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German Pages [319] Year 2021
BEE YUN
Wege zu Machiavelli Die Rückkehr des Politischen im Spätmittelalter
BEIHEFTE ZUM ARCHIV FÜR KULTURGESCHICHTE IN VERBINDUNG MIT KARL ACHAM, BERNHARD JAHN, EVA-BETTINA KREMS, FRANK-LOTHAR KROLL, TOBIAS LEUKER, HELMUT NEUHAUS, NORBERT NUSSBAUM, STEFAN REBENICH HERAUSGEGEBEN VON
KLAUS HERBERS BAND 91
WEGE ZU MACHIAVELLI Die Rückkehr des Politischen im Spätmittelalter
von Bee Yun
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Illustration von Meister Evert Zoudenbalch in Natuurkunde van het Geheelal (ca. 1465–70), Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel, Cod. Guelf., 18. 2, Augu. 4°, Qu., fol. 123. Korrektorat: Klara Vanek, Köln Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51832-5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Pragmatisches Denken vor dem Pragmatismus . . . . . . . . . . . . . . . . Der spätmittelalterliche Pragmatismus und Machiavelli . . . . . . . . . . Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 22 36
Die Öffnung des Politischen in der Philosophie der Antike . . . . . . .
44
1. 1.1
Die Geltung der Ethik in der Politik vor Platon: Die nezessitaristische Begründung der Ethik und Politik . . . . . . . 1.2 Die sophistische Herausforderung an den Nezessitarismus . . . 1.3 Die Entstehung des Politischen im griechischen Denkhorizont 1.3.1 Statt des Kalküls moralische Einsicht: Ein Verständnis von der Geltung der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Ein neuer Begriff des politischen Wissens und des politischen Subjektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Ausgrenzung des Politischen in der ausgehenden Antike: Augustin und Boethius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.
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45 53 58
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58
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64
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75
Die Rückkehr des Politischen in den spätmittelalterlichen Denkhorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.1
Rahmenbedingungen der Welt- und Politikauffassung des Frühund Hochmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der nezessitaristische politische Diskurs des Hochmittelalters . 2.3 Vom Kosmos zum Chaos: Die Transformation des Politikverständnisses im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Transformation des politischen Diskurses in Florenz im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Transformationen des politischen Diskurses im 14. Jahrhundert in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Quidort von Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tolomeo von Lucca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marsilius von Padua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm von Ockham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartolus von Sassoferrato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Coluccio Salutati . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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89 94
....
104
....
104
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110 111 117 130 138 148 153
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3.
Inhalt
Die Transformation des republikanischen Diskurses in Florenz im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
160
3.1 3.2 3.3 3.4
Das Ringen um den Bürgerhumanismus . . . . . . . . . . . . Nicht-antimonarchischer Republikanismus im Mittelalter Die Krise des Republikanismus in Florenz . . . . . . . . . . . Savonarola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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160 166 178 186
4.
Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli . . . . . . . . . . . . . . . .
195
4.1 4.2 4.3
Machiavellis Il principe und das Problem der Reform der Republik Die Paradoxien der Welt und die Kunst der Lebensführung . . . . . Die mittelalterliche Herkunft von Machiavellis Begriff der Klugheit: Der Fürst als Fuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die neue Hermeneutik der politischen Welt: necessità . . . . . . . . . Machiavellis Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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195 218
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225 243 249
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
Niccolò Machiavelli und die Rückkehr des Politischen . . . . . . . . . . Florentinischer Republikanismus, Vulgärpragmatismus und Machiavelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Säkularisierung des Politikdiskurses im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273 279
Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316
4.4 4.5
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260 263
Vorwort
Dieses Buch steht am Ende eines langen Weges. Er begann im Jahr 1992, als ich während meines Politologie-Studiums an der Seoul National University, das ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit der westlichen Moderne stand, erstmals den Gedanken fasste, mich mit Machiavelli und dem Mittelalter zu beschäftigen. Er führte mich für ein gutes Jahrzehnt nach Deutschland, wo ich im Jahr 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Vorform dieses Buches promoviert wurde. Gleich anschließend erhielt ich eine Assistenzprofessur an der Sungkyunk‐ wan-Universität in Seoul, die mit hohen Belastungen einherging. Um der Publika‐ tionspflicht zu genügen, wurde das Manuskript 2011 in sechs Exemplaren bei Book Campus in Seoul gedruckt. Hier folgt nun eine ordentliche Buchfassung, die sowohl in Form und Inhalt verändert wie auch deutlich erweitert ist. Somit endet der Weg dieses Werkes erst nun, im Jahr 2021, wieder in Seoul und zugleich in Deutschland, beim Böhlau-Verlag. Auf diesem Pfad hatte ich viele wichtige und hilfreiche Begleiter. Zunächst sind meine beiden deutschen akademischen Lehrer zu nennen. Prof. Dr. Herfried Münkler (Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin) war mein Erstbetreuer. Er nahm mich in seinen Schülerkreis auf, und je mehr Zeit ver‐ geht, desto stärker nehme ich wahr, wie viel ich bei ihm gelernt habe und wie sehr mein Verständnis vom Beruf des Politologen von ihm geprägt wurde. Ein wahres Glück war, dass Prof. Dr. Johannes Helmrath (Institut für Geschichtswissenschaf‐ ten, Humboldt-Universität zu Berlin) nicht nur ein Zweitgutachter, sondern auch ein weiterer Doktorvater wurde. Er öffnete mir erst wirklich die Augen für die historische Mediävistik und die Renaissanceforschung. Seine grenzenlose wissen‐ schaftliche Neugier inspirierte mich. Seine Herzlichkeit und Offenheit halfen mir beim Bewältigen der vielen Herausforderungen, die die Arbeit an der Dissertation an einen stellte, der zu Anfang kaum Deutsch und weder Italienisch noch Latein konnte. Wie Herfried Münkler bot auch er mir die Chance, in Deutschland zu lehren. Zudem durfte ich durch ihn im Sonderforschungsbereich 640 „Repräsen‐ tationen sozialer Ordnungen im Wandel“ als Mitarbeiter tätig sein. Eine wichtige Hilfe war mir ebenfalls Prof. Dr. Jürgen Miethke (Universität Hei‐ delberg). Die Gespräche mit ihm lehrten mich so Vieles, das weit über einzelne wissenschaftliche Hinweise und Ratschläge zur politischen Theorie des Mittelal‐ ters hinausgeht. Nicht zuletzt aber danke ich meinem ersten Lehrer in Korea, Prof. Dr. Jungwoon Choi (Seoul National University). Er brachte mir bei, Wissenschaft rein um der Freude an der Erkenntnis willen zu betreiben. Die regen Diskussionen in seinen Seminaren über Michel Foucault und Max Weber sind mir unvergesslich.
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Vorwort
Auch Herrn Prof. Dr. Quentin Skinner (Queen Mary University London) möchte ich Dank abstatten für seine freundliche Unterstützung und Ermutigung während meines ersten ikonologischen Publikationsprojektes, dessen Einsichten in diese Ar‐ beit eingeflossen sind. Kollegen und Freunde haben mich in vielfältiger Weise unterstützt, namentlich Prof. Dr. Karsten Fischer (Ludwig-Maximilians-Universität München), Prof. Dr. Harald Bluhm (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Mathias Lindenau (Ostschweizer Fachhochschule), PD Dr. Christian Jaser (HumboldtUniversität) und Anna-Maria Blank (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg). Besonders hervorheben möchte ich zwei Freunde: Der eine ist Tilo Wagner, ohne den mein Leben in Berlin monoton gewesen wäre. Der andere ist Dr. Jörg Feuchter (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften). Die schönsten Erfahrungen und besten Leistungen meines akademischen Weges hängen mit ihm zusammen, und auch, dass dieses Buch nach so langer Zeit endlich noch zustande‐ kam. Außer ihm bin ich Raphael Stepken und Seyong Jeong für ihre Hilfe beim Redigieren und Bibliographieren für die Druckfassung dankbar. Verpflichtet bin ich ferner der Konrad-Adenauer-Stiftung, die mir ein Promo‐ tionsstipendium gewährte, sowie dem Internationalen Kolleg für Geisteswissen‐ schaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“, an dem ich als Fellow wieder ein Jahr in Deutschland verbringen durfte. Mein persönlicher Dank gilt dem Direktor des IKGF, Prof. Dr. Michael Lackner, sowie dem stellvertretenden Direktor, Prof. Dr. Klaus Her‐ bers (beide Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), für seine Bereit‐ schaft, diese Arbeit in die Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte aufzunehmen. Auch Frau Doepner und Frau Beenken vom Böhlau Verlag danke ich für die gedul‐ dige Zusammenarbeit. Tief verbunden bin ich meiner Großfamilie, in deren Liebe ich aufwuchs, und mei‐ nen Schwiegereltern, die immer da waren, wenn meine Frau, die Kinder und ich sie brauchten. Der größte Dank aber gilt meiner Frau selbst, die mir mit ihrer Liebe immer bei‐ steht und mich mit ihrem Mut und Optimismus aufmuntert. Sie verleiht meinem Leben etwas Besonderes. Sie und unsere zwei Kinder sind für mich der wahre Segen meines Lebens. Ich widme dieses Buch meinen viel zu früh verstorbenen Eltern. Meine Worte sind zu schwach um auszudrücken, was sie mir bedeuten. Sie würden sich über diesen kleinen Ertrag der Bemühungen ihres Sohnes herzlich freuen. Ich sehe ihr schönes Lächeln. Seoul, im Februar 2021
Einleitung
Die Antwort auf die Frage, was das Ziel der Politik sei, ist von der Antike bis heute relativ konstant geblieben: Die Politik hat zum Ziel, das Wohl der gesamten Gemeinschaft zu fördern. Freilich unterteilt sich wiederum die Antwort in ver‐ schiedene Einzelvariationen je nachdem, von welcher Gemeinschaft man ausgeht: einem Dorf, einem Königreich, einem Imperium oder einem Reich der Christen‐ heit. Jedoch wurde nie ernsthaft das Wohl der gesamten Gemeinschaft als Orien‐ tierungspunkt der politischen Entscheidung infrage gestellt. 1 Die immer wieder auftauchende Ansicht, es sei erst die Leistung des spätmittelalterlichen Aristotelis‐ mus oder die des Ciceronischen Republikanismus in der italienischen Renaissance gewesen, dass man heutzutage das Wohl der gesamten Gemeinschaft in den Mittel‐ punkt der Rechtfertigung der politischen Institutionen und Führerschaft stellt, ist schlicht ein Irrtum. 2 Der Bezug auf das Wohl der Gemeinschaft als Legitimitäts‐ 1 Freilich gibt es die Ausnahme einiger radikaler Denkströmungen wie des Marxismus, in dem die Klasse statt einer Gemeinschaft als Orientierungsgröße dient, wobei aber in der Regel eine langfristige Konvergenz zwischen dem Interesse der Klasse und dem der Gemein‐ schaft unterstellt wird. 2 Ein repräsentatives Beispiel für diesen Irrtum ist Walter Ullmann, dessen einseitige Be‐ tonung des Beitrags der aristotelischen Politiktheorie zum gemeinwohlorientierten politi‐ schen Denken bereits oft kritisiert worden ist. Siehe Walter Ullmann, Medieval Political Thought, Harmondsworth 1975. Zur Kritik: Friedrich Kempf, Die päpstliche Gewalt in der mittelalterlichen Welt. Eine Auseinandersetzung mit Walter Ullmann, in: Miscellanea Historiae Pontificiae 21 (1959), S. 117–169; Francis Oakley, Celestial Hierarchies Revi‐ sited: Walter Ullmann’s Vision of Medieval Politics, in: Past and Present 60/1 (1973), S. 3– 48 (wieder abgedruckt in: Ders., Politics and Eternity: Studies in the History of Medie‐ val and Early Modern Political Thought (= Studies in the History of Christian Traditions, Bd. 92), Leiden 1999, S. 25–72); Thomas Renna, Aristotle and the French Monarchy, in: Viator 9 (1978), S. 309–324; Roberto Lambertini, Lo studio e la ricezione della Politica tra XIII e XIV secolo, in: Il Pensiero Politico dell’età antica e medioevale: Dalla polis alla formazione degli Stati europei, hg. von Carlo Dolcini, Turin 2000, S. 145–173; Christoph Flüeler, Politischer Aristotelismus im Mittelalter, in: Vivarium 40/1 (2002), S. 1–13; Cary J. Nederman, Legacy of Walter Ullmann, in: Pensiero Politico Medievale 2 (2004), S. 12–19 (wieder abgedruckt in: Ders., Lineages of European Political Thought: Explora‐ tions along the Medieval / Modern Divide from John of Salisbury to Hegel, Washington, D. C. 2014, S. 3–12); Jürgen Miethke, Spätmittelalter: Thomas von Aquin, Aegidius Romanus, Marsilius von Padua, in: Politischer Aristotelismus. Die Rezeption der aristote‐ lischen Politik von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, hg. von Christoph Horn und Ada Neschke-Hentschke, Stuttgart u. a. 2008, S. 77–111; Vasileios Syros, Political Treatises, in: The Handbook of Medieval Studies, Bd. 3, hg. von Albrecht Classen, Berlin und New
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Einleitung
grundlage der Herrschaft begegnet sowohl in den karg überlieferten Quellen aus den frühmittelalterlichen Barbarenstaaten 3 als auch z. B. in Schriften aus den ost‐ asiatischen Reichen. 4 Doch die Antworten auf die Frage, wie man dieses Ziel erreichen kann, fielen sehr verschieden aus. Umstritten war: Was ist das richtige Verhältnis der Politiker zu den ethischen Normen, deren universaler Geltungsanspruch sich in der Geschichte des europäischen politischen Denkens bereits sehr früh, in der Antike, im Begriff des Naturrechts niedergeschlagen hat? Der neuzeitliche Pragmatismus ist eine der Antworten auf diese Frage. Er macht auf die häufig beobachtbare Diskrepanz zwischen der politischen Expedienz und dem moralischen Anspruch aufmerksam. Gegenüber dem Versuch, die Politik von den ethischen und naturrechtlichen Normen her zu begründen, wird in der neuzeit‐ lichen pragmatischen Position eine grundsätzliche Skepsis angemeldet und behaup‐ tet, dass man die Politik prinzipiell getrennt von jenen normativen Überlegungen betrachten und sie auf ihrer eigenen Grundlage betreiben müsse. Eine politische Entscheidung verlange es, alle Verhältnisse und Handlungsoptionen ausschließ‐ lich im Sinne der praktischen Bedürfnisse und der sachlichen Notwendigkeiten im Hinblick auf das Interesse der Gemeinschaft, vor allem ihre Sicherheit, zu be‐ York 2010, S. 2000–2019, hier: S. 2014 ff. Für weitere Literatur siehe Flüelers Aufsatz. Fer‐ ner, zusammenfassend über die Rezeption der aristotelischen politischen Philosophie, siehe Cary J. Nederman, The Meaning of „Aristotelianism“ in Medieval Moral and Political Thought, in: Journal of the History of Ideas 57/4 (1996), S. 563–585; Christoph Flüe‐ ler, Political Aristotelianism, in: Encyclopedia of Medieval Philosophy between 500– 1500, hg. von Henrik Lagerlund, 2 Bde., Dordrecht u. a. 2011, S. 1038 ff. 3 So wirft Fredegar in seiner Chronik des Frankenreichs aus dem 7. Jahrhundert Protadius, einen von König Theudrich eingesetzten Beamten, Folgendes vor: Das war ein schlauer und geschäftstüchtiger, dabei aber grausamer und ungerechter Mann [sc. Protadius], der es verstand, den königlichen Schatz und daneben auch den seinigen aus dem Vermögen der Un‐ tertanen zu vermehren. („Cum esset nimium argutissimus et strenuus in cunctis, sed saeva illi fuit contra personas iniquitas; fiscum nimium stringens de rebus personarum ingeniose fisco vellens implere et se ipsum ditare.“) Chronicarum quae dicuntur Fredegarii schola‐ stici liber IV (= MGH Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 2), hg. von Bruno Krusch, Hannover 1888, Cap. 27, S. 131. Deutsche Übersetzung: Die Chronik Fredegars und der Frankenkönige, hg. von Alexander Heine mit Übersetzung von Otto Abel, 2. Aufl., Stutt‐ gart 1986, S. 39. Hintergrund dieser Kritik ist das Idealbild eines Regenten, der sich um das Wohl aller Untertanen, nicht um das eigene, kümmert. 4 Dies zeigt sich vor allem in der Unterscheidung zwischen dem ‚Weg des Königs‘ (Wangdao ½…) und dem ‚Weg des Despoten‘ (badao ¹…), die Menzius bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. im Anschluss an die Lehre des moralischen Regierens von Konfuzius unternommen hat. Das Regieren entlang des Wegs des Königs richtet sich auf das Wohl des Volkes, das von der Befriedigung der Grundbedürfnisse für die gesunde Lebenserhaltung und die mensch‐ liche Lebensführung ausgehen soll. Beim Regieren entlang des Weges des Despoten steht hingegen das Eigeninteresse des Königs im Vordergrund.
Pragmatisches Denken vor dem Pragmatismus
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trachten. Dieser Position zufolge kann ein Politiker, eine Partei oder eine gesamte Bürgerschaft als kollektiver Entscheidungsträger nur dann ‚politisch‘ genannt wer‐ den, wenn er bzw. sie dieses Interessenkalkül zum Grundsatz der Entscheidung und Handlung macht. Die ethischen Normen können ihre Geltung nur insofern bean‐ spruchen, als sie jenem Zweck zuträglich sind, aber sie besitzen keine eigenständige Geltung. Im gesamten Handlungs- und Gedankenfeld des Menschen macht also nach dem pragmatischen Politikverständnis die Politik einen eigenen autonomen Bereich aus, wo eigene Regeln für Urteil und Handlung gelten. Die folgende Arbeit hat zum Ziel, die Entstehung und Entwicklung dieses neu‐ zeitlichen Pragmatismus vom Wandel des Politikdiskurses des Spätmittelalters her zu rekonstruieren. Sie verfolgt, wie eine geistige Disposition, die die Diskrepanz des Nutzens von den ethischen Normen für gegeben hält, und ein theoretisches Inter‐ esse, die eigenen Normen oder Gesetze der Politik zu erfassen, seit dem 14. Jahr‐ hundert durch verschiedene Phasen allmählich herausgebildet wurde, nachdem das hochmittelalterliche Welt- und Politikverständnis zusammengebrochen war. Diese Arbeit hält die pragmatische politische Theorie von Niccolò Machiavelli (1469– 1527) für ein Produkt und gleichzeitig für den Höhepunkt dieser Pragmatisierung des politischen Diskurses seit dem Spätmittelalter. Dadurch soll ein neues Verständ‐ nis seiner politischen Theorie erreicht werden. In der gegenwärtigen Forschungskonstellation mag diese Zielsetzung unge‐ wöhnlich klingen, denn der politische Pragmatismus wird generell als Produkt der geschichtlichen Entwicklung in der Frühneuzeit betrachtet und Machiavelli gilt als erster Vertreter. Der Versuch unserer Studie, die pragmatische Wende des politi‐ schen Diskurses im Spätmittelalter zu verorten und das politische Denken Machia‐ vellis in diesem Kontext zu betrachten, steht im Gegensatz zu diesem Gemeinplatz der historischen Rekonstruktion der abendländischen politischen Denktradition. Die Zielsetzung dieser Studie verlangt wegen dieser thematischen Eigentümlichkeit zuerst eine eingehende Begründung.
Pragmatisches Denken vor dem Pragmatismus
Die Entwicklung des politischen Pragmatismus seit der Frühneuzeit ist bereits gut erschlossen. Dies verdankt sich nicht zuletzt einer Reihe wichtiger Beiträge zum Be‐ griff der Staatsräson seit der italienischen Renaissance. 5 Staatsräson wurde lange als 5 Zu nennen sind v. a. Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Ge‐ schichte, hg. mit einer Einleitung von W. Hofer, 4. Aufl., München 1976; Herfried Münk‐ ler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt / M. 1987; Peter Nitschke, Staatsräson kontra Utopie. Von Thomas Münt‐ zer bis zu Friedrich II. von Preußen, Stuttgart 1995. Siehe auch weitere wichtige Beiträge:
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Einleitung
ein Leitbegriff verstanden, der den frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Entwick‐ lungsgang der Politik am besten subsumiert. Dieser Begriff reflektiert die historische Entwicklung der modernen europäi‐ schen Territorialstaaten in Europa, die aufgrund der inneren Pazifizierung und Monopolisierung der Gewalt und unter Berufung auf das Souveränitätsprinzip als einheitliche Handlungsakteure immer stärker nach außen auftraten. In einem dy‐ namischen und instabilen Mächtegefüge setzten jene Staaten nicht nur auf die Ver‐ handlung und Diplomatie, sondern griffen häufig auch auf nackte Waffengewalt zurück, um ihr politisches Interesse gegen die anderen zu wahren. Der Begriff der Staatsräson hat der Staatsmacht als wichtige Begründung gedient, um in diesem ‚Kampf ums Dasein‘ die normativen Bindungen nach Bedarf einzuschränken, zu än‐ dern und zu suspendieren. Insofern versteht es sich von selbst, dass die Geschichte der Idee der Staatsräson die modernen Philosophen, Historiker, und Politologen stets interessiert hat. Seit Friedrich Meineckes Versuch, in seinem Buch Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte (1924) die Entwicklung der Idee der Staatsrä‐ son von Machiavelli bis zu den Denkern des 19. Jahrhunderts wie Georg Wilhelm Carl Joachim Friedrich, Die Staatsräson im Verfassungsstaat, Freiburg i. Br. 1961 (zu‐ erst im Englischen 1957); Heinrich Lutz, Ragione di Stato und christliche Staatsethik im 16. Jahrhundert. Mit einem Textanhang: Die Machiavelli-Kapitel aus Kardinal Reginald Pole’s „Apologia ad Carolum Quintum Caesarem“ (= Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 19), Münster 1961, bsd. S. 18–26; Roman Schnur, Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs, Berlin 1975; Reinhard G. Kreuz, Überleben und gutes Leben: Erläuterungen zu Begriff und Geschichte der Staats‐ räson, in: Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 52 (1978), S. 173–208; Herfried Münkler, Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3: Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, hg. von Iring Fetscher und Herfried Münkler, München und Zürich 1985, S. 23–72; Michael Behnen, „Arcana – haec sunt ratio status“. Ragion di Stato und Staatsräson. Probleme und Perspektiven (1589–1651), in: Zeitschrift für Histori‐ sche Forschung 14/1 (1987), S. 129–195; Michael Stolleis, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt / M. 1990; Herfried Münkler, Staatsraison: Die Verstaatlichung der Politik im Europa der Frühen Neuzeit, in: Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch. Ideengeschichtliche Beiträge zur Theorie politischer Institutionen, hg. von Gerhard Göhler, Opladen 1990, S. 190–202; Gianfranco Borrelli, Ragion di Stato. L’arte italiana della prudenza po‐ litica, Neapel 1994, S. 3–57; Wolfgang Weber, Ratio status, et quae eo pertinent. Die praktischen Dimensionen der Staatsräson im Spiegel der Bibliotheca statistica (1701) des Caspar Thurmann, in: Archiv für Kulturgeschichte 78/1 (1996), S. 145–178; Herfried Münkler, Rüdiger Voigt und Ralf Walkenhaus (Hg.), Demaskierung der Macht. Niccolò Machiavellis Staats- und Politikverständnis, Baden-Baden 2004 (2. Aufl. 2013); Nikolas Stockhammer, Das Prinzip Macht: Die Rationalität politischer Macht bei Thukydides, Machiavelli und Michel Foucault, Baden-Baden 2009; Rüdiger Voigt (Hg.), Staatsräson: Steht die Macht über dem Recht?, Baden-Baden 2012.
Pragmatisches Denken vor dem Pragmatismus
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Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Leopold Ranke und Heinrich Treitschke zu verfolgen, und auch durch eine Reihe neuerer Beiträge sind wir insgesamt sehr gut darüber im Bilde, wie diese Idee seit der Frühneuzeit eine rasante Entwicklung erfahren hat, welche Kontinuität und welche Wendepunkte es gab, und wer dazu entscheidend beigetragen hat. Das Problem der gegenwärtigen Forschung über den politischen Pragmatismus ist jedoch nicht die Konzentration auf die Frühneuzeit und die Neuzeit. Das Pro‐ blem liegt vielmehr im Ausscheiden der gesamten mittelalterlichen Denktradition aus der Betrachtung, was vor allem daran ersichtlich ist, dass eine eingehende Be‐ handlung des Pragmatismus im politischen Denken des Mittelalters fast völlig fehlt, wenn man von vereinzelten und verstreuten Stellungnahmen absieht. Wir sind nämlich daran gewöhnt, in der Forschungsliteratur den Namen der mittelalterli‐ chen Autoren als Gegenposition zur pragmatischen Idee und als Blockade gegen ihre Entwicklung zu begegnen. Diese Lage ist auf ein allgemeines historiographi‐ sches Schema in Europa zurückzuführen, das seit dem späten 19. Jahrhundert zuerst im deutschsprachigem Raum durch eine Reihe wichtiger Beiträge zur Herkunft und Entwicklung der geistigen Kultur der Neuzeit herausgebildet wurde. Eine der wich‐ tigsten Quelle der Inspiration für die Entwicklung dieses Schemas war die Studie über die italienische Renaissance, die Jacob Burckhardt 1860 veröffentlicht hat: Die Kultur der Renaissance in Italien. 6 In diesem Buch formulierte der Schweizerische Historiker einige Grundthesen über die Herkunft und Eigenschaft der RenaissanceKultur in Italien, die für die Forschungen der nachfolgenden Generationen maß‐ geblich werden sollten. 7 Burckhardt sah in der Kultur der italienischen Renaissance seit dem 14. Jahrhun‐ dert einen fundamentalen geistigen Bruch, der das nachfolgende Zeitalter von dem vorausgegangenen in nahezu allen wichtigen Aspekten des kulturellen Lebens we‐ sentlich trennte. Die sozioökonomischen politischen und geistigen Sonderbedin‐ gungen der Apennin-Halbinsel begünstigten Burckhardt zufolge die Geburt einer 6 Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 11. Aufl., Stuttgart 1988. 7 Zu der geschichtsphilosophischen Position Burckhardts siehe Wolfgang Hardtwig, Ja‐ cob Burckhardt. Trieb und Geist – die neue Konzeption der Kultur, in: Deutsche Ge‐ schichtswissenschaft um 1900, hg. von Notker Hammerstein, Wiesbaden 1988, S. 97– 112; Martin A. Ruehl, Das Allgemeine und sein Bild. Zur Geschichtsphilosophie Jacob Burckhardts, in: Historische Zeitschrift 296/1 (2013), S. 49–83. Über die Geschichte der Auseinandersetzungen um den Renaissance-Begriff von Burckhardt siehe Wallace K. Fer‐ guson, The Renaissance in Historical Thought: Five Centuries of Interpretation, Boston 1948, Kap. 4, und über Burckhardts Rolle in der Herausbildung der modernen RenaissanceKonzeption siehe Kap. 7–8. Ferner vgl. August Buck, Die Auseinandersetzung mit Jacob Burckhardts Renaissancebegriff, in: Respublica Guelpherbytana. Wolfenbütteler Beiträge zur Renaissance und Barockforschung. Festschrift für Paul Raabe (= Chloe, Bd. 6), hg. von August Buck und Martin Bircher, Amsterdam 1987, S. 7–34. Siehe auch Anm. 10.
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Einleitung
von der mittelalterlichen und in anderen Teilen Europas noch herrschenden Men‐ talität klar abgrenzbaren neuen geistigen Einstellung, die individualistisch, rational, empirisch und objektivistisch geprägt war. In Italien sei damals der kollektivistisch und religiös geformten mittelalterlichen Kultur erstmals eine entschiedene Absage erteilt worden. In seiner Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Kultur der Renaissance hat Burckhardt die bereits im 13. Jahrhundert von den Städteregierungen und Ty‐ rannen üblicherweise praktizierte Machtpolitik in Italien mit besonderem Nach‐ druck hervorgehoben. 8 Manche Herrscher und Tyrannen der damaligen italieni‐ schen Städte, die sehr oft durch illegale und illegitime Maßnahmen zur Macht ge‐ langt waren, griffen ständig auf Gewalt und List zurück, einerseits um die Schwäche ihrer illegitimen Herrschaft zu kompensieren, andererseits um in der Konkurrenz mit anderen gleichermaßen illegitimen Herrschern zu überleben. Diese Umstände haben nach Burckhardt die politische Kultur und Mentalität der Menschen in Ita‐ lien wesentlich bestimmt. Der pragmatische Begriff der Politik sei das unmittelbare Produkt dieser Entwicklung gewesen. Burckhardt formulierte dies so: In ihnen [sc. Städte und Gewaltherrscher] erscheint der moderne europäische Staatsgeist zum ersten Mal frei seinen eigenen Antrieben hingegeben; sie zeigen oft genug die fessellose Selbstsucht in ihren furchtbarsten Zügen, jedes Recht verhöhnend, jede gesunde Bildung im Keim erstickend; aber wo diese Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geschichte: Der Staat als berechnete, bewusste Schöpfung, als Kunstwerk. 9
Dieses Verständnis der Herkunft des politischen Pragmatismus ist unmittelbar in die modernen Forschungen zur Geschichte des Staatsräsonbegriffs eingeflossen und blieb dort im Grunde unbestritten. Die Burckhardtsche Rekonstruktion des europäischen Kulturwandels in der ita‐ lienischen Renaissance beruht aber, wie oft kritisiert, auf einer ungenauen und stereotypen Auffassung der vormodernen politischen Kultur. 10 Für Burckhardt 8 Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 1–42. 9 Ebd., S. 4. 10 Über die kritische Überlegung zu der Renaissance-Konzeption von Burckhardt: Fergu‐ son, The Renaissance in Historical Thought, Kap. 11; William J. Bouwsma, The Re‐ naissance and the Drama of Western History, in: American Historical Review 84/1 (1979), S. 1–15; Volker Reinhardt, Jacob Burckhardt und die Erfindung der Renaissance. Ein Mythos und seine Geschichte (= Akademievorträge. Schweizerische Akademie der Geis‐ tes- und Sozialwissenschaften, Bd. 8), Bern 2002. Für die bahnbrechenden Arbeiten der ‚revolt of the medievalists‘ gegen Burckhardts Konzeption der Renaissance in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts siehe vor allem Charles H. Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century, New York 1957 (1. Aufl. 1927); Rudolf Stadelmann, Jacob Burckhardt und das Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 142/3 (1930), S. 457–515. Für
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gleicht die Zeit vor dem Aufbruch der Renaissance in der Geschichte der euro‐ päischen politischen Ideen einer Ödnis, in der allein die religiöse Ethik alle Le‐ bensverhältnisse diktierte. Dadurch wurde nach seinem Urteil die Wirklichkeit grundsätzlich verfälscht, sodass das geistige Leben des Menschen damals in einen pathologischen Zustand geraten sei. Burckhardt behauptete, das Bewusstsein des Menschen habe während des Mittelalters wie unter einem aus „Glauben, Kindes‐ befangenheit und Wahn“ gewobenen Schleier gelegen, bis in Italien zuerst dieser Schleier weggeweht worden sei. Dadurch sei eine „objektive Betrachtung“ und Behandlung des Staates und sämtlicher Dinge dieser Welt überhaupt erst mög‐ lich und der Mensch zu einem Subjekt geworden. 11 In diesem Sinne sah Burck‐ hardt den politischen Diskurs des Mittelalters als eine hindernde Kraft gegen die freie Entfaltung des Pragmatismus und des dazu gehörenden Rationalismus an. Burckhardt schöpfte sein Bild aus zwei entgegengesetzten Motiven, der auf‐ klärerischen Mittelalterkritik und dem Mittelalteridyll der deutschen Romantik. Es hatte in der nachfolgenden Literatur trotz wiederholter Kritik bis zum dritten Quartal des 20. Jahrhunderts in seinen Grundzügen unverändert Bestand. 12 Ein
einen Überblick zur zunehmenden Skepsis über Burckhardts Renaissance-Konzeption in der jüngsten Historiographie beispielweise: John Jeffries Martin, Myths of Renaissance Individualism, Hampshire und New York 2004, S. 1–7. Siehe auch Bernd Roeck, Säku‐ larisierungstendenzen in der Kultur der Renaissance?: Jacob Burckhardts Modell heute, in: Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas (= Oberschwaben – Geschichte und Kultur, Bd. 13), hg. von Peter Blickle und Rudolf Schlögl, Epfendorf 2005, S. 127– 139; Jonathan Woolfson, Burckhardt’s ambivalent Renaissance, in: Palgrave Advances in Renaissance Historiography, hg. von Jonathan Woolfson, Basingstoke 2005, S. 9–26. 11 Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 99 ff. 12 Für die Genese und Problematik des negativen Mittelalterbildes, das im Kernpunkt des his‐ toriographischen Schemas steht, siehe Klaus Arnold, Das ‚finstere‘ Mittelalter. Zur Ge‐ nese und Phänomenologie eines Fehlurteils, in: Saeculum 32/3 (1981), S. 287–300; Otto Gerhard Oexle, Das Bild der Moderne vom Mittelalter und die moderne Mittelalterfor‐ schung, in: Frühmitttelalterliche Studien 24/1 (1990), S. 1–22; Ders., Das Mittelalter und das Unbehagen an der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für Frantisˇek Graus, hg. von Su‐ sanna Burghartz, Hans-Jörg Gilomen, Guy P. Marchal u. a., Sigmaringen 1992, S. 125–153; Ders., Die Moderne und ihr Mittelalter. Eine folgenreiche Problemgeschichte, in: Mittel‐ alter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, hg. von Peter Segl, Sigmaringen 1997, S. 307–364; Albert Zimmermann, „Finsteres Mittelal‐ ter“. Bemerkungen zu einem Schlagwort, in: Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus (= Miscellanea Mediaevalia, Bd. 23), hg. von Andreas Speer, Berlin und New York 1995, S. 1–15; HansWerner Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 36–54; Constantin Fasolt, Hegel’s Ghost: Europe, the Reformation,
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bemerkenswertes Beispiel der Fortsetzung der Burckhardtschen Tradition war Al‐ fred von Martin mit seinem 1932 erstmal erschienenen und in der nachfolgenden Zeit mehrfach neu aufgelegten Buch Soziologie der Renaissance: Zur Physiognomik und Rhythmus der bürgerlichen Kultur. 13 In dem Werk versuchte Martin, die von Burckhardt aufgestellte Kulturtypologie um die Früchte der damaligen wissensund kultursoziologischen Forschungen zu ergänzen. Dadurch gelangte er zu einer höchst schematischen Kulturtypologie. Nach ihm hat die Kultur des Mittelalters sozioökonomisch eine agrarische Grundlage und den dementsprechenden Charak‐ ter. Sie sei statisch, traditionsorientiert und innovationsfremd. Im Gegensatz dazu beruhe die Kultur der Renaissance auf der Basis des Handels und der Industrie. Sie sei vom „Bürgertum“ getragen, innovationsorientiert, hochdynamisch und durch Rationalität und Pragmatismus gekennzeichnet. Die Dominanz des Burckhardtschen Paradigmas im historiographischen Rah‐ men hat die Forschung zumindest in Deutschland entscheidend dazu verleitet, den politischen Diskurs des Mittelalters außer Acht zu lassen bzw. ihn nur als Gegensatz zum modernen pragmatischen Politikbegriff zu begreifen. Diese perspektivische Einschränkung wurde selbst von Herfried Münkler nicht vollständig überwunden, dessen Werk sonst von der besonderen Breite seiner historischen Sichtweite charak‐ terisiert wird. Freilich ist Münklers Erklärung des Herausbildungsprozesses der pragmatischen Haltung ungleich vielfältiger und aufschlussreicher als diejenige Burckhardts. Vom abschätzigen Verständnis der mittelalterlichen Kultur, das wir bei Burckhardt be‐ obachten, finden wir bei ihm keine Spur. Stattdessen stoßen wir auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, in welchem Sinne sich das Denkparadigma, das in der Handelsökonomie und dem dazugehörigen beweglichen Sozialleben der nor‐ ditalienischen Städte entstanden war, vom scholastischen unterschied, und wie es den Zusammenbruch des letzteren einleitete. So begreift er, teilweise in Anlehnung an die Arbeiten von Ernst Cassirer und Hans Blumenberg, die Entwicklung des Pragmatismus in der Renaissance und Frühneuzeit nicht einfach als Folge der pro‐ fanen Kultur in den norditalienischen Städten, wie Burckhardt es tat, sondern im Sinne eines Ablösungsprozesses eines Denksystems durch ein anderes. 14
and the Middle Ages, in: Viator 39/1 (2008), S. 345–386. Siehe auch den aufschlussreichen Aufsatz über die Aktualität der Mittelalterforschung: Chris Jones, Conor Kostick und Klaus Oschema, Why Should We Care About the Middle Ages? Putting the Case for the Relevance of Studying Medieval Europe, in: Making the Medieval Relevant (= Das Mittel‐ alter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Bd. 6), hg. von Chris Jones, Conor Kostick und Klaus Oschema, Berlin und Boston 2020, S. 1–29. 13 Alfred von Martin, Soziologie der Renaissance. Zur Physiognomik und Rhythmik bür‐ gerlicher Kultur, 3. Aufl., München 1974 (zuerst 1932). 14 Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit
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Münklers Analyse zufolge stellte der diskursive Wandel an der Schwelle zur Frühneuzeit einen Prozess dar, nämlich einerseits die Auflösung des scholastischen Weltbegriffs hin zum Chaos, andererseits die Annahme einer neuen Gesetzmäßig‐ keit der Welt, die den Menschen die Möglichkeit der Weltbeherrschung eröffnet haben soll. Nach Münkler setzte das teleologische Weltverständnis der Scholastik eine immanente Sinnhaftigkeit der Welt voraus, wodurch das tatsächliche Funk‐ tionieren der Welt und die Geltung der ethischen und rechtlichen Normen in eins gedacht werden konnten. In der Philosophie der Renaissance sei dies völlig anders geworden. Die Vorstellung ewig geltender Normen sei von Grund auf erschüttert worden. Sowohl die Naturwelt als auch die Menschenwelt sei nun als Chaos erschie‐ nen, in dem Bosheit und Blindheit dominieren. So sei eine neue Idee der Geschichte als die eines Geschehens voller Wechselfälle aufgekommen. Man habe nun eine besondere Weisheit, die prudenza, erdacht, nämlich eine geistige Qualität zur er‐ folgreichen Bewältigung der historischen Wechselhaftigkeit. Hierdurch habe sich auf der gesamten gedanklichen Ebene eine wichtige Transformation vollzogen: Die faktische Entwicklung der Welt und die Geltung des Normativen seien auseinan‐ dergefallen. Als Folge dieser Emanzipation des Faktums von der Norm sei eine neue Denkströmung aufgetaucht, die sich auf das Faktische konzentrierte, ohne dabei das Normative eingreifen zu lassen: der Politikrealismus. Münklers Analyse ermöglicht es uns, den politischen Pragmatismus der italieni‐ schen Renaissance auf der breiten Ebene des Diskurswandels in der Welt- und Poli‐ tikauffassung vom Mittelalter zur Renaissance zu positionieren. In der späteren Dis‐ kussion werden wir manche Teile seiner Beobachtungen durch Modifikationen und Korrekturen sowie zeitliche und örtliche Verlagerungen fruchtbar zu machen versu‐ chen. Trotz vieler Verdienste gegenüber den früheren Forschungen bleibt Münkler jedoch stets der Grundposition Burckhardts verpflichtet, deren Geltung er in sei‐ nen Darstellungen nie ernsthaft infrage stellt, indem er die Kultur des Mittelalters als Gegensatz zur pragmatischen Grundhaltung der Kultur der Renaissance ver‐ steht. Für ihn ist die Herausbildung des Pragmatismus ausschließlich das Produkt des sozioökonomischen, politischen und diskursiven Wandels in der italienischen Renaissance. Dass dieses Verständnis die historische Wirklichkeit zum Teil ungenau reflek‐ tiert, wird klar, wenn wir eben jene Grundannahmen der scholastischen Sozial- und Politiktheorie näher betrachten, die Münkler als repräsentatives Beispiel der mittel‐ alterlichen geistigen Kultur analysiert. Denn anders als üblich angenommen wird, machte die pragmatische Grundeinstellung, jenes Interesse am praktischen Nut‐ zen, ihr wichtigstes Moment aus. Diese pragmatische Grundhaltung wird z. B. an einem seit dem Hochmittelalter weit verbreiteten Staatsbegriff ersichtlich, näm‐ aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt / M. 1995 (zuerst 1982), S. 62–105; Ders., Im Namen des Staates, S. 127–147; Ders., Staatsraison und politische Klugheitslehre, S. 23–28.
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lich an der organologischen Staatsauffassung, die auf der Analogie zwischen Staat und Menschenkörper gründete. 15 In dieser Metaphorik, die durch den Policraticus von Johannes von Salisbury als staatswissenschaftliche Überlieferung aus der Antike bekanntgemacht geworden war und später in zahlreichen Variationen von verschie‐ denen Autoren immer wieder aufgegriffen wurde, entspricht der gesamte Staat dem Körper, und zwar jeweils in den einzelnen Teilen: der Kopf dem König, das Herz der königlichen Ratsversammlung, die Hand den Soldaten, die Füße den Bauern, die Augen und Ohren den Richtern und anderen königlichen Beamten. 16 Wie wir im zweiten Kapitel noch näher sehen werden, geht diese Theorie von der typisch hochmittelalterlichen Vorstellung aus, dass Gottes Bestimmungen nicht nur in der 15 Die Literatur zur organologischen Staatsauffassung ist sehr zahlreich. Hier seien nur stell‐ vertretend für die Diskussion genannt: Tilman Struve, Die Entwicklung der organolo‐ gischen Staatsauffassung im Mittelalter (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 16), Stuttgart 1978; Hans Kloft, Corpus Rei Publicae. Bemerkungen zur Institutio Traiani und zur organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, in: Antike in der Mo‐ derne (= Xenia, Bd. 1), hg. von Wolfgang Schuller, Konstanz 1985, S. 137–170. Zur spe‐ zifisch mittelalterlichen Tradition der organologischen Staatsauffassung: Ernst H. Kan‐ torowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1997 (zuerst 1957); Hans Hubert Anton, Anfänge säkularer Begründung von Herrschaft und Staat im Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 86/1 (2004), S. 75–122, hier S. 94–122; Cary J. Nederman, Body Politics: The Diversification of Organic Metaphors in the Later Middle Ages, in: Pensiero Politico Medievale 2 (2004), S. 59–87. 16 Joannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici sive De Nugis Curialium et Vestigiis Philosophorum Libri VIII, 2 Bde., hg. von Clemens C. I. Webb, London 1909. Zur KörperMetapher bei Johannes: Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung, S. 123–148; Ders., The importance of the organism in the political theory of John of Sa‐ lisbury, in: The World of John of Salisbury (= Studies in Church History: Subsidia, Bd. 3), hg. von Michael Wilks, Oxford 1984, S. 303–317; Cary J. Nederman, The physiological significance of the organic metaphor in John of Salisbury’s Policraticus, in: History of Po‐ litical Thought 8/2 (1987), S. 211–223; Takashi Shogimen, ‚Head or Heart?‘ Revisited: Physiology and Political Thought in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, in: His‐ tory of Political Thought 28/2 (2007), S. 208–229; Bee Yun, A Visual Mirror of Princes: The Wheel on the Mural of Longthorpe Tower, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 70/1 (2007), S. 1–32. Zum Einfluss von Johannes auf die Entwicklung der Staats‐ theorie der späteren Zeit: Amnon Linder, The Knowledge of John of Salisbury in the Late Middle Ages, in: Studi Medievali 18 (1977), S. 315–366; Walter Ullmann, John of Salisbury’s Policraticus in the Later Middle Ages, in: Geschichtsschreibung und Geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, hg. von Karl Hauck und Hubert Mordek, Köln u. a. 1978, S. 520–545; Max Kerner, Johannes von Salisbury im Späten Mittelalter, in: Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert (= Schrif‐ ten des Historischen Kollegs, Bd. 21), hg. von Jürgen Miethke, München 1992, S. 25–48; Thomas Elsmann, Untersuchungen zur Rezeption der Institutio Traiani: Ein Beitrag zur Nachwirkung antiker und pseudoantiker Topoi im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (= Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 33), Stuttgart 1994.
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Bibel, sondern auch in der sichtbaren Welt geoffenbart sind, und dass die Menschen in ihrem Werk der visiblen Manifestation der göttlichen Weisheit folgen müssen. So diente der Menschenkörper, der als Abbildung des Universums, als microcosmus, verstanden wurde, dem Staatsgründer und Staatsführer als Beispiel. 17 Den Kern der in dieser Körperanalogie enthaltenen Lehre bildete in der europäi‐ schen Tradition des Sozialdenkens die Interdependenz der Menschen im Rahmen einer Gesellschaft, wie sie bereits die aus der Antike bekannte Aesopische Fabel vom Streit des Magens mit dem Mund propagierte. 18 Nach dieser Lehre liegt eine so‐ ziale Kooperation unmittelbar im Interesse des Einzelnen. Somit wird das ethische Verhalten auch im Sinne des einfachen rationalen Nutzenkalküls die beste Option. In der Körpermetaphorik der mittelalterlichen Staatstheorie herrschte das gleiche Verständnis. Der Gehorsam der Bauern gegenüber dem König ist z. B. nicht nur eine ethisch richtige Verhaltensweise. Er beruht zugleich auf einem Schluss, den je‐ der vernünftige Mensch aus seinen unmittelbaren Lebensbedürfnissen ziehen kann. Wie die Füße ohne den Kopf nicht wissen können, wohin sie gehen sollten und wohin nicht, und daher ewig stehen bleiben oder beim blinden Hin und Her am Ende in eine Falle stürzen könnten, benötigen die Bauern für ihre bloße Existenz die Führung des Königs und seiner Beamten. Ähnlich gestaltet sich die Beziehung des politischen Führers zu seinen Untertanen. Kein Graf darf die ihm untergebe‐ nen Bauern schlecht behandeln, weil sein Lebensunterhalt grundsätzlich auf ihrer Arbeit beruht. Der König muss sich um die gute Verwaltungstätigkeit seiner Be‐ amten kümmern, weil ihm selber geschadet wird, wenn sie schlecht ist, so wie ein Kopf ohne gut funktionierende Sinnenorgane nicht richtig wahrnehmen und den‐ 17 Rudolf Allers, Microcosmus. From Anaximandros to Paracelsus, in: Traditio 2 (1944), S. 319–407; Walter Kranz, Kosmos, in: Archiv für Begriffsgeschichte 2 (1955–57), S. 7– 282. Zur Entwicklung der Mikrokosmos-Konzeption im Mittelalter: Marian Kurdzia‐ lek, Der Mensch als Abbild des Kosmos, in: Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter (= Miscellanea Mediaevalia, Bd. 8), hg. von Albert Zimmermann, Berlin u. a. 1971, S. 53– 54; Gerhard E. Sollbach, Die mittelalterliche Lehre vom Mikrokosmos und Makro‐ kosmos, Hamburg 1995, S. 20–28; Ruth Finckh, Minor Mundus Homo (= Palaestra, Bd. 306), Göttingen 1999. Besonders zur Entwicklung der Mikrokosmos-Idee im 12. Jahr‐ hundert siehe Marie-Dominique Chenu, Nature, Man, and Society in the Twelfth Cen‐ tury: Essays on New Theological Perspectives in Latin West (= Medieval Academy reprints for teaching, Bd. 37), hg. mit einer Übersetzung von Jerome Taylor und Lester K. Little und einem Vorwort von Etienne Gilson, Toronto 1997, S. 24–37; Hans Georg Thümmel, Ma‐ krokosmos und Mikrokosmos. Das Weltbild im Mittelalter, in: Natur und Geist. Von der Einheit der Wissenschaften im Mittelalter, hg. von Oliver Auge und Matthias Müller, Ost‐ fildern 2008, S. 157–170. 18 Dietmar Peil, Der Streit der Glieder mit dem Magen. Studien zur Überlieferungs- und Deutungsgeschichte der Fabel des Menenius Agrippa von der Antike bis ins 20. Jahr‐ hundert (= Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung, Bd. 16), Frankfurt / M. 1985.
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ken kann und am Ende selbst zu funktionieren aufhören muss. Die Gebote und Verbote der Ethik stimmen also in diesem Denken mit den partikularen Eigenin‐ teressen aller Glieder des Staats grundsätzlich überein. Diese Beobachtung vermittelt uns ein anderes Bild des sogenannten mittelal‐ terlich-scholastischen Denkens. Denn auch wenn der Nutzen und die ethischen Normen nicht getrennt sind, sondern als in einem harmonischen Verhältnis ste‐ hend aufgefasst werden, also in Münklers Begrifflichkeit das Faktische und das Normative in eins gedacht sind, bedeutet dies jedoch nicht, dass man das rationale Nutzenkalkül, jene pragmatische Grundhaltung, nicht kannte. Eher muss gesagt werden, dass man in der ethisch legitimen Ordnung die beste Chance zur Reali‐ sierung des pragmatischen Eigeninteresses gesehen hat. Dieser Pragmatismus ist sicherlich vom politischen Pragmatismus der späteren Zeit zu unterscheiden, weil er keine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den ethi‐ schen Normen und dem praktischen Nutzen voraussetzt. Wenn auch eine solche Diskrepanz gelegentlich wahrgenommen wurde, galt sie jedoch, wie auch Münkler treffend bemerkt, 19 nicht als Regelfall, sondern als Ausnahme. Dies kann aber kei‐ neswegs darüber hinwegtäuschen, dass die pragmatische Einstellung ein wichtiges Moment des vorfrühneuzeitlichen politischen Diskurses war. Der entscheidende Moment für die Entstehung der späteren Form des Prag‐ matismus war also nicht das Vordringen einer individualistischen und rationalen Mentalität auf die Bühne des politischen Diskurses, wie seit Burckhardt immer wieder argumentiert worden ist. Den Grund für die diskursive Transformation an der Schwelle zur Neuzeit muss man vielmehr im allmählichen Verschwinden des Glaubens suchen, dass das praktische politische Interesse, das Wohl und die Sicher‐ heit der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder durch das Einhalten der Gebote der Ethik realisierbar waren. Diese Transformation beruhte hauptsächlich auf der Ver‐ änderung des Verständnisses von der menschlichen Welt, wie wir später noch näher sehen werden. Die menschliche Welt erschien immer weniger mit einer vernünftig regulierbaren Ordnung, im Griechischen einem Kosmos, identifizierbar, und wurde im metaphorischen Sinne immer mehr einer Unordnung, einem Chaos, ähnlich. Bei einer zweckmäßigen Steuerung einer solchen Welt auf das Wohl einer Gemeinschaft und ihrer Glieder hin konnte man also nicht einfach auf ethische Mittel vertrauen. Auf diese Weise wurde eine radikale pragmatische Wende des politischen Diskurses eingeleitet. Eine bezeichnende Aussage für diese Transformation stammt aus dem Mund ei‐ nes ungarischen Fürsten in dem vom florentinischen Humanisten Aurelio Lippo Brandolini (†1497) am Ende des 15. Jahrhunderts, c. 1492–94, verfassten Dialog
19 Münkler, Im Namen des Staates, S. 187 f.
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De comparatione rei publicae et regni. 20 Hier wird der ungarische König Matthias Corvinus von seinem Sohn Janos nach der besten Staatsverfassung gefragt. Janos tritt für die republikanische Staatsverfassung ein, der König argumentiert für die Überlegenheit der monarchischen Verfassung. Als Janos seine Ansicht vorträgt, die republikanische Verfassung sei die beste Form der Regierung, weil alle Angelegen‐ heiten besser verwaltet werden von vielen als von einem (omnia melius a pluribus quam ab uno administrantur), 21 fragt der König zurück: Ist es auch so mit dem Himmel (Etiam ne caelum ipsum)? 22 Mit dieser kurzen Rückfrage versucht der König auf ein altes Argumentationsmuster zurückzugreifen, dass nämlich das gesamte Uni‐ versum monarchisch geführt werde, und dass der Staatsmann dieses vorgegebene Beispiel nachahmen müsse. Aber Matthias’ Überredungsversuch, der im hochmit‐ telalterlichen Verhältnis keinen ernsten Einwand hervorgerufen hätte, stößt bereits von vornherein auf den Widerstand: Sein Sohn erwidert: Ich wage es nicht, darüber etwas zu sagen. Bitte, lass uns nicht über die himmli‐ schen Dinge diskutieren, die eine andere Logik haben als unsere, weil sie uns am fernsten sind. Lass uns über die unsrigen, die irdischen Sachen, sprechen, die uns so ähnlich sind, weil sie uns am nächsten stehen. 23
Hier wird eine direkte und sichtbare Korrespondenz zwischen der kosmischen Ord‐ nung und der politischen Ordnung schroff abgelehnt. Auf die politischen Fragen kann nun nicht mehr mit der Analogie zur kosmischen Ordnung geantwortet wer‐ den. Es gibt also eine autonome Weise, politische Fragen zu stellen und zu be‐ antworten. Zwar gibt Brandolini hier nur die übliche Ciceronische Trennung der menschlichen Welt von der natürlichen wieder, die durch Petrarca zum Gemein‐ platz der humanistischen Rhetorik geworden war, 24 vertritt also damit keinen völlig originellen Gedanken. Er erwähnt dabei auch keine von den ethischen Normen 20 Aurelio Lippo Brandolini, Republics and Kingdoms Compared. De comparatione rei publicae et regni (= The I Tatti Renaissance Library, Bd. 40), hg. mit einer Übersetzung (ins Englische) von James Hankins, Cambridge, Mass. u. a. 2009. 21 Ebd., S. 40. 22 Ebd. 23 Ebd: „Istud quidem non audeo dicere. Sed omittamus, obsecro, caelestia quae, ut sunt a no‐ bis remotissima, ita dissimillimam nostris rationem habent. De nostris, hoc est terrestribus, disputemus, quae ut proxima nobis ita etiam simillima sunt; haec praeterea nobis longe sunt quam illa notiora. De his igitur, obsecro, pater, disseramus ; illa in praesentia omittamus.“ 24 Francesco Petrarca, De suis ipsius et multorum ignorantia. Über seine und vieler ande‐ rer Unwissenheit (= Philosophische Bibliothek, Bd. 455), hg. von August Buck, übers. von Klaus Kubusch, Hamburg 1993, S. 22: „que denique, quamvis vera essent, nichil penitus ad beatam vitam. Nam quid, oro, naturas beluarum et volucrum et piscium et serpentum nosse profuerit, et naturam hominum, ad quod nati sumus, unde et quo pergimus, vel nescire vel spernere?“
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grundsätzlich abgetrennten Regeln für die Politik. Es ist an seiner Gedankenfüh‐ rung jedoch klar ersichtlich, dass die Zeit vorbei war, in der man von der sichtbaren Ordnung des Universums die richtige politische Art und Weise ableiten zu können glaubte, wie es noch Johannes von Salisbury getan hatte. Der auf den Nutzen bedachte, rationale Mensch – so unsere These – war also bereits lange vor dem Beginn der italienischen Renaissance da. Was sich an der Schwelle zur Frühneuzeit wirklich änderte, war sein Weltbegriff. Im Mittelalter war die menschliche Welt ein Teil des großen Kontinuums, das das Universum, den Menschenkörper, die Kirche und auch den Staat in einen Kosmos vereinigte. Die Menschen damals waren von ihrer Integration in die große Ordnung, die das ganze Universum umfasst, so sehr überzeugt, dass sie sogar glaubten, man müsse einfach nur nachahmen, was man in der Umwelt sehe, um das soziale Zusammenle‐ ben im Rahmen einer politischen Gesellschaft erfolgreich zu gestalten. Im Zeitalter Brandolinis, also im Italien des 15. Jahrhunderts, tritt die menschliche Welt aus die‐ sem einheitlichen Ordnungsgefüge heraus. Wenn auch nicht geleugnet wurde, dass die menschliche Welt von Gott nach einem Plan zu einem guten Zweck gesteuert wird, scheint dieser Plan nun nicht mehr so offensichtlich, wie die früheren Den‐ ker angenommen hatten. Die ursprüngliche Erwartung, die Ethik sei auch das beste politische Mittel, musste aufgegeben werden und ein neues Leitprinzip zur zweck‐ mäßigen Steuerung der menschlichen Welt entdeckt werden. Damit trennte sich der Diskurs über die Politik von der Ethik, der Theologie und der Metaphysik, also jenen alten Säulen, auf denen er zuvor gestanden hatte. Damit beginnt der Säkula‐ risierungsprozess des politischen Diskurses. Wir werden diesen Transformationsprozess im zweiten Kapitel eingehend ver‐ folgen. Hier sei aber bereits die These aufgestellt, dass er sich bereits am Anfang des 14. Jahrhunderts im gesamten Lateineuropa, also nicht erst in der Renaissance in Italien, zu vollziehen begann. Veranlasst wurde er durch bestimmte politische Machtkämpfe, in die alle wichtigen europäischen Akteure mit verschiedenen In‐ teressen und Motivationen involviert waren, also nicht primär die in Italien, und auch nicht primär aufgrund der Erschütterung der alten Sozialordnung und geis‐ tigen Einstellungen im Zuge der rasanten Entwicklung der Handelsökonomie und des dazugehörigen Rationalismus und Individualismus.
Der spätmittelalterliche Pragmatismus und Machiavelli
Es ist seit Langem geradezu selbstverständlich, Machiavelli als den ersten Propo‐ nenten und Repräsentanten des modernen politischen Pragmatismus einzuordnen. Als etwa Carl Schmitt in seiner Schrift Der Begriff des Politischen neben Hobbes, Bossuet, Fichte, de Maistre, Donoso Cortés und Taine Niccolò Machiavelli als den ersten Denker der Tradition nannte, der er sich selbst zuordnete, vertrat er damit
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nur eine Einordnung, die schon damals als ein Gemeinplatz ideengeschichtlicher Forschung galt. In der Literatur zur Idee der Staatsräson und zum neuzeitlichen politischen Pragmatismus findet sich Machiavellis Name, wie erwähnt, stets am Anfang. Auch die Machiavelli-Interpretation der sogenannten Cambridge-Schule, als deren Vertreter Quentin Skinner und John Pocock gelten, 25 hat an dieser Ein‐ schätzung nichts geändert. Sie hat lediglich den Forschungsschwerpunkt auf die republikanischen Ansätze seines Denkens verschoben, jedoch seinen Pragmatismus weder bestritten noch neu gedeutet. 26 Forschungsgeschichtlich begann das Interesse an Machiavellis Pragmatismus mit dem Interesse am politischen Pragmatismus selbst. Es ist dabei kein Zufall, dass die regste Diskussion in Deutschland stattfand, wo der politische Pragmatismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein aktuelles Thema blieb. Dies führte unvermeidlich dazu, dass die Interpretation Machiavellis vom damaligen allgemeinen Verständnis des politischen Pragmatismus tief beein‐ flusst wurde. August Ludwig von Rochau, eine der wichtigsten Figuren der Nachmärzpubli‐ zistik in Deutschland und Urheber des Begriffs ‚Realpolitik‘, zeigt uns im ersten (1853) und zweiten (1869) Teil seines Werkes Grundsätze der Realpolitik beispiel‐ haft, wie damals die pragmatische Auffassung der Politik verstanden und stilisiert wurde. 27 Rochau formulierte seine machtpolitische Position folgendermaßen: Für den Staat ist, im Gegensatz zu dem Einzelnen, die Selbsterhaltung das oberste Ge‐ setz. Der Staat will und soll leben um jeden Preis. 28 Nach Rochau besteht der Kern der Realpolitik darin, die sich aus diesem Selbsterhaltungstrieb ergebende Notwen‐ digkeit zu erkennen und erfüllen. Seiner Hervorhebung der Selbsterhaltung als ein 25 John G. A. Pocock, The Machiavellian Moment: Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton u. a. 2003 (zuerst 1975); Quentin Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 1: The Renaissance, Cambridge 1978. 26 Für das Interesse am politischen Pragmatismus Machiavellis innerhalb der CambridgeSchule siehe die Versuche von Maurizio Viroli: Maurizio Viroli, From Politics to Rea‐ son of State. The Acquisition and Transformation of the Language of Politics 1250–1600 (= Ideas in Context, Bd. 22), Cambridge 1992; Ders., Machiavelli’s Realism, in: Constel‐ lations 14/4 (2007), S. 466–482. Die folgende doxographische Diskussion knüpft an die Überlegungen im Einführungsteil von Bee Yun, The Fox atop Fortune’s Wheel. Machia‐ velli and Medieval Realist Discourse, Viator 47/2 (2016), S. 305–330, hier: S. 305–307, an. 27 Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik, hg. mit einer Einleitung von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt / M. u. a. 1972. Zu Rochaus Denken Natascha Doll, Recht, Politik und ‚Realpolitik‘ bei August Ludwig von Rochau (1810–1873). Ein wissen‐ schaftsgeschichtlicher Beitrag zum Verhältnis von Politik und Recht im 19. Jahrhundert (= Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 189), Frankfurt / M. 2005; Federico Trocini, L’invenzione della „Realpolitik“ e la scoperta della „legge del potere“. August Ludwig von Rochau tra radicalismo e nazional-liberalismo, Bologna 2009. 28 Ebd., S. 215.
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autonomes, höchstes Ziel der Politik, mit einer eigenen Notwendigkeit, liegt das Bewusstsein eines radikalen Bruchs zwischen der Politik und der Moral zugrunde. Gegen den Vorwurf des Immoralismus verteidigt er seine Position mit einer gera‐ dezu höhnischen Aussage über die Geltung der Moral in der Politik: Moral mag über solche Zugeständnisse ihr eigenes Urteil haben, jedenfalls aber darf sie mit der Po‐ litik nicht in ein strenges Gericht gehen. 29 Die Politik muss nach Rochau eine Kunst sein, die ihre Aufgabe nicht in der Verwirklichung eines moralischen Ideals, sondern in der Erreichung konkreter Zwecke findet. 30 Er identifiziert diesen Pragmatismus mit einer spezifisch geistigen Haltung, indem er seine Wurzel in der Bereitschaft fin‐ det, die Realität, die Menschen und die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nur das zu wollen, was er kann. 31 Dieser Realitätssinn und die geistige Anlage fehle bei den Gegnern des Pragmatismus. Sie leiden ihm zufolge an einem Mangel an Fähigkeit und Bereitschaft, der objektiven Realität mutig zu begegnen. Dieses Verständnis des politischen Pragmatismus, welches man auch seine Selbstbeschreibung nennen könnte, setzte sich in der Folgezeit in weiteren Kreisen durch, auch bei denjenigen, die eine gewisse Distanz zur zweckfreien Machtpoli‐ tik hatten. So begann die Politik auch für Max Weber mit der Anerkennung der objektiven Wahrheit, dass die Politik nach anderen Regeln gespielt wird als den Vorschriften der Ethik. Er schrieb in Politik als Beruf: Wer das Heil seiner Seele und die Rettung anderer Seelen sucht, der sucht das nicht auf dem Wege der Politik, die ganz andere Aufgaben hat: solche, die nur mit Gewalt zu lösen sind. 32 Uns interes‐ siert auch Webers Kritik an denjenigen, die ihre Politik nicht von dieser Wahrheit ausgehen lassen wollen. Wenn er von solchen Leuten jene psychologische Qualität, [. . . ] die Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also der Distanz zu den Dingen und Menschen 33 verlangt, klingt er wie Rochau. Daher vermisst er bei den Gesinnungsethikern, jenen rigorosen Moralis‐ ten, die geschulte Rücksichtlosigkeit des Blicks in die Realitäten des Lebens, und die Fähigkeit, sie zu ertragen und ihnen innerlich gewachsen zu sein. 34 Es ist also kein Zufall, dass Friedrich Meinecke, der dem Politikverständnis We‐ bers treu folgte, in Machiavellis politischem Pragmatismus das neue für Jahrhun‐ derte bahnbrechende methodische Prinzip 35 sah und den reinen voraussetzungslosen Empirismus 36 bestätigte. Dieser Begriff von Machiavellis Denken ist jedoch eine 29 30 31 32 33 34 35 36
Ebd., S. 32. Ebd., S. 27 ff. Ebd., S. 208. Max Weber, Politik als Beruf, in: Gesammelte politische Schriften, hg. von Johannes Win‐ ckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1988, S. 557. Ebd., S. 546. Ebd., S. 558. Meinecke, Die Idee der Staatsräson, S. 45. Ebd.
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Rückprojektion des zeitgenössischen Verständnisses des Politikpragmatismus. Der erste Pragmatiker muss die Welt so gesehen haben – das war Meineckes Annahme. Damit wird gleichzeitig im Umkehrschluss deutlich, wie Meinecke die politiktheo‐ retische Tradition vor Machiavelli und seine zeitgenössischen Kritiker verstanden hat: Ihre Weltwahrnehmung sei von Weltanschauungen gefärbt, wegen ihres ethi‐ schen Ideals voreingenommen und daher realitätsfern gewesen. Die Distanz, die die Proponenten des Politikpragmatismus gegenüber ihren Gegnern empfanden, bildete sich auf diese Weise in der historischen Rekonstruktion der ideengeschicht‐ lichen Entwicklung der Politik ab. Freilich kann man diese Zuordnung zwei unterschiedlicher epistemologischer Eigenschaften zu Machiavelli einerseits und zu den mittelalterlichen Denkern und seinen zeitgenössischen Gegnern andererseits keineswegs allein auf das Verständ‐ nis des Politikpragmatismus speziell in Meineckes Zeit zurückführen. Denn schon Burckhardt dachte viele Jahrzehnte früher ganz ähnlich, als er die Machtpolitik der Tyrannen in der italienischen Renaissance an ihre sachliche und rationale geistige Haltung koppelte und die theologische und ethische Orientierung der Kultur des Mittelalters mit einem die Realität verdeckenden Schleier und einem pathologi‐ schen Zustand verglich. Auch in der 1918–27 erschienenen, sehr einflussreichen dreibändigen Schrift Die Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur von Leonardo Olschki, einem damals repräsentativen Romanisten, der später aufgrund seiner jüdischen Abstammung seinen Lehrstuhl an der Heidelberger Universität verlas‐ sen und nach Amerika emigrieren musste, findet man die Fortsetzung derselben Typologie von der realitätsfernen, irrationalen Scholastik des Mittelalters und der unmittelbaren Realitätsnähe und Rationalität von Machiavelli und der von ihm vertretenen Kultur der Renaissance. 37 In seinem Werk schätzte Olschki die geistige Grundhaltung Machiavellis folgendermaßen ein: Die Übereinstimmung der Methode Machiavellis mit derjenigen der gelehrten Techniker des Quattrocento lässt sich schon in der Art der Fragestellung erkennen, am deutlichsten jedoch in dem hartnäckigen Bestreben, die Probleme sachlich zu isolieren und ihre Lösung durch den Ausgleich zwischen gelehrten Aussagen und praktischen Erfahrungen zu versuchen. 38
Machiavelli ist demnach vor allem ein rationaler Empiriker. Die weitere Identifi‐ zierung Machiavellis mit den Pionieren der neuzeitlichen Naturwissenschaft und Technik, die Olschki als die Antipoden zur realitätsfernen Spekulation der Scholas‐ 37 Leonardo Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur. Bd. 1: Die Literatur der Technik und der angewandten Wissenschaften vom Mittelalter zur Re‐ naissance, Heidelberg 1919, Kap. 5. 38 Ebd., S. 305.
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tik versteht, liegt hier nahe. So wurde Machiavelli, dessen Name man lange eher mit dem Teufel verbunden hatte, schließlich in den Tempel der abendländischen Meis‐ terdenker geholt. Dieselbe Vorstellung setzt sich auch bei Ernst Cassirer in seinem 1946 auf Englisch erschienenen Buch The Myth of the State fort, wenn auch Cassirer philosophisch auf die immanente Entwicklung von der Scholastik zum sogenannten Renaissancegeist viel differenziertere Akzente setzt als andere. 39 Unser Fazit ist also: Aus der modernen Auffassung des politischen Pragmatismus und einem historiographischen Schema, dessen Popularität sich vor allem Burck‐ hardt verdankt, entstand ein bestimmtes Machiavelli-Bild: Er sei ein rationaler Em‐ piriker gewesen, und in dieser methodologischen Innovation liege der Schlüssel zu seinem Denken. Dieses Bild blieb auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich und ist es eigentlich bis heute immer noch. August Buck, ein repräsentativer deutscher Forscher der Nachkriegszeit zur Renaissance und zum Humanismus in Italien, wie‐ derholte wörtlich Meineckes Charakterisierung, Machiavellis Denken sei ein vor‐ aussetzungsloser Empirismus gewesen. 40 Auch in der angelsächsischen Diskussion über Machiavelli wird weiter eine ähnliche Interpretation vertreten. 41 Philosophiegeschichtlich liegt diesem Verständnis des Politikpragmatismus und der damit verbundenen ideengeschichtlichen Rekonstruktion die positivistische Epistemologie des 19. Jahrhunderts zugrunde, die von der grundsätzlichen Unter‐ scheidung des Tatsächlichen und Objektiven von der Wahrnehmung und Interpre‐ tation ausging. In diesem Dualismus wurden jegliche Werte und Ideologien zumin‐ dest potenziell als Hindernisse zur objektiven Wahrnehmung der Welt konzipiert. Es ist symptomatisch, dass Meinecke behauptete, Machiavelli habe keine Theorie gebraucht, weil die Sache selbst für ihn so unmittelbar und transparent gewesen 39 Ernst Cassirer, The Myth of the State, New Haven 1974 (zuerst 1946), Kap. 10. 40 August Buck, Machiavelli, Darmstadt 1985, S. 61. Siehe auch Münkler, Machiavelli; Peter Schröder, Niccolò Machiavelli, Frankfurt / M. 2004. 41 Siehe die Bemerkung von Roger D. Masters, Machiavelli, Leonardo, and the Science of Power, Notre Dame u. a. 1996, S. 5: „Machiavelli’s understanding is also shaped by a reflec‐ tion on the primacy of political practice and an awareness of the new scientific perspective explored by Leonardo da Vinci. The result is a this-worldly view of history, opening the hope that events can be partly controlled or shaped by human intelligence, art, and choice. Our world of science and technology seems but a development of this perspective, accor‐ ding to which humans can create new things just as, in Genesis, Yahweh created the heavens, the earth, and all living things.“ Siehe auch die folgende Äußerung von Joseph V. Femia in Ders., Machiavelli Revisited, Cardiff 2004, S. 62: „Machiavelli’s realism, as much as his commitment to the empirical method, stemmed from his rejection of metaphysics and te‐ leology. [. . . ] In determining how people ought to live, we must be guided by how they do live, by their actual thoughts and behavior. With scientific detachment, the objective ob‐ server sweeps away the web of illusion people spin round themselves and concentrates on factual evidence.“
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sei. 42 Cassirer argumentiert fast im gleichen Sinne: Machiavelli habe keine Theorie gehabt, und es sei gut so gewesen, weil er die politische Realität wie ein Naturwis‐ senschaftler mit Distanz beobachtet habe. 43 Das positivistische Wissensverständnis wird jedoch heutzutage nicht mehr ernst genommen, allenfalls als Relikt der Ver‐ gangenheit. 44 Es wird in der modernen Philosophie kaum mehr behauptet, man müsse jede Theorie und Abstraktion vergessen, um der Wahrheit unmittelbar zu begegnen. Unser Wertesystem und unsere Sprache sind kein Hindernis, sondern ein unverzichtbares Mittel und eine notwendige Voraussetzung für unsere Wahr‐ nehmung der Welt. Sie sind, nach einem einflussreichen Literaturtheoretiker im angelsächsischen Raum, the medium in which conscious social actors make sense of this world. 45 Der generelle Geltungsverlust des positivistischen Wissensverständnisses als allgemeine philosophische These bedeutet jedoch keineswegs, dass es unsere Ge‐ danken nicht mehr beeinflusst. Hier sei daran erinnert, dass weder Meinecke noch Cassirer naive Positivisten waren. Es braucht also nicht zu erstaunen, dass wir auch noch in den jüngsten Darstellungen von Münkler den Verzicht auf jede Theorierefe‐ renz als entscheidendes Moment des Empirismus von Machiavelli begegnen. 46 Soweit man Machiavelli als einen unmittelbaren Reflektierer der geschichtlichen Wirklichkeit geschildert hat, ist es kein Zufall, dass man aus der Forschungsliteratur häufig den Eindruck bekommt, als wäre Machiavellis Denken in einem ideologi‐ schen Vakuum entstanden, ohne Bezug zur diskursiven Entwicklung des voraus‐ gehenden Zeitalters. Ein solches ideologisches Vakuum als konstruktives Moment des Denkens von Machiavelli wurde von Münkler jüngst noch einmal betont, als er erörterte, dass Machiavelli zur Begründung einer empirisch-komparativen Poli‐ tikwissenschaft gelangte und zwar dadurch, dass er auf jede Rückversicherung bei der 42 Meinecke, Die Idee der Staatsräson, S. 34 ff. 43 Cassirer, The Myth of the State, S. 135 ff. 44 Es gibt eine umfangreiche Literatur gegen den abbildungstheoretischen Positivismus in‐ nerhalb der philosophischen Diskussionen. Siehe stellvertretend: Hans-Georg Gada‐ mer, Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 2 Bde., Tübingen 1960; Jürgen Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Frankfurt / M. 1982, S. 15–85; Karl-Otto Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlage der Ethik. Zum Problem einer rationalen Begründung der Ethik im Zeit‐ alter der Wissenschaft, in: Ders., Transformation der Philosophie, 5. Aufl., Frankfurt / M. 1993, S. 358–435. Zur radikalsten Positivismuskritik in der modernen Wissenschafts‐ theorie siehe Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt / M. 1986, bsd. S. 15 f. Siehe auch die Kritik aus der Position des radikalen Konstruktivismus in Sigfried J. Schmidt (Hg.), Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, Frankfurt / M. 1987. 45 Terry Eagleton, Ideology, London 1991, S. 2. Diese Bemerkung macht es fraglich, ob man die epistemologische Wurzel des politischen Denkens von Machiavelli im ‚Realismus‘ suchen kann. 46 Herfried Münkler, Niccolò Machiavelli, Der Fürst, in: Geschichte des politischen Den‐ kens. Ein Handbuch, hg. von Manfred Brocker, Frankfurt / M. 2007, S. 108–121.
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Tradition des politischen Denkens, der Moralphilosophie oder der Theologie verzich‐ tete. 47 In dieser einflussreichen ideengeschichtlichen Rekonstruktion, die allerdings stark der positivistischen Geschichtsmetaphysik einer zivilisatorischen Evolution von der geistigen Kindheit zur geistigen Reife, von der Unvernunft zur Vernunft, verpflichtet ist, tritt die theorieimmanente Entwicklung als Erklärungsfaktor für den Epochenübergang des Politikdiskurses zurück; an ihre Stelle tritt die histori‐ sche Herausbildung des Interesses und des Willens, die Welt zu verstehen, wie sie ist. Als Evidenz solchen Willens wird dann häufig die berühmte Stelle aus dem 15. Kapitel des Principe zitiert: Machiavelli wirft hier anderen vor, dass sie ihre Überlegungen auf ihren Wunschvorstellungen davon bauten, was man tun soll, wo‐ bei sie ignorierten, was sie wirklich tun: Viele haben sich Republiken und Fürstentümer vorgestellt, die nie jemand gesehen oder tatsächlich gekannt hat; denn es liegt eine so große Entfernung zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, dass derjenige, welcher das, was geschieht, unbeachtet lässt zugunsten dessen, was geschehen sollte, dadurch eher seinen Untergang als seine Erhaltung betreibt. 48
Diese Stelle hat auch deswegen ein besonderes Interesse bei den Machiavelli-For‐ schern erregt, weil sie glaubten, dass sie den methodologischen Kern des Denkens Machiavellis enthält, die Sachlichkeit und den Empirismus. 49 Die Passage ist tradi‐ tionell als ein Beleg dafür betrachtet worden, dass sich ein Transformationsvorgang im politischen Denken bei Machiavelli vollzog, der demjenigen verwandt und ver‐ gleichbar ist, der sich in der Naturwissenschaft in der Renaissance abspielte. Somit erhält der Vergleich des Machiavelli mit den Begründern der neuzeitlichen Natur‐ wissenschaft zusätzliche Treibkraft. Man hat dabei aber übersehen, dass die unmittelbare Hinwendung zur Realität und der Verzicht auf jeglichen realitätsexternen Faktor ein sehr beliebter rhetori‐ 47 Ebd., S. 112. 48 Niccolò Machiavelli, Il Principe, in: Machiavelli. Tutte le Opere storiche, politiche e let‐ terarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, Kap. 15, S. 33 f. (deutsche Übersetzung: Il Principe / Der Fürst, Italienisch / Deutsch, übers. und hg. von Philipp Rippel, Stuttgart 1986, S. 119): „E molti si sono immaginati republiche e principati che non si sono mai visti né conosciuti in vero essere. Perché gli è tanto discosto da come si vive a come si doverrebbe vivere, che colui che lascia quello che si fa, per quello che si doverrebbe fare, impara più presto la ruina che la perservazione sua.“ 49 Repräsentativ für diese Auffassung ist Münklers Feststellung, dass diese Stelle „die strenge Orientierung am Tatsächlichen und empirisch Feststellbaren, die Machiavellis politischen Handlungsanweisungen immer zugrunde liegt“, kennzeichnet (Münkler, Machiavelli, S. 40 f.). Ferner Meinecke, Die Idee der Staatsräson, S. 45 f.; Schröder, Niccolò Ma‐ chiavelli, S. 46.
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scher Topos war, dessen sich auch die Schriftsteller des Mittelalters häufig bedien‐ ten. Ein Zitat aus der Chronik von Otto von Freising, die wir später noch näher diskutieren werden, möge hier genügen, die Gängigkeit dieses Topos im Mittelalter unter Beweis zu stellen. Der Geometer zeigt, dass ein falsch gezeichneter Teil einer graphischen Darstel‐ lung zu verwerfen sei, indem er dessen Unmöglichkeit nachweist, und dass seine eigene Zeichnung zu wählen sei, indem er sie mit zwingenden Vernunftgründen als richtig erweist. So gibt es auch für die Geschichtsschreibung manches, was sie durch Ausscheiden meiden, anderes, was sie zum Aufbau ihrer Darstellung aus‐ wählen muss; sie meidet nämlich Lügen und wählt die Wahrheit [. . . ]. Es ist besser, Menschen in die Hände zu fallen, als durch Schminken eines hässlichen Antlitzes die Pflicht des Geschichtsschreibers zu verletzen. 50
In dieser Bemerkung tritt uns keine mindere Hingabe zum Faktischen und Objek‐ tiven entgegen als bei Machiavelli. Nach Otto soll sich ein Geschichtsschreiber nur der Wahrheit verpflichten, die unabhängig vom Wunsch und von der subjektiven Wahrnehmung des individuellen Menschen existiert – so wie ein Geometer es mit seinen Gegenständen tut. Der Versuch, aus dem Bekenntnis Machiavellis zur objektiven Wahrheit der Po‐ litik das Leitprinzip seines pragmatischen Politikverständnisses zu erschließen und es als ein epochales Manifest des sich anbahnenden modernen szientifischen Ratio‐ nalismus zu lesen, ist also fragwürdig. Man darf auch aus der Selbstdeutung Machia‐ vellis nicht einfach die Grundlage seines Denkens ableiten. Abgesehen davon, dass eine subjektive Selbstbeschreibung keineswegs einfach unkritisch als Interpretation Geltung erlangen darf, gehört es bereits zu den philosophischen Binsenweisheiten, dass kein Mensch die Welt sehen kann, wie sie wirklich ist. Bestimmte Wünsche und Interessen, manchmal nur vage, fragmentierte und fast unbewusst akzeptierte An‐ nahmen oder nur stückweise erlernte Theorien spielen auch eine bedeutende Rolle in unserer Wahrnehmung der Welt und unserem Urteil. Folglich besteht ein wichti‐ ger Teil unserer Aufgabe in der Rekonstruktion der vergangenen politischen Ideen darin, jene unausgesprochenen Interessen, Annahmen und Theorien, ihre Verflech‐ tungen und Widersprüche bloßzulegen. 50 Chronica sive Historia de duabus civitatibus (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Ge‐ schichte des Mittelalters, Bd. 17), hg. von Walther Lammers und übers. von Adolf Schmidt, 5. Aufl., Darmstadt 1990, S. 8: „Geometer quoque partem falsigraphi ad inpossibile ducens fugiendam suamque demonstrationem necessariis probans rationibus eligendam ostendit. Sic et cronographorum facultas habet, quae purgando fugiat, quae instruendo eligat; fugit enim mendacia, eligit veritatem. [. . . ] (M)elius sit in manus incidere hominum quam tetrae fucatum superducendo colorem faciei scriptoris amittere officium.“ Die Übersetzung von Schmidt überträgt das Wort ‚Geometer‘ im lateinischen Original mit dem deutschen Wort ‚Mathematiker.‘ Es wurde hier aber das gleichklingende deutsche Wort ‚Geometer‘ gewählt.
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Der vorliegende Versuch, die Entwicklung des Pragmatismus des Spätmittelal‐ ters und der Renaissance im Zusammenhang der allmählichen Auflösung des hoch‐ mittelalterlichen Welt- und Politikverständnisses und der Herausbildung eines neuen Welt- und Politikbegriffes zu analysieren, grenzt sich grundsätzlich vom Stre‐ ben ab, Machiavellis Pragmatismus im Sinne der Willensentscheidung darzustel‐ len, sich von der ideologischen und irrealen Weltauffassung abzuwenden und der objektiven Welt zu begegnen. Die Menschheit hat historisch verschiedene Denk‐ weisen gepflegt, um die Welt und die Politik zu erfassen, ihre Ungerechtigkeit zu thematisieren und eine Lösung zu konzipieren, und Machiavellis Pragmatismus ist eine davon. Vielleicht hat er uns damit einem kritischen Aspekt der politischen Welt näher denn je gebracht und die rationale Verfügbarkeit der Politik vermehrt. Es ist sicher absurd und kann in der praktischen Folge sogar gefährlich sein, re‐ lativistisch zu behaupten, dass alle Konzeptionen der Welt und Politik lediglich diskursive Konstruktion und daher gleich berechtigt seien. Wer naiv glaubt, dass ein solcher Relativismus die Möglichkeit einer pluralistischen Gesellschaft fördert, sollte sich darüber Gedanken machen, was praktisch stattfinden kann, wenn alle glauben, dass es in der Welt nichts gibt, worüber man sich durch vernünftige Dis‐ kussion verständigen kann, und jeder berechtigt ist, auf seinem eigenen Credo zu beharren. Aus seiner übertriebenen neukantianischen Werttheorie 51 heraus meinte einst auch Max Weber, dass es keine Möglichkeit der vernünftigen Vermittlung zwi‐ schen Werten gebe, doch hat er dabei immerhin mit Recht darauf hingewiesen, dass dies ein enormes Konfliktpotenzial bedeutet. 52 Die Pluralität der nicht vernünftig vermittelbaren Werte in einer Gesellschaft macht die Politik oft zum grausamen Kampffeld, denn jeder sieht die Möglichkeit der Realisierung seines Wertes in der Vernichtung des Anderen. Dass wir dem Pragmatismus des Machiavelli eine hohe Relevanz zuerkennen, kann jedoch keineswegs rechtfertigen, andere Sichten und Überlegungen als unver‐ nünftig und irrational abzustempeln. Beim Pragmatismus Machiavellis handelt es sich nicht um einen willentlichen Abwendungsakt vom Idealismus und eine Hin‐ wendung zur Realität, sondern um einen Übergang von einer Form des Welt- und Politikverständnis zu einer anderen Form – einen Prozess, der im Spätmittelalter 51 Eine kompakte und treffliche Kritik an Webers Wertetheorie ist Guy Oakes, Die Grenzen kulturwissenschaftlicher Begriffsbildung, Frankfurt / M. 1990, bsd. Kap. 1. 52 Max Weber schrieb in Zwischen Zwei Gesetzen (in: Gesammelte politische Schriften, S. 145): „Wer in der ‚Welt‘ (im christlichen Sinne) steht, kann an sich nichts anderes erfah‐ ren als den Kampf zwischen einer Mehrheit von Wertreihen, von denen eine jede, für sich betrachtet, verpflichtend erscheint. Er hat zu wählen, welchem dieser Götter, oder wann er dem einen und wann dem anderen dienen will und soll. Immer aber wird er sich dann im Kampf gegen einen oder einige der anderen Götter dieser Welt und vor allem immer fern von dem Gott des Christentums finden – von dem wenigstens, der in der Bergpredigt verkündet wurde“ (Hervorhebung von M. Weber).
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anfing und sich in der geistigen Welt allmählich durchsetzte, wie im Folgenden ge‐ zeigt wird. Die Machiavelli-Forschung ist freilich nicht bei der Bestätigung (und Bewunde‐ rung) des Pragmatismus Machiavellis stehengeblieben. Während die traditionelle Problemstellung die Forscher weiter beschäftigt hat, beobachten wir besonders seit der Mitte der 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kontinuierlich Versuche, die neuen Dimensionen des politischen Denkens bei Machiavelli zu erschließen. 53 Ob‐ wohl er den herkömmlichen Ansatz fortsetzte, wie wir gerade gesehen haben, hat 53 Zum Überblick des Forschungsstandes besonders seit dem Zweiten Weltkrieg: Eric W. Cochrane, Machiavelli: 1940–1960, in: Journal of Modern History 33/2 (1961), S. 114–136; Ders., Machiavelli in America, in: Atti del convegno internazionale su il pen‐ siero politico di Machiavelli e la sua fortuna nel mondo: Sancasciano, Firenze: 28–29 set‐ tembre 1969, hg. von Istituto nazionale di studi sul Rinascimento, Florenz 1972, S. 133– 150. Siehe auch im selben Band: Franco Gaeta, Appunti sulla fortuna del pensiero po‐ litico di Machiavelli in Italia, S. 21–36. Ferner: Wolfgang Preiser, Das MachiavelliBild der Gegenwart, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 108 (1952), S. 1– 38; Hanno Helbling, Wege deutscher Machiavelli-Interpretation, in: Atti del convegno Internazionale su il pensiero politico di Machiavelli e la sua fortuna nel mondo: Sancas‐ ciano, Firenze: 28–29 settembre 1969, hg. von Istituto nazionale di Studi sul Rinascimento, Florenz 1972, S. 123–131; Isaiah Berlin, The Originality of Machiavelli, in: Ders., The Proper Study of Mankind. An Anthology of Essays, hg. von Henry Hardy und Roger Haus‐ heer, New York 1997, S. 269–279 (ursprünglich in Ders., Against the Current: Essays in the History of Ideas, hg. von Henry Hardy, London 1979, S. 25–79); John H. Geerken, Ma‐ chiavelli Studies since 1969, in: Journal of the History of Ideas 37/2 (1976), S. 351–368; S. Papcke, Lob der Nüchternheit: Machiavelli und die Krise der Renaissance, in: Ders., Vernunft und Chaos. Essays zur sozialen Ideengeschichte, Frankfurt / M. 1985, S. 27–42; Wolfgang Kersting, Machiavelli-Bilder. Zum gegenwärtigen Stand der Machiavelli-For‐ schung, in: Philosophisches Jahrbuch 94 (1987), S. 162–189; Michael Stolleis, Fried‐ rich Meineckes ‚Die Idee der Staatsräson‘ und die neuere Forschung, in: Ders., Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frank‐ furt / M. 1990, S. 134–164 (wieder abgedruckt in: Ders., Ausgewählte Aufsätze und Bei‐ träge, Bd. 1, hg. von Stefan Ruppert, Frankfurt / M. 2011, S. 15–40). Zur Geschichte der Machiavelli-Rezeption seit dem 19. Jahrhundert: Albert Elkan, Die Entdeckung Machia‐ vellis in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 119/3 (1918), S. 427–458. Zu dem Thema zählen drei wichtige Sammelbände: 1. Luigi Marco Bassani und Corrado Vivanti (Hg.), Machiavelli nella storiografia e nel pensiero politico del XX secolo, Mailand 2006 (von den dortigen Beiträgen siehe bsd. Merio Scattola, Meinecke, Machiavelli e la ragion de stato, S. 167–206; Carlo Galli, Schmitt e Machia‐ velli, S. 227–248; Maria A. f. Pellegrini, Horkheimer e Machiavelli, S. 249–265; Silvio Suppa, Riflessioni sul Machiavelli di Leo Strauss, Isaiah Berlin, e Raymond Aron, S. 277– 298; Luigi Marco Bassani, Bürgerhumanismus e repubblicanesimo: Hans Baron e John Pocock, S. 299–327); 2. Paolo Carta und Xavier Tabet (Hg.), Machiavelli nel XIX e XX secolo, Padova 2007 (von den Beiträgen siehe bsd. Jean-Michel Buée, Les lectures de Machiavel en Allemagne dans la première moitié du XIXème siècle, S. 49–66; Geor‐ ges Navet, Machiavel en France, première moitié du XIXème siècle, S. 101–124; Ernesto
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etwa Herfried Münkler unsere Aufmerksamkeit auf die sozio-ökonomische Krise des damaligen Florenz und das damit verbundene Dekadenzbewusstsein und neue Geschichtsbild gelenkt. 54 Ein sehr bedeutsamer forschungsgeschichtlicher Neuan‐ satz wurde auch von der Cambridge-Schule geleistet. Quentin Skinner hat ver‐ sucht, Machiavellis politisches Denken im Kontext der republikanischen Tradi‐ tion in Italien und Florenz zu positionieren, die teilweise auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. 55 Noch vor Skinner hat Pocock Machiavelli als wichtigen Vermittler der republikanischen Denktradition und damit als entscheidendes Moment in der De Cristofaro, Letture di Machiavelli nella cultura di area tedesca tra fine Ottocento e inizio Novecento: Burckhardt, Treitschke, Meinecke, S. 125–144; Maurizio Cau, Tra potere demoniaco e virtù democratica. Letture machiavelliane nella cultura tedesca tra le due guerre, S. 145–184; Marie Gaille-Nikodimov, L’annexion républicaine de Ma‐ chiavel dans la pensée anglo-saxonne: principes, finalités, effets interprétatifs et tensions internes, S. 287–308); 3. Cornel Zwierlein und Annette Meyer (Hg.), Machiavellis‐ mus in Deutschland: Chiffre von Kontingenz, Herrschaft und Empirismus in der Neuzeit (= Historische Zeitschrift: Beihefte, N. f., Bd. 51), München 2010 (von den Beiträgen siehe bsd. Annette Meyer, Machiavellilektüre um 1800. Zur marginalisierten Rezeption in der Popularphilosophie, S. 191–214; Federico Trocini, Machiavellismus, Realpoli‐ tik und Machtpolitik. Der Streit um das Erbe Machiavellis in der deutschen politischen Kultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 215–232; Bernhard Taureck, Ma‐ chiavelli bei Nietzsche und den Faschismen. Zwei Erzählungen der Abfolge Machiavelli – Nietzsche – Faschismen, S. 233–240; Winfried Schulze, Machiavelli am Anfang des deutschen Sonderwegs. Beobachtungen zur Deutung im späten Historismus bei Friedrich Meinecke und Gerhard Ritter, S. 241–256; Ralf Walkenhaus, Die geistig-moralische Krise als Epochensignatur des Dritten Reiches. Die Machiavelli-Studien von Hans Freyer (1938) und René König (1940), S. 257–280). Von den jüngsten Arbeiten seien noch zu‐ sätzlich zu nennen: Mary Walsh, Historical Reception of Machiavelli, in: Seeking Real Truths: Multidisciplinary Perspectives on Machiavelli, hg. von Patricia Vilches und Ge‐ rald Seaman, Leiden und Boston 2007, S. 273–302; Susan A. Ashley, Machiavelli the Revolutionary: A Modern Reinterpretation, in: Seeking Real Truths: Multidisciplinary Per‐ spectives on Machiavelli, hg. von Patricia Vilches und Gerald Seaman, Leiden und Boston 2007, S. 303–328; Giovanni Giorgini, Five Hundred Years of Italian Scholarship on Ma‐ chiavelli’s Prince, in: The Review of Politics 75/4 (2013), S. 625–640; Nicolas Guilhot, The First Modern Realist: Felix Gilbert’s Machiavelli and the Realist Tradition in Interna‐ tional Thought, in: Modern Intellectual History 13/1 (2015) S. 1–31. 54 Zu den wichtigen Studien im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren neben den bisher genannten Arbeiten von Münkler auch Ders., Der Imperativ expansiver Selbsterhal‐ tung. Machiavellis komparative Begründung für die Vorbildlichkeit der Römischen Repu‐ blik, in: Ders., Demaskierung der Macht, Baden-Baden 2004, S. 103–120; Alois Riklin, Die Führungslehre von Niccolò Machiavelli, Bern 1996; Wolfgang Kersting, Niccolò Machiavelli, 2. Aufl., München 1998; Dirk Hoeges, Niccolò Machiavelli. Die Macht und der Schein, München 2000. 55 Skinner, The Foundation of Modern Political Thought, Bd. 1, bsd. Teil 1 u. 2; Ders., Machiavelli, Oxford 1981; Ders., Machiavelli’s Discorsi and the Pre-Humanist Origins of
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Entwicklung der angelsächsischen republikanischen Denktradition interpretiert. 56 Wir werden die Vorteile und Nachteile dieser und anderer neuer Interpretationen in unserer Diskussion über die Entwicklung des politischen Diskurses in Florenz vom 14. bis frühen 16. Jahrhundert und Machiavellis Innovativität im dritten und vierten Kapitel eingehend beleuchten. 57 Bereits jetzt kann aber festgehalten wer‐ Republican Idea, in: Machiavelli and Republicanism (= Ideas in Context, Bd. 18), hg. von Gisela Bock, Quentin Skinner und Maurizio Viroli, Cambridge u. a. 1990, S. 121–142. 56 Pocock, Machiavellian Moment. 57 Hier seien nur einige Titel aus der Flut der jüngeren Forschungen seit den 1980er Jah‐ ren aufgeführt, die Neuansätze aufweisen: Anthony J. Parel, The Machiavellian Cosmos, New Haven 1992, diskutiert den Einfluss der mittelalterlichen Astrologie auf die politi‐ sche Sprache und Ideen von Machiavelli. Mikael Hörnqvist, Machiavelli and Empire (= Ideas in Context, Bd. 71), Cambridge 2004, diskutiert die politische Theorie von Ma‐ chiavelli im Zusammenhang des florentinischen Imperialismus seit dem 13. Jahrhundert. Roger D. Masters, Machiavelli, Leonardo, and the Science of Power, Notre Dame 1996, und Ders., Fortune Is a River: Leonardo Da Vinci and Niccolò Machiavelli’s Magnificent Dream to Change the Course of Florentine History, Harmondsworth 1998, platzieren das politische Denken von Machiavelli in den Kontext des von der wachsenden Naturwis‐ senschaft und Mechanik stark beeinflussten Wissens- und Kulturwandels in Florenz und Italien. Daneben sind noch andere Beiträge in dem bereits genannten Sammelband, Gisela Bock, Quentin Skinner, und Maurizio Viroli (Hg.), Machiavelli and Republicanism, zu nennen, bsd. Nicolai Rubinstein, Machiavelli and Florentine Republican Experience, S. 3–16 (wieder abgedruckt in: Ders., Studies in Italian history in the Middle Ages and the Renaissance, Bd. 3: Humanists, Machiavelli, Guicciardini, hg. von Giovanni Ciappelli, Rom 2012, S. 205–220); Elena Fasano Guarini, Machiavelli and the Crisis of the Italian Republics, S. 17–40; Robert D. Black, Machiavelli, Servant of the Florentine Republic, S. 71–100 (wieder abgedruckt in: Ders., Studies in Renaissance humanism and politics. Florence and Arezzo (= Variorum collected studies series, Bd. 969), Farnham 2011, S. 71– 99); Maurizio Viroli, Machiavelli and the Republican Idea of Politics, S. 143–72; Gi‐ sela Bock, Civil Discord in Machiavelli’s Istorie Fiorentine, S. 181–201. Ferner Victoria Ann Kahn, Machiavellian Rhetoric. From the Counter-Reformation to Milton, Prince‐ ton 1994, Teil. 1; Eugene Garver, Machiavelli and the History of Prudence, Madison 1987; Maurizio Viroli, Machiavelli, Oxford 1998; John P. McCormick, Machiavel‐ lian Democracy, Cambridge 2011 (vgl. dazu gleich unten). Ferner wird im Zusammenhang des steigenden Interesses am Verhältnis der Politik zur Religion auch versucht, die Position Machiavellis zur transzendentalen Dimension der Politik zu erhellen. Dazu siehe Maurizio Viroli, Machiavelli’s God, Princeton 2010; Miguel Vatter, Machiavelli and the Re‐ publican Conception of Providence, in: Review of Politics 75/4 (2013), S. 605–623 (Der Arbeit von Vatter fehlt wie der von McCormick die historische Dimension. Man bekommt den Eindruck, dass das Denken von Machiavelli aus dem historischen Zusammenhang ge‐ rissen wird, damit es der Argumentation der Autoren dienen kann – eine Schattenseite der Machiavelli-Renaissance in den angelsächsischen Diskussionen); Alessandro Pinzani, Machiavelli und die Religion, in: Philosophie, Politik und Religion: Klassische Modelle von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Dirk Brantl, Berlin 2013, S. 91–104; Oliver Hidalgo, Wandlungen des Theologisch-Politischen und die sprachliche Geburt der Mo‐
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Einleitung
den, dass wir durch diese und andere Beiträge schon besser in der Lage sind, Ma‐ chiavellis politischen Pragmatismus als ein historisches Phänomen zu begreifen. Die vorliegende Studie kann als eine Fortsetzung des Ansatzes verstanden werden, von der Kritik an bisherigen Forschungstendenzen ausgehend Machiavellis Denken und seine unausgesprochenen Grundannahmen freizulegen. Machiavellis Gedanken zu historisieren besitzt in der gegenwärtigen Landschaft der politischen Theorie auch eine über das bloß ideengeschichtliche Interesse hin‐ ausgehende Bedeutung. Wir haben hier die lange anhaltende Debatte um den ‚po‐ litical realism‘ in der Theorie der internationalen Beziehung im Blick. Der poli‐ tical realism ist die amerikanische Version der Realpolitik oder Machtpolitik, die sich besonders unter dem Einfluss von Hans Morgenthau, einem aus Deutschland nach Amerika immigrierten Juristen und Politologen jüdischer Abstammung, nach dem Zweiten Weltkrieg als führendes Paradigma in der Theorie der internationa‐ len Beziehungen etabliert hat. 58 In seinem Buch Politics among Nations, das lange als Standardwerk für Studenten der internationalen Beziehungen in Amerika galt, wiederholt Morgenthau im Wesentlichen, was er in Deutschland durch die Lektüre von Weber und Schmitt gelernt hatte. 59 Er warf darin auf eine stark an seine geis‐ derne – Dante Alighieri, Marsilius von Pauda, Niccolò Machiavelli, in: Die sprachliche Formierung der politischen Moderne. Spätmittelalter und Renaissance in Italien, hg. von Oliver Hidalgo und Kai Nonnenmacher, Wiesbaden 2015, S. 23–46. Für die neueste Bio‐ graphie siehe Maurizio Viroli, Il sorriso di Niccolò. Storia di Machiavelli, Rom 1998; Wolfgang Reinhardt, Machiavelli oder die Kunst der Macht. Eine Biographie, Mün‐ chen 2012. 58 Zum Überblick der Geschichte des Politikrealismus in der Theorie der internationalen Be‐ ziehungen siehe Michael Joseph Smith, Realist Thought from Weber to Kissinger, Baton Rouge 1986; Roger D. Spegele, Political Realism in International Theory (= Cambridge Studies in International Relations, Bd. 47), Cambridge 1996; Jonathan Haslam, No Vir‐ tue like Necessity. Realist Thought in International Relations since Machiavelli, New Ha‐ ven und London 2002; Christian Hacke (Hg.), The Heritage, Challenge, and Future of Realism: In memoriam Hans J. Morgenthau (1904–1980), Göttingen 2005. Zur Diskus‐ sion in einem breiten Zusammenhang der politiktheoretischen Entwicklung seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts siehe John Bew, A History of Realpolitik, Oxford 2016. Über die Etablierung Machiavellis als der Leitfigur der politikrealistischen Denktradition in der Disziplin der internationalen Beziehungen etwa Guilhot, The First Modern Rea‐ list: Felix Gilbert’s Machiavelli and the Realist Tradition in International Thought. 59 Über Morgenthaus geistigen Hintergrund: Christoph Frei, Hans J. Morgenthau. Eine in‐ tellektuelle Biographie, 2. Aufl., Bern u. a. 1994; Hans-Karl Pichler, The Godfathers of ‚Truth‘: Max Weber and Carl Schmitt in Morgenthau’s Theory of Power Politics, in: Re‐ view of International Studies 24/2 (1998), S. 185–200; Ulrik E. Peterson, Breathing Nietzsche’s Air: New Reflections on Morgenthau’s Concept of Power and Human Nature, in: Alternatives 24/1 (1999), S. 83–118; Christoph Rohde, Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus, Wiesbaden 2004, bsd. Kap. 3; Robbie Shilliam, Morgenthau in Context: German Backwardness, German Intellectuals and the Rise and Fall of a Liberal
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tigen Mentoren erinnernde Weise jenen Theorien, die die politische Welt anhand ethischer Prinzipien zu regulieren versuchten, eine Reihe von epistemologischen Mängeln vor: ‚Idealism‘ ist nach Morgenthau replacement of experience with supers‐ tition, refusal to correct this picture of the world in the light of experience, und the weakness of intellect and will. 60 Die Idealisten seien geistig unvorbereitet, der po‐ litischen Realität squarely zu begegnen. Die nachfolgende Generation der amerikanischen Politikwissenschaftler, Apo‐ stel des realism wie Kenneth Waltz, 61 übernahmen diese Vorstellung und versuch‐ ten, ihr geschätztes Ideal eines transparenten Zugangs zur reinen Realität durch die behavioristische Methode zu verwirklichen. Seit etwa zwei Jahrzehnten gerät aber der realism wegen seines engstirnigen Rationalitätsbegriffs immer wieder in die Kri‐ tik. 62 Die Kritik am Realismus entspringt dem Bedürfnis, im Zeitalter der zuneh‐ menden Vernetzung der Politik auf der internationalen Ebene sowie der grundsätz‐ lichen Neuorganisation der Weltordnung die Relevanz sowie die normative Grund‐ lage unserer politischen Paradigmen kritisch zu überprüfen. Unser Versuch der His‐ torisierung des politischen Denkens von Machiavelli soll auch die Geschichtlichkeit des Diskurses des political realism deutlich machen und seine verborgenen Voraus‐ setzungen und Annahmen bloßlegen. Im weiteren Sinne trägt diese Arbeit zur Kritik der eurozentrischen Kultur‐ sicht bei. Der enge Rationalitätsbegriff, der sowohl der Geschichtsauffassung von Burckhardt als auch dem rechthaberischen Selbstverständnis des modernen Prag‐ matismus zugrunde liegt, führte nicht nur zu einem diskriminierenden Begriff des Project, in: European Journal of International Relations 13/3 (2007), S. 299–327; Chris Brown, The Twilight of International Morality? Hans J. Morgenthau and Carl Schmitt on the end of the Jus Publicum Europaeum, in: Realism Reconsidered: The Legacy of Hans Morgenthau in International Relations, hg. von Michael C. Williams, Oxford 2007, S. 42– 61; Felix Rösch, Power, Knowledge, and Dissent in Morgenthau’s Worldview, New York u. a. 2015; Christoph Rohde und Jodok Troy (Hg.), Macht, Recht, Demokratie: Zum Staatsverständnis Hans J. Morgenthaus, Baden-Baden 2015. 60 Hans J. Morgenthau, Politics Among Nations: The Struggle for Power and Peace, 5. Aufl., New York 1978, S. 4–15. 61 Kenneth Waltz, Theory of International Politics, New York 1979. 62 Pionierhaft war Richard K. Ashley, The Poverty of Neorealism, in: Neorealism and Its Critics, hg. von Robert O. Keohane, New York 1986, S. 255–300 (ursprünglich erschienen in International Organization 38/2 (1984), S. 225–286); Jim George, Discourses of Glo‐ bal Politics: A Critical Introduction to International Relations, Boulder 1994, bsd. Kap. 4– 5. Die einschlägige Literatur ist inzwischen ziemlich ausgedehnt und methodologisch nicht mehr auf die poststrukturalistische Diskurskritik beschränkt. Zum Überblick siehe W. Ju‐ lian Korab-Karpowicz, Political Realism in International Relations, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, URL = https://plato.stanford.edu/entries/realism-intl-relati‐ ons/. Ferner: Duncan Bell, Political Realism and International Relations, in: Philosophy Compass, 12/2 (2017) S. e12403.
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Einleitung
Mittelalters, sondern hat auch den Mythos der nicht-europäischen Kultur, vor al‐ lem der asiatischen, immer wieder bestärkt und reproduziert, die gerade wegen ihrer vermeintlichen Irrationalität die Europäer mit exotischer Macht anzieht. Während die Europäer früher den angeblichen Mangel an Rationalität in der asiatischen Kul‐ tur als Grund für deren Unfähigkeit gesehen haben, ihre Geschichte eigenständig in eine bessere Richtung voranzutreiben, scheint es heutzutage im Zuge des Kultur‐ pluralismus in Mode geraten zu sein, die asiatische Kultur gerade wegen ihres nichteuropäischen Charakters zu respektieren, teilweise zu verehren, und sie sogar zu er‐ lernen zu versuchen. Jeder nachdenkliche Beobachter wird aber sofort erkennen, dass dabei die Auffassung von einer irrationalen und vernunftsfernen Kultur Asiens fortbesteht. Die Europäer haben lediglich die üble Geschichte des Kolonialismus reflektiert, sind nun „aufgeklärt“ geworden und haben gelernt, andere Kulturen zu respektieren. 63 Ob sie sie aber auf richtige Weise zu respektieren gelernt haben, ist eine andere Frage. Es scheint, dass der moderne Mythos immer wieder reproduziert und propagiert wird, wonach die moderne europäische Kultur durchaus rational, empirisch, die asiatische Kultur im Gegensatz dazu irrational und mystisch ist. Die folgende Arbeit, die den engen Rationalitäts- und Vernunftbegriff der letzten Jahr‐ hunderte kritisiert, ist daher auch als ein Versuch zu verstehen, diesen Mythos ab‐ zubauen.
Methodische Vorbemerkung
Aus den jüngeren methodologischen Diskussionen hat sich der Konsens heraus‐ gebildet, dass alles uns überlieferte Denken grundsätzlich diskursiven Charakter
63 Der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt warf in seinem 2004 erschienenen Buch Mächte der Zukunft, S. 144 f. denjenigen, die die Menschenrechtsunterdrückung der chinesischen Regierung kritisieren, eine Unfähigkeit vor, der anderen Kultur gebührenden Respekt zu erweisen und ihre Eigenart zu verstehen. Er hätte aber dabei bedenken können, was seine kulturpluralistische Aufgeklärtheit für die Demokratiekämpfer vom Tienanmen-Platz oder in Hongkong oder für die koreanischen Demonstranten bedeutet, die bereits 1960 gegen die Diktatur Widerstand leisteten. Die Idee der Würde und des Rechts sowie der angebore‐ nen Gleichheit des Menschen war trotz aller Unterschiede letztendlich auch der asiatischen Kultur eigen. Wer dagegen argumentieren will, muss zuerst beweisen, dass die zahlreichen Volksrevolten in der asiatischen Geschichte nur wegen der extremen Armut oder wegen des Aberglaubens stattgefunden haben. Wer anerkennt, dass die soziale und politische Un‐ gleichheit und Ungerechtigkeit in jenen Tumulten eine Rolle gespielt haben, wird verste‐ hen, dass auch die asiatischen Völker auf ihre eigene Weise sich zu jenen Themen beständig Gedanken gemacht und sich um die Realisierung jener Werte bemüht haben. Mit der Ra‐ tionalität und Vernünftigkeit verhält es sich nicht anders.
Methodische Vorbemerkung
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hat. 64 Das Werk eines historischen Denkers kann kein monologischer Ausdruck sei‐ nes Urteils, seiner Überzeugung und seiner Meinung sein. Ein Autor tritt mit seiner Schrift oder Rede stets in eine kommunikative Umwelt ein. Die Diskursivität des politischen Denkens macht es nötig, beim Auslegen eines Denkers das Problem der Legitimation zu berücksichtigen. Wie bei jeder öffentli‐ chen Kommunikation wird bereits vor dem Eintritt in dieses Feld die Entscheidung darüber gefällt, zu welchem Thema, mit welchen Begriffen, und im Falle des wirk‐ lichen rednerischen Vortrags, in welchem Ton und mit welcher Gestik man legitim und adäquat an sein Publikum appellieren kann. 65 Ein Autor argumentiert gemäß dieser Vorgaben, teilweise sie für seinen Vorteil ausnutzend, teilweise sie mit Be‐ gründungen modifizierend. Die Schriften, die wir zum Gegenstand der Analyse machen, sind im gewissen Sinne also das Produkt einer Performanz nach jenen Re‐ geln. 66
64 Siehe die Aufsätze von Quentin Skinner in Meaning and Context. Quentin Skinner and His Critics, hg. von James Tully, Princeton 1988; Quentin Skinner, Visions of Politics, Bd. 1: Regarding Method, Cambridge 2002. Über Skinners Fragestellung zusammenfassend und im Kontext der sprachphilosophischen Entwicklung erörternd Kari Palonen, Quen‐ tin Skinner. History, Politics, Rhetoric, Cambridge 2003, Kap. 6. Siehe auch John G. A. Pocock, The Concept of a Language and the métier d’historien. Some Considerations on Practice, in: Ders.:The Language of Political Theory in Early-Modern Europe (= Ideas in Context, Bd. 4), hg. von Anthony Pagden, Cambridge 1987, S. 19–38 (wieder abge‐ druckt in: Ders., Political Thought and History. Essays on Theory and Method, Cambridge u. a. 2009). Siehe auch die aufschlussreichen Diskussionen in Walther Dieckmann, Spra‐ che in der Rhetorik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache, Heidelberg 1969; Ders., Politische Sprache – Politische Kommunikation. Vorträge. Auf‐ sätze. Entwürfe, Heidelberg 1981; John S. Nelson, Political Theory as Political Rhetoric, in: What Should Political Theory Be Now, hg. von John. S. Nelson, Albany 1983, S. 169– 240; Matthias Bohlender, Die Rhetorik des Politischen. Zur Kritik der politischen Theorie (Politische Ideen, Bd. 1), Berlin 1994, bsd. Kap. 1–2. 65 Die beschriebene Erscheinung wird im Rahmen der Performanz- und Ritualforschung be‐ sonders seit Erving Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, Edinburgh 1959, intensiv verfolgt. Zum Überblick der Entwicklung des Performanz-Begriffs in der moder‐ nen Kulturwissenschaft und Linguistik siehe die Beiträge in Erika Fischer-Lichte und Christoph Wulf (Hg.), Theorien des Performativen (= Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie 11/1 [2001]), in Paula Diehl u. a. (Hg.), Per‐ formanz des Rechts. Inszenierung und Diskurs (= Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie 15/1 [2006]), und in Uwe Wirth (Hg.), Performanz: Zwi‐ schen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft, Neuaufl., Frankfurt / M. 2007. 66 Eine eingehende Behandlung der politischen Theorie als Performanz steht m. E. noch aus. Vgl. Christoph Wulf und Jörg Zirfas, Performative Welten. Einführung in die histo‐ rischen, systematischen und methodischen Dimensionen des Rituals, in: Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole, hg. von Christoph Wulf und Jörg Zirfas, München 2004, S. 7–46.
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Einleitung
Mit dieser Bestätigung der Diskursivität der Schriften ist nicht beabsichtigt, die alten hermeneutischen Fragen aufzuwerfen, wer der Autor ist und wie wir ihn verstehen können, also jene Fragen, die von den französischen Poststrukturalisten intensiv behandelt wurden. 67 Wir haben hier nur eine jedem Politologen und jedem Historiker allzu bekannte Erscheinung vor Augen, nämlich dass man in der Darstel‐ lung seines Denkens entweder einen Gedanken ganz unterschlagen kann, der jenen Regeln nicht ganz entspricht, oder aber ihn gemäß der Regeln neuformulieren kann. Ein Beispiel aus der Geschichte mag diesen Punkt erhellen. Johannes Pichler hat in seiner Untersuchung der rechtlichen Quellen in Süddeutschland vom Spätmittel‐ alter zur Frühneuzeit eine rasante Zunahme des Rekurses auf die rechtliche Formel ‚Not oder Notwendigkeit‘ festgestellt. Gleichzeitig hat er herausgefunden, dass es in manchen Fällen um keine wirkliche Not oder Notwendigkeit, sondern um die Be‐ friedigung eines nicht so sehr dringenden privaten Interesses ging, die durch die Än‐ derung oder Suspension der geltenden Rechtsnormen realisiert werden konnte. 68 Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, was hier passierte. Seit dem Spätmittelal‐ ter lernten immer mehr Leute (vielleicht nicht zuletzt im Zuge der Verbreitung der Bildung unter dem Volk) ihr Interesse in der Öffentlichkeit zu vertreten, und zwar durch rechtliche Mittel. Sie haben dabei die Formel ‚Not oder Notwendigkeit‘ als günstige Argumentationshilfe in Anspruch genommen, ihrem Argument eine Legi‐ timation und Kraft zu verleihen. Etwas Vergleichbares kann von einer Theorie oder einem Diskurs über die Po‐ litik im Mittelalter gesagt werden. Die Schriften, die wir zur Rekonstruktion des geistigen Lebens des Zeitalters benutzen, wurden von einem relativ schmalen Kreis von Gelehrten geschrieben, die einem viel strengeren Verhaltenscode unterlagen als die Gelehrten der modernen Zeit, und für ein bestimmtes Publikum, das sich auch demselben Code verpflichtet fühlte. Die Schriften, ihre Begriffe und ihre Begrün‐ dungen blieben grundsätzlich innerhalb der Grenzen, die von ihnen gemeinsam als legitim und anständig anerkannt wurden. Unsere Beobachtungen sollten uns davor warnen, das, was wir aus einem Kor‐ pus der Schriften rekonstruieren, für das ganze Spektrum der gedanklichen Inhalte der Zeit zu halten. Freilich können wir schon generell annehmen, dass die Auto‐ ren tatsächlich ihre echten Positionen vertraten, zumal sie mit ihren Schriften ihre Leser dazu bewegen wollten, das, was sie da schrieben, zu praktizieren. Ansonsten
67 Zu den repräsentativen Diskussionen gehören: Roland Barthes, Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis, Stuttgart 2000, S. 185–193 (wieder abgedruckt in: Ders., Kritische Essays IV, übers. von Dieter Hornig, Frankfurt / M. 2006, S. 57–63); Michel Foucault, Was ist ein Autor?, in: Ders., Schriften zur Literatur, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt / M. 2003, S. 7–31. 68 Johannes W. Pichler, Necessitas (= Schriften zur Rechtsgeschichte, Bd. 27), Berlin 1983, S. 54–65.
