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German Pages 228 Year 1987
ULRICH ZIEGERT
Vorsatz, Schuld und Vorverschulden
Schriften zum Strafrecht Band 70
Vorsatz, Schuld und Vorverschulden
Von
ffirich Ziegert
DUNCKER &
HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Ziegert, Ulrich: Vorsatz, Schuld und Vorverschulden / von Ulrich Ziegert. - Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 70) ISBN 3-428-06125-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06125-X
Vorwort Diese Abhandlung ist von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximihans-Universität München im Wintersemester 1985/86 als Dissertation angenommen worden. Sie ging unverändert in den Druck. Literatur wurde daher nur berücksichtigt, soweit sie bis Ende 1985 erschienen ist. Mir liegt daran, an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Klaus Volk zu danken. Sein Vertrauen in den Ertrag meiner Überlegungen war eine stete Ermutigung. München, im Frühjahr 1986 Ulrich Ziegert
Inhaltsübersicht Einleitung
.......................................................... 13
A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung .................... I. Kurzcharakteristik des Affekts
11. Vorsatz und Affekt
..................................
17
............................................
22
B. Die Willensseite des Vorsatzes
c.
17
......................................
38
I. Der Tatentschluß ..............................................
38
11. Die Absicht und der dolus directus ...............................
69
ill. Der dolus eventualis ...........................................
81
Rekonstruktion des Vorsatzes im Verbrechensaufbau - Der zweiteilige Vorsatzbegriff ....................................................... 125 I. Zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld ......................... 125 11. Die Doppelstellung des Vorsatzes ................................ 137 ill. Vorsatz als Entscheidung ....................................... 142
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand ................... 145 V. Die Schuldseite des Vorsatzes und ihr Verhältnis zur Rechtswidrigkeit 158 D. Vorsatz und Vorverschulden ........................................ 173 I. Die Entwicklung der Rechtsprechung ............................. 173 11. Die im Schrifttum angebotenen Lösungen ......................... 177 ill. Der verschuldete Affekt als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination ..... 189
Literaturverzeichnis .................................................. 215
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13 A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
I. Kurzcharakteristik des Affekts
1.
......... . ............ . ....... . ...... Definition und Abgrenzung ..................................
17 17
2.
Phänomenologie und Struktur der Affekthandlung ..............
19
II. Vorsatz und Affekt .......................... "'..................... 1. Erfahrungswissenschaftliche Daten in der strafrechtlichen Rezeption ...................................................... 2. Vorsatz und Wille in der strafrechtlichen Standardliteratur ....... 2.1 "Systematische" Willenselemente .............................
22 22 24 26
2.2 2.3 3.
"Inhaltliche" Willenselemente ............................... Finale Steuerung und bewußtes Wollen ........................ Revision des Vorsatzbegriffes ................................
27 29 31
3.1 3.2 3.3
Finalität als "Außenseite" des Wollens ........................ "Kognitive" Vorsatzlehren ...................... . ........... Analyse vorsätzlichen Wollens ...............................
31 34 37
B. Die Willensseite des Vorsatzes I. Der Tatentschluß 1. Entschlossenheit und Tatentschluß ........................... 2. Entschlossenheit als unbedingtes Wollen .......................
38 38 40
2.1 2.2 3. 4. 5. 5.1 5.1.1
Die traditionelle Auffassung ................................. 40 Kritik der herrschenden Meinung ............................. 42 Vorsätzliches Hinwirken auf die Rechtsgutverletzung (Arzt) . . . . . .. 45 Entschlossenheit als Übergewicht von Motiven (Roxin) ........... 47 Die Zulassung eines Motivs als Verhaltensziel (eigene Lösung) . . . .. 52 Systematische und psychologische Grundlagen ................. '52 Exkurs zum Verhältnis von Psychologie und Strafrechtsdogmatik .. 53
5.1.2 5.2 5.3
Neuere Tendenzen der Motivationspsychologie ................. Die Motivations- und Handlungstheorie von Kuhl ............... Intention und Tatentschluß ..................................
55 56 59
5.4 5.5
Entschlossenheit im Affekt .................................. Zum Verhältnis von Versuchs- und Vollendungsvorsatz ..........
64 66
Inhaltsverzeichnis
9
11. Die Absicht und der dolus directus .................................. 69 1. Die Absicht ............................................... 69 1.1 Urhebergefühl .............................................. 70 Motivierende Erfolgsvorstellung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 172 1.2 1.2.1 Situative Merkmale ................... . .................... 74 1.2.2 Affekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75" Die Einstellung zum Erfolg .................................. 76 1.3 2.
Der dolus directus ................................ . .........
ill. Der dolus eventualis
78
.............................................. Mögliche Bezugspunkte der Auseinandersetzung ................ Die Reichweite des Vorsatzes ................................
81
Das Wesen des Vorsatzes ..................... . .............. Methoden der Abgrenzung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Vorsatz als Entscheidung ....................................
82
83
2.2 2.2.1
Der Standort des Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Grundzüge der Entscheidungstheorie ......................... Die Haltung zur Gefahr der Tatbestandsverwirklichung ..........
2.2.2 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 4.
Die Stellungnahme zum Erfolg ............................... Vorsatzabgrenzung und Motivationsfähigkeit ................... Keine Entscheidung ohne Alternativen ........................ Keine Alternativen ohne Steuerungsfähigkeit ................... Der materielle Gehalt des Schuldvorwurfs ..................... Die mit der Exkulpation getroffene Feststellung ................ Die Entscheidung - ein Begriff der Schuld ..................... Klassische Vorsatztheorien ..................................
88
4.1
Die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau ............... Verwirklichungswille versus betätigter Vermeidewille ........... Emotionale Theorien ....................................... Die Billigung des Erfolges ................................... Das Merkmal der Gleichgültigkeit ............................ Vorstellungstheorien ....................................... Das bloße Tatbewußtsein .................................... Das Kriterium der Wahrscheinlichkeit ....... . ................ Neuere kognitive Ansätze ...................................
97
1. 1.1 1.2 1.3
2. 2.1
4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 5.
81 81 83 83 84 87 90 90 92 92 93 96 97
99 101 101 103 104 105 106 107
5.1.1
Vorsatz und Vermeidbarkeit (Jakobs) ......................... 107 Der "Willens"begriff von Jakobs ............................. 108
5.1.2
Vorsatz als Wissen um die Handlung und ihre Folgen ............ 109
5.1
5.1.2.1 Entscheidungsrelevanz als objektive Untergrenze des dolus eventualis .................................................... 109 5.1.2.2 Objektivierung der Wahrnehmung und der Verlust der Vorsatzgrenze .................................................... 110
10
Inhaltsverzeichnis 5.1.3 5.1.3.1 5.1.3.2 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.3.3 5.2.4 6.
Legitimation der Vorsatzstrafe ............................... 111 Gemessen am traditionellen Schuldbegriff ..................... 112
In einem funktionalen Strafrechtssystem ...................... Vorsatz und Risiko (Frisch) .................................. Objektiver Tatbestand oder tatbestandsmäßiges Verhalten als Gegenstand des Vorsatzes? ............................ : ........ Der tatbestandsmäßige Erfolg in seiner subjektiven Widerspiegelung ..................................................... Der objektive Tatbestand als reine Sanktionsnorm? .............. Die Ratio der Vorsatzbestrafung .............................. Präventive Gesichtspunkte .................................. Wertrationale Gesichtspunkte ................................ Vorsatz als Kenntnis des tatbestandsmäßigen Verhaltens ......... Nur eine neue Sprachregelung? ............................... Die Rolle des Erfolges ...................................... Erklärungsdefizite ......................................... Vorsatzbegriff und Legitimation derVorsatzbestrafung ........... Zusammenfassung und Ausblick .............................
113 114 114 114 116 117 117 118 119 120 120 121 122 124
c. Rekonstruktion des Vorsatzes im Verbrechensaufbau - Der zweiteilige Vorsatzbegriff I. Zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld
............................ 125
1. 2. 3. 3.1 3.2
Die Bedeutung für den Vorsatzbegriff ......................... Das klassische Verbrechenssystem ............................ Willensbildung versus Willensverwirklichung ..... . ............ Handlungs- und Antriebssteuerung (Welzel) .................... Der dolus eventualis - ein Fall der Handlungssteuerung? .........
125 125 126 127 128
3.3 3.4 4. 4.1 4.2 4.3
Teleologische und kausale Betrachtungsweise (Lampe) ........... Weitere Motivationselemente im Unrecht ...................... Abgrenzung innerhalb der Willensbildung (eigene Lösung) ....... Normbegriff und Motivation ................................. Unrechts- und Schuldperspektiven der Motivation .............. Exkurs: Die Schuldperspektive der Willensbildung und ergänzende Regelungen am Beispiel von § 35 StGB ........................
129 130 131 131 133 136
H. Die Doppelstellung des Vorsatzes ................................... 137 1. Die Lozierung im Verbrechensaufbau ......................... 137 1.1 1.2
Träger des Handlungssinnes ................................. 137 Gestalt des Schuldvorwurfs .................................. 138
2. 2.1
Doppelstellung und Vorsatzdogmatik ......................... 139 Der Einfluß auf die Begriffsbildung ........................... 139
2.2
Die doppelte Entwicklung des Vorsatzbegriffs .................. 141
Inhaltsverzeichnis
11
ill. Vorsatz als Entscheidung .......................................... 142
1. 2.
Doppelfunktionalität des Entscheidungsbegriffs ........... . .... 142 Die Grundlage der Entscheidung ............................. 143
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand ...................... 1. Die Erfolgsvorstellung im Motivationsprozeß ................... 2. Absicht ................................................... 3. Dolus eventualis und dolus directus ........................... Der Wertcharakter der Handlungssituation .................... 3.1 3.2 3.3 3.4 4.
145 145 148 149 150
Die Fälle der "Gleichgültigkeit" .............................. Die vorsatzspezifische Haltung ............................... Der dolus directus .......................................... Vorsatz im Nebenstrafrecht und Vorsatztheorie .................
151 152 155 156
V. Die Schuldseite des Vorsatzes und ihr Verhältnis zur Rechtswidrigkeit .... 1. Vorsatz als Entscheidung in der Schuld ........................ 2. Zusammenfassende Darstellung des zweiteiligen Vorsatzbegriffs ... 3. Das Verhältnis von Unrechts- und Schuldseite des Vorsatzes ...... 3.1 Der Verbotsirrtum ......................................... 3.2 Exkurs: Der Erlaubnistatbestandsirrtum ...................... Weitere Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen 3.3
158 158 162 166 166 169
171
D. Vorsatz und Vorverschulden I. Die Entwicklung der Rechtsprechung ................................ 173
1. 2.
Reichsgericht und Oberster Gerichtshof ....................... 173 Die weitere Differenzierung durch den Bundesgerichtshof ........ 174
11. Die im Schrifttum angebotenen Lösungen ............................ 1. Die Regelung des Verbotsirrtums als Vorbild ................... 2. Zurechnung über die Grundsätze der actio libera in causa ........ 3. Zurechnung über die Grundsätze der actio libera in omittendo (Behrendt) ................................................ 4. Der strafrechtliche Verantwortungsdialog (Neumann)
177 177 181 183 187
ill. Der verschuldete Affekt als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination ........ 189
1. 1.1 1.2
Verbotsirrtum und Verlust der Steuerungsfähigkeit im Affekt ..... 189 Die Form des Verschuldens .................................. 190 Der Zeitpunkt des Verschuldens .............................. 194
2. 2.1
Die Zurechnung des verschuldeten Affekts ..................... 198 Einsichtsfähigkeit, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit ........... 198
2.2 2.2.1
Steuerungsunfähigkeit und Vermeidbarkeit .................... 200 Die Beschränkung der Vermeidbarkeitsprufung auf die intellektuelle Komponente der Schuld ............................... 200
12
Inhaltsverzeichnis 2.2.2
Die voluntionale Vermeidbarkeitsprüfung in § 17 StGB .......... 202
2.2.3
Das Verhältnis zu § 20 StGB ................................. 204
2.3
Grundzüge der Zurechnung .................................. 206
2.3.1
Der Fahrlässigkeitsvorwurf .................................. 206
2.3.1.1 Mögliche Anknüpfungspunkte
...................... . ........ 207
2.3.1.2 Der Haftungsmaßstab 2.3.2
208
Der mittelbare Tatbezug .................................... 210
3.
Überprüfung des Vorverschuldenskonzepts
3.1
An § 323 a StGB ........................................... 210
.................... 210
3.2
Das Verhältnis zum Prinzip der actio libera in causa ............. 211
4.
Vorsatz und Vorverschulden ................................. 213
Literaturverzeichnis .................................................. 215
Abkürzungen und Zitierweise Festschriften werden mit dem Namen des zu Ehrenden und den Zusatz "FS" abgekürzt. Im Literaturverzeichnis sind sie ebenfalls unter dem Namen des Jubilars aufgeführt. Die Titel einiger Werke werden verkürzt zitiert; Zitierweise, wie vollständiger Titel, finden sich im Literaturverzeichnis. Die Abkürzung von Zeitschriften entspricht der allgemeinen Übung, auch sonst finden die eingeführten Abkürzungen Anwendung.
Einleitung Vorsatz und Schuld, dieses Begriffspaar erinnert an die klassische Kontroverse um die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau. Die Auseinandersetzung, zu der die Vertreter der traditionellen Lehre von den Finalisten gefordert wurden, endete vor vielen Jahren mit einem glänzenden Sieg der Neuerer des Strafrechtssystems. Der Leser wird daher mit dem Titel unserer Abhandlung eine Fragestellung verbinden, die weithin als gelöst gilt. Gleichwohl glauben wir, nicht ohne Aussicht auf Erfolg, um seine Aufmerksamkeit und Neigung werben zu können. Die finale Handlungslehre leitete einen Paradigmawechsel ein, der unser Bild von den Systemkategorien, die Konzeption von Unrecht und Schuld grundlegend verändert hat. Dem Vorsatz fiel dabei ein hervorgehobener Part zu. Bildete er als dolus malus einst die Grundlage der Schuld, so entwickelte er sich durch die finalistische Wende zum "Kernstück des personalen Handlungsunrechts"l. Die veränderte Lozierung des Vorsatzes fand weit über den Kreis der Finalisten Anerkennung und Gefolgschaft. Heute wird seine zentrale Bedeutung im Unrechtstatbestand kaum in Frage gestellt, während dem Erfolgsunwert, der einst die Deliktskategorie prägte, der Abstieg zur bloßen Strafbarkeitsbestimmung droht. Obgleich die Veränderungen im Strafrechtssystem so tief reichen, daß die Qualifizierung als Paradigmawechsel durchaus angemessen erscheint, konnte der Eindruck eines "systematischen Versatzspiels"2 entstehen. Denn obwohl der Wandel vom zentralen Schuldelement zum gestaltenden Agens der tatbestandlichen Handlung unmittelbar den Begriffsinhalt betrifft, blieb die Begriffsbildung von der veränderten Stellung des Vorsatzes im Verbrechenssystem unberührt. Die Grundstruktur des Vorsatzes begegnet weiterhin als spezifische Relation zwischen Wissen und Wollen. Selbst die konkreten Vorsatzdefinitionen, die Formeln, mit denen doloses Handeln umschrieben wird, sind identisch mit jenen Formulierungen, die einst den dolus malus charakterisierten. Die ungebrochene Tradition läßt vermuten, daß die Begriffsbildung der Vorsatzdogmatik den Paradigmawechsel nicht nachvollzogen hat. Denn es müßte für einen ganz außergewöhnlichen Zufall gelten, wenn der subjektive Jescheck, AT, S. 192f. Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 890; ähnlich Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S. 1. 1
2
Einleitung
14
Handlungssinn mit eben jenen Kriterien zu erfassen wäre, die Art und Schwere der Vorwerfbarkeit dolosen Verhaltens identifizieren. Diese Kongruenz der Beurteilungsmaßstäbe ist aber ebenso unwahrscheinlich, wie unerwünscht. Denn die Systemkategorien müssen unabhängig, ihre Bestimmungsmerkmale somit unterschiedlich sein. Schon die Zweispurigkeit des Strafrechts fordert, daß doloses Unrecht auch bei schuldloser Begehung festgestellt werden kann. Die finale Handlungs- wie die personale Unrechtslehre haben gerade die konsequente Trennung von Unrecht und Schuld als Vorzug ihrer Konzeption gepriesen, ohne das selbst gesetzte Ziel tatsächlich erreicht zu haben. Wir werden zeigen, daß die herkömmlichen Vorsatztheorien den Begriff des Dolus nicht ohne Anleihen aus dem Bereich der Schuld bestimmen, daß vor allem die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit nicht ohne Rückgriff auf Elemente der Vorwerfbarkeit gelingt3. Der Befund ist nicht neu4 , hat aber noch zu keiner Rekonstruktion des Dolus im Verbrechens aufbau geführt. Dies ist das Ziel unserer Abhandlung. Ihr Anliegen bildet die Neubestimmung des Vorsatzes auf der Grundlage der personalen Unrechtslehre, seine bruchlose Einfügung in den Verbrechensaufbau, somit der Vollzug der finalistischen Wende in der vorsatzdogmatischen Begriffsbildung. Die Stellung des Dolus im Verbrechenssystem kann heute in der Lehre zumindest soweit als geklärt gelten, als der Vorsatz im Unrechtstatbestand den sozialen Sinn der Handlung bezeichnet. Diese Zuordnung folgt'~icht aus der ontologischen Struktur der Handlung, sondern aus der Normlogik des Strafgesetzes. Weniger gesichert stellt sich das Verhältnis von Vorsatz und Schuld dar. Die Finalisten sehen den Dolus als Merkmal des subje).diven Tatbestands in all seinen Bezügen erfaßt. Vorsatz und Fahrlässigkeit verkörpern aber nicht nur wertneutrale Verhaltenstypen, sondern geben auch unterschiedlichen Schuldformen Ausdruck, wie die abgestuften Strafrahmen und die regelmäßige Straffreiheit fahrlässiger Begehung zeigen. Im Hinblick auf diese doppelte Funktionalität des Dolus für Unrecht und Schuld wurde die Lehre von der DoppelsteIlung des Vorsatzes entwickelt. Hatte bereits die tiefgreifende Umgestaltung des Verbrechenssystems durch die personale Unrechtslehre die Vorsatzdogmatik in ihrer Begriffsbildung kaum berührt, so erfuhren die konkreten Definitionen, der Begriffsinhalt auch keine Veränderung, als die Schuld "ein Stück Vorsatz" zurückerhielt. Dieser Schuldanteil erscheint seltsam unbestimmt, lediglich als Spiegelbild der bereits im Unrecht angelegten Differenzierung, während auf der Tatbestandsebene gleichbleibend der traditionelle Vorsatzbegriff begegnet. Vgl. unten B III. Engisch, Kohlrausch-FS, S.155f.; Gallas, Niederschriften, S.111; Jescheck, Wolf-FS, S. 486ff.; Tompert, a.a.O., S. 5ff. 3
4
Einleitung
15
Die Lehre von der Doppelstellung hat zwar eine fruchtlose systematische Auseinandersetzung beendet, eine inhaltliche Neubestimmung jedoch verfehlt. Auch die Vertreter dieser Auffassung entwickeln den Vorsatz allein aus der Perspektive des Unrechts, messen seiner Schuldkomponente keine eigenständige Bedeutung für die Begriffsbildung zu. Dagegen fließen implizit bereits auf der Tatbestandsebene Elemente der Vorwerfbarkeit in die Definition des Vorsatzes ein. Vor allem die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit läßt Relikte des dolus malus zutage treten. Auch wo sie von der DoppelsteIlung ausgeht, verpaßt die Vorsatzdogmatik folglich das Ziel der personalen Unrechtslehre, mit der dogmatischen Kategorie im Rahmen des Tatbestandes lediglich den Handlungssinn zu identifizieren und so auch die Taten schuldlos Handelnder unrechtstypisch zuordnen zu können. Bereits die Abgrenzung der Grundformen subjektiver Zurechnung wird durch Wertungen charakterisiert, die der Ebene der Schuld vorbehalten sind. Die allseits postulierte Trennung von Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit ist damit durchbrochen, die dolose Zurechnung von Taten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden, wenig überzeugend gelöst. Eine Rekonstruktion des Vorsatzes im Verbrechensaufbau wird daher vornehmlich darum bemüht sein, die Lozierung des Dolus in Unrecht und Schuld konsequent in der Begriffsbildung nachzuvollziehen. Ihr obliegt es, die Funktion des Dolus auf beiden Ebenen des Strafrechtssystems zu bestimmen und die Komponenten des Vorsatzes durch Merkmale zu beschreiben, die jeweils kompatibel sind. Dies bedeutet unter anderem, daß die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nach dem Handlungssinn bereits im Rahmen der Rechtswidrigkeit ohne Anleihen aus dem Bereich der Schuld erfolgen muß, da andernfalls die Unrechtstypizität schuldloser Handlungen ungeklärt bliebe. Unser Ansatz gründet folglich auf einer Auseinandersetzung mit dem Verbrechenssystem5 • Das Verhältnis der Systemkategorien kann dabei jedoch nicht in all seinen Bezügen erörtert, sondern nur soweit skizziert werden, wie es den Begriff des Vorsatzes berührt. Dem Ziel, die Doppelstellung in Begriffsbildung umzusetzen, entspricht ein Vorsatzkonzept, das den Dolus aus den Blickwinkeln beider Verbrechensstufen jeweils selbständig entwickelt, ihm im Begriff der Entscheidung aber zugleich ein übergreifendes Leitbild gibt. Aus den Lehren von Unrecht und Schuld erwächst so ein zweiteiliges Vorsatzkonzept, das sich bruchlos in den Verbrechensaufbau einfügt und das die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bereits auf der Tatbestandsebene markiert. Es erläutert den Schuldabstand zwischen den Zurechnungsarten klar und alltagspsychologisch nachvollziehbar und gibt dem Schuldurteil seinen materiellen Bezug zurück, den es durch die Verlegung des Vorsatzes in den subjektiven Tatbestand verloren hatte. 5
Vgl. unten C I, 11.
16
Einleitung
Die Begründung eigenständiger Komponenten des Vorsatzes auf den Systemkategorien ermöglicht schließlich eine - im Vergleich zur horizontalen Verknüpfung bei erfolgsqualifizierten Delikten - vertikale, über die Stufen des Verbrechensaufbaus reichende Kombination der Grundformen subjektiver Zurechnung. Die Verbindung von dolosem Unrecht mit Fahrlässigkeitsschuld wird dabei nicht nur, den Gegensatz von Vorsatz- und Schuldtheorie überwindend, eine ungewohnte Sicht des Verbotsirrtums offenbaren6 , sondern ein allgemeines Prinzip der Zurechnung von Verschuldensmomenten aufzeigen, die außerhalb des eigentlichen Tatverhaltens liegen 7• Da vortatliche Verantwortung besonders bei Affektdelikten diskutiert wird, dort in der Rechtsprechung Berücksichtigung findet, werden wir unser Vorverschuldenskonzept am Beispiel dieser Taten erläutern. Affekthandlungen sind aber auch hervorragend geeignet, das Verhältnis von Vorsatz und Schuld zu exemplifizieren, denn der hochgradige Affekt soll nicht nur die Schuld, sondern auch den Vorsatz in Frage stellen8 • Die Affekttat wird somit, Anfang und Ende unserer Überlegungen illustrierend, der vorliegenden Abhandlung einen anschaulichen Rahmen geben.
Vgl. unten C V, 3.l. Vgl. unten D 111. B Vgl. etwa Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 39ff.; Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz, S. 86ff. 6
7
A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung I. Kurzcharakteristik des Mfekts 1. Definition und Abgrenzung "Affekt (m). Heftige Gefühlswallung. Meist verbunden mit körperlich-vegetativen Begleiterscheinungen. Zum Begriff gehört, daß die Gefühlstönung nur für kurze Zeit geändert wird (Unterschied zur Leidenschaft) und so stark werden kann, daß die rationale Persönlichkeit sich nicht dagegen durchzusetzen vermag. Innerhalb jeder Kultur wird eine weitgehende Beherrschung der Affekte gefordert. Beispiele für Affekte sind: Zorn, Wut, Haß, Freude, u. a."
Das oben angeführte Zitat steht im Wörterbuch der Psychiatrie von Uwe Peters unter dem Stichwort "Affekt" vermerkt. Schlägt man in dem vergleichbaren Werk von Haring / Lückertl den Begriff der Affekthandlung nach, so stößt man auf folgende Erläuterung: "Handlung, bei der die Zielvorstellung, das Abwägen der Motive und das schließliehe Sich-Durchsetzen eines Motives von einem Affekt, das heißt vorwiegend von unbewußten, oder nur teilbewußten (auf jeden Fall nicht kritisch abgewogenen und bewerteten) Bestrebungen bestimmt wird."
Den Zitaten zufolge handelt es sich bei beiden Stichworten um in der Psychiatrie seit langem eingeführte Begriffe. Dieser Eindruck spiegelt jedoch nur eine Seite der wissenschaftlichen Entwicklung wider. So konnte Saß in einem historischen Exkurs Affekttheorien zwar bis in die Antike, zu Platon, Aristoteles und Seneca zurückverfolgen2 • Andererseits ist eine gewisse Distanz der Psychiatrie zu jenen Phänomenen ebenso augenfällig, wie ihre Hilflosigkeit in der Beurteilung von Affekttaten. Die Psychiatrie begriff sich über mehr als ein Jahrhundert ausschließlich als "Wissenschaft von der Erkennung und Behandlung des krankhaft veränderten oder abnormen Seelenlebens"3. Der normalpsychologische Affekt liegt außerhalb dieses Selbstverständnisses 4 • Die Randständigkeit blieb auch erhalten, als die PsychiaWörterbuch der Psychiatrie und ihrer Grenzgebiete. Der Nervenarzt, 54 (1983), S. 558f. Zur Darstellung im 19. Jh. vgl. Jagemann / Brauer, Criminallexikon, Stichwort "Affekt". 3 Peters, Wörterbuch der Psychiatrie, Stichwort "Affekt" (Hervorhebung nicht im Original). 4 Der Begriff der Affekthandlung, auf dem die strafrechtliche Beurteilung fußt, findet in vielen Standardwerken der Psychiatrie nicht einmal Erwähnung. Dort ist häufig nur von Affektivität oder Primitivreaktionen die Rede. Vgl. hierzu etwa: Berner, Psychiatrische Systematik; Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie; Bostroem, Störungen des Wollens; Bräutigam, Reaktionen, Neurosen, Psychopathien; Ewald, Lehrbuch der Neurologie und Psychiatrie; Jaspers, Allgemeine Psychopathologie; Kretschmer, 1
2
2 Ziegert
18
A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
trie sich jüngst für psychische und soziale Verhaltensauffälligkeiten kompetent erklärte, die nicht unter den klassischen Krankheitsbegriff subsumierbar sind. Denn auch diese Zuständigkeit setzt Behandlungsbedürftigkeit voraus, die bei Affekthandlungen bisher nicht dargetan wurde, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit in der Lebensgeschichte auch kaum einleuchten würde. Die Folge ist, daß die Psychiatrie für den Affekt nicht auf eine gesicherte wissenschaftliche Tradition zu rekurrieren vermag. Der Beurteilung, die sich sonst auf empirisch abgestützte Krankheitsbilder beziehen kann, fehlt bei Affekthandlungen die Bezugsnorm5• Dieser Maßstab muß erst durch die forensische Psychiatrie erarbeitet werden, die hier nicht aus dem gewachsenen Bestand der allgemeinen Psychiatrie schöpfen kann, sondern ihre Kriterien eher einer Nachbardisziplin, der Psychologie, entlehnen muß. So verwundert es nicht, daß der Richter gerade in diesem Bereich weitgehend auf sich gestellt ist und der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Affektproblematik am Urteil der sachverständigen Autoritäten vorbei entwickelt hat. Für eine Auseinandersetzung mit den erfahrungswissenschaftlichen Theorien und Befunden über Affekthandlungen besteht hier weder Raum noch Notwendigkeit. Aus jüngerer Zeit liegen eine ganze Reihe von Monographien und Aufsätzen vor, die sowohl den gegenwärtigen Forschungsstand referieren, wie auch neue Erklärungsansätze zur Diskussion stellen6 • Wer sich detailliert informieren will, sei auf die Arbeit von Diesinger verwiesen, wem an einem kurzen aber inhaltsreichen Überblick gelegen ist, der Beitrag von Saß empfohlen. Hier soll die Affekthandlung nur soweit erläutert werden, als es der Fortgang unserer Abhandlung erfordert. Einer weiteren, über die eingangs zitierte Definition hinausführenden Präzisierung des Begriffs dient zunächst seine Abgrenzung zu ähnlichen Phänomenen7 • Überlegtes, rational gesteuertes Verhalten bezeichnet den Gegenpol zum Affektdurchbruch. Dennoch gelingt die Abschichtung auf der äußeren Handlungsebene nicht immer. Die aufgestaute Affektspannung Medizinische Psychologie; Paulenkhoff / Mester, Abnorme Reaktionen und Entwicklungen; Weitbrecht, Psychiatrie im Grundriß. 5 Saß, a.a.O., S. 569. 6 Behrendt, Affekt und Vorverschulden; Binder, MschrKrim. 57 (1974), S. 159 164; Diesinger, Der Affekttäter; Geilen, Maurach-FS, S. 173 - 195; Gerchow, DtschZGes. Gerichtl. Med. 55 (1964), S. 4 - 15; Grosbüsch, Die Affekttat; Krümpelmann, Welzel-FS, S. 327 - 341; Mende, Bockelmann-FS, S. 311 - 322; Rasch, Tötung des Intimpartners; ders., NJW 1980, S. 1313 - 1315; Ritzel, MMW 122 (1980), S. 623 627; Roga~evskij, Der Viktimologische Aspekt der Affekttaten; Saß, Der Nervenarzt, 54 (1983), S. 557 - 572; Schwagulidse, Affekt und Haftbarkeit im Strafrecht; Steigleder, Affekthandlungen, S. 59 - 71; Witter, Die Beurteilung Erwachsener im Strafrecht; ders., Die forensische Beurteilung der Affektdelikte. 7 Vgl. hierzu die eingehende DarsteJlung von Krümpelmann (Affekt und Schuldfähigkeit, S. 127 ff.), an die sich unser Uberblick anlehnt.
I. Kurzcharakteristik des Affekts
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muß sich nicht notwendig in einem Augenblick entladen. Beim protrahierten Affekt erstreckt sich die Reaktion über einen längeren Zeitraum und kann dabei den Anmutungscharakter vernünftigen Verhaltens zeigen. Erst die Analyse im Längsschnitt offenbart dann die differenzialdiagnostischen Kriterien, den Verfall der Steuerung, die Einengung der Umweltwahrnehmung und die Regression der Persönlichkeit in der Konfliktlösung. Von Spontan- oder Primitivreaktionen im Sinne Kretschmers 8 unterscheiden sich Affekthandlungen durch eine Vorgeschichte, in der die zentrale Bedingung für den affektiven Stau gesehen wird. Gemeinsam ist beiden, daß die Reaktion durch einen plötzlichen Situationsdruck ausgelöst wird. Krümpelmann nennt als Beispiele den Einbrecher, der, am Tatort überrascht, entgegen seinen ursprünglichen Vorsätzen zur Waffe greift, um sich den Fluchtweg freizuschießen und den Autofahrer, der im Schreck des Unglücks unerlaubt vom Unfallort entfernt9 • Beide Verhaltensweisen mögen unüberlegt und leichtsinnig sein. Sie können aber noch als Versuche gelten, die Situation sachgerecht zu erfassen und realitätsorientiert zu bewältigen. Die Schnelligkeit des Entscheidungsprozesses verhindert möglicherweise eine optimale Urteilsbildung, die gewählte Verhaltensalternative imponiert aber als vernünftige Konfliktlösung. Der lange Spannungsdruck der Affekthandlung hat dagegen die Umweltwahrnehmung bereits vor dem Auslösen der Reaktion soweit primitiviert, daß eine realitätsbezogene Bewältigung der Situation nicht mehr möglich ist. Der Affektdurchbruch erscheint daher auch nicht als Versuch einer Konfliktlösung, sondern als Kapitulation vor der überwältigenden Spannung. Streitigkeiten und andere, auch körperliche Auseinandersetzungen sind häufig durch eine sprunghaft anwachsende affektive Erregung geprägt. Sie zählen gleichwohl nicht zu den Affekthandlungen, ähneln vielmehr den Spontanreaktionen. Denn auch hier dominiert der den Umweltbedingungen angepaßte Verhaltens anteil. Während den Affekttäter das Streben beherrscht, den Spannungen des Feldes zu entgehen, eine ausweglos erscheinende Lebenssituation zu beenden, steht bei Streitigkeiten der Wille im Vordergrund, das Feld zu behaupten, den Kontrahenten zu besiegen, die Lage, wenn auch mit sozial mißbilligten Mitteln, für sich zu entscheiden. 2. Phänomenologie und Struktur der Affekthandlung lO
Affekttaten finden keine Entsprechung in den klassischen Krankheitsbildern der Psychiatrie. Die Kriterien, die heute zu ihrer Beschreibung und Beurteilung verwendet werden, mußte die forensische Psychiatrie daher 8 9
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Medizinische Psychologie, S. 233 ff. Die ungewohnte Formulierung ist am Vorbild des Gesetzes orientiert.
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
größtenteils auf sich gestellt, ohne Anleihen aus dem Bestand gesicherter Erklärungsmuster , entwickeln. Die Abschichtung der Affekthandlung von den phänotypisch eng verwandten Spontanreaktionen und explosiv verlaufenden Auseinandersetzungen hat bereits ein zentrales Merkmal des Affektdelikts erkennen lassen: Die Vorgeschichte der Tat l l , in der die spezifische Affektspannung aufgebaut wird, die sich im deliktischen Geschehen entlädt. Affekthandlungen, die der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegen, entstehen auf dem Hintergrund eines Wochen bis Jahre andauernden schweren Konflikts, den der Täter nicht aufzulösen vermag. Seine wohl häufigste Erscheinungsform stellt eine Beziehungsstörung zwischen Intimpartnern dar, die Rasch eindrücklich beschrieben hat1 2 • Mit fortschreitender Zeit besetzt der Konflikt mehr und mehr die Vorstellungen des potentiellen Täters. Das Erleben wird eingeengt auf bestimmte Personen und Situationen, die Kräfte konzentriert auf die Beherrschung der ansteigenden Spannung. Gerade das Bestreben, ein Erstarken der affektiven Erregung unter Kontrolle zu halten, verbraucht aber die Seelenkräfte und beschleunigt somit das Abgleiten in die Katastrophe. Die Phase des speziellen Konfliktes geht über in jene der Motiv- oder Tatbereitschaft13 . Sie wird als "Affekttunnel" charakterisiert, aus dem nur der Weg in die Tat führt 14. Inzwischen ist ein Spannungsniveau erreicht, das keinen Raum mehr für überlegtes Verhalten läßt. Der Täter kann nur noch reagieren, er ist "Durchgangsstation für einen Wirkungszusammenhang" geworden 15 . Die Wahrnehmung, extrem zentriert auf Elemente, die mit dem Konflikt zusammenhängen, erlaubt keine realitätsbezogene Auffassung der Situation. Die Entladung hängt dann häufig von Zufälligkeiten ab, entwikkelt sich aus "zunächst inadäquat erscheinenden Gelegenheitsursachen"16. Das Tatgeschehen setzt unter großer Energieentfaltung abrupt ein. Sowenig, wie der Täter auf andere, das Opfer oder Unbeteiligte Rücksicht nimmt, denkt er in diesem Augenblick an die eigene Person. Gefahren, Schmerzen und Verletzungen beachtet er nicht, Sicherheitsvorkehrungen, die der Entdeckung vorbeugen oder die Flucht begünstigen, fehlen regelmäßig. Ebenso 10
Vgl. hierzu den entsprechenden Abschnitt bei Saß (Der Nervenarzt, 54 (1983),
s. 562ff.), an dem sich unsere Darstellung orientiert.
11 Die Vorgeschichte der Tat beschreiben: Hallermann, DtschZGes. Gerichtl. Med. 53 (1963), S. 219ff.; Hadamik, MSchrKrim. 36 (1953), S. 11ff.; Mezger / Mikorey. MSchrKrim. 21 (1938), S. 444ff.; Steigleder, Mörder und Totschläger; Stumpfl, Motiv und Schuld; Rasch, Tötung des Intimpartners. 12 Tötung des Intimpartners. 13 Hadamik, Hallermann, Rasch, jeweils a.a.O. 14 Undeutsch, Handwörterbuch der Kriminologie, Band 1, S. 224. 15 Bürger-Prinz, Motiv und Motivation. 16 Hallermann, a.a.O.
I. Kurzcharakteristik des Affekts
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unvermittelt, wie der Affekt durchbricht, klingt die Erregung ab. Der Täter befindet sich häufig in einer fassungslos verzweifelten Stimmung, in der er sich von der Tat distanziert, die gelegentlich auch in Suizidhandlungen mündet. Der Affektdurchbruch ist begleitet von einer Einengung des Bewußtseins, der vor allem die forensische Psychologie einen hohen Stellenwert für die Exkulpation beimißt 17 • Durch diese Konzentration der Aufmerksamkeit auf ausgewählte Bewußtseinsinhalte wurde bereits die Vorgeschichte charakterisiert. Sie kennzeichnet in noch stärkerer Ausprägung das Tatgeschehen selbst. Damit wird nicht nur die Schuldfähigkeit in Zweifel gezogen, sondern auch der Tatvorsatz. Liegen Nebenfolgen oder Begleitumstände der Begehung außerhalb des Wahrnehmungsfeldes, so scheitert ihre dolose Zurechnung bereits an der intellektuellen Seite des Vorsatzes. Der Bundesgerichtshof berücksichtigt den Affekt daher beim Bewußtsein der Mordqualifikation ohne Differenzierung nach dem Verschulden der Affektlage18 • Diese sorgfältige Prüfung der subjektiven Repräsentanz ist in einem eingeengten Wahrnehmungsfeld für jedes Merkmal des gesetzlichen Tatbestands indiziert. Das gilt in besonderem Maße, wenn über die Rechtsfigur des dolus eventualis eine Haftung für Nebenfolgen der Handlung begründet werden soll. Neben dem Konflikt werden für die Affektentwicklung vor allem die "prämorbide" Persönlichkeit des Täters sowie konstellierende Faktoren verantwortlich gemacht. Als prädisponierende Persönlichkeits bezüge begegnen in der Literatur: Simmungslabilität, Selbstunsicherheit, Neigung zu dysphorischer Gereiztheit und heftiger Reaktion. Der Affekttäter erscheint als empfindsamer, leicht verletzlicher und kränkbarer Mensch, der schlecht in der Lage ist, Gefühle adäquat zu artikulieren und daher Gefühlsäußerungen zurückhä1t1 9 • Zur Eruption der affektiven Spannung kommt es dann häufig unter bestimmten, die Reaktion erleichternden äußeren Umständen. Hierzu zählen der Einfluß von Alkohol, Drogen, psychotropen Medikamenten, Übermüdung und Erschöpfung, vor allem aufgrund der konfliktreichen Vorgeschichte 20 • Können die vorgenannten Kriterien einer Affekthandlung überwiegend als deskriptive Merkmale gelten, so überwiegt bei den nachfolgend aufgeführten die normative Komponente. Für die Beurteilung soll es etwa auf die Persönlichkeitsfremdheit des Delikts ankommen. Dieses Merkmal vermag jedoch bei Konflikttaten, die in der Lebensgeschichte meist isoliert bleiben, keine Trennschärfe auszubilden. Zudem erschließt sich der Begriff der Per17
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Thomae, Der Mensch in der Entscheidung; Undeutsch, a.a.O. BGHSt 6, 328; 11, 139. Vgl. die Nachweise bei Saß, a.a.O., S. 563f. Saß, a.a.O.
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
sönlichkeitsfremdheit nur über ein ausgesprochen subjektives Urteil. Gleiches gilt für das Mißverhältnis zwischen dem Anlaß der Tat und der Reaktion, das ebenfalls zur Abgrenzung herangezogen wird. Auch hier fehlen objektive Kriterien, an denen der Begriff zu messen ist. Bei Tötungsdelikten wird man ohnehin kaum von einem adäquaten Anstoß sprechen können. Die Störung der Sinn- und Erlebniskontinuität gleicht in Anlage und Problematik dem Merkmal der Persönlichkeitsfremdheit. Angesprochen ist damit die Sinnhaftigkeit des Motivationsprozesses. Sinnbildende Kontinuität entsteht, wenn sich ein einfühlbarer, verstehbarer Zusammenhang zwischen Lebenssituation und Persönlichkeit auf der einen sowie der Tat auf der anderen Seite herstellen läßt. Die Sinnfrage hängt aber vom Krankheitsbegriff, letztlich vom Menschenbild ab und erweist sich somit als wenig geeignet, im konkreten Einzelfall die Affekthandlung zu identifizieren2l • Eine ganze Reihe von Merkmalen, durch die das Affektdelikt definiert wird, auch jenes der Amnesie etwa, das in unserer Aufzählung nicht erwähnt wurde, können weder unter dem Aspekt der Reliabilität noch unter jenem der Validität überzeugen. Damit bleibt die forensische Beurteilung der Affekttat ungesichert, hält die Auseinandersetzung in den Fachwissenschaften an. So lebhaft dort die Diskussion auch geführt wird, konvergieren die widerstreitenden Ansichten doch in einem Punkt: In der forensischen Praxis begegnen Straftaten, die durch einen extremen affektiven Erregungszustand geprägt sind. Im Augenblick des Affektdurchbruchs ist dabei die Fähigkeit, das Verhalten nach der Einsicht in das Unrecht willentlich zu überformen, aufgehoben, zumindest nicht mehr feststellbar 22 • Wo im Fortgang unserer Abhandlung von Affekthandlungen die Rede sein wird, ist dieser "hochgradige", im Zeitpunkt der Tat exkulpierende Affekt gemeint.
ll. Vorsatz und Affekt 1. Erfahrungswissenschaftliche Daten in der strafrechtlichen Rezeption Die Darstellung der Affekttat im psychiatrischen und psychologischen Schrifttum läßt in der Rechtswissenschaft eine Auseinandersetzung um die Vorsatzqualität von Affekthandlungen erwarten. Doch obgleich eine breite Rezeption der erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgte, konzentriert sich die Diskussion fast ausschließlich auf die Schuld des Affekttäters l . Die Gerichte würdigen Affektdelikte mit einer - zumindest in den 21 Zur Problematik der "normativen" Kriterien bei der forensischen Beurteilung von Affekttaten, vgl. Saß, a.a.O., S. 565. 22 Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S.20ff.; Krümpelmann, Affekt und Schuldfähigkeit, S. 173ff.
11. Vorsatz und Affekt
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Gründen - unreflektierten Selbstverständlichkeit als vorsätzliche Taten. Das Ergebnis stellt auch die Literatur nicht in Frage. Wegen einer affektiven Erregung die vorsätzliche Zurechnung auszuschließen2 oder an ihrer Stelle unter Umständen einen Fahrlässigkeitsvorwurf zu erheben3 , wird kaum ernsthaft erwogen. Dagegen anerkennt das Schrifttum mancherorts, daß Affekthandlungen nicht ohne weiteres mit den hergebrachten Formeln der Doluslehre zu erfassen sind, ihre Subsumtion vielmehr einer aufwendigen Begründung bedarf4 • Die Argumentation wirkt in aller Regel jedoch wenig überzeugend. Das Verständnis der Affektdynamik als Verbrauch von Kräften der Beherrschung, als Verlust der Verhaltenskontrolle, das die Diskussion um die Schuld auslöste, zieht vor allem das voluntative Moment des Vorsatzes in Zweifel. Der Grund für die Unzulänglichkeit der Erklärungsansätze liegt dabei weniger in einer verkürzten Sicht der seelischen Prozesse, die die affektive Erregung begleiten, als in ungenauen Vorstellungen von der Willensleistung, die eine dolose Zurechnung voraussetzt. Das Bild, das die Strafrechtsdogmatik von diesem voluntativen Element zeichnet, soll daher mit der Phänomenologie des Affekts konfrontiert, die Störung des Wollens dem vorsätzlichen Wollen gegenübergestellt werden. Die Beurteilung des Affektdelikts ist in der psychologischen und psychiatrischen Literatur ebenso umstritten wie im juristischen Schrifttum. Ungeklärt sind die Kriterien der Exkulpierung, besonders jenes der Bewußtseinsstörung, offen ist die Bedeutung von" Vorgestalten der Tat". Die kritischen Punkte betreffen jedoch nicht unmittelbar die seelischen Tatbestände, an die der Vorsatz anknüpft. Die psychische Verfassung des Handelnden im Zeitpunkt der Affektreaktion, auf den es für den Vorsatz allein ankommt 5 , wird mit großer Übereinstimmung beschrieben: Die Möglichkeiten der entwickelten Gesamtpersönlichkeit, kontrollierend und steuernd das Verhalten zu bestimmen, sind erschöpft. Erlebnisreize erreichen die höheren Schichten der Persönlichkeit nicht mehr, Handlungsimpulse setzen sich unmittelbar in Aktion um 6 • Dadurch ist eine "Stellungnahme des Wollens" zu dem Antrieb, der sich realisiert oder zu möglichen kontrastierenden Motiven ausgeschlossen 7 • Die Vgl. unten D I. Eine Ausnahme ist die allseits akzeptierte Rechtsprechung des BGH zu den Mordmerkmalen; vgl. oben Einleitung, Fn. 8. 3 Anders aber Hall (Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 39ff.), der bei einem vorwerfbaren Kontrollverlust wegen Fahrlässigkeit strafen will. 4 Maurach I Zipf, AT, Tb. 1, S. 322; S/S - Cramer, § 15 Rn. 60; Schroeder, LK § 16 Rn. 107. 5 Anders offensichtlich Jescheck, AT, S. 236 Anm. 7. 6 Kretschmer, Medizinische Psychologie, S.217ff.; Weitbrecht, Psychiatrie im Grundriß, S. 118. 7 Weitbrecht, a.a.O., S. 42. 1
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
Affektentladung bedarf keines Motivationsprozesses8: "In diesem Augenblick der Tat bleibt für eine geformte Willensbildung weder Raum noch Notwendigkeit"9, Der Täter kann das Für und Wider der Tat nicht abwägen und sich dabei Rechenschaft über sich selbst geben lO , er ist in einen "Affekttunnel" geraten, aus dem ihm nur ein Ausweg offensteht: die Tat l l . Auf dieser psychodynamischen Grundlage spricht Heiss von einer "letztlich steuerlosen Situation"l2, negiert Stumpf! den Wollenscharakter des Verhaltens l3 . Mit ihm meint Bürger-Prinz, daß die Affekthandlung nicht auf einem Entschluß beruhen kann 14 • 2. Vorsatz und Wille in der strafrechtlichen Standardliteratur Die Begriffe, mit denen die Erfahrungswissenschaften die Affekthandlung charakterisieren, begegnen uns in den Formeln wieder, mit denen die Rechtswissenschaft den Vorsatz definiert. Merkmale, die jene negativ, das heißt als Defizit kennzeichnen, konstituieren diesen als positive Voraussetzungen. Aus der sprachlichen Kongruenz, die zunächst Zweifel an der dolosen Zurechnung von Affektdelikten nährt, folgt aber noch nicht die Identität der Bedeutung, die die Bedenken erst rechtfertigen könnte. Widersprüche zwischen der oben skizzierten Phänomenologie der Affekttat und ihrer strafrechtlichen Beurteilung lassen sich daher nur über eine inhaltliche Analyse des voluntativen Vorsatzelernents nachweisen, der zunächst die Kommentar- und Lehrbuchliteratur zugrunde gelegt wird, die die Vorsatzlehre entscheidend prägt. "Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale" - so bestimmt Jescheck in seinem Lehrbuch den Vorsatz l5 und präzisiert wenig später, was unter "Wollen" zu verstehen sei: "Der Wille besteht in dem Entschluß zur Verwirklichung der Tatbestandshandlung"l6. Dieser Entschluß gilt Welzel als Wesen des Vorsatzes: "Jede bewußte Handlung wird durch den Handlungsentschluß getragen, d. h. durch das Bewußtsein davon, was man will- das intellektuelle Moment - und die Entschlossenheit dazu, daß man es durchführen will - das voluntative Moment"l7. Letzteres bezeichnet Welzel als "Verwirklichungswille"l8 Bürger-Prinz, Motiv und Motivation, S. 20. Rasch, Tötung des Intimpartners, S. 70. 10 Hadamik, GA 1957, S. 108. 11 Undeutsch, Handwörterbuch der Kriminologie, Band 1, S. 219ff. (224). 12 Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 278. 13 Motiv und Schuld, S. 47. 14 Bürger-prinz, Motiv und Motivation, S. 20; Stumpf!, Motiv und Schuld, S. 27. 15 Jescheck, AT, S. 235. 16 a.a.O., S. 236. 17 Welzel, Strafrecht, S. 64. 8
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II. Vorsatz und Affekt
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und fonnuliert ähnlich wie Jescheck: "Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" 19. Die Beschreibung des Vorsatzes als "Relation zwischen dem, was der Täter weiß (sich vorstellt) und dem, was er Will"20, zählt zum gesicherten, traditionellen Lehrbestand 21 . Dieser Aufbau ist in fast allen Standardwerken nachweisbar. Dagegen beschränkt Schmidhäuser seinen Begriff der "Vorsätzlichkeit" allein auf Bewußtseinsvorgänge 22 . Der Konsens über die Grundstruktur des Dolus als Kombination kognitiver und voluntativer Elemente trägt sogar über die fundamental unterschiedlichen Positionen, die im Streit um die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau bezogen werden. Die finale Handlungslehre leitete einen Paradigmawechsel ein, der nicht nur den Unrechtstatbestand von Grund auf umgestaltete, sondern in der Folge auch zu einer Neuorientierung der Schuldlehre führen mußte. Die veränderte Lozierung des Vorsatzes fand weit über den Kreis der Finalisten hinaus Gefolgschaft 23 . Dieser Wandel vom zentralen Schuldelement zum gestaltenden Agens der tatbestandlichen Handlung ist mehr als ein systematisches "Versatzspiel"24; er betrifft unmittelbar den Begriffsinhalt, der nun ohne Rückgriff auf Merkmale aus dem Bereich der Schuld zu bestimmen ist. Konsequenzen für die Grundstruktur des Vorsatzes wurden aus der finalen oder zumindest personalen Deutung des Unrechtstatbestands aber bisher nicht gezogen 25 . Die Charakterisierung als "Wissen und Wollen" blieb durch den Paradigmawechsel unberührt. Sie findet sich nicht nur bei Autoren, die weiter der traditionellen Lehre anhängen 26 , sondern auch bei jenen, die den Vorsatz ausschließlich als Unrechtsmerkmal verstanden sehen wollen 27 und endlich bei denen, die für eine Doppelstellung plädieren28 •
a.a.O., S. 66. a.a.O., S. 64. 20 Bockelmann, AT, S. 72. 21 Stratenwerth, AT, Rn. 250. 22 Schmidhäuser (Lehrbuch, S. 389ff.) erweitert so den Bereich des Vorsatzes um die bewußte Fahrlässigkeit. Im Ergebnis ähnlich Griinwald, H. Mayer-FS, S.288f.; Schröder, Sauer-FS, S. 207ff.; zu dieser Ansicht näher unten 3.2. 23 Bockelmann, AT, S. 53f.; Gallas, ZStW 67 (1955), S. 33ff.; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 55; Wesseis, AT, § 5 m 4. 24 Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 890; ähnl. Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S. 1. 25 Dagegen hat die Auseinandersetzung um die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, die durch Engisch zu einem befriedigenden Abschluß geführt schien, durch die finale Handlungslehre neuen Auftrieb erhalten. 26 Baumann, AT, § 26; Schmidhäuser, Lehrbuch, S. 389ff. 27 Hirsch, LK 9, Vor § 51, Rn. 160, m.w.Nachw. 28 Jescheck, AT, S. 194, 347; Lackner, § 15 Anm. II 5 c; Rudolphi, SK, § 16, Rn. 3; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 120. 18 19
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
2.1 "Systematische" Willenselemente
Die strafrechtlichen Lehrbücher und Kommentare explizieren die Willensseite des Vorsatzes weit weniger als das intellektuelle Moment. Während dieses meist differenziert beschrieben und zu den entsprechenden seelischen Vorgängen in Bezeichnung gesetzt wird, bleibt unklar, welche psychische Funktion mit dem "Verwirklichungswillen" bezeichnet wird. Wo ihm ein eigener Abschnitt gewidmet ist, handelt er meist von der Differenzierung Absicht - dolus directus - dolus eventualis29 . Man könnte hierin eine induktive Erklärung sehen, die ihre Beispiele auf einem Kontinuum der Willensintensität anordnet, wenn die Darstellung deutlich machen könnte, welche Gemeinsamkeiten die Modelle unter dem Aspekt des Wollens verbindet. Die Einführung von Vorsatzarten dient aber weniger der Präzisierung des strafrechtlichen Willensbegriffs als der Unterscheidung von Fallgruppen, deren Lösung mehr oder weniger umstritten ist. So charakterisiert Stratenwerth bereits die Fälle des dolus directus als äußerst heterogen: "Ihre einheitliche Benennung ist in eben nichts anderem begründet, als daß sie sämtlich außer Zweifel stehen"3o. Gerät das verbindliche Willenselement, das die Kapitelüberschrift erwarten läßt, bereits innerhalb einer Vorsatzart aus dem Blick, so geht auf dem Weg zum dolus eventualis auch die einheitliche Terminologie verloren. Die subjektive Tatseite, die eine vorsätzliche Zurechnung von Umständen rechtfertigen soll, deren Vorhandensein oder Eintritt der Täter nur für möglich hält, bezeichnet Bockelmann als "emotionates Moment" 31, während zu Beginn des entsprechenden Abschnitts noch vom "voluntativen Moment des Vorsatzes"32 die Rede war. Die Modifikation der Fachsprache ist ein Tribut an die Alltagssprache, deren Verständnis von Wollen in der Definition des dolus eventualis auch andeutungsweise nicht mehr aufscheint. Sie verdeutlicht aber auch, daß die Differenzierung der Vorsatz arten den strafrechtlichen Begriff des Wollens nicht erläutert (will man ihn nicht als Leerformel begreifen, die für eine Summe verschiedenartiger Momente steht, die, ergänzt durch eine bestimmte Vorstellung, Vorsatz begründen können). Auch der Bezugspunkt des Wollens, der übereinstimmend mit der Verwirklichung des Deliktstatbestands bezeichnet wird33 , gibt keinen Hinweis auf seelische Prozesse, sondern spiegelt lediglich das Ziel wieder, das gesamte Kontinuum der Dolusarten als gewollte Erfolgsverursachung zuzurechnen34 . 29 Blei, AT, S. 105ff.; Bockelmann, AT, S. 80ff.; S/S - Cramer, § 15, Rn. 14, 63ff.; Stratenwerth, AT, Rn. 289. 30 a.a.O., Rn. 286. 31 Bockelmann, AT, S. 86. 32 a.a.O., S. 80. 33 Vgl. etwa Jescheck, AT, S. 236; Maurach I Zipf, AT, Tb. 1, S. 318; Rudolphi, SK § 16, Rn. 5.
11. Vorsatz und Affekt
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Wie die Abstufungen des Vorsatzes werden auch weitere Charakteristika des voluntativen Elements vorzugsweise unter systematischen Gesichtspunkten diskutiert, ohne deren Implikationen für psychische (Willens-) Funktionen zu untersuchen. Die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau bestimmt seinen Begriffsinhalt zumindest negativ: Durch die Scheidung von Vorsatz und Schuld wird die personale Handlungslehre der zweispurigen Anlage des Strafrechts gerecht. Eine vorsätzliche Tat ist auch dann noch feststellbar, wenn eine verantwortliche Willensbildung, die dem Täter vorgeworfen werden könnte, feh1t3 5 . Voraussetzung ist allerdings, daß der Vorsatz sich nicht nur systematisch, sondern auch inhaltlich als Unrechtselement ausweist. Damit ist die Aufgabe, den unrechtsrelevanten von dem die Schuld konstituierenden Willen abzugrenzen gestellt, jedoch nicht gelöst. Denn dem Postulat der Trennung folgt nirgends eine Beschreibung jener Willensleistung, die nach "Abzug" von Schuldmerkmalen verbleibt. Auch die Funktion des Vorsatzes, zwischen Unrechts- (beziehungsweise Schuld-)formen, denen der Gesetzgeber unterschiedliches Gewicht beimißt, zu differenzieren 36 , determiniert das voluntative Moment. Es läßt sich somit aus der Konfrontation mit der Fahrlässigkeit erklären37 • Dieser Ansatz wird jedoch nicht weiterverfolgt und für den Willensbegriff nutzbar gemacht, sondern endet meist mit der Feststellung, daß Bewußtseinsfaktoren allein die Abgrenzung nicht leisten 38 • Eine Definition, die von der Funktion des Vorsatzes ausgeht, müßte indes berücksichtigen, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit sich in eine Aufgabe teilen: beide sind subjektive Voraussetzungen der Strafbarkeit39 • Die dolose Zurechnung hat mithin nicht nur vorsätzliches von fahrlässigem, sondern auch vorsätzliches von straflosem Verhalten zu trennen; "an den Vorsatz grenzt nicht nur die Fahrlässigkeit, sondern auch die Schuldlosigkeit"4o. 2.2 "Inhaltliche" Willenselemente
Andere Kriterien, die der Strafrechtsdogmatik zur Bestimmung des voluntativen Vorsatzmoments dienen, korrespondieren stärker mit einem alltagssprachlichen Willensbegriff. Die Merkmale des entschlossenen und des tatmächtigen Willens, mit dem der Handelnde "sich eine Einwirkungsmöglichkeit auf das reale Geschehen zuschreibt"41, erfüllen im Bereich der 34 35 36 37
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40 U
Besonders deutlich Welzel, Strafrecht, S. 66 i. V.m. S. 34f. Maurach / Zipf, Rudolphi, a.a.O. Schroeder, LK § 15, Rn. 8; Stratenwerth, AT, Rn. 25l. So ausdrücklich Jescheck, AT, S. 235. Stratenwerth, a.a.O., Rn. 255. Schroeder, LK § 16, Rn. 2. Engisch, Untersuchungen, S. 59. Welzel, Strafrecht, S. 66; ähnl. Blei, AT, S. 106f.
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
Motivationspsychologie vergleichbare Funktionen. Sie grenzen den Willen von Gedanken und Vorstellungen ab und scheiden ihn von Hoffnungen und Wünschen42 . Ähnliches gilt für die Begriffe Entschluß und Entscheidung. In der Vorsatzlehre erscheinen sie als austauschbare Bezeichnungen für den Vorsatz als Ganzes43 oder für dessen voluntative Seite44 . Obgleich der allgemeine Sprachgebrauch nuanciert, mit Entschluß eher das unbedingte Wollen, die Konzentration der Willenskräfte auf die Durchführung meint, mit Entscheidung hingegen das wählende Moment, die Reaktion auf Alternativen akzentuiert, läßt die juristische Konvention kaum eine Differenzierung erkennen. Trotz des synonymen Gebrauchs 45 erfüllen die spezifischen Bedeutungskomponenten von Entschluß und Entscheidung wichtige dogmatische Funktionen. Die Entschlossenheit zur Tat prägt den subjektiven Versuchstatbestand, ein abwägend entscheidendes Moment wird vor allem in jüngster Zeit bei der Vorsatzabgrenzung betont46 . Typisch für die Fälle des dolus eventualis ist, daß der Täter sich auf dem Hintergrund des erkannten Risikos seines Vorhabens vor die Wahl gestellt sieht, seinen Plan fallen zu lassen oder die Gefahr - die er ernst nimmt, der er nicht im Vertrauen, sie werde sich nicht realisieren, keinen Einfluß auf sein Handeln einräumt - zu akzeptieren, "auszuhalten "47. Vorsatz würde danach die Entscheidung für die gefährliche und gegen die ungefährliche Handlungsmöglichkeit meinen, die Wahl zwischen unterschiedlichen Optionen: "Der Vorsatz, auch der bedingte, besteht in einer fehlerhaften WillensentscheidUng. Ihre Fehlerhaftigkeit beruht darauf, daß der Täter aus der Voraussicht, die geplante Tat könne einen von der Rechtsordnung mißbilligten Erfolg zeitigen, nicht die Folgerung zieht, seinen Handlungsentschluß aufzugeben"48, das heißt das alternative ungefährliche Verhalten zu wählen. Das Willensverständnis, das in der Abgrenzung des dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit aufscheint, geht offensichtlich über reine Steuerungsfunktionen, über die Vorstellung von einem gezielten, nichtzufälligen Verhalten hinaus49 . Stratenwerth spricht von einer "jeweils verschiedenen Grundeinstellung des Täters"5o. Sie erinnert an die personale Stellungnahme, die die Willenshandlung im Sinne der Psychologie aus42 Messer, Psychologie, S. 325; Steinemann, Über die psychologischen Grundlagen der Verhaltenssteuerung, S. 45. 43 Rudolphi, SK § 16, Rn. 1; Welzel, Strafrecht, S. 64. 44 Bockelmann, AT, S. 80; S/S - Cramer, § 15, Rn. 59. 45 Bockelmann, AT, S. 80/84; Jescheck, AT, S. 236, 240; Rudolphi, SK § 16, Rn. l. 46 Vgl. etwa Philipps, ZStW 85 (1973), S. 27ff.; Roxin, JuS 1964, S. 53ff. 47 Jescheck, a.a.O., S. 241. 48 Bockelmann, a.a.O., S. 84. 49 Auch der Handlungsbegriff, der die unbewußte Finalität einbezieht, sieht sich gezwungen, zwischen final gesteuertem und vorsätzlich willentlichem Verhalten zu differenzieren; vgl. Stratenwerth, a.a.O., Rn. 148, 159. 50 Stratenwerth, a.a.O., Rn. 255 (Hervorhebung nicht im Original).
11. Vorsatz und Affekt
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zeichnet, der Affekttat hingegen fehlt. Gerade die Vorsatzabgrenzung, der Prüfstein der Vorsatzdogmatik, scheint sich nicht nur terminologisch, sondern inhaltlich an einem Willensbegriff zu orientieren, der die vorsätzliche Zurechnung von Affektdelikten ausschließt. 2.3 Finale Steuerung und bewußtes Wollen
Dieser erste Eindruck wird durch die Stellungnahmen der Literatur zur Vorsatzqualität von Affekthandlungen nicht revidiert. Wo sie nicht apodiktisch reklamiert 51 oder als offene Frage vorgestellt 52 , sondern eine Lösung angeboten wird, kann die Argumentation nicht überzeugen, da sie die affektspezifischen Besonderheiten der subjektiven Tatsituation nicht genau genug trifft. Diese werden in hoher Geschwindigkeit und unvermittelter Wirkung des Motivationsvorganges53 gesehen, der sich "derart schnell vollzieht und derart übergangslos zur Handlung führt, daß beim Täter schon die entfernte Möglichkeit jeder Gegenmotivation entfällt" 54. Dem Prozeß der Vorsatzbildung mangele also nur das Überlegungsmoment, das dem Begriff des Vorsatzes nicht wesentlich sei. Mit dem Bild der unüberlegten Impulshandlung läßt sich die Psychodynamik der forensisch wichtigsten Fallgruppe 55 , die durch eine längere, belastende Vorgeschichte gekennzeichnet ist, jedoch nicht beschreiben. Denn in dieser Konstellation bestand über geraume Zeit eine wirksame Gegenmotivation. Erst im Augenblick der Tat sind die Kräfte, die sie aufrecht erhalten, verzehrt, der Täter verliert die Beherrschung56 • Damit setzt sich kein Impuls durch, zu dem der Handelnde nicht Stellung nehmen konnte, denn den Gedanken an die Tat hat er meist mehrfach erwogen und verworfen. Was die Tat von anderen Stationen in der Affektgenese unterscheidet, ist nicht das Streben in die Katastrophe, sondern das Versagen der Gegenmotivation. Der Affektdurchbruch ist nicht Resultat der Willensbildung, sondern Produkt ihres Verfalls. Auch der Wechsel der Zurechnungsgrundlage von der Affekttat zu deren bewußten Vorstadien 57 erhöht die Evidenz nicht. Bereitet die Knüpfung des Schuldvorwurfs an die Affektgenese schon beträchtliche dogmatische Schwierigkeiten 58 , so sind für eine derartige Unrechtslösung nicht einmal Ansatzpunkte in Sicht. Wie hat man sich den subjektiven Tatbestand zu diesem Zeitpunkt vorzustellen, da der Täter zwischen den unterschiedlichsten 51 52 53 54 55
56 57
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Jescheck, a.a.O., S. 236 Anm. 7. Schroeder, LK § 16, Rn. 107. S/S - Cramer, § 16, Rn. 60. Maurach I Zipf, a.a.O., S. 322. Krümpelmann, Welzel-FS, S. 329. a.a.O., S. 334, 338. Jescheck, a.a.O. Geilen, Maurach-FS, S. 173ff.; Krümpelmann, Welzel-FS, S. 334ff.
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
Handlungsmöglichkeiten schwankt und wie könnte jener dolus antecedens als Vorsatz zur Zeit der Tat gelten? Eine neuere Entwicklung der Handlungslehre, die Anerkennung einer unbewußten Steuerung59 , legt ebenso wie der dolus eventualis die Vermutung nahe, daß der Vorsatz höhere, über bloße Steuerung hinausgehende Willensfunktionen voraussetzt, die der unter affektiver Erregung Handelhde nicht erbringen kann. Sie veranlaßt Stratenwerth, Vorsatz nicht länger als auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Finalität zu bestimmen, sondern zwischen final gesteuertem und bewußt gewolltem Verhalten zu differenzieren. Denn während die Lenkung der Handlungsmittel auf das Ziel auch unbewußt erfolgen könne, setze die dolose Zurechnung eine bewußte Finalsteuerung voraus 60 • Der hochgradige Affekt etwa zeige, daß eine Handlung auf den tatbestandlichen Erfolg gerichtet sein könne, ohne daß der Täter die Rechtsverletzung wolle 6l • Wenngleich Stratenwerth die naheliegende Frage, ob die Steuerung im Affekt regelmäßig oder nur ausnahmsweise unbewußt bleibt, nicht stellt, scheint doch die Selbstverständlichkeit, mit der sonst die Vorsatz qualität von Affektdelikten reklamiert wird, erschüttert. Die Unterscheidung zwischen bloßer Steuerung und vorsätzlichem Wollen weist einen aussichtsreichen Weg, in der Abgrenzung von einer reinen Zielorientierung die voluntative Seite des Vorsatzes zu präzisieren. Ob allerdings mit dem Bewußtseinsaspekt, den Stratenwerth in den Vordergrund stellt, das entscheidende Kriterium der neu eingeführten Differenzierung getroffen ist, erscheint zweifelhaft. Für die Trennung von Vorsatz und Fahrlässigkeit soll es auf die jeweils spezifische Grundeinstellung des Täters ankommen 62 ; für die Scheidung des Vorsatzes von einem straflosen Steuern kann nichts anderes gelten. Die den Vorsatz charakterisierende Haltung gibt mithin den Ausschlag; sie mag ein bewußtes, um sich selbst wissendes Wollen mit konstituieren. Bereits dieser kurze Überblick zeigt, daß die Willensseite des Vorsatzes in der Kommentar- und Lehrbuchliteratur keine prägnante Gestalt gewinnt. Die dort aufgeführten Merkmale lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die eine faßt systematische Eckwerte zusammen, wie die Zugehörigkeit des Vorsatzes zum Unrechtstatbestand oder seine Funktion, die Grenze zur Fahrlässigkeit zu bezeichnen. Die andere bilden Kriterien, wie jene der Entscheidung, des Entschlusses und der Einstellung, die aufgrund ihrer terminologiStratenwerth, Welzel-FS, S. 289ff. Diese Unterscheidung zeigt, daß die Funktion des Vorsatzes sich nicht darin erschöpft, die Grenze zur Fahrlässigkeit zu bestimmen, sondern daß auch seine Aufgabe, strafbares von straflosem Handeln zu trennen, praktisch bedeutsam werden kann. 61 Stratenwerth, AT, Rn. 148, 159. 62 Stratenwerth, a.a.O., Rn. 255. 59
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schen Ähnlichkeit mit erfahrungswissenschaftlichen Kategorien Zweifel an der Vorsatzqualität von Affekttaten hervorrufen. Eine erste inhaltliche Analyse konnte diese Bedenken nicht ausräumen, denn sie erweist, daß der Vorsatzbegriff sich auf Willensleistungen bezieht, die, über eine reine Steuerung hinausgehend, jenen "höheren Funktionen" nahekommen, die im Affekt versagen. Damit aber ist der Widerspruch zwischen der Zuordnung von Affekttaten zum Vorsatzdelikt und den Befunden der Verhaltenswissenschaften, der zu unserer tour d'horizon Anlaß gab, nicht aufgehoben. 3. Revision des Vorsatzbegriffes Will man an dem Grundsatz festhalten, daß Affekt und Vorsatz sich nicht ausschließen - worauf alle Begründungsversuche abzielen -, so bieten sich zwei Wege, die Widersprüchlichkeiten zu harmonisieren. Eine Möglichkeit eröffnet eine Vorsatzkonzeption, die auf voluntative Elemente verzichtet: Affektdelikte fügen sich bruchlos einem dolosen Typus ein, den allein kognitiv-intellektuelle Faktoren charakterisieren 63 • Der zweite Ansatz bleibt der traditionellen und ganz herrschenden Auffassung verbunden, die im Willen wenn nicht das, so doch ein Wesensmerkmal des Vorsatzes sieht, versucht jedoch den Begriffsinhalt deutlich von jenem Willensverständnis zu scheiden, auf das die Erfahrungswissenschaften ihre Beurteilung der Affekthandlung gründen. 3.1 Finalität als "Außenseite" des WoUens
Diesen Weg hat Schewe64 beschritten. Dabei erfuhr die Konzeption des Vorsatzes allerdings so radikale Veränderungen, daß kaum noch Berührungspunkte zur überkommenen Lehre, die der Ausgangspunkt einer Neubestimmung des Wollens im Unrecht noch wahrt, erhalten bleiben. Dennoch fand die große Auseinandersetzung um die Thesen, die nach ihrem Erscheinen mit gutem Grund prophezeit wurde 65 , nicht statt66 • Die Rezeption der Untersuchung blieb überwiegend auf ihr Ergebnis beschränkt, das die ganz herrschende Meinung bestätigt. Dem Lösungsweg, der die Vorsatzqualität von Affekthandlungen zunächst schwer erschüttert, um sie dann auf eine Weise zu begründen, die aus der Sicht der Vorsatzdogmatik wohl kaum Zustimmung finden würde, wurde dagegen wenig Beachtung geschenkt. Schewe rekonstruiert zunächst die Darstellung der Affekthandlung in den empirischen Wissenschaften als unwillkürliches, automatisches Geschehen, Vgl. dazu unten 3.2. Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz. 65 Stratenwerth, ZStW 85 (1973), S. 474. 66 Ausnahmen bilden Krümpelmann, Welzel-FS, S. 327ff. und Stratenwerth, Welzel-FS, S. 289ff. 63
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
dem der Wollenscharakter fehlt. Der psychologische Willensbegriff, der dieser Diagnose zugrundeliegt, scheint auch das strafrechtliche Vorsatzkonzept zu prägen, da ein Vergleich zeigt, daß mit ähnlichen Wendungen dieselben psychischen Prozesse beschrieben werden67 . Diese Übereinstimmung führt Schewe auf einen fehlerhaften Vorsatzbegriff zurück. Die geläufige Kennzeichnung des Vorsatzes durch "innere Tatsachen", durch subjektiv erlebte Vorgänge, sei mißverständlich. Was das Strafrecht mit seiner Systemkategorie meint, folge aus deren Funktion, vorsätzliches von fahrlässigem Handeln zu scheiden. "Offensichtlich steht in den strafrechtlichen Überlegungen zum Vorsatz die Frage nach den Beziehungen zwischen der Tathandlung und dem durch sie bewirkten Erfolg, also die Frage nach der Richtung im Vordergrund": Vorsätzlich gewollt bedeute mithin, daß die Handlung auf die Verwirklichung des Tatbestandes zielt. "Als Gegenstück des Vorsatzes erscheint hier die auf einen rechtsneutralen Erfolg gerichtete Handlung"68. Der Willensinhalt, auf den es im Strafrecht ankommt, spiele in den psychologisch-psychiatrischen Untersuchungen nur eine marginale Rolle. Deren Interesse konzentriere sich auf den Vorgang des Wollens, die Willensbildung. Mit der Terminologie von Kretschmer69 bezeichnet Schewe den Forschungsgegenstand der empirischen Wissenschaften als "Innenseite", den der Rechtswissenschaften als "Außenseite" des Wollens. Auch wo die Analyse der "Innenseite" ergibt, daß der Täter nicht gewollt habe, lasse sich die Frage nach dem Willensinhalt sinnvoll stellen. "Offensichtlich kann man doch auch bei den in gewissem Sinne "unwillkürlich" zu nennenden Tathandlungen noch unterscheiden zwischen solchen, die sich auf einen strafrechtlich relevanten Erfolg richten, und anderen, die auf einen rechtsneutralen Erfolg bezogen sind." Eine Ohrfeige, die über eine Aneurysmablutung zum Tode des Opfers führt und Beilhiebe, die denselben tatbestandlichen Erfolg durch eine schwere Schädelhirnverletzung herbeiführen, dürften nicht gleichbehandelt werden, nur weil der Täter jeweils affektbedingt nichts gewollt habe 70 . Das den Vorsatz kennzeichnende Merkmal wäre danach nicht in subjektiv erlebten Vorgängen zu suchen, auf die sich die Rechtsdogmatik bezieht, die der Affekt aber bis zur Unkenntlichkeit verändert, sondern in der Ausrichtung der Handlung auf ein Ziel, die auch bei Affektdelikten regelmäßig festgestellt werden kann, da sie eine bewußte Willenssteuerung nicht voraussetzt 7!. Dieser radikale Bruch mit der traditionellen Vorsatzdogmatik führt Schewe zum erwünschten Ergebnis: Affekthandlungen und "überlegte" Taten lassen sich im Unrechtstatbestand 67 a.a.O., S. 86f.; insoweit stimmt Schewes Analyse mit unserer Sichtung der Standardliteratur überein. 68 a.a.O., S. 90. 69 Kretschmer, Medizinische Psychologie, S. 4ff. 70 a.a.O., S. 92. 71 a.a.O., S. 98.
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nicht mehr unterscheiden; erst im Bereich der Schuld wird unter dem Gesichtspunkt der Zurechnungsfähigkeit eine Differenzierung möglich. Denn der Gegensatz liegt nicht "in der Zielrichtung, sondern allenfalls in dem Grad der ausgeübten oder möglichen Selbstkontrolle"72. Die Vorsatzkonzeption Schewes verzichtet auf das Erfordernis der Kenntnis der Tatumstände73 und bestimmt die voluntative Seite des Vorsatzes aus seiner Funktion, unterschiedliche Unrechts arten zu trennen, sowie im Kontrast zur "psychologisch-innerlichen" als Außenseite des Wollens. Doch bereits diese Aufgabe, die die dogmatische Bedeutung des Vorsatzes nicht ausschöpft, kann das Kriterium des äußeren Handlungsablaufs allein nicht erfüllen. Dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit unterscheiden sich gerade nicht in der Handlungsrichtung - in beiden Fällen zielt das Verhalten auf einen rechtsneutralen Erfolg -, sondern durch subjektive Inhalte mögen sie kognitiver oder emotionaler Natur sein -, die der Täter mit Nebenfolgen verbindet7 4 • Häufig kann man der Außenseite nicht einmal entnehmen, auf welchen Tatbestand die Handlung zielt. Das gilt etwa für die Fälle der aberratio ictus, wo bei objektiver Betrachtung der verwirklichte Erfolg als erstrebt erscheinen kann, besonders aber für den Versuch, der oft nur Rudimente einer Außenseite zutage treten läßt, die den Handlungssinn noch nicht offenbaren. Das Strafrecht kann sich folglich weder mit der Feststellung der Handlungsrichtung begnügen (dolus eventualis), noch könnte es diese allein der Außenseite entnehmen (Versuch). Es kommt nicht umhin, subjektive Prozesse bereits in den Unrechtstatbestand einzubeziehen. Nun räumt Schewe zwar ein, daß die finale Steuerung eine subjektive Beziehung zwischen Tat und Täter voraussetzt7 5 und distanziert sich76 ausdrücklich von der Auffassung Hellmuth Mayers, der die Handlung unabhängig vom subjektiven Willen des Täters allein nach ihrer objektiven Tendenz beurteilt77 . Die Unterscheidung gelingt jedoch nur auf terminologischer Ebene, denn Schewe löst das Affektproblem ja gerade durch die typisierende Gleichsetzung von subjektiver Tatseite und äußerem Handlungsablauf. Vor allem die Diskussion einzelner Fälle erinnert verzweifelt an Vorsatzvermutungen 78 : Wenn ein Täter, etwa im Rahmen eines Sexualdelikts, sein Opfer würgt, um es am Schreien zu hindern, soll die Dauer der Einwirkung - unmittelbar, nicht als a.a.O., S. 107. Stratenwerth, ZStW 85 (1973), S.473. Daß dieser Verzicht die Grenzen einer zulässigen Interpretation von § 16 StGB wahrt, begründet Schewe nicht. 74 Die Konsequenz, dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit gleich zu behandeln, zieht Schewe nicht. 75 a.a.O., S. 102. 76 a.a.O., S. 113. 77 Hellmuth Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 42. 78 Stratenwerth, a.a.O., S. 474. 72
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
Indiz für subjektive Vorstellungen - entscheiden, ob ein typisches Erwürgen, eine auf Tötung zielende Handlung, oder nur ein körperverletzendes Würgen vorliegt. Tritt der Tod vor der nach gerichtsmedizinischen Erfahrungen nötigen Zeit von vier Minuten durch Auslösung des Carotis-SinusReflexes ein, so könne er nur als fahrlässige Verursachung zugerechnet werden, da das Tatbild (noch?) keine typische Tötungshandlung aufweise 79 • Die Analyse der Affekthandlung deckt Schwächen der traditionellen Vorsatzdogmatik auf, die eine Präzisierung des strafrechtlichen Willensbegriffs nahelegen. Dabei mag die Entlastung von subjektiven Anforderungen den Weg weisen. Ein Verzicht zugunsten einer quasi-subjektiven Tatseite80 , die sich am äußeren Handlungsablauf orientiert, beeinträchtigt die Funktion des Vorsatzes jedoch erheblich. Er kann in Randbereichen die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit nicht mehr leisten und identifiziert den Tatentschluß nur noch bei einer aussagekräftigen Versuchshandlung. Als Voraussetzung der Strafbarkeit81 muß der Vorsatz schließlich die Zurechnung einer Handlung oder Unterlassung zu einer Form strafbaren Unrechts begründen. Eine Betrachtungsweise, die nur die Außenseite beachtet, wird gegenüber einer Sicht, die auch Vorstellungen des Täters ernst nimmt, die Strafwürdigkeit des Verhaltens weit weniger überzeugend darlegen können82 • Die Strafrechtsdogmatik bezeichnet den Vorsatz daher nicht irrtümlich mit einer Terminologie, die der "Außenseite" nicht entspricht, sondern sie meint etwas anderes. Daher deckt sich Welzels Unterscheidung zwischen Antriebs- und Handlungssteuerung83 auch nicht mit Schewes Differenzierung 84 ; denn die Handlungssteuerung ist für Welzel, wie sein Vorsatzverständnis zeigt, ohne bewußtes Erleben nicht denkbar. Die Reduzierung des subjektiven Tatbestandes auf das objektive Tatbild macht den Vorsatz zwar "affekttauglich", rückt ihn aber in die Nähe einer Erfolgshaftung, die lediglich durch eine Typisierung nach dem äußeren Handlungsablauf gemildert ist. 3.2 "Kognitive" Vorsatzlehren
Die Untiefen, in die eine "materialgerechte" Bestimmung des rechtsdogmatischen Willensbegriffs offensichtlich führt, verspricht eine Vorsatz79 Schewe, a.a.O., S. 120ff. Schewes Fixierung auf den äußeren Ablauf hat zur Folge, daß bei einem "nonnalen" Erwürgen in den ersten vier Minuten Körperverletzungsvorsatz gegeben ist, der sich mit Zeitablauf in einen Tötungsvorsatz wandelt. 80 Vgl. dazu auch die Kritik von Jakobs, Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, S. 26f. 81 Schroeder, LK § 16, Rn. 2. 82 Stratenwerth, AT, Rn. 255. 83 Welzel, Vom Bleibenden, S. 19; ders., Strafrecht, S. 143ff. 84 So aber Schewe, a.a.O., S. 99.
