sondern um eine Abwehr gegen die Enteignung von Erfahrungswissen und den Zwang zur Aneignung abstrahierten Wissens in verschulter Form. Lernwiderstände sind begründbar auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene. Zunächst kann es durchaus sinnvoll sein, sich Anforderungen von Innovationen zu entziehen, deren Konsequenzen für die eigene Perspektive als negativ oder riskant Das führt
zu
der Frage,
was
erscheinen. Aus Sicht potenzieller ,,Modemisierungsverlierer" wäre es unvernünftig sich in Prozesse hineinziehen zu lassen, an deren
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29
Ende Dequalifizierung, Einkommensverluste und Arbeitsplatzrisiken stehen: Wenn eine Diskrepanz zwischen Aufwand an Geld und Zeit einerseits und Verwendbarkeit andererseits klafft, falls die Sinnhaftigkeit von Lernbemühungen und -anstrengungen nicht nachvollziehbar ist, resultieren berechtigte Widerstände. Lernfähigkeit (s.u. 4.2.3) von Erwachsenen ist besonders an Bedeutsamkeit geknüpft (s.u. 4.2.2). Man will wissen, wozu ein Kurs oder ein Programm gut ist, dass also deutlich wird, was es bringt, Zeit in Weiterbildung zu investieren. Weiterbildungsmotivation setzt voraus, dass Weiterbildungsinteressen erfolgreich realisiert werden können. Dies ist aber für die Einzelnen oft kaum absehbar. Das diffuse Institutionenspektrum in der Weiterbildung wirkt Teilnahme verhindernd. Die Qualität der Lernangebote ist oft nicht einschätzbar. Zur Umsetzung des Interesses an Weiterbildung sagen 37 % der Interessierten, dass sie mehr Information und Beratung bräuchten. Lediglich 52 % geben an, einen Überblick über die Weiterbildungsmöglichkeiten zu haben (Berichtssystem VII, Kuwan u.a. 2000, 89). Aus Angebotsmängeln, deren Intransparenz und Qualitätsdefiziten resultieren Lernhemmnisse. Weiterbildungsberatung erhält also einen hohen Stellenwert und umfasst neben Information zur Transparenz der Lernangebote auch eine Klärung der Rahmenbedingungen, die Weiterbildungsteilnahme ermöglichen oder ihr entgegenstehen, also beseitigt werden müssen. Kern von Beratung sind Weiterbildungsmotivationen und -Strategien als Wegweiser, um ausgehend von den Weiterbildungsinteressen die eigene Biographie durch Lernen zu gestalten. Individuell entsteht Lernmüdigkeit bei denen, die negative Resultate in ihrer schulischen Vergangenheit verarbeiten mussten. Erwachsenenbildung ist immer Anschlusslernen an vorgängige Erfahrungen. Wer in der Schule erfahren hat, dass Unterricht ermüdend und langweilig ist, wird kaum glauben, dass Lernen auch Spaß machen kann. Dies alles, Lemwiderstände, -hemmnisse und -müdigkeit, gerät allerdings in eine Paradoxie, weil nämlich gleichzeitig eine Wertschätzung von Bildungserfolgen bei der deutschen Bevölkerung
30
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hoch
ausgeprägt ist. Langfristig wurde das Ansehen von Bildung immer wieder belegt. Schon in seiner frühen, bahnbrechenden Untersuchung über „Ansatz und Wirksamkeit der Erwachsenenbildung" der „Hildesheim-Studie" diskutierte Wolfgang Schulenberg den Widerspruch zwischen der hohen Meinung über Bildung und dem eigenen Verhalten der untersuchten Population, bei der immerhin 1039 Personen in 63 Diskussionsgruppen einbezogen waren (Schulenberg 1957, 10). (Das gleiche Phänomen findet Kuwan 40 Jahre später: „Weiterbildung ist wichtig, aber nicht für mich" (Kuwan 1990, Kuwan in Brüning/Kuwan 2002, 141)). Als Argumente gegen Teilnahme wurden bereits 1957 zunächst Überbeanspruchung durch die Arbeit, ungenügende Vorbildung oder Geldmangel genannt. Dahinter findet Schulenberg aber eine Diskrepanz zwischen Konformität der starken Bildungswertschätzung und faktischen eigenem Verhalten. Es fehlen „Anzeichen tiefen Betroffenseins, drängender Unruhe oder Suche nach neuen Idealen" (ebd. 156). Schon Schulenberg gibt „Hinweise, für welchen Preis man am ehesten bereit wäre, diese Anstrengungen zu übernehmen: für eine konkret erlebbare Steigerung der individuellen geistigen Potenz, für eine unmittelbar spürbare Erhöhung der persönlichen Sicherheit, für eine einsichtige und aktualisierbare Ausweitung des persönlichen Geltungsbereiches (im wörtlichen Sinne)" (ebd. 158). In der nachfolgenden „Göttinger Studie" (Strzelewicz/Raapke/ Schulenberg 1966), die später als „Leitstudie" der Erwachsenenbildungswissenschaft apostrophiert worden ist, wurde eine dreistufige Untersuchung vorgelegt, welche eine Repräsentativumfrage, 34 Gruppendiskussionen und 38 Einzelinterviews umfasste. Anliegen war es, Bildungsvorstellungen und deren Differenzen nach sozialer Lage herauszuarbeiten. Die Forscher wollten wissen, „welche Vorstellungen die breite Bevölkerung mit dem Wort Bildung verbindet, was nach Meinung der Bevölkerung zur Bildung gehört, wozu sie verhilft, was einen Menschen, den man für gebildet hält, auszeichnet" (Strzelewicz/Raapke/Schulenberg 1966, 39). -
-
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Ausgangspunkt der Interpretation ist die festgestellte „eigenartige Mehrdeutigkeit" des Bildungsbegriff zwischen Innerlichkeitsideal und Statuszuweisung. „Auf der einen Seite ist Bildung zum Merkmal einer Statushierarchie oder eines Rollenssystems geworden. Auf der anderen Seite erschien Bildung als persönliche Ausformung, die von Charakter zeugte oder von geistigen Voraussetzungen oder der Gunst anderer Bedingungen abzuhängen schien und nicht mit gesell-
schaftlichen Unterschieden zu tun hatte" (ebd. 31). Strzelewicz u.a. finden ein „sozial-differenzierendes Syndrom" von Bildung, das auf Schulabschlüsse, soziale Position und Wissen abstellt, eher bei unteren, ein „personal-differenzierendes Syndrom" das auf Charakter, Einstellungen und Gesinnung verweist, eher bei gehobenen sozialen Schichten. Diese Bezugnahme auf Differenzen der Wertschätzung von Bildung ist später erst wieder umfassend empirisch aufgenommen worden, vor allem in der großangelegten Untersuchung des „Instituts zur Erforschung sozialer Chancen" (ISO) über „Weiterbildungsabstinenz" (Bolder u.a. 1994, 1995, 1998a, 1998b, Bolder/Hendrich 2000,26). Dieser lag die „Generalhypothese" zugrunde: „Es ist von einer Ablehnung der Teilnahme an und in beschäftigungsnaher Weiterbildung auszugehen, solange deren Sinn nicht einzusehen ist, weil die monetären und psycho-sozialen Kosten in keinem akzeptablen Verhältnis zu ihrem erfahrenen und erwartbaren Nutzen stehen und Weiterbildung als fremdbestimmt erlebt wird. Die in der Entscheidungssituation dem Individuum gegebenen Informationen und die einschlägigen Deutungsmuster sind rückgebunden an lebensweltliche Milieus, an kollektive und indi-
viduell-biographische
Erfahrungszusammenhänge"
(Bol-
der/Hendrich 2000, 35). Die methodische Erfassung der Projektfragestellung erfolgte auf einer Makroebene, durch eine repräsentative, voll-standardisierte Befragung der „beschäftigungsnahen Bevölkerung" der BRD, auf einer Mesoebene in den Regionen Herford und Halle/Saale durch sekundär-statistische Analysen und Experteninterviews und auf ei-
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Mikroebene durch problemzentrierte Interviews. Ergänzt wurde das Material durch eine Experimentalstufe in Gruppendiskussionen bei einer Zukunftswerkstatt. „Ein zentrales Ergebnis des Projekts ,Weiterbildungsabstinenz' muss darin gesehen werden, dass lebenslanges Lernen in dem hier angesprochenen Sinne, ..„jedenfalls nicht Alltagsattitüde der Jedermanns- und Minderqualifikationen ist. Es ist im Gegenteil auch Mitte der neunziger Jahre allen technischen Neuerungen, arbeitsmarktlichen Friktionen und weiterbildungspolitischen Initiativen zum Trotz davon auszugehen, dass formalisierte Formen von beschäftigungsnaher Weiterbildung von dieses Adressatengruppe in der Regel vermieden werden und zwar nicht, weil die einzelnen nicht erfahrungs- oder lernoffen wären, sondern weil ihnen deren institutionelle Absicherung vorenthalten wird und weil sie in ihren individuellen Anstrengungen keinen angemessenen Gewinn gegenüberstehen sehen" (ebd. 260). Weiterbildungsteilnahme geht also aus von individuellen Interessen und, wo diese nicht eingelöst werden, folgt Abstinenz mit dem Risiko erhöhter Segregation, Selektion, Prekarität oder Exklusion. Dies ist nach wie vor ungleich verteilt aufgrund von sozialer Auslese, welche die Rahmenbedingungen fur Bildungsentscheidungen ner
-
festlegt.
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1.2 Auslese
Gegenüber traditionalen zeichnen sich moderne Gesellschaften dadurch aus, dass nicht mehr Herkunft oder Geschlecht, sondern die für Lernabschlüsse erbrachten Leistungen als Voraussetzungen für den Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und damit für die Erlangung von Einkommen, Einfluss und Ansehen gelten. Schon das frühe Bürgertum stellte gegen das ständische Geburtsprinzip ein individualisiertes Leistungsprinzip zur Legitimationsgrundlage sozialer Ungleichheit (Hradil 1999, 411). Spätestens seit den 1960er Jahren wurde im Zusammenhang mit der Reformdiskussion die Statusproblematik erneut und zunehmend virulent. Da die Akzeptanz sozialer Ungerechtigkeit gemessen am Chancengleichheitspostulat erodiert, müssen für fortbestehende Statusunterschiede neue Legitimationsmuster gefunden werden. Ulrich Teichler hat dies als „Bedarf an sozialer Ungleichheit pointiert (Teichler 1974). Es wächst das Spannungsverhältnis von Qualifikationsmobilisation im Zusammenhang der Bildungsexpansion und reziproker Auslesestrategien. Im Bildungsbereich kann die Bilanz der Reform (Klemm u.a. 1985) durchaus von einer gelungenen Expansionsstrategie ausgehen, wenngleich strukturelle Effekte „steckengeblieben" (ebd. 79) sind. Die Bildungsexpansion hat zu einer Ausweitung der Bildungschancen geführt. Es besuchen immer mehr Schülerinnen und Schüler weiterführende Schulen. Insgesamt haben die Kinder aller gesellschaftlicher Gruppen davon profitiert. Zu den Gewinnern der Bildungsexpansion zählen vor allem die Frauen. Sie haben die neu entstandenen Bildungsmöglichkeiten überproportional genutzt. Auch Ausländerkinder und Kinder vom Lande haben aufgeholt. Die Abstände zwischen den sozialen Schichten allerdings sind weitgehend erhalten geblieben. Nach wie vor ist die Bildungsungleichheit nach Herkunft stark ausgeprägt. Soziale Ungleichheit bestimmt noch immer die Bildungs- und damit auch die Lebenschancen (zusammenfassend: Keim 2001). Die Gefahr besteht, dass die Erfolge der Bildungsreform sich pervertieren und gegenläufige Effekte erzeugen. Prinzipiell gerät ein Lern- von Lebenschancen isolierendes Denken in eine unlösbare
34
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Paradoxie: einerseits werden durch Bildung die Prämissen hergestellt, um soziale Egalitätsansprüche zu stellen. Andererseits und gleichzeitig werden bestehende Hierarchien sozialer Ungleichheit legitimiert. Die Bildungserfolge von Mädchen und Frauen haben z.B. nicht dazu geführt, dass ihre Berufsmöglichkeiten entsprechend gestiegen sind. Unterhalb der formalen Berechtigungsniveaus greifen neue Abdrängungsprozesse. Nach wie vor ist das Berufsspektrum für Frauen eingeengt. Zusätzlich hat die Erwerbslosigkeit dazu geführt, dass das Bildungswesen eine Wartehallenfunktion erhält. Erhöhte Bildungschancen brechen sich an verminderten Berufschancen.
Darüber hinaus ist durch die Informations- und Kommunikationstechnologien ein Potenzial entstanden, das bisherige Lernformen in Frage stellt. Dies kann einerseits neue Entfaltungschancen befördern. Es gibt aber andererseits auch die Gefahr einer neuen Diskriminierung, wenn die Zugänge und Nutzungspotenziale eingeschränkt, die Teilhabechancen privilegiert zugewiesen werden und so eine neue multimediale Exklusion erzeugt wird. Gleichzeitig ist die Absorptionsfähigkeit des Beschäftigungssystems für qualifizierte Arbeitsfähigkeiten angesichts der Friktionen auf dem Arbeitsmarkt gesunken. Durch Bildungsabschlüsse legitimierte Berufsberechtigungen werden umgewertet. Dramatische Formen erhält der Bedeutungswandel von Zertifikaten angesichts der gegenwärtigen und absehbaren Lage auf dem Arbeitsmarkt. Erwerbslosigkeit bewirkt massive Abwertung und Entwertung von Abschlüssen. Die Zumutbarkeitsbestimmungen für die Arbeitsvermittlung nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III) z.B. unterhöhlen erworbene Ansprüche und wirken als direkte Eingriffe in Statuskontinuität. In der Folge ergeben sich Erosionsprozesse bezogen auf die Tragfähigkeit des bildungsmeritokratischen Zuweisungsmodells, wenn Lernanstrengungen in der Gefahr schweben, ins Leere zu laufen. Die steigende Langzeitarbeitslosigkeit ist Indiz für eine neue Form sozialer Auslese. Es geht nicht mehr lediglich darum, Chancen im System zu verteilen, also um Selektivität, sondern um den dauerhaften Ausschluss aus der Normalität der Erwerbstätigkeit, also um Exklusion.
Zugänge
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1.2.1 Statusdistribution und Zertifikate Es ist allerdings offen, welche neuen Formen von Reproduktionsprozessen sozialer Struktur greifen werden. Historisch und inter-
kulturell gibt es mindestens fünf Strategien, mittels derer die Individuen in sich beschleunigt wandelnden Gesellschaften ihre Positionen in der Sozialstruktur einnehmen, wobei sie zugleich die Sozialstruktur reproduzieren
(Faulstich/Vespermann 2001).
traditional -
-
-
-
bildungsmeritokratisch beschäftigungsmeritokratisch staatlich
unternehmensintern -
Abb. 3: Modelle der Statusdistribution
-
Die traditionale, vormoderne Form der Statuszuweisung stellt ab auf soziale Herkunft, Familie und Eigentum. Sie sichert die Kontinuität gesellschaftlicher Strukturen durch Weitergabe von Be-
rechtigungen. -
-
In der modernen, bildungsmeritokratischen Legitimation für Karrierechancen erhalten die Abschlüsse als Ausweis von Kompetenz zentralen Stellenwert. Dabei haben vielfältige Untersuchungen immer wieder belegt, dass eine vollständige Ablösung vom traditionalen Modell nie erfolgte.
beschäftigungsmeritokratischen Modell werden die Leistungs- und Anerkennungsmaßstäbe direkt im Erwerbszusammenhang begründet und geregelt. Dies kann verschiedene In einem
Formen annehmen, entweder als „Tellerwäschermodell", wenn besonders auf individuelle Durchsetzungsfähigkeit gesetzt wird, oder aber in einem „Betriebsfamilienmodell", wo die Zugehörigkeit zur „Firma" Grundlage für interne Rekrutierungsstrategien liefert.
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-
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Eher unwahrscheinlich
erscheint, obwohl verstärkt diskutiert, ein das Modell, unmittelbar, d.h. ohne Dazwischentreten des Bildungswesens, auf staatliche oder öffentliche Selektionsstrategien setzen würde. Dabei könnten entweder rigidisierte Auswahlviertes
und Zulassungsverfahren für Bildungsmöglichkeiten greifen, oder aber Steuerungsansätze für Berufsmöglichkeiten auf gesellschaftliche Planungsvorgaben abstellen. Eine Variante sind Versuche „nicht-formal-erworbene" Kompetenzen zu zertifizieren, wie sie vor allem durch die europaweite Internationalisierung der Arbeitsmärkte angestoßen, aber bisher nur ansatzweise umgesetzt worden sind. Angesichts der Ungesichertheit vorliegender verglichen mit erwarteten Kompetenzen greifen Unternehmen verstärkt auf direkte Rekrutierungsstrategien zurück. Beispiele dafür sind AssessmentCenter, bei denen durch Beobachtung von Leistungsbewährung in Experimentalsituationen Erfolgswahrscheinlichkeiten im Job prognostiziert werden. Die gegenwärtige Lage scheint durch Offenheit und Ungeklärtheit gekennzeichnet. Der meritokratische Zirkel, der soziale Privilegien durch Lernerfolge immer wieder neu bestätigte, droht angesichts zunehmender Lücken zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem, d.h. weniger abstrakt formuliert: einer Zahl von langfristig schon über drei Millionen Erwerbslosen, aufzubrechen. Die Tragfähigkeit des Leistungsprinzips als Legitimationsbasis der Statusverteilung wird brüchig (vgl. dazu schon Offe 1970). Am wahrscheinlichsten ist es, dass sich ein neues Mischmodell herausbildet. In welche Richtung sich dies entwickelt, ist aber keineswegs vorgegeben, sondern hängt ab von den Strategien der beschäftigungs- und bildungspolitischen Akteure. In der Tendenz ergibt sich einerseits eine Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Individuen. Die strategische Bedeutung von Zertifikaten wächst dabei sogar noch(Faulstich/Vespermann 2001). Symbolische Reproduktionsinstrumente werden zum Maßstab möglicher Leistung (Bourdieu u.a. 1981, 23). Andererseits und gleichzeitig sinkt die Bewertung von Zertifikaten. Sie werden zur notwendi-
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gen aber keineswegs hinreichenden Voraussetzung für Statusdistribution und betriebliche Allokation. Die verschiedenen Formen der Zertifikate bleiben aber die Gelenkstellen, an der Bildungs- und Beschäftigungssystem, Lernerfolg und Arbeitseinsatz gekoppelt sind. Max Weber hat gezeigt, dass „Bildungspatente", wie er Zertifikate nannte, in der Industriegesellschaft an die Stelle der Adelsprivilegien getreten sind (Weber 1972). Zertifikate sind standardisierte Formen der Kopplung zwischen Lernen und Arbeiten und der Zuweisung von Individuen auf Positionen d.h. von Arbeitskräften auf Arbeitsplätze. Dies bezieht sich einerseits auf die Fähigkeit, bestimmte Positionen auszufüllen. Damit sind andererseits aber immer Auslese und unterschiedlicher Arbeitseinsatz verbunden. Gleichzeitig mit dem Erwerb von Kompetenzen setzen sich die Individuen nachgewiesen durch Zertifikate sozial von denen ab, welche über gleiche Fähigkeiten nicht verfügen. Die statusdistributiven Effekte von Lernprozessen wirken auf zwei Ebenen: zum einen bezogen auf die Einbeziehung in spezifische kulturelle Milieus, zum anderen hinsichtlich der betrieblichen Allokation von Arbeitskräften. Mit der Verbindung von Kompetenz und Zertifikat geht es um eine spezifische Form der Kopplung von Bildungs- und Beschäftigungssystem, bzw. auf der Ebene des Unternehmens von Lern- und Arbeitsprozessen. Über das Berechtigungssystem, das unterschiedliche Bildungszertifikate mit ungleichem Berufsstatus verkoppelt, wird alles Lernen potenziell konkurrenzrelevant. Dies erfolgt in zweifacher Weise: Zum einen bezogen auf Sozialisation, d.h. die Aneignung von Qualifikationen und Motivationen; zum anderen hinsichtlich der Selektion für unterschiedliche betriebliche und gesellschaftliche Positionen. Dominantes Strukturprinzip, an dem sich diese Funktionen orientieren, ist nach wie vor die Art der Teilhabe an Erwerbstätigkeit bzw. die Stellung zum Produktionsprozess. Sie bestimmt die Anforderungen und die Berechtigung, bestimmte Tätigkeiten ausführen zu können und zu dürfen. Wo das Gewicht von Erwerbstätigkeit sinkt, verlieren auch Zertifikate ihren Wert. Bei hoher Erwerbslosigkeit bleiben sie höchstens als Eintrittskarte nützlich. -
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In der
Kopplung von Kompetenz und Zertifikat findet sich also eine mögliche Lösung der gesellschaftlichen Grundfrage der Legitimation von Statusdistribution. Dies erhält historisch und international unterschiedliche Ausprägungen. Ein Spezifikum der Erwerbstätigkeit in Deutschland ist nach wie vor ihre vorwiegende Verfasstheit in der Form von Berufen. Allerdings ist gerade die Berufsform zunehmend Erosionsprozessen ausgesetzt, welche die Stabilität und Kontinuität dieses Musters in Frage stellen. Die wichtigsten Trends sind zweifellos die Internationalisierung der Arbeitsmärkte und die Individualisierung der Lebenslagen sowie die daraus resultierenden
Mobilitäts- und Flexibilitätstendenzen. In einem solchen Kontext kommt Weiterbildung zunehmendes Gewicht zu (Faulstich u.a. 1991, 1996; Faulstich/Zeuner 1999), da sie aufgrund ihrer Dynamik und Differenziertheit der Bildungsbereich ist, der am schnellsten auf veränderte Anforderungen durch Erwerb von Kompetenzen und entsprechende Zertifikate reagieren kann. Nichtsdestoweniger spielt Weiterbildung im deutschen Berechtigungswesen nach wie vor eine nachgeordnete Rolle. Die dominanten Rekrutierungsstrategien stellen immer noch auf das Niveau der Erstausbildung und deren Abschlüsse ab und perpetuieren resultierende Karrierechancen und Ungleichheiten. Entfaltungsmöglichkeiten sind aufgrund von Geschlecht, sozialer, kultureller und regionaler Herkunft nach wie vor eingeschränkt. In der Tradition von Arbeiterbildung bis zur Weiterbildung galt demgegenüber die Abschaffung von Privilegien, die aus Ungleichheit zwischen gesellschaftlichen Gruppen resultieren, als wichtige Ziel-
setzung.
1.2.2 Doppelte Selektivität und soziale Milieus Die Frage, wen Erwachsenenbildung erreicht, lässt sich in empirischen Untersuchungen bis zur vorletzten Jahrhundertwende zurückverfolgen. Zu nennen sind die Auswertungen der Teilnahmestatistiken der Universitätskurse in Wien durch Ludo M. Hartmann im „Zentralblatt für das Volksbildungswesen" 1900/01, sowie von J. Tews über die „Gesellschaft zur Verbreitung der Volksbildung".
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Teilnahmeforschung (Hermes 1926; Große 1932; Hermberg/Seiferth 1932, Buchwald 1934) in den zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts sollten Aufschluss über soziale Lage Adressaten- und
und Motivation der Lernenden
senenbildung 107).
zu
geben, um Programme der Erwachbegründen (vgl. a.: Faulstich/Zeuner 1999, 103-
Ende der 1950er Jahre führten Nachfragen zur Wirksamkeit der langsam expandierenden Volkshochschularbeit zu erneuten empirischen Forschungen über Adressaten der Erwachsenenbildung, deren Schichtzugehörigkeit und Bildungsvorstellungen. Leitstudien sind die „Hildesheimer Studie" (Schulenberg 1957), die „Göttinger Studie" (Strzelewicz u.a. 1966) (s.o. 1.1.3), sowie als Folgeuntersuchung die „Oldenburger Studie"" (Schulenberg u.a. 1978). Erkenntnisinteresse besonders der Oldenburger Untersuchung war es zu klären, welche Zusammenhänge zwischen Faktoren wie sozialer Herkunft, Schulbildung, Beruf sowie Geschlecht und der Weiterbildungsbeteiligung bestehen. Belegt wird eine hohe Korrelation zwischen Schichtzugehörigkeit und Teilnahme. Weitere Faktoren, welche die Teilnahme begünstigen oder eben behindern sind Geschlechtszugehörigkeit (Frauen nehmen weniger an Weiterbildung teil), Wohnort (in ländlichen Gebieten ist die Erreichbarkeit erschwert) oder auch das Alter (ältere und sehr junge Erwachsene nahmen seltener an Weiterbildungsveranstaltungen teil (z.B. Schu-
lenberg 1979).
Die Selektivität des Schulsystems und daraus resultierender Bildungsprivilegien werden durch Weiterbildung nicht verringert, sondern verstärkt. Dies ist immer wieder betätigt worden. „Von allen Faktoren differenziert der Schulabschluss am markantesten. Über die Hälfte aller Absolventen einer weiterführenden Schule haben an Weiterbildung teilgenommen, aber nur jeder vierte Volksschüler und nur jeder achte ohne Volksschulabschluss" (ebd. 110). Es findet also eine Bildungskumulation statt. Dies wurde mit dem Begriff der „doppelten Selektivität" belegt, indem nämlich Weiterbildung nur einen Teil der Erwachsenen erreicht und dabei
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nur ein eingeengtes soziales Spektrum (Faulstich 1981). Zwar ist mittlerweile der Umfang der Teilnahme gewachsen, die Auslese aber besteht weiter. Die Ergebnisse der Hildesheimer, Göttinger und der Oldenburger Studie sowie anderer quantitativer Untersuchungen hatten zur Folge, dass sich auf der Handlungsebene der Erwachsenenbildung eine Diskussion um den Zielgruppenbegriff entfaltete, dem unter dem Stichwort Teilnehmerorientierung die Idee einer gezielten Ansprache von als benachteiligt angesehenen gesellschaftlichen Gruppen zugrunde lag. Die Begrifflichkeit „Bildungsbenachteiligte und Bildungsferne" (Brüning/Kuwan 2002) marginalisiert aber das Problem und stigmatisiert die Adressaten. Fortgesetzt werden quantitative Untersuchungen des „Weiterbildungsverhaltens" in dem seit 1979 regelmäßig im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung erscheinenden „Berichtssystem Weiterbildung" (BSW) (vgl. Kuwanu.a. 1996, 1998, 2000, 2002). Darin wird ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung im Alter von 19 bis 64 Jahren zu ihren Weiterbildungsaktivitäten befragt. Das „Berichtssystem" gibt Auskunft über das Weiterbildungsverhalten der Befragten in Korrelation mit soziodemographischen und motivationalen Faktoren; teilweise über Strukturen der Weiterbildungslandschaft, Kosten und Finanzierung und regionale Verteilung. Das Berichtssystem vermeidet eine eindeutige Zuordnung nach einem Schichtenmodell. Nach wie vor aber werden die Teilnahmechancen als unterschiedlich belegt. Nach Altersgruppen: 47 % der 19-34 Jährigen, aber nur 31 % der 50-64 Jährigen. Nach Schulbildung: 29 % mit niedrigen Schulabschlüssen, aber 59 % mit Abitur. Nach beruflicher Qualifikation: 20 % ohne Berufsausbildung, aber 63 % mit Hochschulabschluss. Nach beruflicher Position: 33 % der Arbeiter, aber 70 % der Beamten (Kuwan u.a. 2001, Abb. 4). Wenn man die Ergebnisse des Berichtssystems Weiterbildung mit denen der älteren Studien vergleicht, kommt man nicht umhin zu konstatieren, dass sich ungeachtet der quantitativ gewachsenen Beteiligung an Weiterbildung strukturell nicht viel geändert hat.
41
Zugänge
Wie in den 1960er und 1970er Jahren muss noch immer von einer Selektivität der Weiterbildung gesprochen werden: die Wahrscheinlichkeit, an Weiterbildung teilzunehmen wächst mit höherer Schulbildung, höherer Qualifikation und beruflichem Status. Weiterbildung verstärkt Selektivität und erzeugt Differenz. Merkmale:
1979
1982
1985
1988
1991
1994
1997
200«
34
38 31 14
32 25 14
43
44
49
40 23
47
53 54 36
47
37 20
Alter
19 34 Jahre 35 49 Jahre 50 64 Jahre -
-
21
-
11
28
49| 31
Bildunqsabschluss
Niedrige Schulbildung Mittlere Schulbildung
16
19
14
23
22
29
37
44
44
54
46
Abitur
43
48
34 44
29 47
34
29
53
57
60
65
59
20 40 54
Berufliche Qualifikation Keine Berufsausbildung Lehre / Berufsfachschule
12
11
9
18
18
19
24
21
27
22
32
33
Meister-,
32
36
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45 58
andere Fachschule Hochschulabschluss
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50
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26 16
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28 18
39
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50
27
28
29
63
Erwerbstätigkeit
Erwerbstätige Nichterwerbstätige Berufsstatus Arbeiter
Angestellte Beamte
Selbstständige Geschlecht Männer Frauen
57 34
52 27
36 56
40
33
63
65 52
72 55
59 70 54
15
17
11
21
26
31 45 21
39 50 32
34
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47
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26
42
49 54 39
27
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37
39
44
49
45
19
25
22
32
35
40
47
40
Abb. 4: Selektivität der
Weiterbildungsteilnahme
42
Zugänge
Selektivität der Weiterbildungsbeteiligung rekurrieren notwendigerweise auf dahinterliegende Theorien sozialer Ungleichheit und entsprechende Konzepte der Sozialstrukturanalyse. Neuere Ansätze der Adressaten- und Teilnahmeforschung haben entsprechend den Begriff der „sozialen Milieus" aufgenommen. Ausgehend von der Individualisierungsthese (Beck 1986) und der behaupteten Erosion traditioneller sozialer Strukturen stellt sich „Jenseits von Stand und Klasse" (Beck 1983) die Frage, inwieweit überhaupt noch gesellschaftliche Gruppierungen auszumachen sind, die durch gemeinsame Einstellungen und Handlungen gekennzeichnet sind. Diese Fragen werfen sowohl theoretische als auch empirische Probleme auf. Nachdem lange Zeit ein Streit um die Angemessenheit des Klassen- oder des Schichtbegriffs geführt worden ist (zuletzt Bischoff u.a. 2002), hat sich für die Erfassung der Sozialstruktur moderner Gesellschaften das Konzept Pierre Bourdieus als tragfähig erwiesen. Er begreift „soziale Milieus" nicht als durch einzelne Merkmale gekennzeichnet, sondern „durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen" (Bourdieu 1982, 182). „Die feinen Unterschiede" (Bourdieu 1982) sozialer Distinktion resultieren zwar auch aus Einkommensdifferenzen, schulischen Abschlüssen, beruflicher Stellung, aber auch aus Konsumstilen, kulturellen Aktivitäten und Geschmack. Soziale Positionen werden kombiniert mit Lebensstilen. Milieu-Typologien sind seit den 1980er Jahren verstärkt in die Wahl- und Marktforschung aufgenommen worden. Michael Vester u.a. (1993), deren Interesse vor allem dem Zusammenhang von Lebenswelt und Politikstilen gilt, unterscheiden drei Untersuchungsebenen:
Studien
-
-
zur
gesellschaftliche Lage, Mentalitäten, soziale Milieus.
-
Zugänge
Soziale
43
Lage
Oberschicht
Obere
Mittelschicht
Mittlere Mittelschicht
Untere Mittelschicht
Unterschicht
WERTEWANDEL Traditionelle Materielle Hedonism us: Postmateria Postmodernis. Grundorien- Grundorien- "Genießen" lismus: "Sein" mus: "Haben, Kein und tierung: tierung: "Bewahren" "Haben" Genießen"
Wertorientierungen Abb. 5: Soziale Milieus in Deutschland West
(Quelle: Flaig u.a. 1997, 74)
Demgemäss wird zwischen äußeren Lebensbedingungen als Niveaus von Klassenlagen einerseits und Mentalitäten und Einstellungen andererseits unterschieden. Als Vermittlung zwischen gesell-
schaftlicher Struktur und individuellem Habitus Wörden soziafe Milieus differenziert. Dabei bezeichnet der Begriff Milieu Gruppen von Menschen, die aufgrund äußerer Lebensbedingungen gemeinsame Lebensstile herausbilden (Vester u.a. 1993, 134).
Zugänge
44
Aus dem Zusammenhang von Lage, Mentalität und Milieu ordnen Fester u.a. nach Bourdieus Konzept des sozialen Raums und des Habitus die Lebensstil-Milieus einer pluralisierten Klassengesellschaft zu (ebd. 16). Dimensionen sind Oberklassen-, Mittelklassen- und Arbeiterhabitus; modernisiert, teilmodernisiert, traditionell. Daraus ergeben sich: alternatives Milieu; technokratischliberales Milieu; konservativ-gehobenes Milieu; hedonistisches Milieu; aufstiegsorientiertes Milieu: kleinbürgerliches Milieu; neues Arbeitermilieu; traditionsloses Arbeitermilieu. Maßgeblich für die Milieuforschung in Deutschland sind die Studien des Sinus-Instituts geworden. „Die Sinus-Milieus werden seit fast 20 Jahren von führenden Markenartikel-Herstellern und Dienstleistungsunternehmen er-
folgreich genutzt. Die Zielgruppenbestimmung von Sinus orientiert sich an einer Lebensweltanalyse unserer Gesellschaft. Die Sinus-Milieus fassen Menschen zusammen, die sich in Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Grundlegende Wertorientierungen gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum" (Sinus Sociovisi...
-
2000). Zunächst, on
bei der Entwicklung der Methode seit 1978, wurden narrative Interviews durchgeführt. Mittlerweile basiert der „MilieuIndikator auf einer Statementbatterie von fast 50 Items (Flaig u.a. 1997). Kombiniert werden zur Verortung der Milieus im sozialen Raum eine vertikale Dimension von Schichten und horizontal Werthaltungen. Daraus wurden zunächst acht, später neun, mittlerweile zehn Milieus identifiziert.
Ausgehend von den Sinus-Studien und den Untersuchungen von Forschungsansatz und -fragestellung in der Folge auf Untersuchungen zur Weiterbildungsteilnahme in der Erwachsenenbildung übertragen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang: Fester u.a. wurden
Zugänge
45
Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung (1993 und Flaig 1997), die milieuspezifische Affinitäten zur politischen Bildung analysierte, um darüber hinaus Bildungsinteressen aktueller und potentiell Teilnehmender festzustellen, um die so die Angeeine
-
u.a.
-
botsstruktur bedarfsgerechter zu gestalten, eine Studie zur Beteiligung am Bildungsurlaub in der Nachfolge der Untersuchungen von Vester u.a. (Bremer 1999), welche die milieugeprägte Distanz der verschiedenen Adressatengruppen
untersuchte,
„Freiburger Studie" von Heiner Barz (1995, 1997, 2000) und Rudolf Tippelt (1997), die im Anschluss an Strzelewicz u.a. (1966) im Erhebungszeitraum von 1995-1998 das Bildungsverdie
-
ständnis der verschiedenen sozialen Milieus ermittelte. Der Blick auf die verschiedenen sozialen Milieus öffnet die Sicht dafür, dass Adressaten und Teilnehmende an der Erwachsenenbildung weiterhin durch differenzierte Herkunft und unterschiedliche Mentalitäten geprägt sind. Trotz der Plausibilität des Individualisie-
rungstheorems ist festzuhalten, dass sich doch immer wieder durch gemeinsame Lagen in den Milieus sozialstrukturelle Typen ergeben. Rainer Geißler konstatiert daher: „Kein Abschied von Klasse und Schicht" (Geißler 1996). Eine Intention der auf Erwachsenenbildung bezogenen Untersuchungen ist, Aufschlüsse über einen Zusammenhang zwischen Milieuzugehörigkeit und Weiterbildungsteilnahme zu gewinnen. (Barz 2000, Bremer 1999.). Aus den Ergebnissen der Friedrich-EbertStiftung und eigenen Erhebungen leitet Heiner Barz (1995, 1997, 2000) Thesen zur Teilnahmewahrscheinlichkeit von Personen ab, die sich aus ihrer Milieuzugehörigkeit und ihren Lebenseinstellungen ergeben: Wenn bisher bestimmte soziale Schichten als bildungsfern bezeichnet wurden, gilt dies weiter für spezifische Milieus. Dabei muss allerdings zwischen beruflicher Weiterbildung einerseits und allgemeiner sowie politischer Bildung andererseits differen-
ziert werden.
46
-
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-
-
Zugänge
„Im kleinbürgerlichen Milieu begegnet uns die Bejahung lebens-
langen Lernens dabei in Form dungsbeflissenheit" (1997, 101).
einer noch recht diffusen BilDie Hochschätzung von Wissen trifft hier noch immer am stärksten zu. Nach den Erhebungen zeigen das „hedonistische" und das „traditionslose Arbeitermilieu" ein geringeres Interesse an Bildung. Interesse an beruflicher Weiterbildung haben besonders das „traditionelle Arbeitermilieu", das „aufstiegsorientierte Milieu", das „neue Arbeitnehmermilieu" und das „technokratisch-liberale Milieu". Dies ließe sich als „User-Orientierung" beschreiben. Überdurchschnittliches Interesse an politischer, kultureller und allgemeiner Erwachsenenbildung bekunden das technokratischliberale, das neue Arbeitnehmermilieu und das alternative Milieu
(Barz 1995, 83-86; 2000, 84-161). Je nach Milieuzugehörigkeit und Wertorientierung ist ein unterschiedliches Bildungsverständnis feststellbar: Während von den Arbeitermilieus „Bildung als Notwendigkeit und Ablenkung vom Alltag" definiert wird, dient sie den mittleren Milieus als „Statussicherung und Horizonterweiterung". Die oberen Milieus betrachten Bildung als ein Mittel der „Kontemplation und individuellen Persönlichkeitsentfaltung" (Tippelt 1997, 142-143). Dies differenziert in dieser Interpretation offensichtlich immer noch nach der vertikalen Dimension der Sozialstruktur. Das Bildungsverhalten und die Einstellung einzelner Schichten bzw. Milieus zur Bildung hat sich also seit der Hildesheim-Studie von Schulenberg (1957) nicht entscheidend verändert: Noch immer sind soziale Lage und Vorbildung wichtige Determinanten für das Bildungsverhalten und die Einstellung zur Bildung im Erwachsenenalter. Unterschiede der Teilnahme sind in den einzelnen Teilbereichen der Weiterbildung verschieden ausgeprägt:
Zugänge
47
Betriebliche Weiterbildung zeigt hohe Selektivität (Faulstich 1998). Unbestritten ist nach den Ergebnissen des Berichtssystems Weiterbildung, dass die Unternehmen bezogen auf die Trägerstruktur beruflicher Weiterbildung den höchsten Anteil an der Teilnahmequote beruflicher Weiterbildung haben. Im Jahr 1997 entfiel fast jede zweite Teilnahme auf Arbeitgeber/Betriebe (Kuwan u.a. 2000, 219). Vorliegende Untersuchungen (Grünewald/Moraal 1996, Statistisches Bundesamt 2002) belegen aber nicht nur den Umfang betrieblicher Weiterbildung, sondern auch ihre Probleme. Es gibt nach wie vor eine deutliche Abhängigkeit zwischen Betriebsgröße und Weiterbildung. Interne Veranstaltungen wurden von Kleinbetrieben zwischen 1 und 19 Mitarbeitenden von 26,6 Prozent durchgeführt, von Großbetrieben zwischen 1.000 und 4.999 Mitarbeitenden von 92,6 Prozent und bei Konzernen über 5.000 von allen Unternehmen (Grünewald/Moraal 1996). Es gibt erhebliche Unterschiede bei der Weiterbildungsaktivität der Unternehmen nach Branche. Die Streuung erstreckte sich von 100 % bei den Kreditinstituten bis 63 % im Gastgewerbe (Statistisches Bundesamt 2002, 4). Bei den Adressaten der betrieblichen Weiterbildung gibt es immer noch eine deutliche Trennung zwischen "Mitarbeiterfortbildung" und "Führungskräfteentwicklung". Die Teilnahmequote der Un- oder Angelernten lag bei etwa 7 %, für Fachkräfte bei etwa 26 %, für Führungskräfte bei etwa 42 % (Grünewald/Moraal 1996). Die Teilnahmequote von Frauen liegt mit 33 % niedriger als die der männlichen Beschäftigten mit 38 % (Statistisches Bundesamt -
-
-
-
2002, 7).
Den höchsten Anteil bezogen auf Altersgruppen haben die 25bis unter 35-jährigen mit 30 %. Jenseits einer Altersgrenze von 45 liegt der Anteil der Teilnehmenden an Kursen und Seminaren mit 15 % nur noch halb so hoch (Grünewald/Moraal 1996). Es gibt also eine Exklusion weiter Belegschaftsteile aus dem System der betrieblichen Weiterbildung.
-
48
Zugänge
Der finanziell wichtigste Bereich externer Weiterbildung sind die von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Maßnahmen zur „Förderung beruflicher Weiterbildung". Die berufliche Fortbildung und Umschulung für Arbeitslose und für von Arbeitslosigkeit Bedrohte war in den vergangenen Jahren immer wieder gefährdet durch eine ständige „stop and go"-Politik je nach Lage der Haushalte, was wechselnde Auf- und Abwärtsbewegungen bei den Teilnahmezahlen und mangelnde mittel- und langfristige Planung bei den Trägern zur Folge hatte. Mit dem, das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ablösende, seit 1.1.1998 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch (SGB) III ist eine Entwicklung in Gang gesetzt, mit der Weiterbildung unter das Diktat von „Eingliederungsbilanzen" gerät angesichts fehlenden Rechtsanspruchs auf Weiterbildungsteilnahme und mit der Gefahr des Ausschlusses von Langzeitarbeitslosen. Die Reorganisation der Bundesanstalt seit 2002 verstärkt diese Tendenzen auf Kosten der Erwerbslosen. Die angestrebte umfassende Förderung der Qualifikation des Nachwuchses auf der mittleren Ebene in Industrie, Dienstleistung und Handwerk konnte trotz positiver Impulse mit der im März 1996 beschlossenen und zum 1. Januar 2002 novellierten Neuregelung der Aufstiegsförderung mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) bisher nicht erreicht werden: die Teilnahmezahlen blieben hinter den erwarteten zurück, das Förderinstrument mit zu geringer Unterhaltsleistung und der Darlehensfinanzierung von Lehrgangs- und Prüfungsgebühren bis 10.000 Euro wirkt nicht hinreichend motivierend. Obwohl also programmatisch Weiterbildungsteilnahme als wichtiges Moment gesellschaftlicher Teilhabe offiziell von den verschiedensten sozialen Positionen herausgestellt wird, sind faktisch sowohl Widerstände als auch Barrieren keineswegs aufgehoben und die Diskrepanz zwischen Programmatik und Realität droht Motivationsstrategien, Informationssysteme und Beratungskonzepte als Illusionsproduktion zu entlarven. Weitergehende Strukturreformen, um die Zugänge zu sichern, werden schon lange diskutiert.
Zugänge
1.2.3
49
Gerechtigkeit des Zugangs
Man kann die konstatierte Selektivität der Weiterbildungsteilnahme als Beleg fortbestehender gesellschaftlicher Ungleichheit verstehen. Diskriminierung wird in der Weiterbildung nicht kompensiert, sondern setzt sich fort. Auslese wird verschärft, Ungleichheit verstärkt, Ungesichertheit und Ausschluss erzeugt. Dabei geht es aber keineswegs nur um eine proportionale Repräsentation sozialer Gruppen bei der Bildungsbeteiligung (Meulemann 1979, Hopf 2000, 98). Die die Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre anstoßende Chancengleichheitsvorstellung war doppelt verkürzt: Sie unterstellte einen ihren eigenen Prämissen wiedersprechenden, reduzierten und isolierten Begriff von Begabung und gleichzeitig eine abstrakte Vorstellung von Leistung. Begabung wird nach der Kritik von Roth u.a. an biologistischen Vererbungsideologien als in der Ausgangslage der Geburt gleichverteilt über die gesellschaftlichen Gruppen unterstellt quasi als Vorgabe für gleich-
mögliche Entwicklung
von
Fähigkeiten (Roth 1968). Leistung
er-
scheint als im Schulabschluss dokumentiert. Diese statische Chancengleichheitsideologie verfängt sich in Paradoxien, weil sie die sozialen Verhältnisse außerhalb des Bildungssystems als Prämissen von Gerechtigkeit nicht einbezieht. Bei einer dynamisierten Begabungs-Leistungs-Konstellation kann sich die Begründung umkehren und perplex argumentieren: Orientiert am Konzept einer gerechten Gesellschaft müssten mehr Ungelernte, mehr Frauen, mehr Ausländer Lernchancen wahrnehmen, um verbesserte Lebenschancen zu erreichen. Angesichts einer als ungerecht wahrgenommenen und bewerteten ungleichen Teilhabe greift die Idee korrektiver Gerechtigkeit. Das mag illusionär klingen, dass es aber nicht erfolgt, entbehrt der Legitimation (Tugendhat
1993, 384).
Gemeint ist Öffnung der Weiterbildungsteilhabe dann nicht als Zwang, dass alle immer und überall alles Lernen müssen, sondern dass sie es können, wenn sie wollen. Es gibt eben auch berechtigte Gründe für individuelle Nichtteilnahme (s.o. 1.1.3; Bolder/Hendrich 2000). Außer sozialer Exklusion und institutioneller Selektion be-
50
steht Abstinenz als
Zugänge
eigene Entscheidung, sich
der Weiterbildungszumutung zu entziehen. Wenn dies so ist, kann die These stark gemacht werden, „dass die Teilnahmeverweigerung durchaus sowohl subkulturell sinnträchtig, als auch individuell vernünftig sein kann" (ebd. 32). Dies relativiert auch die Sachzwangthese, die Weiterbildungsinteressen oder -bedarfe schlicht aus einer als vorgegeben unterstellten technisch-ökonomischen Wandeldynamik ableitet (s.o. 1.1.2). „Widerstand gegen Bildung" (Axmacher 1990a) ist dann berechtigter „Wandelwiderstand", wenn unkontrollierte Systemzwänge humane Bedürfnisse zu überrollen drohen. „Weiterbildungsabstinenz" erscheint dann nicht kausal als Resultat sozialer Selektivität, institutioneller Barrieren, Lernschwierigkeiten und Motivationsproblemen, sondern folgt letztlich aus individuellen Einschätzungen der Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit der Lerngegenstände und Wahrscheinlichkeit von Lernerfolgen (Bolder/Hendrich 2000, 263). Fortbestehende Selektivität der Weiterbildungsteilnahme und reduzierte Entfaltungschancen sind auf alle Fälle kein Naturgesetz, keineswegs eine Frage der Hautfarbe, des Geschlechts oder des Alters. Es wäre ein naturalistischer Fehlschluss die Akzeptanz von Ungleichheit der Lernchancen mit physischen Eigenschaften als unvermeidlich legitimieren zu wollen. Eine moralische Begründung von Teilhabeansprüchen kommt um den „Hochwertbegriff' Gerechtigkeit (Heid 2000, 87) nicht herum. Die Lernchancen in einer Gesellschaft sind so gerecht wie deren Lebenskonstellationen insgesamt. Chancengleichheit ist in einer demokratischen Gesellschaft ein Maß für deren Legitimation. Dabei wendet sich das Postulat der Chancengleichheit kritisch gegen Ungleichheiten der sozialen Lage. Nicht zu übersehen ist, dass für Gleichheitskonzeptionen seit ihren frühsozialistischen Ursprüngen Bildung als Indikator kombiniert mit Leistung eine wichtige, sogar die zentrale Rolle spielt (Benseier 2001, 25). Es geht allerdings eben nicht um Chancengleichheit nur in Bildungsprozessen. Erst wenn man „Chancengleichheit unter den Bedingungen sozialstruktureller Ungleichheit" (Heid 2000) denkt, wird erweiterter Horizont möglich und nötig. Man gerät also ebenso unversehens wie zwangsläufig, wenn man über Weiterbildungsteilhabe und deren gesellschaftliche
Zugänge
51
Perspektiven nachdenkt, in die ethische Diskussion über Gerechtigkeit angefangen von Aristoteles bis zu Rawls (1975). ein erster Schritt, aufzudecken, dass das Leistungsprinzip fortbestehende Zugangsprivilegien aufgrund von Eigentum und Macht kaschiert und so die „Illusion der Chancengleichheit" zementiert (Bourdieu/Passeron 1971). „Formale Gerechtigkeit" spiegelt nur den Schein von Gleichheit an der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft als Äquivalenz abgeschlossener Dabei ist
es nur
Verträge über gegenseitige Leistungen. An „materialer Gerechtigkeit" orientierte Gleichheit bedeutet keineswegs „das von der konservativen Seite an die Wand gemalte Zerrbild" (Tugendhat 1993, 391) von Gleichmacherei oder das grobe Missverstähdnis von Gleichartigkeit aller (Heid 2000, 87). In der durch die Aufklärung angestoßene egalitären Tradition von Rous-
Marx geht es um Zugangsgleichheit zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen als Prämissen gleicher Entfaltungsmöglichkeiten bei gegebener Verschiedenartigkeit der Menschen. Unterschieden werden muss Hierarchie von Dif-
seau, über
Babeuf bis
zu
ferenz. Kritische Sozialtheorie findet in sozialer Ungleichheit einen Maßstab der Kritik und im Prinzip Gerechtigkeit eine moraltheoretische
Begründung (Tugendhat 1993). Argumentationstheoretisch vorausallerdings, dass sich ein Begriff egalitärer Gerechtigkeit nicht irgendwoher als logisch zwingend ableiten lässt, aber dass er nichtsdestoweniger begründbar ist. Eine ethische Grundlegung für das Prinzip egalitärer Zugangschancen zu Lernmöglichkeiten muss sich auseinandersetzen mit Problemen distributiver und korrektiver Gerechtigkeit im sozialen Kontext (ebd. 364). Plausibel gemacht werden kann in der Ethikdiskussion, „daß, wenn keine relevanten Gründe für ungleiches Verdienst angeführt werden können, gleich zu verteilen ist" (ebd. 373). Eine „primäre Diskriminierung", die „auf vorausgehenden Wertunterscheidungen zwischen den Menschen" (ebd. 375) beruht, lässt sich in demokratischen Kontexten nicht legitimieren. Aber auch gegen „sekundäre Diskriminierung" aufgrund von Ansprüchen, Fähigkeiten oder Bedürfnissen lässt sich das Konzept einer egali-
zusetzen ist
52
Zugänge
higkeiten oder Bedürfnissen lässt sich das Konzept einer egalitären Gerechtigkeit bezogen auf Rechte, Macht und Güter stark machen. Insofern verbinden sich „Erwachsenenbildung und soziales Engagement44 (Faulstich/Zeuner 2001). Chancengleichheit ist dabei ein kritischer Möglichkeitsbegriff, der abzielt auf den Abbau von Privilegien und Diskriminierungen sowie auf Beseitigung von Barrieren. Die Korrelation von Erfolgswahrscheinlichkeiten von Bildungsbeteiligung und Abschlüssen sowie später von Berufserfolg
einerseits und Merkmalen sozialer Herkunft andererseits wird im demokratischen Legitimationsdiskurs als abzubauende Ungerechtigkeit interpretiert. Der Selektionszirkel von Herkunft und Erfolg widerspricht schon dem Leistimgsprinzip, das individuelle Mobilitätschancen voraussetzen muss. Die reale „Illusion der Chancengleichheit" offenbart ein tieferliegendes ein Legitimationsparadox, das unauflösbar bleibt, solange soziale Hierarchie fortbesteht und alternative Begründungskriterien nicht gefunden werden können. Soziale Gerechtigkeit bleibt deshalb gebunden an das Konzept gleicher Teilhabechancen an der gesellschaftlichen Ressourcenverteilung, also auch Weiterbildungschancen.
Zugänge
53
1.3 Teilhabe Wenn Wissen als zentrales Problem gesellschaftlicher Entwicklung gilt, wird Zugang zu einem wichtigen Kriterium sozialer Ge-
rechtigkeit, wenn sich die Kluft zwischen Wissenden und NichtWissenden, zwischen Experten und Laien, zwischen Insidern und
Outsidern nicht weiter öffnen soll. Gesellschaftliches Wissen ist in zunehmendem Maß Ergebnis einer alle Lebensbereiche durchziehenden Wissenschaft. Gleichzeitig ist aber die Kluft zwischen Wissenschaft und Lebenswelt größer als je zuvor. Was Wissenschaft mit Bildung verbindet, wird zunehmend fraglich (1.3.1). Die Debatte vollzieht sich in Wellenbewegungen
Der „Transfer" zwischen diesen Bereichen wird deshalb immer relevanter und brisanter. Einerseits wächst die soziale Distanz zwischen den Orten der Wissenserzeugung und -anwendung, die Kluft zwischen Experten und Laien sowie die Differenz ihrer Sprachen. Andererseits sind ökonomische Innovationen kaum noch denkbar ohne wissenschaftliche Erkennmisse und umgekehrt ist wissenschaftliche Arbeit abhängig von immer höheren finanziellen Ressourcen. Die paradoxe Konstellation von Abstand und gegenseitiger Abhängigkeit bedarf der Vermittlung in einem Konzept „öffentlicher Wissenschaft" (1.3.3).
(1.3.2).
1.3.1 Wissenschaft und Bildung
Allerdings hatte „Wissenschaftsorientierung" in der Erwachsenenbildungstradition lange Zeit schlechte Karten. Zwar gibt es von Anfang an in der Geschichte der Erwachsenenbildung ein spannungsreiches Verhältais zur Hochschule als institutionalisierter Form der Entwicklung von Wissenschaft. Unterschwellig wurde aber über weite Strecken das „Eigentliche" von Erwachsenenbildung jenseits von Wissen gesucht; Leben und Wissenschaft wurden in einen Gegensatz gestellt.
54
Zugänge
Dabei entspricht einer szientifische Reduktion von „Wissenschaft" als ein Sammeln scheinbar wertneutraler, sachorientierter und interessenloser Erkenntnisse eine komplementär irrational aufgeladene „Lebenspraxis", eingebunden in die scheinbaren Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten des „Alltags". Erwachsenenbildung ist eine Folge der „Moderne", welche die festgeschriebenen Strukturen traditionaler Gesellschaften auflöst und den „Wandel" auf Dauer stellt. Der aufsteigende Kapitalismus zerstörte feudale Traditionen und im Prozess der Kapitalakkumulation sind permanente Innovationsimpulse impliziert. Wissenschaft ist deren Hauptlieferant und gerät somit zusammen mit Technik ins Kreuzfeuer kulturpessimistischer, vorkapitalistischer und neuromantischer Apologie. Auflösung traditionaler Strukturen wird dann als Krise wahrgenommen. Erwachsenenbildung wurde geradezu „als Antwort auf Krisen der Gesellschaft" interpretiert (Tietgens 1991). Die resultierende geistige Verunsicherung hat eine Reihe abwechselnder Alternativen hervorgebracht, welche einerseits reale Probleme aufnehmen, andererseits Irritationen erzeugen und antitechnische und auch antirationalistische Affekte erzeugen und ausnutzen. Schon der Bezug auf „Leben" in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik hatte romantisierende Mitklänge. „Alltagswende" und die Bezugnahme auf lebensweltliche Sinnzusammenhänge in den 1970er Jahren sind entstanden aus dieser kritischen Position gegenüber Wissenschaft. Das gesellschaftliche Ansehen und die Einschätzung der Technik haben tiefe Einbußen erlitten. In der Tradition der Aufklärung dagegen führte der Weg zu menschlicher Bildung und gesellschaftlicher Gestaltung vorrangig über Wissenschaft, die auf einem Begriff von Vernunft beruhte, die sich gegen unbegriffene Mächte wandte und diese kritisch hinterfragte. Für die Entfaltung der Persönlichkeit, indem sich das Individuum seiner konkreten Lebenslage vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Interpretationen der Wirklichkeit auf der Höhe der Zeit vergewissert, ist die aktive Aneignung von Wissenschaft unverzichtbar.
Zugänge
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Diese kann aber selbst keinen unabhängigen Status beanspruchen, sondern ist eingebunden in geschichtlich bestimmte, gesellschaftliche Zusammenhänge und selbst deren Ergebnis. Dies ist der Ansatz eines historistisch-hermeneutischen Wissenschaftsverständnisses, wie es vor allem von Thomas Kuhn in der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (1967) untersucht worden ist. Demgemäss ist wissenschaftliche Rationalität letztlich durch konkurrierende wissenschaftliche Paradigmen bestimmt. Kuhn versteht darunter "allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebendn Probleme und Lösungen liefern" (1967, 10). Allerdings kann dies kippen in einen Relativismus, wenn wissenschaftliche Grundpositionen als beliebig wechselnd, nicht mehr auf ihren gesellschaftlichen Entstehungshintergrund rückbezogen werden. Dann wären Wissenschaft und Magie nur noch zwei auswechselbare, gleichwertige Formen des Wissens. Demgegenüber gilt es Wissenschaft zu begreifen als die der Moderne angemessene Form der Interpretation von Welt. Dadurch erst erhält sie ihren Stellenwert für das Problem Bildung. Allerdings ist auch dies wieder doppelt problematisch: Einerseits entzieht sich Wissenschaft vielfach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrer Orientierungsfunktion. Andererseits ist die Vermittlung von Wissenschaft zur Bildung unter dem Stichwort „Popularisierung" in Verruf gekommen. Dokumente der skeptischer oder konservativer Begrenzungstrategien gegen Bildungspopularisierung finden sich historisch in Überfülle, z.B. wurde schon in den preußischen Zirkular-Reskripts nach 1819 gegen die „verbildeten Halbwisser" gewettert (zit. Titze 1973, 125). Angesichts der Unbegreifbarkeit des Ganzen und der Unbewältigbarkeit der Vielfalt des Wissens kann von elitären Positionen aus leicht der Vorwurf von „Halbbildung4* erhoben werden. Dazu hat sich prominent Theodor W. Adorno (1962) hinreißen lassen, wobei er gravierende Kritik verbindet mit elitärer Pose. Bildung" stellt er in den Zusammenhang ihrer historischen Genese.
56
Zugänge
„Erstarrt das Kraftfeld, das Bildung hieß, zu fixierten Kategorien, sei es Geist oder Natur, Souveränität oder Anpassung, so gerät
einzelne dieser Kategorien in Widerspruch zu dem von ihr Gemeinten und gibt sich her zur Ideologie, befördert die Rückbildung." (Adorno 1962, 170). „Sie ist keine Invariante; nicht nur ihrem Inhalt und ihren Institutionen nach in verschiedenen Epochen verschieden, sondern selbst als Idee nicht beliebig transportierbar." (ebd. 171). „Im Klima der Halbbildung überdauern die warenhaft verdinglichten Sachgehalte von Bildung auf Kosten ihres Wahrheitsgehalts und ihrer lebendigen Beziehung zu den le-
jede
bendigen Subjekten" (ebd. 176). So weit, so gut. Eingeschüchtert durch die von der „Kulturindustrie" (ebd. 176) gestützten „versteinerten Verhältnisse" (ebd. 176) sieht Adorno auch „Popularisierung" (ebd. 183) in pessimistischer Perspektive. „Denn das Verbreitete verändert durch seine Verbreitung vielfach eben jenen Sinn, den zu verbreiten man sich rühmt. Nur eine gradlinige und ungebroche Vorstellung gleitet über den qualitativen Gehalt der zur Halbbildung sozialisierten Bildung unbekümmert hinweg." (ebd.). Dass sich demgegenüber eine „dialektische Konzeption" (ebd. 183) von Bildung nicht über die „Zweideutigkeit des Fortschritts" (ebd.) täuschen darf, sieht Adorno genau. Aber er verfängt sich in einer einschüchternden „repressiven Totalität" (ebd.), welche Handeln verunmöglicht. Er kritisiert überzeugend das „Absterben der Bildung" (ebd. 175), wenn sie als bloße Aneignung von Wissensgütern das Bestehende verfestigt. Aber ohne Wissen kann es Bildung nicht geben. Dagegen kann man zurückgreifen auf die Idee eines transformatorischen Bildungsprozesses. „Bildung dürfte dann allerdings nicht nur als Aneignung der Wissensbestände, Interpretationen und Regeln der gegenwärtig bestehenden kulturellen Lebensform bestimmt werden, sondern auch als die Fähigkeit, diese Lebensform, wenn sie auch selbst gefährdet, in ihren Strukturen und ihren herrschenden Regeln zu transformieren"
(Peukert 2000, 509).
Zugänge
1.3.2
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Wellenbewegungen
Als orientierende, kritische Kategorien bleiben „Bildung" und „Wissenschaft" für humane Perspektiven unverzichtbar. Sie müssen allerdings selbst in ihrer Widersprüchlichkeit begriffen werden. Wissenschaft bricht unterhalb eines emphatischen Begriffs eines „Vernehmens der Wahrheit" (Horkheimer 1970, 193) und eines szientifischen Begriffs des Erfassens von Wirklichkeit auseinander in kontroverse Positionen, die konkurrierende Interpretationen von Welt liefern und die divergierende Interessen aufnehmen (dazu s.u. 2.). Bildung bleibt verhaftet im Widerspruch zwischen individueller Entfaltung und gesellschaftlichen Anforderungen und Zuweisungen. Dies hat sich in der Geschichte der Auseinandersetzung von Erwachsenenbildung und Wissenschaft in immer wieder neuen Formen als eine durchgängige Diskussion erwiesen. "Diese Geschichte zeigt eine immer erneut zu beobachtende Ambivalenz zwischen Aufklärung und Romantik. Und das stand in auffallender Parallele zu den teils von liberal bürgerlichen Gruppen getragenen und dann aus den Reihen der Arbeiterbewegung aufkommenden und immer erneut scheiternden Versuchen zur Emanzipation von der feudalen, halbfeudalen und obrigkeitsstaatlichen Überformung der deutschen Gesellschaft. Dieses immer erneut wiederkehrende Scheitern solcher Versuche remobilisierte ältere, romantische Traditionen und realitätsflüchtige, romantische Verklärungsversuche der realen Frustrationen" (Strzelewicz 1986, 23). Volksbildung als gesellschaftliches Problem stellt sich erst, als traditionale Strukturen aufbrechen und die Legitimation von Ordnung zur "sozialen Frage" wird. Hohen Stellenwert erhielt Zugang zum Wissen deshalb in der Epoche der Aufklärung, die den Versuch einer vernünftigen Erklärung der Welt aus natürlichen Gesetzen unternahm. Die Auflösung tradierter Glaubenssysteme und Entwicklung neuer Denkstrukturen wird durch Reflexionspotenziale aktiviert. Spätkommend hat Foucault Aufklärung als „Grenzhaltung" einer permanenten Kritik charakterisiert (Foucault 1984).
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Aufklärung kämpft gegen Traditionsgebundenheit und Autoritätsgläubigkeit. Befreiung heißt Distanz-Gewinnung durch reflexive Selbstvergewisserung (Cassirer 1998). Kritik wird „zum unentbehrlichen Werkzeug für das Leben, fur die Entfaltung und die ständige Selbsterneuerung des Geistes" (ebd. 482). Das großartigste Vorhaben früher Aufklärung verbindet sich mit Denis Diderot und der „Encyclopedie, ou Dicitionaire Raisonne des Sciences, des Arts et des Metiers" erschienen von 1751 bis 1776 in 17 Text-, 11 Bild-, 4 Ergänzungs- und 2 Registerbänden mit insge-
samt etwa 72 000 Artikeln.
„Enzyklopädie Encyclopedie (Philosophie).: Dieses Wort bedeutet ,Verknüpfung der Wissenschaften' Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammeln, das allgemeine System dieser Kennmisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, & den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die -
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Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei; damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern gleichzeitig auch tugendhafter & glücklicher werden, & damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdient gemacht zu haben" (Diderot 1755. In: ders. 2001, 68). Man hört eine Stimmung des Aufbruchs, die Hoffnung auf Fortschritt und auf Bedeutung der Kenntnisse, nicht nur für die Wahrheit sondern auch für das Glück. Absicht der Herausgeber war es, Licht in die Geheimnisse zu bringen, das Wissen ohne Ausnahme öffentlich zu machen, aus der reinen Fachgelehrsamkeit herauszuholen und es zu verbreiten. „Mit der Zeit wird dieses Werk bestimmt eine Revolution in den Köpfen herbeiführen. Und ich hoffe, daß die Tyrannen, Unterdrücker, Fanatiker und Intoleranten dabei nicht gewinnen werden" (Diderot 1984, 182). Das enzyklopädische Ideal der Aufklärung und der politischen Emanzipation unternimmt den Entwurf einer neuen Ordnung des Wissens angesichts des Zerbrechens alter feudaler Hegemonie.
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So geht es nicht um ein Abbild des Bestehenden, das zu katalogisieren wäre, vielmehr wird das Überliefernswerte kritisch ausgewählt als Antizipation des Möglichen (Sandkühler 1988, 10). In Deutschland hat die entschiedenste und berühmteste Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Immanuel Kant in der „Berlinischen Monatschrift" vom 5. Dezember 1783 gegeben: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung"
(Kant Werke, XI, 53). Es geht um die Freiheit, „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen" (ebd. 55). Das Wissen soll allen gehören. Deshalb das ist die ökonomische Konsequenz darf es keine Zünfte mit ihrem Geheimwissen mehr geben. Gleichzeitig aber entstehen schon neue Bindungen. Das Kapital sichert sich Rechte am Wissen durch Patente. Die Bürger rechtfertigen ihren Reichtum gegenüber dem Volk als durch in Arbeit angewendetes vernunftbegründetes Wissen erworben. Gesichert werden soll auch die Ordnung des bestehenden Staates. Schon die Aufklä-
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rungspädagogik macht sich mit feudaler Herrschaft verträglich, die Menschen zwar zum Glied der Gesellschaft überhaupt, aber gleichzeitig zum Rädchen im Arbeitsmarkt der entstehenden industriellen
Maschinerie machen wollte. Im Rahmen der Nationalerziehungsprogramme ging es offen um die "Bildung der gesamten vereinigten Menschenmassen von Staatsbürgern" so 1797 in den Plänen, die der Konsistorialrat Heinrich Stephani (1761-1850) in seinem "Grundriß der Staats-Erziehungswissenschaft" vorlegte (Dräger 1975,15). Dies Konzept wurde oft wiederholt. -
„Je allgemeingebildeter der Mensch und Bürger ist, mit desto
größerer Gewandtheit
des Geistes und einem desto edlern und
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heitern Sinne wird er auch seinen besonderen Beruf in der staatsbürgerlichen Gesellschaft obwalten, er stehe hinter dem Pfluge oder sitze an einem Arbeitstische oder ziehe aus zur Verteidigung des Vaterlandes oder beschäftige sich mit Menschenbildung oder besorge die ihm obwaltenden Staatsgeschäfte" (Stephani 1835,
40).
Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit, Scholastik und Popularität werden nicht als Gegensätze gesehen, sondern Klarheit und Nachvollziehbarkeit gelten als Beweis für die Tiefe der Erkenntnis. Deutlich macht dies Kant in der Einleitung zur "Logik". "Denn um der populären Vollkommenheit willen, dem Volke zu gefallen muß die scholastische Vollkommenheit nicht aufgeopfert werden, ohne die alle Wissenschaft nichts als Spielwerk und Tändelei wäre. Denn wahre Popularität erfordert viele praktische Welt- und Menschenkenntnis, Kenntnis von den Begriffen, dem Geschmacke und den Neigungen der Menschen, worauf bei der Darstellung und selbst der Wahl schicklicher, der Popularität angemessener, Ausdrücke beständige Rücksicht zu nehmen ist diese wahrhaft populäre Vollkommenheit der Erkenntnis ist in der Tat eine große und seltene Vollkommenheit, die von vieler Einsicht in die Wissenschaft zeigt" (Werke III -
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473/474). Die frühbürgerliche Wissenschaftsgläubigkeit wurde aufgefangen im Modell des deutschen Bildungsidealismus, wie es etwa Humboldt, Fichte und Schelling enthusiastisch formuliert haben. Einflussreich für die Politik seiner Zeit und für die spätere Rezeption war vor allem Wilhelm von Humboldt, der 1792 in einem Bruchstück eine „Theorie der Bildung" skizziert hat. Er diskutiert das Problem, welche Fähigkeiten
„die verschiedenen Fächer der menschlichen Erkenntnis zur ihrer glücklichen Erweiterung voraussetzen; den ächten Geist, in dem sie einzeln bearbeitet, und die Verbindung, in die sie alle miteinander gesetzt werden müssen, um die Ausbildung der Menschheit, als ein Ganzes, zu vollenden" (Werke I, 234).
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Wenn die Auswahl der Fächer dem Zufall oder untergeordneten Absichten überlassen bleibt, so erscheint das Wissen unnütz und unfruchtbar für den Geist.
„Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen,
seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will" (ebd. 235) „Rein und in seiner Endabsicht betrachtet ist sein Denken immer nur ein Versuch seines Geistes, vor sich selbst verständlich, sein Handeln ein Versuch seines Willens, in sich frei und unabhängig zu werden, seine Geschäftigkeit überhaupt nur ein Streben, nicht müssig zu bleiben. Bloss weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders, als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, NichtMensch, d i e Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt als möglich zu ergreifen, und so eng, als er nur kann, mit sich selbst zu verbinden" (ebd.). Zielpunkt war die sich harmonisch entwickelnde Persönlichkeit, ein Ich, das soviel Welt als möglich mit sich verband. In diesem Prozess kam einem emphatischen Begriff von Wissenschaft, als Geist der sich in einzelnen „Geschäften" ausprägt, aber über sie hinausgeht, eine zentrale Rolle zu, indem diese durch das entdeckte und systematisierte Wissen die Einsicht in die inneren Prinzipien und die strukturellen Zusammenhänge der Welt, von Natur und Gesellschaft eröffnet. Wissenschaft wurde in der Einheit der spekulativen Philosophie des deutschen Idealismus gedacht. Fraglos ist in dieser Idee von Bildung individuelle Freiheit jenseits von gesellschaftlichem Status impliziert. Indem aber Bildung sich ablöst von der Kritik der Macht und im Bestehenden einrichtet, nimmt sie apologetische Elemente in sich auf. Sowohl im Persönlichkeitsideal als auch im Wissenschaftsverständnis scheinen problematische Aspekte auf, indem zum einen ein universaler Individualismus einen Rückzug auf Innerlichkeit vorbereitet und indem zum anderen die spekulative Vernunft zu einem quasi-religiösen Glauben an die Möglichkeit absoluter Erkenntnis
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verführte. In der Ambivalenz des idealistischen Bildungsbegriffs spiegelt sich der Widerspruch von Erkenntnis und Interesse. Dies ist einerseits der Versuch; Politik durch Bildung zu ersetzen bzw. Gesellschaftspolitik durch Bildungsprozesse zu unterlaufen. Andererseits muss eine solche Kritik zur Kenntnis nehmen, dass eine politische Lösung der gesellschaftlichen Probleme der Zeit aussichtslos war. „Bildung" bot die Möglichkeit geistigen Widerstandes an und die Aussicht, die Menschen durch antizipatorische Kraft für die Zukunft auszurüsten. Dies allerdings zu dem Preis der Anpassung an die bestehenden Herrschaftsbedingungen. Dazu noch einmal Adorno:
„Die Besitzenden verfügten über das Bildungsmonopol auch in einer Gesellschaft formal Gleicher; die Entmenschlichung durch den kapitalistischen Produktionsprozeß verweigerte den Arbei-
tenden alle Voraussetzungen von Bildung, vorab Muße. Versuche zur pädagogischen Abhilfe mißrieten zur Karikatur. Alle sogenannte Volksbildung mittlerweile ist man hellhörig genug, das Wort zu umgehen krankte an dem Wahn, den gesellschaftlich diktierten Ausschluß des Proletariats von der Bildung durch bloße Bildung revozieren zu können" (Adorno 1962, 173). Schon im Vormärz spalteten sich daher liberale und proletarische -
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Bildungsbestrebungen von einander ab (vgl. Faulstich/Zeuner 2001).