Methodische Vorbemerkung
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verwandelt eine ideengeschichtliche Studie sich zu einem Detektivroman, wie wir ihn beispielweise in der Machiavelli-Monographie von Leo Strauss finden. 69 Beson‐ ders problematisch sind aber die Diskurse, die nicht ohne Weiteres jenem Standard der Legitimation und des Anstandes entsprechen. Sie werden häufig unterschlagen oder neu formuliert, ohne eine Spur zu hinterlassen. Mir scheint es daher sinnvoll, die Existenz mehrerer mehr oder weniger heterogener Diskurse in einer Zeit anzu‐ nehmen. Es kann geradezu gefährlich sein, von ‚einer‘ epistemè, ‚einer‘ Mentalität oder ‚einer‘ Weltanschauung eines Zeitalters zu sprechen. 70 Ich betrachte das, was uns schriftlich überliefert ist, als Spur der leitenden Dis‐ kurse der Vergangenheit. Das Adjektiv ‚leitend‘ hat hier einen qualitativen, nicht quantitativen Sinn. Ein leitender Diskurs ist nicht der Diskurs der Mehrheit. Ein Diskurs wird leitend, wenn er hegemonial wird aufgrund der besseren inneren Strukturierung und der Unterstützung durch Institutionen und Traditionen. Seit dem Hochmittelalter haben sich die leitenden Diskurse durch die Beiträge von Schriftstellern herausgebildet, die von ihrem Studium an den Universitäten geprägt waren. Ein leitender Diskurs genießt Autorität, erhält dennoch aber manchmal keine völlige allgemeine Zustimmung im weiten Kreis der Gemeinschaft. Am Rande oder außerhalb des leitenden Diskurses existieren noch ein anderes Denken und eine andere Sprache, wenn auch fragmentarisch, weniger strukturiert und wider‐ spruchsvoll. Die diskursive Transformation, die die vorliegende Studie vom Anfang des 14. Jahrhunderts bis zu Machiavelli verfolgt, spielt sich also hauptsächlich in der Landschaft der leitenden Diskurse ab, aber nicht in der gesamten Mentalität.
69 Leo Strauss, Thoughts on Machiavelli, Chicago und London 1958. Ähnlich Harvey C. Mansfield, Stauss on The Prince, in: The Review of Politics 75/4 (2013), S. 641–665, wo von „Machiavelli’s esotericism“ die Rede ist. 70 Das methodische Problem der französischen Annales-Schule, der sogenannten Mentalitäts‐ forschung, die u. a. von Jacques Le Goff vertreten wird, liegt gerade darin, die Mehrschich‐ tigkeit der Diskurse einer Gesellschaft zu vergessen und aus den überlieferten Texten eine Mentalität abzuleiten zu versuchen. Keiner darf aber den Unterschied zwischen dem in der höfischen Literatur überlieferten idealisierten Bild des Rittertums und dem Ritter der Wirklichkeit ignorieren. Das Bild eines idealen Ritters kann hier mit einem Leitparadigma verglichen werden. Es bedeutet, dass die Ritter es für legitim und verpflichtend hielten, das Ideal zu rühmen und möglicherweise sich dementsprechend zu verhalten, vor allem in der Öffentlichkeit. Das Ideal hat gewiss in allen Gebieten des Lebens der Ritter einen Einfluss geübt. Es ist wahrscheinlich, dass viele dieses Ideal wirklich gehegt haben. Ob alle nur das Ideal kannten und ihr Leben gemäß diesem Ideal zu gestalten versuchten, ist aber eine völ‐ lig andere Frage. Das gleiche gilt auch für die Frömmigkeit der Menschen im Mittelalter. Gerd Schwerhoff hat in seiner Studie überzeugend bewiesen, dass die Blasphemie im Mittel‐ alter eine überraschend weit verbreitete Erscheinung war (Gerd Schwerhoff, Zungen wie Schwerter: Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200–1650, Konstanz 2005). Die normativen Quellen vermitteln uns aber wenige Information darüber.
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Ich erörtere diese methodischen Ansätze, weil sie für die Erforschung der Ge‐ schichte des politischen Pragmatismus im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit sowie des politischen Denkens von Machiavelli eine besondere Relevanz besitzen. Wie wir im vierten Kapitel näher beleuchten werden, war ein zynischer Diskurs, der etwa im Sinne Machiavellis das Nützliche und das Normative trennte, als eine Art Volksweisheit bereits weithin im Umlauf. Dieser Zynismus war aber wegen seines kühnen Pragmatismus nicht im öffentlichen Diskurs vertreten. Als ab dem 14. Jahrhundert die Theoretiker die Diskrepanz der politischen Klugheit und der Ansprüche der Ethik zum Anlass nahmen, ihre herkömmlichen Begriffe, Formulie‐ rungen und Annahmen kritisch zu überprüfen und diese gemäß ihrer neuen Weltund Politikwahrnehmung zu ändern begannen, also mit der Pragmatisierung des politischen Diskurses im Spätmittelalter, war ein günstiger Boden dafür bereitet, dass die Elemente dieses zynischen Diskurses mehr und mehr in den öffentlichen Diskurs eindringen konnten, bis sie schließlich bei Machiavelli zu einem deutlichen Ausdruck gelangten. Der Anlass, der die Propagierung eines solchen kühnen Prag‐ matismus legitim sowohl für ihn als auch für seine Zeitgenossen erscheinen ließ, war die politische Krise von Florenz seit dem späten 15. Jahrhundert. Die bisherigen einleitenden Bemerkungen über die Fragestellungen und die Me‐ thodik sollten den Sinn des Haupttitels der Arbeit, ‚Wege zu Machiavelli‘, bereits klar gemacht haben. 71 Dieser Titel enthält den Gedanken, dass die politische Theo‐ rie Machiavellis durch die Rekonstruktion des Auflösungsprozesses des hochmit‐ telalterlichen politischen Diskurses und der Herausbildung der neuen Denkansätze und Strömungen im Spätmittelalter in ihren Kontext eingebettet werden muss. In der vorliegenden Studie wird Machiavellis politische Theorie als eine extreme Folge dieser Transformation verstanden. Um möglichen Missverständnissen vorzubeu‐ gen, soll hier schnell und mit Nachdruck hinzugefügt werden, dass dieser Titel keine Teleologie implizieren soll. Es wurde bereits deutlich zu machen versucht, dass diese Studie sich gegen die Ansicht wendet, das Denken des Machiavelli als eine notwen‐ dige Stufe in der Entwicklung der Menschheit vom unaufgeklärten Zustand zum Zeitalter der Rationalität und Vernunft zu erklären. Diese Studie behauptet nicht, Machiavellis Denken sei der vorbestimmte Zielpunkt der Entwicklung des politi‐ schen Diskurses seit dem 14. Jahrhundert gewesen. Zwar war das politische Denken Machiavellis eine mögliche Folge der diskursiven Transformation, aber keine not‐ wendige. Für die Entstehung des politischen Denkens von Machiavelli mussten mit der allmählichen Pragmatisierung des politischen Diskurses und den dabei neu 71 Dieser Titel ist teilweise von der klassischen Ockham-Studie von Jürgen Miethke, Ock‐ hams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969 inspiriert. Darin hat Miethke beispielhaft gezeigt, dass eine Darstellung eines Denkens im Sinne einer Entwicklung von den früheren Denkansätzen in einem kausalen Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann, ohne dabei in eine banale Teleologie auszuarten.
Methodische Vorbemerkung
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herausgebildeten Konzepten und Fragen auch die kommunale republikanische Tra‐ dition und ihre Krise zusammenwirken. Daher spricht diese Studie statt von einem Weg von mehreren Wegen zu Machiavelli. Zusammen mit der Gebundenheit des politischen Diskurses an die zeitgenössi‐ schen Anstands- und Legitimationsregeln müssen wir gleichzeitig berücksichtigen, dass es gewisse Themen gibt, die in der Geschichte und über die kulturellen Grenzen hinaus in den politischen Überlegungen immer wieder vorkommen. Zwar variierten ihre Anlässe und konkreten Inhalte, jedoch kann man immer gewisse Grundmuster in ihnen feststellen. Gerade die Frage nach der Geltung der Ethik in der Politik ge‐ hört dazu. Wie wir im ersten Kapitel eingehend diskutieren werden, wurde diese Frage zum ersten Mal in Athen, im damaligen kulturellen Zentrum von Hellas, mitten in der Krise nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg mit besonde‐ rer Intensität gestellt. Die fundamentale Trennung der in der politischen Ordnung geltenden Handlungsnormen von den ethischen wurde bereits zu dieser Zeit erwo‐ gen. Die entscheidenden Beiträge zur gedanklichen Absonderung der politischen Ordnung als eines autonomen Gedanken- und Handlungsfeldes kamen dann unter anderem von Platon und seinem Schüler Aristoteles. Diese Zuordnung des Denkens von Platon mag einige Einwände hervorrufen, weil in der Historiographie Platon eher als Gegner einer solchen Absonderung gilt, die damals von den Sophisten ver‐ treten worden sein soll. Die sorgfältige Lektüre seiner Werke und die Situierung seiner Fragestellung und Antwort in der griechischen Tradition der politischen Überlegungen ermöglichen jedoch eine andere Auslegung und Einschätzung seines Denkens. 72 Der so entstandene Pragmatismus wurde dann an der Schwelle zum Mittelalter aus dem Horizont des legitimen Politikdiskurses ausgeschlossen, wie wir an den ethischen Ideen und dem Weltbild von Augustin und Boethius zeigen werden. Erst ab dem 14. Jahrhundert kam das pragmatische Denken allmählich als legitimer Diskurs auf die Bühne zurück, wie wir im zweiten Kapitel ausführlich er‐ 72 Durch die Rekonstruktion des Herausbildungsprozesses des pragmatischen Diskurses in der Antike im ersten Kapitel zielt diese Studie jedoch keineswegs auf eine allgemeine Histo‐ riographie der Auseinandersetzung über den politischen Pragmatismus im Abendland von der Antike bis zum Spätmittelalter und der Renaissance. Es geht bei unserer Diskussion aus‐ schließlich darum, durch die historische Rekonstruktion seiner Geburt die Grundfragestel‐ lung und die Denkmotive des pragmatischen Diskurses zu erhellen. Diese Forschungsab‐ sicht erklärt auch die gänzliche Auslassung des Denkens von Cicero aus unserer Diskussion im ersten Kapitel. Diese Auslassung bedeutet keineswegs, dass Cicero in der Geschichte der Auseinandersetzungen über die Geltung der Ethik in der Politik nicht relevant war. Im Gegenteil: Ein großer Teil seiner philosophischen Energie war der Beantwortung der kom‐ plexen ethischen Fragen gewidmet, die das pragmatische Politikverständnis aufwarf, dem er nur an der Oberfläche völlig ablehnend gegenüberstand. Für unseren gegenwärtigen For‐ schungszweck, die Eigenschaften und Implikationen des pragmatischen Politikdiskurses in der abendländischen Tradition abzustecken, reicht es jedoch aus, dessen Herausbildung bis Aristoteles zu verfolgen.
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örtern werden. Diese Überlegungen münden dann in die weiteren Diskussionen im anschließenden dritten und vierten Kapitel über die Krise des republikanischen Diskurses in Florenz ab dem Ende des 15. Jahrhunderts und die komplette Entfal‐ tung des Pragmatismus bei Machiavelli. So ist der Untertitel ‚Die Rückkehr des Politischen im Spätmittelalter‘ gemeint. Im heutigen Sprachgebrauch besitzt der Begriff ‚das Politische‘ eine Reihe gedankli‐ cher Assoziationen, wie etwa die von der Politik als einem autonomen Handlungs‐ feld mit dort geltenden eigenen Handlungsregeln, die auf das praktische Interesse und Nutzenkalkül orientiert sind. 73 Wie oben bereits skizziert, erfolgte diese Ab‐ sonderung des politischen Handelns und seiner Urteilskriterien von anderen Be‐ reichen des Denkens und Handelns in der Antike, entschwand aber seit der späten Antike aus dem Politikdiskurs. Was die spätmittelalterliche Denklandschaft über die Politik radikal geändert und den Aufstieg des Politikpragmatismus gefördert hat, war gerade die Wiederkehr dieses Verständnisses der Politik. Wie bereits mehr‐ mals betont, kann das politische Denken Machiavellis nur in diesem Kontext in vollem Umfang richtig verstanden werden. Freilich setzt uns der Begriff ‚das Politische‘ bestimmten Gefahren aus. Die Au‐ toren, die den Begriff zu definieren versucht haben, wollten damit meistens zur 73 Wir verfügen noch nicht über eine verbindliche Bestimmung des Begriffs des Politischen. Wir haben nur verschiedene Versuche zur Definition und verschiedene Gebräuche des Begriffs. Zum jüngsten Versuch einer Definition siehe Ernst Vollrath, Was ist das Po‐ litische? Eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung, Würzburg 2003; Thomas Meyer, Das Politische und die Politik, in: Ders., Was ist Politik?, Wiesbaden 2003, S. 69– 81. Siehe auch Hans-Joachim Arndt, Der Begriff des Politischen in der Politikwissen‐ schaft nach 1945, in: Complexio oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskus‐ sionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, hg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 509–515 (wieder abgedruckt in: Ders.: Politikwissenschaft in Heidelberg. 50 Jahre Institut für Politische Wissenschaft, hg. von Arno Mohr, Heidelberg 2008, S. 128–133); Samuel Moyn, Concepts of the Political in Twentieth-Century European Thought, in: The Oxford Handbook of Carl Schmitt, hg. von Jens Meierhenrich und Oliver Simons, Oxford 2017, S. 291–311. Die Bestimmung des Begriffs des Politischen bei Dolf Sternberger, Begriff des Politischen, in: Ders., Die Politik und der Friede, Frankfurt / M. 1986, S. 69–88 (zuerst 1961), soll hier ausgenommen werden, weil sie eine andere Assoziation zu haben scheint. Vgl. Reinhard Mehring, Bür‐ gerliche statt demokratische Legitimität: Dolf Sternbergers Auseinandersetzung um den Begriff des Politischen, in: Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Ein‐ heitsbildung seit den 20er Jahren, hg. von Andreas Göbel, Dirk van Laak und Ingeborg Villinger, Berlin 1995, S. 233–246; Jürgen Gebhardt, Der bürgerliche Begriff des Po‐ litischen: Ursprung und Metamorphosen, in: Geisteswissenschaftliche Dimensionen der Politik. Festschrift für Alois Riklin zum 65. Geburtstag, Bern u. a. 2000, S. 139–160. Über die Verwendung des Begriffs in der gegenwärtigen angelsächsischen Politikwissenschaft seit den 1980er Jahren siehe James Wiley, Politics and the Concept of the Political: The po‐ litical imagination, London 2016.
Methodische Vorbemerkung
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jeweils gegenwärtigen Politik eine kritische Stellung einnehmen und einen neuen Orientierungspunkt aufzeigen. Dies gilt besonders für Carl Schmitt, dem sich jene gedanklichen Assoziationen des Begriffs verdanken, an die sich unser Titel an‐ lehnt. 74 Zuerst ist festzuhalten, dass der Begriff ‚das Politische‘ in unserer Studie im rein deskriptiven Sinne verwertet wird. 75 Die Verwendung dieses Begriffs impli‐ ziert kein normatives Argument über die Natur und das Ziel der Politik. Unsere Forschung will vielmehr die historische Herkunft und die ideologische Grundlage der Gedankentradition ergründen, der Schmitt angehört. In unserer Diskussion sollte auch deutlich werden, dass mehrere wichtige Elemente seiner Bestimmung des Begriffs hier nicht einbezogen werden. So stellte Schmitt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen über den Begriff etwa das strategische Handlungsinteresse ei‐ nes Staates oder irgendeines Menschenverbandes, das der sein Dasein bedrohenden feindlichen Umgebung entspringt. Daher brachte er seinen Begriff des Politischen auf die Unterscheidung von Freund und Feind. Damit wollte er betonen, dass in der Politik alle Verhältnisse vom strategischen Blickpunkt beurteilt werden sollen. Dieses strategische Denkelement ist zwar für Machiavelli kennzeichnend, jedoch für manche pragmatische Denker des Spätmittelalters nur marginal.
74 Es gibt zahlreiche Beiträge zum Begriff des Politischen von Schmitt. Hier seien genannt: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staats‐ rechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Complexio oppositorum: Über Carl Schmitt, hg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1998, S. 283–299; Hasso Hofmann, Feindschaft – Grund‐ begriff des Politischen?, in: Ders., Recht – Politik – Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt / M. 1986, S. 212–241; Reinhard Mehring (Hg.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, Berlin 2003; Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauß und der ‚Begriff des Politischen‘, Stuttgart 1988; Hans Boldt, Über Carl Schmitts ‚Begriff des Politischen‘, in: Zeitschrift für Po‐ litikwissenschaft 15 (2005), S. 91–122; Stefan Breuer, Carl Schmitt im Kontext. Intel‐ lektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin 2012, bsd. Kap. 4. 75 Es hat bereits Versuche gegeben, den Begriff des Politischen im Zusammenhang der ge‐ schichtswissenschaftlichen Forschungen fruchtbar zu machen. Siehe Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, 2. Aufl., Frankfurt / M. 1994. Ferner Ulrich Meier, Martin Papenheim und Willibald Steinmetz, Semantiken des Politi‐ schen. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert (= Das politische Kommunikation, Bd. 8), Göttingen 2012.
1. Die Öffnung des Politischen in der Philosophie der Antike
Unser Verständnis des politischen Denkens in der griechischen Antike leidet seit langem unter einer Idealisierung. Besonderer Beliebtheit erfreut sich nämlich ein Bild der Griechen, das sich vor allem durch die einflussreichen Werke Hannah Arendts und Jürgen Habermas’ allgemein verbreitet hat, wonach die Griechen in der Polis das Problem des bloßen Lebens, also der auf die Befriedigung der körper‐ lichen Bedürfnisse bezogenen Angelegenheiten, von der Politik, den Angelegenhei‐ ten der Polis, prinzipiell getrennt hätten. 76 Die Griechen hätten die ersteren An‐ gelegenheiten exklusiv dem Haushaltsbereich zugeordnet und die Politik als einen davon grundsätzlich unterschiedenen Bereich angesehen, in dem es ausschließlich um die Exzellenz, die Würde und die Ehre geht. Was an diesem Argument wirk‐ lich erstaunt, ist, dass man kaum je versucht hat, es historisch zu begründen bzw. zu überprüfen. Eine sorgfältige Lektüre von Arendts Vita activa zeigt, dass diese einfallsreiche Philosophin ihre Phantasie von den Griechen sehr dürftig mit realen Dokumenten und Quellen belegt, obwohl sie ihr Argument zunächst historisch an‐ legte. Freilich gab es Einwände. 77 Den Triumphzug dieses mythischen Bildes der Griechen unter den Philosophen und Politologen konnten sie aber nicht aufhal‐ 76 Hannah Arendt, The Human Condition, Chicago 1958, bsd. S. 7–49; Jürgen Haber‐ mas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchung zu einer Kategorie der bürger‐ lichen Gesellschaft, 5. Aufl., Frankfurt / M. 1996, bsd. S. 56–58. Siehe auch Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, bsd. S. 256–258. 77 Peter Spahn, Oikos und Polis. Beobachtungen zum Prozess der Polisbildung bei Hesiod, Solon und Aischylos, in: Historische Zeitschrift 231 (1980), S. 529–564; Jon Elster, The Market and the Forum: Three Varieties of Political Theory, in: Foundations of So‐ cial Choice Theory, hg. von Jon Elster und Aanund Hylland, Cambridge 1986, S. 125–126 (wieder abgedruckt in: Ders., Deliberative Democracy. Essays on Reason and Politics, hg. von James Bohman, Cambridge, Mass. 1997, S. 3–33). Siehe auch die von Elster zitierte folgende Bemerkung von Moses I. Finley, Politics, in: The Legacy of Greece: A New Ap‐ praisal, hg. von Moses Finley, Oxford 1981, S. 31: „Then, as now, politics was instrumental for most people, not an interest or an end in itself.“ Im Hinblick auf die Arendtsche These der Unterscheidung der Polisordnung vom ökonomischen Anliegen bei den Griechen siehe auch folgende Diskussionen: Richard Bernstein, Rethinking the Social and the Politi‐ cal, in: Ders., Philosophical Profiles: Essays in a Pragmatic Mode, Cambridge, Mass. 1986, S. 238–59; Hannah Fenichel Pitkin, The Attack on the Blob: Hannah Arendt’s Concept of the Social, Cambridge 1998; Steven Klein, „Fit to Enter the World“: Hannah Arendt on Politics, Economics, and the Welfare State, in: American Political Science Review 108/4 (2014), S. 856–869.
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ten. Giorgio Agamben, der dieses mythische Bild der Griechen zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen in seinem Homo sacer machte, behauptete sogar, dass die Grie‐ chen zwei Lebensbegriffe unterschieden hätten, das bloße Leben (ξωή) und das zivilisatorisch qualifizierte Leben (βίος) – ein Argument, das jeden Kenner der griechischen Texte von Platon und Aristoteles höchst verblüfft. Einen schlagenden Gegenbeleg, nämlich dass Aristoteles den Begriff ξωή gerade in seiner Definition des Bürgers der Polis verwendet (φύσει πολιτικὸν ζῷον), versucht er für irrelevant zu erklären. 78 Das Problem dieses popularisierten Bildes besteht nicht allein in seiner eigenen historischen Ungenauigkeit, ja Falschheit. Was unsere Diskussion betrifft, verdeckt dieses Bild nämlich die eigentliche geschichtliche Realität, dass das Interesse an der körperlichen Sicherheit und dem materiellen Wohl des Eigenen, der eigenen Familie, der eigenen Verwandten und der eigenen Gemeinschaft, also jene bloß pragmatischen Interessen den Begriff der Polis und der Ethik oder Sittlichkeit bei den Griechen von vornherein bestimmt haben. Um es knapp zu formulieren: Die Griechen kannten kein Politisches, das von den „ökonomischen“ Angelegenheiten grundsätzlich getrennt war. Damit wird auch der Mythos stark infrage gestellt, dass der auf das materielle Interesse, nicht auf das ethische Ideal orientierte Politikbe‐ griff erst später in der Dekadenz der griechischen Polis entstand. Was sich im Herbst des Polis-Zeitalters im politischen Denken der Griechen entscheidend geändert hat, war das Aufkommen eines radikalen Zweifels an der herkömmlichen Überzeugung, dass jene Interessen durch das ethische Verhalten im Rahmen der Polis realisiert werden können. Im Folgenden werden wir diese diskursive Transformation von ih‐ ren Anfängen bis zu dem Zeitpunkt verfolgen, wo aus dieser Krise heraus der Begriff des Politischen als eines autonomen Denkens- und Handlungsbereiches überhaupt erst entstand. Anschließend werden wir uns auf die Frage einlassen, wie wiederum eben dieser Begriff des Politischen am Ende der Antike von einflussreichen Den‐ kern diskriminiert und anathemisiert wurde.
1.1 Die Geltung der Ethik in der Politik vor Platon: Die nezessitaristische Begründung der Ethik und Politik
Platons berühmter Dialog Protagoras enthält die Erzählung des berüchtigtsten So‐ phisten aus Abdera († ca. 420), der diesem Dialog seinen Namen gab, über die Entstehung der Polis. 79 Diese Erzählung bringt ein Verständnis der Ethik und des 78 Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt / M. 2002, bsd. thesenhaft S. 11 f. Direkt dagegen Jacques Derrida, Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, übers. von Horst Brühmann, Frankfurt / M. 2006, S. 43 f. 79 Im Folgenden die Zitate aus Platons Werken nach: Platon, Sämtliche Werke, hg. von
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Die Öffnung des Politischen in der Philosophie der Antike
Rechts zum Ausdruck, das in der Sophistik eine weite Verbreitung erlebt zu haben scheint. 80 Sie beginnt mit der Erklärung, wie der Mensch von Göttern als Mängel‐ wesen erschaffen wurde, das kein Schutzmittel gegen die feindliche Umwelt besaß. Der Gott Epimetheus, der von der Gesamtheit der Götter beauftragt wurde, alle Kreaturen mit Gaben zu versehen, damit sie überleben und ihre Gattung fortbeste‐ hen könnten, habe vergessen, eine Gabe für den Menschen übrig zu lassen. Ein an‐ derer Gott, Prometheus, der für die Aufsicht der Arbeit von Epimetheus zuständig gewesen sei, habe daher die Techniken von Hephaistos und Athena gestohlen und sie den Menschen gegeben. Hieraus habe sich die materielle Kultur des Menschen entwickelt. Am Anfang hätten die Menschen aber noch zerstreut ohne Bindung zueinander gelebt, weil sie keine politische Weisheit (σοφία πολιτική) gekannt hät‐ ten, die immer noch exklusiv Zeus vorbehalten geblieben sei. Ohne politische Kunst (τέχνη πολιτική) sei jeder Versuch des Menschen für die Bildung einer politischen Gemeinschaft zum Scheitern verurteilt gewesen, und ohne Gemeinschaft sei das Menschengeschlecht dem Angriff der Tiere immer noch hilflos ausgeliefert gewe‐ sen. Erst als Zeus, bekümmert um das Überleben des Menschengeschlechts, den Menschen durch Hermes Scham (αἰδώς) und Recht (δίκη) geschenkt habe, seien die Polisordnungen (πόλεων κόσµοι) begründet und damit das bürgerliche Leben ermöglicht worden. In dieser Erzählung liegt die doppelte Begründung der Geltung der ethischen Normen und des Rechts vor, die die Griechen nicht von einander unterschieden Ursula Wolf, 4 Bde., Hamburg 1994, soweit nicht anders vermerkt. Die griechischen Be‐ griffe aus Platon, Protagoras, Griechisch-Deutsch, übers. mit Kommentar von HansWolfgang Krautz, Stuttgart 1987. Über die Sozial- und Staatstheorie von Protagoras siehe Andreas Graeser, Die Philosophie der Antike, Bd. 2: Sophistik und Sokratik, Plato und Aristoteles, 2. Aufl., München 1993, S. 20–31; Klaus Friedrich Hoffmann, Das Recht im Denken der Sophistik (= Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 104), Leipzig 1997, S. 12– 70; Martin Sattler, Der Mythos des Protagoras, in: Die Sophistik. Entstehung, Gestalt und Folgeprobleme des Gegensatzes von Naturrecht und positivem Recht, hg. von Stephan Kirste, Kay Waechter und Manfred Walther, Stuttgart 2002, S. 32–40; Helga Scholten, Die Sophistik. Eine Bedrohung für die Religion und Politik der Polis?, Berlin 2003, S. 35– 63; Robert C. Bartlett, Political Philosophy and Sophistry: An Introduction to Plato’s Protagoras, in: American Journal of Political Science 47/4 (2003), S. 612–624; Paul De‐ mont, L’efficacité en politique selon le Protagoras de Platon, in: Protagoras of Abdera: The Man, His Measure, hg. von Johannes M. van Ophuijsen, Marlein van Raalte und Peter Stork (= Philosophia Antiqua, Bd. 134), Leiden 2013, S. 113–138, und Paul Woodruff, Euboulia as the Skill Protagoras Taught, im selben Band, S. 179–193. Über den Mythus der Urgründung der Polis bei Protagoras siehe bsd. Bernd Manuwald, Protagoras’ Myth in Plato’s Protagoras: Fiction or Testimony?, im selben Band, S. 163–177. Ferner siehe Reimar Müller, Die Entdeckung der Kultur. Antike Theorien von Homer bis Seneca, Düssel‐ dorf 2003, S. 71–86. 80 Protagoras, 320c–322d.
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und unter einem Begriff, dem „Gesetz“ (νόµος), zusammenfassten. Einerseits hät‐ ten die ethischen Normen und das Recht einen göttlichen Ursprung, d. h. die po‐ litische Kunst stamme direkt von Zeus. Also sei die politische Weisheit, die jene Ordnung der Polis ermögliche, eine göttliche Weisheit. Andererseits ist die politi‐ sche Weisheit nach Protagoras eine Lösung für die Nöte des menschlichen Daseins, deren bedrohliche Wirkungen für jeden denkfähigen Menschen wahrnehmbar sind. Also unterscheidet sich die politische Kunst in diesem Punkt keineswegs von den übrigen Künsten, die gerade aufgrund der sichtbaren Nöte durch das rationale Den‐ ken des Menschen erfunden werden. Dieser Gedanke, dass das göttlich Geltende und Gute sowie das für die Men‐ schen unmittelbar Nützliche und Vorteilhafte widerspruchslos miteinander einher‐ gehen, charakterisiert zum großen Teil auch das ethische und politische Denken der vorsokratischen Zeit. Bereits Aischylos ließ in seinen Eumenides die Göttin Athena den Bürgern von Athen versprechen, dass sie statt des Bürgerkriegs Frie‐ den und Wohlstand haben würden, wenn sie das alte Gesetz der Blutrache aufgäben und sich dem Gesetz des Zeus, der sittlichen Ordnung der Polis, unterwürfen. 81 Das Recht und die ethischen Normen als Grundlage der Polis stammen zwar von der göttlichen Weisheit, sind aber weder abstraktes Gebot, noch eine Offenbarung eines Gottes, noch ein reiner Imperativ im Kantischen Sinne, sondern beweisen ihre Geltung im Sinne des unmittelbaren Nutzens für das Leben der Menschen. Diese alte Idee ist jetzt bei Protagoras in seiner Begründung der Polisordnung zur Ausformulierung gekommen. Er misst der göttlichen Weisheit eine unmittelbare Wirkung auf das Beheben der sichtbaren Nöte und auf die Bedürfnisse des Lebens hin bei. Die Welt, die Protagoras hier vorstellt, funktioniert aufgrund einer unfehlbaren, klaren Kausalität zwischen Tat und Folge: Man wird zufrieden und glücklich, indem man als ein ethisches Subjekt handelt; ein gottesfürchtiger und sittlicher Mensch 81 Aischylos, Eumenides, Griechisch-Englisch, hg. und übers. (ins Englische) von A. J. Podlecki, Warminster 1989, S. 900 ff. Vgl. K. J. Dover, The Political Aspect of Aeschylus’s Eumenides, in: Journal of Hellenic Studies 77/2 (1957), S. 230–237; E. R. Dodds, Morals and Politics in the ‚Oresteia‘, in: Proceedings of the Cambridge Philological Society 186/6 (1960), S. 19–31 (wieder abgedruckt in: Ders., Aeschylus, hg. von Michael Lloyd, Oxford u. a. 2008, S. 245–264); Meier, Die Entstehung des Politischen, S. 144–246; J. Peter Eu‐ ben, Justice and the Oresteia, in: American Political Science Review 76/1 (1982), S. 22–33 (wieder abgedruckt in: Ders., The Tragedy of Political Theory. The Road not Taken, Prin‐ ceton 1990, S. 67–95); Mark Griffith, Power and Politics in the „Oresteia“, in: Classical Antiquity 14/1 (1995), S. 62–129; Kurt A. Raaflaub, The Breakthrough of Demokratia in Mid-Fifth-Century Athens, in: Origins of Democracy in Ancient Greece, hg. von Kurt A. Raaflaub, Josiah Ober und Robert Wallace, Berkeley, Los Angeles und London 2007, S. 105–154; Arlene W. Saxonhouse, Findings vs. Constitutions: Ancient Tragedy and the Origin of Political Community, in: The Cambridge Companion to Ancient Greek Po‐ litical Thought, hg. von Stephen Salkever, Cambridge 2009, S. 42–65, hier S. 51–58.
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erntet am meisten. Diese Vorstellung von der politischen Ordnung, die sicherlich manche moderne Menschen einfach als naiv abtun werden, kann „nezessitaristisch“ genannt werden. Die menschliche Welt ist ein Teil des gesamten Kosmos und von klar erkennbaren Gesetzen geregelt. Die Welt, die der Nezessitarismus voraussetzt, ist wie eine Maschine, die aufgrund berechenbarer Regeln funktioniert, nach denen man für die ethisch und rechtlich korrekten Handlungen belohnt, für die unethi‐ schen und unrechtlichen Handlungen aber bestraft wird. Ein wichtiger Teil des nezessitaristischen Weltverständnisses geht auf die ho‐ merische Zeit zurück. Wie viele Forschungen betont haben, findet man in den homerischen Epen noch keine von sichtbarem Nutzen und Vorteil unabhängige Be‐ gründung der Handlungsnormen. Die Götter in den homerischen Epen begründen ihre Weisheiten und Weisungen, die sie den Helden vorschreiben und befehlen, mit unmittelbar einsichtigen und spürbaren Vorteilen, die ihre Erfüllung mit sich brin‐ gen kann, wie Reichtum, Ruhm, Ehre und Langlebigkeit. Der Befehl der Götter als solcher besitzt sicherlich eine schlichte Geltung. Aber ist er zugleich nützlich. 82 Hier spiegelt sich eine historische Zeit wider, in der man die Frage, wie man han‐ deln soll, kaum von der Überlegung trennte, welchen Nutzen und Vorteil man sich durch die Handlung verschaffen kann. Die Welt wird eben von den Göttern so ver‐ waltet, dass jemand, der ihren Weisungen gehorcht, einen Vorteil, aber jemand, der nicht gehorcht, einen Nachteil auf sich zieht. Die Götter, die den Menschen je nach ihrer Leistung belohnen oder bestrafen, werden bei Hesiod in seinen Erga an die ethischen und rechtlichen Normen ge‐ bunden. 83 Bei Hesiod kommt das Bewusstsein der alle Mitglieder einer Gesellschaft
82 Bruno Snell hat in seiner Analyse einer Szene aus der Ilias geschrieben, wo Achill, der Aga‐ memnon mit dem Schwert angreifen will, von Athena zurückgehalten und gemahnt wird: „Wenn also Achill der Göttin folgt, wenn er seine Leidenschaft hemmt, tut er es, weil ihm so ein großer Vorteil winkt. ‚Moral‘ enthält diese Begründung nicht, und doch hätte, auch nach homerischer Auffassung, Achill ein großes Unrecht begangen, wenn er dem Führer al‐ ler Griechen mit der Waffe zu Leibe gegangen wäre. Dass er es nicht tut, war also moralisch. Das Motiv für etwas zweifellos Moralisches verengt sich also derart, dass das Gute als das Nützliche empfohlen wird; das hat bei den frühen Griechen eine weite Geltung.“ Bruno Snell, Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, 8. Aufl., Göttingen 2000, S. 153. 83 Hesiod, Werke und Tage, Griechisch-Deutsch, hg. und übers. von Otto Schönberger, Stuttgart 1996. Hesiods Rechts- und Gerechtigkeitsbegriff, den wir im Folgenden dis‐ kutieren werden, wird in allen Forschungen über den Rechts- und Gerechtigkeitsbegriff seit der archaischen Zeit behandelt. Aus der ausgedehnten Literatur siehe vor allem: Kurt Latte, Der Rechtsgedanke im archaischen Griechentum, in: Antike und Abendland 2 (1946), S. 63–76 (wieder abgedruckt in: Ders., Kleine Schriften. Zu Religion, Recht, Lite‐ ratur und Sprache der Griechen und Römer, hg. von Olof Gigon, München 1968, S. 233– 251; wieder abgedruckt in: Ders., Zur griechischen Rechtsgeschichte, hg. von Erich Ber‐
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beanspruchenden objektiven und unabänderlichen ethischen und rechtlichen Nor‐ men noch deutlicher zum Vorschein als bei Homer. Zeus tritt hier als Vater der Gerechtigkeit (δίκη) auf, welche die ethischen Normen und das Recht beseelt. 84 Seine Macht, die bei Homer die Gehorsamkeit belohnt und den Widerstand be‐ straft, wird jetzt bei Hesiod für den Schutz der ethischen und rechtlichen Normen gebraucht. Misshandelt man seine Tochter, die Gerechtigkeit, dann rächt sie Zeus. 85 Hesiods folgende Ermahnung enthält genau diesen Gedanken: Die aber Fremden und Heimischen rechten Bescheid geben und keinen Finger breit vom Recht abweichen, denen gedeiht die Stadt, es blüht in ihr die Gemeinde, Friede herrscht im Land, der die Jugend nährt, und der weit blickende Zeus ver‐ schont sie vor leidvollem Krieg. Auch folgen weder Hunger noch Unheil gerechten Männern, sondern sie genießen die Früchte vollbrachter Feldarbeit bei frohen Fes‐ ten. Ihnen spendet die Erde reichen Ertrag; im Bergland aber trägt ihnen die Eiche Früchte in der Krone, Bienen im Stamm, und ihre Wollschafe gehen schwer unter lastendem Vlies. Die Frauen aber gebären den Vätern gleichende Kinder. Ständig gedeiht ihr Glück, und so fahren sie auch nicht auf Schiffen hinaus, sondern die kornspendende Flur trägt ihnen Frucht. Wem aber schlimme Gewalt und Frevel‐ taten gefallen, denen verhängt Zeus, der weitblickende Kronide, gerechte Strafe, und oft schon büßte die ganze Stadt für einen Schurken, der Frevel und Misseta‐ ten verübt. Solchen sendet Kronion schweres Leid vom Himmel, Hunger und Pest zugleich, und ganze Völker verderben. Ihre Frauen gebären nicht, und Geschlech‐ ter schwinden durch Ränke des Olympischen Zeus dahin, oder der Kronide richtet strafend ihr starkes Heer, die Mauer oder ihre Schiffe im Meer zugrunde. 86
Zeus als Garant der Ordnung der Polis belohne also die gerechten Handlungen durch Nutzen und Vorteil, bestrafe aber die ungerechten durch Schaden und Nach‐
necker, Darmstadt 1968, S. 77–98); Hildebrecht Hommel, Wahrheit und Gerechtigkeit. Zur Geschichte und Deutung eines Begriffspaars, in: Antike und Abendland 15/2 (1969), S. 159–186; Michael Gagarin, DIKE in the Works and Days, in: Classical Philology 68/2 (1973), S. 81–94; Ders., DIKE in Archaic Greek Thought, in: Classical Philology 69/3 (1974), S. 186–197; Michael Erler, Das Recht (∆ΙΚΗ) als Segenbringerin für die Polis. Die Wandlung eines Motivs von Hesiod zu Kallimachos, in: Studi italiani di filolo‐ gia classica, 3. Ser. 5 (1987), S. 5–36; Hartmut Erbse, Die Funktion des Rechtsgedankens in Hesiods ‚ERGA‘, in: Hermes 121 (1993), S. 12–28; Kurt Raaflaub, Die Anfänge des politischen Denkens bei den Griechen, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 1: Frühe Hochkulturen und europäische Antike, hg. von Iring Fetscher und Herfried Münk‐ ler, München 1988, S. 234–239. 84 Hesiod, Werke und Tage, Zeile 256–261. 85 Ebd. 86 Ebd., Zeile 224–246.
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teile. 87 Bei Hesiod tritt deutlich die Vorstellung hervor, dass die Welt einer klaren Kausalität folgt, welche die Tat und ihre Konsequenz miteinander verbindet. Das ethische und politische Denken des Solon im 6. Jahrhundert v. Chr. in Athen war die Fortsetzung dieses nezessitaristischen Verständnisses der Welt und der Ethik. In einer seiner Moralelegien stellte er fest, dass diejenigen, die die Gerech‐ tigkeit nicht beachten, letztendlich die Strafe der Gerechtigkeit erhalten werden. Verletzte Gerechtigkeit räche sich an der ganzen Stadt durch Bürgerkrieg, Kriegsnot und Knechtschaft. 88 Für Solon ist die Welt durchsichtig und weist eine empirisch zu bestätigende klare Kausalität auf. Die nezessitaristische Auffassung der Welt und der Polis beantwortete die exis‐ tenzielle und zugleich fundamentale Frage, die bei jedem Versuch der Begründung einer sittlichen und rechtlichen Ordnung gestellt wird: Warum muss man jene Ord‐ nung akzeptieren und ihren Bestimmungen gehorchen? ‚Ich halte mich an den Be‐ fehl der Götter, denn er ist für die Menschen verbindlich. Ich befolge ihn jedoch auch deshalb, weil es sich für mich lohnt‘, so lautet die Antwort im Zusammen‐ hang des nezessitaristischen Welt- und Ethikverständnisses. Hier tritt ein einzelner Bürger nicht nur als ein gottesfürchtiger Mensch auf; er ist zugleich ein gut kalkulie‐ render Mensch: Ich gehorche den Göttern, weil ich davon maximal profitieren bzw. den Schaden minimal halten kann. Ein frommer Mensch zu sein und ein rationa‐ les, auf Eigennutz bedachtes Subjekt zu sein: Das geht hier untrennbar miteinander einher. Um eine Sittlichkeit als reiner Imperativ, der den Menschen bedingungslose Gehorsamkeit abverlangt, geht es hier hingegen nicht. Der Gedanke, dass man die Geltung der sittlich- und rechtlichen Ordnung auch auf das rationale Interessenskalkül begründen kann, kehrt in der Geschichte der eu‐ ropäischen politischen Ideen immer wieder. Die frühneuzeitlichen Theoretiker des Gesellschaftsvertrags, besonders Thomas Hobbes, haben behauptet, dass ein ratio‐ 87 Vgl. bsd. Erler, Das Recht (∆ΙΚΗ) als Segenbringerin. 88 Christoph Mülke, Solons politische Elegien und Iamben (Fr. 1–13; 32–37 West). Einlei‐ tung, Text, Übersetzung und Kommentar, Leipzig 2002, Frag. 4. Über Solons Rechts- und Gerechtigkeitsbegriff: Latte, Der Rechtsgedanke im archaischen Griechentum, S. 70 ff.; Gagarin, DIKE in Archaic Greek Thought, S. 190–192; Martin Ostwald, From Po‐ pular Sovereignty to the Sovereignty of Law. Law, Society, and Politics in Fifth-Century Athens, Berkeley u. a. 1986, S. 3–15; Raaflaub, Die Anfänge des politischen Denkens bei den Griechen, S. 234–239; Oswyn Murray, Solonian Laws of Hybris, in: Nomos. Essays in Athenian Law, Politics, and Society, hg. von Paul Cartledge u. a., Cambridge 1990, S. 139–145; Joseph Almeida, Justice as an Aspect of the Political Idea in Solon’s Political Poems. A Reading of the Fragments in Light of the Researches of New Classical Archaeology, Leiden und Boston 2003, Kap. 5 ; Isabella Tsigarida, Solon. Begründer der Demokratie? Eine Untersuchung der sogenannten Mischverfassung Solons von Athen und deren „demokratischer“ Bestandteile, Bern u. a. 2006; Wolf-Dieter Gudopp-von Behm, Solon von Athen und die Entdeckung des Rechts, Würzburg 2009; Charlotte Schubert, Solon, Tübingen und Basel 2012, bsd. S. 18–66.
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naler Egoist doch auch ein guter Bürger sein kann. 89 Ein guter Bürger ist bei Hobbes eben nicht zuletzt ein gut kalkulierender Mensch. 90 Die Entstehung und Entwick‐ lung des Staats verdankt sich der Erkenntnis einzelner Menschen, dass die Grün‐ dung des Staates letztendlich die beste Möglichkeit zur Bewahrung ihrer Grundin‐ teressen ist. Solche Einsicht ist aber nur dann erreichbar, wenn jeder Mensch alle ihm zur Verfügung stehenden möglichen Handlungsoptionen und deren Vorgänge und Konsequenzen sorgfältig und rational zu Ende denkt. Am Ende der rationa‐ len Folgerungskette gelangt man nach Hobbes zur Gesellschaftsgründung und dem Abschluss eines Herrschaftsvertrags. Am Anfang und im tiefsten Grund der sittlichpolitischen Ordnung steht also der Mensch als ein kalkulierender Egoist. In der anfangs diskutierten Erzählung des Protagoras erscheint die Rationalität des Menschen noch beschränkt. Denn seine Rationalität allein reicht nicht dazu aus, sich selbst die sittliche Ordnung eigenmächtig auszudenken, noch eigenhändig zu schaffen. Erst mithilfe von Zeus gelangt er zur Idee der Schaffung der sittlichen und rechtlichen Ordnung. Erst danach erkennt er den zwischen dem Selbstinteresse und dem sittlichen Zusammenleben eine Brücke schlagenden Mechanismus. Diese Beschränktheit der Rationalität lässt den Göttern noch einen Spielraum übrig. Daher bleibt bei Protagoras ein sittlicher Mensch zugleich ein frommer Mensch, der der göttlichen Weisung bedingungslos gehorcht. Dieser Raum, der dem Zugriff der Götter im sittlichen Leben des Menschen in der Polisordnung zuge‐ teilt wird, verschwindet aber bald. Einschlägig ist hier eine in fragmentarischem Zustand überlieferte, in der Forschung Anonymus Iamblichi genannte Schrift eines unbekannten Sophisten aus dem späten 5. bzw. frühen 4. Jahrhundert vor Chris‐ tus. 91 Die sittlich- und rechtliche Ordnung der Polis wird hier allein als Resultat der automatischen Reaktion des Menschen auf den Mangelzustand seines Daseins verstanden. So liest man in dieser Schrift:
89 Über den vertragstheoretischen Ansatz im griechischen politischen Denken siehe grund‐ legend Charles H. Kahn, The Origins of Social Contract Theory, in: The Sophists and Their Legacy, hg. von G. B. Kerferd, Wiesbaden 1981, S. 92–108. 90 Siehe Richard Tuck, Hobbes, übers. von S. Krause und K. Malowitz, Freiburg i. Br. 1999, S. 68–119; Herfried Münkler, Thomas Hobbes, 2. Aufl., Frankfurt / M. u. a. 2007, S. 80–140. 91 Anonymus Iamblichi, in: Die Sophisten, Griechisch-Deutsch, hg. mit einer Über‐ setzung von Thomas Schirren und Thomas Zinsmaier, Stuttgart 2003, S. 324–340. Zur Diskussion: Hoffmann, Das Recht im Denken der Sophistik, S. 290–333; Ders., Der Einzelne und der Staat im Traktat des Anonymus Iamblichi, in: Die Sophistik. Entstehung, Gestalt und Folgeprobleme des Gegensatzes von Naturrecht und positivem Recht, hg. von Stephan Kirste, Kay Waechter und Manfred Walther, Stuttgart 2002, S. 147–57; Mül‐ ler, Die Entdeckung der Kultur, S. 86–92; Richard D. McKirahan, Philosophy Before Socrates: An Introduction with Texts and Commentary, 2 Aufl., Cambridge, Mass. 2011, S. 419 ff.
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Wenn nämlich die Menschen von Natur unfähig waren, einzeln für sich zu leben, sondern sich, der Notwendigkeit gehorchend, zueinander gesellten, wenn sie alles, was zum Leben gehört, samt den dazu dienlichen Künsten erfunden haben und wenn es ihnen schließlich unmöglich ist, in Gemeinschaft zu sein und dabei im Zustand der Gesetzlosigkeit zu leben (denn größerer Schaden entstünde ihnen so als bei jener vereinzelten Lebensweise) – aufgrund dieser Notwendigkeiten also gebieten Gesetze und Recht über die Menschen und lassen sich auf keine Weise beseitigen. Denn sie sind fest mit der Natur verknüpft. 92
Die sittlich-rechtliche Ordnung der Polis ist durch die rationale Überlegung einzel‐ ner Menschen auf den maximalen Nutzen und Vorteil bzw. den minimalen Schaden und Nachteil hin strukturiert, so ist das Fazit dieses anonymen Autors. Die Geltung dieser Ordnung beruht auf dem sichtbaren Nutzen und den spürbaren Vorteilen, die die daran Beteiligten, die Bürger, aus dieser Ordnung herleiten. Dabei defi‐ niert der anonyme Autor den Nutzen und Vorteil im Sinne der materiellen Güter noch klarer. So bleibt hier weiterhin das Bild des Bürgers als kalkulierendes Subjekt grundlegend. Im Vergleich zur Gesellschaftstheorie des Protagoras ist hier der göttliche Ein‐ griff in die Gründung der Ordnung der Polis restlos entschwunden. Jetzt ist allein das rationale Denken des Menschen für den ganzen Gründungsvorgang einer Polis bestimmend geworden. Seine Kalkulationsfähigkeit gibt sich nun nicht mehr da‐ mit zufrieden, die göttliche Weisung zu erfahren, ihre hervorragende Rationalität zu verstehen und in die Wirklichkeit umzusetzen. Man denkt sich nun allein von den eigenen menschlichen Bedürfnissen und Nöten ausgehend eine sittliche und recht‐ liche Ordnung als Lösung aller Probleme aus. Jetzt taucht der Bürger als rationales Subjekt ohne irgendeinen transzendenten Zusatz auf. Dies war das Bild des Bürgers, das die sophistische Moralphilosophie bis Platon vor Augen hatte: Ein Rationalist, der alles auf sein Eigeninteresse hin zielbewusst kalkuliert und das Ergebnis seines Rechnens planmäßig in die Praxis umsetzt. Es erübrigt sich, hier darauf näher einzugehen, dass diese Begründung der Sitt‐ lichkeit und der politischen Ordnung keineswegs eine Relativierung der sittlichen Forderung bedeutet. Ganz im Gegenteil fordert der Anonymus Iamblichi dazu auf, die unsichtbare und innerliche Qualität, die Tugend, den sichtbaren und äußerli‐ chen Gütern vorzuziehen, und nach ewigem Ruhm anstatt nach schändlicher Lust zu streben. 93 Der Kern seines Gedankens ist jedoch, dass alle diese menschlichen Werte in der Befriedigung der Grundbedürfnisse und Abwendung der Nöte des Le‐ bens ihre letzte Begründung haben. Bei dem anonymen Autor entfaltet sich also im
92 Anonymus Iamblichi, 6.1, S. 334. 93 Ebd., 1.2, S. 326.
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vollen Umfang die Idee, dass die Sittlichkeit das Ergebnis eines rationalen Nutzen‐ kalküls ist.
1.2 Die sophistische Herausforderung an den Nezessitarismus
Der Anonymus Iamblichi bezeichnet den Höhepunkt des nezessitaristischen und rationalistischen Verständnisses der ethischen und rechtlichen Normen. Zur glei‐ chen Zeit, besonders nach dem späten 5. Jahrhundert v. Chr., entstand eine Serie gewaltiger Polemiken gegen diese Vorstellung. Sie kann anhand einiger erhaltener Schriftfragmente wie den Dissoi logoi und vor allem in den Berichten Platons in seinen Dialogen wie Gorgias, Politeia und Nomoi belegt werden. 94 Die Polemik wurde mit einer besonderen Intensität gegen die objektive Geltung der ethischen und rechtlichen Normen gerichtet. Entweder die ethischen und rechtlichen Regeln seien von den Schwächeren geschaffen, um die Mächtigeren zu bändigen, so be‐ hauptet Kallikles im Gorgias, 95 oder das Recht ist nichts anderes als dem Stärkeren Zuträgliche (εἷναι τὸ δίκαιον οὐκ ἄλλο τι ἢ τὸ τοῦ κρείττονος συµφέρον), so ar‐ gumentiert Thrasymachos in der Politeia. 96 Ihre starke Skepsis gegenüber der Geltung der ethischen und rechtlichen Nor‐ men vermittelt uns den Eindruck, als wären sie eine völlig neue Erscheinung in der Geschichte von Griechenland gewesen. Jedoch hatte das pragmatische und rationa‐ listische Verständnis der Ethik und des Rechts, das der Radikalität ihres Denkens zugrunde liegt, wie wir bereits gesehen haben, die moral- und politikphilosophi‐ schen Überlegungen der griechischen Antike von vornherein geprägt: Schlicht gut (ἀγαθόν) sein, ohne dabei auf ein bestimmtes und sichtbares Gut abzuzielen, das war dem Denken der Griechen eigentlich fremd. Der revolutionäre Charakter der sophistischen Moralskeptiker lag eher darin, dass sie die traditionelle Annahme ablehnten, das praktische Interesse könne durch das sittliche Verhalten im Rahmen der Rechtsordnung der Polis am besten reali‐ siert werden. Dahinter stand wiederum das radikal veränderte Bild der Welt und des Menschen. Im zweiten Buch von Platons Politeia fasst Glaukon, ein Gesprächspart‐ ner von Sokrates in diesem Dialog, die Weltauffassung jener Sophisten folgender‐ 94 Für eine gesamte Übersicht über die sophistische Polemik gegen die traditionelle Rechts‐ verfassung: G. B. Kerferd, The Sophistic Movement, Cambridge 1981; Kirste / Waechter / Walther (Hg.), Die Sophistik; Sarah Broadie, The Sophists and So‐ crates, in: The Cambridge Companion to Greek and Roman Philosophy, hg. von David Sedley, Cambridge 2003, S. 73–97; Hoffmann, Das Recht im Denken der Sophistik; Scholten, Die Sophistik: Eine Bedrohung für die Religion und Politik der Polis? 95 Gorgias, 483c. Alle Zitaten aus Platons Werken stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Platon, Sämtliche Werke, hg. von Ursula Wolf, 4 Bde., Hamburg 1994. 96 Politeia, 338c.
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maßen zusammen: Die ursprüngliche Lebenssituation des Menschen sei es gewesen, dass man den anderen kein Unrecht antun konnte, ohne selbst Unrecht zu leiden; dies habe die Menschen zu dem Entschluss geführt, es zu unterlassen, sich gegen‐ seitig zu schaden, und ihre Verhältnisse durch Gesetze und Verträge zu regulieren; dieser Entschluss sei aber fragil, weil von der Natur jeder dem anderen Unrecht antun würde, falls er dabei das Unrechttun des anderen vermeiden könnte. 97 Aus dieser Erkenntnis folge, so Glaukon, das Argument der Sophisten, dass es sich lohne, Unrecht zu tun, sofern man dabei unerwischt bleiben und der Strafe entkommen könne. Die Anfangsannahme dieser sophistischen Erzählung ist ganz im Sinne der Ver‐ tragstheorie des Protagoras und anderer, dass nämlich jeder Mensch am ehesten auf die Maximierung seines eigenen Interesses bedacht sei und so handle. Um die Wir‐ ren des Interessenkampfes zu vermeiden, treten alle in den gemeinsamen Vertrag ein, wodurch die sittliche und rechtliche Ordnung geschaffen wird. Im nächsten Moment tritt aber eine Überlegung auf, die bei Protagoras und anderen nicht begeg‐ net, dass diese Ordnung dem Klugen und Mächtigen den besten Boden verschafft, sein Interesse zu maximieren, ohne fürchten zu müssen, Nachteile daraus zu zie‐ hen. Also fährt Adeimantos, ein anderer Gesprächsteilnehmer in der Politeia, im Anschluss an Glaukon fort, dass nach den Sophisten der Ungerechte durch seine geschickte Vortäuschung der Gerechtigkeit in seiner Stadt Gewalt ausübt, weil er den anderen als gerecht gelte. Aufgrund dieses Ruhmes könne er diejenige heiraten, welche er wolle, und sich aufgrund dieser guten Ehebeziehung und Verwandtschaft wiederum mit jedem verbinden und Gemeinschaft haben, mit dem er wolle, und dadurch in allen Dingen gefördert werden, indem er Gewinn ziehe durch sein heim‐ liches Unrechttun. 98 Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass die sophistische Moralskepsis auch die Existenz der Götter heftig ablehnte, die von Hesiod bis Protagoras als Garanten der Wirksamkeit der sittlichen und rechtlichen Ordnung galten. So war ihre Kritik an der Moral häufig verbunden mit dem damals verbreiteten Atheismus. 99 Es ist kein 97 Ebd., 358e–359c. 98 Ebd., 362b. 99 Als ein Beispiel des von der Moralskepsis unabhängigen Atheismus ist Kritias zu nennen. Der Sophist bezeichnet in seinem Sisyphos-Fragment Götter als eine kluge Erfindung ei‐ nes weisen Mannes, der damit bei den Schlechten Furcht erregen wollte. Das Fragment in: Schirren (Hg.), Die Sophisten, S. 278–280. Siehe Christian Rossner, Das Sisyphos-Frag‐ ment des Kritias, in: Die Sophistik, hg. von Stephan Kirste, Kay Waechter und Manfred Walther, S. 133–146; Müller, Die Entdeckung der Kultur, S. 97–102; Hoffmann, Das Recht im Denken der Sophistik, S. 273–289; Scholten, Die Sophistik, S. 228– 257. Prodikos hielt Götter lediglich für mythische Personifikationen nützlicher irdischer Dinge. Siehe Müller, Die Entdeckung der Kultur, S. 92–97; Scholten, Die Sophis‐ tik, S. 132–152.
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Zufall, dass Platon in den Nomoi über die Verbreitung des Atheismus als Grundlage der sophistischen Moralskepsis klagte, nämlich über die Ansicht, dass die Götter gar nicht von Natur aus da, sondern bloße künstliche Phantasiegebilde und Setzungen seien. 100 Freilich kannte man bereits vor den sophistischen Moralskeptikern die Diskre‐ panz zwischen der Erwartung des ethischen Tuns und dem tatsächlichen Ausgang. In der Tat können die Bösen eher reich und mächtig werden als die Gerechten. Da‐ her stellten sich die Verteidiger der sittlich-rechtlichen Ordnung eine lockere Kau‐ salität zwischen der ethischen Qualität der Handlung und ihrer Folge vor. Nicht jedes Glück oder Leiden, das ein Mensch oder eine Gruppe erfährt, kann unmittel‐ bar auf eigenen Verdienst bzw. eigene Schuld rückbezogen werden. Die folgenden Strophen aus einer der Moralelegien des Solon bieten sich hier als ein gutes Beispiel an: Solcher Art ist Zeus’ Strafe; aber nicht bei einem jeden – wie ein sterblicher Mensch – bricht er jäh in Zorn aus, doch immer bleibt vor ihm und ununter‐ brochen keineswegs unverborgen, wer frevlerische Regung hegt, und in jedem Fall zeigt er sich deutlich am Ende; vielmehr: der eine büßt sogleich, der andere spä‐ ter; doch alle, die selbst entkommen und die nicht göttlicher Schickung Ansturm trifft: da kommt sie in jedem Fall wieder; unschuldig büßen die Werke entweder die Kinder oder das Geschlecht in der Zukunft. 101
Man kann schwerlich von einer kausalen Auswirkung der göttlichen Gerechtigkeit sprechen, wenn Götter für die Untat einer Person ihre ganze Familien-, Sippenoder Stadtmitglieder bestrafen. So nennt Solon die Kinder und die Geschlechter, die für die Untaten ihrer Vorahnen und Mitglieder die Buße tragen, eigentlich ‚un‐ schuldig‘ (ἀναίτιοι). Es bleibt hier ganz ungeklärt, warum einmal die unmittelbar Schuldigen und einmal die Unschuldigen bestraft werden. Solon erkannte an, dass die göttliche Schickung (µοῖρα), die die Welt regiert, einen unerklärlichen Aspekt enthält. Glück und Unglück seien, so Solon, allein der göttlichen Schickung über‐ lassen und niemand wisse, wo er am Ende landen werde, wenn die Sache beginne; der eine versuche gut zu handeln und falle doch in großes und schlimmes Unheil, der andere handle schlecht, erhalte jedoch Erlösung von seiner Torheit; so sei bei allen Handlungen Gefahr (κίνδυνος) im Spiel. 102 Dieses Bewusstsein führte jedoch keineswegs direkt zum Zweifel an der gerech‐ ten Weltlenkung durch Gott (oder die Götter). Wir müssen berücksichtigen, dass 100 Nomoi, 888e–890a, bsd. 889e. Sowohl das griechische Original als auch die Übersetzung der Nomoi stammen aus: Platon, Sämtliche Werke, Bd. 9, hg. von Karlheinz Hülser u. übers. von Friedrich Schleiermacher und Franz Susemihl, Frankfurt / M. 1991. 101 Frag. 13, Zeile 25–32. 102 Frag. 13, Zeile 63–70.
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in der damaligen griechischen Gesellschaft die Identität eines Individuums groß‐ teils von seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt wurde, und dass es nicht das Gefühl einer absoluten Ungerechtigkeit hervorgerufen hätte, wenn ein Mitglied einer bestimmten Gruppe für die Tat anderer Schuld trug. Daher konnte man ange‐ sichts einer fehlenden Übereinstimmung zwischen dem Glück / Unglück und dem Verdienst / der Schuld im Leben eines Mannes, einer Familie, einer Sippe oder einer Polis versuchen, jene einzelnen Ereignisse in eine noch größere Dramatik einzuglie‐ dern, die letztendlich die gerechte Regierung dieser Welt durch die Götter beweist. Das Unglück eines unschuldigen Menschen kann z. B. als Buße für die Schuld ei‐ nes seiner Familienmitglieder oder seiner Vorfahren erklärt werden. Dadurch wurde es möglich, die nezessitaristische Vorstellung beizubehalten, die die eiserne Kau‐ salkette zwischen Tat und Lohn behauptet. Wie wir aufgrund des Gedankengangs seiner gesamten erhaltenen Elegien vermuten können, wollte Solon in den oben zitierten Strophen eigentlich die Allmacht Gottes, nicht seine Willkür betonen. Solon wollte die Unfehlbarkeit der göttlichen Gerechtigkeit beweisen, statt sie zu relativieren. Es lag nicht in seiner Absicht, die Zufälligkeit und Wechselhaftigkeit des Verlaufes der menschlichen Angelegenheiten und die jeglichem menschlichen Unternehmen anhaftende fundamentale Ungewissheit und Unsicherheit zu thema‐ tisieren. Die sophistischen Moralskeptiker hoben dagegen die Irrationalität des Weltge‐ schehens hervor. Durch die ethischen Handlungen gelange man zu nichts als Nach‐ teilen. Indem sie die Geltung der Sittlichkeit in der Polis auf diese Weise ablehnten, haben die Sophisten einen anderen Begriff der politischen Rationalität begründet. Diese Idee der politischen Rationalität wurde von Thukydides im berühmten Me‐ lier-Dialog im fünften Buch der Geschichte des Peloponnesischen Krieges dem atheni‐ schen Gesandten in den Mund gelegt: (I)m menschlichen Verhältnis gilt Recht bei Gleichheit der Kräfte, doch das Mögliche der Überlegene durchsetzt, der Schwache hinnimmt (δίκαια µὲν ἐν τῷ ἀνθρωπείῳ λόγῳ ἀπὸ τῆς ἴσης ἀνάγκης κρίνεται, δυνατὰ δὲ οἱ προὐχοντες πράσσουσι καὶ οἱ ἀσθενεῖς ξυγχωροῦσιν). 103 Die po‐ litische Rationalität liegt also nach Thukydides darin, das Machtverhältnis genau zu ermessen und den Stärkeren zu gehorchen oder die Schwächeren zu zwingen. In ähnlichem Sinne behauptet Kallikles im Gorgias, dass es gerecht ist, dass der Ed‐ lere mehr habe als der Schlechtere und der Tüchtigere als der Untüchtigere (δίκαιόν ἐστιν τὸν ἀµείνω τοῦ χείρονος πλέον ἔχειν καὶ τὸν δυνατώτερον τοῦ ἀδυνατωτέρου). 104 Hier wird zwar die Idee der Gerechtigkeit selbst noch bewahrt, un‐ 103 Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Griechisch-Deutsch, hg. und übers. mit Einleitung und Erläuterungen von Georg Peter Landmann, München 1993, Buch 5.89, S. 794; J. Doyle, The Fundamental Conflict in Plato’s Gorgias, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 30 (2006), S. 87–100. 104 Gorgias, 483d.
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terliegt jedoch einer radikalen Bedeutungsumwandlung und Neubestimmung. Sie wird de facto ausgehöhlt. Genau wie in der Rede des athenischen Gesandten bei Thukydides kommt eigentlich der Machtüberlegenheit alleinige und absolute Gel‐ tung zu. Das oberste Ziel des politischen Handelns soll nun in der Vergrößerung der Macht liegen. Politische Rationalität bedeutet jetzt, die Machtverhältnisse ge‐ nau zu erfassen und daraus eine Handlungsstrategie abzuleiten. Hingegen schadet ein Mensch, der jedem gegenüber gerecht (im üblichen Sinne des Wortes) handelt und von anderen die gleiche Behandlung verlangt, sich selbst; er ist unvernünftig. Bei den Sophisten scheiden sich bereits zwei Menschenbegriffe voneinander, die im nezessitaristischen Verständnis der Welt und der Geltung der Ethik und des Rechts eins waren, nämlich der vom ethischen Menschen und der vom rationa‐ len Menschen. Die alte Gedankentradition in Griechenland, in der der rationale Mensch und der sittliche Mensch eine untrennbare Einheit gebildet hatten, brach hier zusammen. Die Politik, oder das Staatsleben, ist der Bereich, in dem die Men‐ schen um die Machtüberlegenheit miteinander konkurrieren und kämpfen. Der ethische Mensch hat dort überhaupt keine Relevanz. Daher wirft Kallikles Sokra‐ tes heftig seinen Versuch vor, die jungen Leute sich um die philosophische Weisheit bemühen zu lassen. Solche Bemühungen mache sie lediglich für das öffentliche Le‐ ben unfähig, ja idiotisch, wie er Sokrates verspottet. 105 Die sophistische Skepsis und Kritik an der alten Ansicht bezeichnet einen wich‐ tigen Moment in der Entwicklung des Gedankens, dass die Politik einen speziellen und autonomen Bereich ausmacht, der nach eigenen Regeln und Rationalität ver‐ waltet werden muss. Dennoch können wir hier noch nicht von der Herausbildung des Konzeptes der Politik als autonomen Bereich im Bewusstsein der Griechen sprechen. Denn die sophistische Moralskepsis besaß nur eine sehr schwache gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise. Ihr Augenmerk galt dem Interesse des Einzelnen, sah aber von der Frage völlig ab, welche Folgen ein solcher Wettkampf am Ende mit sich brin‐ gen kann. Die sophistischen Skeptiker hatten kaum eine normative Gesellschaftsund Staatstheorie. Dies ist ihr entscheidender theoretischer Mangel. Als Thrasy‐ machos behauptete, dass das Gerechte lediglich das dem Stärkeren Zuträgliche war, wollte er damit nicht sagen, dass man ein solches Recht für legitim halten und sich um dessen Realisierung bemühen müsse. Er war aber auch nicht daran interessiert, ein solches Recht für pervers zu erklären und Widerstand und Reform gegen eine derartige Verformung des Rechts aufzurufen. Was er ausdrücken wollte, war eine Lebensweisheit für die Einzelnen, im Wettkampf mit anderen erfolgreich zu sein. Die Auswirkung der systematischen Ausübung solcher Weisheit unter den Men‐ 105 Gorgias, 484c – 486d. Vgl. Alexander Aichele, Kallikles’ Einsicht. Die Unvereinbarkeit von Philosophie und Politik in Platons Gorgias, in: Philosophisches Jahrbuch 110 (2003), S. 197–225.
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schen kam kaum in seine Sichtweite. Die Herstellung eines neuen normativen Ziels der Politik lag überhaupt nicht in seinem Interesse oder in dem anderer Moralskep‐ tiker. In diesem Sinne war ihre Lehre eher eine Anti-Politik. Jedoch muss zugegeben werden, dass die sophistischen Moralskeptiker durch ihre radikale Kritik eine neue Entwicklung in den politischen Ideen in Athen pro‐ vozierten. Wir werden im Folgenden anhand der politischen Theorie von Platon und Aristoteles sehen, wie die politische Theorie in Athen durch die Auseinan‐ dersetzungen mit den Sophisten einen neuen Weg eingeschlagen hat und wie das sophistische Erbe, vor allem das radikale Auseinanderfallen der zwei Menschenbe‐ griffe, des sittlichen und des rationalen Menschen, und damit ein neuer Begriff der politischen Rationalität allmählich in den Mittelpunkt des Blicks geriet.
1.3 Die Entstehung des Politischen im griechischen Denkhorizont 1.3.1 Statt des Kalküls moralische Einsicht: Ein Verständnis von der Geltung der Ethik
An der Oberfläche ist Platons Moral- und Politikphilosophie durchaus traditionell. Wie Hesiod und Solon glaubte er, dass die sittlichen Handlungen und die Rechts‐ ordnung der Polis ihre Berechtigung im Nutzen und Vorteil haben, den sie den Bürgern bringen. Platon lässt im zehnten Buch der Politeia Sokrates seine Über‐ zeugung gegenüber Adeimantos, der am Anfang des Dialoges seine Sympathie zu Thrasymachos zeigt, aussprechen: Du wirst also schon leiden, wenn ich von ihnen dasselbe sage, was du von den Un‐ gerechten sagtest. Ich will nämlich sagen, dass die Gerechten, wenn sie nur erst älter geworden sind, in ihrer Vaterstadt jedes Amt erhalten, das sie nur wollen, dass sie in die Familien heiraten, in die sie wollen, und sie ihre Töchter ausgeben, wo‐ hin sie nur wollen; und alles, was du damals von jenen behauptet hast, behaupte ich jetzt von diesen. 106
Wie er selber sagt, widerlegt Platon hier die sophistische Moralskepsis Wort für Wort. Diese Stelle zeigt uns die pragmatische Dimension des Denkens Platons. Sein Ar‐ gument ist durchaus in die Denktradition eingebettet, die Protagoras und der Autor des Anonymus Iamblichi über die Entstehung und Funktion der Polis vertreten. Zwar spricht er nicht direkt von einem Vertrag als Gründungsmoment einer politischen Gesellschaft, doch sind bei ihm manche Ansätze der alten Gesellschaftstheorie wie‐ derzufinden. Wie Protagoras und der Anonymus Iamblichi stellte Platon in seiner 106 Politeia, 613c–d.
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Rekonstruktion des Herausbildungsprozesses der Polis in der Politeia die Befriedi‐ gung der Grundbedürfnisse der einzelnen Bürger für die Lebenserhaltung an den Anfang. Platon stimmte der alten Ansicht zu, dass die Polis eigentlich eine Güterge‐ meinschaft sei, durch die die Bedürfnisse und Nöte des individuellen Bürgers gedeckt werden. So lässt er Sokrates in der Politeia feststellen: Es besteht also eine Polis, weil jeder einzelne von uns sich selbst nicht genügt, sondern vieler bedarf. 107 Platon rekon‐ struiert, wie sich der anfängliche Zusammenschluss mit der Zunahme der sich ihm anschließenden Menschen allmählich zur Ordnung der Polis entwickelt. 108 Hinter dieser traditionellen Fassade vollzog sich aber die bedeutendste Trans‐ formation des politischen Diskurses in der Antike überhaupt. Eine der wichtigsten Änderungen, die Platon gegenüber den Denkern der früheren Zeit vornahm, ist eben seine neue Bewertung der ethischen Tugenden. Platon schrieb jenen Tugenden einen von ihrer Dienstbarkeit für das Erwerben anderer, sichtbarer Güter unab‐ hängigen und diesen weit überlegenen Wert zu. Dies wird in der Politeia bei seiner Kritik an der bisherigen Gerechtigkeitsbestimmung sichtbar, die ihm zufolge nie die Ungerechtigkeit aus anderen Motiven getadelt oder die Gerechtigkeit aus anderen Motiven gepriesen hat, als immer nur um den Ruhm, die Ehren, die Gaben, die ihnen daraus entspringen. 109 Im Gegensatz dazu gehe es ihm darum, zu zeigen, dass die Ge‐ rechtigkeit unter die größten Güter gehört, welche sowohl ihrer Folgen wegen wert sind, besessen zu werden, als auch um ihrer selbst willen. 110 So vergleicht Platon in der Po‐ liteia die Gerechtigkeit mit dem Sehen, Hören, Bewusstsein und Gesundsein, die zwar an keinerlei Brauchbarkeit gebunden sind, aber dennoch durch ihr bloßes Tä‐ tigsein selbst dem Besitzenden und Ausübenden Lust (ἤδονή) verleihen. 111 Man bemühe sich, gerecht zu sein, weniger um dadurch irgendein Glücksgut zu erwer‐ ben als vielmehr um der Gerechtigkeit willen, sozusagen um es zu genießen, gerecht zu sein. Durch die neue Bestimmung der Geltung der Ethik konnte Platon das da‐ mals überraschende Argument vorlegen, der arme Philosoph sei glücklicher als der reiche Tyrann oder der tote Sokrates als der lebende Demagoge. Denn seine Neube‐ wertung ermöglichte es Platon, die sittlichen Handlungen und die Rechtsordnung der Polis unabhängig von den sichtbaren Folgen und Nutzen zu würdigen. Damit hat er die griechische Moralphilosophie auf eine andere Bahn gebracht. Es erübrigt sich hier, noch einmal zu betonen, dass die Denker der vorplatoni‐ schen Zeit wie Hesiod, Solon, Protagoras oder der Anonymus Iamblichi keineswegs ‚vulgäre Materialisten‘ waren, die den sichtbaren und erfahrbaren Glücksgütern den Vorrang vor den moralischen und sozialen Tugenden gaben, und den Wert der letz‐ 107 108 109 110 111
Ebd., 369b. Ebd., 369b–c. Ebd., 366e. Ebd., 367c. Ebd.
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teren nur im Zusammenhang ihres unmittelbaren Nutzens für den Erwerb von materialen Gütern anerkennen wollten. Doch bei all diesen vorplatonischen und sophistischen Moraldenkern wurden die ethischen Vorschriften nicht von ihrem praktischen Nutzen unabhängig gedacht. Dieser pragmatische Bezug erklärt die ra‐ sche Wirksamkeit der sophistischen Moralskepsis auf die athenische Bürgerschaft. Ihre Kritik an der Annahme der Kausalität zwischen der ethischen Tugend und dem praktischen Nutzen galt im damaligen ethischen Gedanken als direkter Angriff auf das Fundament jeder ethischen Idee und jeden ethischen Arguments. Wenn ihre Kritik zutraf, entschwand damit auch die Geltung der ethischen Werte. Durch die Trennung des Geltungsproblems der Ethik vom sichtbaren Nutzen konnte Platon diese Schwäche des herkömmlichen Moraldiskurses beheben. Platon bewahrt mit seinem neuen Begriff der Geltung der ethischen Normen formal noch das traditionelle Verständnis des ethischen Bürgers als gut kalkulieren‐ dem rationalem Egoisten. Denn ein ethischer Mensch entbehrt nach Platons Begriff bei seiner Handlung keines Genusses, den er sonst haben konnte, sondern erwirbt den höchsten Genuss. Seine Überlegung im Protagoras über die Tugend und ihre Lehrbarkeit wird vom Grundaxiom getragen, dass vergnügtes Leben gut, unange‐ nehmes Leben aber schlecht ist (ἡδέως ζῆν ἀγαθόν, τὸ δ᾽ ἀηδῶς κακόν). 112 Ein gutes Leben ist für ihn nichts Anderes als ein lustvolles Leben. So sagt er: Das Heil unseres Lebens beruht auf der richtigen Wahl von Lust und Unlust, der mehreren oder wenigeren, größeren oder kleineren, sowohl nahen als fernen, also ein Messen, da sie Überschuß, Untermaß, und Gleichheit gegenseitig zu untersu‐ chen hat. 113
So konnte Platon im Protagoras den Kern der sittlichen Entscheidung als einen ra‐ tionalen Denkprozess schildern, indem er sie die messende Erkenntnis (ἐπιστήµη µητρητική) nannte. 114 So wies Platon auch die weit verbreitete Ansicht zurück, die Masse verfehle die ethischen Prinzipien deswegen, weil sie zwar wisse, was nach dem sittlichen Maßstab zu tun sei, jedoch von der Lust verführt werde. Wenn man wirk‐ lich auf die Lust bedacht wäre, und erkennen würde, wo die größte Lust liege, würde man ethisch handeln. Der wahre Grund für die Verfehlung der ethischen Begriffe sei daher das „Vermessen“, also ein einfacher Rechenfehler bei dem Vergleich der Menge der Lust. So bewährt sich bei Platon die herkömmliche und gängige Konzeption des Bürgers als rational kalkulierendem Egoisten und der Sittlichkeit als Schluss aus ei‐ nem solchen Kalkül sogar noch weiter. 115 112 113 114 115
Protagoras, 351b–c. Ebd., 357a–b. Ebd., 357d. Vgl. Die folgende Bemerkung von Peter Stemmer, Der Grundriss der platonischen Ethik. Karlfried Gründer zum 60. Geburtstag, in: Zeitschrift für philosophische For‐
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Jedoch befindet sich hinter der Maske des kalkulierenden Egoisten bei Platon bereits ein anderer Begriff des idealen Bürgers, nämlich der eines Weisen, der am sittlichen Handeln als solchem Lust zu empfinden weiß. Dies ist an seiner Diskus‐ sion über den Grund für die Tapferkeit im Protagoras ersichtlich. 116 Dort belegt er seine These, dass die Tapferkeit aus der Erkenntnis, und die Feigheit aus der Un‐ kenntnis stammt, durch einen Vergleich des Verhaltens eines mutigen mit dem eines feigen Kriegers. Aus dem Umstand, dass die Tapferen gerne beim Krieg ins Feld zie‐ hen, folgert er im ersten Schritt, dass die Kriegsbeteiligung schön und gut ist. Denn, wenn sie schön und gut ist, ist sie gleichzeitig angenehm (εἴπερ καλὸν καὶ ἀγαθόν, καὶ ἡδύ). 117 Sein nächster Schritt läuft so: Wenn also ein Feiger vorm Kriegsfeld wegläuft, tut er dies, so Platon, aus der Unkenntnis der wahren Lust. Gerade hier bringt aber Platon einen besonders qualifizierten Lustbegriff ins Spiel, der mit dem üblichen Lustbegriff schwer vereinbar ist. Es ist also nicht erstaunlich, dass Protago‐ ras gerade an dieser Stelle sein Zögern anmeldet, Platons Argumentation bejahend zu folgen. Es ist deutlich geworden, dass Platon seinen politischen Überlegungen einen Be‐ griff des Bürgers zugrunde legt, der die besondere geistige Anlage hat, auch einer normalerweise furchterregenden extremen Situation oder sonstigen unangenehmen Situation mit Gelassenheit, sogar Freude begegnen zu können. In den Augen der damaligen Griechen (und auch in unseren modernen Augen) konnte ein derar‐ tig weiser Mensch nur das Produkt einer besonderen Bildung sein. Die politische Weisheit ist daher nicht jedem vernunftbegabten Menschen automatisch zu eigen. Sein Schüler, Aristoteles, sollte es dann zu seiner Aufgabe machen, den athenischen Bürgern solche Bildung anzubieten, wenn er sich auch mit seinem konkreten Bil‐ dungsbegriff deutlich von seinem Lehrer distanzierte, der die Bildung im Sinne des Entkommen aus der Höhle und des Zurückkehrens zur ursprünglichen Wahrheit, also des Anschauens der Ideenwelt, verstand. 118 Die Implikation und die Radikalität der Änderung, die Platon mit seiner neuen Begründung der Geltung der Ethik vorgenommen hat, wird noch deutlicher bei Aristoteles, der sein Denken durch die konstante Auseinandersetzung mit Platon entwickelte, und dabei manche Ideen seines Lehrers kritisiert, aber andere auch übernommen und weiterentwickelt hat. Bei Aristoteles zeigt sich noch klarer der neue Begriff des Bürgers, den Platon als erster entwickelt hat. Bei ihm erscheint ein
schung 42/4 (1988), S. 541: „Der Begriff, im Blick auf den letztlich nur eine Antwort gegeben werden kann, ist der des Wohls, des Glücks des einzelnen. Platon akzeptiert den motivationstheoretischen Grundsatz der Sophisten: Man hat nur Gründe, das zu tun, was letztlich für einen selbst gut ist.“ 116 Protagoras, 359a ff. 117 Ebd., 360a. 118 Politeia, 514a ff.
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ethischer Bürger als Ergebnis einer speziellen Bildung, als deren Lehrer Aristoteles sich versteht. Der traditionelle Begriff des Bürgers als eines rational rechnenden In‐ dividuums tritt bei ihm deutlich zurück. Anders als sein Lehrer, der den Vorrang der ethischen Normen dadurch bewei‐ sen zu können glaubte, sie auf die Ebene der von ihrer Praktizierung ableitbaren Lust umzurechnen und mit der Lust anderer äußerer und körperlicher Glücksgüter zu vergleichen, 119 macht Aristoteles die Geltung und Priorität der ethischen Nor‐ men von vornherein von der Frage der Lust unabhängig. Die ethischen Normen haben einen eigenen Wert, der mit der von den äußerlichen und körperlichen Gü‐ tern ableitbaren Lust weder vergleichbar noch umtauschbar ist. Für Aristoteles ist die Entscheidung für die ethische Handlung nicht das Ergebnis des numerischen Vergleiches zwischen den Lustgraden. Diejenigen, die die seelische Tugend besitzen und praktizieren, sind im Urteil des Aristoteles schlicht glücklicher als alle anderen, die mit sichtbaren Gütern reichlich versehen sind. So sagt Aristoteles in der Politik, dass das glückselige Leben, mag es nun in der Freude oder in der Tugend oder in beiden vereinigt bestehen, weit eher denen zuteil wird, die mit den Vorzügen des Ver‐ standes und Charakters bis zum Übermaß geschmückt sind, während sie von den äußeren Gütern nur einen mäßigen Teil besitzen, als solchen, die von den letzteren mehr haben, als sie brauchen können, und dagegen mit den ersteren nur mangel‐ haft versehen sind. 120
Die sichtbaren Güter besitzen bei Aristoteles keinen eigenen Wert. Die äußeren und körperlichen Güter sind nach Aristoteles nur um der Seele willen wünschenswert. Sie haben ihren Sinn lediglich darin, der ethisch hervorragenden Lebensführung zu dienen. 121 Aristoteles verlässt freilich den traditionellen diskursiven Boden nicht völlig, der den Vorrang der sittlichen Handlung als Ergebnis der rationalen Berechnung dar‐ stellt. So behauptet er, dass die ethische Tugend auch im Sinne der bloßen Brauch‐ barkeit die äußerlichen und die körperlichen Glücksgüter übertrifft. 122 Wichtig für unsere Diskussion ist aber, dass ein solcher Vergleich bei Aristoteles kein unentbehr‐ licher Beweis für die Geltung der Ethik mehr ist. Er steht einer solchen Kalkulation, 119 Aristoteles unterteilt die Quelle des Glücks in drei Kategorien: die äußeren Güter, die kör‐ perlichen Güter und die seelische Tugend. Siehe Politik, 1323a 25 ff. Im Folgenden wird aus Aristoteles, Politik, übers. von Franz Susemihl, Hamburg 1994, zitiert. Für das griechische Original wurde die Ausgabe Politica, hg. von W. D. Ross, Oxford 1957, heran‐ gezogen. 120 Politik, 1323b 1–6. 121 Ebd. 15 ff. 122 Ebd., 1323b 6 ff.
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die er gemäß dem Logos sehen (κατὰ τὸν λόγον σκοπεῖν) 123 nennt, durchaus skep‐ tisch gegenüber. Er fragt sich, ob es überhaupt angemessen ist, in der Diskussion über die seelische Tugend außer vom Edlen auch noch vom Brauchbaren zu re‐ den. 124 Die Geltung der ethischen Tugend als des besten Glücksgutes ist von ihrer Brauchbarkeit unabhängig. 125 So behauptet Aristoteles: Auch würden wir uns um vieles bemühen, auch wenn es uns keine Lust brächte, wie um Sehen, Erinnerung, Wissen, Besitz der Tugenden. Wenn dem nun notwendi‐ gerweise Lust folgt, so macht das keinen Unterschied; denn wir würden es wählen, auch wenn keine Lust folgte. 126
Der wahre Grund für die ethische Entscheidung und Handlung ist daher die Ein‐ sicht, die die ethisch korrekte Handlung zum Selbstzweck macht. Damit bewegt sich Aristoteles zu der Position hin, dass die Ethik bereits in ihrer bloßen Betätigung ihr Ziel hat. Ein guter Bürger entscheidet sich nach Aristote‐ les für die ethische Handlung allein aus dem schlichten Grund, dass eine solche Handlung edel ist. Um ein ethischer Mensch zu werden, benötigt man weniger die Fähigkeit des guten Rechnens als die Erziehung und Bildung, durch die man eine Einsicht erwirbt, die nicht von Natur aus gegeben ist: Die Seele steht schlechthin und für uns höher als äußerer Besitz und als der Leib. 127 Aristoteles wusste, dass die Ordnung der Polis nicht mehr im Sinne des natürli‐ chen Wachstums einer Gütergemeinschaft erklärt werden kann. Die vollkommene Ordnung der Polis und die vollkommene Selbstgenügsamkeit (αὐτάρκεια), die in ihr verwirklicht werden soll, 128 setzen nach seiner Ansicht die Einsicht und Ent‐ scheidung der einzelnen Bürger voraus, als ethisches Subjekt zu handeln. Rein durch die rationale Kalkulation können sie nicht zustandekommen. Aristoteles fand es daher nötig, seinen Bürgern gegenüber zu betonen, dass die Polis zwar des Le‐ bens (ζῆν) wegen entstanden ist, aber doch um des guten Lebens (εὖ ζῆν) willen besteht. 129 Diese Aussage enthält nicht nur die Lehre der evolutionären Stufen der Polis. Sie besagt zugleich, dass die ethisch bewussten Bürger die Polis zu ihrer Vollendung bringen können. Wenn Aristoteles den Menschen als von Natur aus 123 Ebd., 1323b 6–7. 124 Ebd. 12–13. 125 Nikomachische Ethik (im Folgenden ‚EN‘), 1173b 15–20, 1174a 5 ff. Im Folgenden wird aus Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, übers. und komm. von Olof Gigon, 3. Aufl., München 1998, zitiert. Das griechische Original von Aristoteles nach: Ethica Ni‐ comachea, hg. von Ingram Bywater, Oxford 1894. 126 EN, 1174a 4–8. 127 Politik, 1323b 16–7. 128 Ebd., 1252b 28–29. 129 Ebd. 28–30.
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zum Leben in der Polis bestimmtes Wesen definiert, ist in dem Naturbegriff bereits die Neigung zum ethischen Leben mitinbegriffen. 130
1.3.2 Ein neuer Begriff des politischen Wissens und des politischen Subjektes
Platon hat bei seinem Versuch, die sittlich-rechtliche Ordnung der Polis als ver‐ bindlich zu begründen, die mythologische Idee der Weltleitung durch Gott und der eisernen Kausalität zwischen Tat und Lohn noch einmal bestärkt. Im Gorgias spricht Platon noch von dem Gericht vor den Göttern nach dem Tod. 131 Platon drückte seine Überzeugung von der gerechten Weltführung Gottes ein weiteres Mal in der Geschichte von Er aus, einer legendären Figur im zehnten Buch der Politeia. Er stellt darin fest, dass die Gerechten nach dem Tod größte Lust genießen würden, die Ungerechten aber als Strafe die höchsten Unannehmlichkeiten durchlitten. 132 Im zehnten Buch der Nomoi behandelt Platon die gerechte Weltverwaltung Gottes noch ausführlicher: Gott, der das Universum verwalte, trage Sorge dafür, dass alle Dinge so angeordnet sind, wie es zur Erhaltung und Vollkommenheit des Ganzen erforderlich sei. Innerhalb dieser Ordnung des Ganzen sei die Stellung des einzelnen Menschen je nach der Änderung seines Seelenzustandes beweglich und wechselhaft: So werde einem jeden der ihm angemessene Ort zugewiesen, damit allen dasjenige Los zu Teil werde, welches ihnen gebührt. 133 Betrachtet man seine Argumentationen noch näher, stellt sich jedoch heraus, dass Platon von der göttlichen Weltleitung etwas Anderes sagt als Hesiod und So‐ lon. Der sicherste Erfüllungsort der Gerechtigkeit Gottes ist nach Platons Denken weniger das hiesige irdische Leben, sondern vielmehr das Jenseits, obwohl er nicht ganz leugnet, dass die Gerechten und Edlen bereits in diesem Leben ihre Belohnung erhalten, wie wir bereits gesehen haben. Sowohl im Gorgias als auch im Phaidon behauptet Platon, dass der Tod für den Menschen, der sich durch seine gerechte Lebensführung und die Pflege der philosophischen Weisheit auszeichnet, auch ein Glück sein kann. 134 Auch später in den Nomoi stilisiert er den Tod, jenen Wohnsitz im Hades, als die höchste Belohnung für die gerechten Menschen. 135 Eine sich hier deutlich abzeichnende Gleichgültigkeit bzw. Indifferenz gegenüber dem Glück und der Not in dieser Welt führt Platon im Gorgias zur erstaunlichen These, dass man besser eine Strafe für seine Missetat bekommen als sie vermeiden sollte, um dadurch 130 131 132 133 134 135
Ebd., 1252b 31 ff. Gorgias, 523a–524a. Politeia, 613e–621b. Nomoi, 903b–4e. Gorgias, 523a–b; Phaidon, 107c–d; ebd., 114c. Nomoi, 904d–e.
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seine Seele zu verbessern und das wahre Glück zu erhalten. 136 Aus demselben Grund sollte man nach Platon seinen Feinden wünschen und ihnen sogar dazu verhelfen, für ihre Missetat ungestraft zu bleiben und damit die Chance für die Selbstkorrek‐ tur zu verlieren. 137 Platons Begriff des Glücks weist im Vergleich zu den früheren Denkern einen deutlichen Transzendenzbezug auf. Indem er seinen Mitbürgern das Ideal eines Weisen empfahl, der die Unvernünf‐ tigkeit dieses Lebens und das Leiden der ungerechten Welt gelassen erträgt und sich mutig und zuversichtlich weiter um die ethische Exzellenz seines eigenen Le‐ bens bemüht, drückt er seine zunehmende Skepsis gegenüber dem herkömmlichen Glauben aus, dass sich diese Welt nach einer Kausalität bewegt. In dieser Welt ist es durchaus möglich, dass die gerechten Menschen leiden, während es den Ungerech‐ ten wohlergeht. Niemand kann sich gewiss sein, dass die moralische Tat auch das sichtbare Glück mit sich bringen wird. Bei Platon tritt also das nezessitaristische Weltverständnis sichtbar zurück. Für Platon war die Welt zwar noch kein Chaos, jedoch weit entfernt von einer Art Kausalitäts-Maschine, wie sie sich die früheren Denker vorgestellt hatten. Damit nähert sich Platon bereits dem Moralrigorismus der christlichen Den‐ ker der späteren Zeit, den wir später anhand von Augustins Morallehre näher be‐ trachten werden. Platon unterschied sich jedoch von jenen christlichen Denkern in einem entscheidenden Punkt, indem er nämlich die Geltung der ethischen und rechtlichen Normen nicht allein in Gott als der Quelle der Wahrheit und Gerech‐ tigkeit begründet sah. Sein Begriff der Ethik hat einen deutlichen Bezug auf die Polis als entscheidenden Rahmen für das Leben. Die Ethik soll dem gesamten Ge‐ meinwesen dienen, wodurch die Sicherheit und das Wohl des Einzelnen zugleich gewährleistet werden. 138 Das Streben nach der Sicherheit begründet die Befassung der Politik mit der Philosophie. Seine Leitfrage im Kernteil der Politeia, in der die Idee des Philosophenkönigs vorgelegt wird, lautet: Auf welche Weise ein Staat sich mit der Philosophie befassen muss, um nicht unterzugehen. 139 In diesem Sinne betont Platon mehrmals, dass sich die Herrscher seiner idealen Polis nichts anderem ver‐ pflichtet fühlen sollen als dem ihrer Polis Nützlichen, und in ihrem ganzen Leben, was sie der Stadt förderlich zu sein erachten, mit Eifer tun, was aber nicht, das auch auf keine Weise tun wollen. 140 136 Gorgias, 469b ff. Vgl. Peter Stemmer, Unrecht tun ist schlechter als Unrecht leiden. Zur Begründung moralischen Handelns im platonischen ‚Gorgias‘, in: Zeitschrift für philoso‐ phische Forschung 39/4 (1985), S. 501–522. 137 Gorgias, 480e–481a. 138 Freilich war dieser Polisbezug der Ethik nicht auf Platon beschränkt. Hier sei daran zu er‐ innern, dass in der Erzählung des Protagoras Zeus die politische Kunst den Menschen im Hinblick auf das Zusammenleben in der Polis gegeben hat. 139 Politeia, 497d. 140 Ebd., 412d und 503a.
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Mit dem Zusammenbruch des nezessitaristischen Weltverständnisses ist es bei Platon zweifelhaft geworden, ob man durch die ethischen Handlungen das irdische Glück des Einzelnen sichern kann. Platon lehnte jeglichen Versuch ab, die ethi‐ schen Normen wegen des Eigeninteresses zu kompromittieren, und vertritt damit die moralrigoristische Position. Die Polis blieb für Platon jedoch weiterhin eine un‐ verzichtbare Größe, aus der alle Handlungsnormen ihre Geltung und ihren Sinn herleiteten. Einen Rückzug aus der Welt kannte Platon als griechischer Denker nicht, weil mit einem solchen Rückzug auch die Geltung der ethischen und rechtli‐ chen Normen erlöschen würde. Die ethischen und rechtlichen Normen haben sich in der Polis zu realisieren. Es ist für seine auf das gemeinsame Leben in der Polis orientierte Philosophie kennzeichnend, dass in Platons Höhlengleichnis der aufge‐ klärte Gefangene nach der Schau der wahren Ideenwelt zur Höhle zurückkehrt, um andere Gefangene aus dem miserablen Zustand der Unkenntnis zu befreien. Dieser Polisbezug seines Denkens bestimmt seine Antwort auf die Frage, wie man handeln muss in dieser Welt, in der man mit den ethischen und rechtlichen Normen zugrunde gehen kann. Platons Antwort ist erstaunlich pragmatisch: Jeder Bürger muss die moralischen Prinzipien, die er zuerst akzeptiert, in der Praxis wie‐ derum im Hinblick auf ihre Wirkungen auf das Wohl der Mitbürger immer neu interpretieren. Ein guter einsichtiger Bürger ist also den Geboten der Ethik und des Rechts verpflichtet und darf sie unter keinen Umständen aus seinem Eigeninteresse heraus modifizieren. Jedoch muss er gleichzeitig verstehen, dass sie ursprünglich für das Zusammenleben mit anderen Mitbürgern geschaffen wurden und der Förde‐ rung des Interesses der gesamten Polis dienen müssen. Daher müssen sie zuerst im Hinblick auf ihre Auswirkung auf das Interesse anderer Bürger gefiltert werden, bevor sie in die Praxis umgesetzt werden. Ein gutes Beispiel ist seine Empfehlung der Manipulation der Vermählung. Platon fürchtet die Verschlechterung der obe‐ ren Schichten, welche die freie Ehe zur Folge haben könne. Jeder Trefflichste sollte der Trefflichsten beiwohnen. 141 Um dieses Prinzip durchzusetzen, müssen die Regen‐ ten die Hochzeit so gestalten, dass die Zuordnung der zu Vermählenden zwar durch Auslosung stattfindet, aber heimlich gesteuert wird, damit die Besten miteinander zusammenkommen können. 142 Dieser erstaunliche ‚Realismus‘ begegnet uns in der Politeia auch in einer kühnen Aussage: Also kann es denen, die in der Polis regieren, wenn überhaupt irgendjemandem, zukommen, Unwahrheit zu reden, der Feinde oder auch der Bürger wegen, zum Nutzen der Stadt. 143
141 Ebd., 459d–e. 142 Ebd., 459e–460a. 143 Ebd., 389b.
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Die Forschung hat Platon gewöhnlich als einen rigorosen Moraldenker dargestellt und ihn damit auf der Gegenseite der ‚realpolitischen‘ Tradition eingeordnet, die nach der gängigen Historiographie der abendländischen politischen Ideen ihren ers‐ ten Anfang bei Thukydides genommen haben soll. Der Rahmen der Analyse, die dieser Lektüre von Platon zugrunde liegt, nämlich die Gegenüberstellung des Idea‐ lismus und des Realismus, ist aber leider allzu einfach, um die Komplexität mancher politischen Denker richtig zu begreifen. Wie gesehen, erweist sich der sogenannte Moralist Platon im Hinblick auf die Sache der Erhaltung der Polis als nicht minder realpolitisch als die übrigen Denker der Machtpolitik der späteren Zeit, sagen wir: als Machiavelli. Platons Bereitschaft, die ethischen Grundsätze für das Interesse der anderen Bürger und des Gemeinwesens zu suspendieren, zu ändern oder abzuschaffen, ver‐ schärfte die Frage, wie und ob man die ethischen Begriffe überhaupt definieren soll. Bereits im Dialog Menon, der nach der etablierten Chronologie noch den frühen Schriften Platons zugeordnet wird, stellte er fest, dass die ethischen Begriffe nur aus der pragmatischen Perspektive definiert werden können. 144 Sokrates: Wenn aber gut, dann nützlich, denn alles Gute ist nützlich, nicht wahr? Überlegen wir doch einmal, was uns nützt, eins nach dem anderen. Gesundheit und Stärke, Schönheit und Reichtum. Das und so etwas nennen wir doch nütz‐ lich, nicht wahr? Menon: Doch. Sokrates: Und das Gutsein ist nützlich. Menon: Ja. Sokrates: Von diesen Dingen sagen wir manchmal aber auch, dass sie schaden, oder sagst du es nicht so? Menon: Doch, allerdings. Sokrates: Dann überlege einmal: Wann nutzen sie uns und wann schaden sie uns, und was ist bei jedem einzelnen Fall dann leitend? Ist es nicht so, wenn der rechte Gebrauch es leitet, nutzt es, wenn nicht, schadet es? Menon: Ja, sicher.
Jede ethische Frage, hier vor allem das Problem des guten Gebrauchs der äußerli‐ chen Güter, um das es in jeder ethischen Überlegung zum erheblichen Teil geht, muss nach Platon in der individuellen Situation entschieden werden. Eine richtige
144 Menon, 87e–88a. Sowohl das griechische Original als auch die deutsche Übersetzung nach: Platon, Menon, Griechisch-Deutsch, hg. und übers. von Margarita Kranz, Stutt‐ gart 1994.
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Entscheidung in den individuellen Situationen steht also im Mittelpunkt des sittli‐ chen Lebens des Bürgers. Dasselbe Bewusstsein findet sich bereits am Anfang der Politeia ausgedrückt, als Sokrates den Kephalos zur Antwort auf die Frage nach der genauen Bestimmung des Glücks anregt. Seine Frage lautet, ob wir so ganz einfach sagen sollen, die Gerech‐ tigkeit sei Wahrheit und Wiedergeben, was einer von einem empfangen hat. Oder ist auch eben dieses bisweilen zwar recht, bisweilen aber auch unrecht zu tun? 145 Platons Antwort ist deutlich negativ. Denn nach Platon kann sich unter Umständen eine einfache Bestimmung wie die Wahrhaftigkeit oder die Rückgabe des Ausgeliehe‐ nen schädlich auswirken. 146 Im nächsten Kapitel werden wir Augustin fast dieselbe Frage stellen, ihn aber in einem sehr anderen Sinne antworten sehen. Platons Pragmatismus erfordert die direkte Auseinandersetzung mit den indivi‐ duellen Handlungsbedingungen, und damit stellt sich theoretisch die weitere Frage nach dem richtigen Umgang mit der Weltkontingenz, die die unvermittelte Anwen‐ dung ethischer und rechtlicher Grundsätze häufig unmöglich macht. 147 Wenn ein Staatsmann oder ein Bürger nach Platon genau erkennen muss, wann er nach festen Regeln handeln, wann er aber auch deren Grenzen überschreiten soll, braucht er ein besonderes Geschick. In den Nomoi sagt Platon: Dass zwar Gott über Alles und neben Gott Glückszufall (τύχη) und Gelegen‐ heit (καιρός) über alle menschlichen Verhältnisse walten, dass jedoch, um weniger strenge zu sein, noch zugegeben werden mag, dass als Drittes auch noch (mensch‐ liche) Geschicklichkeit (τέχνη) hinzukommen müsse. Denn wenn der Sturm uns auf sie anweist, die Kunst des Steuermanns zu Hülfe zu haben oder nicht, das er‐ achte ich wenigstens für einen großen Unterschied. 148
Die Angelegenheiten des Menschen werden gemeinsam von Gott und vom Zufall betrieben, es bleibt jedoch noch der Raum des menschlichen Geschicks übrig. Diese Stelle erinnert einmal mehr an Machiavelli. In seiner berühmten Diskussion über fortuna und virtù im 25. Kapitel vom Principe, die wir später ausführlich diskutie‐ ren werden, stellte Machiavelli neben der fortuna die vernünftige Vorbereitung des Menschen als zweiten bestimmenden Faktor im Lauf der Geschichte fest. Wie wir oben an Platons Empfehlung der Manipulation der Wahl der Ehepartner gesehen haben, räumte schon Platon ebenso wie Machiavelli ein, dass zu diesem Geschick die Übertretung der ethischen und rechtlichen Normen gehört. 149 145 146 147 148 149
Politeia, 331c. Ebd., 331c–d. Politikos, 269c ff. Nomoi, 709b–c. Platon war freilich weder der erste noch der einzige, der den kontingenten Charakter des Weltenlaufs beachtet hat. Abgesehen von den Dichtern und Schriftstellern der Tra‐
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Wie später bei Machiavelli taucht daher auch bei Platon das Problem der Klug‐ heit als zentrales Problem der Politik auf. Denn der Kernpunkt der richtigen Ver‐ waltung der staatlichen Angelegenheiten liegt letztendlich darin, die Besonderheit der Einzelfälle zu begreifen, deren unbegrenzte Variation man nicht vorher kennen kann. Die zahllose Vielfalt und Variation der Einzelfälle, mit denen unser ethi‐ sches Handeln konfrontiert ist, und die daraus resultierende Unfixierbarkeit des praktischen Wissens waren für Platon eine so ernsthafte Frage, dass sie auch sein Denken über die Staatsverfassung entscheidend bestimmte. In seinem mittleren Dialog Politikos wirft er die Frage auf, wer herrschen sollte: Entweder ein mit Klug‐ heit versehener königlicher Mensch (ὁ ἀνήρ µετὰ φρονήσεως βασιλικός) oder das Gesetz? 150 Platon bevorzugt vor allem deswegen die Herrschaft des klugen Men‐ schen vor der Herrschaft des Gesetzes, weil die letztere wegen ihrer Inflexibilität problematisch sei. Nach Platon enthält das Gesetz nur die allgemeinen Bestimmun‐ gen, kann aber keine konkreten Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigen und daher den jeweiligen Situationen nicht gerecht werden. Er beanstandet also die Un‐ fähigkeit der Herrschaft des Gesetzes, das für alle Zuträglichste und Gerechteste genau zu umfassen und so das wirkliche Beste zu befehlen. 151 Denn, so fährt er fort, die Unähnlichkeit der Menschen und der Handlungen und die Unbeständigkeit aller menschlichen Dinge beschränken die Geltung jeder Kunst zeitlich und ört‐ lich. 152 Wenn man einmal von der jeder Alleinherrschaft inhärenten potenziellen Ge‐ fahr der Tyrannei absieht, ist Platon zufolge die ideale Verfassungsform gerade die Herrschaft eines mit Klugheit versehenen Königs, der die Besonderheiten der Ein‐ zelfälle in jeder Hinsicht vollständig berücksichtigen und die beste Entscheidung für das Interesse aller treffen kann. 153 Das Wissen, das ein solcher Monarch besitzt, unterscheidet sich grundsätzlich von den sonstigen logischen Wissensformen wie der Geometrie oder Mathema‐
150 151 152 153
gödie hatte bereits Solon, wie wir oben gesehen haben, in seiner sozialgedanklichen Elegie von der Unbegreifbarkeit der göttlichen Fügung gesungen, um seine Mitbürger von der Allmacht Gottes zu überzeugen. Eine noch nähere Behandlung dieses Themas aus dem Standpunkt der Moral- und politischen Philosophie findet man im Anonymus Iambli‐ chi, in dem die Aufgabe der Politik als Überwindung der Wechselfälle bestimmt wird. Seine Laudatio auf die Rechtsordnung der Polis basiert auf diesem Bewusstsein. So for‐ muliert er die Aufgabe und die Legitimation der Ordnung der Sittlichkeit und des Rechts im Rahmen der Polis. Auch die Glückszufälle (τύχαι), mögen sie nun das Geld oder das Leben betreffen und seien sie gut oder schlecht, werden dank der gesetzlichen Ordnung (εὐνοµία) zum Besten der Menschen gelenkt. Siehe Anonymus Iamblichi, 7.2, S. 336. Politikos, 294a. Das griechische Original Platonis Opera, Bd. 1, hg. von E. A. Duke, W. f. Hicken, W. S. M. Nicoll, D. B. Robinson und J. C. G. Strachan, Oxford 1995. Politikos, 294a–295a. Ebd. Ebd. 294a–295a, 296d–297a.
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tik. 154 Damit wird nicht gesagt, dass ein König keinerlei Wissen jenseits der Staats‐ kunst zu erlernen braucht. Vom Regenten der idealen Verfassung in der Politeia wird erwartet, sich vielerlei Kenntnisse zu erwerben, 155 und dazu gehören bekanntlich jene auf die Regelmäßigkeit und die Rhythmik bezogenen Fächer wie Arithmetik, Astronomie, Geometrie und Harmonielehre. Platon verlangt besonders die Ein‐ sicht in die Idee des Guten als Grundlage allen Verständnisses über die Tugend und Tüchtigkeit und als unentbehrliche Voraussetzung einer idealen Regentschaft. 156 Damit bindet er die politische Praxis noch an die philosophische Einsicht. So ver‐ gleicht Platon das Entwerfen eines Idealstaates der Arbeit der guten Maler, die häufig auf beiden hinsehen, auf das von Natur Gerechte, Schöne und Besonnene und alles desgleichen und dann auch wieder auf jenes, was sie bei der Menschen hineinbilden, mischend und zusammensetzend aus den Bestrebungen die Farbe des Mannhaften nach Maßgabe jenes, was auch Homeros schon, wo es sich unter den Menschen findet, das Göttliche und Gottgleiche genannt hat. 157
Ein aufgrund der philosophischen Einsicht und unter Berücksichtigung der con‐ ditio humana gewonnener Begriff eines Idealstaates muss vom klugen Monarchen in die Praxis umgesetzt werden. Die in dem Begriff vorgesehene Vermittlung des Idealen und des Menschlichen ist aber leichter formuliert als ausgeführt. In Platons Ontologie ist das Seiende grundsätzlich anders als das Seiende / Nicht-Seiende, zu dem die menschliche Welt gehört. Während sich aus dem ersteren die Erkennt‐ nis (ἐπιστήµη) herleitet, produziert die Betrachtung des letzteren bloß die Mei‐ nung (δόξα). 158 Ob und inwieweit man das Seiende / Nicht-Seiende mit der aus der Betrachtung des Seienden gewonnenen Erkenntnis wirklich neu gliedern und umformen kann, bleibt bei Platon großteils ungeklärt. Selbst das Höhlengleichnis im siebten Buch der Politeia bringt die Diskussion kaum weiter. Es lehrt die zen‐ trale Wichtigkeit, die Urformen bzw. Urprinzipien wahrzunehmen, aber von der Umsetzung so erkannter Urformen und Urprinzipien in die Praxis wird wesentlich nichts gesagt. Es war bekanntlich Aristoteles, wie wir bald sehen werden, der auf diese theoretische Lücke Platons aufmerksam wurde und die Möglichkeit einer spe‐ zifisch auf die Praxis bezogenen Wissenschaft erblickte. Doch es wäre ungerecht, wenn wir ignorieren würden, was Platon selber zur Bestimmung des praktischen Wissens unternommen hat. Bereits sehr früh in seiner philosophischen Karriere, im Menon, später dann im Politikos, unternimmt Platon den Versuch, jenes prak‐ tische Wissen innerhalb des Erkenntnissystems des Menschen genau einzuordnen. 154 155 156 157 158
Politeia, 505a. Ebd., 521b–535a. Ebd., 505a. Ebd., 501b–c. Ebd., 477a ff.
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Er sucht am Anfang des Menon die Antwort vorläufig in der Klugheit (φρόνησις), die nach Platon noch eine lehrbare Wissensform ist. 159 Diese Antwort korrigiert er aber im späteren Teil des Dialogs und bestimmt das praktische Wissen als eine wahre Meinung (δόξα ὀρθὴ), worunter er eine Wissensform versteht, die zwar Gutes bewirken kann, doch nicht argumentativ zu begründen ist. 160 Diese Stellen zeigen schon, dass Platon sich dessen bewusst blieb, dass es einen unübersehbaren Unterschied gibt zwischen der Erkenntnis der Urformen und -prinzipien und dem tatsächlichen praktischen Wissen. Doch bleibt seine Antwort in beiden Dialogen insgesamt unschlüssig. Seine gesamte Diskussion reicht jedoch aus, uns klar zu zeigen, dass er das prak‐ tische Wissen von der rationalen Wissensform streng unterschied. So hat er bereits im Menon das praktische Wissen durchaus mit einer irrationalen Form des Wissens wie Orakel, Wahrsagerei oder dichterischen Inspiration verglichen. Politiker seien genauso wie Orakelnde, Wahrsager und Dichter göttlich, begeistert, beflügelt und von der Gottheit besessen. 161 Dies ist nach Platon der Grund für den Anschein, dass die praktische Weisheit einem oder einigen wenigen nur durch göttliche Schickung zufallen kann. 162 Somit wird die traditionelle Betrachtung des ethischen und politi‐ 159 160 161 162
Menon, 88b–c. Ebd., 97e–99c. Ebd., 99c–d. Ebd., 99e–100b. Ursula Wolf hat vorgeschlagen, Platons Charakterisierung der Klugheit als Gottesgabe nicht wörtlich zu nehmen. Sie stellt fest: „Wäre die Tugend ein Geschenk der Götter, wäre die ganze Lebenstätigkeit des Sokrates, die in der unermüdlichen Suche nach der Tugend besteht, ad absurdum geführt. Viel plausibler ist da die Annahme, die These von der Tugend als Gottesgabe sei absurd“ (Ursula Wolf, Die Suche nach dem guten Leben. Platons Frühdialoge, Hamburg 1996, S. 126). Damit ignoriert sie, dass Pla‐ ton hier nicht von den üblichen sittlichen Tugenden spricht. Platon diskutiert hier über das Urteilsvermögen, eine besondere Art von Tugend. Platons Diskussion über die Lehr‐ barkeit der Tugenden verwirrt manchmal, weil er nicht klarstellt, dass er tatsächlich zwei verschiedene Begriffe der Tugend behandelt. Wie wir bereits diskutiert haben, sah Platon im Protagoras die sittlichen Tugenden als Resultat eines egoistischen Kalküls an: Denke man logisch genug, kalkuliere und vergleiche also die den einzelnen Handlungen anhaf‐ tende Lust richtig, gelange man immer zu demselben Schluss, dass sich die tugendhaften Handlungen mehr lohnten als die lasterhaften: Eine Reihe logischer Folgerungen bringe einen also dazu, die sittlichen Tugenden zu verstehen und ihnen gemäß zu handeln. So scheint Platon am Ende des Dialogs, anders als nach seiner Anfangsthese, zur These der Lehrbarkeit der Tugend zu neigen. Im Gegensatz dazu geht es im Menon um eine andere Frage als die der Herstellung der allgemeinen Überzeugung, dass man sittlich handeln und leben müsse. Hier handelt es sich darum, wirklich zu erzielen, was man durch tugendhafte Handlungen erreichen wollte. Es kommen daher die Faktoren der konkreten Zeit, des konkreten Raums und sonstige konkrete Bedingungen in Frage. Die Konstellation dieser Umstände ist großteils kontingent, oder zumindest ist ihre Notwendigkeit für mensch‐ liches Verständnis nicht erfassbar. Das Problem der Deutung von Wolf rührt vor allem
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schen Wissens als ein jedem vernunftbegabten Bürger zugängliches Wissenskorpus zur Seite gedrängt. Platons Lehre über das praktische politische Wissen darf aber keineswegs als eine politische Mystik missverstanden werden. Er spricht dem politischen Wissen den rationalen Charakter nur in dem Sinne ab, dass es, anders als die Mathematik oder sonstiges rationales Wissen, nicht aus allgemeinen und selbstevidenten Prinzipien logisch ableitbar sei. Das politische Denken wird jedoch durchaus von der Relation von Zweck und Mittel bestimmt. Der Zweck ist das Wohl der Polis und anderer Bürger. Somit herrscht in seinem Denken ein unverkennbarer Pragmatismus. Bei Platon eröffnet sich also die Politik zum ersten Mal in der Geschichte des abendländischen politischen Denkens als ein autonomer Handlungs- und Wissens‐ bereich, in dem man besondere Kenntnisse benötigt und dementsprechend handeln soll. Platons politisches Denken unterscheidet sich vom Pragmatismus seit der Früh‐ neuzeit nur insofern, als er die Antinomie zwischen der Politik und den ethischen Normen nicht so scharf betont hat. Dieser Unterschied darf uns aber keineswegs übersehen lassen, dass die pragmatischen Gedankenzüge, die den neuzeitlichen Poli‐ tikpragmatismus seit Machiavelli deutlich charakterisieren, bereits Platons Gedan‐ ken prägen. Mit Platon kündigt sich eine neue Epoche der politischen Überlegun‐ gen in der Antike an. Auch Aristoteles teilte Platons pragmatische Ansicht über die Ethik. Zwar hat er den ethischen Normen eine Geltung zuerkannt, die von der Frage des Nutzens des Einzelnen grundsätzlich unabhängig war, jedoch hat Aristoteles es für durch‐ aus legitim gehalten, sie in der praktischen Anwendung nach Bedarf zu modifizie‐ ren, insofern jene Bedürfnisse wiederum ethisch legitimiert werden könnten, d. h. wenn es um die Sicherheit und das Wohl des gesamten Gemeinwesens sowie um die Bewahrung des berechtigten Interesses des Einzelnen geht. Es braucht nicht zu erstaunen, dass er in solcher Modifikation keine Relativierung der ethischen Nor‐ men, sondern lediglich ihre kreative Anwendung sah. Denn auch für ihn bestand die Grundberechtigung der Ethik nicht allein in den transzendentalen Anforderun‐ gen Gottes. Für ihn galt vielmehr die Grundüberzeugung, dass Gott den Menschen die ethischen Begriffe als Instrument zur Bewahrung des Gemeinwesens und des Menschen, nicht als Selbstzweck, gegeben hat. Weil das Leben, im Unterschied
daher, dass sie diesen Doppelgebrauch des Tugendbegriffes bei Platon nicht genau unter‐ scheidet. Wichtig ist jedoch, dass Platons Dialoge selbst manchmal die Verwechslung der zwei Begriffe der Tugend aufweisen. Verfolgt man aber die Diskussion im Menon sorgfäl‐ tig, in dem dasselbe Thema der Lehrbarkeit der Tugend diskutiert wird, stellt sich heraus, dass Platon von den üblichen sittlichen Tugenden spricht, wenn er die Hypothese andeu‐ tet, dass die Tugend ein lehrbares Wissen ist, wiederum aber vom Urteilsvermögen redet, wenn er die Unlehrbarkeit der Tugend behauptet.