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lösung, die auf voluntative Elemente verzichtet, elegant zu meiden. Dieser Ansatz hat seine konsequenteste Ausprägung in Schmidhäusers Konzept der "Vorsätzlichkeit" erfahren85 . Seine Kritik des traditionellen Vorsatzbegriffs 86 entstand freilich nicht in Auseinandersetzung mit Affekttaten und automatisierten Handlungen, sondern fügt sich in einen umfassenden Systementwurf ein, der den Gegensatz zwischen kausaler und finaler Handlungslehre überwinden so1l87. Schmidhäuser erläutert seine Lehre vom Verbrechen in Anlehnung an das in Anthropologie und Psychologie geläufige Bild von den Schichten der Person. Die strafrechtliche Kategorie der Schuld meint dort die höchste Betrachtungsebene, den "Bereich des Subjektiv-Geistigen"88, die Teilhabe des Täters an den Wertvorstellungen des Gemeinschaftslebens. Vorsätzlichkeit ist Merkmal der Schuld und bedeutet, "daß der Täter den von ihm in seinem Handeln verletzten Achtungsanspruch des Rechtsguts nicht ernst nimmt, indem er ihn bewußt unerlaubt verletzt"89. Sie· enthält nur intellektuelle Faktoren: die Vorstellung der Tatumstände und das Bewußtsein des Unrechts. Der Verzicht auf voluntative Elemente im Rahmen der Schuld90 hat jedoch nicht zur Folge, daß der Wille im Verbrechenssystem Schmidhäusers keine Rolle spielt. Denn aus der Sicht der traditionellen Lehre erscheint der Begriff des Vorsatzes nicht durch den der Vorsätzlichkeit ersetzt, sondern aufgelöst 91 in sein voluntatives und sein intellektuelles Moment; dieses wird der Schuld zugerechnet, jenes kennzeichnet das Unrecht. Dabei decken sich die Funktionen des Willens allerdings nicht ganz. Die Intentionalität 92 verbindet die Handlung mit ihrem Ziel, das vorsätzliche Wollen stellt einen Zusammenhang zur Verwirklichung des Tatbestandes her, auch wo diese keineswegs erstrebt war. Dieser Unterschied im Inhalt des Willens, seinem Bezugspunkt, zeitigt Wirkungen bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, die ohne tatbestandsbezogenes Wollen nur nach kognitiven Faktoren erfolgen kann. Er führt jedoch nicht zu einer veränderten Unrechtsperspektive der Affekttat, denn hier kommt es nicht darauf an, was gewollt ist, sondern ob überhaupt etwas gewollt ist. Aus dieser Sicht gleichen sich die Willensbegriffe, denn den Vorgang des Wollens beschreibt Schmidhäuser nicht anders als die übrige Lehrbuchliteratur, zum Teil mit deren Terminologie: "Auf der Innenseite der Handlung ist der Wille (als Intention des Handelns) in jenem Sinne gemeint, wie er als Grunderfahrung jedem Men85 86 87 88
89 90
91 92
3'
Studienbuch,7/35ff. Vgl. schon Schmidhäuser, Vorsatz und Begriffsjurisprudenz im Strafrecht. Lehrbuch, 7/34. Lehrbuch,6/18. Studienbuch, 7/36. Vgl. dazu kritisch Roxin, ZStW 83 (1971), S. 389. a.a.O., S. 379f. Studienbuch, 5/5 ff.
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A. Vorsatz und Schuld am Beispiel der Affekthandlung
sehen tausendfältig vertraut ist: daß der Mensch sich in den ihm verfügbaren Begriffen Ziele setzen und willentlich auf die Erreichung dieser Ziele hin tätig werden kann, - daß er Zwecke verfolgt, indem er Mittel einsetzt" 93. Zum Wollen gehört dabei nicht nur die Vorstellung des Gewollten94, sondern sogar das Erleben der Werte, di~ mit der Antizipation des Handlungsziels verbunden sind95 . Selbst die Gleichsetzung von Wille und Entschluß begegnet wieder96 • Auf einem ähnlichen Verständnis voluntativer Prozesse, einer Trennung zwischen Intention und Verwirklichung des Tatbestands, gründen auch die älteren Vorstellungstheorien. Sie entstanden als Gegenposition zur Willenstheorie und deren Willensbegriff97 . Während diese bestimmte Handlungs/algen als gewollt ansieht, beschränkt sie das Wollen auf die Körperbewegung98. Damit tritt der Willenstheorie aber nicht, wie die Benennung vermuten ließe, ein kognitiver Ansatz gegenüber: die Voraussicht des Erfolges repräsentiert weder das Wesen des Vorsatzes, noch schöpft sie dessen Schuldgehalt aus. Die Vorstellung indiziert lediglich eine bestimmte Motivation: die Voraussicht der Tatbestandsverwirklichung wurde nicht zum Beweggrund, der die Handlung verhindert. Vorsatz bedeutet somit "Nichterhebung gewisser Vorstellungen zu ausschlaggebenden kontrastierenden Motiven. Genauer wäre es also zu sagen: vorsätzlich ist das Handeln, von welchem sich der Täter nicht durch die Vorstellung der Tatumstände hat abhalten lasssen"99. In der Vorstellungstheorie, die besser Motivtheorie hieße 10o , dienen kognitive Inhalte folglich nur als Indiz für die dolose Willensbildung und selbst diese Funktion erkennt ihnen nur ein Teil ihrer Vertreter zu; andere grenzen Vorsatz und Fahrlässigkeit nach emotionalen Kriterien ab 101 • Die Charakterisierung des Vorsatzes durch ein bestimmtes Verhältnis von Motiven, durch das " Sich-nicht-abhalten-Iassen " , die an die moderne Umschreibung als Entscheidung erinnertl° 2 , bezieht sich aber letztlich auf Willensprozesse. Auch in Theorien, die eine dolose Zurechnung eher mit Verstandes- als mit Willensmerkmalen verbinden, begegnet uns die Willensseite wieder - ob als fehlerhafte Motivation im Begriff des Dolus selbst oder als Intentionalität der Handlung an anderer Stelle im Verbrechensaufbau. Der Rückgriff a.a.O., 5/6. Lehrbuch, 8/26. 95 a.a.O., 6/19. 96 Studienbuch, 5/7. 97 Ähnlich auch die Kritik am Willensbegriff der Doluslehre bei Schmidhäuser, Vorsatz und Begriffsjurisprudenz im Strafrecht. 98 Vgl. den Überblick bei Engisch, Untersuchungen, S. 130f. 99 Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 546. 100 Ausdruck von M. E. Mayer, vgl. Engisch, a.a.O., S. 132. 101 Engisch, a.a.O., S. 134. 102 Vgl. oben S. 28, Fn. 46. 93
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Ir. Vorsatz und Affekt
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auf "kognitive" Vorsatzkonzeptionen allein kann daher Vorsatz und Affekt nicht versöhnen. 3.3 Analyse vorsätzlichen Wollens
So bleibt nur der zweite der eingangs skizzierten Wege 103 , das Verhältnis von Vorsatz und Affekt zu klären: eine Analyse der voluntativen Elemente, mit denen die dolose Zurechnung eines tatbestandlichen Erfolges begründet wird. Das erfahrungswissenschaftliche Verständnis der Affektdynamik als Verlust der Verhaltenskontrolle hat die Willens seite des Vorsatzes in Zweifel gezogen. Deren Untersuchung kann sich gleichwohl auf strafrechtliche Systemgrößen beschränken, verlangt vor allem keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Willensbegriff der Psychologie (oder Psychiatrie). Denn für eine Deliktsgruppe, die uns für den Fortgang der Untersuchung als Beispiel dienen soll, wurde der erfahrungswissenschaftliehe Befund bereits in juristische Kategorien übertragen: Durch den Ausschluß der Schuld berücksichtigen die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur, daß im "hochgradigen Affekt" die Kräfte der Beherrschung verbraucht sind: der Täter ist unfähig, das Verhalten an seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu orientieren (§ 20 StGB). Da die Auswirkung einer starken affektiven Erregung auf eine Systemgröße, die Schuld, jedenfalls in den Grundzügen feststehtl°4, läßt sich ihre Spiegelung auf einer anderen Stufe des Verbrechensaufbaus, dem Unrecht, im Verhältnis beider Kategorien darstellen. Daß jene Charakteristika des Affekts, die das voluntative Schuldelement aufheben105 , das voluntative Moment des Vorsatzes nach fast einhelliger Ansicht nicht berühren, kann zunächst auf unterschiedliche strafrechtliche Willensbegriffe zurückgeführt werden. Die Willensseite des Vorsatzes im Unrechtstatbestand muß von dem die Schuld konstituierenden Wollen unterscheidbar, Vorsatz mit seinen voluntativen Merkmalen auch bei einer schuldlosen Handlung feststellbar sein. Das folgende Kapitel ist damit bereits inhaltlich vorgezeichnet. Wir werden die Grundformen doloser Zurechnung - den Tatentschluß (I), Absicht und dolus directus (II) sowie den dolus eventualis (III) - auf voluntative Elemente untersuchen und bei deren Analyse der Unterscheidbarkeit der Systemkategorien besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
103 104 105
Vgl. oben 3.
Ausschluß der Schuld zur Zeit der Tat. Krümpelmann, Welzel-FS, S. 338.
B. Die Willensseite des Vorsatzes I. Der Tatentschluß 1. Entschlossenheit und Tatentschluß
Der Entschluß ist ein zentraler Begriff der Vorsatzdogmatik. Er dient meist als beschreibende Formel für den Vorsatz oder für seine Willensseitei. Die terminologische Gleichsetzung von Vorsatz und Entschluß läßt den spezifischen Bedeutungsgehalt, den der Begriff in der Alltagssprache, aber auch in der Psychologie hat, in den Hintergrund treten. Entschlossenheit bezeichnet dort einen Zustand, der die Phase des Abwägens und Überlegens beendet und die Willenskräfte auf die Durchführung der Handlung konzentriert 2 • Dieser Aspekt des Wollens kommt weder in dem verbreiteten dogmatischen Sprachgebrauch des Entschlusses als Oberbegriff zum Ausdruck, noch findet er sich unter den Bestimmungsmerkmalen des Dolus an zentraler Stelle3 . Er scheint nur gelegentlich auf, wenn aus dem Bereich des Vorsatzes Wünsche und Hoffnungen mit dem Hinweis auf dessen Entschlußqualität ausgeschieden werden 4 • Doch auch der traditionelle Willensbegriff des Vorsatzes wird durch das Moment der Gestaltungsabsicht mit konstituiert: Vorsatz ist Verwirklichungswille 5 • Eine dolose Zurechnung ist also nur möglich, wo Strebungen den Status freibleibender Wünsche verlassen haben, um Handlungen zu initiieren. Erst wenn Motivationstendenzen eine gewisse Verbindlichkeit für das Verhalten gewinnen konnten, ist die Ebene der Entschlossenheit erreicht. Mit der Ausbildung handlungsleitender Funktionen in einem komplizierten Prozeß der Willenskontrolle verfestigt sich die Tatgeneigtheit zum Vorsatz. Das Merkmal der Entschlossenheit bestimmt daher den Begriff des Vorsatzes maßgebend mit. Dennoch entwickelte sich die Frage, wann eine Motivationstendenz die Festigkeit erreicht hat, die den entschlossenen Willen charakterisiert, nicht zu einem Thema der Vorsatz dogmatik, sondern zu einem wichtigen Kapitel der Lehre vom Versuch6 • Der dogmatische StandVgl. oben A 11, 1.2. Das Große Duden Lexikon, Stichwort Entschluß. 3 Anders aber J. Schröder, Der bedingte Tatentschluß, S. 32 ff. 4 Blei, AT, S. 106ff.; Jescheck, AT, S. 236; Welzel, Strafrecht, S. 66. 5 Welzel, a.a.O. 6 Vgl. etwa Arzt, JZ 1969, S.54ff.; Roxin, Schröder-FS, S.146; W. Schmid, ZStW 74 (1962), S. 48. 1
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I. Der Tatentschluß
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ort des Problems leuchtet ein. Im Stadium des Versuchs, solange der tatbestandliche Erfolg (noch) nicht eingetreten ist, versteht sich die Gestaltungsabsicht nicht von selbst - der Handelnde wollte möglicherweise nur Vorbereitungen treffen, war zur Tat noch nicht entschlossen. Dem vollendeten Delikt ist sie auf die Stirn geschrieben. Dies scheint jedenfalls einhellige Ansicht zu sein, denn beim vollendeten Delikt wird der Wille zur Verwirklichung ungeprüft vorausgesetzt. Die Zurechnung als Vorsatztat wird nicht von der Entschlossenheit des Wollens, sondern allein von der Richtung des Willens abhängig gemacht 7 • Eine theoretische Erläuterung dieses Vorgehens findet sich nirgends. Ist aber ein handlungsinitiierendes Moment für den Vorsatz ebenso konstitutiv wie für den Tatentschluß, bedarf die Eliminierung dieses Merkmals aus der Vorsatzprüfung einer Rechtfertigung. Sie wäre gelungen, wenn aus der Vollendung des Delikts und der Identifizierung des dem subjektiven Tatbestand entsprechenden Willensinhalts die Entschlossenheit zur Tat notwendig folgen würde. Verstehen wir Entschlossenheit vorläufig als einen gewissen Verbindlichkeitsgrad von Motivation für Verhalten, so zeigt die Handlung8 eines Menschen an, daß ein Motiv, welcher Art auch immer, dieses Niveau erreicht hat; denn andernfalls wäre es nicht zur Aktion gekommen. Das vollendete Vorsatzdelikt hat zur Voraussetzung, daß solches Handeln den objektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und ein Strebungsinhalt festgestellt werden kann, der sich, soweit dies für den subjektiven Tatbestand erforderlich ist, mit der äußeren Tatseite deckt. Ist dieser Motivationsinhalt erwiesen, folgt seine handlungsleitende Qualität aus der Vollendung des Delikts, da sie durch die kongruente Handlung herbeigeführt wurde: Die Tathandlung des vollendeten Delikts ist inhaltlich deckungsgleich mit der Intention, die den Vorsatz repräsentiert. Dieser Strebungsinhalt muß es somit gewesen sein, der den Status der Unverbindlichkeit hinter sich gelassen und die Handlung ausgelöst hat. Zwingend ist dieser Schluß allerdings nicht. Es ist denkbar, daß das handlungskongruente tatbestandliche Motiv zwar vorhanden, aber im Bereich der Tatgeneigtheit geblieben war und das Verhalten andere, tatbestandsneutrale Ziele verfolgt hat. Diese Möglichkeit ist aber ebenso unwahrscheinlich wie im konkreten Fall unerweislich. Beim vollendeten Delikt wird daher zu Recht weniger auf den Vorgang des Wollens als auf den Inhalt des Willens abgestellt; die Entschlossenheit spricht aus der Tat. 7 Zu einer anderen Einschätzung des Verhältnisses von Entschluß und Vorsatz kommt J. Schröder (a.a.O., S. 32ff). Er lehnt die Gleichsetzung beider Begriffe durch die herrschende Meinung ab und läßt in bestimmten Fällen die vorsätzliche Zurechnung eines vollendeten Delikts an der fehlenden Entschlossenheit des Täters scheitern. Vgl. dazu unten 5. 8 1. S. d. juristischen Handlungsbegriffs.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Freilich bleibt auch der Versuch nicht im subjektiv Unverbindlichen, sondern offenbart im "Ansetzen", daß ein Motiv gestaltende Kraft entwickelt hat. Zwischen objektivem und subjektivem Versuchstatbestand besteht jedoch nicht das Kongruenzverhältnis des vollendeten Delikts. Solange aber der Strebungsinhalt, der den Vorsatz repräsentiert, nicht vollständig im deliktischen Geschehen abgebildet ist, kann dieses nicht zum Beweis für die Entschlossenheit des Täters dienen, über die "Versuchshandlung" hinaus auch den Straftatbestand zu verwirklichen. Die Entschlossenheit zur Tat wirft somit vor allen beim versuchten Delikt Fragen auf, die für die konkrete Fallösung Bedeutung haben9 • Die Willensleistung, die den Versuch konstituiert, erbringt jedoch auch der Täter, der die Tat vollendet. Bestimmt die Gestaltungsabsicht aber den Vorsatzbegriff grundlegend mit, so ist sie in die Analyse des vorsätzlichen Wollens einzubeziehen. Die Untersuchung wird dabei auch zeigen, ob und gegebenenfalls wie der Affekttäter diese Willensfunktion erfüllt. 2. Entschlossenheit als unbedingtes Wollen 2.1 Die traditionelle Auffassung
Eine Überprüfung des strafrechtlichen Verständnisses von Entschlossenheit kann sich nicht auf die Vorsatzdogmatik beschränken, sondern muß dort beginnen, wo die Auseinandersetzung um den Begriff stattfand: beim subjektiven Versuchstatbestand. Die entsprechenden Kapitel der Kommentar-und Lehrbuchliteratur beginnen meist mit dem Hinweis darauf, daß der Entschluß zur Tat bereits endgültig gefaßt sein muß 10. In jedem Fall sei zu fordern, daß der Wille zum Handeln unbedingt ist l1 . Darin wird auch der Unterschied zum dolus eventualis gesehen 12 . Bezogen auf Nebenfolgen könne der Täter im Falle des dolus eventualis Vorbehalte hegen; handeln, verursachen wolle er gleichwohl. Die Entscheidung, ob er tatsächlich zu Werke geht, dürfe er nicht offenlassen 13 . Ein bedingter Handlungswille genüge nicht1 4 . Der bedingte Wille, verstanden als unentschlossenes Wollen, habe den Bereich des Vorsatzes noch gar nicht erreicht1 5 • Von diesem könne erst die Rede sein, "wo der Wille zum Handeln feststeht"16. Bedingtes Wollen kennzeichnet danach also den Zustand der Unentschlossenheit. 9 Vgl. zur Willenseite des Versuchs auch Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 140ff. 10 S/S - Eser, § 22, Rn. 18; WesseIs, AT, § 1411 1. 11 Dreher / Tröndle, StGB § 22, Rn. 2. 12 LK 9 - Schröder, § 59, Rn. 111; Kölz-ütt, Eventualvorsatz und Versuch, S. 3. 13 Maurach / Gössel/Zipf, AT, Tb. 2, S. 22. 14 Stratenwerth, AT, Rn. 644. 15 Welzel, Strafrecht, S. 66; Stratenwerth, AT, Rn. 296. 16 Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, S. 328.
I. Der Tatentschluß
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Dieser Grundsatz würde der Strafbarkeit klare Grenzen ziehen; er wird jedoch, gerade erst begründet, wieder in Frage gestellt. Denn in manchen Fällen soll nach einhelliger Ansicht auch ein Wille, der sich an eine Bedingung gebunden hat, der subjektiven Tatseite genügen. Wo immer von der Gestaltungsabsicht die Rede ist, wird erläutert, daß die Ausführung der Tat vom Eintritt bestimmter Bedingungen abhängig gemacht werden könne, ohne daß dies die Entschlossenheit berühre 17 . Bedingt sei dann nur die Begehung, nicht der Entschluß 18 . Die Zuordnung der Bedingung zur Ausführung (nicht zum Entschluß) kann den Widerspruch zu dem Axiom, daß für das Strafrecht allein der unbedingte Handlungswille erheblich sei, nicht auflösen. Denn Entschlossenheit bezieht sich immer auf Handeln, also die Durchführung der Tat. Vorsätzliches Wollen soll aber vorliegen, obgleich das "ob" der Tat weiter offen bleibt. Zumindest eine begriffliche Klärung ist in der Formulierung Welzels angedeutet: "Das bedingte, d.h. das noch unentschlossene "Wollen" ist überhaupt noch kein Vorsatz ... Dagegen liegt Vorsatz bei unbedingter Entschlossenheit zu einer Tat vor, deren Ausführung aber noch von dem ungewissen Eintritt einer bestimmten Situation abhängt"19. Bedingtes Wollen ist also nur dort kein Vorsatz, wo es gleichzeitig unentschlossenes Wollen ist. Einem Entschluß steht jedoch die Abhängigkeit des Wollens von bestimmten Bedingungen nicht entgegen. Entscheidend ist danach der Begriff der Entschlossenheit; er ist nicht identisch mit unbedingtem Handlungswillen. Die Kontroverse um diese dogmatische Kategorie kann hier nicht nachgezeichnet werden. Sie fand einen vorläufigen Abschluß mit der von Werner Schmid20 vorgeschlagenen Systematisierung in drei Fallgruppen, die das Schrifttum durchweg übernommen hat, die aber, wie die Kritik durch Arzt21 und Roxin22 zeigt, die Widersprüche der herrschenden Meinung nicht löst, sondern nur verwaltet: a) Die bloße Tatgeneigtheit 23 • Damit ist eine Phase gemeint, in der der Täter zwar mit dem Gedanken spielt, den Tatbestand zu verwirklichen, in der er sich aber alle Optionen offen hält. Das Delikt repräsentiert nur eine Handlungsalternative, die Entscheidung über das "ob" ist noch nicht gefallen. Fest steht, daß der Täter sich nicht strafbar macht, solange er unentschlossen bleibt. Weniger gesichert ist, wo die Grenze der Tatgeneigtheit zum vorsätzlichen Wollen verläuft. 17 S/S - Eser, a.a.O.; Wessels, a.a.O. Stratenwerth, AT, Rn. 296. Welzel, a.a.O. 20 ZStW 74 (1962), S. 48ff. 21 JZ 1969, S. 54 ff. 22 H. Schröder-FS, S. 145ff. 23 W. Schmid, a.a.O., S.51ff.; vgl. zu den Fallgruppen auch die Übersicht bei Roxin, a.a.O., S. 146. 18
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
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b) Der Taten~schluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage 24 . Der Täter stellt in diesen Fällen einen Zusammenhang zwischen der Verwirklichung des Tatbestands und dem Eintritt äußerer, objektiver Bedingungen her. Er ist sich bewußt, daß die Vollendung der Tat auch von tatsächlichen Umständen abhängt, die er nicht zu beeinflussen vermag. Dabei können Voraussetzungen für die Durchführbarkeit des Delikts in Frage stehen, wie bestimmte Wetterverhältnisse, die etwa ein Einbruch erfordert. Neben der Möglichkeit kann aber auch die "Notwendigkeit" der Begehung mit tatsächlichen Unsicherheiten belastet sein: Das Attentat auf einen Politiker soll nur durchgeführt werden, wenn er die Wahl gewinnt 25 . Ein solcher Vorbehalt, der in Bedingungen gründet, die der Täter mangels konkreten Wissens nur hypothetisch in seine Willensbildung einbezieht, spricht nach einhelligem Urteil nicht gegen seine Entschlossenheit. c) Der Tatentschluß mit Rücktrittsvorbehalt26 charakterisiert das negativ formulierte Gegenstück zum Tatentschluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage. Will der Täter hier nur unter gewissen Voraussetzungen handeln, so ist er dort fest entschlossen, versieht seinen Entschluß aber von Anbeginn mit der Einschränkung zurückzutreten, falls sich bestimmte äußere oder auch innere Bedingungen einstellen. Man stimmt darin überein, daß ein Täter, der im Übrigen entschlossen ist, mit derartigen Gedanken an Rücktrittsmöglichkeiten das Stadi!-.I.m der Tatgeneigtheit nicht weiter konservieren kann; er hat sich auf die Verwirklichung des Tatbestands bereits hinreichend festgelegt. 2.2 Kritik der herrschenden Meinung
Die Systematisierung der herrschenden Meinung gibt keinen Aufschluß über die Willensleistung, die den Tatentschluß ausmacht, sie löst aber auch die selbstgesetzte Aufgabe, zwischen Vorbereitung und Versuch zu trennen, nur ungenügend. So lassen sich die Kategorien des Entschlusses auf hypothetischer Tatsachengrundlage (unter aufschiebender Bedingung) und des Entschlusses mit Rücktrittsvorbehalt (unter auflösender Bedingung) zwar in der Theorie, nicht aber am konkreten Fall auseinanderhalten, da sie, wie das nachfolgende Beispiel zeigt, psychisch nahezu identische Phänomene beschreiben. Fall nach BGHSt 21,14 27 : T, der seine Ehefrau 0 der Untreue verdächtigt, erwirbt eine Waffe und reist ihr nach, um sich Gewißheit zu verschaffen. Falls er sie in flagranti überrascht, will er sie töten.
24 25
26 27
W. Schmid, a.a.O., S. 53f. Beispiel von Schröder, JuS 1962, S. 83. W. Schmid, a.a.O., S. 54ff. In der Form von Beispiel 3 bei Arzt, a.a.O., S. 55.
I. Der Tatentschluß
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Die Einschränkung, mit der T seine Absicht, die Tat durchzuführen, versehen hat, läßt sich ebenso gut als aufschiebende, wie als auflösende Bedingung verstehen. Ob der innere Monolog hier lautet, ich töte 0, wenn sich ihre Untreue erweist (aufschiebende Bedingung) oder ich töte 0, es sei denn, sie war treu (auflösende Bedingung), ist eine Frage der Formulierung und damit des Zufalls oder der geschickten Einlassung28 ; der Wille bleibt gleich. Dieses Changieren von Rücktrittsvorbehalt und (aufschiebender) Bedingung29 spricht zunächst nur gegen die Klassifizierung von W. Schmid, die Untrennbares in Kategorien zu scheiden sucht. Denn die herrschende Meinung behandelt beides im Ergebnis gleich. Auch die aufschiebende Bedingung entkräftet den Entschluß nicht, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes von äußeren, objektiven Umständen abhängig gemacht wird, der Täter aber im Übrigen, nämlich für den Fall des Bedingungseintritts, fest entschlossen ist. Bei inneren Bedingungen führen die Kriterien der herrschenden Meinung angesichts der Gleichartigkeit der Willensvorbehalte jedoch zu widersprüchlichen Folgerungen. Sagt T sich in einer Abwandlung des obigen Falls 30 , ich töte 0, wenn ihr Ehebruch ans Licht kommt, es sei denn, mein Mitleid hindert mich daran, so formuliert er einen vorsatzneutralen Rücktrittsvorbehalt. Denkt er hingegen, vielleicht töte ich sie, vielleicht sehe ich aber auch aus Mitleid davon ab, so würde er eine aufschiebende innnere Bedingung, die einen Entschluß nicht entstehen läßt und damit die Straffreiheit wählen. Dieses Zufallsergebnis wäre auf dem Argumentationshintergrund der herrschenden Meinung zu vermeiden, wenn man auch die auflösende innere Bedingung der Phase der Tatgeneigtheit zuordnen könnte. Dafür spräche, daß ein Wille, der sich - unabhängig von Veränderungen der Tatsachengrundlage - vorbehält, doch nicht zu wollen, in merkwürdigem Kontrast zur Verbindlichkeit des Tatentschlusses steht. Einen Weg aus den Antinomien der herrschenden Meinung würde diese Lösung allerdings nur weisen, wenn wenigstens die Antipoden AußenInnenbedingung, auf die es dann allein ankäme, verläßliche und trennscharfe Merkmale für die Eingrenzung vorsätzlichen Wollens anzubieten hätten. Obgleich die herrschende Meinung häufig mit dieser Differenzierung abgrenzt, sind objektive und subjektive Bedingungen ebenso schlecht unterscheidbar, wie aufschiebende und auflösende. Macht der Täter die Durchführung der Deliktshandlung von einer äußeren Voraussetzung abhängig, so soll, im Gegensatz zur Bindung an eine innere, der Vorgang der Willensbildung bereits mit dem bedingten Entschluß beendet sein. Bei Eintritt der Bedingung sei dann kein neuer Willensimpuls erforderlich31 • Diese 28 29 30
31
Roxin, a.a.O., S. 149. So Arzt (a.a.O., S. 55), der dieses Vexierspiel als erster demonstrierte. Abwandlung von Arzt, a.a.O., S. 56. BGHSt 12, 306 (310); Less, GA 1956, S. 37f.
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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These gründet auf einem mechanistischen unpsychologischen Verständnis der Motivationszusammenhänge, die der bedingten Entschlußfassung nachfolgen. Sie werden lediglich durch einen "Zweifel im Wissen" nicht durch einen "Zweifel im Wollen" charakterisiert32 • Schon eine alltagspsychologische Sicht erweist aber, daß in unserem Beispielsfall der Mangel im Wissen zu einem defizienten Wollen führt: solange T nicht weiß, was sich im Zimmer seiner Frau zugetragen hat, weiß er auch nicht, was er will. Wissen und Wollen sind im Entschluß unlösbar miteinander verbunden33 • Beide Elemente lassen sich zwar analytisch voneinander abheben, nicht aber unterschiedlichen Phasen der Willensbildung zuordnen. Kognitive und konative Prozesse stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Willensinhalte werden durch die Wahrnehmung vermittelt, die ihrerseits über voluntative Strebungen gelenkt wird. Diese Wirkung belegen Experimente zur Wahrnehmungsabwehr (erstmals durch E. McGinnies 1949) und zum Einfluß von Einstellungen (erstmals durch J. Brunner und C. Goodman 1947)34, jenen Effekt demonstriert unser Beispielsfall. Da kognitive und konative Funktionen nicht autonom ablaufen, kann es keinen bloßen "Zweifel im Wissen" geben. In engem Zusammenhang mit der verfehlten zeitlichen Trennung kognitiver und voluntativer Funktionen steht das zweite Argument, mit dem die Beendigung der Willensbildung im Zeitpunkt der - durch einen äußeren Umstand bedingten - Entschlußfassung begründet und damit die Unterscheidbarkeit von objektiven und subjektiven (inneren) Bedingungen postuliert wird: Der bedingt Entschlossene sei seiner Freiheit bereits verlustig, da er sich Kausalabläufen unterworfen habe, die er nicht beherrscht3 5 • Von Unfreiheit kann allerdings nur die Rede sein, wenn die Perzeption des Bedingungseintritts automatisch und ohne weitere Prüfung auf die Handlungsebene durchschlägt. Äußere Ereignisse wirken " ... jedoch nicht kausal, zwingend auf den Handelnden, sondern motivierend ... "36. Zwar steht der äußere Umstand nicht zur Disposition des Täterwillens, wohl aber seine Interpretation der Wirklichkeit sowie sein Entschluß selbst. Wenn T die Durchführung eines Attentats davon abhängig macht, beim Probeschießen ein befriedigendes Resultat zu erzielen37 , so reicht sein Einfluß auf das äußere Ereignis nicht weiter, als seine Schießkünste. Gleichwohl bindet ihn das Ergebnis, die Anzahl der Ringe, nicht. Denn T kann sie als befriedigend oder unbefriedigend werten, ja er kann aus ganz anderen Gründen den Less, a.a.O., S. 34. J. Schröder, a.a.O., S. 12. 34 Vgl. den Überblick zur "sozialen Wahrnehmung" bei Legewie / Ehlers, Knaurs moderne Psychologie, S. 100ff. . 35 Less, a.a.O. 36 J. Schröder, a.a.O., S. 12. 37 Fall von Arzt, a.a.O., S. 56. 32 33
I. Der Tatentschluß
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bedingten Entschluß revidieren. Ihn zu fassen, kostete also die Freiheit nicht. Mögen andere Ereignisse, an die der Entschluß geknüpft wird, der Interpretation weniger Raum geben, so ist doch keine Bedingung allein eine Sache des Äußeren. Erweisen sich die Antipoden "innen - außen" als ebenso ungeeignet, vorsätzliches Wollen und Tatgeneigtheit zu unterscheiden, wie der scheinbare Gegensatz von aufschiebender und auflösender Bedingung, so muß der Versuch, schematisch nach abstrakten Kategorien abzugrenzen, zunächst als gescheitert gelten. Ohne intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Tatentschlusses sind tragfähige Kriterien offenbar nicht zu gewinnen. Erst eine Analyse der Willensvorgänge, die den Entschluß konstituieren, wird bekunden, wo die Zäsur psychologisch stimmig und dogmatisch sinnvoll zu setzen ist. 3. Vorsätzliches Hinwirken auf die Rechtsgutverletzung (Arzt)
Arzt, der die Kritik der herrschenden Meinung maßgebend angeregt hat, weist der Lösung jedoch den entgegengesetzten Weg. Er sucht den Begriff des Tatentschlusses nicht auszuloten, sondern überflüssig zu machen38 • Arzt anerkennt einen strafrechtlich neutralen Zustand der Tatgeneigtheit. Seine Grenze soll der Täter aber nicht erst überschreiten, wenn er vorbehaltlos entschlossen ist, sondern bereits, wenn er auf den tatbestandlichen Erfolg vorsätzlich "hinarbeitet". Jedes das Delikt vorbereitende Handeln setze nämlich eine Bedingung für die Verwirklichung des Tatbestandes. Da von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen auszugehen sei, genüge für den Tatentschluß, daß eine solche causa vorsätzlich herbeigeführt wird. In unserem Beispielsfall käme es demnach nicht darauf an, mit welchen Einschränkungen T seinen Handlungswillen versehen hat, sondern ob die Beschaffung der Waffe und die Verfolgung der Ehefrau bereits auf die Verwirklichung des Tatbestandes zielen. Diese subjektive Beziehung zum Erfolg meint Arzt hier - wie bei den übrigen zum bedingten Versuch gebildeten Fällen - in der Form des dolus eventualis feststellen zu können: T habe seine Vorbereitungen mit unbedingtem Willen getroffen; er sei sich nur nicht sicher gewesen, ob seine Aktionen letztlich zum deliktischen Erfolg führen würden. Diese Konstellation werde aber durch den dolus eventualis erfaßt. Entschlossen ist danach, wer mit unbedingtem Handlungswillen eine adäquate Bedingung für die Verwirklichung des Tatbestandes setzt und den Erfolg dadurch, wenn auch nur - im Sinne des dolus eventualis - bedingt, herbeiführen Will39 • Vgl. zum Folgenden Arzt, a.a.O., S. 54ff., insbes. S. 55. Die Gegenposition zu Arzt vertritt Lampe (NJW 1958, S. 332f.), dem auch bei unbedingtem Handlungswillen dolus eventualis nicht für eine Bestrafung wegen Ver'" suchs genügt. Vgl. dazu unten 5. 38 39
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Der Ansatz von Arzt hebt die Antinomien der herrschenden Meinung auf und besticht durch dogmatische Stringenz. Die Problemlösung erinnert aber entfernt an die Strategie Alexanders des Großen in Gordion, da sie den Begriff der Entschlossenheit nicht entwickelt, sondern überflüssig macht. Dessen Kern bildet die Gestaltungsabsicht die Welzel "Verwirklichungswillen" nennt. Die Verbindlichkeitsqualität des Wollens hat aber in einer Lehre seine Funktion verloren, die Vorsatz selbst dort feststellen will, wo der Täter mit dem Gedanken spielt, sich die Optionen offenhält, also noch gar nicht über das "ob" der Tat befunden hat. Die im Wissen um die möglichen Auswirkungen getroffenen Vorbereitungen sollen ja kein Indiz für die innere Festlegung, sondern selbständiger Anknüpfungspunkt der Zurechnung sein. Mit der Eliminierung des Merkmals der Entschlossenheit aus dem Tatentschluß modifiziert Arzt über die Versuchs- die Vorsatz dogmatik. Denn auch der dolus eventualis verlangt in seiner voluntativen Seite einen auf Gestaltung zielenden Willen. Der Verzicht auf diese Komponente verändert ihn grundlegend, da er seinen Anwendungsbereich erweitert. Die für den bedingten Vorsatz typische Konfliktsituation, entweder die unerwünschte Nebenfolge in Kauf zu nehmen, sich mit ihr abzufinden, oder von der Tat abzulassen, entsteht erst, wenn eine Vorentscheidung für die Verwirklichung gefallen ist. Die Notwendigkeit der Wahl beruht auf der konkreten Gefahr für das geschützte Rechtsgut durch unkontrollierbare Faktoren der Außenwelt. Das "Hinarbeiten" schafft keine vergleichsweise Zwangslage, denn die Unsicherheit liegt hier in inneren Willensprozessen, also im Einflußbereich des Individuums 40 • Die Kritik des Schrifttums richtet sich jedoch weniger gegen den Lösungsweg41 , als gegen das Ziel, die Strafbarkeit unabhängig von der Festigkeit des Willens zur Tat zu begründen42 • Arzt will damit nicht nur die Abgrenzungsprobleme der herrschenden Meinung umgehen, sondern vor allem vermeiden, daß ein Täter, der auf einen deliktischen Erfolg hinarbei40 Roxin (a.a.O., S. 149ff.) lehnt aus diesem Grund die Anwendbarkeit des dolus eventualis bei einem unentschlossenen Täter ab. Im Ergebnis ähnlich J. Schröder, a.a.O., S. 3 Anm. 21a. 41 Wo der Lösungsweg gewürdigt wurde, geschah dies unter konstruktiven Gesichtspunkten. Er ist aber auch in der praktischen Anwendung nicht ohne Probleme: Der Täter muß, wenn er auf das Delikt "hinarbeitend" eine causa setzen soll, mit dolus eventualis handeln, also die Gefahr, daß es zur Tat kommt, ernst nehmen. Beim Tatentschluß unter einer äußeren Bedingung ist folglich Voraussetzung, daß er die Möglichkeit des Eintritts der Bedingung und die Möglichkeit, dann auch bei seinem Entschluß zu bleiben, ernst genommen hat. Wie aber, wenn der Täter auf den Nicht-Eintritt der Bedingung vertraute und seine Vorkehrungen nur für eine aus seiner Sicht eher theoretische Entwicklung traf? Ferner: Kann man bei einem Entschluß mit Rücktrittsvorbehalt sagen, die Möglichkeit, gegebenenfalls zu handeln, und damit die Tat werde ernst genommen, oder spricht nicht - zumindest in manchen Fällen - aus der Einschränkung des Wollens das Vertrauen des Täters, es werde letztlich doch nicht zur Tat kommen? 42 Jescheck, AT, S. 417 Anm. 19; Schmidhäuser, Lehrbuch, 15/33, Fn. 24; Roxin, a.a.O., S. 151 m.w.N.
1. Der Tatentschluß
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tend, die Entscheidung hinauszögert, gegenüber jenem privilegiert wird, der sich früh festlegt. Beide unterscheiden sich aber in ihrer subjektiven Beziehung zur Tat so grundlegend, daß die Differenzierung der herrschenden Meinung gerechtfertigt, ja geboten erscheint. Unentschlossenheit ist auch bei gleichzeitig vorbereitendem Handeln keineswegs mit einer bloßen reservatio mentalis im Sinne von § 116 BGB gleichzusetzen. Daß ein Mensch, obgleich in eine bestimmte Richtung wirkend, seine Entscheidung völlig offen halten, daß diese Aktivität folglich das Merkmnal der Entschlossenheit nicht substituieren kann, zeigt das sogenannte zweispurige Verhalten. Bei Affektdelikten, aber auch bei anderen konfliktbelasteten Taten, wird häufig beobachtet, daß der Täter in unterschiedliche, zum Teil völlig gegensätzliche Richtungen handelt43 • So könnte ein Ehemann (E), in der Verzweiflung, daß seine Frau mit dem Tennislehrer durchgegangen ist, erwägen, den Liebhaber zu töten, um sie zurückzugewinnen und gleichzeitig mit dem Gedanken spielen, einen - um die Tötung der Kinder - erweiterten Selbstmord zu begehen. Wenn E sich für alle Fälle eine Pistole besorgt, um den Nebenbuhler zu erschießen und seinen Vorrat an Schlaftabletten ergänzt, um seine Kinder zu vergiften, arbeitet er auf zwei Erfolge hin, von denen er allenfalls einen herbeiführen will. Arzt müßte dennoch in beiden Richtungen Vorsatz annehmen, da die Unsicherheit des Wollens, das Aufschieben der Entscheidung in seiner Lehre eine dolose Zurechnung nicht ausschließt. Gegensätzliches, zweispuriges Verhalten verdeutlicht aber, daß man auf die Verbindlichkeitskomponente vorsätzlichen Wollens nicht verzichten kann. Denn obgleich der Täter, die Gefahr der Begehung ernst nehmend, Vorbereitungen trifft, kann er in seinem Willen so sehr schwanken, daß aufgrund der konativen Unsicherheit noch gar nicht absehbar ist, welches Delikt er begehen will. Klarheit schafft erst der Entschluß. Er bedeutet mehr als die Aufgabe einer Mentalreservation, er stellt dem Handeln die Weichen. 4. Entschlossenheit als Übergewicht von Motiven (Roxin) Das Ziel, zwischen tatbestandslosem Planen und strafbarem Versuch möglichst exakte und widerspruchsfreie Grenzen zu ziehen, läßt sich daher nicht erreichen, ohne den Begriff des Tatentschlusses zu erläutern und nötigenfalls neu zu bestimmen; die Lösung Roxins setzt dort an. Sie geht vom alltagspsychologischen Verständnis aus, bezieht aber auch die leitenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers in den Ansatz ein44 • Erste Orientierungspunkte werden aus einer Konfrontation der traditionellen Versuchslehre mit Regelungen der Tatbeteiligung gewonnen: Nach 43 44
Vgl. das eindrucksvolle Beispiel von Rasch, Tötung des Intimpartners, S. 58ff. a.a.O., S. 154.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
einhelliger Ansicht ist es möglich, einen Täter, der sich erboten hat, gegen Bezahlung ein Delikt zu begehen, durch das Versprechen der Entlohnung anzustiften45 . Da die Durchführung nur von einer äußeren Bedingung abhängt, wäre der Täter nach den Kriterien der herrschenden Meinung bereits entschlossen und folglich nicht mehr anstiftbar. 46 Einen weiteren Widerspruch deckt das Institut der psychischen Beihilfe auf. Bezeichnet wird damit "die Bestärkung im schon vorhandenen Entschluß"47. Ein Vorsatz, der erst durch den Zuspruch des Gehilfen stabilisiert wird, zeugt aber wenig von der Festigkeit, die doch den Begriff des Tatentschlusses konstituieren so1l48. Roxin schließt aus den zu Anstiftung und Beihilfe entwickelten Grundsätzen, daß der subjektive Versuchstatbestand nicht in jedem Fall erfüllt ist, der die Durchführung des Delikts allein von einer äußeren Bedingung abhängig macht, daß andererseits aber Tatentschluß anzunehmen ist, obgleich der Täter, Bedenken hegend, noch schwankt. Die tragenden Eckwerte der begrifflichen Rekonstruktion von Entschlossenheit werden jedoch der gesetzlichen Grundlage der Versuchslehre, vor allem der Rücktrittsregelung des § 24 StGB entnommen49 . Aus dieser folgt, daß der Vorbehalt des Rücktritts den Tatentschluß nicht in Frage stellt. Andernfalls wäre § 24 StGB obsolet, da dort die Strafbarkeit unter weit engeren Voraussetzungen ausgeschlossen wird. Dem Verhältnis von Versuch und Rücktritt ist aber auch zu entnehmen, daß die Entschlossenheit zur Tat nicht mit einer endgültigen, unwiderruflichen Entscheidung gleichgesetzt werden darf; denn wer vom unbeendeten Versuch zurücktreten, das heißt auf die Ausführung des geplanten Handelns verzichten kann, hat sich nicht definitiv festgelegt. Gilt es mithin die Schwelle zum Entschluß herabzusetzen, so gibt die Systematik der §§ 22 ff. StGB auch hierfür Anhaltspunkte: "Der Versuch setzt objektiv und subjektiv voraus, daß der Täter eine Grenze überschritten hat, jenseits derer zwar eine Umkehr (durch Rücktritt) nicht ausgeschlossen ist, von der an aber bei normalem Weiterverlauf die Täterhandlung zur Tatbestandsverwirklichung führt"50. Das objektive Merkmal dieser Trennungslinie bestimmt das Gesetz in § 22 StGB. Subjektiv soll sie überschritten sein, wenn die Antriebe zur Tat stärker sind, als kontrastierende Motive, der Täter das Delikt lieber begehen, als davon absehen will. Hemmende Gegenvorstellungen entkräften den Tatentschluß so lange nicht, als die ihn tragenden Strebungen dominieren 51 . 45 46 47 48
SK - Samson, § 26, Rn. 3; S/S - Cramer, § 26, Rn. 5. a.a.O., S. 147. Dreher / Tröndle, § 27, Rn. 7; vgl. auch RGSt 73,53; BGH NJW 51, 451. a.a.O., S. 148. 49 a.a.O., S. 157ff. 50 a.a.O., S. 158. 51 Zustimmend: Kühl, JuS 1980, S.275; SK - Rudolphi, § 22, Rn. 5; S/S - Eser, § 22, Rn. 18.
I. Der Tatentschluß
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Dieses Verständnis des subjektiven Versuchstatbestandes bedeutet für die Probleme der traditionellen Auffassung: Psychische Beihilfe und Versuchsdogmatik harmonieren, da den entschlossenen Täter weiter Zweifel quälen können. Aus diesem Grund kommt es auch auf die schwierige Abgrenzung zwischen dem Vorbehalt des Rücktritts und jenem der endgültigen Entschlußfassung nicht mehr an: entschlossen ist der Täter bereits, wenn die zur Tat drängenden Strebungen vorherrschen. Beim Tatentschluß auf unsicherer Tatsachengrundlage soll die subjektive Grenze überschritten sein, "wenn der Täter für den Fall, daß die von ihm zur Voraussetzung gemachten äußeren Bedingungen eintreten, zur Verwirklichung des Delikts überwiegend entschlossen ist"52. Die Lösung einer Fallgruppe folgt freilich nicht aus dem revidierten Entschlußbegriff: Der zur Begehung bereite Täter, der die Durchführung von einer äußeren Bedingung abhängig macht, die der Anstifter zu erfüllen hat (z. B. Zahlung einer Belohnung), soll nicht entschlossen sein53 . Begründet wird dieses Ergebnis mit dem Vorrang der Anstiftungsdogmatik gegenüber der (traditionellen) Lehre vom Tatentschluß54 . Den Primat der Anstiftung fordere § 26 StGB, dessen Anwendungsbereich andernfalls erheblich eingeschränkt werde, während die Annahme eines bedingten Entschlusses außer Acht lasse, daß sich die Motivation des Täters durch eine Person in ihrer rechtlichen Bedeutung wesentlich von der Motivation durch andere äußere Umstände unterscheide. "Im ersten Fall will der Täter nur, wenn ein anderer will, und bleibt bis dahin ungefährlich; im zweiten will er aus eigenem Antrieb und läßt sich höchstens durch äußere Gegebenheiten abhalten"55. Roxins Erklärungsansatz 56 eröffnet der Kontroverse um den Tatentschluß Perspektiven, die über die eigene Lösung hinausreichen, da er die Grundlagen der Begriffsbildung darlegt. Das Fundament, auf dem seine Interpretation gründet, an dem sich aber auch jede andere Konstruktion orientieren muß, bilden drei Bezugspunkte: das alltagspsychologische Verständnis von Entschlossenheit, die gesetzliche Regelung des Versuchs und das Postulat der Systemverträglichkeit. Letzteres ist kaum angreifbar, denn die einzelnen Größen einer Ordnung dürfen sich nicht widersprechen. Streit kann nur über den Ausgleich von Konflikten (hier zugunsten der Anstiftungsdogmatik) bestehen. Die Berücksichtigung der in den §§ 22 - 24 StGB vorgegebenen Wertsetzungen steht außer Zweifel. Sie verbietet, den Tatentschluß auf eine Stufe mit der endgültigen Festlegung zu stellen, läßt aber offen, wo er auf dem Kontinuum anzusiedeln ist, dessen Extreme jene unverrückbare a.a.O., S. 161. a.a.O., S. 154ff. 54 Und damit letztlich auch gegenüber Roxins eigenem Ansatz, aus dem das Ergebnis nicht ableitbar ist. 55 a.a.O., S. 155. 56 Bekräftigt in JuS 1979, S. 3. 52
53
4 Ziegert
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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Entscheidung auf der einen und das keimende Motiv auf der anderen Seite bezeichnen. Die genaue Position bestimmt Roxin - mit dem Merkmal des Übergewichts der zur Tat drängenden Motive - auf der Basis eines alltagssprachlichen oder psychologischen, in jedem Falle aber vorjuristischen Entschlußbegriffs. Dieses Kriterium steht den psychischen Phänomenen, die die Willensbildung konstituieren, weit näher, als jener der überkommenen Auffassung; es kann sogar Mezgers Attribut der "Materialgerechtigkeit" beanspruchen. Die kategoriale Stimmigkeit der Beschreibung garantiert allerdings noch nicht ihre inhaltliche Richtigkeit. Die Analyse der Entschließung erfaßt die motivationale Dynamik, das Gegeneinander von Strebungen, vor allem die Rolle hemmender Tendenzen, die im Entschluß noch wirken, zu einem späteren Zeitpunkt, wie die dynamische Handlungstheorie belegt hat, sogar dominieren mögen 57 und doch im Moment der Entschließung die Handlung nicht hindern und somit den subjektiven Versuchstatbestand nicht ausschließen können. Sie vernachlässigt jedoch den Aspekt der Handlungskontrolle, das heißt Willensvorgänge im engeren Sinn. Bedeutet Entsc'hlossenheit, daß eine Strebung einen gewissen Verbindlichkeitsgrad erreicht hat, so charakterisiert Roxin sie als Stärkerrelation von Motiven. Sein Ansatz fußt damit implizit auf der Annahme, daß die kräftigste aller konkurrierenden Handlungstendenzen unmittelbar das Verhalten bestimmt, daß die vorherrschende deliktische Strebung "bei normalem Weiterverlauf" zur Tatbestandsverwirklichung führt 58 • Aus der Dominanz eines Motivs folgt aber noch nicht seine handlungsleitende Potenz. Wir machen täglich die Erfahrung, daß viele Antriebe keine gestaltende Kraft entwickeln, obgleich sie ihre Antagonisten an Intensität weit übertreffen59 • Das Erlebnis der Willensfreiheit erwächst ja gerade dem Bewußtsein mächtige (z.B. impulsive) Strebungen abwehren und die Realisierung schwacher Tendenzen durchsetzen zu können 60 • Die handlungsinitiierende Eigenschaft eines Motivs läßt sich daher nicht als lineare Funktion seiner Stärke begreifen, sondern als Ergebnis einer Reihe von Vermittlungsvorgängen, die die klassische deutsche Willenspsychologie mit dem Oberbegriff des Willens zusammengefaßt hat 6l • Das motivationale Gefüge verändert sich von der Tatgeneigtheit zum Entschluß weniger quantitativ als qualitativ. Quantitativ dominieren fortwährend Strebungen, wechseln gerade in konfliktbelasteten Situationen die "Leitmotive" von Minute zu Minute, ohne jeweils Handlungen auszulösen. Entscheidend ist daher nicht, daß eine Tendenz die Gegenvorstellungen überflügelt, sondern daß ein Motiv eine neue Qualität, den Status der Verbindlichkeit erreicht. 57
58
59 60
61
Vgl. grundlegend Atkinson / Birch, The dynamics of action. a.a.O., S. 158ff. Kritisch zum Motivgewicht auch Dreher, ZStW 95 (1983), S. 365. Kuhl, Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle, S. 313. Ach, Über den Willensakt und das Temperament; Lindworsky, Der Wille.
I. Der Tatentschluß
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Mit dem "Vorherrschen der auf die Ausführung hinzielenden Strebung"6~ wird diese Ebene der Gestaltungsabsicht nur unvollständig beschrieben. Roxins Kriterium erweist sich als zu unbestimmt, es erfaßt jeden Gesinnungswechsel, trifft aber nicht den für die Entschlußfassung charakteristischen Wandel des Motivs zur Intention 63 • Seinen Mangel an Trennschärfe entdecken die Fälle des Tatentschlusses auf unsicherer Tatsachengrundlage, die auch die Widerspruche der herrschenden Meinung verdeutlicht haben. Tatentschluß soll hier vorliegen, "wenn der Täter für den Fall, daß die von ihm zur Voraussetzung gemachten äußeren Bedingungen eintreten zur Verwirklichung des Delikts überwiegend entschlossen ist"64. Damit wird die bedingte Willens bildung aber nicht als Tatentschluß erklärt. Denn es versteht sich keineswegs von selbst, daß eine Person, die für den Fall des Eintritts äußerer Umstände überwiegend entschlossen ist, auch solange der Eintritt der Bedingung ungewiß ist, die Tat schon überwiegend begehen will. In unserem Beispielfa1l65 wird T bis zuletzt hoffen, daß seine Frau ihm treu geblieben ist, wird daher die Tendenz, sie zu töten, noch nicht vorherrschen. Daß bereits in der Phase der tatsächlichen Unsicherheit die subjektive Grenze von der Vorbereitung zum Versuch überschritten wurde, müßte erst - und zwar durch den Begriff des Tatentschlusses - begründet werden. Bedeutet Entschlossenheit aber Vorherrschen des Tatmotivs, so passiert der Täter jene subjektive Schranke erst mit dem Eintritt der Bedingung: Bevor T weiß, was er von seiner Frau zu halten hat, befindet er sich noch nicht in der motivationalen Situation, wo er "die Tat lieber begehen als lassen will"66, da er weiter mit der ihm liebsten Eventualität rechnet, mangels "Notwendigkeit" auf die Begehung verzichten zu können. Während die Unsicherheit über die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung anhält, können die zur Ausführung drängenden Antriebe nicht das Übergewicht über konkurrierende Tendenzen gewinnen, da gerade im Vorbehalt der Willensbildung eine zentrale Gegenvorstellung erfaßt wurde, deren Wirksamkeit offen bleibt. Die Bedingung operationalisiert einen motivationalen Widerstand gegen die Tat - Z.B. zu gefährliche Durchführungsmodalitäten oder Entbehrlichkeit des Delikts -, der so stark wiegt, daß er eine Präferenz für die Tat verhindert, bis der bedingt Entschlossene Gewißheit hat. Läßt aber der bedingte Entschluß noch kein Überwiegen der auf die Tat zielenden Strebungen erkennen, kann dieses Kriterium nicht den subjektiven Versuchstatbestand identifizieren.
62 63
64 65 66
4*
Roxin, a.a.O., S. 160. Vgl. dazu näher unten 5.3. Roxin, a.a.O., S. 161 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. oben S. 42. Roxin, a.a.O., S. 159 ..
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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5. Die Zulassung eines Motivs als Verhaltensziel (eigene Lösung) 5.1 Systematische und psychologische Grundlagen
Die Auseinandersetzung mit der Lehre Roxins weist den Weg zu einer begrifflichen Rekonstruktion von Entschlossenheit, die den seelischen Vorgängen, welche den Entschluß bilden, ebenso gerecht wird, wie den gesetzlichen und dogmatischen Eckwerten. Deren Analyse ergab, daß die subjektive Grenze zwischen Tatgeneigtheit und Versuch nicht erst überschritten ist, wenn der Täter sich ohne Vorbehalt und Bedenken endgültig innerlich festgelegt hat. Dieser Status der letzten Entscheidung, der unmittelbar in die Handlung überleitet, bezeichnet nur das eine Extrem eines Kontinuums, das die Intensität des Verwirklichungswillens darstellt und dessen zweiten Pol die Genese einer Motivationstendenz charakterisieren könnte. Auf jener Skala gilt es den Punkt zu identifizieren, der bereits einen gewissen Verbindlichkeitsgrad des Wollens anzeigt, der aber unterhalb jener extremen Ausprägung liegt. Die Dominanz einer Strebung im Sinne einer Stärkerelation zu anderen erfüllt diese Voraussetzungen nicht, da sie allein keinen Schluß auf die Gestaltungsabsicht zuläßt. Wo die handlungsinitiierende Funktion einsetzt, vermag nur eine Untersuchung jener psychischen Vorgänge aufzudecken, die Motive in Handlungen transformieren. Damit soll weder die Empirie das letzte Wort erhalten, noch die juristische durch eine psychologische Begriffsbildung ersetzt werden. Andererseits gilt es, empirische Erkenntnisse für eine eigenständige juristische Begriffsbildung nutzbar zu machen. Mit jedem subjektiven Verbrechensmerkmal versucht die Rechtswissenschaft einen Ausschnitt psychischer Realität zu erfassen. Diese Funktion können dogmatische Kategorien jedoch nur erfüllen, wenn sie materialgerecht gefaßt und somit geeignet sind, diese Wirklichkeit abzubilden. Frei von Verzerrungen wird die juristische Begriffsbildung den Lebenssachverhalt nur widerspiegeln, wenn sie mit derselben Sorgfalt, die sie systematischen Überlegungen widmet, die dem Urteil zugrundeliegenden seelischen Phänomene studiert und Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften integriert67 • Vor allem im Bereich subjektiver Tatbestandsmerkmale ist damit die Frage nach dem Verhältnis von Psychologie und Strafrechtsdogmatik gestellt.
67
Henkel, Studium Generale 1960, S. 238.
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5.1.1 Exkurs zum Verhältnis von Psychologie und Strafrechtsdogmatik 68 Obgleich die Bedeutung empirischer Erkenntnisse für die Rechtswissenschaften häufig hervorgehoben wird, ist der Strafrechtsdogmatik die fachpsychologische Denkweise fremd geblieben. Selbst die Kriminologie, eine strafrechtlich orientierte "Transferwissenschaft", konnte auf die Fortentwicklung der Dogmatik keinen Einfluß nehmen 69 • Dies erscheint vor allem im Bereich der Lehre von den subjektiven Tatbestandsmerkmalen als Defizit. In jüngster Zeit wird allerdings zunehmend aus der Not eine Tugend gemacht und die psychologische Enthaltsamkeit der Strafrechtsdogmatik offensiv verteidigt7o. Krauß argumentiert, daß das Strafrecht "mit seinen subjektiven Kriterien nicht so sehr psychologisiert, als vielmehr normiert, daß Begriffe wie Vorsatz nicht in erster Linie darauf angelegt sind, Realität aufzuspüren, sondern ein Geschehen dogmatisch ... zu erfassen"71. Subjektive Merkmale hätten lediglich die Funktion, "die Tat einer bestimmten genormten Tatbestandsschablone" zuzuordnen72 . Für diese Attribuierung genüge dem Strafrecht eine "esoterische Psychologie"73. Weitere Einwände gegen eine Psychologisierung dogmatischer Kategorien werden Zweck, Gestaltung und Sachzwängen des Strafprozesses entnommen: Regelungen des Prozeßrechts, die vor allem zum Schutz des Beschuldigten und mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung getroffen wurden, setzten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß engere Grenzen, als etwa ethische Maximen der wissenschaftlichen Forschung. Der Wahrheitsanspruch werde weiter durch die Notwendigkeit begrenzt, ein möglichst reibungsloses Funktionieren des Justizapparates sicherzustellen, der in einer Vielzahl von Fällen in kurzer Zeit Entscheidungen produzieren so1l74. Bezeichnend für die Auseinandersetzungen um die Integration psychologischer Erkenntnisse ist die Argumentation in einem von Krauß angeführten Fallbeispiel: "Ein gutsituierter Autofahrer nimmt eine Anhalterin mit. 68 Vgl. hierzu Bockelmann, Bemerkungen über das Verhältnis des Strafrechts zur Moral und zur Psychologie; Bresser, Lange-FS, S. 102ff.; Kaiser, Strafrecht und Psychologie; Müller-Luckmann, Psychologie und Strafrecht; Schewe, Subjektiver Tatbestand und Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit; Schünemann, Sozialwissenschaften und Jurisprudenz. 89 Jäger, Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, S. 173. 70 Vgl. den Überblick über die Argumentation bei Jäger, a.a.O., S. 176 ff. 7l Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, S. 70. 72 Krauß, Der psychologische Gehalt subjektiver Elemente im Strafrecht, S. 119. 73 Bockelmann, Bemerkungen über das Verhältnis des Strafrechts zur Moral und zur Psychologie, S. 12. H Krauß, Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, S. 73; Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, S. 9.
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Wenig später unterbricht er die Fahrt, zieht eine (ungeladene) Pistole und nötigt die Frau, ihre Handtasche herauszugeben und den Wagen zu verlassen"75. Erläutert der Sachverständige die Tat als sexuelle Ersatzhandlung eines impotenten Mannes, bei der die Pistole die Bedeutung eines Phallus, die Handtasche jene eines Fetisch hat, so ist Krauß zuzustimmen, daß diese Motivationsanalyse das Zueignungsdelikt nicht in ein Sexualverbrechen wandelt. Die Feststellung, daß die Beweggründe des Täters auf der Tatbestandsebene nicht in ihrer ganzen Breite erlaßt werden, taugt aber wenig als Argument gegen den psychologischen Gehalt subjektiver Unrechtselemente schlechthin. Denn aus der Irrelevanz der sexuellen Motivation für die deliktstypische Zuordnung der Tat folgt keineswegs, daß ein psychologischer Befund als tatsächliches Substrat der Zueignungsabsicht ausscheidet, sondern lediglich, daß der spezifische Gesichtspunkt der Ersatzhandlung keine Rolle spielt. Die "Tatbestandsschablonen" bewirken eine Reduktion von Wirklichkeit. Sie sind jedoch nicht nur am äußeren Tatablauf orientiert, enthalten sie doch subjektive Elemente, die gleichrangig neben den objektiven Tatbestandsmerkmalen stehen: "Nichts deutet darauf hin, daß das Gesetz die subjektiven Elemente als Kriterien minderen Ranges mit herabgesetzten Aufklärungsanforderungen verstanden wissen wollte"76. Im Ausgangsfall verlangt die Zueignungsabsicht - wie Krauß selbst in einem Nebensatz bemerkt - die tatsächliche Feststellung, daß der Täter die Tasche als Fetisch behalten wollte. Damit ist zweifellos ein psychischer Befund zu erheben. Den für die Subsumption relevanten Ausschnitt der Wirklichkeit bestimmt die Rechtswissenschaft aus ihrer Wertungsperspektive. Das Strafrecht ist in seiner Begriffsbildung nicht an vergleichbare Kategorien der Nachbarwissenschaft gebunden. Funktion und Reichweite des Vorsatzes sind mit Rücksicht auf den spezifischen Auftrag der Rechtspflege festzulegen und nicht am Vorsatzkonzept der Psychologie zu orientieren. Die Definitionskompetenz des Strafrechts steht außer Frage. Ebenso unbestreitbar ist der Einfluß prozessualer Vorgaben auf die Begriffsbildung. Das Rechtssystem arbeitet unter Entscheidungszwang. Seine Urteile werden auf Dauer nur angenommen, wenn sie klar und eindeutig zu begründen sind. Daher "muß tendenziell Aufklärbarkeit gewährleistet sein"77, was nur zu erreichen ist, wenn die Beweisbarkeit eines Tatumstandes mit über die Auswahl der dogmatischen Zurechnungskategorien entscheidet78 . Verhandlungsfähigkeit und dogmatische Funktion von Tatbestandsbeschreibung bedeuten eine Reduktion von Wirklichkeit. Das "grobe Raster 75 76 77
78
KrauB, Der psychologische Gehalt subjektiver Elemente im Strafrecht, S. H8f. Jäger, a.a.O., S. 179. Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht, S. 189. Volk, a.a.O., S. 187.
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des materiellen Rechts" erklärt "nicht die ganze Fülle des Geschehens, sondern nur wenige, typisierte Anknüpfungspunkte für entscheidungserheblich ••. "79. Die Wirklichkeit wird aber nicht soweit reduziert, daß nichts mehr aufzuklären bliebe. Auch die enge Perspektive rechtlicher Beurteilung erfaßt Teile der Realität, im Falle subjektiver Verbrechensmerkmale psychische Realität. Diese ist möglichst umfassend und überzeugend aufzuklären, wenn die prozessual motivierte Beschneidung der Wirklichkeit Sinn haben soll. Besteht das Problem psychologischer Wahrheitsfindung auch nach Einengung der Wirklichkeit auf wenige, für die strafrechtliche Beurteilung relevante Merkmale fort 80 , so gilt es, die dogmatische um eine psychologische Betrachtungsweise zu ergänzen. Diese Perspektive gewinnt nicht erst bei der Anwendung des Gesetzes im Einzelfall Bedeutung, sondern ist bereits für die Begriffsbildung unverzichtbar. Durch subjektive Verbrechensmerkmale wird ein psychischer Befund erhoben und beurteilt. Ein glaubwürdiges Urteil setzt voraus, daß die dogmatische Kategorie das entsprechende Stück psychischer Realität widerzuspiegeln vermag, ohne den seelischen Phänomenen Gewalt anzutun, ohne den zugrunde liegenden Sachverhalt zu retuschieren. Rechtsbegriffe müssen "materialgerecht"81 gebildet werden, haben der zur beurteilenden Wirklichkeit ebenso Tribut zu zollen, wie den dogmatischen Vorgaben. Für subjektive Tatbestandsmerkmale bedeutet dies, daß bereits die Formulierung der rechtlichen Kategorien ein Studium der seelischen Prozesse erfordert, auf die sie sich beziehen, sowie die Integration von Erkenntnissen der auf diesem Gebiet forschenden Verhaltenswissenschaften. Für die Lehre von Vorsatz und Tatentschluß wird daher die Auseinandersetzung mit der modemen Motivationspsychologie unumgänglich.
5.1.2 Neuere Tendenzen der Motivationspsychologie Die intentionalen Quellen des Handelns untersucht die Motivationspsychologie. Ihren Forschungsgegenstand machten in den letzten fünfzig Jahren aber kaum Prozesse der Willensverwirklichung aus, auf die es bei der Entschlußfassung ankommt, sondern vor allem Vorgä~ge der Willensbildung. Die modemen Motivationstheorien beschäftigen sich mit der Frage, welche Zielvorstellungen eine Person entwickelt und warum sie diesen den Vorrang vor anderen einräumt. Die Umsetzung von Motivation in Verhalten wird hingegen kaum problematisiert. Überlegungen der Motivationspsychologie sind daher nicht ohne weiteres auf juristische Handlungsmodelle über79 BO Bi
Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, S. 9. Jäger, a.a.O., S. 117. Vgl. oben.
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tragbar82 • Die Erklärungslücke zwischen Absicht und Handeln wird meist durch die Hypothese geschlossen, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorherrschende Strebung bestimme das Verhalten83 • Auf diese Parallelitätsannahme gründet implizit auch Roxin seinen Ansatz. Daß sie bereits einer Überprüfung anhand der Alltagserfahrung nicht standhält, wurde schon erwähnt84 ; doch auch empirische Befunde, die lediglich einen schwachen Zusammenhang zwischen dem Beweggrund und der Tat nachwe~sen, sprechen gegen diese Hypothese85 • Dennoch kann die Motivationspsychologie zur Aufklärung der seelischen Grundlagen der Entschlußfassung beitragen, denn die für die Strafrechtsdogmatik so bedeutsamen Prozesse der Handlungskontrolle wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts von der deutschen Willenspsychologie analysiert und detailliert beschrieben86 • An diese Tendenzen knüpfte in jüngster Zeit Kuhl mit einer Monographie87 an, die nicht nur neue experimentelle Ergebnisse vorlegt, sondern vor allem versucht, eine Vielzahl von Einzelbefunden und die daraus abgeleiteten Theorien geringerer Reichweite in ein umfassenderes Modell zu integrieren. Neben dem Schwerpunkt der zeitgenössischen Theoriebildung, der Selektionsmotivation, schließt es auch eine dynamische Komponente ein, die zeitliche Veränderungen in der Zielfixierung erklärt. Hinweise für die Lozierung des strafrechtlichen Entschlußbegriffs im Prozeß der Willensbildung und damit für dessen Bestimmungsmerkmale gibt das Modell in seinem dritten Teil, wo jene Willensleistungen skizziert werden, die dafür sorgen, daß eine Person ihre Absichten realisiert. 5.2 Die Motivations- und Handlungstheorie von Kuhl
Kuhl88 wendet sich gegen die Lösung von Motivationskonflikten durch ein Dominanzkriterium, das der jeweils stärksten Tendenz handlungsleitende Kraft zuerkennt. Er betont dagegen die Bedeutung von Willensvorgängen als eigenständige Variablen, die zwischen Motivation und Verhalten vermitteln und die sich nicht auf Motivationsprozesse zurückführen lassen, wie 82 So auch Krümpelmann, der mit diesem Hinweis die auf der Grundlage des Schichtenmodells von Lersch an der finalen Handlungslehre geübte Kritik entkräften will (Welzel-FS, S. 3~6, Fn. 2). 83 Zu der ähnlichen Parallelitätsannahme zwischen Einstellung und Verhalten, die ebenfalls völlig ungesichert ist, vgl. Ziegert, Arbeitserfahrung und soziale Orientierung, S. 13ff. 84 Vgl. oben S. 50. 85 Zusammenfassend Ajzen / Fishbein, Attitude-behavior relation: A theoretical analysis and review of empirical research, Psychological bulletin, 1977, S. 888 - 918. 86 Ach, Über die Willenstätigkeit und das Denken; ders., Analyse des Willens; sowie die in Fn. 58 aufgeführte Lit. 87 Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. 88 Vgl. zum Folgenden zusammenfassend das 10. Kapitel der Monographie, Zur Handlungskontrolle, insbes. die Seiten 309ff.
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Lewin dies versucht hat 89 • Die Schwächen einer einfachen Verrechnungs annahrne wurden bereits in der Diskussion von Roxins Vorschlag erkennbar. Die Durchsetzung einer motivational kaum angeregten Strebung wäre unter dieser Hypothese ebensowenig verständlich, wie die Hemmung starker Impulse, da die vorherrschende Tendenz den Motivationskonflikt sofort beenden und das entsprechende Verhalten einleiten würde, bevor es zu einer Steuerung durch den Willen kommen könnte. Ein Schwanken zwischen den verschiedenen Alternativen, das gerade die im Strafrecht so häufigen Konflikttaten charakterisiert, ist nicht vorstellbar, denn die erste Neigung in eine bestimmte Richtung müßte - obgleich ihr tatsächlich noch viele Stimmungswechsel folgen - die Handlung bereits auslösen. Da der Konflikt, käme es allein auf die Dominanz eines Motivs an, mit dieser aufgelöst wäre, könnten Gegengründe nicht über die Entschlußfassung hinaus die Dynamik entwickeln, die Roxin so anschaulich schildert90 und die den Rücktritt vom unbeendeten Versuch erst plausibel macht. Durch die Einführung vermittelnder Variablen behebt Kuh! den Kurzschluß, den die traditionellen Motivationstheorien zwischen Motivation und Verhalten hergestellt haben, löst die beschriebenen Widersprüche auf und setzt den Willen, der unter der Parallelitätsannahrne eigentlich keine Aufgabe zu erfüllen hatte, wieder in seine Funktionen ein. In dem erweiterten Modell, das eine Vielzahl von empirischen Befunden integriert und das durch experimentelle Arbeiten des Autors überprüft wurde, durchläuft der Handlungsimpuls von der ersten Strebung bis zur Ausführung eine Reihe von Instanzen. Zwei Zäsuren markieren den Weg zur Verwirklichung des Willens: die Intention und der Entschluß. Die Intention entwickelt sich aus einer Motivationstendenz, wird von dieser aber deutlich abgehoben. Sie unterscheidet sich qualitativ durch den besonderen Status der Verbindlichkeit, der verschiedene Mechanismen anregt, die die Absicht 91 gegen konkurrierende Strebungen abschirmen und ihre Realisierung sichern sollen. Haben die Prozesse der Handlungskontrolle, die mit der Genese der Intention einsetzen, Erfolg, so erreicht diese eine zweite Stufe der Verhaltenswirksamkeit, die unmittelbar in die Handlung überleitet: den Entschluß. Der Begriff steht wie jener der Absicht für Verbindlichkeit, zeigt aber ein höheres Niveau an. Während die Intention durch eine andere Motivationstendenz verdrängt werden kann, scheitert die Realisierung eines Entschlusses allenfalls am Fehlen der notwendigen Durchführungsbedingungen. Die Intention beschreibt also die revisible Entscheidung, welche der konkurrierenden Tendenzen ausgeführt werden soll, der Entschluß die endLewin, Psychologische Forschung 7 (1926), S. 330 - 385. Roxin, a.a.O., S. 159f. 91 "Absicht" wird hier und im Folgenden als Synonym für Intention und nicht im strafrechtlichen Verständnis gebraucht. 89
90
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gültige Festlegung, daß die Absicht realisiert wird. Mit dieser unwiderruflichen Entscheidung darf der strafrechtliche Begriff des Entschlusses, wie Roxin überzeugend dargelegt hat 92 , nicht identifiziert werden. Kuhls zweite Stufe der Handlungskontrolle bietet daher keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die juristische Begriffsbildung. Da der Tatentschluß aber zumindest einen auf Realisierung zielenden Willen voraussetzt, könnte die mit dem Begriff der Intention erfaßte psychische Wirklichkeit der rechtlichen Kategorie zugrunde liegen. Die Genese der Absicht und die Funktionen der Absichtskontrolle sollen daher kurz erläutert werden. Die neue Qualität, die die Intention gegenüber der Motivationstendenz auszeichnet, verleihen ihr Willensvorgänge, die auf die Verwirklichung der motivationalen Strebung hinwirken. Mit dem Entstehen der Intention, "setzt ein komplexer Prozeß der Handlungskontrolle (i. w. S.) ein, welcher (1) die Abschirmung der Absicht gegen konkurrierende Motivationstendenzen (Motivationskontrolle) und (2) die Steuerung der Ausführung der Absicht (Ausführungskontrolle) kontrolliert" 93. Die Koordinierung der beabsichtigten Handlungsschritte (2), die häufig in kybernetischen Regelkreismodellen beschrieben wird 94 , ist dabei jedoch der Phase nach der endgültigen Entschlußfassung zuzurechnen, da das "wie" der Steuerung erst relevant werden kann, wenn das "ob" der Durchführung feststeht. Kuhls erste Stufe der Willensverwirklichung wird also nicht durch die Ausführungs- sondern die Motivationskontrolle charakterisiert, die erweist, ob sich das Intendierte gegenüber Widerständen behauptet. Aufrechterhaltung, Stärkung und Durchsetzung der Absicht repräsentieren nach alltagssprachlichem, aber auch nach klassisch-psychologischem Verständnis Funktionen des Willens, die sich in einer Reihe von Vermittlungsprozessen darstellen lassen 95 : Die selektive Zuwendung der Aufmerksamkeit auf Informationen, die mit dem Intendierten zusammenhängen, fördert die Realisierung. Andererseits kommt es auf eine sparsame Informationsverarbeitung an, die störende Einflußgrößen ausblendet. Sie sollte möglichst wenige konkurrierende Tendenzen in den Entscheidungsprozeß einbeziehen und den Vorgang des Abwägens begrenzen, da ein exzessives Überdenken die Handlung gefährdet. Ist ein früher Abbruch des Abwägens nicht indiziert, da sich keine absichtsgefährdenden Inhalte in den Vordergrund schieben, so kann der Vorgang in eine Richtung gelenkt werden, die im Sinne einer Anreizaufschaukelung möglichst viele positive Seiten des Intendierten erfaßt. Dieses Suchen nach hilfsweisen, zusätzlichen Begründungen einer
94
Roxin, a.a.O., S. 148, 157ff. Kuhl, a.a.O., S. 315. Vgl. etwa v. Cranach / Kalbermatten / Indermühle / Gugler, Zielgerichtetes Han-
95
Vgl. dazu insbes. Kuhl, a.a.O., S. 316ff.
92 93
deln.
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Handlung läßt sich ebenso, wie die unvermittelte Beendigung des Entscheidungsprozesses durch Alltagserfahrungen belegen. Vor der Auswertung steht bereits die Enkodierung des Wahrgenommenen unter der Kontrolle des Willens. Wer durch die Stadt geht um eine Krawatte zu kaufen, faßt seine Umgebung vorzugsweise unter diesem Aspekt auf und nimmt in erster Linie Schaufenster mit Krawatten wahr, so daß die "Gefahr", eine schöne Pfeife zu sehen und zu kaufen, relativ gering ist: Auch Emotionen beeinflussen das Ingangsetzen und die Beendigung von Handlungen, was besonders deutlich am Verhalten Depressiver erkennbar ist 96 • Die Handlungskontrolle wirkt auf die Emotionsgenese zurück und regt aktivierende Gefühle an. Schließlich kommt es im Vorfeld der beabsichtigten Handlung bereits zu manifestem Verhalten, zu Veränderungen der Umwelt. Die Beseitigung verführerischer Gegenstände und das Meiden belastender Situationen verstärken die Intention und schirmen sie ab. Wer sich das Rauchen abgewöhnen will, stützt etwa seinen Vorsatz, indem er keine Zigaretten in der Wohnung lagert. Dieser Spielart der Absichtskontrolle sind die klinisch-psychologischen Ansätze der Selbstkontrolle nachempfunden97 . 5.3 Intention und Tatentschluß
Die Willensprozesse, die durch die Wandlung des Motivs zur Intention angeregt werden, sind zwar auf die Realisierung einer Strebung gerichtet, legen das Verhalten aber nicht endgültig fest. Der Raucher, der die Droge aus seiner engsten Umgebung verbannt, gibt zu erkennen, daß er sich abstinent halten will. Ob sein Wille Wirklichkeit wird, bleibt aber, wie die schwache Erfolgsquote derartiger Selbstinstruktionen zeigt, bis in die konkrete (Versuchungs-)Situation hinein offen. Die Entstehung einer Absicht markiert daher die subjektive Grenze zwischen Tatgeneigtheit und Entschluß. Die Strebung hat den Bereich der Vorstellungen und Wünsche verlassen und eine gewisse Verbindlichkeit gewonnen. Zahlreiche Vermittlungsprozesse, die die Verwirklichung sichern, werden ausgelöst, die Willenskräfte auf die Durchführung konzentriert. Sind die tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Tat, denn die Intention ist vor Störungen besser geschützt, als die Motivationstendenz. Dennoch präjudiziert sie die Tat nicht vollständig. Bevor sie ihren Inhalt realisiert, kann sie ihren Status an eine andere Strebung verlieren. Der Rücktritt vom Versuch erklärt sich so als Wechsel im handlungsleitenden Motiv. Andererseits kann die Absicht aber auch durch den Zuspruch Dritter bekräftigt werden. Psychische Beihilfe gleicht dabei in ihrer Wirkung der 96 Vgl. zusammenfassend Davison / Neale, Abnormal Psychology: An Experimental Clinical Approach, S. 173ff. 97 Vgl. dazu etwa Kanfer, Selbstmanagement-Methoden, S. 350ff.
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Absichtskontrolle. Wie der Wille von innen, leitet sie von außen Vermittlungsprozesse ein, etwa den der "sparsamen Informationsverarbeitung" oder, wenn der Gehilfe die vielfältigen vorteilhaften Auswirkungen des Delikts illustriert, jenen der "Anreizaufschaukelung". Der Begriff der Intention erfaßt den Ausschnitt aus dem Vorgang der Willensbildung, der dem strafrechtlichen Konstrukt des Tatentschlusses zugrunde liegt: Im Kampf der Motive ist eine Vorentscheidung gefallen, ohne daß sich das Individuum bereits endgültig festgelegt hat. Diese Beschreibung der seelischen Phänomene setzt sich, anders als jene der traditionellen Lehre, nicht in Widerspruch zu dogmatischen Bezugspunkten, wie der Rücktritts- oder der Beihilferegelung. Im Unterschied zu Roxin, der die Phase der Entschließung sehr allgemein mit einem Überwiegen der zur Tat drängenden Motive kennzeichnet, charakterisieren wir sie präzise durch die Wirkungen, die der Entschluß herbeiführt - die oben angeführten Mechanismen der Handlungskontrolle - und durch die Variable, die den Wandel des Motivs zur Intention erklärt. Die Genese der Absicht wurde erst durch ein negatives Kriterium angesprochen: die relative Stärke einer Strebung soll ihren neuen Status nicht allein begründen. Was die Entwicklung einer Intention ausmacht, prägt aber auch den Begriff des Tatentschlusses, denn die Modellkategorie Absicht deckt sich, wie dargelegt, mit der Entschlossenheit des vorsätzlichen Delikts. Den Status der Absicht gewinnt nicht notwendig die intensivste der konkurrierenden Tendenzen. Handlungsleitende Potenz erreicht ein Motiv vielmehr aufgrund besonderer, qualitativer Zulassungsregeln. Sie haben gegenüber einem Dominanzkriterium den Vorzug, die Fähigkeit des Menschen zu berücksichtigen (z.B. impulsiv) stimulierte Handlungstendenzen unterdrücken und unattraktive Alternativen durchsetzen zu können. Ein Beispiel mag dies erläutern: "Eine durch ein positiv valenziertes Oberziel (z.B. Zahnpflege) angeregte Handlungstendenz (z.B. zum Zahnarzt gehen) kann auch dann den Status einer Absicht erlangen, wenn die motivationale Anregungswirkung von aversiven Handlungsfolgen (z. B. dem antizipierten Schmerz beim Bohren) zunächst stärker ist, als die der positiven Folgen. In dem vorliegenden Beispiel könnte der Zugang zum "Absichtsspeieher" z.B. durch das (qualitative) Kriterium "zukünftige Gesundheit geht vor momentaner Schmerzfreiheit" oder z.B. auch durch ein allgemeines Kriterium "Pflicht geht vor Wunsch" (Muß vor Möchte) ermöglicht werden, selbst wenn die aktuelle Stärke der Tendenz, den Zahnarzt aufzusuchen, (quantitativ) schwächer ist als die Stärke der Tendenz, zu Hause zu bleiben"98. Zulassungsregeln sind als volontionale Propositionen vorstellbar, die keine bestimmten Handlungen, sondern Kriterien für die Auswahl einer 98
Kuhl, a.a.O., S. 312.
