Walchen, Romani Und Latini: Variatinonen Einer Nachromischen Gruppenbezeichung Zwischen Britannien Und Dem Balkan (Forschungen Zur Geschichte Des Mittelalters) (German Edition) 3700179499, 9783700179498

Vlachen oder Waliser, Wallonen oder Wloski, Rumanen, Romantsch, Aromunier oder Ladiner - all das sind im heutigen Europa

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German Pages 273 Year 2017

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Walchen, Römer Und ‚Romanen‘ – Einleitung
Die Frühmittelalterliche Romania Im Donau- Und Ostalpenraum
Kontinuität Und Ansiedlung Von Romanen Am Ostrand Der Alten Gallia
Die Romanen Im Frühmittelalterlichen Bayerisch-österreichischen
Das Rottachgau-Fragment Im Licht Der Ortsnamenkunde
Romanen Und Ihre (Fremd-)Bezeichnungen Im Mittelalter:
Der Schweizer Raum Und Das Angrenzende Alemannische Gebiet1
Über Romanen, Räter Und Walchen Im Frühmittelalterlichen
Benennungen Von Romanen Und Kelten (und Ihrer Sprache)
Der Walchen-Name Im Frühmittelalterlichen Slavischen
Vlachen In Der Historischen Landschaft Mazedonien
Romanen, Rumänen Und Vlachen Aus Philologischer Sicht
Rumänien: Das Werden Eines Staatsnamens1
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Ortsnamenregister
Personenregister
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Walchen, Romani Und Latini: Variatinonen Einer Nachromischen Gruppenbezeichung Zwischen Britannien Und Dem Balkan (Forschungen Zur Geschichte Des Mittelalters) (German Edition)
 3700179499, 9783700179498

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Walter Pohl/Ingrid Hartl/Wolfgang Haubrichs (Hg.) WALCHEN, ROMANI UND LATINI. VARIATIONEN EINER NACHRÖMISCHEN GRUPPENBEZEICHNUNG ZWISCHEN BRITANNIEN UND DEM BALKAN

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN P HILOS OP HIS C H-HIS TOR IS C HE KL AS S E DENKS C HR IF T E N. 4 9 1 . B AND

FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS BAND 21

HERAUSGEGEBEN VOM INSTITUT FÜR MITTELALTERFORSCHUNG

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WALCHEN, ROMANI UND LATINI. VARIATIONEN EINER NACHRÖMISCHEN GRUPPENBEZEICHNUNG ZWISCHEN BRITANNIEN UND DEM BALKAN

HERAUSGEGEBEN VON WALTER POHL/INGRID HARTL/WOLFGANG HAUBRICHS

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Angenommen durch die Publikationskommission der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW: Vorgelegt von w. M. Wa Hermann l t e r Po h l Hunger, in der Sitzung am 17. Dezember 2010 Mazohl, Michael Alram, Bert Fragner, Sigrid Jalkotzy-Deger, Brigitte Franz Rainer, Oliver Jens Schmitt, Peter Wiesinger und Waldemar Zacharasiewicz

Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Diese Publikation wurde einem anonymen, internationalen Peer-Review-Verfahren unterzogen. This publication has undergone the process of anonymous, international peer review. Umschlaggestaltung: Dagmar Giesriegl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Dagmar Giesriegl Titelbild: Flechtwerkstein mit figuraler Darstellung (Orant). Mit freundlicher Genehmigung des Museums Carantana in Molzbichl, Kärnten.

Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

AlleRechte Rechtevorbehalten vorbehalten. Alle ISBN ISBN978-3-7001-7006-8 978-3-7001-7949-8 Copyright 2017 Copyright ©©2012 byby Österreichische Akademieder derWissenschaften Wissenschaften Österreichische Akademie Wien Wien Satz: Berger Crossmedia, 1050 Wien Satz: Andrea Rostorfer, 1030 Wien Druck: Prime Rate kft., Budapest Druck: Prime Rate kft., Budapest http://hw.oeaw.ac.at/7006-8 http://epub.oeaw.ac.at/7949-8 http://verlag.oeaw.ac.at http://verlag.oeaw.ac.at

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Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................................................ 7 Walter Pohl Walchen, Römer und ‚Romanen‘ – Einleitung................................................................................ 9 Herwig Wolfram Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum.................................................... 27 Wolfgang Haubrichs Kontinuität und Ansiedlung von Romanen am Ostrand der alten Gallia und östlich des Rheins: Sprachliche Indikatoren (500–900)........................................................... 59 Peter Wiesinger Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum aus namenkundlicher und sprachwissenschaftlicher Sicht.............................................................. 87 Peter Wiesinger Das Rottachgau-Fragment im Licht der Ortsnamenkunde.............................................................. 113 Thomas F. Schneider/Max Pfister Romanen und ihre (Fremd-)Bezeichnungen im Mittelalter: Der Schweizer Raum und das angrenzende alemannische Gebiet.................................................. 127 Bernhard Zeller Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien....................................... 153 Klaus Dietz † Benennungen von Romanen und Kelten (und ihrer Sprache) im frühmittelalterlichen England.... 163 Georg Holzer Der Walchen-Name im frühmittelalterlichen Slavischen................................................................ 177 Mihailo St. Popović Vlachen in der historischen Landschaft Mazedonien im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit................................................................................................................ 183 Johannes Kramer Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht............................................................ 197 Michael Metzeltin Rumänien: Das Werden eines Staatsnamens................................................................................... 205 Johannes Kramer Ladinisch.......................................................................................................................................... 221

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Inhaltsverzeichnis

Anhang Abbildungsverzeichnis..................................................................................................................... 233 Abkürzungsverzeichnis.................................................................................................................... 235 Quellenverzeichnis........................................................................................................................... 237 Literaturverzeichnis......................................................................................................................... 243 Ortsnamenregister............................................................................................................................ 265 Personenregister............................................................................................................................... 271

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Vorwort Vlachen oder Waliser, Wallonen oder Włoski, Rumänen, Romantsch, Aromunier oder Ladiner – all das sind im heutigen Europa verwendete Volksnamen. Sie gehen auf mittelalterliche Bezeichnungen für romanische Volksgruppen zurück. Viele davon sind vom altgermanischen Wort *walhoz abgeleitet, das ursprünglich westliche (keltische), vor allem aber südliche (römische) Nachbarn der Germanen bezeichnete. In vielen (vor allem slawischen) Sprachen ist das Wort heute als Name für die Italiener im Gebrauch. In manchen Fällen wurde es zur Selbstbezeichnung. Für das Schicksal der Bewohner römischer Provinzen nach dem Zerfall des Römischen Reiches in teils quellenarmer Zeit bieten Überlieferung und Gebrauch dieser Namen wesentliche Anhaltspunkte. Entwicklung und Bedeutung dieser Namen sind trotz zahlreicher detaillierter Spezialforschungen noch nie eingehend und vergleichend im europäischen Rahmen untersucht worden. Der vorliegende Band versammelt erstmals aus interdisziplinärer Sicht und in einem weiten Rahmen wesentliche philologische und historische Befunde von den Britischen Inseln über die germanisch-romanische Kontaktzone am Rhein und im Alpenraum bis auf den Balkan. Vertreter der romanistischen, germanistischen und slawistischen Namenforschung fassen gemeinsam mit Historikern den Forschungsstand zusammen und bringen teils neue Erkenntnisse. Eine Leitfrage dabei ist das Verhältnis zwischen Fremdwahrnehmungen und Selbstzuordnung von ‚Romanen‘ in verschiedenen Teilen Europas. Wo und für wen wurde der Walchenname in seinen verschiedenen Ausprägungen verwendet, und welche alternativen (Fremd-/ Selbst-)Bezeichnungen gab es? Was sagen uns die jeweiligen Befunde über die Entwicklung römischer Identitäten nach dem Zerfall Roms, und wie können sie in ein breiteres Panorama der Identitätsentwicklung in den betreffenden Räumen eingeordnet werden? Der Band ist Teil eines größeren Projektes, in dem es um römische Identitäten nach dem Zerfall des ‚Römischen Reiches‘ geht: wie entwickelte sich ‚Romanness after Rome‘? Diese Forschungen konnten aus dem ERC Advanced Grant ‚Social Cohesion, Identity and Religion in Europe, 400–1200 (­ SCIRE)‘ finanziert werden, der Walter Pohl 2010 verliehen wurde.1 Eine erste Sammlung von Beiträgen, vornehmlich von Projektmitarbeiter/innen, erschien 2014 in einer Themennummer der Zeitschrift ‚Early ­Medieval ­Europe‘ ­unter dem Titel ‚Being Roman after Rome‘.2 Zwei weitere Bände sind das Ergebnis einer ­Reihe von Workshops und Arbeitstreffen: einer über Transformations of Romanness in the Early ­Middle Ages: ­Regions and Identities, der einen weiträumigen Überblick über die historischen Quellen zur Ent­wicklung römischer Identitäten bietet;3 und ein zweiter, der die archäologischen Probleme einer ­Erfassung von ‚Romanen‘ vergleichend behandelt.4 Es gibt ja keinen Begriff, der analog zur (jüngst auch kontrovers diskutierten) ‚Romanisierung‘ den Prozess der ‚Entromanisierung‘ bezeichnen würde; bei der Vielfalt der Entwicklungen in ehemaligen römischen Provinzen wäre das vielleicht auch wenig angemessen. Im Zentrum des Projekts, und des vorliegenden Bandes, stand aber weniger die Frage nach der Trans­formation römischer Kultur, sondern die nach dem weiteren Schicksal von Römern/Romanen in ­einer Zeit, in der sich ihre Identitäten nicht mehr an der Präsenz eines römischen Imperiums aus­ richten ­konnten.

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The research leading to these results has received funding from the European Research Council in the Seventh Framework Programme (FP7/2007–13) under the ERC grant agreement No. 269591. Eine Broschüre, die einen Überblick über die Projektarbeit und ihre Ergebnisse gibt, ist online zum freien Herunterladen unter www.univie.ac.at/scire zugänglich. Early Medieval Europe 22, 4 (2014), zusammenfassend: Walter Pohl, Romanness – a multiple identity and its changes, ebd. 406–418. Transformations of Romanness in the Early Middle Ages: Regions and Identities, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Cinzia Grifoni/Marianne Pollheimer (Berlin/New York, in Druck). Transformations of Romanness – Archaeological Perspectives, 400–800, ed. Walter Pohl/Philipp von Rummel/Hubert Fehr (Berlin/New York, in Vorbereitung).

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Vorwort

Zu danken ist den beiden Institutionen, an denen das ERC-Projekt durchgeführt wurde: der Universität Wien (und dort dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung und dem Institut für ­Geschichte) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Das Institut für Mittelalterforschung der ­Akademie bot einen hervorragenden Rahmen, in dem die Arbeit am vorliegenden Band inhaltlich wie organisatorisch gedeihen konnte. Marianne Pollheimer-Mohaupt hat die Endredaktion übernommen, Peter Fraundorfer und Jelle Wassenaar haben das Register erstellt. Dem Verlag der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften sind wir für die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung und für die Übernahme der Druckkosten ver­bunden. Wir erinnern uns in Verbundenheit an Klaus Dietz, der während der Drucklegung des Bandes im Herbst 2016 verstorben ist. Walter Pohl, Ingrid Hartl und Wolfgang Haubrichs

Walchen, Römer und ‚Romanen‘ – Einleitung

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W a l t e r P o h l1

Walchen, Römer und ‚Romanen‘ – Einleitung In ganz verschiedenen Teilen Europas leben heute Wallonen, Vlachen oder Waliser, Rumänen, Räto­ romanen, Aromunen oder Ladiner. In vielen Sprachen dienen vom Walchennamen abgeleitete Begriffe zur Bezeichnung von Italienern, Franzosen oder Rumänen. Das geht nicht zuletzt auf moderne Entwick­ lungen zurück und kann nicht einfach auf das Frühmittelalter rückprojiziert werden. Doch zeigt es den erstaunlichen Erfolg einer vorgeschichtlichen Fremdbezeichnung, die heute noch über fast ganz Europa verbreitet ist. „Dieser Reichtum an Verwendungen mutet fast wie ein onomastisches Laboratorium an“, die pointierte Feststellung von Michael Metzeltin über die Walachei am Schluss seines Beitrages ließe sich leicht auf das Gesamtthema dieses Bandes übertragen. Trotz der erstaunlichen Verbreitung der einst vom Namen der längst vergangenen Volcae abgeleiteten Fremdbezeichnungen steht eine umfassende vergleichende Untersuchung aus. Das ist verständlich, da eine umfassende Wortgeschichte ein ganzes Bündel an Philologien betrifft und eine Fülle von teils sehr kniffligen Spezialproblemen aufwirft.2 Ein vergleichender Überblick, wie er hier erstmals geboten wird, ist nur in einer Zusammenarbeit von Spe­ zialisten verschiedener Disziplinen zu leisten. Der vorliegende Band behandelt vor allem jene Periode, in der sich der Walchenbegriff nachweisbar über große Teile Europas verbreitet hat und in unterschiedliche Sprachen übernommen wurde: das frü­ here Mittelalter. Im Dialog zwischen Historikern und Philologen untersucht er die Begriffsentwicklung und ihren Kontext in verschiedenen europäischen Regionen, in denen der Walchenname im Mittelalter belegbar ist; teils greifen die Einzeluntersuchungen auch chronologisch darüber hinaus, vor allem für die Vlachen und noch später für die Entstehung einer modernen rumänischen Identität in Südosteuropa. Im Zentrum steht (neben der Klärung der sprachwissenschaftlichen Grundlagen) die Frage, was der philologische Befund jeweils für das Fortleben von ‚Römern‘ oder Sprechern romanischer Sprachen, für ihre Außenwahrnehmung und ihre soziale Integration bedeutet. Vorwiegend diente und dient der Walchenname zur Benennung anderer Völker oder sozialer Gruppen. „Der Valachus ist vom Sprecher aus gesehen einfach der benachbarte Romane bzw. der ­Romane, mit dem man die meisten Kontakte hat“, wie Johannes Kramer in seinem Beitrag über Romanen, ­Rumänen und Vlachen feststellt. Zumeist handelt es sich bei den untersuchten Regionen daher um Kontaktzonen zwischen ‚Romanen‘ und ihren Nachbarn, an Rhein, Mosel und Donau, in den Alpen und im Jura, und von Britannien bis auf den Balkan. Der Band versammelt zunächst die Überlieferung der unterschied­lichen Ableitungen von wal(a)ha – Walchen, Walen, Wallonen, Waliser, Walachen/Vlachen – in Orts- und Personennamen oder Gruppenbezeichnungen. Dazu kommen Stu­ dien zum Gebrauch der Selbst- und Fremdbezeichnungen Romani und Latini mit ihren Ableitungen.3 Komplementär dazu werden so weit wie möglich sonstige Hinweise auf frühmittelalterliche ‚römische‘ Identität oder lateinisch/romanische Sprachlichkeit untersucht. Herwig Wolfram gibt im ersten Bei­ trag dieses Bandes am Beispiel der Ostalpen und ihres nördlichen Vorlandes einen Überblick über die verschiedenen Belege und Quellen­gattungen, die dafür von Bedeutung sind. Ein weiterer geplanter

The research leading to these results has received funding from the European Research Council in the Seventh Framework Programme (FP7/2007–13) under the ERC grant agreement No. 269591.  2 Grundlegend ist immer noch der Aufsatz von Leo Weisgerber, Walhisk. Die geschichtliche Leistung des Wortes welsch, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 13 (1948) 87–146, aus dem Jahr 1948, der ebenfalls die „Zersplitterung der Forschungsauf­ gaben“ als Hauptproblem anspricht (ebd. 90).  3 Allgemein siehe Johannes Kramer, Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen (Studienreihe Romania 12, Berlin 1998).  1

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Walter Pohl

Band soll im systematischen regionalen Vergleich untersuchen, was es hieß, nach dem Ende des antiken Imperiums Römer zu sein.4 VOLCAE, WALCHEN, WALISER UND VLACHEN: ÜBERBLICK ÜBER DIE BEGRIFFSENTWICKLUNG Julius Caesar erwähnte in seinen Commentarii de Bello Gallico die Volcae als Beispiel für die einstige Überlegenheit der Gallier über die Germanen. Die Volcae Tectosages hätten sich aus Gallien in die fruchtbarsten Gebiete der Germania ausgebreitet und lebten dort bis zu seiner Zeit. In vielem glichen sie den Germanen, dennoch seien sie ihnen nun im Gegensatz zu früher militärisch unterlegen.5 Diese und andere späte Nachrichten erlauben es, einen bereits zwei bis drei Jahrhunderte zuvor entstandenen losen ethnischen Verband zu rekonstruieren, der vermutlich (in Gegensatz zu Caesars Vermutung) von östlich des Rheins nach Gallien kam und dessen verschiedene Gruppierungen zu Caesars Zeiten nicht nur in der Maingegend siedelten, sondern auch im Süden Galliens um Toulouse und Narbonne, im heutigen Mähren und als in den kleinasiatischen Galatern aufgegangene Gruppe.6 Unter den vielen transalpinen Völkern, mit denen die Römer während ihrer Expansion zu tun hatten, gehörten sie nicht zu den auf­ fälligsten. Die Römer zählten die Volcae zu den Galliern, die Griechen die Ouólkai in der Regel zu den Kelten, und diese beiden Großgruppenbezeichnungen haben sich auch in der modernen Forschung durchgesetzt. Anders war das offenbar bei den Germanen, und zwar zu einer Zeit, als wir noch sehr wenig über sie wissen: Bei den Sprechern germanischer Sprachen wurde das Ethnonym Volcae zur Pauschalbezeich­ nung für die westlichen und südlichen Nachbarn, zunächst für die Gallier, dann auch für die Römer und die Bevölkerung römischer Provinzen. Sowohl sprachliche als auch historische Gründe sprechen dafür, dass das schon vor Caesar geschehen sein muss. Germanisch *walhaz, pl. *walhoz, adj. *walhisk ist durch die erste Lautverschiebung von [k] zu [h] gegangen und dürfte daher schon in der Zeit der Herausbildung des Germanischen präsent gewesen sein.7 Zudem macht die Übernahme als ethnischer Klassifikationsbegriff nur Sinn, solange Volcae im Südwesten eines sich herausbildenden germanischen Sprachgebietes eine prägende Rolle spielten. Erst sekundär ging der Name auf die Römer und die ihnen unterworfenen Völker über. Ähnlich begriffsbildend waren die von Tacitus und anderen Autoren der frühen Kaiserzeit erwähnten Venethi im Osten, aus denen über ahd. winida, adj. windisc die deutsche Fremdbezeichnung Wenden für die Slawen entstand.8 Der Gebrauch des Veneternamens für die Slawen in lateinischen Quellen ist bereits gleichzeitig mit den ersten Nennungen von Slawen überhaupt Mitte des 6. Jahrhunderts bezeugt, und zwar bei Jordanes, der gotischer Abstammung war und sicherlich die germanische Fremdbezeichnung kannte.9 In der Erforschung der slawischen Ursprünge hat gerade die Jordanes-Stelle oft dazu geführt, dass man die taciteischen Venethi als ursprüngliche Kerngruppe der Transformations of Romanness. Regions and Identities, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Cinzia Grifoni/Marianne ­Pollheimer (Berlin/New York, in Vorbereitung). Siehe auch den von Rosamond McKitterick herausgegebenen Themen­ band 22/4 (2014) der Zeitschrift Early Medieval Europe, Being Roman After Rome.  5 Caesar, De bello Gallico 6, 24; nicht zu verwechseln mit den mittelitalienischen Volsci.  6 Piergiuseppe Scardigli, Volcae, in: RGA, 2. Aufl. 32 (Berlin/New York 2006) 563–567. Namensdeutung ‚die Falken‘ (vgl. Kymrisch gwalch): Stefan Zimmer, Germani und die Benennungsmotive für Völkernamen in der Antike, in: Zur Geschich­ te der Gleichung ‚germanisch – deutsch‘, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer/Dietrich Hakelberg (RGA, Erg. Bd. 34, Berlin/New York 2004) 1–24, hier 9. Siehe auch Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961) 210–228.  7 Siehe den Beitrag von Wolfgang Haubrichs, in diesem Band, sowie Weisgerber, Walhisk 92f.  8 Tacitus, Germania 46; Stefan Sonderegger, Althochdeutsche Sprache und Literatur. Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik (Berlin ³2003) 44f.; Wenskus, Stammesbildung und Verfassung 228–234.  9 Jordanes, Getica XXIII (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 5,1, Berlin 1882) 53–138, hier 119: Hermanaricus in Venethos arma commovit (…) hi (…) ab una stirpe exorti, tria nunc nomina ediderunt, id est Venethi, Antes, Sclaveni. Jordanes bezieht sich auf das gotische Reich des Ermanarich des 4. Jahrhunderts nördlich des Schwarzen Meeres und seine Kriege gegen die Venether (im taciteischen Sinn), und subsumiert sie gemeinsam mit den erst zu seiner Zeit belegten Slawen und Anten unter den Wendenbegriff (im germanischen Sinn). Siehe dazu auch Walter Pohl, Pocątki Słowian – Kilka spotrzeżeń historycznych [Slavic origins – some historical observations], in: Nie-Słowianie o początkach Słowian [Non-Slavs about origins of the Slavs] (Warszawa 2006) 11–25.  4

Walchen, Römer und ‚Romanen‘ – Einleitung

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Slawen identifizierte.10 Das ist allerdings so, als würde man die Bezeichnung der Römer als ‚Welsche‘ als Beleg dafür nehmen, dass die Römer von den Volcae abstammten. Über den Gebrauch des Walchennamens während der römischen Kaiserzeit geben unsere Quellen keine Auskunft, kein Wunder, germanische sind ja nicht erhalten. Wir haben eine große Anzahl von Belegen dafür, dass die Römer ihre Nachbarn jenseits von Rhein und Donau, zum überwiegenden Teil Sprecher germanischer Sprachen, ‚Germanen‘ nannten, aber bis auf einige Grabinschriften römischer Soldaten ‚barbarischer‘ Herkunft keine Belege, dass dieser Name als Selbstbezeichnung diente; wahr­ scheinlicher ist es, dass die Identitäten in der Germania sich an wesentlich kleinräumigeren Stämmen, ethnischen Gruppen oder Siedlungsgebieten orientierten (wie etwa Bataver, Cherusker oder Marko­ mannen), eventuell auch an übergreifenden Gruppen wie den Sueben.11 In römischem Umfeld konnte der landläufig verwendete ethnographische Sammelname leichter zur Selbstbezeichnung der so Benann­ ten werden. Umgekehrt haben wir keinen direkten Beleg dafür, dass die Sprecher germanischer Spra­ chen die Bewohner des Römischen Reiches walaha (oder ähnlich) nannten. Weisgerber argumentiert mit dem bei Ammianus Marcellinus im 4. Jahrhundert belegten PN Balchobaudes, ‚Römer-Gebieter‘, sowie mit der zunächst überraschenden Beobachtung, dass der frz. Name la Gaule nicht von Gallia ab­ geleitet ist, sondern von walha.12 Es ist jedenfalls sehr plausibel, dass der Walchenbegriff durchgehend gebraucht wurde, sonst wäre er nicht im Frühmittelalter in so breitem Raum zur Verfügung gestanden. Zudem ist eher unwahrscheinlich, dass „die germ[anischen] Verwendungsweisen [des Walchenbegriffs] auf einer allgemeinen Bedeutung ‚Fremde‘, wohl im Sinn von ‚nicht germanisch sprechende‘“ beruhen, wie heute vielfach angenommen wird.13 Auch nachher bezeichnete der Begriff ja zunächst westliche bzw. südliche Nachbarn vorwiegend lateinischer und keltischer Zunge, während sich für die östlichen (und slawisch-sprachigen) Nachbarn der Wendenname entwickelte – ein attraktives alliterierendes Be­ griffspaar, walhisk und windisc.14 Eine allgemeine Bedeutung ‚Fremde‘ trat wohl erst im Lauf der kom­ plexen Begriffsgeschichte der ‚Walchen‘ mancherorts hinzu. Wir haben jedenfalls differenzierte Belege dafür, dass in der römischen Kaiserzeit und noch lange danach die präsumptiven Walchen (Romanen und Kelten) viele Selbstbezeichnungen verwendeten, aber ‚Walchen‘ oder davon abgeleitete Namen waren nicht darunter.15 Auch der Gebrauch des Walchennamens in den ersten nachrömischen Jahrhunderten muss weit­ gehend aus späteren Belegen rekonstruiert werden. Am ehesten ist er noch in Bestandteilen von PN zeitgenössisch nachweisbar.16 Ein wichtiger Hinweis auf den Gebrauch in der Merowingerzeit findet sich in den sogenannten Malbergischen Glossen zur Lex Salica. Da wird das Bußgeld sowohl für einen Romanus possessor als auch für einen Romanus tributarius erklärt mit uualaleodi, ‚Welschenmanngeld, Wergeld für einen Romanen‘.17 Der Begriff ist also statusunabhängig, und das Wortelement uuala über­ setzt eindeutig Romanus. Die Malbergischen Glossen gelten, vor allem nach den Forschungen von Ruth Schmidt-Wiegand, als Überreste einer mündlichen germanischen, aber bereits mit dem Lateinischen in Siehe z.B. die weitgespannte Konstruktion einer slawisch-venethischen Frühgeschichte bei Pavel Dolukhanov, The Early Slavs. Eastern Europe from the Initial Settlement to the Kievan Rus (London/New York 1996); sowie Ulf ­Brunn­bauer, ­Illyrer, Veneter, Iraner, Urserben, Makedonen, Altbulgaren – Autochthonistische und nichtslawische Herkunftsmythen ­unter den Südslawen, in: Zeitschrift für Balkanologie 42 (2006) 37–62 (41–43 zu zeitgenössischen Venetermythen in ­Slowenien). 11 Walter Pohl, Die Germanen (Enzyklopädie deutscher Geschichte 57, München ²2004) 45–64. 12 Weisgerber, Walhisk; Ammianus Marcellinus, Res gestae 27, 2, 6 (ed. Wolfgang Seyfarth, 2: XXVI–XXXI, Stuttgart/­ Leipzig 1999) 33. Die korrekte Etymologie für *Walho-baudiz verdanke ich Wolfgang Haubrichs. 13 Zimmer, Germani 9, mit Anm. 25. Anders sah Weisgerber, Walhisk 91f., die antike Begriffsentwicklung: „Aus dem ur­ sprünglichen Namen für einen einzelnen Nachbarstamm wird eine allgemeine Benennung für keltische Völkerschaften und schließlich eine von den ursprünglichen Trägern losgelöste Bezeichnung für die westlichen Angrenzer.“ Für die Auswei­ tung der Bezeichnung auf die Römer ebd., 97–100. 14 Sonderegger, Althochdeutsche Sprache und Literatur 45; Wenskus, Stammesbildung und Verfassung 210–234. 15 Transformations of Romanness, ed. Pohl/Gantner/Grifoni/Pollheimer. 16 Beispiele bei Weisgerber, Walhisk 102. 17 Pactus Legis Salicae § 41, 9–10 (ed. Karl August Eckhardt, MGH LL nat. Germ. 4, 1, Hannover 1962, ND 2002) 157. Die Glossen finden sich in der ältesten Handschrift des sog. Pactus legis Salicae, A2 aus Wolfenbüttel, die Eckhardt zwischen 751 und 768 datiert, siehe ebd. XIV, sowie Gabriele von Olberg, Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 11, Berlin/New York 1991) 69 (walaleodi, „das nur im ­Pactus und nicht in den jüngeren Handschriften auftritt“). 10

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Walter Pohl

Kontakt befindlichen, spezialisierten fränkischen Rechtssprache und weisen wohl auf das 5./6. Jahrhun­ dert zurück.18 In der Karolingerzeit wird der Begriff in ahd. wal(a)h, pl. walha, adj. walhisk und ihren Ableitungen und latinisierten Entsprechungen deutlich fassbar. Wichtig für die semantische Beurteilung sind zu­ nächst mehrere Einträge in Glossaren der Karolingerzeit, darunter in den ca. 810 entstandenen Kasseler Glossen: Romani uualha, in Romana in uualhum.19 In einer Passauer Glosse bezeichnet uualholant Gallien.20 Die Griechen, die sich selbst Rhomaioi nannten, galten hingegen nicht als walhisk, wie Notker zeigt: in chriêchin verwendet er für ‚bei den Griechen‘, und ‚in lateinischer Sprache‘ (latine) unterschie­ det er als in uualescun von grece, in chriechiscun.21 Auch Otfrid von Weißenburg (863/71) nennt die Byzantiner ‚Griechen‘: sar kriachi ioh romani iz machont so gizami („Vor allem Griechen und Römer schaffen so schöne Werke“ I, 1, 13). Otfrid gebraucht wal(a)h oder walhisk gar nicht. Für ihn sind die Römer ‚Romani‘: die Franken sint so sama chuani (‚kühn, tapfer‘) selb so thie Romani (I, 1, 59; vgl. III, 25, 15).22 Seit dem 9. Jahrhundert konnte walhisk auch in Kontrast zu thiudisk, volkssprachlich, deutsch, treten.23 Später im Mittelalter zeigt eine Fülle von mittelhochdeutschen Zusammensetzungen wie wäl(h)ischer wein, nuz, sprache oder lant, dass die romanischen Länder, ihre Produkte und ihre Lebensart durchgehend als ‚welsch‘ bezeichnet wurden, wie der Begriff nun zunehmend lautete.24 Im heutigen Deutsch ist ‚Welsch(e)‘ eine bereits etwas altertümliche Bezeichnung für die Italiener, eventuell auch andere Sprecher romanischer Sprachen, wie die Frankophonen in der ‚Welschschweiz‘.25 Für die meist kleinräumigen Siedlungsgebiete von Walchen im bilingualen Sprachgebiet bieten die Beiträge von Wolfgang Haubrichs, Thomas Schneider/Max Pfister und Peter Wiesinger reiches An­ schauungsmaterial, das gut in den von Herwig Wolfram und Bernhard Zeller gebotenen historischen Kontext passt.26 Wo eine präzisere Kartierung von Nennungen (meist auf Grund von Ortsnamenbefun­ den) möglich ist, zeichnen sich stellenweise markante Sprachgrenzen (etwa im Raum der Stadt Salzburg oder an der trierischen Mosel) ebenso ab wie ein Leopardenfell von Einzelsiedlungen und Mischzonen. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen neigen dazu, in eigenen Siedlungen zu leben. In Kontaktzonen sind natürlich die Belege für die Fremdbezeichnung ‚Walchen‘ o.ä., sei es als Personen- oder Ortsname, Ruth Schmidt-Wiegand, Malbergische Glossen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3, ed. Adalbert Euler/ Ekkehard Kaufmann (Berlin 1984) 211–215; dies., Die malbergischen Glossen – eine frühe Überlieferung germanischer Rechtssprache, in: Germanische Rest- und Trümmersprachen, ed. Heinrich Beck (RGA, Erg. Bd. 3, Berlin/New York 1989) 157–174. Siehe auch Stefan Sonderegger, Die ältesten Schichten einer germanischen Rechtssprache, in: Festschrift Karl Siegfried Bader, ed. Ferdinand Elseneer/Wilhelm H. Ruoff (Köln/Graz 1965) 419–438. 19 Kasseler Glossen, in: Die Althochdeutschen Glossen 3 (ed. Elias Steinmeyer/Eduard Sievers, Berlin 1895) 13, 3 und 8; mit weiteren Beispielen Weisgerber, Walhisk 105f. 20 Althochdeutscher und altsächsischer Glossenwortschatz 10 (ed. Rudolf Schützeichel, Tübingen 2004) 358, vgl. Die Alt­ hochdeutschen Glossen 3, ed. Steinmeyer/Sievers 610, 3; siehe den Beitrag von Wolfgang Haubrichs, in diesem Band. 21 Paul Piper, Die Schriften Notkers und seiner Schule 2 (Freiburg im Breisgau/Leipzig 1895) 105; Stefan Sonderegger, Alt­ hochdeutsche Sprache und Literatur 44. 22 Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch I, 1, 13 (Ev. 1); I, 1, 59; vgl. III, 25, 15 (ed. Oskar Erdmann, Tübingen 61973), benützt nach titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/germ/ahd/otfrid/otfri.htm (10.03.2016). Ich verdanke den Hinweis Wolfgang Haubrichs. 23 Weisgerber, Walhisk 121, der freilich daran völkerpsychologische Überlegungen im Stil der Zeit knüpfte. 24 Weisgerber, Walhisk 108. 25 Wolfgang Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 2 (Berlin 1993) 1554. 26 Siehe auch Herwig Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die ­Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien/München 1995) 27–39; Wolfgang Haubrichs, Baiern, Romanen und andere, in: Zeit­ schrift für bayerische Landesgeschichte 69, 2 (2006) 395–466; englisch bearb.: Baiovarii, Romani and others. Language, names and groups south of the River Danube and in the E ­ astern Alps during the Early Middle Ages, in: The Baiuvarii and Thuringi. An Ethnographic Perspective, ed. Janine Fries-­Knoblach/Heiko Steuer (Woodbridge 2014) 23–81; Peter Wiesinger, Die Besiedlung Oberösterreichs im ­Lichte der Orts­namen, in: Baiern und Slawen in Oberösterreich. Probleme der Landnahme und Besiedlung. Symposion 16. November 1978, ed. Kurt Holter (Schriftenreihe des OÖ Musealvereins – Gesellschaft für Landeskunde 10, Linz 1980) 139–210; ders., Die Zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand der Ortsnamenintegrate. Eine lautchronologische Studie zur Sprach- und Siedlungsgeschichte in Bayern, Österreich und Süd­ tirol, in: Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart, ed. Wolfgang Haubrichs/Heinrich Tiefenbach (Saarbrücken 2011) 163–246; Christa Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (St. Ottilien 2012) 197–218. 18

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häufiger als anderswo. In Grenzgebieten wird Distanzbewusstsein deutlich, aber auch viele Spuren all­ täglichen Zusammenlebens über die Sprachgrenzen hinweg werden sichtbar. Allmählich wurde in der Regel die als fremd wahrgenommene Gruppe integriert, die Walchen nahmen schrittweise die Sprache der Mehrheitsbevölkerung an und wurden so zu einer nur mehr konventionell und (wenn überhaupt) durch geringe Abweichungen unterschiedenen Untergruppe innerhalb einer gemeinsamen bayerischen oder fränkischen Identität. Dieser Prozess dauerte im bayerisch-österreichischen Alpenvorland vom 5. bis zum 9. Jahrhundert, an der Mosel bis ins 10./11. Jahrhundert, in manchen Gebieten der Ostalpen noch viel länger. Ein wesentliches Zeugnis dafür ist die verbreitete Germanisierung romanischer Perso­ nen- und Ortsnamen.27 In anderen germanischen Sprachen hat sich der Walchenname ebenso verbreitet. Niederländisch bzw. Flämisch waals bezieht sich zumeist auf die Wallonen. Der hybride deutsch-lateinische Begriff walonicus, ‚wallonisch‘ ist, wie Wolfgang Haubrichs in seinem Beitrag in diesem Band zeigt, erstmals im 12. Jahrhundert bei Rudolf von St. Trond in seinen Gesta abbatum Trudonensium belegt, der als un­ gewöhnlich hervorhebt, dass Abt Adelard I. (um 1000) nativam linguam non habuit Theutonicam, sed quam corrupte nominant Romanam, Theutonice Walonicam.28 Die Bezeichnung der Sprache als lingua Romana lehnt Rudolf interessanterweise ab und bietet dafür den, wie er meint, deutschen (oder nieder­ ländischen) Begriff ‚wallonisch‘ an. Doch hat es bis ins 19. Jahrhundert gedauert, dass sich die franzö­ sisch-sprachige Bevölkerung Belgiens im Gegensatz zu den Flamen als ‚Wallonen‘ formierte, dass also aus der Unterscheidung der Sprachen ein zunächst sub-nationaler Gegensatz abgeleitet wurde; und bis zur Gegenwart, dass diesem Gegensatz in Belgien politische Priorität eingeräumt wird. Die Bedeutungen von w(e)alh, pl. w(e)alas, adj. waelisc oder wielisk im Angelsächsischen/Alt­ englischen fasst in diesem Band der Beitrag von Klaus Dietz sehr übersichtlich zusammen.29 Hier kon­ kurriert der Begriff mit dem Britennamen, bret, bryt, adj. brytisc u.ä., und bezeichnet auch vorwiegend die britischen Nachbarn und ihre Sprache. British ist bekanntlich zur Selbstbezeichnung geworden. Hin­ gegen nannten die Briten ihre angelsächsischen Nachbarn mit der alten römischen Fremdbezeichnung als Garmani, wie Beda überliefert: Wegen der Abstammung der Angeln und Sachsen von den nationes (…) in Germania würden diese nun a vicina gente Brettonum corrupte Garmani genannt; ­interessant, dass Beda das als „fälschlich“, corrupte, empfindet.30 Wealh differenzierte sich ­semantisch nach dem ­sozialen Status und konnte auch allgemein servus oder mancipium bezeichnen (was allerdings, wie Klaus Dietz zeigt, nur für Wessex belegt ist), also an der verbreiteten Abhängigkeit der ­Briten in den angel­sächsischen Königreichen anknüpfen. Es konnte auch allgemein den Fremden ­meinen. ­Insley ­argumentiert mit einigen Beispielen wie walh(a)ebuc, ‚Wanderfalke‘, dass die Bedeutung ­wealh – ‚Fremder‘ die ursprüngliche ist;31 leichter vorstellbar ist, dass es sich dabei um eine übertragene Be­ deutung handelte und das wenn auch inklusiv angewendete Ethnonym den Bedeutungskern bildete. ­Francan, die ­Franken, aber auch die irischen scottas und die peohtas, Pikten, wurden ja durchaus von den wēalas unterschieden.32 Schließlich hat sich ja die ethnisch spezifischere Bezeichnung ‚Welsh‘/­ Waliser bis heute durchgesetzt. Wealhstod ist der Dolmetscher, was den verbreiteten Bedarf an Über­ setzern im Kontakt mit den Briten anzeigt. Das Altnordische valir, adj. valskr vor allem für Nordfranzosen, aber auch für Italiener und Franzo­ sen insgesamt, ist in den modernen skandinavischen Sprachen durch die modernen Nationsbezeichnun­ gen ersetzt worden, välsk auf Schwedisch kann aber im übertragenen Sinn ‚fremdartig, südländisch‘ be­ deuten. Daneben taucht in Snorri Sturlussons in den 1220ern verfasster Heimskringla der Landesname

Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 421f., 429–447. Rudolf von St. Trond, Gesta Abbatum Trudonensium (ed. Rudolf Köpke, MGH SS 10, Hannover 1852) 213–448, hier 229; vgl. ebd. 254. 29 Siehe auch John Insley, Wealh, in: RGA, 2. Aufl. 33 (Berlin/New York 2006) 319–322. 30 Beda Venerabilis, Historia Ecclestiastica Gentis Anglorum 5, 9 (ed. J.E. King, Baedae Opera historica 2, The Loeb ­Classical Library 248, London 1996) 234; Beda der Ehrwürdige. Kirchengeschichte des englischen Volkes (trans. Günter Spitzbart, Texte zur Forschung 34, Darmstadt 1982) 453, übersetzt corrupte beschönigend mit „in ungenauer Weise“. 31 Insley, Wealh 319. 32 Siehe z.B. die angelsächsische Übersetzung von Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum 3, 6. 27 28

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Blǫkumannaland auf, der vermutlich das Land der Vlachen bezeichnet.33 Wenn das so ist, ergäbe sich daraus eine erstaunliche Kette von Übernahmen: vom Westgermanischen ins Gotische, von dort ins ­Slawische, dann ins Mittellatein, von wo die (im 13. Jahrhundert bezeugte) Form blacus ins Altnordi­ sche übernommen wurde.34 Den germanischen Sprachen des früheren Mittelalters ist offenbar gemeinsam, dass sie den Römer­ namen selbst nur in eingeschränktem Maß übernommen haben. In der älteren Germanistik mag ­dieser Befund überzeichnet worden sein.35 ‚Rom‘ ist in germanischen PN ein häufiges Element, ist aber meist eher von ‚Ruhm‘ abzuleiten als von Rom; freilich klang der Name ‚Rom‘ sicher mit, und wenn der höchst erfolgreiche Sohn eines Lupus im Merowingerreich des späten 6. Jahrhunderts Romulfus hieß, dann hat das wohl einen programmatischen Hintergrund als Brückenschlag zwischen römischer und fränkischer Identität.36 Lateinische Texte aus den nachrömischen Königreichen, etwa die Leges, verwen­ den geläufig, wenn auch nicht häufig den Begriff Romani für die einheimische romanische Bevölkerung; das germanische Äquivalent dafür aber ist der Walchenname. Eine pauschale Bezeichnung für Romanen existiert auch im Altenglischen kaum, wie Klaus Dietz in diesem Band argumentiert. Wealas wurde allerdings in der Regel nicht für die Bewohner Roms und die alten Römer verwendet; in König Alfreds Boethius-Übersetzung heißt es daher Rōmāna rīce, ‚das Römische Reich‘, Rōmāna burg, ‚Rom‘, und Rōmānisc, ‚römisch‘.37 Rûmu-burg heißt es schon um 840 im altsächsischen Heliand.38 Rōmware war die gängigere Bezeichnung für die Römer mit starkem Bezug auf die Stadt Rom; häufig verwendet wird auch læden als Bezeichnung der Bildungssprache Latein. In den Beiträgen von Johannes Kramer und Georg Holzer in diesem Band ist die sprachgeschicht­ liche Befundlage für die Verbreitung des Vlachennamens in Südosteuropa genauer ausgeführt. Es ist historisch naheliegend, wie Georg Holzer argumentiert, dass der Begriff von den in Südosteuropa ­längere Zeit dominanten Goten zu den frühen Slawen gekommen sein könnte; dort wurde aus dem *­wal(a)h durch l-Metathese der vlah. Im Altrussischen, etwa in der um 1115 verfassten sogenannten Nestor-­Chronik, heißen die Römer volóchъ, pl. volosi; diese werden als Nachkommen Japhets neben dem eigentlichen Römernamen erwähnt.39 Es heißt von ihnen, sie hätten die Slawen an der Donau an die Weichsel vertrieben, was für die Byzantiner plausibler ist als für die Vlachen.40 In den westslawischen Sprachen bezeichnet heute der Walchenname, der durch die l-Metathese nun vla(c)h oder ähnlich lautet, den Italiener: auf Polnisch włoch, pl. und Landesbezeichnung ‚Italien‘ włochy, adj. włoski; auf Tsche­ chisch und Slowakisch, wenn auch heute wie im Deutschen altertümlich und wenig gebraucht, vlach; auf Slowenisch láh, adj. láški. Aus dem Slawischen kam der Begriff wiederum ins Griechische, wo bláchoi seit dem 11. Jahr­ hundert bezeugt sind.41 Der erste byzantinische Autor, der über sie schrieb, war Kekaumenos, dessen Mihai Isbǎșescu, Überlegungen zu den altnordischen Quellen über Vlah, in: Logos semantikos. Studia linguistica in ­honorem Eugenio Coseriu 5, ed. Brigitte Schlieben-Lange (Berlin/New York 1981) 303–311; siehe den zweiten Beitrag von Johannes Kramer in diesem Band. 34 Für die mögliche Übernahme ins Slawische aus dem Gotischen siehe unten sowie den Beitrag von Georg Holzer, in diesem Band. Allerdings ist der Begriff im Gotischen nicht direkt bezeugt, siehe Ferdinand Holthausen, Gotisches etymologisches Wörterbuch (Heidelberg 1934) 119 s.v. *wala-; das häufige Namenselement (wie in Valagothae, Valamir) könnte von walis, ‚echt, geliebt‘ oder vom Walchenbegriff kommen. 35 Vgl. Ernst Wilhelm Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 1 (Bonn ²1900) 746 und 1060 (PN); ders., Altdeutsches Namen­ buch 2 (Nordhausen ²1872), Sp. 1257 (Ortsnamen). 36 Wolfgang Haubrichs, Typen der anthroponymischen Indikation von Verwandtschaft bei den ‚germanischen‘ gentes: Tradi­ tion – Innovation – Differenzen, in: Verwandtschaft, Name und soziale Ordnung, ed. Steffen Patzold/Karl Ubl (RGA, Erg. Bd. 90, Berlin/New York 2014) 29–71, hier 57. 37 The Old English Boethius 18, 3; 16, 4; 18, 3 (ed. Walter John Sedgefield, Oxford 1899) 37; 39; 43, zitiert nach Sweet’s Anglo-Saxon Reader in Prose and Verse (rev. Dorothy Whitelock, Oxford 151967) 9f. 38 Heliand, v. 59, vgl. v. 54 (Rômanoliudeon) (ed. Burkhard Taeger, Tübingen 91984), benützt auf titus.uni-frankfurt.de/texte/ etcs/germ/asachs/heliand/helia.htm (10.03.2016). 39 Die Nestorchronik, Vorgeschichte 14 (trans. Ludolf Müller, Die Nestorchronik. Die altrussische Chronik, zugeschrieben dem Mönch des Kiever Höhlenklosters Nestor, in der Redaktion des Abtes Sil’vestr aus dem Jahre 1116 rekonstruiert nach den Handschriften Lavrent’evskaja, Radzivilovskaja, Akademičeskaja, Troickaja 4, Ipat’evskaja und Chlebnikovskaja, ­Forum Slavicum 56, München 2001) 5. 40 Nestorchronik, Vorgeschichte 30, trans. Müller 6. 41 Siehe den Beitrag von Johannes Kramer, in diesem Band. 33

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­ chwiegervater 1066/67 als Statthalter von Larissa in eine vor allem von den Vlachen betriebene und S bald gescheiterte Rebellion verwickelt war. Diese Vlachen waren zum Teil wohlhabend und stadt­ sässig, lebten sicher schon länger in der Region, hatten slawische Namen und gute Beziehungen nach ­Bulgarien. Das Darstellungsinteresse des Kekaumenos ist es, seinen Schwiegervater zu entlasten, indem er alle Schuld am Aufstand den Vlachen zuschob, „außerordentlich treulose und verdorbene Leute“. Interessant ist, dass er sie von Dakern und Bessern jenseits der Donau abstammen lässt; die Römer hätten diese schließlich besiegt und zwischen Epiros und Makedonien angesiedelt.42 Das Beispiel zeigt deutlich, wie weit der Begriff schon aufgefächert war, als die Vlachen die Wahrnehmungsschwelle der byzantinischen Historiographen im 11. Jahrhundert überschritten. Der zentrale Bedeutungsinhalt des Vlachennamens wurde in Südosteuropa das Wanderhirtentum, die traditionelle Lebensweise der Sprecher romanischer Sprachen auf der Balkan-Halbinsel. Diese ­vlachischen Hirten hatten in einem weitgehend slawisch und griechisch geprägten Umfeld ihre S ­ prache 43 und Identität bewahrt, sodass die Bedeutung als Ethnonym verfügbar blieb. Freilich gab es auch ­slawische und albanische Hirten, die als Vlachen gelten oder von ihnen unterschieden werden konnten. Der Beitrag von Mihajlo Popović in diesem Band zeigt, dass pastorale Transhumanz nicht notwendiger­ weise mit dem Vlachennamen verbunden wurde. Die doppelte Semantik drückt sich heute noch in den südslawischen Sprachen aus; nur das Bulgarische, wo ‚Vlach‘ die Rumänen bezeichnet, bewahrt vor­ rangig die ethnische Bedeutung. Auf dem Westbalkan konnte der mittelalterliche Vlachenname auch die Römer oder die romanisch-sprachigen Bewohner dalmatinischer Städte benennen, wofür Georg Holzer einige Beispiele bringt. Rimljane, ‚Rombewohner‘, bezeichnete die Römer im engeren Sinn, ähnlich wie das altenglische Rōmwaran, ‚Rombewohner‘. Es ist allerdings, wie Johannes Kramer und Michael ­Metzeltin in ihren diesbezüglichen Beiträgen in diesem Band zeigen, sehr wahrscheinlich, dass wesent­ liche Gruppen der romanischsprachigen Vlachen sich selbst mit von Romanus abgeleiteten ­Namen bezeichneten. Das trifft neben den Aromunen südlich der Donau vor allem auf die Walachen zu, ein Volks- und Landesname, der nur selten als Selbstbezeichnung nachweisbar ist, während rumȃn, später auch romȃn gut bezeugt ist. Dass das Ethnonym auch ‚Leibeigener‘ bedeuten konnte, erinnert an die angelsächsische Begriffsentwicklung von wealh. Die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Walachei galt ihren Bewohnern als țara rumǎneascǎ, als romanisches Land. Von slawischen Nachbarn ging der Vlachenname auch ins Ungarische über, wo er im 12./13. Jahr­ hundert nachweisbar ist. Dort wurde (wie im Polnischen) differenziert zwischen olasz für die Italiener und dem inzwischen abgekommenen oláh für den Rumänen.44 Bereits die älteste ungarische Chronik, die vermutlich um 1200 oder danach verfassten anonymen Gesta Hungarorum, erwähnt Blachii ­unter den Bewohnern Pannoniens, als die Ungarn kamen: quam terram habitarent Sclavi, Bulgarii et ­Blachii ac pastores Romanorum.45 Die Vlachen werden hier sowohl mit Hirtentum als auch mit römischer I­ dentität verknüpft, auch wenn diese doppelte Erklärung formal im Satz mit ‚und‘ dazugestellt ist. Es mag ver­ wundern, dass gerade Pannonien hier als Weideland von Vlachen und römischen Hirten herausgestellt wird. Das jedoch gibt dem gebildeten Autor Anlass für eine ironische Bemerkung: „Und ­Pannonien wurde zurecht das Weideland der Römer genannt, denn auch heute grasen die Römer die Güter Ungarns

Kekaumenos, Strategikon 12, 3, 4 und 12, 4, 2 (trans. Juan Signes Codoñer, Madrid 2000) 115, 122; Antonios Risos, The Vlachs of Larissa in the tenth century, in: Byzantinoslavica 51 (1990) 202–207; Florin Curta, Southeastern Europe in the Middle Ages 500–1250 (Cambridge 2006) 280f. 43 Gottfried Schramm, Eroberer und Eingesessene. Geographische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr. (Stuttgart 1981); ders., Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze und die Invasionen des 5.–7. Jahrhunderts im Licht von Namen und Wörtern (München 1997), das allerdings teils reserviert aufgenommen wurde. 44 Siehe den Beitrag von Johannes Kramer, in diesem Band. 45 Anonymi Belae regis notarii Gesta Hungarorum 9 (ed. und trans. Martyn Rady/László Veszprémy, Anonymus and Master Roger: Anonymi Bele regis notarii Gesta Hungarorum/Magistri Rogerii Epistola in miserabile carmen super destructione regni Hungarii per Tataros facta, Budapest/New York 2010) 1–129, 26; wir wissen nur, dass es sich um einen Notar eines der vier Könige namens Bela gehandelt hat. Die Editoren argumentieren (XIX–XXII) gegenüber früheren Datierungs­ ansätzen für einen ehemaligen Notar Belas III. (1172–1196), der die Chronik durchaus einige Zeit nach dessen Tod ge­ schrieben haben kann. Für eine ausführlichere Argumentation für Bela III. siehe bereits Carlile A. Macartney, The Medieval Hungarian Historians. A Critical and Analytical Guide (Cambridge 1953) 61–63. 42

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ab.”46 Die Bemerkung richtet sich wohl gegen die Abgaben, die Ungarn der römischen Kurie zu leisten hatte, enthält aber vielleicht auch eine Spitze gegen das ‚römische‘ Imperium der Deutschen. Sie ist ein seltener Hinweis dafür, dass vlachische Identität noch mit dem Rom der Gegenwart direkt verknüpft werden konnte. Die stark aufgegliederte Geschichte der Menschen, die als Walchen, Römer/‚Romanen‘ oder Ladiner Anteil an einer großen Vergangenheit hatten, schuf ein vielfältiges Potential für Wieder- und Neuaneig­ nungen. Davon handeln beispielhaft die beiden Beiträge von Michael Metzeltin über die rumänische Nationswerdung und von Johannes Kramer über die Entfaltung einer ladinischen Identität in den Dolo­ mitentälern im 19. Jahrhundert. Auch der politische Gebrauch walisischer Identität in Britannien oder der Wallonie in Belgien seit dem 19. Jahrhundert hätte hier untersucht werden können, der Streit um die dakorumänische Kontinuität in Siebenbürgen im 20. Jahrhundert oder die Versuche, mit antideutschem Unterton in Österreich möglichst starke ‚römische Kontinuität‘ im Frühmittelalter herauszuarbeiten.47 Die römische Vergangenheit war für das mittelalterliche wie neuzeitliche Europa immer von neuem als Vorbild und Herausforderung prägend, und die Entwicklung der modernen Nationen orientierte sich in Herrschaftsrepräsentation und politischem Horizont am römischen Modell.48 Die Sprecher romanischer oder keltischer Sprachen, die als Minderheiten oder in Enklaven außerhalb der romanischen Länder lebten, hatten aber kaum die Möglichkeit, an diese vergangene Glorie Roms anzuknüpfen. Die lokalen Erben des Imperiums hatten wenig von dem bewahren können, was die Dynamik des Weltreichs aus­ gemacht hatte; viele von ihnen waren unfrei geworden, wealh im Sinne von Dienern oder Sklaven in England, Romani tributarii in der fränkischen Welt oder unstete vlachische Hirten am Rande der mittel­ alterlichen südosteuropäischen Gesellschaft. Stulti sunt Romani, sapienti sunt Paioarii – tole sint Ualhā, spāhe sint Peigira, so konnten Bayern in den Kasseler Glossen des frühen 9. Jahrhunderts das römische Barbarenstereotyp umkehren, wie Herwig Wolfram bemerkt.49 Daraus ergab sich ein Spannungsverhältnis, das erklärt, warum subrömische Identitäten lange Zeit so wenig anschlussfähig waren. Erst die Identitätspolitik des 19. Jahrhunderts hat diese Stagnation vieler­ orts beendet und die späten Erben vergangener Romanitas wieder an die große Vergangenheit rück­ gebunden. Ob Daker, Dakoromanen, Walachen oder Romanen/‚Rumänen‘ die Ahnherren der neuen rumänischen Nation sein sollten, war dennoch nicht ausgemacht, wie Michael Metzeltin zeigt; und viele außerhalb oder auch innerhalb des rumänischen Staatsgebietes lebende Vlachen und Aromunen verwei­ gerten sich der Eingemeindung in die neue nationale Identität. In Südtirol wiederum hatten nur wenige Orte im mittleren Abteital ihren romanischen Dialekt ‚Ladinisch‘ genannt, während andernorts lokale Bezeichnungen dafür gängig waren, wie Johannes Kramer deutlich macht; es bedurfte einiger Gelehr­ ter der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die den traditionsreichen Namen verallgemeinerten und damit erst die Grundlage einer ladinischen Volksgruppe schufen. Dass diese alpen-romanischen Sprach­ inseln im Übergangsbereich zwischen Deutsch und Italienisch auf eigene Weise ihr lateinisches Erbe bewahrt hatten und nicht einfach Italiener waren, konnte in der k.u.k. Monarchie als politisch opportun gelten. Rumänische, ladinische, rätoromanische, wallonische, walisische Identität sind daher in vieler Hinsicht Schöpfungen der jüngeren Vergangenheit, auch wenn sie ohne einen ungebrochenen Tradi­ tions­strang ins europäische Altertum nicht möglich wären. „The Welsh only exist because they invented themselves“, meinte Gwyn A. Williams etwas zugespitzt in ihrem Buch „When Was Wales?”.50 Diese Erfindung reicht allerdings auch in frühere Zeiten zurück, immer in Abgrenzung von der übermächtigen englischen Identität. Das identitätsstiftende Potential der Walchen in ihren vielen Ableitungen erwies sich vielerorts als erstaunlich langlebig. Es war aber regional, teils bloß lokal verankert; schon im Frühmittelalter war der Anonymi Belae regis notarii Gesta Hungarorum 9, ed. und trans. Rady/Veszprémy 26: Et iure terra Pannoniae pascua Romanorum esse dicebatur, nam et modo Romani pascuntur de bonis Hungariae. 47 Zur nationalen Geschichtsdeutung in der Philologie des 19. Jahrhunderts siehe Patrick J. Geary, The Myth of Nations. The Medieval Origins of Europe (Princeton, NJ, 2002) 15–40. 48 Caspar Hirschi, The Origins of Nationalism. An Alternative History from Ancient Rome to Early Modern Germany ­(Cambridge 2012). 49 Siehe auch Haubrichs, Baiern 415; Die Althochdeutschen Glossen 3, ed. Steinmeyer/Sievers 13, 1–5. 50 Gwyn A. Williams, When Was Wales? A History of the Welsh (London 1985) 2; siehe auch Catherine McKenna, Inventing Wales, in: Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, 300–1100, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Richard Payne (Farnham 2012) 137–154, hier 152. 46

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p­ rägende Bezug zur übergreifenden ‚römischen‘ Identität verlorengegangen. Das lässt sich an e­ inem Beispiel verdeutlichen, das sowohl Herwig Wolfram als auch Bernhard Zeller in ihren Beiträgen dis­ kutieren: ein alemannischer Urkundenschreiber ergänzte den vom Papst verliehenen Titel Karls des ­Großen, patricius Romanorum, um et Allamannorum.51 Fichtenaus Deutung, er könnte dementsprechend die Romani mit den Churrätern identifiziert haben, ist sehr reizvoll; aber vielleicht wusste der Schreiber auch, dass die Stadtrömer gemeint waren, und wollte die Alemannen auf ähnliche Weise hervorheben. In jedem Fall zeigt der Zusatz, dass er den Namen regional verstand, ganz anders als die moderne Verfas­ sungsgeschichte, die im patricius Romanorum-Titel eine Vorstufe zu Karls Erneuerung des Imperiums sah. Die Intellektuellen der Karolingerzeit kannten selbstverständlich den imperialen Rombegriff und setzten sich mit seiner historiographischen und imperialen Hinterlassenschaft auseinander.52 Doch die fortdauernde, in unserem Sinn ‚romanische‘ Bevölkerung in vielen Teilen des Karolingerreiches spielte in der Diskussion rund um die Kaiserkrönung Karls des Großen und in den Legitimationsversuchen der Folgezeit keine Rolle. Daraus ergibt sich ein zweites Spannungsverhältnis: ‚Rom‘ verwies für viele Zeitgenossen auf eine überregionale, beinahe weltumspannende Identität. Ihre führenden Vertreter hielten sich etwa in den senatori­schen und kirchlichen Eliten im Merowinger- und Westgotenreich; doch sie passten sich rasch der neuen Herrschaft an, und ihre römische Identifikation schwand (was etwa bei Gregor von Tours kurz vor und bei Isidor von Sevilla nach 600 deutlich wird). Dem standen lokal gebundene Bevölkerungs­ gruppen gegenüber, die in verstreuten Dörfern und Siedlungen oder regionalen Siedlungslandschaf­ ten als Minderheiten oder als Bevölkerungsmehrheiten mit niedrigerem Sozialprestige unter f­remder Herrschaft lebten. Dieser Widerspruch wird in unseren Quellen relativ wenig thematisiert. Das ist nicht selbstverständlich, wie das Beispiel der Briten zeigt. Die Cymry, wie die Waliser sich selbst nannten, waren seit dem 8. Jahrhundert auf Wales beschränkt, als Offa’s Dyke eine bis heute mehr oder weniger bestehende Grenze markierte. Dennoch hielten die Texte das ganze Mittelalter hindurch den Bezug auf Britannien als Ganzes aufrecht: „the cultural habit of balancing the purely local state against the ­amorphous whole land of the imagination“, wie Catherine McKenna das formuliert hat.53 Das Wunsch­ bild vom Erinnerungsraum Britannien war identitätswirksamer als die aktuelle Heimat. Anthony ­Conran stellte fest: „In Welsh poetry, there is very little sense of Wales as a geographical whole before the twelfth century (...) It is the people, the Cymry, who are important: their country is essentially the island of Britain as a whole, and the fact that they occupy only a fraction of it called Wales is no more than an unfortunate historical accident.”54 Dieser Bezug auf ein verlorenes, imaginär gewordenes Ganzes ist selbst in geschlosseneren Gebieten, in denen romanische Eliten mit einer gewissen Bildung und eige­ nem Schriftgut lebten, wie die Moselromania, Churrätien oder später die Walachei, kaum festzustellen. VÖLKERNAMEN, FREMDBEZEICHNUNGEN, IDENTITÄTEN: EINIGE METHODISCHE BEMERKUNGEN Viele Beiträge des vorliegenden Bandes beschäftigen sich mit Hinweisen auf den Gebrauch lateinischer oder romanischer Sprachen. Das könnte als wesentliches Indiz für die Bewahrung römischer Identität aufgefasst werden; doch gerade die frühmittelalterliche Entwicklung mit weitreichender sprachlicher und kultureller Hybridität zeigt, dass aus der Sprache nicht selbstverständlich auf die Identität geschlos­ sen werden kann. Eine gemeinsame Sprache erleichtert sicherlich die Identifikation mit einer ethni­ schen Gruppe, determiniert sie aber nicht. Bei der Neugestaltung der ethnischen und politischen Land­ schaft nach dem Zerfall des Römischen Reiches kamen sprachliche, ethnische und politische Identitäten keines­wegs völlig zur Deckung. Westgoten, Burgunder, Westfranken, Langobarden, Bulgaren, sie alle gaben im Lauf des Frühmittelalters ihre Sprache auf und übernahmen die romanische (bei den B ­ ulgaren Heinrich Fichtenau, Politische Datierungen, in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze 3: Lebensordnun­ gen, Urkundenforschung, Mittellatein (Stuttgart 1986) 186–285, hier 243f. 52 Walter Pohl, Creating cultural resources for Carolingian rule: Historians of the Christian empire, in: The Resources of the Past in Early Medieval Europe, ed. Clemens Gantner/Rosamond McKitterick/Sven Meeder (Cambridge 2015) 15–33. 53 McKenna, Inventing Wales 141. 54 The Penguin Book of Welsh Verse (ed. Anthony Conran, Harmondsworth 1967) 43f. 51

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slawische) Sprache der beherrschten Mehrheitsbevölkerung. Die überlieferten Texte nehmen davon aber so gut wie keine Notiz, und für die fortdauernde Identität jener Völker scheint der Sprachwechsel zu­ nächst unerheblich gewesen zu sein. Gemeinsame Sprache konnte immer wieder als Identitätsmerkmal allgemein postuliert (etwa bei Regino von Prüm um 900), oder im Besonderen hervorge­hoben wer­ den (wie Otfrids Plädoyer für die frenkisga zunga zeigt). Doch unter Bedingungen der Bilingualität und des allmählichen Sprachwechsels waren solche Bestimmungen nur beschränkt realitätstauglich. Es ­empfiehlt sich daher, prinzipiell zu unterscheiden zwischen der Menge aller Sprecher der Sprache X, einer nach einem teils bereits zeitgenössischen, vor allem aber modernen wissenschaftlichen Kriterium klassifizierten Bevölkerungsgruppe, und dem Volk X, das oft denselben Namen wie die Sprache trägt und eine zeitgenössisch wahrgenommene, aber kaum so klar abgrenzbare Einheit bezeichnet.55 Ein dynamisches Verständnis des Identitätsbegriffes erlaubt es, die Rolle der Sprache bei der Identi­ tätsbildung und -bewahrung besser zu verstehen.56 Der Begriff Identität wird sehr unterschiedlich ge­ braucht und ist deshalb immer wieder als zu verschwommen und daher unbrauchbar zurückgewiesen worden.57 Dennoch ist er kaum zu ersetzen.58 Er erlaubt es zu untersuchen, was Individuen an eine ­größere Gruppe bindet, gerade dann, wenn diese Gruppe weit über ihren alltäglichen Erfahrungshori­ zont hinausgeht. Diese Bindung kann sehr stabil sein, aber sie ist auch veränderbar, manchmal unmerk­ lich und langfristig, gelegentlich auch in einem plötzlichen Bruch. Der Prozess, in dem die romanische Bevölkerung Nordgalliens die fränkische Identität annahm, die westlichen Franken aber die Sprache der Mehrheitsbevölkerung, ist zum Beispiel zeitgenössisch kaum wahrgenommen worden. Identitäten sind also nicht einfach gegeben, sie entstehen aus einer Reihe von Identifikationen. Individuen oder Kleingruppen ordnen sich einer Großgruppe zu, zum Beispiel einem Volk. Dieser größere Verband repräsen­tiert sich selbst in kollektiven Ritualen oder durch Sprecher und zieht damit gemeinschaftliche Selbstwahrnehmungen und Loyalitäten an sich. Außenstehende nehmen schließlich die so hervortre­ tende Gruppe als Einheit wahr und schreiben ihr bestimmte Eigenschaften zu. So entsteht ein Kreislauf von Kommunikation über Zugehörigkeiten und Abgrenzungen, und vieles davon ist sprachlich vermit­ telt. Aus der Summe aller Identifikationen ergibt sich dann eine nachhaltige Identität, wenn sie einiger­ maßen zur Deckung kommen. Dabei spielen bestimmte Eigenheiten und kulturelle Ausdrucksformen eine Rolle, konstituieren aber nicht per se die soziale Gruppe und ihre Unterscheidbarkeit. Kulturell und sprachlich können Binnendifferenzen durchaus wesentlich größer sein als diejenigen ‚Marker‘, die als ausschlaggebend für die Abgrenzung nach außen wahrgenommen werden. Sprache kann bei der Identitätsbildung unterschiedliche Rollen einnehmen.59 In manchen Fällen kann die Sprache selbst als wesentliches Unterscheidungsmerkmal, als Symbol der Zugehörigkeit kodiert sein. In diesem Fall wird die Zugehörigkeit zur Sprachgemeinschaft als Identitätsmerkmal vorausge­ setzt. Diese Sprache muss gar nicht die Alltagssprache sein, sondern kann auch eine altertümliche oder artifizielle Hochsprache sein, die nur in Ritualen und heiligen Texten gepflegt wird. Daher erleichtert auch in diesem Fall das Kriterium Sprache nicht unbedingt die Abgrenzung der Gruppe. In anderen Fäl­ len bietet Sprache eher das Medium, in dem Identifikation kommuniziert und verhandelt werden kann, ohne selbst bewusst als Kriterium für die Gruppenzugehörigkeit angesehen zu werden. Dabei geht es vor allem um die Verständigung und wohl auch um gemeinsame symbolische Codes, die bestimmte ge­ Walter Pohl, Sprache und Identität: Einleitung, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 9–22, und weitere Beiträge im selben Band. 56 Walter Pohl, Introduction: Strategies of identification. A methodological profile, in: Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Early Middle Ages 13, Turnhout 2013) 1–64; ders., What did ethnicity mean in the Early Middle Ages?, in: Identity, Etnicity and Nationhood before Modernity, ed. Ilya Afanasyev, im Druck. 57 Rogers Brubaker/Frederick Cooper, Beyond ‚identity’, in: Theory and Society 29 (2000) 1–47, mit der Kritik von Richard Jenkins, Social Identity (London/New York 22004) 8–15; siehe auch Richard Jenkins, Rethinking Ethnicity. Arguments and Explorations (Los Angeles/London/New Delhi/Singapore 22008). 58 Pohl, Strategies of identification. 59 Grundlegend Wolfgang Haubrichs, Differenz und Identität – Sprache als Instrument der Kommunikation und der Gruppen­ bildung im frühen Mittelalter, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschun­ gen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 23–38; Hans-Werner Goetz, Lingua. Indizien und Grenzen einer Iden­ tität durch Sprache im frühen Mittelalter, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 61–74. 55

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meinschaftsstiftende Bereiche betreffen. Das zweisprachige Ambiente im Heer und am Hof der Franken in der Übergangszeit lässt sich kaum anders vorstellen. Der Gebrauch von Gruppen- und Sprachbezeichnungen bietet oft gute Anhaltspunkte dafür, wie weit die verschiedenen Formen von Identifikation und die unterschiedlichen Kriterien der Abgrenzung einer Gruppe jeweils zur Deckung kommen. Varianten und Widersprüche können in vielen Fällen auf Be­ nennungs- und Zuordnungsprobleme deuten. Dass die Sprache der Römer lingua Latina oder Romana heißen kann, ist im klassischen Gebrauch vielfach der Kunst der Variation geschuldet, kann aber schon da als Anzeichen einer ‚identità incompiuta‘ gedeutet werden.60 Wenn sich für das werdende Deutsch, zunächst aber auch das Englische, das Langobardische und andere germanische Sprachen im 8./9. Jahr­ hundert der Name lingua theodisca, ‚Volkssprache‘, durchgesetzt hat, kann diese Sprache kaum als Ausdruck einer ethnischen Identität angesehen werden; es hebt eben die Volkssprache vom Latein ab.61 Im allgemeinen waren Völkernamen jedoch zentral für die damit verbundenen Identitäten. Isidor von Sevilla versuchte mit seinen etymologischen Deutungen einer langen Liste von Ethnonymen zugleich das Wesen der Völker zu erfassen; seine etymologische Methode mag uns oft sehr vorwissenschaftlich erscheinen, aber die Herangehensweise war im mittelalterlichen Denken naheliegend.62 Die vielfältige Geschichte der Gruppen, die mit Ableitungen vom Walchennamen bezeichnet ­wurden, bietet ein besonders interessantes Beispiel für die Rolle von Gruppenbezeichnungen und für die ­Dynamik der Identifikation, die dahinter zu vermuten ist. Charakteristisch ist hier die Spannung zwischen Fremd- und Selbstbezeichnung. Allerdings ist die Entsprechung zwischen Romani als Selbstund Walchen als Fremdbezeichnung nicht überall nachweisbar. Romani in unseren lateinischen Quellen kann ja auch der schriftsprachlichen Terminologie der Quellen entsprechen oder eine Übersetzung von ‚Walchen‘ darstellen. Wie sich die ‚Walchen‘ in den Ostalpen und dem Alpenvorland selbst bezeich­ neten, können wir nur selten nachvollziehen. Für die ‚Romania‘ südlich von Salzburg ist aus den Salz­ burger Güterverzeichnissen des 8. Jahrhunderts römische Identität wahrscheinlich zu machen. Doch der Name Romani verschwindet schon im 8. Jahrhundert aus den Quellen, bevor die so Bezeichneten Spra­ che und recht­lichen Sonderstatus ablegten, wie Herwig Wolfram in diesem Band zeigt. Statt von Romani tributarii ist nun nur mehr von tributarii die Rede.63 Für den Bereich der heutigen Schweiz schätzen Thomas ­Schneider und Max Pfister Romani neben den ‚Wal(s)chen‘ vor allem als Fremdbezeichnung ein. ‚Romantsch‘ ist freilich später konsistent als eine Selbstbezeichnung für die Sprache bezeugt, auch ‚Ladinisch‘ war in Graubünden gebräuchlich, zum Unterschied vom Dolomitengebiet, wie Johannes Kramer ausführt. Im Allgemeinen wird das Wechselspiel von Selbst- und Fremdbezeichnungen nicht dadurch behin­ dert, dass beide Seiten unterschiedliche Namen für dieselbe Gruppe verwenden; das muss der Identität der Betroffenen keinen Abbruch tun. Die Fremdbezeichnung kann als analog zur Eigenbenennung, so­ zusagen als Übersetzung, empfunden werden. In bestimmten Fällen kann sie auch subsidiär zur Kenn­ zeichnung der eigenen Identität benützt werden. Das zeigt sich etwa am gut erforschten Beispiel der Hellenen, die seit der Antike bis heute verbreitet als ‚Griechen‘ bezeichnet werden (aber auch als ­‚Ionier‘ wie im modernen türkischen Landesnamen Yunanistan). Zeitweise haben diese Hellenen den durch das klassische Heidentum belastend gewordenen Namen Hellēnes auch durch die Selbstbezeichnung ­Rhomaioi, Römer, ersetzt.64 Dieses Beispiel ist komplex, ebenso wie das der Deutschen, die bekanntlich in verschiedenen modernen europäischen Sprachen Germans, Allemands, Tedeschi, Němci oder Saksa genannt werden. Das Beispiel der Walchen geht aber aus der Sicht der Identitätsforschung noch darüber hinaus, denn dabei geht es nicht nur um eine Gruppe mit einer oder mehreren Selbst- bzw. Fremd­ bezeichnungen, sondern um sehr unterschiedliche Gruppen, die von ebenfalls sehr unterschiedlichen ‚Out-groups‘ recht konsistent mit einem durch verschiedenste Sprachen flottierenden Namen belegt Vgl. Andrea Giardina, L’Italia Romana. Storie di una identità incompiuta (Biblioteca universale Laterza 557, Roma 2004). Wolfgang Haubrichs/Herwig Wolfram, Theodiscus, in: RGA, 2. Aufl. 30 (2005) 421–433. 62 Isidor von Sevilla, Etymologiae 9, 2 (ed. Wallace M. Lindsay, Oxford 1911, ND 1991); Marc Reydellet, ­Introduction, in: Isidorus Hispalensis, Etymologiae IX: Les langues et les groupes sociaux (ed. und trans. Marc Reydellet, Paris 1984) 1–21; John Henderson, The Medieval World of Isidore of Seville. Truth from Words (Cambridge 2007) bes. 121–132. 63 Siehe auch Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (Wien 1995) 295–300. 64 Hellenisms: Culture, Identity, and Ethnicity from Antiquity to Modernity, ed. Katerina Zacharia (Aldershot/Burlington 2008). 60 61

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werden. Das kann durchaus paradoxe Formen annehmen: Griechen, die sich Römer nennen, benennen vorwiegend slawische Gruppen mit einem Namen, der eigentlich eine Fremdbezeichnung für Römer war. In verschiedenen Kontexten konnte diese Fremdbezeichnung dann zur Selbstbezeichnung werden. RÖMER, ROMANISIERUNG UND DER ZERFALL DER RÖMISCHEN IDENTITÄT Die Entwicklung der römischen Identität ist insgesamt einer der komplexesten Testfälle für Identitäts­ konzepte in der historischen Forschung.65 Wer und was in der Antike römisch war, ist in der letzten Zeit unter Althistorikern in Diskussion geraten, und eine Reihe von differenzierten Untersuchungen ist erschienen.66 In der Antike wurde römische Identität auf vielerlei Weise explizit gemacht, mit ­einer Vielzahl von sehr deutlichen, ja geradezu emphatischen Identifikationen: Es gibt viele Quellen darüber, was es hieß, Römer zu sein, und wie sich diese Identität entwickelt hat; es gab einheitliche Repräsen­ tationsformen in Architektur, Kunst und Kunsthandwerk; eine kodifizierte Schriftsprache, die auf ­einem hohen Standard der grammatischen Wissenschaft reflektiert wurde; einen Bildungskanon, der als ­Voraussetzung der Zugehörigkeit zur römischen Oberschicht galt; eine politische Kultur, die auf der res publica beruhte, aber auch ein starkes imperiales Profil entwickelte; und lange Zeit auch eine gemein­ same Religion und Kultpraxis, die bei aller Offenheit für alternative Formen der Kultübung starke tra­ ditionsbildende Fähigkeit besaß. Innerhalb des kulturellen Kontinuums der antik-mediterranen Kultur besaß das Römische damit ein außerordentliches Identifikationspotential. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass nicht alle römischen Bürger und schon gar nicht alle Unter­ tanen des Imperiums Teil an diesem uns durch humanistische Bildung und den nachhaltigen Einfluss auf die neuere Geschichte Europas so vertrauten kulturellen Idiom hatten. Unter dem Firnis der so einheitlich wirkenden Reichskultur existierten sehr verschiedene Lebensformen. Der Prozess der Roma­ nisierung als Akkulturation an die Reichskultur ist jüngst in Diskussion geraten; wie weit lässt sich aus der Verbreitung von Gegenständen (z.B. Terra Sigillata, Öllampen, Münzen, Architekturformen) und Verhaltensweisen (z.B. Grabsitten, Kulte, Inschriften) darauf schließen, dass sich unter der Bevölkerung eine einheitliche romanitas verbreitet hätte, ein in der früheren Kaiserzeit im Übrigen wenig gebrauchter Begriff?67 Man sollte die Begriffskritik aber nicht bis zur Aufgabe des Begriffs ‚Romanisierung‘ fortfüh­ ren, wie zum Teil gefordert wurde.68 Immerhin impliziert der Begriff der Romanisierung einen Prozess, der nicht notwendigerweise teleologisch gedacht ist, sondern auch teilweise oder gar nicht zu römischer Identität führen kann. Ein ähnlich prozesshaft-offener Begriff fehlt uns für den Verfall der römischen ‚Leitkultur‘ und ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in der Spätantike. Die Diskussion dreht sich hier aber nicht um Prozesse der ‚Entromanisierung‘, sondern immer noch vorwiegend um ‚Kontinuität oder Bruch‘, als wären Kultur- und Sprachformen einfach konserviert worden oder eben verschwunden. In der deutschen Sprache nennen wir Römer, die es nicht mehr im vollen Sinn waren und sich viel­ leicht auch nicht mehr als Romani verstanden, Romanen; Kriterium ist hier die Bewahrung der Sprache und/oder bestimmter römischer Lebensformen; archäologisch genügt dafür oft schon die Beigabenlo­ sigkeit der Gräber.69 Der Begriff hat den Vorteil, offener zu sein als das ‚Romans/Romains/Romani‘ Walter Pohl, Christian and barbarian identities in the early medieval West: Introduction, in: Post-Roman Transitions. ­Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Early Middle Ages 14, Turnhout 2013) 1–46; ders., Romanness – a multiple identity and its changes, in: Early Medieval Europe 22, 4 (2014) 406–418. 66 Rome the Cosmopolis, ed. Catherine Edwards/Greg Woolf (Cambridge 2003); Emma Dench, Romulus’ Asylum. ­Roman Identities from the Age of Alexander to the Age of Hadrian (Oxford 2005); Richard Hingley, Globalizing Roman Culture. Unity, Diversity and Empire (Abingdon 2005); Gary D. Farney, Ethnic Identity and Aristocratic Competition in Republican Rome (Cambridge 2007). 67 Greg Woolf, Becoming Roman. The Origins of Provincial Civilization in Gaul (Cambridge 1998); ders., Post-Romanitas, in: The Transformation of Romanness – Archaeological Perspectives, 400–800 AD, ed. Hubert Fehr/Walter Pohl/Philipp von Rummel (Berlin/New York, in Vorbereitung). 68 Vgl. David Mattingly, Imperialism, Power, and Identity. Experiencing the Roman Empire (Princeton 2011) 269–276; Themen­heft: Archaeological Dialogues 21, 1 (2014). 69 Volker Bierbrauer, Romanen, in: RGA, 2. Aufl. 25 (Berlin/New York 2003) 210–242; Philipp von Rummel, The Fading Power of Images. Romans, Barbarians, and the Uses of a Dichotomy in Early Medieval Archaeology, in: Post-Roman 65

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anderer europäischer Sprachen, das im Gebrauch anspruchsvollere Entscheidungen abverlangt; er ist aber eben deswegen in viele Sprachen unübersetzbar (nur das Französische erlaubt es, neben ‚Romains‘ auch von ‚Gallo-Romains‘ zu sprechen). Ein weiterer Nachteil daran ist, dass ‚Romanen‘ letztlich eine geschlossene Gruppen-Identität über den europäischen Bereich des ehemaligen Imperiums suggeriert und auf Grund von oft recht diffusen sprachlichen oder archäologischen Befunden eine fortdauernde Gemeinsamkeit der ehemaligen Reichsbevölkerung, die nun unter fremder Herrschaft lebte, andeutet (die weiterhin im Imperium lebenden Rhomaioi bezeichnet er in der Regel ja gerade nicht). Unverzicht­ bar ist der Begriff ‚Romanisch‘ für die nach-lateinischen Sprachen sicherlich in der Sprachwissenschaft (wo er ja auch seine Äquivalente in engl. ‚romance‘ u.a. hat). In diesem Sinn wären dann ‚Romanen‘ jedenfalls die Sprecher romanischer Sprachen; im Sinne des oben Gesagten sollten daraus aber keine zu weitreichenden Schlussfolgerungen auf ethnische Identitäten gezogen werden. Ähnlich wie aus dem Latein verschiedene romanische Sprachen entstanden, die auf unterschied­ liche Weise Elemente anderer Sprachen aufnahmen, anderswo aber das gesprochene Romanisch über­ haupt verschwand, liefen auch die Identitätsverschiebungen in verschiedenen Gebieten des ehemaligen ­Imperiums sehr unterschiedlich ab. Bei dieser Transformation und Desintegration des Römischen fällt auch der teleologische Unterton des Begriffs ‚Romanisierung‘ weg, der das Römertum als (allenfalls nicht vollständig erreichtes) Ziel des beschriebenen Prozesses voraussetzt. Dabei ist davon auszuge­ hen, dass Römisch-Sein schon während der Kaiserzeit eine Vielzahl von Inhalten haben konnte: Stadt, Res Publica, Imperium, Senat und Ämterlaufbahn, Armee, nobilitas der Familie, Bürgerrecht, Religion, Sprache, Bildung und Kultur konnten aus verschiedener Sicht allein oder in unterschiedlicher Kom­ bination im Brennpunkt des Römertums stehen, und spätantike Autoren wie Ammianus Marcellinus, Orosius oder Sidonius Apollinaris hatten davon völlig unterschiedliche Auffassungen. Manches davon fiel mit dem Ende direkter imperialer Verwaltung weg; in diesem Sinn lässt sich der ‚Fall Roms‘ auch als Zerfall zentraler oder hegemonialer Romanität verstehen.70 Das heißt nicht, dass alle Kennzeichen dieser selbstbewussten antiken Romanitas verschwanden; doch zerfiel sie als geschlossenes System, das Identifikation und Unterscheidung erlaubte. Nun verlor sie bis zu einem gewissen Grad ihre Rolle der Distinktion. Regionale Formen des Römer-Seins erhielten mehr Platz. Auch die Durchsetzung des Christentums hatte bedeutenden Anteil an der Umwertung der römischen Werte. Manches wurde nicht mehr gepflegt – zum Beispiel heidnische Zeremonien und Kulte oder die Memoria durch Vollplasti­ ken. Bei anderem verschob sich zunehmend der Akzent – etwa in der Latinität, wo das klassische, teils manierierte Hochlatein, das manche noch im Ostgotenreich schrieben (etwa Ennodius), weitgehend verschwand, während die Schriftsprache sich in unterschiedlichen Registern dem mündlichen Gebrauch näherte. Schon Isidor von Sevilla hat sich im 7. Jahrhundert über den Verfall des Lateinischen durch barbarische Zuwanderung beklagt.71 Die Philologen des 19. und früheren 20. Jahrhunderts haben ähn­ lich über die Barbarisierung des Latein gedacht und Autoren wie Fredegar sehr schlechte Zensuren dafür gegeben. Heute wissen wir, dass das Spuren lebendiger Sprachentwicklung sind; erst die karolingerzeit­ liche Reform mit der Rückkehr zu einer mehr oder weniger klassischen Schriftsprache führte zu einer Unterscheidung zwischen Latein und den romanischen Sprachen.72 Wie lange betrachteten die Sprecher regionaler Varianten des Spätlatein ihre Sprache noch als Kennzeichen des Römertums? Und wann und Transitions. Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Early Middle Ages 14, Turnhout 2013) 365–406; The Transformation of Romanness – Archaeological Perspectives, 400–800 AD, ed. Hubert Fehr/Walter Pohl/Philipp von Rummel (Berlin/New York, in Vor­ bereitung); zur Problematik des Romanenbegriffs siehe auch den Beitrag von Herwig Wolfram in diesem Band. 70 Peter R.L. Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity A.D. 200–1000 (Oxford/Cambridge, MA, 2 2003); Peter J. Heather, The Fall of the Roman Empire. A New History (London/Oxford 2005) 432–437. Siehe auch Guy Halsall, Barbarian Migrations and the Roman West (Cambridge 2007) 376–568. 71 Isidor, Etymologiae 9, 1, 7, ed. Lindsay, über das vierte Stadium der lateinischen Sprachentwicklung, die lingua mixta: Mixta, quae post imperium latius promotum simul cum moribus et hominibus in Romanam civitatem inrupit, integritatem verbi per soloecismos et barbarismos corrumpens. 72 Michel Banniard, Viva voce. Communication écrite et communication orale du IVe au IXe siècle en Occident Latin (Paris 1992); Roger Wright, A Sociophilological Study of Late Latin (Turnhout 2003); ders., Linguistic and ethnic identities in the Iberian Peninsula (400–1000 A.D.), in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 99–108. Ähnlich aber bereits Elise Richter, Beiträge zur Ge­ schichte der Romanismen I: Chronologische Phonetik des Französischen bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (Halle 1934).

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wo wurde der Name der Sprache selbst zum Anknüpfungspunkt einer eigenen, römisch/romanischen oder lateinischen/ladinischen Identität? Diejenigen frühmittelalterlichen Autoren, aus deren Schriften sich Rückschlüsse über ihre Identi­ täten gewinnen lassen, erlauben nur, die Verhältnisse bei gebildeten Eliten, vor allem bei führenden kirchlichen Kreisen zu erschließen. Aufschlussreich ist hier vor allem, wie vielfältig schon bei ihnen die Reaktionen auf die Identitätskrise nach dem Zerfall des Imperiums waren. Sie können nicht mehr als ‚Sprecher‘ einer selbstverständlichen und weitgehend einheitlichen Romanitas gelten, die Identifika­ tionsangebote für weite Kreise der Bevölkerung formulierten. Für Isidor von Sevilla waren die Römer die anderen, die endlich vertriebenen Feinde aus dem Imperium, von denen er die Latein sprechenden Spani abhob.73 Mancherorts schwiegen selbst die Eliten römischer Herkunft, wie im Langobardenreich in Italien, wo außer einigen teils nur erschließbaren kürzeren historiographischen Texten des 7. Jahr­ hunderts wenig aus ‚römischer‘ Feder erhalten ist. Die ältere Forschung hat oft angenommen, dass die Römer von den Langobarden weitgehend versklavt worden waren. Das ist kaum mehr haltbar, da in den seit dem 8. Jahrhundert erhaltenen Urkunden durchaus Romanen als Besitzende auftreten.74 Doch für die Frage nach der Identitätsbildung bedeutet das eine große methodische Schwierigkeit: gegenüber dem Reichtum an Quellen der Römerzeit, die direkt oder indirekt römische Identifikationen belegen, verfügen wir oft über nur schüttere Hinweise aus dem Frühmittelalter. Da der Großteil unserer Quellen des Frühmittelalters auf Latein geschrieben wurde, könnte es über­ raschen, wie relativ selten ihre Autoren sich selbst oder Lateinisch/Romanisch-sprachige Bevölkerungs­ gruppen als ‚Römer‘ bezeichnen. Wenn das geschieht, spiegelt es nicht selten die frühmittelalterlichen Ressentiments gegenüber Römern wider. Ein deutliches Beispiel zitiert Wolfgang Haubrichs am Be­ ginn seines Beitrages, die Vita Goaris von 839 aus der Feder des Romanen mit germanischem Namen, ­Wandalbert von Prüm, wo der Heilige mit Leuten zu tun bekommt, die omnes Romane nationis et ­linguae homines hassen.75 Sprache und Geburt (so, und nicht im Sinne eines modernen Nationsbegriffes, ist natio hier zu verstehen), aber auch gens, das Volk (wie es kurz darauf heißt), gehören zusammen. Beides ist Anlass einer pauschalen, ethnisch motivierten Ablehnung. Fortdauerndes römisches Selbstbe­ wusstsein, Alltagserfahrungen mit antiromanischen Ressentiments, aber auch karolingisches Bildungs­ gut ermöglichen hier eine selten klare Formulierung von römischer Identifikation. Explizite Identifikationen als Romanus, sowohl in Selbst- als auch in Fremdzuordnung, finden sich recht verbreitet auch in Rechtstexten. Das kann zum einen durch die professio iuris geschehen, das Bekenntnis Römischen Rechtes im Unterschied zu den Leges der Gentes, die das Römerreich ersetzt hatten. Zum anderen sahen auch die Leges den Status des cives Romanus vor, den zum Beispiel ein freigelassener Sklave erhalten konnte.76 Zudem gab es für Romani unterschiedliche Möglichkeiten ­eines meist abhängigen Rechtsstatus innerhalb der neuen Regna, wie auch im bayerischen Herzogtum. Schließlich lassen sich manchmal römische Rechtstraditionen fassen, die in bestimmten Kontexten auf eine differenzierte römische Bevölkerung schließen lassen. Ein besonderer Fall ist das viel­diskutierte Rottachgau-Fragment, eine Passauer Urkunde, die für die Zeit ihrer Entstehung im 8. Jahrhundert ­diplomatisch überraschend starke spätantike Formen bewahrt hat und sprachlich Formen gesprochenen Lateins und durchgehend romanische Namen enthält. In diesem Band präsentiert Peter Wiesinger neue Erkenntnisse zur Lokalisierung der Urkunde im heutigen Oberösterreich, in einem Gebiet, wo man ein lokales Fortleben lateinischer pragmatischer Schriftlichkeit bis ins 8. Jahrhundert kaum erwarten würde.

Jamie Wood, Religiones and gentes in Isidore of Seville’s Chronica maiora. The Visigoths as a chosen people, in: Post-­ Roman Transitions: Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Early Middle Ages 14, Turnhout 2013) 125–168; Walter Pohl/Philipp ­Dörler, Isidore and the Goths, in: Antiquité Tardive 23 (2015) 133–142. 74 Paolo Delogu, Longobardi e Romani: alte congetture, in: Il regno dei Longobardi in Italia. Archeologia, società e ­istituzioni, ed. Stefano Gasparri (Spoleto 2004) 93–172. 75 Wandalbert von Prüm, Vita Goaris 6f. (ed. Heinz Erich Stiene, Vita et miracula sancti Goaris, Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 11, Frankfurt am Main 1981) 49–52. 76 Siehe die Beiträge von Stefan Esders, Roman Law in the Frankish Kingdoms (6th-9th centuries), und Lukas Bothe, ­Between Discrimination and Legal Pluralism: Romans in Frankish Law, in: Transformations of Romanness in the Early Middle Ages. Regions and Identities, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Cinzia Grifoni/Marianne Pollheimer (Berlin/New York, im Druck). 73

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SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Nennungen von Walchen/Vlachen in mittelalterlichen Quellen spiegeln die Bemühungen, durch ethnische Zuordnung eine unübersichtliche soziale Welt zu ordnen, soziale Gruppen zu unterscheiden und kollektive Akteure zu benennen. Das ist der Sinn der ‚Ethnizität‘: sie leistet eine Einteilung der sozialen Welt in unterscheidbare soziale Gruppen, ebenso wie das territoriale, städtische, religiöse oder politische Unterscheidungen bewirken können. Anders als diese und ähnliche soziale Distinktionen ge­ winnen ethnische Identifikationen ihre Kraft aus der Vorstellung, dass sie naturgegeben und als gemein­ schaftliche Bindung im Menschen selbst verankert sind, ohne letztlich eines äußerlichen Bezugspunktes (z.B. Land, Stadt, Gott oder Staat) zu bedürfen.77 In der gesellschaftlichen Wirklichkeit überlappen diese Distinktionsformen in der Regel oder verstärken einander; ethnische Bindungen sind zum Beispiel meist auch religiös fundiert, haben eine territoriale Dimension und sind politisch organisiert. Frühmit­ telalterliche Quellen konstituieren ihre kollektiven Akteure vorwiegend ethnisch und verhandeln deren Legitimität nach religiösen Kriterien. Das ist das Bild von der sozialen Welt, das wir in unseren Texten finden können. Es entspricht der sozialen Realität nur ungefähr, da diese veränderlich und zudem selten klar abgrenzbar ist. Der Rückschluss auf gelebte ethnische und andere Identitäten ist daher immer nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Doch sind es die Unschärfen in der Einteilung der Welt selbst, die unsere Befunde so interessant machen. Wir können die Spuren der Ambivalenz und Veränderlichkeit der Zuordnungen in den Quellen feststellen und daran Möglichkeiten und Grenzen ethnischer Bindungen ablesen. Lange Zeit waren Geschichtsforschung und Philologien bestrebt, die Unschärfen und Widersprüche ihrer Quellen zu tilgen, um zu einem eindeutigen Profil historischer Gemeinschaften zu gelangen. ‚Die Romanen‘ oder ‚die Germanen‘ sind historische Kategorien, die dazu dienten, Widersprüche aus dem historischen Befund zu eliminieren und dahinter eine tatsächliche und wirkmächtige kollektive Einheit freizulegen. Das galt solange als methodisch zulässig, als man sich solche ‚völkische‘ Einheiten als bereits vorgängig historisch oder überhistorisch konstituiert denken konnte. Die empirische Grundlage für solche Konstruktionen unterscheidet sich zwischen Sprachwissenschaften und Geschichtsforschung. ‚Germanen‘ und ‚Romanen‘ als Sprecher klassifizierbarer Sprachen oder Dialekte können nach diesem und genau diesem Kriterium als objektiv gegebene Gruppe definiert werden, es sollte nur in ihrer Ab­ grenzung genügend Flexibilität für Zweisprachigkeit, Sprachwandel, Hybridität und ähnliche Phäno­ mene bleiben. In der Geschichtsforschung hingegen ist der Versuch, Völker als objektiv gegebene und historisch stabile Subjekte nach Kriterien von Abstammung, Sprache, Kultur, gemeinsamer politischer Organisation und zielgerichtetem kollektiven Handeln zu konstituieren, als gescheitert anzusehen. Das gilt insbesondere für breite ethnographische Kategorien wie ‚Romanen‘, ‚Germanen‘ oder ‚Kelten‘, die weit von der Lebenswelt frühmittelalterlicher Menschen entfernt waren. Übergreifendes Gemein­ schaftsbewusstsein oder konsistentes ‚völkisches‘ Handeln im Sinn und Dienst der ethnischen Einheit ist in den Quellen kaum oder gar nicht feststellbar, zumindest dort, wo diese Einheit über den lebens­ weltlichen Erfahrungshorizont der Menschen hinausreichte. Dafür bieten die über ‚Romanen‘/Walchen/Vlachen des Mittelalters in diesem Band zusammenge­ stellten Befunde hervorragendes Anschauungsmaterial. Sie erlauben es, die Komplexität, Dynamik und öfters auch Widersprüchlichkeit vormoderner Großgruppenbezeichnungen nachzuvollziehen. Das kann abschließend in einigen Thesen zusammengefasst werden: 1. Der Begriff ‚Walchen‘ in seinen vielfältigen Ableitungen und Permutationen speist sich aus ­einer sehr pauschalen Fremdbezeichnung, die zunächst Gallier, dann Römer, insgesamt Nach­ barn ­anderer Sprache im Süden und Westen bezeichnete und so dehnbar war, dass die These vertreten werden konnte, der Begriffskern bezeichne die Fremden (nichtgermanischer Sprache) insgesamt. Wahrscheinlicher ist, dass der Begriff einem relativ einfachen, aber nicht bloß binä­ ren (die Eigenen/die Fremden) ethnischen Einteilungsschema entstammt. Wie in ethnozentrischer Weltwahrnehmung üblich, erlaubte er im Nahbereich des Sprechers präzisere Abgrenzungen; in der kaiserzeitlichen Germania war das wohl die kleinteilige ethnische Landschaft, die wir aus den lateinischen Quellen kennen, im nachrömischen Britannien Einteilungen nach teils ethnisch 77

Dazu und zum Folgenden siehe Pohl, Strategies of identification.

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f­ undierten territorial-politischen Einheiten wie West-, Ost-, Südsachsen, Ostangeln oder ­Mercien. Für Menschen, zu denen (wegen räumlicher Entfernung und/oder Unverständlichkeit ihrer Spra­ che) größere Distanz empfunden wurde, beschränkte man sich meist auf gröbere Zuordnungen. Nachhaltig wirkten bei Sprechern germanischer Sprachen die beiden Fremdbezeichnungen ­*walhisk und *windisc, welsch und windisch. 2. Diese beiden Pauschal-Bezeichnungen blieben (bei im einzelnen unterschiedlichen wortge­ schichtlichen Verläufen) deshalb so erfolgreich, weil ihrem Begriffsinhalt eine tatsächlich histo­ risch wirksam gewordene übergreifende Einheit entsprach, nämlich die ‚Römer‘ (bzw. eigentlich Einwohner des Imperium Romanum) und die Slawen. Bei den Römern freilich ging die wahr­ nehmbare Einheit des Referenten mit dem Zerfall des Weströmischen Reiches verloren. Dennoch blieb ‚Rom‘, ‚römisch‘ ein wie weit auch immer entfernter Bezugspunkt für die verschiedenen Walchennamen; dieser Zusammenhang konnte vor allem in der Vermittlung über das Mittel­ latein immer wieder aktualisiert werden. Dabei spielte die lange bewahrte Vorstellung regionaler ­‚Walchen‘-Gruppen, ‚Römisch‘ oder ‚Latein‘ zu sprechen, eine Rolle. Sie konnte sowohl bei Individuen als auch bei Gruppen Identifikationen als ‚Lateiner‘, Ladini etc. auslösen, etwa im Westen, in der Raetoromania oder im Salzburger Raum.78 Einflussreich waren aber auch die lati­ nisierten (oder hybriden, wie im Fall der ‚Wallonen‘) Formen des Walchen/Vlachen-Namens, die neue volkssprachliche Aneignungen generieren konnten. 3. Der Bezug auf Rom stellte mittelalterliche ‚walchische‘ oder ‚vlachische‘ Identitäten in ein Bün­ del von Widersprüchen: sie waren lokal oder regional, während Rom (sehr präsent in der mittel­ alterlichen Imagination) global und imperial gewesen war. Rom stand für die Glorie der siegrei­ chen Weltmacht, für Reichtum und Nobilität, während nach seinem Niedergang die Nachkommen seiner Bürger oft in verschiedenen Formen der Unfreiheit leben mussten – kein Wunder, dass der Walchenname in manchen Ländern in übertragenem Sinn den Diener oder Unfreien bezeichnete, und dass der Vlachenname auf transhumante Hirten anderer Herkunft überging. Rom implizier­ te auch hohe Bildung und klassisches Latein, während die lebendigen romanischen Sprachen sich weit vom durch die insulare Latinität und die karolingische Reform kodifizierten Hochlatein entfernten. Von den darin geschulten Gelehrten wurde das Rumantsch der Alpenbewohner oder das Walachisch/Rumänisch Südosteuropas lange als besonders barbarisiert und nicht schriftfähig verachtet. 4. Römische Identifikation war in manchen Gegenden auch dadurch belastet, dass das weiterbe­ stehende Byzantinische Imperium der griechisch sprechenden Rhomaioí sich als legitimer Erbe Roms betrachtete. In Südosteuropa konnte der Vlachenname in manchen Fällen nicht zuletzt deshalb zur Selbstbezeichnung werden, da sich die Romanen nicht so leicht als ‚Römer‘ von den griechischen ‚Rhomäern‘ abheben konnten. Freilich hat sich die ‚römische‘ Identität dennoch bei den stärksten Gruppen, Rumänen und Aromunen, gehalten. Weder im lateinischen Westen noch im griechischen Osten setzte sich der Walchenname für die byzantinischen Rhomäer und ihr ­Imperium durch, und das, obwohl lateinische Autoren des Frühmittelalters den Begriff Romani in zeitgenössischer Bedeutung vorwiegend, in manchen Fällen ausschließlich auf das byzantinische Reich und seine Bewohner beziehen (zum Beispiel Isidor von Sevilla).79 5. Ein aussagekräftiger Sonderfall sind die britischen wealas, deren poströmisch-lateinischer ­Charakter sich im Laufe des 6. Jahrhunderts (nach den letzten lateinischen Inschriften und dem Werk des Gildas) verlor. Ihr Referenzpunkt blieb statt Rom Britannien. Obwohl das ein ebenso imaginärer Bezugsrahmen war wie das einstige Imperium, wurde er nachhaltiger bewahrt als der Rombezug bei den Walchen/Vlachen des Kontinents. Das hängt freilich auch damit zusam­ men, dass in Wales lateinische und volkssprachliche Schriftlichkeit weiter gepflegt wurde und Etwa in einer erst kürzlich gedeuteten karolingischen Eidliste aus der Emilia, welche den PN Latinus gleich mehrfach enthält. Siehe dazu künftig eine Monographie von Stefan Esders und Wolfgang Haubrichs, Verwaltete Treue. Ein ober­ italienisches Originalverzeichnis mit den Namen von 174 vereidigten Personen aus der Zeit Lothars I. und Ludwigs II. (MGH Studien und Texte, in Vorbereitung). 79 Vgl. Pohl, Christian and Barbarian Identities 27–35. 78

Walchen, Römer und ‚Romanen‘ – Einleitung

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die politische Konfrontation mit Angelsachsen bzw. England einen stabilen Identifikations- und Abgrenzungsrahmen bot. Das war auf dem Kontinent anders, wo romanische Bevölkerungsgrup­ pen in der Regel nicht in längerdauernder Konfrontation mit den neuen postimperialen Mächten standen. Die sprachliche Romanisierung der westfränkischen Eliten verlief ja komplementär zur Einpassung größerer Teile der romanisch-sprachigen Mehrheitsbevölkerung in die fränkische Identität. Es war zunehmend möglich, romanisch-sprachiger Franke oder Langobarde zu sein,80 während es kaum Spielraum für britisch sprechende Angelsachsen/Engländer gab; das historische Ergebnis waren im Gegenteil anglophone Waliser. 6. Der verblasste Bezug zu einer großen Vergangenheit mag dazu beigetragen haben, dass ­Walchen/ Vlachen als Minderheiten unter oft ungünstigen Bedingungen weiterexistieren konnten. Vor ­allem waren es ökologische Nischen und wirtschaftliche Spezialisierungen, die eine Behauptung romanischer Identitäten erlaubten: in der Moselromania der Weinbau, in den Ost- und Zentral­ alpen die Betreuung der Fernverbindungen und die Almwirtschaft, auf dem Balkan transhumante Viehzucht. In Gebieten fränkisch-bayerischer und später deutscher Siedlungsexpansion an Rhein und Mosel und nördlich des Alpenhauptkammes sind die Walchen dennoch bis zum Hochmittel­ alter germanisiert worden. Anschlussfähig für neue Großgruppenbildungen waren die Walchen der Siedlungsinseln im germanisch-deutschen Siedlungsgebiet jedenfalls nicht. Nur der Vlachen­ name weitete sich auf nicht-romanische Bevölkerungsgruppen aus, wobei letztlich unklar bleibt, ob diese integriert oder nur durch die Ausweitung der Fremdbezeichnung einbezogen wurden, oder ob romanisch-sprachige Vlachen slawisiert worden waren. 7. ‚Walchen‘ mag immer vorwiegend Fremdbezeichnung gewesen sein. Was der Name bezeich­ nete, waren aber nicht nur unscharfe Außenwahrnehmungen oder gar Erfindungen von außen, ‚imagined communities‘ oder ‚invented traditions‘.81 Die Fremdbezeichnung leistete nicht nur Distinktion aus Sicht der nicht romanophonen Umgebung, sie spiegelte in den meisten Fällen tatsächliches Abgrenzungsbedürfnis und lebendige soziale Identitäten, sonst hätten sich die als Walchen oder Vlachen unterscheidbaren Gruppen nicht so lange gehalten. Was die ethnische Dif­ ferenz aufrechterhielt, war in den meisten Fällen offenbar nicht überschießende ‚Imagination‘ oder ‚Invention‘. Es gibt relativ wenige Hinweise darauf, dass das ungeheure symbolische Kapi­ tal der römischen Vergangenheit emisch oder etisch für aktive ‚Strategien der Distinktion‘ genützt wurde.82 Sonst wurde das Bild der ‚Welschen‘ eher von pejorativen Obertönen bestimmt, auch wenn es zu allen Zeiten positive Darstellungen von Italienern oder Franzosen gab (etwa den ‚Welschen Gast‘ des Thomasin von Zerklære aus dem frühen 13. Jahrhundert). Erst der Huma­ nismus und verstärkt romantische und nationale Strömungen regten Bemühungen an, kleinere ­romanische Sprachgruppen aufzuwerten. Sie wurden sowohl von klassisch gebildeten Angehö­ rigen welscher oder vlachischer Gruppen oder durch sympathisierende Gelehrte getragen. Zuvor hatten ‚Welsche‘ jahrhundertelang ihre Identitäten in Gemeinschaften von oft minderen Status bewahrt. Diese Aussage müsste allerdings im Hinblick auf die Widerstände der Aquitanier und anderer südfranzösischer regionaler und sprachlicher Gruppen gegen fränkische und später französische Dominanz differenziert werden, was hier nicht ge­ leistet werden kann, vgl. etwa Michel Rouche, L’Aquitaine des Wisigoths aux Arabes (418–781). Naissance d’une région (Paris 1979). Die regionale Dichotomie zwischen Romagna und Lombardia in Norditalien bot hingegen seit dem Ende des Langobardenreiches weniger Ansatzpunkte einer identitätsschärfenden Konfrontation. 81 Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (London 2006) (der die­ sen Begriff aber nicht, wie öfters missverständlich angenommen, für rein imaginäre Gemeinschaften geprägt hat, sondern die Rolle der Imagination bei der Ausgestaltung sozialer Realitäten betonen will, siehe ebd. 6); The Invention of Tradition, ed. Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Cambridge 1984); vgl. Walter Pohl, Comparing communities – the limits of typology, in: History and Anthropology 26, 1 (Themed Issue: Visions of Community. Comparative Approaches to Medieval Forms of Identity in Europe and Asia, ed. Andre Gingrich/Christina Lutter, 2014) 18–35. 82 Vgl. Walter Pohl, Introduction: strategies of distinction, in: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Com­ munities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 2, Leiden/New York/Köln 1998) 1–15. Die Beobachtung gilt bis zu einem gewissen Grad auch für die ‚romanische‘ Bevölkerungsmehrheit der Regna, insbesondere im Frankenreich. Die Behauptung senatorischer oder sonstiger vornehmer römischer Abkunft (wie noch bei Gregor von Tours, in den Gedichten des Venantius Fortunatus, bei Isidor oder der Familie Leanders und Isidors von Sevilla) verliert sich im 7. Jahrhundert. 80

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8. Wirklich produktiv wurden die ‚romanischen‘ Identitäten erst durch die nationalen oder regiona­ listischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, als Rumänien zur Nation, Wallonien und Wales zu autonomen Regionen, Rätoromanen und Ladiner zu geförderten Volksgruppen wurden. In diesem Kontext gelang es, die empfundene Distanz zur römischen Vergangenheit durch sorg­ fältige philologische und historische Forschung, aber auch durch neue nationale und ethnische Mythenbildung abzubauen. Deutlich wird, dass es nicht der Name war, der die Identifikation stützte: die alten Selbstbezeichnungen römisch/lateinisch taugten dazu ebenso wie der Walchen­ name oder ein hybrides Derivat davon (Wallonen). Für das Verständnis dieser neuen Profilierung einer uralten Gruppenbezeichnung sind die Begriffe ‚Imagined Communities‘ und ‚Invention of Tradition‘ sehr nützlich. Die damit verknüpfte Identitätspolitik hat die Erforschung der mittel­ alterlichen Gruppenbezeichnungen für ‚Romanen‘ vielerorts angeregt, aber auch in regionale und nationale Stränge aufgespalten. Der vorliegende Band zeigt, wie lohnend es ist, diese unterschied­ lichen Forschungslinien zusammenzuführen.

Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum

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Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum VORBEMERKUNG Es war in den späten 1980er Jahren, als wir vor dem Heimflug nach Wien das Archäologische Museum von Thessaloniki besuchen wollten. Vor dem Eingang stritten zwei Männer und begannen einander zu prügeln, nachdem einer dem anderen „isä enas Vlachos“ zugerufen hatte. Dieses offensichtlich grobe Schimpfwort ließ vermuten, dass sich auch hinter der Harmlosigkeit der heimatlichen Walchen-Orte eine geschichtliche Last verbergen mochte, die es historisch aufzuarbeiten galt. Darin bestärkte die Zusammenarbeit mit Evangelos K. Chrysos, zu dessen zahlreichen Forschungsgebieten die Regionalisierung und Ethnisierung der spätantiken Römischen Welt zählen,1 ein Prozess, der nicht zuletzt als Interaktion zwischen Römern und Fremden verlief.2 In diesem Sinne seien einige Beobachtungen beigesteuert, die vornehmlich aus dem historischen Umfeld der Salzburger Erēmos des Autors stammen. So wichtig und aufschlussreich die darin verarbeiteten Quellenaussagen auch sein mögen, eine bloß parrochiale Untersuchung würde jedoch nicht genügen; es bedarf auch des Vergleichs mit anderen Regionen, um die besondere Entwicklung im Donau- und Ostalpenraum besser beurteilen und einordnen zu können.3 KURZE KRITIK DER QUELLEN UND DER TERMINOLOGIE Obwohl die frühmittelalterlichen Quellen dafür keine Grundlage bieten, ist es in den historisch-philologischen Wissenschaften des deutschen Sprachraums ein kaum reflektierter Brauch geworden, ab etwa 500 oder 600 den Begriff Romani nicht mehr mit Römern, sondern mit Romanen zu übersetzen. Die Texte kennen aber weiterhin nur Romani und unterscheiden nicht zwischen regionaler und universaler, vergangener und gegenwärtiger Bedeutung des Begriffs. Das gilt nicht bloß für die lateinische Überlieferung. Im Abrogans um 770 steht zu lesen, Lancparta daz sint Rumare, „die Langobarden das sind Römer“. Dieses Urteil wurde offenkundig nach der Sprache gefällt, die unverändert die lingua Romana ist und vom literarischen Latein nur dadurch unterschieden wird, dass die Autoren lingua mit vulgaris, rustica oder ähnlichen Adjektiven näher bestimmen.4 Latein kann aber auch ohne Zusatz die Volks­ Vgl. etwa Herwig Wolfram, Die Regionalisierung und Ethnisierung der Romania. Der Ostalpenraum, in: Aureus, Festschrift für Evangelos K. Chrysos, ed. Taxiarchis Kolias/Konstantinos G. Pitsakis/Catherine Synellis (Athen 2014) 825–836.   2 Evangelos Chrysos, Romans and Foreigners, in: Proceedings of the British Academy 118 (2003) 119–136. Evangelos Chrysos, Die Römerherrschaft in Britannien und ihr Ende, in: Bonner Jahrbücher 191 (1991) 247–276.   3 Siehe etwa Roger Wright, Linguistic and Ethnic Identities in the Iberian Peninsula (400–1000 A. D.), in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 99–108; Eugen Ewig, Das Fortleben römischer Institutionen in Gallien und Germanien, in: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien 1 (Beihefte der Francia 3, 1, München 1976) 409–434; Heinz Dopsch, Zum Anteil der Romanen und ihrer Kultur an der Stammesbildung der Bajuwaren, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788. Gemeinsame Landes­ ausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg, ed. Walter Bachran/Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (Rosenheim/Mattsee 1988) 47–54; Dieter Messner, Salzburgs Romanen, in: Katalog: Virgil von Salzburg. Missionar und Gelehrter, ed. Heinz Dopsch/Roswitha Juffinger (Salzburg 1985) 103–111; Wolfgang Haubrichs, Baiern, Romanen und ­andere. Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des Mittelalters, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 69 (2006) 395–465; Christa Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 197–218.   4 Herwig Wolfram, Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter (München 2005) 243f. mit Anm. 11. Zur Gleichsetzung Langobarden–Römer siehe Abrogans in: Die althochdeutschen Glossen 1 (ed. Elias Steinmeyer/Eduard Sievers, Berlin 1879, ND Zürich/Dublin 1968) 172, Z. 23.   1

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sprache bezeichnen. So lernten bulgarische Flüchtlinge in Benevent ebenso die einheimische Sprache als Latein wie die Franken in Gallien.5 Gleich vielen anderen Begriffen der deutschen Fachsprache ist der Begriff „Romanen“ problematisch, weil quellenfern, jedoch so sehr eingebürgert, dass man ihn ­besser nicht durch einen anderen, womöglich noch problematischeren ersetzt.6 Die Erforschung der frühmittelalterlichen Ethnizität des alemannisch-churraetischen und des ­bayerisch-karantanischen Raumes ist ohne Urkunden nicht möglich. Ganz anders als in St. Gallen ­stehen jedoch für die Kritik der fast ausschließlich kopial überlieferten bayerischen Cartae und für ihre Bearbeitungen in Güterverzeichnissen und Traditionsbüchern so gut wie keine äußeren Merkmale zur Verfügung.7 Die Beschränkung auf die inneren Merkmale, auf die Formeln und die Sprache, der zumeist hochmittelalterlichen Kopialüberlieferung bedeutet jedoch nicht, dass die Urkunden für die Zeit, da ihre Originale ausgestellt wurden, verdächtig sein müssen. Freilich unterliefen den Kopisten mitunter Fehler sprachlicher Natur, weshalb die Schrift- und Zeitangaben der philologischen Ortsnamenbücher sehr berechtigt sind. So wurde der Albina-Angehörige der Notitia Arnonis namens Wurmhari/Drachentöter bereits keine zehn Jahre später in den Breves Notitiae zu einem Wernharius „verbessert“, wie derselbe Schreiber aus dessen „romanischem“ Bruder Cissimo einen klassischen Dulcissimus machte.8 Aber im Allgemeinen gilt die Hochachtung vor der Überlieferung, wie sie gegen Ende des Hochmittelalters auch schriftlich thematisiert wurde, als eine neue Rechtskultur nach neuen Beglaubigungsmitteln verlangte und sich daher die Frage nach der Gültigkeit, auctoritas, alter Aufzeichnungen stellte. So bearbeiteten ein bayerischer wie ein lothringischer Abt alte siegellose Texte der Hausüberlieferung nach erstaunlich modern anmutenden Kriterien. Abt Hermann von Niederalteich kam zur Regierung des Stiftes, als mit den Grafen von Bogen 1242 die Vögte und schärfsten Bedrücker des Klosters ausgestorben waren und die Vogtei auf den bayerischen Herzog überging. In dieser Situation suchte Hermann nach schriftlich festgehaltenen Besitztiteln und stieß in der Stiftsbibliothek auf ein Besitztitelverzeichnis, das sein Amtsvorgänger Urolf am Ende des 8. Jahrhunderts angelegt hatte. Darauf veranlasste Hermann, die carta Urolfi abbatis, que ex antiquitate scripture et latinitatis valde auctorabilis comprobatur, zu transkribieren, ohne jedoch „im geringsten die Namen oder die Latinität zu ändern noch die Zahl der Buchstaben zu verringern oder zu vermehren“. Die Abschrift des alten Textes wurde darauf dem neuangelegten Niederalteicher Kopialbuch als Einleitung vorangestellt. Fast wortgleich hatte sich zwanzig Jahre zuvor der ehemalige Prümer Abt Caesarius geäußert, als er im Jahre 1222 das klösterliche Urbar von 893 abschrieb: Wahrheitsgetreu wolle er sich an die Vorlage ob antiquitatis reverentiam halten, obwohl er nicht alles verstanden habe.9 Gleich dem Breviarius Urolfi, wie der Text in der Forschung heißt, wurden auch andere bayerische Güterverzeichnisse nach der Absetzung Tassilos III. angelegt, um die Besitztitel geistlicher Häuser, die Herwig Wolfram, Sprache und Identität im Frühmittelalter mit Grenzüberschreitungen, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 39–59, hier 45 mit Anm. 53 (Franken) und 50 mit Anm. 96, nach Paulus Diaconus, Historia Langobardorum V, 29 (ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878, ND 1988) 154 (Bulgaren).   6 Siehe unten Anm. 122–125.   7 Herwig Wolfram, Die bayerische Carta als diplomatisch-historische Quelle, in: Die Privaturkunden der Karolingerzeit, ed. Peter Erhart/Karl Heidecker/Bernhard Zeller (Dietikon–Zürich 2009) 144–160, hier 145–148.   8 Vgl. Notitia Arnonis, 8, 4–5 (ed. Fritz Lošek, in: Quellen zur Salzburger Frühgeschichte, ed. Herwig Wolfram, VIÖG 44, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Erg. Bd. 22, Wien 2006) 9–178, hier 84 (im Folgenden wird danach zitiert), oder (ed. Fritz Lošek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 130 [1990]) 5–192, hier 94, mit Breves Notitiae, 3, 11 (ed. Fritz Lošek, in: Quellen zur Salzburger Frühgeschichte, ed. Herwig Wolfram, VIÖG 44, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Erg. Bd. 22, Wien 2006) 9–178, hier 92 (im Folgenden wird danach zitiert), oder (ed. Fritz Lošek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 130 [1990]) 5–192, hier 106, oder (ed. Willibald Hauthaler/ Franz Martin, Salzburger Urkundenbuch 2, Salzburg 1916) Anhang 1–23.   9 Siehe Herwig Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien 1995) 213, zu Breviarius Urolfi (ed. Karl Roth, Beiträge zur deutschen Sprach-, Geschichtsund Ortsforschung 3, Heft 11, München 1854) 17–28, oder (ed. Heinrich Tiefenbach, Die Namen des Breviarius Urolfi. Mit einer Textedition und zwei Karten. Ortsname und Urkunde, in: Ortsname und Urkunde: frühmittelalterliche Orts­namen­ überlieferung. Münchener Symposion 10. bis 12. Okt. 1988, ed. Rudolf Schützeichel [Beiträge zur Namenforschung, NF Beiheft 29, Heidelberg 1990]) 60–96, zitierte Edition 86–91, hier 86, und Das Prümer Urbar fol. 5 (ed. Ingo Schwab, Rheinische Urbare 5. Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 20, Düsseldorf 1983) 158.   5

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ihre Dotation aus der causa dominica erhalten hatten und daher ihre Gründung wie Erhaltung mittelbar oder unmittelbar den Agilolfingern verdankten, in den auf 788 folgenden Jahren zu sichern. Namentlich bekannte wie unbekannte Verfasser bearbeiteten zahlreiche für die bayerischen Kirchen ausgestellte Schenkungsurkunden des 8. Jahrhunderts, indem sie deren Rechts- und Sachinhalte kopierten und vorwiegend relativ-chronologisch ordneten.10 Eine absolute Chronologie ist aus den Texten am ehesten dann zu gewinnen, wenn ein bayerischer Herzog oder eine Herzogin oder gar ein fränkischer Herrscher die Schenker waren, da deren Regierungszeiten im 8. Jahrhundert ziemlich gut bekannt sind.11 In Salzburg bearbeiteten zwischen 788 und 790 der Diakon Benedikt in der Notitia Arnonis und ein unbekannter Redaktor zwischen 798 und 800 in den Breves Notitiae unabhängig voneinander diejenigen Einzelurkunden und für besondere Sachverhalte zusammengestellte Dokumentationen, wie den libellus Virgilii, um daraus die Besitztitel der Salzburger Kirchen zu belegen.12 Die unmittelbaren herzoglichen Schenkungen wurden hauptsächlich zwischen dem Eintreffen Ruperts in Salzburg um 696 und dem Tod der Herzoginwitwe Hiltrud im Jahre 754 vollzogen.13 Wenn der Bayernherzog Theotpert dem heiligen Rupert im oberbayerischen Traunwalchengau 80 Romani tributales schenkte,14 ist daher nicht mit Gewissheit zu sagen: „Die Ersterwähnung um 790 Kop. 12. Jh. bezeugt damit (hier) die Anwesenheit von Romanen noch am Ende des 8. Jahrhunderts.“15 Theotpert hatte von um 702 bis kurz nach 716 regiert. Die Salzburger Güterverzeichnisse erwähnen Romani tributales/tributarii nur bis 754.16 Diese Zeitgrenze gilt jedoch nicht für isti Romani de Fischaha, für diese Romanen an der Fischach, die als rechter Zubringer unterhalb der Stadt Salzburg in die Salzach mündet. Sie waren offenkundig keine tributpflichtigen Romanen, sondern bekämpften als genossenschaftlicher Verband die Ansprüche von (Erz)bischof Arn (785/98–821) an einer silva iuxta Fiscaha. Der Salzburger Oberhirte gewann den Rechtsstreit vor den pagenses viri nobiles erst im zweiten Gerichtsverfahren. Der keine 30 km Luftlinie östlich vom oberbayerischen Traunwalchen gelegene Salzburger Ortsteil Fischach gehört zu Bergheim. Auf dessen Gemeindegebiet wurden zahlreiche frühbayerische Reihengräberfelder entdeckt. Außerdem zählt zu Bergheim der Ortsteil Muntigl = Kleiner Berg. Diesem nördlich der Salzburger Namen­grenze seltenen romanischen Namen entspricht das bayerische Bergheim, was auch hier für lokale Zweisprachigkeit spricht.17 Wenn aber die Salzburger Güterverzeichnisse für die Zeit nach 754 zwar weiterhin Tributpflichtige erwähnen, jedoch keinen von ihnen als Romanen bezeichnen, wurde deren ethnische Identität von den theodisk-bayerischen Zeitgenossen offenkundig nicht mehr als romanisch wahrgenommen. Was aber bedeutet Identität? Gemäß einer sozialwissenschaftlichen Definition, deren Vermittlung dem Grazer Soziologen Karl Acham verdankt wird, setzt sich Identität aus Selbstbild, Fremdbild und Wunschbild zusammen. Der Historiker macht daraus Eigenwahrnehmung oder Selbstbezeichnung und Fremdwahrnehmung oder Fremdbezeichnung und erweitert im Folgenden das Wunschbild um die Wunschvorstellungen „der anderen“.18 Wolfram, Salzburg 231f. Allgemein zu den breves = Güterverzeichnisse siehe Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (MIÖG, Erg. Bd. 23, Wien/Köln/Graz 1971) 81–83.  11 Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. 378–907 (Wien 1995, 22003) 81–85.  12 Wolfram, Salzburg 197 mit Anm. 30. Notitia Arnonis und Breves Notitiae, ed. Lošek 33 mit Anm. 150 und 39 mit Anm. 202.  13 Breves Notitiae 1, 1–11, 3, ed. Lošek 88–102.  14 Breves Notitiae 4, 7, ed. Lošek 94.  15 So Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen 203 mit Anm. 41. Als Gegenbeispiel sei Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 461, erwähnt, wo der dem Namen nach Romane Santulus, der unter Herzog Odilo (gest. 748) an Salzburg ­schenkte – siehe Breves Notitiae 10, 5, ed. Lošek 102 – aufgrund derselben Quelle richtig der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zugeordnet wird.  16 Joachim Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35, Stuttgart 1991) 76–81, und Wolfram, Grenzen 81f. (Theotpert), sowie Wolfram, Grenzen 446 Anm. 32 und Wolfram, Salzburg 153 mit Anm. 310 zu Notitia Arnonis und Breves Notitiae, ed. Lošek 151 s. v. Romani (tributales).  17 Zur Datierung von Breves Notitiae 14, 54, ed. Lošek 112, siehe Notitia Arnonis und Breves Notitiae, ed. Lošek 34f. Zum Inhalt siehe Heinz Dopsch, Der Ort, seine Herren und das Gericht Bergheim im Mittelalter (ca. 600–1550), ed. Gemeinde Bergheim (Bergheim. Geschichte und Gegenwart, Bergheim 2009) 60–93, hier 60–62, und Hans Krawarik, Die Anfänge der mittelalterlichen Besiedelung im Raum von Bergheim, ed. Gemeinde Bergheim (Bergheim. Geschichte und Gegenwart, Bergheim 2009) 94–106. Den Gegenstand des Rechtsstreits bildete ein Wald am Fluss Fischach, den Herzog Hucbert (gest. 736/37) St. Peter geschenkt hatte: siehe Notitia Arnonis 3, 2, ed. Lošek 74, und Breves Notitiae 6, 2, ed. Lošek 96. – Zur Salzburger Namengrenze siehe unten Anm. 203.  18 Wolfram, Sprache und Identität 40.  10

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EIGENWAHRNEHMUNG ODER SELBSTBEZEICHNUNG Regionalisierung und Ethnisierung bewirkten überall im späten Imperium Romanum die „Romanisierung der Römer“ als Voraussetzung für ihr Fortleben unter barbarischer Herrschaft. Vom Erfolg dieser Entwicklung, in deren Verlauf sie eine gens unter anderen wurden, hing es ab, ob und wie die Römer/ Romanen ihre Existenz auch als Minderheiten erhalten und gestalten konnten. Dieser Prozess setzte im Westen schon lange vor 400 ein und wurde durch die Völkerwanderung bloß verstärkt. So entstanden zum einen Gruppen vornehmlich sozial-gentiler Zuordnung, wie ethnisierte milites/­exercitales, die Angehörigen ehemaliger römischer Militärbezirke, oder (re)barbarisierte Dissidenten nach Art der ­Bagauden und Skamaren. Auch bildeten sich territorial-gentile Verbände, wie Basken, Briten und ­Bretonen, Pontiker, Isaurer und Mauren, Aquitanier, Raeter, Tiroler Nurihtaler und Breonen.19 Nach der Völkerwanderung dürfte das 8. Jahrhundert eine besondere Zeit der Veränderung und des Wechsels gebildet haben. Ob dieser Prozess mit der Ablöse der Merowinger durch die ­Karolinger zusammen­hing oder nicht, es erfolgte ein neuerlicher Schub der Regionalisierung und Ethnisierung. So wurde an verschiedenen Stellen des ehemaligen Römerreichs die allgemeine römisch/romanische Identität unmittelbar oder mittelbar aufgegeben, und zwar nicht selten zugunsten des Rückgriffs auf vorrömische Traditionen. Ein Beispiel für einen mittelbaren Rückgriff liefert die Entstehung des ­Karantanen-Namens in der Sclavinia.20 Den größten Teil Binnennorikums besiedelten ab etwa 600 ­Slawen, die bis gegen 630 unter awarischer Herrschaft standen. Daraus wurde um 700 das unabhängige Fürstentum Karantanien, dessen vorrömischen Namen anscheinend die einheimischen Romanen an die Alpenslawen vermittelten. Etwa zwei Generationen nach der Zurückdrängung der Awaren hatte Karantanien das „jüngere“ Norikum abgelöst. So waren aus den Alpenslawen die Karantanen geworden, die sich auch selbst so bezeichneten.21 Südlich der Loire löste ein vorrömischer Name den allgemeinen Romanen-Namen ab, als sich hier die Bevölkerung seit etwa 750 „wieder“ als Aquitanier bezeichnete.22 Der 778 im Lande geborene Ludwig der Fromme wurde 781 von seinem Vater als rex Aquitanorum eingesetzt.23 Nahezu gleichzeitig mit der Entstehung der aquitanischen Identität wurden die Romanen des heutigen Graubündens zu (Chur-)Raetern. Zwei Bearbeitungen der Vita Galli spiegeln diesen Wechsel. Wenn der konservative Reichenauer Lehrer Wetti (gest. 824) vor den ingeniosi Romani warnt, weiß Walahfrid Strabo (gest. 849) an der gleichen Stelle von der gefährlichen Schlauheit der Rhetiani zu berichten.24 Raetische Sprache und raetisches Recht galten freilich weiterhin als romanisch.25 Die von den Karolingern anerkannten raetischen Rechtsgewohnheiten verhinderte in deren Geltungsbereich die

Siehe Wolfram, Salzburg 29f., Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien 1967) 82f. und 86; Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 264–565 n. Chr. (Handbuch der Altertumswissenschaft III 6, München 22007) 370f., und ganz besonders Fritz Mitthof, Zur Neustiftung von Identität unter imperialer Herrschaft: Die Provinzen des Römischen Reiches als ethnische Entitäten, in: Visions of Community in the post-Roman World: the West, Byzantium and the Islamic world, 300–1100, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Richard Payne (Farnham 2012) 61–72.  20 Zur Bezeichnung Sclavinia für Karantanien siehe Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien, c. 7 (ed., trans., kommentiert und um die Epistola Theotmari wie um Gesammelte Schriften zum Thema ergänzt. 3., gründl. überarb. Aufl. von Herwig Wolfram [Ljubljana/ Laibach 2013]) 68; vgl. ebd. 417 s. v.  21 Wolfram, Salzburg 73–79 und Conversio, ed. Wolfram 112, sowie besonders Peter Štih, Begegnung, Akkulturation und Integration am Berührungspunkt der romanischen, germanischen und slawischen Welt, in: Akkulturation im Mittelalter, ed. Reinhard Härtel (Vorträge und Forschungen 78, Ostfildern 2014) 235–294, hier 249–257. Zum vergleichbaren Prozess im heutigen Kroatien siehe Danijel Dzino, Becoming Slav, Becoming Croat. Identity Transformations in Post-Roman and Early Medieval Dalmatia (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, Leiden/Boston 2010) 12. Dieses Zitat wird Peter Štih verdankt.  22 Eugen Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein im Frankenreich des 7. Jahrhunderts. Spätantikes und fränkisches Gallien 1 (Beihefte der Francia 3, 1, München 1976) 231–273, hier 240–245.  23 Wolfram, Intitulatio I. 220–224.  24 Wilhelm Wattenbach/Wilhelm Levison/Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 1 (Weimar 1952) 141; zu Wetti(nus), Vita Galli c. 35 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, ND Hannover 1997) 256–280, hier 277, Z. 15, und Walahfrid Strabo, Vita Galli c. 1 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, ND 1997) 280–337, hier 314, Z. 5. Siehe auch Bernhard Zeller in diesem Band.  25 Siehe unten Anm. 29.  19

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Abwertung des Romanennamens.26 Daher blieben sich die Churraeter ihrer Romanitas bewußt, wenn sie sich von den „barbarischen“ Alemannen unterschieden. Bis in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts hieß die Straße, die von Vinomna/Rankweil in den alemannischen Norden führte, die via barbaresca, der „Weg zu den Barbaren“.27 Der Umstand, dass der regionale Romanenname weiterhin aktuell blieb, könnte im Jahre 791 einen biederen Alemannen sehr beunruhigt haben. Der Mann wollte anscheinend nicht einsehen, dass Karl der Große, der mächtige König der Franken und Langobarden, ein nur regionaler patricius Romanorum, ein Patricius der Churraeter, sein sollte. Daher fügte er in der Datumzeile einer von ihm geschriebenen Urkunde et Allamannorum hinzu.28 Die Raeter sprachen freilich immer noch Romanice, und dies ist bis heute so geblieben.29 Einen Eindruck davon, wie das vielgestaltige Alpen­romanisch ausgesehen hat und geklungen haben mag, vermitteln die romanischen Personennamen in bayerischen Ortsnamen und Urkunden sowie das analoge Material in den Originalen, die in St. Gallen erhalten blieben. So wurde eine Antonia zur Tunza oder Tun(n)a, ein Dulcissimus zum Cissimo oder eine Eugenia zur Genia.30 Nach Ausweis der Überlieferung bildete der churraetische populus einen verhältnismäßig großen Teil der Gesamtbevölkerung und war politisch handlungsberechtigt. In einer Königsurkunde anerkannte Karl der Große 772/74 die politische Mitwirkung der Raeter und mittelbar ihre freie Bischofswahl. Und ebenso hielt es Kaiser Lothar I. im Jahre 841, als er nach dem Beispiel seiner Vorgänger Volk und ­Bischof von Chur privilegierte.31 Die Karolinger empfingen nicht bloß die Gesandten des ­churraetischen Rektors = Bischofs von Chur, sondern auch die des Volkes und verhandelten mit beiden über die Verleihung des Königsschutzes wie die Garantie der herkömmlichen Rechte und Gewohnheiten. Eine derartige Vorgangsweise blieb freilich keine churraetische Besonderheit: Wählte ein gentiler oder ­urbaner Verband, der die Oberhoheit des Frankenreichs anerkannte, seine Repräsentanten, bedurfte ­diese „Volkswahl“ der Zustimmung des Frankenherrschers. Was aber für die slawischen Völkerschaften des bayerisch-­ friulanischen Ostlandes bloß dem Herkommen nach galt, wurde den Churraetern 772/74 urkundlich verbrieft und ebenso 806 den Venezianern und dalmatinischen Romanen in welcher Form auch immer zugestanden.32 Byzanz hatte die Ausbreitung der karolingischen Herrschaft über das ­adriatische Küsten­ gebiet von Venedig über Grado bis Istrien seit etwa 791 als Bedrohung seiner Interessen angesehen und wollte das Verlorene zurückgewinnen. Dazu kam, dass die selbstbewussten Bürger der romanischen Küstenstädte Istriens gegen den fränkischen Dux Johannes aufbegehrten. Den Anlass zu ihrer Unzufriedenheit gab das Regime des Dux, der in rücksichtsloser Weise fränkische Politik machte und dabei nicht vergaß, seine eigene und die Stellung seiner Familie im Lande nicht zuletzt mit Hilfe abhängiger Slawen zu sichern. Angesichts der byzantinischen Flottenaktivitäten in der oberen Adria hatten die Beschwerden der einheimischen Notabeln Erfolg. Karl der Große und sein Sohn Pippin von Italien sandten drei Königsboten, die auf einem 804 östlich des heutigen Koper/Capo d’Istria in loco quo dicitur Riziano abgehaltenen Gerichtstag, placitum, die Übergriffe des allzu tüchtigen Johannes abstellten. Als Helfer und

