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German Pages 439 Year 2006
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1023
Vorrang der privaten Wirtschaftsund Sozialgestaltung als Rechtsprinzip Eine systematisch-axiologische Analyse der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes Von Holger Martin Meyer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
HOLGER MARTIN MEYER
Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung als Rechtsprinzip
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1023
Vorrang der privaten Wirtschaftsund Sozialgestaltung als Rechtsprinzip Eine systematisch-axiologische Analyse der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes
Von
Holger Martin Meyer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11940-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Als Wirtschaftsstandort und als Sozialstaat befindet sich die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig in einer der größten Krisen seit ihrem Bestehen. Für die Lösung der anstehenden Probleme erscheint es wenig hilfreich, wenn in der mit Hitzigkeit geführten Reformdebatte der Blick auf den Sektor „Staat“ verengt und zugleich das Ausmaß und die Tragweite der gesellschaftlichen Verantwortung verkannt wird. Dass das Grundgesetz der privaten Wirtschaftsgesellschaft nicht lediglich inhaltslose Individualfreiheiten einräumt, sondern primär von ihr eine aktive Sozialgestaltung einfordert und erst sekundär den Staat in die Pflicht nimmt, beweist indes diese Arbeit. Die Essenz der hier unternommenen systematischen Betrachtung der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes lautet: Die Wohlfahrt des Ganzen geht vom Individuum aus und mündet in einer Gesamtleistung von Gesellschaft und Staat! Besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Univ.-Prof. Dr. Helge Sodan, der die Arbeit angeregt, betreut und in jeder Hinsicht gefördert hat. Herrn Univ.-Prof. Dr. Philip Kunig bin ich für die Übernahme und die rasche Erstellung des Zweitgutachtens gleichfalls sehr dankbar verbunden. Herzlich danken möchte ich weiterhin meiner Familie sowie Herrn Michael Vette, Herrn Dr. Martin Sieg, Herrn Johannes Ruppert, Herrn Dr. Richard-E. Himmer und Frau Katrin Beschorner für die vielfältige Unterstützung. Kiel, im Oktober 2005
Holger Martin Meyer
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Ausgangspunkt, Ablauf und Ziel der Untersuchung
19
§1
Die innerstaatliche und europarechtliche Dimension der Wirtschaftsverfassung des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
§2
Verlauf und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2. Kapitel Historische Entwicklung des Streitstandes zur Wirtschaftsverfassung
25
§1
Begriff der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
§2
Die unterschiedlichen Standpunkte zu den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Aussagen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die These von der „verfassungsrechtlichen Nichtentscheidung“ . . . . . . . . . . . . . . II. Nipperdeys These von der institutionellen Garantie der sozialen Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die These von der „gemischten Wirtschaftsverfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „limitierte“ Marktwirtschaft als wirtschaftsverfassungsrechtliche Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die These Abendroths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 36 45 47 51 54
3. Kapitel
§1
Methodische Grundlagen der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemfreilegung
55
Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
I. Abkehr von einer systematischen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Sinnhaftigkeit einer systematischen Auslegung der Wirtschaftsverfassung . . . 57 III. Methodische Basis als notwendige Prämisse einer systematischen Betrachtung der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
8
Inhaltsverzeichnis
§2
Systeme als zulässiges Instrumentarium der Rechtsmethodik? . . . . . . . . . . . . . . . .
60
§3
Der „juristische“ Systembegriff als Prämisse des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Teilsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Zweibezüglichkeit“ als Bestandteil des „juristischen“ Systembegriffs . . . . . . II. Die dynamisch wirkende Komponente des „juristischen“ Systembegriffs . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 62 65 69
§4
Einwände gegen einen wertgeladenen Systembegriff im Verfassungsrecht . . . I. Ausgangsproblematik: Mannigfaltigkeit der Begriffsbedeutungen . . . . . . . . . . . II. Die einzelnen Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Philosophische Prägung des Wertdenkens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische und dogmatische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 71 73 73 76 80
§5
Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprinzipien als Systembestandteile des „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprinzipien als „Tiefenstrukturen“ und Interpretationshilfen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprinzipien als Bestandteile von abstrakten Systemen und abwägungsbezogenen Prinzipienmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Eignung von Prinzipien als Systembestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Unterscheidung zwischen rechtssatzförmigen bzw. normativen Prinzipien und den offenen bzw. informativen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prinzipien und Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wechelwirkungen zwischen den Normenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Prinzipien und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsprinzipien als Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis: Offenheit, Flexibilität und Verbindlichkeit im „inneren“ System durch Heranziehung von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methoden zur Freilegung der „inneren“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückgriff auf die axiomatisch-deduktive Methode? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückgriff auf die axiologisch-teleologische Methode? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systemfreilegung durch „wertenden Rückschluss“ und Einbindung der Konkretisierungen der Rechtsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
§6
85 86 89 90 91 95 95 98 99 100 101 101 102 105 108
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
9
4. Kapitel Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung §1
§2
Grundrechte als Konstitutionsprinzipien im System der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Menschenwürde als Richtliniengehalt der Rechtsidee: Konkretisierung auf der Prinzipienebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Prinzipienebene als Ausgangspunkt sämtlicher Grundrechtsdimensionen 1. Der Abwehrcharakter der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das klassisch-liberale Grundrechtsverständnis – Grundrechte als subjektive Abwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückgriff auf die Prinzipienebene zur Überwindung von Schwächen der klassisch-liberalen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ursprung des Abwehrcharakters der Grundrechte auf der Prinzipienebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere, institutionelle und direktive Grundrechtsgehalte als Ausfluss der Prinzipienebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interpretativer Rahmen für die Ausformung der Prinzipienebene im Grundrechtssektor – Rückkoppelung an die klassische Abwehrfunktion . . . . . . . . . III. Prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit als prinzipielle Kategorie . IV. Schrankenvorbehalte als Verständnishilfen im Rahmen der Prinzipienfreilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Berücksichtigung von Grundrechtskonkurrenzen im abstrakten System . . VI. Schutz der Essentialia durch die Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte – Basis und Prozess der grundrechtlichen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stellung und Inhalte der Berufsfreiheit als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsfreiheit als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie . . . . . . . . . . . 2. Erkenntnisse der Berufssoziologie zur Bedeutung des Faktors „Beruf“ für die Persönlichkeitskonstituierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzadressaten des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beruf als „jedes dauerhaft wirtschaftliche Tätigsein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definitionsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berufsbildlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erkenntnisse aus der Grundrechtsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlautindizierte Differenzierungsthese und Lehre vom einheitlichen Grundrechtstatbestand – Unvereinbarkeit der Konzeptionen . . . . . . . . . . . . b) Entkräftung der gegen die Differenzierungsthese gerichteten Einwände c) Unterschiedliche Schrankenhandhabung als Konsequenz fehlender axiologischer Homogenität im Grundrechtstatbestand und Auflösung von Schrankenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung der divergierenden Konzeptionen im Hinblick auf die Eignung zur Systemfreilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gehalt des Prinzips „Abwehr“ bei der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prima-facie-Gewährleistung einer reglementierungsfreien beruflichen Betätigung, Unternehmerfreiheit und das Prinzip der Öffnung und Offenhaltung der Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
113 114 119 119 119 120 121 123 124 126 128 131 133 134 136 137 139 142 143 143 145 149 149 151
158 164 168
168
10
Inhaltsverzeichnis b) Besondere wirtschaftsverfassungsrechtliche Ausprägungen des Prinzips „Abwehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abwehr von öffentlichen Monopolen sowie staatlicher Konkurrenzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Besteuerungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Prinzipien der Berufsfreiheit als Basis direktiver Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht auf einen Studienplatz, einen betrieblichen Ausbildungsplatz oder „auf Arbeit“ generell? – wertender Rückschluss auf ein jeweils gleich lautendes Prinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönlichkeitsentfaltung in beruflicher Hinsicht – Schutzgewähr durch den Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berufsfreiheit und Gewährleistung der Binnenordnung der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung und Inhalte der Eigentumsgarantie als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentum als Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigentum als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie: „Eigentum ist Freiheit!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigentum Privater als Faktor für die Freiheit der „Wirtschaftsgesellschaft“ 4. Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff und einfachgesetzliche Ausformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Leistung“, „Existenzsicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“ als Elemente und Unterprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltsbestimmung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs und die Unterschiede zur Schrankenziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prinzipienerzeugte Eigentumspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unternehmerische Nutzung des Betriebseigentums, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Anteilseigentum und Eigentum der Unternehmensträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigentumsschutz für das Vermögen und das Prinzip der eigentumsschonenden Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sozialbindungs-, Enteignungs- und Sozialisierungsbefugnis als Quelle für die axiologische Bedeutung des Prinzips „Eigentum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG im Verhältnis zu Art. 14 Abs. 2 GG – „Private Gemeinwohlgestaltung“ und flankierender Schutz der „Privatnützigkeit“ . b) Art. 14 Abs. 3 GG als Erklärungsmuster für das Prinzip „Eigentum“ . . . c) Art. 15 GG als argumentative Verstärkung von Eigentum als Prinzip . . 7. Forderungen der Eigentumsgarantie als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Prinzip „Abwehr“ als Ausdruck der Eigentümerverantwortung für die Wirtschaftsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schaffung der Voraussetzungen für die privatautonome (ökonomische) Freiheitsrealisierung – Verfassungsdirektive Gehalte als Substrat der Prinzipienebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 171 176 177
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198 208 209 209 210
212 222 228 229 236 237 240 240
245
§3
§4
Inhaltsverzeichnis
11