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Handlungstendenz vorschreiben. Ihre Maximen schwanken inter- und intraindividuell. Sie können, wie im oben angeführten Beispiel, einen konkreten Lebensbereich strukturieren, aber auch einen sehr abstrakten Entscheidungsmodus anbieten. So mag ein Partybesucher in der gelösten Stimmung des Festes nach der Devise verfahren, "ich will, was ich kann und möchte"99, während sich ein Zeuge in einer Gerichtsverhandlung allein an der Muß-Proposition orientiert, ohne nach seinen Wünschen zu fragen. Ein normatives Geflecht von Maximen steht also zwischen Motiv und Intention. Die Strebung, die es passiert wird zum Verhaltensziel, auch wenn sie die konkurrierenden Tendenzen nicht überragt. Das dominante Motiv kann dagegen an dieser Barriere scheitern. Zur bestimmenden Größe wird die Intensität der Strebung erst auf der zweiten Stufe der Willensverwirklichung. Während die erste, durch den Wandel des Motivs zur Absicht charakterisierte Stufe, die wir dem strafrechtlichen Begriff des Tatentschlusses zugeordnet haben, die revisible Entscheidung beschreibt, welche Tendenz realisiert werden soll, bedeutet die nächste Phase die endgültige Festlegung, daß diese Absicht durchgeführt wird 100 • Sie - und damit auch die Handlung - setzt ein quantitatives Übergewicht voraus. Würde dieses bereits den Tatentschluß kennzeichnen, hätte der Wille keine Funktion, könnten voluntionale Vermittlungsvorgänge die Stärke der Motive bis zur Handlung nicht mehr verändern, wäre ein Rücktritt vom Versuch nicht denkbar. Entschlossen ist der Täter, der das zur Begehung eines Delikts drängende Motiv als Verhaltensziel zugelassen hatl° 1, der in einer ersten Bewertung die Vorteile der Tat höher einschätzt, als die Verletzung des Gesetzes, höher auch als die Gefahr, bestraft zu werden. Die Tendenz zur Begehung wird nicht an der Stärke rivalisierender Antriebe, sondern an Maximen gemessen, die inter- aber auch intraindividuell, von Situation zu Situation, differieren. Hat sie die normative Prüfung bestanden, so gewinnt sie Geltung für das Verhalten. Diese nach Verwirklichung strebende (Willens-)Komponente des Motivs, die Verbindlichkeit, die die Intention von Hoffnungen und Wünschen unterscheidet, ist das bestimmende Kriterium des Tatentschlusses. Der Vorgang der Entschließung, verstanden als Wandel einer Handlungstendenz zur Absicht, erfordert kein rationales Abwägen. Während das Motiv die Zulassungsregeln passiert, müssen diese nicht notwendig im Bewußtsein präsent sein; sie leisten ihre Kontrollaufgaben in vielen Fällen ohne Beteiligung höherer Funktionen. Die Zulassung einer deliktischen Strebung, ihre Verbindlichkeit, die den Begriffskern des Tatentschlusses bilden, sind daher oft - auch für den Täter selbst - nicht unmittelbar zu erkennen. Der Selbst-, Beispiel von Kuhl, a.a.O., S. llOf. Vgl. oben 5.2. 101 Ähnlich beschreibt Lampe den Wandel einer aufkeimenden Absicht zum Willensinhalt als Passieren einer Kontrollinstanz (Das personale Unrecht, S. 176). 99
100
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zum Teil auch der Fremdbeobachtung stehen die Prozesse der Handlungskontrolle offen. Entschlossen ist etwa der Täter, der sein Denken auf die positiven Aspekte des Delikts zentriert (Anreizaufschaukelung 102 ) oder jener, der vor der Begehung den Kontakt zum potentiellen Opfer meidet, um nicht aus Mitleid die Durchführung seines Plans aufgeben zu müssen (Umweltkontrolle 103 ). Die Schwelle zum Delikt wird nicht überschritten, wenn die kriminelle Tendenz den Status des Motivs beibehält, das Verbrechen nur als Möglichkeit neben anderen gilt. Die Option mag das Erleben beherrschen, sie kann aber keine Macht über das Verhalten entfalten, bevor sie nicht als Handlungsziel akzeptiert wurde; freibleibend ist sie straflos. Dieser Ansatz, der die subjektive Grenze zwischen Tatgeneigtheit und Versuch über eine normative Bewertung des Erstrebten qualitativ bestimmt, erklärt auch, warum eine Willensbildung auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage bereits einen wirksamen Tatentschluß enthält. Daß die Bindung des Wollens an eine äußere Bedingung die Strafbarkeit nicht ausschließt, steht im Ergebnis fest, wird aber kontrovers und wenig überzeugend begründet. Solange der Eintritt der Bedingung ungewiß ist, hat sich der Täter nicht endgültig entschlossen, kann aber auch das deliktische Motiv noch kein Übergewicht erlangen. In der Phase der subjektiven Unsicherheit läßt sich die Tendenz aber bereits auf ihre Vereinbarkeit mit den individuellen, situations spezifischen Zulassungsregeln untersuchen. Der Täter kann schon jetzt entscheiden, ob seine Verhaltensgrundsätze die Begehung des Delikts erlauben. Die Beurteilung setzt zwar einen konkreten Anlaß voraus - eine aktuelle Strebung muß Handlungsrelevanz beanspruchen - sie ist aber unabhängig vom Eintritt äußerer Bedingungen durchführbar. Zum Vergleich steht nämlich nicht die Intensität von Motiven, sondern ihre Wertung durch abstrakte Maximen. Während Umweltbedingungen auf jenes Kräfteverhältnis verändernd einwirken, lassen sie die normative Prüfung unberührt, da ihr bereits die hypothetische Tatsituation zugrunde liegt. Das Verständnis des Tatentschlusses als Zulassung einer kriminellen Handlungstendenz beantwortet die wichtigsten Fragen, die in der Auseinandersetzung um den Begriff gestellt wurden. Es berücksichtigt die seelische Wirklichkeit ebenso wie die gesetzlichen Regelungen, vor allem jene des Rücktritts und deckt sich mit der alltagssprachlichen Bedeutung. Es integriert die bedingte Willensbildung ohne dogmatische Kunstgriffe und läßt psychische Beihilfe zu, auch wenn der Vorsatz schon gefaßt ist. Die Anstiftung eines Täters, der die Begehung davon abhängig macht, daß ein anderer ihn dazu - meist durch Geld - motiviertl 0 4, erklärt es allerdings 102 103 104
Vgl. oben 5.2. Vgl. oben 5.2. Vgl. Roxin, a.a.O., S. 147.
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nicht. Denn der Willensvorbehalt bezieht sich auf eine äußere Bedingung, die den Entschluß nicht hindert, dessen Fasssung Anstiftung jedoch ausschließt. Warum gleichwohl eine Bestimmung zur Tat möglich sein soll, folgt aber auch aus keiner anderen Erläuterung des subjektiven Versuchstatbestandes. Die traditionelle Auffassung müßte konsequenterweise wegen Beihilfe strafen. Roxin leitet die Anstiftbarkeit des seine Dienste gegen Entgelt anbietenden Ganoven nicht aus seiner Interpretation des Entschlusses als Überwiegen von Motiven ab, sondern aus dem Vorrang der Anstiftungsdogmatik105 . Wie immer man die Fallgruppe in die Lehren von Versuch und Teilnahme einordnet, bleibt das Bild, das wir von den voluntionalen Vorgängen der Entschlußfassung skizziert haben, unverändert: ihre Subsumption unter das Institut der Beihilfe, die Arzt favorisiert 106 , läßt den Begriff des Tatentschlusses unberührt. Dasselbe gilt für die zweite Option Arzts, unter bestimmten Umständen auch den als Anstifter zu bestrafen, der einem fest Entschlossenen die Realisierung ermöglicht. Doch selbst Roxin, der die subjektive Grenze zum Versuch modifiziert, dem hier ausnahmsweise das an eine äußere Bedingung gebundene Wollen nicht genügt, sieht keinen Anlaß, seine Darstellung der den Tatentschluß konstituierenden Willensprozesse zu revidieren, obgleich sie das gewünschte Ergebnis nicht trägt. Denn ebenso wie der Täter vor Eintritt der Bedingung für den Fall, daß ein Dritter ihm die Tatwaffe besorgt "überwiegend entschlossen"107 sein kann, erscheint dies für den Fall einer Gegenleistung denkbar. Daß die Waffe zu beschaffen Beihilfe, Geld auszuloben hingegen Anstiftung bedeutet, führt Roxin nicht auf Unterschiede in der Willens bildung des Haupttäters zurück, der das Kriterium des Vorherrschens entstammt, sondern auf eine unterschiedliche soziale Wertung des Willens. Keine geringere Festigkeit, vielmehr eine verminderte Gefährlichkeit des Wollens soll die Differenzierung rechtfertigen: im zweiten Fall" ... will der Täter nur, wenn ein anderer will, und bleibt bis dahin ungefährlich ... "108. Einer eigenständigen juristischen Begriffsbildung ist es erlaubt, deskriptive, psychologische Merkmale, wie das Überwiegen eines Motivs, mit anderen, normativen, wie der Gefährlichkeit einer Intention, zu kombinieren. Ob die ungleiche Behandlung objektiver Bedingungen aus der Perspektive der Vorsatzdogmatik plausibel ist, kann offen bleiben, da sie die Analyse der voluntativen Seite des Tatentschlusses unbeeinflußt läßt. Der vorliegende Entwurf stellt keine grundlegende Neuorientierung sondern eine Weiterentwicklung des traditionellen Verständnisses zur Diskus105 106 107 108
a.a.O., S. 154ff.; vgl. oben 4. a.a.O., S. 57f. Roxin, a.a.O., S. 16l. a.a.O., S. 155.
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sion. Ihr Ziel ist es, die gesetzlichen und dogmatischen Eckwerte vollständig zu berücksichtigen und die seelische Wirklichkeit, auf der der Begriff des Tatentschlusses fußt, realistisch abzubilden. Am engsten verbunden ist der Ansatz der Auffassung Roxins, mit der er diesen Ausgangspunkt teilt. Die Analyse der voluntionalen Vorgänge kommt aber zu einem anderen Ergebnis. Handlungsleitende Funktionen entwickelt noch nicht jedes Motiv, das konkurrierende Antriebe quantitativ überflügelt. Verbindlich wird erst die Tendenz, die ein System von Zulassungsregeln passiert und durch diese normative Prüfung einen qualitativen Wandel (zur Intention) erfährt: Entschlossen ist der Täter, der die deliktische Strebung als Verhaltensziel akzeptiert. Roxin hat seine Lösung zwischen der Position Arzts und der herrschenden Meinung angesiedeltl o9 • Die qualitative Abgrenzung engt die Voraussetzungen der Entschlußfassung weiter ein, steht also der überkommenen Betrachtungsweise näher. 5.4 Entschlossenheit im Affekt
Die vorgeschlagene Interpretation des Tatentschlusses als Zulassung einer Strebung, die den Prozeß der Willenskontrolle einleitet, um das Motiv im Handeln durchzusetzen, scheint mit dem oben skizzierten Verständnis der Affekttat als Verlust der Verhaltenskontrolle unvereinbar. Im affektiven Durchbruch sind die Kräfte der Beherrschung verbraucht, kann der Wille weder zu dem Antrieb, der sich realisiert, noch zu kontrastierenden Motiven Stellung nehmen llO . Der Psychiatrie gilt daher das Ausbleiben eines Entschlusses als Kennzeichen der Affekthandlung l l l . Jene Charakteristik geht freilich von einern Willensbegriff aus, der das Moment der geistigen Beherrschung des Tuns akzentuiert. Ob dieser Aspekt des Wollens tatsächlich dem strafrechtlichen Begriff fremd ist, wie allerorten versichert wird1l2 , oder nur fremd sein sollte, muß hier offen bleiben, bedarf aber auch noch keiner Entscheidung, denn jedenfalls bestimmt er nicht unsere Auffassung vorn Tatentschluß. Der Wandel einer Handlungstendenz zur Intention bedeutet keine bewußte Stellungnahme der Persönlichkeit zum Intendierten und erfordert daher auch keine Beteiligung höherer Funktionen 113 • Eine starke affektive Erregung schließt in vielen Fällen aber nicht nur das Erleben der Entschlußfassung, sondern bereits jede Mitwirkung der verhaltenssteuernden Maxia.a.O., S. 166. Weitbrecht, Psychiatrie im Grundriß, S. 118. m Bürger-Prinz, Motiv und Motivation, S. 20; Stumpfl, Motiv und Schuld, S. 27. 112 Ambrosius, Untersuchungen zur Vorsatzabgrenzung, S.20, 73; Jescheck, Eb. Schmidt-FS, S. 147f.; Platzgummer, Die Bewußtseinsform des Vorsatzes, S. 34; J. Schröder, Der bedingte Tatentschluß, S. 17f. 113 Vgl. oben 5.3. 109
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I. Der Tatentschluß
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men aus. Das Affektmotiv passiert die Zulassungsregeln nicht wie andere Strebungen, sondern durchbricht sie, ohne der Instanz eine Prüfung zu ermöglichen. Wenn entschlossen allein der Täter ist, der die zur Begehung des Delikts drängende Tendenz an seinen individuellen Normen gemessen und akzeptiert hat, würde der Affekttat ein Willenselement des Vorsatzes fehlen. Das Durchlaufen der Zulasssungsregeln bezeichnet jedoch nur eine Möglichkeit des Motivs, handlungsleitende Funktionen auszubilden. Bei impulsiven Handlungen, den Primitivreaktionen im Sinne Kretschmers l1 4, setzt sich der Impuls unmittelbar in Aktion um. Die Strebung überspringt die erste Ebene der Verbindlichkeit, den Status der Intention, erreicht sofort die zweite Stufell5 und legt den Handelnden damit endgültig fest, die Tat zu verwirklichen. In einem Affekt, der die Willenskontrolle durchbricht, scheitert die Realisierung allenfalls an äußeren Umständen, nicht an einer inneren Umorientierung. Diese nach Verwirklichung strebende Komponente des Motivs, seine Verbindlichkeit für das Verhalten, ist aber das bestimmende Kriterium des Tatentschlusses. Die Metamorphose des Motivs zur Intention beschreibt nur den regelmäßigen Weg einer Strebung, ein Gültigkeitsniveau zu gewinnen, das uns für den subjektiven Tatbestand genügt. Das Affektmotiv erreicht diesen Rang ebenfalls, übertrifft ihn sogar, allerdings nicht kraft Zulassung sondern kraft Intensität. Einer Phase der Intention bedarf es nicht, da es sich auch ohne stützende Prozesse der Willenskontrolle behauptet. Die Verhaltenswirksamkeit dankt es allein seiner Stärke. Auch in diesem Extremfall des Affekts ist sie freilich mit einem relativen Überwiegen der Strebung im Sinne Roxins Modells des Tatentschlusses nicht hinreichend erklärt. Zwar setzt sich das dominante - nicht das zugelassene Motiv durch, doch kann es die Willenskontrolle nur ausschalten, wenn es eine Potenz entwickelt, die nicht nur konkurrierenden Impulsen überlegen ist, sondern einen individuell unterschiedlichen, jeweils aber absoluten Wert erlangt, der den affektiven Durchbruch auslöst. Eine ähnliche, zum Teil auch organisch bedingte Schwelle führt Kuhl mit dem "Entscheidungskriterium" in seinem Begriff des Handlungsentschlusses ein116 • Danach muß die Intensität der Handlungstendenz eine absolute Mindestgröße erreichen, bevor der Ausführungsimpuls an die Exekutive gelangen kann 117 • Für eine affektbedingte Entgleisung ist mit einem weit höheren Grenzwert zu rechnen. Entschlossen, das heißt nach strafrechtlichem Verständnis: mit dem Willen zur Verwirklichung, handelt der Täter also auch in einer impulsiven 114 115
116 117
Kretschmer, Medizinische Psychologie, S. 214f. Vgl. oben 5.3. a.a.O., S. 669f.; vgl. oben 5.3. Ähnlich Miller et al., Strategien des Handelns, S. 190ff.
5 Ziegert
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Reaktion. Einer dolosen Zurechnung von Affektdelikten steht dieses Merkmal des Vorsatzes daher nicht entgegen. Die unvermittelte Willensbildung beschränkt selbst den Versuch nicht auf die Variante der fehlgeschlagenen Ausführung der Tathandlung. Zwar ist eine Versuchsphase, in der der Täter sich bereits hinreichend festgelegt hat, gleichwohl noch Bedenken hegend schwankt, seinen Plan möglicherweise mit einem Rücktrittsvorbehalt versieht, mit unserem Bild einer affektbedingten Motivation kaum vereinbar. Dennoch kann zwischen dem Tatentschluß und seiner Realisierung eine längere Zeitspanne liegen, wenn im Augenblick der Entschließung die Umweltbedingungen unvollständig sind, der Täter sich etwa eine Waffe besorgen oder das Opfer erst aufsuchen muß 118 • Falls die Erregung abklingt, nachdem auch die objektive Grenze der Strafbarkeit überschritten wurde, ist sogar ein Rücktritt vom Versuch eines Affektdelikts denkbar. 5.5 Zum Verhältnis von Versuchs- und Vollendungsvorsatz
Unsere Analyse der Verbindlichkeitskomponente einer dolosen Zurechnung geht implizit von der These einer strukturellen Identität zwischen Versuchs- und Vollendungsvorsatz aus, denn der Begriff der Entschlossenheit wurde vorwiegend aus der Versuchsdogmatik entwickelt. Er ließe sich nicht ohne weiteres auf die subjektive Seite der vollendeten Tat übertragen, wenn die Kongruenzannahme nicht zuträfe. Die ganz herrschende Meinung teilt diesen Standpunkt119 , der jedoch von zwei unterschiedlichen Ansätzen in Frage gestellt wird: Der eine erachtet bedingten Vorsatz und Versuch, der andere bedingten Tatentschluß und Vorsatz nicht für vereinbar. Nach überwiegender Ansicht genügt für den Versuch dieselbe Form des Vorsatzes, die auch das vollendete Delikt erfordert, in aller Regel also dolus eventualis 120 • Dagegen wenden sich vereinzelte Stimmen in der Literatur, die die Strafbarkeit des eventualvorsätzlich-versuchten Delikts generell ablehnen 121 oder sie zumindest auf besondere Fälle beschränken wollen122 • Diese Probleme können hier nicht vertieft werden, bedürfen aber auch keiner Entscheidung. Die differenzierenden und sorgfältig begründeten Auffassungen lassen erkennen, daß es der Mindermeinung angesichts des Zusammentreffens zweier Formen geminderter Schuld vor allem auf die 118 Vgl. etwa den von Lempp berichteten Fall, wo der Täter längere Zeit auf das Opfer wartet (Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 1975, S. 47). 119 Bockelmann, AT, S. 205; Maurach 1 Gössel 1 Zipf, AT, Tb. 2, S. 12; S/S - Eser, § 22, Rn. 13; Welzel, Strafrecht, S. 189; Wesseis, AT, § 1411 1. 120 RGSt 61, 160; BGHSt 22, 332f.; Jescheck, AT, S.417; SK - Rudolphi, § 22, Rn. 2; S/S - Eser, § 22, Rn. 17. 121 Lampe, NJW 1958, S. 332ff.; Schmidhäuser, Lehrbuch, 15/25; 15/63. 122 Kölz-Ott, Eventualvorsatz und Versuch, S. 53ff.; Salm, Das vollendete Verbrechen 11, S. 50ff.
1. Der Tatentschluß
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Strafbedürftigkeit und die Strafwürdigkeit des Verhaltens ankommt. Mit strukturellen Unterschieden zwischen Tatentschluß und (Vollendungs-)Vorsatz, die zu einer Revision unserer einheitlichen Sicht der Entschlossenheit des Täters führen könnten, wird die ungleiche Gewichtung des dolus eventualis bei Vollendung und Versuch dort nicht erklärt. Gibt der bedingte Vorsatz keinen Anlaß, getrennte Vorsatzbegriffe für Versuch und Vollendung einzuführen, so sieht Jan Schröder im bedingten Entschluß die Notwendigkeit einer Differenzierung begründet. Dieser zeige nämlich, daß sich die subjektiven Tatseiten von Versuch und Vollendung nicht decken123 • Eine Diskrepanz zwischen Entschluß und Tatvorsatz versucht Schröder durch Beispiele eines bedingt gewollten, jedoch verfrüht eingetretenen Erfolges nachzuweisen, etwa durch folgenden Sachverhalt: A vermutet, daß seine Frau (B) ihn betrügt, ist sich aber nicht sicher. Er will sich Gewißheit verschaffen und glaubt von B die Wahrheit zu erfahren, wenn er sie mit einer Pistole bedroht. Sollte sich sein Verdacht bestätigen, will er seine Frau erschießen. AsteIlt B zur Rede. Bevor sie antworten kann, löst sich aus Versehen ein Schuß, der B tötet 124 •
Der Willensvorbehalt des Täters schließt in solchen Fällen den Tatentschluß nicht aus, läßt andererseits aber den Erfolg, so wie er eingetreten ist, nicht als gewollt erscheinen. Lehnt man daher seine vorsätzliche Zurechnung ab, so trägt der subjektive Tatbestand zwar die Strafbarkeit des versuchten, nicht aber jene des vollendeten Delikts. Daraus leitet Schröder die strukturelle Verschiedenartigkeit von Entschluß und Vorsatz ab: "Ist der bedingte Entschluß ein ausreichender Tatvorsatz, so muß er es auch sein, wenn der Erfolg verfrüht eintritt ... " 125. Dieses Postulat folgt nicht aus dem einheitlichen Vorsatzbegriff der herrschenden Meinung. Es mißversteht vielmehr das Verhältnis von Versuch und Vollendung, da es nicht zwischen vorgestelltem und tatsächlichem Kausalverlauf differenziert. In jeder beschriebenen Spielart der "Verfrühung" irrt der Täter über den Kausalverlauf. Vorstellung und Wille erfassen nicht den realisierten, sondern den erst nach Eintritt der Bedingung herbeizuführenden Erfolg. Dieser ist von der subjektiven Tatseite gedeckt. Solange die objektiven Deliktsmerkmale nicht erfüllt sind, kommt nur eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht. Wurde der objektive Tatbestand aber wie geplant verwirklicht, also nachdem der Täter die Veränderung der Umwelt, die sein Denken und Wollen entscheidend bestimmt, erfahren hat, genügen dieselben subjektiven Inhalte, die den Versuch begründen, dem vollendeten Delikt gleichermaßen: auch der bedingte Entschluß ist ein ausreichender Tatvorsatz. 123 124 125
5'
J. Schröder, Der bedingte Tatentschluß, S. 71 ff. a.a.O., S. 33. a.a.O., S. 34.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Der reale Kausalverlauf, den Schröder seiner Argumentation teilweise zugrundelegt, hat weder für den Tatentschluß, noch, soweit die Abweichung erheblich ist, für den Vollendungsvorsatz Bedeutung. Bei einem Irrtum über den Kausalverlauf wird der Täter wegen Versuchs bestraft, weil er sich einen anderen als den tatsächlichen Ablauf des Geschehens vorgestellt hat1 26 , wegen eines vollendeten Delikts, wenn er - mit dolus eventualis - die wirklichen Vorgänge, oder einen Verlauf, der ihnen rechtlich gleich steht, antizipiert hat. In den Fällen der Verfrühung ist die Diskrepanz zwischen dem bedingten Entschluß und dem subjektiven Tatbestand, den die dolose Zurechnung des eingetretenen Erfolges verlangen würde, daher nicht in strukturellen Abweichungen von Versuchs- und Vollendungsvorsatz zu suchen, sondern in unterschiedlichen Willensinhalten des einheitlichen Vorsatzbegriffs: Weil der Täter etwas anderes realisiert, als er sich vorgestellt und gewollt hat, kann aus dem Entschluß möglicherweise kein Tatvorsatz werden. Damit reduziert sich das Strukturproblem auf die Frage, ob der Irrtum über den Kausalverlauf rechtlich bedeutsam ist. Wie immer diese Entscheidung ausfällt, bleibt die Einheit des Vorsatzbegriffs gewahrt. Gilt die Abweichung als unerheblich, so decken sich Intention und Erfolg, ist der Versuchs- gleichermaßen Vollendungsvorsatz. Hat sie hingegen rechtliches Gewicht127 , so scheitert eine dolose Zurechnung an der mangelnden Kongruenz der Willensinhalte zwischen Tatentschluß und tatsächlichem Geschehen. Unser Verständnis von Entschlossenheit als Wandel einer Strebung zur Intention, Zulassung eines Motivs als Verhaltensziel, gilt daher ohne Einschränkung für den Vorsatz des vollendeten Delikts. Entschlossen in diesem Sinn handelt auch der Affekttäter.
126 Dagegen hält Schröder die Vorstellung vom Kausalverlauf für den Versuch für belanglos (a.a.O., S. 74, Fn. 317). Träfe dies zu, ließe sich ein Irrtum über den Kausalverlauf nicht identifizieren, denn eine Fehlleistung ist nur feststellbar, wenn die Leistungsvorgabe, in unserem Fall der intendierte Kausalverlauf, bekannt ist. 127 Davon ist in den Fällen der Verfrühung bei bedingtem Tatentschluß auszugehen: Abweichungen gelten als unerheblich, "wenn sie sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen" (BGHSt 7, 325, 329; S/S - Cramer, § 15, Rn. 55). Vorhersehbar wird die Verfrühung zwar häufig sein. Da sie den Erfolg aber ungewollt vor dem Eintritt einer Bedingung herbeiführt, mit dem die Tat nach dem Willen des Täters steht oder fällt, ist sie anders zu beurteilen, als der geplante Ablauf. Die von Schröder gebildeten Beispiele sind daher nicht mit Fällen vergleichbar, wo der Erfolg 1plbedingt herbeigeführt werden sollte, aber früher als erwartet - etwa bereits bei der Uberwältigung des Opfers (BGH, GA 1955, S. 123, 125) - eintrat, und wo die Abweichung den Vorsatz nicht ausschließt. Hier steht die Tat fest, während sie beim bedingten Entschluß unter allen Umständen vor Eintritt der Bedingung verhindert werden soll, sie zu diesem früheren Zeitpunkt völlig sinnlos ist.
H. Die Absicht und der dolus directus
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ß. Die Absicht und der dolus directus Drei Formen des Vorsatzes werden gewöhnlich unterschieden: die Absicht, der dolus directus und der dolus eventualis 1 . Diese Gliederung in drei Fallgruppen spiegelt die verschiedenartigen Anforderungen wider, die die Strafgesetze an die subjektive Tatseite stellen. Die Mehrzahl bedroht zwar jede Variante vorsätzlichen Handelns mit Strafe, einige differenzieren jedoch. So schließen etwa die §§ 87 1,164 II, 187,278,344 I StGB durch das Kriterium der Wissentlichheit eine Verletzung des Tatbestandes aus, die weder erstrebt, noch als sicher vorausgesehen wurde. Genügt diesen Vorschriften der dolus eventualis nicht, so engen andere, wie die §§ 94 I Nr. 2, 124, 167 I Nr. 1, 252, 263 ihren Anwendungsbereich weiter auf eine absichtliche Begehung ein. Die Spielarten des Vorsatzes bezeichnen danach je eine besondere psychische Repräsentanz des tatbestandlichen Erfolges. Ob sich die Charakteristika der Vorsatzvarianten allerdings auf unterschiedliche Ausprägungen der Intensität des Willenselements reduzieren lassen, erscheint zweifelhaft. Diese verbreitete Systematisierung2 auf einem Kontinuum des Wollens geht von einer Reihe ungeprufter Annahmen aus: Umstritten ist bereits ob jede der drei Formen des dolus eine Willensseite aufweist 3 • Im positiven Fall müßte zudem für die spezifischen voluntativen Elemente ein einheitlicher Willensbegriff gelten, der schließlich steigerungsfähig sein sollte. 1. Die Absicht
Die Absicht hat als Begriff des Allgemeinen Teils in der wissenschaftlichen Diskussion keine Konjunktur. Der Ansatz der Untersuchungen bleibt meist auf ihre Bedeutung für einen konkreten Straftatbestand beschränkt. Die Stellungnahmen der Rechtsprechung lassen diese Form des Vorsatzes, im Unterschied zum dolus eventualis, der weitgehend unabhängig von den Besonderheiten des speziellen Tatbestands erörtert wird4 , kaum noch als Materie des Allgemeinen Teils erkennen. Die unübersichtliche Situation reflektiert aber nur den wenig verläßlichen Sprachgebrauch des Gesetzgebers: Absicht und verwandte Formulierungen können jedes dolose Verhalten bezeichnen, dolus eventualis ausschließen oder den Anwendungsbereich 1 Abweichende Differenzierungen (vgl. den Überblick bei Jescheck, AT, S.238, Fn. 15) unterscheiden sich nur terminologisch, nicht aber in der Sache, denn diese ist durch die Regelungen des Gesetzgebers in den einzelnen Straftatbeständen vorgegeben. 2 Blei, AT, S. 105ff.; Bockelmann, AT, S. 80ff.; S/S - Cramer, § 15, Rn. 14, 63ff. 3 Jakobs, AT, 8/8. 4 Mit dieser Unabhängigkeit ist lediglich die Begriffsbildung gemeint. Daß es tatbestandstypische Besonderheiten bei der Feststellung der Voraussetzungen des dolus eventualis geben mag, ist damit nicht ausgeschlossen.
70
B. Die Willensseite des Vorsatzes
noch weiter verkleinern 5• Allgemeine Prinzipien, die entscheiden, in welchen Fällen etwa bereits wissentliches Handeln Absicht bedeutet, fehlen. Dieser Mangel berührt unsere Analyse vorsätzlichen Wollens jedoch nicht, denn ihren Gegenstand bilden die unterschiedlichen Varianten doloser Erfolgszurechnung ohne Rücksicht auf deren Verhältnis zur Terminologie des Besonderen Teils, die mit dem Merkmal der Absicht gelegentlich mehrere Spielarten zusammenfaßt. Doch auch jener eingeschränkte Absichtsbegriff ist umstritten 6 • Dabei gilt er als Kern des Vorsatzes. In der Strafrechtsdogmatik des ausgehenden 19. Jahrhunderts findet sich ein Vorsatzverständnis, das die schwere Schuldform mit der - im engen Sinne - absichtlichen Verletzung eines Rechtsguts identifiziert7• Leitbildfunktion wird der Absicht aber auch heute zugesprochen, wenn sie als Idealtypus des Wollens verstanden wird, von dem jede weiterführende Überlegung, was darüber hinaus vorsätzlich gewollt sei, auszugehen hat 8 . Die formelartige Kennzeichnung der Absicht offenbart noch keine unterschiedlichen Auffasssungen. Die Definitionen orientieren sich überwiegend an § 17 I, E 1962: "Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt, den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt"9. Sachlich gleichbedeutend ist die Charakterisierung als Anstreben lO oder Erstreben ll des tatbestandlichen Erfolgs (beziehungsweise der Handlung). Hervorgehoben wird jeweils die motivationale Orientierung der Psyche am Handlungsergebnis. Indessen betont die Gleichsetzung der Absicht mit dem Ziel oder dem Zweck des Verhaltens 12 stärker die als Wert erlebte Erfolgsvorstellung, ohne damit freilich den Begriff gegenüber den erstgenannten Definitionsansätzen zu modifizieren. 1.1 Urhebergefühl
Mit hoher Übereinstimmung wird auch die Rolle des kognitiven Vorsatzelements beschrieben. Absicht setzt nicht voraus, daß der Täter die Verwirklichung des Tatbestands für sicher hält13 . Ausreichend, aber auch erforderCramer, JZ 1968, S. 32; Jescbeck, AT, S. 239; Lenckner, NJW 1967, S. 1891. Ein Beispiel gibt § 263 StGB, wo die Auseinandersetzung um diesen eingeschränkten Begriff geführt wird, denn wissentliches Handeln soll nach keiner Ansicht Bereicherungsabsicht begründen. 7 Feuerbach, Lehrbuch, S. 99; Lauffer, GerS 63 (1904), S. 135f. 8 Blei, AT, § 35 11. 9 Ähnlich BGHSt 4, 107 (109); 21, 283 (284f.); LK - Schroeder, § 16, Rn. 76; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, S. 326. 10 Dreher / Tröndle, § 15, Rn. 6; Jescheck, AT, S. 238. 11 Bockelmann, AT, S. 80; Engisch, Untersuchungen, S. 142. 12 Blei, AT, § 35 11; Germann, SchwZStr 77 (1961), S. 353; Stratenwerth, AT, Rn. 290; Welzel, Strafrecht, S. 78. 13 Anders BGHSt 16, 1 (5); dagegen aber BGHSt 21, 283 (284f.). 5 6
11. Die Absicht und der dolus directus
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lieh ist die Antizipation des Erstrebten als mögliche, nicht ganz unwahrscheinliche Folge des Verhaltens 14 • Den Hintergrund dieser Mindestanforderungen an die Vorstellung bilden Fälle, in denen das geschützte Rechtsgut objektiv oder subjektiv keinem rechtlich relevanten Risiko ausgesetzt ist: Der Neffe empfiehlt seinem Erbonkel eine Bergtour, damit er tödlich verunglückt, was auch geschieht. Erweist sich die vorgeschlagene Strecke als harmloser Wanderweg, so scheitert bereits die objektive Zurechnung, da der Neffe den Rahmen des erlaubten Risikos nicht überschreitetl 5 • Erst wenn die Route für den Onkel objektiv Gefahren birgt, kommt es auf die kognitiven Inhalte des Handelnden an. Wurden dort die situativen Bedingungen unvollständig abgebildet, so daß er das Risiko verkennt, ist die Frage nach dem Vorsatz - in Form der Absicht - gestellt. Die Wissensseite der Absicht hat die Funktion, in diesen Fällen trotz Realisierung des Angestrebten eine dolose Zurechnung auszuschließen 16 • Die Abhängigkeit des Vorsatzes von der Vorstellung einer überzufälligen Einwirkungsmöglichkeit wird mit dessen Wesen als gewollte Verursachung begründet: Jenes Bewußtsein konstituiere erst den Willen, ohne dieses würde die Ebene der unverbindlichen Hoffnungen und Wünsche nicht verlassen17 • Wie das Wahrscheinlichkeitsurteil bei den Vorstellungstheorien nur ein Indiz für eine bestimmte Willensbildung abgibtl 8 , kommt auch im kognitiven Moment der Absicht kein eigenständiger, über die Kennzeichnung des Täters als Wollender hinausreichender, Bedeutungsgehalt zum Ausdruck. Während die Vorstellungstheorien von der Antizipation des Erfolges auf die Unwirksamkeit der Gegenmotivation und damit die Entscheidung für die Straftat schließen, wird der Wille hier durch die Vorstellung als tatmächtig charakterisiert. Zur Absicht wird das Streben erst durch das "Urhebergefühl" , das die Umweltveränderung als eigenes Werk erlebtl 9 , sie dem personalen "Machtbereich" zuordnet, während der Wunsch sich an fremde Mächte richtet, "auf deren Mitwirken schlechterdings nicht gerechnet, sondern nur gehofft werden kann"20. Dieser Aspekt des Wollens, mit dem der Handelnde sich die Fähigkeit zuschreibt, auf die Wirklichkeit einzuwirken, 14 BGHSt 18, 246 (248); 21, 283 (284); Engisch, Untersuchungen, S. 150ff.; Jakobs, AT, 8/17; Stratenwerth, AT, Rn. 290; Welzel, Strafrecht, S. 78; a.A. LK - Schroeder, § 16, Rn. 76, der auf die Wissensseite ganz verzichten will. 15 Engisch, Untersuchungen, S. 150f.; Jakobs, Studien, S. 52; Roxin, Honig-FS, S. 137; S/S - Lenckner, Rn. 97 vor §§ 13ff. 16 Eine Bestrafung will in diesen Fällen auch Schroeder (vgl. Fn. 14) vermeiden. Er hält den Erfolg zwar trotz fehlender Möglichkeitsvorstellung für gewollt, den Willen aber, wie die analoge Anwendung von § 23 III StGB zeige, nicht für strafwürdig. 17 Baumgarten, Der Aufbau der Verbrechenslehre, S. 149; Blei, AT, § 35 11; Engisch, Untersuchungen, S. 163; Jakobs, AT, 8/17; Köhler, GerS 95 (1927), S. 461; Radbruch, Die Lehre von der adäquaten Verursachung, S. 39. 18 Vgl. oben 1 3.2. 19 Rosenfeld, ZStW 32 (1911), S. 482. 20 Beling, Grundzüge, S. 49.
72
B. Die Willensseite des Vorsatzes
charakterisiert nicht nur die Absicht, sondern kennzeichnet den Vorsatz genere1l21 . Das Bewußtsein der Tatmacht bildet daher auch die kognitive Untergrenze für alle denkbaren Varianten des dolus eventualis. Die Erfolgsvorstellung soll somit für die Existenz eines tatbestandsbezogenen Willens bürgen. Welche Merkmale ihm die spezifisch absichtliche Nuancierung verleihen, ist jedoch über die formelhafte Umschreibung der Absicht - als erstrebtes Ziel oder als Zweck, auf den es dem Täter ankommt - hinaus umstritten. Offen bleibt vor allem, ob der Beweggrund oder das Motiv den Begriff treffend erläutern und wie sich die innere Einstellung des Handelnden zum Erfolg im Sinne von Freude oder Bedauern auswirkt. 1.2 Motivierende Erfolgsvorstellung
Das Reichsgericht hat diese Form des Vorsatzes als "Triebfeder"22 des Verhaltens "als den Willen bewegende Vorstellung"23 aufgefaßt. Die zeitgenössische Literatur stimmte damit weitgehend überein: "Die Absicht ist das Erstreben eines im Bewußtsein vorgebildeten zukünftigen Zustandes oder Vorganges, und zwar mit der Besonderheit ... , daß das Streben nach diesem vorgestellten zukünftigen Erfolg ein auf diesen Erfolg gerichtetes Verhalten hervorruft "24. Absichtlich wird ein Strafgesetz also verletzt, wenn die Erfolgsvorstellung als Motiv wirkt25 und die Handlung auslöst. Sie braucht nicht das Endziel, den letzten Zweck zu repräsentieren, der Täter kann die Tatbestandsverwirklichung um ihrer selbst, aber auch um ihrer Folgen willen anstreben 26 . Solange deren Antizipation das Verhalten hinreichend bedingt, ist sie Beweggrund des Handelns 27 . Auf eine knappe, gleichwohl präzise Formel gebracht bedeutet Absicht daher motivierende Erfolgsvorstellung 28 . Dieses Verständnis sieht sich zunehmendem Widerspruch ausgesetzt 29 . Dabei beruht der Haupteinwand auf einem Mißverständnis. Die Kritiker Welzel, Strafrecht, S. 66; Blei, a.a.O.; vgl. oben I 2. RGSt 55, 257 (260). 23 So die Charakterisierung dieser Rechtsprechung in BGHSt 4, 107 (108). 24 Engisch, Untersuchungen, S. 142 m.w.Nachw. 25 E. Wolf, JW 1933, S. 1593. 26 Jakobs, AT, 817; 8/15. 27 v. Liszt, Lehrbuch, S. 165; Bockelmann, JZ 1956, S. 698f. Der Begriff des Beweggrundes wird nachfolgend stets bezogen auf eine konkrete Erfolgsvorstellung gebraucht, um die verhaltensbahnende, die Handlung bewegende Funktion der Vorstellung zu charakterisieren. Dies entspricht dem Verständnis in der strafrechtlichen Diskussion, wie die Umschreibung durch die präzisere Formel der motivierenden Erfolgsvorstellung zeigt. Zu einer Definition, die von dem konkreten Handlungszusammenhang abstrahiert vgl. Stratenwerth, AT, Rn. 326. 28 Frank, StGB, § 59 Anm. VI. 29 Vertreten wird diese Auffassung nur noch von Baumann, AT, § 26111 2 a; Bockelmann (vgl. Fn. 27); Jakobs (zwar nicht ausdrücklich, aber in der Sache; vgl. Fn. 26); 21 22
11. Die Absicht und der dolus directus
73
setzen Motiv und Beweggrund mit dem Endzweck, dem eigentlichen, letzten Ziel gleich30 , obwohl die Protagonisten stets betont haben, daß als Motor der Handlung auch Zwischenziele in Frage kommen31 . Engisch nennt sie plastisch Mittelzwecke, da sie einerseits einer weitergehenden Strebung dienen, andererseits aber selbst erstrebt werden und ihre Vorstellung das Verhalten ebenso lenkt, wie jene des Enderfolges. Die Erläuterung der Absicht als Beweggrund kollidiert nicht mit dem Begriff des letzten Ziels. Lehnt man diesen nicht ab, da er zu einem regressus ad infinitum führt, so steht er allenfalls für einen mittelbaren (vermittelt durch Mittelzwecke! ) Einfluß auf das Handeln. Denn der Endzweck wird selten bewußt, zumindest aber nicht genügend konkret (Maximierung von Lust, Erzielung von Glück?)32 sein, um das Verhalten zu determinieren. Allein auf die motivierende Kraft der Erfolgsvorstellung kommt es aber für die dogmatische Funktion der Absicht an, die Fälle gezielter Verletzung von Strafgesetzen zu identifizieren. Auf einem unpräzisen Sprachgebrauch beruht auch ein zweites Mißverständnis. Vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum wird "motive" mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Zum einen bezeichnet es die Handlungsbereitschaft, etwa Hunger, zum anderen die Vorstellung, die mit einem Objekt der Außenwelt verbunden wird, das diese Bereitschaft aktualisiert, etwa ein Nahrungsmittel. Die deutsche (psychologische Fach-)Sprache soll dagegen differenzieren, jene übergeordneten Tendenzen als Strebung oder (Nahrungs-)Bedürfnis benennen und das Motiv auf die handlungsanregende Funktion einer konkreten Umweltsituation beziehen33 . Erwartungs-mal-Wert-Theorien, die eine der tragenden Grundlagen der gegenwärtigen Motivationsforschung bilden, gehen, wie der Finalismus, von der Fähigkeit des Menschen aus, sein Verhalten vorausschauend zu planen. Das Verhalten wird somit von antizipierten Zielvorstellungen geleitet. Motivation beschreibt aus dieser Sicht das Anstreben von Zielzuständen, die in der Lerntheorie als "Bekräftigung" bezeichnet werden. Jenes Streben läßt sich durch zwei Variable erklären: die Erwartung, das heißt die Vorwegnahme der Realisierung des Zielzustandes sowie den Wert, Lampe, Personales Unrecht, S. 144ff.; und in BGHSt 18, 154. Ablehnend hingegen: BGHSt 4, 107 (108); 16, 1 (4); Jescheck, AT, S. 238; LK - Schroeder, § 16, Rn. 77; Oehler, NJW 1966, S. 1637; S/S - Cramer, § 15, Rn. 64a; Welzel, Strafrecht, S. 78. 30 Vgl. die Fundstellen in Anm. 29. 31 Bockelmann, a.a.O., S. 699; Engisch, a.a.O., S. 144f. 32 Jakobs, AT, 8/15. 33 Nuttin, Motiv, S. 578. Ähnliche Differenzierungen finden sich bereits bei Frank, StGB, § 59 Anm. VI, und Miricka, Die Formen der Strafschuld, S. 116ff. Dagegen wird in der älteren deutschen Psychologie Motiv z. T. für übergeordnete Tendenzen gebraucht, während das Handlungsziel mit Absicht bezeichnet wird; vgl. die Nachw. bei Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz, S. 128ff. Auch heute ist die Terminologie nicht so eindeutig, wie Nuttin dies darstellt.
B. Die Willensseite des Vorsatzes
74
den das Individuum mit dem Handlungsziel verbindet3 4 • Heckhausen definiert Motiv daher "als den angestrebten Zielzustand innerhalb eines bestimmten Person-Umwelt-Bezuges"35. Das entspricht genau dem Begriff der Absicht als motivierende Erfolgsvorstellung. In der strafrechtlichen Diskussion werden diese Ebenen der Verhaltenssteuerung oft nicht auseinandergehalten. Während die'Charakterisierung der Absicht durch das Motiv nach der handlungsinitiierenden Rolle der Erfolgsvorstellung fragt, bewegt sich die Polemik auf dem Niveau der abstrakten Handlungstendenzen36 • Antriebe wie Eifersucht oder Habsucht, die in der Auseinandersetzung mit dem Begriff des Motivs verbunden werden, befinden sich außerhalb der Reichweite des Konstrukts. Auch der Tatsachennachweis, den es voraussetzt, ist bescheidener, als die Kritik des Ansatzes vermuten läßt: Absicht liegt vor, wenn die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung die Handlung ausgelöst hat. Diese Feststellung ist jedoch unverzichtbar, um die Absicht vom dolus directus zu unterscheiden. Denn eine Trennung der Vorsatzformen ist nur möglich, wenn zur Antizipation des Erfolges, die auch der dolus directus voraussetzt, ein Merkmal hinzutritt, das ihn als Ziel oder Zweck des Verhaltens ausweist. Jene Kennzeichnung der Vorstellung leistet der Beweggrund. In einem Fall, dem der Absicht, war die Vorstellung causa des Verhaltens, das andere Mal (dolus directus), wo keine positive Abhängigkeit nachweisbar ist, läßt sich lediglich sagen, daß sie die Handlung nicht verhindert hat. Die herrschende Ansicht, welche die Charakterisierung der Absicht durch den Beweggrund ablehnt, müßte daher andere Kriterien benennen, die gezieltes Handeln von bloßer Antizipation der Tatbestandsverwirklichung scheiden; sie beschränkt sich aber auf die Kritik unseres Ansatzes. Dagegen bietet die Rechtsprechung, die gezwungen ist, am konkreten Fall zu argumentieren, eine Alternative an: Absicht und dolus directus sind Ausdruck verschiedenartiger Einstellungen zum Erfolg. Ist er dem Täter erwünscht, so kommt es ihm auch auf die Straftat an, steht er ihm gleichgültig oder ablehnend gegenüber, handelt er allenfalls mit direktem Vorsatz 37 .
1.2.1 Situative Merkmale Bedeutet Wollen im Rahmen der Absicht, daß der Täter sich durch die Antizipation des Erfolges motiviert, so können alle Arten von Tatbestandsmerkmalen gewollt verwirklicht werden. Die voluntionale Relation der Absicht wird jedoch zum Teil auf jene Merkmale beschränkt, die der Täter· 34 35 36 37
Heckhausen, Motivation und Handeln, S. 172 ff. a.a.O., S. 24. Besonders deutlich: Oehler, NJW 1966, S. 1637; ähnlich BGHSt 16, 1. Dazu unten 1.3.
Ir. Die Absicht und der dolus directus
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bewirken, die er durch sein Verhalten heibeiführen kann (z.B. den Tod des Opfers). Zu anderen, die, unabhängig von seinem Einfluß bereits vorliegend, die Tatsituation beschreiben (z.B. Eigenschaften des Opfers, wie das Alter in § 182 StGB), soll hingegen nur eine intellektuelle Beziehung (Gewißheit) bestehen38 • Diese Ansicht, wurde treffend eingewandt39 , löst die Situationsbeschreibung aus dem Handlungszusammenhang. Der Erfolg könne nicht unabhängig von jenen situativen Tatumständen angestrebt werden, da sie ihn erst individualisieren. Der Absichtsbegriff des Beweggrundes stellt ohne weiteres zu allen Tatbestandsmerkmalen seine spezifische voluntionale Beziehung her. Denn motivierend kann die Vorstellung eines Umstandes, der, bereits vorliegend, den potentiellen Erfolg charakterisiert, ebenso wirken, wie die Antizipation eines zukünftig eintretenden Merkmals, das Bewußtsein des zarten Alters, das der Täter vorfindet (§ 182 StGB), wie die schweren Folgen der Verletzung (§ 225 StGB), die er noch herbeiführen muß. 1.2.2 Affekt
Die Erläuterung der Absicht durch den Beweggrund zeichnet ein Bild von der Willensseite dieser Vorsatzvariante, das hinreichend konkret ist, um einen unmittelbaren Vergleich mit der Psychodynamik der Affekthandlung zu ermöglichen. Sie wird vor allem durch den Verlust der Verhaltenssteuerung und einen Mangel an Willensbildung charakterisiert4o • Zweifelhaft ist dabei nicht nur die Motivationsfähigkeit des Täters, sondern der Sinnbezug, das heißt Ziel und Zweck seiner Handlung. Doch auch wo das Verhalten sinnlos erscheint, weil der Täter glaubhaft versichert, keinen weiterführenden Zweck verfolgt zu haben, und der Beobachter zunächst ebenfalls keinen sinnstiftenden Zusammenhang herzustellen vermag, beruht die Unverständlichkeit nicht notwendig auf der Tat selbst, sondern kann mit deren Verarbeitung erklärt werden, die auf eine Distanzierung, eine Verdrängung des Geschehenen hinwirkt 41 . Der Begriff der Absicht bedarf dieser spekulativen psychoanalytischen Argumentation jedoch nicht, denn er ist, wie bereits dargelegt, unabhängig von übergreifenden Sinnbezügen. Handlungsziel meint hier allein die Verwirklichung des Tatbestandes. Deren Antizipation vermag auch im affektiven Erregungszustand die Tat auszulösen42 • Die Bedeutung der ErfolgsvorJescheck, AT, S. 239; S/S - Cramer, § 15, Rn. 65. Engisch, Untersuchungen, S. 146f.; Jakobs, AT, 8/16; LK - Schroeder, § 16, Rn. 78. 40 Vgl. oben I l. 41 Rasch, Tötung des Intimpartners, S. 57. 42 Welche Erfolgsvorstellung die Tat im konkreten Fall ausgelöst hat, ist eine tatsächliche Frage. Ob etwa eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Handlung auf Tötung oder Verletzung zielt (vgl. Rasch, a.a.O.), ist ein Problem der Sachaufklärung, 38 39
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
stellung als Triebfeder der Handlung wird durch die Kennzeichnung der Affektreaktion als "Feldhandlung" im Sinne Lewins unterstrichen. Im Unterschied zur "Vornahmehandlung" steht die Affekttat unter den Kräften des Feldes, also dem Einfluß situativer Variablen. Sie erscheint dem Handelnden als die der aktuellen Umweltkonstellation angemessene Reaktion, als Komplettierung der Situation43 . Die Erfolgsvorstellung bezieht sich unmittelbar auf die Situation und gewinnt daraus ihre übermächtig motivierende Potenz. Auch das Bild der Affekthandlung zeigt neben der häufig beschriebenen Steuerungslosigkeit ein hohes Maß an "Gerichtetheit", an "Zielfixation"44, das sie für die absichtliche Verletzung eines Strafgesetzes geradezu prädestiniert. Im Affektdurchbruch kann der Täter zwar das Vermögen, sein Verhalten zu beherrschen und damit die Freiheit einbüßen, nicht aber die Fähigkeit, die " aufgezwungene" , als fremd erlebte Vorstellung zielorientiert zu verwirklichen: " ... Der Leidenschaftstäter ... führt seine Stiche zweckbewußt gegen sein Opfer, um es zu töten"45. Freiheit setzt der Begriff der Absicht aber nicht voraus. Er ordnet lediglich der Folge (Tatbestandsverwirklichung) eine causa (motivierende Erfolgsvorstellung) zu. Diese Attribution schließt ein wählendes Entscheidungsmoment nicht aus, mag aber auch die Gebundenheit des Handelnden zum Ausdruck bringen, wenn die Vorstellung, wie oben dargelegt, zwingend wirkt. Auch in diesem Fall kann ein Erfolg, der sich unter dem Gefühl des Gemachten, des Fremdbestimmten, "ja gegen die Bejahung des Handelnden"46 realisiert, durch die Vorstellung der Tatbestandsverwirklichung motiviert und damit absichtlich gewollt herbeigeführt worden sein. 1.3 Die Einstellung zum Erfolg
Der BGH hat in einigen Entscheidungen47 die Begriffsbestimmung auf die innere Einstellung des Täters zur Verwirklichung des Tatbestandes gegründet. Beabsichtigt ist danach die Folge, deren Eintritt dem Täter erwünscht ist, während Umstände, denen er gleichgültig oder ablehnend gegenübersteht, nicht angestrebt werden. Das Erwünschte ist in diesem Kontext nicht als Gegensatz des Gewollten zu verstehen, wie etwa im Rahmen des Tatentschlusses oder des kognitiven Elements der Absicht, sondern als Stellungnahme des Handelnden zu den Wirkungen seines Verhaltens 48 • Damit ist das nicht nur bei Affektdelikten auftaucht, das den Absichtsbegriff aber unberührt läßt. 43 Krümpelmann, Welzel-FS, S. 336; Rasch, a.a.O., S. 69. 44 Krümpelmann, a.a.O., S. 334f. 45 Welzel, Vom Bleibenden, S. 19. 46 Bürger-Prinz, MSchrKrim. 33 (1942), S. 51. 47 BGHSt 16, 1 (6f.); 18, 151 (155).
11. Die Absicht und der dolus directus
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jedoch die Ebene der Verhaltenssteuerung verlassen. Kategorien wie Freude oder Mißvergnügen interpretieren den Vorsatz auf einer Dimension hedonistischer Einstellungen. Gegen die Rechtsprechung des BGH wurde daher auch eingewandt, daß ihre Kriterien das Verhaltensziel nur unscharf abbilden49 • Denn einerseits ist nicht stets erwünscht, worauf es dem Täter ankommt: " ... auch widerwillig, ja - so paradox es klingt - "widerstrebend" kann man um anderer Zwecke willen ein Unangenehmes erstreben"50. Andererseits ist das Erwünschte nicht notwendig Ziel der Handlung 5 !, wie in BGHSt 16, 1, wo der Täter den Fahrkartenkontrolleur täuschte, um keine Zeit zu verlieren. Die damit verbundene Geldersparnis wurde allenfalls erfreut "mitgenommen", hätte aber für sich die Täuschungshandlung nicht ausgelöst. Als durchschlagender Einwand gegen den " emotionalen " Absichtsbegriff kann die mangelnde Kongruenz von Zielorientierung und Einstellung zum Erfolg allerdings nicht gelten, denn die Dogmatik ist frei, diesem Kriterium gegenüber jenem den Vorzug zu geben. Grenzen setzt jedoch der Verbrechensaufbau und damit die systematische Stellung des Vorsatzes. Repräsentiert er als Träger des Handlungsinns den subjektiven Kern des Unrechts, so wird die Begriffsbildung auf Merkmale festgelegt, die diesem Bereich angehören oder zumindest nicht in Widerspruch zur Systemkategorie stehen. Freude und Ablehnung thematisieren aber emotionale Beziehungen des Täters zum Erfolg, seine Wertschätzung der Verhaltensfolgen und damit einen Bereich, der als Domäne der Schuld gilt. Sie beschreiben eine Stellungnahme des Handelnden, die einem Schuldunfähigen zuzuschreiben widersinnig erscheint. Im Affekt etwa bleibt die Charakteristik der Absicht, die an die Zielorientierung der Handlung anknüpft, erhalten. Dagegen wird die Tat nicht mehr von einer spezifischen Stellungnahme des Täters zum Erfolg geprägt. Das Delikt entsteht aus dem Zusammenbruch der Verhaltenskontrolle (im Sinne von § 20 StGB). Da es sich auch gegen den Widerstand des Handelnden vollzieht, vermag dessen innere Haltung das Geschehen nicht zu beeinflussen. In allen Fällen der Steuerungsunfähigkeit, zu denen die schuldlose Affekttat zählt, ist der Zusammenhang zwischen dem manifesten Verhalten und den Instanzen der Verhaltenslenkung aufgehoben oder doch nicht mehr nachvollziehbar. Selbst wenn eine emotionale Beziehung des Täters zum Erfolg nachweisbar ist, stellt sie unter den besonderen Umständen der Schuldunfähigkeit keine Eigenschaft der Handlung dar und kann diese daher auch Oehler, NJW 1966, S. 1636. LK - Schroeder, § 16, Rn. 77; Oehler, a.a.O.; sowie die in Fn. 50 und 51 aufgeführten Autoren. Der BGH hat seine Rechtsprechung selbst in BGHSt 21, 283 (284f.) revidiert. 50 Engisch, Untersuchungen, S. 145. 51 Welzel, NJW 1962, S. 22. 48 49
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
nicht als absichtliche kennzeichnen. Ein emotionales Verständnis der Absicht wäre nicht nur "affektuntauglich", sondern würde mit dem Postulat der Unterscheidbarkeit von Unrecht und Schuld kollidieren. Dennoch soll die Bedeutung der systematischen Stellung des Vorsatzes hier nicht vertieft werden, da die Problematik im Rahmen des dolus eventualis zugespitzt wiederkehrt 52 . 2. Der dolus directus
In manchen Vorsatzkonzepten53 wird die Absicht von den anderen Varianten doloser Zurechnung durch den Gegensatz von Haupt- und Nebenfolgen abgegrenzt. Dabei entsprechen die Hauptfolgen den Erfolgsvorstellungen, die motivierend wirken, die das Delikt hinreichend bedingen, während der Täter im Bereich der Nebenfolgen in Erkenntnis der Tatbestandsverwirklichung handelt, ohne daß deren Antizipation das Verhalten auslöst 54 . Ob sich der dolus directus tatsächlich nur auf Nebenfolgen erstrecken kann 55 ist allein eine Frage der Definition, die durch den Begriff der Absicht beantwortet wird. Seine Erläuterung als motivierende Erfolgsvorstellung schöpft den Bereich der Hauptfolgen jedenfalls aus, da sie auch situative Tatbestandsmerkmale, die der Täter nicht bewirken kann, umfaßt. Die Zurechnung von Nebenfolgen teilen sich dolus directus und dolus eventualis. Jener wird auch mit "Wissentlichkeit"56 umschrieben, denn er liegt vor, wenn der Täter "weiß oder als sicher voraussieht"57, daß er die objektiven Bedingungen eines Strafgesetzes erfüllt58 . Für gewiß muß er jedoch nicht die Realisierung der tatbestandsmäßigen Nebenfolge halten, "sondern nur deren Verbindung mit dem eigentlich erstrebten Geschehensablauf"59: Dem Handelnden scheint die Verwirklichung des Tatbestandes mit dem gewählten Verhalten oder dem intendierten Erfolg notwendig verbunden60 . Einer besonders engen Verknüpfung von Intention und Nebenfolge verdankt der Fall Thomas seine anhaltende Beliebtheit als Beispiel für den dolus directus: Um die Versicherungssumme für ein Frachtgut zu gewinnen, baute Thomas eine Höllenmaschine in das per Schiff zu expedieVgl. etwa unten III 3. Vgl. etwa Jakobs, AT, 817ff. 54 Insbesondere Jakobs, a.a.O.; ähnlich Welzel, Strafrecht, S. 67: Ziel- und Nebenfolgen. 55 Kritisch etwa LK - Schroeder, § 16, Rn. 82. 56 Jakobs, AT, 8/18; LK - Schroeder, § 16, Rn. 81. 57 So § 16, E 1962. 58 Ähnlich Bockelmann, AT, § 14 IV 1; Dreher / Tröndle, § 15, Rn. 7; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 22 m A 2; S/S - Cramer, § 15, Rn. 66. 59 Stratenwerth, AT, Rn. 296. 60 Engisch, Untersuchungen, S. 170. 52 53
11. Die Absicht und der dolus directus
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rende Gepäck. Ihm war klar, daß die Besatzung den Tod finden müßte, wenn sein Vorhaben, die Ladung auf hoher See zu sprengen, gelänge 61 . Der Tötungsvorsatz scheint im Fall Thomas allein auf der Vorstellung des Täters zu beruhen, auf der mit subjektiver Gewißheit erlebten Verbindung von Handlungsziel (Versicherungsbetrug) und Nebenfolge (Tötung der Besatzung). Da er zumindest auf dieser Grundlage festgestellt werden kann, ist mit einiger Berechtigung von der Dominanz des Wissensfaktors 62 oder von Wissentlichkeit63 die Rede. Über diese typisierende Kennzeichnung hinausgehend, sieht Jakobs sich durch den dolus directus veraniaßt, die formelartige Beschreibung des Vorsatzes als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung zu kritisieren: Während die Hauptfolgen Inhalt des Wissens, wie des Wollens seien, würden die Nebenfolgen lediglich Inhalt des Wissens, wären vom Wollen dagegen nur als abhängig erkannt. Im Bereich der Hauptfolgen habe sich der Täter daher voluntativ und intellektuell von der Vermeidung der Folgen gelöst, im Bereich der Nebenfolgen nur intellektuell. Die Charakteristik des dolus als Wissen und Wollen wirkt so "unangemessen"64. Jakobs analysiert die Willens seite des Vorsatzes allein über eine Konfrontation von Hauptfolgen und Nebenfolgen. Dabei muß diesen bereits per definitionem die Willensfunktion fehlen, die jene konstituiert: die motivierende Kraft der Erfolgsvorstellung. Sie ist beim dolus directus auch nicht in abgeschwächter Form vorzufinden. Die Voraussicht der Deliktsfolgen motiviert nicht mehr oder weniger, sondern bedingt die Tat oder begründet keine positive Abhängigkeit. Daraus folgt zunächst aber nur, daß Absicht und dolus directus nicht unterschiedlichen Intensitätsstufen einer einheitlichen Willensleistung entsprechen und daß die Vorsatzvarianten sich nicht auf einem Kontinuum des Wollens anordnen lassen, dessen stärkste Ausprägung die Absicht verkörpert 65 . Denn auch wenn den Nebenfolgen das absichtsspezijische Willenselement fehlt, muß damit nicht jede andere voluntative Beziehung ausgeschlossen sein. Vorsatz ist Verwirklichungswille; er setzt voraus, daß Bewußtseinsinhalte den Status freibleibender Wünsche verlassen haben, um Handlungen zu initiieren. Im Kapitel über das Moment der Entschlossenheit wurde daher die Gestaltungsabsicht als ein Willenselement herausgestellt, das alle Formen des Vorsatzes teilen 66 . Neben der Entschlossenheit zeichnet den dolus 61 Vgl. die ausführliche Schilderung und rechtliche Erörterung bei Binding, Normen 11 2, S. 851ff. 62 Jescheck, AT, S. 239. 63 LK - Schroeder, § 16, Rn. 81. 64 Jakobs, AT, 8/8. 65 Vgl. oben 111 am Anfang. 66 Vgl. oben 11 1.
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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ein weiterer Aspekt des Wollens aus, mit dem der Täter sich die Fähigkeit zuschreibt, auf die Wirklichkeit verändernd einzuwirken: der tatmächtige Wille 67 • Die Antizipation des Erfolges als mögliche, nicht ganz unwahrscheinliche Konsequenz des Verhaltens ist zwar ein kognitiv formuliertes Merkmal des Vorsatzes, erfüllt aber tatsächlich eine voluntative Funktion: erst das Urhebergefühl konstituiert den Willen 68 • Bereits diese voluntionalen Charakteristika verbieten es, den Vorsatz allein auf die kognitive Repräsentanz der Tat zu gründen. Denn auch mit dem dolus directus werden nicht Vorstellungen, sondern Folgen einer gewollten Handlung zugerechnet. Das anerkennt Jakobs und definiert den Vorsatz als das "Wissen, daß die Tatbestandsverwirklichung vom gewollten (!) Handeln abhängt ... "69. Damit soll der Wille auf den Vollzug der Handlung beschränkt und zu deren Folgen eine rein kognitive Relation hergestellt werden. Die Trennung zwischen dem Verhalten und seinen Wirkungen läßt sich jedoch nicht konsequent durchführen, denn nur eine konkrete Handlung kann gewollt sein. Individualisiert wird sie aber vor allem durch die Handlungsfolgen. Dabei tragen Nebenfolgen zur Konkretisierung oft mehr bei als Hauptfolgen. Der Täter kann den Handlungsvollzug daher nicht wollen, ohne gleichzeitig die Folgen zu wollen, die die Handlung aus seiner Sicht erst ausmachen. Will er sein Vorhaben realisieren, so löst er sich daher auch im Bereich der Nebenfolgen nicht nur intellektuell von der Vermeidung deliktischer Folgen, die seine Handlung wesentlich prägen. Der wichtigste Einwand gegen ein kognitives Verständnis des dolus directus bezieht den dolus eventualis mit der Abgrenzung zur Fahrlässigkeit in die Argumentation ein und führt damit bereits in den Mittelpunkt der Vorsatzdogmatik. Während die Antizipation des Erfolges bei absichtlicher Begehung die Tat bedingt, ist für den Fall des direkten oder des bedingten Vorsatzes jede positive Abhängigkeit ausgeschlossen. Ebensowenig läßt sich ein negativer Effekt vermerken, denn andernfalls wäre die Straftat unterblieben70 • Wenn die Erfolgsvorstellung bei direkt oder bedingt vorsätzlichem Handeln das deliktische Verhalten zwar nicht ausgelöst hat, so steht doch fest, daß sie auch nicht als entscheidendes Gegenmotiv wirken und die Tat verhindern konnte. Moderne Abgrenzungstheorien schließen daraus unter bestimmten Umständen - etwa wenn die Gefahr der Rechtsgutverletzung ernstgenommen wurde -, daß der Täter sich für die Verwirklichung des Tatbestands entschieden hat. Diese These gilt für dolus directus und dolus Vgl. oben III 1.1. Vgl. die Nachweise in Anm. 17. 69 a.a.O. 70 Die für dolus directus und dolus eventualis identische Rolle der Erfolgsvorstellung im Motivationsgeschehen legt es nahe, diese Vorsatzvarianten zusammenzufassen und als eine Form des Dolus der Absicht gegenüberzustellen; so im Ergebnis Germann, SchwZStr 77 (1961), S. 356. 67 68
III. Der dolus eventualis
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eventualis gleichermaßen. Trifft sie den Kern des Vorsatzbegriffs, so beschreibt der dolus directus geradezu einen Idealtypus des Wollens, denn Kern des alltagssprachlichen, wie des psychologischen Willensbegriffs ist das Moment der Entscheidung, die Wahl zwischen Handlungsalternativen71 • Ob Vorsatz tatsächlich als Entscheidung zu verstehen ist, und wie sich diese Interpretation mit der Psychodynamik der Affekthandlung verträgt, wird erst der Fortgang der Untersuchung erweisen.
m.
Der dolus eventualis
1. Mögliche Bezugspunkte der Auseinandersetzung
Herzstück und Prüfstein der Vorsatzdogmatik ist die Definition des dolus eventualis, die Abrenzung zur Fahrlässigkeit. Sie zählt für die einen zu den schwierigsten Fragen des Strafrechts! und gilt anderen als - jedenfalls in den Grundzügen - gelöstes Problem2 • Umstritten ist der bedingte Vorsatz allerdings nach wie vor, die Flut der Stellungnahmen in Literatur und veröffentlichter Rechtsprechung ebbt nicht ab 3 • Vor allem im literarischen Bereich bleibt dabei mancherorts unklar, worum der Streit eigentlich geführt wird. Drei unterschiedliche Bezugspunkte sind auseinanderzuhalten4 : 1.1 Die Reichweite des Vorsatzes
Die größte praktische Relevanz kann die Frage beanspruchen, wie weit der Kreis der Fälle doloser Zurechnung gezogen werden soll. Und auf den 71 Zum Entscheidungsbegriff vgl. unten III 2.2. Das wählende Moment im Vorgang des Wollens kommt im Begriff der Willkür zum Ausdruck: der Wille kürt; vgl. Dreher, ZStW 95 (1983), S. 369. 1 Welzel, Strafrecht, S. 69. 2 Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 22 III B; Roxin, JuS 1964, S. 61. 3 Aus der Literatur der letzten zehn Jahre: Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage; Jakobs, Studien; Schüler-Springorum, MSchrKrim.56 (1973), S.363ff.; Honig, GA 1973, S.257ff.; Philipps, ZStW 85 (1973), S.27ff.; Wolff, Gallas-FS, S.197ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff; Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 888ff.; Haft, ZStW 88 (1976), S. 365ff.; Warda, Lange-FS, S. 113ff.; Arzt, Schröder-FS, S. 119ff.; Ross, Über den Vorsatz; Benfer, Die Polizei 71 (1980), S. 149ff.; Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241ff.; Morkel, NStZ 1981, s. 176ff.; Weigend, ZStW 93 (1981), S. 657ff.; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferve;:halten; Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit; ders., GA 1981, S. 285ff.; Schmoller, OJZ, S. 259ff., 287ff.; Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht; Krüger, DAR 1984, S. 47ff.; Behrendt, Vorsatzgrenze und verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz. Aus der jüngsten Rechtsprechung: BGHSt 22, 67; 26, 176; BGH, MDR 1974, S. 547; 1977, S.458; 1978, S.458; 1980, S. 812f.; BGH NJW 1979, S. 1512; BGH GA, 1979, S. 106ff.; BGH, JZ 1981, S. 35; BGH, VRS 59 (1980), S. 183ff.; BGH NStZ 82, s. 506; 83, S. 407; 84, S. 19; StrVert 83, S. 363, 444; 84, S. 187. 4 Vgl. dazu bereits Engisch, Untersuchungen, S. 129ff.
6 Ziegert
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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ersten Blick scheinen die Erklärungsansätze auch gerade in diesem Punkt beträchtlich zu divergieren. Vorstellungstheorien beziehen in ihrer modernen Spielart die bewußte Fahrlässigkeit in den Vorsatz ein5 • Ihr Anwendungsbereich, so steht mit Recht zu vermuten, muß folglich breiter sein, als jener der Gleichgültigkeits- oder der klassischen Willenstheorie, die auf eine Billigung des Erfolges abstellen 6 • Auch ein Vergleich der Konzeptionen Armin Kaufmanns und Stratenwerths 7 läßt abweichende Grenzverläufe erahnen, da die Kriterien der Gegensteuerung beziehungsweise der Ernstnahme der Gefahr über eine Vielzahl von Tatsituationen wohl kaum in absoluter Höhe korrelieren. Diese Beispiele fortzusetzen lohnt jedoch die Mühe nicht. Denn die Reichweite des Vorsatzes steht keineswegs im Vordergrund der Kontroverse 8 • Am realen Fall tritt vielmehr das Bemühen zu Tage, die Lösung im Ergebnis mitzutragen und die eigene Ansicht lediglich in der Begründung zu profilieren. Besonders instruktiv zeigt diese Tendenz die Diskussion um die Entscheidung BGHSt 7,363, die das Ergebnis praktisch außer Zweifel stellt, obgleich manche Ansätze - von den oben exemplarisch angeführten etwa die Gleichgültigkeits- und die Gegensteuerungstheorie - ihren Argumentationsspielraum extrem strapazieren, um die Vorgabe einer dolosen Zurechnung erfüllen zu können9 • 1.2 Das Wesen des Vorsatzes
Während der Gegensatz von Willens- und Vorstellungstheorie vor allem als Streit um das Wesen des Vorsatzes aufgefaßt wurde 10 , nähert sich die zeitgenössische Literatur dem Problem eher von seiner methodisch-systematischen Seite. Diese pragmatische Sicht, die vor allem nach den faßbaren Kriterien fragt, die die Trennungslinie zur Fahrlässigkeit bezeichnen, darf eine Analyse des voluntativen Vorsatzelements, wie sie hier unternommen wird, nicht teilen. Denn die konkreten Merkmale der Abgrenzung gründen explizit oder implizit auf Voraussetzungen, die im Normalfall ungeprüft zu unterstellen noch angehen mag, die jedoch unter besonderen Umständen, etwa bei hoher affektiver Erregung, zweifelhaft werden. Die Prämissen aber wurzeln in basalen Vorstellungen vom Wesen des Dolus. Diese Grundanschauungen sind in der Diskussion der Vorsatzkonzeptionen daher mit zu berücksichtigen. Jakobs, Studien, S. 118f.; Schmidhäuser, Studienbuch, 7/36; 7/57. Baurnann, AT, S. 413; Blei, AT, § 35 IV. 7 Armin Kaufmann, ZStW 70 (1958), S. 64 ff.; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 51 ff. a Jescheck, AT, S. 242. 9 Engisch, NJW 1955, S. 1688ff.; Armin Kaufmann, a.a.O., S.77; dazu Roxin, a.a.O., S. 55. 10 Engisch, Untersuchungen, S. 129. 5 6
111. Der dolus eventualis
83
1.3 Methoden der Abgrenzung
Aber auch wenn man von der Fragestellung dieser Untersuchung absieht, läßt sich der Theorienstreit nicht, wie Engisch es versucht hat l l , auf einen rein formalen Gegensatz reduzieren, eine Methodik der Generierung von Abgrenzungskriterien, die unabhängig von den Auffassungen über das Wesen des Vorsatzes entwickelt werden. Engisch wird gerade durch jene Beispiele, auf die er seine These stützt, widerlegt: Frank und v. Hippel berühren sich in der Methode, sie bestimmen zunächst die unzweifelhaften Fälle des Vorsatzes und prüfen die Grenzfälle - vorzugsweise unter Schuldgesichtspunkten - auf ihre Ähnlichkeit mit jenen. Dabei obwaltet jedoch kein wissenschaftlicher Zufall, wenn v. Hippel den Idealtypus des Vorsatzes im Erstreben des Erfolges, also der Absicht, Frank ihn hingegen in der sicheren Voraussicht, dem dolus directus sieht, denn diesem gilt die Vorstellung, jenem der Wille als Wesen des Vorsatzes 12 . Das konkrete Merkmal, das zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit trennt, läßt sich mithin in seiner Entstehung stets auf die zugrundeliegenden Anschauungen vom Wesen des Dolus zurückverfolgen. 2. Vorsatz als Entscheidung 2.1 Der Standort des Ansatzes
Der Kontrast von Willens- und Vorstellungstheorie beherrscht noch heute die systematische Darstellung der Vorsatzdogmatik. Die unterschiedlichen Erklärungsansätze werden häufig in Gruppen zusammengefaßt. Das verbindende, die Kategorisierung rechtfertigende Element repräsentiert dabei zum einen ein kognitiv-intellektueller Faktor, zum anderen ein emotionalvoluntatives Moment der Abgrenzung. Die als grundlegend erachtete Diskrepanz führt in aller Regel zur Bildung von zwei Gruppen 13. Engisch - ähnlich Jescheck14 - gliedert zwar in drei Klassen, Willens-, Vorstellungs- und Gefühlstheorie, verbindet die letztgenannte jedoch wieder mit den Vorstellungstheorien 15 • Diese Systematisierung auf zwei Dimensionen erhellt weder die Natur der einzelnen Vorsatzkonzeptionen, noch verdeutlicht sie die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Theorien. Zumindest die gegensätzlichen Ausgangspunkte von Willens- und Vorstellungstheorie eignen sich nicht als a.a.O., S. 136ff. Frank, ZStW 10 (1890), S. 217; v. Hippel, Deutsches Strafrecht 11, S. 308. 13 Blei, AT, § 35 IV 2; S/S - Cramer, § 15, Rn. 70f.; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 22 III B 2; Roxin, JuS 1964, S. 57. 14 Jescheck, AT, S. 242f. 15 Engisch, Untersuchungen, S. 133. 11 12
6'
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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Ordnungskriterium, da die klassische Vorstellungstheorie nur irrtümlich für einen rein kognitiven Ansatz gelten konnte, tatsächlich aber auf dem Motivationsprozeß und damit auf Willensvorgängen gründet1 6 • Doch selbst eine Unterteilung nach kognitiven und voluntativen Merkmalen, die auf jene historische Reminiszenz verzichtet, bleibt, wie die Zuordnung der Entscheidungstheorie 17 zeigt, in ihrem Erklärungswert zweifelhaft. Denn die Auffassung, die den Vorsatz durch den Begriff der Entscheidung kennzeichnet, kann man beiden Gruppen mit guten Gründen zurechnen und sie wird auch zum Teil als voluntative 18 , andererseits aber als kognitive Theorie19 eingestuft. Diese Kategorisierung knüpft an die Einschätzung des Erfolgseintritts durch den Täter an, die in der konkreten Abgrenzung den Ausschlag gibt, jene an den Entscheidungsbegriff selbst, der den Kern der Vorsatzkonzeption bildet und der zweifellos dem Bereich des Willens zugehört. 2.2 Grundzüge der Entscheidungstheorie17
Die Kennzeichnung des Vorsatzes als Entscheidung kann heute als bevorzugte Konkretisierung der traditionellen Formel des "Wissens und Wollens" gelten 20 . Den Begriff der Entscheidung hat Roxin in die Diskussion eingeführt2 1 , dessen Lösung von Stratenwerths Vorsatzabgrenzung wesentlich beeinflußt wurde. Stratenwerth hat wiederum das von Roxin vorgeschlagene Kriterium der "Entscheidung für die mögliche Tatbestandsverwirklichung" übernommen 22 , so daß die Ansichten beider Autoren annähernd kongruent sind. Diese Homogenität zeichnet jedoch nicht die Entscheidungstheorie schlechthin aus. So vertritt etwa Philipps23 eine sehr eigenständige Position. Andererseits trägt der Konsens weiter, als der Begriff selbst Verbreitung fand, da manche Autoren den Vorsatz zwar nicht als Entscheidung etikettieren, ihn aber ganz ähnlich umschreiben 24 . Schließlich zählen zum Umkreis der Theorie Formeln, die, wie jene der Entscheidung, Vgl. bereits oben A 11, 3.2, sowie unten 4.4. Der Begriff "Entscheidungstheorie" soll hier all jene Autoren umfassen, welche die Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung als Kern des Vorsatzes ansehen, wie etwa Roxin (a.a.O.) und Stratenwerth (a.a.O.) und nicht auf entscheidungstheoretische Überlegungen im engeren Sinne beschränkt bleiben, die Philipps in die Diskussion eingeführt hat (ZStW 85, S. 27). 18 Maurach / Zipf, a.a.O.; Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 33ff. 19 Roxin, a.a.O. 20 Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S.45ff. (51); Germann, SchwZStr 77 (1961), S. 374ff.; Philipps, ZStW 85 (1973), S. 27ff.; Platzgummer, Bewußtseinsform, S. 61, 93; Roxin, JuS 1964, S. 58ff.; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 39; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 51ff. Zur Begriffsbildung in der DDR vgl. Schroeder, Jahrbuch f. Ostrecht XIV (1973), S. 9ff.; sowie Lander, Zur Psychologie der vorsätzlichen Handlung. 21 Siehe Fn. 3. 22 Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 233 f. 23 Siehe Fn. 3. 24 Bockelmann, AT, S. 84; Wesseis, AT, § 7 11 3. 16
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III. Der dolus eventualis
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auf eine personale Stellungnahme abheben und Vorsatz zuschreiben, wenn der Täter die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung ernst genommen 25 , sie in Kauf genommen26 oder sich mit der Möglichkeit der Realisierung des tatbestandlichen Erfolges abgefunden 27 hat. Da diese unterschiedlichen Kennzeichnungen keine sachlichen Differenzierungen zum Ausdruck bringen28 , kann die - im weiteren Sinn - entscheidungstheoretische Begründung des Vorsatzes als deutlich dominierender Ansatz gelten. Die Entscheidungstheorie kann hier nicht in ihren filigranen Verästelungen nachgezeichnet werden, zumal dieser Aufwand nicht durch die Fragestellung der Untersuchung indiziert wäre. Die Diskussion wird sich daher vor allem auf den Entwurf Stratenwerths 29 konzentrieren, der differenziert begründet und breit rezipiert wurde. Strathenwerth entwirft seine Konzeption des Vorsatzes aus der durch die finale Handlungslehre gewandelten Perspektive menschlichen Verhaltens, wodurch auch die veränderte systematische Stellung in den Blickwinkel gelangt. Mit den überkommenen Alternativen scheint ihm die Abgrenzung prinzipiell unlösbar: Gibt man der intellektuellen Seite denVorzug und läßt die bloße Voraussicht des Erfolges genügen (Möglichkeitstheorie), so umfasse der Vorsatz den Bereich der bewußten Fahrlässigkeit. Die Differenzierung nach dem Grad des Wissens (Wahrscheinlichkeitstheorie) gerate hingegen mit der Absicht in Konflikt, der auch weniger wahrscheinliche Tatfolgen als erstrebt gelten können. Der Wille, der sich nur auf den Handlungszweck und die eingesetzten Mittel erstrecke, erreiche hingegen den dolus eventualis nicht mehr. Erweitert man ihn aber um das Kriterium der Billigung, so entstünden Widersprüche zum dolus directus, da es auf dieses 25 Vgl. neben den in Fn. 20 aufgeführten Autoren: E. A. Wolff, Gallas-FS, S. 197ff, 205f.; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, S. 178; ähnlich Welzel, der danach differenziert, ob der Täter mit der Tatbestandsverwirklichung rechnet oder auf ihr Ausbleiben vertraut (Strafrecht, S. 68). 26 S/S - Cramer, § 15, Rn. 72, 78; Gallas, Niederschriften, S. 111f.; Mezger, AT, S. 165; § 17 AE StGB 1966ff. 27 Blei, AT, § 35 IV 2; Bockelmann, AT, S. 84; Eser, Strafrecht I Nr. 3 A 37; Jescheck, AT, S. 240; WesseIs, AT, § 7 II 3. 28 So auch Frisch, der diese Definitionen in einer Gruppe zusammenfaßt (Vorsatz und Risiko, S. 17 ff). In ihrem alltagssprachlichen Verständnis unterscheidet sich die Formel der Ernstnahme von den Charakterisierungen des dolus eventualis als Abfinden oder Inkaufnehmen. Diese enthalten bereits ein Entscheidungsmoment: Wer die Möglichkeit eines Erfolges in Kauf nimmt oder sich damit abfindet, hat bereits für die Rechtsgutsverletzung entschieden, während ein Täter, der die Gefahr ernst nimmt, in eine Entscheidungssituation gerät, in der er sich erst noch entscheiden muß. Dies erklärt, warum jene Ansätze den Begriff der Entscheidung nicht explizit in ihrer Vorsatzdefinition aufführen, während das Kriterium der Ernstnahme in aller Regel in Doluskonzepten vorkommt, die den Vorsatz ausdrücklich als Entscheidung bezeichnen. Damit wird aber auch die enge Verwandtschaft der Ansätze offenbar. 29 ZStw 71 (1959), S. 55ff.; AT, § 8 II.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Merkmal bei Nebenfolgen, die als sicher eintretend vorgestellt werden, nicht ankommen könne. Die begriffliche Limitierung des Wollens auf den Erfolgswillen würde allerdings nicht nur, wie Stratenwerth erläutert, den dolus eventualis, sondern auch den dolus directus entfallen lassen. Offen bleibt freilich, ob dieses Willensverständnis funktional sinnvoll ist oder gar das einzig mögliche darstellt. Einen weiteren Anknüpfungspunkt für die Definition vorsätzlichen Wollens bietet der Handlungswille30 , der mit seiner Verbindlichkeitskomponente bereits im Abschnitt über den Tatentschluß thematisch wurde, der aber auch den Begriff der Entscheidung prägt. Die Entwicklung des Vorsatzbegriffes durch die finale Handlungslehre beschreibt Stratenwerth als Wandel eines reinen Abbildes des äußeren Geschehens zum Ausdruck von Freiheit gegenüber der Situation, die sich in der Finalität menschlichen Handelns verwirklicht. Diese Freiheit ermögliche eine Stellungnahme gegenüber antizipierten Folgen des Verhaltens und so ihren Ausschluß aus dem Vorsatz 31 • Die Vorsatz abgrenzung beruht mithin auf einer Analyse jener Stellungnahme. Die Haltung, die den dolus eventualis charakterisiert, entwickelt Stratenwerth in zwei Schritten. Auf der ersten Stufe wird die Einschätzung des Risikos, eine Nebenfolge zu bewirken, erfaßt: Der Leichtsinn, der typische Fall der bewußten Fahrlässigkeit, setze das Bewußtsein der Gefahr voraus. Der Täter habe die Erfolgsvorstellung nicht, wie Schröder und Schmidhäuser meinen 32 , aus seinem Bewußtsein ausgeschaltet, sondern nehme sie "in einem präzisen Sinne" nicht ernst 33 • Den dolus eventualis konstituiert zunächst also eine Stellungnahme zum Risiko des Erfolgseintritts: der vorsätzlich handelnde erkennt und anerkennt die Gefahr, der bewußt fahrlässige Täter verweigert ihr diese Bedeutung in seinem Motivationsgefüge. Auf der zweiten Stufe wird die Beziehung zwischen der vorsatzspezifischen Haltung zur Gefahr und dem Handlungsentschluß hergestellt, denn mit dem Akt des Ernstnehmens erfolgt zunächst nur die Aneignung der Situationselemente: Soweit die von einem konkreten Szenario umfaßten Verhaltensalternativen "Güter oder Interessen, im weitesten Sinne Wertvolles berühren", begegneten sie stets mit bestimmten Wertcharakteren, aus deren Sollensmoment sich Ansprüche an den Handelnden ergäben. Nehme der Täter das Risiko, eine Nebenfolge zu verwirklichen, ernst, so müsse er zu dem möglichen, negativ-wertigen Erfolg selbst Stellung beziehen34 • 30 Vgl. die Gegenüberstellung von Erfolgs- und Handlungswillen bei Gallas (Niederschriften, S. 110) mit ihren Implikationen für die Reichweite des Vorsatzes. 31 a.a.O., S. 54. 32 Schröder, Sauer-FS, S. 237f.; Schmidhäuser, GA 1957; S. 311. Ähnlich jüngst Weigend, ZStW 93 (1981), S. 669. 33 a.a.O., S. 55. 34 a.a.O., S. 56.
ill. Der dolus eventualis
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Zwei Einstellungen mit unterschiedlichen Bezugspunkten sind folglich auseinanderzuhalten: die Haltung zur Gefahr (Ernstnahme des Risikos) und die Stellungnahme zum Erfolg (Entscheidung für die Verletzung). Zwischen beiden Größen wird in der wissenschaftlichen Diskussion nicht immer getrennt, und auch Stratenwerth erhellt die Zusammenhänge nur zum Teil. 2.2.1 Die Haltung zur Gefahr der Tatbestandsverwirklichung Die Differenzierung zwischen zwei Einstellungen, die in einer bestimmten Kombination den dolus eventualis charakterisieren, wurde zwar von Stratenwerth eingeführt, jedoch nicht mit der Konsequenz durchgeführt, die unsere Zusammenfassung seines Ansatzes vermuten läßt. Die spezifische Haltung des Ernst- oder Leichtnehmens kann sich allein auf die Gefahr beziehen, eine bestimmte Folge zu bewirken. Stratenwerth sieht darin aber bereits eine Stellungnahme zu dem Verhaltensanspruch, der sich aus dem Wertcharakter, mit dem Handlungssituationen begegnen, ergibt. Danach würde der bewußt fahrlässige Täter den Anspruch, keine tatbestandlichen Folgen herbeizuführen, leicht nehmen, während ihn der bedingt vorsätzlich handelnde ernst nähme. Die Interpretation des Leichtsinns als Haltung zu dem Sollensmoment, das aus der Werthaftigkeit einer möglichen Verwirklichung resultiert, als Einstellung zu dem Anspruch an das Verhalten, negativ-wertige Folgen zu vermeiden, widerspricht jedoch Stratenwerths eigenem Grundprinzip der Vorsatz abgrenzung. Dieses besagt nämlich, daß der fahrlässige Täter jede Stellungnahme zu dem negativ-wertigen Erfolg umgeht3 5 • Wer aber in einer konkreten Handlungssituation zu jenem Sollensmoment Stellung bezieht, nimmt damit notwendig auch zum Erfolg selbst Stellung, denn der Anspruch, der aus der Wertkomponente von Gütern folgt, konkretisiert sich in einer bestimmten Situation auf die Vermeidung des deliktischen Erfolges. Den Leichtsinn würde danach eine Einstellung zum Erfolg im Sinne eines Nicht-Ernstnehmens charakterisieren. Eine negative Haltung gegenüber dem Erfolg soll aber gerade den Vorsatz auszeichnen, die bewußte Fahrlässigkeit hingegen die Umgehung einer Stellungnahme. Diese Differenzierung wird durch den Bezug der Haltung des Ernst- oder Leichtnehmens auf den Achtungsanspruch konterkariert, zumindest in ihrer Trennschärfe beeinträchtigt. Jene Einstellungen sind daher allein auf die Vorstellung des Täters von der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung zu beziehen36 • In einem eng mit a.a.O., S. 57. Ähnlich Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 48 in Erwiderung auf die Kritik von Arthur Kaufmann an Stratenwerths Kriterium der Emstnahme (Schuldprinzip, 35 36
S.170).