Siehe Herwig Wolfram, Expansion und Integration. Rätien und andere Randgebiete des Karolingerreichs im Vergleich, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Grossen. Kloster St. Johann in Müstair und Churrätien, ed. Hans Rudolf Sennhauser unter Mitarbeit von Katrin Roth-Rubi/Eckart Kühne (Acta Müstair, Kloster St. Johann 3, Zürich 2013) 251–260, hier 253f., zu D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112, sowie unten Anm. 29–32.  27 Wolfram, Salzburg 114 und Wolfram, Grenzen 145f. und 300 mit Anm. 144 zu BUB 1, n. 253, ed. Meyer-Marthaler/ Perret 242f. und BUB 2, n. 391, ed. Meyer-Marthaler/Perret 12. Vgl. unten Anm. 53.  28 Heinrich Fichtenau, „Politische“ Datierungen des frühen Mittelalters, in: ders., Beiträge zur Mediävistik 3 (Stuttgart 1986) 186–285, hier 243f. mit Anm. 14, zu UBSG 1–4, hier 1, n. 170. Vgl. Herwig Wolfram, Politische Theorie und narrative Elemente in Urkunden, in: Kanzleiwesen und Kanzleisprachen im östlichen Europa, ed. Christian Hannick (Archiv für ­Diplomatik, Beihefte 6, Köln 1999) 1–23, hier 18f. Siehe auch Bernhard Zeller in diesem Band, der die Möglichkeit bedenkt, dass mit Romani doch die Stadtrömer gemeint waren.  29 Ekkehardus IV. von St. Gallen, Casus sancti Galli (ed. und trans. Hans F. Haefele, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10, Darmstadt 1980) 180–183. Siehe auch unten Anm. 62.  30 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 418–423. Vgl. Wolfram, Grenzen 139 mit Anm. 1.  31 Zu D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112, und D. Lo. I., ed. Schieffer 157–159, siehe Wolfram, Expansion und Integration 253f.  32 Annales regni Francorum a. 806 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895, ND 1950) 121; Peter Štih, The Middle Ages between the Eastern Alps and the Northern Adriatic. Select Papers on Slovene Historiography and Medieval History (Leiden/Boston 2010) 225f.; Wolfram, Expansion und Integration 256f. mit Anm. 29–33.  26

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Vertreter seines istrischen Sprengels trat der Patriarch Fortunatus von Grado mit seinen romanischen Suffraganen auf. Der Spruch wurde in einer Urkunde niedergelegt, die den Wechsel vom byzantinischen zum fränkischen Dukat spiegelt. Außerdem gibt das Dokument Aufschluss über die institutionellen, sozio­ökonomischen und ethnischen Verhältnisse Istriens um 800. Der Kaiser und sein Sohn Pippin hatten das Ergebnis des placitum wie üblich „bestellt“. Auch Karls Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme bestätigte sofort nach Regierungsantritt das ihm vorgelegte Dokument und kümmerte sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals um Istrien.33 Ähnlich wie in Churraetien war das Verhältnis zwischen neu-alter regionaler Identität und romanischer Sprache im anschließenden Tiroler Raum, nur dass sich hier keine eigene romanische Rechtsgemeinschaft hielt oder bildete, sondern theodisk-bayerischer Einfluss in Recht und Sprache dominierte. Der Sterzinger Romane Quarti(nus) betonte 827/28 seine Herkunft von der regionalen natio Noricorum et Pregn(v)ariorum, von dem „Volk der Noriker (Nurihtaler) und vom dem der Männer (-varii) aus dem Breonenland“.34 Die Breonen, die unmittelbaren Nachbarn der Churraeter im Osten, bewohnten wohl vorwiegend das heutige Tiroler Inntal oberhalb des Zillers. Bereits die klassische Ethnographie ­kannte die Breonen in ihren Sitzen; die moderne Forschung spricht von einem vorrömischen Volk, kaum von Kelten berührt, von Angehörigen einer alpinen Restgruppe indogermanischer Prägung. Servatus, ­Theoderichs des Großen dux Raetiarum, sollte die Breonen dafür zur Rechenschaft ziehen, dass sie offenkundig von der römischen civilitas, die ihnen Ravenna verordnet hatte, wenig hielten. Als ­eigenes Ethnikon im Vollsinn des Wortes kommen die Breonen bei Venantius Fortunatus vor; er schreibt über sie in den 570er Jahren, bezieht sich aber auf die Zeit um 565. Der breonische Vorort dürfte Imst gewesen sein, das die Scharnitzer Gründungsurkunde von 763 als opidum (sic) Humiste im Oberinntaler pagus Uuallenensium bezeugt.35 In den partes Vallenensium, in den „Gebieten der Talbewohner“, so erinnert sich Arbeo von Freising, lebte zu dieser Zeit der schöne adelige Romane Dominicus, ein „Mitbürger des Volkes der Breonischen“, Preonensium plebis concives. Der an starkem Fieber leidende Mann wurde beim Durchzug der Reliquien des heiligen Corbinian geheilt, sprang aufs Pferd und lobte Gott laut in ­seiner, offenkundig romanischen Sprache.36 Den lebenden Corbinian läßt Arbeos Vita A über ­Alemannien und germanisches Gebiet in die Valeria reisen, von wo und von der norischen ­Cisalpina ihn die Leute des bayerischen Herzogs Grimoald (gest. 725/28) an die Grenzen Italiens brachten.37 Eine einst nordostpannonische Valeria wirkt in diesem Raum ein wenig deplaziert, ja rätselhaft. Nicht unmöglich, dass die zuletzt von Katharina Winckler aufgegriffene Überlegung, die Valeria Arbeos als „etymologisierte“ und literarisch verschönte Walchia=Romanenland zu verstehen, das Richtige trifft.38 Quarti und seine Leute wurden nach bayerischem Recht an den Ohren gezogen und besaßen die Testierfähigkeit der bayerischen nobiles, wie sie auch die Angehörigen der Salzburger genealogia de

Wolfram, Grenzen 241f.; Štih, The Middle Ages 212–229, und Harald Krahwinkler, …in loco qui dicitur Riziano. Die Versammlung in Rižana/Risano bei Koper/Capodistria im Jahre 804 (slowenisch und deutsch) (Knjižnica Annales, Koper 2004) 103–158 (Rezeptionsgeschichte, zum Bild von Bruno Croatto: 154–158) geben je ausgezeichnete Darstellungen der Ereignisse und Zusammenhänge. Siehe auch Stefan Esders, Regionale Selbstbehauptung zwischen Byzanz und dem Franken­reich. Eine inquisitio der Rechtsgewohnheiten Istriens durch die Königsboten Karls des Großen und König Pippins von Italien, in: Eid und Wahrheitssuche. Studien zur rechtlichen Befragungspraxis in Mittelalter und früher Neuzeit, ed. Stefan Esders/Thomas Scharff (Frankfurt am Main 1999) 49–112; Harald Krahwinkler, Friaul im Frühmittelalter. Geschichte einer Region vom Ende des 5. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts (VIÖG 30, Wien/Köln 1992) 199–243 (202–204: deutsche Übersetzung). Zur Dramaturgie und Unscheltbarkeit eines placitum siehe Herwig Wolfram, Konrad II. Kaiser dreier Reiche. 990–1039 (München 2000) 150–152.  34 Wolfram, Salzburg 34–38 zu Die Traditionen des Hochstiftes Freising 1–2, n. 550 a–c (ed. Theodor Bitterauf, Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 4 und 5, München 1905/1909, ND Aalen 1967) hier 1, 471–474.  35 Traditionen Freising n. 19, ed. Bitterauf 1, 47. Zu den Breonen siehe Wolfram, Grenzen 297–299 mit Anm. 130f.  36 Wolfram, Salzburg 30–34 mit Anm. 95 zu Arbeo von Freising, Vita Corbiniani c. 37 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [13], Hannover 1920) 100–234, hier 226, oder (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 6, Hannover/ Leipzig 1913) 560–593, hier 589. Vgl. Bischof Arbeo von Freising, Vita Corbiniani – Das Leben des heiligen Korbinian (ed. und trans. Franz Brunhölzl, in: Hubert Glaser/Franz Brunhölzl/Sigmund Benker, Vita Corbiniani. Bischof Arbeo von Freising und die Lebensgeschichte des hl. Korbinian [München/Zürich 1983]) 84–159.  37 Arbeo von Freising, Vita Corbiniani c. 15, ed. Krusch 202 und 204.  38 Katharina Winckler, Die Alpen im Frühmittelalter. Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800 (Wien 2012) 317f. Zu Arbeos Latinität siehe die Fußnoten im Apparat der Editionen.  33

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Albina im 8. Jahrhundert hatten.39 Dasselbe Recht übten zur selben Zeit die handelnden Personen des berühmten Rottachgau-Fragments aus,40 das wahrscheinlich von und für Romanen nahe dem Innviertler Gurten (von curtis = Hof) ausgestellt wurde.41 Nach 754 kennt die Salzburger Überlieferung zwar keine Romani tributales mehr, aber an der Fischach gab es noch unter Bischof, wenn nicht Erzbischof Arn (785/98–821) Romanen, die gegen ihn prozessierten.42 Die Angehörigen der regionalen romanischen Oberschicht, mit denen sich Bischof Virgil um 750 ausführlich beschäftigen musste, wurden freilich niemals als Romanen bezeichnet.43 Ja, sie führten neben traditionellen romanischen Namen, jedoch wie Tonazan und Ledi bereits in bayerischer Lautung (Wolfgang Haubrichs machte brieflich darauf aufmerksam), auch rein theodiske Namen.44 Sie sind nicht zuletzt über das Recht der Bayern zu Bayern geworden, deren walchische Ursprünge wohl noch bekannt waren, vergleichbar mit Wulfila, dessen Vorfahren aus Kappadokien stammten, der aber nach allem, was wir wissen, als Gote galt.45 Lautloser Sprachwandel Die Aufgabe der eigenen und die Annahme einer neuen Sprache ist eine Frage der ethnischen Identität und wäre systematisch der Eigenwahrnehmung zuzuordnen. Dieser Übergang wurde jedoch von den Betroffenen, seien sie westliche Franken, italienische Langobarden oder auch noch die Donau-Bulgaren gewesen, so gut wie niemals problematisiert. Demnach hat der Sprachwandel die ethnische Identität in der Eigenwahrnehmung nicht verändert. Man muss dafür schon die Fremdwahrnehmung heranziehen, um Änderungen zu erkennen. So war den Bayern bereits um 790 bewusst, dass die ­Langobarden der Sprache nach Römer sind. Weitere regionale Beispiele liefern etwa die Notitia Arnonis und die ­Breves Notitiae. Die beiden Salzburger Güterverzeichnisse stammen vom Ende des 8. Jahrhunderts; sie bezeugen aufgrund des Rechts- und Sachinhaltes der bearbeiteten Urkunden ab um 700 den ­hohen, auf romanischer Tradition beruhenden Organisationsgrad des Salzburggaues, dessen ursprüngliche Zweisprachigkeit langsam, aber stetig abnahm. Ein gutes Beispiel liefern die frühmittelalterlichen ­Namen der Gemeinde Wals westlich der Stadt Salzburg. Die Güterverzeichnisse überliefern sowohl den ­romanischen Namen Vico Romanisco (Romanisches Dorf) wie die bayerischen Entsprechungen Walwis/ Walahowis/Walchwis (Dorf der Romanen).46 Außerdem heißt es in beiden Texten, dass der theodiske Name vulgo gebraucht wird und daher spätestens knapp vor 800 die im Volk übliche Bezeichnung war.47 Zum ersten Mal wird Wals in einer Schenkung an die Maximilianszelle vor dem Todestag ­Herzog ­Odilos am 18. ­Januar 748 genannt.48 Der Schenker führte den romanischen Namen Santulus und gab auch Besitzungen in Vigaun (von Vicone = Großdorf),49 das heißt in der Nähe von Oberalm, so dass er zur romanischen genealogia de Albina gehört haben könnte. Während die Schenkungen von Santulus und die nicht viel jüngere der drei Verwandten Sigiboldus iudex, Anno/Onno und Sigiwolf bloß in Vico Traditionen Freising 550 a–c, ed. Bitterauf 1, 472 und 473: testes per aures tracti. Zur Testierfähigkeit der Angehörigen der Salzburger genealogia de Albina siehe etwa Notitia Arnonis 8, 4, ed. Lošek 84, und Breves Notitiae 3, 10, ed. Lošek 92, sowie Wolfram, Grenzen 297 mit Anm. 129.  40 Franz-Reiner Erkens, Actum in vico fonaluae die consule. Das Rottachgau-Fragment und die romanische Kontinuität am Unterlauf des Inns, in: Nomen et Fraternitas. Festschrift Dieter Geuenich, ed. Uwe Ludwig/Thomas Schilp (RGA, Erg. Bd. 62, Berlin/New York 2008) 491–509; Wolfram, Die bayerische Carta 145–160, bes. 152.  41 Siehe Peter Wiesinger in diesem Band.  42 Wolfram, Grenzen 295 und Wolfram, Salzburg 153 mit Anm. 310. Zu den Romanen am Flusse Fischach siehe oben Anm. 17 und unten Anm. 115.  43 Jahn, Ducatus 64–69 und 79–86, und Wolfram, Salzburg 132–134 zu Notitia Arnonis 8, ed. Lošek 82–85 und Breves ­Notitiae 3 und 8, ed. Lošek 90–93 und 96–101.  44 Siehe Wolfram, Grenzen 297 zu Notitia Arnonis 8, 1 (Tonazanus) und 8, 4f. (Cissimo und Wurmhari), ed. Lošek 82 und 84, sowie Breves Notitiae 3, 11 (Tonazan und Ledi), ed. Lošek 90. Vgl. die Aufstellung in Wolfram, Salzburg 214–225 oder Conversio, ed. Wolfram 133–144.  45 Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethno­ graphie (München 1979, 52009) 84f.  46 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 438.  47 Zum Sprachwandel der Langobarden siehe oben Anm. 4. Zu Salzburg siehe Notitia Arnonis 6, 2f. und 6, 26, ed. Lošek 76 und 80, sowie Breves Notitiae 10, 5; 14, 1, 3 und 20f., ed. Lošek 102, 106 und 108.  48 Wolfram, Salzburg 337f.  49 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 438f. und 461 (Santulus).  39

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Romanisco liegen, verwenden die meisten anderen, weil späteren Erwähnungen von Wals entweder beide oder nur mehr den t­heodisken Namen.50 Eine ähnliche Entwicklung dokumentiert der Libellus ­Virgilii von 746/47 für die Zeit um 711/12:51 Tonazan und Ledi, zwei Angehörige der romanischen Familie von Oberalm, gingen von Oberalm sursum Salzaha, um zu jagen und Gold zu waschen. Demnach wanderten sie nicht mehr den Ivarus oder die Igonta/Isonta, sondern die Salzach aufwärts und kamen auch nicht in eine Einöde, in eine heremus, die romanisch benannt wurde, sondern die „nun“ (sc. 746/47) den theodisken Namen Pongau (heute Bischofshofen) führt.52 Auch die Bezeichnungen des Salzburggaus belegen den Sprachwandel. Dem „Gau der Iuvavensier/Ioboacensier“ gab Iuuavo, „das im Volksmund Salzburg heißt“, den Namen. Der Ort lag am Flusse Ivarus, wie es in den Breves Notitiae steht, oder an der Igonta (zu Isonta zu emendieren?), die auch Salzach heißt, wie die Notitia Arnonis berichtet. Dieser Text lokalisiert Schenkungen infra oppidum Salzburch in pago Ioboacensium. Beide Quellen überliefern die romanischen Namen ihrer Vorlagen und fügen ihnen die immer gebräuchlicher werdenden theodisken Namen für Stadt und Fluss hinzu. Wenn auch gegenüber dem Westen mit rund hundertjähriger Verspätung, waren gegen Ende des 8. Jahrhunderts der Salzburggau wie die benachbarten außeralpinen Gaue anscheinend bruchlos eine vorwiegend theodiske Sprachlandschaft geworden. Ein Gegenbeispiel dazu stammt aus dem Vorarlberger Grenzgebiet Churrätiens. Zwischen 817 und 825/26 agierte in Rankweil/Vinomna und Umgebung ein Schultheiß oder minister, einmal auch ­centenarius genannter Mann namens Folcwin. Seine Tätigkeit war – entgegen der Bedeutung seines ­Namens – keineswegs „volksfreundlich“. Was die alemannischen Grafen im großen Stil betrieben oder betreiben mussten, versuchte ihr Rankweiler Stellvertreter in einem wirtschaftlichen Kleinkrieg von Acker zu Acker. Unter den Umstürzen und Nachfolgewirren zwischen 806/07 und 817 hatten hier die kleinen romanischen Besitzer schwer zu leiden. Sie wurden aber nicht ganz verdrängt, obwohl das ­romanische Vinomna dem alemannischen Rankweil weichen musste. Ausgerechnet in einer Folcwin-­ Urkunde heißt aber die Straße, die von Rankweil in den alemannischen Norden führte, die via ­barbaresca. Dagegen weiß man in Salzburg wenig später um die Mitte des 9. Jahrhunderts nur mehr vom Hörensagen, der Metropolitansitz habe einst Iuvavo geheißen.53 Dieser außeralpine Befund widerspricht jedoch nicht der Annahme der Sprachwissenschaft, die für das Salzburger und Tiroler „Innergebirg“ mit „Romanisch als Bauern- und Haussprache wohl noch bis ins 10./11. Jahrhundert“ rechnet, „womit der Trierer Moselromania vergleichbare Verhältnisse fassbar werden“.54 FREMDWAHRNEHMUNG ODER FREMDBEZEICHNUNG Der mittelalterliche Römername hatte viele Bedeutungen. Zum einen hießen so die Bewohner der Ewigen Stadt, die keinen guten Ruf besaßen. Ihre anrüchige Gründungssage und der Brudermord am Ursprung der Stadt wurden ihnen nicht erst seit Augustinus immer wieder zum Vorwurf gemacht.55 Trotzdem bewahrte die Urbs zum zweiten staatsrechtliche und politische Relevanz, die sich in den mittelalterlichen Kaiserkrönungen und im wachsenden universalen Machtanspruch des Papsttums äußerte. Breves Notitiae 14, 3, ed. Lošek 106, und Notitia Arnonis, ed. Lošek 76; Breves Notitiae 10, 5, ed. Lošek 102. Zum Libellus Virgilii und zu seiner Entstehungszeit siehe Wolfram, Salzburg 199 und 201–205.  52 Breves Notitiae 3, 1, ed. Lošek 90. Vgl. Andreas Schorr, Frühmittelalterliche Namen an Iller, Donau und Lech. Ihr Aussagewert für eine transdisziplinäre Kontinuitäts- und Ethnogenese-Diskussion, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 219–243, hier 235 Anm. 103; Wolfram, Grenzen 108.  53 Wolfram, Salzburg 38 und 160–165 zu Notitia Arnonis, praefatio, ed. Lošek 72, und Breves Notitiae, praefatio, ed. Lošek 88. Vgl. Eugen Ewig, Die fränkischen Teilreiche im 7. Jahrhundert (613–714), in: ders., Spätantikes und fränkisches ­Gallien 1 (Beihefte der Francia 3, 1, München 1976) 172–230, hier 189, der von einer Germanisierung des Raums von Paris um 650 spricht. Um 850 ist der römische Namen Salzburgs Vergangenheit: siehe De ordine conprovincialium ­pontificum, carmina 8 und 9; I, 1a und 1b, v. 1, in: Die sogenannten „Carmina Salisburgensia“ und der Clm 14743 (ed. und trans. Lukas ­Wolfinger, in: Quellen zur Salzburger Frühgeschichte, ed. Herwig Wolfram, VIÖG 44, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Erg. Bd. 22, Wien 2006) 179–261, hier 206. Zur Situation im Gebiet um Rankweil siehe Wolfram, Salzburg 114 und Wolfram, Grenzen 145f. und 300; siehe oben Anm. 27.  54 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 449.  55 Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 264–565 n. Chr. (Handbuch der Altertumswissenschaft III 6, München 22007) 366.  50  51

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Damit verbunden blieb die Vorbildwirkung des Römischen Rechts. Zum dritten bezeichnete der Römername regionale Bevölkerungsgruppen, mit denen sich die nichtromanischen Nachbarn in unterschied­ licher Weise auseinanderzusetzen hatten. Dazu stellt sich die Frage: Was berichten die Quellen über das Verhältnis der Nichtromanen zu den Romanen, was vom Verhältnis zwischen regionaler Romanitas und barbaries?56 Bischof Eligius von Noyons stammte aus dem Südgallien des 7. Jahrhunderts und wurde in seiner nordgallischen „barbarischen“ Diözese als Römer beschimpft.57 Wie so oft beruht Xenophobie jedoch auf Fremdenferne, und bewirkt Fremdennähe das Gegenteil. So sollen einem ostfränkischen Großen die romanisch sprechenden Franken so verhasst gewesen sein, dass er ihren Anblick unter ­allen Umständen, auch auf die Gefahr hin, eines plötzlichen Todes zu sterben, zu vermeiden suchte.58 Dagegen war es der im romanischen Südtirol aufgewachsene Bayer Bischof Arbeo von Freising, der um die Mitte des 8. Jahrhunderts an einem Dominicus deswegen den Romanen erkannte, weil den Mann Adel, gute Herkunft und schöne Gestalt auszeichneten.59 Es heißt aber auch: Stulti sunt Romani, sapienti sunt Paioari, modica est sapientia in Romana, plus habent stultitia quam sapientia. Tole sind Ualhā spāhe sint Peigira; luzīc ist spāhī in Ualhum, mēra hapēnt tolaheitī denne spāhī. „Dumm sind die Romanen, klug sind die Bayern, gering ist die Klugheit bei den Romanen, sie haben mehr Torheit als Klugheit.“60 Zweisprachig preisen die bekannten Kasseler Glossen des 9. Jahrhunderts die Weisheit der Bayern und verspotten die Dummheit der Romanen. Allerdings verwendete der bayerische Spötter im lateinischen Textteil für stultitia und sapientia keinen korrekten Casus obliquus, dazu den romanischen Plural Nomina­tiv sapienti und die Adverbialbestimmung in Romana (in Analogie zu Ualhā?) anstelle von in ­Romanis, was nicht gerade für die Kenntnis der klassisch-lateinischen Grammatik spricht. Anders als diese bayerische lautet eine alemannische Einschätzung der (churraetischen) Romanen als ingeniosi, vor denen sich ein braver alemannischer Landsmann zu hüten habe.61 In der Mitte des 11. Jahrhunderts erzählte Ekkehard IV. von St. Gallen vom ersten Ekkehard (gest. 14. Januar 973) eine Geschichte, die wie die meisten ihrer Art eine gewisse Ambivalenz im Umgang mit den romanischen Nachbarn offenbart: Ekkehard I. war, wie es die Benediktinerregel verlangt, sehr freigebig und hatte einen Alemannen zur Betreuung von Bedürftigen, Siechen und Kranken bestimmt. Eines Tages kam auf einem Karren ein Lahmer welscher Herkunft, Gallus genere, angefahren und musste versorgt werden. Der Ankömmling war aber furchtbar dick und schwer und konnte von dem Klosterdiener nur mit größter Mühe in die Badewanne gewälzt werden. Diese war voll von zu heißem Wasser, weshalb der Lahme in seiner bäuerlichen Sprache, rustice, schrie cald est, cald est. Der biedere Schwabe verstand „kalt ist“ und goss darauf noch heißeres Wasser hinzu und wiederholte die Prozedur so lange, bis der angeblich Lahme seine Behinderung vergaß und aus der Wanne sprang. Darauf verprügelte ihn der Klosterdiener als Lügner und Betrüger. Durch den Lärm beunruhigt, erschien Ekkehard und wies beide Kontrahenten zurecht, und zwar in deutscher und romanischer Sprache, Teutonice et Romanice. Aufschlussreich ist der Unterschied: Der aus der Unterschicht stammende Romane sprach rustice, Romanice dagegen der Klosterdekan von St. Gallen, der sich auch mit der churwalchischen Elite verständigen musste und daher wie selbstverständlich auf hohem Niveau zweisprachig war.62 Ekkehard IV. kennt noch eine andere Geschichte, die für seine eigene Geringschätzung der Churraeter/Raetoromanen spricht. Ein Romane mit dem deutschen Namen Enzelinus, in dessen Verwandtschaft aber immer noch der alte churraetische

Wolfram, Gotische Studien 246 Anm. 26. Georg Scheibelreiter, Ein Gallorömer in Flandern: Eligius von Noyon, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 117–128, hier 126 mit Anm. 37, nach Vita s. Eligii episcopi Noviomagensis II, 20 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, ND 1997) 712.  58 Wandalbert von Prüm, Miracula s. Goaris c. 7 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15, 1, Hannover 1887, ND Stuttgart 1992) 361–373, hier 365: (Reginarius) omnes Romanae nationis ac linguae homines ita quodam gentilicio odio ­execraretur, ut ne videre quidem eorum aliquem … vellet.  59 Wolfram, Salzburg 30f. und Wolfram, Grenzen 295. Siehe auch oben Anm. 36 und unten Anm. 209.  60 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 415.  61 Wolfram, Salzburg 50 mit Anm. 9.  62 Iso Müller, Ekkehard IV. und die Rätoromanen, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 82 (1971) 271–288, hier 279–284, zu Ekkehardus IV., Casus sancti Galli c. 88, ed. Haefele 180–183, vgl. ebd. c. 41, ed. Haefele 94: der Teufel spricht alemannisch/deutsch.  56  57

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Name Victor fortlebte,63 war Propst des Klosters Pfäfers, wollte aber dort Abt werden. Aus diesem Grund hielt er sich am Hofe Ottos des Großen auf. Hier traf er unvermutet auf einen seiner schärfsten Gegner und rief erschrocken aus „mehr als Raeter und weniger als Deutscher: Cotilf erro, Gott hilf, Herr!“ Für die romanische Aussprache des Deutschen wird er „von vielen“ ausgelacht. Lachen erregte aber auch, wenn Otto I. den gleichnamigen Herzog von Schwaben „auf romanisch“ mit bôn mân begrüßte, habe der Herrscher damit nun „Guten Morgen“ oder doch bôn ân „Gutes Neues Jahr“ gemeint.64 DAS WUNSCHBILD – DER ANDEREN, DIE IMITATIO ROMANORUM Vom romanischen Wunschbild sind im Donau- und Ostalpenraum keine frühmittelalterlichen Zeugnisse bekannt. Es sei denn, man zählt dazu den „Walchenstein“ von St. Georgen am Attersee aus der Zeit um oder nach 500. Das Denkmal ist ein schriftloses Grabrelief, das in spätrömischer mit barbarischem Kunstwollen gemischter Tradition einen Mann und eine Frau darstellt. Ob die beiden Romanen bereits „germanische“ Fibeln trugen oder nicht, sei den Fachleuten zur Entscheidung überlassen.65 Aber dem Nichtfachmann fällt auf, dass die Eheleute abweichend von der römischen Tradition die Hände falten, das heißt, sie beten; sie wollten offenkundig gemeinsam in den christlichen Himmel kommen.

Abb. 1: Der „Walchenstein“ im St. Georger Pfarrmuseum (© Oberösterreichisches Landesmuseum, Max Eiersebner).

Ungleich mehr als über romanische Wunschbilder ist vom Wunsch der „anderen“ bekannt, es den Römern gleichzutun, was nicht selten von oben verordnet wurde. Überliefert wird ein zum Sprichwort gewordener Ausspruch Theoderichs des Großen, der gesagt haben soll: Romanus miser imitatur ­Gothum, et utilis Gothus imitatur Romanum.66 Nachweisbar verlangte der Gotenkönig diese Imitatio Vgl. Wolfram, Salzburg 38f. Müller, Ekkehard IV. 272–278 und 284–288, zu Ekkehardus IV., Casus sancti Galli cc. 70–72, ed. Haefele 146–151, und ebd. cc.128–133, ed. Haefele 250–260, bes. ebd. c. 132, ed. Haefele 254.  65 Barbara Hausmair, Kontinuitätsvakuum oder Forschungslücke. Der Übergang von der Spätantike zur Baiernzeit in Ufernorikum, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 337–358, hier 338f. (Bild); vgl. Wolfram, Grenzen 288.  66 Zu Anonymus Valesianus II (pars posterior) II 61 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Berlin 1892, ND München 1981) 322, oder Excerpta Valesiana (ed. Jacques Moreau/Velizar Velkov, Leipzig 1968) siehe Wolfram, Goten 290 mit Anm. 34  63  64

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von seinen Goten, wenn es um die Änderung ihrer Begräbnissitten ging.67 Es war aber auch ­Theoderichs „Minister“ Cassiodor, der die schon vor ihm „entdeckte“ Gleichsetzung von Goten und Geten nicht nur identitätsstiftend für das Volk seines Herrn vollzog, sondern damit auch ein Vorbild für andere Völker schuf. Nun wollten sie alle durch die „etymologische“ Gleichsetzung ihrer Namen mit denjenigen ­„alter“ Völker zu Mitgliedern der römisch-christlichen Welt werden. Isidor von Sevilla leitete den Namen der spanischen Goten „etymologisch-realistisch“ aus der Bibel her. Der Spanier griff um 600 den Gedanken früherer Autoren auf, entledigte ihn endgültig seiner pejorativen Bedeutung und führte die aktuellen Herren Spaniens auf den Japhet-Sohn Magog, und damit implizit auf die Völker der ­Apokalypse, zurück. Danach wollten die Franken von den Trojanern abstammen, die Sachsen fanden ihre Ursprünge bei den Griechen, im Makedonen-Heer Alexanders des Großen, und wurden darin bestärkt, dass der makedonisch-griechische Gott Hermes mit dem sächsischen Hirmin „etymologisch“ identisch sei. Die Normannen wurden über ihre dänischen Ursprünge zu Dakern, die Slawen zu Vandalen oder Goten.68 Während der Kosmograph von Ravenna noch wusste, dass die Bayern das Land der Raeter beherrschten, kann man bei Paulus Diaconus den Übergang vom antiken zum frühmittelalterlichen „etymologischen“ Wortgebrauch erkennen, wonach die Bayern „das Land der Noriker“ bewohnten.69 Als nächsten Schritt wurden die Bayern selbst zu Norikern, wofür bald nach 800 Urkunden schreibende Kleriker verantwortlich waren. Diesen Wortgebrauch bewirkte wahrscheinlich der Umstand, dass Salzburg als einziges auf altnorischem Boden gelegene bayerische Bistum 798 die Metropole Bayerns wurde.70 Folgerichtig wurde Ager Noricus von den Gelehrten nicht als Norikerland, sondern als Peigirolant, Bayernland, in die Volkssprache übersetzt.71 In der Karolingerzeit galt der im alten Raetien liegende Brenner als wichtigster Teil der Alpes Noricae.72 Hochmittelalterliche Geistliche machten den erfundenen Herkulessohn Norix zum Gründerheros einer ebenfalls erfundenen bayerischen Stammessage.73 Und noch Albrecht Dürer signierte sein Allerheiligenbild als Noricus. Es wurden aber nicht bloß neue Völker mit antiken Gewändern versehen, sondern auch Herrscher und adelige Geschlechter antikisiert. So mutierte etwa der „trojanische“ Franke Ansegisel zu Anschisus, so dass sein Sohn Pippin II. mit dem trojanischen Aeneas verglichen werden konnte, dessen Vater Anchises hieß. Diese gewagte linguistische Operation war freilich keinem Franken, sondern nur einem Langobarden wie Paulus Diaconus möglich (W. Haubrichs).74

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und Wolfram, Sprache und Identität 214 mit Anm. 12, sowie Christian Rohr, Wie aus Barbaren Römer gemacht werden – das Beispiel Theoderich. Die politische Funktion der Hochsprache bei Ennodius und Cassiodor, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 211–217. Cassiodorus, Variae epistolae IV 24 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894, ND 1981) 129: Befehl an Saio Duda dafür zu sorgen, dass keine Edelmetalle in die Gräber gelegt, dafür aber Grabdenkmäler nach unausgesprochen römischem Vorbild errichtet werden. Wolfram, Gotische Studien 227, vgl. 291. Kosmograph von Ravenna IV 37 (ed. Joseph Schnetz, Itineraria Romana 2, Leipzig 1940, ND 1990) 75f.; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum III 30, ed. Waitz 109 (neuer Wortgebrauch), und ebd. I 19 sowie II 26, ed. Waitz 57 und 87 (antiker Wortgebrauch). Wolfram, Salzburg 72f. Wolfram, Salzburg 47 mit Anm. 201, und Wolfram, Grenzen 289 mit Anm. 80, nach Erwin Herrmann, Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm. Ein Quellenbuch mit Erläuterungen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17, München 1965) 117. Siehe Wolfram, Grenzen 410 Anm. 63 zu Divisio regnorum (806), cc. 2 und 3 (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia ­regum Francorum 1, Hannover 1883) n. 45, 126–130, hier 127, und Annales Fuldenses a. 874 (ed. Friedrich Kurze/­Heinrich ­Haefele, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [7], Hannover 21891) 82, oder (ed. und übers. Reinhold Rau, Ausgewählte ­Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 7, ND Darmstadt 1992) 94: Alpes Noricae stehen für den Brenner und/oder Reschen. Dagegen hat Winckler, Alpen 136, recht, wenn sie die Bezeichnung Alpes Noricae in Annales regni ­Francorum a. 820, ed. Kurze 152f., auf weiter östlich gelegene Alpenübergänge bezieht. Wolfram, Gotische Studien 213f. Vgl. Irmtraut Heitmeier, Die spätantiken Wurzeln der bairischen Noricum-Tradition. Überlegungen zur Genese des Herzogtums, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalter­lichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 463–550, hier 471f. Helmut Reimitz, History, Identity and Ethnicity in the Frankish World, 550–850 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Fourth Series, Cambridge 2015) 387 mit Anm. 122f., nach Paulus Diaconus, Liber de episcopis Mettensibus (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829, ND 1976) 260–268, hier 264.

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Gute Lateinkenntnisse und die gleichzeitige Beherrschung von Volkssprachen bildeten selbstverständlich eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Predigen und missionarisches Wirken. ­Columban beauftragte deswegen Gallus, den Bregenzern zu predigen, weil der Gefährte sowohl ausgezeichnetes Latein sprach wie die Sprache „jenes Volkes“ beherrschte, die eine barbarische=alemannische war.75 Während des 9. Jahrhunderts schufen fränkische Gelehrte eine neue Bibeldichtung in ihrer Sprache.76 Sie waren davon überzeugt, die Erben der Makedonen (Griechen) und Römer zu sein. In der fränkischen, das heißt „in unserer“ Sprache, solle das Wort Gottes poetisch verkündet werden. Daher zähle die bisher rohe Sprache der Franken nun zu den edilzungun, zu den „edlen Zungen“, und habe mit den heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein gleichen Rang erworben. Trotzdem kennt die theodiske, später deutsche Selbstwahrnehmung weiterhin ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl gegenüber Kultur und Sprache der Römer. Die Selbstbezeichnung „Barbar“ hatte in diesem Zusammenhang zwar vordergründig keine ethische, sondern eine ethnische Konnotation. Sprach jedoch ein literarisch Gebildeter von seiner barbaries, verstand er darunter auch keine völlig neutrale Bezeichnung für die nichtrömische Sprache und Kultur. So bezeichnete sich der Mainfranke Einhard (um 770–840), der Biograph Karls des Großen, als homo barbarus. Er meinte damit seine Schwerfälligkeit im lateinischen Ausdruck, wie er ausführlich erläuterte, um allerdings nach dieser captatio benevolentiae ausführlich aus Ciceros Tusculanae disputationes zu zitieren.77 Der Alemanne Walahfrid Strabo (gest. 849) sprach von der nostra barbaries, quae est theotisca, und fühlte sich bemüßigt, diese gegen die Abwertung durch Lateiner und Griechen, die doch ihrerseits vieles aus dem Hebräischen übernommen hätten, zu verteidigen.78 Ekkehard I. von St. Gallen dürfte sich in seiner Jugend mit dem Erlernen des klassischen Lateins tatsächlich nicht leicht getan haben. Daran waren freilich nicht zuletzt seine schlechten Lehrer, semimagistri, schuld. Für einen solchen Lehrer verfasste er im 10. Jahrhundert einen Waltharius ­manufortis. Das Latein und die Metrik des Heldengedichts genügten aber so wenig den höheren An­ sprüchen des nächsten Jahrhunderts, dass ein Bayer, der Mainzer Erzbischof Aribo (1021–1031), die Dichtung durch Ekkehard IV. verbessern ließ. Dieser entschuldigte die barbaries und idiomata ­seines Vorgängers: Er sei eben ein Deutscher gewesen, der nicht im Handumdrehen zum Lateiner werden ­konnte. Die schlechten Lehrer hätten ja ihn und andere gelehrt, sich vorzustellen, wie sie etwas auf Deutsch sagen wollten, und dies dann in derselben Wortfolge ins Latein zu übertragen. Derartige ­Irrtümer habe Ekkehard aber bald überwunden.79 Die Erkenntnis des heiligen Hieronymus, es sei de sensu ad sensum und nicht de verbo ad verbum zu übersetzen, hatte auch ihn erreicht. KONTINUITÄTEN Wer von der spätantiken Umgestaltung der Römischen Welt spricht, will damit ausdrücken, dass Römer und römische Einrichtungen sowie Lebensordnungen in veränderter bis stark reduzierter Form das Ende des Imperium Romanum überdauerten und an der Gestaltung der frühmittelalterlichen Reiche in Ost und West mitwirkten.80 Wenn Alex Woolf dafür die treffende Formulierung „The Britons: from Romans to Barbarians“ findet, meint er nicht nur die Entstehung gentiler Königreiche auf ehemals römischen

Siehe Wetti, Vita s. Galli c. 6, ed. Krusch 260, und Walahfrid, Vita Galli I 6, ed. Krusch 289. Vgl. Maximilian ­Diesenberger, Predigt und Politik im frühmittelalterlichen Bayern. Karl der Große, Arn von Salzburg und die Salzburger Sermones-Sammlung (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 58, Berlin 2015) 149 und 151.  76 Zum Folgenden siehe Wolfram, Gotische Studien 245f.  77 Einhard, Vita Karoli Magni, praefatio (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover 61911, ND 1965) 2.  78 Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum c. 7 (ed. Viktor Krause, MGH Capitularia 2, Hannover 1890, ND 2001) Appendix 473–516, hier 481f.  79 Ekkehardus, Casus sancti Galli c. 80, ed. Haefele 168. Zum Waltharius-Lied siehe Benedikt Konrad Vollmann, Waltharius, in: RGA, 2. Aufl. 33 (Berlin/New York 2006) 160–164, hier 162.  80 Walter Pohl, Übergänge von der Antike zum Mittelalter: eine unendliche Debatte?, in: Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen – Nuclei spätantik-frühmittelalterlichen Lebens?, ed. Michaela Konrad/Christian Witschel (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. Abhandlungen NF 138, München 2011) 47–61, und Walter Pohl, Rome and the Barbarians in the Fifth Century, in: Antiquité Tardive 16 (Paris 2008) 93–101.  75

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Provinzialgebiet, sondern auch die Abkehr der britannischen Kurialen vom römischen Konstitutiona­ lismus.81 Wortgewaltig feierte Isidor von Sevilla die Ablöse der Herrschaft der aurea Roma, caput ­gentium, über die principum gentiumque mater Spania (und nicht mehr Hispania) durch die der ­Goten.82 Eine bezeichnende Ausnahme im Chor der Zustimmenden bildete dagegen Gregor von Tours: Wie ­Helmut Reimitz überzeugend darlegt, versuchte dieser letzte Römer in Gallien, die Regionalisierung, ja den gentilen Partikularismus des Frankenreichs durch einen katholisch-christlichen Konstitutionalismus zu hemmen, wenn nicht zu überwinden.83 Das römische Fortleben manifestierte sich freilich auf so vielen verschiedenen Gebieten und in so unterschiedlichen Bereichen, dass es besser ist, von Kontinuitäten als von Kontinuität zu sprechen. Das Recht Die Römer verloren ihre konstitutionelle Verfassung als Populus84 und wurden zu einer Gens unter anderen Gentes, im besten Fall mit eigenem römischem Recht.85 Da der Codex Iustinianus den Westen außer in Teilen Italiens nicht mehr erreichte, bildete der Codex Theodosianus von 438 weiterhin die Grundlage der regionalen römischen Rechte.86 Im Jahre 505/06 knapp vor dem Untergang des Tolosanischen Reichs promulgierte König Alarich II. (484–507) die Lex Romana Visigothorum, neuzeitlich auch Breviarium Alaricianum genannt. Dieses Recht der Römer, in Spanien bereits kurz nach der Mitte des 7. Jahrhunderts derogiert, überlebte in Gallien selbst das Ende des Westgotenreichs, so dass es vom Frankenkönig Pippin I. 768 ausdrücklich anerkannt werden konnte.87 Etwas jünger als die westgotische war die Lex Romana Burgundionum, die jedoch niemals die Bedeutung des Breviarium Alaricianum erlangte,88 auf dessen Grundlage im 8. Jahrhundert etwa die Lex Romana Curiensis entstand. Mag sein, dass der im churraetischen Recht überlieferte civis Romanus eher literarisch als institutionell fortlebte.89 Aber gleichgültig, ob der in St. Gallen erhaltene Codex tatsächlich geltendes Recht enthielt oder nur ­literarische Bedeutung besaß, es gab eine churraetische Lex und eigene churraetische Gewohnheiten, die Karl der Große urkundlich bestätigte. Der Frankenkönig dürfte mit dieser Anerkennung seinem ­Vater Pippin, wenn nicht seinem Großvater Karl Martell gefolgt sein, und auch sie scheinen diesbezüglich merowingische Vorgänger gehabt zu haben.90 Noch im 10. Jahrhundert entschied man secundum legem Romana (sic), wenn es um churraetische Belange ging, wobei iudices Romani et Alamanni urteilten.91 Die Leges der Alemannen und Bayern, deren Schlussredaktionen auf der Grundlage des westgotischen Alex Woolf, The Britons: From Romans to barbarians, in: Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/ Walter Pohl (The Transformation of the Roman World 13, Leiden 2003) 345–380, hier 354–366 und 373–379 (Welsh Ethno­genesis); Chrysos, Römerherrschaft 267f.  82 Isidor von Sevilla, De laude Spaniae. Historia vel Origo Gothorum (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Berlin 1894, ND München 1981) 267f.  83 Reimitz, History, Identity and Ethnicity, bes. 44–50; Hans-Werner Goetz, Gens, kings and kingdoms, in: Regna and ­Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the ­Roman World, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (The Transformation of the Roman World 13, Leiden 2003) 307–344, hier 338–341.  84 Patrick Joseph Geary, The Myth of Nations. The Medieval Origins of Europe (Princeton, NJ 2002) 63, oder ders., Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen (Europäische Geschichte 60111, Frankfurt am Main 2002) 62f.; Demandt, Spätantike 366.  85 Chrysos, Romans and Foreigners 129 mit Anm. 40; Synesios von Kyrene, De regno oratio ad Arcadium imperatorem (ed. Antonio Garzya, Neapel 1973) 22A, definiert den Barbaren als einen, der nicht unter römischen Gesetzen geboren wurde und aufgewachsen ist.  86 Demandt, Spätantike 197f.  87 Detlef Liebs, Lex Romana Visigothorum, in: RGA, 2. Aufl. 18 (Berlin/New York 2001) 323–326, bes. 325. Siehe Wolfram, Goten 200f. und Ewig, Volkstum 240f. mit Anm. 45f., zu Capitulare Aquitanicum (768), c. 10 (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883/1897, ND 1984) n. 18, 42f.  88 Detlef Liebs, Lex Romana Burgundionum, in: RGA, 2.Aufl. 18 (Berlin/New York 2001) 322f.  89 Wolfram, Grenzen 300.  90 Wolfram, Goten 201. Wolfram, Expansion und Integration 252 mit Anm. 7 und 253 mit Anm. 14, zu D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112.  91 Siehe Wolfram, Grenzen 300 mit Anm. 143 zu BUB 1, n. 96, ed. Meyer-Marthaler/Perret 79, oder UBSG 3, n. 779, ed. Wartmann 1.  81

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Codex Euricianus noch vor 750 erfolgten,92 kennen dagegen keine Römer, nennen aber namentlich auch keine anderen nichtbayerischen oder nichtalemannischen Völker.93 Allgemein gilt daher die Annahme, von den Romanen des Ostalpenraums hätten nur die frühmittelalterlichen Churraeter oder Churwalchen ihr eigenes, aus der Spätantike stammendes Recht besessen. Eine Entwicklung, deren Anfänge die Vita Severini des Eugippius widerspiegelte und die in Gallien vergleichbare Gegenstücke besaß, ließ in der alpinen Raetia I mit dem Vorort Chur einen Kirchenstaat entstehen, der die Römerzeit verfassungsrechtlich bis ins 9. Jahrhundert fortsetzte.94 Im oberösterreichischen Hausruckviertel gibt es jedoch in der Gemeinde Zell am Pettenfirst den kleinen Ort Ehwalchen, dessen Name „Romanen, die nach eigenem Recht leben“, bedeutet.95 Nach welchem, ist die Frage. Am ehesten ist an das Barschalkenrecht zu denken, von dem aber nicht bekannt ist, auf welcher Grundlage es beruhte.96 Die Walchen Spätestens im letzten Jahrhundert vor Christus entstand das Ethnonym *walh-oz als germanische Bezeichnung zunächst für die keltischen Volcae im Maingebiet und danach allgemein für Kelten und ­Römer/Romanen. Die sogenannte „Fränkische Völkertafel“, die vielleicht schon um 530 eher in Italien oder Byzanz als im Frankenreich entstanden ist, erwähnt neben den Goten die Valagothi und meint damit wohl die romanisierten, „welschen“ Westgoten Südfrankreichs und Spaniens im Gegensatz zum Volk Theoderichs des Großen. Noch Wilhelm von Malmesbury meinte um 1125: Weil Karl der ­Große die rechtsrheinische Volkssprache sprach, seien die Deutschen im Recht, die sich selbst Franken und diejenigen, die als Franken gelten, Golwala antiquo vocabulo quasi Gallos nennen.97 Der Walchenname blieb demnach, wie diese zeitlich wie räumlich weit auseinander liegenden Belege zeigen, eine Fremdbezeichnung und wurde als solche auch von den Slawen und Griechen sowie von den Ungarn übernommen. Kein Romane oder Kelte verstand oder versteht sich daher im Normalfall selbst als ­Welscher oder Walscher, Vlah(os), Walache oder Oláh, wie sich auch keine echten Cymry Waliser nennen würden. Ausnahmen bilden in jüngster Zeit manche Balkan-Vlachen. Dafür ist anscheinend derselbe sozio­ linguistische Prozess verantwortlich, der dazu führte, dass in der Zwischenkriegszeit für „heimattreue“ Kärntner Slowenen die ursprüngliche allgemeine Fremdbezeichnung für die Slawen zur systemwidrigen Selbstbezeichnung „Windische“ umfunktioniert wurde. In ähnlicher Weise verstehen sich neuerdings Sorbengruppen als Wenden, ja sehen den Sorbennamen in völliger Verkehrung des historisch-philologischen Befundes als deutsche Fremdbezeichnung an.98 Für den frühmittelalterlichen alemannischbayerisch-alpenslawischen Raum kann jedenfalls gelten, dass die Romanen für die Alemannen wie die Bayern die Walaha und für die Slawen die Vlahi waren. Die Namen ihrer Siedlungen wie die von ihnen bewohnten Regionen samt den darin liegenden Gewässern, die von einer theodisk-slawisch sprechenden Mehrheit umgeben wurden, haben diesen Befund bis heute bewahrt.99 Davon zeugen die Kärntner ­Läschitz-Orte und die Laško/Lahovče-Orte in Slowenien sowie die bayerisch-­österreichischen Wolfram, Grenzen 75 mit Anm. 32. Stefan Esders, Spätantike und frühmittelalterliche Dukate. Überlegungen zum Problem historischer Kontinuität und Diskontinuität, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/ Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 425–462, hier 447 mit Anm. 124.  94 Wolfram, Expansion und Integration 253; Wolfram, Salzburg 31f.; Wolfram, Grenzen 299f.  95 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 437.  96 Siehe unten Anm. 114.  97 Lateinische Erstnennung der Volcae bei Caesar, De bello Gallico libri VII (ed. Otto Seel, C. Iulii Caesaris commentarii 1, Leipzig 31977) hier VI 24, 2; Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961, 21977) 655 s. v. Zu Valagothi siehe Wolfram, Goten 36 mit Anm. 5. Zu Golwala siehe William of Malmesbury, De gestis regum Anglorum 51, c. 68 (ed. William Stubbs, Rolls Series 90, 1 und 2, London 1887/89, ND Vaduz 1964) 1, 70.  98 Conversio, ed. Wolfram 309 mit Anm. 48 (Wenden/Windische).  99 Wenskus, Stammesbildung 227f. Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 434f. Wolfram, Gotische Studien 225. Peter Wiesinger, Antik-romanische Kontinuitäten im Donauraum von Ober- und Niederösterreich am Beispiel der Gewässer-, Berg- und Siedlungsnamen. Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 1, ed. Herwig Wolfram/ Walter Pohl (Dph 201, Wien 1990) 261–328, hier 310–316.  92  93

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Toponyme und Hydronyme auf -walch(en).100 Unrichtig ist die Annahme, alle Walchen hätten im ­bayerischen Dukat eine besondere Rechtsstellung besessen.101 Wäre es anders gewesen, wäre nicht der Ortsname Ehwalchen entstanden, der das eigene Recht einer Walchengruppe hervorhebt. Die Walchen der volkssprachlichen Orts- und Gewässernamen waren eben nichts anderes als die Romanen der lateinischen Texte. Sofern diese Quellen den bayerischen Bereich betreffen, nimmt der Romane an sich oder mit dem Attribut tributalis, tributarius, eine eher geminderte sozioökonomische und rechtliche Stellung, jedoch als Bayer ein.102 In den Gebieten des frühmittelalterlichen Bayern mit einem kompakten romanischen Orts­namenBefund gibt es keine Walchen-Orte. Dies gilt für Nordtirol westlich des Zillers und – mit Ausnahme des Raumes um Bruneck – für Südtirol wie für die Salzburger Romania zwischen der Stadt Salzburg und dem Paß Lueg. Am Nordrand dieser Romania liegt die heutige Gemeinde Wals, von der die Namen vico Romanisco und Walwis/Walahowis/Walchwis überliefert sind.103 Nördlich davon gibt es nur wenige zweisprachige Doppelorte, wie Bergheim/Muntigl an der Mündung der Fischach in die Salzach. Sonst überwiegt hier bei weitem die bayerische Toponymie mit den Walchen-, -ing und ham-Orten als den frühesten Zeugnissen für die nachantike Besiedelung.104 Auf dem Stadtgebiet von Seekirchen liegen zwei Orte, die dieses einstige Miteinander und wohl auch Gegeneinander treffend belegen. Die Katastral­ gemeinde Seewalchen am nordwestlichen Ufer des Salzburger Wallersees umfasst auch das auf der nebelfreien Anhöhe darüber liegende Bayerham. In den lateinischen Quellen des Ostalpenraums sind die Romanen, ebenso wie anderswo auch, die Latini und Romani; beide Ethnonyme wurden und werden noch heute wie Walch als Personennamen gebraucht.105 Die Sprache der Rechte, der Urkunden wie die der lateinischen literarischen Überlieferung, vielleicht mit Ausnahme von Arbeos Valeria,106 kennen ­außer in Toponymen und Hydronymen, dies sei ausdrücklich wiederholt, keine Walchen. Institutionen, soziale Ordnung, Wirtschaft und Verwaltung Es ist ein Zirkel: Das Recht setzt Institutionen und Gerichtsherren voraus, die es garantieren und ­exekutieren, und Institutionen beruhen auf Recht, damit sie funktionieren. Die Rechte der Alemannen und Bayern erließen die Frankenkönige, die für beide Völker seit dem 6. Jahrhundert auch die Duces bestimmten. Diese darf man bereits Herzöge nennen, sofern man sich der Problematik des Begriffes bewusst bleibt und auch bedenkt, dass ein solcher dux vielleicht ein königgleicher truhtin war oder sich bei der zunehmenden Schwäche des Frankenkönigs zu einem solchen aufschwingen konnte.107 Was die ehemaligen Römerprovinzen Raetien und Norikum betrifft, stellt sich die Frage, wie römisch der alemannische und im Besonderen der bayerische Dukat waren und welche spätantiken Grundlagen sie besaßen.108 Stefan Esders listet die aus der Römerzeit stammenden „Substrukturen“ auf, die für die Kontinuität des spätrömischen Dukats in Bayern sprechen könnten. Das Kolonenstatut des Bayernrechts, die Verpflichtung der Bevölkerung zu unentgeltlicher Leistung der munera/servitia publica, wie die Stellung des paraveredus, der unserem Pferd den Namen gab, und nicht zuletzt die Nennung von Personengruppen, die zum Wehrdienst verpflichtet waren; alle diese Einrichtungen setzten spätantike Conversio, ed. Wolfram 121 mit Anm. 28 und 309 (Kärnten); Štih, The Middle Ages bes. 92 mit Anm. 28 (Slowenien). Den Wegfall des „v“ bedingt der Umstand, dass der Buchstabe als Präposition „bei, in“ aufgefasst wurde. 101 So Irmtraut Heitmeier, Baiern im Inn-, Eisack- und Pustertal? Frühmittelalterliche Machtpolitik und die Frage der Siedlungsentwicklung im Tiroler Alpenraum, in: Romanen und Germanen im Herzen der Alpen zwischen 5. und 8. Jahrhundert, ed. Walter Landi/Südtiroler Kulturinstitut (Bozen 2005) 45–67, hier 53; vgl. dagegen Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 434 Anm. 110. 102 Siehe unten Anm. 112f. und Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 434 Anm. 110. 103 Notitia Arnonis 6, 2f. und 6, 26, ed. Lošek 76 und 80, sowie Breves Notitiae 10, 5; 14, 1, 3 und 20f., ed. Lošek 102, 106 und 108. Siehe auch Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen 201. 104 Schorr, Namen 231–235. 105 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 456f.; Wolfram, Salzburg 30 mit Anm. 92. 106 Siehe oben Anm. 36. 107 Im literarischen Dickicht ist Hans-Werner Goetz, Herzog (Historisches), in: RGA, 2. Aufl. 14 (Berlin/New York 1999) 483–491, ein verlässlicher Begleiter. Siehe auch Esders, Dukate 425 mit Anm. 4; Jahn, Ducatus 222f.; Wolfram, Mittel­ europa 387–391; und Wolfram, Salzburg 165–172, bes. 172 (truhtin). 108 Zum bayerischen Dukat siehe Esders, Dukate 438f., und Jahn, Ducatus 561. 100

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Ordnungen fort.109 Die Salzburger Güterverzeichnisse sprechen von exercitales viri (homines),110 die im Rottachgau und auch anderswo, besonders in Churraetien milites hießen. Beide Gruppen waren vom Namen her zum Kriegsdienst verpflichtet. Sie waren die Nachfahren von Angehörigen des einstigen römischen Grenzheeres im raetischen wie im pannonisch-ufernorischen Dukat. Hier hatte der Miles Flavius Ianuarius gedient, der um 400 seiner verstorbenen Frau Ursa in Ovilava/Wels einen Grabstein setzte.111 Aus dem pannonisch-ufernorischen Dukat stammte der Miles Avitianus, der zwar Ferderuch, dem Bruder des Rugierkönigs, dienstbar war, jedoch persönlich frei blieb und die Freizügigkeit besaß, die er auch nützte.112 Letztere ging den „Wehrmännern“, ob nun exercitales oder milites, im Frühmittelalter verloren; sie waren weiterhin persönlich frei, aber an die Scholle gebunden. Der sozial-rechtliche wie ökonomische Status des miles bestimmte auch sein weibliches Gegenstück, die militunia der Leges barbarorum.113 Gemeinsam mit den exercitales/milites kommen häufig die theodisk benannten Barschalken vor. Beide Gruppen waren nachweisbar Abhängige der zur „Oberen (Salz)Burg“ gehörigen Grundherrschaft. Auch liegt ein Parschallen/Barschalken südlich von Nußdorf am Westufer des Attersees und nicht weit davon ein Parschall in der Gemeinde Frankenburg, beide mitten im oberösterreichischen „Walchenland“. Die Barschalken bildeten eine Sondergruppe von Abhängigen zwischen Freiheit und Unfreiheit. Barschalken konnten so reich werden, dass sie nicht bloß über Reichenhaller Produktionsstätten zur Salzgewinnung verfügten, sondern davon auch großzügige Schenkungen an die Salzburger Kirche machten. Ein andermal waren sie ihrem Besitzer so wenig wert, dass er sie gegen Unfreie eintauschte. Wie die alemannischen Kolonen galten sie als Freie, haben aber, „ob Mann oder Frau“, den gleichen Dienst zu leisten „wie die übrigen Unfreien“. Trotzdem hebt ein eigenes ius die Barschalken noch ­lange als rechtlich und sozial gesicherte Gruppe unter den abhängigen Leuten hervor.114 Eine ausdrückliche Verbindung zwischen Barschalken und „fremden“ Romanen stellt spät und einzig und allein das hochmittelalterliche Traditionsbuch des oberbayerischen Klosters Ebersberg her. Hier heißt es: Romani ­proseliti, quos nos parscalcos nominamus. Fraglich ist, an welcher Stelle der sozialen Ordnung die ­„Romanen von Fischach“ einzuordnen sind, die zweimal gegen Arn um einen Wald am gleichnamigen Fluß prozessierten. Sie waren sicher weder viri nobiles noch Romani tributarii. Wenn sie aber ­Barschalken waren, wären sie damals wohl so genannt worden. Was war ihr Rechtsstand?115 Die romanischen Bevölkerungsgruppen bildeten in den frühmittelalterlichen Königreichen freilich in erster Linie die das tributum, die Abgaben, zahlende Mittelschicht und waren daher in ihrer Freiheit, Freizügigkeit und sozialen Stellung – ausgedrückt in der Höhe des Wergeldes – eingeschränkt und gemindert.116 Dass dieser sozialen Ordnung auch die Vlahi in der Sclavinia unterworfen wurden, verrät das Wort krščenica, Getaufte (= römische Christin), womit noch das Altslowenische fern von jedem ursprünglichen Sitz im Leben die Magd oder einfach den weiblichen Dienstboten bezeichnete.117 Für die 111 112

Esders, Dukate 439–450. Notitia Arnonis 7, 2 und 7, ed. Lošek 82, und Breves Notitiae 4, 2, ed. Lošek 94. Wolfram, Grenzen 44 mit Anm. 143 zu Corpus inscriptionum Latinarum 13529. Eugippius, Vita sancti Severini c. 44, 1 und 2 (ed. Theodor Mommsen, MGH SS rer. Germ., Berlin 1898, ND 1978) 52, oder (ed. und trans. Rudolf Noll, Eugippius, Das Leben des heiligen Severin, Passau 21981) 112. 113 Wolfram, Grenzen 295–297 und 334. 114 Wolfram, Grenzen 334. Wolfram, Salzburg 153f. Zur gemeinsamen Nennung von exercitales und barscalci ­siehe ­Notitia Arnonis 7, 2, ed. Lošek 82. Siehe auch die Aufstellung der oberösterreichischen und niederösterreichischen ­Parschalken-Namen bei Wiesinger, Romanische Kontinuitäten 316f. 115 Siehe Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. 378–907 (Wien 1987) 535 Anm. 9, zu Das Cartular des Klosters Ebersberg n. 79 (ed. Friedrich Hector Graf Hundt, Abhandlungen der historischen Classe der kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften 14, München 1879) 115–196, hier 148. Peter Johanek, Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotiz, Traditionsbuch und früher Siegelurkunde, in: Recht und Schrift im Mittelalter, ed. Peter Classen (Vorträge und Forschungen 23, Sigmaringen 1977) 131–162, hier 147–151. Zur Gleichung proselitus = Fremder siehe Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX (ed. Wallace Martin Lindsay, 1–2, Oxford 1911) hier VII 14, 10. Zu den Fischach-Romanen siehe oben Anm. 17 und Anm. 42 sowie unten Anm. 229. Zu den Barschalken in der Notitia Arnonis siehe oben Anm. 114f. 116 Siehe etwa die Wergeldsätze in der Lex Salica 69, 5–7 (ed. Karl August Eckhardt, MGH LL nat. Germ. 4, 2, Hannover 1969) 116. 117 Štih, The Middle Ages 95, und allgemein zum slawisch-romanischen Verhältnis siehe Štih, Begegnung 249–257. Siehe auch oben Anm. 21 und unten Anm. 178. 109 110

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Avaria, das frühmittelalterliche Pannonien zwischen Enns und Donau und das Gebiet nördlich und östlich des Stroms, sei auf die ausgezeichnete Untersuchung der schriftlichen und archäologischen ­Quellen durch Walter Pohl verwiesen. Aufschlussreich sind die archäologischen Denkmäler der Keszthely-­ Kultur in Ungarn und die Kuver-Geschichte.118 Tatsächlich gab es an Mosel und Rhein, Inn und Salzach, Eisack und Etsch noch lange Ange­hörige einer herrschernahen Oberschicht mit romanischen Traditionen.119 Es gab den romanischen Adeligen, wie der Personenname Adal-walh bezeugt, und diesem vir nobilis blieb sein Status vor allem als Geist­ licher, womöglich als Bischof oder Abt oder beides. Die vier Nachfolger des Salzburger Gründer­bischofs ­Rupert waren, ob nun Abtbischöfe oder „nur“ Äbte, ihren Namen nach alle Romanen.120 Der Gründerabt von Mondsee hieß Oportunus (747/48–784).121 Zum andern behielten die weltlichen Angehörigen der romanischen Elite ihren Rang im Dienste des Königs oder eines königgleichen Fürsten. Romanen übten das Amt eines fränkischen Hausmeiers aus, und wenn man an ihnen etwas zu tadeln hatte, war es ihre Fettleibigkeit. Den convivae regis stand im Frankenreich ein dreimal so hohes Wergeld wie einem königsfernen Romanus homo possessor zu. Und ebenso privilegiert waren als servi principis (ducis) die auch theodisk benannten adalscalcae Tassilos III. (748–788).122 Es ist Ingo Reiffenstein zu verdanken, dass die anachronistische und quellenwidrige Übersetzung „Edelknecht“ aufgegeben und durch „Knechte des Edlen, des fürstlichen Herzogs“ ersetzt wurde.123 Zwei Angehörige der genealogia de Albina waren nachweisbar servi ducis.124 Das heißt aber nicht, dass die adalscalcae bloß aus vornehmen Romanen bestanden. Aber als adalscalcae gehörten sie zur bayerischen Elite, weil sie auch die Möglichkeiten nutzen konnten, die das werdende Lehnswesen bot.125 Die Romanen stellten das Personal, ohne das die weltlichen wie geistlichen Institutionen selbst auf niedrigstem Niveau nicht funktioniert hätten. Der erste bekannte Kanzler eines Bayernherzogs war wahrscheinlich, der erste Kaplan sicher ein Romane.126 Romanen wirkten daran mit, dass im Bayern des 8. und 9. Jahrhunderts ein eigenartiges Urkundenwesen entstand. Eine Carta, das Rottachgau-Fragment, bezeugt nicht bloß römische Namen und Rechtsgewohnheiten, sondern ist auch in einer Form ausgestellt, dass man lange Zeit nicht entscheiden konnte, ob das Stück aus dem 5. oder – wie richtig – aus dem 8. Jahrhundert stammte.127 In den Händen der Romanen lagen die Aufrechterhaltung von Handel und Wandel, die Grundstoffproduktion (Salz, Erze), die spezialisierte Landwirtschaft, wie der Weinbau, die Almwirtschaft, die Zubereitung von Milchprodukten wie von caseus–Kas–Käse und der Anbau bestimmter Getreidesorten. Besonders in Oberösterreich und Salzburg sollen auch römische Grundeinheiten, die Quadrafluren, erhalten geblieben sein. Im Unterschied zur Aussage der legendären Rupert­überlieferung vermitteln die Salzburger Güterverzeichnisse den Eindruck, dass der zwei­sprachige Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr. (München 1988, 22002) 92f., 204, 217–221, 232–235, 278–282; Orsolya Heinrich-Tamáska, Fortleben, Abbruch und Neuanfang. Spuren des Christentums in ­Pannonien im 4. bis 9. Jahrhundert, in: Christianisierung Europas, ed. Orsolya Heinrich-Tamáska/Niklot Krohn/Sebastian Ristow (Regens­burg 2012) 213–237. 119 Zur Romanitas dieser Landschaften im Vergleich siehe Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 449, und Jochum-­ Godglück, Walchensiedlungsnamen 205–208. 120 Wolfgang Haubrichs, Ethnisch signifikante und andere sprechende Namen im wisigotischen Spanien und im gotischen Italien, in: Sprache – Rhetorik – Translation. Festschrift für Alberto Gil, ed. Vahram Atayan/Ursula Wienen (Rhethos 3, Frankfurt am Main 2012) 41–54, hier 41f. (Adal-walh). Zum romanischen vir nobilis siehe oben Anm. 36; Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 424, und Wolfram, Salzburg 252. 121 Wolfram, Grenzen 132. 122 Wolfram, Salzburg 132–134; Wolfram, Grenzen 297; Fredegar, Chronicae IV 28 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888, ND Stuttgart 1984) 1–168, hier 132, oder (ed. und übers. Andreas Kusternig, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4a, Darmstadt 21994) 3–271, hier 184: Der Romane Claudius wird Hausmeier ­Theuderichs II. Er ist ein kluger Mann, iocundus in fabolis, tapfer usw., aber leider zu dick. Der, ebd. IV 29, ed. Krusch 132, erwähnte Hausmeier romanischer Herkunft heißt Ricomer. 123 Siehe Wolfram, Grenzen 297 und Wolfram, Salzburg 149f. mit Anm. 288–297 gegen Wolfram, Mitteleuropa 398. 124 Breves Notitiae 3, 1 und 8, 6, ed. Lošek 90 und 98. Tonazan wird zwar als servus des heiligen Rupert bezeichnet, muss aber diesem vom Herzog geschenkt worden sein. Der Notitia Arnonis 6, 13, ed. Lošek 78, genannte Iohannis servus, der mit Erlaubnis Herzog Tassilos aus der causa dominica an Salzburg schenkte, könnte ebenfalls ein servus ducis (principis) gewesen sein. 125 Wolfram, Salzburg 127–141. 126 Wolfram, Grenzen 297 mit Anm. 125. 127 Erkens, Actum in vico fonaluae 491–505; vgl. Wolfram, Die bayerische Carta 145–160, hier bes. 152. 118

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Salzburggau ein seit jeher fertiges und strukturell gut ausgebautes Land war, wofür ebenfalls nur die einheimischen Romanen gesorgt haben können. Das gleiche galt für weite Teile Bayerns, weshalb die Entdeckung Hermann Dannheimers, dass auf Herrenchiemsee knapp vor 700 eine Steinkirche erbaut wurde, eine zwar höchst willkommene, aber keineswegs überraschende Bestätigung dieses Eindrucks bildet.128 Dazu kam die vereinfachte Vermittlung der militärischen Erfahrungen Roms, aber auch die ­romanische Hilfe beim Aufbau der ökonomisch-politischen und kirchlichen Administration einschließlich der Mission.129 Als der Aquitanier Bischof Emmeram von Poitiers nach Alemannien kam, benötigte er einen Dolmetscher. Dieser war ein Priester mit dem häufigen romanischen Namen Vitalis. Wegen ­ihrer Mehrsprachigkeit waren Salzburger Romanen sowohl an der Karantanenmission des 8. Jahrhunderts wie an der Einrichtung der pannonischen Kirchenorganisation des 9. Jahrhunderts beteiligt.130 Der bayerische Dukat Ist aber das eindeutige Fortleben dieser „Substrukturen“ Grund genug, die Fortsetzung eines spätantiken durch den bayerischen Dukat anzunehmen? Stefan Esders erörtert eine Reihe von Analogien, bleibt aber zu Recht sehr vorsichtig mit einem abschließenden Urteil über „die von Joachim Jahn für den bairischen Dukat aufgeworfene Frage“.131 Dem ist nicht zu widersprechen, auch wenn oder, eher, weil man eigene Überlegungen anzustellen versucht. Der spätantike Dukat war eine militärische Institution, die zur Verteidigung der römischen Grenzen, das heißt, zunächst bloß am Rande des Reichs eingerichtet und von einem Dux befehligt wurde.132 So verzeichnet die Notitia dignitatum vom Beginn des 5. Jahrhunderts einen am mittleren Donaulimes stationierten dux Pannoniae I et Norici ripensis. Der oströmische Gesandte Priskos begegnete um 450 am Hofe Attilas drei norischen Funktionären, darunter einem an letzter Stelle genannten und daher wohl rangniedersten Militärbefehlshaber. Dieser kommandierte anscheinend nur mehr den norischen Abschnitt des Dukats, während Pannonien hunnisch war. Zur Zeit Severins übte ein Tribun das höchste ufernorische Militäramt aus, bevor er zum Bischof gewählt wurde.133 Unter Theoderich dem Großen zählten die Raetia I und zumindest die alpinen Gebiete der Raetia II sowie ein nach Norden erweitertes Binnennorikum zum italischen Ostgotenreich. Die Variae Cassiodors nennen einen dux Raetiarum, der den römischen raetischen Dukat mit dem Vorort Augsburg möglicherweise, aber keineswegs sicher im inneralpinen Raetien fortsetzte. Die Zuständigkeit des raetischen Dux der Gotenzeit für die Inntaler Breonen sagt nichts Sicheres über dessen Standort aus. Aufgrund der Stifterinschrift des Mosaiks in der ehemaligen Friedhofskirche von Teurnia wird mit aller gebotenen Vorsicht auf einen (binnen)norischen Dukat geschlossen. Diesen habe der Ostgotenkönig im bisher zivil verwalteten Binnennorikum neu geschaffen, um die Flanke seiner illyrisch-dalmatinischen Provinzen nicht zuletzt gegen byzantinische Ansprüche zu sichern.134 Während die vorgetragenen Überlegungen auf bloß geringer Quellenbasis beruhen, ist die Fortsetzung römisch-byzantinischer Dukate sehr wohl gesichert, und zwar flächendeckend nach 568 durch langobardische und mehr als ein Jahrhundert zuvor durch einige westgotische Dukate. Der nicht immer reibungslosen Integration barbarischer Völker begegnete die kaiserliche Regierung mit der Errichtung von Dukaten auch im Reichsinneren. Wahrscheinlich im Jahre 471 ernannte Eurich den Dux Victorius, der bisher den römischen Dukat der Auvergne gegen die Westgoten verteidigt hatte, zum westgotischen Statthalter der Aquitania I. In den Jahren 472 und 473 marschierten zwei gotische Heere nach Spanien, das eine nahm im Westen Pamplona und Zaragoza, das andere besetzte die Küstenstädte mit dem ­Vorort Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 424. Zur Quadraflur siehe Hans Krawarik, Siedlungsgeschichte Österreichs (Geographie 19, Wien 2006) 63. Zum Salzburggau siehe oben Anm. 46–53 und unten Anm. 203–207. Zur Rupertlegende siehe unten Anm. 199–201. Zu Herrenchiemsee siehe zukünftig Hermann Dannheimer sowie unten Anm. 192–195. 129 Wolfram, Grenzen 295–300 und 334. 130 Siehe unten Anm. 179 (Karantanenmission). Arbeo von Freising, Vita Haimhrammi episcopi c. 3 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [13], Hannover 1920) 1–99, hier 31, oder (ed. Bernhard Bischoff, Arbeo: Vita et passio sancti Haimhrammi martyris. Leben und Leiden des hl. Emmeram, München 1953). 131 Siehe Esders, Dukate 450 zu Jahn, Ducatus 551–564. 132 Demandt, Spätantike bes. 306; siehe auch Anm. 133. 133 Wolfram, Salzburg 105–111. 134 Wolfram, Goten 316 und bes. Wolfram, Grenzen 62. 128

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Tarragona. Einer der beiden Befehlshaber des gotischen Ostheeres war Vincentius. Noch vor kaum ­einem Jahrzehnt hatte er in Nordspanien als römischer Dux Hispaniarum gegen die Goten gekämpft. Nun führte er westgotische Truppen gegen den Adel des Ebrotales und brach in offener Feldschlacht den letzten ibero-römischen Widerstand seines eigenen Landes. Victorius und Vincentius waren Römer und Katholiken. Das heißt mit anderen Worten, dass in den neu eroberten Gebieten am Ebro wie in der ­Auvergne jeweils Römer als westgotische Duces kommandierten, nachdem sie als ehemals römische Duces samt ihren Truppen ins Heer des Westgotenkönigs Eurich (466–484) eingegliedert worden ­waren.135 Ebenso schlossen die Langobarden in Italien an den spätantik-byzantinischen Dukat an, der aber auch bruchlos in den venezianisch-dalmatinischen Dukaten fortlebte und selbst noch 806 von den Karolingern, die überall sonst die Duces abschafften, in Istrien und Dalmatien anerkannt wurde.136 Die Merowinger waren gelehrige Schüler der tolosanischen wie der Goten von Ravenna. Letztere traten ihnen 536/37 vertraglich die Herrschaft über die Alemannen sowie über die inneralpinen und nord­alpinen Gebiete ab. In dem provokanten Brief, den der Frankenkönig Theudebert I. (533–547/48) an Kaiser Justinian schreiben ließ, zählte der Merowinger seine Eroberungen auf und behauptete, seine Herrschaft reiche von der Donau und den Grenzen Pannoniens bis zum Meer im Norden. In diesem Raum ist nur die ebenfalls erwähnte Unterwerfung der Thüringer eindeutig nachgewiesen. Außerdem besetzten die Franken nach 545 das gotische Venetien.137 Es ist daher die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Franken die voralpine Raetia II und das westliche Ufernorikum bis zur Enns beherrschten; ein Gebiet, das militärisch-institutionell ein Dukat hätte sichern können. Dazu bot sich Augsburg als Vorort an, sei es, dass hier der ostgotische rätische Dukat fortgesetzt oder aus dem inneralpinen Chur wieder an den Lech verlegt wurde. Dieser Dukat könnte ungefähr denselben Zwecken gedient haben wie zuvor ein binnennorischer Dukat Theoderichs des Großen, nämlich der Sicherung des Raums zwischen den Thüringern und Italien mit Hilfe von nun bayerischer Föderaten, um vor allem byzantinische An­griffe abzuwehren. Vom Ende des 6. Jahrhunderts an hätte der raetische Dukat der Verteidigung gegen die aus dem Osten kommenden Awaren gedient.138 Archäologische Funde und philologische Forschungen der jüngsten Zeit stützen die Annahme, wonach Augsburg der ursprüngliche Sitz des von den Frankenkönigen eingesetzten (agilolfingischen?) Dux der Bayern war.139 Diese ethnische Zuordnung kann sich freilich zunächst bloß auf die italisch-byzantinische Überlieferung stützen, die das „neue“ Volk bereits in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts zur Kenntnis nahm. Dagegen werden die Bayern in fränkischen Quellen nicht vor 660 genannt.140 Die Annahme, ein bayerischer Dukat habe im raetischen Augsburg des 6. Jahrhunderts seinen Vorort erhalten, kann sich mittelbar auf Venantius Fortunatus berufen. Die Martinsvita des Italieners in fränkischen Diensten enthält für die Zeit um 565 die erste konkrete Lokalisierung der Bayern. Sie sitzen am Lech und entscheiden hier, wer passieren darf und wer nicht, das heißt, sie üben die Tätigkeit von Grenzern aus. Außerdem verbindet sie der Autor mit Augsburg, wo die Märtyrerin Afra verehrt wird. Nicht unmöglich, dass in Augsburg bereits im 7. Jahrhundert ein Wolfram, Goten 192–194. Wolfram, Intitulatio I, 186–191 mit Anm. 8 (langobardischer Dux). Siehe oben Anm. 32 (venezianisch-dalmatinische Duces) und zu Istrien und Friaul siehe Krahwinkler, Friaul 143–147. 137 Wolfram, Goten 315 mit Anm. 50, Wolfram, Salzburg 25f. und Wolfram, Grenzen 67f. Siehe Epistolae Austrasicae 20 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE 3, Berlin 1892, ND 1994) 133. 138 Pohl, Awaren 147–152. 139 Schorr, Namen 227; Arno Rettner, Zur Aussagekraft archäologischer Quellen am Übergang von der Antike zum Frühmittel­ alter in Raetien, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/ Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 273–309, hier 291–294; siehe auch Runder Tisch. Regensburg im frühen Mittelalter, in: ebd. 633–662, bes. 648f.; Arno Rettner, Von Regens­burg nach Augsburg und zurück. Zur Frage des Herrschaftsmittelpunktes im frühmittelalterlichen Bayern, in: ­Centre, Region, Periphery 1, ed. Guido Heining/Barbara Scholkmann/Matthias Untermann (Hertingen 2002) 538–545; Wilhelm Störmer, Augsburg zwischen Antike und Mittelalter. Überlegungen zur Frage eines herzoglichen Zentralortes im 6. Jahrhundert und eines vorbonifatianischen Bistums, in: Adel und Königtum im mittelalterlichen Schwaben. Festschrift Thomas Zotz, ed. Andreas Bihrer/Mathias Kälble/Heinz Krieg (Stuttgart 2009) 71–85, wodurch Wolfram, Salzburg 25 zumindest relativiert, aber Wolfram, Salzburg 110f. gestützt wird. Siehe auch unten Anm. 141, Anm. 162 und Anm. 181. 140 Wolfram, Salzburg 26–29 und 111f.; Wolfram, Grenzen 61–65; 281–290; Cassiodor, Variae I 11, ed. Mommsen 20 (Dux Raetiarum), und ebd. VII 4, 1, ed. Mommsen 203 (Formula ducatus Raetiarum). Die Erstnennung der Bayern in einer fränkischen Quelle ist Fredegar, Chronicae IV 72, ed. Krusch 157, geschrieben um 660 zu einem Ereignis von frühestens 631/32: siehe Wolfram, Salzburg 44 mit Anm. 169–171. 135 136

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­ istum entstanden ist. In seinem Brief an die Bischöfe von Bayern und Alemannien kann sich Papst B Gregor III. noch um 738 vorstellen, dass die von Bonifatius geplante Synode in civitate Augusta stattfindet.141 Zugegeben, alle diese Überlegungen beruhen auf Analogien und Indizien und sind daher besten­ falls Hypothesen; sie sind aber keine Spekulationen.142 Die christlich-römische Kontinuität Für den nachträglichen Versuch, am Ende der Spätantike römische Provinzen oder Teile von ihnen zur Gänze von den christlichen Römern zu säubern, gibt es verschiedene, darunter auch sonderbare Möglichkeiten. Man lässt sie, wie es sich ein spätmittelalterlicher Autor für Gallien vorstellte, alle durch Chlodwig und seine Krieger umbringen, nachdem sie den heidnischen Franken vorher noch schnell Latein beigebracht hatten.143 Der steirische Briefbomber Franz Fuchs unseligen Angedenkens war davon überzeugt, die römischen Bewohner Binnennorikums seien alle durch die verheerende Pest der 540er und 550er Jahre ausgerottet worden, um germanischen Zuwanderern gefälligst Platz zu machen. Tatsache ist: Die Seuche wütete fast überall im Römerreich, am wenigstens jedoch im Ostalpenraum.144 Weniger dramatisch, obwohl nicht weniger bedenklich lautet die sehr beliebte Annahme, die Römer/ Romanen seien einfach abgezogen. So soll noch der 763 erstmals bezeugte „verlassene Walchengau“ durch den „allmählichen Abzug der Romanen“ entstanden sein. Stellt sich die rhetorische Frage, ob auch die nach 754 nicht mehr erwähnten Romani tributarii irgendwohin abgezogen seien. Wohl kaum, waren sie doch an die Scholle gebunden. Sie wurden anscheinend in den Salzburger Güterverzeichnissen nach dem Todesjahr der Mutter Tassilos III. nicht mehr erwähnt, weil sie ab 754 literarisch nicht mehr als Romani galten, mögen auch viele ihrer einstigen Siedlungen bis heute Walchennamen tragen.145 Vor allem aber wird verkündet, am Ende des 5. Jahrhunderts hätten alle Römer Norikum verlassen und seien nach Italien ausgewandert, gleichsam „heim ins Reich“ zurückgekehrt. Wie ein Römer, der im 1. nachchristlichen Jahrhundert an die Donau kam, am Ende des 5. Jahrhunderts von dort seinen Abzug bewerkstelligen konnte, wird nicht gesagt. Auch wird mit einer solchen Behauptung geleugnet, dass die spätantiken Provinzialen keine Zuwanderer, sondern die Einheimischen waren. Die fatale Meister­ erzählung, die Einheimischen ihr Heimatrecht abspricht, stützt sich einerseits auf die Antonius-Vita des Ennodius, andrerseits auf eine Stelle in der Vita Severini des Eugippius, wo es heißt, „Hunwulf befahl im Auftrag seines Bruders (König Odoakers) allen Romanen, universi Romani, nach Italien zu wandern.“146 Wie jede Quellenlektüre lehrt, bedeutet „alle Angehörigen eines Volkes“ niemals das ganze Volk. In diesem Sinne schränkt die Vita Severini den Umfang der angeblichen römischen Totalauswanderung auch massiv ein: Es zogen nämlich im Sommer 488 mit den Reliquien des 482 verstorbenen Heiligen bloß diejenigen Provinzialen nach Italien, die aus den nordostraetisch-ufernorischen Donaustädten stammten, und das auch weder freiwillig noch vollzählig.147 Bereits vor der Erwähnung des Abzugs der Römer hatte die Vita nämlich berichtet, wer diese Leute waren, wo sie zuletzt gelebt hatten und warum sie tatsächlich zwangsevakuiert wurden. Die ständigen Einfälle der Alemannen und Thüringer bestimmten Severin, die Bewohner des raetischen Quintanis/Künzing, des westlichsten Außenpostens seines Wolfram, Salzburg 33f. zu Venantius Fortunatus, Opera poetica, Praefatio 4 (ed. Friedrich Leo, MGH AA 4, ­Berlin 1881, ND 1981) hier 2, und ders., Vita Martini IV vv. 640–650, ed. Leo 358; Wolfram, Grenzen 103: Dagobert I. der ­Gründer eines Bistums Augsburg? Vgl. die Nennung der Bayern nach Himmelsrichtungen bei Iordanes, Getica 281 (ed. ­Theodor Mommsen, MGH AA 5, 1, Berlin 1882, ND München 1982) 130. Zu Augsburg als möglicher Tagungsort einer ­bayerisch-alemannischen Synode siehe Bonifatius/Lullus, Epistolae, n. 44 (ed. Michael Tangl, MGH EE selectae, Berlin 1916, ND Stuttgart 1989) 292. 142 So leider nach guten Anfängen Heitmeier, Wurzeln 500–509. 143 Wolfram, Sprache und Identität 45 mit Anm. 53 und 59 mit Anm. 185. 144 Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Göttingen 2003) 321–324. Vgl. Josef Löffl, Wirtschaftshistorische Grundgedanken zum bairischen Raum in der Spät­ antike, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 413–424, hier 418–421. 145 Siehe Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen 203, zu Traditionen Freising 19, ed. Bitterauf 1, 46–48. Zur Nennung der Salzburger tributpflichtigen Romanen bis 754 siehe oben Anm. 16 und 40 sowie unten Anm. 228. 146 Eugippius, Vita Severini c. 44, 5, ed. Mommsen 52. 147 Wolfram, Grenzen 55 mit Anm. 236 zu Eugippius, Vita Severini c. 44, 7, ed. Mommsen 53. Zur Bedeutung von alle = viele und nicht wirklich alle siehe Wolfram, Goten 52f. mit Anm. 2 und 4. 141

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regimen,148 zunächst nach Batavis/Passau und danach „alles Volk (der Städte am Oberlauf der Donau), soweit es den Warnungen des heiligen Severin folgte“, nach Lauriacum umzusiedeln.149 Von hier wurden viele dieser Römer zusammen mit Bewohnern der Stadt Lauriacum durch den Rugierkönig Feletheus/ Feva ins Tullnerfeld gebracht und in den ihm dort steuerpflichtigen Städten angesiedelt. Severin vermittelte eine schonende Durchführung der Umsiedlung. Obwohl von den Zielorten nur Favianis/Mautern erwähnt wird, befand sich darunter sicher auch Comagenis/Tulln.150 Eine blutige Auseinandersetzung innerhalb der rugischen Königssippe bot die causa belli für die beiden Rugierkriege Odoakers. Der Feletheus-Sohn Friderich hatte seinen Vaterbruder Ferderuch getötet, der wohl die Odoaker freundliche Gruppe unter den Rugiern anführte. Darin sah Ravenna einen Vertragsbruch, und eine italische Armee marschierte an die Donau, um barbarische Föderaten zu züchtigen. Ziel des Präventivkriegs war aber auch die Ausschaltung der römischen Opposition, die nach Odoakers Machtergreifung 476 an der norischen Donau Zuflucht gefunden hatte. Entweder am 15. November oder 18. Dezember 487 tobte am rechten Donauufer im heutigen Tullnerfeld eine für beide Seiten verlust­ reiche Schlacht; die Rugier und ihre römischen Verbündeten wurden geschlagen. König Feletheus/Feva und seine Gemahlin Giso fielen in die Hand des Siegers und fanden in Italien den Tod. Der Königs­sohn Friderich konnte sich zwar mit versprengten rugischen Resten retten; doch missglückte sein Versuch, im nächsten Jahr das angestammte Reich zurückzuerobern. Odoaker schickte wieder ein Heer, das im Frühsommer 488 den rugischen Restaurationsversuch vereitelte. Die italischen Truppen standen ­unter dem Oberbefehl des Odoaker-Bruders Hunwulf. Diejenigen Provinzialen, die der heilige Severin gesammelt und unter die rugische Schutzherrschaft gestellt hatte, wurden vom Sieger gezwungen, die Heimat zu verlassen und nach Italien auszuwandern. Es ist bezeichnend, dass diese Maßnahme erst nach dem zweiten Rugierkrieg ergriffen wurde. Die rasche Rückkehr Friderichs hatte die Notwendigkeit aufgezeigt, mit dem Abzug der Römer aus dem Rugiland die ökonomische Grundlage des unbotmäßigen Föderatenreichs zu zerstören.151 Es besteht kein Zweifel, dass donauländische Provinzialen die Heimat verließen und freiwillig oder unfreiwillig nach Italien abwanderten. Die gezielte Maßnahme Hunwulfs darf jedoch nicht zu einem Total­abzug der Römer/Romanen aus den Donau- und Ostalpenprovinzen umgedeutet werden. So wurden nicht alle Donaustädte, vom flachen Land ganz zu schweigen, von allen ihren Bewohnern verlassen. Der heilige Antonius von Lérins stammte aus einer Notablenfamilie Pannoniens und schloss sich ­Severin an, der ihn zu seinem Nachfolger machen wollte. Nach Severins Tod im Jahre 482 ging ­Antonius jedoch zu seinem Vaterbruder, dem Bischof Constantius von Lauriacum, und studierte dort die Rechtsgelehrsamkeit, um sich als bischöflicher Notar ausbilden zu lassen. Nachdem auch Constantius gestorben war und die barbarischen Einfälle ein unerträgliches Ausmaß angenommen hatten, ging ­Antonius nach ­Italien und trat dort zunächst in die Dienste Odoakers. Dies muss vor dem 28. August 489 geschehen sein, da an diesem Tag Theoderich der Große den Skiren am Isonzo besiegte, worauf Odoaker in ­Ravenna eingeschlossen wurde.152 Demnach hatte Lauriacum noch eine Zeitlang den Aderlass überlebt, den die von Severin organisierte Abwanderung der Römer ins rugische Herrschaftsgebiet bewirkte, ja der Ort blieb eine Bischofsstadt, wo man Iura studieren konnte.153 Ennodius und Eugippius waren zwar die letzten Autoren, die über den spätantiken Donau- und Ostalpenraum nicht bloß berichteten, sondern auch als Zeitgenossen ein erstaunlich differenziertes Bild vom allgemeinen wie institutionellen Zustand der raetisch-norischen Provinzen am Ende des Römerreichs entwarfen.154 Sie waren aber nicht die letzten, die von der Abwanderung von Provinzialen nach Italien berichteten. So weiß noch Paulus Diaconus,

Wolfram, Grenzen 47 mit Anm. 167 zu Eugippius, Vita Severini c. 22, 3, ed. Mommsen 32. Eugippius, Vita Severini cc. 27, 1–28, 1, ed. Mommsen 32f. 150 Eugippius, Vita Severini c. 31, 1–6. Zur Erwähnung von Comagenis siehe ebd. cc. 1, 3; 3, 1; 33, 1, ed. Mommsen 2, 13, 42. Zum nachseverinischen Lauriacum siehe unten Anm. 152f. 151 Wolfram, Grenzen 55. Zum Namen Rugiland siehe Paulus Diaconus, Historia Langobardorum I 19, ed. Waitz 56f. 152 Ennodius, Vita Antonii cc. 7–17 (ed. Friedrich Vogel, MGH AA 7, Berlin 1885, ND 1995) 186f. erwähnt noch keine Goten Theoderichs des Großen: siehe Wolfram, Goten 281. Zum Künziggau siehe etwa Traditionen Mondsee. Das älteste Traditionsbuch des Klosters Mondsee (ed. Gebhard Rath/Erich Reiter, Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 16, Linz 1989) 254: Quinzinggauue u.ä. 153 Wolfram, Salzburg 110 mit Anm. 42 und Wolfram, Grenzen 19 und 42. 154 Vgl. Wolfram, Salzburg 103–111. 148 149

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dass sich Pannonier und Noriker dem Zug Alboins 568 nach Italien angeschlossen hatten, und zwar als Völker unter anderen Völkern, wie Gepiden, Bulgaren, Sarmaten und Sueben.155 Obwohl im 5. und 6. Jahrhundert eine unbestimmte Zahl raetisch-norischer und pannonischer ­Provinzialer ihr Heil in Italien suchte, gibt es genügend Hinweise, dass Römer in der Heimat zurückblieben und die Strukturen erhielten, auf denen in Zukunft aufgebaut werden konnte.156 Dazu einige ­wenige Beispiele: Mit Ausnahme von Freising befanden sich alle bayerischen Bischofssitze in ehemaligen Römer­städten.157 Der römische Marinehafen Brigantia am Bodensee war als Bregenz der erste Ort im heutigen Österreich, der nach der Völkerwanderung wieder genannt wurde. Hier lebten 610/11 mehr getaufte Heiden als Christen mit Verehrern Wodans zusammen, und dennoch hatten römische Traditionen überlebt.158 Aus der einstigen ufernorischen Provinzhauptstadt Ovilava war das 776 erstmals erwähnte castrum Ueles des mächtigen Grafen Machelm geworden, aus Lentia das nicht viel später urkundlich bezeugte Linz.159 Die Namen ehemals römischer Städte erhielten sich nicht bloß am Ort, sondern wurden auch die Namengeber von Regionen, so das norische Iuvavum für den „Gau der Iuvavensier“, das raetische Quintanis für den Künzinggau und die einstige raetische Zivilhauptstadt Augusta Vindelicum/ Augsburg für den Augstgau.160 Dagegen gab das ehemalige römische Legionslager Castra Regina seinen Namen nicht an das Umland weiter, sondern lag im Donaugau.161 Dies könnte ein zusätzliches Argument für die Annahme sein, dass der älteste bayerische Dukat nicht in Regensburg, sondern in Augsburg eingerichtet wurde.162 Östlich der Enns verdrängte zwar der vorrömische Name Tulln = Schöpfl den römischen Namen Comagenis/a. Aber der römische Name des Ortes wurde während des 9. Jahrhunderts auf den gesamten Ostabfall der Alpen unter Einschluss des Wienerwaldes wie des Rosaliengebirges als Cumeoberg/Kaumberg übertragen.163 Zahlreich überliefert sind die Personennamen romanischer Bayern; darunter waren sehr beliebt ­Ursus und ähnliche Formen sowie die weiblichen Gegenstücke Ursa, Ursina und Ursicina. Ein Welser Grabstein erinnert an eine um 400 im Kindbett verstorbene Ursa und bezeugt sie als erste Christin auf heute österreichischem Boden. Ein vir spectabilis Ursus und seine Frau Ursina waren um 500 die Stifter des Fußbodenmosaiks der ehemaligen Friedhofskirche von Teurnia.164 Zwei Angehörige der genealogia de Albina hießen Ursus/o, der jüngere war der erste bekannte Kaplan eines Bayernherzogs.165 Sowohl das schwäbische Irsee und der oberösterreichische Irrsee mit dem benachbarten Salzburger Irrsdorf, ein Irschen im Kärntner Drautal166 wie der oberbayerische Irschenberg verdanken ihren Namen einem Ursus. Die Bayern sind die einzigen Theodisken gewesen, bei denen die typisch römische Mode fortlebte, Kardinalzahlen, wie Quartus, Septimus und Nonus, als Namen zu verwenden. So stammten etwa aus der Salzburger Romania ein Quartinus, ein Vierter,167 aus Südtirol ebenfalls ein Quarti(nus), der Siehe Pohl, Awaren 232, zu Paulus Diaconus, Historia Langobardorum II 26, ed. Waitz 103. Siehe die grundlegenden Arbeiten von Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 395–465, und Wiesinger, Romanische Kontinuitäten 261–328, und Peter Wiesinger, Probleme der bairischen Frühzeit in Niederösterreich aus namenkundlicher Sicht, in: Die Bayern und ihre Nachbarn 1, ed. Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Dph 179, Wien 1985) 321–367. Zur Archäologie siehe Christian Later, Zur archäologischen Nachweisbarkeit des Christentums im frühmittelalterlichen Baiern. Methodische und quellenkritische Anmerkungen, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 567–611, bes. 601. Die Bedeutung der Namen für die Kontinuitätsfrage betont zuletzt auch Heitmeier, Wurzeln, bes. 491–500. 157 Wolfram, Salzburg 111–123. 158 Wolfram, Salzburg 113 und Wolfram, Grenzen 103f.; Ionas, Vita Columbani I 27 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902, ND 1997) 102f, oder (ed. und trans. Herbert Haupt, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4a, Darmstadt 1982, 21994) 395–497, hier 482 und 484. 159 Wolfram, Salzburg 116f.; Traditionen Freising 73, ed. Bitterauf 1, 99 (Machelm). 160 Wolfram, Salzburg 162 und Wolfram, Grenzen 114. 161 Siehe etwa Traditionen Mondsee 37, ed. Rath/Reiter 135. 162 Siehe oben Anm. 137–142. 163 Elisabeth Schuster, Die Etymologie der niederösterreichischen Ortsnamen (Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich 8, 1–3, Wien 1989–1994) 1, 445f. (Tulln), und 2, 363f. (Kaumberg); Wolfram, Grenzen 309f. mit Anm. 186. 164 Wolfram, Salzburg 27–29; Wolfram, Grenzen 32, 42f. und 62. 165 Wolfram, Salzburg, bes. 133–135. 166 Conversio, ed. Wolfram 121 mit Anm. 28. 167 Wolfram, Salzburg 34–38; Conversio, ed. Wolfram 212f. 155 156

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eine unfreie Secundina an Freising schenkte. In Salzburg gab es eine Sipunta, eine Siebente, und in Freising eine Niunta, eine Neunte.168 Eine Besonderheit der Salzburger Romania war die von Wolfgang Haubrichs festgestellte Häufung graeco-lateinischer Personennamen, wie Agatha, Alizzeo von Aletheus = Verus, der Wahre, Antiochus, Euphemia und Eulalia.169 Gleichgültig, ob für die Vermittlung Goten, Langobarden oder Aquileia/Grado verantwortlich waren, kommen oder kamen nur im Bayerisch-Österreichischen für Dienstag der Ergetag/Erchtag von Ares-Tag, der Pfinz-Tag, die Fünfte (Πέμπτη), für den Donnerstag und ehemals der Pferin-Tag von der Παρασκευή für den Freitag vor. Diese Wochentags­ namen sind zusammen mit dem Samstag (von Sambaton) ausgesprochen christlich-griechisch bestimmt; nur der Ares-Tag stammt aus der griechisch-antiken Planetenwoche.170 Auch haben die Salzburger aus Dub-dá-Chrích, dem irischen Begleiter Virgils, einen Dobdagrecus gemacht. Bleibt noch der berühmte Tassilo-Kelch von Kremsmünster zu erwähnen. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die in den Fuß-Medaillons dargestellten Heiligen jeweils mit zwei lateinischen Anfangsbuchstaben, aber in griechischer Sprache gekennzeichnet sind. Sollte etwa die Auflösung von MT mit Maria T(h)eotokos das Richtige treffen, würde der Tassilo-Kelch im entsprechenden Medaillon die älteste Mariendarstellung nördlich der Alpen enthalten.171 Heilige und Missionare Für eine christlich-römische Kontinuität spricht nicht zuletzt, dass in Pannonien und im ehemals binnen­ norischen Karantanien je ein Heiliger und im frühmittelalterlichen Bayern insgesamt fünf bis sieben Heilige bruchlos seit der Spätantike verehrt wurden. Im pannonischen Scarabantia/Sopron/Ödenburg wie in Savaria/Szombathely/Steinamanger gibt es „archäologische Hinweise auf eine ununterbrochene Besiedelung bis in die Karolingerzeit“. In Savaria wurde eine „bescheidene Memoria des Märtyrers Quirinus“ gefunden.172 Im Gemeindegebiet von Spittal an der Drau liegt flußabwärts die Katastralgemeinde Molzbichl. Hier war der Standort eines karantanischen Klosters des 8. Jahrhunderts, das dem heiligen Diakon Nonnosus geweiht war. An ihn erinnert die auf 533 datierte Inschrift seines Grabsteins, der als Spolie verkehrt in dem barocken Altar hinter einem hölzernen Antependium eingemauert war. Es ist dem vielfach bewiesenen Spürsinn Franz Glasers zu verdanken, dass der Stein freigelegt und umgedreht wurde, um so den letzten mit einer Inschrift versehenen und überdies nach Postkonsulatsjahren datierten römischen Grabstein Österreichs zu entdecken. Besonders Franz Glaser und Kurt Karpf haben die grundlegenden Arbeiten zur Erforschung des so außerordentlich wichtigen Denkmals und der damit verbundenen Nonnosus-Tradition geliefert. Der Nonnosus-Stein wurde zwar in das Gotteshaus von Molzbichl erst nachträglich eingemauert, stammt aber aus einer Kirche im Umkreis von Teurnia und dürfte für die christlich-romanische Kontinuität in diesem Raum stehen. Dafür spricht auch der Inschriftenrest onos auf einer Flechtwerkplatte aus dem früh untergegangen Kloster.173 Es ist daher nicht von ungefähr, dass im Raum von Spittal an der Drau eine der drei ersten Kirchen standen, die Salzburger Missionare in Karantanien errichteten und weihten.174 Diese Mission hatte ­Bischof Virgil (746/47–784) in den 750er Jahren begonnen und dafür auch Missionare aus der Romania südlich der Stadt Salzburg aufgeboten.175 Bereits in den 740er Jahren wird ein Presbyter Lupo erwähnt, der auf der Insel Herrenchiemsee den vergeiselten Karantanenprinzen Cheitmar christlich erzog. Als

Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 421; Traditionen Freising 550 a, ed. Bitterauf 1, 472 (Quarti Urkunde): mancipiae (sic!) … Urso Secundina, Mora, Marcellina, Tata. 169 Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 422; Traditionen Freising 34, ed. Bitterauf 1, 62. 170 Wolfram, Gotische Studien 103f. 171 Wolfram, Grenzen 120f. Aus Britta Birnbaum, Mariamotiv i konst, kyrka och folktro (Stockholm 2003) 13–18, ergibt sich, dass es vor dem Tassilokelch (Entstehungszeit frühe 760er Jahre) nördlich der Alpen keine Mariendarstellung gibt, was die Autorin bei einem gemeinsamen Besuch im Stift Kremsmünster bestätigte. 172 Pohl, Awaren 233f. 173 Siehe Der heilige Nonnosus von Molzbichl, ed. Karl Amon, red. Karl Heinz Frankl/Peter G. Tropper (Das Kärntner Landesarchiv 27, Klagenfurt 2001), und zuletzt Eichert, Strukturen 51–55 (mit Abbildungen und Rekonstruktionszeichnungen) und 320–325. Wichtig ist die zusammenfassende Darstellung von Glaser, Kontinuität, bes. 136–140 (Inschriftenrest onos). 174 Conversio c. 5, ed. Wolfram 66 und 128f. 175 Wolfram, Salzburg 214–225 (Aufstellung) und 276–280; Conversio c. 5, ed. Wolfram 133–144; siehe oben Anm. 130. 168

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Cheitmar nach dem Tod seines Vetters Cacatius dessen Nachfolger als Fürst der Karantanen wurde, gab ihm Lupo seinen Neffen, den Salzburger Presbyter Maioranus, in die Heimat mit. Ihren Namen nach waren beide Geistliche romanischer Herkunft. Warum hatte sie Herzog Odilo aus Salzburg geholt und Cheitmar nicht unmittelbar dem Salzburger Bischof Johannes (739–746/47) anvertraut? Die karantanische Geisel sollte wohl sicherheitshalber im Herzogskloster untergebracht werden. Und der romanische Erzieher, der das neue Glaubensgut vermitteln sollte? Wolfgang Haubrichs zeigt in diesem Band, dass das raetisch-norische Romanisch in enger Verbindung mit dem Norditalienischen/Forlanischen stand. Karantanien lag zwischen den beiden Regionen. Sprachen Lupo und Maioranus vielleicht eine Sprache, die der Slawe Cheitmar verstand, weil er sie in Karantanien als Zweitsprache gelernt und verwendet hatte? Solche Fragen sind leichter zu stellen als zu beantworten.176 Sicher aber ist, dass Virgil Salzburger Romanen mit dem Chorbischof Modestus an der Spitze deswegen nach Karantanien sandte, weil er dort mit romanischen (Krypto)Christen rechnen konnte. Dafür zeugen zahlreiche romanische Orts- und Gewässernamen, die Kulttraditionen wie etwa in Molzbichl oder in den Kirchen von Lavant und Ober­lienz. Vom Salzburger Missionar Ingo wird berichtet, er habe seine Anweisungen im Lande mit Hilfe von ­cartae sine litteris, von Pergamenten ohne Buchstaben, verbreitet. Offensichtlich handelte es sich bei den Adressaten (auch) um schriftlose Vlahi, die man wohl mit den „rechtgläubigen Unfreien“ der Conversio identifizieren darf. An diese Vlahi erinnert auch ein kleiner Weiler am Westabfall des Hemmaberges. Der Unterkärntner Hemmaberg war ein spätantik-frühmittelalterliches Zentrum, dessen überregionale Bedeutung ebenfalls erst Franz Glaser entdeckte. Hier liegt der kleine Ort Kršna Vas/­Kristendorf, nach Peter Štih genauer: Dorf der Getauften (der römischen Christen). Dieser Ortsname dürfte nicht bloß das Glaubensbekenntnis, sondern auch die soziale wie rechtlich-wirtschaftliche Abhängigkeit von Romanen im mehrheitlich heidnischen Slawenland bezeugen.177 Die Erinnerung daran erhielt das altslowenische Wort krščenica, wörtlich: die Getaufte (Christin), für Magd, weiblicher Dienstbote. Die Bezeichnung existierte noch in einer Zeit, als es längst keine Heiden mehr im Lande gab und der Satz eines Helmold von Bosau Gültigkeit bekommen hatte, wenn er in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bemerkte, es gebe kein Volk, das „ehrenhafter und im Gottesdienst wie in der Verehrung der Priester ergebener“ sei als die Karantanen.178 Salzburger Romanen wurden aber auch für die Mission und Kirchenorganisation Pannoniens im 9. Jahrhundert eingesetzt. Aus der Salzburger Romania stammte vielleicht der Kirchenherr Beatus, ­sicher jedoch ein Quartinus, der im pannonischen Dreieck zwischen Raab, Donau und Drau um 850 wirkte. Das Gebiet wurde 796 von König Pippin von Italien der Salzburger Kirche jurisdiktionell zugeteilt. Diese Entscheidung seines Sohnes hat Karl der Große 803 persönlich in Salzburg bestätigt. Das Christentum war in der pannonischen Avaria ebenfalls schriftlos, so dass die westlichen Bischöfe hier im Jahre 796 mit presbyteri illiterati zurecht kommen mussten.179 Zu Herrenchiemsee siehe Conversio, ed. Wolfram 48 mit Anm. 143f. nach Hermann Dannheimer, Das Kloster im Frühen und Hohen Mittelalter, in: Herrenchiemsee. Kloster – Chorherrenstift – Königsschloss, ed. Walter Brugger/Heinz Dopsch/ Joachim Wild (Vereinigung der Freunde von Herrenchiemsee, Regensburg 2011) 21–50, hier 21–31, und Heinz Dopsch, Vom Mönchskloster zum Kollegiatstift. Die frühe Geschichte nach dem Befund der Schriftquellen, 7.–9. Jahrhundert, in: Herrenchiemsee 51–72, hier 51–64. Zu Lupo und Maioranus siehe Conversio c. 4, ed. Wolfram 64 und 120. Zu den karantanischen Romanen siehe oben Anm. 174f. 177 Zur Steiermark siehe Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 440 mit Anm. 127. Zu Kärnten siehe Heinz-Dieter Pohl, Zum romanischen Namengut Kärntens und Osttirols, in: Studia Onomastica et Indogermanica. Festschrift Fritz Lochner von Hüttenbach, ed. Michaela Ofitsch/Christian Zinko (Graz 1995) 203–213; Franz Glaser, Kontinuität und Diskontinuität des Christentums im Ostalpenraum, in: Christianisierung Europas, ed. Orsolya Heinrich-Tamáska/Niklot Krohn/Sebastian Ristow (Regensburg 2012) 121–140, hier 139 (Lavant und Oberlienz); Wolfram, Salzburg 51 mit Anm. 226–228, sowie Wolfram, Grenzen 50f. und 63 zu Conversio c.7, ed. Lošek 113 mit Anm. 87. Verena Gassner/Sonja Jilek/Sabine ­Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich. Geschichte Österreichs 15 v. Chr.–378 n. Chr. (Österreichische Geschichte, Wien 22003) 365–368; Stefan Eichert, Frühmittelalterliche Strukturen im Ostalpenraum. Studien zu Geschichte und Archäologie Karantaniens (Aus Forschung und Kunst 39, Klagenfurt 2012) 320–325 bes. mit Anm. 1702. 178 Štih, The Middle Ages 95. Siehe auch oben Anm. 117; Helmold von Bosau, Cronica Slavorum I 1 (ed. Bernhard ­Schmeidler, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [32], Hannover 1937) 6f.: Carinthi confines Bawaris, homines divino cultui dediti, nec est ulla gens honestior et in cultu Dei et sacerdotum veneratione devocior. 179 Conversio c. 13, ed. Wolfram 78 und 212f., sowie Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 454 (Quartinaha). Der in der Conversio c. 11, ed. Wolfram 76, genannte Kirchenherr Beatus könnte ein Romane gewesen sein (siehe Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 457). Zur Zuteilung des pannonischen Dreiecks siehe Conversio, ed. Wolfram 28 mit Anm. 70 und 176

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Sowohl Salzburger Träger des Namens Ursus, alle Salzburger exercitales-Nennungen wie fast alle Salzburger Erwähnungen von barscalci kommen in Orten mit dem wohl aus der Römerzeit überlieferten Laurentius-Patrozinium vor. Allerdings müssen sie aus der Zeit vor dem Laurentius-Tag = 10. August 955 stammen. An diesem Tag besiegte Otto der Große die Ungarn auf dem Lechfeld. Danach gab es eine Inflation an Laurentiuspatrozinien, die nichts mehr mit römischen Traditionen zu tun haben.180 In Mais bei Meran ging der Kult des heiligen Valentinus nicht unter, ob er nun mit dem gleichnamigen Bischof der Raeter, den die Vita Severini erwähnt, zu identifizieren ist oder nicht. In Augsburg wurde die ­Memoria an die Märtyrerin Afra, die der diokletianischen Verfolgung zum Opfer fiel, unvermindert hochgehalten. Dieselbe Verfolgung kostete Florian, den exprinceps officii des ufernorischen Statt­halters, um 305 das Leben. Der pensionierte Amtsdirektor der 9. Dienstklasse, würden wir heute sagen, erlitt das Martyrium, indem er in die Enns gestürzt wurde, und an der Enns hat der Kult des heiligen Florian bis heute Bestand; das bekannte Augustinerstift trägt seinen Namen. In Pongau/Bischofshofen blieb die Erinnerung an den heiligen Maximilian lebendig. Die Geschichte von der Wiederentdeckung seines Grabes diente dazu, die Gründung der Maximilianszelle durch ein gottgefälliges Wunder zu legiti­mieren, und wäre besser als Wiederbelebung seines Kultes zu verstehen. Maximilian soll ein aus Celeia-Cilli vertriebener Bischof gewesen sein. Wenn diese späte Überlieferung auf Wahrheit beruht, wäre ­Maximilian freilich ein Suffragan des Patriarchen von Aquileia gewesen, woran man im jungen Erzbistum Salzburg besser nicht erinnerte.181 Der Kult der zuletzt genannten vier spätantiken Heiligen erlaubt zwei Aussagen zur frühen ­bayerischen Geschichte. Zum einen blieb ihre Verehrung mit Ausnahme der Nordgrenze bloß an den Rändern des bayerischen Siedlungsgebietes, und zwar dort erhalten, wo die Romanen zumindest starke Minderheiten bildeten: Nämlich im heutigen Südtirol an der Grenze zu den Langobarden, am Lech zu den Alemannen, an der Enns zu den Awaren und Donauslawen und im Salzburger Pongau zu den Alpen­ slawen. Hier waren es Romanen, die einen romanischen Heiligen namens Maximilian „fanden“.182 Zum zweiten gibt es keine vergleichbare Kulttradition an der bayerischen Nordgrenze im Raum um Regens­ burg und Straubing, obwohl auch hier frühe Christen nachzuweisen sind – siehe den Regensburger Sarmannina-Stein – und solche, die das Martyrium erlitten. Dieser Befund dürfte ebenso für Augsburg und nicht für Regensburg als ersten Vorort eines raetisch-bayerischen Dukats sprechen. Auch wären noch die heiligen Marinus und Anianus zu nennen, die auf dem Irschenberg (Landkreis Miesbach) bis heute verehrt werden. Außerdem gibt es den Anianus-Kult in der Kirche von Irschenhausen (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen). Beide Orte sind nach einem Ursus benannt.183 Das Christentum des 6. und 7. Jahrhunderts war in Bayern, Karantanien und Pannonien eines ohne Bischöfe. Bistümer überlebten oder entstanden früh bloß jenseits oder am Rande der bayerischen Siedlungsgebiete. Nicht unmöglich, dass der Frankenkönig Dagobert I. (623–639) das Augsburger Bistum lange vor den 739 von Bonifatius eingerichteten bayerischen Diözesen gründete.184 In Chur und Trient blieben die Bistümer mit einiger Sicherheit, vielleicht bis 680 ein Bistum in Celeia/Celje/Cilli erhalten. Sabiona/Säben überlebte zumindest als geistlicher Vorort des Südtiroler Eisacktals.185



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147f. – Avaria: Pohl, Awaren 203 mit Anm. 55 (vgl. 319f. mit Anm. 95) und 204 mit Anm. 69, nach Conventus ­episcoporum ad ripas Danubii (796), c. 7 (ed. Albert Werminghoff, MGH Concilia 2, 1, Hannover/Leipzig 1906, ND 1997) n. 20, 172–176, hier 176. Wolfram, Salzburg 251 nach Gertrud Diepolder, Altbayerische Laurentiuspatrozinien, in: Aus Bayerns Frühzeit. Festschrift Friedrich Wagner zum 75. Geburtstag, ed. Joachim Werner (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 62, München 1962) 371–396, hier 378f. und 385–387. Wolfram, Grenzen 96 mit Anm. 124. Zu Afra siehe auch Venantius Fortunatus (wie oben Anm. 141); Štih, The Middle Ages 113 (Celeia/Celje). Notitia Arnonis 8, 1–8, ed. Lošek 82–85, und Breves Notitiae 3, 1 und 9, ed. Lošek 90 und 92. Gottfried Mayr, Frühes Christentum in Baiern, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788. Gemeinsame Landes­ausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg, ed. Walter Bachran/Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (München/Salzburg 1988) 281–286, hier 281; Kurt Reindel, Christentum und Kirche, in: Handbuch der bayerischen ­Geschichte, 1: Das alte Bayern. Das Stammesherzogtum bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, ed. Max Spindler (­München 21981) 178–233, hier 179 mit Anm. 7. Siehe oben Anm. 141 und Wolfram, Grenzen 103. Wolfram, Grenzen 98–102. Zu Celeia siehe Štih, The Middle Ages 95.

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Herwig Wolfram

Positive literarische Zeugnisse für das bayerische Christentum im 6. und 7. Jahrhundert sind zwar spärlich, aber vorhanden und längst allgemein bekannt.186 Heidnische Praktiken galten bereits zu ­Severins Zeiten unter den Römern als Normbruch.187 Im Prolog der bayerischen Lex heißt es, der Merowinger­könig Theuderich I. (511–534) habe mit der Verbesserung = Verchristlichung des heidnischen Gewohnheitsrechts der Franken, Alemannen und Bayern begonnen, Childebert II. (575–595) sei ihm darin gefolgt, Chlothar II. (584/613–629) habe das Unternehmen fortgesetzt und Dagobert I. (623– 639) beendet, wofür er vier namentlich genannte viri illustres heranzog, darunter auch einen Agilulf.188 Theuderich I. ist wohl aus der Zahl der Gesetzgeber für Bayern auszuscheiden. Aber die geschichtliche Aussage des Prologs ist historisch wahrscheinlich so zu verstehen: Im Gegensatz zu einer tendenziösen kirchlichen Überlieferung des späteren 8. Jahrhunderts bewahrten die Leges die Erinnerung, dass die Christianisierung der Alemannen und Bayern bereits im 6. Jahrhundert begonnen hatte. Dem entsprechen die wenigen heidnischen Praktiken, die das Bayernrecht und seine Ergänzungen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts als Missbrauch anprangern. Es heißt, falsche Richter hätten für Begräbnisse und bei Eidesleistungen solche Gesetze erlassen. Werden bestimmte Eidesformeln, stapsaken, bei der Anklageerhebung gesprochen, „erkennen wir darin heidnischen Götzendienst gemäß alter heidnischer Gewohnheit“.189 Als die Bayernprinzessin Theodelinde 589 nach Italien kam, um König Authari zu heiraten, bezweifelte jedenfalls kein Mensch ihre Katholizität, wie es offenkundig war, dass sie nicht der römisch-­ katholischen Observanz folgte, sondern sich nach Aquileia orientierte.190 Diese Ausrichtung entsprach anscheinend der romanischen Tradition im Lande, wovon die Synode von Grado 572/vor 577 und der Brief einiger „langobardischer“ Bischöfe Aquileias an den Kaiser zumindest mittelbar Zeugnis ablegten.191 Agrestius, ein ungehorsamer Mönch aus Luxeuil, geriet vor 650 in Bayern unter den Einfluss der norditalienischen „Abweichler“ und schloss sich in Aquileia der antirömischen Richtung im Drei-­Kapitel-Streit an.192 Aber Luxeuil hatte mehr zu bieten als nur Dissidenten: Der Frankoburgunder Eust(h)asius, Abt von Luxeuil, war schon vor Agrestius als Glaubensbote zu den Bayern gegangen. Ihn begleitete sein Schüler Agilus, vielleicht ein burgundischer Agilolfinger, der sich den bayerischen Verwandten verpflichtet fühlte. Die bayerische Luxeuil-Mission könnte bereits bald nach 615 begonnen haben; sie wird jedenfalls in zeitlicher Nähe zum Tod Columbans in diesem Jahr überliefert. Nach der Rückkehr der Glaubensboten sind in Luxeuil sowohl die Verehrung der heiligen Afra wie die des heiligen Florian nachzuweisen. Demnach hätten Eustasius und die „klugen Männer, die das begonnene Werk eifrig fortsetzen sollten“,193 den Bayern nicht bloß etwas vermittelt, sondern auch zwei ihrer spätantiken Kulte übernommen.194 Im Zusammenhang mit dieser Mission dürfte die monastische Gemeinschaft auf der Insel Herrenchiemsee, das älteste bayerische Kloster, entstanden sein, dessen Überreste vor nicht allzu langer Zeit entdeckt und ausgegraben wurden.195

Jonathan Couser, Inventing paganism in eighth-century Bavaria, in: Early Medieval Europe 18 (2010) 26–42, bringt daher nur deswegen „etwas Neues“, weil er die einschlägige Literatur nicht kennt oder, eher, sie unterdrückt. So auch ­Roman Deutinger, Wie die Baiern Christen wurden, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalter­ lichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 613–632, hier 613–624; vgl. Later, Nachweisbarkeit 567–601. Siehe dagegen etwa bereits Herwig Wolfram, Die Christianisierung der Baiern, in: Katalog: Baiernzeit in Oberösterreich. Von Severin zu Tassilo. Das Land zwischen Inn und Enns vom Ausgang der Antike bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, ed. Franz C. Lipp/Heidelinde Jung (Linz 1977) 177–188, und Mayr, Frühes Christentum 281–286. 187 Wolfram, Grenzen 342. 188 Lex Baiwariorum, prologus (ed. Ernst von Schwind, MGH LL nat. Germ. 5, 2, Hannover 1926, ND 1997) 204f. 189 Wolfram, Grenzen 342f. Siehe Lex Baiwariorum XIX 8, ed. von Schwind 438, und Concilium Neuchingense (772), c. 6 (ed. Albert Werminghoff, MGH Concilia 2, 1, Hannover/Leipzig 1906, ND 1997) n. 16, 98–105, hier 100f. 190 Walter Pohl, Theodelinde, in: RGA, 2. Aufl. 30 (Berlin/New York 2005) 412f. 191 Wolfram, Grenzen 74 und 97f. 192 Wolfram, Grenzen 96 und 281. 193 Ionas, Vita Columbani II 8, ed. Krusch 122. 194 Wolfram, Grenzen 104f.; Wolfram, Salzburg 43. 195 Zu Herrenchiemsee siehe Conversio, ed. Wolfram 48 mit Anm. 143f., nach Dannheimer, Kloster 21–31, und Dopsch, Mönchskloster 51–64. 186

Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum

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Die Unterschätzung, ja Negierung eines frühen bayerischen Christentums dürften auf das Wirken des strengen päpstlichen Legaten Bonifatius (gest. 754) und auf die Reaktionen darauf zurück gehen. Der Angelsachse war davon überzeugt, dass bei den „Völkern dieser (bayerischen) Gens“ jeder nur denkbare Misswuchs am Stamm der heiligen römischen Kirche gedieh. Allerdings beweist die Sorge des ­Angel­sachsen, dass seine Schützlinge Christen waren, mag er auch in Bayern Priester angetroffen ­haben, die Jupiter/Donar opferten, Opferfleisch aßen und daneben die Taufe spendeten.196 Und von ­einem von ihnen wollte Bonifatius gar die Taufformel In nomine patria et filia et spiritus sancti gehört haben, mag dahinter eine romanische Sprachgewohnheit zu vermuten sein oder nicht.197 Wie wenig die bonifa­ tianische Sorge um die Bayern tatsächlich berechtigt war, beweist etwa die kontinuierliche Ver­ehrung antiker Heiliger, aber auch die Martinskirche auf der Salzburger Nonnberg-Terrasse, die nicht erst von Rupert gegründet wurde und daher schon vor 696 entstanden sein muss.198 Wegen seines Eifers fand ­Bonifatius im Lande selbst keine ungeteilte Zustimmung. Als der große Reformer freilich bereits tot war, entwarfen Arbeo von Freising und sein Amtsbruder Virgil von Salzburg mit ihren Gründer­heiligen ein Gegenkonzept, das der eigenständigen Positionierung und Legitimierung der ­bayerischen Kirche dienen sollte. Nicht zuletzt zu diesem Zweck verfasste Arbeo die Viten Corbinians und ­Emmerams.199 Virgil, der Arbeo zu seinen Heiligenleben angeregt hatte, war zwar nicht der Autor der erhaltenen ­anonymen Gesta Hrodberti. Der Ire kann aber doch als Begründer der Rupert-Legende gelten, wonach der Heilige um 700 den Herzog, den Adel und das Volk der Bayern bekehrt und getauft habe.200 Obwohl davon noch nichts im ursprünglichen Text stand, hatte Virgil schon vor der Jahrhundertmitte das keine fünfzig Jahre zurückliegende Wirken des Salzburger Gründerheiligen novellis ­temporibus christianitatis angesetzt und damit in eine Zeit verlegt, aus der nicht viel bekannt sei und in der man – wäre zu ergänzen – auch einen heidnischen Bayernherzog vermuten durfte.201 Als Salzburg 798 die Metropole Bayerns wurde, erfüllte die bereits weitgehend ausgebildete Rupert-Legende den erwünschten, ja notwendigen legitimierenden Zweck.202 Kontinuität und Diskontinuität: Der Salzburggau und der verlassene Walchengau Die Stadt Salzburg, den Namen gebenden Zentralort des einstigen Salzburggaues, durchschneidet von West nach Ost eine heute noch deutlich erkennbare Ortsnamengrenze. Die Linie zieht sich vom Unters­ berg über einst schwer passierbare Moore und die zumindest teilweise befestigten Salzburger Hausberge beiderseits der Salzach bis zum Heuberg und Gaisberg. Die Salzburger Ortsnamengrenze dürfte die ­Linie markieren, bis zu der sich von Norden her die ältesten Siedlungen der bayerischen Föderaten Ravennas ausbreiten konnten, während südlich davon das romanische Norikum und damit das Italien Theoderichs des Großen begann. Nachdem die Goten den Franken 536/37 die raetisch-norischen Provinzen abgetreten hatten, verlor die Grenze ihre politische Bedeutung. Die Bayern knüpften an die Tradition von Iuvavum/Iuvavo an und bildeten den einheitlichen, aber zweisprachigen „Gau der Salzburger“, in dessen

Siehe Wolfram, Grenzen 342 mit Anm. 89 zu Bonifatius/Lullus, Epistolae, n. 28 (ed. Michael Tangl, MGH EE selectae 1, ­Berlin 1916, ND Stuttgart 1989) hier 51, oder (ed. und trans. Reinhold Rau, Ausgewählte Quellen zur deutschen Ge­schichte des Mittelalters 4b, Darmstadt 31994) 1–356, hier 100. 197 Siehe Wolfram, Salzburg 255f. zu Bonifatius, Epistolae, n. 68, ed. Tangl 141. 198 Wolfram, Salzburg 237 mit Anm. 220 zu Breves Notitiae 7, 1, ed. Lošek 96 (Martinskirche). Zur bayerischen Verehrung antiker Heiliger siehe oben Anm. 172–183. 199 Ian Wood, The Missionary Life. Saints and the Evangelisation of Europe 400–1050 (Harlow 2001) 145–160, bes. 150, 154 und 157–160; Maximilian Diesenberger, Repertoires and Strategies in Bavaria: Hagiography. Strategies of Identification, in: Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late ­Antiquity and the Middle Ages 13, Turnhout 2013) 209–232, hier 214–227. 200 Zu Conversio c. 1 und Gesta Hrodberti cc. 1–10, ed. Lošek 90–99, sowie Breves Notitiae 1, 1, ed. Lošek 88, siehe Wolfram, Salzburg 227–245 (228 enthält das von Karl Brunner entworfene Schaubild), Wolfram, Grenzen 107–109 und Conversio, ed. Wolfram 92f. 201 Breves Notitiae 3, 16, ed. Lošek 92. 202 Wolfram, Grenzen 73 und 172f.; Conversio, ed. Wolfram 86–97. 196

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Süden bis zum Paß Lueg die Salzburger Romania bis ins 8. Jahrhundert erhalten blieb.203 Hier lag der Vorläufer des heutigen Ortes Oberalm, wo die romanische genealogia de Albina, die Gründerfamilie von Bischofshofen, ihren Vorort hatte.204 Die pagenses des pagus Ioboacensium, darunter neben viri nobiles auch exercitales und barscalci, hatten ihr politisch-militärisches Zentrum im castrum (superius) von Iuuavo. Das heißt in der Burg über einem Ort, dessen römische Vergangenheit dem 8. Jahrhundert außer Zweifel stand, der aber nach der Rupert-Legende verödet war und in Trümmern lag. Oder mit anderen Worten, in einer Erēmos, worüber Könige und königgleiche Fürsten das Obereigentum besaßen. Daher musste Rupert die herzogliche Erlaubnis erbitten, als er hier den aptus locus für sein Wirken fand. In ähnlicher Weise wählte ­Columban, nachdem er „die zerstörte Stadt“ Bregenz verlassen hatte, Bobbio als Ort für die Erbauung eines ­Klosters. Der Langobardenkönig erfuhr von einer Einöde im Apennin. Dort stand eine halbverfallene Peter- und Paulkirche, ereigneten sich Wunder. Der Ort galt aber auch als sehr fruchtbar, wasser- und fischreich und hatte vor allem einen Namen; er hieß Bobbio. Eine solche Einöde kann daher nicht menschenleer gewesen sein. Dementsprechend ließ sich der Heilige mit königlicher Erlaubnis an diesem Ort nieder.205 Der pagus Ioboacensium lag am Südostrand des Bayernlandes, das im 6. und 7. Jahrhundert die voralpinen Gebiete der ehemaligen Römerprovinzen Raetia II und Ufernorikum westlich der Enns umfasste.206 Daher endete auch der bayerische Sundergau – der Südgau und kein Sondergau – im Raum von Wörgl.207 Ungefähr in derselben geographischen Höhe gab es noch 763 oberhalb des Isarfalls ­einen pagus desertus, „den wir (die Bayern) Uualhogoi/Walchengau nennen“. Mit quem … appellamus übernahm der Urkundenschreiber den vornehmlich aus der Bayern-Lex bekannten Rechtssatz.208 Der Verfasser war niemand geringerer als der Archipresbiter Arbeo, kurzzeitig Regent von Scharnitz und von 764 bis 782/83 Bischof von Freising, Autor der Viten Emmerams und Corbinians und der einzige bekannte Bayer, für den ein Romane auch ein vir nobilis sein konnte.209 Wie verlassen war aber der verlassene Walchengau tatsächlich? Für die Menschenleere des Gaus ­würde sprechen, dass in seiner Nachbarschaft das Kloster Scharnitz ausdrücklich in der Einöde, in ­solitudine, gegründet und bald darauf von Arbeo selbst, der inzwischen Bischof von Freising geworden war, nach Schlehdorf zurück verlegt wurde. Offenkundig konnte Scharnitz in der Klause nicht überleben.210 Auf den zweiten Blick ist freilich zu differenzieren: Die Hinweise auf Wüste, (Ur)wald, Einöde und die daraus abzuleitende geringe Besiedlungsdichte waren zwar sicher keine bloßen Gemeinplätze. Aber derart bezeichnete Gebiete waren, wie etwa Bobbio, weniger menschenleer als vielmehr schwach oder gar nicht organisiert und standen in der Verfügungsgewalt des Herrschers. Abweichend vom Wortlaut der tassilonischen Dotationsurkunde, deren Text Karl der Große in seiner Bestätigung für Kremsmünster 791 sonst sehr genau übernahm, ließ der Frankenkönig die keineswegs in einem menschenleeren Raum erfolgte Klostergründung infra waldo nostro geschehen.211 Ein pagus desertus Wolfram, Salzburg 25f. und Wolfram, Goten 317. Vgl. Wolfram, Grenzen 317 mit Brigitte Haas-Gebhard, Unterhaching – Eine Grabgruppe der Zeit um 500 n. Chr., in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalter­lichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 246–271, hier 262f. 204 Wolfram, Salzburg 25f.; Wolfram, Grenzen 289 mit Anm. 78. 205 Ionas, Vita Columbani I 27 und 30, ed. Krusch 101 und 107 (Bregenz und Bobbio). Zu Iuvavum/Salzburg siehe Breves Notitiae 2, 1–30, ed. Lošek 88, Conversio c. 1 und Gesta s. Hrodberti confessoris c. 110 (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 6, Hannover/Leipzig 1913, ND 1997) 157–162, oder (ed. Fritz Lošek, Conversio Bagoariorum et ­Carantanorum, MGH Studien und Texte 15, Hannover 1997) 90–98. Zu den exercitales viri, die zur Oberen (Salzburger) Burg gehören, ­siehe Breves Notitiae 7, 1f. und 7 (wo auch barscalci genannt werden), ed. Lošek 81f. Zu pagenses viri nobiles siehe ­Breves Notitiae 14, 54, ed. Lošek 112. 206 Wolfram, Salzburg 47 mit Anm. 201. 207 Wolfram, Salzburg 25 mit Anm. 67. 208 Zu Traditionen Freising 19, ed. Bitterauf 1, 46–48, siehe Wolfram, Grenzen 126 mit Anm. 306. Zu Lex Baiwariorum II 3, ed. von Schwind 294, siehe Conversio, ed. Wolfram 25 mit Anm. 53, nach Conversio, ed. Lošek 5 und 49. 209 Wilhelm Wattenbach/Wilhelm Levison/Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und ­Karolinger 3 (Weimar 1957) 144f.; Wolfram, Grenzen 72. Zu Arbeos Wertschätzung eines vornehmen Romanen siehe oben Anm. 36 und 59. 210 Siehe Jahn, Ducatus 408–423, bes. 422f. (Verlegung auf 764/66 gegen Bitteraufs Datierung auf 772) zu Traditionen ­Freising 19 und 53, ed. Bitterauf 1, 47, und 1, 81 (Verlegung). 211 Zu D. Kar. I. n. 169, ed. Mühlbacher 226f., siehe Wolfram, Salzburg 364 und 379, Z. 5. 203

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war daher, wie Joachim Jahn vorschlug, im eigentlichen Sinn des Wortes Fiskalgut.212 Der Gründer von Scharnitz, der im Namen seiner Familie handelte, bedurfte deswegen für sein Tun der Zu­stimmung ­Herzog Tassilos III. und der anderer bayerischer Großer, darunter seiner Nachbarn. Der bayerische Hochadelige schenkte im Scharnitz nahen pagus desertus ausgedehnte Fischereirechte und Liegenschaften bis zum Westufer der Isar. Eine solche Schenkung wäre in einer völlig menschenleeren Einöde nicht sinnvoll gewesen, weil Besitz stets Herrschaft über Land und Leute bedeutete. Außerdem war ein -gau Kulturland und das Gegenteil von tan, dichter Wald, Urwald.213 Schließlich hätten die Bayern einen völlig menschenleeren Gau kaum nach Romanen/Walchen benannt, sondern einfach von einer Wildnis ohne Zusatz gesprochen, wie etwa in Bischofshofen geschehen.214 Mit Scharnitz zu vergleichen ist die sechs Jahre später erfolgte Gründung von Innichen ebenfalls „auf einem seit langer Zeit leeren und unbewohnten Platz“, nur dass 769 der Herzog selbst der Aussteller der Dotationsurkunde war. Diesmal benötigte Tassilo III. für die Stiftung des Klosters die Zustimmung seiner Großen, die zweimal in der Urkunde erwähnt werden. Der Gründungsort hatte ebenfalls einen Namen und hieß in der romanischen Volkssprache das Eisfeld, vulgo Campo Gelau, eine sprechende Bezeichnung für ein wenig ausgebautes Gebiet in über 1000 Meter Seehöhe. Nicht weit westlich von ­Innichen befindet sich in Toblach eine Fraktion Wahlen (1248 als freisingischer Besitzmittelpunkt erstmals bezeugt), das heißt, ein für Südtirol sehr seltener Walchenname. Außerdem gibt es nördlich vom benachbarten Bruneck einige ebenfalls in Südtirol völlig vereinzelte, nach Agilolfingern benannte -heim-Orte, nämlich Dietenheim (Theodo, aa. 995/1005), Greinwalden (Grimoald, a. 1253) und Uttenheim (Uoto/Uota, a. 993). Zwischen den beiden Orten erinnert ein Tesselberg (a. 993) samt einem Tesselgraben an einen Tassilo. Aber auch die Siedlungstätigkeit bayerischer Großer wohl aus der Huosi-Genealogie lässt sich an Ortsnamen des Raums nachweisen.215 Sie bezeugen einen einstigen herzoglich-bayerischen Stützpunkt mitten im Südtiroler Romanenland und an der Slawengrenze. Außer­ dem wird wie nördlich der Alpen ein Teil der bodenständigen romanischen Bevölkerung als Walchen bezeichnet.216 Die Ostgrenze des Innicher Klosterbesitzes fiel im Osttiroler Drautal mit der Grenze zu den Alpenslawen, den termini Sclauorum, zusammen. So liefert die Tassilo-Urkunde ein gutes Beispiel dafür, dass die Bayern neben den Langobarden das einzige Volk des späteren Frankenreichs bildeten, das sowohl Slawen wie Romanen integrierte. Innichen war nur zu halten, weil es zum einen westlich davon den beschriebenen herzoglich-bayerischen Stützpunkt gab, zum andern weil Herzog Tassilo III. 772 den letzten Karantanenaufstand niedergeworfen hatte und die Salzburger Mission der Alpenslawen fortgesetzt werden konnte.217 Auch lagen sowohl Scharnitz wie Innichen an alten Römerstraßen, die nicht zuletzt für die Herrschaft des Herzogs (wieder) gesichert werden sollten.218 An der Gründung beider Klöster wirkten vornehme Romanen mit, ob sie nun wie in Scharnitz zur Gründerfamilie zählten oder wie in Innichen die Stifterurkunde als Alizzeo und Iubeanus bezeugten.219 Sie sind freilich als ­Romanen oder, genauer, als bayerische Große mit romanischer Tradition nur an ihren Namen erkenntlich. Im Gegensatz zum voll ausgebauten und funktionierenden Salzburggau fehlten im verlassenen ­Walchengau die pagenses mit ihrer – modern gesprochen – Selbstverwaltung. Ein pagus desertus war daher kein völlig verlassener, sondern ein nicht mehr organisierter Gau. Damit zu vergleichen ist die Jahn, Ducatus 412 mit Anm. 129f. (mit reichen Literaturangaben). Winckler, Alpen 233f. Schorr, Namen 236f. mit Anm. 115. 214 Siehe etwa Breves Notitiae 3, 1, ed. Lošek 90: Die Entdecker des Maximiliansgrabes gehen sursum per Salzaha in ­heremum zu einem Platz, qui nunc (erst zu Virgils Zeiten) dicitur Pongô. 215 Zu Traditionen Freising 34, ed. Bitterauf 1, 61f., siehe die grundlegende Studie von Erich Zöllner, Die Gründung von ­Innichen. Zur Geschichte der Bayern (Wege der Forschung 60, Darmstadt 1965) 135–171. Zu den Ortsnamen siehe ebd. 139f., Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 405 und 443; Jahn, Ducatus 428 mit Anm. 184, und Egon Kühebacher, Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte. 1: Die geschichtlich gewachsenen Namen der Gemeinden, Fraktionen und ­Weiler (Bozen 21995) 1, 80 (Dietenheim), 138 (Greinwalden), 467 (Tesselberg) und 502f. (Uttenheim) sowie 1, 473 ­(Toblach). Vgl. Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen 208 mit Anm. 77, für das Moselfränkische. Zur Frage von „echten“ und „unechten“ Walchennamen siehe Wiesinger, Romanische Kontinuitäten 306–316. 216 Wolfram, Salzburg 39f. und 47 mit Anm. 203. 217 Wolfram, Grenzen 404 Anm. 306 zu Traditionen Freising 34, ed. Bitterauf 1, 61f. Siehe auch Jahn, Ducatus 423–425. Zu Tassilos Sieg von 772 siehe Wolfram, Grenzen 124 mit Anm. 286 und Wolfram, Salzburg 273f. mit Anm. 442. 218 Winckler, Alpen 228–235. 219 Jahn, Ducatus 412, und Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 453 und 457. 212 213

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Bedeutung der zum Jahre 889 erwähnten „Einöde der Pannonier und Awaren“. Als solche beschrieb ­Regino von Prüm das Ergebnis des verheerenden Mährerkriegs der Jahre 882 bis 884. Damals wurde die fränkische Verwaltung im donaunahen Pannonien schwer geschädigt, ja brach zeitweise völlig zusammen, ohne jedoch eine Menschenleere zu erzeugen.220 In diesem Raum gab es bereits um Christi Geburt eine Einöde der Boier, die der Geograph Strabo rund vierzig Jahre nach der Zerstörung des „Preßburger“ Boierreiches durch die Daker erwähnte. Die Stelle ist etwas verderbt; soviel lässt sich aber erkennen, dass die Einöde der Boier in einer Reihe mit Siedlungsgebieten verschiedener politisch organisierter Völker, darunter der Pannonier, aufgezählt wird. In oder am Rande dieser „Wüste“ lag Carnuntum mit einer Infrastruktur, die es Tiberius 6 n. Chr. erlaubte, hier die Hälfte seiner zwölf Legionen zum Angriff auf das Marbod-Reich zu sammeln.221 ZUSAMMENFASSUNG Das Imperium Romanum war eine im Unterschied zur „ewigen“, in Byzanz fortlebenden Res ­publica Romana eine veränderbare, ja vergängliche politische Größe.222 So konnte das westliche Imperium ­Romanum enden, ohne dass das Römerreich in der Theorie untergegangen wäre. In der Praxis bedeutete das institutionelle Ende des Westreichs jedoch für die davon betroffenen Römer, dass ihre jeweilige Provinz Teil einer patria regum et gentium wurde, zum Land von Königen und Völkern, zu denen auch sie als ein solches gehörten. So hatten etwa die toledanischen Goten aus den hispanischen Provinzen die ­patria vel gens Gothorum der Spania mit ihrer weit überwiegend romanischen Mehrheit gemacht.223 Eine gewisse ethnische, weil konfessionelle Trennung bestand zwar noch in den Königreichen arianischer Observanz. Bis zur Bekehrung der barbarischen Eliten waren die Römer allein die Bekenner des siegreichen katholischen Glaubens.224 Auch sprach für sie ihre demographische Stärke. Die arianischen Führungsschichten bildeten nur verschwindend kleine Minderheiten, die sich mit ihren Völkern sehr früh schon an die Mehrheitsbevölkerung akkulturierten. In denjenigen Gebieten, deren Führungsschicht vom Heidentum unmittelbar zum katholischen Christentum übertrat, fielen sehr schnell die religiös-kulturellen Schranken zwischen der romanischen Bevölkerung und den ursprünglich Fremden. So wurde das katholische Reichsvolk des regnum Francorum zweisprachig.225 Verschoben sich aber die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Zuwanderer, wurden die Römer zu alemannisch-bayerischen Walchen oder wie im ehemaligen Binnennorikum zu karantanischen Vlahi. In allen Fällen konnte die sozioökonomische Integration der Fremden jedoch nicht ohne die Romanen erfolgen. Dieser Prozess hatte am Beginn des 5. Jahrhunderts mit der Ansiedlung der Westgoten im heutigen Südfrankreich begonnen, war aber noch lange nicht zu Ende, als sich 568 die Langobarden auf Dauer in Italien einzurichten begannen.226 Es mag ein Zufall sein, aber erste klare Hinweise auf das fränkische Lehnswesen stammen um 750 nicht bloß aus einem Zentrum wie dem Raum von Paris, sondern auch aus der bayerischen Peripherie, aus der Romania südlich von Iuuavo,227 „das nun (um 800) in der (bayerischen) Volkssprache Salzburg genannt wird“.228 Hatten hier noch um 700 die Leute Ursus/o, Latinus/Ledi und Donatianus/Tonazan geheißen, Siehe Pohl, Awaren 324, Wolfram, Salzburg 91f. und Wolfram, Grenzen 258f. Zu Regino von Prüm, Chronica a. 889 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [50], Hannover 1890, ND 1989) 132: Obwohl Regino die ausführliche Schilderung des Mährerkrieges von 882–884 aus seiner Vorlage, den Annales Fuldenses a. 884, ed. Kurze/Haefele 110– 113, nicht übernahm, setzte er die Verheerungen des Krieges aber für die Formulierung Pannoniorum et Avarum solitudo offenkundig voraus. 221 Siehe Otto Helmut Urban, Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs. Österreichische Geschichte bis 15 v. Chr. (Österreichische Geschichte, Wien 22003) 336, und Wolfram, Gotische Studien 50 zu Strabon, Geographica 7, 1, 5 (ed. Wolfgang Aly, Bonn 1957), und Velleius Paterculus, Historiae Romanae II 109, 5 (ed. Carl Stegmann de Pritzwald, Leipzig 21933, ND Stuttgart 1965): Carnuntum noch Teil des Regnum Noricum. 222 Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Berlin 1990, 21994) 271f. 223 Wolfram, Goten 23 mit Anm. 75. 224 Demandt, Spätantike 566. 225 Wolfram, Reich und die Germanen 432–439. 226 Wolfram, Gotische Studien 174–181. 227 Wolfram, Salzburg 123–141 zu Notitia Arnonis 8, ed. Lošek 82–84 und Breves Notitiae 3 und 8, ed. Lošek 90–92 und 96–100. 228 Breves Notitiae, praefatio, ed. Lošek 88. 220

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befanden sich unter ihren Söhnen und Nachkommen bereits ein Wurmhari/Drachentöter (in den Breves Notitiae zu Wernharius „aktualisiert“) und andere Träger theodisker Namen.229 Dem entspricht, worauf Wolfgang Haubrichs brieflich aufmerksam machte, dass Tonazan und Ledi „zwar etymologisch romanisch, aber sprachlich ahd./bair. integriert sind“. Die fortschreitende Eingliederung in das Mehrheitsvolk spiegelt auch die Tatsache wider, dass während der Lebenszeit der Herzogin Hiltrud, gestorben 754, die Notitia Arnonis die letzten Romani tributales erwähnte, aus denen die aktualisierenden Breves Notitiae um 800 bereits Kolonen ohne ethnische Zuordnung machten.230 Einzelne Namen von Angehörigen der ­genealogia de Albina sowie Nachrichten über ihre Aktivitäten sind deswegen überliefert, weil diese politisch handlungsfähigen Romanen in Konflikte gerieten, in denen sie auf ­Seiten ihres Herrn, des ­bayerischen Herzogs, standen. Diese Streitfälle waren sozioökonomischer, nicht ethnischer oder gar sprachlicher Natur. Und Ähnliches gilt von den Romanen, die mit Arn so lange um den Besitz eines Waldes an der Salzburger Fischach stritten, oder von den Rankweiler Romanen, die ein alemannischer Schultheiß zu enteignen suchte.231 Ethnozentrische Vorurteile waren und sind im mittelalterlichen ­Donau- und Ostalpenraum ebenso wie in anderen ethnischen Kontaktzonen einst und jetzt zu finden, einen systematischen und dauerhaften clash of cultures sucht man aber nicht bloß im bayerischen Raum vergebens. Und allein schon deswegen ist es sinnvoll, nicht vom Untergang, sondern von der Umgestaltung der Römischen Welt zu sprechen.