8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freie wirtschaftliche Assoziation und gesellschaftsrechtliche Privatautonomie als Ausdruck der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie und persönlicher gemeinschaftsbezogener Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit und sich daraus ergebende prinzipielle Gestaltungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalte der Koalitionsfreiheit als Prinzip und wirtschaftsverfassungsrechtliche Gestaltungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Koalitionsfreiheit: Verortung zwischen der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der verfassungsrechtliche Koalitionsbegriff als Schlüssel zur Reichweitenbestimmung der prima-facie-Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Basiselemente des Koalitionsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Koalitionszweck als Grenze der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dimensionen des Prinzips „Koalitionsfreiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „allgemeine Handlungsfreiheit“ als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellung von Art. 2 Abs. 1 GG im System: Wirtschaftliches „Muttergrundrecht“, „Auffanggrundrecht“, oder beides? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftsverfassungsrechtliche Konsequenzen der „Doppelstellung“: Subsidiärer Schutz wirtschaftlicher Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System durch Abstraktion übergreifender Prinzipien der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigene Schutzqualität durch Verknüpfung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Prinzipien oder „bloße“ Herstellung einer Sinngesamtheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prinzipielle Sinngesamtheiten, Synergien und flankierender Schutz durch wirtschaftsverfassungsrechtliche Verbundkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit als wirtschaftsverfassungsrechtliche Sinngesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzverstärkung als Konsequenz des Verbundes der Prinzipien „Berufsfreiheit“ und „Eigentum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wechselseitige Wirkungserstreckung der Schrankenvorbehalte als Konsequenz des Prinzipienverbundes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für Entschädigungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Komplettierung der Verbundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rolle der Vereinigungs-, Koalitions- und allgemeinen Handlungsfreiheit im Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kommunikationsgrundrechtlicher Komplementärschutz . . . . . . . . . . . . . . . . Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System – Exemplarische Verdeutlichung der Verknüpfung von Freiheit und Gleichheit I. Der Gleichheitssatz als zentrale, aber verfassungssystematisch ausfüllungsbedürftige Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prinzipieller Freiheits- und Gleichheitsschutz in wechselseitiger Ergänzung . 1. Vom Gegensatz zur Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
250 252 259 259 262 262 264 269 272 272 275 279 279 280 280 286 286 287 289 289 290 292 292 294 294
12
Inhaltsverzeichnis 2. Keine faktische, sondern rechtliche Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wechselseitige Ergänzung von grundrechtlich gewährleisteter Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausgewählte Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfassender prinzipiell gewährleisteter Besteuerungsschutz: Die Prinzipien der Steuergerechtigkeit, der Lastengleichheit und der freiheitsschonenden Besteuerung (Zusammenspiel aus Art.2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Chancengleichheit als Substrat der „verbundenen Idealkonkurrenz“ zwischen dem Gleichheitssatz, der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§5
Sonstige wirtschaftsverfassungsrechtliche Determinanten des GG im systematischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rechtsstaatsprinzip im „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung . . . . 1. „Rechtsstaatlichkeit“ als selbstständiges, verallgemeinertes Prinzip mit eigenständigem Normgehalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstituierende Bestandteile des Prinzips „Rechtsstaat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überwölbende Zielsetzung in Anlehnung an das Postulat der Rechtsidee: Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übermaßverbot, Prognosespielraum und Gebot zur (systemexternen) Abwägung und Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtssicherheit durch Rechtskontinuität, Bestimmtheit und Rechtsklarheit bzw. Widerspruchsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung: Formelle und materielle Prinzipien des Rechtsstaates als Ausdruck einer Sinngesamtheit im Bereich der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . II. Das Sozialprinzip im systematischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die freiheitsdienende und freiheitskonkurrierende Stellung des Sozialstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gemeinsame „soziale“ Verpflichtung von Staat und Gesellschaft als übergeordneter Wertungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Primat der privaten Sozialgestaltung als Ausfluss des freiheitlichen Sozialstaats bzw. sozialen Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis: Die primär sozialverantwortliche Gesellschaft und der „soziale Rechtsstaat“ bzw. „freiheitliche Sozialstaat“ als Ergebnis einer systematischen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen für die Konturierung des wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein prinzipielles Gebot zur ökonomischen Umgestaltung . . . . . . . . . . . . . b) Primäres Ziel der sozialen Verpflichtung: Wohlstandsmehrung durch freiheitsorientierte Wachstumsvorsorge und Stärkung privater Eigeninitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschaftspolitischer Interventionismus im Rahmen bzw. zur Wahrung wirtschaftlicher Freiheit – ökonomische Mindestgarantien . . . . . . . . . . . . . III. Umweltschutz als Prinzip im System der Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . .
296 296 298
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303 304 304 304 306
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Inhaltsverzeichnis 1. Anthropozentrische Wurzeln – Gemeinsame Umweltverantwortung von Staat und Gesellschaft – Primat der inviduellen bzw. gesellschaftlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gestaltungsanforderungen des Staatsprinzips „Umweltschutz“ aus Art.20 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Prinzip „Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 109 Abs. 2 GG) . . V. Kompetenznormen im Gefüge der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes §6
Gesamtergebnis: Formulierung der Leitprinzipien und Leitaussagen des Systems durch wertend-induktive Zusammenfassung der bislang gewonnenen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Harmonischer Interessensausgleich in der Wirtschaftsgesellschaft primär unter Zuhilfenahme grundrechtlicher Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dezentralisierung und pluralistische Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung als das beide Forderungen beinhaltende Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Korrektur der Neutralitätsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Gewährleistung der sozialen Marktwirtschaft als Substrat des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
339 341 342 346
349 350 353 355 359 360
5. Kapitel Auswirkungen des Systems §1
367
Systemaussagen mit Blick auf die europäische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 I. Komplementarität zwischen gemeinschaftsrechtlichen Zielvorgaben und denen des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 II. Konsequenz: Wirtschaftsverfassung des GG als „Motor“ auf dem Weg zur europäischen Integration (Integrationshebel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
§2
Prinzipielle Sinngesamtheiten als Anwendungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 I. Die noch offene Frage nach dem Prüfungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 II. Die Einzelgrundrechte als Prüfungsmaßstab und Standort für die Berücksichtigung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Systemzusammenhänge . . . . . . . . . . . . 374
Zusammenfassung/Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. F. Abs. Abt. AcP AfP AK-GG Anh. Anm. AöR Art. AT Aufl. AuR BAG BAGE BayLV BayVBl. BB Bd. BGB BGBl. BGH BGHZ BK z. GG bspw. BVerfG BVerfG/K BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. CDU d. h. DB DDR dems. ders.
anderer Ansicht am angegebenen Ort alte Fassung Absatz Abteilung Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Presserecht Alternativkommentar zum Grundgesetz Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Arbeit und Recht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Verfassung des Freistaates Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bonner Kommentar zum Grundgesetz beispielsweise Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht/Kammerentscheidung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Christlich Demokratische Union das heißt Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik demselben derselbe
Abkürzungsverzeichnis dess. dies. DJT DÖV DRZ DVBl. E EG EGMR EGV EMRK etc. EU EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EV
f. ff. FG Fn. FR FS gem. GewArch. GG ggf. Ghrsg. GS h. M. Hbb. HdWW herausg. HFR Hrsg. HStR HVerfR i. E. i. e. S. i. Ü. i.V. m. i. w. S.
15
desselben dieselbe Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung Europäische Gemeinschaft(en) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Kommission für Menschenrechte et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäischer Gerichtshof) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31.08.1990 folgende (Seite; Randnummer); für folgende (Seiten; Randnummern) Festgabe Fußnote Finanz-Rundschau Festschrift gemäß Gewerbearchiv Grundgesetz gegebenenfalls Gesamtherausgeber Gedächtnisschrift herrschende Meinung Halbband Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften herausgegeben Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Einzelnen im engeren Sinne im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne
16 insbes. JA JBl. Jh. Jhrg. JöR JR Jura JuS JZ Kap. Komm. LdWR m. E. m. w. N. Maunz/Dürig n. F. NJW NJW-RR NVwZ NVwZ-RR NW NWVBl. NZS o. Ä. OVG RabelsZ RdA ReaG RhPfVerfGH Rn. Rs. S. s. a. SaarlVerfGH SächsV Slg. sog. SPD st. Rspr. StuW StV
StWG u. a.
Abkürzungsverzeichnis insbesondere Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Jahrhundert Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kommentar Lexikon des Rechts der Wirtschaft meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Maunz, Theodor; Dürig, Günter u. a., Grundgesetz-Kommentar neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Sozialrecht oder Ähnliche(s) Oberverwaltungsgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Rheinland-Pfälzischer Verfassungsgerichtshof Randnummer Rechtssache Seite siehe auch Saarländischer Verfassungsgerichtshof Verfassung des Freistaates Sachsen Sammlung so genannt Sozialdemokratische Partei Deutschlands ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 08.06.1967 unter anderem
Abkürzungsverzeichnis u. U. u. v. VerwArch. VGH vgl. Vorbem. VSSR VVDStRL WM WRV z. z. B. ZfA ZHR ZK ZRP
2 Meyer
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unter Umständen und von Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wertpapier-Mitteilungen Verfassung des Deutschen Reichs v. 11.08.1919 (Weimarer Reichsverfassung) zum zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zentralkomitee Zeitschrift für Rechtspolitik
1. Kapitel
Ausgangspunkt, Ablauf und Ziel der Untersuchung § 1 Die innerstaatliche und europarechtliche Dimension der Wirtschaftsverfassung des GG Die Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes hat erkennbar an Interesse eingebüßt. Bewusst pointiert wird von einem „Evergreen“ der deutschen Staatsrechtslehre gesprochen. 1 Der Streit sei überholt, weil entschieden. 2 Die Thematik gebe nichts Neues her. Das Bundesverfassungsgericht habe aus überzeugenden Gründen die „wirtschaftspolitische Neutralität“ des Grundgesetzes betont. 3 Ohnehin würde heute das Gemeinschaftsrecht die entscheidenden Impulse in wirtschaftsverfassungsrechtlicher Hinsicht liefern. 4 Angesichts der zunehmenden Thematisierung wirtschaftlicher Materien auf europäischer Ebene und des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem (Verfassungs-)Recht der Mitgliedsstaaten sei die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes, so der vermittelte Eindruck, eine vernachlässigbare Größe. Diese Entwicklung ist nicht folgenlos geblieben: Die zunehmende Geringschätzung der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung hat zusammen mit einer „unheiligen“ Verquickung von ideologischen, wirtschaftspolitischen und juristischen Argumentationsfaktoren zu zahlreichen Wertungswidersprüchen sowie zu einem Verlust an wirtschaftlicher Freiheit geführt. 5 Eine Entwicklung, die ganz im Gegensatz zu den sonst verfolgten Bestrebungen des Bundesverfassungsgerichts zur Perfektionierung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes steht: Während z. B. im Bereich der Kommunikationsgrundrechte der Freiheitsschutz noch verstärkt wurde, scheint 1 Vgl. P. Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung, in: DVBl. 1999, S. 679 ff. (679). 2 Vgl. P.-C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 (446). 3 Vgl. statt vieler R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 72; vgl. auch 2. Kapitel § 2 V. 4 Vgl. hierzu kritisch U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 76. 5 Vgl. H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 36, m. w. N.