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
der Wahrnehmung verbundenen Bewertungsakt nimmt der Täter zu dem Risiko Stellung, daß die als möglich erkannte Folge tatsächlich eintritt. Auf diese Weise werden die Möglichkeitsvorstellungen geschieden in jene, die unbeachtlich sind (bewußte Fahrlässigkeit) und andere, die in Rechnung zu stellen und in den Handlungsentschluß einzubeziehen sind37 • Eine Trennung zwischen der Einstellung zu dem Risiko, eine mögliche Folge zu bewirken, und der Haltung zu dem entsprechenden Achtungsanspruch legen aber nicht nur dogmatische, sondern auch psychologische Überlegungen nahe. Wenn der Täter, bewußt fahrlässig handelnd, die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung sieht, sie aber leicht nimmt, ihr keine Handlungsrelevanz zuerkennt und sich, eine Entscheidung umgehend, über die Information hinwegsetzt, so nimmt er damit noch nicht die Anforderung an sein Verhalten leicht, eine bestimmte, negativ-wertige Folge zu vermeiden. Die Dynamik der von Stratenwerth so anschaulich beschriebenen irrationalen Zuversicht kann gerade daraus erwachsen, daß der Handelnde den Anspruch, einen deliktischen Erfolg nicht herbeizuführen, besonders ernst nimmt: Gerade weil er keinesfalls etwas unternehmen will, das mit dem Wert, den das eventuell betroffene Gut verkörpert, in Konflikt zu geraten vermöchte, spielt er die Möglichkeit, das entsprechende Interesse zu verletzen, herunter, schließt er sie vom Prozeß der Willens bildung aus. Der Täter nähme hier also das Risiko nicht ernst, weil er das Gebot eine bestimmte Folge zu vermeiden sehr ernst nimmt und dennoch auf die gefährdende Handlung nicht verzichten will 38 • Die Einstellung zur Gefahr kann auch auf generalisierten Attitüden beruhen, wie dem Tatendrang Jugendlicher39 oder übergroßer Vorsicht, die keinen Bezug zum Achtungsanspruch haben. In jedem Fall aber ist die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung - nicht das Sollensmoment - Objekt jener mit Ernstnahme bezeichneten Haltung.
2.2.2 Die Stellungnahme zum Erfolg Die Ernstnahme der Gefahr, die das Risiko anerkennende Haltung, ist spezifisch für das dolose Delikt, begründet den Vorsatz für sich aber noch nicht, denn diese Einstellung gereicht dem Rechtsgut eher zum Schutz, als die des Leichtsinns. Erst wenn der Täter sich auf dem Hintergrund jenes (Gefahren-)Bewußtseins entschließt zu handeln, entscheidet er sich notwendig auch für den möglichen negativ-wertigen Erfolg selbst. Im Tatentschluß wandelt sich die vorsatzspezifische Haltung zur Gefahr in die den Vorsatz Vgl. unten C IV 3. In psychoanalytischer Terminologie könnte man diesen Mechanismus als Abwehr bezeichnen, genauer als Verleugnung (vgl. dazu Brenner, Grundzüge der Psychoanalyse, S. 101 - 119). 39 Stratenwerth, a.a.O., S. 57, Fn. 25. 37
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In. Der dolus eventualis
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begründende Stellungnahme zum Erfolg. Die voluntionale Auseinandersetzung mit der antizipierten Handlungsfolge "bildet den eigentlichen Kern der finalen Überdetermination"4o: Der vorsätzlich handelnde Täter entscheidet sich für die Rechtsgutsverletzung41. Die Ernstnahme der Gefahr allein führt allerdings noch nicht zu einem Entscheidungszwang. Die Notwendigkeit der Wahl zwischen dem Handlungsentwurf, der die Verursachung der Nebenfolge umfaßt und der Aufgabe des Plans entsteht erst durch die assoziative Verknüpfung der Verhaltensalternativen mit Werten. Die vorsatzspezifische Einstellung zur Gefahr führt die Information in den Motivationsprozeß ein. Die sittliche Belastung der möglichen Nebenfolge verlangt die Entscheidung. Nur wenn mit dem Handlungsziel ein negativ-wertiger Erfolg verbunden ist, muß der Täter wählen, ob er die Vorstellung aushalten42 oder den Erfolg vermeiden will. Identifiziert man den Vorsatz mit dieser Entscheidung, so setzt er Kontakt zu sittlichen Normen voraus, der bereits konkrete Handlungsanweisungen, Appelle zur Vermeidung bestimmter Verursachungen vermittelt. Die Wertrelation des Vorsatzes droht aber Unrecht und Schuld zu konfundieren, gerät zumindest mit der Schuldtheorie in Konflikt, da sie im Fall des Verbotsirrtums verlorengehen und Vorsatz ohne Unrechtsbewußtsein nicht mehr festgestellt werden könnte. Stratenwerth rekurriert daher auf ein vorrechtliches Wertsystem, an dem auch partizipieren kann, wer das gesetzliche Verbot nicht kennt43 . Zweifelsfrei sind dem Strafrecht, jedenfalls in seinem Kernbereich, Normen vorgegeben, die dem Verhalten eine sozialethische Bedeutung verleihen, die unabhängig vom Wissen um die rechtlichen Regelungen erkennbar ist. In strafrechtlichen Randgebieten, vor allem bei Blankettgesetzen und Ordnungswidrigkeiten fehlen jedoch allgemein anerkannte soziale Normen. Damit verliert ein Entscheidungsbegriff, der als Stellungnahme zu einem vorrechtlichen Anspruch verstanden wird, die Grundlage und folglich die Funktion zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu trennen. Ob die Beschränkung des dolus eventualis auf die klassischen Straftatbestände akzeptabel wäre 44, mag hier jedoch dahinstehen, da die Entscheidung aus anderen Gründen nicht auf vorrechtliche Verhaltensmaximen bezogen werden kann. Dieser Bezug setzt nämlich nicht nur voraus, daß die entsprechenden Werte unabhängig von der Verbotskenntnis verfügbar sind, sondern daß der Handelnde auch tatsächlich daran teilhat, was sich unter besonderen Umständen, die beim Täter oder beim Rechtsgut liegen können, nicht von 40
Stratenwerth, a.a.O., S. 60.
41 Roxin, a.a.O., S. 58; Stratenwerth, AT, Rn. 255. 42
43 44
Gallas, Niederschriften, S. 111. ZStw 71 (1959), S. 67ff. So Stratenwerth, a.a.O.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
selbst versteht. "Wer einem unheilbar Kranken ein schmerzlinderndes Medikament gibt und dabei in Rechnung stellt, daß dieses Medikament tödlich wirken könnte U45 , steht nicht in der Entscheidungssituation des dolus eventualis, wenn er Sterbehilfe in seinem subjektiven Werterleben mit positiven Valenzen assoziiert. Dann wirkt die antizipierte Nebenfolge nicht als kontrastierendes, sondern als flankierendes Motiv. Das Bewußtsein der Wertrelevanz menschlichen Lebens, das nach Stratenwerths Ansicht bereits die Entscheidungssituation herbeiführt46 , bewirkt nur die Ernstnahme der Gefahr, aber noch keine Stellungnahme zum Erfolg. Diese erfordert zusätzlich, daß die Nebenfolge zu verursachen für negativ-wertig erachtet wird. Wie die jüngste Diskussion zeigt, halten zahlreiche Menschen, die sich der Wertrelevanz menschlichen Lebens durchaus bewußt sind, Sterbehilfe, die vom gesetzlichen Verbot erfaßt wird, für einen hohen sittlichen Wert. Im Beispielsfall würden sie daher die Nebenfolge positiv bewerten und wären damit der Notwendigkeit enthoben, sich zu entscheiden, ob sie mit ihrer Handlung gegen eine sittliche Verhaltensmaxime verstoßen oder ihr Vorhaben aufgeben wollen. Mit einem vorrechtlichen Achtungsanspruch als Entscheidungsgrundlage lassen sich folglich die Grenzen des Vorsatzes selbst im Kernbestand des Strafrechts nicht mehr bestimmen, wenn der Handelnde die dem Strafgesetz zugrundeliegenden sittlichen Positionen nicht teilt, wie im Bereich gesellschaftlicher Subkulturen oder bei individuell abweichendem Werterleben (" ÜberzeugungstäterU). Die Entscheidungsgrundlage kann mithin allein das gesetzliche Verbot bilden: Der Täter nimmt, hat er die Gefahr in Betracht gezogen, zur möglichen Verletzung der rechtlichen Norm Stellung. Da diese Haltung nur bei Kenntnis des Strafgesetzes bezogen werden kann, gerät der Vorsatzbegriff in Widerspruch zur Schuldtheorie. An der Grenze von Unrecht und Schuld wirft der Vorsatz aber nicht nur in seinem Verhältnis zur Verbotskenntnis Fragen auf, sondern auch in Verbindung mit der Motivationsfähigkeit. In beiden Fällen erweist sich der Entscheidungsbegriff als Kategorie der Schuld (dazu unten 3.). Seine Beziehung zur Schuldtheorie kann daher erst in einer übergreifenden, intellektuelle und voluntative Seite von Unrecht und Schuld analysierenden Lösung bestimmt werden (dazu unten C IH, IV). 3. Vorsatzabgrenzung und Motivationsfähigkeit 3.1 Keine Entscheidung ohne Alternativen
Der Handlungsentschluß läßt sich nicht als Entscheidung gegen das Rechtsgut begreifen, falls der Täter in einem Verbotsirrtum befangen war, selbst wenn er die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung vorsatz45 46
Beispiel von Stratenwerth, a.a.O., S. 68. a.a.O.
111. Der dolus eventualis
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typisch ernstgenommen hat. Aber auch das voluntionale Schulddefizit, der Verlust der Motivationsfähigkeit, beseitigt notwendige Voraussetzungen des Entscheidungsbegriffs. Im Unterschied zu den Auswirkungen einer unvollständigen intellektuellen Schuldseite tritt diese Folge unabhängig von der Entscheidungsgrundlage ein. Wo der Motivationsspielraum auf eine Verhaltensoption reduziert erscheint, kann von einer Entscheidung nicht mehr die Rede sein, gleichviel, ob sie vorrechtlichen Normen oder dem Anspruch des Strafgesetzes gilt. Erst Alternativen konstituieren die Entscheidung. Bleibt dem Individuum keine Wahl zwischen unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten, weil seine Motivation so stark an den zur Verwirklichung drängenden Antrieb gebunden ist, daß der einzige Weg zur Tat führt, so besteht für eine Entscheidung weder Bedarf noch Raum. Wenn der Wille das Verhalten nicht mehr erreicht und der Täter handelt wie er muß, nimmt er weder zu der sich realisierenden Strebung, noch zu kontrastierenden Motiven (Vermeidung von Nebenwirkungen) Stellung. Wo Steuerungsunfähigkeit feststeht ist eine Entscheidung nicht mehr feststellbar; dies folgt unmittelbar aus der Konfrontation beider Begriffe.
Ihr Verhältnis als gegenseitigen Ausschluß zu charakterisieren, bedarf auf
der Entscheidungsseite keiner vertieften Auseinandersetzung mit philosophischen oder psychologischen Theorien, denn die Gründung des Entscheidungsbegriffs auf Alternativen der Willensbildung findet in den Vorsatztheorien selbst deutlichen Ausdruck. Die Voraussetzungen einer dolosen Stellungnahme präzisierend, beschreibt Roxin eine Situation, in welcher "der Täter sich vor die Frage gestellt sieht, ob er um des möglichen Erfolges willen von seinem Tun Abstand nehmen oder ob er trotzdem handeln soll. " Anschließend kontrastiert er nochmals die Optionen: Aufgabe des Plans versus Weiterhandeln47 • Auch die Vorsatzabgrenzung Stratenwerths bezeichnet mit der Entscheidung eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: den Erfolg notfalls mitzuverursachen oder die geplante Handlung zu unterlassen48 • Gegenübergestellt werden somit Wege der Willensbildung. Dabei kommt es nicht auf eine bestimmte Qualität der voluntionalen Überformung an. Der strafrechtsdogmatische Begriff der Entscheidung erfordert keine bewußte Vermittlung zwischen den Handlungsentwürfen im Sinne der Wahlhandlung von Lersch49 , ihm genügt bereits die Existenz der motivationalen Alternative; sie ist allerdings unverzichtbar. Die oben skizzierte Konfrontation zweier Motivationsverläufe prägt nicht allein die Entscheidungstheorien, sondern ist in fast allen Vorsatzkonzeptionen nachweisbar. Besonders plastisch tritt sie aus dem Ansatz der Vorstellungstheorien hervor, 47
. 48 49
a.a.O., S. 58 . a.a.O., S. 60. Aufbau der Person, S. 482ff. (490).
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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denen die Möglichkeitsvorstellung als Indiz einer bestimmten Willensbildung gilt: Obgleich das Motiv zur Vermeidung einer bestimmten Nebenfolge durch die Voraussicht der Tatbestandsverwirklichung angeregt wurde, kürte der Wille nicht dieses, sondern das Tatmotiv um handlungsleitende Funktionen zu entwickeln und das Verhalten zu determinieren5o • 3.2 Keine Alternativen ohne Steuerungsfähigkeit
Die potentielle Alternativität der Willensbildung, die - zumindest im entscheidungstheoretischen Konzept - den Vorsatz konstituiert, geht aber mit dem Eintritt der Steuerungsunfähigkeit verloren. So setzt sich mit der Affektreaktion ein Antrieb durch, den der Täter nicht zu kontrollieren vermag. Aus dem Zustand hochgradiger Erregung führt nur ein Weg, die Verwirklichung dieser Strebung im Delikt. Motivationale Alternativen, zwischen deren Realisierung der Handelnde entscheiden könnte, bestehen nicht. Wie in anderen Fällen der Steuerungsunfähigkeit erscheint der Motivationsspielraum reduziert auf eine Option: die Tat. Jede Exkulpierung, die auf ein Defizit des voluntativen Schuldelernents gestützt wird, stellt diesen Verlust der (Wahl-)Freiheit fest, ohne am konkreten Fall die Antinomien der Freiheitsfrage zu erörtern. Die subjektive Ausweglosigkeit, die lückenlose Determination des Wollens, mag verhaltenswissenschaftlich unerweislich sein51 , sie wird jedoch durch das strafgerichtliehe Urteil in einem Akt normativer Bewertung zugeschrieben52 •
3.2.1 Der materielle Gehalt des Schuldvorwurfs Maßgebend für die Interpretation von § 20 StGB und damit auch für die Feststellungen, die mit einer Exkulpierung getroffen werden, ist der materielle Gehalt des Schuldvorwurfs53 . Über das Wesen der Schuld herrscht aber nicht erst Streit, seit strafzweckorientierte Auffassungen an Boden gewinnen 54 • Unter den konkurrierenden Erklärungsansätzen findet auch heute noch die stärkste Gefolgschaft das Verständnis als Willensschuld55 , Vgl. oben A II, 3.2; unten 4.4. So die agnostische Richtung der Psychiatrie und die überwiegende Ansicht im strafrechtlichen Schrifttum. Manche Psychiater halten hingegen den Verlust der Willensfreiheit, die Schuldunfähigkeit, für nachweislich mit den Methoden ihrer Wissenschaft. Vgl. jüngst Witter MSchrKrim. 66 (1983), S. 258. 52 Vgl. dazu Roxin, ZStW 96 (1984), S. 650. 53 Roxin, Henkel-FS, S. 172f. 54 Jakobs, Schuld und Prävention; Noll, H. Mayer-FS, S.219; Roxin, a.a.O., Bockelmann-FS, S. 279. Zur jüngeren Diskussion vgl. auch Albrecht, GA 1983, S. 193ff.; Krümpelmann, GA 1983, S. 337ff. 55 Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 149. 50 51
IH. Der dolus eventualis
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als "Dafür-können der Person für ihre rechtswidrige Willensbildung"56: Mit dem Schuldurteil "wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten hat, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können"57. Gegenstand des Schuldurteils ist hier das Anders-handeln-können 58 . Dieses Anders-wollen-können, wie man präziser formulieren müßte, ist jedoch auch für andere Entwürfe des materiellen Schuldbegriffs grundlegend. So leitet etwa Blei59 den Vorwurf aus der Zumutbarkeit normgetreuen Verhaltens ab, knüpft Wessels 60 ihn an die Einstellung des Täters, die in der Tat Ausdruck findet. In beiden Fällen wird die innere Berechtigung der Schuldwertung jedoch mit der Möglichkeit begründet, anders zu handeln, dem Dafür-können des Täters. Auch wo die Alternativität der Willensbildung nicht das Wesen der Schuld bestimmt, kann sie also zumindest als ihre unverzichtbare Grundlage gelten 61 . Dieser Konsens reicht bis zu präventiven Positionen. Die an kriminalpolitischen Prinzipien ausgerichtete Schuldlehre Roxins ersetzt die traditionelle Auffassung nicht, sondern ergänzt sie um die Dimension der Strafzwecke62 . Schuld im Sinne des Dafür-könnens bleibt Voraussetzung der Strafbarkeit; sie ist ausgeschlossen, wenn der Täter nicht anders handeln konnte 63 .
3.2.2 Die mit der Exkulpation getroffene Feststellung Bildet die Fähigkeit, den Willen an der Norm zu orientieren, nach fast einhelliger Auffassung die Basis des Schuldurteils, so ist mit dem Schuldausschluß nach § 20 StGB die Aussage verbunden, "daß der zurechnungsunfähige Täter nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat"64. Dabei berührt die Frage, wie das exkulpierende Urteil zustandekommt, seine vorsatzdogmatischen Implikationen nicht. Nach ganz herrschender Ansicht bleibt der Verlust der Motivationsfähigkeit einer seinswissenschaftlichen Analyse letztlich verschlossen. Er wird daher durch einen Akt normativer 56
Welzel, Strafrecht, S. 140.
57 BGHSt 2, 194 (200). 58 Baumann, AT, S. 377, 383; Arthur Kaufmann wie Fn. 55; S/S - Lenckner, Vor
§§ 13ff., Rn. 118; Maurach I Zipf, AT, Tb. 1, § 30 I 2; SK - Rudolphi, Vor § 19, Rn. 1; Stratenwerth, AT, Rn. 511; Welzel wie Fn. 56. 59 AT, S. 176. 60 AT § 10 I 3. Ähnlich Gallas, ZStW 67 (1955), S. 45; Jescheck, LK, Vor § 13, Rn.70. 61 Anders aber Jakobs, a.a.O., und Schmidhäuser, Studienbuch 7/6. 62 Bockelmann-FS, S. 284f. Die Bedeutung dieser Ergänzung ist für den Kembereich des überkommenen Schuldprinzips ausgesprochen gering (a.a.O.). Das gilt auch für die Feststellungen, die mit einer Exkulpierung verbunden sind. 63 Roxin, Henkel-FS, S. 183. 64 Lenckner, Hdb. der Forensischen Psychiatrie I, S. 95; ebenso SK - Rudolphi, § 20, Rn. 23; Wesseis, AT § 10 I 3.
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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Wertung zugeschrieben. Deren Maßstab bilden die Anderen, Normalen und die Erfahrungen, die mit ihrem Verhalten in vergleichbaren Situationen gesammelt wurden65 . Die Normabweichung bestimmt damit aber nicht den materiellen Schuldbegriff. Sie erfüllt lediglich die Funktion eines Hilfsmittels, das einen mittelbaren Zugang zum eigentlichen Kriterium des Dafürkönnens eröffnet66 . Das normative Element in der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit wird in der forensischen Praxis durch die faktische Delegation der Entscheidung an den psychiatrischen Sachverständigen ebenso häufig übergangen, wie es im Schrifttum überschätzt wird. Ausgangspunkt der Zuschreibung ist nicht der Vergleich mit den normalen Anderen schlechthin, sondern die Ähnlichkeit unter dem speziellen Aspekt determinierender Faktoren. Nicht jede extreme Normabweichung entschuldigt. Erst Auffälligkeiten, die nach den Erfahrungen der Verhaltenswissenschaften die Freiheitsgrade der Willensbildung reduzieren, können die Verantwortlichkeit aufheben: Von der Norm weichen Schwachsinn und Höchstbegabung gleichermaßen ab. Allein unter dem Gesichtspunkt der Determination leuchtet es ein, das Genie, nicht aber den Idioten als "Gleichen"67 zu definieren. Damit reicht aber der empirisch belegbare Anteil der Exkulpierung weiter, als gemeinhin angenommen wird. Psychiatrie und Psychologie tragen nicht nur die Diagnose im Rahmen der "biologischen" Voraussetzungen von § 20 StGB. Sie ermöglichen außerdem eine weitergehendere Analyse des Befundes im Hinblick auf Faktoren, die erfahrungsgemäß die Selbstbestimmung einschränken. Das normative Restproblem entsteht, weil zwar diese Indikatoren für Determination feststellbar sind, hingegen nicht nachweisbar ist, ob und gegebenenfalls wann es zu einem vollständigen Freiheitsverlust kommt. Der normative Kern der Zurechnung zur Schuld läßt sich daher gegenüber jenem diffusen Vergleich mit dem Homunkulus konkretisieren auf die Frage, von welcher Dichte der Indikatoren an der Richter die Selbstverantwortlichkeit als aufgehoben erachtet. Doch auch wenn man die Exkulpierung stärker auf Differenzen zum Durchschnitt als auf konkrete Anzeichen für Determination stützt, wird mit dem schuldausschließenden Urteil über die Normabweichung hinaus festgestellt, daß der Antrieb zur Tat nicht mehr beherrschbar68 , der Willensentschluß zwangsläufig und notwendig war 69 • Dieses Bild des zurechnungsBockelmann, ZStW 75 (1963), S. 372ff.; Jescheck, AT, S. 33l. SK - Rudolphi, § 20, Rn. 23; besonders deutlich Lenckner, für den es sich erübrigen würde von § 20 StGB als einem normativen Problem zu sprechen, wenn die agnostische Position widerlegt wäre (Hdb. der Forensischen Psychiatrie I, S. 98, Fn. 117). 67 Vgl. Jakobs, AT, 17/48. 68 Jescheck, AT, S. 358. 69 Würtenberger, JZ 1954, S. 209. 65
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ill. Der dolus eventualis
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unfähigen Täters begegnet selbst in der präventiven Interpretation70 von Jakobs: Das Subjekt ist zerstört, der Täter zum passiven Objekt von Funktionsabläufen geworden 71 • Ausgehend von der forensischen Unerweislichkeit des Andershandelnkönnens hat Roxin jüngst im Anschluß an Noll72 Schuldfähigkeit als "normative Ansprechbarkeit" definiert 73 • Die Formel steht in der Tradition von Armin Kaufmanns Generalnenner der modernen Schuldlehre, den "die Fähigkeit (bildet), sich von der Rechtspflicht zu rechtsgemäßem Handeln bestimmen zu lassen"74. Die Schuldfähigkeit kann dabei ebensowenig von dem Nachweis abhängen, daß der Täter sich tatsächlich hätte anders motivieren können, wie sie einen zwingenden Beleg für das Anders-handelnkönnen voraussetzen darf. In dieser Form würden beide Erläuterungen der Zurechnungsfähigkeit mit dem Freiheitsproblem in Konflikt geraten. Materiell kann freilich der Begriff der normativen Ansprechbarkeit nichts anderes bedeuten, als daß die Norm den Täter zu motivieren vermag, seinen Willen ihrem Inhalt gemäß zu bilden. Welche empirisch faßbaren Befunde die normative Ansprechbarkeit ausschließen, läßt Roxin offen, und kann auch im vorliegenden Kontext dahinstehen. Denn hier kommt es nicht darauf an, wie über Schuldfähigkeit geurteilt wird, sondern welche Feststellungen mit dem Urteil verbunden sind. Gilt der Täter als normativ nicht ansprechbar, so muß die allgemeine Annahme, der Mensch könne durch das Strafgesetz motiviert werden, im Einzelfall aufgegeben werden. Stattdessen ist davon auszugehen, daß dieses Individuum nicht die Fähigkeit hatte, seinen Willen an der Norm zu orientieren. Damit wird gleichfalls entschieden, daß der Täter nicht anders handeln konnte, denn die normative Setzung der Handlungsfreiheit vermag 70 Höchst zweifelhaft ist allerdings, ob ein präventiv-funktionaler Begriff der Zurechnungsfähigkeit angesichts unserer dürftigen Kenntnisse über die sozialpsychologischen Mechanismen der Generalprävention (vgl. Roxin, Bockelmann-FS, S. 300) auch nur theoretisch entworfen werden kann. Jakobs' Begründung erinnert jedenfalls fatal an einen Zirkelschluß: Aufgabe des Schuldbegriffs ist es, denjenigen Täter zu identifizieren, der zur Erhaltung des "allgemeinen Normvertrauens" zu bestrafen ist (AT 17/18). Keine Strafe ist erforderlich, wenn man den Täter von seinem Verhalten distanzieren kann, weil die Determination durch den Befund im Sinn von § 20 StGB das Subjekt zerstört hat oder das Subjekt nichts angeht. Dabei sind beide Begriffe, der des Subjekts und jener der Zuständigkeit kriminalpolitisch zu verstehen (AT 18/5f.). Dem Täter werden daher die Fähigkeiten der Einsicht und Befolgung zugeschrieben, wenn der Verweis auf den Befund nicht hinreicht, den Konflikt zu erledigen (AT 18/25). Jakobs orientiert die Exkulpation also konsequent am präventiven Strafbedürfnis. Zurechnungsunfähigkeit liegt folglich vor, wo dieses fehlt. Konflikte, die keine Strafe erfordern, werden über die Zuständigkeit des Täters definiert. Der Argumentationskreis schließt sich, wenn diese wiederum danach bestimmt wird, ob Strafe erforderlich ist, den Konflikt zu erledigen. 71 Jakobs, AT, 18/5; 18/14. 72 H. Mayer-FS, S. 219. 73 ZStW 96 (1984), S. 650ff. 74 Eb. Schmidt-FS, S. 320.
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ihrerseits nur so lange Geltung zu beanspruchen, als der Täter sich als normativ ansprechbar erweist 75 • Die vorsatzdogmatischen Implikationen der Exkulpation von Roxins Neubestimmung der Schuldfähigkeit decken sich folglich mit jenen der überkommenen Auffassung. 3.3 Die Entscheidung - ein Begriff der Schuld
Die übereinstimmende Charakterisierung des motivationalen Kontrollverlusts schließt für den Zustand der Steuerungsunfähigkeit eine Deutung der voluntionalen Abläufe mit dem Begriff der Entscheidung aus. Bestimmt ein Antrieb das Verhalten, den das Individuum nicht mehr willentlich überformen kann, so fehlt die motivationale Alternative, welche die Entscheidungssituation erst konstituiert7 6• Wo der Zusammenhang zwischen dem manifesten Verhalten und den Instanzen der Verhaltenslenkung aufgehoben oder doch nicht mehr nachvollziehbar ist, kann der Tatentschluß keine Stellungnahme des Handelnden zum Ausdruck bringen, sondern nur die Gebundenheit der Handlung widerspiegeln. Damit erweist sich Roxins Entscheidungsbegriff kategorial der Schuld zugehörig, die Vorsatzkonzeption Stratenwerths als ungeeignet, die Taten Zurechnungsunfähiger zu beurteilen. Diese Unzulänglichkeit des Entscheidungsbegriffs verhindert nicht nur die Feinabstimmung zwischen dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit, sie betrifft auch den dolus directus und verkürzt den Bereich des Vorsatzes auf die Fälle absichtlicher Verursachung. Begründet die Vorstellung allein noch keine dolose Zurechnung, weil sich die "sinnhafte Überdeterminierung" nicht im Bewußtsein möglicher Kausalität erschöpft, so setzt jede Form des Dolus einen besonderen Akt der Aneignung von Situationselementen voraus 77 • Der mag bei absichtlicher Begehung in der motivierenden Funktion der Vorstellung gesehen werden, in der Auslösung der Handlung durch die Antizipation des Erfolgs 78 • Notwendige Nebenfolgen macht sich der Täter jedoch erst durch die Entscheidung zu eigen, trotz seiner subjektiven Gewißheit um die negativ-wertige Wirkung zu handeln. Die Aneignung entspricht jener, die Stratenwerth für Verhaltensfolgen beschrieben hat, die als nur möglicherweise eintretend antizipiert wurden. Im Unterschied zum dolus eventualis muß der Entscheidung über den Achtungsanspruch zwar beim dolus directus keine Stellungnahme zum subjektiven Realitätsgehalt der Tatbestandsverwirklichung vorausgehen, denn eine Gefahr, deren Verwirklichung notwendig oder doch praktisch gewiß erscheint, gibt keinen Raum für die spezifische Haltung des Leichtnehmens79 • Beide Vorsatzfor75 76 77 76 79
Roxin, a.a.O., S. 650, 653. Vgl. oben 2.3.1 am Anfang. Stratenwerth, ZStW 71 (i959), S. 59f. Vgl. oben B III 1.2. Stratenwerth, a.a.O., Fn. 35.
III. Der dolus eventualis
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men verbindet jedoch die Aneignung der Handlungsfolgen in der Entscheidung, der Erfolgsvorstellung zum Trotz am Tatplan festzuhalten. Gerade diese Stellungnahme wird aber unter den Voraussetzungen des § 20 StGB unmöglich. Der Begriff der Entscheidung verliert seine dogmatische Funktion, zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu trennen, wenn der Handelnde die Fähigkeit verliert, dem auf Verwirklichung drängenden Antrieb seinen Willen entgegen- und ein anderes (Vermeide-)Motiv durchzusetzen. Dieser Mangel haftet dem Begriff der Entscheidung nicht allein an. Er offenbart nicht den spezifischen Schwachpunkt einer konkreten Doluslehre, sondern wird sich als ungelöstes Problem der Vorsatzabgrenzung schlechthin erweisen. Die Erörterung der klassischen Vorsatztheorien (vergleiche unten 4.) wird nämlich zeigen, daß alle Ansätze ähnliche Schwierigkeiten haben, die Delikte Schuldunfähiger als Vorsatztaten zu erläutern. Denn stets bezieht die Vorsatzabgrenzung Kriterien ein, die dem Bereich der Schuld zugehören und die notwendigerweise die Eignung verlieren, zwischen den Formen subjektiver Zurechnung zu trennen, wenn der Täter seine Motivationsfähigkeit eingebüßt hat. Allein zwei neuere Konzepte bestimmen den Dolus schuldindifferent, da voluntative Elemente in ihrer Begriffsbildung nicht vorkommen. Dieser Verzicht wappnet die Ansätze gegen unsere systematische Kritik, vermag aber unter dem Gesichtspunkt der Legitimation der Vorsatzstrafe nicht zu überzeugen (vergleiche unten 5.). Die Lösung der zunächst am Beispiel der Entscheidungstheorie verdeutlichten Widersprüche, die aus dem unscharfen Verhältnis von Vorsatz und Schuld erwachsen, kann daher nicht im Rückgriff auf kognitive Vorsatzlehren gesucht werden, sondern in einer Neubestimmung des Dolus im Verbrechensaufbau, die seiner Bedeutung für Unrecht und Schuld gerecht wird (vergleiche dazu Cl. 4. Klassische Vorsatztheorien 4.1 Die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau
Der Vorsatz reicht über den Unrechtstatbestand hinaus in den Schuldtatbestand. Dies stellte Gallas bereits 1955 fest Bo : Der Unterschied zwischen dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit liege in der Motivations- und Gesinnungswertung. "Das aber sind Erwägungen, die nicht den finalen Sinn der Handlung, sondern das Maß ihrer Vorwerfuarkeit betreffen" BI. Im Anschluß an diese Feststellung kritisiert Armin Kaufmann die geläufigen 80 81
Gallas, ZStW 67 (1955), S. 43f. a.a.O.
7 Ziegert
B. Die Willensseite des Vorsatzes
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Vorsatztheorien82 . Bei der Begriffsbildung dürfe "es nicht mehr um die Bestimmung der Merkmale des dolus malus gehen, sondern um die Grenzziehung zwischen Tatvorsatz und Fahrlässigkeit"83. Die Kriterien der Vorsatz abgrenzung könnten weder auf Relikte des dolus malus, noch auf Erwägungen zurückgreifen, die nicht den finalen Sinn der Handlung, sondern das Maß ihrer Vorwerfbarkeit betreffen. Jescheck hat diese Diskussion aufgenommen und um einen Lösungsvorschlag bereichert84 . Im Dolus sieht er einen Rechtsbegriff, der nicht mit der Beschreibung einer psychischen Aktform identisch ist85 . Finalität lasse sich ausschließlich als absichtliches Handeln begreifen86 , könne aber auch so verstanden werden, daß sie die bewußte Fahrlässigkeit umfasse 87 . Daraus folge, daß zur Vorsatzabgrenzung ein zusätzliches Kriterium eingeführt werden müsse, das die Einstellung des Täters zu der antizipierten Rechtsgutsverletzung beschreibt. Die Haltung des Täters bestimme aber den materiellen Gehalt der Schuld88 . Jescheck glaubt gleichwohl, die Grundformen subjektiver Zurechnung bereits im Unrechtstatbestand abgrenzen zu können, da unterschiedliche Motivationen auch jeweils unterschiedliche Grade an Gefährlichkeit indizieren89 . Mit diesem Zusammenhang ist aber lediglich dargelegt, daß eine Differenzierung im Bereich des Unrechts sinnvoll ist. Die Kriterien der Differenzierung entstammen jedoch, wie Jescheck selbst betont, der Verbrechensstufe der Schuld, nämlich der Sphäre der Willensbildung. Somit bleibt es dabei, daß bei der Tat eines schuldlos Handelnden, der den die Differenzierung tragenden Akt der Willensbildung nicht leisten kann, eine Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unmöglich ist. Diese Konsequenz wurde bisher in der kritischen Analyse der Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau nicht gesehen. Die Autoren waren eher um die Reinheit des systematischen Ansatzes besorgt, als um praktische Probleme. Beklagt wurden die Beeinträchtigung der dogmatischen Ästhetik, der Bruch im System, nicht aber konkrete Schwierigkeiten des Vorsatzbegriffs in der Vorsatzabgrenzung. So bezeichnete Gallas das Ergebnis seiner Untersuchung als "Schönheitsfehler"9o. Tatsächlich führen die ungeklärten Grundlagenfragen aber zu Unschlüssigkeiten in der Rechtsanwendung, die allerdings durch einen unreflektierten Gebrauch des Vorsatzbegriffs überspielt werden. Umgekehrt wird das Verhältnis von Vorsatz und Schuld in 82
83 84
85 86 87
88
89
90
Armin Kaufmann, ZStW 70 (1958), S. 51ff.
a.a.O., S. 64. Jescheck, Wolff-FS, S. 473ff. a.a.O., S. 479f. So etwa Schmidhäuser, ZStW 66 (1954), S. 34f. So etwa Engisch, Kohlrausch-FS, S. 155f.; Gallas, a.a.O., S. 42f. Wolf-FS, S. 480f. a.a.O., S. 487 f. Gallas, a.a.O., S. 43f.
IH. Der dolus eventualis
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seinen Grundzügen durch die Untersuchung erhellt, wie der Vorsatzbegriff seine Aufgabe, die Grenze zur Fahrlässigkeit zu markieren, bei Handlungen Schuldunfähiger bewältigt. Nur unter diesem Aspekt sollen daher die klassischen Vorsatztheorien, deren Vorzüge und Nachteile im übrigen breit diskutiert und allgemein bekannt sind, erörtert werden. Eine vertiefte Auseinandersetzung verlangen dagegen zwei kognitive Ansätze, die den Vorsatz bruchlos in den Verbrechensaufbau einordnen91 . 4.2 Verwirklichungswille versus betätigter Vermeidewille
Auf den Beitrag Armin Kaufmanns zur Entdeckung des systematischen Bruchs in der Vorsatzdogmatik wurde bereits hingewiesen. Kaufmann hat aber nicht nur die Unvereinbarkeit traditioneller Formeln des Dolus mit der Schuldtheorie aufgezeigt, sondern auch ein eigenes Konzept vorgelegt, das den Vorsatz dem Unrechtstatbestand ohne "Schuldrest" einfügen so1l92. Die Grenze zur Fahrlässigkeit entwickelt er aus der weithin anerkannten Kennzeichnung des Vorsatzes als Verwirklichungswille: Doloses Handeln müsse ausgeschlossen sein, wo der Täter Maßnahmen ergreift, die nach seiner Sicht geeignet sind, die Verwirklichung des Tatbestandes zu verhindern. Betätigt der Täter seinen Willen, den Erfolg zu vermeiden, könne ihm nicht gleichzeitig der Wille zur Bewirkung der deliktischen Handlungsfolgen zugeschrieben werden. Der Tatvorsatz "umfaßt alle Folgen und Modalitäten, deren Eintritt oder Vorliegen als möglich in Rechnung gestellt wird, es sei denn, der steuernde Wille ist auf Vermeidung gerichtet"93. Auch wenn der Täter der Möglichkeitsvorstellung zum Trotz handelt, ist eine dolose Zurechnung ausgeschlossen, wenn er der Verursachung entgegenwirkt und seiner Gegensteuerung eine reelle Chance einräumt94 . Diese Theorie des Vermeidewillens, die Vorstellungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reaktiviert 95 , hat wenig Gefolgschaft gefunden 96 . Die Kritik97 findet ihren ersten Ansatzpunkt am Ergebnis der Abgrenzung. Das Kriterium der Gegensteuerung erweist sich bei näherer 91 92 93 94 95 96
Vgl. unten 5. ZStW 70 (1958), S. 64ff. a.a.O., S. 86. a.a.O., S. 77. Vgl. die Nachweise bei Engisch, Untersuchungen, S. 95ff. Baumann, Untersuchungen zur Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, S.59, 155; Gössel, Wertungsprobleme des Begriffs der finalen Handlung, S. 118; Lampe, Personales Unrecht, S. 197f.; R. Schröder / D. Seidel, NJ 1972, S. 202f. 97 Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S.66ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S.14f.; Roxin, JuS 1964, S. 55, 59; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 42; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 6lf.; Weigend, ZStW 93 (1981), S. 666f.; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, S. 196f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Handlungsbegriff, S. 165ff. 7'
100
B. Die Willensseite des Vorsatzes
Betrachtung als wenig geeignet, die Fälle vorsätzlicher von jenen fahrlässiger Verursachung zu scheiden. Gerade im Grenzbereich vermag es den Vorsatz nicht eindeutig zu erklären. Dies zeigt deutlich der schon mehrfach erwähnte Lederriemenfall98 , den Armin Kaufmann zwar im Sinne der fast einhelligen Ansicht ohne Begründung der Kategorie des dolus eventualis zuordnet 99 , der, an der Theorie des Vermeidewillens gemessen, aber zweifellos als bewußt fahrlässige Begehung eingeordnet werden muß 100 . Die konkrete Grenzziehung offenbart zudem Wertungswidersprüche, die den Eindruck erwecken, als fehle der Theorie ein konsistentes Konzept von der Ratio der verstärkten Vorsatzbestrafung. Unter diesem normativen Gesichtspunkt ist nicht einzusehen, warum derjenige als Fahrlässigkeitstäter besser gestellt sein soll, der durch Gegensteuerung die Gefahr der Rechtsgutsverletzung reduziert, als jener (Vorsatztäter) der, auf Bemühungen zur Vermeidung verzichtend, ohnehin nur mit jenem Restrisiko handelt. Schließlich schreibt Armin Kaufmann den Dolus unveränderbar fest, wo die Gegensteuerung schon im Ansatz unmöglich ist, wie bei Tatumständen, die bereits vor der Begehung bestehen, etwa die Fremdheit der Sache beim Diebstahl101 . Die Ungleichbehandlung von Unterklassen der Tatbestandsmerkmale läßt sich weder mit der Legitimation der Vorsatzstrafe, noch mit anderen Erwägungen rechtfertigen. Auf diese "Vorprogrammierung"102 des Vorsatzes werden wir in Kürze zurückkommen. Neben die Bedenken hinsichtlich der Willkürlichkeit des Ergebnisses treten Zweifel, ob Kaufmann das selbstgesetzte methodische Ziel erreicht hat, eine schuldiridifferente, "reine" Unrechtslösung zu finden. Wesentliche Elemente der Theorie der Gegensteuerung weisen auf eine enge Verwandtschaft des Ansatzes mit emotionalen Konzepten hin, deren Kritik als der Schuldtheorie widersprechendes Vorsatzverständnis gerade den Ausgangspunkt der eigenen Lösung bildet. Denn das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium stellt nicht die objektive Eignung der Maßnahmen, die der Täter zur Vermeidung des deliktischen Erfolges getroffen hat, sondern sein Bestreben, in dieser Richtung tätig zu werden -lediglich verbunden mit der subjektiven Einschätzung, eine reelle Chance wahrzunehmen. Die auf Vermeidung der tatbestandlichen Handlungsfolge gerichteten Bemühungen des Täters erscheinen daher als Ausdruck seiner Einstellung zum Erfolg, das Verhalten als Indiz, daß der Eintritt der unerwünschten Folge ihm nicht gleichgültig istl 03 . Kaufmanns Konzeption deckt sich somit im Ergebnis mit der GleichBGHSt 7, 363. a.a.O., S. 77. 100 So auch Roxin, JuS 1964, S. 55; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 62. 101 So ausdrücklich Kaufmann, a.a.O., S. 79f. Zu obiger Argumentation vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 14f. 102 Frisch, a.a.O. 103 Roxin, JuS 1964, S. 59; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 42. 98
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III. Der dolus eventualis
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gültigkeitstheorie104, die ihrerseits eine Variante der emotionalen Ansätze darstellt. Dieser methodische Einwand erfährt eine Bestätigung durch Engisch, der die historischen Vorbilder der Gegensteuerungslehre ebenfalls den emotionalen Theorien zuordnetl° 5 • Die Beschränkung der Vorsatzabgrenzung auf die Tatbestandsebene wird durch eine weitere, für den Kontext der vorliegenden Untersuchung maßgebliche Überlegung in Frage gestellt. Ebenso wie Kaufmann bei bestimmten Tatbestandsmerkmalen den Dolus vorprogrammiert, schreibt er ihn auch für die Fälle der Motivationsunfähigkeit fest. Wird im Rahmen von § 20 StGB konstatiert, daß der Täter das Vermögen verloren hat, sein Verhalten seiner Einsicht gemäß zu steuern, so kann nicht gleichzeitig im Rahmen der Vorsatzprüfung festgestellt werden, daß der Täter gegengesteuert, willentlich der Verursachung entgegengewirkt hat. Für ein und dieselbe Tat können nicht Steuerungsunfähigkeit und - der die Fahrlässigkeit begründende - Vermeidewille attestiert werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der motivationsunfähige Täter seinen Willen nicht an dem Ziel ausrichten kann, unerwünschte Handlungsfolgen zu vermeiden. Eben dies verlangt aber Kaufmann, wenn trotz Voraussicht der Tatbestandsverwirklichung nur die Fahrlässigkeitsstrafe verwirkt sein soll. Damit folgt bei Fehlen des voluntativen Schuldelements bereits aus der Möglichkeitsvorstellung die Annahme von Vorsatz: Steuerungsunfähigkeit und Gegensteuerung schließen sich aus. Führt aber der Verlust der Motivationsfähigkeit im Bereich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit notwendig zu einer dolosen Zurechnung, so offenbart die Vorsatzabgrenzung ihre Abhängigkeit von der Ebene der Schuld. 4.3 Emotionale Theorien
4.3.1 Die Billigung des Erfolges Die kritischen Überlegungen zur Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau 106 wurden vor allem durch emotionale Theorien angeregt, die den Schuldgehalt der Abgrenzungsmerkmale besonders deutlich zum Ausdruck bringen. Nach einer traditionsreichen Auffassung, die Frank Ende des 19. Jahrhunderts als Willenstheorie der Vorstellungstheorie entgegenhieltl 07 , setzt die dolose Zurechnung neben der Antizipation des Erfolges als mögliches Handlungsergebnis voraus, daß der Täter die Folge für den Fall ihres Eintretens billigt, mit ihr einverstanden ist, in das Geschehen einwilligt. Dieses Vorsatzverständnis war vor den grundlegenden Veränderungen, die 10i 105 106 107
Vgl. dazu unten 4.3.l. Engisch, Untersuchungen, S. 95ff. Vgl. oben 4.l. Frank, ZStW 10 (1890), S. 189ff.
102
B. Die Willensseite des Vorsatzes
das Strafrechtssystem durch die finale Handlungslehre und in der Auseinandersetzung mit ihr erfahren hat, im Schrifttum weit verbreitetl 08 , findet aber auch heute noch Fürsprache 109 • Das Reichsgericht orientierte seine Urteilsfindung vorwiegend an der "Billigungstheorie"llo. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung fortgesetzt und hält in zahlreichen Entscheidungen bis in die jüngste Zeit an dem Kriterium der positiven inneren Einstellung zum Erfolg im Sinne seiner Billigung fest 111 • Die relativ einheitliche Terminologie täuscht jedoch eine höhere Übereinstimmung in der Sache vor, als bisher erreicht werden konnte. Tatsächlich schwankt die Rechtsprechung zwischen einer echten Einwilligungstheorie und einer Position, die im Sinne der Ernstnahme der Gefahr, des Rechnens mit dem Erfolg die innere Einstellung des Handelnden berücksichtigt l12 • Die Kritik1l3 bemängelte vor allem die engen Grenzen, die durch das Konzept der Vorsatzstrafbarkeit gesetzt werden. Die Theorie beim Wort zu nehmen heißt, einen Täter, der sich zwar nicht sicher ist, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, der aber das hohe Risiko seines Verhaltens kennt, in vielen Fällen straflos zu stellen oder, soweit das Gesetz einen entsprechenden Tatbestand vorsieht, wegen einer Fahrlässigkeitstat zu bestrafen, wenn er den Erfolg nicht gut heißt, ihn innerlich ablehnt. Da dieses Ergebnis ernstlich niemand befürwortet, wurden begriffliche Korrekturen angebracht, die zu einem weiteren Vorwurf, jenem der Begriffsjurisprudenz führten 1l4 . Schmidhäuser identifiziert begriffsjuristische Elemente der Begriffsbildung "durch den Nachweis, daß der falsch bestimmte Begriff gar nicht im bezeichneten Inhalt angewandt wird, weil er in der Rechtsanwendung allzu unbillige Ergebnisse zur Folge hätte"1l5. Eben aus diesem Grund wurde aber in der Theoriebildung die Billigung im normalen Sprachsinn durch eine Billigung im Rechtssinn ersetzt 116 • 108 Zu den älteren Vertretern vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 9lff.; Warnke, Die Entstehung und Behandlung der Dolusarten, S. 46ff. 109 Baumann, AT, S. 413; Dreher / Tröndle, § 15, Rn. 11; Kohlrausch / Lange, § 59, Anm. m 1 c; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 22 m, Rn. 36ff.; Ingo Müller, NJW 1980, S.2392. 110 RGSt 33,6; 67,425; 72, 43; 73, 168. 111 BGHSt 7, 369; 14, 256; 17, 262; BGH VersR 36 (1969), S. 20; BGH GA 1979, S. 107; BGH JZ 1981, S. 35. 112 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 4f., insbes. Fn. 7; Roxin, JuS 1964, S. 55ff. 113 Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 57ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S.5ff.; Germann, SchwZStr. 77 (1961), S. 364ff.; Krauß, Der psychologische Gehalt subjektiver Elemente im Strafrecht, S. 127; Ross, Vorsatz, S. 95ff.; Roxin, JuS 1964, S. 58; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 39; Schmidhäuser, GA 1957, S. 306ff.; Schröder, Sauer-FS, S.232ff. 114 Schmidhäuser, Vorsatzbegriff und Begriffsjurisprudenz im Strafrecht, S. 8ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 5f. 115 Schmidhäuser, a.a.O., S. 9. 116 BGHSt 7, 369.
IH. Der dolus eventualis
103
4.3.2 Das Merkmal der Gleichgültigkeit Dem Einwand der unangemessenen Beschränkung des Vorsatzes, zum Teil auch jenem der Begriffsjurisprudenz wirkt eine Modifikation und Erweiterung der Billigungstheorie entgegen, die vor allem Engisch durchgeführt hat. Er stellt zunächst die Einschätzung des Erfolges als höchstwahrscheinliche Folge dem sicheren Wissen um die Bewirkung gleich. Bei sehr hoher Wahrscheinlichkeit sei die "frivole Hoffnung, der Tatbestand werde sich vielleicht zufällig doch nicht verwirklichen" ebenso unbeachtlich, wie für die Absicht der Wunsch, dem es an Tatmacht gebricht 117 . Neben höchstwahrscheinlichen sollen auch mögliche Folgen, deren Eintritt der Täter gleichgültig gegenübersteht, dolos zugerechnet werden 118 • Dabei kommt es auf eine "absolute" Gleichgültigkeit an, die nicht schon durch die Sorge des Täters um eigene Interessen, welche die Tatbestandsverwirklichung verletzen könnte, ausgeschlossen ist. Das Merkmal der Gleichgültigkeit erhellt die Zusammenhänge aber letztlich nicht, da es mehr Fragen aufwirft, als es zu beantworten hilft 119 • Die wichtigsten Punkte, die offen bleiben, hat Frisch zusammengestellt 120 : Unabhängig von den konkreten Anwendungsmöglichkeiten der Theorie vermag die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nach der Gleichgültigkeit des Täters bereits auf einer abstrakten, prinzipiellen Betrachtungsebene nicht zu überzeugen. Denn Gleichgültigkeit gegenüber dem Achtungsanspruch bestimmter Güter kennzeichnet auch das Fahrlässigkeitsdelikt, so daß jene Haltung eher geeignet scheint, den gemeinsamen Schuldgehalt der Zurechnungsformen abzubilden, als die beiden Varianten zu unterscheiden. Bei näherer Betrachtung des Differenzierungskriteriums wird der Bezugspunkt der Gleichgültigkeit undeutlich. Sie kann sich sowohl auf die Entscheidungsbildung, wie auf das Entscheidungsergebnis beziehen. In beiden Fällen erweist sich das Merkmal jedoch als wenig trennscharf, da Gleichgültigkeit stets zugeschrieben werden kann, wo der Täter der Erfolgsvorstellung zum Trotz handelt. Beide Spielarten der emotionalen Theorie bringen die Schuldcharakteristik des zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit scheidenden Merkmals deutlich zum Ausdruck. Nicht die Analyse des Handlungssinns, sondern die Bewertung der Motivation und der Gesinnung des Täters bestimmt die Zurechnungsform. Die Haltung des Täters zeigt aber das Maß der VorwerfEngisch, Untersuchungen, S. 175ff.; vgl. zur Absicht oben B H 1.1. a.a.O., S. 186ff. Dieses Kriterium begegnet auch bei: Gallas, ZStW 67 (1955), S. 43; Schröder, LK, § 16, Rn. 93; S/S - Crarner, § 15, Rn. 72. 119 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 7ff.; Jescheck, AT, S.243; Armin Kaufmann, ZStW 70 (1958), S. 67ff.; Roxin, JuS 1964, S. 58; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 39; Weigend, ZStW 93 (1981), S. 66U; Welzel, Strafrecht, S. 70. 120 a.a.O. 117
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
barkeit an und damit den materiellen Gehalt der Schuld. Die praktische Konsequenz der kategorialen Zugehörigkeit des Abgrenzungskriteriums zum Schuldtatbestand liegt im Verlust der Differenzierungsfunktion bei Taten Steuerungsunfähiger. Die Handlung eines Täters, der die Fähigkeit, sein Verhalten willentlich zu überformen, verloren hat, ist nicht Ausdruck einer inneren Haltung des Täters zum Erfolg, die stets Freiheit voraussetzen würde, sondern Spiegelbild der Gebundenheit seines Verhaltens an den zur Tat drängenden Antrieb. Es verbleibt somit keine Motivation oder Gesinnung, die man sinnvollerweise als Äußerung des Individuums interpretieren könnte. 4.4 Vorstellungstheorien
Die Berührungspunkte des Vorsatzbegriffs mit der Systemkategorie der Schuld sind bei den Vorstellungstheorien weniger offensichtlich als bei den emotionalen Spielarten der Vorsatzabgrenzung. Die Kriterien der Differenzierung werden dort dem kognitiven Bereich entnommen, der sich ohne weiteres der Tatbestandsebene einfügt und zunächst keinen Verdacht auf Schuldanleihen entstehen läßt. Bei isolierter Betrachtung der Abgrenzungsmerkmale hält dieser erste Eindruck selbst einer sorgfältigen Analyse stand. Sie ergibt jedoch auch, daß die Vorstellung der konkreten Möglichkeit oder das Wissen um eine bestimmte Wahrscheinlichkeit den Vorsatzbegriff bei weitem nicht ausschöpft, sondern nur indizielle Bedeutung hat. Nicht das bloße Tatbewußtsein rechtfertigt in diesen Ansätzen den Unterschied in der Srafwürdigkeit zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern die Bildung des Willens auf dem Hintergrund jenes Bewußtseins. Die Vorstellung vermag somit nicht die Ratio der hervorgehobenen Vorsatzbestrafung zu erklären, sondern dient lediglich als Indiz für eine bestimmte Motivation, die ihrerseits jene Legitimation leistet. Am deutlichsten tritt dieser Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Motivation in den älteren Vorstellungstheorien zu Tage 121 • Ihr Gegensatz zu den Willenstheorien entsteht nicht durch eine radikale Eliminierung voluntativer Elemente aus dem Vorsatzbegriff, sondern in der Auseinandersetzung um einen konkreten Willensbegriff 122 . Für den Schuldgehalt des Vorsatzes hat die Vorstellung kein Eigengewicht, sie gilt vielmehr als Indiz für eine bestimmte Willens bildung: Obgleich die Tatbestandsverwirklichung antizipiert wurde, entwickelte das Motiv zu ihrer Vermeidung keine handlungsleitende Qualität. Nicht die Voraussicht des Erfolges charakterisiert mithin den Dolus, sondern die "Nichterhebung gewisser Vorstellungen zu ausschlaggebenden kontrastierenden Motiven. Genauer wäre es also zu 121 122
Vgl. dazu Engisch, Untersuchungen, S. 119ff., S. 126ff. Engisch, a.a.O., S. 126.
111. Der dolus eventualis
105
sagen: vorsätzlich ist das Handeln, von welchem sich der Täter nicht durch die Vorstellung der Tatumstände hat abhalten lassen"123. Engisch bezeichnet die Vorstellungstheorien im Anschluß an M. E. Mayer daher auch konsequenterweise als "Motivationstheorien"124. 4.4.1 Das bloße Tatbewußtsein In neuerer Zeit wurden Positionen, die den Vorstellungstheorien nahe kommen, von Schröder125 und Schmidhäuser126 in die Diskussion eingeführtl 27 . Vorsatz bedeutet danach die Übertretung des Verbotes, bei Möglichkeit der Rechtsverletzung tätig zu werden128 . Der dolosen Zurechnung genügt ein unsicheres Bewußtsein von gegebenen oder zukünftigen Umständen129 • Der Täter muß die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes lediglich konkret für möglich halten. Damit ist das Abgrenzungsproblem vergleichsweise einfach gelöst, allerdings, wie verschiedentlich bemängelt wird 130 , auf Kosten eines angemessenen Anwendungsbereichs: die Vorsatzstrafbarkeit erfährt gegenüber allen anderen Theorien eine starke Ausweitung. Zudem wurde der Vorsatzbegriff nicht von voluntionalen Elementen befreit, denn wieder begegnet der Schluß von der Wahrnehmung auf die Willensbildung, womit die Charakterisierung von Engisch als "Motivtheorie" auch für diese Ansätze ihre Gültigkeit bewahrt. So folgert Schröder aus der Handlung, die der Erfolgsvorstellung zum Trotz ausgeführt wird, daß der Täter "die Möglichkeit eines ungünstigen Erfolges als für seine Motivation unbeachtlich erklärt"131. Ähnlich begründet Schmidhäuser den Unterschied in der Strafwürdigkeit zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat nicht mit dem bloßen Tatsachenbewußtsein, sondern mit dem Unrechtsbewußtsein, das die Möglichkeitsvorstellung lediglich zur Voraussetzung hatl 32 . Beide geraten bei schuldlosen Taten in Schwierigkeiten: Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 546. Engisch, a.a.O., S. 132. 125 Schröder, Sauer-FS, S. 224ff. 126 Schmidhäuser, GA, 1957, S. 310ff.; 1958, S. 161ff.; Lehrbuch 10/51ff.; Studienbuch 7/36, 57ff.; JuS 1980, S. 241ff. 127 Weitere Vertreter einer Möglichkeitstheorie, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann: Beulke, JR 1978, S. 390; Griinwald, Mayer-FS, S. 288f.; Jakobs, Studien, S. 115ff.; AT 8/23, 30; Langer, Das Sonderverbrechen, S.356f.; Morkel, NStZ 1981, s. 177ff.; Otto, Grundkurs AT, S. 97; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 162ff. 128 Schröder, a.a.O., S. 227. 129 Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241 f. 130 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 16; Germann, SchwZStr. 77 (1961), S. 360; Jescheck, Wolff-FS, S. 483; Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, S.304ff.; Welzel, Strafrecht, S. 71; Wessels, AT, § 7113. 131 a.a.O., S. 232. 132 JuS 1980, S. 241, Fn. 2. 123
124
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Fehlt das Unrechtsbewußtsein, so erscheint in der Konzeption Schmidhäusers die Differenzierung anhand der isolierten Vorstellung sinnlos. Hat der Täter hingegen die Fähigkeit verloren, sein Verhalten an seiner Einsicht zu orientieren, so kann Schröder aus dem Handlungshintergrund der Erfolgsvorstellung nicht mehr entnehmen, daß der Täter in seiner Willensbildung die Möglichkeit einer unerwünschten Folge für unbeachtlich erklärt. Denn wo die Tat ohne Alternative ist, kann dem Verhalten kein Erklärungswert zukommen, der mehr als diese Notwendigkeit zum Ausdruck bringt.
4.4.2 Das Kriterium der Wahrscheinlichkeit Den offensichtlichsten Nachteil der Möglichkeitstheorien, den breiten Bereich der Vorsatzstrafbarkeit, sollen die Wahrscheinlichkeitstheorien ausgleichen 133 . Daher genügt hier nicht jede Vorstellung einer konkreten Möglichkeit, sondern nur die Antizipation einer Folge als wahrscheinliches Handlungsergebnis134. Das zusätzliche Differenzierungsmerkmal wird überwiegend jedoch als fragwürdig angesehen135 . Zum einen ermöglicht es nur eine quantitative Abschichtung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, da die Wahrscheinlichkeit ein Kontinuum bildet, das von geringsten Graden bis 133 Einen anderen Weg, zwischen Möglichkeitsvorstellungen zu differenzieren, schlägt Kindhäuser vor (ZStW 96 (1984), S. 1ff.): Er unterscheidet zwischen zwei Formen des Wissens: bei der bewußten Fahrlässigkeit sei sich der Täter der objektiven Möglichkeit des Erfolgseintritts bewußt. Insofern stimmen Vorstellung und Wirklichkeit überein. Ein Widerspruch bestehe dagegen hinsichtlich des Wissens um die präventive Handlungskompetenz, das heißt die Fähigkeit, einen Erfolg zu verhindern: Der bewußt fahrlässig Handelnde glaubt irrtümlich, das Geschehen unter Kontrolle zu haben. Diese Differenzierung zwischen unterschiedlichen Wissensinhalten überzeugt jedoch nicht. Für den Vorsatz kommt es auf die Vorstellung des Täters von der konkreten Möglichkeit des Erfolgseintritts an. Glaubt er fest, das Geschehen zu kontrollieren, so hat er nicht die Vorstellung, in seinem konkreten Fall werde der Erfolg eintreten. Er handelt dann unbewußt fahrlässig. Ist er hingegen in seiner präventiven Handlungskompetenz unsicher, so wirkt dies entsprechend auf die Einschätzung der Möglichkeit, die unerwünschte Folge zu bewirken. Dieses Gefühl der Unsicherheit charakterisiert aber dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit gleichermaßen. Kindhäusers Differenzierung führt nicht weiter·, da die Vorstellung der objektiven Möglichkeit von der Beurteilung der präventiven Handlungskompetenz abhängt. Zudem kennzeichnet nicht alle Fälle der bewußten Fahrlässigkeit ein Irrtum über die präventive Handlungskompetenz. Zum Teil vertraut der Täter auf den Erfolg verhindernde Faktoren, die, außerhalb seiner Handlungskompetenz liegend, in der Situation angelegt sind - wie etwa die rasche Auffindung des Opfers eines Verkehrsunfalles (das der Täter unversorgt zurückläßt) wegen starken Berufsverkehrs zum Zeitpunkt der Tat. 134 Grünhut, Begriffsbildung ~d Rechtsanwendung im ~trafrecht, S. 18f.; Mayer, Strafrecht, AT, S. 250ff.; Pöhl, OJZ 1974, S. 483f.; Ross, Uber den Vorsatz, S. 114; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 177ff.; Grundlagen des Strafrechts, S.618; Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S. 34ff. Zur älteren Literatur vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 103 ff. 135 Blei, AT, § 35 IV 2 a; Bockelmann, AT, S.83f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 20ff.; Jescheck, AT, S. 242; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 22, Rn. 35; Stratenwerth, AT, Rn. 306; Wegner, Strafrecht AT, S. 149; Welzel, Strafrecht, S. 70.
III. Der dolus eventualis
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zur Gewißheit reicht. Eine nur quantitative Trennung vermag aber den großen Schuldabstand zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit kaum zu rechtfertigen. Zum anderen tritt das Differenzierungskriterium in Widerspruch zur Absicht, für die nach einhelliger Ansicht bereits ein geringes Maß an Wahrscheinlichkeit genügtl 36 • Gemessen an unserem Erkenntnisinteresse, die Berührungspunkte der Vorsatzabgrenzung mit der Schuld zu analysieren, begegnet die Wahrscheinlichkeitstheorie denselben Bedenken, die gegen die Möglichkeitstheorie angeführt wurden, erscheint jene doch als deren Variante, die durch das Merkmal der Wahrscheinlichkeit lediglich die Anforderungen an die Erfolgsvorstellung verschärft. Die Diskussion der klassischen Vorsatztheorien muß hier enden; sie konnte die wichtigsten Ansätze nur in ihren tragenden Strukturen erfassen. Für die Stellung des Vorsatzes im Verbrechensaufbau und sein Verhältnis zur Schuld würde aber weder eine differenziertere Darstellung der traditionellen Lösungsmuster, noch die Auseinandersetzung mit neueren Varianten 137 eine grundlegende Veränderung jenes Bildes bewirken, das in dem skizzenhaften Überblick Gestalt annahm. Lediglich zwei Doluskonzepte, die in jüngster Zeit vorgestellt wurden, können als Modifikationen des Vorsatzbegriffs gelten, die, auch sofern sie die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung betreffen, weit genug reichen, um eine konkrete Auseinandersetzung nahezulegen. 5. Neuere kognitive Ansätze 5.1 Vorsatz und Vermeidbarkeit (Jakobs)
Eine Konzeption des Vorsatzes, die die Grenze zur Fahrlässigkeit ohne Anleihen aus dem Bereich der Schuld bestimmt, hat Jakobs entwickelt1 38 • Seine Reduzierung der gebräuchlichen Kurzformel des Vorsatzes als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung auf "das Wissen um die Handlung und ihre Folgen" 139 begegnete bereits in der Diskussion des dolus directus 14o •
Vgl. oben B II 1.1. Vgl. etwa Haft, ZStW 88 (1976), S. 365ff.; Phillipps, ZStW 85 (1973), S.27ff.; Ross, Über den Vorsatz; E. A. Wolff, Gallas-FS, S. 199f.; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht. 138 Studien, S. 104ff.; AT 8/21. 139 AT 8/8. 140 Vgl. oben II 2. 136 137
108
B. Die Willensseite des Vorsatzes
5.1.1 Der " Willens "begriff von Jakobs Die Kritik der ganz herrschenden - voluntionale Variablen in die Definition des Dolus einbeziehenden - Auffassung gründet auf einem psychologischen, engen Willensbegriff, von dem sich die Motivationspsychologie, an vergessene Traditionen anknüpfend, zunehmend distanziert, da er die eigentlichen Phänomene des Wollens nicht erklären kann. Wollen bedeutet für Jakobs "Identität von Antrieb und Bewußtsein"; gewollt ist folglich nur, was einen positiven Bezug zur Antriebsseite des Verhaltens aufweist, das heißt zunächst das Verhalten selbst 141 , allenfalls die Hauptfolgen, deren Antizipation die Handlung auslöst142 . Dieses Verständnis macht den Begriff des Willens überflüssig, da er ihn faktisch durch die im Bewußtsein präsente, dominante Strebung ersetzt. Die Funktion des Willens erschöpft sich aber nicht in der Identifizierung des handlungsleitenden Motivs; eine Charakterisierung, die allein auf den Antrieb abhebt, greift zu kurz. Der Wille hält eine Handlungsalternative fest und setzt sie als verbindliche Grundlage des Verhaltens. Der Handlungsentwurf wird aber durch das Strebungsziel nicht hinreichend bestimmt, denn der Wille, der sich stets auf ein konkretes Verhalten bezieht, entscheidet nicht nur zwischen konkurrierenden Strebungen, sondern wählt zudem unter verschiedenen Wegen, die zum Antriebsziel führen. Jakobs versucht dagegen, das Willensproblem auf den Kampf der Antriebe zu reduzieren. Bei erkannten Nebenfolgen - wenn die Strebung auf ein tatbestandsneutrales Objekt gerichtet ist - gibt es danach zwei Möglichkeiten: Das Motiv zur Vermeidung der Nebenfolge setzt sich durch und die gefährdende Handlung bleibt aus oder es unterliegt und verliert die Verbindung zur Antriebsseite 143 . Dieser digitale Ansatz hat keine, allenfalls eine "kognitive" Erklärung für eine Verhaltenssteuerung, die durch die Antizipation einer Nebenfolge determiniert wird, ohne zugunsten des Vermeidemotivs die konfliktbelastete tatbestandsneutrale Strebung aufzugeben144 • Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein Hausbesitzer plant sein Anwesen "heiß zu sanieren". Er schwankt zwischen zwei Vorgehensweisen. Ein Brand zur Nacht scheint ihm am aussichtsreichsten, das Haus zu zerstören, bevor die Feuerwehr eintrifft, würde aber dem Mieter kaum eine Chance lassen, das Leben zu retten. Untertags sieht der Täter zwar den Mieter weniger gefährdet, da er in der Regel außerhalb arbeitet, hingegen befürchtet er für diese Variante der Begehung, daß ein Löschtrupp zur Stelle sein könnte, bevor das Feuer weit genug um sich gegriffen hat. 141 Ein Willensbegriff, der nur das Verhalten, nicht aber dessen Folgen als gewollt ansieht (Studien, S. 34) findet sich bereits bei den alten Vorstellungstheoretikern (vgl. oben A 11, 3.2). 142 Studien, S. 33ff.; AT 8/15. 143 Studien, S. 36f. 144 Diese Verhaltenssteuerung liefert für Armin Kaufmann und die älteren Vertreter seiner Auffassung das Abgrenzungskriterium zur Fahrlässigkeit (siehe oben 4.2).
Irr. Der dolus eventualis
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Die Entscheidung zwischen diesen Handlungsalternativen kann Jakobs nicht als voluntionalen Vorgang erläutern. Denn nach seiner Konzeption ist der Wille identisch, wie immer sich der Versicherungsbetrüger verhält: Eine Beziehung zur Antriebsseite läßt sich nur von der Strebung, das Haus anzuzünden, herstellen, die in beiden Fällen vorherrscht. Die Wahr würde mithin keine Willensleistung, sondern nur kognitive Unterschiede zum Ausdruck bringen. Eine Entscheidung setzt jedoch schon nach alltagssprachlichem Verständnis voluntative Prozesse voraus. Der Willensbegriff muß daher auch Variablen Raum lassen, die, zwischen Antrieb und konkreter Handlung vermittelnd, die Realisierung der motivationalen Strebung thematisieren. 5.1.2 Vorsatz als Wissen um die Handlung und ihre Folgen Die - auch aus der Perspektive der Psychologie - zu enge Definition des Wollens wäre kein durchgreifender Einwand gegen die Vorsatzkonzeption Jakobs, wenn sie nicht die Sicht auf jegliche psychische Beziehung, die über die Voraussicht der Tatbestandsverwirklichung hinausgeht, verstellen würde. Aus der mangelnden Eignung des eng gefaßten Willensbegriffs, den Vorsatz in all seinen Erscheinungsformen zu charakterisieren, wird gefolgert, daß nur noch kognitive Merkmale in Frage kommen 145 • Doch selbst die kognitive Interpretation des Dolus scheint in der praktischen Vorsatzabgrenzung keine wesentlichen Differenzen zur vorherrschenden, die Entscheidung akzentuierenden, Auffassung zu implizieren. Denn wenn Jakobs auch den bedingten Vorsatz an ein Wahrscheinlichkeitsurteil knüpft 146 , bestimmt er die Untergrenze der Wahrscheinlichkeit danach, ob das erkannte Risiko für den Täter entscheidungserheblich war147 . Die eigentliche Trennungslinie zur Fahrlässigkeit erinnert somit an die Formel Stratenwerths148 , der als Indiz für eine Entscheidung zu Lasten des geschützten Rechtsguts genügt, daß der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts ernst genommen hat149 • 5.1.2.1 Entscheidungsrelevanz als objektive Untergrenze des dolus eventualis Grundlegende Unterschiede offenbart erst der Maßstab, mit dem die Entscheidungsrelevanz beziehungsweise die Ernstnahme festgestellt werden. Während Stratenwerth sein Kriterium aus der Sicht des Täters individuell 145
146 147 148 149
Vgl. zur Argumentation: Stratenwerth, ZStW 87 (1975), S. 957. AT 8/23. AT 8/30f. So auch die Einschätzung von Jakobs (AT 8/25) und Stratenwerth (AT, Rn. 252). Stratenwerth, AT, Rn. 305.
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
prüft1 50 , urteilt Jakobs objektiv. Ob einem erkannten Risiko, gemessen am Rang des bedrohten Guts und an der Dichte der Gefahr, genügend Gewicht zukommt, um im Entscheidungsprozeß eine Rolle zu spielen, ist nach rechtlicher Einschätzung, nicht nach jener des Täters, zu würdigen 151 • Die konsequente Anwendung dieses Prinzips würde die Einschränkung, welche die Wahrscheinlichkeitstheorie durch die Einführung einer Untergrenze erfahren hat, größtenteils zurücknehmen und zu einer wesentlichen Ausweitung der Strafbarkeit führen. Daher soll es in gewissen Fällen des erlaubten Risikos, bei Risikogewöhnung oder bei Gefahren die zwar nicht statistisch, aber für das einzelne Ereignis bedeutungslos sind, doch auf das individuelle Erleben ankommen 152 . 5.1.2.2 Objektivierung der Wahrnehmung und der Verlust der Vorsatzgrenze Die Objektivierung der Entscheidungsrelevanz führt jedoch nicht nur in der praktischen Abgrenzung zu einer Ausweitung des Vorsatzbereichs zu Lasten der Fahrlässigkeit, sondern verwischt auch begrifflich die Trennung der Zurechnungsformen. Der normative Maßstab, der für die Bewertung der erkannten Handlungsfolgen im Sinne von Entscheidungrelevanz gelten soll, läßt sich nicht auf die kognitive Verarbeitung des Wahrgenommenen beschränken, sondern erfaßt notwendig auch die Apperzeption selbst. Die Wahrnehmung bildet mit dem kognitiven Gesamtverhalten des Individuums eine untrennbare Einheit, die eine differenzierende Behandlung von Wahrgenommenem (erkanntes Risiko, Kenntnis der Tatbestandsmerkmale) und Gedachtem (Einschätzung des Risikos) verbietet. Während Wundt noch von einer Dichotomie zwischen Wahrnehmung und Denken, sowie vom unmittelbaren Vorfindlichkeitscharakter des Wahrgenommenen ausging153 , würde heute kein namhafter Wahrnehmungstheoretiker einer Trennung der Wahrnehmung von den übrigen kognitiven Aktivitäten des Individuums zustimmen. Inzwischen besteht Einigkeit, daß bereits mit dem Akt der Wahrnehmung eine Verarbeitung, Kategorisierung und Bewertung des Wahrgenommenen vollzogen wird. Die "reine" Wahrnehmung erweist sich so als unselbständiges Moment der kognitiv-motivationalen Bewältigung einer Umweltsituation154 • Die Fiktion einer normativen Bewertung des Apperzepierten fingiert folglich einen bestimmten Wahrnehmungsinhalt. Eine Objektivierung des kognitiven Urteils über das Wahrgenommene AT, Rn. 309. Jakobs, AT 8/30f. 152 Jakobs, Bruns-FS, S. 31ff.; AT 8/31. 153 Wundt, Psychologische Studien, Bd. III, S. 301 - 360. 154 Holzkamp, Soziale Kognition, S. 1264; Bruner, Going beyond the information given, S. 41 - 69; Ittelson, Perception and transactional Psychology, S. 660 - 704. 150 151
IH. Der dolus eventualis
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objektiviert die Wahrnehmung selbst. Jakobs Dekret - "Das nicht mehr erlaubte Risiko hat entscheidungsrelevant zu sein"155 - verzichtet auf die Kenntnis der Tatumstände, wo die erforderliche Wahrnehmung erfolgt zu sein hat. Damit ist aber der sichere Bereich der Fahrlässigkeit erreicht.