Breves Notitiae 3 und 8, ed. Lošek 90–92 und 96–100; Conversio, ed. Wolfram 136 nn. 6 und 7, und Wolfram, Salzburg 217 nn. 6 und 7 (Dulcissimus und Othmarus). 230 Wolfram, Salzburg 153 mit Anm. 310 zu Notitia Arnonis 5, 3, ed. Lošek 76, sowie Breves Notitiae 11, 2, ed. Lošek 102. Siehe auch ebd. 138f. 231 Wolfram, Salzburg 132–134. Zu den Romanen an der Salzburger Fischach siehe oben Anm. 17, Anm. 42 und Anm. 115. Zu den Rankweiler Romanen siehe oben Anm. 27 und 53. 229

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Romanen am Ostrand der alten Gallia und östlich des Rheins

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Wolfgang Haubrichs

Kontinuität und Ansiedlung von Romanen am Ostrand der alten Gallia und östlich des Rheins: Sprachliche Indikatoren (500–900) 1. DIREKTE ZEUGNISSE FÜR ROMANI, LATINI ETC. Direkte Zeugnisse für Romani oder Latini genannte Personen sind im Westen des deutschen Sprach­ gebiets für das frühe Mittelalter sehr selten, wobei Zeugnisse für Kenntnisse der lingua Romana bzw. Gallica ausgeklammert bleiben müssen.1 Sie sind durchweg Zeugnisse für Zweitsprachenerwerb in der Oberschicht (Adlige, Militärs) und für Bischöfe (Chrodegang von Metz, † 766, in der Gorzer ,Vita S. Chrodegangi‘ des 10. Jahrhunderts, allerdings nach Vorgang der Metzer Bischofsgeschichte des ­Paulus Diaconus aus dem 8. Jahrhundert;2 für Bischof Eligius von Noyon, † 660, die ,Vita S. Eligii II‘ aus dem 8. Jh.).3 Erwähnt werden muss jedoch ein außerordentlich wichtiges Zeugnis für galloromanische Sprache im Rheinengtal, das die ,Vita S. Goaris‘ des Wandalbert von Prüm in ihrem Mirakelteil enthält, die 839 entstand, aber auf Ereignisse des 8. Jahrhunderts unter Abt Asverus von Prüm (762–804) zurückweist.4 Die gelegentlich im Rahmen von Diskussionen zur Entstehung nationaler Identitäten anachronistisch, ja missbräuchlich behandelte Stelle handelt von dem patruus eines homo nobilis Vvaltarius, mit Namen Reginarius, ebenfalls einem homo nobilis, der den hl. Goar und seinen Kultort, d.i. St. Goar nahe des vicus Boppard am Rhein, und überhaupt alle Romanen schmäht und verachtet: ... Reginarius, homo licet nobilis, moribus tamen et actu crudelitate atque avaritiae subditus, cum locum sanctum sperneret et omnes Romanae nationis et linguae homines ita quodam ­g entilicio odio execraretur, ut ne videre quidem eorum aliquem aequanimiter vellet ac, si quos forte ex eadem ­familia comprehendere potuisset, crudeliter nonnumquam afficeret, cumque eodem stulto odio et ­a nimo barbaro venerabilem Asverum eiusque nonnullos monachos detestaretur, casu ipso abbate in cella degente per locum coactus est itineris necessitate transire. Et cum iam ecclesiae ­propinquasset, Vgl. dazu Wolfgang Haubrichs/Max Pfister, ,In Francia fui‘. Studien zu den romanisch-germanischen Interferenzen und zur Grundsprache der althochdeutschen ‚Pariser (Altdeutschen) Gespräche’ nebst einer Edition des Textes (Mainz/Stuttgart 1989) 6–11; Wolfgang Haubrichs, ,Pariser Gespräche’, in: Althochdeutsche und altsächsische Literatur, ed. Rolf Bergmann (Berlin/Boston 2013) 347–350, hier 350; Herbert Penzl, ,Stulti sunt Romani‘. Zum Unterricht im Bairischen des 9. Jahr­ hunderts, in: Wirkendes Wort 35 (1985) 240–248; Stefanie Stricker, ,Kasseler Glossen’, in: Althochdeutsche und altsäch­ sische Literatur, ed. Rolf Bergmann (Berlin/Boston 2013) 225–227; Ernst Hellgardt, Zur Mehrsprachigkeit im Karolinger­ reich; Bemerkungen aus Anlass von Rosamond McKittericks Buch „The Carolingians and the Written Word“, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 118 (1996) 1–48.   2 Johannes von Gorze, Vita S. Chrodegangi, 20 (ed. Georg Waitz, MGH SS 10, Hannover 1852) 553–572, hier 563: Erat autem Latino non minus quam patrio sermone imbutus ... Die Stelle stammt aus des Paulus Diaconus a. 784 entstandenen ,Gesta episcoporum Mettensium‘ (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 260–270, hier 267: Fuit autem ... tam patrio quamque etiam latino sermone imbutus ...   3 Vita S. Eligii (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902) 663–741, hier 700f., wo die Bekehrungspredigten an die barbari von Noyon und Flandern die Beherrschung von deren Sprache voraussetzen. In c. 20 (ebd. 712) widersetzt sich das Volk dem Versuch, seine paganen Bräuche zu unterbinden, mit antiromanischem Affekt: Numquam tu, Romane ... consuetudines nostras evellere poteris, sed sollemnia nostra sicut actenus fecimus, perpetuo semperque frequentabimus, nec ullu hominum erit, qui priscos atque gratissimos possit nobis umquam prohibere ludos. Vgl. P. Villette, in: Bibliotheca Sanctorum IV (1964) 1064–1073; Henry Francis Muller, On the Use of the Expression ,Lingua Romana’ from the First to the Ninth Century, in: Zeitschrift für Romanische Philologie 43 (1923) 9–19, hier 12f.; Joseph-Claude Poulin, Eligius, in: LMA 3 (1986) 1829f.   4 Wandalbert von Prüm, Vita et Miracula s. Goaris cc. 6f. (ed. Heinz Erich Stiene, Wandalbert von Prüm, Vita et Miracula sancti Goaris, Frankfurt a.M. 1981) 49–52, 109f. Anm. 91. Vgl. Muller, On the Use 9–19; Wolfgang Haubrichs, Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit (Rheinisches Archiv 105, Bonn 1979) 47f.   1

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rogat seruum, qui comitabatur, ut, si possit, ea se via ducat, qua conspectum basilicae Goaris ­R omanorumque hominum, Asveri scilicet abbatis et eius comitum, praesentiam valeat declinare. Tanta eius animum innate ex feritate barbarica stoliditas apprehenderat, ut ne in transitu quidem Romanae linguae vel gentis homines et ipsos quoque bonos viros ac nobiles libenter aspicere posset. Der Verächter der romanischen Sprache des heiligen Goar und seiner heiligen Diener und überhaupt aller Menschen aus der Romana gens wird vom Heiligen und von Gott mit schmählichem Tode bestraft. Natürlich ist uns dieses Ereignis nur wegen des Strafwunders des Heiligen und dann zu dessen Ehre vom Mittelrhein überliefert, so dass man weder erkennen kann, ob es sich um eine vereinzelte Haltung handelte, noch ob sie in irgendeiner Weise repräsentativ war. Abt Asverus stammte aus dem Anjou, auch der spätere Vitenverfasser Wandalbert war Romane der Gallia, kam aus dem Raum Orléans/Sens.5 Doch bezieht sich eindeutig der Hass (gentilicium odum) des nobilis vom Rhein nicht nur auf den fremdländischen Abt oder seine Mönche, sondern auf alle Men­ schen romanischer Sprache und Abstammung. Umgekehrt darf man daraus schließen, dass im Raum des Rheinengtals, in der Nähe von Boppard und St. Goar, Menschen romanischer Sprache noch im 8. Jahrhundert lebten, wie wir das auch aus indirekten Zeugnissen, Inschriften, Ortsnamen, Lehnwörtern rekonstruieren können.6 2. SPRACHZEUGNISSE FÜR DIE LINGUA ROMANA IN SPRACHINSELN (IN AUSWAHL): 2.1. Das Moselromanische der Gondorfer Inschrift Aus dem vicus Contrua (Gondorf) an der unteren Mosel ist eine in das 6. Jahrhundert datierte Inschrift für einen Mauricius überliefert,7 die ihm samt Grabstein seine Gattin Montana widmete: HOC TETOLO FECET MONTANA CONLUX SVA MAVRICIO QVI VI SIT CON ELO ANNUS DODECE ET PORTAVIT ANNUS QARRANTA TRASIT DE VIII KL IVNIAS Schon 1997 hat Johannes Kramer gezeigt, dass in dieser Inschrift lebendiges Moselromanisch vor­ liegt, das lateinische Formulare durchdringt und transformiert.8 Neben geläufigen Vulgarismen wie [i] > [e] und [u] > [o] und entsprechenden Hyperkorrekturen, neben morphologischen Vereinfachungen im ­Kasusbereich (tetolo < titul-um, dodece < duodec-im) gibt es spezifisch regionalromanische Entwick­ lungen: – conlux aus coniu(n)x, wohl Hyperkorrektur wie lat. Iūlius > Lūlius (vgl. it. luglio); – qui „ohne Genusunterschied als Universalform des nominativischen Relativpronomens verwen­ det”9, hier für das Femininum; Haubrichs, Kultur der Abtei Prüm 51. Vgl. Manfred Halfer, Die Flurnamen des oberen Rheinengtals. Ein Beitrag zur Sprachgeschichte des Westmitteldeutschen (Stuttgart 1988) 380–387; Winfried Schmitz, Zur Akkulturation von Romanen und Germanen im Rheinland. Eine Aus­ wertung des inschriftlichen Materials, in: Das Altertum 43 (1997) 177–202; ders., Spätantike und frühmittelalterliche Grab­inschriften als Zeugnisse der Besiedlungs- und Sprachkontinuität in den germanischen und gallischen Provinzen, in: Germania Inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt (Berlin/New York 2001) 261–305; Wolfgang Haubrichs, Vitalis, Remico, Audulpia: Romanische, germanische und romanisierte Perso­ nennamen in frühen Inschriften der Rhein- und Mosellande, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 78 (2014) 1–37, hier 11f., 16f., 21–33.   7 Mechthild Schulze-Dörrlamm, Die spätromanischen und frühmittelalterlichen Grabfelder von Gondorf, 2: Katalog und Tafeln (Stuttgart 1990) Tafel 116, 2; Johannes Kramer, Zwischen Latein und Moselromanisch: Die Gondorfer Grabinschrift für Mauricius, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 118 (1997) 281–286, hier 282.   8 Vgl. Kramer, Zwischen Latein und Moselromanisch 283–286.   9 Kramer, Zwischen Latein und Moselromanisch 284.   5   6

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– visit < vixit mit Assimilierung des [k] im Nexus [ks] an folgendes [s], Vorstufe von altfrz. -is etwa in lat. fraxinus > *fraxnus > altfrz. fraisnes; – - con elo < cum illo: vgl. spätlat. ile; it. ello, ella; frz. il mesa; mansus > mas etc.); vgl. o. conlux < -iunx; – qarranta < quadraginta als Vorform von it. quaranta und frz. quarante; vielleicht drückt sich auch in der Graphie bereits die gallorom. Entlabialisierung von [kw] aus, die zu frz. qui führt und in der Region im 7./8. Jahrhundert zu belegen ist.10 Unklassisch ist auch portare annus „Jahre verbringen, leben“, das erst nach dem 5. Jahrhundert in der Region auftritt. 2.2. Das Romanische einer Grabinschrift aus Leutesdorf (Kr. Neuwied) Aus Leutesdorf im Neuwieder Becken kommt der ins 6. oder 7. Jahrhundert zu setzende Grabstein des Giboaldus, der im Kontext der zahlreichen Inschriftsteine des merowingischen Fiskus Andernach ­(Antunnaco) zu sehen ist, freilich mit Lücken am Ende der ersten beiden Zeilen behaftet ist:11 GIBOA[l] DVS C[e] SQIT FV NCVS F VIT CALE NDAS PVS CALINDAS GVNIAS D VDECIMO („Giboaldus ruht [hier], er verstarb am 12. Juni“) Die neun Zeilen der Grabschrift für eine mit einem germanischen Namen benannte Person enthalten (jenseits des fälschlich eingetragenen calendas in der 5./6. Zeile) zahlreiche romanische Fortentwick­ lungen des Lateins, auf die schon 1966 Geza Alföldy hinwies: – C[e]sqit < cesquit, cisquit < quiescit, wobei erneut als Anzeige der galloromanischen Ent­ labialisierung von [kw] angesehen werden kann; – funcus < functus (für de-functus) vereinfacht; – pus < post mit hyperkorrektem und Verlust des finalen Konsonanten, wie es auch für Florenz (a. 488) und Vienne (a. 562) belegt ist; – calindas < calendas mit hyperkorrektem [en] > [in]; – Gunias < Iunias mit wohl die Aussprache [dj] anzeigender Graphie , wie im Rheinland etwa auch Gen(arias) statt Ian(uarias), Gunnoo statt Iunio; Dass die Entlabialisierung von vorgerm. [kw] schon im frühen Mittelalter anzusetzen ist, zeigt das Beispiel der lothringi­ schen Eichel, Nebenfluss der oberen Saar: a. 713 sub ambas ripas Aquilas, a. 713 Aculia, in pago Aculiense, wo vor [u] die Entlabialisierung anzeigt. Der Name unterliegt aber auch der ahd. [k]-Verschiebung (7. Jh.), belegt mit a. 788 Achilla, a. 838 in pago Achilgouue, a. 1196 ad rivulum ... Herchele, a. 1419 Eicheldale, so dass die Entlabialisierung im 7. Jahr­ hundert bereits vollzogen sein musste. Vgl. Wolfgang Haubrichs, Lautverschiebung in Lothringen. Zur althochdeutschen Integration vorgermanischer Toponyme der historischen Sprachlandschaft zwischen Saar und Mosel, in: Althochdeutsch, ed. Rolf Bergmann/Heinrich Tiefenbach/Lothar Voetz, 2 (Heidelberg 1987) 1350–1391, hier 1382; Albrecht Greule, Deut­ sches Gewässernamenbuch. Etymologie der Gewässernamen und der zugehörigen Gebiets-, Siedlungs- und Flurnamen (Berlin/Boston 2014) 115.  11 Géza Alföldy, Zur Grabinschrift des Giboaldus aus Leutesdorf, Kr. Neuwied, in: Bonner Jahrbücher 166 (1966) 444–445.  10

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– dudecimo < duodecimo mit Monophthongierung wie in CIL XII 2654 (Alba Helvorum) ­dudecema bzw. Gondorf dodece.12 2.3. Prümer Forstbeschreibung von a. 721 (Schenkung der Bertrada und ihres Sohnes Charibert) Die vorkarolingische Beschreibung der forestis, die aus der Hand der mit den Pippiniden (späteren ­Karolingern) verwandten Gründersippe des Klosters Prüm an das Kloster kam, ist in romanisch gepräg­ tem Latein verfasst:13 ... de foreste nostra de ipso monasterio juso aqua desubtus illo exarte in ipso vado in Prumia · et de ipso vado indricto usque in Melina flumen · deinde per Milina suso aqua usque ubi nobis legitimo usque ad Uuinardo curte usque ad illa marca qui nobis obtingit · et ad stipendia ipsorum servorum dei donamus de villa nostra id sunt · de Romairo villa de nostra portione medietate · et de Prumia medietate similiter ... Mehrere Romanismen sind zu beobachten: – juso aqua „das Wasser abwärts“ < vlat. jusum < lat. deorsum als Vorform von altfrz. jus, it. ­giu(so);14 – desubtus illo exarte „unterhalb der Rodung“ mit der Bedeutung von daraus entwickeltem frz. dessous;15 – exarte < vlat. exsartum ‚Rodung‘ vereinfacht; – indricto < in directo ‚geradeaus‘ mit synkopiertem dricto als Vorform von frz. droit;16 – suso aqua „das Wasser aufwärts“ < vlat. *sūsum < lat. sursum ‚aufwärts‘ als Vorform von frz. sus.17 Auch die Toponyme in dieser Waldbeschreibung zeigen romanisches Gepräge: Winardocurte [e] und ­romanischem Schwund von germ. [w] zwischen Vokalen. Ein Placitum Sigiberts III. von 642/43, aufgezeichnet in Bodendorf (Stadt Sinzig), nennt infra ­termino Bodofricense (Boppard) einen Evergisilius mit romanisiertem PN (< germ. Ebur-gisil-), der Anspruch auf einen Weinberg erhob. Auch die Ortsnamenform zeigt mit der Entwicklung von [br-] > [vr] (ge­ schrieben ) und [au] > [o] in Baudobriga romanische Entwicklungen.36 Dagegen zeigen die ihrem Verbreitungsgebiet nach ausgesprochen fränkischen und rheinischen ­Namen Bile-fridus und Aud-ulpia bei gleicher Zeitstellung keine Romanisierungsanzeichen, sind also genuin fränkisch. Romanisierungen sind in den frühen rheinisch-moselländischen Inschriften weit verbreitet. So zeigt sich der romanische Lautersatz von germ. [ai] durch [a] in Andernach 6./7. Jh. Gari-sindus < *Gair‚Ger, Speer‘.37 Der romanische Lautersatz von germ. [h] vor Konsonant und Vokal ist zu fassen in Worms 5./6. Jh. Grutilo < *Hrūthilo mit , in Trier 7./8. Jh. Ebre-childis fem. < *Ebur-hildis mit , in Pier bei Düren 7. Jh. Cheldofrida fem. < *Hildjō-; ferner Lautersatz von germ. [hl] durch [fl] (vgl. flanc < altfrk. *hlanka ‚Seite, Hüfte, Lende‘) in Trier 6./8. Jh. Flode-rici < *Hluda- ‚laut, berühmt‘;38 inter­ vokalischer g-Schwund in Bingen 6. Jh. Aiberga < *Agi- ‚Schrecken‘, in Andernach 6./7. Jh. Aisoena < *Agis-wina, in Leutesdorf (Kr. Neuwied) 7. Jh. Rainovaldus < *Ragino-;39 schließlich Nasalschwund in der Lautgruppe [ns] (vgl. lat. mensa > mesa) in Worms 5./6. Jh. Aso < *Anso etc.40

Vgl. Nikitsch, Inschriften Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 1–12; Haubrichs, Vitalis, Remico, Audulpia 16f., 21–33. Die Verwendung der Graphie vor [i, e] zur Sicherung des Verschlusslautcharakters von germ. [g] lässt sich bereits an merowingisch-westfränkischen Namen belegen; genutzt wird sie auch von der Ende des 8. Jahrhunderts entstandenen ahd. Isidor-Übersetzung. Vgl. Klaus Matzel, Untersuchungen zur Verfasserschaft, Sprache und Herkunft der althochdeutschen Übersetzungen der Isidor-Sippe (Rheinisches Archiv 75, Bonn 1970) 75–78, 281–286; Wilhelm Braune/Ingo Reiffenstein, Althochdeutsche Grammatik, 1: Laut- und Formenlehre (Tübingen 152004) I § 148 Anm. 4.  35 Wolfgang Haubrichs, Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen im Nordosten der Gallia. Die ,Germania submersa‘ als Quelle der Sprach- und Siedlungsgeschichte, in: Die Franken und die Alemannen bis zur ,Schlacht bei ­Zülpich‘ (496/97), ed. Dieter Geuenich (Berlin/New York 1998) 102–129, hier 114f.; ders., Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen Personennamensystems in der Romania, in: Zur Bedeutung der Namen­ kunde für die Romanistik. Romanistisches Kolloquium XXII, ed. Wolfgang Dahmen/Günter Holtus/Johannes Kramer/­ Michael Metzeltin/Wolfgang Schweickard/Otto Winkelmann (Tübingen 2008) 87–140, hier 125f.; Wolfgang Haubrichs/ Max ­Pfister, Fränkisch (Frankish), in: Wieser Enzyklopädie ‒ Sprachen des europäischen Westens, ed. Ulrich Ammon/ Harald Haarmann, 1 (Klagenfurt 2008) 249–274, hier 256f.  36 MGH DD regum Francorum e stirpe Merovingica, Nr. 79, ed. Kölzer 200–202.  37 Haubrichs, Hybridität 126; Haubrichs/Pfister, Fränkisch 255.  38 Vgl. Anm. 35.  39 Haubrichs, Hybridität 127.  40 Lothar Wolf/Werner Hupka, Altfranzösisch. Entstehung und Charakteristik (Darmstadt 1981) §57; Wolfgang Haubrichs, Eine neue Wormser Inschrift aus der Zeit um 500 und die frühen Personennamen auf germ. *þewaz ,Diener’, in: Entste­ hung des Deutschen. Festschrift für Heinrich Tiefenbach, ed. Albrecht Greule/Eckhard Meineke/Christiane Thim-Mabrey (Heidelberg 2004) 153–172, hier 166f.  33  34

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3.2.2. Romanisierung in den in germanischen Siedlungsnamen enthaltenen Personennamen (in Auswahl) Personen romanischer Sprache bzw. romanischer onomastischer Tradition werden auch durch romani­ sche und romanisierte PN in formal germanischen Siedlungsnamen (SN) bezeugt, die sich sowohl im lothringischen wie auch im rheinischen Raum finden.41 – Romanische PN in germ. SN des lothringischen Raumes: (1) † Paschasenges (1162 or.) bei Sarrebourg (Dép. Moselle) zum rom. PN Paschasius + Suffix -ingas (2) Florange/Flörchingen bei Hayange (Dép. Moselle), 898 or. Florichingas zum PN Floricus + Suffix -ingas – Romanisierte PN in germ. SN des lothringischen Raumes: (3) Clouange bei Hayange (Dép. Moselle), 1279 or. Clowanges zum romanisierten PN Cloio < ­Clodio < germ. *Hludjo mit Lautersatz germ. [hl] durch [kl] (wie in Chlodwig < *Hlud-wig-) + Suffix -ingas (4) Fleisheim bei Fénétrange/Finstingen (Dép. Moselle), ± 1142 Flougisheim zum romanisierten PN Flod-gis < germ. *Hlud-gis mit Lautersatz germ. [hl] durch [fl] + germ. *haima- ‚Hof‘ – Romanische PN in germ. SN des Mittelrheins: (5) Pfeddersheim, mda. Peddersam (Stadt Worms), 754 kop. Paterno villa (rom. Exonym in Gorze), 766/67 kop. Pheters-heim < *Paternes-haima zum rom. PN Pater(i)nus (ebenso Petters-heim bei Kusel) + germ. *haima- ‚Hof‘ (6) Kerzenheim bei Eisenberg (Pfalz), 1143 kop. Kerntzheim zum PN *Kernzo < rom. Car(i)ntio + germ. *haima- ‚Hof‘ – Romanisierte PN in germ. SN des Mittelrheins: (7) Uelvesheim bei Oppenheim (Rheinhessen), 8. Jh. kop. Ulfrides-heim zum romanisierten PN Ulfa-rīd < *Wulfa- (so auch 773/74 in Weißenburg/Wissembourg) mit rom. w-Schwund + germ. -*haima ‚Hof‘ (8) Göllheim (Pfalz), 819 kop. Gylnheim, 1248 or. Gillinheim zum romanisierten PN *Gillo < *Gis(i)lo mit rom. Synkope und Assimilation [sl] > [ll] germ. *haima- ‚Hof‘ Die romanischen oder romanisierten, in SN eingegangenen PN zeigen, dass an der merowingischen Aufsiedlung Lothringens und des Mittelrheingebiets Grundherren bzw. Lokatoren aus dem romanischen Westen bzw. aus den romanischen Sprachinseln des Rhein-Mosel-Raumes beteiligt waren. 4. DIE ROMANIA SUBMERSA IM SPIEGEL DER VORGERMANISCHEN TOPONYME UND DER LEHNWÖRTER 4.1. Das Kriterium der 2. Lautverschiebung und die Rekonstruktionsprobleme integrativer Prozesse für Niederrhein, Niederlande und Flandern Eines der wichtigsten lautchronologischen Kriterien zur Datierung der Integration vorgermanischer ­Toponyme und damit der sprachlichen Integration nichtgermanischer Bevölkerung ist die Verschiebung der germ. Tenues [t, p, k] zu den Affrikaten [ts(z), pf, kck] und Frikativen [s(s), f(f), ch], kurz Zweite oder Hochdeutsche Lautverschiebung genannt, die man heute ins 6. Jahrhundert, bei [k] ins 7. ­Jahrhundert

Vgl. für die folgenden Beispiele Wolfgang Haubrichs, Romanische, romanisierte und westfränkische Personennamen in frühen Ortsnamen des Mittelrheingebiets, in: Personenname und Ortsname, ed. Heinrich Tiefenbach/Heinrich ­Löffler (Heidel­berg 2000) 103–142; ders., Zur ethnischen Relevanz von romanischen und germanischen Personennamen in früh­ mittelalterlichen Siedlungsnamen des Raumes zwischen Maas und Rhein, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001) 159–182 (jeweils mit Nachweisen).

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setzt.42 Toponyme, die diese Verschiebung mitgemacht haben, sind vor diesem Zeitraum integriert wor­ den; Toponyme, die sie nicht durchgeführt haben, zeugen von späterer Integration, damit auch von ‒ oft nur lokaler bzw. regionaler ‒ romanischer Kontinuität. Da am Niederrhein und weiter nördlich, in den Niederlanden und Flandern diese Verschiebung nicht durchgeführt wurde, ist dieses Kriterium nur im Süden des theodisken Sprachgebiets, südlich Düssel­ dorf (Benrather Linie) relevant, nicht aber im Norden und Nordwesten. Dort bleibt nur die Registrierung der Weiterexistenz vorgermanischer Ortsnamen, die durch romanischen Mund gegangen sind, und die zeigt, dass zumindest unmittelbar nach dem Zusammenbruch römischer Herrschaft in gewissen Regio­ nen lateinisch-romanische Kontinuität anzunehmen ist.

Abb. 2: Verbreitungskarte der aus römischer Zeit erhaltenen Siedlungsnamen in den Niederlanden, aus W. Haubrichs (1998) 107.

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Stefan Sonderegger, Die Ausbildung der deutsch-romanischen Sprachgrenze in der Schweiz im Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 31 (1966–67) 223–290, hier 260ff.; Haubrichs, Lautverschiebung in Lothringen 1364–1368; ders., Die verlorene Romanität im deutschen Sprachraum, in: Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Ge­ schichte der romanischen Sprachen, ed. Gerhard Ernst/Martin-Dietrich Gleßgen/Christian Schmitt/Wolfgang Schweickard (Berlin/New York 2003) 695–709, hier 695–697; Braune/Reiffenstein, Ahd. Grammatik § 83–90.

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Die von Maurits Gysseling 1981 publizierte Karte (Abb. 2), die freilich nicht die vorrömischen ­ oponyme berücksichtigt und nicht den deutschen Niederrhein, zeigt deutlich, dass es eine stark ausge­ T prägte Kontinuitätszone zwischen Maas, Schelde und Nordsee, also um Maastricht, Tongern, Courtrai/ Kortrijk, Tournai/Doornik gab, und eine schwächer ausgeformte Zone, im Norden im Mündungsgebiet von Maas und Rhein um Utrecht und Nimwegen, dazwischen aber allerdings auch ein völlig ausgeräum­ tes Gebiet, im Wesentlichen identisch mit Brabant (das ja etymologisch „Brachland-Gau“ bedeutet).43 4.2. Rhein- und Mosellande im Spiegel der Lehnwörter Auch für die Lehnwörter der südlich anschließenden Rhein- und Mosellande, die zu beachtlichem Anteil auf die römische Winzerkultur und andere agrarisch-dörfliche Kulturen zurückgehen, ist das Kriterium der Lautverschiebung, aber auch romanischer Lautentwicklungen wichtig. In den moselländisch-luxem­ burgisch-lothringischen Lehnwörtern finden sich zahlreiche vorgermanische Wörter, welche die Laut­ verschiebung nicht aufweisen, also erst nach dem 6. Jahrhundert integriert wurden, z. B.:44 1) unterbliebene [t]-Verschiebung: – Plänter, lothr. Plenter ‚Weinpflanzung‘ < lat. plantarium ‚Pflanzung‘;45 – Krott ‚Schacht‘ < rom. *cropta ‚Gruft‘;46 – Quattertipsche ‚Eidechse‘ < lat. quattuor-pedia ‚vierfüßiges Tier‘;47 – Sente, Sinte ‚Binse‘ < vlat. sentis ‚Strauch‘;48 – Schaute ‚Schaufel am Mühlrad‘ < lat. scūtum ‚Schild‘;49 – Molter ‚Mahllohn‘ < rom. *moltura;50 – Päutert, lux. Pout ‚ausgearteter Rebstock‘ < lat. pūtus ‚kleiner Kerl‘;51 – Punte, lothr. Pont, lux. Pond ‚Spundloch‘ < lat. punctum ‚Stich‘;52 Maurits Gysseling, Germanisering en taalgrens, in: Allgemeine Geschiedenis der Nederlanden, 1 (Haarlem 1981) 100–115. Vgl. Luc van Durme, De vroege Germaans-Romanse taalgrens in België en Noord-Franrijk, in: Bulletin de la Commis­ sion Royale pour Toponymie et Dialectologie 57 (1983) 189–247, hier 227; vgl. auch ders., De namen op -(i)acum in het noorden van de Romeinse province Gallia Belgica. Kronologische, etnologische en andere aspekten, in: Naamkunde 27 (1995) 47–97; ders., Galloromaniae Neerlandica submersae fragmenta (Gent 1996); ferner Wolfgang Haubrichs, Sprache und Sprachzeugnisse der merowingischen Franken, in: Die Franken ‒ Wegbereiter Europas, ed. Alfried Wieczorek/Karin von Welck/Hermann Ament/Michèle Gaillard (Mannheim/Mainz 1996) 559–573, hier 568f.; ders., Fränkische Lehnwörter 106f. Zur Herkunft der Bezeichnung ‚wallonisch‘ für die romanisch gebliebenen Teile des Maasraumes vgl. u. Anm. 120.  44 Vgl. Rudolf Post, Romanische Entlehnungen in den westmitteldeutschen Mundarten. Diatopische, diachrone und ­diastratische Untersuchungen zur sprachlichen Interferenz am Beispiel des landwirtschaftlichen Sachwortschatzes (Wies­ baden 1982) 271–278. Weitere lothringisch-nordsaarländische Lehnwörter ohne t-Verschiebung aus Flurnamen bei Andreas Schorr, Zur Namengeografie galloromanischer Lehn- und Reliktwörter in Mikrotoponymen des Saar-Mosel-Raums, in: Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart, ed. ­Wolfgang ­Haubrichs/ Heinrich Tiefenbach (Saarbrücken 2011) 507–534, hier 516 Nr. 16: Fontel/Füntel < *fontānella ‚kleiner ­Brunnen‘ ­(Lothringen, bei Grostenquin und St. Wendel); 517 Nr. 18 Gott < *gutta ‚Tropfen, Bach‘ (Wadrill, Saarland: vgl. Wolfgang Kleiber/Max Pfister, Aspekte und Probleme der römisch-germanischen Kontinuität, Sprachkontinuität an Mosel, Mittelund Oberrhein sowie im Schwarzwald (Stuttgart 1992) 28f.); 518 Nr. 23 Merter/Mertel ‚Lehmgrube, Wasserloch‘, auch als Appellativ fassbar < *mortārium (bei Château-Salins, Faulquemont, S. Avold und in Nennig a.d. Mosel); 519f. Nr. 28 Prättel/Prattel < *pratellum ‚kleine Wiese‘ (bei Grostenquin, Boulay/Bolchen, Forbach).  45 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 285; Kleiber, Das moselromanische Substrat 170, 178f. Zu Plenter im lothringischen Raum vgl. Monika Buchmüller/Wolfgang Haubrichs/Rolf Spang, Namenkontinuität im frühen Mittelalter. Die nichtgerma­ nischen Siedlungs- und Gewässernamen des Landes an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 34/35 (1986/87) 24–163, hier 118, 120; Haubrichs, Lautverschiebung 1375 Nr. 28f.; Schorr, Zur Namengeografie 519 Nr. 27.  46 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 26.  47 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 87.  48 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 95.  49 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 203; Schorr, Zur Namengeografie 520f. Nr. 31 (Region um Sierck an der lothringi­ schen Mosel).  50 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 205.  51 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 295.  52 Post, Romanische Entlehnungen Nr. 324.  43

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– Tirns, Teres ‚Kürbis‘ < vlat. terrosu(s) ‚erdig‘;53 – Term ‚Grenzstein‘ < lat. terminus.54 2) unterbliebene [p]-Verschiebung: – Peipel ‚Schmetterling‘ < lat. pāpilio;55 – Pülpes ‚Hahnenfuß‘ < lat. pulli pēs ‚Hühnerfuß‘;56 – Keiper ‚Zapfer, Kellner‘ (Prüm) < lat. cuparius zu cupa ‚Fass‘;57 – Gäpp, Kepp ‚Sackende, -zipfel‘ < lat. caput ‚Kopf, Ende‘.58 Bei der [p]-Verschiebung können nur Belege mit einfachem [p] im Inlaut gewertet werden, da [p] im Anlaut im Rheinfränkischen nicht verschoben wurde, die Geminate [pp] schon im nördlichen Rhein­ fränkischen nicht mehr. 3) unterbliebene [k]-Verschiebung: – peiklich ‚gescheckt‘ < lat. pīca ‚Elster‘;59 – Leiken ‚Quecke‘, Leikel ‚Fadenstück‘ < lat. līcium ‚Faden, Webkette‘.60 Hier haben wir Wörter vor uns, die erst nach dem 7. Jahrhundert integriert wurden. Das gilt nicht für kirchensprachliches Beslich ‚Kirche‘ < spätlat. basilica, das in wortgeographischer Anlehnung an ostfrz. bazoche in mehreren Ortsnamen des Mosel- und Rheinlandes aufscheint, allerdings schon mit der Verschiebung [k] > [ch] und dem Umlaut [a] > [e] vor [i] des 8./9. Jahrhunderts.61 Anders ist es wiederum mit dem ebenfalls kirchensprachlichen, aber regionalen Lehnwort Kermeter ‚Friedhof‘ < vlat. cemeterium, das keine [t]-Verschiebung zeigt. Da es ebenso wie oben behandeltes Leiken < līcium, wie im Saarraum und der Pfalz verbreitetes Kirkel < circulus auch nicht die gallo­ romanische Palatalisierung von [ke, ki] > [tse, tsi] aufweist, so scheint diese im Osten der Galloromania ‒ anders als im Zentrum ‒ erst nach der hochdt. [t]-Verschiebung aufgetreten zu sein. Dies erklärt auch den Lautstand des in Flur- und Ortsnamen verbreiteten Lehnwortes Macher < lat. maceria ‚Mauer­ werk‘, dessen [k]-Verschiebung erhaltenes rom. [ke] voraussetzt, während es sich in späterem Ostfran­ zösisch über die romanische Palatalisierung zu maizière entwickelt. Die Beobachtung wird gestützt durch [ki]-Schreibungen in PN des Trierer Raumes und durch die analoge Entwicklung von lothringisch Decem pagi, a. 1295 dt. Tachempach mit [k]-Verschiebung (frz. Tarquimpol, Dép. Moselle), während im länger romanisch gebliebenen Norden die romanische Palatalisierung durchdrang: ± 350 Ricciaco (Dalheim, Lux.), a. 963 Rizzigouwe, 1688 Rietzigh; dann Zerf bei Saarburg < a. 802 (silva) Cervia; schließlich bei Trier Detzem, a. 897 Decima, a. ± 1220 Dezzeme < *(ad) Decimam.62  55  56  57  58  59  60  61

Post, Romanische Entlehnungen Nr. 360. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 130. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 92. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 215. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 436. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 176. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 88. Post, Romanische Entlehnungen Nr. 219. Wolfgang Haubrichs, Die Missionierung der Wörter. Vorbonifatianische und nachbonifatianische Strukturen der t­ heodisken Kirchensprachen, in: Bonifatius ‒ Leben und Nachwirken. Die Gestaltung des christlichen Europa im Frühmittelalter, ed. Franz. J. Felten (Mainz 2007) 121–142, hier 128f.  62 Buchmüller/Haubrichs/Spang, Namenkontinuität 29, 74f., 125; Haubrichs, Lautverschiebung 1389f.; Wolfgang Haubrichs, Galloromanische Kontinuität zwischen unterer Saar und Mosel. Problematik und Chancen einer Auswertung der Namen­ zeugnisse, in: Italica et Romanica. Festschrift für Max Pfister, ed. Günter Holtus/Johannes Kramer/Wolfgang Schweickard, 2 (Tübingen 1997) 211–252, hier 221; ders., Lexik und Onomastik. Die Rekonstruktion von frühen Dialekten und Trüm­ mersprachen aus Siedlungs- und Flurnamen, in: Morphologie und Syntax deutscher Dialekte und Historische Dialektologie des Deutschen, ed. Franz Patocka/Peter Wiesinger (Wien 2004) 297–326, hier 298–301; ders., Vom pêle-mêle zum vis-àvis. Sprachinseln, Bilingualität und Sprachgrenzen zwischen Maas und Rhein in Mittelalter und Neuzeit, in: Mehrsprachig­ keit im Mittelalter: Kulturelle, literarische, sprachliche und didaktische Konstellationen, ed. Michael Baldzuhn (Berlin/ New York 2011) 69–108, hier 83f.; Schorr, Zur Namengeografie 515 Nr. 12, 518 Nr. 22; Rudolf Post, Galloromanische Reliktwortareale und Grenzentlehnungen im Pfälzischen, in: Sprache ‒ Literatur ‒ Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen. Festschrift Wolfgang Kleiber, ed. Albrecht Greule/Uwe Ruberg (Stuttgart 1989) 161–174, hier 161–165.  53  54

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Abb. 3: aus R. Post (1982) 303.

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Eindrucksvoll demonstriert aber auch die 1982 von Rudolf Post publizierte Karte der Frequenz und Arealdistribution rheinischer Lehnwörter die Extension und innere Gliederung der rheinisch-mosel­ ländischen Romania, zu der stets noch ein Teil Lothringens und des Nahegebietes hinzuzudenken ist. Diese Karte (Abb. 3) zeigt mit den drei höchsten Konzentrationsgraden ziemlich genau die Exten­ sion der Trierer Moselromania als langandauernder Sprachinsel (s.u.) bzw. bilingualer Zone an, die nach neueren Forschungen nicht nur Luxemburg umfasste, sondern sich auch nach Lothringen bis an die heu­ tige Sprachgrenze erstreckte. Dagegen zeichnen sich im Bereich der Lehnwörter weder die Metropole Köln noch Bonn, Andernach, Koblenz, Boppard besonders ab, die wohl schon im 7./8. Jahrhundert nur noch über eine schwache romanische Kontinuität verfügten. 4.3. Sprachinseln im Spiegel der Toponymie 4.3.1. Der rheinische Limes von Köln bis Straßburg Die vorgermanischen Namen der größeren Kastelle, Vici, Städte haben sich an der Rheinlinie und an der unteren Maas durchweg erhalten, so dass mit primärer Kontinuität auch hier zu rechnen ist.63 Die Zone der kontinuierlich erhaltenen Toponyme scheint sich im Norden rheinnah zu halten, sie ge­ winnt an Intensität und Extension in der Kölner Bucht bis Zülpich und Jülich (mit relativ zahlreichen ­Fundus-Bezeichnungen auf -(i)acum, wie es auch die eben genannten SN sind: Tolbiacum, Juliacum etc.). Die vorgermanischen Toponyme bleiben dicht in dem schmalen, lang gestreckten Streifen des ­enger werdenden Rheintals zwischen Bonn, Koblenz und Bingen, sowie westlich Koblenz in der ­Osteifel im Mayengau. Bis etwa 800 lässt sich eine romanische Sprachinsel um Aachen mit galloromanischer Entlabialisierung von [kw] und hochdt. [k]-Verschiebung (7. Jh.) < Aquis, *Akis (mit romanischem Exonym Aix) und Waals < lat. valles ‚Täler‘; eine weitere im Maasraum bei Maastricht (ca. 575 ad Treiectensem urbem) fassen. Dagegen lassen sich romanische Lautentwicklungen der frühen Merowingerzeit nur in geringem ­Umfang nachweisen. Gelegentlich findet sich die Sonorisierung [p] > [b] in Lövenich sö. Erkelenz (11. Jh. Lůverich < *Lubiniacu < *Lupīniacum zum PN Lupīnus). Intervokalisches [g] schwindet bei Remagen, a. 755 Rigomo < kelt. Rigo-mago, a. 773 kop. in Regomensi marca, wo sich aber die wohl früher ins Altfränkische entlehnte Form mit erhaltenem [g] letztlich durchsetzte. Die romanische ­Palatalisierung von [ki, ke] findet sich im toponymischen Material nicht. Für die Datierung des Beginns der Integration vorgermanischer Reliktnamen kommt erneut dem ­Kriterium der 2. (der hochdeutschen) Lautverschiebung große Bedeutung zu, das nur ‒ wie schon er­ wähnt ‒ südlich der Grenze zum Niederfränkischen (Benrather Linie bei Düsseldorf) angewandt werden kann. Dort zeigen alle Ortsnamen die Verschiebung der Tenues [k] > [ch] (7. Jh.), z.B. antik Antunnaco, a. 804 kop. Antiniche > Andernach. Bei der früheren Verschiebung von [t] > [ts] ergibt sich andererseits eine bemerkenswerte Zweiteilung. In weiterer Entfernung von den großen Zentren finden sich Verschie­ bungsfälle wie Zülpich (s.o.), wie Merzenich nö. Aachen, a. 1140 kop. Mercinich < *Martiniacu oder Zons, a. 1057 or. Zuonozo < *Tonatio64, während sich in der Nähe des Rheins und der großen Zentren vorgerm. [t] vielfach hält, so in Metternich bei Koblenz, a. 1184 or. Metterich < *Meteriacu; ­Andernach, a. 804 Antiniche (s.o.); Ober- und Königswinter bei Bonn, a. 886 kop. Uuinitoriu < *Vīnitorium ‚Winze­ rei‘. Dazu kommen einige unverschobene Fälle bei Jülich, wo man also mit dem Beginn der Integration erst im späteren 7. Jahrhundert rechnen darf. Diese Datierung wird auch durch den noch älteren Stand der Wiedergabe von lat. [v] durch ahd. [w] ‒ z.B. -winter (wie lat. vinum durch ahd. wīn ‚Wein‘) ‒ ­näher eingegrenzt. Nur in einem engeren Kreis um Köln und Bonn begegnen Fälle von [f], mit welchem Vgl. Haubrichs, Die verlorenene Romanität 695–697; ders., Geschichte der deutsch-romanischen Sprachgrenze im ­Westen, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, ed. Werner Besch/Anne Betten/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Berlin/New York 2004) 3331–3346; ders., Romanisch-germanische Sprach­ beziehungen, I: Germania Romana, §3: Westliches Deutschland, Luxemburg und germanophones Frankreich, in: RGA, 2. Aufl. 25 (Berlin/New York 2003) 251–258; ders., Romanisch-germanische Sprachbeziehungen, III: Die germanisch-­ romanische Sprachgrenze in ihrer historischen Entwicklung, in: RGA, 2. Aufl. 25 (Berlin/New York 2003) 296–304.  64 Rudolf Schützeichel, Zons in Dormagen, in: Wortes anst, verbi gratia. Donum natalicium Gilbert A.R. de Smet, ed. H ­ einrich L. Cox/V.F. Vanacker/E. Verhofstadt (Leuven 1986) 439–448.  63

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Laut ab etwa 700 lat. [v] ins Fränkische integriert wird: z.B. Virnich sw. Euskirchen, a. 1140 Virnich [ts] und [p] > [pf], sind also im 6. Jahrhundert integriert, so Rheinzabern und Zabern im Elsass < Tabernas ‚bei den Schenken‘, und Epfig, a. 762 Hepheka < *Appi-acu, ebenso die wenigen vorgermanischen SN auf der rechten Rheinseite (z.B. Zarten bei Freiburg i.Br. < Tarodunum).66 Nur für Mainz bezeugt ­Finthen nw. der Stadt (am Ursprung der römischen Wasserleitung), a. 1108 Fundened < *­fontanētu ‚Quellgegend‘ mit unterbliebener [t]-Verschiebung und romanischer Sonorisierung eine länger an­ dauernde Kontinuität.67 4.3.2. Die Mosella Romana um Trier und Metz Bei der Moselromania handelt es sich um die ausgedehnteste und am längsten andauernde, wenn auch zunehmend wohl von Bilingualität geprägte romanische Sprachinsel im später deutschsprachigen Raum (vgl. dazu o. die Karte in Abb. 3 zur Lehnwortfrequenz). Im Kern, d.h. im Moseltal, dort wo sich auch die Lehnwörter ballen, findet sich zwischen Remich (Lux.) und Koblenz kaum ein germanisch-­ fränkischer Name. In den Außenzonen, um Prüm (Carosgau),68 im Hunsrücker Hochwald (nördliches Saarland), im Luxemburger Land und in Lothringen, am Warndtrand (westlich Saarbrücken) an der West-Ost-Straße aus dem Pariser Becken über Metz an den Rhein, sind die vorgermanischen Siedlungs­ namen gemischt mit späteren fränkischen Namen, weisen aber zum Teil auch auf romanischen früh­ mittelalterlichen Ausbau hin (vor allem um Prüm in der Eifel).69 Eine Gesamtkarte der vorgermanischen Toponymie der Moselromania existiert noch nicht.70 Doch ist es interessant, wie dicht vorgermanische Toponymie noch an den Rändern vertreten ist, wobei dann auch die von fränkischen SN-Typen geprägten Nachbarlandschaften im Negativ als weiße Flächen her­ vortreten. Dafür mag die Karte eines Übergangsraums, nämlich der Siedlungs- und Gewässernamen nichtgermanischer Prägung im Saar-Raum dienen (Abb. 4).

Vgl. zu den antiken Namenformen Gerhard Rasch, Antike geographische Namen nördlich der Alpen, ed. Stephan Zimmer (Berlin/New York 2005).  66 Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 25f.; Albrecht Greule, Tarodunon ‒ Zarten ‒ Zähringen, in: Tarodunum/Zarten ‒ Brigobannis/Hüfingen. Kelten, Galloromanen und frühe Alemannen in interdisziplinärer Sicht (Mainz 2009) 161–162. Zur südlich anschließenden Basel-Romania und ihrer Zeitstellung vgl. Haubrichs, Vorgermanische Toponymie 143–147, besonders 144.  67 Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 38f.; Haubrichs, Die verlorene Romanität 697.  68 Vgl. zur antiken Grundlage des Carosgaus Roland Puhl, Die Gaue und Grafschaften des frühen Mittelalters im Saar-MoselRaum. Philologisch-onomastische Studien zur frühmittelalterlichen Raumorganisation anhand der Raumnamen und der mit ihnen spezifizierten Ortsnamen (Saarbrücken 1999) 150–155.  69 Vgl. zur Mosella Romana allgemein Buchmüller/Haubrichs/Spang, Namenkontinuität; Wolfgang Kleiber, Die romanische Sprachinsel an der Mosel im Spiegel der Reliktwörter, in: Kurtriererisches Jahrbuch 14 (1974) 16–32; ders., Das mosel­ romanische Substrat im Lichte der Toponymie und Dialektologie. Ein Bericht über neuere Forschungen, in: Zwischen den Sprachen. Siedlungs- und Flurnamen in germanisch-romanischen Grenzgebieten, ed. Wolfgang Haubrichs/Hans Ramge (Saarbrücken 1983) 153–192; Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 11–18, 47–51, 71–97; Post, Galloromanische Relikt­ wortareale; Haubrichs, Galloromanische Kontinuität; ders., Verlorene Romanität 697–699; Haubrichs/Pfister, Die Prümer Romania.  70 Für die -(i)acum-Namen lassen sich auswerten die Karten bei Monika Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen zwischen Spätantike und frühem Mittelalter. Die -(i)acum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima (Tübingen 1990). Vgl. dazu auch Haubrichs, Romanen an Rhein und Mosel 379–413.  65

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Abb. 4: Siedlungs- und Gewässernamen nichtgermanischer Prägung im Saar-Raum, aus W. Haubrichs (1986/87) 25.

Für die Datierung der Integration der Moselromania, dabei Lothringen einschließend, ist grund­legend, dass die [t]-Verschiebung ‒ im Gegensatz zu Mittel- und Oberrhein ‒ nicht durchgeführt ist, was zeigt, dass hier die fränkische Integration im 6. Jahrhundert noch nicht begonnen hatte. Eine Übersicht über die zahlreichen Fälle und ihre Extension gibt eine Karte (Abb. 5) der vorgermanischen Toponyme mit erhaltenem [t] zwischen Mosel, Saar und Rhein.71 Als ein Beispiel aus vielen mag man Tawérn bei Saarburg, a. 1000 Taberna mit den beiden rheini­ schen Zabern in der Pfalz und im Elsass (s.o.) mit verschobenem [t] > [ts] < Tavernas ‚bei den ­Schenken‘ vergleichen. Im Gegensatz dazu ist die [k]-Verschiebung (7. Jh.) durchgeführt, auch in den Resultaten an der ­Mosel, vor allem in den massenhaften -(i)acum-Namen, aber auch z.B. in frz. Tarquimpol (Dép. ­Moselle), a. 1295 Tachenpach < 4. Jh. Decem pagi. Um Trier herum drang jedoch vorher noch die romanische ­Palatalisierung [ke, ki] > [tse, tsi] durch, z.B. Detzem bei Trier < (ad) Decimas; Zerf im Hochwald, a. 802 (silva) Cervia ‚Hirschwald‘ ‒ wie schon oben angesprochen.72

Die Karte zuletzt in: Haubrichs/Pfister, Die Prümer Romania 180 Karte 5; Wolfgang Haubrichs, Grenzen und Interferenzen: Zur Genese der deutsch-französischen Sprachgrenze, in: Frontières, transferts, échanges transfrontaliers et interculturels (Bern 2005) 79–104, hier 103 Karte 4.  72 Haubrichs, Lautverschiebung 1387–1390; ders., Galloromanische Kontinuität 221.  71

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Abb. 5: Vorgermanisch [t] im Raum zwischen Mosel und Rhein, aus W. Haubrichs (2007) 184.

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Abb. 6: Erhaltenes [k] in -iacum-Namen des Mosellandes, aus M. Buchmüller-Pfaff (1990) 663, Entwurf: Monika Buchmüller-Pfaff.

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Es bilden sich auch noch romanisch weiterentwickelte Doppelformen, die über längere Zeit neben den fränkisch-deutschen Integraten überliefert werden: z.B. für Mettlach (bei Merzig) (natürlich ohne t-Verschiebung), a. 774/91 Medolago mit romanischer Sonorisierung [t] > [d] und [k] > [g], aber a. 884 Medelacha mit althochdeutscher [k]-Verschiebung < *Mettelacu;73 Nennig, a. 1147 Nannicho, mit a. 1161 or. Neneken < *Nanni-acu, aber mit romanischer Weiterentwicklung des Suffixes a. 924 Namiei < *Nannei.74 Diese Doppelformen bezeugen andauernde romanisch-fränkische Bilingualität. Daneben existierten, allerdings nur in der inneren Zone der Moselromania (Abb. 6), Fälle mit -Schreibungen beim Suffix -(i)acum, die man wohl als Versuch werten darf, Formen mit sonorisier­ tem [g], die auf dieser Stufe ins Fränkische übernommen wurden, adäquat wiederzugeben. Als Beispiel mögen dienen Lorich bei Trier, a. 981 kop. Lorreke < *Lauriacum; Mehring a.d. Mosel, a. 1103 kop. Merniche, a. 1190 or. Merrike, 1222 z.J. 893 Merrighe < *Mariniacum.75 Einige Fälle, die wiederum die innere Moselromania betreffen, in denen lat. [v] nicht mehr mit ahd. [w], sondern mit [f] wiedergegeben wird ‒ Bspe. sind gall. *vabero ‚Sumpfland‘ > wav(e)ra, aber an der Mittelmosel fēber; gall. nāva ‚Tal, Rinne‘ > moselrom. nāf, nōf, nēf ‚feuchte Mulde‘ (mit lautchrono­ logisch differenzierter Vertretung des Stammvokals); Fellerich bei Saarburg, a. 949 kop. Ualeriacum, a. 1030 Uelreche < Valeriacum; † Födelich, Gde. Mesenich bei Trier, a. 811/12 Fedriche < *Vatiriacum etc. ‒, zeigen, dass dort die Integration ins Fränkische erst mit dem 8. Jahrhundert begann.76 Die meis­ ten Randbezirke der Mosella Romana waren freilich nach linguistischen Kriterien im 8./9. Jahrhundert bereits ins Althochdeutsche eingegliedert.77 Dagegen stehen aber auch Fälle, die noch nicht den ahd. Primär- bzw. auch Sekundärumlaut des 8./9. Jahrhunderts aufweisen ‒ Bspe. Dreckenach bei Mayen, a. 1030 Drachenachen < ­*Dracciniacum; Fleringen bei Prüm, a. 902 kop. Flarich, a. 1284 Or. Flering < *Flariacum; Kempenich, Gde. Helfant bei Trier, a. 1143 Kempenich, a. 1146 Campenich; Nennig (Kr. Merzig), a. 1147 or. Nannich é (gall. *vabero ‚Sumpfland‘ > fēber, gall. nava ‚Mulde, Rinne‘ > nef) fassbar.79 Die weiträumigere Erhaltung des lateinischen Paenultima-Akzents deutet ebenfals (wie in Tirol) auf eine länger andauernde romanische Sprachlebendigkeit (9./10. Jh.) hin.80

Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen 345f. Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen 373f. Nr. 585.  75 Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen 301f. Nr. 470; 335 Nr. 523. Vgl. dazu ferner 662–676 (mit Karte 6, 663); Manfred ­Halfer, Partieller Ortsnamenwechsel bei -acum-Namen des Rheinlandes, in: Ortsnamenwechsel. Bamberger Symposion 1986, ed. Rudolf Schützeichel (Beiträge zur Namenforschung NF, Beiheft 24, Heidelberg 1986) 301–311, hier 304, 307.  76 Wolfgang Kleiber, Waber/Fever ‒ Naf/Nef. Zwei moselländische Flurnamen gallischer Herkunft, in: Mosel, Eifel, ­Hunsrück. Der Landkreis Cochem-Zell (Cochem-Zell 1979) 117–122; ders., Das moselromanische Substrat 160–163; Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen 195 Nr. 279; 205 Nr. 298; Haubrichs, Galloromanische Kontinuität 222f.; Schorr, Zur Namengeografie 518f., 521 (mit einem Nef in Wahlen, Saarland); ferner Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 13, 79 mit weiteren Beispielen aus der lothringischen Warndtregion östl. Metz, von der unteren Saar und von der Mosel.  77 Vgl. Buchmüller/Haubrichs/Spang, Namenkontinuität 109f., 122, 130, 138f.; Wolfgang Haubrichs/Max Pfister, Tholey. Name und Geschichte, in: Tholeyer Brief 11 (1983) 13–18; Haubrichs/Pfister, Die Prümer Romania 190–192; Haubrichs, Verlorene Romanität 698.  78 Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 76–78. Für die -(i)acum-Namen ist stets Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen zu vergleichen.  79 Vgl. Anm. 73; ferner Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 78f. mit weiteren Beispielen.  80 Vgl. Kleiber, Das moselromanische Substrat 174–177; Wolfgang Kleiber, Probleme romanisch-germanischer Interferenz an der Mosel im Bereich der Prosodie von Eigennamen, in: Namenkundliche Informationen 47 (1985) 14–20; ders., Pro­ bleme romanisch-germanischen Sprachkontakts an der Mosel vornehmlich im Bereich der Prosodie von Toponymen, in: Gießener Flurnamen-Kolloquium, ed. Rudolf Schützeichel (Heidelberg 1985) 528–545; Kleiber/Pfister, Aspekte und Pro­ bleme 16, 49 mit Karte 6, 80; Buchmüller/Haubrichs/Spang, Namenkontinuität 136.  73  74

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Abb. 7: aus W. Kleiber (1983) 176.

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Als Beispiele lassen sich aus reichem Material geben: – Tawérn Kr. Trier-Saarburg) < Tabérnas; – Bonefánt (Gde. Ediger a. d. Mosel) < *(ad) bonum fóntem ‚bei der guten Quelle‘; – Wadríll (Kr. Merzig) < a. 981 Waderóla mit rom. Suffix -ola zu einem vorromanischen Gewässer­ namen Wadera, idg. *Wadrā, erhalten im Ortsnamen Wadern, 10. Jh. villa Uuaderella, a. 1289 in Wadren; – Kastelláun (Kr. Rhein-Hunsrück-Kreis), a. ± 1100 Castelluno < Kastellūn < *Castellṓne ‚große Befestigung‘; – Pallàs (Trier), a. 1014 Thietmar von Merseburg (mit Akzent in der Hs.), a. 1363/64 palais < lat. palatium.81 Die räumliche Erstreckung der Fälle von Erhaltung romanischer Betonungsverhältnisse reicht von der unteren Saar über Trier, Bernkastel, Wittlich bis zu einem zweiten Zentrum um Gondorf und Karden an der unteren Mosel, das sich auch schon in der Inschriftenkultur abzeichnete (Abb. 7). Man wird wohl von einem endgültigen Erlöschen des wohl am Ende nur noch als Haus- und fach­ männische Sondersprache gesprochenen Moselromanischen gegen Ende des 10. Jahrhunderts ausgehen dürfen.82 5. WALCHEN- ODER WALEN-SIEDLUNGSNAMEN 5.1. Der Typus Walaha- plus *-haima, *-stat als älteste Schicht Eine Liste der bisher bekannt gewordenen SN dieses Typus umfasst folgende Namen:83 (1) Walem, Gde. Wortegem (B, Prov. Ostflandern): a. 965 Fälsch. 990/1035 Walehem; a. 960 or. UUalehem; a. 1220 or. Walhem84 < *Walaha-haima ‚Romanische(r) Hof, Siedlung‘. (2) Walhain-Saint-Paul (B, Prov. Brabant, Nivelles): a. 946 kop. ± 1070 villae Walaham [var. ­Walahain]; a. 987/91 kop. ± 1070 villa Vvalaham vulgo dicta; a. 1172 Walehem; a. 1213 Wallehem.85 Vgl. Nr. 1. (3) † Walheim (unbekannt, NL, Prov. Friesland): a. ± 825/42 kop. 1150/58 villa que dicitur ­Walahheim ... in Fresia.86 Vgl. Nr. 1. (4) Walheim (NRW, Stadt Aachen): a. 634 Fälsch. 11./12. Jh. Waleheim; a. 902 or. Uualeheim; a. 1190 Waleheim; a. 1222 Walheim.87 Haubrichs, Galloromanische Kontinuität 230 Nr. 112. Ins 12. Jahrhundert setzt das Ende des Moselromanischen ‒ vielleicht etwas zu optimistisch ‒ Heinz Jürgen Wolf, Le phonétisme du dialecte roman de la Moselle, in: Actes du XVIIIe Congrès International de Linguistique et de Philologie Romanes, ed. Dieter Kremer, 1 (Tübingen 1992) 35–54, vor allem 45–49. Bis ins 11. Jh. gehen Max Pfister, Jusqu’à quand a-t-on parlé le roman mosellan, in: Actes du XVIIIe Congrès International de Linguistique et de Philologie Romanes, ed. Dieter Kremer, 1 (Tübingen 1992) 55–57; Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 90. Kritisch dazu Christian Schmitt, La romanisation de la Vallée de la Moselle: le témoignage des noms de lieux, in: Studia ex hilaritate. Mélanges de linguistique et d’onomastique sardes et romanes offerts à H.J. Wolf, ed. Dieter Kremer/Alf Monjour (Strasbourg/Nancy 1996) 469–482.  83 Vgl. Wolfgang Haubrichs, Ethnogene Siedlungsnamen auf -heim und andere im theodisken Sprachraum – Zeugnisse ­merowingischer Siedlung, in: Der Südwesten im Spiegel der Namen. Gedenkschrift Lutz Reichardt, ed. Albrecht Greule/ Stefan Hackl (Stuttgart 2011) 129–152, hier 144–147.  84 Anton C.F. Koch, Oorkondenboek van Holland en Zeeland tot 1299, 1 (’s-Gravenhage 1970) Nr. 39; Maurits Gysseling, Toponymisch Woordenboek van België, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland (voor 1226), 1–2 (Tongeren 1960) 1037.  85 Gysseling, Toponymisch Woordenboek 1037. Vgl. MGH DD Otto I Nr. 82, ed. Sickel, 161–163; Sigebert von Gembloux, Gesta abbatum Gemblacensium (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 8, Hannover 1843) 523–563, hier 534.  86 Gysseling, Toponymisch Woordenboek 1035; Rudolf E. Künzel/Dirk P. Blok/J. Verhoeff, Lexicon van Nederlandse ­toponiemen tot 1200 (Amsterdam 1988) 380f.  87 Gysseling, Toponymisch Woordenboek 1037; Heinrich Dittmaier, Die linksrheinischen Ortsnamen auf -dorf und -heim. Sprachliche und sachliche Auswertung der Bestimmungswörter (Bonn 1979) 101. Vgl. Urkundenbuch 1, ed. Beyer Nr. 7, 49, 241, 394. Es handelt sich hier um Besitz des Klosters Oehren in Trier, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine Wüstung im Moselbereich handelt.  81  82

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(5) † Wallem (Rheinland-Pfalz, Gde. Ettringen, nordöstl. Mayen): a. 1406 Walchem.88 (6) Wahlheim (Rheinland-Pfalz, Kreis Alzey): 8. Jh. kop. ± 1190 Walaheim; a. 1398/1400 Walheim.89 Vgl. Nr. 1. (7) Wahlheimer Hof a.d. Selz (Rheinland-Pfalz, westl. Selzen, Gde. Hahnheim, Stadt Oppen­ heim): a. 1181/82 Walheim; a. 1227 Waleheim.90 (8) Hangen-Wahlheim (Rheinland-Pfalz, Gde. Alsheim, Kr. Worms): a. 768/69 kop. ± 1190 in Walaheim berge; a. 1344 Hangende Walheim.91 (9) Wahlenheim (F, Dép. Bas-Rhin, con Haguenau): a. 774 kop. 9. Jh. in ... loco qui vocatur ­Uualohom;92 a. 776 kop. 9. Jh. in villa que dicitur Uualoom;93 in Radolfeshamomarca uel in Uualaum94 < *Walahōn ‚bei den Romanen‘ oder < *Walaha-haima. (10) Walheim (Württemberg, Kr. Ludwigsburg): a. 1071 kop. in Walheim;95 a. 1075 Waleheim96 (Siedlung auf den Resten eines römischen Kohortenkastells mit im Straßenbild erhaltenen Cardo und Decumanus). Vgl. Nr. 1. Daneben existieren früh SN auf -stat, -steti: (11) Wallstadt (Baden, Stadt Mannheim): a. 766 kop. 12. Jh. Walahastath;97 a. 767 Walahastat;98 a. 765/68 Walhestat99 < *Walaha-stat ‚Romanen-Platz‘ (merowingische Gräberfelder und ­karolingische Siedlungsfunde; gelegen an der ‚Hohen Straße’).100 (12) † Walstadt (südlicher Wormsgau, vermutlich bei Bad Dürkheim): a. 767 kop. 12. Jh. ­Walahastat;101 a. 1065 (verfälscht) kop. Ende 13. Jh. Walahstede.102 Vgl. Nr. 11. (13) Groß-, Klein-Wallstadt (Franken, bei Aschaffenburg): 10. Jh. Ualohostat < *Walahostat ‚Ort der Romanen‘ (mit dem Ethnonym im stark flektierten Gen. Plural).103

Dittmaier, Die linksrheinischen Ortsnamen 101. Henning Kaufmann, Rheinhessische Ortsnamen (München 1976) 216f.; Haubrichs, Zur ethnischen Relevanz 178; ders., Romanische, romanisierte und westfränkische Personennamen 114 Nr. 19.  90 Kaufmann, Rheinhessische Ortsnamen 217; Haubrichs, Romanische, romanisierte und westfränkische Personennamen 114 Nr. 20.  91 Kaufmann, Rheinhessische Ortsnamen 94f.; Haubrichs, Romanische, romanisierte und westfränkische Personennamen 114 Nr. 18.  92 Traditiones Wizenburgenses. Die Urkunden des Klosters Weißenburg 661–864 (ed. Anton Doll/Karl Glöckner, Darmstadt 1979) Nr. 71.  93 Traditiones Wizenburgenses, ed. Doll/Glöckner Nr. 73.  94 Traditiones Wizenburgenses, ed. Doll/Glöckner Nr. 90.  95 Codex Laureshamensis, 1–3 (ed. Karl Glöckner, Darmstadt 1929–1936) Nr. 132.  96 Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, 2, Teil 1–2: Orts- und sonstige geographische Namen, ed. Hermann Jelling­ haus (Bonn 31913–1916, ND München/Hildesheim 1967) hier Teil 2, 1188; Lutz Reichardt, Ortsnamenbuch des Stadtkrei­ ses Stuttgart und des Landkreises Ludwigsburg (Stuttgart 1982) 161f.  97 Codex Laureshamensis, ed. Glöckner Nr. 482.  98 Codex Laureshamensis, ed. Glöckner Nr. 483.  99 Codex Laureshamensis, ed. Glöckner Nr. 484. 100 Vgl. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 2, Teil 2, 1160; Wolfgang Kleiber, Frühgeschichte am unteren Neckar nach dem Zeugnis der Sprachforschung, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 117 (1969) 26–46, hier 40; Ursula Koch, Gemarkung ‒ Siedlung ‒ Gräberfeld: Siedlungsstrukturen im frühen Mittelalter, in: Mannheim vor der Stadtgrün­ dung, Teil 1, Bd. 2: Die Frankenzeit. Der archäologische Befund, ed. Hansjörg Probst (Regensburg 2009) 17, 25f. 101 Codex Laureshamensis, ed. Glöckner Nr. 1195. 102 MGH DD Heinrich IV. 1, Nr. 165, ed. Gladiss, 214. Martin Dolch/Albrecht Greule, Historisches Siedlungsnamenbuch der Pfalz (Speyer 1991) 471 stellen zum PN Walach, was ich angesichts der Form von 767 (ohne Genetiv-s) für unwahrschein­ lich halte. Vielmehr handelt es sich um ein Stammkompositum. 103 Adolf Schmidt, Mitteilungen aus Darmstädter Handschriften, in: Neues Archiv 13 (1888) 602–622, hier 611 (Zinsregister der Abtei Seligenstadt); Franz Staab, Untersuchungen zur Gesellschaft am Mittelrhein in der Karolingerzeit (Wiesbaden 1975) 227 mit Anm. 321.  88  89

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(14) Waldstetten (Württemberg, Kr. Balingen): a. 793 Walahsteti; a. 1275 kop. ± 1350 W ­ alhstetten.104 Vgl. Nr. 11. (15) Waldstetten (Württemberg, bei Schwäbisch-Gmünd): a. 1275 Walhstetten.105 Vgl. Nr. 11. (16) † Waldstetten (Württemberg, nordw. von Laichingen, Alb-Donau-Kreis): a. 1412 (?) uf ­Walstetten. Vgl. Nr. 11. Der Name kann auch zu ahd. wald ‚Wald‘ gestellt werden, da a. 1427 (?) auch die Form Waldstetten (als Flurname) erscheint.106 (17) Ödenwaldstetten (Württemberg, Gde. Hohenstein, Kr. Reutlingen): a. 1137/38 kop. 16. Jh. in villa Walichstetin; a. 1161 Waltsteten; Anf. 13. Jh. iuxta Walsteten.107 Vgl. Nr. 11. (18) Walchstadt (Oberbayern, Kr. Bad Tölz-Wolfratshausen): a. 780/800 kop. 12. Jh. Walchsteti; a. 801/13 kop. 12. Jh. in loco nuncupante Walchsteti ... servos vel ancillas quorum nomina sunt Walhin;108 a. 821 ego Genia [< *Eugenia] tradidi omnia, que habui in villa nuncupata ­Walchstete (unter den Zeugen ein Walcho mit ethnogenem PN). Vgl. Nr. 11. (19) Waldstetten (Bayern, Schwaben LK Günzburg): a. 1096/1133 Walestat, a. 1225 Walsteten.109 Vgl. Nr. 11. Die Volksbezeichnung wal(a)h- ‚Romane‘ (wozu walh-isk ‚welsch‘ eine adjektivische Ableitung ist) < germ. walha- (vgl. ahd. walah-leodi, Plural walaha, anord. valir, ae. wealh ‚Fremder‘, ist mit idg. [o] > germ. [a] und 1. Lautverschiebung idg. [k] > germ. [h] früh entlehnt aus dem keltischen Ethnonym Volcae.110 Sie kommt in den frühen Siedlungsnamen-Komposita in zwei Formen vor: a) als Stamm-Kompositum (wie oben walah-leodi ‚romanisches Volk, Leute‘), etwa in a. 825/42 Walah-heim (Nr. 3), a. 766 Walaha-stath (Nr. 11) ‚Romanen-Siedlung‘; b) als Genetiv-Kompositum (seltener) mit Bestimmungswort im Genetiv Plural (analog anderen mit Ethnonymen komponierten SN), etwa 10. Jh. Ualaho-stat (Nr. 13) ‚Ort der Romanen‘. Die (bisher bekannten) 18 Komposita (davon 10 auf -heim) reichen von Flandern, Brabant, den östli­ chen Niederlanden über Aachen, Mittelrhein, Elsass bis nach Württembergisch-Schwaben. Dazu kommt ein hochinteressantes oberbayeriches Walchstadt (Nr. 18), in dem a. 801 genannt werden servos vel ancillas quorum nomina sunt Walhin und a. 821 auch eine Grundherrin mit dem romanischen (ursprüng­ lich graeco-lateinischen) PN Genia < *Eugénia samt einem Zeugen Walcho. Hier hat es also im frühen 9. Jahrhundert noch Personen gegeben, die zumindest von außen als ,Walchen‘ betrachtet wurden und selbst romanische Benennungsgewohnheiten tradierten. Die Namen auf -heim haben ihre südöstliche Grenze bei Ludwigsburg (Baden-Württemberg) mit Walheim (Nr. 10): es handelt sich um eine Siedlung auf den Resten eines Kohortenkastells mit Erhaltung von Cardo und Decumanus, den römischen Hauptstraßen, in der Siedlungsstruktur. Es ist dabei durchaus möglich, dass das Benennungsmotiv eine Anknüpfung an die römischen Strukturen war, die möglicher-, aber durchaus nicht notwendigerweise nur noch in Ruinenkontinuität vorlagen. Die Namen auf -stat, -steti reichen vom Mittelrhein aus südwärts, fehlen aber im Norden. Wie bei den sonstigen ethnogenen Namen auf -heim und -stat, in denen Briten, Franken, Friesen, Langobarden, Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 2, Teil 2, 1190; Wolfgang Kleiber, Vordeutsche, nichtgermanische Gewässer- und Siedlungsnamen, in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg (Stuttgart 1979) 8; Lutz Reichardt, Ortsnamenbuch des Ostalbkreises, 2 (Stuttgart 1983) 273f. 105 Kleiber, Gewässer- und Siedlungsnamen 8. 106 Lutz Reichardt, Ortsnamenbuch des Alb-Donau-Kreises und des Stadtkreises Ulm (Stuttgart 1986) 317f. 107 Kleiber, Gewässer- und Siedlungsnamen 8; Reichardt, Ortsnamenbuch des Kreises Reutlingen 99f. 108 Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Ethnos im Topos. Völkernamen in bayerischen Ortsnamen, in: Völkernamen ‒ Länder­ namen ‒ Landschaftsnamen, ed. Ernst Eichler/Heinrich Tiefenbach/Jürgen Udolph/Kirstin Casemir/Uwe Ohainski (­Leipzig 2004) 201f. Zu servi und ancillae romanischer Herkunft in Inneralemannien vgl. auch Hans-Werner Goetz/­Wolfgang ­Haubrichs, Romanische Personennamen in Willmandingen? Sprach- und geschichtswissenschaftliche Anmerkungen zu zwei Mancipien-Listen in St. Galler Urkunden, in: Wissenschaften im Kontakt, ed. Sandra Reimann/Katja Kessel (­Tübingen 2007) 207–237. 109 Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Lexikon schwäbischer Ortsnamen. Herkunft und Bedeutung (München 2013) 405f. 110 Vladimir Orel, A Handbook of Germanic Etymology (Leiden/Boston 2003) 443f.; Friedrich Kluge/Elmar Seebold, Etymo­ logisches Wörterbuch der deutschen Sprache (Berlin/Boston 252011) 981. Für die ebenfalls auf *wal(a)h- zurückgehende hybride Sprachbezeichnung ‚wallonisch‘ vgl. u. Anm. 120. 104

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Sachsen, Schwaben, Thüringer und Wenden repräsentiert sind, erscheinen die Walchen-Namen bereits mit dem Einsetzen der urkundlichen Überlieferung im Rheinland und im fränkischen Norden um die Mitte des 8. Jahrhunderts: a. 767 Wallstadt, Stadt Mannheim (Nr. 11), a. 767 † Walstadt im südlichen Wormsgau (Nr. 12), Hangen-Wahlheim, Gde. Alsheim Kr. Worms (Nr. 8), Wahlenheim bei Hagenau (Dép. Bas-Rhin) (Nr. 9), Waldstetten, Kr. Balingen, a. 793 Walahsteti (Nr. 14), a. 780/800 Walchstadt, Kr. Bad Tölz-Wolfratshausen (Nr. 18), 8. Jh. Wahlheim, Kr. Alzey (Nr. 6), a. 825/42 † Walheim (NL, Provinz Friesland) (Nr. 3) usw. Diese frühe Zeitstellung in der Überlieferung verweist auf einen Grün­ dungshorizont des Typus wohl vor dem 8. Jahrhundert, wofür auch das Vorherrschen der archaischen Stamm-Komposita spricht. Im Zusammenspiel mit anderen ethnogenen Toponymen und häufigerem Königsgut können die westlichen Walen-Namen vor allem als Benennungen grundherrlicher, ethnisch geprägter Ansiedlungen begriffen werden, in einzelnen Fällen auch als kontinuierende Siedlungen von Romanen (z.B. Nr. 18) bzw. als Anzeige einer an römische Strukturen anknüpfender Siedlung (Nr. 10, 11). 5.2. *Walaha- plus germ. *thorpaVon den Komposita *walah- mit dem Grundwort germ. *thorpa- ‚Siedlung‘ gibt es acht Exemplare:111 (20) Welldorf (Stadt Jülich), a. 927 Vvalathorpi, a. 1141 Waledorph, a. 1237 Waldorp < *Walaha-­ thorpa ‚Romanen-Siedlung‘ (hier direkt beim römischen Zentrum Juliacum gelegen). (21) † Waldorf bei Longerich (Stadt Köln), a. 1358 Wayldorf (angeblich schon a. 1270 genannt). Vgl. Nr. 20. (22) Waldorf (Gde. Bornheim nw. Bonn), a. 922 und a. 1047 Walathorp, a. 1140 Waldorf, a. 1163 Waldorp. Vgl. Nr. 20. (23) † Waldorf (Gemarkung Pech, Gde. Wachtberg s. Bonn), Flurname (?). (24) Waldorf (Gde. Blankenheim, bei Bad Münstereifel), a. 1278 Waldorp. Vgl. Nr. 20. (25) Waldorf ssw. des Fiskalzentrums Sinzig mit ethnonymen Nachbarort Franken, a. 927 ­Walathorp, a. 1047 Walathorp (vgl. Nr. 20); dann mit a. ± 1089 kop. Walendorf, a. 1130/31 Walendor umgedeutet zu *Walōno-thorpa ‚Siedlung der Romanen‘. Der Ort liegt am Vinxt­ bach, der Grenze zwischen Germania Prima und Germania Secunda. Er wurde um 650 von König Sigibert III. († 656) an seine Gründung und Grababtei St. Martin in Metz verschenkt; die schon in der Schenkung erwähnten fiscalini (und wohl auch das Waldorfer Kirchpatrozi­ nium St. Martin) zeigen, dass die Siedlung zum Fiskalkomplex Sinzig-Remagen gehörte. Ob die dort fassbaren Walen sich grundherrlicher, königlicher Ansiedlung aus dem Westen verdankten, oder ob wir es mit Resten rheinischer Romanen zu tun haben, lässt sich nicht feststellen. Im Jahre 960 gab der Abt von St. Martin Verwaltungsschwierigkeiten wegen der ­Entfernung der Güter und der diversitas linguae an, woraus hervorgeht, dass zu diesem Zeit­ punkt auf keinen Fall mehr Romanisch in Waldorf gesprochen wurde.112 (26) Waldorfer Hof (Gde. Ochtendung w. Koblenz), a. 1189 Waldorp, a. 1207 Waldorph, a. 1217 Waledorf, a. 1274 Waldedorph. Vgl. Nr. 20. (27) † Woltroff (Gemarkung Olkenbach, Gde. Bausendorf onö. Wittlich), a. 1251 Waildorff. Vgl. Nr. 20. Bei der Gruppe der mit dem Grundwort -dorf komponierten Walen-SN fällt die ziemlich strikte ­regionale Begrenzung auf das östliche Eifelland und die Kölner Bucht auf. Die ersten Belege erscheinen im 10. Jahrhundert, so dass man insgesamt kaum von einer frühen Siedlungsschicht ausgehen kann. In Einzelfällen (Nr. 21, 25) könnte es sich um spätere Benennungen für restromanische Teilsiedlungen handeln. Besonders für Waldorf bei Sinzig (Nr. 25) ist zumindest der merowingische Ursprung der An­ siedlung auf Königsgut gesichert. Zusammenstellung bei Dittmaier, Die linksrheinischen Ortsnamen 100f.; Gysseling, Toponymisch Woordenboeck 1036f. Vgl. Eugen Ewig, Waldorf am Vinxtbach. Römisch-fränkische Kontinuität auf dem Lande? Fakten und Fragen, in: Rheini­ sche Vierteljahrsblätter 59 (1995) 304–313.

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Bei erst spät belegten Toponymen ist der PN Walo, Gen. -en (abgeschwächt später Wal(e)- als Erst­ element nicht auszuschließen. 5.3. Das absolut gebrauchte Ethnonym *Walahōn bei den Romanen im Westen Diese Prägungen aus dem Nominativ Plural *Walaha (Kurzform Wala) bzw. dem lokativischem Dativ Plural *Walahōn (Kurzform Walōn), die bedeutsame Gegenstücke im bairisch-österreichischen Süd­ osten besitzen,113 sind im Westen nicht sehr zahlreich und regional begrenzt, wie die folgende Aufstel­ lung zeigt, wobei offensichtlich späte Prägungen, die ursprünglich Flur- oder Gewässernamen waren ‒ wie etwa Walh-bach, Welsch-bach oder Wahl-schied ‒, ausgelassen werden, weil sie höchstens indirekt auf romanische Besiedlung weisen:114 (28) Wahlen (Kr. Merzig), 11. Jh. Wala, a. 1139 Walen, a. 1150/1230 de Walhen, a. 1222 Wala < ahd. *Walaha (Nom. Plur.) ‚die Romanen‘ bzw. *(bī den) Walahōn ‚bei den Romanen‘. (29) † Wahlen (Gde. Lebach, Kr. Saarlouis), a. 1296 Wallein, a. 1298 Wale. Vgl. Nr. 28. (30) † Walen (Gde. Metzing, Dép. Moselle, bei Forbach), a. 1298 Walen < * (bī den) Walahōn ‚bei den Romanen‘. (31) Vahl-lès-Faulquemont (Dép. Moselle), a. 1123 Wala, a. 1139 Walen (?). Vgl. Nr. 28. (32) Vahl-Ebersing (Dép. Moselle), a. 787 F. 12. Jh. Walo. Vgl. Nr. 28. (33) Vahl-lès-Bénestroff (Dép. Moselle), 10. Jh. Vvala, a. 1186 Wallen. Vgl. Nr. 28. Von einer anderen Bezeichnungsvariante für Romanen geht ein nahegelegener SN mit der Bedeutung ‚Romanen-Siedlung‘ aus: (34) Valmont / Walmen bei St. Avold (Dép. Moselle), a. 1147 Wallemoniam, a. 1149 W ­ alemanna, a. 1160 Walemannia, Ableitung mit Kollektivsuffix -ja zu ahd. *wala(h)-man ‚Romane‘; a. 1121 Walmanen, a. 1305 frz. or. Walmant mit analogischer Bildung im Dativ Plural.115 5.4. Sonstige Zusammensetzungen mit *Walaha(35) Valmunster / Walmünster bei Bouzonville/Busendorf (Dép. Moselle), 10. Jh. villa ­Walamonasteri, a. 1138/51 Walamůnstre, a. 1293 Wailmůnster < *Walaha munistri ‚roma­ nisches Kloster‘ oder ‚Kloster im Romanengebiet‘. Das Benennungsmotiv kann sich auf ­Insassen oder Lage beziehen. Die absolut gebrauchten Ethnonyme wie auch das einmalige Walmünster sind auf ein Areal vor allem im Südwesten der Moselromania begrenzt, dort wo romanische Siedlung inmitten fränkisch dominanter Siedlung an den Außengrenzen der Romania auffällig erschien: Nr. 28/29 an der Südgrenze zur Trierer Hochwaldromania, Nr. 30–34 an den im Warndtbereich nach Osten und Süden verlaufenden Außen­ grenzen der Metzer Romania, entsprechend Nr. 35 an der Außengrenze zur fränkischen Siedlung des Niedgaus. 5.5. Der Aussagewert der Walen-SN Die Walen-SN sichern (neben wenigen direkten Zeugnissen) die Bedeutung des Wortes wala(h) als Ethnonym, als Personengruppenbezeichnung, die sprachliche und wohl auch ethnische Differenz, also Christa Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von ­Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (St. Ottilien 2012) 197–218; ferner der Beitrag von Peter Wiesinger in diesem Band zu „Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum aus namenkundlicher und sprachwissenschaftlicher Sicht“. 114 Buchmüller/Haubrichs/Spang, Namenkontinuität 60–62. Vgl. auch Kleiber, Das moselromanische Substrat 164f., wo je­ doch einige Belege zu den PN Wala(h) bzw. Walo gestellt werden müssen und damit nicht eigentlich für Romanensiedlung gewertet werden können; ebenso Kleiber/Pfister, Aspekte und Probleme 15, 81f. 115 Vgl. auch Henri Hiegel, Dictionnaire étymologique des noms de lieux du département de la Moselle (Sarreguemines 1986) 345. 113

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,Anderssein‘ gegenüber (hier im Westen) fränkischen Sprechern festhält.116 Die Glossierung In ­walescūn (mit dem abgeleiteten Adjektiv walh-isk gebildet z.B. in Notkers ,Martianus Capella‘) bedeutet „auf Romanisch, Latein“117. Auch die ,Kasseler Glossen‘ halten für die Walha, die Romani die sprachliche Differenz zu den theodisken Sprechern der Peigira, der Paioari im 9. Jahrhundert fest.118 Eine Passauer Glosse (Clm. 22053) des gleichen Jahrhunderts übersetzt Gallia mit Walho-lant ‚Land der Romanen‘, gewiss um den Gegensatz zu den Theodisken zu akzentuieren.119 Auch das mittelrheinische ­,Summarium Heinrici‘, ein Wörterbuch des 11. Jahrhunderts, übersetzt Romani (aber auch Latini, Rutuli) mit Waleha (Romani speziell auch mit Romari ‚Stadtrömer‘).120 Eine Glosse des 11./12. Jahrhunderts zu Notker Labeo bezeichnet die romanischsprachigen (wallonischen) Mönche aus Stablo (Belgien) als Walaha de Stabulov.121 Ebenso lassen sich die Toponyme, die mit Walaha komponiert sind, obwohl je nach Typus unterschiedlicher Zeitstellung, als Ausdruck der Differenz, vor allem der sprachlichen Differenz ver­ stehen. Die westlichen Walen-Namen sind in zweierlei Kontexten zu interpretieren: Zum einen als Grenz­ marker im Süden und Südosten der Moselromania (ab 10. Jh. dokumentiert) mit dem absolut gebrauch­ ten Ethnonym (Typen *Walaha ‚die Romanen‘ bzw. *Walahōn ‚bei den Romanen‘). Im Norden der Mosel­romania, in der Eifel und in der Kölner Bucht in der Umgebung alter und kontinuierender römi­ scher Siedlungszentren scheinen Namen vom Typ *Walaha-thorpa – belegt ebenfalls spätestens seit dem 10. Jahrhundert ‒ in diese Stellung einzutreten. Zum andern wirkt ‒ vor allem auf die frühen Schichten der mit -heim und -statt komponierten ­Toponyme ‒ der Kontext der ethnogenen SN, die grundherrliche und eben teilweise auch ethniege­ steuerte Siedlung der Merowinger- oder frühen Karolingerzeit. *Walaha-haima, *Walaha-stat stehen in Abgrenzung nicht nur a) zur einheimischen Sprachwelt und Bevölkerung einer Region, sondern b) auch in Abgrenzung zu anderen Ethnien wie etwa der Thüringer, der Schwaben, der Sachsen usw., und zuletzt c) mit diesen zusammen in siedlungstechnischem Kontrast zu Siedlungen, deren Namen andere Motivationen verraten, z.B. den Personennamen eines Grundherrn, Besitzers oder Lokators enthalten. In allen Fällen aber lässt sich die volle Bedeutung von Wal(a)h nicht verstehen ohne die historischen Verwendungskontexte, seien es nun die Sprachinseln oder die frühmittelalterliche Aufsiedlung in einer Zeit noch lebendiger ethnischer Differenzierung.

Vgl. mit älterer Lit. Leo Weisgerber, Walhisk. Die geschichtliche Leistung des Wortes welsch, in: Rheinische Viertel­ jahrsblätter 13 (1948) 87–146; Ruth Schmidt-Wiegand, Fränkische und frankolateinische Bezeichnungen für soziale Schichten und Gruppen (Göttingen 1972) 31f. 117 Weisgerber, Walhisk 106f. 118 Althochdeutsches Lesebuch, ed. Wilhelm Braune, fortgef. von Karl Helm, bearb. von Ernst A. Ebbinghaus (Tübingen 15 1969) Nr. V, 1, 8f. 119 Rudolf Schützeichel, Althochdeutscher und altsächsischer Glossenwortschatz 10 (Tübingen 2004) 358. 120 Summarium Heinrici 1: Textkritische Ausgabe der ersten Fassung, Buch I–X, VIII (ed. Reiner Hildebrandt, Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker NF 61, Berlin 1974) 274. 121 Weisgerber, Walhisk 106. Die ihrer Komposition nach eine hybride Fügung aus germ. *wal(a)h- und rom. Doppel-­Suffix -on-ica darstellende Sprachbezeichnung ‚wallonisch‘ für die galloromanische Sprache im Maas-Raum kommt meines ­Wissens erst seit dem 12. Jahrhundert vor, könnte aber etwas älter sein. Für das „im zweisprachigen belgischen Gebiet gelegene Kloster von St. Trond hebt“ Rudolf von St. Trond in seinen ‚Gesta abbatum Trudonensium‘ hervor, „dass Abt Adelard I. (um 1000) nur die wallonische, nicht die im Konvent offenbar vorherrschende theodiske/niederländische Volks­ sprache beherrschte“: ... Adelardus nativam linguam non habuit Theutonicam, sed quam corrupte nominant Romanam, Theutonice Walonicam ... (Rudolf, Gesta Abbatum Trudonensium [ed. Rudolf Köpke, MGH SS 10, Hannover 1852] 213– 448, hier 229). „Zur zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts berichtet er von einem Mönch Theodericus, der gerade deswegen zum Abt gewählt wurde, weil er sowohl theutonice als auch wallonisch sprach“: Aiunt fratres nostri necnon clerici et laici, qui eum cognoverant, ... Hic ... idoneis illis videretur ad regendum abbatiam, quoniam Theutonica et Gualonica lingua expeditus ... (ebd. 254). Vgl. Hellgardt, Zur Mehrsprachigkeit 19. Auffällig ist, dass Rudolf die Hybridbildung offenbar als ‚theodisk‘ wahrnimmt, nicht als romanisch. 116

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Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum aus namenkundlicher und sprachwissenschaftlicher Sicht EINLEITUNG ‒ DIE HISTORISCHEN VORAUSSETZUNGEN Der Alpen- und Donauraum Bayerns, der Schweiz, Österreichs und Ungarns wurde von 15 ‒ 9 v. Chr. von den Söhnen des Kaisers Augustus, Tiberius und Drusus, bis zur Donau ins Imperium Romanum integriert. Wie das bis um 7/6 v. Chr. an der südgallischen Reichsstraße bei La Turbie oberhalb von Monaco errichtete Tropaeum Alpium ausweist, wurden zahlreiche Stämme und ihre Herrschaften seit 39 v. Chr. unterworfen, die auf Grund ihrer Namen sichtlich nichtindogermanisch-rätische, indogermanisch-voreinzelsprachliche und keltische Idiome sprachen. Mit der Errichtung der römischen Provinzialverwaltung, der Anlage von Kastellen und der Stationierung des römischen Militärs, der dann die Gründung von Städten mit nachrückender bürgerlicher Bevölkerung aus Italien und der Ansiedlung von Veteranen folgte, begann die Romanisierung der Provinzen Rätien, Norikum und Pannonien. Zweifellos hielten sich in den einzelnen Gebieten eine gewisse Zeitlang noch die heimischen Idiome, doch setzte sich weitgehend das Vulgärlateinische durch. Da schon im 1. Jh. nach Chr. von Norden her die Germanen bis zur Donau vorgedrungen waren und sich die dort ansässigen keltischen Stämme unterwarfen, wurden sie nicht nur die Nachbarn der Römer und fielen immer wieder raubend und brandschatzend ins römische Gebiet ein, sondern Germanen wurden auch ins römische Heer aufgenommen und besonders ab der Mitte des 3. Jh.s in Städten und als Föderaten in einzelnen Gebieten angesiedelt. Mit ihnen kamen besonders in den Donaugebieten auch germanische Idiome auf. Der zunehmende Ansturm der Germanen führte schließlich im 5. Jh. zum Zerfall der Provinzen und 476 überhaupt zum Ende des ­Imperiums. In den Wirren dieser Spätzeit wirkte in Ufernorikum von Favianis/Mautern an der Donau aus bis Quintanis/Künzig westlich von Passau und Cuculle/Kuchl südlich von Salzburg der Mönch Severin, der 482 starb und über dessen Leben die 511 von seinem Schüler Eugippius verfasste „Vita Severini“ berichtet. Obwohl schließlich 488 ein Großteil der romanischen Bevölkerung Norikums nach Italien abzog, verblieben aber wie im anschließenden Rätien westlich des Inns durchaus Romanen im Land, so dass im Westen Orts- und Gewässernamen und im Osten nur Gewässernamen an die neuen Völkerschaften der germanischen Baiern und der Slawen tradiert wurden. Sie vermitteln uns einerseits ein Bild von den spätantiken und frühmittelalterlichen Siedlungsverhältnissen seit dem 5./6. Jh. und andererseits anhand ihrer Lautverhältnisse, wann sie in die Folgesprachen integriert wurden und damit wie lange die Romanen als die ursprünglichen Träger der Namen im Frühmittelalter weiterlebten. Diese sprachwissenschaftliche und insbesondere namenkundliche Sicht der anstehenden Probleme soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. DIE FORSCHUNGSLAGE Die im Süden des heute deutschsprachigen Raumes siedelnden germanischen Verbände waren auf gänzlich römischem Boden im Westen die Alemannen und im Osten von etwa dem Lech bis zur Enns die Baiern. Beide sind westgermanisch-elbgermanischer Herkunft und bewegten sich seit dem 1. Jh. v. Chr. vom heute norddeutschen Raum etwa zwischen unterer Elbe und Oder nach Süden. Während die aus verschiedenen suebischen Gruppen sich zusammensetzenden Alemannen als Altstamm gelten und seit dem 3. Jh. schriftlich bezeugt sind, formierten sich die Baiern als Neustamm erst in der Völker-

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wanderungszeit Ende 5./1. Viertel 6. Jh.1 Verbunden mit einer germanischen Etymologie des Baiern­ namens, den erstmalig 551 Jordanes in seiner „Getica“ in variabler Überlieferung als Baibari/Baiobari/ Baioarii bezeugt und den dann 565 Venantius Fortunatus in seiner „Vita Sancti Martini“ als Baiovarii nennt, stand seit dem Beginn der germanistisch-sprachwissenschaftlichen Forschung in der 1. Hälfte des 19. Jh.s eine völlig germanische Beurteilung des Bairischen von seiner schriftlichen althochdeutschen Überlieferung an bis zu den rezenten Dialekten fest.2 Dabei wird der Baiernname seit 1837 vom Keltologen und Historiker Kaspar Zeuß als Kompositum germ. *Baiowarjōz mit dem Grundwort plur. *warjōz ʻLeute, Bewohnerʼ und dem Bestimmungswort *Baia- aus kelt. Boio- vom Völkernamen lat. Boii ʻBoierʼ, erklärt, das in Boiohaemum ʻBöhmenʼ aus germ. *Baiohaima/Baihaim, bair.-ahd. Pêheim enthalten ist, und seine Bedeutung als ʻLeute aus Böhmenʼ aufgefasst und damit die Baiern als germanische Einwanderer aus Böhmen.3 Das Bairische und das Alemannische und dazu noch das bloß gering bezeugte Langobardische sind in ahd. Zeit eng miteinander verwandt, wobei die phonetisch-phonologischen und morphologischen Unterschiede gering sind, doch der Wortschatz, insbesondere der Rechtswortschatz, deutliche Verschiedenheit aufweist. Damit bilden das Bairische und das Alemannische zwei verschiedene Dialekte, deren Auseinanderentwicklung seit ahd. Zeit zunimmt. Seit den 1980er Jahren kommt es immer wieder zu letztlich unhaltbaren Versuchen, die germanische Herkunft sowohl des Baiernnamens und damit der Baiern als auch des Bairischen als germanische Sprache in Frage zu stellen, wobei es zwar teilweise Befürworter gibt, doch die vorgebrachten Argumente stets widerlegt worden sind.4 Diese Diskussionen, die teilweise in unsachlicher Weise mit persönlichen Angriffen seitens der Neuerer geführt wurden, können und sollen hier nicht ausgeführt, doch insofern kurz erwähnt werden, als es bis in die Gegenwart weitere derartige Neuansätze gibt, die bei der Beurteilung romanischer Traditionen im Bairischen eine Rolle spielen. Als der Slawist Otto Kronsteiner 1982 von Wien nach Salzburg berufen wurde, erklärte er in Presse­ meldungen den Baiernnamen für romanische Herkunft aus *Pag(o)ivaro mit lat. pagus ʻGau, Bezirkʼ und dem antiken Namen der Salzach Ivarus, so dass die Baiern ʻBewohner des Salzachgauesʼ wären.5 Damit griff Kronsteiner in Abwandlung eine These des bayerischen Historikers Karl Bosl auf, der 1971 in seiner „Bayerischen Geschichte“ die Entstehung der Baiern im heutigen Siedlungsgebiet südlich der Donau ausgehend von Kelten sah, die sich mit den Römern und Germanen zu Keltoromanen assimilierten und deren romanische Sprache dann durch die Franken zum Bairischen germanisiert wurde.6 Hier setzte dann der aus Bayern stammende Klagenfurter Romanist und Allgemeine Sprachwissenschaftler Willi Mayerthaler an, der nicht nur den von Kronsteiner vorgeschlagenen romanischen Baiern­ namen mit allerlei unhaltbaren linguistischen Argumenten zu stützen suchte, sondern in rein synchroner In der Tradition der germanistischen Sprachwissenschaft sprechen wir von Baiern und Bairisch im Hinblick auf den entsprechenden deutschen Stammes- und Dialektverband, der sich über die heutigen Staatsgebiete von (Alt)Bayern/Deutschland, Österreich und Südtirol/Italien und bis 1945 noch über den Süden und Westen von Tschechien mit Böhmen und Mähren erstreckt, so dass die von den Historikern und Archäologen weitgehend gebrauchten Bezeichnungen Bayern und Bayerisch zu eng und missverständlich sind.  2 Vgl. besonders Kurt Reindel, Die Bajuwaren. Quellen, Hypothesen, Tatsachen, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 37 (1981) 451–473, und zusammenfassend ders., Herkunft und Stammesbildung der Bajuwaren nach den schriftlichen Quellen, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488‒788. Gemeinsame Landesausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg. Rosenheim/Bayern ‒ Mattsee/Salzburg, ed. Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (München/Salzburg 1988) 56–60.  3 Vgl. Kaspar Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme (München 1837) 372. Einen Überblick über die verschiedenen Thesen zur Herkunft und zum Namen der Baiern gibt Manfred Menke, 150 Jahre Forschungsgeschichte zu den Anfängen des Baiernstammes, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 2, ed. Herwig Friesinger/ Falko Daim (Dph 204, Wien 1990) 125–220, die Rekonstruktion der germanischen Lautentwicklung bringt Ludwig ­Rübekeil, Diachrone Studien zur Kontaktzone zwischen Kelten und Germanen (ÖAW, Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 699, Wien 2002) 327 ff.  4 Einen Überblick über letztlich unhaltbare Etymologien des Baiernnamens der letzten Jahre und ihre Widerlegungen gibt Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Neue Etymologien des Baiern-Namens, in: Blätter für oberdeutsche Namenforschung 42–43 (2005–2006) 5–17.  5 In die wissenschaftliche Diskussion griff Kronsteiner erst mit Otto Kronsteiner, Der altladinische Pag(o)ivaro als Kernzelle der bairischen Ethnogenese. Ein Affront gegen germanistische Lautgesetze?, in: Österreichische Namenforschung 12/2 (1984) 3–31 ein.  6 Vgl. Karl Bosl, Bayerische Geschichte (München 1971) 24–35.  1

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Weise gleichartige, besonders syntaktische Übereinstimmungen zwischen den rezenten Dialekten des Bairischen und des Ladinischen und Italienischen ins Treffen führte, ohne allerdings die Diachronie einzubeziehen und daher ohne nach Herkunft und Alter solcher Erscheinungen in beiden Sprachen zu fragen. So wurde das Bairische für Mayerthaler zu einer Kreolsprache, d. h. zu einer Mischsprache mit romanischer Grundlage und starker alemannischer Beeinflussung.7 Diese und seine weiteren in den 1980er Jahren vorgebrachten Thesen wurden aus sprachwissenschaftlicher und namenkundlicher Sicht besonders von Egon Felder, Ingo Reiffenstein und Hellmut Rosenfeld widerlegt.8 Hielten Germanisten an der obgenannten germanischen Etymologie des Baiernnamens als der einzigen in ihren sprachlichen Grundlagen und Weiterentwicklungen lautgesetzlich abgesicherten Form fest, so änderten sich die Auffassungen über die Ethnogenese der Baiern. Hier trat an die Stelle verschiedener Einwanderungstheorien nun die Auffassung einer bodenständigen Stammesbildung mit Zuwanderungen. Vor allem seitens der Archäologie wurde besonders von Rainer Christlein gezeigt, dass in der 1. Hälfte des 5. Jh.s auf die provinzialrömische Bevölkerung von ansässigen Romanen und Germanen germanische Zuwanderer aus Nordosten stießen und es Fundzusammenhänge mit Böhmen gibt, was die Bedeutung des Baiernnamens als ʻLeute aus Böhmenʼ stützt.9 Dazu kamen dann im späteren 5. und frühen 6. Jh. verschiedene weitere elbgermanische Gruppen von Alemannen, Thüringern und Langobarden sowie ostgermanische Splittergruppen, besonders Ostgoten, und geringfügig auch von aufgeriebenen Rugiern, Herulern, Gepiden sowie Skiren. Die Historiker sehen die bairische Stammesbildung mit dem Ende der Ostgotenherrschaft Theoderichs († 526) im 1. Viertel des 6. Jh.s vollzogen, so dass das bestehende Machtvakuum im Osten zwischen Alemannen im Südwesten und Thüringern im Nordwesten politisch ausgefüllt wurde. Wahrscheinlich verwendete damals um 525 Theoderichs Kanzler Cassiodor in seiner verlorenen Gotengeschichte erstmals den Baiernnamen, worauf dann Jordanes zurückgriff.10 Alle diese Ansichten wurden 2004 vom Archäologen Arno Rettner in Frage gestellt.11 Rettner ­konstatiert starke Unterschiede in den germanischen Beigabensitten in Bayern nördlich und südlich des römischen Limes in der Merowingerzeit seit 482. So fehlt etwa in Männergräbern südlich die nörd­liche Mitbestattung von Pferden und in Frauengräbern südlich die nördlichen Webschwerter und Vgl. besonders Willi Mayerthaler, Woher stammt der Name ‚Baiern‘? Ein linguistisch-historischer Beitrag zum ­Problem der bairischen Ethnogenese und Namenentstehung, in: Das Romanische in den Ostalpen, ed. Dieter Messner (ÖAW, Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 442, Wien 1982) 7–72, und die zwar mehrfach auf Tagungen vorgetragenen, doch erst nach Beendigung der Diskussionen abgelegen publizierten Thesen zur Syntax in Eva und Willi Mayerthaler, Aspects of ­Bavarian syntax or‚ ‚Every Language Has At Least Two Parents‘, in: Development and Diversity. Language Variation across Time and Space. A Festschrift for Charles-James N. Bailey, ed. Jerold A. Edmonson (Summer Institute of Linguistics and the ­University of Texas at Arlington, Publications in Linguistics 93, Dallas 1990) 371–429.  8 Vgl. besonders Egon Felder, Die Baiern und ihre Bäche. Eine kritische Stellungnahme zu zwei Aufsätzen von ­Willi ­Mayerthaler, in: Beiträge zur Namenforschung NF 20 (1985) 160–216; Ingo Reiffenstein, Baiern und der Pagos ­Iobaocensium. Neues zum Namen der Baiern?, in: Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 6 (1986) 96–107; und Hellmut Rosenfeld, Die Völkernamen Baiern und Böhmen, die althochdeutsche Lautverschiebung und W. Mayerthalers These „Baiern = Salzburger Rätoromanen“. Völkernamen, Völkerwanderung, Stammesgenese und die Namen Baiern, Bayern, Bajuwaren, in: Althochdeutsch 2, ed. Rolf Bergmann/Heinrich Tiefenbach/Lothar Voetz (Heidelberg 1987) 1305– 1332; sowie zu weiteren neuen Theorien Reitzenstein, Neue Etymologien.  9 Zu den Forschungsergebnissen von Rainer Christlein von 1971 bis kurz vor seinem Tod 1982 vgl. Menke, 150 Jahre Forschungs­geschichte 193–200, und in Fortsetzung Thomas Fischer, Zur Archäologie des fünften Jahrhunderts in Ostbayern, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 2, ed. Herwig Friesinger/Falko Daim (Dph 204, Wien 1990) 101–122, sowie zusammenfassend Thomas Fischer/Hans Geisler, Herkunft und Stammesbildung der Baiern aus archäologischer Sicht, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488‒788. Gemeinsame Landesausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg. Rosenheim/Bayern ‒ Mattsee/Salzburg, ed. Hermann Dannheimer/ Heinz Dopsch (München/Salzburg 1988) 61–68, und Manfred Menke, Die bairisch besiedelten Landschaften im 6. und 7. Jahrhundert nach den archäologischen Quellen, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488‒788. Gemeinsame Landesausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg. Rosenheim/Bayern ‒ Mattsee/Salzburg, ed. Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (München/Salzburg 1988) 70–78. 10 Vgl. Herwig Wolfram, Ethnogenese im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum (6. bis 10. Jahrhundert), in: Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum, ed. Helmut Beumann/Werner Schröder (Nationes 5, Sigmaringen 1985) 97– 151, hier 105. 11 Vgl. Arno Rettner, Baiuvaria romana. Neues zu den Anfängen Bayerns aus archäologischer und namenkundlicher Sicht, in: Hüben und Drüben ‒ Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift für Prof. Max Martin zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, ed. Gabriele Graenert (Archäologie und Museum 48, Liestal 2004) 255–286.  7

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gibt es ­südlich weniger Speisebeigaben als nördlich. Daraus wird die unterschiedliche Nachwirkung romanischer bzw. germanischer Sitten gefolgert. Rettner sucht daher nach weiteren Argumenten für romanische Kontinuitäten der Baiern in ihren Siedlungsräumen südlich der Donau. Dazu zieht er als Nichtsprachwissenschaftler die Ortsnamen romanischer Herkunft heran, wobei er auf ältere Arbeiten zurückgreift und daher auch solche Ortsnamen nennt, für die sich keine einst vermutete romanische ­Etymologie mehr halten lässt. Ebenso nennt er die These Mayerthalers, wonach das Bairische romanische Grundlagen mit alemannischer Überformung habe, ohne allerdings die widerlegende Kritik seitens der Germanistik zu erwähnen. So werden für Rettner die „Bajuwaren“ des 6. Jh.s zu „einer romanisch-germanischen Mischbevölkerung zwischen Alpen und Donau, die sich durch eben dieses Spezifikum … von den benachbarten Alamannen, Langobarden oder Franken abhob“, die reine Germanen waren.12 Mit der Zurückweisung der von Rainer Christlein aufgezeigten archäologischen Zusammenhänge zwischen dem südböhmischen Fundort Přeštʼovice und dem bayerischen Friedenhain bei Straubing bezweifelt Rettner schließlich auch die germanische Etymologie des Baiernnamens und sucht nach einer romanischen. Dazu zieht er lautähnliches lat. baiulare ʻLasten tragen, schleppenʼ und lat. baiulus ʻLastenträgerʼ heran und versteht die Baiern als Lastenträger von Waren aus Italien durch Bayern nach Germanien. Obwohl der bayerische Altphilologe und Namenforscher Wolf-Armin von Reitzenstein eine solche ­romanisch-germanische Namensherleitung für wahrscheinlich hält,13 haben bereits eine Reihe von Germanisten auf Rettners Nachfrage eine solche Bildung, die im 5./6. Jh. germ. *Baiol(o)warja und lat. *Baiol(o)varii lauten müsste, abgelehnt, denn ein l schwindet einfach nicht.14 Auf dem von Rettner vorgezeichneten Weg sind seither weitere Untersuchungen entstanden, vor ­allem der vom Archäologen Hubert Fehr und der Historikerin Irmtraut Heitmeier 2012 zusammengestellte Sammelband „Die Anfänge Bayerns“. Dort erkennt Jochen Haberstroh in seinem Beitrag „Der Fall Friedenhain-Přeštʼovice ‒ ein Beitrag zur Ethnogenese der Baiovaren?“ keine Zusammenhänge mehr, denn die ausschlaggebende Feinkeramik ist im gesamten süddeutschen Raum verbreitet, doch ist nicht geklärt, ob sich der anstehende Typus im Detail abgrenzt.15 Außerdem gibt es nur wenige böhmische Fundorte, was die angenommene Abwanderung einer größeren Volksgruppe im 5. Jh. in Frage stellt. Radikaler und polemischer verfährt Hubert Fehr in seiner Untersuchung „Friedhöfe der frühen Merowingerzeit in Bayern ‒ Belege für die Einwanderung der Baiovaren und anderer germanischer Gruppen?“, der seine grundlegenden Ansichten bereits 2010 in seiner Abhandlung „Am Anfang war das Volk? Die Entstehung der bajuwarischen Identität als archäologisches und interdisziplinäres Problem“ vorgetragen hat.16 Auch er bezweifelt bei positivistischem Standpunkt die Einwanderungsthese, denn es gibt dafür keine schriftlichen Zeugnisse, und archäologisch zeige sich, dass die als bajuwarisch angesehenen Funde und Bestattungsbräuche merowingische Neuerungen sind und im gesamten Merowinger­reich auftreten.17 Kein Archäologe wäre auf die Idee gekommen, nach böhmisch-bajuwarischen Zusammenhängen zu suchen, hätte nicht die Sprachwissenschaft solche postuliert. So handelt es sich bei der Einwanderungsthese um eine hübsch erfundene „Meistererzählung“ (um nicht zu sagen ein ­Märchen). Überhaupt sieht Fehr die Bildung der bairischen Identität – die neue Bezeichnung statt bisheriger ­Ethnogenese – erst im Merowingerreich nach 536/37 mit der Schaffung des bairischen Dukates 14 15

Vgl. Rettner, Baiuvaria romana 273. Vgl. Reitzenstein, Neue Etymologien 10 ff. Vgl. Rettner, Baiuvaria romana 278. Vgl. Jochen Haberstroh, Der Fall Friedenhain-Přeštʼovice ‒ ein Beitrag zur Ethnogenese der Baiovaren?, in: Die ­Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landes­geschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 125–147. 16 Vgl. Hubert Fehr, Friedhöfe der frühen Merowingerzeit in Baiern ‒ Belege für die Einwanderung der Baiovaren und ­anderer germanischer Gruppen?, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühen Baiovaria, ed. ders./ Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 311–336, und ders., Am Anfang war das Volk? Die Entstehung der bajuwarischen Identität als archäologisches und interdisziplinäres Problem, in: ­Archeology of Identity ‒ Archäologie der Identität, ed. Walter Pohl/Mathias Mehofer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 17, Wien 2010) 211–231. 17 In seinem umfänglichen Buch versucht Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschichte (RGA, Erg. Bd. 68, Berlin/New York 2010), zu zeigen, dass die ­archäologische Unterscheidung von Romanen und Germanen im Merowingerreich auf verschiedenen, zum Teil ideologisch und politisch motivierten Konstrukten beruht, sich aber gegenständlich nicht erweisen lässt, was hier auf den ­bairischen Raum übertragen wird. 12 13

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und der Einsetzung der Agilolfinger als Herzöge, womit dann in zeitlicher Folge die Erstnennungen des neuen Stammes um 550/60 korrespondieren. Bezüglich des Namens der Baiern steht für den Zürcher Germanisten Ludwig Rübekeil zwar weiterhin die obgenannte traditionelle germanische Etymologie des Baiernnamens fest, aber im Gefolge Rettners nimmt er Entstehung im bayerischen Raum an, zumal „etwa in Teilen Bayerns der Boiername verankert war, wie etwa die Kastell- bzw. Siedlungsnamen Boiodurum und Boiotro und der Personenname Boios von Manching [bei Ingolstadt] belegen“. Wie die parallele Bildung des Einwohnernamens Raetobarii auf den römischen Provinznamen Raetia zurückzuführen ist, so „stellt das Vorderglied in Baiovarii vermutlich eine ähnliche Raumbeziehung zu den Boiern her, nicht aber eine Herkunfts- oder Gleichsetzungsfunktion mit *Baiohaima ʻBöhmenʼ“.18 Damit aber bedeutet der Baiernname für Rübekeil nunmehr ʻEinwohner von Bayernʼ. Zur Stützung der mehrheitlich postulierten romanischen Kontinuitäten in Bayern südlich der ­Donau beruft man sich von historisch-achäologischer Seite diesbezüglich auf die umfängliche Abhandlung „Baiern, Romanen und andere“ des Germanisten und Namenforschers Wolfgang Haubrichs von 2006. Obwohl Haubrichs für das Bairische die elbgermanische Herkunft mit Beziehungen zum Alemannischen, Langobardischen und dem allerdings nicht überlieferten Thüringischen als grundlegend betrachtet, betont er nämlich die Überlieferung zahlreicher romanischer und biblisch-romanischer Personennamen in bayerischen Quellen bis 900 und damit das Fortleben von Romanen und stellt ferner mehrere Siedlungsnamen romanischer Herkunft in Bayern fest.19 Da aber Haubrichs im Vergleich zu den wenigen Ortsnamen romanischer Herkunft und den verhältnismäßig ebenso wenigen romanischen Personennamen weder auf die übergroße Menge bairisch-deutscher Ortsnamen, vor allem der -ing- und -heim-Namen als der ältesten Ortsnamenschicht, noch auf die Fülle der überlieferten bairisch-deutschen Personennamen eingeht, entsteht ein täuschendes Bild in Bezug auf die namentlichen Gesamt­ver­hält­ nisse. Haubrichs aber steht jeglichen Spekulationen über romanische Grundlagen des Bairischen vollkommen fern und wird so missverstanden. Von sprachwissenschaftlicher Seite ist an dieser neuerlichen Romaneneuphorie zunächst zu kritisieren, dass der Boiername bloß an den am Rand in Passau befindlichen beiden römischen Orten Boiodurum und Boiotro haftet, die aber eine unterschiedliche Geschichte und Bestandsdauer aufweisen, was ebenso ausgeblendet wird wie die Bedeutung und Überlieferungszeit von boios in Manching. Die Evidenz der beiden Orte ist schon deshalb fragwürdig, weil Boiodurum im 1. Jh. v. Chr. ein keltisches Oppidum auf der Halbinsel zwischen Donau und Inn war, das unterging und dessen Name auf das gegen Ende des 1. Jh.s n. Chr. errichtete römische Auxiliarkastell am Inn übertragen wurde, das aber nur bis ins 3. Jh. bestand. Seinen vulgärlateinisch weiterentwickelten Namen Boiotro erhielt dann das in der 2. Hälfte des 4. Jh.s am rechten Innufer angelegte kleine römische Kastell, das bis in die Tage Severins weiterbestand. Ob es sich bei dem aus dem 1. Jh. v. Chr. aus dem keltischen Oppidum Manching auf einem Scherben eingravierte boios tatsächlich um einen Personenamen handelt, wie Rübekeil annimmt, ist fraglich.20 So gibt es zur Zeit der bairischen Ethnogenese weder Zeugnisse für die Anwesenheit keltischer Boier im Römerreich, noch kann der Name des einzigen am Rand gelegenen Ortes Boiotro den Baiernnamen evoziert haben. Für die Germanen auf einst römisch-rätischem und norischem Boden muss gelten, dass sie alle von Norden zugewandert sind, was letztlich zunächst der norddeutsche Raum zwischen Elbe und Oder war und dann die südlicheren Gebiete bis zur Donau einschließlich Böhmens. Was das in der Diskussion völlig übergangene Bairische als Sprache betrifft, so ist das Bairisch-Althochdeutsche eine völlig westgermanisch geprägte Sprache elbgermanischer Herkunft und zeigt in seinen Strukturen keine romanischen Einflüsse.21 In den rezenten bairischen Dialekten beschränken sich romanische Lehn- und Reliktwörter auf Teile des Tiroler Alpenraumes, der dem Romanischen unmittelbar benachbart ist, was Vgl. Ludwig Rübekeil, Der Name Baiovarii und seine typologische Nachbarschaft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 149–162, hier 158. 19 Vgl. Wolfgang Haubrichs, Baiern, Romanen und andere. Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den öst­ lichen Alpen während des Mittelalters, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006) 395–465. 20 Vgl. Alfred Bammesberger, Wer war BOIOS in Manching?, in: Literatur in Bayern 41 (1995) 33–38. 21 Vgl. dazu Peter Wiesinger, Die sprachlichen Grundlagen des Bairischen, in: Deutsche Wortforschung als Kulturgeschichte. Beiträge des Internationalen Symposions aus Anlass des 90-jährigen Bestandes der Wörterbuchkanzlei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 25.–27. September 2003, ed. Isolde Hausner/Peter Wiesinger (ÖAW, Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 720, Wien 2005) 15–47, und Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 395–401. 18

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später noch auszuführen sein wird.22 Obwohl es Ortsnamen romanischer Herkunft gibt und kein Zweifel am unterschiedlich langen Weiterleben von Romanen in einzelnen Gebieten während der althochdeutschen und teilweise noch mittelhochdeutschen Zeit besteht, hat sich im einst römischen Gebiet das westgermanische Bairische und nicht das Romanische durchgesetzt. Hier muss mit Frankreich, Italien und Spanien einerseits und mit Belgien und den südlichen Niederlanden andererseits verglichen werden. In den erstgenannten Ländern bestanden jeweils unterschiedlich lange spätantike/frühmittelalterliche germanische Reiche mit zugezogener germanischer Bevölkerung neben einheimischer romanischer ‒ in Frankreich das von Franken getragene Merowinger- und frühe Karolingerreich, in Italien das Ost­ goten- und Langobardenreich und in Spanien und Südwestfrankreich das Westgotenreich. Dort waren die germanischen Gruppen gegenüber der einheimischen romanischen Bevölkerung in der Minderzahl, so dass sich schließlich die jeweils romanische Sprache durchsetzte und die germanischen Idiome nach unterschiedlich langer Zweisprachigkeit untergingen, doch ihre Spuren in Siedlungsnamen und Reliktwörtern hinterließen. Dagegen waren in Belgien und den südlichen Niederlanden die germanischen Franken in der Überzahl, so dass die Romanen schließlich das germanische Idiom übernahmen und das Romanische ausstarb. Gleiches gilt für den ehemals römischen, heute deutschsprachigen Südwesten von der Schweiz bis ins Rheinland, wo die germanischen Zuwanderer die heimische romanische Bevölkerung jedoch schließlich übertrafen, so dass sich bis auf einige länger bestehende romanische Sprach­ inseln in der Schweiz, in Südbaden und an der Mosel die germanischen Idiome der Alemannen, Franken und ­Hessen bzw. das Deutsche durchsetzte und das Romanische ausstarb. Wären im ursprünglichen bairischen Raum vom Lech bis zur Enns, wie aus den neueren dargelegten Ansichten der Archäologen zu folgern ist, die Romanen in der Mehrzahl und die germanischen Baiern in der Minderzahl gewesen, so hätte sich ein Romanisch durchgesetzt und die Sprachgrenze des Rätoromanischen und Ladinischen verliefe heute wohl an der Donau und nicht weit südlicher in den Alpen. So überzeugen Thesen romanischer Grundlagen des Bairischen gegenüber germanischen nicht. DIE FRÜHMITTELALTERLICHE BESIEDLUNG DES BAYERISCH-ÖSTERREICHISCHEN RAUMES ANHAND DER SIEDLUNGS- UND GEWÄSSERNAMEN Während es für Österreich seit 1994, wenn auch durch das Fortschreiten der Forschung in Einzelheiten heute zu ergänzende bzw. zu revidierende Verbreitungskarten von Siedlungsnamen antik-romanischer und slawischer Herkunft sowie von einzelnen deutschen Siedlungsnamentypen gibt,23 fehlen solche für Bayern, insbesondere aber für den hier anstehenden altbayerischen Raum von Ober- und Niederbayern.24 Im heute österreichischen Alpen- und Donauraum einschließlich Südtirols, der in der Antike vom Eisack und Inn im Westen bis zum oststeirischen Hügelland und Wienerwald zur römischen Provinz Norikum mit dem alpenländischen Binnennorikum (Noricum mediterraneum) und dem donauländi Vgl. die Seiten 107–110: Romanische Reliktwörter im Deutschen. Vgl. Peter Wiesinger, Die Ortsnamen Österreichs in makrotoponymischer Sicht, in: Zu Ergebnissen und Perspektiven der Namenforschung in Österreich, ed. Friedhelm Debus (Beiträge zur Namenforschung N. F., Beiheft 41, Heidelberg 1994) 51–149, 15 Ktn., und ders., Die Ortsnamen in Österreich, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik 2, ed. Ernst Eichler (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11, Berlin/New York 1996) 1081–1090, 4 Ktn. 24 Eine Karte „Romanische und andere vorgermanische Ortsnamen sowie romanisch-germanische Mischnamen in Bayern“ bringt Rettner, Baiuvaria romana 263 mit Nachweisen 282 f., die aber auf älteren, zum Teil nicht mehr aufrechtzuerhaltenden Etymologien basiert und daher zu viele Einträge enthält. Eine revidierte Karte „Romanische Siedlungsnamen südlich der Donau“, doch mit zu wenig Angaben bietet Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 431. Auf Grund mehrfacher Kritik hat Arno Rettner, Zur Aussagekraft archäologischer Quellen am Übergang von der Antike zum Frühmittelalter in Raetien, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012), 273–309, hier 301 ff., seine Liste von 102 romanischen und vorgermanischen Ortsnamen, 19 Walchenorten und 110 romanisch-germanischen Mischnamen korrigiert, reduziert und um Nachträge ergänzt. Er rechnet aber, „dass es unter dem Strich bei deutlich mehr als 60 (kelto-)romanischen Ortsnamen bleiben wird, und dass gewiss auch den zahlreichen ‚Mischnamen‘ ... eine Relevanz für die Kontinuitätsfrage zukommt“. Bayerische Namenforscher sollten nun dringend in kritischer Weise die tradierten Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft und die romanisch-deutschen Mischnamen ermitteln und eine entsprechende Verbreitungskarte anfertigen. 22 23

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schen Ufernorikum (Noricum ripense) gehörte, während der Westen Nord- und Südtirols und Vorarlberg Rätien zufiel und sich der Ostrand mit dem Wiener Becken, dem Burgenland und dem oststeirischen Hügelland zu Pannonien stellte, ergibt sich für das Frühmittelalter anhand der Siedlungsnamen eine deutliche Dreiteilung. Leben im Westen Siedlungs- und Gewässernamen antik-romanischer Herkunft fort, so sind es im Osten solche slawischer Herkunft, und nur der Nordwesten gehört zum ursprünglich bairisch-deutschen Siedlungsraum. Die österreichischen Gebiete mit Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft (Karte 1) Karte 1 zeigt die Verbreitung von Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft.25 Solche Namen wurden aus dem Vulgärlateinischen bzw. dem daraus weiterentwickelten Romanischen ins Bairisch-Althochdeutsche bzw. teilweise erst ins Bairisch-Mittelhochdeutsche tradiert und sind vierfacher sprachlicher Herkunft: 1. Nichtindogermanische Siedlungs- und Gewässernamen. Solche wenige Namen besonders in Tirol und Südvorarlberg wurden bislang nicht erklärt, und neuerdings wird für sie und einige bisher anders erklärte Namen rätische Herkunft angenommen, zumal besonders im Südtiroler Vinschgau und teilweise auch sonst in Süd- und Nordtirol zunehmend Kultgegenstände mit rätischen Inschriften gefunden werden. Trotz einzelner Erklärungsversuche besteht hier jedoch große Unsicherheit.26 2. Indogermanisch-voreinzelsprachliche Siedlungs- und Gewässernamen. Sie gehen im Alpenraum auf einige jener Alpenstämme zurück, die bis 15 v. Chr. von Tiberius und Drusus erobert wurden und die das Tropaeum Alpium in La Turbie verzeichnet.27 Es sind in Südtirol die Venosten im Vinschgau, die Isarken im Eisacktal und die Sävaten im Pustertal sowie in Nordtirol die Breonen, Genaunen und Fokunaten. Die sprachliche Analyse der Siedlungs- und Gewässernamen ergibt zwar indogermanische Herkunft, doch keine Zuordnung zu einer bekannten indogermanischen Sprachfamilie, so dass sie als „voreinzelsprachlich“ bezeichnet werden. Diese engverwandten Stämme gehörten zu einem größeren Stammesverband, der sich auf Grund bestimmter sprach­ licher Erscheinungen von Vorarlberg bis Istrien und von Salzburg bis zum Gardasee erstreckte und für den die Bezeichnung „Ostalpenblock“ vorgeschlagen wird.28 3. Keltische Siedlungs- und Gewässernamen. Ab ca. 400 v. Chr. drangen von Westen und Norden, in Südtirol wohl teilweise auch vom Süden her Kelten in den Alpen- und Donauraum ein. Ihre ­Namen sind an spezifischen Lautungen und Suffixen erkennbar. In Niederösterreich zeigt sich, dass sich die Kelten an den Unterläufen von Flüssen ansiedelten und diese neu benannten, während sich die ursprünglichen, ein indogermanisch-voreinzelsprachliches Idiom sprechenden Bewohner an die Oberläufe zurückziehen mussten, so dass dort die zum Teil gleichbedeutenden ursprünglichen Namen weiterlebten.29 Die Kelten übernahmen teilweise auch ältere Namen und führten sie fort. Auch Stammesnamen wie der der Ambidraven an der Drau in Kärnten und der Ambisonten an der Salzach in Salzburg sind Keltisierungen indogermanisch-voreinzelsprach­ licher Gewässernamen, und auch der Name des keltischen Hauptstammes der Noriker ist älterer

Vgl. zusammenfassend Wiesinger, Ortsnamen Österreichs in makrotypischer Sicht 56–65; ders., Ortsnamen in Österreich 1081–1083. 26 Solche Herleitungen aus dem wenig erschlossenen Rätischen versucht Cristian Kollmann, Alte und neue Überlegungen zum Namen Brixen, in: Brixen. 1. Geschichte, ed. Barbara Fuchs/Hans Heiss (Bozen 2004) 13–27; ders., Die Namen Hollenze, Hollenzen und Ableitungen. Mit neuen Überlegungen zum Namen Ziller und seinem ursprünglichen Geltungsgebiet, in: Tiroler Heimat 68 (2004) 239–253, und ders., Vordeutsche Orts- und Flurnamen in Truden, in: Truden, ed. Gemeinde Truden (Truden 2005) 369–378. 27 Die Inschrift auf dem Denkmal ist teilweise zerstört, doch vollständig überliefert von Plinius d. J. in seiner „Naturalis Historia“ III, 136 f., wonach die Inschrift auf dem Denkmal bei einer Restaurierung ergänzt wurde. 28 Vgl. Peter Anreiter, Breonen, Genaunen und Fokunaten. Vorrömisches Namengut in den Tiroler Alpen (Archeolingua, Series minor 9, Budapest 1997). 29 Vgl. Peter Wiesinger, Namenkontinuität und Namendiskontinuität im Bereich der niederösterreichischen Flüsse Pielach und Traisen, in: Beiträge zur Namenforschung N. F. 22 (1987) 162–181. 25

Karte 1: aus P. Wiesinger (1996) Karte 167.1.