Für das liberale Bürgertum erschien das „soziale Problem" als Bildungsfrage. Deshalb war eine Popularisierung von Wissenschaft und die Öffnung für interessierte Laien in vielfältigen Vereinen konsequent. Zahlreiche Handwerker- und Arbeitervereine sind oft unter Mitwirkung bürgerlicher Intellektueller und Gewerbetreibender gegründet worden (Baiser 1959, Birker 1973). Schon damals musste dies verteidigt werden gegen die feudal-klerikale Reaktion, die schon unter dem Ministerium von Altenstein (1817-1840) in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Verfügungen und Verordnungen vor "verderblicher Überbildung" und vor "schädlichem Halbwissen" vor „Verflachung" und „Verwirrung" gewarnt hatte. In der „Rede zur Eröffnung des Vereins für wissenschaftliche Vorträge in Berlin" (abgedruckt in Dräger 1979, 200-205) unter-
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nimmt Friedrich von Raumer (1781-1873), Professor für Staatwissenschaften und Geschichte an der Universität Berlin „die bereits erhobenen, oder noch bevorstehenden Zweifel und Einwendungen zu
widerlegen" (ebd. 200). „Insofern wird jedoch die Sorge verringert und das Geschäft erleichtert: dass jene Einreden nicht von den Feinden sondern von
den Freunden der Wissenschaft erhoben werden. Es ist also keineswegs von einem unbedingten Widerspruch, sondern nur davon die Rede: ob unser Unternehmen für die wahre Wissenschaft nicht vielmehr schädlich, als nützlich sei. Gewiß bleibt es ein großer und erfreulicher Fortschritt, dass Niemand im Allgemeinen den Werth der Wissenschaft bestreitet, Niemand mehr Unwissenheit und Faulheit (im Gegensatze des Wissens und Thätigkeit) verteidigt, oder jene Verneinungen über das Inhaltsreichste und Lebendigste hinaufsetzt.... Je höher wir aber den Werth der ächten, wahren Wissenschaft anschlagen, desto widerwärtiger ist das Auftreten, desto größer sind die Gefahren der falschen Wissenschaft und Erkennmiß. Wer diese Gefahren leugnet, oder nur sie gering bezeichnet, ist in einem schweren Irrthume befangen. Durch Umschlagen in das Entgegengesetzte wird das Edelste und Heilsamste jedes Mal in das Unedelste und Verdammlichste verwandelt: so die Liebe der Nahestehenden in den bittersten Haß, so die Freiheit in arge Willkür, so die gesetzliche Ordnung in abscheuliche Tyrannei, so die ächte Wissenschaft in flachen Aberwitz und fanatischen Unsinn. Es gibt nur ein einziges gründliches Mittel gegen die falsche Wissenschaft, nämlich die wahre Erkenntniß" (ebd. 200-201). Was diesen Unterschied ausmacht, bleibt aber bei Raumer im Unklaren. Desto deutlicher ist seine Apologie Preußens, das als vollgültig unter die Weltmächte zu zählen sei, „wegen seiner geistigen Kraft und Thätigkeit". „Kein Staat hat in dieser Beziehung so viel gethan, wie der preußische für Schule, Gymnasien, Universitäten, Akademien.
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In dem Augenblicke, wo Preußen der geistigen Thätigkeit entsagte, oder auch sie unterordnete und fesselte, hätte es seine Lebensquelle aufgeben und sich selbst das Todesurteil gesprochen" (ebd.
202).
Der Prinz von Preußen konnte deshalb „den Zweck und die Absicht des Vereins vollkommen anerkennend und würdigend" in einem Brief an Raumer vom 6.12.1841 seinen „ganzen Beifall zollen" (ebd. 205). Bescheinigt wird darin die Kooperation des liberalen Bürgertums mit dem monarchischen Staat. Für die aus den Handwerkervereinen entstehende Arbeiterbewegung kennzeichnet Wilhelm Weitling (1808-1871) die konträre Position. In mehreren weitverbreiteten Schriften hat er die Grundlagen seiner Bildungsarbeit propagiert. „Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte" (1839) veranschaulicht die Möglichkeit der Gütergemeinschaft und die Notwendigkeit einer sozialen Revolution. Auf diese Umgestaltung müssen die Menschen durch vorherige Aufklärung vorbereitet werden. Zweck der Bildungsarbeit ist es, die
Proletarier darauf vorzubereiten, günstige Gelegenheiten zur gesellschaftlichen Umgestaltung zu erkennen und zu ergreifen. In dem zweiten Hauptwerk, den Ende 1842 in der Schweiz erschienenen „Garantien der Harmonie und Freiheit" werden diese Grundzüge weiter ausgeführt. Weitling geht aus von der „Entstehung der gesellschaftlichen Übel" und stellt diesen „Ideen einer Reorganisation der Gesellschaft" entgegen. In der „Übersicht des ganzen Systems" erhält die Wissenschaft eine ganz herausragende Stellung. „Der Fortschritt in den Wissenschaften ist darin der Mittelpunkt, in welchen sich alle physischen und geistigen Kräfte der Gesellschaft vereinigen und von welchen aus dieselben wieder neubelebt in alle Adern der gesellschaftlichen Ordnung ausströmen. Er allein ist das einzige unabänderliche Fundamentalgesetz der Gesellschaft, weil er die Konzentrierung aller auf die gesellschaftliche Ordnung anwendbaren Naturgesetze und der Inbegriff aller
Verbesserungen 1974, 219).
und
Vervollkommnungen
ist"
(Weitling
1842.
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Der Fortschritt der Wissenschaften wird vorangetrieben in der „Akademie der schönen Künste und Wissenschaften"; ihre Verbrei-
tung findet
statt in der
„Schularmee". Deutlich wird bei Weitling eine naive Hochachtung vor Wissenschaft, welche an einen sich
ungebrochen entfaltenden Fortschritt gekoppelt ist.
Scheinbar unabänderliche Gesetze beziehen sich auf Faktizität von Natur und Gesellschaft und müssen durch revolutionäres Handeln zum Durchbruch gebracht werden. Für Ferdinand Lassalle (1825-1864) war Bemühung und Verbreitung von Wissenschaft einerseits Kampf um Freiheit, andererseits Instrument zur Organisation der Arbeiterschaft. Bei ihm ist
die Verbindung von Bildung und Politik, die idealistisches Pathos und gesellschaftliche Programmatik mit einem emphatischen Wissenschaftsbegriff kombiniert, besonders deutlich. In seiner Verteidigungsrede „Die Wissenschaft und die Arbeiter" sind die Grundlagen der Lassalleschen Positionen am deutlichsten herausgearbeitet. Er beruft sich zunächst auf Artikel 20 der Verfassung: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei!" Er stellt die Freiheit der Wissenschaft über die Grenzen des allgemeinen Strafgesetzbuches. Wissenschaft überdauert die Vergänglichkeit menschlicher Institutionen und Zustände.
„Sitten, Einrichtungen, Gesetzesbücher, Königsgeschlechter, Staaten, Völker, sind im regen Wechsel verschwunden. Aber was mächtiger, als sie alle, nie verschwunden, immer nur gewachsen ist, was sich seit der in ältesten Zeiten ionischer Philosophie alles andere überdauernd immer nur in beständiger Zunahme entfaltet hat, von einem Staate dem anderen, von einem Volke dem anderen, von einer Zeit der anderen in heiliger Ehrfurcht überliefert, das ist der stolz ragende Baum wissenschaftlicher Erkenntnis!" (Lassalle GW 1, 252) „Ohne die Freiheit der wissenschaftlichen Erkenntnis daher nur Stagnation, Versumpfung, Barbarei! Und wie sie die unausgesetzt fließende Quelle aller Vervollkommnung menschlicher Zustände ist, so ist sie und ihre die Überzeugungen langsam gewinnende der Macht zugleich auch die einzige Garantie für eine friedliche Entwicklung." (ebd. 253). -
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Ganz in Hegelschem Idealismus verfangen bezeichnet Lassalle dies als „Entwicklung des objektiven vernünftigen Gedankenprozesses", als „stetige Fortentwicklung der Vernunft und der Freiheit" (ebd. 265). Lassalle benutzt seine Verteidigungsrede, um die Grundzüge des „Arbeiterprogramms" nochmals darzulegen. Er betont, dass das Ziel seiner Aufklärungsarbeit darin bestehe, den Zuhörern das innere philosophische Verständnis der Geschichte zu eröffnen, „als ein sich nach notwendigen Gesetzen stufenweise entwickelndes, vernünftiges Ganze zum Bewußtsein zu bringen" (ebd. 272). Dabei geht es darum, Wissenschaft in das Volk zu bringen. „Zwei Dinge allein sind groß geblieben in dem allgemeinen Verfall, der für den tiefern Kenner der Geschichte alle Zustände des europäischen Lebens ergriffen hat, zwei Dinge allein sind frisch geblieben und fortzeugend mitten in der schleichenden Auszehrung der Selbstsucht, welche alle Adern des europäischen Lebens durchdrungen hat, die Wissenschaft und das Volk, die Wissenschaft und die Arbeiter! Die Vereinigung beider allein kann den Schoß europäischer Zustände mit neuem Leben befruchten. Die Alliance der Wissenschaft und der Arbeiter, dieser beiden entgegengesetzten Pole der Gesellschaft, die, wenn sie sich umarmen, alle Kulturhindernisse in ihren ehernen Armen erdrücken werden das ist das Ziel, dem ich, solange ich atme, mein Leben zu weihen beschlossen habe!" (ebd. 276). Es geht ihm darum, die Kluft zwischen Wissenschaft und Arbei-
terschaft zu überbrücken. „Ein Abgrund besteht zwischen unserem wissenschaftlichen Denken und der Bildung der Menge, zwischen der Sprache des wissenschaftlichen Gedankens und den Vorstellungen des Vol-
kes" (ebd. 278). Also müsse er, schließt Lassalle diesen Teil seiner Verteidigungsrede, nicht angeklagt, sondern es müsse ihm gedankt werden. Das Urteil lautete in der ersten Distanz auf 4 Monate Gefängnis und in der Berufungsverhandlung am 12. Oktober 1863 auf Freispruch.
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Gleichzeitig erfolgte eine polizeiliche Beschlagnahme des „Arbeiterprogramms". Dies aber wurde weiter verbreitet. Die Spaltung zwischen Liberalen und Proletariat war nicht mehr aufzuhalten. Der Naturwissenschaftler Emil AdolfRoßmäßler (18061867), als Mitglied des Paulskirchen-Parlaments, ein alter „48er"
und anschließend als Professor an der Forstlichen Hochschule Trabant gemaßregelt und entlassen, versuchte durch „Ein Wort an die deutschen Arbeiter" als einem Gegenentwurf zu Lassalle die Hoffnung in den Arbeiterbildungsvereinen aufrechtzuerhalten, die Klassengegensätze durch Bildung zu überwinden. „Mein langjähriger Umgang mit dem Arbeiterstande hat mich überzeugt, dass der Bildungsstand der meisten Arbeiter noch nicht soweit gediehen ist, um die verwickelte Frage, wie ihrem Stande aufzuhelfen sei, vollkommen lösen zu können" (Roßmäßler 1863, abgedruckt in: Kommission 1982, 302). Als Hauptweg zur „Gleichstellung im Staate und in der Gemeinde" empfiehlt Roßmäßler Anstrengungen der Bildung. „Und glaubt ihr, daß diejenigen, welche über die Verleihung dieser Rechte und Vorteile mit zu entscheiden haben werden, sich dieselben auf friedlichem Wege und von einem andern möchte ich alles Volk bewahrt wissen anders abringen lassen, als wenn ihr ihnen die zwingende Macht entgegensetzt, welche ein durch und durch ehrenwerter, an echt menschlicher und staatsbürgerlicher Bildung sowie an weltbürgerlichem und gründlichem Fachwissen reicher Arbeiterstand ist?" (ebd. 305) „Der Arbeiter unserer Zeit bedarf aber Wissen und Bildung, das erstere macht ihn tüchtig zu seinem Berufe, und das Zweite befähigt ihn, eine geachtete Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft einzunehmen und gewährt ihm unabweisbaren Anspruch auf alle staatbürgerlichen Rechte, die ihm zum Teil noch vorenthalten werden" (ebd. 306). Die Integration in die bürgerliche Gesellschaft war aber für einen anwachsenden Teil der Arbeiterbewegung schon nicht mehr Hauptziel, sondern es ging um ihre revolutionäre Überwindung. -
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Für die erstarkte Sozialdemokratie hat am deutlichsten Wilhelm Liebknecht (1825-1900) die Ablösung der proletarischen Bewegung von den liberalen Bildungsvereinen begründet. In seiner berühmten Rede, gehalten auf dem Stiftungsfest des Dresdner Bildungsvereins am 5.2.1872 hat er die Rolle von Wissenschaft scharf kritisiert.
„In dem selben Maße, wie das Kapital sich die Wissenschaft dienstbar macht, macht es die Arbeiter weniger wissenschaftlich. In der Maschine konzentriert sich die Intelligenz, die dem Arbeiter genommen wird" (Liebknecht 1968, 83). Diese Enteignung des Erfahrungswissens zu instrumentellem Wissen wird verschleiert durch den ideologischen Einsatz von Wissenschaft, die Liebknecht kritisiert. „Wissen ist Macht! Bildung macht frei! An dieses Wort, das wir so häufig im Munde unserer Gegner hören, wird mein heutiger Vortrag sich anknüpfen. Ja, im Munde unserer Gegner und gegen uns gewandt, zur Widerlegung des von uns, von der Sozialdemokratie verfochtenen Satzes, dass die Haupttätigkeit des Arbeiters sich auf die Umgestaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu richten habe, und dass die ausschließliche Verfolgung von Bildungszwecken für die Arbeiter nichts sei als eine zeitraubende Spielerei, welche weder dem einzelnen noch dem Ganzen zum Vorteil reicht. Knowledge is power Wissen ist Macht! Wohl ist das ein wahres Wort. Wissen ist Macht, Wissen gibt Macht, und weil es Macht gibt, haben die Wissenden und Mächtigen von jeher das Wissen als ihr Kasten-, ihr Standes- ihr Klassenmonopol zu bewahren und den Nicht wissenden Ohnmächtigen von jeher die Masse des Volkes vorzuenthalten versucht" (ebd. 58). Liebknecht zeigt die Kopplung von Wissenschaft und Macht auf und betont die Notwendigkeit politischer Aktion. „Durch Bildung zur Freiheit, das ist die falsche Losung, die Losung der felschen Freunde. Wir antworten, durch Freiheit zur Bildung! Nur im freien Volksstaat kann das Volk Bildung erlangen. Nur wenn das Volk sich politische Macht erkämpft, öffnen ...
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sich ihm die Pforten des Wissens. Ohne Macht für das Volk kein Wissen! Wissen ist Macht! Macht ist Wissen!" (ebd. 94). Formeln legen den Verwendungszusammenhang von Wissenschaft und die Machtüberformung von Bildung offen. Sie erfassen aber nicht die interne Dialektik von Wissenschaft als auf Wahrheit verpflichtet und von Bildung als auf Entfaltung orientiert. Insofern bleiben sie der Klassenkonstellation des Kaiserreichs verhaftet und decken Widersprüche nicht auf. Gleichzeitig ist die Wissenschaftskonzeption im Kern immer noch eine szientifische, indem unterstellt wird, man müsse nur die Machtverhältnisse ändern, um zu einem anderen Einsatz von Wissenschaft und zu deren Öffnung für die Bildung des Volkes zu gelangen. Die Machtverhältnisse im Kaiserreich konnten zwar die aufsteigende Sozialdemokratie nicht übergehen. Reaktion war die Bismarcksche Sozialpolitik. Hier wurde „Arbeiterbildung" zum Teil einer Strategie der Volkswohlfahrt, der es darum ging, die problematischsten Konsequenzen von Ausbeutung und Unterdrückung zu lindern. „Volksbildung" konnte zum Instrument der Sicherung partikularer Interessen nur werden, indem der allgemeine Anspruch auf Emanzipation aufgegeben wurde. Es entstand eine Spaltung und Scheidung von bürgerlicher und proletarischer Kultur. Das Bürgertum erreichte eine klassenbewusste Arbeiterschaft nicht mehr. Verbreitet wurde gleichzeitig eine spätbürgerliche Neutralitätsillusion. „Volksbildung nach 1871 war nicht ein Anfang, sondern der letzte Versuch einer vom liberalen Geist geprägten Bemühung um das Volk, und zugleich war sie ein notwendiger Neubeginn" (Dräger 1975, 49). Am 14. Juni 1871 konstituierte sich im Haus des Berliner Handwerkervereins die „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung", die in ihrem Statut als Zweck des Vereins festlegte: „der städtischen und ländlichen Bevölkerung, welcher durch die staatlichen Volksschulen im Kindesalter nur Elemente der Bildung zugänglich gemacht werden, dauernd Bildungsstoff und Bildungsmittel zuzuführen, um sie in höherem Grad zu befähigen, ihre Aufgaben im Staate, in Gemeinde und Gesellschaft zu verstehen und zu bewältigen." (abgedruckt in Dräger 1975, 300). Diese
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Deutlicher kann Integration für vorgegebene Aufgaben und Reduktion von Wissen auf „Stoff' kaum benannt werden. Über die Aufgaben schrieb Prof. Dr. Werner Rein: „Das Wahre an der Sache ist, dass die Popularisierung der Wissenschaft ein wirksames Mittel ist, um zu einer Verständigung der verschiedenen Bevölkerungsklassen, zu einer Überbrückung der Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten beizutragen. Sozialversöhnend sollen die Hochschulkurse wirken und damit der Sozialdemokratie den Boden entziehen. Je urteilsfähiger die Arbeiterschaft gemacht wird, um so eher wird sie sich von den sozialdemokratischen Utopien lösen. Aber die Verblendung in unseren gebildeten und besitzenden Klassen ist zu groß, dass sie zu dieser Schätzung sich erheben könnten. Statt emstlich alle Mittel zu erwägen, durch die man der Sozialdemokratie, das Wasser abgraben kann, beschwört man bei den Dingen, die nur den geringsten sozialen Beigeschmack haben, das blutige Gespenst der Revolution, und wie hypnotisiert schauen die Besitzenden in das rote Loch, ein wahrhaft kläglicher Anblick. Man redet von einer Verbrüderung des Universitätssozialismus mit der Sozialdemokratie, ohne zu ahnen, wie sehr man damit seine Halbbildung beweist" (Rein 1899,451-452). Konsequent erklärte Heinrich Schulz, später Mitbegründer und Leiter der Parteischule der Sozialdemokratie, am 17. Januar 1905 in ...
Bremen dagegen: „Nicht durch Universitätsausdehnung und Volksvorträge könne eine Versöhnung der sozialen Gegensätze herbeigeführt werden, sondern umgekehrt seien diese modernen Bildungsbestrebungen eine Folge des Klassenkampfes der Arbeiterschaft. Der Klassenkampf ziele auf Beseitigung der Klassengegensätze überhaupt ab. Das sei nicht zu erreichen durch Verabreichung von geistigen Suppenportionen und Einrichtung von geistigen Volksküchen und Speiseanstalten, sondern durch Erweckung des Klassenbewußtseins, durch Erkenntnis des kapitalistischen Wirtschaftsprinzips und schließlich durch Beseitigung des Kapitalismus" (zit. in Faulstich 1982,51).
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Gegen die konservative Argumentationsfigur des Vorwurfs von „Halbbildung" endete sich, selbst eingebunden „in die spätliberale Kompromißideologie" (Dräger in Tews 1981, 24), Johannes Tews (1860-1937), der von 1891 bis 1933 Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Verbreitung der Volksbildung" war: „Von den Bildungsgütern ist es in erster Linie und oft nur allein das Wissen, das von den Bildungsgegnern abgelehnt wird.... Alle diese Anklagen werden mit besonderer Heftigkeit gegen die Wissenspflege in der freien Volksbildungsarbeit erhoben und weil sie sich oft in ein bildungsfreundliches Gewand kleiden, das nicht ,
immer echt ist,
so
bedürfen sie einer
um so
sorgsameren Beach-
tung. Das Wissen ist in vielen Beziehungen allerdings nur der Rohstoff der Bildung. In anderen Beziehungen aber weit mehr. Lebendiges, aus der Anschauung geschöpftes, in gedanklicher Verarbeitung geläutertes und in dieser Form wieder auf das Leben angewandtes Wissen ist gleichbedeutend mit Bildung. Keine Bildung ohne Wissen.
,Das Wissen macht keinen Menschen besser und glücklicher'.
Wirklich nicht? Macht Nichtwissen vielleicht besser oder glücklicher? Welche unendliche Bereicherung unseres geistigen Lebens wird uns erst durch Wissen ermöglicht! Alles geringschätzige Urteilen über das Wissen ist törichtes Geschwätz und Schlimmeres als das. Mephistopheles hat recht: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, so hab ich dich schon unbedingt." (Tews 1932, 90-91). Als der spätliberale Tews, dem als Etikett "Alte Richtung" aufgeklebt worden war, 1932 sein emphatisches Lob auf das Wissen formulierte, hatte er die publizistische Auseinandersetzung mit der die Diskussion der Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik dominierenden „Neuen Richtung" schon verloren. ...
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Eine antiaufklärerische „deutsche Bewegung" verbunden mit neoromantischen Strömungen der Jugendbewegung übernahm vielfältige kulturpessimistische Tendenzen und beendete Aufklärung. Wilhelm Flitner, einer der fuhrenden Köpfe der „Neuen Richtung" verabschiedete „den Begriff des Volkstümlichen im Sinne der Popularisierung von Kunst und Wissenschaft, von Geist und Geschmack". „Die vorwiegend wissenschaftliche Bildung, die unter Verlust wahrer Totalität sich enthält, hat uns seelisch leer gelassen und betrügt uns um den letzten Sinn unseres Daseins" ...."Die Aufklärung mit ihrem Wissenschaftsbegriff wird wieder verantwortlich gemacht für die Entgeisterung der Welt" (Flitner 1982, 57). Wissenschaftlichkeit und Aufklärung werden als Kerne des Bildungsdenkens aufgegeben. In seiner Begründung des „Lehrplans der Volkshochschule" (1921) grenzt Flitner sich zunächst ab gegen andere Ansätze, auf die man sich nicht stützen könne. „Zunächst nicht auf solche Ideen, die im Grunde nicht weniger besagen, als irgendeins der heute gangbaren Weltanschauungsprogramme irgendeiner Konfession oder Partei. Dann aber auch nicht auf den großen Bildungsgedanken, der den europäischen Völkern seit einigen Jahrhunderten vorschwebt und der in Deutschland seit Herder und Lessing seine beste Form gewonnen hat: Das ist der Gedanke einer allgemeinen Bildung im humanistischen Sinne. Es wäre nachzuweisen, dass dieser große Gedanke nicht fähig ist, die heute vorliegende Frage der Volksbildung zu lösen wie er überhaupt nicht mehr der Bildungsgedanke unserer Zukunft ist. Aus der ungeheuerlichen geistigen Krise unserer Tage wird ein neues geistiges Leben hervorgehen, daß unser Volk sich in Gemeinschaft mit anderen europäischen Völkern begründen muß. Wo die neuen Ziele liegen, das ist vielleicht niemanden heute klar, aber es sind Künstler, Denker und innerlich gesammelte Menschen in stillen Winkeln überall am Werke, um die neue geistige Welt in sich zu verwirklichen. Die Volkshochschule muß sein ein Kreis, eine Gemeinde, die sich bereitet für diese neue geistige Welt und für das neue Menschentum, an das wir glauben; sie muß für sich auch ein solcher Winkel sein, in dem -
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Leben sich verwirklichen kann; das ist alles, was man über ihr tiefstes Wollen wird sagen können. Davon reden ist Verlegenheit, und so steht unser Wesentlichstes halb im Dunkeln" (Flitner neues
1982, 23). nach einer neuen Geistigkeit in dunkler Innerlichkeit „im stillen Winkel". Dies steht dem „Untergang des Abendlandes" (Spengler 1922) durchaus nahe. In seiner berühmten Schrift „Laienbildung" beklagt Flitner die Trennung von Kultur und Lebensalltag und setzt „reiner Gelehrtenbildung" eine „Laiengeistigkeit" entgegen. Zugespitzt hat sich die Debatte auf der Tagung „Universität und Volkshochschule" vom 25.-28.4.1929 an der Universität Heidelberg. In seiner Stellungnahme zur „Stellung der Universität im sozialen Körper" betont Karl Jaspers: „Es kommt mir auf die Herausschälung des geistigen Kerns an, der durch den asozialen Charakter des ursprünglichen Wissenwollens und durch dessen Bindung an eine geistige Aristokratie gekennzeichnet ist" (in: Krüger 1982, 168). Wilhelm Flitner setzt sich dagegen ab vom „selbstsicheren Charakter, wie er etwa von Jaspers für den individualistischen Menschen der klassischen Universität gekennzeichnet wurde" und verweist auf Es wird
demgegenüber gesucht
„Laienwissen". „Diese Auffassung beruht auf dem Glauben, daß
das Denken in der nicht Wissenschaft abhängig ist, der Praxis des Lebens von sondern den Boden im Leben selber hat" (in: Krüger 1982,171). Über den Nazismus hinweg gibt es nach 1945 ein Fortwirken vernunftkritischer und wissenschaftsskeptischer Tendenzen in die Nachkriegszeit. Wilhelm Flitner ist es wieder der über "Universität und Volkshochschule" 1952 in der Kulturarbeit" schreibt: „Man muß sich überhaupt darüber klar sein, daß alle Versuche der Universitäten an eine Grenze gebunden sind: sie bleiben auf das Gebiet beschränkt, das sich wissenschaftlich bearbeiten läßt; sie haben einen intellektuellen Charakter, der ethisch eine große Kraft entwickeln kann, aber den Inhalt der Volksbildungsarbeit
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Teil deckt. "Die Aufgaben der Volksbildung liegen nur zu einem Teil im wissenschaftlichen Bereich. Die wissenschaftliche Bildung kann nur sinnvoll aufgebaut werden, wo sie auf einer emotionalen (wert-gewahrenden und wert-sichtigen) Grundbildung ruht" (ebd. 209). Die Gegenposition hat am klarsten Willy Strzelewicz (1905-1986) hervorgehoben. Strzelewicz, spät aus Schweden zurückgekehrter Emigrant, trat im Mai 1955 die Stelle als Leiter der „Arbeitsstelle für auswärtige Seminarkurse", die nach dem Vorbild der ExtraMural-Aktivitäten englischer Universitäten aufgebaut war, an. Es entwickelte sich die „Urform" der universitären Beteiligung an der Weiterbildung (Strzelewicz 1986, 14). Die Göttinger „Seminarkurse" wurden Vorbild für entsprechende Aktivitäten an anderen Universitäten und Fachhochschulen in Niedersachsen und darüber hinaus. Bei der 30-Jahr-Feier des Sekretariats für auswärtige Seminarkurse (damals dann „Zentralstelle für Weiterbildung") an der Universität Göttingen hat Willy Strzelewicz einen Rückblick unter dem nur zum
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Titel „Aufklärung in der Demokratie" gegeben (Faulstich 1982). Das Verständnis von Erwachsenenbildung, das Strzelewicz zunehmend für sich klärte, steht in der Spannung zwischen Industrialisierung und Demokratisierung. Dabei geht es um die Verteidigung hu-
manistischer und sozialistischer Positionen nach den Erfahrungen des Totalitarismus. Diese haben Strzelewicz sensibilisiert gegen romantisierende und gegenaufklärerische Strömungen. Sein im Exil geschriebenes Werk verfolgt den „Kampf um die Menschenrechte" (Strzelewicz 1947) von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bis zur Abwehr gegen die „völkisch totalitäre Kriegsmaschine" (ebd. 213). Den Verweis auf die „Erklärung der Menschenrechte" von 1776 als ein zentrales Dokument der Aufklärung hat Willy Strzelewicz immer wieder in Veröffentlichungen und Vorträgen hervorgehoben, so auch bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte aus Anlass der Vierzigjahr-Feier der Heimvolkshochschule Göhrde 1986: „Einer der entscheidenden Ausgangspunkte für unsere Bildungsentwicklung und für die Erwachsenenbildung ist die Aufklärung. Die Aufklärung ist eine große und breite Strömung mit sehr ver-
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schiedenen Richtungen in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Schichten. Aber etwas hat die Zeit überdauert und ragt in unsere Welt noch hinein. Es ist dies die Verbindung von persönlicher Entfaltung und praktischer sozialer und politischer Reform. Dies gilt auch nach dem Zerfall vielfältiger Illusionen."
(Strzelewicz 1986b, 7).
Aus dem Fortwirken von Aufklärung und der Verpflichtung auf Demokratie entnimmt Strzelewicz die programmatische Rechtfertigung eines neuen Versuchs der Wissenschaftsvermittlung. „Es ging in der Auseinandersetzung der früheren Richtungen innerhalb der deutschen Erwachsenenbildung um ein sehr zentrales Thema nicht nur der Erwachsenenbildung, sondern allen Bildungsbemühens überhaupt: um die Frage nach der Bedeutung von Wissen und Wissenschaft für die Bildung. Für die „Universitätsausdehnung" und vor allem für ihre führende Gestalt Ludo Moritz Hartmann waren Unwissenheit und Bildung einander ausschließende Gegensätze. Das will nicht sagen, daß Wissen oder gar Vielwisserei mit Bildung identisch gesetzt werden müßte, sondern nur, daß Bildung ohne Wissen nicht möglich sei, am allerwenigsten in einer Zeit, in der von der wissens- und vernunft-
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mäßigen Bewältigung der Lebensprobleme die Existenz einer Gesellschaft abhängig geworden ist, wie wir sie heute in der durch Industrialisierung bestimmten Form vor uns haben. Wer jedoch Wissen als einen integrierten Bestandteil von Bildung ansieht, muß auch Wissenschaft und Universität an jeder Bildungsarbeit beteiligen wollen. Dabei ist der Wert der Wissensvermittlung verbunden mit dem der intellektuellen Rechtschaffenheit, den die Wissenschaft vor Augen führt und zu dem sie verpflichtet" (1960, 9). „Die durch die wissenschaftliche Entwicklung ermöglichte in-
dustrialisierte Welt mit ihrer fachwissenschaftlich gesteuerten Spezialisierung und Differenzierung als besonderes Kennzeichen ihrer hohen Komplexität kann ihre Probleme und Krisenerschütterungen nicht durch Regression auf eine mythische Weltansicht und Werthaltung lösen, wenn die Lösung im Zeichen der Huma-
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nitätsidee vor allem in der durch die Aufklärung erreichten Gestalt geschehen und erstrebt werden soll" (ebd. 37). Strzelewicz begreift „Popularisierung als Vermittlung des wissenschaftlichen Denkens und Forschens in der Erwachsenenbildung" (ebd. 33). Damit verbinden sich Chancen einer Vermittlung: 1. Abbau der durch Spezialisierung geschaffenen Lücken sozialer
Integration und zwischenmenschlicher Verständigung, 2. Konvergenz der Theoriebildung und Wahrheitskriterien trennter Wissenschaftsbereiche, 3.
Überwindung
ge-
der Kluft zwischen Fachwissenschaftlern und
Beteiligten, 4. Vermeidung der Regression zu "volkstümlichem Denken", 5. Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Erwachsenenbil-
dungseinrichtungen, 6. Annäherung an Mündigkeit, 7. durch Einsichtserweiterung gestärkte solidarische Haltung selbstbewusster Individuen. (Strzelewicz 1986b, 37/38, zusammengefasst P.F.). Ähnlich entschieden hat von den tonangebenden Personen der Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik sonst nur noch Kurt Meissner die Tradition von Aufklärung in seinem Buch „Die dritte Aufklärung" (1969) verfolgt. Er diskutiert drei Phasen der Aufklärung: Die geistige Emanzipation des Bürgertums, Aufklärung als Volksbildung und Erwachsenenbildung in einer „informierten Gesellschaft".
drei Elemente, die alle Phasen der Aufklärung durchziehen: Mündigkeit, Kritikfähigkeit und Änderungsbereitschaft" (Meissner 1969, 86). Erstaunlich ist, wie Meissner 1969 das Verhältnis von Information und Gesellschaft aufgreift. Hintergrund ist eine Idee „öffentlicher Wissenschaft", welche die Vermittlung wissenschaftlicher Arbeitsergebnisse für das Verständnis von Welt und angemessenes Handeln
„Dabei sind
es
pointiert. Dies wird in den Kontext „der dritten Aufklärung" gestellt.
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auf, wie sie im Zusammenhang von „Wissensgesellschaft" aufgegriffen werden. Betont wird die NotDabei tauchen Diskussionen
wendigkeit von Vermittlung eines individuelle Erlebnisse übersteigenden kulturellen Wissens. Wiederholt hat sich die Debatte im Zusammenhang einer „Alltagswende" als „Signal einer ,reflexiven Wende'" (Schlutz 1982) in der Weiterbildung. Eine skeptische Position bezieht sich in der alten Kontroverse mit neuen Kategorien von Wissenschaft versus Lebenswelt, von Wissenschaftswissen versus Alltagswissen, Erfahrung versus
Wissen usw.
(s.u. 4.1).
1.3.3 Öffentliche Wissenschaft Hinter der Kontroverse verbirgt sich die Paradoxie, dass Wissenschaft immer deutlicher unser Leben bestimmt und ihm zugleich fremd bleibt und sogar immer entfernter wird. Es entsteht eine unaufhebbare Lücke zwischen der Masse wissenschaftlicher Einzelerkenntnisse und der Kraft diese zu begreifen, jedenfalls dann, wenn man einem stoffbezogenen Begriff von Wissen hinterher rennt. Ergebnis kann dann nur eine hoffhungs- und atemlose Resignation gegenüber einer anwachsenden Flut diffuser Informationen sein. Aber auch eine für die „niederen" „Stände" oder „Schichten" zurechtgemachte „volkstümliche" Bildung würde zurecht dem Vorwurf der Vereinfachung und Verflachung unterliegen. Die Spaltung zwischen Eingeweihten und Unwissenden, zwischen Priestern und Laien ist zutiefst hierarchisch und elitär. Das dichotome Modell, das Wissensformen nach der Dimension exklusiv versus populär trennt, vereinfacht unzulässig das Kontinuum von Übergängen zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen. Wenn die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens in „linearen Modellen" (Feit u.a. 1995, 248) interpretiert wird, so scheint es, als ob ein von Experten erzeugtes, genuin wissenschaftliches Wissen vereinfacht und verständlich gemacht hinunterflöße zu den Laien. Dies übersieht aber, das wissenschaftliches Arbeiten immer lebensweltlich rückgebunden ist und Erkenntnisse im Prozess eines kollektiven Diskurses über konkurrierende Hypothesen erzeugt und bestätigt werden. Die intel-
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lektuellen Praxen des Wissenschaftsbetriebes sind gekennzeichnet durch ein ambitioniertes Ensemble von Ideen, Theorien, Methoden und Normen, durchdrungen von Aushandlungen, Opportunismus, Mikropolitik und Rhetorik. Einsicht in die Kontingenz wissenschaftlicher Erkennmisproduktion erlaubt nicht nur, sondern erfordert sogar, dass öffentliche Rechnungslegung, Einschätzung und also Vermittlung erfolgen. Bei aller Problematik medienüberformter und massenmedialer Formen von Öffentlichkeit gibt es für die Demokratie keine Alternative, als Foren der Partizipation zu öffnen. Dazu muss „öffentliche Wissenschaft" eine Basisexpertise ermöglichen, um Teilhabe am Diskurs zu gewährleisten. Dies ist nicht in der Dichotomie von Wissen versus Nicht-Wissen fassbar, sondern erfordert sich erweiternde Grade von Aneignung. Es geht also darum, Kommunikationschancen zwischen den verschiedenen Wissenschaften und ihren unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu schaffen. Solche Möglichkeiten im Zusammenhang von Aneignung und Vermittlung bereitzustellen, ist dann Aufgabe der Erwachsenenbildung. Damit nähern wir uns wieder einer möglichen Fassung des Bildungsbegriffs, wie er von Humboldt zwar in idealistischer Variante formuliert worden ist, wie er aber z.B. bis zum „Deutschen Ausschuss fiir das Erziehungs- und Bildungswesen in seinem Gutachten zur Erwachsenenbildung von 1960 nachklingt. „Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in einem ständigen Bemühen lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln" (Deutscher Ausschuß 1960, 20). Diese Tradition wirkt noch fort. „Bis in unsere Tage wird unter einem theoretisch ausgewiesenen und praktisch bedeutsamen Begriff von Bildung die Möglichkeit des Menschen verstanden, zu sich selbst und zu seinem Handeln in ein Selbstverhältnis zu treten und in einem expliziten Sinne nach der Verantwortlichkeit des eigenen Denkens und Tuns zu "
fragen" (Benner 1995, 3, 238).
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Demgegenüber dominiert ein szientifischer Begriff von Wissenschaft, der das Gegebene in abstrakte Theorien fasst, Faktizität wiederholt und instrumentellem Zugriff unterwirft. Dass diese Art von Wissenschaft und ein ambitionierter Bildungsbegriff in ein problematisches Verhältnis geraten, ist naheliegend. Eine bildende Interpretation von Wissenschaft (Benner 1995, 259) erfordert dagegen einen reflektierten Begriff von Wissenschaft selbst. Von daher entscheidet sich die Frage, ob und wie Wissenschaft in der Erwachsenenbildung in einem bildungstheoretisch reflektierten Sinn angeeignet und vermittelt werden kann
Zugänge durch Teilhabe am Wissen zu schaffen, steht unvermeidlich in der umstrittenen Tradition der Aufklärung. Angesichts sich ausbreitender Fundamentalismen wird eine neue „Apologie" der Aufklärung überlebenswichtig. Dies hat Ernst Cassirer in seinem letzten vor seiner Flucht vor den Nationalsozialisten in Deutschland veröffentlichten Text betrieben. „In der Tat geht die Grundrichtung und das wesentliche Bestreben der Aufklärungsphilosophie keineswegs dahin, das Leben lediglich zu begleiten und es im Spiegel der Reflexion aufzufangen. Sie glaubt vielmehr an eine ursprüngliche Spontaneität des Gedankens; sie weist ihm keine bloß nachträgliche und nachbildende Leistung, sondern die Kraft und die Aufgabe der Lebensgestaltung zu. Er soll nicht nur gliedern und sichten, sondern er soll die Ordnung, die er als notwendig begreift, selbst herbeiführen und verwirklichen, um, in diesem Akt der Verwirklichung, seine eigene Wirklichkeit und Wahrheit zu erweisen" (Cassirer 1998, XII).
Im Exil Los Angeles, California, Mai 1944 haben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der „Dialektik der Aufklärung" dagegen eine zutiefst pessimistische Perspektive der „Entwicklung zur totalen Integration" vorgelegt. -
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„Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt. Hatten wir seit vielen Jahren bemerkt, daß im mo...
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dernen Wissenschaftsbetrieb die großen Erfindungen mit wachsendem Zerfall theoretischer Bildung bezahlt werden," indem „die Öffentlichkeit einen Zustand erreicht hat, in dem unentrinnbar der Gedanke zur Ware und die Sprache zur deren Anpreisung wird" in einer „selbstvergessenen Instrumentalisierung der Wissenschaft" (Horkheimer/Adornol969, 1-2). Sie warnen eindringlich vor einer „Selbstzerstörung der Aufklärung". Unterhalb der kritischen Analyse herrscht unüberhörbar eine resignative Tendenz, indem die Möglichkeit totaler Manipulation durch die „Kulturindustrie" als real unterstellt wird. „Bildung" und „Wissenschaft" treten auseinander, der Instrumentalisierung von Wissenschaft entspricht der Zerfall von Bildung. „Auf dem Weg zur neuzeitlichen Wissenschaft leisten die Menschen auf Sinn Verzicht. Sie ersetzen den Begriff durch die Formel, Ursache durch Regel und Wahrscheinlichkeit" (ebd. 11). Eine solcherart abstrakte Kritik entzieht sich aber der Auseinandersetzung mit den vielfältigen, widersprüchlichen konkreten Aspekten von Wissenschaftsentwicklung. Direkte Antworten auf Sinnfragen sind von Wissenschaft nicht zu erwarten, aber sie bleiben gefragt. Und auch Fragen, die unbeantwortbar sind, stellen sich
trotzdem. Was bei Horkheimer/Adorno unbefriedigt bleibt ist die hartnäckige Suche nach Handlungsmöglichkeiten angesichts steigender Verwissenschaftlichung der Lebenswelt. Unbestreitbar gibt es eine Zurückdrängung der Erfahrung zugunsten wissenschaftlichen Wissens. Gesellschaftliche Praxis wird zunehmend in den Kategorien der institutionalisierten Wissenschaft perzipiert. Desto dringlicher stellt sich das Problem der Vermittlung. Die Anstrengungen um Wissensvermittlung beziehen sich nicht
auf die abstrakte Auseinandersetzung mit einem Totalphänomen Wissenschaft und nicht auf Anhäufung von Kenntnissen, sondern auf die Unterstützung der Aneignung konkreter Wissenssysteme bezogen auf Lebensprobleme, d.h. es geht um Vermittlung von Wissen, nicht als fertige Resultate, sondern methodisch und problemorientiert reflektiert. Dies ist nur zum geringeren Teil eine Frage der
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Übersetzung unterschiedlicher Sprachen in Wissenschaft und All-
tagsgebrauch. Vermittlung in einem anspruchsvollen Sinn hin zu bildender Aneignung geht nur im Zusammenhang erkenntnistheoretischer, wissenschaftshistorischer und praxisbezogener Fragen. Dazu bedarf es einer Position, die die Wirklichkeit nicht als etwas unmittelbar Gegebenes anerkennt. Ein Hauptfehler der Popularisierungsdebatte war und ist, Wissenschaft als einheitliches Licht aufzufassen, das von „oben" nach „unten" leuchtet. Im Prozess der Aneignung und Vermittlung wird Wissenschaft nicht nur passiv rezipiert, sondern reorganisiert und neu strukturiert. Wissenschaftsentwicklung ist ein kommunikativer Prozess des Abgleichs von Interpretationen und Konstruktionen. Was als wissenschaftlich gilt, wird hergestellt und als wahr begründet im Diskurs zwischen Experten, aber auch in der Diskussion zwischen Experten und Laien. Und auch die Experten sind bei den meisten Themen Laien. Selbstreferentialität der „scientific communities" als Legitimationsinstanz für Wahrheitskriterien ist relevant, aber nicht hinreichend. Angesichts der Wirkpotenztiale von Wissenschaft, die alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen oder bedrohen, müssen Begründungshorizonte und Teilnahmechancen weiter gesteckt werden. Dazu sind verschiedene Konzepte von Wissenschaft in unterschiedlicher Weise geeignet. Nach Erkenntnisinteressen, Themen und Methoden sind vielfältige Wissenschaftsbegriffe unterscheidbar. Es geht also darum, diese genauer zu untersuchen und zu klären.
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Wenden
2. Wenden Wissenschaftstheoretische Bezüge Mit dem hochgesteckten Anspruch auf umfassendes „lebenslanges Lernen" wird die Theorie der Erwachsenenbildung mit einer Perspektive konfrontiert, welche grundlegendes Neubesinnen nötig macht. Es geht nicht mehr nur um eine zusätzliche „vierte Säule" des Bildungswesens, sondern um ein neues Strukturprinzip sowie Neuordnung des Verhältnisses von Arbeiten und Lernen. Uber die vielfaltigen „Wenden" und Theoriemoden der Erwachsenenbildung hinaus ist es notwendig geworden, sich der Tragfähigkeit und Reichweite bisheriger Konzepte zu vergewissern, um so weiterrei-
chende Horizonte zu öffnen. Die Rede von der „Wende" markiert eine besondere Begrifflichkeit in der Theoriediskussion der Erwachsenenbildung. Es ist eines ihrer Spezifika, dass sie externe wissenschaftliche Moden sehr schnell rezipiert. Die Erwachsenenbildung unterliegt in erhöhtem Maß einer Faszination des Neuen. Die Prozesse sozialen Wandels oder dramatischer der Krise (Mattmüller 1975, Tietgens 1991) sind mit der Genese und den Funktionen von Erwachsenenbildung und der Konstitution von Erwachsenenbildungswissenschaft eng verbunden. Dies ist auch Konsequenz der Neuheit und der Ungesichertheit einer institutionalisierten Wissenschaft von der Erwachsenenbildung, die an Hochschulen wenn man von Vorläufern der Akademisierung absieht (Friedenthal-Haase 1991) eigentlich erst seit 1970 mit der Berufung Horst Sieberts auf die erste Professur mit der ausschließlichen Nomination für Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Hannover besteht. Aufgrund fehlender begrühdungssichemder Tradition, was sich immer wieder in Legitimationsproblemen des „Spätkommers" im Bildungsbereich niederschlug, gibt es wenig Kontinuität eigener wissenschaftlicher Bestände als Hintergrund für Selbstbewusstheit theoretischen Denkens und praktischen Handelns. So erscheinen die dominanten Linien der Diskussion um Erkenntnisinteresse, Gegenstandskonstitution und Methodenansätze leicht auswechselbar. Deshalb konnte fast jedes -
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Wenden
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„Modernisierungsfibrieren" (Geißler/Orthey 2000) durchschlagen auf Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung. Seit Mitte der 1960er Jahre wurden immer wieder neue „Wenden" proklamiert: eine „realistische", eine „kritische", eine „reflexive" und zuletzt eine „konstruktivistische". Dies betraf zunächst hauptsächlich das Selbstverständnis derjenigen, die über Erwachsenenbildung schrieben, und erfolgte vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Grundströmungen. Eine Erschöpfung der hermeneutischen Tradition, wie sie die geisteswissenschaftliche Pädagogik orientiert hatte, die z.B. über Herman Nohl, Erich Weniger und Wilhelm Flitner, später durch Hermann Grotthof und Paul Röhrig in die Erwachsenenbildung wirkte, und der gleichzeitige Aufstieg empirisch-analytischer Ansätze, z.B. bei Heinrich Roth, und deren Rezeption waren Anstöße zur „realistischen Wende" der Erziehungswissenschaft. Während allerdings in der Pädagogik damit hauptsächlich eine Aufnahme empirisch-analytischer Methodologie gemeint war, wurde in der Erwachsenenbildung vor allem Beruflichkeit und Funktionalität betont. Dies musste sich aber schon sehr schnell einen Technokratievorwurf gefallen lassen. Ohne eine Hinwendung zur kritischen Theorie zunächst bei Hans-Jochen Gamm, Erwin Klein und Edgar Weich sowie Werner Marken und Dirk Axmacher orientiert an dem revidierten Marxismus der Frankfurter Schule von Horkheimer und Adorno und in der zweiten Phase phänomenologisch erweitert in der breiten Aufnahme der Terminologie von Jürgen Habermas mit der Unterscheidung von System und Lebenswelt wäre die „reflexive Wende" (Tietgens 1982) anders ausgefallen. Ohne den postmodernen Zerfall der Entwürfe von Gesellschaft wäre der Aufstieg eines „radikalen Konstruktivismus" und dessen Rezeption in der Erwachsenenbildung (Arnold/Siebert 1995) so nicht möglich gewesen. Eine solche riskante Skizze des Diskursverlaufs in der Erwachsenenbildung würde aus „postmoderner" Perspektive sicherlich sofort der Kritik unterliegen, dass sie anschließt an die „großen Erzählungen" von Entwicklung. Sie drängt sich aber auf, wenn man die Parallelität der Stränge wahrnimmt. Allerdings muss sie durch vielfältiges detailliertes Material erst noch gestützt werden (ausführlicher in -
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Wenden
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2.2 und 5.2). Vor allem ist es ein empirisches Problem, inwieweit die veränderten Sichtweisen die Realität der Programme und Kurse oder gar des Lernens erreicht haben. Hier nämlich scheint eine we-
sentliche höhere Kontinuität vorzuherrschen als sie durch die Theoriekonjunkturen suggeriert wird. Jedenfalls müssten mindestens vier
„Wendeebenen" unterschieden werden: die Wissenschaftstheorie, die Erwachsenenbildungstheorie, die Erwachsenenbildungsliteratur und die Erwachsenenbildungspraxis. Auf jeder dieser Ebenen laufen „lose gekoppelt" auch relativ autonome Entwicklungsstränge. Wenn man die verschiedenen Wendemanöver der Erwachsenenbildungstheorie wuchtig als Paradigmenwechsel bezeichnet, so geht das nicht ohne Selbstironie. Thomas Kuhn daran sei erinnert hat in der „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (1967) untersucht, wie sich wissenschaftliche Rationalität letztlich durch konkurrierende wissenschaftliche Grundannahmen bestimmt, die er als „Paradigmen" bezeichnet. Gemeint sind damit allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern (Kuhn 1967, 10). Solche Paradigmen können als Sprachspiele begriffen werden, welche allerdings nicht beliebig, sondern in einem jeweiligen Bedeutungsrahmen von „communities of science" gefasst werden. Ob denn die Konjunkturwenden der Erwachsenenbildungstheorie solch weitreichenden Ansprüchen, jeweils prinzipiell neue Rationalitätskonzepte zu implizieren, gerecht werden, sei -
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dahingestellt. Einige „Wendemanöver" können nachvollzogen werden: Wende vom „Berufsbezug" zum „Wissenschaftsbezug" und
zu-
rück,
Wende
von
einer
,jHandlungswissenschaft"
struktionswissenschaft", Wende
von
einer
orientierung", Wende
von
didaktik",
einer
zu
einer „Rekon-
„Gesellschaftsorientierung" zu einer „Subjekt„Herstellungsdidaktik"
zu
einer
„Animations-
Wenden
Wende -
rung",
von
einer
„Fachorientierung"
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zu
einer „Lernerorientie-
Wende von der „harten" Empirie zur „weichen" Interpretation Wende vom Wissen zur Deutung (vgl. Siebert 1995). Es gäbe noch mehr zu Slalomkurven zugespitzte Kehren. Aber nicht nur politisch auch theoretisch wird man mittlerweile „wendemüde". Wenn auch das große Wort vom Wechsel der Paradigmen sowieso etwas zu ambitioniert für die Konzeptwenden in der Erwachsenenbildung war, gibt es nichtsdestoweniger sicherlich Theoriewellen. Wenn man dies nicht nur als Modeströmungen abtun will, spiegeln sie einen Wandel des Zeitgeistes. Man stößt dann auf eine Paradoxie. Es könnte sein, dass mit der konstruktivistischen Wende" das kritische Potenzial der Theorie der Erwachsenenbildung gerade dann abgenommen hat, als die Gefahr der Instrumentalisierung und Funktionalisierung wuchs. Die Theoriediskussion spielt vor einem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen die langfristig zu einer starken Aufwertung der Erwachsenenbildung und zu deren Ausweitung in eine Kontinuität von Lernprozessen über die ganze Lebensphase geführt haben. Es gibt erstens eine enorme Expansion und eine drohende Explosion des Gegenstandsbereichs. Unterhalb der Theoriekonjunkturen findet eine kontinuierliche Zunahme gemessen an Lernfallzahlen und Finanzen statt. Gleichzeitig ist das Thema kaum noch einzudämmen. Dass Leben Lernen sei und ohne Lernen Leben aufhöre, ist eine riskante Banalität, welche Erwachsenenbildungswissenschaft auf grundlegende anthropologische Probleme stößt. Damit steigt zweitens die Relevanz theoretischer Diskussionen und deren Rezeption in der Bildungswissenschaft. Aus dem Durchgang metatheoretischer Ansätze kann deshalb drittens versucht werden, Orientierungshilfen und Begründungsmuster für die eigene Position zu finden. Dabei fließen sicherlich Einschätzungen über Brauchbarkeit von Theorie ein.
Wenden
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2.1
Expansion der Erwachsenenbildung
Eine Grundfrage der Aktivitäten in der Erwachsenenbildung ist das Verhältnis kulturell verfügbaren Wissens und individueller Erfahrung, Aneignung und Vermittlung. Besonders die Rezeption und Interpretation wissenschaftlichen Wissens in Arbeits- und Lebenszusammenhängen war immer schon Streitpunkt divergierender Positionen. Einerseits gab es früh schon Wissenschaftsgläubigkeit verbunden oft mit einer Hoffnung auf die gesellschaftskritischen Potenziale von Vernunft und Aufklärung. Andererseits sind Vorbehalte gegen „bloße Wissensaneignung" zusammen mit einem Verdikt gegen „Popularisierung" immer noch virulent. Angesichts der Erfolgsgeschichte moderner Wissenschaft gerät Erwachsenenbildung in eine Zwickmühle, eine „Wissensexplosion" bearbeitbar zu machen und gleichzeitig „Wissenschaftskritik" weiterzutragen. Auch hier wieder gibt es eine Diskrepanz von Selbstverständnis und tatsächlichen Aktivitäten. Obwohl theoretisch keineswegs hinreichend fundiert, hat sich mit der Expansion des Weiterbildungsbereichs praktisch ein breites Feld von Anwendungsstrategien und -kontexten von Wissenschaft herausgebildet. Erwachsenenbildung hat dabei eine Funktion von Vermittlung. Daraus entsteht eine starke Nachfrage nach Instrumenten und Rezepten. Ein breiter Markt von Seminaren besetzt von „Trainern" hat sich etabliert und wird von einer auflagenstarken Ratgeber-Literatur bedient. Diese ist wissenschaftlich oft kaum begründet, sondern beruht meist auf vielfältigem Erfahrungswissen. Das bedeutet nicht, dass die Rezeptsammlungen völlig unbrauchbar wären, sondern genau das ist ihr Relevanzkriterium: dass es irgendwie funktioniert. Sie befriedigen einen Instrumentenbedarf, den Wissenschaft oft nicht ausfüllt oder dem sie sich entzieht. Riskant wird diese Diskrepanz von Instrument und Reflexion, wenn Methodenbauchläden eine scheinwissenschaftliche Scharlatanerie abstützen. Eine Wissenschaft von der Erwachsenenbildung steht also vor einer doppelten Anforderung: Sie muss reflexive wie instrumentelle -
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Wenden
Funktionen erfüllen. Dies kann sie immer nur vorläufig und gerät damit unter Rechtfertigungsdruck. Sie leidet unter ihrem eigenen
Bedeutungszuwachs. Erwachsenenbildungswissenschaft bewegt sich in einem Spannungsfeld von „praktischen" Rezepten und „theoretischen" Mythen, d.h. unhinterfragten Pauschalitäten und Abstraktionen. Ein Mythos der Diskussion um Weiterbildung ist z.B. die Floskel von der sinkenden Halbwertszeit des Wissens (Arnold 1996, 113). Es wird wohl deshalb immer wieder darauf zurückgegriffen, weil sich die wachsende Bedeutung dieses Lernbereichs damit scheinbar besonders prägnant belegen lässt. Bei genauerem Hinsehen und Nachdenken unterliegt dem aber eine merkwürdig verdinglichte Vorstellung von Wissen, als Haufen von Wissenskörnern, die ihre Keimkraft verlieren und verfaulen könnten. Wissen besteht aber nicht aus kog-
nitiven Atomen, sondern entsteht erst durch Struktur und Relevanz. Ein geeigneterer Indikator für die zunehmende Relevanz von Weiterbildung ist die Zunahme der Lernfälle selbst (s.o. 1.1). Lernmöglichkeiten werden bereitgestellt durch Tausende von Institutionen, in den Betrieben, im Lebenszusammenhang und durch Medien. Weiterbildung umfasst institutionelles wie informelles Lernen. Zwar hat Weiterbildung in den 1970er und 1980er Jahren nicht einen so starken Wachstumstrend gezeigt, wie er zunächst vermutet oder postuliert worden war. Langfristig ist aber in der Bundesrepublik Deutschland ein deutlicher und steigender Zuwachs zu verzeichnen. Diese Erfolgsgeschichte der Weiterbildung ist nicht denkbar ohne die wachsende Relevanz von Wissen für alle Arbeits- und Lebenszusammenhänge. Die neuzeitliche Wissenschaft ist zu einer immensen Produktion neuer Informationen angewachsen und ihre Resultate diffundieren technisch verwertet in Alltagstätigkeiten: Kochen mit Mikrowelle, Schreiben mit Computer, Reisen im ICE dies alles wäre nicht möglich ohne wissenschaftsgestützte Technologie. Zwar war Anwendung immer schon ein Problem von Wissenschaft. Die resultierend notwendige Vermittlung zwischen wissenschaftsbasierter Wissensproduktion und Alltagsleben wird immer dringlicher und -
immer schwieriger.
Wenden
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Beim Versuch einer
Periodisierung der Wissenschaftsgeschichte
lassen sich dafür plausible Stadien der System/Umwelt-Beziehungen der europäischen Universitäten als altehrwürdige Institutionen von Wissenschaft in historischer Perspektive identifizieren (Stichweh 1994, 174). Hinsichtlich dreier relevanter Dimensionen nämlich Erzeugung von Wissen, Ausbildungsleistung und interner Kontrolle -
der eigenen Organisation gibt es periodisierbare Diskontinuitätsabschnitte bezogen auf Leistungen des Wissenschaftssystems für andere gesellschaftliche Institutionenzusammenhänge zunächst der Kirche, dann des Staates, zuletzt der Wirtschaft. Für die im Spätmittelalter gegründeten Universitäten gab es ein Primat bei der Qualifizierung der Kleriker. Für die Hochschulen „in der Frühmoderne fallt schnell die besondere Prominenz des Begriffs der Beratung (conseil, council, Konsultation) auf. Beratung ist die Form, in der Gelehrsamkeit und Wissenschaft in die Urteilsbildung des Monarchen einfließen" (ebd. 177). Spätestens mit der Entstehung der modernen Wissenschaft wird diese dann auch daran gemessen, was denn an Brauchbarem und Verwertbarem für die Wirtschaft geleistet wird. Unter dem Stichwort Wissenschaftstransfer ist eine neue Entwicklungsetappe angesagt. Wenn man die in diesem Zusammenhang diskutierten Herstellungs- und Umsetzungsstrategien ernst nimmt, geht es um einen Zugriff auf wissenschaftliches Wissen schon am Ort der -
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Entstehung. Dies bringt allerdings
Risiken für die Wissenschaft selber mit sich. Ihr zentrales Moment, die Suche nach Wahrheit, wäre durch direkte Indienstnahme für außerwissenschaftliche Interessen gefährdet. Es ist deshalb unabdingbar, in den Institutionen, welche Transfer von Wissenschaft in Form von Weiterbildung organisieren, einen Prozess der Reflexion in Gang zu setzen, da sich mittlerweile eine Praxis herausgebildet hat, welche sich dem Anspruch an Theorie
kaum noch stellt. Es hat immer schon eine Fülle von Kontakten im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gegeben. Dies betrifft auch alle Disziplinen. Nicht nur Technik und Naturwissenschaft sind gefragt, sondern selbstverständlich auch Wirtschaftswissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und auch Erziehungswissenschaft, so-
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und Theologie. Es gibt keinen Wissenschaftsbereich, der aus der Vernetzung mit gesellschaftlichen Fragen ausgeschlossen wird. Mit der Herausbildung wissensbasierter Produktionsformen hat sich die Frage nach Vermittlung von Wissenschaft, nach deren gesellschaftlicher Nutzung und den Möglichkeiten sinnvoller Gestaltung gravierend zugespitzt. Sie treibt auf die Alternative zu, inwieweit unbegriffene Systemimperative oder eine verstehende Humanperspektive die Zukunftsentwicklungen anstoßen. Es wächst die Diskrepanz zwischen technisch Möglichem und reflexiv Begriffegar
Philosophie
nem.
In dieser Stelle steht der Begriff Bildung für das Bemühen, Welt zu begreifen, mit der eigenen Person zu verbinden und gestaltend einzugreifen (s.o. 1.1 und 1.3.3). Allerdings ist er als orientierende Kategorie gesellschaftlichen Bewusstseins und dann als Fokus für Erwachsenenbildung aus der Mode gekommen, an den Rand gedrängt und als „Container-Wort" (Lenzen 1997, 949) oder als „Substratkategorie" (Tenorth 1997, 975) diffamiert worden. Zu den wenigen Ausnahmen hartnäckigen Widerstandes gegen den Niedergang
bildungstheoretischen Problembewusstseins gehört das Denken Heinz-Joachim Heydorns (s.o. 1.). In seiner Sicht der Dialektik von Vernunft und Wirklichkeit, intendiert der Begriff der Bildung die
Überwindung
aller Verhältnisse, die den Menschen unterdrücken, und verstümmeln. entmündigen Ausgangspunkt des Nachdenkens sind die Menschen, nicht ihre Qualifikation, oder die Produktion oder gar der Profit. Gegen die beliebige Verfügbarkeit und Funktionalität stellt Heydorn einen Eigensinn von Bildung. Fragestellung ist, wie sich die Menschen entfalten können in einer einschränkenden Wirklichkeit. Zielsetzung und zentrale Kategorie ist Mündigkeit, als Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen. In diesem Zusammenhang ist Bildung Voraussetzung von Befreiung. Sie intendiert die Überwindung aller Verhältnisse, welche die Entfaltung des Menschen verhindern. Bildung impliziert die Abschaffung von Herrschaft, zunächst der Herrschaft der Natur, dann der Herrschaft des Menschen über den Menschen.
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Diese hochgesteckte Idee von Bildung stößt auf eine Wirklichkeit, welche von immer mehr Menschen als übermächtig, als erniedrigend, als entfremdet, als undurchschaubar erfahren wird. Wenn also „Bildung" nicht verkommen soll zu einer abstrakten und wirkungslosen Idee oder gar zur Legitimationsfloskel, muss sie bezogen werden auf den historischen Kontext, die gegenwärtige Situation und zukünftige Perspektiven. Heydorn verklammert die Bildungsidee mit dem realen Geschichtsprozess und den tatsächlichen Prämissen, als Verwirklichungsvoraussetzungen der Entfaltungsmöglichkeiten. Unumgehbar stößt man damit auf die notwendige Aneignung von Wissenschaft, nicht als bloße Rezeption, sondern als Suche nach Orientierung. Dies ist dann Aufgabe von Erwachsenenbildung und der dahinterliegenden theoretischen Begründungen. Gleichzeitig mit der Ausweitung und zunehmenden Bedeutung des Feldes wächst dann auch die Notwendigkeit einer Selbstvergewisserung, um die weitere Perspektive zu klären, sei es auch nur um
gezielter agieren zu können.
2.2 Wissenschaftstheorien für Bildungskonzepte Die These, dass lebensentfaltende Bildungsbemühungen nach wie vor einer Fundierung und Legitimierung bedürfen, ist auf den ersten Blick
frappierend. Wenn man gleichzeitig den Boom in der Praxis Erwachsenenbildung, bezogen auf Lernfalle, Programme, Institutionen, Finanzen usw. betrachtet, scheint es überflüssig, nach einer theoretischen Basis zu fragen. Lernen findet statt mit oder ohne hinreichende Theorie. Im Zweifelsfall begnügt man sich mit wissenschaftlichen Versatzstücken zusammengebastelt zu Berufswissen. Zu fragen ist dann allerdings, was denn anders wäre, wenn diese Praxis auf die Grundlage wissenschaftlicher Theorien gestellt wird. von
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Professionalität kommt ohne wissenschaftliches Wissen nicht aus. Hilfreich kann es sein, sich deshalb zu vergegenwärtigen, dass
professionelles Handeln in der Erwachsenenbildung immer eine Verknüpfung von wissenschaftlichem Wissen und fallbezogenem
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Handeln ist. Expertise ist dadurch gekennzeichnet, dass theoretische Konzepte in praktischen Kontexten orientierend eingesetzt werden. Theorien liefern Begründungen und Überzeugungen für Handlungen in der Praxis. Sie können instrumentell, hermeneutisch oder reflexiv angelegt sein. Eine Vielfalt von Theorien ist hierfür im Angebot. Dies gilt auch dann, wenn man nur diejenigen Ansätze verfolgt, welche in der Erwachsenenbildung wirksam geworden sind. Es ist typisch für die Entwicklung der Programme und Institutionen aber auch der Wissenschaft in der Erwachsenenbildung, dass sie Konjunkturwellen bis in ihre Grundlagen unterliegen. Es lassen sich jeweils zeittypische Theoriemoden aufzeigen. Die verschiedenen Typen wissenschaftstheoretischer Grundansätze sind in jeweils unterschiedlichen Phasen der Wissenschaftsentwicklung wirksam geworden und haben die Diskussionen, Sichtweisen und Forschungsrichtungen angeleitet. Dabei ist die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung einbezogen in gesellschaftswissenschaftliche Debatten insgesamt und greift deren Strömungen mit auf. Ein Prozess der Selbstreflexion und der Aktivitätenbegründung in der Weiterbildung fällt allerdings schwer angesichts grundlegend ungeklärter Probleme und unausgetragener Kontroversen über Verständnis und Aufgaben von Wissenschaft. Wissenschaft entsteht überhaupt erst aus dem Bruch mit dem Selbstverständlichen. Was wir wahrnehmen und was wir denken ist nicht unmittelbar wahr als übereinstimmend mit Wirklichkeit. Es ist eine, in wissenschaftlichen Positionen allerdings selbst auch wiederfindbare, als „szientifisch" zu bezeichnende Illusion, es gäbe einen perspektivenunabhängigen, realitätsunmittelbaren Zugriff auf Wahrheit. Weil logisch zwingende, unbedingte Ableitungen und Letztbegründungen nicht möglich sind, entstehen überhaupt erst konkurrierende Paradigmen von Wissenschaft und resultierende Strategien mit Ungewissheit umzugehen. Angesichts der Vielzahl von wissenschaftlichen Positionen macht es große Schwierigkeiten eine angemessene Systematik zu finden. Von den mittlerweile mehreren Dutzend Professuren der Erwachsenenbildung gibt es kaum zwei, die gleiche Grundpositionen vertreten. Man profiliert sich durch Differenz. Darüber hinaus sind die
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Klassifizierungskriterien unklar und bewegen sich auf verschiedeEbenen. Hilfreich ist ein Vorschlag von Jürgen Habermas, der unterschieden hat zwischen einer metatheoretischen, einer methodologischen und einer empirie-theoretischen Ebene (Habermas 1968a). Theorien der Erwachsenenbildung können verschiedene Aspekte nen
umfassen.
Erkenntnistheorie -
Erkenntnisinteresse -
-
Gegenstandskonstitution
Methodenansatz. Insofern resultiert aus den möglichen differenzierten Kombinationsvarianten ein verwirrendes Geflecht von Ansätzen. So unterscheidet z.B. Horst Siebert 1977 zunächst „personalistische", „marktorientierte", „reformerische", „politökonomische" und „neomarxistische" Konzeptionen (Siebert 1977). Im Jahr 1993 stellt er einen „technologischen", „identitätstheoretischen", „integrativen", „sozialökonomischen", „sozialistischen" und einen „postmodernen" Ansatz gegenüber (Siebert 1993). Man merkt zum einen die Zeitgebundenheit dominierender Konzepte, die sich in den Klassifikationen spiegelt. Zum anderen verwendet Siebert zur Typisierung eine Kombination von Gegenstandsbezügen und Interessenorientierungen. Gegenstands- und erkenntnisbezogene Dimensionen werden durchmischt. Eine immanente Klassifikation ist offensichtlich problematisch (vgl. a. Dahm u.a. 1980, 313-321; Dewe u.a. 1988). Um eine Vergleichsebene zu finden, scheint es mir angemessener auf metatheoretischer Ebene wissenschaftstheoretische Grundpositionen zu kennzeichnen, welche als konkurrierende Paradigmen von Wissenschaft zu gelten beanspruchen. Dies ist allerdings auch nicht unproblematisch, da sich viele Ansätze und Konzepte einem expliziten Theorieprogramm entziehen und sich der Notwendigkeit der Reflexion nicht stellen. Nichtsdestoweniger ist der Anspruch auf Theoriereflexion wissenschaftlich unhintergehbar. Auch innerhalb der neueren Wissenschaftstheorien gibt es eine Reihe konkurrierender Begründungsmodelle mit widerstreitenden -
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Die Grundmuster ergeben sich aus verschiedenen Gewichten von Begriff und Erfahrung, von Theorie und Empirie, sowie von praktischer Relevanz. Zu nennen sind mindestens: hermeneutisch-phänomenologische Ansätze, das empirischanalytische Modell, kritisch-theoretische Positionen, konstruktivistische Entwürfe, sowie Konzepte in der pragmatistischen Linie. Diese Begründungsansätze liefern konkurrierende Argumente für die wissenschaftliche Überprüfung, Begründung und Rechtfertigung von Aktivitäten „lebenslangen Lernens".
Legitimationsannahmen.
Wissenschaftstheorerische Ansätze
hermeneutisch-
emprisch-
phänomenolog. analytisch
kritisch-
kontrukti-
theoretisch vistisch
pragma-
tisch
Abb. 6: Konkurrierende Begründungsansätze
In einer ersten Phase der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland wirkte die unterbrochene Tradition der Debatten aus der Weimarer Republik fort. Die Vertreter geisteswissenschaftlicher Ansätze dominierten den Diskurs, die Literatur und die Lehrstühle. Erwachsenenbildung war eingebunden in Pädagogik und deren vorherrschende Denkrichtungen, die sich bis in die Mitte der 1960er Jahre auf das Wirken Wilhelm Diltheys rückbeziehen lässt und von Herman Nohl, Erich Weniger, Wilhelm Flitner und anderen (Blättner, Litt, Spranger) beherrscht wurde. Ausgehend von Wilhelm Dilthey ist die Brücke hergestellt zu hermeneutischen Ansätzen, wie sie "paradigmatisch" in Gadamers "Wahrheit und Methode" (1960) zu finden sind. Hier wird der Rückbezug von Theoriekonstrukten auf Leben, Erleben und Verstehen betont. Demgemäß erhält wissenschaftliches Wissen seine fundamentale Plausibilitätsstruktur, indem es letztlich in der Lebenswirklichkeit fundiert ist. Es geht darum, Wissenschaft einzubinden in die Sinnzusammenhänge menschlichen Lebens und dies zu ver-
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stehen. Dies konkordiert mit
phänomenologischen
Ansätzen
serl, Schütze), wie sie nach 1975 reaktiviert worden sind.
(Hus-
Konzept erweist sich als besonders attraktiv für die GeisGesellschaftswissenschaften, welche deutlicher als die Naturwissenschaften, für die das bei genauerem Hinsehen allerdings Dieses
tes- und
-
auch gilt, nie nur mit blanker Beobachtung, sondern immer schon mit Interpretationen verfahren müssen. Die hermeneutische Analyse erfordert die Akzeptanz einer Authentizität des jeweiligen Bedeutungsrahmens, und Aufgabe ist es, die möglichen interpretativen Perspektiven zu vermitteln. Allerdings hat das naturwissenschaftliche Erfolgsmodell nach dem Erlahmen geisteswissenschaftlicher Konzepte zunächst auch die Gesellschaftswissenschaften erfasst. So ist dann auch der Umbruch zu einer eher empirisch-analytisch, erfahrungsbezogenen Erziehungswissenschaft, welcher durch Heinrich Roth 1962 eingeläutet wurde, auch in der Erwachsenenbildung relevant geworden. Es gibt eine Hinkehr zu empirischer Forschung, welche sich z.B. in der „Hannover-Studie" von Horst Siebert und seinen Mitarbeitern -
niederschlägt. Nach dem Eklat in der Positivismus-Debatte (Adorno u.a. 1969), wurde eine neue „Wende" eingeläutet und führte zu einer an „kritischer Theorie" orientierten Erwachsenenbildung. Relativiert wurden diese Ansätze durch „Subjektorientierung" und dann den „radikalen Konstruktivismus". Weiterführenden Debatten könnten eine Wiederaufnahme kritischer Theorie durch einem Einbezug pragmatistischer Konzepte vorantreiben. Die wissenschaftstheoretischen Grundmodelle sind gekennzeichnet durch divergierende Bestimmungen des Verhältnisses von Theorie und Praxis. Entsprechend werden konkurrierende Interessen an Erkenntnis aufgegriffen, in Gegenstandsbestimmungen umgesetzt und mit Ansätzen von Methoden kombiniert und legitimiert.
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Erkenntnisinteresse
Theorie
Gegenstandskonstitution
Methodenansatz
Praxis Abb. 7:
Systematisierungsaspekte für Theoriekonzepte
Bedeutsam ist, dass Wissenschaft nicht nur aus theoretischen Interpretationen und Konstruktionen dargestellt in Sprache besteht, sondern immer schon eine Praxis ihrer Akteure also der Wissenschaftler umfasst. Forschen und Lehren sind einbezogen in den Kontext menschlicher Arbeit und eingebunden in Institutionen. Wissenschaft ist also auch eine Lebensform derjenigen, die sie betreiben. Um eine Theorie zu verstehen, muss man sich mit dem konkreten historischen Kontext auseinandersetzen, aus dem sie entstanden ist, und mit den Personen, die sie entwickelt haben, sowie mit deren -
-
Biographie. Sicher ist die Gültigkeit von Erkenntnissen nicht identisch mit ihrem Entstehen. Aber umgekehrt sind wissenschaftliche Sätze keine zeitlosen Ergebnisse, sondern abhängig von den über die Forschenden in sie einfließenden Interessen. Insofern kann der Status und der Geltungsbereich einer Theorie nur eingeordnet werden, wenn man begreift, was hinter ihr steht. Dazu müssen die historischen Konstellationen und die involvierten Personen betrachtet werden.