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zum Leben der Götter (so geht sein Argument in der Politik) beständig äußere, d. h. materielle Güter verbrauchen muss, 163 und jene äußeren Güter von der Willkür und vom Zufall abhängen, 164 ist es unvermeidlich, dass das ethische und politische Handeln in eine komplexe Überlegungskette gerät. Daher können die ethischen Grundsätze in der wirklichen Praxis zwar als Prinzip des Handelns (αἱ ἀρχαὶ τῶν πρακτῶν) dienen, die dem Handelnden eine Orientierung geben, dürfen aber kei‐ neswegs einfach unvermittelt in die Praxis umgesetzt werden. 165 Eine spezielle Form von Wissen, die man benötigt, um in den gegebenen Einzel‐ fällen den rechten Weg zu dem von der ethischen Tugend gestellten Ziel zu errei‐ chen, nannte Aristoteles die Klugheit (φρόνησις). 166 Durch die Klugheit kann die allgemeine Definition der ethischen Tugend im Einzelfall angewendet werden. 167 So stellte Aristoteles im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik fest, dass eine richtige Willensentscheidung nicht möglich ist ohne Klugheit und ohne Tugend. Denn diese macht, dass man das Ziel erreicht, jene, dass man tut, was zum Ziel führt. 168 Nach Aristoteles unterscheidet sich die Klugheit grundsätzlich von jener Form des Wissens, die aufgrund des logischen Schlusses aus den Grundprinzipien gewonnen wird, z. B. der Mathematik oder der Geometrie. 169 Die Klugheit, so argumentiert er, kann daher nicht in Form von allgemeinen Regeln gelehrt werden. 170 Die Klugheit ist zum erheblichen Teil eine Sache der Umsicht und Einsicht, die man erst durch die Fülle der Lebenserfahrungen erwerben kann. Aristoteles sagt, dass die Klugheit sich auf das Einzelne bezieht und dieses erst durch die Erfahrung bekannt wird. 171 Da‐ her schloss er auch die jungen Leute aus dem Kreis der Hörerschaft seines Diskurses über das praktische Wissen aus. 172 Dieses Argument ist bedeutsam. Hier sei nur daran erinnert, dass Platon gerade die jungen Leute zur Zielgruppe seiner ethischen und politischen Diskurse gemacht hatte. 173 An Aristoteles’ Definition der Klugheit 163 164 165 166
167 168 169 170 171 172 173
Politik 1323b 21 f. Ebd., 1323b 27–29. EN, 1140b 15 f. EN, 1140b 11 f., 1144a 6–9. Über die Klugheitsidee von Aristoteles gibt es eine um‐ fangreiche Literatur. Hier sei nur auf drei Arbeiten hingewiesen: Pierre Aubenque, La prudence chez Aristote, 4. Aufl., Paris 2004 (zuerst 1963); Günther Bien, Das Theo‐ rie-Praxis-Problem und die politische Philosophie bei Platon und Aristoteles, in: Phi‐ losophisches Jahrbuch 76/2 (1968/69), S. 264–314. Ferner Wolfgang Kersting, Der einsichtige Staatsmann und der kluge Bürger. Praktische Vernünftigkeit bei Platon und Aristoteles, in: Klugheit, hg. von Wolfgang Kersting, Weilerswist 2005, S. 15–41. EN, 1141b 14–18. Ebd., 1145a 2–6. Ebd., 1142a 12. Ebd., 1140a 24 ff. Ebd., 1142a 14–16. Ebd. 11–20 u. 1095a 2–13. Apologie, 24c.
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zeigt sich, dass er das Problem der Weltkontingenz ernst, ja im gewissen Sinne sogar ernster als sein Lehrer genommen hat. Dieses weit fortgeschrittene Bewusstsein der Weltkontingenz wirft schließlich die Frage auf, ob es überhaupt eine Theorie der Praxis geben kann, und in der Tat setzt sich Aristoteles mit diesem Problem inten‐ siv auseinander, wobei seine Antwort negativ ausfallen wird. Das Edle und Gerechte, das der Gegenstand der politischen Wissenschaft ist, zeigt solche Unterschiede und solche Unbeständigkeit, dass man vermuten könnte, es beruhe nur auf dem Herkommen (νόµος) und nicht auf der Natur (φύσις). Die‐ selbe Unbeständigkeit besteht auch im Bezug auf die Güter; denn viele Menschen kommen durch sie zu Schaden: schon manche sind durch den Reichtum zugrunde gegangen, andere durch die Tapferkeit. 174
In der Praxis ist es durchaus möglich, dass dieselbe Entscheidung aufgrund der ver‐ schiedenen Handlungsbedingungen in der einzelnen Situation völlig andere Folgen nach sich zieht. Manchmal muss man daher eine Entscheidung treffen, die man nor‐ malerweise nicht wählen würde. Dies ist das Kernargument des Aristoteles in dieser Passage. Insofern die menschliche Praxis den Kontingenzen unterliegt, kann man nicht ein für allemal fixieren, was richtig und was falsch ist. Es ist also folgerichtig, dass Aristoteles anerkennt, dass die erfolgreiche Praxis im Leben keine Sache des rationalen Wissens mehr ist, indem er deklariert, dass die Klugheit keine Wissen‐ schaft ist (ἡ φρόνησις οὐκ ἐπιστήµη). 175 So beschränkt er an anderer Stelle die Bedeutung seiner ethischen Prinzipien darauf, eine umrisshafte Andeutung des Richtigen zu geben. 176 Er bittet seine Hö‐ rerschaft um Verständnis dafür, dass er bloß über das in den meisten Fällen Vor‐ kommende redet, von diesem ausgeht und auf diese Weise Schlussfolgerungen zieht. Damit meint Aristoteles, dass die von ihm diskutierten ethischen Normen nur für den Normalfall gelten. So erkennt er aber an, dass die ethischen Regeln nur einen Teil der ethischen und politischen Praxis im Rahmen der Polis erklären, und dass ein Teil unseres Wissens über das ethische und politische Handeln ewig unerklärt bleiben muss. Dieser Schluss bedeutet einen ernsthaften Rückzug vom Rationalis‐ mus, der das griechische Sozial- und Politikdenken bis dahin charakterisiert hatte. Die Griechen besaßen traditionell die Zuversicht, die feindliche Umwelt und die menschliche Schwäche durch das rationale Wissen bewältigen und meistern zu kön‐ nen. Die Politik als gemeinsamer Akt solcher Überwindung war für sie eine rational erfassbare Größe. Die Politik war ein durchaus rationaler Erkenntnis- und Hand‐ lungsbereich. Der Ehrgeiz der früheren Denker, durch Einsatz der Vernunft zum sicheren Wissen für das Handeln und damit zum Glück zu gelangen, ist bei Pla‐ 174 EN, 1094b 14–19. 175 Ebd., 1142a 23. 176 Ebd., 1094b 14–22.
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ton und nach ihm bei Aristoteles erheblich geschwunden. Stattdessen erscheint die Politik bei ihnen als irrationaler Bereich, in dem man sich mit seiner Vernunft nie sicher sein kann. Die Politik zeigt sich jetzt zum ersten Mal als ein dunkler Punkt des menschlichen Wissens und als eine unbesiegbare Bedrohung für das Dasein des Menschen. Aus diesem veränderten Begriff der Politik ergibt sich auch ein ebenfalls verän‐ derter Begriff des Subjektes der Politik. Die rationalistische Auffassung der Poli‐ tik hatte jeden vernunftfähigen Menschen zum Subjekt der Entscheidung über die Angelegenheiten der Polis gemacht. In diesem Sinne war die griechische Denktra‐ dition wesentlich in die Richtung der Demokratie ausgerichtet, wie es sich später im Anonymus Iamblichi erwiesen hat. Mit dem klaren Rücktritt aus dem traditio‐ nellen Rationalismus begann aber der normale Bürger als für die Politik untaug‐ lich zu erscheinen. Dies ist vor allem an Platons Verfassungstheorie ersichtlich, wo der Königsherrschaft vor der Herrschaft aller Bürger der Vorzug gegeben wird, nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten, die richtige Entscheidung in der jeweili‐ gen Situation lediglich mit dem normalen Verstandesvermögen treffen zu können. Damit drängte sich ein völlig anderer Begriff des Politikers, nämlich der als eines himmlisch begabten Genies, auf. Für Aristoteles, der trotz mancherlei Vorbehalte grundsätzlich für die politische Herrschaft aller Bürger stand, muss diese logische Konsequenz höchst verblüffend gewesen sein. Der zwar für ihn unangenehme, aber logische Schluss über den Begriff des Politikers musste fast zwei Jahrtausende war‐ ten, bis er endlich offen ausgesprochen und öffentlich gewürdigt wurde – von einem Mann, der glaubte, dass die Politik wegen der regelmäßig wiederkehrenden Krisen vom Politiker verlangt, außerhalb des normalen Menschenverstandes zu handeln, wie ein gottinspirierter Prophet oder ein Genie. Dieser Mann war Niccolò Machia‐ velli.
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Wie wir beobachtet haben, hat die Eröffnung des Politischen als einer autonomen Sphäre des menschlichen Denkens und Handelns im Denkhorizont des antiken Griechenlands eine radikale Änderung des Begriffs des politischen Wissens und des politischen Subjektes mit sich gebracht. Im Folgenden werden wir sehen, wie der Raum des Politischen, dessen Auftauchen solche radikale Änderung des Diskur‐ ses zur Folge hatte, am Ende der Antike wieder verschlossen wurde. Der Gedanke, dass die Politik einen autonomen Denk- und Handlungsbereich ausmacht, wurde für illegitim erklärt und anathemisiert. Eine neue Idee der Geltung der Ethik und ihrer Relation zur Politik drang in die Diskussion ein und begann, jede pragma‐ tische Gedankenspur zu tilgen. Diese neue Denk- und Redeweise über die Ethik
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und Politik, also ein neuer ethischer und politischer Diskurs, etablierte sich all‐ mählich als Orthodoxie und blieb es im folgenden Jahrtausend. In diesem radika‐ len Transformationsprozess spielten besonders zwei Autoren entscheidende Rol‐ len: Aurelius Augustinus (†430), der Bischof von Hippo, und Anicius Boethius (†524). Das ethische Denken von Augustin interessiert uns in zwei bedeutsamen Hin‐ sichten. Erstens hat Augustin die seit Platon voranschreitende Trennung der Politik vom Geltungsbereich der Ethik radikalisiert. Bei ihm tritt die Politik als ein un‐ begreifliches Chaos auf, das sich jeglichem rationalen Zugriff verweigert. Zweitens hat Augustin dabei dem politischen Handeln jeden vernünftigen Sinn abgespro‐ chen. Augustin lehnte den Versuch, durch den Einsatz des rationalen Denkens das politische Handeln auf den praktischen Erfolg hin zweckmäßig zu steuern, grund‐ sätzlich ab. Er lehrt vielmehr, sich hartnäckig an die ethischen Regeln zu halten, die er nun im Sinne der Gebote Gottes versteht, und die Folge der Handlung, sei es der Tod oder der Untergang des Staates oder was auch immer, mit Gelassenheit zu betrachten und hinzunehmen. Damit verschwindet die von Platon bis Aristote‐ les reichende Problematik der Klugheit, und der Begriff des Gläubigen ersetzt den Begriff des rationalen Bürgers als ethisches Subjekt. Das wichtigste Zeugnis dieser Transformation stellt seine Schrift De civitate dei dar, deren Einfluss bis in das konfessionelle Zeitalter reichte. Die Frage, die er darin aufwarf, besaß einen deutlichen Politikbezug, nämlich wie man die Plünderung der Stadt Rom durch die Goten im Jahre 410 verstehen konnte. Diese Katastrophe hatte eine massive Kritik an der christlichen Religion hervorgebracht, die schon seit Langem als der offizielle Kult des Reichs galt. 177 Gegen solche Kritik versuchte nun Augustin den Grund der politischen Katastrophe zu erklären und damit die christ‐ liche Religion zu verteidigen. Er richtete sich in der Schrift hauptsächlich gegen zwei Ansichten. 178 Nach der einen sollten die Römer die christliche Religion aufgeben und zu dem alten Götter‐ kult bzw. zur neuplatonischen Naturreligion und der Astrologie zurückkehren, um Rom seinen verlorenen Glanz zurückzugeben. Augustin wies dieses Argument zu‐ rück mit dem Hinweis auf die zahlreichen Absurditäten und logischen Widersprü‐ 177 Augustin, Retractationes (= Corpus Christianorum Series Latina, Bd. 57), hg. von Al‐ mut Mutzenbecher, Turnhout 1984, Lib. 2, Cap. 43. 178 Augustin, De civitate dei libri XXII (= Corpus Christianorum Series Latina, Bde. 47– 48), hg. von Bernhard Dombart und Alfons Kalb, 2 Bde., Turnhout 1955, bsd. Lib. 1–5. Für einen Überblick zur Argumentation von Augustin in De civitate dei: R. A. Markus, Saeculum. History and Society in the Theology of St. Augustine, New York 1970; Kurt Flasch, Augustin. Einführung in sein Denken, 2. Aufl., Stuttgart 1994, S. 368–402; Ja‐ net Coleman, A History of Political Thought, Bd. 1: From Ancient Greece to Early Christianity, Oxford 2000, S. 329–336; Therese Fuhrer, Augustinus, Darmstadt 2004, S. 137–144.
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che jener alten Religionen. Er demonstriert an vielen historischen Beispielen, dass die Geschichte Roms bereits hinreichend erwiesen habe, dass jene Götter den römi‐ schen Bürgern weder Schutz vor der Zwietracht und dem daraus folgenden Bürger‐ krieg noch Rettung vor der Niederlage im Krieg hätten bieten können. Die Götzen‐ verehrung, so das Fazit des Augustin, hat in der römischen Vergangenheit vielmehr mit ihren unsittlichen Kulten den allgemeinen Sittenverfall der römischen Bür‐ ger verursacht und beschleunigt, und damit den Untergang Roms vorbereitet. Den heidnischen Göttern stellte Augustin den christlichen Gott als wahren Glücksspen‐ der entgegen. Augustin behauptete, dass man nur dem christlichen Gott für alles zu danken habe, was man jetzt im irdischen Leben genießt und besitzt. Jede irdische Macht und jedes irdische Gut leitet sich nach Augustin von Gott her. Mit diesem letzten Argument ist zugleich auch der Kritik an der zweiten Ansicht das Feld berei‐ tet, welche die Macht und den Glanz Roms der Tugend der alten römischen Bürger zuschreibt. Die unter den Historikern und Philosophen weit verbreitete Idee, dass die römische Republik soviel Ehre und Reichtum habe genießen können, weil sie so viele Helden besessen habe und eine so ruhmvolle Tugendgemeinschaft gewesen sei, lehnt Augustin schroff als unbegründet ab. Nach ihm stammten jedes Glück und jede Not allein von Gott, der gemäß seinem Entschluss die Welt zum besten Zweck führe. Nun stellt sich hier die Frage nach dem Grund für den Entschluss Gottes, Rom, das sich schon lange zum Christentum bekehrt hatte, Kriegsnot und Plünderung erleiden zu lassen, während er einst der römischen Republik, die heidnisch war, so ein großes Reich geschenkt hat. Diese Erfahrungen widersprechen einer einfa‐ chen Vorstellung von der Gerechtigkeit, die Augustin selber an anderen Stellen seiner Diskussion zur Erklärung der römischen Katastrophe relativiert, nämlich, dass ethische, gottgefällige Handlungen belohnt, dass aber die Ruchlosigkeit und der Aberglaube mit Unglück bezahlt würden. Es war also unvermeidlich, dass diese offensichtliche Paradoxie zu fundamentalen Fragen nach dem Grund des göttlichen Ratschlusses führte. Im Hinblick auf diese Frage ist Augustins Diskussion im 28. Kapitel des ersten Buches von De civitate dei besonders aufschlussreich. Dort fragt er, ob der Selbst‐ mord von während der Plünderung vergewaltigten Frauen gerechtfertigt werden könne. Es stellt sich an dieser Stelle unvermeidlich die Frage, warum Gott er‐ laubte, dass sich die sündigen Plünderer der rechtgläubigen Frauen bemächtigten. Wie konnte dieses schreckliche Ereignis den Rechtgläubigen widerfahren, wenn die Welt, wie geglaubt, tatsächlich vom allmächtigen Gott gelenkt wird, der die Gerech‐ ten und Gläubigen belohnt und die Ruchlosen und Abergläubigen bestraft? Es ist bedeutsam, dass Augustin es ablehnt, eine Antwort darauf zu geben. Er gesteht, dass er selbst die Antwort nicht weiß. So lautet die Antwort Augustins bezüglich der vergewaltigten Frauen: Wenn ihr jedoch fragt, warum dies zugelassen ward, muss ich freilich zunächst auf eins hinweisen: Hocherhaben ist die Vorsehung des
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Schöpfers und Lenkers der Welt. 179 Danach zitiert er eine Bibelstelle: [. . . ] unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege. 180 Hier taucht der Gedanke auf, dass die Verteilung der Not und des Glücks le‐ diglich gemäß der Vorsehung Gottes durchgeführt wird, die der menschlichen Ver‐ nunft grundsätzlich enthoben ist. Der Ratschluss Gottes darüber, wem was wann wie widerfährt bzw. wer was bekommt, ist nach Augustins Position von der ethi‐ schen Qualität des Handelnden grundsätzlich unabhängig. Deshalb kann kein Po‐ litiker sich selbst und seinen Regierten versprechen, durch sittliche Verbesserung glücklich werden zu können. Augustin formuliert diesen Gedanken im fünften Buch seiner Schrift: So wollen wir denn die Macht, Reiche und Herrschaft zu verleihen, allein dem wahren Gotte zuerkennen, der Glückseligkeit im Himmelsreiche nur den From‐ men gewährt, ein irdisches Reich aber bald den Frommen, bald auch den Gottlo‐ sen, wie es ihm gefällt, dem zu Unrecht nichts gefällt. Denn obschon wir einiges angeführt haben, was nach seinem Willen offen zutage liegt, ist es uns doch zu viel und übersteigt unsere Kräfte bei weitem, klarzulegen, was Menschen verborgen ist, und über Verdienst und Schuld der Reiche ein sicheres Urteil zu fällen. 181
Mit seiner radikalen Ablehnung eines sichtbaren Kausalzusammenhangs zwischen der moralischen Qualität der Handlung und dem Glück zerstörte Augustin das Fundament der ethischen und politischen Denktradition aus der griechischen An‐ tike. Wie bereits diskutiert, war den Griechen der vorsokratischen Zeit die Vor‐ stellung fremd, dass man irgendeiner Norm, mag sie auch von Gott stammen, rein imperativisch gehorchen muss. Auch bei Platon und Aristoteles, bei denen die ethi‐ schen Normen nicht mehr im Sinne des sichtbaren Nutzens begründet waren, war diese pragmatische Grundrichtung ja nicht verschwunden. Ihr Pragmatismus, die ethischen Grundsätze nach der Situation abändern zu können, war nur deswegen möglich, weil sie die Geltung der ethischen Normen keineswegs von der Frage ihres Nutzens gelöst haben. 179 De civitate dei, Lib. 1, Cap. 28, S. 28 (die Übersetzung folgt Augustin, Vom Gottes‐ staat, übers. von Wilhelm Thimme und eingel. und komm. von Carl Andersen, München 1997 (zuerst 1955), Bd. 1, S. 49): „Quod si forte, cur permissi sint, quaeritis, alta quidem est providentia creatoris mundi atque rectoris [. . . ].“ 180 Ebd., S. 28 f.: „[. . . ] inscrutabilia sunt iudicia eius et inuestigabiles uiae eius.“ Die Stelle ist aus Rom 11:33. 181 Ebd., Lib. 5, Cap. 21, S. 157 (S. 269): „Quae cum ita sint, non tribuamus dandi regni atque imperii potestatem nisi Deo uero, qui dat felicitatem in regno caelorum solis piis; regnum uero terrenum et piis et impiis, sicut ei placet, cui nihil iniuste placet. Quamuis enim ali‐ quid dixerimus, quod apertum nobis esse voluit: tamen multum est ad nos, et ualde superat uires nostras hominum occulta discutere et liquido examine merita diiudicare regnorum.“
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Bei Augustin haben die ethischen Handlungsaufforderungen ihren Grund nicht in einem solchen Pragmatismus. Man tut einfach, was Gott befiehlt. Mehr darf man nicht denken. Was man am Ende der Handlung erntet, ist allein dem Rat‐ schluss Gottes anheimgestellt, der vom Menschen weder komplett verstanden noch beeinflusst werden kann. Damit ist auch der Rationalismus der antiken Moralphilo‐ sophie umgestürzt. Statt der menschlichen Vernunft und Einsicht stellte Augustin in das Zentrum der praktischen Überlegungen die Autorität der Bibel, der unmit‐ telbaren Offenbarung Gottes. So behauptet er in De doctrina christiana: In gleichem Maße wird das gesamte Wissen, welches freilich nutzbringend den Büchern der Heiden entnommen wird, in seiner Bedeutung relativiert, wenn es mit der Kenntnis der Heiligen Schrift verglichen wird. Denn was auch immer der Mensch außerhalb der Bibel gelernt hat, wird, wenn es schädlich ist, in der Bibel verurteilt, wenn es aber nützlich ist, in der Bibel gefunden. Und während dort jeder alles findet, was er anderswo nutzbringend gelernt hat, wird er dort um vieles rei‐ cher das finden, was überhaupt nirgendwo anders außer in der wunderbaren Tiefe und wunderbaren Niedrigkeit der Heiligen Schrift gelernt wird. 182
Die Autorität der Bibel als Wort Gottes ist absolut und kein Gegenstand des menschlichen Urteils. Die Geltung der im Dekalog niedergeschriebenen Vorschrif‐ ten hängt nicht von der Vernunft des Menschen ab. So argumentiert Augustin: Es ist nötig, in Frömmigkeit sanft zu werden und der Heiligen Schrift nicht zu widersprechen, entweder weil wir verstanden haben, wenn sie irgendwelche Feh‐ ler von uns aufspießt, oder weil wir sie nicht verstanden haben, als ob wir besser denken und besser vorschreiben könnten; vielmehr ist eher zu bedenken und zu glauben, dass das, was dort geschrieben ist, auch wenn es verborgen sein sollte, bes‐ ser und wahrhafter ist, als das, was wir durch uns selbst denken können. 183
182 Augustin, De doctrina christiana (= Corpus Christianorum Series Latina, Bd. 32), hg. von Joseph Martin, Turnhout 1962, Lib. 2, Cap. 42, S. 63, S. 76 (die deutsche Übersetzung folgt Augustinus, Die christliche Bildung, übers. mit Anmerkungen und Nachwort von Karla Pollmann, Stuttgart 2002, S. 100 f.): „[. . . ] quicquid homo extra didicerit, si noxium est, ibi [sc. Bibel] damnatur; si utile est, ibi inuenitur. Et cum ibi quisque inue‐ nerit omnia, quae utiliter alibi didicit, multo abundantius ibi inueniet ea, quae nusquam omnino alibi, sed in illarum tantummodo scripturarum mirabili altitudine et mirabili hu‐ militate discuntur.“ 183 Ebd., Lib. 2, Cap. 7.9, S. 36 f. (S. 51): „[. . . ] mitescere opus est pietate neque contradicere diuinae scripturae siue intellectae, si aliqua uitia nostra percutit, siue non intellectae, quasi nos melius sapere meliusque praecipere possimus, sed cogitare potius et credere id esse me‐ lius et uerius, quod ibi scriptum est, etiam si lateat, quam id, quod nos per nos ipsos sapere possumus.“
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Die ethischen Handlungen beginnen also Augustin zufolge mit dem Bekenntnis zum Wort Gottes und durch den Gehorsam gegenüber diesem Wort. Damit wurde grundsätzlich die Möglichkeit geleugnet, die ethischen Grund‐ sätze, nicht zuletzt jene im Dekalog aufgezählten Gebote, nach dem menschlichen Ermessen, aus welchem Grund auch immer, zu ändern. Hier bleibt kein Raum mehr für Überlegungen über die Klugheit in der Praxis, wie sie im Denken von Platon und Aristoteles noch eine wichtige Position einnehmen. Das Verschwinden der Klug‐ heitspragmatik wird nirgends klarer als an der Stelle, wo Augustin das Problem der Lüge behandelt, eine der Kernfragen in der Klugheitslehre der Antike. In Ad con‐ sentium contra mendacium formuliert er seine Grundposition zu diesem Problem folgendermaßen: Es kommt zwar sehr darauf an, aus welchem Motiv heraus, zu welchem Zweck und in welcher Absicht man etwas tut. Was jedoch nachweislich Sünde ist, darf man unter keinem Vorwand eines guten Motivs, zu keinem angeblich guten Zweck und in keiner vermeintlich guten Absicht tun. 184
Was Gott geschaffen hat, kann der Mensch um keinen Deut ändern. Die Position, dass man auf keinen Fall lügen darf, beruft sich allein auf Gottes Autorität. Es ist nicht erlaubt, dass man das Gebot Gottes eigenmächtig interpretiert und modifi‐ ziert. Was im Dekalog geschrieben stehe, „Du sollst kein falsches Zeugnis geben“, sei wörtlich und absolut zu nehmen, so behauptet Augustin in De mendacio. 185 Die Antwort auf die Frage, wie man handeln muss, ist kein Gegenstand rationaler Über‐ legung. So verschwindet zusammen mit dem Begriff der Klugheit die anthropologische Konzeption des Menschen als berechnendes und einsichtsvolles Subjekt der ethi‐ schen Handlung im Feld der Politik. Den Menschen sind die Möglichkeiten ver‐ sperrt, die Welt und ihren Ablauf rational zu begreifen, und seine Handlung und die Handlung der gesamten Bürgerschaft im Hinblick auf ihren Nutzen zweckmäßig zu gestalten. Doch nicht nur ist es den Menschen untersagt, die ethischen Regeln nach ihrem Ermessen zu interpretieren und zu modifizieren, sondern Augustin fand in der Vernunft und Einsicht des Menschen auch einen grundsätzlichen Defekt. Er zi‐ tiert in De doctrina christiana immer wieder aus dem Zweiten Korintherbrief: Wir 184 Ad consentium contra mendacium, in: Augustinus, Die Lügenschriften. Ad Orosium contra Priscillianistas et Origenistas (= Augustinus, Opera, Bd. 50), eingel., übers. und komm. von Volker Henning Drecoll, Paderborn 2013, S. 183–277, hier Cap. 7.18: „Inte‐ rest quidem plurimum, qua causa, quo fine, qua intentione quid fiat; sed ea, quae constat esse peccata, nullo bonae causae obtentu, nullo quasi bono fine, nulla velut bona inten‐ tione facienda sunt.“ 185 De mendacio, in: Augustinus, Die Lügenschriften. Ad Orosium contra Priscilliani‐ stas et Origenistas (= Augustinus, Opera, Bd. 50), eingel., übers. und komm. von Volker Henning Drecoll, Paderborn 2013, S. 59–149.
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leben ja noch in der Zeit des Glaubens, noch nicht in der des Schauens. 186 Er behaup‐ tet, dass die vernünftige Erkenntnis des Menschen prinzipiell von der Sünde getrübt ist und daher dem Akt des Glaubens unterworfen werden muss. 187 Auch wenn es dem Menschen überhaupt erlaubt wäre, das Wort Gottes eigenmächtiger Interpre‐ tation zu unterziehen, könnte er kaum erwarten, zu seinem Ziel zu gelangen, weil der Weltenlauf nicht gemäß der durch die menschliche Vernunft greifbaren Kausa‐ lität geschieht. Als Subjekt des sittlichen Lebens tritt bei Augustin also anstelle eines gut kalkulierenden und einsichtsvollen Bürgers ein Gläubiger, der Gottes Weisheit und Güte mehr vertraut als seinem eigenen Denken, und dem Gebot Gottes unbe‐ dingte Gehorsamkeit leistet. 188 Es fragt sich, wie weit sich Augustin der Radikalität seiner neuen Ansicht be‐ wusst war, und ob er die revolutionären Ansätze seiner neuen Ansicht tatsächlich bis zur letzten Konsequenz durchdacht und in seinen Werken konsequent ange‐ wendet hat. Augustins Lehre war aus der Polemik entstanden und diente zu apo‐ logetischem Zweck, obwohl wir nicht leugnen können, dass sie eine langjährige persönliche Auseinandersetzung mit den philosophischen und dogmatischen Fra‐ gen als Hintergrund hat. So fehlt es seinem Gedanken manchmal an einem solchen Grad der logischen Stringenz und Systematik, wie wir ihn von anderen Philosophen der Antike erwarten dürften. Dennoch ist klar, dass ein ethisch aufrichtiger Mensch im Denken Augustins kaum einem Philosophen ähnelt, sondern vielmehr einem 186 2 Korinther, 5:6. 187 De doctrina christiana, Lib. 1, Cap. 37, S. 30; Lib. 2, Cap. 7.11, S. 37; Lib. 2, Cap. 12.17, S. 43. 188 In unserem Diskussionszusammenhang ist die Gnadenlehre Augustins von Interesse. In dieser Lehre, die mit seinem Brief an Simplician vom Jahre 397 den Anfang nahm, wies Augustin die weit verbreitete Ansicht zurück, man könne sich durch moralische Besse‐ rungen und sittliche Handlungen auf die Gnade vorbereiten. Die Verteilung der Gnade war nach Augustins neuer Lehre allein dem Willen Gottes vorbehalten, den der Mensch mit seiner Vernunft nicht erfassen könne. Wen er zum ewigen Heil wähle, entscheide Gott nicht nach der sittlichen Qualität des Willens des Menschen (Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter: Von Augustin zu Machiavelli, 2. Aufl., Stuttgart 2000, S. 46–48; Ders., Augustin, S. 174). Die Gnadenlehre Augustins stellte die Möglich‐ keit infrage, dass man sich denkend auf sein Seelenheil vorbereiten kann. Der Gedanke von der auswählenden Begnadung und exklusiven Berufung war ein Abschied vom anti‐ ken philosophischen Monotheismus. Hier sei darauf hingewiesen, dass diese Lehre und die Überlegungen in De civitate dei und De doctrina christiana, die (im Falle von De doctrina christiana teilweise) nach der Entwicklung der Gnadenlehre angestellt wurden, gemeinsame Denktendenzen aufweisen, nämlich die einseitige Rückführung aller Fragen des Handelns auf Gott und den Glauben, die Verabsolutierung des Willens Gottes und die Betonung der Endlichkeit und Nichtigkeit der menschlichen Vernunft und Einsicht. Zur Diskussion über Augustins Gnadenlehre im breiten ideengeschichtlichen Zusammenhang seit dem Anfang des Christentums siehe Kurt Flasch, Logik des Schreckens. Augusti‐ nus von Hippo. Die Gnadenlehre von 397, Mainz 1990, S. 7–138.
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Märtyrer oder in weitem Sinne Weltflüchtigen, der den Geboten Gottes unbedingt folgt und dabei nicht darauf achtet, welchen Lohn er für seine gottestreuen Hand‐ lungen am Ende bekommt, ja der nicht einmal vor dem Tod zurückschreckt. Einen solchen Märtyrer als Modell des ethischen Menschen kannte man in der griechischen Antike noch nicht. Als Sokrates im Kriton den Vorschlag seiner Freunde zurückwies, dem Kerker zu entkommen, war er nicht nur auf die Reinheit seiner Seele bedacht. Er fürchtete vor allem, dass dieser Akt seine Mitbürger zu der falschen Vorstellung führen könnte, dass man die Geltung einer ethischen Hand‐ lung beliebig nach seinem eigenen Interesse ändern könne. Er fürchtete sich also davor, das Interesse der gesamten Polis zu schädigen. Sokrates fordert daher Kriton auf zu bedenken: Erwäge es denn so: Wenn, indem wir von hier davonlaufen wollten, oder wie man dies sonst nennen soll, die Gesetze kämen und das gemeine Wesen dieser Stadt und, uns in den Weg tretend, fragten: „Sage nur, Sokrates, was hast du im Sinne zu tun? Ist es nicht so, dass du durch diese Tat, welche du unternimmst, uns, den Gesetzen, und also der ganzen Polis den Untergang zu bereiten gedenkst, soviel an dir ist? Oder dünkt es dich möglich, dass jene Polis noch bestehe und nicht in gänzliche Zerrüttung gerate, in welchem die abgetanen Rechtssachen keine Kraft haben, son‐ dern von Einzelpersonen ungültig gemacht und umgestoßen werden können.“ 189
Anfang und Ende seines ethischen Philosophierens war für Sokrates die Polis. Eine solche Polis existierte für Augustin nicht mehr. Für ihn konnte man eine wahre Ge‐ meinschaft nur im Himmel erreichen. Der apolitische Gedankenzug der Spätantike und des Frühmittelalters und das auf den Märtyrer hin orientierte Lebensideal erfuhr in der Schrift des Boethius Con‐ solatio philosophiae seinen großartigen Ausdruck. Die Umstände, die Boethius zur Abfassung dieses Dialogs veranlasst hat, sind das Scheitern seines politischen Re‐ formprogramms und das Ende seiner Karriere. Der Senator hatte die Gunst des ostgotischen Königs Theoderich verloren und saß jetzt, 523/24, zum Tode verur‐ teilt im Kerker. 190 Die Schrift beginnt mit Boethius’ Klage über die fundamentale Perversität und Abgründigkeit der Welt, in der die Sündigen auf Kosten der Un‐ schuldigen triumphieren. Das veranlasst ihn zur Infragestellung der Gerechtigkeit der Welt. So beklagt er im fünften Gedicht des ersten Buches: Schöpfer des sternenfunkelnden Kreises, Der du vom ewigen Thron hernieder Lenkst den Himmel eiligen Schwunges Zwingst Gestirne streng in Gesetze, 189 Kriton, 50a–b. 190 Über Boethius siehe Margaret Gibson (Hg.), Boethius, Oxford 1981.
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[. . . ] Nichts ist frei von alten Gesetzen, Nichts weicht ab von eigenen Bahnen. Alles führst du zu sicheren Zielen, Nur des Menschen Handeln verschmähst du, In verdiente Maße zu zwingen. Warum wechselt schlüpfrig das Glück uns Immer die Lose? Es trifft Unschuldige Oft die Strafe, dem Frevler gebührend. Auf hohen Thronen spreizen verderbte Sitten sich, sie treten mit Füßen Heilige Nacken, ruchlos vernichtend. Tugend birgt sich verstoßen im Finstern, Leuchtend im Dunkeln, Gerechte leiden Strafe des Bösen! 191
Die Frage nach der Legitimität, ja sozusagen nach der Vernünftigkeit einer solchen Welt ist das den ganzen Dialog durchziehende Motiv. Boethius kontrastiert die gegenwärtige Menschenwelt mit der Naturwelt, in der stabile Ordnung und Regel‐ mäßigkeit herrschen. In der Menschenwelt nimmt die Unordnung überhand, in der man durch Habgier und List zur Herrschaft kommt und durch Tugend und Weis‐ heit in Not gerät. In dieser Welt fehlt also die in jeder gerechten Welt notwendige Entsprechung zwischen Taten und Lohn. Als Sinnbild dieser Perversität der Welt greift Boethius die antike Allegorie von der Göttin fortuna auf. Er klagt diese alte Schicksalsgöttin für die Ungerechtigkeit der Welt an, die ihn und überall plagt. Warum teilt fortuna das Glück und Unglück dieser Welt so willkürlich und unrechtmäßig zu? Die Antwort wird von der philosophia, der allegorischen Leitfigur, gegeben. Das Trostmittel, das die philosophia dem Boethius spendet, ist jedoch weder ein Ver‐ sprechen, noch ein Kunstgriff, um diesen Zustand des menschlichen Lebens zu verändern oder sich der Herrschaft der fortuna zu entziehen. Vielmehr verlangt sie von Boethius hinzunehmen, dass die Unbeständigkeit zum Wesen des Menschenle‐ 191 Boethius, Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae), hg. mit einer Übersetzung von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon, Zürich und München 1981, Lib. 1, 5C: 1–36: „O stelliferi conditor orbis,/ Qui perpetuo nixus solio / Rapido caelum turbine versas / Legemque pati sidera cogis,/ [. . . ] / Nihil antiqua lege solutum / Linquit propriae statio‐ nis opus./ Omnia certo fine gubernans / Hominum solos respuis actus / Merito rector cohibere modo./ Nam cur tantas lubrica versat / Fortuna vices? Premit insontes / Debita sceleri noxia poena;/ At perversi resident celso / Mores solio sanctaque calcant / Iniusta vice colla nocentes./ Latet obscuris condita virtus / Clara tenebris iustusque tulit / Crimen iniqui!“
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bens gehört. Die Wandelbarkeit gehöre zur Art und Natur der fortuna. Man müsse ihre unbeständige Natur akzeptieren, aber nicht über sie klagen, solange man in die‐ ser Welt lebe. 192 Soweit man mit der fortuna zusammen sei, müsse man gelassen ertragen, was innerhalb ihres Herrschaftsbereichs vor sich gehe. 193 So mahnt die Philosophie: Du versuchst, den Schwung des rollenden Rades aufzuhalten? Aber, tö‐ richster aller Sterblichen, wenn sie anfängt zu beharren, hört sie auf, Zufall zu sein. 194 Ferner wirft sie Boethius eine falsche Erwartung vor: Meinst du, dass menschlichen Dingen irgendeine Beständigkeit innewohne, da doch den Menschen selbst oft eine flüchtige Stunde auflöst? 195 Eine wirkliche Versöhnung von Boethius mit dieser Welt und seinem Schicksal erfolgt jedoch erst im nächsten Moment, als die philosophia Boethius den hinter der Willkürherrschaft der fortuna steckenden tieferen Sinn offenbart. Im vierten Buch versucht die philosophia, Boethius davon zu überzeugen, dass Gott die Men‐ schenwelt wie die Naturwelt auf den guten Zweck hinlenkt und dass das Schicksal eigentlich diesem Zweck dient. Nur die Blindheit der Menschen hindere ihn am Durchschauen des göttlichen Plans. Die philosophia sagt: Nicht verwunderlich ist es, [. . . ] wenn etwas für planlos und verworren gehalten wird, weil man den vernünftigen Grund der Ordnung nicht kennt. Aber wenn du auch den Grund der gewaltigen Planung nicht kennst, solltest du doch nicht zwei‐ feln, dass alles richtig geschehe, da ja ein guter Lenker die Welt verwaltet. 196
Die philosophia fährt von dieser Feststellung aus fort, Boethius das Verhältnis des Schicksals und der Vorsehung Gottes zu erhellen. Alle Kreaturen der Welt ver‐ danken nach philosophia ihre Ursache, Ordnung und Form allein und einzig dem unveränderlichen Geist Gottes. Die Regelung Gottes heiße einerseits Vorsehung (providentia). Wenn sie auf die einzelne Kreatur bezogen wird, heiße sie aber Schick‐ sal (fatum). 197 Das Schicksal ordnet die Bewegung des Einzelnen, wie es nach Ort, Form und Zeit zugeteilt sei. Das Schicksal ist also nach Boethius die den wandelba‐ 192 Ebd., Lib. 2, 1P: 6–11. 193 Ebd., Lib. 2, 1P: 28–36. 194 Ebd., Lib. 2, 1P: 59–61: „Tu vero volventis rotae impetum retinere conaris? At, omnium mortalium stolidissime, si manere incipit, fors esse desistit.“ 195 Ebd., Lib. 2, 3P: 46–48: „Ullamne humanis rebus inesse constantiam reris, cum ipsum saepe hominem velox hora dissolvat?“ 196 Ebd., Lib. 4, 5P: 23–27: „Nec mirum, [. . . ] si quid ordinis ignorata ratione temerarium confusumque credatur. Sed tu quamvis causam tantae dispositionis ignores, tamen, quo‐ niam bonus mundum rector temperat, recte fieri cuncta ne dubites.“ 197 Ebd., Lib. 4, 6P: 21–30: „Omnium generatio rerum cunctusque mutabilium naturarum progressus et quicquid aliquo movetur modo, causas, ordinem, formas ex divinae mentis stabilitate sortitur. Haec in suae simplicitatis arce composita multiplicem rebus gerendis modum statuit; qui modus cum in ipsa divinae intellegentiae puritate conspicitur, provi‐
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ren Dingen innewohnende Bestimmung, mittels derer die Vorsehung alles mit ihrer Ordnung in Einklang bringt. 198 Dem Menschen ist jedoch nach Boethius nicht ge‐ stattet, das gesamte Gefüge der göttlichen Werke zu erfassen. 199 Darum solle sich der Mensch mit der Einsicht abfinden, dass Gott diese Welt zum Guten hinlenke. Blicke man aber auf die ordnende Vorsehung, werde deutlich, dass in der Welt kein Böses existiere. Die schwere Herausforderung des Schicksals sei also nicht zu bekla‐ gen, sondern vielmehr als von Gott zur eigenen Verbesserung gegebene Chance mit Ruhe und Gelassenheit dankbar zu akzeptieren. 200 Man solle sich dabei allein auf die Tugend stützen. Boethius idealisiert das Leben eines Weisen, der mit heiterem Sinn das Leben geordnet, das stolze Geschick sich zwang zu Füßen, und das wechselnde Glück mit festem Auge, [s]o betrachtet, dass nie ihm zuckt die Wimper. 201 Ein solcher weiser Mensch verachtet das irdische Glück, weil im letzteren offenbar nichts Erstre‐ benswertes, nichts von ursprünglicher Vortrefflichkeit wohnt, das sich weder den Guten immer vereint, noch diejenigen gut macht, denen es verbunden ist. 202 An der Oberfläche vertritt Boethius dasselbe Ideal eines Weisen, das auch Pla‐ ton im Kriton verteidigte. Die Idee des Boethius ist jedoch auffällig apolitisch, und insofern unterscheidet sie sich vom ethischen Gedanken Platons. Boethius lässt in seinem auf die Vorsehung Gottes konzentrierten Denken keinen Raum übrig für den vernünftigen Zugriff des Menschen in den Ablauf der Welt. Alles wird von Gott vorher entschieden. Die vernünftige Vorplanung und die flexible Anpas‐ sung der ethischen Grundsätze, die bei den Griechen die Klugheit hieß, gehören nicht zum Politikbegriff eines jetzt nach dem Scheitern seiner politischen Vision im Kerker einsitzenden Politikers. In seinem Denken ersetzen das Vertrauen in die fundamentale Gerechtigkeit der göttlichen Weltführung und die bedingungslose Gehorsamkeit gegenüber Gottes Geboten die rationale Analyse und Prognose und die dementsprechende Planung in der Handlung. Damit wird die politische Theo‐ rie unter die theologisch fundierte Ethik subsumiert. Insofern unterscheidet sich der Begriff von der ethischen und politischen Praxis, den Boethius am Ende seines Lebens formulierte, wesentlich von dem Platons, der klar wusste, dass man in der Politik allein mit ethischen Konzeptionen nicht auskommen kann. So hat der soge‐ nannte letzte Römer auch das letzte Wort der Antike gesprochen.
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dentia nominatur, cum vero ad ea, quae movet atque disponit, refertur, fatum a veteribus appellatum est.“ Ebd., Lib. 4, 6P: bsd. 56–60. Ebd., Lib. 4, 6P: 94–97 und 200–202. Ebd., Lib. 4, 7P: 50–55. Ebd., Lib. 1, 4C: 1–4 : „[. . . ] composito serenus aevo / Fatum sub pedibus egit superbum / Fortunamque tuens utramque rectus / Invictum potuit tenere vultum, [. . . ].“ Ebd., Lib. 2, 6P : 67–70: „[. . . ] nihil expetendum, nihil nativae bonitatis inesse mani‐ festum est, quae nec se bonis semper adiungit et bonos, quibus fuerit adiuncta, non efficit.“
2. Die Rückkehr des Politischen in den spätmittelalterlichen Denkhorizont
Wir hören während des gesamten Mittelalters immer wieder die Klage über die Sinnlosigkeit der Welt und den Aufruf, sich von ihr zu distanzieren bzw. sich ganz zurückzuziehen, um ein Gott und den inneren Tugenden gewidmetes Leben zu füh‐ ren. Diesem Aufruf folgten unzählige Männer und Frauen aus allen Schichten und Ständen. Ihnen stellte das irdische Glück keinen Wert dar, der um seiner selbst wil‐ len erhalten und gesteigert werden muss. Was wir im letzten Kapitel beobachtet haben, nämlich das Auftauchen des auf das Modell des Märtyrers hin orientierten Verständnisses der Ethik, ist mit dieser im Mittelalter weit verbreiteten Abkehr von der Welt unmittelbar verbunden. Die Politik wurde nicht mehr als ein autonomer Denk- und Handlungsbereich ange‐ sehen. Die rationale Analyse und Prognose der Situation und die sorgfältige Vor‐ planung der Handlungen, die bei Platon und Aristoteles die entscheidende Frage der Politik waren, stehen in diesem neuen Verständnis nicht mehr im Zentrum der Überlegungen. Das Politische ist damit aus dem Denkhorizont des Abendlandes entschwunden. In der Darstellung der politiktheoretischen Geschichte hat man auf diese Subsummierung der politischen Überlegung in die ethischen Ansprüche lange aufmerksam gemacht. Ob das Mittelalter lediglich diese Auffassung des Verhältnis‐ ses der Politik zur Ethik und Religion kannte, ist aber eine andere Frage. Die immer noch weitwirkende Vorstellung, nämlich dass die Dominanz der ‚Gesinnungsethik‘ eine natürliche Folge der Dominanz des Christentums sei, dürfte nicht unkritisch hingenommen werden. 203 Es ist zu bemerken, dass die Weltabkehr nicht die einzige geistige Grundhaltung war, die das Mittelalter kannte. Zunächst ist festzuhalten, dass die wiederholte Aussage über die Sinnlosigkeit der Welt im Mittelalter keines‐ wegs im absoluten Sinne zu nehmen ist. Wir können dies verstehen, wenn wir eine andere Seite des Denkens von Augustin betrachten. Augustin hat der Welt nicht jeden Sinn abgesprochen. Im Gegenteil: Für ihn ist alles, was sich in dieser Welt ab‐ spielt, auch mit der Fülle des heilsgeschichtlichen Sinns beladen. Nur kann dieser Sinn nicht immer von den Menschen mit ihren von den Sünden getrübten Augen direkt erkannt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass die Welt von einem ge‐ rechten Gott auf gerechte Weise geführt wird.
203 Solches Pauschalurteil über die Effekte der Herrschaft der christlichen Religion liegt bei‐ spielweise Webers Diskussion über die Gesinnungsethik und ihre Unterscheidung von der Verantwortungsethik zugrunde. Vgl. Weber, Politik als Beruf, S. 545 ff.
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Logisch konnte sich aus dieser Überzeugung wieder der Versuch ergeben, den Lauf der Welt im Sinne einer von Gott gestifteten Kausalität zu begreifen. Dies zeigt sich klar in Augustins Auslegung der Plünderung Roms (410), die ihm als Verkün‐ dung von Gottes Willen erscheint, die Römer für ihren Sittenverfall zu strafen. In dieser Welt kann nichts sinnlos sein, alles ereignet sich aus einem gewissen Grund, dem gerechten Ratschluss Gottes. So versucht Augustin z. B. auf die Frage, warum die guten Christen neben den ungläubigen Bürgern Roms bei der Plünderung der Goten das harte Schicksal erleiden mussten, folgendermaßen zu antworten, indem er auf den Ratschluss Gottes hinweist, verderbte Sitten auch mit zeitlichen Strafen heimzusuchen. [. . . ] Denn in gleicher Weise werden sie gezüchtigt, nicht als führten sie das glei‐ che böse Leben, sondern weil sie beide das zeitliche Leben lieben. Gewiß lieben sie es nicht beide gleich sehr, aber doch beide, während die Guten es verachten müß‐ ten [. . . ]. 204
Wiewohl diese Rechtfertigung keine vernünftige Begründung des Ratschlusses Got‐ tes abgibt, ist jedoch hier noch das Interesse daran ersichtlich, das Weltgeschehen möglichst kausal zu verstehen und zu erklären. Dieses Denkmoment, im zugegebe‐ nermaßen verwirrenden Weltengang noch eine Rationalität zu suchen, war keines‐ wegs nur Augustin vorbehalten. Tatsächlich können wir es in der Weltauffassung des Mittelalters immer wieder beobachten, und zwar im Wechselspiel mit dem resi‐ gnierenden Moment. Wie bereits Marie-Dominique Chenu bemerkte, beruhte das gesamte ideologische Gebäude des Mittelalters auf dem Widerspruch und Zusam‐ menspiel der beiden. 205 Das besagte Denkmoment ist von besonderer Bedeutung für unsere Diskussion über den früh- und hochmittelalterlichen Politikdiskurs. Denn auf seinem Funda‐ ment konnte eben noch die nezessitaristische Erwartung gedeihen, die Welt als ein rationales Geschehen zu verstehen, die Politik als eine rational verfügbare Größe zu begreifen und eine darauf gerichtete politische Theorie zu entwickeln.
204 De civitate dei, Lib.1, Cap. 9, S. 9 f. (S. 17): „[. . . ] quare cum malis flagellentur et boni, quando Deo placet perditos mores etiam temporalium poenarum adflictione punire. Fla‐ gellantur enim simul, non quia simul agunt malam uitam, sed quia simul amant tem‐ poralem uitam, non quidem aequaliter, sed tamen simul, quam boni contemnere debe‐ rent [. . . ].“ 205 Marie-Dominique Chenu, Nature, Man, and Society in the Twelfth Century. Essays on New Theological Perspectives in the Latin West, hg. mit einer Übersetzung von Jerome Taylor und Lester K. Little und einem Vorwort von Etienne Gilson, Toronto u. a. 1997, S. 36.
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In der Tat wurde das nezessitaristische Weltbild im Mittelalter aus verschiede‐ nen Anlässen und auf verschiedenen Wegen ständig reproduziert. Zwar haben die Autoren stets über die ordnungslose Welt und das Elend der Menschen als un‐ vermeidliche Folge des Verfalls seit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies geklagt. Doch umso eifriger haben sie über die unfehlbare Wirksamkeit der Gottesgerechtigkeit in allen Angelegenheiten gepredigt und den Gerechten und Frommen das Glück und die Sicherheit nicht nur im Jenseits, sondern auch im hiesigen Leben versprochen. Gerade die berüchtigten Gottesurteile, die als be‐ rechtigtes Justizverfahren bis zum 12. Jahrhundert gegolten haben, bilden diesen Gedanken ab. Um 1128 schrieb etwa Galbert von Brügge, ein gebildeter Mann, Fol‐ gendes: Wenn ein Mann, der gerecht handelt, ein Verfahren gegen einen anderen Mann eröffnet, der böse handelt, und Gott als Richter zwischen beiden angerufen wird, unterstützt Gott den Glauben dessen, der gerecht handelt. Den ungerechten Mann wirft er in seiner Rechtsache nieder und macht ihn in seiner Widerspenstigkeit zu‐ nichte. So geschieht es, dass der eine Schuldige im Kampf erschlagen wird, während der Schuldige beim Wasser- oder Eisenordal nicht unterliegt, falls er Reue zeigt. 206
Indem die zitierte Aussage die Überzeugung von der rationalen und sichtbaren Weltenlenkung Gottes belegt, auf der auch die uns heute völlig irrational erschei‐ nende Idee des Gottesurteils beruht, bezeugt sie auch das hartnäckige Überleben der nezessitaristischen Weltauffassung, ja sogar deren Popularität, im Früh- und Hoch‐ mittelalter. Durch dieselbe Überzeugung wurde dem breiten Publikum durchgehend ein nezessitaristisches Verständnis der Politik vermittelt. In der Tat hat das nezessita‐ ristische Welt- und Politikverständnis die früh- und hochmittelalterliche Phase des politischen Diskurses sogar überwiegend bestimmt. Diese Tatsache ist in der gängigen Historiographie des politischen Denkens meistens ignoriert worden, die gewöhnlich nach der Behandlung Augustins direkt zum Denken des Thomas von Aquin springt, als hätte fast 800 Jahre lang zwischen den beiden nichts politiktheoretisch Nennenswertes stattgefunden. Es ist jedoch wichtig für unsere Diskussion, die Grundidee dieser nezessitaristischen Welt- und 206 Galbert von Brugge, De multro, traditione et occisione gloriosi Karoli, comitis Flandriarum (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis, Bd. 131), Turnhout, 1994, Cap. 108, S. 154: „Cum vero homo juste agens in alium hominem perverse egerit et Deus judex iter utrosque ascitur, fidem juste agentis Deus juvat, injustum hominem a causa prosternens et in obstiatione sua confundens. Unde fit ut in bello alter iniquus pros‐ ternatur, in judicio aquae vel ferri iniquus, penitens tamen, non cadat.“ Die Übersetzung folgt Peter Dinzelbacher, Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess, Es‐ sen, 2006, S. 92.
Rahmenbedingungen der Welt- und Politikauffassung des Früh- und Hochmittelalters
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Politikauffassung des Früh- und Hochmittelalters zu verstehen. Denn die große Transformation des politischen Diskurses im Spätmittelalter, die wir später in die‐ sem Kapitel eingehend diskutieren werden, begann gerade mit dem Zusammen‐ bruch des auf diesem rationalistischen Moment aufgebauten Politikdiskurses seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts und als dessen unmittelbares Ergebnis. Wir gehen im Folgenden zunächst auf das rationalistische Denkmoment und die dementsprechende nezessitaristische Politikauffassung des Früh- und Hoch‐ mittelalters ein. Danach erörtern wir den Zusammenbruch des nezessitaristischen Politikdiskurses und die Entstehung einer neuen Sicht- und Redeweise über die Po‐ litik im Spätmittelalter.
2.1 Rahmenbedingungen der Welt- und Politikauffassung des Früh- und Hochmittelalters
Von Notker dem Stammler (Balbulus), einem Mönch, der in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in St. Gallen tätig war, ist uns eine Sage überliefert, die das Fortle‐ ben der nezessitaristischen Vorstellung im Frühmittelalter bezeugt. Es geht in dieser Geschichte um einen listigen Glockenbauer in der Schweizer Abtei und seine Be‐ strafung durch Gott. Dort war auch ein Künstler, der in allen Erz- und Glasarbeiten alle anderen über‐ traf. Als nun der Mönch Tancho von Sankt Gallen eine vortreffliche Glocke goss und der Kaiser sich nicht wenig über ihren Klang wunderte, da sprach jener über‐ ragende, aber unglückliche Meister im Erzguss: „Herr Kaiser, lass mir viel Kupfer herbeischaffen, damit ich es läutere, und statt Zinn lass mir Silber geben, soviel ich brauche, wenigstens hundert Pfund, und ich gieße dir eine Glocke, dass ver‐ glichen mit ihr diese Glocke verstummt.“ Da ließ der freigiebigste der Könige, der trotz des Reichtums, den er in Überfluss hatte, doch sein Herz nicht daran hing, ihm ohne Weiteres alles, worum man bat, zu Verfügung stellen. Jener Elende nahm das alles und ging fröhlich hinweg. Zwar schmolz und läuterte er die Glo‐ ckenspeise, aber statt des Silbers verwendete er reinstes Zinn und brachte so in kurzer Zeit eine Glocke, viel besser als die vortrefflichste, aus der Mischmasse fer‐ tig, und nachdem sie geprüft war, zeigte er sie dem Kaiser. Dieser bewunderte sie sehr wegen ihrer unvergleichlichen Schönheit, dann ließ er den Klöppel einfü‐ gen und sie im Glockenturm aufhängen. Dies geschah unverzüglich, aber als der Küster der Kirche und die übrigen Kapläne, auch fahrende Schüler, einander ablö‐ send sie zum Läuten zu bringen versuchten, brachten sie nichts zuwege. Schließlich griff unwillig der Schöpfer des Werkes und Urheber des unerhörten Betrugs zum Seil und zog die Glocke. Und siehe, da kam aus ihrer Mitte der Klöppel herab auf sein Haupt mit seiner Sündhaftigkeit, drang durch seinen bereits toten Leib
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und kam mit seinen Eingeweiden zu Boden. Die erwähnte Silbermasse aber wurde aufgefunden, und der gerechte Karl ließ sie unter die Armen seines Hofes vertei‐ len. 207
Dieser Gedanke ist im Wesentlichen nezessitaristisch, weil hier die sichtbare ge‐ rechte Kausalität zwischen Tat und Lohn als Grundsatz des Weltengangs postu‐ liert wird und Gott als ein unmittelbarer Verwalter dieser Gerechtigkeitsordnung erscheint. Hier gelten die Regeln der Ethik zugleich als Weisheit des glücklichen Lebens. In gleichem Sinne hat man auch die Bibel als Quelle der ethischen Begriffe und als Niederschrift des Gotteswortes mit einer Sammlung von Lebensweisheiten gleichgesetzt. Beim Einhalten dieser Regeln kann man Erfolg als Lohn erwarten, während deren Ignorierung eine Buße nach sich zieht. Die folgende Bemerkung aus den Libri Carolini, die im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts unter maßgeblicher Mitwirkung Karls des Großen verfasst worden sein sollen und gegen Byzanz gerichtet waren, drückt deutlich aus, dass im Früh‐ mittelalter die in den Geschichten der Bibel enthaltenen Gebote und Lehren kei‐ neswegs nur als vom Menschen bedingungslos zu erfüllender moralischer Imperativ verstanden wurden. Der Befehl Gottes galt vielmehr als eine Weisheit, die nicht nur
207 Notker Balbulus, Gesta Karoli magni imperatoris (= MGH Scriptores rerum ger‐ manicarum, nova series, Bd. 12), hg. von Hans f. Haefele, Berlin 1962, Cap. 29, S. 39 f.: „Erat ibidem alius opifex in omni opere eris et vitri cunctis excellentior. Cumque Tanco monachus sancti Galli campanum optimum conflaret et eius sonitum cesar non medio‐ criter miraretur, dixit ille praestantissimus sed infelicissimus in ere magister: ‚Domine imperator, iube mihi cuprum multum afferri, ut excoquam illud ad purum, et in vice sta‐ gni fac mihi quantum opus est de argento dari, saltim centum libras, et fundo tibi tale campanum, ut istud in eius comparatione sit mutum.‘ Tum liberalissimus regum, cui licet divitie affluerent, ipse tamen cor illis non apponeret, facile iussit omnia, que petebantur, exhibere. Que miser ille assumens letus exivit et es quidam conflans et emundans, in lo‐ cum vero argenti purgatissimum stagnum subiciens multo melius optimo illo de adulterato metallo campanum in brevi tempore perfecit probatumque cesari praesentavit. Quod ille propter incomparabilem conformationem satis admiratus, inmisso ferro pulsatorio iussit in campanario suspendi. Quod cum sine mora factum fuisset et custos ecclesie vel reliqui capellani nec non et erronei tyrones illud ad sonitum perducere, alii succedentes aliis, nite‐ rentur et nihil efficere potuissent, tandem indignatus auctor operis et commentor inaudite fraudis apprehenso fune traxit eramentum. Et ecce ferrum de medio elapsum in verticem ipsius cum iniquitate sua descendit et per cadaver iam iamque defunctum pertransiens ad terram cum intestinis et virilibus venit. Memoratum vero pondus argenti repertum praece‐ pit iustissimus Karolus inter indigentes palatinos dispergi.“ Die deutsche Übersetzung ist aus Quellen zur Karolingischen Reichsgeschichte (= Fontes ad historiam regni Francorum aevi Karolini illustrandam), Bd. 3: Jahrbücher von Fulda, Regino: Chronik, Notker: Taten Karls, hg. von Reinhold Rau, Darmstadt 1960, S. 365.
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für die Rettung der Seele, sondern auch für den irdischen Erfolg beherzigt werden musste: Hier [sc. in den Büchern der Bibel] findet man die Norm, die bestimmt, wie sich die Höheren gegen die Untergegebenen und die Untergegebenen gegen Höhere zu verhalten haben; wie man die Ehe hochhalten soll; wie in weltlichen Dingen durch kluges Überlegen Rat zu schaffen sei; wie man das Vaterland verteidige, den Feind vertreibe, nach außen wie im Innern den Staat verwalte [. . . ]. 208
Das Interesse an der Bibel übersteigt weit das Ethische und Religiöse, wenn man in ihr eine heilige Weisheit im Hinblick auf die Kriegsführung und die Verwaltung des Staates sucht. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass damals die Bibel als ein Buch der allgemeinen Lebensweisheit gelesen wurde, die auf alle Bereiche des menschlichen Lebens angewendet wurde. Notkers Geschichte des listigen Glockenbauers bezeugt ebenfalls die Umwand‐ lung des Begriffs der Zufallsmacht im Kontext der nezessitaristischen Weltauffas‐ sung. Hier taucht eine andere Konzeption des Wesens und der Rolle des Zufalls auf, der von dem fortuna-Begriff des Boethius deutlich zu unterscheiden ist. In dieser Konzeption wirkt sich der Zufall nicht als böser Störer des gerechten Weltenge‐ schehens aus, sondern als sein Förderer. Das Herabfallen des Klöppels, das an sich ungewöhnlich und unerwartet war, spielt eine Schlüsselrolle für die Realisierung der göttlichen Gerechtigkeit. Die Idee der Zufallsmacht als Instrument der göttlichen Weltregierung selbst ist freilich keineswegs eine Erfindung Notkers und seiner Generation. Wie wir gese‐ hen haben, versöhnt sich auch Boethius mit der fortuna, die sein Leben und seine politische Kariere zerstört hatte, gerade dadurch, dass er sie als eine Dienerin der göttlichen Vorsehung sieht. 209 Jedoch war Boethius weit entfernt vom Gedanken, dass die Zufallsmacht die göttliche Gerechtigkeit in dieser Welt direkt sichtbar 208 Opus Caroli regis contra synodum (Libri Caroli) (= MGH, Concilia, Bd. 2, Supplemen‐ tum 1), hg. von Ann Freeman mit Paul Meyvaert, Hannover 1998, S. 312: „In illis inve‐ nitur norma, per quam instituitur, qualiter praelati erga subditos et subditi erga praelatos agere debeant, qualiter coniugia diligantur, qualiter saecularia concilia prudenti delibera‐ tione tractentur, qualiter patria defendatur, hostes pellantur, extranearum domesticarum‐ que rerum administratio habeatur [. . . ].“ Die deutsche Übersetzung von Wolfram von den Steinen, Der Neubeginn, in: Das geistige Leben (= Karl der Große. Leben und Nachleben, Bd. 2), hg. von Bernhard Bischoff, Düsseldorf 1956, S. 18. 209 Über den mittelalterlichen fortuna-Begriff seien unter zahlreichen Beiträgen genannt: Al‐ fred Doren, Fortuna im Mittelalter und in der Renaissance, in: Vorträge der Bibliothek Warburg, hg. von Ernst Cassirer und Fritz Saxl, Bd. 2, 1. T., Leipzig 1924, S. 71–144; Ho‐ ward Rollin Patch, The Goddess Fortuna in Mediaeval Literature, Cambridge 1927; Jerold C. Frakes, The Fate of Fortune in the Early Middle Ages. The Boethian Tradi‐ tion, Leiden 1988; Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.), Fortuna, Tübin‐ gen 1995; Hans-Werner Goetz, Fortuna in der hochmittelalterlichen Geschichtsschrei‐
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macht. Wie die Zufallsmacht der gerechten Regierung Gottes dient, das bleibt dem Verständnis des Menschen ewig verschlossen. Es ist die Folge der Prävalenz dieses nezessitaristischen Begriffs von der Zufalls‐ macht, dass, wie Hans-Werner Goetz resümiert, in zahlreichen hochmittelalterli‐ chen Chroniken fortuna zwar als blinde Person, aber in ihrem Walten selbst keines‐ wegs als blind geschildert wird. 210 Damit soll aber nicht gesagt sein, dass der alte Begriff von fortuna entschwunden ist. Vielmehr begegnet man in der mittelalterli‐ chen Literatur immer wieder der Klage über ihre Willkür und die Ungerechtigkeit ihrer Weltverwaltung. Im nezessitaristischen Gedankenzusammenhang, besonders im politischen Diskurs, führte solche Klage aber zum Aufruf zur Bekämpfung und Überwindung, nicht zur Weltresignation. Der wichtigste Zeuge dieser Tendenz ist Otto (†1158), Bischof von Freising, Vet‐ ter des späteren Kaisers, Friedrich Barbarossa. Er hat seiner Chronica sive historia de duabus civitatibus, die er um 1145 wohl auf Veranlassung von Bischof Isengrim ver‐ fasste, die folgende Vorrede vorangestellt: Oft habe ich lange hin und her gesonnen über den Wandel und die Unbeständig‐ keit der irdischen Dinge, ihren wechselvollen, ungeordneten Verlauf, und wie ich bedenke, dass der Weise keinesfalls sein Herz an sie hängen soll, so finde ich durch vernünftige Überlegung, dass man über sie hinwegschreitend sich von ihnen lö‐ sen müsse. Denn des Weisen Pflicht ist es, sich nicht wie ein kreisendes Rad zu drehen, sondern wie ein aus Quadern gefügter Körper festzustehen in der Bestän‐ digkeit der Tugenden. Da nun der Wandel der Zeitlichkeit niemals zum Stillstand kommen kann, welcher Vernünftige wird da bestreiten, dass, wie ich sagte, der Weise sich von ihr wegwenden muss zu dem beständigen und bleibenden Reiche der Ewigkeit? 211
bung, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 1/1 (1996), S. 75–90; Elisabeth Mégier, Fortuna als Kategorie der Geschichtsdeutung im 12. Jahrhundert am Beispiel Ordericus’ Vitalis und Ottos von Freising, in: Mittelalterliches Jahrbuch 32, 1997, S. 49–70 (wieder abgedruckt in: Dies., Christliche Weltgeschichte im 12. Jahrhun‐ dert. Themen, Variationen und Kontraste: Untersuchungen zu Hugo von Fleury, Orde‐ ricus Vitalis und Otto von Freising (= Beihefte zur Mediaevistik, Bd. 13), Frankfurt / M. 2010, S. 203–226). 210 Goetz, Fortuna in der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung, S. 85. 211 Chronica sive Historia de duabus civitatibus, Lib. 1, Prol., S. 10 (deutsche Übersetzung: S. 11): „Sepe multumque volvendo mecum de rerum temporalium motu ancipitique statu, vario ac inordinato proventu, sicut eis inherendum a sapiente minime considero, sic ab eis transeundum ac migrandum intuitu rationis invenio. Sapientis enim est officium non more volubilis rotae rotari, sed in virtutum constantia ad quadrati corporis modum fir‐ mari. Proinde quia temporum mutabilitas stare non potest, ab ea migrare, ut dixi, sapien‐ tem ad stantem et permanentem eternitatis civitatem debere quis sani capitis negabit?“
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Hier erscheint die gesamte menschliche Welt als einem sinnlosen Wechselgesche‐ hen überlassen. Der Weise sollte sie nicht beachten, sondern sich um die wahren Tugenden bemühen. Wir dürfen jedoch bei dieser Stelle keineswegs eine Weltresi‐ gnation unterstellen. Denn Ottos Absicht ist es, den Lesern zu predigen, durch die Bemühung um die Tugenden und die Ehrfurcht vor Gott auch den chaotischen Zu‐ stand der Welt zu regeln. Gott, der gerechte Verwalter der Welt, wird ihnen dann beistehen und Erfolg schenken. So sagt Otto in seiner Widmung derselben Schrift an Isengrim, dass die Lektüre der in seinen Chroniken geschilderten Taten der her‐ vorragenden Männer und der Macht Gottes es dem Bischof ermöglichen werde, mit glücklichem Erfolg viele Zeitumläufe lang [zu] regieren. 212 Dasselbe Denken finden wir in einer Miniatur aus dem Liber ad honorem Augusti de rebus Siculis musterhaft versinnbildlicht, der von Petrus de Ebulo († vor 1220) zwischen 1195–1197 verfasst wurde (Abb. 1). 213 Die gesamte Szene ist in zwei Teile untergliedert. Links oben befindet sich Kaiser Heinrich VI. mit seiner Gefolgschaft, den allegorischen Gestalten der vier Tugenden. Rechts unten sieht man fortuna mit ihrem Rad und unter diesem den Normannen Tankred von Lecce, der mit Heinrich um den sizilianischen Thron konkurrierte und am Ende unterlag. Die Gestalten der Tugenden, die Heinrich eng umgeben, bezeichnen die innere Verfassung des letzte‐ ren, während das Rad der fortuna die Lasterhaftigkeit Tankreds repräsentiert, der sich von der Illusion des irdischen Glücks verführen ließ, dabei die wahre Tugend verließ und deswegen am Ende zugrunde ging. Das kontrastierende Schicksal der beiden Gegner wird übrigens durch die unterschiedliche Größe der beiden Teile noch einmal betont. Damit wird nichts Anderes als eine nezessitaristische Auffas‐ sung über die Welt und die Politik ausgedrückt. Die Welt ist so gestaltet, dass man durch Tugend siegt, durch Laster aber verliert. In der Miniatur bietet die fortuna sogar den Tugenden um Heinrich mit ausgestreckter Hand ihre Freundschaft an. 212 Ebd., Dedicatio, S. 4 (Übersetzung: S. 5): „Honesta ergo erit et utilis excellentiae vestrae historiarum cognitio, qua et virorum fortium gesta Deique regna mutantis et cui voluerit dantis rerumque mutationem patientis virtutem ac potentiam considerando sub eius metu semper degatis ac prospere procedendo per multa temporum curricula regnetis.“ 213 Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis. Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern. Eine Bilderchronik der Stauferzeit, hg. von Theo Kölzer und Mar‐ lis Stähli, komm. und übers. von Gereon Becht-Jördens, Sigmaringen 1994; Frederick P. Pickering, Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter, Berlin 1966, S. 135 ff.; Ehrengard Meyer-Landrut, Fortuna. Die Göttin des Glücks im Wandel der Zeiten, München 1983, S. 60; Sybil Kraft, Ein Bilderbuch aus dem Königreich Sizilien. Kunst‐ historische Studien zum „Liber ad honorem Augusti“ des Petrus von Eboli (Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern), Weimar u. a. 2006; Barbara Schlieben, Disparate Präsenz. Hybridität und transkulturelle Verflechtung in Wort und Bild: Der ‚Liber ad honorem Augusti‘, in: Europa in der Welt des Mittelalters. Ein Colloquium für und mit Michael Borgolte, hg. von Tillmann Lohse und Benjamin Scheller, Berlin 2014, S. 163–188; Bee Yun, The Fox atop Fortune’s Wheel. Machiavelli and Medieval Realist Discourse, S. 319.
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Sie will offensichtlich Heinrich mit ihrem falschen Glücksversprechen verführen und auch ihn zugrunde richten, wie sie es mit Tankred getan hat. Ihre Einladung zur Freundschaft wird aber von Heinrich kalt zurückgewiesen. Seine innere Di‐ stanz zur fortuna wird durch den Raum zwischen ihm und ihrem Rad visualisiert. Damit wird auch angedeutet, dass Heinrich stets glücklich und siegreich bleiben wird. Im Folgenden werden wir an einigen repräsentativen Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts noch näher betrachten, wie das nezessitaristische Welt- und Po‐ litikverständnis den Politikdiskurs des Hochmittelalters bestimmte.
2.2 Der nezessitaristische politische Diskurs des Hochmittelalters
Bereits in der Einleitung haben wir die Leitlinie des hochmittelalterlichen politi‐ schen Diskurses anhand der organologischen Staatstheorie des Johannes von Salis‐ bury skizziert: Der Staat kann und muss ein Kosmos sein und ist dem Körper, also einem microcosmus, vergleichbar; der König entspricht dem Kopf, und die anderen Teile des Staates den Gliedern des Körpers. Wie die Körperteile miteinander koope‐ rieren, indem sie die ihnen zugewiesene Rolle spielen, so sollten sich die Teile eines Staates zueinander verhalten. Bei diesem Gedanken ging Johannes von der Grundthese aus, dass die Naturwelt, die sichtbare natura (natura naturata) von der natura als göttlichem Zeugungsprin‐ zip (natura naturans) erzeugt ist. Die Naturwelt ist also im gewissen Sinne mit der Bibel zu vergleichen, in der die Idee und der Wille Gottes offenbart wurden. Der Gedanke, dass die Naturwelt ein von Gott geschriebenes Buch und die direkte Of‐ fenbarung seines Willens sei, war recht verbreitet. So sagte Berthold von Regensburg (†1272), ein berühmter und erfolgreicher Prediger am Ende des Hochmittelalters, einmal zu seinem Publikum: Besonders euch Laien hat unser Herr diese beiden höchst lehrreichen Bücher geschenkt. Das eine ist der Himmel, das andere die Erde. 214 Genau in diesem Sinne äußerte sich auch bereits sehr früh Hugo von St. Viktor (ca. †1141) in seinem pädagogischen Werk Didascalicon: Die gesamte Natur spricht von Gott, sie lehrt den Menschen und bringt in allen ihren Erscheinungen die ursprüngliche Idee hervor [. . . ]. 215 Die Naturwelt gleicht also einem Text, durch dessen sorgfältige Lektüre die Menschen, denen die Wahrheit nach dem Sündenfall nicht mehr un‐ 214 Vier Predigten, Mittelhochdeutsch-Neuhochdeutsch, hg. und übers. von Werner Röcke, Stuttgart 1983, S. 26 (Übersetzung: S. 27): „Und iu leien hat ouch geben unser herre zwei groziu buoch. Daz ein ist der himel, daz ander diu erde.“ 215 Didascalicon de Studio Legendi, Lateinisch-Deutsch, übers. mit Einleitung von Thilo Of‐ fergeld, Freiburg i. Br. u. a. 1997, Lib. 6, Cap. 5 (Übersetzung: S. 385): „Omnis natura Deum loquitur, omnis natura hominem docet, omnis natura rationem parit [. . . ].“ ˘
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mittelbar gegenwärtig ist, zur Erkenntnis des richtigen Verhaltens gelangen können: [. . . ] in der Bedeutung der Dinge existiert eine natürliche Gerechtigkeit, [. . . ] in wel‐ cher auch die Norm unseres eigenen Verhaltens, also die positive Gerechtigkeit, ihren Ursprung hat. Indem wir betrachten, was Gott getan hat, erkennen wir, was wir selbst tun sollen. 216 Dieses Prinzip gelte vor allem, so geht dieser Gedankengang weiter, für die Gestaltung der politischen Gesellschaften als einer hohen Stufe der mensch‐ lichen Handlung. Genau diese Idee legte Johannes von Salisbury seiner Staatstheorie zugrunde. Ihm zufolge hat der allmächtige Gott die Welt gemäß seinem Willen ausgestaltet, wobei der natura die Bedeutung, Ausdruck der göttlichen Vernunft zu sein, zu‐ kommt. Wenn die ganze Naturwelt der Führung der göttlichen Vernunft unterliegt, durchzieht sie eine bestimmte similitudo von Anfang bis Ende. Diese in der Natur‐ welt erkennbare göttliche Vernunft ist gleichzeitig ein universales Aufbauprinzip, das sowohl im Bienenstaat wie auch im Menschenkörper erkennbar ist. Die natura als optima vivendi dux 217 muss ohnehin beim Aufbau und der Ausgestaltung jeder politischen Gesellschaft bis in die innere Struktur nachgeahmt werden: vita civilis imitetur naturam. 218 Johannes’ Policraticus liegt die Idee der Einheit der Ordnung der Naturwelt und der politischen Gemeinschaft zugrunde. Warum diente jedoch besonders der Menschenkörper als Analogie? Es war ja auch möglich, eine Analogie im Himmel zu suchen. Alanus von Lille (ab Insu‐ lis) (†1202), ein berühmter Gelehrter und Zeitgenosse des Johannes von Salisbury, schrieb: Wie an der Spitze des irdischen Gemeinwesens herrscht auch im Himmel ein ewiger Herrscher. 219 Wenn auch Alanus sich seiner Analogie nicht zur Erklärung der Aufgabe einer guten Staatsführung, sondern umgekehrt zur Würdigung der voll‐ kommenen Verwaltung des Himmels bedient, sieht man hier jedenfalls, dass ein Vergleich zwischen dem Staat und dem Himmel durchaus möglich war. Doch besaß die Körper-Staat-Analogie noch mehr Relevanz zur Erklärung der Politik. Anders als die Himmelssphären und -körper ist der Menschenkörper ver‐ gänglich. Daher wird durch die Kooperation seiner Teile nicht nur eine ästheti‐ sche Ordnung geschaffen, sondern eben auch der materielle Nutzen, auf den kein
216 Ebd.: „In illa [sc. significatio rerum] enim naturalis iustitia est, ex qua disciplina morum nostrorum, id est, positiva iustitia nascitur. Comtemplando quid fecerit Deus, quid nobis faciendum sit agnoscimus.“ 217 Joannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici, Lib. 4, Cap. 1, 513b und Lib. 6, Cap. 21, 619c. 218 Ebd., 619c. 219 De planctu naturae, hg. von Nikolaus M. Häring, in: Studi Medievali 19/2 (1978), S. 797– 879, hier 6: 75–77, S. 827: „Attende qualiter in hoc mundo uelut in nobili ciuitate que‐ dam reipublice maiestas moderamine rato sancitur. In celo enim, uelut in arce ciuitatis humane, imperialiter residet Imperator eternus [. . . ].“
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Mensch in dieser Welt verzichten kann. Die gerechte und harmonische Gliederung des Staates entspricht also nicht nur dem Gottesgebot, sie ist auch die Voraussetzung für das Überleben des Menschen. Das Bedürfnis nach der gerechten Staatsordnung entspringt dem Lebensbedürfnis und ist insofern den Menschen nicht als bloßer moralischer Imperativ gegeben, sondern als Ergebnis einer vernünftigen Schluss‐ folgerung von der Lebensnot her. Der ethische und rechtgläubige Mensch ist hier zugleich ein vernünftiger Mensch: Es liegt also eine nezessitaristische Staatsauffas‐ sung vor. Die vom nezessitaristischen Politikverständnis durchzogene Körperanalogie er‐ freute sich großer Konjunktur in der politischen Theorie des Hoch- und Spät‐ mittelalters. Sie wurde immer wieder in den Mittelpunkt der staatstheoretischen Überlegungen des 13. Jahrhunderts gestellt. Johannes von Wales († ca. 1285) etwa hat sich in seinem Communiloquium bemüht, die Körpersymbolik auf das zeitge‐ nössische englische Amtssystem zu beziehen. Er behauptete, dass im Amt die Ohren in den presides provinciarum, den potestates civitatum, den prepositi populorum und den ballini villarum ihre Entsprechungen hätten, die Augen in den iudices und die Zunge in den legisperiti und patroni canonum. 220 Eine ähnliche Analogisierung findet sich im Speculum doctrinale, der monumentalen hochmittelalterlichen Enzy‐ klopädie des Vincenz von Beauvais. 221 Die Autorität der antiken Autoren, die als Quelle jener Symbolik zitiert wurden, steigerte ihre Wirkung enorm. Während sich Johannes im Policraticus auf die Au‐ torität des Plutarch berief, indem er behauptete, seine organologische Staatstheorie eigentlich einem (pseudo-)plutarchischen Werk namens Institutio Traiani entnom‐ men zu haben, 222 wurde auch Aristoteles häufig als Urheber des Gedankens zitiert. Im Secretum secretorum, einem (pseudo-)aristotelischen Werk arabischer Herkunft, das seit dem 12. Jahrhundert in Europa großen Einfluss hatte, wurde nämlich die organologische Staatsauffassung gerade dem Aristoteles zugeschrieben. 223 In die‐ sem in Form eines Briefes geschrieben Werk lehrt (Pseudo-) Aristoteles, der alte Weise der Antike, seinen Schüler, Alexander den Großen, das Grundwissen über den Staat. Dabei taucht die übliche Körpermetapher wieder auf: Gott habe den Kör‐ 220 Elsmann, Untersuchungen zur Rezeption der Institutio Traiani, S. 103 f. 221 Ebd., S. 119–121. 222 Hans Kloft und Maximilian Kerner (Hg.), Die Institutio Traiani: Ein pseudo-plutar‐ chischer Text im Mittelalter. Text, Kommentar, Zeitgenössischer Hintergrund, Stuttgart 1992; Elsmann, Untersuchungen zur Rezeption der Institutio Traiani. 223 Roger Bacon, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi, fasc. V: Secretum Secretorum, hg. von Robert Steele, Oxford, 1920, S. 1–175. Zur eingehenden Diskussion vgl. Steven J. Williams, The Secret of Secrets. The Scholarly Career of a Pseudo-Aristotelian Text in the Latin Middle Ages, Ann Arbor 2003; Regula Forster, Das Geheimnis der Geheim‐ nisse: Die arabischen und deutschen Fassungen des pseudo-aristotelischen Sirr al-asrar / Secretum Secretorum, Wiesbaden 2006.
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per des Menschen wie eine Stadt geschaffen; 224 die Vernunft des Menschen sei dem König vergleichbar und die anderen Körperglieder den Bestandteilen des Staates, wie z. B. die fünf Sinne die Rolle der Minister spielten. 225 Außer in der Körpermetapher lässt sich das nezessitaristische Denken auch in der hochmittelalterlichen Verfassungslehre finden. Es lieferte bei zahlreichen Theo‐ retikern des Hoch- und Spätmittelalters eine wichtige Legitimation für die monar‐ chische Staatsverfassung. Dies ist ersichtlich an der Staatstheorie des Thomas von Aquin (†1275). In seiner Schrift De regimine principum ad regem Cyprii 226 sagt er: [. . . ] Es ist immer das Beste, was der Natur entspricht; in den Einzelnen wirkt die Natur immer das Beste. Alle Führung in der Natur geht aber von einem einzelnen aus. In der Vielheit der Glieder ist ein Einziges, das alle lenkt: das Herz; innerhalb der Seele hat eine beherrschende Kraft die Führung: die Vernunft. Auch die Bie‐ nen haben eine Königin, und in der ganzen Welt ist ein Gott, der alles erschaffen hat und nach seinem Willen lenkt. Der Grund dafür ist durch eine verstandesge‐ mäße Überlegung zu finden. Alle Vielheit leitet sich von einer Einheit ab. Wenn daher die Werke der Kunst die Werke der Natur nachzubilden bemüht sind und ein Kunstwerk immer besser ist, je mehr es die Ähnlichkeit mit seinem Vorbild er‐
224 Secretum Secretorum, 4.8, Sp. 132: „Quando ergo creavit Deus altissimus hominem et fecit eum nobilissimum animalium, ei precepit, prohibuit, punit, remunerat eum, et con‐ stituit corpus suum civitatem quandam, et ejus intellectum regem in ipsa, et collocavit eum in nobiliori loco ipsius hominis et superiori, quod est capud (sic!). Constituit ei 5 bajulos regentes ipsum, presentantes ei quecunque sibi sunt necessaria et ea quibus juvatur, custo‐ dientes nichilominus ipsum ab omni eo quod est ei nocibile.“ 225 Ebd.: „Ergo 5 bajuli predicti sunt 5 sensus qui sunt in oculo, in aure, in naso, in lingua, in manu.“ Für die bildliche Darstellung der Vorstellung des Staates als des Königskörpers, die sich dieser Stelle des Secretum secretorum verdankt, siehe Yun, A Visual Mirror of Princes: The Wheel on the Mural of Longthorpe Tower. 226 Für die deutsche Übersetzung: Thomas von Aquin, Über die Herrschaft der Fürsten, übers. von Friedrich Schreyvogl, mit einem Nachwort von Ulich Matz, Stuttgart 1971. Beste Einführung zu dieser Schrift: Jürgen Miethke, De potestate papae. Die päpst‐ liche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham (= Spätmittelalter und Reformation, N. R., Bd. 16), Tübingen 2000 (Neuausgabe: Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008), S. 25–45. Zur allgemeinen Einführung des ethischen und politischen Denkens von Thomas: Wolfgang Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, 2. Aufl., Hamburg 1980; Janet Coleman, A History of Political Thought, Bd. 2: From the Middle Ages to the Renaissance, Oxford u. a. 2000, S. 80–117. Der eigent‐ liche Titel dieses Werkes war De regno ad regem Cypri. Die Handschriftenüberlieferung legt nahe, dass der jetzt bekannte Titel De regimine principum von Tolomeo von Lucca stammt, den wir später noch ausführlich behandeln werden. Siehe Miethke, Spätmit‐ telalter: Thomas von Aquin, Aegidius Romanus, Marsilius von Padua, S. 84 f.
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reicht, so muss es auch in der Gesellschaft der Menschen das Beste sein, dass sie von einem geführt sind. 227
Diese rein metaphysisch begründete Legitimation der monarchischen Staatsver‐ fassung scheint im ersten Augenblick dem Grundsatz von Thomas’ Staatstheorie zu widersprechen, die, von der Annahme des Menschen als Mängelwesen ausge‐ hend, den Staat als ein Organ zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse ansieht. 228 Denn, wenn ein Staat zuallererst der Lösung der praktischen Bedürfnisse dient, müsste man dann nicht auch bei der Entscheidung über die beste Verfassungsform zuerst ein praktisches Kalkül in den Mittelpunkt stellen? Die metaphysische Be‐ gründung der Exzellenz der monarchischen Staatsverfassung durch Thomas ist aber dennoch kein Überbleibsel eines ‚mythischen‘ Denkens aus früheren Zeiten. Tho‐ mas wiederholt hier nur die Grundüberzeugung des nezessitaristischen Welt- und Politikverständnisses, dass das Göttliche und Gerechte und das Nützliche mitein‐ ander übereinstimmen. In der Tat ergänzt er seinen auf der metaphysischen Ebene gezogenen Schluss um die Diskussion über den praktischen Nutzen, den man nur oder jedenfalls besonders von der Monarchie erwarten kann. Die Erfahrungen leh‐ ren ihm zufolge, dass die Provinzen oder Städte an inneren Zwistigkeiten leiden, es sei denn, sie werden von einem allein regiert; die Alleinherrschaft bringt die Ge‐ rechtigkeit und das Wohl mit sich. 229 Die nezessitaristische Welt- und Politikauffassung wurde auch in der hochmit‐ telalterlichen Naturrechtslehre weiter fortgeführt. Die Idee des Naturrechts war be‐ reits im Frühmittelalter bekannt, wie man an den Etymologien des Isidor von Sevilla (†636) sehen kann, dessen begriffliche Einteilung und Diskussion als Vorlage für spätere Denker diente. 230 Im Hochmittelalter geriet diese Idee mit der Wiederbe‐ 227 De Regimine principum, in: S. Thomae Aquinatis Opera Omnia, hg. von Roberto Busa S.I., Bd. 3, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, Lib. 1, Cap. 3 (Friedrich Schreyvogls Überset‐ zung, S. 12): „[. . . ] ea, quae sunt ad naturam, optime se habent: in singulis enim operatur natura, quod optimum est. Omne autem naturale regimen ab uno est. In membrorum enim multitudine unum est quod omnia movet, scilicet cor; et in partibus animae una vis principaliter praesidet, scilicet ratio. Est etiam apibus unus rex, et in toto universo unus Deus factor omnium et rector. Et hoc rationabiliter. Omnis enim multitudo derivatur ab uno. Quare si ea quae sunt secundum artem, imitantur ea quae sunt secundum naturam, et tanto magis opus artis est melius, quanto magis assequitur similitudinem eius quod est in natura, necesse est quod in humana multitudine optimum sit quod per unum regatur.“ 228 Ebd., Lib. 1, Cap. 1. 229 Ebd., Lib. 1, Cap. 3: „Nam provinciae vel civitates quae non reguntur ab uno, dissensioni‐ bus laborant et absque pace fluctuant, ut videatur adimpleri quod dominus per prophetam conqueritur, dicens: pastores multi demoliti sunt vineam meam.“ Die Kursivierung so in der Edition. 230 Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, 2 Bde., hg. von Wallace M. Lindsay, Oxford 1911: Lib. 5, Cap. 5, S. 2–6.
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lebung des Rechtsstudiums und der Verbreitung der neoplatonischen Kosmologie und des Naturbegriffs unter den Theologen im 12. Jahrhundert in den Mittelpunkt der Rechts- und Politiktheorie. 231 Man hat dabei dem Naturrecht eine absolute Verbindlichkeit für die Gesetzgebung zuschrieben. Dies ist typisch vor allem für Gratian († vor 1160), den Kompilator der umfangreichen Sammlung des Kirchen‐ rechtes, des Decretum. Er teilte in seinen einführenden Artikeln über das Gesetz das Recht traditionsgemäß in drei Kategorien ein: das Naturrecht (ius naturale), das Zi‐ vilrecht (ius civile) und das Völkerrecht (ius gentium). 232 Das Naturrecht definierte er als die Regeln, die im Alten und Neuen Testament geoffenbart worden waren. Es verdanke sich nicht, wie das Zivilrecht und das Völkerrecht, der menschlichen Set‐ zung; es wohne der vernünftigen Natur des Menschen inne. Das Naturrecht macht eine normative Grenze für jedes Gesetz aus. Gratian zufolge dürfen das Zivilrecht und das Völkerrecht die Grenze des Naturrechtes nirgends überschreiten. Die Naturrechtslehre des Gratian enthält durchaus mehr als das auch in unserer Zeit nicht ganz unübliche Argument, dass die Gesetzgebung gewissen normativen Grundsätzen wie Gerechtigkeit und Gleichheit verpflichtet ist. Für ihn ist das Na‐ turrecht auch Grundlage für die Lösung der praktischen sozialen und politischen Probleme. Seine folgende Bemerkung drückt diese pragmatische Ansicht deutlich aus: Es ist keine Dispensation vom Naturrecht erlaubt, es sei denn, man wird zur Wahl zwischen zwei Übeln gezwungen. 233 Um ein größeres Übel zu vermeiden, dürfe man also ein kleineres begehen und zwar gegen die naturrechtlichen Vorschriften. Diese Aussage bringt unmissverständlich den Gedanken zum Ausdruck, dass auch die na‐ turrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf ihre praktische Folge hin betrachtet werden müssen. Was unsere Diskussion über den Nezessitarismus des Hochmittelalters anbe‐ trifft, ist es wichtig, dass Gratian glaubte, dass die naturrechtlichen Vorschriften in den meisten Fällen gelten. Das Naturrecht sei in seiner Geltung universell, also allen Völkern gemeinsam und unabänderlich. 234 Damit war gemeint, dass die ethischen Grundsätze, die das Naturrecht beinhaltet, zur Bewältigung der meisten Probleme ausreichten, die aus dem gemeinsamen Leben entsprangen. Die Situationen, in de‐ nen die naturrechtlichen Vorschriften ein größeres Übel bewirkten, so dass man von ihnen abweichen muss, kommen nach Gratian eher selten, sozusagen ausnahms‐ 231 Zur allgemeinen Entwicklung des Naturrechtgedankens im 12. und 13. Jahrhundert siehe: Brian Tierney, The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law, and Church Law 1150–1625, Grand Rapids u. a. 1997, Kap. 2. 232 Decretum Magistri Gratiani, hg. von Emil Friedberg, Graz 1959 (zuerst 1879), Dist. 1–2. 233 Ebd., 1, Dist. 13, Pars 1: „Item aduersus naturale ius nulla dispensatio admittitur; nisi forte duo mala ita urgeant ut alterum eorum necesse sit eligi.“ 234 Ebd., 1, Post Dist. 6, Cap. 3: „Naturale ergo ius ab exordio rationalis creaturae incipiens, ut supra dictum est, manet immobile.“ und Dist. 8, Pars. 1: „[. . . ] iure naturae sunt omnia communia omnibus, quod non solum inter eos seruatum creditur [. . . ].“
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weise, vor. Das Welt- und Politikbild, das diesem Gedanken zugrunde liegt, ist im Wesentlichen nezessitaristisch, weil die ethischen Grundsätze und die Bedürfnisse für die Befriedigung der tatsächlichen Lebensprobleme sich überwiegend decken. Der Höhepunkt der nezessitaristischen Welt- und Politikauffassung des Mittel‐ alters wurde etwa ein Jahrhundert später bei Thomas von Aquin in dessen Summa Theologiae erreicht. 235 Am Anfang seiner Diskussion unterscheidet Thomas vier Arten des Rechts voneinander: das ewige Recht (lex aeterna), das Naturrecht (lex naturalis), das menschliche Recht (lex humana) und das göttliche Recht (lex di‐ vina). 236 Das ewige Recht besteht aus den Dispositionen der göttlichen Vernunft bei ihrer Führung des ganzen Universums zum Endzweck. Alle anderen Rechte haben in ihm ihre Herkunft und sind ihm unterworfen. 237 Das Naturrecht, das für Thomas den Dekalog bedeutet, ist ein Derivat aus der vernünftigen Natur des Menschen. Er sagt: [. . . ] Alles das, zu dem jeder nach seiner Natur neigt, gehört zum Naturrecht. Al‐ les neigt dazu, das zu tun, was ihm nach seiner forma zu eigen ist. [. . . ] Wenn der natürliche Geist der menschlichen forma eigen ist, wohnt jedem Menschen eine Neigung zu dem inne, was er nach seiner Vernunft tut. 238
235 Günther Mensching, Thomas von Aquin, Frankfurt / M. u. a. 1995, S. 135–157; Edgar Scully, The Political Limitations of Natural Law in Aquinas, in: The Medieval Tra‐ dition of Natural Law, hg. von Harold J. Johnson, Kalamazoo 1987, S. 149–159; Tony Burns, Aquinas’s Two Doctrines of Natural Law, Political Studies 48/5 (2000), S. 929– 946; Michael Städtler, „Von Gottes Willen können wir zweifach sprechen.“ Natur‐ recht, positives Gesetz, Vernunft und Wille bei Thomas von Aquin, in: „Radix totius libertatis“. Zum Verhältnis von Willen und Vernunft (= Contadictio, Bd. 12), hg. Gün‐ ther Mensching, Würzburg 2002, S. 194–218. Siehe auch die zwei gleichnamigen Aufsätze im selben Band: Maximillian Forschner, Naturrecht, positives Gesetz und Herrscher‐ wille bei Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham, und Günther Mensching, Naturrecht, positives Gesetz und Herrscherwille bei Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham, in: Von der religiösen zur säkularen Begründung staatlicher Normen. Zum Verhältnis von Religion und Politik in der Philosophie der Neuzeit und in rechtssyste‐ matischen Fragen der Gegenwart, hg. von Ludwig Siep, Thomas Gutmann, Bernhard Jakl und Michael Städtler, Tübingen 2012, S. 59–80 und 81–90. 236 Summa Theologiae, in: S. Thomae Aquinatis Opera Omnia, hg. von Roberto Busa S.I., Bd. 2, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1980, Ia IIae, q. 93, proem. 237 Ebd., Ia IIae, q. 93, a. 3, resp.: „Cum ergo lex aeterna sit ratio gubernationis in supremo gubernante, necesse est quod omnes rationes gubernationis quae sunt in inferioribus gu‐ bernantibus, a lege aeterna deriventur.“ 238 Ebd., q. 94, a. 3, resp.: „[. . . ] ad legem naturae pertinet omne illud ad quod homo inclina‐ tur secundum suam naturam. Inclinatur autem unumquodque naturaliter ad operationem sibi convenientem secundum suam formam, [. . . ]. Unde cum anima rationalis sit propria
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Sofern das Naturrecht eine Anordnung gemäß der menschlichen Natur und Ver‐ nunft ist, ist es unbeweglich, universal und notwendig. Also sagt Thomas: [. . . ] das Naturrecht ist eine Teilnahme am ewigen Recht und besteht unverändert fort. [. . . ] Außerdem enthält das Naturrecht die universalen Vorschriften, die im‐ mer so sind. 239
Das menschliche Recht ist das Mittel zur Deckung der praktischen sozialen und politischen Bedürfnisse eines Gemeinwesens. Thomas glaubt, dass das menschliche Recht von der Bestimmung des Naturrechts, der universalen Bestimmung für die menschliche Handlung, keineswegs unabhängig sein kann. Thomas sieht, dass es sich aus dem Naturrecht herleitet. So argumentiert er: [. . . ] Das Menschengesetz leitet sich vom Naturrecht auf zwei Weisen her: erstens so, wie man die Schlüsse aus den Prinzipien folgert; zweitens, wie die Gemeinsam‐ keiten etwas bestimmen. Die erste Weise ist, wie man in den Wissenschaften aus den Prinzipien die beweisbaren Schlüsse folgert. Die zweite Weise ist, wie man in den künstlerischen Arbeiten durch die Bestimmung der gemeinsamen Formen zu etwas Besonderem gelangt. 240
Nach Thomas leitet sich das Völkerrecht (ius gentium) vom Naturrecht auf die erste wissenschaftliche Weise her, und das Zivilrecht (ius civile) auf die zweite künstleri‐ sche Weise. 241 Durch die Menschengesetze wirkt also die göttliche Bestimmung der Welt in ein einzelnes Gemeinwesen hinein, d. h. das Recht einzelner Gemeinwesen wird als ein Unterglied der göttlichen Ordnung aufgefasst. Freilich hat Thomas nicht abgestritten, dass die Gesetzgebung und -ausführung, also die Politik im engeren Sinne, immer mit Ungewissheiten und Unbestimmt‐ heiten konfrontiert ist und daher eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des Naturrechts nicht ausreichend sein kann. Die menschlichen Angelegenheiten unterliegen der Kontingenz (contingentia). Hier besteht eine Notwendigkeit nur hinsichtlich der Gemeinsamkeiten (communia), aber nicht hinsichtlich der jewei‐
forma hominis, naturalis inclinatio inest cuilibet homini ad hoc quod agat secundum ra‐ tionem.“ 239 Ebd., q. 97, a. 1, ad 1: „[. . . ] naturalis lex est participatio quaedam legis aeternae, [. . . ]. et ideo immobilis perseverat [. . . ].“ 240 Ebd., q. 95, a. 2, resp.: „[. . . ] a lege naturali dupliciter potest aliquid derivari, uno modo, sicut conclusiones ex principiis; alio modo, sicut determinationes quaedam aliquorum communium. Primus quidem modus est similis ei quo in scientiis ex principiis conclu‐ siones demonstrativae producuntur. Secundo vero modo simile est quod in artibus formae communes determinantur ad aliquid speciale [. . . ].“ 241 Ebd., q. 95, a. 4, resp.
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ligen Eigentümlichkeiten (propria). 242 Die Vorschriften des Naturrechts können gerade wegen der Kontingenzbedingung in den menschlichen Dingen nicht auf dieselbe Weise auf alles angewendet werden. Es ist unvermeidlich, dass unterschied‐ liche Gemeinwesen unterschiedliche Gesetze haben. 243 Man kann daher in der Ge‐ setzgebung und -ausführung nicht so verfahren, wie man es mit der spekulativen Vernunft (ratio speculativa) tut, wo eine Wahrheit sowohl hinsichtlich der Gemein‐ samkeiten, als auch hinsichtlich der Eigentümlichkeiten gilt. 244 In der Politik geht es vielmehr um die praktische Vernunft (ratio practica). Jene unterschiedlichen Rechtssysteme einzelner Gemeinwesen müssen aber nach Thomas letztendlich als Variation der naturrechtlichen Vorschriften ange‐ sehen werden, wie daran ersichtlich ist, dass Thomas jegliches Menschengesetz auf das Naturrecht zurückbezieht. Es zeigt sich damit deutlich, wie sehr Thomas der Wirksamkeit des Naturrechts im praktischen Sinne vertraut. Dies wird unter ande‐ rem an seinem Begriff des Völkerrechts erkennbar, das nach seiner Definition aus dem Naturrecht gewonnen wird wie durch logische Folgerung aus den allgemeinen Prinzipien. Thomas verwendet das Beispiel des Verbots des Menschenmordes, das er als eine logische Folge aus dem naturrechtlichen Gebot, den anderen nicht zu schaden, erklärt. 245 Das Völkerrecht ist also für ihn eine logische Verlängerung der naturrechtlichen Bestimmungen. Das Naturrecht setzt sich unabgeändert fort. Es widerspricht den naturrechtlichen Bestimmungen keineswegs. Dem Völkerrecht wird nur deswegen keine absolute Verbindlichkeit zugeschrieben, weil es in der Wirklichkeit einige kontingente Faktoren gibt, die die unmittelbare Realisierung jedes vernünftigen Gesetztes behindern, wie die Eigentümlichkeiten der Situation, die aus den konkreten Umständen erwachsen, und den allgemeinen oder ortsbe‐ dingten Verfall der Sitten, der die Anwendung jenes Gesetzes kontraproduktiv macht. 246 Dennoch scheint Thomas davon überzeugt, dass die völkerrechtlichen
242 Ebd., q. 94, a. 4, resp.: „[. . . ] ratio practica negotiatur circa contingentia, in quibus sunt operationes humanae, et ideo, etsi in communibus sit aliqua necessitas, quanto magis ad propria descenditur, tanto magis invenitur defectus.“ 243 Ebd., q. 95, a. 2, ad 3: „[. . . ] principia communia legis naturae non possunt eodem modo applicari omnibus, propter multam varietatem rerum humanarum. Et exinde provenit di‐ versitas legis positivae apud diversos.“ 244 Ebd., q. 94, a. 4, resp.: „[. . . ] ratio speculativa praecipue negotiatur circa necessaria, quae impossibile est aliter se habere, absque aliquo defectu invenitur veritas in conclusionibus propriis, sicut et in principiis communibus.“ 245 Ebd., q. 95, a. 2, resp. .: „[. . . ] sicut hoc quod est non esse occidendum, ut conclusio qua‐ edam derivari potest ab eo quod est nulli esse malum faciendum.“ 246 Als Beispiel für einen Verfall der Sitten dient ihm die Akzeptanz des Diebstahls bei den Germanen. Das letztere scheint nur als Erklärung der Mannigfaltigkeit des vorhande‐ nen positiven Gesetzes, aber nicht als ein legitimer Zustand gemeint zu sein. Ein genaues Beispiel der Verfehlung der völkerrechtlichen Vorschriften aufgrund der konkreten Um‐
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Vorschriften als ein Ganzes in den meisten Fällen unversehrt ihre Gültigkeit behal‐ ten. 247 Eine ernsthafte Überlegung über die Bestimmung der Kontingenz erfolgt im Rechtsdenken von Thomas erst beim Zivilrecht, wie etwa bei den konkreten Ar‐ ten der Strafe. 248 Erst hier geht es ihm um die Erfahrungen und die Klugheit der Regenten, nicht mehr um rationale Schlussfolgerungen. 249 Aber gerade in der Ge‐ staltung dieses Gesetzes dienen die naturrechtlichen Vorschriften immer noch als Bestimmung und Grenze, wie die forma im aristotelischen Sinne die Gestaltung der Dinge bestimmt. Für Thomas ist also die gesamte Rechtsordnung im gewissen Sinne ein erweiter‐ tes Naturrecht. In dieser Rechtsordnung gelten die naturrechtlichen Vorschriften in den meisten Fällen und müssen nur in wenigen Fällen modifiziert werden, und zwar auf die Weise, dass zusätzliche Vorschriften addiert werden, aber nicht indem die naturrechtlichen Vorschriften durch ein neues Prinzip ersetzt werden. 250 Be‐ sonders der letztere Gedanke zeigt deutlich, dass Thomas gerade in einem solchen Fall der starken Modifikation des Naturrechts nicht gerne vom Versagen des Na‐ turrechts reden wollte. Dies zeigt wiederum, wie sehr ihm an der Verbindlichkeit des Naturrechts gelegen war. Eine grundsätzlich neue Situation, die die naturrecht‐ lichen Bestimmungen einfach als falsch erweist, konnte Thomas sich nicht vorstel‐ len.