5.1.3 Legitimation der Vorsatzstrafe Das Verhältnis der Zurechnungsarten wird nicht erst bei der praktisch wichtigsten Funktion des Vorsatzes, die Grenze zur Fahrlässigkeit zu markieren, problematisch. Die Konzeption Jakobs löst bereits die vornehmste Aufgabe des Vorsatzbegriffs, die dolose Begehung als die prinzipiell schwerwiegendere Variante strafbaren Verhaltens zu rechtfertigen156 , wenig überzeugend. In Anlehnung an die Definition der Handlung als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung soll der Zweck der Einführung von zwei Zurechnungsformen in der Scheidung der leichter zu vermeidenden Erfolgsverursachung (Vorsatz) von der schwerer zu vermeidenden (Fahrlässigkeit) liegen. Dabei bleibt unberücksichtigt, welche Anstrengung es den Täter kosten würde, sich so zu motivieren, daß das Delikt unterbleibt. Die Schulddifferenz zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit begründet bereits, daß ein als dominant unterstelltes Motiv zur Vermeidung die Tat leichter oder schwerer hindern könnte 157 . Mit der kontrafaktischen Fiktion einer festen Motivation wird die Antriebssteuerung aus dem Handlungsbegriff ausgeklammert und eine klare Trennung von Unrecht und Schuld erreicht 158. Die von der Willensbildung isolierte Verhaltenssteuerung kann jedoch nicht mehr die elementaren Unterschiede in der Gewichtung und Bestrafung vorsätzlicher und fahrlässiger Delikte vermitteln.
AT 8/3l. Vgl. Roxin, JuS 64, S. 58; Stratenwerth, AT, Rn. 253. 157 Jakobs, AT 8/2l. 158 Da es im vorliegenden Zusammenhang um die Implikationen der Vermeidbarkeitslösung für den Vorsatzbegriff geht, können jene für den Handlungsbegriff nur angedeutet werden: Dieser umfaßt jedes Verhalten, das zu einem vermeidbaren Erfolg führt. Damit gelangen auch autonome körperliche Funktionen in den Bereich potentieller Zurechnung, falls sie beherrschbar sind. Durch Training (z.B. bio-feedback) können innere Körpervorgänge, wie die Pulsfrequenz, gesteuert werden. Es spricht daher nichts dagegen, an derart willentlich manipulierte Prozesse die Zurechnung zu knüpfen. Ein Handlungsbegriff, der allein auf die Vermeidbarkeit abstellt, bezieht aber auch Körperfunktionen ein, die zwar aufgrund der besonderen Fähigkeiten des Individuums beherrschbar wären, tatsächlich aber autonom ablaufen, wenn von den Interventionsmöglichkeiten in der konkreten Situation kein Gebrauch gemacht wird. Ob es sinnvoll ist, Erfolge, die nur auf Funktionen des autonomen Nervensystems beruhen, zuzurechnen, mag dahinstehen. Hier soll nur verdeutlicht werden, daß sich mit dem Konzept der individuell vermeidbaren Erfolgsverursachung die klassische Nicht-Handlung zur Handlung wandelt. 155
156
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
5.1.3.1 Gemessen am traditionellen Schuldbegriff Vermeidbarkeit bedeutet Freiheit des Individuums gegenüber dem situativen Kontext der Handlung. Wo der Erfolg vermeidbar ist, halten äußere, das heißt nichtmotivational bedingte Umstände eine Alternative zur Verwirklichung des Tatbestands offen. Gemessen an diesen "objektiven" Faktoren mag die Vermeidung einer Vorsatztat leichter fallen, als einer fahrlässigen Verstrickung zu entgehen. Allein aus der Unrechtsperspektive, in der die Willensbildung definitionsgemäß nicht vorkommt, läßt sich aber die Ungleichbehandlung der Verbrechenstypen unter dem Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit nicht plausibel machen. Da die zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit trennenden Strafrahmen unterschiedliche Schuld zum Ausdruck bringen, müßte die Differenzierung nach situativer Vermeidbarkeit auch bei einer die Schuld und damit die Motivation einschließenden Gesamtbetrachtung der Tat noch Gültigkeit haben, das heißt mehr oder weniger Schuld indizieren. Akzeptiert man, daß die Freiheit des Täters gegenüber der Situation das Maß der verwirkten Schuld bestimmt, so sind die Freiheitsgrade der Motivation in gleicher Weise zu berücksichtigen, gilt doch die Abstraktion von motivationalen Vorgängen auf dieser Ebene nicht mehr, dagegen aber die Willensbildung, zumindest nach vorherrschender Ansicht, als Grundlage des materiellen Schuldvorwurfs 159 • Den strengen Strafrahmen verdient dann die Verursachung eines Erfolgs, der leicht hätte vermieden werden können, wobei die Verhaltens alternative umfassend, also ohne Einschränkung auf situative Variablen, zu würdigen wäre. In diesem Urteil erlangt die individuell-objektive Vermeidbarkeit kein eigenständiges Gewicht, das den Schuldabstand zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit begründen könnte, denn Vorzüge und Belastungen des situativen Handlungsspielraums könnten - nicht nur ausnahmsweise - durch den motivationalen kompensiert werden: Unter dem Aspekt der Vermeidbarkeit erscheint ein Individuum, das kognitiv optimal orientiert ist, aber unter fast unerträglichem Druck seiner Antriebe steht, geringer belastet als eine Person, die weniger voraussieht, motivational aber nicht in Not ist. Gemessen am traditionellen Schuldbegriff160 überzeugt das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit in der Zurechnungslehre Jakobs nicht. Es gewinnt aber auch im Licht der funktionalen Konzeption des Autors keine Prägnanz. 159 Zwar lassen sich die Elemente der Strafbegründung nicht ohne weiteres in Kriterien der Strafzumessung transponieren (vgl. Roxin, Bockelmann-FS, S. 304), doch erscheint die Beziehung zwischen beiden Momenten enger, als der Zusammenhang, den Jakobs zwischen objektiv-individueller Vermeidbarkeit und Strafmaß hergestellt hat. 160 Aber auch gemessen an der Lehre Roxins, die Schuld in diesem Sinn zumindest als notwendige Bedingung strafrechtlicher Verantwortlichkeit versteht: BockelmannFS, S. 277ff.
111. Der dolus eventualis
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5.1.3.2 In einem funktionalen Strafrechts system Der funktionale Schuldbegriff ist konsequent am Strafzweck ausgerichtetl 61 • Dieser Bezug determiniert auch die Strafbemessungsschuld, da sie den Regeln der Strafbegründung unterstellt wird162 • Wenn es für die Begründung der Schuld darauf ankommt, ob das Ziel staatlichen Strafens, die Einübung von Normanerkennung163 , eine Intervention verlangt, hängt ihr Maß demnach von der Intensität der zu diesem Zweck erforderlichen Einwirkung ab. Die Differenzierung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit wäre dann mit der Scheidung der leichter von der schwerer zu vermeidenden Erfolgsverursachung einleuchtend erklärt, wenn nach einem Normbruch, der, rechtstreue Motivation vorausgesetzt, leichter vermeidbar gewesen wäre, zur Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster eine stärkere Reaktion nötig würde, als im Fall des schwerer zu vermeidenden. Für diese Abhängigkeit sind allerdings keinerlei auch nur einigermaßen gesicherte Anhaltspunkte erkennbar. Zunächst wäre darzulegen, daß die Quantität der Bestrafung überhaupt Einfluß auf die Stabilisierung der Normgeltung hat. Denkbar ist ja, daß andere Determinanten der Strafe den kollektiven Erziehungsprozeß kontrollieren. Als besonders wirksam könnten sich etwa die Qualität der Strafe164 oder die Öffentlichkeit ihres Vollzugs 165 erweisen. Doch selbst wenn das Strafmaß eine empirisch belegbare Rolle spielt, bleibt zu erläutern, warum bei leichter zu vermeidendem Erfolg ein verstärktes Bedürfnis nach Restitution der Norm entsteht. Geht man davon aus, daß die Gefährdung der Normgeltung mit der Zahl der Verstöße wächst, dann müßten Fahrlässigkeitstaten, die vorherrschende Deliktsform, mit der wirksameren Sanktion belegt werden. Der erhöhte Stabilisationsbedarf der Fahrlässigkeitsnorm läßt sich auch normlogisch erklären, da ein Gesetz, das zu befolgen schwer fällt, in seiner Geltung eher Zweifeln ausgesetzt ist, als ein leicht zu befolgendes - im Extrem des nicht erfüllbaren Gebots desavouiert das Gesetz sich selbst. Mit diesem Gedankenspiel soll das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht auf den Kopf gestellt, sondern vielmehr gezeigt werden, daß die These einer bestimmten Abhängigkeit von Normbruch, Sanktion und Normgeltung, die in der Zurechnungslehre von Jakobs allein die Differenzierung zwischen den Deliktstypen rechtfertigen könnte, ohne empirische Basis Jakobs, AT 17/18. AT 17/1, Fn.l; 17/29. 163 AT 1/15. 164 So haben Lernexperimente mit sogenannten Psychopathen ergeben, daß Geldstrafen die Lernkurve am steilsten ansteigen lassen (J. Schmank, Abnormal Psychology 76, 1970, S. 443 - 453); vgl. allgemein zum Lernverhalten von Psychopathen: Davison / Neale, Abnormal Psychology, S. 211ff. 165 Hier würde sich gegenüber der insoweit wenig wirksamen, hinter Mauern vollzogenen Freiheitsstrafe der Pranger empfehlen. 161
162
8 Ziegert
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
Spekulation bleibt. Kritisiert wird damit aber nicht mehr die konkrete dogmatische Kategorie, sondern eine Funktionalisierung des Strafrechts, die nicht belegen kann, was funktional ist. 5.2 Vorsatz und Risiko (Frisch)
Das Vorsatzkonzept, das Frisch in einer umfangreichen Monographie 166 vorstellt, teilt einige grundlegende Positionen mit dem soeben erörterten Ansatz. Wie bei Jakobs wird die hervorgehobene Strafbarkeit des Vorsatzdelikts funktional legitimiert, die Vorsatzgrenze - insoweit auch mit Schmidhäuser übereinstimmend - durch das Wissen des Täters allein kognitiv markiert. Dabei erscheint die Kritik der traditionellen Auffassung aber noch fundamentaler: Die Ursache ihrer Unzulänglichkeiten sieht Frisch bereits in der Beschränkung der Lehre vom dolus eventualis auf den Bereich des Subjektiven, die den Blick auf den "vorgelagerten" Sachverhalt, "die objektive Seite des Handelns unter Risiko" verstellt. Die Charakteristik des dolus eventualis sei nämlich nicht im Vorsatzbegriff, sondern im Vorsatzgegenstand zu suchen 167 •
5.2.1 Objektiver Tatbestand oder tatbestandsmäßiges Verhalten als Gegenstand des Vorsatzes? Hier tritt auch der Bruch mit der herkömmlichen Vorsatzdogmatik zu Tage. Den Gegenstand des Vorsatzes bildet nach bisher einhelliger Ansicht, die auch in § 16 StGB Ausdruck gefunden hat, der objektive Tatbestand. Frisch leuchtet dieser Bezugspunkt der subjektiven Tatseite nicht ein. Er befestigt seine Kritik mit zwei Argumenten: Der erste Einwand zielt auf die Erfolgsdelikte. 5.2.1.1 Der tatbestandsmäßige Erfolg in seiner subjektiven Widerspiegelung Der Erfolg zählt dort zum Tatbestand, nicht in Form einer Erwartung, sondern als eingetretene Handlungsfolge. Um diesen Eintritt könne aber der Täter zu dem für den Vorsatz entscheidenden Zeitpunkt noch nicht wissen, er vermöge allenfalls eine entsprechende Erwartung zu hegen. Ist aber der gesamte objektive Tatbestand Vo~satzgegenstand, so müsse das Wissen um alle Merkmale bereits vor seiner Verwirklichung zur Verfügung stehen. Da dies hinsichtlich des eingetretenen Erfolgs nicht vorstellbar sei, würde eine 166 167
Vorsatz und Risiko. a.a.O., S. 489f.
ill. Der dolus eventualis
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"induktive Überprüfung" die "Unhaltbarkeit der These vom Tatbestand als Bezugspunkt des Vorsatzes" erweisen168 • Fraglos ist ein sicheres Tatsachenwissen um den eingetretenen Erfolg vor seiner Realisierung nicht verfügbar. Fragwürdig erscheinen jedoch die Folgerungen, die Frisch aus diesem Befund ableitet. Der Schluß, daß damit der objektive Tatbestand als Vorsatzgegenstand ausscheidet, hat nämlich nur Bestand, wenn die dolose Relation zum objektiven Tatbestand allein durch jenes Tatsachenwissen charakterisiert werden kann. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Denn zum einen ist die subjektive Beziehung zwischen Tat und Täter auch außerhalb kognitiver Funktionen denkbar. Zum anderen vermag die Kennzeichnung des vorsatzbegründenden Wissens als Erfassen des Gegenstands im Sinne von Übereinstimmung des Angenommenen mit der Wirklichkeitl 69 nicht zu überzeugen. Gegen einen Wissensbegriff, der Kongruenz zwischen der objektiven Welt und dem subjektiven Abbild voraussetzt, spricht zunächst die Strafbarkeit des Versuchs. Vorsatz entfällt nicht notwendigerweise, wenn der Täter die tatsächlichen Umstände verkennt, auf der subjektiven Seite also nicht jenes Wissen vorherrscht, das Frisch postuliert, sondern Unkenntnis. Dem Tatentschluß genügt, daß der Täter sich die tatbestandlich relevanten äußeren Bedingungen vorstellt 170 • Antizipieren kann der Handelnde aber auch beim vollendeten Erfolgsdelikt, auf das Frisch seine Kritik stützt, den eingetretenen Erfolg bevor er ihn herbeigeführt hat, also zu dem für die dolose Zurechnung ausschlaggebenden Zeitpunkt. Daß die streng objektive Sicht der "Kenntnis" die kognitive Seite des Vorsatzes verfehlt, erweist neben dem Tatentschluß beim Versuch der Idealtypus des Vorsatzes, die Absichtl7l , der Frisch in seiner umfangreichen Monographie nur wenige Zeilen widmet. Sie wird charakterisiert durch das Erstreben eines im Bewußtsein vorgebildeten zukünftigen Zustandes. Diese Vorstellung, nicht das Wissen um die objektiven Gegebenheiten, das die anderen Vorsatzformen gleichfalls erfordern, prägen den Begriff. Umfaßt wird der tatbestandliche Erfolg damit bereits durch das recht verstandene, Absicht und Versuch in die Begriffsbildung einbeziehende, Wissenselemente des Vorsatzes. Weitere subjektive Beziehungen zum Erfolg bestehen außerhalb des kognitiven Bereichs. So kann der Täter sich etwa den deliktischen Erfolg als eingetreten vorstellen und zum Ergebnis seiner Handlung Stellung nehmen, a.a.O., S. 57 ff. a.a.O., S. 162ff., 169,204. 170 Frisch räumt selber ein, daß sein Vorsatzkonzept im Widerspruch zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs steht. Für diese Konstellation führt er daher eine "Ergänzung" ein (a.a.O., S. 86ff.). 171 Die Absicht ist zumindest insoweit Idealtypus des Vorsatzes, als sie für jeden gesetzlichen Tatbestand die dolose Zurechnung begründet, während dolus directus oder dolus eventualis gelegentlich nicht hinreichen. 168 169
8·
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B. Die Willensseite des Vorsatzes
bevor er die Tat begeht. Die induktive, von den Erfolgsdelikten ausgehende Kritik, die Frisch an der Funktion des objektiven Tatbestands als Bezugspunkt des Vorsatzes übt, greift daher aus zwei Gründen zu kurz: Sie gilt zunächst nur für ein Vorsatzkonzept, das die subjektive Zurechnung allein auf Elemente des Wissens gründet. Doch selbst in einem einseitig an der Tatbestandskenntnis orientierten Ansatz läßt sich eine dolose Relation zum eingetretenen Erfolg herstellen. 5.2.1.2 Der objektive Tatbestand als reine Sanktionsnorm?
Der zweite Einwand gegen die Bindung des Vorsatzes an den objektiven Tatbestand führt zu einer grundlegenden normtheoretischen Kritik der Tatbestandslehre 172 . Gestützt auf eine im Entstehen begriffene eigene Arbeit1 73 vertritt Frisch dort die These, daß der objektive Tatbestand der Kategorie der Sanktionsnorm zugehört. Dabei bleibt offen, ob und gegebenenfalls in welcher Form das Strafgesetz auch das Verhalten normiert. Die Sanktionsnorm kann jedoch nicht beziehungslos bestehen. Sie setzt als logisches Prius die Bestimmung des rechtlich gesollten Verhaltens und damit die Verhaltensnorm voraus 174. Diese existiert unabhängig von der Sanktion, da das Gesolltsein der Rechtsfolge die Rechtspflicht nicht erkennen lassen kann 175. "Mag die Sanktion noch so typisch für das Recht und zur Vermeidung bestimmter Erfolge noch so wirksam sein, so setzt diese affirmative und indizielle Wirkung der Sanktion doch die Verhaltensnorm, also die Richtigkeitsbehauptung, voraus"176. Wo anders aber könnte die Verhaltensnorm, sei es als Richtigkeitsbehauptung oder als Verhaltensbefehl177 Ausdruck finden, als im objektiven Tatbestand. Hat der Rechtssatz daneben Bedeutung für die Festsetzung der Rechtsfolgen, so erfüllt er eine Doppelfunktion in der Bestimmung der Sanktionsvoraussetzung und als Verhaltensmodell 178 . Diese Aufgabenteilung mag eine differenzierende Sicht des Verhältnisses von Vorsatz und objektivem Tatbestand nahelegen, sie diskreditiert den objektiven Tatbestand aber nicht schlechthin als Gegenstand des Vorsatzes, da er in seinem das Verhalten normierenden Element einen für die subjektive Zurechnung geeigneten Anknüpfungspunkt enthält. Die normtheoretische Argumentation von Frisch leuchtet somit nicht ein. Da die angekündigte Arbeit1 79 den Normbegriff verdeutlichen wird, soll die 172
173 174 175 176 177 178 179
a.a.O., S. 59ff. a.a.O., S. 61, Fn. 32. Jakobs, Studien, S. 10; Felix Kaufmann, Die Kriterien des Rechts, S. 77. Felix Kaufmann, a.a.O., S. 73, 78. Jakobs, a.a.O. Binding, Normen I, S. 43, 123. Jakobs, a.a.O., S. 1l. Vgl. oben, Fn. 173.
III. Der dolus eventualis
117
Auseinandersetzung an dieser Stelle abgebrochen und mit der Erörterung des von Frisch entwickelten Vorsatzkonzepts wieder aufgenommen werden. 5.2.2 Die Ratio der Vorsatzbestrafung 5.2.2.1 Präventive Gesichtspunkte
Frisch geht von der Wertentscheidung des Gesetzgebers aus, die Vorsatzbestrafung in doppelter Weise hervorzuheben: Fahrlässiges Handeln wird nur ausnahmsweise pönalisiert und für diesen Sonderfall mit niedrigerer Strafe bedroht, als die vergleichbaren dolosen Verhaltensweisen 180. Der Vorsatzbegriff müsse der Ratio der herausgehobenen' Stellung gerecht werden. Diese begründet Frisch zunächst über den "zweckrationalen Grundgedanken des staatlichen Strafeinsatzes", die sozialpsychologischen Gefahren zu bekämpfen, die die ungeahndete Tat heraufbeschwört. Ergänzend soll auch der "typischerweise erhöhten Gütergefährlichkeit des Vorsatztäters" Rechnung getragen werden181 . "Die Erschütterung -des Vertrauens in die Geltung der Rechtsordnung und damit die Gefahr für deren Anerkennung und Befolgung, also letztlich der Gefährdungszustand für die Rechtsgüter, ist allemal größer, wenn sich die Tat nicht nur als Ausdruck eines Versehens, mangelnder Sorgfalt, Schlamperei und so weiter, sondern als Ausdruck einer bewußten Entscheidung der Person entpuppt"182. Diese Argumentation gibt sich (zweck-)rational, indem sie auf sozialpsychologische Zusammenhänge rekurriert. Sie löst den Anspruch aber nicht annähernd ein, da die postulierten Abhängigkeiten zwischen Normbruch, Normgeltung und Sanktion durch keinen einzigen empirischen Nachweis belegt werden, durch vorliegende Untersuchungen auch gar nicht gestützt zu werden vermögen183 . Plausibilität können aber auch die Thesen beanspruchen, daß nicht die vereinzelte Vorsatztat, sondern die massenhaften fahrlässigen Delikte (vor allem im Straßenverkehr) "das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung" erschüttern oder daß die Wiederherstellung der Zuversicht der Rechtsgenossen nicht von der Höhe der Sanktion, sondern von Art und Publizität des Vollzugs abhängen. Nicht besser ist es mit dem Lehrsatz bestellt, ein Vorsatzdelikt signalisiere "eine typischerweise erhöhte Gütergefährlichkeit" des Täters 184, von dem in Zukunft somit nicht nur Schusseligkeiten, sondern kalkulierte Rechtsbrüa.a.O., S. 33. a.a.O., S. 102f. 182 a.a.O., S. 100. 183 Vgl. den Überblick bei Pfeiffer, Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren, S. 85ff., und die Untersuchung von Köber, MSchrKrim. 1982, S. 200 - 218. 184 Frisch, a.a.O., S. 100. 18~
181
118
B. Die Willensseite des Vorsatzes
ehe zu erwarten seien. Diese Folgerung erinnert fatal an Urteilsbildungen, die in der experimentellen Psychologie als Halo-Effekt beschrieben werden 185 , wie etwa die "Volksweisheit": Wer lügt, der stiehlt auch. Die gesamte Argumentation im Rahmen der zweckrationalen Fundierung der Vorsatzstrafe verdeutlicht erneut1 86 das Begründungsdefizit, mit der das Strafrecht funktionalisiert wird, so daß von einem rationalen, empirisch belegbaren Strafrechtssystem nicht die Rede sein kann 187 . 5.2.2.2 Wertrationale Gesichtspunkte
Neben dem Zweck staatlicher Pönalisierung rechtfertigen nach Frisch auch "wertrationale" Gesichtspunkte die Vorsatzstrafe. Die dolose Handlung ist danach durch ein Moment besonderer personaler Verantwortlichkeit gekennzeichnet. Eine gesteigerte personale Fehlleistung, deren Ergebnis die Vorsatztat sei, legitimiere die (zweckrationale) Bekämpfung der sozialpsychologischen Gefahren, die vom Vorsatztäter ausgehen: "Das Wissen um das Handeln in seinen relevanten Dimensionen begründet erhöhte Vermeidemacht"188. Diese Auffassung von den Rationes der Vorsatzstrafe läßt ein Doluskonzept vermuten, das jenen Ansätzen nahesteht, die vorsätzliches Handeln als Entscheidung gegen das Rechtsgut begreifen, zumal Frisch häufig auf ähnliche Wendungen zurückgreift189 . Dennoch distanziert er sich von dem Vorsatzbegriff, der mit der Entscheidungsformel verbunden wird, da er ihn für unpräzise und die wertrationale Begründung der Vorsatzstrafe nicht umfassend hä1t1 9o . Den ersten Einwand stützt auch unsere Analyse jenes Doluskonzepts 191 . Seine Rekonstruktion, vor allem die Differenzierung zwischen dem Akt der Entscheidung und der Entscheidungssituation wird jedoch zeigen, daß das Handeln in einer Entscheidungssituation gerade Ausdruck jener erhöhten Vermeidemacht ist192 . Was Frisch tatsächlich vom vorherrschenden Verständnis des Vorsatzes als Entscheidung trennt, ist zum einen der neu eingeführte Bezugspunkt des Vorsatzes, das tatbestandsmäßige Verhalten, zum anderen die Beschränkung des Dolus auf das Wissen um jenen Gegenstand. 185 Thorndike, J. appl. Psychol. 1920, 4, S. 25 - 29. 188 Vgl. bereits oben 5.1.3.2. 187 Demgegenüber hat die v. Liszt-Schule bei ihrer Funktionalisierung wenigstens
den Versuch einer empirischen Fundierung unternommen. 188 Frisch, a.a.O., S. 103. 189 Vgl. das Zitat oben auf S. 117 (Fn. 182), sowie Frisch, a.a.O., S. 98, 110, 264f., 341,498. 190 a.a.O., S. 11lf. 191 Vgl. oben TII 2.3. 192 Vgl. unten C IV.
In. Der dolus eventualis
119
5.2.3 Vorsatz als Kenntnis des tatbestandsmäßigen Verhaltens Im Rahmen der Vorsatzdogmatik ersetzt Frisch den objektiven Tatbestand durch seinen Begriff des "tatbestandsmäßigen Verhaltens"193. Er knüpft die subjektive Beziehung zur Tat nicht an die überkommene Grundlage, den objektiven Tatbestand oder an bestimmte Teilstücke l9 \ sondern an das im Tatbestand als verboten vorausgesetzte Verhalten. Das objektive Gegenstück zum Dolus bildet ein Habitus, dem der gesetzliche Tatbestand Bedeutung beimißt und der somit durch seine tatbestandliche Relevanz konkretisiert wird. Für die Erfolgsdelikte definiert Frisch seinen Begriff als Verhalten, "das eine bestimmte Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes nicht mehr toleriertes Risiko des Eintritts des tatbestandlich vertypten Erfolgs nach den Umständen der konkreten Situation in sich birgt"195. Die dolose, psychische Relation zur Tat erschöpft sich in der Kenntnis dieses Gegenstands. Vorsätzlich handelt, wer mit seinem Verhalten jene Charakteristika verbindet, die das tatbestandsmäßige Verhalten konstituieren. Vorsatz bedeutet mithin" Wissen um das der Handlung eignende und (normativ) ihre Tatbestandsmäßigkeit begründende Risiko ... "196. Dem Begriff der Kenntnis genügt allerdings nicht die bloße kognitive Repräsentanz des Vorstellungsgegenstandes, des tatbestandsmäßigen Verhaltens im Bewußtsein. Er setzt vielmehr voraus, daß der Handelnde dieses Abbild "zum Inhalt einer verbindlichen persönlichen Sicht" macht 197 • Ähnlich wie Stratenwerth spricht Frisch von einer "persönlichen Stellungnahme", mit der sich der Täter die tatbestandsrelevanten Handlungsrnomente aneignet, distanziert sich aber von der "Ernstnahmelehre", indem er die kognitive Natur dieses "zweiten Wissenselements" betont l98 . In der Verbindung des neu eingeführten Vorsatzgegenstands mit dem daran orientierten Vorsatzbegriff erläutert Frisch den wesentlichen Vorzug seines Ansatzes: Da das Bezugsobjekt des Dolus, das tatbestandsmäßige Verhalten, bereits durch ein bestimmtes Risiko, die Möglichkeit des Erfolgseintritts, definiert wird, genügt auf der subjektiven Seite ein "normales Wissen" über einen präzisen Gegenstand. Demgegenüber sei die traditionelle Lehre gezwungen, eine begrifflich zweifelhafte Wissenssonderform des Für-
Frisch, a.a.O., § 3, § 4; zusammenfassend S. 115ff., 127f., 340f. a.a.O., S. 65ff. 195 a.a.O., S. 34l. 196 a.a.O., § 5; zusammenfassend S. 34l. 197 a.a.O., S. 192ff. (193). 198 a.a.O., S. 19Bff. Unsere Analyse der Stellungnahme zum Verhaltensrisiko wird freilich zeigen, daß die Ernstnahme der Gefahr oder das "Für-sich-so-Sehen" (Frisch, a.a.O., S.192) keine rein kognitive Funktion darstellt, sondern einen Teil des Motivationsprozesses bildet, der seinerseits unter der Kontrolle des Willens steht (vgl. unten 193
194
C IV 1).
120
B. Die Willensseite des Vorsatzes
möglich-haltens einzuführen, die zudem auf ein unscharf gefaßtes objektives Gegenstück im gesetzlichen Tatbestand bezogen wird199 • 5.2.3.1 Nur eine neue Sprachregelung? Just in diesem zentralen Punkt erscheint die Distanz zur herrschenden Vorsatzdogmatik aber eher durch eine neue Sprachregelung, als durch neue Inhalte hergestellt2oo • Mit der dogmatischen Kategorie des dolus eventualis, von der die Monographie fast ausschließlich handelt, sollen gerade Fälle kognitiver Unsicherheit erfaßt werden. Daß die subjektive Handlungssituation durch das Erleben von Wissensdefiziten geprägt ist, läßt sich nicht wegdefinieren, sondern allenfalls begrifflich kaschieren. Diese Funktion erfüllt das Risikoelement in der Formel vom "tatbestandsmäßigen Verhalten": Ein Risiko für den Eintritt des tatbestandlich vertypten Erfolges setzt voraus, daß seine Realisierung möglich ist. Der Täter kann jenes Gefahrenmoment daher auch nur kennen, wenn er sich den Erfolg als eventuelles Verhaltensergebnis vorstellt. Das Wissen um das der Handlung eignende Risiko ist folglich bedingt durch das Für-möglich-halten des Erfolges. Damit erweist sich der Vorsatzbegriff von Frisch nur auf einer sprachlich-vordergründigen Ebene als unabhängig von der kritisierten "Wissenssonderform" des Fürmöglich-haltens. Inhaltlich beschreibt die Formel von der Kenntnis des Risikos eben jene Vorstellung. 5.2.3.2 Die Rolle des Erfolges Sie erhält dort sogar ein stärkeres Gewicht als in der traditionellen Doluslehre, da Frisch das Tatbestandsmerkmal "Erfolg" in seiner subjektiven Widerspiegelung nicht nur für den dolus eventualis, sondern für den Vorsatz schlechthin auf das Risiko seiner Realisierung, das heißt auf die Möglichkeitsvorstellung reduziert. Vorsatz bedeutet ihm in jedem Fall lediglich Kenntnis von der Gefahr für ein Rechtsgut. Da der eingetretene Erfolg, etwa als erstrebtes Handlungsergebnis, im Bezugsobjekt des Vorsatzes, dem tatbestandsmäßigen Verhalten, nicht vorkommt, rücken die Erfolgsdelikte in die Nähe konkreter Gefährdungsdelikte, gerät Frisch der Verletzungs- zum Gefährdungsvorsatz 201 •
a.a.O., S. 115, 341. Vgl. zu diesem Einwand Frisch, a.a.O., S. 115f. 201 Frisch grenzt zwar seinen "Verletzungsvorsatz" vom Gefährdungsvorsatz der konkreten Gefährdungsdelikte ab (a.a.O., S.290ff.). Dieser Versuch mutet jedoch eher als subtile Differenzierung innerhalb des Begriffs des Gefährdungsvorsatzes an, denn beiden Dolusvarianten genügt die subjektive Realisierung der objektiven Gefährdung eines Rechtsguts. 199
200
ill. Der dolus eventualis
121
5.2.3.3 Erklärungsdefizite
Der neue Gegenstand des Dolus führt jedoch nicht nur bei dieser Differenzierung zu Widersprüchen und Schwierigkeiten, die die traditionelle Lehre mit ihrer Verankerung des Vorsatzes im objektiven Tatbestand vermeidet. Ein Problem erinnert allerdings an die Wahrscheinlichkeitstheorie. Wie der hier erörterte Ansatz führt sie die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit auf eine "unterschiedliche Einschätzung des Erfolgsrisikos" zurück202 . Ihr wurde daher entgegengehalten, daß sie nur eine quantitiüive Unterscheidung der Grundformen subjektiver Zurechnung ermögliche. Eine trennscharfe Grenzziehung könne sie nicht leisten, da ihr Kriterium ein Kontinuum bilde, das sich vom Status höchster Gewißheit bis zu den Graden niedrigster Wahrscheinlichkeit erstreckt, so daß jeder Einschnitt willkürlich gesetzt erscheine 203 . Indem Frisch Vorsatz von der Kenntnis eines bestimmten, nicht mehr tolerierten Risikos, das heißt von der Höhe der Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutsverletzung abhängig macht 20 4, verfehlt er ebenfalls eine qualitative Differenzierung. Schwerer wiegt allerdings, daß dieses Doluskonzept den Vorsatzbegriff in zentralen Bereichen nicht abdeckt, obgleich es mit dem Anspruch entworfen wurde, die dogmatische Kategorie umfassend zu erläutern und nicht nur die Grenze zwischen dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit zu bestimmen. Dies gilt zunächst für den Tatentschluß und zwar nicht allein für die Fälle des untauglichen Versuchs, den Frisch selbst von seinem Erklärungsansatz ausnimmt, da er eben durch das Ausbleiben jeglichen Risikos für das Rechtsgut definiert wird, das den Vorsatz ja konstituieren so1l205. Gerade aus der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, zudem aus der subjektiven Perspektive, die in § 22 StGB vorgezeichnet wird, entnimmt die ganz herrschende Auffassung, daß den Strafzweck des Versuchs nicht die konkrete Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts bilden kann, sondern die Betätigung des verbrecherischen Willens, die geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern206 . Seiner eigenen Argumentation folgend 207 , müßte Frisch danach den Begriff des Tatentschlusses von jenem des Vorsatzes trennen. Das größte und augenfälligste Erklärungsdefizit entsteht für den Idealtypus des Vorsatzes 208 , die Absicht. Sie wird nicht in ihrer ganzen Reichweite Ambrosius, Untersuchungen, S. 31. Engisch, Untersuchungen, S. 114f.; Stratenwerth, AT, Rn. 306. 204 Frisch, a.a.O., S. 138ff. 205 a.a.O., S. 86ff. 206 Jescheck, AT, S. 416; Roxin, JuS 1979, S. 1; SK - Rudolphi, Vor § 22, Rn. 13f.; S/S - Eser, Vor § 22, Rn. 23; WesseIs, AT, § 14 I 2. 207 Vgl. a.a.O., S. 86ff. 208 Vgl. oben Fn. 171. 202 203
122
B. Die Willensseite des Vorsatzes
durch den Ansatz von Frisch erfaßt. Für einen Teil der Fälle, die nach überkommener Anschauung dieser Dolusart zugehören, kann der Vorsatzbegriff die dolose Zurechnung nicht begründen. Danach muß der Täter nämlich mit seiner Handlung ein nicht mehr toleriertes Risiko verbinden, das heißt die Vorstellung entwickeln, daß die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutsverletzung eine gewisse, normrelevante Höhe erreicht hat. Diese Voraussetzung gilt für dolus eventualis und Absicht gleichermaßen, da Frisch eine Differenzierung zwischen den Vorsatzformen ablehnt 209 . Die gleichnmäßig hohen Anforderungen an das Wissen stehen in Widerspruch zum traditionellen Begriff der Absicht, dessen kognitivem Element bereits die Annahme einer minimalen Chance des Erfolgseintritts genügt210. Bildet die Tatbestandsverwirklichung das Verhaltensziel, so handelt der Täter vorsätzlich, "unabhängig davon, als wie wahrscheinlich ihm der Erfolgseintritt erscheint ... "211. Auch der nicht für wahrscheinlich gehaltene Erfolg kann also erstrebt werden212 . Die Wissensseite der Absicht hat keine gegenüber ihrem voluntativen Moment eigenständige Funktion. Sie bezeichnet nur ein konstitutives Merkmal des Willens, das diesen von unverbindlichen Wünschen und Hoffnungen unterscheidet: Zum absichtlichen Wollen wird das Erstreben eines Zustandes durch das Urhebergefühl, die Zuschreibung von Tatmacht, durch die Vorstellung einer überzufälligen Einwirkungsmöglichkeit auf das tatsächliche Geschehen213 . Das ist aber schon der Fall, wenn "der Eintritt des Erfolges nicht als reiner Zufall, nicht als gänzlich unwahrscheinlich erscheint ... "214. Erstrebt der Täter die Herbeiführung des tatbestandlieh vertypten Erfolges, so handelt er bereits vorsätzlich, wenn er "sich überhaupt eine Einwirkungsmöglichkeit auf das reale Geschehen zuschreibt"215. Demgegenüber engt Frisch mit seinem qualifizierten Wissenskriterium den Anwendungsbereich der Absicht auf jene Fälle ein, wo der Täter die Rechtsgutsverletzung nicht nur als sein Werk antizipiert, sondern als ein Ereignis voraussieht, das mit einer Wahrscheinlichkeit von einer bestimmten, "normrelevanten .. Höhe eintreten wird.
5.2.4 Vorsatzbegriff und Legitimation der Vorsatzbestrafung Frisch charakterisiert die Absicht als einen speziellen Sachverhalt, in dem "die Entscheidung gegen das Rechtsgut ... besonders evident ist ... "216. Diese Feststellung wird sich auch in unserer Analyse als zutreffend erweia.a.O., S. 496f. Schroeder, LK, § 16, Rn. 76 will auf die Wissensseite sogar ganz verzichten. 211 Stratenwerth, AT, Rn. 290; ebenso SK - Rudolphi, § 16, Rn. 36. 212 Armin Kaufmann, ZStW 70 (1958), S. 72. 213 Vgl. oben 1.1. 2a Engisch, Untersuchungen, S. 163. 215 Wessels, AT, § 7 11 1 im Anschluß an Welzel, Strafrecht, S. 66. 216 a.a.O., S. 498f. 209 210
ill. Der dolus eventualis
123
sen 217 , sie erläutert aber die Absicht nicht im Rahmen des hier erörterten Ansatzes, da die Entscheidung in der Definition des funktionalen Vorsatzbegriffs gar nicht vorkommt. Frisch spricht ihr ausdrücklich die Qualität eines Leitkriteriums seines Doluskonzepts ab und stuft sie lediglich als "Grundgedanken der weitergehenden und schärferen Bestrafung des Vorsatztäters ... " ein218 . Der Ausschluß der Entscheidung aus dem Begriff des Vorsatzes soll die Reinheit des kognitiven Ansatzes erhalten. Neben das Wissen um das Risiko darf daher kein Moment des Wollens treten, das aber für die Annahme einer Entscheidung unverzichtbar wäre219 . Obgleich Frisch in der Entscheidung gegen das Rechtsgut die tragende Legitimation der Vorsatzbestrafung sieht, glaubt er, nicht alle Merkmale, die die Stellungnahme gegen den geschützten Wert konstituieren, in den Vorsatzbegriff integrieren zu müssen. Das Willenselement sei mit dem Kriterium der Willkürlichkeit bereits im Handlungsbegriff berücksichtigt220. Dies würde allerdings voraussetzen, daß eine willkürliche Handlung in Kenntnis des normrelevanten Risikos notwendig eine Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung zum Ausdruck bringt. Die Auseinandersetzung mit Stratenwerth hat aber gezeigt, daß eine Stellungnahme. damit noch nicht hinreichend bedingt ist, sondern zudem Verbotskenntnis und Steuerungsfähigkeit erfordert 221 . Überdies erscheint die Differenzierung zwischen einem Abgrenzungsbegriff (Wissen) und einem Legitimationsbegriff des Dolus (Entscheidung) nicht überzeugend. Hat der Vorsatzbegriff die Aufgabe, die erhöhte Strafbarkeit doloser Begehung zu legitimieren und leistet dies das Kriterium der Entscheidung, so muß er dieses Merkmal umfassen und damit die Grenze zur Fahrlässigkeit bestimmen, da die Abgrenzung der Rechtfertigung in besonderem Maße bedarf. Andernfalls würde nicht der Vorsatzbegriff, sondern eine andere dogmatische Kategorie die Legitimationsfunktion erfüllen222 .
Vgl. unten C IV 2. a.a.O., S. 265. 219 So ausdrücklich Frisch, a.a.O., S. 264. 220 a.a.O., S. 264. Diese Auf teilung von voluntionalen und kognitiven Elementen auf die Begriffe der Handlung und des Vorsatzes erinnert an das Vorsatzkonzept von Schmidhäuser; vgl. dazu oben A 11 3.2. 221 Vgl. oben 2.2.2. 3. 222 Ähnlich haben bereits die klassischen Vorsatztheorien zwischen dem Abgrenzungskriteriwn des Wissens und der Legitimation der höheren Vorsatzschuld durch eine bestimmte Motivation differenziert, in der die Vorstellung nicht kontrastierendes Motiv wurde und für welche die Vorstellung lediglich Indiz war (vgl. oben 4.4). 217
218
124
B. Die Willensseite des Vorsatzes
6. Zusammenfassung und Ausblick Die Auseinandersetzung mit zwei modernen Vertretern zeigt, daß kognitive Doluskonzepte die Probleme der Vorsatzdogmatik nicht lösen. Sie haben Schwierigkeiten bei der Vorsatzabgrenzung und versagen in der Legitimation der Vorsatzstrafe. Dieses Defizit wurzelt in der Ablehnung eines voluntativen Doluselements. Damit verliert der Vorsatzbegriff den Bezug zur Schuld des Vorsatztäters. Erst aus der Schuldperspektive läßt sich aber die hervorgehobene Bestrafung der dolosen Begehung überzeugend begründen223 • Die klassischen Vorsatztheorien geraten hingegen in ein systematisches Dilemma, das nicht nur die dogmatische Ästhetik stört, sondern, wie die Diskussion der wichtigsten Doluskonzepte zeigte 224 , bis in die konkrete Rechtsanwendung wirkt: Da die Vorsatz abgrenzung erst durch den Rückgriff auf Schuldelemente gelingt, bleibt die Unrechtstypizität schuldloser Taten offen. Führen beide Wege somit nicht zu einer befriedigenden Erklärung doloser Zurechnung, wird eine umfassende Rekonstruktion des Vorsatzbegriffs erforderlich. Sie soll die Kritik der bisher vorgestellten Modelle in ein neues Konzept umsetzen, ohne mit der dogmatischen Entwicklung radikal zu brechEm. Es gilt danach die bekannten Aufgaben der Vorsatzdogmatik zu lösen: die Legitimation der hervorgehobenen Strafbarkeit (dazu C III und C V) und die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit (dazu C IV). Da diese aus guten Gründen225 bereits auf der Unrechtsebene glücken sollte, ist systematischen Aspekten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und der Begriff des Dolus bruchlos in den Verbrechensaufbau einzufügen. Folglich wird für unsere Rekonstruktion zunächst die Abgrenzung von Unrecht und Schuld aus einer spezifisch vorsatzdogmatischen Perspektive untersucht (dazu C I) und dabei das Verhältnis der Systemkategorien in dem für den Vorsatzbegriff zentralen Bereich der Motivation neu bestimmt (dazu C I 4). Auf dieser Grundlage kann das zunächst sehr allgemein gehaltene Bild von doloser Zurechnung fortschreitend präzisiert und schließlich der Vorsatzbegriff inhaltlich konkret beschrieben werden (dazu C III - C V, zusammenfassend C V 2).
223 224 225
Vgl. dazu unten C V. Vgl. oben 4. Vgl. oben 3.
c.
Rekonstruktion des Vorsatzes im Verbrechensaufbau der zweiteilige Vorsatzbegriff I. Zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld 1. Die Bedeutung für den Vorsatzbegriff
Der Vorsatz reicht in die Sphäre der Schuld. Fast allen Vorsatzkonzeptionen gelingt die Abgrenzung gegenüber der Fahrlässigkeit erst mit Kriterien, die dem Bereich der Schuld zugehören. Der Befund ist nicht neu l , hat aber bisher zu keiner Rekonstruktion des Dolus im Verbrechenssystem geführt, obgleich er einen Vorzug der personalen Unrechtslehre in Frage stellt: Lassen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit erst auf der Ebene der Schuld unterscheiden, so bleibt bei schuldloser Tat der Unrechtstypus ungeklärt. Eine Neubestimmung des Dolus im Verbrechensbegriff muß dabei nicht notwendig die Beschränkung des Vorsatzes auf die Systemkategorie Unrecht bezwecken. Dieses Ergebnis wäre nicht einmal erstrebenswert, wenn die vorsätzliche Tat auch eine gegenüber dem fahrlässigen Delikt gesteigerte Schuld zum Ausdruck bringt. Der Vorsatz sollte dann in die Schuld ragen. In jedem Fall muß aber die Entscheidung über den Unrechtstypus bereits auf der Ebene der Rechtswidrigkeit fallen, ist seine Grenze mit Begriffen zu markieren, die auf dieser Verbrechensstufe als kompatibel angesehen werden können. In der Trennung von Unrecht und Schuld ist der Differenzierung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit folglich ein Eckwert der Begriffsbildung vorgegeben. Die Abgrenzung der Systemkategorien kann hier nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet, sondern nur soweit skizziert werden, wie sie über den Begriff der Motivation jenen des Vorsatzes berührt. 2. Das klassische Verbrechenssystem Die Unterscheidbarkeit von Rechtswidrigkeit und Schuld gilt als fundamentales, weithin anerkanntes Postulat der modernen Strafrechtslehre2 • Schuldloses Unrecht muß möglich, die Rechtswidrigkeit einer Handlung darf nicht ausgeschlossen sein, sobald deren Urheber kein persönlicher Vor1 Engisch, Kohlrausch-FS, S.155f.; Gallas, Niederschriften, S.111; Jescheck, Wolf-FS, S.486ff.; Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S.5ff. 2 Jescheck, Wolf-FS, S. 477; Roxin, Henkel-FS, S. 171.
126
C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
wurf trifft3 • Die traditionelle Lehre versuchte über den Gegensatz von Außen- und Innenseite der Tat die Systemkategorien nach objektiven und subjektiven Merkmalen zu scheiden. Diese ebenso einfache wie eindeutige Zuordnung wurde allerdings bald durch die Entdeckung subjektiver Unrechts elemente in Frage gestellt. Die personale Unrechtslehre entzog ihr schließlich mit einer weiteren Subjektivierung der "Außenseite" den Boden. Der Wandel des Vorsatzes vom Kernstück der Schuld zum Träger des Handlungssinns auf der Grundstufe des Verbrechensaufbaus hat den Begriffsinhalt des Dolus verändert und die Abgrenzungsfrage neu gestellt4 • Beide Probleme sind in ihrer Lösung eng aufeinander bezogen. Ihre isolierte Bearbeitung konnte daher über erste Ansätze nicht hinausgelangen. Während der Vorsatz im Grunde weiterhin mit den überkommenen Kategorien des Wissens und Wollens umschrieben wird, erfuhr der Schuldbegriff jedoch substantielle Veränderungen. Die Abschichtung vom Unrecht soll nun - nach fast einhelliger Ansicht - innerhalb des Willensbereiches und im Kontrast zur voluntativen Seite der dolosen Zurechnung erfolgen.
3. Willens bildung versus Willensverwirklichung Auf beiden Ebenen bildet der Wille den zentralen Bezugspunkt des Urteils; allerdings in unterschiedlichen, jeweils spezifischen Begriffsvarianten, welche, in ihrem Wechsel, die mit der Doppelverwertung voluntionaler Prozesse drohende Konfundierung von Unrecht und Schuld vermeiden sollen. Über die Differenzierung der Willensvorgänge gemäß dem Verbrechensaufbau herrscht weitgehend Einigkeit: Mit dem Vorsatz komme die Durchführung des Handlungsentschlusses in den Blick, während der Entschluß in seiner auf Wertvorstellungen beruhenden Fassung im Rahmen der Schuld zu bewerten sei5 • Der Vorsatz als das steuernde und lenkende Element der Willensbetätigung habe zwar in der Willensbildung seinen Ursprung, doch komme es für den Aktunwert auf die Genese des Entschlusses, die Art und Weise der Willensbildung nicht an6 • Diese konstituiere vielmehr die Schuld, die damit den gesamten Bereich der Motivation umfange. Die personale Komponente erfasse nur die Zwecke des Täters, die übrigen Subjektunwerte, die zur Tat bestimmenden Motive, begründeten den individuellen Schuldvorwurf7 •
Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 24 TI 1. Jescheck, a.a.O., S. 477f.; Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 890. 5 Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 181; Welzel, ZStW 58 (1939), S. 503f. 6 Annin Kaufmann, a.a.O.; Krümpelmann, a.a.O., S. 888. 7 Lampe, Das personale Unrecht, S. 234; Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S. 5; Würtenberger, JZ 1954, S. 209; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 168. 3 4
I. Zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld
127
Die Forderung, zwischen Unrecht und Schuld zu scheiden, wird danach ganz überwiegend durch die Differenzierung zwischen Willensverwirklichung und Willensbildung eingelöst8 • Der Vorsatz erscheint dabei als personales Moment der Realisierung. Die Beschränkung auf die Phase der Verwirklichung führt aber bereits beim Tatentschluß, der subjektiven Seite des Versuchs, zu Widersprüchen. Denn dort soll zugerechnet werden, was, über objektive Handlungsrudimente hinausgehend, nur in der Vorstellung existiert, was (noch) nicht in Aktion umgesetzt wurde. Die steuernden und lenkenden Funktionen des Willens spielen beim Tatentschluß nur eine marginale Rolle. Hier ließe sich allenfalls dem Prozeß der Willensbildung ihr Ergebnis gegenüberstellen9 , die dynamische durch eine statische oder die kausale durch eine teleologische Betrachtungsweise ablösen 1o . Der Begriff der Willensverwiklichung erscheint daher - gerade in seinem Gebrauch als Gegensatz zu jenem der Willensbildung - erläuterungsbedürftig. 3.1 Handlungs- und Antriebssteuerung (Welzel)
Welzel hat sich über viele Jahre immer wieder mit Fragen der Motivation, vor allem in Abgrenzung zur Handlung befaßtl1 . So entstand, auch in Auseinandersetzung mit der Affekthandlung, eine elaborierte Motivationstheorie. Welzel's Überlegungen mündeten in die Differenzierung zwischen Antriebsund Handlungssteuerung, die er ausdrücklich identifizierte mit der Unterscheidung von Willensbildung, die der Antriebssteuerung entspricht und Willensverwirklichung, die mit Handlungssteuerung gleichzusetzen istI 2 • Beide Spielarten der Verhaltensdetermination bezeichnet er als Finalsteuerung, beide verknüpft er mit dem Willensbegriff13 . Bei der Konstituierung der Handlung umfaßt das Wollen "die Steuerung der Handlungsmittel nach dem Handlungsziel und auf dieses hin zur Ausführung des Handlungsentschlusses. " Die Handlungslenkung betrifft allein die Art und Weise, wie Antriebsziele in der Außenwelt verwirklicht werden. Dabei bleibt außer Betracht, welcher Antrieb dem Tatentschluß zugrunde liegt. Sie beschreibt also ein eher technisches Problem: die zweckhafte, am Handlungziel orientierte Auswahl und Anwendung der Handlungsmittel. Demgegenüber erfor8 So ausdrücklich Jescheck, a.a.O., S. 475; Krümpelmann, a.a.O., S. 888, 897; Welzel, Das neue Bild, S. 4. 9 So Jescheck, AT, S. 243, bei dem Versuch, die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit auf das Unrecht zu beschränken. 10 Zum letztgenannten Weg vgl. Lampe, a.a.O., S. 229 ff. 11 ZStW 51 (1931), S. 713ff.; ZStW 58 (1939), S. 503ff.; ZStW 60 (1941), S. 444ff.; Das neue Bild, S. 47ff.; Vom Bleibenden, S. 14ff. 12 Das neue Bild, S. 4. Kritisch zu dieser Gleichsetzung: Ambrosius, Untersuchungen zur Vorsatzabgrenzung, S. 24, Fn. 2; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 67, Fn. 67. 13 a.a.O., S. 47.
128
c.
Der zweiteilige Vorsatzbegriff
dert die Antriebssteueiung eine "Wertentscheidung für und gegen die Antriebe, die für die Entschlußfassung maßgeblich sind." Denn auch die Antriebe unterliegen einer Steuerung, die sich an ihrem, auf die Lebensgestaltung des Individuums bezogenen, Sinn- und Wertgehalt orientiert1 4 • 3.2 Der dolus eventualis - ein Fall der Handlungssteuerung?
Welzels Unterscheidung zwischen Handlungs- und Antriebssteuerung hat ihre Faszination bis in die aktuelle Diskussion bewahrt15 , obgleich sie oft als artifiziell, als Zergliederung eines untrennbaren Zusammenhangs kritisiert wurde 16 • Anfechtbar erscheint die Differenzierung aber weniger unter psychologisch-analytischem, als unter dem dogmatischen Gesichtspunkt ihrer Eignung, die Grenze zwischen Unrecht und Schuld zu kennzeichnen. Einen Prüfstein ihrer Tauglichkeit stellt die Abschichtung von Vorsatz und Fahrlässigkeit dar. Sie müßte bereits auf der Ebene der Handlungssteuerung gelingen und dolus eventualis in den Modalitäten der äußeren Verhaltenslenkung von der bewußten Fahrlässigkeit abheben. Die finale Steuerung der Handlung mag zwar mögliche Nebenfolgen berücksichtigen17 , läßt jedoch keinen Unterschied zwischen ihrer vorsätzlichen und fahrlässigen Verursachung erkennen. Der technische Vollzug der Steuerung, die zielorientierte Auswahl und der zwecktätige Einsatz der Handlungsmittel sind in den benachbarten Varianten der Grundformen subjektiver Zurechnung identisch: Bei bedingt vorsätzlicher, wie bei bewußt fahrlässiger Tat zielt die Handlung auf einen Erfolg, der außerhalb des gesetzlichen Tatbestands liegt. Die Antizipation seiner Verwirklichung, des Eintritts der Nebenfolge, beeinflußt die Verhaltenssteuerung nicht oder nur soweit, wie es das Festhalten am Handlungsziel erlaubt18 • In jedem Fall bleiben fahrlässige wie dolose Zurechnung möglich 19 • Gegensätze treten nur unter dem Aspekt der Auseinandersetzung mit den Antrieben zu Tage. Im Fall des dolus eventualis gibt der Täter der auf Realisierung drängenden Strebung Vorrang vor dem Motiv zur Verhinderung des deliktischen Erfolges, während der bewußt fahrlässig Handelnde einer Konfrontation mit dem Vermeidemotiv aus dem Wege geht. Orientierungspunkt der Vorsatzabgrenzung ist eben nicht die Tauglichkeit der Handlungsmittel für die Erreichung des Ziels oder die Vermeidung unerwünschter NebenfolVom Bleibenden, S. 14. Vgl. etwa Jakobs, Studien, S. 13; Krümpelmann, Welzel-FS, S. 335. 16 So vor allem Henkel, Einführung.in die Rechtsphilosophie, S. 184, Fn. 1; vgl. auch Arthur Kaufmann, H. Mayer-FS, S. 10lf. 17 Welzel, Neues Bild, S. 2. 18 Gleichzeitiges Hin- (Handlungsziel) und Gegensteuern (Nebenfolge). 19 Anders allerdings Armin Kaufmann, siehe oben. 14
15
I. Zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld
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gen 20 - sie ist in den borderline cases gleichermaßen ungewiß und nicht weiter aufklärbar -, sondern die Stellungnahme zu den Strebungen. Lassen sich bedingter Vorsatz und bewußte Fahrlässigkeit auf der Ebene der Handlungssteuerung nicht auseinanderhalten, so werden sie auch bei isolierter Betrachtung der Antriebssteuerung nicht individualisierbar. Denn die Antriebe sind für sich tatbestands- und damit rechtlich wertneutral- in Lacmanns Schießbudenfall21 auf den Gewinn der Wette gerichtet, gleichviel, ob das Mädchen vorsätzlich oder fahrlässig verletzt wurde. Erst der spezifische, Gefahren für ein Rechtsgut bergende Weg der Verwirklichung des Antriebsziels kann die Wertwidrigkeit konstituieren. Ein bestimmtes Zusammenspiel von Antriebs- und Handlungssteuerung eröffnet die Schuldperspektive: Psychische Aktivitäten, die mit der äußeren Verhaltensführung verbunden sind, lenken die Aufmerksamkeit auf die Nebenfolge und regen, falls die Gefahr ernst genommen wird, ein Motiv zur Vermeidung des drohenden Erfolges an. Durch die konkrete Handlungssteuerung entsteht so erst der Konflikt auf der Antriebsseite, dessen Lösung zu Lasten des Vermeidemotivs Schuld begründen kann. Das Beispiel des dolus eventualis erweist damit, daß die Differenzierung zwischen Handlungs- und Antriebssteuerung nicht geeignet ist, Unrecht und Schuld zu unterscheiden. Das Schuldurteil kann nicht von der Handlungssteuerung abstrahieren, da Schuld als Ausbleiben sinngemäßer Selbstbestimmung22 einen Anlaß zur Orientierung an Werten voraussetzt, der aus dem Zusammenspiel von Strebung und konkreter Verhaltenslenkung erwächst. Dagegen vermag die Handlungssteuerung für sich nicht die Unrechtstypizität und damit die Rechtswidrigkeit des Verhaltens zu bestimmen. 3.3 Teleologische und kausale Betrachtungsweisen (Lampe)
Dieselben Unzulänglichkeiten begegnen in Lampes Abgrenzung von Schuld und personalem Unrecht. Dieses sieht er durch die Zwecke des Täters bestimmt, die seine Beziehung zur Umwelt prägen, jene durch die verbleibenden Subjektunwerte, die den Grund der Handlung charakterisieren: "Zur Schuld gehört wodurch der Wille bestimmt wird, Unrecht ist wozu er sich bestimmt. "23 Im Vorsatz, der eine DoppelsteIlung einnimmt, verbindet sich der Willensentscheid für einen konkreten Antrieb mit jenem für einen bestimmten Weg der Realisierung 24 • Die Differenzierung zwischen 20
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So Welzels Charakterisierung der Handlungssteuerung, Neues Bild, S. 48. Lacmann, ZStW 31 (1911), S. 159. Welzel, Strafrecht, S. 149. Personales Unrecht, S. 229ff. (234). a.a.O., S. 244.
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zwei Entscheidungsprozessen, die sich eng mit Welzels verschiedenartigen Bezugspunkten der finalen Steuerung berührt, zeigt jedoch deutlich, daß der Wechsel von der teleologischen zur kausalen Betrachtungsweise keine Konkretisierung der Scheidung von Willensbildung und Willensverwirklichung darstellt 25 • Denn Lampe konstrastiert zwei Arten von Entscheidungen, die sich im Objekt der Willenslenkung unterscheiden, die aber beide entsprechende Motivationsprozesse voraussetzen. Gleiches gilt für Welzels Gegensatzpaar. Die Handlungssteuerung erfaßt, über reine Verhaltenslenkung hinausgehend, auch Akte in der gedanklichen Sphäre, die vor der Entschlußfassung liegen 26 und den Willen erst ausbilden. Damit wird nicht die Willensbildung von der Willensverwirklichung abgeschichtet 27 , sondern der Motivationsprozeß aufgespalten in Bestandteile, die mit der Handlung zusammenhängen und andere, die, vom Verhalten gelöst, das Schuldurteil tragen 28 • Erweisen sich bereits die von Welzel und Lampe konzipierten Unrechtsbegriffe als zu statisch, um jene motivationale Dynamik abzubilden, die eine Unterscheidung von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit erlaubt, so vermag eine konsequente Trennung von Motivation und Realisation erst recht keine Vorsatzabgrenzung zu ermöglichen, die auf Anleihen aus dem Bereich der Schuld verzichten könnte. 3.4 Weitere Motivationselemente im Unrecht
Willensverwirklichung und Willensbildung werden als Komplementärbegriffe für Unrecht und Schuld aber nicht nur durch den dolus eventualis in Frage gestellt. In einer Reihe von Tatbeständen konstituiert der Beweggrund des Täters im Sinne einer über die Kennzeichnung des Handlungsziels hinausgehenden Charakterisierung der Willensbildung29 das Unrecht. So muß der Zuhälter im Fall des § 181 a I Ziff. 2 StGB seines Vermögensvorteils wegen handeln, der Hehler, um sich oder einen Dritten zu bereichern (§ 259 StGB)3o. Als Beweggrund jenseits der Erfolgsvorstellung läßt sich auch das subjektive Rechtfertigungselement begreifen. Folgt man der Rechtsprechung31 , so begründet nicht schon die Kenntnis der Notwehrlage den Verteidigungswillen, sondern erst der Stellenwert des Abwehrmotivs in der Willensbildung im Verhältnis zu Strebungen, wie Haß oder Rache. 25
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Was Lampe im Gegensatz zu Welzel auch gar nicht verspricht. Vgl. Welzel, Neues Bild, S. Hf. So bereits die Kritik bei Ambrosius, a.a.O., S. 24, Fn. 2. Jakobs, Studien, S. 13. Zum Begriff des Beweggrundes vgl. oben B H, 1.2. Beispiele von Stratenwerth, AT, Rn. 327. Vgl. etwa BGHSt 3,198; BGH GA 1980, S. 67.
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Selbst die affektiven Grundlagen des Motivationsgeschehens sind tatbestandlich vertypt, wie die Gewinnsucht in § 235 II StGB, die Tendenz zu sexueller Erregung in § 174 II StGB, sowie Habgier und Mordlust bei § 211 StGB32. Auch wenn die zuletzt genannten Gesinnungsmerkmale33 nach überwiegender Ansicht nur die Schuld berühren, konnte mit den übrigen Beispielen gezeigt werden, daß subjektive Unrechtselemente nicht nur das "Wozu", sondern auch das "Warum" des Wollens, den Prozeß der Willensbildung thematisieren. Der Nachweis von Motivationselementen im Unrecht kann aber eine Systematik, die ihre Stufen nach Willensbildung und -verwirklichung trennt, ebenso erschüttern, wie die Entdeckung subjektiver Tatbestandsmerkmale den klassischen Ansatz widerlegte, der zwischen Innenund Außenseite schied34 . Gegen den Verbrechensbegriff würden sich diese Widersprüche allerdings nur richten, wenn die Differenzierung nach Motivation und Realisation durch die Konzeption von Unrecht und Schuld notwendig vorgegeben wäre. Andernfalls erschienen sie reduziert auf die Frage der konkreten Abgrenzung, gälte es lediglich die Trennungslinie unter Beachtung der zentralen, Unrecht und Schuld konstituierenden Sachgesichtspunkte exakter zu bestimmen. 4. Abgrenzung innerhalb der Willensbildung (eigene Lösung) Für eine umfassende Erörterung der Lehren von Unrecht und Schuld besteht an dieser Stelle weder Raum noch Notwendigkeit. Denn ihr Verhältnis zum Motivationsbegriff läßt sich auf der Basis der konsensgetragenen Grundstrukturen der Systemkategorien so weit aufklären, wie dies für die Bestimmung des Vorsatzbegriffes erforderlich ist. 4.1 Normbegriff und Motivation
Angeregt durch die Entdeckung subjektiver Unrechtselemente und gefördert durch die finale Handlungslehre wurde die personale Unrechtslehre zur dominierenden Interpretation des objektiven Urteils über die Tat 35 . Die personale Komponente des Unrechts folgt dabei nicht aus der ontologischen Beispiele von Stratenwerth, AT, Rn. 329. Grundlegend Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht; zur Stellung im Verbrechensaufbau Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171 ff. 34 Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 896, der dennoch an der Differenzierung festhalten will (S. 897). 35 Zur Dogmengeschichte vgl. Gallas, Bockelmann-FS, S. 155ff.; Hirsch, ZStW 93 (1981), S. 831ff.; 94 (1982), S. 239ff.; KrauB, ZStW 76 (1964), S. 19ff. 32 33
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Struktur der Handlung, sondern aus dem Wesen der Rechtsnorm36 • "Ein System von Sätzen kann sich nur über die Motivation in der Realität auswirken." Durch die Aussage, was richtig und falsch ist, setzt es der Motivation Orientierungspunkte 37 und leitet den Menschen zu inhaltlich richtigem Wollen an38 . Das Strafgesetz wendet sich an den Willen, von dem allein es etwas zu erwarten hat39 • Daher wird die Norm, auch soweit sie das Unrecht charakterisiert, als Bestimmungsnorm aufgefaßt 40 • Ihre Funktion wird darin gesehen, den Rechtsgenossen ihrem Gebot oder Verbot entsprechend zu motivieren 41 • Folgt man, wie die ganz herrschende Ansicht, dieser Normlogik, so leuchtet die Beschränkung des Rechtswidrigkeitsurteils auf Elemente der Willensverwirklichung nicht ein. Denn die Norm intendiert die Beeinflussung der Willensbildung in ihrem Sinne. Damit repräsentiert aber die Willensbildung - zumindest neben der äußeren Handlungssteuerung den zentralen Gesichtspunkt der Unrechtswertung. Die personale Unrechtslehre schließt aus ihrem Normverständnis auf die Lozierung des Vorsatzes im Unrechtstatbestand, auf die Berücksichtigung der Finalität. Sie versucht diese aber auf den Willensinhalt, das Ziel der Handlung zu beschränken, um die Systemkategorien nicht zu konfundieren42 • Das Wesen der dem Unrecht zugrunde liegenden Norm verbietet jedoch nicht, den Gegenstand der Wertung von der Handlungssteuerung im Sinne Welzels auf den gesamten Motivationsprozeß auszudehnen. Der Begriff der Bestimmungsnorm würde es sogar nahelegen, die Willensbildung als dem Recht widersprechend zu beurteilen. Dabei müßte allerdings Raum für einen Schuldbegriff bleiben, der sich im Objekt seiner Wertung vom Unrechtssachverhalt unterscheidet, da andernfalls eine Trennung der Systemkategorien nicht denkbar ist43 .
36 Vgl. etwa Bockelmann, AT, S. 53f.; Gallas, ZStW 67 (1955), S. 33ff.; Jescheck, AT, S. 189; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 53; Roxin, ZStW 74 (1962), S. 528; Wessels, AT, S. 36. 37 Jakobs, Studien, S. I, 3. 38 Jescheck, a.a.O.; Lenckner, a.a.O., Rn. 55; Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Strafrechtssystem, S. 152. 39 Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, S. 85. 40 Bockelmann, AT, S. 36; Gallas, a.a.O., S. 15, Anm. 41; Jescheck, a.a.O., S. 188f.; Armin Kaufmann, Normtheorie, S. 76; Krauß, ZStW 76 (1964), S. 57; Lenckner, a.a.O., Rn. 51; Roxin, ZStW 74 (1962), S.529; Honig-FS, S. 135; Stratenwerth, SchwZStr 79 (1963), S.246; Welzel, Strafrecht, S.4ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 121. Ausschließlich in einer Bewertungsfunktion sieht Nowakowski (ZStW 63 (1951), S. 288ff.) die Norm. 41 Gallas, Bockelmann-FS, S. 156; ähnlich Roxin, ZStW 96 (1984), S. 652. 42 Vgl. oben 3. 43 Krauß, ZStW 76 (1964), S. 57. Zur Kritik eines rein normativen Schuldbegriffs vgl. etwa Lampe, Personales Unrecht, S. 239; Stratenwerth, AT, Rn. 510.
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4.2 Unrechts- und Schuldperspektiven der Motivation
Die Lösung dieses Problems ist in der Normtheorie Armin Kaufmanns vorgezeichnet. Dort deutet sich eine Differenzierung innerhalb der Willensbildung an, die Motivationselemente bereits im Unrecht berücksichtigt und der Schuld einen eigenständigen Sachbezug bewahrt. Armin Kaufmann hebt von der abstrakten die konkretisierte Norm (Pflicht) ab, "die einem ganz bestimmten Einzelnen ein ganz konkretes Verhalten vorschreibt"44. Adressat der Pflicht ist der "Handlungsfähige"45, der physisch und psychisch im Stande ist, in der konkreten Situation den Akt zu vollziehen, der seinen Willen dem Verbot zuwider bilden kann. Davon zu unterscheiden ist die Fähigkeit zur Pflichtbefolgung46 . Sie beschreibt das Vermögen des Verpflichteten, sich von der Norm motivieren zu lassen. Ihre Elemente bilden die Fähigkeit zur Pflichterkenntnis und die Fähigkeit zur Willensbildung nach der erkannten Pflicht. Dieses Modell charakterisiert Unrecht und Schuld gleichermaßen durch Motivationselemente. Ähnlich sieht Jakobs die Motivation als auf beiden Verbrechensebenen - doppelt - bewertet: "Als Handlungsmoment in der Verhaltensnorm und als Wertentscheidung durch den Schuldvorwurf. "47 Dennoch bleiben die Systemkategorien getrennt, da die Willensbildung unter wechselnden Aspekten zu beurteilen ist. Im Rahmen der Schuld wird der Motivationsprozeß in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Fähigkeit zur Befolgung der Pflicht thematisch48 . Grundlage des Schuldurteils bildet die Frage, ob der Täter sich nach dem Gebot oder Verbot motivieren konnte, ob er in der Lage war, die Pflicht zu erkennen und seinen Willen dieser Einsicht entsprechend zu überformen. Damit fußt die Schuld nicht auf einem abscheidbaren Teil des Motivationsvorganges, sondern auf einer Wertung des gesamten Wirkungsgefüges. Gleichwohl wird sich der materielle Bezug des Schuldurteils als vom Objekt der Unrechtswertung unabhängig erweisen. Das Schuldurteil mißt den psychisch-faktischen Motivationsprozeß, so wie er bei der Tat ablief, an der hypothetischen Möglichkeit einer alternativen Willensbildung49. Es entscheidet, ob der Täter in der konkreten motivationalen Situation an die Stelle der real erfolgten normwidrigen Willensbildung eine pflichtgemäße Motivation hätte setzen können. Im Rahmen des Normtheorie, S. 125ff., 138ff. Der Begriff entspricht nicht der verbreiteten Terminologie, die mit ihm eine generelle Fähigkeit zu Handlungen bezeichnet. 46 a.a.O., S. 160ff. 47 Jakobs, Studien, S. 13. 48 So im Anschluß an Armin Kaufmann auch Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S.897ff. 49 Zur Differenzierung zwischen psychisch-faktischem und normativ-hypothetischem Motivationsbegriff vgl. Krümpelmann, a.a.O., S. 891 ff. 44
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Unrechts ist hingegen die Vorfrage zu klären, ob die psychisch-faktische Motivation tatsächlich dem Verbot zuwiderläuft5o , der Wille in einer Weise gebildet wurde, welche die Strafrechtsnorm gerade verhindern Will51 . Somit unterscheiden sich die Motivationsanalysen von Unrecht und Schuld in ihren Bezugspunkten: dem Widerspruch zwischen Norm und Wollen und der Möglichkeit zu normgetreuem Wollen. Der Wechsel der Perspektive läßt zwei Motivationssachverhalte entstehen, die unabhängige Urteile ermöglichen: Auch wo die potentielle Alternativität der Willensbildung fehlt, kann noch deren Gegensatz zum Strafgesetz festgestellt werden, denn dieser erweist sich nicht erst in einem Akt des Ungehorsams, sondern bereits in einer objektiven Abweichung von der durch die Norm vorgezeichneten Motivation52 . Die Unabhängigkeit des Schuldgegenstandes vom Objekt der Unrechtsfeststellung sichert somit die Spezifität der Perspektive, aus der die Willensbildung analysiert wird. Lassen sich aber innerhalb der Willensbildung unabhängige Wertungs objekte umreißen, so folgt die Konfundierung von Unrecht und Schuld in den traditionellen Definitionen des dolus eventualis nicht notwendig aus der Verwendung motivationaler Bestimmungsmerkmale. Die Begriffsbildung braucht daher auch für die Unrechtsseite des Vorsatzes nicht auf Elemente der Willensbildung zu verzichten, sondern muß sich nur konsequent an der Unrechtsperspektive des Motivationsprozesses orientieren. Für den Vorsatzbegriff bedeutet dies zum einen, Kriterien, die die schuldspezifische Motivationsfähigkeit voraussetzen, zu meiden oder ausschließlich einer denkbaren Schuldseite des Dolus zuzuordnen. Zum anderen gilt es, die Unrechtsperspektive der Willensbildung unter vorsatzdogmatischen Gesichtspunkten zu präzisieren. Die Analyse der unrechtsspezifischen Motivationsanteile kann Armin Kaufmanns Konstrukt der "Handlungsfähigkeit"53 aufgreifen, das im Kontext des Adressatenproblems entwickelt und analog zum "Generalnenner der Schuld"54 gestaltet wurde. Handlungsfähig in diesem Sinne ist der einzelne, der "in einer zeitlich und räumlich bestimmtem Situation" den verbotenen Akt vornehmen kann. Dieses Vermögen hat neben physischen auch psychische Voraussetzungen, zu denen etwa die Kenntnis von Tatbestandsmerkmalen, nicht aber das Bewußtsein vom Unrecht der Tat zählt55 . Die 50 Ähnlich Gallas, ZStW 67 (1955), S. 38, der mit dem Vorsatz im Unrecht eine bestimmte seelische Leistung als dem Recht widersprechend bewertet sieht. 51 Daß die Vorsatznorm nicht nur einen bestimmten Willensinhalt, sondern, zumindest im Fall des dolus eventualis auch eine bestimmte Willensbildung im Auge hat, wurde bereits oben, 3.2 dargelegt. 52 LK - Jescheck, Vor § 13, Rn. 69; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 54. 53 Zum Begriff vgl. oben Anm. 43. 54 Diese Formulierung verwendete Armin Kaufmann erst in Eb. Schmidt-FS, S.320. 55 Normtheorie, S. 138ff.
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psychischen Bedingungen der "Handlungsfähigkeit" lassen sich folglich als das Vermögen begreifen, den Willen in objektivem Gegensatz zum Verbot zu bilden, wobei mögliche motivationale Alternativen noch außer Betracht bleiben. So vermag ein Täter, der das Tatobjekt nicht als Mensch erkennt, etwa Treiber und Wild verwechselt, nicht gegen das Tötungsverbot zu verstoßen. Diese Feststellung kann ohne Rücksicht auf die Schuldfähigkeit getroffen werden, unabhängig auch von der Frage, ob der Täter hätte anders handeln können. Wie für das Schuldurteil aus dem gesamten Motivationsgeschehen jene Momente ausgewählt werden, welche die Fähigkeit des Täters bestimmen, das Unrecht der Tat einzusehen und nach seiner Einsicht zu handeln, so konzentriert sich die Unrechtsperspektive auf die Kräfte, aus denen das Vermögen erwächst, den Willen in objektivem Gegensatz zum gesetzlichen Verbot zu bilden. Diese Fähigkeit gründet vor allem auf kognitiven Prozessen, woraus die zentrale Stellung von § 16 StGB resultiert, sie beruht aber nicht auf Wahrnehmung allein. Denn das Wissen um Tatumstände hat nur Bedeutung, weil und wenn es Eingang in den Prozeß der Willens bildung findet und diese schließlich zu einem (Tat-)Entschluß führt; beides wird durch Willensvorgänge kon trolliert56 • Mit der Unterscheidung von Unrecht und Schuld nach den motivationalen Elementen, welche die Fähigkeit determinieren, den Willen dem Verbot zuwider zu bilden und jenen Variablen, die das Vermögen pflichtgemäß zu handeln bestimmen, werden die unrechts- und schuldspezifischen Perspektiven innerhalb der Motivation nicht abschließend festgelegt, sondern nur in ihren grundlegenden Strukturen soweit konkretisiert, wie es für die Bildung des Vorsatzbegriffes notwendig ist. Dies sei am Beispiel der Schuld illustriert: Das motivationale Objekt ihrer Wertung stellt das Gefüge jener Kräfte dar, die das Vermögen, sich normkonform zu motivieren, determinieren. Damit ist aber nur der Kern des Schuldgegenstandes beschrieben, denn nicht alles, was auf die Motivation wirkt und gleichwohl diese Fähigkeit unberührt läßt, ist deshalb schuldindifferent. Die in den §§ 33, 35 StGB angeführten Umstände lassen das Motivationsvermögen intakt und schließen doch die Schuld aus. Damit entsteht kein Gegensatz zu unserer Zuordnung von Elementen der Willens bildung in Unrecht und Schuld. Ihr Ziel war nicht eine umfassende Analyse von Motivationsmerkmalen im Strafrechtssystem, sondern lediglich die Unterscheidbarkeit der Systemkategorien im Bereich von Vorsatz und Motivation. Sie ist daher offen für ergänzende Zuschreibungen57 , die sich allerdings nicht in Widerspruch zu den Grundstrukturen setzen dürfen, die das Verhältnis der Systemkategorien bestimmen. 56 57
Vgl. dazu eingehend unten C IV l. Vgl. unten 4.3.
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Unrecht und Schuld sind nicht nach Willensbildung und Willensverwirklichung zu scheiden;vielmehr ist innerhalb der Motivation nach jeweils spezifischen Aspekten der Willensbildung zu trennen. Die Perspektive der Schuld eröffnen Variable, die das Vermögen zu pflichtgemäßer Motivation beeinflussen, während die Sicht des Unrechts vor allem durch Elemente bestimmt wird, die auf die Fähigkeit des Handelnden wirken, seinen Willen in objektiven Widerspruch zur Norm zu setzen. 4.3 Exkurs: Die Schuldperspektive der Willensbildung und ergänzende Regelungen am Beispiel von § 35 StGB
Das Verhältnis der Grundstruktur der Schuld zu ergänzenden Regelungen des Gesetzes kann für § 35 StGB beispielsweise folgendermaßen erläutert werden: Die Schuld des Vorsatzdelikts werden wir als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung definieren58 • § 35 StGB charakterisiert diese Entscheidung näher. Die Vorschrift soll einer bestimmten Fallgruppe gerecht werden, welche die Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung, die grundsätzlich das Schuldurteil trägt, unter gewissen, genau umschriebenen Umständen als höchst verständlich und für jedermann nachvollziehbar erscheinen läßt. In der außergewöhnlichen Notsituation des § 35 StGB würden viele Menschen eher die bedrohten Güter retten, als dem Normappell folgen. Da die Entscheidung in dieser Situation typischerweise begreiflich und nachfühlbar ist, erscheint nicht nur die Schuld, die sie verkörpert, gemildert, sondern auch eine Bestrafung kriminalpolitisch unnötig. Spezialpräventive Gesichtspunkte erfordern sie nicht, weil der Täter handelt, wie der Durchschnittsbürger sich in vergleichbaren Lagen verhalten würde, also kein Sozialisationsdefizit offenbart. Generalpräventive Zwecke legen einen Verzicht nahe, weil die Tat aufgrund ihres besonderen motivationalen Hintergrunds, der unmittelbar einleuchtet und, fest umrissen, auf eine ganz konkrete Notsituation beschränkt bleibt, kein Strafbedürfnis erweckt. So bildet die Entscheidung für die Rechtsgutverletzung die Basis, die notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung des Schuldurteils. Aber auch kriminalpolitisch orientierte Korrekturen, die für typisierte Ausnahmen den regelmäßigen Zusammenhang zwischen der Wahl für die deliktische Verhaltensalternative und dem Schuldurteil aufheben, gründen auf dem Begriff der Entscheidung. Sie knüpfen den Ausschluß der Schuld an bestimmte Qualitäten der Wahl, im Fall von § 35 StGB an die breite Nachvollziehbarkeit der Entscheidung, ihre hohe Übereinstimmung mit den Verhaltenserwartungen an den Durchschnittsbürger. Die Möglichkeit, Strafzwecke im 58
Vgl. unten C V!.