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Herkunft. So ist z. B. wahrscheinlich, dass der Inn schon indogermanisch-voreinzelsprachlich benannt und keltisch fortgeführt und nicht erst keltisch benannt wurde.30 4. Romanische Siedlungs- und Gewässernamen. Zwar übernahmen die Römer die angetroffenen bisher genannten Namengruppen und passten sie dem Lateinischen an, doch vollzogen diese integrierten Namen dann die Weiterentwicklungen vom Vulgärlateinischen zum Romanischen. Ferner vergaben die Römer und nach dem Ende der Römerzeit dann besonders die Romanen auch eigene lateinische bzw. romanische Namen. Diese vier Namengruppen können als antik-romanische Namen zusammengefasst werden. Teilweise werden die Gruppen 1 ‒ 3 auch als vorrömische Namen bezeichnet und von Gruppe 4 als romanische Namen unterschieden. Alle vier Gruppen wurden zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Vulgärlateinischen oder erst aus dem daraus weiterentwickelten Romanischen ins Bairisch-Deutsche integriert. Dabei kann der ungefähre Zeitpunkt anhand bestimmter lautlicher Kriterien festgestellt werden. Je nach Gebiet erstreckt sich die Integrierungszeit von bereits germanischen Übernahmen zur Römerzeit wie in den Grenzräumen an der Donau bis zu späten Eingliederungen im 12./13. Jh. wie im westlichen Südund Nordtirol mit langem Fortleben des Romanischen neben dem Bairisch-Deutschen. Karte 1 zeigt nur die Verbreitung von eingedeutschten Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft. Sie erfüllen in Vorarlberg das Rheintal und den Süden mit dem Walgau („Walchengau“), das ­Montafon und Klostertal. Dagegen ist der ausgesparte Bregenzerwald erst hochmittelalterliches Rodungsgebiet. Dichtes Auftreten antik-romanischer Siedlungsnamen kennzeichnet Südtirol mit den ladinischen Ge­ bieten jenseits der eingetragenen deutsch-romanischen Sprachgrenze. Im Osten erweisen sich das ­Antholzer- und das Tauferertal als nördliche Seitentäler des Pustertales als erst bairisch-deutsche Siedlungsräume. In Osttirol zeigt das westliche Pustertal und das südlich anschließende Gailtal bis nach Oberkärnten ein dichtes und das Oberkärntner Drautal und die nördlichen Osttiroler Täler ein dünnes Vorkommen antik-romanischer Siedlungsnamen, worüber später noch zu sprechen sein wird. In Nordtirol fehlen antik-romanische Siedlungsnamen im Nordwesten im Lechtal, das erst ab der Jahrtausendwende besiedelt wurde. Auch das Ötztal ist erst hochmittelalterliches Siedlungsgebiet, während sein oberstes Seitental, das Ventertal, wie noch heute, romanisches Weidegebiet von Süden vom Vinschgau und Schnalstal her, war. Im Unterinntal und in der Kitzbühler Gegend sowie im Inneren Salzburgs gibt es nur mehr wenige Namen antik-romanischer Herkunft. Lediglich um die Stadt Salzburg besteht eine Insel mit zahlreichen solchen Namen. Nur mehr einzelne Namen treten im oberösterreichischen Innund südlichen Hausruckviertel auf. Wels, Linz und Lorch bei Enns bilden die östlichsten Aus­läufer. Hingegen leben im Osten nur mehr indogermanisch-voreinzelsprachliche und keltische Gewässer­namen weiter, die auf Karte 1 als Siedlungsnamenkarte natürlich nicht eingetragen sind. Wenn bis auf vereinzelte Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft im Osten, worüber noch zu sprechen sein wird, solche aussetzen, so bestand hier über die Römerzeit hinaus keine Siedlungskontinuität und war diese unterbrochen, was man auf den starken Wegzug der Romanen am Ende der Römerzeit und die Stürme der Völkerwanderungszeit zurückzuführen hat. Das gilt wenn auch in geringerem Maß für den einst rätischen Donauraum von Nieder- und Oberbayern. Dort leben antik-romanische Siedlungsnamen einer­ seits im Norden am römisch-germanischen Donaulimes weiter, die wahrscheinlich bereits während der Römerzeit ins Germanische übernommen und dann ins Bairische tradiert wurden, und andererseits am Südrand der Alpen und am oberbayerischen Inn, so dass sich dort ähnlich wie in Salzburg und Ober­ österreich einige Romaneninseln längere Zeit hielten. Die österreichischen Gebiete mit Siedlungsnamen slawischer Herkunft (Karte 2) Karte 2 zeigt die Verbreitung von Siedlungsnamen slawischer Herkunft.31 Die Slawen drangen im ­Gefolge der Awaren, denen sie tributpflichtig waren, von Osten entlang der Flüsse Drau und Mur in die Alpentäler Kärntens und der Steiermark ein und kamen über das Liesing- und Paltental ins Ennstal, wobei das intakte römische Straßennetz die Einwanderung begünstigte. Vom Ennstal gelangten sie über das Vgl. Peter Wiesinger, Zum Genus von Gewässernamen im Bairischen, in: In Fontibus Veritas. Festschrift für Peter Anreiter zum 60. Geburtstag, ed. Gerhard Rampl/Katharina Zipser/Manfred Kienpointner (Innsbruck 2014) 665–69, hier 679 ff. 31 Vgl. Wiesinger, Ortsnamen Österreichs in makrotoponymischer Sicht 67–72; ders., Ortsnamen in Österreich 1083–1085. 30

Karte 2: aus P. Wiesinger (1996) Karte 167.2.

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Ausseerland ins oberste oberösterreichische Trauntal um Bad Ischl sowie über den Pyhrnpass die Steyr abwärts und vom Murtal über den Erzberg nach Hieflau und die Enns abwärts ins östliche oberösterreichische Traunviertel an Steyr und Enns.32 In Niederösterreich ist slawischer Einzug sowohl von Pannonien/Ungarn her möglich, der sicher für das Burgenland und die Oststeiermark zutrifft, als auch nördlich der Donau von Mähren und Böhmen her ins Wein- und Waldviertel. Im oberösterreichischen unteren und mittleren Mühlviertel gehören die südlicheren Namen der slawischen Frühzeit an, während jene im Norden des mittleren und oberen Mühlviertels bereits alttschechische Bildungen aus der Rodungszeit des 12./13. Jh.s sind. Dabei treffen im Mühlviertel sprachlich wie archäologisch südliche und nördliche Erscheinungen zusammen, so dass die Besiedlung einerseits durch Slawen aus dem Süden erfolgte, die sichtlich die Donau überquerten, als auch durch Slawen aus dem Norden, die aus Innerböhmen auf dem uralten Handelsweg die Feldaist abwärts einzogen. Auch ein gewisser westlicher Vorstoß die Donau entlang aus Niederösterreich ist wahrscheinlich.33 Was die Einzugszeit der Slawen betrifft, sind im Pustertal kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Baiern und Slawen seit 592 bezeugt, so dass sie im Alpenraum nach der Beendigung der Herrschaft der Goten in Italien 552 und dem Abzug der Langobarden aus Pannonien 568 eingedrungen sein werden. Obwohl für den Donauraum früher erst mit später Einnahme um 700 gerechnet wurde, spricht vor allem die Herrschaft Samos im 2. Viertel des 7. Jh.s dagegen, dem die Loslösung der Slawen von den Awaren gelang und dessen Machtbereich sich von Böhmen und Mähren bis Karantanien erstreckte und damit den Donauraum einschloss. Während in Salzburg der südlich des Alpenhauptkammes gelegene Lungau und der nördlich davon befindliche Ennspongau jeweils die slawischen Gebiete an Mur und Enns von der Steiermark her bis zum Ursprung der Flüsse fortsetzen, haben die Slawen von Kärnten und Osttirol her das Gebirge überquert und sich in den südlichen Seitentälern der Salzach festgesetzt. Im Vergleich zur ehemaligen Romania von Karte 1 erweist sich Osttirol mit dem Westrand Oberkärntens als romanisch-slawisches Überschneidungs­gebiet. Neben älteren Untersuchungen des 19. und frühen 20. Jh.s ist nach heutigen Methoden allerdings nur das Kalsertal aufgearbeitet34 und stehen weitere Forschungen zum dreifachen Sprachkontakt aus, vor ­allem aber die Frage, ob romanisches Namengut direkt oder erst über slawische Vermittlung ins ­Deutsche gelangt ist bzw. ob, wie im Kalsertal, das Romanische dominierte und die slawischen Namen zunächst romanisiert wurden, ehe sie ins Deutsche gelangten.35 Im Pustertal gibt es mit Aßling als dem letzten Siedlungsnamen slawischer Herkunft eine deutliche Westgrenze, die mit der Ostgrenze des ­Freisinger Gebietes des Stiftes Innichen zusammenfällt, das Herzog Tassilo III. 769 zur Christianisierung der ­Slawen gegründet hat. Obwohl die Slawen romanische Orte angetroffen haben, wurden von ihnen zwar antik-romanische Gewässernamen, aber kaum Siedlungsnamen übernommen. In Kärnten sind dies die Namen von ­Villach und Klagenfurt, slow. Biljak und Celovec, während Federaun bei Villach für unmittel­ bare Tradierung vom Romanischen ins Deutsche spricht.36 In Oberösterreich konnten für einige Ortsnamen bei Steyr und bei Grein an der Donau antik-romanische Grundlagen mit slawischer Vermittlung ins Deutsche wahrscheinlich gemacht werden.37 Hingegen hat römisches Vindobona für Wien keine deutsche Fortsetzung, aber slowakisch Viedeň und tschechisch Vídeň wie altpolnisch Wiądeń setzen den­ Vgl. Peter Wiesinger, Die mittelalterliche deutsch-slawische Siedlungsgrenze in Oberösterreich anhand der Ortsnamen, in: Namen in Grenzräumen. 7. Kolloquium des Arbeitskreises für bayerisch-österreichische Namenforschung (Passau, 27./28. September 2012), ed. Wolfgang Janka/Rüdiger Harnisch (Regensburger Studien zur Namenkunde 9, Regensburg 2014) 149–170. 33 Vgl. Peter Wiesinger, Die Besiedlung des unteren und mittleren Mühlviertels in Oberösterreich aus namenkundlicher Sicht, in: Studien zu Literatur, Sprache und Geschichte in Mitteleuropa. Wolfgang Haubrichs zum 65. Geburtstag, ed. Albrecht Greule/Hans-Walter Herrmann/Klaus Ridder/Andreas Schorr (St. Ingbert 2008) 569–599, hier 579–583. 34 Vgl. Heinz-Dieter Pohl, Kalser Namenbuch (Österreichische Namenforschung, Sonderband, Wien 2004). 35 Vgl. Peter Anreiter, Zur Namenkunde des Kalsertales (Osttirol): Slavische Ausgangsnamen – romanische Filter – deutsche ‚Endprodukte‘, in: Geographische Namen – Vielfalt und Norm. 40 Jahre institutionalisierte Ortsnamenforschung und -standardisierung in Österreich. 65. Geburtstag von Isolde Hausner, ed. Hubert Bergmann/Peter Jordan (Österreichische Namenforschung, Beiheft 6, Wien 2010) 159–172. 36 Vgl. Heinz-Dieter Pohl, Kleines Kärntner Namenbuch (Orts-, Gewässer- und Bergnamen) (Klagenfurt 2013) 23, 51 f., 71 f., 116 f. 37 Vgl. Peter Wiesinger, Antik-romanische Namentraditionen um Steyr im östlichen Oberösterreich, in: Namen, Sprachen und Kulturen. Festschrift für Heinz Dieter Pohl zum 60. Geburtstag, ed. Peter Anreiter/Peter Ernst/Isolde Hausner/Helmut Kalb (Wien 2002) 817–831. 32

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Namen über ­germanische Vermittlung fort.38 Auffällig ist, dass die eingedeutschten antik-romanischen ­Gewässernamen in Niederösterreich von der Erlaf bis zur Traisen und damit bis zur Ostgrenze ­Norikums am Wienerwald die bis längstens 650 durchgeführte Tenuesverschiebung als die älteren Akte der ­Zweiten Lautverschiebung aufweisen, während die integrierten slawischen Siedlungs- und Gewässernamen nur die im 8. Jh. bis um 780 eigetretenen jüngeren Akte der Medienverschiebung und der Affrizierung von k zeigen.39 Die österreichischen Gebiete mit ältesten deutschen Siedlungsnamen (Karte 3) Als ältester bairisch-deutscher Siedlungsnamentypus gilt die aus dem Germanischen ererbte und bis England und Skandinavien verbreitete Namenbildung mit der Suffixableitung bair.-ahd. -inga/-ingun, die über mhd. -ing/-ingen zu heutigem -ing führt.40 Es handelt sich dabei in erster Linie um patronymische oder, wie es in der bairischen Namenforschung heißt, um Besitznamen. Als solche werden sie von Personen- und Standesbezeichnungen abgeleitet, wobei das Suffix Zugehörigkeit ausdrückt. Ein solcher Name ist z. B. Schärding in Oberösterreich (804 in loco qui dicitur Scardinga, 1097 in Skaerdingen)41 mit dem ahd. Personennamen Skardo, wobei sich im Althochdeutschen der Kasus noch nach dem Kontext richtet, so dass der Nominativ Plural -inga ʻdie Leute des Skardoʼ und die präpositionale Einbettung im lokativischen Dativ Plural -ingun den eigentlichen Ortsnamen ʻbei den Leuten des Skardoʼ ergibt, der dann unabhängig vom Kontext fest wird. Da dieser Namentypus bis um die Jahrtausendwende produktiv war und bei Erweiterung des Siedlungsraumes die Besitzergreifung ausdrückt, wurde er noch in der 976 gegründeten Markgrafschaft Österreich bis ins Wiener Becken wirksam. Der andere ebenfalls aus dem Germanischen ererbte Namentypus ist die Komposition mit dem Grundwort ahd. -heim, heute -ham, zu ahd. heima ʻWohnung, Heimstatt, Aufenthaltsort, Heimatʼ, das Heimstatt und Ansitz ausdrückt. Zum Grundwort treten hier als Bestimmungswörter entweder ebenfalls Personennamen und Standesbezeichnungen oder Substantive, Adjektive und Adverbien, so dass neben Besitznamen auch Lage- und Artnamen zustande kommen. Während bei Besitznamen der Personen­name oder die Standesbezeichnung im Genitiv gefügt wird, sind Substantive im Nominativ gereiht und bestehen bei Adjektiven beide Möglichkeiten, z. B. Siezenheim bei Salzburg (927 ad Suozinheim) mit dem Personennamen Suozo im Sinne von „Heimstatt des Suozo“, Thalham bei Wilhering in Oberösterreich (ca. 1140 Talheim) mit ahd./mhd. tal ʻTalʼ im Sinne von „Heimstatt im Tal“, Fraham bei Reichersberg Vgl. Peter Wiesinger, Probleme der bairischen Frühzeit in Niederösterreich aus namenkundlicher Sicht, in: Die Bayern und ihre Nachbarn 1, ed. Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Dph 179, Wien 1985) 321–367, 7 Ktn., hier 336 f.; ders., Wien, in: Deutsches Ortsnamenbuch, ed. Max Niemeyer (Berlin/Boston 2012) 689–690. 39 Vgl. Wiesinger, Probleme der bairischen Frühzeit 323–326; ders., Antik-romanische Kontinuitäten im Donauraum von Ober- und Niederösterreich am Beispiel der Gewässer-, Berg- und Siedlungsnamen, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Dph 201, Wien 1990) 261–328, hier 281 f.; ders., Die Zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand der Ortsnamenintegrate. Eine lautchronologische Studie zur Sprach- und Siedlungsgeschichte in Bayern, Österreich und Südtirol, in: Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart, ed. Wolfgang Haubrichs/Heinrich Tiefenbach (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 43, Saarbrücken 2011) 163–246, hier 204–206. 40 Vgl. zum folgenden Peter Wiesinger, Ortsnamen Österreichs in makrotoponymischer Sicht 72–83, und ders., Ortsnamen in Österreich 1085–1087. 41 Die urkundlichen Belege für Österreich und Südtirol bis 1200 entstammen hier und im Folgenden dem Altdeutschen Namen­buch (ANB 1–2) und für die Zeit nach 1200 für Oberösterreich den Bänden des Ortsnamenbuches des Landes Oberösterreich (Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich (ed. Peter Wiesinger) 1: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Braunau am Inn (Südliches Innviertel) (ed. Elisabeth Berthol-Raffin/Peter Wiesinger, Wien 1989); 2: Die Orts­ namen des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis (Mittleres Innviertel) (ed. Elisabeth Berthol-Raffin/Peter Wiesinger, Wien 1991); 3: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Schärding (Nördliches Innviertel) (ed. Peter Wiesinger/Richard Reutner, Wien 1994); 4: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Vöcklabruck (Südliches Hausruckviertel) (ed. Helen Bito/Richard ­Reutner/Peter Wiesinger, Wien 1997); 7: Die Ortsnamen der Politischen Bezirke Kirchdorf an der Krems. Steyr-Land und Steyr-Stadt (Südöstliches Traunviertel) (ed. Karl Hohensinner/Richard Reutner/Peter Wiesinger, Wien 2001), für Nordtirol Karl Finsterwalder, Tiroler Ortsnamenkunde. Gesammelte Aufsätze und Arbeiten, ed. Hermann M. Ölberg/Nikolaus Grass, 1–3 (Schlern-Schriften 285–287, Innsbruck 1990–1995) und für Bayern Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Lexikon ­bayerischer Ortsnamen. Herkunft und Bedeutung. Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz (München 2006). 38

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Karte 3: aus P. Wiesinger (1996) Karte 167.4.

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in Oberösterreich (ca. 1140 de Friheim) mit ahd. frî/mhd. vrî ʻfreiʼ im Sinne von „von ­Abgaben freie Heimstatt“. Da die Bedeutung die Ortsverbundenheit einschließt, waren die -heim-­Namen nicht zum Ausdruck von Inbesitznahme von Grund und Boden und damit auch nicht für neue Ortsbenennungen bei der Ausweitung des Siedlungsraumes geeignet. Sie sind jünger als die ing-Namen, was sich auch in der durchschnittlich späteren urkundlichen Erstbezeugung spiegelt, und sie reichen an den Rändern nicht so weit als jene. Deshalb aber kennzeichnen sie das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Baiern. Es ist in Öster­reich der Salzburger Flachgau nördlich der Stadt Salzburg und in Oberösterreich das Inn-, Hausruck- und westliche Traunviertel bis zum Beginn des Berglandes im Süden bei Auslassung des Weilhardts, des Kobernaußerwaldes und Hausrucks im Süden und des Esternberges und des Peuer­ bacherwaldes im Norden gegen die Donau. Miteingeschlossen wird aber das nördlich der Donau befindliche Ottensheimer Becken, das geographisch zum Bereich südlich des Flusses gehört. In ähnlicher Weise erfüllen die älteren -ing- und jüngeren -heim-Namen auch Ober- und Nieder­ bayern insbesondere im Norden gegen die Donau und im Süden gegen den Alpenrand, während sie in der Mitte geringer auftreten. Zugleich aber zeigen diese deutschen Siedlungsnamen, dass hier die Baiern die Romanen zahlenmäßig übertrafen und es hier bei nur wenigen Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft und einigen romanisch-deutschen Mischnamen mit romanischen Personennamen wie im Salzburger Flachgau und westlichen Oberösterreich nur ein geringes Weiterleben der Romanen gab. ROMANEN UND BAIERN IM KONTAKT Die integrierten Siedlungs- und Gewässernamen romanischer Herkunft Als sich die Baiern in Gebieten der Romanen ansiedelten, übernahmen sie dort, wo romanische Kontinuität bestand, deren Siedlungs- und Gewässernamen und integrierten sie in ihre deutsche Sprache. Dabei setzen die urkundlichen Erstbezeugungen im letzten Viertel des 8. Jh.s ein. Abgesehen von einzelnen tradierten lateinischen Namensformen oder teilweiser Anpassung der Flexive an das Lateinische in den lateinischen Kontexten bis ins 13. Jh. sind sie bairisch-althochdeutsch und vollziehen die Entwicklungsstadien des Althochdeutschen bis um die Mitte des 11. Jh.s und dann des Bairisch-Mittelhochdeutschen bis um die Mitte des 13. Jh.s mit, ehe sie ins Bairisch-Frühneuhochdeutsche und ab dem 16. Jh. ins Neuhochdeutsche weiterentwickelt werden. Sobald die Integrierung ins Deutsche stattgefunden hat, sind solche Ortsnamen nicht mehr romanische, sondern sie sind deutsche Ortsnamen geworden, so dass es sich etymologisch um deutsche Ortsnamen romanischer Herkunft handelt. Gegenüber den tradierten oder teilweise auch abgewandelten Kanzleiformen besonders seit dem 16. Jh. bewahren die rezenten mündlichen Dialektformen den natürlich entwickelten Lautstand. Beide, die urkundlichen Bezeugungen und die Dialektaussprachen, ermöglichen mit Hilfe der linguistischen Methoden und der historischen Grammatiken sowohl des Deutschen als auch des Romanischen den Nachvollzug der Lautentwicklungen und als Etymologie die Rekonstruktion der jeweiligen romanischen Basisform und ihrer Bedeutung als Ausgang der Integrierung. Dabei kann anhand bestimmter romanischer und deutscher Lautentwicklungen festgestellt werden, wann annähernd ein romanischer Ortsname ins Deutsche integriert wurde. Es ist aber im hier beschränkten Rahmen bloß möglich, die sprachwissenschaftlichen Kriterien und die daraus zu folgernden annähernden Integrierungszeiten der romanischen Ortsnamen vorzustellen und anhand ausgewählter Beispiele zu veranschaulichen. Integrierungen mit Zweiter Lautverschiebung (Karten 4 und 5) Die zum Althochdeutschen führende zweite Lautverschiebung vollzog sich als ältere Tenuesverschiebung von westgerm. t ‒ p ‒ k zu den Fortisfrikativen [ss] ‒ [ff] ‒ [xx] im Inlaut bzw. [s] ‒ [f] ‒ [x] im Auslaut sowie von t ‒ p im Anlaut und im Inlaut in der Gemination zu den Affrikaten [ts] ‒ [pf]. In der jüngeren Medienverschiebung wurden westgerm. d ‒ b ‒ g zu den Fortisplosiven [t] ‒

[p] ‒ [k]. Ihnen schloss sich die Affrizierung von westgerm. k im

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Karte 4: Entwurf: Peter Wiesinger.

Karte 5: Entwurf: Peter Wiesinger.

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Anlaut und im geminierten Inlaut zu [kx] an.42 Ein Beispiel für beide Vorgänge liefert der Name der niederbayerischen Dreiflüssestadt Passau, der auf das 425–30 bezeugte römische Kastell Batavis (Notitia dignitatum XXXV, 24) zurückgeht und 764–88 bair.-ahd. Pazzauuua (Trad. Passau 7) heißt.43 Hier ist mit -t- > -zz- die ältere Tenuesverschiebung und mit B- > P- die jüngere Medienverschiebung der Zweiten Lautverschiebung vollzogen. Während die Tenuesverschiebung im 6. und längstens bis gegen die Mitte des 7. Jh.s wirksam war, lässt sich die Medienverschiebung von b genauer auf die rund vier Jahrzehnte von 740‒780 eingrenzen.44 Damit erlaubt der Einzelfall für die Datierung der Integrierung den terminus postquem non ca. 650. Betrachtet man aber die Integrierungen der oberösterreichischen antiken Stadtnamen Wels / ca. 300 Ovilavis (Itinerarium Antonini), Linz / 425–30 Lentia (Not. dig.) und Lorch / ca. 300 Laureaco (It. Ant.) als bair.-ahd. 776 Uueles, 799 in … Linzę und 791 Lorahha, dann zeigen Linz und Lorch nicht nur wieder die älteren Akte der Zweiten Lautverschiebung von -nt> -nz- und -k- > -hh-, sondern der bair.-ahd. Vokalismus aller drei Stadtnamen weist Lautwandlungen auf, die bereits in den ersten Jahrhunderten n. Chr. im Westgermanischen wirksam waren, nämlich in Wels die Senkung (Brechung, a-Umlaut) von lat. i > ë vor a der Folgesilbe, in Linz die Hebung von lat. e > i vor Nasal + Konsonant und in Lorch den Wandel der lokativischen Ablativendung lat. -ō > -a.45 Im Hinblick auf Passau und weitere an der Donau bis Ingolstadt gelegene Orte am römisch-germanischen Limes kann daher unter Berücksichtigung der Geschichte der Schluss gezogen werden, dass diese ­antik-romanischen Siedlungsnamen nicht erst zur Zeit der Tenuesverschiebung im 6./7. Jh., sondern schon zur Römerzeit zunächst ins Westgermanische integriert und dann weiter in das sich herausbildende Bairische tradiert wurden, wobei römisch-germanische Kontakte im Grenzraum seit Anbeginn bestanden und die Ansiedlung von Germanen besonders von Veteranen des römischen Heeres seit der Mitte des 3. Jh.s erfolgte. Welche antik-romanischen Siedlungs- und Gewässernamen mit Tenuesverschiebung ins Bairisch-Althochdeutsche integriert wurden, zeigt Karte 4, deren einzelne Namen hier leider nicht erläutert werden können. Dagegen gibt es im Gebiet dichter Verbreitung von Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft von Vorarlberg bis Salzburg eine Menge von Siedlungs- und Gewässernamen ohne Tenuesverschiebung, für deren Integrierung sich als terminus antequem non die Mitte des 7. Jh.s ergibt, was angesichts des zunächst nur geringen und allmählichen Vorrückens der Baiern in den Alpenraum nicht überrascht. Dass sich jedoch auch im Bereich nur gering tradierter antik-romanischer Siedlungsnamen im nörd­lichen Salzburg und dort besonders um die Stadt Salzburg sowie im anschließenden südwestlichen Ober­ österreich des Inn- und südlichen Hausruckviertels, wie aus Karte 5 hervorgeht, solche Siedlungs- und Gewässernamen finden, erweist den längeren Fortbestand des Romanischen. Dabei lässt sich an der unterbliebenen Affrizierung von k-, das als solches integriert wurde und mit der zu [k]/ verschobenen Media g- zusammenfiel, ablesen, dass die Übernahme solcher Namen erst nach 780 erfolgte, als die Wirksamkeit der Affrizierung aufgehört hatte. Solche Siedlungsnamen haben heute anlautendes G-, wie z. B. in Oberösterreich Gampern bei Vöcklabruck (770–800 de Camparon zu lat. campus ʻFeldʼ im Sinne von „bei den Feldleuten bzw. bei den Leuten in der Ebene“) und Gurten bei Reichersberg (763 Curtana, 786 Curtuna, 805 Gurtina von rom. curtina ʻkleiner Hofʼ zu lat. curtis ʻHofʼ). Daraus kann geschlossen werden, dass solche Romaneninseln um Salzburg und in Oberösterreich bis mindestens ins letzte Viertel des 8. Jh.s fortbestanden.46

Zur Zweiten Lautverschiebung vgl. insgesamt Wiesinger, Zweite Lautverschiebung. Sofern es zur Eindeutigkeit erforderlich ist, unterscheiden wir Schreibformen mit spitzen Klammern < > und Ausspracheformen mit eckigen Klammern [ ]. Als phonetisches Transkriptionssystem bei breiter Umschrift dient das internationale Transkriptionssystem der IPA, wobei d, b, g stimmlose Lenisplosive sind. 43 Vgl. Reitzenstein, Lexikon bayerischer Ortsnamen 204 f. 44 Vgl. Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 225. 45 Vgl. Peter Wiesinger, Oberösterreich als mehrsprachiger Siedlungsraum, in: Namen in sprachlichen Kontaktgebieten, ed. Friedhelm Debus (Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage 1, Hildesheim/Zürich/New York 2004) 39–98, hier 48–51. 46 Vgl. Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 200–203, 216–222. 42

Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum

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Die Integrierungen von lat./rom. v Da das lat./rom. v seit dem 7. Jh. im Alpenraum verschiedene Entwicklungsstadien durchlief, wurde es bei der Integrierung solcher romanischer Ortsnamen entsprechend den ebenfalls unterschiedlichen Lautverhältnissen des Bairisch-Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen verschieden wiedergegeben und tritt als w ‒ p ‒ v auf.47 W steht in Tirol etwa in Wilten bei Innsbruck (425–30 Veldidena [It. Ant.], 870–75 ad Uuiltina, 1050–65 Wiltine) und Wattens bei Hall (930–31 loco Vuattanes, 1034–41 Wattenes < rom. *[ad] Vattanōs mit kelt./lat. PN Vattos/-us) und in Oberösterreich in oben behandeltem Wels (ca. 300 Ovilavis). Bair.-ahd. p zeigt in Oberösterreich die Waldbezeichnung Kobernaußen (1474 Kobernaus, 1576 Kobernausen < lat. cavernōsus [iter] ʻmit Höhlen versehen, Hohlweg’ als bair.-ahd. *Chapernûsa) und in Niederösterreich der Gewässername Ybbs (ant. Ziegelstempel Figulinas Ivensianas Leg. I Nor., 425–30 Adiuvense [Not. dig.], 829 zu 788 in campo Ibose, 837 Ipusa < rom. *Ivusa entweder mit idg. *eiṷ-/iṷ- ʻgehenʼ im Sinne von „die Eilende“ oder weniger wahrscheinlich mit gall. ivo- ʻEibeʼ im Sinne von „Bach, der durch einen Eibenwald fließt“). Schließlich gilt in einer älteren Gruppe bair.-ahd. v in Vintl im Südtiroler Pustertal (994–1005 Uintulla, 1155–64 Uintile, 1178–89 in Uintil < rom. *Vendolio entweder mit kelt./lat. PN Vindos/-us oder Adj. kelt. *vindos ʻweiß, lichtʼ + gall. ialo ʻEbene, Feldʼ im Sinne von „Ebene im Besitz von Vindos“ oder „Lichtung, waldfreies Gelände“) und in Nordtiroler Terfens bei Schwaz im mittleren Inntal (1085–97 supra Teruanes, apud Teruenes < rom. *Derv- zu kelt. *dervo- ʻEicheʼ im Sinne von „Leute am Eichenwald“). Ferner zeigt bair.-mhd. v eine jüngere, noch zu besprechende Gruppe wie endbetontes Velláu in der Südtiroler Gemeinde Allgund bei Meran und Fallún und Falltschín in der Nordtiroler Gemeinde Baumkirchen im mittleren Inntal. Wie hier an Wattens zu ersehen ist, wurde lat./rom. v noch nach Beendigung der Tenuesverschiebung bis über die Mitte des 7. Jh.s mit bair. w wiedergegeben, so dass es damals in Norikum noch halbvokalische bis bilabiale Aussprache [ṷ] aufwies, der das völlig halbvokalische w am nächsten stand. Mit der erst nach der Tenuesverschiebung frühestens ab dem 2. Viertel des 7. Jh.s. in Norikum als romanischer Peripherie einsetzenden romanischen Inlautlenierung der Fortisplosive lat. t ‒ p ‒ k zu rom. d ‒ b ‒ g und ihrer Sonorisierung und dann Spirantisierung verlor auch lat./rom. v seine Halbvokalität und wurde zum bilabialen Frikativ [β], so dass es zum Zusammenfall mit inlautendem rom. b kam, dem im Bairischen in der 2. Hälfte des 7. Jh.s die noch stimmhafte bis leicht frikativische Lenis ƀ entsprach, und es mit dieser gleichgesetzt wurde, wie aus Kobernaußen und Ybbs hervorgeht. Mit der nacheinander eintretenden Stimmloswerdung der Lenisplosive im Bairischen seit dem ausgehenden 7. Jh. wurde ƀ zum stimmlosen Lenisplosiv b und unterlag dann von etwa 740 ‒ 780 der Medienverschiebung zu p wie in Kobernaußen und Ybbs. Im 8. Jh. aber ging rom. v von der bilabialen Aussprache [β] in die labiodentale Frikativaussprache [v] über. Da aber Vintl und Terfens der Medienverschiebung von rom. d zu bair. t der 1. Hälfte des 8. Jh.s unterlagen, wurde das stimmhafte labiodentale rom. [v] damals mit dem stimm­losen bairischen Lenisfrikativ [f] substituiert, der erst ab dem Ende des 8. Jh.s wie s zum neuen bair.-ahd. stimmhaften Lenisfrikativ [v] wurde und dann in jüngeren Entlehnungen während der gesamten ahd. und mhd. Zeit die Gleichsetzung ermöglichte. Diese liegt, wie wir in Verbindung mit der beibehaltenen rom. Akzentuierung und der eingetretenen oder unterbliebenen Diphthongierung noch sehen werden, in den später zu besprechenden endbetonten Siedlungsnamen Velláu, Fallún und Faltschín vor. So werfen die unterschiedlichen Integrierungsergebnisse von lat./rom. v Licht auf die von rund der Mitte des 7. Jh.s bis zum 12. Jh. sich sowohl im norischen Romanischen als auch im Bairischen wandelnden Lautverhältnisse und spiegeln die unterschiedlichen Integrierungszeiten solcher Siedlungs- und Gewässernamen. Die Integrierung von lat./rom. a vor i mit bair.-ahd. Primär- oder Sekundärumlaut Auch vokalische Kriterien erlauben Datierungen der Eindeutschungen und damit des Fortlebens der ­Romanen bis mindestens in die Zeit solcher Lautwandlungen. Eine davon ist der i-Umlaut von a vor i oder j der Folgesilbe.48 Während hier in der 2. Hälfte des 8. Jh.s der Primärumlaut zu geschlossenem 47 48

Vgl. zum Folgenden Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 195–206. Vgl. Willhelm Braune, Althochdeutsche Grammatik, 1: Laut- und Formenlehre, bearb. von Ingo Reiffenstein (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte 5.1, Tübingen 152004) 28 f., 55–58. Obwohl neuerdings angenommen wird, dass der Sekundärumlaut gleichzeitig mit dem Primärumlaut eintrat, jedoch die Folgekonsonanten die volle Hebung zu e

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/[e] eintrat, vollzog sich ab dem beginnenden 9. Jh. der Sekundärumlaut zu überoffenem [æ], der aber weiterhin unbezeichnet als geschrieben wurde und erst im Mittelhochdeutschen teilweise als wiedergegeben wird. Beide Umlaute betreffen auch die Integrierungen aus dem Romanischen. So weist in Südtirol Vöran bei Meran (1186 Veran < lat. *Variānum mit PN Varius) Primärumlaut und Vahrn bei Brixen (ca. 1005 Uarna, 1085–97 Varina, 1147–55 Verne < lat. *Varina mit idg. *ṷarʻWasserʼ) Sekundärumlaut auf, was die rezenten Dialektaussprachen mit [e:i] und [a:] bestätigen, so dass die Integrierungen vor und nach 800 erfolgten. Bezüglich des rom. v aber wurde, wie aus den dargelegten Integrierungsabfolgen von rom. v hervorgeht, Vöran bereits in der 1. Hälfte des 8. Jh.s mit noch bair. f als *[ꞌfarina] übernommen, das erst nach der in der 2. Hälfte des 8. Jh.s eingetretenen Umlautung zu Beginn des 9. Jh.s zu stimmhaftem *[ꞌverina] wurde. Die Monophthongierung von lat./rom. au vor r, h und Dentalen In die 2. Hälfte des 8. Jh.s fällt die ahd. Monophthongierung von au vor r, h und Dentalen zu offenem [ɔ:], das im Bair.-Ahd. bis gegen die Mitte des 9. Jh.s häufig mit digraphischem wiedergegeben wird.49 Während in Südtirol der Siedlungsname Olang östlich von Bruneck im Pustertal dieser Mono­ phthongierung unterliegt (985–93 Ôlaga, 1060–70 in … Olagun < lat. *Aulaca / rom. *Aulaga mit kelt./ lat. PN Aulos/-us), was die Dialektaussprache mit [ɔɐ] bestätigt, unterbleibt diese im Namen des Ahrntales als nördliches Seitental des Pustertales (1048 vallis … Aurina, 1065–71 Ourin, 1178–89 de Euren, 1370 Arn) und tritt erst in der 2. Hälfte des 13. Jh.s spätmhd. Monophthongierung von umgelautetem mhd. öü zu heute noch dialektalem [a:] ein. Das besagt zwar, dass Olang spätestens bis in der 2. Hälfte des 8. Jh.s eingedeutscht war, doch legt die rom. Inlautlenierung nahe, dass dies bereits ab der 2. Hälfte des 7. Jh.s. möglich war, so dass sich durch die Kombination ein Zeitraum von rund 100 Jahren ergibt. Dagegen sind die Baiern ins nördlichere Ahrntal frühestens ab dem 9. Jh. gelangt. Dazwischen liegen übrigens bei Bruneck Dietenheim im Pustertal (995–1005 Dieterhem, 1060–70 Dietenheim mit dem ahd. PN Dioto) und Uttenheim im Tauferertal (993 Ŏtenheim, 1147–55 de Vtenheim mit dem ahd. PN Uoto) als wohl agilolfischgische Gründungen des 8. Jh.s. Die Beibehaltung des lateinisch/romanischen Penultimaakzents und die bairisch-mittelhochdeutsche Diphthongierung Das Romanische setzte den lateinischen Penultimaakzent fort, während das Althochdeutsche den germanischen Initialakzent beibehielt.50 Das hatte zur Folge, dass romanische Übernahmen bis gegen die Jahrtausendwende bei der Integrierung akzentuell angeglichen wurden. Hingegen behielten Übernahmen seit dem 11. Jh. ihren romanischen Akzent bei. Besonders im Nordtiroler oberen Inntal um Landeck und im Südtiroler Vinschgau erfolgten solche späten Integrierungen mit Endbetonung. Wenn solche Ortsnamen ahd. î ‒ û < rom. ē – ō aufwiesen und ihre Integrierung im 11. Jh. geschah, dann unterlagen sie im 12. Jh. der bair.-mhd. Diphthongierung zu [ei] ‒ [ou]/[øy], so dass sie mit weiterer Öffnung bei Entrundung des Umlauts heute [ai] ‒ [au] lauten. So wurden in dieser Zwischenzeit mit Endbetonung und Diphthongierung integriert z. B. Margréid bei Pfunds in Nordtirol (1181 de Margreto, 1296 M ­ argrit, Margreit < rom. *Margrḗdu mit lat. macer ʻmager, dürrʼ + -ētum im Sinne von „mageres, wenig fruchtbares Gelände“), Serfáus in Nordtirol (1220 Sarvus, 1192 Servôus, 1300 Serfaus < rom. *Selvōsu zu lat. silvōsus ʻwaldigʼ), obgenanntes Südtiroler Velláu in Allgund bei Meran (1297 Falau, 1398 Vellau < rom. *Vallōne mit lat. vallis ʻTalʼ + Augmentativsuffix rom. -ōne im Sinne von „großes Tal“) sowie mit Umlaut Burgéis im Südtiroler Vinschgau (1148–49 de Burgusia, 1160 de Burgus, 1161 de Burgüs, 1290 Burgaeus < rom. Burgúsia „befestigter Ort“). Ihre Dialektaussprachen lauten [marꞌgrait], [sǝꞌfaus], [feꞌlau], [burꞌgais]. Auch in der Salzburger Romaneninsel gibt es einige Siedlungsnamen mit Beibehaltung des romanischen Penultimaakzents, so dass sie erst nach der Jahrtausendwende eingedeutscht wurden und den vereinzelten langen Fortbestand von Romanen und ihrer Sprache erweisen wie z. B. hinderten, widersprechen einer solchen Annahme die Integrierungen slawischer Ortsnamen, die zwar die Medienverschiebung von d und b, aber keinen Primärumlaut des 8. Jh.s., sondern Sekundärumlaut des 9. Jh.s. zeigen. 49 Vgl. Althochdeutsche Grammatik I (bearb. Reiffenstein) 47 f., 58 f. 50 Vgl. Finsterwalder, Tiroler Ortsnamenkunde 1, 43–54.

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Vigáun (788–90 ad Figunas, 798–800 ad Figûn < rom. *Vicōne „großes Dorf“ zu lat. vicus ‚Gehöft, Dorf‘ + -ōne) als [fiꞌgaun].51 Erfolgte jedoch die Übernahme erst nach der Mitte des 12. Jh.s, so unterblieb die Diphthongierung. Beispiele für einen derart langen Fortbestand des Romanischen bietet die Gemeinde Baumkirchen im mittleren Nordtiroler Inntal mit den obgenannten heutigen Waldnamen Faltschín (rom. *Vallicīna mit lat. vallis ʻTalʼ + Diminutivsuffix -cīna im Sinne von „kleines Tal“), dialektal [falꞌtʃi:n], und Fallún (rom. *Vallōne mit lat. vallis ʻTalʼ + Augmentativsuffix -ōne im Sinne von „großes Tal“), dialektal [faꞌlu:n]. Da sich auf dem Talboden von Baumkirchen (1147–67 in loco Poumchirche mit bair.-ahd. poum ,Baum, Holz, Balken, Pfahl‘ im Sinne von „Holzkirche“) nur deutsche Flurnamen befinden, aber im oberhalb gelegenen Bergland noch weitere Flurnamen romanischer Herkunft vorkommen, haben sich die ­Baiern sichtlich die gut zu bearbeitenden fruchtbaren Talböden angeeignet und die Romanen in das karge ­waldige Bergland abgedrängt. Dass dies bereits früh geschah, bestätigt das Bestimmungswort des Siedlungsnamens mit den nur im Althochdeutschen über die Grundbedeutung hinausgehenden weiteren Bedeutungen, wobei eine aus Holz und Balken errichtete Kirche gegenüber sonstigen Steinbauten auffällig war. Da in der Nachbargemeinde Absam 1162 Unfreie mit den rom./lat. Namen ­Solvangnus, Badillus und Vivianus urkundlich bezeugt sind, wird man in Baumkirchen mit dem Fort­ leben von ­Romanen bis mindestens in die 2. Hälfte des 12. Jh.s zu rechnen haben.52 Romanisch-deutsche Ortsnamenpaare Wo Romanen und Baiern in zwei benachbarten Orten siedelten und gemeinsame enge Beziehungen zu einer Gegebenheit hatten, entstanden romanisch-deutsche Siedlungsnamenpaare, indem ein jeder der beiden Orte in der jeweiligen Sprache gleichbedeutend benannt wurde. Solche Namenpaare gibt es vereinzelt auch bei Gewässernamen. Den Gründen für solche nur vereinzelt auftretende Namenpaare muss, soweit dies anhand von historischen Quellen überhaupt möglich ist, im Einzelnen nachgegangen werden. Ein solches gleichbedeutendes Siedlungsnamenpaar bilden z. B. bei Salzburg Muntigl (788 Monticulus, ca. 963 ad Muntegilin, 1125–30 de Muntigele < rom. *Montigulu mit lat. mons, -tis ʻBergʼ + Diminutivsuffix lat -iculus) und Bergheim (ca. 927 ad Percheim). Deutsche Siedlungsnamen mit der Romanenbezeichnung Walche (Karte 6) In romanisch-bairischen Grenzräumen mit einer Mehrheit von Baiern und einer Minderheit von ­Romanen gibt es bairisch-deutsche Walchen-Namen als Simplizia oder als Komposita mit Walchen als Grund- oder Bestimmungswort.53 Dabei bezeichneten die Baiern die offenbar als andersartig wahrgenommenen Romanen mit der deutschen Romanenbezeichnung Walchen. Obwohl im Althochdeutschen das Substantiv nur als starkes Maskulinum walah belegt ist, tritt es im Mittelhochdeutschen sowohl stark als walh als auch schwach als walhe auf. Auch in den Siedlungsnamen wird es in beiderlei Weise gebraucht, wobei wegen des gleichlautenden Dativs Plural größtenteils keine Entscheidung möglich ist. Eindeutig stark ist es als gefügtes Bestimmungswort im Genitiv Plural in den Komposita Wallgau bei Garmisch-Partenkirchen in Oberbayern (763 Uualhogoi, 11. Jh. Walagouwa, 1283 Walgowe mit ahd. gouwa ʻGau, Bezirk, Landʼ) und Wals bei Salzburg (788 Walahowis, Vico romanisco; vor 1023 ­Walahuuis, Walauues; 1147–67 Walwes mit ahd. wîhs ʻDorf, Fleckenʼ). Starke Bildung liegt auch im Nominativ Plural von Straßwalchen in Salzburg vor (799 in loco qui dicitur Strazuualaha, 837 ad Vgl. Ingo Reiffenstein, Namen im Sprachaustausch: Romanische Relikte im Salzburger Becken, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik 2, ed. Ernst Eichler (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11, Berlin/New York 1996) 997–1006, hier 1004. 52 Vgl. Franz Fliri, Baumkirchen. Ein Dorf in Tirol (erweit. Aufl., Baumkirchen 21999) 114, und Finsterwalder, Tiroler Ortsnamenkunde 1, 48; 2, 694. Dem Gemeindeamt Baumkirchen danke ich für sachdienliche Auskünfte. 53 Vgl. Ernst Schwarz, Baiern und Walchen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 33 (1970) 857–938, hier 915 f.; Peter Wiesinger, Zur Frage deutscher Ortsnamen als Zeugen romanischer Kontinuitäten im Frühmittelalter, in: Öster­reichi­ sche Namenforschung 15–16 (1987–1988) 103–134; ders., Romanische Kontinuitäten 306 f.; Christa Jochum-­Godglück, Wechselbeziehungen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 197–217. 51

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Karte 6: aus C. Jochum-Godglück (2012) 199.

Strazzuualahon, 1139 apud Strazwalhen mit ahd. strâzza ʻStraßeʼ, bezogen auf die einstige Römerstraße von Salzburg nach Wels), wo sich dann der Dativ Plural als Siedlungsname durchsetzt. Schwach ist die Bezeichnung des im Genitiv Plural gefügten Walchensee in Oberbayern (11. Jh. [cop. 13. Jh.] Walhense, 12. Jh. Walihinse mit mhd. sê ʻSeeʼ). Nicht entscheidbare Dativ Plurale sind z. B. das Simplex Walchen bei Zell am See in Salzburg (1177–1216 in Walhen, 1178–83 de Walhen) und das Kompositum See­ walchen am oberösterreichischen Attersee (1135 Sewalhin, 1166 Sewalhen), doch wird man hier und bei den weiteren, erst vom 12.‒14. Jh. erstbelegten Walchen-Orten parallel zu Straßwalchen ursprünglich starke Bildung annehmen dürfen, was auch Traunwalchen bei Traunreut in Oberbayern nahelegt (790 in … pago Trunwalha). Alle Walchen-Orte und -gebiete liegen, wie Karte 6 zeigt, am ursprünglichen Südrand des bairisch-deutschen Siedlungsbereiches und bezeichnen die in der Nachbarschaft wohnenden älteren bodenständigen Romanen. Besonders deutlich ist dies im Bereich der oberbayerischen Traun bei Traunreut mit insgesamt 6 Orten und am Nordrand von Salzburg mit dem anschließenden südlichen oberösterreichischen Hausruckviertel am Nordufer des Attersees. Dort enden vor den Walchen-Orten auch die echt bairischen -ing- und -heim-Orte. Deutsche Siedlungsnamen mit dem bairischen Rechtausdruck Parschalk Auf Anwesenheit von Romanen können auch Siedlungsnamen mit dem bairischen Rechtsausdruck ­Parschalk hinweisen.54 Bair.-ahd. parskalh bezeichnet zwar einen freien, aber an die Scholle ­gebundenen 54

Vgl. Wiesinger, Zur Frage deutscher Ortsnamen 127 f.; ders., Romanische Kontinuitäten 316–318. Während in der Namenforschung nach den historisch-urkundlichen Schreibungen meist die dem Bairischen entsprechende Form Parschalk verwendet wird, gebrauchen die Historiker die dem fränkischen „Normalalthochdeutschen“ folgende Schreibung Barschalk. Wir halten hier an der bairischen Schreibung Parschalk fest.

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dienst- und abgabepflichtigen Mann. Entsprechend werden die Parschalken in der (früh)mittelalter­ lichen Überlieferung einerseits als tributales romani und tributarii und andererseits als ­liberi homines ­beschrieben. So handelt es sich ursprünglich um freie Romanen, die zunächst dem Herzog bestimmte Dienste und Abgaben zu leisten hatten. Bald aber entwickelte sich daraus ein von Romanen unabhängiger Rechtsstatus, der dann mit dem Sprachwechsel der Romanen zum Deutschen durchaus an nicht mehr ­romanisch sprechende Nachfahren ursprünglicher Parschalken vererbt werden konnte. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass Siedlungsnamen mit bair.-ahd. parskalh auf ursprüngliche Romanen­ siedlungen hinweisen. Dies ist umso wahrscheinlicher, als sich in Oberösterreich P ­ arschalken-Orte in der Nähe echter Romanensiedlungen befinden. So liegt Parschallen bei Nußdorf am Attersee (1350 P ­ arschalling, ca. 1500 Parschalhen < mhd. *ze [dën] parschalhen ʻbei den ­Parschalkenʼ) südlich von Seewalchen und Ainwalchen am Attersee; Parschalling bei St. Veit im Innkreis (ca. 1278 in ­Parscholiching, 1471 Parschaling) südwestlich von Gurten und Pachschallern bei Sierning an der Steyr (ca. 1150 ad ­Parscalchin, 1385 dacz Parschalhen < mhd. *dâ ze [dën] parschalhen ʻbei den ­Parschalkenʼ) am ­Westrand eines Gebietes mit slawisierten romanischen Ortsnamen. Romanisch-deutsche Mischnamen Unter romanisch-deutschen Mischnamen versteht man deutsche Siedlungsnamenbildungen mit einem romanischen Personennamen seltener als Basis einer Ableitung und häufiger als im Genitiv gefügtes Bestimmungswort eines Kompositums.55 Beispiele sind etwa Liefering bei Salzburg (788–90 Liveringa mit lat. PN Liborius), Jaibling bei Freising in Oberbayern (981–94 Jacopingun mit bibl.-lat. PN Jacobus), Marzling bei Freising in Oberbayern (804–07 Marzilinga, 1143–52 Marcellingen mit lat. PN Marcellus) und Eugendorf bei Salzburg (788–90 Iubindorf mit lat. PN Iubianus), Köstendorf bei Straßwalchen in Salzburg (748–829 Chessindorf mit lat. PN Cassius), Irrsdorf bei Straßwalchen in Salzburg (748–84 Urisesdorf, 1107 Vrstorf mit lat. PN Ursus), Ansfelden bei Linz in Oberösterreich (798–814 Albinsuelt mit lat. PN Albinus), Figlsdorf bei Nagelstadt in Oberbayern (850 Fitalesdorf mit lat. PN Vitalis).56 Nicht sinnvoll ist die aus der slawistischen Namenforschung kommende Bezeichnung solcher Mischnamen als „romanische Hybride“. Sie geht nämlich von der Annahme einer ursprünglichen Bildung in der Ausgangssprache aus und lässt dann die eigentliche Bildung in der anderen Sprache als hybrid erscheinen. Solche Mischnamen sind jedoch rein deutsch gebildet, und trotz eines lateinisch/romanischen Personennamens lässt sich kein dann vorauszusetzender ursprünglich romanischer Siedlungsname nachweisen, der dann deutsch überformt worden wäre. Solche Mischnamen sind das Ergebnis von Siedlungsausbau, der nicht nur von den zweifellos in der Mehrzahl beteiligten deutschsprachigen Baiern getragen wurde, sondern an dem auch noch die wenigen Romanen mitwirkten. Dabei erfolgte die Namengebung der Orte durch die deutschsprachigen Baiern. Romanische Reliktwörter im Deutschen (Karten 7 ‒ 9) Die häufigsten sprachlichen Zeugen von unmittelbaren Sprachkontakten sind Lehnwörter, wobei die Übernahme von Bezeichnungen mit dem Aufkommen neuer Sachgegenstände, Vorgänge und Lebensformen verbunden ist. Dagegen verbleiben beim Sprachwechsel wie vom Romanischen zum Deutschen romanische Reliktwörter. Dabei handelt es sich um Bezeichnungen von örtlichen Gegebenheiten, Gegenständen, Handlungen, Geschehnissen und Vorstellungen, die im vorübergehenden Stadium der Zweisprachigkeit in der Ausgangssprache verbleiben und in die Zweitsprache eingehen und integriert werden, weil es sie in der Zweitsprache mit einer etwas anderen Kultur nicht gibt und daher auch keine adäquaten Bezeichnungen dafür bestehen und solche auch nicht neu gebildet werden. Solche romanischen Reliktwörter erfüllen den Alpenraum von der Schweiz über Vorarlberg bis Tirol und teilweise bis Salzburg und Kärnten, ja sogar vereinzelt bis in die Steiermark und bis ins Slowenische. Sie betreffen

Vgl. Schwarz, Baiern und Walchen 877, 881, 897, 907, 913 f.; Wiesinger, Romanische Kontinuitäten 317 f.; Haubrichs, Baiern, Romanen und andere 419 ff. 56 Die bayerischen Siedlungsnamen nach Anton Huber, Die Ortsnamen des Landkreises Freising (Erlangen 1962). 55

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Karte 7: Entwurf: P. Wiesinger, nach E. Schneider (1963) 651.

hauptsächlich alpine Naturerscheinungen und da besonders die alpine Berg- und Pflanzenwelt sowie die alpine bäuerlich-landwirtschaftliche Kultur mit Tierhaltung, Feld-, Alm- und Graswirtschaft. Diese Reliktwörter weisen bezüglich ihrer Etymologie wie die Ortsnamen vier Zeit- und Sprachschichten auf und reichen vom Nichtindogermanischen über das Indogermanische und Keltische bis zum Lateinisch/Romanischen.57 Sie leben in ihren romanischen Formen besonders im Rätoromanischen der Schweiz und teilweise im Ladinischen Südtirols weiter und kommen teilweise auch in 57

Vgl. Elmar Schneider, Romanische Entlehnungen in den Mundarten Tirols, in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen 3, ed. Ludwig Erich Schmitt (Gießen 1963) 443–679; Hubert Klausmann/Thomas Krefeld, Romanische und rätoromanische Reliktwörter im Arlberggebiet, in: Raetia antiqua et moderna. W. Theodor Elwert zum 80. Geburtstag, ed. Günther Holthus/Kurt Ringger (Tübingen 1986) 121–145; Thomas Krefeld, Reliktwort und Arealdistrubution. Einige exemplarische Fälle aus dem Gebiet des Vorarlberger Sprachatlas, in: Montfort 45 (1993) 33–47; Peter Wiesinger, Historische Grundlagen und Voraussetzungen der gegenwärtigen deutschen Wortgeographie, in: Lexikologie. Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen, Halbbd. 2, ed. David Alan Cruse/Franz Hundsnurscher/ Michael Job/Peter Rolf Lutzeier (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 21, Berlin/New York 2005) 1108–1137, hier 1116–1119.

Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum

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Karte 8: Entwurf: P. Wiesinger, nach E. Schneider (1963) 651.

den ­oberitalienischen und frankoprovenzalischen Dialekten vor. Zur Veranschaulichung seien einige Beispiel genannt. Vorrömische Reliktwörter nichtindogermanischen Ursprungs sind etwa die Bezeichnungen der Geröllhalde im Gebirge: in der Schweiz, in Vorarlberg und im westlichen Südtirol Gande und im östlichen Südtirol Lamer aus *ganda und *lamar, deren romanische Verbreitung aber nicht genau bekannt ist (Karte 7). Indogermanisch-voreinzelsprachlicher Herkunft ist im romanischen, deutschen und slowenischen Alpenraum die Bezeichnung für ein Holz-, Ton- oder Metallgefäß Prente, rom. ­brenta oder diminuiert brentina von idg. *bhrentos ʻGeweihträger, Hirschʼ, wobei in der Urzeit Behälter aus der Haut des Wildes angefertigt wurden und dann trotz Materialänderung die Bezeichnung tradiert wurde. Die gleiche Bezeichnung gilt aber von der Ostschweiz über Vorarlberg bis Westtirol im Rätoromanischen und Deutschen auch für den Talnebel, der in der Urzeit mythisch als dämonisches tierisches Wesen aufgefasst wurde, wie noch Sagen bestätigen (Karte 8). Von Lothringen bis Kärnten erstreckt sich die Bezeichnung Troi(en) für den Weg, auf dem das Vieh zur Weide getrieben wird, die auf idg. *tregh-/­trogh- ʻlaufenʼ zurückgeht. Von keltisch *dagisia gehen die Weiterentwicklungen rom. *dasia und *daxia aus, die das Reisig von Nadelbäumen bezeichnen. Hier gilt von der Schweiz bis Westtirol Däsche, im östlichen Tirol, in Oberkärnten und in Salzburg Dächse oder jünger Dässe und in Unterkärnten und der Weststeiermark wieder Däsche. Zahlreich sind die Reliktwörter im Südtiroler Vinschgau mit rätoromanischen Entsprechungen besonders im Val Müstair, wie die Ausdrücke für die künstliche Bewässerung der Wiesen, Felder und Obstgärten auf dem wasserarmen Talboden, z. B. Wal

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Karte 9: Entwurf: P. Wiesinger, nach E. Schneider (1963) 662.

ʻBewässerungsgrabenʼ (< quale, zu lat. aqua ʻWasserʼ), Kandel (< canale von lat. canālis ʻRöhreʼ) ʻhölzerne Wasserrinneʼ, Teine (< tina ʻBeetʼ) ʻWiesenstück zwischen Bewässerungsgräbenʼ (Karte 9), ferner Spünte (< spüntia von lat. expuncta ʻherausgestochen [aus dem Heuhaufen]ʼ) ‚Heuschwade‘ oder Gösch(en) (< cossu von lat. cossus ʻLarveʼ) ʻEngerlingʼ. Insgesamt zeigt sich, dass die Anzahl an Reliktwörtern umso größer ist, je länger die Romanität lebendig war. So vollzog sich der Sprachwechsel im obersten Nordtiroler Inntal um Nauders und im oberen Vinschgau erst während der Gegenreformation im 17. Jh., wobei die Landes- und Konfessionszugehörigkeit zugleich die Sprache entschied, indem das protestantische Gebiet der Schweiz das Romanische behielt und das katholische habsburgische Tirol völlig zum Deutschen wechselte. ZUSAMMENFASSUNG In der vor rund zehn Jahren neuerlich begonnenen Diskussion über die Herkunft und den Namen der Baiern vor allem seitens der Archäologie wird nun eine völlig bodenständige Entstehung im antik-­ römischen Gebiet südlich des Donaulimes angenommen. Dagegen ging man bisher von der An­nahme einer Einwanderung einer zumindest ausschlaggebenden und sich im Namen spiegelnden Teilgruppe aus Böhmen aus, die zu den bereits ansässig gewordenen Germanengruppen hinzukam. Dazu werden sprachlicherseits besonders die in Bayern wenigen ins Bairisch-Althochdeutsche integrierten antik-­romanischen Siedlungs- und Gewässernamen und die mit romanischen Personennamen gebildeten ­romanisch-deutschen Mischnamen ebenso herangezogen wie die bis um 900 überlieferten echt

Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum

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r­ omanischen und romanisch-biblischen Personennamen. Ferner werden neue, aber linguistischer Überprüfung nicht standhaltende Etymologien des Baiernnamens vorgeschlagen. Dieser lässt sich jedoch sprachwissenschaftlich wie bisher nur mit Hilfe des keltischen Stammesnamens der Boier, der auch im germanischen Namen von Böhmen enthalten ist, einwandfrei erklären. Hat man bislang seine Bedeutung als ʻLeute aus Böhmenʼ angenommen, so will man ihn nun als ʻEinwohner von Bayern = „Boierland“ʼ verstehen, obwohl der Name der Boier nicht im bairischen Kernland, sondern bloß am Nordrand in den zwei römischen Kastellnamen Boiodurum und Boiotro in Passau am Donaulimes sowie ein mehrdeutiges boios in Manching bei Ingolstadt ebenfalls an der Donau auftritt. Da aber zur Zeit der bairischen Ethnogenese nur mehr Boiotro bestand, ist eine solche Herleitung des Baiernnamens unwahrscheinlich. Das Bairisch-Althochdeutsche selbst ist westgermanisch-elbgermanischer Herkunft, und Versuche, eine romanische Prägung mit germanischer, sei es alemannischer oder fränkischer Überformung nachzuweisen, sind unhaltbar. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass im altbairischen Kernland des Donauraumes vom Lech bis zur Enns die germanische Bevölkerung im 5./6. Jh. wesentlich zahlreicher war als die romanische und sich damit das Germanische gegenüber dem Romanischen durchsetzte, wie dies auch im Alemannischen und Fränkischen von der Schweiz bis in die südlichen Niederlande beiderseits des Rheins als ebenfalls einstige römische Territorien mit einer relativ geringen weiterbestehenden romanischen Bevölkerung geschah. Erinnert sei hier an den umgekehrten Prozess in Italien, Frankreich und Spanien, wo die heimische romanische Bevölkerung die germanischen Einwanderer der Ostgoten und Langobarden, der Franken und der Westgoten übertraf und sich daher die romanischen Sprachen durchsetzten. Letztlich aber müssen die Elbgermanen, die sich seit dem 1. Jh. v. Chr. von ihren norddeutschen Gebieten zwischen unterer Elbe und Oder nach Süden ausbreiteten, in größerer Zahl ins römische Rätien und Norikum gekommen sein, was jedoch aus den Augen verloren wird. Dass sich Romanen im bairischen Raum in einzelnen Gebieten unterschiedlich lange gehalten und auch ihr romanisches Idiom bewahrt haben, ist nie in Frage gestellt worden. Auskunft darüber geben besonders die ins Bairisch-Deutsche integrierten Siedlungs- und Gewässernamen romanischer Herkunft, deutsche Siedlungsnamen mit der Romanenbezeichnung Walche und wohl auch Siedlungsnamen mit dem auf Romanen bezogenen Rechtsausdruck Parschalk sowie deutsch-romanische Mischnamen mit romanischen Personennamen als völlig deutsche Bildungen. Ferner bezeugen für das Tiroler und oberbayerische Inngebiet und für Salzburg die zahlreichen romanischen Personennamen im Salzburger Verbrüderungsbuch von 784 sowie für weitere ober- und niederbayerische Gebiete besonders die Überlieferungen aus Freising und Regensburg das Weiterleben von Romanen in der bairisch-agilolfingischen und karolingischen Zeit. Unter weiterer Berücksichtigung der Siedlungsnamen slawischer Herkunft und der ältesten bairisch-deutschen Siedlungsnamentypen gliedert sich der bayerisch-österreichische Raum in dreifacher Weise. Der Südwesten mit dem Alpenraum von Vorarlberg, Tirol, Oberkärnten und Salzburg zeigt dichtes Vorkommen, während im westlichen Donauraum von Ober- und Niederbayern, dem Salzburger Flachgau und Oberösterreich nur wenige Namen tradiert wurden und im Osten nur Gewässernamen weiterleben. Dafür weist der österreichische Osten von Osttirol, dem Salzburger Lungau und Ennspongau und dem südlichen und östlichen Oberösterreich an der obersten Traun, der Steyr und der Enns an Siedlungsnamen slawischer Herkunft auf, so dass diese im Verhältnis zu den Siedlungsnamen romanischer Herkunft geradezu komplementär verteilt sind, wobei Osttirol ein Überschneidungsgebiet beider Namenarten ist. Nur der Nordwesten mit Ober- und Niederbayern, dem Salzburger Flachgau und Oberösterreich bis zur Traun und untersten Enns ist ursprüngliches bairisch-deutsches Siedlungsgebiet mit den echten -ing- und -heim-Namen als den ältesten deutschen Siedlungsnamentypen. Die annähernden Eindeutschungszeiten einer Menge von Siedlungs- und Gewässernamen (antik-) romanischer Herkunft lassen sich in erster Linie an deutschen Lautmerkmalen, teilweise aber auch an romanischen feststellen. Es sind dies bereits germanische Vokalerscheinungen der ersten nachchrist­ lichen Jahrhunderte am Donaulimes; die vom 6./7. Jh. bis um 780 wirkenden Akte der Zweiten Lautverschiebung als ältere Tenuesverschiebung bis längstens gegen die Mitte des 7. Jh.s und der jüngeren ­Medienverschiebung und der Affrizierung von k im 8. Jh.; der Primärumlaut von a vor i der Folgesilbe im 8. Jh. und der Sekundärumlaut ab dem 9. Jh.; die Monophthongierung von au zu offenem /[ɔ:] vor r, h und Dentalen in der 2. Hälfte des 8. Jh.s; die Vorverlegung des lat./rom. Penultimaakzents auf die erste Silbe bis etwa um 1000, während danach die romanische Akzentuierung beibehalten wird; und schließlich bei Integrierungen bis um 1100 die Diphthongierung von i ‒ u zu bair.-mhd. ei ‒ ou, heute

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ai ‒ au, während diese in späten Integrierungen ab etwa der Mitte des 12. Jh.s unterbleibt. Im Romanischen tritt gegen die Mitte des 7. Jh.s die Inlautlenierung der Fortisplosive t ‒ p ‒ k zu d ‒ b ‒ g und Sonorisierung und Spirantisierung ein sowie in der 2. Hälfte des 7. Jh.s der Wandel des Halbvokals lat. v zum zunächst bilabialen, dann labiodentalen Frikativ. Er wird bei Integrierungen ins Bairische zunächst mit w, ab der 2. Hälfte des 7. Jh.s mit b, das dann in der 2. Hälfte des 8. Jh.s der Medienverschiebung zu p unterliegt, und ab dem 9. Jh. mit dem stimmhaft gewordenen, nun unmittelbar entsprechenden bair.-ahd. /[v] wiedergegeben, so dass es insgesamt die Integrierungsentsprechungen w ‒ p ‒ v, heute w ‒ b ‒ v/f, gibt. So erstrecken sich die Integrierungen (antik-)romanischer Siedlungsnamen zeitlich über mehr als 1000 Jahre von der römischen Antike der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bis ins 12./13. Jh., doch sind sie räumlich sehr unterschiedlich verteilt. Selbst in der lange romanisch gebliebenen Insel um die Stadt Salzburg beginnen die Integrierungen mit der Tenuesverschiebung im 6./7. Jh. (Kuchl) und reichen mit Beibehaltung des Penultimaakzents bis um die Jahrtausendwende wie Vigáun, Torrén, Gugilán, wobei die beiden letztgenannten Orte abgelegene Rückzugssiedlungen im Gebirge sind. Das trifft auch auf Orte mit unterbliebener Diphthongierung in Tirol zu, wobei es sich in erster Linie um das oberste Inngebiet in Nordtirol und den anschließenden obersten Vinschgau in Südtirol handelt. Dort entschied sich die Sprachzugehörigkeit überhaupt erst in der Gegenreformation des 16./17. Jh.s, indem sich Protestantisch mit Romanisch und Katholisch mit Deutsch verband. Schließlich verbleiben wie bei jedem Sprachwechsel Reliktwörter als Zeugen der ursprünglichen Sprache zurück. Das ist im Alpengebiet von Nord- und Südtirol mit Ausläufern über Osttirol bis Kärnten und teilweise bis Salzburg und die Weststeiermark der Fall. Diese romanischen Reliktwörter betreffen örtliche Gegebenheiten, Gegenstände, Handlungen, Geschehnisse und Vorstellungen, für die es in der Zweitsprache keine Bezeichnungen gibt, so dass sie beim Sprachwechsel verbleiben. Zwar bedeuten die zeitlich annähernd festlegbaren Integrierungen der romanischen Siedlungs­namen ins Bairisch-Deutsche in diesen Orten nicht unbedingt das Ende der romanischen Sprache. Aber sie zeigen an, wann dort die Baiern auftraten und sich in den meisten Fällen auch ansiedelten. Das führte zunächst zum Nebeneinander von Romanen und Baiern und zur Zweisprachigkeit besonders der ­Romanen, wobei sich nach einer gewissen Übergangszeit schließlich das Bairisch-Deutsche durchsetzte und das Romanische ausstarb.

Das Rottachgau-Fragment im Licht der Ortsnamenkunde

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Das Rottachgau-Fragment im Licht der Ortsnamenkunde DAS SOGENANNTE ROTTACHGAU-FRAGMENT Das sogenannte Rottachgau-Fragment ist das Bruchstück einer Verkaufsurkunde und findet sich auf f. 2r des ältesten Passauer Traditionskodex.1 Sein 1. Teil von f. 1r – 42v besteht aus 4 Faszikeln des 9. bis frühen 10. Jh.s, die zusammengebunden worden sind und den Besitz der Passauer Kirche nach den drei Gauen an Rott, Mattig und Traun ordnen.2 Das Rottachgau-Faszikel von f. 1r – 12v ist das älteste davon und wurde auf Grund der Schrift wahrscheinlich unter Bischof Hartwig (840–866) um die Mitte des 9. Jh.s angelegt. Gegenüber dem von einem einzigen Schreiber fortlaufend geschriebenen Quaternion von 10 Blättern f. 3r – 12v stammen die Blätter 1 und 2 von je einer anderen Hand und wurden bei der Bindung wohl als Reste älterer eigener Quaternionen mit einem Papierstreifen an das Pergament angeklebt. Dennoch bilden sie mit dem 1. Quaternio insofern eine Einheit, als sie die Überschrift Cartae de r traditionibus ad S(an)c(tu)m Steph(anum) de Rotahkouue tragen. Auf f. 2 befindet sich nun im oberen Teil des Blattes das Rottachgau-Fragment. Obwohl im eröffnenden Satz unvollständig, beginnt es wie alle anderen Einträge mit einem Großbuchstaben (Quantum praecium vinditoris), so dass der Schreiber bereits in seiner Vorlage nur ein Bruchstück vorgefunden hat. Inhaltlich geht es um den Verkauf ­eines Stückes gerodeten Landes, doch fehlen wegen des Textverlustes Angaben über den Verkäufer, den Käufer und den Kaufpreis. Überliefert sind hingegen die im Genitiv aufgezählten Zeugen Floritus ­prepositus, Mairanus, Dominicus, Dominicans und der miles Vigilius sowie der Schreiber Quartinus.3 Sie alle ­tragen romanische Namen, wobei der prepositus Floritus mehr auf den Vorsteher einer kirch Vgl. die Übersicht von Franz-Reiner Erkens, Actum in vico fonaluae die consule. Das Rottachgau-Fragment und die romanische Kontinuität am Unterlauf des Inns, in: Nomen et Fraternitas. Festschrift Dieter Geuenich, ed. Uwe Ludwig/Thomas Schilp (RGA, Erg. Bd. 62, Berlin/New York 2008) 491–509. Der Text ist publiziert von Heuwieser (Die Traditionen des Hochstifts Passau, n. 1 [ed. Max Heuwieser, Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 6, München 1930]), und mit deutscher Übersetzung von Boshof (Passau. Quellen zur Stadtgeschichte, n. 3 [ed. Egon Boshof/Walter Hartinger/ Anton Landersdorfer/Maximilian Lanzinner/Gosbert Schüßler/Hartmut Wolff, Regensburg 2004]).  2 Beschreibungen des Traditionskodex geben Ignaz Zibermayer, Das älteste Traditionsbuch des Hochstiftes Passau, in: MIÖG 26 (1905) 369–414, hier 370–391, und Traditionen des Hochstifts Passau, ed. Heuwieser XV–XXVIII.  3 Die Personennamen werden seit Heuwieser (Traditionen des Hochstifts) im Nominativ teilweise unterschiedlich angesetzt. So wird der Genitiv Vigili von Heuwieser (ebd. 506), Hartmut Wolff bei Boshof (Passau. Quellen, ed. Boshof 31) und Erkens, Actum in vico fonaluae 491, zum ungewöhnlichen Nominativ Vigilus gemacht, obwohl der Name sonst Vigilius lautet, so dass das einfache -i des Genitivs auf Kontraktion von -ii beruht. Mairanus geht zwar auf lat. maior zurück, so dass Wolff (Passau. Quellen, ed. Boshof 29) zu Maioranus ergänzt, aber wegen der Betonung des Suffixes -anus kam es zu Abschwächung und Schwund, so dass der Name auch noch als Maiaran (Erkens, Actum in vico fonaluae 501) gedeutet wird. Allerdings ist auch der Südtiroler Ortsname Meran, der auf rom. maioria ʻWirtschafts-, Meierhofʼ basiert, als 857 Mairania überliefert (ANB 1, 728). Dominicans wird von Heuwieser (Traditionen des Hochstifts Passau, ed. ders. 497) und Wolff (Passau. Quellen, ed. Boshof 29) fälschlich zum femininen Personennamen Dominica parallel zu Dominicus umgeformt, so dass beide als Mann und Frau erscheinen. Abgesehen davon, dass Frauen als Zeuginnen unter Männern ungewöhnlich sind und dann als solche hervorgehoben werden, sind männliche Personennamen als lat. Participia praesentis auf -ans/-ens mit Genitiv -antis/-entis nicht ungewöhnlich, wenn auch selten. So nennt schon Tacitus, Historien, den Zenturio D ­ onatius ­Valens, den Feldherren Fabius Valens und den Legionslegaten Manlius Valens. Das Martyriologium Romanum kennt mehrere Crescens, angefangen von Crescens, dem Schüler des Apostel Paulus und Bischof der Galater, der unter K ­ aiser ­Trajan im 1. Jh. den Martertod erlitt. Ferner ist hier der römische Senator Pudens zu nennen, der Vater von Pudentiana und ­Praxedis, die im 1./2. Jh. als Christen lebten und wirkten. Schließlich hieß der Sohn von Kaiser Konstantin Constans, der von 337–350 römischer Kaiser war. So kann an Dominicans als männlichem Personennamen kein Zweifel bestehen. Da sich von den lat. Casus schließlich der Akkusativ Constantem, Crescentem, Valentem als Einheitscasus durchsetzte, gibt es heute etwa im Italienischen die Vor- und Familiennamen Costante, Crescente und den Familiennamen Valente. Für Hin­ weise zu den Personennamen danke ich Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken und zum Vulgärlatein Kurt Smolak, Wien.  1

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lichen Grundherrschaft als auf den Probst einer kirchlichen Zelle deutet und der miles Vigilius eher ein Kanzleiangehöriger als ein Soldat war.4 Einen romanischen Namen führt auch der Ausstellungsort der Urkunde: Actum in vico Fonaluae. Obwohl das im Vulgärlatein der Zeit vor der karolingischen Reform abgefasste Dokument5 römische Urkundenzüge aufweist und von bairischen Urkunden der Karolinger­ zeit teilweise abweicht, lässt es sich, wie zuletzt Herwig Wolfram zeigt, durchaus in das bairische Urkunden­wesen einbinden.6 Die Entstehung des Kaufvertrages wird nach verschiedenen Datierungen zurück bis in die ausgehende Römerzeit von 450–480 seit den Beurteilungen von Heinrich Fichtenau in der Mitte des 8. Jh.s angesetzt,7 nachdem Bonifatius 739 das kanonische Bistum Passau errichtet hatte und man die Zusammenstellung der Besitzungen begann. Es gilt als Rest eines im bairischen Raum nur mehr gering nachweisbaren frühen Urkundentypus. Beim Ausstellungsort des Rottachgau-Fragments Fonalva handelt es sich deutlich erkennbar um einen romanischen Ortsnamen, der keine Tradierung erfahren hat und abgegangen ist. Dass aber der Ort im Rottachgau lag, war nicht nur für die Einfügung des Blattes in die Besitzungen im Rottachgau ausschlaggebend, sondern erhellt sich auch aus der vom selben Schreiber anschließend geschriebenen weiteren Urkunde von 764–791.8 Danach übergibt Graf Machhelm der Kirche neun Freie aus Eckiolvincus, das ist Egglfing am linken niederbayerischen Innufer gegenüber dem oberösterreichischen Obernberg am rechten Ufer des Flusses. DER ROTTACHGAU Die Ausdehnungen des einander benachbarten nördlicheren Rottachgaues und des südlicheren Mattiggaues ergeben sich aus den entsprechenden in pago-Nennungen sowie aus den im Passauer Traditionskodex in den betreffenden Gauen genannten Orten mit Besitzungen.9 Während sich der Mattiggau um die Mattig als eines rechten Nebenflusses des Inns bei Braunau nur in dessen Bereich erstreckte, reichte der Rottachgau, obwohl die Rott ein linker Nebenfluss des Inns bei Sulzbach ist, über deren Fluss­ gebiet hinaus in den anschließenden Bereich rechts des Inns. Die südlichsten urkundlich genannten Orte des Rottachgaues sind links des Inns Martinskirchen SO Eggenfelden ‒ Malching S Rotthalmünster ‒ ­Egglfing/Inn und die nordwestlichsten Wolfakirchen bei Haarbach und Pfalsau W Fürstenzell. Unklar ist die westlichste Begrenzung bei Eggenfelden. Während Unterdietfurt W Eggenfelden und Tiefstadt S Eggenfelden dem westlich und südlich an den Rottachgau anschließenden Isengau zugewiesen werden, zählt das dazwischen gelegene Holzbruck zum Rottachgau. Im Nordwesten grenzt der Rottachgau an den Vilsgau und den Künziggau, doch ergibt sich aus den urkundlichen Nennungen hier keine klare Grenzzone. Rechts des Inns befinden sich an bezeugten Orten Antiesenhofen NW Reichersberg/Inn und Messenbach NW Lambrechten. Demgegenüber sind die nördlichsten Orte des Mattiggaues Neun­kirchen a. d. Enknach und Marlupp SO Altheim. Während für Gurten O Altheim die Freisinger Traditionen ausdrücklich die Lage im Rottachgau angeben, ordnen die Passauer und die Mondseer Traditionen den Ort dem Mattiggau zu. Aus heutiger Sicht umfasste also der Rottachgau in Niederbayern die Altlandkreise Passau südlich der Donau, Griesbach, Pfarrkirchen und nur mehr ein kleines Gebiet von Eggenfelden um den Hauptort. Auf oberösterreichischer Seite ist es der Politische Bezirk Schärding und der Norden des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis. In diesen Bereichen wird also der abgegangene Ort Fonalva gelegen sein, wobei die Grenzzonen der Gaue fließend waren. Vgl. Erkens, Actum in vico fonaluae 501 f. Die Sprache der Urkunde bezeichnet Heuwieser (Traditionen des Hochstifts Passau, ed. ders. 1) als „verwilderte Latinität“ und Erkens, Actum in vico fonaluae 499, als „barbarische Latinität“. Deswegen führt Hartmut Wolff bei Boshof (Passau. Quellen, ed. Boshof 31) das Vulgärlatein in Laut- und Formenstand ins klassische Latein zurück.  6 Vgl. Herwig Wolfram, Die bayerische Carta als diplomatisch-historische Quelle, in: Die Privaturkunden der Karolingerzeit, ed. Peter Erhart/Karl Heidecker/Bernhard Zeller (Dietikon-Zürich 2009) 145–159.  7 Vgl. Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 10. Jahrhundert (MIÖG, Erg. Bd. 23, Wien/Köln/Graz 1971) 12–13, und ders., Bayerns älteste Urkunden, in: Gesellschaft, Kultur, Literatur, Rezeption und Originalität im Wachsen einer europäischen Literatur und Geistigkeit, ed. Karl Bosl (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 11, Stuttgart 1975) 179–190, hier 181–185.  8 Traditionen des Hochstifts Passau n. 9, ed. Heuwieser.  9 Vgl. Getrude Diepolder, Die Orts- und „in pago“-Nennungen im bayerischen Stammesherzogtum zur Zeit der Agilolfinger, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 20 (1957) 364–436.  4  5

Das Rottachgau-Fragment im Licht der Ortsnamenkunde

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Im Folgenden soll nun der mir von Historikern gestellten Frage nachgegangen werden, ob aus der Sicht der Namenkunde eine nähere Lokalisierung des abgegangenen Ortes möglich ist. DER ROMANISCHE ORTSNAME FONALVA UND DEUTSCHE ENTSPRECHUNGEN Der romanische Ortsname Fonalva geht auf lateinisch *Fontalba zurück. Er ist ein Kompositum mit lat. fons, -tis ʻQuelleʼ, das im klassischen Latein zwar maskulin, im Vulgärlatein und in den romanischen Sprachen aber feminin ist, z. B. ital. fonte, friaul. font, span. fuente ʻQuelleʼ und mit Suffix -ana und teilweiser Bedeutungsänderung ital. fontana, friaul. fontan, franz. fontaine ʻBrunnenʼ, so dass das bestimmende Adjektiv alba ʻweiß, klarʼ lautet und der Name somit „helle, klare Quelle“ bedeutet. Solche eingedeutschte Ortsnamen romanischer Herkunft mit Font- finden sich als Simplizia oder Ableitungen mehrfach im einst romanischen Westen Österreichs, z. B. Font, eine Alm bei Assling im Osttiroler ­Pustertal, Fontúne (< fontana) in Obertilliach im Osttiroler Gailtal; Fontnéll (< fontana + Diminutiv­ suffix -ella „Bründl“) in Winkl, Gem. Anras im Osttiroler Pustertal; Fontnéu (< fontana + ētu „quellenreiches Gebiet“) in Flirsch im Stanzertal in Nordtirol. Im Deutschen entspricht dem romanischen Simplex Fonte bzw. Fontana bedeutungsgleiches Brunn aus bair.-ahd. prunno / bair.-mhd. prunne und dem romanischen Diminutiv Fontanella auf bair.-mhd. prünnelîn zurückgehendes Bründl. Die bedeutungsgleichen deutschen Ortsnamenentsprechungen von rom. Fonalva sind unmittelbar Weiß(en)brunn mit dem Bestimmungswort ahd. / mhd. wîz ʻweiß, hell, glänzendʼ und mittelbar Lauterbrunn(en) mit bair.-ahd. (h)lûttar / bair.-mhd. lûtter ʻlauter, hell, klarʼ. NAMENKUNDLICHE KRITERIEN ZUR MÖGLICHEN LOKALISIERUNG VON FONALVA Um aus der Sicht der Namenkunde die ungefähre Lage des einstigen untergegangenen romanischen Ortes Fonalva bestimmen zu können, sind folgende drei Kriterien heranzuziehen bzw. Fragen zu stellen: a) Gibt es im einstigen Rottachgau deutsche Brunn-Orte bzw. sogar die Entsprechungen Weiß(en)brunn und Lauterbrunn(en)? b) Gibt es im einstigen Rottachgau Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft, die ins Bairisch-Althochdeutsche tradiert wurden und somit romanisch-deutsche Siedlungskontinuität anzeigen? c) Gibt es im einstigen Rottachgau Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft, die auf Grund lautlicher Merkmale erst um 750 oder danach, der Entstehungszeit des Rottachgau-Fragments, ins Bairisch-Althochdeutsche integriert wurden und damit ein Fortleben der Romanen mindestens bis in die 2. Hälfte des 8. Jh.s ausweisen? Wenn sich im einstigen Rottachgau ein Gebiet ergeben sollte, wo alle drei Kriterien zusammentreffen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dort der Ort Fonalva gelegen sein wird. DIE BRUNN-ORTE IM EINSTIGEN ROTTACHGAU (KARTE 1) Wie Karte 1 zeigt, gibt es auf beiden Seiten des Inns Brunn-Orte. Während sie sich in Oberösterreich im Pol. Bezirk Schärding von Passau bis gegen Raab häufen, tritt auf niederbayerischer Seite eine größere Ansammlung nur im Altlandkreis Griesbach zwischen der Kößlarn und dem Kirnbach um Rotthal­ münster auf. In beiden Gebieten handelt es sich um Randzonen des Berglandes, wo die Quellen heraustreten. Insgesamt finden sich auf beiden Seiten folgende knapp 30 Brunn-Orte.

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Karte 1: Entwurf: P. Wiesinger.

Oberösterreich In den Pol. Bezirken Schärding und Ried im Innkreis gibt es von Nord nach Süd und vom Inn ausgehend von West nach Ost 12 Brunn-Orte. Dabei bezieht sich die vorangestellte Nummer auf die Karteneintragung und der folgende vierstellige Code auf die Bände 3 und 2 des „Ortsnamenbuches des Landes Oberösterreich“ mit ausführlichen Angaben.10 Bei sich wiederholenden Namen wird die Bedeutung nur das erste Mal angegeben. 1. ‒ 3.1.12.47. Steinbrunn, Rotte, Gem. Schardenberg/Schärding (1358 von Stainprunne; mit mhd. stein ʻStein, Felsʼ oder mhd. steinîn ʻsteinernʼ im Sinne von „aus dem Stein bzw. aus steinigem Grund entspringende Quelle“). 2. ‒ 3.1.8.6. Brunnenthal/Schärding, Dorf (seit ca. 1640 Wallfahrtsort, ehem. Flurname „Tal, wo eine Quelle entspringt“, der heutige Wallfahrtsbrunnen). 3. ‒ 3.1.8.7. Brunnwies, Dorf, Gem. Brunnenthal/Schärding (ehem. Flurname „Wiese, wo eine oder mehrere Quellen entspringen“). 4. ‒ 3.1.10.37. Weißbrunn, Einschicht, Gem. Münzkirchen/Schärding. 5. ‒ 3.1.6.13. Brunnedt, Einschicht, Gem. Taufkirchen a. d. Pram/Schärding (1433 Prunnöd; mit mhd. oede ʻunbebautes, unbewohntes, einsames Gebiet’ im Sinne von „unbebautes, unbesiedeltes einsames Gebiet, wo eine Quelle entspringt“). 6. ‒ 3.2.8.9. Brunnern, Weiler, Gem. Diersbach/Schärding (13. Jh. datz den Prunnen „bei den Quellen“). Vgl. Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich (ed. Peter Wiesinger), 2: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis (Mittleres Innviertel) (ed. Elisabeth Bertol-Raffin/Peter Wiesinger, Wien 1991); 3: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Schärding (Nördliches Innviertel) (ed. Peter Wiesinger/Richard Reutner, Wien 1994).

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7. ‒ 3.2.5.45. Lauterbrunnen, Weiler, Gem. Andorf/Schärding (1236 inferius et superius Lauterbrunne). 8. ‒ 3.2.6.7. Brüning, Dorf, Gem. Raab/Schärding (1180–1200 in loco … Prunningen „bei den Leuten an der Quelle“). 9. ‒ 3.2.6.6. Bründl, Dorf, Gem. Raab/Schärding (seit 1645/83 Wallfahrtsort, ehem. Flurname). 10. ‒ 2.2.14.30. Stieglbrunn, Einschicht, Gem. Lambrechten/Ried im Innkreis (1433 Stiegelbrunn; mit mhd. stigel[e] ʻVorrichtung zum Übersteigen einer Abzäunung, Überstiegʼ im Sinne von „Quelle bei einem Überstieg“). 11. ‒ 2.2.4.2. Brunnbauergut, mundartlich der Brunnbauer; Hof von Oberndorf, Gem. Gurten/Ried im Innkreis („Bauernhaus bei einer Quelle“). 12. ‒ 2.1.17.12. Lauterbrunn, Rotte, Gem. Aurolzmünster/Ried im Innkreis (1258 de Lavtter­ prunne). Niederbayern In den niederbayerischen Altlandkreisen Passau südlich der Donau, Griesbach, Pfarrkirchen und ­Eggenfelden befinden sich 17 Brunn-Orte.11 Während es für die Altlandkreise Passau, Pfarrkirchen und Eggen­felden keine Ortsnamenbücher und daher keine zur Verfügung stehenden urkundlichen Belege gibt, liegen solche für Griesbach vor,12 so dass dort zusätzlich die Zählung des Ortsnamenbuches angegeben wird. Die Anordnung der Orte erfolgt wieder von Nord nach Süd, doch vom Inn ausgehend von Ost nach West. 13. Brunndobl, Einschicht, Gem. Fürstenzell/Passau (mit mhd. tobel ʻWaldtal Schluchtʼ im Sinne von „Quelle in einem Waldtal“). 14. ‒ 96. Brunnwies, Weiler, Gem. Uttlau/Griesbach (nach 1349 in Prvnnwis). 15. ‒ 94. Brunndobl, Dorf, Gem. Untertattenbach/Griesbach (1392 der Prûntoblâr). 16. Brunndobl, Einschicht, Gem. Johanniskirchen/Eggenfelden. 17. Kaltenbrunn, Einschicht, Gem. Schönau/Eggenfelden („bei der kalten Quelle“). 18. Brunnöd, Einschicht, Gem. Reichenberg/Pfarrkirchen. 19. Brunnhäusel, Einschicht, Gem. Linden/Eggenfelden („kleines Haus bei einer Quelle“). 20. Brunning, Weiler, Taufkirchen/Eggenfelden (wahrscheinlich unechter -ing-Name < bair.-mhd. *ze [dem] prunnen „bei der Quelle“). 21. ‒ 92. Brunnader, Dorf, Gem. Kühham/Griesbach (1041 in Brunnadra, 12. Jh. Prunnadir mit ahd. âdra / mhd. âder ʻAder’ im Sinne von „Wasserader, die als Quelle aufgeht“). 22. ‒ 95. Brunnlehner, Einschicht, Gem. Bayerbach/Griesbach (ca. 1320 Prunnlehen im Sinne von „Lehen bei einer Quelle“). 23. ‒ 93. Brunndobl, Einschicht, Gem. Hubreith/Griesbach (1435 Prunntobel). 24. ‒ 91. Bründlleithen, Einschicht, Gem. Pattenham/Griesbach (1534 Pryndl vor Leutten, mit mhd. lîte ʻAbhang’ im Sinne von „kleine Quelle am Fuß eines Abhangs“). 25. Brunnbauer, Einschicht, Gem. Münchham/Pfarrkirchen. 26. Bründl, Einschicht, Gem. Münchham/Pfarrkirchen. 27. Brunndobl, Einschicht, Gem. Stubenberg/Pfarrkirchen. Wie das Historische Ortsnamenbuch von Bayern gehen wir von der bis 1972 bestehenden Ordnung der Landkreise aus, die seither als Altlandkreise bezeichnet werden. Die Brunn-Orte der Altlandkreise Passau südlich der Donau, Pfarrkirchen und Eggenfelden nach dem Amtlichen Ortsverzeichnis von Bayern mit Stand vom 1. Oktober 1964 (Amtliches Ortsverzeichnis für Bayern. Gebietsstand am 1. Oktober 1964 [ed. Bayerisches Statistisches Landesamt, Beiträge zur Statistik Bayerns 260, München 1964]). 12 Vgl. Josef Egginger, Griesbach i. Rottal. Der ehemalige Landkreis (Historisches Ortsnamenbuch von Bayern. Nieder­ bayern 1, München 2011). 11

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28. Kleinölbrunn, Einschicht, Gem. Randling/Pfarrkirchen (wohl mit mhd. erle ʻErle’ im Sinne von „Quelle bei Erlengebüsch“). 29. Brunnthal, Einschicht, Gem. Randling/Pfarrkirchen. Ob die niederbayerischen nordwestlichen Randorte im Altlandkreis Eggenfelden 4. Brunndobl, 5. Kaltenbrunn und 8. Brunning noch zum Rottachgau oder schon zum Vilsgau gehören, ist fraglich. Obwohl nur 9. Brunnader/Griesbach und 8. Brünning/Ried im Innkreis vor 1200 urkundlich überliefert sind, müssen jedoch die weiteren, erst vom 13.–16. Jh. erstmals bezeugten Orte nicht unbedingt wesent­ lich jünger sein. Wie 2. Brunnthal/Schärding, 29. Brunnthal/Pfarrkirchen, 3. Brunnwies/Schärding, 14. Brunnwies/Griesbach, 9. Bründl/Ried im Innkreis, 26. Bründl/Pfarrkirchen und die mehrfachen Brunndobl in Niederbayern zeigen, handelt es sich insgesamt um ursprüngliche Flurnamen, und die meisten Ansiedlungen sind als Einschichten oder Weiler klein geblieben. Die Quellen selbst aber bestanden als Naturgegebenheiten immer schon, und Flurnamen sind erst relativ spät, wenn überhaupt, in Besitzbeschreibungen zu Papier gekommen. Auch das gesuchte romanische Fonalva war sicher nur eine sehr kleine Ansiedlung, denn lat. vīcus bedeutet in erster Linie ʻHof, Gehöft’ und erst in weiterem Sinn ʻDorf, Fleckenʼ. Auch die deutsch benannten Dorfsiedlungen sind teilweise sehr klein geblieben und beschränken sich etwa in Oberösterreich teilweise nur auf ein Gehöft.13 DIE GEWÄSSER- UND ORTSNAMEN ANTIK-ROMANISCHER HERKUNFT IM EINSTIGEN ROTTACHGAU (KARTE 2) Karte 2 zeigt die wenigen Namen der Flüsse und Orte antik-romanischer Herkunft. Während sie in Nieder­bayern nur am Nordrand an der Donau auftreten, kommen sie in Oberösterreich im ganzen Gebiet südlich der Pram vor. Dass die Gewässernamen die Siedlungsnamen an Zahl übertreffen, überrascht insofern nicht, als Flüsse konstante Naturgegebenheiten sind und Orientierung in der Landschaft bieten, während Siedlungsnamen nur dann tradiert werden, wenn Siedlungskontinuität besteht und Orte nicht in den unsicheren Jahrzehnten seit dem Ende der Römerzeit verlassen oder zerstört wurden und somit untergingen. Wieder ordnen wir die Namen antik-romanischer Herkunft wie oben die Brunn-Namen. Wegen der Frage ihrer Integrierungszeiten ins Bairisch-Althochdeutsche müssen hier Etymologien und Lautchronologien ausführlicher behandelt werden als bisher.14

Vgl. Peter Wiesinger, Die Besiedlung Oberösterreichs im Lichte der Ortsnamen, in: Baiern und Slawen in Oberösterreich: Probleme der Landnahme und Besiedlung, ed. Kurt Holter (Schriftenreihe des Oberösterreichischen Musealvereins ‒ Gesellschaft für Landeskunde 10, Linz 1980) 139–210, hier 182–187. 14 Vgl. über die einzelnen Angaben in den Bänden 2 und 3 des Ortsnamenbuches des Landes Oberösterreich hinaus besonders Peter Wiesinger, Antik-romanische Kontinuitäten im Donauraum von Ober- und Niederösterreich am Beispiel der Gewässer-, Berg- und Siedlungsnamen, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. Teil 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Dph 201, Wien 1990) 261–328; ders., Oberösterreich als mehrsprachiger Siedlungsraum, in: Namen in sprachlichen Kontaktgebieten, ed. Friedhelm Debus (Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage 1, Hildesheim/Zürich/New York 2004) 39–98, und ders., Die Zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand der Ortsnamenintegrate. Eine lautchronologische Studie zur Sprach- und Siedlungsgeschichte in Bayern, Österreich und Südtirol, in: Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart, ed. Wolfgang Haubrichs/Heinrich Tiefenbach (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 43, Saarbrücken 2011) 163–246. Durch weiterführende Forschungen gibt es jedoch im Folgenden teilweise Abweichungen gegenüber jenen und weiteren älteren Arbeiten. 13

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Karte 2: Entwurf: P. Wiesinger.

Oberösterreich 1. ‒ 3.1.6.10. Pram, rechter Nebenfluss des Inns bei Schärding und 10 danach benannte Orte (792 Prama, 819 Braama, 903 Prama).15 Obwohl der Beleg von 819 als bair.-ahd. Prâma mit langem a aufzufassen ist und als Appellativ ʻBrombeerstaude, Dorngestrüppʼ bedeutet, handelt es sich dabei um eine volksetymologische Neu­ motivierung.16 Vielmehr wird ursprünglich das auffällige Gstoanat (Kollektiv ʻGesteinachʼ) bei Aller­ding als schluchtartiger Durchbruch des Flusses durch den Allerdinger Riegel mit vielen 1–2 m ­hohen, zum Teil kugelförmig abgeschliffenen Granitbrocken im Flussbett, die Rauschen des Wassers verur­sachen, motivierend gewesen sein. Dann aber handelt es sich um einen Namen indogermanisch-­ voreinzelsprachlicher (idg.-vspr.) Herkunft von idg. *bherem-, brem- ʻbrummen, summen, surrenʼ in lat. fremō ʻbrausen, tosen, lärmenʼ, gr. βρόμος ʻGeräuschʼ, ahd. breman ʻbrüllenʼ und mnd. ­brammen ʻbrummenʼ oder idg. *bher- ʻaufwallenʼ mit m-Formans in ai. bhramáḥ, was auch im Gewässer­namen Borma enthalten ist.17 Auszugehen ist jedenfalls von antik-rom. *Brama, dessen Integrierung ins Alle urkundlichen Belege bis 1200 für Oberösterreich nach dem Altdeutschen Namenbuch (ANB 1–2). Die Belege nach 1200 nach den Bänden 2 und 3 des Ortsnamenbuches des Landes Oberösterreich (Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich, ed. Peter Wiesinger; 2: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis (Mittleres Innviertel), ed. Elisabeth Bertol-Raffin/Peter Wiesinger (Wien 1991); 3: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Schärding (Nördliches Innviertel), ed. Peter Wiesinger/Richard Reutner (Wien 1994). 16 Vgl. Peter Wiesinger, Probleme um Gewässernamen in Oberösterreich, in: Gewässernamen in Bayern und Österreich, ed. Albrecht Greule/Wolfgang Janka/Michael Prinz (Regensburger Studien zur Namenforschung 1, Regensburg 2005) 193– 212 hier 198 f. 17 Wegen ahd. brëman denkt Albrecht Greule, Kontinuität und Diskontinuität vorgermanischer Namen im Umfeld des ­Donau-Limes, in: Regensburger Beiträge zur Regionalgeographie und Raumplanung 10 (2005) 27–42, hier: 36f., überhaupt erst an ahd. Bildung des Flussnamens, was sich dann mit den idg.-vspr. Bildungen Witraun und Raab nicht verein­ baren lässt. 15

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­ airisch-Frühalthochdeutsche (bair.-frahd.) Medienverschiebung von b > p der 2. Hälfte des 8. Jh.s B aufweist und damit 740/50 als terminus ante quem ergibt. 2. ‒ 3.2.10.23., 3.2.10.32. Mühlwitraun, Dorf; Straßwitraun, Weiler, Gem. Enzenkirchen/Schärding. Früher Name Witraun des heutigen Hackingerbaches, eines linken Seitenbaches des Pfudabaches bei Angsüß, der seinerseits ein rechter Seitenbach der Pram bei Leoprechting ist. 3. ‒ 2.1.21.76. Ober-, Unterwietraun, Weiler, Gem. Taiskirchen im Innkreis/Ried im Innkreis, bis ins 16. Jh. belegter Name Wietraun des heutigen Flohleitenbaches, linker Seitenbach der Pram bei Ottendorf. 4. ‒ 3.2.6.39. Witraun, Hof von Einburg, Gem. Raab/Schärding. Die bis 1200 kaum im Einzelnen den beiden erstgenannten Bächen bzw. Orten zuzuordnenden urkundlichen Bezeugungen sind vor allem 788–800 ad Futuruna, 1110–30 Helimbertus de Wi(e)terun, 1110–30 Phutrun, 1140 Adelmannus de Phutrunen, 1145 Adelmannus de Witerune.18 Sie haben unterschiedliche etymologische Interpretationen erfahren.19 Dabei wurden einerseits ausgehend von der doppelten Herkunftsbezeichnung Adelmanns im 12. Jh. zwei Formen desselben Namens für Witraun angenommen und andererseits Wi(e)terun der Witraun und Futuruna/Phutrun dem Pfudabach, mundartlich die Pfuda, zugeordnet. Hält man den Gewässernamen Wi(e)traun für ursprünglich, so ist dieser idg.-vspr. Herkunft von idg. *ṷeid-/ṷid- ʻbiegen, drehenʼ in gr.-hom. ἰδνόομαι ʻsich krümmenʼ (< ϝιδνός ʻgebogenʼ), wobei Ptolemäus einen Οὐίδρος ποταμός in den Niederlanden und den nordenglischen Wear in Durham als Οὐέδρα ποταμός überliefert. Die folgende Keltisierung ergab kelt. *Vidronā mit dem typisch keltischen Gewässernamensuffix -onā. Andererseits wäre lauthistorisch auch eine romanische Herleitung aus lat. *Vetrōna zu lat. vetus, -eris ʻaltʼ als rom. *Vedrona möglich, ein Flurname, mit dem in Venezien, Friaul und Trentino als vieri, vegro unbebautes Land, Brachland, das als Weideland dient, bezeichnet wird. Sollte der Hofname Witraun alt sein, so würde diese romanische Herleitung dort angebracht sein, falls es sich nicht um Rückbildung eines Familiennamens als Herkunftsname Witrauner handeln sollte. Die beiden Gewässernamen wären dann Übertragungen des Flurnamens. Wahrscheinlicher ist aber, dass die antike Bildung romanisch neu motiviert wurde. Was immer zugrunde liegt, so wurde ein rom. *Vidrona/ Vedrona bis längstens in die 2. Hälfte des 7. Jh.s ins Bairisch-Frühalthochdeutsche als *Widarûna integriert, denn nur bis in diese Zeit erfolgte die Gleichsetzung des noch bilabialen rom. v [β] mit dem ahd. bilabialen Halbvokal w [ṷ].20 In der 1. Hälfte des 8. Jh.s trat dann die Medienverschiebung von d > t zu bair.-ahd. Witarûna ein, wobei inlautendes -a- jeweils Stützvokal ist. Sollte Futuruna / Phutrun den Pfudabach bezeichnen, so gibt es für vorauszusetzendes antikes lat. *Puturōna mit idg. *pū- ʻfaulenʼ in lat. pūteō ʻstinkenʼ und als Erweiterung *pu-tro- in lat. puter, eris ʻmorsch, faul’ keine Anknüpfungsmöglichkeit außer an die 194 v. Chr. gegründete Stadt Puteolī, heute Pozzuoli am Rand der von Schwefeldämpfen erfüllten Phlegräischen Felder bei Neapel. Man hat daher vielmehr an eine ahd. Bildung mit westgerm. *pud- von idg. *beu-/bū- ʻaufblasen, schwellenʼ mit d-Erweiterung in mundartlichem ober- und mitteldeutschem Pfudel/Pudel ʻPfütze, Mistlache, Jaucheʼ und pfudeln/pudeln ʻim Wasser plätschernʼ gedacht, das in Pfudrach, einem zur Donau fließenden Bach in Vilshofen, und in Puderbach bei Selters im Westerwald enthalten ist. Die dann westgerm./bair. benannte Pfuda würde somit *Pfuta/Pfutara gelautet haben und wegen der lautlichen Ähnlichkeit mit Witarûna zu *Pfuturûna kontaminiert worden sein, wobei die übliche bair.-ahd. Schreibung für die Labialaffrikata [pf] ist. Bedenkt man aber, dass die Pram und die noch zu behandelnde Raab gleich der Witraun idg.-vspr. benannt sind, so ist eine erst westgerm./bair. Benennung der Pfuda, in die ja die Witraun mündet, wenig wahrscheinlich. Im Falle einer zunächst gemeinsamen Benennung von Pfuda und Witraun als rom. *Vedrona aber wäre auch jüngere romanische Vokalharmonisierung ab dem Ende des 7. Jh.s zu *Vodrona mit stimmhaftem, bereits labiodentalem Frikativ v [v] möglich, das bei der Übernahme ins Bair.-Frahd. von etwa dem Ende des 7. bis in die letzten Jahrzehnte des 8. Jh.s mangels einer unmittelbaren Lautentsprechung mit der stimmlosen Lenis bair.-frahd. f aus westgerm. f substituiert wurde. Die in der 1. Hälfte des 8. Jh.s eintretende Medienverschiebung von d > t ergab dann bair.-frahd. Futurûna, Vgl. ANB 2, 1148f. Über die in Anm. 11 genannte Literatur hinaus vgl. besonders Wiesinger, Probleme um Gewässernamen 200–205. 20 Zu den Substituierungen von rom. v im Frühalthochdeutschen vgl. Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 199 f. und 201–203. 18 19

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dessen Anlaut dann vor der Stimmhaftwerdung von f ab dem Ende des 8. Jh.s, wie es gelegentlich vorkommt, ein stützendes p erhielt, was schließlich bair.-mhd. Pfutrûn ergab. Beide im 12. Jh. gleichgesetzte Namenformen wurden dann quasi auf Unterlauf und Oberlauf als Pfuda und Witraun aufgeteilt. 5. ‒ 3.2.6.23. Raab, rechter Seitenbach der Pram bei Großschörgern, Gem. Andorf/Schärding und gleichnamiger Ort (1070–1100 de Riurippe, 1110–20 de Rurippa, ca. 1120–38 Revrippe, ca. 1150 de Rührippe, Ruihrippe). Dem idg.-vspr. Gewässernamen liegt idg. *reu-/rū- ʻaufreißen, aufwühlen, grabenʼ in lat. ruō­ ʻgrabenʼ, mir. rūam ʻGrabscheitʼ, slaw. ryti ʻgrabenʼ zugrunde, wozu sich die Gewässernamen Ruhr in Deutschland und Roer in Belgien stellen.21 Raab ist eine doppelsuffikale Ableitung mit -r- und seltenem -iba/-ub(i)a als antik-lat. *Rūriba. Der Name wurde wie noch zu besprechendes Suben gegen Ende des 7. Jh.s ins Bair.-Frahd. übernommen und unterlag in der 2. Hälfte des 8. Jh. der Medienverschiebung zu bair.-ahd. *Rûripa. Bald erfolgte für den nicht verstandenen Namen volksetymologische Neumotivierung mit ahd. rûh ʻrauhʼ und rippi/rippa ʻRippeʼ, so dass er statt „das Gelände aufreißender bzw. sich in das Gelände eingrabender Bach“ nun auf die das Tal zu beiden Seiten begleitenden bewaldeten Bergzüge als „bewaldeter Bergkamm“ gedeutet wurde, wobei Rippe auch im oberösterreichischen ­Krippenstein im Dachsteinmassiv enthalten ist. Durch das i trat im 9. Jh. jedoch nicht geschriebener sogen. Restumlaut von û ein. 6. ‒ 3.1.4.6. Suben, rechter Nebenfluss des Inns beim gleichnamigen Ort (vor 1097 Subenense ­monasterium, in Subene, 1110–24 Subena, vor 1115 Svbvna). Der idg.-vspr. Gewässername ist mit idg. *seu-/sū- ʻSaft, Feuchtes; rinnen’ und b/p-Erweiterung gebildet wie mit p in ai. sūpa ʻBrühe, Suppeʼ und slaw. supati ʻsaugenʼ und mit b in got. supōn ʻwürzenʼ und aengl. sūpan ʻsaufenʼ. Er wird zunächst *Supunā/Subunā und keltisiert *Suponā/Subonā gelautet haben, wobei letzteres dann zu lat. *Supōna/Subōna wurde. Die romanische Inlautlenierung ergab rom. *Subona mit leicht spirantisiertem stimmhaften ƀ/v, das im letzten Viertel des 7. Jh.s ins Bair.-Frahd. als *Suƀūna integriert wurde, als noch derselbe stimmhafte Labiallaut bestand, der dann in der 1. Hälfte des 8. Jh.s zum stimmlosen Lenisplosiv b wurde und in der 2. Hälfte des 8.Jh.s der Medienverschiebung zu p unterlag, was bair.-ahd. *Supūna und dann mit Abschwächung der Zweitsilbe wegen des Initialakzents schließlich *Supuna ergab. Wenn alle urkundlichen Belege seit dem Ende des 11. Jh.s b-Schreibung aufweisen, so entspricht dies der im 11. Jh. eingetretenen Inlautlenierung von -p- > -b-. 7. ‒ 3.1.1.1. , 2.1.7.5. Andiesen, Antiesen, rechter Nebenfluss des Inns bei Gerau, Gem. St. Marienkirchen bei Schärding und fünf gleichnamige Orte (768–69 Antesana, 788–800 Antesna). Der doppelsuffikale keltische Gewässername enthält idg. *andho- ʻblindʼ in gall. andabata ­ʻGladiator, der mit öffnungslosem Helm kämpftʼ als kelt. *Andesanā. Er bezieht sich auf den deutlich sichtbaren Farbgegensatz des dunklen Wassers der Andiesen gegenüber dem hellgrünen des Inns bei der Einmündung. Da der Akzent in lat. *Andesana auf dem -e- lag, trat rom. Vokalsynkope zu *Andesna ein, das vor Beginn des 8. Jh.s ins Bair.-Frahd. integriert wurde und dann die ab diesem Zeitpunkt eintretende Medienverschiebung von d > t zu Antesna erfuhr. Teilweise überliefertes Antesana zeigt mit inlautendem -a- einen Stützvokal. 8. ‒ 2.2.4.8. Gurten, Dorf und Gewässer, Pol. Bezirk Ried im Innkreis (763 in pago Rotahgauue in villa quae dicitur Curtana iuxta Fruen flumine sic nuncupante villa ita appelari, 786 in loco ­nuncupante Curtuna, 805 in pago Matahgauue in loco nuncupante Gurtina). Die Gauzuordnung von Gurten schwankt. Während die Freisinger Traditionen es 763 dem Rottachgau zuordnen, wird es 786 in den Passauer Traditionen unter dem Mattiggau geführt, was 805 die Mondseer Traditionen unmittelbar aussprechen. Obwohl nach Aussage der Freisinger Traditionen der Ort Curtana, der Fluss aber Fruen heißt, wird bis ins Altdeutsche Namenbuch fälschlich behauptet, dass Gurten der Name des Flusses idg.-vspr. Herkunft sei.22 Vielmehr aber handelt es sich dabei um einen Siedlungs­

21 22

Vgl. Wiesinger, Probleme um Gewässernamen 199 f. ANB 1, 474. Diese und die folgende Interpretation bereits bei Wiesinger, Besiedlung Oberösterreichs 154.

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namen von rom. curtina ʻkleiner Hofʼ,23 der dann auf den Fluss übertragen wurde, dessen ursprünglicher Name dann abkam. Die bair.-ahd. Integrierung von *Cortina erfolgte ohne Verschiebung von rom. c [k] zur bair.-ahd. Affrikata ch [kx]. Vielmehr wurde der romanische Fortisplosiv direkt mit dem durch die Medienverschiebung von g > k entstandenen neuen Fortisplosiv wiedergegeben. Da die Affrizierung um 780 ausläuft und die g-Verschiebung als Folge um 770 beginnt, wird die Übernahme von Gurten gegen 800 erfolgt sein.24 Im Vokalismus wurde o > u vor i der Folgesilbe erhöht, doch unterblieb dann vor der Konsonantenverbindung -rt- der Restumlaut. Niederbayern 1. Passau, Stadt am Spitz zwischen Donau und Inn (425–30 tribunus cohortis nonae Batavorum, Batavis; 511 Batavis oppidum; 754 Bazzauua, 764–88 Pazzauua).25 Der Name der nach der IX. römischen Kohorte benannten Stadt ‒ lat. lokativischer Ablativ Batavis, Nominativ Batava ‒ drückt in seiner bair.-ahd. Form mit dem Zweitglied ouwa ʻvon Wasser umflossenes Land, Insel, Au’ als Ersatz von lat. -ava anschaulich die halbinselförmige Lage zwischen den beiden Flüssen aus. Das Erstglied zeigt, wie die Wiedergabe von 754 deutlich veranschaulicht, die längstens bis zur Mitte des 7. Jh.s durchgeführte Tenuesverschiebung von -t- > -zz- [ss], während die Medienverschiebung von b- > p- erst in der 2. Hälfte des 8. Jh.s erfolgte, so dass der Schreibunterschied von 754 Bazzauua gegenüber 764–88 Pazzauuua die verschiedene Aussprache des Plosivs und damit den Lautwandel ausdrückt. 2. Inn, rechter Nebenfluss der Donau bei Passau (Tacitus, 105–09 ripam Aeni fluminis; Itinerarium Antonini, 3. Jh. Ponte Aeni; Ptolemäus, 2. Jh. Αἶνος; Arrianos, 2. Jh. Ἔνος; Venantius Fortunatus, 565 Enus; 9. Jh. zu 743 Innum fluvium; vor 955 zu 913 juxta Ine fluvium; 1027 ubi ille rivus Inum fluvium influit; ca. 1050 ex parte Ini; ca. 1150 Kaiserchronik Vorau 6986 ain wazzer haizet In, München ein wazzer haizet daz In; ca. 1200 Nibelungenlied B 1295 daz In). Der Inn heißt heute noch mundartlich neutral das Inn, wobei die Aussprache [s ĩ:] mit langem Nasal­ vokal die mhd. Schreibung daz In mit nur einem n bestätigt.26 Von den antiken Schreibungen wird Enus mit E durch die graubündisch-rätoromanische Bezeichnung des Flusses als En bestätigt, so dass lat. Ae-/ gr. Aι- hyperkorrekte Wiedergaben auf Grund der griechischen Monophthongierung von αι > ε [ε:] sind. Wahrscheinlich geht der Name als idg.-vspr. *Pen- auf idg. *pen-/pon-/pṇ- ʻSchlamm, Sumpf, Wasserʼ zurück und verlor beim Übergang ins Keltische das diesem fremde P-. Da die Germanen seit dem 1. Jh. n. Chr. die Nachbarn der Römer waren, lernten sie den Namen schon früh als vlat. *Enu kennen, den sie in die neutrale u-Deklination wie germ. *fëhu ʻViehʼ einordneten. Dadurch erklärt sich morphologisch das neutrale Genus und lautlich die etwa vom 2. bis 4. Jh. durchgeführte Hebung von e > i vor u der Folgesilbe. Zwar ist kein ahd. *Inu belegt, doch setzt spätahd. Ine gleich wie vihe < vihu diese Form voraus. So wurde eine bereits ins Germanische übernommene Form ins Bair.-Ahd. tradiert, wie sich dies bei mehreren Namen um die Donau, u. a. Wels, Linz, Ipf, Lorch, in Oberösterreich zeigen lässt.27

Da der unbetonte Vokal in den urkundlich überlieferten Ableitungen als -ina, -una, -ana schwankt, wie dies in ahd. Wort­ formen bei inlautenden unbetonten Vokalen auch sonst vorkommt, sprechen die Formen -una und -ana nicht gegen den Ansatz *Cortina. 24 Zu der in der bisherigen Forschung stark vernachlässigten Medienverschiebung von g vgl. Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 216–220. 25 Vgl. Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Lexikon bayerischer Ortsnamen. Herkunft und Bedeutung. Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz (München 2006) 204 f. 26 Zur Interpretation von Inn und seinem neutralen Genus vgl. nun Peter Wiesinger, Zum Genus von Gewässernamen im Bairischen, in: In Fontibus Veritas. Festschrift für Peter Anreiter zum 60. Geburtstag, ed. Gerhard Rampl/Katharina Zipser/ Manfred Kienpointner (Innsbruck 2014) 665–691, hier 679–681. 27 Vgl. Wiesinger, Oberösterreich als mehrsprachiger Siedlungsraum 48–51. 23

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3. ? 622. Steinkart, Dorf, Gem. Reutern/Griesbach und Waldgebiet (ca. 1120 de Steinchar, 1181 noualium Stainchart).28 Bis ins 19. Jh., ehe 1835 die Rodungssiedlung Reutern entstand, war das Steinkart ein steiniges Waldgebiet mit Findlingen. Der ursprüngliche Flurname war zunächst wohl Simplex und ist identisch mit dem Appellativ Kar von bair.-ahd./mhd. char, das Gefäße aus Stein bezeichnet und im Gebirge auf kesselartige Formationen übertragen wurde. Obwohl in allen germanischen Sprachen vertreten, handelt es sich dabei um ein Wanderwort wohl orientalischen Ursprungs, das als car(-) ʻSteinʼ auch in Orts­ namen in Italien und Frankreich auftritt. Deswegen können entsprechende Ortsnamen durchaus bereits antik-romanischer Herkunft sein, was aber insofern fraglich bleibt, als ebenso gut erst bair.-ahd. Benennung mit dem Appellativum möglich ist. Im Falle bereits antik-rom. Herkunft als *Car- unterlag der Name in der 2. Hälfte des 8. Jh.s der Affrizierung von c-[k]. Da das ursprüngliche Simplex aber nicht mehr verstanden wurde, kam es durch die neumotivierende Hinzufügung von Stein zur Tautologie. Das noch im 12. Jh. angefügte -t ist wohl euphonischer Natur, sollte es nicht assoziativ auf lautgleiches hart zurückgehen. 4. ? 353. Karpfham/Griesbach (903 Chorpheim, 1163 de Chorbheim, 1487 Karbhaimer Pfarr, 1508 Karphan, 1534 von Karpffhaym). Ein weiterer problematischer Ortsname ist Karpfham, dessen pf auf falsche Interpretation im 16. Jh. der Konsonantenfolge [b/p – h] als Affrikata [pf] auf Grund von deren häufiger Alternativschreibung zurückgeht. Da -heim-Namen mit Personennamen im Genitiv gefügt werden, hingegen Gewässer und andere Appellativa gereiht werden, scheidet ein Personenname wie Korb, Korbinian so gut wie aus.29 Obwohl Karpfham an einem linken Seitenbach etwas nördlich der Rott liegt, der dort eine Biegung macht, denkt Albrecht Greule an die starken Windungen der Rott unterhalb der Einmündung des Seitenbaches und schlägt dafür den Flussabschnittsnamen lat. *Curva (aqua) zu lat. curvus ʻgebogen, gekrümtʼ vor.30 Allerdings kann dann der Name nicht, wie Greule meint, einfach als „lautgerecht ­*Korba“ ins Bair.-Ahd. übernommen worden sein. Man muss vielmehr annehmen, dass ein rom. ­*Corva gegen Ende des 7. Jh.s ins Bair.-Ahd. integriert wurde, als das inlautende rom. v nach r noch als leicht bilabiales stimmhaftes ƀ gesprochen wurde, dem der noch frahd. Labial entsprach, der dann zu Beginn des 8. Jh.s zum stimmlosen b wurde und in der 2. Hälfte des 8. Jh.s der Medienverschiebung zu p unterlag, was mit der zeitgleichen Affrizierung von k zu bair.-ahd. Chorp führte, wie der urkundliche Erstbeleg auch ausweist. Obwohl in der onomastischen und liguistischen Literatur im Rahmen der Affrizierung von k- Kamm, Dorf, Gem. Söldenau/Vilshofen (1130–50, 1172–90, 1187–89 de Chambe) genannt und sachlich auf Biegungen des Flusses bei Samerei und Ortenburg verwiesen wird, so dass es sich dabei um den vordeutschen Namen der Wolfach (749 Uuolfacha in pago Rotahgouue) handeln würde und damit bodenständiger Vollzug der Lautverschiebung angenommen wird,31 dürfte beides nicht zutreffen. Denn nach Michael Hintermayer-Wellenberg kam das Geschlecht der Herren von Kamm Ende des 11. Jh.s unter dem Burgvogt Ulrich von Vohburg aus dem Gebiet des Flusses Cham im Bayerischen Wald und errichtete sich im 12. Jh. hier im Wolfachtal seine inzwischen abgegangene Burg. Dabei wurde der Herkunftsname auf die neue Burg übertragen.32 Ebenso beziehen sich die urkundlichen Nennungen des 12. Jh.s auf Angehörige des Geschlechtes. Nicht einbezogen werden kann auch gegen Albrecht Greule und ihm folgend Josef Egginger der Name der Rott (759 Rota, 797 Raota), den diese wie die französische Rhone, schweizerdt. Rotten aus lat. Rodanus, als idg.-vspr. *Rodā ʻFließwasser’ herleiten möchten, so dass die überlieferte und darauf

Vgl. Egginger, Griesbach i. Rottal 406–407. An diese Möglichkeit denkt Egginger, Griesbach i. Rottal 223–225, und versucht, vereinzelte Gegenbeispiele ohne Fügung beizubringen. 30 Vgl. Greule, Kontinuität und Diskontinuität 38. 31 Vgl. Greule, Kontinuität und Diskontinuität 33f., und Wiesinger, Zweite Lautverschiebung 175, jeweils mit älterer ­Literatur. 32 Vgl. Michael Hintermayer-Wellenberg, Die Anfänge der Vögte von Kamm, in: Passauer Jahrbuch 48 (2006) 29–36. 28 29

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zurückgehende mundartliche Lautung [rɔud] zu ahd. rôt ʻrot’ bereits ahd. volksetymologische Neumotivierung wäre.33 Zwar führt die Rott klares Wasser, aber das versumpfte Mündungsgebiet in den Inn bei Wasen und Weihmörting ist durch mitgeführte, sich hier ablagernde Sedimente rotbraun verfärbt, was den Namen motiviert, so dass die Realprobe die erst ahd. Benennung rechtfertigt. Überschaut man die anhand der Lautstände der zum Teil schwierigen Etymologien ermittelten Eindeutschungszeiten der antik-romanischen Gewässer- und Ortsnamen, so zeichnen sich an der Donau bereits sehr frühe Integrierungen ab. So wurde der Inn schon von den mit den Römern in Kontakt stehenden Germanen in der Zeit des 2.– 4. Jh.s übernommen und an die Baiern weitergegeben. Obwohl Passau die ältere Tenuesverschiebung des 6. bis frühen 7. Jh.s aufweist, darf man für diese Grenzstadt ebenfalls mit sehr früher germanischer Übernahme des Namens rechnen. Inwieweit dies trotz der Medien­verschiebung erst des 8. Jh.s auch bei den oberösterreichischen Gewässernamen Pram, Suben, Andiesen und Raab der Fall ist, bleibt zwar offen, doch wird man ihre Integrierungen durchaus bereits zur Zeit der bairischen Besiedlung im 6./7. Jh. und damit vor der Medienverschiebung anzunehmen haben. Die Übernahmen von mehrfachem Witraun fallen wegen der Wiedergabe von rom. v mit bair.frahd. w spätestens in die 2. Hälfte des 7. Jh.s, doch scheinen sich hier Romanen mindestens bis ins 8. Jh. gehalten zu haben, wenn man das bair.-ahd. überlieferte Futuruna als romanische Harmonisierung *Vodrona von *Vedrona anerkennt und die anlautende Affrikata des im 12. Jh. bezeugten Phutrûn auf f + Vorschlag p zurückführt, was im Lauf des 8. Jh.s bis in dessen letzte Jahrzehnte erfolgt ist. Ein eindeutig längeres Fortleben der Romanen geht aus der Eindeutschung von Gurten hervor, dessen rom. Anlaut c [k] von *Cortina nicht mehr Affrikatenverschiebung der 2. Hälfte des 8. Jh.s erfuhr, sondern bereits mit dem in den letzten Jahrzehnten des 8. Jh.s durch die Medienverschiebung aus g hervorgegangenen bair.-ahd. k gleichgesetzt wurde. Daraus darf man hier auf ein inselhaftes Fortleben der Romanen bis mindestens in den Beginn des 9. Jh.s schließen. Dabei bildet Gurten den nördlichsten Ausläufer punktuellen romanischen Fortlebens von Salzburg her an den Südrändern des Innviertels mit den Plain-Orten Edenplain, Flörlplain und Plain und des Hausruckviertels mit dem sich lautgleich wie Gurten verhaltenden ­Gampern zu lat. campus ʻFeldʼ und den Walchen-Orten Straßwalchen, Seewalchen, Walchen. Ob auf niederbayerischer Seite der Waldname Steinkart in die Römerzeit zurückreicht, ist fraglich, eher ist erst mit deutscher Benennung mit dem Appellativ zu rechnen. Problematisch ist auch der Ortsname Karpfham, dem eine Gewässerbezeichnung zugrunde liegen könnte. Auszuscheiden hat Kamm als übertragener Name des hier Ende des 11. Jh.s angesiedelten Geschlechts. Ebensowenig ist der Name der Rott eine vermutete idg.-vspr. Bildung, sondern vielmehr erst ahd., so dass es auf der niederbayerischen Seite des einstigen Rottachgaues außer Passau keine sicheren Namen antik-rom. Herkunft gibt. WO KANN FONALVA GELEGEN SEIN? Nach den festgestellten und im Einzelnen analysierten Brunn-Orten und den ins Bairisch-Althochdeutsche tradierten Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft und ihrer Eindeutschungen ist nun auf Grund der vorgebrachten drei Kriterien zu fragen, wo im einstigen Rottachgau aus Sicht der Namenkunde der abgegangene Ort Fonalva am wahrscheinlichsten gelegen sein wird. Betrachtet man nach Karte 1 die Brunn-Orte, so liegen sie auf der niederbayerischen Seite großteils im Bergland und fehlen sowohl im Norden gegen die Donau als auch im Osten gegen den Inn zu. Auf der oberösterreichischen Seite tritt zwar ein Teil am Rand des Berglandes oder schon in diesem selbst auf, doch gibt es mehrere Orte auch im ebenen Gelände. Hier befinden sich auch die Fonalva bedeutungsmäßig entsprechenden deutsch benannten Orte Lauterbrunn(en) und Weißbrunn. An tradierten Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft gibt es, wie Karte 2 zeigt, auf niederbayerischer Seite mit Ausnahme der Donau-Inn-Stadt Passau keine, wenn man Steinkart erst als deutsche Bildung wertet und problematisches Karpfham beiseite lässt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Fonalva ein Ort im westlichen Rottachgau links des Inns war, noch dazu wo die Brunn-Orte größtenteils im Bergland liegen, das weitgehend bairische Ausbausiedlung des 9. und 10. Jh.s ist. So verbleibt der östliche 33

Vgl. Greule, Kontinuität und Diskontinuität 38 f., und Josef Egginger, Griesbach i. Rottal 350: urkundlich 759, 788–800, 820 Rota, 795 Raota. Vgl. dazu auch die Besprechung von Egginger, Griesbach i. Rottal von Peter Wiesinger in: Blätter für oberdeutsche Namenforschung 48/49 (2011/2012) 222–28, hier 225.