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stände wird von Thomas aber nicht gegeben. Er scheint also diese Verfehlung der mangel‐ haften Natur des Menschen zuzuschreiben. Ebd., q. 94, a. 4, resp. Ebd., q. 94, a. 4, resp.: „[. . . ] lex naturae, quantum ad prima principia communia, est eadem apud omnes et secundum rectitudinem, et secundum notitiam. Sed quantum ad quaedam propria, quae sunt quasi conclusiones principiorum communium, est eadem apud omnes ut in pluribus [. . . ], sed ut in paucioribus potest deficere.“ Ebd., q. 95, a. 2, resp.: „[. . . ] sicut lex naturae habet quod ille qui peccat, puniatur; sed quod tali poena puniatur, hoc est quaedam determinatio legis naturae [. . . ].“ Ebd., q. 95, a. 2, ad 4: „[. . . ] verbum illud iurisperiti intelligendum est in his quae sunt introducta a maioribus circa particulares determinationes legis naturalis; ad quas quidem determinationes se habet expertorum et prudentum iudicium [. . . ].“ Ebd., q. 94, a. 5, resp.: „dicendum quod lex naturalis potest intelligi mutari dupliciter. Uno modo, per hoc quod aliquid ei addatur. Et sic nihil prohibet legem naturalem mu‐ tari, multa enim supra legem naturalem superaddita sunt, ad humanam vitam utilia, tam per legem divinam, quam etiam per leges humanas. Alio modo intelligitur mutatio legis naturalis per modum subtractionis, ut scilicet aliquid desinat esse de lege naturali, quod prius fuit secundum legem naturalem.“
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2.3 Vom Kosmos zum Chaos: Die Transformation des Politikverständnisses im Spätmittelalter 2.3.1 Die Transformation des politischen Diskurses in Florenz im 15. Jahrhundert
Der nezessitaristische Politikbegriff des Hochmittelalters beruht also auf einer Überzeugung, dass man die Welt nach den ethischen Grundsätzen, die als Natur‐ recht im Dekalog festgeschrieben sind, gestalten kann, damit am Ende eine trans‐ parente und unmittelbare Übereinstimmung zwischen dem Wort Gottes und dem tatsächlichen Lauf der realen Ereignisse zum großen Teil realisiert wird. Das ver‐ bum verwirklicht sich sichtbar in den res, und die res beweisen die Wahrheit des verbum. Die menschliche Welt ist also eigentlich ein Kosmos wie die anderen Teile des Universums, die Sünden und der Verfall des Menschen stören jedoch die kosmi‐ sche Harmonie. Gott hat dem Menschen aber gestattet, die ursprüngliche Ordnung wiederherzustellen, wenn auch nicht vollständig, wie man nicht zuletzt im Alten Testament an den Beispielen der guten Könige erkennt. Dieser Optimismus, der das nezessitaristische Politikverständnis durchzieht, und der dazugehörige Rationalismus begannen im 14. Jahrhundert allmählich zu wanken. Im 15. Jahrhundert drang dann zunehmend die Sorge um die Unheilbar‐ keit der Irrationalitäten der Welt, ihre prinzipielle Unordnung und die Unmöglich‐ keit einer rationalen Auffassung und Regelung der Politik in das politische Denken ein. Matteo Palmieri (†1475), eine repräsentative Figur des florentinischen Huma‐ nismus des 15. Jahrhunderts, schrieb in Della vita civile, einem Bürgerspiegel, von der fundamentalen Unbeständigkeit der menschlichen Existenz und der grundsätz‐ lichen Unvollkommenheit des menschlichen Wissens von einer idealen Lebensfüh‐ rung das Folgende: Obschon ich, mein liebster Alexandro, oft darüber gegrübelt habe, wie man in die‐ sem sterblichen Körper am besten leben könnte, habe ich keinerlei Beständigkeit im menschlichen Befinden zu finden vermocht. Da ich die Hoffnung aufgegeben habe, auf der Erde ein in allen Hinsichten vollkommenes Leben zu finden, habe ich mich entschlossen, mit aller mir verfügbaren Mühe und Zeit die zwar nicht vollkommene, aber am wenigsten fehlerhafte menschliche Lebensform herauszu‐ suchen. 251
251 Matteo Palmieri, Della vita civile, hg. von Gino Belloni, Florenz 1982, S. 4: „Molte volte pensando meco medesimo, mio Alexandro amantissimo, in che modo si possa op‐ timamente vivere nella carne mortale, niuna stabilità né constante fermeza d’alcuno stato humano ho potuto conoscere. Per questo non sperando potere trovare in terra alcuna vita in ogni parte perfecta, disposi, quanto le mie inferme forze valevano, tanto di fatica et di
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Für Palmieri kann wegen der die menschliche Existenz durchdringenden Kontin‐ genz keine Konzeption des menschlichen Lebens den Anspruch auf die Vollstän‐ digkeit erheben. Was darüber gesagt wird, wie man leben soll, sowohl von ihm als auch von anderen, kann nur ein ungefähres Wissen herstellen. Offensichtlich be‐ absichtigt Palmieri hier nicht, das alte Bild der Tugend zu leugnen. Die Tugenden, die Vaterlandsliebe, die Freundschaft sind absolute Imperative. 252 Doch zeigt seine Diskussion durchaus ein akutes Bewusstsein auf, dass es im Leben noch zahlreiche Themen, Bereiche und Momente gibt, über die man, wenn auch mithilfe der ethi‐ schen und religiösen Weisheiten, keine allgemeine Wahrheit aussprechen kann. Es gibt Probleme und Themen in der konkreten Lebenssituation, in denen es nicht um die Entscheidung zwischen dem Recht und Unrecht, sondern lediglich um das sachgemäße Handeln geht. 253 In Palmieris Denken ist die Zuversicht abgeschwächt, die einst z. B. den Autor der Libri Carolini oder Thomas von Aquin mit seiner Rechtslehre erfüllte, nämlich dass über die weltlichen Angelegenheiten anhand ethischer und religiöser Grund‐ sätze prinzipiell entschieden werden kann. In diesem Kontext ist es bedeutsam, dass Palmieri seine Skepsis gegenüber dem Versuch äußert, der Erforschung der Natur‐ erscheinungen zu viel Bedeutung für die Diskussion über das menschliche Handeln beizumessen. Er bezweifelt, ob unsere Kenntnis über die individuellen Naturer‐ scheinungen irgendwelche Relevanz besitzt für unsere Überlegung zur Gestaltung der menschlichen Gesellschaft, indem er sagt: Sie [sc. die Philosophie] hat zwei erhabenste Bestandteile: der erste besteht in der Erforschung der Geheimnisse der Natur. Dieser erste ist sicher ein erhabener und exzellenter Teil, aber trägt zu unserem Leben viel weniger bei als der zweite Teil, der für die Sitten und das richtige Leben der tugendhaften Menschen sorgt. Denn Gott hat angeordnet, dass zwar die Erforschung der Entstehung und des Verschwindens des Regens, des Hagels und des Schnees und der Ursache der Farben des Regen‐ bogens und des Blitzes und Donners erhaben und hervorragend ist und in sich die höchsten Kenntnisse enthält, dass sie trotzdem dem Leben am wenigsten nutzt. 254 tempo attribuire in ricercare se none la perfecta, almeno la meno maculata vita de’ mor‐ tali.“ 252 Ebd., S. 56: „Le cose dunque che per loro medesime sono diricte et honeste, come è amare la virtù, difendere la patria, servare l’amicitia, in ogni modo si debono fare [. . . ].“ 253 Ebd.: „[. . . ] l’opere che in loro medesime non sono né honeste né brute, ma secondo sono facte s’apruovono et riprehendono [. . . ].“ 254 Ebd., S. 29: „Governatrice di tutte queste et principalissima di tutte le doctrine et atti humani è poi philosophia. Questa ha due parti degnissime: la prima è posta in nella in‐ vestigatione de’ segreti della natura, la quale certo è parte sublime et excellente, ma alla vita nostra molto minore utilità tribuisce che non fa la parte seconda, la quale ministra i costumi et approvato vivere degl’uomini virtuosi: però che, avenga Idio che il conoscere la
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Palmieri will also die individuellen Naturerscheinungen primär als solche betrach‐ ten. Ob er hier jeglicher naturphilosophischen Beschäftigung eine Relevanz zum Verstehen der menschlichen Angelegenheiten absprechen wollte, bleibt unklar. Wir können aber mit Sicherheit festhalten, dass Palmieri den naturphilosophischen Überlegungen keine absolute Bedeutung für die Diskussion darüber zugemessen hat, wie man leben soll. Die politiktheoretische Implikation von Palmieris Denkansätzen zeigt sich an der bereits in der Einleitung zitierten Stelle aus De comparatione rei publicae et regni des Brandolini. Wie bereits geschildert, scheitert dort der Versuch des ungarischen Königs Matthias Corvinus, seinen Sohn Janos von der Überlegenheit der monar‐ chischen Staatsverfassung über die republikanische dadurch zu überzeugen, dass er auf die Einheit der Naturwelt und des Gemeinwesens hinweist. Sein Sohn insis‐ tiert darauf, dass die politischen Fragen auf die der menschlichen Angelegenheiten gerechte Weise ohne Rückgriff auf die externe naturweltliche Ordnung behandelt werden sollten. Die alte Annahme von der Verwandtschaft zwischen der naturwelt‐ lichen und der menschenweltlichen Ordnung ist nicht mehr selbstverständlich. Die politischen Fragen müssen in ihrer eigenen Sprache diskutiert werden. Man könnte glauben, dass diese Denkrichtung die für den damaligen Humanis‐ mus charakteristische Idee der Welt mit dem intensiven Interesse an den spezifi‐ schen menschlichen Erscheinungen und Problemen in Abgrenzung von und Prio‐ rität zu den übrigen Themen und Fragen reflektiert, was sicherlich nicht falsch ist. Damit erhält aber die politiktheoriegeschichtliche Bedeutung dieser Aussonderung der menschlichen Lebensbedingungen und der Hervorhebung der dem menschli‐ chen Leben typischen Instabilität noch keine ausreichende, angemessene Bewer‐ tung. Denn ein ähnliches Bewusstsein, nämlich dass das Begreifen der menschli‐ chen Angelegenheiten und die Bewältigung ihrer Probleme, eine eigene, besondere Herangehensweise verlangten statt eines Importes der Begrifflichkeiten und Bil‐ der aus den naturphilosophischen Überlegungen, und dass man dabei stark auf die individuellen Bedingungen und Situationen eingehen müsse, statt sich mit einer allgemeinen Aussage abzufinden, begegnet uns zeitlich schon viel früher als im Hu‐ manismus, und auch außerhalb der italienischen Halbinsel. Die Verfolgung und Rekonstruktion dieses Prozesses der Trennung der natur‐ weltlichen und der menschlichen Welt und der damit einhergehenden Pragmati‐ sierung des politischen Diskurses seit dem 14. Jahrhundert im gesamten west- und mitteleuropäischen Raum, die im Folgenden unternommen wird, hat eine große Re‐ levanz für die Diskussion über Machiavelli. Denn sein Pragmatismus kann als die letzte Konsequenz dieser diskursiven Transformation verstanden werden. generatione et corruptione delle piove, grandini et neve, la cagione de’ colori dell’arco ce‐ leste, de’ baleni et tuoni sia cosa rilevata et splendida, et abbia in sé cognitione degnissima, nientedimeno piccolissima utilità porge di vivere.“
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Dass die Aussonderung der Politik als eines eigenen Handlungsbereichs und die Suche nach den dieser Besonderheit angemessenen Begriffen und Konzeptionen letztendlich eine starke Pragmatisierung des Politikdiskurses bedeutet, liegt nahe. An die Stelle der metaphysischen Prinzipien und der allgemeinen Vorschriften tre‐ ten nun die methodische Analyse der Handlungsbedingungen und die zielgerichtete Überlegung über die angemessenen Mittel, die zwar die Geltung der ethischen und religiösen Grundkonzepte selber nicht leugnen, aber sich dessen bewusst bleiben, dass die Qualität individueller Maßnahmen vom normativen Maßstab stark abwei‐ chen kann. Die Pragmatisierung des Diskurses ist schon am Dialog des Brandolini ersichtlich. So wird die Verteidigung der monarchischen Verfassung mit praktischen Argumenten geführt, ohne Erörterung metaphysischer Prinzipien: Die Monarchie garantiere das Wohl des Volkes besser als die Republik, in der man einer enormen Abgabenpflicht unterliege; die Monarchie gewähre dem Volk mehr Glück als die Republik, deren Freiheit häufig zur Faktionsbildung und Bürgerkrieg führte, usw. Zwar wird hier noch nicht so weit gegangen, den menschlichen Angelegenheiten eine der Naturordnung vergleichbare eigene Gesetzmäßigkeit zuzuerkennen, doch ist unzweifelhaft die von der metaphysischen Begründung unabhängige politische Betrachtungsweise völlig legitim geworden. Wie sich diese diskursive Änderung auswirken konnte, zeigt sich bei Machiavelli, unter anderem an seiner Diskussion über den Kirchenstaat: Da sie [sc. die kirchlichen Fürstentümer] aber höheren Gesetzen unterliegen, an die der menschliche Verstand nicht heranreicht, will ich es unterlassen, von ihnen zu reden; da sie nämlich von Gott geschaffen und erhalten werden, wäre es über‐ heblich und vermessen, darüber Erörterungen anzustellen. 255
Diese Stelle wird häufig als Hohn Machiavellis über die kirchliche Verfassung ge‐ deutet. Diese Deutung verdankt sich forschungshistorisch nicht zuletzt dem bis in unsere Zeit immer noch gängigen Bild von Machiavelli als einem Heiden oder Feind der Kirche. Wenn wir einen Blick auf die hoch- und spätmittelalterliche Literatur werfen, erkennen wir aber sogleich, dass Machiavelli hier keine besondere Behauptung auf‐ stellt. So sagte z. B. bereits Johannes von Salisbury in seiner Diskussion über die Tyrannei im Policraticus Folgendes: Ich lasse die Römische Kirche unberührt, die auf der Autorität Gottes besteht, der Vater und Nährboden des Glaubens und der Sitt‐
255 Il Principe, Cap. 11, S. 26 (deutsche Übersetzung: S. 89): „Ma sendo quelli retti da cagioni superiore, alle quali mente umana non aggiugne, lascerò il parlarne; perché, sendo esaltati e mantenuti da Dio, sarebbe offizio di uomo prosuntuoso e temerario discorrerne.“ Hierzu bereits Bee Yun, Ptolemy of Lucca – A Pioneer of Civic Republicanism? A Reassessment, in: History of Political Thought 29/3 (2008), S. 417–439, davon 423–425.
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lichkeit ist, und daher von keinem Menschen beurteilt und geprüft werden kann. 256 Ähnliche Äußerungen findet man auch in De regimine civitatis, dem Regentenspie‐ gel des Johannes von Viterbo. Nachdem er den Zweck eines Staates erklärt hat, beeilt er sich, hinzuzufügen: Ich spreche nicht von der heiligen Stadt, dem himmlischen Jerusalem, das die „große Stadt unseres Gottes“ genannt wird, deren Interpretation ich den Theo‐ logen und göttlich Inspirierten überlasse, denn es ist nicht meine Sache, meinen Mund frech in den Himmel zu erheben, sondern [sc. ich spreche] von den Staaten dieser Welt [. . . ]. 257
Wenn Johannes auch hier vom Himmelreich spricht, müssen wir bedenken, dass sich das Papsttum besonders seit dem Investiturstreit stets als eine himmlische In‐ stitution stilisiert hat, und dieser Anspruch sich besonders im guelfischen Italien mit Erfolg durchsetzen konnte. Diese Stellen zeigen uns, dass Machiavelli mit seiner zurückhaltenden Rede über die Thematisierung des Kirchenstaates eigentlich auf einen alten Topos zu‐ rückgreift, welche konkrete, vielleicht höhnische Intention auch dahinter gesteckt haben mag. Ein wirklich wichtiger und neuer Punkt seiner Diskussion ist das un‐ mittelbar darauf folgende Argument, nämlich, dass die erfolgreiche Bewahrung des Kirchenstaates in den wesentlichen Punkten denselben Regeln unterliege, die bei der Gründung und Erhaltung des irdischen Staates gelten: Falls mich dennoch jemand danach ausforschen wollte, woher es komme, dass die Kirche als weltliche Macht zu solcher Größe aufgestiegen ist, – zumal in der Zeit vor Papst Alexander [sc. Papst Alexander VI.] die italienischen Machthaber, und zwar nicht nur diejenigen, welche so genannt wurden, sondern jeder Baron und Grundherr, sei es auch der kleinste, die Kirche hinsichtlich ihrer weltlichen Macht geringachtete, während jetzt ein König von Frankreich vor ihr zittert, und sie fä‐ hig war, ihn aus Italien zu vertreiben und die Venezianer zu vernichten –, scheint es
256 Johannes von Salisbury, Joannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici, Lib. 8, C. 17, 783a: „Ecclesiam Romanam, quae parens auctore Deo et nutricula fidei et morum est et non potest ab homine iudicari et argui celesti priuilegio munita, relinquo intactam.“ 257 Johannis Viterbiensis Liber de regimine civitatum (= Bibliotheca Juridica Medii Aevi, Bd. 3), hg. von Caietano Salvemini, Bologna, 1901, Cap. 3, S. 218 f.: „Civitates au‐ tem ad hoc invente fuerunt sive constitute: Non dico de civitate sancta Ierusalem celesti, que dicitur civitas magna, civitas Dei nostri, cuius interpretationem relinquo theologicis et divinis, quoniam non est meum ponere os in celum, sed dico de civitatibus huius se‐ culi [. . . ].“ Übersetzung: Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters, ausgew., übers. und komm. von Hans Hubert Anton, Darmstadt 2006, S. 234.
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mir nicht überflüssig, diese Dinge, wenn sie auch bekannt sind, einmal in knappen Zügen ins Gedächtnis zurückzuführen. 258
Machiavellis Erörterung über die Ursache der Macht der Kirche ist Folgende: Ita‐ lien war traditionell in fünf Mächte, den Papst, Venedig, den König von Neapel, Florenz und Mailand geteilt. Die fünf Mächte haben sich alle Mühe gegeben, fremde Mächte fern zu halten und das Auftauchen einer hegemonialen Macht unter ihnen zu verhindern. Die vier weltlichen Staaten haben sich der Zwietracht des römischen Adels, der Colonna und der Orsini, bedient, um die Macht des Papstes schwach zu halten. Dann erschien Papst Alexander VI., der wie keiner von allen Päpsten, die es je gegeben hat, bewies, welche Überlegenheit ein Papst mit Geld und Waffengewalt gewinnen konnte. 259 Nach Machiavelli fand Julius II., Alexanders Nachfolger, die Kirche mächtig vor, trat daher nicht nur in dessen Fußstapfen, sondern ging selbst noch weiter. Er habe sich vorgenommen, Bologna zu nehmen, die Venezianer völ‐ lig zu entkräften und die Franzosen aus Italien zu vertreiben. Die Colonna und die Orsini habe er weiterhin im Zaum gehalten. Kurzum, die Päpste hätten den Kir‐ chenstaat durch Waffengewalt groß gemacht. 260 Machiavelli sagt also tatsächlich, dass jene Päpste politischen Erfolg erzielt haben, die den Grundsatz der Machtpoli‐ tik hervorragend in die Praxis umgesetzt haben. Freilich wurde in der politischen Literatur seit dem Hochmittelalter der Ver‐ gleich zwischen dem sakralen und dem säkularen Staat kaum je unterlassen. Jedoch wurde früher der Kirchenstaat als Vorbild angeführt, das von den irdischen Staa‐ ten nachgeahmt werden sollte. Machiavelli hat diesen Gedanken jetzt genau um‐ gedreht. Der Kirchenstaat bleibt Ansporn, aber nicht aufgrund seiner Heiligkeit, sondern wegen seiner hervorragenden Praxis der Machtpolitik, die das Verhältnis unter den Staaten bestimmt. Wenn der Kirchenstaat seine Existenz bewahrt hat, ist das vor allem dem Umstand zu verdanken, dass seine Führer ihn mit dem sel‐ ben Geschick geführt haben, das ein erfolgreicher König verwendet. Hier taucht das Irdische als ein eigener Bereich auf, der sich vom Göttlichen und Sakralen un‐ terscheidet. Das Irdische funktioniert nach seinen eigenen Regeln, denen sogar eine göttliche Institution gehorchen muss, um sich die Sicherheit und Prosperität zu be‐ 258 Il principe, Cap. 11, S. 26 (S. 89): „Nondimanco, se alcuno mi ricercassi donde viene che la Chiesa nel temporale sia venuta a tanta grandezza, – con ciò sia cosa che da Alessandro indreto e’ potentati italiani, e non solum quelli che si chiamavano e’ potentati, ma ogni barone e signore benché minimo, quanto al temporale la esistimava poco, e ora uno re di Francia ne trema, e lo ha possuto cavare di Italia e ruinare e’ Viniziani, – la qual cosa, an‐ cora che sia nota, non mi pare superfluo ridurla in buona parte alla memoria.“ 259 Ebd., S. 27 (S. 91): „[. . . ] Alessandro VI, il quale, di tutti e’ pontefici che sono mai stati, mostrò quanto uno papa e col danaio e con le forze si poteva prevalere.“ 260 Ebd., S. 27 (S. 93): „[. . . ] quegli [sc. Alexander VI. und Julius II.] lo [sc. pontificato] feciono grande con le arme [. . . ].“
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wahren, solange sie ihre Existenz auf dieser Erde führt. Somit erscheint die Führung und Verwaltung eines Gemeinwesens, kurzum die Politik, als ein eigener Bereich mit eigener Lebensdynamik. Dies ist das Moment der Erscheinung des ‚Politischen‘ in der Ausgrenzung vom ‚Theologischen‘ und ‚Ethischen‘ in der Geschichte des eu‐ ropäischen Denkens.
2.3.2 Die Transformationen des politischen Diskurses im 14. Jahrhundert in Europa
Wir haben gerade festgestellt, wie radikal sich die politiktheoretische Landschaft und die ihr zugrunde liegende Weltkonzeption zwischen Thomas von Aquin und den florentinischen Denkern des 15. und frühen 16. Jahrhunderts geändert haben. Wenn die Entmetaphysierung und Enttheologisierung als zwar nicht alleinige, je‐ doch wichtigste Merkmale des geistigen Säkularisierungsprozesses festgestellt wer‐ den können, dann kann man gerade hier von der ‚Säkularisierung‘ des politischen Diskurses sprechen. Anders als seit Burckhardt immer wieder behauptet, lag die Wurzel dieses Pro‐ zesses aber nicht in der profanen und rationalistischen Renaissancekultur Italiens, die sich durch die Entwicklung des Handelskapitalismus und die politische Insta‐ bilität herausbildete. Wie wir im Folgenden en détail sehen werden, hat sich der politische Diskurs schon im Zuge einer Reihe politischer Kämpfe seit dem Ende des 13. bzw. dem Anfang des 14. Jahrhunderts, an denen alle wichtigen politischen Akteure des lateinischen Christentums aus verschiedenen Anlässen beteiligt wa‐ ren, langsam einen neuen Weg gebahnt. Der Abstand zwischen der menschlichen Welt und der üblichen Ordnung des Universums wurde immer stärker betont und schließlich sogar als unüberbrückbar begriffen. Eine tiefgreifende Skepsis gegen‐ über dem Versuch, die Politik einem rationalen Wissens- und Regelungssystem wie dem Naturrecht zu unterziehen, gewann immer mehr an Boden. Die Möglichkeit, den ethischen Anspruch und das Interesse eines Gemeinwesens zugleich zu befrie‐ digen, erschien nun viel geringer als früher, und dementsprechend begannen sich die Denker zusehends für die Berechtigung und Bedingung dafür zu interessieren, in der Politik unabhängig von den ethischen und rechtlichen Regeln zu handeln. Schließlich begann man auch über die eigenen Regeln nachzudenken, die unabhän‐ gig von der ethischen Qualität der Regenten und der Regierten über den Erfolg und Misserfolg eines Gemeinwesens entscheiden. Dementsprechend beobachtet man im politischen Diskurs seit dem 14. Jahrhundert die allmähliche Verlagerung des Gewichts in die pragmatische Richtung. Hätte man am Eingang des 15. Jahr‐ hunderts zurückgeschaut, was aus dem einst von Thomas von Aquin so prachtvoll vertretenen hochmittelalterlichen Gedankengebäude der Politik nach knapp mehr als einem Jahrhundert noch übrig geblieben war, hätte man neben einer erstaunli‐
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chen Heterogenität der politischen Überlegungen sicherlich festgestellt: Manches, was noch vor einem Jahrhundert in der Theoriebildung als selbstverständlich an‐ genommen wurde, wie die analoge Einheit der Natur und des Staates, die Natur als Orientierungsprinzip in der Politik und die überwiegende Übereinstimmung zwischen dem Nützlichen und dem Gerechten, also das gesamte nezessitaristische Gedankengefüge, wurde nicht mehr problemlos vorausgesetzt oder aber neu ausge‐ legt. Im Folgenden soll auf diesen ideologischen Transformationsprozess seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts anhand der politischen Theorien sechs wichtiger Den‐ ker näher eingegangen werden: Johannes Quidort von Paris, Tolomeo von Lucca, Marsilius von Padua, Wilhelm Ockham, Bartolus von Sassoferrato und Coluccio Salutati. Die politischen Kämpfe im Spätmittelalter wurden bereits in der früheren For‐ schung als wesentliche Rahmenbedingung der neuen ideologischen Entwicklung hervorgehoben. Jedoch wurde bei den bisherigen Versuchen fast ausnahmslos auf ein einfaches Schema zurückgegriffen, nämlich die Verdrängung der sakralen Macht von der Bühne der westeuropäischen Politik durch die sich entfaltenden Territori‐ alstaatsmächte. Auf ein solches Bild verzichtet unsere Diskussion. Es soll gezeigt werden, wie die Unterminierung des nezessitaristischen Begriffs der Politik von al‐ len Seiten mit verschiedensten Motivationen und Gründen vorangetrieben wurde, einschließlich der Verteidigung der Vormacht des Papstes. Unsere Diskussion wird auch die Probleme jener Versuche aufzeigen, die in der spezifischen theologischen und philosophischen Theorie, vor allem im Nominalis‐ mus Ockhams, das erste Symptom und die Hauptursache für die Pragmatisierung des Politikdiskurses und die Säkularisierung der allgemeinen Weltsicht sehen. In‐ dem wir einige in diesem Verständnis steckenden Missverständnisse korrigieren, werden wir Ockhams politische Theorie in den größeren Kontext der genannten diskursiven Transformation im Spätmittelalter positionieren. Johannes Quidort von Paris
Die publizistische Tätigkeit von Johannes Quidort von Paris (†1306) fällt in einen der wichtigsten Momente der politischen Geschichte wie der Geschichte der politi‐ schen Theorie in Europa. 261 Damals brach die bekannte Konfrontation zwischen 261 Über das politische Denken von Johannes Quidort gibt es eine Fülle von Forschungen. Davon genannt seien: Helmut G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976, S. 147–154; Albert Podlech, Die Herrschaftstheorie des Johannes von Paris, in: Der Staat 16/1 (1977), S. 465–492; Janet Coleman, Medieval Discussions on Property: ratio and dominium according to John of Paris and Marsilius of Padua, in:
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König Philipp IV. dem Schönen von Frankreich und Papst Bonifaz VIII., dem machtbewussten Verteidiger der päpstlichen Vormacht, aus. Der Anlass war Phil‐ ipps Versuch, angesichts des Krieges mit England die Zehnt- und Steuerzahlung des Klerus in Frankreich durchzusetzen. Darauf reagierte Bonifaz mit der Bulle Cle‐ ricis laicos (25. 2. 1296), in der er Philipp vor der Unterdrückung der Kirche warnte. In einer anderen Bulle, seiner wohl bekanntesten, Unam sanctam (18. 11. 1302), 262 schrieb Bonifaz die päpstliche Machtfülle und den Vorrang gegenüber den Laien‐ herrschern fest. Aufgrund dieser Prinzipien drohte er Philipp auch, ihn mit dem Kirchenbann zu belegen. Dieser Konflikt endete mit dem Attentat des Wilhelm von Nogaret und der Gefolgsleute der mit Bonifaz verfeindeten Adelsfamilien auf den Papst in Anagni (7. 9. 1303). Diese Auseinandersetzung veranlasste einen schweren Propagandakrieg von beiden Seiten und eine Fülle theoretischer Versuche, das Ver‐ hältnis der kirchlichen und der weltlichen Macht zu klären. 263 Dazu zählt Johanns History of Political Thought 4/2 (1983), S. 209–228, hier S. 210–222; Dies., Dominium in Thirteenth and Fourteenth-Century Political Thought and Its Seventeenth Century Heirs: John of Paris and Locke, in: Political Studies 33/1 (1985), S. 73–100, hier S. 74– 83; Dies., A History of Political Thought. From the Middle Ages to the Renaissance, Oxford u. a. 2000, S. 118–133; Heiner Bielefeldt, Von der päpstlichen Universalherr‐ schaft zur autonomen Bürgerrepublik. Aegidius Romanus, Johannes Quidort von Paris, Dante Alighieri und Marsilius von Padua im Vergleich, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 73 (1987), S. 70–130, bsd. S. 82–94; Jür‐ gen Miethke, Die Frage der Legitimität der rechtlichen Normierung in der politischen Theorie des 14. Jahrhunderts, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem (= Schriften des historischen Kollegs Kolloquien, Bd. 45), hg. von Dietmar Willoweit München 2000, S. 171–202, hier S. 189 ff.; Ders., Politische Theorie im Mittelalter, in: Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Hans J. Lieber, Wiesba‐ den 2000, S. 47–156, hier S. 102–107; Ders., De potestate papae, S. 116–126; Karl Ubl, Johannes Quidorts Weg zur Sozialphilosophie, in: Francia 30/1 (2003), S. 43–72. Siehe auch die folgenden Beiträge in Chris Jones (Hg.), John of Paris: Beyond Royal and Papal Power (= Disputatio, Bd. 23), Turnhout 2015: Joseph Canning, Ecclesiastical Autho‐ rity and Jurisdiction in the Thought of John of Paris, S. 35–48; Bettina Koch, Against Empire? John of Paris’s Defence of Territorial Secular Power Considered in the Context of Dante’s and Marsilius of Padua’s Political Theories, S. 49–74; Chris Jones, Historical Understanding and the Nature of Temporal Power in the Thought of John of Paris, S. 77– 118; Takashi Shogimen, John of Paris and the Idea of Peace in the Late Thirteenth and Early Fourteenth Centuries, S. 239–261. 262 Unam sanctam, in: Les Registres de Boniface VIII, hg. von Georges Digard, Bd. 3, Paris, 1886, Nr. 5382, Sp. 888–890. Zu dieser bedeutsamen Bulle siehe Thomas Sherrer Ross Boase, Boniface VIII, London 1933, und jüngst Agostino Paravicini Bagliani, Boni‐ face VIII. Un pape hérétique?, Paris 2003. 263 Zum geschichtlichen Hintergrund neben Miethke, De potestate papae, S. 45–126, auch Wilhelm Kölmel, Regimen Christianum, Berlin 1970, S. 263–490; Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, S. 135–159; Joseph Can‐ ning, A History of Medieval Political Thought 300–1450, London u. a. 1996, S. 137–
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von Quidort Tractatus de potestate regia et papali, in dem er die Position Philipps durch eine klare Trennung der päpstlichen und weltlichen Machtkompetenz zu ver‐ teidigen versuchte. 264 Der Ausgangspunkt Johanns von Quidort war eine simple und in der scholasti‐ schen Staatstheorie übliche Feststellung. Für die Verwaltung der geistlichen Ange‐ legenheiten sei der Papst zuständig, während die Verwaltung der materiellen Dinge, die der Mensch zum Leben notwendig braucht, in die Machtkompetenz des Königs falle. Von dieser These aus schreitet Quidort weiter zu der Position, dass der geistige und der weltliche Herrscher dem jeweils anderen in dessen eigener Amtskompetenz den Würdevorrang einräumen muss, d. h. in den geistigen Angelegenheiten spricht der Papst das letzte Wort, aber in den weltlichen der König. 265 Damit weist Quidort den Anspruch von Bonifaz zurück, dass der Papst dem weltlichen Herrscher gene‐ rell überlegen sei und die Befugnis habe, in die Regierung des Staates einzugreifen. Die Auffassung des Staates, die Quidort hier vertritt, bedeutet jedoch eine wich‐ tige Abweichung von einem Prinzip, das von Thomas von Aquin vertreten wurde, dessen Schrift er mancherorts zitiert (freilich auf eine seiner eigenen Argumenta‐ tion entsprechende Weise). Zwar hat auch Thomas die Angelegenheiten des welt‐ lichen Staates von der geistigen Pflege der Kirche deutlich getrennt. Doch war für ihn jeder weltliche Herrscher insofern dazu verpflichtet, der Führung der geistigen Macht zu gehorchen, als der letzte und höchste Zweck des Lebens im Seelenheil bestehe. 266 Dagegen folgerte Quidort aus der Trennung der Kompetenzen einen echten Dualismus. Quidorts Staatsbegriff impliziert eine Akzentverschiebung bzw. eine neue Ak‐ zentsetzung gegenüber dem Hierarchiebegriff, der damals in der Politiktheorie noch gängig war. Die neuplatonisch geprägte Lehre von der Hierarchie, die im Mit‐ telalter fälschlich der biblischen Figur des Dionysius ‚Areopagita‘ (tatsächlich ein Autor des 5. Jahrhunderts n. Chr.) zugeschrieben wurde, dient besonders seit dem 12. Jahrhundert als Grundsatz für die Weltauffassung und Weltdarstellung in der Scholastik. 267 Diese Lehre verstand die ganze Welt als ein einheitliches Ordnungs‐
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148; Coleman, A History of Political Thought, Bd. 2: From the Middle Ages to the Re‐ naissance, S. 118–120. Andrew A. K. Theng, Why Did John of Paris Write De potestate regia et papali? A Reconsideration, in: John of Paris, hg. von Chris Jones, S. 151–191. De regia potestate et papali (Über königliche und päpstliche Gewalt), hg. und übers. von Fritz Bleienstein, Stuttgart 1969. Ich zitiere im Folgenden die Übersetzung von Bleien‐ stein, mit Veränderungen nach Bedarf. Ebd., Cap. 1–10. Ebd., Cap. 3. David E. Luscombe, The „Lex Divinitatis“ in the Bull „Unam Sanctam“ of Pope Bo‐ niface VIII, in: Church and Government in the Middle Ages: Essays Presented to C. R. Cheney on his 70th Birthday, hg. von C. N. R. Brooke u. a., Cambridge 1976, S. 205–221; Ders., Conceptions of Hierarchy before the Thirteenth Century, in: Soziale Ordnungen
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gefüge. Jede Kreatur befindet sich ihr zufolge auf ihrer je eigenen Seinsstufe: Je geistiger ein Wesen, desto höher ist es gestellt; je körperlicher, umso niedriger. Die Welt gleicht also im allegorischen Sinne einer großen Leiter, auf der alle Kreaturen vom höchsten und rein geistigen Wesen bis zum niedrigsten und rein körperlichen Wesen in einer vertikalen Ordnung verbunden sind. Aus diesem allgemeinen Modell der Welt leiteten die Anhänger der Machtfülle des Papstes die Berechtigung für ihre Theorie über die Rangordnung der geisti‐ gen und der weltlichen Macht ab. Die Macht des Papstes, der für die Regierung der geistigen Angelegenheiten zuständig ist und der, wie man besonders bei Aegi‐ dius Romanus deutlich formuliert findet, selbst ein geistiges Wesen darstellt, ist der weltlichen Macht übergeordnet. Auch die oben erörterte Auffassung des Thomas von Aquin über den Gehorsam der weltlichen Macht gegenüber der geistlichen ver‐ dankt sich zum großen Teil dieser Hierarchielehre. Quidort hat hingegen die relative Autonomie unterschiedlicher Instanzen in sei‐ ner Darstellung der Beziehung zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht stärker akzentuiert. Für ihn sind die beiden Mächte zuständig für zwei unterschied‐ liche Bereiche des menschlichen Lebens. Mehr dürfe man daraus nicht folgern. Quidort hebt mit Nachdruck die extrem unterschiedlichen Lebensbedingungen hervor, die das materielle Leben jedes Volks maßgeblich bestimmen, um damit die Autonomie und Suprematie der autochthonen politischen Macht zu begründen. [. . . ] Vom Körperlichen her unterscheiden sich die Menschen bedeutend, nicht aber den Seelen nach; denn diese gehören alle wegen der Einheit der menschlichen Gattung ein und derselben Seinsstufe an. Entsprechend bedingen geographische und herkunftsbedingte Unterschiede größere Verschiedenheit bei der weltlichen Macht als bei der geistlichen, die nicht im gleichen Maße dadurch variiert. Gleiche Verschiedenheit bei beiden Gewalten ist daher nicht erforderlich. 268
im Selbstverständnis des Mittelalters, hg. von Albert Zimmermann, Bd. 1 (= Miscellanea Mediaevalia, Bd. 12/1), Berlin und New York 1979, S. 1–19; Ders., Thomas Aquinas and Conception of Hierarchy in the Thirteenth Century, in: Thomas von Aquin: Werk und Wirkung im Licht neuerer Forschungen, hg. von Albert Zimmermann, Berlin und New York 1988, S. 261–277; Ders., Hierarchy in the late Middle Ages: Criticism and Change, in: Political Thought and the Realities of Power in the Middle Ages, hg. von Joseph Can‐ ning und Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1998, S. 113–126. 268 De regia potestate et papali, Cap. 3, S. 82: „[. . . ] quia sicut in hominibus est diversitas ma‐ gna ex parte corporum, non autem ex parte animarum, quae omnes sunt in eodem gradu essentiali constitutae propter unitatem speciei humanae, ita saecularis potestas plus habet diversitatis secundum climatum et complexionum diversitatem quam spiritualis quae mi‐ nus in talibus variatur. Unde non oportet tantam diversitatem esse in una sicut in alia.“ Die Übersetzung von Bleienstein (S. 226 f.) ist von mir geringfügig verändert. Die Kursi‐ vierung so im Original.
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Die unterschiedlichen Lebensumstände verlangen eine ihnen angepasste Pflege, die nicht von einer Macht erwartet werden kann, die sich um die universalen und gemeinsamen Interessen aller Völker kümmern soll: Das ist die Logik Quidorts. Dadurch wird erstmals der Anspruch der päpstlichen Macht als eine ungeeignete, kontraproduktive Einmischung in die innenpolitische Angelegenheit zurückgewie‐ sen. Diese Hervorhebung der Differenzen unter den Völkern dient auch dazu, die Legitimität einer Idee der Weltmonarchie infrage zu stellen. Nicht aber müssen alle Gläubigen so in einer einzigen politischen Gemeinschaft vereint sein, sondern es kann aus der Verschiedenheit der geographischen Lage, der Sprachen und der sonstigen Lebensbedingungen der Menschen heraus verschie‐ dene Lebensformen und politische Gebilde geben, und was bei einem Volke gut ist, ist es nicht bei einem anderen, wie das der Philosoph von Einzelpersonen sagt, dass manches, was dem einen zuviel, einem anderen zu wenig sei [. . . ]. 269
Hinter diesem Bestreiten der Weltmonarchie steckt eine realpolitische Überlegung Quidorts. Bonifaz VIII. hatte damals durch die Versöhnung mit dem Habsburger Albrecht, der zum Römischen König erwählt worden war, das Reich gegen Philipp ins Spiel zu bringen versucht. Das französische Lager fühlte sich genötigt, die Souve‐ ränität der französischen Monarchie nicht nur gegenüber der Kirche, sondern auch gegenüber dem Reich zu rechtfertigen. Quidorts Überlegung stellt einen Begrün‐ dungsversuch in diese Richtung dar. 270 Sein Begriff des Staates weist auf eine neue Entwicklung des Politikbegriffs hin. Die bei Thomas herrschende Idee, dass die Menschen aufgrund der gemeinsamen Normen des Naturrechts und des daraus abgeleiteten Menschenrechts regiert wer‐ den können, ist bei Quidort deutlich abgeschwächt, gar zum großen Teil verschwun‐ den. Wie wir gesehen haben, war sich Thomas der kontingenten Lebensbedingun‐ gen und Eigenschaften einzelner Gemeinschaften bewusst. Er leugnete keineswegs 269 Ebd., Cap. 3, S. 83: „Non sic autem fideles omnes necesse est convenire in aliqua una poli‐ tia communi, sed possunt secundum diversitatem climatum et linguarum et condicionum hominum esse diversi modi vivendi et diversae politiae, et quod virtuosum est in una gente non est virtuosum in alia, sicut etiam de singularibus personis dicit Philosopus III Ethi‐ corum quod aliquid est uni parum quod alii est nimium [. . . ].“ In der Übersetzung S. 227. 270 Dies führte tatsächlich zur Übereinkunft über die Approbation von König Albrecht I. (1298–1308) als Kaiser in 1302. In seinem Brief an Albrecht (30. 4. 1303) hat Bonifaz die kaiserliche Machtsuprematie über die weltlichen Könige betont und ihn aufgefordert gegen die Arroganz der Franzosen, die keinen Höheren anerkennen zu wollen behaupte‐ ten („superbia Gallicana, que dicit, quod non recognoscit superiorem“) vorzugehen. Siehe MH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 4.1: inde ab a. MCCX‐ CVIII usque ad a. MCCCXIII (1298–1313), hg. von Jakob Schwalm, Hannover und Leipzig 1906, n. 173, S. 139. Vgl. Kölmel, Regimen Christianum, S. 490; Bagliani, Boniface VIII, S. 340–342.
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das Bedürfnis, die naturrechtlichen Vorschriften an jene einzelnen Lebensverhält‐ nisse anzupassen. Diese Anpassung war für ihn aber eine zum großen Teil logische Erweiterung derselben Prinzipien, nämlich des Naturrechts, nicht aber dessen Ab‐ schaffung bzw. Ersetzung. Wenn alle Teile der Welt so großer Gemeinsamkeit unter‐ liegen, kann ein Weltstaat keine bloße Phantasie sein. Wenn auch Thomas sein Den‐ ken nicht weiter in diese Richtung entwickelte, blieb dies zumindest ein möglicher logischer Schluss des hochmittelalterlichen Naturrechtsdenkens. Später hat Dante Alighieri (†1321) in seiner Monarchia diesen Faden aufgegriffen, um die Notwen‐ digkeit und Legitimation des Imperiums unter Beweis zu stellen. 271 Nicht dass er die Auswirkung der kontingenten Faktoren von Region zu Region, von Stadt zu Stadt, nicht gekannt hätte; er sah ihre unterschiedliche Regierung und Verwaltung durchaus als notwendig an. 272 Diese Vielfalt der Welt aus einzelnen Menschen‐ gruppen aufgrund ihrer individuellen Lebensbedingungen verhinderte jedoch ein gemeinsames Leben unter demselben Dach eines Imperiums und unter demselben Reichsgesetz nicht, so das Fazit Dantes. 273 Von Quidort wird das saeculum hingegen sehr anders gezeichnet. Die eigen‐ tümlichen Lebensumstände der einzelnen Gesellschaft sind für ihn nicht mehr nur die äußeren Bedingungen, denen ein Politiker die ethischen und naturrechtlichen Grundsätze anpassen muss. Vielmehr muss ein Politiker seine Aufmerksamkeit voll auf jene besonderen Bedingungen richten, denn sie bestimmen die Politik so sehr, dass sie schließlich die Idee, alle Völker unter einem Bogen zusammenzuhalten, sei es jener der universalen Kirche oder der einer Universalmonarchie, zu einer sinn‐ losen Phantasterei machen. Ein guter Politiker ist für Quidort, anders als noch für Thomas, daher nicht mehr primär ein hervorragender Logiker. Die Bewältigung der Kontingenz verlangt von einem Herrscher vielmehr häufig eine Fähigkeit, über die naturrechtlichen Begriffe und ihre logische Erweiterung hinweg denken zu kön‐ nen, und diese Fähigkeit ist viel wichtiger für einen Herrscher des von Johannes 271 Dante Alighieri, Monarchia, hg. von Pier Giorgio Ricci, Mailand 1965. Danach die Studien-Ausgabe: Monarchia, Lateinisch-Deutsch, übers. und komm. von Ruedi Imbach und Christoph Flüeler, Stuttgart 1989. Ich zitiere im Folgenden nach dieser Ausgabe. 272 Ebd., Lib. 1, Cap. 14, S. 104: „Habent nanque nationes, regna et civitates intra se proprie‐ tates, quas legibus differentibus regulari oportet: est enim lex regula directiva vite. Aliter quippe regulari oportet Scithas qui, extra septimum clima viventes et magnam dierum et noctium inequalitatem patientes, intolerabili quasi algore frigoris premuntur, et aliter Garamantes qui, sub equinoctiali habitantes et coequatam semper lucem diurnam noctis tenebris habentes, ob estus aeris nimietatem vestimentis operiri non possunt.“ 273 Ebd., Lib. 1, Cap. 14, S. 104 f.: „Sed sic intelligendum est: ut humanum genus secundum sua comunia, que omnibus competunt, ab eo regatur et comuni regula gubernetur ad pacem. Quam quidem regulam sive legem particulares principes ab eo recipere debent, tanquam intellectus practicus ad conclusionem operativam recipit maiorem propositio‐ nem ab intellectu speculativo, et sub illa particularem, que proprie sua est, assummit et particulariter ad operationem concludit.“
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konzipierten Staates. Damit schwindet die Überzeugung des Mittelalters, Politik aufgrund eines universalen und verbindlichen Wissens betreiben zu können. Ein anderer Begriff der Politik und ein anderer Begriff der politischen Klugheit begin‐ nen sich hier zu melden, die zusammen allmählich den europäischen politischen Diskurs zu einer neuen Spannung und Kreativität führen werden. Tolomeo von Lucca
Ein wichtiger Beitrag zur Auflösung des hochmittelalterlichen Politikdiskurses wurde zur selben Zeit auch vom päpstlichen Lager geleistet. Diese Feststellung mag erstaunlich klingen, weil in der populären Historiographie die Römische Kirche gleichsam mit dem Mittelalter selbst gleichgesetzt wird. Der Anspruch der römi‐ schen Kurie auf die Machtsuprematie des Papstes ist in der populären Auffassung die Ideologie derjenigen, die sich gegen jede entmythisierende und entmetaphysie‐ rende Tendenz heftig wehrten. 274 Nichts kann also in diesem vereinfachten Ge‐ schichtsverständnis irrsinniger klingen, als die These, dass die Römische Kirche einen wichtigen Anteil am geistigen Verweltlichungsprozess hatte. 275 Jedoch war die Verweltlichung in der geschichtlichen Realität ein viel komplizierterer, im He‐ gelschen Sinne dialektischer Vorgang, wie die folgende Diskussion über das politi‐ sche Denken des Tolomeo von Lucca (†1326) zeigen wird. 274 Dieses Geschichtsbild hat sich so erfolgreich popularisiert und so vielfältig durchgesetzt, dass es eher schwierig ist, spezifische Beispiele dafür zu nennen. Es möge hier genügen, eine Stelle aus dem Leben des Galilei (Frankfurt / M. 1963, S. 68 f.) von Bertolt Brecht zu zi‐ tieren, um zu zeigen, wie dieses Bild zum Alltagswissen geworden ist. Auf Galilei, der sich mit seiner neuen astronomischen Lehre auf die allen innewohnende Vernunft beruft, er‐ widert Kardinal Bellarmin: „Bedenken Sie einen Augenblick, was es die Kirchenväter und so viele nach ihnen für Mühe und Nachdenken gekostet hat, in eine solche Welt (ist sie etwa nicht abscheulich?) etwas Sinn zu bringen. Bedenken Sie die Rohheit derer, die ihre Bauern in der Campagna halbnackt über ihre Güter peitschen lassen, und die Dummheit dieser Armen, die ihnen dafür die Füße küssen. [. . . ] Wir haben die Verantwortung für den Sinn solcher Vorgänge (das Leben besteht daraus), die wir nicht begreifen können, einem höheren Wesen zugeschoben, davon gesprochen, dass mit derlei gewisse Absichten verfolgt werden, dass dies alles einem großen Plan zufolge geschieht. Nicht als ob dadurch absolute Beruhigung eingetreten wäre, aber jetzt beschuldigen Sie dieses höchste Wesen, es sei sich im unklaren darüber, wie die Welt der Gestirne sich bewegt, worüber Sie sich im klaren sind. Ist das weise? [. . . ] Sehen Sie: jetzt schweigen Sie. [. . . ] Herr Galilei, das Heilige Offizium hat heute Nacht beschlossen, dass die Lehre des Kopernikus, nach der die Sonne Zentrum der Welt und unbeweglich, die Erde aber nicht Zentrum der Welt und beweglich ist, töricht, absurd und ketzerisch im Glauben ist. Ich habe den Auftrag, Sie zu ermahnen, diese Meinung aufzugeben.“ 275 Vgl. Jürgen Miethke, Die Anfänge des säkularisierten Staates in der politischen Theorie des späten Mittelalters, in: Entstehen und Wandel des Verfassungsdenkens (= Der Staat, Beiheft 11), hg. von Reinhard Mußgnug, Berlin 1996, S. 7–43 (Aussprache S. 44–61).
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Tolomeo ist vor allem für seine um 1302 oder kurz danach durchgeführte Fortsetzung des Fürstenspiegels De regimine principum bekannt, den Thomas von Aquin, sein viel älterer Freund, beim vierten Kapitel des zweiten Buches abgebro‐ chen hatte. 276 Tolomeo hat in seiner Fortsetzung eine im damaligen Kontext unge‐ wöhnliche Theorie über die Formen der Verfassungen vorgelegt, die auch der des Thomas im ersten Teil des Werkes widersprach. Er verlässt darin das unter den scholastischen Denkern beliebte Sechserschema der Herrschaft, das auch Thomas im ersten Teil benutzte. Statt der Einteilung nach der Zahl der Gesetzgebenden und Regenten in drei gute (Monarchie, Aristokratie, Politie) und drei schlechte Herrschaftsformen (Tyrannei, Oligarchie und die Gewaltherrschaft des Volkes) ver‐ wendet er eine andere Typologie, die er ebenfalls von Aristoteles übernommen hat, nämlich die dreifache Herrschaftstypologie von der politischen (principatus politi‐ cus), der königlichen (principatus regalis) und der despotischen Herrschaft (princi‐ patus despoticus). 277 Tolomeo reduziert aber bald die Zahl der Herrschaftstypen von drei auf zwei, und zwar mit der Begründung, dass die königliche und die despotische Herrschaft im Wesentlichen gleich seien. 278 Für Tolomeo ist die Herrschaft eines Königs wie die Herrschaft über die Sklaven auf Gewalt gegründet, räuberisch und ausbeuterisch. Eine solche unterdrückende Herrschaft ist nach unserem Autor nur für ein Volk geeignet, das wegen seiner korrumpierten und stumpfsinnigen Natur durch Gewalt hart gezüchtigt werden muss, damit es nicht in einen fatalen Zustand des gegenseitigen Kampfes gerät. 279
276 Tolomeo von Lucca, De Regimine Principum, in: S. Thomae Aquinatis Opera Om‐ nia, hg. von Roberto Busa S. I., Bd. 7, Stuttgart 1980, S. 550–570. Eine englische Überset‐ zung: Ptolemy of Lucca, On the Government of Rulers. ‚De Regimine Principum‘, with portions attributed to Thomas Aquinas, übers, mit Einführung von James M. Bly‐ the, Philadelphia 1997. Über das Leben und die Werke von Tolomeo siehe: Heribert Rossmann, Bartolom(a)eus von Lucca, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München u. a. 1980, Sp. 1495 f.; Blythes Einführung zu seiner Übersetzung, bsd. S. 7 f., und Lud‐ wig Schmugge, Fiadoni, Bartolomeo (Tolomeo, Ptolomeo da Lucca), in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 47, Rom 1997, S. 317–320, bieten auch einen guten Über‐ blick. Blythe hat auch eine zweibändige Biographie von Tolemeo hergestellt: James M. Blythe, The Life and Works of Tolomeo Fiadoni (Ptolemy of Lucca) (= Disputation, Bd. 16), Turnhout 2009; Ders., The Worldview and Thought of Tolomeo Fiadoni (Pto‐ lemy of Lucca) (= Disputatio, Bd. 22), Turnhout 2009. Tolomeos Autorschaft nach dem vierten Kapitel des zweiten Buches ist allgemein anerkannt. Siehe Alfred O’Rahilly, Notes on St. Thomas, IV: De regimine principum, V: Tholomeo of Lucca, the Continu‐ ator of the De regimine principum, in: The Irish Ecclesiastical Record 31 (1928), S. 396– 410, S. 606–614. 277 De regimine principum, Lib. 2, Cap. 8. 278 Ebd. Lib. 2, Cap. 8–9; Lib. 4, Cap. 8. 279 Ebd. Lib. 2, Cap. 9; Lib. 3, Cap. 11.
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Dieses erstaunlich negative Urteil über die königliche Herrschaft bildet einen klaren Kontrast zu seiner positiven Einschätzung der politischen Herrschaft. 280 Diese Herrschaft wird aufgrund der vom Volk vereinbarten Gesetze von einem oder von mehreren geführt. 281 Sie ist nach Tolomeos Typologie für ein freiheitsliebendes und geistig reges Volk geeignet, das schwer die Fremdherrschaft aushalten kann und fähig zur Selbstregierung ist. 282 Sowohl in seiner Fortsetzung von De regimine principum als auch in seinem kurz zuvor geschriebenen Traktat Determinatio compendiosa de iurisdictione impe‐ rii erörterte Tolomeo die historische Herkunft beider Herrschaftsformen. 283 Nach ihm war die politische Herrschaft die ursprüngliche Form des Zusammenlebens der Menschen im Zeitalter der Unschuld, wo die Herrschaft auf Rat und Bera‐ tung, nicht auf Gewalt und Unterdrückung basierte. 284 Mit Verbreitung der Sünde tauchte aber eine andere und eben selbst sündhafte Form der Herrschaft auf, die von der Habgier der Mächtigen motiviert war. 285 Dies war der Anfang der königlichen Herrschaft, die sich allgemein durchsetzte. Die ‚politische‘ Herrschaft überlebte nur in einigen Nischen, vor allem in der alten römischen Republik der Antike und in den Städten in Norditalien und Deutschland. Die Forscher sind sich darin einig, dass Tolomeos Verfassungstheorie unter dem entscheidenden Einfluss der wenige Jahrzehnte zuvor in den Westen eingeführten po‐ litischen Theorie des Aristoteles geschrieben wurde und dass sie die republikanische Ideologie der norditalienischen Stadtkommunen reflektierte. 286 Sie halten Tolomeos 280 281 282 283
Ebd. Lib. 2, Cap. 8. Ebd. Lib. 2, Cap. 8; Lib. 2, Cap. 9. Ebd. Lib. 2, Cap 8. Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii (= MGH, Leges, Fontes iuris Germa‐ nici antici, Bd. 1), hg. von M. Krammer, Hannover und Leipzig 1909. Die beste Diskussion bei Miethke, De potestate papae, S. 86–94. 284 Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii, Cap. 17, S. 36: „Licet enim in ho‐ minibus etiam in statu innocentie fuisset prelatio, sed alio intuitu et secundum aliam rationem, quia non in quantum dominium opponitur servituti, quia hoc est penale, sed offitio consulendi et dirigendi, sicut in angelis [. . . ].“ Siehe auch De regimine principum, Lib. 3, Cap. 7. Vgl. Bernhard Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterli‐ chen Gesellschafts- und Staatstheorie (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 45), Stuttgart 1999, S. 354–359. 285 Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii, Cap. 17, S. 36 f. Siehe auch De regi‐ mine principum, Lib. 3, Cap. 7. 286 Charles Till Davis, Ptolemy of Lucca and the Roman Republic, in: Proceedings of the American Philosophical Society 118/1 (1974), S. 30–50; Ders., Roman Patriotism and Republican Propaganda: Ptolemy of Lucca and Pope Nicholas III, in: Speculum 50/3 (1975), S. 411–433; Dolf Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, Bd. 1, Frankfurt / M. 1978, S. 58–71; Antony Black, Political Thought in Europe 1250–1450, Cambridge u. a. 1992, S. 122 f.; Canning, A History of Medieval Political Thought 300–1450,
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Theorie für den Schlüssel zur Frühgeschichte des europäischen Republikanismus und versuchen die bisherige Historiographie zu korrigieren. Jedoch stößt diese Interpre‐ tation auf mehrere Probleme. Das erste bestand in Tolomeos Papalismus. Der Autor war ein eifriger Anhänger der Monarchie des Papstes. Dies ist auch daran ersicht‐ lich, dass er in der Determinatio compendiosa die päpstliche Approbationslehre seit Innozenz III. eifrig verteidigte – jene Lehre, nach der die Amtskompetenz des Kaisers erst durch die Approbation des Papstes vollendet wird, die Bonifaz VIII. damals ge‐ genüber Albrecht I. beanspruchte, dem bereits 1298 zum König erwählten Habsbur‐ ger. 287 In De regimine principum besteht seine papalistische Position unvermindert fort: Er behauptet, dass die Herrschaft des Papstes jeder Form der Herrschaft vorge‐ zogen werden muss. 288 Hier stellt sich unvermeidlich die Frage, wie Tolomeos Treue zur päpstlichen Monarchie mit seinem verfassungstheoretischen Argument harmoni‐ sierbar ist, dass die Monarchie von Natur aus despotisch ist. Ein zweites Problem ist logisch genauso heikel: Man sucht in seiner Diskussion vergeblich nach einer Theorie des Widerstandes gegen die Monarchie. Wenn die Monarchie für Tolomeo aber eine Tyrannei bedeutete, wie konnte er über dieses S. 148 f. Neben seiner bereits erwähnten „Einführung“ in seiner Übersetzung noch: James M. Blythe, Ideal Government and the Mixed Constitution in the Middle Ages, Prin‐ ceton 1992, Kap. 6; Ders., Aristotle’s Politics and Ptolemy of Lucca, in: Vivarium 40 /1 (2002), S. 103–136; James M. Blythe und John La Salle, Was Ptolemy of Lucca a Ci‐ vic Humanist? Reflections on a Newly-Discovered Manuscript of Hans Baron, in: History of Political Thought 26/2 (2005), S. 236–265. Cary J. Nederman hat den Cicero-Bezug statt des Aristoteles-Bezugs bei Tolomeo betont. Siehe Cary J. Nederman und Mary Elisabeth Sullivan, Reading Aristotle through Rome: Republicanism and History of Ptolemy of Lucca’s De regimine principum, in: European Journal of Political Theory 7/2 (2008), S. 223–240; Cary J. Nederman, There are no ‚Bad Kings‘: Tyrannical Cha‐ racters and Evil Councelors in Medieval Political Thought, in: Evil Lords: Theories and Representations of Tyranny from Antiquity to the Renaissance, hg. von Nikos Panou und Hester Schadee, New York 2018, S. 137–156, bsd. S. 145 f. Weitere Diskussionen bei Bernhard Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie, S. 354–359; Thomas M. Osborne Jr., Dominium regale et politicum: Sir John Fortescue’s Response to the Problem of Tyranny as Presented by Thomas Aquinas and Ptolemy of Lucca, in: Mediaeval Studies 62 (2000), S. 161–187, bsd. S. 168–174. Diese Zuordnung des Tolomeo zum spätmittelalterlichen Republikanismus habe ich in zwei Studien widerlegt, deren wichtigste Thesen der folgenden Diskussion zugrunde lie‐ gen: Bee Yun, Ptolemy of Lucca – A Pioneer of Civic Republicanism? A Reassessment; Ders., Ptolemy of Lucca’s Distrust in Politics and the Medieval Discourse on Government, in: Trust and Happiness in the History of European Political Thought (= Studies in the History of Political Thought, Bd. 11), hg. von Laszlo Kontler und Mark Somos, Leiden 2017, S. 33–52. 287 Dazu ausführlich die oben genannte Stelle in Miethke, De potestate papae. 288 De regimine principum, Lib. 3, Cap. 10: „[. . . ] vicarios christi pastores ecclesiae cunctis debere praeferri dominiis [. . . ].“
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wichtige Thema völlig schweigen? Zur Erklärung wurde vorgeschlagen, er habe die Unterdrückung durch die Monarchie als ein für die Züchtigung und Korrektur des schlechten Volkes notwendiges Übel betrachtet und daher eine solche Despotie für legitim gehalten. 289 Diese Erklärung überzeugt jedoch nicht, weil die Ansicht, eine Tyrannei sei notwendig und von Gott für die Züchtigung der Bösen erlaubt, zwar im Mittelalter weitverbreitet war, jedoch keineswegs benutzt wurde, um eine Gewalt‐ herrschaft an sich zu legitimieren. Man verwendete dieses Argument nur in einem apologetischen Kontext, um die Existenz des Bösen in der Weltführung Gottes zu erklären. 290 Es gibt ferner manche Hinweise darauf, dass Tolomeo eigentlich keine besondere Antipathie gegenüber der Monarchie hegte. Im Gegenteil, er argumen‐ tiert an manchen Stellen so, als wäre eine Monarchie, wie die politische Herrschaft, normal, legitim und gut. Er insistiert, dass, je mehr man Christus nachahmt, man sich dem Zustand der Unschuld annähert. 291 Alle weltlichen Herrscher müssen sich um das Wohl ihrer Herde, d. h. um den Nutzen ihrer Untertanen bemühen. 292 To‐ lomeo argumentiert, dass Jesus Christus jedem Herrscher befahl, seinem Gebot der Bescheidenheit entsprechend zu regieren. 293 Obwohl einige Regionen wegen ihrer verfallenen Sitten und Eigenschaften eine despotische Herrschaft benötigten, sei solche Herrschaft eigentlich der Natur der königlichen Herrschaft zuwider. 294 Also dürfen die Könige z. B. dem Volk nur soviel Steuern erlegen, wie das Gemeinwohl verlangte. 295 Dieses Argument lässt vermuten, dass Tolomeo auch im Hinblick auf die Monarchie das im Mittelalter übliche Herrschaftsideal hegte. 289 James M. Blythe, Introduction, in: Ptolemy of Lucca, On the Government of Ru‐ lers. ‚De Regimine Principum‘, with portions attributed to Thomas Aquinas, übers., mit Einführung von James M. Blythe, Philadelphia 1997, S. 1–59, hier S. 28 f. 290 Über die Geschichte des Tyrannei-Begriffs im Mittelalter: Jürgen Miethke, Der Tyran‐ nenmord im späteren Mittelalter: Theorien über das Widerstandsrecht gegen ungerechte Herrschaft in der Scholastik, in: Friedensethik im Spätmittelalter: Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung, hg. von Gerhard Beestermöller, Stuttgart u. a. 1999, S. 24– 48. Freilich führte der Einwand gegen die Tyrannei nicht automatisch zur Rechtferti‐ gung des Tyrannenmordes: Jan van Laarhoven, „Thou shalt not slay a tyrant!“ The So-Called Theory of John of Salisbury, in: The World of John of Salisbury, hg. von Mi‐ chael Wilks, Oxford 1984, S. 319–341; Cary J. Nederman, A Duty to Kill: John of Salisbury’s Theory of Tyrannicide, in: Review of Politics 50/3 (1988), S. 365–389 (jetzt in Cary J. Nederman, Medieval Aristotelianism and Its Limits: Classical Traditions in Moral and Political Philosophy, 12th–15th Centuries, Aldershot 1997, S. 365–389); Miethke, Der Tyrannenmord im späteren Mittelalter [wie oben], S. 37–40. 291 De regimine principum, Lib. 3, Cap. 9. 292 Ebd., Lib. 3, Cap. 10. 293 Ebd., Lib. 3, Cap. 11. 294 Ebd.: „necessarius est regibus principatus despoticus, non quidem juxta naturam regalis dominii, sed secundum merita et pertinacias subditorum.“ 295 Ebd.
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Die Lösung für diese heiklen Probleme zeichnet sich aber ab, wenn man Tolo‐ meos verfassungstheoretisches Argument in den bereits erörterten Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen Bonifaz und Philipp stellt, welche anhand der überlieferten Schriften noch zum großen Teil rekonstruierbar ist. 296 Damals hatte sich das Lager Philipps auf die Souveränität des Königs innerhalb seines Herr‐ schaftskreises berufen. So lesen wir in der Disputatio inter clericum et militem, 297 einem kurzen Dialog, der von einem anonymen Autor um 1302 zur Verteidigung der Position Philipps verfasst worden war, die folgende Aussage des Ritters (miles), des Sprachrohrs der französischen Monarchie im Dialog: [. . . ] Wie ein Kaiser ein Gesetz aufstellen kann über das ganze Imperium, so kann der König von Frankreich entweder alle kaiserlichen Gesetze zurückweisen, oder sie ändern, und zwar auf eine Weise, die ihm gefällt, oder sie im ganzen Königreich für ungültig erklären und neue Gesetze verkünden, wenn er will. 298
Von dieser Feststellung geht der Ritter zur Mahnung an den Kleriker über, seinen Gegner, der die römische Kurie verteidigt: Also, unser Herr Kleriker, zügle deine Zunge und räume ein, dass der König auf‐ grund seiner königlichen Amtskompetenz über alle Gesetze, Sitten und Privilegien verfügt und ihnen nach seinem Ermessen etwas hinzufügen, abziehen oder sie än‐ dern kann [. . . ]. 299
Dieses Zitat macht deutlich, dass Tolomeo in seiner Regierungstheorie eigentlich gegen diese Manifestation des Souveränitätsprinzips durch die Royalisten pole‐ misiert. Freilich war der Anspruch auf die königliche Souveränität im damaligen ideologischen Kontext nicht neu. Im Dekret Per venerabilem (1202) hatte Papst Innozenz III. bereits das Prinzip bestätigt, dass der König in den weltlichen Ange‐ legenheiten keinen Höheren anerkennen muss (rex ipse superiorem in temporalibus 296 Eine frühere Version der folgenden Erörterung der Verfassungstheorie von Tolomeo: Bee Yun, Ptolemy of Lucca – A Pioneer of Civic Republicanism? A Reassessment, S. 430–434. 297 Disputatio inter clericum et militem, in: Three Royalist Tracts: 1296–1320. Antequam essent clerici; Disputatio inter clericum et militem; Quaestio in utramque partem, hg. und übers. von R. W. Dyson, Bristol 1999, S. 12–45. Dazu Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, S. 154–158. 298 Ebd., S. 42: „[. . . ] sicut imperator super totum imperium suum habet leges condere et ad‐ dere eis vel demere, sic et rex Francorum possit omnes imperatorias leges repellere, aut quamlibet cum placuerit permutare, aut illis a toto regno suo proscriptis et abolitis, novas si placuerit promulgare.“ 299 Ebd.: „Et ideo, domine clerice, linguam vestram coercite, et agnoscite regem legibus, con‐ suetudinibus, privilegiis et libertatibus datis, regia potestate praeesse, posse addere, posse minuere, mutare quamlibet, [. . . ] sicut visum fuerit, temperare.“
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minime recognoscat), wenn dies auch zur Bestärkung seiner Position in der dama‐ ligen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kaiser diente. 300 Diese Lehre wurde im Laufe der Zeit mehrmals in Anspruch genommen. Die Formel Rex est imperator in regno suo, hat dann Jean de Blanot in der Mitte des 13. Jahrhunderts ausgespro‐ chen. 301 Bereits im Verständnis der Zeit Tolomeos bestand also kein Zweifel daran, dass das königliche Souveränitätsprinzip keineswegs mit der Rechtfertigung der Ty‐ rannei gleichzusetzen war. Das französische Lager hat damals kein besonderes neues Argument eingeführt. In der Disputatio inter clericum et militem fügt der Ritter zu seinem Plädoyer für die souveräne Macht des französischen Königes hinzu, dass der König seine souveräne Macht über die Rechtsänderung und Dispensation nicht nach seinem Belieben, sondern nach den Bedürfnissen des Königreiches (pro regni necessitatibus), für die Exigenz des Momentes (secundum exigentiam temporum) 302 und nur nach dem Ratschlag seiner Adligen im Hinblick auf Gerechtigkeit und Vernünftigkeit (aequitate et ratione consulta, aut cum suis proceribus) 303 vornimmt. Rein als Idee hätte niemand viel gegen diese Theorie des Anonymus einzuwenden gehabt, auch nicht Tolomeo, der an einer Stelle von De regimine principum das Recht des Königs auf die Dispensation als legitim anerkannte. 304 Das Souveränitätsprinzip, das bereits ein Gemeinplatz für viele war, klang aber in den Ohren der römischen Kurie im damaligen Kontext ganz anders. Die Kurie sah im Argument der Royalisten eine Apologie der Tyrannei, die sie als Natur der weltlichen Herrschaft betrachtete. Bereits in der Bulle Clericis laicos von 1296 be‐ gegnet die Klage, die Monarchie sei von vornherein in der Geschichte tyrannisch
300 Abgedruckt in: Register Innozenz III., Bd. 5, 5. Pontifikatsjahr, 1202 / 1203. Texte, hg. von Othmar Hageneder, Anton Haidacher und Alfred A. Strnad, Wien 1993, S. 249– 255. Zur Diskussion siehe Francesco Calasso, I glossatori e la teoria della sovranità: studio di dritto comune publico, 3. Aufl., Mailand 1957, bsd. S. 39–53; Brian Tierney, ‚Tria quippe distinguit iudicia . . . ‘ A Note on Innocent III’s Decretal Per venerabilem, in: Speculum 37/1 (1962), S. 48–59; Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, bsd. S. 14–19; Jürgen Miethke, Einleitung, in: Politische Schriften des Lupold von Bebenburg (= MGH. Staatsschriften des Spätmittelalters, Bd. 4), hg. von Jürgen Miethke und Christoph Flüeler, Hannover 2004, S. 1–231, hier S. 105–108. 301 Dieter Wyduckel, Princeps legibus solutus: Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 30), Berlin 1979, S. 139–141; Robert Feenstra, Jean de Blanot et la formule ‚Rex Franciae in regno suo princeps est‘, in: Etudes d’histoire du droit canonique dédiées à Gabriel Le Bras, Bd. 2, Pa‐ ris 1965, S. 885–895 (auch in Ders., Fata iuris romani: Etudes d’histoire du droit, Leiden 1974, S. 139–149). 302 Disputatio, S. 40. 303 Ebd., S. 42. 304 De regimine principum, Lib. 3, Cap. 11.
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und feindlich zur Kirche gewesen. 305 Tolomeo hat mit seiner Verfassungstypologie dieser Stimmung den klaren theoretischen Ausdruck gegeben. Freilich hatte Tolomeo keineswegs beabsichtigt, mit seinem negativen Begriff der Monarchie auch die Monarchie des Papstes anzugreifen. Wie wir bereits gesehen haben, unterschieden die mittelalterlichen Autoren geistliche und weltliche Ein‐ richtungen grundsätzlich voneinander. Es wurde allgemein vorausgesetzt, dass das, was über eine weltliche Institution ausgegesagt wird, keineswegs automatisch auf die geistigen Institution angewendet werden kann. Tolomeos Begriff der Monar‐ chie war, wie wir uns unschwer vorstellen können, ausschließlich im Hinblick auf die weltliche Monarchie geprägt worden, zumal er in einem Fürstenspiegel, einem Buch für die Laienherrscher, formuliert wurde. An manchen Stellen bezeichnet Tolomeo daher ohne Widerspruch die päpstliche Monarchie als höchst edel und himmlisch. 306 Tolomeos durchaus positive Auffassung von der politischen Herrschaft kann aus demselben geschichtlichen und ideologischen Zusammenhang erklärt werden. Die norditalienischen Städte waren seit dem 11. Jahrhundert wichtige Bündnispartner für die römische Kirche im Kampf gegen die deutschen Kaiser. 307 Die Städte sti‐ lisierten ihren Widerstand gegen den Kaiser, ihren rechtlich legitimen Herrn, als Verteidigung ihrer Freiheit und der Freiheit der Kirche (libertas ecclesiae). Die rö‐ mische Kirche gebärdete sich ihrerseits während des Kampfes auch als Schützer der Freiheit der italienischen Städte. Der Begriff der Freiheit war ein Schlagwort des
305 Les Registres de Boniface VIII: recueil des bulles de ce pape publiées ou analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Georges Digard, Bd. 1, Paris 1907, Nr. 1567, Sp. 584 f.: „Clericis laicos infestos opido tradit antiquitas, quod et presen‐ tium experimenta temporum manifeste declarant, dum suis finibus non contenti nituntur in vetitum, ad illicita frena relaxant [. . . ].“ 306 So schreibt Tolomeo dem päpstlichen Regiment dieselbe Bezeichnung sacerdotale et regale zu (De regimine principum, Lib. 3, Cap. 10), mit dem er in der Determinatio compendiosa die Herrschaft Christi charakterisiert (Cap. 6, S. 16: „[. . . ] Christus habuit dignitatem sacerdotalem et regalem in summo gradu“). Siehe auch De regimine principum, Lib. 3, Cap. 19, wo er das päpstliche Regiment als erstes leitendes und bewegendes Prinzip nennt. 307 Gina Fasoli, Friedrich Barbarossa und die Lombardischen Städte, in: Probleme des 12. Jahrhunderts. Reichenau Vorträge 1965–67 (= Vorträge und Forschungen, Bd. 12), Stuttgart 1968, S. 121–142 (wieder abgedruckt in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1975, S. 149–183); Brigitte Szabó-Bechstein, ‚Libertas ecclesiae‘ vom 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Die Abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert (= Vorträge und Forschungen, Bd. 39), hg. von Johannes Fried, Sigmarin‐ gen 1991, S. 147–175; Knut Schulz, ‚Denn sie lieben die Freiheit so sehr . . . ‘. Kom‐ munale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter, 2. Aufl., Darmstadt 1995, S. 211–216; Kenneth Pennington, Ecclesiastical Liberty on the Eve of the Reformation, in: Bulletin of Medieval Canon Law 33 (2016), S. 185–208.
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Bündnisses der beiden Seiten. 308 Es braucht uns daher nicht zu erstaunen, dass To‐ lomeo in den norditalienischen Städten den Hort der Freiheit sah. Freilich wollte Tolomeo mit seiner negativen Auffassung von der Monarchie nicht nur sein Unbehagen gegenüber den Königen ausdrücken. Sie war mehr als eine bloße Invektive gegen die ‚aufsässigen‘ Könige. Im Kontext des damaligen po‐ litischen Diskurses enthält Tolomeos Monarchiebegriff ein klares politisches Ar‐ gument. Wie wir oben erörtert haben, beriefen sich die Anhänger der päpstlichen Machtfülle auf den Rangunterschied der geistlichen und weltlichen Macht inner‐ halb der Welthierarchie. Tolomeo wollte den hierarchischen Abstand zwischen bei‐ den Monarchien dadurch deutlich machen, dass er die sündhafte und niedrige Her‐ kunft der weltlichen Monarchie gegenüber der edlen und himmlischen Herrschaft des Papstes betonte. Damit wird der Anspruch erhoben, dass die weltliche Monar‐ chie der päpstlichen als der höheren und edleren Instanz innerhalb der Hierarchie gehorchen muss. Tolomeo wollte also die weltliche Monarchie zu einer auf der Beratung beru‐ henden, guten Herrschaftsübung anhalten. Es ist dabei allerdings ganz unklar, was für ihn den Mindeststandard der Beratung ausmacht, den jede Herrschaft erreichen musste. Seine sehr diffuse und nicht widerspruchsfreie Schilderung einiger Bei‐ spiele vermittelt uns eher den Eindruck, dass er keine konkrete Vorstellung davon hatte. Dies erstaunt nicht. Sein negatives Urteil über die gegenwärtigen Monarchien wurde eigentlich durch ihre ‚widerspenstige‘ Politik gegenüber der Kirche geprägt. Tolomeo suchte die Ursache dieses bei den Laienherrschern immer wieder auftre‐ tenden Problems in einem der Monarchie spezifischen Mangel, dem der Alleinent‐ scheidung. Für Tolomeo war das entscheidende Kriterium einer guten Herrschaft der Gehorsam gegenüber der päpstlichen Politik. Wenn eine Herrschaft diese Be‐ dingung erfüllt, galt sie für Tolomeo bereits als gut, wenn aber nicht, dann wurde sie als Tyrannei verurteilt, und die Ursache in dem der königlichen Herrschaft angebo‐ renen Hang zur Tyrannei gesucht. Es gibt einen substanziellen Beweis, dass Tolomeo in seinem Verfassungsgedan‐ ken nicht an der Unterscheidung ‚Republik oder Monarchie‘ sondern an der zwi‐ schen ‚Papalist oder Anti-Papalist‘ lag. In De regimine principum trat Tolomeo für die freie Selbstregierung in den italienischen Inseln und Provinzen ein, die sich da‐ mals im Mittelpunkt einer Reihe paneuropäischer Machtkämpfe befanden: Sizilien, Sardinien und Korsika. Einige Provinzen haben eine knechtische Natur, und diese müssen von einer des‐ potischen Herrschaft regiert werden, und zur despotischen gehört auch die könig‐ 308 Zur zentralen Bedeutung des Freiheitstopos im Selbstverständnis des Guelfen-Lagers siehe Serena Ferente, Guelfs! Factions, Liberty and Sovereignty: Inquiries about the Quattrocento, in: History of Political Thought 28/4 (2007), S. 571–598, bsd. S. 576.
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liche. Diejenigen Provinzen aber, die mannhaften Geistes, mutigen Herzens und voller Vertrauen auf ihre Klugheit sind, können nur von der politischen Herr‐ schaft regiert werden, und das beziehen wir gewöhnlich auch auf die aristokrati‐ sche Herrschaft. Solche Herrschaft blüht vor allem in Italien, wo die Leute aus dem genannten Grund stets weniger zum Gehorchen neigen (als die anderen), und wenn man sie einem despotischen Herrscher unterwerfen will, kann dies nur ge‐ schehen, wenn die Herren sich als Tyrannen verhalten. Dies ist der Grund, warum die Inseln in Italien, die immer Könige und Fürsten hatten, wie Sizilien, Sardinien und Korsika, stets Tyrannen hatten. 309
Tolomeo bezieht sich in dieser Passage auf die zeitgenössische Frage über die Herr‐ schaft über die Inseln und Provinzen in Italien, die im Zug der politischen Wir‐ ren nach der sizilianischen Vesper (1282) zur heikelsten Frage besonders zwischen Frankreich und Spanien geworden war. 310 Am Anfang bestätigt Tolomeo seinen verfassungstheoretischen Grundsatz noch einmal. Die Bewohner bestimmter Län‐ der und Regionen seien wegen ihres regen Geistes und der Freiheitsliebe von vorn‐ herein zur Selbstregierung bestimmt. So verhalte es sich mit den Einwohnern in den genannten italienischen Regionen. Die Tendenz zur Freiheitsliebe sei dort so groß, 309 De regimine principum, Lib. 4, Cap. 8, S. 564: „Quaedam autem provinciae sunt servi‐ lis naturae: et tales gubernari debent principatu despotico, includendo in despotico etiam regale. Qui autem virilis animi et in audacia cordis, et in confidentia suae intelligentiae sunt, tales regi non possunt nisi principatu politico, communi nomine extendendo ipsum ad aristocraticum. Tale autem dominium maxime in Italia viget: unde minus subiicibiles fuerunt semper propter dictam causam. Quod si velis trahere ad despoticum principatum, hoc esse non potest nisi domini tyrannizent: unde partes insulares eiusdem, quae semper habuerunt reges et principes, ut Sicilia, Sardinia et Corsica, semper habuerunt tyrannos.“ 310 Steven Runciman, The Sicilian Vespers: A History of the Mediterranean World in the Later Thirteenth Century, Cambridge 1958, Kap. 16–17; Pinuccia S. Simbula, Sardi‐ nien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München u. a. 1995, Sp. 1379 f.; Bastia B. An‐ drei, Korsika, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München u. a. 1991, Sp. 1452–1454; Pietro De Leo, Apulien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München u. a. 1980, Sp. 820– 823; Salvatore Fodale, Sizilien: II. Herrschaft der Anjou und Aragón, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München u. a. 1995, Sp. 1960–1964. Siehe auch Marco Tanghe‐ roni, Sardinia and Corsica from the Mid-Twelfth to the Early Fourteenth Century, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 5: c.1198–c.1300, hg. von David Abu‐ lafia, Cambridge u. a. 1999, S. 447–457, und Marco Tangheroni, Sardinia and Italy, in: Italy in the Central Middle Ages: 1000–1300, hg. von David Abulafia, New York u. a. 2004, S. 237–250, hier S. 248; David Abulafia, The Kingdom of Sicily under the Hohenstaufen and Angevins, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 5, hg. von David Abulafia, Cambridge u. a. 1999, S. 508–520; Ders., The Italian South, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 6: c.1300–c.1415, hg. von Michael Jones, Cambridge 2000, S. 488–514. Über den Vertrag von Caltabellotta: Runciman, The Sicilian Vespers [wie oben], S. 299–303; Boase, Boniface VIII, S. 290–293; Henri Bresc, Caltabel‐ lotta, Friede von, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München u. a. 1983, Sp. 1402 f.
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dass sogar die Franzosen, die früher Sizilien besetzt und sich dort angesiedelt hätten, ihre Eigentümlichkeiten verloren und sich den neuen freiheitsliebenden Charakter angeeignet hätten. 311 Wenn man in jenen Provinzen und Orten eine Königsherr‐ schaft errichten wolle, stoße man sofort auf Widerstände und finde, dass man diese Aufgabe nur durch Gewalt und Blutvergießen durchführen könne. Somit tritt To‐ lomeo für die republikanische Regierung jener Orte ein. Man muss aber beachten, dass jene Provinzen damals offiziell dem Herr‐ schaftsbereich der spanischen und der französischen Monarchie zugehörten: Sardinien und Korsika standen unter der Herrschaft Jakobs II. von Aragón (seit 1297) und Sizilien unter der Herrschaft von Friedrich III. (seit 1296). Bo‐ nifaz VIII. hat sein souveränes Recht auf jene Orte beansprucht und sie durch zwei Verträge, den Vertrag von Anagni ( June 1295), und den Vertrag von Cal‐ tabellotta (August 1302), den beiden Königshäusern zu Lehen gegeben. 312 Hat Tolomeo also mit seiner Position einen fundamentalen Einwand gegen die Ent‐ scheidung von Bonifaz zur Verlehnung jener Provinzen und Inseln formuliert? Entgegen der Erwartung aller, die in Tolomeos Verteidigung der republikani‐ schen Staatsauffassung einen dezidierten Republikanismus zu sehen meinen, hat Tolomeo die dortigen Regierungen der zwei Monarchien bejaht, ja sie sogar willkommen geheißen. Denn im Tractatus de jurisdictione ecclesie super regnum Apulie et Sicilie, einem wahrscheinlich nicht mit einem langen zeitlichen Ab‐ stand, vielleicht nur ein paar Jahre zuvor geschriebenen kurzen Traktat, 313 311 De regimine principum, Lib. 3, Cap. 8. 312 Es ist unklar, wer der Herrscher von Sizilien zur Zeit der Abfassung von De regimine prin‐ cipum war. Denn die Herrschaft Friedrichs wurde vor dem Vertrag von Caltabellotta von Karl II. von Anjou bestritten, den Bonifaz nach dem Vertrag von Agnani als legitimen Herrscher belehnt hatte. 313 Bisher wurde diese Schrift auf 1308–1314 datiert. Siehe Thomas Kaeppeli und Emi‐ lio Panella (Hg.), Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, Bd. 4, Rom 1993, S. 323; Antoine Dondaine, Les ‚Opuscula Fratris Thomae‘ chez Ptolémée de Luc‐ ques, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 31 (1961), S. 171. Schmugge, Fiadoni, Bar‐ tolomeo(Tolomeo, Ptolomeo da Lucca), in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 47, Rome 1997, S. 317–320., S. 320. Blythe scheint aber Zweifel an dieser Datierung zu ha‐ ben ( James Blythe, Aristotle’s Politics and Ptolemy of Lucca, in: Vivarium 40/1 (2002), S. 103–136, hier S. 114). Es sei hier für eine frühere Datierung etwa um die Zeit des Ver‐ trags von Agnani oder danach plädiert (jedenfalls vor dem Vertrag von Caltabellotta). Denn das Argument von Tolomeo, vor allem seine Zurückweisung des kaiserlichen Herr‐ schaftsanspruchs auf jene Inseln und Provinzen und seine Bestätigung der Macht des Papstes über sie, erinnert stark an die Position des päpstlichen Lagers um den Vertrag. In der Tat schweigt Tolomeo in seiner Schrift von den wichtigen politischen Ereignissen seit 1283, wie der Exkommunikation von König Friedrich III. Dies ist schwer erklärbar, wenn man diese Schrift auf 1308–1314 datiert. Die Datierung ist aber keine wesentliche Frage für uns. Auch wenn diese Schrift 1308–1314 verfasst wäre, wie es traditionell ange‐
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argumentierte Tolomeo gerade für das souveräne Recht des Papstes auf die be‐ treffenden Territorien. 314 Liegt hier eine Selbstnegierung Tolomeos vor? Hat seine Treue zum Papst seinen Republikanismus besiegt? Eher liegt nahe, dass Tolomeo als Papalist von vornher‐ ein die Freiheit im Sinne der Freiheit unter der Herrschaft der Römischen Kirche dachte. Keine Freiheit in dieser Welt kann größer sein als die unter dem Heiligen Stuhl. Es erübrigt sich daran zu erinnern, dass das päpstliche Lager im Kampf gegen die Kaiser konstant genau diese Position vertrat. Diese Beobachtung beweist noch einmal, dass Tolomeo in der Tat keine beson‐ dere Abneigung gegenüber der Monarchie hegte. Er glaubte vielmehr, dass eine gute Regierung nicht die Sache einer bestimmten Verfassung, sondern die Folge des Wil‐ lens des Herrschers war. Für ihn hatten jene Könige ein deutliches Zeichen ihres guten Willens durch ihren Gehorsam gegenüber der Autorität des Papstes gegeben. Dazu wollte Tolomeo die Könige mit seiner Verfassungstheorie bewegen. Natürlich stellt sich hier unvermeidlich die Frage, wie dieses Argument mit sei‐ ner Idee harmonisiert werden kann, dass die königliche Herrschaft nach ihrer Natur tyrannisch ist und eben dadurch das korrumpierte Volk in Zaum hält. Impliziert die letztere Idee nicht, dass eine Königsherrschaft nur tyrannisch sein kann und immer so sein muss? Wir werden im nächsten Kapitel anhand der für das Mittel‐ alter charakteristischen Diskurspraxis noch ausführlicher darlegen, dass Tolomeos Lehre keineswegs in einem solchen Sinne verstanden werden darf. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass Tolomeo entgegen dem ersten Anschein keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Monarchie und der republikanischen Selbstregierung ge‐ macht hat. Denn Tolomeo spricht in der Determinatio compendiosa aus, dass die einst in der römischen Republik realisierte ideale Verfassung in der gegenwärtigen Monarchie des Papstes verkörpert ist. 315 Ihm zufolge regiert der Papst aufgrund der Beratung der Kirchenfürsten so, wie die römische Republik mithilfe der Senatoren geführt wurde. Tolomeo bezog also eine relativistische Position in der Verfassungs‐ frage. Die Beratung konnte auch im Rahmen der monarchischen Verfassung ausrei‐ chend realisiert werden, und wenn eine Monarchie dieses Element der kollektiven
nommen wird, ändert sich nichts daran, dass Tolomeo die Entscheidung von Bonifaz gar nicht bestritten hätte. 314 Tractatus de jurisdictione ecclesie super regnum Apulie et Sicilie, in: Miscellanea, hg. von Etienne Baluze und Giovanni Domenico Mansi, Bd. 1, Lucca 1761, Sp. 468–473. 315 Determinatio compendiosa, Cap. 31, S. 63 f.: „De quo specialiter veteres commendantur Romani, ut supra patuit, quando floruit res publica. Ille enim, cui magistratum seu con‐ sulatum pro suo anno commiserant [. . . ] cottidie agebat cum senatu consilium de multi‐ tudine, ut, que digna sunt, gerant, quemadmodum adhuc hodie Romana observat ecclesia, summus enim pontifex cum cardinalibus, qui locum possident senatorum.“
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Entscheidung in ihren Herrschaftsprozess integrierte, kam sie der republikanischen Selbstregierung gleich. Der Verfassungsrelativismus war bereits vor Tolomeo ein Zug der Zeit. Thomas von Aquin hatte in einem gewissen Sinne bereits ähnliche Ansichten befürwortet. Als eifriger Student der politischen Theorie des Aristoteles schloss er die Aristokra‐ tie und die Herrschaft des Volkes aus der Kategorie der legitimen Herrschaftsfor‐ men nicht aus. Auch Johannes Quidort, der Zeitgenosse des Tolomeo, pflegte diese verfassungstheoretische Ansicht, wenn er sie auch nicht näher verfolgte. Denn er selbst unterstreicht die Implikation der lokalen Eigentümlichkeiten so sehr, dass er logisch nicht bestreiten konnte, dass für ein Volk und einen Staat statt der Monar‐ chie die Aristokratie oder die Herrschaft des Volkes besser sein konnte, die er, wie Thomas, als durchaus legitime Herrschaftsform betrachtete. Dennoch fällt Tolomeos Diskussion über die Regierungsform auch im Vergleich zu den anderen relativistischen Theorien besonders auf. Während die übrigen Den‐ ker trotz ihrer relativistischen Position noch die Monarchie zumindest theoretisch für die beste Verfassungsform hielten, hat Tolomeo unter den gegenwärtigen Bedin‐ gungen der verfallenen Menschennatur die reine Form der Monarchie nicht mehr als die vorzuziehende betrachtet. Sie ist stark der Gefahr der Tyrannei ausgesetzt und bewirkt leicht in der Wirklichkeit ein repressives und ausbeuterisches Regime, das nur ein korruptes Volk ertragen kann. Der ursprünglichen, tugendhaften Form der Herrschaft steht in der gegenwärtigen Situation des menschlichen Lebens eine republikanische Verfassungsform näher als die Monarchie. Damit hat Tolomeo die prinzipielle Rangordnung der Herrschaft in einem Sinne aufgefasst, den sich weder Thomas noch andere vorstellten, die der Monarchie an‐ deren Verfassungsformen gegenüber den Vorrang gegeben hatten. Sicherlich war sich Thomas der Gefahr der Tyrannei in der Alleinherrschaft eines Monarchen be‐ wusst. Er hat sogar eine Mischform der Verfassung als Lösung vorgeschlagen, die die Monarchie mit den Elementen der kollektiven Herrschaft kombinierte. 316 Jedoch ging Thomas an keiner Stelle so weit, zu negieren, dass die Monarchie im absoluten Sinne immer noch als die beste Verfassungsform anzusehen sei. Dadurch hat Tolomeo dem alten Prinzip widersprochen, das er selber in De re‐ gimine principum bestätigt, nämlich dass das Menschenwerk am besten die an der Natur sichtbare göttliche Regierung nachahmen solle. Noch erstaunlicher ist, dass Tolomeo sich dieses Widerspruchs völlig bewusst war. Denn er räumt in seiner Verteidigung der republikanischen Staatsverfassung ein, dass sie der göttlichen Re‐
316 Summa Theologiae, Ia IIae, q. 105, a. 1, resp.: „Talis enim est optima politia, bene com‐ mixta ex regno, inquantum unus praeest; et aristocratia, inquantum multi principantur secundum virtutem; et ex democratia, idest potestate populi, inquantum ex popularibus possunt eligi principes, et ad populum pertinet electio principum.“
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gierung weniger ähnlich ist als die Monarchie, wegen der Gebundenheit der Freiheit der Regenten an das Gesetz. So fügt Tolomeo, nachdem er die politische Herrschaft als die sicherste Weise der Regierung bestätigt, weil ihre Herrschaftsführung auf dem Gesetz des Gemeinwesens basiert, hinzu: Aber gerade deswegen ist die Klug‐ heit des Regenten nicht frei, und diese Regierung ist daher von der göttlichen Herr‐ schaft weiter entfernt und ahmt sie weniger nach. 317 Er nimmt jedoch seine Theorie nicht zurück, dass in dieser Welt die monarchische Staatsverfassung nicht mehr die vortrefflichste Regierungsform darstellt. Dadurch wird klar, dass das saeculum für Tolomeo etwas sehr Anderes war, als die Ordnung des Universums. Man kann in dieser Welt nicht mehr erwarten, sich mit dem dem Universum entnommenen göttlichen Prinzip durchzusetzen. In diesem Bereich erweist sich ein solches analo‐ ges Prinzip manchmal als unnützlich, gelegentlich sogar schädlich. So kann die der Weltführung Gottes am nächsten stehende Monarchie keinen Vorrang mehr gegen‐ über anderen Regierungsform für sich beanspruchen. Bei Tolomeo beginnt die menschliche Welt allmählich getrennt gedacht zu wer‐ den von der Ordnung des gesamten Universums. Sie hört also langsam auf, als ein problemloser Teil des Kosmos betrachtet zu werden. Die hochmittelalterliche Überzeugung der prinzipiellen Korrespondenz der göttlichen Weltführung und der Regierung des Staates wird bezweifelt. Die große Seinskette, die die hochmittelal‐ terliche Ontologie beherrscht, beginnt hier zu brechen. Jetzt fängt die Welt wirklich an, weltlich zu werden. Marsilius von Padua
Es kann moderne Beobachter erstaunen, dass das Papsttum nach der Niederlage Bonifaz’ VIII. im Kampf mit Philipp IV. nur knapp zwei Jahrzehnte später er‐ neut die Energie für eine heftige Auseinandersetzung mit der weltlichen Macht aufbrachte. Diesmal waren die Gegner Papst Johannes XXII. und der deutsche König Ludwig IV., der mit dem herabsetzend gemeinten Beinamen „der Bayer“ be‐ legt wurde. Indem er sich, wie Bonifaz, auf die Approbationstheorie berief, lehnte Johannes es damals ab, Ludwig als Römischen Kaiser anzuerkennen. Ludwig war im Oktober 1314 als Kandidat der luxemburgischen Partei zum deutschen König erwählt und in Mainz gekrönt worden und hatte sich gegen seinen Konkurren‐ ten, den Habsburger Friedrich von Österreich, durchsetzen können. Als Johan‐ nes am 23. März 1324 Ludwig exkommunizierte und Ludwig bald danach, am
317 De regimine principum, Lib. 2, Cap. 8: „[Regimen politicum] est certus modus regendi, quia secundum formam legum sive communium, sive municipalium, cui rector astringitur: propter quam causam et prudentia principis, quia non est libera, tollitur et minus imitatur divinam.“
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22. Mai 1324, Johannes die Legitimität seines Pontifikats absprach, war jede Ver‐ söhnung dahin. 318 318 Zur Einführung der Zeit, der Person und der Werke von Marsilius: Alan Gewirth, Mar‐ silius of Padua. The Defender of Peace, Bd. 1: Marsilius of Padua and Medieval Political Philosophy, New York und London 1951; Walther, Imperiales Königtum, Konzilia‐ rismus und Volkssouveränität, S. 159–176; Jürgen Miethke, Marsilius von Padua, die politische Philosophie eines lateinischen Aristotelikers des 14. Jahrhunderts, in: Lebens‐ lehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-Historische Klasse, Bd. 173), hg. von Hartmut Boockmann u. a., Göttingen 1989, S. 52–76; Ders., De potestate papae, S. 204–247; Ders., Die Frage der Legitimität rechtlicher Normierung in der politischen Theorie des 14. Jahrhunderts, S. 191–196; Black, Political Thought in Europe 1240– 1450, S. 58–71; Canning, A History of Medieval Political Thought, S. 154–158; Co‐ leman, A History of Political Thought, Bd. 2:. From the Middle Ages to the Renaissance, S. 134–168; Jürgen Lutz, Zur Struktur der Staatslehre des Marsilius von Padua im ers‐ ten Teil des ‚Defensor pacis‘, in: Zeitschrift für Historische Forschung 22 (1995), S. 371– 386; P. Renée Baernstein, Corporatism and Organism in Discourse I of Marsilius of Padua’s ‚Defensor pacis‘, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies 26 (1996), S. 113–138; Frank Godthardt, Marsilius von Padua und der Romzug Ludwigs des Bayern: Politische Theorie und politisches Handeln (= Nova Mediaevalia, Bd. 6), Göt‐ tingen 2007. Für einen Forschungsüberblick: Vasileios Syros, Marsilius of Padua at the Intersection of Ancient and Medieval Traditions of Political Thought, Toronto u. a. 2012. Über die Theorie der Repräsentation von Marsilius, neben den Beiträgen von Miethke auch Jeaninne Quillet, Universitas populi et représentation au XIVe siècle, in: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter, hg. von Albert Zimmermann (= Miscellanea Me‐ diaevalia, Bd. 8), Berlin und New York 1971, S. 186–201; Hasso Hofmann, Repräsen‐ tation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Auf., Berlin 1998 (Erstausgabe 1974), S. 191–211; Cary J. Nederman, Community and Consent. The Secular Political Theory of Marsiglio of Padua’s Defensor pacis, Lan‐ ham, Md. u. a. 1995; Paul E. Sigmund, Konsens, Repräsentation und die Herrschaft der Mehrheit bei Marsilius und Cusanus, in: Nikolaus von Kues als Kanonist und Rechtshis‐ toriker, hg. von Klaus Kremer und Klaus Reinhardt, Trier 1998, S. 195–204, hier S. 195– 200; Alessandro Mulieri, Marsilius of Padua on Representation, in: History of Political Thought 38/4 (2017), S. 623–643. In den letzten zwei Jahrzehnten sind zwei Einfüh‐ rungsbände erschienen, die den aktuellen Forschungsstand widerspiegeln: Gerson Mo‐ reno-Riaño (Hg.), The World of Marsilius of Padua, Turnhout 2006 (darin siehe: Cary J. Nederman, Marsiglio of Padua Studies Today – and Tomorrow, S. 11–25; Frank Godthardt, The Philosopher as Political Actor – Marsilius of Padua at the Court of Ludwig the Bavarian: The Sources Revisited, S. 29–46; Thomas Turley, The Impact of Marsilius: Papalist Responses to the Defensor Pacis, S. 47–64; Gabrielle Gonzales, ‚The King of the Locusts Who Destroyed the Poverty of Christ‘: Pope John XXII, Marsi‐ lius of Padua and the Franciscan Question, S. 65–88). Bei dem zweiten Einführungsband handelt es sich um Gerson Moreno-Riaño und Cary J. Nederman (Hg.): A Com‐ panion to Marsilius of Padua (= Brill’s Companion to the Christian Tradition, Bd. 31), Leiden und Boston 2012 (unter den Beiträgen siehe: Frank Godthardt, The Life
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Der lange Traktat Defensor pacis des Marsilius von Padua (†1342 oder 1343) wurde nach seiner eigenen Angabe in dieser Atmosphäre in Paris am 24. Juni 1324 vollendet. 319 Zwar kann aufgrund der kargen Quellenlage nicht mit Sicherheit fest‐ gestellt werden, ob Marsilius bei der Abfassung die Verteidigung der Position Lud‐ wigs unmittelbar vor Auge hatte, wie seine Widmung an Ludwig und manche Äu‐ ßerungen im Traktat andeuten. Es ist jedoch kaum zu bezweifeln, dass, wie Jürgen Miethke vermutet, jener zeitgeschichtliche Umbruch und die Sympathie für Lud‐ wigs Lager eine der Hauptmotivationen des Marsilius war. 320 Die große Aufmerksamkeit der Forschung für den Defensor pacis verdankt sich vor allem seiner radikalen Regierungslehre, die das Prinzip der Volkssouveränität und der kollektiven Bestimmung hervorhebt und die Einmischung der Kirche als illegitim zurückweist. Nach Marsilius gab es im Stand der Unschuld, der ursprüng‐ lichen Gerechtigkeit und der Gnade kein Bedürfnis nach dem Staat. 321 Als die Menschen aber dieses Paradies verloren hatten, mussten sie eine politische Gemein‐ schaft bilden. Als perfecta communitas 322 verhindert die politische Gemeinschaft die Schutzlosigkeit der Menschen vor der feindlichen Umwelt und ihren Kampf unter‐ einander. 323 Die Herrschaft in der politischen Gemeinschaft fällt nach Marsilius in die Kompetenz der Gesetzgeber, die die Gesamtheit der Bürger oder ihr vornehmer Teil (civium universitas aut eius pars valencior) sind. 324 Die Regierung (pars princi‐ pans) muss sich Marsilius zufolge als Beauftragte jener Gesetzgeber verstehen und
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of Marsilius of Padua, S. 13–55; Takashi Shogimen, Medicine and the Body Politics in Marsilius of Padua’s Defensor pacis, S. 71–115; Gerson Moreno-Riaño und Cary J. Nederman, Marsilius of Padua’s Principles of Secular Politics, S. 117–138; Bettina Koch, Marsilius of Padua on Church and State, S. 139–179; Thomas M. Izbicki, The Reception of Marsilius, S. 305–333). Defensor pacis (Der Verteidiger des Friedens), hg. und übers. von Walter Kunzmann und Horst Kusch, 2 Bde., Berlin 1958. Diese Edition wurde jetzt neu gedruckt mit einer Ein‐ leitung von Jürgen Miethke: Marsilius von Padua, Der Verteidiger des Friedens / Defensor pacis. Aufgrund der Edition von Richard Scholz übers., bearb. und komm. von Horst Kusch, neu eingeleitet und hg. von Jürgen Miethke [Lateinisch-Deutsch] (= Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 50), Darmstadt 2017. Ich zitiere nach Miethkes Ausgabe. Miethke, De potestate papae, S. 222. Defensor pacis, 1.6.1, S. 58–60. Siehe Stürner, Peccatum und Potestas, S. 203–207; Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staats‐ theorie, S. 387–394; Cary J. Nederman, Nature, Sin and the Origins of the Society. The Ciceronian Tradition in Medieval Political Thought, in: Journal of the History of Ideas 49/1 (1988), S. 3–26, hier S. 21 ff. (wieder abgedruckt in: Ders. (Hg), Medieval Ari‐ stotelianism and Its Limits: Classical Traditions in Moral and Political Philosophy. 12th– 15th Centuries, Aldershot 1997, Kap. 11). Defensor pacis, 1.4.1, S. 36. Ebd., 1.4.2-5, S. 38–42. Ebd., 1.15.2, S. 156–158. Zu dem Begriff „valencior pars“ siehe Gewirth, Marsilius
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also nach den Bestimmungen der Gesetze handeln, um ihren Auftrag, die Sorge für den Frieden (pax) und die Ruhe (tranquillitas), zu erfüllen. 325 Somit nähert sich seine politische Theorie der antiken und neuzeitlichen vertragstheoretischen Tra‐ dition sichtlich an. Was das Denken von Marsilius prägt, ist ein radikaler Pragmatismus. Fast alle Fragen und Themen der Diskussionen werden zuerst der Prüfung unterzogen, ob eine vorgeschlagene Handlung oder Einrichtung überhaupt helfen kann, ein prak‐ tisches Lebensbedürfnis zu erfüllen. Von diesem pragmatischen Blick bleiben nicht einmal die christliche Religion und ihre Praxis gänzlich verschont. Wenn er auch die Wahrheit des christlichen Glaubens und ihre Verbindlichkeit nicht leugnet und ihre erzieherische Rolle für die Menschheit im Blick auf das ewige Seelenheil für un‐ verzichtbar hält, macht er zugleich ihre Nützlichkeit für die Bewahrung der Sitten geltend. Marsilius öffnet seinen pragmatischen Blick weiter auf die entscheidenden Fragen, z. B. ob es eine Weltmonarchie geben muss oder ob eine Machtsuprematie des Papstes notwendig ist. Erstaunlich angesichts seiner prokaiserlichen Position in der realen Politik schreibt er der Weltmonarchie keine absolute Verbindlichkeit zu. Ob es aber für die gesamte zivilisierte Menschheit, und zwar auf der ganzen Erde, zweckmäßig ist, eine einzige alleroberste Regierung zu haben, oder ob es in einer bestimmten Zeit zweckmäßig ist, in den verschiedenen Landschaften der Welt, die durch die geographischen Verhältnisse geradezu notwendig getrennt sind und vor allem in denen ohne Sprachgemeinschaft und mit sehr stark abweichenden Sit‐ ten und Lebensformen, verschiedene solche Regierungen zu haben, wobei außer‐ dem auch vielleicht eine himmlische Ursache darin wirkt, dass keine übermäßige Vermehrung der Menschheit eintritt, das verlangt eine vernünftige Unterschei‐ dung. 326
Sein Urteil über den Machtanspruch des Papsttums geht in eine ähnliche Richtung. Die Autorität und der Rang, deren sich die römische Kirche und ihr Haupt er‐ freuen, können keinen zwingenden Grund aufweisen; sie wurde einstmals für ihre Fürsorge für die Menschen anerkannt und dann im Lauf der Zeit fest etabliert. 327 of Padua, S. 182–199; Quillet, Universitas populi et représentation au XIVe sìecle, S. 191 ff.; Hofmann, Repräsentation, S. 209 ff. 325 Defensor pacis, 1.15.5–13, S. 162–172. 326 Ebd., 1.17.10, S. 214. „Utrum autem universitati civiliter vivencium et in orbe totali un‐ icum numero supremum omnium principatum habere conveniat, aut in diversis mundi plagis, locorum situ quasi necessario separatis, et precipue in non communicantibus ser‐ mone ac moribus, et consuetudine distantibus plurimum, diversos tales principatus habere conveniat tempore quodam, ad hoc eciam forte movente causa celesti, ne hominum su‐ perflua propagacio fiat, racionabilem habet perscrutacionem, aliam tamen ab intencione presenti.“ 327 Ebd., 2.22.18, 2.28.13 ff.
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Insofern kann dem Anspruch des Papstes auf die Vorrangstellung sowohl in den kirchlichen als auch in den weltlichen Angelegenheiten keine absolute Geltung zu‐ erkannt werden. Jede Einrichtung, sofern sie zum praktischen Zweck eingesetzt ist, kann also für Marsilius nur durch pragmatische Prüfung ihre Geltung erhalten. Dieses pragmatische Verständnis der Politik ist mit einem Bewusstsein der radikalen Weltkontingenz verbunden. Es gehört nach Marsilius zum Wesen der menschlichen Angelegenheiten, dass eine Einrichtung entsprechend den veränder‐ ten Umständen und Bedürfnissen jederzeit modifiziert, abgeschafft oder neu ge‐ schaffen wird. Er hält es nicht für durchführbar, alle Möglichkeiten oder Umstände des Handelns, in die es sich verwickelt, immer zugleich durch ein Gesetz festzulegen wegen der Mannig faltigkeit und Verschiedenheit der Möglichkeiten nach Ort und Zeit. 328 Das liege daran, weder ein einzelner Mensch noch vielleicht alle Menschen eines Zeitalters zusammen könnten sämtliche Möglichkeiten des Handelns im bürger‐ lichen Leben, die im Gesetz festgelegt sind, finden oder behalten. 329 So spricht er von der bekannten Erfahrung mit Zusatz und Streichung und vollständiger Veränderung ins Gegenteil, die manchmal an den Gesetzen vorgenommen werden, je nach den ver‐ schiedenen Zeitaltern und den verschiedenen Verhältnissen in demselben Zeitalter. 330 Wegen dieser praktisch unbegrenzten Variationen und Vielfalt der Einzelsituatio‐ nen, in die ein Gemeinwesen hineingeworfen ist, wird sowohl von den Gesetzgebern als auch von den Regenten als die erste Voraussetzung die Klugheit verlangt, die ei‐ gentlich eine Sache der Erfahrung ist. 331 Es ist notwendig, manche Fälle, die beim Handeln der Menschen im Staate vorkommen, dem Ermessen der Regenten zur Beur‐ teilung zu überlassen. 332 Die Theorie des Marsilius zeigt die Änderungen und Spannungen, die ein radika‐ ler Pragmatismus in Kombination mit einem akuten Bewusstsein der Weltkontin‐ genz in den spätmittelalterlichen Politikdiskurs einführte. Weil die Klugheit zum Mittelpunkt der politischen Überlegung und Entscheidung erhoben wird, bleibt innerhalb seiner Theorie weniger Raum für eine allgemeine Bestimmung der Hand‐ lungsstrategien übrig. Besonders die metaphysische und theologische Argumenta‐ tion wird von dieser Verschiebung des Fokus schwer betroffen. Sie wird zwar nicht geleugnet, ihre Geltung wird aber bei Marsilius in der Tat sehr beschränkt. Zum 328 Ebd., 1.14.4, S. 146: „[. . . ] non omnes aut ipsorum [sc. Agibilium] modos seu circumstan‐ cias, quibus involvuntur, possibile videtur semper simul lege determinare, propter ipsorum varietatem et differenticam secundum regiones et tempora.“ 329 Ebd., 1.11.3, S. 102: „unus solus homo, nec fortasse omnes unius etatis homines invenire aut retinere possent omnes actus civiles determinatos in lege.“ 330 Ebd., S. 104: „[. . . ] experiencia nota per addicionem et subtraccionem ac totaliter in con‐ trarium mutacionem quandoque factam in legius, secundum diversas etates et secundum diversa tempora eiusdem etatis.“ 331 Ebd., 1.11.3, 1.14.5. 332 Ebd., 1.14.5, S. 148.
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Beispiel wird das alte Prinzip der Nachahmung der Natur, das lange als Grundsatz jeder Überlegung über die ideale Verfassung galt und an den Marsilius noch hält, schon problematisch, wenn von Marsilius als Alltagserscheinung und Hauptmerk‐ mal der Politik zugestanden wird, dass die prinzipielle Richtigkeit und die prakti‐ sche Brauchbarkeit weit auseinandergehen können. Um das alte Grundprinzip der politischen Gestaltung durch die Nachahmung der Natur noch aufrechtzuerhalten und es mit seiner Klugheitskonzeption zu harmonisieren, begibt sich Marsilius des‐ wegen zu einer neuen Interpretation des Prinzips. So behauptet Marsilius: Diese Regierungsgewalt, die oberste, wird, so behaupte ich, mit Notwendigkeit nur eine sein: mehrere kann es nicht geben, wenn Staat oder Stadt richtig regiert wer‐ den sollen und dasselbe sage ich von dem Bestandteil des Staates, der als Verkörpe‐ rung dieser Regierungsgewalt regiert, die somit sich einheitlich betätigt nicht wie ein Individuum menschlicher Art, sondern in der Amtshandlung. Es gibt nämlich manche einheitliche oberste und gutgeordnete Staatsform, bei der mehr Männer als einer regieren, wie Aristokratie und Politie [. . . ]. Aber diese vielen sind zahlen‐ mäßig eine Regierung in der Amtshandlung wegen der Einheit eines jeden Aktes, der von ihnen ausgeht. [. . . ] Wegen einer solchen Einheit des Aktes, der so von ih‐ nen ausgeht, ist und heißt die Regierung eine, mag ein einziger Mensch regieren oder mehrere. 333
Marsilius tritt an dieser Stelle dagegen an, das an der Natur ersichtliche Prinzip der Einheit der Regierung im Sinne der Zahl der Regenten zu verstehen. Das Prinzip be‐ zieht sich auf die Funktionsweise und den Effekt einer Regierung, aber keineswegs auf ihre formale Struktur. Das Prinzip der kosmologischen Einheit besteht bei Mar‐ silius also zwar nominell fort, aber kann verfassungstheoretisch keine bestimmende Rolle mehr für sich beanspruchen. Wie es in einem Gemeinwesen realisiert wer‐ den muss, ist zunächst der genauen Prüfung zu unterziehen, nämlich darauf, welche Form diesem Gemeinwesen am besten nutzt. Bei Marsilius verliert somit die sichtbare Natur ihren bisherigen Wert als Weg‐ weiser für die politische Praxis. Was in der Natur vorgegeben ist, ist eine Form von Gottes einheitlichem Regierungsprinzip, aber keine absolute Vorlage für die Art und Weise, wie ein solches Prinzip in der Menschenwelt realisiert werden muss. 333 Ebd., 1.17.2, S. 204–206: „Hunc autem solummodo principatum, supremum scilicet, dico unum numero ex necessitate fore, non plures, si debeat regnum aut civitas recte disponi. Idemque dico de principante secundum illum, non quidem unicum numero principan‐ tem secundum suppositum humane speciei, sed secundum officium. Est enim principatus aliquis unicus numero supremus et bene temperatus, secundum quem principantur plu‐ res homines uno, ut aristocracia et policia [. . . ] Verum hii plures sunt unus principatus numero quantum ad officium, propter numeralem unitatem cuiuscumque accionis prove‐ nientis ab eis [. . . ] Et propter talem accionis numeralem unitatem sic provenientis ab eis est et dicitur principatus numero unus, sive unico regatur homine sive pluribus.“
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Die Bestimmung des metaphysischen Prinzips im politischen Denken wird auf diese Weise stillschweigend zurückgedrängt. An seine Stelle treten die rationale Einschät‐ zung der Umstände und die wohlbedachte Entscheidung. Von Marsilius ist es nicht weit zu dem Sohn des Königs im Dialog von Brandolini, der jedes aus der Kos‐ mologie abgeleitete metaphysische Prinzip als irrelevant für die Bestimmung der Verfassungsfrage ablehnte. Das Denken des Marsilius bedeutet eine wichtige und radikale Änderung im Theoriebegriff. Bei den obigen Beobachtungen stellt sich uns die Frage, welchen Stellenwert die Theorie für ihn an sich hat. Braucht man überhaupt eine Theorie in der Politik? Diese Frage präsentiert sich noch akuter, wenn Marsilius selber aus seiner prakti‐ schen Überlegungen einige allgemeine Thesen herleitet. Wenn er für die kollektive Regierungsform und die Herrschaft des Rechts plädiert, sucht er ihre Legitimation in den praktischen Vorteilen, vor allem in der besseren Möglichkeit, eine richtige Entscheidung in einer unsicheren Lage zu treffen. 334 Marsilius argumentiert, dass die Herrschaft des Rechts gegenüber der Herrschaft eines einzelnen Menschen des‐ wegen Vorteile besitzt, weil viele Augen die Mängel besser aufdecken können als ein einzelner, und die Menschen das Gesetz besser einhalten, wenn sie selber Ge‐ setzgeber sind. 335 Es ist aber zu fragen, wieviel Wert man auf solche allgemeine Bestimmung überhaupt legen kann, wenn er folgender Meinung ist: [. . . ] Wie nicht jeder beliebige Mensch die Anlage zum besten Beruf hat und des‐ wegen von der Regierung zweckmäßig nicht bestimmt wird, ihn zu ergreifen, son‐ dern wofür er – einen guten jedoch – besser geeignet sein mag, so ist vielleicht ein Volk – unter dem Einfluss von Zeit und Ort – nicht dazu veranlagt, die beste Re‐ gierungsform anzunehmen, und daher geneigt, sich mit einer ihm angemesseneren unter den gemäßigten zu begnügen, um sie zuvor auszuproben. 336
Eine erhebliche Spannung bzw. ein Selbstwiderspruch entsteht besonders, wenn Marsilius, ausgehend von seiner Sympathie für die kollektive Entscheidung, die Wahlmonarchie zur überlegenen Verfassungsform gegenüber der Erbmonarchie er‐ klärt. Er sagt: Die Wahl erfolgt immer für das allgemeine Beste, welches meistens, sogar fast immer, der menschliche Gesetzgeber will und verwirklicht. 337 Wie ver‐ hält sich aber diese kühne Allgemeinaussage mit seiner Grundthese, dass über die 334 Ebd., 1.11.1, S. 98–100, 1.11.3, S. 102–108, 1.12.5–6, S. 120–126. 335 Ebd., 1.11.3, S. 108. 336 Ebd., 1.9.10. S. 90: „[. . . ] sicuti non quilibet homo dispositus est ad optimam disciplinam, et propterea non ad illam acquirendam statuitur a dirigente convenienter, sed ad quam, bonarum tamen, magis fuerit preparatus, sic fortasse multitudo aliqua, quandoque aut in loco aliquo, non est disposita ferre optimum principatum, ideoque ad temperatorum sibi convenienciorem ipsam prius temptandum reducere.“ 337 Ebd., 1.16.19.