2*
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1. Kap.: Ausgangspunkt, Ablauf und Ziel der Untersuchung
aus dem Regelfall der „wirtschaftlichen Freiheit“ der Ausnahmefall geworden zu sein. 6 Die verfassungsgerichtliche Handhabung der Berufsfreiheit liefert ein Paradebeispiel für diesen Prozess. 7 Der freiheitliche Elan, mit dem das Bundesverfassungsgericht im „Apothekenurteil“ die Liberalisierung des Berufsmarktes eingeläutet hatte, ist in den Folgejahren aufgrund ideologisch motivierter Affekte gegen das so genannte „Grundrecht auf Kommerzialisierung“ einer zur Judikatur gewordenen „Angst vor der Freiheit“ gewichen. 8 Die so genannte Berufsbildlehre und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die weitgehend dem Gesetzgeber die Maßstäbe zur Überprüfung seines Handelns anheim stellt, zeugen hiervon. 9 Kurz gesagt: „Aus der kraftvollen Melodie der Freiheit ist ein Melodram der Resignation geworden.“ 10 Diese Einschätzung lässt sich mühelos auf andere Grundrechte, ja auf sämtliche verfassungsrechtliche Elemente übertragen, deren ursprünglicher Sinn in der Gewährleistung der Freiheitlichkeit des Wirtschaftens liegt. Was den unbefangenen Betrachter dabei besonders überrascht ist der Umstand, dass eine systematische Betrachtung der Sinnzusammenhänge zwischen den einzelnen Verfassungsbestimmungen nicht nur weitgehend außer Betracht bleibt, sondern sich die Verfassungsrechtslehre sogar noch darum bemüht, künstliche Brüche im Gesamtgefüge der Wirtschaftsverfassung zu erzeugen bzw. Antagonismen überzubetonen. Im Ergebnis werden allzu vereinfachte Formeln präsentiert: So soll Art. 12 GG den Erwerb, Art. 14 GG das Erworbene schützen. Die sozialen Elemente des Grundgesetzes sollen im strikten Gegensatz zur Rechtsstaatlichkeit oder zur grundgesetzlich gewährleisteten Freiheitlichkeit stehen. 11 Demgegenüber werden an anderer Stelle augenfällig bestehende Unterschiede zwischen den Freiheitsfeldern, beispielsweise zwischen der Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit, eingeebnet, was einer auf Transparenz ausgerichteten systematischen Betrachtung gleichermaßen widerspricht. Der freiheitsreduzierende Effekt, der aus einer Zerstückelung zusammenhängender Freiheitsfelder einerseits bzw. aus einer mangelhaften Differenzierung ihrer Unterschiede andererseits herrührt, wird verschärft durch die „Punktualität der juristischen Falllösung“ 12. Die Kumulation von Grundrechtseingriffen, die isoliert betrachtet jeweils verfassungsgemäß erscheinen, führen in der Summe zu einer schleiKritisch vor allem H. H. Rupp, in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 21 ff. Vgl. hierzu H. Sodan, Verfassungsrechtsprechung im Wandel – am Beispiel der Berufsfreiheit, in: NJW 2003, S. 257 ff. 8 O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (243 f.); F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2915). 9 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 4 und 4. Kapitel § 2 I. 5. d). 10 So schon im Jahre 1965 H. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: NJW 1965, S. 993 ff. (994). 11 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 3 II. 1 und 4. Kapitel § 5 II. 1. 12 F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S.2913 ff. (2916). 6 7
§ 1 Die innerstaatliche und europarechtliche Dimension
21
chenden Verengung des Freiheitsspielraums. Das Grundrecht als jeweils in Frage stehender Prüfungsmaßstab wird durch diese Handhabung „verstopft wie ein Wasserrohr durch schleichende Kalkablagerung“. 13 Die ihm zugrunde liegende Wertentscheidung und die zahlreichen Wertungszusammenhänge zwischen den Verfassungselementen geraten so aus dem Blick. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in der „Lüth-Entscheidung“ 14 festgestellt, dass „das Grundgesetz keine wertneutrale Ordnung sein will“, sondern in seinem Grundrechtsabschnitt eine „objektive Wertordnung aufgerichtet hat [...]“. Dieses Wertsystem, so das Bundesverfassungsgericht, „muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse“ 15. Auch wenn sich das Bundesverfassungsgericht in den maßgeblichen Folgeentscheidungen zum Teil einer unterschiedlichen Terminologie bediente, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es stets als Ziel „die Verallgemeinerung des Grundrechts über die Rechtsfolge des Abwehranspruchs hinaus“, d. h. eine Dimensionserweiterung verfolgte. 16 Der Rückgriff auf die Begriffe „Wertentscheidung“ oder „objektives Prinzip“ sollte verdeutlichen, dass die Grundrechte keine isolierten Größen, sondern Bestandteile einer Ordnung, eines Systems darstellen. Gerade was den Untersuchungsgegenstand „Wirtschaftsverfassung“ betrifft, so muss all diesen Einschätzungen zukünftig in erhöhtem Maße Rechnung getragen werden. So lässt der Verzicht auf eine ganzheitlich-systematische Betrachtung der Wirtschaftsverfassung das Potential weitgehend ungenutzt, das aus deren Doppelfunktion, d. h. aus deren Gestaltungswirkungen in rein innerstaatlicher wie in gemeinschaftsintegrativer Hinsicht herrührt. Adressaten der Wirtschaftsverfassung sind, von Ausnahmen abgesehen, die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland. Durch die grundgesetzlichen Vorgaben wird der nationale Wirtschaftsgesetzgeber primär im Rahmen seiner binnenstaatlichen Wirtschaftspolitik, die Wirtschaftsverwaltung in erster Linie im Hinblick auf die Bewältigung innerstaatlicher Aufgaben gefordert. Erst Mithilfe einer ganzheitlich-systematischen Betrachtung erscheint es möglich, staatliche Gestaltungsspielräume zu konturieren. Neben mikroökonomischen lassen sich dann gegebenenfalls auch makroökonomische Systemfunktionen ableiten. 17 Daneben entfaltet die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung auch eine wichtige Rolle im Rahmen der europäischen Integration, denn sie dirigiert das Handeln der Organe der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses. Für die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Einzelbestimmungen steht F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S.2913 ff. (2916). BVerfGE 7, 198 (205 f.). 15 BVerfGE 7, 198 (205 f.). 16 H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen, in: AöR 110 (1985), S. 363 (368). 17 Vgl. R. Scholz, Grenzen staatlicher Aktivität unter der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, in: Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S.113 ff. (124 ff.). 13 14
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1. Kap.: Ausgangspunkt, Ablauf und Ziel der Untersuchung
dies außer Frage. So fungierte beispielsweise Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab bei der Ersetzung der Deutschen Mark durch den Euro.18 Was die Wirtschaftsverfassung in Gänze betrifft, so wird dieser Umstand allerdings schlicht übersehen, wenn ihre Bedeutung unter Hinweis auf den gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrang pauschal und letztlich unzutreffend abgetan wird. U. Di Fabio appellierte jüngst dringlich, nicht den „modischen Sirenengesängen“ zu erliegen, wonach „die mitgliedsstaatliche Wirtschaftspolitik und ihre rechtliche Ausgestaltung [...] gänzlich einflusslos geworden“ seien. Er hält fest: Die „Mechanik des europäischen Staatenverbundes ist komplizierter, als es sich in den Denkhorizonten von Nullsummenspielen ausdrücken lässt. Die Mitgliedsstaaten betreiben weiter eine europäisch umrahmte eigene Wirtschaftspolitik und sie tragen gemeinsam die Konzeptverantwortung für die Fortentwicklung der europäischen Wirtschaftsordnung – in beiden Feldern bleiben die staatlichen Verfassungen von steuernder Bedeutung.“ 19 In der Tat stützen zentrale Normen des primären Gemeinschaftsrechts die These Di Fabios. So liefert die in Art. 6 Abs. 3 EUV erfolgte Festlegung, wonach die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedsstaaten achtet, „zuvörderst ein unüberbrückbares Indiz für den als notwendig erkannten Respekt vor identitätsstiftenden Elementen des nationalen Verfassungsrechts, welches der vielerorts geäußerten Befürchtung, infolge der europäischen Einigung verkämen die Verfassungen der Mitgliedsstaaten zu bloßen Teilordnungen des öffentlichen Lebens, entgegengehalten werden kann“. 20 Diese, zugegebenermaßen noch recht allgemein gehaltene Bezeugung des Respekts gegenüber den Mitgliedsstaaten findet einen spezifischeren Ausdruck im gemeinschaftsrechtlich verankerten Subsidiaritätsprinzip (vgl. Art. 5 Abs. 2 EGV) sowie in seiner Konkretisierung in den Art. 98 ff. EGV. Die Wirtschaftspolitik verbleibt hiernach in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten, die diese auf die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele auszurichten und die vom Rat empfohlenen wirtschaftspolitischen Grundzüge (Art.99 Abs. 2 EGV) zu beachten haben. 21 Ungeachtet der gemeinschaftsrechtlichen Bindungen obliegt die Gestaltung wichtiger wirtschaftsverfassungsrechtlicher Parameter den Mitgliedsstaaten. Das gilt beispielsweise für die Eigentumsordnungen (Art. 295 EGV). Die Rechtsordnung eines jeden Mitgliedsstaates entscheidet über „Voraussetzung und Modalitäten einer Politik der Privatisierung und Verstaatlichung“. 22 Art. 86 Abs. 2 i.V. m. Art. 16 EGV schafft darüber hinaus Raum für nationale sozialstaatlich motivierte Gestaltungsmodelle, wie zum Beispiel die Möglichkeit zur Vorhaltung eines öffentlichen Wirtschaftssektors im Bereich der Daseinsvorsorge. 23
18 Vgl. hierzu BVerfG, EuZW 1998, 279 ff. (283); vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 7. a) und 4. Kapitel § 2 II. 7. b). 19 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 76. 20 P. Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung, in: DVBl. 1999, S. 679 ff. (682). 21 Vgl. T. Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 933. 22 R. Geiger, EUV/EGV-Kommentar, 2000, Art. 295 EGV Rn. 1. 23 Vgl. Ch. Jung, in: C. Calliess/M. Ruffert, EU-Komm., 2002, Art. 16 EGV Rn. 1 a.