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Rottachgau rechts des Inns auf oberösterreichischer Seite. Dort treten nicht nur überall Brunn-Orte auf, sondern auch integrierte Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft. Dort befindet sich in der Ebene vor allem der Ort Gurten, dessen Name auf Grund seines Lautstandes erst gegen 800 eingedeutscht wurde und der zur Zeit der Ausstellung des Rottachgau-Fragments um 750 mit Sicherheit von Romanen bewohnt war. Er gehörte zunächst zum Rottachgau und wird dann dem Mattiggau zugerechnet. Auch am Ostrand im Bereich der Witraun-Bäche und des Witraun-Ortes bei Raab, sollte er alt sein, wird die Romanität länger bewahrt worden sein. Zwar wurde Witraun aus rom. *Vedrona bis spätestens im ausgehenden 7. Jh. ins Bairisch-Frühalthochdeutsche integriert, lässt man jedoch das ahd. über­lieferte Futuruna als integrierte romanische Vokalhamonisierung *Vodrona der gleichen Namensgrundlage gelten, dann erfolgte dessen Übernahme wegen der Medienverschiebung von d > t zwar in der 1. Hälfte des 8. Jh.s, doch war der in mhd. Phutrun auftretende p-Vorschlag noch bis ins ausgehende 8. Jh. möglich, bevor dann ein f stimmhaft wurde. Man darf daraus schließen, dass im Bereich von Pfuda / Witraun zumindest bis in die 1. Hälfte des 8. Jh.s sich Romanen hielten. In diesem Bereich zwischen Gurten und Pfuda / Witraun aber befinden sich mehr als die Hälfte der Brunn-Orte, so 11. Brunnbauer in Gurten, 12. Lauterbrunnen bei Aurolzmünster, 8. Brünning und 9. Bründl bei Raab, 7. Lauterbrunn bei Andorf, 6. Brunnern bei Diersbach und 5. Brunnedt bei Taufkirchen a. d. Pram. Man wird also annehmen dürfen, dass Fonalva im Raum zwischen Gurten und Pfuda / Witraun gelegen sein wird, wo sich auch die beiden bedeutungsgleich deutsch benannten Orte Lauterbrunn(en) befinden.

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Romanen und ihre (Fremd-)Bezeichnungen im Mittelalter: Der Schweizer Raum und das angrenzende alemannische Gebiet1 0. DEFINITIONEN Untersuchungsgebiet Untersuchungsgebiet sind die heutige Schweiz und das alemannische Grenzgebiet in Süddeutschland, im Elsass und in Vorarlberg.2 Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand sind die (Fremd-)Bezeichnungen für die mittelalterlichen Romanen im Unter­suchungsgebiet anhand von Bevölkerungsnamen, Siedlungsnamen und Makrotoponymen. Bezeichnungen Im Gebiet der heutigen Schweiz gab es im Mittelalter zwei (Fremd-)Bezeichnungen für Romanen. Es sind dies lat. Romanus/ahd. Rūmān (1.), und ahd. Walah (2.). Die (Selbst-)Bezeichnung Ladín beschränkt sich auf die romanischen Sprachen und ihre Sprecher im Engadin, dem Friaul und den Dolomitentälern. Für das Engadin erscheint sie erstmals im 16. Jh.3 In Toponymen fehlt sie bis auf zwei unklare Belege im Vorderrheintal ganz.4 Ziel der Untersuchung Ziel der Untersuchung ist die kommentierende Präsentation eines diachronen Überblicks über die in den einschlägigen Sammlungen für die genannten Bezeichnungen greifbaren proprialen Belege und Belegreihen, wobei der Schwerpunkt auf den Landschafts- und Siedlungsnamen liegt. Am aussage­ kräftigsten sind hierfür natürlich urkundliche Belege vor der Jahrtausendwende, doch muss der zeitliche Rahmen der Beobachtungen aufgrund der Beleglage vor allem in der westlichen Schweiz bis in die

Die Autoren bedanken sich bei Wolfgang Haubrichs, Wulf Müller, Stefan Sonderegger und Iwar Werlen für ihre wertvollen Hinweise und Anregungen und bei Hannes Degen für die sorgfältige Gestaltung der Karten.   2 Ein Abkürzungsverzeichnis der verwendeten Quellen und Materialien, sowie der Ortsangaben und linguistischen Fachbegriffe, die nicht im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis aufscheinen, befindet sich am Ende des Artikels.   3 Wolfgang Schweickard, Deonomasticon Italicum. Dizionario storico dei derivati da nomi geografici e da nomi di persona, 2 (Tübingen 1997–2013) 672. – Zu Ladin als Sprachbezeichnung gibt es eine umfangreiche Literatur, vgl. Dicziunari Rumantsch Grischun, ed. Società retorumantscha, fundà da Robert de Planta e Florian Melcher, 10 (Winterthur/Chur 1939ff.) 275, und Johannes Kramer, Etymologisches Wörterbuch des Dolomitenladinischen, 4 (Hamburg 1991) 156–159.   4 Rätisches Namenbuch. 2. Etymologien, ed. Andrea Schorta (Bern 1964, 21985) 722: Ladínas (Gde. Andiast, Maiensäss in hoher Lage in einer Mulde), Ladínes (Gde. Valendas, 1386 Sut Ladinas). Vgl. dazu Hermann M. Ölberg, Gehen die ­Namen Ladins auf die Ladiner zurück? Das Suffix -inium in Tirol, in: Weltoffene Romanistik. Festschrift Alwin Kuhn zum 60. ­Geburtstag, ed. Guntram Plangg/Eberhard Tiefenthaler (Innsbruck 1963) 185–192, hier 186.   1

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frühe Neuzeit ausgedehnt werden. In Übereinstimmung mit Wiesinger5 und Jochum-Godglück6 sind aber nach dem 17. Jh. erstmals dokumentierte Belege „in Argumentationen als echte, auf Romanen hindeutende Namen“ nicht einzubeziehen. Darstellung Die Darstellung der im Untersuchungsgebiet zu findenden Benennungen bzw. ihrer Belegreihen folgt in erster Linie namengrammatischen Gesichtspunkten. Der Auflistung der Namensimplizia (mit Suffix­ ableitungen) folgt diejenige der Komposita. Die Transkription der aktuellen und der historischen Belege wurde aus praktischen Gründen vereinfacht: die s-Schreibung (‚langes‘ und ‚rundes‘ s) wurde zu einem Zeichen s vereinheitlicht, über­ einandergesetzte mehrteilige Vokalschreibungen durch Unterstreichung markiert nebeneinander gestellt (z.B. e über a: ae, e über o: oe etc.). Für die Wiedergabe der mündlichen Belege wurde die weitere phonetische Notierung nach Dieth7 verwendet. Der Wortton der mündlichen Belege wurde durch vorangesetzten Akut gekennzeichnet. Die Belege stammen aus einschlägigen Publikationen und aus den noch unpublizierten Materialien der Forschungsstelle für Namenkunde der Universität Bern. Die in den Fußnoten genannten Quellen­ siglen und -standorte werden am Ende des Artikels aufgeschlüsselt. 1. ROMANUS MIT ABLEITUNGEN UND KOMPOSITA 1.0. Ausgangswort und Anklingendes Die aus dem Namen der Stadt Rom, älter ahd. Rūma, später Rōma,8 abgeleitete Personenbezeichnung lat. Romanus, ahd. Rūmān9 kann auf Zugehörigkeit des so Benannten zum Volk oder zu der Sprach­gruppe der Romani hindeuten, ist aber auch ein häufiger Personenname und vor allem auch Heiligenname.10 Rom-/Rum- im Bestimmungsteil von spät und bereits lautlich gekürzt überlieferten oberdeutschen Siedlungsnamen ist mehrdeutig. Es kann sich um den Namen der Stadt Rom oder eine darauf be­ruhende Ableitung handeln. Bei Abstützung auf germanische Wortwurzeln klingt aber als Personennamen­ bestandteil auch germ. *hrōma-, ahd. (h)rōm, (h)ruom ‹Ruhm› an.11

Peter Wiesinger, Antik-romanische Kontinuitäten im Donauraum von Ober- und Niederösterreich am Beispiel der Ge­ wässer-, Berg- und Siedlungsnamen, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Dph 201, Wien 1990) 261–328, hier 306.   6 Christa Jochum-Godglück, Walchensiedlungsnamen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von ­Rätien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraud Heitmeier (St. Ottilien 2012) 197–218, hier 198.   7 Vgl. Thomas Hengartner/Jürg Niederhauser, Phonetik, Phonologie und phonetische Transkription (Aarau 1993) 76–87.   8 Wilhelm Braune/Walther Mitzka, Althochdeutsche Grammatik (Tübingen 111963) § 41.   9 Stefan Sonderegger, Die althochdeutsche Schweiz. Zur Sprach- und Siedlungsgeschichte der deutschen Schweiz, in: Sprachleben der Schweiz. Festschrift für Rudolf Hotzenköcherle (Bern 1963) 23–55, hier 37f. u. 52.  10 Wilfried Seibicke, Historisches Deutsches Vornamenbuch (Berlin/New York 2000) 648–650; Marie-Thérèse Morlet, Les noms de personne sur le territoire de l’ancienne Gaule du VIe au XIIe siècle. 2. Les noms latins ou transmis par le latin. 3. Les noms de personne contenus dans les noms de lieux, 2 (Paris 1972/1985) 98.    11 Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch. 2, Teil 1–2. Orts- und sonstige geographische Namen, ed. Hermann ­Jellinghaus (Bonn 31913–1916, ND München/Hildesheim 1967) 607f.; ders., Altdeutsches Namenbuch. 1. Personennamen (Bonn 21900, ND München/Hildesheim 1966) 883–885; Henning Kaufmann/Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch. 1. Personennamen. Erg. Bd. (München/Hildesheim 1968) 201f.   5

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1.1. Bevölkerungsgruppen 1.1.1. Romani in Rätien In der Bestallungsformel für den Dux beider Raetien (vor 507) werden die römischen Bürger der ­Provinz Rätien Romani genannt:12 ducatum tibi cedimus Raetiarum, ut milites et in pace regas et cum eis fines nostros sollemni alacritate circumeas [...] ita tamen, ut milites tibi commissi vivant cum provincialibus iure civili [...] quia clipeus ille exercitus nostri quietem debet praestare Romanis.13 In der Lex Romana Curiensis (erste Hälfte 8. Jh.)14 heißen Romani die Bürger, die nach römischem Recht leben und sich darin von den Gentilen und den Juden unterscheiden:15 Iudei, qui aput Romanus ­conuersant inhabitandum, suam legem inter se ipsos costodiant bzw. Nullus Romanus barbara ­cuiuslibet gentes uxorem habere presumat, neque barbarus Romanam sibi in coniugium accipere presumat.16 In den Capitula Remedii von ca. 802/3–806 bezeichnet Romani die in einem besonderen Rechtsverhältnis zu ihrem Bischof Remedius in Chur stehenden Menschen: De homicidio. Ut nullus de Romanis hominibus, qui ad domnum Remedium episcopum pertinent, ausus sit unus alium occidere.17 In Wettis Überarbeitung der Gallusvita (ca. 816–824) nennen die Räuber, die im Gallusgrab nach den Schätzen der Flüchtlinge aus Arbon suchen, diese verächtlich isti Romani. In Walahfrid Strabos Über­ arbeitung (833–834) steht dafür isti Rhetiani.18 In der Rankweiler Gerichtsurkunde von 920 werden die Richter, die den Fall nach romanischem Recht zu beurteilen hatten, in Romani und Alamanni unterteilt: mandavit dux Burchardus, ut secundum legem Romana iudicarent, qui de hac causa facere debuissent. Iudicaverunt omnes Romani et ­Alamanni.19 Vermutlich nur auf die Sprachzugehörigkeit – in Romana terra – verweist schließlich die Erst­ nennung des Walgaus in der Chronik des Klosters Zwiefalten von 1137/38 (Kopie 1550): in Romana terra in pago Walcehgöy nuncupato in episcopatu Curiensi plus quam XXX mansus loco qui Valrun est nuncupatus dedit nec non et magnam silvam adiacentem.20 1.1.2. Romani in den Leges Burgundionum Im Jahr 443 führte der römische Feldherr Aëtius die von den Hunnen geschlagenen Burgunder vom Rhein bei Worms in die Sapaudia, d.h. in die Gegend des Genfer- und Neuenburgersees und die nordwestlich des Juras angrenzende Region,21 wo sie gegen die Alamannen eingesetzt wurden. Zwischen 451 und 457 kam es zur Neubildung des burgundischen Königreichs, das bis 534 Bestand hatte und danach ins Frankenreich eingegliedert wurde. Die rasche Integration der Burgunder in die Romania spiegelt sich u.a. in ihrem Rechtskodex, dem Liber Constitutionum22 (Anfang 6. Jh., überliefert in Hand Reinhold Kaiser, Raeti, in: RGA, 2. Aufl. 24 (Berlin/New York 2003) 79–86, hier 83; Reinhold Kaiser, Churrätien im ­frühen Mittelalter. Ende 5. bis Mitte 10. Jahrhundert (Basel 22008) 294 u. 296.  13 BUB 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 3f.  14 Lex Romana Curiensis (ed. Elisabeth Meyer-Marthaler, Die Rechtsquellen des Kantons Graubünden, 1: Alträtisches Recht 1, Aarau 1959, ND 1966) LII.  15 Kaiser, Churrätien 296.  16 Lex Romana Curiensis, ed. Meyer-Marthaler 51 u. 141.  17 Capitula Remedii (ed. Elisabeth Meyer-Marthaler, Die Rechtsquellen des Kantons Graubünden, 1: Alträtisches Recht 1, Lex Romana Curiensis, Aarau 1959, ND 1966) 645–649, hier 646.  18 Vita Galli confessoris triplex (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici, Hannover/Leipzig 1902) 229–337, hier 277 u. 314; Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch, ed. Burghart Wachinger mit Gundolf Keil/Kurt Ruh/Werner Schröder/Franz Josef Worstbrock, 10 (Berlin/New York 1978–2008) 973 u. 591.  19 BUB 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 79; Kaiser, Raetien 84.  20 Die Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds (neu ed., trans. und erläutert von Luitpold Wallach/Erich König/Karl Otto Müller, Sigmaringen 21978) 228; Manfred Tschaikner, Das spätmittelalterliche „Land im Walgau“, in: Das Land im Walgau. 600 Jahre Appenzellerkriege im südlichen Vorarlberg, ed. Thomas Gamon (Nenzing 2005) 41–104, hier 45.  21 Vgl. Andres Kristol, Die Romania submersa in der westlichen Deutschschweiz, in: Alemannische Dialektologie: Wege in die Zukunft. Beiträge zur 16. Arbeitstagung für alemannische Dialektologie in Freiburg/Fribourg vom 07.–10.09.2008, ed. Helen Christen/Sibylle Germann/Walter Haas/Nadia Montefiori/Hans Ruef (Stuttgart 2010) 343–358, hier 354.  22 Liber Constitutionum sive Lex Gundobada (ed. Ludwig Rudolf von Salis, MGH LL nat. Germ. 2, 1, Leges Burgundionum, Hannover 1892) 29–116.  12

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schriften des 9. und 10. Jh.), wo über die einzelnen Gesetzesartikel auch das Verhältnis zwischen der alteingesessenen ­romanischen und den neu zugewanderten burgundischen Volksgruppen geregelt wird, z.B.: De exartis. Si quis, tam Burgundio quam Romanus, in silva communi exartum fecerit, ­aliud ­tantum spatii de silva hospiti suo consignet et exartum, quem fecit, remota hospitis commotione ­possideat (52); [...] De ­excussis dentibus. Si quis quolibet casu dentem obtimati Burgundioni vel ­Romano ­nobili ­excusserit, ­solidos XV cogatur exsolvere (63); [...] De plantandis vineis. Inter Burgundiones et ­Romanos id ­censuimus ­observandum: ut quicumque in communi campo nullo contradicente vineam fortasse ­plantaverit, similem campum illi restituat, in cuius campo vineam posuit (66); [...] De exartis ­quoque novam nunc et superfluam faramannorum conpetitionem et calumniam possessorum gravamine et ­inquietudine hae lege praecipimus submoveri: ut sicut de silvis, ita et de exartis, sive anteacto sive in praesenti tempore factis, habeant cum Burgundionibus rationem; quoniam, sicut iam dudum statutum est, medietatem silvarum ad Romanos generaliter praecipimus pertinere: simili de curte et pomariis circa faramannos conditione servata, id est: ut medietatem Romani estiment praesumendam (89). Allen historischen Regionen, für die in den folgenden Jahrhunderten der Name Burgund zur Anwendung kam, blieben gewisse schwer definierbare ‚burgundische‘ Traditionen gemeinsam, zur Hauptsache die Erinnerung an das ehemalige burgundische Recht und der Burgunder-Name selbst.23 Dies gilt insbesondere auch für das rudolfinische Königreich Hochburgund (ca. 880–1032), das die regionale Aus­ differenzierung der späteren westlichen Schweiz entscheidend mit- und vorausbestimmte. 1.1.3. Romani in der nachburgundischen Westschweiz Im Erbstreit von 1277 um die Aufteilung der Herrschaft Aimo von Montenachs unter seinen Söhnen ­setzen die Schlichter, der Lausanner Bischof Willelmus und der königliche Vogt Cunrad von ­Wädiswil, die Saane als Scheidelinie zwischen dem alemannischen Teil und dem romanischen Teil der Herrschaft fest: castrum de Pelpe cum ejusdem appendiciis universis ... ab aqua que dicitur Seniona versus ­Alamaniam ... et castrum de Mongtanie cum ejusdem castri appendiciis universis ... ab aqua predicta que Seniona dicitur versus Romanam terram.24 In drei Berner Urkunden des 14. Jahrhunderts ist die Rede von einem romanischen Freiburger und einem deutschen Berner Getreidemaß: 1345 tres modios bone spelte et tres modios boni pulchri ­messelli, ad mensuram romanam de Friburgo; 1357 7 modios descorce ad mensuram romanam de Friburgo et 5 modios avene ad mensuram de Berno; 1358 [11 Mütt Haber des Masses von Bern]; 1358 [ein Mütt Haber] ad mensuram theothonicam.25 Die heute gebräuchliche Bezeichnung der Westschweiz als Suisse romande oder Romandie ist ­jünger. Sie bezieht sich auf die dort gesprochenen romanischen Idiome im Gegensatz zum geschriebenen Latein und, im ehemaligen Berner Untertanengebiet, zum Deutschen.26 1.1.4. Romani im Wallis27 Deutschsprachige Siedler erreichten das Oberwallis vermutlich erst im Laufe des 9. Jahrhunderts über die Berner Oberländer Pässe und trafen dort auf eine wohl nicht sehr zahlreiche frankoprovenzalisch sprechende Bevölkerung. Obwohl sich für den Bezirk Leuk Spuren einer zweisprachigen Zone bis ins 16. Jahrhundert hinein finden lassen,28 sind sprachliche Differenzen in der frühen Überlieferung kaum thematisiert. Das Land unterstand dem Sittener Bischof und das vom Domkapitel ausgeübte ­Notariat LMA 2, 1062; Peter Rück, Das öffentliche Kanzellariat in der Westschweiz (8.–14. Jh.), in: Fachgebiet Historische Hilfswissenschaften: Ausgewählte Aufsätze zum 65. Geburtstag von Peter Rück, ed. Erika Eisenlohr/Peter Worm (Elementa diplomatica 9, Marburg a.d.L. 2000) 65–95, hier 90.  24 FRB 3, 219.  25 FRB 7, 83; 8, 225; 8, 243.  26 Lat. rōmānĭce ‹auf romanisch› > romanz > romand-s > romand. FEW 10, 452f., 454, 456 Anm. 5.  27 Für die Überlegungen und Hinweise zu den Walliser Verhältnissen bedanken wir uns bei Iwar Werlen vom Projekt Oberwalliser Orts- und Flurnamenbuch.  28 Iwar Werlen, Historische Kontaktonomastik – Das Beispiel des westlichen Teils des Bezirkes Leuk im Wallis, in: Ale­ mannische Dialektologie: Wege in die Zukunft, ed. Helen Christen/Sibylle Germann/Walter Haas/Nadia Montefiori/Hans Ruef (Stuttgart 2010) 359–373, hier 363.  23

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machte Latein bis zum Kontakt mit den Eidgenossen im späten 15. Jahrhundert zur unbestrittenen und einzigen Amtssprache. Eine Besonderheit des Sittener Domkapitels war allerdings das seit der Mitte des 12. Jahrhunderts fassbare zweigeteilte Dekanat, das der alten Bistumseinteilung entsprach. Dem Dekan von Valeria unter­ stand als Decanus Romanorum das Unterwallis mit der Stadt Sitten, dem Dekan von Sitten als Decanus Theutonicorum das Oberwallis von Sitten an aufwärts.29 1.2. Siedlungsnamen30 1.2.1. Simplizia 1.2.1.1. Roman VD Ehemalige Kirche auf einem Hügel in der Gemeinde Lonay, zwei Landgüter; Koord. 6.51372 E 46.52672 N. Mda.: Rem′ã Urk.: 1198 Reymond de Romans, 1280 apud Romans, Jacobus de Romans, 1333 vineam Remondi Mistralis de Romans, 1359 terram Remondi Mestraul de Romans, 1374 in villa de Roman supra Lonay, 1453 visitarunt capellam sancti Mauritii de Romans prope Lonay, 1893 Roman.31 Es handelt sich um den in der Westschweiz häufigen Siedlungsnamentyp mit direkter Verwendung einer Personenbezeichnung ohne Suffix.32 Eine Anzahl vergleichbarer Bildungen mit Romanus findet sich auch in Frankreich.33 1.2.2. Ableitungen 1.2.2.1. Roman. -ellu, Diminutivform, wohl in Bezug auf die Siedlungsgröße 1.2.2.1.1. Romanel-sur-Morges VD Dorf und Gemeinde; Koord. 6.51086 E 46.55550 N. Mda. (frkpr.): Rema′ne Urk.: 967 villa Romanella, 1235 Romanel.34 1.2.2.1.2. Romanel-sur Lausanne VD Dorf und Gemeinde; Koord. 6.60621 E 46.56308 N. Mda. (frkpr.): Rema′ni Urk.: 1182 Romanel, 1184 apud Romanes, vor 1185 Romaneaus, 1190 apud Romenes, 1220 contra Petrum de Romanel.35 Die Belege von 1184–1190 zeigen Benennungsvarianten, die auf der Simplexform zu beruhen scheinen. Das Bistum Sitten/Le diocèse de Sion. L’archidiocèse de Tarentaise, ed. Patrick Braun/Brigitte Degler-Spengler/Elsanne Gilomen-Schenkel (Helvetia Sacra 1.5, Basel 2001) 371f.  30 Für wertvolle Hinweise und ergänzende historische Belege, insbesondere zu Romans VD und Romainmôtier VD, bedanken wir uns bei Wulf Müller, Boudry.  31 François-Olivier Dubuis, Lonay. Paroisse rurale du diocèse de Lausanne avant 1536 (Lausanne 1963) 24, 29, 153, 154, 261; Ansgar Wildermann/Véronique Pasche, La visite des églises du diocèse de Lausanne en 1453, 2 (Lausanne 1993) 538; TA 435.  32 Vgl. Wulf Müller, Französisch: Toponomastik c) Schweiz, in: Lexikon der Romanistischen Linguistik, ed. Günter ­Holtus/ Michael Metzeltin/Christian Schmitt, 5.1 (Tübingen 1990) 563–571, hier 566: „Un des traits les plus curieux de la ­toponymie romaine en Suisse Romande est constitué par l’emploi d’anthroponymes à l’état pur, c.-à-d. sans l’adjonction d’un suffixe“.  33 Auguste Vincent, Toponymie de la France (Bruxelles 1937) 120, z.B.: Romain-sur-Meuse, Haute-Marne (1145 Romans, 1170 Romanas); Romans, Ain (917 villam et fiscum Romanis, 942 villa que Romanis dicitur, 1345 Romans), und Morlet, Noms de personne 3, 170. – Siehe auch → Romainmôtier weiter unten.  34 LSG 752f.  35 LSG 752. – Der Wortton der historischen Belege liegt nach der Mundartform auf der letzten Silbe.  29

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1.2.2.2. Alem. -ingun oder roman. *-ing-36 ‹bei den Leuten des Romanen› oder ‹bei den Leuten des Romanus› 1.2.2.2.1. Rumendingen BE Dorf und Gemeinde bei Wynigen; Koord. 7.64434 E 47.10539 N. Mda.: 'Rumedinge Urk.: 886 accepi IIII hobas in Rumaningun et quintam in Osse marcho, 1346 in dem twinge und ­banne von Rumadingen, 1363 in dem dorf und dorfmarch von Rumadingen, 1380 Ze Rumendingen, 1390 in der dorfmarch ze Rumandingen, 1447 hensli von Rumadingen, 1470–1490 rumendingen […] cuonj cuontzÿ von rumadingen, 1500 an den kilchweg dero von rumedingen, 1531 Rumadingenn.37 Ältester Beleg eines -ingen-Siedlungsnamens im Kanton Bern. Der Sprosskonsonant -d- ist phonetisch oder durch Anlehnung an einen lautlich ähnlichen ahd. Personennamen zu erklären.38 1.2.2.2.2. Romanens FR Dorf in der Gemeinde Sâles, bis 2001 selbstständige Gemeinde; Koord. 6.97050 E 46.65070 N. Mda. (frz.): Romanĩ Urk.: 1380 romanens, 1403 Romanens.39 Trotz dünner historischer Beleglage als roman. *ing-Name zu deuten. 1.2.2.2.3. Rümligen BE Dorf und Gemeinde, Schloss; Koord. 7.48995 E 46.82930 N. Mda. ′Rümmlige Urk.: angeblich um 1072 (Kopie 1561 eines Textes aus dem 2. Jahrzehnt des 12. Jh.) praepotens ­quidam, nomine Lutoldus, de castello quod dicitur Rumelingen, 1076 (Fälschung vor Mitte 12. Jh.) illustris vir, Liutoldus nomine, de castello Ruomelinga, um 1180 Arnoldus de Rumilenges, 1248 ­Gerardus nobilis de Riumlingen, 1253 domini Gerardi de Rumlingen […] dominus Gerardus de Ruomlingen, 1254 Gerardus de Rumilingen, 1272 dominus Rodolfus de Rumilingen, 1275 (Kopie 15. Jh.) dominus Rodulphus dominus (de) Rumilienges, 1276 dominus Růdolfus miles, dictus de Rumlingen, 1294 dominus Cuono de Ruomelingen miles, 1301 dominum Cononem de Rumillienges militem, 1380 ein guot ob Rumlingen.40 Der Bestimmungsteil des Namens ist wohl am ehesten mit einer ahd. Personennamen-Koseform *­Ruomilo > *Rumilo, zum Stamm germ. *hrōma-, ahd. ruom ‹Ruhm›,41 oder auch mit einem roman. Müller, Französisch: Toponomastik 567. LSG 768; BENB Mat. (Band 1.5 in Vorbereitung) – 886: FRB 1, 240; 1346: FRB 7, 221; 1363: FRB 8, 529; 1380: FRB 10, 102; 1390: FRB 10, 598; 1447: U43c, 1; 1470–1490: U44, 19 u. 67; 15. Jh.: U47, 19; 1500: U48, 380; 1531: U51, 21.  38 Vgl. den Namen eines in der Mitte des 9. Jh. in St. Gallen firmierenden Schreibers Romiding (Subsidia Sangallensia 1. ­Materialien und Untersuchungen zu den Verbrüderungsbüchern und zu den älteren Urkunden des Stiftsarchivs St. ­Gallen, ed. Michael Borgolte/Dieter Geuenich/Karl Schmid [St. Gallen 1986] 421, Nr. 562). Der von Johannes Ulrich Hubschmied, Über Ortsnamen des Amtes Burgdorf und der Gemeinden Bätterkinden und Utzenstorf, in: Heimatbuch des Amtes Burg­ dorf. 2 (Burgdorf 1938) 711–750, hier 718 vermutete Personenname Ruodmund passt lautlich nicht zu den Belegen.  39 Paul Aebischer, Les noms de lieux du canton de Fribourg (partie française) (Fribourg 1976) 188; Peter Glatthard, Orts­ namen zwischen Aare und Saane. Namengeographische und siedlungsgeschichtliche Untersuchungen im westschweizerdeutschen Sprachgrenzraum (Bern/Stuttgart 1977) 166; Jean Stadelmann, Études de toponymie romande. Pays fribourgeois et districts vaudois d’Avenches et de Payerne. Thèse de doctorat présentée à la Faculté des Lettres de l’Université de ­Fribourg (Fribourg 1902) 91.  40 LSG 769; BENB Mat. (Band 1.5 in Vorbereitung) – Um 1072: FRB 1, 325; 1076: FRB 1, 332; um 1180: FRB 1, 467; 1248: FRB 2, 286; 1253: FRB 2, 357; 1254: FRB 2, 376; 1272: FRB 3, 25; 1275: FRB 3, 121; 1276: FRB 3, 164; 1294: FRB 3, 579; 1301: FRB 4, 54; 1380: FRB 10, 109.  41 Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 1, 883; Kaufmann/Förstemann, Personennamen Erg. Bd. 202; LSG 769; Althochdeutsches Glossenwörterbuch, einschließlich des von Taylor Starck begonnenen Glossenindexes, zusammengetragen und ed. John C. Wells (Heidelberg 1990) 499.  36  37

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Personennamen Romilius42 zu deuten. Die beiden romanischen (altfrankoprovenzalischen) Belege auf -enges sind auf ein Femininum Plural *-ingas zurückzuführen.43 Die Belegreihe wird trotz eher unwahrscheinlicher Zugehörigkeit zur Gruppe der Romanus-Namen hier aufgeführt, weil die möglicherweise parallele Bildung → Romlingen SG von Th. A. Hammer über einen Personennamen Rumlīn oder Rumanlīn damit in Verbindung gebracht wird.44 1.2.2.2.4. Romlingen SG Hofsiedlung in der Gemeinde Altstätten; Koord. 9.55532 E 47.39472 N. Mda.: ′Roomlige Urk.: 1492 gütlin vff rumlingen, 1501 uff ramlingen, 1504 uff rumlingen, 1506 vff romlingen, 1592 vff Romligen, 1887 Romligen45. Zur Namenbildung vgl. → Rümligen BE. 1.2.2.3. Alem. -ikofen/-ikon < *ingo-hofun ‹bei den Höfen der Leute des Romanen› oder ‹bei den Höfen der Leute des Romanus› 1.2.2.3.1. Rümikon ZH Dorf in der Gemeinde Elsau, östlich von Winterthur; Koord. 8.78335 E 47.50310 N. Mda.: ′Rümikche Urk.: 829 (Kopie) necnon et wilare a partibus monasterii Scottinchova nuncupatum, sed et ­illud in ­Rumaninchovun, 884 duas hobas […] unam scilicet in Scontinchovon sitam, alteram in ­Rumalinhovon,46 914 in Rammelinchovan.47 1.2.2.3.2. Rümikon AG Dorf und Gemeinde am Rhein zwischen Zurzach und Kaiserstuhl; Koord. 8.37728 E 47.56557 N. Mda.: ′Rümikche Urk.: 1113 tradiderunt [...] Schlinikofen et Rúmikon, 1302/03 (Kopie nach 1400) in Rumicon, um 1488 zu Rümikon.48 Analog dem gleichlautenden Namen → Rümikon, Gde. Elsau ZH, kann auch das später bezeugte Aargauer Rümikon mit der Personenbezeichnung Romanus erklärt werden. 1.2.2.3.3. Rümmingen D Dorf bei Lörrach BaWü, in der Nachbarschaft von → Wollbach; Koord. 7.64333 E 47.64056 N. Mda.: ′Rümmige Urk.: 764 in pago Brisagaviensis Romaninchova, 790 in pago Brisigavia in Romaningahoba, 1064 (Kopie 17. Jh.) in comitatu Herimanni comitis et in pago Briserigoviae Raminchoven, 1310 zi ­Rúmikun, 1321 Ruomichon, 1344 Rúmikon, 1350 Rúmichon, 1376 Rumikon, 1458 Rúmykein, 1465 Ruemikon, 1465 Ruemiken, 1478 Rúmickein, 1505 wir vogt, geswornen und gannz gemeindt des dorfs Rumicken Costentzer bystumbs und der pfarrkirchen zuo Bintzen.49 Die weit zurückreichende Belegreihe zeigt Rümmingen als Namenparallele zu Rümikon ZH und AG. Vgl. Morlet, Noms de personne 170. W. Müller, brieflich.  44 Thomas Arnold Hammer, Die Orts- und Flurnamen des St. Galler Rheintals, Namenstruktur und Siedlungsgeschichte (­Studia Linguistica Alemannica 2, Frauenfeld 1973) 175f.  45 Hammer, St. Galler Rheintal 175f.; TA 223.  46 Entweder verschrieben und hierher, zu Rümikon, Gde. Elsau ZH, oder dann zu Rumlikon, Gde. Russikon ZH (­Koord. 8.75969 E 47.4093 N).  47 UBSG 1, 300; 2, 244; 2, 375.  48 LSG 768; Beat Zehnder, Die Gemeindenamen des Kantons Aargau. Historische Quellen und sprachwissenschaftliche Deutungen (Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1991) 365.  49 Albert Krieger, Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, 2 (Heidelberg 1905) 693f.  42  43

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1.2.3. Komposita 1.2.3.1. Romanshorn TG Stadt am Bodensee; Koord. 9.38182 E 47.56873 N. Mda.: ′Romishorn Urk.: 779 aliquod locum, qui dicitur Rumanishorn [dazu Dorsualnotiz: de Romanocornu], 837 ­Actum Romanicornu, 852 Actum in Romaneshorn, 863 Actum in Romaneshorn, 865 Actum in ­Rumaneshorn, 874 Actum in Rumaneshorn, 882 Actum in villa Rumaneshorn, 889 Actum in loco, qui dicitur ­Rumaneshorn, 1199–1200 (Kopie) curias tres, Eligove, Huttinswilare et Ruomanshorn, 1221 iuxta uillam rvmanshorn, 1244 curie nostre in Rumanshorn, 1262 Otto rector ecclesie in ­Rumanishorn, 1275 Plebanus in Rumanshorn, 1306 Otto de Ainwille, rector ecclesie in Rumashorn, 1322 in medio villarum Rumashorn et Salmsa, 1330 von der gepursami Rumenshorn wegen, nach 1355 Gen ­Rumelshorn, 1359 Rumbelshorn [...] dictus Trembel de Rumelshorn, 1386 ze Rumashorn, 1388 ze Rummashorn, 1398 ze Romeshorn, 1413 ainen zehenden ze Romanshorn, 1417 ain hoefli bi ­Romanshorn, 1457 Romishorn, 1469 Hans Roechli von Ruminißhorn, 1490 Hanns Amman vnd Peter Amman sin sun von Rumißhorn, 1505 das Kilchspel und gegent zuo Romißhorn, 1547 Roemißhorn, 1550 Rumißhorn, 1593 Sanct Gallischen rats vnnd vogts zuo Ruomißhorn, 1643 Romishorn, 1670 Romißhorn, 1676 Rommis Horn, 1885 Romanshorn.50 Eugen Nyffenegger51 sieht im Namen Romanshorn eine Bildung mit dem ahd. Personennamen Rūmān und dem Grundwort ahd. horn n. ‹Horn, Vorgebirge›52. Gerold Hilty53 hält, gestützt auf die älteste überlieferte Form des Namens von 779 mit ihrer lateinischen Umsetzung in der Dorsualnotiz und unter Beizug von archäologischen und paläographischen Indizien, ein ethnolinguistisches Benennungsmotiv ‹Horn, Sporn, Landzunge mit einer Siedlung von Romanen› für wahrscheinlich. Die Schreibung Romanes in den Belegen von 837–889 entspricht dem ahd. Gen. Sg. der a-Stämme, der üblichen Flektion der auf Konsonant ausgehenden männlichen Eigennamen.54 Rumanis im Erstbeleg lässt sich hingegen nicht aus dem Ahd. herleiten. Möglicherweise scheint hier noch die ursprüngliche romanische Form des Namens durch.55 1.2.3.2. Romainmôtier VD Seit 1970 Teil der Gemeinde Romainmôtier-Envy, ehemaliges Kloster; Koord. 6.46014 E 46.69313 N. Mda. (frkpr.): Remãmoti Urk.: Ende 7. Jh. per monasterio, qui est constructus Ultraiuranis partibus, cognominatur ­Romanus, Ende 7. Jh. monasterium […] cujus est vocabulum Romanis, ca. 840 monasterium quoddam ­cuius vocabulum est Romanis, 888 abbatiam Romanis, quę constructa habetur in honore ­beati Petri ­apostolorum principis et est sita in comitatu Uualdense, 901 romanum monasterium, 928 ­monasterium quod Romanis vocatur ... romanis monasterium ... Romanis monasteriuo ... iamdicti loci ­Romanis, 931 cenobium quod Romanis dicitur, 966 casa sancti Petri Romaninse […] ad ­altare sancti ­Petri ­Romanum monasterium, um 979 terra sancti Petri Romonensi, 981 sancti Petri ­Romaninse, sancti Petri Romanense, 996 ad locum quo dicitur Romano monasterio, 1013 Actum ­Romanense ­monasterii, 1178 Romani monasterium, um 1200 Romano Monasterio marcam, 1221 prior Romani Monasterii […] ab hiis de Romano Monasterio, 1228 Prioratus Romani ­Monasterii cum parrochia,

Thurgauer Namenbuch. 1. Die Siedlungsnamen des Kantons Thurgau, ed. Eugen Nyffenegger/Oskar Bandle, 1.2 (Frauenfeld/Stuttgart/Wien 2003) 1062f.; LSG 753; TA 64.  51 Thurgauer Namenbuch 1.2, ed. Nyffenegger/Bandle 1062f.  52 Starck/Wells, Glossenwörterbuch 284.  53 Gerold Hilty, War Romanshorn eine romanische Siedlung? Ein Beitrag zur „Raetoromania submersa“, in: Annalas da la Societad Retorumantscha 106 (1993) 164–173, hier 171f.  54 Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik §193–195.  55 Vgl. die Belege Romanis des 7. bis 10. Jh. für Romainmôtier (freundl. Hinweis W. Müller).  50

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1321 la maladere dite de Romans la quele est asise entre la Sarree et Romain ­Mostier, 1493 Romani ­ onasterii burgensem.56 m Gemäß den frühen Belegen setzt der Klostername den Namen einer Vorgängersiedlung Romanis ‹bei den Leuten des Romanus› fort.57 Wie der Beleg von 1321 zeigt, hat sich der alte Name in der zu ­Romainmôtier gehörenden Leproserie zwischen Croy und La Sarraz erhalten.58 Ein in der gleichen Art benanntes ‹Kloster bei einer Siedlung namens Romanis› stand auch in ­Romans-sur-Isère, Drôme F.59 1.2.3.3. Romenschwanden SG Rodungssiedlung in der Gemeinde St. Margareten; Koord. 9.61087 E 47.45548 N. Mda.: ′Rummeschwanda Urk.: 1406 uss dem hof ze Rumanswendi, 1413 an Romanschwanden, 1418 ze Rumenschwende, 1423 von Rumaswanden, 1433 ze Rumaschwendy, 1484 ze Romaschwendi, 1492 zu Rumaschwanda, zu Rumenschwanden, 1888 Romischwanden.60 Namenkompositum mit dem Grundwort schwzdt. Schwendi, mhd. swende f. ‹Rodung durch ­Schwenden der Bäume›61. Die spät einsetzenden Belege lassen für den Bestimmungsteil einen Personennamen Rūmān vermuten. 1.2.3.4. Roumannes Wengi † SZ Zwei ehemalige Höfe, heute Alpen und nur Wang genannt, getrennt durch einen deutlichen Bacheinschnitt, unterhalb Roggen und Roggenstock, in der Gde. Unteriberg SZ; Koord. 8.79852 E 47.01591 N. Urk.: 1018 usque ad locum Roumannes Wengi dictum ab ipsoque usque ad fontem fluuioli Alba ­vocati.62 Bildung mit einer flektierten oder abgeleiteten Form des Appellativs schwzdt., mhd. wang m./n. ‹­Grashang›63 im Grundwort und einer Personenbezeichnung Rūmān im Bestimmungsteil. 2. WAL(A)H MIT ABLEITUNGEN UND KOMPOSITA 2.0. Ausgangswort und Anklingendes Die grundlegende Darstellung der Entwicklung des Walchen-Begriffs vom keltischen Stammes­namen der Volcae bis zur Fremdbezeichnung der Romanen durch die Germanen stammt von Leo ­Weisgerber.64 Eine erste Übersicht über die geographische Verteilung der Walchen-Orte in Deutschland, der Schweiz Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici, Hannover/Leipzig 1910) 1–24, hier 18; Jean-Pierre Cottier, L’abbaye royale de Romainmôtier et le droit de sa terre du Vme au XIIme siècle (Lausanne 1948) 27–33; Louis de Charrière, Les dynastes de Grandson (Lausanne 1866) 89; Wulf Müller, Ortsnamen der Suisse romande, in: Philologie der ältesten Ortsnamenüberlieferung. Kieler Symposion 1. bis 3. Oktober 1991, ed. Rudolf Schützeichel (Heidelberg 1992) 297–310, hier 303–306; D. Rudolf III. nn. 3 u. 39, ed. Schieffer/Mayer 97f., 155; LSG 751.  57 LSG 752.  58 Piera Borradori, Mourir au monde (Lausanne 1992) 155–156 u. 182 (freundl. Mitteilung W. Müller).  59 845? (Abschrift 17. Jh. nach Kopie 12. Jh.) in monasterio Viennensi territorio loco, qui Romanis dicitur, 999 (Kopie 13. Jh.) Romanensi in monasterio [...] actum Romanis (D. Lo. I., ed. Schieffer 231; D. Rudolf III. n. 85, ed. Schieffer/Mayer 235).  60 Hammer, St. Galler Rheintal 123; TA 82.  61 ID 9, 1946f.  62 Viktor Weibel, Schwyzer Namenbuch. Die Orts- und Flurnamen des Kantons Schwyz. Unter Mitarbeit von Albert Hug, 5 (Schwyz 2012) 280.  63 ID 16, 650–653.  64 Leo Weisgerber, Walhisk. Die geschichtliche Leistung des Wortes welsch, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 13 (1948) 87–146, hier 87–120.  56

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und Österreich bot Adolf Bach im Ortsnamenband seiner Deutschen Namenkunde.65 Stefan Sonderegger verwies auf die Bedeutung gestaffelt und relativ dicht auftretender Walen-Namen für die Sprachgrenzforschung in der Schweiz.66 Peter Glatthard,67 Julia Kuhn68 und Gertrud Walch69 untersuchten diesen Namentyp in Teilen der Sprachgrenzgebiete. Ob allerdings ein Walchen-Toponym70 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tatsächlich einen Hinweis auf eine aktuelle oder ehemalige romanische Bevölkerung enthält, muss jeweils aus dem Kontext aller verfügbaren Informationen, vor allem auch aus den historischen und geographischen Nachbar­ wissenschaften, erschlossen werden. Die einzelnen Namen können auch, etwa in besitzanzeigenden Komposita, einen Personen- oder Familiennamen oder einen Übernamen Wal(a)h, Wala, Walo etc.71 enthalten oder eine Örtlichkeit nach ihrer Lage im welschen Gebiet oder in Richtung des welschen Gebietes bezeichnen. Die an Wal(a)h anklingenden Appellative, die lautlich gekürzt („verschliffen“, assimiliert) in Namen bzw. Namenkomposita erscheinen können, sind zudem zahlreich,72 vgl. u.a.: Wald ‹mit ­Bäumen bestandenes Gelände›, Wallis ‹Schweizer Kanton›, Walke ‹Walkmühle, Stampfmühle›,73 Wall ‹Erdaufschüttung›, ahd. walahhēn ‹lauwarm sein/werden›, ahd. wallan ‹sieden, wallen, aufbrausen›, ahd. walcan ‹verdichten, verfilzen›, ahd. walgōn ‹sich wälzen, rollen, wirbeln›, ahd. wallōn ‹wandern, sich weit verbreiten, im Ausland leben›, ahd. waltan, waldan ‹besitzen, walten, beherrschen›, ahd. wol, wal Adj. ‹vortrefflich›, ahd. wola, wela, wala Adv. ‹wohl, sehr gut, gut›, ahd. wola, wela f. ‹glückliche Umstände, Glück, Reichtum›74. 2.1. Volksname/Raumname 2.1.1. Churwalchen GR Churwalchen löst im 9. Jh. die alte Bezeichnung Raetia Curiensis für das romanisch sprechende Gebiet des Bistums Chur ab; Koord. (Chur) 9.71372 E 47.18996 N. Urk.: 831 in pago Curwalense, 841 in valle Curualensae, 865 Curwalam, 885 in pago Retia quod alio nomine Chureuuala appellatur, 920 omnis populus de Curuvuala, 980 in pago Curouualahon, 1045 in pago Churuualaha, 1095 in Curualia, 1210 de Curwalia, 1213 Crualla, 1258 de Cruala, 1276 (Fälschung von 1656) in toto pago Churwalensi, 1293 et baronibus terre Cruallie, 1295 de Crualla, 1298 de Cruara, 1324 ze Churwalchen, 1326 die strâssan durch Walgoe úber den arlen und durch Kurwalhen, 1330 ouch gen Churwalhen unz an den Seteme den perg, der Lampartten und Adolf Bach, Deutsche Namenkunde. 2.1–2.2. Die deutschen Ortsnamen, ed. Dieter Berger (Heidelberg 1952–1956), ­Walchen: 2.2, 182–184.  66 Stefan Sonderegger, Die Ausbildung der deutsch-romanischen Sprachgrenze in der Schweiz im Mittelalter (mit 30 Karten), in: Rheinische Viertelsjahrsblätter 31 (1966–67) 223–290, Karten 25–27, hier 275–278; Stefan Sonderegger, Die Orts­ namen, in: Ur- und frühgeschichtliche Archäologie der Schweiz, ed. Kurskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte. 6. Das Frühmittelalter (Basel 1979) 75–96, Abb. 8–9, hier 85.  67 Glatthard, Aare und Saane 214–231.  68 Julia Kuhn, Die romanischen Orts- und Flurnamen von Walenstadt und Quarten, St. Gallen, Schweiz (Romanica ­Aenipontana 18, Innsbruck 2002) 150–155.  69 Gertrud Walch, Orts- und Flurnamen des Kantons Glarus. Bausteine zu einem Glarner Namenbuch (Schaffhausen 1996) 266–268 u. 299–301.  70 Vgl. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 2, Teil 2, 1186–1198.  71 Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 1, XI u. 1513f.; Kaufmann/Förstemann, Personennamen Erg. Bd. 380–383 u. 376f.; Subsidia Sangallensia 643. Vgl. auch die folgenden Belegbeispiele aus den Kantonen Bern und Solothurn: 1296 uol. dictus walch (Gemeinde Büren SO; KloA St. Leonhard A, 19); 1335 Petrus dictus Wala (Bern BE; FRB 6, 230), 1338 Johannes Wala von Wippingen, burger ze Berne (Bern BE; FRB 6, 430), 1342 Johans der Wala von Grúgirz, burger ze Berne, ein tuochsnider (Bern BE; FRB 6, 642f.), 1373 Jacobus der Wala de Ruofshus, burg. in Berno (Bern BE; FRB 9, 336); 1348 werli waler [...] bi walers guot (Hochwald SO; Urk, 1348), 1463 hanns galer [...] waler [...] nebent walers guot [...] neben galers guot (Hochwald SO; Urk, 1463.01.31.).  72 Vgl. Glatthard, Aare und Saane 222.  73 Vgl. dazu einen Beleg von 1262, die Walke beim Eseltürlein in der Stadt Basel betreffend: domum in qua panni ­preparantur dictam vulgariter Walchun sitam prope civitatem extra portam et iuxta portam que vocatur Esilturli (BSUB 1, ed. ­Wackernagel/Thommen 304) und einen möglicherweise ebenfalls hierher gehörenden Beleg von 1246: Dietricus zir ­Walchun (BSUB 1, ed. Wackernagel/Thommen 134).  74 Starck/Wells, Glossenwörterbuch 692, 693, 744.  65

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Dutsche land scheidet, 1339 des land von Kuerwalchen, 1344 Crualla, 1346 von Kurwal, 1360 ze Churwalhen, 1499 in die Pünt in Churwalhenn.75 Stefan Sonderegger spricht vom Prozess einer „übersetzenden Innovation“, in dem der aus dem Provinz­ namen lat. Raetia reduzierte Raumname lat. Raetia Curiensis76 durch einen neugebildeten toponymischen Dat. Pl. ahd. Churwalahun ‹bei den Romanen der Herrschaft Chur (in der Raetia)› ersetzt wird. Den wahrscheinlichen Ablauf dieses Prozesses skizziert Sonderegger wie folgt:77 (1) Lat.-frühmittelalterlicher Raumname Raetia Curiensis, (2) Ahd. Volksbezeichnung Nom. Pl. m. Churwalaha > Dat. Pl. Churwalachun, (3) Ahd. Sekundärform Nom. Sg. f. Churwalacha in Anlehnung an die lat. Raumnamenbildung auf -(i)a (Ret-ia, Alemann-ia etc.), (4) Mittellat. Rückbildungen aus der ahd. Sekundärform: Curvala, Curvalia, Curvalensis, (5) Roman. Weiterentwicklungen: a) rätoroman. Curaglia, Kerndorf und Fraktion der politischen Gemeinde Medel GR, an der Lukmanierstraße; b) ital. Cruala, mda. Cruara, Cruera, Crüera für das Bündner Oberland vom Tessin aus, (6) Spätmhd. Kurzform aus der mittellat. Rückbildung: Kurwal, Churwal, (7) Ableitung Churwelsch zur Bezeichnung der rätoromanischen Sprache, (8) Aufgrund der Nähe und Verwechslungsmöglichkeit mit dem Orts- und Klosternamen C ­ hurwalden GR (südlich Chur in Richtung Lenzerheide; 1191 de Curwalde) Schwinden des Raumnamens Churwalchen und Ersetzung durch Graubünden und Rätien. Vom 16. Jh. an schwindet die Bezeichnung in Bünden, bleibt aber im Tessin, besonders für das Bündner Oberland, lebendig (1755 Val Crovara)78. 2.1.2. Walgau A Landstrich zwischen Bludenz und Feldkirch im Tal der Ill, rechts zum Rhein im südlichen Vorarlberg, im Süden begrenzt vom Rätikon, im Norden vom Walserkamm; Koord. (Nenzing) 9.71372 E 47.18996 N. Mda.: ′Walgau Urk.: 881 (Kopien ab 1456/62) plebem in Vinomna cum appendicis suis, et in valle Drusiana ­plebem Nuzudres cum appendicis suis, 1. Hälfte 9. Jh. (Kopie 16. Jh.) Ministerium in pago vallis ­Drusiane, 940 i[n va]lle Trusiana in loco Plutenes, 948 (Kopien ab 1456/62) in valle Drusiana in villa ­Nanzingus, 949 (Kopie 1. Hälfte 15. Jh.) in valle Trusiana, 972 Uallis Trusiana, 1018 ­Uuallis ­Trusiana, 1027 Vallis Trusiana, 1040 Vallis Trusiana, 1117 (Kopie 1456/62) in valle Drusiana, 1137/38 (Kopie 1550) in Romana terra in pago Walcehgöy79 nuncupato in episcopatu Curiensi plus quam XXX mansus loco qui Valrun est nuncupatus dedit nec non et magnam silvam adiacentem, 1249 In walguoe, slins, Rankwil, Vadutz, Sanagaus, 1262 magister Ebirhardus dictus Tumbe ­canonicus ecclesie Curiensis et archidiaconus vallis Trusiane, um 1270 inwalgoou, in walgvo, 1283 dominus Guzuguinus de Brunenvelt de valle Trusiana, 1286 apud sanctum Petrum vallis Drusiane, 1293 in pago dicto Walgoe in villa dicta Naenzingen, 1296 C. vallis Trusiane archidiaconus, 1326 die strâssan durch Walgoe úber den arlen und durch Kurwalhen, 1342 swaz ennend Ryns ist, ez si aygen oder lehen, Vadutz halb vnd in Walgoew an lút vnd an guot, 1379 sin vesti Nútziders und sin gravschaft in Walgoew, 1466 die herrschafft Bluomenegg in Walgoew, 1544 Das Walgoew zuo latin Vallis Drusiana vnd pagus Rheticus ist vor alten zeyten bewonet von den Rhetiern ­Churwelscher Stefan Sonderegger, Raetia–Ries–Churwalchen. Namenwechsel durch Verdeutschung und Übersetzung, in: Romania ­Ingeniosa. Festschrift für Gerold Hilty zum 60. Geburtstag, ed. Georges Lüdi/Hans Stricker/Jakob Wüest (Bern/Frankfurt a.M. 1987) 69–90, hier 74ff.; Rätisches Namenbuch 2, 659; Johannes Ulrich Hubschmied, Chur und Churwalhen, in: ­Sache, Ort und Wort. Jakob Jud zum sechzigsten Geburtstag. 12. Januar 1942 (Genève/Zürich-Erlenbach 1943) 111–130, hier 127ff.  76 Kaiser, Raetien 83.  77 Sonderegger, Raetia–Ries–Churwalchen, 80ff.  78 Rätisches Namenbuch 2, 659.  79 Spätere Kopie um 1650: Walechgou.  75

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sprachen, darnach haben sich die Alemannier in dem selbigen nider gelassen, des halb es teütscher sprachen worden, hat aber den alten namen behalten Walgoew, das ist, Walengoew, 1573 (ed. 1884) in Vallibus Drusianis quoque habitantes homines, „die Wallgöwer“ [...] ex antiqua inde ­consuetudine vocant „Vutruschauna“, corruptius pro „Valdruschauna“, id est Vallem Drusianam.80 Der frühmittelalterliche Verwaltungsbezirk Vallis Drusiana umfasste das Land an der mittleren Ill zusammen mit dem Montafon, dem Klostertal und dem Vorderland. Als Name des entsprechenden Dekanats des Bistums Chur hatte das bis heute nicht abschließend gedeutete Toponym Bestand bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.81 Die dazu parallel verwendete Bezeichnung Walgäu erscheint in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in einer lautlich nicht ganz geklärten Form Walcehgöy (verschrieben/verlesen statt: Walechgöy?). Dass sie auf die Romanität der Bevölkerung verwies, zeigen der Kontext des Erstbelegs (in Romana terra) ebenso wie die Aussagen der Chronisten des 16. Jahrhunderts. Mit dem schrittweisen Schwinden der romanischen Sprache beschränkte sich der Geltungsbereich der Bezeichnung zunächst auf das Gebiet östlich von Feldkirch und schließlich im Zuge der herrschaftlichen Aufsplitterung auf den Landstrich zwischen Feldkirch und Bludenz.82 Die heutige Form -gau des Grundworts wird erst im 19. Jahrhundert vorherrschend.83 Eine analoge, aber um einiges früher belegte Namenbildung findet sich in Oberbayern für die ­Gegend um das heutige Pfarrdorf Wallgau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen D: 763 (Kopie 824) p­ agum desertum quem Uualhogoi appellamus, 11. Jh. Walagouwa, nach 1283 Walgowe, 1294 Walgaw, Walgau, 1332 Walgaw, 1560 Walgau, Wallgau.84 Der älteste Beleg Uualhogoi zeigt noch die flektierte Verbindung mit dem ahd. Gen. Pl. Dass die (Fremd-)Bezeichnung Walchen im 16. Jahrhundert für die romanischsprachige Bevölkerung Graubündens zumindest in der Eigenwahrnehmung verächtlichen Beisinn angenommen hatte, berichtet Ulrich Campell: in vallibus supradictis habitantes, qui Raeticum suum idioma diutius, ad nostrum utique seculum usque, integrum, ut supradictum, retinuere, prae se contemptui ut barbariores habentes, eos „Walchen“ Teutonico vocabulo per contemptum vocitarent, id est Barbaros, et regionem eorum „Walhgöw“, id est Barbarorum, scilicet Raetorum Pagum [...] „Walhen“, id est Barbaros.85

BUB 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 66; 376; 84; 85; 86; 112; 131; 137; 147; 196; BUB 2, ed. Clavadetscher 513; BUB 3, ed. Clavadetscher/Deplazes 111; 163; 353; BUB 5, ed. Clavadetscher/Deplazes/Saulle Hippenmeyer 284; Tschaikner, Land im Walgau 45–49; Zwiefalter Chroniken, ed. Wallach/König/Müller 228. Perret, Urkundenbuch 2, 397; Hermann ­Wartmann, Rätische Urkunden aus dem Centralarchiv des fürstlichen Hauses Thurn und Taxis in Regensburg (Quellen zur Schweizer Geschichte 10, Basel 1891) 153 u. 428; Sebastian Münster, Cosmographia. Beschreibung aller Lender (Basel 1544) 367; Ulrich Campell, Rætiae Alpestris Topographica Descriptio, ed. C. J. Kind (Quellen zur Schweizergeschichte 7, Basel 1884) 7, 354 u. 358.  81 Tschaikner, Land im Walgau 41f.  82 Tschaikner, Land im Walgau 43, 48, 51ff.  83 Das Drusental. Der Walgau und das Vorderland im frühen Mittelalter, ed. Peter Erhart (Elementa Walgau 7, Nenzing 2009) 26.  84 Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Lexikon bayerischer Ortsnamen. Herkunft und Bedeutung. Oberbayern, Nieder­bayern, Oberpfalz (München 2006) 296f.; Stefan Sonderegger, Die Siedlungsverhältnisse Churrätiens im Lichte der Namen­ forschung, in: Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Aktuelle Probleme in historischer und archäologischer Sicht, ed. Joachim Werner/Eugen Ewig (Vorträge und Forschungen 25, Sigmaringen 1979) 219–254, hier 244.  85 Campell, Rætiae Alpestris Topographica Descriptio 358f.  80

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2.2. Siedlungsnamen86 2.2.1. Simplizia, „absolutes Exonym“87 im lokativischen ahd. Dat. Pl.88 Wal(a)(h)on/-un > Wal(h)en ‹bei den Romanen, in romanischem Gebiet› 2.2.1.1. Wahlen BL Dorf und Gemeinde bei Laufen; Koord. 7.51614 E 47.40234 N. Mda.: ′Waale Urk.: Ende 12. Jh. Tv. et frater eius Bv. de Ramesten aput Brisilaco et Waltenen quedam predia ­sancto Albano auferunt, 1193 Hugo de Walchun, 1446 Gerge von Nenczlingen und Erhart von Walen, 1585 Lauffen [...] Wallen, Röschenz unnd Liechtsperg, 1766 Waalen, 1875 Wahlen.89 Die Nennung der Ramsteiner und der Nachbargemeinde Brislach BL im Erstbeleg lassen trotz lautlich nicht recht passender Schreibung für Waltenen an Wahlen BL denken. Die Urkunde ist eine Fälschung90 und der Beleg somit von zweifelhafter Qualität. Er ist zudem eine reine Zeugennennung ohne weitere Zuweisung, so dass der erste einigermaßen gesicherte Beleg für Wahlen BL derjenige von 1446 ist. 2.2.1.2. Walhen > Wahlheim F Dorf an der Ill, östlich von Altkirch; Koord. 7.26456 E 47.64214 N. Mda.: Walen Urk.: 1236 Petrus de Walhen, 1246 Petrus de Walon, 1265 Petrum de Walhen, 1286 zuo nider ­Walhen, 1286 petrus de Walon, 1347 ze Walhen, 1380 ze Walun, 1385 Walen, 1420 Walhen, 1426 Walchen, 1548 Walenheim, 1574 Walheim, 1576 Wallen, 1671 Wahlheimb, 1757 Wallheim.91 Die Belege vor 1548 legen die ursprüngliche Zugehörigkeit dieses Siedlungsnamens zur Gruppe der Simplexbildungen nahe. Die Belege des 13. Jh. wurden von einigen auch zu Wahlen BL gestellt. 2.2.1.3. Wahlen BE Dorf in der Gemeinde Thierachern bei Thun, links der Aare; Koord. 7.56428 E 46.75126 N. Mda.: ′Wale Urk.: 1363 daz dorf ze Tierachern, item daz dorf ze Walon, 1411 die vogthoerigen guotter ze ­Tierachren und ze Walon […] ze Tierachren und ze Walen wunn und weid, holtz und feld, 1456 zuo Tierachern und ze Walen, 1486 zue Walon in der parr. Tierrachren, 1527 die almend by der stras gan Walen, 1533 zuo Tierachern, Wallen, 1561 ein hoffstatt zu Walen […] den acher darzuo so ze Wallen lyt, 1580 beyder gemeinden, Thierachern vnd Wallen, 1879 Wahlen.92

Für die genaue Durchsicht des Textes und zahlreiche wertvolle Hinweise in diesem Abschnitt bedanken wir uns bei ­Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken.  87 Wolfgang Haubrichs, Ethnogene Siedlungsnamen auf -heim und andere im theodisken Sprachraum – Zeugnisse merowingischer Siedlung, in: Der Südwesten im Spiegel der Namen. Gedenkschrift für Lutz Reichardt, ed. Albrecht Greule/Stefan Hackl (Stuttgart 2011) 144.  88 Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik § 193 Anm. 8.  89 Vgl. LSG 947f. – Ende 12. Jh.: BSUB 1, ed. Wackernagel/Thommen 31/SOUB 1, 99f.; 1193: BSUB 1, ed. Wackernagel/ Thommen 45; 1446: BSUB 7, ed. Wackernagel/Thommen 181f.; 1585: BSUB 10, ed. Wackernagel/Thommen 575; 1766: Daniel Bruckner auct./Emanuel Büchel del./P. L. Auvray grav., [Karte des] Canton Basel (Basel 1766); 1875: TA 96.  90 Nach der verlorenen Vorlage einer im Lateran ausgestellten Originalurkunde Papst Alexanders III. von 1166–1179 unbekannten Inhalts (vgl. Ulrich Parlow, Die Zähringer. Kommentierte Quellendokumentation zu einem südwestdeutschen Herzogsgeschlecht des hohen Mittelalters [Stuttgart 1999] 305f.).  91 Georg Stoffel, Topographisches Wörterbuch des Ober-Elsasses. Die alten und neuen Ortsnamen enthaltend (Mülhausen 2 1876) 579.  92 BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 1363: FRB 8, 536; 1411: Rq 2.9, ed. Dubler 549f.; 1456: Rq 1.1.4, ed. Welti/ Rennefahrt 456; 1486: U166, 39; 1527: UT, ed. Huber 406; 1533: Rq 2.9, ed. Dubler 995; 1561: UT, ed. Huber 469; 1580: UT, ed. Huber 510; 1879: TA 352.  86

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2.2.1.4. Wohlen bei Bern BE Dorf und Gemeinde bei Bern, rechts der Aare, auf den zum Frienisberg ansteigenden Geländeterrassen; Koord. 7.35755 E 46.97449 N. Mda.: ′Wole Urk.: 1275 Plebanus in Wolun, 1306 rector ecclesie in Wolon, 1353 Ecclesia Ratolfingen, Mekilch, Wolon, 1389 ze Seriswil in der parrochie von Wolon, 1469–1540 in der kilchhoeri zuo Wolen, 1479 Vollj gurtzeller von Wallenn […] Cristann tschanen von Walen, 1487 Hanns Subinger von Wolen, 1493 Peter wennger ze walen gesesßen, 1502 ze salvisperg unnd in der kilchery von wolenn, 1870 Wohlen.93 Die mhd. Rundung von â zu ô ist vor allem in Nachbarschaft von Nasalen und Dentalen, aber auch von Labialen und h zu beobachten und setzt sich im Nhd. durch.94 2.2.1.5. Wohlen AG Dorf und Gemeinde bei Bremgarten AG; Koord. 8.27742 E 47.35193 N. Mda.: ′Wole Urk.: 1101–1150 (Kopie des 14. Jh.) Göslichoven, Wolen, Wile, 1178 (Kop. des 16. Jh.) ad curtes de Vuolon, 1179 cum tribus capellis Hermontswilare, Bozwillo, Wolon, 1189 cum tribus capellis ­Hermotheswile, Porwilo, Wolon, 1245 ministerialis dictus de Wolun, 1248 Arnoldo de Wolhovin, 1259 Heinrico de Wollon, 1303–1308 under dem von Wolen, 1881 Wohlen.95 Zur Lautung vgl. das oben zu → Wohlen bei Bern Gesagte. 2.2.2. Ableitungen 2.2.2.1. Ahd. -āri, Völkernamensuffix > *Wal(ah)āri ‹Romane› 2.2.2.1.1. Wahlern BE Historischer Siedlungskern der Gemeinde Schwarzenburg, auf der Anhöhe zwischen Schwarzwasser und Sense; Koord. 7.35212 E 46.82658 N. Mda.: ′Waalere, ′Waauere Urk.: 1228 Walerro, 1272 Jacobus de Walerron, 1273 Nicolaus de Wallerron, 1275 Curatus de ­Vualero, 1285 curatus de Vuallerro, 1306 Johannis curati de Waleron, 1318 inter aquas, in ­parrochia de ­Walerron, 1322 in parrochya de Walaron, 1325 ecclesie de Wallren, 1370 in Walerron et in ­Guggisperg, 14. Jh. Curatus de Walerio, 1423 Dedicacio ecclesie in Waleren, 1430 ze Swartzenburg vnd in der parochy ze Wallerron, 1484 wallerren, 1512 Wallern. Dorf der Herrschaft Grasburg, 1535 kilchhöri waleren, 1538 kilchhoeri Walera, 1577 Waleren vicus parvus in aedite colliculo impositus, 1708 Wahleren, 1879 Waleren.96

LSG 975; BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 1275: FRB 3, 158f.; 1306: FRB 4, 280; 1353: FRB 8, 30; 1389: FRB 10, 543; 1469–1540: Rq 1.9.2, ed. Welti/Rennefahrt 517f.; 1479: Ar 104 u. 105; 1487: Rq 1.3, ed. Welti/Rennefahrt 424; 1493: U84, 22; 1502: U123, 176; 1870: TA 317.  94 Hermann Paul/Peter Wiehl/Siegfried Grosse, Mittelhochdeutsche Grammatik (Tübingen 231989) § 48, S. 78, u. § 70, S. 100. Beispiele aus dem Appellativwortschatz sind: mâne ‹Mond›, mânot ‹Monat›, âne ‹ohne›, âmaht ‹Ohnmacht›, quât ‹Kot›, âtem ‹Odem, Atem›, brâdem ‹Brodem›, mâhe ‹Mohn›, tâhe ‹Ton›, nach /w/: wâ ‹wo›, wâc ‹Woge›, wâgen ‹wogen›.  95 LSG 974f.; Zehnder, Aargau 474–476; TA 156.  96 LSG 948; BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 1228: FRB 2, 92; 1272: FRB 3, 18; 1273: FRB 3, 38; 1275: CIP, 123; 1285: FRB 3, 393; 1306: FRB 4, 258; 1318: FRB 5, 96; 1322: FRB 5, 280; 1325: FRB 5, 452; 1370: FRB 9, 217; 14. Jh.: CIP, 141; 1423: K1, 12; 1430: UT, ed. Huber 225; 1484: U126, 295; 1512: U127, 148; 1535: U101, 352; 1538: Rq 1.1.4.2, ed. Welti/Rennefahrt 849; 1577: Schoepf 2, 112; 1708: A Schwarzenb.; 1879: TA 334.  93

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Mit Roland Hofer sowie Peter Glatthard97 am ehesten als Ableitung mit dem Völker- und Bewohner­ namensuffix germ. *-wari > ahd. -āri im lokativischen ahd. Dat. Pl. *Wal(a)(h)āron > Waleron > ­Waleren ‹bei den Romanen› zu verstehen. Auffällig sind die Schreibungen von 1228, 1275, 1285, 14. Jh., in welchen formal ein ahd. Gen. Pl. auf -o vorzuliegen scheint, während 1538 Walera bereits die heutige Mundartform wiedergibt. Denkbar wäre mit R. Hofer auch eine movierte feminine Bildung (in besitzanzeigendem Sinn) mit -j- zu ahd. *walhāri ‹Romane› > *walhārja > *walhārra im Dativ Singular: *walhārrūn ‹beim Hof des Romanen› oder im Dativ Plural *walhārrōn ‹bei den Höfen der Romanen›. Der Herleitungsversuch des LSG (948) aus einer ahd. Kollektivbildung *wal(a)h-āria ‹Ort mit vielen Romanen, Ort, wo zahlreiche Welsche wohnen› erscheint weniger wahrscheinlich, da das Kollektivsuffix lat. -āria > ahd. -arra gewöhnlich in Verbindung mit Sachen, Pflanzen oder Tieren gebraucht wird.98 2.2.2.1.2. Valrun † A Historischer Einzelbeleg einer Ortsbenennung im Walgau. Urk.: 1137/38 (Kopie 1550) in Romana terra in pago Walcehgöy nuncupato in episcopatu Curiensi plus quam XXX mansus loco qui Valrun est nuncupatus dedit nec non et magnam silvam ­adiacentem.99 Von den Herausgebern der Zwiefalter Chroniken nicht gedeutete Benennung, die aber von Form und Kontext her durchaus auf den ahd. Dat. Pl. *Wal(a)(h)āron zurückgeführt werden könnte. 2.2.2.1.3. Wallhausen D Weiler in der Gemeinde Dettingen, gegenüber Überlingen am Überlingersee; Koord. 9.13119 E 47.74794 N. Mda.: ′Walhuse Urk.: 1187 apud lacum Constantiensem in villa Walarhusin, 1194 in loco qui Walarehusen ­nuncupatur, 1311 Walahusen, 1409 Walnhusen, 1442 Wallenhusen, 1456 Walenhusen.100 Nach dem Beleg von 1194 ist als Ausgangsform *Walaro-husen ‹bei den Häusern der Romanen› mit dem Bestimmungswort im ahd. Gen. Pl. anzusetzen.101 2.2.2.2. Ahd. -isc, Adjektivsuffix, walahisc ‹Welscher, Romane› 2.2.2.2.1. Welschingen D Stadtteil von Engen im Hegau; Koord. 8.76391 E 47.82592 N. Mda.: ′Welschinge Urk.: 8. Jh. in loco, quod dicitur Pachinchova et Walahischinga, 787 in pago Egauinsse [...] in ­Walasingas, in villa Walasingas, 1262 (Kopie 1599) Wellenschingen, 1342 Wálaschingen, 1347 ­Waelaschingen, W ­ eleschingen, 1355 Waeleschingen, 1383 Waelaschingen, 1400 Wealaschingen, 1456 zu ­Wälschingen, 1469 Welschingen, 1470 ecclesia ville Waelaschingen, 1472 Wáleschingen, 1495 Waelenschingen, 1503 Wellálschingen, 1507 Welleschingen, 1519 flegken Welenschingen in der herschaft Hewen, 1588 pfarr zu Wellenschingen.102

Roland Hofer, Suffixbildung im bernischen Namengut. Die Diminutiva auf -ti, -elti, -etli und die Kollektiva auf -ere. Ein Beitrag zur Namengrammatik (Basel 2012) 204f.; Glatthard, Aare und Saane 218. Vgl. auch Johannes Ulrich Hubschmied, Über Ortsnamen des Amtes Thun, in: Das Amt Thun. Eine Heimatkunde. 1 (Thun 1943) 169–196 (Separatum: Thun 1944) 176 u. 182.  98 Hofer, Suffixbildung im bernischen Namengut 204f.: Die Wörter auf -aria, -arra, -ara (-āra ?) als Feminina zu den Bildungen auf -āri flektieren schwach wie die Feminina der n-Deklination (Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik § 226 u. 221).  99 Zwiefalter Chroniken, ed. Wallach/König/Müller 228. 100 Krieger, Baden 2, 1348. 101 Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik § 200. 102 Krieger, Baden 2, 1417f.; UBSG 1, 20 u. 105.  97

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Personenbezeichnung (Appellativ oder Personenname?)103 Walhisc mit dem Suffix -ingun: ‹bei den Leuten des Romanen› oder ‹bei den Leuten des Walhisc›. 2.2.2.2.2. Welschenrohr SO Dorf im hinteren Dünnerntal, östlich Balsthal, an der aktuellen Sprachgrenze; Koord. 7.52895 E 47.28107 N. Mda.: Wältsche′roor Urk.: 1179 villam de Rore cum capella, 1357 de Rosieres, 1439 zuo welschen Ror […] das gotzhus ze Ror, 1444 Ze Welschen Ror, 1467 welschenroer […] ze roer, 1481 Zuo Rorr, 1494 Zu weltschen Ror gelegen, 1481 gelegen Zuo Rorr, 1545 Zuo Wällschen Ror, 1642 Die Gemeint zu Weltschenrohr […] die Gantze Gemeindt von rohr, 1882 Welschenrohr, Rosière.104 Der erst seit 1439 belegte Namenszusatz welsch unterscheidet den alem. Rohr, frz. Rosières ‹Röhricht› genannten Ort von der Gemeinde Kammersrohr SO auf der Nordseite der ersten Jurakette. Der Name ist nach Rolf Max Kully nicht auf welsche Bewohner zurückzuführen, sondern auf die Lage der Ortschaft nahe der Sprachgrenze.105 2.2.3. Komposita Als ursprüngliche ahd. Bildungstypen sind sowohl Komposita mit unflektiertem Erstglied Wala(h), als auch flektierte Syntagmen mit dem Bestimmungsteil im starken Gen. Sg. Walahes oder Gen. Pl. Walacho erkennbar.106 Die späteren Formen mit Bestimmungsteil Walen- zeigen entweder Übergang zum schwachen Gen. Sg. oder Pl., oder dann zum bezüglich der Flektion nicht mehr definierten reinen Kompositionsfugenlaut -en.107 2.2.3.1. Wollbach D Dorf bei Lörrach BaWü, nördlich benachbart zu → Rümmingen an der Kander; Koord. 7.65342 E 47.67077 N. Mda.: ′Wolbach Urk.: 764 Vvalahpach, ca. 1130 Wolpach, 1215 plebanus in Wolpach, 1275 ecclesia Wolpach in decanatu Wisental, 1291 in banno Wolpach, 1350 Walpach, 1356 kilchherre zue Wolpach, 1366 rector in Woltpach, 1368 in dem kilchspel ze Wolbach, 1407 vogt ze Woltpach, 1493 rector ecclesie Wolspach, 1514 Woltpach.108 Grundwort des Namenkompositums ist ahd./mhd. bach ‹Wasserlauf›.109 2.2.3.2. Wallbach AG und Wallbach D Dorf und Gemeinde am linken Rheinufer; Koord. 7.90473 E 47.55754 N, und Ortsteil von Bad Säckingen am rechten Rheinufer, BaWü; 7.91893 E 47.56346 N. Mda.: ′Walbach Urk.: 1283 in banno & villa Walabuch, 1283 possessiones monasterii de Olsberch in Walabuok, 1303–1308 ze Walabuoch ist ein hof der herren von Sant Blesigen, 1351 Walabuoch, 1361 Johans von Walpach, um1400 in der Rotenflue ze Walibach enend dem Rin in Costenzer bistum [...] der ­graben, der do scheidet zwischen der Walibach bann und der von nidern Mumpf, 1407 Walabach, 105 106 107 108 109 103 104

Förstemann, Altdeutsches Namenbuch 1, 1516. LSG, 961f.; SONB 1, 662–666. SONB 1, 666. Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik § 193–195. Walter Henzen, Deutsche Wortbildung (Tübingen 31965) 59. Krieger, Baden 2, 1503f. Starck/Wells, Glossenwörterbuch 40; Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (Leipzig 1872–1878) 1, 108f.; ID 4, 949–954.

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1412 Walpach, 1412 in dem dorf und pann ze Waltpach, 1433 Wallabach, 1478 Waltspach, 1877 Ober Wallbach.110 Eine Bildung mit dem Grundwort ahd., mhd. buoch n. ‹Buchenwald, Waldung überhaupt›.111 Die Umdeutung des Grundworts zu mhd. bach ‹Wasserlauf› wird im 14. Jh. sichtbar. 2.2.3.3. Wallenbuch FR Dorf in der Gemeinde Gurmels, nördlich Laupen, auf dem Plateau links der Saane, diese links zur Aare; Koord. 7.22472 E 46.92962 N. Mda.: ′Walebuech Urk.: 961 (Fälschung 12. Jh.) ceterarum vocabula una Buoch nominatur, 1340 Jacobus de Valabüch, 1531 Walennbuoch, 1874 Wallenbuch.112 Zur Bildung vgl. → Wallbach AG/D. Das Bestimmungswort Vala- > Walen- > Wallen- unterscheidet Wallenbuch von der ebenfalls seit Beginn des 14. Jh. genannten, wenige Kilometer nordöstlich, rechts der Saane gelegenen Siedlung Buch bei Mühleberg in der Gemeinde Mühleberg BE. 2.2.3.4. Wahlendorf BE Dorf in der Gemeinde Meikirch, auf dem Hochplateau rechts der Aare; Koord. 7.33772 E 47.00778 N. Mda.: ′Waaledorf Urk.: 1305 Burcardus de Waladorf, 1324 hindersessen ze Waladorf, 1380 daz dorff Waladorff, 1450– 1470 Walendorf, 1479–1563 Wallendorff, 1534 Walendorf gan Sedorf grichtshoerig, 1557 Petter Schürer zuo Wallendorff, 1876 Wahlendorf.113 Wahlendorf liegt 4 km nördlich von → Wohlen bei Bern und 150 m höher in einer kleinen vom Wald umschlossenen Mulde. 2.2.3.5. Wallenried FR Dorf und Gemeinde bei Courtepin und Gurmels, links der Saane; Koord. 7.11543 E 46.87457 N. Mda.: Wale′ried Urk.: 1340 homines villarum de Curnellin et deis Essers, jurisdictionis Friburgi, 1498 Walenried, 1508 Walaried, 1646 au village d’Eyssert rière Cormonde, 1874 Wallenried, Esserts.114 Das Bestimmungswort Walen- > Wallen- unterscheidet Wallenried von deutschsprachigen Rodungssiedlungen in der Umgebung, wohl auf der rechten Seite der Saane, vgl. z.B. Rüpplisried und Spengelried zwischen Laupen und Mühleberg und den Riederberg bei Bösingen. Frkpr. essert, frz. essart ‹gerodetes Land› < spätlat. exsartum ‹Rodung› findet sich oft als Bezeichnung für Landgüter und Gemeindebesitz im Kanton Freiburg. Essert ist die einzige gebräuchliche roman. Form in den Westschweizer Ortsnamen, sie findet sich auch in Savoyen und in der Freigrafschaft. Alem. ried < ahd. *riod ‹Rodung› ist die wörtliche Entsprechung von essert.115

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LSG 950; Zehnder, Aargau 454–456; Krieger, Baden 2, 1340; TA 18. Lexer, MHD Handwörterbuch 1, 386; Starck/Wells, Glossenwörterbuch 84; ID 4, 980f. LSG, 951; BENB 1.4, ed. Schneider/Blatter 634 u. 661; Glatthard, Aare und Saane 217; TA 315. BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 1305: FRB 4, 210; 1324: FRB 5, 411; 1380: FRB 10, 58; 1450–1470: Rq 1.9.2, ed. Welti/Rennefahrt 515; 1479–1563: Ar 319, 605; 1534: Rq 1.7.1, ed. Welti/Rennefahrt 581; 1557: Rq 1.1.4.2, ed. Welti/ Rennefahrt 777; 1876: TA 140. 114 LSG 951f.; Jakob Zimmerli, Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz. 2. Die Sprachgrenze im Mittellande, in den Freiburger-, Waadtländer- und Berner-Alpen (Basel/Genf 1895) 2, 59; FRB 6, 519; TA 328. 115 Glossaire des Patois de la Suisse Romande, fondé par Louis Gauchat/Jules Jeanjaquet/Ernest Tappolet, 6 (Neuchâtel/Paris 1971/1988) 714; FEW 3, 318; Stadelmann, Toponymie romande 120; Aebischer, Fribourg 117; ID 6, 1731ff.; Lexer, MHD Handwörterbuch 2, 426. 110 111

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2.2.3.6. Waldried BE Weiler in der Gemeinde Oberwil im Simmental; Koord. 7.41402 E 46.65511 N. Mda.: Wald′ried Urk.: 1337 von Walriet, 1357 ze Walriede, 1379 de Walriet in Sybental, 1530 von walried der ­kilchhoerj Oberwil, 1838 Waldried (Dörfchen von 16 Häusern).116 Wohl ein Rodungsname wie → Wallenried FR. Das Bestimmungswort zeigt heute Umdeutung zu nhd. Wald. 2.2.3.7. Wallisellen ZH Dorf und Gemeinde; Koord. 8.58791 E 47.41660 N. Mda.: ′Walisele Urk.: ca. 820 (Kopie 10. Jh.) Wolasselda, 1153 in loco, qui Walaseldon dicitur, 1153–1155 predium Walaseldon, 1155 quod situm est Walasseldon, 1172 in villa Walasseldon, 1229 Walasellon.117 Der Erstbeleg zeigt seltenen Wandel von ahd. a zu o vor l.118 Grundwort des Kompositums ist ahd. ­salida, selida f., mhd. selde f. ‹Wohnung, Haus, Herberge›.119 2.2.3.8. Walenstadt SG Städtchen und Gemeinde am östlichen Ende des → Walensees; Koord. 9.31403 E 47.12528 N. Mda.: ′Walestat Urk.: 1. Hälfte 9. Jh. (Kopie 16. Jh.) Ecclesia in Riua, cum decima de ipsa villa et mansum .I., 1. Hälfte 9. Jh. (Kopie 16. Jh.) De Ripa Vualahastad, 965 in comitatu Adelberti Retia vocata [...] ­portum ­Riuanum navigium cum naulo, 975 in pago et comitatu Retia necnon in eodem pago portu Riuano ­navigii cum naulo, 1045 (Kopie 16. Jh.) in [...] Vualastade, 1178 (Kopie 16. Jh.) in ­Walestatte ­dimidium mansum, 1209–1233 Walastat, 1257 C. plebanus in Walastad, 1261 H. ­ministri de ­Walastade, 1270 H ­ iltibrando de Walastade, 1282 domino C. de Vvalastade, 1282 C. de ­Walestade, 1288 F ­ riderichen von Walastade, 1293 (Kopie 16. Jh.) Rudolfo quondam ministro in ­Walestade [...] Conrado de ­Walestade, 1295 (Kopie 1464) C. de Walestat, 1305 in Walastade quinque ­iugera ­vinearum, ca. 1300 Riuam, Ripam, Ripa, 1315 super domo sita in Walastade prope portam ­inferiorem, 1328 Albertus rector ecclesie in Walastad, 1347 an den brief. Der geben ist ze Wallenstat, 1347 ist ­diser brief geben ze Walastat [...] ward dir brief geben ze Walestat, 1504 Wolenstadt, 1548 Walhestat.120 Der urspüngliche und bis heute im Bündner Romanischen weiter geltende Name der Siedlung am östlichen Ende des Walensees ist Riva ‹Ort am Ufer› < lat. ripa, roman. riva f. ‹Ufer›.121 Das Grundwort ahd., mhd. stad m. ‹Ufer, Gestade›122 übersetzt den roman. Namen und wird später umgedeutet zu mhd.,

BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 1337: FRB 6, 359; 1357: FRB 8, 173; 1379: FRB 10, 18; 1530: U95, 128; 1838: Carl Jakob Durheim, Die Ortschaften des eidgenössischen Freistaates Bern. Verzeichnis der Städte, Flecken, Pfarr- und anderen Dörfer, 2 (Bern 1838–1845) 361. 117 LSG 952. 118 Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik § 25. 119 Starck/Wells, Glossenwörterbuch 515; Lexer, MHD Handwörterbuch 2, 862. 120 BUB 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 105; 117; 149; 298; 382; 387; BUB 2, ed. Clavadetscher 449; 504; 580; BUB 3, ed. ­Clavadetscher/Deplazes 96; 99; 225; 307 u. 310; 329; BUB 4, ed. Clavadetscher/Deplazes 26; 215; BUB 5, ed. ­Clavadetscher/Deplazes/Saulle Hippenmeyer 438; 5, 440; Franz Perret, Urkundenbuch der südlichen Teile des Kantons St. Gallen (Gaster, Sargans, Werdenberg), 1–2 (Rorschach 1961–1982) 198; LSG 950; Kuhn, Walenstadt und Quarten 108 u. 151–155; Walch, Glarus 266–268. 121 Vgl. Rätisches Namenbuch 2, 283. 122 Starck/Wells, Glossenwörterbuch; Lexer, MHD Handwörterbuch 2, 1127; ID 10, 1327–1330. 116

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schwzdt. statt f. ‹Stätte, Stelle, Platz›123 und schließlich, lange nachdem die Siedlung im 13. Jh. das Stadtrecht erhalten hatte,124 zu mhd., schwzdt. stadt f. ‹Stadt›125. Der älteste Beleg für die verdeutlichende Bezeichnung ‹Walchen-Ufer, romanisches Ufer› aus der ersten Hälfte des 9. Jh. liegt leider nur in einer Kopie des 16. Jh. vor, aus der die Art der Zusammensetzung (flektiert Gen. Sg./Pl., unflektiert?) nicht mehr eindeutig herauszulesen ist. 2.2.3.9. Wallenwil TG Dorfteil der Gemeinde Eschlikon, bis 1996 selbständige Gemeinde; Koord. 8.95609 E 47.45477 N. Mda.: Wale′wiil Urk.: 827 unum novale, Wolahwilare nuncupatum, 912 in Walawilare, 1325 Ber. der Frie von ­Walewile, 1379 daz dorf und wiler ze Walenwille, 1413 vsser zwain Huoban vnd ainer schuopuzz ze Walenwilla gelegen, 1443 zu Wallenwil, 1468 Zuo welenwil, 1468 ain schüppiß zu Walenwil, 1470 Jörg Fröwlich von Wetzikan, ÿetzo sesshafft zuo Walenwil, 1580 Wallenwÿl, 1695 die gantze gmeindt zue Wallenwÿl.126 Der Erstbeleg zeigt Wandel von ahd. a zu o vor l; vgl. → Wallisellen weiter oben. 2.2.3.10. Wohlenschwil AG Dorf und Gemeinde; Koord. 8.25926 E 47.41158 N. Mda.: Wole′schwil Urk.: 893 de Woleeswilare, 1189 predium Woloswile, 1288 von Wolosswiler, 1303–1308 ze ­Weliswille, ca. 1318 die vogtei ze Walaswile, 1438 Wolenswil, 1881 Wohlenswil .127 Als ursprüngliche Form ist mit LSG und Zehnder *Walaheswīlāri ‹beim Gehöft des Wal(a)h› oder ‹beim Gehöft des Romanen› anzunehmen. Zur ahd. und mhd. Rundung von a zu o vgl. Wallenwil, Wallisellen und Wohlen weiter oben. 2.2.3.11. Walliswil bei Wangen BE und Walliswil bei Niederbipp BE Zwei einander am südlichen und nördlichen Ufer der Aare gegenüberliegende Dörfer und Gemeinden; Koord. 7.68573 E 47.23149 N u. 7.68823 E 47.23574 N. Mda.: Walis′wiu-Wange/Walis′wiu -Bipp Urk.: 10. Jh. (Kopie um 1550) minore in Burgundia circa Aram fluuium [...] in villa Vualasuuiler, 1332 Walaswile, 1339 Ze Walaswile zwuo schuopuossen, 1367 Walaswile, 1385 Walenschwile, 1518 wallyswyl, 1883 Walliswil-Wangen Walliswil-Bipp.128 Der Erstbeleg stammt aus dem Liber Heremi, dem verlorenen ältesten Besitzverzeichnis des K ­ losters Einsiedeln, das in einer Abschrift des 16. Jh. erhalten ist. Als ursprüngliche Form ist ebenfalls *­Walaheswīlāri ‹beim Gehöft des Wal(a)h› oder ‹beim Gehöft des Romanen› anzunehmen.

Lexer, MHD Handwörterbuch 2, 1144; ID 11, 1676f. Historisches Lexikon der Schweiz, ed. Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (Basel 2002ff.). Digital unter http:// www.hls.ch, Zugriff digital, 27.03.2016. 125 ID 11, 1702ff. 126 Thurgauer Namenbuch 1.2, ed. Nyffenegger/Bandle 1347f. 127 LSG 975f.; Zehnder, Aargau 476–478; TA 154. 128 BENB Mat. (Band 1.6 in Vorbereitung) – 10. Jh.: Liber Heremi 6–7; 1332: FRB 6, 24; 1339: FRB 6, 460; 1367: FRB 9, 66; 1385: FRB 10, 347; 1518: U74, 3; 1883: TA 113. 123 124

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2.2.3.12. Wahlweiler D Weiler in der Gemeinde Deggenhausertal BaWü, westlich von Ravensburg; Koord. 9.40890 E 47.80762 N. Mda.: ′Walweiler Urk.: 1213 Walewilaere, 1383 villa Walwiller, 1407 Walwiler, 1492 Wallwyler, 1492 zu Walwylr, 1506 Walwyler.129 Der Wahlweiler Beleg von 1213 (Wale-wilaere) gleicht in seinem Bestimmungsteil bzw. der Kompositionsfuge dem Beleg von 1325 zu Wallenwil TG (Wale-wile). Dort verrät ein ältester Beleg von 827 (Wolah-wilare) das ursprüngliche Kompositum Walah + Wilare, während hier weitergehende Aussagen (< *Walen-wîlare mit PN Walo ?) nicht gemacht werden können. 2.2.3.13. Walchwil ZG Dorf und Gemeinde am Ostufer des Zugersees mit großer Allmend oberhalb des Dorfes auf dem Walch­ wilerberg; Koord. 8.51488 E 47.10020 N. Mda.: Walch′wiil Urk.: 1283 Walchwile und Emmuete, 1287–1290 ville Emmuete et Walchwile, 1306–1308 ze ­Walchwile und ze Emmueten, 1309 In sinen teil hoeret Walchwile und Emmuit, um 1325 per Johannem de Steina de Walchwile, 1379 in den doerferen ze Walchwile und ze Emmeten, 1398 der zweiger doerfer ze Walchwile und ze Enmoetten, 1425/50 von einem guot, heist Swendi, gelegen an Walchwiler berg, 1495 an dero von Zug und dero von Walchwil alment, 1496 vogtÿ zuo Walchwil und Emmaten, 1642 Zú Walchwilen, 1691 im Oberdorff zúo Walchweillen.130 Das Alter der Benennung (und der Siedlung) lässt sich aufgrund des vorhandenen Namenmaterials nicht bestimmen. Die Belegreihe zeigt von Anfang an und durchgehend das Bestimmungselement Walch, das u.a. auch im frühen Erstbeleg (827 Wolahwilare) von → Wallenwil TG steht. 2.2.3.14. Wahlwies D Dorf in der Gemeinde Stockach, westlich von Ludwigshafen am Bodensee; Koord. 8.96864 E 47.81824 N. Mda.: ′Walwis Urk.: 839 Vvalahvvis, 887 Vvalavvis, um 915 Wallawis, 1155 Walewis, 1163 villa Walwisa, 1247 ­ecclesia Walewis, 1263 Bilgerinus de Walwis, 1271 Walvvizz, 1308 Eberhart von Walwis, 1367 ­Walwiß, 1372 ze Walwis, 1379 ze Walwis, 1426 von Walwyse, 1497 Wallwis, 1564 Wallwys.131 Grundwort des Namenkompositums ist ein früh ausgestorbenes und nur noch in Ortsnamen erhaltenes Appellativ ahd. wīhs m., got. veihs m. ‹Dorf, Ort›, das mit lat. vicus verwandt, aber nicht aus ihm entlehnt ist. Der Siedlungsname ist als ‹Romanendorf› zu deuten und hat eine ungefähre Parallele im österreichischen Wals, Teil der Doppelgemeinde Wals-Siezenheim bei Salzburg, erstmals belegt 790 (Kopie Mitte 12. Jh.) als Uualahouuis (hier mit dem Bestimmungswort im Gen. Pl.), übersetzt als in alio loco qui dicitur Vico Romanisco.132

Krieger, Baden 2, 1303f. Beat Dittli, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, 5 (Zug 2007) 155–157; LSG 948. 131 Krieger, Baden 2, 1304. 132 Willibald Hauthaler, Salzburger Urkundenbuch. 1. Traditionskodizes (Salzburg 1910, ND Aalen 1987) 11 u. 8. Vgl. Ernst Schwarz, Ahd. wīhs „Dorf“ in Ortsnamen, in: Zeitschrift für Ortsnamenforschung 1 (1925) 51–54; Bach, Deutsche Namen­ kunde 2.2, 357; Fritz Langenbeck, Vom Weiterleben der vorgermanischen Toponymie im deutschsprachigen Elsaß, 2 (Bühl/Baden 1967) 49. Starck/Wells, Glossenwörterbuch 726; Elmar Seebold/Brigitte Bulitta/Elke Krotz/Elisabeth Leiss, Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes. 2. Der Wortschatz des 9. Jahrhunderts (Berlin/New York 2008) 945. 129 130

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2.3. Namen grösserer Gebiete 2.3.1. Walenberg GL Gemeinde Glarus Nord (Mollis), östlicher Teil des Britterwalds; Koord. 9.10407 E 47.11856 N. Mda.: ′Waleberg Urk.: 1480 in der obgenantten von Wesen allmein under dem Wallenberg in dem Gäsy und in dem Britterwald, 1539 wie nun das riet under dem Wallenberg gelegen dero von Wesen offen almeind ­gesin sige, 1541 alle landlüt, so jetzmal wisen uf gemeltem riet under dem Wallenberg habind, ­sollend ir wisen angeben, 1572 unnder dem Walaberg, 1603 ein neuwe straß vom Wallenberg nebent dem see hinuf durch die felsen ins Mülithal machen zlassen [...] unter dem Walenberg, 1609/1610 daß Bad vnd verschlissen Badhuß - underem walenbärg - , mit sampt aller grächtigkeit an sich erkhoufft vnd vff sälbigem Blatz ein Huß und Herberg bouwen, 1713 Wollen Berg, 1756 Wallenberg, 1883 Walenberg.133 Walenberg könnte, obwohl spät belegt, die ursprüngliche oder auch eine alternative Bezeichnung für den Kerenzerberg, die Straßenverbindung südlich oberhalb des → Walensees gewesen sein. 2.3.2. Walensee SG und GL Langgestreckter See zwischen Weesen SG im Westen und → Walenstadt SG im Osten, im Norden begrenzt von der Churfirstenkette SG, im Süden vom Kerenzerberg GL; Koord. 9.21048 E 47.12236 N. Mda.: ′Walesee Urk.: 843 (Interpolation 10. Jh.) Navem etiam episcopalem in lacu Riuano, 849 (Interpolation 2. ­Hälfte 10. Jh.) navem in lacu Riuano, 955 navem episcopalem in lacu [Riuano], 960 ­piscationem qu[oque in lacu Riuano], 975 De Riuanu lacu, 976 piscationem quoque in lacu Riuano, 979 lacu Riuano, 1259 iuxta lacum qui dicitur Walase, gegen 1300 lacus de Ripa, 1388 hiediesent dem ­Walunsei, 1392 dem Walasew, 15. Jh. (Dorsualnotiz auf einer Urkunde von 1249) Lacus Romanorum, 1405 dem Walasee ietzu, 1405 von dem Walensee, 1406 under dem Walensew, 1435 untz an den Wallensew, 1440 nid dem Walensew, 1462 Walensee, 1535 der Walhensee den man Weser-see nempt, 1538/1560 Lacus Rivarius Der walen see, 1547 des Walhensees, 1548 Walhen see, 1573 (ed. 1884) infra Rivarium ­lacum, „Wallenstatter See“, 1575 Des Wallensees, 1635 Walenstatter See, 1708 Walhensee, 1711 dem Walenstatter-See.134 Der ursprüngliche romanische Name lacus Rivanus bezieht sich auf die Siedlung Riva, so dass die korrekte deutsche Übersetzung des Namens *Walenstader-See wäre (vgl. die späten Belege von 1573, 1635 und 1711). Die um die Mitte des 13. Jh. auftauchende Form Walensee ist entweder eine Verkürzung (Klammerform) dieser Übersetzung oder dann, vielleicht eher, eine Parallelbildung im Sinn von ‹See im Gebiet der Romanen›. Die Dorsualnotiz des 15. Jh. Lacus Romanorum auf einer Papsturkunde aus Lyon von 1249 ist ein Einzelbeleg.135 Er übersetzt den deutschen Namen Walensee wörtlich und stellt keine am Ort gebräuchliche Namenform dar.

Walch, Glarus 299–301; TA 250. BUB 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 56; 58; 93; 100; 118; Perret, Urkundenbuch 355; Campell, Raetiae Alpestris 8; Kuhn, Walenstadt und Quarten 150f.; Walch, Glarus 266–268. 135 Perret, Urkundenbuch 309, 2. 133 134

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Thomas F. Schneider/Max Pfister

3. ÜBERSICHTSKARTEN

Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel

Abb. 1: Die ‚Romanus‘-Namen in der Schweiz und Süddeutschland. Die zeitliche Spanne der Erstbelege liegt zwischen Ende 7. Jh. (Romainmôtier) und 1492 (Romlingen). Die schwarz ausgefüllten Symbole verweisen auf Erstbelege bis um die Jahrtausendwende.

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Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel

Abb. 2: Die ‚Walchen‘-Namen in der Schweiz und dem angrenzenden alemannischen Gebiet zwischen Oberrhein, Bodensee und Alpenrhein. Die zeitliche Spanne der Erstbelege liegt zwischen 750 (Welschingen) und 1480 (Walenberg). Die schwarz ausgefüllten Symbole verweisen auf Erstbelege bis um die Jahrtausendwende.

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Thomas F. Schneider/Max Pfister

Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel

Abb. 3: Synoptische Darstellung der vor der Jahrtausendwende belegten ‚Romanus‘- und ‚Walchen‘-Namen und dem angrenzenden alemannischen Gebiet zwischen Oberrhein, Bodensee und Alpenrhein.

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4. FAZIT Die hier in einiger Ausführlichkeit und Vollständigkeit versuchte Präsentation der alt belegten ­‚Romanus‘und ‚Walchen‘-Namen der alemannischen Schweiz und der angrenzenden Gebiete zeugt zuallererst von der großen Komplexität des Themas. Neben der relativen Eindeutigkeit der frühen Volks- und Arealbezeichnungen (Romani, Churwalchen, Walgau) sind nur wenige Siedlungsnamen in Bezug auf ihre ehemalige Ethnizität bzw. Sprache so klar definiert wie Wals bei Salzburg A und Walenstadt SG durch die Gleichungen Uualahouuis = loco qui dicitur Vico Romanisco bzw. De Ripa Vualahastad. In vielen anderen Fällen handelt es sich um Analogieschlüsse aufgrund eines oder mehrerer gemeinsamer Merkmale, etwa wenn eine parallele oder zumindest ähnliche Namenbildung anzunehmen ist, wie bei den Gruppen Wahlwies D/Wals A und Rümmingen D/Rümikon ZH/Rümikon AG. Auch am Ort oder in der Nachbarschaft vorliegende archäologische oder historische Befunde können entsprechende Hinweise geben, wobei aber die Gefahr von Zirkelschlüssen im Auge zu behalten ist. Bei aller Vorsicht in der Deutung der Namenbelege zeichnen sich auf der Karte der ‚Walchen‘-­ Namen (Abb. 2) deutlich zwei zeitlich und räumlich voneinander getrennte Areale ab. Das eine, mit frühen Erstbelegen aus dem 8. und 9. Jahrhundert, zieht sich vom Alpenrhein und dem Bodensee in einem breiten Band parallel zum Hochrhein bis auf die Höhe von Basel. In dem anderen drängen sich späte Erstbelege aus dem 13. und 14. Jahrhundert im Gebiet zwischen Aare und Saane zusammen. Die erste Gruppe steht für die in der an Einfluss gewinnenden Alemannia aufgehende oder vor ihr zurückweichende Romania,136 wobei die altbelegten ‚Romanus‘-Namen des Gebiets (Romanshorn, ­Rümikon, Rümmingen) diesen Befund stützen helfen (Abb. 3). Hierzu scheint auch die sogenannte ­Basler Romania submersa zu gehören, die analog zur Moselromania und zur Salzburger Romania postuliert worden war, für deren genaue räumliche und zeitliche Lagerung und Ausdehnung aber bis jetzt keine abschließende Beschreibung gelungen ist.137 Nach dem nun vorliegenden Befund wäre sie vielleicht eher in größerem Zusammenhang zu sehen, mit Basel nicht als Zentrum, sondern als westlichem Eckpunkt etwa eines Gebietes zwischen Oberrhein und Bodensee mit dem zugehörigen Hinterland. Für die zweite Gruppe, in einem Gebiet, das Peter Glatthard u.a. auch aufgrund der ‚Walchen‘-­ Namen schon als eigene sprachliche und kulturelle Interferenzzone erkannt und beschrieben hat,138 setzt die Überlieferung verhältnismäßig spät ein. Noch ungeklärt ist, ob der Grund dafür in der allgemein dünnen Urkundenlage für dieses Gebiet139 liegt oder ob erst die politische Neuausrichtung beim Übergang Hochburgunds an das Reich im Herbst und Winter 1032/33140 und ein damit einsetzender Sprachwechsel zur Bezeichnung von ‚Walchen‘-Siedlungen einer späteren Generation als am Bodensee und am Rhein geführt haben. Sicher ist jedoch, dass die westliche, ehemals burgundische Schweiz noch lange unter dem Einfluss miteinander konkurrierender politischer und kultureller Kräfte verblieb, indem das ganze Gebiet links der Aare, vom Berner Oberland bis unterhalb der Stadt Solothurn zum Erzbistum Besançon gehörte, das Gebiet rechts der Aare, innerhalb des Aarebogens, aber zum Bistum Konstanz und damit zum Erzbistum Mainz.

Vgl. Stefan Sonderegger, Geschichte der deutsch-romanischen Sprachgrenze im Süden, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollst. neu bearb. und erw. Auflage (Berlin/New York 2 2004) 3347–3365, speziell Karte ‚Sprachwechsel Romanisch-Deutsch im Kanton St. Gallen‘ 3359. 137 Vgl. zuletzt Albrecht Greule, Gab es eine Baselromania? Rückblick und Ausblick, in: Die Regio Basiliensis von der ­Antike zum Mittelalter – Land am Rheinknie im Spiegel der Namen. La région de Bâle et les rives du Rhin de l’Antiquité au ­Moyen Âge: aspects toponymiques et historiques, ed. Albrecht Greule/Rolf Max Kully/Wulf Müller/Thomas Zotz (Stuttgart 2013) 181–184. 138 Glatthard, Aare und Saane 214–231. 139 Vgl. Bernhard Stettler, Studien zur Geschichte des obern Aareraums im Früh- und Hochmittelalter (Thun 1964) 14–18. 140 Schieffer, Rudolfinger 34. 136

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QUELLEN Ungedruckte Quellen und Materialien (Archivstandorte: Burgerarchiv Burgdorf; KAE: Klosterarchiv Einsiedeln; StABE: Staatsarchiv Bern; StABS: Staatsarchiv Basel-Stadt; StASO: Staatsarchiv Solothurn) A: Amtsrechnungen des Kantons Bern. 16.–18. Jh. (StABE). – Ar: Ausburger Rödel der Stadt Bern (StABE: B XIII.23, 25, 26). – BENB Mat.: Forschungsstelle für Namenkunde der Universität Bern/Ortsnamenbuch des Kantons Bern, Materia­lien. – KloA: Klosterarchiv (StABS). – Liber Heremi: Liber Eremi et dotationes Einsidlenses manu propria Aegidii Tschudii (KAE: A.CB.2). –Schoepf: Thomas Schoepf, Inclitæ bernatvm vrbis cum omni ditionis suæ agro et prouincijs delineatio chorographica, 2 Bde., 1577 (StABE: DQ 725 u. 726). – U43c: Zinsrodel Burgdorf (Burgerarchiv Burgdorf). – U44: U ­ rbar Thorberg-­Koppigen ­(StABE: Amt Burgdorf, Nr. 26). – U47: Bodenzinsurbar Thorberg (StABE: Amt Burgdorf, Nr. 27). – U48: Urbar des Gotteshauses Thorberg (StABE: Amt Burgdorf Nr. 31 und Nr. 32). – U51: Urbar der Fraubrunnen Schaffnerei zu Burgdorf (StABE: Amt Burgdorf Nr. 65). – U74: Zins- und Zehnturbar des Schlosses und der Herrschaft Bipp (StABE: Amt Wangen Nr. 22). – U84: Zinsrodel des Stiftsschaffners zu Thun (StABE: Amt Bern II Nr. 5). – U95: Urbar der bisherigen Stifts­schaffnereien Thun, Niedersimmental, Rüti b. Büren, Burgdorf und Rüderswil (StABE: Amt Bern II Nr. 12). – U101: Bodenzinsurbar des Mushafens (StABE: Amt Bern IV Nr. l u. 2). – U123: Zinsbuch der Herrschaft ­Laupen (StABE: Amt Laupen, Nr. 3). – U126: Zinsbuch der Herrschaft Grasburg (StABE: Amt Schwarzenburg Nr. l). – U127: Zinsrodel der Herrschaft Grasburg (StABE: Amt Schwarzenburg Nr. 2). – U166: Mannlehenurbar Spiez (StABE: Nr. 2). – Urk: Pergamenturkunden (StASO).

Gedruckte Quellen (Kurztitel verweisen auf die Bibliographie) BENB: Ortsnamenbuch des Kantons Bern. – BSUB: Urkundenbuch der Stadt Basel. – FRB: Fontes Rerum Bernensium. – Rq: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. – TA: Topographischer Atlas der Schweiz. – UT: Carl Huber, Die Urkunden der historischen Abteilung des Stadtarchivs Thun.

ABKÜRZUNGEN AG: Kt. Aargau; alem.: alemannisch; BaWü: Baden-Württemberg; BE: Kt. Bern; BL: Kt. Baselland; BS: Kt. Basel-Stadt; D: Deutschland; E: Osten; FlN: Flurname; FR: Kt. Freiburg; frkpr.: frankoprovenzalisch; Gde.: Gemeinde(n); GL: Kt. Glarus; GR: Kt. Graubünden; I: Italien; JU: Kt. Jura; K.: Kopie; Koord.: Koordinaten; Kt.: Kanton; LU: Kt. Luzern; Mda.: mundart­ liche/mündliche Form; N: Nord; NE: Kt. Neuenburg; SG: Kt. St. Gallen; SO: Kt. Solothurn; schwzdt.: schweizerdeutsch; stf./ stm.: starkes Femininum/Maskulinum; SZ: Kt. Schwyz; TG: Kt. Thurgau; TI: Kt. Tessin; UR: Kt. Uri; UW: Kt. Unterwalden; VD: Kt. Waadt; VS: Kt. Wallis; ZG: Kt. Zug; ZH: Kt. Zürich.

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien

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Bernhard Zeller

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien RÄTIEN ZWISCHEN SPÄTANTIKE UND FRÜHMITTELALTER Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts war die im ersten Jahrhundert nach Christus eingerichtete römische Provinz Rätien in eine (südwestliche) Raetia prima (Curiensis) und eine (nordöstliche) Raetia secunda (Vindelica) geteilt, die beide der Präfektur und Diözese Italien und damit dem in Mailand residierenden Präfekten zugeordnet waren. Die Zivilverwaltung der beiden rätischen Provinzen oblag jeweils einem praeses, während das militärische Kommando über die Grenztruppen der beiden Rätien bei einem einzigen dux im Rang eines vir spectabilis lag. Der praeses der Raetia I residierte vielleicht von Anfang an in Chur, doch wurden für die Frühzeit auch Kempten und Bregenz als Residenzorte in Betracht gezogen. Der praeses der Raetia II hatte seinen Sitz hingegen in Augsburg, wo spätestens seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert auch der Sitz des dux beider Rätien gewesen sein dürfte.1 Der Grenzverlauf zwischen den beiden Provinzen ist im nördlichen Voralpenland weitgehend ungewiss, dürfte aber im Süden in groben Zügen den mittelalterlichen Sprengeln der Bistümer Chur und Säben entsprochen haben und bis ins 6. Jahrhundert hinein im Wesentlichen unverändert geblieben sein.2 Noch im frühen 6. Jahrhundert galten die beiden Rätien als „Bollwerk und Riegel“ des mittlerweile ostgotischen Italiens, und König Theoderich der Große selbst forderte damals den (vielleicht nicht mehr in Augsburg, sondern in Chur residierenden)3 dux Raetiarum dazu auf, in seinem Amtsgebiet mit seinen Soldaten (milites) die Grenzen zu kontrollieren. Zudem sollte der dux für friedliche Beziehungen zwischen diesen Grenztruppen und der zivilen, romanischen Provinzialbevölkerung (provinciales, Romani) sorgen.4 Ob der ostgotische dux Raetiarum neben seinen militärischen Aufgaben der Grenzverteidigung und der Gerichtsbarkeit über seine Truppen auch die Zivilverwaltung besorgte, militärische und zivile Gewalt also zugleich ausübte, oder ob es auch noch ostgotische praesides gab, ist aufgrund der mangelnden Belege nicht sicher zu klären. Doch sprechen gerade die späteren Zeugnisse für die (Weiter-)Existenz rätischer praesides in der Ostgotenzeit.5 Die ostgotische Provinzverwaltung Rätiens war auf alle Fälle Vgl. BUB 1 n. 1, ed. Meyer-Marthaler/Perret 1–2; Herwig Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio ­Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien 1995) 27, 110; Reinhold Kaiser, ­Churrätien im frühen Mittelalter. Ende 5. bis Mitte 10. Jahrhundert (Basel ²2008) 16 mit Anm. 4–5; Hans Lieb, Raetia ­prima und Raetia secunda, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Großen, ed. Hans Rudolf Sennhauser (Zürich 2013) 13–15.  2 Vgl., den Forschungsstand kurz zusammenfassend und die Grenze zwischen den beiden Rätien beschreibend, Kaiser, ­Churrätien 17–18.  3 Wolfram, Salzburg 27, 110; Kaiser, Churrätien 26 mit Anm. 29.  4 Vgl. Cassiodor, Variae I, 11 und VII, 4 (ed. Theodor Momsen, MGH AA 12, Berlin 1894, ND 1981) 20 und 203 = BUB 1, nn. 3–4, ed. Meyer-Marthaler/Perret 3–5; bes. VII, 4 bzw. n. 3, 4: Raetiae namque munimina sunt Italiae et claustra provinciae: quae non immerito sic appelata esse iudicamus, quando contra feras et agrestissimas gentes velut quaedam plagorum obstacula disponuntur … Ideoque validum te ingenio ac viribus audientes per illam indictionem ducatum tibi cedimus Raetiarum, ut milites et in pace regas et cum eis fines nostros sollemni alacritate circumeas, quia non parvam rem tibi respicis fuisse commissam, quando tranquillitas regni nostri tua creditur sollicitudine custodiri. Ita tamen, ut milites tibi commissi vivant cum provincialibus iure civili nec insolescat animus, qui se sentit armatum, quia clipeus ille exercitus nostri quietem debet praestare Romanis. [...] Quapropter responde nostro iudicio, fide nobis et industria placiturus, ut nec gentiles sine discussione suscipias nec nostros ad gentes sub incuriositate transmittas. Kaiser, Churrätien 24–27.  5 Vgl., die Forschungsdiskussion zusammenfassend, Kaiser, Churrätien 26 mit Anm. 27 und 28.  1

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erheblich gefordert, als sich nach 506 die von den Franken unter König Chlodwig besiegten Alemannen dem ostgotischen Schutz unterstellten und von Theoderich aufgenommen wurden. Denn alemannische Gruppen dürften auch im ostgotischen Rätien, nicht zuletzt im Bereich der Raetia I, angesiedelt worden sein.6 Als nach dem Tod Theoderichs des Großen im Jahr 527 die Franken unter König Theudebert (533– 547) in den 530er-Jahren ihre Expansionspolitik im Südosten ihres Reiches auch auf Kosten des durch innere Schwierigkeiten und den Krieg mit Ostrom geschwächten Ostgotenreiches wiederaufnahmen, fiel ihnen zunächst die Herrschaft über die Alemannen (536/37) und wenig später auch über deren Nachbarn zu: Bis 545 brachten die Franken das gesamte Alpenvorland und die Passlandschaften, damit aber auch Rätien unter ihre Kontrolle.7 Die Herausbildung eines den fränkischen Herrschern unterstellten alemannischen und eines ­bayerischen Dukats, in denen große Gebiete der spätantiken rätischen Provinzen aufgingen, stellte die Existenz eines mit dem Rätien-Namen verbundenen politischen Gebildes in Frage. Rätien wurde durch ebendiese Entwicklungen auf die vornehmlich alpinen Gebiete der Raetia I beschränkt und stärker mit dem dortigen Zentrum Chur verbunden.8 Aus der spätantiken Raetia entwickelte sich damals die frühmittelalterliche Raetia Curiensis, wobei in diesem komplexen Transformationsprozess dem seit spät­ antiker Zeit fortbestehenden Bistum Chur, einem Suffraganbistum Mailands, als maßgebliche kirchliche Institution eine wichtige stabilisierende Rolle zukam.9 Als politische Schlüsselfiguren dieses Transformationsprozesses fungierten Angehörige der ­Zacconen bzw. Viktoriden, einer Familie also, die bereits seit dem 6. Jahrhundert sowohl die höchste geistliche als auch weltliche Gewalt in Rätien auf sich vereinen konnte. Bis ins 8. Jahrhundert hinein stellte dieser Familienverband sowohl den Churer Bischof als auch den rätischen praeses (der spätestens seit dem Ende der Ostgotenzeit auch die militärischen Agenden des später nicht mehr nachweisbaren rätischen dux übernahm). Mitunter waren beide Führungsämter sogar in den Händen ein und derselben Person vereint. Das frühmittelalterliche Rätien war stark von diesen sehr speziellen herrschaftspolitischen Rahmen­bedingungen gekennzeichnet, die an mittel- und südgallische Verhältnisse erinnern. Es war dieser Bischofsstaat, der den institutionellen Rahmen für die Formierung einer frühmittelalterlichen rätischen ethnischen Identität bildete. Für diese ist ein auf vielen Ebenen erkennbares und für nord­alpine Verhältnisse beachtliches, wenn auch nicht ungebrochenes Fortwirken einer spätantiken ­Romanitas kennzeichnend.10 RÄTISCHE ROMANITAS In vielfältiger Weise wird in den etwa sechzig frühmittelalterlichen Privaturkunden aus Rätien, die durch glückliche Fügung bis zum heutigen Tag im Stiftsarchiv St. Gallen erhalten geblieben sind, die erhebliche Romanisierung der frühmittelalterlichen Raetia (gerade auch in ihrem nördlichsten Teil) erkennbar.11 Vor allem die lateinische Sprache der Urkunden weist in einem hohen Ausmaß Elemente auf,  8  9

Kaiser, Churrätien 29–30. Kaiser, Churrätien 30–31. Alfons Zettler, Geschichte des Herzogtums Schwaben (Stuttgart 2003) 36–44; Kaiser, Churrätien 34–37. Vgl. Kurt Reindel, Die Bistumsorganisation im Alpen-Donauraum in der Spätantike und im Frühmittelalter, in: MIÖG 72 (1964) 277–310, hier 281, 293f., 299f., 305; Othmar Hageneder, Die kirchliche Organisation im Zentralalpenraum vom 6. bis 10. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum, ed. Helmut Beumann/Werner Schröder (Nationes 5, Sigmaringen 1985) 201–235, bes. 202–204, 215–216, 227–228, 231–232; Heinrich Berg, Bischöfe und Bischofssitze im Ostalpen- und Donauraum vom 4. bis zum 8. Jahrhundert, in: Die Bayern und ihre Nachbarn 1, ed. Herwig Wolfram/ Andreas Schwarcz (Wien 1989) 61–108, hier 70–74, 102–108; Kaiser, Churrätien 96–100. 10 Kaiser, Churrätien 45–50. 11 Zur Diplomatik der rätischen Privaturkunde vgl. Adolf Helbok, Die rätoromanische Urkunde des 8., 9. und 10. Jahrhunderts mit einem Seitenblick auf die Ausläufer derselben im 11., 12. und 13. Jahrhundert, in: Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein bis zum Jahre 1260, ed. Adolf Helbok (Innsbruck 1920/25) 1–61, bes. 8–16, 19–23; Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (MIÖG, Erg. Bd. 23, Wien/Köln/Graz 1971) 39–55; Sebastian Grüninger, Grundherrschaft im frühmittelalterlichen Churrätien. Ländliche Gesellschaftsformen, Personenverbände und Wirtschaftsstrukturen zwischen Forschungsmodellen und regionaler Quellenbasis (Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 15, Chur 2006) 103–143; ULR 36–54.  6  7

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien

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die in der Forschung als Indizien für eine vom Schreiber bzw. seiner Umgebung verwendete, d.h. im Alltag gesprochene, vulgärlateinische bzw. protoromanische Sprache interpretiert werden.12 Das Latein der rätischen Urkunden findet im urkundlich belegten Namensmaterial augenfällige Entsprechungen. So dominieren bei den in den rätischen Urkunden in den Ausstellungs- und Güterorten greifbar werdenden Orts- und Flurnamen echte romanische Namen mit Abstand. Daneben lassen sich auch romanisierte Namen unsicheren, vorromanischen Ursprungs nachweisen. Namen germanisch/ deutscher Herkunft sind hingegen selten.13 Aber nicht nur Orte und Fluren, auch der allergrößte Teil der in den rätischen Urkunden als Aussteller, Zeugen und Schreiber belegten Personen trugen romanische bzw. romanisierte Namen, die mit drei Viertel der Gesamtmenge das ganze 9. Jahrhundert hindurch gegenüber anderen, meist germanischen, Namen dominieren. Neben diesen Namen, die sich, wie Wolfgang Haubrichs gezeigt hat, aus römischen Traditionsnamen, einheimischen Namen und Heilsnamen zusammensetzten, ist auch die Verwendung von biblischen Namen zu erwähnen.14 Die Weitervererbung dieser Namen innerhalb eines Familienverbandes oder einer lokalen Gesellschaft über mehrere Generationen hinweg, aber auch die, wiederum von Wolfgang Haubrichs betonte, Fähigkeit, aus vorhandenen Namen romanische Kurznamen zu bilden, verweisen besonders eindrücklich auf die Lebendigkeit der rätischen Romanitas im frühen Mittelalter.15 Neben dieser überaus dichten sprachlich-linguistischen Evidenz16 zeugen aber auch die aus dem frühmittelalterlichen Rätien des 8. und 9. Jahrhunderts stammenden Urkunden selbst vom Fortwirken spätrömischer Traditionslinien. In diesen Dokumenten lässt sich nämlich eine beachtliche Behauptung römischer Formeln und Formelteile feststellen, die diese Dokumente von Urkunden fränkischer Prägung abhebt. Auch aus diesem Grund erscheint das frühmittelalterliche Rätien gewissermaßen als Proto­ typ einer „Urkundenlandschaft“, eines Gebietes also, in dem die dort ausgefertigten (Privat-)Urkunden formale Gemeinsamkeiten aufweisen, die sie als Gruppe von entsprechenden Dokumenten benachbarter Gebiete unterscheiden.17 In der Tat sind in diesem (formalen) Sinn rätisch zu nennende Urkunden (sieht man von zwei frühen Thurgauer Urkunden ab) praktisch nur aus Rätien erhalten. Selbst mutmaßlich rätische oder in Rätien Vgl. Robert von Planta, Die Sprache der rätoromanischen Urkunden des 8.–10. Jahrhunderts, in: Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein bis zum Jahre 1260, ed. Adolf Helbok (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs und Liechtensteins 1, Innsbruck 1920–1925) 62–108; ULR 70–74. 13 Romanische Namen, z.B. ad Airumne (Lorüns bei Bludenz), in Aqua Rubia, in Bergune, in campo Mauri, a Casales (ev. Agasella bei Göfis), Lodasco (Ludesch), Pludassis (Bludesch), Praadurene (Brederis), Roncale(m) (Ruggell), Sataginis (Satteins), ad Saxu pilosu, in Tombas (Ortsteil Dums von Göfis); romanisierte Namen unsicheren, vorromanischen Ursprungs, z.B. Purie (Pürs), Segavias (Göfis), Senobio (Schnifis), Vinomna (Rankweil); deutsche Namen, z.B. ­Bassinigas (Beschling), Duringas (Thüringen), Feldkiricha (Feldkirch), Nanciengos (Nenzing). Vgl. dazu Simone M. Berchtold, Orts- und Flurnamen, in: Das Drusental. Der Walgau und das Vorderland im frühen Mittelalter, ed. Peter Erhart (Element Walgau 7, Nenzing 2009) 139–157. 14 Romanische Namen, z.B. Aurelianus, Estradarius, Onorius, Orsicinus, Ursus, Valerius, Victor, Vigilius; biblische ­Namen, z.B. Abraam, Andreas oder Stephanus. Vgl. von Planta, Sprache der rätoromanischen Urkunden 62–108; Wolfgang ­Haubrichs, Baiern, Romanen und andere. Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des frühen Mittelalters, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006) 395–465, hier 415–429, 451–465; Wolfgang Haubrichs, Die Personennamen, in: Das Drusental. Der Walgau und das Vorderland im frühen Mittelalter, ed. Peter Erhart (Element Walgau 7, Nenzing 2009) 161–165; Martin Hannes Graf, Beobachtungen zum churrätischen Personennamenbestand der Karolingerzeit, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Großen, ed. Hans Rudolf Sennhauser (Zürich 2013) 319–238. 15 Z.B. Ioseppus>Peppo, Laurentianus oder Dominitianus>Cianus, Constantio>Tancio. Vgl. Haubrichs, Personennamen 162. 16 Vgl. dazu auch Max Pfister, Entstehung, Verbreitung und Charakteristik des Zentral- und Ostalpen-Romanischen vor dem 12. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum, ed. Helmut Beumann/Werner Schröder (Nationes 5, Sigmaringen 1985) 49–95, bes. 56–60. 17 Vor allem die in Rätien oft belegten Kaufurkunden weisen Elemente auf, die auf spätrömische Vorbilder zurückgehen und der Urkunde fränkischer Prägung fremd sind: Ihr Protokoll beinhaltet oft eine vollständige Anfangsdatierung bzw. den Teil einer solchen, eine Praescriptio (Nennung des Schreibers) und eine Rogatio (durch die Urkundenaussteller). In den Schenkungsurkunden findet man diese Teile seltener. In den meisten rätischen Urkunden fällt außerdem in der Dispositio die genaue Lokalisierung der Güter auf (mit Nennung der benachbarten Grundbesitzer). In anderen Teilen der rätischen Urkunden lassen sich wiederum charakteristische Formulierungen bzw. Formelvarianten nachweisen, z.B. die Nennung der supposita persona (statt opposita persona) in der Sanctio, der Beginn der Ausstellungsformel mit Facta carta (statt ­Actum in), der häufige Abschluss der Datumsformel mit den Worten notavi die et regnum, usw. Zur Diplomatik der rätischen Privat­urkunde und zur „Urkundenlandschaft“ Rätien vgl. Anm. 11. 12

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ausgebildete Schreiber (wie beispielsweise der frühe St. Galler Mönch Silvester) fertigten im benachbarten Alemannien Urkunden nach dem dort verbreiteten fränkischen Grundmuster aus. Diese weitgehende Kohärenz zwischen den Ausstellungsorten und der Dokumentform im Alltag deutet nachdrücklich darauf hin, dass das frühmittelalterliche Rätien einen von seinen Nachbarregionen wie Alemannien oder Bayern deutlich geschiedenen Rechtsraum darstellte, dessen Konturen aber in den Quellen über weite Strecken unscharf bleiben. Bemerkenswert erscheint unter diesem Gesichtspunkt, dass in der Stipulationsformel dreier rätischer Kaufurkunden ausdrücklich auf römisches Recht Bezug genommen wird, namentlich auf die Lex Aquilia und die Lex Archadiana.18 Diese Bezugnahmen beruhen zwar auf einem Irrtum und bleiben undeutlich, sie sind aber doch ein klares Indiz für die Bedeutung römischer Rechtsvorstellungen und römisch-vulgarrechtlicher Traditionen im Alltagsleben des frühmittelalterlichen Rätien.19 Welchen Stellenwert die sogenannte Lex Romana Curiensis, eine Bearbeitung des im Jahr 506 erlassenen Breviarium Alarici (Lex Romana Visigothorum) aus der Mitte des 8. Jahrhunderts, in diesem Rechtsraum hatte, ist wegen der Unsicherheiten in Hinblick auf Ort, Zeitpunkt und Hintergründe ihrer Entstehung, aber auch hinsichtlich ihres fraglichen Geltungsanspruchs schwer einzuschätzen.20 Auffällig ist aber, dass in verschiedenen anderen, das frühmittelalterliche Rätien betreffenden Quellen auf eine (von den römisch-vulgarrechtlichen Rechtsgewohnheiten, der consuetudo) deutlich geschiedene lex (nostra) (Romana) Bezug genommen wird: Karl der Große bestätigte im Jahr 772/73 Rektor und Volk von Rätien lex et consuetudo. Die – selbst schwer einzustufenden – sogenannten Capitula ­Remedii aus der Zeit vor 806 sprechen von einer lex nostra. Schließlich erwähnen zwei rätische Urkunden aus den Jahren 854/61 und 920 die lex (Romana).21 Man bezog sich also oder verwies zumindest auf Vgl. u.a. UBSG 1, nn. 9, 247 und UBSG 2, nn. 401 und 458. Vgl. u.a. Elisabeth Meyer-Marthaler, Einflüsse des römischen Rechts in den Formeln und in der Praxis: Schweiz (Ius ­Romanum Medii Aevi 1, 2b, dd, Mailand 1975). 20 Vgl. den Forschungsüberblick bei Kaiser, Churrätien 42f. Anm. 96. Während Meyer-Marthaler, Lex Romana Curiensis (= Die Rechtsquellen des Kantons Graubünden 1/1, Aarau 1959, ND 1966) 54, von einer Entstehung der Lex Romana Curiensis in Churrätien ausging und meinte, dass ihr Verfasser zum Teil „das lebende Recht seiner Zeit“ darstellte „wie es sich in dieser Ursprungsprovinz entwickelt hatte“, betrachtete Claudio Soliva, Römisches Recht in Churrätien, in: Jahrbuch der Historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden (1986) 189–206, hier 202–204, die Lex Romana Curiensis als „ein literarisches Werk, welches zur Tradition des westgotischen Breviars gehört“ und in Rätien „für einen juristischen Elementarunterricht oder allenfalls zur Bereitstellung eines Nachschlagewerkes für allgemeine Orientierung oder für Fälle, bei welchen allenfalls auch die Kenntnis des Gewohnheitsrechts nicht weiterhelfen mochte“ Verwendung fand. Vgl., eher zur Einschätzung Meyer-Marthalers neigend, Harald Siems, Zu Problemen der Bewertung frühmittelalterlicher Rechtstexte, in: ZRG 119 GA 106 (1989) 291–305, bes. 292–294, und eher zur Position Solivas tendierend, Karl Heinz Burmeister, Zur Bedeutung der sogenannten „Lex Romana Curiensis“ für die Vorarlberger Landesgeschichte, in: Montfort 42 (1990) 82–90. Vgl. nun auch Harald Siems, Recht in Rätien zur Zeit Karls des Großen. Ein Beitrag zu den Capitula Remedii, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Großen, ed. Hans Rudolf Sennhauser (Zürich 2013) 199–238, hier 204–206. 21 D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112 (= BUB 1, n. 19, ed. Meyer-Marthaler/Perret 23–24); Capitula Remedii, 9–10 (ed. Karl Zeumer, MGH LL 5, Hannover 1875–1889) 443–444; UBSG 2, n. 421 = ULR, n. 43, UBSG 3, n. 779 = ULR, n. 56. In der Forschungsgeschichte wurden die sogenannten Capitula Remedii als eine Art Novelle der Lex Romana ­Curiensis, aber auch in Verbindung mit (anderen) Bischofskapitularien und Herrschererlassen gesehen. Vgl. dazu den ausführlichen Forschungs­überblick bei Reinhold Kaiser, Die Capitula Remedii. Veranlassung, Autorschaft und Geltungsgrund, Verbreitung und Wirkung, in: Schrift, Schriftgebrauch und Textsorten im frühmittelalterlichen Churrätien: Vorträge des internationalen Kolloquiums vom 18. bis 20. Mai 2006 im Rätischen Museum in Chur, ed. Heidi Eisenhut/Karin Fuchs/Martin Hannes Graf/Hannes Steiner (Basel 2008) 146–182, hier 151–156 und bes. 155: „Die Capitula Remedii sind also nach der gegenwärtigen Forschungsmeinung Ausfluss des Präsidats des Remedius (Meyer-Marthaler) oder seiner dem Bayern­ herzog ähnlichen princeps-artigen Stellung (Mordek), jedenfalls gehen sie auf seine Autorität (Siems), mithin ­seine Initiative zurück.“ Kaiser selbst, Capitula 156–182, machte nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung ­„Capitula ­Remedii“ nicht überliefert ist und damit der Bezug auf den in den Capitula genannten Bischof Remedius als Urheber fehlt. Er selbst interpretierte die Verordnung als das „Ergebnis des missatischen Wirkens Wulfars von Reims in Churrätien, mithin als ein durch den missus aufgrund des kaiserlichen Gebotes veranlasstes Capitulare legi additum“ und somit „als eine direkte Auswirkung des von Karl dem Großen gegebenen Gebotes von 802, das Recht bzw. die Rechte der einzelnen Provinzen seines Reiches zu verschriften, und nicht mehr als Herrschererlass des princepsartigen, weltliche und geistliche Macht als praeses et episcopus vereinenden Bischofs.“ (181). Vgl. dazu nun auch Siems, Recht in Rätien 209–233, der Kaisers Überlegungen kritisch betrachtet und in Hinblick auf die Entstehung der Capitula (im Einklang mit der älteren Forschung) von einem (entscheidenden) Einfluss des Bischofs von Chur ausgeht (232). 18 19

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien

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v­ erschriftliches, kodifiziertes römisches Vulgarrecht, bei dem es sich am ehesten um die sogenannte Lex Romana Curiensis gehandelt haben könnte.22 Ebendiese teilweise verschriftlichte römische Vulgarrechtstradition, die von Karl dem Großen bestätigt wurde, unterschied die Räter substantiell von allen ihren nordalpinen Nachbarn und nicht zuletzt von anderen Romanen in der Region. Im Unterschied etwa zu den Alpenromanen östlich von ihnen, die „bayerische Walchen oder slawische Vlahi wurden“23 blieb der rätische populus eine römische Rechtsgemeinschaft. VERÄNDERUNGEN Im Jahr 765 verstarb mit Bischof Tello, der in seinen letzten Lebensjahren als episcopus und praeses die weltliche und geistliche Macht in Churrätien (wieder einmal) in einer Hand vereinigt hatte, der letzte Viktoride bzw. Zaccone. Tellos Tod beendete eine Familien-Herrschaft, die Churrätien über zwei Jahrhunderte bestimmt und auch strukturell so stark geprägt hatte, dass sich in den folgenden Jahren wenig Grundsätzliches änderte. Auch Tellos unmittelbarer Nachfolger Constantius stand als kirchlicher und weltlicher Herr an der Spitze des Bischofsstaates, wobei diese Bischofsherrschaft, in der gleichzeitig die Autonomie Churrätiens deutlich zum Ausdruck kam, von den Richtung Italien expandierenden fränkisch-karolingischen Herrschern zunächst anerkannt wurde. Mit einem Herrscherdiplom von 772/73 nahm Karl der Große den von ihm zum rector bestellten vir venerabilis (d.h. Bischof) Constantius, dessen mit Karls Erlaubnis und Willen vom Volk (plebis) zu wählenden Amtsnachfolger und den rätischen populus in seinen Schutz. Zudem bestätigte er das Recht und die Gewohnheit des rätischen Volkes, die schon von seinen Vorgängern anerkannt worden waren.24 Egal wie man die Bestimmung zur Wahl des zukünftigen Rektors, ex nostro permisso et ­voluntate cum electione plebis ibidem recturi erunt, letztlich übersetzt, ist davon auszugehen, dass Constantius’ Nachfolger Remedius, dessen rätische oder fränkische Herkunft nicht endgültig geklärt ist, mit dem ­Willen des Herrschers anfänglich die geistliche und weltliche Macht in Rätien in seinen Händen ver­ einte.25 Ebendiese Bischofsherrschaft fand im Jahr 806/07, wohl nicht als Folge des Todes von ­Remedius, aber sicher unter dem Eindruck des Reichteilungsplans der sogenannten Divisio regnorum, ein abruptes Ende:26 Mit der Divisio inter episcopatum et comitatum wurde damals ein Großteil der bischöflichen Vermögensmasse in Königsgut umgewandelt und Hunfrid, dem ersten Grafen Rätiens (und gleichzeitigen Markgrafen in Friaul) als Amtsgut übertragen.27 Während die Reihe der Churer Bischöfe, die bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts ihren Namen Victor und Verendarius nach zu schließen romanischer Herkunft gewesen sein könnten, als gesichert gilt, bleiben Anzahl und Abfolge der weltlichen, meist alemannischen Mandatsträger aufgrund der kargen und

So schon Otto P. Clavadetscher, Churrätien im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter nach den Schriftquellen, in: Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, ed. Joachim Werner/Eugen Ewig (Vorträge und Forschungen 25, Sigmaringen 1979) 159–178, hier 177, wieder abgedruckt, in: ders., Rätien im Mittelalter. Verfassung, Verkehr, Recht, Notariat. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zum 75. Geburtstag, ed. Ursus Brunold/Lothar Deplazes (Disentis/Sigmaringen 1994) 1–20, hier 19. Vgl. den Forschungsüberblick bei Kaiser, Capitula Remedii 167–169. 23 Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 32. 24 D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112 (= BUB 1, n. 19, ed. Meyer-Marthaler/Perret 23–24). Vgl. Kaiser, Churrätien 51– 52; vgl. Herwig Wolfram, Expansion und Integration. Rätien und andere Randgebiete des Karolingerreichs im Vergleich, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Großen, ed. Hans Rudolf Sennhauser (Zürich 2013) 251–260, bes. 252–255. 25 Vgl. Kaiser, Churrätien 52, der vermutet, dass „Remedius aus dem romanisch geprägten Süden stammte, in engen Kontakt mit dem Königshof trat und dann mit der Bischofs- bzw. Rektorwürde betraut wurde.“ 26 Vgl. Elisabeth Meyer-Marthaler, Rätien im frühen Mittelalter (Zürich 1948) 68; Karl Schmid, Von Hunfrid zu Burkard. Bemerkungen zur rätischen Geschichte aus der Sicht von Gedenkbucheinträgen, in: Geschichte und Kultur Churrätiens. Festschrift für Pater Iso Müller, ed. Ursus Brunold/Lothar Deplazes (Disentis 1986) 181–209, bes. 201–204; vgl. dazu die Zusammenfassung von Kaiser, Churrätien 55–56, sowie Walter Kettemann, Remedius und Victor, in: Wandel und Konstanz zwischen Bodensee und Lombardei zur Zeit Karls des Großen, ed. Hans Rudolf Sennhauser (Zürich 2013) 177. 27 Kaiser, Churrätien 53. 22

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widersprüchlichen Quellenlage unklar. Aus diesem Grund kann die politische Geschichte Rätiens im früheren 9. Jahrhundert nur bedingt geschrieben werden.28 Entscheidend scheint aber, dass die territoriale Integrität Rätiens durch die Divisio inter ­episcopatum et comitatum von 806 unangetastet blieb und dass dieses Rätien auch in den Reichsteilungs- bzw. Sonder­reichsplänen des 9. Jahrhunderts (von 806, 817, 829, 839, 843 und 865) als Einheit behandelt wurde.29 Als solche wurde Rätien mit dem Vertrag von Verdun 843 endgültig aus der italischen Sphäre gelöst und dem ostfränkischen Reich zugeordnet, wobei in weiterer Folge auch das Bistum Chur aus dem Mailänder Metropolitanverband ausgegliedert und der Mainzer Kirche unterstellt wurde.30 Festzuhalten ist aber auch, dass sich im 9. Jahrhundert eine fortschreitende Verdichtung der ­rätisch-alemannischen Beziehungen erkennen lässt, die zunächst in den Teilreichsplänen für Karl den Kahlen von 829 und dem Sonderreich für Karl den Dicken seit 865 Ausdruck fand, denn d­ iese „alemannischen“ Teilreiche umfassten beide Male sowohl Alemannien als auch Rätien. ­ ­ Diese „Alemannisierung“ Rätiens gipfelte schließlich darin, dass alemannische Adelige im ausgehen­ den 9. Jahrhundert ihre rätische „Hausmacht“ als Basis für ihren Griff nach Einfluss und später auch ­Suprematie in Alemannien nutzen konnten.31 GEOGRAPHISCHE UND POLITISCHE TERMINOLOGIE Während in der Spätantike, etwa bei Paulus Orosius oder Solinus, unter dem Begriff der Raetia noch häufig das Gebiet der Raetia prima und Raetia secunda verstanden wurde, scheint es im Verlauf der Merowinger-Zeit – in Anlehnung an die tatsächlichen politischen Verhältnisse – zu einer Einschränkung des Rätien-Begriffes auf die Raetia prima und damit auf den Viktoridischen Bischofsstaat gekommen zu sein. In seiner Langobarden-Geschichte lokalisiert Paulus Diaconus denn auch beide Provinzen, die Raetia prima und die Raetia secunda, inter Alpes.32 Auch in erzählenden Quellen des 9. Jahrhunderts wie etwa der Vita sancti Galli des Reichenauer Mönches Wetti aus der Zeit von 816/24 bezieht sich der Begriff Raetia auf das Gebiet der Raetia prima bzw. des frühmittelalterlichen Bischofsstaates.33 Ja, selbst Walahfrid Strabo bezeugt im Prolog zu seiner 833/34 verfassten Vita sancti Galli, dass viele im Gegensatz zu den scriptores authentici und zu ihm selbst behaupteten, die Raetia liege „nur innerhalb der Alpen“.34 Vgl. dazu Otto P. Clavadetscher, Die Einführung der Grafschaftsverfassung in Rätien und die Klageschriften Bischof Viktors III. von Chur, in: ZRG 70 KA 39 (1953) 46–111, hier 54–61, bzw. in ders., Rätien im Mittelalter. Verfassung, Verkehr, Recht, Notariat. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zum 75. Geburtstag, ed. Ursus Brunold/Lothar Deplazes (­Disentis/Sigmaringen 1994) 44–109, hier 52–59, der von der Herrschaft Graf Hunfrids (807–823) und der Nachfolge (unter Umgehung von Hunfrids Sohn Adalbert) durch Graf Roderich ausgeht; Borgolte, Grafschaften Alemanniens, 219–229, der eine Abfolge von Hunfrid (I) (Graf in Rätien 806/807) – Adalbert (I) (Sohn Hunfrids, 808–817) – Ruadbert (II) (Graf des Linz- und Argengaus, 817) – Adalbert (817), Hunfrid (II) (zweiter Sohn Hunfrids, 823) und Roderich (824) postulierte. Karl Schmid, Hunfrid 193–197, nahm eine Abfolge Hunfrid (806/07–823) – Roderich (822/23) – Hunfrid (823) an; vgl. dazu die Zusammenfassung von Kaiser, Churrätien 58–63. 29 806 fiel Rätien mit Alemannien und Bayern bis zur Donau an das Reich Pippins von Italien; 817 verblieben Rätien wie auch Alemannien im Reich Lothars I.; 829 wurde Rätien mit Alemannien und einem Teil Burgunds zum Reichsteil Karls des Kahlen bestimmt; ob 833 Rätien zum (vornehmlich bayerisch-alemannischen) Reichsteil Ludwigs des Deutschen gehörte, ist unsicher; 839 wurde Rätien mit Alemannien und dem Elsass dem Reichsteil Lothars I. zugeschlagen; 843 wurde Rätien mit Alemannien dem (ostfränkischen) Reich Ludwigs des Deutschen zugeordnet; 865 gingen Rätien und Alemannien im Teilreich Karls des Dicken auf. 30 Kaiser, Churrätien 55–58; 64–65. 31 Zettler, Geschichte 74–119; Alfons Zettler, Adalbert der Erlauchte. Annäherungsversuch an einen spätkarolingischen ­Fürsten, in: Die Baar als Königslandschaft, ed. Volkhard Hutz/R. Johanna Regnath (Ostfildern 2010) 177–209. 32 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum II, 15 (ed. Ludwig Bethmann/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob. 1, Hannover 1878, ND 1988) 12–187, hier 81f.: Inter hanc et Suaviam, hoc est Alamannorum patriam, quae versus septemtrionen est posita, duae provinciae, id est Retia prima et Retia secunda, inter Alpes consistunt; in quibus proprie Reti habitare ­noscuntur. 33 Vgl. Wetti, Vita sancti Galli 25 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 256–280, hier 271: Quo respondente, in Retia parentum habere originem. 34 Walahfrid, Vita sancti Galli, Prologus (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 280–337, hier 281–282: Si Rhetia solummodo infra Alpes est, ut multi volunt, quae consequentia est, ut Noricum a Gallia ­pergentes 28

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien

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Dieses frühmittelalterliche, alpine Rätien erscheint im Tello-Testament, aber auch im Karlsdiplom von 772/73 als territorium Raetiarum sowie als provincia und patria. Rätien wird von einem (bischöflichen) praeses bzw. rector geleitet, ist durch einen eigenen populus bestimmt und zeichnet sich durch eine lex et consuetudo aus.35 Kurz vor der sogenannten Divisio inter episcopatum et comitatum, in der Divisio regnorum des Jahres 806, erscheint der Bischofsstaat, der mit dem Thurgau an das i­talische Teilreich Pippins fallen sollte, als ducatus, wenn auch nicht als ducatus Raeticus, sondern ducatus ­Curiensis.36 Nach der Einführung der Grafschaftsverfassung wird dasselbe Gebiet in den Herrscherurkunden überwiegend als pagus Retia bezeichnet, wobei diese Terminologie die politisch-verfassungs­mäßige Herabstufung der Region erkennen lässt.37 Noch im 9. Jahrhundert und gleichzeitig zu den pagus ­Retia-Belegen tauchen dann auch die ersten althochdeutsch-volkssprachigen Entsprechungen – und damit der Name „Churwalchen“ auf: 841 ist in einem Herrscherdiplom Lothars I. für Chur vom vallis Curualensis38 die Rede, 885 in einem Herrscherdiplom Karls des Dicken vom pagus Retia, quod alio nomine Cureuuala appellatur.39 890/91 ist in einer (nur als neuzeitliche Abschrift erhaltenen) St. Galler Privaturkunde die in Walahfrids Vita sancti Galli schon in den 830er-Jahren belegte Rhaetia Curiensis bezeugt, die neben dem Thurgau und dem Linzgau auch als comitatus ausgewiesen ist.40 Die Intitulationen und Titel der Funktionsträger in Rätien lassen gewisse Parallelen zu den Begriffen der politischen Topographie erkennen, doch sind sie im Unterschied zu Letzteren sehr viel schlechter überliefert. Seit dem 7. Jahrhundert ist für die weltlichen Amtsträger, bis zur Vereinigung der welt­lichen und kirchlichen Macht unter Tello, der Titel praeses bezeugt, wobei seit der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert die Prädikate vir inluster bzw. illustris hinzutreten konnten.41 Im seinem Testament von 765

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a­ speritatem Alpium transcendamus et non potius per maiorem Rhetiam recto itinere Noricum usque tendamus. Vgl. gemeinsam mit Anm. 38 auch Walahfrid, Vita sancti Galli I, 25, ed. Krusch 303: Et dixit: In Rhetia Curiensi ... sum ­procreatus. – Wohl in Hinblick auf das 829 für Karl den Kahlen entworfene Teilreich stellte Walahfrid der Raetia infra Alpes die bei den scriptores authentici bezeugte, aus der Raetia I und II bestehende, antike Raetia maior entgegen, die freilich keine politische Größe mehr war – und auch keine mehr wurde. Konsequenterweise bezeichnet er in seiner Gallus-Vita das kleinere, frühmittelalterliche Rätien durchwegs als Raetia Curiensis, als Churrätien. Vgl. Thomas Zotz, Ethnogenese und Herzogtum in Alemannien (9.–11. Jahrhundert), in: MIÖG 108 (2000) 48–66, hier 48; Helmut Reimitz, Grenzen und Grenz­überschreitungen im karolingischen Mitteleuropa, in: Grenze und Differenz im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 2, Wien 2000) 124–125. Vgl. auch die Rezeption dieses antiken Rätien-Konzeptes bei Notker Balbulus, Continuatio Erchanberti Breviarii (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 329–330, hier 329: porro mansuetissimum Carolum Alamanniae, Rhetiae maiori et etiam Curiensi ­rectorem dirigeret. BUB 1, n. 17, ed. Meyer-Marthaler/Perret 13–23; D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112 (= BUB 1, n. 19, ed. Meyer-­ Marthaler/Perret 23–24); BUB 1, n. 19, ed. Meyer-Marthaler/Perret 23–24. Als patria vestra bezeichnet Alkuin in einem Brief an Remedius von Chur dessen „Kirchenstaat“ in den 790er-Jahren. Vgl. Alkuin, Epistolae, n. 77 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Berlin 1895) 118–119 (= BUB 1, n. 21, ed. Meyer-Marthaler/Perret 25). Der populus Curiensis wird auch in D. Lo. I. n. 55, ed. Schieffer 157–159 (= BUB 1, n. 63, ed. Meyer-Marthaler/Perret 55f.) aus dem Jahr 841 erwähnt, dem freilich das Karls­diplom als Grundlage gedient haben dürfte. Divisio regnorum 2 (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883) n. 45, 126–130, hier 127; BUB 1, n. 33, ed. Meyer-Marthaler/Perret 33. BM², n. 894 (D. LdF, 831 VI 9); D. Lo. I., n. 44 (840 VII 24), ed. Schieffer 131–134; D. Lo. I. n. 55 (841 I 21), ed. Schieffer 157–159; D. KdD n. 98 (vor 885 IV 15), ed. Kehr 158–160. In der Klageschrift des Churer Bischofs Viktor (BUB 1, n. 46, ed. Meyer-Marthaler/Perret 38–40) ist in den 820er-Jahren einmal vom pagellus Curiensis die Rede. – Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass in manchen, freilich oft fern von Rätien entstandenen Annalenwerken (z.B. Annales Bertiniani und Annales Xantenses) das frühmittelalterliche Rätien als Curia schlechthin verstanden wird (vgl. BUB 1, nn. 52, 58, 64, ed. Meyer-Marthaler/Perret 43, 51, 64). D. Lo. I. n. 63 (841 X 17), ed. Schieffer 171–172. Die Nennung eines pagus Curwalensis findet sich in einer ge­fälschten ­Urkunde Ludwigs des Frommen (BM², n. 892 [D.LdF, 831 VI 9]). Vgl. aber auch Formulae Morbacenses n. 5 (ed. Karl ­Zeumer, MGH Formulae Merowingici et Karolini aevi 1, Hannover 1886) 329–337, hier 331 (= BUB 1, n. 20, ed. Meyer-Marthaler/Perret 25): infra valle Recianorum. D. KdD n. 98 (885 IV 15), ed. Kehr 158–160. Bei der ins Jahr 831 datierenden Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen, in der auch von Churwalchen die Rede ist, handelt es sich um eine Fälschung des 10. Jahrhunderts (vgl. BUB 1, n. 55, ed. Meyer-Marthaler/Perret 47–48). UBSG 2, n. 680; vgl. Walahfrid, Vita sancti Galli I, 15; II, 11, ed. Krusch 296, 321. BUB 1, nn. 11–12, ed. Meyer-Marthaler/Perret 8–9.