11. Die Doppelstellung des Vorsatzes
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Rahmen der Schuld zu berücksichtigen, wurzelt somit wieder in der Grundlage der Schuld des Vorsatzdelikts, der Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung. Nur weil diese jedermann begreiflich und nachfühlbar, die Schuld also wesentlich gemildert ist, wird der Strafzwecklehre ein Argumentationsspielraum eröffnet 59 • § 35 StGB steht folglich nicht in Widerspruch zu unserer Abgrenzung von Unrecht und Schuld, sondern fügt sich bruchlos in unsere Charakterisierung der Schuld ein.
ß. Die DoppelsteIlung des Vorsatzes 1. Die Lozierung im Verbrechensaufbau
Die Analyse der Motivationselemente in Unrecht und Schuld hat den Boden für die Rekonstruktion des Vorsatzbegriffes bereitet. Sie zeigt, daß den Systemkategorien als Objekte ihres Urteils unterschiedliche Ausschnitte aus dem Bereich der Willensbildung zugeordnet werden können, da motivationale Vorgänge in Unrecht und Schuld jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Diese motivationalen Wertungsobjekte binden die Doluslehre in ihrer Begriffsbildung. Je nach dem systematischen Standort des Vorsatzes ist sie auf Beschreibungsmerkmale festgelegt, welche die materielle Urteilsgrundlage der entsprechenden Verbrechensstufe enthält. Vorsätzliches Unrecht kann von fahrlässigem daher nicht aus der Schuldperspektive des Motivationsprozesses geschieden werden. 1.1 Träger des Handlungssinnes
Die finale Handlungslehre leitete eine Auseinandersetzung um den Unrechtsbegriff ein, die zwar noch anhält, die andererseits aber bereits in eine gefestigte, weithin anerkannte Auffassung von der Lozierung des Dolus im Verbrechensaufbau mündete. Die ganz überwiegende Lehre ordnet den Vorsatz - jedenfalls auch - dem subjektiven Tatbestand zu l : "Der Vorsatz als der unmittelbar gegen den Normbefehl gerichtete Handlungswille ist das Kernstück des personalen Handlungsunrechts"2. In der aktuellen Diskussion steht nicht mehr der im Dolus wurzelnde Intentionsunwert in Frage, sondern der Erfolgsunwert3 . Der Vorsatz, einst Grundlage der Schuld, hat 59 Zur Begründung kriminalpolitischer Erwägungen in dieser Form erstmals Roxin (Henkel-FS, S. 171ff.; Bockelmann-FS, S. 279ff.), der allerdings Schuld im Sinne des Andershandelnkönnens und Strafzwecke stärker trennt und nicht, wie wir, deren Berücksichtigung wieder auf die (gemilderte) Schuld im traditionellen Sinne zurückbezieht. 1 Ganz herrschende Lehre, vgl. die Hinweise bei LK - Jescheck, Vor § 13, Rn. 40, Fn. 26; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 54a. 2 Jescheck, AT, S. 192f. 3 Vgl. die Übersicht bei Gallas, Bockelmann-FS, S. 155ff.
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c. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
sich im Unrechtsbereich als bestimmende Größe durchgesetzt4, während dem Erfolgsunwert, der diese Funktion einst unangefochten ausfüllte, der Abstieg zur bloßen Strafbarkeitsbedingung droht. Die Verknüpfung des Vorsatzes mit der Rechtswidrigkeit folgt für die Finalisten aus der ontologischen Struktur der Handlung, sie wird vorwiegend jedoch normlogisch begründet: Das Strafgesetz kann nur über die Motivation der Rechtsgenossen in der Realität wirken. Seine Aufgabe, Rechtsgüter zu schützen, erfüllt es, wenn die Adressaten zu einer rechtskonformen Willensbildung veranlaßt werden. Gegenstand des Verbots ist daher nicht die beliebige Erwirkung eines Erfolges, sondern die fehlerhafte Willensbetätigung, die sich trotz Möglichkeitsvorstellung der Bestimmung durch die Norm entzieht. Der Verwirklichungswille bildet folglich den Kern der Rechtswidrigkeit 5 • Mit dieser grundlegenden Aussage fand die personale Unrechtslehre so breite Gefolgschaft, daß sie hier keiner neuerlichen Begründung bedarf. Es genügt vielmehr festzuhalten, daß der Vorsatz als Verwirklichungswille bereits dem Unrechtstatbestand zugehört. 1.2 Gestalt des Schuldvorwurfs
Weniger gesichert stellt sich das Verhältnis von Vorsatz und Schuld dar. Mit der Berücksichtigung des Dolus im Handlungsunrecht ist über Verwendung und Funktion der dogmatischen Kategorie auf der folgenden Verbrechensstufe nicht entschieden. Dagegen leiten die Finalisten die Beschränkung des Vorsatzes auf die Rechtswidrigkeit aus ihrer Handlungslehre ab: Als subjektives Tatbestandsmerkmal sei er bereits in all seinen Bezügen erfaßt6 • Die Bedeutung des Vorsatzes für die Schuld kann aber aus der Perspektive des Unrechts nicht abschließend geklärt werden. Denn jede Systemkategorie wertet die subjektive Seite des Verbrechens unter spezifischen Gesichtspunkten7 • Die Zuordnung eines Deliktsmerkmals zu einer Stufe des Verbrechens hindert seine Verwendung auf einer anderen nichtS, solange die Systemkategorien unterscheidbar bleiben. Ob die Differenzierung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, über die Unterscheidung im 4 Ausschließlich der Schuld wird der Vorsatz nur noch zugeordnet von: Baumann, AT, § 26; Engisch, DJT-FS I, S. 426ff.; Kohlrausch / Lange, § 59 Anm.II 1; Mezger, LK 8, Ein!. III 5 c; Naucke, Einführung, S.266ff, 271; Spendei, Bockelmann-FS, S.252. 5 Bockelmann, AT, S.34; Gallas, ZStW 67 (1955), S. 33ff.; Jescheck, Wolff-FS, S. 480f.; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 55; vgl. auch oben C I, 4.l. 6 Hirsch, LK 9, Vor § 51, Rn. 160. Krit. zur DoppelsteIlung des Vorsatzes auch Haft, Der Schulddialog, S. 49. 7 Vgl. oben C I, 4.2 . .8 Roxin, Krirninalpolitik und Strafrechtssystem, S.42f.; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 120.
11. Die Doppelstellung des Vorsatzes
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Unrecht hinausgehend, die VOIwerfbarkeit kennzeichnet, wird nicht durch die Handlungslehre präjudiziert, sondern folgt aus dem Schuldbegriff: Vorsatz und Fahrlässigkeit bilden nicht nur Verhaltensformen schuldneutral ab, sie stellen vielmehr bereits einen wichtigen Maßstab für die Vorwerfbarkeit der tatbestandlichen Handlung zur Verfügung. Die fahrlässige Bewirkung von Erfolgen wird im Vergleich zu den entsprechenden Vorsatzdelikten grundsätzlich durch weit geringere Strafrahmen bedroht und bleibt meist sogar ganz straffrei. Da nach einem tragenden Grundsatz des Schuldprinzips die Strafe nach der Schuld zu bemessen ist 9 , findet in der Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit auch eine Schulddifferenz Ausdruck1o . Mit der generellen Strafabstufung hat der Gesetzgeber bekundet, daß die vorsätzliche Begehung in ihrem Schuldgehalt regelmäßig schwerer wiegt, als die fahrlässige. Somit repräsentieren Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschiedliche Formen der Vorwerfbarkeit. Hält man an der Funktion des Dolus fest, die Rechtswidrigkeit zu begründen, so erscheint er im Verbrechensaufbau auf zwei Stufen: Im Unrecht verkörpert der Vorsatz den rechtlich-sozialen Sinn der Handlung, in der Schuld stellt er Maß und Form der Vorwerfbarkeit dar. 2. DoppelsteIlung und Vorsatzdogmatik 2.1 Der Einfluß auf die Begriffsbildung
Dieses Vorsatzverständnis, das von zweierlei Aufgaben und damit auch von einer doppelten Lozierung der Deliktskategorie ausgeht, ist in jüngster Zeit im Vordringen begriffenl l . Es hat gleichwohl zu keinem grundlegend neuen oder auch nur in wesentlichen Zügen einheitlichen Doluskonzept geführt. Wie die Umgestaltung des Verbrechenssystems durch die personale Unrechtslehre hat auch die Begründung der Doppelstellung die konkreten Vorsatzdefinitionen kaum berührt. Der dolus malus, Kern der Vorwerfbarkeit, wurde umgedeutet in den schuldneutralen Sinn der Handlung, die TraBVerfGE 45, 187 (259f.). Roxin, ZStW 74 (1962), S. 554; Wesseis, AT, § 5 III 5. 11 Grundlegend Gallas, ZStW 67 (1955), S. 45, Fn. 89; Bockelmann-FS, S. 170. Sowie Blei, AT, § 20 I; Cramer, Grundbegriffe des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, S.5lf.; Dreher, Heinitz-FS, S.224f.; Eser, Strafrecht I Nr.3, A 28; Jescheck, AT, § 24 III 5, § 39 IV 3; Lackner, § 15 Anm. IV 5 c; Lampe, Das personale Unrecht, S. 244ff.; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 42; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 3; S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff, Rn. 55, 120f.; Wesseis, AT, § 5 III 5, § 10 V; Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Strafrechtssystem, S. 152. Vom Boden der Vorsatztheorie differenzieren ebenfalls zwischen Unrechts- und Schuldelementen des Vorsatzes: Otto, Grundkurs Strafrecht, § 7 IV; Schmidhäuser, Lehrbuch 7/36; 8/26. 9
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
dition der Vorsatzdogmatik jedoch gewahrt. Weder die formelartigen Kennzeichnungen des Dolus noch die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit wurden revidiert. Obgleich der Gehalt der dogmatischen Kategorie eine radikale Veränderung erfuhr, konnte der Eindruck eines "systematischen Versatzspiels"12 entstehen, da die vertrauten Begriffe, mit denen man am konkreten Fall umgeht, unverändert blieben. Sie wurden ebensowenjg überprüft als die Schuld "ein Stück Vorsatz" zurückerhielt. Die Lozierung des Dolus in zwei Deliktskategorien hat zwar eine fruchtlose systematische Auseinandersetzung beendet, eine inhaltliche Neubestimmung jedoch allenfalls im Ansatz skizziert. Der Vorsatz wird auch von den Vertretern dieser Auffassung allein aus der Unrechtslehre entwickelt, sein Schuldanteil hat keinen Einfluß auf die Begriffsbildung. So kam auch das Problem, ob es angeht, die Grenze zur Fahrlässigkeit durch Kriterien zu markieren, die dem Wertungsobjekt der Vorwerfbarkeit entstammen, einer Lösung nicht näher. Die Lehre von der Doppelstellung hat nicht zu einer Rekonstruktion des Vorsatzbegriffs geführt. Sie wurde auch nicht aus einem vorsatzdogmatischen Erkenntnisinteresse begründet, sondern um die Schuld aus dem "finalistischen Dilemma" zu führen, in das sie durch den Verlust ihres traditionellen Wertungsobjekts, des Vorsatzes geraten war und das ohne einen neuen gegenständlichen Bezug die Selbständigkeit des Schuldurteils gegenüber der Rechtswidrigkeit bedrohte13 . Breite Gefolgschaft fand die Lehre vor allem als Basis einer eleganten Lösung des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Dagegen blieb die Fruchtbarkeit des Ansatzes für die vorsatzdogmatische Begriffsbildung weithin unerkannt1 4 • Die Abstufung der Vorwerfbarkeit nach vorsätzlichem oder fahrlässigem Verhalten erscheint oft als bloße Wiederholung der bereits im Unrecht angelegten Differenzierung. Der Begriff des Vorsatzes wird auch von Vertretern der Doppelstellung in aller Regel allein aus der Perspektive der Rechtswidrigkeit entwickelt. Hat der Vorsatz aber die Funktion, Formen von Verantwortlichkeit zu scheiden, so ist er im Hinblick auf diese Aufgabe, das heißt nach den Wertungsprinzipien der Schuld inhaltlich auszugestalten 15 . Die Definition des Dolus muß daher den gegenüber fahrlässiger Begehung erhöhten Grad von Vorwerfbarkeit und den spezifischen Handlungssinn der Vorsatztat gleichermaßen erfassen.
Vgl. zu diesem Vorwurf Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 890. Gallas, a.a.O., S. 45. a Roxin hat allerdings mehrfach darauf hingewiesen, daß die Lozierung des Dolus seinen sachlichen Gehalt bestimmt: ZStW 74 (1962), S.550ff.; Radbruch-FS, S. 262ff.; Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 43. 15 Roxin, a.a.O. 12 13
11. Die Doppelstellung des Vorsatzes
141
2.2 Die doppelte Entwicklung des Vorsatzbegriffs
Wie die zentrale Bedeutung von Motivationselementen für Unrecht und Schuld die Zuordnung eines Ausschnitts der das Verbrechen konstituierenden psychischen Realität zu einer Systemkategorie verbietet, so steht beim Vorsatz der Festlegung eines Rechtsbegriffs auf eine Deliktsstufe seine Doppelfunktionalität für Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit entgegen. Die Polyvalenz von Vorsatz und Motivation erweist, daß sich Deliktskategorien nicht durch die Einheit des zugrundeliegenden sachlichen Substrats, im Wege der Abstraktion eines deskriptiven Merkmals, definieren lassen, sondern allein durch die normative Idee 16 . Aus diesem für Unrecht und Schuld unbestrittenen Prinzip17 kann umgekehrt geschlossen werden, daß derselbe Tatsachenstoff, etwa die Willensbildung oder dasselbe Deliktsmerkmal, das dieses Material abbildet, wie der Vorsatz, auf verschiedenen Ebenen des Verbrechensaufbaus vorkommen können. Die Heterogenität des Materials, das die normative Idee einer Deliktskategorie zusammenschließt, darf jedoch nicht den Blick auf die Spezifität der Bewertungsobjekte verstellen. Unrecht und Schuld unterscheiden sich neben der besonderen Art zu werten auch im Gegenstand ihres Urteils. Zwar wird die Deliktskategorie nicht durch einen zentralen Sachgesichtspunkt konstituiert, ihr normatives Urteil bedarf jedoch einer materiellen Basis. Jede Verbrechens stufe ist somit als Einheit von Gegenstand und Wertprädikat zu verstehen 18 . Die allseits postulierte Unterscheidbarkeit von Rechtswidrigkeit und Schuld sichert dabei nur eine Trennung der Objekte ihrer Wertung. "Ohne solchen eigenen gegenständlichen Bezug ist ... das Schuldurteil als ein gegenüber dem Rechtswidrigkeitsurteil selbständiges rechtliches Sollensurteil nicht zu begründen"19. Unrecht und Vorwerfbarkeit sind daher nicht nur im Maßstab, sondern auch im Objekt ihrer Wertung auseinanderzuhalten 20 • Für den Vorsatz, der beide Ebenen mitgestaltet, folgt daraus, daß er auf seiner Unrechts- wie seiner Schuldseite durch einen "selbständigen sachlichen Bezug" charakterisiert werden muß. Diese Verdoppelung des Wertungsobjekts garantiert, daß bei einer Handlung, für die den Täter kein Vorwurf trifft und die somit auch keine Vorsatzschuld Roxin, Radbruch-FS, S. 260ff. Im Handlungsbegriff wird von den Finalisten hingegen der Versuch einer "Sachdefinition" unternommen (vgl. kritisch Roxin, a.a.O., sowie ZStW 74 (1962), S. 515 561). 18 Roxin, a.a.O., S. 263. Anders die Vertreter eines rein normativen Schuldbegriffs, wie etwa Maurach / Zipf (AT, Tb. 1, S. 394ff.). Zur Kritik dieses Ansatzes vgl. Krauß, ZStW 76 (1964), S. 57; Lampe, Das personale Unrecht, S. 239. 19 Gallas, ZStW 67 (1955), S. 45. 20 Daß die Schuld auf einen eigenen materiellen Inhalt zu gründen sei, entspricht der ganz herrschenden Ansicht; vgl. etwa: Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 178; Roxin, Henkel-FS, S. 172; Stratenwerth, AT, Rn. 510. 16 17
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegrilf
aufweist, die Tatbestandsseite des Vorsatzes, das heißt die Unrechtstypizität feststellbar bleibt. Die Lehre von der Doppelstellung betrachtet dasselbe Deliktsmerkmal, den Dolus, aus - über die Deliktsstufen - wechselnden Perspektiven. Eine vergleichbare Doppelfunktionalität für Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit begegnete bereits bei der Analyse des Motivationsprozesses. Dort ergab sich, daß der Wechsel des Blickwinkels zu unterscheidbaren (Motivations-) Sachverhalten führt. Der Vorsatzdogmatik obläge es, in ähnlicher Weise von der spezifischen Perspektive der Deliktskategorien ausgehend, die Wertungsobjekte zu identifizieren und zu präzisieren, die der Unrechts- und der Schuldseite des Dolus entsprechen. Die klassische Kontroverse, ob der Vorsatz dem Tatbestand oder der Schuld angehört, verfehlt also bereits die Fragestellung. Nicht eine systematische Alternative steht zur Diskussion, sondern das Verhältnis der nach Deliktsebenen differenzierten Funktionen subjektiver Zurechnung und ihrer korrespondierenden Sachbezüge. Ein entwickelter Begriff des Dolus, der von einer doppelten Funktionalität des Verbrechensmerkmals ausgeht, müßte mithin erläutern, was der Vorsatz im Unrecht und was er in der Schuld bedeutet, welche tatsächlichen Vorgänge (Auschnitte aus der psychischen Realität) damit ins Auge gefaßt werden und wie schließlich beide Seiten in einer einheitlichen dogmatischen Kategorie harmonieren.
m. Vorsatz als Entscheidung 1. Doppelfunktionalität des Entscheidungsbegriffs Die Lozierung des Dolus in Unrecht und Schuld wurde in der Begriffsbildung nicht konsequent nachvollzogen. Einer Präzisierung des Konzepts der Doppelstellung ist als Weg vorgezeichnet, den Vorsatz aus den Blickwinkeln beider Verbrechensstufen selbständig zu begründen und beide Aspekte zu einer einheitlichen dogmatischen Kategorie zusammenzuführen. Einen besonders geeigneten Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des Dolus im Verbrechensaufbau könnte ein Begriff abgeben, der in der Strafrechtslehre bereits auf beiden Ebenen eingeführt ist, da er die Kontinuität der dogmatischen Entwicklung wahren würde. Diese Voraussetzungen erfüllt der Begriff der Entscheidung. Er dient zum einen der Charakterisierung des Dolus im Tatbestand!. Wo der Vorsatz als Entscheidung umschrieben wird, ist in aller Regel seine Unrechtsseite gemeint. Besonders deutlich kommt das in der elaborierten Begründung des 1 Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S.45ff. (51); Germann, SchwZfStR 77 (1961), S. 374ff.; Philipps, ZStW 85 (1973), S. 27ff.; Platzgumrner, Bewußtseinsform, S. 61, 93; SK - Rudolphi, § 16, Rn. 39; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 51ff.
Irr. Vorsatz als Entscheidung
143
Ansatzes durch Stratenwerth zum Ausdruck, dem gerade an einer schuldneutralen Interpretation der Entscheidung gelegen ist 2 • Dagegen bezieht die Definition Roxins bereits die Vorwerfbarkeit ein, wenn er seine Formel von der "Entscheidung für die mögliche Rechtsgüterverletzung" als "Kriterium der höheren Schuldstufe" bezeichnet3 , ohne dabei allerdings das Verhältnis von Unrechts- und Schuldseite zu klären. Das Bild der Entscheidung prägt zum anderen aber auch den materiellen Gehalt der Schuld schlechthin4 • Wie dem Vorsatz wird auch der Vorwerfbarkeit eine Entscheidungssituation zugrunde gelegt'. "Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen ... daß er sich für das Unrecht entschieden hat ... "6. Das auf der Doppelstellung gründende Vorsatzkonzept und der Entscheidungsbegriff zeichnen sich somit gleichermaßen durch ihre multiple Funktionalität für Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit aus. Da der Vorsatz auf der Unrechtsseite ohnehin bereits als Entscheidung erläutert wird, empfiehlt sich dieser Definitionsansatz für die umfassende Interpretation des Dolus im Verbrechenssystem: Handlungssinn wie Schuld des dolosen Delikts sind aus einer Stellungnahme des Täters zu den Folgen seines Verhaltens abzuleiten. Da der Entscheidungsbegriff in beiden Systemkategorien gerade die Besonderheiten einer Variante - der vorsätzlichen Begehung - spezifiziert, könnte er dann allerdings nicht mehr die materielle Grundlage des Schuldvorwurfs in allgemeiner Form, das heißt unter Einschluß der Fahrlässigkeit, bezeichnen. Diese Eignung erscheint jedoch ohnehin zweifelhaft, denn zumindest für den Vorwurf der unbewußten Fahrlässigkeit mißlingt die Ableitung aus einer Stellungnahme des Handelnden 7 • 2. Die Grundlage der Entscheidung Nach ersten noch unscharfen Hinweisen aus der Stellung im Verbrechensaufbau erhält unser Vorsatzkonzept durch den Begriff der Entscheidung bereits konkrete Konturen: Ein Delikt wird dolos verwirklicht, wenn der Täter sich für die Herbeiführung der im gesetzlichen Tatbestand umschriebenen Handlungsfolgen entschieden hat. Die Vorsatzdogmatik hat folglich zunächst die Grundlage der Entscheidung zu analysieren und festzuschreiben, um dann Kriterien zu entwickeln, die verläßlich anzeigen, wann auf dieser Basis eine Entscheidung getroffen wurde. a.a.O., S. 67ff.; vgl. dazu oben B Irr, 3. Roxin, JuS 1964, S. 59. 4 Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 70, Anm. 92; Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 178. 5 Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 36 I B 4; ähnlich Jescheck, AT, S. 328. 6 BGHSt 2, 194 (200). 7 S/S - Lenckner, Vor §§ 13 ff., Rn. 117. Wer den Handlungssinn eines Vorsatzdeliktes als Entscheidung versteht, kann auch die Schuld der bewußten Fahrlässigkeit nicht in einer Entscheidung sehen. 2
3
144
c.
Der zweiteilige Vorsatzbegriff
Das Objekt der Stellungnahme, der Stoff, über den zu entscheiden ist, enthalten die einzelnen Strafgesetze des Besonderen Teils. Hinsichtlich dieser tatbestandlichen Vorgaben liegt die Entscheidungsgrundlage außerhalb des Vorsatzbegriffes. Sie erweist sich jedoch nicht in jeder Hinsicht als unabhängig. Die Auseinandersetzung mit Stratenwerth8 hat gezeigt, daß eine Entscheidung erst durch das Erleben von Werten konstituiert wird. So entsteht im Fall des dolus eventualis die Notwendigkeit, zwischen der Realisierung des Handlungsentwurfs, welche die Verursachung einer Nebenfolge umfaßt und der Aufgabe des Plans um der Vermeidung jenes Erfolges willens zu wählen, erst aus der subjektiven Verbindung der Verhaltensalternativen mit Werten. Nur wenn die mögliche Nebenfolge als negativ-wertig erlebt wird, ist der Täter gezwungen, die Verwirklichung des intendierten gegen die Vermeidung des belastenden Erfolges zu wägen. Würde die antizipierte Folge mit positiven Valenzen assoziiert, entstünde keine Entscheidungssituation. Die Möglichkeitsvorstellung könnte keine konstrastierende, sondern allenfalls eine reaktionserleichternde Wirkung entfalten. Das Werterleben, auf dem jede Entscheidung fußt, kann durch die Normen des Strafrechts vermittelt werden. Der Vorsatz läßt sich so als Stellungnahme zu einer Handlungsfolge auf dem Hintergrund ihrer rechtlichen Valenz erläutern. Diese Entscheidungsgrundlage scheint aber der Schuldtheorie zu widersprechen, da Vorsatz Unrechtsbewußtsein voraussetzen würde. Stratenwerth bezieht sein Doluskonzept daher auf ein System vorrechtlicher, sittlicher Werte, an dem auch partizipieren kann, wer das gesetzliche Verbot nicht kennt 9 • Eine Überprüfung des Ansatzes hat jedoch Strafbarkeitslücken sichtbar gemacht, die stets zutage treten, wo Personen an jenen sittlichen Werten nicht partizipieren und dennoch um die Geltung der korrespondierenden rechtlichen Normen wissen10 • Die Grundlage der Entscheidung über Handlungssfolgen kann mithin allein ihre assoziative Verknüpfung mit den Wertungen jener Maximen bilden, die die Folgen auch tatbestandlich umschreiben: den strafrechtlichen Normen. Damit erfährt unser Ansatz eine weitere Präzisierung: Vorsatz bedeutet eine Entscheidung für die Verletzung der Rechtsnorm l l . Da diese Haltung nur einnehmen kann, wer sich des Unrechts seines Verhaltens bewußt ist, gerät das Vorsatzkonzept in Konflikt zur Schuldtheorie. Der Entscheidungsbegriff berührt aber nicht nur die intellektuelle Seite der Schuld. Auch ein voluntionales Defizit, der Verlust der Motivationsfähigkeit, macht eine Stellungnahme des Handelnden unmöglich, gleichviel, ob Siehe oben B III, 3. ZStW 71 (1959), S. 67ff. 10 Siehe oben B III, 3. 11 Ähnlich Roxin, JuS 1964, S. 59: "Entscheidung für die mögliche Rechtsgüterverletzung". 8
9
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand
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sie sittlichen Normen oder dem Anspruch des Strafgesetzes gelten soll. Denn wenn kraft normativer Zuschreibung feststeht, daß der Motivationsspielraum auf eine Verhaltensoption reduziert war, daß der Täter nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat, so bleibt für eine Entscheidung, die begrifflich motivationale Alternativen voraussetzt, weder Raum noch Notwendigkeit1 2 • Die Antinomien des Entscheidungsbegriffs im Verbrechenssystem lassen sich nicht durch Korrekturen in der Definition auflösen, wie Stratenwerth dies versucht hat. Sie spiegeln vielmehr die Notwendigkeit wider, den Vorsatz von Grund auf zu rekonstruieren. Die Neubestimmung bedeutet keinen Bruch mit der traditionellen Dogmatik, sondern eher eine Harmonisierung widerstreitender Tendenzen. Ihr Ziel ist es, die vage Lehre von der DoppelsteIlung durch den Begriff der Entscheidung zu konkretisieren und diesen in den Verbrechensaufbau zu integrieren. Damit ist die Aufgabe gestellt, unter Beachtung und Verwertung der bereits erarbeiteten Kriterien, welche die Grenze zwischen den Systemkategorien markieren l3 , jeweils selbständige Begriffe der Entscheidung für Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit zu entwickeln.
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand 1. Die Erfolgsvorstellung im Motivationsprozeß
Der Standpunkt, von dem aus die Entscheidung für die Verletzung des Rechtsguts zu analysieren ist, wechselt über die Verbrechensstufen. Damit begegnet die Entscheidung in Unrecht und Schuld mit unterschiedlicher, den Besonderheiten der Deliktskategorie angepaßter Gestalt. Die Form, in der sie im Rahmen der Rechtswidrigkeit erscheint, prägen zwei Bedingungen. Zum einen muß der Begriff der unrechtsspezifischen Funktion des Vorsatzes genügen, den Handlungssinn zu identifizieren und so auch die Grenze zur Fahrlässigkeit zu markieren, andererseits darf er keine Elemente der Vorwerfbarkeit enthalten. Im Unrechtstatbestand ist der Vorsatz Träger des spezifischen Intentionsunwerts, Ausdruck des persönlichen Handlungssinns. Die subjektive Bedeutung des Verhaltens erschließt jedoch erst die Berücksichtigung der Willensbildung, was vor allem beim dolus eventualis deutlich wird. Gleichwohl kann der Vorgang der Sinngebung nicht in all seinen Bezügen der Rechtswidrigkeit zugerechnet werden. Da die Fähigkeit des Täters, sich von der Pflicht motivieren zu lassen, den Schuldvorwurf konstituiert, muß auf der 12 13
Siehe oben B III, 3.1.
Vgl. oben I, 4.2.
10 Ziegert
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
ersten Wertungsstufe offenbleiben, ob der Handlungssinn eine Entscheidung erkennen läßt, in welcher der Täter von dieser (Wahl-)Freiheit Gebrauch gemacht hat. Die Unrechtsseite des Vorsatzes kann daher nicht, wie in den Dolustheorien, die mit der Formel der Entscheidung arbeiten, durch eine Wahl zwischen Verhaltensalternativen erläutert werden. Deren Perspektive ist vielmehr zentriert auf den Widerspruch zwischen Norm und Wollen, während die Möglichkeit zu anderem, normgetreuen Wollen außerhalb des Blickwinkels liegt. Das Rechtswidrigkeitsurteil ist mit der Frage befaßt, ob der Wille in objektivem Gegensatz zum Gesetz gebildet wurde, die Motivation von der durch die Norm vorgezeichneten Willensbildung abweicht. Die Stellungnahme zum Erfolg, mit der wir den Vorsatz identifiziert haben, wird auf der Ebene der Rechtswidrigkeit notwendig unvollständig, ohne spezifische Schuldanteile abgebildet. Da der begriffliche Kern der Entscheidung, die Wahl zwischen Alternativen, kategorial der Vorwerfbarkeit zugehört, kann die Verwirklichung dolosen Unrechts nicht bedeuten, daß der Täter sich tatsächlich für die Rechtsgutsverletzung entschieden hat. Abstrahiert das Rechtswidrigkeitsurteil vom Akt der Entscheidung, so bedeutet doloses Unrecht vielmehr, daß der Handelnde in einer entsprechenden Entscheidungssituation stand. In dieser, vorsätzliches Unrecht begründenden Situation, befindet sich der Täter, wenn sein Verhalten als Entscheidung für die Bewirkung des tatbestandlichen Erfolges imponiert, solange man vom Regelfall eines intakten Motivationsprozesses ausgeht. Die Analyse des Vorsatzes im Rahmen der Rechtswidrigkeit unterstellt Verbotskenntnis und Steuerungsfähigkeit ungeprüft und untersucht lediglich, ob der Täter sich unter diesen Bedingungen mit seinem Handlungsentschluß notwendig auch für die Tatbestandsverwirklichung entschieden hätte. Als Kern des subjektiven Tatbestandes wird der yorsatz also durch die Summe jener Merkmale definiert, die, unter der Voraussetzung, daß der Täter das Unrecht seines Verhaltens kannte! und fähig war, sein Handeln an dieser Einsicht auszurichten, die Entscheidung gegen das geschützte Rechtsgut begründen. Ein präzises Bild von der Unrechtsseite des Vorsatzes zu gewinnen heißt folglich, jene Entscheidungssituation zu analysieren. Erste, wichtige Orientierungspunkte stellt bereits das Gesetz heraus: Den §§ 16, 17 StGB ist zu entnehmen, daß das Handlungsszenario in seinen tatbestandlich erfaßten Zügen bekannt sein muß, die rechtliche Wertung des Verhaltens und seiner Folgen hingegen für den Vorsatz im Unrecht keine Rolle spie1t2. Mithin konstituiert die psychische Repräsentanz der objektiven Merkmale des Vgl. dazu den folgenden Text. Letzteres gilt zumindest für den Kernbereich des Strafrechts; zur Funktion des Unrechtsbewußtseins im Nebenstrafrecht vgl. unten 4. 1
2
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand
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gesetzlichen Tatbestands die Entscheidungssituation. Die Abbildung der äußeren Umstände wird in der Terminologie von § 16 StGB mit dem Begriff " Kenntnis " jedoch nur unzureichend charakterisiert. Vorsatz bedeutet nämlich nicht Handeln in Kenntnis der Tatumstände, sondern Entscheidung für die Bewirkung einer tatbestandlich vertypten Folge. Dieses Vorsatzverständnis verschärft gegenüber jenem die Voraussetzungen der Zurechnung. Es verlangt neben der Kenntnis einen besonderen Aneignungsakt, der die Information zur Grundlage der Entscheidung macht3. Ein Tatentschluß, der im Wissen um eine mögliche Folge gefaßt wird, entscheidet nicht notwendig über deren Verwirklichung. Denn nicht jede Information, die wahrgenommen wurde, findet Eingang in den Motivationsprozeß. Die Fälle, in denen der Zugang verwehrt ist, konstituieren die Klasse der bewußten Fahrlässigkeit. Jener Akt der Aneignung erlangt daher beim dolus eventualis besondere Bedeutung: Die Möglichkeitsvorstellung führt allein keine Entscheidungssituation herbei. Die Antizipation des Erfolges erlaubt für sich noch nicht, die Verwirklichung als Stellungnahme des Handelnden zu den Folgen seines Verhaltens zu verstehen; sie bildet hierfür zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung. Eine Entscheidungssituation entsteht erst, wenn die wahrgenommenen Tatumstände so in den Prozeß der Willensbildung eingeführt werden, daß der Täter sich bei vorhandenem Unrechtsbewußtsein und intakter Steuerungsfähigkeit mit dem Tatentschluß zwangsläufig für die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. Der Versuch, den Vorsatz auf kognitive Prozesse zu reduzieren4, muß daher auch bei isolierter Betrachtung der Unrechtsseite scheitern, Begründet wird der Verzicht auf voluntative Elemente meist mit dem Argument, das alltagssprachliche Willensverständnis im Sinne von Intentionalität erfülle weder für den dolus eventualis noch für den dolus directus eine dogmatische Funktion5 • Diese zutrefffende Feststellung vermag jedoch die Beschränkung des Vorsatzes auf Wissensinhalte nicht zu rechtfertigen, denn auch wenn die Intentionalität als Basis der dolosen Zurechnung ausscheidet, können andere Momente aus dem Bereich von Wille und Motivation den Vorsatz charakterisieren, etwa Modalitäten der Willensbildung. Voluntionale Züge der Handlung können auch die Vertreter kognitiver Vorsatzkon3 Zutreffend weist Frisch darauf hin, daß menschliches Verhalten nicht an beliebigen Wahrnehmungen orientiert ist, sondern an Situationseinschätzungen (Vorsatz und Risiko, S. 197). Nicht jeder Gegenstand des Bewußtseins begründe daher Kenntnis im Sinne von § 16 StGB: "Der Sachverhalt ... muß vom Vorstellungsgegenstand zum Inhalt einer verbindlichen persönlichen Sicht geworden sein;" (a.a.O., S. 193). 4 Frisch, Vorsatz und Risiko, S.255ff.; zusammenfassend, S.289f.; Hruschka, Strafrecht, S. 192; Jakobs, AT 8/8; Kindhäuser, ZStW 96 (1984), S. 21ff.; Ross, Über den Vorsatz, S. 112ff.; Schmidhäuser, Studienbuch 7/35ff. 5 Kindhäuser, a.a.O., S. 22f.; Schmidhäuser, Vorsatzbegriff und Begriffsjurisprudenz im Strafrecht, S. 11.
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
zepte nicht leugnen 6 • Gewollt ist aber stets eine konkrete Handlung, die nicht allein durch das intendierte Ziel, vielmehr auch durch den spezifischen, unter Umständen die Gefahr unerwünschter Nebeneffekte bergenden Weg der Realisierung individualisiert wird. Im Fall des dolus eventualis schließt die Willens bildung jene nicht erstrebten Folgen ein. Motivationale Determinanten sind in der Vorsatzdogmatik aber nicht nur denkbar, sondern unverzichtbar, denn die bloße Vorstellung kann keinen Widerspruch zur Norm bilden" wendet diese sich doch an die Kräfte des Wollens, nicht an jene des Denkens7 • Ebensowenig bringt das Wissen um die Tatumstände den Handlungssinn zum Ausdruck. Die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung hat daher nur Bedeutung, wenn (und weil) sie Eingang in den Motivationsprozeß findet und dieser schließlich zu einem (Tat-) Entschluß führt; beides wird durch Willensvorgänge kontrolliert. Doloses Unrecht setzt mithin voraus, daß der Täter die Bewirkung der tatbestandlichen Handlungsfolgen antizipiert und daß diese Erkenntnis dem Motivationsprozeß zur Verfügung steht 8 • Die Wahrnehmung muß zu einem "Rechnungsposten " der Willensbildung werden, so daß der Täter - normale Bedingungen unterstellt9 - in der Bilanz seines Handlungsentschlusses auch über die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. 2. Absicht
Die Einbindung der Wahrnehmung in den Motivationsprozeß tritt bei der Vorsatzvariante der Absicht besonders deutlich zu Tage. Denn Element der Willensbildung wird die Vorstellung in diesem Fall nicht als Rechnungsposten unter anderen, sondern als das den Willen bewegende Bild: Absicht ist motivierende Erfolgsvorstellung lO • Die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung bedingt das Verhalten und repräsentiert damit keinen Bewußtseinsinhalt, den der Handlungsentschluß in einer Stellungnahme am Rande mit umfaßt, sondern dessen zentralen Gegenstand. Der absichtlich Handelnde steht ohne Zweifel in der dolosen Entscheidungssituation. Denn die Einführung der Erfolgsvorstellung in den Motivationsprozeß, die den Vorsatz auf der Unrechtsebene konstituiert, ist bereits am Ergebnis der Willensbildung abzulesen: Die antizipierte Handlungsfolge wurde zum Ziel des Verhaltens. Mit der Zulassung des Handlungsmotivs entscheidet sich der Ross, a.a.O.; Schmidhäuser, a.a.O. Vgl. oben 1,4.1. 8 Ähnlich bereits v. Hippel: "Als gewollt bezeichnen wir offensichtlich diejenigen Folgen der Tat, deren Vorstellung für den Entschluß des Täters eine bestimmte praktische Bedeutung hat." (Die Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 135. - Hervorhebung nicht im Original.) 9 Das heißt bei Unrechtsbewußtsein und Zurechnungsfähigkeit. 10 Vgl. oben B 11, 1.2. 6
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Täter daher - nonnale Bedingungen vorausgesetzt l l - für die Verletzung des Rechtsguts. Insofern läßt sich die Absicht auch als Idealtypus des Vorsatzes begreifen, da die Vorstellung von der Tatbestandsverwiklichung nicht nur in den Handlungsentschluß einbezogen wurde, sondern bei der Ausfonnung des Willens ausschlaggebendes, verhaltensleitendes Gewicht gewann. 3. Dolus eventualis und dolus directus
Der dolus eventualis läßt die spezifische, vorsatzbegründende Entscheidungssituation nicht ohne weiteres erkennen. Die Bedeutung der Erfolgsvorstellung im Motivationsgefüge erscheint weniger offenkundig als im Fall der Absicht. Auf den ersten Blick imponiert der Handlungsentschluß nicht als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung. Die dolose Zurechnung bedarf daher einer umfassenden, präzisen Begründung. Dem Vorsatz genügt auf seiner Unrechtsseite, daß der Täter aus einer Entscheidungssituation heraus handelt. Diese setzt zunächst die Antizipation des Erfolges, beim dolus eventualis in Form einer Möglichkeitsvorstellung, voraus. Die Kognition allein sichert aber nicht, daß der Inhalt der Wahrnehmung Grundlage des Handlungsentschlusses wird. Deshalb entsteht eine Entscheidungssituation nur, wenn die Erfolgsvorstellung dem Motivationsprozeß auch tatsächlich zur Verfügung steht. Den Zugang zur Willensbildung finden wahrgenommene Tatumstände aber noch nicht, wenn der Täter mögliche Folgen erkennt, sondern erst, wenn er die Antizipation als entscheidungsrelevante Infonnation anerkennt. Wichtige psychologische Detenninanten dieses Filters, der die Summe der Wahrnehmungen in Vorstellungen scheidet, die in Betracht zu ziehen und andere, die unbeachtlich sind, hat Stratenwerth mit der Haltung des Ernstnehmens oder Leichtnehmens beschrieben: In einem eng mit der Wahrnehmung verbundenen Bewertungsakt nimmt der Täter zu dem Risiko Stellung, daß der als möglich erkannte Erfolg auch tatsächlich eintrittI 2 • Objekt der vorsatzspezifischen Einstellung ist somit die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung, nicht der Anspruch, negativ-wertige Folgen des Verhaltens zu venneiden, der aus der erlebnismäßigen Verknüpfung der Erfolgsvorstellung mit Werten resultiert 13 . Gleichwohl spielt das Werterleben bereits im Unrecht eine Rolle. Wie ein kurzer Exkurs in die Motivationspsychologie zeigen wird, finden Nebenfolgen im Prozeß der Willensbildung nur Berücksichtigung, wenn ihre Bewirkung für den Handelnden mit Konsequenzen 11 12
13
Vgl. Fn. 9. Vgl. oben B III, 2.2.1. Vgl. oben BIll, 2.2.1.
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verbunden ist, das heißt als p'Ositiv-wertig oder als negativ-wertig eingeschätzt wird. 3.1 Der Wertcharakter der Handlungssituation
Motivationsmodelle erklären das "Anstreben von Zielzuständen"14. Die vorherrschenden Theorien versuchen dies, in ihrer Grundstruktur übereinstimmend, mit zwei Komponenten: Erwartungs- und Wertvariablen 15 . Eine Erwartung entsteht durch die Voraussicht der Verwirklichung des Handlungsziels: das Individuum antizipiert den Eintritt des Zielzustands und kann sein Verhalten danach einrichten. Das "Anstreben" setzt weiterhin voraus, daß das Individuum mit dem Zielzustand einen Wert verbindet, sein Erreichen als Bekräftigung erlebt. Motivationsprozesse kann man daher als Interaktion zwischen Werthaltungen (Motiven) und den für das entsprechende Motiv relevanten Aspekten der wahrgenommenen Situation peschreiben. Motivationale Prozesse werden durch die Kognition situativer Auslöserreize angeregt, wirken ihrerseits jedoch wieder auf die Wahrnehmung zurück16 : Eine bestimmte Handlungssituation wird unter dem Gesichtspunkt der situationsentsprechenden Motive des Individuums aufgefaßt. Eingang in den Motivationsprozeß finden folglich allein Informationen, die motiv-relevant sind, das heißt die in Zusammenhang mit einer individuellen Werthaltung stehen. Für dolus eventualis und dolus directus bedeutet dies, daß der Eintritt eines nicht-erstrebten Handlungsergebnisses nur als mögliche Folge in Rechnung gestellt werden kann, wenn die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung ein bereits vorhandenes Motiv, den Erfolg zu vermeiden, aktualisiert. Dieses Motiv entsteht jedoch erst, wenn der Täter die deliktische Folge mit einem negativen Wert verbindet. Daher setzt die Auffassung der Tatumstände - also die Unrechtsseite des Vorsatzes - soweit es auf Handlungsfolgen ankommt, die nicht den angestrebten Zielzustand repräsentieren (Nebenfolgen 17 ) - eine spezifische Wertkomponente voraus: der Täter muß den Erfolg als negativ-wertig einschätzen. Die Grundlage dieses Urteils kann das Unrechtsbewußtsein im Sinne von § 17 StGB bilden, aber auch jedes andere Normensystem. In der Funktion, eine motiv-relevante Auffassung der Handlungssituation zu ermöglichen, liegt die Bedeutung der von Stratenwerth herausgestellten, vorrechtlichen 14 15 16
Heckhausen, Motivation und Handeln, S. 172. Vgl. dazu a.a.O., S. 172 ff. Heckhausen, Achievement Motivation and its Constructs: A Cognitive Model,
S.284.
17 Als Nebenfolge bezeichnen wir, abweichend von einer verbreiteten, engeren Definition, jede Handlungsfolge, die nicht intendiert ist, nicht den angestrebten Zielzustand charakterisiert.
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Wertordnungen. Sie eignen sich nicht als Basis der dolosen EntscheidungIB, können jedoch ein Motiv zur Vermeidung des deliktischen Erfolgs begründen und so der Antizipation der Tatbestandsverwirklichung jene Motivrelevanz verleihen, ohne die den entsprechenden Situationselementen der Zugang zur Willensbildung versperrt bleibt. Da die Verbotskenntnis das Werterleben zwar in vielen Fällen prägen wird, vorrechtliche Normensysteme es jedoch ebenso anzuregen vermögen, setzt der Vorsatz auf der Unrechtsseite, wie auch in § 17 StGB festgestellt, kein Unrechtsbewußtsein voraus 19 . Unrechtsbewußtsein mag gelegentlich eine psychologische Bedingung vorsätzlichen Handelns bilden, es stellt jedoch keine dogmatische Voraussetzung dar. Die Anforderungen an das Werterleben sind somit auf den Verbrechensstufen unterschiedlich hoch. Für die Auffassung der Handlungssituation im Rahmen des Unrechtstatbestands genügt die Verknüpfung der Handlungsfolge mit einem beliebigen Wert. Die dolose Entscheidung verlangt jedoch eine Stellungnahme zur Verletzung des Rechtsguts 2o . 3.2 Die Fälle der "Gleichgültigkeit"
Die Kontroverse um Fälle absoluter "Gleichgültigkeit"21 - dem Täter ist der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges völlig gleichgültig - verfehlt den entscheidenden Punkt, da sie nicht auf das Werterleben, sondern auf eine spezifische emotionale Stellungnahme im Sinne von Ungerührtheit oder Skrupellosigkeit abhebt. Bestimmend für die subjektive Zurechnung ist jedoch bereits die Werthaftigkeit eines möglichen Handlungsergebnisses. Verbindet der Täter keinerlei negative Konsequenzen mit einer Nebenfolge, was im Randbereich des Strafrechts bei fehlendem Unrechtsbewußtsein durchaus denkbar ist, so wird die Handlungssituation gar nicht unter dem Aspekt der Vermeidung aufgefaßt, womit nicht angestrebte Erfolge allenfalls als unbewußt fahrlässig bewirkt zugerechnet werden können. Das Problem, bedingten Vorsatz von bewußter Fahrlässigkeit abzugrenzen, entsteht in diesem Fall nicht. Ist sich der Täter hingegen der (Un-)Werthaftigkeit seines Handelns bewußt, so eignet er sich die entsprechenden SituationseleVgl. oben B III, 2.2.2. Kann sich der Täter nur auf dem Hintergrund einer bestimmten Werthaltung die entsprechenden Situationselemente aneignen, setzt der dolus eventualis also die Existenz eines Motives zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung voraus, so geht es nicht an, für die Prüfung des Unrechts kurzer Hand ein Motiv zur Vermeidung zu unterstellen, wie Jakobs (AT 6/27; 8/21) vorschlägt. Denn das Motiv wirkt auf die Auffassung der Situation zurück. Zugespitzt formuliert: Wer ein bestimmtes Motiv unterstellt, manipuliert damit Bedingungen der Kognition, die im Unrecht kardinaler Prüfungsgegenstand ist: er bestimmt den Inhalt der Wahrnehmung. 20 Vgl. oben 111, 2, sowie unten V, 1. 21 Vgl. dazu Grünwald, Mayer-FS, S. 288f.; SK - Rudolphi, S. 10, Rn. 45; Stratenwerth, AT, Rn. 309; Tompert, Wahrscheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert, S. 112; E. A. Wolff, Gallas-FS, S. 205ff. 18 19
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Der zweiteilige Vorsatzbegriff
mente soweit an, daß er zur Gefahr der Tatbestandsverwirklichung im Sinne des Ernstnehmens oder Leichtnehmens Haltung beziehen kann. Gleichgültigkeit oder Skrupellosigkeit schließen die Stellungnahme nicht aus, denn die negative Einschätzung der möglichen Handlungsfolge beruht auf aversiven Konsequenzen, die - das entsprechende Werterleben vorausgesetzt - mit der Bewirkung verbunden werden. Hat das Risiko, diese Konsequenzen auszulösen - wie bei den basalen Gütern, die strafrechtlich geschützt sind einiges Gewicht, so wird der Täter eine Einstellung zur Gefahr der Tatbestandsverwirklichung entwickeln 22 . 3.3 Die vorsatzspezifische Haltung
Der Handelnde wird die Vorstellung, mit seinem Verhalten möglicherweise einen nicht-angestrebten Erfolg zu bewirken, nur in seiner Willensbildung beachten, wenn die Nebenfolge Werte berührt. Das Werterleben sichert aber nicht in jedem Fall jenen Zugang der Antizipation zum Motivationsprozeß, der die dolose Entscheidungssituation konstituiert. Der Täter kann gegenüber der Möglichkeitsvorstellung eine Haltung einnehmen, die die Vorstellung "überwindet"23, die sie von der Willensbildung ausschließt. Diese Einstellung hat Stratenwerth als "Leichtsinn" charakterisiert. Der Leichtsinnige nimmt die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung in einem präzisen Sinne nicht ernst 24 . Er ist sich des Risikos bewußt, einen negativwertigen Erfolg zu bewirken, verhindert aber, daß die Vorstellung im Motivationsprozeß berücksichtigt wird. Da er die Gefahr nicht ernst nimmt, umgeht er eine Stellungnahme zur Rechtsgutsverletzung. Nimmt der Handelnde hingegen das Risiko ernst, "so muß er zu dem möglichen negativwertigen Erfolg selbst Stellung beziehen"25. Antizipiert der Täter die Möglichkeit einer tatbestandlichen Nebenfolge, so steht er in der dolosen Entscheidungssituation, wenn er die Gefahr der Bewirkung ernst nimmt. Denn mit dem Handlungsentschluß entscheidet er sich in diesem Fall regelmäßig26 auch für die Verwirklichung der Nebenfolge 27 . Daß Leichtsinn in der von Stratenwerth beschriebenen Form vorkommt, lehrt die Erfahrung. Wie leichtsinniges Handeln entsteht, hätten die Erfahrungswissenschaften zu erläutern. Obgleich diese empirische Fragestellung hier nicht vertieft werden kann, sollen kurz zwei Erklärungsansätze vorgeVgl. dazu den folgenden Abschnitt. Grünwald, Mayer-FS, S. 288. 24 Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 55ff. 25 a.a.O., S. 56. 26 Das heißt bei vorhandenem Unrechts bewußtsein und intakter Steuerungsfähigkeit. 27 Vgl. oben 1. am Ende. 22 23
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand
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stellt werden, die die Genese des Leichtsinns erhellen und einer Psychologie der bewußten Fahrlässigkeit den Weg weisen könnten. Magda Arnold 28 hat ein Prozeßmodell kognitiver Situationsbeurteilung entwickelt, das' die Bewertung einer antizipierten Sachlage unter dem Aspekt positiver und negativer Folgen untersucht. Die Situation wird in einer gefühlsmäßigen Stellungnahme aufgefaßt, die Handlungsimpulse in Richtung Aufsuchen oder Meiden vermittelt. Lazarus 29 hat diesen Ansatz weiterentwickelt und durch Versuche experimentell belegt, in denen Personen belastenden oder bedrohlichen Situationen ausgesetzt wurden, wie sie auch durch die Antizipation des möglichen Eintritts einer negativ-wertigen Nebenfolge entstehen. Für die Bewältigung derartiger Streßlagen gibt es danach zwei Strategien: Zum einen kann eine Aktivierung auf dem Hintergrund der wahrgenommenen Tatumstände erfolgen - in Form eines Angriffs (Begehung des Delikts) oder als Rückzug (Aufgabe des Tatplans). Zum anderen ist eine Neubewertung der Umstände möglich, die kritische Situationselemente weniger bedrohlich erscheinen läßt. In einem Experiment30 - den Versuchspersonen wurden Filme mit angsterregendem Inhalt vorgeführt (Beschneidungsriten australischer Stämme beziehungsweise eine drastisch anschauliche Dokumentation über Unfälle in einem Sägewerk) - bot Lazarus zwei Varianten derartiger Reinterpretationen an: Intellektualisierung (der dokumentarische beziehungsweise anthropologische Aspekt wurde betont) und Leugnung (die Szenen seien gestellt). Gerade der letztgenannte (Abwehr-)Mechanismus der Leugnung schafft eine plausible Erklärung für die bewußte Fahrlässigkeit: Die drohende Bewirkung der negativ-wertigen Nebenfolge wird als beunruhigend erlebt. Da der Täter aus gewichtigen Gründen gleichwohl an seinem Plan festhalten will, erfolgt eine Neubewertung der Situation, in der die Gefahr des ungünstigen Handlungsverlaufs, der die bedrohliche Folge einschließt, geleugnet wird. Diese Strategien können, wie im Experiment von außen induziert, jedoch auch vom Handelnden selbst eingeschaltet werden. Das Individuum vermag Kontrollprozesse, die den Weg des Motivs von seiner Genese zur Realisierung in der Außenwelt bestimmen, zu manipulieren, indem es, wie im obigen Beispiel, die Eingangsgrößen neu bewertet. Diese self-motivation-strategies, die Heckhausen "meta-volitions" nennP1, bilden die psychologische Grundlage der bewußten Fahrlässigkeit.
Arnold, Emotion and personality. Lazarus, Emotion and Adaptation. 30 Lazarus, Option, Nomikos, Rankin, The principle of short circuiting of threat: Further evidence. 31 Heckhausen / Kuhl, From wishes to action: The dead ends and short cuts on the long way to action, S. 29. 28 29
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
Einen weiteren, experimentell belegten Zugang zum Phänomen des "Leichtsinns" eröffnet Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz32 • Dieser zentrale motivationspsychologische Ansatz geht von der These aus, daß der Mensch bestrebt ist, in der Wahrnehmung seiner Person und seiner Umwelt Harmonie und Kongruenz herzustellen. Kognitive Dissonanz entsteht, wenn zwischen zwei oder mehreren kognitiven Elementen (Wissensinhalten, Wahrnehmungen, Einstellungen) Widersprüche auftreten. Dieser Zustand wird vom Individuum als unangenehm empfunden und erzeugt eine Tendenz, die Dissonanz zu reduzieren. Konsonanz läßt sich auf zwei Wegen erhöhen: Durch Hinzufügen neuer kognitiver Elemente kann das Gewicht einer Seite deutlich erhöht oder die Bedeutung eines bereits vorhandenen Elements geändert werden. Diese Strategie wählt etwa ein Autofahrer, der einen Fußgänger, den er lebensgefährlich verletzt hat, hilflos zurückläßt und die dissonante Vorstellung, der Passant könne ohne Hilfe sterben, durch die Überlegung harmonisiert, daß bei der aktuellen Vekehrsdichte und dem perfekten Rettungssystem keine Gefahr bestehe. Die zweite Möglichkeit, Konsonanz zu erzeugen, bietet eine Veränderung bestehender Elemente, die ihren Inhalt weniger widersprüchlich oder ihren Stellenwert im Motivationsgefüge weniger wichtig erscheinen läßt. Ein Beispiel hierfür gibt wieder der oben beschriebene Mechanismus der Leugnung: Der Täter spielt die Gefahr herunter, redet sich ein, es werde schon gut gehen. Kognitive Dissonanzen reduziert allerdings nicht nur der bewußt fahrlässig, sondern auch der bedingt vorsätzlich Handelnde. Gleichwohl enthält Festingers Thoerie einen aussichtsreichen Erklärungsansatz für die bewußte Fahrlässigkeit, denn die "Leichtnahme" der Gefahr, die "Überwindung" der negativ-wertigen, dissonanten Erfolgsvorstellung bedeutet Reduzierung von kognitiver Dissonanz, allerdings in einer besonderen, effektiven und perfekten Form. Gelegentlich wird gegen die dominierende Vorsatzabgrenzung eingewandt, sie privilegiere den sorglos leichtsinnigen gegenüber dem sorgsam abwägenden, alle Eventualitäten ernst nehmenden Täter33 • Diese Argumentation verfehlt den Kern des Vorsatzbegriffs. Denn die im Vergleich zur fahrlässigen Begehung erhöhte Strafe verwirkt der Täter nicht, weil er die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung ernstgenommen, sondern weil er sich sehenden Auges für die Bewirkung entschieden hat. Der Einwand verkennt möglicherweise aber auch die tatsächlichen, psychischen Phänomene. Aronson hat festgestellt, daß kognitive Dissonanzen besonders leicht und ausgeprägt entstehen, wenn eine Handlung oder deren Folge dem Selbst32 Festinger, A theory of cognitive dissonance; ders., Conflict, decision and dissonance; vgl. zum gegenwärtigen Forschungsstand: Irle / Möntmann, Leon Festinger, Theorie der kognitiven Dissonanz, S. 274 - 365. 33 LK - Schroeder, § 16, Rn. 89; Schünemann, JA 75, S. 788. Vgl. zur Verdrängung auch Haft, ZStW 88 (1976), S. 382f., 389, 391; dazu krit. Schroeder, a.a.O.
IV. Der Entscheidungsbegriff im Unrechtstatbestand
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konzept des Individuums widerspricht. Die Dynamik erreiche einen Höhepunkt, wenn die dissonante Vorstellung den Bereich der eigenen Moralität belÜhrt34 . Aus diesem Befund läßt sich - mit der gebotenen Vorsichtdie These ableiten, daß ausgeprägte Moralvorstellungen zumindest eine Quelle bilden, welche die Verdrängungspotenz der bewußten Fahrlässigkeit speist, während der bedingt vorsätzlich Handelnde in manchen Fällen aufgrund eines weniger sensiblen Moralempfindens die Erfolgsvorstellung "aushält". "Priveligiert" würde nach unseren - sehr spekulativen - Überlegungen nicht der unbedacht Leichtsinnige, sondern der moralisch Empfindsame. 3.4 Der dolus directus
Die Ernstnahme der Gefahr sichert der Erfolgsvorstellung bei bedingt vorsätzlichem Handeln eine Rolle im Prozeß der Willensbildung, die jener des direkten Vorsatzes entspricht, die sich hingegen von der motivationalen Struktur der Absicht unterscheidet. Dolus directus und dolus eventualis können daher gemeinsam der Absicht gegenüberstellt werden. Hier erfaßt die Antizipation das Handlungsziel, gewinnt sie im Motivationsprozeß verhaltensleitende Kraft, dort wird sie in den Handlungsentschluß einbezogen, ohne sich zum dominanten Motiv zu entwickeln. In keinem Fall begIiindet aber die Vorstellung, das Bewußtsein möglicher Kausalität, allein die dolose Zurechnung. Die Charakterisierung des direkten Vorsatzes als "Wissentlichkeit"35 ist daher irreführend. Denn auch notwendig eintretende Nebenfolgen macht sich der Täter erst durch die Entscheidung zu eigen, seiner subjektiven Gewißheit um die negativ-wertige Wirkung zum Trotz zu handeln. Die Entscheidung, die dem rechtlich neutralen Handlungsmotiv Vorrang vor dem Motiv zur Vermeidung nicht-intendierter tatbestandlicher Folgen gibt, entspricht jener des dolus eventualis. Mithin gleichen sich auch die Entscheidungssituationen, die die Unrechtsseite des Vorsatzes konstituieren. Die Wahrnehmung, im Fall des dolus directus das Wissen um_ein Ergebnis des Verhaltens, muß so weit Eingang in den Motivationsprozeß finden, daß sie zu einem seiner Rechnungsposten wird, über den der Täter regelmäßig36 in der Bilanz seines Handlungsentschlusses mit entscheidet. Als sicher eintretend antizipierte Folgen werden ebenso, wie die Möglichkeitsvorstellung des dolus eventualis nur Beachtung finden, wenn ihre Bewirkung negativ bewertet wird. Die Aneignung der Situationselemente unter dem Aspekt, nicht-erstrebte Handlungsergebnisse zu verhindern, setzt, unabhängig von 34 35 36
Aronson, Dissommce Theory: Process and Problems. Jakobs, AT, 8/18; LK - Schroeder, § 16, Rn. 8I. Das heißt bei Unrechtsbewußtsein und Steuerungsfähigkeit.
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c. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
subjektiver Gewißheit oder Unsicherheit über ihre Realisierung, bereits ein Motiv zur Vermeidung voraus. Eine für die Willensbildung relevante Auffassung der Tatumstände ist daher auch beim dolus directus nur auf der Grundlage des oben beschriebenen Werterlebens möglich. Ein weiterer Filter, der die Möglichkeitsvorstellung vom Motivationsprozeß fernzuhalten vermag, hat dagegen im Rahmen des dolus directus keine Funktion. Die Entscheidung über die Rechtsgutsverletzung ist nicht von einer Stellungnahme zum subjektiven Realitätsgehalt im Sinne der Ernstnahme der Gefahr abhängig. Wer eine Handlungsfolge als notwendig eintretend antizipiert, kann nicht gleichzeitig auf ihr Ausbleiben vertrauen. Für die spezifische Haltung des Leichtnehmens läßt der dolus directus keinen Raum 37 • 4. Vorsatz im Nebenstrafrecht und Vorsatztheorie Der Gegenstand des Vorsatzes wurde in Übereinstimmung mit § 17 StGB vom Boden der Schuldtheorie aus bestimmt: Auf der Wertungsebene der Rechtswidrigkeit setzt doloses Handeln nicht notwendig Unrechts bewußtsein voraus 38 • Dieser Grundsatz erfährt im Bereich des Nebenstrafrechts aufgrund der psychologischen Vorgegebenheiten des Vorsatzbegriffs der Entscheidung eine Einschränkung: Eine dolose Entscheidungssituation entsteht erst, wenn die tatbestandsrelevanten Informationen so in den Motivationsprozeß eingeführt werden, daß der Täter unter normalen Bedingungen39 mit seinem Handlungsentschluß über die Verletzung des Rechtsguts entscheidet40 • Die Handlungssituation wird aber nicht unter beliebigen Gesichtspunkten wahrgenommen, sondern unter dem Aspekt der situationsentsprechenden Motive des Individuums. Handlungsfolgen finden daher lediglich Beachtung, wenn sie motiv-relevant sind, das heißt in Zusammenhang mit individuellen Werthaltungen stehen. Nur wenn der Täter mit der Antizipation der Tatbestandsverwirklichung einen Wert verbindet, kann sie Gegenstand der Willensbildung werden 41 • Im Fall der Absicht steht diese Bedingung außer Frage, da wir jene Dolusvariante als motivierende Erfolgsvorstellung definiert haben42 • Die antizipierte tatbestandliche Handlungsfolge ist Ziel des Verhaltens und als solches notwendigerweise für das Individuum wertvoll. Bei Nebenfolgen, also im Bereich von dolus directus und dolus eventualis, versteht sich die Motiv-Relevanz hingegen nicht von selbst, da der Täter ihre Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 59, Fn. 35. Vgl. oben III 2. 39 Vgl. Fn. 36. 40 Vgl. oben 1. n Vgl. oben 3.1. 42 Vgl. oben B 11, 1.2.
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Bewirkung nicht anstrebt. Doch auch die Antizipation von Nebenfolgen spielt in der Willensbildung nur eine Rolle, wenn ihr Eintritt Werte berührt. Dieses Werterleben, das die tatbestandsrelevante Auffassung der Handlungssituation erst ennöglicht, wird im Kerngebiet des Strafrechts durch vorrechtliche soziale Nonnsysteme vennittelt. Vorsatz setzt dort daher auch unter diesem psychologischen Gesichtspunkt kein Unrechtsbewußtsein voraus. Im Nebenstrafrecht, besonders bei Ordnungswidrigkeiten, läßt sich die dolose Entscheidungssituation hingegen häufig nicht auf eine dem Recht vorgegebene Wertordnung gründen, da Lebensbereiche geregelt werden, in denen sittliche Verhaltensmaximen nicht bestehen oder zumindest noch nicht von einem genügend breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Die Werthaftigkeit des antizipierten Handlungsergebnisses kann dort oft allein die Kenntnis der rechtlichen Nonn vennitteln. Unrechtsbewußtsein ist in diesem Fall zwar keine dogmatische, wohl aber eine psychologische Bedingung der dolosen Zurechnung von Nebenfolgen. Für dolus directus und dolus eventualis gilt damit im Nebenstrafrecht - soweit keine entsprechenden vorrechtlichen Verhaltensmaximen bestehen - im Ergebnis die Vorsatztheorie. Die Übereinstimmung mit der Vorsatztheorie in den Randzonen des Strafrechts konnte für jene Dolusvarianten bereits aus den psychologischen Vorgegebenheiten des Vorsatzbegriffs abgeleitet werden. Die partielle Konkordanz läßt sich aber ebenso mit normativen Merkmalen des Vorsatzbegriffs begründen, die ihrerseits die nonnativen Kriterien der Schuldlehre widerspiegeln43 • Diese gelten auch für die Absicht und beziehen sie damit in den Wechsel von der Schuld- zur Vorsatztheorie ein, der stets dort erfolgt, wo strafrechtlichen Nonnen die Basis vorgegebener sozialethischer Wertungen fehlt 44. Die Rechtswidrigkeit gibt einem objektiven Urteil über die Tat Ausdruck. Daher genügt dem Vorsatz auf der Unrechtsebene, daß das Verhalten des Täters als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung imponiert 45 • Dieser Eindruck entsteht im Kernbereich des Strafrechts unabhängig davon, ob der Täter die verletzte Rechtsnonn kannte, wenn er nur die tatbestandsrelevanten Elemente der Handlungssituation aufgefaßt und seinem Motivationsprozeß zugeführt hat. Da aufgrund vorgegebener sittlicher Nonnen Zu diesen Kriterien Roxin, ZStW 78 (1966), S. 258f. Die Geltung der Vorsatztheorie im Nebenstrafrecht vertreten mit leicht abweichenden Begründungen: Blei, AT, S. 183; Hardwig, Die Zurechnung, S. 196, 227; ders., ZStW 78 (1966), S.21; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, S. 191, 195; ders., Das Schuldprinzip, S. 136f.; Lampe, ZStW 71 (1959), S. 585f.; Lange, JZ 1956, S. 73ff. und 519ff.; ders., JZ 1957, S. 233ff.; Roxin, ZStW 74 (1962), S. 527; ders., ZStW 77 (1965), S. 79; ders., ZStW 96 (1984), S. 658f.; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), S. 70f.; Tiedemann, ZStW 81 (1969), S. 869ff. (m.w.Nachw.). 45 Vgl. oben 1. 43
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bereits die Kenntnis der Tatbestandsmerkmale den sozialen Sinn des Verhaltens unter dem Wertgesichtspunkt des Strafgesetzes erschließt, wird mit der Antizipation der Tatbestandsverwirklichung so viel Bedeutungskenntnis vermittelt, daß das deliktische Verhalten als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung imponiert. Fehlen dagegen, wie im Nebenstrafrecht, vorrechtliche Normen, so erscheint das Verhalten aus der Wertungsperspektive des Strafgesetzes neutral und bedeutungslos, solange die gesetzliche Regelung unbekannt ist. Abstrahiert man von der Geltung der Norm, so bleibt keinerlei sozialer Sinn des Verhaltens, der den Eindruck einer dolosen Stellungnahme erwecken könnte. Ein Handeln in bloßer Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale kann daher nicht als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung imponieren. Die Entscheidungssituation, die vorsätzliches Unrecht konstituiert, wird somit in der Randzone des Strafrechts anders definiert als im Kernbereich. Hier genügt die motivationale Repräsentanz der objektiven Merkmale des gesetzlichen Tatbestands, dort hat sie zusätzlich die Kenntnis des Gebots oder Verbots zur Voraussetzung. Diese Differenzierung im Bezugsobjekt des Vorsatzes dient letztlich jedoch der Einheitlichkeit der Unrechtswertung, die der Begriff des Vorsatzes zu leisten hat. Denn die in Haupt- und Nebenstrafrecht verschiedenartige Bedeutungskenntnis46 soll lediglich sicherstellen, daß nur den Täter, der den sozialen Sinn seiner Handlung erfaßt, die erhöhte Vorsatzstrafe trifft.
V. Die Schuldseite des Vorsatzes und ihr Verhältnis zur Rechtswidrigkeit 1. Vorsatz als Entscheidung in der Schuld
Der Gegenstand des Schuld urteils läßt sich durch den Kern des Entscheidungsbegriffs charakterisieren, von dem das Urteil über die Rechtswidrigkeit abstrahiert: die Wahl zwischen Alternativen. Doloses Unrecht wird begründet, wenn der Täter aus einer Entscheidungssituation heraus handelt, Vorsatzschuld erfordert, daß er sich für die Rechtsgutsverletzung entschieden hat. Das konstitutive Merkmal vorsätzlichen Unrechts, die Entscheidungssituation garantiert, daß der Täter die Verletzung des Rechtsguts bei der Bildung seines Handlungswillens insofern in Rechnung stellen konnte, als die tatbestandlich relevanten Informationen dem Motivationsprozeß zugeführt wurden. Mit der die Vorsatzschuld begründenden Entscheidung wird konstatiert, daß er die deliktische Antizipation in Rechnung gestellt hat. 46
Vgl. dazu Roxin, ZStW 74 (1962), S. 527.
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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Dieses Ergebnis folgt nicht aus einer vollständigen Aufklärung des Wahlaktes, die die Aporien der Freiheitsfrage berühren würde. Wie in § 20 StGB niedergelegt, schreibt der Gesetzgeber Verantwortlichkeit zu, solange nicht eine der in jener Vorschrift aufgeführten Defektlagen die Motivationsfähigkeit zerstört. Er geht davon aus, daß der Mensch in seiner Willensbildung grundsätzlich über Alternativen verfügt. Diese Systematik bestimmt die Feststellung der Vorsatzschuld. Greift die Ausnahmeregelung des § 20 StGB nicht ein, so kann bei vorhandenem Unrechtsbewußtsein von den kognitiven und motivationalen Voraussetzungen der Entscheidung, das heißt von der vollständigen Unrechtsseite des Dolus, auf die Entscheidung selbst und damit auf die Vorsatzschuld geschlossen werden. Damit bildet weder im Unrecht noch in der Schuld die Entscheidung selbst den Prufungsgegenstand, sondern jeweils eine spezifische Fähigkeit des Handelnden, die notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung ist. Im Rechtswidrigkeitsurteil wird untersucht, ob die tatbestandlich relevante Information so in den Motivationsprozeß eingeführt war, daß der Täter sich in der Lage befand, gegen die Norm zu verstoßen, im Rahmen der Schuld steht hingegen die Fähigkeit in Frage, den Willen normgemäß zu formen. Wurde doloses Unrecht verwirklicht, so hat der Täter sich danach für die Rechtsgutsverletzung entschieden, wenn er um die Normwidrigkeit seines Handelns wußte und das Vermögen, sein Verhalten an dieser Einsicht zu orientieren, nicht aufgrund eines "biologischen" Merkmals des § 20 StGB zerrüttet war. Fehlt eine der beiden Voraussetzungen, handelt der Täter im Verbotsirrtum oder ist er nicht in der Lage, sein Verhalten sinngemäß zu überformen, so besteht keine Vorsatzschuld, selbst wenn die Unrechtsperspektive eine dolose Zurechnung tragen würde. Die Vorsatzschuld ist dabei auch im vermeidbaren Verbotsirrtum ausgeschlossen, da eine Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung ohne Unrechtsbewußtsein nicht denkbar ist, gleichviel ob der Täter die nötige Kenntnis hätte erlangen können oder nicht!. Das Urteil über die Schuld ist unabhängig von jenem über die Rechtswidrigkeit. Umgekehrt beseitigt die Schuldlosigkeit der Tat nicht die Unrechtstypizität der Handlung, da diese schon auf der Tatbestandsebene feststeht. Dem dolosen Unrechtstypus genügt der Nachweis, daß der Tatentschluß in einer Entscheidungssituation gefaßt wurde. Er enthält bereits die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit, da dieser Handlungskontext alle Formen des Vorsatzes - den dolus eventualis eingeschlossen - charakterisiert, nicht hingegen den Leichtsinn 2 • Der Entscheidungsakt selbst hat für die unrechts- . typische Grenzziehung, die ja nicht nur für die Bestrafung des Täters, sondern etwa auch für die Behandlung der Teilnahme die Weichen stellt, keine Bedeutung. Die Lösung all jener Fragen, die mit der Funktion des Vorsatzes 1 2
Vgl. unten 2.2. Vgl. oben IV 3.
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im Unrecht verknüpft sind, hängt allein davon ab, ob der Handelnde in der dolosen Entscheidungssituation stand, ob also die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung in einer Weise in den Motivationsprozeß eingeführt wurde, daß der Tatentschluß - Unrechtsbewußtsein und Motivationsfähigkeit vorausgesetzt - notwendig eine Stellungnahme für die Verletzung des geschützten Guts enthält. Da die Fahrlässigkeit eine Struktur aufweist, in der die dolose Entscheidungssituation fehlt, ihr Täter also gar nicht in die Lage gerät, sich in der bezeichneten Weise entscheiden zu können und die dem Vorsatz ähnlichste Zurechnungsvariante, der Leichtsinn, gerade durch ein - metavolitives - Vermeiden jener Situation gekennzeichnet ist, erfolgt die Vorsatz abgrenzung allein im Unrecht und reicht nicht, wie bei den meisten anderen Doluskonzepten, in die Schuld. Der vollständige, das wählende Moment umfassende Entscheidungsbegriff wird somit für die unrechtstypische Scheidung der Zurechnungsarten nicht benötigt, da bereits die entsprechende Handlungssituation doloses Unrecht identifiziert. Gleichwohl kann die Vorsatzdogmatik auf den Begriff der Entscheidung nicht verzichten, denn ihr obliegt es, nicht nur die Grenze zur Fahrlässigkeit zu ziehen, sondern auch den Schuldabstand zwischen den Grundformen subjektiver Zurechnung zu rechtfertigen, der in der unterschiedlichen Strafbarkeit fahrlässigen und vorsätzlichen Verhaltens Ausdruck findet. Aus der isolierten Unrechtsperspektive leuchtet die folgenschwere Differenzierung der Strafdrohungen nicht ein. Die Voraussicht des deliktischen Erfolges, die Ernstnahme eines möglichen Geschehensablaufs, erscheint zunächst weniger strafwürdig als das Übersehen oder gar die Leichtnahme der Gefahr. Erst der Akt der Entscheidung macht die Abstufung der Rechtsfolgen verständlich: Nicht weil er etwas antizipiert oder ernst nimmt, verwirkt der Vorsatztäter schwerere Schuld, sondern weil er sich in einer vergleichsweise klaren motivationalen Situation für die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. In der Funktion, die Straf- und Schulddifferenz zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu erklären, erlangt die Schuldseite des Dolus gegenüber seiner Unrechtsseite eine eigenständige Bedeutung. Vorsatz im Rahmen der Schuld ist folglich mehr, als der bloße Reflex eines gesteigerten Handlungsunwerts der dolosen Begehung. Wäre die schwerere Schuld des Vorsatzdelikts nur ein Spiegelbild seines erhöhten Handlungsunwerts, so würde eine Schuldkomponente des Dolus nur besagen, daß dieser Unwert verantwortlich verwirklicht wurde, während sie selbst nicht das Maß der Schuld, das Mehr gegenüber der Fahrlässigkeit abbilden könnte. Dieses Verständnis stellt jedoch das Verhältnis von Vorsatzschuld und Handlungsunwert auf den Kopf. Den erhöhten Handlungsunwert des dolosen Delikts vermittelt erst eine Gesamtsicht des Verbrechens, welche die Schuldperspektive akzentuiert. Er wird begründet durch entscheidungs-
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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typisches Handeln. Charakteristisch für die subjektive Lage, die doloses Unrecht konstituiert, ist, daß aus ihr im Regelfall eine Entscheidung im Sinne doloser Schuld erwächst. Der Handlungsunwert, den der Vorsatz im Rahmen der Rechtswidrigkeit verkörpert, wird also nur verständlich auf dem Hintergrund seiner Schuldseite: Der Unwert der dolosen Handlung ist gegenüber der fahrlässigen erhöht, da jene dem Typus der Entscheidungshandlung entspricht. Das Unrechtsurteil abstrahiert vom Akt der Entscheidung und prüft nicht, ob der Täter sich tatsächlich entschieden hat. Da die Rechtswidrigkeit trotz ihres personalen Charakters eine objektive Größe ist 3 , genügt ihr, daß die Tat sich als entscheidungstypisch darstellt. Damit prägt aber der Kern der Vorsatzschuld bereits den Unwertgehalt, den der subjektive Tatbestand zum Ausdruck bringt. Der Ausblick auf die Schuld, die Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung, verleiht dem Handlungsunwert, dem Handeln in einer Entscheidungssituation, sein spezifisches Gewicht. Die Definition des Vorsatzes als Element des subjektiven Tatbestandes war orientiert am spezifischen Schuldgehalt des dolosen Delikts. Ausgehend von der Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung und abstrahierend vom Wahlakt, der Vorwerfbarkeit voraussetzt, wurde der Begriff des Vorsatzes im Unrecht als Handlungsentschluß in einer Entscheidungssituation erläutert. Da der Handlungsunwert so bereits mit Blick auf die folgende Verbrechensstufe bestimmt wird, sich der Tatbestand als Schuldtypus erweist4, kann die Prüfung der Schuld in der Regel auf die Frage beschränkt bleiben, "ob die durch das Unrecht ,indizierte' Schuld aus besonderen Gründen ausgeschlossen ist"5, ohne daß die Systemkategorie damit zu einer rein formellen Instanz degeneriert. Die Schuld bezeichnet nicht nur das Ergebnis subjektiver Zurechnung als Verantwortbarkeit, sondern ist ein materieller, graduierbarer Begriff, der die Einstellung des Täters zu den Anforderungen des Rechts 6 , bei vorsätzlichem Handeln in Form einer Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung, zum Ausdruck bringt. Diese Haltung braucht im Rahmen der Schuld nur auf bestimmte Ausschlußgründe hin überprüft zu werden, da bereits der Vorsatzbegriff im Unrecht mit Rücksicht auf die Schuld des dolosen Delikts gebildet wurde. Obgleich somit auf der letzten Stufe des Verbrechensaufbaus tatsächlich nur eine "formelle" Prüfung stattfindet, soll dem Begriff des Vorsatzes im Tatbestand jener der Vorsatzschuld gegenübergestellt werden, da dieser erst Sinn und Rechtfertigung der dolosen Variante subjektiver Zurechnung offenbart.
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LK - Jescheck, Vor § 13, Rn. 69 ffi. w. Nachw. Vgl. dazu Gallas, ZStW 67 (1955), S. 29ff.; Roxin, ZStW 74 (1962), S. 558. Roxin, a.a.O. Gallas, a.a.O., S. 45f.