§ 2 Verlauf und Zielsetzung
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Die Wirtschaftsverfassungen der Mitgliedsstaaten liefern nach alledem einen maßgeblichen Beitrag zum Integrationserfolg. Für die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer bedeutsamen Stellung im europäischen Gefüge stellt sich im Besonderen die Frage, ob die grundgesetzlichen Vorgaben den gemeinschaftsrechtlichen Erwartungen genügen, zumal Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die deutsche Mitwirkung zur Verwirklichung des vereinten Europas als rechtsverbindliches Staatsziel ausdrücklich festschreibt. Die Problematik entfaltet besondere Brisanz mit Blick auf die gegenwärtig stattfindenden europäischen Verfassungsberatungen. Insbesondere in diesem Kontext gilt es zu klären: Fungiert die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes als „Motor“ oder als „Bremse“ der europäischen Integration? 24
§ 2 Verlauf und Zielsetzung Die hier erfolgende Untersuchung möchte die geschilderte Problematik aufgreifen und die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes einer eingehenden Analyse unterziehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Überlegung, ob von einem System der Wirtschaftsverfassung gesprochen werden kann und, den bejahenden Fall angenommen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Aus Gründen des Verständnisses gilt es in einem ersten Schritt, die historischen Zusammenhänge zu beleuchten. 25 Anschließend sind die methodischen Prämissen der geplanten Systembetrachtung zu entwickeln und die damit zusammenhängenden Einwände zu entkräften. 26 Hier stellen sich insbesondere die Fragen nach den Anforderungen an den verwendeten Systembegriff, nach der Art der Systembestandteile und nach der Vorgehensweise bei der Konstruktion bzw. Freilegung des Systems. Es folgt der Schwerpunkt der Untersuchung, namentlich der Prozess der Prinzipien- bzw. Systemfreilegung. 27 Zunächst konzentriert sich dabei die Betrachtung auf die Wirtschaftsgrundrechte, insbesondere auf die Berufs- und Eigentumsfreiheit. Dabei geht es darum, sowohl im Wege einer Einzelbetrachtung, als auch mittels einer Untersuchung der wechselseitigen (Sinn-)Zusammenhänge die (systematische) Stellung der Grundrechte als Elemente eines möglichen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems und die daraus resultierenden Anforderungen an die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung zu ermitteln. Freilich geschieht dies nicht, ohne zuvor die allgemeinen Parameter der Grundrechtsinterpretation im Systemzusammenhang intensiver zu beleuchten. Es folgt eine systematische Analyse weiterer wirtschaftsverfassungsrechtlicher Determinanten u. a. des Rechtsstaats- und des Sozialprinzips. Der Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung schließt mit der Ermittlung der Leitaussagen der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung.
24 25 26 27
Vgl. 5. Kapitel § 1 II. Vgl. 2. Kapitel (S. 25 ff.). Vgl. 3. Kapitel (S. 55 ff.). Vgl. 4. Kapitel (S. 113 ff.).
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1. Kap.: Ausgangspunkt, Ablauf und Ziel der Untersuchung
Zum Abschluss der Untersuchung sind die Auswirkungen einer systematischen Betrachtung der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung zusammenfassen. 28 Die Betrachtung konzentriert sich dabei auf die Bedeutung eines möglichen Systems im Hinblick auf die europäische Integration sowie auf die systembedingten Anforderungen an die Interpretation des Grundgesetzes.
28
Vgl. 5. Kapitel (S. 367 ff.).
2. Kapitel
Historische Entwicklung des Streitstandes zur Wirtschaftsverfassung Eine rechtshistorische Analyse des Streitstandes zur Wirtschaftsverfassung setzt zunächst eine Unterscheidung der zwei verschiedenen Streitebenen voraus. Dabei ist zum einen die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wirtschaftsverfassung zu führen. Zum anderen ist die Klärung der Frage nach dem „Ob“ und „Wie“ wirtschaftsverfassungsrechtlicher Aussagen des Grundgesetzes notwendig.29
§ 1 Begriff der Wirtschaftsverfassung Die terminologische Fixierung der „Wirtschaftsverfassung“ sieht sich aufgrund der parallelen Begriffsverwendung in unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt. So kann die Begriffseinordnung in einem wirtschaftswissenschaftlich-soziologischen Sinne erfolgen.30 Der Terminus „Wirtschaftsverfassung“ findet hierbei Verwendung im Rahmen einer rein deskriptiven, d. h. zustandsbeschreibenden Betrachtungsweise. Er schildert insofern eine „konkrete Wirtschaft“ eines räumlich umgrenzten Analysebereichs und dient dazu, die Basis für einen wirtschaftsraumübergreifenden Vergleich zu schaffen. 31 Zum anderen kann auf den Begriff der Wirtschaftsverfassung in einem idealtypischen Sinne, d. h. zur Charakterisierung eines für „richtig gehaltenen Wirtschaftssystems“ zurückgegriffen werden. 32 Was den historischen Kontext betrifft, so hat der Begriff „Wirtschaftsverfassung“ über die Interpretation des Teilbegriffs „(Staats-)Verfassung“ Eingang in den juristischen Sprachgebrauch gefunden. Möglich erschien insofern sowohl die Deutung als politisch-sozialer „Gesamtzustand und Wirkungszusammenhang des realen Daseins“, als auch die Einordnung von „Verfassung“ als „institutionelles und funktionelles Gefüge von Einrichtungen und Normen der Rechtsordnung“.33 29 Anders indes F. Rittner (ders., Wirtschaftsrecht, 1987, § 2 Rn. 6), der eine dreifache Abschichtung vornehmen möchte. 30 Vgl. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, § 2 Rn. 1 m. w. N. 31 Vgl. H. H. Rupp, in: HdWW, Bd. IX, 1982, S. 141 ff. (141). 32 P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, in: JuS 1976, S.203 ff. (207). 33 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 1953, S. 20.
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2. Kap.: Historische Entwicklung
Trotz der von den Wirtschaftswissenschaften entwickelten Seins-Gesetzlichkeit idealtypischer ökonomischer Modelle konnte allerdings nur die letztgenannte Begriffeinordnung den Rechtswissenschaften zugeordnet werden. Denn mit „der normativen Gesetzlichkeit, die den juristischen Begriff der Wirtschaftsverfassung kennzeichnet“, so stellte E. R. Huber fest, habe „die ökonomische Gesetzlichkeit, die für die idealtypischen Modelle in Anspruch genommen wird, nichts zu tun“. Diese hätten „Anspruch auf normative Verfassungsgeltung nur, soweit die verfassunggebende Gewalt sie bewußt und gewollt in die rechtliche Grundordnung eingefügt [...] hat.“ 34 Einen derartigen Transformationsprozess, d. h. die Implementierung wirtschaftspolitischen Modelldenkens in die verfassungsrechtliche Ordnung hatten namhafte Vertreter der neoliberalen Schule nachzuweisen versucht. 35, 36 Die Prämisse der Betrachtung von F. Böhm und W. Eucken bildete der dezisionistische Verfassungsbegriff C. Schmitts’, wonach das Wesen einer Verfassung im positiven Sinne nicht den Bestandteil eines Gesetzes oder einer Norm bilde, sondern eine Verfassung vielmehr als „Gesamt-Entscheidung über Art und Form der politischen Einheit“ zu begreifen sei. 37 Hieran anknüpfend formulierte zunächst Böhm in den dreißiger Jahren den Begriff der Wirtschaftsverfassung als die „‚Gesamtentscheidung‘ über Art und Form des wirtschaftlich-sozialen Kooperationsprozesses“. 38 Ähnlich verstand Eucken später die Wirtschaftsverfassung als „Gesamtentscheidung über die Ordnungen des Wirtschaftslebens eines Gemeinwesens“. 39 Trotz ihrer inhaltlichen Übereinstimmung, wonach nur zwei „reine“ idealtypische Wirtschaftssysteme („Zentralverwaltungswirtschaft“ oder „Verkehrswirtschaft“) die nationalökonomische Systembasis bilden können und trotz ihres gemeinsamen, dezisionistischen Verfassungsverständnis kamen Böhm und Eucken zu unterschiedlichen Ergebnissen. So traf Eucken die Feststellung, dass die favorisierte, wirtschaftsverfassungsgestaltende Gesamtentscheidung lediglich als „EntwederOder-Entscheidung“ zugunsten eines „reinen“ Ordnungsmodells, entweder zugunsten der „Verkehrswirtschaft“ oder der „Zentralverwaltungswirtschaft“, erfolgen
E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I, 1953, S. 22 f. Vgl. K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1 ff. (7); Han, Soo Woong, Merkmale der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft in Deutschland und Korea, 1993, S. 3 f. 36 N. Reich (ders., in: Markt und Recht, 1977, S. 84) geht hingegen davon aus, dass die von Böhm geforderte Entscheidung für eine Wirtschaftsordnung lediglich im Range eines verfassungspolitischen Postulat verbleibt und Böhm es vermeiden würde die geforderte Entscheidung formell als Verfassungsrecht zu bezeichnen. 37 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1965 (1928), S. 20 ff. 38 F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933, S. 107 (vgl. auch S. 107, 128, 145, 175, 318, 323 und 337 ff.); vgl. ders., Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 85 ff. (89). 39 W. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1950, S. 52. 34 35
§ 1 Begriff der Wirtschaftsverfassung
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kann. Böhm erkannte demgegenüber eine Gesamtentscheidung ausschließlich zugunsten einer Marktwirtschaft. 40 Die Konzeption von Böhm und Eucken sah sich einer erheblichen Kritik ausgesetzt. Zum einen wurde die Richtigkeit des dezisionistischen Verfassungsverständnisses generell bezweifelt. Die Entscheidung, so Huber, sei „nicht Wesen, sondern die Grundlage der Verfassung“. 41 Nur „das in Verfassungsgesetzen oder einer Verfassungsurkunde durch rechtlich verbindliche Grundnormen geordnete Gefüge der Güter, Kräfte und Verrichtungen“ könne unter den juristischen Begriff der Wirtschaftsverfassung subsumiert werden. 42 Außerdem, so Huber, bestünde die Möglichkeit, dass das dezisionistische Entscheidungsmodell „leicht im Sinne einer kompromißfeindlichen Dezision verstanden“ würde. 43 Überhaupt, so der Vorwurf von U. Scheuner, würde die Annahme, dass jede politische Verfassung eine wirtschaftliche Dezision treffe, nicht der Realität entsprechen. 44 H. Ehmke ergänzte die Kritik mit dem grundsätzlichen Hinweis, dass die Übernahme des dezionistischen Verfassungsbegriffs durch die neoliberale Schule „schief war und das ‚Verwirklichungsproblem‘ gar nicht löste“. 45 Die von C. Schmitt geprägte Vorstellung wonach das „Subjekt“ der Dezision namentlich das Volk als Träger der verfassungsgebenden Gewalt diese überhaupt erst durch eine grundlegende politische Entscheidung formt und ihr somit gedanklich vorgelagert sei, dürfe auf den Problemkreis „Wirtschaft“ nicht übertragen werden. 46 Die Wirtschaft, so Ehmke, könne nicht als „verfassungsgebendes Subjekt“ gedacht werden, solange man an der „Rechtseinheit des politischen Gemeinwesens [...] festhält“. 47 Dabei legte Ehmke seinen Ausführungen erkennbar die Vorstellung einer Divergenz von Wirtschaftsund Staatsverfassung zugrunde und unterstellte diese Dichotomie auch den Vertretern der neoliberalen Schule, namentlich Eucken. K. Ballerstedt traf mit seiner Kritik schließlich den Kern, als er feststellte, dass der von Böhm und Eucken verwendete Verfassungsbegriff zwar in einem „durchaus rechtlichen Sinne gemeint“ war, dennoch gerade bei Böhm nicht immer klar geworden sei, wie weit er die Wirtschaftsverfassung „als etwas rechtlich bereits Gegebenes oder als etwas Seinsollendes ansieht“. 48 Ballerstedt versuchte, der Diskussion eine Wendung zu verleihen, indem er den Begriff der Wirtschaftsverfassung von 40 Vgl. K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1 ff. (7 f.). 41 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I, 1953, S. 24. 42 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I, 1953, S. 23. 43 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I, 1953, S. 24 f. 44 U. Scheuner, Einführung, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 24. 45 H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 9. 46 Vgl. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 10. 47 H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 10. 48 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1 ff. (7).