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konkrete Verfassungsform gemäß den vorgegebenen einzelnen Bedingungen flexi‐ bel entschieden werden soll? Für Marsilius ist diese Bestimmung der Überlegenheit der Wahlmonarchie wichtig, gar wesentlich, sofern sie mit seiner prokaiserlichen Position zusammenhängt. [. . . ] Solange die adlige Gesinnung in einem Geschlecht sich fortpflanzt und es dem Gesetzgeber vorteilhaft erscheint, kann zweckmäßigerweise angeordnet oder festgesetzt werden, aus diesem Geschlecht allein den Monarchen zu wählen, beim Thronwechsel jedoch eine Neuwahl vorzunehmen, sobald der Vorgänger ausschei‐ det, damit man den Besten aus demselben Geschlecht bekommt. 338
An dieser Stelle kann man unschwer seine prokaiserliche Position erkennen. Seine Verteidigung und Hochschätzung der Wahlmonarchie, in der ein neuer König zwar gewählt wird, aber immer aus derselben Familie stammt, ist im zeitgenössischen Diskussionszusammenhang ein klarer prokaiserlicher Eingriff. Die Verteidigung seiner These ist nun schwierig, weil, wie er selber bestätigt, die unbegrenzte Variabilität der Wirklichkeit es unmöglich macht, uns in der Ge‐ staltung der Politik auf einige Grundsätze zu beschränken. In der Wirklichkeit begegnete die Erbmonarchie viel häufiger als die Wahlmonarchie, und es gab ei‐ nige Kritiker am Kaisertum, die die Wahlmonarchie gegenüber der Erbmonarchie deswegen für minderwertig hielten. Dieser Kritik an der Wahlmonarchie (und der darin enthaltenen Geringschätzung des Kaisertums) entgegnet er: Die Erbmonarchien scheinen zwar gewissen Ländern, ja sogar den meisten, ange‐ messen zu sein, dennoch ist diese Form der Einsetzung deswegen nicht vollkom‐ mener als die Wahlmonarchie; es ist ja auch der Habitus des Handwerkers nicht vollkommener als der des Arztes, obwohl er sich in mehr Landschaften oder Indi‐ viduen findet. 339
Hierdurch rettet er zwar seine Grundthese der Überlegenheit der Wahlmonar‐ chie, stürzt aber seine Theorie in einen Selbstwiderspruch, denn er trennt nun die (theoretische) Überlegenheit und die (praktische) Nützlichkeit als zwei verschie‐ dene Denkkategorien voneinander. Die Erhabenheit der Wahlmonarchie liegt nicht darin, dass sie immer oder in den meisten Fällen nützlicher ist als andere Verfassun‐ gen. Sie ist edel und erhaben, nur weil sie noch natürlicher und vollkommener ist. Es 338 Ebd., 1.16.17, S. 190: „[. . . ] ex hoc solo genere, quamdiu sue nobilitatis durabit fertilitas et legislatori videatur expediens, convenienter ordinari seu statui potest, per eleccionem assumi monarcham vicissim tamen novum, quandocumque defecerit prior, ut ex eodem enere melior habeatur.“ 339 Ebd., 1.16.17, S. 192 : „Quamvis enim principatus, qui per generis successionem assumitur, quibusdam regionibus eciam si pluribus convenire videatur, non tamen hec species institu‐ cionis propterea perfeccior est ea, que nove vicissim eleccionis; sicut neque fabrilis habitus, quamvis in pluribus reperiatur regionibus aut suppositis, perfeccior est medicinali.“
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ist aber innerhalb seiner pragmatischen, radikal relativistischen Verfassungstheorie schwer zu begründen, dass solches Edelsein überhaupt zählt. Makroskopisch gesehen bezeichnet das Denken von Marsilius einen epochalen Moment der Transformation im Verständnis der politischen Theorie und Praxis im Spätmittelalter. Eine Theorie um der Natürlichkeit und der Vollkommenheit wil‐ len, aber nicht der Nützlichkeit halber: Dies ist ein völlig anderes Verständnis des Theoriebegriffs. Ein solcher Theoriebegriff ist weder Aristoteles noch der Genera‐ tion von Thomas von Aquin bekannt, in deren nezessitaristischem Denkrahmen die Theorie mit der Nützlichkeit unmittelbar verbunden war. Für Marsilius war eine theoretische These nichts mehr als eine vage Richtlinie, die in der Praxis im Hinblick auf das Ziel recht frei variiert werden konnte. Ihm lag die Idee fern, die Geltung einer Aussage unabhängig von ihrer praktischen Folge und Nützlichkeit zu bestimmen. Interessant für unsere Diskussion über die Transformation des Politikdiskur‐ ses im Spätmittelalter ist die Folge einer solchen neuen Bestimmung der Theorie. Wenn eine Theorie völlig von der Frage des Nutzens abgekoppelt wird, wird man dann nicht nach einem anderen Wissen suchen, das für die Praxis unmittelbare Relevanz hat? Gleichgültig, ob man ein solches Wissen eine Theorie nennt oder nicht, muss diese Entwicklung schließlich zu einem Dualismus der Theorie führen, nämlich zu einer von der Metaphysik oder vom Erhabenheitsprinzip her a priori bestimmten Theorie einerseits, und zu einer von der Erfahrung abgeleiteten ‚politi‐ schen‘ Theorie andererseits. Bei Marsilius blieb diese Möglichkeit noch eine Möglichkeit. Binnen einer Ge‐ neration sollte sie aber zu einer Wirklichkeit des Politikdiskurses werden, wie wir später bei Bartolus von Sassoferrato sehen werden. Wilhelm von Ockham
Wilhelm von Ockham (†1347), der venerabilis inceptor, ist vor allem bekannt für seine nominalistische Epistemologie und Ontologie, die er im Rahmen seiner aka‐ demischen Tätigkeit an der Pariser Universität entwickelt hat. Seine Karriere als politischer Schriftsteller begann erst mit seiner Flucht im Mai 1328 zum Hof Lud‐ wigs des Bayern infolge des Streites des Franziskanerordens, zu dem er gehörte, mit Papst Johannes XXII. über die apostolische Armut. Dort hat er als harter Kritiker am Papst gewirkt, den als Ketzer zu brandmarken er nicht zögerte. Seine umfangrei‐ chen Traktate, vor allem sein opus magnum, der Dialogus, 340 aus dem wir wichtige 340 Druckversion: Dialogus, in Melchior Goldast, Monarchia Sacri Romani Imperii, Bd. 2, Frankfurt / M. 1614 (Nachdruck: Graz 1960), S. 394–957. Jürgen Miethke hat jüngst eine lateinisch-deutsche zweisprachige Auswahlausgabe des Dialogus publiziert: Wilhelm von Ockham, Die Amtsvollmacht von Papst und Klerus (De potestate papae et cleri,
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Einsichten in sein politisches Denken gewinnen können, wurden unmittelbar in diesem Kontext geschrieben. 341
III. 1. Dialogus), 2 Bde., Freiburg i. Br., Basel und Wien 2015; Wilhelm von Ock‐ ham, Das Recht von Kaiser und Reich (De iurisdictione Romani imperii, III. 2. Dialo‐ gus), 2 Bde., Freiburg i. Br., Basel und Wien 2020. Ich zitiere aus diesen Ausgaben. Wenn im Folgenden ein Zitat aus dieser Übersetzung entnommen wird, wird die Seitenzahl in Klammern angegeben. Andere Zitate nach der kritischen Teilausgabe (noch nicht voll‐ ständig) von John Kilcullen u. a., in: http://publications.thebritishacademy.ac.uk/pubs/ dialogus/ockdial.html, letzter Zugriff: 6. 6. 2020. Es gibt zwei Auswahlübersetzungen von Jürgen Miethke: Ockham. Dialogus, Darmstadt 1992; Ders.: Wilhelm von Ockham. Texte zur politischen Theorie, lateinsich-deutsch, Stuttgart 2013 (1995). 341 Zur Einführung der Zeit, der Person und der Werke von Ockham: Jan P. Beckmann, Wilhelm von Ockham, München 1995; mit Schwerpunkt auf seine politische Theorie Black, Political Thought in Europe, S. 71–78; Miethke, Politische Theorie im Mit‐ telalter, S. 116–121; Ders., De potestate papae, S. 248–295; Canning, A History of Me‐ dieval Political Thought, S. 159–162; Coleman, A History of Political Thought, Bd. 2: From the Middle Ages to the Renaissance, S. 169–198. Zur ausführlichsten Behandlung des politischen Denkens von Ockham Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. Hilfreich ist die jüngste Biographie: Volker Leppin, Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch, Darmstadt 2003. Für einen kritischen Forschungsüberblick siehe Ruedi Imbach, Sind wir unterwegs zum historischen Ockham? Kritische Überlegun‐ gen zur Ockham-Rezeption im 20. Jahrhundert, in: Outsiders and Forerunners. Modern Reason and Historiographical Births of Medieval Philosophy, hg. von Catherine KönigPralong, Mario Mariadò und Zornitsa Radeva, Turnhout 2018, S. 233–274. Als wichtige Forschungen zum sozialen und politischen Denken Ockhams sind neben der oben ge‐ nannten Arbeit von Miethke zu nennen: Arthur S.McGrade, The Political Thought of William of Ockham. Personal and Institutional Principles (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought: Third Series, Bd. 7), Cambridge 1974; Takashi Shogimen, Ockham and Political Discourse in the Late Middle Ages (= Cambridge Studies in Me‐ dieval Life and Thought: Fourth Series, Bd. 69), Cambridge u. a. 2007; Ders., William of Ockham’s Ecclesiology and Political Thought, in: The English Province of the Fran‐ ciscans (1224–c.1350) (= The Medieval Franciscans, Bd. 14), hg. von Michael Robson, Leiden u. a. 2017, S. 335–355; Volker Leppin, Schöpfungstheologie und politische Theo‐ rie bei Wilhelm von Ockham, in: Kaisertum, Papsttum und Volkssouveränität im hohen und späten Mittelalter: Studien zu Ehren von Helmut G. Walther (= Jenaer Beiträge zur Geschichte, Bd. 12), hg. von Stefan Freund und Klaus Krüger, Frankfurt / M. 2016, S. 83– 92. Ferner Jürgen Miethke, Marsilius, Ockham und der Konziliarismus, in: Recht – Geschichte – Geschichtsschreibung: Rechts- und Verfassungsgeschichte im deutsch-ita‐ lienischen Diskurs. Zum 80. Geburtstag von Gerhard Dilcher, hg. von Susanne Lepsius, Reiner Schulze und Bernd Kannowski, Berlin 2014, S. 169–192; Ders., Die scholastischen Theologen und der werdende Staat der Moderne, in: Kaisertum, Papsttum und Volkssou‐ veränität im hohen und späten Mittelalter [wie oben], S. 121–138; Dirk Lüddecke, Lex libertatis – Überlegungen zu einer paradoxen Denkfigur und ihrer Bedeutung im politischen Denken Wilhelms von Ockham, in: Christentum und Philosophie. Einheit
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Bevor wir uns auf Ockhams politische Theorie näher einlassen, ist es zuerst nötig, einen knappen Überblick über die Ockham-Interpretation von Hans Blu‐ menberg zu schaffen. Blumenberg hat Ockhams nominalistischer Theologie in sei‐ ner Diskussion über den Verweltlichungsprozess der europäischen geistigen Kultur einen besonderen Platz zugewiesen. Er hat in einer Reihe von Beiträgen die Trans‐ formation des Weltbegriffes im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit verfolgt und dabei das Kernethos der neuzeitlichen geistigen Kultur, nicht zuletzt den Indivi‐ dualismus und den Rationalismus der neuzeitlichen Naturwissenschaft, in seiner Historizität untersucht. 342 Der entscheidende Punkt des Übergangs war für ihn der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltkonzeption als Kosmos und das Er‐ scheinen einer neuen Weltkonzeption, die vom Bewusstsein der fundamentalen Instabilität der Weltordnung und ihrer Unfassbarkeit geprägt war. Blumenberg sah in Ockhams Theologie einen entscheidenden Auslöser dieses radikalen Wandels. Besonders machte er auf Ockhams Begriff der unbegrenzten Macht Gottes (po‐ tentia absoluta) aufmerksam. Dieser Begriff, dass nämlich Gott keinerlei Notwen‐ digkeit unterliegt (Deus ad nullum actum potest obligari; Deus nullius est debitor quocumque modo) außer dem einzigen Prinzip, dass er in seiner Entscheidung immer widerspruchsfrei bleiben muss (Deus potest facere quicquid non includit contradictio‐ nem), impliziert nach Blumenberg eine neue Auffassung Gottes und der von ihm geschaffenen und geleiteten Welt. Blumenberg behauptet, dass der Begriff der unbe‐ grenzten Macht Gottes die Lehre von einem Willkürgott beinhaltet, der aus seinem unermesslichen und unergründbaren Ratschluss einst die Welt geschaffen hat, aber sie wiederum jederzeit grundlos zerstören kann. Hier beginnt die vom Stoizismus geprägte und bis in das Hochmittelalter fortgesetzte Vorstellung der Welt als eines sich nach der unabänderlichen Notwendigkeit bewegenden Kosmos zu kippen. So ist nach Blumenberg der scholastische Kosmos als Inbegriff der Ordnungsvorstellung der Epoche philosophisch fragwürdig geworden. 343 Dies hat zu der Skepsis geführt, ob man die Welt überhaupt rational erfassen und steuern kann. Das Ergebnis sei gewe‐ sen, dass der in der Verborgenheit Gottes seiner metaphysischen Garantien für die Welt beraubte Mensch sich eine Gegenwart von elementarer Rationalität und Verfügbarkeit konstruierte. 344 Die Fragen, die Blumenberg durch die Auseinandersetzung mit Ockhams Den‐ ken aufwirft, betreffen unmittelbar unsere Diskussion über die geistige Säkularisie‐ im Übergang, hg. von Jean-Luc Marion und Walter Schweidler, Freiburg i. Br. u. a. 2015, S. 414–433. 342 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 2. Aufl., Frankfurt / M. 1996; Ders., Selbsterhaltung und Beharrung. Zur Konstitution der neuzeitlichen Rationalität, in: Sub‐ jektivität und Selbsterhaltung. Beiträge zur Diagnose der Moderne, hg. von Hans Ebeling, Frankfurt / M. 1996, S. 144–207. 343 Blumenberg, Legitimität der Neuzeit, S. 195. 344 Ebd., S. 196 f.
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rung in Lateineuropa im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit. Denn sie besitzt trotz mancher Kritik unter Sozial- und Kulturwissenschaftlern immer noch Gel‐ tung. So schloss z. B. in der Machiavelli-Forschung vor allem Münkler an Blumen‐ bergs Interpretation von Ockham an, und folgerte daraus, dass Ockham mit seinem nominalistischen Gottesbegriff die Geltung der ethischen Normen radikal infrage stellte: Damit aber beruhte für Ockham die Legitimität von Moral und Recht allein in ei‐ ner der menschlichen Vernunft nicht zugänglichen Dezision Gottes. So endet der Nominalismus in einer desparaten Religion des Zufalls, in einem Dezisionismus, in dem der Mensch nur noch „Objekt göttlicher Caesarenlaune“ ist. 345
Nach Münkler ist dieser Nominalismus ein philosophischer Reflex auf die gesellschaft‐ liche Freisetzung und Vereinzelung des Menschen. 346 Wie einige Kommentatoren gezeigt haben, liegt aber bei Blumenberg ein Miss‐ verständnis des theologischen Denkens von Ockham vor. 347 Zum einen war Ock‐ hams theologisches Denken in seinem Inhalt gar nicht so revolutionär. Wir müssen Ockhams Theorie der unbegrenzten Macht Gottes zuerst in ihrem unmittelbaren Entstehungszusammenhang, nämlich der damaligen akademischen Diskussion, be‐ trachten. Darin ging es in der Hauptsache um die Widerlegung der durch die Aristo‐ teles-Rezeption, besonders die Kommentare des Avicenna, weit verbreiteten Idee, die Gott als eine nach den Notwendigkeiten agierende erste Ursache begriff. 348 Ockham wollte den Gottesbegriff von solcher Verengung befreien, indem er die vo‐ luntaristische Grundlage seiner Weltschöpfung und seine unbegrenzte Freiheit und Allmacht betonte. Er wollte aber keineswegs die Geltung der geschaffenen gegen‐ 345 Münkler, Machiavelli, S. 86. 346 Ebd., S. 87. 347 Wilhelm Vossenkuhl, Vernünftige Kontingenz. Ockhams Verständnis der Schöpfung, in: Die Gegenwart Ockhams, hg. von Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger, Wein‐ heim 1990, S. 77–93; Beckmann, Wilhelm von Ockham, S. 36 ff.; Ders., Allmacht, Freiheit und Vernunft. Zur Frage nach rationalen Konstanten im Denken des späten Mittelalters, in: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, hg. von Jan P. Beckmann, Hamburg 1987, S. 275–293; Volker Leppin, Does Ockham’s Con‐ cept of Divine Power Threaten Man’s Certainty in His Knowledge of the World?, in: Franciscan Studies 55 (1998), S. 169–180; Sigrid Müller, Handeln in einer kontingen‐ ten Welt. Zu Begriff und Bedeutung der rechten Vernunft (recta ratio) bei Wilhelm von Ockham (= Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie, Bd. 18), Tübingen 2000; Hubert Schröcker, Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham (= Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erfor‐ schung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Bd. 49), Berlin 2003, bsd. Teil 1. 348 Müller, Handeln in einer kontingenten Welt, S. 29 ff. Außerdem: Beckmann, Wil‐ helm von Ockham, S. 38 ff.; Miethke, Die Frage der Legitimität rechtlicher Normie‐ rung in der politischen Theorie des 14. Jahrhunderts, S. 196–202.
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wärtigen Ordnung infrage stellen, geschweige denn Gott unter den Verdacht der Willkürlichkeit stellen. Dass wir Ockhams Begriff von Gottes unbegrenzter Macht nicht als Begründung einer Willkürgotteslehre verstehen dürfen, ist an seiner folgenden Bemerkung er‐ sichtlich: Gott kann jemandem aus seiner unbegrenzten Macht Strafe auferlegen ohne eine vorausgehende Schuld [. . . ]. Aber in der Tat und aus seiner geordneten Macht [po‐ tentia ordinata] heraus erlegt Gott keine Strafe ohne einen vorausgehenden Schuld auf. 349
Die geordnete Macht bezeichnet die Macht Gottes, die Welt nach einem Ordnungs‐ konzept zu schaffen. Zwar leugnet Ockham hier also nicht, dass Gott aufgrund seiner unbegrenzten Macht an kein Gebot gebunden ist, auch nicht einmal an das, was eben von ihm selbst befohlen wurde. Dennoch bewegt sich Gott innerhalb des Rahmens der von ihm selbst geschaffenen und auferlegten Ordnung. Die Idee, dass die Welt nach der Willkür Gottes jederzeit zerstört und nach anderen Regeln neu gemacht werden kann, war Ockhams Denken fern. Sicherlich war sich Ockham dessen bewusst, dass Gott die Menschen vor eine Situation stellen kann, die eine Sondermaßnahme verlangt. Dieses Denken hat aber mit einer Willkürgotteslehre nicht zu tun. Seine Explikation der Isaak-Opferung erklärt uns, dass Ockham eine solche Ausnahmesituation durchaus im traditionel‐ len theoretischen Rahmen begriffen hat. 350 Bekanntlich handelt es sich in dieser im Alten Testament überlieferten Geschichte um den Befehl Gottes an Abraham, seinen Sohn Isaak zu töten und zu opfern. Weil Gott hier den Gegensatz zu dem be‐ fiehlt, was im Dekalog geschrieben ist, hat diese Geschichte stets, aber besonders im Mittelalter seit dem 12. Jahrhundert, die Aufmerksamkeit der Theologen auf sich gezogen. In seinem Dialogus kommentiert Ockham diese Geschichte folgenderma‐ ßen: Wenn es nämlich einfach Gebote des Naturrechts sind, dann darf kein wie im‐ mer gearteter Fall wegen irgendeiner Notwendigkeit oder eines Nutzens eine Aus‐ 349 Guillelmi de Ockham Opera philosophica et Theologica ad fidem codicum ma‐ nuscriptorum edita, Opera theologica, hg. von Gedeon Gál und Rega Wood, Bd. 5, St. Bonaventure, NY. 1981, Sent. II Q. 15, S. 358: „Deus de potentia sua absoluta potest alicui infligere poenam sine culpa precedente, [. . . ] tamen de facto et de potentia ordinata Deus non infligit poenam sine culpa praecedente.“ 350 Zu Diskussionen: Klaus Hedwig, Das Isaak-Opfer. Über den Status des Naturgesetzes bei Thomas von Aquin, Duns Scotus und Ockham, in: Mensch und Natur im Mittelal‐ ter, hg. von Albert Zimmermann und Andreas Speer, Bd. 2 (= Miscellanea Mediaevalia, Bd. 21/2), Berlin u. a. 1992, S. 645–661, davon bsd. S. 655–659 (wieder abgedruckt in: Ders., Circa Particularia. Studien zu Thomas von Aquin, hg. von Manfred Gerwing, Re‐ gensburg 2015, S. 254–271); Müller, Handeln in einer kontingenten Welt, S. 43–53.
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nahme machen, es sei denn Gott selbst hätte einen Fall besonders zur Ausnahme erklärt, wie in jenem Beispiel: Ungeachtet des Gebots des reinen Naturrechts, kei‐ nen Unschuldigen wissentlich zu töten, hat Gott, als er Abraham gebot, seinen Sohn zu opfern, eine besondere Ausnahme gemacht. 351
Der allmächtige Gott befiehlt nach Ockham oft die Durchführung einer im gän‐ gigen ethischen Begriff widersinnigen Tat, er vermindert aber dabei die Geltung der von ihm geschaffenen Ordnung keineswegs. Vielmehr macht nach Ockham eine solche Dispensation einen Teil der von ihm geschaffenen Ordnung aus. Diese Stelle korrigiert die Gleichstellung von Ockhams Gottesbegriffs mit der Willkürgottes‐ lehre. Vergleicht man die eben zitierte Aussage Ockhams mit dem Kommentar des Thomas von Aquin zur selben Episode, merkt man unschwer, dass Ockham hier auf dem traditionellen diskursiven Terrain bleibt: Was man aufgrund des Willens Gottes tut, dem Begriff des letzteren gehorchend, ist nicht gegen die gerechte Vernunft, wie es nicht wider die Natur ist, dass ein Wunder aufgrund der Tugend Gottes stattfindet, obwohl es gegen das gewöhnli‐ che Naturgeschehen ist. So hat also Abraham bei seinem Wollen der Tötung seines Sohnes keine Sünde begangen, weil er Gott gehorchte, obwohl seine Tat, in sich allein betrachtet, im gewöhnlichen Sinne der gerechten Vernunft des Menschen widerspricht. 352
Inhaltlich sagt Thomas hier nichts Anderes als das, was etwa ein halbes Jahrhundert später von Ockham ausgesprochen wird. Ockhams Gottesbegriff beinhaltete also kein revolutionäres Argument. Blumenbergs Versuch, aus Ockhams theologischem Konzept ein entscheidendes Moment für den epochalen Übergang der geistigen Kultur vom Mittelalter zur Neuzeit zu machen, erweist sich damit als unbegründet. Ockhams konventionelles Profil zeigt sich auch in seiner Verfassungstheorie. Bei ihm finden wir die übliche Grundannahme der mittelalterlichen Verfassungstheo‐ rie unverändert vor, nämlich dass die Kunst die Natur nachahmen solle, der Bau des Staates sich daher auf die in der Natur gegebene Herrschaftsform ausrichten 351 III Dialogus 1.2, cap. 24 (Miethkes Ausgabe S. 348): „Si enim sint simpliciter precepta iuris naturalis, nullus casus excipi debet propter quamque necessitatem vel utilitatem, nisi deus specialiter aliquem exciperet, quemadmodum, non obstante precepto iuris meri na‐ turalis de nullo innocente scienter interficiendo, deus precipiendo Abrahe, ut immolaret filium suum, specialem exceptionem fecit.“ 352 Summa theologiae, IIa IIae, q. 154, a. 2, ad 2: „Et ideo quod homo facit ex voluntate Dei, eius praecepto obediens, non est contra rationem rectam, quamvis videatur esse contra communem ordinem rationis, sicut etiam non est contra naturam quod miraculose fit vir‐ tute divina, quamvis sit contra communem cursum naturae. Et ideo, sicut Abraham non peccavit filium innocentem volendo occidere, propter hoc quod obedivit Deo, quamvis hoc, secundum se consideratum, sit communiter contra rectitudinem rationis humanae.“ Die Übersetzung stammt von mir.
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solle, also die Monarchie, und dass man dadurch die richtigere und nahezu voll‐ kommene Lebensform erreiche. 353 Seine Warnung davor, von diesem theoretischen Grundsatz in der Praxis dogmatisch auszugehen, ist auch nicht unkonventionell. 354 Man findet z. B. in der folgenden Bemerkung in seinen Octo quaestiones über die Verfassungsfrage kein besonderes Argument, das die hochmittelalterlichen Denker überrascht hätte: [. . . ] Eine solche beste Regierungsform soll nicht immer etabliert werden, weder in der Gesamtmenschheit noch in einer partikularen Gemeinschaft. Denn, wie etwas oft zwar an sich gut, aber für viele aufgrund ihrer Indisposition schlecht ist, – so ist etwa Wein trinken und Fleisch essen an sich gut, und dennoch vielen Kranken schädlich – so ist die an sich beste Regierungsform nicht für alle die beste, ja für einige sogar schädlich, indem sie zum breiten Verderben und zur Verfehlung des Gemeinwohls führt. 355 353 III Dialogus, 1.2, cap. 9 (Miethkes Ausgabe S. 250): „Es ist der Gemeinschaft der Gläubi‐ gen eher zuträglich, unter einer Leitung zustehen, die der natürlichen Leitung und Herr‐ schaft ähnlich ist. Wie nämlich die Kunst, wenn sie richtig ist, die Natur nachahmt, so ahmt auch die Herrschaft, wenn sie richtig ist, die natürliche Herrschaft nach und nähert sich ihr an. Folglich ist auch die Herrschaft, die der natürlichen Herrschaft ähnlicher ist, richtiger und vollkommener, und folglich ist sie eher zuträglich. Aber die Leitung oder die Herrschaft durch einen, das heißt, wenn einer allein mehrere regiert und ihnen vorsteht, ähnelt der natürlichen Herrschaft mehr als die Leitung oder die Herrschaft von mehreren, denn eine solche Leitung ähnelt einer königlichen Herrschaft, die die Herrschaft eines Einzelnen ist.“ („Illo regimine expedit magis regi communitatem fidelium quod magis as‐ similatur regimini et principatui naturali, quia sicut ars, si est recta, imitatur naturam, ita principatus, si est rectus, imitatur et assimilatur principatui naturali; et per consequens principatus qui magis assimilatur principatui naturali est reccior et perfeccior, et per con‐ sequens magis expediens. Sed regimen sive principatus unius, quando scilicet unus solus regit multos et presidet eis, magis assimilatur principatui naturali quam regimen seu prin‐ cipatus plurium, quia tale regimen assimilatur principatui regali, qui est unius“). 354 III Dialogus, 2.1, cap. 9 (Miethkes Ausgabe S. 154): „Nunc autem non est semper eadem racio de toto mundo et de uno regno parciali, quia, sicut insinuatum est prius, potest con‐ tingere, propter singularem et insolitam iniquitatem alicuius multitudinis praepotentis vel insufficientiam assumendi, quod unum praeficere omnibus erit in detrimentum boni com‐ munis, et unum praeficere uni regno partiali erit ad utilitatem incolarum eiusdem regni; et ideo in tali casu non est similiter iudicandum de toto mundo et de uno regno partiali. Ali‐ ter dicitur quod etiam saepe non expedit quod uni regno unus rex praeficiatur, imo sicut quandoque diversi episcopatus sunt uniendi 16, q. 1, Et temporis qualitas, ita expediret interdum reipublicae diversa regna uniri et unum super plura regna regnare; et quando non esset unus princeps mundi, quanto plura regna unirentur tanto utilius regerentur, si aliquis iustus ipsa ad utilitatem communem non ad commodum proprium gubernaret.“ 355 Octo quaestiones de potestate papae, in: Guillelmi de Ockham Opera Politica, hg. von H. S. Offler, Bd. 1, 2. Aufl., Manchester 1974, q. 3, c. 11, S. 112: „[. . . ] huiusmodi optimus principatus non est semper instituendus neque in tota communitate cunctorum morta‐
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Die Erörterung, die Ockham über diese Beweglichkeit und Vielfalt der weltlichen Angelegenheiten anbietet, die es notwendig macht, alle theoretischen Grundsätze immer wieder in den konkreten Verhältnissen auf ihre Realisierbarkeit und Ren‐ tabilität hin zu überprüfen und gegebenenfalls die nötige Modifikation zu unter‐ nehmen, ist insofern interessant, als sie mit Tolomeos Denken gewisse Ähnlichkeit besitzt. So schrieb Ockham über die Vielfalt der Regierungsformen: [. . . ] Wegen des Unterschiedes zwischen dem Zustand der Unschuld und dem der gefallenen Natur ist im Zustand der verfallenen Natur die Regierungsform, die der Regierungsform des Zustandes der Unschuld am ähnlichsten ist, nicht immer die bessere, so wie im Zustand der verfallenen Natur die Regierungsform nicht besser ist, die der des Zustandes der Glorie am meisten ähnelt, denn es war damals besser, dass jeder sich selbst regierte und keiner die Herrschaft und übergeordnete Stel‐ lung über die anderen hatte, und es wird im Zustand der Glorie keine Herrschaft und keine übergeordnete Stellung geben. 356
Der Sündenfall brachte also eine fundamentale Änderung der Menschennatur mit sich, und die Menschen leben nicht mehr unter Bedingungen, in denen Regelmäßig‐ keit und Ordnung herrschen. Wie wir gesehen haben, hat Tolomeo in seiner Verfas‐ sungstheorie die fundamentale Änderung der Lebensbedingungen in der Welt nach dem Sündenfall auf ähnliche Weise besonders akzentuiert. Jedoch ist es wiederum unangebracht, diesem Gedanken Ockhams eine der To‐ lomeos vergleichbare Radikalität beizumessen. Denn er geht mit diesem Argument nicht so weit wie Tolomeo, der in seiner Verfassungstheorie die Ansicht vertrat, dass in der Welt nach dem Sündenfall eine andere Regel des Vorrangs unter den Verfas‐ sungsformen gilt als in der naturgemäßen Ordnung. Dem Schüler, der sich darum sorgt, dass niemand den Geboten Gottes gehorchen wird, wenn die Dispensationen aufgrund der Not und Notwendigkeit erlaubt werden, 357 versichert der Lehrer im
lium neque in communitate speciali; quia sicut saepe aliqua sunt simpliciter bona et tamen multis sunt mala propter indispositionem ipsorum – bibere enim vinum et comedere car‐ nes sunt bona, et tamen sunt mala multis aegrotis –, ita optimus principatus simpliciter non est omnibus optimus, immo aliquibus est nocivus et nonnumquam inductivus cor‐ ruptionis et periclitationis boni communis.“ Die Übersetzung stammt von mir. 356 III Dialogus, 2.1, cap. 11: „[. . . ] propter diversitatem inter statum innocentiae et statum naturae lapsae, non semper illud regimen est melius in statu naturae lapsae quod magis as‐ similatur illi regimini quod fuisset in statu innocentiae, sicut nec regimen illud est melius in statu naturae lapsae quod magis assimilatur regimini quod erit in statu gloriae, quia tunc melius esset quod quilibet regeret seipsum et quod nullus regimen super alios seu praela‐ tionem haberet, quia regimen seu praelatio non erit in statu gloriae.“ 357 Ebd., 1.2, cap. 23.
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Dialogus, dass die Gebote nicht verändert werden können, wenn sie auch gelegent‐ lich suspendiert oder vernachlässigt werden. 358 Was hingegen Ockhams Denken im Vergleich zur hochmittelalterlichen Denkt‐ radition besonders auszeichnet und ihn davon absetzt, ist die Intensität, mit der die Weltkontingenz wahrgenommen und thematisiert wird. Besonders signifikant für sein Denken ist, dass Ockham seine relativistische Verfassungsidee und den Notmaßnahmengedanken auch auf die Überlegungen über die Kirchenverfassung anwendet. Ockham sagt im Dialogus: [. . . ] Wenn jedoch die Kirche die Kompetenz hätte, die Herrschaftsverfassung dann, wenn sie anfangen sollte, weniger geeignet zu erscheinen, in eine besser ge‐ eignete Herrschaftsverfassung zu verwandeln, wäre besser für sie gesorgt, als wenn sie eine derartige Kompetenz nicht besäße. 359
Ockham zufolge [. . . ] ist es für die Kirche nicht zuträglich, sich fest an eine Herrschaftsverfassung gebunden zu sehen, die sich in die schlimmste Form verwandeln kann. Aber jene Verfassung, nach der einer allein herrscht, kann sich in die schlechteste Verfassung verwandeln, wie die königliche Herrschaftsverfassung angesehen dessen, dass sie, soweit es ihre Natur als Verfassung anbelangt, die allerbeste Form ist, sich den‐ noch in eine Tyrannis verwandeln kann, welche die allerschlechteste Verfassung ist [. . . ]. 360
Ockham argumentiert daher, dass, obwohl der Papst als Herrscher über alle Gläu‐ bigen von Gott eingesetzt wurde, das Gemeinwohl die Etablierung eines anderen Regimes verlangen kann. Notwendigkeit und Frömmigkeit sind gleich zu achten, 361 und man kann zugunsten der ersteren die Ausübung der letzteren suspendieren, wie Christus selber mit mehreren Beispielen gelehrt hat. 362 Nach Bedarf kann die Kirche daher auch von mehreren in einer aristokratischen Verfassung regiert wer‐ den. 363 Ockham zögert nicht, sogar die Legitimation der Regierung mehrerer Päpste 358 Ebd., cap. 24. 359 Ebd., cap. 20: „[. . . ] si ecclesia haberet potestatem transmutandi principatum qui incipe‐ ret esse minus expediens in alium principatum magis expedientem, melius esset provisum quam si potestatem huiusmodi non haberet.“ 360 Ebd.: „[. . . ] non expedit ecclesie illi principatui alligari qui potest in principatum pessi‐ mum transmutari. Sed principatus quo principatur unus solus potest in principatum pes‐ simum transmutari, quemadmodum principatus regalis, non obstante quod sit optimus, quantum est ex natura principatus, potest in tyrannidem, qui est principatus pessimus transmutari.“ 361 Ebd.: „[. . . ] necessitas et pietas parificantur [. . . ].“ 362 Ebd. 363 Ebd.
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zu erwägen, wie auch die mehrerer Kaiser. 364 Der Nutzen und die Notwendigkeit haben sogar vor der Anordnung Christi selbst den Vorrang. Ockham sagt: [. . . ] Selbst wenn also Christus angeordnet hätte, dass ein einziger oberster Bischof allen Gläubigen voranzustellen ist, so wäre es den Gläubigen dennoch erlaubt, zum gemeinsamen Nutzen eine andere Verfassung einzurichten, zumindest für eine Zeit lang. 365
Ockham denkt also, wenn auch die Kirche eine Institution der göttlichen Stiftung ist, dass sie jedoch derselben Gefahr der Tyrannei ausgesetzt ist wie die weltliche Herrschaft, und dass sie notfalls ihre Verfassung verändern kann, wie die weltliche Herrschaft. Diese Schwäche und grundsätzliche Offenheit zur Änderung liegt an der Tatsache, dass die Kirche teilweise eine menschliche Institution ist. Ockham sagt: [. . . ] Mag auch die päpstliche Herrschaft göttlich sein vor allem deswegen, weil Christus angeordnet hat, dass es sie in der Kirche geben soll, in vielen Dingen ist sie aber doch offensichtlich menschlich. [. . . ] Also wird sie auch hinsichtlich des‐ sen menschlich sein, dass durch Menschen angeordnet werden muss, ob nur ein einziger oder mehrere, wenn das zuträglich ist, zu solcher Herrschaft bestellt wer‐ den sollen. 366
Hier ist implizit die Annahme wirksam, dass alles, was auch nur teilweise mensch‐ lich ist, auch den Regeln gehorcht, die in der menschlichen Welt herrschen. Diese Regel nimmt auch die kirchliche Institution nicht aus. Dieser Gedanke erinnert an die Überlegung Machiavellis, dass der Kirchenstaat trotz seines Charakters als himmlischer Institution in seinem Aufstieg und Un‐ tergang in dieser Welt derselben Regel folgt wie der weltliche Staat. Das saeculum beginnt also bei Ockham zu erscheinen, als sei es mit einem eigenen Lebensrhyth‐ mus versehen. Genau hierin liegt die Bedeutung Ockhams in unserer Überlegung zur Verweltlichung der geistigen Kultur und des politischen Diskurses.
364 Ebd., cap. 25: Über mehrere Kaiser, ebd., cap. 26. Vgl. Miethke, De Potestate Papae, S. 286 f. 365 III Dialogus, 1.2, cap. 20 (Miethkes Ausgabe S. 322): „[. . . ] esto quod Christus ordinas‐ set unum summum pontificem esse preficiendum cunctis fidelibus, liceret fidelibus pro communi utilitate alium instituere principatum, saltem ad tempus.“ 366 Ebd., cap. 20 (Miethkes Übersetzung S. 312): „[. . . ] licet principatus papalis sit quoad hoc divinus, quod Christus ordinavit ipsum debere esse in ecclesia, quantum ad multa tamen videtur esse humanus. [. . . ] Ergo consimiliter quantum ad hoc erit humanus, quod per ho‐ mines debeat ordinari an unus tantummodo vel plures, quando expedierit, ad talem assumi debeat principatum.“
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Bartolus von Sassoferrato
Bartolus von Sassoferrato (†1357), die wichtigste Figur der Postglossatoren, ist be‐ rühmt vor allem für seine Begründung der politischen Autonomie der norditalieni‐ schen Städte vom Reich (civitas sibi princeps). 367 In der mittelalterlichen rechtswis‐ senschaftlichen Tradition, die die souveräne Macht aufgrund der Theorie der lex regia dem Monarchen zugestand, war es eine Herausforderung, die politische Au‐ tonomie der Städte theoretisch zu erklären bzw. zu legitimieren. Die verfügbaren Optionen für die Juristen waren dabei beschränkt. Entweder wurde die Autono‐ mie vom Kaiser eingeräumt, oder sie basierte auf dem Gewohnheitsrecht infolge einer langen Praxis. Jenseits dieser beiden Möglichkeiten gab es keine – man musste zugestehen, dass die Autonomie jener Städte ein Ergebnis der Usurpation des Herr‐ schaftsrechts des Kaisers war. 368 Die Antwort des Bartolus auf diese Frage erfolgte durch den Rückgriff auf die begriffliche Differenzierung der de facto- und der de jure-Legitimität, die bereits mindestens seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts bekannt und besonders in den 367 Immer noch grundlegend Cecil N. Sidney Woolf, Bartolus of Sassoferrato. His Posi‐ tion in the History of Medieval Political Thought, Cambridge 1913. Zum Überblick der Entwicklung des juristischen Herrschaftsdenkens seit dem 13. Jahrhundert Canning, A History of Medieval Political Thought, S. 161–173. Ferner Walter Ullmann, De Bar‐ toli sententia: Concilium repraesentat mentem populi, in: Bartolo da Sassoferrato. Studi e documenti per il VI centenario. Documenti del convegno commemorativo (Perugia, 1–5 aprile 1959), Bd. 2, Mailand 1962, S. 705–733 (wieder abgedruckt in: Ders., The Papacy and Political Ideas in the Middle Ages, London 1976, Kap. X); Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, S. 175–186; Diego Quaglioni, Po‐ litica e diritto nel trecento italiano. Il ‚De tyranno‘ di Bartolo da Sassoferrato, 1314– 1357. Con l’edizione critica dei trattati ‚De Guelphis et Gebellinis‘, ‚De regimine civita‐ tis‘ et ‚De tyranno‘, Florenz 1983; Kenneth Pennington, The Prince and the Law, 1200–1600. Sovereignty and Rights in the Western Legal Tradition, Berkeley u. a. 1993, S. 196–201; Magnus Ryan, Bartolus of Sassoferrato and Free Cities, in: Transactions of the Royal Historical Society 10 (2000), S. 65–89 (wieder abgedruckt in: Ders., Intellec‐ tual history: Critical Concepts in Historical Studies, hg. von Richard Whatmore, London u. a. 2015, S. 120–141); Susanne Lepsius, Bartolus de Saxoferrato (1313/14–1357), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, hg. von Traugott Bautz, Bd. 33 (2013), Sp. 95–109; Dies., Bartolus de Sassoferrato, in: Compendium auctorum latinorum me‐ dii aevi (CALMA) II, 1, hg. von Società internazionale per lo studio del Medioevo Latino (S. I. S.M.E.L.), Florenz 2004, S. 101–156; Floriano Jonas Cesar, Popular Autonomy and Imperial Power in Bartolus of Saxoferrato: An Intrinsic Connection, in: Journal of the History of Ideas 65/3 (2004), S. 369–381; Francesco Maiolo, Medieval Sovereignty: Marsilius of Padua and Bartolus of Saxoferrato, Delft 2007, Kap. 7–8; Jérémie Barthas, Formes de gouvernement ou modalités de la preuve? Eclaircissements sur le Traité du ty‐ ran de Bartole de Sassoferrato, in: Della tirannia: Machiavelli con Bartolo, hg. von Jérémie Barthas, Florenz 2007, S. 47–73. 368 Ryan, Bartolus of Sassoferrato and Free Cities, S. 72 f.
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Auseinandersetzungen über den Status der französischen Monarchie und des Kö‐ nigtums von Neapel im gelehrten Rechtsdiskurs häufig verwendet worden war. 369 Bartolus zufolge hätten die italienischen Städte die gerechte Macht des Kaisers zwar einst ursprünglich usurpiert, ihre ungehinderte Macht (merum imperium) aber lange genug ausgeübt, dass ihre Autonomie aufgrund des Tatsachenrechtes legitim geworden sei. 370 Damit konnte Bartolus eine Legitimität sowohl der de jure- Sou‐ veränität des Kaisers als auch der de facto-Autonomie der freien Städte gleichzeitig vertreten. Er behauptete ferner, dass die Autonomie der Städte damit zu tun habe, dass ihre Bevölkerung freie Bürger mit einer freiheitlichen Verfassung seien. Diese Lösung enthielt aber eine Paradoxie. Bei Bartolus stehen die durch die Praxis sanktionierte de facto-Geltung der Autonomie der Städte und die de jure-Sou‐ veränität des Kaisers parallel nebeneinander, ohne dass ihre Beziehung eindeutig geklärt ist. Bartolus hielt den Machtanspruch des Imperiums nicht für aufgelöst. 371 Er stand der gegenwärtigen Lage der autonomen Herrschaft der Städte kritisch ge‐ genüber. Seine Sicht drückt sich am Anfang seines Tractatus represaliarum deutlich aus. In dieser Abhandlung geht es um wechselseitige Vergeltungsmaßnahmen unter im Prinzip Gleichberechtigten als Selbsthilfe in einem rechtlosen Zustand. Repressalien waren kein häufig begegnender, alltäglicher Gegenstand, als das Rö‐ mische Imperium noch die ihm gebührende Macht besaß. Denn man konnte damals ans Imperium als die höchste Monarchie der Welt appellieren. Daher be‐ handelten früher die Rechtslehrer und die Interpreten des antiken Rechts dieses Thema kaum. Danach haben unsere Sünden bewirkt, dass das römische Reich für lange Zeiten darniederlag. Könige, Fürsten und die Städte vor allem in Italien er‐ kannten de facto keinen Herrn in weltlichen Angelegenheiten an. Weil im Falle einer Ungerechtigkeit keine Berufung zu einer höheren Instanz mehr möglich war, begannen die Repressalien häufiger zu werden. Und so ist also auf diese Weise die Repressalie zum häufigen und alltäglichen Gegenstand geworden. 372
369 370 371 372
Joseph Canning, The Political Thought of Baldus de Ubaldis, Cambridge 1987, S. 66. Ryan, Bartolus of Sassoferrato and Free Cities, S. 76 f. Woolf, Bartolus of Sassoferrato, S. 43 f. Bartolus Sassoferrato, Consilia, quaestiones, et tractatus, Venedig 1585, Fol. 119 r, Col. 2: „Represaliarum materia, nec frequens, nec quotidiana erat tempore, quo in statu debito Romanum vigebat Imperium: ad ipsum enim tanquam ad summum Mon‐ archiam habebatur regressus, et ideo hanc materiam legum Doctores, et antiqui iuris in‐ terpretes minime pertractaverunt. Postea vero peccata nostra meruerunt, quod Romanum Imperium prostratum iaceret per tempora multa, et Reges, et principes ac etiam civita‐ tes maxime in Italia, saltem de facto in temporalibus dominum non agnoscerent, propter quod de iniustitiis ad superiorem non potest haberi regressus, ceperunt represalie frequen‐ tari, et sic effecta est frequens, et quotidiana materia.“
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Die gegenwärtige politische Lage war also für Bartolus eigentlich eine Folge der Ver‐ mehrung und Verbreitung der Sünden. Die Könige, Fürsten und Städte treiben mit ihrem Anspruch auf Autonomie diesen Dekadenzprozess der Welt voran. Jedoch wird damit von Bartolus nicht behauptet, dass jene autonomen politischen Akteure ihre Macht wieder dem Kaiser zurückgeben sollen. Anders als die Juristen vor ihm, die nur dem de jure-Anspruch ein Recht einräumen wollten, spricht Bartolus auch dieser pervertierten Realität eine Legitimation zu. 373 So bleibt der Herrschaftsanspruch des Imperiums auf der Seite der Theorie, wäh‐ rend die autonomen Akteure die Geltung ihrer Herrschaft auf der Seite der Praxis behaupten können. Deutlich zeigt sich bei Bartolus die Tendenz, dass die Legitimi‐ tät in der Theorie von der praktischen Geltung getrennt wird. Wie bei Marsilius stehen Theorie und Praxis unvermittelt nebeneinander. Bartolus geht jedoch noch weiter als Marsilius, indem er sich unmittelbar für die Regeln interessiert, die den Erfolg einer politischen Handlung in jener illegitimen Realität sichern. Dies erweist sich am deutlichsten an seinen verfassungstheoretischen Überlegungen im Trac‐ tatus de regimine civitatis. In diesem kurzen Traktat folgt Bartolus zuerst dem Aegidius Romanus, dessen Fürstenspiegel De regimine principum libri III ihm als Diskussionsvorlage dient. Daher wird auch bei ihm wie bei Aegidius die Monarchie als den anderen Staats‐ verfassungsformen überlegen vorgestellt: Die Herrschaft des Einzelnen bewirkt und bewahrt den Frieden und die Einheit des Gemeinwesens am besten; die Regierung des Einzelnen optimiert die Funktion und Effizienz einer Herrschaft; die Mon‐ archie ahmt auch die Ordnung der Natur am besten nach; die Überlegenheit der Monarchie gegenüber anderen Verfassungsformen ist auch historisch bewiesen. 374 373 Canning, The Political Thought of Baldus de Ubaldis, S. 67. 374 De regimine civitatis findet sich in Quaglioni, Politica e diritto nel trecento italiano, S. 147–170. Das Zitat auf S. 153–155: „Primo sic: pax et unio civium debet esse finalis intentio regentis [. . . ] Sed hec pax et unitas magis potest effici et conservari si regatur per unum quam per plures: ergo melius est regi per unum. [. . . ] Secundo probatur quia ex hoc ipsa civitas et res publica redditur potentior, quod sic probatur: virtus quanto magis est unita tanto fortior est, quam si sit in plures dispersa [. . . ] Si igitur tota civilis potentia con‐ gregetur in unum erit efficacior et per illam princeps, protper maiorem potentiam, melius poterit gubernare. Tertio, ars seu artificium tanto est melius quanto magis imitatur na‐ turam [. . . ] Sed tota civitas est una persona et unus homo artificialis et ymaginatus [. . . ] Sed in homine naturali videmus unum caput et multa membra: ergo civitas si sic regatur melius regitur, quia magis imitatur naturam. [. . . ] Quarto dicit ipse hoc constare experi‐ mento, quoniam dicit se videre ‚provincias non existentes sub uno rege esse penuria, non gaudere pace et molestari dissensionibus et guerris. Existentes vero econtra guerras nes‐ ciunt, pace letantur, habundantia florent.‘ Ex quibus concludit quod bonum est regimen populi sive multitudinis, si ad unum finem tendunt; sed regimine paucorum est melius, quia magis habet de unitate. Monarchia vero, seu unius regis regimen, est optimum, eo quod ibi perfectissime unitas reperitur.“
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Gleich danach relativiert Bartolus aber diesen Grundsatz. Wie Thomas und an‐ dere weist er auf die Gefahr der Tyrannei in der Alleinherrschaft hin. Während bei Thomas diese Vorbehalte keineswegs zur Absage an die allgemeine Überlegenheit der Monarchie führen, drängt Bartolus jedoch hier seine Anfangsthese hinsichtlich der Monarchie zurück. Er stellt eine ganz andere Verfassungstheorie auf. Seine Ausgangs‐ überlegung ist dabei, dass die Monarchie für ein kleines Gemeinwesen ungeeignet sei: Im Hinblick auf das Volk von der kleinsten Größe sage ich, dass es nicht geeignet ist, vom König regiert zu werden. Erstens wird dies von der Literatur bewiesen, da, als die römische Stadt in ihrer kleinsten Größe war, sie die Könige vertrieb, weil diese sich der Tyrannei zugewendet hatten. [. . . ] Zweitens beweist es die ver‐ nünftige Überlegung: Von ihrer Natur aus machen die großen Könige stets große Ausgaben. [. . . ] Aber das Einkommen des Königs eines kleinen Volkes reicht für solche Ausgaben nicht. Daher kommt es dazu, dass der König es den Unterta‐ nen abpresst und ein Tyrann wird. Die Regierung eines solchen Königs tendiert also mit großer Wahrscheinlichkeit zur Tyrannei, also ist es keine gute Regierung angesichts dessen, was höchstwahrscheinlich geschehen wird. Das ist der Grund, warum es Gott missfiel, dass das Volk einen König verlangte. 375
Nach Bartolus kann eine kleine civitas auch nicht von den Reichen aristokratisch regiert werden. Denn in solchen Städten sind die Reichen manchmal wenig an der Zahl. Dies ist so aus zwei möglichen Gründen: die Masse des Volkes wird davon erzürnt, von den wenigen regiert zu werden, wie gut diese auch immer regieren, wie es der Fall war in Siena [. . . ], und weil die Volksmasse immer erzürnt wird, müssen sie [sc. die Reichen] immer mit einer großen militärischen Macht präsent sein. [. . . ] Oder eine andere Schwierigkeit kann sich ergeben, weil jene wenigen, wie es natürlicherweise geschieht, in sich gespalten sein können. Daraus entwickeln sich die Gerüchte, die Aufstände, die Brände und Bürgerkämpfe, wie wir es oft in Pisa beobachten konnten. 376 375 Ebd., S. 162: „Si loquamur de gente seu populo magno in primo gradu magnitudinis, tunc dico quod non expedit illi regi per regem. Primo hoc probatur per textum, quia cum civitas Romana erat in primo gradu magnitudinis expulit reges, quia conversi erant in tyrannidem [. . . ] Secundo probatur per rationem: de natura regum est esse magnificos in faciendo ma‐ gnas expensas [. . . ] Sed redditus regales unius populi magni in primo gradu magnitudinis non sufficerent ad expensas regales: ideo opportet quod extorqueret a subditis et efficere‐ tur tyrannus. Status ergo talis regis verisimiliter tendit ad tyrannidem: ergo non est bonum regimen, inspecto eo quod verisimiliter evenire potest. Et hec est ratio, quare Deo displi‐ cuit quod populus regem petiit.“ 376 Ebd., S. 163: „Nam contingit in hiis civitatibus divites esse in parvo numero. Continget al‐ terum de duobus: quia aut multitudo populi de illorum paucorum regimine indignabitur quantuncunque bene regant, ut fuit in civitate Senarum [. . . ] [T]amen quia populi mul‐
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Seine Argumentation läuft also auf eine Verfassungstheorie hinaus, die die Größe eines Staates oder einer Stadt in den Mittelpunkt stellt: Für die Stadt mit höchster Größe ist die königliche Herrschaft die beste Staatsform, 377 für die Stadt mit mitt‐ lerer Größe die Aristokratie, 378 für die kleine Stadt die Volksherrschaft. Als Muster sei die Diskussion von Bartolus über die Idealität der Volksherrschaft für das kleine Volk angeführt: Das Volk, das in der Größe klein ist, wird am besten von der Masse regiert, und diese Herrschaft wird die Volksherrschaft genannt [. . . ] Dass diese Regierung gut ist, wird klar, da die römische Stadt zu der Zeit viel gewachsen ist [. . . ] Diese Regie‐ rung erleben wir in der Stadt Perugia, die auf diese Weise in Frieden und Einheit regiert wird, wächst und blüht, und diejenigen, die die Stadt im Wechsel regieren, brauchen sich vor niemandem zu schützen, sondern werden von allen geschützt, und oft konnte beobachtet werden, dass durch die Beratung gemeiner Leute etwas beschlossen wurde, was den Weisen und Klugen von Übel erschien, doch am Ende zeigte sich, dass es auf klügste Weise erledigt wurde. 379
In seinen verfassungstheoretischen Überlegungen wird seine Aegidius entlehnte Theorie der Idealität der Monarchie also völlig bedeutungslos. Es ist ohne Weiteres zuzugeben, dass die Monarchie prinzipiell die beste ist, man weiß jedoch nicht, was man mit diesem Prinzip machen soll. Hier fallen das Ideal und die Realität, Theorie und Praxis, auseinander.
titudo indignabatur oportebat eos semper stare cum magna fortia militari [. . . ] Aut aliud inconveniens potest sequi, quia illi pauci, ut naturaliter evenit, poterunt inter se dividi: ex quo in civitatibus occurrent rumores, seditiones, incendia et civilia prelia, ut sepe vidimus in civitate Pisarum.“ 377 Ebd., S. 165 f.: „[. . . ] videndum est de gente seu populo maximo, qui est in tertio gradu magnitudinis. Hoc autem vere contingere non potest in civitate una per se. Sed si esset ci‐ vitas que multis aliis civitatibus et privinciis dominaretur, huic genti bonum esset regi per unum.“ 378 Ebd., S. 164 f.: „[. . . ] est videndum de gente seu populo maiori, et sic in secundo gradu magnitudinis. Tunc istis non expedit regi per unum regem [. . . ], nec expedit regi per mul‐ titudinem: esset enim valde difficile et periculosum tantam multitudinem congregari. Sed istis expedit regi per paucos, hoc est per divites et bonos homines illius civitatis. [. . . ] Sic enim regitur civitas Venetiarum, sic civitas Florentina.“ 379 Ebd., S. 163 f.: „Expedit autem huic populo, qui est in primo gradu magnitudinis, regi per multitudinem: quod vocatur regimen ad populum [. . . ] Et quod istud regimen sit bonum, apparet, quia illo tempore urbs Romana multum augmentata est [. . . ] Hoc etiam experi‐ mur in civitate Perusina, que isto modo regitur in pace et unitate, crescit et floret, regentes eam secundum vices suas a nullo se custodiunt sed ipsi custodiuntur ab omnibus, et sepe visum est per consilium hominum communium deliberari quedam, que sapientibus et pru‐ dentibus male facta visa sunt; eventus vero manifestavit esse prudentissime facta.“
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Die neu aufgestellte Verfassungstheorie des Bartolus zeigt klar den Wechsel der Perspektive und der Sprache hin zu einer pragmatischen Richtung. Bartolus rich‐ tet alles darauf, eine neue Grundlage zu schaffen, von der aus er sich die politische Praxis rational verfügbar machen kann. Die Legitimität der so entstandenen Theo‐ rie besteht einzig und allein in der Nützlichkeit und Erfahrung. In dieser Theorie kommt überhaupt keine metaphysische Begründung mehr vor. Der Entmetaphysie‐ rungsprozess des politischen Diskurses tritt damit deutlich hervor. Hier begegnet uns ein neues Theorieverständnis. Denn bei Bartolus existiert ja neben der Theo‐ rie, die metaphysisch begründbar ist, eine andere, die ihre Berechtigung weder in einer Autorität noch in der Bibel noch in einem metaphysischen Prinzip sucht und ausschließlich auf den brauchbaren Nutzen fokussiert. Die beiden konkurrieren miteinander, ohne dass Bartolus sich für eine von ihnen endgültig entscheidet. Im Laufe der Zeit wird sich aber der neue Theoriebegriff durchsetzen. Im selben Zug wird der ältere Theoriebegriff unverständlich. Er wird schließlich unter den Ver‐ dacht des Aberglaubens, ja sogar des geistigen Kindischseins gestellt. So wurde der politische Diskurs im Abendland allmählich ‚verweltlicht‘. Coluccio Salutati
Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Abgrenzung des politischen Diskurses von der Kosmologie und Metaphysik und seine darauffolgende Pragmatisierung, die sich im 15. Jahrhundert in Florenz beobachten lassen, bereits seit dem 14. Jahr‐ hundert im Werden begriffen waren. Die Säkularisierung des Politikdiskurses er‐ folgte in allen westeuropäischen Ländern, jedoch aus verschiedenen Gründen und Machtinteressen. Der florentinische Politikdiskurs im 15. Jahrhundert und bis zu Machiavelli ist nur ein Teilprodukt dieses Vorgangs und darf keineswegs von jener gesamtwesteuropäischen ideologischen Transformation losgelöst betrachtet wer‐ den. Hier wird freilich noch nicht behauptet, den florentinischen Politikdiskurs im 15. Jahrhundert umfassend erklärt zu haben. Dessen wichtigste Aspekte werden wir im nächsten Kapitel eingehend behandeln, im Rahmen unserer Bemühungen, den unmittelbareren Rahmen abzustecken, in dem Machiavellis politisches Denken ent‐ stand und sich formte. Die Eingebundenheit des florentinischen Politikdiskurses in die westeuro‐ päische ideologische Transformation zeigt sich deutlich bei Coluccio Salutati (†1406). 380 Er war lange Kanzler von Florenz (1375–1406) und seine Amtszeit 380 Über Leben, Person, und Werke von Salutati: Ronald G. Witt, Hercules at the Cross‐ roads (= Duke monographs in medieval and Renaissance studies, Bd. 6), Durham, N.C 1983. Zu seinem Denken außerdem B. L. Ullman, The Humanism of Coluccio Salu‐ tati (= Medioevo e umanesimo, Bd. 4), Padua 1963. Eckhard Kessler, Das Problem des frühen Humanismus. Seine philosophische Bedeutung bei Coluccio Salutati (= Humanis‐
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war besonders reich an politischen Umbrüchen, wie etwa dem ‚Krieg der Acht Hei‐ ligen‘ (Guerra degli Otto Santi: 1375–1378), der Revolte der Ciompi (1378–1382), und schließlich dem langen und für das Schicksal von Florenz kritischen Krieg ge‐ gen Mailand am Ende des 14. Jahrhunderts. Zahlreiche ‚Staatsbriefe‘ sind aus seiner Feder geflossen, in denen die Position Florenz’ verteidigt, um Bündnisse geworben, die Gegner und Feinde von Florenz getadelt und die Versöhnung gesucht wird. In Salutatis Staatsbriefen kann man das Selbstverständnis und die Selbstlegitimation der Florentiner bezüglich ihrer Republik, ihrer Geschichte und ihrer göttlichen Mission finden, die wir im nächsten Kapitel noch näher betrachten werden. Zu‐ gleich hatte Salutati als Vermittler des Humanismus in Florenz großen Einfluss auf die nachfolgende Generation, die für die Entwicklung der politischen Ideologie im 15. Jahrhundert in der Stadt so wichtig wurde. Zu seinem unmittelbaren Schüler‐ kreis gehörten Leonardo Bruni (†1444) und Poggio Bracciolini (†1459), die beiden Vertreter des florentinischen Humanismus, die nach Salutatis Tod das Kanzleramt antraten. Wir können also Salutati den geistigen Repräsentanten von Florenz im späten 14. Jahrhundert nennen. Schärfer als andere Denker hat Salutati einen Sinn für die Weltkontingenz ent‐ wickelt. Für ihn ist daher der rationale Zugriff des Menschen in der Praxis nicht durch abstraktes und allgemeines Wissen möglich. Diesen Gedanken formulierte Salutati in seiner späten Schrift De nobilitate legum et medicinae. 381 Der Anlass dieser Schrift war nach Vorbild von Petrarcas Invectiva contra medicum die Verteidi‐ gung der Jurisprudenz gegen den Angriff eines gewissen Bernardo, eines Arztes, der im Zuge des Streites der Fakultäten für die Überlegenheit der Medizin gegenüber tische Bibliothek. Reihe I, Abhandlungen, Bd. 1), München 1968; Ders., Die politische Theorie Coluccio Salutatis, in: Das politische Denken der Florentiner Humanisten, hg. von Walter Rothholz, Saarbrücken 1976, S. 43–66; Ders., Salutati: Der Humanist und die Wissenschaften, in: Coluccio Salutati, Vom Vorrang der Jurisprudenz oder der Me‐ dizin. De nobilitate legum et medicinae (= Humanistische Bibliothek Reihe II: Texte, Bd. 25), Lateinisch-Deutsch, hg., übers. und komm. von P. M. Schenkel, München 1990; Alexander Thumfart und Arno Waschkuhn, Staatstheorien des italienischen Bür‐ gerhumanismus. Politische Theorie von Francesco Petrarca bis Donato Giannotti, BadenBaden 2005, Kap. 5. Siehe auch die Beiträge in Robert Cardini (Hg.), Le radici uma‐ nistiche dell’Europa: Coluccio Salutati cancelliere e politico, Florenz 2012, bsd. Daniela de Rosa, Coluccio Salutati e il Grande Scisma d’Occidente, S. 197–238; Gian Mario Anselmi, Visione della storia e impegno civile in Salutati, S. 239–250; Anna Maria Ca‐ brini, Coluccio Salutati e gli elogi di Firenze fra Tre e Quattrocento, S. 251–276; Diego Quaglioni, „A problematical book“: Il De tyranno di Coluccio Salutati, S. 335–350; Loredana Chines, Salutati e Marsil, S. 351–368. Ferner Daniela de Rosa, Coluccio Salutati: Il cancelliere e il pensatore politico, Rom 2014. 381 Coluccio Salutati, Vom Vorrang der Jurisprudenz oder der Medizin. De nobilitate legum et medicinae (= Humanistische Bibliothek Reihe II: Texte, Bd. 25), LateinischDeutsch, hg., übers. u. komment. von P. M. Schenkel, München 1990.
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der Jurisprudenz eingetreten war. Er meinte, dass die Jurisprudenz nicht auf einem stabilen und unabänderlichen Wissen beruhe und daher in der Würde der Medi‐ zin nachstehe. Man könnte nun erwarten, dass Salutati in seiner Widerlegung ein Gegenargument einführen würde, um zu zeigen, dass die Jurisprudenz einen hohen Abstraktionsgrad hat. Salutatis Argument geht aber entgegen unserer Erwartung in eine andere Richtung. Er negierte schlicht in allen Bereichen der menschlichen Praxis die Möglichkeit eines stabilen Wissens und sprach damit auch dem medizini‐ schen Wissen den Anspruch auf Allgemeinheit ab. Salutati unterstreicht zuerst die Flüchtigkeit des Wissens des Menschen überhaupt: Wir wissen, dass Gott etwas Notwendiges ist, wissen, dass er alles Notwendige notwendig macht, und obwohl es ganz und gar sicher ist, dass er ist, ist es uns gleichwohl unmöglich zu wissen, was er ist. 382
Die Notwendigkeit der Weltleitung Gottes ist also nach Salutati den Menschen grundsätzlich unzugänglich. Wiewohl diese Idee selbst an sich gar nicht neu ist, gewinnt sie im Zusammenhang des Weltverständnisses von Salutati doch eine be‐ sondere Bedeutung. Denn Salutati meint damit, dass in der Praxis jeder Versuch, ein notwendiges Wissen herzustellen, aufgrund der Weltkontingenz vergeblich ist. Was wir als allgemeines Wissen für eine Praxis betrachten, ist nur Wahrscheinlich‐ keitswissen. Es kann also im Hinblick auf die Praxis keine Wissenschaft geben, weil die Wissenschaft sich lediglich auf das Allgemeine und Notwendige bezieht. In die‐ sem Sinne sagt Salutati: Von den Einzeldingen selber, das heißt, unter dem Aspekt ihres Einzelseins, kann es zwar eine Kenntnis geben, aber weder Kunst noch Wissen‐ schaft. 383 Der Grund seines Zweifels an der Möglichkeit der Wissenschaft in der Praxis ist vor allem die unzählige Vielfalt der Welt. Er fragt: [. . . ] gibt es denn nicht unzählige Bestandteile, unzählige Verhältnisse in den Dingen, die euch nicht bekannt sind? Und die, wenn sie nicht dem richtigen Maß nahe kommen, den Anfang unwi‐ derruflichen Schadens bedeuten? 384 Hier drückt sich Salutatis scharfes Bewusstsein von der Weltkontingenz aus. Die Welt unterliegt einem ewigen und für Menschen nicht völlig erfassbaren Wandel. Weder in der Medizin noch in der Jurisprudenz ist daher ein allgemeines Wissen möglich. Die juristische Wissenschaft wird also von der eigentlichen Aufgabe abgelöst, die darin besteht, die praktischen Handlungsvorschriften festzustellen, aufgrund 382 Ebd., S. 108: „Scimus Deum necessarium quidam esse, necessaria cuncta necessitans, et cum certisimum sit quod sit, impossibile tamen scire quid sit.“ 383 Ebd., S. 110: „[. . . ] individuorum quidem, qua ratione videlicet individua sunt, sicut potest haberi noticia, sic nec ars nec scientia potest esse.“ 384 Ebd., S. 114: „Quin etiam, nonne sunt infiniti numeri et infinite proportiones in rebus que vobis note non sunt? Queve, si non fuerint uniformiter appropinquata, principium habeant irrestaurabilis nocumenti?“
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derer man die Handlung des Menschen steuern bzw. beurteilen kann. Wenn man jedoch überhaupt von einer juristischen Wissenschaft sprechen will, ist es nur in dem beschränkten Sinne der Festlegung des psychologischen und physiognomi‐ schen Mechanismus der menschlichen Entscheidungen und Handlungen möglich. Daher sagt Salutati, dass die juristische Wissenschaft [. . . ] die universalen Prinzi‐ pien der menschlichen Handlungen, die Vermögen, Haltungen und Leidenschaften der Seele betrachtet. 385 Hält man sich die besondere Nähe der Jurisprudenz und der Politik in der mit‐ telalterlichen Herrschaftspraxis vor Augen, die Salutati selber betont, 386 kann man leicht verstehen, dass bei Salutati eine politische Wissenschaft lediglich als Misch‐ bereich der Physiognomie und Psychologie des Menschen bestehen kann. Dies erin‐ nert durchaus an die neue politische Wissenschaft des Thomas Hobbes in späteren Zeiten. Uns interessiert hier jedoch eine andere Richtung, in die Salutati seinen Ge‐ danken über das politische Wissen entwickelt hat. Die Ablehnung der Möglichkeit der Wissenschaft in der menschlichen Praxis hat Salutati keineswegs zur Idee ge‐ führt, dass man in der Praxis auf jede Form des allgemeinen Wissens verzichten müsse. Besonders aufschlussreich ist eine in der Forschung bisher noch nicht richtig gewürdigte Stelle über die Bedeutung der Geschichte, aus einem an Juan Fernandez de Heredia gerichteten privaten Brief, den Salutatis bereits in etwas vorgerücktem Alter schrieb (1. Feb.1392?): [. . . ] nicht nur hinsichtlich der natürlichen Dinge und der Providenz Gottes son‐ dern auch hinsichtlich der geschichtlichen Taten der Menschen ist festzustellen, dass es unter der Sonne nichts Neues gibt. [. . . ] Insofern kann man aus der Kennt‐ nis der Geschichte den gegenwärtigen Angelegenheiten eine Ordnung verleihen und über den Lauf der Zukunft eine Vermutung anstellen. 387
385 Ebd., S. 136: „[. . . ] concluditur leges, quoniam ipsarum scientia de universalibus rationi‐ bus humanorum actuum, potentiarum, habituum et passionum anime considerant, inter speculabilia numerandas.“ 386 Ebd., S. 118: „Legibus vero commertium est, quoniam res maxime politica est [. . . ].“ 387 Coluccio Salutati, Epistolario, hg. von Francesco Novati, Bd. 3, Rom 1896, S. 294 f.: „Hec et alia, que longius ac laboriosius est referre quam subtilius, hystorie docent, ut non sit aliquis virtutis splendor seu deformitas vitiorum, nulla gerendorum varietas, nulla cau‐ tio nullaque deceptio, nulla denique consilia, que non possint ex hystoriis elici et exemplis illustribus confirmari. Ut sine contentione fatendum sit concionatoris illud, non solum in naturalibus aut Dei providentia, sed etiam in rebus gestis: nihil sub sole novum, nec valet quisquam dicere: hoc recens est; et quantum et quale est ex hystoriarum noticia dare presentibus ordinem et coniecturam sumere de futuris: speculentur alii, et per anxias ac in‐ explicabiles rationes illa probent, si probabilia sunt tamen, que nec capi possunt intellectu nec contra subtilioris ingenii vim et reluctantiam tolerari; que, postquam scita fuerint, nec meliorem hominem moribus faciant nec ad usum humane vite prudentiorem. Ego te‐
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Hier ist zunächst einmal Vorsicht geboten. Salutatis Aussage, dass sich der Lauf der Geschichte immer wiederholt, drückt weder eine geschichtsphilosophische These noch ein mechanisiertes Weltbild aus. Er paraphrasiert hier die alte Auffassung historia magistra vitae, die der Geschichtsschreibung des Mittelalters allgemein zu‐ grundelag. Sein Vergleich des Rhythmus der kosmischen Erscheinungen und der im Verlauf der menschlichen Angelegenheiten zu findenden Regelmäßigkeit spiegelt den anhaltenden Einfluss des oben bereits behandelten nezessitaristischen Gedan‐ kens wider. Hier fällt ein wichtiger Widerspruch im Denken des Salutati auf. Sein Rück‐ griff auf den alten nezessitaristischen Welt- und Politikbegriff kann innerhalb seines Gedankenrahmens, in dem er ja gerade die Weltkontingenz exzessiv betont, nicht begründet werden. Was uns noch mehr interessiert, ist aber Salutatis Wille, der diesen Widerspruch verursacht hat, nämlich sein Wille, trotz seines akuten Be‐ wusstseins der Weltkontingenz die Theoriebildung nicht gänzlich aufzugeben. Die spannende Frage für uns ist dabei, wie eine solche Theorie aussehen könnte. Bei Sa‐ lutati finden wir noch keine explizite Antwort darauf. Unsere Beobachtungen zur politischen Theorie des Bartolus lehrten jedoch bereits, dass sie ganz anders ausse‐ hen kann als die Theorie im hochmittelalterlichen Sinne. Ein rein pragmatisches und empirisches Argument ersetzte dort die metaphysische Begründung. Dass der Politikdiskurs sich in Florenz in der Folgezeit tatsächlich in diese Richtung entwi‐ ckelte, haben wir bereits gesehen. Wir resümieren unsere bisherigen Erkenntnisse: Der sogenannte Pragmatismus und Empirismus des politischen Diskurses in Florenz in der Renaissance ist nichts Anderes als ein Teil der diskursiven Transformation des 14. Jahrhunderts, die sich auf der gesamten westeuropäischen Bühne abspielte. Durch den florentinischen Politikdiskurs im 15. Jahrhundert wirkte der Umbruch des Spätmittelalters im Be‐ reich des Politikdiskurses bis in Machiavellis Zeit hinein. Die ‚machiavellistische‘ Wende wurde bereits seit dem 14. Jahrhundert vorbereitet. Vor dem Abschluss dieses Kapitels scheint es angebracht, uns auf eine kurze Dis‐ kussion über die Analyse John Pococks, eines Gründungsvaters der CambridgeSchule, über die ideologische Wende in Florenz einzulassen, weil seine Einsicht in die Kernproblematik der politischen Ideologie in der florentinischen Renaissance, vor allem bei Machiavelli auf seiner Rekonstruktion der mittelalterlichen politi‐ schen Sprache und ihres Zusammenbruchs basiert. 388 Seiner Diskussion liegt die Annahme zugrunde, dass im Mittelalter lediglich das Kaisertum und das Königtum als legitime Herrschaftsform anerkannt wurden, und dass deswegen die Republi‐
cum et cum aliis rerum huiuscemodi studiosis discam que preterita sunt, ut illa non solum sciam, sed ipsis utar meditando, consulendo, scribendo.“ 388 Pocock, The Machiavellian Moment, S. 53–66.
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kaner ideologisch in eine Legitimationskrise gerieten. Pocock behauptet, dass die Überwindung dieser Krise zu einer neuen politischen Theorie und einer neuen Ge‐ schichtsphilosophie geführt habe und dass dies die Entwicklungsrichtung des Re‐ publikanismus der späteren Zeit schon zum großen Teil vorbestimmt habe. Nach Pocock war das Bedürfnis nach einer neuen ideologischen Waffe zur Begründung der republikanischen politischen Verfassung im republikanischen Florenz beson‐ ders stark ausgeprägt, das an der Schwelle vom 14. zum 15. Jahrhundert einen Überlebenskampf gegen das monarchische Mailand führte. Dies habe die republika‐ nischen Humanisten dazu veranlasst, auf die Republik der Vergangenheit, nämlich die antike römische Republik, zurückzublicken. Daraus entstand nach Pocock aber eine Sorge, die den Monarchisten und den Imperialisten nicht bewusst bzw. nicht bekannt war: Anders als das Imperium und das Königtum, die von ihrer inneren Ordnungsstruktur her in die kosmische Ordnung integriert seien, habe die Repu‐ blik zeitlich eine begrenzte Existenz, wie die römische Republik zeige. Hieraus sei das Bewusstsein der Wandelbarkeit der Geschichte und der republikanischen Insti‐ tutionen entstanden, sozusagen das Bewusstsein, dass die republikanische Verfas‐ sung der Bedrohung der fortuna ausgesetzt sei. Daraus folge auch das Nachdenken über die Gegenmaßnahmen der Menschen. Hiermit sei eine neue Geschichtsphi‐ losophie zur Welt gekommen, die den Untergang der römischen Republik und die Entwicklung der florentinischen Republik in den Mittelpunkt der Betrachtung ge‐ stellt habe. Somit sei der Geschichtsverlauf als Prozess des Untergangs und der Wie‐ derbelebung der Republik begriffen worden. Dies liege der zeitgenössischen Vision der Wiederbelebung zugrunde. Zugleich sei der Geschichtsprozess als Wettkampf zwischen der Verfallstendenz, die besonders der Republik innewohnt, und der Tu‐ gend des Volks und der Regenten als dem Verfall entgegenwirkenden Faktoren kon‐ zipiert worden. Machiavelli markiert nach Pocock den Höhepunkt dieses Prozesses. Durch ihn sei diese politiktheoretische und geschichtsphilosophische Wende später über James Harrington in den englischen Republikanismus, und dann weiter in den amerikanischen Republikanismus eingeflossen. Dies sei der sogenannte ‚Machiavel‐ lian Moment‘. In welchem Sinne sich die florentinischen Denker im Quattrocento mit Rom identifizierten, ob diese Identifizierung wirklich eine neue Erscheinung des Quat‐ trocento war, vor allem aber ob sie, wie Pocock meint, eine neue Geschichtsphiloso‐ phie konstituierte, die einen zyklischen Verlauf und die Rückkehr zum Ursprung als Kern hat, soll in den nächsten zwei Kapiteln ausführlich behandelt werden. Bereits angesichts unserer bisherigen Diskussion wird aber ein schweres Missver‐ ständnis in Pococks Rekonstruktion deutlich. Die florentinischen Denker hatten nämlich überhaupt keine besonderen Schwierigkeiten, ihre republikanische Ver‐ fassung zu verteidigen. Die herrschende Meinung der Zeit war der Verfassungsre‐ lativismus. Aufgrund der örtlichen, zeitlichen und historischen Spezifika konnte jede Verfassung, sei sie monarchisch oder republikanisch, auf ihrer Legitimität in‐
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sistieren. Und was das Bewusstsein der Wandelbarkeit der Politik anbetrifft, war es keineswegs ein exklusiv der florentinischen politischen Ideologie zuzuschreibendes Phänomen. Wie wir gesehen haben, hatte man bereits im frühen 14. Jahrhundert begonnen, die politische Konstitution von den kontingenten Bedingungen her zu erklären. Der erste Anstoß dafür kam nicht aus der florentinischen Republik, son‐ dern aus dem monarchischen Frankreich. Der Anlass für diese Entwicklung war nicht Kampf um die republikanische politische Verfassung, sondern die Kämpfe um die Autonomie und (im Falle von Tolomeo von Lucca) die Machtsuprematie der Kirche. Zu diesen Entwicklungen tragen auch viele andere bei, die, wie Wilhelm von Ockham, der die Kirche auf die Bahn des alten apostolischen Armutsideals zu‐ rückbringen wollte, oder wie Bartolus von Sassoferrato, weniger an der Verteidigung einer bestimmten Ideologie als vielmehr an der Integration der immer komplexer erscheinenden Wirklichkeit in eine kohärente Theorie interessiert waren. Deshalb muss diese Entwicklung des Bewusstseins der Wandelbarkeit der politischen Kon‐ stitution im politischen Denken als Ergebnis einer gesamteuropäischen geistigen Bewegung angesehen werden, und nicht als Resultat einer spezifisch italienischen. Im nächsten Kapitel werden wir den Politikdiskurs in Florenz erörtern, der auf diesem veränderten Boden entstand. Wir werden die wichtigsten Merkmale und Etappen des Verfassungsdenkens in Florenz untersuchen, seine Grundannah‐ men rekonstruieren und dabei einige wichtige Interpretationen kritisch überprüfen. Wir werden uns auf den patriotisch-republikanischen Diskurs in Florenz seit dem 14. Jahrhundert konzentrieren, und zeigen, wie dieser Republikanismus, anders als von der ‚Cambridge-Schule‘ gewöhnlich angenommen, von dem neuzeitlichen Re‐ publikanismus grundsätzlich zu unterscheiden ist. Dadurch werden wir den diskur‐ siven Boden näher bestimmen, auf dem Machiavellis politische Theorie reifen sollte. Dies wird uns helfen, sein Denken in seiner Historizität zu verstehen.
3. Die Transformation des republikanischen Diskurses in Florenz im 15. Jahrhundert
Im vorigen Kapitel haben wir die Transformation des Politikdiskurses seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts rekonstruiert und als Rahmenbedingung des Politik‐ diskurses in Florenz identifiziert. In diesem Kapitel soll auf das politische Selbstver‐ ständnis der Florentiner, d. h. ihr Bewusstsein von der Legitimation, der Mission und dem Schicksal ihrer Republik, kurzum: den florentinischen Republikanismus, eingegangen werden, damit wir die Rahmenbedingungen von Machiavellis Denken eingehender bestimmen können. Wie wir dann im nächsten Kapitel (IV) sehen wer‐ den, ist die politische Theorie Machiavellis als Bemühung zu verstehen, die in seiner Zeit unaufhaltbar sich zuspitzende politische Krise und die Krise des republika‐ nischen Diskurses zu durchdringen und einen neuen theoretischen Anhaltspunkt dafür zu schaffen, die politische Welt rational zu begreifen, wodurch ein zweck‐ mäßiges politisches Handeln zur Beseitigung der Krise ermöglicht werden sollte. Zunächst gehen wir daher auf die Evolution und Transformation des republikani‐ schen Diskurses in Florenz vor Machiavelli ein.
3.1 Das Ringen um den Bürgerhumanismus
Jede Diskussion über den Republikanismus in Florenz evoziert in unserer Zeit unvermeidlich einen polemischen Zugriff, denn über die Frage, was der Republi‐ kanismus damals war, herrscht breite Meinungsverschiedenheit in der modernen Forschung. Und gerade diese Verschiedenheit der Meinungen berührt einen zentra‐ len Punkt bei der Erforschung von Machiavellis politischem Denken. Im Folgenden soll daher zuerst ein kurzer Überblick über die Grundansätze in der modernen Forschung zum florentinischen Republikanismus gegeben werden. Danach soll die Frage verfolgt werden, was der Republikanismus für die Florentiner bedeutete, was seine Grundcharakteristika waren und wie er am Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts entscheidend transformiert wurde. Die moderne Erforschung des Republikanismus im Florenz der Renaissance hat ihren Anfang bei Hans Baron, einem deutschen Historiker, genommen. Er hat nach seiner von der nationalsozialistischen Judenverfolgung erzwungenen Immigration in die USA das Ergebnis seiner langjährigen Beschäftigung mit dem politischen und sozialen Denken im Florenz des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts in seiner Monographie The Crisis of the Early Italian Renaissance
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vorgestellt. 389 Der Schüler Friedrich Meineckes verstand seine Arbeit durchaus als eine Fortsetzung und Ergänzung der Tradition der Renaissanceforschung, die von Jacob Burckhardt entscheidend geprägt worden war. Es ist also nicht erstaunlich, dass sich in Barons Werk leicht die Thematiken und die Grundideen des Burck‐ hardtschen Verständnisses der Renaissance wiederfinden lassen, die ja durch die Vermittlung der kultursoziologischen und kulturphilosophischen Forschungen breiten Eingang in die Geisteswissenschaften des frühen 20. Jahrhunderts ge‐ funden hatten. In der Darstellung Barons wird die Profanisierung der gesamten Kultur als Kernzug dieser Epoche hervorgehoben. Auch im Bereich der politischen Ideologie übernahm er die Grundtheoreme von Burckhardt. Baron sah bei den politischen und sozialen Ideen seit dem späten 14. Jahrhundert eine unmissver‐ ständliche Tendenz zur Diesseitigkeit und zum Pragmatismus. Für ihn bedeutete diese ideologische Entwicklung den Abschied vom ‚idealistischen‘ Mittelalter. Sie kündigte die Ankunft der Neuzeit an. Der innovative Punkt bei Baron liegt in seiner grundsätzlich neuen Bewertung der Rolle der Humanisten in diesem ideologischen Transformationsprozess. Baron zufolge haben eine Reihe Kämpfe mit dem von der Alleinherrschaft der Visconti re‐ gierten Mailand seit dem späten 14. Jahrhundert die Florentiner Humanisten rasch politisiert, nachdem sie zuvor noch im von Petrarca entworfenen solitär-religiösen Kulturideal eingesponnen gewesen waren und sich hauptsächlich als literarische Re‐ präsentanten der universalen christlichen Gemeinschaft verstanden haben. Nach Baron traten seit Salutati eine Reihe wichtiger, humanistisch gebildeter Intellektu‐ eller auf, die ihre Identität nach römischem Vorbild primär als verantwortungsbe‐ wusste Bürger ihrer Heimatstadt definierten und sich damit vom transzendenten Lebensideal des Mittelalters endgültig distanzierten. Indem sich die Humanisten in Florenz zunehmend mit der republikanischen Verfassung ihrer Stadt identifizier‐ ten, seien die beiden Ansätze, der auf die antike Leitkultur gerichtete Humanismus und die patriotische Liebe zur republikanischen Heimatstadt, verschmolzen. Baron 389 Hans Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance: Civic Humanism and Repu‐ blican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny, Princeton 1966 (zuerst 1955). Über Barons Vita, Werke und Wirkung: Riccardo Fubini, Renaissance Historian: The Career of Hans Baron, in: Journal of Modern History 64/3 (1992), S. 541–574. Außerdem: AHR Forum: Hans Baron’s Renaissance Humanism, in: American Historical Review 101/1 (1996), S. 107–144 (Ronald G. Witt, Introduction: Hans Baron’s Renaissance Humanism, S. 107–109; Ders., The Crisis after Forty Years, S. 110–118; John M. Na‐ jemy, Baron’s Machiavelli and Renaissance Republicanism, S. 119–129; Craig Kallen‐ dorf, The Historical Petrarch, S. 130–141; Werner Gundersheimer, Hans Baron’s Renaissance Humanism: A Comment, S. 142–144.); Klaus Grosse Kracht, ‚Bür‐ gerhumanismus‘ oder ‚Staatsräson‘. Hans Baron und die republikanische Intelligenz des Quattrocento, in: Leviathan 29/3 (2001), S. 355–370.
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nannte diese neue ideologische und kulturelle Symbiose ‚Bürgerhumanismus‘ (civic humanism). Eine Kernfigur dieser Wandlung der humanistischen Kultur war Baron zufolge der im vorigen Kapitel bereits erwähnte Leonardo Bruni, ein Schüler Salutatis, der später ebenfalls das Kanzleramt bekleidete. In seiner berühmten Oratio in funere Io‐ hannis Strozzi, 390 einer Grabrede für den in einer gegen Mailand geführten Schlacht gefallenen Ritter Nanni Strozzi, lobte Bruni entschieden die Liebe zur republi‐ kanischen Heimatstadt. Dabei kam die radikalste Aussage in der Geschichte der Verfassungstheorie des Mittelalters zur Sprache. Bruni behauptete, dass die republi‐ kanische Volksherrschaft die einzige legitime Herrschaftsform sei, die die Freiheit und Gleichheit der Bürger fördert. Das leistungsorientierte Prinzip der Beamten‐ wahl des republikanischen Staates mache die Bürger tüchtig und fleißig, und da‐ durch die Stadt mächtig und reich. Nach Bruni verhindern die anderen Formen der Herrschaft solche Leistungen. Weder die Königsherrschaft, in der der König jedem hervorragenden Bürger misstrauisch gegenüberstehe und sich vor der Einheit der Bürger fürchte, noch die Herrschaft der Optimaten seien imstande, vergleichbare Freiheit und vergleichbares Wohl hervorzubringen. 391 Baron meinte, dass diese Be‐ 390 Oratio in funere Iohannis Strozze (Orazione Funebre per Nanni Strozzi), in: Opere Let‐ terarie e Politiche, Lateinisch-Italienisch, hg. von Paolo Viti, Turin 1996, S. 708–749. Benutzt wurde die kritische Edition von Susanne Daub, in: Dies., Leonardo Brunis Rede auf Nanni Strozzi. Einleitung, Edition und Kommentar (= Beiträge zur Altertums‐ kunde, Bd. 84), Stuttgart 1996, S. 281–291. Englische Teilübersetzung in: The Humanism of Leonardo Bruni. Selected Texts, hg. von David Thompson, Gordon Griffiths und Ja‐ mes Hankins, Binghampton 1987, S. 121–127. Folgende Diskussion basiert teilweise auf meiner Diskussion in einem koreanischen Aufsatz, „Ad libertatem et paritatemque ci‐ vium maxime omnium . . . “ Leondardo Bruni’s Idea of Ideal Government in the Context of Later Medieval Political Discourses, in: Journal of Western Medieval History 30/2 (2012), S. 199–223 (wiederabgedruckt mit Verbesserung in: Democracy in Europe: New Challen‐ ges and Problems, hg. von Hong-sik Cho, Seoul 2014, S. 19–45). 391 Oratio in funere Iohannis Strozze, 19–23, S. 285 f.: „Forma rei publice gubernande utimur ad libertatem paritatemque civium maxime omnium directa, que quia equalis est omnibus, popularis nuncupatur. Neminem enim unum quasi dominum horremus, non paucorum potentie inservimus: equa omnibus libertas, legibus solum obtemperans, soluta hominum metu. Spes vero honoris adipiscendi ac se attollendi omnibus par, modo industria adsit, modo ingenium et vivendi ratio quedam probata et gravis; virtutem enim probitatemque in cive suo civitas nostra requirit. Cuicunque hoc adsit, eum satis generosum putat ad rem publicam gubernandam. [. . . ] Hec est vera libertas, hec equitas civitatis: nullius vim, nul‐ lius iniuriam vereri, paritatem esse iuris inter se civibus, paritatem rei publice adeunde. Hec autem nec in unius dominatu nec in paucorum possunt existere. Nam regiam quidem gubernationem qui anteferunt, eam virtutem in rege effingere videntur, quam in nullo un‐ quam fuisse concedunt. Ecquis enim fuit unquam regum, qui cuncta eorum, qui regno subsunt, hominum causa fecerit, nichil vero sui gratia preter nudam nominis gloriam con‐ cupierit? Ex quo fit, ut monarchie laus veluti ficta quedam et umbratilis sit, non autem
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geisterung für die republikanische Selbstregierung des gesamten Bürgertums und die ungehemmte Feindschaft besonders gegen die Königsherrschaft eine neue Epo‐ che in der Geschichte der politischen Idee in Europa begründeten. 392 Diese These ist auf die verschiedensten Kritiken gestoßen. 393 Eine besonders drastische, die in der letzten Zeit viel an Einfluss gewonnen hat, sieht die republika‐ nischen Parolen der italienischen Humanisten lediglich als eine von realpolitischem Interesse motivierte Rhetorik an, die inhaltlich nicht als wahre Münze zu nehmen sei. Die Humanisten hätten sich durch ihre empathischen Lobpreisungen der Frei‐ heit der republikanischen Selbstregierung in den propagandistischen Dienst von Florenz gestellt, um im Kampf gegen seine Gegner, unter anderen das monarchi‐ sche Mailand, die anderen italienischen Kommunen zu einer Bündnispolitik zu bewegen. Die Humanisten, die der ökonomisch wohlhabenden und politisch mäch‐ tigen Oberschicht angehörten, hätten durch die Verbreitung des Phantombildes der Selbstregierung und der darin realisierten Freiheit und Gleichheit auch die faktische politische und soziale Ungleichheit zu verdecken gesucht. Sie hätten sich durch ihre expressa et solida. Regibus, inquit historicus, boni quam mali suspectiores sunt semperque his aliena virtus formidolosa est. Nec multo secus accidit in dominatu paucorum. Ita po‐ pularis una relinquitur legitima rei publice gubernande forma, in qua libertas vera sit, in qua equitas iuris cunctis pariter civibus, in qua virtutum studia vigere absque suspitione possint. Atque hec honorum adipiscendorum facultas potestasque libero populo hoc as‐ sequendi proposita mirabile quantum valet ad ingenia civium excitanda. Ostensa enim honoris spe erigunt sese homines atque attollunt, preclusa vero inertes desidunt, ut in ci‐ vitate nostra, cum sit ea spes facultasque proposita, minime sit admirandum et ingenia et industriam plurimum eminere.“ 392 Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance, Kap. 8. 393 Jerrold E. Seigel, ‚Civic humanism‘ or Ciceronian Rhetoric? The Culture of Petrarch and Bruni, in: Past and Present 34/1 (1966), S. 3–48; Peter Herde, Guelfen und Neo‐ guelfen, in: Ders., Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 1: Von Dante zum Ri‐ sorgimento. Studien zur Geistes- und Sozialgeschichte Italiens, Stuttgart, 1997, S. 259– 311 (zuerst in: Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolf‐ gang Goethe-Universität 22 (1986), S. 33–181); Ders., Politik und Rhetorik in Florenz am Vorabend der Renaissance. Die ideologische Rechtfertigung der Florentiner Außenpo‐ litik durch Coluccio Salutati, in: Ders., Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 91–159 (zuerst in: Archiv für Kulturgeschichte 47/2 (1965), S. 141– 220); Ulrich Meier, Der falsche und der richtige Name der Freiheit. Zur Neuinter‐ pretation eines Grundwertes der Florentiner Stadtgesellschaft (13.–16. Jahrhundert), in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiner und Ul‐ rich Meier, Göttingen 1994, S. 37–84; James Hankins, The Baron Thesis after Forty Years and Some Recent Studies of Leonardo Bruni, in: Journal of the History of Ideas 56/2 (1995), S. 309–338; Ders., Rhetoric, History, and Ideology: The Civic Panegyrics of Leonardo Bruni, in: Renaissance Civic Humanism: Reappraisals and Reflections, hg. von James Hankins, Cambridge 2000, S. 143–178.
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übertriebene Hymne auf das Glück, das das gegenwärtige republikanische Regime zu bringen verspreche, der herrschenden Schicht gefällig erweisen und ihre persön‐ liche Karriere fördern wollen. Diese Kritik hält also insgesamt die republikanischen Parolen für leere Formeln: Was wir in den Schriften der ‚Bürgerhumanisten‘ lesen, sage nichts über ihre tatsächlichen Überzeugungen. Dieser Verdacht hat sich besonders auf Bruni konzentriert, den Baron als Schlüs‐ selfigur des florentinischen Republikanismus angesehen hatte. Die Kritiker werden nicht müde, auf den Widerspruch zwischen seinem Bekenntnis zum Ideal der re‐ publikanischen Selbstregierung und Freiheit und seinen Äußerungen und seinem Verhalten zu verschiedenen Anlässen hinzuweisen, die jenem Bekenntnis wider‐ sprechen. Sein Bekenntnis zum populären Regime sei anzuzweifeln, denn er sei in jeder Hinsicht ein Parteigänger der Oligarchen gewesen, die wie die Albizzi Florenz tatsächlich nach ihren Interessen regiert hätten. Das von Florenz eifrig propagierte Bild seiner selbst als Bollwerk und Beschützer der Freiheit anderer Städte legitimiert nach James Hankins, einem der führenden Kritiker Barons in jüngerer Zeit, haupt‐ sächlich den eigenen imperialistischen Anspruch von Florenz, aber keine republika‐ nische Solidarität. Nach dieser Kritik ist Bruni also nicht mehr als ein geschickter Rhetoriker, der die Realpolitik von Florenz zu beschönigen wusste, und zwar aus der Perspektive der herrschenden Oligarchen. In der Tat spürt man bei Bruni keinen besonderen antimonarchischen Zug. In seiner Geschichte des florentinischen Volkes kommt keinem König eine negative Charakterisierung lediglich deswegen zu, weil er ein Alleinherrscher war. Und keine Stadtrepublik wird allein deswegen von vornherein positiv konzipiert, weil sie eine Form von Selbstregierung hat. 394 Die Feststellung von Hankins kann allenfalls in‐ sofern bestätigt werden, dass für Bruni signori could be good rulers, ruling in the interests of the governed, or they could be tyrants; but populi could also be good or bad. What distinguished good govern‐ ments from bad ones was not their constitutions but the virtues of their rulers. 395
Diese Auseinandersetzung ist auch für unsere Diskussion über Machiavellis poli‐ tische Idee von unmittelbarer Bedeutung, weil eine ähnliche Ambivalenz auch bei ihm anzutreffen ist. Im zweiten Kapitel des zweiten Buches der Discorsi sopra la prima Deca di Tito Livio (Discorsi) behauptete Machiavelli, dass die Staaten immer nur solange an Gebiet und Reichtum zugenommen haben, wie sie frei waren. 396 394 Leonardo Bruni, History of the Florentine people. Historiae Florentini Populi, hg. und übers. (ins Englische) von James Hankins, 3 Bde., Cambridge, Mass. 2001–2007. 395 Hankins, The Baron Thesis after Forty Years, S. 328. Ähnlich auch Hörnqvist, Ma‐ chiavelli and Empire, S. 55–57 und 61–64. 396 Discorsi, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, Lib. 2, Cap. 2, S. 148 (deutsche Übersetzung: Niccolò
Das Ringen um den Bürgerhumanismus
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Dies belegt nach Machiavelli vor allem die Geschichte von Athen und Rom, die nach der Vertreibung des Peisistratos (Athen) und der Tarquinier (Rom) rasch zur Größe heranwuchsen. Als Grund für diesen Zusammenhang nennt Machiavelli die hervorragende Beachtung und Pflege des Gemeinwohls bei den Bürgern, die unter einer solchen freiheitlichen Staatsverfassung leben. Machiavelli sagt: Die Ursache ist leicht einzusehen; denn nicht das Wohl des einzelnen, sondern das Gemeinwohl ist es, was die Größe der Staaten ausmacht. Ohne Zweifel wird das Gemeinwohl nur in Republiken beachtet; denn dort geschieht alles, was sei‐ ner Förderung dient, auch wenn es zum Schaden dieses oder jenes Privatmannes ausschlagen sollte. Es sind aber so viele, die daraus Nutzen ziehen, dass sie dieses auch gegen den Willen der wenigen, die darunter zu leiden haben, durchsetzen können. 397
Dem Herzen eines Fürsten liegt nach Machiavelli im Gegensatz allein an seinem eigenen Wohl, zu dessen Realisierung er vor keinerlei Übeltaten zurückschrecke. Was den Staat groß mache, halte er für seinen Schaden. 398 Er betrachte daher die Verdienstvollen und Tugendhaften unter den Bürgern mit Verdacht und Argwohn, und spare keine Mühe, sie von der Verwaltung des Staates fernzuhalten. Dadurch würden Aufblühen und Wachstum des Staates unter der fürstlichen Herrschaft von vornherein blockiert. Der Fürst versuche ständig, den Staat in sich gespalten zu hal‐ ten, damit er ewig und allein Herrscher bleiben könne. Mit diesem Urteil über die republikanische und die fürstliche Staatsverfassung schließt sich Machiavelli dem traditionellen republikanischen Diskurs an, den wir oben exemplarisch bei Bruni beobachtet haben. Gleichzeitig liest man ihn aber im Principe fragen, nämlich wie Fürstentümer regiert und behauptet werden können. 399 Machiavelli widmet das gesamte Werk diesem Thema, wobei er nicht einmal davor zurückschreckt, seinem fürstlichen Leser zu raten, nach Bedarf für die Erhaltung seiner Macht auch auf das grausamste und übelste Mittel zurückzugreifen. Wie konnte aber Machiavelli, der in den fast gleichzeitig verfassten Discorsi als überzeug‐ ter Republikaner auftritt und die Monarchie als freiheitswidrig verurteilt, über die Machiavelli, Discorsi: Gedanken über Politik und Staatsführung, übers. und erläu‐ tert von Rudolf Zorn, mit einem Geleitwort von Herfried Münkler, 3 Aufl., Stuttgart 2007, S. 179 f.). 397 Ebd.: „La ragione è facile a intendere; perché non il bene particulare, ma il bene comune è quello che fa grandi le città. E senza dubbio, questo bene comune non è osservato se non nelle republiche; perché tutto quello che fa a proposito suo, si esequisce; e quantunque e’ torni in danno di questo o di quello privato, e’ sono tanti quegli per chi detto bene fa, che lo possono tirare innanzi contro alla disposizione di quegli pochi che ne fussono oppressi.“ 398 Ebd. 399 Il principe, Kap. 2, S. 7 (deutsche Übersetzung: S. 9): „[. . . ] come questi principati si pos‐ sino governare e mantenere.“
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erfolgreiche Herrschaftsführung eines Fürsten in einer so kühnen Sprache disku‐ tieren? Diese Frage stellt sich sogar noch akuter, denn Machiavelli widmete diese Schrift eben Lorenzo di Piero de’ Medici (1492–1519), dem damaligen Führer der Medici-Dynastie, dessen Vorfahren in Florenz er sowohl in den Discorsi als auch in den Istorie fiorentine, seiner im Auftrag von Giulio de’ Medici in 1520 angefange‐ nen und ihm 1526 eingereichten Geschichte von Florenz, als diejenigen bezeichnet hatte, die durch ihre Faktion die Republik lahmgelegt hatten. Hier begegnet uns in der Tat dieselbe Doppeldeutigkeit, die wir bei Bruni und anderen Humanisten antrafen. Freilich fehlte es in der modernen Machiavelli-Forschung auch nicht an Versu‐ chen, diese Ambivalenz zu erörtern, und einige repräsentative Ansätze dazu sollen im nächsten Kapitel noch diskutiert werden. Die meisten von ihnen sind aber be‐ reits deswegen unzulänglich, weil sie diese Ambivalenz allein aus der inneren Dy‐ namik des Denkens Machiavellis oder aus seinen persönlichen Motivationen zu erklären versuchen. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass Machiavellis Am‐ bivalenz einen für seine Zeit und seine Theorie spezifischen Grund hat, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird. Da jedoch die Ambivalenz in Wirklichkeit eine gene‐ relle Erscheinung bei vielen florentinischen Schriftstellern ist, liegt es nahe, dass ein Teil der Antwort in der Tradition des republikanischen Diskurses in Florenz selbst gesucht werden muss. Das verfassungstheoretische Spezifikum des florentinischen Republikanismus zu verstehen soll deswegen der Anfang unserer Bemühung sein, das „Rätsel“ Machiavelli zu lösen und die in seinem Denken vollzogene Rückkehr des Politischen zu rekonstruieren.
3.2 Nicht-antimonarchischer Republikanismus im Mittelalter
Die verfassungstheoretische Ambivalenz im republikanischen Diskurs begegnet schon bei Tolomeo von Lucca, dessen politische Theorie in seiner Fortsetzung von De regimine principum von Thomas von Aquin bereits im vorigen Kapitel behan‐ delt wurde. Es mag allerdings zunächst fragwürdig erscheinen, unsere Diskussion über die republikanische Tradition in Florenz ausgerechnet mit Tolomeo zu begin‐ nen, nachdem wir seine unmittelbare Absicht mit der Förderung des politischen Interesses des päpstlichen Lagers in der damaligen Fehde mit dem französischen Kö‐ nig Philipp dem Schönen identifiziert haben, ganz abgesehen davon, dass er nicht aus Florenz stammte und seine Bildung nicht dem Humanismus verpflichtet war. Gleichwohl können wir gerade anhand der Theorie des Tolomeo die Kontur des damaligen republikanischen Diskurses in Italien rekonstruieren, der in enger Ver‐ bindung zum Guelfismus, ja als ein Teil desselben entstanden und entwickelt wurde. Außerdem hat seine Verfassungstheorie dem damaligen republikanischen Diskurs einen deutlichen Ausdruck verliehen und dadurch die Entwicklung der republika‐
Nicht-antimonarchischer Republikanismus im Mittelalter
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nischen politischen Theorie der späteren Zeit nachhaltig bestimmt. Umso wichti‐ ger ist es, seine verfassungstheoretischen Ansichten zu verstehen. Diese Verfassungstheorie wurde oben bereits eingeführt: Das Leben unter der republikanischen Selbstregierung (principatus politicus) ist frei und für diejenigen Völker geeignet, die tugendhaft und geistig rege sind und die Last der Alleinherr‐ schaft nicht ertragen können. Als solche Völker gelten Tolomeo zuerst die alten Römer, dann die Bürger der norditalienischen Kommunen, und als letzte die Bürger der Stadtkommunen in anderen west- und mitteleuropäischen Ländern. Seine Auf‐ fassung der monarchischen Verfassung (principatus regalis) und ihrer Bevölkerung bildet den denkbar deutlichsten Kontrast zu seinem hellen Bild der Republik und ihrer Bürger. Die monarchische Verfassung sei im Wesentlichen der Despotie gleich und nötig für diejenigen Völker, die wegen ihrer sittlichen Korruption, geistigen Unregsamkeit und Unterwürfigkeit nur durch den Zwang eines starken Herrschers in Zaum gehalten werden können. Es ist in der bisherigen Forschung aber völlig übersehen worden, dass Tolo‐ meo seine Verfassungstheorie nicht aus heiterem Himmel, sondern aus dem unter den Bürgern der italienischen Stadtkommunen verbreiteten patriotisch-republika‐ nischen Diskurs heraus geschaffen hat. Die Kontur dieses Diskurses kann anhand einiger Hinweise grob rekonstruiert werden. 400 Boncompagno aus Signa († nach 1240), der im frühen 13. Jahrhundert als Rhe‐ toriklehrer in Norditalien aktiv war, hat eine Sammlung von Musterbriefen, die Palma, zusammengestellt. In einem davon wird vor dem deutschen Kaiser die fol‐ gende Rede gehalten: Weil Italien allein aus allen Provinzen der Welt das besondere Privileg der Freiheit genießt, [. . . ] [sind] alle anderen Provinzen Italien besondere Ehre schuldig und [. . . ] müssen sich als ihm untertänig betrachten. 401
400 Einige Teile der folgenden Diskussion über Tolomeos Verfassungstheorie wurde auch dis‐ kutiert in: Bee Yun, Ptolemy of Lucca. 401 Boncompagnos Text steht in einer Web-Version zur Verfügung: Palma, hg. von Steven M. Wight, in: https://web.archive.org/web/20070207231638/http://dobc.unipv.it:80/ scrineum/wight/ (letzter Zugriff 12. 6. 2020). Das Zitat steht in den Paragraphen 37– 39: „Cum sola Italia inter cunctas mundi provincias speciali gaudeat privilegio libertatis, [. . . ] specialius est Italicis deferendum [. . . ] et illis universe provincie orbis merito subesse tenentur.“ Über Boncompagnos Idee der Freiheit siehe Robert L. Benson, Libertas in Italy (1152–1226), in: La Notion de Liberté au Moyen Age. Islam, Byzance, Occident (= Penn-Paris-Dumbarton Oaks Colloquia, Bd. 4), hg. von George Makdisi, Dominique Sourdel und Janine Sourdel-Thomine, Paris 1985, S. 191–213, hier S. 200–207. Über das geistige Umfeld Boncompagnos siehe Florian Hartmann, Ars dictaminis. Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahr‐ hunderts (= Mittelalter-Forschungen, Bd. 44), Ostfildern 2013.
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Diese Rede bringt das Gefühl der gesamtitalienischen Identität und den Patrio‐ tismus zum Ausdruck. Die Italiener seien das freie Volk in der Welt und insofern anderen Völkern übergeordnet. Genauso wichtig wie das Ausgesprochene ist aber der Gedanke, der hier unausgesprochen und nur im Hintergrund bleibt. In seiner für die modernen Leser auf den ersten Blick nicht ganz klaren Aussage, dass nämlich die Freiheit der Italiener ihren Anspruch auf die Weltherrschaft begründe, steckt das Argument, dass alle anderen Völker unfrei seien. Denn im mittelalterlichen Ver‐ ständnis sind die Unfreien den Freien Gehorsam schuldig, unabhängig davon, ob sie rechtlich den letzteren unterstanden oder nicht. 402 Im Argument des Boncom‐ pagno kann man bereits die fast manichäische Aufteilung der Welt finden, die wir bei Tolomeo haben, nämlich in die freien Völker einerseits, und die unfreien Völker andererseits. Im Zentrum des Stolzes der Bürger der italienischen Kommunen auf ihre Frei‐ heit lag das Bewusstsein, dass ihre republikanische Verfassung die monarchische übertraf. Brunetto Latini (†1294), der florentinische Oligarch und Lehrer Dantes, hat in seiner Schrift Le livres dou Trésor die republikanische Regierung in den ita‐ lienischen Stadtkommunen von der herrschaftlichen Praxis der übrigen Monarchie scharf abgegrenzt. 403 In Frankreich und manchen anderen Ländern, in denen der König und seine Fürsten eine permanente Herrschaft ausübten, würden die Ämter gegen Geld verkauft, ohne Beachtung der moralischen Qualität und der praktischen Fähigkeit eines Kandidaten oder des Nutzens für die Bevölkerung. Im Gegensatz dazu würden die Regenten- und Beamtenstellen in den italienischen Städten durch Wahlen besetzt, wobei das Wohl und die Sicherheit des Volkes in den Mittelpunkt der Überlegung gestellt würden. In dieser Äußerung, die etwa drei Jahrzehnte vor Tolomeo erfolgte, findet sich bereits die Dichotomie der eigensüchtigen und dem Volksinteresse widrigen Staatsverfassung, der Monarchie, und der dem Volk dienen‐ den und leistungsfähigen republikanischen Selbstregierung. Der berühmte Bericht des Otto von Freising in den Gesta Friderici informiert uns, dass dieser patriotische Stolz der Bewohner der italienischen Stadtkommu‐ nen auf ihre republikanischen Verfassung mit dem Bewusstsein ihres „nationalen“ Erbes von Rom verbunden war: Die Bewohner der norditalienischen Stadtkommu‐ nen liebten die Freiheit so sehr, dass sie in ihrer Stadtregierung die Römer nach‐ ahmten. 404 Freilich billigte der Aristokrat Otto, der jenen aufsässigen Kommunen
402 Johannes Fried, Über den Universalismus der Freiheit im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 240/2 (1985), S. 313–361, hier S. 320 f. 403 Brunetto Latini, The Book of the Treasure (Le Livres dou Trésor), übers. (ins Eng‐ lische) von Paul Barrette und Spurgeon Baldwin, New York u. a. 1993, S. 351 f. 404 Otto von Freising, Gesta Frederici seu rectius Cronica, hg. von Franz-Joseph Schmale und übers. von Adolf Schmidt, Darmstadt 1965, Lib. 2, Cap. 14, S. 308: „In ci‐ vitatum quoque dispositione ac rei publice conservatione antiquorum adhuc Romanorum
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als Gegner gegenüberstand, hier diesen Anspruch nicht. Er referierte lediglich das Selbstverständnis der Bürger jener Städte. Es liegt also nahe, dass alle ideologischen Elemente der Verfassungstheorie von Tolomeo – der Stolz auf das römische „Nationalerbe“ und die dementsprechende Idee der angeborenen Freiheit der Bürger der italienischen Kommunen und vor al‐ lem das Bewusstsein des Kontrastes zwischen dem Glück in der republikanischen Selbstregierung und dem Unglück unter der Monarchie – schon lange vorhanden waren. Es mag zunächst paradox klingen, wenn hier behauptet wird, dass diese verfas‐ sungstheoretische Ansicht kein Pauschalurteil über die real existierende Monarchie beinhaltet. Es wurde zwar bereits im vorigen Kapitel anhand des Denkens des To‐ lomeo gezeigt, dass man aus jener Verfassungstheorie nicht voreilig einen Antimon‐ archismus deduzieren darf. Wir hatten jedoch die Erklärung für diesen logischen Widerspruch aufgeschoben. Zuerst müssen wir verstehen, dass Tolomeos Aussage, die Monarchie sei das Pro‐ dukt der Sünde und Machtgier, wesentlich tyrannisch und nur für die Zügelung eines korrupten Volkes dienlich, in der damaligen diskursiven Praxis überhaupt kei‐ nen deterministischen Sinn hatte. Die verfassungstheoretische Formel des Tolomeo hatte eine andere Funktion, als ein unabänderliches Gesetz der Entwicklung der monarchischen Verfassung aufzustellen. Sie diente hauptsächlich dazu, im Falle des tyrannischen Verhaltens eines Monarchen, wie etwa bei der Herausforderung durch Philipp den Schönen einen allgemeinen Erklärungsrahmen zu bieten. Zugleich warnt Tolomeos verfassungstheoretische Formel die Monarchen vor der der monarchischen Verfassung inhärenten Gefahr der Tyrannei und mahnt sie dazu, sich stets an die ursprüngliche Gleichheit der Menschen zu erinnern und die Untertanen gerecht nach dem ursprünglichen Prinzip der Regierung zu leiten. To‐ lomeos Definition der Monarchie als despotisch und wegen der Schlechtigkeit des Volkes auch als legitim beinhaltet so jedoch kein normatives Argument. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, hatte Tolomeo die gute und wahre Monarchie für möglich gehalten und in der Herrschaft Christi, dann des Papstes als seines Stell‐ vertreters in der Welt, gerade ihre Realisierung gesehen. So stellte er in De regimine principum fest (um hier sein Argument noch einmal in Erinnerung zu rufen), dass die Monarchie Christi, und in seiner (Tolomeos) Zeit die Herrschaft des Papstes, auf dem Prinzip der Beratung und Führung beruhten. Tolomeo behauptete, dass die irdische Monarchie diese ideale Monarchie genau nachahmen müsse. In dieser Funktion ist Tolomeos Verfassungstheorie durchaus ‚didaktisch‘. Sie mag in unseren Ohren logisch inkonsistent klingen und ist es tatsächlich auch. Tolomeos didak‐ tische Verwendung des Begriffs war allen logischen Problemen zum Trotz jedoch imitantur sollertiam. Denique libertatem tantopere affectant, ut potestatis insolentiam fugiendo consulum potius quam imperantium regantur arbitrio.“
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im mittelalterlichen Ethik- und Politikdiskurs nicht außergewöhnlich. Sie ist be‐ reits in der durch das Mittelalter immer wieder anklingenden Idee gegeben, dass die Herrschaft in ihrer Natur eine Sklaverei sei. Im Ursprung seien die Menschen gleich gewesen und der Staat sei die Folge der Verbreitung der Sünden und Hab‐ gier und die Ersetzung dieses Urzustandes durch die Herrschaft der Mächtigen. 405 Wir dürfen aber aus dieser Begriffsbestimmung kein normatives Argument herzu‐ leiten versuchen, wie z. B. einen Anarchismus bzw. Kommunismus, nach dem jede Herrschaft abgeschafft werden müsse, oder einen Pessimismus, nämlich dass jede Staatsmacht gemäß ihrer Natur nicht anders werden könne als ausbeuterisch. Dies liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass diese These meistens von den‐ jenigen vertreten wurde, die der Herrschaft nahestanden, wie Hofpredigern und Päpsten. So beabsichtigte etwa Gregor der Große, der diese These systematisch und eifrig verfocht, damit eine Ermahnung zur guten Herrschaftsführung: Ein König solle sich in der ständigen Erinnerung an die ursprüngliche Gleichheit der Men‐ schen darum bemühen, seine Untertanen mild und wohlwollend zu regieren. 406 Obwohl Tolomeo die Monarchie als eine für die Unterdrückung der korrumpierten Völker notwendige Maßnahme darstellt, ist damit keineswegs intendiert, die tyran‐ nische Herrschaftsübung zu legitimieren. Seine Idee war nur eine leichte Variation der bekannten Formel der mittelalterlichen Herrschaftstheorie, jede Tyrannei sei die Bestrafung Gottes (flagellum dei) für die ethische Verfehlung eines Volkes – eine Formel, die ein Teil der Theodizee war. Kein Staatstheoretiker des Mittelalters hat aber damit gefordert, die Tyrannei anzuerkennen. Die radikale anmutende Herr‐ schaftstypologie Tolomeos resultiert auf diese Weise in einer gar nicht radikalen, eher nach mittelalterlichem Standard ganz normalen Herrschaftsidee. Obwohl das politische Denken des Tolomeo aus seinem Papalismus hervorgeht, gelten, wie betont, unsere auf Tolomeo bezogenen Beobachtungen für den gesam‐ ten republikanischen Diskurs der Zeit. Mit ihrem negativen Bild der Monarchie verbanden die Vertreter des republikanischen Diskurses keine Absicht, ein determi‐ nistisches Pauschalurteil über das Wesen der Monarchie auszusprechen. Dies wird an dem Idealbild des tugendhaften Monarchen ersichtlich, das Giovanni Villani, der florentinische Politiker, in seiner berühmten Stadtchronik Nuova cronica dar‐ 405 Über die Idee des Zeitalters der Unschuld in der Begründung der säkulären Herrschaft und der Rechtsordnung siehe Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterli‐ chen Gesellschafts- und Staatstheorie; Wolfgang Stürner, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsge‐ denken, Sigmaringen 1987; Peter Landau, Der biblische Sündenfall und die Legitimität des Rechts, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. von Dietmar Wil‐ loweit, München 2000, S. 203–214. 406 Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staats‐ theorie, S. 79–84; Yun, Ptolemy of Lucca’s Distrust in Politics and the Medieval Dis‐ course on Government, S. 46–49.
Nicht-antimonarchischer Republikanismus im Mittelalter
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stellt. 407 Er berichtet da von einem legendären Gebäude in der Nähe des Flusses Arno, das in der Volkssprache Parlagio heißt. Das Gebäude ließ nach Villani Cäsar bauen, damit er sich dort von den Bürgern beraten lassen konnte, als er mit seiner Armee die Partei von Catilina in Fiesole, einer Nachbarstadt von Florenz, belagerte. Es war rund und wunderbar gewölbt und hatte in der Mitte einen offenen Raum. Rundherum stiegen Stufen zum Sitzen auf. [. . . ] und darin versammelten sich die Leute, um einen Rat zu halten. Nach Rang war das Volk gesetzt: die Edelsten oben, und dann absteigend nach dem Rang des Volkes. Es war derart ausgestaltet, dass alle im Parlagio einander auf das Gesicht sehen können, und dass alle deutlich hö‐ ren können, was jemand spricht. Es fasste bequem zahllose Leute und sein richtiger Name war parlatorio. 408
An dieser völlig erfundenen Episode, die eigentlich dem patriotischen Wunsch diente, die Geschichte der Heimatstadt dadurch zu glorifizieren, dass ihre Grün‐ dung mit einer Berühmtheit verbunden wurde, fällt zugleich auf, dass Cäsar als ein politischer Führer auftaucht, der die Ratsversammlung des Volks nicht behindert, sondern fördert. Das von Cäsar erbaute Gebäude ist ein Bürgerauditorium, wo das Volk sich versammelt, um die gemeinsamen Angelegenheiten zu diskutieren. Diese Idee wird von Villani dadurch bestätigt, dass er das Gebäude in Parlatorio, Rede‐ platz, umbenennt. 409
407 Nuova Cronica, hg. von Giuseppe Porta, 3 Bde., Parma 1990–1991. Über Giovanni Vil‐ lanis Denken: Ernst Mehl, Die Weltanschauung des Giovanni Villani; Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Italiens im Zeitalter Dantes, Hildesheim 1973 (zuerst 1927); Louis Green, Chronicle into History. An Essay on the Interpretation of History in Florentine Fourteenth-Century Chronicles, Cambridge 1972, Kap. 1. 408 Nuova Cronica, Bd. 1, Lib. 1, Cap. 36, S. 56: „Solo Cesare con sua milizia rimase all’asedio. E in quella stanza comandò a’ suoi che dovessero andare nella villa di Camarti presso al fiume d’Arno, e ivi edificassero parlatorio per potere in quello fare suo parlamento, e una sua memoria lasciarlo: questo edificio in nostro volgare avemo chiamato Parlagio. E fu fatto tondo e in volte molto maraviglioso, con piazza in mezzo. E poi si cominciavano gradi da sedere tutto al torno [. . . ] e in questo si raunava il popolo a fare parlamento. E di grado in grado sedeano le genti: al di sopra I più nobili, e poi digradando secondo la dignità delle genti; e era per modo che tutti quegli del parlamento si vedeva l’uno l’altro in viso. E udivasi chiaramente per tutti ciò che uno parlava; e capevavi ad agio infinita moltitudine di genti; e’l diritto nome era parlatorio.“ 409 Es gab tatsächlich ein antikes Amphitheater in Florenz, das vor der antiken Stadtmauer, aber innerhalb des mittelalterlichen Florenz lag und dessen Struktur noch heute wie da‐ mals erkennbar ist. Villani hat also nicht ganz frei fantasiert, sondern seine Imagination auf ein tatsächlich vorhandenes antikes Gebäude gegründet. Ich danke Jörg Feuchter für diesen Hinweis.