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Sprache
--
Interesse
Gegenstand-. Theorie
Erkennen Methode
einrichtungen Abb. 8:
Aspekte von Wissenschaft
Nun ist nicht jede Theorie für eine Begründung der Praxis „Lebenslangen Lernens" gleich geeignet. Bildungsbemühungen erschöpfen sich nicht in der Interpretation sozialer Interaktionen, sondern zielen auf die Gestaltung von Aneignungs- und Vermittlungsprozessen. Dies hat immer schon eine praxeologische Dimension, d.h. in der Theorie müssen Momente ihrer Umsetzung und Anwendung reflektiert werden. Daraus resultieren Anforderungen an eine
brauchbare Theorie. Klären von Erkenntnisinteressen Adäquate Interpretation des Gegenstandsbereiches Angemessene Konstruktion von Methoden und Instrumenten Reflexion des eigenen Wissenschaftsstatus. Dieses anspruchsvolle Programm wird von vielen Veröffentlichungen zum „lebenslangen Lernen" unterlaufen. Insofern müssen teilweise unterschwellige Bezugnahmen aufgespürt werden, um ordnend
zu
systematisieren.
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2.2.1 Geisteswissenschaften und Bildungstheorie Die dominante Linie bildungstheoretischen Denkens im Nachkriegsdeutschland bis in die Mitte der 1960er Jahre wurde präsentiert durch die geisteswissenschaftliche Pädagogik. Ihre Vertreter produzierten die zahlreichsten Promotionen, besetzten die meisten Lehrstühle und beherrschten die Lehrerbildung. Ahnvater der „Geisteswissenschaften" ist Wilhelm Dilthey (1833-1911), dessen unmittelbare Schüler Herman Nohl (1873-1960) und Eduard Spranger (1882-1963) waren. Unter deren zahlreichen Promovenden waren vor allem Wilhelm Flitner (1889-1990) und Erich Weniger (18941961) auch in der Erwachsenenbildung einflussreich. Am Beispiel Wilhelm Flitners kann die Wirkmächtigkeit geisteswissenschaftlichen Denkens vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik Deutschland aufgezeigt werden. Schon die von dem Referenten im preußischen Kultusministerium, Robert von Erdberg, verfolgte Politik „Freier Volksbildung" erhielt in wenn auch nicht immer explizierten geisteswissenschaftlichen Positionen ihre theoretische Basis. Die „Neue Richtung4' während der Weimarer Republik lässt sich unter diesen Nenner zusammenbringen und die ersten Ansätze nach 1945 wurden ebenfalls von dieser Geisteshaltung her versucht. Die Abgrenzung gegenüber der in der Tradition der Aufklärung sich verstehenden „verbreitenden Volksbildung", die mit dem Etikett „alte Richtung" versehen wurde, hat Wilhelm Flitner 1930 zusammengefasst. „Die neue Richtung in der Erziehung und vor allem auch in der Erwachsenenbildung geht von einer ganz anderen Gesinnung -
-
...
aus.
1. Es kann sich nicht mehr darum handeln, die Bildung der geistigen Oberschicht an die ungeschulten Schichten einfach mitzuteilen. Man muß aufhören, die Bildung aller nach einem Maßstab zu messen, der nur für eine bestimmte Schicht gültig sein kann. Das Ideal des allseitig kenntnisreichen Menschen gibt keinen Maßstab für die Bildung von Arbeitern, Bauern oder modernen Großstädtern des Mittelstandes. Vielmehr soll jeder in seiner
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Schicht, in seiher gesellschaftlichen Lage und für seine Lebensaufgabe erzogen werden. Den Industriearbeiter gilt es zum Glied des Industrievolkes, den Bauer zum ländlichen Menschen unserer Tage, den Arzt, Juristen, Lehrer zum echten Träger seines Amtes
im Volk zu bilden.... 2. Die Volksbildungsarbeit kann sich auch nicht mehr einseitig in den Dienst der Aufklärung stellen im Sinne einer Mitteilung von Wissen, das die Wissenschaft bereit stellt. Sie versucht vielmehr das Ganze erzieherischer Zwecke zu verwirklichen; das Wissen und die Aufklärung sind nur ein Teil dieses Ganzen. Die neue Volksbildung sieht den Menschen in seiner Gesamtlage und fragt nach dem Ganzen seiner geistigen Bedürfhisse. Sie begnügt sich dabei nicht, auf das einzugehen, was der andere als ein Bedürfnis anmeldet. Sie sucht zu verstehen, was sein tieferes und wirkliches Bedürfnis ist. Es zeigt sich dann, daß hinter dem Bedürfnis nach dem Wissen der Gelehrten eine Lebensnot sich regt, die durch jenes Wissen der Gelehrsamkeit gar nicht gestillt werden kann, sondern das Bedürfnis nach praktischer Hilfe, nach Besinnung und Aufklärung über das wirklich gelebte Leben und seine Aufgaben ist" (Flitner 1982, 206/207). Die Bezugnahme auf „Lebensnot", das Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlichen Schichten und der Begriff des Verstehens, sind die Themen, welcher diese Generation tonangebender Theoretiker in der Erwachsenenbildung beschäftigte. Flitner ist vor allem über den Einfluss Nohls an Dilthey rückgebunden. Geboren wurde Wilhelm Flitner 1889 als Sohn eines Thüringer Bahnbeamten und der Tochter eines Wagnermeisters aus Friedrichsrhoda bei Gotha. Seine Kindheit verbrachte er hauptsächlich in Weimar und wechselte nach einem Studienbeginn in München 1909 an die Landesuniversität Jena. Er fand Anschluss an die „Freie Studentenschaft44 und kam in Kontakt mit dem jungen, eben habilitierten Privatdozenten Herman Nohl. Dieser war auf Empfehlung seines Lehrers Wilhelm Diltheys gerade an die Jenaer Fakultät gekommen. Von Nohl wurde Flitner in die Arbeit an einer „Geschichte der Philosophie" einbezogen und im Zusammenhang der Diskussion um die Reformideen Fichtes stießen sie auf die „literari-
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sehe Gesellschaft der freien Männer" um den Jenaer Fichte-Schüler und romantischen Philosophen August Ludwig Hülsen. Dies wurde Thema der Dissertation, die 1912 abgeschlossen wurde. Während der Studienzeit geriet Flitner über die freie studentische Gruppe in den Kreis um die „Sera-Gesellschaft" des Verlegers Eugen Diederichs und das Wandern und die Feiern der Jugendbewegung. Dort lernte er seine spätere Frau Elisabeth kennen. Dieses Milieu von Jugendstil und Lebensreform ebenso wie der Vorbereitungsdienst in einem
Gymnasialseminar
August 1914.
wurde zerstört durch die
Mobilmachung
Nach der tiefen Zäsur des Ersten Weltkrieges stand Reorientierung an und Flitner schloss den Vorbereitungsdienst an einem Jenaer Gymnasium ab. Als die Volkshochschulbewegung in Jena Anfang 1919 begann, wurde die Initiative von Herman Nohl, Eugen Diederichs und Wilhelm Rein angestoßen. Die Leitung der Jenaer Volkshochschule wurde Flitner angeboten und er sagte zu. Aus diesem Zusammenhang entstand Flitners bekannteste Schrift „Laienbildung" 1921 (in Flitner 1982, 29-80). Sie ist eine romantisierende Utopie einer neuen geistigen Gemeinschaft, die mit moderner Wissenschaft, Technik und Rationalität verbunden werden soll. Gegen einen priesterschaftlichen Bildungsbegriff setzt Flitner die Vorstellung einer „Laiengeistigkeit. Gegen eine Gelehrtenschulung wird die Idee einer „Lebensschulung" (ebd. 79) gestellt. Die Gedankenreihe mündet im Schaubild eines laienmäßig gebildeten, einfachen, arbeitsstarken und solidarischen Volkes (ebd.). Flitner bezieht sich auf die „Schönheit, Tiefe und Sammlung unmittelbaren Lebens" (ebd. 80). Etwas nüchterner ist die Stimmlage 1923 in seinem Habilitationsvortrag „Das Problem
der Erwachsenenbildung" (ebd. 81-96). Die „Laienbildung" und das dahinter stehende Problem des Verhältnisses von „Masse,, und „Elite" war ein wesentlicher Diskussions- und Streitpunkt der Debatten im Hohenrodter Bund für die Diskussion bis 1933.
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Erstaunlich ist, dass die gleiche theoretische Basis nach 1945 wieder aufgenommen wird unter dem Titel „Die Utopie nach dem Debakel" (1946). Die „Freie Volksbildung" soll die Aufgabe haben „durch weltlichen Unterricht, durch geistigen Verkehr und in gesittetem Umum einen festen sittlichen gang Erwachsene weiterzubilden, Gemeingeist in ihnen und durch sie zu begründen. Diese Aufgabe hat drei Seiten: Sie bezieht sich erstens auf den Gemeingeist in der staatlichen, zweitens auf den der wirtschaflich-sozialen Ordnung und drittens auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, auf sein inneres Leben, auf das Persönliche, woher doch der Gemeingeist zuletzt allein seine Kraft zieht" (Flitner 1982, 233/234). Es dominieren kulturkritische Töne. „Das innere Leben der heutigen Menschen des Abendlands ist eine Krise, die schon lange bemerkt wird, und die mit dem Glaubenszerfall, der Unwirksamkeit des Philosophierens und der Unsicherheit in der künstlerischen Orientierung zusammenhängt. Der abendländische Mensch steht inmitten seiner Weltkenntnis ohne transzendenten Halt und ist dem Nihilismus wehrlos ausgeliefert" (ebd. 248). Die Aufgaben der Erwachsenenbildung werden zugespitzt: „Sie wird eine Orientierung in der geistig-sittlichen Welt zu bieten haben, wird das zerstreute Wissen und Urteilen konzentrieren, wird die Wertempfänglichkeit steigern und das Wertreich in seiner Fülle dem einzelnen je nach seiner Bildsamkeit aufzuschließen suchen"(ebd.). Denkmuster, deren Ursprünge bis in Kaiserreich und weiter zurückreichen, werden ins Nachkriegsdeutschland verlängert. In den Begrifflichkeiten, Leben, Welt, Bildsamkeit, setzt sich vor allem über Nohl vermittelt die Philosophie und Pädagogik Wilhelm Diltheys fort. Diese hat bis zur heutigen Zeit immer wieder Grundlagendebatten über den Denkstatus der Geisteswissenschaften als -
-
Dauerthema angestoßen.
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Ansatz verbindet Denktraditionen der philosophischen Hermeneutik und der Lebensphilosophie. Seine zentralen Kategorien sind Leben und Verstehen. Der große alte Mann der „Geisteswissenschaften" wurde 1833 als Pfarrerssohn in Biebrich bei Wiesbaden geboren. Nach Abitur, theologischem Examen und philologischem Staatsexamen promovierte Dilthey mit einer Studie zu Friedrich Schleiermacher und habilitierte mit einer Arbeit über den „Versuch einer Analyse des moralischen Bewußtseins". Anschließend lehrte er nach Rufen als Professor in Basel, Kiel und ab 1882 in Berlin. 1883 ist der erste und einzige Band der „Einleitung in die Geisteswissenschaften" erschie-
Diltheys
nen, der
angekündigte
zweite Band
Bruchstücke.
folgte nie,
dafür aber viele
Dilthey geht es um nichts weniger als um eine in Abhebung von Kants „Kritik der reinen Vernunft" formulierte „Kritik der historischen Vernunft" also um eine Klärung, wie Erkenntnis geschichtlich-gesellschaftlicher Wirkzusammenhänge möglich sei. Dies geschieht in Absetzung gegen die zu seiner Zeit triumphierenden Naturwissenschaften als auch gegenüber in purem Historismus mündende Geschichtswissenschaft. -
-
-
einer neu zu begründenden Geisteswissenschaft ist das „Leben selbst" (Dilthey 1970, 89). „Leben ist der Zusammenhang der unter den Bedingungen der äußeren Welt bestehenden Wechselwirkungen zwischen Personen, aufgefaßt in der Unabhängigkeit von den wechselnden Zeiten und Orten." (ebd. 281/282). „Das Nächstgegebene sind die Erlebnisse" (90). Der erkennende Weltzugang erfolgt als Selbstbesinnung, als „Analysis des ganzen Bestandes und Zusammenhangs der Tatsachen des Bewußtseins" (GS XIX, 79). Als ersten fundamentalen Sachverhalt, auf den solche Selbstbestimmung stößt, bezeichnet Dilthey den „Satz der Phänomenalst" (GS XIX, 58). „Bewußtseinstatsachen sind das einzige Material, aus welchem die Objekte aufgebaut sind. Daher lebe ich nur scheinbar unter von meinem Bewußtsein unabhängigen Dingen; in Wirklichkeit
Ausgangspunkt
...
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unterscheidet sich mein Selbst von Tatsachen meines eigenen Bewußtseins, Gebilden, deren Ort in mir selbst ist. Mein Bewußtsein ist der Ort, welcher diese ganze scheinbar so unermeßliche Außenwelt einschließt, der Stoff aus dem alle Objekte, die sich in mir stoßen, gewoben sind" (GS XIX, 58-59). Erkenntnistheoretisch schließt Dilthey an bereits vorliegende Lehren vom Verstehen an. Das Hermeneutik von Hermeneus: Dolmetscher oder Herold genannte Verfahren der Interpretation hat eine lange Tradition; Dilthey bezieht sich vor allem auf Friedrich Schleiermacher (1768-1834), über den er eine zweibändige Biographie geschrieben hat. Dieser hatte in der Einleitung zu „Hermeneutik und Kritik" 1838 zunächst ein Verfahren der Textinterpretation beschrieben. Es geht um Auslegung und Verstehen von Bedeutungen. Dabei stößt man zwangsläufig auf den „hermeneutischen -
-
Zirkel":
„Auch innerhalb einer einzelnen Schrift kann das Einzelne nur aus dem Ganzen verstanden werden, und es muß deshalb eine kursorische Lesung, um einen Überblick des Ganzen zu erhalten, der genaueren
Auslegung vorausgehen. kel..." (Schleiermacher 1977,97).
...
Dies scheint ein Zir-
Hermeneutisch wird aber eine höhere Ebene der Erkenntnis erreicht. Jeder Interpret geht mit einem Vorverständnis an den Text bzw. den Gegenstand heran. Das Vorverstähdnis wird erweitert durch die Textinterpretation und kann dann erneut sich dem Text zuwenden und ihn genauer verstehen. Der Zirkel öffnet sich um im Bild zu bleiben zur Spirale. Es bleibt aber immer eine letzte, unaufhebbare hermeneutische Differenz. Es geht um Verstehen. „Das Verstehen erst hebt die Beschränkung des Individualerlebnisses auf. Das gegenseitige Verstehen versichert uns der Gemeinsamkeit, die zwischen den Individuen besteht. Die Individuen sind miteinander durch eine Gemeinsamkeit verbunden, in welcher Zusammengehören oder Zusammenhang, Gleichartigkeit oder Verwandtschaft miteinander verknüpft sind. Dieselbe Beziehung von Zusammenhang und Gleichartigkeit geht durch alle Kreise der Menschwelt hindurch. Diese Gemeinsamkeit äußert -
-
...
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sich in der
Selbigkeit der Vernunft, der Sympathie im Gefühlsleben, der gegenseitigen Bindung in Pflicht und Recht, die vom Bewußtsein des Sollens begleitet ist" (Dilthey 1970, 170/171). Bei Dilthey findet sich „Verstehen" in unterschiedlichen Graden. „Die elementaren Formen des Verstehens. Das Verstehen
er-
wächst zunächst in den Interessen des praktischen Lebens. Hier sind die Personen auf den Verkehr miteinander angewiesen. Sie müssen sich gegenseitig verständlich machen." (ebd. 255) „Die höheren Formen des Verstehens. Je weiter die innere Distanz zwischen einer gegebenen Lebensäußerung und dem Verstehenden wird, desto öfter entstehen Unsicherheiten. So entsteht auf verschiedene Weise die Aufgabe, andere Lebensäußerungen heranzuziehen oder auf den ganzen Lebenszusammenhang zurückzugehen, um eine Entscheidung über unseren Zweifel zu erreichen", (ebd. 258/259). Verstehen können wir die Lebenszusammenhänge nur, weil wir selbst daran teilhaben. „Wir verstehen aber die Individuen vermöge ihrer Verwandtschaft untereinander, der Gemeinsamkeit in ihnen." (ebd. 262) „Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäußerungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn in ihnen nichts fremd wäre" (ebd. 278). Hermeneutik ist also ein sich ständig erneuernder Prozess des Hineinversetzens, Nachbildens und Nacherlebens (ebd. 263). „Kurz, es ist der Vorgang des Verstehens, durch den das Leben über sich selbst in seinen Tiefen aufgeklärt wird, und andererseits verstehen wir uns selber und andere nur, indem wir unser erlebtes Leben hineintragen in jede Art von Ausdruck eigenen und frem...
den Lebens. So ist überall der Zusammenhang von Erleben, Ausdruck und Verstehen das eigene Verfahren, durch das die
Menschheit als geisteswissenschaftlicher Gegenstand für uns da ist. Die Geisteswissenschaften sind so formuliert in diesem Zusammenhang von Leben, Ausdruck und Verstehen" (ebd. 99).
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vielfältigen Bruchstücken hat Wilhelm Dilthey den Zusammenhang von Erleben und Verstehen variiert. „Der Inbegriff dessen, was uns im Erleben und Verstehen aufgeht, ist das Leben als das menschliche Geschlecht umfassender Zusammenhang" (ebd. 158). Es geht Dilthey darum, die Vielfalt der Lebens- und BildungsIn
wirklichkeit mit wissenschaftlichen Mitteln zu verstehen. Weiter geht später O.F. Bollnow (1968), der an den französischen Existenzialismus anknüpft und Verstehen als Modus des Daseins des Menschen auslegt. H.G. Gadamer (1960) radikalisiert diese Sichtweise zu
einer ontologischen Perspektive.
Verstehen
Leben
Deuten Abb. 9:
Systematisierungsaspekte der Geisteswissenschaften
Diese Grundlagen haben das Verständnis der Geisteswissenschaften und ihre Auswirkungen auf die Erziehungswissenschaft und Erwachsenenbildung geprägt. Ausgangspunkt der Theorie ist die Lebens- bzw. Erziehungswirklichkeit. Diese ist historisch gewachsen und entsprechend zu betrachten. Bildungswirklichkeit ist ein komplexes Geschehen von Wirkzusammenhängen und nicht auf singuläre Faktoren zu reduzieren. Das historisch-hermeneutische Verfahren ist die angemessene Forschungsmethode. Entsprechend hat sich die Sichtweise der durch den Einfluss der Geisteswissenschaften geprägten Erwachsenenbildung konzentriert auf das „Leben" und den „Menschen". Die Theorie bleibt, obwohl
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sie sich auf konkrete Situationen einlassen soll, sozialstrukturell merkwürdig abstrakt. Die wissenschaftlich technische Revolution wird als Bedrohung empfunden, ihre Konsequenzen werden als „Massengesellschaft" problematisch. So erwies sich das Konzept als wenig verteidigungstahig gegenüber einer sich in den 1960er Jahren durchsetzenden, empirisch fundierten Psychologie und Soziologie. Nachträglich kam es in der „reflexiven Wende" der Diskussion um Weiterbildung zu einer Rückkehr hermeneutischer Tradition angereichert durch phänomenologische Positionen. Vor allem die Rezeption Edmund Husserls und von Alfred Schütz in der Soziologie (Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973; Berger/Luckmann 1969) wurde auch in der Erwachsenenbildung aufgegriffen. Wilhelm Mader und Ansgar Weymann haben das „Modell einer handlungstheoretischen Didaktik als Sozialisationstheorie" (1975) auf wissensund interaktionstheoretischen Ansätzen aufgebaut. Methodologisch entwickelt sich eine Dominanz des „interpretativen Paradigmas". In der aktuellen Diskussion ist vor allem die „objektive Hermeneutik" Ulrich Oevermanns einflussreich geworden. „Die objektive Hermeneutik ist ein Verfahren, objektiv geltende Sinnstrukturen intersubjektiv überprüfbar je konkret an der les-, hör- und sichtbaren Ausdrucksgestalt zu entziffern" (Oever...
mann
1996, 1).
Man hört schon in den
Begriffen Sinn und Ausdruck den Anschluss an die Hermeneutik Diltheys heraus. Aufgenommen werden außerdem die Bestimmung menschlichen Handelns als symbolische Interaktion ausgehend von G.H. Mead, die Methodik qualitativer Sozialforschung und die Sprachtheorie von Noam Chomsky. Auf dieser Grundlage stellt die „Objektive Hermeneutik" ein Analyseinstrumentarium bereit, das vielfältig aufgegriffen worden ist, schulenbildend gewirkt hat, aber auch hinter einer exaltierten Begrifflichkeit seine impliziten Vorannahmen nämlich einen emphatischen Begriff von Verstehen und eine rationalistische Anthropologie verbirgt. -
-
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2.2.2 Positivismus und analytische Empirie Mitte der 1960er Jahre versuchten die Erwachsenenbildung, die Erziehungswissenschaft und die Gesellschaftswissenschaften insgesamt zunächst Anschluss an ein empirisch-analytisches Paradigma von Wissenschaft zu gewinnen, das sich als vorherrschender Begriff von Wissenschaftlichkeit durchgesetzt hatte. Gegen eine als Spekulation und „Metaphysik" diffamierte Begriffsbildung sollen die „Tatsachen", also das, was „Wirklichkeit" darstellt, gesetzt werden. Zentrale Strategie ist „Empirie", also überprüfbare Sinneseindrücke oder Erfahrungsbezüge. Als wissenschaftlich werden nur empirisch gehaltvolle Sätze zugelassen. Darüber hinausgehende Aussagen werden als „Metaphysik" und somit als sinnlos diffamiert. Ein Exponent dieser Position ist Rudolf Carnap (1891-1970), der wie kein anderer versucht hat, eine Reinigung der Erkenntaistheorie von Scheinproblemen und eine Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache vorzunehmen. Rudolf Carnap wurde in Ronsdorf im Rheinland geboren, sein Vater stammte aus einer armen Weberfamilie, während die Vorfahren der Mutter Lehrer, Pastoren und Bauern waren. Die Eltern waren tief religiös, und versuchten einzuprägen „daß das Wesentliche an der Religion nicht so sehr das Bekenntnis zu einem Glauben sei, sondern gute Lebensführung" (Carnap 1993, 5). Schon im Gymnasium zeigte Carnap Vorlieben für präzise Denkformen. „Die Fächer, die ich am meisten mochte, waren Mathematik, die mich durch die Genauigkeit ihrer Begriffe wie durch die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse durch bloßes Denken zu beweisen, anzog, und wegen seiner rationalen Struktur, Latein" (ebd. 6). 1909 zog die Familie nach Jena und Carnap studierte von 19101914 an den Universitäten Jena und Freiburg im Breisgau. Er konzentrierte sich auf Philosophie und Mathematik, später auf Physik. In seiner „Intellektuellen Autobiographie" (ebd.) nennt er Bruno Bauch, Herman Nohl und Gottlob Frege als seine Lehrer. Er gehörte
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Kreis der „Freien Studentenschaft", aus sich der Wilhelm Flitner an seinen Studiengefährten erinnert: „In welcher Höhe von Abstraktion sich Carnap wie Frege bewegten, dafür nur noch einige anekdotische Erinnerungen. Mit Studenten der Mathematik wohnte ich mehrmals dem spielerischen Gefecht bei, wie Carnap mit einem Partner blind Schach spielte, was wir auf dem Brettabsatz nachprüften. Manche brachten es auf erstaunlich viele Züge, aber Carnap blieb immer Sieger. Und Bruno Bauch erzählte mir später, daß die Abhandlung über den Raum, die Carnap als Dissertation (1920) einreichte, philosophisch ausgezeichnet gewesen und von ihm gebilligt worden sei; aber den mathematischen Teil habe er nicht verstehen können und ihn seinem mathematischen Kollegen vorgelegt. Der prüfte das Büchlein und antwortete, der mathematische Teil sei vorzüglich in Ordnung, aber der philosophische sei ihm vollkommen unverständlich" (Flitner 1986,127). Von Nohl wurde Carnap vor allem beeinflusst durch die Absicht, mit der er „in seinen Seminaren wie in privaten Gesprächen ein tieferes Verständnis für die großen Philosophen zu vermitteln suchte, indem er von ihrer Einstellung zum Leben, ihrem 'Lebensgefühl', und ihrem kulturellen Milieu ausging" (Carnap 1993, 7). Im Unterschied zu der historisierenden und hermeneutisch bewegten Gedankenwelt Nohls fand Carnap aber die stärkste Anregung durch Gottlob Freges (1848-1925) Vorlesungen über die Grenzbereiche zwischen Philosophie und Mathematik. Er besuchte Freges Übung „Begriffsschrift". Diese Denkweisen brachten ihn zu einer Kritik traditioneller Metaphysik und Moral. „Mit dem Glauben an einen persönlichen Gott gab ich auch den Glauben an die Unsterblichkeit als Weiterleben einer persönlichen, bewußten Seele auf (ebd. 12). Dies erschien ihm als Überbleibsel früherer Zeiten und völlig außerhalb der wissenschaftlichen Denkrichtung des Jahrhunderts. „Das Wissen, daß man einmal sterben muß, braucht das Leben nicht sinnlos oder ziellos zu machen. Jeder gibt seinem Leben selbst einen Sinn, in dem er sich selbst Aufgaben stellt und sich zum
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nach besten Kräften um deren Erfüllung bemüht und all die vielfältigen Aufgaben Einzelner als Teil der großen Aufgabe der Menschheit betrachtet, deren Ziel weit jenseits der begrenzten Zeitspanne des einzelnen Lebens liegt" (ebd. 14/15). Die Mobilmachung im August 1914 empfand er wie viele andere allerdings ohne überschäumendes Pathos, im Gegenteil: „Der Kriegsausbruch 1914 war für mich eine unfaßbare Katastrophe. Militärdienst widersprach meiner ganzen Einstellung, doch jetzt nahm ich ihn als notwendige Pflicht zum Schutz des Vaterlandes an" (ebd. 15). Damit stößt Carnap zum ersten Mal auf politische Probleme und nähert sich sozialistischen Positionen. „Ich stellte fest, daß in verschiedenen Ländern die Arbeiterparteien die einzigen großen Gruppierungen waren, die wenigstens einen Rest der Ziele des Internationalismus und der Kriegsgegnerschaft bewahrt hatten. Allmählich gewann ich ein klareres Bild der Zusammenhänge internationaler und wirtschaftlicher Ordnung und begann, die Ideen der sozialistischen Arbeiterbewegung genauer zu studieren" (ebd. 15/16). Nach dem Weltkrieg nahm Carnap seine philosophischen Studien wieder auf und las 1919 das große Werk von Whitehead und Russell „Principia Mathematica", die ähnlich wie Frege ein System symbolischer Relationenlogik entwickelten. Carnap begann mit dem Aufbau eines Axiomensystems, und war fasziniert von der symbolischen Logik. 1926 ging er nach Wien, wo er sich dem „Wiener Kreis" anschloss und bald eine führende Rolle unter den Mitarbeitern und Schülern von Moritz Schlick (1882-1936) einnahm. Kurz nach Carnaps Ankunft in Wien begann die Einwirkung Ludwig Wittgensteins (1889-1951) auf den „Kreis" und eine intensive Interpretation des „Tractatus Logico-Philosophicus". Der Einfluss dieses Textes beruht sicherlich auch auf seiner Sprachform und der
pointierten Diktion. „1. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge....
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1.2 Die Welt zerfällt in Tatsachen.... 2. Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. 2.01 Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen (Sa-
chen, Dingen)" (Wittgenstein 1963,11). Von Wittgenstein übernahm Carnap die These von der Sinnlosigkeit aller Sätze, die nicht entweder einer empirischen Wissenschaft angehören oder in das Begriffsgerüst von Logik und Mathematik eingebaut sind. Der letzte Satz des „Tractatus" belegt diesen Purismus.
„7. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß gen" (Wittgenstein 1963, 115).
man
schwei-
Demgemäß sehen Sätze der Metaphysik zwar wie Sätze aus, sind aber keine. Sie entstehen durch Missbrauch der Sprache und logische Fehler; sie sind Scheinsätze. Von Russell übernimmt Carnap die philosophische Grundhaltung. „Das ganze vorgebliche Wissen traditioneller Systeme muß weggefegt, ein neuer Anfang muß gemacht werden." (Carnap 1993, 21). Einen solchen Neuanfang unternimmt Carnap in seinem ersten Hauptwerk „Der logische Aufbau der Welt" (1928, 1998). Darin wird der Versuch gemacht, die empiristische These, dass Wahrnehmungserlebnisse die Basis aller Wirklichkeitserkenntnis ausmachen, zu begründen. Er versucht zu zeigen, dass sämtliche Erscheinungen in der Welt, logisch gesehen, auf Sinneserlebnisse zurückgeführt werden können. „Es handelt sich hier hauptsächlich um die Frage der Erkenntnislehre, also um die Frage der Zurückführung der Kenntnisse aufeinander" (Carnap 1998, XIII). „Unter einem .Konstitutionssystem' verstehen wir eine stufenweise Ordnung der Gegenstände der Art, daß die Gegenstände einer jeden Stufe aus denen der niederen Stufen konstituiert werden. Wegen der Transitivität der Zurückführbarkeit werden dadurch indirekt alle Gegenstände des Konstitutionssystems auf die
110
Wenden
der ersten Stufe konstituiert; diese .Grundgegenstände' bilden die .Basis' des Systems" (ebd. 2). Carnap unterscheidet vier Typen von Gegenständen: soziokulturelle Gegenstände, das Bewusstsein anderer Personen, physische Gegenstände und eigene Erlebnisse. Das Begriffssystem wird auf einer phänomenalistischen Grundlage errichtet; die Grundelemente sind Erlebnisse. Die einzelnen Sinnesdaten werden anknüpfend an die Gestaltpsychologie als Ergebnis von Abstraktionsprozessen gefasst. „Deshalb nahm ich als Elemente Elementarerlebnisse statt einzelner Sinnesdaten. Ich entwickelte eine .Quasi-Analyse' genannte Methode, die auf der Grundlage der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Erlebnissen zur logischen Konstruktion solcher Entitäten führte, die gewöhnlich als Komponenten dargestellt werden. Aufbauend auf einer bestimmten einfachen Beziehung zwischen Erlebnissen, führt die Quasi-Analyse Schritt für Schritt zu den verschiedenen Sinnesbereichen zuerst zum visuellen Bereich, dann zu den Sehfeldstellen, den Farben und ihrem Ähnlichkeitssystem, der zeitlichen Ordnung und dergleichen. Später werden wahrgenommene Dinge im dreidimensionalen Wahrnehmungsraum konstruiert, darunter das besondere Ding, das man gewöhnlich den eigenen Körper nennt, dann auch die Körper anderer Personen. Noch später wird das sogenannte Fremdpsychische konstruiert, d. h., anderen Körpern werden Geisteszustände aufgrund ihres Verhaltens zugeschrieben, in Analogie zum Erlebnis eigener geistiger Zustände" (Carnap 1993, 27). Carnap lieferte in seinem ersten Hauptwerk eine theoretische Grundlage der Philosophie des Wiener Kreises. Er veränderte seine Position mehrfach und schloss sich später einer eher physikalistischen Auffassung von Wissenschaft an. Demgemäß müssen sich Aussagen übersetzen lassen in Sätze über einfache raum-zeitliche Phänomene. Schließlich näherte er sich der von Karl-Raimund Popper vertretenen „konventionalistischen" Lösung des Problems der Grundlage der Erkeruitnis. Danach muss ein akzeptabler Basissatz auf einfache Sätze in der physikalistischen Sprache zurückgeführt werden können und ist immer korrigierbar. Merkmal dieser be-
Gegenstände
-
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111
stimmten Klasse von besonderen Sätzen, eben der Basissätze, ist ihre Falsifizierbarkeit. In Poppers „Logik der Forschung" wird das Falsifikationsprinzip zum Zentrum wissenschaftlicher Theoriesysteme. „Eine Theorie heißt .empirisch' bzw. ,falsifizierbar', wenn sie die Klasse aller überhaupt möglichen Basissätze eindeutig in zwei nicht leere Teilklassen zerlegt: In die Klasse jener, mit denen sie in Widerspruch steht, die sie »verbietet' wir nennen sie die Klasund die Klasse se der Falsifikationsmöglichkeiten der Theorie denen sie nicht mit im die jener, Widerspruch steht, sie ,erlaubt'. Oder kürzer: Eine Theorie ist falsifizierbar, wenn die Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten nicht leer ist" (Popper 1935, 1969, -
-
53).
In der
„Logik der Forschung" (Popper 1935, 1969) wurde eine prinzipielle Asymmetrie von Verifikation und Falsifikation geltend gemacht. Poppers induktive Logik ist eng mit dem Empirismus verbunden, vollzieht aber einen Bruch durch die Ablehnung einer theoriefreien Beobachtungssprache und begründet einen radikalen Skeptizismus gegenüber endgültigen Erkenntnissen. Die falsifikatorische Methodologie geht von einer Begründungsrationalität wie sie in Carnaps Konstitutionssystem vorlag, über zu einer Bewährungsrationalität. Sie bricht mit der Vorstellung einer theoriefreien Beobachtungssprache und begründet gleichzeitig einen radikalen Skeptizismus gegenüber endgültigen Erkenntnissen wie einen kumulativen Prozess der Wissenschaftsentwicklung, welcher durch Hypothesen vorwärts schreitet. Nichtsdestoweniger behält die Falsifikationstheorie ihre instrumentelle Potenz. Konditionalprogramme („WennDann-Programme") können in einer „technologischen Kehre" übersetzt werden in Interventionslogiken von „Um-Zu-Prinzipien". Damit wird ein technischer Umgang mit Natur und Gesellschaft wissenschaftstheoretisch als möglich begründet. Das FaUibilismus-Modell ist in seiner wesentlichen Ausprägung bei unterschiedlichen Varianten immer noch gestützt auf die Metho-
dologie Poppers.
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112
Technologie
Empirismus Fakten
Empirie
Instrumente Abb. 10:
Systematisierungsaspekte des Empirismus
Dieser Ansatz ist besonders für die Naturwissenschaften durch die Betonung von Beobachtung attraktiv, wobei gleichzeitig auf die logische Unmöglichkeit einer endgültigen Verifikation wissenschaftlicher Gesetze bestanden wird. Daraus ergibt sich ein kumulativer Prozess der Wissenschaftsentwicklung, welcher durch kühne und gewagte Mutmaßungen von Hypothesen vorwärts schreitet. Dies ist ebenfalls anziehend für die Ingenieurwissenschaften, die nach dem Ideal der Machbarkeit operieren, gemäß der Devise „Es geht, passt und hält". Besonders in seiner elaboriertesten Form bei Imre Lakatos, welcher den Wissenschaftsprozess als Fortgang einer „progressiven Problemverschiebung" fasst (Lakatos/Musgrave 1982) wird ein technischer Umgang mit Natur und Gesellschaft wissenschaftstheoretisch als möglich begründet. Die Vorstellung von Theoriebildung als einem evolutionären Prozess der Wissenserweiterung fokusiert im Fallibilismus-Modell Poppers auf dem Versuch methodischer Irrtumseliminierung. Letztlich muss dies aber zurückgreifen auf Konventionen als Regeln im Spiel Wissenschaft. Wenn man daher nicht in Relativismus abgleitet, wie er von Paul Feyerabend in seiner Schrift „Wider den Methodenzwang" (1986) zum methodologischen Prinzip erhoben worden ist, müssen solche Paradigmen als Sprachspiele begriffen werden, welche allerdings nicht beliebig, sondern in einem jeweiligen Bedeutungsrahmen gefasst werden.
Wenden
113
In den 1960er Jahren wurde das puristische Konzept des Neopositivismus zum dominanten Legitimationsmuster von Wissenschaft
schlechthin. Nicht nur die Naturwissenschaften auch die Gesellschaftswissenschaften versuchten ihre Theoriekonzepte und vor allem ihre Methoden daran zu schärfen. Dies hatte durchaus reinigende Effekte da hinter Worthülsen verborgene Glaubensbekenntnisse aufbrachen. Empirische Forschung zum Lernen und die Übernahme quantifizierender erfahrungswissenschaftlicher Methoden waren eine Konsequenz der von Heinrich Roth 1962 propagierten „realistischen Wendung4' von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft. Er plädierte mit Verweis auf Erfolge der Soziologie und Psychologie für den „Schritt zu einer gegenstandsangemessenen Versicherung der
Erfahrung" (1962,481).
in der Erwachsenenbildung waren von diesem Modell infiziert. Dokumentiert ist dies z.B. in der von Horst Siebert und Herbert Gerl vorgelegten „Hannoverstudie" über „Lehr- und Lernverhalten von Erwachsenen" (1975). Die Erwachsenenbildungswissenschaft versucht darin, Anschluss an die erziehungswissenschaftliche Unterrichtsforschung im empiristischen Stil zu gewinnen. Die Untersuchung ging in drei Phasen vor: Kern war Unterrichtsbeobachtung von je drei Veranstaltungen in 22 Kursen. In der zweiten Phase wurde eine Befragung von Teilnehmern zu Beginn (n: 700) und Schluss der Kurse (n: 400) durchgeführt. Abschließend wurden Experimentalseminare durchgeführt. Für die Unterrichtsbeobachtungen wurden standardisierte Protokolle des Verlaufs erstellt. Jeder Beitrag von Teilnehmern oder der Kursleiter wurde von einem Beobachter in einem vorgegebenen Raster als „stofforientiert" oder eher „verlaufsorientiert" notiert. Ein weiterer Beobachter schätze in einer Skala den Lehrstil ein (erarbeitend referierend, teilnehmerorientiert stofforientiert) und hielt den Methodeneinsatz auf einem Strukturbogen fest. Die Eingangsund Endbefragungen mittels standardisierter Fragebögen sollte der Erhebung von Teilnehmererwartungen, Lemverhalten und Lernerfolg dienen. Ansätze der
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Lehr-Lern-Forschung
-
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In dieser
Untersuchung wurden Aspekte der Kurswirklichkeit aufgedeckt: Methodenspektrum ist gering; das gelenkte Unterrichtsgespräch dominiert; Kursleiter verhalten sich überwiegend das
stofforientiert; Teilnehmende orientieren sich leiterzentriert und informationsbezogen; der wahrgenommene Lernerfolg ist besonders von aufgezeigten Anwendungsmöglichkeiten abhängig. Solche und andere
brachten wichtige Erkenntnisse über Teilnehmende, Kursleiter und Kursverläufe. Dass sie nur ein erstes Bild zeichnen konnten, schmälert nicht ihren Ertrag. Horst Siebert betont die sich aufdrängende Anforderung, Lücken interpretativ zu füllen (ebd. 59). Die durch Zerlegung des Lerngeschehens in beobachtbare Verhaltenseinheiten und Einzelantworten angestrebten Standards des empirisch-analytischen Konzepts wurden problematisiert und nach dem Einbezug in gesellschaftliche Zusammenhänge gefragt, Brüche in der Argumentation offen zugegeben. Mit entsprechender Ambivalenz taucht unversehens im Text der Begriff Emanzipation auf.
Ergebnisse
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Gesellschaftsstruktur Wirtschaftsstruktur
Bildungspolitik Determinanten
Gesellschaftliches Bewußtsein
Bildungseinrichtung
Gruppenstruktur Medien Inhalte Ziele Dozentenstatus
Dozenten-
Dozenten- Teilnehmer-
einstellung
verhalten
verhalten
Verhalt rosänderui g Gesellsc tiafts-
änderuig
abhängige Variable
unabhängige Variable Teilnehmerbedürfnisse
Intervenierende
Teilnehmer-
Variable
einstellungen Teilnehmerstatus
Abb. 11: Modell des Erwachsenenunterrichts
(Siebert 1977, 157)
Rezeption empirisch-analytischer Positionen in der Erwachsenenbildung blieb beschränkt und war nur von kurzer Dauer. Schon während des Projekts drangen positivismuskritische Elemente in die Analyse ein, die von Horst Siebert selbst artikuliert wurden. „Die empirisch-analytische Unterrichtsforschung zerlegt das komplexe Feld der Lehr- und Lernsituationen in eine Vielfalt abhängiger und unabhängiger Variablen, löst einige dieser Faktoren aus ihrem Kontext und untersucht ausgewählte Konstellationen, zum Beispiel zwischen Alter und Beteiligung, unter Ausblendung Die
vieler anderer Determinanten" (Siebert 1977,
59).
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2.2.3 Kritische Theorie Die kurze Hochwelle empirischer
Forschungskonzepte und inAnwendungsstrategien Erziehungswissenschaft wurde gebrochen durch die einsetzende kulturelle Erneuerung, deren Spitze die Studentenbewegung war. Das restaurative Klima des Adenauer-Staates löste sich auf. Eine theoretische Begründung fand dies in einer Reaktivierung „kritischer Theorie". In der Atmosphäre des Kalten Krieges war Marx-Rezeption nur möglich gewesen auf dem Hintergrund ideologischer Konflikte. „Marx in Perspektiven" (Habermas 1955) zu lesen war Gegenstand von Polemiken und Pamphleten. Zwar gab es auch ernstzunehmende „Marxismusstudien". So schrieb Heinrich Popitz seine Dissertation, welche von Karl Jaspers herausgegeben wurde, über die Zeitkritik und die Geschichtsphilosophie des jungen Marx: „Der entfremdete Mensch" (Popitz 1953). Ralf Dahrendorf lege eine Untersuchung über die Idee des Gerechten im Denken von Karl Marx (Dahrendorf 1953) vor. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Marx 'scher Theorie war aber angesichts der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in Westdeutschland kaum möglich und wurde dann umgekehrt zu Beginn der 1960er Jahre zur Legitimationsstrategie kritischer strumenteller
in der
Positionen. In der Phase der Konfrontationen in den sechziger Jahren, die mit der Studentenbewegung von 1968/69 ihren Höhepunkt erreichte, ging es um die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft. In der Auseinandersetzung mit den Grundlagenbegründungen der noch wirkmächtigen „Hermeneutik" in den Geisteswissenschaften und dem mittlerweile dominanten Empirismus besonders des „Kritischen Rationalismus" wurde die öffentliche Auseinandersetzung durch Bezugnahme auf die „kritische Theorie" geführt. Ihren Höhepunkt fand dieser Konflikt im „Positivismusstreit" in der deutschen Soziologie (Adorno u.a. 1969) ausgelöst durch eine Debatte zwischen Popper und Adorno auf einer Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Tübingen Oktober 1961.
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117
hat ihren Namen von einem Aufsatz Max Horkheimers aus dem Jahre 1937: „Traditionelle und kritische Theorie". Dieser Text dient der Selbstverstähdigung kritischer Wissenschaft und ist zugleich eine Kampfansage an den traditionellen „Wissenschaftsbetrieb". Als „traditionelle Theorie" kennzeichnet Horkheimer eine Auffassung von „Theorie" als ein in sich geschlossenes Sätzesystem einer Wissenschaft (1970, 13). Wissenschaft wäre demgemäß ein Operieren mit Konditionalsätzen, angewandt auf eine gegebene Situation. „Was die Wissenschaftler auf den verschiedenen Gebieten somit als das Wesen der Theorie ansehen, entspricht in der Tat ihren unmittelbaren Aufgaben. Sowohl die Handhabung der physischen Natur wie auch diejenige bestimmter ökonomischer und sozialer Mechanismen erfordert eine Formung des Wissensmaterials, wie sie in einem Ordnungsgefüge von Hypothesen gegeben ist. Die technischen Fortschritte des bürgerlichen Zeitalters sind von dieser Funktion des Wissenschaftsbetriebs nicht abzulösen. Einerseits werden durch ihn die Tatsachen für das Wissen fruchtbar gemacht, das unter den gegebenen Verhältnissen verwertbar ist, andererseits das vorhandene Wissen auf die Tatsachen angewandt" (ebd. 17). Während also die Ergebnisse von Wissenschaft eminent praktische Konsequenzen haben, ist die traditionelle Vorstellung von Theorie vom tatsächlichen wissenschaftlichen Betrieb abstrahiert. Sie beruht auf einem Dualismus von Denken und Handeln und auf „eingebildeter Selbständigkeit". Daraus resultiert ein Selbstbewusstsein, in dem unbegriffen bleibt, dass wissenschaftliche Tätigkeit ein Moment gesellschaftlicher Arbeit, der geschichtlichen Aktivität der Menschen ist, und insofern selber auch Aspekt gesellschaftlicher Praxis. Dem tritt die kritische Theorie entgegen. „Die Selbsterkenntnis des Menschen in der Gegenwart ist jedoch nicht die mathematische Naturwissenschaft, die als ewiger Logos erscheint, sondern die vom Interesse an vernünftigen Zuständen durchherrschte kritische Theorie der bestehenden Gesellschaft"
„Kritische Theorie"
(ebd. 20/21).
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Hier findet sich die
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spezifische
Kombination
von
Interesse und
Vernunft, welche die kritische Theorie durchzieht. Vernunft richtet sich demgemäß nicht auf die Faktizität des Bestehenden, sondern auf Potenziale des Möglichen. Dies kennzeichnet auch die Aufgaben
der Wissenschaftler. „Während der Fachgelehrte als Wissenschaftler die gesellschaftliche Realität mitsamt ihren Produkten für äußerlich ansieht, und als Staatsbürger sein Interesse an jede politische aktive Mitgliedschaft bei Parteien oder Wohltätigkeitsorganisationen und Beteiligung an den Wahlen wahrnimmt, ohne diese beiden und einige weitere Verhaltensweisen seiner Person anders als höchstens durch psychologische Interpretation zusammenzubringen, ist das kritische Denken heute durch den Versuch motiviert, über die Spannung real hinauszugelangen, den Gegensatz zwischen der im Individuum angelegten Zielbewußtheit, Spontaneität, Vernünftigkeit und für die Gesellschaft grundlegende Beziehungen des Arbeitsprozesses aufzuheben. Das kritische Denken enthält einen Begriff des Menschen, der sich selbst widerstreitet, solange diese Identität nicht hergestellt ist. Wenn von Vernunft bestimmtes Handeln zum Menschen gehört, ist die gegebene gesellschaftliche Praxis, welche das Dasein bis in die Einzelheiten formt, unmenschlich und diese Unmenschlichkeit wirkt auf alles zurück, was sich in der Gesellschaft vollzieht" (ebd. 30). Horkheimer aktiviert die „Idee einer vernünftigen, der Allgemeinheit entsprechenden gesellschaftlichen Organisation" (ebd. 32). Die „Idee einer künftigen Gesellschaft als der Gemeinschaft freier Menschen" (ebd. 36) kennzeichnet die Interessen kritischen Denkens. „Die Begriffe, die unter ihrem Einfluß entstehen, kritisieren die Gegenwart. Die marxschen Kategorienklassen, Ausbeutung, Mehrwert, Profit, Verelendung, Zusammenbruch sind nur Momente eines begrifflichen Ganzen, dessen Sinn nicht in der Reproduktion der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern in ihrer Veränderung zum Richtigen zu suchen ist" (ebd. 37).
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119
Zur kritischen Theorie gehört auch die Reflexion ihrer eigenen Position. „Die kritische Theorie ist weder 'verwurzelt' wie die totalitäre Propaganda noch 'freischwebend' wie die liberalistische Intelli-
genz" (ebd. 41). Im „Nachtrag" (1937, 1970) hat Horkheimer dies noch einmal zusammengefasst. „Die kritische Theorie dagegen, die das Glück aller Individuen
Ziel hat, verträgt sich, anders als die wissenschaftlichen Diener der autoritären Staaten, nicht mit dem Fortbestand des Elends. Die Selbstanschauung der Vernunft, die für die alte Philosophie die höchste Stufe des Glücks bildete, ist im neueren Denken in den materialistischen Begriff der freien, sich selbstbestimmenden Gesellschaft umgeschlagen; vom Idealismus bleibt aber übrig, daß die Möglichkeiten des Menschen noch andere sind, als im heute Bestehenden aufzugehen, andere als die Akkumulation von Macht und Profit" (ebd. 60). Die Verbindung von Wissenschafts- und Gesellschaftskritik wird zugespitzt nach der Erfahrung von Faschismus, Stalinismus, USKapitalismus in der „Dialektik der Aufklärung" (1944, 1969), die Max Horkheimer gemeinsam mit Theodor W. Adorno verfasst hat. Kern der Reflexion ist eine „Kritik der instrumenteilen Vernunft", welche in der Geschichte immer nur beschränkten egoistischen Zwecken gedient hat. Die technische Rationalität einer immer effizienteren Ausbeutung der Natur und des Menschen ist irrational bezogen auf die Gesamtheit von Natur und hat einen Grad erreicht, der das Weiterleben der Gattung selbst bedroht. Dieser Gedanke wird aufgenommen von Jürgen Habermas (geb. 1929) dem Hauptvertreter der „Frankfurter Schule" in zweiter Generation. Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Psychologie, der Literatur und der Ökonomie in Göttingen, Zürich und Bonn hat Habermas bei Rothacker mit einer Arbeit über Schelling promoviert. Anschließend wurde er in Frankfurt Assistent T W. Adornos und Mitglied des Instituts für Sozialforschung. Habilitiert hat zum
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Habermas 1961 bei Wolfgang Abendroth in Marburg mit der Arbeit „Strukturwandel der Öffentlichkeit". Mit den 1968 erschienenen Arbeiten „Technik und Wissenschaft als Ideologie" und „Erkenntnis und Interesse" nimmt Habermas Gedanken Max Horkheimers und Herbert Marcuses auf, und er hat damit die Debatte um die Rolle der Wissenschaft wie sie in der Studentenbewegung und in der Auseinandersetzung um die Hochschulreform geführt worden ist, wesentlich bestimmt. Er kritisiert einen formalen Begriff technischer Rationalität. „Jene Rationalität erstreckt sich überdies nur auf Relationen möglicher technischer Verfügung und verlangt deshalb einen Typ des Handelns, der Herrschaft, sei es über Natur oder Gesellschaft, impliziert. Zweckrationales Handelns ist seiner Struktur nach die Ausübung von Kontrolle" (1968, 49). In seiner Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt am 28.6.1965 hat Jürgen Habermas das Thema der Scheidung zwischen Theorie im Sinne von Tradition und Theorie im Sinne von Kritik, das Max Horkheimer aufgeworfen hatte, fortgeführt. Gegen den Schein „reiner Theorie" betont er den Zusammenhang der Erkenntnis mit Interesse (1968b, 154). Wenn wissenschaftliche Aussagen relativ zu den vorgängig mitgesetzten Bezugssystemen verstanden werden, „zerfällt der objektivistische Schein und gibt den Blick auf ein erkenntnisleitendes Interesse frei" (ebd. 155). „Für drei Kategorien von Forschungsprozessen läßt sich ein spezifischer Zusammenhang von logisch-methodischen Regeln und erkenntnisleitenden Interessen nachweisen. Das ist die Aufgabe einer kritischen Wissenschaftstheorie, die den Fallstricken des Positivismus entgeht. In den Ansatz der empirisch-analytischen Wissenschaft geht ein technisches, in den Ansatz der historischhermeneutischen Wissenschaften ein praktisches und in den Ansatz kritisch orientierter Wissenschaften jenes emanzipatorische Erkenntnisinteresse ein" (ebd.). Eine kritisch orientierte Wissenschaft beruht demnach auf Selbstreflexion und einem Interesse an Mündigkeit. Reflexion der Interessen ist Voraussetzung von Wissenschaft.
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121
„Die Einstellung auf technische Verfügung, auf lebenspraktische Verständigung und auf Emanzipation von naturwüchsigem Zwang legt nämlich die spezifischen Gesichtspunkte fest, unter denen wir Realität als solche erst auffassen können" (ebd. 160). „Insofern gründet die Wahrheit von Aussagen in der Antizipation des gelungenen Lebens.... Die Einheit von Erkenntnis und Interesse bewährt sich in einer Dialektik, die aus den geschichtlichen Spuren des unterdrückten Dialogs das Unterdrückte rekonstruiert" (ebd. 164). Kritik
Praxis
Abb. 12:
Systematisierungsaspekte der kritischen Theorie
Der Rückgriff auf den Begriff der Emanzipation führt Habermas in die Nähe des Begriffs Mündigkeit, wie er in der Bildungstheorie diskutiert worden ist. Insofern rücken Autoren wie Klajki, Mollenhauer und Blankem dicht an die kritische Theorie heran. Eine eigenständige Fassung hat die kritische Bildungstheorie im Werk von Heinz-Joachim Heydorn gefunden (s.o. 1.). In Heydorns Denken einer Dialektik von Vernunft und Wirklichkeit intendiert der Begriff Bildung die Überwindung aller Verhältnisse, die den Menschen unterdrücken, entmündigen und verstümmeln. Ausgangspunkt des Nachdenkens ist Mündigkeit. Fast alles, was Heydorn geschrieben hat, dreht sich um die Frage nach den Möglichkeiten des Menschen. Dies Denken ist zutiefst in humanistischen Traditionen verwurzelt und fragt nach deren Verwirklichungschancen in der aktuellen Ge-
genwart.
122
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„Im System des gewaltigen Dienstleistungsgewerbes, das die Gesellschaft mit ihren Bildungsinstitutionen entwickelt, bleibt Mündigkeit als Ziel aufbewahrt; der Mensch soll seiner selbst habhaft werden" (Heydorn 1972, 7). Die Fragestellung spitzt sich zu, wie sich die Menschen entfalten können in einer immer einschränkenderen Wirklichkeit. Heydorn knüpft an an die Herkunft des Begriffes von Mündigkeit in der Geschichte des bürgerlichen Aufstiegs, in dem Bildung zu einem organisierten Instrument der Befreiung wurde. „So wird Bildung zur Möglichkeit einer zukünftigen Empfehlung, die in den Auseinandersetzungen der Geschichte offengehalten werden muß; mit ihr will das Geschlecht aus dem Dunkeln in das Helle" (ebd.). Diese Bestimmung bleibt allerdings zu allgemein. „Mündigkeit als Begriff ist leer; das Problem ihrer Verwirklichung wird zur entscheidenden Frage der Bildungstheorie. Theorie ist ein Kompaß; sie löst von der Verhaftung, von der unmittelbaren, sinnlichen Determination. Sie weist auf eine Verwirklichung, die noch verborgen ist, aber als Möglichkeit unterliegt, für die es eine Spur gibt" (1972,21). Dies stellt sich gegen die Verkehrung von Bildung als organisier-
Mündigkeitsverhinderung. „Der kapitalistische Supermarkt, auf den sich die Bildung hin entwickelt, braucht keine Diener des Geistes, sondern Leute, die die Kasse reparieren können" (ebd. 52). Angesichts von Bedrohungen und Verkehrungen beharrt Heydorn weiter hartnäckig und widerständig auf kritischen Potenzialen. In dieser Traditionslinie argumentiert auch Hans-Jochen Gamm (geb. 1925), Professor der Erziehungswissenschaft an der Technischen
te
Hochschule Darmstadt. Gamm hat 1970 seine Position zur Erwachsenenbildung vor allem in Abgrenzung gegenüber dem Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen pointiert. Gegenüber einem „elitären Gesellschaftsmodell" und einer
Wenden
123
konservativen Denkweise" pointiert er „Emanzipation als Aufgabe der Erwachsenenbildung" (Gamm 1970). Gamm geht aus von einer zunehmenden Diskrepanz zwischen ei-
anwachsenden Wissen und dessen Rezeption sowohl bei den „Massen" als auch bei den wissenschaftlichen Exponenten. Von daher bestimmt er die Rolle der Erwachsenenbildung. „Die Erwachsenenbildung wird zum Umschlagplatz für das eingeengte und in sich blinde 'fachidiotische' Expertenwissen und den emanzipatorischen Bedürfnissen der Bevölkerung" (ebd. 97). Es geht um Zugang zur politischen Information und Artikulation. Mit unüberhörbarem Pathos und durchklingendem Dogma wird der „Auftrag zur Emanzipation der Massen" (ebd. 101) formuliert. Der herkömmlichen Erwachsenenbildung wird vorgeworfen, dass sie nur dazu dient, das „Volk" von seinen eigenen Bildungsinteressen fernzuhalten, indem man es mit Allotria beschäftigt, bestenfalls mit individuellen Aufstiegschancen durch Lernen ködert, anstatt ihm die Instrumente in die Hand zu geben, mit denen es die Ketten des Kapitalismus sprengt" (ebd. 102). Nur aus dem aufgeregten Klima der Diskussion um die Erwachsenenbildung sind auch die „Anmerkungen zur Diskussion einer Theorie der Erwachsenenbildung" (1970) von Edwin Klein und Edgar Weich, beide damals Mitarbeiter der Hessischen Heimvolkshochschule Falkenstein, zu lesen. „Durch eine kritische Theorie der Gesellschaft als Theorie der Erwachsenenbildung muß im Bewußtsein das historische Kontinuum aufgebrochen werden, um eine bewußte Gestaltung der Geschichte zu ermöglichen: Gegenwart als Geschichte begriffen setzt in der Veränderbarkeit den Prozeß der Veränderung selbst in Gang. Erwachsenenbildung kann so an der fortschreitenden kolnem
lektiven Befreiung des Menschen aus seiner Verwertung in der Produktion und Reproduktion einer Klassengesellschaft teilhaben. Selbst befreit vom Diktat gesellschaftlicher Notwendigkeiten, die noch die Vernunft in ihren Dienst zwang, um Herrschaft zu legitimieren, kann eine Theorie der Erwachsenenbildung zu einer Emanzipationstheorie werden" (Klein/Weick 1970, 343).
124
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Daraus resultiert eine entschiedene, postulatorisch formulierte politische Position: „Erwachsenenbildung ist zur Parteinahme für jene verpflichtet, deren Emanzipation durch die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verhindert wurden. Da Emanzipation in einer Klassengesellschaft nur als eine kollektive Emanzipation möglich ist, muß eine Theorie der Erwachsenenbildung sich auf die intellektuelle Entwicklung derjenigen konzentrieren, die Subjekte dieses kollektiven Emanzipationsprozesses sind: Die in Abhängigkeit gehaltenen Lohnabhängigen als Produzenten gesellschaftlichen Reichtums" (ebd.). Diesem historisch kaum konkretisierten Begriff von „Lohnabhängigen" entspricht auch ein abstrakter Begriff von „Emanzipation" als „Interesse an der Aufhebung von Verdinglichung und Selbstentfremdung des Menschen" (ebd. 345). Die Argumentation bleibt auf diesem Abstraktionsniveau. „Kollektive Emanzipation kann nur als revolutionäre Veränderung der Gesellschaft begriffen werden. Nur durch eine grundlegende Veränderung, der die Gesellschaft bestimmenden Produktions- und Herrschaftsverhälmisse kann der Klassenantagonismus beseitigt werden, der eine Befreiung der Gesellschaft verhindert. Einer Theorie der Erwachsenenbildung kann dieser historischen Aufgabe nicht ausweichen. Sich dieser Aufgabe stellen heißt, den kollektiven Emanzipationsprozeß im Klassenkampf zu organisieren. Erwachsenenbildung hat daher das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse zu stabilisieren und mit der Arbeiterklasse an den bereits heute bestehenden Möglichkeiten die qualitativen Alternativen zur bestehenden Gesellschaft zu konkretisieren." (ebd.). Nachträglich verständlich ist dieser Schwung einer radikalisierten, dogmatisierenden Argumentationsfigur in der Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und sozialer Wirklichkeit. Insofern konnte eine solche Position schnell isoliert und an den Rand gedrängt werden. Rückwirkend im Abstand von mehr als zwanzig Jahren hat Jochen Kade „quasi krypto-religiöse utopische Sehnsüchte" diagnosti-
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ziert. Er benutzt dies, um mit dem Gedanken an Emanzipation die Tradition von Aufklärung gleich mit abzuschließen. „Dies weitgehende Verschwinden der emanzipatorischen Erwachsenenbildung aus dem Theoriediskurs bedeutet mehr als nur den Niedergang einer Theorie" (Kade 1993, 234). Emanzipationsprogramme haben nach Kade angesichts moderner Indvidualisierungstendenzen von Lebenslagen kaum Zukunftschancen. Auch dies lässt sich wieder zeitdiagnostisch verorten. Ludwig Pongratz hat in einer Antwort Kade als „Zeitgeistsurfer" identifiziert und über „die Legende vom Ende emanzipatorischer Erwachsenenbildung" geschrieben. Er rekonstruiert demgegenüber eine kritische Bildung, welche die „Gleichzeitigkeit der Entwicklung gesellschaftlicher Autonomie- wie Destruktionspotentiale" begreift (Pongratz
1994,123).
Allerdings ist nicht zu leugnen, dass nach dem Überschuss der Emanzipationstheorie eine Subjektivierung der Theorie der Erwachsenenbildungswissenschaft stattgefunden hat, welche stark auf das individuelle Subjekt abstellt. Dies hat Strzelewicz in einem Aufsatz als Ubergang von der realistischen zur reflexiven Wende gekennzeichnet
(Strzelewicz 1986b) Mitte der 1970er Jahre beginnt die Konjunktur der Begriffe Lebenswelt, Alltagswissen, Deutungsmuster, Lebenslauf (Runkel 1976, von Werder 1986, Forneck 1982, 1987). Nach der Hochwelle gesellschaftlich weitreichender Interpretationen und Strategien kann dies als Rückzug interpretiert werden. „Lebenswelt" als Gegenbegriff zu „System" hat eine Tendenz zu Individualisierung. Dirk Axmacher (1990b) hat dies kritisch als die Gefahr gekennzeichnet, Irrationalität ein weiteres Mal auszubuchstabieren: „authentisch, bestärkend, charismatisch, dynamisch, emphatisch, feminin, ganzheitlich, hedonistisch, interaktiv, kreativ, lustbetont, mitteilsam, normativ, optimistisch, partizipativ, rhetorisch, spirituell, teamorientiert, visionär, wahrhaftig, zukunftsbezogen: Man fühlt sich (und arbeitet) anschließend besser und hat vom Ganzen nichts verstanden" (Axmacher 1990b, 28). Diese ironische, disparate Sammlung von Wärmewörtern persifliert einen Zeitgeist gemischt aus Resignation und Kuschelbedürfnis (ebd.). .
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Begrifflich anders verortet, nämlich in Biologie und Kybernetik,
aber „kritische Theorie" noch deutlicher verabschiedend, tritt die nächste Wendewelle auf, der Konstruktivismus, der aber auch als konsequente Fortsetzung individualistischer und irrationalistischer Tendenzen in der Erwachsenenbildung angegriffen werden kann. Suche nach Wahrheit als Anspruch auf gültige Interpretationen von Welt wird aufgegeben und ein dem sozialen Individualismus korrespondierender theoretischer Pluralismus und Relativismus propagiert.
2.2.4 Konstruktivismus Eine mögliche Konsequenz aus fehlenden Letztbegründungssicherheiten zieht der „radikale Konstruktivismus" (Schmidt 1987), indem auf die unentrinnbare Kontingenz und Konstruktivität von Sprachspielen hingewiesen wird. Entworfen werden biologistische bzw. systemtheoretische Varianten subjektivistischer Theorie. Die „konstruktivistische Wende" (besonders Arnold/Siebert 1995) in der Diskussion über Erwachsenenbildung ist eingebettet in vielfältige Irritationen der „Postmoderne". Hier droht das Gespenst des Relativismus, dem nämlich Wissenschaft und Hexerei als mögliche Weltentwürfe gleichwertig erscheinen (Giddens 1984, 168). Hinter der Konstruktivismusdebatte steht allerdings weniger eine konsistente Theorie, als ein Konglomerat, in dem teils disparate Konzepte vereinnahmt und in eine durchgängige Traditionslinie zusammengespannt werden. Aufgebaut wird als Gegner ein naiver Realismus, den emsthaft so niemand vertritt. Konstruiert wird eine Einheit unterschiedlichster Ansätze als „Konstruktivismus". Als zentrale Kategorien radikal konstruktivistischer Positionen kann man zwei Begriffe herausstellen: Autopoiesis und Viabilität beide biologischer Herkunft und zu allgemeinen Metaphern ausgedehnt. Die chilenischen Biologen Humberto R. Maturana und Francisco Varela haben im „Baum der Erkermtnis" die „biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens" (zuerst 1984, deutsch 1987) untersucht. Leben ist konstituiert durch Selbsterzeugung, indem sich Lebewesen mittels ihrer eigenen Dynamik von der Umwelt differen-
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Demgemäß ist „der Mechanismus, der Lebewesen zu autoSystemen macht, die Autopoiese; sie kennzeichnet Lebewesen als autonom" (Maturana/Varela 1987, 55). Dafür ist „eigentümlich, daß das einzige Produkt ihrer Organisation sie selbst sind, das heißt, es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis" (ebd. 56). Dies wird dann, gestützt durch Argumente der Gehirnforschung, übertragen auf menschliches Bewusstsein. Das scheinbar zieren.
nomen
autonome
„Selbst" feiert Auferstehung.
Ebenfalls biologistisch überformt ist der Begriff der Viabilität, der als Gangbarkeit übersetzt werden kann und Überlebensfahigkeit meint. „Handlungen, Begriffe und begriffliche Operationen sind dann viabel, wenn sie zu den Zwecken oder Beschreibungen passen, für die wir sie benutzen" (Glasersfeld 1997, 43). Letztes Ziel des Lebens scheint das Überleben. Die konstruktivistischen Konstrukte haben für die Erwachsenbildung durchaus Verführerisches. Nicht nur, dass sie ein modernistisches, naturwissenschaftlich und kybernetisch aufgeladenes Sprachspiel anbieten, sondern auch dass sie anspruchsentlastend wirken, macht sie attraktiv. Man scheint sich befreien zu können aus Hochbegrifflichkeiten der Tradition von Bildung und Mündigkeit und kann die Verantwortung für gelingendes Lernen an die Lernenden selbst zurückgeben. Dies wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass Konstruktivismus" so weit verbreitet wurde. „Radikalkonstruktivismus" wurde in der Pädagogik und der Erwachsenbildungswissenschaft breit rezipiert und zu einer einflussreichen Tendenz stilisiert. 1992 hat Horst Siebert ,3üdung im Schatten der Postmoderne. Vom Prometheus zu Sisyphos" gesehen und Rolf Arnold hat „Konstruktivistische Perspektiven zur Erwachsenenbildung" formuliert.(Siebert 1992, Arnold 1993, Arnold/ Siebert 1995; ein kritischer Überblick Rustemeyer 2001). Die Grundbegriffe der Erwachsenenbildung werden im konstruktivistischen Sprachspiel rekonstruiert. Lernen wird angestoßen durch Pertubationen, Störungen aufgrund von Differenz zwischen Erfahrung und Deutung. Dies wird durch reframing Einbezug in die vorhandene Struktur integriert. Lehren reduziert sich auf Ermögli-
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chungsdidaktik (Arnold z.B. 1996), indem Lernen nur „ermöglicht", nicht „erzeugt" werden kann. Der Begriff „Bildung" wird grundsätzlich in Frage gestellt. „U.a. frage ich mich, wie wir, wenn wir davon ausgehen, dass die Subjektwerdung des Menschen ohne eine Aneignung der außersubjektiven Wirklichkeit nicht denkbar ist, Bildung dann definieren" (Siebert in: Arnold/Siebert 1995, 170). Horst Siebert hat in vielfaltigen Beschwörungsformeln versucht, eine Verträglichkeit bzw. Anschlussfahigkeit zwischen Konstruktivismus und Bildungstheorie aufzuweisen. Die verschiedenen Stellungnahmen Sieberts sind denn auch keineswegs ,/adikalkonstruktivistisch" durchgehalten (Siebert 1997). Er kehrt daher in seinen späteren Veröffentlichungen (Siebert 2001) zu einem „sozialen Konstruktivismus" zurück, der allerdings weiter mit „radikalen" Versatzstücken spielt und einen hohen Grad an Eklektizismus aufweist. Eine kritische Auseinandersetzung mit „konstruktivistischen" Positionen ist überhaupt erheblich erschwert durch eine Vielzahl uneinheitlicher Literaturbelege und Theoriefragmente. Es gibt eine Reihe alternativer Konstruktivismen, welche den Bruch mit scheinbar selbstverständlichen Wirklichkeitsbezügen längst vollzogen haben. Daraus resultiert gleichzeitig die Schwierigkeit, dass die zu diskutierenden Fragen keineswegs oder höchstens teilweise immanent diskutierbar sind, sondern zwangsläufig generelle wissenschaftstheoretische Probleme aufwerfen. Insofern muss eine Kritik fokussiert und grundsätzlich werden und sich beziehen auf den „Radikalkonstruktivismus" als Spitze des Eisbergs. Es ist kennzeichnend für die konstruktivistische Pose, dass beansprucht wird, ein neues „Paradigma" als Basis verschiedenster Disziplinen konzipiert zu haben. Behauptet wird, gerade der „Radikale Konstruktivismus" habe „sich als Ferment zur Entwicklung einer empirisch begründeten Alternative zum neuzeitlichen Wissenschaftspositivismus erwiesen" (Schmidt 1987, 7/8). Es wird hohe Ambition entfaltet, nämlich die zentralen Forschungsinteressen der Einzelwissenschaften in einem interdisziplinären Diskurs zu bün-
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dein. Die Themen allerdings stammen zunächst vorrangig aus Biologie und Psychologie sowie einer dahinterstehenden Systemtheorie. Die Schlüsselbegriffe sind Selbstreferentialität und Selbstorganisation, Evolution und Autopoiesis, Kontingenz und Viabilität. Mit diesem Sprachspiel haben Biologen, Neurologen, Physiologen, Psychologen, Soziologen, Ethnologen, Sprach-, Literatur- und Kunstwissenschaftler, Juristen, Betriebswirte, dann auch Pädagogen u.a. die Probleme ihrer Disziplinen reformuliert. Dabei ist durchaus zu konstatieren, dass die Übersetzung alter Fragen in neue Begriffe veränderte Sichtweisen und auch Einsichten ermöglichen kann. Riskant wird aber, wenn sich die Wörter ablösen von praktischen Problemen und versehen mit dem Pathos des „Neuen" zu einer Publikationsstrategie theorieimmanenter Themenkonjunkturen verkommen. Allerdings wäre eine solche Kritik „radikalkonstruktivistisch" so gar nicht formulierbar, weil hier die Differenz zwischen „praktischen Problemen" und „theorieimmanenten Themen" streng genommen nicht durchhaltbar ist, sondern gerade in Frage gestellt wird. Der Radikalkonstruktivismus bringt diese Differenz zum Verschwinden, indem er Möglichkeiten, zwischen Wahrheit und Falschheit von Aussagen über die „Wirklichkeit" zu unterscheiden,
negiert.
Als stellvertretender Streitpartner bietet sich Ernst von Glasersfeld (1997, 1998) an, da er verglichen mit anderen Urvätern des Radikalkonstruktivismus wie: von Foerster, dem Kybernetiker, Maturana, dem Biologen, oder Watzlawik, dem Kommunikationstheoretiker anknüpfend an Piaget und dessen Kognitionspsychologie große Affinität zur Pädagogik und Erwachsenenbildung hat (vgl. zum Folgenden Glasersfeld 1995, 1998, Faulstich 1998 b). Von Glasersfeld bezieht einen „engagierten Gesichtspunkt" und bekennt sich dazu, „der Konstruktivismus wolle einen großen Teil der her-
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kömmlichen Weltanschauung untergraben." (1995, 16). Im Kern ist Radikalkonstruktivismus ein erkenntnistheoretisches Programm. Von Glasersfeld konzentriert sich konsequenterweise auf eine epistemologische Stellungnahme mit vier Quellen von Theorietraditionen: Skeptizismus, biologische Evolutionstheorie, die Kognitionspsychologie Piagets und Kybernetik. Schon hier wäre zu fra-
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gen, ob hinter diesem Eklektizismus tatsächlich eine Theoriekonvergenz konstruiert werden kann. Es wird aber zunächst grundsätzlicher, indem der Erkenntaisbegriff aufgegriffen wird. Dabei setzt sich von Glasersfeld (1998) ab gegen repräsentationstheoretische Positionen, welche eine „Welt an sich" erkennen wollen: Allerdings verharrt der Gegner eher im Schatten, weil unklar bleibt, wer mit der „herkömmlichen" Erkenntnistheorie gemeint ist, und nicht benannt wird, wer denn heute noch eine solch naive Vorstellung ernsthaft vertritt. Eine derartige von Glasersfeld als traditioneller Begriff von Erkenntnis unterstellte Hoffnung ist schon lange, schon wie er selbst zitiert seit den Vorsokratikern aufgegeben. Als Zentrum der eigenen Überlegungen wird dann formuliert: Wissen soll nicht als Widerspiegelung oder Repräsentation einer vom Erlebenden unabhängigen, strukturierten Welt betrachtet werden, sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts. In dieser Formel und vor allem in dem rigorosen „nicht sondern" stecken alle komplizierten Probleme einer zweieinhalb Jahrtausende alten Debatte um das Verhältnis von Sein und Bewusstsein; diese verworrenen Knoten scheinen nun mit dem Schwert radikalkonstruktivistischer Pose durchgehauen. Radikal wird der Konstruktivismus durch die Annahme der informationellen Geschlossenheit autopoietischer Systeme. Demgemäß ist die Vorstellung von Umwelt eine Form interner Repräsentation des Systems selbst. Spätestens hier wäre zu fragen, ob dies nicht die Subjekt-Objekt-Dialektik auf neuer Ebene reproduziert, indem man sich auf die Seite des Subjekts schlägt und damit das eigentliche Problem, nämlich das der -
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Vermittlung, ausblendet. Gerade in von Glasersfelds Rekurs auf die skeptizistische Tradition wird deutlich, dass ein „naiver Realismus", der als Gegner des Konstruktivismus im Schattenboxen aufgebaut worden ist, nie unangefochten galt. Der Bruch mit dem Unmittelbaren, der Zweifel, ist Ursprung aller Wissenschaft das ist unbestritten in der von Glasersfeld pointierten Diskussionslinie von Xenophanes, über Locke, Hume und Berkeley bis Kant. Diese werden umstandslos in der Ah-
nenreihe des Konstruktivismus inventarisiert.