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2. Kap.: Historische Entwicklung
dem der Staatsverfassung zu lösen versuchte. Er verstand dabei die Wirtschaftsverfassung als eine „Grundordnung der innerhalb eines staatlichen oder überstaatlichen Gemeinwesens bestehenden, durch die Teilhabe an der gesellschaftlichen Bedarfsdeckung begründeten, durch den Markt vermittelten Wirtschaftsgemeinschaft“ im Sinne einer „Kräfteordnung“ bzw. einer „rechtlichen Ordnung“. 49 Diese sei normativ nicht im Staatsverfassungsrecht verankert, sondern stünde selbstständig neben diesem. Beide Elemente begriff Ballerstedt als integrale Bestandteile eines „größeren Ganzen“ einer so genannten „Sozialverfassung“. 50 Der Ansatz von Ballerstedt hat im Schrifttum mehr Kritik als Lob geerntet. Zwar sah insbesondere F. Rittner hierin ein „besonders einleuchtend“ begründetes Programm für ein „modernes Wirtschaftsrecht“. 51 Zugleich empfand er die Zergliederung in „Sozialgemeinschaften“ und „Wirtschaftsgemeinschaften“ als gezwungen und problematisch. 52 Ehmke erkannte in Ballerstedts Differenzierung zwischen dem Träger hoheitlicher Gewalt (Staat als politischer Verband) einerseits und dem zu einer Ganzheit verfassten Gemeinwesen andererseits gar eine Neuumschreibung des von ihm überwunden geglaubten Dualismus von „Staat“ und „Gesellschaft“. 53 In eben dieser Vorstellung, einer Trennung von „Staat“ und „Gesellschaft“ 54, so Ehmke, würden der gemeinsame Nenner und die fehlerhafte Prämisse der „wirtschaftsverfassungsrechtlichen“ Debatte liegen. Das „Fehlen einer vom politischen Gemeinwesen her denkenden Verfassungstheorie“ sei die entscheidende Ursache für den Fehllauf der Begrifflichkeit und die nach seiner Auffassung einseitige, gesellschaftsbezogene Interpretation von Fragen im Hinblick auf Wirtschaft und Verfassung. 55 Scheuner pflichtete ihm bei und forderte in seiner „Trennungskritik“ stattdessen, „den Blick auf die in der Gesamtordnung der Verfassung enthaltenen Aussagen zu wirtschaftlichen Fragen zu richten“. Zwar könne insofern von einer verfassungsrechtlichen „Ordnung der Wirtschaft“ gesprochen werden, als sich „einzelne Bereiche gesondert herausheben“ lassen. Ein derartiger Ausschnitt dürfe dann aber nicht „als eine zweite Verfassung dem Ganzen der Staatsverfassung gegenübergestellt werden“. 56 Ehmkes und Scheuners Kritik, die schließlich in der Forderung nach einem „Abschied“ vom (juristischen) Begriff der Wirtschaftsverfassung mündete, konnte sich indes ebenso wenig durchsetzen wie der von ihnen heftig kritisierte Ansatz Baller49 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1 ff. (S. 9 f. 23 f.). 50 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1 ff. (6). 51 F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, § 2 Rn. 10. 52 Vgl. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, § 2 Rn. 11. 53 Vgl. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 36 ff. 54 Zu einer eingehenden Analyse der Problematik vgl. bspw. H. H. Rupp, in: HStR, Bd. I, 1987, § 28, S. 1187 ff. 55 H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 55. 56 U. Scheuner, Einführung, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 23 f.
§ 1 Begriff der Wirtschaftsverfassung
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stedts. 57 Vielmehr gelangte die überwiegende Auffassung zu der Einsicht, zwischen der Wirtschaftsverfassung im engeren und der im weiteren Sinne zu unterscheiden. 58 Danach seien unter der erstgenannten Begriffskategorie die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens zu verstehen. Die Wirtschaftsverfassung i. w. S. soll hingegen die Gesamtheit aller Rechtssätze darstellen, die ohne Rücksicht auf ihren Rang die Organisation und den Ablauf des wirtschaftlichen Prozesses grundlegend und dauernd bestimmen. 59 Zwar kann Scheuner im Hinblick auf die zuletzt genannte Definition insofern nicht beigepflichtet werden, als er hierin den Versuch erkennt, der Staatsverfassung einen eigenständigen Normenkomplex gegenüberzustellen. 60 Denn vielmehr umfasst auch die Definition der Wirtschaftsverfassung i. w. S. die Normen der Staatsverfassung als integrale Bestandteile, bewahrt deren exponierte, normenhierarchische Stellung und erkennt im einfachen Gesetzesrecht die Konkretisierung des (Wirtschafts-)Verfassungsrechts i. e. S. Letztlich ist Scheuner aber im Nachhinein insofern zuzustimmen, als er in dieser Begriffsdefinition „rechtliche Unklarheiten“ verborgen sah. H. Zacher brachte diese auf den Punkt und erkannte zutreffend in dem Begriffselement „grundlegend“ den entscheidenden Schwachpunkt des Definitionsansatzes. Denn was unter „grundlegend“ zu verstehen sei, bestimme sich nach dieser Definition vom Lebensbereich der Wirtschaft her. Rein ökonomische Wertungen, so Zacher, würden dann „unter dem Titel der ‚Verfassung‘ [...] nicht nur an das Recht heran-, sondern in das Recht hineingetragen“.61 Der Begriff der Verfassung würde durch den damit verbundenen Verwässerungseffekt, zumindest aus juristischer Sicht, eine Entwertung erfahren. Die hier unternommene Untersuchung trägt dieser Kritik Rechnung. Im Folgenden soll deshalb unter „Wirtschaftsverfassung“ nur die Summe der „verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens“ verstanden werden.
57 Vgl. P.-C. Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 251. 58 Vgl. P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, 3. Kap. Rn. 18; ders., Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, in: JuS 1976, S. 205 ff. (206 ff.); G. Rinck/E. Schwark, Wirtschaftsrecht, 1986, Rn. 49; I. v. Münch, Staatsrecht, Bd. II, 2002, Rn. 633. 59 Vgl. P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, 3. Kap. Rn. 18; vgl. auch W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, 1983 S. 24; U. Everling, in: FS für E.-J. Mestmäcker, 1996, S. 365 ff. (366); H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S.9; H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 99; U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 17 ff. 60 Vgl. Fn. 56. 61 H. F. Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: FS für F. Böhm, 1965, S. 63 ff. (78).
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2. Kap.: Historische Entwicklung
§ 2 Die unterschiedlichen Standpunkte zu den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Aussagen des Grundgesetzes I. Die These von der „verfassungsrechtlichen Nichtentscheidung“ Der Verzicht auf eine ausdrückliche Normierung wirtschaftsordnender Vorschriften in einem selbstständigen Verfassungsabschnitt des Bonner Grundgesetzes – im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung 62 – lieferte H. Krüger den Ausgangspunkt für seine These von der so genannten „verfassungsrechtlichen Nichtentscheidung“, wobei eine chronologische Analyse seiner Beiträge deutliche Widersprüche und eine teilweise Relativierung seines ursprünglichen Standpunktes erkennen lässt. 63 In den ersten Beiträgen 64 zur Begründung seiner These setzte sich Krüger zunächst mit dem dezisionistischen Verfassungsverständnis der Neoliberalisten auseinander, wonach die Entscheidung für eine politische (Staats-)verfassung zugleich auch eine wirtschaftliche Verfassungsentscheidung beinhalte. Dabei stellte er die Frage nach der Vereinbarkeit des dezisionistischen Begründungsansatzes mit dem Wesen der Demokratie. Als Prämisse seiner Betrachtung legte Krüger, in Anknüpfung an G. Radbruch, ein relativistisches Demokratieverständnis zugrunde: Die Demokratie, so zitierte er Radbruch, lehne es ab „sich mit einer bestimmten politischen Auffassung zu identifizieren“. Sie sei vielmehr bereit, „jeder politischen Auffassung, die sich die Mehrheit verschaffen konnte, die Führung im Staate zu überlassen, weil sie ein eindeutiges Kriterium für die Richtigkeit politischer Anschauungen nicht kennt“. 65 Krüger übertrug diese relativistische Erkenntnisessenz auf die Wirtschaftspolitik und folgerte, dass es „keine absolut richtige politische oder ökonomische Auffassung“ gäbe und somit jeder Auffassung die Möglichkeit zur Verwirklichung eingeräumt werden müsse. 66, 67 62 Vgl. hierzu den Abschnitt in der WRV über „Das Wirtschaftleben“ in Art. 151–165 WRV; vgl. hierzu auch G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Kommentar, 1933, Vorbem. Vor Art. 151. 63 Vgl. H. Krüger, Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, 1950, S. 5 ff.; ders., Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S.361 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsstaat, in: BB 1953, S. 565 ff. 64 Vgl. H. Krüger, Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, 1950, S. 5 ff.; ders., Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. 65 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 1973, S. 82; vgl. auch H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (361). 66 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (362). 67 Die diesem relativistischen Verständnis innewohnende Paradoxie, wonach auch denjenigen politischen oder ökonomischen Auffassungen Geltungs- und Entfaltungsschutz zugebilligt werden müsste, die in einer totalitaristischen Wesensentfaltung anderen Auffassungen gegen-
§ 2 Die unterschiedlichen Standpunkte
31
Dass sich Krüger mit seinem relativistischen Demokratieverständnis weit von der Verfassungswirklichkeit entfernte, war ihm offenbar selbst bewusst. So musste er eingestehen, dass auch der demokratische Staat unter dem Grundgesetz „gewisse unverrückbare, dauerhafte sachliche Grundlagen und Werte“ verkörpert. 68 Jedoch müsse differenziert werden: Die Bundesrepublik Deutschland würde „zwar hinsichtlich der politischen Grundwerte den neuen Typus der absoluten Demokratie“ bilden, „hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Ideale“ verbliebe sie, so Krüger, indes „auf dem Standpunkt der relativistischen Demokratie“. Dieses Ergebnis folge aus dem Fehlen von expliziten, aber auch impliziten Regelungen im Grundgesetz. 69 Seine Untersuchung gipfelte schließlich in der Behauptung, dass die so genannte „Nicht-Entscheidung als Verfassungszustand auf dem Gebiet der Wirtschaft“ anzusehen sei. 70 Das Grundgesetz würde es der Wirtschaftspolitik generell verwehren, sich als Mittel zur Verwirklichung einer Wirtschaftsdoktrin zu begreifen. Letztlich müsse es darum gehen, die wirtschaftspolitische Bewegungsfreiheit des Staates im Hinblick auf die Wirtschaftsgestaltung vor nationalökonomischen Doktrinen und deren innewohnenden Restriktionen zu bewahren. 71 Wirtschaftspolitik dürfe keinesfalls als „Verwirklichung eines wirtschaftstheoretischen Systems“ verstanden werden, sondern müsse vielmehr wertneutral dem staatlichen Selbstzweck und der Gemeinwohlförderung dienen. 72 H. Krügers These von der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Nichtentscheidung hat überwiegend und zu Recht Ablehnung erfahren. 73 Dabei wurden sowohl die Krüger’sche Argumentation bei der Begründung seines Standpunktes als auch die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen mit herber Kritik bedacht. Bereits der Rückgriff Krügers auf die Entstehungsgeschichte zum Bonner Grundgesetz erschien in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. So stützte er sich dabei auf H. v. Mangoldt, einen der Gründungsväter des Bonner Grundgesetzes, der nach der Einschätzung Krügers zum Ausdruck brachte, dass man im Rahmen der Verfassungsgebung „mit Rücksicht auf die gegenwärtige Ungewißheit der künftigen wirtüber repressiv wirken, erkennt Krüger jedoch und formuliert in Anknüpfung an W. Grewe relativismusimmanente Grenzen (vgl. H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (362)). 68 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (362). 69 Vgl. Fn. 82. 70 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (363). 71 Vgl. H. Krüger, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsstaat, in: BB 1953, S. 565. 72 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (363). 73 Vgl. bspw. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 43 ff.; A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 4; P.-C. Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S.252 m.w. N.; kritisch jüngst U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 76; Zustimmung indes bei A. Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, 1953, S. 31 f.