11 Ziegert
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
2. Zusammenfassende Darstellung des zweiteiligen Vorsatzbegriffs
.Unser Vorsatzkonzept beruht auf einer doppelten Lozierung des Dolus in Unrecht und Schuld. Diese Feststellung erschöpft aber bereits mögliche Gemeinsamkeiten mit der Lehre von der Doppelstellung des Vorsatzes. Jene - inzwischen verbreitete - Ansicht entschärfte zwar die klassische Kontroverse, ob der Dolus dem Tatbestand oder der Schuld zugehört, versäumte aber, aus dem - nicht nur systematisch - fruchtbaren Ansatz ein neues Vorsatzkonzept zu entwickeln, das dem Anspruch der doppelten Funktionalität auch gerecht wird. Vielmehr blieb die Lehre der traditionellen Vorsatzdogmatik verhaftet. Hatte bereits die tiefgreifende Umgestaltung des Verbrechenssystems durch die personale Unrechtslehre die konkrete Definition des Vorsatzes kaum berührt, so erfuhr der Begriff auch keine Veränderung, als die Schuld "ein Stück Vorsatz" zurückerhielt. Dieser Schuldanteil blieb ebenso vage, wie die Unrechtsseite festgefügt in eine Tradition, die den Vorsatz noch als dolus malus begriffen hatte, als welcher er nach der finalistischen Wende nicht länger gelten konnte. Auch die Lehre von der DoppelsteIlung arbeitet auf der Tatbestandsebene mit einem Vorsatzbegriff, der Schuldelemente enthält. Damit verfehlt sie das Ziel der ihr zugrunde liegenden personalen Unrechtslehre, mit der dogmatischen Kategorie lediglich den Handlungssinn zu identifizieren und so auch Taten schuldlos Handelnder unrechtstypisch zuordnen zu können: Bereits in die Abgrenzung der Grundformen subjektiver Zurechnung fließen Wertungen, die der Ebene der Schuld vorbehalten sind. So wird die allseits postulierte Trennung von Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit durchbrochen, wirkt die dolose Zurechnung von Taten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden, wenig überzeugend. Dagegen differenziert unser Vorsatzbegriff genau zwischen der Bedeutung des Dolus auf der Tatbestandsebene und jener im Bereich der Schuld. Er erläutert die unters.chiedlichen Funktionen auf den Verbrechensstufen und benennt exakte Kriterien, mit denen diese Aufgaben zu erfüllen sind. Damit wird nicht nur die DoppelsteIlung neu und umfassend begründet, sondern ein zweiteiliger Vorsatzbegriff mit selbständigen Elementen in Unrecht und Schuld eingeführt: Der Vorsatz hat eine Unrechts- und eine Schuldkomponente. Jene verkörpert den rechtlich-sozialen Sinn der Handlung, erfaßt den Willen in seiner Ausrichtung gegen den Normbefehl und somit die personale Seite des Unrechts. Diese thematisiert die Alternativität der Willensbildung. Sie begründet die Schulddifferenz zwischen den Zurechnungsformen, denn die hervorgehobene Strafbarkeit des Vorsatzdelikts ist allein durch die im Vergleich zur Fahrlässigkeit erhöhte Vorwerfbarkeit der dolosen Bewirkung zu rechtfertigen. Diese Doppelfunktionalität des Vorsatzes für Rechtswidrigkeit und Schuld steht nicht nUr der Festlegung der dogmatischen Kategorie
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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auf eine Deliktsebene entgegen, sondern ebenso der Definition des Dolus aus der Perspektive einer Verbrechensstufe. Der Vorsatzbegriff wird jedoch auch in der Lehre von der Doppelstellung aus der Unrechtsperspektive entwickelt. Hat er aber die Funktion, Formen von Verantwortlichkeit zu scheiden, so ist er auch im Hinblick auf diese Aufgabe, das heißt unter Beachtung der Wertungsaspekte der Schuld zu bestimmen. Unser Konzept vollzieht die Lozierung des Dolus in Unrecht und Schuld in der Begriffsbildung nach, indem es den Vorsatz aus dem Blickwinkel beider Verbrechensstufen jeweils selbständig entwickelt (zweiteiliger Vorsatzbegriff), gibt ihm im Begriff der Entscheidung aber zugleich ein übergreifenden Leitbild. Vorsätzlich handelt, wer sich für die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. Da eine Stellungnahme nur erforderlich wird, wo die Handlung im weitesten Sinne Wertvolles berührt, ist Vorsatz ohne das Erleben einer normativen Bedeutsamkeit nicht denkbar. Den Wert, über den der Täter entscheidet, vermittelt der Achtungsanspruch den die Strafrechtsnorm konstituiert7. Der Begriff der Entscheidung prägt die Unrechts- und die Schuldseite des Vorsatzes auf verschiedenartige Weise. So wie Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit nicht nur im Maßstab, sondern gleichfalls im Objekt ihrer Wertung unterscheidbar sein müssen, um eine Konfundierung der Systemkategorien zu verhindern, wird dabei auch der Vorsatz in seiner Unrechts- wie seiner Schuldkomponente durch einen selbständigen sachlichen Bezug charakterisiert. Den materiellen :Bezug des Vorsatzes im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bildet der Motivationsprozeß. Die Unabhängigkeit des Urteilsgegenstands vom Objekt der Schuldwertung sichert dabei die Spezifität der Perspektive, aus der die Willensbildung analysiert wird. Auf der Unrechtsebene abstrahiert der Vorsatzbegriff vom Akt der Entscheidung, da dieser die motivationale Alternative voraussetzt, auf der erst das Schuldurteil gründet. Vorsatz bedeutet hier folglich nicht, daß der Handelnde sich tatsächlich für die Rechtsgutsverletzung entscheidet, sondern lediglich, daß sein Verhalten als Entscheidung imponiert, solange wir vom Regelfall eines intakten Motivationsgefüges ausgehen. Jener Eindruck einer positiven Stellungnahme zur Bewirkung des tatbestandlichen Erfolges entsteht, wenn der Täter aus einer Entscheidungssituation heraus handelt. Da nicht jede Information, die apperzepiert wird, Eingang in den Motivationsprozeß findet, gelangt der Täter noch nicht in die dolose Entscheidungssituation, wenn er die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands lediglich wahrnimmt, sondern erst, wenn er sie durch einen besonderen Aneignungsakt zur Grundlage seiner Willensbildung macht. Die Entscheidungssituation entsteht mithin, wenn die Tatbestandsverwirklichung antizipiert 7
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Vgl. dazu oben III 2, sowie B III 2.2.2.
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
wird und diese Erkenntnis dem Motivationsprozeß zur Verfügung steht. Die Wahrnehmung muß zu einem Rechnungsposten der Willensbildung werden, so daß der Täter - bei intaktem Motivationsgefüge - in der Bilanz seines Handlungsentschlusses notwendig auch über die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. Im Gegensatz zum bewußt fahrlässig Handelnden wird vom Vorsatztäter die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung nicht nur erkannt, sondern als entscheidungsrelevante Information anerkannt. Im Fall der Absicht liegt die Motivrelevanz der Wahrnehmung auf der Hand, denn bereits aus unserer Definition dieser Dolusvariante folgt, daß die Willensbildung die Antizipation der tatbestandlichen Handlungsfolge umfaßt: Absicht ist motivierende Erfolgsvorstellung8 • Weniger deutlich ist die Einbindung der Wahrnehmung in den Motivationsprozeß bei dolus directus und dolus eventualis erkennbar. Beide Zurechnungs formen setzen zunächst voraus, daß die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung ein bereits vorhandenes Motiv, den Erfolg zu vermeiden, aktualisiert, was wiederum zur Voraussetzung hat, daß der Täter mit der deliktischen Folge einen Wert verbindet. Während die dolose Entscheidung eine Stellungnahme zur Verletzung des Rechtsguts verlangt9, kann jenes Werterleben, das lediglich der Auffassung der Handlungssituation auf der Unrechtsebene dient, durch jedes beliebige, auch vorrechtliehe Wertsystem vermittelt werden. Unrechtsbewußtsein ist daher. keine dogmatisch-systematische Bedingung für das Handeln in einer Entscheidungssituation.
Sieht der Täter die Bewirkung als nur mögliche Folge seines Handelns voraus (dolus eventualis), so erfordert die Entscheidungssituation neben dem soeben beschriebenen Werterleben eine spezifische Einstellung des Täters zur Gefahr der Tatbestandsverwirklichung. Deren Antizipation steht dem Motivationsprozeß nur zur Verfügung, wenn der Handelnde das Risiko, die tatbestandliehe Folge herbeizuführen, in dem von Stratenwe~h erläuterten Sinn ernstnimmt. Die Wahrnehmung wird hingegen vom Prozeß der Willensbildung ausgeschlossen, wenn Leichtsinn obwaltet. In diesem Fall vermeidet es der Täter, in die dolose Entscheidungssituation zu geraten, weil er die Gafahr zwar erkennt, aber nicht als entscheidungsrelevant anerkennt. Er erfüllt folglich bereits jene Merkmale nicht, welche die Unrechtsseite des Vorsatzes konstituieren: sein Verhalten imponiert nicht als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung. Damit gelingt die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit schon auf der Tatbestandebene, wird der Rückgriff auf Elemente der Vorwerfbarkeit entbehrlich. Gegenstand des Schuldurteils ist der Akt der Entscheidung, die Wahl zwischen Alternativen. Dem Tatbestandsvorsatz genügt die Feststellung, daß 8 9
Vgl. oben B II 1.2 Vgl. oben Fn. 7.
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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der Tatentschluß in einer Entscheidungssituation gefaßt wurde, Vorsatzschuld setzt voraus, daß der Täter sich entschieden hat, daß er die deliktische Antizipation bei der Bildung seines Handlungswillens nicht nur in Rechnung stellen konnte (Unrechtsseite), sondern tatsächlich in Rechnung gestellt hat. Die Schuldkomponente des Vorsatzes erfordert keinen vollständigen Nachweis des Wahlakts, da der Gesetzgeber regelmäßig Verantwortlichkeit zuschreibt. Wenn daher die Ausnahmevorschrift des § 20 StGB nicht eingreift, kann bei vorhandenem Unrechtsbewußtsein von den kognitiven und motivationalen Voraussetzungen der Entscheidung, das heißt von der vollständigen Unrechtsseite des Dolus, auf die Entscheidung selbst und damit auf die Vorsatzschuld geschlossen werden. Der Schuldanteil des Vorsatzes hat für die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit keine Bedeutung, ist aber für die Legitimation der hervorgehobenen Vorsatzbestrafung unverzichtbar. Die isolierte Betrachtung dolosen Unrechts vermag die starke Differenzierung der Strafdrohungen nicht zu rechtfertigen, denn Erkenntnis der Möglichkeit und Ernstnahme des Risikos, einen tatbestandlich vertypten Erfolg zu bewirken, gereichen dem Rechtsgut eher zum Schutz und erscheinen zunächst weniger strafwürdig, als eine Gefahr zu übersehen oder leichtzunehmen. Erst der die Schuldseite des Dolus konstituierende Akt der Entscheidung begründet die hervorgehobene Vorsatzstrafbarkeit: Nicht weil er etwas antizipiert, verwirkt der Vorsatztäter schwerere Schuld, sondern weil er sich für die Verletzung des Rechtsguts entscheidet. Mit der Differenzierung zwischen dem Handlungsentschluß in einer Entscheidungssituation und der Stellungnahme zur Rechtsgutsverletzung wurde aus den Lehren von Unrecht und Schuld ein zweiteiliger Vorsatzbegriff entwickelt und in den Verbrechensaufbau eingepaßt, der Vorsatz und Fahrlässigkeit auf der Tatbestandsebene abgrenzt, was die Vertreter der finalen Handlungslehre als Vorzug ihres Ansatzes gepriesen haben, ihr Verbrechenssystem aber nicht geleistet hat. Diese Konzeption des Dolus begründet klar und alltagspsychologisch nachvollziehbar den Schuldabstand zwischen den Zurechnungsarten. Schließlich gibt sie dem Schuldurteil in der "wertwidrigen Entscheidung" seinen materiellen Bezug zurück, den es durch die Lozierung des Vorsatzes im Unrecht verloren hatte und der durch den Begriff der Gesinnung unscharf gekennzeichnet und damit unzureichend substituiert war. Einer Erläuterung bedürftig ist dagegen noch das Verhältnis dolosen Unrechts zur Schuld des Vorsatzdelikts. Seine Analyse wird nicht nur eine ungewohnte Sicht des Verbotsirrtums offenbaren, sondern ein allgemeines Prinzip der Zurechnung von Verschuldensmomenten aufzeigen, die außerhalb des eigentlichen Tatverhaltens liegen. Darin ist ein weiterer Vorzug des zweiteiligen Vorsatzbegriffs zu sehen.
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
3. Das Verhältnis von Unrechts- und Schuldseite des Vorsatzes Die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Komponenten doloser Zurechnung wurde bisher lediglich in ihren grundsätzlichen Zügen beschrieben. Dabei blieb die praktisch bedeutsame Frage ausgeklammert, welche Rechtsfolgen bei unterschiedlichen Urteilen auf den Verbrechensstufen eintreten. Da Schuld ohne Unrecht außer Betracht bleiben kann10 , geht es dabei um die Verwirklichung dolosen Unrechts bei ausgeschlossener Vorsatzschuld: Wie befindet die Rechtsordnung über einen Täter, der, obgleich in einer Entscheidungssituation handelnd, zur Verletzung des Rechtsguts nicht Stellung nehmen konnte, weil er die Norm nicht kannte oder im Sinne von § 20 StGB die Kontrolle über seine Verhaltenssteuerung verloren hatte? Das Ausbleiben einer Entscheidung bereitet der Feststellung eines dolosen Delikts auf der Tatbestandsebene kein Hindernis, denn der Begriff des Vorsatzes im Unrecht stellt allein auf die Entscheidungssituation ab. Während dieses Zwischenergebnis noch unmittelbar aus unserem Doluskonzept folgt, ergeben sich die rechtlichen Konsequenzen für vorsätzliches Unrecht, das ohne Vorsatzschuld bewirkt wurde, nicht aus der Vorsatzdogmatik, sondern aus den grundlegenden Wertsetzungen in den §§ 17 und 20 StGB. Daraus lassen sich die folgenden Grundzüge entwickeln, deren erster direkt aus den §§ 17 und 20 StGB abgeleitet werden kann: Wurde der Unrechtstatbestand eines Vorsatzdelikts erfüllt, trägt aber kein Gesichtspunkt die Zurechnung der Tat als schuldhaft, so ist der Täter freizusprechen. Kann ihm hingegen der Vorwurf gemacht werden, fahrlässig versäumt zu haben, die in den §§ 17 und 20 StGB aufgeführten Voraussetzungen einer Entscheidung zu schaffen oder zu erhalten, so ist er aus dem Strafrahmen des Vorsatzdelikts zu bestrafen, wobei die Sanktion in Anbetracht der geringeren Schuld gemildert werden kann. Die Geltung dieses Prinzips ergibt sich nur für die intellektuelle Seite der Entscheidungsfähigkeit unmittelbar aus § 17 StGB. Für das voluntative Schuldmerkmal wird sie durch die dogmatische und psychologische Kongruenz beider Schuldelemente nahegelegt, bedarf sie jedoch einer umfassenden Begründung, deren Basis die gesetzlich geregelte Materie, der Verbotsirrtum, bildet. 3.1 Der Verbotsirrtum
Der Verbotsirrtum schließt vorsätzliches Unrecht in aller Regel l l nicht aus, da die Normkenntnis keine notwendige Voraussetzung jener Entscheidungssituation ist, die den Vorsatz im subjektiven Tatbestand konstituiert. 10 Anders noch Nowakowski, Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen, S.42f., der allerdings seine Ansicht, daß ein schuldhaftes Verbrechen auch ohne Rechtswidrigkeit möglich sei in JurBl1972, S. 22 aufgegeben hat.
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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Weiß der Täter aber nicht um die rechtliche Wertung seines Delikts, so entscheidet er sich mit dem Handlungsentschluß nicht für die Rechtsgutsverletzung, selbst wenn er den Irrtum hätte vermeiden können. Denn die Haltung des Vorsatztäters wurde als Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung bestimmt, als Stellungnahme zur Verwirklichung des Tatbestandes auf dem Hintergrund des durch das Unrechtsbewußtsein vermittelten Werterlebens 12 . Damit entfällt im vermeidbaren wie im unausweichlichen Verbotsirrtum die Vorsatzschuld 13 • Hat der Täter den Kontakt zur Norm verloren, das Defizit aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu verantworten, so handelt er ohne Schuld und ist freizusprechen. Hätte er sich hingegen die nötige Kenntnis im Rahmen zumutbarer Anstrengungen verschaffen können, so ist ihm dieses Versäumnis vorzuhalten. Der Vorwurf, der Verbotsirrtum sei vermeidbar gewesen, entspricht jedoch nicht jenem des Vorsatzdelikts, sich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden zu haben. Dem Täter kann keine bewußte Auflehnung gegen rechtliche Normen angelastet werden, denn subjektiv faßte er seinen Handlungsentschluß in Übereinstimmung mit der Rechtsordung. Die Mißbilligung zielt vielmehr auf eine mangelhafte Anspannung des Gewissens 14 oder das sorgfaltswidrige Unterlassen, intellektuelle Erkenntnismittel einzusetzen 15 • Dieser soziale Tadel gleicht aber dem Schuldvorwurf, der bei fahrlässigen Taten erhoben wird. Im Verbotsirrtum, wie im Fall der (Tatbestands-)Fahrlässigkeit handelt der Täter in dem Irrtum, er werde das vertypte Rechtsgut nicht verletzen. Dadurch kann das Motiv, den deliktischen Erfolg zu vermeiden, nicht aktualisiert werden, denn die Notwendigkeit, das Verhalten daran zu orientieren, gerät gar nicht in den Blick. Die vorsätzliche Begehung in Kenntnis der Norm spricht das Motiv zur Vermeidung indessen direkt an, da alle erforderlichen Informationen in den Motivationsprozeß eingeführt sind. Nur unter diesen Umständen ist dem Täter vorzuhalten, sich bewußt für das Unrecht entschieden zu haben. Das im vermeidbaren Verbotsirrtum begangene Vorsatzdelikt läßt hingegen nicht die vorsatztypische Einstellung zum Rechtsgut erkennen, da der Tatbestand ohne das Bewußtsein verwirklicht wird, Unrecht zu setzen. Der 11 Wenn der Täter mit dem tatbestandlichen Erfolg auch keine vorrechtlichen Werte verbindet, kann der Verbotsirrtum die dolose Zurechnung verhindern; vgl. dazu oben IV 3.l. 12 Vgl. oben III 2. 13 Dagegen wird Vorsatzschuld durch ein bedingtes Unrechtsbewußtsein nicht ausgeschlossen. Denn die Vorstellung, möglicherweise eine Norm zu brechen, regt das Motiv, ein derartiges Ergebnis zu vermeiden, ebenso an, wie die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung als mögliche Handlungsfolge (dolus eventualis). Der Handlungsentschluß umfaßt somit notwendig eine Stellungnahme zur Rechtsgutsverletzung. 14 BGHSt 2, 20l. 15 BGHSt 4, 5.
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
Schuldvorwurf kann folglich nicht, wie bei der "vollständigen" Vorsatztat, an die wertwidrige Entscheidung geknüpft werden. Dem Fahrlässigkeitsdelikt entsprechend findet er seine Grundlage vielmehr in der Genese jenes Irrtums, das Vorhaben werde kein rechtlich geschütztes Interesse beeinträchtigen. Beide Varianten schuldhaften Handelns stimmen daher auch in der Feststellung überein, auf der die persönliche Mißbilligung fußt: Der Täter hätte wissen sollen und können, daß er durch sein Handeln ein Rechtsgut verletzt. Zwar unterscheiden sich die Fehlvorstellungen in ihrem Objekt, das im Fall des Verbotsirrtums dem rechtlichen, bei fahrlässiger Begehung dem tatsächlichen Bereich zugehört. Der Vorhalt, der die Schuld begründet, lautet jedoch übereinstimmend: Der Irrtum - und damit implizit die Straftat - sei bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt vermeidbar gewesen. Die inhaltliche Differenzierung zwischen Unrechts- und Schuldseite des Vorsatzes läßt eine dritte Deliktskategorie hervortreten, die zwischen reinen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten steht. Die beiden Formen subjektiver Zurechnung sind hier nicht auf einer Verbrechensebene, wie bei den erfolgsqualifizierten Straftaten im Tatbestand, sondern über die Stufen kombiniert. Das Delikt erweist sich als janusköpfig, zusammengesetzt aus einem dolosen Unrechts- und einem fahrlässigen Schuldelernent: Im Verbotsirrtum kann der Täter vorsätzlich im Sinne des subjektiven Tatbestands handeln. Der Vorwurf, der Verlust des Kontakts zur Strafrechtsnorm sei vermeidbar gewesen, vermag jedoch keine Vorsatz-, sondern lediglich Fahrlässigkeitsschuld zu begründen. Hat der subjektive Tatbestand die Form des Vorsatzes und wurde der Tatentschluß in einem vermeidbaren Verbotsirrtum gefaßt, so liegt dem Delikt eine Kombination aus dolosem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld zugrunde 16 • § 17 StGB erklärt auf diese Mischform den Strafrahmen des Vorsatzdelikts für anwendbar. Diese Interpretation des vermeidbaren Verbotsirrtums ist ohne Alternative, sobald man der Schuldseite des Vorsatzes gegenüber seiner Funktion als Indikator eines typisierenden Handlungssinns eine eigenständige Bedeutung einräumt. Dogmatische Stringenz bezeichnet im Verhältnis zur reinen Schuldtheorie jedoch nur einen Vorzug der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination. Sie eröffnet der Schuldlehre neue Perspektiven, die unter anderem eine umfassende Lösung der Fragen des Vorverschuldens erkennen lassen 1? Schließlich widerspricht sie nicht der Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB. Das Verständnis eines bei vermeidbarem Verlust des Normkontakts begangenen Delikts als Kombination von dolosem Unrecht mit Fahrlässig16 17
So im Ergebnis auch SIS - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 12l. Dazu unten D III.
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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keitsschuld bedeutet keine Rückkehr zur Vorsatztheorie 18 , da der Verbotsirrtum weder doloses Unrecht noch die Vorsatzstrafe ausschließt. Ebensowenig entspricht es der Schuldtheorie, sondern überwindet vielmehr den Gegensatz der Theorien. Deshalb kann es auch nicht in Konflikt mit § 17 StGB geraten. Das Gesetz schreibt lediglich fest, daß der vermeidbare Verbotsirrtum die Schuld nicht ausschließt und die Strafe dem Strafrahmen des Vorsatzdelikts zu entnehmen ist. Ob dem Täter dabei vorsätzliche oder (rechts-)fahrlässige Schuld vorgeworfen wird, läßt § 17 StGB offen19 . Nicht diese Frage wollte der Gesetzgeber entscheiden, sondern verhindern, daß eine dritte, selbständige Variante der Zurechnung mit eigenen Rechtsfolgen das Strafrecht kompliziert. Er hat "die bewußte Verwirklichung eines Tatbestands, aber ohne das mögliche Unrechtsbewußtsein als Zwischenform zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit" erkannt 20 und kann sie daher gar nicht als reine Vorsatztat begriffen sehen wollen. Sein Ziel war nur, die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination im Vorsatz "aufgehen" zu lassen21 • Eben dies leistet unsere Sicht des vermeidbaren Verbotsirrtums. Denn da gemäß § 17 StGB bei Zusammentreffen von dolosem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld der Strafrahmen des Vorsatz delikts gilt, steht die Mischform im Ergebnis dem Vorsatzdelikt gleich. Dem speziellen Charakter des janusköpfigen Delikts und der im Vergleich zur "vollständigen" Vorsatztat regelmäßig minderen Schuld trägt § 17, Satz 2 StGB mit der Möglichkeit der Strafmilderung Rechnung. 3.2 Exkurs: Der Erlaubnistatbestandsirrlum Die Vorstellung, daß sich vorsätzliches Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld in einer Tat verbinden können, wurde schon vor einiger Zeit in die Diskussion eingeführt 22 • Auch damals gingen die Überlegungen von der Doppelstellung des Vorsatzes aus, zielten jedoch nicht auf den Fall des Verbotsirrtums, sondern auf die irrtümliche Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Im Erlaubnistatbestandsirrtum, so wird häufig die eingeschränkte Schuldtheorie begründet 23 , entfalle die Vorsatzschuld, obgleich doloses Unrecht verwirklicht sei. Im Ergebnis soll damit eine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt ausgeschlossen und die Möglichkeit einer Zurechnung als Fahrlässigkeitstat eröffnet werden. Diese Auffassung Anders aber Lenckner, a.a.O. S/s - eramer, § 17, Rn. 3. 20 EStGB 1962, § 21 (S. 135). 21 a.a.O. 22 Gallas, ZStW 67 (1955), S. 46, bereits in Zusammenhang mit der DoppelsteIlung des Vorsatzes. 23 Gallas, a.a.O., Bockelmann-FS, S. 168ff.; Jescheck, AT, S.347, 375; Dreher / Tröndle, § 16, Rn. 27; Wesseis, AT § 10 V. 18 19
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C. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
widerspricht unserer Interpretation von § 17 StGB, die mit jener Kombination von dolosem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld den Verbotsirrtum erläutert und die Sanktion dem Strafrahmen des Vorsatzdelikts entnimmt. Sie steht aber auch im Gegensatz zu den tragenden Grundsätzen der personalen Unrechtslehre. Danach konstituiert nicht (allein) der deliktische Erfolg das Unrecht, sondern der aus der rechtlich mißbilligten Willensbetätigung erwachsende Handlungsunwert. Den Handlungsunwert des Vorsatzdelikts begründet die Betätigung des Willens im Wissen um die Bewirkung eines Erfolgs, die die Rechtsordnung tadelt. Der Intentionsunwert ist " ... als Wert des Strebens in seinem Unwertgehalt durch den Unwert des erstrebten Sachverhalts bedingt"24. Der Handlungswille muß sich folglich auf einen wertwidrigen Sachverhalt beziehen. Stellt der Täter sich Umstände vor, die seine Willensbetätigung erlauben, so entfällt der Intentionsunwert, selbst wenn er dennoch eine deliktische Folge herbeiführt. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Irrtum in den Merkmalen des gesetzlichen Tatbestands oder in den tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes wurzelt. Die strafrechtliche Bewertung eines Verhaltens erfolgt in zwei Schritten. Die Rechtswidrigkeit vermerkt den Widerspruch zur Rechtsordnung, während die Schuld das Unwerturteil über den Täter enthält. Dagegen trägt die Tatbestandsmäßigkeit noch kein eigenständiges Werturteil. Existieren aber nur zwei Wertkategorien, so kann auf der ersten Ebene, für den Nachweis der Rechtswidrigkeit, kein qualitativer Unterschied zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen bestehen 25 . Der Irrtum über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ist daher bereits auf der Unrechtsebene dem Tatbestandsirrtum gleichzustellen. In beiden Fällen schließt die Verkennung der tatsächlichen Umstände den Handlungsunwert des Vorsatzdelikts aus 26 . Die in § 16 StGB geregelte Fehlvorstellung bewirkt, daß der Täter den unrechtstypischen Sachverhalt nicht verwirklichen will. Im Erlaubnistatbestandsirrtum ist der Wille jedoch ebensowenig auf einen Sachverhalt gerichtet, der Unrecht begründet, da der Täter sich in einer (Rechtfertigungs-)Lage sieht, die ihm die Verletzung des Rechtsguts erlaubt. Weist aber die in Verkennung der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes begangene Tat nicht den Handlungsunwert des Vorsatzdelikts auf, so läßt sich bereits die Unrechtsseite des Vorsatzes, die dieses Unwerturteil trägt, nicht mehr identifizieren. § 16 StGB gilt entsprechend, und die Frage nach der Vorsatzschuld, deren Mangel den Erlaubnistatbestandsirrtum nach verbreiteter Ansicht kennzeichnen so1l27, stellt sich nicht. Rudolphi, Maurach-FS, S. 59. S/S - Lenckner, Vor §§ 13ff., Rn. 16, 18. 26 Ebenso: Dreher, Heinitz-FS, S.224; Lenckner, a.a.O.; Roxin, ZStW 76 (1964), S. 599; Rudolphi, Maurach-FS, S. 59; Stratenwerth, AT, Rn. 504. 24 25
V. Die Schuldseite des Vorsatzes
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Diese Sicht des Erlaubnistatbestandsirrtums stimmt im Ergebnis mit der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen überein 28 • Sie unterscheidet sich jedoch durch den einfacheren Lösungsweg und durch den praktischen Vorzug, daß im Irrtum über die sachlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes der Tatbestandsvorsatz und damit die Unrechtstypizität der Handlung erhalten bleibt, was die Möglichkeit der Teilnahme an einem im Erlaubnistatbestandsirrtum begangenen Delikt eröffnet. 3.3 Weitere Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen
Im Verbotsirrtum nimmt der Täter nicht zur Verletzung des Rechtsguts Stellung. Auch wenn er das Delikt mit Tatbestandsvorsatz begeht, handelt er ohne Vorsatzschuld, da ein Defizit im Bereich der intellektuellen Komponente der Vorwerfbarkeit, die fehlende Vorstellung Unrecht zu setzen, die spezifische dolose Haltung nicht entstehen läßt. Wurde der Kontakt zur, Norm schuldhaft verloren, so kann gleichwohl ein Vorwurf erhoben werden, allerdings lediglich jener der (Rechts-)Fahrlässigkeit. So entsteht ein janusköpfiges Delikt, eine Mischform, zusammengesetzt aus vorsätzlichem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld. Die gleiche Kombination von Grundformen der Zurechnung ist denkbar, wenn anstelle des intellektuellen, das voluntative Schuldelement betroffen wird. Auch der Affekttäter kann, aus der dolosen Entscheidungssituation handelnd, den Unrechtstatbestand eines Vorsatzdelikts verwirklichen, ohne sich für die Rechtsgutsverletzung zu entscheiden, da durch den hochgradigen Erregungszustand die potentielle Alternativität der Willensbildung, eine notwendige Bedingung des Entscheidungsbegriffs, aufgehoben ist 29 •
Die Zurechnung einer Tat, die nach dem Verlust der Steuerungsfähigkeit begangen wird, gleicht in der Struktur jener bei fehlendem Unrechtsbewußtsein. Die Defektlage determiniert das Urteil über die Rechtswidrigkeit weder im Sinne einer notwendigen systematischen Abhängigkeit, noch wirkt sie als psychische Realität regelmäßig auf Unrecht und Schuld gleichermaßen: Der Verbotsirrtum schließt den Tatbestandsvorsatz ebensowenig aus wie der hochgradige Affekt. Beide Defizite lassen aber keine Vorsatzschuld entstehen. Daher kann auch die Affekttat, die nicht mehr auf einer Entscheidung basiert, allein in Form jener Vorsatz-FahrlässigkeitsKombination zu einer Bestrafung führen. Dies würde jedoch voraussetzen, daß sich im hochgradigen Affekt nicht nur doloses Unrecht nachweisen, sondern auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf den Verlust der Steuerungsfähigkeit erheben läßt. Letzteres wäre der Fall, wenn die Affekt27 28
29
Vgl. oben Fn. 23. Vgl. etwa Arthur Kaufmann, JZ 1954, S. 651 - 659. Vgl. oben B 1lI 3.1.
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c. Der zweiteilige Vorsatzbegriff
genese Hinweise auf einen sorgfaltswidrigen Umgang mit der Fähigkeit zur Verhaltenskontrolle zu erkennen gäbe und diese "Fahrlässigkeit" in einer dem vermeidbaren Verbotsirrtum entsprechenden Weise zugerechnet werden könnte. Damit sind Fragen angesprochen, die seit einiger Zeit unter dem Stichwort "verschuldeter Affekt"30 oder in allgemeiner Form als "Vorverschulden"31 erörtert werden. Das folgende Kapitel soll auf der Grundlage unseres Vorsatzbegriffs und der Bestimmung des Verhältnisses von Vorsatz und Schuld, aber auch in Auseinandersetzung mit der aktuellen Diskussion, eine Antwort andeuten. Dabei kann es nicht die vorrangige Aufgabe der Strafrechtsdogmatik sein, tatsächliche Anknüpfungspunkte eines denkbaren Schuldvorwurfs in der Affektgenese aufzuspüren. Hier beginnt der Bereich der Erfahrungswissenschaften, die bereits einige Daten vorgelegt haben 32 . Der Strafrechtslehre obliegt es vielmehr, die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, die für den Fall, daß die Vorgeschichte der Affektentladung ein Fehlverhalten des Täters offenbart, das dogmatische Instrumentarium zur Verfügung stellen, jenes Vorverschulden zu berücksichtigen.
30
31 32
Zunächst Geilen, Maurach-FS, S. 173 - 195. Vgl. jüngst Behrendt, Affekt und Vorverschulden. Vgl. oben A I.
D. Vorsatz und Vorverschulden I. Die Entwicklung der Rechtsprechung 1. Reichsgericht und Oberster Gerichtshof
Vorverschulden, das heißt die Anknüpfung des Schuldvorwurfs an Umstände, die außerhalb des eigentlichen Tatgeschehens liegen, gelangt erst in den Blickwinkel, wenn für den Zeitpunkt der Tat kein Verschulden festgestellt werden kann. Das Reichsgericht hatte sich mit dieser Thematik nicht auseinanderzusetzen, da es in dem Mfekt eines geistig Gesunden keinen Grund für den Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit erkennen wollte. Die Rechtsprechung war ganz dem zeitgenössischen, somatischen Krankheitsbegriff der Medizin verhaftet. Auf diese Grundhaltung des Reichsgerichts hatte auch die Novellierung des § 51 StGB keinen Einfluß, die für das Merkmal der "Bewußtlosigkeit" die auch in § 20 StGB verwendete Formulierung "Bewußtseinsstörung" einführte!. Der hochgradige Mfekt wurde erstmals in der bekannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone aus dem Jahre 1950 2 als Bedingung der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 51 I a.F. StGB anerkannt. Mit diesem Urteil nimmt die Rechtsprechung aber auch schon ihre Bemühungen auf, der Exkulpation normalpsychologischer Mfekte enge Grenzen zu setzen. Denn da viele, gerade schwere Straftaten im Zustand hoher affektiver Erregung begangen werden, verbindet sich mit der Öffnung des Merkmals der "Bewußtseinsstörung" für nichtkrankhafte Prozesse bis heute die Furcht vor einem Dammbruch. Um dem entgegenzuwirken, wurden zwei Kriterien entwickelt, die die Zahl der Freisprüche kleinhalten: Zum einen sollen allein Affekte höchsten Grades entschuldigen3 , zum anderen ist nur zu exkulpieren, wenn den Täter kein Verschulden am Entstehen der Mfektlage trifft. Im Urteil des Obersten Gerichtshofes wird dem Angeklagten attestiert, er habe die Tat "in höchstem Mfekt" begangen ohne allerdings die Kriterien dieser Bewußtseinsstörung gelöst vom konkreten Fall abstrakt zu beschreiben4 • Dagegen werden für das Merkmal des Verschuldens allgemeine Leitlinien vorgezeichnet: Grosbüsch, Die Affekttat, S. 7. OGHSt 3, 19ff.; vgl. die ausführliche Darstellung des instruktiven Falls bei de Boor, Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen, S. 152 ff. 3 Grundlegend BGHSt 11, 20; ähnlich bereits BGHSt 8, 113 und OGHSt 3,22. 4 OGHSt 3, 22. 1
2
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D. Vorsatz und Vorverschulden
"Nicht jede auf nicht krankhaftem Affekt beruhende Bewußtseinsstörung, selbst erheblicher Art, darf rechtlich schuldausschließend oder auch nur schuldmindernd wirken können. Das würde wesentliche Grundlagen des Strafrechts gefährden. Denn die Rechtsgemeinschaft muß und darf von jedem die Beherrschung seiner Leidenschaften und Triebe im Rahmen des ihm Möglichen nach strengem Maßstab verlangen, weil die strafrechtliche Verantwortlichkeit sonst durch den § 51 in unerträglichem Umfang beseitigt würde. Diese rechtspolitisch notwendige, einschränkende Auslegung des Merkmals der Bewußtseinsstörung im § 51 zwingt dazu, jedenfalls den nicht krankhaften, schweren Zornaffekt als schuldmindernd in der Regel auszuschließen"5.
Wenn diese Ausführungen auch speziell dem Zomaffekt gelten, zeigen sie doch die Tendenz, selbst bei "höchsten Affekten" grundsätzlich den Schuldvorwurf aufrecht zu erhalten. Als schuldausschließend oder schuldmindernd soll er nur in höchst seltenen Ausnahmefällen gelten; diese charakterisiert der Oberste Gerichtshof als Situationen, "in denen ein ersichtlich tadelfreier Mensch lange Zeit hindurch grundlos schwer gereizt, seelisch gepeinigt und ohne jede greifbare Schuld mangels robuster Widerstandsfähigkeit schließlich zur "Explosion" getrieben wird ... "6.
Dagegen kommt eine Exkulpierung in der ganz überwiegenden Zahl der Zomaffekte nicht in Betracht, "wo an sich beherrschbare und vermeidbare Charakterfehler und moralische Entgleisungen zur Tat führen"7.
Diese Rechtsprechung, die in einer späteren Entscheidung bekräftigt wurde 8 , stützt den Vorwurf des Vorverschuldens auf heterogene Merkmale. Während man das der moralischen Entgleisung mit der Vorgeschichte der Tat in Zusammenhang bringen kann, greift jenes des Charakterfehlers weiter zurück auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung, offensichtlich aber nicht auf anlagebedingte Wesenszüge, da bei denen nicht von Vermeidbarkeit die Rede sein könnte. 2. Die weitere Differenzierung durch den Bundesgerichtshof
Der Bundesgerichtshof nahm den Leitgedanken des Obersten Gerichtshofs auf, den hochgradigen Affekt als Exkulpationsgrund zuzulassen, die Öffnung aber möglichst eng zu halten. Er präzisierte die Kriterien, nach denen jener "höchste Grad" affektiver Erregungen zu beurteilen ist 9 • Vor allem aber konkretisierte er das rechtlich relevante Verschulden vor der Tatl 0 • Die ersten Urteile des Bundesgerichtshofes zu diesem Problemkreis 5 a.a.O., S. 22 f. a.a.O., S. 23. 7 a.a.O. 8 OGHSt 3, 80. 9 Grundlegend BGHSt 11, 20. 10 Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht bei Geilen, Maurach-FS, S. 173; Grosbüsch, Die Affekttat, S. 14ff.; Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S. 40ff. 6
I. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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orientierten sich im Ergebnis und in der Argumentation stark an den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes l l . Erst BGHSt 11,20 setzt sich grundlegend mit der Kritik auseinander, die die Rechtsprechung vor allem im psychiatrischen Schrifttum erfahren hat und verteidigt die Anwendung von § 51 StGB auf den nicht krankhaften Affekt: Der mögliche Verlust der Schuldfähigkeit entspreche der Erfahrung. Die Frage des Verschuldens der affektiven Entgleisung ließ der Bundesgerichtshof dagegen ausdrücklich unentschieden. Dieses Problem stand jedoch in der Folge im Vordergrund. Ein wichtiger Ansatz, die Exkulpierung von Affekttaten einzuschränken, wurde anläßlich des sogenannten Blutrausch-Falles12 entwickelt, wo der Täter erst über die Ausführung des Delikts in einen, den Bereich des § 51 a.F. StGB berührenden Erregungszustand geraten war, so daß die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit vollendet wurde. Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofes soll dieser Handlungsablauf einer Verurteilung wegen eines vollendeten Delikts nicht im Wege stehen. Die Begründung bewegt sich dabei noch auf dogmatisch gesichertem Boden, denn der Bundesgerichtshof sah im Eintritt der Zurechnungsunfähigkeit eine Bewirkung des Erfolges, die nicht wesentlich von den im Zustand der Schuldfähigkeit gehegten Vorstellungen abweicht. Während der Täter im Blutrauschfall seine Motivationsfähigkeit auf dem Höhepunkt des Tatgeschehens verloren hatte, wurde später die Kausalitätslösung bis an die äußerste Grenze der Tatbestandsverwirklichung ausgedehnt1 3 • Jenseits dieser Grenze, wenn der Affekt bereits im Vorbereitungsstadium eintritt, scheidet eine Zurechnung über die Grundsätze der unwesentlichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf aus 14 • Mit diesen Prinzipien ist das Ziel, die Exkulpation von Affekttaten auf ganz außergewöhnliche Konstellationen zu beschränken, allerdings noch nicht erreicht, da sie nur im Randbereich der Affekthandlungen greifen. Erforderlich werden vielmehr allgemeine Regelungen, wie sie der Oberste Gerichtshof vorgezeichnet hat. Der Bundesgerichtshof bemühte sich dabei jedoch, das Vorverschulden zu präzisieren. Er gab den Exkulpationsvorbehalt des Obersten Gerichtshofes für Psychopathen stillschweigend auf15 und bezog den Schuldvorwurf stärker auf die unmittelbare Vorgeschichte der Tat. Stellte die Begründung des Obersten Gerichtshofes noch die gesamte Lebensgeschichte zur Disposition, so begrenzt der Bundesgerichtshof die Suche nach Vorverschuldensmomenten auf die Affektgenese. Ein vielzitiertes frühes Beispiel für diese Tendenz bietet eine Entscheidung aus dem 11
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BGHSt 3, 194; BGH bei Dallinger, MDR 1953, S. 146. BGHSt 7,325; vgl. hierzu auch Hruschka, SchwZStr. 90 (1974), S. 48ff. BGHSt 23, 133. BGHSt 23, 356. Vgl. dazu Geilen, a.a.O., S. 184ff.
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D. Vorsatz und Vorverschulden
Jahre 1959 16 • In einer "Kurzschlußhandlung" hatte eine Frau zwei ihrer Kinder nach dem Scheitern eines ehebrecherischen Liebesverhältnisses vergiftet. Auf dieses wollte der Bundesgerichtshof den Schuldvorwurf nicht gestützt sehen und führte dazu aus: "Bei der Frage, ob der Zustand von der Angeklagten verschuldet ist, wird das Schwurgericht zu berücksichtigen haben, daß eine allgemeine Lebensführungsschuld hierfür nicht ausreichend wäre. Dem geltenden Strafrecht liegt, wie dies auch für das kommende Strafrecht beabsichtigt ist, der Gedanke der Einzeltatschuld zugrunde. Auch für die Frage des Verschuldens bei nicht krankhaften Bewußtseinsstörungen kann nichts anderes gelten. Es können daher zur Begründung des Verschuldens nur solche Umstände herangezogen werden, die in engem Zusammenhang mit der "Kurzschlußhandlung" stehen"17.
Behrendt kommt in einer Analyse der Rechtsprechung aus der jüngsten Zeit, die auch unveröffentlichte Entscheidungen einschließt, zu dem Ergebnis, daß der Bundesgerichtshof Bezugsobjekt und Inhalt des Schuldvorwurfs weiter präzisiert hat: Der Vorwurf beziehe sich auf eine Entwicklung, der sich der Täter überläßt und die für ihn zumindest vorhersehbar in einen Erregungszustand und eine unkontrollierte Rechtsgutsverletzung mündet. Damit werde ihm vorgeworfen, die erkennbar gefährliche Dynamik nicht durch Maßnahmen im Rahmen seiner Möglichkeiten gebremst zu haben 18 • Dieser Ansatz kommt im Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14. 12. 19761 StR 568/76 deutlich zum Ausdruck: "Der Schuldvorwurf geht dahin, daß der Täter den im Zeitpunkt schuldausschließenden Affekt während der Entstehung, also noch vor seiner Tat durch ihm mögliche Vorkehrungen nicht vermieden hat ... 19. Bei der Länge der Zeit, die zwischen dem Affektimpuls und der Affekthandlung lag, bedurfte der Erörterung, was der Angeklagte, ein geistig gesunder Mensch, bei dem Affektstau durch depressive Verstimmung empfand, während er bereits die ausführlichen Vorkehrungen zur Tat traf, ob er die zunächst aufkeimende und dann aufwallende Erregung bemerkte und was er in der erheblichen ihm zur Verfügung stehenden Zeit unternahm, um seiner Depression und der leidenschaftlichen Erregung Herr zu werden. Die Pflicht zur Selbstzügelung bestand auch dann, wenn er die Affektentladung durch tödliche Schüsse nicht vorhersah. Vorwerfbar kann schon die hemmungslose Hingabe an depressive Verstimmungen sein, die erkennbar in den Gefahrenbereich unkontrollierter Affektentladungen führen"20.
Der Bundesgerichtshof benennt hier sehr genau die Kriterien, die den Schuldvorwurf tragen sollen und die das Tatgericht abzuklären hat. Sie beziehen sich alle auf die unmittelbare Vorgeschichte der Tat und thematisieren die Frage, ob der Täter in dieser Phase den Anstieg der affek16 BGH NJW 1959, S. 2315. 17 a.a.O., S. 2317. 18 a.a.O., S. 41ff. 19 UA, S.6 (Hervorhebung nicht im Original); vgl. auch die auszugsweise Veröffentlichung der Entscheidung bei Holz, MDR 1977, S. 459. 20 UA, S. 7 (Hervorhebung nicht im Original).
11. Die im Schrifttum angebotenen Lösungen
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tiven Erregung bis in den Bereich der §§ 20,21 StGB hätte verhindern können. Das Vorverschuldenskonzept der Rechtsprechung ist in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Einhellige Kritik erfährt die Begründung2 1, während das Ergebnis zum Teil mitgetragen wird 22 • Die im Schrifttum vorgebrachten Einwände sind sämtlich einem Leitgedanken verpflichtet: der Unvereinbarkeit der von der Rechtsprechung favorisierten Vorverlagerung des Schuldvorwurfs mit dem Schuldbegriff. Durch diese Lösung werde das Prinzip der Koinzidenz von Tat und Schuld aufgelockert, das in § 20 StGB mit dem Merkmal "bei Begehung der Tat" festgeschrieben sei. Ausnahmen von dem Grundsatz bedürften einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, wie sie in den §§ 17,35,323 a StGB getroffen wurde. Unter methodischen Gesichtspunkten gehe es nicht an, die in § 20 StGB aufgeführten Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit mit normativen Elementen der Vorwerfbarkeit zu vermengen 23 • Tatsächlich erscheint es wenig überzeugend, das Vorverschuldenskonzept der Rechtsprechung, das im Ergebnis eine gewichtige Einschränkung des Schuldprinzips zur Folge hat, kurzschlüssig mit einem Hinweis auf jenen Schuldbegriff zu legitimieren; dies kann nicht als dogmatische Fundierung gelten.
n. Die im Schrifttum angebotenen Lösungen 1. Die Regelung des Verbotsirrtums als Vorbild Während im Schrifttum vorwiegend Unbehagen an der Auffassung der Rechtsprechung zu Affekttaten artikuliert wird, sind Versuche, Vorverschuldensmomente in das Strafrechtssystem zu integrieren, nur vereinzelt unternommen worden. Eine Vertiefung ins Grundsätzliche erfuhr die Thematik erst in jüngster Zeit!. Die ersten Überlegungen, die Haftung des Täters für die Entstehung des Affektes dogmatisch zu legitimieren, gehen von den Grundsätzen des Verbotsirrtums aus 2 , wobei die explikative Nähe zu dessen Prinzipien wechselt. 21 Vgl. etwa: Bockelmann, AT, S. 117; Dreher / Tröndle, § 20, Rn. 10; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 36, Rn. 38; S/S - Lenckner, § 20, Rn. 15; Stratenwerth, AT, Rn. 536. 22 Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S. 77ff.; Geilen, Maurach-FS, S. 188ff.; zweifelnd Krümpelmann, Welzel-FS, S. 340; Lange, LK, § 20, Rn. 28f.; RudolphiSK, § 20, Rn. 11f.; ders., Henkel-FS, S. 199ff. 23 Krümpelmann, ZStW 88 (1976), S. 36ff.; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 117; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, § 36, Rn. 38. 1 Behrendt, Affekt und Vorverschulden; Neumann, Zurechnung und Vorverschulden. 2 Geilen, Maurach-FS, S. 173ff.; Rudolphi, Henkel-FS, S. 199ff.; ders., Das virtuelle Unrechtsbewußtsein als Strafbarkeitsvoraussetzung im Widerstreit zwischen Schuld und Prävention. De lege lata zweifelnd: Krümpelmann, Welzel-FS, S. 340f. 12 Zieger!
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Geilen wendet die Grundsätze des Verbotsirrtums auf Fälle affektiver Erregung, die durch das Fehlen des intellektuellen Schuldelements gekennzeichnet sind, direkt an und rekurriert für die zum Verlust der Steuerungsfähigkeit führenden in einer "Parallelisierung" unmittelbar auf das Schuldprinzip. Der Differenzierung liegt die Feststellung zugrunde, daß der Affekt sowohl das Einsichts- wie das Hemmungsvermögen des Handelnden aufheben kann. Trete jene Wirkung ein, so finde der normalpsychologische Affekt eine doppelte dogmatische Verankerung: neben den Merkmalen des § 51 a.F. StGB wären auch die Voraussetzungen des schuldausschließenden Verbotsirrtums erfüllt. Darin sieht Geilen die rechtliche Problematik der Affekttat begründet, denn die beiden konstruktiven Varianten würden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: In § 51 a.F. StGB stünde "die schicksalhaft erlittene Beeinträchtigung im Vordergrund", bei der es nicht auf die Entstehung, sondern nur auf das Bestehen des Defekts ankäme. Dagegen würde die Schuldtheorie die Frage nach der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums stellen und damit den Blick auf die Affektgenese eröffnen. Den Konflikt zwischen den Zurechnungsprinzipien löst Geilen zugunsten des Verbotsirrtums. Dabei komme es allein auf die Erfordernisse des Schuldprinzips an. § 51 a.F. StGB könne mit seinem eindeutig psychopathologisehen Zuschnitt der Affektproblematik nicht gerecht werden. Ein Verzicht auf die Vermeidbarkeitsprüfung wäre daher "eine in der Sache völlig ungerechtfertigte Privilegierung des Affekttäters"3. Der restriktiven Rechtsprechung wird so im Ergebnis zugestimmt. Eine Argumentation, welche die Einschränkung der Exkulpation von Affekttaten auf das Verhältnis der §§ 20 und 17 StGB stützt, scheint zunächst auf Fälle verlorener Einsichtsfähigkeit begrenzt. Gleichwohl soll bei aufgehobener Steuerungsfähigkeit nichts anderes gelten. Zwar wird eingeräumt, daß es im Rahmen der Schuldtheorie kein "voluntatives Gegenstück" zur Lehre vom Verbotsirrtum gebe, das eine entsprechende Vermeidbarkeitsprüfung vorsähe. Um die Versagung der Exkulpation auch in diesen Fällen eines verschuldeten Affekts begründen zu können, greift Geilen daher auf das Schuldprinzip zurück. Stünde die Fassung von § 51 a. F. StGB der Berücksichtigung normalpsychologischer Affekte entgegen, würde das Schuldprlnzip gleichwohl eine Prüfung der Exkulpation gebieten. Denn wo das Hemmungsvermögen aufgehoben ist, könne ein Schuldvorwurf nicht erhoben werden; die psychologischen Merkmale des § 51 a.F. StGB hätten im Konfliktfall Vorrang vor der Kodifizierung seiner "biologischen" Voraussetzungen. Mit dieser Überlegung stellt Geilen die Parallele zum intellektuellen Schuldelement her: "Damit zeigt sich aber auch an dieser Stelle der dem normalpsychologischen Affekt anhaftende, eigentümliche Dualismus"4. Die 3
a.a.O., S. 188ff.
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Antinomie der Exkulpationsvoraussetzungen sei daher ebenso aufzulösen wie bei verlorener Einsichtsfähigkeit: durch den Vorrang der Prinzipien des Verbotsirrtums und eine entsprechende, voluntative Vermeidbarkeitsprüfung. Geilen begründet die Berücksichtigung von Verschuldensmomenten, die vor Begehung der Tat liegen, folglich zum einen mit der unmittelbaren Geltung der Grundsätze des Verbotsirrtums, zum anderen mit dem Primat des Schuldprinzips. Ungeklärt bleibt in seinem Konzept jedoch weitgehend, unter welchen Gesichtspunkten das vortatliehe Verhalten auf Elemente der Vorwerfbarkeit untersucht werden kann; lediglich eine Beschränkung auf die unmittelbare Affektgenese wird gefordert. Diesen Punkt handelt Rudolphi konkreter ab: "Dem Affekttäter kann seine im Zustand der affektbedingten Schuldunfähigkeit begangene Unrechtstat nur dann noch vorgeworfen werden, wenn erstens der Affekt als solcher für ihn vermeidbar war und wenn zweitens der Täter die später durch den Affekt ausgelöste Unrechtstat zumindest ihrer Art nach hätte vorhersehen können; der für ihn bestehende Anlaß, den Affekt zu vermeiden, seine ihn zur Affektvermeidung aufrufende Kraft also noch aus der später von ihm im Zustand affektbedingter Schuldunfähigkeit übertretenen Rechtsnorm bezog"5. Damit wird die Möglichkeit, den Schuldvorwurf trotz hochgradigen Affekts aufrechtzuerhalten, gegenüber der jüngsten Rechtsprechung, wie auch gegenüber der Auffassung Geilens erheblich eingeschränkt. Es genügt nicht, daß der Täter den Affekt vermeiden konnte und daß ihm versäumte Chancen, der Entwicklung entgegenzuwirken, in der unmittelbaren Vorgeschichte nachgewiesen werden. Vielmehr muß der Anlaß, der zur Vermeidung des Affekts anhält, mit der später begangenen Tat in Zusammenhang stehen. Der Appell soll über eine allgemeine Aufforderung, sich nicht in einen Zustand gefährlicher, affektiver Erregung zu entlassen, hinausgehend bereits die Verhütung der Rechtsgutsverletzung thematisieren: Eine Zurechnung vortatlicher Momente ist daher nur zulässig, wenn der Täter hätte vorhersehen können, daß die beginnende Entwicklung in eine Unrechtstat von jener Art mündet, wie sie später im hochgradigen Affekt begangen wurde 6 . Während Rudolphi den Anknüpfungspunkt des vortatlichen Verschuldens präzisiert und damit den Inhalt des Vorwurfs konkretisiert, führt er die grundlegende Auseinandersetzung um die Berechtigung, den Schuldvorwurf überhaupt auf Elemente zu gründen, die außerhalb des Tatgeschehens liegen, nicht weiter. In der dogmatischen Begründung seines Konzepts folgt er im wesentlichen der Argumentation Geilens. Diese bleibt aber gerade unter strafrechtssystematischen Gesichtspunkten ähnlich defizitär wie die 4
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a.a.O., S. 19l. Henkel-FS, S. 21l. a.a.O., S. 214 unter 2.
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Position der Rechtsprechung. Überzeugend wirken allenfalls die kriminalpolitischen Erwägungen. Bei affektbedingtem Verlust der Einsichtfähigkeit tritt Geilen für die unmittelbare Anwendung der Prinzipien des Verbotsirrtums ein, die inzwischen in § 17 StGB ihre Kodifizierung fanden. Dabei wird aber das Verhältnis von § 17 zu § 20 StGB nicht grundsätzlich geklärt. Die Voraussetzungen beider Regelungen sollen bei hochgradiger affektiver Erregung gleichzeitig erfüllt sein, wobei jene des Verbotsirrtums Vorrang habe, weil andernfalls der Affekttäter ungerechtfertigt privilegiert würde. Diese Gedankenführung verbirgt kaum ihre Orientierung am Ergebnis und damit an kriminalpolitischen Bedürfnissen, die auch die Rechtsprechung leiten; die dogmatische Begründung bleibt sie schuldig. Wie ist die Beziehung zwischen den §§ 17 und 20 StGB zu verstehen? Wenn man den Standpunkt teilt, daß es Fälle gibt, in denen sowohl die Voraussetzungen von § 20 StGB erfüllt sind, als auch ein vermeidbarer Verbotsirrtum festgestellt werden kann, ist es schwer verständlich, warum dann nicht die dem Täter günstigere Vorschrift gilt, die einen Rückgriff auf außertatliches Verschulden ausschließt. Wenn aber im Konfliktfall tatsächlich § 17 StGB Anwendung findet, leuchtet die Beschränkung dieser Lösung auf die Affekthandlung nicht ein. Dann müßte bei jeder "biologischen" Variante von § 20 StGB nach der Vermeidbarkeit gefragt werden, was etwa bei rauschbedingtem Unvermögen, das Unrecht der Tat einzusehen, naheläge, was in ähnlichem Kontext aber auch bei Krampfanfällen diskutiert wird 7• Vollends unbefriedigend ist die dogmatische Absicherung des Vorverschuldens, falls zum Zeitpunkt der Tat das Hemmungsvermögen als aufgehoben erachtet wird. Dabei handelt es sich um den Kern der Affektproblematik, denn in aller Regel konzentrieren sich die Überlegungen auf diese "psychologische" Alternative des § 20 StGB, wenn die Auswirkungen eines hochgradigen Erregungszustandes in Frage stehen. "Das voluntative Schuldelement wird bei der Affekttat zweifelhaft"8. Rudolphi erwähnt in seinem Beitrag9 den Verlust der Einsichtsfähigkeit mit keinem Wort. Dogmatisch überzeugende Erwägungen, die die Übertragbarkeit der Verbotsirrtumsregelung vom intellektuellen auf das voluntative Defizit, das verlorene Hemmungsvermögen, darlegen, fehlen jedoch. Geilen konzidiert selbst, daß die Schuldtheorie einseitig im Hinblick auf den Verbotsirrtum entwickelt wurde und kein voluntatives Gegenstück enthält, das eine entsprechende Vermeidbarkeitsprüfung vorsähe. Gleichwohl unterstellt er die aufgehobene Steuerungsfähigkeit den im intellektuellen Bereich entwickelten Grundsätzen. Er begründet dies mit der Parallelität der zugrundeliegenden 7 8
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Krause, Jura 1980, S. 175. Krümpelmann, Welzel-FS, S. 338 (Hervorhebung nicht im Original). Henkel-FS, S. 199ff.
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Sachfragen, ohne dabei das Problem der Analogie zu § 17 StGB anzusprechen. Vielmehr wird unmittelbar auf das Schuldprinzip durchgegriffen, um die Anwendung von § 20 StGB auszuschließen. Diese Vorschrift stellt nach allgemeinem Verständnis aber gerade eine zentrale Kodifizierung des herangezogenen Prinzips dar. Ein Konflikt, der eine Korrektur von § 20 StGB zum Nachteil des Beschuldigten rechtfertigen könnte, entstünde daher erst, wenn die positivrechtliche Regelung dem ihr zugrundeliegenden Prinzip widerspräche oder es nicht ausschöpfen würde. Das ist aber nicht der Fall. Das Schuldprinzip hat die Funktion, die Strafbarkeit zu limitieren. Dies leistet § 20 StGB in weiterem Umfang als die von Geilen vorgeschlagene Lösung, die gegenüber der gesetzlichen Regelung die Sanktionsmöglichkeiten ausweitet. Die Affekttat deckt daher keinen Konflikt zwischen dem Schuldprinzip und § 20 StGB auf10, solange man jenes als strafbarkeitsbegrenzend und nicht - begründend versteht. 2. Zurechnung über die Grundsätze der actio libera in causa Die Kritik der Exkulpationsvoraussetzung fehlenden Vorverschuldens wird im Schrifttum gelegentlich mit dem Hinweis verbunden, daß Affekttaten über die Rechtsfigur der actio libera in causa zugerechnet werden können l1 . Eine nennenswerte Einschränkung der Entschuldigung, zumal in dem von der Rechtsprechung angestrebten Ausmaß, vermag diese Konstruktion jedoch nicht zu leisten, da Affekthandlungen in aller Regel für zwei zentrale Bedingungen einer actio libera in causa keinen Anhalt bieten. Nach ganz überwiegender Ansicht1 2 gründet die Zurechnung über die actio libera in causa auf einer Handlung, die, der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung vorausgehend, jene Schuldunfähigkeit herbeiführt, die den Bezug des Schuldvorwurfs auf die unmittelbare Bewirkung ausschließt1 3 • Nach dieser Meinung stellt sich die actio libera in causa als Kombination zweier Handlungen dar, die im objektiven Bereich durch das Verhältnis der Kausalität, im subjektiven durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit verbunden sind: die actio präcedens und die actio libera. Bereits am Erfordernis einer actio präcedens, das heißt einer Handlung, welche die Schuldunfähigkeit 10 Ähnlich Neumann, a.a.O., S. 243ff., S. 311ff., der diesen Einwand gegenüber Geilen noch näher ausführt. 11 Vgl. Jescheck, AT, S. 356; S/S - Lenckner, § 20, Rn. 15. Vgl. auch Hruschka, Strukturen der Zurechnung, S. 46ff.; zur neueren Diskussion: Küper, Leferenz-FS, S. 573ff. 12 Baumann, AT, S. 373; Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S. 64ff.; Horn, GA 1969, S.289ff.; Krause, Jura 1980, S. 169ff.; LK - Lange, § 21, Rn. 71; Maurach I Zipf, AT, Tb. 1, § 36, Rn. 54ff.; Puppe, JuS 1980, S.346ff.; SK - Rudolphi, § 20, Rn. 28ff.; S/S - Lenckner, § 20, Rn. 33ff. 13 Vgl. zur Gegenansicht: Hruschka, JuS 1968, S. 554ff.; Jescheck, AT, S. 360ff.; Kienapfel, AT, S. 212; Stratenwerth, AT, Rn. 551.
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verursacht, wird bei Affektdelikten prinzipiell die Berücksichtigung von vortatlichem Verschulden scheitern. Denn der Affekttäter führt die tiefgreifende Bewußtseinsstörung, in der er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, nicht aktiv herbei. Dies unterscheidet ihn grundlegend vom klassischen Beispiel der actio libera in causa, der entschlossenen, aber ängstlich verzagten Persönlichkeit, die ihre Mutlosigkeit mit Alkohol bekämpft. Der Affekttäter wird dagegen von der affektiven Erregung eingeholt, er gerät ohne positive Beteiligung in den Zustand der Schuldunfähigkeit: die actio präcedens fehlt. Allerdings wird strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht nur an Handlungen geknüpft. Da dem Affekttäter seine Untätigkeit vorgeworfen wird, sein Versäumnis, Maßnahmen gegen die Eskalation des Affekts zu ergreifen, liegt es nahe, die Grundsätze des unechten Unterlassungs delikts heranzuziehen, konkret die Prinzipien der omissio libera in causa. Doch auch diese greifen nur ein, wenn "der Handlungspflichtige sich selbst durch aktives Tun außerstande setzt, seine Handlungspflicht zu erfüllen"14. Selbst für die omissio libera in causa ist also eine actio präcedens erforderlich. Neben der omissio libera in causa wird aber eine omissio libera in omittendo diskutiert, die Anwendung finden soll, wenn der Täter sich durch eine Unterlassung vorsätzlich oder fahrlässig seiner Handlungsmöglichkeit begeben hatl 5 • Doch auch diese Konstruktion führt nicht weiter, da bei beiden omissiones liberae der Täter im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit Adressat einer Handlungspflicht ist, während die im Affekt begangenen Taten in aller Regel keine Unterlassungsdelikte darstellen und vom Täter folglich keine Handlung, sondern eine Unterlassung erwartet wird. Das zweite Hindernis für die Zurechnung von Affekthandlungen nach den Grundsätzen der actio libera in causa entsteht im subjektiven Bereich. Denn eine vorsätzliche actio libera in causa setzt voraus, daß der Täter den Vorsatz, die Tat zu begehen, noch im Status der Schuldfähigkeit gebildet hat. In den Vorstadien der Affektentladung läßt sich in aller Regel aber noch nicht der feste Wille zur Ausführung des Delikts nachweisen. Soweit den Täter bereits der Gedanke an die Begehung bewegt, bleiben die Vorstellungen in dieser Phase unsicher und wechselhaft. Im Stadium der Tatgeneigtheit wirken der deliktischen Strebung noch Kräfte der Beherrschung entgegen, die ein Erstarken des Tatmotivs über die kritische Schwelle der Entschlossenheit verhindern. Erst im Affektdurchbruch, also nachdem die Schuldfähigkeit verloren wurde, erwächst der feste Wille zur Tat. Solange die Verantwortlichkeit fortbesteht, formt sich hingegen noch kein Vorsatz. Somit scheitert die Berücksichtigung von Vorverschuldensmomenten durch die SK - Rudolphi, Vor § 13, Rn. 46. Vgl. etwa S/S - Stree, Vor §§ 13ff., Rn. 144; Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, S. 134ff. 14 15
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actio libera in causa auch an subjektiven Voraussetzungen dieser Rechtsfigur. 3. Zurechnung über die Grundsätze der actio libera in omittendo (Behrendt)
Die omissio libera in causa wird für den Fall, daß eine Unterlassung die Schuldunfähigkeit herbeiführt, durch die omissio libera in omittendo ergänzt. Es liegt daher nahe, der actio libera in causa eine entsprechende actio libera in omittendo gegenüberzustellen 16 • Auf dieses Konstrukt gründet Behrendt sein VorverschuldenskonzeptI 7• Den Kern des Ansatzes bildet eine Neubestimmung des Begriffs der Ingerenz, welche die Haftung gegenüber dem hergebrachten Verständnis exorbitant erweitert. Eine Pflicht zur Gegensteuerung soll danach dem Entstehen der Gefahrensituation nicht notwendig zeitlich nachfolgen, sondern auch durch ein späteres gefährliches Verhalten des Täters begründet werden, der Gefahr also zeitlich vorausgehen können. Dieses Ergebnis bedarf allerdings eines langen argumentativen Weges, auf dem Behrendt sich zu fast allen anerkannten Prinzipien der Ingerenzhaftung in Widerspruch setzt. Wenn er dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit keine konstitutive Bedeutung zuerkennt, Handlungspflichten also auch an ein rechtmäßiges, gleichwohl gefährliches Vorverhalten knüpft, findet er, obzwar nicht der herrschenden Lehre1s nachstrebend, im Schrifttum noch GefolgschaftI 9 • Auch mag sich der Einwand als berechtigt erweisen, daß das Erfordernis der Pflichtwidrigkeit, "die Diskussion um eine feinere Abstimmung von Gefährdungserlaubnis und korrespondierender Gefahrvermeidepflicht in methodisch unvertretbarer Weise abschneidet und verkürzt und damit die strafrechtliche Aufgabe erschwert, zwischen einander widerstrebenden Interessen einen gerechten Ausgleich zu finden" 20. Löst das Element der Pflichtwidrigkeit diesen Konflikt, wie die Mindermeinung vorträgt, willkürlich, so darf es doch nicht ersatzlos gestrichen werden, wenn die Ingerenzhaftung nicht jegliche Konturen verlieren soll. Vielmehr sind an seiner Stelle andere haftungsbegrenzende Merkmale einzuführen, die in Welp, a.a.O. Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S. 77ff. 18 So die neuere Rechtsprechung: BGHSt 23, 327ff.; 25, 218ff.; 26, 35ff. Aus der Literatur vgl.: Blei, AT, § 87 1 2 c; Bringewat, MDR 1971, S. 716; Jescheck, LK, § 13, Rn. 33; Lackner, § 13, Anm. 3a dd; S/S - Stree, § 13, Rn. 35; SK - Rudolphi, § 13, Rn. 39; Schmidhäuser, AT, 16/54; Wesseis, AT, § 1611 6 c. 19 Arzt, JA 1980, S.712ff.; Baumann, AT, § 1811 3 c; Bockelmann, AT, § 17 B 1 6 c aa; Dreher I Tröndle, § 13, Rn. 11; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 294ff.; Maurach I Gössel I Zipf, AT, Tb. 2, § 46 11, Rn. 68ff.; Welp, a.a.O., S. 209ff. 20 Behrendt, a.a.O., S. 88. 16 17
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dem Interessengegensatz besser vermitteln. Derartige Substitute gewinnen jedoch in Behrendts Konzeption keine Gestalt. Das einzige Kriterium, das die angesprochene Funktion erfüllen könnte, die Herrschaftsmöglichkeit des Täters 21 , zieht den Bereich strafbewehrter Einstandspflichten viel zu weit. Denn es beschreibt die Stellung des Täters zur Gef~hrensituation kaum konkreter, als die Erfolgsabwendungsmöglichkeit, die jedes unechte Unterlassungsdelikt neben der Garantenstellung tatbestandlich voraussetzt. Die ersatzlose Eliminierung des Erfordernisses der Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens markiert jedoch nur einen ersten Schritt in die eingeschlagene Richtung der Erweiterung des Haftungsbereichs. Auf der zweiten Argumentationsstufe werden die Anforderungen an die Qualität des Vorverhaltens weiter zurückgenommen. Das die Einstandspflicht begründende Gefahrenmoment soll auch dann eine Garantenstellung konstituieren können, wenn es nicht die Eigenschaft einer Willenshandlung zeigt22 . Der Hinweis auf den strafrechtlichen Handlungsbegriff vermag diese These nicht zu erschüttern, denn jener wurde nicht mit dem Ziel entwickelt, die Haftungsvoraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts zu präzisieren. Dagegen obliegt den - wenigen - Protagonisten der Ausgangsthese23.der Nachweis, daß etwa Reflexe, Körperbewegungen bei Bewußtlosigkeit oder andere Nichthandlungen unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz eine GarantensteIlung zu begründen vermögen. Behrendt führt als Beleg die Fallgruppe der Haftung für Gefahrenquellen im eigenen Zuständigkeitsbereich an, für die das Kriterium des willensgetragenen Verhaltens keine Rolle spielt. Den menschlichen Körper begreift er als gefährliche Substanz, ähnlich jenen Maschinen, baulichen Anlagen oder Tieren, welche die herangezogene Garantenstellung charakterisieren. Das Merkmal der Willentlichkeit könne Grund und Grenzen der Zustandshaftung für den eigenen Körper und seine Reaktionen nicht sachgerecht beschreiben. Für eine Einstandspflicht bei Gefahrenquellen im eigenen Zuständigkeitsbereich komme es vielmehr darauf an, ob sich in der Schädigung eine spezifische, typische Gefahr des Haftungsobjekts realisiert habe. Eine Garantenpflicht für Regungen des eigenen Körpers entstünde mithin durch Gefährdungen, die mit Struktur und Funktion des menschlichen Körpers typischerweise verbunden seien, was etwa bei dem Verhalten in einem epileptischen Anfall der Fall sei; auf eine willentliche Überformung komme es nicht an. "Die Unwillentlichkeit eines Verhaltens hat eben für dessen Ungefährlichkeit keine signifikante Bedeutung"24. Dieser Aussage kann in ihrer schlichtf'n Form zugestimmt werden. 21 a.a.O., S. 93 ff. 22 a.a.O., S. 88ff. 23 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 299ff.;
Kienapfel, JuS 1966, S. 285ff.
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Im konkreten Kontext der Abhandlung gewinnt sie jedoch eine weitreichendere Bedeutung. Sie soll belegen, daß bereits die Gefährlichkeit die Einstandspflicht begründet, denn allein um diese wird ja die Auseinandersetzung geführt. Die Haftung für Gefahrenquellen im eigenen Zuständigkeitsbereich, auf die Behrendt seine Argumentation stützt, und bei der es auf ein willensgetragenes Verhalten nicht ankommt, wurde für technische Einrichtungen" Maschinen und Industrieanlagen entwickelt. Die Übertragung dieser Prinzipien auf Körperreaktionen und innerkörperliche, ja innerseelische Vorgänge offenbart ein befremdliches Menschenbild, in dem das Individuum sich als Maschine wiedererkennen soll, die ihr Funktionieren selbst zu überwachen und jegliche Fehlfunktion strafrechtlich zu vertreten hat. Grenzen der Einstandspflicht für Körpervorgänge sind in Behrendts Ansatz kaum ersichtlich. Allenfalls der Hinweis, daß die Gefährdung mit Struktur und Funktion des mensch,lichen Körpers typischerweise verbunden sein muß, mag als limitierend zu verstehen sein, bleibt aber äußerst unbestimmt. Konkret 'werden nur solche Vorgänge von der Zurechnung ausgeschlossen, "in denen der Körper unter dem Einfluß von vis absoluta nur noch als physische Masse zur Wirkung gelangt"25. Diese tiefen Einschnitte in die tragenden Grundlagen der IngerE!nzhaftung geben dem Institut aber immer noch nicht jene Form, die eine Berücksichtigung der Vorgeschichte des Affektdelikts erlauben würde. Denn bisher wurde in Rechtsprechung und Lehre nicht bezweifelt, daß das gefährliche Verhalten des Täters der Handlungspflicht zeitlich vorausgeht. Dagegen wird vom Affekttäter eine Intervention zu einem Zeitpunkt verlangt, der vor der gefährlichen Handlung liegt. Um diese zeitliche Reihung vonJ;>flichtappell und pflichtbegründenden Umständen näher zu analysieren, differenziert Behrendt innerhalb des Ingerenzbegriffeszwischen Haftungsgrund und Haftungsbereich26 . Jenen bestimmt er - nicht allein, aber doch entscheidend - durch den Gesichtspunkt der Herrschaft über eine Gefahrenquelle, im konkreten Fall durch die detp. Individuum mögliche Kontrolle über seinen Körper und dessen Funktionen. Der Haftungsbereich wird durch die spezifische Gefährdung definiert, die aus den körperlichen Aktivitäten erwächst. Da die Herrschaftsmöglichkeit des Täters über Körperprozesse, der entscheidende Haftungsgrund für die Ingerenz, der konkreten Gefährdung anderer durch körperliche Vorgänge zeitlich stets vorgelagert sei, verpflichte sie den Täter bei einer vorhersehbaren Gefährdung fremder Rechtsgüter "schon im Vorfeld der Tat zur Gegenwehr"27. 24
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a.a.O., S; 90. a.a.O. a.a.O., S. 93 ff. a.a.O., S. 96.
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Allerdings ließe sich diese Argumentation ebensogut umkehren und gegen Behrendts Ergebnis wenden: konstituieren Haftungsgrund und Haftungsbereich, also Herrschaftsmöglichkeit und Gefährdung den Begriff der Ingerenz, so entsteht ein Pflichtappell erst, wenn beide Elemente nachweisbar sind, also auch der Haftungsbereich eröffnet wurde. Geht es hingegen, wie beim Affektdelikt, darum, eine Gefährdung zu vermeiden und nicht bei bereits eingetretener Gefahr Gegenmaßnahmen zu ergreifen, so liegt schon begrifflich kein Fall der Ingerenz vor. Behrendt präsentiert mit seinem Ansatz eine dogmatisch fundierte, nicht nur rechtspolitisch begründete Lösung der Vorverschuldensproblematik. Allerdings ist der Preis unter dogmatischen wie rechtspolitischen Gesichtspunkten hoch: Der Begriff der Ingerenz, auf die er seine Konzeption gründet, verliert jegliche Konturen, zumal das dem Täter abverlangte "Verhalten" sich oft in rein innerpsychischen Vorgängen erschöp~t, etwa der Aktivierung von Kräften der Beherrschung in einem frühen Stadium der Affektentwicklung28 • Der Preis ist jedoch nicht nur hoch, sondern vergebens entrichtet, denn das Konzept kann die Erwartungen, die es weckt, nicht erfüllen. Die Zurechnung der im "verschuldeten Affekt" begangenen Delikte scheitert an der subjektiven Tatseite. Die Diskussion in Rechtsprechung und Schrifttum ist fast ausschließlich auf die Frage beschränkt, wie diese Delikte als Vorsatztaten erläutert werden können. In diesem Punkt bleibt Behrendt die Antwort schuldig. Das zentrale Problem des Vorsatzes wird in seiner Schrift mit keinem Wort erwähnt. Dennoch ist wohl davon auszugehen, daß auch eine actio libera in omittendo voraussetzt, daß der Täter zum Zeitpunkt der Einstandspflicht Tatvorsatz haben muß, einen Dolus also, der sich auf das im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Delikt bezieht. Dieser Dolus ist aber regelmäßig in der Vorgeschichte des Affektdurchbruches unauffindbar. In jener Phase wechseln die Vorstellungen von der Lösung des der Affektentwicklung zugrundeliegenden Problems häufig, so daß sich der unbedingte Wille zur Tat noch nicht bilden kann29 • Da der Täter zum Zeitpunkt der von Behrendt postulierten Einstandspflicht keinen Tatvorsatz hat, vermag auch die Konstruktion der actio libera in omittendo, selbst wenn man sie mit ihren weitreichenden Folgen für den Begriff der Ingerenz akzeptieren wollte, die rechtlichen Probleme des Vorverschuldens, vor allem bei Affekttaten, nicht zu lösen.
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Dagegen, allerdings wenig überzeugend, Behrendt, a.a.O., S. 99ff. Vgl. oben 2 (am Ende).
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4. Der strafrechtliche Verantwortungsdialog (Neumann)
Neumann 30 hat jüngst ein Modell strafrechtlicher Zurechnung entworfen, das die Schuldzuschreibung in verschiedenen problematischen Fallgruppen erklären soll, deren gemeinsames Merkmal eine außergewöhnliche Zeitstruktur der Zurechnungsvoraussetzungen bildet: Der Schuldvorwurf knüpft jeweils auch an ein Verhalten an, das der tatbestandsmäßigen Handlung, die den Erfolg bewirkt, zeitlich vorgelagert ist. Nur beispielhaft stellt er die actio libera in causa, das Vollrauschdelikt, die vorsätzliche Notwehrprovokation, das Übernahmeverschulden, die Einschränkung des entschuldigenden Notstands in § 35 I 2 StGB und den verschuldeten Affekt als Varianten strafrechtlicher Zurechnung dar, die mit dem Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld in Konflikt geraten. In seiner vorwiegend analytischen Betrachtung jener Zurechnungsmuster nimmt Neumann gegenwärtig wiederbelebte Überlegungen zur generalpräventiven Notwendigkeit strafrechtlicher Sanktionierung auf3l . Er stellt dieses Bedürfnis nicht in Frage, hält jedoch eine normative Kontrolle der präventive~ Zurechnungskriterien für unverzichtbar. Der Durchgriff auf Strafzwecke könne zwar strafrechtliche Zurechnung befriedigend erklären; begründet sei sie damit aber noch nicht. Der unter präventiven Gesichtspunkten konstruierte Zusammenhang müßte vielmehr unter dem Aspekt einer gerechten Zurechnung rekonstruierbar und somit legitimierbar sein. Deren Maßstab sollen soziale, alltagsmoralische Zurechnungsregeln zur Verfügung stellen, das heißt Grundsätze, nach denen die Gesellschaft vorre.chtlich Verantwortung attribuiert. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Maximen behält Neumann ausdrücklich weiteren Untersuchungen vor, glaubt aber gleichwohl- im vorrechtlichen Bereich! - Zurechnungsregeln folgender Struktur feststellen zu können: "Wer die Situation X arglistig (oder absichtlich, leichtsinnig, vorwerfbar, etc.) herbeigeführt hat, kann sich zu seiner Verteidigung (Rechtfertigung oder Entschuldigung) nicht auf diese Situation berufen"32.
Die Versagung von Verteidigungsmöglichkeiten über einen sozialen Verantwortungsdialog läßt sich, wie überzeugend dargelegt wird, in das eingeführte dogmatische System nicht integrieren. Dies würde vielmehr eine dialogische Struktur des materiellen Strafrechts voraussetzen, die Neumann durch Einführung dogmatischer Regeln zweiter Stufe geschaffen sehen möchte. Er wendet sich gegen die Trennung von materiellem Strafrecht und StrafverfahrensrechP3 und überträgt die dialogische Struktur der Prinzi30 Zurechnung und "Vorverschulden". 31
a.a.O., S. 269ff.
33
Dazu grundlegend Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht, S. 7ff.
32 a.a.O., S. 275.
188
D. Vorsatz und Vorverschulden
pien, die den Prozeß des Veantwortlichmachens bestimmen auf "die Grundsätze, nach denen über die Verantwortlichkeit des Beschuldigten sachlich ("materiell") entschieden wird"34. Zur materiellen Begründung der Berücksichtigung von Vorverschulden werden die Gedanken des Rechtsmißbrauchs und der Verwirkung herangezogen. "Dieser Gesichtspunkt setzt eine eigene, verwirkbare Verteidigungsmöglichkeit des Täters und damit eine dialogische Struktur des strafrechtlichen Verantwortlichmachens voraus"35. Ähnlich lautet die Argumentation im Rahmen des Rechtsmißbrauchs: Dieses Prinzip könne in ein monologisches Modell nicht eingeführt werden, da der Täter ein Recht nicht geltend machen müsse. Die Auseinandersetzung mit den Thesen Neumanns läßt noch keine Lösung der Zurechnung in Fällen eines verschuldeten Affekts erkennen, da die Voraussetzungen, auf die sie gründen, ungeklärt bleiben. Offen ist nicht nur, wann es für das Strafrecht zum Zwecke seiner Legitimation unerläßlich wird, gesellschaftliche, vorrechtliche Muster von Rechtfertigung oder Entschuldigung in die Strafrechtsdogmatik zu übernehmen. Einer Antwort auf diese Frage glaubt Neumann selbst ohne umfangreiche sozialwissenschaftliche Erhebungen nicht näher kommen zu können36 . Derselben tatsächlichen Aufklärung bedarf das vorrangige Problem, ob überhaupt soziale Regeln der postulierten Struktur bestehen, wonach ein Verteidigungsvorbringen nicht gehört wird, wenn der Täter die Situation, mit der er seine Entlastung begründet, vorwerfbar herbeigeführt hat. Ungewißheit über den erforderlichen Grad des Vorverschuldens wird in Zusammenhang mit Affekttaten ausdrücklich angesprochen: Die strafrechtliche Haftung bei allenfalls fahrlässigem Vorverschulden bedürfe einer intensiven kriminalpolitischen Diskussion 37 . Sieht man von einer konkreten Lösung des Affektproblems ab, die von einer "Vorstudie zu einem dialogischen Modell strafrechtlicher Zurechnung"38 auch gar nicht erwartet werden kann, so bestehen gegen die von Neumann eingeführten Regeln 2. Ordnung Bedenken unter dem Gesichtspunkt systematischer Kompatibilität. Der strafrechtliche Verantwortungsdialog setzt sich in Widerspruch zu tragenden Prinzipien der überkommenen dogmatischen Regeln 1. Ordnung. Eine dialogische Struktur des strafrechtlichen Verantwortlichmachens setzt Dispositionsmöglichkeiten beider Dialogpartner voraus. Das materielle Strafrecht müßte danach vorsehen, daß der Straftäter darüber entscheiden kann, ob er sich auf einen Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund berufen oder dieser Verteidi34 35 36 37
38
a.a.O., S. 278. a.a.O., S. 280. a.a.O., S. 287. a.a.O., S. 288. So der Untertitel der Monographie Neumanns.
III. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
189
gungsmöglichkeit entsagen will. Auch für den Gedanken der Verwirkung, mit dem die Notwendigkeit eines dialogischen Zurechnungssystems begründet wird, ist nur Raum, wo der Träger eines Rechts auf dieses verzichten kann. Neumann hebt den Zusammenhang selbst deutlich hervor: "In diesem Falle (gemeint ist ein dialogisches Modell - der Verf.) ist es ... Sache des Angeklagten, sich auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe zu berufen"39. Das Postulat widerstreitet jedoch den traditionellen Zurechnungsregeln, die durch jene neuen 2. Ordnung nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden sollen: Im tatsächlichen Bereich kann der Täter zweifellos über seine Verteidigung disponieren, indem er etwa entlastende Momente nicht vorträgt und es unterläßt, entsprechende Beweisanträge zu stellen. Genauso zweifelsfrei stehen aber die Rechtsgrundsätze, nach denen das Tatverhalten zu beurteilen ist, nicht zu seiner Verfügung. Der Richter hat von sich aus, monologisch zu prüfen, ob ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund eingreift. Der schizophrene Täter kann ebensowenig auf seine Exkulpation nach § 20 StGB verzichten, wie der in Notwehr handelnde auf seine Rechtfertigung Einfluß nehmen kann, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen feststehen; für einen Dialog besteht weder Raum, noch Notwendigkeit. Dem würde Neumann vermutlich nicht widersprechen. Wenn die Grundsätze, nach denen im Regelfall sachlich über die Verantwortlichkeit des Beschuldigten entschieden wird, eine monologische Struktur aufweisen, müßte aber dargelegt werden, warum sich diese plötzlich in eine dialogische wandelt, wenn der Täter die Situation, die ihn grundsätzlich entlastet, vorwerfbar herbeigeführt hat. Daß hier völlig andere Prinzipien gelten, die rechtlichen Wertungen zur Verfügung des Täters stehen sollen, ist nicht einzusehen.
ill. Der verschuldete Affekt als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination 1. Verbotsirrtum und Verlust der Steuerungsfähigkeit im Affekt
An dieser Stelle kann der Auseinandersetzung um die Zurechnung von Vorverschuldenselementen nicht eine weitere Theorie hinzugefügt werden, die ähnlich entwickelt und ausgereift ist wie die oben dargestellten Modelle. Hier bleibt nur Raum, einige Implikationen unseres Vorsatzbegriffs für jene Diskussion anzudeuten. Das vorliegende Kapitel enthält daher nur Prolegomena einer Vorverschuldenskonzeption. Diese Überlegungen nehmen ihren Ausgang von unserem zweiteiligen Vorsatzbegriff und der Interpretation, die § 17 StGB in seinem Lichte erfahren hat. 39
a.a.O., S. 283.
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D. Vorsatz und Vorverschulden
Der Verbotsirrtum schließt vorsätzliches Unrecht weder begrifflich noch regelmäßig aus. Der Unrechtstatbestand eines Vorsatzdelikts erfordert nicht, daß der Handelnde sich tatsächlich für die Rechtsgutsverletzung entscheidet, sondern lediglich, daß sein Verhalten als Entscheidung imponiert. Es genügt, wenn der Täter aus einer entsprechenden Entscheidungssituation heraus handelt. Die Normkenntnis zählt nicht zu den Merkmalen, die diese konstituieren. Im Verbotsirrtum, auch im vemeidbaren, entfällt aber die Vorsatzschuld, denn die Haltung des Vorsatztäters wurde als Stellungnahme für die Rechtsgutsverletzung beschrieben. Soweit gleicht der Verbotsirrtum dem hochgradigen Affekt. Denn auch dieser berührt grundsätzlich nicht den Vorsatz im subjektiven Tatbestand. Er läßt, wie das Defizit im intellektuellen Bereich, keine Vorsatzschuld entstehen, da der Täter, an den zur Begehung drängenden Antrieb gebunden, außerstande ist, eine Entscheidung zu treffen. Mit der Vorsatzschuld scheidet jedoch nicht notwendig auch eine Bestrafung nach den Grundsätzen des Vorsatzdelikts aus. Die Untersuchung des Verbotsirrtums hat vielmehr gezeigt, daß trotz Fehlens doloser Schuld der Strafrahmen des Vorsatzdelikts Anwendung finden kann, wenn doloses Unrecht verwirklicht wurde!. Die gesetzliche Regelung des Verbotsirrtums eröffnet damit eine Möglichkeit, neben reinen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten auch Mischformen zuzurechnen, Kombinationen aus dolosem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld. Allerdings sieht § 17 StGB diese Zurechnungsvariante nur für den Fall fehlender Normkenntnis vor: der Schuldvorwurf des dolosen Delikts kann wegen eines Mangels im intellektuellen Bereich nicht erhoben werden. Dem Täter ist jedoch vorzuhalten, daß er jenes Defizit nicht behoben hat; ihn trifft der Vorwurf der Rechtsfahrlässigkeit2 • Der hochgradige Affekt zerstört hingegen regelmäßig die voluntativen Grundlagen der Schuld. Diese Komponente wurde in § 17 StGB jedenfalls nicht ausdrücklich normiert. Somit endet die Parallele zwischen Verbotsirrtum und Affekt zunächst an der im vorausgehenden Absatz bezeichneten Stelle. 1.1 Die Form des Verschuldens
Nimmt man dort - das heißt mit der Feststellung, daß Verbotsirrtum wie hochgradiger Affekt zwar nicht doloses Unrecht, wohl aber Vorsatzschuld ausschließen - die Analyse wieder auf, so läßt sich mit der Frage nach der Qualität des Verschuldens jene Parallele fortführen. Aus der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums wird ein Fahrlässigkeitsvorwurf abgeleitet: Hätte der Täter sein Gewissen genügend angespannt, es nicht sorgfaltswidrig unterlassen, Erkenntnismittel einzusetzen, so wäre ihm das Wissen zugäng1 2
Vgl. oben C V 3.1. Vgl. oben C V 3.1.
III. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
191
lieh gewesen, daß sein Handeln ein Rechtsgut verletzt. Der soziale Tadel, der in § 17 StGB Ausdruck findet, lautet folglich, daß es sorgfaltswidrig versäumt wurde, eine zentrale Grundlage der Vorsatzschuld, das Unrechtsbewußtsein zu bewahren beziehungsweise herzustellen. Der dem Recht Unterworfene trägt danach offensichtlich auch Verantwortung für persönliche Voraussetzungen, auf denen das Schuldurteil fußt. Bringt er diesem innerseelischen Bereich, der mit "Gewissen" nur unscharf bezeichnet wird, nicht die nötige Sorgfalt entgegen und begeht er deshalb ein Delikt in Unkenntnis der verletzten Norm, so stellt ihn § 17 StGB einem Täter gleich, dem jenes Strafgesetz bekannt war. Der Vorwurf, mit dem die Rechtsordnung den im hochgradigen Affekt Handelnden konfrontiert, weist eine ähnliche Form auf. Wird dem Täter im vermeidbaren Verbotsirrtum entgegengehalten, er habe sich als unaufmerksam im Hinblick auf die intellektuelle Komponente der Schuld erwiesen, so wirft man dem Affekttäter vor, daß er zu wenig Sorge um die voluntative Seite der Schuld getragen hat. Die Vorgeschichte des Affektdelikts läßt noch keinen Tatvorsatz erkennen. Soweit überhaupt der Gedanke an die Begehung in dieser Phase festgestellt werden kann, bleiben die Vorstellungen vage, erstarkt der Wille nicht zum Entschluß. Auch führt der Täter den Affektzustand nicht dolos herbei. Aus diesen Gründen scheitert regelmäßig die Zurechnung über die Prinzipien der actio libera in causa3 . Das Verschulden wird daher zum einen auf das Anwachsen der affektiven Erregung über die Schwelle des § 20 StGB hinaus bezogen, zum anderen inhaltlich auf eine Weise konkretisiert, die stark an einen Fahrlässigkeitsvorwurf erinnert. Der Bundesgerichtshof spricht von einer "Pflicht zur Selbstzügelung", die es gebietet, mögliche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, die den Affekt bereits in der Entstehung vermeiden. Die argumentative Nähe zur Fahrlässigkeitsdogmatik verdeutlicht eine weitere Zurechnungsvoraussetzung des Bundesgerichtshofes: Die Gestimmtheit vor der Tat muß erkennbar "in den Gefahrenbereich unkontrollierter Affektentladungen führen"4. Ähnliche Sorgfaltspflichten begegnen auch im psychiatrischen und strafrechtlichen Schrifttum, wenn es gilt, das Verschulden am Affekt zu begründen. Der soziale Tadel wird nicht unmittelbar aus der Begehung abgeleitet, da in diesem Zustand von einer unbehebbaren Steuerungslosigkeit auszugehen ist, sondern auf den vortatlichen Umgang des Täters mit sich selbst, genauer mit innerseelischen Voraussetzungen seiner Schuldfähigkeit gestützt: er hätte seiner affektiven Erregung mehr Aufmerksamkeit zuwenden sollen, als sie noch beherrschbar war. In den Darstellungen der forensischen Psychiatrie findet sich meist eine phasenweise Beschreibung des Affektdelikts 5 . Hallermann versucht etwa 3 4
Vgl. oben 11 2 sowie II 3. BGH vom 14. 12. 1976 - 1 StR 568/76; vgl. dazu oben I 2.
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D. Vorsatz und Vorverschulden
die Entwicklung in einem Drei-Phasen-Modell zu erfassen6 : Im ersten Stadium bilde die Persönlichkeit aufgrund lebensgeschichtlicher Prägungen wie Mißerfolgserlebnissen und Demütigungen eine allgemeine Disposition für eine Affekttat aus. Während der nachfolgenden Phase gewinne der konkrete Konflikt, der später zur Tat führt, bereits Gestalt, engten sich die Vorstellungen auf bestimmte Situationen und Personen ein. Dem letzten Stadium, das zur Tat führt, genüge ein situativer Anreiz, der zunächst zufällig und inadäquat erscheint, die Katastrophe auszulösen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Willenskraft aufgebraucht, die Schuldfähigkeit aufgehoben. In den Vorphasen habe der Täter jedoch die Möglichkeit gehabt, das Streben in die unkontrollierbare Entladung zu verhindern. Darin sieht Hallermann die Schuld des Affekttäters: In den ersten Phasen, deren Psychodynamik den Kräften der Gegensteuerung noch Raum gibt, habe er sich gehen lassen. Der Täter habe sich in das dritte Stadium des jederzeit möglichen Affektdurchbruchs entlassen und sei dafür sowie für die Folgen verantwortlich 7 • Verschuldet ist danach der Verlust der Selbstkontrolle, der durch intrapsychische Vorsichtsmaßnahmen hätte vermieden werden können. Ähnlich argumentiert Steigleder8 , der die Verantwortung des Täters ebenfalls in der Vorphase der Affektreaktion begründet sieht. Diese weise bereits Vorgestalten der Tat 9 auf, die vor der Eskalation der affektiven Erregung warnen, deren Mißachtung daher Schuld bedeute. Klineberger charakterisiert diesen sozialen Tadel in einem entsprechenden Kontext ausdrücklich als Fahrlässigkeitl°. In der Strafrechtsliteratur hat vor allem Hall auf die Nähe der Affekttat zur Fahrlässigkeit hingewiesen und sie als Beispiel einer Deliktsform zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit beschriebenl l : "Der Affekttäter tötet unversehens, der Fahrlässige tötet aus Versehen". In seinen Gedanken über die Schuld des Affekttäters antwortet er auf die Frage, was diesem von der Rechtsordnung vorzuhalten sei: "Daß er sich nicht beherrscht hat, daß er sich so hat gehen lassen, daß er nicht an sich gehalten hat, solange es noch möglich war. Das aber ist der typische Vorwurf, den wir dem fahrlässig Handelnden machen"12. Diese Sicht des Vorverschuldens hat erst jüngst Neumann bestätigt, der in Fällen des verschuldeten Affekts allenfalls einen 5 Hallermann, Dt. Zeitschr. f. gerichtl. Medizin, Bd. 53 (1963), S. 219ff.; Rasch, Tötung des Intimpartners; Steigleder, Mörder und Totschläger; Stumpfl, Motiv und Schuld. 6 a.a.O. 7 a.a.O., S. 226f. 8 Mörder und Totschläger, S. 109. 9 Dieser Begriff wurde von Stumpfl (Motiv und Schuld, S. 11, 31), dem Lehrer Steigleders, eingeführt. 10 Dt. Zeitschr. ges. gerichtl. Medizin, Bd. 5 (1925), S. 270. 11 Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 39ff. 12 a.a.O., S. 44.
III. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
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Fahrlässigkeitsvorwurf für begrÜlldbar hält und daher die Legitimation der dolosen Zurechnung in Zweifel zieht1 3 . Damit wird freilich die im Affekt verwirklichte Tat ebensowenig zum Fahrlässigkeitsdelikt, wie die im vermeidbaren Verbotsirrtum begangene. Für diese wurde der Begriff der Tatfahrlässigkeit durch jenen der Rechtsfahrlässigkeit ersetzt. Für jene gilt gleichfalls, daß der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht an die Begehung zu knüpfen ist. Das Urteil über das - dolose Unrecht erweist sich regelmäßig als unabhängig vom Affektzustand. Es wird ergänzt, nicht ersetzt, durch ein spezifisches, fahrlässiges Verschulden an der Entstehung des Affekts. Das Sorgfaltsgebot zielt dabei, jedenfalls im Kern, nicht auf ein äußeres Verhalten, das der Täter hätte zeigen sollen, sondern auf einen bestimmten seelischen Zustand, den zu bewahren oder herzustellen ihm oblegen hätte. Die Schuld liegt in der Mißachtung von prodromalen Indizien für den Verfall der Steuerung. Vorgeworfen wird dem Täter, daß er nicht ausreichend Sorge getragen hat, die voluntativen Voraussetzungen der Schuld zu erhalten, das heißt fähig zu bleiben, das Verhalten entsprechend seiner Unrechtseinsicht willentlich zu überformen. Dieser Schuldvorwurf stimmt mit dem im vermeidbaren Verbotsirrtum erhobenen strukturell überein, denn hier wird dem Täter vorgehalten, es fahrlässig versäumt zu haben, die intellektuellen Anforderungen der Schuld, die Erkenntnis des Unrechts, zu erbringen. Die Parallele zwischen Verbotsirrtum und Affekt trägt folglich ein gutes Stück weiter, als zunächst vermutet. Beide Abweichungen vom Regelfall der Begehung schließen grundsätzlich doloses Unrecht nicht aus, denn sie haben begrifflich keinerlei Berührung mit dem Vorsatz im subjektiven Tatbestand. Sie lassen jedoch keine Vorsatzschuld entstehen, da sie die Basis der dolosen Entscheidung zerstören. Verbotsirrtum und Affekt verbinden aber auch darüber hinaus Gemeinsamkeiten in den Vorwürfen, die unter bestimmten Voraussetzungen (Vermeidbarkeit des normativen Irrtums, Verschulden der affektiven Entgleisung) jenen der Vorsatzschuld ersetzen. Sie gleichen sich in Qualität und Struktur. Die Mißbilligung wird jeweils in der Form der Fahrlässigkeit, nicht der des Vorsatzes ausgesprochen. Bezogen wird sie in beiden Fällen nicht auf die Begehung selbst, sondern auf Voraussetzungen der Schuld, auf innerseelische Prozesse, die Unrechtseinsicht und die Orientierung des Verhaltens an jener Erkenntnis. Damit sind die kongruenten Elemente allerdings noch nicht erschöpft. Beim Verbotsirrtum wie beim Affekt stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt des Verschuldens, die hier breit, dort nur bezogen auf eine Fallgruppe diskutiert wird (dazu unten 1.2), sowie jene nach dem Verhältnis zu § 20 StGB, die in beiden Bereichen eingehend erörtert wurde (dazu unten 2.2). 13 Neumann, Strukturprobleme der Zurechnung in Fällen eines strafbarkeitsrelevanten "Vorverschuldens", S. 374. 13 Ziegert
194
D. Vorsatz und Vorverschulden 1.2 Der Zeitpunkt des Verschuldens
Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ist regelmäßig nach den Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen, die dem Täter zum Zeitpunkt der Tat verfügbar waren. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung sich häufig ohne große Bedenken entferntl 4 ; er wird aber auch zunehmend durch die Literatur in Frage gestelltl 5 • Der Schuldvorwurf kann danach aufrechterhalten bleiben, wenn der Verbotsirrtum im Zeitpunkt der Begehung unvermeidbar war. Er gründet dann allerdings auf Umständen, die außerhalb des Straftatverhaltens liegen und widerspricht somit dem Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld. Rudolphi betont daher den Ausnahmecharakter dieser Zurechnungsvariante und beschränkt sie auf die Ausübung einer rechtlich besonders geregelten Tätigkeit: Wer als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnimmt oder als Bankier, Apotheker, Lebensmittelhändler etc. in einem speziell normierten Berufsfeld wirkt und in Ausübung dieser Tätigkeit eine lebens- beziehungsweise berufskreisbezogene Vorschrift übertritt, den entschuldigt der aktuell unvermeidbare Irrtum nicht, wenn er es vor der Tat versäumt hat, sich über die in dem speziellen Bereich geltenden Normen zu unterrichten. Außerhalb der besonders geregelten Tätigkeit soll hingegen streng am unmittelbaren Tatbezug des Schuldvorwurfs festgehalten werden 16 • Das Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld gilt allerdings nicht so uneingeschränkt, wie die Diskussion um die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums vermuten läßt. Das positive Recht enthält eine Reihe von Regelungen, die das Schuldurteil in der Begründung oder im Strafmaß auf Vortatverhalten stützen 17 : Für die Entschuldigung nach § 33 StGB kommt es nicht allein auf die psychische Befindlichkeit zum Zeitpunkt der Tat, den asthenischen Affekt an, sondern auch auf die Vorgeschichte der Reaktion. Entlastet wird der Handelnde nur von einem Exzeß, der in einer Verteidigung unterlief, die gegen einen rechtswidrigen, das heißt nicht durch den Täter verschuldeten Angriff gerichtet war. Auch § 35 StGB bezieht in das Schuldurteil Täterverhalten ein, das im Augenblick der Begehung bereits der Vergangenheit angehört. Eine Freistellung von jeglicher Schuld erfolgt nur, wenn der Täter die im Gesetz BGHSt 2, 208; OLG Köln, GA 1956, S. 326f.; BayObLGSt 1982, 118. Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums; ders., SK § 17, Rn. 44ff.; ders., Das virtuelle Unrechtsbewußtsein als Strafbarkeitsvoraussetzung im Widerstreit zwischen Schuld und Prävention; Blei, JA 1970, S. 205f., 670ff.; Jakobs, AT 19/35ff.; LK - Schroeder, § 17, Rn. 47; S/S - Cramer, § 15, Rn. 17; Timpe, GA 1984, S. 51ff. 16 Rudolphi, a.aO.; ähnlich Blei, S/S - Cramer, LK - Schroeder, jeweils a.a.O.; krit. Stratenwerth, ZStW 85 (1973), S. 495. 17 Vgl. dazu Jakobs, Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, S. 28; Timpe, GA 1984, S. 63. 14 15
III. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
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bezeichnete Notstandslage nicht selbst "verursacht" hat. Die Bewirkung der Gefahr kann aber der Befreiung aus der Zwangslage durch das Delikt zeitlich weit vorausgehen. Selbst eine mittelbare Beeinflussung der Tat über die seelische Befindlichkeit des Täters ist mit der Verursachung nicht in jedem Fall verbunden: "Die Angst desjenigen, der eine Katastrophe verursacht hat, muß sich von der Angst eines Unbeteiligten nicht notwendig unterscheiden. Die Regelung des Gesetzes ist also eine klare Ausdehnung des Täters in die Zeit vor der Tatausführung. Nicht allein die Tathandlung entscheidet hier über die Schuld, sondern ein gegebenenfalls lange vorher abgeschlossenes Verhalten" 18. Für diese gesetzliche Erweiterung des gegenständlichen Bezugs des Schuldurteils sei als letztes Beispiel § 213 StGB genannt. Die schuldmindernde Wirkung der Vorschrift setzt voraus, daß die Reizung des Totschlägers durch den im Verlauf der Auseinandersetzung Getöteten "ohne eigenes Verschulden" des Täters erfolgte. "Wiederum entscheidet nicht die psychische Lage bei der Tat, denn das Maß des Zorns kann von der Berechtigung des Zorns ganz unabhängig sein. Es entscheidet vielmehr ein zur Zeit der Tatausführung schon abgeschlossenes Verhalten, eben die ,Verschuldung' der Injurien des späteren Opfers"19. Hat die Ausdehnung des Schuldurteils auf die Vorgeschichte der Tat beim Vorsatz delikt noch Ausnahmecharakter, so wird der Vorwurf der Fahrlässigkeit mit großer Selbstverständlichkeit an Umstände geknüpft, die zeitlich zum Teil erheblich vor der eigentlichen Bewirkung der tatbestandlichen Handlungsfolgen liegen. So entstehen Sorgfaltspflichten nach einer weit verbreiteten Auffassung20 bereits bei einem Verhalten, das den Deliktserfolg selbst nicht herbeiführt, sondern lediglich kausal für die nachfolgende, den tatbestandlichen Erfolg bewirkende Handlung ist. Die erforderliche Sorgfalt besteht hier in der Erfüllung von Vorbereitungs-, Ausbildungs- oder Informationspflichten. Vor der Aufnahme risikobehafteter Tätigkeiten, wie eines ärztlichen Heileingriffs, oder einer Autofahrt unter extremen Witterungsbedingungen, obliegt es dem Täter, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben, ohne die er sich auf die gefährliche Handlung gar nicht einlassen darf. Diese meist als Übernahmeverschulden 21 , gelegentlich aber auch als Übernahmeunrecht 22 oder Übernahmefahrlässigkeit23 bezeichnete KonJakobs, a.a.O. Jakobs, a.a.O. 20 Behrendt, Affekt und Vorverschulden, S.91, 98; Engisch, Untersuchungen, S. 298ff.; Jescheck, AT, S. 370; Maurach / Gössel/Zipf, AT, Tb. 2, § 43, Rn. 47; Stratenwerth, AT, Rn. 1105. 21 Vgl. die Nachweise in Fn. 20. 22 Geilen, JZ 1964, S. 11. 23 Wesseis, AT, § 15 11 3 a. 18
19
13'
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D. Vorsatz und Vorverschulden
struktion schließt eine Strafbarkeitslücke, die sich eröffnet, wenn der Täter den Erfolg im Augenblick der Bewirkung durch sorgfältiges Handeln nicht vermeiden kann. Der Rückgriff auf Verhaltensanteile Vor der Unrechtstat dient hier in ähnlicher Weise wie in den Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums und des verschuldeten Affekts der Begründung des Schuldvorwurfs. Rudolphi, der diese Gemeinsamkeit betont, hält die Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip für gerechtfertigt, weil sich der Schuldvorwurf "wenigstens mittelbar auf das vom Täter verwirkte Unrecht bezieht"24. Aber die Rechtsfigur des Übernahmeverschuldens stellt die Vorwerfbarkeit nicht nur in eine ungewöhnliche zeitliche Beziehung zur Tat, sondern verändert sie auch inhaltlich25 . Grundsätzlich beruht die Schuld des Fahrlässigkeitstäters auf der Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung. Der Täter muß erkennen können, daß sein Handeln den deliktischen Erfolg herbeiführt. Im Fall des Übernahmeverschuldens muß dem Täter lediglich erkennbar sein, "daß er den Anforderungen der von ihm übernommenen Tätigkeit nicht gewachsen sein werde"26. "An die Stelle der subjektiven Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung tritt also die Voraussehbarkeit des eigenen Fähigkeitsmangels"27. Wesentlich augenfälliger ist die qualitative Modifikation, die der Schuldvorwurf im vermeidbaren Verbotsirrtum beziehungsweise im verschuldeten Affekt gegenüber der regelhaften "vollständigen" Vorsatztat erfährt. Hier wechselt nicht nur der Bezug des Schuldurteils vom Tatverhalten auf innerseelische Prozesse, sondern auch seine Grundform von Vorsatz zu Fahrlässigkeit28 . Betrachtet man die mannigfaltigen Durchbrechungen des Koinzidenzprinzips, so erscheint die Beschränkung der Vorverlagerung des Schuldvorwurfs beim vermeidbaren Verbotsirrtum auf die Fälle der Ausübung einer rechtlich besonders geregelten Tätigkeit nicht zwingend. Auch die Begründung der Ausnahme vom Bezug auf den Zeitpunkt der Tat vermag die Einengung gerade auf jene Fallgruppe nicht überzeugend darzulegen. Sie zielt vor allem darauf, den mittelbaren Schuldvorwurf, der Täter hätte sich rechtzeitig in die Lage versetzen sollen, Recht und Unrecht unterscheiden zu können, von einer allgemeinen Lebensführungsschuld abzuheben 29 . Die Gefahr, mit der Schuld ein allgemeines Urteil über die Persönlichkeit des Täters zu fällen, wird um so größer, je weiter der Anknüpfungspunkt des Vorwurfs von der Unrechtstat entfernt liegt. Dabei bezeichnet die Zeit nur eine Dimension dieser Abhängigkeit. Die wirksamste Vorsorge gegen die 24
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27 28 29
Henkel-FS, S. 207. Vgl. zum Folgenden Neumann, Strukturprobleme, S. 231ff. Jescheck, AT, S. 482 m.w.Nachw. Neumann, a.a.O., S. 232. Vgl. dazu oben 1.1. Vgl. dazu eingehend Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 264ff.
TII. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
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versteckte Einführung einer Lebensführungsschuld30 durch die Berücksichtigung der Vorgeschichte des Delikts besteht daher in einer engen Beziehung zwischen Schuldvorwurf und Unrechtstat. Dieser Bezug läßt sich trotz zeitlicher Dissoziation praktisch am häufigsten bei Handlungen in einem rechtlich besonders geregelten Raum herstellen, ist aber nicht notwendig auf dieses Gebiet beschränkt. Jakobs unterstellt daher den gesamten Bereich des § 17 StGB den Regeln der Zumutbarkeit31 , die generell eine Ausdehnung des Subjekts über das Tatverhalten auf die Vorgeschichte der Begehung erlauben32 • Wie eng das Schuldurteil auf die Unrechtstat bezogen werden muß, um einen zumindest mittelbaren Tatschuld-vorwurf erheben zu können, darf an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Hier gilt es nur festzuhalten, daß die Vorverlagerung der tatsächlichen Anknüpfungspunkte des Schuldurteils dem positiven Recht nicht fremd ist. Darüber hinaus ist sie im Rahmen des Verbotsirrtums, wie bei Affektdelikten 33 weithin anerkannt. Sowohl ein Defizit des voluntativen, wie ein Mangel des intellektuellen Schuldelernents im Zeitpunkt der Begehung kann danach durch vorwerfbares Vortatverhalten "kompensiert" werden. Beide Varianten des Vorverschuldens sind aber nach ganz überwiegender Ansicht auf bestimmte Fallgruppen begrenzt: Im Verbotsirrtum ist ein Rückgriff auf die Genese der Tat nur möglich, wenn der Täter in einem rechtlich besonders geregelten Bereich, bei Steuerungsunfähigkeit, wenn er im Affekt gehandelt hat. Der für den Verbotsirrtum gebildeten Fallgruppe kommt jedoch nur indizielle Bedeutung zu. Entscheidend ist der innere Zusammenhang zwischen Schuldvorwurf und Unrechtstat. Für das Affektdelikt gilt ähnliches: auch dort setzt die Zurechnung jene enge Beziehung voraus 34 • Sind deren Kriterien erfüllt, so leuchtet im voluntativen Bereich der Schuld die Beschränkung der Ausnahme vom Koinzidenzprinzip auf den verschuldeten Affekt ebensowenig ein, wie die Limitierung im intellektuellen Bereich als willkürlich erscheint. Jakobs unterscheidet daher in § 20 StGB zwei Regelungsgebiete: Jenes der Zurechnungsfähigkeit im engeren Sinne und das der ZumutbarkeWS, das generell, nicht nur für den Affekt, ebenso eine Berücksichtigung der Tatgenese erlaubt, wie § 17 StGB. Damit ist aber für den Verbotsirrtum wie für den Affekt gleichermaßen die Frage nach dem Verhältnis zu § 20 StGB gestellt. 30 Zur Argumentation gegen die Gründung des strafrechtlichen Schuldvorwurfs auf die Lebensführungsschuld vgl. Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S.187ff.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 183. 31 AT 19/37; ihm folgend Timpe, GA 1984, S. 51ff. 32 Jakobs, AT 17/69ff. 33 Vgl. oben I, TI. 34 Besonders deutlich Rudolphi, Henkel-FS, S. 210f., ansatzweise auch die Rechtsprechung, vgl. dazu oben I 2. 35 Jakobs, AT 18/3ff.
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D. Vorsatz und Vorverschulden
2. Die Zurechnung des verschuldeten Affekts 2.1 Einsichtsfähigkeit, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit
Mit der Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB und der Einsichtsfähigkeit in § 20 StGB werden jeweils Anforderungen an die intellektuelle Komponente der Schuld normiert. Damit treten beide Vorschriften in ein Konkurrenzverhältnis, das nach ganz überwiegender Ansicht durch den Vorrang von § 17 StGB gelöst wird 36 . Der Verlust der Einsichtsfähigkeit aufgrund einer der in § 20 StGB beschriebenen "biologischen" Störungen bildet somit nur einen besonders hervorgehobenen Anwendungsfall der allgemeinen Grundsätze des schuldausschließenden Verbotsirrtums. Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen, als "psychologische" Folge eines in § 20 StGB benannten "biologischen" Defekts aufgehoben, so liegt stets auch ein unvermeidbarer Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB vor37 . "Denn es kann keine Rolle spielen, aus welchen Gründen das Unrechtsbewußtsein fehlt. Ob man außerstande ist, sein Unrecht zu erkennen, weil man das soeben erschienene Gesetzblatt nicht kennt, in dem ein neues, sich nicht von selbst verstehendes strafrechtliches Verbot verkündet wird, oder weil man infolge eines psychischen Defekts zu einer Gewissensprüfung gar nicht fähig ist, kann für die rechtlichen Folgen keinen Unterschied begründen"38. Damit hat die umfassende Normierung im Rahmen des Verbotsirrtums der speziellen im Kontext der Zurechnungsfähigkeit den Boden entzogen. Die erste Alternative von § 20 StGB, Schuldlosigkeit mangels Einsichtsfähigkeit, ist folglich gegenstandslos. Für die Exkulpation des Täters kommt ihr keine konstitutive Bedeutung zu. Eine Restfunktion kann allenfalls noch in einer Beweisregel für die Feststellung eines unausweichlichen Verbotsirrtums gesehen werden 39 , sowie im Voraustatbestand für die Anordnung von Maßregeln nach den §§ 63, 64, 65 m, 69 StGB4o. Soweit der Verlust der Einsichtsfähigkeit zur Schuldlosigkeit führt, ist § 20 StGB als Unterfall des Verbotsirrtums obsolet; die intellektuelle Seite der Schuld wird allein an § 17 StGB gemessen. Diese Vorschrift fragt aber nach der Vermeidbarkeit des Mangels an Einsicht in das Unrecht der Tat und damit nach dem Verschulden des Defizits. Gilt § 17 StGB für den in § 20 36 BGH, MDR 1968, S. 854; Dreher, GA 1957, S. 97; Dreher / Tröndle, § 20, Rn. 3; Jescheck, AT, S. 357; Armin Kaufmann, Eb. Schmidt-FS, S. 319; LK - Lange, § 21, Rn. 58; Schmidhäuser, Lehrbuch, S. 381; Schröder, GA 1957, S. 297; S/S - Lenckner, § 20, Rn. 4; ders., Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 107f. 37 A.A. Rudolphi, SK, § 17, Rn. 15f.; ders., Unrechtsbewußtsein, S. 166ff.; zu den Antinomien, welche die herrschende Meinung im Rahmen von § 21 StGB herbeiführt vgl. Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 125, sowie Lange, LK, § 21, Rn. 79. 38 Dreher, a.a.O., S.98. 39 Jescheck, AT, S. 357. 40 S/S - Lenckner, § 20, Rn. 4.
III. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
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StGB beschriebenen Verlust der Einsichtsfähigkeit gleichermaßen, so findet auch dort die Vermeidbarkeitsprüfung statt. Eine Exkulpierung wegen eines der in § 20 StGB aufgeführten "biologischen" Zustandsbilder wäre danach ausgeschlossen, wenn der Verbotsirrtum trotz der Störung nicht notwendig eintreten mußte, sondern vermeidbar gewesen wäre. Die Berücksichtigung der Vermeidbarkeit tritt nicht in Widerspruch zu § 20 StGB, solange sie auf den Zeitpunkt der Tat begrenzt bleibt. Denn hätte der Täter zur Unrechts einsicht gelangen können, wäre er nicht im Sinne von § 20 StGB unfähig gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen. Beide Regelungen weisen somit identische Ergebnisse aus, entschuldigt doch nach § 20 StGB der biologische Defekt allein nicht. Finden aber die Prinzipien des Verbotsirrtums im Bereich der Zurechnungsfähigkeit uneingeschränkt Anwendung, so wird auch hier eine Ausdehnung des Vorwurfs der Vermeidbarkeit auf die Genese der Tat möglich. Die Schuld an einem - zum Zeitpunkt der Begehung - unvermeidlichen Verbotsirrtum kann nach einer verbreiteten Ansicht auf die Vorgeschichte der Tat gestützt werden. Allerdings wird die Ausdehnung der Vermeidbarkeitsprüfung nur für eine Fallgruppe - die Ausübung einer rechtlich besonders geregelten Tätigkeit - zugelassen. Gewiß ist es unerläßlich, der Einführung von Vorverschuldenselementen enge Grenzen zu setzen, soll nicht eine allgemeine Lebensführungsschuld Grundlage der Strafe werden. Die Einschränkung auf jene Fallgruppe haben wir jedoch als willkürlich charakterisiert, da sie das entscheidende, die Trennungslinie zur Lebensführungsschuld markierende Merkmal, die Nähe des Schuldvorwurfs zur Unrechtstat, allenfalls beispielhaft verkörpert41 • Der Vorwurf der Vermeidbarkeit des intellektuellen Schulddefizits kann vielmehr für den gesamten Bereich des § 17 StGB, also auch für den Verbotsirrtum mangels Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB, grundsätzlich an Umstände geknüpft werden, die zeitlich vor dem eigentlichen Tatgeschehen liegen, solange er sich noch mittelbar auf die rechtswidrige Tat bezieht. Führt ein hochgradiger Affekt zum Verlust der Einsichtsfähigkeit, so ist die Schuld des Täters nach den Maßstäben des Verbotsirrtums zu beurteilen. Falls die Entwicklung in die Affektentladung vermeidbar war, hängt die Bestrafung davon ab, ob sich zwischen dem Vorwurf, der Täter habe die notwendigen Vorkehrungen gegen den Anstieg der affektiven Erregung nicht getroffen und der rechtswidrigen Begehung eine inhaltliche Verbindung herstellen läßt. Soweit der Affekt die intellektuelle Seite der Schuld tangiert, ist § 17 StGB danach direkt anwendbar4 2 • Die Untersuchung der Tatgenese auf Verschuldenselemente, die bereits hinreichend konkret auf die Unrechtstat vorausweisen, kann allerdings U
Vgl. oben 1.2.
42
Im Ergebnis übereinstimmend mit Geilen, Maurach-FS, S. 188ff.
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D. Vorsatz und Vorverschulden
nicht auf Affektdelikte beschränkt bleiben. Ebensowenig wie die Berücksichtigung von Vorverschulden im Rahmen des Verbotsirrtums außerhalb von § 20 StGB nur für eine Fallgruppe gilt, leuchtet im Bereich der Schuldunfähigkeit eine Begrenzung auf den hochgradigen Affekt ein. Für jede biologische Variante des § 20 StGB besteht prinzipiell die Möglichkeit, auf die Vorgeschichte des Delikts zurückzugreifen, wenn sie den Vorwurf trägt, der Täter habe fahrlässig die Fähigkeit verloren, Recht von Unrecht zu unterscheiden und zwischen dieser spezifischen Fahrlässigkeitsschuld43 und der im Verbotsirrtum begangenen Unrechtstat eine enge Beziehung nachweisbar ist. Die Grenzen der Ausweitung des Schuldurteils über das Tatgeschehen lassen sich sachgerecht nicht durch Fallgruppen - Ausübung einer rechtlich besonders geregelten Tätigkeit, Affekt - bestimmen, sondern durch die Konkretisierung der Anforderungen an die Sorgfaltspflichten im Umgang mit den persönlichen Grundlagen der Schuld sowie an die Stringenz des Zusammenhangs zwischen Schuld- und Unrechtsurteil44 • Mag das Affektdelikt im Vergleich zu den übrigen Varianten des § 20 StGB in beiden Bereichen strengen Anforderungen am ehesten genügen, so kann es doch die Ausnahme vom Prinzip der Koinzidenz von Tat und Schuld nur beispielhaft repräsentieren. 2.2 Steuerungsunfähigkeit und Vermeidbarkeit
2.2.1 Die Beschränkung der Vermeidbarkeitsprüfung auf die intellektuelle Komponente der Schuld Die Schuldtheorie wurde einseitig im Hinblick auf den Verbotsirrtum entwickelt. Ein voluntatives Gegenstück, das eine entsprechende Vermeidbarkeitsprüfung vorsähe, fehlt 45 • Da zudem der Wortlaut von § 20 StGB eindeutig auf den Zeitpunkt der Tat abstellt, scheint für den Fall der Steuerungsunfähigkeit aufgrund der dort benannten Störungen ein Rückgriff auf Umstände außerhalb des Tatverhaltens kaum begründbar. Zugunsten einer Annäherung des voluntativen Schuldelements an die Grundsätze des Verbotsirrtums streitet jedoch eine tatsächliche, zum Teil auch rechtliche Kongruenz der zugrundeliegenden Phänomene: Wie der Verbotsirrtum berührt der hochgradige Affekt weder notwendig noch regelmäßig den Vorsatz im subjektiven Tatbestand. Das intellektuelle und das voluntative Schulddefizit beseitigen nicht die Unrechtstypizität des Delikts, lassen aber, da keine Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung zustandekommt, die Vorsatzschuld entfallen46 • Im vermeidbaren Verbotsirr43 44
45
Vgl. dazu oben 1.2, sowie C V 3.1. Dazu unten 2.3. Geilen, Maurach-FS, S. 190f.; vgl. oben 11 1.
m.
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turn wird das dolose Unrecht durch einen spezifischen Fahrlässigkeitsvorwurf ergänzt. Der verschuldete Affekt birgt die Grundlage für einen ähn-
lichen, nahezu identischen sozialen Tadel47 • Auch der Affekttäter wird mit einem Fahrlässigkeitsvorwurf konfrontiert: Er hätte Vorkehrungen gegen den Anstieg seiner affektiven Erregung treffen sollen, als sie noch beherrschbar war, denn er habe eine "Pflicht zur Selbstzügelung"48. Wie beim vermeidbaren Verbotsirrtum weist die Schuld trotz doloser Unrechtstat die Form der Fahrlässigkeit auf. Die Übereinstimmung reicht jedoch über die Qualität hinaus bis in die Struktur des Vorwurfs: In beiden Fällen wird dem Täter kein äußeres Verhalten abverlangt, vielmehr obliegt es ihm, einen seelischen Zustand zu wahren oder wiederherzustellen. Das Schuldurteil ist daher nicht unmittelbar auf die Begehung bezogen, sondern auf innerseelische Prozesse. Der Vorwurf an den Täter zielt im vermeidbaren Verbotsirrtum und im verschuldeten Affekt in die gleiche Richtung: Er habe nicht ausreichend Sorge getragen, persönliche Grundlagen der Schuld zu erhalten, im intellektuellen Bereich die Unrechtseinsicht, im voluntativen die Fähigkeit, das Verhalten entsprechend jener Erkenntnis willentlich zu überformen. Auf diesem Hintergrund leuchtet die Beschränkung der Vermeidbarkeitsprüfung auf die intellektuelle Schuldkomponente, die die §§ 17, 20 StGB festzuschreiben scheinen, wenig ein. Würden wir einen sorgfältig medikamentös eingestellten Psychotiker als schuldfähig ansehen und die Einnahme von Arzneimitteln zu den Sorgfaltspflichten zählen, deren Verletzung eine Vorverlagerung des Schuldvorwurfs trägt, so kann es für die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied machen, ob das eigenmächtige, pflichtwidrige Absetzen der Psychopharmaka im Zeitpunkt der Begehung zum Verlust der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit führt. Findet dort Vorverschulden Berücksichtigung, muß es auch hier in Rechnung gestellt werden. Die Schuldvorwürfe sind, wie soeben nochmals dargelegt, kongruent. Für den Täter ist es weder voraussehbar, welchen Bereich der Zurechnungsfähigkeit das Unterlassen der Medikation tangiert, noch kann er darauf Einfluß nehmen, welches Schuldelement ausfällt. Die Situation im Affekt ist vergleichbar: Liegt eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung im Sinne von § 20 StGB vor, so hebt sie regelmäßig die Steuerungsfähigkeit, ausnahmsweise bereits die Einsichtsfähigkeit auf. In diesem Fall wäre die Vermeidbarkeit zu prüfen, wenn man mit einer verbreiteten Ansicht überhaupt eine Vorverlagerung der Schuld gutheißt. In jenem wäre der Rückgriff unzulässig, obgleich die Pflicht, die affektive Erregung zu regulieren, bereits im Hinblick auf den Verbotsirrtum bestünde, und der 46 47
46
Vgl. oben C V 3.1, 3.3. Vgl. oben 1.1. BGH vom 14. 12. 1976 - 1 8tR 568/76.
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Täter nur das Erstarken des Affekts selbst, nicht aber den Einfluß der Erregung auf die Alternativen der Zurechnungsunfähigkeit kontrollieren kann. Beide Beispiele verdeutlichen, was bereits prinzipielle Überlegungen zur Kongruenz von Verbotsirrtum und Affekt nahelegten, daß die Vorverlagerung der Schuld auf außertatliehe Umstände nur einheitlich erfolgen kann, daß für die Wissens- und die Wollensseite der Vorwerfbarkeit dieselben Grundsätze gelten müssen. Die Regelung der Zurechnungsfähigkeit in § 20 und jene des Verbotsirrtums in § 17 StGB "sind nur unselbständige Bestandteile der ganzheitlichen Fähigkeit zur Motivation auf Grund der Rechtspflicht"49, die Armin Kaufmann als Generalnenner der modernen Schuldlehre bezeichnet50 • Dreher stellt daher am Ende seiner Untersuchung, in der er die erste Alternative des § 51 a.F. StGB den Grundsätzen des Verbotsirrtums unterordnet, die Frage, ob nicht auch die zweite Alternative durch ein allgemeines Prinzip überspielt werde 51 •
2.2.2 Die voluntionale VermeidbarkeitspTÜjung in § 17 StGB Obgleich das positive Recht als Bastion gegen derartige Versuche anmutet, erlaubt es auch bei einem voluntativen Defizit die Ausdehnung des Schuldvorwurfs auf die Genese der Tat. Als Normierung des Verbotsirrtums scheint § 17 StGB einseitig an der intellektuellen Seite der Schuld orientiert. Aus der Sicht unseres zweiteiligen Vorsatzbegriffs treten jedoch unterschiedliche Regelungsmaterien mit differenzierten Anwendungsbereichen hervor. Zunächst bringt die Vorschrift zum Ausdruck, daß ein Wissensmangel, der die Einsicht in das Unrecht der Tat nicht entstehen läßt, den Täter grundsätzlich entlastet. Für einen Mangel des Wollens hat der Täter hingegen, wie der Vergleich zu § 20 StGB ergibt, regelmäßig einzustehen. Diese Differenzierung findet ihre Rechtfertigung in der Sache: Will das Strafgesetz zum "richtigen Wollen", zu normgemäßer Motivation, anleiten 52 , kann es mangelhaftes Wollen nicht entschuldigen. Nur ausnahmsweise, unter den engen Voraussetzungen des § 20 StGB, ist einem voluntativen Defizit gegenüber Nachsicht am Platze. Andererseits folgt aus der Bestimmungsfunktion der Norm, daß der Täter das Strafgesetz kennen muß, um schuldig zu werden, da Unkenntnis nicht zu motivieren vermag. Auch von diesem Grundsatz besteht eine Ausnahme: der vermeidbare Verbotsirrtum 53 • Soll danach 49 Armin Kaufmann, Eb. Schmidt-FS, S.231; ähnlich jüngst Roxin, ZStW 96 (1984), S. 64lff. 50 a.a.O., S. 320. 51 GA 1957, S. 99f. 52 Vgl. oben C I 4.7. 53 Vgl. zum Regel-Ausnahmeverhältnis der rechtlichen Behandlung von Wissensund Wollensdefiziten: Jakobs, AT 19/37.
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die regelmäßig entlastende Wirkung eines Defizits nur auf der intellektuellen, nicht aber auf der voluntativen Seite der Schuld eintreten, kann § 17 StGB, soweit die Entlastung dort vorgeschrieben wird, nur für Wissensnicht für Willensmängel gelten. Dies erklärt den einseitigen Zuschnitt von § 17 StGB. Die Vorschrift regelt aber noch ein zweites Gebiet. Sie definiert die Rechtsfolgen für eine bestimmte Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination. Dieses janusköpfige Delikt entsteht, wenn vorsätzliches Unrecht verwirklicht wurde, Vorsatzschuld aber mangels doloser Entscheidung ausgeschlossen ist und an ihre Stelle der Vorwurf tritt, der Täter habe jenes Defizit, das die dolose Entscheidung und damit die Vorsatzschuld vereitelt, fahrlässig herbeigeführt. § 17 StGB erklärt auf dieses atypische Delikt den Strafrahmen der Vorsatztat für anwendbar und trägt der leichteren Schuldform durch die Möglichkeit einer Strafmilderung Rechnung54 • In diesem Regelungsbereich von § 17 StGB ist, im Gegensatz zur Entlastungsfunktion der Norm, eine Differenzierung zwischen intellektueller und voluntativer Schuldkomponente weder geboten noch sachlich zu rechtfertigen. Der Vorhalt, der Ausfall einer dieser Komponenten sei vermeidbar gewesen, ist in Form und Struktur identisch, welche Seite der Vorsatzschuld auch betroffen ist. Im Bereich des § 20 StGB kann der Täter in extremen Ausnahmefällen möglicherweise den Eintritt der Schuldunfähigkeit voraussehen, nicht aber, auf welcher psychologischen Variante des § 20 StGB sie beruhen wird. Selbst für das Urteil des Sachverständigen wird in Zweifel gezogen, ob sich Einsichts- und Steuerungsfähigkeit tatsächlich unterscheiden lassen 55 . Wollte man § 17 StGB auch in seinem zweiten Regelungsgehalt, das heißt soweit die spezifische Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination normiert wird, auf den Verbotsirrtum beschränken, würden die Ergebnisse der Differenzierung willkürlich anmuten56 • Daß für die Verbindung von dolos gesetztem Unrecht und Fahrlässigkeit bezüglich personaler Grundlagen der Vorsatzschuld der Strafrahmen des Vorsatzdelikts gilt, stellt eine grundlegende Wertentscheidung dar, die nicht auf eine Seite der Schuld begrenzt bleiben kann. Damit wird auch die Möglichkeit der Strafmilderung, die § 17 StGB vorsieht, für die Fälle des verschuldeten Affekts eröffnet. Nur scheinbar steht § 17 StGB daher einer voluntativen Vermeidbarkeitsprüfung entgegen. Tatsächlich wird sie durch die Interpretation, die das Gesetz im Lichte unseres Vorsatzbegriffs erfahren hat, nahegelegt.
54 55 56
Vgl. dazu oben C V 3.1. Vgl. etwa Dreher, a.a.O. Vgl. dazu die oben angeführten Beispiele.
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2.2.3 Das Verhältnis zu § 20 StGB
Ein neues Bild von der Zurechnungsunfähigkeit zeichnet das zweiteilige Doluskonzept nicht. Gleichwohl bildet § 20 StGB kein Hindernis für die Ausdehnung des Schuldvorwurfs auf die Vorgeschichte der Tat. Eine historische Betrachtung des Umgangs verschiedener Rechtssysteme mit dem Problem der Zurechnungsunfähigkeit zeigt, daß die entsprechenden Regelungen stets auf krankhafte Prozesse zentriert sind, deren Manifestation der Täter nicht zu beeinflussen vermag57 • § 51 a.F. StGB stand noch deutlich in dieser Tradition. Die Rechtsprechung hat allerdings den Krankheitsbegriff allmählich so weit ausgedehnt, daß auch nicht-krankhafte seelische Störungen die Exkulpation tragen konnten, wenn sie in ihrer Erheblichkeit den klassischen Vorbildern gleichkommen. In § 20 StGB wurde diese Entwicklung festgeschrieben 58 , darüber hinaus aber in der Sache keine Änderung vorgenommen 59 , so daß auch das geltende Recht vom pathologischen Idealtypus der Zurechnungsunfähigkeit geprägt ist. Krankheit wird aber, neueren Erkenntnissen der Psychologie und Psychosomatik zum Trotz, allgemein als schicksalhaftes Geschehen begriffen. Für den klassischen Bereich der Zurechnungsunfähigkeit hat dieses Verständnis auch zweifellos Gültigkeit: Schwachsinn und Schizophrenie stehen nicht zur Disposition des Individuums. Aus diesem Grund ist § 20 StGB auf die "Begehung der Tat" bezogen, zählt allein die Existenz des Defekts, nicht seine Genese 60 • Die Entwicklung bedarf keiner Beachtung, da sie ohnehin als unausweichlich angesehen wird. Dieses Verständnis findet in der grundlegenden Entscheidung des großen Senats des Bundesgerichtshofes zum Verbotsirrtum deutlichen Ausdruck, wo das Gericht das Verhältnis von Zurechnungsunfähigkeit und Verbotsirrtum erörtert. Im Fall des § 51 a.F. StGB ist danach "die Unkenntnis des Täters Folge eines unabwendbaren Schicksals" 61. Mit der Öffnung von § 20 StGB für nicht krankhafte seelische Beeinträchtigungen erhalten aber auch Störungen schuldausschließende Potenz, deren Auftreten nicht jene schicksalhafte Dimension der klassischen Exkulpationsgründe aufweist. Die veränderte Sicht der rechtlich relevanten Ursachen von Zurechnungsunfähigkeit ist folglich durch eine erweiterte zeitliche Dimension der Zurechnungsunfähigkeit zu ergänzen. Der enge Tatzeitbezug gilt danach nur für schicksalhaft erlittene Beeinträchtigungen62 , 57 Im Überblick ist die geschichtliche Entwicklung dargestellt bei Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 78ff. 58 LK - Lange, § 21 " Entstehungsgeschichte " . 59 S/S - Lenckner, § 20, Rn. 2. 60 Geilen, Maurach-FS, S. 190. 61 BGHSt 2, 201.
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während in den übrigen Fällen der Rückgriff auf die Entwicklung des Defekts eröffnet wird. Das bedeutet freilich nicht, daß jedes Verschulden in der Genese der Störung die Exkulpation ausschließt. Der Schuldvorwurf kann vielmehr nur aufrechterhalten bleiben, wenn der Vorhalt, den Eintritt der Schuldunfähigkeit nicht verhindert zu haben, in engem Zusammenhang mit der Unrechtstat steht63 • Vorverschulden kann danach als Verbindung eines spezifischen Fahrlässigkeitsvorwurfs mit dolosem Unrecht über den gewöhnlichen, auf reiner Unkenntnis beruhenden Verbotsirrtum hinaus auch im Anwendungsgebiet von § 20 StGB grundsätzlich zugerechnet werden. Dies gilt nicht nur für den intellektuellen Bereich, in dem sich die Regelung des Verbotsirrtums und jene der Zurechnungsunfähigkeit überschneiden, sondern auch für das voluntative Schuldelement. Praktisch bedeutsam wird diese Möglichkeit, Anknüpfungspunkte des Schuldurteils auch außerhalb des eigentlichen Tatverhaltens zu suchen, bei Exkulpationsgrunden, die nicht-krankhafte Beeinträchtigungen repräsentieren, vor allem jenem der Bewußtseinsstörung. Im Ergebnis hat unser Vorverschuldenskonzept eine gewisse Ähnlichkeit mit Jakobs Interpretation von § 20 StGB, der zufolge für bestimmte Fallgruppen die Exkulpation ebenfalls von einer Betrachtung im Längsschnitt abhängen soll. Jakobs sieht in § 20 StGB zwei unterschiedliche Prinzipien normiert: Die Unzumutbarkeit und die Zurechnungsunfähigkeit. Diese setzt voraus, "daß bei der Tat ein ansprechbares, das heißt durch die übertretene Rechtsnorm determinierbares Subjekt überhaupt nicht vorhanden ist ... " Jener Grundsatz greift ein, wenn ein normativ ansprechbares Individuum zwar noch existent, in seiner Motivation zur Normbefolgung jedoch belastet ist 64 • Für die Zumutbarkeit komme es nicht allein auf die Verfassung des Täters im Zeitpunkt der Tat an, sondern ebenfalls auf sein Verhalten vor der Begehung65. Damit ist auch im Bereich von § 20 StGB das Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld durchbrochen.
Allerdings divergieren die Voraussetzungen, unter denen Jakobs vortatliehe Umstände in das Schuldurteil einbezieht, von den entsprechenden Kriterien unseres Ansatzes (vgl. dazu unten 2.3). Jakobs unterscheidet zunächst zwischen dem vollen Verlust der Subjektivität (Zurechnungsfähigkeit) und motivationaler Belastung (Zumutbarkeit), um die zweite Alternative mit der Frage zu verbinden, ob der Täter für die belastende Lage zum Zeitpunkt der Tat zuständig ist. Während diese Differenzierung in erster Linie normative 62 Geilen, a.a.O.; Lange, Bockelmann-FS, S. 261ff.; ders., LK, § 20, Rn. 28; ähnlich SK - Rudolphi, § 20, Rn. 11 f. 63 Vgl. unten 2.3. 64 AT 18/5. 65 AT 17/54; 18/14ff.
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Probleme anspricht, liegen die Schwierigkeiten der vorrangigen Unterscheidung zwischen Zurechnungsfähigkeit und Zumutbarkeit im tatsächlichen Bereich66 . Es erscheint nämlich höchst zweifelhaft, ob die Erfahrungswissenschaften, die sich bei der Berurteilung der "psychologischen" Elemente der Schuldfähigkeit ohnehin an den Grenzen ihrer Disziplin wähnen, die subtile Abstufung nachvollziehen können. Der völlige Verlust der Subjektivität müßte von einer motivationalen Belastung abgegrenzt werden, die das Subjekt nicht zerstört, andererseits aber so schwer wiegt, daß sie, das Maß von § 21 StGB übersteigend, in den Raum des § 20 StGB hineinreicht. Hochgradige Affektzustände wurden aber gerade mit dem Hinweis in den Bereich des § 20 StGB einbezogen, daß der Einfluß auf die normative Ansprechbarkeit des Individuums nicht von der Wirkung einer Psychose abzuheben sei67 • Die Diskussion um die strafrechtliche Behandlung von Affekttaten verdeutlicht damit, daß die bekannten Methoden der Psychologie und Psychiatrie noch nicht jenes hohe Auflösungsvermögen ereicht haben, das Jakobs Differenzierung erfordern würde. 2.3 Grundzüge der Zurechnung
Die Voraussetzungen, die eine Berücksichtigung von Vorverschulden in der Affektentwicklung erlauben, soweit zu präzisieren, daß sie eine Entscheidung im Einzelfall begründen könnten, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Ihr Anliegen war in diesem Kontext begrenzt: Auf dem Hintergrund des zweiteilige!). Vorsatzbegriffs sollte lediglich die Struktur der Zurechnung von Vorverschulden erläutert werden. Die konkreten Bedingungen der Zurechnung werden daher nur in ihren Grundzügen Gestalt annehmen. Der Präzisierung sind die entscheidenden Leitlinien durch die Struktur der Zurechnung als Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination und ihre Orientierung am Prinzip der Tatschuld vorgezeichnet. Außertatliche Umstände vermögen danach nur Schuld zu begründen, wenn die Genese des Delikts einen spezifischen Fahrlässigkeitsvorwurf trägt und dieser auf die im schuldunfähigen Zustand begangene Unrechtstat bezogen werden kann 68 • 2.3.1 Der FahrlässigkeitsvoTWurf Der Vorwurf fahrlässigen Vorverschuldens wurde bereits beschrieben und von der Tatfahrlässigkeit abgegrenzt. Die Begehung bildet dort allenfalls einen mittelbaren Gegenstand der Mißbilligung, die zunächst auf den 66 Am Beispiel der AHektdelikte beschreibt Jakobs die Unterscheidung selbst als psychologisches und psychiatrisches Problem, AT 18/14. 67 Venzlaff, ZStW 88 (1976), S. 60; Schreiber, NStZ 1981, S. 48. 68 Ähnlich Rudolphi, Maurach-FS, S. 211.
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Umgang des Täters mit seiner Fähigkeit zur Motivation aufgrund der Rechtspflicht zielt. Ihm wird vorgehalten, daß er nicht genügend Sorge getragen hat, diese personale Grundlage der Schuld zu bewahren69 • Die Regelung in § 17 StGB, auf der das Vorverschuldenskonzept beruht, schreibt dem Individuum somit Verantwortung für seine Schuldfähigkeit zu. Offen bleibt jedoch, wie weit die Pflicht zum Erhalt des Motivationsvermögens reicht. Grundsätzlich gilt das Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld. Umstände außerhalb der Begehung vermögen daher nur ausnahmsweise einen Vorwurf zu rechtfertigen. Das bedeutet, daß der strenge Maßstab, den die Rechtsprechung zur Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums entwickelt hat und der in der Literatur auf Kritik gestoßen ist 70 , nicht auf die Verschuldung der Affektlage übertragen werden kann. Ebensowenig kommt, unabhängig von der dogmatischen Konstruktion, der Haftungsbereich in Betracht, den Behrendt durch die Einreihung des menschlichen Körpers in die Gefahrenquellen im eigenen Zuständigkeitsbereich eröffnet und auf jede Gefährdung ausweitet, die mit körperlichen Funktionen typischerweise verbunden ist 71 • Die Versagung der Exkulpation mit dem Hinweis auf die Vermeidbarkeit der Affektlage bedarf vielmehr einer Legitimation, die sich mit den Pflichten des Täters im Vorfeld des Delikts eingehend auseinandersetzt 72 • 2.3.1.1 Mögliche Anknüpfungspunkte Sorgfaltspflichten, die mit dem Affektdurchbruch in Zusammenhang stehen, lassen sich auf vier Dimensionen beschreiben. Sie können sich auf die Persönlichkeitsstruktur (Charakter) beziehen, die zu hoher affektiver Erregung disponiert, auf den Konflikt, welcher der Psychodynamik zugrundeliegt, auf das Anwachsen der affektiven Spannung, sowie auf die Situation, die unmittelbar die Entladung auslöst. Alle genannten Ebenen begegnen in der Judikatur. Der Bundesgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung jedoch davon abgekommen, Charaktermängel in die Prüfung der Affektverschuldung einzubeziehen 73 • Mit deren Berücksichtigung wäre auch die Grenze zur Lebensführungsschuld überschritten. Dasselbe gilt für die Entstehung des Grundkonflikts, der die affektive Entwicklung nährt. Zudem würde eine RechtsVgl. oben 1.1. Roxin, Henkel-FS, S. 187. 71 Vgl. oben 11 3. 72 Krümpelmann (Affekt und Schuldfähigkeit, S. 235ff.) hat hierzu die umfassendste Analyse vorgelegt, an der auch die nachfolgenden Ausführungen orientiert sind. 73 Vgl. oben I 2. 69
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pflicht, Konflikte zu vermeiden lebensfremd, ja absurd anmuten, ist der Konflikt doch Grunderfahrung und Beweggrund menschlichen Daseins. Folglich vermag allein das Eingehen einer problematischen, konfliktbelasteten Beziehung keinen Schuldvorwurf zu tragen 74 • Auch auf die Situation, die unmittelbar in die Katastrophe führt, wird sich in aller Regel der Vorwurf der Vermeidbarkeit nicht stützen lassen. Denn die Umstände, die den Dammbruch auslösen, sind bis zu einem gewissen Grad beliebig. Für Außenstehende erscheint der Anlaß meist nichtig. Ähnliche Lebenslagen hatte der Täter schon öfter gemeistert, so daß er gerade mit dieser Konstellation den Kontrollverlust nicht verbinden mußte. Damit bleiben als Anknüpfungspunkte für Vorverschulden die Entwicklung des Konflikts und das Erstarken der affektiven Spannung, zwei Elemente der Affekttat, die in einem engen Abhängigkeitsverhältnis stehen: die affektive Erregung resultiert aus der Dynamik des Konflikts, wirkt aber ihrerseits auf diese zurück. Für die rechtliche Beurteilung bildet die Affektspannung das entscheidende Kriterium. Denn zum einen ist der Konflikt selbst als Grundmuster der Motivation rechtlich neutral, zum anderen erlebt ihn das Individuum gerade über seine Emotionen. Somit haben auch die Sorgfaltspflichten dort anzusetzen: Der Täter muß seine affektive Erregung kontrollieren. 2.3.1.2 Der Haftungsmaßstab Eine Pflicht zur Intervention entsteht dabei nicht bereits mit jeder emotionalen Alterierung. Nicht jede psychische Labilität läßt den völligen Kontrollverlust befürchten. Wollte man den Sorgfaltsmaßstab so hoch ansetzen, würden pausenlos Pflichten zur Selbstzügelung entstehen, halten die Zeitläufte doch stets überraschende Wendungen bereit. Erst wenn das Individuum seine affektive Erregung so hochgespannt erlebt, daß es mit dem Verlust der Selbstbeherrschung rechnen muß, erwächst eine Pflicht, für den Erhalt der Motivationsfähigkeit zu sorgen. Nur wenn der Eintritt der Zurechnungsunfähigkeit für den Täter voraussehbar ist, hat er einen rechtlich relevanten Anlaß, dem Streben in die Katastrophe entgegenzutreten. Damit begegnet eine weitere Parallele zum Verbotsirrtum. Setzt dessen Verschuldung einen Anlaß zum Einsatz intellektueller Erkenntnismittel voraus 75 , so erfordert die Zurechnung einer Affekttat einen Anlaß, Kräfte der Selbstbeherrschung zu mobilisieren. Wo die Affektentwicklung Vorgestal74 So auch BGH NJW 1959, S. 2315, wo die Verweigerung der Exkulpation wegen Eingehens eines ehebrecherischen Verhältnisses als Berücksichtigung einer allgemeinen Lebensführungsschuld abgelehnt und das Urteil des Schwurgerichts aus diesem Grund aufgehoben wird. 75 Vgl. etwa Dreher / Tröndle, § 17 Anm. 3 A.
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ten der Tat erkennen läßt, können diese den Appell vennitteln. Andernfalls ist nach Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten zu suchen, die zwar nicht die Tat, wohl aber den Kontrollverlust ankündigen, wie etwa erhöhte Reizbarkeit, Wutausbrüche, für den Täter ungewöhnlicher Alkohol- oder Drogenkonsum und das von Rasch geschilderte widersprüchliche Verhalten 76 • Fehlen in beiden Bereichen prodromale Phänomene, muß der Affektdurchbruch als unausweichlich gelten. Hatte der Täter hingegen Anlaß genug, seinem Abgleiten in die Schuldunfähigkeit gegenzusteuern, so zeigt seine Untätigkeit nur Schuld an, wenn ihm Mittel zur Verfügung gestanden hätten, die Katastrophe abzuwenden. Hierbei kommen unterschiedliche Varianten von Krisenmanagement in Betracht. Das Individuum kann den Konflikt an der Wurzel bekämpfen, in einer problematischen Beziehung etwa eine Paartherapie initiieren. Es kann versuchen, eine neue innere Haltung zu dem Konflikt zu entwickeln, ihn in seiner Bedeutung relativieren und so lernen, mit den Schwierigkeiten zu leben. Ein Minimalprogramm müßte das Bemühen enthalten, die Dynamik zu begrenzen, jedenfalls nicht " unnötig " zu verschärfen. Die letzte Option hieße schließlich, aus dem Feld zu gehen. Die Voraussehbarkeit des Verfalls der Motivationsfähigkeit und die Möglichkeit der Gegensteuerung sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für den Vorwurf der Fahrlässigkeit, der im verschuldeten Affekt erhoben wird. Denn nicht jede ungenutzte Chance läßt sich in strafrechtliche Vorwerfbarkeit wenden. So ist es beispielsweise höchst zweifelhaft, ob in einer konfliktreichen Paarbeziehung einem Familienvater mit fünf Kindern vorgehalten werden kann, nicht aus dem Feld ~egangen zu sein, die Familie nicht verlassen zu haben. Ebenso unsicher erscheint es, ob - strafbewehrte - Sorgfaltspflichten bestehen, die es gebieten, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Schon diese beiden Einwände, die sich beliebig vennehren ließen, zeigen, daß die Integration vortatlicher Umstände in das Schuldurteil bei Affektdelikten nicht nur grundsätzliche Fragen nach der dogmatischen Struktur der Zurechnung aufwirft, wie wir sie im Anschluß an unseren Vorsatzbegriff erörtert haben, sondern in der Präzisierung des Konzepts Probleme offenbart, die kaum diskutiert werden. Soll das Schuldurteil aber auch auf die Vorgeschichte der Tat gestützt werden und seinen zentralen Gegenstand damit die Motivationsfähigkeit bilden, ist im einzelnen zu klären, welche Anforderungen an den Umgang des Menschen mit seiner Zurechnungsfähigkeit gestellt werden können.
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Rasch, Tötung des Intimpartners, S. 54ff.
14 Ziegert
210
D. Vorsatz und Vorverschulden
2.3.2 Der mittelbare Tatbezug Bereits die genannten Bedingungen des Vorverschuldens, die Vorhersehbarkeit des Verlusts der Motivationsfähigkeit, sowie die Untätigkeit trotz geeigneter und gebotener (!) Interventionsmöglichkeit werden die Zurechnung außertatlicher Schuldelemente auf wenige, außergewöhnliche Konstellationen beschränken, in denen eine Exkulpation dem Rechtsempfinden vermutlich grob widersprechen würde. Im Anschluß an Rudolphi soll ihre Versagung aber noch von einer weiteren Voraussetzung abhängen: Der Schuldvorwurf muß sich trotz zeitlicher Dissoziation zumindest mittelbar auf die später begangene Unrechtstat beziehen. Das ist der Fall, wenn der Täter zu dem Zeitpunkt, da ihn die oben skizzierten Sorgfaltspflichten treffen, auf denen das Vorverschulden beruht, "die später durch den Affekt ausgelöste Unrechtstat zumindest ihrer Art nach hätte vorhersehen können"77. Trotz dieser Einschränkung ist das Prinzip der zeitlichen Koinzidenz von Tat und Schuld durchbrochen. Gewahrt bleibt aber der Grundsatz, für den es steht. Denn ebenso wie bereits die Ausgestaltung des Fahrlässigkeitsvorwurfs stellt der mittelbare Tatbezug sicher, daß keine allgemeine Lebensführungsschuld, sondern Einzeltatschuld die Grundlage der Kriminalstrafe bildet. 3. Überprüfung des Vorverschuldenskonzepts 3.1 An § 323 a StGB
Neben dem Koinzidenzprinzip wird gegen eine Vermeidbarkeitsprüfung im Rahmen von § 20 StGB auch die Regelung des Vollrauschtatbestands in § 323 a StGB zitiert. Deren Existenz soll belegen, daß die vorwerfbare Herbeiführung eines Zustands, der die Motivationsfähigkeit aufhebt und damit die Schuld ausschließt, nicht zur Versagung der Exkulpation nach § 20 StGB führen, sondern allein unter den Voraussetzungen von § 323 a StGB berücksichtigt werden kann: "Der Täter, der sich z. B. bis zum Zustande der Volltrunkenheit berauscht hat und in diesem Zustande eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, kann nach § 330 a StGB zur Verantwortung gezogen werden, nicht wegen vorsätzlicher Begehung der Rauschtat unter Berufung auf die schuldhaft fahrlässige Herbeiführung dieses Zustandes"78. Der Vollrauschtatbestand hindert jedoch die Zurechnung von Vorverschulden - zumindest in der hier vertretenen Form - nicht. Beide Institute unterscheiden sich grundlegend in den Bedingungen der Haftung. Der Vorsatzstrafrahmen der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen 77 78
Rudolphi, Maurach-FS, S. 211. Schröder, GA 1957, S. 299; vgl. auch Jakobs, AT 18/11.
In. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
211
Unrechtstat gilt nur, wenn der Täter im Vorfeld der Begehung eine spezifische Sorgfaltspflicht verletzt hat und der Verlust der Motivationsfähigkeit sowie das später begangene Delikt wenigstens der Art nach vorhersehbar waren. Demgegenüber wird die Haftung in § 323 a StGB vorverlagert, werden die Voraussetzungen der Strafbarkeit reduziert. Zwar mag der Rausch die Verletzung einer Sorgfaltspflicht im Sinne des Vorverschuldens begründen. Dagegen ist im Rahmen von § 323 a StGB bereits umstritten, ob der Täter in der Lage sein muß, den Schweregrad des Rausches, das heißt die Nähe zum Bereich des § 20 StGB vorauszusehen 79 • Daß die im Rausch begangene Tat dem Täter im schuldfähigen Zustand bereits der Art nach erkennbar war, zählt jedenfalls nicht zum subjektiven Tatbestand des § 323 a StGB8o. Allenfalls das weniger konkrete Bewußtsein einer Rechtsgütergefährdung wird in diesem Zusammenhang diskutiert 81 . Somit tritt der Vollrauschtatbestand nicht notwendig in Gegensatz zur Berücksichtigung von Vorverschulden, sondern bedeutet gegenüber unserem Konzept eine Vorverlagerung der Strafbarkeit für eine Fallgruppe, die durch besondere Gefährlichkeit und weite Verbreitung des sie charakterisierenden Zustandsbildes gekennzeichnet ist. 3.2 Das Verhältnis zum Prinzip der actio Iibera in causa
Wertungswidersprüche treten allerdings im Verhältnis zur fahrlässigen actio libera in causa zu Tage. Der fahrlässige (oder vorsätzliche) Verlust der Schuldfähigkeit und eine fahrlässige Relation zu der in diesem Zustand begangenen Tat führen dort zur Bestrafung nach den Grundsätzen des Fahrlässigkeitsdelikts, während unser Vorverschuldenskonzept auf einer ähnlichen, unter Gesichtspunkten der Vorwerfbarkeit eher schwächeren Basis eine Strafe aus dem Rahmen des Vorsatz delikts begründet. Diese Friktion entsteht jedoch nicht nur zum hier vertretenen Ansatz, sondern zu allen bekannten Versuchen, die Verschuldung des Affekts im Schuldurteil zu berücksichtigen. Nach den Prinzipien der fahrlässigen actio libera in causa wird eine vorsätzlich begangene Tat als Fahrlässigkeitsdelikt zugerechnet, wenn der Täter zum Zeitpunkt der dolosen Tatbestandsverwirklichung schuldunfähig war, diesen Zustand aber vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat und Dagegen etwa Horn, SK § 323 a, Rn. 7. Angesichts der in § 323 a StGB vorgeschriebenen Orientierung des Strafrahmens des Vollrauschdelikts an der Rauschtat hält Wolter deren Unrechtsbezug für unausweichlich. Der subjektive Tatbestand von § 323 a StGB erfordere daher, daß der Täter die Begehung eines Delikts antizipiert habe, das der Rauschtat nach Art und Schwere entspreche (NStZ 1982, S. 54). Dies kommt zwar unseren Kriterien des Vorverschuldens nahe, bedeutet aber weniger eine Interpretation als eine Korrektur des Gesetzes (so auch Neumann, Strukturprobleme, S. 78f.). 81 So etwa S/S - Cramer, § 323a, Rn. 10. 79
80
14*
212
D. Vorsatz und Vorverschulden
dabei hätte bedenken müssen, daß er in jener Verfassung eine bestimmte Straftat begehen könnte82 • Die Versagung der Exkulpation wegen Vorverschuldens ist demgegenüber an weniger strenge Voraussetzungen gebunden, obgleich sie nicht zu einer Fahrlässigkeits- sondern zur Vorsatzstrafe führt. Zwar entspricht die fahrlässige Verschuldung der Defektlage beim Vorverschulden jener der actio libera in causa. Hingegen unterscheiden sich die Zurechnungsvarianten in der subjektiven Beziehung zur Unrechtstat. In diesem Fall muß dem Täter das konkrete Delikt voraussehbar sein, in jenem die Tat lediglich ihrer Art nach 83 • Derselbe Wertungswiderspruch besteht, worauf bereits Schröder hingewiesen hat 84, zwischen der fahrlässigen actio libera in causa und dem vermeidbaren Verbotsirrtum: Nach den Grundgedanken, die für den schuldhaften Verbotsirrtum gelten, könne sich der Täter, der fahrlässig in eine Situation geraten sei, die es ihm unmöglich mache, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, nicht auf seine Unkenntnis berufen. Er würde vielmehr wegen vorsätzlicher Begehung des Delikts, das er im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe, bestraft. Demgegenüber könne der Täter, der den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt und dabei fahrlässig nicht bedacht habe, daß er in dieser Verfassung ein bestimmtes Delikt begehen werde, nach den Grundsätzen der actio libera in causa nur mit einem Fahrlässigkeitsvorwurf konfrontiert werden. Schröder empfiehlt daher, die Fälle des Verbots irrtums denen der ~ctio libera in causa insofern anzugleichen, als es für die Vermeidbarkeit, dem Prinzip des § 51 a.F. StGB folgend, allein auf den Zeitpunkt der Tat ankomme. Damit ist allerdings der Widerspruch nicht aufgelöst. Auch der im Augenblick der Begehung vermeidbare Verbotsirrtum nimmt dem Täter die Möglichkeit zur Motivation an der Rechtspflicht. Dem Urteil doloser Schuld fehlt so die Grundlage, die ihm, da der Irrtum vermeidbar war, fahrlässig entzogen wurde. Vorgeworfen wird dem Täter folglich, daß er nicht genügend Sorge um seine Motivationsfähigkeit getragen, den Appell, der im Anlaß zur Rechtserkundung und damit letztlich in der Voraussehbarkeit einer Unrechtstat enthalten war, nicht bedacht hat; bestraft wird er aus dem Rahmen des Vorsatzdelikts. Über die actio libera in causa ließe sich hingegen, bei strukturell identischem Vorwurf, nur eine Fahrlässigkeitsstrafe begründen. Auch hier wurde der gesetzliche Tatbestand im Zustand der Schuldunfähigkeit dolos verwirklicht. Auch hier wurde das Motivationsdefizit fahrlässig herbeigeführt und der Appell, den die Vorhersehbarkeit der in schuldunfähiger Verfassung begangenen Tat vermittelt, mißachtet. 82 RGSt 70, 87; BGHSt 17, 263; BayObLG, VRS 61, 339; Dreher / Tröndle, § 20, Rn. 19; SK - Rudolphi, § 20, Rn. 33; S/S - Lenckner, § 20, Rn. 36. 83 Vgl. oben 2.3.2. 84 GA 1957, S. 299ff.
111. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
213
Die Diskrepanz in der Wertung vergleichbarer Zurechnungsstrukturen ist daher zugunsten des positiven Rechts, der Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB aufzuheben. Die Metamorphose einer schuldlosen vorsätzlichen Unrechtstat in ein schuldhaftes Fahrlässigkeitsdelikt mutet ohnehin so artifiziell an, daß eine, in den Ansätzen bereits erkennbare85 , Revision des Begriffs der fahrlässigen actio libera in causa angezeigt erscheint. 4. Vorsatz und Vorverschulden Die knappen Vorüberlegungen zu einer Konzeption strafrechtlichen Vorverschuldens nahmen ihren Ausgang von dem zweiteiligen Vorsatzbegriff, dessen Erläuterung den Kern der vorliegenden Untersuchung bildet. Die Ausdehung der materiellen Grundlagen des Schuldurteils auf die Vorgeschichte der Tat, die dabei erwogen wurde, folgt jedoch nicht notwendig aus unserer Doluslehre. Der Begriff des Vorsatzes präjudiziert auch in der Gestalt, die ihm hier gegeben wurde, keineswegs die Frage, ob außertatliche Umstände den Schuldvorwurf zu tragen vermögen. Ihre Beantwortung muß letztlich auf der Schuldlehre, nicht auf der Vorsatzdogmatik fußen. Die doppelte Verankerung des Dolus in Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit erzeugt jedoch in der Kombination von dolosem Unrecht und Fahrlässigkeitsschuld ein neues, atypisches Grundmuster von Zurechnung, das nicht nur die Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB, sondern auch die Berücksichtigung von Vorverschulden in einem anderen, ungewohnten Licht erscheinen läßt. Das zentrale Anliegen dieses Kapitels war es daher auch nicht, die Gründung des Schuldurteils auf außertatliche Umstände zu legitimieren, sondern, für den Fall der Berechtigung dieses Vorwurfs, die Zurechnung von Vorverschulden in seiner Struktur zu erläutern. Dennoch wurde gleichsam bei Gelegenheit auch ein Plädoyer für .eine behutsame Lockerung des Koinzidenzprinzips formuliert, die unter engen, noch weiter zu präzisierenden Bedingungen die Integration vortatlicher Elemente in das Schuldurteil ermöglicht. Wenn diese Stellungnahme durch den zweiteiligen Vorsatzbegriff auch nicht hinreichend bedingt ist, hat er doch die Leitlinien der Argumentation vorgezeichnet. Die Kombination dolosen Unrechts mit einem spezifischen Fahrlässigkeitsvorwurf hat kon85 Zum einen wird die Auffassung vertreten, daß für eine Bestrafung wegen vorsätzlicher actio libera in causa die fahrlässige Herbeiführung der Schuldunfähigkeit genüge (Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 132; Maurach / Zipf, AT, Tb. 1, 36/57; Hruschka, JuS 1968, S. 558). Zum anderen wird in Zweifel gezogen, ob der Täter in noch zurechnungsfähiger Verfassung bereits eine hinreichend verbindliche subjektive Relation zur Tat entwickelt, die dem Merkmal der Entschlossenheit dolosen Handelns (dazu oben B I) genügt (Neumann, Strukturprobleme, S. 29ff.). Damit verschwimmen die Grenzen zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger actio libera in causa, nähert sich die vorsätzliche actio libera in causa unserem Vorverschuldenskonzept.
214
D. Vorsatz und Vorverschulden
gruente Elemente zwischen Verbotsirrtum und Vorverschulden identifiziert, welche die Übertragbarkeit der Vermeidbarkeitsprüfung, wie der Strafmilderungsmöglichkeit des § 17 StGB auf die voluntative Schuldkomponente nahelegen. Die Qualifizierung des mit dem Vorverschulden verbundenen sozialen Tadels als spezielle Form von Fahrlässigkeit begünstigt gleichfalls eine Erweiterung des materiellen Schuldbezugs, da der Vorwurf der Unaufmerksamkeit häufig an Umstände geknüpft wird, die der eigentlichen Rechtsgutsverletzung zeitlich weit vorausgehen. Dem Koinzidenzprinzip kommt in der Fahrlässigkeitsdogmatik offensichtlich nicht die Bedeutung zu, die ihm für Vorsatzdelikte beigemessen wird. Doch selbst hier bleibt es nicht unangefochten, sieht es sich durch gesetzliche Regelungen desavouiert. Die Frage, ob Umstände, die außerhalb der Begehung liegen, überhaupt in die Beurteilung der Vorwerfbarkeit einbezogen werden können, hat damit bereits eine positive Antwort gefunden. Das wissenschaftliche Interesse verlagert sich folglich vom Grundsätzlichen auf die Bestimmung der Grenzen für die Auslagerung von Schuldelementen. Hier hat unsere Untersuchung mehr offen gelassen, als sie zu klären vermochte. An einer konkreten . Abschichtung war ihr allerdings auch nicht vorrangig gelegen. Mit der Zurechnungsstruktur von Vorverschulden, die aus dem zweiteiligen Vorsatzbegriff resultiert, sollte der weiteren Auseinandersetzung vielmehr ein neuer argumentativer Rahmen gegeben werden. Über seine inhaltliche Gestaltung wird die Entwicklung der Schuldlehre entscheiden, die jüngst, durch vielerlei Anregungen bewegt, akzeleriert verläuft: Das Schuldprinzip steht heute stärker unter kriminalpolitischem Druck als in den letzten Jahrzehnten. Seine Substanz wird durch Korrekturen im Randbereich effektiver als durch dogmatischen Purismus gegen radikale Systementwürfe zu verteidigen sein, die es gänzlich zur Disposition präventiver Zwecke stellen.
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