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Bemerkenswert ist, dass der große Bogen nicht weitergezogen wird. Eine Auseinandersetzung mit Fichte oder gar mit Hegel findet nicht statt (mit Marx sowieso nicht), obwohl gerade hier bei den dialektischen Denkern bezogen auf die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Geist der eigentliche Gegner steht. Die Phänomenologie des Geistes" lässt sich als weit früher schon da gewesener Gegenentwurf lesen. Hegels Thema und das aller Dialektik ist das Selbst, das zur Erkenntnis kommt, das Subjekt, das in lebendiger Bewegung mit dem Objekt sich durchdringt. Hier erst, bei einem solchen Rückgriff, findet man eine hinreichende Basis für eine Kritik am „radikalen Konstruktivismus", der eine falsche Eindeutigkeit herstellen will und sich zu Ende gedacht einsperrt in das Gefängnis individuellen Bewusstseins. Unterhalb eines solchen hochgesteckten Anspruchs, nämlich sich in die Diskussion zwischen Formalismus und Dialektik zu begeben, ist eine kritische Alternative nicht zu haben. Dialektisches Denken aber ist dem in letztlich empiristischer Tradition verfahrenden „Radikalkonstruktivismus" fremd. Ausgeblendet bleiben in der weitgreifenden historischen Rekonstruktion konsequenterweise hermeneutische oder gar dialektischen Positionen. Damit wird von Glasersfelds Radikalkonstruktivismus zu einem neu aufgelegten Szientismus und Empirismus, der dessen Einseitigkeiten und Paradoxien reproduziert. Von Glasersfeld greift auf die fortgeschrittenere Variante als Falsifikationismus im Sinne Poppers zurück, indem er zustimmend zitiert, eine Hypothese als falsch erwiesen zu haben, sei der Höhepunkt des Wissens (1995, 23). Wie dies radikalkonstruktivistisch geprüft werden kann, ist unerfindlich. So setzt vielmehr der Radikalkonstruktivist Heinz von Foerster fort: „Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners" (1998). Bei genauerem Hinsehen wird Erkenntnistheorie ersetzt durch Erkennmisbiologie. Von Glasersfelds Auseinandersetzung mit dem Begriff der Anpassung erscheint inkonsistent. Wie kann man, nachdem „Erkenntnis" radikalkonstruktivistisch reformuliert wurde, zustimmend Ernst Mach zitieren mit „Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und aneinander" (1998, 505). Auch wenn präzisiert wird, dass es nur um die Tatsachen der Erfahrung geht, ist dies doch genau -
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die positivistische Position, die eigentlich kritisiert werden soll. Zwischen Mach und Piaget, der als ein Hauptkronzeuge aufgerufen wird (ebd. 508), liegen Welten. Vor der hohen Warte des Radikalkonstruktivismus verschwinden diese Differenzen. Sicherlich haben die zentralen Prinzipien bei Piaget Assimilation und Akkomodatietwas mit der Frage der Anpassung zu tun, ihre Besonderheit on im Kategoriensystem liegt aber gerade in ihrem Wechselspiel. Deshalb bleibt der Argumentationsstrang bei von Glasersfeld letztlich biologistisch reduziert. Zunächst wird hart darwinistisch konstatiert: Alles, was überlebt, war schon im Vornherein an die Bedingungen angepasst, durch die die natürliche Auslese das Nichtangepasste vernichtet. Die Konstruktivität dieser These liegt offen zu Tage. Zwar wird dies für kognitive Systeme relativiert und anstelle des Begriffs Auslese das Prinzip der Viabilität eingeführt; unter der Hand aber wird die „Gangbarkeit" weiterer Systemevolution doch zu einer formalen, quasi-ontologischen Zielgröße. „Viabilität" scheint naturgegebenes, allgültiges Systemprinzip. -
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Viabiltiät
^^^Konstruktivismus Konstruktion
„Beobachten"
Autopoiesis Abb. 13:
Systematisierungsaspekte des Konstruktivismus
Hier zeigt sich eine Fatalität, welche aus der Abstraktheit systemtheoretischer Begrifflichkeit resultiert. In den durch die Metaphern ermöglichten Analogien zwischen Systemen unterschiedlichster Art verschwindet deren Qualität. Das Wesen menschlichen Handelns, seine ungeheure Differenz gegenüber Verhalten von Organismen wird unterschlagen. (Die Begriffe Qualität und Wesen sind selbst-
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verständlich radikalkonstruktivistischer Terminologie fremd.) Der Mensch kann bewusst sterben wollen; die biologische Überlebenswahrscheinlichkeit der Gattung wird dem Individuum gleichgültig und nichtig gegenüber humanem Sinn. Nachdem die Bezüge zur Kybernetik durchforstet worden sind, wird von von Glasersfeld als Zusammenfassung und Gebrauchsanweisung herausgestellt, dass der Begriff der Viabilität jenen der ontischen Wahrheit ersetzen soll. Damit sind wir also bei des Pudels Kern: Im konstruktivistischen Denken wird der Begriff der Wahrheit aufgegeben. Und wieder wird das Ausgangsmissverständnis reaktiviert, als sei die Alternative ein objektivistischer Realismus, Dogmatismus oder Fundamentalismus. Daraus werden dann durchaus moralische und politische immanent radikalkonstruktivistisch eigentlich äußerst fragwürdige und letztlich unhaltbare Schlüsse gezogen, als sei das Viabilitätsprinzip die epistemologische Basis von Toleranz und Demokratie. Gesetzt wird auf Individualität. Dagegen ist umgekehrt zu fragen, ob nicht der radikalkonstruktivistische Utilitarismus und der ihm implizite Sozialdarwinismus durchaus ins dominierende neoliberalistische Konzept passen, das mit einem radikalisierten Individualismus als Legitimation universeller Konkurrenz die Fundamente der demokratischen Gesellschaften zerstört. Dies könnte einen Hinweis liefern für die Hintergründe der aktuellen Konjunktur konstruktivistischer Programme. Der Konstruktivismus jedenfalls in von Glasersfelds Variante unterstützt eine Hypertrophie des individualistisch gedachten Subjekts. Es fehlt ein -
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Begriff des gesellschaftlichen Individuums. Es gibt höchstens noch „intersubjektive Viabilität" (1997, 209). Kollektive Vernunft und praktische Wahrheit werden ausgeblendet. Letztlich bleibt der Radikalkonstruktivismus ein individualistischer Reduktionismus, der konsequent zu Ende gedacht zum Solipsismus führen müsste. Von Glasersfeld dazu: „Die Analyse sozialer Phänomene kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich vollkommen der Tatsache bewußt bleibt, daß der
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Verstand, der viable Begriffe und Schemas konstruiert, unter allen Umständen der Verstand eines Individuum ist" (1997, 199). Demgegenüber ist richtig, dass der individuelle Verstand immer schon menschliche Sozietas voraussetzt. Damit sind wir aber bei einem anderen Ansatz, der nämlich nach gesellschaftlicher Einbettung fragt. Von Glasersfeld setzt sich allerdings ab gegen „soziale Konstruktivisten, die sich auf Wygotski (1985) als Vorläufer berufen" (Glasersfeld 1997, 230). Hier wird ein Unterschied markiert. Dabei würde genau ein solcher Ansatz durch die historisch-genetische Herangehensweise einige Denkknoten des Radikalkonstruktivismus auflösen können. Eine der Schwierigkeiten, sich mit Konstruktivismus" auseinander zu setzen, ist eben die von seinen Vertretern betriebene Unart, vielfältige und manchmal unvereinbare Positionen unter einen Sammelbegriff zusammenzufassen (Glasersfeld 1997, 56-97; Arnold/Siebert 1995, 41-79). Dies zeigt sich in der Beliebigkeit der Ahnenlisten. „Konstruktivismus" ist dann weniger eine bestimmbare wissenschaftliche Position als ein Allerweltsbegriff, der sich auflöst in der Banalität, dass alle Wissenschaft, sofern sie nicht einem naiven Realismus nachhängt und dann wäre sie kaum Wissenschaft Denken und alles menschliches gekennzeichnet ist durch Konstruktivität. Letztlich gilt dies bis hin zu Marx wie Knorr-Cetina behauptet (1989, 86, 87). Geronnen zu der Formel „Menschen machen ihre eigene Geschichte" wird damit sogar dialektisches Denken als konstruktivistisch zu inventarisieren versucht. Vollständig allerdings heißt der Satz: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen" (Marx MEW 8, 115). Das klingt dann doch ganz anders. Hier werden Aktivität und Realität zusammengesehen. In marxscher Tradition argumentiert aber auch Lew Wygotski, der von von Glasersfeld aus dem radikalkonstruktivistischen Diskurs ausgegrenzt worden ist. In dieser Linie der kulturhistorischen Psychologie ist aber mit dem Begriff Tätigkeit und der Kategorie Praxis eine -
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Alternative zum Konstruktivismus angelegt (Wygotski 1985). Wenn man schon Marx zitiert, dann auch dieses: „Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis" (Marx MEW 3, 7). Eine andere Herangehensweise gegenüber dem Konstruktivismus, in dem die Wirklichkeit immer noch nur durch Beobachtung als „Anschauung gefasst wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit" (ebd. 5) ist damit angedeutet. Ein „kritischer Pragmatismus" (vgl. u. 2.3) kann über weite Strecken Anregungen verarbeiten, die sich als „konstruktivistische" Impulse darstellen. Er folgt aber nicht in die paradoxalen Denkfallen, sondern kann diese genetisch auflösen. Nun gibt es auch innerhalb der Positionen, die sich selbst als konstruktivistisch" bezeichnen würden, sehr unterschiedliche Ansätze und Spielarten (Knorr-Cetina 1989), welche auch noch nach Wissenschaftsbereichen variieren. Mindestens eine neurobiologische (Roth), eine kognitionspsychologische (Maturana /Farela) und eine sozialkonstruktivistische Variante (Berger/Luckmann; aber auch Luhmann). Viele der Irritationen und Paradoxien entstehen durch unterschlagene Differenzen und durch Unschärfen des Sprachgebrauchs. Jedenfalls kann man nicht bruchlos von Glasersfeld und Luhmann zugleich als Referenzsystem benutzen; dies führt notwendig zu Inkonsistenzen Die Konzepte des sozialen Konstruktivismus werden überformt durch Luhmanns Theorie autopoietischer sozialer Systeme. Dies wäre allerdings nur hinreichend zu diskutieren, wenn man das opus magnum dieses großen Sprachspielers und Ironikers gesondert vornähme. Das gilt auch für die Rezeption in der Erwachsenenbil-
dungswissenschaft (Lenzen/Luhmann 1997).
Niklas Luhmann hat die zweifellos differenzierteste Ausarbeitung der systemtheoretischen Variante des Konstruktivismuskonzepts mit seinen wissenschaftstheoretischen Folgen und Perspektiven vorgelegt. Erkenntnis ist demgemäß „Konstruktion eines Unterschiedes,
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den Unterschied ausmacht, in der Realität keine Entsprechung hat. Realität als solche (d.h. ohne Beziehung auf Erkenntnis) ist unerkennbar" (1990, 698). Gleichzeitig relativiert Luhmann aber auch den Stellenwert dieser Aussage. „Der Konstruktivismus übertreibt in der Reflexion das, was die Wissenschaft ohnehin konstruiert. Er nimmt dabei typische Züge der Reflexionstheorien von Funktionssystemen an, vor allem höhere Unsicherheit im Verhältnis zu den basalen Operationen. Reflexionstheorien sind stets unsicherer als die Sachtheorien, die als Forschungsprogramme akzeptiert sind. Das heißt auch, daß das wissenschaftlich konstruierte Wissen sich nicht auf Wissenschaftstheorie ,gründen' läßt"(ebd. 700). Das systemtheoretische Konzept von Wissenschaft wirft im Verhältnis zur Gesellschaft zahlreiche Paradoxien auf. Kennzeichnend sind zunächst die „Formeln: Schließung durch Einschließung, Offenheit durch Geschlossenheit, selbstreferientielle Reproduktion, Autonomie, binär kodierte Autopoiesis des Wissenschaftssystems als Resultat gesellschaftlicher Evolution" (ebd. 617/618). Davon ausgehend kritisiert Luhmann die Diskussion um eine gesellschaftliche „Finalisierung" von Wissenschaft als schon vom Konzept her verfehlt. An dessen Stelle setzt er die "Vorstellungen der rekursiv geschlossenen autopoietisehen Autonomie" (ebd. 621). Dies meint die "Abkopplung der Eigendynamik dieser Systeme von Bedingungen und Interessen ihrer gesellschaftlichen Umwelt. Nichtsdestoweniger tritt so Luhmann das System Wissenschaft unter Leistungsgesichtspunkten in „ein komplexes Geflecht von Input- und
wobei das,
was
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Outputbeziehungen ein" (ebd. 636). „Die Wissenschaft ihrerseits gibt Leistungen ab; sie arbeitet an Technologienentwicklungen, die eventuell wirtschaftlich brauchbar sind; sie liefert 'Stoff für das Erziehungssystem; sie beobachtet und interpretiert die öffentliche Meinung, die wirtschaftliche Entwicklung, die demographischen Daten zur Information der Politik; sie dringt in der Form von Mutterschafts-, Ehe- und Familienberatung in den Familienalltag ein; sie redet dem Religionssystem die Festlegung auf offensichtliche Unwahrheiten aus; sie stellt Gutachten für Gerichtsverfahren zur Verfügung; sie be-
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liefert vor allem und hier besonders effektiv die Heilung von Krankheiten mit dem nötigen Wissen, sei es direkt, sei es über die Arzneimittelindustrie" (ebd. 637). Wie aber eine solche Intersystemkommunikaton also Transfer zwischen den Systemen überhaupt möglich ist, bleibt unklar und wird von Luhmann formelhaft überspielt. Er verfangt sich in seinen selbstentworfenen, sicherlich über ästhetische Qualität verfügenden, Sprachspielen. Was diese Form von Wissenschaftstheorie ausmacht, ist, dass das Beobachten des Beobachtens (ebd. 718) nicht mehr rückgebunden ist an die konkreten Operationen wissenschaftlichen Handelns. In der systemtheoretischen Konstruktion des Pädagogischen durch Jochen Kade (1997) ist leitende Differenz für die Grenze von System und Umwelt die Unterscheidung von „vermittelbar/nicht vermittelbar" bezogen auf das Medium „Wissen". Dieser Code „markiert Grenzen innerhalb des in der Gesellschaft unterschiedslos zirkulierenden Wissensstroms". Die Lernenden selbst, sofern es sich um Personen handelt, werden ins Jenseits, die Umwelt des Systems verschoben (Kade 1997, 38/39). „Konstruktivismus" ist in einer solchen Konzeption einzuordnen als ein mögliches Sprachspiel, dessen „Viabilität", bzw. praktische Relevanz, selbst wieder reflektiert werden muss. Es geht also um eine „Beobachtung 3. Grades": die Reflexion der Theorie der Beobachtung bzw. ihrer Konsequenzen. Die Kennzeichnung des Radikalkonstruktivismus als einer Spielart eines erkenntaistheoretischen Falsifikationismus verbunden mit moraltheoretischem Utilitarismus spitzt sich, wenn man die Probleme der Erziehungswissenschaft und besonders der Erwachsenenbildung im Auge hat, zu in der Frage nach der „Viabilität" dieses Konzepts für die Theorie und Praxis sowie die „einheimischen" Begriffe dieses Wissenschaftsbereichs. „Viabilität" von Theoriekonzepten hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Chancen menschlicher Entfaltung wäre auch aus imma-
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nent
,j:adikalkonstruktivistischer Sicht" als Relevanzkriterium wohl
zulässig. Ob allerdings Begriffe wie Bildung und Aufklärung noch gefüllt werden können, ist zweifelhaft. Rolf Arnold fragt sich „ob
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mit einer konstruktivistischen Wende der Erwachsenenbildung nicht auch die aufklärerische Basis der Erwachsenenpädagogik 'wegrutscht'" und nimmt „Abschied von der Aufklärung" (In: Arnold/ Siebert 1995, 167). Die Argumentationsfiguren des Radikalkonstruktivismus unterstützen die „Gangbarkeit" von Theorievarianten, welche auf Begriffe von Bildung und Aufklärung explizit verzichten. Die Theoriesprache der „Autopoiesis" kann jedoch eine Begründung durch Bildungstheorie nicht ersetzen (zur Diskussion: Lenzen 1997, Tenorth 1997). Die Konstruktion im Modell autopoietischer Systeme verfehlt die Spezifität menschlichen Lernens, das gekennzeichnet ist durch seine Bedeutsamkeit für Selbstbestimmung und gesellschaftliche Gestaltung. Menschen als Personen stehen immer in Sinnzusammenhängen, welche sie sich aneignen. Bildung so schon Humboldt. Dies ist radikalkonstruktivistisch nicht rekonstruierbar. Zu fragen ist dann, was mit dem radikalkonstruktivistischen Programm in der aktuellen ökonomischen und politischen Situation bezogen auf die Chancen persönlicher Identität und die Zukunft von Mündigkeit angerichtet wird. Die Debatte findet statt auf dem Hintergrund eines ökonomischen und zunehmend auch kulturellen Klimas, das wesentlich geprägt ist durch die Ideologie des Neoliberalismus, der die isolierten Kalküle autonomer Individuen als einziges Legitimationsprinzip gelten lässt. Anerkennung des Anderen und gesellschaftliche Verantwortung können als moralische Leitlinien radikalkonstruktivistisch nicht begründet werden. Allerdings führen die Übersteigerungen eines „radikalen Konstruktivismus" sowieso in Sackgassen. Für eine gemäßigte Sichtweise, einen „pragmatischen, moderaten Konstruktivismus", bezogen auf die kognitionstheoretische Problematik plädieren Gerstenmaier und Mandl (1995, 882). Ihr Vorschlag lautet nach einem Durchgang durch Konzepte über „Wissenserwerb und konstruktivistische Per-
spektive":
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den Konstruktivismus als eine Perspektive und verzichtet man auf einen fundamentalistischen Geltungsanspruch, dann bietet er gegenwärtig den vielleicht vielversprechendsten theoretischen Rahmen fur eine Analyse und Förderung von Prozessen des Wissenserwerbs in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten" (ebd. 883/884). Diese versöhnende Argumentation übersieht allerdings, dass der Radikalkonstruktivismus seine Attraktivität überhaupt erst erhält aus der fundamentalistischen Pose; verliert er diese bleibt nicht anderes zurück als die Banalität, dass Denken die Wirklichkeit nicht nur interpretiert, sondern dabei immer schon konstruiert.
„Versteht
man
2.2.5
Pragmatismus Gegenüber den letztlich solipsistischen Konsequenzen isolierter Subjektivität im „Radikalkonstruktivismus" entwickelt Jürgen Mittelstraß, als Vertreter eines methodischen und kulturalistischen Konstruktivismus, wonach menschliches Handeln im kulturellen Kontext Grundlage für Erkenntnis ist, einen Wissenschaftsbegriff, welcher die Trennung zwischen Reflexionstheorie, Gegenstandsbezügen
und Lebensformen durchschneidet. "Dabei geht es im Grunde darum, (wieder) zu verstehen daß Wissenschaft nicht nur Theorie und Methode ist, ein Wissen, das Lehrbücher füllt und in eigens dafür hergerichtete Institutionen, den Universitäten, vermittelt wird, sondern und vielleicht sogar in erster Linie ein Tun, ein Handeln, und zwar ein Handeln unter einer Vemunftperspektive. Gemeint ist, daß Wissenschaft auch in ihren noch so theoretischen und fachlich spezialisierten Formen, als ein Teil jener Arbeit des Menschen begriffen werden muß, mit der dieser über seine Natur als eines Bedürfhiswesens hinaus in einer zweiten Natur, seiner Natur als eines Vernunftwesens baut" (Mittelstaß 1989, 14). -
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ausgehend ist es möglich, ebenso szientistische Letztbegründungsansprüche zurückzuweisen, wie auch Kuhns „Inkommensurabilitätsthese", welche wissenschaftliche Paradigmen, also auch methodologische Konzepte, als alternativ, sich gegenseitig ausDavon
schließend unterstellt und in Relativismus mündet. In einer pragmatischer Perspektive kann man sicher zunächst auch nur auf der Ebene eines durch den vorläufigen Stand der Diskussion erzwungedie verschiedenen Theoriekonzepte von Wisnen Eklektizismus senschaft mit ihrer jeweils beschränkten Erklärungskraft in Gebrauch nehmen. Der Pragmatismus besonders in der Deweyschen Fassung kann als Alternative zu von Glasersfelds subjektivistischem Konstruktivismus angesehen werden, welche anstelle des „hodgepodge of imcompatible positions" (Garrison 1997) höhere Konsistenz aufweist. Geisteswissenschaft, Empirismus und auch der „radikale Konstruktivismus" verharren in dem bereits von der griechischen Philosophie hergestellten abendländischen Dualismus von Denken und Sein. Demgegenüber beansprucht der Pragmatismus, eine alternative Strategie des Umgangs mit Wahrheit zu begründen. Er propagiert eine Umkehr aus der Weltflucht der Kontemplation zum innerweltlichen Engagement. Ausgangspunkt ist eine „Destruktion der Barrieren, die Theorie und Praxis getrennt haben". Die Folgerung, die sich daraus ergibt, ist „die Suche nach Sicherheit durch praktische Mittel an die Stelle der Suche nach absoluter Gewissheit durch kognitive Mittel zu setzen" (Dewey 1998,29). Gemeinsam ist der pragmatistischen Bewegung eine handlungsbezogene Auffassung von Erkennmis und Wahrheit. Das griechische Wort „Pragma" bedeutet soviel wie „Handlung". In der Alltagssprache versteht man unter einem Pragmatiker jemanden, der den Umständen und den Erfordernissen einer konkreten Situation gemäß handelt. Ausschlaggebend sind nicht allgemeine Gesetze oder Grundsätze, sondern die Erfordernisse der Lage. Im üblichen Sprachgebrauch rutscht dann „Pragmatismus" ab in „Durchwurstelei" oder in blanken Aktivismus und Utilitarismus. Gleichgesetzt wird dies mit einer Abkehr von philosophischer Reflexion und wür-
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de
zu
einem Diffamieren
von
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angeblich unbrauchbarer Theorie füh-
ren.
Der Ausdruck „Pragmatist" in Deutschland ist pejorativ gemeint, richtet sich gegen einen unterstellten „Amerikanismus" und wurde z.B. von Spranger während des Ersten Weltkriegs aggressiv mit dem
Vorurteil eines „Küchen- und Handwerksutilitarismus" belegt (s. dazu Bittner2001). Die Vertreter des „Pragmatismus" als einer philosophischen Theorie haben sich von Anfang an gegen diese Vorwürfe gewehrt. Im Vordergrund standen dabei zunächst William James und John Dewey, der gleichzeitig als Erneuerer der Pädagogik auftrat. Erst seit den 1960er Jahren wurde in Deutschland der eigentliche Begründer Charles Sanders Peirce (1839-1914) wieder entdeckt. Ein kleiner Text von Peirce, der 1878 erschienen ist, wird als „Geburtsurkunde" des Pragmatismus angesehen. Er trägt den bezeichnenden Titel „How to make our ideas clear" (deutsch Peirce 1968). Es geht um den Prozess des Begründens von Wahrheit. Denken hat eine Aufgabe im Lebenszusammenhang. Es erzeugt Meinungen und Überzeugungen. Ein bestimmtes „Fürwahrhalten" (believe) ist bewusst; es beschwichtigt Zweifel und legt Regeln des Handelns fest. Fürwahrhalten mit unterschiedlicher Sicherheit ist Ausgangs- und Endpunkt des Denkens, das selbst eine Form des Handelns ist. Geschlossene Systeme verwandeln sich in offene Hypothesen und Philosophie nimmt einen experimentellen Charakter an. „Der Mensch ist, indem er beständig wird." Dieser Prozesscharakter des Denkens und Handelns ist auch Ausgangspunkt bei John Dewey (1859-1952), der sicherlich der einflussreichste und wirkmächtigste unter den Pragmatisten ist. Als Dewey 70 wurde, ein Vierteljahrhundert vor seinem Tod, umfasste die Bibliographie seiner Bücher, Essays und Artikel 155 Druckseiten. Veröffentlicht sind die Werke in drei Abteilungen mit insgesamt 37 Bänden. Ein großer Teil dieser Schriften hat nicht die wuchtigen Jahrtausendfragen zum Thema, sondern Probleme der amerikanischen Schulen, Hochschulangelegenheiten, nationale und internationale Politik, und Zeitgeschichte. Seine umfangreiche Produktion erreichte sowohl die Leserinnen von „Ladies Homejournal", wie das „Journal of Speculative
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Philosophy" und den „Philosophical Review". Dewey skizzierte ironisch ein eigenes Portrait mit dem Satz „Ich bin mehr ein Yankee und weniger ein Philosoph, als es manchmal aussehen mag" (zit. Marcuse 1959, 123). John Dewey wurde am 20. Oktober 1859 in Burlington, Vermont, geboren. Deweys Vater, ein Kolonialwarenhändler, stand in dem Ruf, Shakespeare und Milton um ihrer Sprachformen willen zu studieren, mehr zu verkaufen und weniger Rechnungen einzutreiben als jeder andere Kaufmann der Stadt (zit. Suhr 1994, 9). John und sein Bruder Davis galten als Bücherwürmer, die sich in der Schule heftig langweilten. Mit 15 schloss John die Highschool ab, und ging aufs College, das er 1879 mit 20 Jahren verließ. In diesem Jahr machten
18 Studenten an der kleinen Universität von Vermont das Examen. Nach dem College lehrte Dewey zwei Jahre lang in South Oil City an der dortigen Highschool, danach an einer benachbarten Dorfschule. Im Herbst 1882 lieh er sich 500 Dollar und schrieb sich an der John-Hopkins-Universität ein. Großen Einfluss hatte auf sein Denken die Lektüre Hegels. 1884 schloss Dewey sein Studium mit einer Dissertation über Kants Psychologie ab. Entscheidend für die Wende zum Pragmatismus war der Einfluss von William James „Principles of psychology" mit den darin enthaltenen Konzepten über Begriffsbildung, Unterscheidung, Vergleich und Begründung. Nach Lehrtätigkeiten als Dozent an den Universitäten von Michigan und Minnesota, wurde Dewey 1894 nach Chicago berufen. Er geriet damit in eine Atmosphäre sozialer Konflikte und politischer Kontroversen. Wissenschaftliche Ideen wurden an der Frage geprüft, inwieweit sie praktische Probleme bewältigen. Das „Department of Education", das unter Leitung Deweys stand, wurde zu einem Zentrum der Erprobung und Ausbreitung der Ideen des Pragmatismus. Deweys praxisorientierter Erfahrungsbegriff ließ ihn zu einer Schlüsselfigur der amerikanischen und dann auch der europäischen Reformpädagogik werden. Verbunden werden mit seinem Namen die „Projektmethode" im Unterricht, und auch der Begriff des „lebenslangen Lernens" (permanent learning) stammt von ihm. Mit einer Gruppe von Eltern und deren finanzieller Hilfe konnte er eine Versuchsschule (laboratory school) einrichten.
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Spannungen mit dem Universitätspräsidenten führten zur Beendigung des Schulexperiments und zum Weggang an die Universität Columbia. Dort lehrte Dewey auf dem Lehrstuhl für Philosophie bis 1930.
in Deutschland bekanntestes, 19116 erstveröffetnlichtes Werk heißt „Demokratie und Erziehung" (Dewey 1993). Es geht um die Kontinuität zwischen philosophischen, psychologischen und pädagogischen Voraussetzungen demokratischen Zusammenlebens. Demokratie wird dabei nicht als abstrakte Idee einer politischen Institution aufgefasst, sondern als eine Form des Zusammenlebens aufgrund gemeinsamer und miteinander geteilter Erfahrungen. Erfahrungen sind dabei nicht nur bloße Anschauungen sondern immer gefüllt mit Bedeutungen. Erfahrungen werden gemacht im aktiven Umgang mit einer Realität, an der handlungsleitende Intentionen scheitern können. Wirklichkeit erschließt sich den Handelnden nicht durch die Rezeption durch die Sinne und nicht durch abstraktes Denken, sondern praktisch-konstruktiv im Zusammenhang des Vollzugs von Handlungen. Dabei sind Handlungen immer eine Einheit von Wissen, Gefühlen und Werturteilen. In der „Erneuerung der Philosophie" von 1926 (Dewey 1989 ) und der „Suche nach Gewißheit" von 1929 (deutsch 1998) stellt Dewey die Philosophie in den kulturellen Kontext der Gattungsgeschichte. Dies gilt zum einen strukturell: Philosophie erwächst aus Problemen des menschlichen Daseins und bleibt bewusst darauf bezogen" (Dewey 1989,15). Zum anderen sind philosophische Systeme in den historischen
Deweys
Zusammenhang zu stellen,
„so reflektieren die früheren
Systeme sowohl vorwissenschaftliche Ansichten der natürlichen Welt wie auch den vortechnologischen Zustand der Industrie und den vordemokratischen Zustand der Politik zu der Zeit, als ihre Lehren Gestalt annahmen. Die wirklichen Lebensbedingungen in Griechenland, besonders aber in Athen, als die klassische europäische Philosophie formuliert wurde, schufen eine scharfe Trennung zwischen Tun und Wissen,
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Trennung von Theorie und Praxis verall13/14). Gegenwärtige Philosophie muss also den Stand der modernen
die in eine vollständige gemeinert wurde" (ebd.
Wissenschaft aufnehmen. „Die hier angebotene Hypothese lautet, daß die Umwälzungen, die in ihrer Gesamtheit die Krise ausmachen, in der sich die Menschheit heute überall auf der Welt, in allen Aspekten ihres Lebens befindet, auf dem Vordringen von Prozessen, Materialien und Interessen in die Praxis des Alltagslebens beruhen, deren Ursprung in der Arbeit von Naturforschern in relativ abgesonderten und fernen technischen Arbeitsstätten, die man Laboratorien
liegt" (ebd. 25). Der Aufstieg der modernen Wissenschaft hat dazu geführt, dass eine Spaltung gegenüber überlieferten Erfahrungen eingetreten ist. Um dies zu überwinden, ist eine Abkehr von dem traditionellen Zuschauermodell notwendig hin zu einem modernisierten Künstlernennt,
modell.
„Wir neigen dazu, (Wissen) nach dem Modell eines Zuschauers aufzufassen, der ein fertiges Bild betrachtet, statt dem eines Künstlers, der das Gemälde hervorbringt" (ebd. 168). „Die Einteilung der Welt in zwei Arten des Seins, die eine höher, nur der Vernunft zugänglich und ihrem Wesen nach ideell, die andere niedriger, materiell, veränderlich, empirisch, der Sinnes-
beobachtung zugänglich, verwandelt sich unvermeidlich in die Vorstellung, dass Wissen seiner Natur nach kontemplativ ist. Sie unterstellt einen Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, der ganz zum Nachteil der letzteren ausgeschlagen ist" (ebd. 166). Demgegenüber ist das Künstlermodell, das Dewey auch in der modernen Wissenschaft findet, getragen durch einen völlig anderen Begriff von Wissen. „Wissen bedeutet für die experimentellen Wissenschaften eine bestimmte Art des intelligent vollzogenen Handelns; es hört auf, kontemplativ zu sein und wird im wahren Sinne praktisch (ebd. 167).
Wenden
145
Es vollzieht sich ein Wandel von kontemplativer zu operativer Erkenntnis. Die Annahme eines lediglich betrachtenden Geistes wird ersetzt durch die handelnder Menschen, und es vollzieht sich „ein radikaler Wechsel vom kontemplativen zum aktiven Wissenschafts-
begriff (ebd. 170). Diese Grundhaltung zu Wissenschaft ist den amerikanischen Pragmatisten (Peirce, James, Dewey und Mead) gemeinsam (Martens 1975). Davon geht eine große Faszination für Reformkonzepte im Bildungsbereich aus. Deweys Schriften wurden demgemäß auch im Deutschland des Kaiserreichs zunächst schnell rezipiert z.B. auch von Kerschensteiner 1912 gerieten dann aber als „Amerikanismus" gekennzeichnet in die Tabuzonen imperialistischer Konflikte (ausführlich zur Rezeption Bittner 2001, Oelkers 1993). In der Erwachsenenbildung, die eigentlich aufgrund ihrer gegenüber Schule größeren Flexibilität und Dynamik am meisten von ihm hätte lernen können, spielte die Dewey-Lektüre keine große Rolle. Anstöße kamen vermittelt über die Berufspädagogik durch Heinrich Abel (1959) und Heinrich Weinstock (1963), sowie über die politische Bildung durch Theodor Wilhelm (1951) unter dem Pseudonym Oetinger (s.u. 5.2). Explizite Bezüge gibt es bei Rudolf Tippelt, der „pädagogisches -
-
Handeln in der Demokratie" auf die Demokratietheorie und die Situationsethik Deweys rückbezieht (Tippelt 1986, 65). Er betont den theoretischen Gewinn durch das Konzept handlungsorientierter Bil-
dungsarbeit.
„Entdeckendes Lernen, Projektmethoden, Gruppenunterricht haben daher im pragmatistischen Bildungskonzept einen festen Platz" (ebd. 67/68). Kritisch wendet Tippelt ein, dass der „Experimentalismus" systematisches Lernen unterschätze was sich bei Dewey so nicht belegen lässt, sondern der pädagogischen Rezeption geschuldet ist und dass dem pädagogischen Optimismus ein harmonistisches und daher unrealistisches Gesellschaftsmodell unterliege (ebd. 68). -
-
Wesentlich stärker und unmittelbarer in die Diskussion über LerErwachsener als Dewey haben die Schriften von George Herbert
nen
146
Wenden
Mead gewirkt. Dessen Sozialpsychologie des „symbolischen Interaktionismus" und das ihr zugrundeliegende Identitätskonzept haben direkten Gegenstandsbezug und wurden vermittelt über die Sozialisationsdiskussion auch unter den Stichwörten Lebenswelt und Alltag breit aufgenommen (z. B. Forneck 1982, Schmitz 1984, Schlutz
1984, Tippelt 1986, Wittpoth 1994).
Ausgeblendet blieb dabei aber weitgehend der Hintergrund des pragmatischen Wissenschaftsansatzes. Dabei hatte Morris in seinem
zu Meads „Geist, Identität und Gesellschaft" (1934, dt. schon die Verbindung hervorgehoben: 1973) „Philosophisch war Mead ein Pragmatiker; wissenschaftlich war er ein Sozialpsychologe. Er stand innerhalb einer ehrwürdigen Tradition der Tradition von Aristoteles, Descartes, Leibniz, von Rüssel, Whitehead und Dewey die keine scharfe Trennungslinie und keinen Antagonismus zwischen den Bereichen der Wissenschaft und der Philosophie sieht und deren Vertreter selbst sowohl Wissenschaftler als auch Philosophen sind" (Morris in Mead 1973, 13). Pragmatismus in der Dewey 'sehen und Mead 'sehen Fassung bekämpft die „Dualismen von Geist und Materie, Erfahrung und Natur, Philosophie und Wissenschaft, Teleologie und Mechanismus, Theorie und Praxis" (ebd. 14). Auf dieser Grundlage konzipiert Mead seine Theorie von der Innerweltlichkeit des Geistes. Geist und Identität entstehen im gesellschaftlichen Prozess. Mead gibt die „Auffassung auf, die Seele sei eine Substanz, die bereits bei der Geburt die Identität des Individuums ausmacht" (Mead 1973, 39). „Ich möchte einen anderen Ansatz vorschlagen: die Erfahrung vom Standpunkt der Gesellschaft zu betrachten, zumindest unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation als der Voraussetzung für eine Gesellschaftsordnung" (ebd.). Es geht Mead darum zu „versuchen, die Entwicklung des Geistes innerhalb eines Verhaltens herauszuarbeiten". „Der Mensch hat eine Persönlichkeit, weil er einer Gemeinschaft angehört, weil er die Institutionen dieser Gemeinschaft in sein eiDie Struktur der Identität ist algenes Verhalten hereinnimmt.
Vorwort
-
-
...
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Wenden
eine allen gemeinsame Reaktion, da man Mitglied einer Gemeinschaft sein muss, um eine Identität zu haben. Er versetzt sich an die Stelle des verallgemeinerten Anderen, der die organisierten Reaktionen aller Mitglieder der Gruppe repräsentiert" so
...
(ebd. 204/205). „Die Tätigkeiten, aus denen Denken erwächst, sind gesellschaftliche Handlungen" (ebd. 407). Mead hat die Genese der Identität eingespannt in die Differenz von „Ich" und „Mich". Diese Terminologie stammt ursprünglich von
William James. „Das Ich reagiert auf das Selbst, das durch die Übernahme der Haltungen anderer entwickelt. Indem wir diese Haltungen übernehmen, bildet sich das „Me" und darauf reagieren wir als I"
(ebd. 217. Übersetzung geändert P.F.). Der genetische Ansatz einer Erklärung des Geistes ist für die Erwachsenenbildung doppelt relevant: zum einen als Sozialisations-
theorie die sich nicht auf Heranwachsende beschränkt, zum anderen als Interaktionstheorie im Lernenden-Lehrenden-Verhältnis. Jürgen Wittpoth hat in seiner Habilitationsschrift „Rahmungen und Spielräume des Selbst" 1994 die Debatte über Erwachsenensozialisation aktiviert. Dabei behandelt er ausführlich den Ansatz Meads (Witt-
poth 1994, 53-84). „Bei der Suche nach gehaltvollen Theorieansätzen,stößt man relativ zwangsläufig auf Georg Herbert Mead, auf den in der sozialisationstheoretischen Literatur im Zusammenhang von ,Rollenübernahme' und ,Identität' immer wieder Bezug genommen wird" (ebd. S. VIII). Mit dem Begriff der „Rahmung" unterläuft Wittpoth allerdings die Radikalität des Mead 'sehen Ansatzes, der das „Selbst" nicht als durch Gesellschaft gerahmt, sondern als ohne diese undenkbar begreift. Dies wird auf wissenschaftstheoretischer Ebene in Anbetracht der pragmatistischen Grundposition unvermeidbar deutlich. Kritisch gegen Mead wird zurecht eingewendet, dass dieser die Komplexität von Gesellschaft reduziert und die präreflexive und
Wenden
148
leibliche Dimension unterschätze. Jürgen Habermas hat vor allem Formalismus und Idealismus Meads als Kritik hervorgehoben (Ha-
bermas 1981, II, 165-169). Wittpoth setzt deshalb seine eigene Gedankenreihe mit Pierre Bourdieu und dem Begriff des „Habitus" fort. In der Diskussion des Pragmatismus stecken noch unausgenutzte Potenziale fur bildungstheoretische Begründungen. Konsequent ersetzt z.B. Richard Rorty (1987) als Nachfahre Deweys und Meads in der aktuellen Fassung des Pragmatismus den Begriff der Erkenntnis durch den der Bildung. Es geht um die kulturelle Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen, dazu bedarf es des Austauschs von „Meinungen" (Dewey 1998 22). „Daß der Mensch zwei Formen, zwei Dimensionen des Meinens besitzt, kann nicht bezweifelt werden. Er hat Meinungen, hinsichtlich des wirklich Existierenden und des Gangs der Ereignisse, und er hat Meinungen über erstrebenswerte Ziele, geeignete Strategien, erstrebenswerte Güter und vermeidbare Übel. Das drängendste aller praktischen Probleme betrifft die Verbindung, welche die Gegenstände dieser beiden Arten von Meinungen zueinander haben" (ebd.). Schon John Dewey hat als bedeutsamste aller Fragen erklärt, „wie diese beiden Arten von Meinungen am wirksamsten und fruchtbarsten miteinander interagieren können" (ebd. 23) und in praktisches Handeln umgesetzt werden. Dies, das Verhältnis von „Fakten" und „Normen", von Sach- und Werturteilen, ist zentral für eine Bildungswissenschaft als Handlungswissenschaft. Resultat ist dann, dass „die Suche nach Sicherheit durch praktische Mittel an die Stelle der Suche nach absoluter Gewissheit durch ,
kognitive Mittel" gesetzt werden muss (ebd. 29).
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149
Brauchbarkeit
Pragmatismus Handeln
Bedeutsamkeit
Praxis
Abb. 14:
Systemarisierungsaspekte des Pragmatismus
Schon für John Dewey steht die Frage der Bildung im Zentrum, da sie „mit dem moralischen Prozeß vollkommen in eins fällt, da letzterer ein kontinuierlicher Übergang der Erfahrung vom Schlechteren zum Besseren ist" (Dewey 1989, 227). Dewey wendet sich gegen die traditionelle Sichtweise von Erziehung. „Erziehung ist traditioneller Weise als Vorbereitung gedacht worden: Als das Erlernen, Erwerben gewisser Dinge, weil sie später einmal nützlich sein werden. Das Ziel ist fern und die Erziehung ist ein Sich-vorbereiten, ist das Vorspiel für etwas Wichtigeres, das später einmal geschehen soll. Kindheit ist nur eine Vorbereitung für das Erwachsenenleben und das Erwachsenenleben für ein anderes Leben. Als das Bedeutsame der Erziehung galt immer nur die Zukunft, niemals die Gegenwart" (ebd.). „Wenn ein Mensch zu jedem beliebigen Zeitpunkt immer noch im Prozeß des Wachstums begriffen ist, dann ist Erziehung allenfalls nebenbei eine Vorbereitung auf etwas Späteres. Erziehung bedeutet, jeweils den Grad und die Art von Wachstum zu erhalten, die in der Gegenwart möglich ist. Das ist eine konstante
Funktion, unabhängig vom Alter" (ebd. 228).
Der Prüfstein aller Institutionen wird dann in dem Beitrag gesehen, den sie zum allseitigen Wachstum jedes Mitglieds der Gesellschaft beisteuern (ebd. 229). Wenn Bildung als unabgeschlossenes und unabschließbares Projekt gedacht wird, wird der Gegensatz,
150
Wenden
zwischen einer Periode der Erziehung, als sozialer Abhängigkeit, und eine Phase der Reife, als Unabhängigkeit, unsinnig und schädlich. Im Zentrum des Pragmatismus steht das Individuum und seine Möglichkeiten. Bei John Dewey wird dies eingebettet in die Idee einer strukturellen Demokratie. Die sozialen Konsequenzen des Kapitalismus bleiben aber unbegriffen. Der amerikanische Pragmatismus ist da verkürzt, wo er Handeln als abstrakte Kategorie einfuhrt, die ihrer historischen gesellschaftlichen Bezüge beraubt ist. Es fehlt ein historisch reflektierter Begriff von Arbeit, der es erlaubt konkrete Kontexte und Kontinuitäten genetisch aufzudecken. So aber bleibt der unterstellte Begriff von praktischem Handeln, der gegen theoretisches Erkennen gesetzt wird, merkwürdig unscharf. Die konkreten Formen des Handelns und die gesellschaftlichen Bedingungen werden nur weich gefasst. Dies zu präzisieren wäre notwendig, um eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Verhältnissen zu ermöglichen, also sich rückzubeziehen auf kritische Theorie und anzuknüpfen an einen Begriff von Mündigkeit, in dem Bildung als zukunftsoffenes Projekt erhalten bleibt. Bemerkenswerterweise hat die Pragmatismusdiskussion in der Theoriedebatte der Erwachsenenbildungswissenschaft, obwohl sie m.E. dazu viel liefern könnte, nicht den Stellenwert erhalten, wie andere „Wenden". Dies könnte daran liegen, dass die externen wissenschaftlichen Modewellen nach einer kurzen Rezeptionsperiode in der Nachkriegszeit ,was zweifellos auf den Einfluss der amerikanischen Besatzungsmacht zurückging ausgehend von geisteswissenschaftlichen Ansätzen, über die empirisch-analytischen Konzepte, bis zur kritischen Theorie und den Radikalkonstruktivismus pragmatistische Theorieansätze überspülten. Gerade auch die Tradition kritischer Theorie hat eine Auseinandersetzung eher vermiedne. Dies ist zu Ende gekommen und hat neue Anknüpfungspunkte gefunden durch die Rezeption bei Jürgen Habermas (1981). -
-
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2.3 Kritischer Pragmatismus als bensentfaltender Bildung"
Begründung „le-
Durchgang durch die Konzepte und Konstrukte theoretischer Interpretationen von Wissenschaft bezogen auf „lebenslanges Lernen" kann zumindest dazu fuhren, Rezeptillusionen zu vermeiden. Die Vorstellung, Wissenschaft habe fertige Antworten auf gesellschaftliche Fragen, erweist sich als Fiktion. Sie stellt selbst die FraDer
gen, auf welche sie Antworten versucht. Wahrheit wird nicht als Resultat vorgefunden, sondern im Prozess hergestellt, angeeignet und vermittelt. Zumindest dies kann man von einem sozialen Konstruktivismus lernen. Hier hat Luhmann recht, wenn er ironisiert. „Das ist wie bei einem vorweihnachtlich geschmückten Warenhaus: Reichhaltigkeit und Glanz der Auslagen beeindrucken, aber wenn man etwas Bestimmtes sucht, findet man es nicht, und man stößt bei hartnäckigen Nachfragen auf die Kalkulation, die entscheidet: solche Artikel führen wir nicht" (1990, 641/642).
allem in den Naturwissenschaften vorherrschende szientistische Modell von Wissenschaft ersetzt werden durch ein kritisches Konzept, das die historische Genese und die Interessenspezifität wissenschaftlicher Aktivitäten auf gesellschaftliche Potenziale hin reflektiert. Will man dabei nicht abgleiten in Relativismus, kommt es darauf an, die Möglichkeit von Wahrheit weiter zu denken und diese weder einem naiven Realismus noch einem diffusen Konstruktivismus oder einem utilitären Pragmatismus zu opfern. Dies betrifft die verschiedenen Dimensionen von Leistungen, welche von Wissenschaft erwartet werden: Technische Instrumente und Methoden Qualifikationen und Kompetenzen Reflexive Theorie. Die wichtigste Leistung „lebensentfaltender Bildung" ist die Vermittlung zwischen immer wieder neu entstehenden Wissensbeständen und Handlungsfähigkeit. Dies konzentriert sich instrumen-
Entsprechend muss
-
-
-
das immer noch
vor
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Wenden
tell auf den Transfer von Wissenschaft, hermeneutisch auf Interpretation von Welt und kritisch auf die Reflexion verhinderter Gestal-
tungsmöglichkeiten. Zweifellos macht die Umsetzung wissenschaftlichen Wissens in technisches Können den Kern der Erfolgsgeschichte moderner Wissenschaft aus. Technische Verwendbarkeit und resultierende ökonomische Verwertbarkeit sind wesentliche Antriebe von Wissenschaftsentwicklung. Ein Großteil unserer Lebenszusammenhänge beruht auf diesem Transfer, der sich zunehmend beschleunigt. Erwartet werden Innovationen als Leistung zur Effizienzsteigerung ökonomischen oder politischen Handelns. Wenn man dies frontal kritisieren will, bleibt man voraussehbar und berechtigt erfolglos. Nichtsdestoweniger muss die Vermittlung von Wissenschaft in Bildung reflektieren, dass technische Probleme durch wissenschaftliche Forschung niemals vollständig prognostisch gelöst werden können. Wissenschaftliche Theorien müssen bei ihrer Umsetzung in Technik notwendige Simplifikationen vollziehen im Sinne eines Absehens von anderen Aspekten, die aber fortwirken. Dies ist der Hintergrund für die anschwellende Risikodebatte, welche ökologische und soziale Probleme der Technik anlastet. Gentechnik ist dafür nur ein Beispiel. Zunehmend ist es fragwürdig, jedwede Technik in funktionierender Simplifikation zu implementieren, sondern mittlerweile erfolgen reflexive Rückbezüge auf Probleme der Technik-
abschätzung. Dies gilt auch für die Qualifikationsleistungen des Wissenschaftssystems, welche über Anwenden hinaus auf Verstehen zielen. Die Ausbildung von Spezialisten für Kirche, Staat und Wissenschaft in vorrangig disziplinären Kontexten ist in gewisser Weise zu einem Ende gekommen. Die fortschreitende Aufspaltung in Subdisziplinen erweist sich in Anwendungszusammenhängen als disfunktional. Es
entstehen Beschränktheiten, welche Wahrnehmungs- und Erkenntnisgrenzen erzeugen. Insofern gibt es eine lauterwerdende Forderung nach Grundlagen- und Zusammenhangswissen und den entsprechenden Kompetenzen. Damit wächst auch das Gewicht und die Relevanz wissenschaftlicher Weiterbildung, welche gesellschaftliche Anwendungszusammenhänge in die Hochschule zurückholt.
Wenden
153
Wissenschaft ist aber nicht nur Technologielieferant und Kompetenzerzeuger, sondern ihrer Idee nach auch Lebensform. Über Eingriffswissen und Handlungsfähigkeit hinaus organisiert sie die Möglichkeit für Nachdenklichkeit. Auch wenn das im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb immer schwieriger zu werden scheint, bleibt der Anspruch auf Orientierung und Urteilskraft bestehen. Nur dann hat Wissenschaft auch noch mit Bildung zu tun als Aneignung von Welt. Vernünftige Identität des einzelnen in einer rationalen Welt schließt Wissenschaft ein. In diesem Sinne sind Reflexionstheorien -
eminent praktisch. Ein kritisch-pragmatisch geklärtes Konzept von Wissenschaft und Bildung steht vor der Aufgabe, alle drei Dimensionen die technische, die reflexive und die praktische im Leistungsspektrum aufzunehmen zumindest dann, wenn sich die Akteure nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, dass sie nicht wissen, was sie tun. Die Sichtung der wissenschaftstheoretischen Grundkonzepte und deren Rezeption zeigt die unterschiedlichen Perspektiven im Spektrum von -
-
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Begriff und Erfahrung, von Gegenstand und Methode und von Theorie und Praxis. Dabei ist Fokus der Kritik die jeweilige Verkürztheit: Das phänomenologisch-hermeneutische Modell akzentuiert Historizität und Sprachlichkeit von Wissenschaft, abstrahiert a-
ber von den konkret-historischen Konstellationen. Das empirisch-analytische Modell betont die Rückbezüge auf Beobachtung und Erfahrung. In methodischer Rigidität erreicht es aber nur einen engen Ausschnitt von Wirklichkeit. Die kritische Theorie öffnet über Faktizität hinausgehende Möglichkeiten der Entwicklung. In ihrem Akzent hat sie es versäumt das „technische Interesse" aufzunehmen. Eine konstruktivistische Sichtweise hilft einen naiven Objektivismus zu vermeiden. Zum Radikalkonstruktivismus übersteigert gerät sie aber in die Paradoxien eines Solipsismus. Der Pragmatismus kann das dualistische Subjekt-Objekt-Schema mit einem Bezug auf Handeln übergreifen. In einer verkürzten Variante leistet er aber der Tendenz zu Utilitarismus und Individualismus Vorschub.
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Im Überblick lassen sich die verschiedenen Ansätze insgesamt kennzeichnen hinsichtlich ihres Verständnisses von Wissenschaft, der Bedeutung, welche sie der Sprache zumessen, ihrer Einschätzung von Theorie und den resultierenden Erkenntnisinteressen, Gegenstandskonstitution und Methodenansätzen. Phänomen, hermeneu-
empirischanalytisch
kritisch
Bestand inter-
Dialektik
konstruktiv. pragmat.
tisch Wissenschaft
Auslegung von
Sinn
Sprache
subjektiver Aussagen Tatsachen-
Konstruktion Handlung von
Diskurs
Welt
Entwürfe
aussagen
Gegen-
Bedeutsamkeit Interaktion
Leben
Korrespondenz
Praxis
Verstehen
Beschreiben Erklären
on
Brauchbarkeit
Quantitative
Reflexion
Problem lösen
standskonstitution
Erkenntnisinteresse
Methodenansatz
Hermeneutik
Emanzipati-
Viabilität
Empirie
Abb. 15: Grobkennzeichen wissenschaftstheoretischer Ansätze
Es kommt dann darauf an, sich auf ein Theoriekonzept zu besinnen, das die Schieflagen aufhebt. Ein solcher bereichspezifischer
-
auf „Lebensentfaltende Bildung" bezogener Theorieansatz könnte als „kritisch-pragmatisch" entwickelt werden. Nach der Kritik am Radikalkonstruktivismus kann zurückgriffen werden auf den als „Wärmemetapher" und „Kontingenzbegriff' diffamierten Begriff Bildung. Für einen kritischen Pragmatismus gehört dieser zu den Kernbegriffen. Thema bleibt nach wie vor die IchWelt-Relation. Dabei stößt die Suche nach Theorie unausweichlich auf die Kategorie Bildung. So ergäbe sich die Ironie, im beginnenden Jahrtausend eine Idee fortzuführen, die im letzten Jahrhundert vorschnell als überholt abgelegt worden war.
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Insofern kann man vom Pragmatismus, als einem gemäßigten, auf den Begriff Handeln abgestützten sozialen Konstruktivismus, kritisch lernend schlussfolgern, dass ,JRadikalkonstruktivismus" keinen geeigneten Ansatz für Aneignung, Vermittlung oder gar Bildung liefern kann. Wenn man die Grobkennzeichen von „Radikalkonstruktivismus" und „Kritischem Pragmatismus" noch einmal gegenüberstellt, wäre dies schematisch knapp zusammenzufassen: Erkenntnistheorie: Während es einerseits um die individuelle Konstruktion von Welten geht, wird andererseits verwiesen auf eine Dialektik von Denken und Handeln im gesellschaftlichen
Zusammenhang.
Erkenntnisinteresse: Steht der Begriff des Deutens auf der einen Seite im Vordergrund, wird auf der andere Seite betont, dass Begreifen anleiten kann, um gestaltend zu verändern. Sprachen sind konstruktivistisch Systeme von Entwürfen, kritisch-pragmatistisch bedeutungshaltige Diskurse zwischen handelnden Menschen. Theorie: Der Beschränkung auf konsistenter Verbindung von Entwürfen wird der Anspruch einer Synthese von Erscheinungen und Wesen gegenübergestellt. Gegenstandskonstitution: Der Begriff der Konstruktion wird aufgehoben in humaner Praxis. Methodenansatz: Statt der zentralen Stellung von letztlich unentscheidbaren Deutungen, geht es um den Anspruch einer Verbindung und der Reflexion von Empirie und Theorie. Ausgehend von einem kritisch-pragmatischen Ansatz ist es möglich Engführungen aufzudecken und Verkürzungen zu vermeiden. Ein kritischer Pragmatismus entgeht aber auch den Einseitigkeiten eines individualistischen und utilitären Pragmatismus wie sie z.B. bei Rorty (1987, 1992) auftreten, wenn auf den immer schon vorhandenen konkreten gesellschaftlichen Kontext und bestehende Handlungszusammenhänge hingewiesen wird und sich Wahrheit keineswegs auflöst in Nützlichkeit. -
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Folgt man dem Impuls „Kritischer Theorie" ist auszugehen von untrennbaren, wechselseitigen Verflechtungen von Denken und Sein, von Theorie und Praxis. Wirklichkeit wird wahrgenommen und immer auch schon hergestellt. Die Differenzen werden nicht beseitigt, sondern reflexiv vermittelt. Kritik als Antrieb von Theorie macht einen Unterschied zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen. Sie wendet sich gegen einen Szientismus von Wissenschaft als Beschreiben und Feststellen einer Faktizität, die als vorgegeben hingenommen werden muss. Vielmehr geht sie aus von dem Potenzial vernünftiger Zustände in der begriffenen Wirklichkeit. „Nur dem, der Gesellschaft als eine andere denken kann denn die existierende, wird sie zum Problem; nur durch das, was sie nicht ist, wird sie sich enthüllen als das, was sie ist" (Adorno ...
1969, 142). Kritische Theorie bezieht sich negativ auf bestehende Unmenschlichkeit. Sie ist, wie Marx sagt, „radikal". „Die Wurzel für den Menschen ist der Mensch selbst" (Marx MEW 1,385). Die Kritik gipfelt in der „Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (ebd.).
Einer kritisch-pragmatischen Theorie geht es nicht darum, die Wirklichkeit zu be- oder verurteilen. Kritik dient dazu die Wissenschaft eines Gegenstandes auf den Kern zu bringen und so die Wirklichkeit und die Möglichkeiten, die in ihr stecken, zu begreifen. Der Begriff Kritik meint in dieser Fassung nicht abstrakte Negation, sondern ist lebensweltlich verankert und verbunden mit humaner
Perspektive.
korrespondiert das Gewicht der Praxis. Hauptmangel empirisch-analytischer Wissenschaft ist es, ihre Gegenstände nur passiv zu betrachten und nicht als Resultat menschlicher Tätigkeit, Der Kritik
157
Wenden
als Praxis.
Pragmatische Theorie will die Welt nicht nur verschieden interpretieren, sondern auch verändern. W.F. Haug (2001) hat in seiner Abschiedsvorlesung beigetragen zur Auseinandersetzung um
die 11 .These über Feuerbach von Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern. (Marx MEW 3, 7). Das Verhältnis von Erkennen und Verändern ist eines der Ergänzung (Haug 2001,155). Es geht um die „Vermittlung des Tatsächlichen durch die gesellschaftliche Praxis" (Horkheimer 1970,22). Nun ist damit lediglich eine Denkrichtung angegeben, keine fertige Lösung. Praxis ist immer konkret auf Situationen in historischen Konstellationen bezogen, d.h. die praktische Relevanz von Theorie muss immer wieder neu und gegenstandsbezogen hergestellt werden. Wenn man den kritisch-pragmatischen Ansatz ernst nimmt, sind Theorien eben nicht nur begründete Sätze z.B. über Lernen im Lebenslauf. Sie sind vielmehr immer schon bezogen auf Verstehen und Anleiten des Handelns in einer Praxis konkreter Lernsituationen. Wissenschaft ist Theorie einer Praxis und selber Praxis. Ohne dies kommt eine Theorie lebensentfaltender Bildung nicht aus. Der Begriff Bildung umfasst empirische Wirklichkeit und intentionale Möglichkeiten. Dies verbindet auch Wissen und Werten. Es geht um den systematischen Versuch, Überzeugungen, welche das Handeln im Kontext von Bildung anleiten, zu begründen. Die Sätze der Theorie sind Urteile über Bedingungen und Wertschätzungen, über Intentionen, Themen und Methoden des Lernens im konkreten Fall. Die analytische Trennung von Fakten und Normen, von Erkenntnis und Interesse, von Kognition und Emotion sind notwendige Abstraktionen, die konkret koinzidieren. Die Differenz zwischen Tatsachen und Werten aufzumachen ist zunächst sinnvoll, um sich zu schützten gegen bloße Normativität und blanke Postulate. Insofern unterscheidet sich eine kritisch-pragmatische Theorie lebensentfaltender Bildung grundlegend von jeder Postulatspädagogik. Sie lässt sich ein auf die konkreten Konstellationen möglicher Lebensführung und sieht dann auch wieder die Zusammenhänge zwischen Erkenntnis und Interesse. „
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Wissenschaft, die sich auf Lebenszusammenhänge bezieht, steht in hoher Komplexität historischer, biographischer, sozialstruktureller, ökonomischer, politischer und kultureller Kontexte. Die Überzeugungen, welche Handeln in der Praxis anleiten, sind einbezogen in gesellschaftliche und individuelle Erfahrungen von Anschauung
und Bedeutungszuweisung. Dabei bewegt sich Denken innerhalb der Sprache als einer symbolischen Struktur, welche Wirklichkeit aneigenbar macht. Sprachlich formulierte Überzeugungen liegen auf unterschiedlichen Ebenen theoretischer Abstraktion von routinisierter Praxis. Bezogen auf das Verhältnis von Theorie und Praxis in Erziehung und Bildung ist zu unterscheiden zwischen unausgesprochenen Voreinstellungen, Handlungswissen, wissenschaftlichen Theorien und reflexiver Bezugnahme auf das Verhältnis von Theorie und Praxis. Wenn man diesen Grundgedanken aufnimmt, sind vier Abstraktionsebenen von Bildungstheorien zu unterscheiden: Erfahrungen und Einstellungen im alltäglichen Handlungszusammenhang des Lernens, Handlungswissen der Experten des Lernvermitteins, wissenschaftlich fundierte Theorien über Interessen, Gegenstände und Methoden erkenntnistheoretische Reflexionen der Theoriebegründungen. Diese verschiednen Wissensbasen stehen im Zusammenhang. In den Routinen des lernenden Aneignens und des Lernvermitteins sind Erfahrungswissen und wissenschaftliche Begründungen, welche Metatheorien voraussetzen, verflochten in Expertise. Dazwischen gibt es keinen bruchlosen Ableitungszusammenhang. Konkretes Handeln muss die Komplexität von Situationen bewältigen, welche im abstrakten Denken nie vollständig interpretiert und systematisiert werden können. Wissenschaftliche Theorien erarbeiten für die Praxis von Bildung empirische Begründungen, anwendbare Instrumente und reflexive Überzeugungen. Fatal sind Positionen, welche diese Komplexität zertrennen. Oft stößt man auf Theoriefeindlichkeit der sogenannten Praktiker gerade
Wenden
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Erwachsenenbildung, welche wissenschaftliche Reflexion als überflüssig, unbrauchbar oder sogar schädlich ansehen. Gleichzeitig findet man eine Praxisverachtung sogenannter Theoretiker, welche wegen Unableitbarkeit und fehlender Letztbegründungen von Instrumenten einen Rückzug gegenüber Handlungsanforderungen empfehlen. Die praktische Intention theoretischer Reflexion geht damit verloren. Theoriefeindlichkeit und Praxisverachtung reauch in der
sultieren beide in einer Affirmation des Bestehenden, weil der kritische Impuls wissenschaftlichen Denkens verfehlt wird. Ohne die Anstöße kritischer Theorie verkürzt sich Bildungswissenschaft entweder auf Rezeptologie oder sie verliert Handlungsfähigkeit. Ein kritisch und pragmatisch geklärtes Konzept versucht interpretative, instrumenteile und reflexive Horizonte zu verbinden. Von einer solchen Position her kann man die Leistungen verschiedener Theorien einordnen. Aus dem Zusammenhang zwischen Erkenntnisinteresse, Gegenstandskonstitution und methodischen Ansätzen resultieren unterschiedliche Gestaltungskonzepte für das Lern- und Lehrgeschehen durch Didaktik und Methodik und der Rahmensetzungen durch Institutionen und Politik. Dabei fließen unterschiedliche Menschen- und Gesellschaftsbilder ein. Diese gruppieren sich um die Grundbegriffe Arbeit (Teil 3), sowie Wissen und Lernen (Teil 4). Eine solche Einordnung kann die Diskurse um „lebenslanges Lernen" orientieren (Teil 5). Eine kritisch pragmatische Position ermöglicht Abstraktheiten ebenso wie Rezeptangebote zu vermeiden. Sie bezieht sich nicht nur auf passive Interpretation der Wirklichkeit, sondern richtet kritische Aktivität auf uneingelöste Möglichkeiten der Gestaltung. Insofern kann sie handlungsorientierend wirken.
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Arbeit und Beruf:
3. Arbeit und Beruf:
Bildung
Bildung
Unterhalb der verschiedenen wissenschaftstheoretischen Begründungen braucht „lebenslanges Lernen" auch eine gesellschaftstheoretische Verortung, wenn man nicht auf die Abstraktheiten geisteswissenschaftlicher, radikalkonstruktivistischer oder individualstisch pragmatistischer Konzepte zurückfallen will. Damit gerät man in das Spektrum konkurrierender Interpretationen von „Gesellschaft". Eine für die Einschätzung humaner Perspektiven zentrale Diskussion dreht sich dabei um den Stellenwert, den „Arbeit" als Hauptkategorie der Gesellschaftsanalyse noch haben kann und welche fundierenden Perspektiven für Anlässe des Lernens oder für Bildung daraus resultieren (vgl. zum Folgenden Faulstich 2001). Den Begriff Arbeit ins Zentrum von Überlegungen über Lernaufgaben zu stellen oder in diesem Kontext gar von Bildung zu reden, erscheint hoffnungslos antiquiert. „Arbeit" war zentrale Kategorie der Gesellschaftsmodelle des 19. Jahrhunderts; im 21. Jahrhundert wird allseits die „Wissensgesellschaft" (z.B. Stehr 1994) verkündet. Oder mindestens ist von Risiko (Beck 1986) oder Multioptionalität (Gross 1994) als Hauptkennzeichen gegenwärtiger Zustände die Rede. Das soziologische Angebotsspektrum von EinwortGesellschaften wächst: Postindustrie-, Multikultur-, Informations-,
Medien-, Verantwortungs-, Freizeit-, Erlebnis-, Bürger-, Bildungsoder gar Weiterbildungs-Gesellschaft u.a. mehr (Kneer u.a. 1997, 2001, Pongs 1999, 2000). Schon zu Ausgang des letzten Jahrtausends ist das „Ende der Arbeitsgesellschaft" behauptet worden. Welchen Sinn macht es also, den gegenwärtigen sozialen Kontext unter dem Blickwinkel des Stellenwerts von Arbeit als Basiskategorie für lebensentfaltende Bildung zu betrachten? Zwar werden Probleme der Zukunft der Arbeit in der konkreten Entwicklung immer wieder zu Lernfragen. Und umgekehrt ist die Frage nach der Zukunft von Bildung unlösbar verknüpft mit Perspektiven der Arbeitsgesellschaft und von Erwerbstätigkeit als spezifischer historischer Gestalt von Arbeit etwa in der Form des Berufes. Welche Reichweite kann aber Arbeitsorientierung als fundierende Kategorie für Bildungsperspektiven insgesamt noch haben?
Arbeit und Beruf:
Bildung
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Wie kann man, wo doch die These, der Arbeitsgesellschaft gehe die Arbeit aus, schon längst ins Alltagsbewusstsein abgesunken ist, noch an einem so belasteten Schlüsselbegriff festhalten ohne sich lächerlich zu machen?
Falls es allerdings richtig sein sollte, dass auch unter den Bedingungen eines virtualisierten Kapitalismus Arbeit Strukturprinzip gesellschaftlicher Entwicklung wie menschlicher Entfaltung bleiben
wird (3.1),
spricht manches dafür, Bildungsprobleme im Zusammenhang „lebensumspannenden Lernens" weiterhin in Bezug auf Arbeitsperspektiven zu erörtern. Dabei ist eine Besonderheit der Arbeitsverhältnisse in Deutschland, dass Erwerbsarbeit durch die Form der Beruflichkeit geprägt ist (3.2). Arbeitsorientierung als Bildungsprinzip (3.3) erhält daher ebenfalls ihre besondere Form.
3.1 „Arbeitsgesellschaft" als Diagnose Das „Ansinnen gesamtgesellschaftliche Diagnosen zu formulieren" (Kneer u.a. 2001, 7) ist umstritten und zweifellos problema-
tisch. Wenn man sich überhaupt einlässt auf eine solche Debatte hat schon einige Prämissen akzeptiert, nämlich die Verstehbarkeit von Welt, die Beschreibbarkeit sozialer Kontexte als „Gesellschaft" und die Entwickelbarkeit eines differenzierten Repertoires von Kategorien, an dessen Spitze ein Signalwort steht, das begriffspolitisch wirksam wird. Diese Voraussetzungen bedürften selbst einer intensiven Diskussion. Es ist daran zu erinnern, dass Adorno in der berühmten Debatte des 1968er Soziologentages in Frankfurt über „Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?" angemerkt hat: „Denkbar, daß die gegenwärtige Gesellschaft einer in sich kohärenten Theorie sich entwindet" (Adorno 1969,17). Gleichzeitig hat er aber festgehalten: man
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Arbeit und Beruf:
Bildung
„Die Kontroverse ist wesentlich eine über die Deutung es sei denn, man verbanne das Verlangen eben danach selber in die -
Vorhölle des Außerwissenschaftlichen. Eine dialektische Theorie der Gesellschaft geht auf Strukturgesetze, welche die Fakten bedingen, in ihnen sich manifestieren und von ihnen modifiziert werden" (ebd. 13). Solche Begriffe wie „Arbeitsgesellschaft" haben orientierende Funktionen in Wissenschaft und rezipierender Gesellschaft, obwohl sie sich unmittelbarem empirischem Zugriff entziehen (Mayer 2000, 385). Gleichzeitig ist zu fragen, welche theoriefundierende und zentrierende Potenz sie entfalten können. Im Kern der traditionellen soziologischen TTieoriestruktur steht der Arbeitsbegriff als zentrales Vergesellschaftungsmoment. Deutlich gilt dies für die „Klassiker": Marx, Spencer, Dürkheim, Weber oder Simmel. Gemeinsamer Kemgedanke ist, dass die Konstitution von Gesellschaft Arbeitsteilung voraussetze und diese soziale Integration herstelle. Gleichzeitig resultieren daraus Sozialstruktur und Herrschaftsverhältnisse. Offe benannte die Zentralität der Kategorie Arbeit für die soziologische Theorie auf dem Soziologentag 1982 in -
Bamberg:
„Die klassischen Traditionen der bürgerlichen wie der marxistischen Soziologie teilen die Ansicht, daß Arbeit der zentrale gesellschaftliche Tatbestand sei" (Offe 1983, 38). Damals allerdings wurden deutliche Fragezeichen angebracht, hinsichtlich der Vielgestaltigkeit des Arbeitens, ihrer bewusstseinsprägenden Zentralität und im Übergang zu dem Paradigma „Lebensweise" (ebd. 44-60). Offes Referat folgte auf Dahrendorf, der schon 1980 im „Merkur" die Debatte mit der Formel angestoßen hatte, die sich bis zu Beck (1999) und Gorz (2000) wiederholt. „Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht" (Dahrendorf
1983,25)
Wenn man nicht auf eine metatheoretische Ebene der Zulässigkeit von Gesellschaftsbegriffen überhaupt ausweichen will, gilt es zu prüfen, welchen Stellenwert der Begriff Arbeit als zentrale Katego-
Arbeit und Beruf:
rie
Verständnis
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gegenwärtiger Gesellschaft noch haben kann und welche Konsequenzen für „lebenslanges Lernen" folgen. zum
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3.1.1 Gesellschaft ohne Arbeit? Die Wirklichkeit ist offensichtlich den modischen soziologischen Diskussionen nicht gefolgt: Es gibt wie Martin Kohli feststellt „eine starke Diskrepanz zwischen Papierproduktion und Praxis" (Kohli 2000, 382). Allen Diskussionen um das „Ende der Arbeitsgesellschaft", wie sie auf dem Soziologentag 1982 von Ralf Dahrendorf explizit im Rekurs auf das 1958 erschienene Buch „Human Condition" von Hannah Arendt provoziert worden sind (Dahrendorf 1983) zum Trotz ist eine sinkende Relevanz von Arbeitstätigkeit in ihrer Form als Erwerbstätigkeit für die gesellschaftliche Produktion und Distribution und die Entwicklung der Individuen kaum belegbar im Gegenteil: Je problematischer die Situation in der Erwerbsarbeit wird, desto deutlicher tritt ihr Stellenwert für Persönlichkeitsentfaltung hervor. Bereits 1933 hatte Maria Jahoda in der berühmten Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal" (Jahoda u.a. 1975) die zerstörerische Wirkung des Erwerbsverlustes auf Persönlichkeit und Gemeinschaftsleben belegt. 1983 fragt sie nach: „Wieviel Arbeit braucht der Mensch?" (Jahoda 1983) und stellt fest, dass trotz erheblicher Strukturveränderungen der Erwerbskonstellationen die zentrale Bedeutung der Erwerbstätigkeit fortdauert: „Zum einen ist sie Mittel, durch das die große Mehrheit der Menschen ihren Lebensunterhalt verdient; und zum anderen zwingt sie, als ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt ihrer Organisationsform, denjenigen, die daran beteiligt sind, bestimmte Kategorien der Erfahrung auf. Nämlich: Sie gibt dem wach erlebten Tag eine Zeitstruktur; sie erweitert die Bandbreite der sozialen Beziehungen über die oft stark emotional besetzten Beziehungen zur Familie und zur unmittelbaren Nachbarschaft hinaus; mittels Arbeitsteilung demonstriert sie, dass die Ziele und Leistungen eines Kollektivs diejenigen des Individuums transzendieren; sie weist ei-
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und klärt die persönliche Identität; sie verlangt eine regelmäßige Aktivität" (ebd. 1983, 136). Nahezu alle empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen des Verlustes von Erwerbsarbeit zeigen deren hohen Rang für die soziale Situation und die psychische Identität der Betroffenen. Man kann sogar zynisch formuliert behaupten, dass die psychischen Desaster vieler Erwerbsloser ein Beleg dafür sind, welche Bedeutung nach wie vor der Einbezug in die immer noch dominant als Erwerbsarbeit organisierte gesellschaftliche Arbeitsteilung hat. Nicht zufällig war Erwerbslosigkeit als Massenerfahrung einer der Hauptauslöser der Debatte um das „Ende der Arbeitsgesellschaft", die vor allem durch vier Problemkomplexe angefacht wurde: Andauernde Massenerwerbslosigkeit: Seit 1981 ist die registrierte Arbeitslosenquote nicht mehr unter 5 % gesunken und lag zeitweise deutlich über 10 % (Statistisches Bundesamt 1999, nen
sozialen Status
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zu
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95).