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Laut Villani wurde dieses Gebäude später von Totila zerstört, aber seine Teile waren noch sichtbar und wurden als Fundament für Gebäude benutzt. 410 Eben die‐ ser Teil der Legende drückt die Überzeugung aus, dass die Tradition der kollektiven Beratung und des Konsenses, die von Cäsar gegründet und gefördert worden war, in die Stadtgründung und in die Verfassung von Florenz eingeflossen war. Hier sind das Bild eines guten und weisen Königs und das Bewusstsein der eigenen republika‐ nischen Tradition als Inbegriff der Freiheit reibungslos in eins verschmolzen. Trotz seiner unbezweifelbaren Treue zur republikanischen Verfassung seiner Heimatstadt äußert Villani überhaupt keinen Vorbehalt gegenüber den Königen. Dass die florentinischen Schriftsteller den normalen König vom Tyrann deutlich unterschieden und keinen grundsätzlichen Antimonarchismus gepflegt haben, wird noch einmal an Matteo Villani, dem jüngsten Bruder von Giovanni und Fortsetzer von dessen Chronik, ersichtlich. 411 Bei Matteo bleibt die herkömmliche Juxtaposi‐ tion der Freiheit der Kommunen und der unumschränkten Alleinherrschaft ohne Beteiligung des Volkes dominant. 412 Damit wird aber kein fundamentaler Einwand gegen die monarchische Verfassung formuliert. Er fordert dazu auf, die legitimen, angestammten Monarchien von den illegitimen Signorien seiner Zeit zu unterschei‐ den. In den ersteren trete die latente Gefahr der Tyrannei nicht so leicht auf, wäh‐ rend die letzteren häufig der Gewaltherrschaft verfielen. 413 Hier lässt Matteo, wie Tolomeo und Giovanni, die Möglichkeit grundsätzlich offen, dass der König durch die Beachtung der Gesetze und des Volkswillens eine gute Herrschaft ausübt. Dass die florentinischen Theoretiker ihr negatives Urteil über die Monarchie nicht im absoluten Sinne gefasst haben, lässt sich besonders an Salutatis Abhand‐ lung De tyranno über die Herrschaft des Königs erkennen. 414 Der unmittelbare Anlass dieser Schrift war Dantes extreme Verdammung von zwei Cäsar-Mördern, Brutus und Cassius, in seiner Divina comedia (Inferno 34). Diese Stelle hat für die nachfolgenden Generationen ein ernstes Problem aufgeworfen. War Cäsar nicht ein Tyrann, der die tugendhafte Republik für seine Machtgier zerstört hat? Diese Frage konnte besonders akut werden, weil Florenz sich in konstanter politischer Spannung mit den Visconti in Mailand befand, dem Haupt der Ghibellinen, der 410 Ebd. 411 Cronica. Con la continuazione di Filippo Villani, hg. von Giuseppe Forta, 2 Bde., Parma 1995. Über Matteo Villanis Denken: Green, Chronicle into History, Kap. 2; Harald Dickerhof, Florentiner ‚Guelfismo‘, politische Ordnung der Toskana und ‚Libertà dell’ Popolo Romano‘ bei Matteo Villani, in: Universität und Bildung. Festschrift für Lae‐ titia Boehm zum 60. Geburtstag, hg. von Winfried Müller, Martin Mulsow, Ralph Häfner und Florian Neumann, München 1991, S. 71–88. 412 Dickerhof, Florentiner ‚Guelfismo‘, S. 74. 413 Ebd., S. 75. 414 De tyranno, in: Coluccio Salutati, Political Writings, hg. von Stefano U. Baldassarri und übers. (ins Englische) von Rolf Bagemihl, Cambridge, Mass. und London 2014, S. 64–143.
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Kaiserpartei in Italien. In seiner Schrift versucht Salutati diese Frage zu beantwor‐ ten. Seine Absicht war, sowohl Cäsar als auch Dante vor dem Vorwurf zu retten. Sein Argument ist aber ungeordnet und nicht widerspruchsfrei. An einer Stelle be‐ tont er die persönliche Tugend Cäsars. An anderer Stelle weist er darauf hin, dass alle in Rom damals aus persönlicher Machtgier, nicht aus Liebe zum Gemeinwe‐ sen handelten und auch ohne Cäsar ihre Heimatstadt in Wirren gestürzt hätten. Nach Salutati hat Cäsar durch seine Machtergreifung Rom eher vor dem schlimms‐ ten Chaos gerettet als es zerstört. Was die Forschung wirklich irritiert hat, war aber die folgende Aussage des Salutati an einer zentralen Stelle: Ist diese politische Wahrheit nicht von allen Weisen festgestellt worden, dass die Monarchie allen Verfassungsformen vorzuziehen ist [. . . ]? [. . . ] Wenn also nichts edler und besser ist, als dass die Welt von einem Gebieter Gott regiert wird, dann ist die menschliche Regierung je besser, je näher sie der göttlichen nahekommt. 415
Die Irritation über diese Aussage ist leicht vorstellbar, wenn wir Salutatis Amt als Kanzler des republikanischen Florenz und seine hohe Würdigung der Freiheit und des Glücks der florentinischen Republik bedenken. Waren demnach all seine wiederholten Liebeserklärungen an die Freiheit von Florenz lediglich Lippenbe‐ kenntnisse? Müssen wir also Peter Herde folgen, der behauptete, dass Salutatis re‐ publikanische Parolen nicht mehr als politische Propaganda eines professionellen Rhetorikers waren, um die Machtinteressen von Florenz zu beschönigen? 416 Oder müssen wir mit Baron diesen ‚Widerspruch‘ als Ausdruck der inneren Schwäche des florentinischen Humanismus im Trecento verstehen, als jene separation of huma‐ nistic liberty from the realities of political life, 417 die dann von den Humanisten des Quattrocento, vor allem von Bruni, entscheidend überwunden werden sollte? Die Ansicht Salutatis von der Monarchie als der besten Verfassungsform wi‐ derspricht aber seinem Republikanismus nicht unbedingt. Der Vorbehalt der re‐ publikanischen Denker seiner Zeit gegenüber der Monarchie beruhte, wie wir bei Tolomeo beobachtet haben, auf der Anfälligkeit der Alleinherrschaft für die Tyran‐ nei aufgrund der Defizite der menschlichen Natur in dieser Welt. Im gegenwärtigen 415 Ebd., Cap. 4.16–17, S. 128–130: „Nonne politicum est et omnium sapientum senten‐ tiis diffinitum monarchiam omnibus rerum publicarum conditionibus praeferendam, si tamen contingat virum bonum et studiosum sapientiae praesidere? Nulla libertas maior quam optimo principi, cum iusta precipiat, oboedire. Quod si nihil divinius et melius quam mundus regitur uno solo praesidente Deo, tanto melius est humanum regimen quanto propinquius ad illud accedit.“ 416 Herde, Guelfen und Neoguelfen; Ders., Politik und Rhetorik in Florenz am Vorabend der Renaissance. Als ein Versuch, die Schrift De tyranno im Zusammenhang des floren‐ tinischen Imperialismus zu analysieren, ist zu nennen: Alexander Lee, Humanism and Empire. The Imperial ideal in Fourteenth-Century Italy, Oxford 2018, bsd. S. 170 ff. 417 Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance, S. 166.
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Zustand des Menschen sei die republikanische Selbstregierung eine viel bessere und sicherere Verfassungsform als die Monarchie. Damit wurde aber keineswegs geleug‐ net, dass die Welt von Gott monarchisch verwaltet wird und dass die monarchische Regierung daher eigentlich der göttlichen Perfektion nähersteht als die anderen Verfassungsformen. Ein tugendhafter König könne diese ideale Königsherrschaft wieder herstellen. Wenn also die Florentiner aus irgendeinem politischen Grund einen König preisen müssten, konnten sie ihn als einen solchen perfekten König lo‐ ben, und sogar die monarchische Verfassung, die an einen solchen König gebunden ist, als die beste bezeichnen. Salutatis Verteidigung von Cäsar und sein Lob der Monarchie waren genau ein solcher Fall. Vom Namen Cäsar hingen damals zwei ruhmvolle Traditionen der Flo‐ rentiner ab. Erstens galt Cäsar, wie wir bereits bei Giovanni Villani gesehen haben, für die Florentiner lange als ein Gründer ihrer Stadt. Zweitens wollte Salutati da‐ mit die Ehre Dantes verteidigen, des wichtigsten Schriftstellers und Stolzes von Florenz, der für Cäsar und gegen seine Mörder eingetreten war. Es gab für Salu‐ tati daher Motivation genug, Cäsar entschieden gegen jeden Angriff zu verteidigen. Zwar erkannte er an, dass Cäsar aus Machtgier gehandelt hatte, pries jedoch zu‐ gleich seine persönlichen Tugenden und seine Milde und besonders die Wirkung seiner Machtergreifung zugunsten der Wiederherstellung der Ordnung in der rö‐ mischen Republik. Um Cäsar zu verteidigen, hat er sich dann auch auf das in seiner Zeit gängige Argument berufen, dass die Monarchie die beste Verfassung sei. Eine solche Anerkennung bedeutete wiederum jedoch keine Selbstverleugnung für Salutati selbst und die anderen florentinischen Mitbürger. Sie konnten stets ihre Überzeugung beibehalten, dass aktuell die republikanische Verfassung die beste ist, weil ein solch tugendhafter König eher selten zu finden ist. Ferner konnte man sich zur Rechtfertigung der florentinischen Verfassung auf die Eigenschaften und Traditionen der Florentiner berufen, die nur die republikanische Verfassungsform als einzige möglich machten. Die Überzeugung der florentinischen Schriftsteller von der Überlegenheit der republikanischen Verfassung gegenüber der monarchi‐ schen, und auch die kritischen Äußerungen über die letztere, waren daher trotz aller scheinbaren Ambivalenzen und Widersprüche keine leeren Formeln und keine bloße Rhetorik. Die erstaunliche Metamorphose des republikanischen Diskurses war allerdings nur deswegen möglich, weil man die Verfassungsfrage noch nicht als die zentrale Frage der politischen Überlegungen ansah. 418 Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, waren sich die mittelalterlichen Denker generell der Differenzen der Verfas‐ sungsformen nicht so sehr bewusst wie die Menschen der englischen und franzö‐ sischen Revolution im 17. und 18. Jahrhundert. Selbst die Wiederentdeckung der 418 Vgl. James Hankins, Exclusivist Republicanism and the Non-Monarchical Republic, in: Political Theory 38/4 (2010), S. 452–482.
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Politik des Aristoteles hatte die Lage nicht grundsätzlich geändert. Zwar hat man sich im Rahmen der Exegese der Politik häufig auf das Thema der besten Staats‐ verfassung eingelassen, einzelne Konzepte und Formeln ernstgenommen und sie in verschiedene Diskussionszusammenhänge eingeführt. Doch kannte man noch kei‐ nen Kampf auf Leben und Tod über die Verfassungsform. Wenn die florentinischen Schriftsteller die monarchische Verfassungsform an‐ griffen, war damit weniger intendiert, die Frage nach der besten Verfassung zu ent‐ scheiden, sondern vielmehr durch den Spott über die politische Konstitution der Gegner eben deren Eigenschaften, Traditionen und Lebensweisen zu schmähen. Denn es war ja eine weit verbreitete Idee des Mittelalters, dass politische Institu‐ tionen der Qualität des Volkes unmittelbar entsprachen. Hatte Isidor von Sevilla nicht in seinen Sententiae gesagt, dass das Volk gerade wegen seiner Schlechtigkeit unter einem Tyrann leiden muss? 419 Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass wir aus den antimonarchisch klingenden Äußerungen der florentinischen Bürger und Schriftsteller vom 13. bis 14. Jahrhundert keinen radikalen Antimonarchismus erschließen dürfen. Der Re‐ publikanismus in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert war keineswegs antimon‐ archisch und darf also mit dem militanten Republikanismus der großen Revolu‐ tionen des 17. und 18. Jahrhunderts nicht verwechselt werden. Wir können vom Republikanismus von Florenz in dieser Zeit nur in dem Sinne sprechen, dass jene Bekenntnisse zur republikanischen Tradition und Verfassung von Florenz keine Leerformeln waren und dass sie einen wichtigen Teil des Selbstverständnisses der florentinischen Bürger bildeten. Dieser Republikanismus war aber eher eine patrio‐ tische Ideologie als ein universaler Wert. Das Lob der republikanischen Verfassung war ein Versuch, gemäß der mittelalterlichen Denktradition die Exzellenz und Tu‐ gendhaftigkeit der Florentiner zu rühmen. Mehr war es noch nicht. Wir können grundsätzlich dasselbe über andere politische Schriftsteller in Flo‐ renz im 15. Jahrhundert sagen, vor allem über Bruni. Brunis negative Einschätzung Cäsars, auf die Baron soviel Wert legte, um ihn zum Pionier des florentinischen Re‐ publikanismus zu machen, kann nichts an unserem Schluss ändern. Bruni hat in der Laudatio florentine urbis 420 behauptet, dass die ungerechte Herrschaft Cäsars die 419 Isidor von Sevilla, Sententiae (= Corpus Christianorum Series Latina, Bd. 111), hg. von Pierre Cazier, Turnhout 1998, Lib. 3, 48.11, S. 299: „Reges quando boni sunt, muneris esse Dei; quando uero mali, sceleris esse populi. Secundum meritum enim plebium dispo‐ nitur uita rectorum [. . . ] Irascente enim Deo, talem rectorem populi suscipiunt, qualem pro peccato merentur.“ 420 Laudatio Florentine urbis, hg. von Stefano U. Baldassarri, Florenz 2000. Englische Über‐ setzung: Panegyric to the city of Florence, in: The Earthly Republic. Italian Humanists on Government and Society, hg. von Benjamin G. Kohl und Ronald G. Witt, 3. Aufl., Phil‐ adelphia 1978, S. 135–175. Auch Bruni, History of the Florentine People, 1. 38, S. 48– 50.
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einstigen römischen Tugenden ausgelöscht hat. Nach der Herrschaft Cäsars habe von Rom keine Exzellenz mehr erwartet werden können. 421 Er bezeichnet Cäsar daher zusammen mit anderen Tyrannenkaisern der römischen Zeit wie Nero, Vitel‐ lius, Domitian und Heliogabal als Zerstörer der Freiheit der Römer und kriminellen Usurpator. 422 Was Bruni, anders als Giovanni Villani und Salutati, zur Stellungnahme gegen Cäsar veranlasst hat, war aber keine fundamentale Kritik an der Monarchie per se, sondern der Krieg von Florenz gegen den mailändischen Herzog Giangaleazzo Visconti. Giangaleazzo war damals das Haupt der Ghibellinen, der Kaiserpartei, in Italien. Bereits lange vor Bruni hatte der Name der Ghibellinen den Florenti‐ nern als Synonym für die Tyrannei gegolten, da sie sich traditionell mit den Guelfen identifizierten, wobei Florenz als legitimes Erbe von Rom als Bollwerk der italie‐ nischen Freiheit stilisiert wurde. So setzte Matteo Villani die Ghibellinen mit den Schwärmern für die Tyrannei gleich. In seiner Chronik stellte er z. B. fest, dass die Tyrannen in der Geschichte und Wirklichkeit entweder die Ghibellinen oder die Verräter der Guelfen, also wiederum die Ghibellinen, sind. Dieser Tyrannei der Kai‐ serpartei setzte er die Taten und die Mission Florenz’ für die Freiheit vom gesamten Italien entgegen, die aus seiner Erbschaft von Rom stammen. 423 Giangaleazzos Ex‐ pansionspolitik gegen Florenz wurde daher von den Florentinern als Angriff des Tyrannen auf ihre Freiheit verstanden. Man konnte leicht die Kritik an der Kaiser‐ partei zur Kritik am ersten Gründer der Partei, Cäsar, selbst steigern. Denn es war eine weitverbreitete Überzeugung, dass das Schicksal und der Charakter einer In‐ stitution sich bereits im Moment der Gründung zeigten. 424 Cäsar musste also zum Tyrann erklärt werden. Es ist daher nicht dem Argument von Baron zuzustimmen, aus dem Angriff auf Cäsar auch eine entscheidend veränderte Haltung gegenüber der Monarchie abzu‐ leiten. Cäsar war bereits von Johannes von Salisbury als Tyrann bezeichnet worden, und seine Schrift, die in manchen Punkten Brunis Kritik vorwegnimmt, erfreute
421 Ebd., Cap. 2: 41, S. 19: „Nam posteaquam res publica in unius potestatem deducta est, preclara illa ingenia, ut inquit Cornelius, abiere, ut plurimum intersit tunc an inferiori tempore colonia hec fuerit deducta, cum ita iam omnis virtus ac nobilitas romane urbis extirpata erat ut nichil preclarum neque egregium qui migrabant secum possent efferre.“ 422 Ebd., Cap. 2: 38–40, S. 17 f. 423 Dickerhof, Florentiner ‚Guelfismo‘, S. 79–84. 424 So äußert sich Bruni in der Laudatio Florentine urbis, Cap. 2: 42, S. 19: „Nunc vero, cum Florentia eiusmodi habeat auctores quibus omnia que ubique sunt virtute atque armis domita paruerint, et cum eo tempore deducta sit quo populus romanus liber atque in‐ columis potentia, nobilitate, virtute, ingeniis maxime florebat, a nullo profecto dubitari potest quin hec una urbs non solum pulchritudine et ornatu et opportunitate loci, ut vide‐ mus, sed etiam dignitate et nobilitate generis plurimum prestet.“ Über die Bedeutung des
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sich damals großer Popularität in Italien. 425 Die Charakterisierung von Cäsar war bereits vor Bruni eine umstrittene Frage gewesen. Es bedurfte also keiner revolu‐ tionären Gesinnungsänderung, um ihn als Tyrann zu kritisieren. Die Bürger der italienischen Kommunen hatten ferner bereits während der hitzigen Auseinander‐ setzungen mit der Reichsmacht jenseits der Alpen im 12. und 13. Jahrhundert ge‐ nügend Erfahrung darin gesammelt, den Kaiser als Tyrannen zu beschimpfen. Umso einfacher könnte es für Bruni gewesen sein, den Urgründer des Kaisertums als Ge‐ waltherrscher zu bezeichnen. Bruni war also kein Antimonarchist. Vielmehr hat Bruni, wie Salutati und an‐ dere, die Möglichkeit einer guten Königsherrschaft überhaupt nicht geleugnet und war sogar bereit, die Herrschaft eines solchen Königs zu preisen, wie er es während seiner Amtszeit als Kanzler tatsächlich getan hat. Es liegt dabei auf der Hand, dass eine Verfassungsform kein entscheidendes Kriterium für sein Urteil über eine gute und eine schlechte Regierung war. In seinem tatsächlichen Urteil über einen König und seine Herrschaft ging es Bruni vielmehr darum, ob die Politik des betroffenen Königs dem politischen Interesse von Florenz zuträglich war. Falls ein König der Erwartung der Florentiner entsprechend handelt, kann das als Zeichen ausreichend sein, dass seine Herrschaft auf dem Konsens und Gesetz gründet. Aufgrund unserer bisherigen Beobachtungen können wir mit Gewissheit aus‐ schließen, dass der republikanische Diskurs eine substanzlose Chimäre war, wie die Kritiker Barons meinten. Der republikanische Diskurs bot den florentinischen Bürgern einen wichtigen Rechtfertigungsgrund für ihre Stadt, ihre Geschichte und ihre Verfassung. Er diente den florentinischen Bürgern auch als theoretischer Rah‐ men, die politische Welt zu beschreiben und zu bewerten. Selbst wenn Bruni und andere bloße Berufsrhetoriker gewesen sein sollten, die innerlich nicht unbedingt daran glaubten, was sie selber schrieben, konnte ihr rhetorischer Einsatz nur des‐ wegen Erfolg haben, weil das florentinische Volk das glaubte und glauben wollte, Gründer-Topos im Mittelalter siehe die Beiträge in Peter Wunderli (Hg.), Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation, Sigmaringen 1994, bsd.: Ders., Herkunft und Ursprung, S. 9–25; Rudolf Hiestand, „Civis Romanus sum“. Zum Selbstverständnis bürgerlicher Führungsschichten in den spätmittelalterlichen Städ‐ ten, S. 91–109; Gerhard Dilcher, Mythischer Ursprung und historische Herkunft als Legitimation mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen zwischen Leges und Sachsenspiegel, S. 141–155. Über die Gründungsmythen in Italien vor dem Humanismus und ihre Bedeu‐ tung siehe vor allem Jörg W. Busch, Die vorhumanistischen Laiengeschichtsschreiber in den oberitalienischen Kommunen und ihre Vorstellungen vom Ursprung der eigenen Heimat, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung eu‐ ropäischer Humanisten, hg. von Johannes Helmrath, Ulrich Muhlack und Gerrit Walther, Göttingen 2002, S. 35–54. 425 Zur Bekanntheit der Schrift des Johannes von Salisbury im spätmittelalterlichen Italien siehe vor allem Elsmann, Untersuchung zur Rezeption der Institutio Traiani, S. 135– 160.
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was es von diesen Gebildeten hörte. Gleichzeitig muss bestritten werden, dass sie sich dabei als wirkliche Gegner der Monarchie verstanden und benommen haben. Sie waren nur soweit republikanisch, als sie ihre – republikanische – Verfassung für die beste hielten und ihre Identität, ihr Recht und ihre Würde gerade als freie Bür‐ ger der Republik verstanden. Einen Republikanismus als universale Ideologie, der ausschließlich der republikanischen Verfassung eine Legitimität zuerkennt und ihre Realisierung in der Welt zu einer Mission macht, kannten sowohl die florentini‐ schen Bürger als auch ihre Theoretiker noch nicht. Wenn Machiavelli lediglich von der Freiheit der florentinischen Republik und über die Unfreiheit des Lebens unter der Monarchie geredet hätte, würde sein Den‐ ken angesichts unserer bisherigen Diskussion keine besondere Erklärung mehr ver‐ langen. Weil der damalige republikanische Diskurs keine prinzipielle Ablehnung der Monarchie selbst bedeutete, konnte man damals einerseits von der Unfreiheit in der Monarchie sprechen, andererseits von der guten Herrschaft eines Monar‐ chen schreiben, ohne damit doppelzüngig zu sein. Wir könnten also den Principe lediglich als eine weitere Evidenz dafür betrachten, dass der florentinische Repu‐ blikanismus die Legitimität der Monarchie durchaus nicht ausschloss. Nun ist es aber so, dass es im Principe ein Problem gibt, das eine solche Erklärung unzuläng‐ lich macht. Machiavelli hat ja den Principe nicht für einen fremden Monarchen oder Fürsten, sondern für die Medici und für ihre fürstliche Herrschaft in Florenz verfasst, und dies widerspricht der Denktradition in Florenz, die einzig eine repu‐ blikanische Selbstregierung für die legitime Herrschaftsform für Florenz hielt. Machiavellis Position gegenüber der Herrschaft der Medici im Principe ist frei‐ lich kein Resultat seiner Willkür. Sie ist auch keine Bewerbungsstrategie eines ver‐ zweifelten Mannes um eine Stelle bei den neuen Herren. Sie steht vielmehr durch‐ aus in der Linie der Transformation des florentinischen Republikanismus seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, besonders hinsichtlich der radikalen Veränderung der Bewertung der Alleinherrschaft. Um Machiavellis politische Theorie vollständig zu erklären, müssen wir daher die Ursache und Gestalt dieser diskursiven Wende ver‐ stehen, die etwa 20 Jahre vor der Abfassung vom Principe in Florenz eintrat.
3.3 Die Krise des Republikanismus in Florenz
Es ist nicht nötig, noch einmal die entscheidende Wirkung der Italieninvasion Karls VIII. von 1494 auf die politische Theorie und Praxis in Italien und in Flo‐ renz im Besonderen hervorzuheben. Die Niederlage hatte die Schwäche der italie‐ nischen Republiken, ihrer Diplomatie und ihres Militärs ans Tageslicht gebracht. Mit diesem Ereignis war die Kontrolle über die Politik in Italien den Händen der Italiener entglitten. Das Land war zur Bühne des europäischen Großmächtespiels
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geworden. 426 Gerade Machiavellis heftige Kritik an der florentinischen Diplomatie, die sich stark auf das Verhandlungsgeschick und eine Strategie des Abwartens be‐ schränkt hatte, und sein Projekt für eine Miliz, das in vielen Hinsichten die Idee der Nationalarmee in späteren Zeiten vorwegnahm, sind nicht vollständig zu erklären, ohne die Konsequenzen des Italienzugs des französischen Königs zu berücksichti‐ gen. 427 Wenn auch seine Missbilligung des Söldnertums und sein Traum von einem patriotisch motivierten Heerwesen bereits eine lange Tradition im humanistischen politischen Diskurs hatte, 428 waren es doch die Erfahrungen der Demütigung und Niederlage jener Tage und der sich daraus ergebenden Änderung der politischen Landschaft in Italien, die Machiavelli dazu veranlassten, die florentinische Diplo‐ matie und Kriegsführung gründlich zu kritisieren und sich neu mit der Frage eines aktuellen Heeresreformplans zu befassen. Der politische Klimawechsel infolge der Erniedrigung in jenen Jahren am Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts war aber noch tiefgreifender, als wir es anhand der einzelnen Kritiken und Reformvorschlägen vermuten können. 429 Denn die Niederlage im Jahr 1494 und ihre politischen Konsequenzen erschüt‐ terten auch das bisherige Selbstverständnis der florentinischen Bürger zutiefst. Die gesamte Bürgerschaft geriet dadurch in einen Zustand der Orientierungslosigkeit, der in der eindringlichen Warnung Girolamo Savonarolas (†1498) vom 7. Dezem‐ ber 1494 vor der Flucht in die Astrologie und andere Wahrsagereien deutlich wird. Savonarola, 430 ein Dominikanermönch aus Ferrara, der in der nach dem Umsturz 426 Um die Machtkämpfe um Italien siehe Garrett Mattingly, Renaissance Diplomacy, London 1962, 3. Teil. 427 Felix Gilbert, Machiavelli: The Renaissance and the Art of War, in: Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear War, hg. von Peter Paret, Princeton 1986, S. 11– 31; Münkler, Machiavelli, Kap. 10. 428 Siehe vor allem Brunis Schrift De militia, in: C. C. Bayley, War and Society in Renaissance Florence: The De Militia of Leonardo Bruni, Toronto 1961, S. 369–389. Siehe auch den von Bartolomeo Sacchi (Il Platina) 1470–1471 verfassten Fürstespiegel De principe, hg. von Giacomo Ferrau, Palermo 1979, Lib. 3. Siehe z. B. die folgende Bemerkung von Platina (S. 159): „Philosophorum omnium sententiis, qui politica scripsere partem enim civium bellicae rei semper ascribunt, qui agros ab incursionibus hostium et urbanam multitu‐ dinem tueantur.“ Zur Söldnerkritik und Idee der Miliz im humanistischen Diskurs vor Machiavelli siehe Bayley, War and Society in Renaissance Florence [wie oben], S. 196– 240. 429 Lauro Martines, Scourge and Fire. Savonarola and Renaissance Italy, London 2006, S. 43–57. 430 Zu Person, Leben und Werken Savonarolas gibt es eine umfangreiche Literatur. Davon zu nennen sind neben Martines, Scourge and Fire, auch Rachel Erlanger, The Unarmed Prophet. Savonarola in Florence, New York u. a. 1988. Zu seinem Denken: Ro‐ nald Weinstein, Savonarola and Florence. Prophecy and Patriotism in the Renaissance, Princeton 1970; Lorenzo Polizzotto, The Elect Nation: The Savonarolan Move‐
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der Medici-Herrschaft etablierten populären Regierung eine führende Rolle spielte, hielt seinen Mitbürgern vor: Erneuere deinen Geist, denn es scheint, dass du ihn verloren hast; nimm in allem Zuflucht bei Gott, und habe keine Angst vor Heeren, auch nicht vor einem Cyrus, der gegen Babylon und Jerusalem zieht, das heißt gegen die Kirche, um zu vernich‐ ten, was schlecht aufgebaut ist, damit es neu entstehe. O Florenz, verbanne aus dir jeden Aberglauben und „a signis coeli noli metuere“, wie die Schrift sagt, das heißt, folge nicht den Zeichen am Himmel! 431
Savonarolas dringende Mahnung an die florentinischen Bürger, sich zusammenzu‐ reißen und nicht den Astrologen hinterherzulaufen, bezeugt die Tiefe und Breite der Verwirrung und des Orientierungsverlustes der Florentiner in jenen Jahren. Dieser geistige Zusammenbruch der florentinischen Bürgerschaft betraf die Grundannahmen über ihr geschichtliches Erbe, ihre Tradition und vor allem ihre politische Verfassung. In ihrer Geschichte hatten sich die Florentiner lange als die‐ jenigen verstanden, die tugendhaft und geistig rege genug waren, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihre republikanische Verfassung war für sie also der unmittelbare Ausdruck ihrer angeborenen Tugenden. Sowohl ihre Eigenschaften als auch ihre politische Konstitution waren nach diesem Selbstverständnis das di‐ rekte Erbe der alten Römer, der Eroberer der ganzen Welt und der Beschützer der Freiheit. Die Florentiner leiteten daraus ab, dass sie wie die Römer eine Mission hat‐ ten, im Namen der Freiheit gegen die Tyrannei zu kämpfen und Italien wieder zur Größe zu bringen. Die Gründungsgeschichte in der Chronica de origine civitatis, dem ersten Be‐ richt eines anonymen Autors über die Frühgeschichte von Florenz aus dem frühen ment in Florence 1494–1545, Oxford 1994; Stella Fletcher und Christine Shaw (Hg.), The World of Savonarola. Italian Élites and Perceptions of Crisis, Aldershot u. a. 2000 (bsd. Lauro Martines, Literary Crisis in the Generation of 1494, S. 5–21; Ali‐ son Brown, Ideology and Faction in Savonarolan Florence, S. 22–41; Nicolai Rubin‐ stein, Savonarola on the Government of Florence, S. 42–54; Lorenzo Polizzotto, Savonarola and the Florentine Oligarchy, S. 55–64). Wir zitieren im Folgenden seine Predigten aus zwei Ausgaben in deutscher Übersetzung: Girolamo Savonarola, Pre‐ digten und Schriften, ausgew. und erläut. von Mario Ferrara, übers. von Antonie Leinz, Salzburg 1957; Ders., O Florenz! O Rom! O Italien! Predigten, Schriften, Briefe, ausgew. und übers. von Jacques Laager, Zürich 2002. 431 Prediche sopra aggeo, hg. von Luigi Firpo, Rom 1965, S. 129 (O Florenz! O Rom! O Ita‐ lien!, S. 113): „[. . . ] rinuovati lo intelletto, chè par tu l’abbi perduto, ricorri a Dio in ogni tua cosa, e non aver paura di eserciti, nè di Ciro che viene contra Babillonia o contra Ieru‐ salem, cioè contra la Chiesa, per gustare quel chel è male edificato e poi rinovarsi. Firenze, escludi da te ogni superstizione e ‚a signis coeli noli metuere‘, come dice la Scrittura, cioè: non andate drieto a’ segni de’ cieli.“
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13. Jahrhundert, belegt die zeitige Herausbildung dieses Selbstbildes der Florenti‐ ner. 432 Danach beginnt die Geschichte von Florenz mit der Zuflucht der Parteigän‐ ger des Catilina nach Fiesole gleich nach der Entdeckung seiner Verschwörung gegen die römische Republik. 433 Die Fiesolaner schützten sie vor dem römischen Heer, das sie verfolgte. Sie töteten den römischen Feldherrn namens Florinus und leisteten Widerstand gegen Cäsar, der nach dem Tod des Florinus Fiesole belagerte. 434 Nach der Eroberung und Zerstörung von Fiesole entschloss sich Cäsar, eine neue Stadt eben dort zu gründen, wo Florinus getötet worden war. Er ließ in der neu gegründe‐ ten Stadt die Römer gemeinsam mit den Fiesolanern siedeln. Auch alle Institutionen und Gebäude der neuen Stadt ahmten Rom nach. Deswegen wollte man diese Stadt eigentlich Parva Roma, Kleines Rom, nennen, bis der Senat sich doch entschloss, sie nach Florinus zu benennen. Dies war der Anfang von Florenz. Fünfhundert Jahre später kam der Gotenherrscher Totila als Geißel Gottes (flagellum Dei), machte Flo‐ renz dem Erdboden gleich und errichtete Fiesole wieder, um den Römern schweren Schaden zuzufügen und die Wiederherstellung von Florenz für immer zu verhin‐ dern. 435 Dennoch haben die Römer später Florenz wieder erbaut und zwar erneut nach dem Modell Roms, damit es Fiesole weiter widerstehen konnte. Diese Gründungsgeschichte, deren Grundmuster bei späteren florentinischen Geschichtsschreibern, nicht zuletzt bei Giovanni Villani, immer wieder auftauchen sollte, stellt Florenz in die unmittelbare Nachfolge Roms und macht es damit zur Repräsentantin der Freiheit auf Erden. 436 Der Gegensatz zu Florenz ist Fiesole, das hier durch seine Verbindung zu Catilina und Totila stets als Gegnerin der Freiheit und als Symbol der Tyrannei dargestellt wird. Daraus entsteht ein Selbstbild, in dem Florenz die Rolle einer Freiheitskämpferin zukommt, die die Welt gegen das Dunkel der Tyrannei schützt. Für unsere Diskussion ist es nicht nur relevant, dass die Florentiner die Er‐ oberung und Zerstörung einer ihrer Nachbarstädte mithilfe dieses schematischen Selbstbildes verstanden. Viel wichtiger ist, dass dieses Schema den Florentinern als ein Fenster diente, durch das sie in die Außenwelt hinausblickten und durch des‐ sen Rahmen sie ihre Geschichte, ihre Tradition und ihre Zukunft, kurzum ihre Identität, definiert haben. Es ist daher nicht erstaunlich, dass dasselbe Muster in verschiedensten Zusammenhängen immer wieder begegnet. 432 Der Text ist ediert in Quellen und Forschungen zur ältesten Geschichte der Stadt Florenz, hg. von Otto Hartwig, Marburg 1875, S. 35–69. Zur Diskussion: Nicolai Rubinstein, The Beginnings of Political Thought in Florence. A Study in Mediaeval Historiography, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5 (1942), S. 198–227, hier S. 199– 209. 433 Chronica de origine civitatis, Cap. 7 f. 434 Ebd., Cap. 9. 435 Ebd., Cap. 10. 436 Ebd.
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In seinem Brief an die Römer vom 1. Februar 1376, mit dem er sie während des Krieges der Acht Heiligen zum Bündnis mit den Florentinern gegen den französi‐ schen Papst Gregor XI. und seine Gouverneure und Beamten zu überreden suchte, schrieb er, dass wir, die wir auf unsere römische Abstammung stolz sind, wie sie uns die Geschichtsschreiber überliefern, und uns immer noch die Erinnerung an die alte Mutter bewahren, bereit sind, der zu schützenden Freiheit halber ein Bündnis mit euch ab‐ zuschließen. 437 Ein Bündnisvorschlag ist für die Florentiner also die Erfüllung ihrer Freiheitsmission, der sie als Erben der Römer verpflichtet sind. Selbstverständlich gilt den Florentinern die Ablehnung ihres Vorschlages eines Bündnisses bzw. der Freund‐ schaft konsequenterweise als Verrat am Freiheitsideal und an den Interessen aller Italiener. So warf Salutati dem Galeotto Malatesta von Rimini in seinem Brief vom 6. April 1376 die Begünstigung und Förderung der Fremdherrschaft im Kirchenstaat vor und identifizierte jede Distanzierung von Florenz mit einem Verrat an ganz Ita‐ lien und allen Italienern zugunsten der „französischen Tyrannei“. 438 Ein weiteres Beispiel für dieses Selbstverständnis der Freiheitsmission der Flo‐ rentiner ist ein Brief vom 1385 an die Bürger von Volterra, die seit 1361 unter der Herrschaft von Florenz standen. Darin wurde argumentiert, dass die Florentiner vormals Volterra unter ihre Obhut gebracht hätten, als dessen Bürger von Zwie‐ tracht unter den Tyrannen erschüttert, daher auf dem Weg zur Sklaverei waren, und sich nach der Freiheit sehnten. 439 Vom Eroberungskrieg über den Bündnisvorschlag zur Vormundschaft über eine andere Stadt wird alles demselben Selbstbild und dem‐ selben Bewusstsein von der eigenen Mission untergeordnet. Die Florentiner haben ihrer Geschichte, ihrer Verfassung und ihrer Politik au‐ ßerdem auch eine gewisse heilsgeschichtliche Dimension verliehen. In der guelfi‐ 437 Die Staatsbriefe Coluccio Salutatis. Untersuchungen zum Frühhumanismus in der Flo‐ rentiner Staatskanzlei und Auswahledition (= Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde / Beiheft, Bd. 3), hg. von Hermann Langkabel, Köln und Wien 1981, Nr. 23, S. 111: „Nos autem, qui Romanos nos fuisse, prout nostris annotatur hysto‐ riis, gloriamur, antique matris memores et, qui nuper oratoribus vestris, quod potuimus, responsum per eos vobis referendum circumspectione solita prebuimus, nos in libertatis tuende venturos vobiscum federa pollicemur [. . . ].“ 438 Ebd., Nr. 28, S. 119: „Unum tamen, de quo videmini nos monere, quod novas amicitias relictis veteribus non queramus, vos ipse revolvite, vos librate et cavete, cum sitis Gallice tirannidis defensor et pugil contra nos, quos amicos antiquos et veteres nuncupatis, quod non possimus in vos hoc idem dictum et vere et iure reflectere, forsitan et augere, qui ne‐ dum amicos novos queritis et gentem vobis et cunctis Italis inimicam offendendo vestram Italiam vobis conciliare etiam in nostram displicentiam procuratis.“ 439 Nicolai Rubinstein, Florence and the Despots. Some Aspects of Florentine Diplo‐ macy in the Fourteenth Century, in: Transactions of the Royal Historical Society 2, 1. Ser. (1952), S. 21–45, hier S. 33 (wieder abgedruckt in: Ders., Studies in Italian History in the Middle Ages and the Renaissance, Bd. 2: Politics, Diplomacy and the Constitution in Florence and Italy, hg. von Giovanni Ciappelli, Rom 2011, S. 47–70).
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schen Ideologie, mit der sich die Florentiner durchaus identifiziert haben, nimmt die Stadt an dem Heilsplan Gottes dadurch teil, dass sie die Kirche vor ihren Fein‐ den, vor allem den Ghibellinen, mithin der Partei der Tyrannen, schützt. Die floren‐ tinische Verfassung, die ohnehin schon als Bollwerk der weltlichen Freiheit verstan‐ den wurde, erhielt damit zusätzlichen Glanz als Instrument Gottes. Ein Staatsbrief von Salutati vom 25. Januar 1391 an die Sienesen zeigt uns, wie eng der republika‐ nische Diskurs in Florenz im Rahmen des Guelfismus an das Bewusstsein von der Heilsmission der Arnostadt gebunden war. Zuerst weist Salutati dort den Vorwurf der Sienesen zurück, dass die Florentiner aufgrund ihres übermäßigen Guelfismus ihnen gegenüber untreu gehandelt hätten. Salutati erwidert, dass die „Erzguelfen“ (arciguelfi), die dreißig florentinischen Bürger, die die Sienesen besonders anklag‐ ten, in der Tat den Konsens der gesamten florentinischen Bürgerschaft verträten. Der Guelfismus, den die Sienesen so sehr kritisieren, sei die Identität der Florenti‐ ner selbst. Er sagt: Ihr wisst, dass nicht dreißig, sondern genauer alle Florentiner, die ja Guelfen sind, nicht Guelfen, sondern, wie euer eigenes Worte es ja ausdrückt, gebührlich und vorzüglich die Fürsten der Guelfen genannt werden müssen. Wenn euch diese Be‐ zeichnung wie auch der Name und die Liebe der guelfischen Partei missfällt, dann missfällt euch ohne Zweifel auch unser gesamtes Volk. 440
Die Entscheidung, die die Sienesen den arciguelfi vorwerfen, ist nach Salutati durch ein rechtmäßiges Verfahren unter Beteiligung aller florentinischen Bürger gefallen. Salutati: Ihr wisst auch, dass die dreißig Leute nicht einmal eine überlegene Position inneha‐ ben, geschweige denn unser Volk tyrannisieren. Tausende Leute verwalten unsere Stadt, und sie beraten und regieren uns nur im Wechsel innerhalb einer beschränk‐ ten Amtszeit. Das florentinische Volk unterwirft sich nicht den Wenigen, und hat es nie ertragen, zuhause zu dienen, es, das im Äußeren stets Krieg geführt hat nicht für die eigene Freiheit, sondern die Freiheit anderer, heute aber auch für die eigene streitet. 441 440 Die Staatsbriefe Coluccio Salutatis, Nr. 126, S. 281: „Scitis etenim non treginta, sed omnes penitus Florentinos, qui Guelfi sunt, non Guelfos, sed, quod vocabulum vestrum sonat, principes Guelfos merito debere per excellentiam nominari. Si nomen istud sique huius Guelfe partis affectum et vocabulum abhorretis, sine dubio nostrum populum abhorretis.“ 441 Ebd.: „Scitis etiam treginta viros nedum non tirannizare in nostro populo, sed etiam non preesse. Milia sunt hominum, qui nostram rem publicam administrant, qui commutatis intra limitata tempora magistratibus nobis consulunt nosque regunt. Nec solet populus Florentinus subesse paucis aut unquam passus est servire domi, qui foris semper pro liber‐ tate quondam non sua, sed aliorum, nunc autem etiam pro libertate propria bellum gerit.“
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Die Entscheidung, die die florentinischen Bürger aufgrund ihrer guelfischen Treue in einem republikanischen Verfahren fällen, entspricht für Salutati dem Willen Gottes. Die wenigen, die ihre Mitbürger in Siena gegen Florenz aufzubringen ver‐ suchen, handelten daher sowohl gegen den Willen der gesamten Sienesen als auch gegen Gott. Der Humanist sagt: Sowohl Gott als auch eure Tugend werden bewirken, dass ihr nicht länger die Frechheit der wenigen erdulden werdet. 442 Brunis berühmte Schrift Laudatio florentine urbis vereinigt all jene Themen und die Argumente des orentinischen Republikanismus auf meisterhafte Weise. So ist ein wichtiger Teil der Lobrede der inneren Freiheit der Stadt unter der republikanischen Verfassung gewidmet. Bruni preist vor allem die freie Regierungsform. Es herrsche in Florenz die Gerechtigkeit, und es werde alle Sorge für die Freiheit des Volkes getragen. 443 In Florenz stehe niemand über dem Gesetz, und der Magistrat unterliege einem System aus Kontrollen. 444 Die Florentiner legten auch besonderen Wert auf den Konsens der gesamten Bürger in ihrer Entscheidung und respektierten das Ergebnis der kollektiven Bestimmungen ebenso wie die Gesetze und Anordnungen. Die Rechtfertigung der Expansionspolitik der Florentiner aufgrund ihrer römi‐ schen Herkunft taucht in der Laudatio ebenfalls auf. Bruni erinnert die Bürger der Arnostadt: Euer Gründer ist das römische Volk – der Herr und Eroberer der ganzen Welt. 445 Die Bestätigung der römischen Herkunft der Florentiner führt zu der Be‐ hauptung: Daher gehört euch, den Leuten von Florenz, nach dem Erbrecht die Herrschaft der ganzen Welt und der Besitz eurer väterlichen Erbschaft. Daraus folgt notwendiger‐ weise, dass alle eure Kriege höchst gerecht sind. Dieses Volk kann auf keinen Fall ungerecht handeln, weil es den Krieg für die Verteidigung und die Rückgewinnung seines eigenen Territoriums führt. 446 442 Ebd.: „Faciet hoc deus, faciet et virtus vestra nec diu patietur paucorum proterviam [. . . ].“ 443 Laudatio, Cap. 4: 77, S. 30 (englische Übersetzung: S. 169): „Primum igitur omni cura provisum est ut ius in civitate sanctissimum habeatur, sine quo nec civitas esse nec no‐ minari ulla potest, deinde ut sit libertas, sine qua nunquam hic populus vivendum sibi existimavit.“ 444 Ebd., Cap. 4: 77 f., S. 30: „Et iuris quidem gratia magistratus sunt constituti iisque im‐ perium datum est et in facinorosos homines animadversio, maximeque ut provideant ne cuius potentia plus valeat in civitate quam leges. [. . . ] Principio enim supremus magistra‐ tus, qui quandam vim regie potestatis habere videbatur, ea cautela temperatus est ut non ad unum sed ad novem simul, nec ad annum sed ad bimestre tempus deferatur.“ 445 Ebd., Cap. 2: 30, S. 15 (S. 149): „Vobis autem populus romanus, orbis terrarum victor do‐ minusque, est auctor.“ 446 Ebd., Cap. 2: 31 f., S. 15 (S. 150): „Quamobrem ad vos quoque, viri florentini, dominium orbis terrarum iure quodam hereditario ceu paternarum rerum possessio pertinet. Ex quo etiam illud fit, ut omnia bella que a populo florentino geruntur iustissima sint, nec possit hic populus in gerendis bellis iustitia carere, cum omnia bella pro suarum rerum vel defen‐
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Diese Herrschaft von Florenz ist nach Bruni mild, gerecht und vor allem nützlich für die Beherrschten. Als gerechter Herr gewinne und vermehre Florenz seine Herr‐ schaft nur durch die Ausübung der überlegenen Weisheit und der Tapferkeit und Integrität und vor allem durch den Schutz des Rechtes der schwachen Völker. 447 Der Herrschaftsanspruch wird wiederum mit der Freiheitsmission der Florentiner gerechtfertigt, die Florenz durch seine Machterweiterung erfülle. Die Stadt nehme die römische Tradition der Verteidigung der Freiheit Italiens gegen seine Feinde ernst und handle dementsprechend. 448 Florenz sei häufig ein Risiko eingegangen, um die Freiheit und Sicherheit anderer Städte zu verteidigen, und habe mit seinen Ressourcen stets für das Wohl anderer gesorgt. 449 Dies war das Selbstverständnis der Florentiner, welches die Katastrophe von 1494 von Grund auf erschütterte. Sie ließ die alte Überzeugung von der Freiheits‐ mission und dem göttlichen Herrschaftsauftrag zweifelhaft erscheinen. Stattdessen herrschte jetzt eine pessimistische Auffassung von ihrer Vergangenheit und Zu‐ kunft. Der Verfall wurde nun zum neuen Schlagwort in der Geschichtsauffassung der Florentiner. 450 Am härtesten traf die Krise ihre Überzeugung von ihrer Verfassung. Denn wie wir gesehen haben, war ihr Stolz auf ihre republikanische Konstitution als einer gottgewollten und freiheitlichen der Kernpunkt des Selbstverständnisses der Flo‐ rentiner. In ihrem Verständnis bestand eine Art Notwendigkeitszusammenhang zwischen ihrer Verfassung und ihrer Mission, nach dem Willen Gottes die Frei‐ heit in der Welt zu verbreiten, die Kirche dabei zu schützen und die Italiener zu retten. Es war daher unvermeidlich, dass der außenpolitische Misserfolg die Über‐ zeugung von der Exzellenz ihrer Verfassung infrage stellte. Es ist kein Zufall, dass die Florentiner gerade zu dieser Zeit begannen, die bereits an anderen Orten als ideal hochgepriesene venezianische Verfassung ernst zu nehmen, um aus ihr ein brauchbares Reformprogramm für ihre eigene Stadt abzuleiten. Dadurch wurde ein
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sione vel recuperatione gerat necesse est, que duo bellorum genera omnes leges omniaque iura permittunt.“ Ebd., Cap. 3: 44, S. 19 (S. 155): „Eamque amplitudinem atque gloriam adepta est non sedendo atque oscitando, nec rursus sceleribus accincta et fraudibus, sed magnitudine con‐ silii, susceptione periculorum, fide, integritate, continentia maximeque tenuiorum causa patrocinioque suscepto.“ Ebd., Cap. 3: 72, S. 28 (S. 167): „Sciebat enim generis esse romani pro libertate Italie con‐ tra hostes pugnare.“ Ebd., Cap. 3: 68, S. 27 (S. 164 f.): „Hoc enim maxime convenire arbitrata est sue ampli‐ tudini sueque dignitati, si pro aliorum salute ac libertate pericula adiret multosque suo patrocinio tutaretur.“ Über das Krisenbewusstsein in Florenz nach der Krise von 1494 siehe Alison Brown, The Revolution of 1494 in Florence and its Aftermath: A Reassessment, in: Italy in Crisis. 1494, hg. von Jane Everson und Diego Zancani, Oxford 2000, S. 13–40, bsd. 23–26.
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Raum geöffnet für eine pragmatische Staatstheorie im puren Sinne des Wortes, die allein auf der Ebene des praktischen Nutzens und Nachteils der jeweiligen Regie‐ rungsform für die Stabilität und Sicherheit von Florenz entwickelt wurde. Denn den Florentinern galt jetzt die alte Verfassungstradition nicht mehr als perfekt und gottgeheiligt. Sie konnte nun teilweise mit Zusätzen ergänzt, teilweise gemäß der veränderten Zeit modifiziert und teilweise gänzlich abgeschafft werden. Dies war eine entscheidende Wende in der Tradition der Staatsideen in Florenz. Machiavelli aber steht am Ende dieses Prozesses.
3.4 Savonarola
Savonarola hat aufgrund seines Ruhmes als Prophet bald nach der Katastrophe von 1494 einen massiven Einfluss auf die florentinische Politik ausgeübt, bis er im Jahr 1498 auf dem Scheiterhaufen sein Ende fand. Er hat die vergangene Herrschaft der Medici als Tyrannei gebrandmarkt, eine pro-angevinische Politik ausgerufen und die sittliche Erneuerung und die Herstellung des populären Regimes gepredigt. Sein politisches Denken ist wichtig, um die Krise des florentinischen Republika‐ nismus am Ende des 15. Jahrhundert zu verstehen und den Weg zu Machiavelli zu rekonstruieren. Indem er der gegenwärtigen politischen Krise und damit der Krise des alten republikanischen Politikverständnisses entgegenzuwirken versuchte, hat er eine Reihe neuer Themen und Argumente in den republikanischen Diskurs ein‐ geführt, die bis in die Zeit von Machiavellis hinein nachgewirkt haben. Dadurch hat dieser Diskurs in Florenz eine neue Gestalt erhalten. Wie wir später sehen werden, wurden Machiavellis politische Überlegungen zu einem nicht unerheblichen Teil von der Auseinandersetzung mit jenen von Savonarola neu angeführten Themen und Argumenten geprägt. Savonarola war ein eifriger Unterstützer des governo largo, das nach dem Sturz der Medici eingeführt wurde, im Hinblick auf die Beteiligung der breitesten Schich‐ ten der Bürger. 451 Seine Rechtfertigung der popularen Verfassung in Florenz spie‐ gelt deutlich den Stimmungswechsel im Selbstverständnis der Florentiner. In seiner gegen das Ende seiner politischen Karriere verfassten Schrift Trattato circa el reggimento e governo della città di Firenze (im Folgenden Trattato) bezeich‐ net Savonarola ganz getreu dem scholastischen Gemeingut die Monarchie als die beste Verfassungsform. 452 Die Monarchie biete nämlich die beste Möglichkeit für 451 Über die Verfassungsänderung von Florenz nach der Vertreibung der Medici und die Rolle Savonarolas: Weinstein, Savonarola and Florence, Kap. 8–9; Martines, Scourge and Fire, Kap. 6. 452 Trattato circa el reggimento e governo della città di Firenze, in: Prediche sopra aggeo, hg. von Luigi Firpo, Rom 1965, S. 433–487. Es gibt nur eine Teilübersetzung ins Deutsche
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die Einheit unter den Bürgern, funktioniere wegen der Einheit der Befehlsquelle, d. h. des einzigen Königs, am effizientesten, und realisiere am besten das göttli‐ che Führungsprinzip der Welt. So sei die Monarchie im absoluten Sinne die Beste. Das Adverb ‚absolut‘ dient hier aber dazu, wieder eine Einschränkung dieser an‐ fänglichen These einzuführen. Denn bald danach steigt Savonarola auf die Ebene der realen Welt und des Menschen nieder und warnt vor der Schwierigkeit, einen solchen idealen Monarchen zu finden, und vor der Gefahr, die ein schlechter Al‐ leinherrscher mit sich bringen kann. Damit wechselt er zum in seiner Zeit üblichen Verfassungsrelativismus: So wie das beste Nahrungsmittel und das beste Klima für einen gewissen Menschen schädlich sein könne, so könne die Monarchie, die im absoluten Sinne beste Verfassungsform, sich für ein gewisses Volk eher negativ aus‐ wirken. Das gelte besonders für jene Völker, die von Natur her zum Streit geneigt seien und ihre Klugheit und geistige Kühnheit zum Umsturz des Herrschers ver‐ wendeten. Bei ihnen könne keine Alleinherrschaft Bestand haben, es sei denn in Form der Tyrannei. Solche Völker seien zum Leben in der Republik bestimmt. 453 Savonarolas Augenmerk gilt nun den republikanischen Völkern. 454 Der Frei‐ heitseifer jener Völker bereite jedem Alleinherrscher die größten Schwierigkeiten, weil er beständig unter Widerstandsbewegungen und Attentatsversuchen leide. Folglich werde er dazu gezwungen, seine Sicherheit in der Gewaltherrschaft zu su‐ chen, was am Ende zur Tyrannei führe. Jedoch warte auf solche Völker ein nicht weniger schlimmes Schicksal, wenn sie sich auch durch Aufstände und Attentate erfolgreich von der Alleinherrschaft befreiten und eine Regierung der Optimaten herstellten. Denn auf die Beseitigung folgten die Faktionsbildungen und die endlo‐ sen Bürgerkriege, aus denen der Führer der Siegerpartei wieder als Tyrann hervor‐ gehe. Einzelne Denkelemente dieser Diagnose der gegenwärtigen und Prognose der zukünftigen Probleme bei der Regierung der republikanischen Völker sind ebenfalls nicht völlig neu. Die Gefahr der Faktionskämpfe in der Republik war ein altbekann‐ tes Thema der mittelalterlichen politischen Theorie. Es wurde auch von Thomas von Aquin ernstgenommen, der es in De regimine principum erörterte. 455 Auch in den oben genannten zwei Übersetzungen der Schriften von Savonarola. Eine englische Übersetzung findet sich in: Selected Writings of Girolamo Savonarola. Religion and Po‐ litics, 1490–1498. hg. u. übers. von Anne Borelli und Maria Pastore Passaro, New Haven und London 2006, 176–206. 453 Trattato, 1 Trattato, Kap. 2, S. 442: „Essendo dunque quel governo buono, che ha cura del ben commune così spirituale come temporale, o sia amministrato per uno solo, o per li principali del popolo, o per tutto el popolo, è da sapere che, parlando assolutamente, el go‐ verno civile è buono, e quello degli ottimati è migliore, e quello de’ re è ottimo.“ Die beiden deutschen Übersetzungen enthalten an dieser Stelle nur eine kurze Zusammenfassung. 454 Ebd. 455 De regimine principum, Lib. 1, Cap. 5.
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Tolomeo von Lucca beobachtete die Hartnäckigkeit der republikanischen Völker sogar gegenüber den legitimen Alleinherrschern, die darauffolgende Gefahr der Ty‐ rannei und ihre innere Neigung zum Streit, wie wir bereits gesehen haben. Was bei Savonarola wirklich unsere Aufmerksamkeit verdient, ist, dass er all diese Prognosen und Diagnosen im Hinblick besonders auf das florentinische Volk erstellt hat. Nach Savonarola trifft alles, was er über die Eigenschaften und das Schicksal der republikanischen Völker schildert, auf die Florentiner zu. Er sagt: Wenn nun das florentinische Volk unter allen Völkern Italiens das an geistiger Ver‐ anlagung reichste und das in seinen Unternehmungen scharfsinnigste ist, so hat die Erfahrung schon oft gezeigt, dass es auch mutig und kühn ist. Mag es sich auch dem Handel widmen und mag es auch ein ruhiges Volk scheinen, so ist es nichtsde‐ stoweniger schreckenerregend und mutig, wenn es einmal irgendein Unternehmen beginnt – sei es nun einen Bürgerkrieg oder einen Krieg gegen auswärtige Feinde –, wie man dies in den Chroniken der Kriege lesen kann, die es gegen verschiedene große Fürsten und Tyrannen geführt hat, denen gegenüber es nie weichen wollte. Vielmehr hat es sich verteidigt und schließlich den Sieg über sie davongetragen. – Die Natur dieses Volkes lässt es also nicht zu, die Herrschaft eines Fürsten zu er‐ tragen, selbst wenn dieser gut und vollkommen wäre. 456
Auch die Tendenz zur Faktionsbildung unter der Herrschaft der Optimaten und die immerwährende Gefahr zur Tyrannei gilt für Florenz, ebenso wie das Streben nach der Unabhängigkeit. Nach Savonarola haben die mächtigen Faktionen in Flo‐ renz lange miteinander um die Hegemonie gekämpft, und diese Kämpfe endeten in der Usurpation durch die Medici. 457 Eine so verstandene Geschichte von Florenz ist aber nicht länger als eine Serie von Triumphen einer harmonischen und freien Stadt zu beschreiben, die durch Selbstopferungen und Siege den göttlichen Auf‐ trag für die Freiheit der Italiener, der Kirche und der Welt verwirklicht hat. Die in den Augen Savonarolas gespiegelte Geschichte von Florenz ist eher die der Wirren von sukzessiven Parteiungen und Bürgerkriegen sowie der Tyrannei einiger weniger, privilegierter Familien. Dies bezeugt die enorme gedankliche Stimmungsänderung in Florenz nach 1494. Zwar war das Bewusstsein von der Anfälligkeit der Repu‐ 456 Trattato, 1 Trattato, Kap. 3, S. 447 (O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 550 f.): „Essendo dunque el popolo fiorentino ingegniosissimo tra tutti li popoli di Italia, e sagacissimo nelle sue imprese, ancora è animoso e audace, come si è visto per esperienzia molte volte; perché, avvenga che sia dedito alle mercanzie e para quieto popolo, nientedimeno, quando comin‐ cia qualche impresa o di guerra civile o contra li nimici esterni, è molto terribile e animoso, come si legge nelle cornice delle guerre che ha fatte contra diversi grandi principi e tiranni, alli quali non ha mai voluto cedere, anzi finalmente si è difeso e ha riportata vittoria. La natura dunque di questo popolo non è da sopportare el governo di uno principe, etiam che fussi buono e perfetto [. . . ]“ 457 Ebd., S. 449.
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blik für Parteikämpfe in der Geschichte der politischen Ideen, wie gesagt, nicht neu, aber die Faktionskämpfe und die daraus resultierenden Wirren waren durch das 14. und 15. Jahrhundert hindurch kein Leitbegriff in der florentinischen Ge‐ schichtsauffassung und Gegenwartsdiagnose bzw. Zukunftsprognose gewesen. Die politische Krise nach 1494 ließ nun manche Florentiner die Glorifizierung der Ver‐ gangenheit und Zukunft der Stadt mit Zweifel und Argwohn betrachten. Dieser Stimmungswechsel hatte Auswirkungen. So kritisierte Machiavelli in seiner Vor‐ rede zu den Istorie fiorentine Bruni und Poggio, die beiden humanistischen Kanzler, die bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zwei Geschichtswerke über Florenz verfasst hatten, gerade für ihr gänzliches Ignorieren des bürgerlichen Zwiespaltes und der zahlreichen Parteikämpfe in der Geschichte der Stadt folgendermaßen: Ich fand nun, dass sie zwar in der Beschreibung der Kriege der Florentiner mit den auswärtigen Fürsten und Völkern sehr sorgfältig gewesen sind, dass sie aber die bürgerliche Zwietracht und die inneren Feindschaften und ihre Wirkungen zum Teil ganz verschwiegen, zum Teil so kurz beschrieben haben, dass es dem Leser we‐ der Nutzen noch Unterhaltung gewähren kann. 458
Der Hauptgrund für diese Vernachlässigung der Faktionsfrage und der daraus re‐ sultierenden Bürgerkriege ist nach Machiavelli, dass ihnen diese Begebenheiten so unbedeutend schienen, dass sie sie nicht für würdig hielten, dem Gedächtnis aufbe‐ wahrt zu werden. 459 Für Machiavelli aber scheinen die Probleme des Zwiespalts und der Parteikämpfe für das Verstehen der florentinischen Geschichte bedeutend und unverzichtbar. Denn, so schreibt er, wenn es in irgendeiner Republik bemerkens‐ werte Spaltungen gab, dann in Florenz. Denn der größere Teil der Republiken, von denen man Nachrichten hat, habe sich mit einer einzigen Spaltung begnügt, durch welche sie je nach den Ereignissen ihre Stadt entweder zum Aufschwung oder zum Niedergang gebracht haben. Florenz hingegen habe sich nicht mit einer zufrieden gegeben, sondern mehrere durchgemacht. In Florenz spaltete sich, so fährt Machia‐ velli fort, zuerst der Adel unter sich, dann der Adel und das Volk, und zuletzt das Volk und der Pöbel. Dabei geschah es oft, dass sich eine dieser Parteien nach ihrem 458 Istorie fiorentine, in: Machiavelli. Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, Proemio, S. 468 (deutsche Übersetzung: Niccolò Ma‐ chiavelli, Gesammelte Werke, hg. von Alexander Ulfig, übers. von Johann Ziegler und Franz Nicolaus Baur, Frankfurt / M. 2006, S. 385): „[. . . ] ho trovato come nella descrizione delle guerre fatte dai Fiorentini con i principi e popoli forestieri sono stati diligentissimi, ma delle civili discordie e delle intrinseche inimicizie, e degli effetti che da quelle sono nati, averne una parte al tutto taciuta e quell’altra in modo brevemente descritta, che ai leggenti non puote arrecare utile o piacere alcuno.“ 459 Ebd.: „[. . . ] parvono loro quelle azioni si deboli che le giudicorono indegne di essere man‐ date alla memoria delle lettere [. . . ].“
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Sieg wiederum entzweite. 460 Daher legt Machiavelli in seiner Geschichte sehr viel Wert darauf, die Spaltungen nachzuzeichnen. Machiavellis Kritik an Bruni und Poggio und seine pessimistische Diagnose der florentinischen Vergangenheit machen zugleich die enorme Veränderung im re‐ publikanischen Diskurs in Florenz nach 1494 deutlich. Dieser Stimmungswechsel führte aber nicht zur Aufgabe der republikanischen Grundüberzeugung selbst. Viel‐ mehr hat Savonarola die wesentlichen Bestandteile des republikanischen Diskurses, die Idee der von Gott verliehenen Freiheitsmission und des Herrschaftsauftrags so‐ wie der Realisierung der Freiheit durch die Selbstregierung, gelten lassen, ja sogar bestärkt. Die dunkle Vergangenheit, die zur gegenwärtigen Wirrnis geführt hat, war für Savonarola nur eine Irrfahrt, eine Entgleisung, derenthalben Gott Florenz be‐ straft. Doch damit habe Gott eigentlich seine Liebe zu Florenz nur noch einmal manifestiert. Denn er habe durch die gegenwärtigen Schwierigkeiten Florenz ledig‐ lich zur Erfüllung seiner wahren Mission verhelfen wollen. In seiner Predigt vom 2. November 1494 sagte Savonarola: Groß ist jene Sünde dieser Stadt – ich spreche von der Sünde der Stadt Sodom – derentwegen Gott dich, Florenz, nicht sehen will. 461 Alle Schwierigkeiten werden Florenz aber in seine Rettung und zukünftigen Ruhm umschlagen. In einer Predigt vom 7. November 1494, also fünf Tage später, deutete Savonarola die gegenwärtige Lage von Florenz in diesem Sinne: Mag auch Gott insgesamt eine große Heimsuchung vorbereitet haben, so liebt er dich andererseits um nichts weniger und ist dir geneigt, [. . . ] Gott wollte dir die Gerechtigkeit zeigen und dir andererseits Barmherzigkeit erweisen und dich ret‐ ten. 462
Damit trat die Erneuerung der Sitten und der Republik als wichtige Thematik des politischen Diskurses in Florenz in den Vordergrund. Jetzt beherrschte die Meta‐ pher der Umkehr den politischen Diskurs. Es war nicht das erste Mal, dass dieser Reformgedanke, der übrigens bereits im Mittealter ein gängiger politischer To‐ pos war, im politischen Diskurs in Florenz auftauchte. Alamanno Rinuccini etwa hatte im Dialogus de libertate über den Verlust der ursprünglichen Freiheit unter den Bürgern und die Korruption der Sitten von Florenz in der Hand der Medici 460 Ebd. S. 468 f. (deutsche Übersetzung: S. 385 f.). Vgl. James Hankins, Leonardo Bruni and Machiavelli on the Lessons of Florentine History, in: Le cronache volgari in Italia. Atti della VI Settimana di studi medievali (Roma, 13–15 maggio 2015), hg. von Giam‐ paolo Francesconi und Massimo Miglio, Rom 2017, S. 373–395. 461 Prediche sopra aggeo, hg. von Luigi Firpo, Roma 1965, S. 44 (deutsche Übersetzung in: O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 98): „Grande peccato è quello di questa città, dico del peccato della città di Soddoma, per il quale Iddio non ti vuol vedere, o Firenze.“ 462 Ebd., S. 133 f. (S. 118): „[. . . ] benchè abbia Dio apparecchiato per tutto un gran flagello, nondimanco che dall’altra parte Dio ti ama e vuolti bene [. . . ]. Dio t’ha voluto mostrare la iustizia e da altra parte farti misericordia e salvarti.“
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lamentiert. 463 Er hatte damit die Erneuerung der ursprünglichen Gesundheit flo‐ rentinischer Sitten und seiner politischen Institutionen als dringende Aufgabe the‐ matisiert, wenngleich er persönlich dazu neigte, seinen Rückzug aus der Politik zu rechtfertigen, statt über eine Reform zu sprechen. Auch schon vor Savonarola gab es also durchaus die Idee einer Notwendigkeit der Renovatio. Dennoch etablierte sich eine allgemeine Sicht auf die Vergangenheit und Gegenwart unter dem Leitbegriff des Verfalls der guten Sitten und der ordentlichen Regierung erst in den krisenhaf‐ ten neunziger Jahren, unter dem Einfluss des Dominikaners. Mit dem Gedanken der Erneuerung kommt das Problem des Reformprogramms, die Parteikämpfe zu überwinden und den Wirren der Vergangenheit einen endgülti‐ gen Abschied zu erteilen, auf die Tagesordnung der politischen Diskussion. Freilich müsse der Anfangsschritt auf dem Weg zur Erneuerung die Reform des Geistes je‐ des einzelnen sein. Er mahnte in seiner bereits genannten flammenden Predigt vom 7. Dezember 1494: Erneuert euch zuerst innerlich, wenn ihr euch äußerlich richtig erneuern wollt! Und wollt ihr gute Gesetze schaffen, so bringt euch selbst in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes, denn alle guten Gesetze hängen vom ewigen Gesetz ab – und nur unter dessen Befolgung kann man die Gnade des Heiligen Geistes zu er‐ langen suchen. 464
Am nächsten Tag summiert er seine Reformvision in der Sprache der aristotelischen Metaphysik. Wenn du, Florenz, deine alte Gepflogenheit aufgeben und dich erneuern willst, musst du die Art und Weise deiner Erneuerung und deiner neuen Regierung über‐ denken. Deshalb habe ich dir in der vorangehenden Predigt gesagt, dass du vor‐ zugehen hast, wie es bei den natürlichen Dingen der Fall ist, die zuerst die Form, dann die Materie und schließlich die Akzidentien in Betracht ziehen. 465 463 Alamanno Rinuccini, Dialogus de libertate, hg. von Francesco Adorno, in: Atti e mo‐ morie dell’Accademia Toscana di Scienze e Lettere ‚La Colombaria‘, n. s. 8, 22 (1957), S. 270–303. Englische Übersetzung, in Humanism and Liberty. Writings on Freedom from Fifteenth-Century Florence, hg. und übers. von Renée N. Watkins, Columbia 1978, S. 193–222. 464 Prediche sopra aggeo, S. 133 (Übersetzung in O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 117): „Ri‐ novatevi prima dentro, se volete bene rinovarvi nello esteriore, e se volete fare le buone leggi, acconciatevi prima co’ la legge di Dio, perché tutte le buone leggi dependano dalla legge eterna, all’oservanzia della quale si ricerca la grazia dello Spirito santo.“ 465 Prediche sopra aggeo, S. 143–44 (Übersetzung in O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 124– 25): „Così tu, Firenze, volendoti innovare fuori della tua usanza vecchia, ti è necessario pensare bene ei modi dell atua innovazione e del tuo nuovo reggimento; e però ti dissi nel nostro precedente sermone ch’el ti conviene fare come fanno le cose naturali, le quali prima considerano la forma, poi la materia e poi gli accidenti.“
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So stellt Savonarola eine Zukunftsvision auf, die mit der inneren Reform beginnt. Die Reform des Inneren der Bürger, also der ‚Materie‘, wie er sich in Anlehnung an einen Begriff der aristotelischen Metaphysik ausdrückt, muss nach Savonarola ihre Vollendung in der Einführung einer neuen Verfassung finden, die er wieder in Anlehnung an die aristotelische Metaphysik ‚Form‘ nennt. 466 In diesem Zusammenhang schlägt Savonarola auch die Herstellung der wahren Republik durch das governo largo vor. Im Trattato erörtert er, dass diese populäre Regierung für die Florentiner passend und schon eine alte Tradition sei. Sie sei im Geist der Bürger so fest eingeprägt, dass es schwierig und sozusagen unmöglich wäre, sie von einer derartigen Regierung abzubringen. 467 Damit weist Savonarola die aristo‐ kratische Regierung der Optimaten neben der Alleinherrschaft endgültig als unge‐ eignet zurück. Savonarola hat seine geplante Regierungsreform durchaus als ‚venezianisch‘ rechtfertigen wollen. 468 Er glaubte: Es gibt keine bessere Regierungsform als die der
466 Es ist dies nicht das erste Mal, dass Savonarola die Verfassungsfrage in Anlehnung an die aristotelische Metaphysik erörtert. Bereits in seinem Compendium philosophiae moralis erörterte er das Verhältnis des Geistes der Bürger und der Verfassungsform in demselben Sinne: Girolamo Savonarola, Compendium philosophiae moralis, in Scritti Filoso‐ fici [=Edizio Nazionale], hg. Giancarlo Garfagnini und Eugenio Garin, Bd. 2, Rom, 1982, S. 463: „Quamvis enim quotidie aliqui moriantur et in loco eorum alii succedant, quando tamen remanet eadem politia, id est idem ordo principantium vel principantis ad subiec‐ tos, remanet eadem civitas; sicut etiam dato quod in corpore animato varietur materia per fluxum et deperditionem vel appositionem humidi, tamen quia remanet eadem forma, quae dat esse substantiale, remanet etiam idem animatum. Forma autem civitatis est poli‐ tia, ex ordine enim principantium et subiectorum constituitur civitas, unde politice vivere est aliquo modo convivere ad invicem cives.“ (Die Hervorhebungen stammen von mir). 467 Trattato, 1 Trattato, S. 448 (Übersetzung in O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 551 f.) : „[. . . ] è tanto impresso nella mente de’ cittadini, che saria difficile e quasi impossibile a rimuoverli da tale governo.“ 468 Über den Mythos von Venedig im florentinischen Politikdiskurs im fünfzehnten Jahr‐ hundert siehe Nicolai Rubinstein, Politics and Constitution in Florence at the End of the Fifteenth Century, in: Italian Renaissance Studies, hg. von E. F. Jacob, London 1960, S. 143–183; Felix Gilbert, Machiavelli and Guicciardini. Politics and History in Sixteenth Century Florence, Princeton 1965, S. 9 f.; Ders., The Venetian Constitution in Florentine Political Thought, in: Florentine Studies. Politics and Society in Renaissance Florence, hg. von Nicolai Rubinstein, London 1968, S. 463–500 (wieder abgedruckt in: Ders., History: Choice and Commitment, Cambridge, Mass. 1977, S. 179–214); Alissa D. Ardito, Machiavelli and the Modern State: The Prince, the Discourses on Livy, and the Extended Territorial Republic, Cambridge 2014, S. 243–244; Angelo Baiocchi, Vene‐ zia nella storiografia fiorentina del Cinquecento, in: Studi veneziani 3 (1979), S. 203–281; Robert Finlay, The Immortal Republic: The Myth of Venice during the Italian Wars (1494–1530), in: The Sixteenth Century Journal 30/4 (1999), S. 931–944. Der Schwer‐
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Venezianer. 469 Bereits nach dem Sturz der Medici hatten die Optimaten darüber zu diskutieren begonnen, die florentinische Verfassung nach dem Modell der ve‐ nezianischen zu reformieren. 470 Gegen den Wunsch der Optimaten wollte Savona‐ rola jedoch die aristokratische Spitze der venezianischen Verfassung entschärfen. Er mahnt die Florentiner, bei der Übernahme des venezianischen Modells einiges zu streichen, was ungeeignet ist und nicht unserem Bedürfnis dient, wie das Amt des Do‐ gen. 471 Mit seinem Gedanken der Erneuerung wollte Savonarola dem Republikanis‐ mus neues Leben einhauchen. Durch seinen Reformplan lebte der Traum einer harmonischen Republik und einer florentinischen Führerschaft von Italien als Vi‐ sion der Zukunft und Versprechen Gottes weiter fort, welches nach einer sittlichen und politischen Reform sofort eingelöst werden könne. Was auf die Florentiner als Belohnung für ihre Reue und Erneuerung wartet, war nach Savonarola ja nichts Anderes als das, was Gott ihnen verheißen hatte – jedenfalls ihrem früheren Selbst‐ verständnis nach: Macht, Ruhm und Reichtum. So versprach der Mönch in seiner am 10. Dezember 1494 gehaltenen Predigt dem Publikum: Und ich will der Stadt diese gute Nachricht verkünden! Florenz wird ruhmreicher, begüterter und mächtiger werden, als es je gewesen ist! 472 Savonarola stellt ferner in Aussicht, dass Florenz, der von ihm sogenannte „Nabel Italiens“ (umbilico della Italia), mit seinem Neuanfang Modell, Initiator und Zentrum der Erneuerung von ganz Italien werde. Savonarola hält auf diese Weise die imperialistische Vision des alten republikanischen Diskurses offen, dass Florenz als Instrument für die Realisierung der göttlichen Gerechtigkeit fungiert, als Haupt von ganz Italien. Was frühere Generationen in ihrer Geschichte und Gegenwart verortet hatten, wird auf diese Weise in die Zukunft verschoben. Damit ließ Savonarola die politische Welt aber noch berechenbar erscheinen. Wie die gegenwärtige Misere durch den Sittenverfall der florentinischen Bürger verursacht wurde, so würde sie mit der geistigen und politischen Erneuerung von Florenz wieder verschwinden. Die Welt bewegt sich hier noch nach dem klar sicht‐ baren Gesetz der Notwendigkeit: Das Gute wird mit dem Guten belohnt, das Böse mit dem Bösen bestraft. In seinen Reformüberlegungen machte Savonarola sein
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punkt des Aufsatzes von Finlay liegt aber nicht auf der Zeit unmittelbar nach dem Sturz der Medici-Herrschaft. Prediche sopra aggeo, S. 226 (Übersetzung in O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 149): „Credo che non sia la migliore di quella de’ Veniziani.“ Über die Instrumentalisierung des Mythos von den Optimaten im Kontext des Macht‐ kampfes Gilbert, The Venetian Constitution [wie oben], bsd. S. 474–477. Prediche sopra aggeo, S. 226 (Übersetzung in O Florenz! O Rom! O Italien!, S. 149): „[. . . ] che voi pigliate esemplo da loro, resecando però qualche cosa di quelle che non sono a proposito, nè el bisogno nostro, come è quella del duce.“ Ebd., S. 166 (S. 131 f.): „[. . . ] io annunzio questa buona nuova alla città, che Firenze sarà più gloriosa, più ricca, più potente che mai fusse [. . . ].“
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Die Transformation des republikanischen Diskurses in Florenz im 15. Jahrhundert
Prinzip wiederholt deutlich: Die Reform muss sowohl im Inhalt als auch im Verfah‐ ren ihrer Erfüllung dem entsprechen, was man an ihrem Ende erreichen will. Wenn die Florentiner eine tugendhafte Republik haben wollten, müssen sie bereits hier und jetzt tugendhaft handeln. Wenn sie eine fromme Republik bilden wollten, die den göttlichen Auftrag in dieser Welt realisiert, müssen sie jetzt religiös sein. Daher greift Savonarola diejenigen wiederholt scharf an, die meinen, dass die paternostri keineswegs zum Prinzip der Regierung werden können. 473 Wie sein enormer Erfolg bezeugt, hat Savonarolas Idee die florentinischen Bürger fasziniert. Sogar nach seinem Sturz 1498 hat man die Überzeugung nicht aufge‐ geben, durch eine angemessene politische Reform und moralische Erneuerung die Vision der harmonischen und glorreichen Republik realisieren zu können. Die Zeit war noch nicht reif für die Formulierung der Erkenntnis, dass auch eine Allein‐ herrschaft etwas für die Realisierung ihrer Vision der harmonischen und gloriosen Republik leisten konnte, und dass man unter Umständen gegen die Moral und Re‐ ligion handeln lernen muss, um eine solche Republik wirklich werden zu lassen – Erkenntnisse also, die mit dem Namen Machiavelli verbunden sind. Eine mit so ex‐ tremen Paradoxien erfüllte Wirklichkeit konnte vom Welt- und Politikverständnis der florentinischen Bürger noch nicht richtig wahrgenommen werden. Sie konnten vorerst am Abend noch im alten märchenhaften nezessitaristischen Traum schlafen, in dem der Gute mit dem Guten belohnt, der Böse mit dem Bösen bestraft wird.
473 Predigen vom 7. Dezember 1494, in: ebd., S. 134 f. (S. 119); vom 14. Dezember 1494 in: ebd., S. 215 und S. 219 (S. 140 und S. 142); vom 28. Dezember 1494 in: ebd., S. 417 (S. 175).
4. Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
4.1 Machiavellis Il principe und das Problem der Reform der Republik
Der Umsturz der Regierung Soderinis und die Rückkehr der Medici nach Florenz im Jahr 1512 wirkte sich nicht nur auf das Schicksal der Republik, sondern auch persönlich für Machiavelli verhängnisvoll aus. Sie wurde abgeschafft und er wurde aus seinem Amt gejagt. Einer Verschwörung gegen die Medici verdächtigt, wurde er inhaftiert, und nach der Einkerkerung musste er sich aus Florenz auf seinen Hof in Sant’ Andrea zurückziehen. Er berichtet in einem Brief an Francesco Vettori aus‐ führlich von seinem Alltag, seiner Frustration und seiner Beschäftigung mit der antiken Staatskunst. Man spürt hier, wie schwer erträglich dieser plötzliche Wech‐ sel der Lebensverhältnisse für einen Mann war, der, wie er selbst schildert, nur im Nachdenken über Politik seine wahre Begabung und sein echtes Interesse fand. 474 Er kam ihm selbst wie eine Boshaftigkeit der fortuna vor. 475 Im selben Brief kündigt Machiavelli eine Schrift an, die er ‚De principatibus‘ nennt. Er sagt, dass er dort diskutieren werde, was die Fürstenherrschaft sei, wie sie gewonnen, bewahrt und verloren werde. Zugleich äußert er seinen Wunsch, die Schrift Giuliano de’ Medici vorzulegen. Er meint, dass der Text einen neuen Fürs‐ ten besonders interessieren und freuen werde, und dass sie zeigen werde, dass er (Machiavelli) sich während seines Dienstes für die letzte Regierung um die Regie‐ rungskunst bemüht, ohne sich zu verspielen oder zu verschlafen. 476 Er hoffe, mit dieser Schrift die Gunst der Medici-Herren zu gewinnen und möglicherweise in ein politisches Amt zurückzukehren. Das so entstandene Büchlein, Il Principe, hat den Namen des Autors auf im‐ mer verewigt, allerdings nicht immer im positiven Sinne. Zwar ist heutzutage die diffamierende Interpretation des Werkes als ein vom Bösen inspiriertes und zum Bösen verleitendes Buch nicht mehr so beliebt wie während der Gegenreforma‐
474 Brief an Francesco Vettori vom 9. April 1513, in: Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 906 f. 475 Brief an Francesco Vettori vom 10. Dezember 1513, in: Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 922. Das bos‐ haftige Zuschlagen der fortuna scheint ein beliebter Topos für ihn gewesen zu sein, denn dieser Ausdruck taucht wieder in Il principe auf:, S. 6 f.: „E se Vostra Magnificenzia da lo apice della sua altezza qualche volta volgerà gli occhi in questi luoghi bassi, conoscerà quanto io indegnamente sopporti una grande e continua malignità di fortuna.“ 476 Brief an Francesco Vettori vom 10. Dezember 1513, S. 924: „[. . . ] si vedrebbe che quindici anni che io sono stato a studio all’arte dello stato, non gl’ho né dormiti né giuocati.“
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
tion und der Aufklärung. 477 Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Schrift, trotz all ihrer notorischen Maximen und Empfehlungen erbarmungsloser Strategien zur Machtergreifung und -erhaltung, keineswegs ein Handbuch für ein systematisches Ausüben des Bösen war. Machiavellis Kritik an der Tyrannei im achten Kapitel, kein Gewaltherrscher besitze die wahre prudenza und könne daher virtuoso genannt wer‐ den, weist eher auf eine klare Wertorientierung hin. 478 Er verurteilt und verdammt dort Agathokles, den sizilianischen Tyrannen, der sich zwar, wie Machiavelli selber sagt, im Schaffen und Erhalten seiner Macht als außergewöhnlich fähig zeigte, dabei aber vor keiner Übeltat zurückschreckte: Man kann es auch nicht Tüchtigkeit nennen, seine Mitbürger umzubringen, seine Freunde zu verraten und ohne Treue, Mitleid und Religion zu sein; auf solche Weise kann man zwar Macht erwerben, aber keinen Ruhm. 479
Bei Machiavelli geht es also keineswegs um eine Lobpreisung der erbarmungslosen Verfolgung des Eigeninteresses. Was Machiavellis politische Idee charakterisiert, ist eher ein akutes Bewusstsein der radikalen Weltkontingenz und der dem mensch‐ lichen Handeln in einer solchen Welt anhaftenden Paradoxie, sowie sein daraus resultierender Begriff der prudenza. Wir finden diese drei Kernelemente des poli‐ tischen Denkens Machiavellis etwa im folgenden Satz des Principe auf das Klarste ausgedrückt: [E]s liegt in der Natur der Dinge, dass man keinem Übel entgehen kann, ohne in ein anderes zu geraten; die Klugheit aber besteht darin, die Art der Übel ermitteln zu können und das kleinere Übel als etwas Gutes zu wählen. 480 477 Neben der Literatur in Anm. 53 siehe auch Edmond M. Beame, The Use and Abuse of Machiavelli: The Sixteenth-Century French Adaptation, in: Journal of the History of Ideas 43/1 (1982), S. 33–54; Sidney Anglo, Machiavelli. The First Century, Oxford 2005; Jérémie Barthas, Machiavelli in Political Thought from the Age of Revolutions to the Present, in: The Cambridge Companion to Machiavelli, hg. von John M. Najemy, Cambridge u. a. 2010, S. 256–273; Ulrich Dierse, Die Machiavelli-Rezeption und -In‐ terpretation im 19. Jahrhundert, besonders in Deutschland, in: Etica & Politica / Ethics & Politics 17/3 (2015), S. 116–148. 478 In der verwendeten italienischen Ausgabe taucht manchmal prudenzia auf anstelle von prudenza. Ich verwende in der Diskussion prudenza, mit der Ausnahme der direkten Zi‐ tate aus Machiavellis Text. 479 Il principe, Cap. 8, S. 21 (S. 67): „Non si può ancora chiamare virtù ammazzare e’ suoi cittadini, tradire gli amici, essere sanza fede, sanza pietà, sanza religione: e’ quali modi possono fare acquistare imperio, ma non gloria.“ Vgl. Giovanni Giorgini, The Place of the Tyrant in Machiavelli’s Political Thought and the Literary Genre of the Prince, in: History of Political Thought 29/2 (2008), S. 230–256; Victoria Ann Kahn, Revisiting Agathocles, in: The Review of Politics 75/4 (2013), S. 557–572 . 480 Il principe, Cap. 21, S. 48 (S. 179): „[. . . ] si truova questo, nell’ordine delle cose, che mai si
Machiavellis Il principe und das Problem der Reform der Republik
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Bevor wir darauf eingehen, wie Machiavelli damit die spätmittelalterliche Entwick‐ lung der politischen Diskurse fortsetzt, die wir bisher verfolgt haben, müssen wir uns zuerst der Frage zuwenden, was er, neben der Suche nach einer Anstellung im neuen Regime, mit dieser Schrift noch erreichen wollte, und noch konkreter, wie diese Schrift in seiner gesamten politischen Vision zu verorten ist. Die Diskussion ist auch deswegen notwendig, weil diese Frage in der modernen Machiavelli-For‐ schung viel Verwirrung verursacht hat. Wie wir bereits im vorigen Kapitel gesehen haben, stellt das politische Denken Machiavellis eine schwierige Frage: Was ist seine verfassungstheoretische Position? In den Discorsi erscheint er als ein eifriger Verfechter des republikanischen Regi‐ mes in Florenz. Dort insistierte er auf der republikanischen Selbstregierung als dem einzigen Ort für die Freiheit. 481 Hingegen wurde die Monarchie von Machiavelli kaum von der Tyrannei unterschieden. 482 Die Freiheit unter der republikanischen Verfassung bringt die gesamte Gemeinschaft zur Blüte, argumentierte er, denn eine Gemeinschaft kann nur solange an Gebiet und Reichtum zunehmen, als sie frei ist. 483 Anders als ein Fürst, der allein daran interessiert sei, den Staat zersplittert zu halten, um jede Stadt und jede Provinz allein zu beherrschen, existiere die Repu‐ blik grundsätzlich für das Gemeinwohl. Während ein Fürst die Verdienstvollen und Tugendhaften unter Verdacht stelle, und von jedem öffentlichen Amt fernzuhalten versuche, werde ihnen in der Republik ein freier Spielraum angeboten. 484 Das Er‐ gebnis sei der rasche Zuwachs des Staates an Macht und Ruhm. Machiavelli blieb dem von Bruni systematisierten alten republikanischen Denken treu, bis hin zu sei‐ ner wiederholten Kritik an Cäsar als Zerstörer der Republik und der Freiheit. 485 Doch ein solch republikanischer Denker tritt mit dem Principe, den er gleichzei‐ tig mit den Discorsi konzipierte, als ein treuer Berater eines Medici-Fürsten auf. Wie konnte er sein Werk, die Kristallisation seiner aus langjährigen Lektüren und Erfah‐ rungen gewonnenen Weisheiten, gerade dem Zerstörer seiner teuren Republik, Lo‐ renzo di Piero de’ Medici, dem Enkel von Lorenzo dem Prächtigen, widmen? Gewiss bedeutete, wie bereits diskutiert, der republikanische Diskurs keinen grundsätzli‐ chen Antimonarchismus. Wir finden daher die republikanisch gesinnten Autoren aus Florenz oft als Freunde und Berater der Fürsten anderer Städte. Dennoch ist Machiavellis Handlung nicht widerspruchsfrei, weil es sich in diesem Fall um die Alleinherrschaft in Florenz, nicht in irgendeiner beliebigen italienischen Stadt han‐
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cerca fuggire uno inconveniente che non si incorra in uno altro: ma la prudenza consiste in sapere conoscere le qualità delli inconvenienti e pigliare el meno tristo per buono.“ Discorsi, Lib. 2, Cap. 2. Ebd. Ferner Discorsi, Lib. 1, Cap. 16. Ebd. Ebd. Discorsi, Lib. 1, Cap. 10. Zu Cäsar als Verderber des Volkes siehe ferner ebd., Lib. 1, Cap. 37.
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
delt, und weil auch Machiavelli (wie wir bald noch näher sehen werden) genau wie die Generationen der florentinischen Autoren vor ihm fest der Überzeugung war, dass die Florentiner aufgrund ihrer geistigen Konstitution keine Fürstenherrschaft dulden können. Diese Frage stellt sich dem umso drängender, der die kritischen Bemerkungen Machiavellis über die Rolle der Medici in seinen anderen Schriften liest. Nehmen wir beispielsweise seine Urteile und Beschreibungen über den politischen Aufstieg der Medici in den Istorie fiorentine und den Discorsi: Die Medici seien Faktionsfüh‐ rer gewesen und hätten ihren Reichtum missbraucht, um den Freiheitssinn der Flo‐ rentiner zum Verstummen zu bringen. 486 Hier wird deutlich, dass er die Herrschaft der Medici grundsätzlich negativ sah. Selbst am Principe lässt sich seine durchaus negative Meinung über die Medici ablesen. Im neunten Kapitel handelt Machiavelli vom Bürgerfürstentum, das entsteht, wenn ein Bürger durch den Parteikampf zwi‐ schen den Reichen und dem Volk zum Status eines Fürsten aufsteigt. 487 Entweder gebe sich das Volk aus Angst vor der Unterdrückung der Reichen einem mächti‐ gen Bürger hin oder die Adeligen wollten mithilfe eines solchen Bürgers das Volk beherrschen und unterdrücken. Die Forscher, die Machiavellis Urteil über die Me‐ dici-Herrschaft erschließen wollten, haben sich generell auf seine Diskussion über Cesare Borgia konzentriert und dabei die Wichtigkeit des neunten Kapitels überse‐ hen. Jedoch ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei der Medici-Herrschaft gerade um diese Kategorie eines Bürgerfürstentums handelt. Was genau sagt Machiavelli über solche Herrschaft? Im Principe unterscheidet er den Bürgerfürsten noch vom Tyrannen, der seine Macht durch verbrecherische Mittel erwirbt. Sein wahres Ur‐ teil spricht er aber in den Discorsi aus. In seinem Kommentar über die tyrannische 486 Istorie fiorentine, Lib. 7 und 8. Siehe besonders seine Analyse über den Grund für das Scheitern des Staatsstreiches der Familie Pazzi in 1478 in den Istorie (Lib. 8, Cap. 8, S. 670; deutsche Version, S. 674). Machiavelli schildert, wie das Haupt der Familie Pazzi versuchte, die Unterstützung des Volkes zu gewinnen, indem er vor dem Palast das Volk und die Freiheit zu Hilfe rief. Er fügt hinzu: „Doch das eine war durch das Glück und die Freigiebigkeit der Medici taub gemacht, die andere in Florenz unbekannt, und niemand antwortete ihm.“ („Ma perché l’uno era dalla fortuna e liberalità de’ Medici fatto sordo, l’altra in Firenze non era conosciuta, non gli fu risposto da alcuno.“) Siehe ferner Discorsi, Lib. 1, Cap. 33 und Lib. 1, Cap. 52, und auch Machiavellis kritische Bemerkung in sei‐ ner Schrift Ai palleschi unmittelbar über die Machtergreifung der Medici im Jahr 1512 (in: Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 384). Vgl. John M. Najemy, Machiavelli and the Medici: The Lessons of Florentine History, in: Renaissance Quarterly 35/4 (1982), S. 551–576; Riccardo Fubini, Machia‐ velli, i Medici, e la Storia di Firenze nel Quattrocento, in: Archivio Storico Italiano 155/1 (1997), S. 127–141; Humfrey C. Butters, Machiavelli and the Medici, in: The Cam‐ bridge Companion to Machiavelli, hg. von John M. Najemy, Cambridge u. a., 2010, S. 64– 79. 487 Il Principe, Cap. 9.
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Herrschaft des Appius Claudius, des Hauptes der Dezemvirn, bemerkte Machia‐ velli, dass die Mehrzahl der Tyranneien in den Republiken in dem übermäßigen Verlangen des Volkes nach Freiheit und in dem übermäßigen Verlangen des Adels nach Herrschaft liegen. 488 Diese Beschreibung des Tyrannen in der Republik entspricht aber genau seiner Bestimmung des Bürgerfürstentums. Hier soll von allen üblichen, zwar einfallsreichen, jedoch sachlich unhaltbaren Spekulationen abgesehen werden, etwa der, Machiavelli habe beabsichtigt, durch die Schrift die dunklen Seiten der Fürstenherrschaft bloßzulegen, oder er habe sich als dezidierter Anhänger der untergegangenen Republik an den Medici rächen wol‐ len, indem er sie mit seinen bösen Ratschlägen zur Tyrannei verführte und zugrunde richtete. 489 Auch die Cambridge-Schule hilft uns im Hinblick auf unser Problem wenig. Skinner hat die heikle Frage der Motivation Machiavellis im Principe und ihre Beziehung zu seinem republikanischen Grundsatz eher ausgeblendet, statt sie zu analysieren. Er meinte: each of Machiavelli’s treatises [sc. der Principe und die Dis‐ corsi] was asking its own questions, and I looked for coherence only at the level of each individual text. 490 Nach Skinner gibt es keinen besonderen Grund zu fragen, ob die beiden Werke aus einer kohärenten Vision stammten. 491 Auf die Zusammenhänge zwischen dem Principe und den Discorsi soll zwar erst unten näher eingegangen werden, wobei im Lauf der Diskussion klar werden wird, dass entgegen Skinners Feststellung Machiavelli in beiden Schriften eine konsequente Idee entfaltete. Be‐ reits hier sei aber darauf hingewiesen, dass Skinners Interpretation schon deswegen unrealistisch ist, weil das Problem der Verfassung in der damaligen politischen Si‐ tuation in Florenz eine viel zu heikle Frage war, um so behandelt zu werden, wie ein moderner Politikwissenschaftler unabhängig von seinem eigenen politischen Credo eine politische Erscheinung oder Theorie ‚wertneutral‘ handhabt. 492 488 Discorsi, Lib. 1, Cap. 40, S. 116 (S. 118): „[. . . ] per quelle medesime cagioni che nascano la maggior parte delle tirannidi nelle città: e questo è da troppo desiderio del popolo, d’essere libero, e da troppo desiderio de’ nobili, di comandare.“ Die Geschichte von Ap‐ pius Claudius und den Dezemvirn ist in Livius, Ab urbe condita. Libri I–V / Römische Geschichte. 1.–5. Buch, übers. von Robert Feger, Ludwig Fladerer und Marion Giebel, Stuttgart 2015, Lib. 3. Cap. 33 ff. 489 Garrett Mattingly, Machiavelli’s Prince. Political Science or Political Satire? In: The American Scholar 27/4 (1958), S. 482–491; Mary Dietz, Trapping the Prince: Machia‐ velli and the Politics of Deception, in: American Political Science Review 80/3 (1986), S. 777–791. 490 Quentin Skinner, Surveying the Foundations: A Retrospect and Reassessment, in: Rethinking the Foundation of Modern Political Thought, hg. von Annabel Brett und Ja‐ mes Tully, Cambridge 2006, S. 236–261, hier S. 241. 491 Ebd. 492 Die folgende Überlegung knüpft an Bee Yun, A Long and Winding Road to Reforming a Corrupt Republic: Niccolò Machiavelli’s Idea of the One-Man Reformer and His View of the Medici, in: History of Political Thought 41/4 (2020), S. 538–58.
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Die Antwort ist vielmehr im Zusammenspiel des Reformdenkens Machiavellis mit der historischen Kontingenz der Restauration der Herrschaft der Medici zu suchen. Zunächst zu seiner Idee der Reform: Wie im vorigen Kapitel beobachtet, trat mit der politischen Katastrophe von 1494 eine radikale Wende im republikani‐ schen Diskurs in Florenz ein. Nun erschien in den Augen der Florentiner selbst ihre Republik als problematisch und reformbedürftig. Tatsächlich kreiste der politische Diskurs in Florenz in der Folgezeit um die Frage der Verfassungsreform. 493 Im Hin‐ blick auf das Grundprinzip der Reform waren sich die Bürger in Florenz darin einig, ein neues Element in das Regierungssystem einzuführen, und dabei diente, wie wir bereits gesehen haben, das idealisierte venezianische Regierungsmodell als eine Vor‐ lage. Bemerkenswert ist dann die ideologische Entwicklung im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Damals sahen sich die Florentiner mit mehreren schweren po‐ litischen Problemen konfrontiert und strebten nach einer substanziellen Reform. Der Aufstand in Arezzo im Juni 1502, die Drohung der Partei des Cesare Borgia und die finanzielle Krise stellten gravierende Herausforderungen dar. Angesichts so vieler Probleme bildete sich jedoch allmählich unter den Bürgern ein Konsens heraus, dass man einen beachtlichen Grad an Machtkonzentration auf einen Mann erlauben müsse. Das Amt des Dogen im venezianischen Modell schien manchen eine erprobte Antwort auf die Herausforderungen zu sein. Die sukzessiven Verfas‐ sungsreformen liefen erkennbar in diese Richtung und die Wahl von Piero Soderini zum Gonfaloniere a vita, zum lebenslänglichen Stadtpräsidenten, war die Kulmina‐ tion dieses Prozesses. 494 Es ist freilich anzumerken, dass die neue Institution unter‐ schiedlich verstanden wurde. Der Flügel der Mächtigen erwartete, dass dieses neue Amt letztendlich das in ihren Augen zu sehr popular ausgerichtete Regime in eine aristokratische Richtung bewegen und wieder ein Gleichgewicht herstellen werde. Machiavelli gehörte aber diesem aristokratischen Flügel nicht an. Die populare Tendenz seines Denkens zeigt sich vor allem in seinem radikalen Gleichheitsbegriff. Die Gleichheit war der Grund seiner Begeisterung für die Städte in Deutschland, 493 Gilbert, Machiavelli and Guicciardini, Kap. 1.1–1.2. 494 Die Bemerkung von Luca Landucci, einem florentinischen Bürger, in seinem Tagebuch zeigt die zentrale Bedeutung des venezianischen Regierungsmodells im Beschluss der Flo‐ rentiner über die Einrichtung des Amtes des lebenslänglichen Stadtpräsidenten: „Und am 26. August 1502 siegte es im Großen Rat, dass ein Doge gewählt werden solle, nach vene‐ zianischem Brauch.“ (Luca Landucci, Ein floretinisches Tagebuch, 1450–1516, übers., eingel. und erkl. von Marie Herzfeld, Köln 1978 (zuerst 1912/3), Bd. 2: 1498–1516, S. 91). Über die Einrichtung des Stadtpräsidentenamtes und der Wahl Soderinis Humfrey C. Butters, Governors and Government in Early Sixteenth-Century Florence 1502– 1519, Oxford 1985, S. 44 f.; Roslyn Pesman Cooper, Pier Soderini and the Ruling Class in Renaissance Florence, Goldbach 2002, S. 46. Siehe auch Dies., Machiavelli, Piero So‐ derini, and the Repubic of 1494–1512, in: The Cambridge Companion to Machiavelli, hg. von John M. Najemy, Cambridge u. a. 2010, S. 49.
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die nach seiner Angabe nicht nur keinen Adel in ihrem Inneren dulden wollten, sondern ihren Bürgern verboten, wie der Adel zu leben. 495 Sowohl im Principe als auch in den Discorsi klagte er wiederholt die Reichen für ihre Macht- und Hab‐ gier an. 496 Während das normale Volk nur nach seiner Freiheit strebe, wollten die Reichen stets mehr besitzen, schon um ihr Besitztum zu erhalten und das Volk zu unterjochen, so argumentiert Machiavelli. Er weist dabei das traditionelle Urteil ge‐ gen die Volksregierung dezidiert zurück, dass nämlich das Volk zur Regierung nicht geeignet sei. Er vertraute der Urteilskraft des Volkes. Er insistiert, dass dieses ge‐ nauso gut wie oder sogar besser als ein Fürst regieren kann. Das Volk, das auf das Recht achtet und gut organisiert sei, sei stabiler und klüger in seiner Entscheidung und seinem Verhalten als ein Fürst. Es entscheide weise in seiner Wahl der Regie‐ rung und sei leichter korrigierbar als der Fürst, falls es irregehe. 497 Es scheint, dass diese Sympathie für das populare Regime sogar eine positive Ein‐ schätzung der politischen Vision des Savonarola einschloss, der bei der Errichtung des ersten popularen Regimes eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Allerdings hat Machiavelli im Principe mit seiner Kritik an Savonarola nicht hinter dem Berg gehalten. Der Mönch war in Machiavellis Augen ein politischer Amateur, der zwar das Volk durch sein Geschick auf seine Seite zu ziehen wusste, jedoch die Bedeutung der Gewalt in der Politik ignorierte. 498 Machiavellis Kritik an diesem ‚unbewaffne‐ ten Propheten‘ hat die Forschung so sehr beeindruckt, dass er manchen als scharfer Kritiker Savonarolas gilt. Diese Kritik repräsentiert aber nur eine Seite von Ma‐ chiavellis Urteil über Savonarola. Sie bezieht sich auf dessen Stil, einen bestimmten Aspekt seines Charakters und vor allem sein Unverständnis der Natur der Politik – aber nicht auf die gesamte Richtung seiner Reformvision. In den Discorsi spricht Machiavelli auch von der Gelehrsamkeit, Weisheit und Geisteskraft der Schriften Savonarolas. 499 Es gibt Hinweise darauf, dass Machiavelli unmittelbare Kenntnis der Schriften Savonarolas hatte (und wahrscheinlich auch Sympathie für sie). So‐ 495 Discorsi, Lib. 1, Cap. 55, S. 131 f. Siehe Herfried Münkler, Machiavellis Deutschland‐ bild. Humanistische Antike-Rezeption und politische Perspektiven, in: Politik und Po‐ liteia. Formen und Probleme politischer Ordnung. Festgabe für Jürgen Gebhardt zum 65. Geburtstag. hg. von Wolfgang Leidhold, Würzburg 2000, S. 483–493. 496 Il Principe, Cap. 9; Discorsi, Lib. 1, Cap. 37, S. 120 (S. 97). 497 Discorsi, Lib. 1, Cap. 58. 498 Il Principe, Cap. 6, S. 16. 499 Discorsi, Lib. 1, Cap. 45, S. 120. Für die Diskussionen über die gedankliche Beziehung Machiavellis zu Savonarola siehe Jurdevic, The Great and Wretched City: Promise and Failure in Machiavelli’s Florentine Political Thought, Cambridge, Mass. 2014, bsd. Kap. 1. Ferner Donald Weinstein, Machiavelli and Savonarola, in: Studies on Machiavelli, hg. von Myron P. Gilmore, Florenz 1972, S. 251–264; Alison McQueen, Politics in Apo‐ calyptic Times: Machiavelli’s Savonarolan Moment, in: Journal of Politics 78/3 (2016), S. 909–924.
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wohl im Principe als auch in anderen Schriften verwendet Machiavelli wiederholt den Begriff materia für die sittliche Qualität der gesamten Bürger und forma für die Verfassung. 500 Die Verwendung dieser aus der Kategorienlehre des Aristoteles stammenden Begriffe ist bei Savonarola belegbar, wie wir gesehen haben, aber bei anderen Autoren in der Geschichte des Politikdiskurses in Florenz nicht. Es liegt also nahe anzunehmen, dass Machiavelli mit der Vision Savonarolas sehr vertraut und davon beeinflusst war. Unsere Beobachtungen weisen darauf hin, dass Machiavelli unter dem direk‐ ten Einfluss des popularen Reformdiskurses stand. Es geschah paradoxerweise aus Sympathie für die Reform, dass Machiavelli gegenüber der Alleinherrschaft eine of‐ fene Haltung einnahm, wodurch er den Reformdiskurs mit einer Akzentuierung der starken Führungsmacht und Machtkonzentration fortsetzte. Tatsächlich setzt sein Reformdenken, das an manchen Stellen seiner Schriften, vor allem in den Dis‐ corsi, vorgetragen wird, den Akzent auf die Rolle des Alleinherrschers. Machiavelli
500 Discursus florentinarum rerum post mortem iunioris Laurentii Medices, in: Niccolò Ma‐ chiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 394: „Tale che, considerata questa disformità di tempi e d’uomini, non può essere maggiore inganno che credere, in tanta disformità di materia, potere imprimere una medesima forma.“ (Hier und im Folgenden stammen die Hervorhebungen von B. Y.); Il Principe, Cap. 6, S. 15: „Ed esaminando le azioni e vita loro non si vede che quelli avessino altro da la fortuna che la occasione, la quale dette loro materia a potere introdurvi dentro quella forma che parse loro.“; ebd., Cap. 26, S. 54: „E in Italia non manca materia da intro‐ durvi ogni forma“; Discorsi, Lib. 1, Cap. 17, S. 89: „E si può fare questa conclusione, che, dove la materia non è corrotta, i tumulti ed altri scandoli non nuocono: dove la è corrotta, le leggi bene ordinate non giovano, se già le non sono mosse da uno che con una estrema forza le faccia osservare, tanto che la materia diventi buona. Il che non so se si è mai inter‐ venuto o se fusse possibile ch’egli intervenisse: perché e’ si vede, come poco di sopra dissi, che una città venuta in declinazione per corruzione di materia, se mai occorre che la si ri‐ lievi, occorre per la virtù d’uno uomo che è vivo allora, non per la virtù dello universale che sostenga gli ordini buoni.“; ebd., Lib. 1, Cap. 18, S. 103: „Era necessario, pertanto, a volere che Roma nella corruzione si mantenesse libera, che, così come aveva nel processo del vi‐ vere suo fatto nuove leggi, l’avesse fatto nuovi ordini: perché altri ordini e modi di vivere si debbe ordinare in uno suggetto cattivo, che in uno buono; né può essere la forma simile in una materia al tutto contraria.“; ebd., Lib. 3, Cap. 8, S. 219: „Fa molto maggiore essemplo di questo, Manlio Capitolino: perché mediante costui si vede quanta virtù d’animo e di corpo, quante buone opere fatte in favore della patria, cancella dipoi una brutta cupidità di regnare: la quale, come si vede, nacque in costui per la invidia che lui aveva degli onori erano fatti a Cammillo; e venne in tanta cecità di mente, che, non pensando al modo del vivere della città, non esaminando il suggetto, quale esso aveva, non atto a ricevere ancora trista forma, si misse a fare tumulti in Roma contro al Senato e contro alle leggi patrie.“; ebd., Lib. 3, Cap. 8, S. 220: „[. . . ] a volere pigliare autorità in una republica e mettervi trista forma, trovare la materia disordinata dal tempo [. . . ].“ Die Hervorhebungen stammen von mir.
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behauptete, dass der Staat eine beschränkte Lebensdauer hat, wie ein natürlicher Körper. 501 Es gehe daher in der Politik darum, den Staat in Ordnung zu halten, und, wenn die Ordnung einmal gestört werde, sie wiederherzustellen, bis der Staat irgendwann zu seinem von Gott vorgezeichneten Ende gelange. 502 Um dauerhaft im gesunden Zustand zu bleiben, müsse jeder Staat regelmäßig zu seinem Ausgangs‐ zustand gebracht werden. Ansonsten verderbe das Gute im Laufe der Zeit und am Ende sterbe der Staat. 503 Machiavelli glaubte, dass ein solcher Akt des Zurückfüh‐ rens durchaus der Neugründung eines Staates vergleichbar ist. Laut Machiavellis Discorsi war das Wirken eines tapferen und starken Menschen bei der Begründung des ersten Staates maßgeblich. Am Anfang der Geschichte lebten die Menschen vereinzelt wie die Tiere. Als sich die Zahl der Menschen vergrößerte, vereinten sie sich zu einem Zusammenleben und machten den stärksten und tapfersten unter ih‐ nen zu ihrem Oberhaupt, um sich besser zu verteidigen. Aus dieser Herrschaft ging die Ethik hervor, also die Lehre vom Guten und Bösen und vom Ehrenhaften und Schändlichen, denn aus der Freveltat gegen den Führer entsprangen Hass gegen den Täter und Mitleid für den Führer. Auf dieser Entwicklung folgten der Begriff der Gerechtigkeit und das Recht als Mittel ihres Erzwingens. 504 Machiavelli modellierte seine Reformidee nach diesem Bild der Staatsgründung. Wie die Gründung eines neuen Gemeinwesens aus dem Chaos setzt auch die Reno‐ vation eines verfallenen Staates eine starke und tatkräftige Macht voraus. 505 Somit gelangt er zur Idee einer Reformdiktatur eines einzigen Mannes. Machiavelli for‐ muliert seinen Grundsatz in den Discorsi geradezu thesenhaft: Man muss es wohl als eine allgemeine Regel annehmen, dass niemals oder nur sel‐ ten eine Republik oder ein Königtum von Anfang an eine gute Verfassung oder eine ganz neue, von den bestehenden Einrichtungen abweichende Form erhält, außer es geschieht durch einen einzelnen Mann. Dieser muss allein die Macht ausüben, und sein Geist muss alle Einrichtungen des Staats bestimmen. 506
Wie der Staatsgründer ist auch der Staatserneuerer nach Machiavelli in seinem Handeln dem ethischen und gesetzlichen Urteil enthoben. Es ist bedeutsam, dass Machiavelli meinte, die Ethik sei das Produkt der ersten Herrschaft, und nicht um‐ 501 502 503 504 505 506
Discorsi, Lib. 3, Cap. 1. Ebd. Ebd. Ebd., Lib. 1, Cap. 2. Ebd., Lib. 1, Cap. 9; Cap. 17–18; Cap. 55; Lib. 3, Cap. 1. Ebd., Lib. 1, Cap. 9, S. 74 (S. 36): „E debbesi pigliare questo per una regola generale: che mai o rado occorre che alcuna republica o regno sia, da principio, ordinato bene, o al tutto di nuovo, fuora degli ordini vecchi, riformato, se non è ordinato da uno; anzi è necessa‐ rio che uno solo sia quello che dia il modo, e dalla cui mente dependa qualunque simile ordinazione.“
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gekehrt. Der Gründer der ersten Herrschaft habe also gleichsam jenseits der Frage des Guten und Bösen gehandelt. 507 Machiavelli bemerkt in diesem Sinne: Nie wird ein kluger Kopf einen Mann wegen einer außergewöhnlichen Handlung tadeln, die er begangen hat, um ein Königtum zu gründen oder eine Republik zu konstituieren. Spricht auch die Tat gegen ihn, so entschuldigt ihn doch der Erfolg. 508
Dasselbe gilt auch für den Reformer. Die Ethik und das Gesetz sind durch ihn erst wiederherzustellen, momentan ist von ihnen aber keine Wirksamkeit zu erwarten. Handelt ein Erneuerer nur moralisch und rechtlich, geht er bald unter, umgeben von so vielen bösen Menschen, die überhaupt nicht ethisch und tugendhaft handeln wollen. Ein Reformer muss also bereit sein, um der Wiederherstellung der Ordnung und Sittlichkeit willen gegen die Moral und das Recht zu handeln – so Machiavellis Argument. Diese Idee der Reform wurde aber im Zusammenhang einer unerwarteten, an sich komplett kontingenten politischen Entwicklung sehr kompliziert, ja sogar komplizierter, als Machiavelli selber es vorgesehen hatte, nämlich im Kontext der Restauration des Medici-Regimes. Der Umsturz der Regierung Soderinis war für Machiavelli Zeichen genug, dass der Verfall von Florenz schon sehr weit fortge‐ schritten war. Die Reform war also notwendig. Nun war die zentrale Frage: Wie? Dieser Frage folgten weitere Fragen. Wie muss man das neue Regime einschätzen? Was kann man von ihm erwarten? Verbunden waren diese Fragen mit noch prakti‐ scheren: Muss man das Regime willkommen heißen? Oder muss man es als Tyrannei beurteilen und den Widerstand organisieren? Machiavellis Entscheidung fiel auf die erste Option und sein Principe, den er Lorenzo di Piero de’ Medici widmete, ist das Ergebnis dieser Entscheidung. Das lässt sich klar erkennen an seinem Discursus florentinarum rerum post mortem iunioris Laurentii Medices – einer Denkschrift über die Verfassungsreform von Florenz, die er um 1520, nach dem Tod von Lorenzo di Piero de’ Medici, dem Medici-Papst Leo X. (†1521) überreichte. 509 Diese Programmschrift, in der Ma‐ chiavelli seinen ‚Masterplan‘ für die Umgestaltung der florentinischen Verfassung skizzierte, hat große Bedeutung für die Rekonstruktion seines politischen Den‐ kens. Denn er versuchte darin, seine Reformidee sowohl in ideologischer als auch 507 Ebd., Lib. 1, Cap. 2. 508 Ebd., Lib. 1, Cap. 9, S. 75 (S. 36 f.) : „[. . . ] né mai uno ingegno savio riprenderà alcuno di alcuna azione straordinaria, che, per ordinare un regno o constituire una republica, usasse. Conviene bene, che, accusandolo il fatto, lo effetto lo scusi.“ 509 Zu dieser Schrift siehe Najemy, Machiavelli and the Medici, bsd. S. 557 ff.; Giovanni Silvano, Florentine Republicanism in the Sixteenth Century, in: Machiavelli and Re‐ publicanism, hg. von Gisela Bock, Quentin Skinner und Maurizio Viroli, Cambridge u. a. 1990, S. 41–70; McCormick, Machiavellian Democracy, S. 103–125; Butters, Ma‐ chiavelli and the Medici, S. 73 f.