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wird Tello auch als rector im territorium Raetiarum bezeichnet,42 ebenso sein Nachfolger Constantius im Karlsdiplom von 772/73, in dem er zudem als vir venerabilis tituliert und somit als Bischof ausgewiesen wird.43 Nach der sogenannten Divisio inter episcopatum et comitatum wurde mit Graf Hunfrid I. ein ­enger Vertrauensmann Karls des Großen, der seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert mehrfach als könig­licher missus in Italien bezeugt ist und außerdem auch als marchio in Friaul fungierte, als erster Graf in ­Rätien eingesetzt.44 In einer nach fränkischem Formular verfassten Urkunde von 806/07 wird Hunfrid vir ­inluster und comis Raetiarum genannt.45 In einem Papstbrief dieser Zeit erscheint Hunfrid auch mit dem Prädikat gloriosus ausgezeichnet.46 Dies deutet vielleicht darauf, dass das neu geschaffene gräfliche Mandat schwerer wog als viele andere Grafenherrschaften. In diese Richtung könnte auch der Umstand deuten, dass Thegan Hunfrid in seinen Gesta Hludowici als dux super Redicam versteht.47 Von den sicheren und potentiellen Nachfolgern Hunfrids sind bis in die 820er-Jahre die Namen bekannt,48 doch sind von ihnen weder Urkunden noch andere Titel bezeugt, sodass ihre Stellung in und die Ausprägung ihrer Herrschaft über Rätien nicht näher bestimmt werden können. Ab den späteren 820er-Jahren fehlen dann überhaupt Quellenbelege für rätische Grafen. Dadurch ist auch unklar, inwieweit sich die Idee bzw. die Einrichtung eines Rätien einschließenden alemannischen Teilreiches für Karl den Kahlen und Karl den Dicken in den Jahren 829 bzw. 865 auf die Verwaltung Rätiens auswirkte. Die terminologische Entwicklung Rätiens vom territorium, der patria und dem ducatus hin zum pagus bzw. comitatus in ebendieser Zeit lässt aber vermuten, dass sich auch Amt, Inhalt und Titel etwaiger Mandatsträger in Rätien in Richtung des „einfachen“ comes entwickelten. Freilich muss eine Idee von der verfassungsgeschichtlichen Sonderstellung Rätiens und der dort tätigen Amtsträger weitergelebt haben und weitertradiert worden sein. So ist es wohl kein Zufall, dass zu Beginn der Herrschaftszeit Arnulfs mit Graf Rudolf wieder ein Graf bezeugt ist, der in einer von ­einem St. Galler Mönch im rätischen Röthis ausgestellten Urkunde 890 als dux Raetianorum bezeichnet wurde.49 Spätestens nach Arnulfs Tod folgte ihm Graf Burchard (I.) aus dem benachbarten Thurgau nach, der in Alemannien betreffenden Herrscher- und Privaturkunden zwar comes, in seiner Funktion als Herr über Rätien in Königsurkunden (Ludwigs des Kindes) als marchio Curiensis Retiae und illuster marchio tituliert wurde.50 In einer St. Galler Privaturkunde, mit der Abtbischof Salomon III. von Konstanz die Abtei Pfäfers im Jahr 909 unter bestimmten Bedingungen an St. Gallen übertrug, wurde Burchard wie schon sein Vorgänger als dux (earundem parcium) tituliert.51 In Rätien wurde einigen mächtigen alemannischen Adeligen in der ausgehenden Karolingerzeit also das zugestanden, was sie sich in Schwaben nach dem Tod Ludwigs des Kindes gegen königliche Statt­halter vom Schlage eines Salomon III. erst erkämpfen mussten: eine fürstenähnliche Stellung. Die zeitgenössischen Annales Alamannici bezeichnen Burchard freilich schon als das, was er nicht zuletzt aufgrund seiner rätischen Stellung tatsächlich war, und was einige Jahre nach seiner Hinrichtung sein gleichnamiger Sohn denn auch mit königlicher Duldung werden sollte: princeps Alamannorum.52 44 45 46 42 43

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BUB 1, n. 17, ed. Meyer-Marthaler/Perret 13–23. D. Kar. I. n. 78, ed. Mühlbacher 111–112 (= BUB 1, n. 19, ed. Meyer-Marthaler/Perret 23–24). D. Lo. I. n. 2 (823 VI 4), ed. Schieffer 52–54. UBSG 1, n. 187 = ULR, n. 10. Vgl. Leo III., Epistolae n. 1 (ed. Karl Hampe, MGH EE V, EE Karolini aevi 3, Berlin 1899) 87–88. Vgl. aber auch seine Bezeichnung als comes Curiensis bzw. Curiae in den Annales regni Francorum a. 823 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ., Hannover 1895) 161 und beim Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. 37 (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64, Hannover 1995) 279–555, hier 518. Thegan, Gesta Hludowici imperatoris 30 (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64, Hannover 1995) 167–277, hier 218. Vgl. oben Anm. 28. UBSG 2, n. 681. D. LdK, n. 20 (903 VI 24) 125–127 (= BUB 1, n. 85, ed. Meyer-Marthaler/Perret 71); D. LdK, n. 39 (905 II 6) 154–156 (= BUB 1, n. 87, ed. Meyer-Marthaler/Perret 72–73). UBSG 2, 761. Annales Alamannici (Cod. Modoetiensis), a. 911 (ed. Walter Lendi, Untersuchungen zur frühalemannischen Annalistik. Die Murbacher Annalen. Mit Edition, Scrinium Friburgense 1, Freiburg 1971) 146–193, hier 188.

Über Romanen, Räter und Walchen im frühmittelalterlichen Churrätien

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Sowohl die Herrscher-, als auch die Privaturkunden machen deutlich, dass die Herrschaft in R ­ ätien vornehmlich als Herrschaft über (beide) Rätien und nur vereinzelt und spät als Herrschaft über die ­Räter verstanden wurde. Tello herrschte über das rätische Territorium (territorium Raetiarum), und auch Constantius wurde von Karl dem Großen 772/73 in dieselbe Position eingesetzt. Hunfrid wurde als Vorsitzender des Grafengerichtes in Rankweil 806/07 als comes Raetiarum bezeichnet. Erst Graf Rudolf wurde im Jahr 890 in einer St. Galler Privaturkunde als dux Raetianorum verstanden. (Andere Titel wie comes Curiensis für Hunfrid oder marchio Curiensis Raetiae für Burchard I. sind offensichtlich auf den Herrschaftssitz und unbestrittenen Mittelpunkt Rätiens bezogen.)53 Rätische Identität wurde im frühen Mittelalter über weite Strecken – und wohl nicht zuletzt in ­Differenz zu den germanisch-deutschen Nachbarn, die ab dem frühen 9. Jahrhundert das politische Geschick der Region bestimmten – als eine romanische Identität gelebt (vgl. oben) und auch von außen als solche wahrgenommen. Der Romani-Begriff dürfte noch in Cassiodors Variae eine ethnisch-politische Dimension gehabt und die provinzialrömischen Einwohner Rätiens bezeichnet haben, zumal ihnen die gentiles und gentes gegenüberstanden bzw. gegenübergestellt wurden.54 Im frühmittelalterlichen Rätien ist eine solche Bedeutung des Romani-Begriffes nicht mehr nachweisbar, was aber nicht heißt, dass er in Rätien überhaupt keine Verwendung mehr fand. In den sogenannten Capitula Remedii aus der Zeit vor 806 ist etwa de Romanis hominibus, qui ad domnum Remedium episcopum pertinent die Rede,55 deren Bestimmung und Einordnung schwierig ist, unter denen aber wohl doch nach römisch-vulgarrechtlichen Gewohnheiten, aber auch in einem besonderen Rechtsverhältnis zu ihrem Bischof Remedius lebende Einwohner Rätiens zu verstehen sind.56 Darauf deutet jedenfalls der urkundliche Befund: 851/58 wurde in einer in Rankweil ausgestellten Kaufurkunde bestimmt, dass die Güter weder ad ­Romanos nec ad Alaemannos weiterverkauft werden dürften,57 wobei die Gegenüberstellung von ­Romani und Alaemanni (und nicht etwa Rhaetiani und Alaemanni) für ihre Interpretation als Rechtsgemeinschaften spricht. Und noch im Jahr 920 fällten ebenfalls in Rankweil Romani et Alamanni ... secundum legem Romana (sic!) ein Urteil über die Zugehörigkeit der Abtei Pfäfers zur Churer Bischofskirche.58 Innerhalb Rätiens scheint also der Romani-Begriff – zumindest von mutmaßlich rätischen Schreibern wie Andreas und Ursicinus (und damit nicht als eigentliche Fremdbezeichnung) – primär für die einheimische, romanische und vor allem nach romanischen Rechtsvorstellungen lebende Bevölkerung als passend befunden und auf diese bezogen angewandt worden zu sein. Anders dürfte der Romani-Begriff im benachbarten Alemannien verwendet und verstanden worden sein: In den aus Alemannien stammenden St. Galler Urkunden sind damit ausschließlich die Römer gemeint, seien es nun die antiken Römer als (cives) Romani, auf deren Freiheit in Freilassungsurkunden Maß oder zumindest Bezug genommen wird, seien es deren Nachkommen, die Stadt-Römer, deren patricius, gubernator oder imperator Karl der Große war.59 Der in einer St. Galler Urkunde aus Alemannien für Karl den Großen belegte unorthodoxe Titel ­patricius Romanorum et Alamannorum wurde von Heinrich Fichtenau gewissermaßen als alemannische Antwort auf die vermeintliche Nennung der Räter (als Romani) im Herrschertitel interpretiert.60 Dies mag zutreffend sein, doch ist in Anbetracht der übrigen eben genannten urkundlichen Romani-Belege

Vgl. Anm. 44–50. Vgl. Cassiodor, Variae I, 11 und VII, 4, ed. Mommsen 20 und 203 (= BUB 1 nn. 3–4, ed. Meyer-Marthaler/Perret 3–4 bzw. 4–5); Kaiser, Churrätien 24–27. 55 Captiula Remedii 3, ed. Zeumer 442. 56 Elisabeth Meyer-Marthaler, Die Gesetze des Bischofs Remedius von Chur, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 44 (1950) 81–110, 161–188, hier 87. 57 UBSG 2, n. 415 = ULR, n. 42. 58 UBSG 3, n. 779 = ULR, n. 56. 59 Vgl. die Freilassungsurkunden UBSG 1, n. 101, UBSG 2, 417. Karl als patricius Romanorum u.a. in UBSG 1, nn. 104, 105, 144, 145, 147, 148, 154; als gubernator Romanorum in UBSG 1, nn. 163, 201, 206, als imperator Romanorum in UBSG 1, nn. 193, 201, 205, 206. 60 UBSG 1, n. 170; Heinrich Fichtenau, „Politische Datierungen“ des frühen Mittelalters, in: Intitulatio II. Lateinische Herrscher und Fürstentitel im 9. und 10. Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram (MIÖG, Erg. Bd. 24, Wien 1973) 453–548 bzw. in: ders., Beiträge zur Mediävistik, Ausgewählte Aufsätze 3 (Stuttgart 1986) 186–285, hier 243f. und 262. Vgl. diesbezüglich auch den Beitrag von Herwig Wolfram in diesem Band. 53 54

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keineswegs auszuschließen, dass die Alemannen in diesem Titel nur als privilegierte Schutzbefohlene des Herrschers unmittelbar an die Stadtrömer gereiht wurden. In nicht-urkundlichen Quellen aus Alemannien des 9. Jahrhunderts gibt es freilich einen Beleg für eine interessante Ersetzung des Romani- durch den Rhaetiani-Begriff: Isti Romani ingeniosi sunt, lässt Wetti in seiner Vita sancti Galli von 816/24 die im 7. Jahrhundert das Gallus-Grab plündernde Krieger­ schar über die nach St. Gallen geflohenen Arbonenses, die Einwohner Arbons bzw. des Arbongaus, sagen. Wetti, der sich hier auch begrifflich auf die Vita sancti Galli vetustissima aus merowingischer Zeit stützen dürfte, bezeugt somit die Existenz bzw. das Wissen von Romani in der Alemannia, und im konkreten Fall, am südlichen Bodensee-Ufer bei Arbon.61 Quia isti Rhetiani calliditate naturali abundant sind die Worte derselben Plünderer in der 833/34 überarbeiteten Version der Vita sancti Galli Walahfrid Strabos, der dadurch in seinem Werk die romanischen Arbonenses des 7. Jahrhunderts zu Rätern macht, möglicherweise, weil letztere zur Zeit, als er sein Gallus-Leben schrieb, die einzigen bekannten Romani in der Region waren. Wie die eben zitierte Stelle aus der Vita sancti Galli des Walahfrid Strabo nahelegt, war der Räter-Begriff im frühmittel­ alterlichen Alemannien vielfach mit anderen, pejorativen Konnotationen aufgeladen: Vor allem in den Casus sancti Galli Ekkehards IV. aus dem 11. Jahrhundert erscheint der – genauso wie die Stadtrömer – ­Romani(s)ce sprechende Raetianus als ein „bekannter“ Fremder, dem der einheimische Teutonus häufig mit Misstrauen begegnet.62

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Vgl. Wetti, Vita sancti Galli 35, ed. Krusch 277; Walahfrid, Vita sancti Galli II, 1, ed. Krusch 314. Vgl. Casus sancti Galli (ed. Hans F. Haefele, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10, Darmstadt 3 1991), bes. die Beschreibung des Pfäferser Abtes Enzelinus und seines Neffen Victor: ebd. 69, ed. Haefele 146: In quibus erat Victor quidam Retianus, doctus prae ceteris, sed iuvenis insolens et minus obediens; sowie ebd. 72, ed. Haefele 150: Econtra ille, quod risum multis moverat, Rhetianus et minus Teutonus: „Cot ilf, erro“ respondit, id est: „Deus adiuvat, domine“. Vgl. auch die berühmte Badehaus-Szene, in dessen Mittelpunkt freilich ein Romane aus dem Westen (Gallum genere) steht, ebd. 88, ed. Haefele 180–182, bes. 182: At Ekkehardus turbam et voces in superiori domo audiens, acriter in utrumque, cum citius descenderet, Teutonice et Romanice invectus est. Vgl. dazu ebd. 134, ed. Haefele 254, über die (in ­Italien erlernten) Sprachkenntnisse Ottos I.: Tandem ille [Otto I.] terribilis egressus cum Ottonem ducem cum eis ­offendisset assistentem, arridens ei „Bȏn mȃn“ habere Romanisce dixit. Vgl. dazu auch Iso Müller, Ekkehard IV. und die Rätoromanen, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 82 (1971) 271–288; Johannes Kramer, Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen (Berlin 1998) 85f., sowie den Beitrag von Herwig Wolfram in diesem Band.

Benennungen von Romanen und Kelten im frühmittelalterlichen England

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Benennungen von Romanen und Kelten (und ihrer Sprache) im frühmittelalterlichen England HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN Entgegen dem lange anerkannten Bericht in Bedas 731 vollendeter Historia ecclesiastica gentis ­Anglorum,1 wonach im Jahre 449 die beiden Brüder Hengist und Horsa auf drei Langschiffen über den Ärmelkanal kommend auf Einladung des keltischen Königs Vortigern in Britannien gelandet wären und die germanische Landnahme eingeleitet hätten, weiß man heute, dass sich die ersten germanischen Siedler mindestens ein Vierteljahrhundert früher dort niederließen und dass der Zustrom in mehreren Wellen erfolgte.2 Hauptsächlich beteiligt waren die kontinentalen Angeln und Sachsen sowie als dritte Ethnie die ebenfalls westgermanischen, von Beda Iutae genannten ‚Jüten‘, deren Heimat Jütland jedoch erst nach ihrem Abzug von den nordgermanischen Neusiedlern (an. Jótar) so genannt wurde. Die nachmaligen Angelsachsen siedelten zunächst im östlichen und mittleren Süden (Sachsen), in Kent, auf der Isle of Wight und an der Küste von Hampshire (‚Jüten‘), sowie in Merzien (der walisischen Mark), im zentralen Mittelland nördlich der Themse, an der Ostküste zwischen Themse und Washbucht sowie nördlich des Humber (Angeln). Aus den frühen oft nur küstennahen Siedlungen entwickelte sich um 600 ein rundes Dutzend von Kleinkönigreichen, deren Namen einige der älteren, vor 1974 gültigen Grafschaftsbezeichnungen (Essex, Middlesex, Sussex und Kent) widerspiegeln. Am frühesten und deutlichsten ist die Erweiterung des angelsächsischen Siedlungsgebietes in das Binnenland im Süden zu erkennen, wo die Expansion nach Westen um die Mitte des 6. Jahrhunderts ins Stocken geriet, zu sächsischer Rückwanderung nach Nordfrankreich in die Gegend von Boulogne führte und erst um 600 wieder aufgenommen und schließlich Dumnonia, das größte der britischen Königreiche, von Wessex absorbiert werden konnte.3 Der älteren Forschung galt dies als Folge der von dem keltischen Feldherrn Arthur/Arthus organisierten Abwehrbemühungen, denn nach der freilich jüngeren walisischen Überlieferung gelang es Arthur, die heidnischen Sachsen in zwölf Schlachten zu besiegen und ihrem weiteren Vordringen Einhalt zu gebieten. Die letzte dieser sämtlich nicht lokalisierten Schlachten soll am Mons Badonicus (Mount Badon) stattgefunden haben. In ihr soll Arthur unter dem Banner der Heiligen Jungfrau mit eigenen Händen 960 Feinde erschlagen haben, womit sich die für inselkeltische Erzählungen typische Tradition mitunter maßloser Übertreibung bestätigt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Figur König Arthurs die Erfindung des walisischen ­Klerikers Geoffrey of Monmouth ist, der in seiner Historia Regum Britanniae (ca. 1138) die Vita ersann und damit zugleich den Mythos erschuf.4 Die Schilderung der Schlachten basiert auf dem anonymen,

Bede’s Ecclesiastical History of the English People (ed. Bertram Colgrave/Robert A. B. Mynors, London 1969) I, 15; Beda der Ehrwürdige. Kirchengeschichte des englischen Volkes, 1–2 (trans. Günter Spitzbart, Darmstadt 21997) I, 15. Für die Frühzeit unergiebig ist The Oxford Handbook of Anglo-Saxon Archaeology, ed. Helena Hamerow/David A. Hinton/Sally Crawford (Oxford 2011).   2 Heinrich Härke, Angelsächsische Waffengräber des 5. bis 7. Jahrhunderts (Köln/Bonn 1992); Helena Hamerow, The ­earliest Anglo-Saxon kingdoms, in: The New Cambridge Medieval History. 1: c.500–c.700, ed. Paul Fouracre (Cambridge 2005) 263–288.   3 Barbara Yorke, Wessex in the Early Middle Ages (London 1995).   4 Geoffrey of Monmouth, The History of the Kings of Britain (ed. Michael D. Reeve/trans. Neil Wright, Arthurian Studies 64, Woodbridge 2007).   1

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ca. 830 entstandenen, lange einem gewissen Nennius zugeschriebenen Werk Historia Brittonum,5 worin der Name Arthur erstmals auftaucht. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts reduzierte sich die Zahl der angelsächsischen Königreiche zur sogenannten Heptarchie, die Kent, Sussex, Wessex, Essex, Ostanglien, Merzien und Nordhumbrien (Bernicia und Deira) umfasste.6 Ihre Zahl reduzierte sich später auf vier: Wessex, Merzien, Ostanglien und Nordhumbrien. Nur selten lässt sich nachweisen, dass die Angelsachsen ein kleineres keltisches Königreich annektierten. Ein Beispiel ist Elmet, gelegen im Südwesten von Yorkshire zwischen Wharfe und Aire, das ca. 616 dem nordhumbrischen Königreich Deira einverleibt wurde. Mit dem Offa’s Dike existiert eine über 100 km lange, bis hinunter zum Bristol Channel reichende angelsächsische Grenzbefestigung, bestehend aus einem Erdwall mit Graben, die der merzische König Offa (757–796) zur Sicherung gegen das walisische Königreich Powys errichten ließ. Den Beweis für die Existenz keltischer Bevölkerung im angelsächsischen Siedlungsgebiet liefert zum einen die Luftraumphotographie. Denn sie lässt die unterschiedlichen Siedlungsformen, schachbrett­ artige, oft umwallte Ackerfelder keltischer Höhensiedlungen gegenüber langen, schmalen und offenen Ackerfeldern germanischer Bebauungsgebiete in den Tälern bis heute erkennen. Zum andern erlaubt die Dichte keltischer Ortsnamen Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Eingliederung in das angelsächsische Herrschaftsgebiet. Zu den Gebieten mit höherer Dichte keltischer Toponyme gehören der Nordwesten (Cumberland, Westmorland und Lancashire), der vor der Eroberung zum keltischen Cumbria gehörte, der Gürtel der keltischen Mark längs der Ostgrenze von Wales (Herefordshire, Shropshire, ­Cheshire), den die Angelsachsen in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts annektierten, und das Gebiet von ­Dumnonia, das sich die Angelsachsen zum Teil erst im 8. Jahrhundert aneigneten. Mehrmals gelang es einem der bedeutenderen Königreiche, die Oberhoheit über das angelsächsische England zu gewinnen. Die älteste der drei politischen Hegemonien ging von 616 mit Unterbrechungen bis 670 von Nordhumbrien aus und schloss nur Kent nicht ein. Sie wurde nach und nach von der Vorherrschaft Merziens abgelöst, der die 825 von König Ecgberht von Wessex begründete, von Alfred dem Großen (871–899) erfolgreich gegen die Wikinger verteidigte und erst mit dem Regierungsantritt Knuts des Großen (1016–35) endende westsächsische Hegemonie folgte. Da die Rückeroberung des Danelaw, das anfangs zwei Drittel Englands jenseits einer von London nach Chester reichenden Linie umfasste, erst gegen Mitte des 10. Jahrhunderts zum Abschluss kam, war der Westsachse Athelstan (925–939) der erste König, der faktisch über das gesamte angelsächsische England gebot. DIE HISTORISCHEN QUELLEN Um das Jahr 540 verfasste der walisische Kleriker Gildas mit der an fünf romano-britische Prinzen gerichteten Invektive De Excidio Britanniae7 die früheste, nach der germanischen Landnahme ver­fasste schriftliche Quelle, in der der Verfasser die Übel, einschließlich der kürzlich erfolgten Invasion der Angel­sachsen, die Britannien wegen seiner Gottlosigkeit heimgesucht hätten, ausführlich beklagt, indem er die Geschichte seiner Heimat mit prophetischen Warnungen vor der Gegenwart verbindet. Genauer berichtet Gildas nur über den Norden Britanniens. Obwohl Gildas’ Werk die wichtigste frühe Quelle für das Verhältnis der Briten zu ihren Nachbarn darstellt, ist das Ergebnis für unser Thema nicht eben ergiebig,8 zumal Gildas für das fünfte Jahrhundert weniger an verlässlichen Informationen als an der Schilderung seiner Missbilligung, mitunter auch seiner Missverständnisse der Zeitläufte interessiert ist. Ähnlich verhält es sich mit Bedas Kirchengeschichte, deren Verfasser weniger an der Beschreibung des etwa durch die gemeinsame Nutzung von Friedhöfen bezeugten friedlichen Miteinanders von Angelsachsen und Kelten9 als an der Schilderung der politischen Entwicklung des angelsächsischen England und der Historia Brittonum 3. The ‘Vatican’ Recension (ed. David Dumville, Cambridge 1985). The Origins of Anglo-Saxon Kingdoms, ed. Steven Bassett (London 1989); Barbara Yorke, Kings and Kingdoms in Early Anglo-Saxon England (London 1990, ND 1992); Alan Thacker, England in the seventh century, in: The New Cambridge Medieval History. 1: c.500–c.700, ed. Paul Fouracre (Cambridge 2005) 462–472.   7 Gildas: The Ruin of Britain and Other Documents (ed. und trans. Michael Winterbottom, London/Chichester 1978). Zur Datierung vgl. jetzt Thomas M. Charles-Edwards, Wales and the Britons 350–1064 (Oxford 2013) 215–218.   8 Patrick Simms-Williams, Gildas and the Anglo-Saxons, in: Cambridge Medieval Celtic Studies 6 (1983) 1–30.   9 Vgl. William Trent Foley/Nicholas Higham, Bede on the Britons, in: Early Medieval Europe 17 (2009) 154–185.   5   6

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sich im 7. Jahrhundert vollziehenden Christianisierung interessiert ist.10 Die dritte vor allem für die Zeit nach 750 wichtige Quelle ist die in mehreren Fassungen und Handschriften überlieferte Anglo-Saxon Chronicle,11 die im Kloster Peterborough auch nach der normannischen Eroberung noch bis zum Jahr 1154 fortgeführt wurde. Die älteste Fassung liegt in einer ca. 900 von einem westsächsischen Schreiber am Hof König Alfreds kopierten Handschrift vor, die in zunächst annalistischer Form, später als Chronik die Ereignisse bis zum Jahr 891 verzeichnet und hernach von jüngeren Schreibern bis zum Jahr 1070 fortgesetzt und um einen Nachtrag für 1093 ergänzt wurde.12 Die Funktion des Textes entspricht weithin der der fränkischen Reichsannalen. Daher liegt das Augenmerk auf der Ereignisgeschichte, so dass das Verhältnis zwischen angelsächsischer und keltischer Bevölkerung nicht thematisiert wird. Ob und, wenn ja, wann, bei wem und auf welche Weise ein Akkulturationsprozess stattfand, bleibt damit offen. In jüngerer Zeit erschienen zwei Sammelbände, welche dem Titel zufolge diese Frage beantworten könnten. Der erste, Britons and Saxons in the Early Middle Ages von D. N. Dumville,13 stellt mit einer Ausnahme eine Sammlung zwischen 1977 und 1989 an anderer Stelle veröffentlichter Aufsätze des Verfassers dar. Keiner von ihnen behandelt die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis beider Bevölkerungsgruppen. Vorwiegend Ähnliches gilt für den von N. Higham herausgegebenen Band mit dem Titel Britons in Anglo-Saxon England.14 Immerhin thematisiert die Einleitung das Problem anhand der Frage nach der Zahl von Briten im angelsächsischen England. H. Härke,15 auf diesem Gebiet besonders ausgewiesen, plädiert anhand kontinentaler Beispiele auf einleuchtende Weise dafür, das Fehlen von Belegen für die Existenz keltischer Bevölkerung als Beweis für deren rasche kulturelle Anpassung zu interpretieren. Auch A. Woolf16 bevorzugt unter Verweis auf N. Highams Studie Rome, Britain and the Anglo-Saxons17, das sogennante „elite emulation model“, wonach die angelsächsische Herrenschicht die keltische Bevölkerung in Dienst nahm, die ihrerseits Sitten und Gebräuche ihrer Herren übernahm. B. Ward-Perkins stellte daraufhin die Frage, „Why did the Anglo-Saxons not become more British?“18 H. Tristram begründet die Antwort auf ihre in die gleiche Richtung zielende, indes rhetorische Frage, warum die Engländer nicht Walisisch sprächen,19 mit dem Verweis auf den starken keltischen Substrat­ einfluss im Bereich der Morphosyntaktik, der sich jedoch nicht im Alt-, sondern wie im Falle der Aspekt­ bildung, der do-Periphrase oder der Fixierung der Wortstellung erst im Hoch- oder im Spätmittelenglischen manifestierte.20 M. Grimmers Aufsatz über das Zeugnis der Gesetze des westsächsischen Königs Ine21 wird ebenso wie der toponymische Beitrag von R. Coates22 Gegenstand eines der nächsten Kapitel sein. Insgesamt rechnet die Forschung gegenwärtig mit überwiegend friedlichem Zusammenleben von Kelten und Angelsachsen nach der Festigung des Herrschaftsgebietes letzterer. Dabei blieb die Blickrichtung von Anfang an einseitig auf die Frage keltischen Substrateinflusses fokussiert, während umgekehrt mit der Möglichkeit angelsächsischer Superstratwirkung etwa auf das Walisische gar nicht erst Vgl. Vicky Gunn, Bede’s ‘Historiae’: Genre, Rhetoric and the Construction of Anglo-Saxon Church History (Woodbridge 2009).  11 The Anglo-Saxon Chronicle (ed. und trans. Michael Swanton, London 22002).  12 The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition. 3. Ms. A (ed. Janet M. Bately, Cambridge 1986).  13 David N. Dumville, Britons and Saxons in the Early Middle Ages (Aldershot 1993).  14 Britons in Anglo-Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008).  15 Heinrich Härke, Invisible Britons, Gallo-Romans and Russians: perspectives on cultural change, in: Britons in Anglo-­ Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008) 57–67.  16 Alex Woolf, Apartheid and economics in Anglo-Saxon England, in: Britons in Anglo-Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008) 115–129.  17 Nicholas Higham, Rome, Britain and the Anglo-Saxons (London 1992).  18 Bryan Ward-Perkins, Why did the Anglo-Saxons not become more British, in: English Historical Review 115 (2000) 513–533.  19 Hildegard Tristram, Why don’t the English speak Welsh, in: Britons in Anglo-Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008) 192–214.  20 Zur Frage des keltischen Einflusses auf das Altenglische vgl. Makku Filppula/Juhani Klemola/Heli Paulasto, English and Celtic in Contact (New York/Abingdon 2008).  21 Martin Grimmer, Britons in Early Wessex: The Evidence of the Law Code of Ine, in: Britons in Anglo-Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008) 102–114.  22 Richard Coates, Invisible Britons: the view from linguistics, in: Britons in Anglo-Saxon England, ed. Nicholas Higham (Woodbridge 2007, ND 2008) 173–191.  10

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gerechnet wurde, obwohl man sich durch das Beispiel des Gälisch-Schottischen Sprachkontaktes eines Besseren hätte belehren lassen können. DAS LEXIKALISCHE LEHNGUT Die Diskussion um die Frage der Koexistenz von Angelsachsen und Kelten wäre von vornherein nicht so früh und so lange kontrovers geführt worden, wäre der keltische Einfluss auf das Altenglische, wenn nicht im Bereich der Grammatik, so doch in dem der Lexik, deutlicher erkennbar gewesen. Tatsächlich ist die Anzahl keltischer Lehnwörter, die vor der normannischen Eroberung rezipiert wurden und von der altenglischen Überlieferung widergespiegelt werden, relativ klein. Der Einwand, schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts hätte sich das Altenglische zu einer überdialektalen Schriftsprache auf der Grundlage des Westsächsischen entwickelt, wodurch keltischer Einfluss verhindert worden wäre, vermag vor allem deswegen nicht zu überzeugen, weil auch in der Zeit nach 950 die dialektale Überlieferung nicht erlosch. Hinzu kommt, dass die südaltenglische Schriftsprache nach der normannischen Eroberung zwar unterging, aber regionale Scriptae an ihre Stelle traten, weswegen lexikalischer Transfer etwa zwischen Wales und dem südwestlichen Mittelland, wo die volkssprachige Überlieferung schon ca. 1200 wieder einsetzte, nicht behindert worden wäre, gleichwohl durchweg unterblieb. Für das keltische Lehngut im (Alt)englischen sind noch immer die Untersuchung Max Försters23 aus dem Jahre 1921 und die Ergänzungen von 192224 maßgeblich. Auf sie berufen sich die Darstellungen der englischen Sprachgeschichte bis heute.25 Danach lässt sich die insgesamt relativ kleine Zahl keltischer Lehnwörter im Altenglischen in drei Schichten gliedern. Die älteste umfasst kontinentales, bisweilen gemeingermanisches Lehngut wie rīce ‚Reich, Herrschaft, Volk‘ < kelt. *rīgjo- und ambiht, embiht ‚Dienst(mann)‘ < germ. *ambahta- ‚Gefolgsmann‘, *ambahtja- ‚Dienst‘ < kelt. ambactos ‚Höriger, Diener‘. Die verschiedentlich angenommene Vermittlung durch lat. ambactus, selbst ein (gallo)keltisches Lehnwort, darf angesichts der gemeingermanischen Verbreitung von *ambaht(j)a- ausgeschlossen werden. Die zweite, größere Schicht besteht aus insularen Lehnwörtern, welche die Angelsachsen in Britannien rezipierten: assa ‚Esel‘ und assen ‚Eselin‘, ne. ass über akymr. *asin, *asen < lat. asinus, -a; binn(e) ‚Korb, Krippe‘, ne. bin (< brit. *benna); bannuc ‚Stückchen‘, ne. bannock (< brit. *bannoc); bratt ‚Mantel‘, ne. brat (< akymr. bratt); brocc ‚Dachs‘, ne. brock (< brit. *brocc);26 hogg ‚Schwein‘, ne. hog (< brit. *hoch); torr ‚Fels, Hügel‘, ne. tor (< brit. *torr). Die wenigen im Neuenglischen weiterlebenden Keltizismen entstammen alle dieser Schicht. Die jüngste Schicht wurde im Zuge der Christianisierung von irischen Missionaren vermittelt: cī̆ne ‚gefaltetes Pergamentblatt‘ < air. cin (< lat. quīna), drȳ ‚Zauberer‘ samt der heimischen femininen Ableitung drȳicge (< air. drūi ‚Druide‘). Spätae. (12. Jh.) cros kann durch skandinavische Vermittlung über an. kross auf air. cros beruhen. Die wenigen irischen Lehnwörter geben sich durch ihre Semantik zu erkennen. Entgegen dem Titel Seven types of Celtic loanword des Aufsatzes von A. Breeze,27 der die Existenz weiterer Schichten keltischen Wortgutes im Englischen suggeriert, behandelt der Verfasser sieben einzelne Lehnwörter, darunter ae. syrc(e) ~ serc(e) ‚Hemd, Rock; Panzer‘, das gleich an. serkr auf mlat. sarica ‚Gewand‘, A. Breeze zufolge jedoch auf kymr. seirch gleichen Ursprungs zurückgeht.28

Max Förster, Keltisches Wortgut im Englischen, in: Texte und Forschungen zur englischen Kulturgeschichte: Festgabe für Felix Liebermann zum 20. Juli 1921, ed. Heinrich Boehmer/Alois Brandl (Halle 1921) 199–242. Vgl. dazu die Besprechung von Eilert Ekwall, in: Anglia Beiblatt 33 (1922) 74–82.  24 Max Förster, Englisch-Keltisches, in: Englische Studien 56 (1922) 204–239.  25 Vgl. Dieter Kastovsky, Semantics and vocabulary, in: The Cambridge History of the English Language. 1: The Beginnings to 1066, ed. Richard M. Hogg (Cambridge 1992) 290–408, hier 317–320; Albert C. Baugh/Thomas Cable, A History of the English Language (London 62013) 70f. Siehe ferner Piotr Stalmaszczyk, Celtic elements in English vocabulary – a critical assessment, in: Studia Anglica Posnaniensia 32 (1997) 77–87.  26 Alfred Bammesberger, Old English broc and Middle Irish broc(c), in: Bulletin of the Board of Celtic Studies 27.4 (1978) 552–554.  27 Andrew Breeze, Seven types of Celtic loanword, in: The Celtic Roots of English, ed. Markku Filppula/Juhani Klemola/Heli Pitkänen (Joensuu 2002) 175–181.  28 Andrew Breeze, Old English syrce ‘coat of mail’: Welsh seirch ‘armour’, in: Notes and Queries 40 (1993) 291–293.  23

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BENENNUNGEN VON KELTEN UND ROMANEN Zur Bezeichnung von Kelten dienen im Altenglischen hauptsächlich zwei Wortfamilien, in deren ­Zentrum Bret, Brit, Pl. Brettas, Bryttas ~ Brittas ‚Brite(n)‘ und w(e)alh, Pl. wēalas ~ wālas ‚Fremde(r), Sklave(n); Brite(n), Waliser‘ stehen. Hinzu kommen jeweils Ableitungen und Zusammensetzungen. Da die einschlägigen Wörterbücher diese Bezeichnungen als Eigennamen auffassen, geben sie die Beleg­ lage nur begrenzt wieder. Bezeichnungen für Romanen existieren dagegen kaum. Als Grundwörter fungieren allenfalls francan Pl., das jedoch ‚Franken‘ bedeutet, und læden ‚Latein, lateinisch‘. Der meist im Plural bezeugte Name Brettas, Bryttas ~ Brittas (< brit. *Brettōnēs bzw. lat. Brittōnēs) bezeichnet in der Anglo-Saxon Chronicle je nach Handschrift dreierlei: 1. Briten, 2. Waliser, 3. ­Bretonen. Ein Gleiches gilt für Brytland = Britannien, Wales, Bretagne, während Bryten-, Brytonland, Breten(e)lond (< lat. Britannia) nur Britannien meint. Ebenso stehen Bryt(t)en, Britten, Breten ~ Breton nur für Britannien. Ähnlich bezeichnet das Adjektiv Bryt(t)isc, Brittisc, Brettisc eine der inselkeltischen Sprachen, in der Regel das Walisische, einmal jedoch auch das Bretonische. Auf die gleiche Weise geben Brytwalas, Brit-, Bretw(e)alas Britannier und Waliser wieder, während Bryt Wylisc nur Walisisch meint.29 Die Einträge auf die Jahre 457, 473 und 552 der Anglo-Saxon Chronicle nach Ms. A bieten ein gutes Beispiel für die Austauschbarkeit von Brettas, Walas und Bretwalas. Zur Unterscheidung von ­kontinentalen und insularen Kelten dient für erstere Galwālas (zu Galleas, Gallie Pl. ‚Gallier‘).30 Wie etliche andere vergleichbare Bezeichnungen kennt auch das Altnordische das Wort: Bretar ‚Briten, ­Waliser‘ samt brezkr ‚britisch‘ (< *bretiska). Viel spricht jedoch dafür, dass Bretar ein altenglisches Lehnwort ist. Einen Sonderfall stellen Brytenweald(a), -walda, Bretenanwalda und Bretwalda dar, Bezeichnungen, die im Hinterglied ein zu weald ‚Macht, Herrschaft‘ und zu w(e)aldan ‚herrschen‘ gehörendes Nomen agens enthalten, das wohl ‚Herrscher‘ und in Verbindung mit dem Determinans ‚Herrscher Britanniens‘ bedeutet. Die Handschriften A und E der Anglo-Saxon Chronicle enthalten sub anno 827 eine auf Beda zurückgehende Liste von acht angelsächsischen Königen, darunter als letzten der Name des Westsachsen Ecgberht (802–839), der nicht nur Merzien sondern das gesamte Gebiet südlich des Humber eroberte und beherrschte. Bret-, Brytenwalda stellt daher den Ehrentitel für einen besonders erfolgreichen angelsächsischen König dar, der zu seiner Zeit eine Art Oberhoheit über große Teile des angelsächsischen England ausübte. Die Personenherkunftsbezeichnung westsächs. wealh, angl. walh, Pl. wēalas ~ wālas mit Ersatzdehnung des ursprünglich kurzen Vokals nach intersonorem h-Schwund31 bezeichnet ähnlich wie ahd. wal(a)h ‚Romane‘, wal(ah)isc ‚romanisch‘ und an. Valir ‚Romanen‘, valskr ‚romanisch‘ Personen ­ethnisch fremder, nämlich keltischer beziehungsweise romanischer, das heißt nichtgermanischer Herkunft und Zugehörigkeit. Der Name des bei Caesar genannten gallischen Stammes der Volcae lieferte das Etymon. Da die germanischen Vertretungen eine Grundform *Walχaz, Pl. *Walχōz voraussetzen, muss die Entlehnung früh, d. h. vor der germanischen Lautverschiebung und vor dem Wandel von vorgerm. /o/ > germ. /a/ erfolgt sein. Im Altenglischen fungiert walh jedoch auch als Standesbezeichnung. Es ist daher gut möglich, dass die nachmaligen Angelsachsen das Wort in der kontinentalgermanischen Bedeutung ‚Fremder‘ mitbrachten und sie hernach auf die für ihre neue Heimat typischen Fremden, das heißt auf Briten und Waliser ausdehnten.32 Neben den Bezeichnungen für Briten, Waliser und Bretonen existiert mit Bret, Bryt nur eine einzige weitere Bildung, nämlich das Adjektiv Bryt(t)isc, Brittisc, Brettisc, das entweder ‚britisch‘ bedeutet oder eine der in Britannien gesprochenen keltischen Sprachen bezeichnet. Fraglich ist dagegen, ob das vom Dictionary of Old English33 s. v. bryten ‚weit, geräumig‘ nur einmal im Gedicht Christ und Satan 685 in  31  32

Two of the Saxon Chronicles Parallel, 1–2 (ed. John Earle/Charles Plummer, Oxford 1892, ND 1980) 2, 342–344. Two of the Saxon Chronicles Parallel, ed. Earle/Plummer 2, 384. Klaus Dietz, Zur Vokalquantität ae. Wörter des Typus w(e)alh – w(e)alas, in: Anglia 88 (1970) 1–25. Vgl. zum Folgenden auch Margaret S. Faull, The Semantic Development of Old English Wealh, in: Leeds Studies in ­English, New Series 8 (1975) 20–44. Ihr Belegmaterial entstammt hauptsächlich dem Anglo-Saxon Dictionary with ­Supplement, ed. Joseph Bosworth/T. N. Toller (Oxford 1898/1921). Zur historischen Bedeutung vgl. John Insley, Wealh, in: RGA, 2. Aufl. 33 (Berlin/New York 2006) 319–322.  33 Dictionary of Old English, A – G, ed. Antonette diPaolo Healey (Toronto 1986–2008).  29  30

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der Form breoten nachgewiesene Adjektiv mit F. Holthausen34 ursprünglich ‚britisch‘ bedeutete, denn Komposita wie bryten-grund und bryten-wong ‚weite Ebene‘ widersprechen seiner Deutung. Größer ist dagegen die morphologische Reichweite von w(e)alh. Neben dem Adjektiv wī(e) lisc, wȳl(i)sc, wēl(i)sc35 mit i-Umlaut und jüngerem wēalish ‚fremd, britisch, walisisch; unfrei‘ ohne i-­Umlaut ­existieren wī(e)len ‚Keltin, Sklavin‘, das Diminutivum wīelincel ‚kleiner Diener‘ und die ­Komposita ­wealhbaso ‚Zinnober‘ (= ‚ausländisches Rot‘), wealhfæreld ‚Grenzschutz gegen ­Wales‘ samt wealh-gefēra, -gerēfa ‚Leiter des Grenzschutzes‘ mit Ausklammerung des Mittelgliedes, ­ferner ­wealh-hafoc ‚Wanderfalke‘, wealhhnutu ‚Walnuss‘ (vgl. an. valhnot), wealhmoru, -e ‚Karotte, ­Pastinake‘, wealhwyrt, wēalwyrt ‚Alant‘, außerdem wīngeardwealh ‚Arbeiter im Weinberg‘, das einzige Kompositum mit w(e)alh im Hinterglied, sowie das noch nicht gedeutete Kompositum wealhstod ­‚Dolmetsch, Übersetzer‘36 mit fraglicher Vokalquantität des Hintergliedes. Die ae. Belege zeugen für beide Bedeutungen, doch ist ‚Übersetzer‘ die jüngere, erst mit und nach der Christianisierung aufgekommen. Die Beda-Übersetzung verwendet wealhstodas Pl. in einer Passage, in der Beda berichtet, dass die Missionare von fränkischen Dolmetschern begleitet wurden, wie Gregor ihnen aufgetragen hatte. Das Wort kommt sogar in der Poesie vor. In Exodus 519 bedeutet es ‚Interpret lebenspendenden Wissens‘. Die ae. Beda-Übersetzung weiß sogar von einem Bischof Wealhstod, dessen Diözese jenseits des Severn lag. Mit weall-staðol, falls verschrieben für wealh-staðol, existiert möglicherweise noch ein zweites hierher gehöriges Wort, doch bedeutet staðol normalerweise ‚Stütze, Unterlage‘. Das Middle English Dictionary deutet s. v. weal-staðel das Determinatum als Ergebnis einer semantisch bedingten Angleichung von stod an staþol.37 Nur am Rande gehören auch īras ‚Iren‘, īrland und īrisc hierher.38 Noch ferner stehen francan Pl. ‚Franken‘, franc-land ~ fronc-lond ‚Land der Franken‘, franc-rīce ‚Königreich der Franken‘ und das Adjektiv frencisc ‚fränkisch‘. Bezeichnungen für Romanen sind dagegen nicht nachweisbar. In Betracht kommt allenfalls die Verbindung des Ortsnamens Rōm ~ Rūm ‚Rom‘ mit ware, -an ‚Bewohner‘, doch bedeutet sie ‚Römer‘ und nicht ‚Romane(n)‘. Dafür sprechen auch die Ableitungen Rōmāne, -an ‚Römer‘, rōmānisc ‚römisch‘ und Komposita wie Rōmeburh ‚Rom‘ und Rōmfeoh, -gesceot ‚Peterspfennig‘. Auffällig ist die Bezeichnung Rōm-, Rūmwalh für ‚Römer‘, die an die Bedeutung ‚Ausländer‘ für w(e)alh anknüpft. So verbleibt nur das adjektivisch wie substantivisch gebrauchte læden mit umstrittener Vokal­quantität, das sowohl ‚Latein‘ als auch ‚lateinisch‘ bedeuten kann.39 Das Wort wurde nach der west­romanischen Sonorisierung der stimmlosen intervokalischen Verschlusslaute /p, t, k/ rezipiert. Da die Annahme, der Tonvokal sei lang gewesen oder könne auch lang gewesen sein,40 jeder Grundlage entbehrt, lassen sich die überlieferten Schreibungen læden, leden, lyden nur als Reflexe des i-Umlautes deuten, wobei ­lyden eine umgekehrte Schreibung für leden darstellt, weil westsächs. /y/ merzisch-kentischem /e/ entspricht.41 Neben dem Simplex begegnen sowohl die adjektivischen Ableitungen lædenisc und lædenlic als auch die Komposita læden-bōc ‚lateinisch geschriebenes Buch‘, læden-gereord, læden-geþēode und læden-sp(r)ǣc ‚lateinische Sprache‘, læden-nama ‚lateinisches Nomen‘, læden-stæf ‚lateinischer Buchstabe‘, lædenware Pl. ‚Römer‘ und als einziges Kompositum mit læden als Determinatum bōc-læden ‚Schriftlatein‘. Die häufige Verwendung von læden demonstriert die Bedeutung des Lateinischen für die gebildeten Angelsachsen.

Ferdinand Holthausen, Altenglisches etymologisches Wörterbuch (Heidelberg 1934) s.v. breoten, bryten. The Anglo-Saxon Chronicle, II, 462.  36 Matti Kilpiö, Old English vocabulary dealing with translation, in: Neuphilologische Mitteilungen 111 (2010) 153–165, hier 161.  37 Middle English Dictionary, ed. Hans Kurath/Sherman M. Kuhn/Robert E. Lewis (Ann Arbor, Michigan 1952–2001).  38 Vgl. Alfred Bammesberger, Irish: An antedating, in: American Notes and Queries 15.4 (2002) 45–47.  39 Vittoria Dolcetti Corazza, Inglese antico læden ‘latino’, in: ‘Feor ond neah’: scritti di filologia germanica in memoria di Augusto Scaffadi Abbate, Annali della Facoltà di lettere e filosofia dell’Università di Palermo, Studi e ricerche 3 (Palermo 1983) 129–141.  40 Das Anglo-Saxon Dictionary, ed. Bosworth/Toller, 608f. s.v. lǣden setzt Länge an, das Middle English Dictionary, ed. Kurath/Kuhn/Lewis s.v. lē ̆ den und Alfred Wollmann, Untersuchungen zu den frühen lateinischen Lehnwörtern im Alt­ englischen (München 1990) 567–590 rechnen ebenso fälschlich mit beiden Quantitäten.  41 Unzureichend Wollmann, Untersuchungen 583–586.  34  35

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JURIDISCHE ZEUGNISSE Die angelsächsischen Rechtsquellen sind im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil sie Sonderbestimmungen für die keltische Bevölkerung enthalten. Die frühesten dieser Bestimmungen finden sich in den Gesetzen des westsächsischen Königs Ine (688–729), die wohl zwischen 688 und 694 erlassen wurden und in einer Handschrift von ca. 925–950 vollständig überliefert sind. Die einschlägigen Wergeldtarife bestimmen zunächst in § 23.3: Das Wergeld eines walisischen Steuerzahlers (wealh) beträgt 120 Schilling, das seines Sohnes 100, das Vermeiden von Auspeitschen kostet ihn 12 Schilling.42 § 24.2 setzt fest: Das Wergeld für einen Waliser (wealh), der fünf Hiden Land besitzt, beträgt 600 Schilling. § 32 legt fest: Wenn ein Waliser (wilisc mon) eine Hide Land besitzt, soll sein Wergeld 120 Schilling betragen. Besitzt er jedoch nur eine halbe Hide, soll es 80 Schilling betragen und, wenn er kein Land besitzt, 60. § 33 sagt aus: Das Wergeld eines walisischen Reiters (horswealh), der in des Königs Diensten steht und Botengänge für ihn unternimmt, soll 200 Schilling betragen. § 54.2 legt fest: Einen zur Sklaverei verurteilten Waliser (Wyliscne mon) soll man zum Auspeitschen über 12 Hiden Land treiben, einen Engländer aber über 34. § 74 besagt: Wenn ein unfreier Waliser (ðeowwalh) einen Angelsachsen erschlägt, soll sein Eigentümer ihn an den Herrn und die Verwandten des Erschlagenen ausliefern oder ihnen 60 Schilling für das Leben des Täters bezahlen. Ähnliche Bestimmungen finden sich in den von Erzbischof Wulfstan II. von York zusammengestellten Norðlēoda Laga, den Gesetzen der Nordleute wieder. § 7–8 besagt: Wenn ein Kelte (Wilisman) Erfolg hat, eine Hide Land besitzt und dem König Steuern zahlt, beträgt sein Wergeld 120 Schilling. Besitzt er nur eine halbe Hide, beträgt sein Wergeld 80 Schilling; besitzt er kein Land und ist gleichwohl ein freier Mann, beträgt es 70 Schilling. Die Bestimmungen der Gesetze König Ines spiegeln den Versuch wider, die Beziehungen zwischen den einheimischen Kelten und den Angelsachsen rechtlich zu regeln. Sie belegen aber auch, dass sowohl unfreie als auch freie Waliser, unter ihnen sogar Landbesitzer, im Herrschaftsbereich von Wessex lebten. Allerdings war für sie jeweils weniger Wergeld zu zahlen als für Angelsachsen. Das Beispiel des keltischen Meldereiters im königlichen Dienst zeigt zudem, auch für Kelten existierten Aufstiegsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich. Die Verbreitung des Wortes wealh in der Bedeutung ‚Sklave‘ scheint jedoch auf Wessex beschränkt gewesen zu sein. TOPONYMISCHE ZEUGNISSE Die Existenz keltischer Ortsnamen, seien es rein keltische, seien es hybride Namen aus keltischen und englischen oder skandinavischen Bestandteilen in Gebieten, die einstmals unter angelsächsischer Herrschaft standen, gehört zu den Normalfällen englischer Ortsnamengebung. Keltische Toponyme, die mitunter an Flüssen mit keltischem Namen gelegene Siedlungen bezeichnen, so dass das Hydronym auch als Toponym fungiert, finden sich im gesamten angelsächsischen Siedlungsbereich. Ihr Anteil ist dort höher, wo die angelsächsische Herrschaft erst im oder nach dem 7. Jahrhundert oder wie im nordwestlichen Mittelland (Lancashire) noch später errichtet werden konnte. Im Süden manifestiert sich dieser Effekt in den westlichen Grafschaften Devon, Somerset, Dorset und angrenzenden Teilen von Wiltshire. Von den beiden Bezeichnungen für Kelten, bret ~ brit und w(e)alh, wurde erstere in toponymischer Funktion hauptsächlich in Gestalt des altnordischen Lehnwortes Bretar genutzt. Die mit ihm ge­ bildeten Ortsnamen beschränken sich jedoch auf den von den Angelsachsen erst spät in Besitz genommenen Nordwesten des Danelaw und auf das Gebiet von Strathclyde:43 Birkby Cu (in Crosscanonby), 1163 Brettebi und Birkby Cu (in Muncaster), ca. 1215 Bretteby.44 Birkby Hill WYorks, 1086 Bretebi; ­Birkby Y(NR), 1086 Bretebi;45 die r-Metathese und die Reinterpretation zu Gunsten von birk (< an.

Alle Bestimmungen nach: Die Gesetze der Angelsachsen 1–3 (ed. Felix Liebermann, Halle 1903–1916, ND Aalen 1960). Für Strathclyde bietet auch die Neuauflage von Wilhelm F. H. Nicolaisens Handbuch Scottish Place-Names. Their Study and Significance (Edinburgh 2001) keine Nachweise.  44 Aileen M. Armstrong/Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Cumberland, 1–3 (EPNS 20–22, Cambridge 1971) 3, 282, 424.  45 Eilert Ekwall, The Concise Oxford Dictionary of English Place-Names (Oxford 41960) s.v. Birkby.  42  43

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birki ­‚Birkenwald‘) fand erst nach 1500 statt. Brettargh Holt La, 13. Jh. Bretharwe zu an. erg ‚Berg­ weide‘; Bretby Db, 1086 Bretebi (< an. Bretar, G. Pl. Breta + bª ‚Siedlung der Briten‘); Briscoe Cu, 1203 Brethesco (< an. Bretaskógr ‚Wald der Briten‘). Monkbretton, 1225 Munk(e)bretton SYorks und West Bretton, 1086 Bret(t)one WYorks46 repräsentieren die beiden einzigen nordenglischen Ortsnamen dieses Typs. Brettargh Holt, Birkby, Bretby und Briscoe stellen insofern Sonderfälle dar, als es sich letztlich um skandinavische Namen handelt: Bretarbýr, -erg, -skógr. Wieder anders verhält es sich mit Brettenham Nf, 1086 Bretham, 1170 Breteham, und Brettenham Sf, 1086 Bret(t)-, Bretenham,47 die den Personen­ namen *Bretta, G. Sg. *Brettan ‚Brite‘ im Vorderglied führen und daher ‚Siedlung des Briten‘ bedeuten. Wie das Namenwort bret ~ Bretar findet auch w(e)alh nur als Vorderglied Verwendung. Sein wesent­ lich häufigeres Vorkommen hat inzwischen auch die Forschung beschäftigt. Als erster behandelte A. H. Smith das Toponym ausführlicher und stellte eine Liste der mit ihm gebildeten Ortsnamen zusammen.48 Bald darauf untersuchte K. Cameron nicht nur Semantik und Signifikanz des Namenwortes, sondern stellte auch ein Corpus seines Vorkommens zusammen.49 Daraus geht mehrerlei hervor: 1. Im Unterschied zu den Belegen für Bret ~ Bretar sind Namen mit w(e)alh schon im Altenglischen urkundlich bezeugt. 2. W(e)alh dient als Vorderglied von Landschaftsbezeichnungen und bildet topographische Termini. 3. W(e)alh kommt auch in Flurnamen vor. 4. W(e)alh verbindet sich mit Siedlungsbezeichnungen. 5. W(e)alh kann auch als Personenname fungieren. Beschränkt man sich auf Zeugnisse, die in verlässlichen Ausgaben ediert sind, so gehört zu den schon im Altenglischen bezeugten Namen als ältester Beleg a. 682 Wealaford in einer Urkunde des westsächsischen Königs Centwine, der Abt Hæmgils Ländereien in Somerset überträgt.50 Hinzu kommen unter anderem a. 944 on weala brucge in der Markbeschreibung einer Schenkungsurkunde König Eadmunds über acht Hiden Land in Brimpton Brk an seinen Dienstmann Ordulf51 und a. 945 Wealagærstune = ne. Woodgarston Ha in einer Schenkungsurkunde desselben Königs an seinen Priester Æthelnoth.52 Die ­ersten beiden Belege repräsentieren Stellenbezeichnungen, der dritte enthält den Siedlungsnamen gærstūn zu ae. græs ~ gærs ‚Gras‘. Die zweite Gruppe umfasst Gewässernamen: Walla Brook D, 1240 Walebrokesheved; Walla Brook D, 1240 Wellabroke (ae. brōc ‚Bach‘).53 Walburn YNR, 12. Jh. Walebrun(e), -burne (ae. burna ~ ­brunna, an. brunnr ‚Bach‘).54 Walpole Suff, 1086 Walepole, Walpole St Andrew Norf, 1042–66 ­Walepol55 und Wapley House YNR, 1226–1228 Walepol‘ (ae. pōl ‚Pfuhl‘).56 Stellenbezeichnungen stellen die dritte Gruppe: Saffron Walden Ess, 1086 Waledana, 1119 Weleden(e),57 sowie King’s und St Paul’s Walden Hrt, 888 (13. Jh.) Waleden(e), 11. Jh. (12. Jh.) (on) Wealedene (ae. denu ‚Tal‘). Wallasey Ch, 1086 Walea, 1096–1101 Waleie (ae. ēg ‚Insel‘).58 Walford D, 1086 Waleforda und Walford He, 1086 Wal(ec)ford, 1166 Wal(e)ford(e) (ae. ford ‚Furt‘).59 Walham Gl, 12. Jh. Walehamme (ae. hamm ‚Einhegung‘).60 Walmire YNR, 12. Jh. Walemire, 1205 Walemur (ae. mōr ~ an. mýrr ‚Moor‘) und Walmore Common Gl, 12. Jh. Wallemore, 1221 Walemor(e) (ae. mōr ‚Moor‘).61 Walshaw YWR, 1277 Wallesheyes Eilert Ekwall, The Place-Names of Lancashire (Manchester 1922) 111; Albert H. Smith, English Place-Name Elements, 1–2 (EPNS 25–26, Cambridge 1956) 1, 50 und ders., The Place-Names of the West Riding of Yorkshire, 1–8 (EPNS 30–37, Cambridge 1961–1963) 1, 273; 2, 99. Ekwall, Oxford Dictionary of English Place-Names s.v. Briscoe; Victor Watts, The Cambridge Dictionary of English Place-Names (Cambridge 2004) s.vv. Bretby, Bretton.  47 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.v. Brettenham.  48 Smith, English Place-Name Elements 2, 244.  49 Kenneth Cameron, The meaning and significance of Old English walh in English place-names, in: Journal of the English Place-Name Society 12 (1980) 1–46.  50 Charters of Glastonbury Abbey (ed. Susan E. Kelly, Anglo-Saxon Charters 15, Oxford 2012) Nr. 4.  51 Charters of Abingdon Abbey, Part 1 (ed. Susan E. Kelly, Anglo-Saxon Charters 7, Oxford 2000) Nr. 39.  52 Charters of the New Minster, Winchester (ed. Sean Miller, Anglo-Saxon Charters 9, Oxford 2001) Nr. 13.  53 John E. B. Gover/Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Devon (EPNS 8–9, Cambridge 1931–32) 16.  54 Albert H. Smith, The Place-Names of the North Riding of Yorkshire (EPNS 5, Cambridge 1928) 270.  55 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names (Cambridge 2004) s.vv.  56 Smith, Place-Names of the North Riding of Yorkshire 141.  57 Percy H. Reaney, The Place-Names of Essex (EPNS 12, Cambridge 1935) 537.  58 John McN. Dodgson, The Place-Names of Cheshire, 1–5 (EPNS 44–48, 54, 74, Cambridge 1970–1997) 4, 311.  59 Gover/Mawer/Stenton, Place-Names of Devon 254; Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.v.  60 Albert H. Smith, The Place-Names of Gloucestershire, 1–4 (EPNS 38–41, Cambridge 1964–1965) 2, 149.  61 Smith, Place-Names of the North Riding of Yorkshire 283; ders., Place-Names of Gloucestershire 3, 204.  46

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(ae. sc(e)aga ‚Gebüsch‘).62 Walworth Ca, 13. Jh. Walewrth,63 Walworth Du, 1270 Walwurth und ­Wellsworth Ha, 1222 Waleswrthe (ae. worð ‚Einhegung‘).64 Da die Flurnamen keine neuen Erkenntnisse vermitteln und die ältesten Belege oft wesentlich später einsetzen als die der übrigen Namengruppen, kann auf ihre Erfassung verzichtet werden. Die vierte Gruppe besteht aus Siedlungsnamen: Am häufigsten kommen Toponyme vom Typ Walton (< ae. w(e)alh + tūn ‚Gehöft, Dorf‘) vor, der fast drei Dutzend Mal vertreten ist. V. Watts65 verbirgt diesen Tatbestand wohl unabsichtlich, weil er nur jedes zweite Beispiel nennt. Da bei erst später bezeugten Namen dieses Typs in der Regel allenfalls durch eine Realprobe noch zu entscheiden ist, ob Walton einst nicht ae. w(e)ald ‚Waldung‘, w(e)all ‚Wall, Damm‘ oder wælle, wielle ‚Quelle‘ im Vorderglied führte, werden nur vor 1200 bezeugte Namen berücksichtigt. Allein deren Formen geben Aufschluss darüber, ob das betreffende Toponym auf ae. Gen. Pl. w(e)ala + tūn zurückgeht. Besonderes Gewicht besitzen schon im Domesday Book von 1086 verzeichnete Formen, deren an der Morphemfuge im Typ Waletone zweifelsfrei auf w(e)alatūn zurückweist. Das auf diese Weise gesicherte Belegmaterial wird geographisch geordnet und möglichst vollständig dokumentiert. Der Aufbau der noch nicht abgeschlossenen Bände der English Place-Name Society für die Grafschaften Dorset, Durham, Norfolk, Leistershire, Lincolnshire, Shropshire und Staffordshire erschwert es jedoch, weitere Beispiele für einschlägige Namen ohne größeren Zeitaufwand zu ermitteln, weil die Namenelemente bis vor kurzem erst im jeweils letzten Band verzeichnet wurden. Süden: Wallington Sr, 1076–84 Waletona, 1086 Waleton(e) und Walton-on-Thames Sr, 1086 ­Waletona.66 Südliches Mittelland: Walton (near Eccleshall) St, 1086 Waletone, Walton (near Stone) St, 1086 Waletone, ca. 1130 Waletona und Walton-on-the-Hill St, 1086 Waletone, ca. 1166 Waletona.67 Walton Lei, 1086 Waltone68 und Walton on the Wolds Lei, 1086 Waletone.69 Walingtons Brk, 1195 Waleton‘.70 Walton-on-the Naze Ess, 11. Jh. Walentonie, 12. Jh. Waletun(a).71 Walton Suff, 975–1016 Wealtune, 1086 Waletuna.72 Nördliches Mittelland: Walton-le-Dale La, 1086 Waletune, Walton(-on-the Hill) La, 1086 Waletone, 1094 Waleton und Walton Hall La, 1086 Walletun, 1190 Waletona.73 Walton Inferior Ch, 12. Jh. Waletun, 1154–60 Waletona.74 Walton Db, 1086 Waletune und Walton-upon-Trent Db, 942, 1086 (æt) Waletune.75 Norden: Walton YWR, 1086, 1159–80, 1166 Waleton, -tun(a), Walton YWR, 1086 Walitone und Walton Head YWR, 1086 Waltone.76 Walton (lost) YNR, Waletun, -ton.77 Am zweithäufigsten begegnen Toponyme vom Typ Walcot (< ae. walh + cot(e) ‚Häuschen, Hütte‘), der in über einem Dutzend Ortnamen aus fast ebenso vielen Grafschaften vorliegt,78 weswegen wie­ derum nur die vor 1200 bezeugten Namen berücksichtigt werden. Die von V. Watts79 getroffene Auswahl suggeriert, der Namentyp komme nur zwischen Themse und Humber vor. Im Unterschied zum Typ Walton, der auch Dörfer bezeichnen kann, repräsentieren die Namen auf -cot Einzelsiedlungen. Smith, Place-Names of the West Riding of Yorkshire 3, 202. Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Cambridgeshire and the Isle of Ely (EPNS 19, Cambridge 1943) 218.  64 Victor Watts, A Dictionary of County Durham Place-Names (Nottingham 2002) 131; Richard Coates, The Place-Names of Hampshire (London 1989) 172.  65 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.v. Walton.  66 Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Surrey (EPNS 11, Cambridge 1934) 55, 96.  67 David Horovitz, The Place-Names of Staffordshire (Brewood 2005) 558.  68 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, 648b.  69 Barrie Cox, The Place-Names of Leicestershire, 1–6 (EPNS 75, 78, 81, 84, 88, 90, Nottingham 1998–2014) 3, 268.  70 Margaret Gelling, The Place-Names of Berkshire, 1–2 (EPNS 49–50, Cambridge 1973–74) 2, 317.  71 Reaney, Place-Names of Essex 354.  72 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.v. Walton (5).  73 Ekwall, Place-Names of Lancashire 68, 115, 198.  74 Dodgson, Place-Names of Cheshire 2, 157.  75 Kenneth Cameron, The Place-Names of Derbyshire, 1–3 (EPNS 27–29, Cambridge 1959) 2, 321; 3, 667.  76 Smith, Place-Names of the West Riding of Yorkshire 2, 112; 4, 246; 5, 43.  77 Smith, Place-Names of the North Riding of Yorkshire 66.  78 Smith, English Place-Name Elements 2, 242-244; Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.vv. Walcot(e), Walcott.  79 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.vv. Walcot(e), Walcott.  62  63

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Süden: Walcott W, 1086 Walecote.80 Südliches Mittelland: Walcot (in Wrockwardine) Sa, ca. 1138 Walecote und Walcot Sa, 1086 Waleco81 te. Walcote Lei, 1086 Walecote.82 Walcot Wo, ca. 1150 Walecote.83 Walcote End Wa, 1086 Walecote.84 Walcot O, ca. 1130 Walecote.85 Wawcott Brk, 1284 Walecot86. Walcott Nf, a. 1086 Walecota, Walchota.87, Walcot Hall Nth, 1125–28 Walecot(e).88 Nördliches Mittelland: Walcot (1) Li, 1067 Walcote, 1067–69, 1086 Walecote, Walcot (2) Li, 1086 Walecote und Walcott (3) Li, 1086 Walecote.89 Seltener ist das Vorkommen von W(e)alh als Personenname zu beobachten: Wallingford Brk, ca. 895 Welengaford, (æt) Welingaforda, ca. 915 (to) Wælingaforda, 1003–04 æt Wealingaforda.90 Das Zugehörigkeitssuffix -inga- signalisiert, dass der Name „Furt der Leute des W(e)alh“ bedeutet. Walsall St, ca. 1100, 1163 Waleshale, 1169 Waleshala (G. Sg. Wāles + ae. h(e)alh ‚Winkel‘.91 Walsham Le Willows Suff, 1086 Wal(e)sam, ca. 1095 Walesham (ae. hām ‚Heim, Wohnung, Dorf‘); North Walsham Norf, 1044–47 Norðwalsham, 1169 Norwalesham; South Walsham Norf, 1044–47 Suðwalsham, 1086 Walessam, Walesham, Walsam.92 Wallstone Ch, 1086 Walestune (ae. tūn).93 Wallsworth Gl, ca. 1200, ca. 1220 Walesw(u)rth(e) (ae. worð).94 Das Namenwort ws. wealh, angl. walh, G. Sg. wēales ~ wāles, G. Pl. wēala ~ wāla kommt sowohl in toponymischer als auch in anthroponymischer Funktion auf dem gesamten angelsächsischen Sprachgebiet vor und ist dort seit dem späten 7. Jahrhundert urkundlich bezeugt. Als Appellativum bildet es das Determinans normalerweise zwei-, selten dreigliedriger Toponyme, deren Hinterglieder meist Stellen- und Siedlungsbezeichnungen darstellen. Mitunter verbindet sich w(e)alh auch mit Hydronymen zu Namen für fließende oder stehende Gewässer (brōc, burna ‚Bach‘, pōl ‚Pfuhl‘). Am häufigsten tritt w(e)alh zusammen mit den Siedlungsbezeichnungen cot n. ~ cote f. ‚Häuschen, Hütte‘ und tūn ‚Gehöft, Gut, Dorf‘ auf. Ihre Verbreitung verrät den hohen Grad an Integration solcher Namen in das onymische System der Angelsachsen. Darüber hinaus findet W(e)alh auch in anthroponymischer Funktion als Personenname Verwendung. Beispiele wie Wallingford, dessen Vorderglied den Völkernamen ae. *Wealhingas ‚Leute des Wealh‘ enthält, dokumentieren die vollständige Integration auch des Rufnamens in die altenglische Anthroponymie. Alter, Zahl und Verbreitung der mit dem Toponym ae. w(e)alh, Pl. wēalas ~ wālas gebildeten Ortsnamen demonstrieren eindrucksvoll das friedliche Zusammenleben zwischen der keltischen Bevölkerung und den germanischen Neusiedlern auch nach der Konsolidierung des angelsächsischen Herrschaftsgebietes. Die Forschung hat diesen Befund bisher noch nicht richtig zur Kenntnis genommen.

John E. B. Gover/Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Wiltshire (EPNS 16, Cambridge 1939) 277. Margaret Gelling, The Place-Names of Shropshire, 1–6 (EPNS, 62–63, 70, 76, 80, 82, 89, Nottingham 1990–2012) 1, 297f.; 3, 80.  82 Cox, Place-Names of Leicestershire 5, 149.  83 Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Worcestershire (EPNS 4, Cambridge 1927) 221.  84 John E. B. Gover/Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Warwickshire (EPNS 13, Cambridge 1936) 130f.  85 Margaret Gelling, The Place-Names of Oxfordshire, 1–2 (EPNS 23–24, Cambridge 1953–1954) 1, 416.  86 Gelling, Place-Names of Berkshire 2, 317f.  87 Karl I. Sandred, The Place-Names of Norfolk, 1–3 (EPNS 61, 72, 79, Nottingham 1989–2002) 2, 128f.  88 John E. B. Gover/Allen Mawer/Frank M. Stenton, The Place-Names of Northamptonshire (EPNS 10, Cambridge 1933) 242.  89 Kenneth Cameron, The Place Names of Lincolnshire, 1–7 (EPNS 58, 64/65, 66, 71, 73, 77, 85, Nottingham 1985–2010) 6, 6; Watts, The Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.vv.  90 Gelling, Place-Names of Berkshire 2, 535f.  91 Horovitz, Place-Names of Staffordshire 557; Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.v.  92 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, s.vv.  93 Cameron, Place-Names of Derbyshire 3, 578.  94 Smith, Place-Names of Gloucestershire 2, 153.  80  81

Benennungen von Romanen und Kelten im frühmittelalterlichen England

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ANTHROPONYMISCHE ZEUGNISSE Das Fehlen eines modernen englischen anthroponymischen Wörterbuchs des Mittelalters erschwert die Analyse einschlägiger keltischer oder hybrider angelsächsisch-keltischer Personenamen beträchtlich.95 Gleichwohl lassen sich einige frühe und/oder früh bezeugte Personennamen oder Namen­elemente veri­ fizieren. Hierher gehört zunächst der Name des ersten altenglischen Dichters Cædmon. Nach dem Bericht Bedas (Historia ecclesiastica IV. 24), der die Gabe des Dichtens in altenglischen Versen, die dem ­illiteraten Hirten im Dienste des Klosters Whitby in einer Traumvision verliehen ward, als Wunder beschreibt, sang Cædmon nach Aufforderung einen neunzeiligen Hymnus zum Lobe Gottes, den zwei der ­ältesten Handschriften der Historia ecclesiastica (ca. 735) überliefern.96 Während das Determinatum des, ­soweit ich sehe, noch nicht gedeuteten Namens ae. man ~ mon ‚Mann‘ repräsentiert, beruht das Vorderglied auf einem keltischen Wort für ‚Kampf‘. Es liegt in gall. catu- vor97 und entspricht germ. *haþu- ‚Krieg‘.98 Im britischen Keltisch ergibt die Lenisierung von /t/ ae. /d/ wie in ae. Andred = Pevensey lā und vor dem ostslavischen Vollaut al > ala (> olo) geschehen sein, also spätestens zur Regierungszeit Karls des Großen, eher aber noch früher.13 Das wäre der lauthistorische terminus ante quem der Entlehnung. Als ihr lauthistorischer terminus post quem kann nur die germanische Lautverschiebung angeführt werden. Der germanische Walchenname ist bekanntlich seinerseits aus dem Keltischen entlehnt worden, bevor das keltische k (von Caesar auf lateinische Weise mit c geschrieben: Volcae) zu Siehe Solta, Balkanlinguistik 70. Siehe Reinhold Trautmann, Die altrussische Nestorchronik Povest’ vremennych let in Übersetzung herausgegeben. Mit einer Karte Osteuropas (Leipzig 1931) 6; zum altrussischen Original: Polnoe sobranie russkich letopisej I. ­Lavrent’evskaja letopis’ i Suzdal’skaja letopis’ po Akademičeskomu spisku (Moskva 1962) 11f. (Variante 34). – Anhand dieser Stelle wird auch die Frage der Existenz einer geschlossenen walachischen Volksgruppe im 7. Jahrhundert diskutiert. Siehe Pohl, ­Awaren 234f.: „Als Beleg für romanische Kontinuität nördlich der Donau kann die Stelle nicht dienen; ganz im Gegenteil dokumentiert sie das wechselhafte und von verschiedenen Völkern geprägte Schicksal dieser Gegend“; ebd. 227: „Fast ein Jahrtausend, nachdem die Römer die Provinz Dakien (das heutige Siebenbürgen und ein Teil der Walachei) aufgegeben ­hatten, tauchten in dieser Gegend die romanischen Walachen auf; Berghirten und Bauern nördlich, vor allem aber südlich der Donau hatten inmitten aller Bevölkerungsverschiebungen jahrhundertelang ihre ,Romanitas‘ gepflegt und weiterent­ wickelt und wurden zum Kern einer neuen ,walachischen‘ Ethnogenese.“ 11 Siehe Max Vasmer, Russisches etymologisches Wörterbuch 1 (Heidelberg 1976) 222. 12 Siehe Gregor I., Registrum Epistolarum X, 15 (ed. Ludwig M. Hartmann, MGH EE 2, Berlin 1899, ND 1992) 249; ­Documenta historiae Chroaticae periodum antiquam illustrantia (ed. Franjo Rački, Monumenta spectantia ­historiam ­Slavorum Meridionalium 7, Zagreb 1877) 258 (Nr. 53), und Radoslav Katičić, Literatur- und Geistesgeschichte des kroatischen Frühmittelalters (Wien 1999) 93 mit Anm. 142. 13 Siehe die Hinweise zur Datierung in Holzer, Historische Grammatik 61.  9 10

Der Walchen-Name im frühmittelalterlichen Slavischen

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germanischem (c)h „verschoben“ worden ist, was um das 4. Jh. v. Chr. geschehen sein könnte.14 Das keltische o wurde durch das germanische a substituiert, weil das Germanische damals kein kurzes o hatte. Nach der germanischen Lautverschiebung, aber eben vor den genannten slavischen Entwicklungen der Sequenz al, gelangte der Name aus dem Germanischen ins Slavische. Die Entlehnung aus dem Germanischen ins Slavische lässt sich also nach der lautchronologischen Methode nur auf über ein Jahrtausend genau datieren. Von der slavischen Lautgestalt des Lehnwortes her kommt wohl jede spätantike oder frühmittel­ alterliche germanische Sprache als Gebersprache in Frage, aus kulturhistorischen Erwägungen heraus aber vielleicht am ehesten das Gotische, obwohl der Walchen-Name im Gotischen nicht belegt ist. Aber wenn es sich um eine Entlehnung aus dem Althochdeutschen handelte, das ebenfalls gut belegbare, aber naturgemäß spätere Kontakte mit dem Slavischen hatte, müssten die frühen Slaven, von denen die oben zitierte Stelle der Nestorchronik berichtet, ursprünglich eine andere Bezeichnung für Römer und ­Romanen verwendet haben, um diese dann durch die althochdeutsche zu ersetzen. Dies wäre eine ­multiplicatio praeter necessitatem, also die im Sinne von Ockhams Rasiermesser ungünstigere Vorstellung. Falls nun der slavische Walchen-Name wirklich aus dem Gotischen entlehnt ist, steht er neben ­anderen gotischen Wörtern im (Vorur-)Slavischen, die das Gotische seinerseits aus dem Lateinischen entlehnt hatte: ursl. *asilu «osьlъ» ‘Esel’ < got. asilus von lat. asinus; ursl. *wīna «vino» ‘Wein’ < got. wein [wīn] < urgerm. *wīnan von lat. vīnum; ursl. *katilu «kotьlъ» ‘Kessel’ < got. katil(u)s von lat. catillus; ursl. *kawpī˙tēj «kupiti» ‘kaufen’ < got. kaupon ‘Handel treiben’ von lat. caupo15. Die Slaven lernten nämlich römische Kulturgüter teilweise über gotische Vermittlung kennen; so kann gut auch ihre Kenntnis von den Römern selbst von den Goten stammen und daher auch ihre Bezeichnung der Römer. Das würde bedeuten, dass die Verwendung des Walchen-Namens bei den Slaven älter ist als ihr Kontakt mit Römern und Romanen; die Slaven würden dann Römer und Romanen vorerst nur vom Hörensagen gekannt haben. Jedenfalls sagt der slavische Walchen-Name, da er aus dem Germanischen entlehnt ist, über slavisch-romanische Kontakte nichts aus, sondern allenfalls über slavisch-germanische. Die von den Slaven als *wal˙xu, später volóch, vlȁh usw. bezeichneten Romanen an der untersten Donau führten das uns von den Rumänen her gut bekannte Hirtenleben. Dort aber, wo sie ihre Sprache zugunsten der slavischen aufgegeben hatten, hoben sie sich nur noch durch ihre Hirtenkultur von den Ackerbau treibenden ursprünglichen Slaven ab. Auf diese Weise verlor zwangsläufig der slavische Walchen-Name die Bedeutung ‘Romane, Rumäne’ und bedeutete fortan nur noch ‘Hirte’. Da aber die sprachliche Assimilation der Rumänen nicht überall und nicht überall in gleichem Maße erfolgt war, wurde die Bedeutung des slavischen Walchen-Namens diffus und oszillierte je nach Ort und Zeit zwischen ‘Romane’ und ‘Hirte’, wobei weitere Bedeutungen wie ‘Angehöriger der orthodoxen Kirche’ hinzutraten, was in weiterer Folge dazu führte, dass manche Kroaten auch manche Serben als vlȁh bezeichnen und schließlich sogar manche Kroaten andere, jeweils östlichere Kroaten.16 Freilich konnte der slavische Walchen-Name auch andere Romanen bezeichnen. So z. B. in der Vita Methodii; da ist von christlichen Missionaren „von den Walchen“ (učitele ... krьstijani iz vlachъ)17 die Rede, und das bedeutet wohl: Missionare aus Aquileia, also etwa ‘italienische’. ‘Italiener’ bedeuten auch heute noch das polnische Ethnonym Włoch und das tschechische und slovakische Vlach. Und die

Siehe Saskia Pronk-Tiethoff, The Germanic Loanwords in Proto-Slavic (Amsterdam/New York 2013) 98f. Siehe Pronk-Tiethoff, Germanic Loanwords 138f., 125–127, 131f., 112f. Die jeweils unmittelbar nach dem Asteriskus angeführten Rekonstruktionen urslavischer Wörter stammen in dieser Form von mir, zwischen den Anführungszeichen « und » sind jeweils die herkömmlichen Notationen hinzugefügt. 16 Siehe die präzisen Bedeutungsangaben in Vladimir Mažuranić, Prinosi za hrvatski pravno-povjesni rječnik (Zagreb 1908– 1922) 1584; Petar Skok, Etimologijski rječnik hrvatskoga ili srpskoga jezika III (Zagreb 1973) 606–609, und in Zbornik Konstantina Jirečeka I, ed. Mihailo Dinić (Beograd 1959) 191–195, sowie die zahlreichen altserbischen Belegstellen in Đura Daničić, Rječnik iz književnih starina srpskih I (Beograd 1863) 131–134. (Zbornik Konstantina Jirečeka 191–204 ist die serbische Übersetzung der mir nicht zugänglichen Abhandlung „Die Wlachen und Maurowlachen in den Denkmälern von Ragusa. Sitzungsberichte der Königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. Vorgetragen von Dr. ­Constantin Jireček am 27 Jänner 1879.“) 17 Siehe Uspenskij sbornik XII–XIII vv. (ed. O. A. Knjazevskaja/V. G. Dem’janov/M. V. Ljapon, red. S. I. Kotkova, Moskva 1971) 192. 14 15

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im Jahre 1070 angeführte „villa“ Wlasiçi auf Pag18 meint wohl die autochthonen Romanen Dalmatiens19, deren mittlerweile ausgestorbene Sprache sich in Dubrovnik bis ins 15. und in Krk in Resten bis ans Ende des 19. Jahrhunderts gehalten hat.20 Der von 1321 stammende Beleg do zemlje kneže, ke se zovu Vlaške ‘bis zum Fürstenland, die walchisch heißen (sic)’ könnte sich auf romanische Reste eben auf der Insel Krk beziehen.21 In einer mit 1215–1219 zu datierenden Urkunde des serbischen Großžupans (späteren Königs Stefans des Erstgekrönten), heißt es: I da ne emle Srьblinь Vlaxa bezь suda; in einer aus derselben Zeit stammenden Übersetzung lautet diese Stelle: Et ut Sclauus non apprehendat Raguseum sine iudicio; auf der Rückseite des slavischen Originals steht von mittelalterlicher Hand geschrieben: Latini et Sclauonicj. Vtilis. Hier ist also Vlaxь durch Raguseus bzw. Latinus übersetzt.22 Auch in den drei Urkunden des bosnischen Bans Matej Ninoslav aus den Jahren 1234–1249 steht der Srьblinь genannte Untertan des Bans dem Vlaxь genannten Ragusäer gegenüber.23 Alle späteren slavischen Dokumente nennen den Bewohner Dubrovniks hingegen Dubrovčanin und seltener Latinin.24 Die Äquivalenz Vlaxь (bzw. das davon abgeleitete Adjektiv vlaškь ‘walchisch, welsch’) = L ­ atinus konnte so weit gehen, dass man mit Vlaxь/vlaškь sogar antike Römer bezeichnete, nämlich in ­kroatisch-glagolitisch vlaška mila ‘mille latinum (romanum), römische Meile’ und vlaška vrata ‘Porta ­Latina’ (in sveti ivanь prědь vlaška vrata ‘Sanctus Ioannes ante Portam Latinam’).25 Wenn aber in einem lateinischen Text das slavische Ethnonym übernommen und nicht ins Lateinische übersetzt wird wie in 1440 affictatum fuit Vlatcho Garcauaç, cathonaro Vlacorum … recipienti pro se et pro omnibus Vlachis de suo cathono pasculum civitatis None …,26 dann deutet das auf einen Verlust der Äquivalenz Vlaxь = Latinus hin. Auf die gesellschaftliche Stellung der Walchen im mittelalterlichen Serbien, wo mit der sprachlichen Assimilation des Rumänentums ans Slaventum zu rechnen ist, wirft das Gesetzbuch des Zaren Stefan Dušan einiges Licht. Es wurde 1349 und 1354 kodifiziert, liegt aber nur in jüngeren Abschriften vor, deren älteste mit ca. 1395 datiert wird. Die rechtlichen Bestimmungen können aber viel älter sein, wie es sicher auch die Einstellung der Slaven den Walchen gegenüber ist, die sich in den „Paragraphen“ des Gesetzbuches niederschlägt. So zahlen etwa Walchen und Albaner eine doppelt so hohe Strafe für Schlägereien als Serben: Potka megju selomь 50 perьperь, a vlaxomь i arьbanasomь 100 perьperь.27

Siehe Rački, Documenta 88 (Nr. 67). So Skok, Etimologijski rječnik 607. 20 Die Personennamengebung im Testament des Priors Andreas von Zadar von 918 macht den Prozess der Verschmelzung des dortigen autochthonen romanischen Elements mit dem slavischen anschaulich. Siehe dazu Katičić, Literatur- und Geistesgeschichte 386–392. 21 So Mažuranić, Prinosi 1585. 22 Siehe Zbornik Konstantina Jirečeka 194 mit dem Hinweis auf Franjo Rački, Prilozi za sbirku srbskih i bosanskih listina, in: Rad Jugoslavenske akademije znanosti i umjetnosti 1 (Zagreb 1867) 124–163, hier 129 (Nr. 3). Im Exemplar der Fachbereichsbibliothek für Slawistik der Universität Wien ist die gedruckte Datierung „1314–17“ mit Bleistift auf „1214–17“ anonym korrigiert. Letzteres Datum passt auch in die Reihenfolge des Abdrucks der Urkunden. 23 Siehe Monumenta serbica spectantia historiam Serbiae Bosnae Ragusii (ed. Franz Miklosich, Wien 1858) 28f., Nr. XXXV: „1240. Ind. XIII. 22. martii. Ragusii. Matthaeus Ninoslav, Bosnae magnus banus, promittit se cum Ragusio aeternam ­habiturum pacem.“, 29: ako věruje serblinь vlaxa, da sě pri predь knezemь dubrovьčьkimь; i jako veruje vlaxь serblina, da se pri predь banomь, i inomu vlaxu i inomu serblinu da ne isьma. Fast gleichlautend 24f., Nr. XXX, Jahre 1234–1240, und 33, Nr. XXXIX, Jahr 1249. Hier bedeutet věruje ‘accusat’, vgl. Daničić, Rječnik 198; izьmь bedeutet ‘sumptio, exactio, Eintreibung’, vgl. Daničić, Rječnik 404f. 24 Siehe Zbornik Konstantina Jirečeka 194 mit dem Hinweis auf Monumenta, ed. Miklosich 147, Nr. CXXVII (Jahr 1349): i kьdi prii latininь srьbina, da da latininь srьbinu polovinu latinь a polovinu srьblь svedoke …, und die fast gleichlautende Stelle in Monumenta, ed. Miklosich 162, Nr. CXLV (Jahr 1357). 25 Siehe Rječnik crkvenoslavenskoga jezika hrvatske redakcije. Lexicon linguae slavonicae redactionis croaticae I, ed. ­Biserka Grabar/Zoe Hauptová/Franjo Većeslav Mareš (Zagreb 2000) 485. – Zur Kirche Johannes des Evangelisten vor der Porta Latina in Rom siehe Walter von Arx, Lexikoneintrag in: Lexikon für Theologie und Kirche V (Freiburg im Breisgau 3 2009) 869. 26 Siehe Lexicon Latinitatis Medii Aevi Iugoslaviae, ed. Marko Kostrenčić/Veljko Gortan/Zlatko Herkov (Zagreb 1973) 1265 s. v. Vlachus, Vlacus, Wolahus, Wolachus ‘pecorarius (pastor) Valachicae gentis’. Vgl. auch ebd. 1265 das Lemma ­Vlacheschus, Vlachescus, Vlascescus, Vlacescus. 27 § 34 in Zakonik cara Stefana Dušana I: Struški i Atonski rukopis / Codex imperatoris Stephani Dušan I: Codd. mss. ­Strugensis et Athoniensis (ed. Mehmed Begović, Beograd 1975) 104. 18 19

Der Walchen-Name im frühmittelalterlichen Slavischen

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Zwar ist klar, dass diese Walchen Hirten sind,28 aber das gilt auch für die Albaner, die hier zusammen mit den Walchen genannt werden, sodass das, was sie unterscheidet und den Grund dafür liefert, beide zu nennen, vielleicht nur ihr verschiedenes Volkstum ist. Hier ist aber zu fragen: Rumänisch sprechender Rumäne vs. Albaner oder slavisch sprechender Hirte vs. Albaner? In ersterem Fall wäre vlaxь im Gesetzbuch des Zaren Stefan Dušan dann doch ein echtes Ethnonym. Auch von den im 16. Jh. aus Kroatien und Bosnien ins damalige Westungarn eingewanderten burgen­ländischen Kroaten werden einige als Vlahi bezeichnet. Die Vlahi übersiedelten im 16. Jh. in die Herrschaften Rechnitz-Schlaining und Rotenturm an der Pinka. „Mit ihren Schafen und Ziegen durchstreiften sie weithin die Wälder des Günser Gebirges, nach Norden bis in die Herrschaft Lockenhaus, wo die Konskription vom Jahre 1672 wie folgt berichtet: ,Waidgeld: Die fremden Wallachen dürfen in den Herrschaftswäldern ihre Schaffe und Gaissen treiben. Geben der Herrschaft das 20. Stück Erträgnis: 10 fl. 10 d.‘“29 Die Vlahi waren libertini, betrieben ursprünglich ausschließlich Viehzucht und ver­ loren ihren Sonderstatus, als sie zum Ackerbau übergingen. Ihre Familiennamen (z. B. Bošnjak) zeigen ihre Herkunft aus Bosnien und den Gebieten an der kroatisch-bosnischen Grenze.30 „Die kirchlichen Visitationen, welche aus seelsorglichen Gründen an der Feststellung der örtlichen Sprache interessiert waren, schreiben ,Croatae‘, während die Urbare und grundherrschaftlichen Verträge die Bezeichnungen Valachi, Oláhok und Walachen bevorzugen, um die rechtliche Sonderstellung (,walachische Freiheiten‘) gegenüber der übrigen untertänigen Bevölkerung hervorzuheben. Man liest auch ,Croatae seu Vallachi‘ und Spitzzicken, früher deutsch auch Walachisch-Zicken, heißt ungarisch Oláhciklény, kroatisch jedoch Hrvatski Cikljin.“31 Kurz sei noch auf Rimljane, den slavischen Namen der Römer, eingegangen. Er ist eine slavische Ableitung von slav. Rimъ ‘Rom’, bedeutet wörtlich ‘Rombewohner’ und ist also keine direkte Benennung von Römern oder Romanen wie ursl. *wal˙xu. Rimljane gehört (mit dem etwas rätselhaften slavischen Reflex i für einen velaren romanischen Vokal) nach lauthistorischen Kriterien derselben Schicht an wie križь, die katholische slavische Bezeichnung des Kreuzes (lat. Rōma > slav. *Rimъ wie lat. crūcem > slav. *križь). Vielleicht handelt es sich bei beiden um Wörter der von Aquileia ausgehenden Mission (das ž in *križь weist auf westromanische Herkunft), vielleicht aber sind sie auch schon früher zu den Slaven gelangt.

Vgl. z. B. § 39 in Zakonik, ed. Begović 106. Siehe Josef Breu, Die Kroatensiedlung im Burgenland und in den anschließenden Gebieten. Mit 17 Karten und 32 photographischen Aufnahmen (Wien 1970) 58. 30 Siehe Mirko Valentić, Gradišćanski Hrvati od XVI stoljeća do danas (Povijesni muzej Hrvatske Zagreb. U povodu izložbe Gradišćanski Hrvati od XVI stoljeća do danas. Urednik dr Lelja Dobronić) (Zagreb 1970) 26. 31 Siehe Breu, Die Kroatensiedlung im Burgenland 19. 28 29

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Georg Holzer

Vlachen in der historischen Landschaft Mazedonien

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Mihailo St. Popović

Vlachen in der historischen Landschaft Mazedonien im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit EINLEITUNG Die Erforschung der „Walchen, Römer und Romanen“ als integraler Bestandteil des europäischen ­Kontinents und seiner Geschichte läßt sich im Wege unterschiedlicher Ansätze verwirklichen. Im vorliegenden Band werden die zur Verfügung stehenden schriftlichen Quellen und Sprachdenkmäler ­genau erfaßt und minutiös interpretiert und für wichtige Schlußfolgerungen in europäischem Kontext heran­gezogen. Daneben wenden gerade die Südosteuropaforscher in Hinblick auf die Vlachen auf der Balkan­halbinsel oftmals einen stark ethnographischen Ansatz als alternative Methode an, welcher ­darin besteht, Lebensweisen der Vlachen im 19., 20. und 21. Jahrhundert zu dokumentieren, um dadurch Rückschlüsse auf deren mittelalterliche Lebensumstände zu ziehen. Eine dritte Möglichkeit, die in dem vorliegenden Beitrag zur Anwendung kommt, ist die Herangehensweise auf der Basis der Methoden der historischen Geographie. Darin stellen die Weideflächen, deren Bezeichnung und Verortung einen wesentlichen Bestandteil dar. Durch eine geographische Erfassung ebendieser in den mittelalterlichen Quellen Südosteuropas lassen sich Cluster herausarbeiten und somit ein Gesamtbild der siedlungshistorischen Gemengelage im Byzantinischen Reich und in angrenzenden Herrschaftsbereichen herstellen. Auch in diesem konkreten Fall möge der Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen in Analogie zum ethnographischen Ansatz zu Anfang des 20. Jahrhunderts liegen. Gerade in Kriegszeiten vermochte die Frage nach Weideflächen und der damit verbundenen Viehzucht in bestimmten Gebieten das Interesse der zuständigen Militärbehörden aus wirtschaftlichen und nachschubspezifischen Beweggründen zu wecken. So verwundert es nicht, daß, als die Kaiserliche ­Akademie der Wissenschaften in Wien im Frühjahr 1916 eine Kunstgeschichtlich-ethnographische und archäologisch-linguistische Forschungsreise in den k.u.k. Okkupationsgebieten Serbiens, ­Montenegros und Albaniens organisierte,1 sie auf Wunsch des Armeeoberkommandos Österreich-Ungarns einen Frage­bogen an die Teilnehmer der wissenschaftlichen Expedition aussandte, in welchem von eben­ diesen vor Ort in Südosteuropa unter anderem Beobachtungen zu folgendem Punkt erwartet wurden: 6) Verbreitung des Graslandes. Ausmass der Wiesen und Weideflächen. Lage von Wiesen und ­Weiden im Gelände und im Verhältnis zu den Ortschaften. Stand der Viehzucht. Gross- und Kleinviehzucht. Möglichkeiten der Viehhaltung. Futtermittel, Pflege, Stallungen. Weiderecht. Herdenwanderungen, speziell Sommer- und Winterweiden. Molkereiwirtschaft. Rinderzucht. Pferdezucht. Schweinezucht. Schafhaltung. Ziegen. Geflügel, Bienen. Seidenraupenzucht. Fischerei.2 Unter den erforschten Archivmaterialien aus dem Jahre 1916 waren bisher keine Unterlagen mit einschlägigen Beobachtungen seitens der Teilnehmer zu finden, welche ohne Zweifel großes Potential für Vergleiche bieten würden. Was im Jahre 1916 an Fragestellungen aus kriegswirtschaftlichen Gründen relevant war, ist es aus wissenschaftlichen bis jetzt geblieben. Teile der obengenannten Schlagwörter bilden den idealen Ausgangspunkt für eine retrospektive Betrachtung von Weidewirtschaft, Viehzucht und Transhumanz im spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Südosteuropa am Beispiel der ­Vlachen. Obwohl eine reiche und umfassende Sekundärliteratur zu den Vlachen in Südosteuropa zu allen Siehe zu besagter Forschungsreise des Jahres 1916 im Detail: Mihailo St. Popović, “Kunstschutz im Kriege” – The ­forgotten scholarly expeditions of the Central Powers in South-East Europe during World War I, in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns 20 (2013) 287–292.   2 Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Balkan-Kommission 3/H10 1916.   1

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Mihailo St. Popović

Zeit­epochen existiert,3 sind grundlegende historisch-geographische Aspekte ihres s­ pätmittelalterlichen ­Lebensraumes im Spiegel der Mikrotoponymie einschlägiger schriftlicher Quellen zur südlichen Balkan­ halbinsel bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Das Bearbeitungsgebiet, für welches im folgenden die Existenz von Weidewirtschaft und die Präsenz der Vlachen auf der Basis der Mikrotoponymie zwischen dem 10. und dem 16. Jahrhundert erfaßt wird, ist mit der historischen Landschaft Mazedonien gleichzusetzen, wie sie im Rahmen des historisch-geographischen Projektes der Tabula Imperii Byzantini (TIB) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von Peter Soustal und vom Verfasser selbst erforscht wird (siehe Abb. 1).4 Der im Entstehen Vergleiche dazu Stergios Laitsos, Die Konstruktion der Vlachen von 1640 bis 1720, in: Vergangenheit und Vergegenwärtigung: Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur, ed. Helmut Reimitz/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 14, Wien 2009) 205–227. Siehe unter anderem folgende Publikationen über die Vlachen im Mittelalter: Silvio Bernardinello, In margine alla questione rumena nella letteratura bizantina del XII secolo, in: Zbornik Radova Vizantološkog Instituta 18 (1978) 99–109; Claudia Chang, The ethnoarchaeology of pastoral land use in the ­Grevena province of Greece, in: Space, Time, and Archaeological Landscapes, ed. Jaqueline Rossignol/LuAnn Wandsnider (New York 1992) 65–89; Claudia Chang/Perry A. Tourtellotte, Ethnoarchaeological survey of pastoral transhumance sites in the Grevena region, in: Journal of Field Archaeology 20/3 (1993) 249–264; Peter Charanis, John Lydus and the question of the origin of the Vlachs in the Greek lands, in: Mélanges Ivan Dujčev (Paris 1979) 103–107; Dušanka Dinić-Knežević, Migracije stanovništva iz bližeg zaledja u Dubrovnik u XIV veku, in: Jugoslovenski istorijski časopis 13/1–2 (1974) 19–40; Silviu Dragomir, Vlahii din Serbia în sec. XII–XV, in: Anuarul Institutului de Istorie Naţională 1 (1921–1922) 279–299; ders., Vlahii din nordul Peninsulei Balcanice în evul mediu (Bukarest 1959); Demetrius Dvoichenko-Markov, The Russian Primary Chronicle and the Vlachs of Eastern Europe, in: Byzantion 49 (1979) 175–187; ders., The Vlachs: the Latin ­speaking population of Eastern Europe, in: Byzantion 54 (1984) 508–526; ders., Byzantium and the early Vlachs, in: ­Macedonian Studies 12 (1995) 59–74; Hansgerd Göckenjan, Nomaden, in: LMA 6 (München 1993) 1217–1221; Mathias Gyóni, Skylitzes et les Vlaques, in: Revue d’Histoire Comparée 25, Nouvelle Serie 6 (1947) 155–173; ders., Les Vlaques du Mont Athos au debut du XIIe siècle, in: Études Slaves et Roumaines 1 (1948) 30–42; ders., La transhumance des Vlaques balkaniques au Moyen Âge, in: Byzantinoslavica 12 (1951) 29–42; ders., Le nom de ΒΛΑΧΟΙ dans l’Alexiade d’Anne Comnène, in: Byzantinische Zeitschrift 44 (1951) 241–252; ders., La première mention historique des Vlaques des monts Balkans, in: Acta Antiqua Hungariae 1 (1952) 495–515; Konstantin Jireček, Über die Wlachen in Meglen, in: Archiv für Slavische Philologie 15 (1890) 91–103; Thede Kahl, Ethnizität und räumliche Verteilung der Aromunen in Südost­europa (Münstersche geographische Arbeiten 43, Münster 1999); ders., Aromunen und meglenitische Vlachen: Wachsendes ­Interesse in Südosteuropa: Kommentierte Bibliographie 1990–2004, in: Balkan-Archiv, NF 28–29 (2003–2004) 9–118; ders., Istoria aromânilor (Bukarest 2006); Michel Kaplan, L’activité pastorale dans le village byzantin du VIIe au XIIe siècle, in: Animals and Environment in Byzantium (7th–12th c.), ed. Ilias Anagnostakis/Taxiarchis G. Kolias/Eftychia Papadopoulou (National Hellenic Research Foundation, Institute for Byzantine Research, International Symposium 21, Athens 2011) 407–420; Alexander Kazhdan/John W. Nesbitt, Transhumance, in: The Oxford Dictionary of Byzantium 3 (New York1991) 2105; Alexander Kazhdan, Vlachs, in: The Oxford Dictionary of Byzantium 3 (New York 1991) 2183f.; Achilleas G. Lazaru, Βαλκάνια και Βλάχοι (Athen 1993); Gennadij Litavrin, Vlachi vizantijskich istočnikov, in: ­Jugovostočnaja Evropa v srednie veka (Kišinev 1972) 91–138; Liviu Marcu, Le “jus valachicum” et le statut personnel des Vlaques balkaniques au Moyen-Âge, in: Recherches sur l’Histoire des Institutions et du Droit 6 (1981) 127–134; Dimitrij Mishin, Information on the Vlachs in medieval Islamic literature (Arabic and Persian), in: Romanian ­Civilization 6/2 (1997) 37–56; Petre Ş. Năsturel, Les Valaques balkaniques aux Xe–XIIIe siècles. Mouvements de population et colonisation dans la Romanie grecque et latine, in: Byzantinische Forschungen 7 (1979) 89–112; ders., Les Valaques de l’espace byzantin et bulgare jusqu’à la conquête ottomane, in: Les Aroumains (Paris 1989) 47–81; Günter Prinzing, Bishop or abbot? The conflict about the spiritual obedience of the Vlach peasants in the region of Bothrotos ca. 1220: case nr. 80 of the legal works of Demetrios Chomatenos reconsidered, in: Church and Society in Late Byzantium, ed. Dimiter Georgiev Angelov (Studies in Medieval Culture 56, Kalamazoo-Mich. 2009) 25–42; Antonios Risos, The Vlachs of Larissa in the 10th century, in: Byzantinoslavica 51 (1990) 202–207; Germaine Rouillard, La dîme des bergers vlaques sous Aléxis Comnène, in: Mélanges offerts à M. Nicolas Iorga par ses amis de France et des pays de langue française (Paris 1933) 779–786; Simpozijum – Vlasi u XV i XVI vijeku (Radovi Akademije Nauka i Umjetnosti Bosne i Hercegovine, Knjiga 73, Odjeljenje društvenih nauka, Knjiga 22, Sarajevo 1983); Megjunaroden naučen simpozium „Vlasite na Balkanot“. Zbornik na trudovi od Megjunarodniot naučen simpozium „Vlasite na Balkanot“ održan na 9–10 noemvri 2001 vo Skopje (Skopje 2002); Megjunaroden naučen simpozium „Vlasite na Balkanot“. Zbornik na trudovi od Megjunarodniot naučen simpozium „Vlasite na Balkanot“ održan na 7–8 noemvri 2003 vo Skopje (Skopje 2005); Petar Skok, Iz rumunske literature o balkanskim Vlasima, in: Glasnik Skopskog Naučnog Društva 3 (1928) 293–308; Georgios K. Soulis, The Thessalian Vlachia, in: Zbornik Radova Vizantološkog Instituta 8/1 (1963) 271–273.   4 Vergleiche zum Projekt Tabula Imperii Byzantini (TIB) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Johannes ­Koder, Überlegungen zu Konzept und Methode der „Tabula Imperii Byzantini“, in: Österreichische Osthefte 20 (1978) 254–262; ders., Perspektiven der Tabula Imperii Byzantini. Zu Planung, Inhalt und Methode, in: Geographia antiqua 5 (1996) 75–86; Mihailo Popović, Mapping Byzantium – The project “Macedonia, Northern Part” in the series Tabula   3

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begriffene Band „Makedonien, südlicher Teil“ (TIB 11) von Peter Soustal umfaßt im wesentlichen das Gebiet der Provinz Macedonia Prima, wie sie im 5. Jahrhundert eingerichtet wurde. Das Gebiet entspricht der Region Makedonia des heutigen Griechenland, die von Epirus im Westen bis Thrakien im Osten reicht, im Süden an Thessalien sowie das Ägäische Meer und im Norden an die (ehemalige ­jugoslawische) Republik Mazedonien sowie in beschränktem Umfang auch an Bulgarien und Albanien grenzt. Der in Arbeit befindliche Band „Makedonien, nördlicher Teil“ (TIB 16) umfaßt die frühbyzantinischen Provinzen Macedonia Secunda und Teile der Provinzen Macedonia Prima, Dardania, Epirus Nova, Praevalitana und Dacia Mediterranea. Er steht in engem Zusammenhang mit TIB 11 (s. o.) und hat das gesamte Staatsgebiet der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien sowie zwei Be­ zirke Bulgariens (Kjustendil und Blagoevgrad) zum Inhalt. Somit wird die Lücke zwischen den Bänden TIB 6 „Thrakien“ und TIB 11 „Makedonien, südlicher Teil“ geschlossen (siehe Abb. 1).5

Abb. 1: Die territoriale Einteilung des Projektes Tabula Imperii Byzantini (TIB) (© Mihailo St. Popović).

Der Verfasser orientiert sich in diesem Beitrag an den methodologischen Vorarbeiten von weiland Sima Ćirković (1929–2009)6 und hat vor kurzem darauf basierend eine Fallstudie zur Transhumanz der ­Vlachen in den Flußtälern der Strumica (Strumešnica) und der Kriva Lakavica auf dem Territorium der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien im Spiegel der byzantinischen und altslavischen Urkunden des 13./14. Jahrhunderts und der osmanischen Steuerregister (Defter) des 16. Jahrhunderts I­ mperii Byzantini (TIB) of the Austrian Academy of Sciences, in: Mapping Different Geographies, ed. Karel Kriz/­William Cartwright/Lorenz Hurni (Lecture Notes in Geoinformation and Cartography, Berlin/Heidelberg 2010) 219–234; ders., Are the historical geography of the Byzantine Empire and Digital Humanities a contradiction per se?, in: Bulgaria ­Mediaevalis 3 (2012) 255–269.    5 Siehe dazu Anm. 4 und: Johannes Koder, Macedonians and Macedonia in Byzantine spatial thinking, in: Byzantine ­Macedonia. Identity, Image and History. Papers from the Melbourne Conference July 1995, ed. John Burke/Roger Scott (Byzantina Australiensia 13, Melbourne 2000) 12–28.   6 Sima Ćirković, Albanci u ogledalu južnoslovenskih izvora, in: Iliri i Albanci. Serija predavanja održanih od 21. maja do 4. juna 1986. godine, ed. Milutin Garašanin (Srpska Akademija Nauka i Umetnosti, Naučni skupovi Knjiga 39, Odeljenje istorijskih nauka Knjiga 10, Beograd 1988) 323–339.

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vorgelegt,7 welche er im folgenden sowohl auf „Makedonien, südlicher Teil“ (TIB 11) als auch auf ­„Makedonien, nördlicher Teil“ (TIB 16) ausdehnt. Dieser Ansatz stellt insofern ein wissenschaftliches Desideratum dar, weil insbesondere die byzantinischen und altslavischen Urkunden zu dieser Fragestellung bisher nicht systematisch aufgearbeitet wurden.8 Nach Lektüre der einschlägigen schriftlichen Quellen des 10. bis 16. Jahrhunderts, hier vor allem der byzantinischen und altslavischen Urkunden der Klöster des Heiligen Berges Athōs, lassen sich im wesentlichen zwei Kategorien von Inhalten feststellen: a) Allgemeine Hinweise auf Weidewirtschaft in der historischen Landschaft Mazedonien b) Quellenbasierte Zeugnisse vlachischer Präsenz in der historischen Landschaft Mazedonien Diese werden im folgenden getrennt aufgelistet und auf Karten entsprechend verortet, wodurch eine übersichtliche Visualisierung gewährleistet wird und erstmals klare Schwerpunktsetzungen der ­(vlachischen) Weidewirtschaft im Mittelalter sichtbar werden. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß sich die komplette Erfassung der Weidewirtschaft und der damit in Beziehung stehenden Vlachen sowohl für „Makedonien, südlicher Teil“ als auch für „Makedonien, nördlicher Teil“ in Arbeit befindet und aus diesem Grunde hier zunächst ein erstes Schlaglicht auf die Thematik geworfen wird. ALLGEMEINE HINWEISE AUF WEIDEWIRTSCHAFT IN DER HISTORISCHEN LANDSCHAFT MAZEDONIEN Untrügliche Hinweise auf Weidewirtschaft bilden diejenigen auf Winter- und Sommerweiden in den schriftlichen Quellen. Die altslavischen Urkunden überliefern in solchen Fällen den terminus ­technicus planina. Dieser bezeichnet üblicherweise Bergweiden, die auf mehr als 1000 m über Normalnull lagen. Es handelte sich um Sommerweiden, die jährlich von Frühling bis Herbst genutzt wurden. Eben­ dort entstanden in derselben Zeit die saisonal begrenzten Katune (s. u., Katune). Fallbeispiele in der Sekundär­literatur, die bisher anhand von byzantinischen sowie altslavischen mittelalterlichen Urkunden erarbeitet wurden, verdeutlichen, daß Herrscher (Könige bzw. Zaren), Klöster, Adelige, Dörfer oder

Mihailo St. Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz in den Flusstälern der Strumica und Kriva Lakavica, in: Südosteuropäische Romania: Siedlungs–/Migrationsgeschichte und Sprachtypologie. Romanistisches Kolloquium XXV, ed. Wolfgang Dahmen/Günter Holtus/Johannes Kramer/Michael Metzeltin/Wolfgang Schweickard/Otto Winkelmann (Tübinger Beiträge zur Linguistik 532, Tübingen 2012) 227–240.   8 Dies erklärt unter anderem das bruchstückhafte Bild in der Sekundärliteratur bei der Erfassung der Vlachen auf dem Gebiet von „Makedonien, nördlicher Teil“. Siehe zu den Vlachen in „Makedonien, nördlicher Teil“ folgende Arbeiten: Milenko S. Filipović, Nomadski Cincari na Ograždenu, in: Glasnik Geografskog Društva 24 (1938) 59–72; Victor A. Friedman, The Vlah minority in Macedonia: language, identity, dialectology, and standardization, in: Selected Papers in Slavic, Balkan, and Balkan Studies, ed. Juhani Nuoluoto/Martii Leiwo/Jussi Halla-aho (Slavica Helsingiensa 21, Helsinki 2001) 26–50; Zbigniew Gołąb, The Arumanian Dialect of Kruševo in SR Macedonia, SFR Yougoslavia (Skopje 1984); Aleksandar Matkovski, Nomadskoto stočarstvo vo Makedonija od XIV do XIX vek (Skopje 1996); Nicolae Saramandu, Le parler Aroumain de Kruševo, in: Revue des Études Sud-Est Européenes 17 (1979) 153–162; Aleksandar Stojanovski, Raja so specijalni zadolženija vo ­Makedonija (vojnuci, sokolari, orizari i solari) (Skopje 1990); Tomo Tomoski, Zapisi za Vlasite vo Makedonija vo sredniot vek (Od krajot na VI do krajot na XIV vek), in: Makedonija niz vekovite. Gradovi – tvrdini – komunikacii, ed. Cvetan Grozdanov/Kosta Adžievski/Aleksandar Stojanovski (Skopje 1999) 419–438; ders., Katunsko stočarenje po planinite na Makedonija vo sredniot vek, in: Makedonija niz vekovite. Gradovi – tvrdini – komunikacii, ed. Cvetan Grozdanov/Kosta Adžievski/Aleksandar Stojanovski (Skopje 1999) 449–462; Todor Trajanovski, Vlaškite rodovi vo Struško: prilog kon istorijata na narodnostite vo Makedonija (Skopje 1979); Jovan Trifunoski, Cincarska naselja u Makedoniji, in: Geografski horizont 3 (1959) 21–27; ders., Današnji vlaški katuni u Makedoniji, in: Simpozijum o ­srednjovjekovnom katunu održan 24. i 25. novembra 1961 g., ed. Milenko S. Filipović (Naučno društvo SR Bosne i ­Hercegovine, Posebna izdanja Knjiga 2, Odjeljenje Istorijsko–filoloških nauka Knjiga 1, Sarajevo 1963) 171–202; ders., Die Aromunen in Mazedonien, in: Balcanica 2 (1971) 337–347; Abdolonyme Ubicini, Les Valaques de la Macédoine et de l’Epire, in: Revue de l’Orient 9 (1859) 225–230.    7

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Katune über Bergweiden verfügen konnten.9 Das altslavische Wort planina10 wurde als πλανηνά in den ­byzantinischen Wortschatz übernommen.11 In Differenzierung dazu begegnet in den byzantinischen Urkunden für Winterweiden explizit die Bezeichnung χειμάδ(ε)ιον, wovon die nunmehr folgenden Zitate aus den verwendeten Quellen ein anschauliches Bild vermitteln.12 Winterweiden Nach den bisherigen Erkenntnissen weisen ausschließlich die schriftlichen Quellen zum Bearbeitungsgebiet „Makedonien, südlicher Teil“ Winterweiden auf, wobei hier wiederum der Schwerpunkt eindeutig auf der Chalkidiki und im besonderen auf ihren drei Halbinseln liegt (siehe dazu und im folgenden Abb. 2).

Abb. 2: Die Verteilung der Winterweiden in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović).