Sinkender Anteil der Erwerbszeit an der steigenden Lebenszeit: Die durchschnittliche Dauer der effektiven Arbeitszeit hat kontinuierlich abgenommen. Während die Erwerbstätigen 1987 durchschnittlich 39,6 Std./Woche arbeiteten, waren es 1998 nur noch 38,2 Stunden. Erosion des NormalarbeitsVerhältnisses: Bei den Vertragsverhältnissen der Erwerbstätigen dominiert zwar noch die Zahl abhängiger, unbefristeter Vollzeitstellen (1995: 68 %). Neben den „Normalarbeitsverhältnissen" wächst aber die Zahl neuer, flexibler Arbeitsformen.
Wahrnehmung von Arbeitsformen außerhalb der Erwerbsarbeit wie Haus-, Familien- oder Eigenarbeit. Für alle diese Tendenzen gibt es Indikatoren und Daten. Dabei werden aber auch vielfältige, teils gegenläufige Entwicklungslinien und Ambivalenzen sichtbar. Es lassen sich zahlreiche empirische Belege aktivieren, welche eher eine Kontinuität traditioneller Beschäftigungsformen dokumentieren. Es könnte aber auch sein, dass
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bisher noch marginale Phänomene, wie z.B. das Auftreten der „Arbeitskraftunternehmer" (Voß/Pongratz 1998) als Typ von Arbeitskraft „grass-roots" epochaler Umbrüche andeuten bzw. zum real
wirkenden Mythos aufgebläht werden (Deutschmann 2001). Entscheidend für Interpretation im Spektrum von Diskontinuität und Stabilität der Gesellschaftsformation bleibt das kategoriale Begreifen der Strukturen, welche die Fakten bedingen. Die Pauschalität und weitgehende Empirieferne der Arbeit-Ende-These hat theoretische Gegenschläge provoziert. Zwanzig Jahre später stellt eine Autorengruppe des WZB fest: „Der Zugang zu Erwerbsarbeit und die Ausgestaltung der Arbeit sind nach wie vor die zentralen Quellen von Lebensqualität gegenwärtiger und künftiger Generationen im Sinne der Einkommenserzielung, Identität, sozialer Integration und Qualität der Umwelt" (WZB 2000, 26). Von einem Ende der Erwerbsarbeit kann keine Rede sein. Allerdings wird gleichzeitig deutlich, dass der Begriffsinhalt von „Arbeit" keine feststehende Größe, sondern selber historischen wie perspektivischen Interpretationen unterworfen ist. „Arbeit" als historische Kategorie hat von der Lohnsklaverei zur Erwerbsarbeit, von der Handarbeit zu Informationsaktivitäten, von der Fabrikarbeit zur Telearbeit vielfältige Metamorphosen erfahren. Es geht also darum, den Begriff angesichts der gegenwärtigen geschichtlichen Lage angemessen zu fassen. Die „Tradition" gesellschaftswissenschaftlicher Theorie, die selbst eingebunden ist in den Prozess der Moderne, teilte weitestgehend die Ansicht, dass Arbeit der zentrale gesellschaftliche Tatbestand sei, „daß es sich bei dem Begriff Arbeit um eine gesellschaftliche Schlüsselkategorie handelt, deren Veränderung alle Institutiound nen, Organisationsprinzipien, Beziehungsstrukturen berührt" (Negt 2001, 25). Wertorientierungen Wenn es richtig wäre, dass die als Arbeit bezeichneten Tätigkeiten nunmehr kaum noch übereinstimmende empirische Merkmale aufweisen und sich daher auch nicht auf ein zugrunde liegendes Theoriekonzept beziehen lassen, wenn also Arbeit damit gesell-
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schaftlich bedeutungslos und auch individuell peripher geworden wäre, dann wäre mit dem realen „Ende der Arbeitsgesellschaft" auch die theoretische Brauchbarkeit des Begriffs verloren. Fatal wäre es,
sich dann in einer „Arbeitsmetaphysik" zu verfangen, welche den Realitätsbezug verloren hat. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Hochschätzung des Begriffs Arbeit ontologische, manchmal religiöse Züge annehmen kann. Er wird dann oft so expandiert, dass alle Tätigkeiten sich in ihm konzentrieren: Bewegungsarbeit, Beziehungsarbeit usw. Als catch-all-Kategorie wäre der Arbeitsbegriff
wertlos.
Allerdings kann auch das stete Bemühen nicht übersehen werden, gleichzeitig mit dem Arbeitsbegriff jegliche Kapitalismuskritik zu den Akten zu legen. Die Faszination des Begriffs macht dagegen gerade aus, dass er die Chancen von Emanzipation innerweltlich
fundiert. Schon in der Tradition der Aufklärung bei Kant ging es darum, sich aus Unmündigkeit herauszuarbeiten (s.o. 1.3). Dies wird bei Marx in den „Pariser Manuskripten" auf die Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsformation bezogen. Die Produktionsweise blockiert durch die Entwicklungslogik der Kapitalverwertung die Selbstbestimmungschancen der Menschen. Der Begriff der „humanen Möglichkeiten" von Entfaltung ist logische Prämisse einer Kritik bestehender entfremdeter, unmenschlicher Zustände. Leitbild ist dann „der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch" (Bloch 1959, 1628). Will man aber die quasi-religiösen Konnotationen vermeiden, muss man sich den Ambivalenzen des Begriffs stellen und ihn immer wieder neu an die Realität rückbinden. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass lange Zeit „Arbeit" identifiziert wurde mit ihrer marktvermittelten Form als Erwerbsarbeit. Dies entspricht deren Dominanz in einer Periode von 1850 bis heute ein menschheitsgeschichtlich knapper Zeitabschnitt. Demgegenüber hat am eindrücklichsten in letzter Zeit Jürgen Kocka auf die historische Konstruktivität des Begriff Arbeit hingewiesen.
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„Im antiken Athen wäre es sinnlos erschienen, die Handarbeit des Sklaven, das Werk des Schriftstellers und die Tätigkeit des Poli-
tikers mit ein und dem selben Begriff zu belegen. Erst im 18. Jahrhundert setzte sich im Westen der heute selbstverständliche allgemeine Arbeitsbegriff durch, der körperliche und geistige, ungelernte und hochqualifizierte, abhängige und selbstständige, monotone und schöpferische Tätigkeiten zusammenband. Danach hat Arbeit einen Zweck außerhalb ihrer selbst: den Zweck etwas herzustellen, zu leisten zu erreichen." (Kocka in Frankfurter Rundschau 9.5.2000, 24). Erwerbsarbeit als historisch-spezifische Form von Arbeit ist in ihrem heutigen Begriff Resultat einer Interpretation gegenwärtiger Gesellschaft als industrieller Kapitalismus. Erwerbsarbeit erhält in diesem Kontext ihre aktuelle Form fortwirkender, wenn auch erodierender Beruflichkeit (3.2). Es kommt also darauf an, einen jeweils geschichtlich angemessenen Begriff von Arbeit zu entfalten. Dazu kann man eine begriffspolitische Doppelstrategie verfolgen: Auf der einen Seite die Beschränktheit auf Erwerbsarbeit aufzubrechen, auf der anderen Seite an einer Differenz gegenüber anderen Tätigkeitsformen festzuhalten. ...
3.1.2 Traditionelle Arbeitsbegriffe Die Grundzüge eines Theoriekonzeptes, das Arbeit für die Kon-
stitution
Gesellschaft zentral annimmt, gehen davon aus, dass Menschheitsentwicklung und die damit verbundene Entwicklung von Gesellschaft auf der Grundlage menschlicher Tätigkeiten in von
Arbeit erfolgen. Werkzeuggebrauch und -herstellung einerseits sowie Kommunikation bei der Koordination von Tätigkeiten in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung andererseits waren die Grundbedingungen dafür, dass die Gattungsgeschichte nicht weiterhin nur als Anpassung des Menschen an die Natur verlief, sondern dass die Menschen zur Regelung ihrer Lebensumstände fähig wurden. Als grundlegendes Konzept, die Beziehung zwischen Natur und Kultur theoretisch zu fassen, meint „Arbeit" den Stoffwechsel zwiForm
von
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sehen Mensch und Umwelt. Dies steht in der Tradition von Marx, der die Notwendigkeit von Arbeit als gebrauchswertschaffendem Prozess hervorhebt. „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert" (Marx
MEW, 23, 192).
Indem sich die Menschen als Lebewesen im Stoffwechsel mit der übrigen Natur reproduzieren, arbeiten sie. Arbeit ist diejenige Tätigkeit, welche die Voraussetzungen menschlicher Existenz schafft und mit der gleichzeitig gesellschaftliche Institutionen entstehen. Insofern ist Arbeit als kooperative, Freiheit und Notwendigkeit vermittelnde Aneignung wie Entwicklung der Bedingungen und Möglichkeiten des menschlichen Lebens zu verstehen (Hund 1990, 26). Dies gilt auf diesem hohen Abstraktionsniveau in einer „Agrargesellschaft" wie in einer „Informationsgesellschaft". Als von allen Gesellschaftsformationen unabhängige Existenzbedingung des menschlichen Lebens wäre demnach gesellschaftliche Arbeit sowohl notwendige Aneignung der Natur als auch Möglichkeitsbedingung individueller Selbstverwirklichung. Ein solcher Arbeitsbegriff fasst vielfältige Traditionslinien neuzeitlicher Philosophie und Ökonomie zusammen (zur Begriffsgeschichte vgl. Hund 1990). Die zentrale Rolle der Arbeit konnte real wirksam und theoretisch erst deutlich werden, als ein entsprechender Stand gesellschaftlicher Entwicklung erreicht war. Die moderne Fassung des Arbeitsbegriffs ist durch die frühbürgerlichen Ökonomen und Philosophen begründet worden und begann mit der Aufwertung von Arbeit gegenüber politischen und meditativen Tätigkeiten. In das Zentrum eines idealistischen Systems gerät er bei Hegel, der vor diesem Hintergrund in seiner spekulativen Philosophie ein emanzipationstheoretisches Konzept aufbaut, in welchem die gegenstandsbezogene Tätigkeit als Prozess der Entäußerung und Vergegenständlichung bei der Entwicklung gesellschaftlichen Bewusstseins interpretiert wird. Marx folgt der Hegeischen Dialektik in der allgemeinen Bestimmung von Arbeit und der dabei verwendeten
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Denkfigur einer Entäußerung. Das handlungsphilosophische Grundparadigma der Arbeit wird allerdings von Marx umgekehrt, indem er davon ausgeht, dass der „wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgerundeten Erde stehen-
de, alle Naturkräfte aus- und einatmende Mensch seine wirklichen, gegenständlichen Wesenskräfte durch seine Entäußerung als fremde Gegenstände setzt, sein gegenständliches Produkt bestätigt nur seine gegenständliche Tätigkeit" (Marx MEW, EG I, 577). Die allgemeine Bestimmung des Begriffs Arbeit lautet dann in der lapidaren Formel des ersten Bandes des „Kapitals": „Der Arbeitsprozeß ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens, daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gemeinsam" (Marx MEW23,198). In abstrakt-formaler Fassung unterliegt ein solcher Begriff auch ...
vielen Ansätzen der Arbeitswissenschaft. „Unter Arbeit wird ein Tätigsein des Menschen verstanden, bei dem dieser mit anderen Menschen und (technischen) Hilfsmitteln in Interaktion tritt, wobei unter wirtschaftlichen Zielsetzungen Güter und Dienstleistungen erstellt werden, die (zumeist) entweder vermarktet oder von der Allgemeinheit (Steuern, Subventionen) finanziert werden. Die Tätigkeit ist planvoll, zielgerichtet und willentlich gesteuert und findet unter bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen statt. Schließlich erfahrt durch Arbeit nicht nur die (materielle und ideelle) Umwelt der Arbeitenden eine Veränderung, sondern auch der Arbeitende selbst (z.B. Ermüdung, Training). Arbeit ist somit eine besondere Form des Tätigseins neben anderen wie Spiel, Sport und Lernen" (Luc-
zak 1993) Ein solcher Arbeitsbegriff erscheint neutral gegenüber der Gesellschaftsform. In einer Klassengesellschaft überformt aber der spe-
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der Arbeit unter den Bedingungen von Ausbeutung und Entfremdung. Mit der Karriere des Arbeitsbegriffs in der bürgerlichen Gesellschaft und in seiner Zurichtung auf Erwerbsarbeit ist dieser von einem fundamentalen Widerspruch gekennzeichnet. Gebrauchswert und Tauschwert von Arbeit treten auseinander. „Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andererseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besonderer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte." (Marx MEW 23, 61) Arbeit wird einerseits allgemein begriffen als Quelle des Reichtums, in ihren besonderen Formen aber bewirkt sie andererseits Entfremdung als eine Trennung der Arbeitenden von ihren Produkten und die Reduktion des Menschen zu einem dumpfen, geistlosen Anhängsel der Maschinerie. „Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind" (ebd. zifische Charakter die
Erscheinungsform
446).
Der Arbeiter wird auf ein Rädchen in der Maschinerie reduziert und degradiert. Sein Erfahrungswissen wird durch technische Informationen ersetzt. Die arbeitenden Menschen „bedienen" die Maschinen. Wenn die Automaten menschliche Funktionen übernehmen,
werden die „Lückenbüßer" der Automation überflügelt und „freigesetzt". Mit fortschreitender Entwicklung der industriellen Produktion ist die Marx 'sehe Vision von den Ermöglichungsbedingungen politischer und persönlicher Emanzipationsprozesse durch die Arbeit zunehmend problematisch geworden. Dem entspricht industriesoziologisch und sozialphilosophisch eine Entleerung der Arbeitskategorie.
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Zwei reale Effekte technisch-industrieller Erwerbsarbeit potenziert in ihrer automatisiert-informationellen Form begründen diesen Prozess: die Entfremdung in der Arbeit sowie die Freisetzung von der Arbeit, d.h. Erwerbslosigkeit. -
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3.1.3 Erweiterung des Arbeitsbegriffs Die Entfremdungs-Freisetzungsargumentation vereinseitigt und verschleiert aber die Dialektik realer Prozesse; die immer auch gegenläufige Tendenzen provozieren. So ist das Gerede vom „Ende der Arbeitsgesellschaft" gekennzeichnet durch seine Pauschalität. Sicherlich gibt es eine Wertekrise und eine Interpretationswende bezogen auf den Stellenwert gesellschaftlicher Arbeit für die Individuen. Aber nicht die Arbeit wird knapp, sondern die Möglichkeit sie als Erwerbstätigkeit zu bezahlen. Das Gerede von der „Knappheit der Arbeit" lässt nicht nur die geschichtliche Besonderheit ihrer Organisation als Erwerbsarbeit, die in dieser Form gerade mal zweihundert Jahre alt ist, außer acht, sondern verdeckt auch eine ganze Reihe von Arbeiten, die eben nicht als Erwerbstätigkeiten als Tauschform abgespalten sind. Es gibt große Bereiche, die der Kapitalakkumulation nicht unterworfen sind und sich ihr entziehen: ein Großteil der Hausarbeit, ehrenamtliche Arbeit, Eigenarbeit. Die Wiederentdeckung der „Eigenarbeit" und der „öffentlichen Arbeit" hat für die Diskussion um die Zukunft der Arbeit herausragende qualitative Bedeutung, in dem sie auf Alternativen zur Erwerbsarbeit hinweist. Man kann Arbeit einbeziehen in eine umfassende Systematik von Tätigkeiten. Diese Tätigkeitsformen sind zunächst in ihrer Typik zu unterscheiden. So kann Arbeit abstrakt begriffen werden als eine Tätigkeit bei der materielle oder informationelle Gegenstände bezogen auf eine Zweck-Mittel-Rationalität des Gebrauchs oder des Tauschs verändert werden. Lernen intendiert demgegenüber primär eine Erhöhung der Kompetenz des handelnden Individuums selbst. Spielen ist gekennzeichnet durch seine Zweckfreiheit. In konkreten Handlungen vermischen sich oft solche Akzente.
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Erholen
f Spielen Tätigkeiten
_r
Zwangsarbeit
— Erwerbsarbeit Lernenr * Arbeiten Gemeinschaftsarbeit
Essen
Schlafen
*
~~~~+-
Eigenarbeit Hausarbeit
I_Körperpflege_ Abb. 16:
Tätigkeitsformen
Erwerbsarbeit ist demgemäß eine spezifische Form der Tätigkeit und eine spezielle Art und Weise von Arbeit, welche aber immer noch die Kernstruktur der gegenwärtigen Gesellschaftsformation begründet. Sie wird so stellten Kern/Schumann (1984, 326) zurecht fest auch für die nächste Generation mit Sicherheit mehr als eine Randsituation oder ein Übergangsphänomen sein. Erwerbsarbeit bleibt weiter Existenzgrundlage und Identitätskern des überwiegenden Teils der Bevölkerung. Sie wird aber in ihrer Besonderheit gegenüber anderen Arbeitsformen deutlich. „Erwerbstätigkeit" wird relativiert und „Arbeit" wird generalisiert. „Arbeit" in einem umfassenden Sinn meint die Gesamtheit der nützlichen Tätigkeiten von Menschen, die für die Entwicklung der Persönlichkeit und die Bindung in sozialen Strukturen relevante Aspekte umfasst. Arbeit im informationellen Kapitalismus hat drei Gesichter: Sie schafft konkrete Ergebnisse in Gebrauchswerten. Sie konstituiert soziale Strukturen über Tauschbeziehungen. Sie bindet die Entfaltungsmöglichkeiten der Personen. -
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Teilnahme der Natur
an
der
aktive Teilnahme
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gesellschaftlichen Form in der Auseinandersetzung mit an
der Produktion gesellschaftlich nützlicher Güter
Entfaltung der Kompetenzen einer Person in der Arbeitstätigkeit Inanspruchnahme eines großen Teils der Lebenszeit Vorgabe der Strukturen der Lebenszeit in Tagen, Wochen, Jahren Zuweisung von Einkommensmöglichkeiten Einschätzung des Prestiges und sozialen Status einer Person Ermöglichung von sozialen Interaktionen in der Arbeitssituation Entstehung eines Systems von Normen und Werten innerhalb der Arbeit.
Abb. 17: Persönlichkeitsrelevanz von
Arbeitstätigkeit
Nur so ist „Arbeit" adäquat zu begreifen, angesichts der Umbrüche der Erwerbsarbeit durch Virtualisierung, Flexibilisierung, Diversifizierung und Entgrenzung. Virtualisierung breitet sich aus, indem immer größere Anteile konkreter Arbeit ihre physischen Grenzen verlieren und zu Wissensarbeit werden. Es geht um Auswählen, Aufbereiten und Weitergeben von Daten, um Strukturen, Kohärenz und Relevanz von Informationen. Die größten Zuwächse werden den TIME Branchen vorausgesagt: Telekommunikation, Informationstechnik, Medien und Entertainment.
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Flexibilisierung findet statt, indem die Standards des „Normalarbeitsverhältnisses" örtlich, zeitlich, inhaltlich und arbeitsrecht-
lich zumindest ansatzweise erodieren und teilweise relativiert werden. Bei den Arbeitsverhälmissen der abhängig Beschäftigten dominiert zwar noch die Zahl der unbefristeten Vollzeitstellen (1995: 68 %). Es wächst aber die Zahl neuer, flexibler Erwerbsformen. Diversifizierung greift, indem ein Spektrum unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse und Übergangsfelder entsteht und individuell in verschiedenen Phasen kombiniert wird. Abhängige und selbst-
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Erwerbsarbeit greifen ineinander. Auftritt der „Selbstunternehmer" als ein neuer Typ der Verwertung von Arbeitskraft
ständige
(Voß/Pongratz 1998). Entgrenzung breitet sich aus, indem Erwerbsarbeit zeitlich und örtlich in andere Tätigkeitsschwerpunkte diffundiert. Erwerbszeiten, Erholzeiten, Lernzeiten
usw. schieben sich ineinander. Die Grenzen zwischen Wohn- und Arbeitsort werden unscharf. Insofern künden sich in den beschriebenen Tendenzen Perspektiven einer neuen Form der Arbeit an, wie sie Oskar Negt benennt.
„Die Struktur der Arbeitsplätze, ja die Arbeit selbst ist in einen Strudel
gesellschaftlicher Dynamik hineingezogen, vergleichbar jener Umbruchphase kapitalistischer Produktionsprozesse um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die extensive Lohnausbeutung durch die wirksamere intensive ersetzt wurde" (Negt
2001,128).
Ein Ende der Erwerbsarbeit aber ist nicht in Sicht. In der einschlägigen Veröffentlichung des Forschungsvorhabens „AGORA Arbeit, Wissen, Bildung" stellen Jürgen Kocka und Claus Offe gemeinsam fest: „Als Norm und als Realität ist Erwerbsarbeit zentral für die Kultur und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft" (Kocka/Offe
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2000, 11).
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3.2 Beruflichkeit von Arbeit Es wird also deutlich, dass das Gerede vom Ende der Arbeitsgesellschaft selbst Resultat wie Impuls von Kriseninterpretation der bestehenden Form von Arbeit ist. Dies hat Tradition. Immer wenn Krisen oder Reformen oder beides im Verhältnis von Arbeiten und Lernen drohen, tauchen in Deutschland die Begriffe Beruf und Bildung auf und lösen heftige symbolische Kämpfe aus. Dies galt schon für die Humboldt'sehen Schulpläne von 1804, für die preußische Allgemeine Gewerbeordnung von 1845, für die Debatte um die Handwerksordnung von 1897, für die Diskussionen der Reichsschulkonferenz von 1920, für das „Gutachten über das berufliche Ausbildungs- und Schulwesen" des Deutschen Ausschusses von 1964, für die Krise der Lehrlingsausbildung und den Deutschen Bildungsrat 1969. Dies wiederholt sich letztendlich in der Diskussion um das Ende des „Dualen Systems" und um „Lebenslanges Lernen", die seit Mitte der 1990er Jahre sich aufgrund technologischer und ökonomischer Umbrüche wieder einmal verstärkt. Bereits in den 1920er Jahren als Anachronismus beerdigt, steigt der Berufsbegriff immer wieder auf nach der Devise: Totgesagte leben länger. Es ist hochgradig riskant, sich auf ein Thema einzulassen, das unter der Last der Tradition zusammenbricht und mit aktuellen Interessen überladen ist. Im Kampf um den Berufs- und den Bildungsbegriff hilft zwischen Festhalte-Apologie und Auflösungskritik zu fragen, welche theoriefundierende und zentrierende Potenz diese Kategorien entfalten können. Gerade die Kategorie "Beruf als eine Form gesellschaftlicher Arbeit, die als regulatives Prinzip Arbeitstätigkeit, Ausbildung und sozialen Status umgreift, bündelt eine Fülle realer und normativer Aspekte. Dies verstärkt sich noch in dem Maße wie Beruflichkeit und Bildsamkeit als historisch-konkrete Formen des allgemeineren Verhältnisses von Arbeiten und Lernen korrespondieren. -
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Beruf und Bildung sind spezifische Formen der generellen menschlichen Tätigkeiten Arbeiten und Lernen. Sie treten in einen Gegensatz, wenn persönliche Entfaltung der instrumenteilen Verzweckung untergeordnet, wenn Identität der Funktionalität geopfert, wenn Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung überformt, wenn Mündigkeit durch Herrschaft unterdrückt wird. Das allgemeine Problem des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft erhält hier seine besondere Gestalt. Hinter den bildungstheoretischen und berufssoziologischen Diskussionen stehen also nicht nur wissenschaftliche, theoretische Divergenzen, sondern immer auch schon gesellschaftliche, politische Kontroversen. Es sind zweifellos tiefbohrende Fragezeichen angebracht, welche die Tragfähigkeit von „Beruf und „Bildung" als orientierende Kategorien für Intention und Organisation des Arbeitens und Lernens unterhöhlen. Angesichts von Unübersichtlichkeit und Unsicherheit resultieren semantische Strategien, den Berufs- wie den Bildungsbegriff zu unterlaufen und „Qualifikation", dann „Schlüsselqualifikation", dann „Kompetenz", als scheinbar empirisch tragfahigere Begriffe in die theoretische Leerstelle zu setzen. Auf die reale Verallgemeinerung der Arbeitstätigkeiten kann man mit einer theoretischen Verallgemeinerung der Begrifflichkeit reagieren. Berufsbezug wäre dann eine besondere, interessenorientierte, historisch immer befragbare und riskante Form des Arbeitsbezugs. Verfolgt man die strukturellen und historischen Verwendungsweisen stößt man auf ein merkwürdiges Hin- und Herschwingen des Begriffsinhaltes und -umfangs von „Beruf. Schon die Ausgangslage in der entstehenden Moderne ist gekennzeichnet durch die Kopplung der Berufs- mit der Bildungskategorie zur Kennzeichnung der Stellung des Menschen in der Gesellschaft im Spannungsfeld von Harmonie und Konflikt. Dies zu stützen werden einerseits normative Entwürfe, andererseits deskriptive später empirische Argumente aktiviert. Man kann die langfristige Begriffstendenz kennzeichnen als Prozess von religiösen hin zu juristischen und empirischen Gehalten, überlagert durch Theoriewellen, die mal mehr soziologisch beschreibend, mal mehr pädagogisch konstruierend pointiert sind. Inwieweit Beruflichkeit Identitätschancen sichern kann, ist -
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einerseits ein Problem faktischer gesellschaftlicher Entwicklung, anderseits aber auch eine Frage pädagogischer und noch stärker politischer Entscheidungen in der Arbeits-, Rechts-, Sozial- und Bil-
dungspolitik.
Berufspädagogik ist es üblich weit zurückzugreifen. Gerne wird als historische Quelle auf Luther verwiesen. In Lehrtexten der
„Es ist Gott nicht umb die Werk zu tun, sondern umb den Gehorsam" (zit: Conze 1972, 494). Nach mehreren Stationen z.B. über Zedlers Universallexikon von 1733 „Beruff, einen zu etwas beruffen, heist nicht anders, als einen zu etwas bestimmen, oder ihn zu etwas verpflichten. Der Beruff ist also eine Pflicht, nach der wir etwas besonders in der Menschlichen Gesellschaft zu verrichten schuldig sind" (Bd. 3, Sp. 1449) -
gerät man dann zu Max Weber. „Beruf soll jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person heißen, welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- und Erwerbschance ist" (Weber 1985, 80). Besondere Relevanz erhält das Berufskonzept durch seine fragile Konstellation zur Bildungsidee schon bei Humboldt. Angefangen bei Georg Kerschensteiner fallt der Berufsbegriff in die Fänge der Berufsbildungstheoretiker, löst sich aber zugleich von bloßer Fachlich-
keit. Schon in seiner berühmten Preisschrift von 1901 hatte Kerschensteiner Qualifizierung als Mittel zum Zweck der Politisierung, nämlich brauchbare Staatsbürger zu erziehen, benutzt. Mit dem
„Ordnungsmittel" Beruf wird Anschlussfähigkeit zu Bildung hergestellt. Dies begründet dann einen ersten berufsbildungstheoretischen Kernsatz:
„Die Berufsbildung steht an der Pforte der Menschenbildung" (Kerschensteiner 1904, in: ders.: 1954,48). Eduard Spranger betreibt eine Generalisierung: „Aber ,Bildung' trägt immer ein Allgemeines in sich selbst. Wer für seinen Beruf gebildet' wird, der wird zugleich zur Freiheit ,
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gegenüber allen Einzelleistungen in ihm erzogen, der lernt ihn in einem größeren Kulturzusammenhang auffassen und geistig über ihm stehen, statt von ihm verschlungen zu werden" (Spranger 1919, 32).
Das
begründet
einen zweiten
berufsbildungstheoretischen
Kern-
satz.
„Der Weg zu der höheren Allgemeinbildung führt über den Beruf und nur über den Beruf (ebd. 27). Vorindustriell und vorkapitalistisch aufgeladen durch Ganzheitlichkeit und Dauerhaftigkeit geraten die Begriffe Beruf und Bildung in eine schlechte Abstraktheit durch scheinbare Zeitlosigkeit, indem semantische Konnexe einer ständisch geordneten Gesellschaft in die Moderne herübergerettet werden (Konservativismus), und durch Wertgeladenheit, indem abstrakte Normen konkrete Interessen verdecken (Normativismus). In dieser Fassung setzt "Beruf auf generalisierte Fachlichkeit und Lebenslänglichkeit. Gerade deshalb ist der Berufsbegriff zunehmend in Verruf gekommen. Aus der empirischen Analyse der Berufswirklichkeit ergibt sich eine scharfe Kritik religiöser, traditioneller, idealistischer und funktioneller Auffassungen. Berufsausprägungen entsprechen nicht mehr der tatsächlichen Arbeitsteilung und den betrieblichen Anforderungen. Berufsausbildung und Berufsausübung fallen immer öfter auseinander. Arbeitsinhaltliches, fachliches Wissen ändert sich immer schneller. Erwerbslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel ist Beleg für ein Missverhältnis zwischen Bildungs- und Beschäftigungs-
system.
Erstausbildung wird abgebaut und in Weiterbildung verlagert. Einige dieser kritischen Kernpunkte wurden schon frühzeitig artikuliert. Angesichts von Taylorisierung und Standardisierung der Arbeitstätigkeiten redet Anna Siemsen in der Schriftenreihe „Neue Menschen" bereits 1926 von „Berufszersetzung".
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„In der industriellen Arbeiterschaft und in allen Berufsformen, die sich dieser nähern, ist der Beruf auf ein reines Lohnverhältnis ohne individuelle Sicherung reduziert" (Siemsen 1926, 175). Zum ersten Großkonflikt um die Berufskategorie in der Bundesrepublik führte die Abel-Blankertz-Kontroverse. Heinrich Abel hatte 1963, u.a. angestoßen durch eine großangelegte Veröffentlichung im
„Stern", dem deutschen Konzept des Berufs als funktional äquivalent das amerikanische Denken in Jobs gegenübergestellt. Herwig Blankertz bestreitet nicht die empirischen Tendenzen, legt diese aber
alternativ aus. „Dieser Tatbestand von Fragwürdigkeit bei gleichzeitiger Unersetzbarkeit des Berufsbegriffs ist typisch für die gegenwärtige Situation" (Blankertz 1963, 9). Mobilitätszwänge werden uminterpretiert zu -möglichkeiten, geradezu als Voraussetzung, dem Zwangscharakter vorgegebener Mächte zu entgehen und Bildungschancen zu finden. „Die heutige soziale Mobilität erlaubt demgegenüber, die berufliche Arbeit als die Daseinsmöglichkeit der freigesetzten Subjektivität zu begreifen. Denn die Ermächtigung des Menschen zu Wahl und Wechsel des Berufs in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation ist die humane Chance, die den aus dem Protest gegen den determinierenden Zwangscharakter der ständischen Gesellschaft stammenden Gegensatz von Berufs- und Allgemeinbildung hinter sich lassen kann" (ebd. 27). Einem solchen dynamisierten wie abstrahierten Berufs- wie Bildungsbegriff ist empirisch nur schwer beizukommen. Der vorerst letzte Generalangriff gegen das Berufskonzept wurde von Martin Baethge und Volker Baethge-Kinsky eingeleitet. Sie vertreten die mittlerweile auch schon fast hundert Jahre alte Behauptung: „die These, dass trotz steigender Qualifikationsanforderungen auf der Nachfrage- und steigender Durchschnittsqualifikationen auf der Angebotsseite von Arbeitskraft der Beruf als spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit und sozialer Orientierung und Integration, welche die deutsche Tradition der Berufskategorie -
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ausmacht,
zunehmend
Bildung
fragwürdig
wird
und
erodiert"
(Baethge/Baethge-Kinsky 1998, 461). Ursache dieses Erosionsprozesses sei die prozessorientierte Reorganisation in den Unternehmen, diese führe zu einer „Aufweichung der Beruflichkeif' (ebd. 469) im Arbeitseinsatz, was sich zeige an Indikatoren wie der Reduktion des Ausbildungsplatzangebotes und der Absenkung der Eingruppierung für junge Facharbeiter. Allerdings wurde dieser Vorstoß schon im gleichen Heft der „Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung" (MittAB 1998, H. 3) durch die Argumentation von Werner Dostal, Friedemann Stooß und Lothar Troll aufgefangen. „Der Beruf in seiner umfassenden und zugleich offenen Struktur sowie seiner Beziehung zur Professionalität dürfte gerade in die-
offenen Arbeitsformen eine neue und wesentlichere Bedeutung erhalten" (Dostal u.a. 1998,438). Diese Kontroverse führt noch einmal deutlich das Desaster empirisch orientierter Berufsanalysen vor, welche theoretisch nicht hinreichend geklärt mit verschiedenen Berufskategorien aneinander vorbeischießen, wobei sie sich auf unterschiedliche Empiriesegmente beziehen. Dabei hatte berufssoziologisch die Arbeit von Beck/Brater/Daheim die Konstruktivität von Beruflichkeit schon 1980 hinreichend deutlich gemacht, um eine szientifische Begrifflichkeit, die glaubt, schlicht zu erfassen, was ist, zu vermeiden. Berufspädagogisch hat sich Günter Kutscha (1992) dem Dilemma sen
weitgehend entzogen, indem er das Hin und Her von Verfestigen und Entschwinden gefasst hat als „Entberuflichung und Neue Beruflichkeit". Felix Rauner hat dies dann positiv aufgegriffen als „offene dynamische Beruflichkeif' (2001). So wird das Konstrukt Beruf doppelt relativiert: empirisch aus schlichter Faktizität gelöst und gleichzeitig normativ entlastet. Berufe werden immer neu geschnitten als Form, welche gesellschaftliche Arbeit erhält nicht mehr und nicht weniger. Die von Karlheinz Geißler (1994) vertretene Formel vom „Lebensberuf' zur „Qualifikationscollage" trifft einen Aspekt dieser Konstruktivität, übersieht aber, dass die jeweiligen Fähigkeitsbündel keineswegs beliebig zu-
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sammengestellt sind,
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sondern Resultat jeweils historischer Konstellationen, Interessen und Konflikte. Damit wird die Perspektive frei für eine interessenorientierte Auffassung von „Beruf. Aus Sicht der Beschäftigten ist beruflich strukturierte Arbeitstätigkeit grundlegend nicht nur für Konsum- sondern auch für Identitätschancen (Faulstich 1981). Berufe sind demnach veränderbare und aushandelbare Muster für die gesellschaftliche Einordnung wie für die Entfaltung der arbeitenden Individuen. Die jeweiligen Festlegungen sind Ergebnis gesellschaftlicher Interessenkonflikte. So wird der strukturelle Stellenwert der Kategorie Beruf als Form der Arbeitstätigkeit in der kapitalistischen Formation klarer und gelassener diskutierbar. Das Berufsmodell ist eine von drei grundlegenden Alternativen: Individualismus: Arbeitsverträge sind Einzel Verträge. Am Anfang des Arbeitsrechtes steht die Herausbildung des „doppelt freien Lohnarbeiters" „frei" von Eigentum und „frei" seine Arbeitskraft zu verkaufen (Däubler 1979, 27). Die Grundstruktur des Arbeitsverhältnisses als Tausch von Arbeitskraft gegen Lohn beruht auf individueller Vertragsfreiheit. Für den gewerblichen Bereich hat z.B. die Gewerbeordnung aus dem Jahr 1869 dies in § 105 GewO ausdrücklich hervorgehoben. „Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Einschränkungen, Gegenstand freier Übereinkunft" (zit. Däubler 1979, 56). Damit ist die Grundlage „abhängiger Beschäftigung" fixiert. Dieses individualisierte Verhältnis des Arbeitseinsatzes schlägt durch bis in seine Auflösung gekennzeichnet durch die mythische bzw. ironische Kategorie des ,,Arbeitskraffuntemehmers" (Voß/Pongratz 1998; zur Kritik vgl. Deutschmann 2001). Gemeinschaftlichkeit: Alle Einschränkungen durch das Arbeitsrecht können interpretiert werden als Durchsetzung kollektiver Interessen der abhängig Beschäftigten aufgrund des Tatbestands, dass das individualistische Modell nicht funktioniert, weil die -
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Verhandlungsmacht der Kontrahenten zu ungleich ist, um einen halbwegs angemessenen Interessenausgleich zu gewährleisten (Däubler 1979, 56). Demgegenüber gilt es gemeinschaftliche Interessen zu wahren. Noch in der manchmal romantisch unterlegten Diskussion um -
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„Kommunitarismus" scheint das Modell einer freien Sozietät der
arbeitenden Menschen auf. Beruflichkeit: In einer Gemengelage unterschiedlicher Traditionen und Interessen hat sich in Deutschland ein mittleres Modell" herausgemendelt, in dem einerseits konservative, vorindustrielle Aspekte von Handwerkerillusionen und ständischer Reaktion stecken, andererseits aus der Tradition der Zünfte Elemente von Solidarität in arbeitsrechtliche und tarifpolitische Regelungen hinübergerettet worden sind. Das Schillern des Begriff Beruf spiegelt diese verschiedenen Facetten. Eine weitere Brechung entsteht durch die Differenz zwischen den realen Tendenzen, welche die Form avancierter informationstechnisch gestützter Arbeitstätigkeiten kennzeichnen, und der Interpretation im ideologischen Diskurs. „Beruf ist dann eine Schleierkategorie mit faktischem Gehalt, der immer wieder neu geprüft werden muss durch empirische wie kategoriale Untersuchung der Entwicklung der zugrundeliegenden Arbeitstätigkeiten selbst.
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3.3 Arbeitsorientierung in der Bildungskonzeption Dies hat, wenn es richtig ist, erhebliche Bedeutung für die Dis-
kussion um Bildung womit wir schon wieder bei diesem hochbelasteten Begriff sind, der fast genau so oft für obsolet erklärt worden ist wie der Arbeitsbegriff. Beide haben eine gemeinsame Vergangenheit. Die Karriere der "Arbeit" war zunächst verheiratet mit der Idee von Bildung als Selbstbildung des Menschen bis zum Idealismus bei Hegel, wo Arbeit des Geistes und Bildung zusammengehörige Momente des geschichtlichen Gesamtzusammenhangs sind. Nach dieser Apotheose folgt aber schnell die Scheidung ins Allgemeine und ins Berufliche durch den Neuhumanismus. Dabei wird Denken des Allgemeinen nicht mehr in den Kontext von Arbeit gestellt und Lernen für konkrete Arbeit nur noch zum Gegenstand „besonderer", niedriger eben beruflicher Bildung. Statt der Sprengkraft von „Arbeit" wird „Beruf als Enge gedacht. Beruf erscheint als das Besondere, das Sachliche, das Private, während das .Allgemeine" sich bezieht auf das Bürgerliche, das Öffentliche, das Politische. An dieser Trennung leidet die Bildungsdiskussion heute noch. In der für die deutsche Bildungstheorie spezifischen Trennung von „allgemeiner", insbesondere „politischer", Bildung einerseits und „beruflicher" Bildung andererseits spiegelt sich auch eine Aufteilung des gesellschaftlichen Lebens in einen öffentlichen Raum, der politischen Entscheidungen und Gestaltungen unterliegt, und die Arbeitswelt, die scheinbar von sachlichen, ökonomischen und technischen Gesetzen beherrscht wird. Die jeweilige Kombination von Organisation, Technik und Personal scheint auf gegebenem ökonomischem Niveau durch Sachzwänge vorgegeben. Dies hat sich spätestens durch die Informationstechniken als falsch herausgestellt. Bei betrieblichen Umstellungsprozessen erweisen sich Organisation, Technik und Personal als drei Variablen der Arbeitsgestaltung. Betriebliche Arbeitssituationen werden zum Gegenstand von Arbeitspolitik. So gibt es ein Hervorbringen des Politischen in der Arbeitswelt, das dem gleichzeitig stattfindenden Prozess der Entgrenzung des Politischen aus dem öffentlichen Raum entspricht. -
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Bemerkenswert ist, dass von unterschiedlichsten Positionen her so aus der Sicht betrieblicher Bildungsarbeit aber auch aus der Perspektive politischer Orientierungen die Frage nach dem Verhältnis beruflicher zu politischer Bildung neu aufgeworfen wird. Begründet ist das in realen Tendenzen der Arbeitsverhältnisse. Wenn sich die Tendenzen in der Erwerbstätigkeit zusammenfassend beschreiben lassen als eine mögliche Abnahme tayloristisch organisierter Formen und gleichzeitige Zunahme neuer Produktions- und Managementkonzepte, verändern sich auch die Auseinandersetzungslinien. Während sich traditionell die Konzepte von "Arbeiterbildung" auf kollektive, solidarische Gegenwehr ausrichteten, geht es bei aktuellen Konflikten immer stärker um die Gestaltung von Arbeit unter dem Gesichtspunkt persönlicher, betrieblicher und gesellschaftlich sinnvoller Kriterien. Dazu braucht es positive Visionen, wie denn Arbeit anders aussehen könne. Im Zusammenhang der Wertewandeltendenzen kommt es zu einer Entproblematisierung der betrieblichen Verteilungskonflikte. Identifikationsansprüche gegenüber der eigenen Arbeit wer-
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wichtiger. Dies kann man als arbeitsorientiertes, politikbezogenes Konzept pointieren. den
Damit ändern sich auch Inhalt und Formen von Erwachsenenbildung. „Schulungsmaßnahmen", z.B. zur Vermittlung von Arbeitsrecht, treten zurück gegenüber Gestaltungsansätzen bis hin zu Zukunftswerkstätten. Notwendig ist dazu ein adäquater Umgang mit dem Begriff des Interesses, der es möglich macht, Differenzierungen wahrzunehmen und diese in einen gemeinsamen Lernprozess, welcher die Interessenunterschiede aufeinander bezieht, einzumünden. Es verändert sich der Stellenwert von berufsbezogener Bildung. Zwar war im Kontext von Arbeiterbildung ein Arbeiterbewegungsbegriff von Arbeit als Gestaltangshoffhung immer schon unterstellt schon bei Weitling, sicher bei Wilhelm Liebknecht und am klarsten bei Rosa Luxemburg. Soziales Engagement und Arbeitsbezug trafen hier zusammen (vgl. Faulstich/Zeuner 2001). Dies hat auch in der Bildungsarbeit der Rätebewegung, des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV), des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der Akademie der Arbeit in Frankfurt weitergetragen. -
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Die dominierende „Neue Richtung" in der Weimarer Republik aber hatte sich in Eigentlichkeit geflüchtet, „das Enthaltensein eines geistigen Lebens, das Ernst hat, Tiefe, metaphysischen Gehalt" wie es in Wilhelm Flitners „Laienbildung"(1921, 1982) heißt. Dies hat eine fortwirkende Tradition. Auch nach dem 2. Weltkrieg war Arbeitsbezug bzw. Beruflichkeit in der Erwachsenenbildung, obwohl dies real immer schon betrieben wurde, mit schlechtem Gewissen verbunden. Erst Mitte der 1960er Jahre bekannte man sich mit der „realistischen Wende" zu dem tatsächlich schon lange vollzogenen Sündenfall. Ein Dokument, in dem diese Rückbesinnung deutlich wird, ist der Band "Bildung für den Beruf mit Beiträgen von Hajo Riese, Heinrich Nieder und Udo Müllges. Hans Tietgens hat eingeleitet. „Berufsbezogene Bildung im Aufgabenverständnis der Volkshochschule" (Riese u.a. 1969). Die Diskussion wurde in den Konflikten der Reformdebatte härter und grundsätzlicher. Erinnert sei an die Beiträge von Dirk Axmacher, Hans-Jochen Gamm, Gero Lenhard und Werner Markert und die "Integrationsdiskussion" zum Verhältnis von "allgemeiner" und "beruflicher" Bildung (Klein /Weick 1970; zum Überblick Faulstich 1991, Weick 1991). Eine „Arbeitsorientierte Erwachsenenbildung" habe ich 1981 hochgehalten, obwohl sich die "Lebenswelt" schon ausbreitete. Den Abgesang hat dann eigentlich verspätet Jochen Kade angestimmt (s.o. 2.2.4). Er schlussfolgert in seiner Grabrede zunehmende Bedeutungslosigkeit einer „emanzipatorischen Erwachsenbildungstheorie", in deren Zentrum der Arbeitsbegriff gestanden hat. „Die zentralen theoretischen Fragen der Zeit laufen in ihr nicht mehr zusammen" (1993, 234). Neue Impulse hat die Rezeption des Arbeitsbegriffs aber ausgerechnet durch die Diskussion um „personalorientierte Managementkonzepte" (Faulstich 1998) erhalten. Dem korrespondiert, dass es bei Konflikten in der Arbeitswelt schon lange nicht mehr nur um die Verteilung von Gewinnen geht, sondern immer mehr um die Gestaltung der Arbeit selbst. Wenn sich die arbeitsinhaltlichen Tendenzen der Erwerbstätigkeit zusammenfassend beschreiben lassen als mögliche Abnahme tayloristisch organisierter Formen und gleichzeitige Zunahme neuer personalorientierter Produktions- und
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Managementkonzepte, verändern sich auch die Auseinandersetzungslinien. Damit verbinden sich Anforderungen und Notwendigkeiten des Lernens bezogen auf technische und politische Handlungsfähigkeit. Ausgangspunkt für eine inhaltliche Bestimmung des Bildungsbegriffs sind demnach Interessenstrukturen im Rahmen kultureller
Konstellationen. Hier steht Erwerbsarbeit immer noch im Zentrum, als grundlegend nicht nur für Konsum-, sondern auch für Identitätschancen (Faulstich 1981). Insofern richten sich Interessen dominant auf den Gegenstand Arbeit und dessen Gestaltung. Es geht um die Klärung von Interessenpositionen und um die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten und Kontrollchancen am Arbeitsplatz, im Unternehmen und durch Politik. Arbeitspolitik wird zum zentralen Thema von Bildungskonzepten, wenn sie der Frage nachgehen, was Intentionen und Themen des Lernens sein sollen. Damit generalisiert sich die Diskussion und bezieht sich auf die Frage nach der Tragfähigkeit des Begriffes Bildung überhaupt. Zwar ist auch der Bildungsbegriff in den letzten Jahren immer wieder in Zweifel gezogen worden: Es handele sich um ein überhöhtes Postulat, welches die Lernwirklichkeit nicht erfasse; es handele sich um ein historisch überholtes Persönlichkeitsideal, das angesichts aktueller gesellschaftlicher Strukturen obsolet sei. Obwohl diese Kritik richtige Momente enthält, rechtfertigt sie aber m.E. nicht den Verzicht auf den Bildungsbegriff als einer zentralen Kategorie, um sich angesichts der anstehenden Zukunftsaufgaben zu orientieren. Insofern halte ich es weiter mit Wolfgang Klaflci: „Bildung muß in diesem Sinn zentral als Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsfähigkeit des einzelnen und als Solidaritätsfähigkeit verstanden werden" (Klafki 1985, 17). Die Inhalte einer solchen Bildung bestimmen sich nicht aus einem zeitlosen Kanon, sondern historisch-konkret angesichts der sich gegenwärtig stellenden Probleme. Man kann wie Klafki es tut die -
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sich stellenden
Perspektivfragen auch als „Schlüsselprobleme" von Bildung aufgliedern. Bildung heißt demnach, diejenige Kompetenz zu erwerben, um die Ursachen solcher für die weitere gesellschaftliche Entwicklung zentralen Probleme zu verstehen, die eigene Position dazu zu finden, entsprechende Entscheidungen treffen zu können
und handelnd einwirken zu können. Nun ist
allerdings nicht zu leugnen, dass trotz gewachsener Entfaltungsmöglichkeiten ein zunehmender Verlust von Identitätschancen droht. Es ist deshalb, wenn man nach den Möglichkeiten von Bildung fragt, zentral, welche Tendenzen die zukünftige Entwicklung der Arbeit kennzeichnen und inwieweit persönUckeitsförderliche Arbeitssituationen geschaffen werden können. Das zentrale Bildungsproblem, die Perspektive der Entfaltung von Persönlichkeit, bleibt gebunden an die Gewinnung zunehmender Souveränität für das eigene Leben in der Arbeit.
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4. Wissen und Lernen: Bildung Das Problem Bildung entsteht aus der Differenz kultureller Wissensbestände und individueller Erfahrungs- und Aneignungsmög-
lichkeiten. Wissen ist nicht nur Antwort, sondern auch Auslöser bezogen auf das Bildungsproblem. Allerdings geht es dabei keineswegs um Weitergabe eines vorgegebenen Bestands von Kenntnissen oder feststehender „Wissensgüter". Wissen ist in Bewegung und es ist nicht abgefüllt in einem Speicher kognitiver Elemente als isolierte Informationen. Dem instrumenteilen Zugriff auf Daten und Informationen entzieht sich Wissen, indem das, was als wahr gilt, immer neu geprüft werden muss und Kohärenz, Selektion und Interpretation voraussetzt. Aneignung von Wissen als Rahmen für Handeln ist eine lebensumspannende Aufgabe in einer Gesellschaft, deren dominante Form von Arbeit und deren Perspektiven zunehmend auf „Wissensarbeit" beruhen (4.1). Der Bildungshorizont ist allerdings von Anfang an wesentlich weiter gesteckt. Es geht um die ganze Person also um die Entwicklung nicht nur von kognitiven, sondern selbstverständlich von motivationalen, emotionalen und auch von motorischen Aspekten. Die klassische „allgemeine Psychologie" hat diese Zusammenhänge zertrennt und Wahrnehmen, Wissen, Denken, Fühlen und Wollen auseinandergenommen. Der Prozessaspekt des Aneignens wurde als -
„Lernen" abgespaltet.
Die gegenstandsbezogenen Strukturen, d.h. Inhalte des Lernens, sind als „Wissen" fassbar. Dies hat sich gattungsgeschichtlich aufgehäuft und ist Grundlage für eine die Lebenszeit der Individuen übergreifende Kultur. Die Schlüsselfragen zukünftiger Entwicklung werden dann zu Aufgaben der Aneignung von Wissen also Lernfragen. Um dies zu begreifen, braucht man einen Begriff von Lernen, der über instrumenteile Formalität hinausgeht und abstellt auf die Bedeutsamkeit der Lerngegenstände für die lernenden Personen (4.2). Dies relativiert auch Instruktionsillusionen und öffnet eine andere Sicht auf Vermittlung, die ohne gegenseitiges Verstehen nicht auskommt. -
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Wie Phönix aus der Asche taucht dann orientiert an „Persönlichkeit" und „Identität" der Bildungsbegriff wieder auf (4.3). Theoretische Irritationen haben zu einer Reihe modischer Alternativen geführt, welche einerseits reale Probleme aufnehmen, andererseits Irritationen erzeugen und antirationalistische und auch antitechnische Affekte provozieren und ausnutzen. Unbestritten wirken als Hauptgenerator gesellschaftlicher Wissensproduktion wissenschaftliche Forschungsprozesse. Gerade Wissenschaft und Technik aber gerieten seit längerem ins Kreuzfeuer der Polemik. Besonders das gesellschaftliche Ansehen und die Einschätzung der Technik haben tiefe Einbußen erlitten. Es überwiegen kulturkritische Prophetien von der Übermacht kalten Wissens und der Herrschaft technischer Systeme. Wissenschaftsorientierung hatte lange Zeit in der Erwachsenenbildungsdiskussion sowieso schlechte Karten (s.o. 1.3). Zwar gibt es eine dünne Traditionslinie zwischen Erwachsenenbildung und Hochschule (Faulstich 1982). Immer wirkte aber unterschwellig der Vorbehalt, das Eigentliche für die Menschen liege jenseits des Wissens. Geschuldet war dies einer szientifischen Reduktion von Wissenschaft einerseits und der komplementären Konstruktion einer irrational aufgeladenen „Lebenswelt" andererseits. „Alltagswende" und die Bezugnahme auf lebensweltliche Sinnzusammenhänge sind auch entstanden aus einer kritischen Position gegenüber Wissenschaft. „Die Stunde des Wissens, d.h. die Situation, in der das Wissen als wichtigste Ressource gesellschaftlichen Fortschritts beschworen wird, scheint auch die Stunde des Zweifels, der methodischen und institutionellen Skepsis, des Aufruhrs wider den wissenschaftlichen Geist zu sein" (Mittelstraß 2001, 7). Demgegenüber kann die Einsicht in den geschichtlichgesellschaftlichen Status aller Erkenntnis vor der szientifischen Illusion bewahren, wissenschaftliches Wissen als pure „Objektivität" zu überfordern, um dies dann zu destruieren. Wissenschaft ist gemäß kritisch-pragmatischer Position Teil einer gesellschaftlichen Praxis, -
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die ein sich ständig entwickelndes und sich revidierendes System von Erkenntnissen erzeugt. Wege zur menschlichen Bildung und gesellschaftlicher Gestaltung führen in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft über Teilhabe an Wissenschaft. Für die Entfaltung der Persönlichkeit, indem das Individuum sich seiner konkreten Lebenslage vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Interpretationen der Wirklichkeit auf der Höhe der Zeit vergewissert, ist die aktive Aneignung von Wissenschaft unverzichtbar. Dieser hochgesteckte, überfordernd klingende Anspruch kann nur formuliert werden vor dem Hintergrund eines Konzepts öffentlicher Wissenschaft, die Zugänge nicht verschließt, sondern vermittelt.
4.1
Wiederentdeckung des Wissens
Nachdem rundum über die „Wissensgesellschaft" geredet wird und „Management" des Wissens in Unternehmen modisch geworden ist, kümmert sich verspätet auch Bildungswissenschaft wieder um Wissen. „Wissen ist wieder einmal ins Gerede gekommen" (Mittelstraß -
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2001, 7).
So anregend aber die soziologischen Debatten um die Konturen einer heraufziehenden "Wissensgesellschaft" (zusammenfassend Stehr 1994) sein mögen, so ist doch einige Skepsis angebracht gegenüber dem Pathos, mit dem permanent neue „Gesellschaften" kreiert werden (s.o. 3.) und vor allem gegenüber der unerträglichen Leichtigkeit, mit denen „Arbeit" als strukturierendes Prinzip beerdigt und ein neuer Gesellschaftstyp als „postindustriell" (Bell 1973) und besonders als „postkapitalistisch" (Drucker 1993, Willke 1998) gefeiert wird. Noch nachhaltiger" und unmittelbarer als durch „Wissensgesellschaft" wird derzeit die Diskussion um „Lebenslanges Lernen" durch die betriebswirtschaftliche Sichtweise des „Wissensmanagements" durchdrungen. Durch die Betonung des Konzepts der „1er-
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nenden Organisation" stehen Organisations- und Personalentwicklung und damit besonders die betriebliche Weiterbildung vor neuen Herausforderungen. Der Ansatz des „Wissensmanagements" soll Expertise des Personals als Innovationspotenzial der Organisation erschließen und verwertbar machen. Grundgedanke dabei ist es, Erfahrungswissen der Beschäftigten aufzudecken und einzubinden in eine zukunftsfähige Perspektive des Unternehmens. Implizites Wissen soll identifiziert und explizit gemacht werden. Damit würden vorhandene Wissensbestände transparent und übertragbar. Sie sollen zugänglich werden sowohl für eine Kombination in der Organisation, als auch für eine Modifikation bei den beteiligten Personen. Dieser einfache und plausible, aber verkürzte und technokratische Grundgedanke trifft allerdings in der Realität der Organisationen auf zahlreiche Schwierigkeiten und Barrieren. In allen Phasen des Wissensmanagements ergeben sich Widerstände und ungeklärte Probleme. Ein instrumenteller Begriff von Wissen übersieht den kontextuellen Bezug der Personen und deren kulturelle Verortung. Der Zugriff auf Wissen erweist sich als schwieriger als unterstellt.
4.1.1 Wissen als
Bezugsgröße der Erwachsenenbildung Nichtsdestoweniger ist die Wiederentdeckung des Wissens Anstoß, theoretische Bezüge und praktische Konsequenzen zu überdenken. Für die langfristige Weiterbildungsentwicklung ist notwendig, sich der gesellschaftlichen Bezugs- und Zielgrößen zu vergewissern, auf die sie sich in ihren Funktionen und Leistungen bezieht. Dazu bedarf es Klärungen über die Inhalte des Lernens, d.h. über die Bedeutung des „Wissens" für gesellschaftliche Perspektiven und über angemessene Aneignungsformen. Was als Problem von Anforderungs- und Bedarfsentwicklungen, die sich niederschlagen in Themen und Programmen, bezogen auf Begrifflichkeiten wie Qualifikation, Kompetenz oder auch Bildung länger diskutiert wurde, wird nun in ein neues Sprachspiel übersetzt und neu gesichtet. Damit richtet sich das Interesse auf die Anforderungen an Kompetenzen, die sich
aus
den Strukturen und Beständen kulturell ak-
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kumulierten und sich rapide verändernden Wissens ergeben. Fragen des Erwerbs und des Umgangs bezogen auf die Aspekte von Kompetenz erfordern ein übergreifendes Konzept von Wissen, wenn damit die Interpretation, Relevanz und Kohärenz gesellschaftlich tradierter und verfügbarer Informationen gemeint ist. Wissenssysteme unterliegen der historischen Entwicklung und erfordern individuelle Aneignung, um Kompetenz zu entfalten (Damerow/Lefevre 1998). Die akkumulierten Resultate der Erfahrungen und Auslegungen an-
derer und vorhergegangener Generationen machen Lösungen typischer Probleme mitteilbar und so die einzelnen handlungsfähig. „Müsste man dieses Wissen jedes mal aufs Neue selbst erzeugen, würde man sich nicht einmal in den alltäglichsten Situationen zurechtfinden können und wäre nicht handlungsfähig, ja wäre der Wirklichkeit, die als gesellschaftliches Konstrukt angesehen werden muss, hilflos ausgeliefert" (Nießeler 2000,401). Als dramatischste Provokation trifft die Explosion des wissenschaftlichen Wissens auf den Gedanken einer lebensentfaltenden Bildung. Das Auseinanderklaffen zwischen der wissenschaftlichen Erzeugung von Wissen und dessen individueller Bewältigung und Aneignung wird immer deutlicher. "Das in diesen Wissenschaften angehäufte Wissen ist ungeheuer, nicht nur in dem Sinne, daß es viel ist, sondern auch in dem Sinne^daß es mächtig und bedrohlich wirkt: seine Bewältigung steht
(Böhme 1985, 16). Im Umgang mit Wissen stellen sich vielfältige offene Fragen: Welche Beschreibungs- und Erfassungsmöglichkeiten von Wissensformen und -inhalten gibt es? Wie verhält sich das Wissen von Exaus
perten und Laien? Welchen Stellenwert haben Wissenschafts- und
Wie sind kognitive, affektive und motorische Aspekte Kompetenz als Umgang mit Wissen verbunden? Wie verhält sich Wissensaneignung zum Sprachgebrauch und verstehen? (vgl. Sektion DGfE 2000, zur Diskussion z.B. Nolda 1996, Nolda in Wittpoth 2001, Hof 2001).
Erfahrungswissen? von
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4.1.2 Wissensarbeit Während körperliche Arbeit immer mehr aus den unmittelbaren Produktionsprozessen verdrängt wird, wächst der Beitrag geistiger Arbeit zur Wertschöpfung. Als „Wissensarbeit" verändert sie das Bild der Gesellschaft und den Einsatz menschlicher Arbeit in den Betrieben. Allerdings wird die Reichweite des Umbruchs sehr unterschiedlich eingeschätzt. So kommt es zunächst darauf an, sich über
einige Grundbegriffe zu verständigen. Frappierend und problematisch ist der „Mangel an Wissen über Wissen" (Stehr 1994, 201). „Die eher undifferenzierte Behandlung oder besser Nichtbehandlung von Wissen selbst ist das größte theoretische Defizit existierender Theorien der modernen Gesellschaft, in denen dem Wissen eine zentrale Rolle zugewiesen wird" (ebd.). Es müssen im Wissensbegriff deshalb Grundkonzepte von Wissensstrukturen, deren kultureller Entstehung und Verwendung in der „Wissensgesellschaft" und des Wissensmanagements, als Versuch des instrumentellen Zugriffs, geklärt werden. Wenn Nico Stehr „Wissen als Fähigkeit zum sozialen Handeln" (ebd. 208) definiert,
reicht das nicht aus. Wichtig ist es zunächst, die Begriffe Signale, Daten, Informationen und Wissen sowie weitergehend Kompetenz auseinander zu halten. Umgang mit Wissen ist nur zum geringen Teil Aufgabe von Datenverarbeitung. Signale, d.h. physikalische Impulse, werden erst auf der informationellen Ebene als Daten erfasst, die formalisierbar und codierbar sein müssen. Sie werden unter Differenzaspekten durch Beobachtungen und Unterscheidungen erzeugt. Diese stellen für die jeweiligen Systeme erst dann Informationen dar, wenn sie eine syntaktische Ordnung besitzen, d.h. sie unterliegen systemspezifischen Kohärenzkriterien. Zum Wissen werden die Informationen erst, wenn sie eingelagert werden in die Erfahrungsmuster das „Gedächtnis" des Systems. Selektion von Informationen konstruiert semantische Bedeutsamkeit durch Relevanzkriterien. Diese Auswahl erzeugt kulturell oder individuell verfügbare Wissensbestände. -
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„Wissen meint hier die Einbettung von Informationen in ein Muster von Erfahrungen und Erwartungen (Präferenzregeln), so dass die Informationen in einer von diesen Präferenzregeln geprägten Weise produktiv genutzt werden können" (Willke 2001, 383) Kompetenz als weiterer zu klärender Begriff umfasst darüber -
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psychische Verfügbarkeit möglicher Handlungen einer Es Person. geht hierbei um intra-psychische Potenziale, die sich in Tätigkeiten realisieren. Sie setzen sich beim Handlungsvollzug als Performanz in der konkreten Anwendung um. Angelehnt an die Begrifflichkeiten einer allgemeinen Zeichenleh-
hinaus die
(Semiotik) kann man ein Schema semiotischer Niveaus entwerfen. Syntaktik meint dann die Ordnung der Daten zu Informationen,
re
Semantik bezieht sich auf die Bedeutsamkeit der Informationen, durch die Wissen entsteht. Auf der Ebene von Pragmatik also von Handlungsfähigkeit sollte man sinnvollerweise von Kompetenzen reden. -
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Pragmatik
Semantik
Syntaktik
Abb. 18: Semiotische Niveaus
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Solche begrifflichen Differenzen zwischen Daten, Information, Wissen und Kompetenzen aufzumachen, ist mehr als bloße Wortklauberei, sondern wichtig, wenn man instrumentelle und reflexive Strategien unterscheiden will. Zunächst verhindert der Unterschied zwischen Information und Wissen einen nur technischen Zugriff im „Wissensmanagement". Weiterhin ergibt sich durch die personale Gebundenheit, also auch Leibgebundenheit von Kompetenzen ein kontrastiver Unterschied zwischen Informationssystemen, Wissensbeständen und menschlicher Bildung, letztlich zwischen menschlichen Lebenszusammenhängen und technischen Systemen. Dies kann dann davor bewahren, das label der „Wissensgesellschaft" zu überzeichnen und Machbarkeitsillusionen des „Wissensmanagements" zu
erliegen.
In diese knappen, skizzenhaften Unterscheidungen ist unter der Hand noch eine weitere Differenz eingeflossen, dass nämlich gattungsgeschichtlich angehäuftes und individuell angeeignetes und verfügbares Wissen auseinander klaffen. Schon lange ist es keinem Individuum mehr möglich, als z.B. Universalgelehrter wie noch Leibniz das Wissen seiner Zeit zu beherrschen. Der Autodidakt, der sich in Sartres Roman „Der Ekel" alphabetisch durch die Bibliothek liest, ist eine klägliche Figur. Bildung kann nur noch exemplarisch und kategorial erfolgen. Expertise ist also auch nur domänenspezifisch, nicht mehr universell herzustellen. Experten gibt es nur noch in immer enger werdenden Wissensbereichen und in weiten Feldern bleibt man immer Laie. Expertise besteht in der Verfügbarkeit wissenschaftlichen Wissens in einem disziplinaren Segment in Verbindung mit Erfahrungswissen, das in Fällen erworben worden lst Üblich geworden ist darüber hinaus, zwischen deklarativem alund prozessoralem so Elemente und Relationen betreffenden also Funktionen und Intentionen betreffenden Aspekten von Wissenssystem zu reden. -
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deklarativ
erfahrungsbezogen
individuell fixiert
domänspezif.
explizit universell
implizit variabel
wissenschafts-
kulturell
bezogen
prozedural Abb. 19:
Aspekte von Wissensformen
Differenzierungen des Wissensbegriffs sind einerseits notwendig, andererseits explodieren die Dimensionen. DeJong/Fergusson-Hessler (1996) unterscheiden vier Wissensarten (situationales, konzeptionelles, prozedurales und strategisches Wissen) und fünf Wissensmerkmale (hierarchischer Status, innere Struktur, Automatisierungsgrad, Modalität und Allgemeinheitsgrad). Kombiniert ergibt das schon 20 Wissensformen. Wenn man noch andere Unterscheidungen heranzieht (wissenschaftliches vs. erfahrungsgebundenes; kulturelles und individuelles) wäre man dann bei 80 Formen des Wissens. Spätestens hier wird deutlich, dass man sich hüten muss vor einem verdinglichten Begriff von Wissen, der Diese
Schubladen für Wissensbausteine aufmacht. Ein nicht-reduktionistischer Wissensbegriff muss demgegenüber ausgehen von dynamischen Wissenssystemen, die strukturiert sind durch Kohärenz und
Relevanz. Wissen ist demgemäß ein als relativ gesichert unterstelltes, als wahr geltendes System der Interpretation von Welt. Nur so können Interdependenzen und Übergänge deutlich werden. In diesem Sinn kann implizites (tacit) und explizites Wissen unterschieden werden. Eine Person muss nicht bewusst wissen, über welches Wissen sie verfügt, und sie muss nicht erklären können,
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welches Wissen sie in Problemsituationen anwendet. Um eine Maschine zu bedienen z.B., werden Fertigkeiten aktualisiert, ohne dass der komplizierte motorische Prozess bewusst abläuft. Dies könnte eher gefährlich werden. Trotzdem wird es wichtig, dies explizit und transparent zu machen, wenn es darum geht, neue Maschinen zu konstruieren. Dies unterscheidet das Wissen der Ingenieure von dem der Facharbeiter. Hier setzt das Konzept des „Wissensmanagements" an, bei dem es darum geht, personales und implizites Wissen explizit, sowie das dann explizite Wissen transparent und zugänglich zu machen. Damit wird aber auch die Konzeption von „Wissen" insgesamt korrigiert. Erst über die Gebundenheit an Einfühlen und Verstehen bezogen auf menschliche Maßstäbe, durch Bedeutsamkeit, werden Informationen zu Wissen (Polanyi 1985, 17). Wissen in dieser Bedeutung ist gebunden an kulturelle Kontexte der Humangenese. Veränderte Bedingungen intelligenten Arbeitseinsatzes und rationalisierter Unternehmensführung drängen dazu von einer neuen Relevanz des Wissens und einem neuen Typus der „Wissensarbeit" zu reden. Auf einer ersten Ebene schlägt dies durch auf Interpretationen der Gesellschaft insgesamt. Neue Formen der Wissensproduktion und des Wissensmanagements erscheinen als Kern einer aufziehenden Wissensgesellschaft. Kaum ein Zweifel kann an Tendenzen einer zunehmenden Bedeutung der Wissenserzeugung durch Wissenschaft und Wissensanwendung in den Unternehmen bestehen. „Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten Gesellschaft lässt sich sprechen, wenn Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, daß Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme
gegenüber
andern Faktoren der
Reproduktion vorrangig
werden" (Willke 2001, 380). Nico Stehr schlägt ein Phasenmodell vor, das von einer „radikalen Umwandlung der Wirtschaftsstruktur der industriellen Gesellschaft" (Stehr 1994, 34) ausgeht. Die „Wissensgesellschaft" basiert in dieser Sichtweise nicht auf einer gestiegen Bedeutung von Wissen
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für die
gesellschaftliche Arbeit, sondern behauptet vielmehr einen grundlegenden Wandel des organisierenden Prinzips. Insofern verkommt ein richtiger Grundgedanke, dass nämlich Wissen perspektivisch wichtiger werde, zu einem der Modeartikel im Bauchladen der Gesellschaftserfinder (s.o. 3.). An der Allgegenwart des Wissens in menschlichen Gesellschaften kann kein Zweifel sein und ebenso wenig daran, dass sich der Charakter menschlicher Arbeit verschiebt von physischen Eingriffen zu psychischen Leistungen. Bereits in der „Deutschen Ideologie" haben Karl Marx und Friedrich Engels 1845 den Prozess der Teilung von materieller und geistiger Arbeit und dessen Konsequenzen als Entfremdung beschrieben (Marx/Engels MEW 3, bes. 26-70). Schon der Übergang von der Manufaktur zum Industriesystem beruhte auf Verwissenschaftlichung als Abstraktion von Erfahrungswissen und auf Technisierung als Wissensübertragung auf die Maschinerie. In der informationell basierten Ökonomie nimmt dies ungeheuerliche Ausmaße an und das enteignete Wissen steht den Menschen als in Informationstechnik und Expertensystemen geronnen fremd gegenüber. Auch bei Max Weber z.B. ist der Umgang mit Wissen zentrale Prämisse für Berechenbarkeit und Rationalisierung wirtschaftlicher Prozesse. Immer wenn es darum geht die Innovationsdynamik kapitalistischer Ökonomie zu begreifen, stößt man auf Akkumulation von Wissen in Technik. Dies erfährt beschleunigte Schübe. Der führende Managementtheoretiker Peter F. Drucker redete bereits 1959 unter dem Titel „Landmarks of Tommorrow" von „Wissensarbeitern" (knowledge workers) und dann 1969 in „The Age of Discontinuity" von der
„Wissensgesellschaft:
„an economic order in which knowledge, not labor or raw material or capital, is the key resource" (Drucker 1994). So taucht der Begriff „Wissensgesellschaft" immer dann auf, wenn es darum geht, ein gänzlich Neues auszurufen und gleichzeitig den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu beerdigen. Der These von einer bevorstehenden oder schon in Gang befindlichen säkularen Transformation, wie sie insbesondere Nico Stehr und Hellmut
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Willke wiederholt vertreten, kann entgegengehalten werden, dass ein Wandel von der Arbeits- zur Wissensgesellschaft, zu einer postindustriellen und postkapitalistischen Gesellschaft, so nicht stattfindet
(Konrad/Schumm 1999, 7). Zum einen war gesellschaftliche Entwicklung nie denkbar ohne die Weitergabe von Wissen. Indem der Wissensaspekt überakzentuiert wird, erhält er zum anderen einen überzogenen Stellenwert für die weitere Perspektive zugewiesen. „Mit dem Amtsantritt der ,WissensgesellschafV lösen sich indus-
trielle Produktion und die Produktionsarbeit nicht einfach in die Luft beziehungsweise in informationstechnologisch vermittelte Kommunikation auf (Kocyba 1999,93). Umgang mit Wissen wird sicherlich zunehmend zu einem zentralen Moment gesellschaftlicher Arbeit. Entsprechend gerät es auch in das Fadenkreuz betrieblicher Managementstrategien. Damit ist nach der gesellschaftlichen auf einer zweiten Ebene der des Betriebes Wissensmanagement angesprochen, das personales in organisationales Wissen überführen soll. Es geht um den Zugriff auf die immateriellen, im Prinzip unbegrenzten Ressourcen geistiger Arbeit durch, systemische Expropriation und Kombination individueller -
Wissensbestände. Außerdem verfügen
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Organisationen selbst über implizites Wissen, wie es sich in gewachsenen Unternehmenskulturen realisiert. Die Übergänge von implizitem zu explizitem, sowie vom individuellen zum organisationalen Wissen sind aber keineswegs einfach und nicht instrumenteil erzeugbar. Um dies zu verdeutlichen, kann ein Phasenmodell, wie es in verschiedenen Varianten vorgeschlagen wird, hilfreich sein. Es geht um die Übergänge zwischen Erzeugung, Vermittlung und Anwendung von Wissen. Erste Schritte sind Identifikation und Explikation von Wissen. Um dessen Diffusion zu ermöglichen, müssen die Wissensbestände systematisiert und formalisiert werden. Dies ist Voraussetzung, um eine Verfügbarkeit auch auf informations- und kommunikationstechnischer Basis zu erreichen. Erfolge des Wissensmanagements zeigen sich dann, wenn neue Kombinationen von Wissen
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werden und vorheriges Wissen modifiziert wird. Dieser Prozess wiederholt sich gemäß der Modellkonstruktion zyklisch. In der Umsetzung allerdings verliert das instrumentell orientierte Konzept seine Plausibilität.
möglich
Produktion
Identifikation
Explikation
Anwendung Kombination
Diffusion
Abb. 20: Ablaufmodell des Wissensmanagements
Auf allen Stufen dieses nur scheinbar bruchlosen Ablaufprozesergeben sich Probleme. Diese zu lösen wäre die eigentliche, aber kaum erledigbare Aufgabe von Wissensmanagement. Produktion: Die Erzeugung neuen Wissens ist keineswegs eindeutig verortbar. Weder Hochschulen, noch Forschungseinrichtungen oder Entwicklungsabteilungen sind als ausschließlicher oder auch nur vorrangiger Entstehungsort eingrenzbar, sondern Wissensproduktion ist einbezogen in „knowledge communities" in Netzwerken, die über die „scientific communities" hinausreichen. Es bestehen in Organisationen spezifische Wissenskulturen, welche Initiative und Kreativität fordern oder aber behindern. Identifikation: Bezogen auf die Aufnahme externen Wissens muss das Suchfeld eingegrenzt werden. Die Menge prinzipiell produzierbarer Daten ist kaum begrenzbar. Es käme also darauf an, für die Organisation Relevanzkriterien explizit zu machen. Dies bezieht sich zum Beispiel auf Unternehmensziele, Führungsgrundsätze, Leitbilder, Projektziele u.ä. Das überschreitet von Anfang an technische Lösungen, ist interessenorientiert und wird zu einem betriebspolitischen Konfliktfeld. ses
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Gleichzeitig gibt es bei den Beschäftigten eine berechtigte Zurückhaltung, ihr Erfahrungswissen offen zu legen und zugänglich zu machen. Wissensweitergabe bedeutet zunächst Machtverlust. Es müsste deshalb deutlich gemacht werden, welchen Nutzen die verschiedenen Beteiligten aus einem Prozess des Wissensmanagements ziehen können. -
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Explikation: Typisch für implizites Wissen ist seine fehlende Artikulierbarkeit. Es ist eben nicht wie wissenschaftliches Wissen verallgemeinerbar und übertragbar. Vieles ist biographisch entstanden, situativ eingebunden und stark emotional gefärbt. Daraus entstehen Probleme und auch prinzipielle Grenzen der Abstrahierbarkeit und Formalisierbarkeit. Diffusion: Für Zugänglichkeit und Verfügbarkeit zwischen den Personen und in der Organisation dürfen Konkurrenzsituationen und Interessenpositionen nicht unterschlagen werden. Probleme der Kommunizierbarkeit von Wissenselementen sind z.T. auf die anfallenden Datenmengen und entsprechenden Zugriffsmöglichkeiten zurückzuführen, gleichzeitig aber auch auf Kompetenzen und konfliktäre Interessen der Beteiligten. Kombination: Zugänglichkeit der Wissensbestände wäre Voraussetzung, um neue Kombinationsmöglichkeiten bei den Personen wie in der Organisation zu ermöglichen. Dabei muss eine Integrierbarkeit von neuem und vorhandenem Wissen gesichert werden. Wesentlich aber für die Reorganisation alter Strukturen des Wissens ist menschliche Kreativität, die eingefahrene Wissensmuster verrückt. Daraus erst entstehen neue Innovationspotenziale. Modifikation: Bestehende Wissenselemente müssen verändert werden. Eingefahrene Routinen werden in Frage gestellt. Wissensmanagement setzt also Lernfähigkeit sowohl der Individuen als auch der Organisation voraus. Um Chancen expansiven Lernens zu
ergreifen müssen Widerständigkeiten abgebaut werden,
die aber beim Fortbestehen wieder neu auftreten.
von
Kontrolle und Hierarchie immer
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Hauptintention unternehmerischen Wissensmanagements ist es, implizites Wissen zu explizitem und damit verfugbar zu machen. So
ist das dahinterstehende Interesse, das Wissen der Arbeitenden zu extrahieren und profitabel anzueignen. Dies führt zwangsläufig zu Zurückhaltung und Verweigerung. Der scheinbar nur technische Prozess des Wissensmanagements gerät unvermeidbar in das Kon-
fliktfeld betrieblicher Mikropolitik (Weißbach 2001), wird also zu Wissenspolitik. Dadurch entstehen gegenüber Kontrollstrategien und der Illusion potenziell totaler Wissensenteignung prinzipielle Restriktionen. Expertise als situative Kompetenz zur Selektion von Informationen ist nicht abschließend extrahierbar aus handelnden -
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Personen.