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in praktischer Hinsicht deutlich zu machen. Entgegen der Interpretation mancher Forscher, die mit dem Principe einen Positionswechsel Machiavellis vom bisheri‐ gen Republikanismus zum Lager der Fürstenherrschaft diagnostizieren, zeigt diese Schrift, dass Machiavelli sieben Jahre nach der Abfassung des Principe immer noch seinen republikanischen Grundsätzen treu geblieben war und die Medici-Herr‐ schaft im Rahmen seiner Vision der Wiederherstellung der Republik verstehen und bestimmen wollte. Der Kern des Reformkonzeptes Machiavellis ist die Herstellung einer Mischver‐ fassung mit breiter popularer Basis. 510 Dieser Überlegung liegt seine Verfassungs‐ theorie zugrunde, die er am Eingang der Discorsi ausführlich erörtert hatte. 511 Ma‐ chiavelli sah, dass jede Verfassung, sei es eine Monarchie, sei es eine Republik, ihrem eigenen Mangel ausgesetzt ist, und eben daher instabil und kurzlebig ist. Er be‐ ruft sich dabei auf die Theorie des Verfassungskreislaufes von Polybios im sechsten Buch seiner Historien. Die Monarchie, die als erste Herrschaft in der Geschichte erscheint, bietet zwar aufgrund der Machtkonzentration auf eine Person eine tat‐ kräftige Führung, aber diese absolute Macht degeneriert wegen der dynastisch nach‐ folgenden Herrscher schnell zur Tyrannei. Die Aristokratie, die nach dem Sturz der Tyrannei hergestellt wird, regiert anfänglich maßvoll und weise, die Adligen werden jedoch in der nächsten Generation bald arrogant und versuchen, die Gleichheit un‐ ter den Bürgern zu unterdrücken, was schließlich in die Oligarchie mündet. Auch die Demokratie, die die Oligarchie ersetzt, verfällt leicht nach dem Absterben der Generation, die noch das Gedächtnis des Kampfes für die Freiheit im Kopf behielt, und wird durch den Missbrauch der Freiheit zur Pöbelherrschaft, die dann wie‐ derum durch die Fürstenherrschaft ersetzt wird. Damit gelangt ein Kreislauf zum Ende und der zweite beginnt, der denselben Gang wiederholt. Machiavelli argumentierte wie Polybios, dass man diesen Teufelskreis der Ver‐ fassungsänderungen, in dem Ordnung und Unordnung alternierend auftreten, nur durch die Mischung aller drei Verfassungsformen brechen kann. 512 Durch das Zu‐ sammenspiel in einer Verfassung würden die drei Verfassungsformen sowohl einan‐ der ergänzen als auch sich entgegenwirken. Damit könne man am Ende die Vorteile der drei Formen maximieren, aber die Nachteile minimieren bzw. neutralisieren. Machiavelli bevorzugt besonders diejenige Form der Mischverfassung, die seiner Ansicht nach in der römischen Republik realisiert worden war. Sie habe durch
510 Einen Überblick zur Entwicklung der Theorie der Mischverfassung geben: Wilfried Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit (= Geschichte und Gesellschaft, Bd. 21), Stuttgart 1980; Blythe, Ideal government and the mixed constitution in the Middle Ages; Alois Riklin, Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006. 511 Discorsi, Lib. 1, Cap. 2. 512 Ebd.
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ihre breite populare Basis den Römern ein großes und mächtiges Imperium er‐ möglicht. 513 Im Gegensatz dazu gewährleistete nach Machiavelli die aristokratisch akzentuierte Mischverfassung, die in der Antike von Sparta und in seiner eigenen Zeit von Venedig beispielhaft verkörpert wurde, zwar die Stabilität des Staates, sei jedoch nicht geeignet, die Bildung eines Imperiums zu fördern. 514 Die Denkschrift beginnt mit der provokativen Feststellung, dass Florenz in der Vergangenheit weder eine Monarchie noch eine Republik im echten Sinne gewesen war. Eine Stadt, wo die Dinge geschehen, wie es einer will, und mit der Zustimmung vieler beschlossen werden, 515 könne nicht ein Fürstentum genannt werden. Ebenso wenig sei Florenz eine Republik gewesen, weil es der notwendigen Einrichtungen jeder gesunden Republik ermangelt habe. 516 Aus diesem Grund habe Florenz un‐ ter ständigem Regierungswechsel leiden müssen. 517 Machiavelli lässt sich zuerst auf die Frage ein, welche Regierungsform für die Florentiner geeignet sei. Somit greift Machiavelli auf die konventionelle und oben bereits ausführlich beschriebene repu‐ blikanische Idee zurück, dass nämlich die Eigenschaften der Florentiner unbedingt ein Leben unter der Gleichheit und Freiheit verlangen, anders als in anderen Städ‐ ten, die eher für die Ungleichheit und Knechtschaft geeignet sind und daher durch einen Fürsten regiert werden können. Er stellt fest, dass [. . . ] [I]n allen Städten, wo große Gleichheit der Bürger herrscht, [kann] nur mit größter Schwierigkeit ein Fürstentum eingeführt werden [. . . ] Um [. . . ] in Flo‐ renz, wo sehr große Gleichheit herrscht, ein Fürstentum zu errichten, würde es nötig sein, zuerst Ungleichheit einzuführen und viele Edle mit Türmen und Bur‐ gen zu schaffen, die in Gemeinschaft mit dem Fürsten durch die Waffen und ihren Anhang die Stadt und das ganze Land unter Druck hielten. [. . . ] Wo aber eine Re‐ publik passt, eine Monarchie zu errichten, [. . . ] ist schwierig, und, weil es schwierig ist, unmenschlich und unwürdig eines jeden, der für milde und gut gelten will. Ich unterlasse es daher, noch weiter über die Monarchie zu sprechen und werde von der Republik handeln, sowohl weil Florenz durch seinen Zustand äußerst geeignet ist, diese Form anzunehmen, als auch weil man erfährt, dass Eure Heiligkeit völlig geneigt dazu ist [. . . ]. 518 513 Ebd., Lib. 1, Cap. 5–6. 514 Ebd. 515 Discursus, S. 392 (deutsche Übersetzung: Niccolò Machiavelli, Gesammelte Werke, hg. von Alexander Ulfig, übers. von Johann Ziegler und Franz Nicolaus Baur, Frankfurt / M. 2006, S. 929): „[. . . ] dove le cose si fanno secondo che vuole uno, e si deliberano con il consenso di molti.“ 516 Ebd. 517 Ebd., S. 395. Auch Discorsi, Lib. 1, Cap. 49, S. 125. 518 Discursus, S. 395 (S. 933): „[. . . ] in tutte le città dove è grande equalità di cittadini, non vi si può ordinare principato se non con massima difficultà, [. . . ] (A) volere un principato
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Hier stellt Machiavelli den Medici-Papst vor die Alternative: Will er in Florenz, einer Stadt der freien Bürger, eine Monarchie errichten, dabei die dazu nötigen Grausamkeiten begehen und sich schließlich den Ruf eines Tyrannen erwerben? Oder will er eher das Errichten einer republikanischen Staatsverfassung fördern? Der barmherzige geistige Führer aller Christen, der Leo sei, würde aber von der ers‐ ten Option nicht einmal träumen. So beteuert Machiavelli am Ende, dass er seine Diskussion auf die Republik beschränken wird. Von dieser Stelle an handelt Ma‐ chiavelli nur noch von der Herstellung einer wahren Republik. Von dieser Feststellung seines Vorhabens geht Machiavelli über zum konkreten Plan für die Herstellung der Mischverfassung mit einer breiten Beteiligungsmög‐ lichkeit des Volkes an der Regierung. Der Grundsatz der Reform ist für ihn Folgen‐ der: Die, welche eine Republik konstituieren, müssen drei verschiedenen Klassen von Menschen, die in allen Städten sind, Raum geben, nämlich den ersten, den mittleren und den letzten. 519 Seinem Prinzip der Herrschaftsmischung entsprechend machte sich Machiavelli weiter dazu Gedanken, wie man all diese Klassen an der Regierung beteiligen soll, um sie zu befriedigen und ihre Kraft für das Gemeinwohl zu nutzen. Zuerst kommt die erste Klasse in den Blick, die den Vorrang vor den anderen haben will. Ma‐ chiavelli glaubt, dass ihre Unzufriedenheit entscheidend zum Zusammenbruch der Regierung Soderinis beigetragen habe. Machiavelli trägt daher eine besondere Sorge dafür, diese Klasse zufrieden zu stellen. Machiavelli empfiehlt, ihr die „Majestät“ (maestà) der Republik zu geben. 520 Dafür schlägt Machiavelli vor, fünfundsechzig Bürger mit fünfundvierzig oder mehr Lebensjahren wählen zu lassen, davon drei‐ undfünfzig durch die größere Sektion, zwölf durch die kleinere Sektion des Rates. Man solle aus ihnen einen Gonfaloniere der Gerechtigkeit (gonfaloniere di giustizia) wählen, der entweder lebenslänglich oder befristet auf zwei oder drei Jahre herrscht. Die übrigen sollen in zwei Gruppen geteilt werden, die jährlich wechselnd mit dem Gonfaloniere regieren. Sie bilden zusammen in Machiavellis Plan die Signoria. 521
in Firenze, dove è una grandissima equalità, sarebbe necessario ordinarvi prima inequalità, e farvi assai nobili di castella e ville, i quali, insieme con el principe, tenessino con l’armi e con l’aderenzie loro suffocata la città e tutta la provincia. [. . . ] Ma perché fare princi‐ pato dove starebbe bene repubblica [. . . ] è cosa difficile, inumana e indegna di qualunque desidera essere tenuto pietoso e buono, io lascerò il ragionare più del principato e parlerò della republica; sì perché Firenze è subjetto attissimo da pigliare questa forma, sì perché s’intende la Santità Vostra esserci dispostissima . . . “. Auch Discorsi, Lib. 1, Cap. 26, S. 97 und Cap. 55. 519 Ebd., S. 396 (S. 934): „Coloro che ordinano una repubblica debbono dare luogo a tre di‐ verse qualità di uomini, che sono in tutte le città: cioè, primi, mezzani e ultimi.“ 520 Ebd. 521 Ebd.
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Für die mittlere Klasse entwirft Machiavelli den Rat der Erwählten, der aus zwei‐ hundert Bürgern mit vierzig oder mehr Jahren besteht (vierzig davon für die kleine Sektion, hundertsechzig für die größere Sektion). Die Mitglieder dieses Rates sollen von Leo erwählt werden und lebenslang in ihrem Amt bleiben. 522 Inmitten all dieser Sorgen um die Beteiligung aller Klassen an der Herrschaft macht sich in Machiavellis Plan seine Sympathie für den governo largo bemerkbar. Machiavelli stellt fest: Ohne die Masse zufriedenzustellen, hat man nie eine dauernde Republik errichtet. 523 Dieser Überzeugung entsprechend empfiehlt er Leo die Wie‐ dereröffnung des Saals des Großrates, des Symboles des ehemaligen governo largo, das nach der Vertreibung der Medici vor allem auf Anregung Savonarolas am 23. De‐ zember 1494 installiert und mit der Rückkehr der Medici als erstes abgeschafft worden war. Er schreibt: Nie aber wird man die Masse der florentinischen Bürger zu‐ friedenstellen, wenn der Saal nicht wieder geöffnet wird. 524 Nach seinem Plan soll der Großrat aus sechshundert bis tausend Bürgern bestehen und alle Ämter und Stellen der Obrigkeit außer einigen Regierungsorganen wie den Fünfundsechzig, Zweihun‐ dert und Acht der Balia verteilen. 525 Die Amtsführung der Signoria soll ständig unter die Aufsicht der sechzehn Gonfalonieri der Volkskompanien gestellt werden, die entweder der Großrat oder Leo wählen soll, indem einer der sechzehn immer mit den neun residierenden Signoren den Palast bewohnen soll. Zwar könne er bei einer Entscheidung der Signoria keine Stimme abgeben und sei nur als Zeuge der Handlungen der Signoren zugegen, könne aber dort eine Entscheidung verhindern und gegebenenfalls verlangen, dass eine Sache an alle zweiunddreißig Signoren über‐ wiesen werde, die nur in der Anwesenheit von zwei der sechzehn Gonfalonieri der Volkskompanien entscheiden können. Jene zwei Gonfalonieri können eine Agenda auch an den für die mittlere Klasse vorgesehenen Rat der Zweihundert übergeben. Ebenso wenig solle der Rat der Zweihundert etwas tun können, ohne dass wenigs‐ tens sechs von den sechzehn Gonfalonieri der Volkskompanien nebst zwei Vorge‐ setzten anwesend sind. Dadurch, dass sie gegebenenfalls (mit der Zustimmung von drei unter ihnen) eine Sache an den Großrat verweisen, sollten sie diesem die Kon‐ trolle sichern. 526 In diesem Reformvorschlag tritt Machiavelli, wie im Principe, zunächst als avvo‐ cato del diavolo auf. Zur Absicherung der Macht der Medici empfiehlt Machiavelli dem Medici-Papst Leo X. den Rekurs auf die alte ‚Weisheit‘, nämlich die Wahlma‐
522 Ebd., S. 396 f. 523 Ebd., S. 397 (S. 936): „Senza satisfare all’universale, non si fece mai alcuna repubblica sta‐ bile.“ 524 Ebd., S. 397 f. (S. 936): „Non si satisferà mai all’universale dei cittadini fiorentini, se non si riapre la sala.“ 525 Ebd. 526 Ebd.
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nipulation. Er rät z. B. Leo, für die erste Wahl der Signoria alle seine Freunde und Vertrauten zu ernennen. 527 Ferner schlägt Machiavelli Leo vor, den Großrat nur all‐ mählich wiederherzustellen, damit die Sicherheit der Medici-Herrschaft unangetastet bleiben kann. Leo solle den Großrat nur in einem Teil wiederherstellen, aber die komplette Restitution nur vage andeuten. 528 Neben diesen Vorschlägen empfiehlt Machiavelli auch, die Balia, die für die öffentliche Sicherheit zuständig ist, unter Kon‐ trolle zu halten, damit er zusammen mit dem Medici-Kardinal Giulio lebenslänglich soviel Macht haben könne wie das ganze Volk. Dafür hält Machiavelli es für notwen‐ dig, dass Leo den Magistrat der Balia nach Bedarf ernennt. Auch wird Leo angeraten, die ordinanza delle fanterie (Ordonnanz des Fußvolks) in zwei Scharen zu teilen und jeder von ihnen jeweils für ein Jahr einen Kommissar vorzusetzen. Auf diese Weise sollen die Waffen und die Rechtspflege in der Hand der Medici bleiben. 529 Es stellt sich aber heraus, dass Machiavelli dem Medici-Herrscher alle diese il‐ legitimen Maßnahmen nur insofern zu gestatten bereit ist, als sie für die Reform eingesetzt werden. So betont Machiavelli zwar, während er Leo zur Etablierung der Kontrolle über die Balia rät, dass diese Kontrolle dem Sicherheitsinteresse der Medici-Faktion dient. 530 Eine so hergestellte Regierung werde wie eine Monarchie aussehen. Machiavelli will aber den Herren der Medici eine solche Fülle der Macht nur kurz und temporär erlauben und zwar zum Zweck der Vollendung der Reform. Nach dem Ableben von Leo und Giulio solle die Macht auf das Volk übergehen, damit eine vollkommene Republik entstehe. 531 Die wichtigste Aufgabe eines Re‐ formherrschers ist nach Machiavellis Ansicht, seine absolute Herrschaft nur bis zu der Vollendung der Reform beizubehalten und sie nicht an seine Nachkommen wei‐ terzugeben. Darum schreibt er am Ende dieser Reformschrift, wenn eine Verfassung auf sicheren Beinen stehe, müsse die Macht an das Volk übergeben werden. Dieser Gedanke entspricht der Grundregel, die Machiavelli in den Discorsi dem Gründer eines Staates und dem Reformdiktator vorschreibt: [E]in weiser Gesetz‐ geber einer Republik, der die Absicht hat, nicht sich, sondern dem Allgemeinwohl, nicht seiner Nachkommenschaft, sondern dem gemeinsamen Vaterland zu dienen, 532 muss so klug und charaktervoll sein, dass er die unumschränkte Macht, die er an sich gerissen hat, nicht auf einen anderen vererbt. 533 Also soll ein wahrer Gründer und Erneuerer 527 528 529 530 531 532
Ebd., S. 396. Ebd., S. 397. Ebd., S. 396 und 399. Ebd. Ebd., S. 399. Discorsi, Lib. 1, Cap. 9, S. 74 f. (S. 36): „[. . . ] uno prudente ordinatore d’una republica, e che abbia questo animo, di volere giovare non a sé ma al bene comune, non alla sua propria successione ma alla comune patria [. . . ].“ 533 Ebd., Cap. 9, S. 75 (S. 37): „[. . . ] in tanto essere prudente e virtuoso, che quella autorità che si ha presa non la lasci ereditaria a un altro [. . . ].“
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der Republik niemals auf die Herstellung einer Erbmonarchie zielen, sondern sein Machtmonopol auf seine Lebzeiten beschränken. Aus unserer Diskussion ergibt sich, dass Machiavelli dem Ideal der Mischverfas‐ sung popularer Prägung treu blieb, das durch Savonarola erstmals eine klare theo‐ retische Begründung erfuhr, und dass er die Medici-Herrschaft als eine Chance für die Realisierung dieses regimen mixtum verstand. Machiavelli hegte tatsächlich die Hoffnung, mit den Medici den Weg zu einer wahren und mächtigen Republik be‐ reiten zu können. Es gibt Hinweise in den Discorsi, dass Machiavelli die Vision der Reform der Republik durch die Macht der Medici, die eine Kohabitation einer Republik und ei‐ nes Fürstentums auf eine geräumige Zeit bedeutete, schon in der krisenhaften Zeit zwischen 1512–1513 entwickelt hatte. Im zehnten Kapitel des ersten Buches er‐ wähnt Machiavelli die Möglichkeit einer Reform eines Staates durch eine fürstliche Macht, indem er von der Ehre eines Reformfürsten und dem göttlichen Segen für ihn spricht: In der Tat, wenn ein Herrscher nach Weltruhm strebt, so müsste er wünschen, die Regierung in einem zerrütteten Staat zu übernehmen, nicht um dieses vollends zugrunde zu richten wie Cäsar, sondern um es neu zu ordnen wie Romulus. Der Himmel kann einem Menschen keine bessere Gelegenheit geben, sich Ruhm zu erwerben, noch kann ein Mensch sich eine bessere wünschen. Wenn es notwen‐ dig wäre, als Machthaber abzudanken, um dem Staat eine gute Verfassung geben zu können, so würde der Machthaber, der einem Staat deshalb keine Verfassung gibt, um nicht von seiner Höhe herabzustürzen, einige Entschuldigung verdienen. Wenn er aber dem Staat eine Verfassung geben könnte, ohne seine Macht zu verlie‐ ren [und er tut es nicht], verdient er nicht die geringste Entschuldigung. Kurz und gut, es mögen die Männer, denen der Himmel eine solche Gelegenheit schenkt, in Betracht ziehen, dass zwei Wege vor ihnen liegen: der eine führt sie zu einem Le‐ ben der Sicherheit und zu unsterblichem Nachruhm, der andere zu einem Leben endloser Ängste und nach dem Tode zu ewiger Schande. 534
534 Ebd., Cap. 10, S. 78 (S. 43): „E veramente, cercando un principe la gloria del mondo, doverrebbe desiderare di possedere una città corrotta, non per guastarla in tutto come Ce‐ sare, ma per riordinarla come Romolo. E veramente i cieli non possono dare agli uomini maggiore occasione di gloria, né gli uomini la possono maggiore desiderare. E se, a volere ordinare bene una città, si avesse di necessità a diporre il principato, meriterebbe, quello che non la ordinasse per non cadere di quel grado, qualche scusa: ma potendosi tenere il principato ed ordinarla, non si merita scusa alcuna. E, in somma, considerino quelli a chi i cieli dànno tale occasione, come ei sono loro preposte due vie: l’una che li fa vivere sicuri, e dopo la morte li rende gloriosi; l’altra li fa vivere in continove angustie, e, dopo la morte, lasciare di sé una sempiterna infamia.“
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Machiavelli stellt hier den Fürsten eines verderbten Staates vor zwei Optionen: ein Weg, der einstmals von Cäsar betreten wurde, und einen anderen Weg à la Romulus, der den Grundstein für einen mächtigen Staat legte. Ein wahrer, nach der Ehre und dem Ruhm strebender Fürst solle sich das Beispiel von Romulus zu Herzen neh‐ men und nicht vor der Aufgabe der Reform zurückschrecken, besonders wenn die Reform seine fürstliche Macht unangetastet lässt: So lautet Machiavellis Urteil. Er stellte also die Hingabe zur Reform eines Staates als Imperativ für jeden Fürsten dar. Diese Betrachtung ermöglicht einen Einblick in die Haltung Machiavellis zu der neu hergestellten Macht der Medici und seine Erwartung an sie. Folgt man konse‐ quent der Logik Machiavellis, hatte die Familie Medici, die sich ein Maximum an Si‐ cherheit schaffen wollte, eine einzige Option, nämlich die Erneuerung der Republik. Hier ist daran zu erinnern, dass Machiavelli schon damals im Principe klar machte, dass eine Republik nur als Republik fortbestehen kann. 535 Ein Fürst kann einem an die Freiheit gewohnten Volk kaum die fürstliche Herrschaftsform aufzwingen. Ein Fürst, der eine Republik erobert, muss daher direkt dorthin gehen und regieren, aber auch diese Methode bedeutet keine Garantie. Der einzig sichere Weg ist Machiavelli zufolge eine komplette Zerstörung der eroberten Republik. Einem Fürsten, der in seiner heimatlichen Stadt wirken muss, ist aber diese letzte Option verschlossen. Eine Reform von Florenz, das lange eine republikanische Selbstregierung beibe‐ halten hatte, konnte also nur die Wiederherstellung einer echten Republik bedeu‐ ten. Die Florentiner, die an die Freiheit gewohnt waren, konnten weder überredet noch gezwungen werden, unter einem Fürsten zu leben. Die Macht der Medici vermochte daran nichts zu ändern. Der Familie blieb als eine sinnvolle Handlungs‐ option nur die Bemühung um Restaurierung der guten Republik durch die Reform. Es ist also naheliegend, dass Machiavelli bereits zur Zeit der Abfassung des Prin‐ cipe und der Discorsi eine Vision hatte, die er später in der Denkschrift für die Reform von 1520 ausformulierte, nämlich das Machtmonopol der Medici für die Reform und Erneuerung der Republik zu nutzen. Der vieldiskutierte Aufruf an die Medici im letzten Kapitel des Principe, die Führung zu übernehmen, um Italien vom Joch der Tyrannei der Fremden zu befreien, ist nur eine Variation seiner Konzeption des Reformprinzipats. Dort schreibt Machiavelli: Solcherart, gleichsam leblos geworden, erwartet Italien den, der imstande wäre, seine Wunden zu heilen, den Plünderungen der Lombardei, der Ausbeutung des Königsreichs Neapel und der Toskana ein Ende zu setzen und es von seinen seit langer Zeit brennenden Wunden genesen zu lassen. Man sieht, wie es zu Gott betet, auf dass er ihm einen Mann sende, der es von den Grausamkeiten und Gewalttä‐ tigkeiten der Barbaren befreit; man sieht auch, dass es durchaus bereit und willens ist, einem Banner zu folgen, wenn nur einer da wäre, der es ergreift. Doch ist zur 535 Il Principe, Cap. 5.
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Zeit niemand in Sicht, auf den es größere Hoffnungen setzen könnte als auf Euer erlauchtes Geschlecht, das sich durch sein Glück und seine Tüchtigkeit, begünstigt von Gott und der Kirche, deren Haupt es gegenwärtig ist, zum Führer der Befrei‐ ung machen könnte. 536
Vergleicht man diesen emotionsgeladenen Appell an die Medici mit der oben zitierten Bemerkung der Discorsi über die Würdigkeit der Bemühung um die Reform, fällt eine topische Gemeinsamkeit auf: Machiavelli spricht an beiden Stellen vom Segen Gottes. Diese Übereinstimmung ist von Bedeutung, weil Machiavellis Schriften ansonsten keinen transzendentalen Bezug aufweisen. 537 Schaut man nun auf die Denkschrift von 1520, so findet man denselben Topos wieder, gerade im Bezug auf die Lobprei‐ sung der Reform, zu deren Implementierung Machiavelli die Medici ermutigt. Die Reform sei die Chance, zum höchsten Ruhm zu gelangen und Gott zu dienen. Ich glaube, dass die größte Ehre, die ein Mensch erwerben kann, die ist, welche ihm sein Vaterland freiwillig entgegenbringt. Ich glaube auch, dass das größte und Gott wohlgefälligste Gute, das man tun kann, das ist, welches man seinem Vater‐ land tut. Überdies wird kein Mann wegen irgendeiner Handlung so sehr gepriesen, wie es die werden, die durch Gesetze und Einrichtungen die Republiken und Rei‐ che reformiert haben. Solche Männer sind, neben den zu Göttern Erhobenen, die zuerst Gelobten. 538
Eine solche Chance sei einem Fürsten nicht einfach beliebig gegeben, sondern von Gott geschenkt. 536 Il principe, Cap. 26, S. 54 (S. 201): „In modo che, rimasa come sanza vita, aspetta quale possa essere quello che sani le sua ferite e ponga fine a’ sacchi di Lombardia, alle taglie del Reame e di Toscana, e la guarisca da quelle sue piaghe già per lungo tempo infistolite. Vedesi come la priega Iddio che li mandi qualcuno che la redima da queste crudeltà e insolenzie barbare. Vedesi ancora tutta pronta e disposta a seguire una bandiera, pur che ci sia uno che la pigli. Né ci si vede al presente in quale lei possa più sperare che nella illustre Casa vostra, la quale con la sua fortuna e virtù, favorita da Dio e da la Chiesa, della quale è ora principe, possa farsi capo di queta redenzione.“ 537 Daher bezogen sich die Spekulationen über die theologische, religiöse Grundlage des Den‐ kens Machiavellis oft auf die gerade zitierte Stelle aus dem Principe. Vgl. Sebastian de Grazia, Machiavelli in Hell, Princeton 1989, Kap. 2; Vatter, Machiavelli and the Republican Conception of Providence, S. 608–613. Maurizio Viroli, Redeeming The Prince: The Meaning of Machiavelli’s Masterpiece, Princeton 2013, Kap. 3; McQueen, Politics in Apocalyptic Times. 538 Discursus, S. 399 (S. 939): „Io credo che il maggiore onore che possono avere gli uomini sia quello che voluntariamente è loro dato dalla loro patria: credo che il maggiore bene che si faccia, e il più grato a Dio, sia quello che si fa alla sua patria. Oltra di questo, non è esaltato alcuno uomo tanto in alcuna sua azione, quanto sono quegli che hanno con leggi e con istituti reformato le repubbliche e i regni: questi sono, dopo quegli che sono stati Iddii, i primi laudati.“
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Der Himmel gibt also einem Mann kein größeres Geschenk, noch kann er ihm eine ruhmvollere Bahn zeigen als diese. Von so vielem Glück, das Gott Eurem Haus und Eurer Heiligkeit selbst geschenkt, ist daher das das größte, dass er Euch Macht und Gelegenheit gibt, Euch unsterblich zu machen und auf diesem Weg den Ruhm Eu‐ res Vaters und Großvaters weit zu übertreffen. 539
Im Unterschied zu den Stellen der Discorsi und des Discursus wird den Medici-Her‐ ren im Principe als Aufgabe die Befreiung Italiens gestellt. Das sollte uns aber nicht voreilig zu der Annahme verleiten, dass Machiavelli im Principe hauptsächlich als ein italienischer Patriot spricht. Die Freiheit Italiens war, wie bereits diskutiert, oh‐ nehin ein populärer Topos in der literarischen und politischen Tradition in Florenz. Auch Savonarola verteidigte seine Reformvision teilweise mit diesem Anspruch, in‐ dem er zur Erneuerung Italiens unter florentinischer Führung aufrief, wie bereits gesehen. Mit der Aufgabenstellung einer Befreiung Italiens im Principe verfolgte Machiavelli aber wahrscheinlich eine besondere Absicht. Er wollte das dringendste Anliegen des neu erwählten Medici-Papst Leo X. direkt ansprechen. Die Freiheit Ita‐ liens, die, wie bereits in der Diskussion über Tolomeo von Lucca erörtert, schon seit dem 11. Jahrhundert, in der Verbindung mit dem Losungswort „Freiheit der Kir‐ che“, ein Werbespruch der römischen Kirche und des päpstlichen Lagers im Kampf gegen die römischen Kaiser und die anderen weltlichen Herrscher gewesen war, be‐ saß zu dieser Zeit ein besonderes Appellationspotenzial. Die starke Präsenz fremder Mächte auf der Bühne der italienischen Politik beunruhigte sowohl die italienischen Städte als auch das Papsttum. Schon Julius II., der unmittelbare Vorgänger Leos im päpstlichen Amt, hatte Befreiungskriege gegen Frankreich ausgerufen. Angesichts dieses andauernden Interesses des Papsttums muss es nicht erstaunen, dass Machia‐ velli den Medici-Herren den positiven Effekt der Reform von Florenz im Rahmen der Italienpolitik darstellte. Machiavelli muss tatsächlich geglaubt haben, dass die Wiederherstellung der tugendhaften Republik den Florentinern die Führungsrolle für das ganze italienische Volk verleihen und die Freiheit Italiens ermöglichen würde. An dieser Stelle könnte man fragen, ob Machiavelli erwartete, dass die Discorsi, die die gleiche Reformvision enthalten wie die Denkschrift von 1520, den Medici bekannt wird. Zu der Zeit war er noch auf der Suche nach einer Beschäftigung unter den Medici. Der Kreis um Berardo Rucellai, den Machiavelli zur Zeit der Ab‐ fassung der Discorsi frequentierte, war bekanntlich pro-Medici, 540 obwohl später 539 Ebd., S. 399 f. (S. 939): „Non dà, adunque, il cielo maggiore dono ad uno uomo, né gli può mostrare più gloriosa via di questa. E infra tante felicità che ha dato Iddio alla casa vostra e alla persona di Vostra Santità, è questa la maggiore, di darle potenza e subietto da farsi immortale, e superare di lunga per questa via la paterna e la avita gloria.“ 540 Hierzu: Felix Gilbert, Bernardo Rucellai and the Orti Oricellari: A Study on the Ori‐ gin of Modern Political Thought, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 12 (1949), S. 101–131.
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
einige Mitglieder in eine Verschwörung gegen die Medici involviert waren. Wenn dies der Fall wäre, wäre die Frage um den Gegensatz zwischen dem Principe und den Discorsi gegenstandslos. Es kann selbstverständlich keine sichere Antwort auf die Frage geben, wie sehr Machiavelli von seinem Plan einer Wiederherstellung der Republik durch die Me‐ dici überzeugt war. Wenn wir seine negative Einschätzung der politischen Rolle der Medici in Florenz in Betracht ziehen, scheint sein emphatischer Appell an die Medi‐ ci-Herren zur Reform von Florenz mehr ein rhetorischer Einsatz zur Bewegung der Medici in diese Richtung zu sein als ein Ausdruck seiner Zuversicht. Die Herrschaft der Medici war für Machiavelli keine bevorzugte Option für die Reform. Aber die politische Situation von 1513 hatte Machiavelli keine andere Möglichkeit gelassen, als die Hoffnung in der Medici-Herrschaft zu suchen. Dieser Punkt muss vor allem deswegen besonders betont werden, weil nicht we‐ nige Forscher Machiavellis Akzeptanz der Herrschaft der Medici als natürliche Folge seiner Theorie des Verfassungskreislaufes einordnen. Sie argumentieren, als hätte Ma‐ chiavelli die Herstellung der Fürstenherrschaft als quasi-naturgegebene Notwendig‐ keit für die Erneuerung der Republik verstanden, weshalb er problemlos zur Seite der Herren der Medici habe wechseln können. So argumentierte als erster Meinecke, 541 und ihm ist eine Schar von Wissenschaftlern implizit und explizit gefolgt. 542 Damit bleiben sie aber die Antwort auf die Frage schuldig, ob Machiavelli bereits vor 1512 ein Anhänger der Medici bzw. irgendeines Alleinherrschers sein konnte. War Machiavelli bereits vor der Medici-Restauration für die Zerstörung der in ih‐ rem Untergang nicht mehr anzuhaltenden Republik und für die Errichtung einer 541 Meinecke, Die Idee der Staatsräson, S. 38: Machiavelli habe unter dem Einfluss von Polybios die Monarchie für „die einzige noch mögliche Regierungsform“ gehalten, um die ganz verfallene und der Regeneration nicht mehr fähige Republik zu erneuern. 542 Buck, Machiavelli, S. 59: „Nachdem er festgestellt hatte, dass ein korruptes Volk, das die Freiheit erlangt, diese nur unter größten Schwierigkeiten bewahren kann, und zwar nur kraft der ‚virtù‘, d. h. der politischen Energie, eines einzelnen Mannes, wurde er sich plötzlich der gegenwärtigen Analogie zu der historischen Fragestellung bewusst und fragte sich nach dem ‚principe nuovo‘ im Italien des 16. Jahrhunderts.“ Ähnlich ist die Position, die behauptet, dass eine Fürstenherrschaft eine normale Phase des Lebens einer Republik war, und dass insofern man Machiavellis Befürwortung der Fürstenherrschaft für selbst verständlich und sogar notwendig halten muss, wie von Munkler, Machiavelli, S. 347: „Die immer wieder herausgestellten Differenzen zwischen dem Principe und den Discorsi sind so gesehen der Unterschied zwischen den politischen Handlungsanweisungen für die Herausführung eines Staates aus dem tiefsten Punkt seiner Entfaltungsmöglichkeiten, der nach Machiavelli immer nur der einer Republik sein kann. Es ist dieser historische Grund‐ zug in Machiavellis politischem Denken, der seine Interpreten eine unüberbrückbare Kluft zwischen Zyklus und Dekadenz, Principe und Discorsi, der Annahme der mensch‐ lichen Korruptibilität und seinem Vertrauen auf die Tüchtigkeit der Menschen hat sehen lassen.“ Ähnlich Femia, Machiavelli Revisited, S. 12–14.
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rigorosen Fürstenherrschaft? Hieß Machiavelli die Wiederherstellung der Macht der Medici willkommen? Es gibt zwei Gründe, warum wir vermuten können, dass die Erneuerung der Re‐ publik durch die Errichtung einer Fürstenherrschaft zumindest vor 1512, wenn schon nicht eine undenkbare, so doch keine bevorzugte Option für ihn war. Der erste Grund ist der sichtbare Abstand zwischen seinem Idealbild des Erneuerers und seiner negativen Einschätzung der Medici. Die Erneuerer, die Machiavelli er‐ wartete, waren, wie er selber schildert, diejenigen, die in so großem Ansehen stehen und deren Vorbild so mächtig wirkt, dass die Guten ihr nachstreben und die Bösen sich schämen, einen entgegengesetzten Lebenswandel zu führen. 543 So positiv war aber Machiavellis Einschätzung der Medici-Herren keineswegs, wie wir bereits gesehen haben. Eher hat Machiavelli die Herrschaft der Medici als quasi-tyrannisch betrach‐ tet. Ferner war es für jeden offensichtlich, dass die Medici nicht gerne eine populare Regierung sehen wollten, was ja die sofortige Schließung des Saals des Großrates nach der Restaurierung ihrer Herrschaft dann auch beweisen sollte. Die Verwirk‐ lichung der Reformidee unseres Denkers hätte daher von den Medici eine hohe Selbstverleugnung verlangt, wie Machiavelli wohl bewusst gewesen sein muss. Der zweite und noch wichtigere Grund ist, dass Machiavelli keineswegs die Fürs‐ tenherrschaft für die absolute Voraussetzung der Erneuerung der Republik hielt. Diese Feststellung mag überraschend klingen, zumal Machiavelli selber die Allein‐ herrschaft als Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung der Reform be‐ tonte, wie wir oben gesehen haben. Verfolgt man jedoch seine Diskussion noch präziser, stellt sich heraus, dass Machiavelli jene nicht an Gesetze gebundene, im Wortsinne absolute Alleinherrschaft für die Reform in einem weiten Sinne ver‐ steht. Dies können wir seinen Beispielen und Diskussionen entnehmen, die auch ein gesetzlich vorgesehenes Sonderorgan bzw. eine gesetzlich errichtete Sondermaß‐ nahme innerhalb der Republik einschließen. Z. B. waren Horatius Cocles, Scaevola, Fabricius, die beiden Decius, Regulus Attilius und manche andere, die Machiavelli in den Discorsi als Beispiele für Erneuerer der römischen Republik nennt, keine Al‐ leinherrscher. 544 Sie haben Rom durch ihr außergewöhnliches persönliches Vorbild erneuert, nicht durch ein Gewaltmonopol in ihrer Hand. Machiavelli schloss also die Möglichkeit nicht aus, die notwendige Reform für die Erneuerung der Republik ohne substanzielle Verfassungsänderung innerhalb des republikanischen Rahmens bewirken zu können. In der Tat weist Machiavelli auch unmissverständlich auf die Möglichkeit hin, die Innovationsaufgaben rein durch legale Institutionen zu erfül‐ len. Er sagt z. B. am Anfang des dritten Buches der Discorsi:
543 Discorsi, Lib. 3, Cap. 1, S. 201 (S. 287): „[. . . ] gli uomini buoni disiderano imitarle, e gli cattivi si vergognano a tenere vita contraria a quelle.“ 544 Ebd.
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Ein solches Heil [sc. der Erneuerungseffekt] kommt in der Republik also entweder von der Tüchtigkeit eines Mannes oder von der Trefflichkeit einer Einrichtung. Was das letztere betrifft, so gehörten zu den Einrichtungen, die die römische Repu‐ blik auf ihren Ursprung zurückführten, die Volkstribunen, die Zensoren und alle Gesetze, die gegen den Ehrgeiz und die Übergriffe der Bürger erlassen wurden. 545
Machiavelli widerspricht jedoch mit dieser Aussage keineswegs seiner Grundthese zur Erneuerung einer Republik. Denn diese Gesetze müssen [. . . ] mit Leben erfüllt werden durch die Tüchtigkeit eines Mannes, der den Mut hat, sie gegen den Einfluss jener, die dagegen verstoßen, zur Geltung zu bringen. 546 Die Erneuerung durch Ge‐ setze war für Machiavelli mithin eine Variation der Erneuerung durch die Tugend eines Mannes. Machiavelli hatte also keine besondere Motivation, den radikalen Regimewech‐ sel zur Herrschaft der Medici willkommen zu heißen, geschweige denn ihn als not‐ wendig zu erwarten. Die Regierung Soderinis mit ihrer großen Machtkonzentration in der Hand des Präsidenten hätte als Instrument für die Erfüllung der Innovations‐ aufgabe durchaus hervorragend funktionieren können. 547 Und vor Soderini hatte schon Savonarola aufgrund seiner charismatischen Autorität eine gewisse Chance, die Reform in Richtung einer popularen Republik hin durchzuführen. Machiavellis Kritik an Savonarola, er sei ein unbewaffneter Prophet gewesen, oder seine spot‐ tende Bemerkung über Soderini, er sei gestorben und dann zum Limbus, der Kin‐ derhölle, verurteilt worden, 548 enthält einen gemeinsamen Kern: Die beiden hätten ihre Aufgabe dadurch verfehlt, dass sie den Kern der Politik ignorierten, nämlich, dass ein Reformer mitunter seine Waffen sprechen lassen sollte. Denn die Herr‐ schaft der Reformer und die Erneuerung der Republik könnten manchmal eben nur durch solche Maßnahmen gesichert werden. Sie zu unterlassen sei für einen Po‐ litiker verhängnisvoll, ja angesichts seiner Reformaufgabe sogar verbrecherisch. In diesem Sinne stellt Machiavelli dem Verhalten Soderinis das des Lucius Brutus ge‐ genüber, der gemäß der Aufgabe des Staatsgründers und Staatserneuerers gehandelt habe und zwar dadurch, dass er seine zwei Söhne hinrichten ließ, die die neu errich‐ tete Republik zu stürzen und die Tyrannei wiederherzustellen versucht hatten.
545 Ebd. (S. 286): „Surge, adunque, questo bene nelle republiche, o per virtù d’un uomo o per virtù d’uno ordine. E quanto a questo ultimo, gli ordini che ritirarono la Republica ro‐ mana verso il suo principio, furono i Tribuni della plebe, i Censori, e tutte l’altre leggi che venivano contro all’ambizione ed alla insolenzia degli uomini.“ 546 Ebd.: „I quali ordini hanno bisogno di essere fatti vivi dalla virtù d’uno cittadino, il quale animosamente concorre ad esequirli contro alla potenza di quegli che gli trapassano.“ 547 Discorsi, Lib. 1, Cap. 52, S. 127 f. 548 Epigrammi, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 883.
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Es betrifft Piero Soderini, der glaubte, nach der Wiederherstellung der alten Re‐ gierung mit Geduld und Güte den Ehrgeiz, von dem die Söhne des Brutus erfüllt waren, überwinden zu können; doch er täuschte sich. Obwohl er bei seiner Klug‐ heit diese Notwendigkeit einsah und das Schicksal und der Ehrgeiz jener, die ihn befehdeten, ihm Gelegenheit gaben, sie zu vernichten, konnte er doch niemals den Mut hierzu finden: Denn abgesehen davon, dass er glaubte, durch Geduld und Güte mit der bösen Gesinnung fertig zu werden und durch Wohltaten für den und jenen deren Feindschaft versöhnen zu können, war er auch der Ansicht (und er vertraute sie oft seinen Freunden an), dass er zur kraftvollen Niederschlagung der Opposition und zur Züchtigung seiner Gegner ungesetzliche Gewalt anwen‐ den und mit den Gesetzen auch die bürgerliche Gleichheit umstoßen müsse. Dies aber hätte, auch wenn er nachher nicht tyrannisch regiert hätte, jedermann so ge‐ schreckt, dass man nach seinem Tode nie mehr einen Gonfaloniere auf Lebenszeit gewählt hätte, eine Einrichtung, die zu stärken und zu erhalten er für nützlich hielt. Diese Rücksicht war klug und gut: Desto weniger darf man jemals aus Rück‐ sicht auf etwas Gutes einem Übel freien Lauf lassen, wenn dies Gute von dem Übel leicht erdrückt werden kann. [. . . ] So verlor er, weil er dem Brutus nicht zu glei‐ chen wusste, gleichzeitig mit seiner Heimat Herrschaft und Ansehen. 549
Der Vergleich mit Brutus und das Bedauern über Soderinis exzessiven Legalismus deutet darauf hin, dass Machiavelli vom Soderini-Regime eigentlich erwartet hatte, als effiziente Reformregierung zu wirken. Um eine solche Reformaufgabe durchzu‐ führen und alle Widersacher zu vernichten, hätte Soderini aber je nach Bedarf auf die Waffen, nicht auf sein Gewissen und auch nicht auf das Recht der Republik zu‐ rückgreifen müssen: Soderini tat aber gerade das Gegenteil. Mit seinem Sturz ging also eine wertvolle Chance für die Reform verloren.
549 Discorsi, Lib. 3, Cap. 3, S. 203 f. (S. 291 f.): „E questo è Piero Soderini, il quale si credeva su‐ perare con la pazienza e bontà sua quello appetito che era ne’ figliuoli di Bruto, di ritornare sotto un altro governo e se ne ingannò. E benché quello, per la sua prudenza, conoscesse questa necessità; e che la sorte e l’ambizione di quelli che lo urtavano, gli dessi occasione a spegnerli; nondimeno non volse mai l’animo a farlo. Perché, oltre al credere di potere con la pazienza e con la bontà estinguere i mali omori, e con i premii verso qualcuno con‐ summare qualche sua inimicizia; giudicava (e molte volte ne fece con gli amici fede) che, a volere gagliardamente urtare le sue opposizioni, e battere i suoi avversari, gli bisognava pig‐ liare istraordinaria autorità, e rompere con le leggi la civile equalità: la quale cosa, ancora che dipoi non fosse da lui usata tirannicamente, arebbe tanto sbigottito l’universale, che non sarebbe mai poi concorso, dopo la morte di quello, a rifare un gonfalonieri a vita; il quale ordine elli giudicava fosse bene augumentare e mantenere. Il quale rispetto era savio e buono: nondimeno, e’ non si debbe mai lasciare scorrere un male, rispetto ad uno bene, quando quel bene facilmente possa essere, da quel male, oppressato. [. . . ] Tanto che, per non sapere somigliare Bruto, e’ perdé, insieme con la patria sua, lo stato e la riputazione.“
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
Machiavelli, der an die Erneuerung innerhalb des republikanischen Rahmens glaubte, muss also die Medici-Herren nur ungern als die Kandidaten für die Rolle der Reformer akzeptiert haben. Gerade sie glichen ja den Söhnen des Brutus, die die Republik wieder unter das Joch der tyrannischen Herrschaft zurückbringen wollten. Doch hat die zeitgenössische politische Situation Machiavelli eben keine andere Option übriggelassen, als die Hoffnung bei solchen Tyrannen zu suchen. Er stand auch dem Protest gegen einen Tyrannen skeptisch gegenüber, wie er im ersten Kapitel des dritten Buches der Discorsi erörtert. Freilich muss Machiavelli es für einen Versuch wert gehalten haben, die Me‐ dici zu seinem Reformplan zu bewegen. Aus seiner Perspektive galt offensichtlich Folgendes: Würden die Medici-Herren ihre Macht für die Erfüllung der Erneue‐ rungsaufgaben verwenden, könnte sich ihre Herrschaft letztendlich als großer Se‐ gen, nicht als Verhängnis für die florentinische Republik erweisen. Genau zur Ab‐ fassungszeit des Principe war ja Giovanni di Lorenzo de’ Medici zum Papst Leo X. gewählt worden, und aus diesem nicht zuletzt politischen Erfolg traten die Medici wieder als ein wichtiger Machtfaktor in Italien sowie als ein mächtiges Anziehungszentrum für die gesamte florentinische Bürgerschaft hervor. Gleich‐ wohl ist klar, dass die Medici-Herren für Machiavelli zumindest vor 1512 gewiss keine bevorzugte Option für die Reform gewesen waren, und dass sein Rekurs auf sie in der politischen Notsituation von 1513 alles andere als seine erste Wahl war.
4.2 Die Paradoxien der Welt und die Kunst der Lebensführung
Die Menschenwelt, wie Machiavelli sie sich vorstellt, ist voller Paradoxien. Er zeigt im Principe und den Discorsi mehrfach auf, wie man, anders als gelehrt wird, daran zugrunde geht, gemäß der ethischen und religiösen Lehre zu handeln, und umge‐ kehrt, wie man durch eine egoistische und unmoralische Handlung Erfolg erzielt. Überall im Principe kommt sein äußerst starker Sinn für die Paradoxien der Welt zum Ausdruck, die die communis opinio verspotten: Ein Fürst solle lieber sparsam als freigebig sein; ein Fürst solle von seinem Volk besser gefürchtet als geliebt werden; ein Fürst solle eher sein Wort brechen als halten, wenn dessen Einhalten ihm scha‐ den würde. Es passiert in Machiavellis politischer Welt erstaunlich häufig, dass ein Fürst durch seine in sich ethisch lobenswerte Handlung einen für einen Politiker schändlichen Misserfolg erntet, während ein anderer durch schändliche Taten seine Herrschaft erfolgreich bewahrt und vergrößert. Ein großes Paradoxon ist auch, dass eine gesunde tugendhafte Republik durch die Alleinherrschaft mithilfe von Betrug und Gewalt hergestellt wird. Machiavellis Sinn für die Weltparadoxien hört aber hier nicht auf, sondern durchdringt all seine Werke, bis hin zu seinen Komödien, etwa der Mandragola und der Clizia.
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Machiavellis berüchtigte Tierparabel im 18. Kapitel des Principe resümiert sein diesbezügliches Denken. In De officiis hatte Cicero zwei Verhaltensweisen unter den Bürgern festgestellt. 550 Man könne entweder seinen Mitbürger gegenüber ge‐ recht handeln, d. h. durch Vertrauen und Gesetz; man könne aber auch ungerecht handeln. Dann schloss Cicero in Anlehnung an die antike ethische Tiersymbolik folgende Bemerkung an: Wenn aber auf zweierlei Weise, d. h. entweder durch Gewalt oder durch Betrug, Ungerechtigkeit geübt wird, scheint Betrug gleichsam einem Fuchs, Gewalt einem Löwen zuzukommen. Beides ist dem Menschen grundfremd, doch Betrug verdient entschiedenere Ablehnung. Von aller Ungerechtigkeit aber verdient keine mehr den Tod als die derjenigen, die dann, wenn sie am meisten betrügen, darauf hin‐ wirken, dass sie als gutgesinnte Männer erscheinen. 551
Der Sinn dieser Bemerkung ist unschwer zu erkennen. Zwar verurteilt Cicero die Gewaltanwendung und den Betrug als gleichsam für die Menschen unwürdiges Mit‐ tel. Er zeigt eine besondere Abneigung gegen den Betrug, den der Fuchs in seiner Metaphorik symbolisiert. Ein perfekter Betrüger weiß, seine Betrügereien komplett zu verdecken, damit man seine füchsische Natur nicht einmal erkennen kann. Im 18. Kapitel des Principe dreht Machiavelli diese Parabel um 180 Grad um. Er meinte, dass ein Fürst sowohl ein Mensch als auch ein Tier sein müsse. Nach ihm muss ein Fürst den Löwen nachahmen, indem er nach Bedarf Gewalt anwendet, und auch den Fuchs, indem er auf die Lüge zurückgreift. Da also ein Fürst gezwungen ist, von der Natur der Tiere den rechten Gebrauch machen zu können, muss er sich unter ihnen den Fuchs und den Löwen auswäh‐ len, denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen und der Fuchs gegen Wölfe. Man muss also ein Fuchs sein, um die Schlingen zu erkennen, und ein Löwe, um die Wölfe zu schrecken. 552
550 Diesen Überlegungen über die Kontinuität des mittelalterlichen Vulgärpragmatismus und des Zynismus und Pragmatismus Machiavellis liegt meine folgende Publikation zugrunde: Yun, The Fox atop Fortune’s Wheel: Machiavelli and Medieval Realist Discourse. 551 Cicero, De Officiis, Lateinisch-Deutsch, Übersetzung von Heinz Gunermann, Ditzin‐ gen 1992, 1.13.41: „Cum autem duobus modis, id est aut vi aut fraude, fiat iniuria, fraus quasi vulpeculae, vis leonis videtur; utrumque homine alienissimum, sed fraus odio digna maiore. Totius autem iniustitiae nulla capitalior quam eorum, qui tum, cum maxime fal‐ lunt, id agunt, ut viri boni esse videantur.“ 552 Il principe, Cap. 18, S. 38 (S. 137): „Sendo dunque necessitato uno principe sapere bene usare la bestia, debbe di quelle pigliare la golpe e il lione: perché el lione non si defende da’ lacci, la golpe non si difende da’ lupi; bisogna adunque essere golpe a conoscere e’ lacci, e lione a sbigottire e’ lupi.“
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
Selbstverständlich muss ein Fürst dabei genau wissen, so fährt Machiavelli fort, wann und an welchem Punkt er die ethische und rechtliche Grenze überschrei‐ ten muss, und wie er dabei geschickt vorgehen muss. Ansonsten mache er sich bei seinem Volk verhasst, was die gefährlichste Situation für seine Herrschaft sei. Um eine solche Gefahr zu vermeiden, müsse ein Fürst gleichzeitig wissen, wie er all jene Überschreitungen ohne Zuschauer, oder, wenn überhaupt mit Zuschauern, dann mit möglichst wenig Nebenwirkungen begehen könne. Insofern wird auf die Quali‐ tät des Fuchses, der sowohl das strategisch orientierte Verstandesvermögen als auch das Lügen bedeutet, ein besonderer Akzent gesetzt, obwohl Machiavelli es nicht ex‐ plizit formuliert. Aufgrund seiner zahlreichen Einfälle kann sich ein Fuchs auch die Gewalt verschaffen, wenn sie nötig ist, während der Löwe ohne genügende Intelli‐ genz nicht eigenständig erkennen kann, wann und wie er seine Macht einsetzen soll, geschweige denn seine tierische Grausamkeit zu verheimlichen. Daher kritisiert er diejenigen, welche sich einfach auf die Naur des Löwen festlegen (coloro che stanno semplicemente in sul lione), als ahnungslos. 553 Im 18. Kapitel macht Machiavelli für diese missliche Situation, in der ein Poli‐ tiker gegen die Sittlichkeit und das Recht zu handeln gezwungen wird, die Schlech‐ tigkeit des Menschen verantwortlich. Der Mensch sei bereit, die gute Absicht aus‐ zunutzen, um seinen eigenen Vorteil zu vergrößern. Solche Bosheit kann manchmal nur durch eine genauso schlechte Handlung bekämpft werden. Diesem Menschenbild liegt Machiavellis Einsicht in die Konditionen der mensch‐ lichen Existenz auf dieser Welt zugrunde. In den Discorsi erörtert er, dass die Natur die Menschen zwar gierig nach allem, aber unfähig zu dessen tatsächlichem Erwerb geschaffen hat. Aufgrund dieses Abstandes zwischen ihrer endlosen Gier und ihren beschränkten Mitteln bleiben die Menschen stets unzufrieden und kämpfen mitein‐ ander, entweder um an sich zu reißen, was andere bereits besitzen, oder um nicht zu verlieren, was sie selbst haben. Diese Beschaffenheit der Menschen ist nicht gänz‐ lich zu tilgen und schlummert in ihrer Ambition gerade in dem Moment, in dem sie als zivilisierte Wesen handeln. 554 In seinem kurzen Gedicht über den Ehrgeiz, Dell’Ambizione, findet sich die gleiche Auffassung von der conditio humana. Dort mahnt Machiavelli seinen Freund und Adressaten Luigi Guicciardini, die Welt so zu betrachten, wie sie existiert. 555 Sie werde von Ambition und Habgier beherrscht. Eine Situation des Krieges aller gegen alle sei die Folge. Jeder wolle lieber durch Unter‐ drückung der anderen aufsteigen als durch eigene Weisheit und Güte. Daraus ergibt sich, so erörtert Machiavelli, dass einer aufsteigt, während ein anderer sinkt. 556 553 Cap. 18, S. 69 (S. 137). 554 Discorsi, Lib. 1, Cap. 37, S. 109–111. 555 Ich zitiere aus Dell’Ambizione, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le Opere storiche, po‐ litiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 861–864. 556 Ebd., S. 862, Zeile 63: „Di qui nasce ch’un scende e l’altro sale.“
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Das Innere des Bürgers in einer Republik befindet sich daher nach Machiavellis Auffassung im Zustand eines ewigen Kampfes zwischen diesem Streben und dem Sittlichkeitssinn als verantwortungsbewusstes Glied des Gemeinwesens. Es gibt da‐ her immer eine Tendenz, welche die Moral und die staatliche Ordnung zu zerstören droht. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, muss man durch sittliche und recht‐ liche Zügel und durch gelegentliche Reform den Bürgersinn aufrechthalten und verstärken. In einer gesunden Republik hat man weniger Anlass, auf unethische und außerrechtliche Mittel zurückzugreifen. Wenn die Sitten wirklich korrumpiert werden und nur durch die absolute Macht einer Reformdiktatur korrigiert werden können, werden solche Mittel viel öfter und intensiver benötigt. Mitunter braucht man einfach die Zügelung durch die harte Herrschaft. Mit diesem Gedanken lehnt Machiavelli das nezessitaristische Welt- und Poli‐ tikverständnis ab, das trotz aller Abschwächung seit dem Spätmittelalter im scho‐ lastischen und humanistischen Politikdiskurs seiner Zeit noch immer einen starken Einfluss besaß. Er glaubte, dass die Scholastiker und Humanisten die Natur und die Motivation des Menschen völlig missverständen. Die in der Einführung bereits zitierte Stelle aus dem 15. Kapitel des Principe, in der Machiavelli den früheren Den‐ kern die Irrealität ihrer Konzeption der Politik vorwirft, und den Abstand zwischen dem Ideal und der Realität des Verhaltens des Menschen mit Nachdruck hervor‐ hebt, drückte eigentlich genau diese Kritik aus. An dieser Stelle begegnet uns der Begriff des fundamentalen Abstandes zwischen Theorie und Praxis wieder, den wir oben bereits bei den spätmittelalterlichen Den‐ kern beobachtet haben. Ein Politiker müsse die Regeln lernen, die über den Erfolg und Misserfolg einer politischen Unternehmung in dieser Welt entscheiden, und diese Regeln unterschieden sich von den ethischen und rechtlichen Grundsätzen. Das Fundament dieser Eigengesetzlichkeit der Politik ist die verderbte Ordnung der menschlichen Welt. Machiavelli ging jedoch mit seinem Gedanken der Eigengesetzlichkeit der Politik noch viel weiter als die früheren Denker. Vor ihm hat noch niemand die Antinomie zwischen den ethischen und rechtlichen Prinzipien und den praktischen Regeln der Politik so stark betont und den pragmatischen Perspektivwechsel in der Politik der‐ art grundsätzlich gedacht. Bei Machiavelli ist das nezessitaristische Politikverständnis ganz und gar zusammengebrochen. Freilich war auch diesem Verständnis der Begriff des Notbehelfs, der Suspendierung der ethischen und rechtlichen Normen, bereits wohlvertraut gewesen. Machiavellis Argument enthält aber mehr als die Kenntnis darum, dass es gelegentlich Notfälle gibt, in denen man die Lage nicht mit ordent‐ lichen Mitteln bewältigen kann. Für Machiavelli ist die Not, in der alles aus seinem gewöhnlichen Lauf ins Chaos zu rutschen scheint, kein Ausnahmezustand der Poli‐ tik, sondern gerade der Moment, in dem sich die Wahrheit offenbart, dass die Politik ihren eigenen Spielregeln folgt. Die Gewalt und die Lüge sind in Machiavellis Denken keine notbedingten vorläufigen Maßnahmen, sondern normale Mittel der Politik.
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Machiavellis Überlegung über den Sachzwang der eigenen Spielregeln der Poli‐ tik und die Notwendigkeit, dies zur Grundlage der Entscheidung und Handlung zu machen, wird im Principe durch seine Metaphorik von der fortuna versinnbild‐ licht. 557 Im 25. Kapitel vergleicht Machiavelli die Aufgabe des Fürsten mit dem Kampf gegen die fortuna. Die allgemeine Verwendung des fortuna-Begriffs für die regellose und ungerechte Welt in der ethischen und politischen Literatur des Mit‐ telalters wurde bereits oben, im zweiten Kapitel, belegt. Auch für Machiavelli sym‐ bolisiert fortuna sowohl die Regellosigkeit des Weltenlaufs als auch das Verderben der Welt. So schreibt er fortuna Boshaftigkeit und Willkür gleichermaßen zu. In ei‐ nem kurzen Gedicht, das auf dem Vorbild des Anti-Claudianus des Alanus de Lille beruhte, 558 klagt er über fortuna, die das Gute mit Füßen tritt und die Bösen hoch erhebt, 559 und die Reiche und Königtümer nach Belieben auf den Kopf stellt. 560 Im Principe vergleicht Machiavelli fortuna einmal mit einem Fluss, der plötzlich zu wü‐ ten beginnt, seinen Kurs ändert und alles vor ihm zerstört, und einmal mit einer Frau, die ihre Gunst beliebig von einem auf einen anderen Mann legt. 561 Alles bei ihr erfolgt willkürlich und ohne Achtung auf die Gerechtigkeit. Eine solche gefähr‐ liche Göttin weiß aber ein weiser Fürst zu zähmen. Er handelt mit Voraussicht, wie man den Fluss gegen die Flut im Voraus eindämmt, und auf männliche und tapfere Weise, wie ein Mann die Gunst einer Frau durch seine Kraft und Wildheit erwirbt. In seinem Gedicht über fortuna stellt Machiavelli einen solchen Sieger bildlich dar. Am Hof von fortuna befänden sich mehrere Räder. Ihre Zahl sei gleich mit der‐ jenigen der Wege zu den Gütern, die man zu erreichen begehre. 562 Der glücklichste Mensch sei derjenige, der ein Rad davon auswähle, das dem Wunsch der fortuna ent‐ spreche. 563 Man dürfe ihr aber nicht vertrauen, weil sie das Rad weiterdrehen wolle, während man auf ihm gerade in die Höhe gehoben werde. 564 Daher müsse derje‐ nige, der immer glücklich sein wolle, von einem Rad zu einem anderen zu springen wissen. 565 In der Vorstellung Machiavellis erscheint also ein tugendhafter Herrscher 557 Zahlreiche Diskussionen sind dem fortuna-Begriff Machiavellis gewidmet. Hier seien nur zwei Arbeiten, eine der ausführlichsten, und eine der jüngsten mit neuen Ansät‐ zen, genannt: Hanna Fenichel Pitkin, Fortune Is a Woman. Gender and Politics in the Thought of Niccolò Machiavelli, Berkeley u. a. 1987; Anthony Parel, Farewell to For‐ tune, in: The Review of Politics 75/4 (2013), S. 587–604. 558 Di Fortuna, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le Opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 853–857. 559 Ebd., S. 854, Zeile 28–29: „[. . . ] spesso gli buon sotto i piè tiene, gl’improbi innalza.“ 560 Ebd., Zeile 31–32: „[. . . ] e regni e stati mette, secondo ch‘ a lei pare [. . . ].“ 561 Il principe, Cap. 25. 562 Di Fortuna, Zeile 61–63. 563 Ebd., Zeile 100–102. 564 Ebd., Zeile 106–111. 565 Ebd., Zeile 115–117.
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als ein seine Strategie, Taktiken und Handlungsweisen stets gemäß den Umständen ändernder kluger Mensch. So versucht er, dauerhaft oben auf dem Rad der fortuna zu bleiben. Vergleicht man diese Metapher des siegreichen und klugen Herrschers mit der im zweiten Kapitel diskutierten Darstellung von Kaiser Heinrich VI. aus der Mi‐ niatur der Handschrift des Liber ad honorem Augusti von Petrus de Ebulo (Abb. 1), begreift man den enormen Abstand zwischen Machiavelli und dem nezessitaris‐ tisch geprägten Welt- und Politikverständnis des Hochmittelalters. Die Distanz, die in der Miniatur den Kaiser vom Rad der fortuna trennt, ist in Machiavellis Metapher völlig verschwunden. Dadurch wird der Gedanke des inneren Abstan‐ des eines tugendhaften Fürsten vom weltlichen Glück gelöscht. Stattdessen steht ein kluger Fürst direkt auf dem Rad der fortuna: Er setzt sich mit ihrer Willkür und ihrer Tücke auseinander, einerseits ihr gehorchend und andererseits dabei jede Chance ausnutzend, sie zu bezwingen und an seine Seite zu binden. Diese symboli‐ sche Transformation ist umso erstaunlicher, als traditionell ein Fürst nur dann oben auf dem Rad der fortuna positioniert wurde, wenn er als Sinnbild eines Jägers nach dem sinnlosen irdischen Glück gezeigt werden sollte, wie wir es etwa in der berühm‐ ten Miniatur der Tegernseer Handschriftensammlung betrachten können, die als Carmina burana bekannt ist (Abb. 2). Dieser metaphorische Unterschied bezeugt eine radikale Transformation des Begriffs der herrscherlichen Tugend. Die innere Fähigkeit, die man benötigt, um ein Widerstehen gegen die fortuna (lo opporsi alla fortuna) zu organisieren, 566 nannte Machiavelli die virtù. Wie wir gesehen haben, hat man bereits vor Machiavelli häufig die Tugend des Menschen der heimtückischen Göttin fortuna gegenübergestellt. In dieser Tradition steht etwa Petrarcas De remediis utriusque fortunae, das als damaliger Bestseller in Europa eine Reihe von Schriften anderer Humanisten über dasselbe Thema inspiriert und be‐ einflusst hat, sowie Salutatis De fato, fortuna et casu oder Poggios De infelicitate principum und De varietate fortune. 567 Dort bestätigt der Vater des italienischen Humanismus die tradierte Vorstellung der virtus, indem er die Weltenthaltung als die hohe Weisheit und die beste Gegenmaßnahme gegen die Unbeständigkeit der fortuna empfiehlt. Machiavellis Begriff „virtù“, der scheinbar nur eine schlichte italienische Übersetzung des lateinischen Begriffs „virtus“ ist, ist innerlich jedoch sehr anders strukturiert als jener. Die entscheidende Änderung, die Machiavelli ge‐ genüber dem traditionellen Konzept vorgenommen hat, betrifft seine besondere Akzentuierung des intellektuellen Vermögens zum strategischen Handeln, also der Fähigkeit, sein kurz-, mittel-, und langfristiges Handlungsziel präzise zu bestimmen, den dabei anstehenden Sachzwang genau zu erfassen, seine vernünftige Handlungs‐ 566 Il principe, Cap. 25, S. 52 (S. 375). 567 Klaus Heitmann, Fortuna und Virtus. Eine Studie zu Petrarcas Lebensweisheit, Köln u. a. 1958.
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strategie zweckmäßig zu erstellen und sie planmäßig in die Praxis umzusetzen, also jenes Vermögen, das Machiavelli im Italienischen die prudenza nannte. Sein Begriff der prudenza, die eine radikale Trennung des politisch Klugen vom ethisch Richtigen beinhaltet und manchmal die grausamsten und moralisch ver‐ werflichsten Maßnahmen rechtfertigt, hat ihm bekanntlich viel Kritik eingebracht. Im Rahmen der kulturphilosophischen Überlegungen des 19. und 20. Jahrhunderts galt sein erbarmungsloser Realismus als ein Reflex auf die frühneuzeitlichen Le‐ bensbedingungen, die politisch und wirtschaftlich eine hohe Konkurrenz und den gewalttätigen Kampf zur Voraussetzung des Überlebens überhaupt machten, und des dadurch gesteigerten Egoismus. Es ist jedoch zu bemerken, dass Machiavellis Begriff der prudenza trotz seiner Ra‐ dikalität und Provokation nicht von der ethischen Qualität des angestrebten Ziels absieht. Kein Tyrann besitzt die wahre prudenza und kann daher virtuoso genannt werden. In diesem Sinne verurteilt und verdammt Machiavelli im Principe den Aga‐ thokles, wie oben bereits gezeigt wurde. Bei Machiavellis prudenza-Begriff geht es um die Wahl der Handlungsstrategie in der Situation der radikalen Kontingenz, in der das ethisch Optimale oft nicht zur Verfügung steht und auf ein kleineres Übel zurückgegriffen werden muss, aber keineswegs um die blinde Verfolgung des Eigen‐ interesses. Machiavelli räsoniert daher im Principe, dass die prudenza darin besteht, das kleinere Übel zu wählen, um das größere Übel zu vermeiden, wie wir bereits gesehen haben. Aufgrund des akuten Bewusstseins von den Weltparadoxien wird jedoch bei Ma‐ chiavelli mehr die antinomische als die harmonische Seite im Verhältnis zwischen den ethischen-rechtlichen Regeln und der Fähigkeit der strategischen Handlungs‐ gestaltung hervorgehoben. Es wird betont, dass jeder ethische Wert vor seiner prak‐ tischen Umsetzung durch das rationale Bedenken der Folgen geprüft werden muss – ob er also nicht, wie üblich in dieser Welt voller Paradoxien, unerwartet eine nega‐ tive Auswirkung mit sich bringt. Bei Machiavelli verändert sich also die innere Struktur des Tugendbegriffs in eine deutlich pragmatische Richtung. Das Kriterium von Schaden oder Nutzen er‐ scheint als unabhängige und entscheidende Größe der politischen Überlegung. Die Ethik hört auf, das Schlüsselkriterium des politischen Urteils zu sein. Genau in die‐ sem Moment taucht der Begriff des politischen Menschen auf, der sich vom bloß ethischen Menschen grundsätzlich unterscheidet. Ein politischer Mensch verfolgt den ethisch guten Zweck, versteht aber gleichzeitig die darin involvierten Parado‐ xien, nimmt die Regeln des Erfolgs ernst und praktiziert sie folgerichtig. Den Men‐ schen, der seinen ethischen Zweck der rationalen Überlegung unterordnet, kannte man, wie wir gesehen haben, schon im Hochmittelalter. Jedoch traf man damals noch keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem bloß ethischen Menschen und dem politisch fähigen Menschen. Erst seit dem Spätmittelalter begannen sich die beiden Konzeptionen des Menschen als getrennte Kategorien herauszubilden.
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Machiavelli hat dann diesen Prozess zu Ende gebracht. Bei ihm tut sich also ein neuer Raum des Denkens und des Handelns des Menschen mit unverkennbarer Schärfe auf, nämlich das Politische. Dies macht eine Zäsur in der Geschichte des politischen Diskurses im lateinischen Europa aus.
4.3 Die mittelalterliche Herkunft von Machiavellis Begriff der Klugheit: Der Fürst als Fuchs
Wie eingangs dieser Arbeit dargelegt, findet sich in der Geschichte des europäischen politischen Denkens keine Verteidigung der bedingungslosen Verfolgung des Eigen‐ interesses, sei es das Interesse des Einzelnen oder das einer partikularen Gruppe innerhalb eines Gemeinwesens. Im nezessitaristischen Politikverständnis der An‐ tike, in dem die ethischen Grundsätze als die besten Handlungsstrategien für die Realisierung des Eigeninteresses galten, gab es keinen theoretischen Grund dafür, galt doch eine derartige Verfolgung einfach als eine vernunftlose Selbstzerstörung: Das Wohl, auch im banalsten Sinne des Wortes, des Einzelnen oder einer Gruppe ergab sich daraus, als ethisches Subjekt und guter Bürger zu handeln. Die Sophisten haben zwar gegen das nezessitaristische Welt- und Politikbild revoltiert und ver‐ sucht, der grenzenlosen Selbsterhaltung eine eigene Legitimität als Ordnung der Natur zu gewähren. Wie wir im ersten Kapitel gezeigt haben, ist es ihnen jedoch nicht gelungen, eine systematische Theorie aufzubauen und die politische Theo‐ riebildung der nachfolgenden Zeit zu beeinflussen. Wenn in der Antike überhaupt die ethischen und rechtlichen Regeln gebrochen werden durften, dann ausschließ‐ lich im Namen des Interesses des gesamten Gemeinwesens, aber nicht des Einzelnen oder einer partikularen Gruppe. So können wir es etwa bei Platon in typischer Aus‐ prägung beobachten. Derselbe Gedanke tritt im Spätmittelalter wieder auf, und zwar genau in dem Moment, als die nezessitaristische Welt- und Politikauffassung zu kippen begann. Es war das so genannte gesamtstaatliche Interesse, das den spät‐ mittelalterlichen Denkern sowohl Anlass als auch Berechtigung bot, immer wieder und immer stärker die pragmatische Position zu vertreten. Auch Machiavellis Denken bildet keine Ausnahme von dieser Tendenz. Er hat seine pragmatische Politikansicht einzig und allein mit der Sorge um die Erhaltung der öffentlichen Ordnung verteidigt. Machiavelli wollte auch im Principe keineswegs die Priorisierung des Eigeninteresses für legitim erklären. Obwohl uns seine Sprache im Principe manchmal an einen rücksichtlosen Egoismus erinnert, müssen wir be‐ rücksichtigen, dass Machiavelli lediglich seine Konzeption eines Reformfürsten auf die Medici-Herren projizierte, also die eines Reformfürsten, dessen Überleben und Erfolg über das Schicksal des Gemeinwesens entscheiden wird. Soweit die Medici im Sinne der Wiederherstellung der gesunden Bürgerschaft und der republikanischen Ordnung handeln, ist ihr Interesse für ihn auch das Interesse des Gemeinwesens.
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Es ist, um es noch einmal zu wiederholen, fraglich, ob man Machiavellis auffällig zynische Konzeption der menschlichen Natur und der Politik als Reflex eines aus‐ schließlich auf die Selbsterhaltung konzentrierten Egoismus deuten kann. In der Tat bedarf das dort zugrunde liegende Rekonstruktionsschema der Entwicklung der pragmatischen Kultur in Europa einer Kritik. Wie wir bereits eingangs dieser Studie diskutiert haben, sind nach Burckhardt und den von ihm beeinflussten Kul‐ turphilosophen und Kultursoziologen der Zynismus und Pragmatismus nach dem Untergang der Antike erst in der italienischen Renaissance mit dem modernen In‐ dividuum und seinem Egoismus wieder aufgetreten, aufgrund der damals für Italien spezifischen politischen Konstellation und wegen des Handelskapitalismus. Gerade diese Interpretation des Kulturwandels hat als eine Grundlage für die Interpreta‐ tion des politische Denkens Machiavellis gedient. 568 Im Folgenden soll eine andere These vertreten werden. Sie lautet, dass die Weltund Menschensicht und das Politikverständnis von Machiavelli den zynischen und amoralischen Diskurs des Mittelalters fortsetzt. Damit soll nicht nur die perspekti‐ vische Einengung aufgehoben werden, die seit Burckhardt hartnäckig unsere Sicht bestimmt hat, sondern eine wichtige Quelle des Denkens von Machiavelli freigelegt werden, die in der Forschung noch nicht berücksichtigt wurde. Wie schon in der Einführung erwähnt, ist die Kehrseite des Burckhardtschen Rekonstruktionsschemas des Kulturwandels in der Renaissance ein besonders seit der deutschen Romantik populäres Missverständnis, das Mittelalter sei von einer sozialen Harmonie gekennzeichnet gewesen und es habe keinen Egoismus in dem Sinne gekannt, wie er später die moderne Gesellschaft charakterisieren sollte. Ein 568 Ein repräsentatives Beispiel ist: Max Horkheimer, Egoismus und Freiheitsbewegung. Zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters, in: Ders., Traditionelle und kritische Theorie, 6. Aufl., Frankfurt / M. 2005, S. 43–122, hier S. 43–49 (dieser Aufsatz ist zuerst 1936 erschienen). Das beste Resümee dieser Interpretation in der Machiavelli-Forschung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ist die folgende Passage bei Herfried Münk‐ ler (Machiavelli, S. 163 f.): „Während die Aufklärung den Gedanken der Perfektibilität ins Zentrum ihres Menschenbildes stellte, hat Machiavelli die Korruptibilität des Men‐ schen als sein herausstechendes Charakteristikum angesehen. Er zog damit die politischen Konsequenzen aus dem Menschenbild der Renaissance, das den Menschen als ‚ein im We‐ sentlichen rationales, kalkulierendes und kluges Tier‘ angesehen hatte. [. . . ] In dem neuen Menschenbild der Renaissance, das die Ungeselligkeit des Menschen stärker betonte als seine Geselligkeit, spiegeln sich die ökonomischen und politischen Veränderungen, durch die sich die mittelalterliche Gemeinschaft in die frühneuzeitliche Gesellschaft transfor‐ miert und mit der entfesselten Konkurrenz der neuen homines oeconomici eine Geisteshal‐ tung freigesetzt hatte, von der die politische Gemeinschaft zunehmend als Instrument zur Beförderung der eigenen ökonomischen Interessen angesehen wurde. In seinem anthro‐ pologischen Pessimismus, der These von der permanenten Korruptibilität des Menschen, hat Machiavelli diese Entwicklungen zusammengefasst und seiner politischen Theorie zu‐ grunde gelegt.“
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kurzes Nachdenken über die Lebensbedingungen des Mittelalters reicht aus, uns die Unwahrscheinlichkeit dieses Stereotyps vom mittelalterlichen Lebens- und Geis‐ teszustand nahezulegen. Während der längsten Zeit des Mittelalters waren Gewalt, private Fehden und Kriege fast endemisch, während die staatliche Zentralgewalt entweder noch nicht herausgebildet oder noch zu schwach war, um sie effektiv zu kontrollieren. Die Lebensunsicherheit war in der Praxis damals im Allgemei‐ nen nicht geringer und sogar viel größer als in der Frühneuzeit, wenn ein solcher Vergleich überhaupt möglich ist. Man braucht keine psychologischen Spezialkennt‐ nisse, um sich zu fragen, ob nicht die Mentalität unter solchen Lebensbedingungen stark vom Interesse an Selbsterhaltung und Selbstbehauptung geprägt wurde, und ob nicht dementsprechend Intrige, Lüge und Betrug zum Alltag gehören mussten, wie es ja die jüngsten mediävistischen Mentalitätsforschungen auch immer wieder tatsächlich gezeigt haben. 569 Es ist eine sehr unplausible Vermutung, dass das zy‐ nische Menschen- und Weltbild und der Pragmatismus vor der Renaissance und außerhalb Italiens überhaupt nicht bekannt gewesen sein sollten. Wenn wir dennoch nur sehr wenige Belege aus dem Mittelalter besitzen, die un‐ mittelbar egoistische und zynische Gedankenzüge aufzeigen, könnte dies auf den Umstand zurückzuführen sein, dass es nicht als angemessen empfunden wurde, eine solche Position in der Öffentlichkeit zu vertreten. Dies gilt besonders für die Gruppe der Gelehrten und ihre Staatstheorien und Fürstenspiegel, die als die wich‐ tigste Informationsgrundlage für die Forschung der mittelalterlichen Politikidee dienten. Es bedeutet aber nicht, dass die Gelehrten des Mittelalters nur den De‐ kalog und das Pater noster kannten. Vermutlich teilte ein nicht unbeachtlicher Teil jener Literaten das zynische Verständnis des Menschen und der Politik in verschie‐ denen Variationen. Doch machte das Lebensideal, dem sie verpflichtet waren, die Äußerung einer solchen Meinung nicht einfach. Wenn sie aber ihre pragmatische Idee und Praxis überhaupt vertreten und rechtfertigen mussten, bot sich ihnen die juristische Formel des Notbehelfs als opportune Argumentation an, wie wir in der Einleitung beobachtet haben. Es gibt eine Geschichte, die diese Gewohnheit der gelehrten Klasse exemplarisch belegt. Sie steht in den Res gestae Saxonicae des Widukind von Corvey († nach 973). Sie erzählt, wie Hatto, Erzbischof von Mainz (891–913), Adalbert, den Grafen von Babenberg, täuschte und in die Hand von König Ludwig führte, der mit dem Graf damals in Fehde lag. Um Adalbert zum Hof von Ludwig zu locken, schwor 569 Gerd Althoff, Gloria et Nomen Perpetuum, in: Ders., Inszenierte Herrschaft. Ge‐ schichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 1–24 (zuerst in: Ders. u. a. (Hg.), Person und Gemeinschaft im Mittelalter, Sigmaringen 1988, S. 297–314),; Thomas Zotz, Odysseus im Mittelalter? Zum Stellenwert von List und Listigkeit in der Kultur des Adels, in: Die List, hg. von Harro von Senger, Frankfurt / M. 1999, S. 212–240.
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Hatto, ihn nach dem Besuch unversehrt wieder zu seinem Schloss zurückzubringen. Adalbert ließ sich durch diesen Schwur überreden und stimmte Hatto zu, gemein‐ sam Ludwig zu besuchen. Bald nach dem Aufbruch klagte aber Hatto über seinen unerträglichen Hunger, und sie gingen zurück zu Adalberts Schloss, um zu essen. Nachdem sie zum zweiten Mal die Reise begonnen und am Hof Ludwigs ankamen, wurde Adalbert auf Befehl Ludwigs inhaftiert und hingerichtet. Vor der Hinrich‐ tung beschuldigte Adalbert bitter Hatto des Eidbruches. Hatto erwidert auf diesen Vorwurf, er habe sein Versprechen eingehalten, weil er ja mit ihm nach dem ersten Reisebeginn tatsächlich unversehrt wieder zum Schloss zurückgegangen sei. 570 Die Forscher, die diese Geschichte bisher diskutiert haben, hielten sie für ein wirklich geschehenes Ereignis. 571 Wäre es so, hätten wir hier ein hervorragendes Beispiel eines praktischen Machiavellismus bereits im Frühmittelalter. Doch las‐ sen wir zunächst die Frage offen, ob diese Geschichte wirklich so stattgefunden hat, wie sie dargestellt wird. In unserem Diskussionszusammenhang interessiert uns der Kommentar des Widukind. Es steht außer Zweifel, dass Widukind Hatto positiv beurteilt. So nennt er ihn einen Mann von immenser Weisheit (vir magne pru‐ dentie). 572 Trotzdem tut sich Widukind schwer, Hattos Intrige und Eidbruch zu verteidigen. In dieser Verlegenheit greift er die Formel vom Notbehelf auf. Er sucht die Möglichkeit, Hattos Intrige dennoch zu legitimieren, nämlich als im unbestreit‐ baren öffentlichen Interesse der Wiederherstellung des Friedens stehend, indem er fragt: Was gibt es nun Schlimmeres als diese Treulosigkeit? Aber dennoch wurde durch den Tod des einen das Leben vieler gerettet. Und was war besser als dieser Rat, durch den die Zwietracht beendet und der Frieden erneuert wurde? 573
Widukind legitimiert auf diese Weise Hattos Eidbruch mit dem Hinweis auf dessen gutes Resultat. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, wie der Begriff des Notbehelfs dazu diente, eine kühn pragmatische Position öffentlich zu vertreten. Bedenkt man recht, wie ‚großzügig‘ Widukind hier mit den ethischen Regeln umgeht und bereit ist, im Namen des Friedens jedes Handeln zu akzeptieren, kann man auch nicht umhin, zu fragen, ob sein Aufgreifen der Notbehelf-Formel nicht eine bloße Phra‐ seologie war. 570 Widukind von Korvei, Die Sachsengeschichte (= Res gestae Saxonicae Monumenta Germaniae Historica Scriptores, Bd. 60), hg. von Paul Hirsch und Hans E. Lohmann, 5. Aufl., Hannover 1935, 1.22 (B), (A), (C), Cap. 30–34. 571 Althoff, Gloria et Nomen Perpetuum, S. 12 f.; Zotz, Odysseus im Mittelalter?, S. 230–232. 572 Die Sachsengeschichte, 1.22 (A), S. 34. 573 Ebd., 1.22 (B), S. 33: „Hac igitur perfidia quid nequius? Attamen uno capite caeso mul‐ torum capita populorum salvantur. Et quid melius eo consilio, quo discordia dissolveretur et pax rederetur?“
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Dieses Beispiel lässt uns fragen, wie viel historische Realität des kollektiven und individuellen Pragmatismus, dass der Zweck das Mittel rechtfertige, in un‐ seren überlieferten historischen und juristischen Quellen unter dem Deckmantel einer solchen phraseologisch-diskursiven Praxis noch unentdeckt schlummert. Of‐ fensichtlich gab es im Mittelalter außerhalb des öffentlichen Politikdiskurses einen kontinuierlichen Diskurs des Pragmatismus mit einem zynischen Verständnis der Welt, der Menschen und der Politik, der aber eher versteckt lauerte und nur hier und da zum Vorschein kam. Fragmentiert und unstrukturiert, wie er war, wurde er kaum verschriftlicht und uns daher nur selten überliefert, ist aber dennoch unver‐ kennbar da, wenn man genau hinsieht. Es gibt mehrere Gründe, die Wurzeln von Machiavellis Denken in dieser Tra‐ dition des pragmatisch-zynischen Weltverständnisses des Mittelalters zu verorten. Der erste Schlüssel ist die Metapher des Fuchses als Sinnbild der Weltklugheit und seines Kampfes mit der fortuna. Wie wir gesehen haben, ließ Machiavelli seinen idealen Fürsten den Platz oben auf dem Rad von fortuna einnehmen. Um dort dauerhaft zu bleiben, soll dieser Fürst eine akrobatische Anpassungsfähigkeit ausüben, das heißt: sich vor keinerlei Betrug, Lüge und Intrige zurückhalten. Diese Fähigkeit zur strategischen Überle‐ gung und Handlung versinnbildlichte Machiavelli, wie bereits gesehen, mit dem Fuchs. Die Gegenüberstellung der fortuna, eines Symbols der radikalen Weltkon‐ tingenz, mit diesem Tier, einem Symbol der Klugheit, wurde zwar von Machiavelli nicht ausdrücklich formuliert, aber nahm bereits im Principe einen wichtigen Platz ein. Er behauptet, dass wer es am besten verstanden hat, von der Fuchsnatur Gebrauch zu machen, hat es am besten getroffen (quello che ha saputo meglio usare la golpe, è meglio capitato). 574 Dies gilt nach Machiavelli für jeden Fürsten, der oft gegen die Treue, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit und die Religion zu verstoßen genö‐ tigt wird. Diese pragmatische Haltung ermöglicht dem Fürsten, so Machiavelli, sich nach dem Wind der fortuna und dem Wechsel der Umstände zu drehen. 575 An die‐ ser Stelle ist eine Gegenüberstellung des Fuchses als des Sinnbildes der fürstlichen Klugheit mit der fortuna deutlich erkennbar. Dieselbe metaphorische Opposition des Fuchses und der fortuna liegt auch sei‐ ner Diskussion über Cesare Borgia zugrunde. Für Machiavelli ist Borgia ebenfalls eine Bestätigung seiner Lehre, dass sich ein neuer Fürst darum bemühen muss, mit Gewalt oder mit List siegreich zu bleiben (vincere o per forza o per fraude). 576 Ma‐ chiavelli schreibt Borgia also die Eigenschaften des Fuchses zu. Für Machiavelli ist Borgia unter den neuen Fürsten derjenige, der seinen Aufstieg besonders der Gunst 574 Il principe, Cap. 18, S. 38 (S. 137). 575 Ebd., Cap. 18, S. 38 (S. 139).: „E però bisogna che egli abbia uno animo disposto a volgersi secondo che e’ venti della fortuna e variazione delle cose gli comandano [. . . ].“ 576 Ebd., Cap. 7, S. 20 (S. 63).
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der fortuna verdankt. Sein Niedergang erfolgte wegen einer ungewöhnlichen und außerordentlichen Ungunst der fortuna (una estraordinaria ed estrema malignità di fortuna). 577 Seine ganze politische Karriere lässt sich also im Sinne der Interaktion mit der fortuna symbolisch zusammenfassen. Hier ist erneut die metaphorische Ge‐ genüberstellung zwischen dem Fuchs und der fortuna im Spiel. Die Vorstellung eines auf dem Rad der fortuna stehenden Fuchses lauert also in Machiavellis Begriff der fürstlichen prudenza. So eigentümlich diese Bildmetapher auch scheint, ist sie aber überhaupt nicht Machiavellis Erfindung. Vielmehr begeg‐ net sie uns seit dem 12. Jahrhundert im Zusammenhang der satirischen Tierepen immer wieder. Betrachten wir etwa eine Miniatur vom Ende des 13. Jahrhunderts in einer Handschrift des französischen Tierepos Renard le Nouvel (1298) von Jacque‐ mart Giélée (Abb. 3). 578 Sie zeigt in der Mitte ein Rad, das von fortuna gedreht wird, die sich selbst im Zentrum des Rades befindet. Oben auf dem Rad aber sitzt Reineke der Fuchs, angetan mit Johanniter- und Templermantel zugleich, und von seinen jeweils in der dominikanischen und der franziskanischen Kutte gekleideten beiden Söhnen umgegeben. Auf dem Rand des Rades sind die Allegorien der verschiedenen Tugenden und Laster dargestellt. Auf der Siegerseite: Der Hochmut (Orghius), die Figur auf dem Pferd zur Rechten Reinekes; der Betrug (Dame Ghille), die weibliche Figur auf dem Esel auf der linken Seite; die Falschheit (Fausetes), die aufsteigende Figur mit einer Sichel unter dem Hochmut. Auf der Verliererseite: die Treue (Loi‐ autes), die eine Waage tragende nackte Figur auf dem unterem Rand des Rades; die Nächstenliebe (Carites) und die Demut (Humilites), die zwei Figuren neben der Treue, schließlich der Glaube (Fois), die fallende Figur mit einem Kelch. Diese Mi‐ niatur stellt eine verkehrte Welt dar, 579 in der man durch die Laster aufsteigt, aber durch die Tugenden zugrunde geht. Der begleitende Text informiert uns, dass hier die Glückgöttin fortuna dem Reineke verspricht, das Rad nicht mehr zu drehen, da‐ mit er immer auf dem Gipfel bleibe. Die Abbildung von Reineke auf dem Rad der fortuna als Metapher der verkehr‐ ten Welt scheint im spätmittelalterlichen Europa überaus weit verbreitet gewesen zu sein. Dasselbe Motiv begegnet z. B. in einem Einzelblatt aus einem Holzschnitt aus
577 Ebd., Cap. 7, S. 17 (S. 51). 578 Marc René Jung, Satirische, Komische und realistische Literatur der Romania, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 7: Europäisches Mittelalter, hg. von Hennig Krauß, Frankfurt / M. u. a. 1981, S. 397–422, hier S. 419–421; Meyer-Landrut, For‐ tuna, S. 96–99. 579 Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 11. Aufl., Tü‐ bingen und Basel 1993, S. 104–108. Besonders im Hinblick auf die Anwendung dieses Motives in der Reineke-Geschichte, vgl. Giuseppe Cocchiara, Il mondo alla rovescia, Turin 1981, S. 126–137.
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dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts (Abb. 4). 580 Wie die mittelhochdeutschen Legenden (d. h. die erklärenden Texte im Bild) zeigen, ist er im deutschsprachigen Raum entstanden. Auch hier sitzt Reineke auf dem Gipfel des Rades der fortuna. Er symbolisiert einen falschen religiösen Führer, wie sein Papstkleid zeigt, und ist dies‐ mal von zwei Tieren aus der Reineke-Geschichte umgegeben – dem als Dominikaner gekleideten Wolf, der den Geiz (Geitikeit) symbolisiert, und dem als Franziskaner ge‐ kleideten Bär, der die Habgier (Geyrheit) bezeichnet. Wie in der Miniatur aus dem Renart le Nouvel sind auch hier die Laster als Sieger und die Tugenden als Verlierer dargestellt. Die zwei reitenden Figuren sind der Hochmut (Hoffart) und der Hass (Haß). Der junge Mann mit einer Sichel in der aufsteigenden Position ist die Alle‐ gorie der Falschheit (Falscheit). Einen klaren Kontrast zu dieser siegreichen Lage der Laster bildet der bemitleidenswerte Zustand der Tugenden. Gegenüber der Allego‐ rie der Falschheit wird ein Kleriker, die Allegorie des Glaubens (Gotliche Glaub), in der fallenden Position dargestellt. Die Allegorie der Nächstenliebe (Lieb) und der Demut (Demutikeit), ein Bauernpaar, befindet sich am unteren Rand neben der geschundenen Beständigkeit (Stetikeit). Das Blatt wird vom beigefügten Text folgen‐ dermaßen erläutert: Fuchs reinhart pyn ich genant. / Alle reich sten in meiner hant, / in den nymant geherschen kan, / So ich im nit wil pei gestan. Die Reineke-Tradition hatte mit dem Roman de Renart begonnen, der als Stoff zwischen 1175 und 1250 aufkam und sich europaweit großer Popularität er‐ freute. 581 Der Renart le Nouvel ist eine von mehreren Adaptionen. Der Roman de Renart erzählt eine Reihe von Episoden (branches), die die Korruption der Sitten 580 Wolfgang Harms, Reinhart Fuchs als Papst und Antichrist auf dem Rad der Fortuna, in: Frühmittelalterliche Studien 6/1 (1972), S. 418–440; Meyer-Landrut, Fortuna, S. 98–100. 581 Über die französische Tradition: John Flinn, Le Roman de Renart dans la littérature française et dans les littératures étrangères au Moyen Age (= University of Toronto Ro‐ mance Series, Bd. 4), Paris 1963; Lucien Foulet, Le Roman de Renart, Paris 1968; Fritz Peter Knapp, Das lateinische Tierepos (= Erträge der Forschung, Bd. 121), Darm‐ stadt 1979, S. 92–95; Jung, Satirische, komische und realistische Literatur der Romania, S. 413–422; Jean Dufournet, Roman de Renart, in: Dictionnaire des œuvres littérai‐ res de langue française, hg. von Jean-Pierre De Beaumarchais und Daniel Cout, Paris 1994, S. 1718 ff.; Karl Ferdinand Werner, Renart: Historischer Hintergrund, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, Sp. 720 f.; Jean-Claude Mühlethaler, Renart: Romanische Lite‐ raturen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, Sp. 721 ff.; Hermann Krapoth, Roman de Renart, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 11 (2004), Sp. 795–803. Über die deutsche Tradition: Wolfgang Spievok, Geschichte der Deutschen Literatur des Spätmittelalters, Bd. 1, Greifswald 1997, S. 378–385; Peter Knapp, Renart: Deutsche und Niederländi‐ sche Literatur, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, Sp. 723; Klaus Düwel, Reineke Fuchs, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 11, Berlin 2004, Sp. 488–502, bsd. Sp. 488–493. Über die englische Tradition: Norman F. Blake, Introduction, in: The History of Reynard the Fox. Translated from the Dutch Original by William Caxton (= Early English Text So‐
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sarkastisch kommentieren. Reineke ist ein Betrüger, der die Befriedigung seiner sündigen Lust blind verfolgt und dabei keinerlei Übeltaten scheut. Seine Opfer, der Löwe-König Noble, der Wolf Isengrim, der Bär Brun und viele andere ein‐ schließlich der dort auftauchenden Menschen, wie der Mönche und der Bauern, sind gleichermaßen problematisch. Ihre Gier und ihr Verhalten stellen die Absur‐ dität und Dekadenz der Welt dar. Sie sind manchmal zu unrettbar gierig, arrogant, eitel und dumm, um sich gegen die böse Absicht Reinekes zu wehren. Die ganze Geschichte ist eine Repräsentation der unter dem Gewicht des Bösen zusammen‐ brechenden absurden Welt. Diese satirische, moralkritische Absicht des Roman de Renart lässt sich auch in manchen späteren Adaptionen finden, wie im Renart le Nouvel. Die Figur vom Fuchs auf dem fortuna-Rad lässt sich im Mittelalter aber auch außerhalb der Reineke-Tradition belegen. Eine Illustration von Meister Evert Zou‐ denbalch in der teilweise lateinisch und teilweise niederländisch geschriebenen Handschrift der Natuurkunde van het Geheelal von etwa 1465–70 zeichnet sich durch ihre besondere politische Konnotation aus (Abb. 5). Ein Fuchs erscheint hier auf dem höchsten Punkt des Rades der fortuna, gegenüber einem Löwen, der sich auf dem Boden befindet. Der Löwe bezeichnet, wie üblich im mittelalterlichen Tier‐ symbolismus, die wahre königliche Macht. 582 Seine Krone ist aber dabei, auf den Boden zu fallen, und seine Position auf dem Boden des Rades bezeichnet das Schick‐ sal der wahren königlichen virtutes in der verkehrten Welt. Der Fuchs symbolisiert hier den Gegensatz zum traditionellen Konzept von den Tugenden eines politischen Führers. Diese Miniatur zeigt mit Nachdruck, dass die Fuchsfigur auf dem Rad der fortuna als Bild für den Sieger in der korrumpierten Welt weit verbreitet war in der ethischen und politischen Imagination des Mittelalters. Die drei Beispiele weisen eine unverkennbare motivische Affinität auf zu Ma‐ chiavellis Symbolismus der fürstlichen prudenza im Umgang mit der Herrschaft der fortuna. Eine Untersuchung der mit dieser Metaphorik zusammenhängenden textuellen Tradition demonstriert, dass diese Affinität alles andere als ein Zufall war. In Reinaerts Historie, der aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stam‐ menden niederländischen Adaption, kann man folgende Maximen lesen. Über die Menschennatur und die Welt: „Der Schwächste hat die geringste Hilfe“ (Die cran‐ cste heeft die minste crode); 583 „derjenige, dem es gut geht, bekommt Ehre und Ruhm,
ciety Original Series, Bd. 263), hg. von Norman F. Blake, London 1970, S. xi–lxxi; Klaus Weimann, Renart: Englische Literatur, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, Sp. 723 f. 582 Dirk Jäckel, Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Sym‐ bols im Früh- und Hochmittelalter (= Archiv für Kulturgeschichte: Beihefte, Bd. 60), Köln u. a. 2006. 583 Reynaerts historie (= Bibliothek mittelniederländischer Literatur, Bd. 2), hg. und übers. von Rita Schlusemann und Paul Wackers, Münster 2005, Zeile 1911.
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aber von demjenigen, dem es schlecht geht, versucht man wegzukommen“ (Diet wel gaet crijcht eer en loff / mer diet mysvalt dair vliecht men off); 584 „wem es gut geht, der bekommt eine große Sippe, die ihm den Reichtum tragen helfen, aber wer Not hat oder leidet, der findet zu jeder Zeit wenig Verwandte. Sie scheuen den Weg, den er geht“ (Die wel vaert, crijcht veel magen / die hem die weelde helpen dragen, / mer wie noot heeft ofte liden, / vijnt luttel mage tot allen tiden. / Sy scuwen den wech dair hi gaet.); 585 „der Freund und das Geld sind wertlos, wenn sie niemanden trösten oder niemandem nützen“ (Wel is die vrient ende gelt verdoemt / dair nyement troost off baet off coomt). 586 Über die Nützlichkeit der Lüge und Bestechung: „So muss man manchmal lügen und dann wieder die Wahrheit sagen, drohen, schmeicheln, bitten und fluchen und jeden an seiner schwächsten Stelle angreifen“ (Dus moet men hier ende dair / nu liegen ende dan zeggen wair, / dreigen, smeken, bidden ende vloeken / ende ellic op sijn hooft zoeken); 587 „wer immer die Wahrheit spreche, könne sich im Leben nicht behaupten“ (Want die altoos die wairheit sprake,/ en conde die strate ner‐ gent houwen); 588 „man muss wohl lügen, wenn es die Not erfordert, und [es] danach durch Buße wieder gutmachen. Für alle Missetaten gibt es Vergebung. Es gibt nie‐ manden, der nicht gelegentlich sündigt“ (Men moet wel liegen alst doet noot / en dair na beteren by rade. / Tot allen mysdoen staet genade. / Ten is nyement, hi en dwaelt bitiden); 589 „die Bitte, von einem Geschenk begleitet, ist kräftiger. Man muss ler‐ nen, den Pfennig dafür zu benutzen, in Notfällen Unrecht zu verhindern“ (Die bede is mitter giften coen / Men sel den penninck houden leren / ter noot dat onrecht me te keren); 590 „manches Tier kann mit List mehr [erreichen], als ein anderes mit Kraft“ (Het is mennich die myt listen can / meer dan sulc myt crachten doet). 591 In der History of Reynard the Fox, einer mittelenglischen Adaption der ReinekeGeschichte, wird ganz direkt ein zynisches Verständnis der Menschennatur und der Politik vorgetragen. Dort spricht Reineke folgendermaßen zu sich selbst, als er für seine Missetaten zum Hof des Königs zitiert wird: The court may not stonde without me / that shal the kynge wel vnderstande. Though some be so felle to me ward / yet it goth not to the herte / alle the counseyl shal conclude moche by me / where grete courtes ben gadred of kynges or of grete lordes. 592 584 585 586 587 588 589 590 591 592
Ebd., Zeile 7396 f. Ebd., Zeile 7412. Ebd., Zeile 4561 f. Ebd., Zeile 4191–4194. Ebd., Zeile 4252–4255. Ebd., Zeile 4262–4265. Ebd., Zeile 4556–4558. Ebd., Zeile 1060 f. The History of Reynard the Fox, hg. von Norman F. Blake, 11.24, Zeile 23–30. In Rey‐ naerts historie (Zeile 1418–1427) gibt es eine entsprechende Stelle: „[. . . ] der Hof kommt
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Diese Bemerkung, die die Politik hauptsächlich auf das Geschäft der Lügen und In‐ trigen reduziert, zeigt die gleiche Politikauffassung wie der Principe. Ich behaupte hier nicht, dass Machiavelli sein zynisches Menschen- und Welt‐ bild und seine pragmatische politische Idee direkt den Fuchsgeschichten verdankt. Es ist auch nicht nötig, zu fragen, aus welcher Version der Reineke-Geschichte Ma‐ chiavelli seine Fuchsmetaphorik schöpfte. Man kannte damals auch andere Fuchs‐ geschichten außerhalb der Reineke-Tradition. Es ist jedenfalls höchst plausibel, dass Machiavelli die Reineke-Tradition sogar über verschiedene Stränge rezipierte. Die Reineke-Geschichte war nämlich auch in Italien und in der Toskana bereits lange in verschiedenen Versionen präsent. 593 Ferner hatte Machiavelli durch seine diploma‐ ohne mich nicht aus. Das weiß der König gut. [. . . ] Auf mir beruhen die meisten aller Ratschläge. An welchem Hof auch immer Könige oder Herren zusammenkommen, um einen scharfsinnigen Plan auszudenken, da muss Reynaert die Ideen haben.“ ([. . . ] thoff en mach buten my niet staen. / Dat bedect die coninc wel. [. . . ] Al die raet sluut meest in my. / In wat hove oec dattet sy, / dair men subtijl raet sel ramen, / dair moet Reynaert die vonde vijnden). Ich danke Professor Michael Waltenberger dafür, mich auf diese Entsprechung aufmerksam zu machen. 593 Es gibt reichliche Evidenzen, dass Italien sowohl eine eigene Tradition der ReinekeGeschichte besaß, als auch weitere Adaptionen der Reineke-Geschichte aus Frankreich kannte. Die älteste Adaptation ist das fragmentarisch überlieferte Rainardo e Lesengrino aus dem 13. Jahrhundert in Venedig. Siehe Anna Lomazzi, Rainaldo e Lesengrino (= Bi‐ blioteca dell’„Archivum Romanicum“, Ser. 1, Bd. 116), Florenz 1972; Aldo Rossi, La Prosa, in: Storia della Letteratura Italiana, Bd. 1: Le Origini e il Duecento, hg. von Natalino Sapegno, Mailand 1987, S. 520–523; Giulio Bertoni, Storia letteraria d’Italia, Bd. 2: Il Duecento, 7. Aufl., Mailand 1973, S. 77, 82 f., 91; Corrado Bologna, Poesia del centro e del nord, in: Storia della letteratura Italiana, Bd. 1: Dalle origini a Dante, hg. von Enrico Malato, Rom 1995, S. 480 f.; bibliographische Informationen, ebd., S. 522. Zur Beziehung zur französischen Tradition siehe Flinn, Le Roman de Renart, S. 529–542. Es gibt auch eine lateinische Adaption aus dem 13. Jahrhundert: Renart dans la Chancellerie, in J. W. Muller, Reinaert in the kanselarij, in: Tijdschrift voor nederlandsche Taal-en Letter‐ kunde 29 (1910), S. 207–228. Zu diesem Werk Flinn, Le Roman de Renart, S. 542–548; Lomazzi, Rainaldo e Lesengrino [wie oben], S. 55 f. Zur eigenen italienischen Tradition: Lomazzi, Rainaldo e Lesengrino [wie oben], S. 56–58. Zur ikonographischen Evidenz der eigenen Tradition: Lomazzi, Rainaldo e Lesengrino [wie oben], S. 63–74; Jung, Satirische, komische und realistische Literatur der Romania, S. 414; Jean R. Scheideg‐ ger, Renart et Arthur à la cathédrale de Modène, in: A la recherche du Roman de Renart, hg. von Kenneth Varty, Bd. 2, New Alyth 1991, S. 391–414. Zur weiteren handschriftli‐ chen Überlieferung in Italien: Luciano Rossi und Stefano Asperti, Il Renart di Siena: nuovi frammenti duecenteschi, in: Studi francesi e provenzali 84/85: Romanica vulgaria 8– 9 (1986), S. 37–64; Luciano Rossi, A propos des fragments de Sienne du Roman de Ren‐ art (ms. s), in: Reinardus. Yearbook of the International Reynard Society 6 (1993), S. 157– 167. Zur Evidenz der toskanischen Tradition in Machiavellis Zeit: Marcello Aprile, Una tarda propagginazione del ‚Roman de Renart‘ in Italia: La canzone ‚Fabuleggiando (e forse anchor fu vero)‘, in: Giornale storico della letteratura italiana 176 (1999), S. 38–53.
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tischen Missionen zu den verschiedenen Fürstenhöfen sowie zur römischen Kurie genügend Chancen, die Fuchserzählungen kennenzulernen. Poggio Bracciolini erin‐ nert sich, wie sehr sich die Mitarbeiter in der Kurie während ihrer Pause gewöhnlich über verschiedene Facetien amüsierten. 594 Es ist durchaus möglich, dass Machiavelli in der Komik der Fuchsgeschichten auch eine prominente Illustration seiner Idee der wahren Natur der Welt und der irdischen Weisheit sah. Einmal bekannt, hat sich Machiavelli die Geschichten sicher gut eingeprägt, denn er selbst war ein Ko‐ mödien-Autor und erkannte die Werte guter Komik bzw. Ironie für die Illustrierung der Irrationalität und Absurdität der menschlichen Angelegenheiten. Die listigen Fi‐ guren seiner Lustspiele stehen manchmal für seine Idee der Weltweisheit. In seinem Vorwort zur Clizia beteuert Machiavelli, dass die Komödien den Zuschauern dazu verhelfen, den Geiz der Alten, die Raserei eines Verliebten, die Betrügereien eines Die‐ ners, die Gefräßigkeit eines Schmarotzers, das Elend eines Armen, den Ehrgeiz eines Reichen, die Lockungen einer Buhldirne, die Unzuverlässigkeit aller Menschen zu ken‐ nen. 595 Die hier genannten Charakteristika, besonders der Ehrgeiz eines Reichen oder die Unzuverlässigkeit aller Menschen, sind die hermeneutischen Grundsteine zur Machiavellis Deutung der römischen Geschichte in den Discorsi. Alles in allem ist es höchst wahrscheinlich, dass Machiavelli auf die im Mittelalter gängige Fuchsme‐ taphorik als ein Symbol der Weltweisheit in der korrupten Welt zurückgriff, um sein pragmatisches Politikverständnis und seine Idee der wahren prudenza überzeugend zu illustrieren. Die Metaphern sowohl von der Konfrontation zwischen dem Fuchs und der fortuna als auch vom Fuchs auf dem Rad der fortuna lassen sich kaum direkt von der griechisch-römischen Tradition der Tierfabeln herleiten. Vielmehr tragen sie eine erstaunliche Affinität zur Symbolik der mittelalterlichen Fuchsgeschichte, wo das erbarmungslose Streben nach dem Eigeninteresse in einer Welt gleicherma‐ ßen sündiger Tiere in reichem Maße dargestellt wird. 596
594 Poggio Bracciolini, Facezie di Poggio Fiorentino, Lanciano 1912, S. 272. 595 Niccolò Machiavelli, Clizia, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, S. 761 (deutsche Überset‐ zung, S. 999): „Sono trovate le commedie, per giovare e per dilettare alli spettatori. Giova veramente assai a qualunque uomo, e massimamente a’ giovanetti, cognoscere la avarizia d’ uno vecchio, il furore d’uno innamorato, l’inganni d’uno servo, la gola d’uno parassito, la miseria d’uno povero, l’ambizione d’uno ricco, le lusinghe d’una meretrice, la poca fede di tutti gli uomini.“ 596 In zwei Arbeiten zu Machiavelli ist von der Reineke-Tradition des Mittelalters die Rede: Herfried Münkler, Von Löwen, Füchsen und Hasen, in: Ders., Politische Bilder, Po‐ litik der Metaphern, Frankfurt / M. 1994, S. 99–106, bsd. S. 101; Peter von Matt, Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist, München 2006, S. 288–296. Beide Studien ha‐ ben aber die unmittelbare Beziehung zwischen der Fuchssymbolik Machiavellis und der Reineke-Tradition des Mittelalters völlig übersehen.
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Machiavelli war keineswegs der einzige Zeitgenosse, der die mittelalterliche Fuchs‐ symbolik zur Repräsentation der zynischen und amoralischen Idee gebraucht hat. Hier wenden wir uns zunächst einem fast zeitgenössischen Werk in Italien zu, das uns darüber Auskunft gibt, in welchem Sinne und auf welche Weise die ReinekeGeschichte und die dazugehörige Tiersymbolik in der Zeit Machiavellis verwendet wurden, nämlich dem Dialogo della Nanna e della Pippa, einem damals äußerst po‐ pulären Kurtisanengespräch von Piero Aretino aus dem Jahr 1536. 597 Die Fuchsme‐ tapher taucht im Dialog des dritten Tages auf, als eine Bordellwirtin über die Kniffe ihres Geschäftes unterrichtet: Ein Fuchs fällt eines Tages bei der Beutesuche in einen Brunnen und kann sich nicht herausretten. In dem Moment kommt ein Wolf zufäl‐ lig am Brunnen vorbei, hört den Hilferuf des Fuchses und fragt, warum er denn dort unten im Brunnengrund sitze. Der Fuchs entschließt sich sogleich dafür, den Wolf auszunutzen, um sich zu retten, und erzählt die Lüge, er sei in der „anderen Welt“. Der Wolf, der neugierig auf diese Welt wird, steigt, wie der Fuchs es ihm sagt, in einen Korb, um zum Brunnengrund zu gelangen. Während sein Korb herunterfährt, steigt ein anderer, mit diesem über eine Schnur verbundener Korb auf, in dem der Fuchs sitzt. Letzterer, der auf diese Weise sein Leben gerettet hat, verspottet nun den Wolf, der hilflos auf dem Boden des Brunnens sitzt: Die Welt ist wie eine Leiter. Der eine steigt, während der andere sinkt (Il mondo è fatto a scale, perciò chi scende e chi sale). 598 In der Welt, die sich in den Worten des Fuchses präsentiert, herrscht das Gesetz des Nullsummenspieles, nach dem der Gewinn des einen der Verlust eines anderen ist. Man kann dort nur auf Kosten der anderen überleben, wie in einem Dschungel. Die Lüge des Fuchses wird in dieser Geschichte mit der Klugheit gleichgesetzt, die man braucht, um in dieser Welt zu überleben. Es ist unverkennbar, dass es sich hier um die zynische Vorstellung der Welt und die pragmatische Idee der Weisheit handelt, die wir auch im Principe lesen. Wie wir bereits gesehen haben, hat Machiavelli in seinem kurzen Gedicht Dell’Ambizione die herrschende Logik der Welt genau im Sinne eines Nullsummenspiels dargestellt, indem er behauptete, dass ein Aufstieg des einen den Abstieg eines anderen unmittelbar zur Folge hat. 599 Aretinos Geschichte war eine unmittelbare Adaption der vierten Episode des französischen Reineke-Zyklus. 600 Dies legt die Hypothese sehr nahe, dass der Ge‐ brauch der Reineke-Geschichte im Zusammenhang mit dem zynischen Menschenund Weltbegriff und der amoralistischen Weisheitsidee in der ersten Hälfte in Ita‐ 597 Pietro Aretino, Sei giornate. Ragionamento della Nanna e della Antonia (1534), Dia‐ logo nel quale la Nanna insegna a la Pippa (1536) (= Scrittori d’Italia, Bd. 245), hg. von Giovanni Aquilecchia, Bari 1969. Über Aretino Paul Larivaille, Pietro Aretino, in: Storia della letteratura italiana, Bd. IV: Il primo cinquecento, hg. von Enrico Malato, Rom 1996, Kap. 10, S. 770–772. 598 Aretino, Sei giornate, S. 295. 599 Auch Dell’Ambizione, S. 862, Zeile 76: „A ciascun l’altrui ben sempre è molesto.“ 600 Lomazzi, Rainaldo e Lesengrino, S. 58.