Auf der Halbinsel Kassandra liegt eine Häufung der Nennung von Winterweiden im Bereich des O ­ rtes Sibrē in den Jahren 1280/8113, 132214, 133315, 133816, 134417 und 135218 vor. 1335/38 gehörte dem

Siehe dazu: Miloš Blagojević, Planine i pašnjaci u srednjovekovnoj Srbiji (XIII i XIV vek), in: Istorijski glasnik 2–3 (1966) 3–95, hier 8–39; ders., Srednjovekovni zabel, in: Istorijski časopis 14–15 (1966) 1–17; ders., Planine, in: Leksikon srpskog srednjeg veka, ed. Sima Ćirković/Rade Mihaljčić (Beograd 1999) 519f.  10 Franz von Miklosich, Lexicon Palaeoslovenico–Graeco–Latinum emendatum auctum (Wien 1862–1865, ND Aalen 1977) 569.  11 Lexikon zur byzantinischen Gräzität besonders des 9.–12. Jahrhunderts, 6. Faszikel, ed. Erich Trapp (Veröffentlichungen der Kommission für Byzantinistik 6/6, Wien 2007) 1309. Vgl. dazu: Blagojević, Planine i pašnjaci 5f., Anm. 6; ­Kaplan, L’activité pastorale 420.  12 Die Transkription des Altslawischen folgt dem System von: Nikolaos H. Trunte, Ein praktisches Lehrbuch des Kirchen­ slavischen in 35 Lektionen. Zugleich eine Einführung in die slavische Philologie, 1: Altkirchenslavisch (Slavistische Beiträge 264, München 41997) 10. Die Transkription des Griechischen beruht auf derjenigen von: Johannes Koder/Friedrich Hild (Register von Peter Soustal), Hellas und Thessalia (Tabula Imperii Byzantini 1, Wien 1976, ND 2004) 13.  13 Actes de Docheiariou (ed. Nicolas Oikonomidès, Archives de l’Athos 13, Paris 1984) 108 (Nr. 9).  14 Actes de Xénophon (ed. Denise Papachryssanthou, Archives de l’Athos 15, Paris 1986) 149 (Nr. 17).   15 AXen., ed. Papachryssanthou 32f., 172f., 191 (Nr. 22, 25).  16 AXen., ed. Papachryssanthou 191 (Nr. 25).   17 ADoch., ed. Oikonomidès 165, 226 (Nr. 22).  18 AXen., ed. Papachryssanthou 209 (Nr. 29).   9

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Kloster Batopedi eine Winterweide im Dorf Bubalarē auf derselben Halbinsel.19 Der Ortsname ­Bubalarē leitet sich vom Wort bubalario ab, was als „Gegend, in der Büffel weiden“ zu deuten ist,20 womit wiederum ein direkter Hinweis auf Weidewirtschaft besteht. 1319 wurde dem Kloster Chelandariu von dem ­byzantinischen Kaiser Andronikos II. Palaiologos die ungehinderte Nutzung der Winterweide ­Hagia Trias (cheimadion H. Triados eis ton topon tēs Kasandreias) bestätigt, welche sich rund 11 km ssö. von Nea Potidaia befand.21 Dieselbe Winterweide scheint in einer Besitzbestätigung des byzantinischen ­Kaisers Johannes V. Palaiologos von 1351 auf.22 Ebenfalls auf der Halbinsel Kassandra befanden sich um 1330 bzw. 1335/38 Winterweiden in der nicht lokalisierten Flur Drymalia.23 Um 1330 wird eine Winterweide beim Weg von Kinsternion, rund 12 km ssö. von Nea Potidaia, genannt.24 Eine Winterweide namens ho Pyrgos auf Kassandra, die 1346 dem Kloster Esphigmenu als Besitz bestätigt ­wurde, könnte sich unweit onö. des Kaps Pyrgos an der Westküste der Halbinsel befunden haben.25 1568 sind Winter­weide und Wiese des Klosters Dionysiu beim Hafen Skylochōrion in osmanischen Steuer­ registern verzeichnet.26 Auf der Halbinsel Sithonia sind Winterweiden von Büffeln im 16. Jahrhundert bei Vurvuru (jetzt Burbura) belegt.27 Die Flur Baba auf der Halbinsel Sithonia, rund 4 km wsw. des jetzigen Dorfes Sykea, wird als Ort einer Winterweide in der Urkunde des serbischen Fürsten Jovan Uglješa von 1368 für das Kloster Simōnos Petras genannt.28 Ebendort gab es auch 1516/17 eine Weide dieses Klosters.29 Noch 1568 ist eine Winterunterkunft des Klosters Simōnos Petras in Vava in einem osmanischen Register verzeichnet.30 Die Klöster Docheiariu und Laura hatten auf Sithonia im Jahre 1568 Winterweiden beim jetzigen Dorf Sykea.31 Ende des 15. Jahrhunderts kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Klöstern Hagios Paulos und Xēropotamu um Winterweiden im Ort Sartē auf derselben Halbinsel.32 Noch im Jahre 1568 besaß das erstgenannte Kloster ebendort eine Winterweide.33 1568 ist eine Winterweide des Pantokratōr-Klosters im Dorf Nikitu (jetzt Nikētē) im äußersten Nordwesten der Halbinsel Sithonia verzeichnet.34 Dasselbe Kloster hatte 1568 auf der Halbinsel Winterweiden, Weingärten und Bienenstöcke bei Phrankokastron, unweit nw. des Ortes Torōnē.35 1346 bestätigte der serbische Herrscher Stefan Uroš IV. Dušan dem Kloster Esphigmenu den Besitz einer Teronē genannten Winterweide

Actes de Vatopédi II. De 1330 à 1376. Texte (ed. Jacques Lefort/Vassiliki Kravari/Christophe Giros/Kostis Smyrlis, ­Archives de l’Athos 22, Paris 2006) 88 (Nr. 79).  20 Charalampos P. Symeōnidēs, Ετυμολογικό λεξικό των νεοελληνικών οικωνυμίων I–II (Leukōsia/Thessaloniki 2010) I 442.  21 Actes de Chilandar I. Des origines à 1319. Texte (ed. Mirjana Živojinović/Vassiliki Kravari/Christophe Giros, Archives de l’Athos 20, Paris 1998) 61, 269 (Nr. 42), 273, 275 (Nr. 43f.).  22 Actes de Chilandar. Première partie. Actes grecs (ed. Louis Petit/Basile Korablev, Actes de l’Athos, Vizantijskij vremennik 17/1, St. Petersbourg 1911, ND Amsterdam 1975) 293 (Nr. 138).  23 AVatop. II, ed. Lefort/Kravari/Giros/Smyrlis 28, 70, 89 (Nr. 71, 79).  24 AVatop. II, ed. Lefort/Kravari/Giros/Smyrlis 70 (Nr. 71).   25 Actes d’Esphigménou (ed. Jacques Lefort, Archives de l’Athos 6, Paris 1973) 23f., 140–142, 178 (Nr. 22); Grčke povelje srpskih vladara. Izdanje tekstova, prevod i komentar (ed. Aleksandar Solovjev/Vladimir Mošin, Belgrad 1936) 98 (Nr. 13); Johannes Koder, Die Metochia der Athos-Klöster auf Sithonia und Kassandra, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft 16 (1967) 211–224, hier 217.  26 Ēlias A. Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί στην οθωμανική Χαλκιδική 15ος–16ος αιώνες. II. Τοπογραφία και πληθυσμός Θεσσαλονίκης, Σιδηροκαυσίων, Χαλκιδικής. Τα δεδομένα των οθωμανικών φορολογικών καταστίχων (Thessaloniki 2000) 154f.   27 Symeōnidēs, Ετυμολογικό λεξικό I 379.  28 Dušan Kašić, Despot Jovan Uglješa kao ktitor svetogorskog manastira Simonpetre, in: Bogoslovje 20 (1976) 29–63, hier 44f.  29 Dēmētrēs Bambakas, ῾Ιερὰ Μονὴ Σίμωνος Πέτρας, Κατάλογος τοῦ Ἀρχείου (Athōnika Symmeikta 1, Athen 1985) 130 (Nr. 29).  30 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 200f.  31 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 158, 185f.  32 Ēlias A. Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί στην οθωμανική Χαλκιδική 15ος–16ος αιώνες. III. Τα οθωμανικά έγγραφα του αρχείου της Ιεράς Μονής Ξηροποτάμου. Επιτομές 1439–1800 (Thessaloniki 2000) 16–18 (Nr. 10f.).  33 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 138f.  34 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 195.   35 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 194f.  19

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(cheimadeion) bei dem jetzigen Ort Torōnē.36 1568 ist eine Winterweide im Dorf Parthenōn auf Sithonia zunächst im Besitz des Klosters Kastamonitu und später des Klosters Grēgoriu bezeugt.37 Im Vorfeld der Athōs-Halbinsel in der Landschaft Komitissa zählte zu den Besitzungen des Klosters Ibērōn im Jahre 1613 eine Winterweide.38 Nicht unweit davon, in der Flur Longos beim Ort Hierissos, gab es 1569 eine Winterweide für Büffel.39 Wenn wir einen Blick auf die restliche Chalkidiki werfen, so scheint 1321 unter den Besitzungen des Klosters Esphigmenu eine Winterweide (cheimadion) namens Mēleai bei Rentina auf.40 1635 ging das Winterquartier (cheimadion) Hagios Nikolaos in der Nähe von Galatista in den Besitz des Klosters Ibērōn über.41 In der Nähe des Metochion Kritziana beim Dorf Kassandrinos wird im Jahre 1568 eine Winterweide erwähnt.42 Im Jahre 1332 besaß das Kloster Batopedi eine Winterweide (cheimadion) in Hermēlia.43 In einem osmanischen Steuerregister des Jahres 1527 ist die Gegend Vozena, etwa 7 km sö. von Hermēlia, als Winterquartier für Wasserbüffel des Klosters Dionysiu verzeichnet.44 1568 besaß das Kloster Hagios Iōannēs Prodromos eine Winterweide beim Ort Brastama.45 Der einzige Beleg für eine Winterweide außerhalb der Chalkidiki ist jener, durch welchen wir erfahren, daß das Kloster Batopedi 1356 Winterweiden (cheimadia) in der Flur Blagasta im Bereich des Thermopotamos zwischen dem Pangaion-Gebirge und dem Symbolon-Gebirge erhielt.46 Um einiges umfangreicher sind die nunmehr folgenden Quellenzeugnisse zu den Sommerweiden. Sommerweiden

Abb. 3: Die Verteilung der Sommerweiden in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović). AEsphig., ed. Lefort 140–142 (Nr. 22); Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 162. Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 178f.; Jacques Lefort, Villages de Macédoine. 1. La Chalcidique occidentale. Notices ­historiques et topographiques sur la Macédoine orientale au Moyen Age (Travaux et Mémoires, Monographies 1, Paris 1982) 195.  38 Irène Beldiceanu-Steinherr, Les biens d’Iviron d’après le registre TT 723 de 1022/1613, in: Actes d’Iviron IV. De 1328 au début du XVIe siècle. Texte (ed. Jacques Lefort/Nicolas Oikonomidès/Denise Papachryssanthou/Vassiliki Kravari/Hélène Métrévéli, Archives de l’Athos 19, Paris 1995) 31.  39 Aleksandar Fotić, Sveta Gora i Hilandar u Osmanskom carstvu (XV–XVII vek) (Beograd 2000) 301.  40 AEsphig., ed. Lefort 119, 123, 128 (Nr. 16).  41 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 133f.  42 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 133.  43 AVatop. II, ed. Lefort/Kravari/Giros/Smyrlis 82–84 (Nr. 78).  44 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 151f.   45 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 197.  46 AVatop. II, ed. Lefort/Kravari/Giros/Smyrlis 252–257 (Nr. 107).  36   37

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Im Falle der Sommerweiden und des Weidelandes im allgemeinen reichen die schriftlichen Quellen­ belege in das 10. Jahrhundert zurück (siehe dazu und im folgenden Abb. 3). 982 wurde ein Streit zwischen den Bewohnern von Hierissos und den Mönchen des Klosters Ibērōn beigelegt. Unter anderem wurde vereinbart, daß beide Seiten unbearbeitete Gebiete von Longos als Weide nutzen dürfen.47 1037 besaß das Kloster Docheiariu Weiderechte in der Gegend von Perigardikeia.48 Unter dem byzantinischen ­Kaiser Kōnstantinos IX. Monomachos (1042–1055) erhielt Georg III. (Geōrgios Hagioritēs), ­damals Abt des Klosters Ibērōn, gutes Weideland in der Nähe des Landgutes Mesolimna zwischen den Seen Korōnia und Bolbē.49 1047 besaß das Kloster Ibērōn ein Chlumutza genanntes bearbeitetes, unbearbeitetes ­sowie Weide- und Bergland (gēs hypergu, chersēs, nomadiaias kai ōreinēs) in der Nähe von ­Arsenikeia.50 In Berroia gehörten 1136 Sommerweiden (planinai) zu den Besitzungen des ­Pantokratōr-Klosters in ­Konstantinopel.51 Nach 1139 hatte sich das Kloster Hagia Anastasia Sommerweiden (planina) bei Radolibus angeeignet. Dagegen protestierte das Kloster Ibērōn und erhielt daraufhin die Rechte auf diese Weiden bestätigt, nachdem die Bewohner der Orte Beltzista (Beltzistinos), Chunianē, Dekalista, Kotzakion und Zabarnikeia die Rechte des Klosters Ibērōn bezeugt hatten.52 1184 klagte das Kloster Laura, daß die in Moglena lebenden Kumanen zwar die Sommerweide (planina) Puzuchia (Kuzuchia) benützen, jedoch den Zehnt an das Kloster nicht bezahlen.53 1257/58 hatte der spätere byzantinische Kaiser Michael VIII. Palaiologos sein Heerlager im Raum Bodēna (Edessa), auf einem ebenen und für das Weiden geeigneten Platz (chōros), aufgeschlagen.54 1280/81 wurde Dēmētrios Murinos als Besitzer eines Gutes peri tēn Sthlanitzan in der Ebene zwischen Edessa und Giannitsa und der zugehörigen ­Weiden bestätigt.55 Zwischen 1300 und 1338 wurde dem Kloster Xenophōntos der Besitz des ­Metochion Hagios Iōannēs (bzw. Hagios Panteleēmōn) bei Tripotamon auf der Halbinsel Sithonia wiederholt bestätigt, darunter auch das damit in Verbindung stehende Weiderecht.56 Im April des Jahres 1304 erhielt das Kloster Laura das Metochion Hagios Nikolaos bei Sartē als Landbesitz mit Weideland.57 In Athōs-Urkunden des Jahres 1321 wird unter anderem das Weiderecht (ennomion) des Dorfes Phurnia erwähnt.58 1324 schenkte Theodōros Sarantēnos dem Kloster Hagios Iōannēs Prodromos Petras Weideland ­(nomadiaia gē) in Kritzista.59 Ebenfalls 1324 besaß das Kloster Laura Weideland mit der Bezeichnung tōn Selēnōn in der Nähe des jetzigen Ortes Nēsi an der Nord-Küste des Kolpos Kassandras.60 Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen den Klöstern Hagios Iōannēs Prodromos und Hagioi Anargyroi Actes d’Iviron I. Des origines au milieu du XIe siècle. Texte (ed. Jacques Lefort/Nicolas Oikonomidès/Denise ­Papachryssanthou/Hélène Métrévéli, Archives de l’Athos 14, Paris 1985) 38, 76f., 126–128 (Nr. 4), 133 (Nr. 5).  48 ADoch., ed. Oikonomidès 51–53 (Nr. 1); Michel Kaplan, Les hommes et la terre à Byzance du VIe au XIe siècle. Propriété et exploitaiton du sol (Paris 1992) 79, 102, 537.  49 Vita Georgios Hagiorites (ed. Paul Peeters, Vie de S. Georges l’Hagiorite. Introduction, Texte, in: Analecta ­Bollandiana 36–37 [1917–1919, ersch. 1922]) 69–159, hier 101; (ed. Bernadette Martin-Hisard, La Vie de Georges l’Hagiorite (1009/1010–29 juin 1065). Introduction, traduction de texte géorgien, notes et éclaircissements, in: Revue des Études ­Byzantines 64–65 [2006–2007]) 5–204, hier 59f.   50 AIvir. I, ed. Lefort/Oikonomidès/Papachryssanthou/Métrévéli 83, 252, 256 (Nr. 29).   51 Typikon Pantokrator (ed. Paul Gautier, Le typikon du Christ Sauveur Pantocrator, in: Revue des Études Byzantines 32 [1974]) 1–145, hier 123; John Thomas/Angela Constantinides Hero, Byzantine Monastic Foundation Documents. A ­Complete Translation of the Surviving Founders’ Typika and Testaments I–V (Dumbarton Oaks Studies 35, Washington, D. C. 2000) 771.   52 Actes d’Iviron III. De 1204 à 1328. Texte (ed. Jacques Lefort/Nicolas Oikonomidès/Denise Papachryssanthou/Vassiliki Kravari/Hélène Métrévéli, Archives de l’Athos 18, Paris 1994) 16, 43, 61–65 (Nr. 54).   53 Actes de Lavra I (ed. Paul Lemerle/André Guillou/Nicolas Svoronos/Denise Papachryssanthou, Archives de l’Athos 5, Paris 1970) 343f. (Nr. 66).   54 Geōrgios Akropolites (ed. August Heisenberg, Georgii Acropolitae opera I–II, Leipzig 1903) 146f., 164f.; Theodoros ­Skutariotes VII (ed. Kōnstantinos N. Sathas, Ἀνωνύμου Σύνοψις Χρονική, in: Μεσαιωνικὴ Βιβλιοθήκη I–VII, Venedig/ Paris 1872–1894) 1–556, hier 532, 542.   55 ADoch., ed. Oikonomidès 105f., 108 (Nr. 9).   56 AXen., ed. Papachryssanthou 86, 93f., 123f., 132, 149, 196, 229, 236f. (Nr. 4f., 12f., 17, 25, App. I, II).   57 Actes de Lavra II. De 1204 à 1328. Texte (ed. Paul Lemerle/André Guillou/Nicolas Svoronos/Denise Papachryssanthou, Archives de l’Athos 8, Paris 1977) 78, 131, 134 (Nr. 97), 302 (App. 7).   58 AXen., ed. Papachryssanthou 140 (Nr. 15), 143 (Nr. 16).   59 Actes de Vatopédi I. Des origines à 1329. Texte (ed. Jacques Bompaire/Jacques Lefort/Vassiliki Kravari/Christophe Giros, Archives de l’Athos 21, Paris 2001) 333–337 (Nr. 62).  60 ALavra II, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 292–294 (Nr. 114).   47

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um die Flur Keranitza wurde um 1325 der Berg Mozitza als Grenze festgelegt, wobei für die Sommer­ weide (tēn planinēn) und die Gehege (mandrai) auf dem Berg eine gemeinsame Nutzung vor­gesehen wurde.61 Auf Intervention des bulgarischen Zaren Michael Šišman erhielt das Kloster Zōgraphu 1327 das Dorf tu Sōtērichu samt der Sommerweide (planinē) als Besitz bestätigt.62 1339 vermochte das K ­ loster Chelandariu einen Streit um von den Besitzern des Dorfes Plumiska beanspruchtes, benachbartes Ackerund Bergweideland (gēs hypergu te kai nomadiaias oreinēs) für sich zu entscheiden.63 Im ­November 1344 erhielt der Stratopedarchēs Iōannēs Chumnos das bei Zichna gelegene Dorf ­Loktista mit der Sommer­weide Pesthlabi(s) (meta tēs planinēs kal. Pesthlabis).64 1417 erhielt das Kloster ­Dionysiu das gesamte verfallene Dorf Mariskin (palaiochōrion) samt den Weiderechten.65 Ab dem 16. Jahrhundert hatte das Dorf Palaiochōrion mit seinen Sommerweiden Smoković (yaylak [...] İsmokoviç, ­Smokobits) und Vrestiça sowie Wiesen eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung für die Klöster des Heiligen Berges Athōs.66 Im Jahre 1500 stellte das Prōtaton dem Kloster Batopedi ein Stück Land in der Flur Plakari auf der Athōs-Halbinsel als Weideland für Pferde zur Verfügung.67 Im 16. Jahrhundert verfügten Athōs-Klöster über Weiden in İstraton (jetzt Stratōnion) im Nordwesten der Bucht von ­Hierissos, z. B. ab 1520 nachweisbar für das Kloster Chelandariu.68 1568 besaß das Kloster Esphigmenu eine Sommerweide bei Sopotnik.69 1636 verkauften die christlichen Bewohner des Ortes Lympanoba (jetzt Aiginion) Weideflächen an das Kloster Dionysiu.70 Im Gegensatz zu den klar erkennbaren Schwerpunkten in der Verteilung der oben aufgelisteten Winter­weiden sind die Sommerweiden auf das gesamte Bearbeitungsgebiet von „Makedonien, süd­licher Teil“ verstreut. In Fällen, wo die schriftlichen Quellen von Weideflächen bzw. Weiderechten berichten und keine Differenzierung zwischen Winter- und Sommerweiden vornehmen, wäre es meines Erachtens nur auf der Basis der jeweiligen Lokalisierung der betreffenden Weide, der sie umgebenden natur­ räumlichen Gegebenheiten und der klimatischen Rahmenbedingungen möglich, eine ent­sprechende Kategorisierung vorzunehmen, die hier aus Platzgründen vorerst unterbleiben muß. So ist es durchaus wahrscheinlich, daß sowohl das Weideland als auch die Weiderechte, welche auf den drei Halbinseln der Chalkidiki zu verorten sind, in Zusammenhang mit Winterweiden zu bringen sind und keinen Konnex zu Sommerweiden besitzen. Ein deutlicher Schwerpunkt von Sommerweiden auf dem Bearbeitungsgebiet von „Makedonien, nördlicher Teil“ ist nach bisherigen Erkenntnissen im Flußtal der Strumica (Strumešnica), das sich im Südosten der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien bzw. im Südwesten der Republik ­Bulgarien befindet, und im Flußtal der Kriva Lakavica auf dem Territorium der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien zu erkennen:71 So hatte der Großvojvode Nikola Stanjević die Kirche des Heiligen Stefan im Dorf Konče im Flußtal der Kriva Lakavica errichtet, die er dem Kloster Chelandariu zusammen mit Sommerweiden (s planinami) schenkte, was durch den Zaren Stefan Uroš V. mit einer Urkunde im Jahre 1366 bestätigt wurde.72 Sommerweiden sind in den Jahren 1303/04, 1336 und um 1340/41 im Ogražden-Gebirge bezeugt. Zu Besitzungen des Metochion Theotokos Eleusa (Veljusa) bei der Stadt Strumica ist unter anderem eine (nicht lokalisierte) Sommerweide namens Hagioi ­Theodōroi (kai tēs planēnas tēs legomenēs tōn Hagiōn Theodōrōn) in den Jahren 1346 und 1357 bezeugt. Im Le Codex B du monastère Saint-Jean-Prodrome (Serrès) A (XIIIe–XVe siècles) (ed. Lisa Bénou, Textes. Documents. Études sur le Monde Byzantin Néohellénique et Balkanique 2, Paris 1998) 217 (Nr. 128).  62 Actes de Zographou (ed. Wilhelm Regel/Edouard Kurtz/Basile Korablev, Actes de l’Athos 4, Vizantijskij vremennik 13/1, St. Petersbourg 1907, ND Amsterdam 1969) 60 (Nr. 26).  63 AChil., ed. Petit/Korablev 272–274 (Nr. 130), 293 (Nr. 138).  64 Actes de Philothée (ed. Wilhelm Regel/Edouard Kurtz/Basile Korablev, Actes de l’Athos 6, Vizantijskij vremennik 20/1, St. Petersbourg 1913, ND Amsterdam 1975) 23.   65 Actes de Dionysiu (ed. Nicolas Oikonomidès, Archives de l’Athos 4, Paris 1968) 101f. (Nr. 16).  66 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί III 238 (Nr. 302).   67 Actes du Prôtaton (ed. Denise Papachryssanthou, Archives de l’Athos 7, Paris 1975) 20–22, 263, 272f. (Nr. 14, App. II).  68 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί I 70; Fotić, Sveta Gora 312f.  69 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 163f.   70 Panagiōtēs G. Nikolopulos/Nikos A. Oikonomidēs, Ἱερὰ Μονὴ Διονυσίου. Κατάλογος τοῦ Ἀρχείου, in: Symmeikta 1 (1966) 257–327, hier 301 (Nr. 122).   71 Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 228–231.   72 Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 228.  61

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Zuge der Beschreibung der Grenzen des Landbesitzes des Klosters Chelandariu in der Gegend Breznica wird in der betreffenden Urkunde des Jahres 1371 unter anderem die Sommerweide Draguljevo (tēn planinēn tēn Draguleban) erwähnt. Dieselbe Weide begegnet in einer Urkunde aus dem Jahre 1375/76 (ot planine Draguljeva). Im Jahre 1376/77 scheint in einer Urkunde der Evdokija und ihrer Söhne, der Lokalherrscher Jovan und Konstantin Dragaš, für das Athōs-Kloster Hagios Panteleēmōn eine Serie von Sommerweiden im Belasica-Gebirge auf.73 Ein weiterer Schwerpunkt nicht genau zu lokalisierender Sommerweiden ist rings um die Stadt Melnik am östlichen Ende des Strumica (Strumešnica) Tales zu erkennen. In einer Urkunde des byzantinischen Kaisers Andronikos II. Palaiologos für das Kloster Chelandariu im Jahre 1319 werden eine „Sommerweide in Gemeinnutzung“ mit Namen Matzista und eine weitere namens Hagios Dēmētrios Pterōtos genannt (hē peri ton Melenikon dēmosiakē planēnē hē Matzista syn tē tu Hagiu Dēmētriu tu Pterōtu kalumenē). Im Jahre 1327 wurde dem Athōs-Kloster Zōgraphu die „Bergweide in Gemeinnutzung“ Lakteba in der Flur Lestia in der Umgebung der Stadt Melnik von Andronikos II. Palaiologos als Besitz bestätigt (tēn peri ton Melenikon eis ta Lestia dēmosiakēn planēnēn tēn Lakteban). Bereits ein Jahr später (1328) nahm Andronikos III. Palaiologos dem Kloster Zōgraphu die Sommerweide Lakteba und gab ihm diejenige von Tzerkbista an ihrer statt (anti tēs planēnēs tēs legomenēs Laktebas […] tēn peri ton topon tu Meleniku dēmosiakēn heteran planēnēn tēn legomenēn Tzerkbistan). Schließlich erließ der serbische Zar Stefan Uroš V. eine Urkunde im Jahre 1356, worin er Kirilĭ (Kyrillos), dem Metropoliten von Melnik, den Besitz über die Kirche Svetago Nikoli Čudotvor’ca Stožĭskoga in der Stadt Melnik (u Mělnicě u gradu) samt einer Sommerweide (s planinomĭ) bestätigte.74 Es ist anzunehmen, daß die weiterführende Analyse der einschlägigen schriftlichen Quellen zu ­„Makedonien, nördlicher Teil“ neue Cluster von Sommerweiden in dem betreffenden Bearbeitungs­ gebiet zutage bringen wird. Katune Eindeutige Zeugnisse der Weidewirtschaft in der historischen Landschaft Mazedonien stellen neben den obenerwähnten Winter- und Sommerweiden auch die sogenannten Katune dar. Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) setzte das Wort „katun“ in seinem Lexicon Serbico-Germanico-Latinum mit den Begriffen „bačija“ bzw. „mandra“ gleich und übersetzte alle drei spezifisch mit „Sennerei“.75 Allerdings handelt es sich beim Katun im breitesten Sinne des Wortes um eine saisonal – d. h. auf die Sommer- oder Wintermonate – begrenzte Siedlung vlachischer, albanischer oder anderer Hirten. Die innere Organisation eines mittelalterlichen Katun läßt sich aufgrund spärlicher Quellen nicht einwandfrei rekonstruieren. An seiner Spitze stand jedenfalls ein Oberhaupt, das „katunar“ oder „čelnik“ genannt wurde. Ob dessen Name für den gesamten Katun namensgebend war und ob innerhalb eines Katun stets miteinander verwandte Großfamilien organisiert waren, bleibt in der Sekundärliteratur umstritten. Die Größe eines Katun schwankte im Mittelalter zwischen 10 und 105 Haushalten. Die besondere Problematik liegt darin, daß von nomadischen Organisationsformen, die im 20. Jahrhundert in Südosteuropa dokumentiert wurden, nicht automatisch auf Zustände im Mittelalter geschlossen werden kann.76 Als im Jahre 943 die Athōs-Grenze zwischen Hierissos und den Athoniten fixiert wurde, bildete eine alte, mit Steinen umzäunte Weide (lithomandrin) einen Teil des Grenzverlaufes (siehe dazu und im folgenden Abb. 4).77 1195 gab der Abt des Athōs-Klosters Docheiariu dem Abt des Athōs-Klosters Kochliara einen Weideplatz (nomadiaios topos) inmitten seines Landbesitzes.78 Innerhalb der dikaia des Dorfes Chōstianes lag das Kloster Hagios Iōannēs Prodromos, dem 1184 Paröken sowie eine Mühle Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 229f. Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 230.   75 Vuk Stef. Karadžić, Srpski rječnik istumačen njemačkijem i latinskijem riječima. Lexicon Serbico–Germanico–Latinum (Beograd 41935) 19, 276, 357.   76 Siehe zur Organisationsform des Katun den folgenden Sammelband, der sehr reichhaltige Informationen zur Thematik enthält: Simpozijum o srednjovjekovnom katunu održan 24. i 25. novembra 1961 g., ed. Milenko S. Filipović (Naučno društvo SR Bosne i Hercegovine, Posebna izdanja Knjiga 2, Odjeljenje Istorijsko–filoloških nauka Knjiga 1, Sarajevo 1963).   77 APrôt., ed. Papachryssanthou 56–61, 188–202 (Nr. 4–6).   78 ADoch., ed. Oikonomidès 120–123, 321–324 (Nr. 12, App. III).   73   74

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Abb. 4: Die Verteilung der Katune in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović).

im chōrion tēs Mandras zugewiesen wurden.79 In zwei gefälschten Urkunden für das Kloster Batopedi (August 1344) wird bei Uranupolis, 12 km sö. von Hierissos, die Mandra tōn Ageladōn („Gehege für Kühe“) erwähnt.80 1568 wird eine Flur des Dorfes Gomatu namens Alogomandra („Pferdeweide“) samt Winterweide des Klosters Stauronikēta erwähnt.81 Kurz vor Jänner 1342 erhielt Iōannēs Margaritēs aus dem konfiszierten Besitz des Arsenios Tzamplakōn unter anderem Paröken im chōrion Gostompus, wo sich eine Flur namens Mandra befand.82 Zum Einzugsgebiet des Dorfes Kokkinochōrion gehört eine Flur Palia Mantria.83 Im Kataster von Radolibus vom Anfang des 12. Jahrhunderts werden die mandria eis ton Lakkon erwähnt.84 4 km n. von Philippoi befindet sich eine Flur namens Mandra (Mantra), in der eine Grabkapelle sowie ein mittelbyzantinischer Friedhof gefunden wurden.85 1104 besaß das Kloster Ibērōn den Ort Libysdias (jetzt Olympias) an der Ost-Küste der Chalkidiki, zu der eine choiromandria („Schweinehürde“) gehörte.86 Der Name des heutigen Dorfes Stanos könnte aus dem Slawischen (alt­ slavisch stanъ „Lager“) und davon neugriechisch στάνη („Hürde für Vieh“) abzuleiten sein.87 In den Grenzbeschreibungen des in bzw. bei Sartē gelegenen Metochion Hagios Nikolaos Bathypotamitēs wird 1304 und 1321 die Ebene (homalia) Mandreinea tu Nikolitza genannt.88 Auch im Bearbeitungsgebiet von „Makedonien, nördlicher Teil“ begegnen Katune. Am nordwest­ lichen Ende des Flußtales der Strumica, d. h. im Gebiet rings um Štip, wird in der Kirche Sveti Gjorgji beim Dorf Dolni Kozjak bzw. in der Flur Gorni Kozjak in einem altslavischen Graffito ein nicht lokalisierter Tetev oder Tutev Katun genannt. Rund 10 km osö. des Ortes Konče liegt in demselben Flußtal eine Erhebung, welche den Namen Katunski Rid trägt. Ein weiteres toponomastisches Zeugnis befindet ALavra I, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 341–345 (Nr. 66); Vassiliki Kravari, Villes et villages de ­Macédoine occidentale (Paris 1989) 82.  80 AVatop. II, ed. Lefort/Kravari/Giros/Smyrlis 431–437 (App. IV, V).  81 Kolobos, Χωρικοί και μοναχοί II 203.  82 Paul Lemerle, Un Praktikon inédit des archives de Karakala (Janvier 1342) et la situation en Macédoine orientale au ­moment de l’usurpation de Cantacuzène, in: Χαριστήριον εἰς Ἀναστάσιον Κ. Ὀρλάνδον 1 (Athen 1965) 278–298, hier 283f.  83 Giannēs A. Pikulas, Η χώρα των Πιέρων. Συμβολή στην τοπογραφία της (Athen 2001) 84–90, 160–163, 183, 198.  84 Actes d’Iviron II. Du milieu du XIe siècle à 1204. Texte (ed. Jacques Lefort/Nicolas Oikonomidès/Denise ­Papachryssanthou/ Vassiliki Kravari/Hélène Métrévéli, Archives de l’Athos 16, Paris 1990) 260, 267, 271, 277, 281.   85 Phlōra Karagiannē, Οι βυζαντινοί οικισμοί στη Μακεδονία μέσα από τα αρχαιολογικά δεδομένα. Κατάλογος θέσεων (Thessaloniki 1999) 147–152 (Nr. 98).  86 AIvir. II, ed. Lefort/Oikonomidès/Papachryssanthou/Kravari/Métrévéli 232f. (Nr. 52).   87 Max Vasmer, Die Slaven in Griechenland (Berlin 1941, ND Leipzig 1970) 213.  88 ALavra II, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 133f., 215 (Nr. 97, 108).   79

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sich am östlichen Ende des Tales der Strumica (Strumešnica). Es handelt sich um den Ort Katunci am rechten (w.) Ufer des Flusses Pirinska Bistrica bzw. 9 km ssö. von Melnik. Dieser wird zum ersten Mal unter dem Namen Katunitza im Testament des Erzbischofs Paulos Klaudiupolitēs von Melnik im Mai 1216 erwähnt (edōrēthē de tē toiautē monē chōrion to legomenon Katunitzan). Des weiteren befindet sich die Flur Mandrata rund 10 km nö. von Melnik im Pirin-Gebirge.89 In Zusammenschau der hier präsentierten Quellenbelege läßt sich ein umfassendes Bild der Weide­ wirtschaft in der historischen Landschaft Mazedonien erschließen und in der Folge kartographisch ­visualisieren, womit deutliche Schwerpunkte erkennbar werden. Abschließend ist auf die Frage einzugehen, welchen Anteil die Vlachen an der besagten Weidewirtschaft hatten und wie deren Präsenz in den schriftlichen und toponomastischen Quellen zum Ausdruck kommt. QUELLENBASIERTE ZEUGNISSE VLACHISCHER PRÄSENZ IN DER HISTORISCHEN LANDSCHAFT MAZEDONIEN Im Bearbeitungsgebiet „Makedonien, südlicher Teil“ zählt zunächst der Ort Armenochōrion, 5 km nö. von Phlōrina, dessen Name eher auf aromunische als auf armenische Bevölkerung hindeutet (Armân „Aromune, Vlache“) zur Gruppe der toponomastischen Zeugnisse (siehe dazu und im folgenden Abb. 5).90 Im Zusammenhang mit Landbesitz des Klosters Treskavec bei Prilep wird in den Jahren 1343 bis 1345 ein putь vlaški („Vlachenweg“) nach Kladoruby (jetzt Kladorrachē) und Klьbasnica (jetzt Prōtē) erwähnt.91 Am rechten Ufer des Libadopotamos, 1,5 km w. des Dorfes Pisoderion, ist auf einer Länge von rund 20 m ein Stück alter Pflasterstraße erhalten, welche die alte vlachische Bezeichnung Kale Mare („breiter Weg“) trägt.92

Abb. 5: Die vlachische Präsenz in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović).

Der Ort Klisura, welcher an einem Übergang zwischen dem Becken von Kozanē und dem Becken von Kastoria liegt, trägt auch die Namen Blachokleisura bzw. Vlahoklisura, wobei Klisura „Engpass“

Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 228, 231. Symeōnidēs, Ετυμολογικό λεξικό I 291.  91 Gramoti Treskavec (ed. Lidija Slaveva/Vladimir Mošin, Gramotite na Stefan Dušan za manastirot Treskavec, in: ­Spomenici na srednovekovnata i ponovata istorija na Makedonija IV, Skopje 1981) 55–185, hier 122 (§ 75) (Nr. 2), 148 (§ 51) (Nr. 3).  92 Dēmētrēs K. Samsarēs, Ιστορική γεωγραφία της ρωμαϊκής επαρχίας Μακεδονίας. Το τμήμα της σημερινής Δυτικής Μακεδονίας (Thessaloniki 1989) 28.  89  90

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bedeutet und aus dem Lateinischen „clausura“ abzuleiten ist.93 1258 hinderte Johannes I. Dukas ­Angelos von Thessalien mit einem vlachischen Kontingent in Berroia Johannes Palaiologos, den Bruder ­Michaels VIII. Palaiologos, am weiteren Vordringen.94 Rund 30 km nw. von Berroia befindet sich noch heute das vlachische Dorf Anō Grammatikon.95 Der Ort Libadion im Bezirk Larisa trug früher die Bezeichnung Blacholibado („Wiese der Vlachen“).96 Beim Dorf Chōstianes des Klosters Laura, das jetzt Archangelos heißt und vlachophon ist, befand sich unter anderem ein Katun der Vlachen (katuna Blachōn).97 Weiters gehörte zum Besitz des Klosters Laura das Dorf Brestianos mit Weideland für Vlachen (charin tōn Blachōn).98 1300 und 1321 wird in der Grenzbeschreibung des Dorfes Bromosyrta unter anderem der Trockenwildbach Blachomandria erwähnt.99 Dieselben Urkunden überliefern einen mit Steineichen bewachsenen Ort mit Namen tōn Blachōn mnēmeia („Denkmäler der Vlachen“) bei Hagia Euphēmia in der westlichen Chalkidiki.100 1275 wurde dem Kloster Xēropotamu das Metochion Pinakra bzw. Kosla mit den dortigen Vlachen (Blachoi) als Besitz bestätigt, welches höchstwahrscheinlich in der Umgebung von Hierissos zu verorten ist.101 Im Jahre 1501 fungierte der wohl vlachische archōn Staïkos (župan Staïko) als Stifter des Athōs-Klosters Pantokratōr.102 Im Bearbeitungsgebiet von „Makedonien, nördlicher Teil“ werden in einer Urkunde des ­serbischen Zaren Stefan Uroš IV. Dušan für den Edelmann Ivanko Probištitović im Mai 1350 unter den der ­Kirche des Heiligen Johannes des Täufers in der Stadt Štip zugeteilten Untergebenen unter anderem zwei ­Vlachen – Manoo Vlachĭ und Dragoslavĭ Vlachĭ – genannt. Im Mittellauf des Flusses Strumica ­existieren zwei sehr spezifische Hinweise auf Vlachen in den spätbyzantinischen Quellen. 1293 stellte der ­byzantinische Kaiser Andronikos II. Palaiologos eine Urkunde aus, mit welcher er den Grundbesitz des Leōn ­Koteanitzēs in der Gegend Preasnitza als Dank für seine militärischen Leistungen bestätigte. Ursprünglich hatte sich dieses Land im Besitz von verschiedenen Vlachen befunden und war ebendiesen entzogen worden (apespasthē apo diaphorōn Blachōn). Über großen Landbesitz in diesem Flußabschnitt verfügte unter anderem das Athōs-Kloster Chelandariu, das weite Teile des Ogražden-Gebirges besaß. Dieses Kloster hatte vom Zaren Stefan Uroš IV. Dušan Bergweiden (planinach) und weitere Weideflächen in der Gegend „Kunarach“ oberhalb des Ortes Sekirnik (u Kunarachĭ više Sekirnika), an den südwestlichen Ausläufern des Ogražden-Gebirges, erhalten. Zwischen 1349 und 1353 wurde der Abt des Klosters namens Ioanĭ mit einer Abordnung von Mönchen beim Zaren vorstellig, da ihrem Eigentum seitens der Feudalherren, Edelmänner und Katune der Vlachen des Kaisers Schaden zugefügt worden sei (kako ich obide vlastele i vlasteličiki i katuni Vlachĭ carĭstva mi). Daraufhin entsandte der Zar seinen Edelmann Branilo, um die Grenzen des Klosterbesitzes vor Zeugen nochmals festzuschreiben.103 Neben den zitierten schriftlichen Quellen bezeugen zahlreiche Toponyme die Präsenz von ­Vlachen im Flußtal der Strumica (Strumešnica). Tomo Tomoski identifiziert das Dorf Šopur und die Flur ­Turtel(a) als vlachischen Ursprungs. In der Umgebung von Melnik bzw. an der Grenze zwischen den historischen Landschaften Makedonien und Thrakien im Pirin-Gebirge begegnen die Flurnamen Vlaška ­čerkva, Vlaškija păt und der Brunnen Vlaškata češma (rund 11 km nö. der Stadt Melnik) sowie die Reste einer neuzeitlichen Kirche namens Vlaška cărkva in der Gegend Popovi livadi (rund 22 km onö. von ­Melnik).104

Eberhard Krüger, Die Siedlungsnamen Griechisch-Makedoniens nach amtlichen Verzeichnissen und Kartenwerken (Islamkundliche Untersuchungen 96, Berlin 1984) 247.  94 Geōrgius Pachymeres (ed. Immanuel Bekker, Georgii Pachymeris de Michaele et Andronico Paleologis libri XIII. I–II, Bonn 1835) I 83.   95 Krüger, Die Siedlungsnamen 36, 141, 227.  96 Michaēl Stamatelatos/Phōteinē Bamba-Stamatelatu, Επίτομο Γεωγραφικό Λεξικό της Ελλάδος (Athen 2001) 430.   97 ALavra I, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 363 (App. II).  98 ALavra I, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 363 (App. II).  99 ALavra II, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 89–91, 197–200 (Nr. 90, 108). 100 ALavra II, ed. Lemerle/Guillou/Svoronos/Papachryssanthou 81, 189–191 (Nr. 90, 108). 101 Actes de Xéropotamou (ed. Jacques Bompaire, Archives de l’Athos 3, Paris 1964) 89f., 92 (Nr. 10). 102 Actes du Pantocrator (ed. Vassiliki Kravari, Archives de l’Athos 17, Paris 1991) 185, 187 (Nr. 29). 103 Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 231f. 104 Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz 232.  93

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Mihailo St. Popović

ZUSAMMENFASSUNG Die in den vier Abbildungen erfolgte Visualisierung der quellenbasierten Inhalte erlaubt es uns, einen ersten Überblick über die Weidewirtschaft in der historischen Landschaft Mazedonien zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert zu gewinnen, welcher in naher Zukunft mit zusätzlichen Quellenzeugnissen im Laufe der weiteren Forschungsarbeit bereichert werden wird. Nach derzeitigem Stand ist im Falle der Winterweiden ein deutlicher Schwerpunkt auf der Chalkidiki zu erkennen, während sich die Sommerweiden regelmäßig über die gesamte historische Landschaft verteilen. Eine der Erklärungen hiefür ist ohne Zweifel in den (mikro-)klimatischen Bedingungen jener Zeit zu suchen, welche gezielter Untersuchungen bedürfen. Wie die Sommerweiden sind auch die Katune über das gesamte Bearbeitungsgebiet verstreut, wobei in den Quellen Katune und Katune der Vlachen zu unterscheiden sind, was einmal mehr auf die Tatsache hinweist, daß Katune nicht automatisch mit vlachischer Präsenz in Verbindung zu bringen sind, sondern durchaus auch von anderen Bevölkerungsgruppen (Albanern, Slaven etc.) betrieben wurden.105 Schließlich zeigt die vlachische Präsenz in der historischen Landschaft Mazedonien nach jetzigem Erkenntnisstand Schwerpunkte im Ogražden- und Pirin-Gebirge sowie im Pindos-Gebirge und dessen Ausläufern. Der im Rahmen dieses Beitrages zur Anwendung gekommene Ansatz der Auswertung von Mikrotoponymen auf der Basis der byzantinischen und altslavischen Urkunden verdeutlicht, daß gerade diese Quellengruppe das bisher zu wenig beachtete Potential besitzt, das komplexe Bild der Weidewirtschaft in der südlichen Balkanhalbinsel und ihrer hauptsächlichen Akteure, d. h. der Vlachen, maßgeblich zu bereichern.

105

Siehe dazu: Ćirković, Albanci 323–339.

Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht

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Johannes Kramer

Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht In der Antike waren Volks-, Sprach-, Religions- und Kulturgemeinschaftsbezeichnungen in den meisten Fällen ein schwer auflösbares Amalgam eingegangen, und was genau hinter einer Bezeichnung wie Iudaeus steht, ob damit jemand gemeint ist, der aus Palaestina stammt, ob es jemand ist, der hebräisch spricht, ob es ein Anhänger der jüdischen Religion ist oder jemand, der zur Besonderheit der Anhänger des Monotheismus gehört, kann man, wenn überhaupt, immer nur im Einzelfall entscheiden. In der Kaiserzeit war es aber klar, dass die Bewohner des Imperium Romanum sich als Romani, auf Griechisch Ῥωμαῖοι, bezeichneten. Denkbar war auch die Bezeichnung Latini, aber das war ein enger definierter Name, bei dem die Verbindung mit der Sprache offenkundiger war. Da diese Bezeichnung in Südosteuropa kein Nachleben entwickelt hat und erst im Mittelalter sekundär als Name der westlichen Kreuzritter und ihrer katholischen Religion neu auftritt, kann man hier davon absehen. Jedenfalls sind „im Rumänischen keine erbwörtlichen Nachfolgeformen von Latinus zu belegen“,1 und im Falle des Dalmatischen ist Latini nur eine Außenbezeichnung, die primär von gebildeten Humanisten verwendet wurde, die natürlich die Nähe zum Italienischen bemerkten.2 Für lokale Beobachter aus Serbien oder Montenegro gilt, dass man „oft die Dubrovčanen als Latini bezeichnet hat, weil man sie ohne Rücksicht auf das Ethnos und die Sprache der Latini als Katholiken ansah“.3 Prinzipiell gilt für das antike Lateinische, dass als Sprachbezeichnung Latinus und Romanus sowie dazugehörige Ableitungen austauschbar waren, dass aber das deutlich seltener vorkommende Romanus vor allem dann eingesetzt wurde, wenn man den Namen Roms mitklingen lassen wollte; „auf keinen Fall lag aber ein über eine ganz leichte Duftnote hinausgehender Unterschied vor“.4 In Südosteuropa hat sich Romanus in den verschiedenen Varietäten des Rumänischen erhalten. Im Dakorumänischen lebt das Substantiv in erbwörtlicher Form als rumân m. ‘Rumäne’ weiter, wobei der Erstbeleg im Jahre 1577 im Nachwort des Psalters des Diakons Coresi steht: eu diacon Coresi, deaca văzuiu că mai toate limbile au cuvântul lu Dumnezeu în limba, numai noi rumânii n-avăm „ich, ­Diakon Coresi, habe gesehen, dass schon alle Sprachen das Wort Gottes in ihrer Sprache besitzen, nur wir ­Rumänen hatten es nicht“.5 Daneben taucht von Anfang an die Form român auf (Erstbeleg 1581/2 in der Palia de la Orăştie neben der Form rumân),6 die wohl als gelehrte Umformung im Anklang an lateinisch Roma (das freilich im älteren Rumänisch durch slavisches Rim vertreten wird) oder ­Romanus zu erklären ist.7 Als Adjektiv kommt rumân (bzw. die Variante român) ebenfalls seit der Palia de la Orăştie vor, bezieht sich aber bis ins 19. Jahrhundert nur auf Personen und nicht auf Einrichtungen; das normale Johannes Kramer, Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen (Berlin 1998) 95. Kramer, Latinus und Romanus 98–99.  3 Vinko Foretić, Zur Geschichte der Romanen Dalmatiens im Mittelalter, in: Romania et Slavia Adriatica. Festschrift für Žarko Muljačić, ed. Günter Holtus/Johannes Kramer (Hamburg 1987) 483–503, hier 501.  4 Kramer, Latinus und Romanus 77.  5 Coresi, Liturghierul (ed. Alexandru Mareş, Bucureşti 1976) 662. Alle Übersetzungen in diesem Artikel wurden, so nicht anders angegeben, vom Autor vorgenommen.  6 Palia de la Orăştie 1581–1582 (ed. Viorica Pamfil, Bucureşti 1968) 452.  7 Theodor Gartner, Ueber den Volksnamen der Rumänen (Czernowitz 1893); Karl Tagliavini, Rumänische Konversations-Grammatik (Heidelberg 1938) 47; Alexandru Rosetti, Istoria limbii române (Bucureşti 1986) 135; Kramer, Latinus und Romanus 138; mit ungenügenden Argumenten plädierten einige Vertreter der Schule von Iaşi für die Erbwörtlichkeit der –o–Formen: Alexandru Philippide, Un specialist român la Lipsca (Iaşi 1909) 39; Vasile Arvinte, Român, românesc, România: studiu filologic (Bucureşti 1983) 59; Eugenio Coşeriu, Theodor Gartners Werk im Bereich der Rumänistik, in: Akten der Theodor Gartner-Tagung (Rätoromanisch und Rumänisch) in Vill/Innsbruck 1985, ed. Guntram Adolf Plangg/ Maria Iliescu (Innsbruck 1987) 277–287, hier 285–287.  1  2

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Johannes Kramer

Adjektiv zum Substantiv rumân war aber immer die innere Bildung rumânesc, adverbial rumâneşte.8 Folglich hieß ‘rumänisch’, auf die Sprache bezogen, normalerweise limba rumânească, erst im 20. Jahrhundert wird limba română normal. Auch in den süddanubischen Varietäten war Romanus wohl erbwörtlich erhalten. Heute lebt es ­allerdings nur im Aromunischen weiter, wobei die normale Form armân oder armăn ist, während die ­Farscherioten ρumăn oder ρămăn sagen.9 In seiner 1698 in Venedig erschienenen Istoria antica e ­moderna ... della città di Trieste erwähnt Ireneo della Croce, dass die Istrorumänen sich Rumeri nannten, was als *rumări, die lautgerechte Entsprechung zu lat. Romani (mit Rhotazismus des –n–) zu interpretieren ist;10 diese Bezeichnung war jedoch nicht mehr bekannt, als an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die ersten systematischen Sprachaufnahmen durchgeführt wurde. Bei den Meglenorumänen gibt es keine Spuren der Eigenbezeichnung mehr. Die Nachbarvölker haben von der auf Romanus zurückgehenden Selbstbenennung der Rumänen zunächst keine Notiz genommen. Die europäischen Sprachen haben normalerweise erst im 19. Jahrhundert eine entsprechende Form entwickelt: Im Deutschen taucht Rumune, rumunisch 1797 auf und ist im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts vorherrschend, wird auch danach noch gelegentlich verwendet, u. a. weil der Wiener Sprachwissenschaftler Franz Miklosich sich dafür entschied;11 Rumäne, rumänisch (Vorläufer seit der Mitte des 17. Jahrhunderts) dringt wie Romäne, romänisch (seit 1837) vor allem im Gefolge der Revolutionen von 1848 durch, und der „friedliche Feldzug der Rumänen gegen die Hauptsprachen Europas“,12 der darauf zielte, Formen mit –o– statt mit –u– (bzw. –ou–/–oe–) durchzusetzen, blieb in den meisten Sprachen erfolglos (frz. roumain, niederl. Roemeens, sp. rumano, russ. румын, griech. ρουμανικός), nur in einigen Sprachen wie engl. Romanian oder it. romeno (neben rumeno) setzte sich die –o–Form durch. Die eigentliche Fremdbezeichnung der Rumänen und des Rumänischen geht hingegen letztlich auf den Worttyp zurück, der im Deutschen als welsch auftaucht. Die Darstellung, die Leo Weisgerber unter dem Titel „Walhisk. Die geschichtliche Leistung des Wortes Welsch“ 1943 trotz mancher zeitbedingter Akzentsetzungen von der Wortgeschichte des germanischen *walhisk gegeben hat, gilt im Wesentlichen auch noch heute.13 Hier nur die kurze Zusammenfassung:14 Der Name des keltischen Stammes, der im Lateinischen als Volcae, im Griechischen als Οὐόλκαι, auftritt, tritt vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. als urgermanisch *Walhaz, Plural *Walhoz auf; darauf geht althochdeutsch Walah, Plural Walha zurück, und der bei Ammian (27, 2, 6) für 366 n. Chr. belegte Name des römischen Tribunus armaturarum Balchobaudes ‘Römerheld’ sowie die ab dem 6. Jahrhundert belegten Personennamen mit Walah- als erstem Bestandteil zeigen ebenso wie der Landesname la Gaule, der aus Walha entlehnt ist, dass schon in den Vorstufen des Althochdeutschen der Plural Walha die normale Bezeichnung für die Römer oder Romanen – das kann man nicht unterscheiden – gewesen ist. In den Kasseler Glossen aus dem Jahre 810 findet sich Romani uualha als althochdeutscher Erstbeleg von Walha.15 Von der Adjektivableitung walhisk, auf die deutsch welsch und englisch welsh, aber auch französisch gaulois, zurückgehen, kann man hier absehen, da sie in Südosteuropa keine Spuren hinterlassen hat. Auf den frühalthochdeutschen Singular Walah, über *Walh mit Metathese zu *Wlah geworden, geht jedenfalls das altrussische Volochъ (Plural Volosi) der um 1115 verfassten Nestor-Chronik und das ­ukrainische Vołoch zurück.16 Im Altkirchenslavischen, in der Method-Biographie des 9. Jahrhunderts, findet man die einsilbige Pluralform Vlasi, die auf einen Singular Vlahъ zurückgeht,17 und diese Form Kramer, Latinus und Romanus 131. Vasile Arvinte, Romanus im Aromunischen, in: Balkan-Archiv 3 (1978) 109–128, hier 113–116. 10 Kramer, Latinus und Romanus 132. 11 Gartner, Volksname der Rumänen 24–26. 12 Gartner, Volksname der Rumänen 13. 13 Ursprgl. als Artikel erschienen 1948; Leo Weisgerber, Walhisk. Die geschichtliche Leistung des Wortes Welsch, in: ders., Deutsch als Volksname. Ursprung und Bedeutung (Stuttgart 1953) 155–232. 14 Im Folgenden schreibe ich den Volksnamen und seine Ableitungen mit großem Anfangsbuchstaben, weil die Orthographien der einzelnen Sprachen in diesem Punkt sehr uneinheitlich sind und ich keine Rechtschreibe-Kleinigkeiten einbringen will. 15 Weisgerber, Walhisk 188. 16 Max Vasmer, Russisches etymologisches Wörterbuch 1 (Heidelberg 1976) 222. 17 Slovník jazyka staroslověnského, 1–5 (Praha 1966–2010) 1, ed. Josef Kurz (Praha 1966) 201; Franz von Miklosich, ­Lexikon Palaeoslovenico-Graeco-Latinum (Wien 1865) 68 s.v. влаχъ.  8  9

Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht

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liegt auch in den west- und südslavischen Sprachen vor: polnisch Włoch, obersorbisch Włoch, tschechisch Vlach, slovakisch Vlach, slovenisch Lȁh (Anlautvereinfachung), serbisch und kroatisch Vlȁh, bulgarisch Vlah. Die nichtslavischen Nachbarsprachen Südosteuropas haben den Namen aus den slavischen Nachbarsprachen entlehnt: Im Albanischen findet man vllah (Plural vlleh), wobei eine Datierung des Übernahmedatums angesichts der spät einsetzenden Bezeugung der Sprache nicht möglich ist.18 Das Ungarische kennt zwei Formen. Die Form oláh ‘Rumäne’ ist im lateinischen Kontext schon 1252 belegt (Olacorum), aber 1283 kann man olah identifizieren;19 olasz ‘Romane’, präziser ‘Italiener’, ist 1138 als vlas und 1181 als uloz belegt. Beide Formen sind wohl aus dem serbischen Vlȁh entlehnt, wobei der vokalische Anlaut des normale Ergebnis einer Vokalisierung von *v- darstellt. Im Griechischen ist eine ἐπισκοπὴ Βλάχων in einem Bistumsverzeichnis aus dem Jahre 1020 erwähnt,20 und Βλάχοι kommen dann bald in literarischen Texten wie in dem wohl um 1070 verfassten στρατηγικόν von Kekaumenos vor.21 Vielfach wird das älteste Auftauchen der Βλάχοι auf das Jahr 976 datiert:22 Das ist historisch richtig, weil in diesem Jahr Βλάχοι am Kastoriasee David, den Bruder des Bulgarenzars Samuils, ermordet haben, philologisch aber ist es falsch, denn die Quelle für dieses Ereignis des Jahres 976 ist erst die Chronik des Georgios Kedrenos, der im 11./12. Jahrhundert lebte.23 Mit anderen Worten: Das griechische Βλάχοι ist erst im 11. Jahrhundert und nicht schon im 10. Jahrhundert bezeugt. Das von den Βλάχοι bewohnte Gebiet heißt in den byzantinischen Quellen Βλαχία; der Erstbeleg findet sich bei Georgios Akropolites (1217–1282) in seiner Beschreibung der Eroberung Thessaliens, das Μεγάλη Βλαχία genannt wird,24 im Gegensatz zur Μικρὴ Βλαχία. Das Gebiet nördlich der Donau wird erst kurz vor 1400 Βλαχία genannt,25 und Μαυροβλαχία taucht ab 1393 für die Moldau auf.26 Dass das byzantinische Griechisch aus dem Slavischen entlehnt hat,27 liegt auf der Hand, und am ehesten wird man natürlich an das altbulgarische Vlahъ/Влаχъ denken. Die mittellateinischen Formen zeigen eine Zweiteilung. Auf der einen Seite haben wir zweisilbige Formen, die primär wie das griechische Βλάχος oder das slavische Vlach aussehen, auf der anderen Seite finden wir die dreisilbige Form Valachus. Beide Formen erklären sich zunächst einmal dadurch, dass auf Grund der phonetischen Struktur des Mittellateinischen eine Form *Vlachus nicht möglich ist, weil anlautendes vl- ausgeschlossen ist. Entweder muss also bl- eintreten, was nach den antikisierenden ­Regeln der Umsetzung des griechischen Schriftbildes ins Lateinische problemlos wäre, oder man braucht einen Sprechvokal zwischen v und l. Im östlichen Europa scheint die Form Blachii das erste Mal in den anonymen, um die Mitte des 12. Jahrhunderts verfassten Gesta Hungarorum aufzutauchen,28 wo davon berichtet wird, dass in ­Pannonien Sclavi, Bulgarii et Blachii wohnen.29 Die Wendung terra Blac(h)orum ist in siebenbürgischen Urkunden 1222 und 1224 belegt;30 weitere Quellen zitiert Isbăşescu.31 Blachi oder das dialektalisierte Blochi spielt dann bei den siebenbürgisch-sächsischen Renaissanceschriftstellern eine große Rolle; die deutsche Form ist Blôch.32 Eine Umformung von Blachus in Flaccus liegt nahe, und diese Form regte die Phantasie der antike­ begeisterten Humanisten an. So liest man dann bei Aeneas Sylvius Piccolomini in seiner Historia ­rerum Vladimir Orel, Albanian Etymological Dictionary (Leiden/Boston/Köln 1998) 512. Etymologisches Wörterbuch des Ungarischen, ed. Loránd Benkő, 1–3 (Budapest 1993–1997) 2, 1057. 20 Fontes historiae Daco-Romanae/Izvoarele istoriei României, 1–4 (ed. Haralambie Mihăescu, Bucureşti 1964–1982) 4, 24. 21 Kekaumenos, στρατηγικόν 173–177 = Fontes 4, ed. Mihăescu 26–36 22 Weisgerber, Walhisk 190. 23 Fontes 3, ed. Mihăescu 144–147. 24 Fontes 3, ed. Mihăescu 404–405. 25 Fontes 4, ed. Mihăescu 250. 26 Fontes 4, ed. Mihăescu 234. 27 Nikolaos P. Andriotis, Ἐτυμολογικὸ λεξικὸ τῆς κοινῆς Νεοελληνικῆς (Thessalonike 21967) 52. 28 Gesta Hungarorum des anonymen Notars (ed. Gabriel Silagi, Sigmaringen 1991) 9, 49. 29 Adolf Armbruster, La romanité des Roumains, Histoire d’une idée (Bucureşti 1977) 35. 30 Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch 1, ed. Verein für Siebenbürgische Landeskunde (Berlin/Leipzig 1924) 652. 31 Mihai Isbăşescu, Überlegungen zu den altnordischen Quellen über Vlah, in: Logos semantikos. Studia linguistica in ­honorem Eugenio Coseriu 5, ed. Brigitte Schlieben-Lange (Berlin/New York 1981; Madrid 1981) 303–311, hier 308. 32 Siebenb.-Sächs. Wb. 1, 650–652. 18 19

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Johannes Kramer

ubique gestarum locorumque descriptio über die römische Eroberung Dakiens, es sei bezwungen ­worden duce quodam Flacco, a quo Flaccia nuncupata. Exin longo temporis tractu, corrupto ut fit ­vocabulo, Valachia dicta. Et pro Flaciis Valachi appellati sermo adhuc genti Romanus est, quamvis magna ex ­parte mutatus et homini Italico vix intelligibilis.33 Nach dem 16. Jahrhundert verschwindet Flaccia wieder aus der Literatur, nachdem es Material für vielfache Ausschmückungen bei lateinschreibenden Historikern zur ungarischen Geschichte (Antonio Bonfini [1427–1502]; Pietro Ransano [1428–1492]) geliefert hatte.34 In den mittellateinischen Quellen Westeuropas taucht adjektivisches Blacus 1255 zum ersten Male auf, und die Pluralform des Substantivs Blac(c)i ist seit 1289 belegt.35 Im Italienischen lautet der Ländername Bracchia mit Rhotazismus (seit 1334), dazu sind die Einwohner Bracchi (seit 1348) zu stellen. Die Normalform für das Land Blacchia gibt es seit 1487, der Einwohnername Blachi ist aber schon am Anfang des 13. Jahrhunderts belegt, und es gibt mit Biachi (1386) sogar eine „eingemeindete“ Form, der freilich keine Karriere beschieden war. Wenn das nordische Blakumen, das in einer Runeninschrift aus der Zeit um 1050 belegt ist und das in Snorri Storlusons um 1220–1230 abgefassten H ­ eimskringla-Chronik als Landesname Blǫkumannaland auftaucht, wirklich mit mittellat. Blacus zu verbinden ist, was Mihai Isbăşescu wahrscheinlich macht,36 dann beweisen diese Belege, dass die mittellateinische Form Blac(c)us schon früher geläufig war, als uns die erhaltenen Quellen verraten. Relativ spät tritt mittellat. Valac(ch)us auf, das erst seit dem 14. Jahrhundert nachzuweisen ist und offenbar die Form war, die von den Frühhumanisten am meisten geschätzt wurde. Im Italienischen tritt der Landesname Varracchia mit Rhotazismus seit 1385 auf, seit 1409 findet man als Einwohnernamen Balacchi, und seit 1424 sind Valacchia und Valacchi gängig, wobei bis ins 19. Jahrhundert sowohl zwei l als auch zwei c in freier Abwechslung möglich waren.37 Im altfranzösischen Rolandslied kommen Blos als Bestandteil der Elitetruppe des Emirs Baligant vor (Laisse 232, Vers 3225), und auch die Formen Blaz und Blacs sind im 13. Jahrhundert zu belegen, ebenso wie die Ableitungen Blacois und Blaquerres.38 Die Form valaque ist im Französischen erst spät belegt: Zwischen 1450 und 1471 tauchen die Schreibungen Wallackes, Walaques, Wallaques und Vallaques in Reise- und Botschaftsberichten auf, und Jean de Wavrin hat in seinen Chroniques 1471 schließlich die moderne Form Valaque.39 Schließlich ist noch das Rumänische zu benennen, wo mehrere Formen nebeneinander stehen. Der Chronist Miron Costin (1633–1691) ist sich der Tatsache wohl bewusst, dass es sich nicht um eigentlich rumänische Wörter, sondern um aus verschiedenen Nachbarsprachen übernommene Bezeichnungen handelt. In der kurz vor seinem Tod verfassten Schrift De neamul moldovenilor findet sich folgender Abschnitt: Nemţii italianului zic valios, şi noao moldovenilor şi muntenilor iar aşa valios, franţosii italianului valaşhos, noao şi muntenilor valaşhos, leşi italianului vloh, iară noao voloşin, [...] ungurii italianului olaşŭ, iară moldoveanului şi munteanului olah. Şi Ţării Italiei léşii zic Vlosca Zemlea, adecă Ţara Vlohului, iară ţărîi noastre Volosca Zemlea.

Die Deutschen nennen den Italiener welsch, und uns Moldauer und Walachen genauso welsch, die Franzosen nennen den Italiener valaque, uns und die Walachen valaque, die Polen nennen den Italiener Włoch, aber uns Wołosi, [...] die Ungarn nennen den Italiener olasz, aber den Moldauer und den Walachen oláh. Und das Land Italien nennen sie Włoska Ziemia, also Welschland, und unser Land nennen sie Wołoska Ziemia.40

Aeneas Sylvius Piccolomini, Historia rerum ubique gestarum locorumque descriptio, in: Opera quae extant omnia (Basilea 1551, ND Frankfurt 1967) 281–471, hier 393. 34 Armbruster, Romanité des Roumains 61–65. 35 Wolfgang Schweickard, Deonomasticon Italicum. Dizionario storico dei derivati da nomi geografici e da nomi di persona, 4 (Berlin/Boston 2013) 717. 36 Isbăşescu, Altnordische Quellen über Vlah, 304–309. 37 Schweickard, Deonomasticon Italicum 4, 715. 38 Schweickard, Deonomasticon Italicum 4, 717. 39 Jean de Wavrin, Recueil des chroniques et anchiennes istories de la Grant Bretaigne, a présent nommé Engleterre, 5 (ed. William Hardy, London 1891); Trésor de la langue française. Dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789– 1960) 1–16 (Paris 1971–1994) 16, 895. 40 Miron Costin, Opere (ed. Petre P. Panaitescu, Bucureşti 1958; = Opere, 1–2, Bucureşti 1965) 1958: 246–247 = 1965: 2, 16. 33

Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht

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Miron Costin weiß also, dass das deutsche Wort welsch und seine französische Entsprechung die ­Romanen generell bezeichnet, also im konkreten Fall entweder die Italiener oder die Rumänen; bei den Polen und Ungarn gibt es eine kleine Unterscheidung, Włochy bzw. olaszok sind die Italiener und Wołosi bzw. oláhok die Rumänen. Konkret ist es also so, dass Formen wie voloh, vloh, olos usw., die man in der älteren rumänischen Literatur häufiger findet, einfach die Wiedergabe fremder Wörter mit den Mitteln der rumänischen Graphie darstellen, anders gesagt, es handelt sich nicht wirklich um rumänische Wörter, und aus dem Artikel valáh im DLR müssen sie eigentlich gestrichen werden.41 Ein gewisses Heimatrecht im Rumänischen haben nur die Parallelformen Vlah und Valah erworben, wobei auch hierbei von jeher klar war, dass es Fremdbezeichnungen für die Leute sind, die sich selbst Rumâni nennen. Die ursprünglichere Form ist das aus dem benachbarten bulgarischen Влах oder serbischen Влах (= Vlah) – eine genaue Entscheidung darüber ist nicht möglich – entlehnte einsilbige Vlah, Plural Vlahi. Die rumänischen Belege dafür setzen allerdings relativ spät ein, 1722 mit Dimitrie Cantemir (1673–1723), der seinem Hronicul vechimei a romano-moldo-vlahilor, im 16. Kapitel, wo es um die eigene und die fremde Benennung der Rumänen geht, bemerkt, dass „nur die neueren Autoren die ­Romanen Dakiens Vlachen nennen“.42 Freilich zitiert er nur byzantinische Autoren, so dass seine V ­ lahi einfach als Translitteration von Βλάχοι gedeutet werden können. Auch die Stelle, an der es um die Ähnlichkeit zwischen dem Italienischen und dem Rumänischen geht, ist einfach eine Übersetzung aus ­Chalkokondylas:43 „Vlahii“, dzice, „aceștea au limbă de-ș foarte asamănă cu limba italiinească, însă atâta-i de stricată, cât de-abiia pot italii să înțăleagă cuvintele lor, carele vorovăsc“. Și puțin mai gios: „Vlahii“, dzice, „nemică din itali deosăbire nu au, încă și orânduiala traiului, a mânca- tului și portul armelor și alte a casii povijii cu italiianii asemenea li iaste“.

„Diese Vlachen haben eine Sprache, die eine große Ähnlichkeit mit der italienischen aufweist, aber sie ist so verderbt, dass die Italiener kaum die Worte verstehen können, die sie äußern“. Und etwas weiter unten sagt er: „Die Vlachen weisen keinen Unterschied zu den Italienern auf, weil die Lebensund Ernährungsart, der Waffengebrauch und andere Haushaltsgegenstände ihnen mit den Italienern gemeinsam sind.“44

Dimitrie Cantemir benutzt also nicht selbst den Ausdruck Vlahii, sondern zitiert nur Griechen, die natürlich von Βλάχοι reden, und setzt den Ausdruck in sein Rumänisch um. Auch das Wort Valah (auf der zweiten Silbe betont), Plural Valahi, scheint unter gelehrtem Einfluss zu stehen, also mittellateinisch Valachus zu reflektieren. Der Beleg von Valahi aus Miron Costins (1633–1691) Schrift De neamul moldovenilor (1685) ist nicht sehr beweiskräftig,45 denn es übersetzt nur das lateinische Valachi des siebenbürgischen Humanisten Laurentius Toppeltinus. Der wirkliche Erstbeleg für Valahi findet sich in der Chronik von Constantin Cantacuzino (um 1706): Den legheoanele lăcuitorilor, ce de Traian și alții ai romanilor împărați era duse în Dachia, valahii au izvorît.

Aus den Legionen der Bewohner, die von Trajan und anderen Kaisern der Römer nach Dakien gebracht worden waren, sind die Valachen entstanden.46

Dieser Erstbeleg verliert allerdings erheblich an Beweiskraft, wenn man sich vor Augen hält, dass hier eigentlich nur eine – ungenannte – Übernahme einer Äußerung aus den Rerum Ungaricarum ­decades

DLR s.v. valáh. Dimitrie Cantemir, Hronicul vechimiei a romano-moldo-vlahilor (ed. Stela Toma, Bucureşti 1999) 135: iară cești mai noi [...] pe romanii din Dachia supt numele vlahilor îi cunosc. 43 Der griechische Text lautet: Δᾶκες δὲ χρῶνται φωνῇ παραπλησίᾳ τῇ Ἰταλῶν, διεφθαρμένῃ δὲ ἐς τοσοῦτον καὶ διενεγκούσῃ, ὥστε χαλεπῶς ἐπαίειν τοὺς Ἰταλοὺς ὁτιοῦν, ὅτι μὴ τὰς λέξεις διασημειουμένων ἐπιγινώσκειν, ὅ τι ἂν λέγοιτο. […] συμφέρεται δὲ Ἰταλοῖς τά τε ἄλλα καὶ τῇ ἐς δίαιταν καταστάσει, καὶ ὅπλοις τοῖς αὐτοῖς καὶ σκεύῃ ἔτι καὶ νῦν τῇ αὐτῇ Ῥωμαίων διαχρώμενοι. 44 Fontes 4, ed. Mihăescu 455. 45 Costin, Opere 1958: 271 = 1965: 2, 48. 46 Cronicari munteni 1 (ed. Mihail Gregorian, Bucureşti 1961) 30. 41 42

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von Antonio Bonfini vorliegt, wo der entsprechende Satz heißt: E legionibus enim, & colonijs, à Traiano ac caeteris Romanorum Imperatoribus in Daciam deductis, Valachi promanarunt.47 Auch Dimitrie Cantemir verwendet Valahii, aber nur in einer wörtlichen Übersetzung eines Zitats des italienischen Historiographen Ungarns, Antonio Bonfini, das im lateinischen Original lautet: Valachi enim e Romanis oriundi, quod eorum lingua adhuc fatetur, quum inter tam uarias Barbarorum gentes sita adhuc extirpari non potuerit, ulteriorem Istri plagam, quam Daci ac Getae quondam incoluere, habitarunt.48 Așijderea Bonfin în multe locuri iară, mai chiar și mai ales la decada 2, carte 7, dzice: „Valahii, precum din romani să fie născuți, limba lor și pănă astădzi mărturisește; carii între atâtea neamuri de varvari, de atâta vreme trăind, nicicum a-i dezrădăcina cine- va au putut.

Genauso drückt sich Bonfini an vielen Stellen aus, am klarsten und deutlichsten im Buch 7 der zweiten Dekade: „Dass die Valachen von den Römer abstammen, bezeugt ihre Sprache bis heute, denn sie haben unter so vielen Barbarenvölkern so lange gelebt und doch hat niemand sie je von ihrer Wurzel abbringen können“.49

Es dürfte klar sein, dass das zweisilbige Valah eine Stütze im Landesnamen Walachei, lat. Valachia, rum. Valahia, fand, der ja die Außenbezeichnung der Landschaft darstellt, die auf Rumänisch Oltenia şi Muntenia oder einfach Ţara Românească heißt. Der Terminus Valahia ist aber eindeutig eine fremde, keine rumänische Benennung, und er wird von den Rumänen nur sehr selten verwendet, vor allem, wenn es in irgendeiner Weise um Kontakte zu Nicht-Rumänen geht. Einheimisch geworden ist die Fremdbezeichnung nur bei den Meglenorumänen, die sich Vlaşi ­(Singular Vla) nennen,50 „eine Benennung, die den Meglenorumänen ursprünglich von ihren slavischen Nachbarn gegeben wurde“.51 Die Istrorumänen um Šušnjevica nannten sich ebenfalls Vlåş (Singular Vlåh), bevor sich das moderne Rumuni/Rumunjevi durchsetzte.52 Auch im Aromunendorf Turgea scheint Vlahi (Singular Vlah) die Selbstbezeichnung gewesen zu sein.53 Bisher wurden nur die Formen vorgestellt, die das althochdeutsche Walha in den Sprachen Südosteuropas angenommen hat, aber die semantische Seite wurde bewusst ausgespart. Die Grundbedeutung von mittellateinisch Valachus, slavisch Valah, griechisch Βλάχος und albanisch Vllah ist einfach zu umschreiben: ‘Angehöriger eines Volkes, das von den Römern abstammt’, im schönen Latein von Franz von Miklosich: generatim homo Romanae originis.54 Wir würden kurz ‘Romane’ sagen, aber das ist natürlich für das neunte oder zehnte Jahrhundert unhistorisch, weil es begrifflich die Unterscheidung zwischen Römern, Romanen und romanischen Einzelvölkern noch nicht gab. Ausgehend von der Grundbedeutung haben sich spezialisierte Verwendungen ganz natürlich herausgebildet, ohne dass man konkret die genauen Zeitpunkte benennen könnte: Der Valachus ist vom Sprecher aus gesehen einfach der benachbarte Romane bzw. der Romane, mit dem man die meisten Kontakte hat. Das ist dieselbe Entwicklung, die das deutsche welsch durchlaufen hat, das je nach Gegend Moselromanen, Franzosen, Alpenromanen oder Italiener bezeichnen konnte. So haben polnisch und sorbisch Włoch, tschechisch und slovakisch Vlach, slovenisch Lȁh die Bedeutung ‘Italiener’ angenommen,55 weil das der Typ Romanen ist, mit dem man am ehesten in Kontakt kam. Anders sah es weiter im Südosten aus: bulgarisch Влах, serbisch Vlȁh, griechisch Βλάχος, albanisch Vllah bedeutet zunächst ‘Angehöriger der Wanderhirtenbevölkerung romanischer Muttersprache’, mit der man mehr oder weniger eng zusammenlebte, nach unserer Terminologie also ‘Rumäne’, genauer gesagt im Norden eher ‘Dakorumäne’, im Süden eher ‘Aromune’. Im Zuge der Nationalisierung ist das Wort im Sinne von 49 50 51 47 48



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55 53 54

Antonio Bonfini, Rerum Ungaricarum decades quattuor (Basilea 1568) 305. Bonfini, Rerum Ungaricarum 304. Cantemir, Hronicul vechimiei, ed. Toma 137. Theodor Capidan, Meglenoromânii III: Dicționar meglenoromân (București 1936) 5–6 und 329. Wolfgang Dahmen, Rumänisch. Areallinguistik III. Meglenorumänisch, in: Lexikon der Romanistischen Linguistik 3 ­(Tübingen 1989) 436–447, hier 436. Wolfgang Dahmen, Rumänisch. Areallinguistik IV. Istrorumänisch, in: Lexikon der Romanistischen Linguistik 3 ­(Tübingen 1989) 448–451, hier 448. Tache Papahagi, Dicționarul dialectului aromân general și etimologic (Bucureşti 1974) 1274. Miklosich, Lexikon Palaeoslovenico 68. Torre Torbiörnsson, Die gemeinslavische Liquidametathese (Upsala 1901–1903) 103.

Romanen, Rumänen und Vlachen aus philologischer Sicht

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‘Rumäne’ durch rezente Neuerungen ersetzt worden (bulgarisch Румънец, serbisch Rumunj, griechisch Ρουμάνος, albanisch Rumun), so dass der Vlach-Typ heute überall ‘Aromune’ bedeutet. Die weitere Bedeutungsentwicklung ist damit verbunden, dass das Wort ausgehend von der Haupttätigkeit der Vlachen von der Nationalitätsbenennung zur Berufsbezeichnung und zur Kennzeichnung von dessen Lebensweise überging. Abgesehen von der Volksbezeichnung (ὁ κάτοικος τῆς Βλαχίας ἢ ὁ βλαχόφωνος κάτοικος τῆς νοτίου Βαλκανικῆς) heißt beispielsweise das griechische βλάχος ‘Wanderhirte in den Bergen’ (ὁ ὀρεσίβιος καὶ νομὰς ποιμήν), dann ‘Bergbewohner, Landbewohner, Grobian, Rohling, Bauer, der keine Manieren hat’ (ἄνθρωπος ὀρεσίβιος, γροῖκος, ἄξεστος, πολίτιστος, χωριάτης, ποὺ δὲν ἔχει τρόπο;).56 Das griechische historische Dialektwörterbuch belegt das Wort für ganz Griechenland, auch für Gegenden, in denen es keine Aromunen gibt, und umschreibt βλάχος recht genau: ‘der vlachischsprachige Zeltbewohner des festländischen Griechenlands, der Wanderhirte, der den Sommer in den Bergen und den Winter in Winterquartieren verbringt, und übertragen ein ungebildeter, bäuerlicher, grober, vulgärer, schmutziger, unfairer, grober Mensch’ (ὁ βλαχόφωνος σκηνίτης τῆς ἠπειρωτικῆς Ἑλλάδος, ὁ νομὰς ποιμὴν ὁ διαμένων τὸ θέρος εἰς τὰ ὄρη, τὸν δὲ χειμῶνα εἰς τὰ χειμάδια καὶ μεταφορικῶς ἄνθρωπος μόρφωτος, γροῖκος, ἄξεστος, χυδαῖος, ρυπαρός, ἄδικος, σκληρός).57 Im Griechischen haben sich also, kurz gesagt, um die Grundbedeutung des Volksnamens sekundäre Bedeutungen angesammelt, die mit der Lebensart des Volkes zusammenhängen. Die niedrige soziale Stellung der Wanderhirten hat dazu geführt, dass negative Bedeutungen, die mit dem unsteten Landleben der Schafhirten zusammenhängen, in den Vordergrund gerückt sind, aber sie konnten nie die Grundbedeutung verdrängen. Vergleichbare semantische Entwicklungen sind in allen Sprachen Südosteuropas – man kann auch sagen, in allen Sprachen der Völker orthodoxen Bekenntnisses – aufgetreten. Eine detaillierte Auflistung müsste Sprache für Sprache vorgehen und kann hier nicht geleistet werden. Als Quintessenz ist festzuhalten, dass aus ahd. Walah über eine Form *Walh und mit Metathese *Wlah ein slavisches Wort *Vlahъ entlehnt wurde, das im alt-bulgarischen Влаχъ und im altrussischen Волоχъ mit der Bedeutung ‘homo Romanae originis’ zu greifen ist; die altbulgarische Form Влаχъ, deren Entsprechungen sich in allen modernen slavischen Sprachen finden, wurde spätestens im 11. Jahrhundert als Βλάχος ‘Aromune’ ins Griechische entlehnt. Im 12. Jh. taucht das Wort im Ungarischen auf, wobei olasz zunächst den Romanen allgemein, dann aber schnell den Italiener bezeichnete, während die im 13. Jahrhundert erfolgte Parallelentlehnung oláh für den Rumänen reserviert wurde. Albanisch Vllah, zu einem unbekannten Zeitpunkt aus dem Bulgarischen entlehnt, bezeichnet nur den Aromunen. Das ältere mittellateinische Wort ist Blac(h)us (12. Jh.), das jüngere Valac(h)us (14. Jh.); beide Formen entstanden aus dem phonetischen Zwang, das slavische vl-, das im Lateinischen keine Anlautverbindung bilden kann, wiederzugeben, entweder durch Ersetzung mit einer verwandten Lautverbindung oder durch Einschub eines Sprechvokals. Die romanischen Sprachen bilden Blac(h)us oder Valac(h)us nach. Wir haben es also im Grunde überall im östlichen Europa mit Formen zu tun, die in irgendeiner Weise auf das slavische Wort *Wlah zurückgehen, das aus ahd. Walah entlehnt ist.

Alle griechischen Bedeutungsangaben nach Μέγα Λεξικὸν ὅλης τῆς Ἑλληνικῆς γλώσσης, ed. Dēmētrios Dēmētrakos, 3 (Athen 1964) 1428. 57 Ἱστορικὸν Λεξικὸν τῆς νέας Ἑλληνικῆς τῆς τε κοινῶς ὁμιλουμένης καὶ τῶν ἰδιωμάτων 3 (Athen 1942) 551. 56

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Rumänien: Das Werden eines Staatsnamens

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M i c h a e l M e t z e lt i n

Rumänien: Das Werden eines Staatsnamens1 SIND LÄNDERNAMEN SELBSTVERSTÄNDLICH? Der erste Artikel der ersten französischen Verfassungen, der Verfassungen von 1791 und von 1793 beginnt mit folgendem Wortlaut: Le Royaume est un et indivisible. La République française est une et indivisible.2 Darauf wird in Bezug auf die Staatsbürgerschaft bestimmt (Artikel 2 bzw. 4): Sont citoyen français: – Ceux qui sont nés en France d’un père français.3 Tout homme né et domicilié en France, âgé de vingt et un ans accomplis.4 Der erste Artikel der ersten Verfassung des neu gegründeten Staates Belgien (1831) beginnt mit dem Satz: La Belgique est divisée en provinces.5 Und der erste Artikel der ersten Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft lautet: Les peuples des vingt-deux cantons souverains de la Suisse, unis par la présente alliance […] ­forment dans leur ensemble la Confédération suisse.6 Alle Staaten brauchen wie jede Gemeinschaft und jedes Individuum als Merkmal ihrer Identität u.a. einen Namen, der von den anderen anerkannt wird. Der unvermittelte Gebrauch von Staatenbezeichnungen im jeweiligen neuen Grundgesetz von alten wie neuen Staaten lässt vermuten, dass Ländernamen wie die Namengebung von Neugeborenen etwas Selbstverständliches sei. Ländernamen sind allerdings im Allgemeinen erkennbar motiviert und können entsprechende Assoziationen hervorrufen. Frankreich kann man bei minimalen historischen Kenntnissen mit dem germanischen Stamm der Franken, Belgien mit den germanisch-keltischen Völkerschaften der Belgier oder mit der römischen Provinz Gallia Belgica, die Schweiz mit dem Urkanton Schwyz in Verbindung bringen. Wenn wir die jungen Staatennamen Lateinamerikas betrachten, erkennen wir folgende Benennungs­ motivationen: – Geographische Situation (Ecuador – am Äquator, Paraguay – an einem Fluss, Uruguay – ebenfalls an einem Fluss) – Bodenbeschaffenheit (Honduras – Untiefen) – Vorkommen von Bodenschätzen oder einer bestimmten Vegetation (Costa Rica – Gold, Brasil – Brasilholz, Argentina – Silber) – Erinnerung an bekannte Landschaften (Venezuela – Venedig) Der vorliegende Beitrag ist in einer ersten rumänischen Fassung erschienen unter: Michael Metzeltin, Nume ale ­României: o istorie complexă, in: Identitatea culturală românească în contextul integrări europene, ed. Marius-Radu Clim/Ofelia Ichim/Laura Manea/Florin-Teodor Olariu (Iaşi 2006) 207–223.   2 Jacques Godechot, Les constitutions de la France depuis 1789 (Paris 1979) Artikel 1.   3 Godechot, Les constitutions de la France Artikel 2.   4 Godechot, Les constitutions de la France Artikel 4.   5 Jean-Joseph Thonissen, La constitution belge annotée (Bruxelles 1879) Artikel 1.   6 William E. Rappard, La constitution fédérale de la Suisse. Ses origines, son élaboration, son évolution (Boudry 1948) ­Artikel 1.   1

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Bezeichnungserweiterung eines bestehenden Toponyms (El Salvador < Stadt, Chile < Tal) Anspielung auf historische Persönlichkeiten (Panamá, Colombia, Bolivia) Übernahme von einer autochthonen Sprache (Guatemala) Anwesenheit bestimmter Völkerschaften (México)

Diese Assoziationen und erkennbaren Benennungsmotivationen können harmlos sein. Es ist nicht ­vorstellbar, dass die heutigen Belgier aufgrund der Ausdehnung der römischen Provinz Gallia Belgica – sie umfasste den Norden und Osten des heutigen Frankreich, das westliche Belgien, die Westschweiz bis zum Genfersee und das Einzugsgebiet der Mosel – dieses ganze Territorium für sich beanspruchen wollten. Dennoch spielen Assoziationen, die zur Vorstellung neuer territorialer Gestaltungen führen könnten, bei der Einführung und Akzeptanz neuer Ländernamen immer wieder eine große Rolle. Ein junges Beispiel hierfür bieten die Auseinandersetzungen um den Namen der 1991 neu gegründeten Republik Mazedonien (Republika Makedonija). Die Vertreter Griechenlands betrachten sich als die ­alleinigen Erben des antiken Staates Makedonien, ferner heißt eine der griechischen Provinzen Makedonien, und es gibt in Griechenland eine Minderheit von mazedonischen Slawen, die durch das Beispiel der Republik Mazedonien zum Separatismus neigen könnten. Daher erkennt Griechenland die amtliche Selbstbezeichnung Republik Mazedonien nicht an, und die Vereinten Nationen haben 1993 beschlossen, in ihrer Diktion vorläufig die Bezeichnung The Former Yugoslav Republic of Macedonia zu verwenden. Bildet die Bezeichnungsgeschichte Rumäniens einen Präzedenzfall? RUMÄNIEN: KEIN SELBSTVERSTÄNDLICHER STAATSNAME Der moderne rumänische Nationalstaat entsteht zwischen 1858 und 1866 durch die Vereinigung von zwei seit Jahrhunderten autonomen, aber nicht souveränen Fürstentümern, der Walachei und der ­Moldau. Der formale Prozess beginnt mit der Pariser Konvention der europäischen Großmächte von 1858 und ist (vorläufig) mit der Sanktionierung der ersten Verfassung (1866) abgeschlossen. Der ursprünglich durch das Machtringen zwischen Russland und der Hohen Pforte ausgelöste Krimkrieg (1853–56) führt seit 1854 (bis 1857) erneut zu militärischen Besetzungen der als Pufferstaaten gedachten Fürstentümer, zuerst von Russland, dann auch von Österreich und der Pforte. Russland geht aus diesem Krieg geschwächt hervor. Auf dem darauf folgenden Friedenskongress von Paris (Februar bis März 1856) wird der Status der rumänischen Fürstentümer zum europäischen Problem erklärt, das russische Protektorat aufgehoben, allerdings der Status der Suzeränität (mit Tributpflicht an die Pforte und Bestätigung formaler Akte durch den Sultan) weiterhin aufrechterhalten. Gleichzeitig werden die Donaufürstentümer unter den kollektiven Schutz der sieben Signatarstaaten des Pariser Friedensvertrags (1858) gestellt. Großbritannien, Österreich, Frankreich, Preußen, das Osmanische Reich, Sardinien und Russland legten in der so genannten Convenţiune pentru organisaţia definitivă a Principatelorŭ-­UniteRomâne in Paris (kurz Convenţia de la Paris) am 19. August 1858 den politischen und administrativen Status der Donaufürstentümer fest.7 Die Fürstentümer sollen über eine nationale unabhängige Administration verfügen. Eine Sonderkommission (gestellt vor allem von Großbojaren) und die divanuri ad-hoc (Versammlungen für die Interessensvertretung aller Klassen) sollen ein statut fundamental (Grundgesetz) erstellen. Die divanuri sollen auch die Interessen der Rumänen formulieren, die in den Berichten der Sonderkommission Eingang finden und durch eine Konvention der Großmächte bestätigt werden sollen. Der Pariser Vertrag legt ferner die Nichteinmischung von außen im Falle innerer Unruhen fest, außer bei Konsens aller Garantiemächte. Im Rahmen der genannten Ad-hoc Versammlungen in Bukarest und Iaşi äußern die Rumänen den Wunsch nach einem gemeinsamen Staat auf der Grundlage der beiden Fürstentümer Moldau und ­Walachei. Ebenso fordern sie die Einhaltung des in den so genannten capitulaţii (den nicht ­immer authen­ tisch schriftlich nachweisbaren Friedensvereinbarungen von 1393 bis 1634) zwischen den Fürsten­tümern und der Hohen Pforte Festgelegten. Entgegen den Interessen der sieben Schutz­mächte wählen die Rumänen im Jahr 1859 in der Moldau (5./17. Jänner) und in der Walachei (24. Jänner/   7

Convenţiune pentru organisaţia definitivă a Principateloru-Unite-Române (Bucuresci 1865); Convenţiunea pentru ­organizarea definitivă a Principatelor Dunarene Moldova şi Valahiva (Jassi 1858).

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5. ­Februar) denselben ­Kandidaten, Oberst Alexandru Ioan Cuza (1820–1873), zu ihrem Landes­ oberhaupt. Somit wird zwischen 1856 und 1859 die Unire Principatelor, die Vereinigung der beiden Fürstentümer ­Moldau und Walachei, de facto vollzogen. Im Jahre 1862 kommt es zur Durchsetzung einer einzigen Regierung sowie eines einzigen Parlaments. Cuzas Reformpolitik stieß allerdings auf großen Widerstand. Ihm feindlich gesonnene Kräfte von links und rechts schlossen sich 1865/1866 in einer so genannten ungeheuren Koalition („monstruoasă coaliţie“) zusammen, die ihn durch einen Putsch zur Abdankung zwang (11./23. Februar 1866). Auf Betreiben der interimistischen Statthalterei („locotenenţă domnească“) wurde eine neue Verfassung erstellt. Die Entscheidung, wer auf Cuza folgen sollte, fiel nach längerer Suche, entgegen dem in der Pariser Konvention Festgelegten,8 auf einen Angehörigen einer ausländischen Dynastie, den preußischen Prinzen Karl von Hohenzollern-Sigmaringen (1839–1914), der im April 1866 zum Domn al Principatelor Unite Române gewählt wird. Die Kammer nimmt am 29. Juni/11. Juli die neue Konstitution einstimmig an, worauf der Fürst am 30. Juni/12. Juli in großer Feierlichkeit seinen Eid auf die Konstitution ablegt und sie sanktioniert. Im Gegensatz zu den ersten Verfassungen Frankreichs, Belgiens oder der Schweiz wird im ersten Artikel der ersten Verfassung des neuen rumänischen Staates seine Bezeichnung festgelegt. Ferner wird in Anlehnung an die französischen Verfassungen, aber nicht an die belgische bestimmt, dass es sich um einen einzigen, unteilbaren Staat handelt, dessen Gebiet (Artikel 2) unveräußerbar ist: Art. 1. Principatele-Unite-Române constitue un singur Stat indivisibile, sub denumire de România. Art. 2. Teritoriul României este nealienabil.9 Diskursanalytisch bedeutet der Hinweis auf die Einheit und auf eine bestimmte Staatsbezeichnung, dass weder die eine noch die andere damals selbstverständlich waren. Der neue Staat Rumänien entsteht in einem Raum, der im 19. Jahrhundert wegen der neuen wirtschaftlichen Interessen insbesondere für Österreich-Ungarn, für Russland und für das Osmanische Reich erhöhte geostrategische Bedeutung bekommt. Die Vertreter der Großmächte hegen Bedenken gegen einen noch schwer einzuschätzenden Konkurrenten; sie werden also versuchen, die Vereinigung zu bremsen. Auch der neue Name kann Befürchtungen – wie heute bei Mazedonien – auslösen. Eine Bezeichnung wie Donaufürstentümer würde man mit der geographischen Situation, eine Bezeichnung wie Vereinte Fürstentümer der Moldau und der Walachei mit alten Kleinstaaten verbinden. In einer Epoche aber, da verschiedene Völker in Europa sich auf eine als gemeinsam betrachtete Kultur berufen, um sich von den Vielvölkerreichen zu lösen und einen eigenen Nationalstaat zu bilden, kann eine Bezeichnung wie Rumänien zur Annahme führen, dass die Vertreter des so genannten Staates versuchen werden, alle Territorien, in denen Rumänen leben, in einem einzigen Staat zu vereinen. DIE ZEICHEN DER VEREINIGUNG In der rumänischen Karpatenregion sind im Mittelalter verschiedene Staatsgebilde entstanden. Seit dem 12. Jahrhundert existiert eine autonome Woiwodschaft Transsilvanien. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts bilden sich in Oltenien und Muntenien von Ungarn abhängige Woiwodschaften. Im Jahre 1330 macht Basarab I. die Ţara românească (Walachei) von der ungarischen Suzeränität unabhängig. Im Jahre 1359 bildet sich der ebenfalls von der ungarischen Suzeränität unabhängige Staat der Moldau. Seit der Zeit entwickeln sich diese Staaten mehr oder weniger selbständig mit eigenen Institutionen und sich immer wieder verändernder Territorialität. Eine Reihe von Faktoren führt aber seit dem 17. Jahrhundert zur sich verstärkenden Anschauung, dass vor allem die Donaufürstentümer eine Art Einheit bilden. So haben sowohl vor als auch während der Phanariotenepoche die Herrscher häufig zwischen den beiden Fürstentümern gewechselt, z.B. Alexandru Iliaş, der 1616–1618 und 1627–1629 Herrscher der Walachei, 1620–1621 und 1631–1633 Herrscher der Moldau war, oder Alexandru Moruzi, der 1792, 1802–1806 und 1806–1807 Herrscher der Moldau war, 1793–1796 und 1799–1801 dagegen Herrscher der Walachei. Die mögliche Vereinigung

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Convenţiune de la Paris (Jassi 1858) Art. 13; Convenţiune de la Paris (Bucuresci 1865) Art. 13. Constituţiune şi legea electorală făcută sub Carol I, Domnul Românilor (Bucuresci 1866).

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der Donaufürstentümer hatten schon 1772 die Vertreter der Walachei in einem Schreiben an den österreichischen Delegierten am Kongress zu Focşani geäußert: Regardez d’un autre côté l’heureux climat et la grande fertilité de ces contrées et vous trouverez que les deux Principautés réunies par un bon prince et protégées par les deux plus grands empires de la crétienneté peuvent en peu de temps former un état capable de se soutenir et d’opposer une barrière au torrent qu’a souvent menacé le mot (sic) crétien d’une entière ruine.10 Im Jahre 1829 wird ein anonym gebliebener Text mit der expliziten Forderung niedergeschrieben, aus der Walachei und der Moldau ein einziges Fürstentum zur besseren Absicherung der christlichen Fürsten zu machen: Pont 1. Valachia şi Moldavia să se împreune şi să se facă amîndoă un prinţipat (1829).11 Die Texte der verfassungsähnlichen Regulamente organice der Walachei (1831) und der Moldau (1832) sind fast identisch, was ein Indiz dafür ist, dass diese Zusammengehörigkeit von den russischen Besatzern nicht nur wahrgenommen, sondern auch gewünscht wurde, wie Artikel 371 des Regulament organic al Valahiei zeigt: Începutul, religiia, obiceiurile şi cea de un fel limbă a sălăşluitorilor într’aceste doă prinţipaturi, precum şi cele deopotrivă trebuinţe sânt îndestule elementuri de o mai de aproape lor unire.12 Auch in der Wochenzeitung Propăşirea aus der Moldau werden beide Staaten als zusammengehörend wahrgenommen, wie die folgenden Belege unterstreichen: Principaturile Valahiei şi Moldovei13 Ţarile care megieşesc Principaturile Româneşti14 Că Principatele Româneşti n-ar avea nicidecum capitaluri15 Die enge Verwandtschaft der beiden Fürstentümer, die zur Vereinigung führen wird, äußert sich auch in ihrer gleichzeitigen Bezeichnung in den diplomatischen Dokumenten. In den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren werden folgende Namen verwendet: Confederaţia danubiană, Moldo-România, ­Moldo-Valachia, Principatele Dunărene, Principatele române, Principatele Româneşti, Principatele Unite, Provinciile Dunarene.16 Neben der stärker latinisierenden Form principat wird auch die germanisierende Form prinţipat verwendet. Charakteristisch für die Vorphase der Vereinigung ist die häufige gemeinsame Nennung der Staatsnamen oder ihre Zusammenfassung als Principaturi: Art. 93. Un mare număr de oameni, născuţi în Turchia sau în Prinţipaturi au găsit in cele după urmă vremi mijloc de a se alătura subt o protecţie streină şi de a se arăta ca nişte sudiţi ai cutăria sau a cutăria puteri, ca print’aceasta să dobândească apărarea şi slobozirea întărită prin tractaturi spre favorul celor adevăraţi sudiţi ai acestor puteri carii vin în ţară cu pasaporturi.17 Principaturile noastre18 În Principate19 Vlad Georgescu, Mémoires et projets de réforme dans les Principautés Roumaines 1769–1830 (Bucarest 1970) 38. Cererile ce ar fi putut face Valachia şi Moldavia la un congres de prinţi creştini pentru siguranţiia lor cea din afară şi ­statornicirea cea din lăuntru, in: Cornelia Bodea, 1848 la Români 1 (Bucureşti 1982) Text 18, 84.  12 Regulamentele organice ale Valahiei şi Moldovei, 1 (ed. Paul Negulescu/George Alexianu, Bucureşti 1944) Art. 371. Alle Übersetzungen in diesem Artikel wurden, wenn nicht anders angegeben, vom Autor vorgenommen: „Der Ursprung, die Religion, die Bräuche und die gleiche Sprache der Einwohner in diesen beiden Fürstentümern wie auch die gleichen Bedürfnisse sind genügende Elemente für eine nähere Vereinigung.“  13 Propăşirea. Foaie Ştiinţifică şi Literară, 2. Januar 1844 (ed. Paul Cornea/Marina Costinescu/Petre Costinescu, Bucureşti 1980) 7.  14 Propăşirea, 13. Februar 1844, ed. Cornea/Costinescu/Costinescu 107.  15 Propăşirea, 13. Februar 1844, ed. Cornea/Costinescu/Costinescu 113.  16 Vasile Arvinte, Die Rumänen. Ursprung, Volks- und Landesnamen (Tübingen 1980) 53; Barbu B. Berceanu, Istoria ­constituţională a României în context internaţional comentată juridic (Bucureşti 2003) 506–507.  17 Regulamentele organice 1, ed. Negulescu/Alexianu Art. 93.  18 Propăşirea, 27. Februar 1844, ed. Cornea/Costinescu/Costinescu 141.  19 Propăşirea, 12. März 1844, ed. Cornea/Costinescu/Costinescu 173.  10  11

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Die Wahrnehmung der Zusammengehörigkeit kommt schließlich auch in der Convenţiune von 1858 zum Ausdruck. Österreich und das Osmanische Reich waren nicht daran interessiert, dass an ihren Grenzen durch die Vereinigung der zwei Donaufürstentümer ein stärkerer Staat entstünde. Als sie bei den Pariser Verhandlungen von 1856–1858 die Vereinigung nicht mehr verhindern konnten, setzten sie aber gegen den Willen der Mehrheit in den rumänischen Versammlungen für den neuen Staat die offizielle Bezeichnung Principatele-Unite Moldavia şi Valahia durch:20 Art. 1. Principatele Moldova şi Valahiea, constituate de amu sub denumirea Principatelor-unite de Moldova şi Valahiea, vor rămânea aşezate sub suzeranitatea M.S. Sultanului.21 Aber nicht nur waren verschiedene Großmächte gegen die Vereinigung der Fürstentümer. Fürst Carol berichtet in seinen Memoiren Aus dem Leben König Karls von Rumänien von separatistischen Um­ trieben in der Moldau.22 Der Unmut der Großmächte über die Vereinigung und die separatistischen Bewegungen in der Moldau rechtfertigen durchaus die Hervorhebung der Einheit, der Unteilbarkeit und der Unveräußerbarkeit des Staates nach französischem Modell. DER NAME DER MODERNE: ROMÂNIA Den Rumänen, die auf beiden Seiten der Karpaten leben, dürfte ihre Zusammengehörigkeit seit Jahrhunderten bewusst gewesen sein, wie es uns der moldauische Chronist Miron Costin in seinem Werk De neamul moldovenilor bezeugt: Începutul ţărilor acestora şi neamului moldovenesc şi muntenesc şi cîţi sint şi în ţările ungureşti cu acest nume, români, şi pînă astăzi, de unde sint şi din ce săminţie, de cînd şi cum au descălecat aceste părţi de pămint, a scrie, multă vreme la cumpănă au stătut cugetul nostru.23 Dieses Bewusstsein mit Betonung der römischen Abstammung der Rumänen wurde im 18. Jahrhundert durch die Siebenbürgische Schule (S. Micu, G. Şincai, P. Maior) verstärkt. Wie wir gerade gesehen haben, wird die Zusammengehörigkeit sogar in offiziellen Texten wie den Regulamente Organice von 1831/1832 festgestellt. Im Gegensatz zu anderen europäischen „Kultur-Regionen“, für die entweder der alte lateinische Name oder latinisierende / romanisierende Neuprägungen aufgrund der Namen der Substrat- oder Superstratvölker verwendet werden (vgl. it. Italia, Germania, Spagna, Francia, Inghilterra; fr. Italie, Espagne, France, Allemagne, Angleterre), bietet die Bildung eines alle rumänisch geprägten Länder deckendes Choronyms Schwierigkeiten. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wird immer wieder der alte lateinische Provinzname Dakien vorgeschlagen.24 Obwohl M. Kogălniceanu seiner im Jahre 1840 gegründeten literarischen Zeitschrift den Titel Dacia literară gibt, wird aus den namengebenden Wendungen seiner Einleitung klar, dass der alte lateinische Name zu stark antikebehaftet ist, um als moderner Ländernamen gebraucht werden zu können: Multe alte gazete româneşti s-au publicat în deosebitele trii mari provincii a vechei Dacii. Partea a treia se va îndeletnici cu critica cărţilor noă eşite în deosăbitele provincii a vechei Dacii.25 Vlad Georgescu, Istoria românilor. De a origini pînă în zilele noastre (Bucureşti 1992) 161; Convenţiune de la Paris (Jassi 1858).  21 Convenţiunea pentru organizarea definitivă a Principatelor Dunarene Moldova şi Valahiva (Jassi 1858) Art. 1: „Die Fürsten­ tümer Moldau und Walachei, jetzt unter der Bezeichnung ‚Vereinte Fürstentümer Moldau und Walachei‘ konstituiert, bleiben unter der Suzeränität S.M. des Sultans.“  22 Mite Kremnitz, Aus dem Leben König Karls von Rumänien. Aufzeichnungen eines Augenzeugen, 1–2 (Stuttgart 1894) 1, Kap. 7 und 8.  23 Miron Costin, Opere, 2 (ed. Petre P. Panaitescu, Bucureşti 1965): „Den Beginn dieser Länder und des moldauischen und muntenischen Volkes und all derjenigen, die mit dem Namen ‚Rumänen‘ in den ungarischen Ländern sind, bis heute, von wo und von welchem Volksstamm sie sind, wann und wie sie sich in diesen Erdteilen niedergelassen haben, zu schreiben, hat unser Gedanke lange gezögert.“  24 Georgescu, Istoria românilor 127 und 128: „Rîmniceanu 1802, Cronica Ţării Româneşti: Dachia; A. G. Golescu 1838: Dacia Mare“.  25 M. Kogălniceanu, Dacia literară, in: Bodea, 1848 la Români 1, Text 33, 152–153: „Viele andere rumänische Zeitungen sind in den drei großen Provinzen des alten Dakien publiziert worden. Der dritte Teil wird sich mit der Kritik der neuen Bücher befassen, die in den verschiedenen Provinzen des alten Dakien erschienen sind.“  20

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In fremdsprachigen Schriften tauchen im 18. und 19. Jahrhundert neue Bezeichnungen auf, die als Grundlage das Adjektiv haben, das mit einem in verschiedenen Sprachen für Länder­ namen typischen Suffix versehen wird. Der siebenbürgisch-sächsische Gelehrte Martin Felmer verfasste 1764 eine „Kurzgefasste Historische Nachricht von der Wallachischen Völkerschaft überhaupt, und derjenigen insonderheit, die heut zu Tage in dem Kayserl. Königl. Erb-Fürstenthum Siebenbürgen anzutreffen ist“, in der er die von den Hunnen besetzten Gebiete Dacien und Romanien nennt und dann geographisch folgendermaßen umschreibt: Die Hunnen beherrschten Dacien und Romanien, d.i. Moldau und Wallachei, Siebenbürgen und ­einen großen Theil des heutigen Ungerlandes an die 200 Jahre.26 Der griechische Mönch Dimitrie ­Daniel ­Philippides, der in Bukarest studierte, in Iaşi Professor war und drei Jahre in Bessarabien verbrachte, publizierte im Jahr 1816 in Leipzig eine Ιστορία της Ρουμουνίας, in der er sich mit dieser Bezeichnung auf die verschiedenen historischen Fürstentümer bezieht. Das Buch war schon 1814 fertig, wie der Autor dem französischen Geographen Barbié du Bocage mitteilt: Je viens de composer en grec littéral, l’histoire de la Roumanie, c’est à dire du pays entre la Tisse, le Nistre et le Danube. J’y parle des différentes nations qui ont habité ce pays; je descends jusq’au quatorzième siècle et je m’y arrête; j’y ai ajouté un aperçu géographique, mais en tant que je connais le pays par moi-même. Je ferai imprimer a Yassi cet ouvrage.27 In einem weiteren Schreiben von 1815 an denselben Adressaten kündigt er den neuen Druckort an: Je me trouve à Laїpsik, où je resterai jusqu’au mois de mai. Je ferai imprimer ici ma Roumanie, vous et Bosquillon, notre respectable ami, vous en aurez des exemplaires.28 Im Schlusswort seines Werkes begründet der bekannte Gelehrte auch den verwendeten Landes­namen: Aceasta este istoria acestei faimoase ţări, cuprinse între Tisa, Marea Neagră şi Nistru [...]. Am ­numit această ţară România (Ρουμουνίαν), în primul rând, am denumit-o astfel, pentru vechimea şi numărul naţiei românilor (ρουμούνων), respingând orice fel de altă denumire, ca fiind nepotrivită şi improprie, ca egoistă şi pretins savantă, provocând tulburări în istorie şi geografie.29 Und der rumänophile Franzose A. Vaillant, der in Bukarest als Lehrer tätig war, veröffentlicht 1844 in Paris eine ausführliche Beschreibung der rumänischen Länder unter dem Titel „La Roumanie ou ­histoire, langue, littérature, orographie, statistique des peuples de la langue d’or, Ardialiens, Valaques et Moldaves, résumés sous le nom de Romans“.30 Im Jahre 1838 geben F. Aaron und G. Hill eine Tageszeitung in Bukarest mit dem Titel România heraus, sie dürften aber dabei eher an die Walachei gedacht haben. Ab derselben Zeit verwenden auch verschiedene rumänische Publizisten und Politiker – u.a. Ion Heliade-Rădulescu, ein guter Kenner griechischer und französischer Werke – die neue, panrumänische Bezeichnung România: De s-ar întocmi şi o relaţie mai de aproape şi între Academia Iaşului şi colegiul nostru, de s-ar aşeza un fel de corispondinţă, şi o adunare, de bărbaţi din deosebitele părţi ale României întregi, dorinţele socotesc că ale fiecărui român ar fi împlinite (1839).31 De vro douăzeci de ani începu a se auzi în toată România vorba litteratură (1846).32

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Adolf Armbruster, Auf den Spuren der eigenen Identität (Bukarest 1991) 162. Dimitrie Daniel Philippide, Istoria României (Bucureşti 2004) 29. Philippide, Istoria României 16. Philippide, Istoria României 37–38, 464. „Das ist die Geschichte dieses berühmten Landes, das zwischen der Theiß, dem Schwarzen Meer und dem Dnjepr liegt [...]. Ich habe dieses Land Rumänien (Ρουμουνίαν) genannt, in erster Linie habe ich es wegen des Alters und der Zahl der Nation der Rumänen (ρουμούνων) so genannt und dabei jede Art einer anderen Bezeichnung als unpassend und untauglich, als egoistisch und vorgeblich gelehrt abgelehnt, die nur Turbulenzen in der Geschichte und in der Geographie hervorrufen würde.“  30 Jean Alexandre Vaillant, La Roumanie, ou histoire, langue, littérature, orographie, statistique des peuples de la langue d’or; Ardialiens, Vallaques et Moldaves résumés sous le nom de Romans, 1–3 (Paris 1844).  31 Ion Eliade, Curier românesc, 1839, in: Arvinte, Die Rumänen 58.  32 Ion Eliade, Curieru românesc, 1846, in: Vladimir Diculescu, Viaţa cotidiana a Ţării Româneşti în documente 1800–1848 (Cluj 1970) 241.  26  27

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Chiemarea întreprinzătorului, este către România întreagă: munteni, moldoveni, transilvăneni, bănăţeni (1846).33 Aci se luptă fiii României, hotărîţi a muri pînă la unul pentru asigurarea sfintelor legi de la 11 iunie (1848).34 Izbutirăm să înplîntăm în toată Romînia stindardul libertăţii (1848).35 Der Dichter Dimitrie Bolintineanu publiziert in der Propăşirea vom 21. Mai 1844 ein Gedicht, in dem er sich das personifizierte Rumänien singend vorstellt: Cînd frumoasa Românie / din suspine va-nceta / Şi în blînda-i armonie / Cu un glas de melodie / Libertate! va cînta.36 Wir haben gesehen, dass einige Großmächte bei den Pariser Verhandlungen von 1856–1858 die Ver­ einigung der Fürstentümer eher zu verhindern versuchten und daher auch gegen einen prägnanten ­ethnischen Landesnamen waren. Trotzdem gebrauchte z. B. der Moldauer M. Kogălniceanu in den Diskussionen immer wieder auch die Bezeichnung România.37 Als A. I. Cuza am 24. Jänner/5. Februar 1859 auch in der Walachei zum Fürsten gewählt wurde, soll die Menge gerufen haben: Trăiască Unirea! Trăiască Cuza-Vodă alesul Moldovei şi al Munteniei! Trăiască Romănia una şi nedespărţită!38 Zwei Jahre nach seiner Doppelwahl entscheidet sich Cuza am 11. Dezember 1861 zu folgender Proklamation: Români! Unirea este îndeplinită, naţionalitatea Română este intemeiată. Acest fapt măreţ, dorit de generaţiile trecute, aclamat de corpurile legiuitoare, chemat cu căldură de noi, s’a recunoscut de Înalta Poartă şi de puterile garante şi s’a înscris în datinile naţiunilor. Dumnezeul părinţilor noştri a fost cu ţara, a fost cu noi. El a întărit silinţile noastre prin înţelepciunea poporului şi a condus ­naţiunea cătră un falnic viitor. În zilele de 5 şi 24 Ianuarie aţi depus toată a voastră încredere în alesul naţiunei; aţi întrunit speranţile voastre într’un singur Domn. Alesul vostru vă dă astăzi o singură Romănie.39 In seinen Verordnungen verwendet dann Cuza ab 1862 die Bezeichnung România (z. B. in der Lege pentru ierarhia militară vom 28. März 1862). Einen Abschluss findet die Entwicklung zum Staatsnamen România im Jahr 1864, als Cuza die Fürstentümer vereinigt und den neuen Staatsnamen als Synonym der Formel „Principatele-Unite“ erklärt. In seinem Dekret taucht auch die alte Formulierung auf, möglicherweise, um nicht den Unmut der Garantiemächte von 1858 zu provozieren: Convenţiunea încheiată la Paris în 7/19 August 1858 între Curtea Suzerană şi Puterile garante ­autonomiei Principatelor-Unite, este şi remâne legea fundamentală a României.40

Eliade, Curieru românesc, 1846, in: Diculescu, Viaţa cotidiana în documente 244. Pruncul român, 1848, in: Satire şi pamflete (1800–1849) (ed. Gheorghe Georgescu-Buzău, Bucureşti 1968) 253.  35 Cezar Bolliac, Opere, 2 (ed. Andrei Rusu, Bucureşti 1956) 87.  36 Propăşirea, 27. Februar 1844, ed. Cornea/Costinescu/Costinescu 333.  37 Vgl. Mihail Kogălniceanu, Scrieri (Bucureşti 1967) 229: Amendament şi discurs la articolul 145 din Proiectul de ­Constituţie referitor la stabilirea capitalei ţării.  38 M. Savel, Domnia marelui domnitor român Alexandru Ion Cuza şi epoca glorioasă a Românilor (Bacău 1909) 28: „Es lebe die Vereinigung! Es lebe der Fürst Cuza, der gewählte der Moldau und Munteniens! Es lebe das eine und ungeteilte ­Rumänien!“  39 Savel, Alexandru Ion Cuza 41: „Rumänen! Die Vereinigung ist vollbracht, die rumänische Nationalität ist gegründet. Diese große Tat, die von den vergangenen Generationen gewünscht, von den gesetzgebenden Körperschaften mit Beifall angenommen, von uns mit Inbrunst hervorgerufen wurde, ist von der Hohen Pforte und den Garantiemächten anerkannt und in die Traditionen der Nationen eingetragen worden. Sie hat unsere Bemühungen durch die Weisheit des Volkes bekräftigt und hat die Nation zu einer erhabenen Zukunft geführt. In den Tagen vom 5. und 24. Januar habt ihr euer ganzes Vertrauen dem von der Nation Gewählten geschenkt; ihr habt eure Hoffnungen in einem einzigen Herrscher vereinigt. Euer Gewählter gibt euch heute ein einziges Rumänien.“  40 Convenţiune de la Paris (Jassi 1858), im Titel; Convenţiune de la Paris, Bucuresci 1865, im Titel.  33  34

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Die Bezeichnung România wird dann im ersten Artikel der Verfassung von 1866 und ihrer Revision von 1884 bestätigt: Principatele-Unite-Române constitue un singur Stat indivisibile, sub denumire de România (1866).41 Regatul României cu judeţele sale din dreapta Dunărei constitue un singur Stat indivizibil (1884).42 Die ethnonymische Bildung eines Ländernamens ist in den romanischen Sprachen üblich. Jede ­romanische Sprache hat allerdings dafür eigene Akzentregeln. Die Betonung auf dem Suffix -i ist in rumänischen Ländernamen unüblich (vgl. Elvéţia, Germánia, Itália, Rúsia, Spánia usw.). Zieht man in Betracht, dass die frühen Beispiele für das Choronym griechisch und französisch sind, dass diese zwei Sprachen die damaligen Kultursprachen in den Fürstentümern waren, dass gerade in diesen zwei Sprachen die Betonung in den entsprechenden Ländernamen auf dem Suffix liegt (Βουλγαρία, Γερμανία, ’Ιταλία; fr. Italie, Russie, Turquie) und dass das Choronym im Rumänischen erst um 1840 in Gebrauch kommt, so liegt die Vermutung nahe, dass wir es im Rumänischen mit einer Neubildung nach neugriechischem und französischem Vorbild zu tun haben.43 Ob sich der Grieche Philippides oder der Franzose Vaillant an das mittelalterliche Choronym lat. Romania / it. Romanía / fr. Romenie / gr. Ρωμανία, das die Gesamtheit des Byzantinischen Reiches oder Teile desselben bezeichnete,44 erinnert haben, ist nicht bekannt. Im deutschen Sprachgebrauch hat sich schon in den 1860er Jahren der Name Rumänien durchgesetzt, wie Major Heinrich Filek von Wittinghausen in seinem Werk „Das Fürstenthum Romanien. Geographisch-militärisch dargestellt“: ‚Romanien‘ ist der officielle Titel, welcher fast in allen deutschen Journalen fälschlich in ­‚Rumänien‘ umgewandelt wird.45 (Dies geht vielleicht auf die geschlossene und velare Aussprache des Nomens rumân/român ‚rumänisch, walachisch, Leibeigener‘ zurück). IST DER NAME ROMÂNIA EINZIGARTIG? Einzigartig ist im Konzert der europäischen Nationalstaaten eine Staatsbezeichnung, die anscheinend auf ein viel breiter zu verstehendes Ethnonym – ROMANUS ‚römisch‘ – zurückgeht. In Wirklichkeit geht es auf ein verengtes Ethnonym ROMANUS ‚autochthoner Romane im Gegensatz zu den slawischen und ungarischen Neulingen‘ zurück. So würde ich schon die bekannte Stelle des Anonymus der Gesta Hungarorum aus dem 12.–13. Jahrhundert: Quam terram [sc. terra pannonie] habitarent sclaui. bulgarij. et Blachij. ac pastores romanorum.46 interpretieren. Dieselbe Suffigierung und entsprechende Substantivierung des Adjektivs ROMANUS zur Bezeichnung einer Gegend oder eines Ortes, an dem Nachfahren der Römer oder ursprünglich vom westlichen oder östlichen Römischen Reich abhängige Gemeinschaften gelebt haben oder leben, ist an sehr verschiedenen Stellen anzutreffen. So kann der toponymische Typus u.a. bezeichnen: – Das oströmische oder byzantinische Reich Vesegothae […] tandem communi placito legatos in Romania direxerunt ad Valentem imperatorem (6. Jh.).47 Se Diex done que vos le remetez en son heritage, il metra tot l’enpire de Romanie à la obedience de Rome, dont ele ere partie pieça (13. Jh.).48 Et fu devisé que il prendroient por à Corfol, une ysle en Romenie.49 Constituţiune şi legea electorală făcută sub Carol I, Domnul Românilor (Bucuresci 1866); Constituţia din 1 Iulie 1866. Cu modificările Adunărilor constituante din 1879 şi 1884 după ediţiunea oficială (Bucureşti s.a.).  42 Constituţiune (1866); Constituţia (s.a.)  43 Für andere Erklärungen vgl. Arvinte, Die Rumänen 50–55; es wäre u.a. zu beachten, dass das Suffix für Choronyme -ia nicht identisch mit dem Suffix für Abstrakta und Kollektive -ie ist wie in căimăcămie, iobagie, rumânie ‚rumänische ­Sprache’, slavenie ‚slawische Sprache’, vecinie, veselie.  44 Du Cange s.v. 1. Romania; LMA 7, 996–998 s.v. Romania.  45 Heinrich Filek von Wittinghausen, Das Fürstenthum Romanien. Geographisch-militärisch dargestellt (Wien 1869) 16.  46 Anonymus, Gesta Hungarorum 9 (ed. Martyn Rady/László Veszprémy/János Bak, Budapest/New York 2010) 26.  47 Jordanes, Getica 25, 31 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 5, 1, Berlin 1882) 92.  48 Geoffroy de Villehardouin, La conquête de Constantinople (ed. Jean Dufournet, Paris 1969) cap. XIX.  49 De Villehardouin, Conquête de Constantinople, ed. Dufournet cap. XXIII.  41

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– Kleinere Gegenden des ehemaligen Byzantinischen Reiches unter osmanischer Herrschaft THRACIA, dilatada provincia de Europa, llamada ahora Romania, sita entre el monte Hemo, que la separa de mesia ó Bulgaria, el Ponto Euxino, la Propontida, el mar Egeo y el rio Strymon.50 MOREA […] Hallase dividida en quatro provincias. Sacania, o pequeña Romania; 2. Tzaconia, ó brazo de Maina; 3. Belvedere; y 4. Clarencia […]. La Sacania ó pequeña Romania está al oriente del ducado de Clarencia y de una parte de la Tzaconia. Napoli de Romania es oy su ciudad capital; eralo Argos en otro tiempo.51 Romanie, Thrace ou Romélie, Romania, prov. Turquie europ.52 – Die pontischen Griechen in der Diaspora verwenden noch heute die Bezeichnung Ρωμανία für den griechischsprachigen Raum oder für Griechenland.53 – In Bosnien trägt ein Gebirge den Namen Romanja, der ebenfalls an das alte oströmische Reich erinnert: Der Name des Romanjagebirges erinnert an die Zeit, wo dasselbe die Grenzscheide zwischen der öströmischen Herrschaft und den in’s Westreich eingebrochenen Barbaren bildete. Später war der „Römerberg“ ein beliebtes Räubernest, wie alle Gebirgspassagen wichtiger Handelswege. In den sehr alten Liedern, welche dem Prototyp aller bosnischen und serbischen Haiduken, dem „Starina Novak“ gewidmet sind, erscheint die „Romanija“ als classischer Schauplatz der Ruhmestaten dieses Altvaters, wohin derselbe nach dem ersten Türkenmorde flüchtet, um sich vierzig Jahre dort so wohl zu fühlen wie der Fisch im Wasser.54 – Der Teil Italiens, der vom byzantinischen Exarchat von Ravenna abhing im Gegensatz zu den langobardischen Territorien. Es handelt sich um die heutige italienische Region Romagna, die in mittelalterlichen Quellen Romania und Romandiola genannt wird.55 – Eine Gegend in Nordfrankreich im Gegensatz zur Bretagne. Romaniae denique nomine interdum appellantur eae Galliae partes, quae Romanis parebant, aut paruerant, respectu Britanniae Armoricae, in Vita S. Samsonis Episcopi Dolensis in Praefat.56 – Mehrere Orte in Frankreich (Ardennes, Meuse, Maine-et-Loire usw.) tragen noch heute den ­Namen Romagne, der im Mittelalter als Romania belegt ist.57 In diesem größeren Kontext ist die Bildung des Ländernamens România etwas Erwartbares, unerwartet ist nur ihre späte, modernromanische Bildung. Moderne Bildungen sind aber auch Wallonie (vgl. unten) und Romandie ‚die französischsprachige Schweiz‘. DIE WALACHEI ALS WERKSTÄTTE FÜR LÄNDERNAMEN Im Jahre 1330 bildete sich unter Basarab I. der unabhängige Staat der Walachei mit den Zentren Curtea de Argeş und Câmpulung. Basarab gelang es, einen von Ungarn und Mongolen unabhängigen Staat zu konstituieren. Unter Basarabs Nachfolgern bis Mircea den Alten (1386–1418) dehnte sich die Walachei bis nach Severin im Westen aus und umfasste im Osten die Stadt Silistria, die Dobrudscha und den südlichen Teil Bessarabiens. 1394 besetzten erstmals osmanische Truppen das Land. 1415 musste Mircea Luis Moreri, El gran diccionario histórico (Paris/León 1753) s.v. Thracia. Moreri, Diccionario histórico s.v. Morea. Pierre Boiste, Dictionnaire universel de la langue française (Paris 1823) s.v. Romanie. Mündliche Mitteilung von Prof. Dr. Thede Kahl, Universität Jena. Moriz Hoernes, Dinarische Wanderungen. Cultur und Landschaftsbilder aus Bosnien und der Hercegovina (Wien 21894) 231.  55 Vgl. Du Cange s.v. Romania; vgl. auch: Antonio Polloni, Toponomastica romagnola (Firenze 1966) 1–2.  56 Du Cange s.v. Romania.  57 J.-G. Masselin, Dictionnaire universel des géographies physique, commerciale, historique et politique (Paris 1844) s.v. Romagne; Marie-Thérèse Morlet, Les noms de personne sur le territoire de l’ancienne Gaule, vol. 3: Les noms de personne contenus dans les noms de lieux (Paris 1985) s.v. Romanius.  52  53  54  50  51

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sich verpflichten, den Türken einen jährlichen Tribut zu leisten; dafür garantierten die Türken ihrerseits die Unabhängigkeit des Staats. Bis 1526 versuchten die Fürsten der Walachei gegenüber Ungarn und dem Osmanischen Reich ihre Unabhängigkeit zu verteidigen. Ab 1526 erhöhen sich der Einfluss und der Druck, der trotz mancher Unabhängigkeitsbewegung erst nach dem Aufstand von Tudor Vladimirescu (1821) nachlässt. Die Walachei stellt seit dem 14. Jahrhundert bis zur Vereinigung von 1859 eine politisch-administrative Einheit mit ziemlich stabilen Grenzen dar. Das südliche rumänische Donaufürstentum wird seit dem Mittelalter in verschiedenen Sprachen mit verschiedenen Namen bezeichnet: Valahia (und Varianten), U(n)grovlachia, Terra Transalpina, Ţara Românească (und Varianten), Ţara Muntenească, Muntenia, România. Valahia ist eine Ableitung vom Ethnonym valach (und Varianten wie valah, vlach oder vlah), das über das Slawische ins Rumänische kam. Ihm zu Grunde liegt germ. *walha, womit zunächst romanisierte Kelten, später Personen mit romanischer Muttersprache im Allgemeinen (vgl. dt. Welsche, ­Wallonen) bezeichnet wurden.58 Die ersten Belege für das Ethnonym auf der Balkanhalbinsel tauchen in byzantinischen Quellen auf. Der byzantinische Chronist Georgios Kedrenos (11./12. Jh.) nimmt in seinem Werk Synopsis Historion eine Notiz vom Chronisten Ioannes Skylitzes (Synopsis Historion) auf, wonach der Bulgare David von wandernden Walachen (Vlachoi oditoi) zwischen Kastoria und Prespa getötet worden sei; dieses Ereignis bezieht sich auf das Jahr 976. Zur selben Zeit (11. Jh.) berichtet der byzantinische Autor Kekaumenos in seiner Schrift Stratēgikon von den Unruhen der Vlachen (Vlachoi) in Thessalien unter der Herrschaft des Kaisers Konstantin X. Dukas (1059–1067).59 Der anonyme Autor der Gesta Hungarorum aus dem 12. Jahrhundert spricht seinerseits von sclavi. bulgarii. et Blachii. ac pastores romanorum60, die das Land zwischen Donau und Theiß bewohnten. In den ungarischen ­Quellen findet man seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Bezeichnungen wie terra Blachorum (1222), ­Olati (1247), Olachis (1250), Walachi (1383).61 Obwohl das Ethnonym „Walachen“ von Nicht-Rumänen häufig für die Bezeichnung der Rumänen verwendet wurde, wurde es von den Rumänen selber eher vermieden, wie uns z.B. der Hermannstädter Historiograph Johannes Tröster († 1670) in seinem Werk Das Alt- und Neue Teutsche Dacia (Nürnberg, 1666) berichtet: Letztlich heißen sie sich in ihrer Sprach nicht Wallachen oder Bloch, sondern Romunos oder Romer.62 Die Rumänen Siebenbürgens forderten 1848 in der Nationalversammlung auf dem Câmpul libertăţii, dass sie mit ihrem eigenen Namen genannt werden: 1. Naţiunea română, răzimată pe principiul libertăţii, egalităţii şi fraternităţii pretinde independinţa sa naţională în respectul politic ca să figureze în numele său ca naţiune română [...] La acestea s-au adaos că de aci înainte în lucrările legale ale celorlalte naţiuni transilvane şi în limbile lor românii să se numească români, iar nu oláh, walach şi bloch.63 Laut Diaconovich, s.v. Valach, habe Kaiser Ferdinand am 5. Mai 1848 zum letzten Mal die Bezeichnung Walach offiziell verwendet.64 Der Lexemtyp dürfte als Landschaftsbezeichnung allerdings schon im 8./9. Jahrhundert aufkommen, denn ein armenisches Geographiebuch aus der Zeit berichtet von einem Balak genannten Land. Warägische Quellen aus dem 11. Jahrhundert sprechen von einem Blakumen und Blokumannland, womit die von Vorfahren der Rumänen bewohnte Moldau gemeint sein dürfte.65 Seit dem 12. ­Jahrhundert Bodo Müller, Bezeichnungen für die Sprachen, Sprecher und Länder der Romania, in: Lexikon der Romanistischen ­Linguistik (LRL), 2.1: Latein und Romanisch: historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen, ed. Günter Holtus/Michael Metzeltin/Christian Schmitt (Tübingen 1996) Artikel 101, 134–151, hier 5.1.  59 Vgl. Cecaumeno, Raccomandazioni e consigli di un galantuomo. Stratēgikon (ed. Maria Dora Spadaro, Alessandria 1998) 206–214, und Izvoarele istoriei României, 3: Scriitori bizantini (sec. XI–XIV) (ed. Alexandru Elian/Nicolae-­Şerban ­Tanaşoca, Bucureşti 1975) 26–29 und 144–145; vgl. ferner George Murnu, Istoria românilor din Pind. Vlahia Mare (980– 1259). Studiu istoric după izvoare bizantine (Bucureşti 2003) 7–9.  60 Anonymus, Gesta hungarorum, ed. Katona Kap. 9.  61 Documenta Romaniae Historica. D. Relaţii între Ţările Române, volumul I (ed. Ştefan Pascu, Bucureşti 1977) 5, 23, 28, 114.  62 Vgl. Armbruster, Eigene Identität 106–109; zit. nach Hariton Tiktin, Rumänisch-Deutsches Wörterbuch (Wiesbaden 2 1986–1989) s.v. vlah.  63 Bodea, 1848 la Români 1, Text 115, 484–485.  64 Corneliu Diaconovich, Enciclopedia română, 1–3 (Sibiiu 1898–1904) s.v. Valach.  65 Georgescu, Istoria românilor 25.  58

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verwendete man in byzantinischen Quellen für das Gebiet der „Wlachen“ von Thessalien den Namen Vlachia. So bei dem Chronisten Niketas Choniates (1155–1215), der in seiner Chronike Diegesis von einer „Großen Walachei“ (μεγάλη Βλαχία, Buch XIX; Westen und Nordwesten Thessaliens) spricht.66 Nach Ionesco habe es auch eine „obere Walachei“ (im Pindus) und eine „untere Walachei“ (in Achaia) gegeben.67 Es dürfte sich um von Aromunen besiedelte Gebiete handeln. In kirchenslavischen Quellen spricht man von zemlja vlaška, womit aber die Walachei gemeint sein dürfte. So findet sich in einer kirchenslavischen Urkunde von Radu dem Großen aus dem Jahr 1501 die Bezeichnung zemle vlaške (Genitiv) für die Walachei.68 In den lateinischsprachigen Quellen finden wir neben einem frühen terra Blachorum (s.o.) Formen wie Vallachia, Wolachya, Walachya und Volachia. So nennt sich ­Mircea der Alte (reg. 1386–1418) in einer Urkunde vom 27. Dezember 1391: Nos, Johannes Mircsa, dei gratia princeps et vajvoda totius regni Vallachiae incipiendo ab alpibus usque ad confinia Tartariae, ­totiusque terrae Fogaras perpetuus dominus.69 Zur gleichen Zeit ist in verschiedenen Dokumenten auch die Rede von Stephan, dem Wojwoden der Moldau, mit folgenden Angaben: contra Stephanum, Minoris Walachye seu terre nostre Molduane wayuodam, contra Stephanum, Minoris Walachye seu terre nostre Molduane wayvodam, contra Stephanum, minoris Volachie seu terre nostre Molduane wayuodam, ­contra Stephanum minoris Olachie (a. 1395–1396);70 allerdings bezieht sich der Sender, König ­Sigismund von Ungarn (reg. 1387–1437), damit auf die Moldau. Auf die Walachei an der Donau beziehen sich da­ gegen die italienischen Humanisten Flavio Biondo in einem Brief an Alfonso d’Aragona aus dem Jahre 145371 und Enea Silvio de’ Piccolomini in seiner Historia australis aus dem Jahre 145872. Der Lexemtyp setzt sich in den Sprachen des Westens durch (dt. Walachei, it. Valacchia, frz. Valachie, sp. Valaquia), wie die geographischen Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen. Im Rumänischen dürfte es ein Exonym sein und ist weniger üblich als andere Bezeichnungen. Etymologisch und semantisch ist zu verbinden mit dem Walensee ‚romanischer See‘ und Walenstadt ­‚romanisches Gestade‘ im Kanton St. Gallen (Schweiz),73 mit der belgischen Wallonie, einer 1844 von Charles-Joseph Grandgagnage gebildeten Bezeichnung für die Pays wallons ‚die welschen Länder‘74 und mit dem keltischen Wales ‚(für die Angelsachsen) fremdes Land‘. Neben dem einfachen Lexemtyp zur Bezeichnung des von Basarab I. gegründeten Staatswesens wurde auch die Zusammensetzung U(n)grovlahia verwendet. Sie geht auf die zeitweilige Oberhoheit der ungarischen Könige über die Walachei zurück, die erst durch Basarab I. im Kampf gegen Karl Robert von Anjou 1330 beendet wurde. Laut Diaconovich, s.v. Muntenia und Ungro-Vlahia, handelt es sich um eine griechische Neubildung, die mit der Gründung der ersten „walachischen“ Metropolie 1359 in Curtea de Argeş geprägt wurde und die zuerst in byzantinischen Quellen auftaucht.75 Er vertritt die Ansicht, dass die Byzantiner mit dieser Bestimmung das als „Walachei“ bezeichnete Gebiet nördlich der Donau von der als „Walachei“ bezeichneten Landschaft im Epirus und in Thessalien unterscheiden wollten. In kirchenslavischen Dokumenten aus dem fünfzehnten und vom Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, die aus der Walachei stammen, finden sich zahlreiche Belege für . Mircea bezeichnet sich als Herrscher der vъsei zemi Ugrovlachïi i zaplaninskym (1413);76 Ioan Alexandru als Niketas Choniates, Chronike Diegesis, Buch XIX (ed. Ioannes Aloysius van Dieten, Berlin 1975) 638, Zeile 50. Christian Ionesco, O romanés. Aspectos de historia externa con especial atención á súa sutiación fóra das ­fronteiras de ­Romanía, in: Estudios de sociolingüística románica. Linguas e variedades minorizadas, ed. Francisco Rei/Antón ­Santamarina Fernández (Santiago de Compostela 1999) 445–501, hier 499–500.  68 Documenta Romaniae Historica. B. Ţăra Românească, 2 (ed. Ştefan Ştefanescu, Bucureşti 1972) 3.  69 Documenta Romaniae Historica, D.1, ed. Pascu 127.  70 Documenta Romaniae Historica, D.1, ed. Pascu 130, 132, 135, 152.  71 Lorenzo Renzi, Ancora sugli umanisti e la lingua rumena: Biondo Flavio rivisitato, in: Studia Universitatis Babeş-Bolyai. Philologia 44/3–4 (1999) 135–148, hier 141: Habet vero ipsa regio duas Danubio amni proximas civitates Nicopolim et ­Vidinum, apud quas Turchi navigia tenent in Danubio parata, quibus in Pannoniam sive Hungariam et in Daciam ­Ripensem sive Valachiam Maiorem exercitus transportantur.  72 Ion Dumitriu-Snagov, Monumenta Romaniae Vaticana (Bucharest 21996) 79: Valachia per quã lata regio ẽ a transsiluanis incipiens vsque in Euxinus protensa pelagus plana ferme tota & aquarum indigua, cuius meridiẽ hister fluuius excipit.  73 Julia Kuhn, Die romanischen Orts- und Flurnamen von Walenstadt und Quarten, St. Gallen, Schweiz (Romanica ­Aenipontana 18, Innsbruck 2002) 151–154. Siehe auch den Beitrag von Schneider/Pfister in diesem Band.  74 http://fr.wikipedia.org/wiki/Histoire_de_la_Wallonie (21.03.2016).  75 Diaconovich, Enciclopedia română, 3 s.v. Muntenia und Ungro-Vlahia.  76 Documenta Romaniae Historica, D.1, ed. Pascu 197.  66  67