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2. Kap.: Historische Entwicklung
schaftlichen Entwicklungen zunächst bewußt darauf verzichtet“ habe, eine Wirtschaftsverfassung ausdrücklich zu verankern. 74 In der Tat kann das historische Faktum, dass der Verfassungsgeber sich einer Festlegung auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem bewusst enthielt, nicht ernsthaft bestritten werden. 75 So fanden die Verfassungsberatungen zum Bonner Grundgesetz bei einer annähernd gleichen Fraktionsstärke von CDU/CSU und SPD im Parlamentarischen Rat statt. Die Beschlussfassung erforderte somit einen breiten Konsens. Daneben verstärkte politisches Kalkül die Kompromissbereitschaft der Fraktionen. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl verfolgte vor allem die SPD das Ziel, durch schnellstmögliche Schaffung einer „provisorischen Verfassung“ mit möglichst geringen Reibungspunkten den Weg für eine künftige Ausgestaltung der Sozialordnung „offen“ zu halten. Die CDU hoffte auf „Rückenwind“ für ihre wirtschaftspolitische Konzeption durch einen saisonal bedingten Anstieg der Beschäftigungszahlen und damit verbunden auf Zustimmung im Wirtschaftsrat. 76 Obwohl demnach das von Krüger angeführte Zitat insoweit auch den Tatsachen entspricht, kann seiner Argumentation dennoch nicht zugestimmt werden. Zum einen dehnt er den von v. Mangoldt erklärten „bewußten Verzicht“ auf die ausdrückliche Normierung sozial- und kulturrelevanter Normen in einem eigenständigen Abschnitt des Bonner Grundgesetzes dahingehend aus, dass er hierin einen Verzicht des Verfassungsgebers auf die Verankerung einer Wirtschaftsverfassung schlechthin erblickt. Derart extensiv hat sich v. Mangoldt in dem von Krüger aufgegriffenen Zitat jedoch nicht ausgedrückt. Vielmehr bezieht sich dieser in seiner Formulierung ausdrücklich auf die „kulturelle und soziale Lebensordnung“.77 Der Begriff der Wirtschaftsverfassung taucht dort nicht auf und erweist sich als von Krüger beigefügt. Hätte Krüger seinen Betrachtungen hingegen das v. Mangold’sche Zitat in seiner vollen Authentizität zugrunde gelegt, so hätte er, seiner Argumentation konsequent folgend, zu einer verfassungsrechtlichen „Nicht-Entscheidung“ im Hinblick auf eine staatliche Kultur- und Sozialpolitik und damit zu einem Verbot derselben kommen müssen. Ein, insbesondere im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG), geradezu groteskes Ergebnis. Ungeachtet dieser fehlerhaften Prämisse erscheint Krügers Argumentation auch methodisch bedenklich, wenn er entstehungsgeschichtliche Faktoren in den Vordergrund der Betrachtung rückt und im Rahmen seiner Analyse von einer Exegese des Grundgesetzes weitgehend absieht. Verstehen lässt sich Krügers Vorgehensweise nur anhand der von ihm vertretenen Theorie der Nichtidentifikation des Staates mit
74 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (363) unter Verweis auf H. v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, S. 35, 94. 75 Vgl. M. Kriele, Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, in: ZRP 1974, S. 105 ff.; R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 72 f. 76 Vgl. H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Statuts quo, 1970 S.50 f. 77 H. v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, S. 35, 94.
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bestimmten Werten, die letztlich auch sein relativistisches Demokratieverständnis prägt. „Jedes Abheben auf einen Faktor innerer Homogenität“, so Krüger, „bedeutet nicht nur geistige Beschränkung, sondern auch umfängliche Schmälerung des politischen Gesamtlebens“ und letztlich auch eine Eingrenzung der Freiheit des Bürgers. 78 Der moderne Staat, so das Krüger’sche Postulat, müsse seinen Bürgern, unter „Preisgabe aller Identifikationen“, „völlig indifferent“ gegenüberstehen. 79 Auf die wirtschaftsverfassungsrechtliche Problematik übertragen, bedeutet Krügers These von der Nicht-Entscheidung letztlich eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Variante seiner Nichtidentifikationstheorie. 80 Ein wie auch immer geartetes Werteverständnis bleibt dabei außen vor. Aus dieser Sicht heraus erscheint dann auch das folgende Zwischenergebnis Krügers nicht überraschend: Bereits eine „flüchtige Durchsicht des Grundrechtsteiles des GG“, so Krüger, stelle außer Zweifel, „daß es eine Wirtschaftsverfassung nicht gesetzt hat“. 81 Für die im Anschluss folgende, von ihm als „implizite“ Prüfung bezeichnete Vorgehensweise, spielen die Grundrechte dann für Krüger auch keine Rolle mehr. Für ihn stand bereits von Anbeginn fest: „Wenn sich das GG nicht explizite auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem festgelegt hat, dann konnte eine derartige Festlegung auch schwerlich implizite erfolgt sein.“ 82 Diese Schlussfolgerung bildete dann auch einen gewichtigen Ansatzpunkt für die vorgebrachte Kritik. So konnte dem Verfassungsgeber schlechterdings nicht unterstellt werden, dass er mit seinem „Verzicht“ hätte bezwecken wollen, wirtschaftliche Sachverhalte von der Grundrechtsprüfung freizustellen. 83 Der Versuch Krügers, das Fehlen einer impliziten Verankerung der Wirschaftsverfassung im Grundgesetz nachzuweisen, so stellte Ehmke fest, lasse die „tiefer und komplizierter liegenden Fragen der Bedeutung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung“ außen vor. 84 Diesen allzu vorsichtig formulierten Vorwurf gilt es weiter zu verschärfen. Er müsste lauten: Krügers Schlussfolgerungen einer „ideologischen Neutralität“ 85 stehen im Widerspruch zu staatlichen Handlungspflichten zum Schutze grundrechtlicher Freiheiten und zur sozialstaatlichen Verpflichtung. 86 Zudem sind sie mit einer grundlegenden argumentativen Schwäche behaftet. Krüger, so der treffende Vorwurf, würde mit seinem Begriff der „negativen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 178 ff. (180, 184). H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 178 ff. (179). 80 Vgl. H. P. Christen, Die Wirtschaftsverfassung des Interventionismus, 1970, S. 208. 81 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (363) m. w. N. 82 H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl. 1951, S. 361 ff. (366). 83 Vgl. R. Zuck, Wirschaftsverfassung und Stabilitätsgesetz, 1975, S. 30 ff. 84 H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 44. 85 Vgl. zu dieser Formulierung P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 228 (Fn. 274). 86 So schon E. Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966, S. 161 f. 78 79
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Entscheidung“, wenn auch unter anderen Vorzeichen, auf das gleiche dezisionistische Instrumentarium zurückgreifen, das auch die von ihm gescholtenen Neoliberalisten zur „positiven“ Begründung einer Wirtschaftsverfassung rekrutieren und sich gleichermaßen wie diese den Nachweis seiner These anhand des Verfassungsgesetzes ersparen. 87 Letztlich sei die Krüger’sche These die „wirtschaftspolitische Version des guten alten Wunschtraums von der ‚unpolitischen Politik‘“ und klinge, so Ehmke, „im Munde eines Staatsrechtslehrers, dessen Denken stets ein politisches und geschichtliches Denken“ gewesen sei, „überraschend“. 88 Die geäußerte Kritik überzeugte, zumindest im Ergebnis, dann auch Krüger. In der Folgezeit hielt er nur noch eingeschränkt an seiner These von der verfassungsrechtlichen „Nicht-Entscheidung“ fest. 89 So billigte er dem Staat im Rahmen der Fortentwicklung seiner Nichtidentifikationsthese ein zumindest opportunistisches Verhältnis gegenüber nationalökonomischen Doktrinen zu und erkannte insbesondere die von E. R. Huber entwickelte Theorie von der „gemischten Wirtschaftsverfassung“ als „konstitutionell legitim“ an. 90 Den Grundrechten billigte er nunmehr zumindest eine mittelbare Wirkung im Bereich der Wirtschaft zu. Diese Wirkung würde sich jedoch im Wesentlichen in der Bedeutung „für die Staatshervorbringung im Raume der Wirtschaft“ erschöpfen. 91 In dieser Funktion der Staatshervorbringung erkannte Krüger zweierlei: zum einen die Verpflichtung des Bürgers, im gesellschaftlichen Bereich von seinen Grundrechten Gebrauch zu machen; zum anderen ein zumindest für den öffentlichen Bereich geltendes Gebot, die Freiheit der Entfaltung seiner Persönlichkeit zur Bildung zum Staatsbürger zu nutzen. 