Gleichzeitig ist Wissensaneignung immer mehr als ein schlichter Informationsverarbeitungsprozess. Es geht nicht nur um die bloße Wahrnehmung und Speicherung von Informationen. Wissensaneignung, -Verbreitung und -anwendung ist nur möglich, wenn Personen mitwirken und einbezogen sind in ihrem kulturellen Kontext. Ein rein instrumenteller Ansatz individuellen, organisationalen oder auch regionalen Wissensmanagements bleibt kontextblind und resultierend beschränkt tragfähig. Die Gebundenheit an persönliche Erfahrungen, hier bezogen auf Arbeitstätigkeiten, lässt immer wieder neues implizites Wissen entstehen, das keineswegs umstandslos mit Hilfe von in Strategien informationstechnisch gestützten Wissensmanagements in explizites Wissen überführt werden kann. Lebendige Arbeit verliert zunehmend Routineanteile; ihre eindeutigen exekutiven und instrumentellen Aspekte treten zurück und daraus resultiert eine „Wissensspirale" der permanenten Umwandlung von implizitem in explizites Wissen und umgekehrt (Rammert 1999, 52).
4.1.3 Hinweise: Wissen als didaktisches Problem Die Kompetenz, relevante Informationen auszuwählen, alternati-
Strategien zu entwickeln und zu bewerten sowie Konsequenzen eigener Handlungsentwürfe zu antizipieren, ist nicht endgültig übertragbar auf Expertensysteme oder „intelligente" Organisationen. ve
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Eine unausschöpfbare Differenz zwischen Wissen und Können bleibt gebunden bzw. wird immer wieder erneuert in an von den Personen nicht ablösbaren Kompetenzen und die Eigensinnigkeit und Widerstähdigkeit von Reflexion. In anderer Begrifflichkeit geht es um das Verhältnis von Kompetenz und Performanz. Der Kompetenzbegriff umfasst in einer weiten Auslegung nicht nur Aspekte des Wissens, sondern auch des Gefühls und des Willens. Der Prozess der Aneignung dreht sich also nicht nur um Kenntnisse sondern um deren Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit. Das Verhältnis des Menschen zur historisch-sozialen Realität wird hergestellt durch einen aktiven Aneignungsvorgang durch Konstruktion und Interpretation von Wissen, mit dem sich Wirklichkeit erschließt, verstehbar und veränderbar wird. Wird dies nicht berücksichtigt, gerät man in eine Paradoxie von „informationoverload" und Sinnmangel. Die Aneignung von Wissen durch Lernen ist immer schon einbezogen in Prozesse der Vermittlung. Dies vorausgesetzt kann man die Sackgassen, in die man durch die alte Alternative zwischen materialer und formaler Didaktik hineingetrieben wird, umgehen. Von hier aus gibt es eine Nähe zu Wolfgang Klafkis „Theorie der kategorialen Bildung". Klafki nennt „zwei konstitutive Momente" des Begriffs
„kategorial":
am Besonderen erarbeitete AllEinsicht in einen Zusammenhang, einen Aspekt, eine gemeine Dimensions einer naturhaften und/oder kulturell-gesellschaftlichpolitischen Wirklichkeit, und zugleich damit gewinnt er eine ihm bisher nicht verfügbare neue Strukturierungsmöglichkeit, eine Zugangsweise, eine Lösungsstrategie, eine Handlungsperspekti-
„Der Lernende gewinnt über das
ve" (Klafki 1985, 90). Damit erhält das zentrale Problem aller Didaktik, der Vermittlung als Unterstützung von Aneignung, eine angemessene Fassung, wenn man unter Didaktik eine Theorie- und Konzeptentwicklung im Hinblick auf alle Formen intentionalen Lernens und Lehrens versteht. Dies befreit auch von einer Verkürzung auf Unterricht und öffnet für lebensentfaltende Bildung.
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Insgesamt steigt, wenn man Potenziale und Tendenzen für die Zukunft reflektiert, das Gewicht von Erwachsenenbildung möglicherweise bis zur Überforderung. Welche neuen Anforderungen, Bedarfe und Funktionen auf die Weiterbildung zukommen, wird bereits seit längerer Zeit diskutiert. Die Liste der Themen umfasst Probleme aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen (vgl. ausführlicher dazu Faulstich 1990; Faulstich/Zeuner 1999). Das gesamte Spektrum menschlicher Lebensverhältnisse kann zum Gegenstand „lebenslangen Lernens" werden. Dabei ist das, was zum Thema gemacht wird, sicherlich auch Modewellen unterworfen. Entsprechend findet man in den Erwachsenenbildungsangeboten -
Themenkonjunkturen.
Zu nennen sind als Hauptgruppen: Ökonomie und Arbeitswelt, Technik und Ökologie, Bevölkerungsentwicklung sowie Werte und Teilhabe (ausführlich in Faulstich 1990). Die aufgeführten Schlüsselfragen nehmen generelle Trends gesellschaftlicher Entwicklung auf und beziehen sie auf Themen der Erwachsenenbildung. Dabei wird ein Spektrum aufgerissen, das deutlich macht, welche Fragen mit hoher Wahrscheinlichkeit wichtiger werden, sich verändern oder neu stellen. Ihre Relevanz ergibt sich aus Perspektiven zukünftiger
gesellschaftlicher Entwicklung, die zu Lernaufgaben werden.
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4.2 Lernen und Bedeutsamkeit
wichtigsten Herausforderungen der Zukunft gehört die Frage „Bildung" selbst, das heißt den Chancen individueller Beteiligung in der entstehenden Kulturepoche. Ein menschenwürdiges Uberleben im neuen Jahrtausend wird nur dann möglich sein, wenn sich Individuen und Gesellschaft in einem Maße lernfähig erweisen, welches eingefahrene Verhaltensmuster durchbricht. Das Ausmaß der Lernaufgaben erfordert dramatisch formuliert und Zu den
nach
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schon bei Diderot zu finden (s.o. 1.3) eine „Revolution in den Köpfen", welche nicht nur rationale Einsicht, sondern ebenso emotionale Bezüge zu Gesellschaft und Natur grundlegend verändert. Die Herausforderungen der Zukunft formieren das mögliche humane, kulturelle, soziale und ökonomische Niveau einer Gesellschaft und der darin unentfliehbar eingeschlossenen individuellen Perspektiven. -
Bemerkenswert ist, welch hoher Stellenwert für gesellschaftliche Entwicklung allseits dem Lernen zugewiesen wird. Es geht jedoch nicht nur um Anpassung an unbegriffene Veränderungen, sondern
Fortsetzung von Aufklärung und Entfaltung, jedenfalls dann, innergesellschaftlicher Friede bewahrt und gesichert werden soll. Dies ermöglicht es, den Begriff Bildung aufzunehmen und neu zu bedenken. Gegenüber den Zwängen, die gekennzeichnet sind mit den Schlagwörtern Globalisierung und Erwerbslosigkeit, Technisierung und Umweltzerstörung, Vermassung und Individualisierung, und die unumkehrbar scheinen, stellt sich trotzig die Frage nach Vernunft und Mündigkeit. Bildung steht immer schon in der Spannung zwischen außengesetzten Anforderungen und eigener Entfaltung (4.2.1). Dazu braucht man einen anschlussfähigen Lernbegriff als eine besondere menschliche Tätigkeitsform (4.2.2). Dies ist nicht
um
wenn
ein Problem der Institutionen wie Schule, Hochschule oder Erwachsenenbildungsträger, und nicht nur einzelner Phasen im Lebenslauf in Kindheit und Jugend (4.2.3), sondern reicht bis ins hohe Alter. Das Bildungsproblem stellt sich lebensumfassend. nur
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4.2.1 Das „Eigene" und das „Fremde" des Lernens Lernen verändert die Individuen in ihrem Verhältnis zur Welt. Immer und überall wird gelernt: am Arbeitsplatz und im Supermarkt, in der Familie und im Seminar. Lernen ist mitlaufend mit anderen Tätigkeiten oder absichtsvoll ausgegliedert als besondere Handlung; es ist einbezogen in verschiedenste Lernorte oder es ist spezifischen Institutionen dem Bildungswesen zugeordnet; es ist selbst veranlasst oder aufgezwungen. Lernen kann man immer nur selbst. „Selbstorganisiertes" oder „selbstgesteuertes" Lernen sind als Schlagworte verstärkt in die Bildungsdebatten eingedrungen und fast bestimmend geworden. Mit einem neuen Blick auf Selbsttätigkeit ist oft eine Betonung des Lernens außerhalb von Institutionen verbunden. Die Chancen aktiver Aneignung von Wissen sind in unterschiedlichen Lernensembles bzw. -arrangements durchaus differenziert. Angesichts einer Zwiespältigkeit hoher Erwartungshaltungen einerseits und skeptischer Polemik andererseits im Umgang mit dem „Selbst-... Lernen" ist es nötig zu klären, welche Einschätzung die unterschiedlichen theoretischen Implikationen wie auch die praktischen institutionellen, personellen, didaktischen und methodischen Konsequenzen angemessen aufnimmt. Wir haben dazu auf den alten, liebgewordenen Begriff des „selbstbestimmten" Lernens zurückgegriffen (vgl. zum Folgenden Faulstich u.a. 2002). Der Begriff Selbstorganisation, der in verschiedensten Wissenschaftsbereichen Konjunktur hat, wird oft in Verbindung gebracht mit „Autopoiesis", meist ausgehend vom „Baum der Erkenntnis" der beiden Biologen Maturana und Varela (1987). „Selbsterzeugung" wurde zum Grundgedanken von Systemkonzepten der „zweiten Generation". Er ist zu einer „Wärmemetapher" geworden, der besonders im Zusammenhang der Konstruktivismusdebatte (s.o. 2.2.4) theoretische Moden in der Biologie, der Psychologie, der Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie u.a. und dann auch der Bildungswissenschaft angeregt hat. Hier liefert der Begriff eine Legitimation für didaktische, aber vor allem auch politische Enthaltsamkeit: es muss nicht eingegriffen werden, wenn sich alles von selbst richtet. Dies -
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was denn neu an der Debatte ist und welche veränderte Sichtweise sie begründen kann. In der Tradition der Erwachsenenbildung gibt es zahlreiche Vorläufer „selbstorganisierten Lernens". Man braucht nur zu erinnern, dass herkömmlicherweise Bibliotheken, Theater und Museen zu den Institutionen der Volksbildung gehörten und ein Nutzen von Medien
provoziert allerdings skeptische Nachfragen,
gestatteten. Schon in der „Enzyklopädie", die das Wissen der Welt sammeln und verfügbar machen wollte (s.o. 1.3), konnte man selbst nachlesen. Nachschlagen also der selbstinitiierte Umgang mit Texten und sich darin orientieren ist deutlich „selbstorganisiertes Lernen". Die bürgerlichen Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts richteten Lesezirkel und Lesebibliotheken ein und diskutierten ihre Lektüre (Van Dülmen 1996). Im Gefolge der Studentenbewegung wurde Eigenorganisation zu einem Kampfslogan der Antiautoritären im Kontext von Demokratisierung und Selbstbestimmung. Die Reichweite selbstinitiierter Lernprojekte ging von den Kinderläden bis zur „kritischen Universität". In den 1970er Jahren sollten Selbstlemzentren der Volkshochschulen ein „offenes Weiterlernen" ermöglichen (Otto 1979). Die Bürgerinitiativen und Selbsthilfeorganisationen der 1980er Jahre verbunden mit „Neuen Sozialen Bewegungen" haben Alternativen zum institutionellen Lernen favorisiert wie z.B. die „Volkshochschule Wyhler Wald" als Bildungsstätte gegen den Bau eines Atomkraftwerks. Gegenwärtig wird mediales Lernen, besonders e-learning, als Chance „selbstorganisierten Lernens" propagiert. Telelernen ist durch einen hohen Anteil von Fernstudium geprägt, damit können Lernorganisation und Zeitstrukturen flexibilisiert werden. Seit Mitte der 1980er Jahre verbreitet sich die Idee des „Selbstorganisierten Lernens" in verschiedenen Bildungsbereichen vom Managementtraining bis zur gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Gemeinsam ist diesen Konzepten, die lernenden Menschen als Initiato-
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und Organisatoren des eigenen Lernprozesses in den Mittelpunkt zu stellen. Die Karriere „selbstorganisierten Lernens" scheint einen alten Lieblingsbegriff der Erwachsenenbildung abzulösen, zu verdrängen oder fortzusetzen: den der Teilnehmerorientierung. Die nordamerikanische „self-directed learning"-Debatte wurde in Deutschland allerdings erst spät aufgenommen (Reischmann 1997). Immer wieder werden nunmehr die „Adult's Learning Projects" des Kanadiers Allen Tough (1979) zitiert, deren um mehr als 20 Jahre verzögerte Rezeption erst in den 1990er Jahren verbreitet erfolgte. Minimal ist die von Tough erhobene empirische Basis von 66 Erwachsenen, die angeben sollten, wie sie im letzten Jahr gelernt hätten. Absurd sind einige theoretische Schlussfolgerungen: „Studien über die Arten des Lernens haben schon frühzeitig auf einen 80 %-Anteil des selbständigen Lernens hingewiesen" aber auch Dohmen 2001, 7, der (Staudt/Kriegesmann 1999, 34, 70 % „Lernprozesse außerhalb der Bildungsinstitutionen" nennt). Diese Aussage ist kategorial unscharf und empirisch so nicht belegt, weil nur nach eigeninitiierten Lernprojekten gefragt worden war; sie ist logisch unsinnig, weil Lernen immer nur selbsttätig geschieht; vor allem aber ist die These politisch fatal, wenn sie sich gegen institutionelles Lernen richtet. Zu fragen ist dann, woher die Theoriekonjunktur kommt: „Selbstorganisation" jedenfalls in dieser Variante passt in ein Szenario, das Individualisierung, Deinstitutionalisierung und Deregulierung kombiniert. Es unterliegt eine individualisierende Tendenz, die Flexibilität zur eigenständigen Bewältigung wechselnder Aufgaben erzeugen soll. Das Individuum wird zur Ich-AG, deren Risiken oder Konkurs den Einzelnen selbst anzulasten sind. Daneben schwingt ein anti-institutioneller Affekt mit. Wer lange an der Schule gelitten hat, wird diesem Gefühl durchaus einige Sympathien entgegenbringen. Zu oft sind Erinnerungen an die eigene Schulzeit mit negativen Erfahrungen von Frustration, Leerlauf oder sogar Demütigung verbunden. „Der Untertan" wird in der Schule gedrillt. Übersehen wird allerdings, dass Institutionen immer auch Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sichern, also notwendig ren
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sind. Es geht den Selbstlern-Propagandisten auch gar nicht um Desondern um Reinstitutionalisierung zugunsten eines Zugriffs des Marktes auf Bildungsangebote (Faulstich 2002). Die „Selbstorganisationsdiskussion" hatte also von Anfang an eine massiv politische Dimension. Kennzeichnend ist gleichzeitig Deregulierung als Rückzug des Staates aus öffentlicher Verantwortung, wodurch sich die Rahmenbedingungen des Lernens insgesamt verändern. Mit dieser Einschätzung ist allerdings die Diskussion nicht erledigt. Die Karriere des „Selbst-... Lernens" wurde langfristig ausgelöst durch eine Erosion stabiler Lernaufgaben bezogen auf traditionelle Lebensverhältnisse, in denen kanonisiertes Wissen in reproduktivem Lernen beigebracht wurde. Dies bricht auf und wird angesichts einer unbeherrschbaren Dynamik in eine individualisierende Lernkultur getrieben. Gleichzeitig erhalten die Individuen größere Entscheidungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass „Le-
benslangem Lernen" immer größere Bedeutung zugewiesen wird (s.u. 5.2). Marktdynamik, Technikumbrüche und andere externe Faktoren erzeugen neue, veränderte Anforderungen, auf welche Weiterbildung meist nur reagiert. Lernen erscheint dann von außen erzwungen, den Beschäftigten wird Weiterbildung zugemutet, Lernen wird „lebenslänglicher Zwang". Es ist dann kaum noch erfahrbar, dass Lernen auch Entfaltung sein könnte, Möglichkeit die eigenen Interessen zu entwickeln und die eigene Position auszubauen, neue Herausforderungen zu bewältigen; kurz: dass Lernen auch Spaß machen kann. In den verschieden Phasen der Diskussion über „selbstinitiiertes", „selbstkontrolliertes", oder dann „selbstorganisiertes", „selbstreguliertes" und „selbstgesteuertes", insgesamt „selbsttätiges", vielleicht sogar selbstbestimmtes Lernen ist pointiert worden, dass es darum geht, dass die Lernenden die wesentlichen Entscheidungen, ob, wozu, was, wann, und wie gelernt werden soll, bestimmen können (Weinert 1982, 102).
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Begründungsebenen sind: dass Personen in eigenen Bedeutungszusammenhängen und aufgrund eigener Initiative besser, tiefgreifender und mehr lernen; dass Erwachsene Verantwortung für sich selbst, also auch für ihr Lernen tragen; dass entsprechend Freiheit zum Lernen bestehen solle; dass sich folgerichtig regulierende Eingriffe erübrigten; dass selbstorganisiertes Lernen sowohl billiger, als auch effizienter sei; dass mit der rapiden Dynamik gesellschaftlichen Wandels nur durch permanente eigene Initiative zum „lebenslangen Lernen" Schritt gehalten werden könne. Bildungstheoretisch können diese Argumente durchaus anknüpfen an die hohe Wertigkeit des Selbst in der pädagogischen Tradition, die Bildung als Selbstbildung denkt und den Eigensinn von Selbstentfaltung gegenüber der Funktionalität der Institutionen hervorhebt. Allerdings entsteht in der Diskussionsmode um „selbstorganisiertes Lernen" die Gefahr einer Entleerung des Begriffs. Spätestens wenn dann noch konstruktivistische Konstruktionen hinzukommen, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass das Prinzip des „selbstbestimmten Lernens" von Menschen etwas anderes meint als das Konzept der Selbstorganisation lebender Systeme. Modisch ist es, biologische Evolutionstheorien, AutopoiesisKonzepte und Chaos-Theorien heranzuziehen. Deren erkenntnistheoretische Bezüge zum „radikalen Konstruktivismus" und paradigmatische Bindung an die Systemtheorie der „zweiten Generation" impliziert aber in den meisten Ansätzen eine Trennung zwischen psychischen und sozialen Systemen. Personen kommen bei diesen Selbstorganisationsansätzen nur noch als Kommunikationspole ins Spiel. Diese Ausgrenzung der lernenden Menschen aus Bildungsprozessen aber führt in theoretische Sackgassen. Demgegenüber stellt eine angemessene Konzeption „selbstbestimmten Lernens" (Faustich u.a. 2002) die Menschen als Einzelne oder in Gruppen in den Mittelpunkt. "Selbstbestimmtheit" hebt sich ab gegenüber den biologistischen Mitklängen von „Selbstorganisation" sowie den technizistischen Konnotationen von „Steuerung" und „Regelung" und gehört zu den „einheimischen" bildungswissenschaftlichen Begriffen. -
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Dabei stößt man auf die Diskrepanz, dass Lernanforderungen immer über die jeweils für die Lernenden verfugbaren Handlungsvoraussetzungen hinausgehen also fremdgesetzt sind. Wenn dem nicht so wäre, wäre Lernen überflüssig. Individuen werden in eine Gesellschaft geboren, die sie sich nicht aussuchen. Insofern ergibt sich ein Kontinuum in der Dimension zwischen selbstständigem Aneignen und Vermitteln. „Allerdings sind nur schwer Lernformen vorstellbar, bei denen Selbststeuerung pur stattfindet und gleichzeitig der Fremdsteuerungsanteil den Wert null annimmt" ((Friedrich/Mandl 1990, -
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Auszufüllen sind jeweilige Grade im Spielraum zwischen selbst- und fremdbestimmtem Lernen. Es geht dann um spezifische Lehr-/Lernensembles und -arrangements, die je nach Lerngegenständen unterschiedlich offen oder geschlossen sind, letztlich um stärkere Berücksichtigung individueller Interessen und um weniger
institutionelle Vorgaben. Selbstbestimmtheit im Lernen richtet sich also auf die Interessen der Lernenden und deren Probleme. Es geht um die interessengeleitete, aktive Aneignung von Welt durch die handelnden Personen. Im Prozess der Aneignung entscheiden immer die Lernenden selbst, was sie an sich heranlassen und was sie aufnehmen. Lernen ist immer Selbstlernen. Lernen ist immer eine Auseinandersetzung mit einem fremden Gegenstand. Lernen ist immer Weltaufschluss. In dieser Spannung bewegt sich die Diskussion. Es kommt daher darauf an, grundlegende Kategorien und Konzepte zu klären, um Chancen und Risiken einzuschätzen. Kern ist die Entwicklung eines angemessenen Lernbegriffs, welcher es ermöglicht, die Teilprobleme zu verorten (4.2.2). Gefunden werden
kann ein solcher Begriff im Konzept „expansiven" Lernens von Klaus Holzkamp (1993), der einerseits eine Kritik psychologischer Lerntheorien vollzieht, andererseits m.E. anschlussfähig ist an die bildungswissenschaftliche Diskussion. Die zentrale Kategorie ist „expansives" Lernen, welches Prinzipien des Begriffs Bildung aufnimmt.
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Wenn man sich nicht den Verkürzungen und Polemiken der aktuellen Diskussion unterwerfen will, kommt es also darauf an, die Probleme einzuordnen in ein angemessenes Konzept des Lernens (4.2.2); zu klären, welche Besonderheiten sich für ein Lernen über alle Lebensspannen ergeben (4.2.3), zu fragen, welchen Stellenwert Lehren als Intervention in Lernen haben kann, wenn Selbsttätigkeit der Lernenden als förderlich hervorgehoben wird (4.2.4). 4.2.2. Lernen in Bedeutungszusammenhängen Obwohl Lernen als „lebenslanges Lernen" zum imperialen Postu-
lat menschlichen Lebens geworden ist, haben die damit vorrangig befassten Wissenschaften Psychologie und Pädagogik, jedenfalls in ihren hegemonialen Varianten, einen angemessen Begriff von Lernen nicht entwickelt. Dies wird besonders deutlich bezogen auf ein Konzept „lebensentfaltender Bildung", wenn unterstellt wird, dass Lernen nicht passive Anpassung, sondern aktive Entfaltung meiner Selbstständigkeit als Erwachsener bedeuten kann. Lernen wird demgegenüber in der herrschenden Sichtweise eng an Belehren gebunden. Lernen wird reglementiert und kontrolliert und der Ordnung angepasst. Die traditionellen von der behavioristischen bis zur kognitivistischen psychologischen Lerntheorien haben in den dominierenden Varianten ein reaktives Modell menschlichen Lernens unterstützt. Lernanlässe erscheinen als von außen an die Lernenden herangetragen als Ansinnen, Verhalten zu ändern. Am deutlichsten wird dies in der behavioristischen StimulusResponse-Psychologie, die über vierzig Jahre das Feld beherrschte und heute noch, wenn auch in elaborierteren Varianten, einige psychologische und sogar pädagogische Fakultäten dominiert. Lernen bedeutet hier im Kern: Herstellen von erwünschtem Verhalten durch entsprechende Anreize. Die „traditionelle Theorie" definiert Lernen in ihren verbreiteten Lehrbüchern: -
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„Veränderung von Verhalten oder im Verhaltenspotential eines Organismus in einer bestimmten Situation, die auf wiederholte Erfahrungen des Organismus in dieser Situation zurückgeht" (Bower/Hilgard 1983,31). Diese kausale Interpretation kann umgesetzt werden in instrumenteile Strategien, wenn unter Lernen „alle Prozesse, die einen Organismus so verändern, dass er beim nächsten Mal in einer vergleichbaren Situation anders und sei es auch nur schneller reagieren könnte" (Mielke 2001, 12) subsumiert werden. Es dominiert eine Perspektive der Instruktion, d.h. eine Lehrperspektive. Dies hat Tradition seit dem Großmeister der Konditionierung, Burrhus F. Skinner, der nach den das Lernverhalten steuernden Bedingungen suchte und Ratten und Tauben zum Tanzen brachte: „Wir sorgen dafür, daß Wirkungen im Sinne von positiven Nacheffekten tatsächlich eintreten und unter solchen Bedingungen eintreten, die besonders günstig sind für die Verhaltensänderungen, die wir „lernen" nennen. Wenn wir erst einmal die besondere Art einer Folgeerscheinung, die wir Verstärkung nennen, hergestellt haben, erlauben es unsere Methoden, das Verhalten eines Organismus fast beliebig zu formen" (Skinner 1971, 17). „Lehren bedeutet die Anordnung von Verstärkungszusammenhängen, unter deren Einwirkung Schüler lernen" (ebd. 61). In seinem utopischen Roman „Waiden two" (1948, deutsch Futurum Zwei 1970) hat Skinner operandes Konditionieren als totale Kontrollchance und gleichzeitig als Lösung aller gesellschaftlichen Fragen angepriesen. Glück ist verhaltenswissenschaftlich herstellbar, durch Lob lassen sich gute Menschen erzeugen. Unterlegt wird ein einfaches Stimulus-Response-Schema (SR) der Belohnung und positiven Verstärkung, letztlich eine physikalistische UrsacheWirkungskette, womit eine Vernaturwissenschaftlichung des Psychischen erfolgt. Eine kritische Analyse der kanonisierten Definition von Lernen als dauerhafte Verhaltensänderung aufgrund von Erfahrung muss dagegen die Begriffe Erfahrung, Verhalten und Organismus unter die Lupe nehmen. Was denn eine Erfahrung sei, wird nicht hinrei-
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chend bestimmt. Schon die Frage, was aus einem diffusen Feld von Umwelt als relevanter Reiz identifiziert wird, ist bestenfalls als Assoziation mit vorherigen Konstellationen beantwortbar. Isolierte Stimulus-Response-Schemata funktionieren letztlich nur in hermetischen Laborsituationen. SR-Theorien interpretieren eine experimentell erzeugte Weltlosigkeit. Wenn
man von
„Verhalten" redet, reduziert man wissenschaftli-
ches Erkennen menschlicher Tätigkeit auf durch Außensicht Beobachtbares. Dieser Beobachterperspektive folgt der klassische Ansatz des Behaviorismus mit seinem Ausgangspunkt, „die beobachtbare Tatsache, daß Organismen Menschen und Tiere sich mit Hilfe einer vererbten und gewohnheitsmäßigen Ausstattung an ihre Umwelt anpassen" und „daß es bestimmte Reize sind, welche die Organismen zu den Reaktionen veranlassen" (Watson 1930,1968,20) Im Gegensatz dazu ist der Begriff Handeln gekennzeichnet durch Intentionalität, also auf interessenorientierte Sinnzusammenhänge von Menschen bezogen. Handlungsgründe kann man nicht beobachten, sondern man muss sie verstehen. Mit dem Hinweis auf „Organismus" in der Definition von Lernen wird eine abstrakte Systemsicht eingenommen, aus der Ratten und Menschen vergleichbare Exemplare eines gemeinsamen Typs lernender Systeme darstellen. Letztlich ist Lernen dann ein Verändern von Reiz-Reaktions-Mustern. Lernen wird reduziert auf einen formalen Prozess, dessen Inhalte beliebig scheinen. Bedeutsamkeit der Lernthematiken für Lebensinteressen bleibt ausgeblendet. Insgesamt wird Lernen demgemäß als weitgehend von außen veranlasst gesehen. Es wird entsprechend physikalistischem Kausalitätsdenken nach Ursache-Wirkungs-Determinanten gesucht. Von außen verursachte, veranlasste passive Reaktion wird unterstellt. Demgegenüber sind menschliche Individuen immer schon einbezogen in aktives Handeln in der Welt, das durch Sinnhaftigkeit begründet ist. -
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Die
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Entwicklung
der Lerntheorien kann
um
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sicherlich vereinfa-
Grundzüge pointieren geschrieben werden als schrittweise Erweiterung und Ergänzung des behavioristischen, verhaltenswissenschaftlichen Grundkonzepts (ausführlicher die Kritik bei Holzkamp 1993, Kapitel 2). Zunächst wurde in kognitivistischen Lerntheorien die Blackbox „lernendes System" mit einem Innenleben versehen. Schon Tolman (1932) hat eine Unterscheidung von Lernen und Ausführen eingeführt. Einerseits wird demgemäß nicht alles, was gelernt wird, chend, aber
die
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in die Tat umgesetzt und ist dann als verhaltensändernd beobachtbar. Andererseits wird Lernen nicht über „Verstärkungen" im StimulusResponse-Schema angeregt, sondern durch Erwartungen auf Resultate. Betont wird damit der antizipative Aspekt von Lernanlässen. Differenziert werden kann weiter zwischen Ergebniserwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen (Bandura 1977) bzw. Kontrollerwartungen (Rotter 1982). Diese Ansätze unterstellen ein „Selbstkonzept", das bewertende Urteile über Informationen und Konstellationen zulässt. Begriffen werden muss darüber hinaus die Dauerhaftigkeit der Lernresultate, wie es Gedächtnistheorien und Theorien „informationsverarbeitender Systeme" versuchen. Lernen hat nicht schon dann stattgefunden, wenn erfahrungsbedingte Veränderungen beobachtbar sind, sondern erst dann, wenn diese über die spezielle Situation hinaus erhalten bleiben. Transsituationale Permanenz und Kumulation kennzeichnen Lernprozesse. Angesichts der zunehmenden Attraktivität der Computer-Metapher wurde dies modelliert in informationsverarbeitenden Systemen oder „Neuronalen Netzen" die demnach „selbstorganisiert" ihre eigenen Lern- und Speicherleistungen optimieren. Der Außendeterminismus, der die SR-Theorien und auch ihre kognitivistischen Erweiterungen bestimmt, wird überwunden mit der von Miller, Galanter und Pribram eingeführten Kategorie des Plans. Im Anschluss daran ist vor allem von Hacker und Volpert die Handlungsregulationstheorie formuliert worden. Lernen wird als Form menschlichen Handelns begriffen, welches abläuft als zyklischer, hierarchisch und sequentiell gegliederter Regulationsprozess. Aller-
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dings drohen sowohl das von Hacker formulierte „Operative Abbildungssystem" als auch das Konzept der Regulationsebenen in einen reifizierenden Schematismus abzugleiten und erzeugen einen kogni-
tivistischen Bias. Es bleibt auch ein individualistischer Bias, der alle genannten Theorien des Lernens kennzeichnet, erhalten, wenn Pläne nicht auf gesellschaftliche Sinnzusammenhänge bezogen werden. Einen weiteren Komplexitätsschub haben die Lerntheorien durch die Ausbreitung des „Konstruktivismus" erhalten. Konstruktivistische Lerntheorien begreifen Lernen als individualisierte Leistung, bei der Intentionen und Resultate intern hergestellt werden und in der radikalisierten Variante nur für den Lernenden selbst Gültigkeit haben. Lernen gilt als selbstorganisiert, lebensweltorientiert und eigendynamisch (Reinmann-Rotmeier/Mandl 1995). Direkte Instruktion ist dann nicht mehr möglich; Lernerfolge sind nicht herstellbar, sondern nur noch durch immer raffiniertere Lernarrangements zu ermöglichen (Arnold 1996). Nichtsdestoweniger verbleibt der Konstruktivismus immer noch bei einer Außensicht auf Lernen. Begründungsmuster des Lernhandelns bleiben prinzipiell unzugänglich, wenn gelingende Kommunikation eher als Ausnahmefall gilt. So ist die verführerische Einfachheit der behavioristischen SRTheorien langsam aufgebrochen. Die Schwierigkeiten einen sinnvollen und angemessenen Begriff zu finden, sind auch darin begründet, dass das Wort „Lernen" für sehr viele und unterschiedliche Phänomene verwendet wird, wenn etwa „Mechanismen bei der Veränderung menschlicher Verhaltenspotentiale" (Mielke 2001, 9) oder erfahrungsbedingte Veränderungen der Handlungsfähigkeit darunter gefasst werden. Lernen meint aber unterschiedliches je nachdem, ob einzelne Lernakte, Lernsequenzen oder umfassende Kompetenzsysteme betrachtet werden. Neben der Unterscheidung nach Komplexitätsgraden umfasst Lernen unterschiedliche Lernformen. So gibt es den Grad der Ausgliederung von Lernen und anderen Tätigkeiten im Verhältnis von Integration und Separation; dies ermöglicht verschiedene Formen von Erfahrungs- bzw. Wissenschaftsbezug; demgemäß kann Lernen mehr zielbezogen intentional oder mehr zufällig, mitlaufend, inzidentell erfolgen; die Ziele und Ablaufe können dann eher selbst-
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erfolgen; sie sind stärker in Institutionen oder eher einbezogen beiläufig und informell. Es ist wichtig, sich diese systematischen Differenzen der Dimensionen klar zu machen und außerdem zu beachten, dass es zwischen den Polen vielfaltige Ausprägungsformen gibt. So ist es keineswegs schlüssig, selbstbestimmtes Lernen mit tätigkeitsintegrierten, erfahrungsbezogenen und informellen Lernformen z.B. Lernen am Arbeitsplatz gleichzusetzen. Vielmehr kann auch wissenschaftsbezogenes, institutionelles und separiertes Lernen z.B. im Universitätsstudium einen hohen Grad an Selbstbestimmtheit zeigen. oder eher fremdbestimmt
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intentional
erfahrungsbezogen
separiert selbstbestimmt
institutionell
informell
fremdbestimmt
integriert wissenschaftsbezogen inzidentell Abb. 21:
Aspekte von Lernformen
Die Lernformen differenzieren sich in diesem mehrdimensionalen Koordinatenraum. Es sind eine Vielzahl von Kombinationen möglich. So ist am Arbeitsplatz z.B. intentionales, integriertes, fremdbestimmtes, wissenschaftsbezogenes Lernen möglich, im Unterricht kann inzidentelles, erfahrungsbezogenes, selbstbestimmtes Lernen stattfinden. Institutionell eingebundenes Lernen ist keineswegs immer fremdbestimmt, Lernen im sozialen Kontext nicht per se offen. Auch die engen Formen frontalen Unterrichts weisen immer erhebliche Spielräume für die Lernenden auf besonders in der letzten Bank und „open spaces" als modischer Trend in der betrieblichen -
-
218
Wissen und Lernen:
Bildung
Weiterbildung können
als Zwang erlebt werden. Es kommt immer darauf an, inwieweit die lernenden Personen externe Zwänge oder eigene Motive unterlegen, ob sie eigene Lembegründungen haben. Entsprechend diesen vielfältigen Konstellationen sind auch die Lerntheorien in ihrer kognitivistischen und konstruktivistischen Erweiterung zunehmend komplexer und differenzierter geworden, und sie haben in ihrer letzten Phase einen Wechsel der Sichtweise vollzogen. Die Reinterpretation der Konzepte belegt, dass sie menschliches Lernen unterkomplex und perspektivenverschoben modellieren
(Holzkamp 1993). Während lange
Zeit über Lernen nachgedacht wurde, als seien Menschen leere Blätter, in welche die Welt ihre Buchstaben einschreibt, wurde die aktive Rolle der Lernenden selbst als Schreiber ihrer Biographien immer deutlicher. Für die Frage des Lernens muss also eine Herstellungsperspektive aufgegeben werden. Die Vorstellung vom Füllen der Köpfe mit Wissen ist obsolet. Stattdessen greift eine Aneignungsperspektive. Die Lernenden suchen nach Wissen und geben dem einen Sinn. Zudem ist Lernen keineswegs beschränkt auf durch Lehrpersonal intentional gesteuerte Prozesse in spezifischen Lerninstitutionen. Dies ist ein Ertrag der „Selbst-... Lernen" Debatte. Lernen erfolgt immer schon im Kontext sozialer Aktivitäten. Gelernt wird eine veränderte Partizipation in den vielfältigen Kontexten des Alltags. Dies ist einbezogen in die Praxis menschlicher Gemeinschaften. Lernen findet statt in Bedeutungszusammenhängen. Damit ist der Ausgangspunkt erreicht für eine fortgeschrittene Fassung von Lerntheorie, die sich in der Position von Klaus Holzkamp in seinem Werk „Lernen" (1993) findet. Er entwickelt seinen Ansatz, Lernen zu begreifen vom Standpunkt des handelnden -
Menschen. „Mit diesem
Standpunkt stehe ich nicht neutral in der Welt, sondern verhalte mich zu ihr als ein sinnlich-körperliches, bedürftiges, interessiertes Subjekt" (ebd. 21). Daraus folgt ein Perspektivwechsel, Lernen erfolgt nicht von außen bedingt, sondern als vom Individuum begründet, nicht also
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Bildung
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durch Beobachten äußerer Anstöße hinreichend erklärbar, sondern erst durch die vom Individuum selbst hergestellten Bedeutungszusammenhänge zu verstehen. Eine Bezugnahme zwischen den eige-
Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Handlungsmöglicherfolgt durch die Zuweisung von Bedeutungen als Lernbegründungen. Holzkamp bezeichnet dies als Wechsel vom Bedingtheitsmodell zum Begründungsdiskurs (ebd. 31). So gesehen kann man die Lernenden als Intentionalitätszentren kennzeichnen, die von ihrem Standpunkt aus Perspektiven und Intenen
keiten
entwickeln. Intentionalität bezieht sich auf Handlungshorizonte und -Perspektiven ausgehend von eigenen Lebensinteressen. Diese sind artikulierbar und kommunizierbar in der Sprache individueller Handlungsbegründungen. Solche Gründe sind die jeweils eigenen Gründe. Dabei gehen äußere Anlässe zwar in Begründungsmuster mit ein, allerdings nur als Prämissen der jeweiligen ressen
eigenen Aktivität. Diese sind keineswegs eindeutig von außen determiniert, sondern vom Individuum aus dem Kontext seines Handelns aktiv selektiert. Die Welt erschließt sich in ihrer intentionalen Bezogenheit nicht im mentalen Akt, sondern im Zusammenhang von Handlungsmöglichkeiten. Im handelnden Weltzugriff, indem das Individuum seine Lebensbedingungen aktiv umgestaltet und erweitert, erhalten die Handlungsprämissen ihren Bedeutungsaspekt. Lernen ermöglicht ein Eindringen der Individuen in historisch-konkret gegebenen Handlungsmöglichkeiten und -begrenzungen. Allerdings löst sich Lernen in diesem Sinn nicht in unmittelbares Handeln auf. Selbstverständlich kann man alle Tätigkeiten auch unter Lernaspekten sehen: Beim Arbeiten, beim Spielen, sogar beim Schlafen kann gelernt werden. Dies ist inzidentelles Lernen: Mitlernen (ebd. 182). „Mitlernen begleitet nämlich mehr oder weniger jeden Handlungsvollzug und ist demnach auch bei der Bewältigung jeder Handlungsproblematik auf die eine oder andere Weise involviert"
(ebd. 183)
220
Wissen und Lernen:
Bildung
Lernen im eigentlichen (engeren) Sinn als spezifische Tätigkeitsform ist intentionales Lernen. Es wird ausgelöst, wenn Routinen nicht greifen, wenn Diskrepanzen entstehen zwischen einer Handlungsproblematik und individuellem Lösungspotenzial. Zum Lernen
kommt es dann, wenn die Individuen in ihren Handlungsvollzügen auf Hindernisse oder Widerstände stoßen. Handlungsproblematiken, die durch vorhandene Kompetenzen nicht zu bewältigen sind, werden zu Lernproblematiken (ebd. 182). „Lernproblematiken wären mithin gegenüber primären Handlungsproblematiken dadurch ausgezeichnet, daß hier auf der einen Seite die Bewältigung der Problematik aufgrund bestimmter Behinderungen, Widersprüche, Dilemmata nicht im Zuge des jeweiligen Handlungsverlaufs selbst,... möglich erscheint: Auf der anderen Seite aber, daß in (mindestens) einer Zwischenphase Lernintention die Behinderungen, Dieiner besonderen aufgrund lemmata etc., die mich bis jetzt an der Überwindung der Handlungsproblematik gehindert haben, aufgehoben werden können, so daß daran anschließend bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der Handlungsproblematik bestehen" (ebd. 183). Lernanlässe entstehen aus Diskrepanzerfahrungen zwischen Intentionalität und Kompetenz. Man kann nicht so, wie man will. Aus einer Handlungsproblematik wird intentional eine Lernhandlung ausgegliedert, eine Lemschleife eingebaut, um im primären Handlungsverlauf nicht überwindbaren Schwierigkeiten beizukommen. Daraus entstehen Lernthemen, die sich aber nicht auf Gegenstände an und für sich, sondern auf ihre jeweilige Bedeutung für das lernende Individuum beziehen. Bedeutungshaftigkeit ist derjenige Aspekt der Welt, durch den diese für das Individuum für seine Lebensinteressen relevant und damit für Lernen zugänglich wird. Sie ermöglicht die Entwicklung und Erweiterung von Handlungsvoraussetzungen. In Bedeutungskontexten werden Wissensstrukturen und Kompetenzen aufgebaut, welche eine erweiterte Weltverfügung er...
möglichen.
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221
Lebensinteressen
Problemsituation
Handlungsproblematik Diskrepanz Lernschleife
Lernproblematik Lernen
Inzident
intentional
[Distanzhaltung
Mitlernen
Bewältigungs- [Bezugshandluna handlung
I Abb. 22:
Idefensivi
Lernhandlung lexpansivj
Weltverffigung
Grundbegrifflichkeiten der Theorie lernenden Weltaufschlusses
Wissen und Lernen:
222
Bildung
Menschliches Lernen als eine gegenüber anderen Tätigkeiten besondere Form ist also gekennzeichnet durch seine Intentionalität, welche eine Diskrepanz zwischen verfügbaren und gewünschten Kompetenzen feststellt. Die Erfahrung einer Lerndiskrepanz führt zur Herausbildung einer Lernproblematik. Lernende Menschen sind allerdings keine abstrakten Intentionalitätszentren, sondern als Körper situiert in den Kontexten praktischer Lebenszusammenhänge. Die Individuen sind als Körper raumzeitlich gebunden, mental über Sprache in die Gesellschaft einbezogen und abhängig von ihrer vor-
ausgelaufenen Biographie (Situiertheiten: Holzkamp 1993,253-269. Kompetenz
Diskrepanz
Intentionalität
Problematik Situativität
Biographizität
Sprachlichkeit Körperlichkeit
Abb. 23: Lernmodell
Intentionalität wird durch Begründungsmuster orientiert. Dies wirft ein neues Licht auf Probleme der Motivation, wenn damit das Warum und Wozu von Handeln bezeichnet wird (Heckhausen 1989). Handlungen werden psychisch reguliert durch Interessen unter dem Aspekt der Gerichtetheit eines Individuums, durch die Werthaltigkeit, die einem Handlungs- bzw. Lerngegenstand zugemessen wird (s.a. Krapp/Ryan 2002). Daraus ergibt sich das Zusammenspiel von Individuum und Situation im jeweiligen Kontext. Es geht um die Auswahl von Alternativen. Entscheidend für den Prozess und die Resultate des Handelns, also auch des Lernens, ist für die Individuen der selbst wahrgenommene Handlungsgrund und der Grad
eigener Kontrolle bei der Entscheidung.
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Bildung
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Man muss allerdings, wenn man einen kognitivistischen Bias vermeiden will, betonen, dass Handlungsselektivität keineswegs nur bewusst erfolgt und immer emotional belegt ist. Holzkamp redet von der emotional-motivationalen Qualität von Handlungsbegründungen
(Holzkamp 1993,189) Es lässt sich zeigen, dass auf einem höheren Maß von Selbstbestimmtheit, auf eigenen Begründungsmustern beruhende Lernformen zu besseren Lernleistungen führen und das Gelernte dauerhafter gespeichert wird (ebd. 201, Deci/Ryan 1993, 230). WahlmöglichkeiRegel als autonomiefordernd und motivationssteigernd wahrgenommen. Dabei geht es immer auch um das Verhältnis von individuell erlebtem und real vorhandenem Entscheidungsraum. Motivationstricks und Manipulationsstrategien sind begrenzt durch
ten werden in der
den als sinnhaft er fahrbaren Kontext der Person.
Spätestens hier muss die Vorstellung aufgegeben werden, man könne ausgehend von feststehenden Lehrzielen ein bestimmtes Lernverhalten erzeugen. Klaus Holzkamp kritisiert dies als LehrLern-Kurzschluss, die Unterstellung, ,Lehren' würde automatisch ,Lernen' bei den Belehrten implizieren" (Holzkamp 1996, 23). Was Lehrende lehren und was Lernende lernen, liegt in unterschiedlichen Welten. In diesem theoretischen Kontext kann dann der Stellenwert von von außen gesetzten Lernbedingungen reinterpretiert werden. Sofern diese fremdgesetzt sind, das heißt für das Individuum keine akzeptablen Lerngründe bestehen, wird es widerständig, ausweichend reagieren. Holzkamp hat diese Lernform und ihre institutionellen Rahmenbedingungen unter dem Begriff „defensives Lernen" ausführlich am Beispiel von Schule diskutiert. Erst wenn Lernthematiken mit den Lebensinteressen der Individuen vermittelt sind, findet expansives Lernen statt. Es geht dann nicht um Abwehr von Bedro-
hungen,
-
sondern
um
Erweiterung
von
Weltverfügung.
Je weitrei-
chender die Entscheidungsmöglichkeiten der Lernenden über Ziele und Aktionsprogramme sind, desto größer ist der Grad der Selbstbestimmung im Handeln wie im Lernen.
224
Wissen und Lernen:
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Lernen erfordert Kontrolle über matiken und Methoden des eigenen Lernens.
Expansives
Intentionalität, The-
Spätestens dies zwingt auch zu der Einsicht, „dass die Vorstellung, man könne etwa durch Lehrpläne, Lehrstrategien, didaktische Zurüstung die Lernprozesse eindeutig vorausplanen, also Bedingungen herstellen, unter denen den Betroffenen nichts anderes übrig bleibt, als in der gewünschten Weise zu lernen, eine Fiktion darstellt: Tatsächlich erzeugt man durch derartige Arrangements über die Köpfe der Betroffenen hinweg vor allem Widerstand, Verweigerung, Ausweichen ..." (Holzkamp 1996, 23/24). „Um diesem Dilemma zu entkommen, ist es zunächst erforderlich, Arbeitsbedingungen und Kommunikationsformen zu schaffen, innerhalb derer die wirklichen Lerninteressen der Betroffenen systematisch geäußert und berücksichtigt werden können" (ebd. 24). Damit wird eine vollkommen andere Perspektive auf Lernprozesse eingenommen: Lehren in einem veränderten Sinn ist zwar Teil eines integrierten Lehr-/Lernprozesses; Lernbezug ist aber die grundlegende Perspektive. Unterstrichen wird damit die eigene Ak-
-
tivität des Individuums. Dieser Sichtwechsel von der passiven Herstellungs- zur aktiven Aneignungsperspektive hat lerntheoretisch
gravierende Konsequenzen. Entgegen dem in klassischen Lerntheorien unterstellten universa-
listischen Modell sind alle Formen des Lernens historischspezifisch. Lernen ist ein sozialer Prozess. Es geht um Aneignungsprozesse zur mit Anderen gemeinsamen Teilhabe in einer sozialen Praxis, die historisch geprägt ist. Sie enthalten unterschiedliche Ausprägungen bezogen auf Sinn und Bedeutung in gesellschaftlichen Zusammenhängen und die jeweils konstitutiven Person-WeltBeziehungen. Alle reflektierten Konzeptionen des Lernens begründen die Auffassung, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, bei dem eine Person einem Problem einen Sinn gibt und damit ein Thema des Lernens konstruiert. Menschliches Lernen ist ohne „Beteiligung" des Selbst nicht denkbar. Gleichzeitig findet Lernen immer in einem
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Bildung
225
historischen kulturellen Kontext statt, dessen Bedeutungen als vorgegebene „Fremdeinwirkung" sich die Person aneignet (Holzkamp, aber auch „Konstruktivisten" wie Mandl, Prenzel u.a.). Gleichzeitig schließt eine solche Vorstellung von Lernen an die historische Humanperspektive an, wie sie sich im Begriff Bildung artikuliert hat. Auch die Phylogenese wird interpretierbar als kollektive Lerngeschichte, in der menschliche Aktivität Natur und Gesellschaft gestaltet und historisch akzeptierte, als wahr unterstellte Wissensbestände
aufgebaut werden.
Lernen kann in diesem Zusammenwerden als hang gesehen Überführung kulturellen Wissens in individuelles wobei damit nicht nur kognitive Aspekte gemeint sind. Lernen ist immer Lernen von etwas. Wissen unterscheidet sich von bloßem Meinen oder purem Glauben durch das Kriterium der Wahrheit. Wenn eine Person etwas weiß, unterstellt sie dieses als wahr. Mit dem Rückbezug auf eine personbezogene Lern-, also Bildungstheorie, die kulturhistorisch eingebunden ist, und dem Fokus auf intentionales, expansives Lernen erhält die Diskussion um „Selbstorganisiertes Lernen" eine korrigierende Grundlegung. Damit wird es dann auch möglich, einige Irritationen auszuräumen und Illusionen aufzulösen. Wissenschaftstheoretisch findet ein Paradigmenwechsel statt von einem Bedingtheitsdiskurs, der mit Kausalitäten argumentiert, welche Lemverhalten verursachen, hin zu einem Begründungsdiskurs, der individuelle Bedeutungshaftigkeit von Lernhandeln betont. Dies drückt sich aus im Perspektivenwechsel von der Instruktion zur Aneignung. Allerdings folgt aus diesem Konzept keineswegs eine didaktische Beliebigkeit. Es sind Bedingungen angebbar, unter denen „expansives Lernen" wahrscheinlicher ist (s.u. 4.2.4). Dies ist aber auch durch raffinierteste Lernarrangements nicht erzwingbar, sondern behält seine Eigensinnigkeit. -
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Wissen und Lernen:
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4.2.3 Lernchancen über die Lebensspanne Vorausgesetzt ist selbstverständlich bei allen Überlegungen zu lebensentfaltender Bildung, dass Lernfähigkeit oder anspruchsvol-
ler Bildsamkeit sich nicht auf die biographischen Phasen von Kindheit und Jugend beschränkt, sondern bis ins hohe Alter fortbesteht (vgl. zum Folgenden Faulstich/Zeuner 1998, Kapitel 2.3). Der Unterschied von Erziehung, als Weitergabe von Wissen an die jeweils nachfolgende Generation, und Bildung im Sinne von Selbstentfaltung durch Aneignung, ist dafür konstituierendes Moment. In dieser Interpretation meint der Begriff des „life-long-learning" den unabschließbaren, offenen Prozess der Suche nach Identität, wie er angesichts der Auflösung traditionaler Gesellschaften zur Dauerauf-
gabe geworden ist. Vorausgesetzt wird zweierlei: zum einen die immer wieder erneuerte Permanenz von Lernaufgaben, zum anderen eine fortbestehende Kontinuität von Lernfähigkeit. Indem Erwachsene als entwicklungsfähig und lernbedürftig gesehen werden, verschwindet ihr scheinbar selbstverständlicher biographischer Status, der sie gegenüber Kindern und Jugendlichen abzugrenzen schien. Jedenfalls ist die im Begriff prägende Vorsilbe „er-" im Sinne von „aus-" ebenso obsolet wie die Nachsilbe „wachsen" als „formbar". Erwachsensein wäre dann Ende der Formbarkeit. Von da an geht's bergab. Meinte „Erwachsensein" zunächst den Abschluss körperlicher Reifung, wurde dies dann auch als Vorbei geistiger Entwicklung unter-
stellt. Beides ist nicht haltbar. Zwar gibt es auch einen biologischen Prozess der Reifung. Aber selbst der ist weniger fixiert als oft unterstellt. Wenn man über Erwachsene redet, wird dies letztlich nur kulturell und formationsspezifisch begründbar. Bei den Aborigines herrscht eine andere Sicht als bei den Europäern, beim Adel eine eher genealogische, beim Bürgertum eine eher ökonomische. Die Rolle des Erwachsenen wird Personen zugewiesen, sie ist ein historisch entstandenes soziales Konstrukt. Neben biologischen, psychologischen und anthropologi-
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Bildung
227
sehen Versuchen der Definition gibt es soziologische, juristische und ökonomische. Erwachsensein kann gefasst werden als Zustand körperlicher Reife (Schon hier gibt es kulturelle und individuelle Unterschiede.) Stabilität von Verhaltens-, Erlebens-, Denk- und eben Lernformen (Die aber immer offener werden.) Umgang mit Kindheit und Alter (Wobei die Entwicklungsstufen keineswegs klar sind.) Übernahme von Rollen wie Partnerschaft und Elternschaft (Diese werden durch wandelbare Formen der Familie geprägt.)
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Erwerb von Pflichten und Rechten (Deren juristische verschiebt sich im historischen politischen Prozess.)
Fixierung
Stehen in Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Selbstständigkeit (Wobei sich dies relativiert durch die Entwicklung der Arbeit und das Verhältnis der Geschlechter.) Alle diese Konstrukte liefern keine trennscharfen Einteilungen. Wenn man versucht den Kern der Ansätze zu finden, stößt man in der Tradition der europäischen Moderne auf den Entwurf eines selbstverantwortlichen und selbstbestimmten Menschen. Diese Idee ist tief verwurzelt in der Entwicklung abendländischer Gesellschaften (Taylor 1996), und sie ist untrennbar verbunden mit dem Konzept Bildung. Der mündige, vernünftige und freie Erwachsene liefert also ein Leitbild für „expansives", selbstbestimmtes Lernen. Lernfähigkeit von Erwachsenen ist besonders an Bedeutsamkeit geknüpft. Das Lieblingssprichwort der Diskussion um „lebenslanges Lernen" lautet: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr". Es folgt dann die Widerlegung: „Hans lernt eben später und anders." Feministisch reflektiert wird dann auch Grete einbezogen. Warum das so ist, bleibt aber vage. Zunächst ist die wissenschaftlich klingende Fassung des Hänschen-Sprichworts, also die Unterstellung Erwachsene seien weniger lernfähig als Jugendliche, als ,,Adoleszenz-Maximum-Hypothese", dass man in der Jugend am wirksamsten und nachhaltigsten lerne, empirisch nicht haltbar.
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Bildung
Immer wieder auftauchende neurophysiologische Untersuchungen über die Festlegung von Nervenbahnen im Gehirn in Kindheit und Jugend (zusammenfassend Roth/Prinz 1996; politisch akzentuiert Scheich 2001), die dann publizistisch hochgezogen werden (z.B. Der Spiegel vom 1.7.02: Wie funktioniert das Lernen?) widerlegen
psychologische Untersuchungen, welche Erwachsenen hohe Lernfähigkeit bescheinigen, keineswegs. Zwar sind Lernprozesse ohne Hirnsubstrat nicht denkbar;, auch mag es sein, dass für spezifische Leistungen, z.B. Sprachenlernen oder Musik so etwas wie sensible Phasen in der Reifung bestehen, aber die generalisierte Pauschalthese von einer abnehmenden Lernfähigkeit Erwachsener unterschlägt
nicht nur die immense Plastizität des menschlichen Gehirns, sondern begeht logische Ebenenverwirrung. Auch wenn nicht bestritten werden soll, dass physikalische Erklärungen des Lebens und physiologische Deutungen des Denkens die jeweils zugrunde liegenden mechanischen und autopoietischen Prozesse verstehbar machen, überziehen sie ihren Stellenwert. Für die nächst höhere Ebene gilt: „Trotzdem ist diese Annahme offenkundig Unsinn" (Polanyi
1985,40). Michael Polanyi
stützt mit dem Gedanken der „Emergenz" Strukturen der Hierarchie zwischen Ebenen von Gestalten der Wirklichkeit (ebd. 46), wobei die niedrige Ebene auf die höhere durch „marginale Kontrolle" (ebd. 42) wirkt. Ohne das physische Substrat des Gehirns sind psychische Prozesse wie Wahrnehmen, Denken und Lernen nicht vorstellbar. Aber Lernen wird durch die Netzwerke der Gehirnzellen nur als Randbedingungen kontrolliert. Drei Aussagen lassen sich stützen (Reimann-Rothmeier/Mandl 1995,193): Es
gibt keinen physiologisch festgelegten Abbauprozess mit
zunehmendem Alter. Zwischen verschiedenen Personen bestehen große Unterschiede. Lernfähigkeit von Erwachsenen ist veränderbar und selbst lernbar.
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Bildung
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bedeutet das nicht, dass nicht bei Erwachsenen besondere Lernwiderstände auftreten können (s.o. 1.1.3). Zum einen gibt es eine Lernmüdigkeit, bei denjenigen, die oft negative Resultate schulischer Vergangenheit verarbeiten mussten. Wenn es um das Lernen Erwachsener geht, wird besonders deutlich, dass diese in vielfältigen Kontexten stehen, Situationen unterschiedlich wahrnehmen und in ihrer Biographie verarbeiten. Erwachsenenlernen kommt nicht aus ohne Rückbezug auf Lebens-, besonders auch auf vorgängige Lernerfahrungen. Es ist immer schon Anschlusslernen und Deutungslernen. Zum anderen entstehen Lernschwierigkeiten, wenn die Sinnhaftigkeit von Lernbemühungen und -anstrengungen nicht nachvollziehbar ist. Frank Achtenhagen und Wolfgang Lempert betonen dabei besonders die Arbeitsbezüge. Um im Sprichwort zu bleiben: „Dass also Hans und Grete durchaus noch sehr spät nachzuholen vermögen, was Hansel und Gretel zu lernen versäumt haben, wenn sie nur eine Arbeit ergattern, die solches von ihnen ver-
Allerdings
langt" (Achtenhagen/Lempert 2000,1, 148). Weitergehend kann sogar gefolgert werden, dass Lerngründe im zunehmenden Alter überhaupt erst entstehen und Bedeutsames dann besser gelernt wird. Anwendungsbezüge und Selbstverantwortung, die Bedeutsamkeit für das eigenen Leben, sind für das Lernen Erwachsener besonders wichtig. Als „defensives Lernen" wird „lebenslanges Lernen" zum äußeren Zwang. Es wird als Druck wahrgenommen, permanent also „lebenslänglich" externen Anforderungen hinterher zu hetzen. Damit wird Lernen zur Entmündigung und Anpassung. Die Chance von Entfaltung wird kaum noch erfahrbar. Im expansiven „selbstbestimmten Lernen", in lebensentfaltender Bildung könnte sie wieder aufscheinen.
4.2.4 Lehren als Vermittlung beim Lernen Es gibt eine unaufhebbare Differenz zwischen Lemgründen und Lehrabsichten, die durch den Lehr-Lern-Kurzschluss überspielt wird. Lernen ist nicht einfach die Kehrseite des Lehrens.
230
Wissen und Lernen:
Bildung
Horst Siebert hat dies in einem schönen, überzogenen, aber einprägsamen Bonmot pointiert: „Erwachsene: lernfähig, aber unbelehrbar" (Siebert 1997,23) Diese Sichtweise hat dramatische Konsequenzen für alle institutionalisierten Lernverhältnisse, zum Beispiel in Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung, Lehrwerkstätten und betrieblicher Aus- und Weiterbildung. Wenn richtig ist, dass Lernen sich niemals ohne Selbsttätigkeit vollzieht, ist grundlegend in Frage gestellt, was die Funktion von Institutionen des Lernens und des in ihnen tätigen Personals sein kann (vgl. zum Folgenden Faulstich/Zeuner 1999, Kapitel 2.4). Man muss sich klarmachen,
dass alles Lehren Intervention im Lernen darstellt; dass Lehrende eine andere Rolle übernehmen als Lernende; dass Institutionen einen lernhemmenden oder lernförderlichen Kontext herstellen können. Diese Rahmenbedingungen sind nicht zu hintergehen. Menschliches Lernen findet immer schon in kulturellen Kontexten statt, die gekennzeichnet sind durch bestehende Institutionen und auch durch historisch akkumulierte Wissensbestände, welche sich die Individuen zusammen mit anderen Personen aneignen. Wenn Bildung die Aneignung von Kultur durch handelnde Personen ist, geht es dann darum, welches Maß von Entfaltung und wie unterstützende Vermittlung möglich sind. Ohne Bedeutungshaftigkeit der Lernthemen für die Lernenden werden Lerninstitutionen zu Anstalten, wie sie Michel Foucault in seinem Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses" (1974) dargestellt hat. In den Institutionen greift eine „Mikrophysik der Macht" (ebd. 38); die Körper der Lernenden werden fest-
-
-
gesetzt in Raum und Zeit sowie überprüft; Disziplin wird hergestellt
durch hierarchische Überwachung, normierende Bestrafungen und hinter allem selektierende Bewertung (ebd. 220); die Personen werden zu Insassen von Anstalten. Bedeutung wird ersetzt durch Macht und Unterwerfung. -
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Bildung
231
Klaus Holzkamp hat bei seiner Unterscheidung zwischen defensiund expansivem Lernen (s.o. 4.2.2) die Aspekte von Foucaults Herausarbeitung des historischen Wandels institutionell verkörperter Machtverhältnisse übersetzt in Schulkritik (Holzkamp 1993, 339423). Dies kann erweitert werden bezogen auf problematische Lernverhältnisse in allen Institutionen des Lernens. Für die Lernenden stellen institutionalisierte Formen des Lernens Bedeutungsanordnungen als vorgegebene Konstellationen verallgemeinerter Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen dar. In einer „kontaminierten" Form werden sie zu „Disziplinaranlagen" und erzwingen „defensives Lernen". Merkmale sind dann: Klausur/Isolation: Trennung von Lernen und Anwenden: Schon räumlich kann ein Bedeutungsverlust arrangiert werden, in dem Lernorte falsch gewählt werden. Inhaltlich wird dies dann verstärkt, wenn Lernthematiken und antizipierte Lernresultate und die damit verbundenen Verfügungsmöglichkeiten auseinanderfalvem
-
len.
-
der Lernenden unter Dozenten und Programme: durch die Lehrabsichten der Dozenten oder durch Lernvorgaben der Programme werden die Lernenden aufgrund
Hierarchie:
Unterordnung
„Lehrlernkurzschlüssigkeiten" (Holzkamp 1993, 423) zu „Objekten" der Weiterbildung. Dressur: Training ohne vermittelte Bedeuhmgszusammenhänge verhindert sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten. Zeitökonomie: durch die Vorgaben meist zu knapp bemessener Lernzeiten wird ein Gleichlauf von Lerngeschwindigkeiten ervon
-
-
zwungen. -
Selektion/Zertifikate: Durch
Bewertung der Lernleistungen wird Rangordnung hergestellt. Kontrolle: Der Disziplinaranlage der Schule entspricht in der Weiterbildung ein Kontrolldenken durch Anwesenheitspflichten. gleichzeitig eine
-
Wissen und Lernen:
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Abb.
Bildung
24:Disziplinaranlagen des Lernens
Diese
Aspekte „kontaminierter" Lernarrangements
zerstören
erzeugen Lernwiderstände und fuhren zu Weiterbildungsabstinenz. Dem kann man bezogen auf die einzelnen Aspekte ein Kontrastprogramm entgegenstellen, das „expansives Lernen" ermöglicht. Es geht dann nicht nur um Abwendung von Beeinträchtigungen, indem Lernwiderstände aufgedeckt und abgebaut werden, sondern um Erweiterung der Verfügung über die eigenen Handlungsbedingungen und deren Erfahrung im lernenden
Lernmotivationen; sie
Weltaufschluss (Holzkamp 1993, 190). Im Fortgang solcher Lernprozesse werden wachsender Aufschluss über Bedeutungszusammenhänge gewonnen und Handlungsmöglichkeiten erweitert. Dadurch werden expansive Lernhandlungen begründet. Aspekte unterstützender Lernmöglichkeiten sind kontrastiv zu Disziplinaranlagen: -
-
-
Lernen und Antizipationen des Anwendens um Bedeutsamkeiten zu entwickeln, Anerkennung der Lernenden und ihrer Lebensinteressen als In-
Verbindung von
tentionalitätszentren, Herstellung von Zeitsouveränität über Lernprozesse,
den Ablauf der
eigenen
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-
Bildung
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Zertifikate als Belege für Lernfortschritte und als Kontrollmöglichkeiten für nicht Verstandenes und als Hinweise für Lernlü-
cken,
Partizipation der Teilnehmenden an der Planung, Durchführung und Auswertung von Kursen und Programmen und gemeinsame Diskurse über Lernbegründungen. Hüten muss man sich dabei vor der Planungsparadoxie und vor Herstellungsillusionen. Verkürzungen auf unmittelbare Planung landen wieder bei instrumenteller Lernformierung. Bemühungen Lernen „in den Griff zu kriegen" geraten „einem in immer anderen Formen ,aus dem Griff, stellen einem ein Bein, lassen einen leer laufen" (Holzkamp 1993, 556). Demgegenüber kann eine Planung, welche die Interessenstandpunkte und Perspektiven der Lernenden vermittelt, auch die gemeinsamen Lernintentionen der Beteiligten verbinden. Intentionales Lernen setzt bei den Lernenden erweiterte Grade von Selbstbestimmtheit voraus, wenn es expansive Aneignung ermöglichen soll. Es geht über inzidentes Lernen hinaus, das sich zufallig ergibt als Nebeneffekt anderer Tätigkeiten. Lernintentionen können im Verhältnis von Vermittlung und eigener Erfahrung unterschiedlich erfüllt werden. In der Dimension zwischen institutionellem vs. informellem Lernen ist keineswegs ausgemacht, dass eine dieser Lernformen prinzipiell überlegen ist. Institutionelles Lernen ist entlastet vom unmittelbaren Handlungsdruck, hat größere Spielräume, längere Zeiten. Es ist aber möglicherweise abgehoben, unbrauchbar und praxisirrelevant. Informelles Lernen in Arbeits- und Lebenszusammenhängen kann direkter handlungsbezogen, einsetzbar und einsichtig bezogen auf seine Bedeutsamkeit sein. Es kann aber eben auch zufällig, selektiv, irrtumsanfällig und verengt sein. Es gibt begründete Argumente dafür, dass für „expansives" Lernen die „Metakompetenz" Refiexivität besonders hohen Stellenwert hat. Dies meint nichts anderes, als die Bedeutsamkeit des Lerngegenstandes für die eigene Entfaltung zu begreifen. Zentraler Fokus wird die Position der Lernenden. Es geht um aktive Aneignungspro-
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Lernen von Suchstrategien zur selbstständigen Informationsbeschaffung und -Verarbeitung spielt dafür eine wichtige Rolle. Die Kompetenzen und Funktionen der Lehrenden werden damit sogar wichtiger. Sie werden zu Lernberatern, deren zentrale Aufgabe das Vermitteln zwischen Thematik und Interessen der Teilnehmenden ist. Entsprechende Lernarrangements zu schaffen und zu gestalten, erfordert hohe fachliche, methodische, soziale und reflexive Kompetenz. Lernumgebungen sind zu gestalten, welche unterschiedlichen Lemstilen, Motivation und Interessen gerecht werden. Die Funktion der Institutionen besteht dann darin, Lemgelegenheiten bereitzustellen. „Offene Räume" und multimediale Supports sind dabei nur die avanciertesten Formen, welche so traditionelle Lernmöglichkeiten wie Bücher, Einzelarbeitsplätze usw. ergänzen, aber nicht ersetzen. Für die Unterstützung „expansiven Lernens" können Kriterien persönlichkeitsförderlichen Lernens und Lehrens formuliert werden. Zentraler Bezug ist Handlungsorientierung: Es geht nicht vorrangig darum, fertiges Wissen zu vermitteln, sondern die Lernenden in die Lage zu versetzen, sich Kompetenzen selber handelnd aneignen zu können. Dieses didaktische Konzept ist gekennzeichnet durch intentionale, thematische und methodische Prinzipien: zesse.