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Michael Metzeltin

gospodinъ vъsei zemli Uggrovlachïiskoi (1432);77 zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts bezeichnen sich die Herrscher als gospodin‘ vъsoi zemli Uggrovlachïiskoi [sic], ‚Herr des ganzen Landes ­Ungrovlachia‘ (1501)78 bzw. als vъladaeščumi zemleju Uggrovlachïiskoju i zaplaninskim stranam, ‚beherrschend das Land Ungrovlachia und die Teile jenseits der Berge‘ (1508).79 Auf Rumänisch wird es beschränkt vom Metropoliten gebraucht.80 Von Ungarn und Transsilvanien aus gesehen, befindet sich die Walachei jenseits der Karpaten, oder wie man früher auch sagte, der Alpen. Daher wird die Walachei in den mittelalterlichen Quellen auch als ‚Land jenseits der Alpen‘ bezeichnet. So heißt es in einem Dokument aus dem Jahre 1331, das in Alba Iulia ausgestellt wurde: cum idem Nicolaus cum domino rege vultra Alpes, in terram ­Bazarab ­transivisset.81 Und anderswo: in terra Transalpina (1335),82 Brassouienses, cum mercimoniis in Trans­ alpinis partibus laborantes (1395),83 ad partes Transalpinas (1395)84. Der schon erwähnte Mircea der Alte bezeichnet sich in einer lateinischen Quelle selbst so: Nos, Mirchya, vaivoda Transalpinus, dux de Fugaras (1395).85 Ähnliche Ausdrücke finden sich dann auch später in deutschsprachigen Quellen. Franz Joseph Sulzer schreibt im 18. Jahrhundert eine „Geschichte des transalpinischen Daciens, das ist: der Walachen, Moldau und Bessarabiens, im Zusammenhange mit der Geschichte des übrigen Daciens als ein Versuch einer allgemeinen dacischen Geschichte mit kritischer Freyheit entworfen von Franz Joseph Sulzer“.86 An die Berge erinnert auch die Bezeichnung Muntenia ‚Bergland‘. Sie geht laut Diaconovich auf eine Benennung seitens der Moldauer zurück, welche ihrerseits das lateinische Transalpina, das in ­ungarischen Quellen auftaucht, ins Rumänische übersetzten.87 Diese Bezeichnung scheint sich erst im 20. Jahrhundert zu etablieren. Die moldauischen Chronisten benennen die Walachei mit Ţara Muntenească (vgl. unten), einem Ausdruck, der noch im 19. Jahrhundert verwendet wird, wie folgender Titel zeigt: „Istoria generala a Daciei, sau a Transilvaniei, ţerei muntenesci şi a Moldovei, de Dionisiu Fotino, traducere de George Sion“.88 Theoktist Blazewicz bemerkt in seiner „Theoretisch-praktischen Grammatik der dacoromanischen, das ist: der moldauischen oder wallachischen Sprache“, daß der Moldauer, wenn im deutschen Land oder Reich ist: z. B. Russland, Frankreich etc. dieses durch ţara (translitteriert), welches er voranschickt, welchem aber unmittelbar das nomen appelativum folgt, auszudrücken pflegt. Als Beispiele führt er an: Ţára-Rusáskă neben Róssia, Ţáră-Turceáskă, Ţára-Franşuzáskă und Ţára-Leşeáskă neben Polónie.89 Wie die alten und zum Teil heute noch üblichen Choronyme Ţara Bîrsei, Ţara Haţegului, Ţara Oltului (1681 bis 1691),90 Ţara-de-Jos, Ţara-de-Sus zeigen, hat der frühe ausländische Grammatiker die echte rumänische autochthone Wortbildung für Ländernamen erkannt: Ţára ( rumân/român ist freilich *Rōmāniscus > rumânesc/românesc mit dem einheimischen ­Suffix -iscus, das in Dāciscus und Thrāciscus belegt ist,10 und dieses Adjektiv hat ein Adverb neben sich, nämlich *­Rōmāniscē > rumâneşte/româneşte. Der Gesamtbefund ist also, dass nur in der Balkan­romania Rōmānus erbwörtlich erhalten blieb und Ableitungen gebildet hat. Warum das Wort da und nur da erhalten blieb, hat vielleicht wieder damit zu tun, dass es eine Nationenbildung wie in Westeuropa nicht gab: Volksgruppen mit eigenen Traditionen und eigenen typischen Beschäftigungen – halbnomadische Kleintierzucht bei den Rumänen – lebten nebeneinander und miteinander, und es war viel wichtiger, jemanden in diesem Kontext zu benennen als ihn territorial zuzuordnen. Nach diesem Exkurs über lingua Romāna und das Weiterleben vergleichbarer Ausdrücke in der ­Romania soll es hier aber um die eigentliche Normalbezeichnung des Lateinischen, also über Latīnus gehen (Hinweise auf ein eventuelles Vorhandensein von Latīnē in den romanischen Sprachen gibt es nicht). Ich beziehe mich dabei auf eine größere Studie zum Thema und greife gelegentlich auf eine spanische Handbuch-Kurzfassung zurück.11 Für die Römer war lingua Latīna, sermo Latīnus oder Ähnliches, wie gesagt, die Normalbezeichnung der eigenen Sprache, und man konnte sich selbst als Sprecher dieser Sprache auch als Latīnī bezeichnen: Bei Horaz (carm. 2, 1, 29) und Silius Italicus (6, 603–604) ist Latinus sanguis das ‘Blut der Römer’. Man übertrug den Namen natürlich nachantik auf die Romanen, solange man sich des Sprachunterschiedes noch nicht bewusst war, und so wird die auf dem Martinsfest in Orléans zu hörende lingua Latinorum bei Gregor von Tours (8, 1) ganz richtig mit ‘Sprache der Romanen’ übersetzt.12 Und selbst Dante, für den es natürlich klar war, dass Latein und Italienisch zwei verschiedene Sprachen sind und dass die Gleichung Römer=Lateiner=Italiener für seine Zeit nicht mehr wirklich aufging, benutzte Latini in seinen lateinischen wie italienischen Schriften für die ‘Italiener’.13 Auch das Adjektiv bedeutet italienisch: quella dolce terra latina heißt (in der Übersetzung von Hartmut Köhler) ‘die schöne Gegend Italiens’ (Inferno 27, 26) und e cu’ io vidi in su terra latina bedeutet ‘ich habe dich doch in Italien ge­ sehen’ (Inferno 28, 71).14 Freilich, auf die romanischen Sprachen bezog man Latīnus oder italienisch latino (seit 1198), französisch latin (seit 1119), provenzalisch latin (seit dem späten 11. Jahrhundert), katalanisch llatí (seit dem 13. Jh.) normalerweise nicht, einfach, weil die damit beschworene Unklarheit zu groß gewesen wäre. Wenn man sich auf die romanische Volkssprache beziehen wollte, traten erklärende Adjektive hinzu: lingua Latīna rūstica, lingua Latīna vulgāris, corruptus sermō Latīnus, und dann konnte Latīnus auch weggelassen werden: nostra vulgaris lingua. Der normale Ausdruck für die Alltagssprache in Italien war volgare, ursprünglich eine Qualitätsbezeichnung: ‘die Sprache des Volkes’, im Gegensatz zum nach den Regeln der grammatica festgelegten latino. Für Dante ist das Latein eine ewig gültige und nicht veränderliche Sprache, das Volgare hingegen ist instabil und veränderlich: „Lo latino è perpetuo e non corruttibile, e lo volgare è non stabile e corruttibile“ (Convivio 1, 5, 7).15 Seiner Meinung nach hat der Kramer, Latinus und Romanus 130–139. Kramer, Latinus und Romanus 143–146. 11 Kramer, Latinus und Romanus; Kurzfassung: Kramer, Roma, Romania. 12 Gregor von Tours, Historiarum libri decem (ed. und trans. Rudolf Buchner, Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, 1–2, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 2–3, Darmstadt 1970–1972) 2, 161. 13 Bruno Basile/Giorgio Brugnoli, Latino, in: Enciclopedia dantesca 3 (Roma 1971) 591–599. 14 Dante Alighieri, La Commedia/Die Göttliche Komödie I: Inferno/Hölle (in Prosa trans. und komm. von Hartmut Köhler, Stuttgart 2010). 15 Dante Alighieri, Convivio (ed. Fredi Chiappelli, Tutte le opere, Milano 1969) 487–651.  9 10

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erste, der sich als ein Dichter in der Volkssprache auszudrücken begann, das getan, weil er seine Worte einer Dame verständlich machen wollte, für die es schwer gewesen wäre, die lateinischen Verse zu ­verstehen (Vita Nuova 25, 6: „Lo primo che cominciò a dire sì come poeta volgare, si mosse però che volle fare intendere le sue parole a donna, alla quale era malagevole d’intendere li versi latini“16). Im sprachlichen Kontext konnten Nachfolgeformen von Latīnus nur dann für eine romanische Sprache verwendet werden, wenn als Gegensatz eine fremde Sprache ins Spiel gebracht wurde. In einer Novelle von Boccaccio (Decameron 5, 2, 16–21) sprach am Strande von Susa in Tunesien eine aus Sizilien stammende Dienerin ein Mädchen, das schlafend mit seinem Boot am Ufer gelandet ist und das man an seiner Kleidung als Christin erkennen konnte, auf latino, also konkret auf Sizilianisch, im weiteren Sinne in der Romanität Italiens, an (parlando latino), und das Mädchen hörte diese Sprache (udendo la favella latina) und glaubte, in Sizilien zu sein, wurde über ihren Irrtum aufgeklärt und möchte erfahren, wer die latino sprechende gute Frau sei (chi fosse la buona femina che così latin parlava).17 Hier ist in kurzem Abstand dreimal latino im konkreten Sinne von ‘sizilianisch’ verwendet, aber es ist das einzige Mal, dass das bei Boccaccio eine Sprachform Italiens so bezeichnet wird, und das ist nur deswegen möglich, weil mit barbaresco (5, 2, 28) eine völlig fremde Sprache den Hintergrund bildet. Ähnliches liegt im älteren Katalanischen vor: In der Chronik von Jaume I. ist im 86. Kapitel von einem sarraí que sabia nostre llatí, also von einem ‘Sarazenen, der unser Katalanisch konnte’, die Rede, aber diese Ausdrucksweise ist nur möglich, weil der Gegensatz, das nichtromanische Arabisch, genannt ist.18 Nicht nur die Verwechslungsmöglichkeit mit ‘Latein’ im engeren Sinne, sondern auch ein anderer starker Bedeutungsstrang hinderte diese Bedeutung daran, sich zu verfestigen: Latein ist eine schwierig zu erlernende fremde Sprache, und also nahmen die Nachfolgeformen von Latīnus den neuen Sinn ‘unverständliche fremde Sprache’ an: Im Provenzalischen kann sich en leur latin auf das Arabische, das Griechische oder das Persische beziehen,19 katalanisch els Serrayns [...] cridaren [...] en llur llatí heißt ‘die Sarazenen schrieen in ihrer Sprache’20. Ausgehend wohl von einer poetischen Verwendung bei den Troubadours kann latín auch vom ­‘Gesang der Vögel’ gesagt werden. Wilhelm von Aquitanien (1071–1127) sagt am Anfang seines 10. Gedichtes, dass ‘die Vögel singen, jeder in seinem Latein’: li aucel / chanton, chascus en lor lati.21 Im Alt­französischen kommt die Ausdrucksweise bei Chrétien de Troyes vor, wo die Vögel ihrer Freude in ihrem Latein Ausdruck geben (Cligès 6264–6265: cil oisel [...] font lor joie an lor latin). Der Italiener Guido Cavalcanti (1255–1300), der „Hauptmeister des dolce stil nuovo“,22 sagt, dass jeder der Vögel in seinem Latein von der fresca rosa novella singen möge: e càntine gli augelli / ciascuno in suo latino (Fresca rosa novella, 20–21).23 Bis jetzt haben wir aber nur die sogenannten gelehrten oder buchsprachlichen Formen behandelt, die in der Romania von Latīnus vertreten sind – dabei ist der Rückbezug zur Grundbedeutung ‘­ Latein’ so naheliegend, dass sich wirklich sekundäre Bedeutungen kaum herausbilden konnten. Unser eigent­ liches Augenmerk muss aber den erbwörtlichen Formen gelten.24 Sie müssen nach allen Regeln der ­romanistischen Kunst in der Westromania, also in allen Sprachen außer im Rumänischen und im

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Dante Alighieri, Vita nuova (ed. Fredi Chiappelli, Tutte le opere, Milano 1969) 365–416. Boccaccio, Decameron (ed. Cesare Segre, Opere, Milano 1966) 3–697. Kramer, Latinus und Romanus 118. Kramer, Latinus und Romanus 116. Bernat Desclot, Crònica, c. 38 (ed. Miquel Coll i Alentorn, Barcelona 1982) 93. Christine Felbeck/Johannes Kramer, Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik (Tübingen 2008) 45. 22 Wilhelm Theodor Elwert, Italienische Dichtung aus acht Jahrhunderten (Darmstadt 1997). 23 Guido Cavalcanti, Fresca rosa novella (ed. Wilhelm Theodor Elwert, Italienische Dichtung aus acht Jahrhunderten, Darmstadt 1997) 26–29. 24 Aus der folgenden Betrachtung wurden die Nachfolgeformen von Latīnus, die ‘deutlich, klar, flink, leicht’ usw. heißen, ausgeschlossen; sie liegen beispielsweise im altit. latino, ladino, piemontesisch laín, agordinisch ladín, bellunesisch ladin, engadinisch ladin, grödnerisch ladíŋ, trentinisch ladin, venezianisch ladin, sardisch ladinu vor, vgl. die Liste der Formen und Bedeutungen DRG 10, 271 und REW Nr. 4927. Es liegt ein Übergang von der ursprünglich auf Sprache und Sprecher bezogenen Bedeutung auf mit Sprachgewandtheit verbundenen positiven Umdeutungen vor. Die Sprecher sehen normalerweise keine Beziehung zu einer Sprachbezeichnung. 16 17

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Mittel- und Süditalienischen (einschließlich der italienischen Schriftsprache) eine der drei Stufen aufweisen, die Hans Rheinfelder für p, t, k klar herausgearbeitet hat:25 Erste Stufe: Der stimmlose Verschlusslaut wird zum stimmhaften Verschlusslaut. Es tritt Sonorisierung ein: p > b, t > d, k > g); Zweite Stufe: Der stimmhafte Verschlusslaut wird zum stimmhaften Reibelaut: b > β, d > δ, g > γ; Dritte Stufe: Der stimmhafte Reibelaut, der aus dem stimmhaften Verschlusslaut entstanden ist, verschwindet ganz: ø. Überlegungen zu Erbwörtlichkeit oder Buchwörtlichkeit in den ostromanischen Sprachen Rumänisch und (Mittel- und Süd-)Italienisch kann man sich sparen, weil das rumänische (schlussbetonte) latin eine gelehrte Neubildung des 18. Jahrhunderts ist und weil das vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert auftretende anfangsbetonte latin (mit der ebenfalls anfangsbetonten Nebenform letin) aus dem Serbischen entlehnt wurde.26 Im Italienischen ist latino schon deswegen ein Buchwort, weil die Position der Kirche immer so stark war, dass es keine Gelegenheit gab, dass dieses Wort als Sprachbezeichnung eine erbwörtliche Entwicklung durchlaufen konnte. Die drei westromanischen lautlichen Möglichkeiten, also laín (Nullstufe), laδíno (stimmhafter Reibe­laut) und ladíŋ (stimmhafter Verschlusslaut), liegen alle als Sprachbezeichnung zu verschiedenen Epochen in verschiedenen Regionen der Romania vor. Betrachten wir sie nacheinander! Im Altlombardischen des 14. Jahrhunderts taucht ein lain auf.27 Diese anonyme Paraphrase der lateinischen Fassung des Johannes-Chrysostomos-Traktates Quod nemo laeditur nisi a se ipso28 wurde von Wendelin Foerster herausgegeben.29 Auf S. 38 wird eine Daniel-Stelle (1, 3–4) herangezogen, wo es darum geht, dass den gefangenen Söhnen Israels die Sprache der „Chaldäer“ beigebracht werden soll, obwohl die Sprache der Juden und der „Chaldäer“ gegenseitig unverständlich sind. Der altlombardische Kommentator sagt dazu folgendes: Sì che de questi pueri comandò quel segnor ch’el se n’avesse singular cura e dè ghe maestro chi ghe mostrasse le lor letre e lor lenguagio chi era molto strannio da quel d’i Çuem sì che l’un no po intende l’altro ne per letra e per vuolgar anchor peço, e chusì mal intende lo Çue lo Calde e quel de Caldea quel de Iudea, chomo un Lain lo Greo e quel de Grecia quel de Lonbardia. Die Stelle aus dem Alten Testament wird also mit einem zeitgenössischen Beispiel verdeutlicht: Ein Jude versteht jemanden aus Chaldea genauso schlecht wie jemand aus Chaldea einen Juden, genauso wie ein „Lain“ einen Griechen und jemand aus Griechenland einen aus der Lombardei nicht versteht. Hier ist also Lain als Substantiv verwendet, genauso wie Çue ‘Jude’ und Calde ‘Chaldäer’, und Lain ist als quel de Lonbardia umschrieben. Die etymologische Herleitung von Lain aus lat. Latīnus ist über jeden Zweifel erhaben, aber die Inter­pretation, dass es lediglich ‘lombardisch’ heiße und somit eine Parallele zum alpinen ladin als Selbstbezeichnung der eigenen Sprache darstelle (so Belardi)30 ist genauso wenig richtig wie die simple Interpretation als ‘italiano’.31 Man muss vielmehr davon ausgehen, dass der Gegensatz zum Griechischen im Vordergrund steht: Es liegt eine generalisierende Wortverwendung vor, die die Sprache der von den Römern abstammenden Katholiken des westlichen Mittelmeers, eben das laín, der Sprache der Griechen des östlichen Mittelmeers, dem greo, entgegenstellt – natürlich meint hier lain konkret ‘lombardisch’, aber es umfasst theoretisch auch andere Varietäten wie weitere Erscheinungsformen des volgare Hans Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik, 1. Teil: Lautlehre § 686 (München 41968) 258. Kramer, Latinus und Romanus 95. 27 Johannes Kramer, Zur Bedeutung von altlombardisch lain < latĪnus, in: Romanistik in Geschichte und Gegenwart 3 (1997) 109–118. 28 Migne, PG 52, 459–480; lateinischer Text: Anne-Marie Malingrey, Une ancienne version latine du texte de Jean C ­ hrysostome «Quod nemo laeditur», Sacris erudiri 16 (1965) 320–354, die auch 1964 den griechischen Text neu ediert hat: dies., Jean Chrysostome: Lettre d’exil à Olympias et à tous les fidèles (Quod nemo laeditur) (Paris 1964). 29 Wendelin Foerster, Antica parafrasi lombarda del «Neminem laedi nisi a se ipso» di S. Giovanni Grisostomo, in: Archivio Glottologico Italiano 7 (1880) 1–120. 30 Walter Belardi, Storia sociolinguistica della lingua ladina (Roma/Corvara/Selva 1991) 15–21. 31 Carlo Salvioni, Annotazioni sistematiche alla «Antica Parafrasi Lombarda del Neminem laedi nisi a se ipso di S. Giovanni Grisostomo» e alle «Antiche scritture lombarde», in: Archivio Glottologico Italiano 12 (1890–1892) 375–440; 467 hier 411; auch REW Nr. 4927. 25 26

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Italiens, sogar weitere Ausprägungen wie etwa das Katalanische oder das Französische, so wie es für die Griechen normal war, die Bezeichnung Λατῖνοι synonym zu Φράγκοι und zu Ρωμαιοκαθολικός zu verwenden;32 die richtige Übersetzung wäre also vielleicht ‘Sprecher der Sprache des Westens’ oder ein bisschen anachronistisch ‘Romane’: mal intende un Lain lo Greo ‘ein Romane versteht einen Griechen nicht’. Kommen wir zur zweiten lautlichen Ausprägung von lat. Latīnus in den romanischen Sprachen, zur spanischen Form laδíno mit dem stimmhaften interdentalen Reibelaut. Man muss annehmen, dass eine begriffliche Auseinanderentwicklung zwischen ‘lateinisch’ und ‘spanisch’ erst mit dem Konzil von Burgos 1080 einsetzte.33 Zunächst konnte man offenbar ohne den geringsten Bedeutungsunterschied die gelehrte Form latino und die volkssprachige Form ladino (gesprochen laδíno) verwenden,34 und man benutzte diese Formen besonders, wenn es um das Aufeinandertreffen von Christen und Mohammedanern ging. Bekanntlich war ein latín arromanzado, eine lengua intermedia entre el latín gramatical y el romance familiar, im mittelalterlichen Spanien an der Tagesordnung,35 so dass das Nebeneinander von latino und ladino nicht erstaunlich ist. Als erstes Datum des Auftretens in spanischen Texten ist für beide Formen das 13. Jahrhundert anzusetzen, aber schon im um 1200 zu datierenden Cid (v. 2667) taucht un moro latinado auf, was mit ‘que conocía la lengua romance, que hablaba castellano’ wiedergegeben wird.36 Um eindeutig ‘Latein’ in Absetzung von ‘romanisch’ oder ‘spanisch’ sagen zu können, wurde um 1100 aus dem Französischen das Substantiv latín übernommen.37 Alonso Tostado (1400–1455) schreibt in seinem Werk Sobre Eusebio (1, 24), dass el latín sea lenguaje artificial e el vulgar sea más natural e menos limado.38 Klar ist auch eine Stelle aus dem ins 13. Jahrhundert zu datierende Libro de Aleixandre (v. 1522) Babilón «confusio» es en latín clamada.39 Freilich gilt dieses semantisch eindeutige Wort nur im Bereich der Substantive (beliebt ist en latín); das dazu gehörige Adjektiv blieb latino, was aus folgender Tostado-Stelle deutlich wird (Sobre Eusebio 1, 24): No porque sea más apuesto el lenguaje griego que el latino, ca por esta razón como más apuesto sea el latín que el hebraico. Die Bedeutungsunschärfe bei latino und ladino führte sogar dazu, dass latín, das ja eigens zur Erzielung einer größeren Eindeutigkeit aus dem Französischen entlehnt worden war, gelegentlich mit der Bedeutung ‘spanisch’ vorkommt: Alfons der Weise benennt honestad als latín (Partida 1, 5, c. 25),40 und Spanisch ist für ihn el nuestro latín (General Estoria 5, c. 14).41 Verwendet wurde latino/ladino in der Bedeutung ‘spanisch’ vor allem, wenn es galt, sich vom anders­ sprachigen Umfeld, konkret in erster Linie von den Arabern oder von den Griechen, abzusetzen. Alfons der Weise schreibt (General Estoria 30, c. 9): Fue esto enel primero mes del segundo anno que el pueblo de Israel salio de Egipto, e enel primero dia desse mes, a que llaman los griegos xantico e los ebreos nisan; e es este el mes aque nos los latinos dezimos mayo. Vom 16. Jahrhundert an hat sich der heutige Sprachgebrauch etabliert: Es gibt nur noch substantivisches el latín ‘das Lateinische’ und adjektivisches latino ‘lateinisch’, während für ‘spanisch’ zunächst einmal castellano den Sieg davongetragen hat. Jedenfalls ist ladino aus dem Repertoire der eigentlichen Sprachbezeichnungen verschwunden, auch weil die Mohammedaner als Gegner nicht mehr Teil des Alltags waren, und somit war ladino frei geworden für sekundäre Bedeutungen wie ‘klug, gewitzt’42, die sich im Laufe des 16. Jahrhunderts in den Vordergrund schoben.43 Am nächsten an der alten sprach­lichen Bedeutung ist noch der Ausdruck esclavo ladino ‘altgedienter Sklave’44, also ein Sklave, der schon einiger­maßen spanisch konnte. 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 32 33

Emmanuil Kriaras, Λεξικό της μεσαιωνικής Ελληνικής δημώδους γραμματείας 9 (Thessaloniki 1985) 116. Roger Wright, Latín tardío y romance temprano en España y la Francia Carolingia (Madrid 1989) 310. Kramer, Latinus und Romanus 121. Ramón Menéndez Pidal, Historia de la Lengua española (Madrid 2005) 322–323. Cantar de Mio Cid (ed., prólogo y notas de Alberto Montaner, Barcelona 2007) 163. Wright, Latin y romance 240. Alonso Tostado, Sobre Eusebio 1, 24 (Salamanca 1506–1507). Libro de Aleixandre (ed. Dana Arthur Nelson, Barcelona 1979). Alfonso el Sabio, Las siete Partidas (Madrid 1807). Alfonso el Sabio, General Estoria (ed. Antonio G. Solalinde, Madrid 1930). DLE 1353: astuto, sagaz, taimado. Joan Corominas/José A. Pascual, Diccionario crítico etimológico castellano e hispánico 3 (Madrid 1980) 554. DLE 958: el que llevaba más de un año de esclavitud.

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Am Übergang vom Alt- zum Neuspanischen, am Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts, war folglich der letzte Augenblick erreicht, wo ladino noch als Sprachbezeichnung fungieren ­konnte. Das war aber genau der Augenblick, wo das Spanische durch zwei verschiedene Auswanderungs­ prozesse in andere Teile der Welt getragen wurde, einmal ins Kolonialreich, das im Gefolge der Entdeckung der Neuen Welt im Jahre 1492 entstand, und einmal in die europäischen Exilländer, in die die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden ihre Sprache mitnahmen. In beiden Fällen haben Bedeutungen, die in Europa schon angelegt waren, sich aber nicht verfestigen konnten, zu semantischen Weiterentwicklungen Anlass gegeben. Die Juden wurden in einem Edikt vom 31. März 1492, das im soeben den Mauren entrissenen ­Granada ausgefertigt wurde, vor die Wahl gestellt, innerhalb von drei Monaten Spanien zu verlassen oder sich taufen zu lassen;45 genaue Zahlen gibt es nicht, aber mindestens 120.000 Juden gingen ins Exil, möglicherweise 600.000 ließen sich taufen.46 „Die Vertriebenen wurden in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Die Mehrzahl ging über Land nach Westen, in das benachbarte Portugal. Von dort aus gelangten sie später nach Frankreich sowie nach Amsterdam, London und Hamburg. Viele fanden Zuflucht im Süden, in den Sultanaten des nordafrikanischen Maghreb, in Städten wie Fes, Tetuan, Oran und Tunis. Einige reisten nach Italien, wo sie im Kirchenstaat und in den oberitalienischen Fürstentümern aufgenommen wurden; von Bedeutung wurde die sephardische Zuwanderung in den Hafenstädten Livorno, Ancona und Venedig sowie in Ferrara und Mantua. Zahlreich waren die Sepharden, die sich im osmanischen Osten niederließen, in Istanbul und Saloniki, im kleinasiatischen İzmir sowie in Damaskus, Kairo, ­Jerusalem und in dem kleinen Städtchen Safed (hebr. Tsephat, an der Nordgrenze des heutigen Israel)“.47 Im Judenspanischen hat laδíno seit dem 16. Jahrhundert die Bedeutung ‘feierliche Sprache der ­heiligen Texte’, und das ist eine Weiterentwicklung des Spanischen des 15. Jahrhunderts, wo ladino die eigene Sprache mit positivem Nebensinn bezeichnete, also ‘richtiges und gutes Spanisch’.48 Man muss vor allem darauf hinweisen, was laδíno n i c h t bedeutet: Es ist keine Bezeichnung für das Spanische der sephardischen Juden, das Judéo-Espagnol vernaculaire, Djudezmo oder Sephardisch genannt wird, sondern es bezeichnet einzig und allein die feierliche Sprache der Bibel und der Gebete, die das ­Hebräische ganz wörtlich übersetzt, jedes hebräische Wort immer mit demselben spanischen Wort wiedergibt und Eigenheiten der hebräischen Syntax exakt nachahmt. Diese Sprachform, die man ohne Hebräisch­kenntnisse kaum verstehen kann, ist gebunden an schriftlich festgelegte, meist, aber nicht immer mit hebräischen Buchstaben geschriebene Texte, die natürlich auch rezitiert werden, aber das laδíno, das Haïm Sephiha sehr schön mit ‘judéo-espagnol calque’ übersetzt hat,49 wird nicht gesprochen. Die Verwendung des Wortes Ladino zur Bezeichnung des Judenspanischen ganz allgemein, die man besonders in englischsprachigen Beiträgen findet, stimmt nicht mit den sprachlichen Befunden überein50 und wird von der Mehrzahl der Beobachter abgelehnt.51 Der Oberbegriff Judenspanisch, der alle Varianten des Spanischen, das die vertriebenen Juden aus Spanien exportiert haben, beinhaltet, umfasst zwei Erscheinungsformen, nämlich das nur für religiöse Texte verwendete Ladino mit starker Rückbindung an das Hebräische und die Alltagssprache Djudezmo, die auch für weltliche Texte verwendet wird.52 Das Ladino ist heute eine mehr oder weniger tote Sprache, denn seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheinen keine neuen Texte mehr, obwohl die alten immer wieder abgedruckt und zum Teil auch in lateinische Transkription gebracht werden. Kommen wir zur Verbreitung von ladino (Aussprache laδíno) in Mittel- und Südamerika! Das neue Diccionario de americanismos, das 2010 von der Asociación de Academias de la lengua española herausgegeben wurde und sozusagen „offiziösen“ Charakter hat, bietet für ladino, -a drei Einträge, die sich auf Menschen beziehen, und zwei weitere übertragene Anwendungen: Sabine Kowallik/Johannes Kramer, Romanojudaica (Gerbrunn 1993) 17. Georg Bossong, Die Sepharden: Geschichte und Kultur der spanischen Juden (Beck’sche Reihe 2438, München 2008) 57–58. 47 Bossong, Die Sepharden 57. 48 Kramer, Latinus und Romanus 126. 49 Haïm Vidal Sephiha, L’agonie des judeo-espagnols (Paris 31991) 15. 50 Kowallik/Kramer, Romanojudaica 39–40. 51 Bossong, Die Sepharden 90; Tracy K. Harris, Sociology of Judezmo (Amsterdam 1982); Joseph Nehama, Dictionnaire du Judéo-Espagnol (Madrid 1977) 321. 52 Kowallik/Kramer, Romanojudaica 40. 45 46

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„I. 1. m. México, Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Paraguay. Mestizo que habla español. 2. adj./sust. Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Paraguay. Referido a persona, ­mestiza. 3. adj. Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua. Relativo a mestizo. II. 1. adj. México. Referido a animal vacuno, bravo o salvaje. III. 1. adj. México. Referido a un sonido, que es muy agudo. pop.“.53 Diese Angaben geben relativ genaue geographische Zuweisungen, die freilich auf den Einschätzungen der jeweiligen nationalen Akademien beruhen: Das Wort ist demnach in Mexiko und den südlich anschließenden Staaten Guatemala, Honduras, El Salvador, Nikaragua zu Hause, es ist also anders gesagt ein kontinentales mittelamerikanisches Wort; Paraguay als Land mit besonders hohem Anteil an Sprechern indigener Sprachen tritt hinzu. Etwas großzügiger in der geographischen Zuweisung ist Maria Schwauß, die sich nicht auf Akademieangaben, sondern größtenteils auf eigene Sprachaufnahmen verlässt: „1. m. América Central, América del Sur Bewohner des spanisch-amerikanischen Sprachbereiches América Central, Argentina, Colombia, Ecuador, Perú spanischsprechender Indio América Central, México regional europäisch-indianischer Mischling Cuba zivilisierter, gut Spanisch sprechender Neger Argentina regional, Colombia Schwätzer 2. adj. in allen vorgenannten Bedeutungen (schwer übersetzbar) Argentina regional, Colombia schwatzhaft“.54 Die Bedeutungsangaben von Maria Schwauß und ihre geographischen Angaben ermöglichen eine etwas genauere Nachzeichnung der Geschichte von ladino in Südamerika. Die allgemeine und überall in Südamerika verbreitete Bedeutung meint ganz unspezifisch den Sprecher des Spanischen, ob Erst­sprache oder Zweitsprache, der in Amerika und in Europa geboren ist – eine Art Parallelausdruck zu criollo also. Daraus erklärt sich zwanglos die speziellere Bedeutung ‘Indio, der gut spanisch spricht’; auf Kuba, wo die einheimische Bevölkerung schnell durch afrikanische Sklaven ersetzt worden war, wird ladino auf die an europäische Lebensformen angepassten schwarzen Haussklaven übertragen, die natürlich spanisch sprechen müssen. In Quellen des 16. Jahrhunderts ist dann auch indio ladino oder negro ­ladino häufig, manchmal mit dem Zusatz muy ladino en lengua castellana oder muy ladino en el romance castellano.55 Gonzalo Fernández de Oviedo schreibt über einen Indio: El qual es christiano baptizado y sabe leer y escrivir y es muy ladino y habla bien la lengua castellana.56 Diese zivilisierten Haussklaven wurden oft freigelassen, und besonders die Frauen gingen oft eine Ehe mit Spaniern ein; die Bedeutung ‘Mestize’ erklärt sich so sehr leicht. Sekundärbedeutungen wie ‘schwatzhaft’ liegen auf der Hand. Eine Erklärung für die übertragene Bedeutung ‘schrill’ liefert Manuel Alvar: Los mestizos tendrían voz menos gruesa y ladino ‘tono agudo’ se opuso a ‘tono grave’.57 Die Grundzüge der Entwicklung von ladino in Amerika stellen sich also folgendermaßen dar:58 Das Wort ist zunächst mit der Bedeutung ‘gutes Spanisch’ in die Neue Welt gedrungen, wobei der Gegensatz zu einer andersartigen Sprache, in Spanien das Arabische, in Amerika die indigenen Idiome, mitgedacht wurde. Das semantische Feld ‘spanischsprechend’ wurde dann eingeengt auf ‘Fremder, der spanisch spricht’, also konkret ‘Eingeborener, der spanisch spricht’ oder ‘afrikanischer Sklave, der spanisch spricht’. Im heutigen amerikanischen Kontext steht die Bedeutung ‘mestizo que solo habla español’ bei weitem im Vordergrund.59

Diccionario de americanismos, ed. Asociación de Academias de la lengua española (Lima 2010) s.v. ladino. Maria Schwauß, Lateinamerikanisches Sprachgut I: Wörterbuch der regionalen Umgangssprache in Lateinamerika ­(Leipzig 1977) 403. 55 Peter Boyd-Bowman, Léxico hispanoamericano del siglo XVI (London 1971) 515. 56 Gonzalo Fernández de Oviedo, De la natural Hystoria de las Indias, 1 (Sevilla 1535, ND Chapel Hill 1969) 50. 57 Manuel Alvar, Hombre, etnia, estado (Madrid 1986) 31. 58 Kramer, Latinus und Romanus 127. 59 Diccionario de la lengua española de la Real Academia Española (Madrid 222001) 1341. 53 54

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Mit dem stimmhaften dentalen Verschlusslaut d tritt die auf Latīnus zurückgehende Sprachbezeichnung im zentralen Alpenraum auf, konkret im Engadin mit ladin (endbetont) und in den Dolomiten mit ladin (ausgesprochen ladíŋ). Die engadinischen Verhältnisse sind geradlinig verlaufen und ­vergleichsweise leicht darzustellen, die Geschichte des dolomitenladinischen Wortes ladin, das heute in allen Mundarten zur Bezeichnung der eigenen Sprachform verwendet wird, ist für das 19. Jahrhundert einigermaßen verwickelt und erfordert ein weiteres Ausholen. Beginnen wir mit dem Engadinischen! Dort gibt es ein hierarchisches System der Bezeichnung der eigenen Sprache und der verwandten bündnerromanischen Idiome, das folgendermaßen aussieht:60 r u m a (u) n t s c h tschilover surmiran ladin sursilvan sutsilvan vallader putér Die (ungefähren) deutschen Entsprechungen wären: untereng. rumantsch, obereng. rumauntsch ‘bünderromanisch’, tschilover ‘oberländisch’, surmiran ‘surmeirisch, oberhalbsteinisch’, ladin ‘­engadinisch’, sursilvan ‘surselvisch’, sutsilvan ‘sutselvisch’, vallader ‘unterengadinisch’, putér ‘oberengadinisch’. Mit dem Schema werden unterschiedliche Benennungen klar: Für jemanden aus dem oberengadinischen Sankt Moritz/San Murezzan ist seine Heimatsprache kleinräumig gedacht putér, großräumiger ladin und typologisch rumauntsch; für ihn ist die Sprache des unterengadinischen Schuls/Scuol immer noch ladin und rumauntsch, aber nicht mehr putér, sondern vallader, und für das surselvische Disentis/ Mustér würde rumauntsch weiter gelten, aber es ist eine tschilover-Variante, die genauer mit sursilvan zu bezeichnen ist, während die Mundart von Domleschg/Tumleastga als rumauntsch und tschilover zu bezeichnen ist, aber als sutsilvan und nicht als sursilvan zu gelten hat. Bei einer Sprache, die so genau differenziert, kam es nie zu einer Konfrontation zwischen ladin und latin: ladin ist vom Anfang der schriftlichen Überlieferung an das Engadinische61, latin ist das Latei­ nische62. Das Verbreitungsgebiet von ladin als Bezeichnung der eigenen Sprache ist sehr genau abzugrenzen: Es umfasst das Ober- und Unterengadin einschließlich des Münstertals und des am Ende des 19. Jahrhunderts eingedeutschten Samnauns. Die im sutselvischen Wörterbuch63 angeführte Form ladegn scheint keine Verankerung in der Volkssprache zu haben (im DRG fehlen Belege), die sporadischen Bezeugungen von surselvisch ladin beziehen sich ausschließlich auf das Engadin oder die Dolomiten und sind als moderne gelehrte Fachwörter einzustufen. Wenn die Engadiner ihre Sprache nicht mit den präzisen Ausdrücken vallader und putér (oder gar mit dem Namen ihres Heimatortes) benennen, sagen sie normalerweise eher ruma(u)ntsch als ladin, denn „ladin wird als eine neuzeitliche, schriftsprachlich-gelehrte Bezeichnung empfunden“.64 Schon am Anfang der literarischen Überlieferung schwankte die Bezeichnung: Jachiam Bifrun, der Übersetzer des Neuen Testaments ins Oberengadinische, sprach nur von Arumaunsch65 und hat auch im Titel gesagt, dass L’g Nuof Sainc Testamaint nunmehr mis in Arumaunsch três Iachiam Bifrun sei, aber Philipp Gallizius, der das Vorwort schrieb, sprach nur von las terras ladinas und ilg nos ladin66. Der Unterengadiner Durich Chiampel benutzt hingegen ladin recht gerne, spätere Autoren ebenso. Es ist wohl so, dass ladin einen vornehmeren Anstrich hatte als ruma(u)ntsch, aber es war durchaus in den frühen engadinischen Schriften noch ein lebendiges Wort, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es danach nur noch ein lexikalisches Fossil gewesen sei. Man hat auch beide Wörter nebeneinander gesetzt: Der Anfang eines Liedes von G. Barblan, das jeder Bündner kennt, lautet: Chara lingua della mamma, | tü sonor rumantsch ladin. Das zweite Gebiet im zentralen Alpenraum, in dem Nachfolgeformen von Latīnus noch in der ­romanischen Umgangssprache lebendig blieben, sind die Dolomiten. Heute ist ladin, das überall ladíŋ Johannes Kramer, Antike Sprachform und moderne Normsprache I: Rumänisch und Rätoromanisch, in: Balkan-Archiv 10 (1985) 9–117, hier 108. 61 DRG 10, 272–276. 62 DRG 10, 568–571. 63 Curo Mani, Pledari sutsilvan (Cuira 1977) 61. 64 DRG 10, 275. 65 Theodor Gartner, Das Neue Testament. Erste rätoromanische Übersetzung von Jakob Bifrun 1560 (Dresden 1913) 13. 66 Gartner, Neues Testament 3. 60

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ausgesprochen wird, die Bezeichnung für das einheimische Idiom in den vier vom Sella-Massiv ausgehenden Talschaften Gadertal = Valle della Gàdera (oder Abteital = Val Badìa) mit dem Seitental ­Enneberg = Marebbe, Gröden = Gardéna, Buchenstein = Livinallongo und Fassa. Auch für die Mundart von Cortina d’Ampezzo, das sprachtypologisch nicht zum Dolomitenladinischen = ladino atesino, ­sondern zum Cadorinischen gehört, wird der Terminus angewendet, zunehmend auch für das ganze Cadorinische sowie die Mundarten des Agordino und des Comèlico. Die Propagierung des Sprach­ namens ladin, deutsch ladinisch, italienisch ladino auf einen so ausgedehnten Raum ist freilich ein Resultat vor allem politischer und kultureller Bestrebungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des 20. Jahrhunderts, als zunächst das untergehende Habsburgerreich die Eigensprachlichkeit der alpinen Romanen gegen die Italiener ausspielte, dann nach 1918 von italienischer Seite die italianità dieser Gruppe forciert wurde, während österreichische und deutsche Beobachter die unitalienische Eigensprachlichkeit betonten. Nachdem sich 1945 bis 1948 alle Bemühungen um eine Abtrennung von Italien zerschlagen hatten, kam es im Zuge der nach 1968 in Italien einsetzenden Besinnung auf den Wert regionaler Sprach- und Kulturformen und auf die Vorzüge des Regionalismus zu einer positiven Wertung der eigenen Sprache und der damit verbundenen Prägungen. Das italienische Gesetz 482 vom 15. Dezember 1999 über den Schutz der sprachlichen Minderheiten (Norme in materia di tutela delle minoranze ­linguistiche), das in Artikel 2 das Ladinische nennt, hob den Schutz und die – auch finanzielle – Förderung des Ladinischen in den Verfassungsrang, und da das schutzwürdige Territorium nicht umschrieben ist, ist es klar, dass immer mehr lokale Mundarten vor allem der Provinz Belluno auf die Benennung ladino Anspruch erheben. Lokale politische und kulturelle Instanzen erhoffen sich – meist mit Recht – von der Berufung auf die Minderheitensituation ein größeres Gehör gegenüber zentralen Ansprüchen. Vor diesem Hintergrund ist ladino bzw. ladinisch zu einem Terminus der Politik geworden, in den natürlich die Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen, elektronische Kommunikationsmittel) einbezogen sind, und es ist unmöglich geworden, durch Sprachaufnahmen oder freie Befragungen festzustellen, wo ladíŋ ein einheimisches Erbwort, wo es eine von außen importierte Bezeichnung ist. Um diese Frage zu lösen, muss man vielmehr auf explizite Äußerungen aus der Zeit vor der Propagierung des Wortes zurückzugehen, also auf Zeugnisse, die den Zustand vor dem Jahre 1900 wiedergeben.67 Theodor Gartner (1843–1925), der Pionier der wissenschaftlichen Erforschung der alpinen ­Romanität und der Erfinder des Terminus rätoromanisch, ließ sich 1883 ganz klar über die Verbreitung des Sprachnamens aus: „Aus dem Munde Ungebildeter habe ich nur in einem kleinen, von ungefähr 1900 Ein­ wohnern besetzten Bereiche, nämlich in q4, q5 und q6, ladíŋ als Sprachnamen gehört.“68 Die Siglen q4, q5, q6 bedeuten Wengen = La Valle, Kompill = Longiarü-Campill und St. Martin = S. Martino im Abteital, drei Dörfer im Unterland des Abteitals. Noch etwas deutlicher drückt Theodor Gartner sich an einer etwas versteckten Stelle, in seiner Rezension zu Alton 1879, aus: „Das Nomen ladíŋ wird nicht überall von den Ungelehrten verstanden: so nicht in Abtei, nicht in der Pfarre, nicht in Wälschellen, auch nicht in Kolfuschk; hingegen nannte ein Hirtenknabe in Wengen sein Idiom ladíŋ, badiǫt sprächen die in badía (Abtei), und ebenso unterschied ein erst neunjähriges Kind in St. Martin zwischen ladíŋ und badiǫt.“69 Johann Baptist Alton (1845–1900) ist der erste Einheimische, der eine solide philologische Ausbildung an der Universität Innsbruck genossen hat. Er erfand den Namen und die Landschaft Ladinien,70 über den Theodor Gartner spottete:71 „«Ladinien» ist im ganzen Gaderthale terra incognita“. Ladinien ist für Alton primär das Gadertal, das er in Oberladinien (Kolfuschg, Corvara, Pescosta), Mittelladinien (St. Kassian, Abtei, Stern, Wengen, St. Martin, Longiarü, Campill, Untermoi, Welschellen) und Unterladinien (St. Vigil und Enneberg) einteilt.72 Für dieses Ladinien bilden, wie Alton geschickt ausdrückt, „Buchenstein, Fassa und Gröden die Südgränze“;73 die Einbeziehung dieser Täler in sein Ladinien-Konstrukt rechtfertigt er folgendermaßen: „Die Grödner, Buchensteiner, Fassaner und Ampezzaner rechnet Kramer, Latinus und Romanus 110. Theodor Gartner, Raetoromanische Grammatik (Heilbronn 1883) XX. 69 Theodor Gartner, Rezension zu Alton 1879, in: Romanische Studien 4 (1879/1880) 638–648, hier 639. 70 Johann Alton, Die ladinischen Idiome in Ladinien, Gröden, Fassa, Buchenstein, Ampezzo (Innsbruck 1879) 1. 71 Gartner, Rez. Alton 639. 72 Alton, Ladinische Idiome 4. 73 Alton, Ladinische Idiome 1. 67 68

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der Ladiner nicht zu den Ladins, wiewol auch sie mit Rücksicht auf die grosse Verwandtschaft ihrer Dialekte mit dem Ladinischen auf diesen Namen Anspruch machen könnten“.74 Aus dieser Äußerung ist klar, dass die Bezeichnung ladinisch bzw. ladíŋ nur im Gadertal eine volkssprachliche Verwurzelung hat, wobei Alton wahrscheinlich die Sprachangabe, die er in seinem „Mittelladinien“ gehört hat, zum Zwecke „der angestrebten Unificierung «Ladiniens»“75, auf das ganze Gadertal ausgedehnt hat. Dass die Ausführungen Gartners berechtigt sind, zeigt auch die kurz nach dem Anschluss Südtirols an Italien erhobene Angabe von Heinrich Kuen, nach der die „Unterbadioten [...] sich selbst ladíŋs ­nennen“, während die „Oberbadioten oft einfach als (kiž) badiǫtχ bezeichnet“ werden.76 Diese tradi­ tionelle Einteilung liegt auch der Angabe von Antone Pizzinini (1868–1944) zu Grunde, der unter dem Eintrag ladịn sagt: „bezeichnet eigentlich den Dialekt im Unterland gegenüber maró (ennebergisch) und badiòt (abteiisch)“.77 Die Intellektuellen Tirols suchten im frühen 19. Jahrhundert nach einer vornehmeren Bezeichnung für das Krautwelsch, wie die Mundarten der Bewohner der Dolomitentäler in der deutschen Umgangssprache bezeichnet wurden,78 und auch das verdorbene Italienisch79 passte gar nicht. Da kam ladinisch, das man aus den Schweizer Schriften über das Engadinische kennenlernte, gerade recht, und man verband es zunächst mit dem ladíŋ des Gadertals. Johann Jakob Staffler (1783–1868) schreibt, dass die eigen­thümliche Sprache des Thales [...] von den Ennebergern selbst Ladin genannt werde.80 Die Bezeichnung ladinisch wurde dann aber bald auch auf andere Mundarten um die Dolomiten angewandt: Ludwig Steub (1812–1888) sagt vom Ennebergerthal und von Buchenstein: Es spricht ladinisch,81 und er spricht von der ladinischen Mundart der Grödner82. Der erste, „der die Bezeichnung ladinisch einführt und sie auf die bündnerromanischen und zentralladinischen Mundarten bezieht“83, scheint Joseph Theodor Haller gewesen zu sein, der damit einen varietätenübergreifenden Sprachnamen geschaffen hat: Die „ladinischen Mundarten in Enneberg und Gröden in Tirol, dann im Engadin“ bieten nach seiner Ansicht „eine solche Gleichheit und Ähnlichkeit auf der einen, und eine solche gleichartige Verschiedenheit von der zunächst verwandten italienischen Sprache auf der anderen Seite dar“, dass sie als eine eigene Sprachform zu klassifizieren sind.84 Seit 1832 war also sozusagen der Name ladinische Mundart für die sprachlichen Varietäten Grödens und des Gadertals, was damals unter Enneberg verstanden wurde, als Parallele zum Ladinischen des Engadins aktenkundig, und man konnte den Sprachnamen ladinisch auch auf das Buchensteinische und das Fassanische anwenden. Damit war aber eine Steilvorlage für den aus St. Kassian im obersten Gadertal gebürtigen ­Priester, Lehrer am Mailänder Militärknabenerziehungsinstitut und späteren Innsbrucker Italienischlektor ­Nikolaus Bacher (1789–1847) geschaffen, der den Abteyer Dialekt mit besonderer Rücksicht auf den Enneberger beschrieb,85 aber dabei auch für Gröden, Buchenstein, Fassa und zum Theil auch Ampezzo86 eine Richtschnur bieten wollte: Das handschriftlich erhaltene und erst 1995 edierte Werk trägt den Titel Versuch einer Deütsch-Ladinischen Sprachlehre, und unter ladinischer Sprache versteht er die vier Sella-Dialekte und bis zu einem gewissen Grade das Ampezzanische. Nicht etwa die in loco anzutreffende Sprachbezeichnung ladíŋ – die es ja in Bachers Geburtsort St. Kassian nicht gibt – war der Aus 76 77 74 75

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Alton, Ladinische Idiome 4. Gartner, Rez. Alton 639. Heinrich Kuen, Romanistische Aufsätze (Nürnberg 1970) 29. Antone Pizzinini, Parores ladines. Vokabulare badiot-tudësk, ergänzt und überarbeitet von Guntram Plangg (Innsbruck 1966) 83. Ludwig Steub, Zur rhätischen Ethnologie (Stuttgart 1854) 38. Joseph Freiherr von Hormayr, Geschichte der gefürsteten Grafschaft Tirol, (Tübingen 1806) 138. Johann Jakob Staffler, Tirol und Vorarlberg statistisch und topographisch mit geschichtlichen Bemerkungen, II. Theil, II. Band (Innsbruck 1844) 273. Steub, Rhät. Ethnologie 138. Steub, Rhät. Ethnologie 129. Alexi Decurtins, Rätoromanisch (Chur 1993) 57. Joseph Theodor Haller, Versuch einer Parallele der ladinischen Mundarten in Enneberg und Gröden in Tirol, dann im ­Engadin, und der romaunschischen in Graubünden, in: Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg 7 (1832) 93–165, hier 161–162. Nikolaus Bacher, Versuch einer Deütsch-Ladinischen Sprachlehre, ed. und mit Anmerkungen versehen von Lois C ­ raffonara, in: Ladinia 19 (1995) 1–304, hier 29. Bacher, Deütsch-Ladinische Sprachlehre 23.

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gangspunkt für Bachers Ausdehnung des Geltungsbereiches des Namens für alle um das Sella-Massiv gesprochenen Mundarten, sondern es war die Übernahme der Bezeichnung ladinische Mundarten aus dem brandaktuellen wissenschaftlichen Werk von Haller, das von Bacher zitiert wird.87 Man kann sicherlich nicht mit Lois Craffonara88 aus Bachers Konstrukt eines die Dialekte ­Grödens, Buchensteins und Fassas überdachenden Gesamtladinischen gadertalischer Prägung schließen, dass am Anfang des 19. Jahrhunderts ladin in Gröden und im Gadertal eine volkssprachlich verwurzelte Bezeichnung der eigenen Sprache war (Haller), dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Einengung auf das Gadertal erfolgt sei (Alton) und dass schließlich nur noch die Bewohner des mittleren Gadertals die Sprachbezeichnung behalten hätten (Gartner). Diese zeitliche Schichtung funktioniert schon deshalb nicht, weil Haller mit seiner Beschränkung auf Gröden und das Gadertal ein Jahr vor der Abfassung von Bachers Manuskript erschienen ist und weil Altons Werk gleichzeitig mit Gartners Arbeiten erschien. „Der von Craffonara angenommene Vorgang einer Beschränkung eines umfassenden Sprachnamens mit talschaftsübergreifendem Geltungsbereich auf den Gebrauch in einem eng umgrenzten 2000-Seelen-Gebiet im mittleren Abteital innerhalb von etwa 50 Jahren ist bei allem, was wir von der Langsamkeit semantischer Entwicklungen ohne größere Anstöße von außen wissen, ganz und gar ausgeschlossen; hingegen ist die Übertragung einer auf eine kleine Zone beschränkten Sprachbezeichnung auf alle ähnlichen Idiome durch Wissenschaftler, die diese Idiome zu einer Gruppe zusammen­ fassen wollen, ganz normal“.89 Unter den Intellektuellen hatte jedenfalls die Idee von der Zusammenfassung der Mund­ arten ­Graubündens und des Dolomitenraumes mit zögernder Einbeziehung des Friaulischen um die ­Mitte des 19. Jahrhunderts Konjunktur, und die Bezeichnung ladinisch für die Mundarten rund um das ­Sella-Massiv hatte sich weitgehend durchgesetzt. Der Tiroler Landesschulinspektor Christian Schneller (1831–1908) erntete sozusagen eine reife Frucht, als er in seiner Abhandlung über die romanischen Volksmundarten in Südtirol die Mundarten von Fassa, Gröden, Buchenstein, Enneberg, Abtei (Badia) und ­Ampezzo zu ­einer „ladinischen Gruppe“90 zusammenfasste und dann „einen eigenen friaulischladinisch-­churwälschen Kreis als selbständiges, wenn auch nie zu einer eigenen Schriftsprache gelangtes, ja nicht einmal vom Bewusstsein eines innern Zusammenhanges charakterisiertes Hauptgebiet der romanischen Sprachen“91 postulierte. Man findet bei Schneller 1870, „drei Jahre vor der Veröffent­lichung von G. I.  Ascolis Saggi ladini und dreizehn Jahre vor Th. Gartners Raetoromanischer ­Grammatik“,92 die Idee einer eigenen alpinen romanischen Sprache ausformuliert – es fehlte lediglich ein griffiger Name, denn ein ­friaulisch-ladinisch-churwälscher Kreis ist natürlich als Bezeichnung einer romanischen Sprache ziemlich ungeeignet! Graziadio Isaia Ascoli, der eigentliche Begründer der historisch-vergleichenden Romanistik in ­Italien, bediente sich dann der Bezeichnung ladino, um einen wissenschaftlichen Terminus zu schaffen. Man darf nicht vergessen, dass Ascoli überhaupt gerne neue Namen erfand: Für seine eigene Wissenschaft ersann er die Bezeichnung glottologia, lange Zeit das in Italien übliche Wort statt linguistica; für die Ostadriaküste, die offiziell Litorale Austriaco hieß, erfand er den Namen Venezia Giulia; und die Benennung franco-provenzale ist bis heute in der internationalen Romanistik üblich. Ascoli beginnt seine Saggi ladina mit dem programmatischen Satz: „Comprendo sotto la denominazione generica di favella ladina, o dialetti ladini, quella serie d’idiomi romanzi, stretti fra di loro per vincoli di affinità peculiare, la quale, seguendo la cura delle Alpi, va dalle sorgenti del Reno-anteriore in sino al mare Adriatico; e chiamo zona ladina il territorio da questi idiomi occupato“.93 Weiter sagt er nichts zu seiner Wahl von ladino; für das Gadertal, dessen Bewohner „si sogliono riputare i ladini per eccellenza“, glaubt er, dass diese „specie di usurpazione“ von den „dotti“ ausgehe.94 Bacher, Deütsch-Ladinische Sprachlehre 25, 29. Lois Craffonara, Zur Stellung des Sellamundarten im romanischen Sprachraum, in: Ladinia 1 (1977) 73–120, hier 74. 89 Etymologisches Wörterbuch des Dolomitenladinischen, zusammengest. von Johannes Kramer, 4 (Hamburg 1988–1998) 158. 90 Christian Schneller, Die romanischen Volksmundarten in Südtirol (Gera 1870) 8. 91 Schneller, Romanische Volksmundarten 9. 92 Johannes Kramer, Christian Schneller (1831–1908) und das Dolomitenladinische, in: Der Schlern 48 (1974) 639–643, hier 640. 93 Graziadio Isaia Ascoli, Saggi ladini, in: Archivio Glottologico Italiano 1 (1873) 1–556, hier 1. 94 Ascoli, Saggi ladini 33. 87 88

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Johannes Kramer

Mit Ascolis Wortprägung ladino als übergeordnetem Begriff für Bündnerromanisch, Dolomiten­ ladinisch und Friaulisch verlassen wir aber den Bereich der Volkssprachlichkeit und treten in die Sphäre der wissenschaftlichen Terminologie ein. Im Italienischen hat sich der Terminus bis heute gehalten, in den anderen Sprachen hingegen hat sich Theodor Gartners Neuprägung raetoromanisch95 durchgesetzt. Die in Einzelheiten durchaus verworrene Geschichte dieser Terminologie muss hier nicht nachgezeichnet werden, aber es ist klar, dass zumindest im Italienischen zwischen ladino in senso largo und ladino dolomitico bzw. ladino centrale (im Gegensatz zu den freilich selten gebrauchten Benennungen l­adino occidentale ‘bündnerromanisch’ und ladino orientale ‘friaulisch’) unterschieden werden muss. Im Deutschen liegt eine Verwechslungsgefahr darin, dass im Sprachgebrauch der Schweiz rätoromanisch normalerweise nur das Bündnerromanische erfasst, dass aber der Sinn Bünderromanisch + Dolomitenladinisch + Friaulisch auch mit diesem Ausdruck abgedeckt werden kann. Wie man weiß, ist das Konzept der lingua ladina bzw. der rätoromanischen Sprache etwa vierzig Jahre nach dem Erscheinen der Saggi ladini eine heftige innerromanistische Diskussion, ausgelöst von Carlo Battisti und angefacht durch Carlo Salvioni,96 unter dem Namen questione ladina entbrannt, in der sich (anfänglich meist deutschsprachige) Verfechter der unità ladina und (anfänglich meist italienische) Leugner dieser unità (die nationalen Gegensätze der Diskutanten verschwanden im Laufe der Zeit) gegenüberstanden.97 Die Diskussion ist heute noch keineswegs beendet (immerhin beachtlich bei einem Abstand von 140 Jahren zur Publikation der Saggi ladini), aber sie steht längst nicht mehr im Vordergrund der wissenschaftlichen Bemühungen, und heute herrscht zumindest tacite der Lösungsweg des Lessico Etimologico Italiano vor, dass das Dolomitenladinische in den Kreis der italoromanischen Mundarten einbezogen wird, während Bündnerromanisch und Friaulisch als romanische Idiome sui generis betrachtet werden. Zusammenfassend kann man also sagen, dass Bezeichnungen für die eigene Sprache, die auf Latīnus zurückgehen, in der Romania an den Rand gedrängt sind: Das Buchwort it. latino, frz. latín, provenz. lati, kat. llatí usw. kann auf eine romanische Sprache nur angewendet werden, wenn der Gegensatz zu einer anderen Sprache, also griechisch oder arabisch, hervorgehoben wird, und auch diese Verwendung endet mit dem Mittelalter, ebenso wie die literarische Anwendung auf den Gesang der Vögel. Das Erbwort, das in den westromanischen Sprachen an der Weiterentwicklung des –t– zu –d– und dann zu –δ– und ø formal erkennbar ist, liegt im Altlombardischen vor, wo von einem Laín gesagt wird, dass er einen Griechen nicht verstehen kann. Mit dem spanischen laδíno, das zunächst parallel zum Buchwort latino gebraucht wird, kann im Mittelalter die eigene Sprache bezeichnet werden, vor allem wenn es um den Gegensatz zu den Arabern oder Griechen geht; um 1100 wird aus Frankreich das Substantiv latín entlehnt, das eindeutig ‘das Lateinische’ meint, und für ‘Spanisch’ dringt am Ende des Mittel­ alters castellano vor. In Spanien selbst überlebt laδíno nur noch in der übertragenen Bedeutung ‘klug’, aber im Spanischen, das nach 1492 in die Welt vordringt, überlebt die sprachbezogene Bedeutung: Im Judenspanischen bezieht sich das Wort auf die feierliche Sprache der heiligen Texte, nicht aber auf die Alltagssprache, und in Amerika ist ladino zunächst allgemein auf den Indio bezogen, der gut spanisch spricht, dann aber primär auf den Fremden, ob Indio oder Afrikaner, der gut spanisch spricht, schließlich auf den spanischsprechenden Mestizen. Im Alpenraum, wo ja seit langer Zeit der Gegensatz zwischen Deutschsprachigen und Romanen den Alltag bestimmt, gibt es zwei Regionen, wo ladin die eigene Sprache bezeichnet, erstens das Engadin und zweitens einige Dörfer im mittleren Teil des vom SellaMassiv nach Norden abgehenden Gadertals. Die gelehrten Bemühungen des 19. Jahrhunderts haben die Benennung ladinisch auf alle romanischen Mundarten um das Sella-Massiv übertragen, und der italieni­ sche Sprachwissenschaftler Graziadio Isaia Ascoli hat 1873 den Namen ladino auf alle Mundarten, die Theodor Gartner später rätoromanisch nennen wird, ausgedehnt; die Sella-Dialekte muss man zur Vermeidung von Verwechslungen dolomitenladinisch nennen.

Gartner, Raetoromanische Grammatik XXI. Carlo Battisti, Lingua e dialetti nel Trentino, in: Pro Cultura 1 (1910) 178–205, hier 203–204; Carlo Salvioni, Ladinia e Italia, in: Rendiconti del Reale Istituto Lombardo di Scienze e Lettere II, 50 (1917) 41–78. 97 Carlo Battisti, Storia della “questione ladina” (Firenze 1937). 95 96

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Abbildungsverzeichnis Beitrag Herwig Wolfram Abb. 1: Der „Walchenstein“ im St. Georger Pfarrmuseum (© Oberösterreichisches Landesmuseum, Max Eiersebner).

Beitrag Wolfgang Haubrichs Abb. 1: Fundorte spätantik-frühmittelalterlicher Grabinschriften im Rheinland. Kartographie: R. Zimmermann (2010), nach: Winfried Schmitz, Zur Akkulturation von Romanen und Germanen im Rheinland. Eine Auswertung des inschriftlichen Materials, in: Das Altertum 43 (1997) 177–202, hier 164 Abb. 4. Abb. 2: Verbreitungskarte der aus römischer Zeit erhaltenen Siedlungsnamen in den Niederlanden. Aus: Wolfgang Haubrichs, Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen im Nordosten der Gallia. Die ‚Germania submersa‘ als Quelle der Sprach- und Siedlungsgeschichte, in: Die Franken und die Alemannen bis zur ‚Schlacht bei Zülpich‘ (496/97), ed. Dieter Geuenich (Berlin/New York 1998) 102–129, hier 107 Karte 1; graphische Gestaltung: I. Bell (1998), nach: Maurits ­Gysseling, Germanisering en taalgrens. In: Algemene Geschiedenis der Nederlanden, 1 (Haarlem 1981) 100–115. Abb. 3: Arealdistribution romanischer Reliktwörter. Nach: Rudolf Post, Romanische Entlehnungen in den westmittel­deutschen Mundarten (Wiesbaden 1982) 303 Karte 57. Abb. 4: Siedlungs- und Gewässernamen nichtgermanischer Prägung im Saar-Raum. Aus: Monika Buchmüller/Wolfgang ­Haubrichs/Rolf Spang, Namenkontinuität im frühen Mittelalter. Die nichtgermanischen Siedlungs- und Gewässernamen des Landes an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 34/35 (1986/87) 24–163; Entwurf: Wolfgang Haubrichs. Abb. 5: Vorgerm. [t] im Raum zwischen Rhein und Mosel. Aus: Wolfgang Haubrichs, L’espace physique, l’histoire, la langue. L’élaboration des zones de contact et des frontières linguistiques entre Romania et Germania, entre la Suisse et le Luxembourg, in: Construction de l’espace au Moyen Âge: pratiques et représentations (Paris 2007) 167–191, hier 184 carte 6; Entwurf: Wolfgang Haubrichs und R. Puhl. Abb. 6: Erhaltenes [k] in -iacum-Namen des Mosellandes. Aus: Monika Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen zwischen Spät­ antike und frühem Mittelalter. Die -(i)acum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima (Tübingen 1990) 663 Abb. 4/6. Abb. 7: Romanische Endbetonung in Orts- und Flurnamen der Mosella Romana. Aus: Wolfgang Kleiber, Das moselromanische Substrat im Lichte der ­Toponymie und Dialektologie. Ein Bericht über neuere Forschungen, in: Zwischen den Sprachen. Siedlungs- und Flurnamen in g­ ermanisch-romanischen Grenzgebieten, ed. Wolfgang Haubrichs/Hans Ramge (Saarbrücken 1983) 153–192, hier 176 Nr. 8.

Beitrag Peter Wiesinger, Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum Karte 1: Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft in Österreich. Aus: Peter Wiesinger, Die Ortsnamen in Österreich, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik / Name Studies. An International Handbook of Onomastics / Les noms propres. Manuel international d’onomastique 2, ed. Ernst Eichler/Gerold Hilty/Heinrich Löffler/Hugo Steger/ Ladislav Zgusta (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11, Berlin/New York 1996) 1081–1089, hier Karte 167.1 nach 1084. Karte 2: Siedlungsnamen slawischer Herkunft in Österreich. Aus: Peter Wiesinger, Die Ortsnamen in Österreich, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik / Name Studies. An International Handbook of Onomastics / Les noms propres. Manuel international d’onomastique 2, ed. Ernst Eichler/Gerold Hilty/Heinrich Löffler/Hugo Steger/­ Ladislav Zgusta (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11, Berlin/New York 1996) 1081–1089, hier ­Karte 167.2 nach 1084. Karte 3: Siedlungsnamen auf -heim in Österreich. Aus: Peter Wiesinger, Die Ortsnamen in Österreich, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik / Name Studies. An International Handbook of Onomastics / Les noms ­propres. Manuel international d’onomastique 2, ed. Ernst Eichler/Gerold Hilty/Heinrich Löffler/Hugo Steger/Ladislav Zgusta (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11, Berlin/New York 1996) 1081–1089, hier Karte 167.4 nach 1084. Karte 4: Antik-romanische Siedlungs- und Gewässernamen mit Tenuesverschiebung. Entwurf: Peter Wiesinger. Karte 5: Antik-romanische Siedlungs- und Gewässernamen ohne Tenuesverschiebung. Entwurf: Peter Wiesinger.

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Abbildungsverzeichnis

Karte 6: „Walchen“-Siedlungsnamen im östlichen Alpenvorland, Salzburger Raum und in Nordtirol. Aus: Christa Jochum-­ Godglück, Walchensiedlungsnamen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1, St. Ottilien 2012) 197–217, hier 199 Abb. 1; Entwurf: Christa Jochum-Godglück, Kartographie: Raimund Zimmermann (2011). Karte 7: Vorrömische Entlehnungen nichtindogerm. Ursprungs im Südbairischen Tirols: Gande, Lamer ‚Schutthalde‘. Entwurf: Peter Wiesinger, nach: Elmar Schneider, Romanische Entlehnungen in den Mundarten Tirols, in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen 3, ed. Ludwig Erich Schmitt (Gießen 1963) 443–679, hier 651 Karte 1. Karte 8: Vorrömische Entlehnungen nichtindogerm. Ursprungs im Südbairischen Tirols: Prente ‚Talnebel‘. Entwurf: Peter Wiesinger, nach: Elmar Schneider, Romanische Entlehnungen in den Mundarten Tirols, in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen 3, ed. Ludwig Erich Schmitt (Gießen 1963) 443–679, hier 651 Karte 2. Karte 9: Rätorom. Entlehnungen im Südbairischen Tirols: Teine ‚bewässerte Wiese‘. Entwurf: Peter Wiesinger, nach: Elmar Schneider, Romanische Entlehnungen in den Mundarten Tirols, in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen 3, ed. Ludwig Erich Schmitt (Gießen 1963) 443–679, hier 662 Karte 23.

Beitrag Peter Wiesinger, Das Rottachgau-Fragment im Licht der Ortsnamenkunde Karte 1: Die -brunn-Orte im ehem. Rottachgau. Entwurf: Peter Wiesinger. Karte 2: Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft im ehem. Rottachgau. Entwurf: Peter Wiesinger.

Beitrag Thomas F. Schneider/Max Pfister Abb. 1: Die ‚Romanus‘-Namen in der Schweiz und Süddeutschland. Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel. Abb. 2: Die ‚Walchen‘-Namen in der Schweiz und dem angrenzenden alemannischen Gebiet zwischen Oberrhein, Bodensee und Alpenrhein. Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel. Abb. 3: Synoptische Darstellung der vor der Jahrtausendwende belegten ‚Romanus‘- und ‚Walchen‘-Namen und dem angrenzenden alemannischen Gebiet zwischen Oberrhein, Bodensee und Alpenrhein. Kartengrundlage: Reliefkarte Swisstopo; Kartengestaltung: Hannes Degen, Basel.

Beitrag Mihailo St. Popović Abb. 1: Die territoriale Einteilung des Projektes Tabula Imperii Byzantini (TIB) (© Mihailo St. Popović). Abb. 2: Die Verteilung der Winterweiden in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović). Abb. 3: Die Verteilung der Sommerweiden in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović). Abb. 4: Die Verteilung der Katune in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović). Abb. 5: Die vlachische Präsenz in der historischen Landschaft Mazedonien (© Mihailo St. Popović).

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Abkürzungsverzeichnis ANB BM2 BUB

DLE DLR Dph DRG Du Cange EPNS Erg. Bd. EWF ID FEW LMA LSG MGH   AA  DD   D. Kar. I.   D. KdD   D. LdK   D. Lo. I.   D. Rudolf III.  EE  LL   LL nat. Germ.  SS   SS rer. Germ. N.S.   SS rer. Germ. in us. schol.   SS rer. Langob.   SS rer. Merov.

Altdeutsches Namenbuch. Die Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den ­Anfängen bis 1200, 1–2, ed. Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika, bearb. von Isolde Hausner/Elisabeth Schuster (Wien 1999–2014). Johann F. Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918 (926/962) 1.1, ed. Engelbert Mühlbacher/Johann Lechner (Köln 21908). Bündner Urkundenbuch, 1: 390–1199, ed. Elisabeth Meyer-Marthaler/Franz Perret (Chur 1955); 2 (neu): 1200–1272, ed. Otto P. Clavadetscher (Chur 2004); 3 (neu): 1273–1303, ed. Otto P. ­Clavadetscher/Lothar Deplazes (Chur 1997); 4: 1304–1327, ed. Otto P. Clavadetscher/ Lothar ­Deplazes (Chur 2001); 5: 1328–1349, ed. Otto P. Clavadetscher/Lothar Deplazes/­ Immacolata Saulle Hippenmeyer (Chur 2005). Diccionario de la lengua española, ed. Real Academia Española (Barcelona 222001). Dicţionarul Limbii Române, 1–37 (Bucureşti 1965–2010). Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften Dicziunari Rumantsch Grischun 10: IR–LAZ, ed. Chasper Pult (Cuoira 1998–2000). Charles du Fresne Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, 1–10 (Niort 1883– 1887, ND Graz 1954). English Place-Name Society Ergänzungsband Ernst Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache (Sammlung ­romanischer Elementar- und Handbücher, 3. Reihe, Wörterbücher 5, Heidelberg 21969). Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, 1–17, beg. von Friedrich Staub und Ludwig Tobler, fortges. von Albert Bachmann/Otto Gröger/Hans ­Wanner/ Peter Dalcher/Peter Ott/Hans-Peter Schifferle (Frauenfeld 1881–2015). Französisches etymologisches Wörterbuch. Eine Darstellung des galloromanischen Sprachschatzes, 1–25 ed. Walther von Wartburg/Margaretha Hoffert/Jean-Pierre Chambon/Jean-Paul Chauveau (Bonn/Paris/Basel 1928–2003). Lexikon des Mittelalters, 1–9 (München/Zürich 1980–1998; Stuttgart/Weimar 1999). Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen. Dictionnaire toponymique des communes suisses. Dizionario toponomastico dei comuni svizzeri, ed. Centre de Dialectologie an der Universität Neuchâtel unter der Leitung von Andres Kristol (Frauenfeld/Lausanne 2005). Monumenta Germaniae Historica Auctores antiquissimi Diplomata Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen (ed. Engelbert Mühlbacher, MGH DD Karolinorum 1, Hannover 1906, ND 1991). Die Urkunden Karls III. (ed. Paul Kehr, MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2, Berlin 1936–1937, ND 1984). Die Urkunden Zwentibolds und Ludwigs des Kindes (ed. Theodor Schieffer, MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 4, Berlin 1960). Die Urkunden Lothars I. und Lothars II. (ed. Theodor Schieffer, MGH DD Karolinorum 3, Berlin/Zürich 1966, ND 1995). Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger (ed. Theodor Schiffer/Hans Eberhard Mayer, MGH DD regum Burgundiae e stirpe Rudolfina diplomata et acta, München 1977, ND 1983). Epistolae Leges Leges nationum Germanicarum Scriptores Scriptores rerum Germanicarum N.S. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX (ed. Georg Waitz, Hannover 1878, ND 1988). Scriptores rerum Merovingicarum

236 Migne, PG

Abkürzungsverzeichnis

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237

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Ortsnamenregister

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Ortsnamenregister Aachen (Nordrhein-Westfalen, D) 73, 80, 82 Absam (Tirol, A) 105 Abteital siehe Gadertal Ahrntal (Südtirol, I) 104 Aiginion siehe Lympanoba Albanien 183, 185 Alemannien 32, 44, 46, 156, 158, 160–162 Amsterdam (NL) 226 Andernach am Rhein (Rheinland-Pfalz, D) 64, 65, 67, 73 Anō Grammatikon (vlachisches Dorf, Westmakedonien, GR) 195 Ansfelden (bei Linz, Oberösterreich, A) 107 Aquileia (Friaul, I) 49, 51, 52, 180, 181 Arbon am Bodensee (Thurgau, CH) 129, 162 Argentina, romanisches Exonym für Straßburg (Bas-Rhin, F) 206, 227 Armenochōrion (Westmakedonien, GR) 194 Assling (Osttirol, A) 115 Athōs (Halbinsel und Berg, GR) 186, 189, 191 Attersee (bei Vöcklabruck, Oberösterreich, A) 36, 42, 106, 107 Augsburg (Schwaben, D) 44, 45, 48, 51, 153 Bad Vigaun siehe Vigaun Basel (CH) 151 Batopedi siehe Vatopedi Baumkirchen (bei Innsbruck, Tirol, A) 103, 105 Benevent (Kampanien, I) 28 Bergheim bei Salzburg (Salzburg, A) 29, 41, 105 Bern (CH) 128, 132 Bernicia siehe Nordhumbrien Bernkastel an der Mosel (Rheinland-Pfalz, D) 78, 80 Bessarabien (Landschaft zwischen Pruth, Dnjestr u. Donau) 210, 213, 216 Bingen am Rhein (Rheinland-Pfalz, D) 64, 66, 73, 74 Birkby (Gem. Crosscanonby, GB) 169 Birkby (Gem. Muncaster, GB) 169 Birkby (North Riding of Yorkshire, GB) 169 Birkby Hill (West Yorkshire, GB) 169 Bischofshofen (Salzburg, A) 34, 51, 54, 55 Blǫkumannaland (bei Snorri Sturlusson) 14, 200 Bobbio (Kloster im Trebbia-Tal, Piacenza, I) 54 Bodēna/Edessa (Zentralmakedonien, GR) 190 Bodendorf (Stadt Sinzig, Rheinland-Pfalz, D) 67 Boiodurum/Boiotro (antikes Kastell, heute Toponym Beider in Passau-Innstadt, Niederbayern, D) 91, 111 Bonefant (Gem. Ediger-Eller, Rheinland-Pfalz, LK Cochem-Zell, D) 80 Bonn am Rhein (Nordrhein-Westfalen, D) 73 Boppard am Rhein (Rheinland-Pfalz, D) 59, 60, 64, 65, 66, 67, 73 Boulogne-sur-Mer (Pas-de-Calais, F) 163 Brabant (Landschaft u. Provinzen in B u. NL) 70, 82 Bregenz am Bodensee (Vorarlberg, A) 48, 54, 153

Brestianos (Chalkidiki, GR) 195 Bretagne (Halbinsel u. Landschaft in Nordwestfrankreich) 167, 174, 213 Bretby (Derbyshire, GB) 170, 175 Brettargh Holt (Cumbria, GB) 170 Brettenham (Norfolk, GB) 170, 175 Brettenham (Suffolk, GB) 170, 175 Briscoe (Cumbria, GB) 170 Britannien 9, 16, 17, 23, 24, 62, 163, 164, 166, 167, 173, 174, 175, 176 Bromosyrta (Chalkidiki, GR) 195 Bründl (Gem. Münchham bei Pfarrkirchen, Niederbayern, D) 118 Bründl (Gem. Raab bei Schärding, Oberösterreich, A) 117 Brüning (Gem. Raab bei Schärding, Oberösterreich, A) 116 Brunnader (Gem. Kühham bei Griesbach, Niederbayern, D) 117, 118 Brunnbauer (Gem. Münchham bei Pfarrkirchen, Niederbayern, D) 117 Brunnbauergut (Gem. Guten bei Ried im Innkreis, Oberösterreich, A) 117 Brunndobl (Gem. Fürstenzell bei Passau, Niederbayern, D) 117 Brunndobl (Gem. Johanniskirchen bei Eggenfelden, Niederbayern, D) 177 Brunndobl (Gem. Stubenberg bei Pfarrkirchen, Niederbayern, D) 117 Brunndobl (Gem. Untertattenbach bei Griesbach, Niederbayern, D) 117 Brunnedt (Gem. Taufkirchen an der Pram bei Schärding, Oberösterreich, A) 116, 125 Brunnentahl (Bezirk Schärding, Oberösterreich, A) 116 Brunnern (Gem. Diersbach bei Schärding, Oberösterreich, A) 116, 125 Brunnhäusel (Gem. Linden bei Eggenfelden, Niederbayern, D) 117 Brunning (Gem. Taufkirchen bei Eggenfelden, Niederbayern, D) 117 Brunnlehner (Gem. Bayerbach bei Griesbach, Niederbayern, D) 117 Brunnöd (Gem. Reichenberg bei Pfarrkirchen, Niederbayern, D) 117 Brunnthal (Gem. Randling bei Pfarrkirchen, Niederbayern, D) 117, 118 Brunnwies (Gem. Brunnenthal bei Schärding, Oberösterreich, A) 116, 118 Brunnwies (Gem. Uttlau bei Griesbach, Niederbayern, D) 117, 118 Bubalarē (Kassandra, GR) 188 Bukarest (RO) 206, 210 Bulgarien 15, 185, 191 Burgeis (Südtirol, I) 104 Burgos (E) 225 Byzanz 31, 40, 56

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Ortsnamenregister

Celeia/Celje/Cilli (SL) 51 Celovec siehe Klagenfurt Chaldea (byz. Provinz am Nordostrand Kleinasiens) 224 Chalkidiki (Landschaft in Nordgriechenland) 187, 189, 191, 193, 195, 196 Chelandariu (Kloster, Athos, GR) 188, 191, 192, 195 Chur (Graubünden, CH) 40, 45, 51, 129, 136–138, 153, 154, 158, 159 Churrätien 17, 34, 157 Churwalchen (Bezeichnung für Raetia Curiensis bzw. ­Churrätien) 40, 136, 137, 151, 159 Cilli siehe Celeia/Celje Clovange (Moselle, F) 68 Dacia Mediterranea (frühbyz. Provinz) 185 Dakien/Dacien 178, 202 Dalmatien 45, 180 Danelaw (Regionen Nordenglands mit dän. Rechtsgewohnheiten) 164, 169, 174, 175 Dardania (frühbyz. Provinz) 185 Decem pagi (Moselle, F) siehe Tarquimpol Deira siehe Nordhumbrien Detzem (bei Trier, Rheinland-Pfalz, D) 71, 75 Dietenheim im Pustertal (Südtirol, I) 55, 104 Dionysiu (Kloster, Athos, GR) 188, 189, 191 Dobrudscha (Landschaft zw. unterer Donau u. Schwarzem Meer) 213 Docheiariu (Kloster, Athos, GR) 188, 190, 192 Dolni Kozjak (Želino, MK) 193 Donau-Limes 44, 89, 95, 102, 110, 111, 177 Dreckenach (bei Mayen Rheinland-Pfalz, D) 78 Dubrovnik (Kroatien) 180 Dumnonia (brit. Königreich in Devon, Dorset, Somerset) 163, 164 Durostorum siehe Silistra an der Donau East Anglia siehe Ostanglien Ebersberg (Kloster, Oberbayern, D) 42 Edenplain (bei Gurten, Innviertel, Oberösterreich, A) 124 Edessa siehe Bodēna Egglfing am Inn (bei Bad Füssing, Niederbayern, LK Passau, D) 114 Ehwalchen (bei Vöcklabruck, Hausruckviertel, Oberösterreich, A) 40, 41 Eisfeld (Thüringen, LK Hildburghausen, D) 55 Engadin (oberstes Inntal, Kanton Graubünden, CH) 127, 227, 228, 230, 232 Enns (Oberösterreich, A) 43, 45, 48, 51, 54, 87, 92, 95, 97, 111 Epfig, im Elsaß (Bas-Rhin, F) 74 Epirus (Landschaft u. antikes Königreich in Albanien u. Nordgriechenland) 185, 215 Epirus Nova (frühbyz. Provinz) 185 Esphigmenu (Kloster, Chalkidiki, GR) 188, 189, 191 Eugendorf (Salzburg, A) 107 Falltschin (Gem. Baumkirchen, Tirol, A) 103 Fallun (Gem. Baumkirchen, Tirol, A) 103, 105 Federaun/Vetrov (bei Villach, Kärnten, A) 97 Fellerich bei Saarburg (Rheinland-Pfalz, D) 78 Figlsdorf (Oberbayern, LK Freising, D) 107 Finthen bei Mainz (Rheinland-Pfalz, D) 74 Fischach (Salzburg, A) 29, 33, 41, 42, 57

Fleisheim (Moselle, F) 68 Fleringen bei Prüm (Rheinland-Pfalz, LK Eifelkreis ­Bitburg-Prüm, D) 78 Florange/Flörchingen (Moselle, F) 68 Flörlplain (bei Gurten, Innviertel, Oberösterreich, A) 124 Focşani (Vrancea, RO) 208 † Födelich (Gem. Mesenich bei Trier, Rheinland-Pfalz, D) 78 Fonalva (abgegangener Ort im einstigen Rottachgau) 114, 115, 118, 124, 125 Fraham bei Braunau (Oberösterreich, A) 98 Freiburg/Fribourg (CH) 74, 143 Freising (Oberbayern, D) 48, 49, 55, 97, 111, 114, 121 Friaul (Landschaft u. Region in Nordostitalien) 120, 127, 157, 160, 231, 232 Fribourg siehe Freiburg (CH) Friedenhain bei Parkstetten (östl. Regensburg, Niederbayern, LK Straubing-Bogen, D) 90 Gadertal/Val Badia (Südtirol, I) 228–232 Gallia Belgica (röm. Provinz) 205, 206 Gampern (bei Vöcklabruck, Oberösterreich, A) 102, 124 Gardena siehe Gröden Glarus (CH) 147 Göllheim (Rheinland-Pfalz, LK Donnerbergkreis, D) 68 Gomatu (Chalkidiki, GR) 193 Gondorf an der Mosel (Rheinland-Pfalz, LK Mayen-Koblenz, D) 60, 64, 80 Grado (Friaul, I) 31, 32, 49, 52 Granada (E) 226 Grein an der Donau (Oberösterreich, A) 97 Greinwalden (Südtirol, I) 55 Gröden/Gardena (Südtirol, I) 228, 229, 230, 231 Gronig (Saarland, LK St. Wendel, D) 78 Groß-Wallstadt, Klein-Wallstadt (bei Aschaffenburg, ­Unterfranken, LK Mittenberg, D) 81 Gugilan (Salzburg, A) 112 Gurten (bei Ried im Innkreis, Oberösterreich, A) 33, 102, 107, 114, 121, 122, 124, 125 Hagia Anastasia (Kloster, Chalkidiki, GR) 190 Hagios Iōannēs Prodromos Petras (Kloster, Chalkidiki, GR) 190 Hagios Panteleēmōn (Kloster, Chalkidiki, GR) 190, 192 Hagios Paulos (Kloster, Athos, GR) 188 Hamburg (D) 226 Hangen-Wahlheim (Gem. Alsheim, Rheinland-Pfalz, LK Alzey-Worms, D) 81, 83 Hemmaberg (Kärnten, A) 50 Hermēlia (Chalkidiki, GR) 189 Hierissos (Chalkidiki, GR) 189–193, 195 Iaşi/Yassi (Fürstensitz der Moldau, RO) 206, 210 Ibērōn (Kloster, Athos, GR) 189, 190, 193 Imst (Tirol, A) 32 Innichen (Kloster, Südtirol, I) 55, 97 Irrsdorf bei Straßwalchen (Salzburg, A) 48, 107 Irrsee (Oberösterreich, A) 48 Irschen (Kärnten, A) 48 Irschenberg (Oberbayern, LK Miesbach, D) 48 Irschenhausen (Oberbayern, LK Bad Tölz-Wolfratshausen, D) 51 Irsee (Schwaben, LK Ostallgäu, D) 48

Ortsnamenregister

Isle of Wight (GB) 163 Iuvavum/Iuvavo siehe Salzburg Jaibling (bei Freising, Oberbayern, D) 107 Kaltenbrunn (Gem. Schönau bei Eggenfelden, Niederbayern, LK Rottal-Inn, D) 117, 118 Kamm (Gem. Söldenau, Niederbayern, LK Passau, D) 123, 124 Karden an der Mosel (Rheinland-Pfalz, LK Cochem-Zell, D) 64, 80 Karpfham (Oberösterreich, A) 123, 124 Kastellaun (Rheinland-Pfalz, LK Rhein-Hunsrück-Kreis, D) 80 Kempenich (Gem. Helfant bei Trier, Rheinland-Pfalz, D) 78 Kempten (Schwaben, D) 153 Kent (GB) 163, 164 Kerzenheim (Rheinland-Pfalz, LK Donnersbergkreis, D) 68 King’s Walden (Hertfordshire, GB) 170 Klagenfurt/Celovec (Kärnten, A) 97 Kleine Walachei siehe Oltenien Kleinölbrunn (Gem. Randling, Niederbayern, LK Pfarrkirchen, D) 117 Klein-Wallstadt siehe Groß-Wallstadt Klisura (BG) 194 Kobernaußerwald (Oberösterreich, A) 100 Koblenz (Rheinland-Pfalz, D) 73, 74 Kochliara (Kloster, Athos, GR) 192 Kokkinochōrion (Chalkidiki, GR) 193 Kollig (bei Mayen, Rheinland-Pfalz, LK Mayen-Koblenz, D) 78 Köln (Nordrhein-Westfalen, D) 64–66, 73, 83, 85 Konče (MK) 191, 193 Konstantinopel (Byzanz) 31, 40, 56, 190 Konz (bei Trier, Rheinland-Pfalz, D) 78 Kortel (Rheinland-Pfalz, LK Trier-Saarburg, D) 78 Köstendorf bei Straßwalchen (Salzburg, A) 107 Kremsmünster (Kloster, Oberösterreich, A) 49, 54 Kristendorf siehe Kršna Vas Kritzista (Imathia, GR) 190 Kriva Lakavica (MK) 185, 191 Kršna Vas/Kristendorf (Kärnten, A) 50 Künzing/Künzinggau/Quintanis (Niederbayern, LK Deggendorf, D) 46, 48, 87 Lancashire (GB) 164, 167 Latium (Landschaft um Rom, I) 221 Laura (Kloster, Thasos, GR) 188, 190, 195 Lauriacum/Lorch (Oberösterreich, A) 47 Lauterbrunn (Gem. Aurolzmünster bei Ried im Innkreis, Oberösterreich, A) 115, 117, 125 Lauterbrunnen (Gem. Andorf bei Schärding, Oberösterreich, A) 116, 125 Leutesdorf (Rheinland-Pfalz, LK Neuwied, D) 61 Libadion (Thessalien, GR) 195 Libysdias/Olympias (Chalkidiki, GR) 193 Liefering (bei Salzburg, A) 107 Limes siehe Donau-Limes bzw. Rheinischer Limes Linz (Oberösterreich, A) 48, 95, 102, 122, 159 Lockenhaus (Burgenland, A) 181 Loktista (Zentralmakedonien, GR) 191 Lombardei (Landschaft und Region in Oberitalien) 224 London (GB) 164, 226

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Lorch siehe Lauriacum Lorich bei Trier (Rheinland-Pfalz, D) 78 Lothringen (Landschaft und Region im Nordosten ­Frankreichs) 65, 68, 73–75, 109 Lövenich (Nordrhein-Westfalen, LK Heinsberg, D) 73 Luxemburg 73, 74 Luxeuil (Haute-Saône, F) 52 Lympanoba/Aiginion (Thessalien, GR) 191 Maastricht (NL) 70 Macedonia Prima (frühbyz. Provinz) 185 Macedonia Secunda (frühbyz. Provinz) 185 Mähren (Landschaft in Tschechien) 10, 97 Manching (Oberbayern, LK Pfaffenhofen, D) 91, 111 Mailand/Milano (I) 153, 154, 158, 230 Mainz (Rheinland-Pfalz, D) 64, 65, 74, 151, 158 Mais bei Meran (Südtirol, I) 51 Makedonien (griech. Provinz) 15, 185-187, 191–195, 206 Margreid bei Pfunds (Tirol, A) 104 Marzling (bei Freising, Oberbayern, D) 107 Mazedonien 183–186, 191, 192, 194, 196, 206, 207 Mehring an der Mosel (Rheinland-Pfalz, LK Trier-Saarburg, D) 66, 78 Melnik (BG) 192, 194, 195 Merzenich (nördlich von Aachen, Nordrhein-Westfalen, D) 73 Merzien/Mercia (angelsächs. Königreich) 163, 164, 167, 173 Metternich (bei Koblenz, Rheinland-Pfalz, D) 73 Mettlach (Saarland, LK Merzig, D) 78 Metz (Moselle, F) 59, 66, 74, 83, 84 Middlesex (engl. Grafschaft, GB) 163 Milano siehe Mailand Molzbichl (Gem. bei Spittal an der Drau, Kärnten, A) 49, 50 Monkbretton (South Yorkshire, GB) 170, 175 Montenegro 183, 197 Morea (mittelalterlicher Name der Peloponnes, GR) 213 Mühlwitraun (Gem. Enzenkirchen bei Schärding, ­Oberösterreich, A) 120 Muntenien/Muntenia siehe Walachei Muntigl (Salzburg, A) 29, 41, 105 Narbonne (Dép. Aude, F) 10 Nennig (Saarland, LK Merzig-Wadern, D) 78 Nēsi (Kassandra, GR) 190 Nikitu/Nikētē (Sithonia, GR) 188 Nordhumbrien/Bernicia/Deira (angelsächs. Königreiche) 164, 174 Norikum/Noricum (röm. Provinz) 30, 41, 44, 46, 53, 56, 87, 92, 98, 103, 111 Noricum Ripense siehe Ufernorikum North Walsham (Norfolk, GB) 172 Oberalm (Salzburg, A) 33, 34, 54 Oberwietraun, Unterwietraun (Weiler, Gem. Taiskirchen im Innkreis, Oberösterreich, A) 120 Oberwinter (bei Bonn, Nordrhein-Westfalen, D) 73 Ödenwaldstetten (Gem. Hohenstein, Baden-Württemberg, LK Reutlingen, D) 82 Olang (Südtirol, I) 104 Oltenien/Kleine Walachei/România Mică (historische ­Landschaft in Rumänien) 207, 218

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Ortsnamenregister

Olympias siehe Libysdias Orléans (Loiret, F) 60, 222 Ostanglien/East Anglia (angelsächs. Königreich im Gebiet der Grafschaften Norfolk u. Suffolk, GB) 164, 173 Ovilava siehe Wels Pachschallern (bei Sierning an der Steyr, Oberösterreich, A) 107 Pag (Insel, Kroatien) 180 Pallas (Flurname in Trier, Rheinland-Pfalz, D) 80 Pamplona (E) 44 Pannonien (röm. Provinz) 15, 43-45, 47, 49–51, 56, 87, 93, 97, 199 Pantokratōr Kloster (heute Zeyrek Moschee, Istanbul, TR) 188, 190, 195 Paris (F) 14, 56, 74, 206, 207, 209–211 Parschall (Gem. Frankenburg, Oberösterreich, A) 42 Parschallen (am Westufer des Attersees, Oberösterreich, A) 42, 107 Parschalling (bei St. Veit im Innkreis, Oberösterreich, A) 107 Parthenōn (Sithonia, GR) 189 Passau (Niederbayern, D) 47, 87, 91, 102, 111, 113–115, 117, 121, 122, 124 Peterborough (Kloster in Northhamptonshire, GB) 165 Pfäfers (Kloster im Kanton St. Gallen, CH) 36, 160, 161 Pfalz (D) 71, 75 Pfeddersheim (Rheinland-Pfalz, Stadt Worms, D) 68 Plain (bei Gurten, Innviertel, Oberösterreich, A) 124 Plumiska (Chalkidiki, GR) 191 Pongau (Salzburg, A) 34, 51, 97, 111 Praevalitana (frühbyz. Provinz) 185 Přeštʼovice (Okres Strakonice, CZ) 90 Prüm (Kloster, Rheinland-Pfalz, nördl. von Trier, D) 62, 64, 66, 74 Puteoli (heute Pozzuoli, Kampanien, I) 120 Quintanis siehe Künzing/Künzinggau Raetia Curiensis siehe Churwalchen Rätien (röm. Provinz) 87, 93, 111, 129, 137, 153–161 Ravenna (Emilia-Romagna, I) 32, 37, 45, 47, 53, 213 Rechnitz-Schlaining (Burgenland, A) 181 Regensburg (Bayern, D) 48, 51, 111 Remagen am Rhein (Rheinland-Pfalz, LK Ahrweiler, D) 73 Remich (Luxemburg) 74, 78 Rheinengtal (südl. Koblenz) 59, 60, 64, 65, 67 Rheinischer Limes 73 Rheinzabern (Rheinland-Pfalz, LK Germersheim, D) 74 Ricciaco (Wüstung, Gem. Dalheim, Luxemburg) 71 Rom (I) 14, 16, 17, 24, 128, 168, 173, 175, 181, 218, 221 Romainmôtier (Kloster, Gem. Romainmôtier-Envy, Vaud, CH) 134, 135, 148 Romanel-sur-Lausanne (Vaud, CH) 131 Romanel-sur-Morges (Vaud, CH) 131 Romanens (Gem. Sâles, Fribourg, CH) 132 România Mare siehe Walachei România Mică siehe Oltenien Romanshorn (Stadt am Bodensee, Thurgau, CH) 134, 151 Romenschwanden (Gem. St. Margareten, St. Gallen, CH) 135 Romlingen (Gem. Altstätten, Zürich, CH) 133, 148

Rommersdorf bei Prüm (Rheinland-Pfalz, D) 62 Rotenturm an der Pinka (Burgenland, A) 181 Rottachgau (pagus bei Passau, D) 42, 114, 115, 118, 121, 124, 125 Rotthalmünster (Niederbayern, LK Passau, D) 114, 115 Roumannes Wengi (Gem. Unteriberg, Schwyz, CH) 135 Rumendingen (Bern, CH) 132 Rümikon (Aargau, CH) 133, 151 Rümikon (Gem. Elsau, Zürich, CH) 133, 151 Rümligen (Bern, CH) 132 Rümmingen (Baden-Württemberg, LK Lörrach, D) 133, 142, 151 Säben/Sabiona (Südtirol, I) 51, 153 Saffron Walden (Essex, GB) 170 Salzburg/Iuvavum/Iuvavo (A) 12, 19, 24, 29, 34, 43, 49, 50, 51, 53, 55, 56, 88, 93, 95, 97, 100, 102, 104, 106, 107, 109, 111, 112, 124 Sapaudia (spätantike Region zw. Genfer See u. Savoyen) 129, 143 Sartē (Sithonia, GR) 188, 190, 193 Savaria/Szombathely/Steinamanger (HU) 49 Saverne/Zabern (Bas-Rhin, F) 74, 75 Savoyen siehe Sapaudia Scarabantia/Sopron/Ödenburg (HU) 49 Schärding (Oberösterreich, A) 98 Scharnitz (Kloster, Oberbayern, D) 32, 54, 55 Schlaining siehe Rechnitz-Schlaining Seewalchen (Oberösterreich, A) 41, 106, 107, 124 Serfaus (Tirol, A) 104 Siebenbürgen (RO) 16, 210, 214 Siezenheim (bei Salzburg, A) 98, 146 Silistra an der Donau/Silistria/antik Durostorum (BG) 213 Silistria siehe Silistra Simōnos Petras (Kloster, Athos, GR) 188 Sinzig am Rhein (Rheinland-Pfalz, LK Ahrweiler, D) 67, 83 Sithonia (Halbinsel, Chalkidiki, GR) 188, 189, 190 Sitten/Sion (Wallis, CH) 130, 131 Skopje (MK) 177 Skylochōrion (Kassandra, GR) 188 Skythien 178 Sofia (BG) 177 Sopron siehe Scarabantia Šopur (MK) 195 South Walsham (Norfolk, GB) 172 Speyer (Rheinland-Pfalz, D) 64, 66 St. Florian (Augustiner Chorherrenstift, Oberösterreich, A) 51 St. Gallen (Kloster, Stadt, Kanton, CH) 28, 31, 35, 39, 154, 160, 162, 215 St. Goar am Rhein (Stift, Rheinland-Pfalz, D) 59, 60 St Paul’s Walden (Hertfordshire, GB) 170 Stanos (Chalkidiki, GR) 193 Stauronikēta (Kloster, Athos, GR) 193 Steinamanger siehe Savaria Steinbrunn (Gem. Schardenberg bei Schärding, Oberösterreich, A) 116 Steinkart (Gem. Bad Griesbach im Rottal, Bayern, LK Passau, D) 123, 124 Steyr (Oberösterreich, A) 97 Stieglbrunn (Gem. Lambrechten bei Ried im Innkreis, Oberösterreich, A) 117

Ortsnamenregister

Štip (MK) 193, 195 Straßburg/Strasbourg siehe Argentina Straßwalchen (Salzburg, A) 105, 106, 124 Straßwitraun (Weiler, Gem. Enzenkirchen bei Schärding, Oberösterreich, A) 120 Strathclyde (Region im Westen Schottlands, GB) 169 Straubing (Niederbayern, D) 51, 90 Strumica (MK) 191 Südtirol (I) 16, 35, 41, 48, 51, 55, 92, 93, 95, 103, 104, 108, 109, 112, 230, 231 Sussex (Grafschaft, GB) 163, 164 Szombathely siehe Savaria Ţara Muntenească siehe Walachei Ţara românească siehe Walachei Tarquimpol/Decem pagi (Moselle, F) 71, 75 Tarragona (E) 45 Tawern (Rheinland-Pfalz, LK Saarburg-Trier, D) 75, 80 Terfens (Südtirol, I) 103 Tesselberg (Südtirol, I) 55 Thessaloniki (GR) 27 Tirol, Tiroler Raum 32, 41, 78, 91, 93, 95, 97, 103, 104, 107, 109, 110–112, 230 Toblach (Südtirol, I) 55 Tolbiacum/Tolbiaco siehe Zülpich Tongern/Tongres (B) 70 Torren (Salzburg, A) 112 Toulouse (Haute-Garonne, F) 10 Transsilvanien siehe Siebenbürgen Traunwalchen (Oberbayern, LK Traunstein, D) 29, 106 Treskavec (Kloster bei Prilep, MK) 194 Trient/Trento (I) 51 Trier (Rheinland-Pfalz, D) 62, 64, 65, 75, 80 Tropaeum Alpium (Alpes-Maritimes, F) 87, 93 Uelvesheim (Rheinland-Pfalz, LK Mainz, D) 68 Ufernorikum/Noricum Ripense (röm. Provinz) 45, 88, 93 Ungro-Vlahia siehe Walachei Unterwietraun siehe Oberwietraun Uttenheim (Südtirol, I) 55, 104 Vaals bei Aachen siehe Waals Vahl-Ebersing (Moselle, F) 84 Vahl-lès-Bénestroff (Moselle, F) 84 Vahl-lès-Faulquemont (Moselle, F) 84 Vahrn (bei Brixen, Südtirol, I) 104 Val Badia siehe Gadertal Vallis Drusiana siehe Walgau Valmont (bei St. Avold, Moselle, F) 84 Valmunster (Moselle, F) 84 † Valrun (im Walgau, Vorarlberg, A) 141 Vatopedi/Batopedi (Kloster, Athos, GR) 188, 189, 191, 193 Vellau (bei Meran, Südtirol, I) 103, 104 Venedig/Venezia (I) 31, 226 Verdun (Meuse, F) 158 Vigaun (Salzburg, A) 33, 105, 112 Villach/Biljak (Kärnten, A) 97 Vintl (im Pustertal, Südtirol, I) 103 Vöran (bei Meran, Südtirol, I) 104 Vorarlberg (A) 34, 93, 95, 102, 107, 109, 111, 127, 137 Waals/Vaals bei Aachen (B) 73

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Wadrill (Saarland, LK Merzig-Wadern, D) 80 Wahlen (Basel-Land, CH) 139 Wahlen (Gem. Thierachern bei Thun, Bern, CH) 139 Wahlen (Saarland, LK Merzig-Wadern, D) 84 † Wahlen bei Lebach (Saarland, LK Saarlouis, D) 84 Wahlendorf (Gem. Meikirch, Bern, CH) 143 Wahlenheim (Bas-Rhin, F) 81 Wahlern (Gem. Schwarzenburg, Bern, CH) 140 Wahlheim (Rheinland-Pfalz, LK Alzey, Rheinhessen, D) 81, 83 Wahlheimer Hof ( bei Hahnheim, Stadt Oppenheim, Rheinland-Pfalz, LK Mainz-Bingen, D) 81 Wahlweiler (Gem. Deggenhausertal, Baden-Württemberg, LK Bodenseekreis, D) 146 Wahlwies (Gem. Stockach, Baden-Württemberg, LK Konstanz, D) 146, 151 Walachei/Muntenien/Muntenia/România Mare/Ţara ­românească/Ţara Muntenească/Ungro-Vlahia (historische Landschaft im Süden Rumäniens) 9, 15, 17, 178, 202, 206, 207, 208, 210, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219 Walachei (Landschaft in Epirus und Thessalien, GR) 215 Walburn (North Riding of Yorkshire, GB) 170 Walchen bei Zell am See (Salzburg, A) 106 Walchengau (Oberbayern, D) 46, 54, 55 Walchensee (Oberbayern, D) 106 Walchstadt (Oberbayern, LK Bad Tölz-Wolfratshausen, D) 82, 83 Walchwil (Gem. am Ostufer des Zugersees, Zug, CH) 146 Walcot (Lincolnshire, GB) 172 Walcot (Oxfordshire, GB) 172 Walcot (Shropshire, GB) 172 Walcot (Worcestershire, GB) 172 Walcot (Wrockwardine, GB) 172 Walcot Hall (Northamptonshire, GB) 172 Walcote (Leicestershire, GB) 172 Walcote End (Warwickshire, GB) 172 Walcott (Lincolnshire, GB) 172 Walcott (Norfolk, GB) 172 Walcott (Wiltshire, GB) 172 Waldorf (Gem. Blankenheim, Nordrhein-Westfalen, LK Euskirchen, D) 83 Waldorf (Gem. Bornheim, westl. von Bonn, Nordrhein-Westfalen, D) 83 † Waldorf (Gem. Wachtberg, Nordrhein-Westfalen, LK Rhein-Sieg-Kreis, D) 83 Waldorf (Gem. Ochtendung, westl. von Koblenz, Rheinland-Pfalz, D) 83 Waldorf (bei Sinzig am Rhein, Rheinland-Pfalz, D) 83 † Waldorf bei Longerich (Stadt Köln, Nordrhein-Westfalen, D) 83 Waldried (Gem. Oberwil im Simmental, Kanton Bern, CH) 144 † Waldstetten (Baden-Württemberg, Alb-Donau-Kreis, D) 82 Waldstetten (westl. von Höpfingen u. Walldürn, Baden-Württemberg, Neckar-Odenwald-Kreis, D) 82 Waldstetten (bei Schwäbisch-Gmünd, Baden-Württemberg, Ostalbkreis, D) 82 Waldstetten (südl. von Günzburg, Schwaben, D) 82 Walecote (Shropshire, GB) 172 Walem (Gem. Wortregem, B) 80

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Ortsnamenregister

† Walen (bei S. Avold, Gem. Metzing, Moselle, F) 84 Walenberg (Gem. Glarus Nord, CH) 147 Walensee (bei Walenstadt, St. Gallen, CH) 147, 215, 219 Walenstadt (St. Gallen, CH) 144, 151, 215 Walepole (Norfolk, GB) 170 Wales (GB) 16, 17, 24, 26, 164, 166-168, 174, 215 Walford (Devon, GB) 170 Walford (Hertfordshire, GB) 170 Walford (Somerset, GB) 170 Walgau/Vallis Drusiana (Vorarlberg, A) 95, 129, 137, 138, 151 Walhain-Saint-Paul (bei Nivelles, Prov. Brabant, B) 80 Walham (Gloucestershire, GB) 170 Walheim (Stadt Aachen, Nordrhein-Westfalen, D) 80 † Walheim (Prov. Friesland, NL) 80 Walheim am Neckar (südl. von Lauffen, Baden-Württemberg, LK Ludwigsburg, D) 81 Walhen (Dorf an der Ill, Haut-Rhin, F) 139 Walingtons (Berkshire, GB) 171 Walla Brook (Devon, GB) 170 Wallasey (Cheshire, GB) 170 Wallbach (Stadtteil von Bad Säckingen am Rhein, Baden-Württemberg, LK Waldshut, D) 142 † Wallem (Gem. Ettringen bei Mayen, Rheinland-Pfalz, LK Mayen-Koblenz, D) 81 Wallenbuch (Gem. Gurmels, Fribourg, CH) 143 Wallenried (Fribourg, CH) 143 Wallenwil (Gem. Eschlikon, Thurgau, CH) 145 Wallgau (Oberbayern, D) 105, 138 Wallhausen (Gem. Dettingen, Baden-Württemberg, LK Konstanz, D) 141 Wallingford (Berkshire, GB) 172, 176 Wallington (Surrey, GB) 171 Wallisellen (Zürich, CH) 144 Walliswil bei Niederbipp (Bern, CH) 145 Walliswil bei Wangen (Bern, CH) 145 Wallonie (B) 16, 25, 213, 215 Wallstadt (Stadt Mannheim, Baden-Württemberg, D) 81 Wallstadt (bei Aschaffenburg, Unterfranken, D) siehe Groß-Wallstadt, Klein-Wallstadt Wallstone (Cheshire, GB) 172 Wallsworth (Gloucestershire, GB) 172 Walmire (North Riding of Yorkshire, GB) 170 Walmore Common (Gloucestershire, GB) 170 Walpole (Suffolk, GB) 170 Wals (Stadt Salzburg, A) 33, 34, 41, 105, 146, 151 Walsall (West Midlands, GB) 172 Walsham Le Willow (Suffolk, GB) 172 Walshaw (West Riding of Yorkshire, GB) 170 † Walstadt (südl. Wormsgau, Rheinland-Pfalz, D) 81, 83 Walton (Derbyshire, GB) 171 Walton (Leicester, GB) 171 Walton (bei Eccleshall, Staffordshire, GB) 171 Walton (bei Stone, Staffordshire, GB) 171 Walton (Suffolk, GB) 171 Walton (West Riding of Yorkshire, GB) 171 Walton Hall (Lancashire, GB) 171 Walton Head (West Riding of Yorkshire, GB) 171 Walton Inferior (Cheshire, GB) 171 Walton-le-Dale (Lancashire, GB) 171 Walton-on-Thames (Surrey, GB) 171 Walton-on-the Hill (Lancashire, GB) 171

Walton-on-the-Hill (Staffordshire, GB) 171 Walton-on-the-Naze (Essex, GB) 171 Walton on the Wolds (Leicestershire, GB) 171 Walton-upon-Trent (Derbyshire, GB) 171 Walworth (Cambridgeshire, GB) 171 Walworth (Durham, GB) 171 Wapley House (North Riding of Yorkshire, GB) 170 Wattens (Tirol, A) 103 Wawcott (Berkshire, GB) 172 Wealaford siehe Walford (Somerset, GB) Wealagærstune siehe Woodgarston Weißbrunn (Gem. Münzkirchen bei Schärding, Oberösterreich, A) 116 Weissenburg/Wissembourg (Bas-Rhin, F) 66, 68 Welengaford siehe Wallingford (Berkshire, GB) Welldorf (Stadt Jülich, Nordrhein-Westfalen, LK Düren, D) 83 Wellsworth (Hampshire, GB) 171 Wels/Ovilava (Oberösterreich, A) 42, 95, 102, 103, 106, 122 Welschenrohr (Dorf im hinteren Dünnerntal, Kanton Solothurn, CH) 142 Welschingen (Stadtteil von Engen, Baden-Württemberg, LK Konstanz, D) 141, 149 Wessex (angelsächs. Königreich u. Grafschaft, GB) 13, 163, 164, 169, 173, 174 West Bretton (West Yorkshire, GB) 170 Whitby (Kloster, Yorkshire, GB) 173 Wien (A) 97, 98 Wiesbaden (Hessen, D) 64, 65 Wilten bei Innsbruck (Tirol, A) 103 Wissembourg siehe Weissenburg Witraun (Gem. Raab bei Schärding, Oberösterreich, A) 120 Wohlen (Gem. bei Bremgarten,Aargau, CH) 140 Wohlen (Gem. bei Bern, CH) 140 Wohlenschwil (Aargau, CH) 145 Wollbach (Dorf bei Lörrach, Baden-Württemberg, LK Lörrach, D) 142 † Woltroff (Gem. Bausendorf, Rheinland-Pfalz, LK Bernkastel-Wittlich, D) 83 Woodgarston (Hampshire, GB) 170 Worms (Rheinland-Pfalz, D) 64–67 Xenophōntos (Kloster, Athos, GR) 190 Xēropotamu (Kloster, Athos, GR) 188, 195 Yassi siehe Iaşi Ybbs (Niederösterreich, A) 103 Yorkshire (GB) 164, 175 Zabern siehe Saverne Zaragoza (E) 44 Zarten bei Freiburg (Baden-Württemberg, D) 74 Zerf bei Saarburg (Rheinland-Pfalz, LK Trier-Saarburg, D) 71 Zeyrek Moschee siehe Pantokratōr Zōgraphu (Kloster, Athos, GR) 191, 192 Zons (Stadtteil von Dormagen, Nordrhein-Westfalen, Rhein-Kreis Neuss, D) 73 Zülpich/Tolbiacum/Tolbiaco (Nordrhein-Westfalen, LK Euskirchen, D) 64, 73 Zwiefalten (Kloster, Baden-Württemberg, LK Reutlingen, D) 129

Personenregister

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Personenregister Aeneas (Sohn des Anchises bei Vergil) 37 Æthelstan (engl. Kg., 925–939) 164 Aëtius (röm. Feldherr u. magister militum, 429–454) 129 Afra (Hl., † ca. 304) 45, 51, 52 Agilulf (Kg. der Langobarden, 590–615/616) 52 Agrestius (Mönch aus Luxeuil, 7. Jh.) 52 Aimo von Montenach (13. Jh.) 130 Alarich II. (westgot. Kg., 485–507) 39 Alexander der Große (makedon. Kg., 356–323 v. Chr.) 37 Alexandru Iliaş (Herrscher der Walachei u. der Moldau, 17. Jh.) 207 Alexandru Moruzi (Herrscher der Walachei u. der Moldau, Ende 18./Anfang 19. Jh.) 207 Alexandru Ypsilanti (Woiwode der Walachei u. der Moldau, 18. Jh.) 217 Alfons X. der Weise (Kg. von Kastilien u. León, 1252–1284) 225 Alfons V. (Kg. von Aragon, 1416–1458) 215 Alfred der Große (Kg. der Westsachsen u. Angeln, 871–899) 14, 164, 165 Ammianus Marcellinus (röm. Geschichtsschreiber, † um 395) 11, 21 Andronikos II. Palaiologos (byz. Ks., 1282–1328) 188, 192, 195 Andronikos III. Palaiologos (byz. Ks., 1328–1341) 192 Anianus (Hl., † ca. 697) 51 Ansegisel (Sohn Arnulfs von Metz, domesticus ca. 648, † nach 657) 37 Antonius von Lérins (Hl., † ca. 525) 47 Arbeo (Bf. von Freising, 764/765–783) 32, 35, 53, 54 Aribo (Erzbf. von Mainz, 1021–1031) 38 Arn (Bf. u. Erzbf. von Salzburg, 785/798–821) 29, 33, 42, 57 Arnulf (ostfränk. Kg., 887–899) 160 Arthur/Artus (brit. sagenhafter Kg. u. Feldherr) 163, 164 Asverus (Abt von Prüm, 762–804) 59 Attila (Kg. der Hunnen, 434–453) 44 Authari (Kg. der Langobarden, 584–590) 52 Basarab I. (Woiwode der Walachei, vor 1317–1352) 207, 213, 215, Beda Venerabilis (angelsächs. Mönch u. Gelehrter, † 735) 13, 163, 164, 167, 168, 173–175 Bifrun, Jachiam (Schweizer Humanist u. Bibelübersetzer, 1506–1572) 228 Biondo, Flavio (ital. Humanist u. Historiograph, 1392–1463) 215 Boccaccio, Giovanni (ital. Schriftsteller, 1313–1375) 223 Bonifatius (eigtl. Winfried, Missions-Erzbf., † 754) 46, 51, 53, 114 Burchard I. (Graf von Rätien, † 911) 160, 161 Cædmon (altengl. Dichter, ca. 657–680) 173, 176 Cædwalla (westsächs. Kg., 685–688) 173, 176

Caesarius (Abt von Prüm, 1212–nach 1222) 28 Cantacuzino, Constantin (rumän. Historiograph, ca. 1650–1716) 201, 217 Cantemir, Dimitrie (Woiwode der Moldau, Historiograph, 1673–1723) 201, 202 Cassiodor (Senator u. spätröm. Autor, ca. 485–ca. 580) 37, 44, 89, 161 Cavalcanti, Guido (ital. Dichter, ca. 1255–1300) 223 Ceawlin (westsächs. Kg., † 593) 173, 176 Centwine (westsächs. Kg., 676–685) 170 Cenwalh (westsächs. Kg., 641–672) 173 Cerdic (sagenhafter westsächs. Kg., 5./6. Jh.) 173, 176 Chad of York/Mercia (Hl., † 672) 173 Cheitmar (Fürst der Karantanen, 8. Jh.) 49, 50 Childebert II. (fränk. Kg., 575–595) 52 Chlodwig I. (fränk. Kg., 481/482–511) 46, 154 Chlothar II. (fränk. Kg., 584–629) 52 Chosroes I. (Kg. des Sassaniden-Reiches, 531–578) 178 Chrétien de Troyes (altfranzös. Autor, ca. 1140–1190) 223 Chrodegang von Metz (Bf., 742–766) 59 Chumnos, Iōannēs (byz. Stratopedarchēs, 14. Jh.) 191 Cicero, M. Tullius (röm. Autor u. Staatsmann, 106–43 v. Chr.) 38 Cid, El (eigentlich Rodrigo Díaz de Vivar, 1043–1099) 225 Columban (ir. Mönch, Abt von Luxeuil u. Bobbio, ca. 543–615) 38, 52, 54 Constantius (Bf. von Chur, um 773) 157, 160, 161 Constantius (Bf. von Lauriacum, 5. Jh.) 47 Corbinian (Hl., Bf. von Freising, † ca. 728/730) 32, 53, 54 Coresi, Diakon (rumän. Buchdrucker u. Übersetzer, 16. Jh.) 197 Costin, Miron (Geschichtsschreiber der Moldau, 1633– 1691) 200, 201, 209, 217 Cunrad (königl. Vogt von Wädiswil, CH, 13. Jh.) 130 Cynric (Sohn des westsächs. Kgs. Cerdic, 5./6. Jh.) 173 Dagobert I. (fränk. Kg., 623–639) 51, 52 Dante Alighieri (ital. Dichter, 1265–1321) 222 Drusus (Adoptivsohn des Ks. Augustus, † 9 v. Chr.) 87, 93 Dürer, Albrecht (1471–1528) 37 Durich Chiampel (Engadiner Reformator, 16. Jh.) 228 Eadmund I. (angelsächs. Kg., † 869) 170 Ecgberht (westsächs. Kg., 802–839) 164, 167, 175 Einhard (karoling. Geschichtsschreiber, ca. 770–840) 38 Ekkehard I. von St. Gallen († 973) 35, 38 Ekkehard IV. von St. Gallen († nach 1056) 35, 38, 162 Eligius (Hl., Bf. von Noyon, 640–660) 35, 59 Emmeram von Regensburg (Hl., Bf. von Poitiers, bayer. Missionar, † um 652) 44, 53, 54 Enea Silvio de’ Piccolomini (Papst Pius II., 1405–1464) 215 Ennodius, Magnus Felix (Bf. von Pavia u. christl. Autor, 473/474–521) 21, 46, 47

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Personenregister

Eugippius (christl. Autor, 456/457–533) 40, 46, 47, 87 Eust(h)asius (Abt von Luxeuil, 615–629) 52 Feletheus/Feva (Kg. der Rugier, 5. Jh.) 47 Ferdinand I. (Ks. von Österreich, 1793–1875) 214 Fernández de Oviedo, Gonzalo (span. Historiker, 1478–1557) 227 Florian (Hl., † 304) 51, 52, Friderich (Sohn des Rugierkgs. Feletheus, 5. Jh.) 47 Gallus (Hl., † ca. 650) 38, 129, 162 Geoffrey of Monmouth (walis. Historiograph, † 1155) 163 Georg III. (Geōrgios Hagioritēs) (Abt des Klosters Ibērōn, GR, 11. Jh.) 190 Georgios Kedrenos (byz. Geschichtsschreiber, 11./12. Jh.) 199 Gildas (brit. Autor, 6. Jh.) 24, 164, 174 Goar (Hl., ca. 495–ca. 570) 22, 59, 60 Gregor I. der Große (Papst, 590–604) 168, 178 Gregor III. (Papst, 731–741) 46 Gregor von Tours (Bf., 573–nach 593) 17, 39, 222 Grimoald (bayer. Hzg., vor 715–ca. 725/728) 32 Hartwig (Bf. von Passau, 840–866) 113 Helmold von Bosau (Geschichtsschreiber, † nach 1177) 50 Hengist und Horsa (kentische Landnahmeheroen) 163 Herakleios (byz. Ks., 610–641) 178 Hermann (Abt von Niederaltaich, 1242–1273) 28 Hieronymus, Sophronius Eusebius (Kirchenlehrer, 347/348–419/420) 38 Hiltrud (bayer. Hzgn., ca. 715–754) 29, 57 Horaz (Qu. Horatius Flaccus) (röm. Dichter, 65–8 v. Chr.) 222 Hunfrid (Graf von Rätien u. Markgraf in Friaul, frühes 9. Jh.) 157, 160, 161 Hunwulf (Bruder von Kg. Odoaker, ca. 430–493) 46, 47 Ine (westsächs. Kg., 688–729) 169, 174 Ingo (Salzburger Missionar, 9. Jh.) 50 Ireneo della Croce (ital. Autor, 1627–1713) 198 Isidor (Bf. von Sevilla, 599/600–636) 17, 19, 21, 22, 24, 37, 39 Johannes Chrysostomos (Bf. von Konstantinopel, 397–407) 224 Johannes V. Palaiologos (byz. Ks., 1341–1391) 188 Johannes I. (Bf. von Salzburg, 739–746/747) 50 Johannes I. Dukas Angelos von Thessalien (ca. 1240–1289) 195 Johannes Dukas Palaiologos (Bruder von Ks. Michael VIII., ca. 1226/29–1274/75) 195 Jordanes († ca. 552) 10, 88, 89 Jovan Dragaš (serb. Fürst, † 1395) 192 Jovan Uglješa (mazedon. Teilfürst, † 1371) 188 Julius Caesar, C. (100–44 v. Chr.) 10 Justinian I. (byz. Ks., 527–565) 45 Karl I. der Große (Kg. 768, Ks. 800–814) 17, 31, 39, 40, 50, 54, 156, 157, 161 Karl II. der Kahle (westfränk. Kg. 840, Ks. 875–877) 158, 159, 160 Karl III. der Dicke (ostfränk. Kg. 876, Ks. 881–888) 158, 160

Karl Martell (fränk. Hausmeier, 717–741) 39, 157 Karl I. Robert von Anjou (Kg. von Ungarn, 1308–1342) 215 Karl von Hohenzollern-Sigmaringen (preuß. Prinz, Kg. von Rumänien, 1839–1914) 207 Karlmann I. (fränk. Kg., 768–771) 157 Kekaumenos (byz. Schriftsteller, ca. 1020–Ende 11. Jh.) 14, 15, 199, 214 Knut der Große (Kg. von England 1016, Dänemark 1018 u. Norwegen 1028, †1035) 164 Konstantin Dragaš (Fürst in Mazedonien/Serbien, † 1395) 192 Konstantin X. Dukas (byz. Ks., 1059–1067) 214 Kōnstantinos IX. Monomachos (byz. Ks., 1042–1055) 190 Lothar I. (fränk. Kg. 814, Ks. 817/840–855) 31, 159 Ludwig das Kind (ostfränk. Kg., 900–911) 160 Ludwig der Fromme (fränk. Kg. 814, Ks. 813/814–840) 30, 32 Madrigal, Alonso de, gen. El Tostado (Professor in ­Salamanca, 1401–1455) 225 Marinus (Hl., 4. Jh.) 51 Matej Ninoslav (bosn. Ban, †1250) 180 Maurikios (Autor des Strategikon) siehe Pseudo-Maurikios Maximilian (Hl., † ca. 284) 51 Maximus II. (Bf. von Salona, ca. 594–620) 178 Michael Šišman (bulgar. Zar, ca. 1280–1330) 191 Michael VIII. Palaiologos (byz. Ks., 1259–1281) 190, 195 Mircea I. der Alte (Woiwode der Walachei, 1386–1418) 213, 215, 216 Modestus von Kärnten (Chorbf. u. Missionar in ­Karantanien, † 772) 50 Naevius, Cn. (röm. Dichter, ca. 265–ca. 201 v. Chr.) 221 Neacşu von Cîmpulung (rumän. Kaufmann, 16. Jh.) 217 Nennius (angebl. walis. Autor der ‚Historia Brittonum‘, um 829/830) 164 Neculce, Ion (Chronist aus Moldau, 1672–1745) 217 Niketas Choniates (byz. Schriftsteller, 1155–1217) 215 Nonnosus (Hl., † ca. 532) 49 Norix (mytholog. Sohn des Herkules) 37 Notker I. Balbulus von St. Gallen (ca. 840–912) 12, 85 Notker III. Labeo von St. Gallen († 1022) 85 Odilo (bayer. Hzg., 736–748) 33, 50 Odoaker (Kg. in Italien, 476–493) 46, 47 Offa (Kg. von Mercia, 757–796) 17, 164 Oportunus (Gründerabt von Mondsee, 747/748–784) 43 Orosius siehe Paulus Orosius Otfrid von Weißenburg (volkssprachiger Dichter u. ­Theologe, † nach 863/871) 12 Otto (Hzg. von Schwaben, 973–982) 36 Otto I. der Große (Kg. 936, Ks. 962–973) 36, 51 Paulos Klaudiupolitēs (Erzbf. von Melnik, 13. Jh.) 194 Paulus Diaconus (langobard. Geschichtsschreiber, † um 799) 37, 47, 59, 158 Paulus Orosius (spätantiker Geschichtsschreiber, ca. 385–ca. 418) 21, 158 Philippides, Dimitrie Daniel (griech. Mönch, Aufklärer, Historiograph, † 1832) 210, 212

Personenregister

Pippin I. (Kg. von Aquitanien, 817–838) 39 Pippin II. der Mittlere, ‚von Herstal‘ (fränk. Hausmeier, † 714) 37, 39 Pippin III. (I.) der Jüngere (fränk. Hausmeier 741, Kg. 751/52–768) 157 Pippin (Karlmann) (Kg. von Italien, 781–810) 31, 32, 50, 159 Pseudo-Maurikios (Autor des Strategikon, 6. Jh.) 177 Ptolemäus, Claudius (griech. Geograph, ca. 100– nach 160 n. Chr.) 120 Quirinus (Hl., 3. Jh.) 49 Radu IV. der Große (Woiwode der Walachei, 1495–1508) 215 Regino von Prüm (Abt u. Geschichtsschreiber, † 915) 18, 56 Remedius (Bf. von Chur, † ca. 820) 129, 157, 161 Rigobert (Bf. von Reims, vor 693–717) 65 Rudolf (Graf von Rätien, 9. Jh.) 160, 161 Rudolf von St. Trond (Geschichtsschreiber u. Abt, † 1138) 13 Rupert von Salzburg (Hl., † nach 716) 29, 43, 53, 54 Salomon III. (Bf. von Konstanz, 890–919/920) 160 Servatus (Hzg. von Rätien unter Kg. Theoderich, zwischen 474 und 526) 32 Severin (Hl., † 482) 46, 47, 87 Sigibert III. (fränk. Kg. in Austrasien, 632–656) 67, 83 Sigismund von Luxemburg (Kg. von Ungarn, 1387–1437) 215 Silius Italicus (Autor der ‚Punica‘, 1. Jh. n. Chr.) 222 Snorri Sturlusson (isländ. Autor, 1179–1241) 13 Solinus, C. Iulius (lat. Autor, frühes 3. Jh. n. Chr.) 158 Stefan der Erstgekrönte (serb. Herrscher, 1196–1227) 180 Stefan Uroš IV. Dušan (Kg. von Serbien 1331, serb. Zar 1346–1355) 180, 181, 188, 195 Stefan Uroš V. Dušan (Kg. von Serbien 1346, serb. Zar 1355-1371) 191, 192 Strabo (griech. Geograph, ca. 63 v. Chr–23 n. Chr.) 30, 38, 56, 158, 162

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Tacitus, Pb. Cornelius (röm. Autor, ca. 61/62–nach 112/113) 10 Tassilo III. (bayer. Hzg., 757–787) 28, 43, 46, 55, 97 Tello (Bf. von Chur, 759–765) 157, 159, 160, 161 Thegan (Biograph Ks. Ludwigs des Frommen, † 849/853) 160 Theodelinde (bayer. Prinzessin u. langobard. Kgn., ca. 570–626) 52 Theoderich der Große (Kg. der Ostgoten, 470–526) 32, 36, 37, 40, 44–47, 53, 89, 153, 154 Theotpert (bayer. Hzg., 702–716) 29 Theudebert I. (fränk. Kg., 533–547/548) 45, 154 Theuderich I. (fränk. Kg., 511–534) 52 Tiberius (röm. Ks., 14–37 n. Chr.) 56, 87, 93 Trajan (röm. Ks., 98–117 n. Chr.) 201 Tröster, Johannes (rumän. Historiograph, † 1670) 214 Ureche, Grigore (rumän. Historiograph, ca. 1590–1647) 217 Valentinus (Hl., 3. Jh.) 51 Venantius Fortunatus (merowing. Autor, Bf. von Poitiers, vor 540–600) 32, 45, 88 Vincentius (got. Feldherr, 5. Jh.) 45 Virgil (Bf. von Salzburg, 746/47–784) 29, 33, 34, 49, 50, 53 Vortigern (brit. Herrscher, 5. Jh.) 163 Walahfrid Strabo (karoling. Autor, Abt der Reichenau, 838–849) 30, 38, 129, 158, 162 Wandalbert von Prüm (karoling. Autor, 813–nach 848) 22, 59, 60 Wetti (Mönch des Klosters Reichenau, † 824) 30, 129, 158, 162 Wilhelm IX. (Hzg. von Aquitanien, 1086–1126) 223 Wilhelm von Malmesbury/William of Malmesbury (engl. Geschichtsschreiber, ca. 1090–1143) 40 Willelmus (Bf. von Lausanne, 13. Jh.) 130 Wulfstan II. (Bf. von Worcester, 1062–1095) 169, 174