92 Beim „Eigentum von öffentlicher Bedeutung“ sieht er dieses „Bildungsgebot“ in einer so genannten „ursprünglichen Gemeinpflichtigkeit“. 93 Seinen Standpunkt von der Trennung zwischen Wirtschafts- und politischer Staatsverfassung versuchte Krüger hingegen zu verfestigen. 94 So sah er in dem Institut der Wirtschaftsverfassung etwas „von anderer Art und von geringerem Rang als die Politische Verfassung“. 95 Gleich darauf erkannte er dann jedoch die Wirtschaftsverfassung als der politischen Verfassung inhärent und sah sie als durch den Gesetzgeber und die Wirtschaftssubjekte Vgl. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 44. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 44. 89 Vgl. H. Krüger, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsstaat, in: BB 1953, S. 565 ff. (565); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 575 ff. (579); ders., Von der Reinen Marktwirtschaft zur Gemischten Wirtschaftsverfassung, 1966, S. 15 ff. 90 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 579; vgl. auch ders., Von der Reinen Marktwirtschaft zur Gemischten Wirtschaftsverfassung, 1966, S. 15 ff. Vgl. auch 2. Kapitel § 2 III 91 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 578. 92 Vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 542 ff. 93 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 542 ff. (543). 94 Vgl. hierzu Han, Soo Wang, Merkmale der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft in Deutschland und Korea, 1993, S. 88; K. Schlaich, Neutraliät als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 112. 95 H. Krüger, Von der Reinen Marktwirtschaft zur Gemischten Wirtschaftsverfassung, 1966, S. 15. 87 88
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pragmatisch zu findende „Ordnung des gemeinsamen Wirtschaftens“ an. 96 Die politische Verfassung, so Krüger, bilde die Grenze für eben diese Ordnung. Krüger konnte letztlich auch nach der argumentativen Fortentwicklung seines Standpunktes nicht überzeugen. Es erscheint bereits logisch undenkbar, dass die Wirtschaftsverfassung einerseits im Verhältnis zur politischen Staatsverfassung ein „Aliud“ bildet, dann aber zugleich als integraler Bestandteil der Letztgenannten erscheinen soll, indem sie die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens festlegt. Diesen äußeren Rahmen des Wirtschaftens, den Krüger richtigerweise der politischen Verfassung entnahm, vergaß er dann zu terminologisieren. Schnell hätte er darin die „Wirtschafts“-Verfassung erkannt. Dennoch setzte er weiterhin, ungerechtfertigterweise, nationalökonomische Doktrinen mit dem Begriff der Wirtschaftsverfassung gleich, was in der Konsequenz zu einer terminologischen Verwirrung führte. 97 Auch lieferte er letztlich keine überzeugende Erklärung dafür, warum sich die Grundrechte, bezogen auf den wirtschaftlichen Sektor, in der von ihm so bezeichneten „Funktion der Staatshervorbringung“ erschöpfen sollen. 98 Krügers Befürchtung, die Zubilligung weiterer Funktionen würde die Wirtschaft gegen den Staat mobilisieren und könne ihr letztlich sogar die „Herrschaft über den Staat in die Hand [...] spielen“, erweist sich als ideologisch motiviert und zugleich aus grundrechtlicher Sicht als unhaltbar. Zutreffend hatte er noch zuvor zwischen drei Grundrechtsfunktionen unterschieden. So seien die Grundrechte, neben ihrer Funktion der Staatshervorbringung, im klassischen Sinne Abwehrrechte und schließlich auch Integrationsfaktoren. Krüger hätte erkennen müssen, dass gerade die Abwehrfunktion Ausdruck eines nicht zu leugnenden, substantiellen Dualismus von Staat und Gesellschaft ist, wobei zu letztgenannter eben auch die Wirtschaft gehört. Mit Blick auf die so bezeichnete Integrationsfunktion gestand Krüger zwar ein, dass der Grundrechtskatalog auch eine „Reihe von Wertentscheidungen“ trifft. Allerdings relativierte er gleich darauf den Bedeutungsgehalt dieser Erkenntnis unter Berufung auf seine Nichtidentifikationstheorie. Dabei unterstellte er, dass über die wesentlichen werterealisierenden Grundrechtsgehalte keine Einigkeit im Staatsvolk zu erzielen sei und sich die Integrationsfunktion somit in einem Konsens über die Unerreichbarkeit der Realisierung wesentlicher Wertentscheidungen erschöpfe. Die Behandlung der zugrunde liegenden Werte – Krüger bezeichnete sie als von den Grundrechten angeschlagene Themen – „und erst recht ihre Entscheidung durch die Allgemeinheit“ seien ausgeschlossen. Mit diesem Ergebnis gelang es Krüger, einer noch wenige Zeilen zuvor von ihm in Anknüpfung an R. Smend entwickelten und begrüßten Grundrechtsfunktion den Garaus zu machen. Dabei er96 H. Krüger, Von der Reinen Marktwirtschaft zur Gemischten Wirtschaftsverfassung, 1966, S. 15. 97 Vgl. R. Zuck, Wirtschaftsverfassung und Stabilitätsgesetz, 1975, S. 33; vgl. schon 2. Kapitel § 1. 98 Die nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 536–541, 578.
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wies sich die herangeführte Prämisse, über die werterealisierenden Grundrechtsgehalte ließe sich keine Einigung im Staatsvolk erzielen, als völliger Fehlschluss. Krüger hatte als Beispiel die Religionsfreiheit angeführt und festgestellt, dass sich mangels Einigkeit hierüber – er bezog sich dabei offenbar auf die Vielzahl an religiösen Bekenntnissen und Formen der Religionsausübung – keine staatliche Entscheidung in diesem Bereich herbeiführen ließe. Dabei übersah er jedoch den den Grundrechten vorgelagerten Werteansatz als gemeinsamen Nenner. Über die dem Grundrecht auf Religionsfreiheit zugrunde liegende Wertentscheidung, dass die Freiheit existiert, einen Glauben zu bilden, zu haben und sich glaubensgelenkt zu verhalten – und nur darum geht es vorliegend – besteht unstrittig Einigkeit im Staatsvolk. Gleiches gilt für alle anderen Freiheitsrechte: Wenn auch über Art, Inhalt und Grenzen des Freiheitsgebrauches regelmäßig Meinungsverschiedenheiten bestehen, so besteht jedoch über die dem jeweiligen Grundrecht vorgelagerte Wertentscheidung ein breiter Konsens. Dieser Konsens entfaltet normative Wirkung und bindet den Staat über Art. 1 Abs. 3 GG. Insofern kann, entgegen Krüger, auch ein Bekenntnis des Staates hierzu nicht ausscheiden. Die stete Prämisse seiner Argumentation, die These von der Nichtidentifikation, erweist sich zumindest im Hinblick auf den Grundrechtsbereich als verfassungswidrig.
II. Nipperdeys These von der institutionellen Garantie der sozialen Marktwirtschaft Im völligen Gegensatz zur Krüger’schen These von der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Nichtentscheidung – sowohl im Hinblick auf die angewandte Methodik als auch bezüglich der Schlussfolgerungen – steht die These H. C. Nipperdeys von der institutionellen Garantie der sozialen Marktwirtschaft.99 Ähnlich wie zuvor Böhm und Eucken versuchte Nipperdey, nationalökonomische Modellvorstellungen, namentlich das ordo-liberale Wirtschaftsmodell der Freiburger Schule, mit Verfassungsrang auszustatten. Dabei stützte er allerdings, anders als die beiden Genannten, seine Argumentation unmittelbar auf eine umfassende Analyse des Verfassungsgesetzes, um im Anschluss hieran die Wirtschaftskonzeption der „Sozialen Marktwirtschaft“ als geltendes Verfassungsrecht zu erkennen. 100 99 Vgl. P.-C. Müller-Graff (ders., Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 253), der insofern von einer „Antithese“ spricht. Vgl. im einzelnen H. C. Nipperdey, Die Grundprinzipien des Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DRZ 1950, S. 193 ff., ders., Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954; ders., Wirschaftsverfassung und Bundesverfassungsgericht, 1960, S. 7 ff.; ders., Soziale Martwirtschaft und Grundgesetz, 1965; ders., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte, Bd.IV, Hbb. 2, 1972, S. 741 ff. (insbes. S. 861 ff.); vgl. auch N. Reich, Markt und Recht, 1977, S. 85. 100 Die soziale Marktwirtschaft sieht Nipperdey (ders., in: Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S. 19 – Hervorhebungen im Original) in Anknüpfung an ihre Gründerväter Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack durch vier Ordnungsgrundsätze gekennzeichnet: „(1) Sie ist Marktwirtschaft, d. h. es gilt von Verfassungs wegen das Prinzip des freien Wettbewerbs, der Spontaneität in der Wirtschaft.