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lien gängige Münze war. 601 Es kann folglich kein Zufall sein, dass Machiavelli auf die Fuchs-Figur zurückgegriffen hat, um den Lesern seine Idee der weltlichen Weis‐ heit näherzubringen. Machiavellis Adaption des Fuchs-Bildes interessiert uns vor allem deswegen, weil durch sie die unmittelbare Beziehung Machiavellis zum mittelalterlichen Zynismus und amoralischen Gedanken zum Vorschein kommt. Gewiss: Die französischen Mönche des späten 12. Jahrhunderts, die die Reineke-Geschichte teilweise selbst ge‐ schaffen, teilweise auch aus den Volksüberlieferungen zusammengesetzt haben, oder die anderen Autoren, die aufgrund der französischen und eigenen lokalen Traditio‐ nen Variationen davon gedichtet haben, waren weit davon entfernt, eine zynische und amoralische Idee propagieren zu wollen. Sie alle hatten vielmehr eine satiri‐ sche und moralkritische Intention, 602 und sie wären wohl entsetzt gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass Machiavelli und andere die Schelmentaten des Reineke wie eine ‚nützliche‘ Weisheit lasen. Reineke war für sie das Böse, ja sogar, in einigen Ver‐ sionen, der Antichrist und Teufel. Machiavellis Lesart wäre ihnen wie eine völlige Verkehrung erschienen. Kann man aber deshalb sagen, dass gerade diese ‚verkehrte‘ Lesart im Spätmittelalter unbekannt war? Schon unsere recht karg überlieferten einschlägigen Quellen informieren uns, dass es im Mittelalter auch eine Leseart gab, sich dieser Geschichte aus einem prag‐ matischen Interesse anzunähern. Zum ersten war es im Mittelalter durchaus mög‐ lich, sie im Zusammenhang zum Notwehrbegriff als eine Darstellung der nützlichen Handlungsweisen zu lesen. Dass der einfallsreiche Fuchs als Modell der Lebens‐ weisheit ausgelegt werden konnte, ist an einer Stelle im Edelstein ersichtlich, ei‐ ner mitteldeutschen Fabelsammlung des Ulrich Boner aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Für uns ist der folgende Kommentar Boners zu einer Episode über eine undankbare Schlange von besonderer Bedeutung: ich muoz ez in der wârheit
601 Es ist kaum mit Sicherheit zu entscheiden, ob Aretino, der Autor dieses Gesprächs, wirk‐ lich diese Idee der Weisheit vertreten wollte, oder nur eine satirische Absicht hegte. Ob‐ wohl Burckhardts Darstellung seiner endlosen Erpressungstaten nahelegt, dass er wirk‐ lich die machiavellistische Weisheitsidee zu seinem Lebensmotto erwählt hatte (Burck‐ hardt, Kultur der Renaissance in Italien, S. 116 ff.), gibt es jedoch auch eine völlige ent‐ gegengesetzte Interpretation seiner Persönlichkeit (Larivaille, Pietro Aretino). Auf alle Fälle ist an dieser Geschichte klar zu erkennen, dass die Reineke-Geschichte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Italien ein fester Bestandteil des pragmatischen Dis‐ kurses war. 602 So lamentiert etwa Heinrich de Glîchezâre in seinem Reinhart Fuchs, einer deut‐ schen Variation aus dem späten 12. Jahrhundert (hg., übers. und komm. von Karl-Heinz Göttert, Stuttgart 1987), in Zeile 992–998: „[. . . ] die werlt stent noch alsvs hie, / daz ma‐ nic man mit valscheit, / vberwant sin arbeit / baz danne einer, der der trewen pflac. / also stet iz noch vil manchen tac. / gnvge iehen, daz vntrewe / sei iezvnt vil nevwe.“ Siehe auch John Flinn, Le Roman de Renart, S. 479–481.
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jehen, / wâ vür bricht grôziu schalkeit, / da bedarf man grôzer kündekeit. / Wer vuchs mit vuchs vâhen sol, / der bedarf guoter listen wol. 603 Das in seinen Kommentaren allgemein ausgedrückte Ethikverständnis Boners ist typisch nezessitaristisch. Für ihn ist das ethische Verhalten nicht nur an sich rich‐ tig, sondern auch nützlich im praktischen Sinne. Während an Boners Treue zu den ethischen und religiösen Grundsätzen keineswegs zu zweifeln ist, hält er es aber für durchaus berechtigt, sein Interesse mit allen greifbaren Mitteln gegen die illegitime Bedrohung zu verteidigen. 604 Die Folge dieses Gedankens ist nun die Idee, dass man auch von der List des Fuchses etwas Nützliches lernen kann. Boners zitierter Kom‐ mentar suggeriert, dass eine von moralischer Verurteilung absehende Lektüre der Reineke-Geschichte im spätmittelalterlichen Diskurs nicht unbedingt etwas Un‐ denkbares und Unberechtigtes sein musste. Eine tatsächlich amoralische Lektüre der Reineke-Geschichte ist dann in den Kommentaren eines anonymen Autors zu Reynke de Vos zu finden, der 1492 pu‐ blizierten niederländischen Version der Reineke-Geschichte. 605 Diese Kommentie‐ rung entstand zwar zu einer Zeit, als die italienische Renaissancekultur ziemlich fortgeschritten war und die Länder jenseits der Alpen schon lange zu beeinflussen begonnen hatte. Die Niederlande besaßen damals auch eine blühende Stadtkultur. Dies braucht uns jedoch nicht davon abzuhalten, den Kommentar als Prüfstein für die Rezeption der Reineke-Geschichte im allgemeinen Hörer- und Leserkreis des Spätmittelalters zu benutzen. Denn die ethische Ansicht des anonymen Kommen‐ tators ist so sehr traditionell, dass man bei ihm kaum einen besonderen Einfluss des Säkularismus spüren kann. An manchen Stellen äußert er sich feindlich gegenüber der norditalienischen städtischen Kultur als Urheber der Verschlechterung der Sitte in seiner Zeit. Sein Hauptinteresse am Reynke de Vos besteht darin, durch die ethi‐ sche Kritik an den Missständen der Welt die ethische Einsicht zu restituieren. Nach ihm wollte der Autor von Reynke de Vos die Leser lehren: ein jeder möge nach Weis‐ heit streben, das Böse meiden und tugendhaft leben. 606 Das starke ethische Bewusstsein des Kommentators weist gleichzeitig ein ge‐ steigertes Interesse am praktischen Nutzen auf. Ein für ihn typisches Argument ist z. B.: Da keine gute Tat, so gering sie auch sei, ohne Belohnung bleibt, so bleibt
603 Ulrich Boner, Der Edelstein, Faksimile der ersten Druckausgabe Bamberg 1461, Stutt‐ gart 1972, Zeile 70–74, S. 125. Vgl. Klaus Grubmüller, Meister Esopus, Zürich 1977, S. 345. 604 Grubmueller, Meister Esopus, S. 332. 605 Reynaerts Historie. Reynke de Vos, hg. von Jan Goossens, Darmstadt 1983. 606 Ebd., Zeile 6831 f., S. 527: „Eyn yslyk schal syk tor wyszheyt keren / Dat quade to myden. vnde de deo gede leren.“ (Die Übersetzung folgt: Reineke Fuchs. Das mittelniederdeutsche Tierepos Reynke de Vos, Lübeck 1498. Nach der Ausg. Prien-Leitzmann, Halle / Saale 1960, ins Neuhochdeutsche übertragen von Gerhard Wahle, Stuttgart 2000, hier: S. 256).
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auch keine Bosheit, so klein sie auch sei, ungestraft. 607 Dieses pragmatische Verständ‐ nis der ethischen Regeln braucht uns keinesfalls zu erstaunen, weil es gerade der Kerngedanke des nezessitaristischen Verständnisses von der Geltung der Ethik ist. Er warnt folgendermaßen vor der fatalen Konsequenz einer bösen Handlung: Die Bösen fahren durch ihre Schlechtigkeit in die Hölle und alle Betrüger werden der Ge‐ walt des Schwertes anheimgegeben gemäß des harten Urteils des Jüngsten Gerichts und sie empfangen ihre Strafe im Höllenfeuer zusammen mit den Füchsen, den bösen Geis‐ tern. 608 Wirklich auffällig ist aber, dass des Kommentators intensive Aufmerksamkeit für die nutzbaren Handlungsanweisungen darüber hinausgeht und manchmal in ein rein strategisches Denken mündet. So heißt es etwa, dass niemand seinem Feind glauben soll, auch wenn der ihm viele Versprechungen macht. 609 An anderer Stelle wird gewarnt, dass ein leichtgläubiger Mensch schnell zu Schaden kommen kann, wenn er unkritisch schönen Worten glaubt, hinter denen sich oft Falschheit verbirgt. 610 Diese rein vom Interesse am Nützlichen geprägten Kommentare zeugen deutlich genug von jener rationalen und strategischen Denkweise, die man auch Machiavelli zuschreibt. Das pragmatische Interesse des niederländischen Auslegers geht, wie nicht an‐ ders zu erwarten war, endlich soweit, den Stoß gegen die ethischen und religiösen Normen im Namen der Notwehr zu legitimieren. Er sagt: [. . . ] wenn jemand sich in schlechter, unangenehmer Gesellschaft befindet und fürchten muss, nicht wegzukommen ohne die Wahrheit verheimlichen zu können, soll er klug sein und sich hüten, solche Reden zu führen, die jemanden beleidigen könnten. Vielmehr soll er freundliche Worte gebrauchen, auch wenn diese nicht alle wahr sind, damit er lebend davon kommt. 611 607 Ebd., Kommentar post Zeile 1310, S. 111 (S. 61): „[. . . ] neen gud blyft vmbelont wo kleyn yd ok is. so enblyft ok neyn quad vnghepyniget wo kleyn yd is.“ 608 Ebd., Kommentar post Zeile 908, S. 79 (S. 45): „De beo zen ghan dorch ere beo szheyt in de grunt der erden der vordomenisse vnde alle bedregers werden ghegeuen in de ghewalt des swerdes. alze des scharpen ordels des lesten gherichtes. vnde entfangen deel vor ere val‐ scheyt in den pynen. myt den vossen. den beo zen geysten.“ 609 Ebd., Kommentar post Zeile 404, S. 39 (S. 26): „dat nemant syneme vyende leo uen schal to grunde. al ysset ok so dat he eme vele wyssenheyt wyset efte secht.“ 610 Ebd., Kommentar post Zeile 908, S. 79 (S. 44): „[. . . ] eyn vnvorvaren mynsche draden is ghebracht to schaden. so wanner he vort leo uet schonen worden. dar vaken valscheyt vnder is behuth.“ 611 Ebd., Kommentar post Zeile 6096, S. 467 (S. 231): „[. . . ] so we dar is manckt quader vng‐ henochlyker selschop dar he vruchtet dat he nicht wech komen kan ane de warheyt to sparen. desse schal klok wesen vnde seen syck suluen wol vor dat he nicht enleghe sodane loggen de yemande mochten to na syn men he mach bruken schoner worde. wo wol de suluen nicht al war syn. vp dat he myt leue van dar kome.“
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Hier ist ein Kopf am Werk, der nicht minder strategisch ist als Machiavelli und der die möglichen Folgen jeder Handlungsoption im Hinblick auf das greifbare Inter‐ esse rational kalkuliert, dementsprechend seinen Handlungsplan auf das optimale Ergebnis hin gestaltet und, wenn nötig, die moralischen Prinzipien bereitwillig bei‐ seitelässt. Aufgrund dieser Stelle liegt es bereits nahe, dass für den niederländischen Kommentator Reineke nicht ein bloßes Symbol des Bösen sein konnte. Seine Auslegung klingt ganz besonders wie Machiavelli, wenn er sich an den Po‐ litiker richtet. Bei seiner Empfehlung eines harten Vorgehens gegen Übeltäter sagt er: die Fürsten, die den Bösen gegenüber zu weich sind und sie gewähren lassen oder die Verbrecher nicht verfolgen (egal ob Diebe, Räuber oder Mördern), verlieren dann zumeist ihr Ansehen bei dem gemeinen Volk. 612 Einen Übeltäter hart zu bestrafen, das ist für den niederländischen Kommentator keine bloße Erfüllung der Gerech‐ tigkeit. Es soll gleichzeitig ein Akt der Ratio sein, weil es die möglichen negativen Auswirkungen einer zu milden Behandlung auf die zukünftige Herrschaftsführung des Fürsten zu vermeiden gilt. In einem wieder stark an Machiavelli erinnernden Ton rät der Ausleger auch, dass ein Herrscher zu misstrauen wissen müsse und es vermeiden möge, voreilig etwas zu versprechen: die Herren [sollen] nicht leichtfertig glauben oder schwören. 613 Unsere Diskussionen der Reineke-Geschichte zeigen, dass in der spätmittelalter‐ lichen Gesellschaft bereits ein beachtlicher Pragmatismus feststellbar ist. Ein ‚zyni‐ sches‘ Bild vom Menschen und der Welt wird deutlich greifbar. Nur geht selbst der niederländische Kommentator nicht so weit, die Geltung der ethischen Vorschrif‐ ten explizit zu relativieren, wie Machiavelli es eben tut. Der Niederländer bleibt in seinem Denkrahmen noch der vertrauten nezessitaristischen Welt verpflichtet, und daher tritt das strategische Macht- und Interessenkalkül nicht als unabhängige und entscheidende Instanz der praktischen Überlegung in den Vordergrund. Die Rezeption der Reineke-Geschichte im Kontext des populären Zynismus und Pragmatismus im 13. und 14. Jahrhundert wird durch eine noch amoralischere und strategische Lesart demonstriert. Karl-Heinz Göttert, ein Germanist, hat in seiner komparatistischen Studie der verschiedenen Überlieferungen der Handschriften des Reinhart Fuchs von Heinrich de Glîchezâre aus dem späten 12. Jahrhundert eine bemerkenswerte Erscheinung festgestellt. Ihm zufolge haben einige Strophen im Lauf des Abschreibens sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Sinn beachtliche Modifikationen durchlaufen. Göttert folgerte daraus, dass diese Modifikationen die 612 Ebd., Kommentar post Zeile 3414, S. 271 (S. 137): „[. . . ] de vorsten de den boezen alto weeck syn vnde se betemen laten. edder de mysdaders ghan laten. yd syn denne deue. efte rouers efte morders Desse vorsten vorlesen dar vmme vaken ere werdicheyt manckt deme ghemenen volke.“ 613 Ebd., Kommentar post Zeile 3524, S. 281 (S. 142): „dat se [sc. die Herren] nicht lychtlyken scholen leo uen. efte ede sweren.“
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subjektive Perzeption der Kopisten der Geschichte widerspiegeln. Er betrachtet sie als einen Schlüssel dazu, in welchem Sinne die normale Leserschaft Reinhart Fuchs gelesen hat. So weisen die Formulierungen an manchen Stellen erstaunlich zynische und pragmatische Züge auf, während die von Heinrich ursprünglich beabsichtigte War‐ nung gegen die Perfidie oft in den Hintergrund tritt, ja sogar völlig entschwindet. Hier sei nur eine Stelle aus den Befunden Götterts exemplarisch vorgestellt. Sie betrifft interessanterweise und signifikant die Episode, die auch die Bordellwirtin in Aretinos Dialogo als Exemplifizierung der Weisheit zitiert. In der alten Version aus dem 13. Jahrhundert wird die Szene, wo der Wolf Isengrim von Reineke betro‐ gen wird und zum Boden des Brunnens gelangt, noch so gefasst: unvirwanet kom er / uber den diefin sot, / des kom sin lib in groze not (ahnungslos kam er über den tiefen Brunnen und da geriet sein Körper in eine große Not). 614 Wie das Wort un‐ virwanet (ahnungslos) betont, wird an dieser Stelle Isengrim überwiegend als ein naives Opfer gezeigt, obwohl die fehlende oder ungenügende Vorsicht gegen den Betrug des Bösen und eine übermäßige Neugier zum mittelalterlichen Katalog der Laster gehörte. Umso schärfer tritt die Böswilligkeit und Perfidie von Reineke zum Vorschein, der einen derart Ahnungslosen erbarmungslos durch Lug und Trug zum Opfer machen will. In der späteren Version aus dem 14. Jahrhundert erfährt diese Episode eine völ‐ lig andere Bewertung. Dieselbe Passage liest sich folgendermaßen: nu ist er kumen / uber den brunnen vil tief, / do wart aber geeffnet der gief (nun kam er zum tiefen Brunnen, und der Tor wurde hereingelegt). 615 An dieser Stellt erscheint Isengrim als ein Tor und Verlierer, indem der verwerfende Ton bei der Schilderung von Reinekes Treulosigkeit und Intrige zum großen Teil verschwindet. Vor dem Hintergrund des abschätzigen Spottes über Isengrims Dummheit tritt Reineke implizit als ein kluger Sieger auf. Das ist eine amoralische Lektüre der Geschichte, die ihre ursprünglichen Autoren wohl nicht im Sinne hatten. Hinter dieser Lektüre stecken ein pessimisti‐ sches Verständnis der Welt und eine pragmatische Weisheitsidee: Die Welt ist wie ein Dschungel, wo ein Kluger über den Dummen triumphiert bzw. über dessen Lei‐ che geht. Jeder muss hier sein eigenes Glück durch seine Klugheit erkämpfen – oder er muss untergehen. Eben jener Zynismus und Pragmatismus, den Machiavelli im Principe seinen Fürsten lehrt und den die Bordellwirtin in Aretinos Dialogo vertritt, ist hier bereits vorhanden. Unsere Diskussion deutet darauf hin, dass die Reineke- und andere Fuchsge‐ schichten auch aus dieser Perspektive gelesen und interpretiert und auf diese Weise 614 Reinhart Fuchs, Zeile, 864–6, S. 60. 615 Karl-Heinz Göttert, Die Spiegelung der Lesererwartung in den Varianten mittelal‐ terlicher Texte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesge‐ schichte 48/1 (1974), S. 91–121, hier S. 113–114.
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zu einem Teil des pragmatischen Diskurses des Spätmittelalters wurden. Mit seiner Fuchssymbolik hat Machiavelli an diesen Diskurs angeschlossen und ihn weiter‐ entwickelt. Mithilfe des Bildes von Reineke, dem bekanntesten Helden des egoisti‐ schen und amoralischen Diskurses seit dem Mittelalter, wollte Machiavelli an seine Zeitgenossen appellieren, um für sein Argument zu werben. Seine Tierparabel war also keine bloße spontane Umkehrung von Ciceros Gleichnis. Sie war vielmehr ein wohlbedachtes rhetorisches Manöver. Unsere Überlegungen zeigen also, dass das Interesse und die Inspiration, die Machiavellis politische Theorie beseelten, bereits vor ihm, schon im Hoch- und Spätmittelalter, ein nicht zu unterschätzendes Element des populären Diskurses bildeten. Der Pragmatismus war schon lange vor Machiavelli gängige Münze. Ver‐ mutlich dürften unzählige Politiker das zynische Menschen- und Weltbild gehegt und die daraus folgende amoralische und pragmatische Politikpraxis gepflegt ha‐ ben. Nur wollte sich vor Machiavelli niemand gerne öffentlich zu einem solchem Denken bekennen. Sein Pragmatismus war also keine völlig genuine Leistung. Die Fuchsmetaphorik ist als überaus kenntliche Spur dieser Beziehung zu seinen vielen namenlosen Vorgängern im Geiste in seinen Text eingegangen. Makroskopisch gesehen macht Machiavellis Einführung des populären und kühn pragmatischen Diskurses in die Diskussion über die politischen Handlungs‐ normen die letzte Phase des Säkularisierungsprozesses des politischen Diskurses im Spätmittelalter aus. Es ist von unübersehbarer Bedeutung, dass eine Denk- und Re‐ deweise, die bis dahin für schändlich gegolten hatte und deswegen außerhalb des offiziellen Diskurses über die Politik geblieben war, plötzlich in einem Fürsten‐ spiegel auftrat. Dazu müssen zahlreiche Faktoren beigetragen haben: persönliche Erfahrungen, Bildungserlebnisse und andere psychologische Umstände, vielleicht auch Machiavellis situationsgebundenes eigenes Bedürfnis, durch eine sensationelle Akzentuierung seiner Idee ein besseres Gehör bei den Medici-Herren zu finden. Als Faktor dazunehmen müssen wir aber noch die Transformation des poli‐ tischen Diskurses seit dem frühen 14. Jahrhundert. Mit dem Rückgang des ne‐ zessitaristischen Diskurses tat sich ein Vakuum innerhalb des Politikdiskurses des Abendlandes auf, in dem das pragmatische und amoralische Denken über die Politik immer weiter Raum einnehmen konnte. Diese Entwicklungen schufen ein günsti‐ ges Milieu dafür, dass eines Tages ein Versuch unternommen wurde, die politische Welt neu zu denken und verfügbar zu machen, ausgehend von diesem populären, aber als schändlich geltenden Denken. In diesem Sinne war die Transformation des Politikdiskurses seit dem 14. Jahrhundert eine Vorbereitung für Machiavellis Den‐ ken.
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4.4 Die neue Hermeneutik der politischen Welt: necessità
Machiavellis Augenmerk gilt besonders der Eigendynamik der Politik. 616 Weil das Problem der ethischen Qualität einer Entscheidung und Handlung kein ausschlag‐ gebendes Kriterium sein kann (besonders in der Reform eines korrupten Staates), das über den Erfolg einer politischen Unternehmung entscheidet, verlässt Machia‐ velli im Principe gänzlich den herkömmlichen Diskussionsrahmen, der eben diese ethische Qualität einer Regierung in den Mittelpunkt der Überlegung stellt, d. h. die Unterscheidung der moralisch gerechtfertigten Monarchie von der exklusiv auf den Eigennutz des Fürsten orientierten, verwerflichen Tyrannei. Stattdessen stellt Machiavelli einen neuen Diskussionsrahmen auf. Gerade die Typologie der Fürstentümer, die Machiavelli am Anfang des Principe anführt, reflektiert diesen Perspektivenwechsel. Machiavelli nimmt dort folgende begriffliche Einteilung der Typen von Fürstentümern vor: Alle Staaten, alle Reiche, die über die Menschen Macht hatten und haben, waren und sind Republiken oder Fürstenherrschaften. Die Fürstenherrschaften sind ent‐ weder ererbt, sofern das Geschlecht ihres Herrschers seit langer Zeit regiert, oder sie sind neu erworben. Die neuerworbenen sind entweder völlig neu, wie es Mai‐ land für Francesco Sforza war, oder sie sind als Glieder dem ererbten Staat des Fürsten angefügt, der sie erworben hat, wie das Königreich Neapel dem Reich des Königs von Spanien. Die so erworbenen Gebiete sind es gewohnt, entweder unter einem Fürsten zu leben oder aber frei zu sein; und ihr Erwerb geschieht entweder mit fremden oder mit eigenen Waffen, durch Glück oder durch Tüchtigkeit. 617
Machiavelli ist in seiner Diskussion im Principe tatsächlich nach dieser kategoria‐ len Einteilung verfahren. Die Monarchie, die von einer Familie lange innegehabt 616 Dieser Punkt wurde von der Forschung, vor allem von Münkler, immer wieder hervor‐ gehoben. Vgl. seine Bemerkung (Machiavelli, S. 101): „Was Kopernikus hinsichtlich der Ordnung des Kosmos und der Gesetze der Natur geleistet hat, versucht Machiavelli für die Gesetze der Geschichte zu entwickeln, indem er die Geschichte als den Vollzug quasinaturgesetzlicher Entwicklungen begriff.“ Ob Machiavellis Interesse an der Gesetzmä‐ ßigkeit wirklich eine dem neuzeitlichen Naturwissenschaftsgeist vergleichbare und sogar verwandte Erscheinung ist, wie in dieser Bemerkung repräsentativ vertreten ist, wird wei‐ ter unten noch erörtert. 617 Il principe, Cap. 1, S. 7 (S. 9): „Tutti gli stati, tutti e’ domimi che hanno avuto e hanno imperio sopra gli uomini, sono stati e sono o republiche o principati. E’ principati sono o ereditari, de’ quali el sangue del loro signore ne sia suto lungo tempo principe, o sono nuovi. E’ nuovi, o e’ sono nuovi tutti, come fu Milano a Francesco Sforza, o sono come membri aggiunti allo stato ereditario del principe che gli acquista, come è el regno di Na‐ poli al re di Spagna. Sono questi domimi così acquistati o consueti a vivere sotto uno principe o usi a essere liberi; e acquistonsi o con l’arme d’altri o con le proprie, o per fortuna o per virtù.“
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wird, wird im zweiten Kapitel behandelt (principatus hereditarius). Von den Ar‐ ten der Monarchie, die neu erworben wird, wird die zusammengesetzte Monarchie, die in einer Erbmonarchie integriert wird, im dritten Kapitel behandelt (princi‐ patus mixtus), dann die durch die eigene Tugend erworbene Fürstenherrschaft im sechsten Kapitel, und das Bürgerfürstentum (principatus civilis), das die mithilfe Dritter und einer günstigen Situation geschaffene Fürstenherrschaft bezeichnet, im neunten Kapitel. Die Lücken werden von der Diskussion über die Themen besetzt, die die Chancen und den Erfolg jener neuen Fürsten betreffen. Das vierte und das fünfte Kapitel behandeln die Eigentümlichkeiten eines eroberten Staates und die Schwierigkeiten bei dessen Erhaltung, je nachdem, ob das Volk vor der Einverlei‐ bung unter einer Fürstenherrschaft oder einer republikanischen Verfassung lebte. Das siebte Kapitel, in dem sich die berühmte Stelle über Cesare Borgia befindet, untersucht den Gegentypus zur im sechsten Kapitel behandelten, mit eigenem Ver‐ mögen erworbenen neuen Herrschaft. Es handelt sich hier um jene Herrschaft, die durch das Glück und mithilfe fremder Waffen erlangt wurde, und das Kapitel fragt nach der Möglichkeit und den Bedingungen für ihre Bewahrung. Das achte Kapitel untersucht ausschließlich die Herrschaft eines Tyrannen. Diese Typologie der Fürstentümer und die darauf aufbauende Diskussion sind in der abendländischen Tradition einzigartig. Die Kategorisierung der Herrschaf‐ ten nach dem Ort und der Zahl der Regierenden, seit Herodot und besonders seit ihrer Systematisierung bei Aristoteles in der Politik vertraut, 618 ist hier spurlos ver‐ schwunden. Machiavellis Verzicht auf die gewohnten Kategorien hat den Eindruck erweckt, dass er im Principe mit seiner Diskussion ganz spontan verfährt. Dieser Eindruck hat wiederum wesentlich zur Verbreitung des Bildes von Machiavelli als unsystematischem Denker beigetragen. Ernst Cassirers Bemerkung steht exempla‐ risch für diese typische Vorstellung: Machiavelli was no philosopher in the classical or medieval sense of this term. He had no speculative system, not even a system of po‐ litics. 619 Wie wir in der Einleitung gesehen haben, hat Meinecke diesen Mangel an Systematik sogar als Zeichen der geistigen Kraft Machiavellis werten wollen, die ihn befähigte, sich mit der baren Realität auseinanderzusetzten, ohne von irgendeinem metaphysischen Prinzip gehemmt zu werden. Es wurde dabei aber bisher übersehen, dass jene begriffliche Einteilung der Herr‐ schaftstypen sowie die darauf beruhende Diskussion im Principe konsistent auf eine bestimmte Problematik hin strukturiert war: Nämlich auf die Typen der Herausfor‐ 618 Jochen Bleicken, Zur Entstehung der Verfassungstypologie im 5. Jahrhundert v. Chris‐ tus (Monarchie, Aristokratie, Demokratie), in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. von Frank Goldmann u. a., Stuttgart 1998, S. 68–92 (zuerst in: Historia. Zeitschrift für Alte Geschichte 28/2 [1979, S. 148–172). 619 Cassirer, The Myth of the State, S. 135. Siehe auch Kersting, Niccolò Machiavelli, S. 49–51.
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derungen, die ein Fürst in seiner Herrschaftsführung berücksichtigen und überwin‐ den muss. Damit hat Machiavelli ein eigenartiges begriffliches Abenteuer gewagt. Ein Beispiel sind seine Kategorien der Erbmonarchie und der zusammengesetzten Monarchie, die er jeweils im zweiten und dritten Kapitel getrennt behandelt. Ge‐ nauer besehen stellt sich jedoch heraus, dass es sich in den beiden Kategorien um denselben Typ von Herrscher handelt, denn der Herrscher einer zusammengesetz‐ ten Monarchie ist ursprünglich ein Erbmonarch, und dieser Status ändert sich in seinem eigentlichen Territorium auch nach der Einverleibung eines neuen Territo‐ riums nicht. In der im Mittelalter üblichen aristotelischen Kategorisierung hätte man die beiden Monarchien also eigentlich unter ein und derselben Rubrik wie z. B. ‚Erbmonarchie‘ oder einfach ‚Monarchie‘ behandeln müssen. Der naheliegende Grund für diese außergewöhnliche begriffliche Einteilung ist, dass Machiavelli die zwei qualitativ unterschiedlichen Aufgaben, mit denen ein Fürst konfrontiert wird, auch separat betrachten wollte. Im zweiten Kapitel behan‐ delt er unter der Kategorie der Erbmonarchie ausschließlich die Art der Heraus‐ forderungen, die sich einem Fürsten stellen, wenn er keine Expansion vornimmt. Ein kurzer Blick in das Kapitel zeigt sofort, dass Machiavelli dort über die mit der Eroberung verbundenen Themen überhaupt kein Wort sagt, obwohl es theoretisch durchaus möglich ist, dass ein Erbmonarch einen Eroberungskrieg führen kann, und damit mit den dazugehörigen verschiedenen Aufgaben konfrontiert wird. Er sagt nur, dass ein erblicher Fürst seine Herrschaft ohne große Schwierigkeiten auch nur mit einem mittelmäßigen Talent bewahren kann, insofern er es bei der bisherigen Einrichtung belässt, und dass er seine Herrschaft wiedergewinnen kann, falls er sei‐ ner Herrschaft von einem äußerst starken Eroberer beraubt wird. Es ist jedoch klar, dass diese Themen lediglich die Hälfte des Regierungshandelns eines dynastischen Herrschers betreffen. Man kann aber dieses erstaunliche Schweigen Machiavellis leicht verstehen, wenn man das zweite Kapitel zusammen mit dem dritten liest. Die eroberungsbezo‐ genen Themen hat sich Machiavelli ausschließlich für das dritte Kapitel reserviert. Dort fällt wiederum auf, dass er kein Wort über die Herrschaft über ein ererbtes Territorium sagt. Während die beiden Kategorien die Handlung ein und desselben Herrschers be‐ handeln, der seine Machtbasis bereits durch das Erbrecht hat, diskutiert Machiavelli vom sechsten bis zum neunten Kapitel die Probleme eines völlig neuen Fürsten. Ma‐ chiavelli sah, dass die entscheidenden Probleme bei solchen neuen Fürsten aus ihrer defizitären Macht- und Legitimationsbasis stammen, und dass der Grad und Cha‐ rakter des Mangels wiederum davon abhängt, auf welche Weise sie an die Macht gekommen sind. Während es sich bei Sforza im sechsten Kapitel um jenen Typ des neuen Herrschers handelt, der allein durch seine Fähigkeit einen Staat erworben hat, bezeichnet der Bürgerfürst denjenigen, der seine Macht der Gunst Dritter ver‐ dankt, das heißt: entweder dem Volk oder den Optimaten in einer Republik.
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Es wird aus unserer Diskussion deutlich, dass Machiavelli in der Tat alles andere als ein unsystematischer Denker war. Er hat die politische Welt im Hinblick auf die Herausforderungen und ihre Bewältigung erstaunlich präzis und fein seziert. Ma‐ chiavelli war in seinem Streben, die Vielfalt der politischen Welt systematisch in Begriffen zu ordnen, nicht minder ehrgeizig als Aristoteles. Gewiss kann die reale politische Welt noch vielfältiger sein als seine Kategorien. Es kann passieren, dass ein Bürgerfürst ein neues Territorium annektiert, was sicher‐ lich zu keiner von Machiavelli aufgestellten Kategorie passt. Alle Einzelvariationen zu behandeln war jedoch nicht seine Aufgabe. Man konnte im Übrigen aus seinen bereits vorgelegten Diskussionen über die vier Kategorien der Fürstentümer, ihre Probleme und ihre Bewältigung, leicht erschließen, was ein Fürst in anderen Situa‐ tionsvarianten tun muss. Machiavellis Diskussion im Principe erscheint modernen Lesern vor allem des‐ halb wie von keinem theoretischen Geist gesteuert, weil sie daran gewöhnt sind, das Problem der Herrschaft im Sinne der Frage des legitimen Ortes der Souveräni‐ tät zu behandeln, d. h., von wem die höchste Entscheidungsgewalt ausgeübt werden muss, ob von einem einzelnen Mann, von den Optimaten oder von einem Volk. Diese besonders durch die neuzeitlichen Revolutionen wieder zum Mittelpunkt der politischen Betrachtung gewordene Fragestellung 620 wäre aber Machiavelli für die Behandlung seiner Frage als unangemessen erschienen. Wir brauchen nicht lange zu rätseln, was Machiavelli im Principe neben der De‐ monstration seiner Kenntnisse und Weisheit erreichen wollte. Machiavelli wollte die Medici lehren, wie sie handeln sollten, um ihre Macht zu konsolidieren und Florenz zur Führungsmacht in Italien werden zu lassen. Machiavellis besondere Aufmerksamkeit für Cesare Borgia ist aus diesem handfesten Interesse zu erklä‐ ren. Borgia, der zwar mithilfe seines Vaters, Papst Alexander VI., zum Herrscher der Romagna aufgestiegen war, jedoch aus eigener Kraft sowohl seine innere Machtstel‐ lung schnell konsolidierte als auch außenpolitisch überragendes Geschick aufwies, konnte als der beste Spiegel für die Medici-Herren dienen, die ja durch den bürger‐ lichen Zwiespalt ohne ihren eigenen Verdienst an die Macht gelangt waren. Machiavellis konsequente Gestaltung des Principe hinsichtlich seiner auf die ge‐ genwärtige florentinische Politik bezogenen Aufgabenstellung ist auch an seiner Behandlung der Tyrannei im achten Kapitel ersichtlich. Denn warum diskutierte er über dieses traditionelle Thema des Fürstenspiegels nicht gleich nach der Behand‐ lung der Erbmonarchie? In der hergebrachten Einordnung des Fürstenspiegels hätte das Thema am besten an dieser Stelle behandelt werden können, weil die Tyrannei eigentlich die Verfallsform der anfänglich legitimen Monarchie ist. Auch nach Ma‐ chiavellis Theorie des Verfassungskreislaufes in den Discorsi entsteht ja die Tyrannei aus der Korruption der Erbmonarchie. 620 Vgl. Hankins, Exclusivist Republicanism and the Non-Monarchical Republic.
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Wenn wir seine Diskussion über die tyrannische Herrschaft näher betrachten, erkennen wir jedoch, dass Machiavelli sich dort nicht auf jede, sondern nur auf eine spezifische Form der Tyrannei konzentriert, nämlich auf diejenige des neuen Fürsten, der zwar aus dem Status eines privaten Menschen zur Herrschaft gekom‐ men war, aber dabei nur seine eigene Machtgier befriedigen wollte, wie Agathokles und Oliverotto, der Tyrann von Fermo. Machiavelli interessiert sich also nur für die Form der Tyrannei, die die neuen Herren von Florenz direkt betraf. Für Ma‐ chiavelli, der die Medici-Herren zur Reform bewegen wollte, war es von entschei‐ dendem Interesse, die zwei Arten der politischen Geschicklichkeit unterscheiden zu lehren: die dem Gemeinwohl dienende und als wahre Tugend zu bezeichnende und die ausschließlich dem Eigennutz gewidmete und als Laster zu verwerfende Ge‐ schicklichkeit. Wir können also festhalten, dass Machiavelli die Herrschaft der Medici nicht nur in der Diskussion im neunten Kapitel des Principe über das Bürgerfürstentum behandelt, sondern das gesamte Werk im Hinblick auf die potenziellen Herrschafts‐ aufgaben der Medici-Herren strukturiert und gestaltet hat. Seine singulären Kate‐ gorien der Fürstenherrschaft sind besonders auf das gegenwärtige Erkenntnisinter‐ esse hin ausgerichtet. Daher bedeutet die Verwendung dieser Kategorien auch nicht, dass Machiavelli die aristotelische Verfassungstypologie generell abgelehnt hätte. Es sei hier daran zu erinnern, dass er sie in den Discorsi ja so verwendete, wie sie ihm durch Polybios und sicherlich von den scholastischen und humanistischen Denkern her bekannt war. 621 Machiavellis verfassungstheoretische Auffassung ist durchaus mit dem Dualis‐ mus des Marsilius von Padua oder des Bartolus von Sassoferrato vergleichbar. Die Geltung der herkömmlichen Theorie, die sich auf das metaphysische Prinzip und die Legitimitätsfrage fokussiert, wird zwar nicht geleugnet, jedoch wird ihr die Rele‐ vanz in der Praxis gänzlich oder teilweise erheblich abgesprochen. Man interessiert sich vielmehr für die anderen Regeln, die in der praktischen Welt herrschen. Bereits Bartolus hat sich darum bemüht, auf der Basis jener praktischen Regeln neue Kate‐ gorien und eine neue Theorie zu entwickeln. Machiavelli ging es im Principe genau um das Gleiche. Die Konsequenz dieser Entwicklung konnte, wie wir bereits oben in unserem zweiten Kapitel sahen, nur die Pragmatisierung des politischen Diskurses sein. Dies wird klar an der Bedeutung, die Machiavelli der necessità als Orientierungspunkt des praktischen Handelns beimisst. Machiavelli verwendet den necessità-Begriff im breiteren Sinne als den necessitas-Begriff der mittelalterlichen Jurisprudenz, mit dem man eine Notsituation und einen Ausnahmezustand bezeichnete, in dem die
621 Discorsi, Lib. 1, Cap. 2.
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moralischen und rechtlichen Normen suspendiert werden. 622 Die necessità bezeich‐ net für Machiavelli jeden Sachzwang, der verlangt, den bisher gewohnten, und da‐ her manchmal angenehmen Weg zu verlassen und einen anderen einzuschlagen. 623 Machiavelli setzte großes Vertrauen auf den positiven Effekt der necessità für die Ge‐ staltung des menschlichen Lebens. Er schrieb darüber Folgendes in den Discorsi: Da aber alle menschliche Dinge in Bewegung sind und nicht feststehen können, müssen sie steigen oder fallen; und zu vielem zwingt die necessità, wozu die Vernunft nicht rät. 624 Ihm zufolge macht die necessità tüchtig, und sie bringt das Heil des Staates. Machia‐ velli dachte sogar, dass man die ungerechte und instabile Welt dadurch reformieren und stabilisieren könne, dass man die darin versteckte necessità möglichst vollstän‐ dig zu entdecken und verstehen trachtet. Machiavelli hat sogar gefordert, künstlich Verhältnisse zu schaffen, in denen die necessità am größten wird, damit ein Staat groß und mächtig wird. Er bevorzugt z. B. in den Discorsi für die Staatsgründung einen armen und wilden Ort vor den reichen und fruchtbaren, denn die Menschen arbeiten entweder aus necessità oder aus eigenem Antrieb. Die größte Kraftentfaltung zeigt sich immer da, wo der freien Wahl am wenigsten Spielraum bleibt. 625 In Ma‐ chiavellis Denken ist die necessità also keine bloße Notsituation, in der man notge‐ drungen eine Sonderentscheidung treffen muss. Die necessità ist eine Quelle für die Einsicht, für die Tugend, für den Erfolg und schließlich für das Glück. Für Machia‐ velli ist die necessità so etwas wie ein Geheimcode, dessen Teile in der Welt verstreut sind, und durch dessen Entdeckung und Dechiffrierung man sich, seiner Familie, seiner Heimat und seinem Vaterland das Heil bringen kann. Die necessità ist eine Tür zum Geheimnis des Erfolgs und Misserfolgs in den politischen Unternehmun‐ gen, ist also das Prinzip der Hermeneutik der politischen Welt. Hier merkt man, dass die necessità für Machiavelli die gleiche Bedeutung besitzt, die einst die naturrechtlichen Gebote für die politischen Denker des Hochmittelal‐ ters besessen hatten. Die Aufgabe, die sich Machiavelli im Principe stellte, war keine 622 Zur ausführlichen Diskussion über den necessità-Begriff von Machiavelli, siehe Münk‐ ler, Machiavelli, S. 246–250. 623 In diesem Sinne sind für Machiavelli die einfachen Lebensbedürfnisse wie Hunger und Durst auch necessità. Aufgrund dieser necessità verlässt man den anfänglichen zivilisati‐ onslosen Zustand und bildet eine Gesellschaft und einen Staat. Nach Machiavelli ist es nur durch necessità, dass man etwas Gutes errichtet (gli uomini non operono mai nulla bene, se non per necessità) (Discorsi, Lib. 1, Cap. 3, S. 64). Gerade in diesem Sinne heißt also auch das Gesetz bei Machiavelli necessità, weil es den Menschen dazu zwingt, seinen angebo‐ renen Egoismus aufzugeben und als verantwortungsbewusstes Mitglied einer Gesellschaft zu handeln. 624 Discorsi, Lib. 1, Cap. 6, S. 70 (S. 27): „Ma sendo tutte le cose degli uomini in moto, e non potendo stare salde, conviene che le salghino o che le scendino; e a molte cose che la ragione non t’induce, t’induce la necessità.“ 625 Ebd., Cap. 1, S. 59 (S. 7): „perché gli uomini operono o per necessità o per elezione; e per‐ ché si vede quivi essere maggior virtù dove la elezione ha meno autorità.“
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andere, als jenen Sachzwang je nach der Situation des Fürsten zu erklären. Der ne‐ cessità-Begriff ist mithin das zentrale Prinzip, um das die gesamte Diskussion im Principe organisiert ist. Auf der Suche nach diesem Schlüssel zur politischen Welt reist Machiavelli durch die Welt der Vergangenheit der Römer und Griechen, der großen Politiker und Heerführer, der großen mythischen Helden und Propheten. Dies zeigt, wie wichtig das rationale Nutzenkalkül in den politischen Überle‐ gungen Machiavellis geworden ist. Eine vollständige Säkularisierung der politischen Theorie ist hier im Gange.
4.5 Machiavellis Dilemma
Machiavellis intensives Interesse daran, den objektiven Sachzwang in der politi‐ schen Welt zu verstehen und sein ehrgeiziger Plan, auf dieser Grundlage eine ratio‐ nale Handlungsstrategie zu finden, sind ein wichtiger Grund dafür gewesen, dass die Forscher bei ihm den neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Geist, ja eine Moder‐ nität ganz allgemein, haben erkennen wollen. Sie haben bei diesem Urteil freilich nicht berücksichtigt, dass dasselbe Interesse und dieselbe Idee sowohl die nezessi‐ taristische Konzeption der Ethik als auch die populäre Weisheitsidee hinter den Erzählungen, den Maximen und Sprichwörtern des Mittelalters charakterisieren. Wie wir etwa bei Salutati gesehen haben, überstanden dieses Interesse und diese Idee auch den Rückzug des nezessitaristischen Weltbildes. Im Falle von Machiavellis Überlegungen treten diese mittelalterlichen Elemente sogar verstärkt auf, besonders durch seine unmittelbare Einarbeitung populärer Weisheiten im Principe. Von einer völlig neuen geistigen Erscheinung kann also hier keine Rede sein. Sicherlich hat der Gedanke, man solle die eigentlichen Regeln lernen, die un‐ abhängig von metaphysischen, ethischen und rechtlichen Prinzipien die politische Welt bewegen, und sie dann ausnutzen, damit man den Zustand der Welt ändern kann, vieles gemeinsam mit der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Ob wir daraus eine Einflussnahme der Naturwissenschaft schließen können, ist aber eine völlig andere Frage. Dazu müssten wir zuerst feststellen, wann und unter welchen Bedin‐ gungen eine solche Entmetaphysierung und Verweltlichung der Kenntnis über die Naturwelt erfolgt ist, und dann diesen Prozess genau vergleichen mit dem, was sich in der Wahrnehmung der menschlichen Welt abgespielt hat. Schon die erste Frage sprengt aber den Rahmen unserer Arbeit. Aus unserer bisherigen Diskussion kann man nur soviel festhalten: Dass die Welt, die Salutati und Machiavelli kannten, ei‐ gentlich von einer sichtbaren Regelhaftigkeit und Ordnung weit entfernt war, die in der sogenannten mechanisierten Weltauffassung der Naturwissenschaft der spä‐ teren Zeit hervortritt. Wir haben oben bereits den inneren Widerspruch bei Salutati betrachtet, näm‐ lich die logische Diskrepanz zwischen seiner Konzeption der Weltkontingenz einer‐
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seits und seiner Annahme der Wiederholung der immer gleichen Regelmäßigkeiten in der Geschichte andererseits. Bei Machiavelli kann man ein ähnliches Problem feststellen. Auch er äußerte die Ansicht, dass die Welt insgesamt gleich bleibe. So konnte er im Vorwort der Discorsi über die Vernachlässigung der politischen, juristi‐ schen und militärischen Weisheiten der Antike klagen. 626 Die Menschen seiner Zeit hätten jene alten Weisheiten ignoriert, als wären der Himmel, die Sonne, die Ele‐ mente und die Menschen in Bewegung, Ordnung und Kraftvermögen verschieden von dem, was sie in der Antike waren. Die Folge dieser Ignoranz sei das gänzliche Verschwinden der Spuren der großen Taten und tugendhaften Unternehmungen der alten Reiche, Republiken, Königen, Feldherren, Bürger und Gesetzgeber. 627 Mit dieser Klage kehrt Machiavelli, genauso wie Salutati, zu der alten Maxime his‐ toria magistra vitae zurück und schafft damit topisch den Ausgangspunkt für sein Projekt, die Handlungsregeln der Politik aus der Analyse der geschichtlichen Erfah‐ rungen zu konstruieren. Wie schon seine fortuna-Symbolik zeigt, ähnelte jedoch die Welt, die sich Ma‐ chiavelli vorstellte, in Wirklichkeit einem nicht regulierbaren Chaos. Im Principe bestätigt Machiavelli, dass zwei, die verschieden handeln, die gleiche Wirkung er‐ zielen, und dass von zweien, die gleichartig handeln, der eine sein Ziel erreicht und der andere nicht. 628 Machiavelli hat keineswegs seine Verwirrung über diesen Umstand verheimlicht, der grundsätzlich seine eigene Überzeugung widerlegt, ein System un‐ fehlbarer Handlungsvorschriften in der Politik auf der Grundlage geschichtlicher Erfahrungen aufbauen zu können. Bereits an einer Stelle in einem Brief an Gio‐ van Battista Soderini (13–21. September 1506) bekannte Machiavelli seine höchste Verblüffung: Reiche und Herrschaften wachsen oder stürzen, je nach den Um‐ ständen; aber woher kommt es, dass bestimmte einzelne Handlungen manchmal nützen, mitunter aber auch schaden? Machiavelli gesteht, dass er keine Antwort hat, obwohl er sie gerne wissen will. 629 Die politische Welt, wie sie sich Machia‐ velli vorstellt, ist nicht nach dem Kausalprinzip verfasst. Sie kann daher gar nicht vom Menschenwissen erfasst werden, das in seinem Aufbau gerade der Kausalität folgt. Was der Denker über solche Weltkontingenz sagen kann, ist also, wie er selbst in dem erwähnten Brief an Soderini eingesteht, dass wer sein Benehmen den Verhält‐ nissen der Zeit anpasst, glücklich ist, und wer dies zu tun nicht versteht, unglücklich. 630
626 Ebd., ante Cap. 1, S. 57 (S. 3 f.). 627 Ebd. (S. 4). 628 Il principe, Cap. 25, S. 52 (S. 195): „[. . . ] dua, diversamente operando, sortiscono el mede‐ simo effetto: e dua equalmente operando l’uno si conduce al suo fine e l’altro no.“ 629 Lettere, in: Niccolò Machiavelli, Tutte le opere storiche, politiche e letterarie, hg. von Alessandro Capata, Rom 1998, Nr. 116, S. 899 f. 630 Ebd., S. 900. Die Übersetzung ist von mir: „[. . . ] quello è felice che riscontra el modo del procedere suo con el tempo, et quello, per opposito, è infelice che si diversifica con le sue
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Machiavellis Bewusstsein von der radikalen Weltkontingenz war so akut, dass es paradoxerweise sogar seine Ansicht über den gleichartigen Verlauf der Geschichte durchbrach, die Ansicht, auf die er eigentlich seine These aufgebaut hatte, den geschichtlichen Erfahrungen die universalen Handlungsregeln abgewinnen zu kön‐ nen. Wenn ein und dieselbe Handlung manchmal zu unterschiedlichen Ergebnissen führt und die alten Weisheiten versagen bzw. ergänzt werden müssen, ist es schwie‐ rig, das Gleichbleiben der Welt zu verteidigen. Diese Ansicht Machiavellis kommt in seiner Kritik an der übertriebenen Vereh‐ rung der Antike im zweiten Buch der Discorsi zum Ausdruck. 631 Er sagt: Stets loben die Menschen, wenn auch nicht immer mit Recht, die alten Zeiten und beklagen sich über die Gegenwart. 632 Machiavelli fährt fort, dass in Wirklichkeit die Gegenwart oft viel mehr Ruhm und Lob verdienen würde als jene. 633 Machiavelli hat also keines‐ wegs alles für optimal gehalten, was einst von den Römern praktiziert worden war. Man kann besser handeln als die Römer, so war seine Überzeugung. Folglich war für Machiavelli die Zukunft grundsätzlich offen, und das Schick‐ sal eines Gemeinwesens hing grundsätzlich davon ab, wie man das einzelne Mo‐ ment der Herausforderung handhabt. Durch das Verfehlen der richtigen Handlung könne man eine schlimme Zukunft heraufbeschwören. Durch die virtuose Aus‐ übung der Kreativität könne man aber auch eine Welt schaffen, die die Römer nicht kannten. Die Idee vom Gleichbleiben der Geschichte ist in dieser Hinsicht absurd. Machiavelli erklärt sogar selbst, dass sein Lob der römischen Tugenden und Kunstgriffe in der Staatsführung nicht als ernsthafte Äußerung seiner theoretischen Sicht über den Geschichtsverlauf betrachtet werden darf. An der gerade zitierten Stelle der Discorsi behauptet er, dass die Frage, ob man die Taten der antiken Män‐ ner zu Recht loben kann und muss, lediglich von der Qualität der Gegenwart ab‐ hängt. 634 Man täusche sich, wenn man in einem guten Staat lebe und dennoch die alte Zeit mehr als die eigene lobe. Hingegen habe man recht, wenn man in einem schlechten Staat lebe und die Taten der Männer in der Vergangenheit lobe. Machia‐ velli rechtfertigt mit diesem Argument seine eigene Position. Denn wenn er die Zeit
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actioni da el tempo et da l’ordine delle cose.“ Dieselbe Ansicht war auch im 25. Kapitel des Principe als die Erklärung des oben zitierten Tatbestandes vertreten. Siehe zu Machiavellis Antikebegriff bereits Bee Yun, Machiavelli und das Problem einer Wiederbelebung der Antike, in: Eleganz und Performanz. Von Rednern, Humanisten und Konzilsvätern. Johannes Helmrath zum 65. Geburtstag, hg. von Harald Müller, Christian Jaser und Thomas Woelki, Köln 2018, S. 449–459. Discorsi, Lib. 2, ante Cap. 1, S. 140 (S. 166): „Laudano sempre gli uomini, ma non sempre ragionevolmente, gli antichi tempi, e gli presenti accusano.“ Ebd., S. 141 (S. 167): „[. . . ] in verità, le presenti molto più di quelle di gloria e di fama meritassoro.“ Ebd.
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der antiken Römer lobe und seine eigene tadle, sei es lediglich wegen des schlechten Zustandes der gegenwärtigen Welt. Wir können all diese Bemerkungen keineswegs aus reiner Willkür Machiavellis erklären. Bereits vor ihm haben die Humanisten gewöhnlich eine topische Rück‐ kehr zur Antike unternommen, um die Errungenschaften ihrer Zeit als Wiederbe‐ lebung des Glanzes der Antike darzustellen. Sie haben auch die Aufgabe der kul‐ turellen und politischen Erneuerung ihrer Gegenwart eben nach diesem Schema formuliert. Aber es ist keinem von ihnen wirklich gelungen, die topische Verwen‐ dung der Rückkehr-Metapher theoretisch zu verankern. Um es noch genauer zu sagen: Sie standen alle dem Versuch kritisch gegenüber, aus dieser Metapher eine ernsthafte geschichtsphilosophische Metaphysik zu machen. Die Geschichte war für die Humanisten grundsätzlich offen, und sie konnte keineswegs die ewige Wie‐ derholung des Gleichen sein. Die Gegenwart und Zukunft kann sowohl besser als auch schlechter sein als die Antike. Die entscheidende Frage war, wie man handelt. Genau in diesem Zusammenhang warnten viele Humanisten vor der übertrie‐ benen Verehrung der Antike. Die Behauptung, dass die Aufgabe der Gegenwart darin liege, die Spuren der Antike wieder zu entdecken und nachzuahmen, wurde von den florentinischen Denkern oft kritisiert, ja sogar verspottet. Leonardo Bruni hat z. B. in den Dialogi ad Petrum Histrum die Idee bestritten, dass die Gegenwart lediglich im Schatten der Vergangenheit der römischen Republik stehe. 635 In den literarischen und künstlerischen Tätigkeiten habe die Gegenwart durch die Arbeit von Dante, Petrarca und Boccaccio, also der ‚Tre corone‘, den alten Stand der Rö‐ mer bereits überholt. Im Dialog des zweiten Tages erwidert Niccolò Niccoli auf den Vorwurf gegen Petrarca, dass ein Gedicht Vergils oder ein Brief Ciceros besser sei als dessen gesamtes Werk: [. . . ] [I]ch ziehe die Rede Petrarcas den gesamten Briefen von Vergil vor, und die Gedichte Petrarcas den gesamten Gedichten Ciceros. 636 Durch diese Niccoli in den Mund gelegte ironische Aussage mahnt Bruni, dass die Antike ebenso Mängel gehabt habe wie die Gegenwart. Damit kritisierte er die Narren (insulsissimi homines), 637 die ihre eigene Zeit unter die Antike stellen wollten. Die heftigste Kritik am blinden Antikekult kam aus der Feder des Poggio, der bereits in Brunis Dialog als ein Verfechter der eigenen Zeit auftauchte. In seinem eigenen Werk De varietate fortune polemisiert Poggio gegen diejenigen, die einseitig das Gedächtnis der Antike verfolgen und die großen Figuren der Gegenwart igno‐ rieren. 638 Er diagnostiziert, dass solche Leute ihr Vertrauen mehr darauf setzten, was sie hören, als darauf, was sie sehen. Aber weil der Ruhm immer täuscht, ur‐ 635 Dialogi ad Petrum Paulum Histrum, hg. von Stefano Ugo Baldassarri, Florenz 1994. 636 Ebd., Lib. 2, 86, S. 272: „[. . . ] dicam me orationem Petrarchae omnibus Vergilii epistolis, et carmina eiusdem vatis omnibus Ciceronis carminibus longissme anteferre.“ 637 Ebd. 638 Poggio Bracciolini, De varietate fortune, hg. von Outi Merisalo, Helsinki 1993.
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teilen die Augen besser, so Poggio. Antonio Loschi, Poggios Sprachrohr in diesem Dialog, äußert gar, dass manche Überlieferungen über die großen Taten der Men‐ schen der Antike, davon vor allem manche Taten der Römer in der Geschichte des Livius, keine Wahrheit enthalten, sondern lediglich literarischer Schmuck sind. Er sagt: Also scheinen mir diejenigen, die an die Existenz der Taten glauben, die der Elo‐ quenz von Titus Livius entsprechen, ungebildet. 639 Unsere Beobachtungen mögen vielleicht heftige Einwände verursachen, weil es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besonders unter den Philosophen in Deutsch‐ land als Gemeinplatz gegolten hat, dass die Renaissance eine neue geschichts‐ philosophische Anschauung entwickelt habe, die dem christlich-eschatologischen Schema des linearen Geschichtsverlaufs entgegengesetzt gewesen sei und sich der paganen Tradition der Antike angeschlossen habe. Von manchen Philosophen und Forschern wurde namentlich seit Friedrich Nietzsche diese These immer wieder be‐ stätigt und weiterentwickelt. 640 Unsere Quellen, die aus den Federn der geistigen Repräsentanten der italienischen Renaissance stammen, erweisen jene These aber als einen Mythos. Die folgende Bemerkung des Nikolaus Cusanus (†1464), eines bedeutenden zeitgenössischen Kenners des italienischen Humanismus, im Vorwort zu seinem Werk De concordantia catholica macht deutlich, in welchem Sinne man von der Rückkehr zur Antike gesprochen hat. Er sagte von der Beschäftigung mit dem Wis‐ sen der Antike in seiner Gegenwart Folgendes: Die Vergangenheit wird noch einmal gesucht von denjenigen, die alle freien und mechanischen Künste verfolgen. Als ob das Rad eine Zyklusbewegung vollzieht, wollen wir eifrig zu den gewichtigen Meinungen jener Autoren zurückkehren. Wir
639 Ebd., Lib. 2, Zeile 736 f., S. 127: „Quo profecto mihi ignarus rerum appareat qui putet equalia Titi Liuii eloquentie extitisse.“ 640 Hans Blumenberg, Legitimität der Neuzeit, 2. Aufl., Frankfurt / M. 1996, S. 17: „Es gibt keine historische Symmetrie, in der diese Weltlichkeit so etwas wie die Disposition für die Wiederkehr des Kosmos der Griechen wäre. Die Renaissance war nur das erste Miss‐ verständnis dieser Art, der Versuch, den sich ankündigenden neuen Wirklichkeitsbegriff als Wiederkehr einer schon erfahrenen, in vertrauten Kategorien zu bewältigenden Struk‐ tur aufzufangen.“ Da die Renaissance ihre eigene Zeit nicht in solchem Sinne verstanden hat außer im rhetorischen Sinne, ist diese Kritik gegenstandslos. Die fälschlich vermutete zyklische Geschichtsauffassung der Renaissance ist auch der Schlüsselbegriff bei Münklers Erschließung des politischen Denkens von Machiavelli. Siehe Münkler, Machiavelli, Teil. 1.2 und Teil 3.7. Dass Pocock die Renaissance im Zeichen derselben Geschichtsphi‐ losophie versteht, wie wir im zweiten Kapitel bereits diskutiert haben, besagt aber, dass dieses Missverständnis ein über einzelne Autoren bzw. eine nationale Wissenschaftstradi‐ tion hinausgehendes generelles Problem ist.
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Die Rückkehr des Politischen bei Machiavelli
beobachten, dass alle von der Eloquenz und dem Stil der antiken Literatur begeis‐ tert sind [. . . ]. 641
Die tüchtige Verfolgung der Künste und Weisheiten der Antike wird also von Cu‐ sanus mit der Zyklusbewegung des Rades verglichen. Der Kardinal hat aber damit keineswegs seine geschichtsphilosophische Ansicht zu äußern beabsichtigt. Die Zy‐ klusbewegung des Rades war für ihn lediglich eine Metapher ohne tieferen Gehalt. Die folgende Bemerkung von Francesco Guicciardini (†1540) in seinen Ricordi gibt ein beredtes Zeugnis dafür ab, wie die Welt und Geschichte in der geistigen Atmosphäre im damaligen Florenz wahrgenommen wurde: Es ist ein großer Fehler, über die Affären der Welt im absoluten Sinne und ohne Differenzierung etwas zu sagen [. . . ]. Denn fast alle haben aufgrund der Variatio‐ nen der Situationen Unterschiede und Ausnahmen, und können nicht nach ein und derselben Regel bewältigt werden. 642
Die Welt ist von zahllosen Kontingenzen beherrscht, folglich ist die Zukunft grund‐ sätzlich offen. Sie ist weder in einer Zyklusbewegung fatalistisch eingeschlossen, noch zur ewigen Wiederholung des gleichen Vorgangs vorbestimmt. Als Machiavelli sich der exzessiven Verehrung der Antike gegenüber kritisch äu‐ ßerte und die Unbestimmtheit und Offenheit der Zukunft verteidigte, schloss er sich genau dieser Denktradition an. Somit zeigt sich eine tiefe Kluft innerhalb seines politischen Denkens. Sein ehrgeiziges Vorhaben zur axiomatischen Fixierung ver‐ wertbarer Handlungsregeln und deren systematischen Zusammenstellung aus den Erfahrungen der Vergangenheit setzte das Gleichbleiben der Welt als theoretischen Grundsatz voraus. Ein solcher Grundsatz hat aber innerhalb Machiavellis Welt- und Geschichtsbegriffes überhaupt keinen Platz. Gewiss war er mit dieser Schwierigkeit nicht allein. Salutati stand vor dem glei‐ chen Problem, als er einerseits aufgrund des Gleichbleibens der Welt das Lernen aus der Geschichte verteidigte, aber andererseits die radikale Weltkontingenz betonte. Auch andere Humanisten konnten dasselbe logische Problem nicht vermeiden. Bei ihnen ist jedoch dieser Widerspruch nicht so auffällig, weil niemand von ih‐ nen so sehr praktisch daran interessiert war wie Machiavelli, aus den Erfahrungen 641 De Concordantia catholica (= Nicolai de Cusa opera omnia, Bd. 14), 4 Bde., hg. von Ger‐ hardus Kallen, Hamburg 1964, Bd. 1, S. 2: „Videmus autem per cuncta ingenia etiam stu‐ diosissimorum omnium liberalium ac mechanicarum artium vetera repeti, et avidissime quidem, ac si totius revolutionis circulus proximo compleri spectaretur, resumimus non tantum graves sententiosos auctores, verum et eloquio et stilo et forma litterarum antiqua videmus omnes delectari [. . . ].“ 642 Francesco Guicciardini, Ricordi, hg. von R. Spongano, Florenz 1951, 2. Ser., Nr. 6: „È grande errore parlare delle cose del mondo indistintamente e assolutamente [. . . ]; per‐ ché quasi tutte hanno distinzione ed eccezione per la varietá delle circunstanzie, in le quali non si possono fermare con una medesima misura.“
Machiavellis Dilemma
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der Vergangenheit die allgemeinen Gesetze des Erfolgs und Misserfolgs der Politik zu rekonstruieren. Machiavelli wollte den aus dem mittelalterlichen Nezessitaris‐ mus übrig gebliebenen und jetzt in allen Punkten fraglich gewordenen Glauben an die Gesetzmäßigkeit des Weltenlaufs nicht aufgeben, nicht zuletzt deswegen, weil dieser Glaube die Grundlage für die rationale Verfügung der politischen Welt war, obwohl er ihn weder begründen, noch sich selbst davon überzeugen konnte. Diese ‚Rückständigkeit‘ seines Denkens war freilich für seine gebildeten Zeitgenos‐ sen höchst fragwürdig, wie die Kritik Francesco Guicciardinis an seiner Methode bezeugt. Für Guicciardini war Machiavellis Ernst und Eifer, von der Annahme der Regelmäßigkeit der Welt ausgehend aus der Antike ein Schulbuch der Politik zu machen, unverständlich. 643 Es scheint daher nicht gänzlich übertrieben, von einem Scheitern Machiavel‐ lis mit seinem denkerischen Ehrgeiz zu sprechen, und zwar in dem Sinne, dass es seinem Argument an Konsistenz fehlte. Dieses ‚Scheitern‘ ist aber insofern viel wichtiger als der ‚Erfolg‘ anderer Humanisten, auch seines Zeitgenossen und Kri‐ tikers Guicciardini, als es gerade für das Dilemma seines Zeitalters stand, das auf der radikalen Weltkontingenz und auf der grundsätzlichen Unbestimmtheit der Zukunft beharrte. Die allmähliche Auflösung des nezessitaristischen Welt- und Po‐ litikverständnisses im Spätmittelalter hat damals die politische Welt immer wieder chaotisch erscheinen lassen. Man fragte folglich beharrlich nach der Möglichkeit ihrer Bestimmung durch die rationale Praxis. Machiavellis Wagnis, anhand der ne‐ cessità die Regelmäßigkeit des Weltenlaufs zu begreifen, kann in diesem Kontext verstanden werden. Mit dem Versuch geriet sein Denken aber in einen tiefen Selbst‐ widerspruch, dem er sich nicht logisch zu entziehen wusste. Dieser Widerspruch war kein persönlicher. Er war Teil der allgemeinen Krise des politischen Diskurses, die sich seit langem angebahnt hatte. Machiavellis Zeitalter wurde sich immer stär‐ ker der Kontingenz der menschlichen Welt bewusst und war daher auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, sich die politische Welt verständlich und verfügbar zu machen. Machiavellis Scheitern zeigte seinen Zeitgenossen die Grenze ihres Den‐ kens auf. Er hat sein Zeitalter voll durchlebt.
643 Gilbert, Machiavelli and Guicciardini, S. 279.
Schluss Niccolò Machiavelli und die Rückkehr des Politischen
Diese Studie über Wege zu Machiavelli. Die Rückkehr des Politischen im Spätmittel‐ alter ist der Versuch, einen Hauptstrang des spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Transformationsprozesses des Politikdiskurses zu rekonstruieren und das politische Denken Machiavellis in diesem Kontext neu zu erschließen. In ihrem Zentrum steht die Frage, seit wann und wie man in Europa dazu kam, das Politische als ein eigenes Handlungsfeld und die politische Rationalität in Abgrenzung von den An‐ sprüchen der ethischen und religiösen Normen zu begreifen. Damit wurde die herkömmliche Ansicht infrage gestellt, die den Politikpragma‐ tismus des Florentiners einfach als den Entdeckungsakt der zeitlosen Wahrheit der Politik versteht. Diese zuerst im späten 19. Jahrhundert besonders in der deutsch‐ sprachigen Machiavelli-Forschung geprägte, aber bis heute populäre Tradition hy‐ postasiert die „Kampf ums Leben“-Version des Politikbegriffs als einzig objektive. Unterschiedliche Gedankenbewegungen haben zur Entwicklung dieser Tradi‐ tion der Machiavelli-Forschung beigetragen. Das besonders von Burckhardt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägte Bild der italienischen Renaissance, das sich aus der aufklärerischen Religionskritik, dem romantischen Mittelalterbegriff und der Modernekritik speiste, war eine der wesentlichen Inspirationen. Ein bei Burckhardt und vielen anderen wirksamer, vulgärpositivistischer Wahrheits- und Wissenschaftsbegriff verlieh dieser Tradition eine wichtige Anregung. Der Haupt‐ faktor aber war ein vermeintlich realistischer Begriff der politischen Rationalität, der seinen Legitimationsgrund in seiner angeblich unmittelbaren Nähe zur nack‐ ten Realität der Politik fand. Zwar hat kaum ein Theoretiker je auf den Anspruch auf Realitätstreue verzichtet. Dies gilt sogar für den extremen Konstruktivisten, der jeglichen Versuch ablehnt, den anderen eine These oder eine Theorie im Na‐ men der Wahrheit vorzustellen. Denn auch er muss seine Existenz im Sinne der Glaubwürdigkeit seiner Idee legitimieren (Niklas Luhmann würde dies eine Pa‐ radoxie nennen). Die Eigentümlichkeit des sogenannten Politikrealismus besteht deshalb auch nicht in seinem Anspruch, sondern in seinem Feindbild: Es sind die Idealisten, deren Wahrnehmung und Denken von einem religiösen Dogma oder einer philosophischen Spekulation komplett besetzt und folglich unfähig zum Er‐ kennen und Verstehen der objektiven Wirklichkeit sei. Die so postulierte kom‐ promisslose Antinomie zwischen zwei entgegengesetzten Politikbegriffen, nämlich dem realpolitischen auf der einen und dem realitätsfernen, idealistischen auf der anderen Seite, etablierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgreich als ein Rekonstruktionsschema für die Geschichte der politischen Ideen. In diesem Kontext wurde Machiavelli neu ‚entdeckt‘. Er sei der erste Politikrealist seit dem
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Untergang der Antike gewesen, der der unangenehmen Wahrheit der Politik mit einer den modernen Naturwissenschaftlern vergleichbaren Kälte und Objektivität gegenübergestanden und aus seinen Beobachtungen eine Reihe Schlüsse über die Kunst der Selbsterhaltung gezogen habe. Vor ihm hätten nur verschiedene Idea‐ listen das Feld beherrscht, deren christliche Dogmen und schöne philosophischen Reden über den zu wünschenden Staat lange Zeit die grausame Wahrheit der Politik verdeckt hätten. Im Kontext dieser Konstruktion der historischen Entwicklung der abendländischen politiktheoretischen Überlegungen gilt Machiavelli als Pionier ei‐ ner neuen Epoche. Mit ihm habe das Mittelalter geendet und die Neuzeit begonnen. Der Florentiner Denker avancierte zu einer epochalen Zäsur. Gegen diesen Interpretationsstrang hat diese Studie mehrere Einwände erhoben. Sie lehnte die manichäische Dichotomie des Realismus und des Idealismus als epis‐ temologisch unhaltbar ab. Stattdessen beleuchtete sie verschiedene Momente und Anlässe, die zur Entwicklung des Politikpragmatismus seit dem 14. Jahrhundert beitrugen, im Sinne der Akkumulation der Effekte einzelner theoretischer Bemü‐ hungen und Innovationen zu einer großen diskursiven Transformation. Die pro‐ vokativen Thesen Machiavellis über die Kunst der Selbsterhaltung in der Politik wurden dabei in den Gesamtkontext der Pragmatisierung des spätmittelalterlichen Politikdiskurses gestellt. So erklärt sich der Titel Wege zu Machiavelli. Das 14. Jahrhundert war in unserer Rekonstruktion in mehrfachem Sinne die wichtigste Zäsur. Vor dieser Zeit herrschte die nezessitaristische Tendenz vor, die die politische Welt in Analogie zum Kosmos als eine berechenbare und daher ratio‐ nal beherrschbare Größe konzipiert. Dieser Vorstellung zufolge können die meisten politischen Aufgaben und Probleme in der Politik auf Grundlage der von Gott oder irgendeiner übernatürlichen Kraft gestifteten Prinzipien gelöst werden. Wie die naturweltliche kosmische Ordnung ist die Menschenwelt, wenn auch nicht im gleichen Maße, von einer Reihe eigener Notwendigkeiten durchdrungen, die den Menschen in den göttlichen Geboten verordnet sind. Was die Regierung tun muss, ist diesen Notwendigkeiten zu gehorchen. Es sei hier noch einmal betont, dass in diesem nezessitaristischen Welt- und Poli‐ tikverständnis der ethisch handelnde Mensch und der praktisch kluge Mensch zum großen Teil in eins fielen. Dieser Politikdiskurs, der bis zum 13. Jahrhundert maß‐ gebend blieb und auch danach seinen Einfluss nicht gänzlich verlor, ist also nicht mit einer transzendentalen Orientierung zu verwechseln. Die Maxime Fiat iustitia et pereat mundus („Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zu‐ grunde“), soll den Kaiser Ferdinand I. begeistert haben. Dieser Spruch entspricht aber nicht dem nezessitaristischen Politikdiskurs im Mittelalter. Vielmehr war die‐ ses Verständnis der Politik nur optimistisch, nämlich indem es daran glaubt, dass das „Richtige“ und das „Nützliche“ nicht auseinandertreten. Eine Regierung, die den der gottgeschaffenen Naturwelt entsprechenden Regierungsprinzipien der Monar‐ chie folgt, könne vor allen Herausforderungen, wie dem inneren Zwiespalt oder
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dem Krieg, am besten bestehen; ein gerecht Handelnder könne auch im politischen Geschäft den größten Erfolg erzielen. Man war sich dabei durchaus bewusst, dass die ethischen Prinzipien, die etwa im Dekalog oder sonst in der Heiligen Schrift niedergelegt sind, nicht als unmit‐ telbare Antworten auf die Frage „Was tun?“ dienen konnte. Man unterschätzte die Bedeutung und Bedeutsamkeit der Kreativität beim Regieren nicht. Weil die Le‐ bensbedingungen der Menschen je nach Ort und Zeit verschieden sein und die zu bewältigenden Probleme und Angelegenheiten dementsprechend unterschiedliche Gestalt haben müssen, kann die konkrete Anwendung der Prinzipien keine ein‐ fache Umsetzung des Wortes in die Praxis sein. Man wusste sehr wohl auch von den gelegentlich auftretenden Ausnahmesituationen, die die temporäre Suspen‐ dierung jener Prinzipien verlangen. Jedoch wurden diese Einschränkungen nicht als wesentlich betrachtet. Vielmehr galt: Die von Gott, den Propheten und den Heiligen wörtlich gegebenen oder durch ihre Taten exemplifizierten Anordnungen geben der Politik ein klares Muster vor. Man muss sie zwar variieren, und die Va‐ riation kann manchmal soweit gehen, dass sie den ursprünglichen Anordnungen zu widersprechen scheinen. Beim näheren Besehen wird die Variation sich jedoch als im Sinne jener Anordnungen legitimierbar herausstellen. Gleiches galt für die Fälle der Suspendierung der religiös-ethischen Prinzipien im Namen einer Notfall-Aus‐ nahme. Vom 14. Jahrhundert an aber geriet dieser nezessitaristische Politikbegriff auf verschiedene Weise in einen Auflösungsprozess. Viele Begriffe und Konzepte, die den nezessitaristischen Politikdiskurs trugen, wurden nun modifiziert, neu inter‐ pretiert und sogar aufgegeben. Der Politikdiskurs schien plötzlich vom Bewusstsein der unübersichtlichen Vielfalt der politischen Welt und der unüberbrückbaren Di‐ stanz zwischen den Prinzipien und den realen Bedürfnissen durchströmt. Johannes Quidort, Tolomeo von Lucca, Marsilius von Padua, Wilhelm von Ock‐ ham, Bartolus von Sassoferrato und Coluccio Salutati, jene so namhaften Denker und Schriftsteller des 14. Jahrhunderts, hatten unterschiedliche Bildungs- und Be‐ rufshintergründe und schrieben aus unterschiedlichen Motivationen und Anlässen. Bei allen Unterschieden ist jedoch diesen Autoren eines gemeinsam: Der Vergleich der menschlichen Welt mit dem Kosmos erschien bei ihnen immer weniger über‐ zeugend, wenn auch er nicht explizit geleugnet wurde. Stattdessen war immer mehr von den Eigentümlichkeiten der menschlichen Welt die Rede. Die Kontingenz kam immer wieder in den Blick. Die Kunst ihrer Handhabung gewann zunehmend an Bedeutung in den politischen Überlegungen. Die optimistische Erwartung, in An‐ lehnung an die vorgegebenen göttlichen Prinzipien den richtigen Weg finden zu können, verlor ihre Dominanz, und die Fähigkeit und Kunst, in einer gegebenen Situation eine optimale Entscheidung zu treffen, wurde immer mehr unterstrichen. Jene Entscheidung konnte nun nicht immer den Lehren der Religion und Ethik entsprechen, denn in einer Welt voller Kontingenz konnte das politisch Richtige
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vom normativ Richtigen stark abweichen. So traten das Politische und das Ethische auseinander. Die nezessitaristische Politikvorstellung war keine mittelalterliche Urzeugung gewesen. Die politische Welt wurde schon im Altertum ähnlich konzeptualisiert. Auch die Auflösung dieses Politikbildes lässt sich bereits in der Antike bei Platon und Aristoteles finden, denen die politische Welt eine komplexe, nur begrenzt ra‐ tional verfügbare Größe darstellte. Die Pragmatisierung des Politikdiskurses war neben dem Rückzug von der Welt eine Reaktion auf die Veränderung des Begriffs der menschlichen Welt und der Politik in der Antike. Doch nach einer fast ein Jahr‐ tausend langen Dominanz des Politiknezessitarismus kehrte der Pragmatismus mit dem 14. Jahrhundert zurück. Dies will der Untertitel dieser Studie, Die Rückkehr des Politischen im Spätmittelalter, ausdrücken. Da es ein Teil eines viel älteren und größeren politikdiskursiven Pragmatisie‐ rungsprozesses war, kann das Denken Machiavellis nicht als ein völliger neuer An‐ fang begriffen werden, der auf die den nord- und mittelitalienischen Stadtkommu‐ nen spezifischen Lebensbedingungen wie den blühenden Handel, die aufstrebende kapitalistische Kultur oder den Egoismus und Rationalismus des politisch-militä‐ rischen Unternehmertums zurückzuführen ist. Vielmehr war die Auflösung des nezessitaristischen Verständnis der Menschenwelt und der Politik überall in La‐ teineuropa zu bestätigen, und die Anlässe und Motivationen, die diesen Prozess vorantrieben, waren sehr unterschiedlich. Anders als üblich dargestellt, spielte auch der Papalismus eine bedeutende Rolle in diesem Prozess. Ebenso wenig scheint auch der Versuch, das Denken von Machiavelli auf die sogenannte Mechanisierung des Weltbildes zu beziehen, gerechtfertigt zu sein. Her‐ fried Münkler und andere haben das Interesse Machiavellis an den Regeln, die über den weltlichen Erfolg entscheiden, als eine Widerspiegelung oder eine Übertragung naturwissenschaftlicher Errungenschaften der Frühneuzeit gedeutet. Wie man sich damals für die unabänderlichen Regelmäßigkeiten und Gesetze interessierte, die die Naturwelt bewegen, so wollte Machiavelli die Regeln der Politik herausfinden – so verfährt diese Argumentation. Diese Interpretation ist jedoch schon deswegen zu bezweifeln, weil Machiavelli der Idee ablehnend gegenüberstand, dass die mensch‐ liche Welt eine berechenbare Größe sei und durch rationale Überlegung beherrscht werden könne. Die Bemerkungen Machiavellis über die Tyrannei der fortuna und sein Seufzen über ihre Unwiderstehlichkeit legen nahe, dass ihm die Welt mehr als Chaos denn als Kosmos vorkam. Gewiss, Machiavelli war daran interessiert, Regelmäßigkeiten inmitten der wechselvollen, chaotischen Bewegung der Welt herauszufinden. Er erwartete, aus ihrer Erkenntnis sichere Hinweise und Weisheiten für die erfolgreiche Durchfüh‐ rung einer Unternehmung gewinnen zu können. Seine politische Hermeneutik, im Mittelpunkt deren der Begriff necessità steht, ist in diesen Zusammenhang zu ver‐ orten. Man hat in diesem Interesse den Geist der neuzeitlichen Naturwissenschaft
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atmen sehen wollen, was Machiavelli den Ruhm als erster Politik-„Wissenschaftler“ der Neuzeit eintrug. Ob Machiavelli dabei von irgendeinem naturwissenschaftli‐ chen Gedanken inspiriert werden musste, ist aber fraglich. Denn das Interesse an den Gesetzen, die über den Erfolg entscheiden, war bereits dem nezessitaristischen Welt- und Politikverständnis überhaupt nicht fremd. Der Nezessitarismus war ja nichts Anderes als ein Optimismus, dass jene Hinweise mit dem, was in der Natur oder in der Heiligen Schrift verkündigt ist, in eins fallen. Im Übrigen darf auch nicht vergessen werden, dass Machiavelli im Principe und an anderen Orten offen seine Verlegenheit eingestand, sichere Handlungsregeln für den Erfolg zu finden. Seine Suche endete mit der Warnung, ein Politiker sollte gemäß den Umständen und Bedingungen seine Strategie flexibel variieren. Dies bestätigt erneut, wie ernst es Machiavelli mit dem Problem der Weltkontingenz war, die für eine planvolle und rationale Intervention des Menschen beschränkten Raum lässt.
Florentinischer Republikanismus, Vulgärpragmatismus und Machiavelli
Wie wir sahen, darf bei der Bestimmung seines Platzes in der politikdiskursiven Transformation nicht übersehen werden, dass das politische Denken Machiavellis zum großen Teil das Produkt seiner Auseinandersetzung mit den aktuellen politi‐ schen Fragen und Problemen seiner Zeit war. Außerdem sind sowohl seine Frage‐ stellungen als auch seine Ideen und sein Vokabular erheblich von dem geprägt, was er, einerseits als Europäer, andererseits als Florentiner, von der Vergangenheit ererbt hat. Zunächst zum spezifisch florentinischen Erbe in seinem Denken: Hier behan‐ delten wir ausführlich die sogenannte Bürgerhumanismus-Debatte im Bezug auf Machiavelli. Sie dreht sich um die Frage, ob er mit seinem mit zahlreichen prak‐ tischen Ratschlägen versehenen Plädoyer für die Herrschaft der Medici im Principe den republikanischen Mainstream in der florentinischen Tradition verriet. Das Pro‐ blem erwies sich als besonders kompliziert, weil Machiavelli gleichzeitig mit dem Principe auch die Discorsi schrieb, in denen sich seine Sympathie für die republikani‐ sche Kollektivherrschaft, gemischt mit seiner gelegentlichen Kritik an ambitiösen, mächtigen Oligarchen wie den Medici, unverkennbar meldet. Auf Grundlage einer ausführlichen Diskussion der Entwicklungsstränge des Politikdiskurses in Florenz seit dem 14. Jahrhundert sind wir zu zwei Schlüssen gekommen. Zum Ersten: Wir benötigen einen noch differenzierteren Zugang zum Trecentound Quattrocento-Republikanismus in Florenz. Er hat zwar das Selbstverständnis der Florentiner von ihrer eigenen Tradition eindeutig geprägt und manifestierte sich mit besonderer Intensität seit dem späten 14. Jahrhundert angesichts des An‐ stiegs der politischen Spannungen mit Mailand unter der Visconti-Herrschaft. Der
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florentinische Republikanismus war jedoch eher ein Bestandteil der patriotisch mo‐ tivierten Verherrlichung der eigenen Stadt, ihrer Menschen, Sitten und Einrichtun‐ gen als eine politische Doktrin. Mit seinen vielen thematischen Lücken und logi‐ schen Inkonsistenzen war er als politisches Gedankengebäude eher unterentwickelt. Die Unterscheidung, ‚entweder die Republik oder die Monarchie‘, konstituierte keinen festen Rahmen, in dem die Florentiner die politische Welt beobachteten, die Ereignisse begriffen und ihre Urteile trafen. Mit der rhetorisch hoch elaborier‐ ten Glorifizierung der eigenen Regierungsform verständigten sich die Florentiner zwar durchaus über die Legitimität und Exzellenz ihrer politischen Institutionen und Traditionen, doch das bedeutete keine prinzipielle Ablehnung der monarchi‐ schen Verfassungsformen. Dies gilt, selbst wenn diese Lobpreisung auf dem Hö‐ hepunkt des Konfliktes mit den Mailändern bei Leonardo Bruni in der kühnen Aussage gipfelte, die Herrschaft des Volkes sei die beste und einzige legitime Verfas‐ sungsform. Was jedoch an diesem republikanischen Diskurs, wenn auch in diesem unterartikulierten Zustand, unsere Aufmerksamkeit verlangt, sind die typisch flo‐ rentinischen Ideen: Die republikanische Selbstregierung sei eine Verfassungsform, die für jene Völker geeignet ist, die frei und unabhängig sind und die Herrschaft der anderen nicht erdulden können (eine leichte Variation der Verfassungstypologie des Tolomeo von Lucca). Und: Bei den Florentinern handele es sich um ein solches Volk. Zum Zweiten: Während der republikanische Diskurs in Florenz fast durch das gesamte Quattrocento hindurch grundsätzlich unverändert fortbestand, haben die politischen Entwicklungen an der Neige des Jahrhunderts seine Transformation veranlasst. Die um die Halbinsel kreisende internationale Großmachtpolitik, deren Anfang die französische Invasion von 1494 war, legte kurz vor der Jahrhundert‐ wende die Schwäche der florentinischen Republik bloß. Eine Reihe von Verfas‐ sungsreformen, die unter dem theokratischen Regime Savonarolas begannen, en‐ deten in der Einrichtung des Amtes des Gonfaloniere a vita, des lebenslänglichen Regierungsoberhauptes im Jahr 1502, zu dessen Inhaber Piero Soderini erwählt wurde. Diese Revision der Regierungsform beinhaltete keine völlige Abschaffung des herkömmlichen Prinzips der Kollektivherrschaft und bedeutete insofern keine eigentliche monarchische Wende. Sie bezeichnete jedoch eine veränderte Einschät‐ zung der monarchischen Herrschaftsform. Man hoffte durch die Einführung des monarchischen Elements der republikanischen Herrschaft eine Stabilität verleihen und eine effektive Entscheidungsfindung und ihre Implementierung fördern zu können. Wie wir herausarbeiten konnten, war es kein Zufall, dass diese Verfassungs‐ revision mit dem Erscheinen einer neuen kritischen Perspektive auf die Geschichte von Florenz und ihre Tradition zusammenfiel. Die genannten zwei Entwicklungen innerhalb des Republikanismus in Flo‐ renz prägten die Ansichten Machiavellis. Sie bestimmten Machiavellis Wahrneh‐ mung und Einschätzung der Vergangenheit des florentinischen Staates, der po‐
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litischen Umbrüche von 1512 und ihrer Folgen und seine verfassungsreforma‐ torische Vision. Er hielt die republikanische Selbstregierung der Bürger für die einzige realisierbare Herrschaftsform in Florenz. Sowohl im Principe als auch in den Discorsi wie im Discursus unterstrich er wiederholt die Schwierigkeiten bzw. Unmöglichkeit, einem von der Natur zur Freiheit bestimmten oder an die Freiheit gewohnten Volk die Alleinherrschaft aufzuzwingen. Für ihn waren die Florentiner ein solches Volk. Gleichzeitig teilte er die zeitgenössische Stim‐ mung, den Stadtstaat inmitten der Großmachtpolitik um die Halbinsel durch eine radikale Reform handlungsfähig machen zu wollen, und sah die Einfüh‐ rung eines starken Führungselementes als den wichtigsten Schritt an. Während er der Regierung Soderinis diente, erwartete Machiavelli wahrscheinlich, dass der auf Lebenszeit ernannte Gonfaloniere dieses Element voll zum Tragen bringen würde. Doch der Sturz der Regierung Soderinis und die Restaurierung der Macht der Medici, die den Abbruch der öffentlichen Karriere Machiavellis verursachten, machten diese Reformvision nicht mehr haltbar, jedenfalls nicht mehr in der bis‐ herigen Form. Dem principe, der Bewerbungsschrift Machiavellis um eine Stelle unter der Medici-Regierung, lag neben seinem persönlichen Kompromiss mit den veränderten Politikverhältnissen seiner Heimat auch eine Adaption seiner Reform‐ vision an die veränderten Umstände zugrunde. Bei genauer Analyse zeigt sich: Diese Schrift lässt sich nur dann sinnvoll verstehen, wenn man die Erwartung Machia‐ vellis ernst nimmt, die Medici-Fürsten könnten mit ihrem Machtmonopol für die Herstellung einer mächtigen Republik arbeiten. Es ist auch möglich, dass er be‐ reits diesen Weg im Sinne hatte, als er in den Discorsi von einem Weg zur Reform sprach, nämlich die Alleinherrschaft herzustellen und gleichzeitig die Republik zu verschonen. Diese Erwartung mag in den Ohren moderner Leser gänzlich unrealis‐ tisch klingen und eingedenk der Kritik Machiavellis an der Rolle der Medici in der Vergangenheit sogar wie die billige Ausrede eines Opportunisten. Machiavelli war es jedoch ernst mit seiner Vision – so ernst, dass er Leo X., den Medicipapst, noch lange Zeit nach der politischen Umwälzung von 1512 mit seinem Discursus davon zu überzeugen versuchte. Wir konnten plausibel machen, dass er wirklich meinte, seine Vision der Herstellung einer starken Republik entspreche auch den langfristi‐ gen Interessen der Medici am besten. Keine Diskussion über das politische Denken Machiavellis, besonders wenn es darin um den Gesamtvorgang der Säkularisierung des Politikdiskurses in der Frühneuzeit geht, kann vollständig sein, ohne den historischen Ort seines küh‐ nen Pragmatismus zu erörtern. Das Ergebnis unserer Diskussion ist das Folgende: Machiavelli unterstützte keinen maßlosen Selbsterhaltungsantrieb. Er blieb dem republikanischen Wertesystem treu. Er war ein Patriot und schätzte das Gemein‐ wohl und die persönliche Hingabe dafür sehr. Der immer noch populäre Versuch, sein Denken als den Ausdruck eines bloßen Hangs zur Selbstbehauptung zu deu‐
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ten und ihn in diesem Sinne auf die rational-egoistische Kultur der Neuzeit zu beziehen, scheitert schon an der einfachen Tatsache, dass Machiavelli sowohl im Principe als auch in seinen anderen Schriften jeden Machtfetischismus ablehnte. Der wirklich provokative Aspekt seines Denkens besteht darin, dass er das poli‐ tisch Relevante vom ethisch Richtigen nicht mehr abhängen lässt und manchmal die beiden so radikal unterscheidet, wie es keiner vor oder nach ihm unternommen hat. Diese Studie kontextualisierte diesen Aspekt im Vulgärpragmatismus, also in ei‐ nem populären Diskurs des Zynismus, der lange außerhalb des gelehrten Diskurses geblieben war und daher im Kanon der ideengeschichtlichen Forschung kaum auf‐ taucht. Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass die Gelehrten diesen vulgären Dis‐ kurs nicht kannten. Wir können nur feststellen, dass sie ihn jedenfalls nicht für des öffentlichen, formellen Diskurses würdig hielten. Die ausschließliche Betrachtung der theoretischen „Höhenkammliteratur“ verleitet zu dem Fehlschluss, der Politik‐ pragmatismus sei die Erfindung bzw. Entdeckung Machiavellis. Der mittelalterliche Vulgärpragmatismus hat aber in unterschiedlichen Quellen seine Spur hinterlas‐ sen, wie wir anhand der Analyse der mittelalterlichen Tradition der Tierepik und der dahinter wirkenden Ideen gezeigt haben. Machiavellis Aufgreifen der Fuchs‐ metapher im Zusammenhang des pragmatischen Weisheitsbegriffs im Principe war weder der erste noch der einzige Fall, sondern setzte eine alte, seit dem Hochmit‐ telalter in ganz Lateineuropa verbreitete literarische Konvention fort. Hier wird nochmals deutlich, dass Machiavelli seine kühne pragmatische Politikidee weder durch einen Geniestreich aus dem Nichts schuf, noch irgendwelchen nur dem Ita‐ lien des ausgehenden Mittelalters spezifischen Lebensbedingungen und geistigen Anlagen verdankte.
Die Säkularisierung des Politikdiskurses im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
Seit dem späten 19. Jahrhundert fragen die Menschen in Europa bzw. im „Westen“ mit wechselndem Ton, einmal hoch begeistert, einmal tief enttäuscht von ihren ei‐ genen Errungenschaften, die von der Schaffung einer riesigen Materialkultur über die modernen Wissenschaften bis zur Etablierung der weltweiten kulturellen und politisch-militärischen Hegemonie und dem Kolonialismus, Imperialismus und den Weltkriegen reichen, selbstreflexiv nach den Ursprüngen und Wurzeln aller je‐ ner Erfolge und Verhängnisse. Das Konzept der Säkularisierung war und ist eine der Antworten auf diese Frage. Die Beschäftigung mit ihm hat ständig neue Überlegun‐ gen und Theorien hervorgerufen, wie man sie klassisch bei Weber oder Blumenberg und jüngst bei Charles Taylor findet. 644 Das politische Denken Machiavellis ist in 644 Charles Taylor, A Secular Age, Cambridge 2007.
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diesem Diskussionszusammenhang verortet und mithin auf diejenigen Großerzäh‐ lungen bezogen, die das Wesen, die Konsequenzen und die zukünftigen Folgen der Säkularisierung zu erklären versuchen. Unsere Studie verfolgte neben dem Zweck, das politischen Denken des Florentiners in seiner Zeit und seiner Geschichtlich‐ keit verstehbar zu machen, auch die Absicht, jene Großerzählung und Machiavellis Verortung in ihr kritisch zu prüfen. Unsere Diskussion hat verschiedene Theorien über die Säkularisierung des Poli‐ tikdiskurses infrage gestellt, indem sie einen bisher unterbeleuchteten Aspekt dieses Prozesses mit Nachdruck betonte, nämlich die seit dem 14. Jahrhundert zuneh‐ mende gedankliche Absonderung der menschlichen Gesellschaft als einer eigenge‐ setzlichen Welt und mithin als einen problematischen Ort, an dem Rationalität und Ordnung nicht als so selbstverständlich angenommen werden können, wie es für die anderen, natürlichen Teile der Weltordnung der Fall ist. Ursächlich für diese Trans‐ formation waren (neben anderen Faktoren) Machtkämpfe zwischen unterschied‐ lichen politischen Akteuren, die immer mehr nach Selbstbehauptung strebten, so etwa das hierokratische Papsttum, die autonomen Städte, das Reich und nicht zu‐ letzt die französische Monarchie. Anders als gemeinhin angenommen, war die Sä‐ kularisierung des Politikdiskurses ein viel komplexerer Vorgang als einfach nur die Verdrängung des Einflusses der Kirche. Das pragmatische Politikdenken Machiavellis ist, wenn man es in dieser Ge‐ samtschau sieht und die traditionelle Blickverengung aufgibt, eine Teilerscheinung der späteren Phase dieser diskursiven Transformation im Spätmittelalter. Bei dem florentinischen Denker kann von einheitlichen Ordnungsprinzipien, die sich im Universum von der Naturwelt bis in die Menschenwelt restlos durchziehen, keine Rede mehr sein. Machiavelli stellte sich die Politik als ein Chaos vor. Das sich stets unberechenbar drehende Glücksrad, das lange als eine literarische Metapher zur Mahnung gegen die übermäßige Hingabe an die weltlichen Güter diente, wird bei ihm zur zentralen Figur zur Beschreibung der Wandelmechanismen der politischen Welt. Machiavellis pragmatisches Denken über Politik stellte einen Versuch dar, die Grundlage für eine neue Rationalität des Handelns zu schaffen. Er schlug vor, zuerst auf die Maximierung der Chancen zum Erreichen des gestellten Zieles zu fokus‐ sieren und die Resultate zu praktizieren, ohne sich um deren ethische Qualität zu scheren, soweit nur das Ziel legitim ist. Konsequent wird bei ihm die politische Ent‐ scheidung einer eigenen Überlegungslogik und Handlungslegitimität unterworfen. Daher spielt der Begriff necessità in seinem Denken eine erhebliche Rolle Ferner hofft er, die Regeln inmitten des Chaos herauszufinden, die über Er‐ folg und Scheitern entscheiden. Wie wir feststellten, klingt diese Idee eigentlich Don Quixote-artig, denn eine chaotische Welt, die so weit von Unregelmäßigkei‐ ten durchgedrungen ist, wie es Machiavelli darstellt, kann nur wenige oder gar keine greifbaren Regeln aufweisen.
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An diesem Punkt sei abschließend noch zu bemerken, dass weder Machiavel‐ lis Denken noch sein oben erwähntes Scheitern eine geschichtliche Notwendigkeit oder ein Schicksal des europäischen Rationalismus war. Fast fünf Jahrhunderte sind seit Machiavellis Tod vergangen. Die Bemühungen, über Machiavelli hinaus zu den‐ ken, gehen unaufhörlich weiter. Die letztendliche Absicht dieser Studie lag deshalb auch darin, Machiavellis Denken zu historisieren und damit zu zeigen, dass es auch eine Möglichkeit für an‐ dere Vorstellungen über die Politik gibt. Die Geschichte ist offen.
Abbildungen
Abb. 1: Illustration aus Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti (1197), Bern, Burgerbibliothek, Hs. Cod. 120 II, fol. 146 r (Foto: Codices Electronici AG, www.e-codices.ch).
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Abb. 2: Illustration aus Carmina Burana (13. Jahrhundert), München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 4660, fol. 1 r.
Abbildungen
Abb. 3: Illustration aus Jacquemart Giélée, Renard le Nouvel (1298), Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. Fr. 1581, fol. 57.
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Abbildungen
Abb. 4: Einblattholzschnitt, Wien (15. Jahrhundert), Albertina, Wien, Graphische Sammlung, Nr. 1957/24.
Abbildungen
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Begriffsregister
Amphiteater (Florenz): siehe Parlagio Annales-Schule 39 FN 70 Approbation (= approbatio) 115 FN 270, 120 Approbationslehre 120 Approbationstheorie 130 Aristokratie 118, 129, 135, 152, 205 Aristotelismus / Aristotelisch (als Adj.) 9 FN 2, 103, 191 –192, 192 FN 466, 245 Bürgerfürstentum (principatus civilis) 198, 199, 244, 247 Bürgerhumanismus / Civic Humanism 160, 162, 260 Cambridge-Schule 23, 23 FN 26, 32, 159, 199 Civic Humanism: siehe Bürgerhumanismus Contingentia: siehe Kontingenz Demokratie 75, 205 Demokratiekämpfer 36 FN 63 Despotie 121, 167 Egoismus 224 –225, 226, 248 FN 623, 259 Empirismus 24, 26 –28, 157 Fortuna 68, 83, 83 FN 191, 84, 91, 91 FN 209, 92 –94, 158, 195, 195 FN 475, 198 FN 486, 202 FN500, 212 FN 536, 222, 222 FN 557, 223, 229, 229 FN 575, 230 –232, 235, 243 FN 617, 250, 259 Hof von fortuna 222 Rad von / der fortuna, Glücksrad 93 –94, 222 –223, 229 –232, 235 Fuchs 219 –220, 225, 229 –232, 235 –239 Fuchsmetapher 236, 263 Fuchsmetaphorik 234-235,242 Fuchssymbolik 235 FN 596, 236, 242 Fuchsgeschichte 234 –235, 241 Fuchserzählung 235 Reineke / Renard / Reinhart (Fuchs) 230 –233, 237, 240 –242
Reineke-Geschichte 230 FN 579, 231, 233 –234, 234 FN 593, 236 –237, 237 FN 601, 238, 240 Reineke-Tradition 231 –232, 234, 235 FN 596 Reineke-Zyklus 236 Fürstenherrschaft 195, 198 –199, 205, 214, 214 FN 542, 215,243-244, 247 Fürstentum 28, 107, 165, 206, 210, 243 –244, 246 Fürstliche Staatsverfassung 165 siehe auch: Reformfürst Fürstenspiegel 118, 124, 150, 227, 246 Gewaltherrschaft: siehe Tyrannei Ghibellinen 172, 176, 183 Gonfaloniere a vita / Gonfaloniere auf Lebenszeit 200, 217, 261 –262 Großrat 208 –209, 215 Guelfen 125 FN 308, 176, 183 Humanismus 26, 154, 161, 166, 173, 177 FN 424, 223, 253 Humanist 20, 158, 161, 163, 166, 173, 184, 221, 223, 252, 254 –255 Ius civile 99, 101 Ius gentium 99, 101 Kirche: siehe Römische Kirche Klugheit: siehe Prudenza Kollektivherrschaft / Kollektive Regierungsform 129, 136, 260, 261 Kontingenz / contingentia 74, 101 –102, 102 FN 242, 103, 116, 200, 224, 254 –255, 258 Weltkontingenz 68, 74, 134, 146, 154 –155, 157, 196, 249, 250 –251, 254 –255, 260 Kunst: siehe Politische Kunst Lex aeterna 100. 100 FN 237 Lex divina 100 Lex humana 100 Microcosmus 19, 94
314 Monarchie 98,107, 115, 118, 120 –125, 127 –130, 144, 149 –152, 165, 168 –170, 172 –174, 176, 178, 186 –187, 197, 205 –207, 209, 214, 243 –246, 257, 261, 264 Monarchiebegriff 125 Erbmonarchie 136 –137, 210, 244 –246 Wahlmonarchie 136 –137 Weltmonarchie 115, 133 Naturrecht (ius naturale = lex naturalis) 10, 98 –103, 110, 115 –116, 142 –143 Naturrechtsdenken 116 Naturrechtslehre 98 –99 Necessità 210 FN 534, 217 FN 549, 219 FN 552, 243, 247 –248, 248 FN 622 –625, 259, 264 necessitas 102 FN 242, 123, 143 FN 351, 146 FN 361, 155 FN 382, 247 Nezessitarismus / nezessitaristisch (als Adjektiv) 45, 48, 50, 53, 56 –57, 65 –66, 87 –94, 96 –100, 104, 111, 138, 157, 194, 221, 225, 238 –240, 249, 255, 257 –260 Oligarchie 118, 205 Optimaten 162, 187 –188, 192 –193, 193 FN 470, 245 –246 Organologische Staatsauffassung / Organologische Staatstheorie 18, 18 FN 15, 94, 96 Papalismus 120, 170, 259 Parlagio (Amphitheater von Florenz) 171, 171 FN 408 Pöbelherrschaft 205 Politische Kunst 46 –47, 65 FN 138 Pragmatismus / pragmatisch (als Adj.) 10 –11, 13 –17, 20, 22-2, 23 FN 26, 24 –26, 29, 30 –31, 34, 40 –41, 41 FN 72, 42 –43, 45, 53, 58, 60, 66 –68, 72, 78 –79, 99, 106, 110, 133 –134, 138, 153, 157, 161, 186, 219 FN 550, 221, 224 –229, 234 –236, 237 FN 601, 239 –242, 257, 259, 262 –264 Pragmatisierung 11, 40, 41, 107, 111, 153, 247, 257, 259 Vulgärpragmatismus / vulgärpragmatisch (als Adj.) 219 FN 550, 260, 263 Principatus civilis: siehe Bürgerfürstentum Principatus despoticus 118, 121 FN 294
Begriffsregister
Principatus politicus 118, 167 Prinicipatus regalis 118, 146 FN 360, 167 Prudenza / Klugheit 17, 40, 69, 71, 71 FN 162, 73 –74, 76, 80, 85, 103, 117, 126, 130, 134, 187, 196, 196 FN 478, 197 FN 480, 217, 217 FN 549 v, 224 –225, 229 –230, 232, 235 –236, 241 Prudenza-Begriff 224 Ratio practica (praktische Vernunft) 102 Ratio speculativa (spekulative Vernunft) 102 Rationalismus 15, 22, 75, 79, 104, 140, 259, 265 Realismus 27 FM 45, 35, 66 –67, 224, 257 Machtpolitik 14, 25, 34, 67, 109 Politikrealismus / Political Realism 17, 34 FN58, 35, 256 Realpolitik 23, 34, 164 Reformfürst 210, 225 Republik Erneuerung der Republik 211, 214 –216 Reform der Republik 195, 210 Renovation der Republik 191, 195, 211 Wiederherstellung der Republik 205, 211, 213 –214, 225 Römische Republik (Antike) 77, 119, 128, 158, 174, 181, 205, 215 –216, 252 Republikanismus 9, 120, 120 FN 286, 127 –128, 158 –160, 164, 166, 173, 175, 178, 184, 186, 193, 205, 260 –261 Republikanisches Denken, Republikanische Denktradtion 32, 33, 197 Republikanischer Diskurs 42, 159 –160, 165, 166, 170, 174, 177 –178, 186, 190, 193, 197, 200, 261 Republikanische Herrschaft 261 Republikanische Ideologie 119 Republikanische Konstitution / Verfassung / Verfassungsform 21, 129, 158 –159, 161, 168, 172, 174 –175, 178, 180, 184, 185, 197, 244 Republikanische Regierung 127, 168 Republikanisches Regime 164, 197 Republikanische Selbstregierung 128 –129, 163, 167 –169, 174, 197, 211, 261 –262
Begriffsregister
Republikanischer Staat 162 Republikanische Staatsverfassung 21, 106, 127, 129, 165, 207 Republikanische Tradition 32, 41, 166, 175 Römische Kirche 107, 117, 124, 128, 133, 213 Säkularisierung 110, 111, 153, 249, 262 –264 Säkularisierungsprozess 110, 242 Verweltlichung 117, 147, 249 Verweltlichungsprozess 117, 140 Selbstbehauptung / Selbsterhaltung 23, 225 –227, 257, 262, 264 Sizilianische Vesper 126 Souveränität 122 Souveränitätsprinzip 12, 122 –123 Volkssouveränität 132 Staatsräson 11 –12, 23 Staaträsonbegriff 14 Tyrann 14, 25, 59, 126, 151, 172 –173, 175 –177, 182 –183, 187 –188, 196, 198 –199, 207, 218, 224, 244, 247 Tyrannei / Gewaltherrschaft 69, 107, 118, 120 –121, 121 FN 290, 123, 125, 129,
315 147, 151, 169 –170, 172, 176, 180 –182, 186 –188, 196 –197, 199, 204 –205, 211, 216, 243, 246 –247, 259 Tugend (siehe auch Virtù, Virtus) 52, 59 –60, 62, 62 FN 119, 63, 70, 71 –72 FN 162, 73, 77, 83, 85 –86, 92 –93, 105, 143, 158, 173 –174, 176, 180, 184, 216, 223, 230,-232, 244, 247 –248, 251 Venedig Venezianisches Modell 193, 200 Venezianisches Regierungsmodell 200, 200 FN 494 Venezianische Verfassung 185, 193 Mythos von Venedig 192 FN 468 Virtù (siehe auch Tugend, Virtus) 68, 105 FN 252, 196 FN 479, 202 FN 500, 212 FN 536, 214 FN 542, 216 FN 545 und FN 546, 223, 243 FN 617, 248 FN 625 Virtus (siehe auch Tugend, Virtù) 83 FN 191, 92 FN 211, 93 FN 212, 129 FN 316. 150 FN 374, 156 FN 387, 162 FN 391, 163 FN 391, 164 (virtue), 176 FN 421, 176 FN 424, 184 FN 442, 223, 232
Namenregister
Adalbert, Graf von Babenberg 227 –228 Adeimantos 54, 58 Aegidius Romanus 150, 152 Agamben, Giorgio 45 Agathokles 196, 247 Aischylos 47 Alanus von Lille (ab Insulis) 95, 222 Alemanno Rinuccini 190 Alexander der Große 96 Alexander VI. 108 –109, 109 FN 260, 246 Alighieri, Dante: siehe Dante Alighieri Antonio Loschi 253 Arendt, Hannah 44 Areopagita, Dionysius: siehe Dionysius Areopagita Aretino, Pietro: siehe Pietro Aretino Aristoteles 41, 41 FN 72, 45, 58, 61 –62, 62 FN 119, 63, 70, 72 –75, 78, 80, 86, 96, 118, 119, 129, 138, 175, 202, 244, 246, 259 (Pseudo-) Aristoteles 96 Augustin und Augustinus 41, 65, 68, 75 –81, 81 FN 188, 82, 86 –87 Aurelio Lippo Brandolini 20 –22, 107, 136 Avicenna 141 Baron, Hans 160 –162, 164, 173, 175, 176, 177 Bartolomeo Sacchi (Il Platina) 179 FN 428 Bartolus von Sassoferrato 111, 138, 148 –153, 157, 159, 247, 258 Berthold von Regensburg 94 Blumenberg, Hans 16, 140, 141, 143, 253 FN 640, 263 Boethius 41, 75 –76, 82 –85, 91 Boncompagno da Signa 167 Boner, Ulrich: siehe Ulrich Boner Bonifaz VIII. 112 –113, 115, 115 FN 270, 120, 122, 127, 127 FN 312, 128 FN 313, 130
Borgia, Cesare: siehe Cesare Borgia Bracciolini, Poggio: siehe Poggio Bracciolini Brandolini, Aurelio Lippo: siehe Aurelio Lippo Brandolini Bruni, Leonardo Aretino: siehe Leonardo Aretino Bruni Brutus, Lucius: siehe Lucius Brutus Burckhardt, Jacob 13 –17, 20, 25, 35, 110, 161, 226, 237 FN 601, 256 Cäsar 171 –177, 181, 197, 210, 211 Cassirer, Ernst 16, 26 –27, 244 Catilina 171, 181 Cesare Borgia 198, 200, 229, 244, 246 Cicero 41 FN 72, 219, 242, 252 Clemens VII. (Giulio de’ Medici) 166, 209 Coluccio Salutati 111, 153 –157, 161 –162, 172 –174, 176, 177, 182 –184, 223, 249 –250, 254, 258 Corvinus, Matthias: siehe Matthias Corvinus Dante Alighieri 116, 168, 172 –174, 252 Dionysius Areopagita 113 Fichte, Johann Gottlieb 13 Francesco Guicciardini 254, 255 Francesco Petrarca 21, 154, 161, 223, 252 Francesco Sforza 243, 245 Francesco Vettori 195 Friedrich I. (Barbarossa) 92 Friedrich III., König von Sizilien 127 Galbert von Brugge 88 Galeotto Malatesta von Rimini 182 Giangaleazzo Visconti 176 Giélée, Jacquemart: siehe Jacquemart Giélée Giovan Battista Soderini 250 Giovanni di Lorenzo de’ Medici: siehe Leo X. Giovanni Villani 170 –171, 171 FN 409, 172, 174, 176, 181
Namenregister
Girolamo Savonarola 179 –180, 186 –188, 190 –192, 192 FN 466, 193 –194, 201 –202, 208, 210, 213, 216, 261 Giuliano de’ Medici 195 Giulio de’ Medici: siehe Clemens VII. Glaukon 53 –54 Gratian 99 Gregor der Große 170 Gregor XI. 182 Guicciardini, Francesco: siehe Francesco Guicciardini Guicciardini, Luigi: siehe Luigi Guiccardini Habermas, Jürgen 44 Hatto, Erzbischof von Mainz 227 –228 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 12 –13 Heinrich de Glîchezâre 240 Heinrich VI., Kaiser 93, 223 Herodot 244 Hesiod 48, 48 FN 83, 49 –50, 54, 58 –59, 64 Hobbes, Thomas 22, 50 –51, 156 Homer und Homeros 48, 48 FN 82, 49, 70 Hugo von St. Viktor 94 Innozenz III. 120, 122 Isidor von Sevilla 98, 175 Jacquemart Giélée 230, 269 Jakob II. von Aragón 127 Jean de Blanot 123 Johannes Quidort von Paris 111 –116, 129, 258 Johannes von Salisbury 18, 22, 94 –96, 107, 176 Johannes von Viterbo 108 Johannes von Wales 96 Johannes XXII. 130 –131, 138 Julius II. 109, 109 FN 260, 213 Kallikles 53, 56 –57 Karl VIII. von Frankreich 178 Landucci, Luca: siehe Luca Landucci Le Goff, Jacques 39, FN 70 Leo X. (Giovanni di Lorenzo de’ Medici) 204, 207 –209, 213, 218, 262 Leonardo Aretino Bruni 154, 162, 164 –166, 173, 175 –176, 176 FN 424, 177, 179 FN 428, 184 –185, 189 –190, 197, 252, 261,
317 Livius 253 Loschi, Antonio: siehe Antonio Loschi Lorenzo de’ Medici (Il magnifico) 197 Lorenzo di Piero de’ Medici (der Jüngere) 166, 204 Luca Landucci 200 FN 494 Lucius Brutus 216 –218 Ludwig IV. (das Kind) 227 –228 Ludwig IV. (der Bayer) 130, 132 Luigi Guicciardini 220 Malatesta, Galeotto: siehe Galeotto Malatesta von Rimini Marsilius von Padua 111, 130, 132 –138, 150, 247, 258 Martin, Alfred von 16 Matteo Villani 172, 176 Matthias Corvinus 21, 106 Medici, de’: siehe Giuliano de’ Medici; Clemens VII.; Leo X.; Lorenzo de Medici (Il magnifico); Lorenzo di Piero de’ Medici (der Jüngere) Meinecke, Friedrich 12, 24 –27, 161, 214, 244 Menzius 10 FN 4 Miethke, Jürgen 40 FN 71, 132 Morgenthau, Hans 34 –35 Münkler, Herfried 16 –17, 20, 27, 28 FN 49, 32, 141, 243 FN 616, 259 Niccoli, Niccolò: siehe Niccolò Niccoli Niccolò Niccoli 252 Nietzsche, Friedrich 253 Notker der Stammler (Balbulus) 89, 91 Oliverotto, Tyrann von Fermo 247 Olschki, Leonardo 25 Otto von Freising 29, 92 –93, 168 Petrarca, Francesco: siehe Francesco Petrarca Petrus de Ebulo 93, 223, 267 Philipp IV. (der Schöne) 112 –113, 115, 122, 130, 166, 169 Piero Soderini 195, 200, 204, 207, 216 –217, 261 –262 Pietro Aretino 236, 237 FN 601, 241 Platina (Il Platina): siehe Bartolomeo Sacchi Platon 41, 45, 52 –53, 55, 58 –61, 61 FN 115, 64 –65, 65 FN 138, 66 –68, 68 FN
318 149, 69 –71, 71 FN 162, 72 –73, 75 –76, 78, 80, 85 –86, 225, 259 Pocock, John G. A. 23, 32, 157 –158, 253 FN 640 Poggio Bracciolini 154, 189, 190, 223, 235, 252 –253 Polybios 205, 214 FN 541, 247 Protagoras 45, 47, 51 –52, 54, 58 –61, 65 FN 138 Quidort, Johannes: siehe Johannes Quidort von Paris Ranke, Leopold 13 Rinuccini, Alemanno: siehe Alemanno Rinuccini Rochau, August Ludwig von 23 –24 Salutati, Coluccio: siehe Coluccio Salutati Savonarola, Girolamo: siehe Girolamo Savonarola Sforza, Francesco: siehe Francesco Sforza Schmidt, Helmut 36 FN 63 Schmitt, Carl 22, 34, 43 Skinner, Quentin 8, 23, 32, 199 Soderini, Giovan Battista: siehe Giovan Battista Soderini Soderini, Piero: siehe Piero Soderini Solon 50, 55 –56, 58 –59, 69 FN 149
Namenregister
Sternberger, Dolf 42 FN 73 Strauss, Leo 39 Tankred von Lecce 93 –94 Thomas von Aquin 88, 97 –98, 100 –103, 103 FN 246, 105, 110, 113 –116, 118, 129, 138, 143, 151, 166, 187 Thukydides 56 –57, 67 Tolomeo von Lucca 111, 117 –124, 124 FN 306, 125 –127, 127 FN 313, 128 –130, 145, 159, 166 –170, 172 –173, 188, 213, 258, 261 Treitschke, Heinrich von 13 Ulrich Boner 237 –238 Vettori, Francesco: siehe Francesco Vettori Villani: siehe Giovanni Villani; Matteo Villani Vincenz von Beauvais 96 Visconti, Giangaleazzo: siehe Giangaleazzo Visconti Waltz, Kenneth 35 Weber, Max 24, 30, 30 FN 52, 34, 86 FN 203, 263 Widukind von Corvey 227 –228 Wilhelm von Ockham 111, 138, 140 –143, 145 –147, 159