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Intentionalität und Interessenbezug: Lernziele müssen ausgehen von den Interessen der Lernenden. Sie ergeben sich konkret in einem Prozess des Klärens der Erwartungen der Lernenden, den Anforderungen gesellschaftlicher Anwendungsbezüge und dem Selbstverständnis der in der Erwachsenenbildung Tätigen. Thematik und Problembezug: Lerninhalte müssen problemorientiert ausgewählt und auf ihre Bedeutsamkeit in Verwendungszusammenhängen geprüft werden. Sie sind verbunden mit den konkreten Handlungsmöglichkeiten in der Arbeits- und Lebenswelt. Themen sind deshalb nicht als fertige Wissensbestähde sondern bezogen auf konkrete Handlungsabsichten der Lernenden relevant und begründbar. Methodik und Lernensembles: Die Lernverfahren müssen situationsorientiert entwickelt werden. Wenn eines aus der manchmal
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überschäumenden Methodendiskussion gesichert gesagt werden, so ist es, dass eine Vielfalt der Methoden die Lernmöglichkeiten verbessert. Dabei geht es nicht darum, ein immer ausgefeilteres Methodenarsenal an den Teilnehmenden auszuprobieren, sondern für die jeweiligen Lernziele und -gegenstände die adäquaten Methoden einzusetzen. Noch so raffinierte Lernarrangements können Lernen nicht erzeugen oder gar erzwingen. Konkrete Lernangebote können eingeordnet werden auf allen didaktischen Dimensionen zwischen den Polen „Offenheit" und „Geschlossenheit" (Reischmann 1997, 27, Gnahs/Seidel 1997, Faulstich u.a. 2002). Zentral für die Chancen selbstbestimmten Lernens ist ihre Intentionalität, die Frage: Können die Lernenden ihre eigenen Lerngründe wahrnehmen und einbringen? Zunächst bestehen personal asymmetrische Verhältnisse zwischen Lernenden und Lehrenden. Lernvermitteln setzt auf der Seite der Lehrenden einen Zugang zur Thematik voraus, den die Lernenden erst noch erwerben wollen. Das Konzept des „partizipativen Lernens" (Lave/Wenger 1991) zielt ab auf ein MeisterLehrlingsverhältnis, bei dem die Lehrenden gemäß ihrer entwickelten Kompetenz eine Praxis entfalten, in welche die Lehrlinge schrittweise hineinwachsen. Musiker musizieren, Schneider schneidern, Mathematiker lösen mathematische Probleme. In gewisser Weise greift dieses Modell Elemente der traditionellen Handwerksausbildung auf, überträgt dies aber auch auf symbolisch repräsentierte Lerngegenstände und kognitive Aneignungsformen. Unterstellt wird allerdings eine Überlegenheit des Meisters mit möglicherweise autoritären Konsequenzen. Dies wird aufgebrochen im Konzept des „kooperativen Lernens" (Holzkamp 1993, 509-513). Die beteiligten Personen gliedern aus dem direkten Handlungsvollzug eine gemeinsame Lernproblematik aus. Sie stehen zusammen einem offenen Feld von Handlungs- und Lernmöglichkeiten gegenüber. Dabei entwickeln sie eine am kollektiven Problem orientierte Arbeitsteilung im Lernprozess. Im Spannungsfeld von „alle wissen alles" vs. Jeder kennt nur seinen Bereich" geht es darum, einen Mittelweg zu finden und überlappende Zonen des Wissens und Könnens herzustellen. Es entstehen
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Lerngruppen, bei denen die Einzelnen weiter divergierende Perspektiven auf die Lernproblematik einnehmen. Da sich die Perspektiven von Bedeutsamkeit nicht von den Individuen ablösen, bleiben Divergenzen bestehen, welche im gemeinsamen Lernen ausgetragen werden müssen. Darin liegt einerseits eine spezifische Produktivität der Lerngruppen, anderseits ist „expansives Lernen" nur dann durchzuhalten, wenn Perspektivendivergenzen unter der Prämisse eines gemeinsamen Gegenstandes im Kooperationsprozess aufgefangen werden können. Wenn andernfalls eine bestimmte Perspektive oder Interpretation als vorgegeben überlegen oder ausgezeichnet akzeptiert werden muss, kommt es zur Machtausübung und resultierender Lernwiderstähdigkeit. Wenn expansives Lernen ermöglicht werden soll, geht es darum „kontaminierte Lemverhältnisse" und resultierende Lernwiderstände
abzubauen. Die Kontrollchancen der Lernenden über Intentionen, Themen und Methoden müssen erhöht werden. Dazu müssen Spielräume für Eigenaktivitäten ausgeweitet werden. Damit schließt „selbstorganisiertes Lernen" an die Diskussion um Bildung und
Selbstbestimmung an.
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4.3 „Expansives Lernen", „Selbst" und Bildung Durch die Einordnung in eine umfassendere Diskussion um lernund handlungstheoretische Prämissen und didaktische Konsequenzen lebensentfaltender Bildung entzerren sich einige Debatten um „Selbstorganisation". Ihr Stellenwert ist klarer zu verorten. Resultat ist: Lernen ist grundsätzlich „selbsttätig", indem die Lernenden immer ihre eigenen biographischen Erfahrungen und Kontexte einbringen und die Lernsituationen und -themen für sich interpretieren und definieren. Es geht beim „Selbstbestimmten Lernen" um die Reichweite von Entscheidungs- und Handlungsspielräumen bei Lernproblematiken. Der Grad an Selbstbestimmtheit von Aneignungsprozessen, d.h. das Ausmaß, in dem die Individuen Initiative, Organisation und Kontrolle für ihr eigenes Lernen haben, ist für die Erfolgschancen „expansiven Lernens" ausschlaggebend. Es geht darum Freiheitsgrade für selbstbestimmtes und sinnerfülltes Lernen zu nutzen: Das Konzept des „expansiven Lernens" kann diese Diskussion orientieren. Keineswegs erschöpft sich dies in Methodik. Wenn es richtig ist, dass zentrales Moment menschlichen Lernens die Bedeutsamkeit der Lerngegenstände für die Person ist, werden Intentionalität und Thematik für die Lernenden selbst wichtigste Aspekte. Dies schließt an das klassische Konzept von Bildung an und meint die Erweiterung der Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen. Kern des Bildungsgedanken ist es, dass Bildung immer nur Selbstbildung sein kann. Man kann niemanden bilden. Aber man kann gemeinsame Entwicklungen in Richtung auf Entfaltung anstoßen. Wenn durch die Diskussion um „selbstorganisiertes Lernen" die Idee der Selbstbestimmung der Lernenden reaktiviert wird, so ergeben sich daraus Impulse für die Perspektive lebensentfaltender Bildung. Grundlegend steht dahinter die Frage, wer dieses Selbst ist, das sich da bildet. Es ist kein fester Kristall, keine isolierte Monade, sondern eine Person mit einer sich entwickelnden Biographie und auf der Suche nach Identität.
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Durch das
Konzept „lebenslanges Lernen" werden biographische gefasst. Stellenwert, Umfang und Lage von Lernzeiten werden verändert. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich Lernen nicht beschränkt auf Erziehungsprozesse, als Weitergabe kultureller LeProzesse
neu
die nächste Generation, sondern umfassende Bildungsprozesse impliziert, welche bis ins hohe Alter hineinreichen. Lernen kann gesehen werden als Prozess der Entfaltung von Persönlichkeit und der Entwicklung von Identität. Darauf beruhen die temporalen Verhältnisse zwischen individueller Biographie und sozialem System. Sozialstruktureller Wandel schlägt sich auch in einem Umbruch biographischer Muster nieder. Wenn eine Neuordnung
bensformen
an
gesellschaftlicher Zeitverwendung ansteht, verschieben sich die Ordnungen individueller Lebensverläufe (s.u. Teil 5.2). Unterstellt, die „Individualisierungs-These" habe in diesem Punkt recht, so ist an der Stelle festgefügter Standardisierungen in sozialen Strukturen eine zunehmende Flexibilisierung zu erwarten. „Der Möglichkeitsmensch ist geboren. Das neue Leitbild des ,Optionisten' ist kreiert" (Norbert Blüm in: SZ 29./30.8.1998). Diese Tendenz ist im „Individualisierungs-Theorem" akzentuiert worden. Sie gibt zugespitzt unterschiedliche Stränge langfristiger gesellschaftlicher Entwicklungen zwischen Auflösung und Befreiung wieder. Formal gewönne Freiheit aber zwingt zur Suche nach der verlorenen Inhaltlichkeit. Norbert Blüm stellt treffend die Frage: „Wer aber ist das Subjekt seiner Erlebnisse. Tausend Rinnsale ergeben noch keinen Flußlauf und tausend Optionen noch keinen erzählbaren Lebenslauf (ebd.). Eine andere mögliche Gestalt bekommt individualisierte Biographie im ökonomischen Kontext als „Selbstständigkeit" von Erwerbsverhältnissen. Formale Abhängigkeit in „Normalarbeitsverhältnissen" wird ersetzt durch die materielle Ungesichertheit von „Existenzgründungen". Selbstverpflichtung wird, wie Voß und Pongratz 1998 hervorgehoben haben, zur Strategie der Transformation von Arbeitsvermögen in Leistung. Ein neuer Mythos, der „Arbeitskraffunternehmer", die „Ich-AG", der „Intrapreneur" wird erzeugt. Damit wird das „individualistische Modell" von Erwerbstä-
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tigkeit auf die Spitze getrieben. In der Folge grassiert eine Epidemie von Selbstbegriffen: Selbsterkenntnis, -ständigkeit, -herrschaft, -bestimmung, -zweck, -organisation, -bewusstsein, -Steigerung, -Verantwortung, -begriff, -gesetzgebung und als Krönung Selbstverwirklichung (so die Überschriften in Gerhardt 1999). Nur „Selbstmord" taucht, jedenfalls in diesem Zusammenhang, nicht auf. Es triumphiert das Prinzip isolierter Individualität. Eine Denkweise setzt sich damit gegenwärtig wieder einmal verstärkt als Grundmuster der Interpretation menschlichen Handelns durch, nach der alles Handeln grundsätzlich als rationale individuelle Ressourcenentscheidung in Knappheitssituationen betrachtet wird. Der Homo oeconomicus als Menschenmodell optimiert mit unbarmherziger Rationalität und unfehlbarer Präzision seinen Gewinn. Die neoklassische Ökonomik setzt auf Eigennutz und instrumentelle Rationalität der durch und durch kalt kalkulierenden Individuen. Die Soziologie führt dies fort in „rational-choice"-Modellen. Nun hat sich allerdings in der Wirklichkeit des Handelns auch in der Marktwirtschaft gezeigt, dass die rigorose und konsequente Verfolgung individueller Interessen organisatorisch wie sozial und ökologisch „unerwünschte" Folgen produziert. Ein grenzenloses Erwerbsstreben zerstört sozialen Nutzen durch egoistische Interessen. Der kollektiv beste Zustand wird, wie sich spieltheoretisch zeigen lässt, nicht erreicht, wenn die Akteure ausschließlich individuellen Präferenzen folgen. Einwenden könnte man, dies alles sei sowieso nur ökonomische Modellkonstruktion, die lange schon kritisiert sei und die das sogenannte „aufgeklärte" Management eh nicht ernst nehme. Dies übersieht aber die Tatsache, dass das Konstrukt individueller instrumenteller Rationalität eine handlungsdominante Hintergrundmetapher darstellt, die auch elaboriertere Theorien durchdringt. Dies reicht bis zur populären Individualisierungsthese von Ulrich Beck (s.u. 5.2). Scott hash hat in der Kontroverse um „Reflexive Modernisierung" dargelegt und kritisiert, dass das Verhaltensmodell der neoklassischen Ökonomie die sozialwissenschaftliche Theorieentwicklung
durchdringt.
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„Allen diesen Analysen fehlt es an einem überzeugenden Begriff von 'Gemeinschaft', von 'wir'" (Lash 1996, 248). So kann an diesem Dilemma die Beschränktheit des Rationalitätstyps „homo oeconomicus" gezeigt werden. Alternativen sind allerdings wenig entwickelt. Hauptursache dafür ist, dass meist ungefragt eine Logik ökonomischen Handelns akzeptiert wird, aus der zwangsläufig eine Dominanz der Ökonomie über die Moral resultiert. Ohne die Herausbildung sozialer Normen ist aber auch ökonomisches
Handeln letztlich unmöglich. Soziale Integration, Kommunikation und Koordination wären ohne Ordnungsmuster leerlaufend. Dies hat der amerikanische Ökonom Granovetter (1986) mit dem Begriff der „sozialen Eingebundenheit" gekennzeichnet. Während das neoklassische Modell der Ökonomik eine egoistische Individualität und instrumentelle Rationalität voraussetzt, ist menschliches Handeln immer schon eingebunden in kulturelle Konstellationen und Kontexte. Eine Gesellschaft, die konsequent auf atomisierte, isolierte und ihren egoistischen Interessen folgende Individuen setzt, untergräbt ihre eigenen Grundlagen. Charles Taylor hat in seiner grundlegenden Arbeit „Quellen des Selbst" (1996) gezeigt, dass sich menschliches Handeln immer moralisch konstituiert, d.h. es gibt unvermeidliche Rahmenbindungen für menschliche Handlungsordnungen. Diese entfalten einen Raum, in dem sich das Selbst verortet. Der „Kommunitarist" Amitai Etzioni fragt in seinem Buch „Die faire Gesellschaft": „Sind Menschen nichts anderes als kalte, nur auf ein Ziel programmierte Rechner, die nichts anderes im Sinn haben als ihr Wohlbefinden zu maximieren?" (1996, 11). Diese Frage so zu stellen, heißt sie zu verneinen. Demgemäß ist es notwendig, eine Idee wieder zu verstärken und rückzugewinnen, in welcher Verantwortung und Menschlichkeit wieder deutlich werden. Das punktuelle Individuum dagegen, wie es in den Modellen ökonomischer Rationalität unterstellt wird, ist eine Fiktion. Scott Lash fragt weiter:
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„Was könnte die Alternative sein? Vielleicht dies: Unter den Dingen und Menschen in einer gemeinsamen Welt zu leben, zu wohnen und sich um sie zu kümmern" (Lash 1996, 260). Dem radikalisierten Individualismus im ultraliberalistischen Mo-
dell steht der hartnäckige Nachweis entgegen, dass Handeln immer von Menschen ausgeht, die unter bestimmten Verhältnissen aufgewachsen sind und leben, die lernen müssen, mit diesen Verhältnissen zurecht zu kommen, die in ihrer Entwicklung und Entfaltung in diese Verhältnisse fundamental eingebunden sind, die aber andererseits diesen Verhältnissen auch ihren eigenen Stempel aufprägen können. Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt für ein angemessenes Konzept von Persönlichkeit als einer „Konzeption des Menschen als intentionales, absichtsvoll handelndes Subjekt, das in steter Auseinandersetzung mit seiner Umwelt auf diese verändernd einwirkt und von dieser beeinflusst wurde und wird und so ein 'symbiotisches' Verhältnis zu seiner Umwelt hat; als Subjekt, das auf Bedeutungsstiftung aus ist und dessen Verhalten und Erleben folgerichtig nur unter Rekurs auf eine Rekonstruktion subjektiver Sinngehalte verstanden werden kann" (Hermann/Lantermann 1985, VIII). Ein bildungswissenschaftlicher Ansatz kann nicht auf eine solche Grundlage verzichten, dass Gesellschaft aus Menschen besteht und gleichzeitig, dass Menschen Gesellschaft hervorbringen. Die Einheit, von der geredet wird, ist der einzelne Mensch in seiner physischen, psychischen und sozialen Identität. „Identität" als hier unvermeidlich auftauchende Problemkategorie beruht auf der Annahme, dass menschliche Wesen ein grundsätzliches Interesse daran haben, sich selbst als „eins" zu verstehen: sowohl im Sinne einer Kontinuität ihrer Biographie, als auch im Sinne der Unterschiedenheit von anderen. Identität ist nicht vorgegeben, sondern herzustellen. Zurückgreifen kann dies auf die durch G.H. Mead (s.o. 2.2) ausgelöste interaktionistische Sozialisationstheorie bzw. auf das Habituskonzept bei Pierre Bourdieu (einordnend: Faulstich-Wieland 2000). -
-
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In einem solchen theoretischen Kontext kann man Bildimg begreifen als einen lebensgeschichtlicher Vorgang, in dessen Verlauf die Individuen sich bemühen, Identität herzustellen. Sie eignen sich Kultur an und entfalten dabei ihre Persönlichkeit. In diesem Prozess entsteht mit der individuellen Biographie mögliche Identität. Bildung in diesem Sinn kann es nur geben in modernen Gesellschaften, in denen der Ort, die Stellung und der Lebenslauf der Einzelnen nicht festgelegt ist. Das Syndrom aber bleibt virulent: Identitätschancen sind zunehmend gefährdet in der Heteronomie diffuser Lebensverhältnisse. Der Begriff Bildung scheint von Überalterung und Auszehrung bedroht, wird nur noch als „Container-Wort" (Lenzen 1997) oder „SubstratKategorie" (Tenorth 1997) gebraucht. Darüber hinaus besteht der Verdacht, über die Möglichkeit von Bildung hartnäckig weiter nachzudenken, erzeuge Illusionen angesichts einer Lage, die gleichzeitig gekennzeichnet ist durch sich globalisierenden Kapitalismus, der regionale Kulturen aufsaugt, und sich fragmentierender Individualität, in der Identität zerstiebt in Multiplität. Richtig ist, dass „Bildung" als bloßes Postulat angesichts einer übermächtigen Realität zu einer leeren Hülse würde. Will man gegen eine fast schon hegemonial gewordene Destruktion des Bildungsdenkens den Mund aufmachen, ohne sofort als hoffnungslos antiquiert zu erscheinen, geht dies nur durch Rückbezug auf die historische Tradition des Begriffs Bildung und die systematische Struktur im Verhältnis von Identität und Sozialität. Zweifellos ist die Skepsis gegenüber einem Kanon an ,3ildungsgütern" berechtigt gewachsen und deshalb wurden und werden Alternativstrategien zum Bildungsbegriff gesucht. Aber nachdem man zunächst geglaubt hatte, mit dem Qualifikationsbegriff ein empirisch brauchbares und praktisch verwertbares Instrumentarium zu finden, das eine so „ideologiegeladene Kategorie" wie Bildung ersetzen könne, fand dann doch wieder eine Ausweitung statt, welche eine Anschlussfähigkeit an allgemeine Begrifflichkeiten von Persönlichkeit herzustellen versuchte. Auch die Schlüsselqualifikationsansätze haben wenig mehr erzeugt als eine sich auftürmende Begriffshalde. Schon frühzeitig hat Dieter Mertens, der die Diskussion
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Bildung
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Debatte ausgelöst hatte, auf die selbstgestellte Frage „Was ist aus den damaligen Anstößen geworden?" eher resigniert festgestellt: „Eigentlich nicht sehr viel mehr als eine abstrakte Diskussion, viel verbale Zustimmung mit wenig Umsetzung, überhaupt wenig Handfestes" (Mertens 1988,43). Mit der Modewelle des Begriffs Kompetenz findet eine weitere Ausweitung statt. „Für die Beschreibung dessen, was ein Mensch wirklich kann und weiß, hat sich der Begriff Kompetenz eingebürgert. Unter Kompetenzen werden alle Fähigkeiten, Wissensbestähde und Denkmethoden verstanden, die ein Mensch in seinem Leben erwirbt und betätigt" (Weinberg 1996, 3). Entsprechend formuliert Baitsch (1996, 6): „Daraus abgeleitet lässt sich Kompetenz verstehen als ein System der innerpsychischen Voraussetzung, das sich in der Qualität sichtbarer Handlungen niederschlägt und diese reguliert. Kompetenz bezeichnet also die Verlaufsqualität der psychischen Tätigkeit und als solche ein wesentliches Merkmal der Persönlichkeit"
(ebd.). Damit ist das Kompetenzproblem dort verortet, wo es hingehört: In einem Konzept von Persönlichkeitstheorie. So landet man wieder unabdingbar bei der Frage nach Bildung. Unvermeidlich ist zwar der Bildungsbegriff in den letzten Jahren immer wieder in Zweifel gezogen worden zuletzt in der Konstruktivismusdebatte. Unterstellt wird, es handele sich bei ,3üdung" um ein hochbelastetes, überhöhtes Postulat, welches die Lernwirklichkeit nicht erfasse; festgehalten werde dabei an einem historisch überholten Persönlichkeitsideal, das angesichts aktueller gesellschaftlicher Strukturen obsolet sei. Obwohl diese Kritik bedenkenswerte Momente enthält, rechtfertigt sie aber m.E. nicht den Verzicht auf den Begriff Bildung als einer zentralen Kategorie, um sich angesichts anstehender Zukunftsaufgaben zu orientieren. Dazu braucht man einige Hartnäckigkeit wie z.B. Hermann Giesecke: -
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Wissen und Lernen:
„Ich halte ,Bildung'
Bildung
für die einzig tragfähige pädagogische Idee der Moderne etwa im Unterschied zu den reformpädagogischen Axiomen und Maximen, wie sie heute wieder in Mode sind. Dies zu vergessen, ist der zentrale Fehler der bildungspolitischen Entwicklung der letzten dreißig Jahre gewesen. Im Gegensatz dazu scheint es mir nötig, die epochal bedeutsame Substanz dieses Konzepts wieder in den Blick zu nehmen" (Giesecke 2001, ...
-
51)
Dies erhält eine zusätzliche gesellschaftliche Begründung. Geraangesichts der drohenden Hegemonie neoliberalistischer Gesellschaftsvorstellungen glüht in der Tradition des Begriffs Bildung noch das kritische Potential von „Gegenfeuer" im Sinne Pierre Bourdieus (1998). Der am 23.1.2002 gestorbene Intellektuelle hat gegen die fortschreitende Zerstörung eines zivilisatorischen Modells, das in der Aufklärung und dem Entwurf möglicher Mündigkeit einen seiner Ursprünge hatte, argumentiert. „Es ist höchste Zeit, die Voraussetzungen für den kollektiven Entwurf einer sozialen Utopie zu schaffen, die in gemeinsamen historischen Traditionen und zivilisatorischen Werten wurzelt.." de
(ebd. 9).
Zukunft: Wandel, Fortschritt
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5. Zukunft: Wandel, Fortschritt Ein kritisch-pragmatisches Konzept zur Begründung lebensentfaltender Bildung setzt diese ins Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung, fragt nach den Begründungen und prüft Anforderungen und Leistungen. Dabei wird deutlich, dass Erwachsenenbildung als intentionale Fortsetzung des Lernens über Kindheit und Jugend hinaus selbst Teil der Entwicklung der Moderne ist, von dieser hervorgebracht wird, aber diese auch miterzeugt. Alternative Interpretationen aktueller Tendenzen und Perspektiven „lebenslangen Lernens" können metatheoretisch vor dem Hintergrund von „sozialem Konstruktivismus" und „kritischem Pragmatismus" reflektiert werden, indem gesellschaftliche Handlungsbezüge wissenschaftlich herausgearbeitet werden, aber immer auch umstritten und dem Diskurs unterworfen bleiben.
„In diesen ungewissen Zeiten, da die Vergangenheit aus unserem Blickfeld verschwindet und die Zukunft noch unbestimmt ist" (Castel 2000, 11), erscheint es notwendig, Erinnerung zu mobilisieren für das Verständnis der Gegenwart. Nur wenn Herkunft nachgefragt und
eingeholt wird, können der gegenwärtige Standort und mögliche weitere Wege gewählt und bestimmt werden. Die Entwicklung der Konzepte, Programme und Institutionen der Erwachsenenbildung ist erst zu begreifen, wenn man sie rückbezieht auf den konkreten historischen Kontext, in dem sie entstanden sind. Erwachsenenbildung resultiert als Teil eines Modernisierungsprozesses, der zur Differenzierung gesellschaftlicher Partialsysteme mit je spezifischen Funktionen und Strukturen geführt hat. Insofern ist sie immer auch einbezogen in historische Konstellationen und politische Diskussionen (5.1). Der gegenwärtige Entwicklungsstand kann als „mittlere Systematisierung44 (Faulstich u.a. 1991) bezogen auf die Besonderung des Systems von Erwachsenenbildung als Rahmen lebensumfassender Bildung und ihre internen Strukturen gekennzeichnet werden. Dies ist zu prüfen hinsichtlich seiner Angemessenheit bezogen auf steigende Anforderungen und gewachsene Bedeutungszuweisungen. Am anspruchsvollsten werden diese im ambivalenten Konzept des
Zukunft: Wandel, Fortschritt
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„lebenslangen Lernens" benannt, das nicht nur die Erwachsenenbildung sondern den Umbau des Bildungswesens insgesamt und sein Verhältnis zur Arbeits- und Lebenswelt betrifft (5.2). Vor diesem Hintergrund ergeben sich langfristige Entwicklungsrichtungen, welche durch politisches und andragogisches Handeln selbst befördert oder gebremst werden können (5.3). Dabei ist deutlich, dass ohne eine Idee von Bildung ein Regress auf bloß funktionalistische Verwendbarkeit und ökonomische Verwertbarkeit droht. Zukunftsperspektiven stehen dabei zwischen einer unbegriffenen Wandeldynamik und einem reflexiven Festhalten
an
der aufklärerischen Fort-
schrittsidee.
5.1
Erwachsenenbildung in den Krisen der Moderne
Perspektiven zu begreifen, kann man eine GeErwachsenenbildung schreiben vor dem Hintergrund soziologischer Modemisierungstheorien (z.B. Zeuner 2000). „MoUm Tradition und
schichte der
derne" setzt sich dabei ab gegen Traditionalität und verweist auf Tendenzen wie Rationalisierung, Individualisierung und funktionale Differenzierung (Nassehi 1994). Der industrielle Kapitalismus zerstört die alten, feudalen Verhältnisse, setzt riesige Verwertungsprozesse in Gang, formt die Klassenlagen um und etabliert die bürgerliche Demokratie. Im Prozess der Kapitalakkumulation ist permanenter Wandel impliziert. Diese gesellschaftlichen Umbrüche können euphemistisch als Modernisierungsprozess bezeichnet werden. Die mitlaufenden Prozesse von Individualisierung und Globalisierung erzeugen von Anfang an Momente der Selbstgefahrdung des industriell-kapitalistischen Systems, das seine eigenen sozialen und moralischen Infrastrukturen auflöst. Weiterbildung war im linearen Modernisierungskonsens nicht nur intendiert auf Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch funktionale Zulieferungsinstanz durch Qualifikationsproduktion für ökonomischen Arbeitskräfteeinsatz, politische Partizipation und kulturelle Teilhabe. Aus verschiedenen Partialsystemen werden ,3edarfe" an
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
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Lernen herangetragen und „moderne" Erwachsenenbildung nimmt diese Impulse auf und bündelt sie im Prozess mittlerer Systematisierung" durch Besonderung von Weiterbildung gegenüber anderen gesellschaftlichen Institutionen (Faulstich u.a. 1991). Diese Tendenzen scheinen schon wieder zu kippen: Linearitätsmodelle der Entwicklung gestützt durch Fortschrittsgläubigkeit werden konterkariert durch gegenläufige Prozesse von Deinstitutionalisierung. Finalisierende Interventionsstrategien brechen an der Komplexität sozialer Systeme, so dass politisch Herstellungsillusionen und didaktisch der Lehr-Lern-Kurzschluss aufgegeben werden müssen. Traditionelle Großgruppen werden relativiert, wenn Individualisierungstendenzen greifen und einheitliche Adressatenschemata aufbrechen. Wenn sich Kontinuitäten von Lebensläufen auflösen in Patchwork-Muster, sind Versuche, trotz alledem Identität herzustellen und zu bewahren, riskant. Dies alles wird zu einer Provokation herkömmlicher „Moderne". Insgesamt wird Reflexivität zum angemessenen Interpretationsmodell. Die Idee lebensentfaltender Bildung wird einbezogen in „reflexive Modernisierung" (Beck u.a. 1996). Es wird dann deutlich, dass Instrumentalität nur über begrenzte Reichweite verfügt und eine kritische Überprüfung der nicht intendierten Effekte immer wieder neu notwendig ist. Erst im Rahmen eines solchen kritischpragmatischen Ansatzes gelingt es, die Reflexivität zu entfalten, mit der Bildung überhaupt erst möglich und Fortschritt denkbar wird. Im Konzept mittlerer Systematisierung" wird, um den Entwicklungsstand zu kennzeichnen, vor allem abgestellt auf die Aspekte Institutionalisierung, Curricularisierung und Professionalisierung (vgl u. 5.3.1). Anhand dieser Merkmale lassen sich Modernisierungsschübe von einem marginalen Institutionalisierungsgrad in den Lesegesellschaften des aufklärerischen Bürgertums, der Arbeiterbildung und der Volksbildung, Erwachsenenbildung und Weiterbildung hin zu den hochgradig aufgeladenen Anforderungen an „lebenslanges Lernen" als Innovationspotential von Wirtschaft und Gesellschaft nachzeichnen.
248
Zukunft: Wandel, Fortschritt
die sich zu lebensentfaltender Bildung erweitert, bedarf der Orientierung im Rückgriff auf Tradition. Dabei geht es nicht um Nostalgie oder ein Aufwärmen von längst Vergangenem. Vielmehr sind Gegenwart und Geschichte der Erwachsenenbildung vor allem in der Bundesrepublik Deutschland Ausgangspunkt für die Reflexion und Selbstvergewisserung über den eigenen Standort und mögliche Perspektiven. Eine Periodisierung der geschichtlichen Entwicklung wird dabei immer von Einschätzungen geleitet, die von der gegenwärtigen Lage her rückblickend erfolgen. Phasen der Diskussion um Konzepte der Erwachsenenbildung müssen immer auch auf den Zusammenhang politischer Situationen und gesellschaftlicher Lagen bezogen werden. In der Reihe von Arbeiten, die versuchen, die Geschichte der Erwachsenenbildung zu
Erwachsenenbildung,
schreiben(z.B. Dikau, Dräger, Feidel-Mertz, Olbrich, Pöggeler,
Seiner, Siebert, Tietgens) werden unterschiedliche Ansätze und Formen der
Geschichtsbetrachtung verfolgt (Tietgens 1985), je
nach dem ob eher Personen (Wolgast/Knoll 1986), Institutionen oder Themen im Vordergrund stehen. Auch der Versuch einer rein chronologische Darstellung (Wolgast 1996) setzt bereits eine Auswahl der Daten voraus. Schon die Anfange von Erwachsenenbildung zu bestimmen, ist schwierig. Im Kontext der Moderne erscheinen Ursprünge der Erwachsenenbildung in der Aufklärung (s.o. 1.3). Hier anzuknüpfen ist legitim, wenn man weiter an deren unabgegoltenen Impulsen festhält. Die „Dialektik der Aufklärung" (Horkheimer/Adomo 1969) enthält Momente der Befreiung ebenso wie neuer Unterdrückung und Ausbeutung. Erwachsenenbildung wird in das Spannungsfeld von Industrialisierung und Demokratisierung der modernen Gesellschaft gestellt (Strzelewicz 1958). Allerdings gibt es dabei immer wieder neue Widersprüche und gegenläufige Tendenzen, die eine einlinige Interpretation verbieten. „Aufklärung" bezeichnet keinen geraden Aufstieg, sondern einen vielschichtigen Prozess von Fortschritten und Rückschritten, indem das Spätere nicht immer und mit Notwendigkeit das Bessere ist. Auch wenn die „großen Erzählungen" der Geschichte aus der Mode gekommen sind, führt kein Weg an der Vergewisserung der
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
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Vergangenheit vorbei, wenn man Entwicklungen der Zukunft einschätzen will. Entsprechend kann man die Historie der Erwachsenenbildung interpretieren und ihre Entwicklung in den Kontext der Entfaltung des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie stellen. Insofern werden die bürgerlichen Lesegesellschaften oft als erste intentionale Form von Erwachsenenbildung genannt (Van Dülmen 1996). Schon im Vormärz entwickelten sich eigenständige Ansätze von Arbeiterbildung, welche die Interessen der anwachsenden Arbeiterschaft aufnahmen im Spannungsfeld von Integration und Kritik bezogen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kai-
serreichs. Dies findet man z.B. in den Aktivitäten der sozialdemokratischen Arbeiterbildungsvereine einerseits (Liebknecht 1968) und der „Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung" (Tews 1981) andererseits (s.o. 1.3). Nach 1918 wurde auch in der Erwachsenenbildung die Fortentwicklung bürgerlicher Demokratie zur sozialen Gesellschaft keineswegs vorherrschendes Leitbild. In der „Neuen Richtung4' (Erdberg, Picht, Flitner) dominierte eine eher zivilisationskritische, neoromantische Haltung, welche unter der Formel „Volkbildung durch Volksbildung" individuelle und nationale Probleme aufwarf. Sozialkritische Analysen wie z.B. der Leipziger Richtung (Heller, Hermberg, Hermes) spielten eine Minderheitenrolle. Dem erstarkenden Nationalsozialismus hatte man wenig entgegenzusetzen und die Institutionen der „Freien Volksbildung" wurden schnell abgewickelt und der Deutschen Arbeitsfront einverleibt. Ihre Vertreter wurden aus ihren Positionen entfernt (Weitsch) und zu einem großen Teil in die Emigration gedrängt (Borinski). Diese Erfahrung war dann Ausgangspunkt für die Situation nach 1945. Für Westdeutschland können wir sieben Phasen unterscheiden, in denen sich der ökonomisch-politische Kontext, die Programme und Strukturen der Erwachsenenbildung, das Selbstverständnis der Akteure und die theoretischen Interpretationen verändert haben.
Zukunft: Wandel, Fortschritt
250
1.
Erziehung zur Demokratie als Lebensform
-
Reeducation
nach 1945 2. 3.
Brauchbarkeit, Partnerschaft und Mitbürgerlichkeit "Realistische Wende", Qualifikation und Integration
4.
Emanzipation Pragmatismus und Konsens
5. 6.
Kritik und
Arbeitsorientierte Erwachsenenbildung und
Kompetenzentwicklung „Lebenslanges Lernen"_ Abb. 24: Phasen der Erwachsenenbildung nach 1945 7.
Die Entwicklung verläuft allerdings keineswegs immer parallel im Verhältnis von Theorie, Programm und Umsetzung oder gar monokausal verknüpft. Es gibt immer Nachholendes, Vorauseilendes, Ungleichzeitiges. Das Selbstverständnis der Akteure und die Realität in Kursen und Lernwirklichkeit gehen nicht bruchlos zusammen. Reeducation-Politik der Besatzungsmächte 1945-1949 Anstöße nach der Befreiung vom Nazismus erfolgten zunächst durch die Siegermächte, die dies schon vor Kriegsende z.B. in Großbritannien im Komitee „German Educational Reconstruction" (GER) vorbereitet hatten. Beteiligt waren auch deutsche Emigranten wie Fritz Borinski, der später als Leiter der Heimvolkshochschule Göhrde, dann der Volkshochschule Bremen und dann als Professor an der Freien Universität Berlin sowie als Autor und Gutachter eine wichtige Rolle spielte (Faulstich/Zeuner 2001, 236-269). Entmilitarisierung, Entnazifizierung und eine weitgehende „Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage" sind im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 als Ziele der Besatzungspolitik, auf welche sich die Alliierten noch einigen konnten, festgehalten. Bezogen auf Bildungsfragen heißt es:
Zukunft: Wandel, Fortschritt
251
„Das Erziehungswesen in Deutschland muß so überwacht werden, daß die nazistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird" (Kuhn u.a. 1993, 118). Die Umsetzung oblag den Militärregierungen der vier Besat-
zungszonen, die sie entsprechend ihren eigenen politischen Zielen und bildungspolitischen Positionen ausfüllten. Der Stellenwert, der dabei der Erwachsenenbildung und besonders der politischen Bildung zugewiesen wurde, war abhängig von den unterschiedlichen Erklärungsmustern für die Entstehung des nationalsozialistischen Regimes. Hier sollte "reeducation" ansetzen. Wichtigste Ansätze waren die Entwicklung von Bürgersinn und die Idee von Demokratie als Lebensform. Die alliierten Programme stießen allerdings auf Widerstände und riefen Abwehrhaltung hervor. Umerziehung hatte den bösen Beigeschmack von Besserwisserei und Schulmeisterei und somit zur Folge, dass ein Nachdenken eher erschwert wurde. Die meisten Deutschen, die oft selbst viel Leid durchgemacht hatten und zunächst mit dem unmittelbaren Überleben beschäftigt waren, schwiegen sich über die "1000 Jahre" einfach aus. Später neigten sie weitgehend zu Verschleierungen, Entlastungen, wenn nicht gar zu
plumpen Verfälschungen. Der im reeducation-Konzept angelegte Transfer politischer Kultur durch Umlernen wurde nicht realisiert. Schon der Beginn des Kalten Krieges 1947 bewirkte eine Neubestimmung der Strategien der Besatzungsmächte. An die Stelle der verordneten Umerziehung trat eine Politik des Zusammenwirkens mit wieder erstarkten
Machtgruppen in Deutschland. In den Vordergrund drängte die Zonenpolitik als Versuch, den "Eisernen Vorhang" gegen den Kommunismus zu errichten. In dieser Situation erfolgte eine Restauration des Bildungswesens und eine Zurücknahme umfassenderer Demokratiekonzepte. „Der wesentliche Mangel lag aber darin, daß man glauben machte, eine Demokratisierung der Gesellschaft könne über Erziehung und Bildung allein erreicht werden, und verschwieg, daß eine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsstruktur notwendig
252
Zukunft: Wandel, Fortschritt
gewesen wäre, um die Fundamente für eine dauerhafte Demokratisierung zu schaffen" (Schmiederer 1975,18). Fast parallel zu der reeducation-Debatte war die Realität in den teilweise schon 1945 wiedergegründeten Volkshochschulen und Bildungswerken geprägt durch Nachholen des Versäumten wie schulischer Abschlüsse oder unmittelbar Verwendbares, wie Schreibmaschineschreiben oder Nähen. Brauchbarkeit und Partnerschaft in der Gemeinschaft Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949
waren
Grundentscheidungen über die Strukturen der Gesellschaft und das politische System gefallen. Es entwickelte sich ein Demokratiekonzept, das weniger von den Vorstellungen individueller Rechte und Freiheiten ausging, als vielmehr von den Begriffen Sicherheit und Ordnung (Bungenstab 1970, 161). Besonders problematisch für die Zukunft dieser Demokratie war, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht bereit war, sich aktiv an ihrem Zustandekommen zu beteiligen. In der Folge der Nazi-Herrschaft entstand eine Generation von „Unpolitischen", die sich abseits hielt. Sechs Jahre nach der Befreiung erschien 1951 mit Friedrich Oetingers „Wendepunkte der politischen Erziehung. Partnerschaft als pädagogische Aufgabe" die erste grundlegende Position über politische Bildung. Der Name war ein Pseudonym für Theodor Wilhelm, der vorher involviert in nationalsozialistische Pädagogik später Professor an der Pädagogischen Hochschule Flensburg und danach an der Universität Kiel wurde. Das Buch hatte eine große Resonanz und löste eine breite Diskussion aus. „Gegenstand dieser Schrift ist die Frage: Was können wir von der Erziehung her tun, um uns vor neuen politischen Irrwegen zu bewahren? Darauf läßt sich keine Antwort geben, ohne daß vorher geklärt wird, was die politische Erziehung bisher versäumt oder falsch gemacht hat" (Oetinger 1951, VII). Der „Partner" wird zum Leitbild der Epoche erklärt. Erziehung zur Partnerschaft geschieht vor allem, indem man eigene soziale Er-
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
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fahrungen macht und sich in der Bewältigung einfacher sozialer Situationen übt. Dies wird von Wilhelm als Feld für die „wichtigsten Formen der Sozietäten", d.h. Familie, Schule, Jugendbünde, Truppe und Beruf gesehen. Dieses Konzept setzte sich fort im Ansatz der „Mitbürgerlich-
keit", der am deutlichsten
von Fritz Borinski 1953 formuliert worden und über ihn in der Erwachsenenbildung wirksam geworden ist: „Die mitbürgerliche soziale Bildung setzt im Alltag ein. Sie will den Menschen zu mitmenschlichem Verhalten erziehen. Sie will ihm zeigen, daß das mitbürgerliche Verhalten sich nicht auf die große Politik der Wahlakte und Volksentscheide beschränkt, sondern mit jedem Tag von neuem bewährt und bewiesen werden muß. Mitbürgerliche Bildung ist die ständige Aufgabe unseres Alltags: unseres Verhaltens in der Familie und im Betrieb, im Berufsverband und in der Gemeinde, im Verkehr auf der Straße, gegenüber unseren Untergebenen und Vorgesetzten und gegenüber allen, die in Armut und Not sind" (Borinski 1953/1976, 325). Parallel zur politischen Integration in die erstarkende Bundesrepublik wurden in den Kursen der Erwachsenenbildung aber schon schnell nach dem Krieg auch Qualifizierungsstrategien betrieben. Wenn man die Programme durchsieht, findet man vielfältige Angebote zum nachholenden Erwerb von Kulturtechniken und zur beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die theoretischen Ansätze einer sich langsam erst herausbildenden andragogischen Wissenschaft (Ballauf 1958, Bollnow 1968, Pöggelre 1957) haben dies aber kaum aufgegriffen, sondern waren orientiert am existenzialistischen Klima der Zeit.. Den Abschluss dieser Periode zwischen Tradition und Neuanfang lieferte das Gutachten „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung" des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen im Januar 1960. Es markiert einen Wendepunkt der Diskussion. Einerseits steht das Gutachten in der Kontinuität geisteswissenschaftlicher Pädagogik. Andererseits gibt es Impulse für künftige Entwicklungen. Oft zitiert wird der Bildungsbe-
griff:
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Zukunft: Wandel, Fortschritt
„Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln" (Deutscher Ausschuß 1960, 20). Entwickelt wird das Leitbild eines offenen, lebenslangen Lernens mit Handlungsbezug. Entsprechend wird die staatliche Anerkennung und Förderung der Erwachsenenbildung empfohlen „als freien, aber unentbehrlichen Teil des öffentlichen Bildungswesens" (ebd. 75). Realistische Wende, Qualifikation und Integration Im Verlauf der 1950er und Anfang der 1960er Jahre war ein immer deutlicheres Auseinanderfallen zwischen Selbstverständnis der Erwachsenenbildung und ihrer Wirklichkeit feststellbar. Während man auf der einen Seite an einem hochgesetzten Begriff von Bildung festhielt, war auf der anderen Seite die Realität immer schon gekennzeichnet durch Angebote, die auf Verwendbarkeit und Brauchbarkeit zielten. Aus dieser Zeit stammt auch die Auseinandersetzung mit der empirischen Grundlage des Bildungsbegriffs von Strzelewicz/Raapke/Schulenberg (1966) sowie erste Ansätze zur Integration von „allgemeiner" und „beruflicher" Bildung. Ein verändertes Selbstverständnis der Volkshochschulen spiegelt sich in den Programmen „Die Volkshochschule. Ihre Aufgabe im Bildungssystem" (1963) und „Stellung und Aufgabe der Volkshochschule" (1966). Es entsteht die Rede von einem Wechsel der Sichtweisen als „realistische Wende". Mitte der 1960er Jahre regte sich in der Bundesrepublik ein neuer Schub kultureller Modernisierung. Der Religionsphilosoph Georg Picht (1964) hat mit dem Alarm wegen der „Deutschen Bildungskatastrophe" Bewegung in die versteinerte Debatte gebracht. Angestoßen wurde eine umfassende Neubestimmung der Erwachsenenbildung im Bildungswesen. Eine ganze Reihe von Plänen und Planungsvorschlägen wurde vorgelegt. Knoll/Siebert/ Wodraschke (1967) entwickelten mit dem „Bochumer Plan" einen
Zukunft: Wandel, Fortschritt
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abschlussbezogenen „Dritten Bildungsweg". Schulenberg u.a. (1968) legten ein Konzept zum Ausbau der Volkshochschulen zu einem Baukastensystem vor. Höhepunkt der Reformdiskussion war zweifellos der „Strukturplan" des Deutschen Bildungsrates (1970). Hier wird vom Elementarbereich bis zur Weiterbildung das Bildungswesen als ein aufeinanderbezogenes Gesamtsystem in öffentlicher Verantwortung gesehen. „Ständige Weiterbildung" (ebd. 51) wird als orientierendes Prinzip organisierten Lernens verstanden. „Weiterbildung wird hier als Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase bestimmt" (ebd. 197). Ausgegangen wird von einer „Einheit beruflicher und nichtberuflicher Bildung" (ebd. 199). „Weiterbildung läßt sich nicht aufteilen nach autonomen Bildungssphären von Freizeit und Arbeitswelt.... Weiterbildung umfaßt sowohl die primär beruflich orientierte Fortbildung und Umschulung als auch die nicht primär unter beruflichem Vorzeichen stehende Erweiterung der Grundbildung sowie die politische Bildung" (ebd. 53). Emanzipation als Ziel der Erwachsenenbildung Die vor allem im außerparlamentarischen Bereich und durch die Protestbewegungen geführte Demokratisierungsdiskussion, die sich auf Staat und Gesellschaft bezog, wurde unmittelbar in der Erwachsenenbildung wirksam. Ein Forum dieser Auseinandersetzungen
besonders die Gewerkschaften, die Volkshochschulen und ihre Verbände. Anspruchsvolle weitreichende Ziele wurden formuliert: Chancenungleichheiten abzubauen, Partizipationsmöglichkeiten zu erweitern, Abhängigkeiten und Manipulationen durchschaubar zu machen, Herrschaft und Auftragsautorität zu verringern und Veränderungspotenziale zu stärken. Am konsequentesten wurde ein neues Konzept in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit mit dem Entwurf Oskar Negis über „So-
waren
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Zukunft: Wandel, Fortschritt
Phantasie und exemplarisches Lernen" 1968 formuliert. Ihm kommt es darauf an, „die in besonderen Formen subjektiver Interessen und Konflikte erscheinenden allgemeinen gesellschaftlichen Inhalte durch soziologische Analyse auf konkrete Begriffe zu bringen" (Negt
ziologische
1968, 78).
Methodisches Prinzip dafür ist das „exemplarische Lernen": „Der exemplarische Bildungswert der Lehrfächer wird durch drei Faktoren bestimmt: ihre Nähe zu den individuellen Interessen, den inhaltlichen über die unmittelbaren Interessen hinausweisen-
Arbeiterbewußtseins, die gesellschaftlichen Zusammenhänge betreffen, und die Bedeutung, die den Bil-
den Elementen des
dungsgehalten für die Emanzipation des Arbeiters zukommt" (ebd., 79). Demnach kann Erwachsenenbildung „nur noch darin bestehen, die Erfahrungen, die die Erwachsenen von der Gesellschaft gemacht haben, aufzugreifen, zu strukturieren, weiterzuführen, eigentlich an vorlaufende soziale Prozesse dieser Menschen, in die sie verwickelt sind und in denen sich ihre Alltagserfahrungen bilden, anzuknüpfen" (Negt in: Cube u.a.
1974, 24).
Negts Entwurf entstand in der Absicht, gesellschaftliche Emanzipation auf kritische Arbeiterbildung zu beziehen und die gewerkschaftliche Bildung über die vorherrschende Funktionärsschulung
hinauszuführen. Diese Konzeption hat vielfach Diskussionen ausgelöst und wirkt immer noch nach. Dabei sind einige Probleme mittlerweile deutlicher geworden. Es ist weder geklärt, welche Interpretation des Gesamtzusammenhangs von Gesellschaft noch möglich ist, noch ist der Weg von Erfahrung zu Erkenntnis aufgezeigt (Faulstich 1981, 17).
exponiertesten wurde das „revolutionäre" Verständnis politischer Erwachsenenbildung artikuliert im Konflikt um die „Synthese allgemeiner, politischer und beruflicher Bildung", die im Hessischen Volkshochschulverband geführt wurde. Eckpunkt ist der AufAm
Zukunft: Wandel, Fortschritt
satz von Hans-Jochen Gamm
257
als Aufgabe der Erwachsenenbildung" in den "Hessischen Blättern für Volksbildung" 1970 und die Anmerkungen von Edwin Klein und Edgar Weich zu diesem Konzept (s.o. 2.2.3).
„Emanzipation
Konsensformeln und Rückzug auf das Machbare Selbstverständlich wurde diese Position im Adenauer-Staat als eine ungeheuerliche Provokation empfunden. Die ,,kritische Theorie" wurde zum Feindbild einer Gegenbewegung, welche sich im restaurativen Klima der Bundesrepublik in den 1970er Jahren im Umfeld des "deutschen Herbstes" entwickelte. So wurde eine Tendenzwende angelegt, welche deutlich machte, wie stark grundlegende gesellschaftliche Kritik Unsicherheiten und Ängste mobilisiert hatte. In den 1980er Jahren hat sich eine Zweigleisigkeit der Diskussion um Erwachsenenbildung zwischen sozialen Bewegungen und Qualifikationsanpassung ergeben. Zum einen ist eine Auswanderung aus den Bildungsstätten erfolgt. Die „neuen sozialen Bewegungen" haben in einem für sie typischen ,Anti-Institutionalismus" traditionelle Inhalte und Formen der Wissensvermittlung infrage gestellt und diese auf die politische Aktion bezogen. In Friedens-, Ökologie-, Frauen- und anderen -bewegungen wurden Defizite der institutionalisierten Erwachsenenbildung aufgezeigt: Trennung von Lernen und Leben, Abhängigkeiten von Machtgruppen, Verschulung, Neutralitätsfiktion, soziale Selektivität, Überbetonung des Kognitiven und Vernachlässigung des Affektiv-Emotionalen. Gesellschaftliche Probleme werden dann selber zu Lernfeldern des Protestes. Allerdings haben sich solche Initiativen immer wieder als sehr labil und befristet herausgestellt. Der Kontext politischer Aktionen und Kampagnen löst einen permanenten Handlungsdruck aus, der notwendige Reflektion erschwert. Die Beschränkung auf Partialprobleme verschließt den Blick auf übergreifende gesellschaftliche Zusammenhänge. Insofern sind diese Ansätze in gewisser Weise halbiert. Zum anderen sozusagen die andere Hälfte ist im Zusammenhang der Diskussion um notwendige Qualifizierung, ausgelöst durch -
-
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Zukunft: Wandel, Fortschritt
eine Welle betrieblicher Rationalisierungsprozesse, die herkömmliche Trennung zwischen beruflicher und politischer Bildung aufgebrochen. Indem gerade durch die in alle Arbeitsbereiche eindringenden Informationstechniken immer deutlicher wird, dass betriebliche Umstellungen keineswegs Sachzwängen folgen, sondern Ergebnis kontroverser Arbeitspolitik sind, werden auch organisatorische und technische Probleme als politische identifizierbar. Die Auseinandersetzung um "Schlüsselqualifikationen" ist ein Indikator dafür, dass es nicht nur darum geht, enge, unmittelbare, verwertbare berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, sondern dass „soziale Kompetenzen" wichtiger werden.
Arbeitsorientierung und Kompetenzentwicklung Die „Qualifikationsoffensive" traf auf eine Situation in den Unternehmen, die gekennzeichnet war durch die Erosion tayloristischer Führungs- und Kontrollstrategien und eine Suche nach personalorientierten Managementstrategien. Der Qualifikationsbegriff mit den dahinterstehenden Ableitungs- und Anpassungsvorstellungen erwies sich als zu eng und wurde fortschreitend durch den Kompetenzbegriff ersetzt. In diesem Zusammenhang erhält die Diskussion um "Integration" oder sogar "Synthese" beruflicher und politischer Bildung einen neuen Anstoß. Mit der Verbindung zu berufsorientierten Weiterbildungsansätzen wird eine arbeitspolitische Erwachsenenbildung, die den Betrieb als Konfliktfeld einbezieht, aus der Gefahr befreit, in eine Sonderrolle abgedrängt zu werden. Arbeitsorientierte, politikbezogene Erwachsenenbildung versucht eine Verbindung von technischen, ökonomischen und politischen Ansätzen (Faulstich 1981, 1998).
Dies trifft merkwürdigerweise zusammen mit einer Neubestimmung der betriebliche Bildungsarbeit selbst. „Unvorherbestimmbarkeit" verweist auf ein Kontrolldilemma und ein „Perspektivwechsel" wurde propagiert: „Er ist... als Reaktion auf die zunehmende Dynamik, Komplexität und Unvorherbestimmbarkeit heutiger wirtschaftlicher und po-
Zukunft: Wandel, Fortschritt
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litischer Prozesse unumgänglich geworden. Unvorherbestimmbarkeit ist der Ausgang unseres Handelns, unvorherbestimmbar der Erfolg unseres Teams. Unvorherbestimmbar ist auch der Erfolg oder Misserfolg unseres Unternehmens, unserer Organisation, unserer Region in den Dschungeln globalisierter Märkte, in den Netzen sozialer und politischer Verknüpfungen" (Erpenbeck/Sauer 2000, 303). Orientierungsgröße ist dann eben nicht mehr eine scheinbar sachlich bestimmbare Qualifikation, sondern anpassungsfähige, offene Kompetenz. Gleichzeitig hat aber die Gewichtsverschiebung dazu geführt, dass Weiterbildung vorrangig an ihrer Funktionalität bezogen auf flexibilisierte Arbeitsformen gesehen wird. Der Kompetenzbegriff ist auch wieder auslegungsfähig. So wie er von der durch Fördermittel des Bundes finanziell und publizistisch einflussreichen
Qualifikations-Entwicklungs-Management Arbeitsgemeinschaft (AG QUEM) in kaum überschaubar vielzähligen Veröffentlichungen gebraucht wird, hat er zugleich harmonistische wie individualistische Implikationen, obwohl die „handelnden Subjekte" entpersonalisiert werden und unter diesen Begriff auch Teams, Unternehmen, Organisationen und sogar Regionen gefasst werden. „Kompetenzen werden als Voraussetzungen charakterisiert, in Situationen von Ungewissheit und Unbestimmtheit, in die diese Subjekte geraten können, selbstorganisiert schöpferisch Neues hervorzubringen" (ebd.) Hierarchie, Kontrolle und Macht scheinen
aus
den Unternehmen
verschwunden.
Demgegenüber ist ein personalorientiertes Konzept abgestellt auf Aushandlungsprozesse und Arbeitspolitik (Faulstich 1998a). Im Rahmen der durch Interessen und Konflikte konkret geprägten Unternehmenskulturen wird Kompetenzentwicklung möglich vor dem Hintergrund von technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen und Machtkonstellationen. Das Verhältnis von erzwungener Anpassung und möglicher Entfaltung wird nicht nach einer Seite hin völlig geschlossen, sondern öffnet sich immer wieder neu.
260
Zukunft: Wandel, Fortschritt
„Lebenslanges Lernen" Die Rede von „Dynamik" und
eine unterstellte Selbstverständdurchzieht die Geschichte von Bemühungen „Wandel" zu „lifelong learning" seit etwa 1970. „Wandel" aber ist ebenso wie „lebenslanges Lernen" ein formaler Begriff, der nur den Prozess der Veränderung konstatiert, ohne dessen Inhalte und Richtung zu erfassen. Wenn aber mögliche Zukünfte diskutiert werden sollen kommt man ohne ein Vorstellung von Fortschritt nicht aus. Entwürfe sind nötig nicht nur für das andere, sondern für das Bessere (Faulstich lichkeit
von
1990). Allerdings geht dies nach der Einsicht in die „Dialektik der Aufklärung" und der Postmoderne-Diskussion nur dann, wenn man Widersprüche, Brechungen, Gegenentwicklungen und Gefährdungen reflektiert. Es gibt keinen einlinig aufsteigenden Fortschritt zur
Mündigkeit. Schon Ernst Bloch hatte gegenläufige Tendenzen aufgewiesen (Bloch 1963, 160). Wenn man nichtsdestoweniger trotzig an der Tradition der Aufklärung festhält, geht dies nur aus einer Po-
„Metamoderne", welche die Kritik an naivem Fortschrittsglauben aufnimmt, aber weiter reflexiv nach den Bedingungen von Mündigkeit fragt. Aus dieser Perspektive erst wird eine sinnvolle Diskussion um Potenziale und Risiken des Konzepts „lebenslanges Lernen", das die bildungspolitischen Debatten beherrscht, und die Frage nach „lebensentfaltender Bildung" möglich. Einerseits wird Entgrenzung des Lernens über Kindheit und Jugend sition einer
hinaus
hervorgehoben und damit neue Freiheit zu Gestaltung des eigenen Lebens erreicht, andererseits bleiben die Ursachen des Wandels unbegriffen und werden als Zwang zur Anpassung erlebt. In einer neuen Phase der Diskussion um „lebenslanges Lernen" könnte nach 30 Jahren Postulaten ein Implementationsstadium erreicht werden, da deutlicher als bisher ökonomische und politische Interessen koinzidieren. Obwohl klar
ist, dass hinter dem Konsens durchaus unterschiedliche Konzepte und Strategien stehen, wird die
Notwendigkeit einer umfassenderen Reorganisation des Lernsystems breit unterstützt.
Zukunft: Wandel, Fortschritt
5.2
261
„Lebenslanges Lernen" und Lernzeiten
Mit dem
Konzept des „Lebenslangen Lernens" sind weitreichende Perspektiven einer Reform des Bildungswesens sowie im Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem angelegt. Diese Forderung hat sich weit verbreitet. Kaum ein Postulat stößt auf größeren Konsens. Von internationalen Gremien, Regierungsvertretern, über das ganze Spektrum der Parteien bis zu Unternehmen und Gewerkschaften wird die Vorstellung gestützt, Lernen sei eine permanente Aufgabe über den gesamten Zyklus der Lebensspanne. Dabei geht es nicht um die Banalität, dass der Mensch lernt, solange er lebt, sondern um ein Strukturprinzip der Organisation des Lernens in
den Zeitstrukturen der Gesellschaft. Aufscheint das Bild eines neuen Lernsystems, das lange schulische Verweilzeiten verkürzt, flexibilisiert, verteilt in kürzere Abschnitte von geordneten Bausteinen über die gesamte Lebenszeit und so permanente Übergänge zwischen Arbeiten und Lernen ermöglicht. Die Zielsetzungen sind dabei durchaus unterschiedlich: In der grundlegenden Bildung Erreichtes weiterzuführen, zu ergänzen, zu erweitem und zu vertiefen, Versäumtes nachzuholen, durch Wandel Überholtes zu ersetzen, Anteile der Erstausbildung zu verlagern und diese zu entlasten. Kern und Anstoß der Diskussion ist berufliche Weiterbildung. Als zentrales Moment „lebenslangen Lernens" wäre diese dann nicht -
-
-
-
länger nur Reparaturinstanz für verpasste Erstausbildung, sondern Voraussetzung für individuelle Entfaltung, wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit. Für alle diese Zielsetzungen wird „lebenslanges Lernen" als vielversprechender Ansatz vertreten. Es soll darum gehen, eine ,,zukunftsfahige", „nachhaltige", „neue" „Lernkultur" zu entwickeln. Möglicherweise resultiert hochgesteckten Postulaten aber eine Anspruchüberlastung.
aus
den
Zukunft: Wandel, Fortschritt
262
5.2.1 Lebenslanges Lernen und Zeitverwendung Die von durchaus verschiedenen, sogar gegensätzlichen Interessen gestützte Reformstrategie richtet sich auf eine Neuverteilung der Lernzeiten über die Lebensspanne. „Lebenslanges Lernen" ist dann nicht nur ein Problem der Erwachsenenbildung. Es geht um eine grundlegende Umgestaltung der Lernwege als Möglichkeitsbedingungen von Bildung. Darüber hinaus scheint die Frage auf, wie Lernzeiten im Verhältnis zu anderen Tätigkeitsbereichen in die gesellschaftlichen Formen der Zeitverwendung eingefügt werden. Zum Lernen braucht man Zeit. Unter Druck und Hetze werden Lernwiderstände provoziert. Deshalb müssen für Lernansprüche Anteile gesellschaftlicher Zeitverwendung gesichert werden. Mit dem Konzept „lifelong learning" stößt man deshalb auf die gesellschaftliche Kernfrage nach der Nutzung von Zeit und der Verfügung über menschliche Lebenszeit. Es ist unvermeidlich, wenn über „lebenslanges Lernen" diskutiert wird, dies wenigstens skizzenhaft einzuordnen in die grundsätzliche Debatte um die Zeitstrukturen sozialer Systeme (Bergmann 1981, Dux 1998). Lernen ist in die Frage der Zeitlichkeit mindestens doppelt eingebunden, zum einen als Prozess des sowohl phylogeneti-
schen als auch
ontogenetischen Aufbaus gesellschaftlicher Zeitanderen unter dem Aspekt des Lernanteils an Zeit-
ordnungen; verwendung. In Lernprozessen werden gesellschaftliche Handlungsstrukturen und -kompetenzen erzeugt und angeeignet. So entstehen soziale Handlungsordnungen, die sich als Zeitordnungen darstellen, und die individuell nicht beliebig verfügbar sind (Dux 1998, 27). Alle Interaktionen setzen sozial konstruierte, gemeinsame temporale Strukturen voraus. Die vorfindlichen Zeitordnungen verbergen ihre historische Entwicklung und erscheinen den Gesellschaftsmitgliedern jezum
weils als unveränderlich. Betrachtet man sie aber genauer, ist feststellbar, dass sie keineswegs so „naturwüchsig" sind, wie sie erscheinen. Auch die Phasenstrukturen menschlichen Lebens sind in ihren jeweiligen Ausprägungen veränderbar. Die scheinbar sach-
Zukunft: Wandel, Fortschritt
263
liehe Strukturlogik von Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter ist soziale Konstruktionen. Dux sieht darin eine kulturübergreifende Notwendigkeit. Gleichzeitig betont er, dass die ,,kulturellen Konstrukte der Zeiten nie so weit gehen, daß davon die Eigenzeit des Organismus ganz verdeckt würde. Und die reicht in die Konstrukte hinein" (ebd. 40). Wenn dies richtig ist, kann sich die soziale Konstruktivität von Zeitstrukturen nicht endgültig von physischen und psychischen Abläufen und Rhythmen loslösen, ohne dismnktionale und problematische Konsequenzen für Individuen und Gesellschaft zu erzeugen. Dies gilt selbstverständlich auch für Lernzeiten. Lernen als Aneignung kultureller Lebensformen erfolgt selbst in der Zeit. Wenn man Bildung begreift als Prozess des Aufbaus von Persönlichkeit und Identität, so ist diese Aneignung selbst zeitlich organisiert. Dies betrifft nicht nur Intentionen und Themen des Prozesses, sondern auch seine zeitliche Lage und Dauer im Lebenslauf: Für Kindergar-
tenalter, Schulbeginn, Schulzeitdauer, Abschlussalter, Ausbildungs-,
Studien- und Weiterbildungszeiten. Lernzeiten sind in dem Maße, wie sie sozial konstruiert sind, veränderbar und gestaltbar. Zeitreglements für Lernchancen sind entscheidbar, indem deutlich wird, dass sie kollektiv erzeugte, machtbesetzte Resultate sozialer Koordinationen sind. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die jeweiligen Zeitordnungen beliebig seien. Die historisch-genetisch entstandene Konstruktion von Lernsystemen prägt die jeweilige Realität von Lernchancen. Gestaltungskriterien können fragen, inwieweit die jeweiligen Lemzeitordnungen funktional sind, bzw. welche Interessen sie widerspiegeln. Das Konzept „lebenslanges Lernen", als Veränderungsstrategie muss deshalb geprüft werden vor dem Hintergrund realer Prozesse gesellschaftlichen Wandels, der Dynamik der Ökonomie, der biographischen Konsequenzen und den Chancen der Kompetenzentwicklung. Eine Verteilung von Lernzeiten über die Lebensspanne erscheint als eine angemessene Form von Aneignungsprozessen kultureller Lebensformen in dynamischen Gesellschaften. Lernen kann sich dann nicht mehr nur auf initiale Erziehungsprozesse in der Kindheit
Zukunft:
264
Wandel, Fortschritt
und der
Jugend beziehen, sondern erfordert prinzipiell unabschließbare, lebensbegleitende Bildungsprozesse, welche kontinuierlich Persönlichkeitsentfaltung und Identitätsentwicklung sichern. Das Verhältnis von Lernzeiten und Arbeitszeiten ist dabei ebenso zentral wie brisant. Hier steht die traditionelle Struktur des Bildungswesens mit ihrem Beharrungsvermögen im Widerspruch zu dynamischen Umbrüchen der Arbeitsprozesse. Im herkömmlichen Modell werden in der Handwerksausbildung wortwörtlich weite Ausbildungswege durchwandert, bevor man Meisterschaft erwirbt und sich in Berufstätigkeiten niederlässt. Die langen vorgeschalteten Lernzeiten im Ausbildungs-, aber auch im Hochschulwesen stellen ab auf Kontinuität einer Beruflichkeit im Lebenslauf. „Laufbahn" ist eine Brücke von der Kindheit ins Alter. Berufswechsel fand nach diesem Modell kaum statt; bekannt ist das Beispiel: Wer bei Daimler lernt, arbeitet bei Daimler und geht bei Daimler in Rente. Das -überzogen kontrastive Gegenmodell der „Patch-Workbetont Offenheit der Biographie" Berufswege, Unabschließbarkeit des Aufbaus der Persönlichkeit und Zerbrechlichkeit und Stückhaftigkeit von Identität. Zeitverwendung über die Lebenszeit ist gekennzeichnet durch eine, oft erzwungene Mobilität. Wer bei IBM anfängt, kann morgen schon bei Debis landen, und übermorgen bei der Telekom. Wer in abhängiger Beschäftigung arbeitet, kann morgen erwerbslos sein und übermorgen als Selbständiger tätig. Diese zugegebenermaßen dramatisierten Umbrüche der Erwerbsverläufe haben zweifellos auch Konsequenzen für Länge und Lage der Lernzeiten im Lebenslauf. Die Vorstellung, einmal aufzutanken und dann durchzustarten, trägt nicht mehr. Es ist notwendig, anzuhalten, sich neu zu besinnen und veränderte Wege einzuschlagen. Die Karriere des Konzepts „lebenslangen Lernens" ist Resultat eines wahrgenommenen Umbruchs temporaler Strukturen. Die traditionelle phasenorientierte Abgrenzung zwischen Lernzeiten und Erwerbszeiten wird zunehmend brüchig. Das Dreiphasenschema der Erwerbsbiographie von Ausbildung, Einsatz und Ruhestand wird flexibilisiert und es entstehen neue Formen der Verschränkung von Arbeiten und Lernen. -
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Zukunft: Wandel, Fortschritt
265
Angesichts hoher Erwerbslosigkeit zerbrechen die Übergänge zwischen Berufsausbildung oder Hochschule in die Erwerbstätigkeit hinein. Statt der Dauerhaftigkeit der Berufslaufbahn entstehen Flexibilitäten und Mobilitäten innerhalb von Lebensabschnitten. Die Debatte über die Rente z.B. belegt aber auch das Entstehen neuer zeitlicher Arrangements am anderen Ende des Lebenslaufs hinsichtlich der Ausgliederung aus Erwerbsarbeit aus Altersgründen. Versuche, diese Entwicklungen begrifflich bzw. theoretisch zu fassen, bewegen sich auf drei Ebenen. Erstens gibt es Entwürfe für gesamtgesellschaftliche Konstruktionen unter den Stichwörtern Modernisierung und Individualisierung. Zweitens gibt es Flexibilitätsund Mobilitätszwänge in der Arbeitswelt und drittens bewegt sich die Diskussion um Biographie vor allem um die Deinstitutionalisierung von Lebensverläufen. 5.2.1.1
„Lebenslanges Lernen" und „Individualisierung" Hintergrund fur die hohe Relevanz und den starken Konsens, den die Idee des „lebenslangen Lernens" auf sich zieht, sind reale Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen. Resultierende Umbruchprozesse werden
einen durch immer wieder
Versuche gefasst, zukünftige Stadien gesellschaftlicher Entwicklung durch große Entwürfe zu etikettieren: Risiko-, Multioptions-, Erlebnis-, Wissensoder Netzwerkgesellschaft u.a. (Pongs 1999, 2000; s.o. Teil 3) sind nur einige der one-word-labels, welche der entstehenden Gesellschaftsform aufgeklebt werden (s.o. 3.1). Dahinter stehen weitreichende Wandelprozesse, die das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verändern. Die Hauptstichworte, unter denen der Strukturwandel diskutiert wird, sind Flexibilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Individualisierung von Lebenslagen. Insofern ist „lebenslanges Lernen" zumindest implizit eingebunden in die Individualisierungsdebatte. Gemeint sind damit einige generelle Tendenzen moderner Gesellschaften, wie sie z.B. von Ulrich Beck pointiert worden sind und die als historische Szenarien ausgemalt werden. zum
neue
266
-
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
Individualisierung: Langfristig angelegt im Prozess der Moderne wird eine Vereinzelung unterstellt, durch die eine selbstverständliche Bestimmung und gesellschaftliche Eingliederung der Einzelnen in ständische Organisation aufbricht. Statt verortet zu sein in naturwüchsig" erscheinenden und fraglos hingenommenen sozialen Strukturen, werden die Menschen vor die Aufgabe
gestellt, als individuelle Akteure und aktive Konstrukteure ihrer Biographie aufzutreten. Das schließt neue Formen von Differen-
und Kollektivität nicht aus; es entfällt aber ihr scheinbar gottoder naturgegebener Charakter. Diese ambivalente Freisetzung enthält Entscheidungsfreiheit und -zwang. Deinstitutionalisierung: Die beiden zentralen Institutionen der modernen Gesellschaft Familie und Staat verlieren ihre handlungsbestimmende und systemstrukturierende Dominanz. Dies setzt sich fort in den intermediären Institutionen. Einerseits entstehen neue Formen des Zusammenlebens der einzelnen. Andererseits findet eine Entstaatlichung des Politischen statt. Interessenkonstellationen und Meinungsbildungen sowie Entscheidungsfindungen vernetzen sich in der Sphäre der „zivilen Gesellschaft". Traditionserosion: Indem die Selbstverständlichkeit metaphysischer oder machtbegründeter Moral und Institutionen entschwindet, werden persönliche Ambitionen, gesellschaftliche Interessen und leitende Normen viel stärker und immer wieder neu rechtferzen
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tigungsbedürftig. -
Wertewandel: Es verschieben sich demnach auch die Gegenstände handlungsleitender Werte. Veränderte Lebensbedingungen sind Auslöser für weitgehende Einstellungsveränderungen. Untersuchungen zum „Wertewandel" belegen durchaus ein steigendes Gewicht „immaterieller Werte": höhere Ansprüche an Selbstverwirklichung, stärkere Kontaktbedürfnisse, gestiegenes Körper- und Gesundheitsbewusstsein, wachsende Ansprüche an Information und Partizipation u.ä. Ulrich Beck argumentiert, die Modernisierung habe zu einer
„dreifachen Individualisierung" geführt:
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
267
„Herauslösung aus historisch vorgegebene Sozialformen und bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (Freisetzungsdimension)", Verlust von traditionellen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitenden Normen (Entzauberungsdimension) und womit die Bedeutung des Begriffs gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird eine neue Art der sozialen Einbindung (Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension)" (Beck 1986, 206). Die „Individualisierungs-These" in der Beck'sehen Fassung ist -
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des öfteren kritisiert worden sowohl wegen der unklaren theoretischen Explikation als auch wegen fehlender empirischer Analysen (zusammenfassend Friedrichs 1998). Gemessen an erfahrungswissenschaftlichen Anforderungen gibt es zweifellos eine mangelnde Präzision einer durch Daten gestützten Gegenstandsbeschreibung sowie des Geltungsbereichs. Es fehlen auch fragfähige historische Analysen und empirische Belege. Nichtsdestoweniger hat die „Individualisierungs-These" ein Eigenleben im „Zeitgeist der achtziger und neunziger Jahre" (ebd. 7) entwickelt und ist damit auch real wirksam geworden als eine einflussreiche Diagnose gegenwärtiger Gesellschaft. Die drei Hauptaspekte, nämlich erhöhte Kontrollchancen der Individuen bei der Auswahl ihrer handlungsleitenden Werte und Ziele, eine nachlassende Bindung durch gesellschaftliche Institutionen und zunehmender Wertepluralismus haben eine große Plausibilität. Sie sind zur Hintergrundideologie einflussreicher und maß-
gebender bildungspolitischer Akteure geworden. Individualisierung der Lebenslagen und Lebensstile gilt als kennzeichnend für das gegenwärtige Zeitalter und wird kontrovers diskutiert im Spektrum von Chance zur Selbstbestimmung einerseits oder als Entsolidarisierung der Gesellschaft durch Egoismus. Es unterliegen gegenläufige Trends. „Es gibt keinen geradlinigen, alle sozialen Schichten gleichmäßig erfassenden Individualisierungsprozess hin zu einem immer stär-
ker selbstbestimmten Leben, das sich sukzessive von den traditionellen Zwängen befreit. Dennoch kann ein beträchtlicher Wandel beobachtet werden sowohl in der Stellung des Individuums in der Gesellschaft als auch in der Ausprägung des Selbstbewusst-
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Zukunft:
Wandel, Fortschritt
seins, gerade wenn ein langfristiger Zeitraum verfolgt wird" (Van Dülmen 2001, 3).
Bildungsbereich begründen sich die Forderungen nach Eigenverantwortung für die eigene Kompetenzsicherung und die Betonung von Selbststeuerung in Lernprozessen mit der unterstellten Individualisierungstendenz und sie befördern diese zugleich. Problematisch wird dies, wenn Lernaufgaben ausschließlich den Individuen angelastet und Strukturprobleme überspielt werden. Robert Castel hat prägnant die langfristigen Wurzeln und aktuellen Risiken des Individualisierungsprozesses herausgearbeitet. „Negativer Individualismus" lässt Defizite der sozialen Integration entstehen. Aber erst Zugehörigkeit zur Gesellschaft gewährleistet Identität und begründet Systeme der sozialen Sicherung. Das Schwächerwerden bzw. der völlige Verlust kollektiver Integration und Regulation in einem marktradikalen Massenindividualismus macht den geldvermittelten Tausch zur einzigen Kette sozialen Zusammenhangs. Man braucht dazu aber etwas zum Tauschen. „Es genügt nicht, arbeiten zu können, man muss auch verkaufen können, vor allen Dingen sich selbst" (Castel 2000, 406). Im
5.2.1.2
Arbeitsperspektiven und veränderte Zeitstrukturen Basisprozesse des Strukturwandels sind Umbruchkonstellationen
in der Arbeitswelt. Erst durch den realen, drastischen oder zumindest dramatisierten Wandel der „Arbeitsgesellschaft" wurde eine Implementation des Konzepts „lebenslanges Lernen" dringlicher. Die tatsächlichen Strukturbrüche, die erzeugt worden sind durch informati-
onell gestützte Produktions-, Distributions- und Finanzierungsprozesse, machen vor den Zeitreglements des Lernens nicht halt. Zum einen gibt es fast eine Omnipräsenz der Information, nachdem die Übertragungszeiten auf nahezu Null geschrumpft sind, zum anderen verlagert sich Lernen selbst in virtuelle Kontexte. Zum dritten bewirkt die Dynamisierung der Wirtschaftsprozesse eine Flexibilisierung und Variierung der Arbeitsformen und -zeiten.
Zukunft:
269
Wandel, Fortschritt
Wichtig bei den entstehenden Spielräumen ist, wie sie ausgefüllt werden und wer über sie verfügt. Entscheidend ist, ob es nur um Flexibilität des Arbeitseinsatzes oder weitergehend um Souveränität der Arbeitenden geht (Kohli 2000, 381). Die ebenfalls schon vor mehr als dreißig Jahren entflammte Diskussion über „Zeitsouveräni-
tät" verbreitet oft einen Schein von Interessenneutralität und hat eine individualistische Schlagseite. Individuelle Entscheidungsmöglichkeiten hängen immer ab von kollektiv gesicherten Rahmenbedingungen der Zeitverwendung. Erwerbstätigkeit als Tauschwertform von Arbeit hat mittlerweile vielfaltige Formen angenommen (s.o. 3.). Bei den Vertragsverhältnissen der Erwerbstätigen dominiert zwar noch die Zahl abhängiger, unbefristeter Vollzeitstellen (1995: 68 %). Neben den -
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„Normalarbeitsverhältnissen" wächst die Zahl neuer, flexibler Arbeitsformen. Es ergeben sich neue Kombinationen von bezahlter Arbeit mit
gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit. Durch die Diskussi„Scheinselbstständigkeit" ist dieses Problem zugespitzt worden. Insgesamt schreitet eine Deregulierung der Arbeitsverhältnisse hin zu „Freiberuflichkeit" und „Selbstständigkeit" voran, und neue Suchwörter werden vorgeschlagen, um die Ausprägungen dieser Erwerbsmuster zu kennzeichnen: Selbst-Angestellte, Arbeitson um
kraftunternehmer, Freelanzer u.a. Durch die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses" entsteht eine Grauzone zwischen und abhängiger Erwerbstätigkeit. Allerdings muss davor gewarnt
selbstständiger
werden, die Verschiebungen als interpretieren (vgl. Hoffmann/Walwei 2000). Zum
Auflösung zu einen gibt es weniger eine Veränderung männlicher Erwerbsformen als ein Hinzukommen der Erwerbsbeteiligung von Frauen (vgl. Senatsverwaltung 1999, 75). Zum anderen ist das „Normalarbeitsverhältnis" immer noch Leitbild für Existenzsicherheit und Schutzfunktion. Mit der
Bezeichnung „Arbeitskraftuntemehmer" wird eine Be-
grifflichkeit, die traditionell auf den individuell in seinen Unternehmen verantwortlichen und disponierenden Besitzbürger bezogen war, umgemünzt in eine Tugend der breiten Bevölkerung, die über ein solches Eigentum eben nicht verfügt und in die Anforderung
270
Zukunft: Wandel, Fortschritt
übersetzt, auch in Erwerbslosigkeit rührig und tätig Kommission 1997, III).
zu
sein
(vgl.
Tatsächlich entstehen aber vielfältige Übergänge der Zeitverwendung in verschiedenen Tätigkeitsformen: zwischen vollzeitiger und verkürzter Beschäftigung zwischen abhängiger und selbstständiger Erwerbsarbeit zwischen Erwerbslosigkeit und Beschäftigung zwischen Bildung und Beschäftigung zwischen unbezahlter und bezahlter Tätigkeit zwischen Erwerbstätigkeit und Eigen- oder Gemein-
schaftstätigkeit. Die Vielfalt der Verlaufsformen von Tätigkeitsübergängen ermöglicht hohe Gestaltbarkeit. Sie kann genutzt werden für eine umfassende Zeitpolitik zur Erhöhung von Lernchancen. Wenn die Bedeutung von Wissensaneignung zunimmt, können entsprechend die Lernzeiten ausgeweitet werden. Es können unterschiedliche Kombinationen zwischen Lerntätigkeit und anderen Tätigkeitsformen realisiert werden. Diese Einsichten in die Variabilität gesellschaftlicher Zeitverwendung eröffnet eine neue Reichweite des Verteilungsproblems. Gleichzeitig müssen neue Konsensmöglichkeiten ausgelotet werden. Ausgehend von überschneidenden Interessen an Kompetenzentwicklung ist die Einrichtung von Lernzeitkonten ein möglicherweise tragfähiges Konzept. Diese Konten können aus unterschiedlichen Quellen gespeist werden. Aus Erwerbszeitanteilen, aus Überstundenausgleich, aus Erwerbslosigkeitsvermeidung aber auch aus Freizeitanteilen. Durch die Nutzung kann für die Lernenden eine höhere Zeitsouveränität entstehen. Dabei geht es allerdings nicht nur um individuelle Flexibilität welche hohe Risiken für die Beschäftigten impliziert, sondern auch um kollektive Absicherung, z.B. in Lern-
zeitansprüchen (Faulstich 2002).
Zukunft:
Wandel, Fortschritt
271
5.2.1.3 Individuelle Lebensführung Lernen von Qualifikationspotenzialen nach einem Vorratsmodell wird unsinnig, wenn allseits Dynamik greift. Zwar gibt es immer noch eine Konzentration der Lerndebatte auf Kindheit und Jugend als Grundlage für Weiterlernen. Lernen wurde ontogenetisch nach vorne gelegt und erschien im Erwachsenensein weniger wichtig. Dies war zwar einerseits historisch für eine traditionale Struktur angemessen und ist für Erziehung sinnvoll, weil es zunächst um den Aufbau grundlegender Kompetenzstrukturen geht (Achtenhagen/Lempert 2000); andererseits wird die Annahme einer Stabilität von Erwachsensein zunehmend fraglich. Lebensverläufe waren immer schon offen und unabschließbar. Dies wird nun noch deutlicher. Die Kopplung der Lernphasen vorrangig mit den ersten Lebensphasen wird zunehmend problematisch. Lernen verteilt sich über die ganze Lebenszeit. Das Konzept „lifelong learning" kann über die Thesen fortschreitender Individualisierung und Normalarbeitserosion hinaus weiter gestützt werden durch eine erfahrungswissenschaftlich fundierte Soziologie des Lebenslaufs, eine Entwicklungspsychologie der Lebensalter und durch die bildungswissenschaftliche Biogra-
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phieforschung. Im Konzept „lifelong learning" werden biographische Prozesse neu gefasst und von der Soziologie des Lebenslaufs (z.B. Kohli 1978, 2000) als Deinstitutionalisierung der Normalbiographie interpretiert. Somit verändern sich der Stellenwert, der Umfang und die Lage von Lernzeiten. Zeitslrukturen von Biographieverläufen sind gesellschaftsstrukturell bedingt. „Biographie und Lebenslauf thematisieren das Problem der Temporalität des menschlichen Lebens" (NassehiVWeber 1990, 153). Die grundlegende Frage, die sich daraus ergibt, zielt auf das Verhältnis von Lebenszeit als individueller Perspektive und Gesellschafts- bzw. Weltzeit (Blumenberg 1986). Es entsteht eine neue Offenheit der Gestaltungsmöglichkeiten im
Verhältnis von Arbeiten und Lernen im Lebenslauf. Trotz aller kritisierbaren Pauschalität verbreitet sich der Plausibilitätsdruck der Individualisierungsthese. Die Zunahme von „Patchwork-Existenzen"
272
Zukunft: Wandel, Fortschritt
und
„Bastelbiographien" wird in vielfältigen Alltagserfahrungen bestätigt und wird damit real wirksam. Besonders bei kritischen Lebensereignissen und riskanten Statuspassagen wird deutlich, dass das Konzept der „Normalbiographie" und die unterstellte Konsekutivität von Lernen und Arbeiten selber fragwürdig geworden sind. Lemphasen und Arbeitsphasen schieben sich ineinander und erhalten veränderte Gewichtungen für Identität. Darauf beruhen die temporalen Verhältnisse zwischen individueller Biographie und sozialem System. Sozialstruktureller Wandel schlägt sich also auch in einem Umbruch biographischer Muster nieder. Wenn eine Neuordnung gesellschaftlicher Zeitverwendung ansteht, verschieben sich die Ordnungen individueller Lebensverläufe. Unterstellt, die „Individualisierungs-These" habe in diesem Punkt recht, so ist an der Stelle festgefügter Standardisierungen eine zunehmende Flexibilisierung zu erwarten. Die „Multioptionalität" (Gross 1994) bricht sich allerdings an den Formen individueller Aneignung und kultureller Herausbildung neuer gesellschaftlicher Strukturen als Grundlage für veränderte Milieus und Institutionen. Es existiert also auch ein Reinstitutionalisierungsprozess, der in seiner Form gestaltbar ist. Für „lebenslanges Lernen" ist der Begriff „Lebenslauf zentral. Die soziologisch orientierte Lebensverlaufsforschung unternimmt es, soziale und institutionelle Vorgaben für individuelle Lebensläufe zu untersuchen. Bildungsbiographien, Erwerbsbiographien, Ausbildungs- und Berufswahl, Mobilitätsprozesse, Statuspassagen und
Einkommensverläufe z.B. werden ins Verhältnis zum sozialen Wandel gesetzt (Kohli 1978). Kohli (2000) nennt drei Paradoxien, in denen sich Erwerbsarbeit als nach wie vor dominante Struktur im Lebenslauf entfaltet: Es gibt eine zunehmende Inklusion der Bevölkerung in das Erwerbspotenzial während der Erwerbsphase und gleichzeitig wachsende Exklusion aus dem Arbeitsmarkt. Die Standardisierung des „Normalarbeitsverhältnisses" provoziert bei sinkendem Arbeitsplatzangebot seine Flexibilisierung durch alternative Zeitmodelle.
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273
Als selbstverständlicher Kern der langfristigen Lebensperspektiven sinkt der Bedeutungsgehalt von Erwerbsarbeit und umgekehrt wird durch ihr Fehlen ihre fortbestehende Zentralität für gesellschaftliche Strukturen wie individuelle Entwicklung desto deutlicher vor Augen geführt. Belegbar ist, dass Lernchancen von verfügbaren Bildungsangeboten und Berufsmöglichkeiten ebenso beeinflusst werden wie von individuellen Lebensentwürfen. Berufliche Biographien bleiben jedoch deutlich von den Absolventenkohorten abhängig, von der Stärke der Altersjahrgänge und der Arbeitsmarktlage. Aus dem Wandel der Lebensverlaufsmuster kann also höchstens eine allgemeine Legitimation des „lifelong learning" bezogen werden, es lässt sich nicht auf individuelle Lern- bzw. Erwerbschancen schließen (Tippelt
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1999, 333).
Mit dem Biographieansatz ist gleichzeitig eine Unabgeschlossenheit menschlicher Entwicklungsprozesse impliziert. Demgegenüber stand im Vordergrund traditioneller Entwicklungspsychologie lange Zeit die individuelle Perspektive vor allem während der Kindheit. Dies hat sich ausgeweitet zur Entwicklungspsychologie der Lebensalter. „In der Live-Span-Psychologie wird angenommen, daß sich ontogenetische Prozesse von der Empfängnis bis zum Tod, also fiber den ganzen Lebenslauf hinweg erstrecken. Ontogenese wird als lebenslanger Prozeß betrachtet" (Baltes 1990,2). Baltes fasst die grundlegenden Leitsätze dieses Ansatzes zusam-
(ebd. 4). Lebenslange Entwicklung: Ontogenetische Aneignung wird als lebenslanger Prozess aufgefasst. Keine Altersstufe nimmt dabei eine Vorrangstellung ein. Wie an der gesamten Entwicklung
men -
können sowohl kumulative als auch innovative Prozesse auftreten. -
Multidirektionalität: Die Veränderungsrichtungen variieren auch in den verschiedenen Handlungsbereichen. Diese können in ein und demselben Entwicklungsabschnitt sowohl Wachstum als auch Abbau zeigen.
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als Gewinn und Verlust: Entwicklung bedeutet nicht nur Zuwachs an Kapazität und höhere Effizienz. Die gesamte Entwicklung über die Lebensspanne setzt sich immer aus Gewinn und Verlust zusammen. Plastizitätsentwicklung: Entwicklung ist durch Plastizität innerhalb einer Person gekennzeichnet. Der Verlauf variiert in Abhängigkeit von Lebensbedingungen und -erfahrungen. Geschichtliche Einbettung: Die ontogenetische Entwicklung variiert in Abhängigkeit von historisch-kulturellen Bedingungen einer geschichtlichen Ära und deren spezifischem Zeitverlauf. Kontextualismus: Jeder individuelle Entwicklungsverlauf beruht auf einer Wechselwirkung von altersbedingten, geschichtlichbedingten und nicht normativen Einflüssen. Multidisziplinäre Betrachtung: Die „rein" psychologische Betrachtung der lebensumspannenden Entwicklung kann diese nur ausschnittweise repräsentieren. Es ist deshalb eine Offenheit der Lebensspannen-Perspektive für eine multidisziplinäre Sichtweise
Entwicklung
impliziert.
Die Einsicht in die große Variabilität von Lebensverläufen auch im mittleren und hohen Erwachsenenalter in Abhängigkeit von ihrer
Lebenslage und den geschichtlichen Bedingungen ist eine der grundlegenden Legitimationsprinzipien lebenslangen Lernens. Gleichzeitig wird Humanontogenese in Bezug auf die historisch-kulturellen Bedingungen bedacht. Die „Life-Span"-Psychologie hat vor allem die Offenheit von Aneignungsprozessen und deren soziale Gestaltbarkeit belegt. Dies ist Ausgangspunkt für bildungswissenschaftliche Biographieforschung (besonders: Alheit 1995), welche vor allem qualitative Fallanalysen vorgenommen hat und deren Konsequenzen für Aneignungsprozesse diskutiert. Es wird dabei insbesondere die Komplexität der Zusammenhänge aufgewiesen, und die Grenzen instrumenteller Interventionen werden deutlich. „Biographizität" wird zur Lernaufgabe (ebd.).
Zukunft: Wandel, Fortschritt
5.2.2
275
Umsetzung „lebenslangen Lernens"
Auf der Grundlage der skizzierten gesellschaftlichen, ökonomischen und biographischen Wandeltendenzen können interne Konsequenzen für das gesellschaftlich bereitgestellte System des Lernens diskutiert werden. Wenn man das Konzept „lifelong learning" für begründet hält und es ernst nimmt, müssen entsprechende Implementationsstrategien entwickelt werden. Skandalös ist, dass seit über dreißig Jahren darüber diskutiert wird und in der Umsetzung wenig
geschieht.
Aus den aufgezeigten gesellschaftlichen Tendenzen und theoretischen Ansätzen können Legitimationsprinzipien für ein „System lebenslangen Lernens" gefunden werden, das aufbaut auf alternati-
Zeitstrukturen im Biographieverlauf, um personenorientierte Lernchancen zu erhöhen. Lernen wird verteilt über die Lebensspanne, gegliedert in kürzere Abschnitte und erhält insgesamt wachsenden Umfang. Bisher gab es immer wieder neu weitreichende Erosionserscheinungen und Strukturprobleme im Bildungssystem. Beispiele sind zunehmende Schulmüdigkeit, Ausbildungsplatzmangel, Qualifikationsmängel aber auch Fehlqualifikation. Trotz dieser Mängel und Brüche hat sich das deutsche Bildungswesen erstaunlich stabil erwiesen, und entsprechende Probleme konnten immer wieder repariert werden. Angesichts der aufgezeigten Tendenzen scheint nun aber ein struktureller Wechsel erforderlich, der von der Erstausbildung, über die Hochschulen bis in die Weiterbildung reicht. Dies umfasst einerseits eine interne Reorganisation der Bildungswege, andererseits extem eine andere Form der „losen Kopplung" zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem und der Verteilung der Lernzeiten im Lebensverlauf. Wenn es richtig ist, dass man mit einem ersten Abschluss nicht mehr für das ganze Leben gerüstet ist, müssen nach einer Grundlage in der Erziehung statt der langen, dem Erwerbsleben vorgeschalteten Bildungswege, kürzere, anrechenbare Lernabschnitte ermöglicht werden. Bisher wurde auf erhöhte Lernanforderungen und vermehrte Lerninhalte meist mit einer Verlänge-
ven
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rung der Erstausbildungszeiten reagiert. In der Konsequenz steigt in Deutschland immer noch das Durchschnittsalter der Absolventen der verschiedensten Bildungsgänge. Das Bildungswesen erhält den Cha-
rakter einer Wartehalle außerhalb der Arbeitswelt. Diese Fatalität wurde karikiert mit der Floskel: Von der Aus- in die Weiter- in die
Altenbildung (Faulstich 1984). Abgesehen von diesem sicher überzogenen Bild findet sich ein tatsächlicher Bedeutungsverlust der Erstausbildung. In vielen Unternehmen gibt es, kaum beeinflusst von den jährlich wiederholten Debatten um die Ausbildungsplatznachfrage, einen über Jahrzehnte andauernden Prozess des Abbaus. Umgekehrt ist ein Bedeutungszuwachs der Weiterbildung zu beobachten, der sich auch in der Weiterbildungsteilnahme spiegelt (s.o. 1.1). Teilweise werden Kapazitäten aus der Erstausbildung in die Weiterbildung überführt. Bedeutungszuwachs und Umfangswachstum rücken Weiterbildung in das Zentrum eines so neu entstehenden und zu gestaltenden Lernsystems. Allerdings wäre es äußerst riskant, dies einem naturwüchsigen" Prozess zu überlassen. Es entstehen neue Bildungsbarrieren und resultierende Weiterbildungsabstinenz, welche eine Explosion großer Teile der Erwerbsbevölkerung aus der zukünftigen Arbeitswelt zum Resultat haben könnte (s.o. 1.2). Wenn „lebenslanges Lernen" nur als äußerer Zwang gefordert und erfahren wird, werden Entwicklungsmöglichkeiten von Anfang an begrenzt. Die Chancen der Kompetenzentwicklung und der Persönlichkeitsentfaltung für die Lernenden in möglicher „lebensentfaltender Bildung" würden auf Flexibilitäts- und Mobilitätszwänge reduziert. Wenn eine zukunftsfähige Lernkultur entstehen soll, muss erleb-
bar und umsetzbar werden, dass Lernen und besonders berufliche Weiterbildung berufliche und persönliche Erfolge bringen und Spaß machen kann. Erst dann können Weiterbildungschancen von den Lernenden nicht nur als Anpassungsnotwendigkeit begriffen, sondern als Entfaltungsmöglichkeit genutzt werden. Das Konzept „Lebenslanges Lernen" ist durch eine grundlegende Ambivalenz gekennzeichnet. Jochen Kade und Wolfgang Seitter
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haben dies unter der Überschrift „Lebenslanges Lernen zwischen Emanzipation und Obligation" gefasst. „Aus einer distanziert-ablehnenden Perspektive heraus wird das lebenslange Lernen als Obligation, als gesellschaftlicher Zwang oder soziale Zumutung gedeutet. Dieser Zwangscharakter zielt zum einen auf die permanente Umstellungsbereitschaft von Individuen aufgrund ökonomisch induzierter und damit individuell unsteuerbarer Anpassungsnotwendigkeiten, womit das lebenslange Lernen in die Perspektive eines Ökonomisierungsdiskurses gestellt wird, der aus betriebswirtschaftlichen Imperativen heraus den instrumenteilen Charakter von Lernleistungen und die qualifikatorische Weiterbildungspflicht der Individuen betont" (Kade/Seitter 1998, 52). „Aus einer positiv-affirmativen Perspektive heraus wurde und werden die demokratisch-emanzipatorischen Potentiale des lebenslangen Lernens betont: Emanzipation wird dabei einerseits verstanden als individuelle Steigerungsmöglichkeit und Vervollkommnungsperspektive, als Verlängerung bzw. zeitgemäße Neufassung des Bildungsbegriffs, als eine zeitlich adäquate und empirisch auslegbare Verlaufsform. Mit dieser Thematisierung des lebenslangen Lernens im Anschluß an den traditionellen Bildungsdiskurs wird er zum präferierten Medium subjektiver Weltanschauung und zum Träger von Entfaltungs-, Entwicklungs- oder Steigerungsperspektiven, wie sie für das klassische Bildungskonzept charakteristisch sind" (ebd.). Die Resultate des Konzepts werden also davon abhängen, in welcher Weise es implementiert wird. Es sind alternative Szenarien denkbar. Wenn „lebenslanges Lernen" in einer neoliberalen Konzeption lediglich Individualisierungs- und Flexibilisierungsstrategien unterworfen wird, wird es für die Lernenden eher negative Effekte haben. Wenn in einem solidarischen System „lebensentfaltender Bildung" Persönlichkeitsentfaltung und Identitätsentwicklung ermöglicht werden, kann es anschließen an die Diskussion um Bildung, in dem die Kontrollchancen der Lernenden über ihre eigene Lebensgestaltung erhöht werden und ihre Zeitsouveränität vergrößert wird.
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Zukunft:
Wandel, Fortschritt
5.2.2.1 Verlauf der LLL-Diskussion
Die Karriere des Konzepts „lifelong learning" (LLL) hat ihren Ausgangspunkt in Umbruchsituationen. Dies gilt für die nationalen und internationalen Konstellationen Ende der 1960er und 1970er Jahre und dies gilt zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt. Von Anfang an war die Debatte verbunden mit der Frage, welche Strukturen des Bildungswesen als einer zukunftsfähigen Entwicklung besonders der Wirtschaft angemessen realisiert werden müssen. Ausgangspunkt in den 1960er Jahren war die Einsicht, dass eine weitere Expansion der bestehenden Bildungseinrichtungen auf den alten Linien zu Fehlentwicklung führen würde (z.B. Edding 1963, Vortrag in der IHK Köln, abgedruckt in: ders. 1970, 38-61). Vordenker war eine Gruppe international veraetzter Experten, z.B. Bertrand Schwartz, der 1961 als Direktor des französischen „Institut National pour la Formation des Adultes" (NFA) dem damaligen französischen Erziehungsminister Edgar Faure zum ersten Mal ein Projekt Education Permanent vorgeschlagen hat (zit. Dohmen 1996, 14). Die Diskussion führte zu umfassenden bildungspolitischen Konzeptentwürfen, angestoßen durch internationale Organisationen wie die UNESCO, des „Councils of Europe" und die OECD.
Auch in Deutschland wurde das Konzept z.B. von Georg Picht und Friedrich Edding frühzeitig aufgenommen. Der Heidelberger Religionsphilosoph Georg Picht, der schon am Gutachten des deutschen Ausschusses „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung" (1960) mitgewirkt hatte, mit seiner Artikelserie „Die deutsche Bildungskatastrophe" seit Februar 1964 in Christ und Welt erschienen, Mitauslöser der Reformansätze geworden war und als Vorsitzender des Expertengremiums für Baden-Württemberg einen „Gesamtplan für ein kooperatives System der Erwachsenenbildung" vorgelegt hatte, vertrat in dieser Diskussion die pointiertesdie große te Position. In seinem Aufsatz „Erwachsenenbildung Bildungsaufgabe der Zukunft" von 1968 (veröffentlicht in: Picht/Edding u.a. 1970, 17-39) finden sich viele Argumentations-
Zukunft: Wandel, Fortschritt
279
muster, die später immer wieder wiederholt worden sind. Am Anfang steht die Frage nach dem einer „modernen" Gesellschaft angemessenen Bildungswesen und die Kritik am bestehenden System. „Nur durch eine stabile Gesellschaft ist es möglich, ein festes System von Berufen und Karrieren durch ein staatlich garantiertes Schema von Berechtigungen, ein ebenso festes System von Bildungsgängen und Abschlußprüfungen zuzuordnen; nur bei einer fast unmerklichen Kulturentwicklung ist es möglich, nicht allein dem Bildungssystem, sondern auch der Ordnung des Sozialgefüges das Dogma zugrunde zu legen, das ein Mensch mit dem, was er in der Jugend gelernt hat bis zum Ende seines Lebens auskommen kann" (Picht u.a. 1970,21). Durch die Konfrontationen dieser „Aktion" mit der Realität des „technischen Zeitalters" gewinnt Picht seinen Referenzpunkt. „Der Fortschritt der Wissenschaft übersetzt sich in einem ebenfalls immer schnelleren Rhythmus in der Umgestaltung der Produktionsprozesse. Er hat deshalb eine permanente Revolution der Berufsanforderung einer Bemfsstrukturen in allen Geschichten der Gesellschaft zur Folge. Er erzwingt eine wachsende Mobilität der Gesellschaft im Ganzen, sprengt alle statischen Ordnungsgefüge und stellt damit auch Politik und Verwaltung vor Aufgaben, die sich mit den überlieferten Kenntnissen und Techniken nicht mehr bewältigen lassen" (ebd. 19). Dramatisch formuliert Picht dann den resultierenden Anpassungszwang: „Wer nicht Schritt zu halten vermag, kommt unter die Räder. Das gilt nicht nur von einzelnen, sondern von ganzen Berufsgruppen und Wirtschaftszweigen, ja es gilt sogar von Staaten, wenn sie nicht begreifen wollen, daß die Sicherheit im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Zivilisation nicht mehr wie früher auf der Stabilität, sondern im Gegenteil auf der Mobilität beruht"
(ebd.).
Hier kommt dann die Erwachsenenbildung ins Spiel, welche nicht mehr außerhalb des Bildungswesens stehen darf und berufsund lebensbegleitend erfolgen soll.
280
Zukunft: Wandel, Fortschritt
„Die Fähigkeit der gesamten Gesellschaft, dem wissenschaftli-
chen Fortschritt zu folgen, hängt aber von der Breite und der Intensität der Erwachsenenbildung ab" (ebd.). „Permanente Weiterbildung ist deshalb für alle Stufen der Bildungshierarchie und für alle sozialen Schichten in gleichem Maße zu einer unentbehrlichen Voraussetzung für die berufliche, politische und gesellschaftliche Bewährung geworden" (ebd. 27). Bemerkenswert in dem frühen Aufsatz von Georg Picht ist, dass er auch schon die Frage nach der Zeitverwendung aufwirft: „Wie findet man für die Erwachsenenbildung die nötige Zeit?" (ebd.). Picht verweist einerseits auf die gewachsene Freizeit, andererseits auf die, vor allem bei „Spitzenkräften" erzwungenen Überstunden. „Von beiden Seiten wird deutlich, daß die Gesellschaft im technischen Zeitalter nur funktionsfähig ist, wenn ein Teil der durch technische Mittel freiwerdenden Arbeitszeit für Zwecke der Weiterbildung ausgenutzt wird" (ebd. 35). Das Zeit-Geld-Problem hat der Begründer der Bildungsökonomie in Deutschland, Friedrich Edding, in einem ebenfalls 1968 gehaltenen Vortrag am ausführlichsten diskutiert. Für die „Verwirklichung des lebenslangen Lernens" (1970, 227) hält er eine verbindliche Regelung „im Interesse aller Beteiligten" (ebd. 231) für sinnvoll. „Sie ist vorstellbar als Lastenausgleich auf dem Gebiet des organisierten Lernens mittels eines Fondsystems der einzelnen Branchen" (231). In diesem Aufsatz (1970!) erhält das LLL-Postulat in zehn Punkten seine prägnanteste Formulierung: 1. Schulen und Hochschulen werden davon befreit, möglichst alles für das Leben benötigte fachliche Wissen und Können lehren zu 2. 3.
müssen. Die in der Jugendphase
zu erlangenden Abschlüsse und Berechihre lebensentscheidende Bedeutung. verlieren tigungsscheine Das schulische Lernen ohne praktische Erfahrung wird stark vermindert.
Zukunft:
4. 5.
6. 7. 8. 9.
10.
Wandel, Fortschritt
281
Die Teilnehmenden in der Weiterbildung wissen besser, was sie lernen wollen und sind besser motiviert zu lernen. Zwischen den Lehrangeboten ist ein Wettbewerb eher möglich. Weiterbildung kann schneller den sich wandelnden Anforderungen angepasst werden. Die Verbindimg mit Aufstiegsmöglichkeiten kann als Anreiz für fortgesetzte Weiterbildung genutzt werden. Die abnehmende Lernbereitschaft mit steigendem Alter kann aufgehalten werden. Durch die eigene Erfahrung mit lebenslangem Weiterlernen können die Bildungsentscheidungen der Eltern für die Kinder positiv beeinflusst werden. Die Organisation lebenslangen Weiterlernens ist auch für die Anpassung der Lehrerbildung an die Anforderungen von Gegenwart und Zukunft wichtige Bedingung, (gekürzt nach: Ed-
ding 1970, 227-229, P.F.). Die von maßgeblichen wissenschaftlichen Experten und
Politikberatern wiederholten Argumente haben dann auch schnell Eingang in die offiziellen Dokumente der Bildungspolitik gefunden. Ein hoher Stellenwert wird der „ständigen Weiterbildung" im „Strukturplan für das Bildungswesen" des Deutschen Bildungsrats gegeben
(1970,51-57, 197-214). „Schule und berufliche Ausbildung werden künftig für immer mehr Menschen nur die erste Phase im Bildungsgang sein. Denn häufig schon zeigt sich, daß die in dieser ersten Bildungsphase erworbene Bildung den später an den einzelnen herantretenden Anforderungen selbst dann nicht genügen kann, wenn diese Bildung auf Tiefe, Breite und Erfüllung erwarteter Bedürfnisse angelegt ist. Der Einzelne, der sich auf den Zuwachs an unsystematischer, häufig unreflektierter Erfahrung beschränken würde, könnte mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten. Immer mehr Menschen müssen durch organisiertes Weiterlernen neue Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten erwerben können, um
282
Zukunft: Wandel, Fortschritt
den wachsenden und wechselnden beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden" (1970, 51). Auch hier wieder steht der technische und ökonomische Zwang im Vordergrund und die Argumentationsfigur „Schritthalten". Eine wesentliche Konsequenz für die Reorganisation wird bezogen auf die zeitliche Anordnung des Lernens gesehen. „Der technische Fortschritt verändert ständig, was für die einzelnen an Kennmissen und Fertigkeiten wichtig ist. Dies geschieht durch das Veralten von früher Gelerntem, durch das Hinzukommen neuer Erkennmisse und Verfahrensweisen. Dem entspricht es, wenn von den gesamten Bildungsanstrengungen im Leben des Einzelnen ein wachsender Anteil auf die Weiterbildung entfallt"
(ebd. 52). Es geht darum, Lernen über die Lebensspanne zu verteilen; es auf den jeweils aktuellen Stand der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen zu beziehen, damit die Motivation zu erhöhen und
Lernerfolge zu verbessern. „Die Wirksamkeit von Lernprozessen im Rahmen der Weiterbildung beruht nicht zuletzt auf der durch Lebenserfahrung ausgelösten Lernmotivation" (ebd. 52). Entsprechende Belege können noch in vielen anderen offiziellen Dokumenten beigebracht werden und diese Grundgedanken sind auch in die zur gleichen Zeit entstandenen Landesgesetze zur Weiterbildung eingeflossen. Allerdings wurde schon Anfang der 1970er Jahre die Dynamik einer Umgestaltung gedämpft. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit und wachsenden Risiken für soziale Chancen wurde der „Abschied von Reformillusionen" (Baethge 1972) verkündet. Die Diskussion um LLL wurde verschoben auf die Ebene symbolischer Politik und erhielt die Funktion einer legitimationserzeugenden Ersatzprogrammatik. die
Zukunft: Wandel, Fortschritt
5.2.2.2 Internationale Debatten um LLL Demgegenüber hatte die Auseinandersetzung
283
LLL in den internationalen Gremien, die im Verlauf der letzten dreißig Jahre die Debatte immer wieder neu initiierten und provozierten, eine größere Kontinuität (vgl. Dohmen 1996, Knoll 1998). Als erstes Konzept wurde das Kompendium des „Councils of Europe" „Permanent Education" (1970) breit diskutiert. Die Wandel-Argumentation wird hier doppelseitig verwendet: Weiterbildung wird als Resultat und gleichzeitig als Instrument des Wandels (Agent of change) angesehen. Neben den Grundsätzen, die von Henri Jeanne und Bertrand Schwartz vorgetragen wurden, gab es zahlreiche nationale Beiträge z.B. von Hans Tietgens für Deutschland. Die Debatte wurde dann auch von der UNESCO aufgegriffen, die das Thema mehr und mehr zu einem zentralen Thema machte. Der Bericht der Faure-Kommission wurde 1973 zum zentralen Dokument der weiteren Diskussion. Die Positionen beziehen sich auf Entfaltung umfassender Kompetenzen, Verbindung von institutionellem und situativem Lernen, Rückbezug von Lernen auf Lebenswelt und eine Permanenz von Lernen (Faure u.a. 1973). Damit sind Grundlinien für ein strukturell verändertes Bildungswesen gegeben, dessen neue Zeitstrukturen individuelle Lernwege eröffnen sollen. Die UNESCO hat die Ergebnis des Faure-Reports weiterverarbeitet zu einer Empfehlung zur Entwicklung der Weiterbildimg (Nairobi 1976), in der der Erwachsenenbildung im Prozess des lebenslangen Lernens eine anleitende und richtunggebende Funktion zugesprochen wird (Knoll 1998,41). Einen neuen Aufschwung hat die LLL-Debatte durch den Bericht der Delors-Kommission „Learning: The treasure within" (Paris 1996) erhalten. Es werden erstens die Haupttrends, welche Bildungsanforderungen beeinflussen, identifiziert; zweitens werden die Qualität von Bildung und der globale Bedarf untersucht und drittens werden Schlussfolgerungen für die Gestaltung angedeutet. Feststellbar ist, dass angesichts der großen Disparität und Traditionalität der Bildungssysteme in den Mitgliedstaaten der UNESCO sich ein sehr um
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uneinheitliches Bild darstellt. Das Konzept der „Lifelong education for all" ist keineswegs weltweites Leitprinzip für die Bildungssysteme in den Staaten der Welt. In einer Pressemitteilung der deutschen UNESCO-Kommission (zit. nach: Knoll 1998,44) werden einige Hauptmerkmale pointiert: Bildung soll verstanden werden als Lifelong Education und durch Bildungskonten gewährleistet werden. Auch während des Erwachsenenalters kann die jedem Individuum auf Lebenszeit zustehende Lernzeit wahrgenommen werden. Chancengleichheit, besonders für Mädchen und Frauen sollte
hergestellt werden. Bildung muss vor allem auf die neuen InformationsKommunikationstechnologien eingerichtet werden.
und
Die Potenziale der NGO's sollen besonders auf Gemeinden der Ebene für Bildung stärker genutzt werden. Bildung wird als ein Vier-Säulen-Modell vorgestellt: Lernen zu wissen, zu handeln, zu sein und zusammenzuleben. Die Konzepte der -Kommission sind aber, wie bei internationalen Organisationen oft, sehr abstrakt und wurden auch auf der „Fünften internationalen Konferenz über Erwachsenenbildung" 1997 in Hamburg wenig konkretisiert. Zeitgleich mit dem Bericht der Delors-Kommission ist eine Studie der OECD „Lifelong learning for all" (Paris 1996) erschienen. Dabei wird nicht mehr nur an eine Periodisierung und Flexibilisierung der Lernzeiten gedacht, es geht tatsächlich um ein Modell für das gesamte Bildungswesen, das aufbaut auf einer Erneuerung der Schulen, auf einer Zunahme „Non-formaler Arrangements", flexiblen Übergängen zwischen Lernen und Arbeiten, Verantwortung der Beteiligten und einem Finanzzuwachs für lebenslanges Lernen. Nach wie vor besteht aber eine große Vielfalt der unterschiedlichen Bildungssysteme, deren Spezifitäten sich der Vereinheitlichung entziehen. Zunehmend erst hat die internationale Debatte über die Aktivitäten der Europäischen Union eine größere Verbindlichkeit erhalten. In dem Weißbuch „Lehren und Lernen" (Luxemburg
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Umsetzung der zentralen Ziele „Beschäftigungsfähigkeit" und Schaffung einer „Europäischen Identität" vorgeschlagen. Dadurch, dass die EU-Kommission 1996 als „Jahr des lebenslangen Lernens" ausgerufen hat, wurden auch in den Mitgliedstaaten vielfältige Diskussionen angeregt. Allerdings sind struk1996) wird eine Strategie
zur
turelle Konsequenzen nicht gefolgt. Im Arbeitspapier der Europäischen Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur, für die EU-Ministerkonferenz am 17./18. März 2000 in Lissabon wird dem LLL ein emphatischer Stellenwert zugemessen:
„Das lebenslange Lernen ist die beste Voraussetzung für den Aufbau eines
politische
Europas der Bürger und die offenkundige bildungsAnforderungen einer wissensbasierten
Antwort auf die
Wirtschaft".
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat dann am 30.10.2000 ein „Memorandum über Lebenslanges Lernen" vorgelegt. Kernstück des Memorandums sind sechs „Grundbotschaften":
Basisqualifikationen: Erwerb und Aktualisierung von Qualifikationen als Voraussetzung für eine dauerhafte Teilhabe an der Wissensgesellschaft. Dies erfordert einen allgemeinen und ständigen Zugang zum Lernen. Besonders wichtig sind IT-Fertigkeiten, Fremdsprachen, technologische Kultur, Untemehmergeist und soziale Fähigkeiten.
1. Neue
2. Höhere Investitionen in die Humanressourcen. 3. Innovation in den Lehr- und Lernmethoden: effektive Lehrund Lernmethoden und -kontexte für das lebenslange und lebensumspannende Lernen. 4. Bewertung des Lernens: Es gilt, das Verständnis und die Bewertung von Lernbeteiligung und Lernerfolg zu verbessern, insbesondere im Bereich des nichtformalen und des informellen Lernens.
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5.
6.
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Berufsberatung und Berufsorientierung: Gewährleistung des Zugangs zu hochwertigen Informations- und Beratungsangeboten zu Lernmöglichkeiten für alle Altersklassen. Das Lernen den Lernenden auch räumlich näher zu bringen: Es gilt, Möglichkeiten zu schaffen für das lebenslange Lernen in unmittelbarer Nähe (am Wohnort) der Lernenden. (Kommission 2001).
Tatsache, dass sich die EU-Kommission diesem Thema mit großem Nachdruck stellt, könnte die Umsetzungschancen gegenüber Die
vergangenen Diskussionsrunden erheblich erhöhen.
5.2.2.3 Alternativen des „lifelong learning" In der Bundesrepublik Deutschland ist mittlerweile das Konzept LLL in den Programmen fast aller Parteien, Verbände und in vielen offiziellen Dokumenten verankert. Untemehmerverbände und Gewerkschaften sind sich, durchaus ausgehend von divergierender Interessenpositionen, einig in dem hohen Stellenwert des „lebenslangen Lernens". Bei so viel Konsens ist es erstaunlich, dass die Realität im Bildungswesen und konkret in der beruflichen Weiterbildung dem Postulat LLL bisher kaum gefolgt ist. Dies deutet zum einen daraufhin, dass sich die Programmatik immer mehr auf die Ebene symbolischer Politik beschränkt, und zum anderen, dass reale Interessenpositionen der Umsetzung entgegenstehen. Offensichtlich ist das LLL-Konzept umsetzungsoffen und anpassungsfähig an verschiedene politische Konstellationen. Es lässt große Spielräume für die Ausgestaltung und die Umsetzung zu. Auch die argumentativen Begründungen sind sehr divergierend. Damit wird nochmals die Ambivalenz der Programmatik bezogen auf Zwang bzw. Freiheit, Obligation bzw. Emanzipation deutlich belegt. Das Konzept des lebenslangen Lernens kann als „kontextadaptiv" bezeichnet werden (Kraus 2000, 179). Angesichts der betonten Offenheit muss aber darauf hingewiesen werden, dass diese Spielräume durch jeweilige Macht- und Interessenkonstellationen geschlossen werden. Insofern schließt strukturel-
Zukunft: Wandel, Fortschritt
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le Offenheit gesellschaftliche und individuelle Zwänge nicht aus. Vielmehr droht, wenn auf ökonomische Anpassungsnotwendigkeiten hingewiesen wird, eine permanente Umstellungsbereitschaft und ein lebenslänglicher Vollzugszwang. Die gesellschaftliche Reorganisation hin zum Konzept „Lebenslanges Lernen" wird dann zur individuellen Obligation. Die dahinterstehenden Interessenstrukturen
bleiben
unaufgedeckt,
wenn
Kapitalismus
abstrakt als
„Lerngesell-
schaft" gezeichnet wird. Dies hat die Kritik provoziert, es gehe insgesamt nur um Anpassung als „lebenslängliche" Zumutung. „Längst ist lebenslanges Lernen kein Bildungskonzept mehr, sondern nur mehr die realistische Beschreibung der leidvollen Notwendigkeit, immer schneller verfallender eigener BrauchbarSchon werden in den Weiterbildungskeit hinterherzuhetzen. abteilungen die Qualifikationen als „leicht verderbliche Ware" angesehen. Die immer zeitlich kürzer werdende Verwertbarkeit von einzelnen Qualifikationen führt schließlich zu Wegwerfqualifikationen" (Geißler in Frankfurter Rundschau 11.2.1986). Diese Vorwürfe sind oft wiederholt worden. Es wird zu Recht der lebenslängliche Stress einer „Aufholjagd" gegenüber technischökonomischen Innovationen beklagt. Die Rede vom „großen Zwang zur kleinen Freiheit" zur „Immer-Weiterbildung" (Geißler/Orthey 1998, 95) gefallt sich in einer Pose der Entlarvung. Es sollen „Illusionen der Erwachsenenbildung" (ebd. 35) aufgespießt werden: „daß man durch Lernen klug wird, daß man durch den Besuch von Bildungsveranstaltungen unabhängiger wird, daß man durch Erwachsenenbildung/Weiterbildung sozial aufsteigen könne, daß man durch mehr Bildung Arbeit bekommt" (ebd. gekürzt). Diese Sichtweise umfasst aber nur die halbe Wahrheit. Es gibt durchaus gelungenen Kompetenzerwerb, biographische Neuorientierung und individuelle Arbeitsplatzsicherung. Die Chancen des „lebenslangen Lernens" werden vorschnell pauschal diskreditiert. Zweifellos ist Individualisierung aller Lebenswahlen eine Last und kaum zu bewältigen. Das Wegbrechen normativ unterstellter Üb...
288
Zukunft: Wandel, Fortschritt
Henkelten droht die Einzelnen zu überfordern. Gleichzeitig gibt es aber auch Gestaltungsoffenheit gegenüber der eigenen Lebenszeit. Verlässt man die Pauschalität dieser Diskussion, ist darauf zu verweisen, dass ausgehend von unterschiedlichen Interessenpositionen neue „Winner-Looser-Konstellationen" entstehen können. Die Chancen „lebenslangen Lernens" gelten für verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich. Das mit dem Postulat der Lerngesellschaft unterstellte Verwendungsversprechen hinsichtlich der Relevanz des Gelernten, trifft auf eine Vielzahl von Lernenden nicht zu. Insofern ist dann der Vorwurf, durch den Lernzwang steige die individuelle Belastung und durch Zuschreiben von eigener Verantwortung würden fremdgesetzte Anpassungsforderungen nur verdeckt,
berechtigt.
Resultierend sind Abstinenz gegenüber Lernmöglichkeit und Widerstand gegen Lernanforderungen hauptsächlich zu verstehen als Reaktion bezogen auf die Einsicht, dass der individuelle Nutzen tatsächlich in vielen Fällen fehlt (Hendrich 1999, 206). Lernbarrieren sind dann nicht nur Resultat institutioneller Exklusionsmechanismen, sondern auch begründet in fehlender Lernmotivation, welche dann berechtigt ist, wenn die Chancen, die eigenen Lerninteressen zu verwirklichen, nicht vorhanden sind oder nicht gesehen werden.
Zukunft: Wandel, Fortschritt
5.3 Reorganisation des chancen
Lernsystems
Es ist schon seit längerer Zeit Gegenstand der
289
und
Bildungs-
Diskussion, welche
Anforderungen, „Bedarfe" und Funktionen auf die Weiterbilzukommen und „lebenslanges Lernen" anstoßen. Die Liste der dung Themen umfasst Probleme aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Nahezu alle Menschheitsfragen von Umweltproblemen bis zur Erwerbslosigkeit können der Erwachsenenbildung als Aufgaben zugewiesen werden. Diese konvergieren allerdings keineswegs in einer einheitlichen Entwicklungsperspektive, sondern können durchaus gegenläufige Prozesse hervorrufen. Es wäre auch eine Überforderung „lebensentfaltender Bildimg" und eine Individualisierung struktureller Probleme, wenn Lösungsstrategien ausschließlich auf Lernprozesse abgestellt würden. Es ist ein Trick symbolischer Politik, Handlungsprobleme auf Lernprobleme zu verschieben (5.3.1). Nichtsdestoweniger nimmt die Relevanz „lebenslangen Lernens" für gesellschaftliche Problemlagen zu und zeigt sich auch in resultierenden Entwicklungsprozessen, wenn politische Gestaltungspotenziale genutzt werden (5.3.2). neuen
5.3.1 Systematisierungsgrade und Machbarkeitsillusionen Es gibt Anlass zu einer Warnung: Mit einer allumfassenden Aufgabenzuweisung an „lifelong learning" werden gesellschaftliche Probleme zu individuellen Handlungsanforderungen umgemünzt. Daraus resultiert eine Tendenz zur generellen Funktionsüberlastung des Lernsystems, wobei Misserfolge schon vorprogrammiert sind. Zweifellos sind nicht alle Problemlagen durch z.B. Lernaktivitäten zu lösen. „Lebenslanges Lernen" ist keine Reparaturinstanz für alle Defizite der Gesellschaft. Erwerbslosigkeit ist zunächst ein Problem des Arbeitsmarktes, ökologische Fragen sind wesentlich unkontrolliertem Technikeinsatz geschuldet.
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allerdings vielfältige Leistungen sowohl qualifikatorischer
als auch sozialisatorischer Art, mit denen positiv, d.h. sinnhaft für die Individuen, der anstehende Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt werden kann, um z.B. das Ausmaß von Erwerbslosigkeit durch berufliche Weiterbildung zu verringern oder umweltbezogenes Handeln zu überdenken. Die Lernmöglichkeiten für eine lebensentfaltende Bildung über Schule, Hochschule oder Erstausbildung hinaus sind aber immer noch beschränkt. Um den gegenwärtigen Entwicklungsstand zu kennzeichnen, scheint mir der Begriff „mittlere Systematisierung", den wir bereits 1991 in die Debatte geworfen haben (Faulstich u.a. 1991), angemessen. Damit wird einerseits der besondere „lose" Grad der Kopplung der Systemstrukturen des Weitebildungsbereichs gekennzeichnet, andererseits aber auch eine Perspektive stärkerer Systematik angedeutet. Bezogen auf den Grad der Systemhaftigkeit ist Weiterbildung verglichen mit Schule und Hochschule, die wesentlich starrere Formen entwickelt haben, ein „weiches" System. Dies gilt zunächst bezogen auf die Systemgrenzen, wo einerseits ein fortschreitender Prozess der Herausverlagerung von Lernaufgaben aus primären gesellschaftlichen Institutionen wie Familien- oder Arbeitsformen stattfindet, gleichzeitig aber auch Ausbreitung, Zerstreuung und Entgrenzung erfolgen. Lemsysteme entstehen einerseits durch funktionale Differenzierung gegenüber anderen gesellschaftlichen Partialsystemen wie Ökonomie oder Politik. Andererseits sind sie aber in ihren Funktionen auf diese rückbezogen. Besonders die Weiterbildung reagiert flexibel auf neue gesellschaftliche Problemlagen, wie Technikeinsatz, Ökologiefragen, Integration sozialer Gruppen, und ist deshalb in besonderer Weise Legitimationsfragen ausgesetzt. Sie ist immer noch nicht als selbstverständlich akzeptiert und unhinterfragt etabliert und befindet sich in einem permanenten Prozess von Kristallisation auf Grund von institutionellen Interessen und Verschwinden durch Rückverlagerung in Arbeitsund Lebenszusammenhänge. Lernen im Prozess der Arbeit oder im sozialen Umfeld trägt wesentlich zu „lebensentfaltender Bildung" bei, sie ersetzten aber keineswegs institutionalisiertes Lernen. Dies geht über zufälliges Ler-
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291
hinaus, das sich als Nebeneffekt anderer Tätigkeiten, als Mitlernen, ergibt (s.o. 4.2.4). Eine gesonderte Institutionalisierung von Lernangeboten ist daher für „lebensentfaltende Bildung" nicht vernen
zichtbar.
„Mittlere Systematisierung" kennzeichnet auch die internen
Strukturen des
Weiterbildungsbereichs. Verglichen mit Schule und ergibt sich fast ein reziprokes Bild: wo auf der einen Seite Erstarrung droht, gibt es hier riskante Offenheit und Zerbrech-
Hochschule lichkeit.
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Abb. 25:
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Institutionalisierung Curricularisierung Zertifizierung Professionalisierung Finanzierung
Verrechtllchung_
Aspekte „mittlerer Systematisierung"
Institutionalisierung: Bezogen auf Trägerstrukturen zeigt sich eine große Vielfalt. Weiterbildung wird bereitgestellt von Betrieben, Volkshochschulen, privaten Institutionen, Kirchen, Verbänden, Berufsverbänden, Hochschulen, Akademien, Wohlfahrtsverbänden, Kammern, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden,
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Fachschulen und vielen anderen. Curricularisierung: Im Verhältnis von Planbarkeit und Offenheit des Lernens bestehen Grenzen der Festlegung von Lernzielen, der Auswahl von Lerninhalten und der Bestimmung angemessener Methoden. Dies ist zum einen verursacht durch die An-
forderung, Bildung sei Selbstbestimmimg, zum anderen durch die hohe Situativität und Dynamik neu entstehender Funktionen und Themen. Zertifizierung: Hohe Beweglichkeit ist sicherlich auch ein Vorteil von Weiterbildungsangeboten. Das System kann auf neue Probleme schnell reagieren. Nur für einen Teil der Angebote ist
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möglich und sinnvoll, dies in Ordnungen, z.B. für Fortbildungsprüfungen, festzulegen. Gleichzeitig gibt es aber angesichts nicht geregelter Anrechenbarkeit Schwierigkeiten mit der Verwendbarkeit und Verwertbarkeit der Ansprüche, die aus dem Gelernten resultieren. Es steht aus, dass ein gemeinsames Zertifizierungssystem der Erstausbildung und der Weiterbildung entwickelt wird, das Übertragbarkeit und Durchlässigkeit sichert. Professionalisierung: Die statistischen Daten über die Personalstruktur in der Erwachsenenbildung sind noch lückenhafter als diejenigen über Teilnahme und Finanzen. Nur wenige große Institutionen verfügen über einen breiten Personalstamm, gleichzeitig sind die Aufgaben von Leitung, Planung, Unterricht und Verwaltung oft wenig differenziert. Weil die Zahl der hauptberuflichen Stellen nach wie vor relativ gering ist, gibt es eine „marginale Professionalisierung" (Faulstich 1996), bei der das Hauptgewicht der Arbeitstätigkeiten bei Honorarkräften bzw. nebenberuflichen oder ehrenamtlichen Personen liegt. Finanzierung: Einen Eindruck über die Anteile der verschiedenen Segmente kann man auch durch die Höhe der finanziellen Ressourcen gewinnen. Insgesamt wurden die Aufwendungen für die Weiterbildung für 1992 auf über 100 Milliarden DM geschätzt (Bardeleben/Sauter 1995). Der Finanzmix der Weiterbildung besteht aus einem Geflecht von internen Kosten, öffentlichen Ausgaben, Staatsfinanzen, direkten und indirekten Subventionen sowie von Gebühren, Beiträgen und Entgelten. Verrechtlichung: Durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten es
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Bund und Ländern für Arbeits- und Wirtschaftsrecht bzw. das Recht des Bildungswesens auf Grundlage der Kulturhoheit ist die juristische Rahmung der Weiterbildung zersplittert. Bisher gibt es keine hinreichenden Bundesregelungen, welche die Weiterbildungsentwicklung leiten (Faulstich. 2002). Um Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung „lebenslangen Lernens" zu begründen, muss der Gesamtbereich betrachtet werden. Dabei geht es zum einen darum, deutlich zu machen, dass eine „mittlere" Lösung ein konsequentes strategisches Konzept darvon
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stellen kann und nicht notwendigerweise ein unentschlossenes Verharren zwischen den Extremen starker staatlicher Steuerung einerseits und einer völligen Regulation über den Markt andererseits impliziert. Zum anderen gilt es daraufhinzuweisen, dass es erforderlich ist, solche mittlere Lösungen zu stabilisieren und weiterzuentwickeln, und dass es durchaus gezielte Maßnahmen gibt, dies zu gewährleisten (Möller 2002). Die gesellschaftlichen Grundströmungen Bevölkerungsentwicklung, Umweltfragen, technische Probleme, Organisation und Qualifikation der Arbeit, Zeitstrukturen, Wertewandel und Partizipationschancen (s.o. 4.2) setzen neue Rahmenbedingungen. Angesichts unbeherrschbarer Folgen und resultierender Risiken ist der lineare Modernisierungskonsens zerbrochen. Politische Positionen polarisieren nicht mehr ausschließlich an der sozialen Frage nach Links und Rechts, sondern es ergeben sich komplizierte Problemverflechtungen bezogen auf Ökologie, Geschlechterverhältnisse, Wissenszugang, soziale Exklusion u.a. Angesichts der Komplexität der Problemlagen laufen Eingriffe in soziale Systeme nach dem Muster instrumenteller Rationalität leer und erzeugen statt der beabsichtigten Ergebnisse viel weitreichendere "Nebenfolgen". Insgesamt wird Reflexivität zum angemessenen Interpretations- und Interventionsmuster. Notwendig werden also Überlegungen, welche Interventionsstrategien entwickelt werden können, um dem gewachsenen Gewicht von Weiterbildung gerecht zu werden. Dabei hilft es wenig, eine ordnungspolitische Grundsatzdebatte in der Alternative "Markt Staat" zu entfachen. So hätte ein "sauberes" Marktmodell nach den neoklassischen Visionen vollständig informierter und unbedingt rational haltender Akteure für den Bildungsbereich fatale Konsequenzen (ebd. 293). Schon lange ist die wissenschaftliche Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, dass es unmöglich ist, Konsum- und Investitionsaspekte von Bildung voneinander zu trennen, und dass systematisch externe Effekte besonders in Form von sozialen Erträgen unberücksichtigt bleiben. -
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Beides zusammen müsste letztlich zu einer Unterausstattung in der Weiterbildung fuhren. Auch ist deutlich geworden, dass der Allokationsmechanismus des Marktes keineswegs einer eindimensionalen Zweck-Mittel-Rationalität folgen kann. Ohne kommunikative und moralische Voraussetzungen käme ein über Geld koordinierter Austausch gar nicht zustande. Die immer wieder nachgewiesenen Beteiligungs- und Angebotslücken im Weiterbildungssystem können geradezu als Paradebeispiele für „Marktversagen" herangezogen werden. Aus der theoretischen Kritik des Marktmodells folgt aber nun keineswegs, dass der Staat überall ordnend, kontrollierend oder steuernd eingreifen müsse. Das Weiterbildungssystem ist auch ein
Paradebeispiel „Staatsversagen" für die beschränkte Verarbeitungskapazität staatlicher Politik angesichts der Überkomplexität der spezifischen Möglichkeitshorizonte. Dies gilt für die Ordnungsfunktion, wo lückenlose juristische Regeln die Flexibilität und Dynamik der Weiterbildungsaktivitäten gefährden -
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würden;
Leistungsfunktion, da eine umfassende Gewährleistung von Weiterbildungsangeboten angesichts der Finanzkrise des Staates
die -
nicht durchzuhalten ist; die Gestaltungsfunktion, da fehlende informationelle, organisatorische und finanzielle Ressourcen sowie ungeklärte Prioritätenprobleme eine Umsetzung vieler Planungskonzepte unmöglich machen. Strittig ist also, wie die Reichweite öffentlicher Verantwortung gesetzt werden soll und vor allem, welche Rolle staatlichem Handeln dabei zukommt. Wenn "öffentliche Verantwortung" nicht zur Konsensformel verkommen soll, darf sie nicht dazu dienen, den Rückzug des Staates vor immer mehr Aufgaben zu legitimieren. Es geht nicht darum Politikverzicht zu predigen, sondern eine andere Politikform zu finden. Einige formale Einsichten aus der systemtheoretischen Diskussion können vor Machbarkeitsillusionen bewahren.
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Um ein System zu verändern, muss man seine Struktur verändern. Scheinbar minimale Eingriffe können die ganze Komplexität des Systems provozieren. In komplexen Systemen liegen Ursachen und Wirkungen weit voneinander entfernt. Reflexive Systeme erzeugen Rückkopplungen, die prinzipiell unbeherrschbar werden können.
Die Effekte von Interventionen sind nicht vor-
aussehbar, langfristig und manchmal gegen-
läufig._
Abb. 26:
Prinzipien der Systemregulation
Interessant werden dann bezogen auf Regulationsstrategien Über-
Institutionen und politische Aktionsfelder, in denen weder der Markt, also dezentrale Unternehmensentscheidungen, noch ein hierarchisch steuernder Staat erfolgreich sein können. Es bestehen immer schon Netzwerke korporativer Akteure, mit Konstellationen von Interessen und Macht, welche das stereotype Bild einer klaren Trennung von Staat und Gesellschaft und vom Staat als höchstem Kontrollzentrum widerlegen. Dabei wächst die Problemlösungskapazität durch eine dezentrale Form der Entscheidungsselektion und Handlungskoordination. Eine Lösungsalternative gesellschaftlicher Vermittlungsformen wird in der Diskussion um Netzwerke als Regulationsmechanismen "dritter Art" pointiert. Netzwerke stützen sich vorrangig nicht auf monetäre oder hierarchische Verhältnisse, sondern auf Kontextbedingungen wie Vertrauen, Anerkennung und gemeinsame Interessen. Netzwerke „lernender Regionen" sind daher im Bildungsbereich besonders attraktiv. „Unübersichtlichkeit" ist nicht zufällig ein Modebegriff der Diskussion. „Lebenslanges Lernen" ist insgesamt einbezogen in den Prozess der Reflexivität der Moderne. Entsprechend kann Erwachsenenbildungswissenschaft immer weniger das Versprechen einlösen, den "Praktikern" handhabbare Rezepte zu liefern. Vielmehr
legungen über intermediäre Organisationen
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wird der alte Spruch von der Brauchbarkeit einer „guten" Theorie aktuell. Nachdenken über die "Praxis" erhält selbst „praktische Relevanz". 5.3.2 Defizitaspekte und strategische Perspektiven Die sich schon lange hinziehende Diskussion über „lebenslanges Lernen" ist Resultat eines als sich beschleunigend dargestellten und wahrgenommenen Wandels im gesellschaftlichen Umfeld. Die sicherste aller Zukunftsaussagen ist, dass nichts bleibt, wie es ist. Un-
terhalb dieser Pauschalthese allerdings gibt es jedoch zumindest perspektivische Alternativen. In der Folge stehen die Individuen vor permanent neu zu bestimmenden Horizonten. Dies kann einerseits erlebt werden als "lebenslänglicher" Zwang und Hetze unter einem unbegriffenen und unübersichtlichen Anpassungsdruck. Andererseits entstehen Offenheit und Chancen zur Gestaltung der eigenen Biographie und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es wäre aber ein Defizitmodell von lifelong learning, wenn sich dies erschöpfen würde in permanenten Qualifizierungszwähgen zur Verbesserung individueller Konkurrenzfähigkeit. Vielmehr ist im positiven Gegenmodell einer „Lernenden Gesellschaft" notwendig immer schon der soziale Kontext beinhaltet. Es geht darum sich aktiv den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Dies schließt die Anerkennung des Anderen und die Verantwortung für die Gesellschaft ein. Die "Lernende Gesellschaft" steht nicht nur vor qualifikatorischen, sondern gleichzeitig auch vor grundlegenden moralischen Aufgaben. Anschließen kann dies an einen umfassenden Begriff von Bildung. Es ist immer weniger möglich, das Politische begrifflich gegenüber dem Beruflichen abzugrenzen, weil sowohl die Gestaltung von Arbeitstätigkeiten zum unternehmenspolitischen Problem wird, als auch entstehende Partizipationsmöglichkeiten berufliche Einsatzchancen erhöhen. In der Folge generalisiert sich die Diskussion und öffnet sich in Richtung auf einen „integrativen" Begriff von Bil-
dung, welcher umfassenden Kompetenzerwerb intendiert.
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Integrationstendenzen der Themen und Funktionen entspricht das gegenwärtige Weiterbildungssystem und die darauf bezogene Politik nicht. Die Systemstrukturen hinken der Funktionsdynamik hinterher. Die bestehenden juristischen, institutionellen und finanziellen Strukturen verfestigen eher eine Desintegration. Ausgangspunkte für die Entwicklung eines den vielfältigen Anforderungen angemessenen Lernsystems sind die negativen Resultate gegenwärtiger Lernhindernisse. Defizitaspekte sind gemessen an Den
den Interessen der Lernenden: Fragmentierung der Lernorte und Lernwege: Kaum überschaubar ist die Vielzahl der Institutionen. Es gibt erfasst in der Datenbank KURS über 30 000 Anbieter von Weiterbildung in unterschiedlichen Segmenten öffentlicher, partialer, kommerzieller und betrieblicher Trägerschaft. Partialisierung der Lernziele und -inhalte: Es besteht eine juristisch aufgrund der Zuständigkeiten von Bund und Ländern fixierte und finanziell durch unterschiedliche Fördertöpfe differenzierte Desintegration besonders von „beruflicher" und „politischer" Bil-
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dung. Intransparenz:
Für den einzelnen Interessierten ist die Vielzahl und Vielfalt der Angebote kaum zu überblicken. Die Diffusität wirkt teilnähme- und lemverhindernd.
Qualitätsdefizite: Es gibt keine verbindlichen Mindeststandards und Kontrollverfahren, um für die Lernenden Entscheidungshilfen zu geben. Die Frage, auf was man sich bei Weiterbildungsteilnahme einlässt, ist hochgradig ungeklärt. Verwendbarkeitslücke: Es ist nicht gewährleistet, das Lernbemühen auch entsprechende Erfolge und Nutzen bringen. Die Anrechenbarkeit von Zertifikaten auf berufliche Ansprüche und schulische Anschlüsse ist nicht gesichert. Selektivität: Weiterbildung kompensiert keineswegs vorgängige soziale Auslese, sondern verstärkt sie hinsichtlich aller diskriminierenden demographischen Merkmale: Alter, Schulabschluss,
Stellung im Beruf.
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Dies alles sind Barrieren, welche die Möglichkeit lebensentfaltender Bildung einschränken und Lernen behindern. Aus diesen Problemen und Defiziten resultieren reziprok Gestaltungsoptionen hinsichtlich: Integration der institutionellen Strukturen Funktionsintegration beruflicher, allgemeiner und politischer
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Bildung Beratung und Information, Support Qualitätssicherung durch Evaluation Zertifizierung Zugangsicherung, Lernzeitansprüche Kooperation, Netze und Verbünde.
Es ergibt sich also eine Korrespondenz zwischen Defiziten und
Regulationsaspekten. Defizitaspekte Fragmentierung Partialisierung
Regulationsaspekte
Systemintegration Funktionsintegration Beratung/Information
Intransparenz Qualitätsdefizite
Evaluation
Marginale Professionalität Verwendbarkeitslücke Selektivität Marktversagen
Staatsversagen_ Abb. 27: Defizite und
Status/Qualifikation Zertifizierung Zugangssicherung Kooperation/ Netze/Verbünde
Strategien der Weiterbildungsentwicklung
Strategien müssen entwickelt werden, um die Defizite, welche „lebensentfaltende Bildung" behindern, zu beseitigen. Diese Problemkomplexe können aber weder automatisch durch marktmäßige Regulierung noch direkt durch staatliche Steuerung gelöst werden. Insofern kann ein Politikmodell angezogen werden, das auf öffentliche Verantwortung abstellt, als Form diskursiver Entscheidungsfin-
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dung. Öffentliche Verantwortung heißt bezogen auf Weiterbildung keineswegs sofort staatliche Trägerschaft oder staatlichen Mitteleinsatz. Politische Entscheidungen konzentrieren sich nicht mehr nur auf die Zentralen der Macht. Deshalb muss ein angemessener Begriff von Politik sich rückbesinnen auf deren Kern, nämlich des Herstellens gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen für die Zukunft auf der Grundlage unterschiedlicher Entwürfe für ein besseres Leben und vor allem auf Formen öffentlicher Austragung von Interessenkonflikten einer Vielzahl von Akteuren und Institutionen. Es gilt unterschiedliche politische Handlungsfelder zu unterscheiden: Juristische Rahmensetzung und Absicherung: Unbestrit-
HandlungsspielStrittig ist dabei, ob entsprechende Konzepte nur Rahmenbedingungen setzen und einer Aufsichtspflicht genügen, oder ob sie auch gestalterisch in Richtung auf eine curriculare und institutionelle Integration einwirken sollen. Rechtliche Regelungen des Bundes und
ten
definieren rechtliche
Regelungen
die
räume der Akteure in der Weiterbildung.
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der Länder müssen einen Kontext herstellen, der Weiterbildungsentwicklung in Richtung stärkerer Systematisierung unterstützt (vgl. dazu: Faulstich 2002). Finanzielle Förderung: Wenn Weiterbildung als kollektives Gut begriffen wird, gibt es ein Gemeinwohlinteresse, das den Einsatz öffentlicher Mittel in dem Bereich rechtfertigt. Strittig ist dabei, inwieweit Weiterbildungsangebote privat und inwieweit sie öffentlich zu finanzieren sind. Angesichts der langfristigen Nutzenhorizonte und kollektiver Erträge würde eine nur private Weiterbildungsfinanzierung auf alle Fälle zu einer Unterversorgung mit Weiterbildungsangeboten führen. Es muss deshalb ein Grundniveau staatlicher Förderung gesichert werden. Infrastrukturelle Unterstützung: Weitgehender Konsens besteht darüber, dass es notwendig ist, über die bestehenden Leistungen hinaus Supportsurukturen zu fördern, welche Entscheidungsträgern, Trägern und Einrichtungen, Lehrenden und Teilnehmenden zugute kommt. Strittig ist, ob es nur darum geht, die Transparenz eines als funktionierend unterstell-
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300
erhöhen, oder ob dabei auch Entwicklungsarbeiten in Richtung auf einen höheren Systematisierungsgrad erfolgen können. Weiterbildungsinformation und -beratung, sowie Qualitätssicherung sind Voraussetzungen für erfolgreiten Marktes zu
che und erhöhte Teilnahme. Institutionelle Gewährleistung: Angesichts der bestehenden „Lücken" im Angebot und bestehender Teilhaberrechte besteht öffentliche Verantwortung auch darin, Grundstrukturen eines zugänglichen Weiterbildungssystems zu sichern. Strittig bleibt, inwieweit auch staatliche Trägerschaft dafür zu sorgen hat, dass ein „Grundangebot" gesichert wird. Öffentliche Verantwortung für den Bestand und den Ausbau von Institutionen, welche auch gesellschaftlich notwendige aber nicht unmittelbar marktgängige Angebote vorhalten, ist unabweisbar. Es geht also um eine öffentlich verantwortete Gestaltung des Rahmens für mögliche Entwicklungslinien eines zukünftigen Systems lebensentfaltender Bildung. Die Schlüsselfragen der Zukunft verweisen auf Aspekte des Bildungsbegriffs (Faulstich 1990, Faulstich/Zeuner 1999): Entwicklung von Persönlichkeit durch Teilhabe an Arbeit zu ermöglichen und Identität zu entwickeln für ein gelingendes
-
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Leben;
und in Reflektion gesellschaftlicher Interessen und Ideen einen eigenen Sinn zu finden; Gestaltbarkeit von Technik zu verstehen, Umweltfragen als gesellschaftliche Fragen zu sehen und entsprechende Alternativen zu gestalten; Chancen von Partizipation zu ergreifen und Engagement zu entwickeln, um Konflikte demokratisch zu lösen; angesichts der Drohung von Krieg und Zerstörung globale
Wertfragen einzuschätzen -
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Zusammenhänge zu sehen; Umgang mit der eigenen Lebenszeit sinnhaft zu erleben.
zu
gestalten
und diese
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Die
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Frage nach der Möglichkeit von Bildung knüpft sich an ihre Bedingungen in der Gesellschaft. Das zentrale Bildungsproblem, die Perspektive der Entfaltung von Persönlichkeit und die mündige Gestaltung von Sozietät, wird gebunden an die Gewinnung von zunehmender Souveränität über das eigene Leben. Der Verfügbarkeit für beliebige Zwecke gilt es diesen Eigensinn entgegenzustellen. Diese Intention lebensentfaltender Bildung kann fundiert werden durch ein kritisch-pragmatisches Konzept, das, wenn es um die Aneignung gesellschaftlichen Wissens zur Entfaltung individueller Kompetenz geht, auf expansives Lernen setzt. Die Relevanz von Arbeit besteht dann, wenn nicht nur ein unbegriffener Wandel erlitten, sondern Fortschritt in Richtung auf ein besseres Leben gestaltet werden soll. Dass dies nicht einlinig und ausschließlich aufwärts verläuft, wissen wir schon seit der Aufklärung.
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Abbildungen
321
Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1:
Weiterbildungsbeteiligung
1979-2000
Abb. 2: Berufliche Lerninteressen 1994 Abb. 3: Modelle der Statusdistribution
(Berichtssystem VI)
Abb. 4: Selektivität der Weiterbildungsteilnahme Abb. 5: Soziale Milieus in Deutschland West
24
27 35 41 43
Abb. 6: Konkurrierende Begründungsansätze
93
Abb. 7:
95
Systematisierungsaspekte für Theoriekonzepte Abb. 8: Aspekte von Wissenschaft Abb. 9: Systematisierungsaspekte der Geisteswissenschaften Abb. 10: Systematisierungsaspekte des Empirismus Abb. 11 .Modell des Erwachsenenunterrichts (Siebert 1972, 157) Abb. 12: Systematisierungsaspekte der kritischen Theorie Abb. 13: Systematisierungsaspekte des Konstruktivismus Abb. 14: Systematisierungsaspekte des Pragmatismus Abb. 15: Grobkennzeichen wissenschaftstheoretischer Ansätze Abb. 16:
Tätigkeitsformen
Abb. 17: Persönlichkeitsrelevanz von
Arbeitstätigkeit
96 104 112 115
121
132 149 154 172 173
Abb. 18: Semiotische Niveaus
194
Abb. 19: Aspekte von Wissensformen Abb. 20: Ablaufmodell des Wissensmanagements
196
Abb. 21: Abb. 22:
Aspekte von Lernformen Grundbegrifflichkeiten der Theorie lernenden Weltaufschlusses
200 217 221
Abb. 23: Lernmodell Abb. 24: Phasen der Erwachsenenbildung nach 1945 Abb. 25: Aspekte „mittlerer Systematisierung"
250 291
Abb. 26: Prinzipien der Systemregulation Abb. 27: Defizite und Strategien der Weiterbildungsentwicklung
295 298
222