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Die wesentlichsten Begründungsansätze der umfassenden Grundgesetzexegese Nipperdeys sollen nachfolgend zusammengefasst werden: Den Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Verortung verlegte Nipperdey, ausgehend von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als „umfassendes Staatsprinzip“, in die Freiheitsrechte und das Sozialstaatsprinzip. In einem 11-Punkte-Programm entwickelte er eine Vielzahl an wirtschaftsverfassungsrechtlichen Bestimmungsfaktoren (Wettbewerbs-, Gewerbe-, Vertrags-, Konsum-, Koalitions- und Arbeitsfreiheit, Recht auf Privateigentum, Erbrecht sowie die sozialen Gestaltungsfaktoren). Als „Gravitationszentrum“ 101 benannte Nipperdey Art. 2 Abs. 1 GG, den er über eine extensive Definition des Schutzbereiches und einer restriktiven Handhabung der Schranken kurzerhand zur „Magna Charta der Marktoder Wettbewerbswirtschaft“ erhob. 102 So würde Art. 2 Abs. 1 GG den Schutz der Gewerbefreiheit i. w. S. beinhalten, d. h. die „allgemeine Freiheit zum Handeln auf dem Gebiet des gewerblichen (wirtschaftlichen) Lebens, die insbesondere die Wettbewerbsfreiheit, die Vertragsfreiheit, die Produktionsfreiheit und die Konsumfreiheit einschließt“. 103 Eine Einschränkung der grundrechtlichen Freiheit dürfe nur in Ausnahmefällen, so zum Schutze der verfassungsmäßigen Ordnung, erfolgen. Nipperdey wandte sich dabei ausdrücklich gegen die Auffassung, wonach die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ lediglich einen „einfachen“ Gesetzesvorbehalt statuiere und somit einer weitgehenden Disposition des Gesetzgebers unterliege. Vielmehr bedürften Eingriffe des Gesetzgebers in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG positiv einer „Legitimation durch die Vorbehaltsschranken“ des benannten Grundrechtes. Eine derartige positive Legitimation käme letztlich nur dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines Handelns „die Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Strukturprinzipien der Verfassung, insbesonde(2) Sie ist Marktwirtschaft auch gegenüber dem Staat, d. h. im Gegensatz zu einer neutralistischen Wirtschaftsverfassung sind Staatseingriffe in den Wirtschaftsablauf an die in der Verfassung selbst vorgesehenen strengen Grenzen gebunden, unterstehen also keineswegs nur dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der dann zu beliebigen Einschränkungen der Marktwirtschaft führen könnte. (3) Sie ist soziale Marktwirtschaft, d. h. aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ergeben sich von vornherein unmittelbare Grenzen der Freiheit des einzelnen im Interesse des sozialen Ausgleichs, wie auch ein Maßstab für Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf, die insoweit nicht nur sein legitimes Recht, sondern verfassungsrechtliche Pflicht sind. (4) Sie ist eine soziale Marktwirtschaft, da sie die Aufrechterhaltung und Sicherung eines umfassenden Wettbewerbs von Staats wegen garantiert und daher den Wettbewerb als Ordnungsprinzip auch für die Unternehmer selbst statuiert, so daß sie ihn nicht beseitigen oder einschränken können. Dadurch können im Interesse der Verbraucher die Preise angemessen und stabil gehalten und es kann bereits damit allerwichtigste Sozialpolitik betrieben werden.“ 101 A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 6. 102 H. C. Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954, S. 16 – keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original. 103 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei H. C. Nipperdey, Soziale Martwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S. 16, 24–34 und 52–62.
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re die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit“ beachten würde. Die grundgesetzliche Formulierung „verfassungsmäßige Ordnung“ fordere letztlich vom Gesetzgeber eine Art Makrobetrachtung ein. Eine gesetzliche Regelung, so Nipperdey, würde dem nur gerecht, wenn der damit verbundene Eingriff aus Gemeinwohlzwecken notwendig erschiene und hieran gemessen letztlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspräche. Weiterhin habe der Staat die Grundsätze der Subsidiarität und der Proportionalität zu beachten. Im gleichen Maße wie Nipperdey die Geltung des Art. 2 Abs. 1 GG ausweitete, schränkte er den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. So sei Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG nur insoweit lex specialis, als dass an der Verfassung zu messendes staatliches Handeln Ordnungscharakter aufweise, d.h. ein Handeln zum Zwecke der Gefahrenabwehr darstelle und die Berufsausübung als solche beträfe. Diese restriktive Handhabung des Anwendungsbereiches begründete Nipperdey mit den nach seiner Auffassung unterschiedlichen Schrankenvorbehalten der benannten Grundrechte. Dirigistische Eingriffe in den Wirtschaftsablauf müssten den „strengen Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 GG“ unterworfen werden und dürften nicht etwa als „eine ‚Regelung der Berufsausübung‘ i. S. des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG“ eingestuft werden. Die Gewährleistung des Privateigentums und des Erbrechtes sah Nipperdey in „unauflösbaren inneren Zusammenhang“ zur Freiheit des Individuums. In der „praktisch bedeutungslosen Regel“ des Art. 15 GG erkannte er hingegen keine normative Grundlage für Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftssteuerung, da diese im Verhältnis zur angestrebten Sozialisierung ein „Aliud“ darstellen würden. Das Sozialstaatsprinzip stufte Nipperdey als „unmittelbar verbindliche und bindende Rechtsnorm“ ein, welche den benannten Freiheitsrechten ihr „Gepräge“ verleihen und sie auch „modifizieren“ würde. Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt seien an das Sozialstaatsprinzip gebunden. Im Einzelnen sah er die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ bei Art. 2 Abs. 1 GG im Wesentlichen durch das Sozialstaatsprinzip geprägt, das eine Pflicht für den Bürger zu sozialem Verhalten und eine Bindung des Privateigentums begründe. Darüber hinaus statuiere das Sozialstaatsprinzip eine Grenze und zugleich aber auch die Legitimation staatlicher Eingriffsbefugnis zugunsten einer sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung und modifiziere schließlich die Vertragsfreiheit und die Währungspolitik. Die entwickelten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten würden nach Einschätzung von Nipperdey, insbesondere im Hinblick auf das von ihm so bezeichnete Kartellproblem, in Konkurrenz zueinander treten. Er forderte deshalb die Einhaltung eines verfassungsrechtlichen Rangverhältnisses und statuierte zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Ordnungsrahmens einen Vorrang der Wettbewerbsfreiheit vor der Vertragsfreiheit. Nipperdey schloss seine Grundgesetzexegese mit der Feststellung, dass die von ihm aufgezeigten Verfassungsgrundsätze und Grundrechte „eine formell und materiell verfassungsmäßige Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft“ darstellen,
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gar eine institutionelle Garantie derselben begründen und andere Ordnungsmodelle wie die Planwirtschaft oder die völlig freie Marktwirtschaft, aber auch eine wirtschaftspolitische Neutralität im Geltungsbereich des Grundgesetzes ausschließen würden. 104 Nipperdeys These von der institutionellen Garantie der sozialen Marktwirtschaft im Grundgesetz hat überwiegend Ablehnung erfahren. 105 Hauptkritikpunkt ist der vermeintlich apodiktische Schluss der Nipperdey’schen Grundgesetzanalyse, dass die soziale Marktwirtschaft das einzige durch die Verfassung anerkannte Wirtschaftsmodell sei. 106 Dabei wurde Nipperdey häufig unterstellt, er reduziere seine verfassungsrechtliche Exegese im Ergebnis darauf, ein statisches und unabänderliches Modell der sozialen Marktwirtschaft zu zementieren und zum eigenständigen verfassungsrechtlichen Maßstab zu erheben. 107 Bei näherem Hinsehen erweist sich diese Betrachtung jedoch als falsch. Weder schrieb Nipperdey die „reine“ Lehre von der sozialen Marktwirtschaft fest, so wie sie von L. Erhard und A. Müller-Armack herrührt, noch hat er für die Zukunft und für alle Zeiten ausgeschlossen, dass ein anderes Wirtschaftsmodell an die Stelle der sozialen Marktwirtschaft im ursprünglichen Sinne treten kann. Seine These von der institutionellen Garantie der sozialen Marktwirtschaft läuft im Ergebnis nur darauf hinaus, zwischen den nationalökonomischen Extremmodellen des schrankenlosen Liberalismus einerseits und der Zentralverwaltungswirtschaft andererseits „eine Wirtschaftsverfassung auf Basis der Grundrechte anzusiedeln“. 108 Er formulierte dabei ein offenes System wirtschaftsverfassungsrechtlicher Determinanten, welches durch das von ihm herangezogene Sozialstaatsprinzip, das Subsidiaritätsprinzip und das Proportionalitätsprinzip ein erhebliches Maß an Flexibilität erfährt und eine Balance des Staatshandelns durch Distanz zum Wirtschaftsgeschehen einerseits und durch eine staatliche Wettbewerbs- oder Marktgarantie sowie sozialpolitische Maßnahmen andererseits einfordert. Die verfassungsrechtliche Fixierung auf nationalökonomische Systemvorstellungen lag ihm dabei völlig fern. Seine Methodik zielte vielmehr darauf ab, die zum Zeitpunkt seiner Analyse vorhandenen Wirtschaftsordnungsmodelle an den gewonnenen verfassungsexegetischen Erkenntnissen zu messen. 109 Er bekannte sich zwar zur sozialen Marktwirtschaft, weil er diese zum Zeitpunkt seiner Analyse als das beste Modell zur Verwirklichung der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes ansah. Dabei schloss er jedoch weder aus, dass nicht auch andere, zwischen H. C Nipperdey, Soziale Martwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S. 64 f. Vgl. bspw. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 100; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 18 ff.; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971, S. 128 f.; G. Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Grundgesetz, 1972, S.259; N. Reich, Markt und Recht, 1977, S. 83 f.; E. Stein, Qualifizierte Mitbestimmung unter dem Grundgesetz, 1976, S. 101 ff. 106 H. Hablitzel, Wirtschaftverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S. 65 ff. (67). 107 So klingt es bspw. bei R. Schmidt (ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 17 f.) an. 108 H. Hablitzel, Wirtschaftverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S. 65 ff. (69). 109 Vgl. auch P.-C. Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 253 ff. 104 105
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den genannten Extrempolen anzusiedelnde Zukunfts-(wirtschafts)modelle den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen könnten, noch mochte er sich darauf festlegen, dass auch eine in Zukunft konzeptionell gewandelte soziale Marktwirtschaft noch dem Grundgesetz entspricht. Sein Analyseergebnis erschöpfte sich vielmehr in der Aussage, dass die soziale Marktwirtschaft, wie sie zum damaligen Zeitpunkt theoretisch vorgefunden und dann auch praktiziert wurde, in den von ihm gewonnenen verfassungsrechtlichen Rahmen passte. Die anderen von ihm erkannten Wirtschaftsmodelle hielt er hingegen für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Anstatt von „institutioneller Verankerung“ müsste daher präziser von der „Verankerung der sozialen Marktwirtschaft im institutionellen Rahmen“ gesprochen werden. Der Begriff „institutionelle Garantie“ bedarf dann der Lesart „innerhalb des institutionellen Rahmens garantiert“. Die soziale Marktwirtschaft war für Nipperdey somit Ausdruck der von ihm systematisch analysierten Verfassungsnormen. Einen vom Grundgesetz losgelösten eigenständigen Maßstab hatte er in ihr nie gesehen.110 Nipperdeys kühner Versuch 111, die soziale Marktwirtschaft im institutionellen Rahmen der Wirtschaftsverfassung des GG zu verankern, muss im Wesentlichen grundrechtsdogmatische Kritik erfahren. Dabei ist jedoch der Umstand zu berücksichtigen, dass Nipperdey bei der Formulierung seiner These kaum auf eine dogmatische Basis für die letztlich von ihm argumentativ herangeführte Grundrechtsdimension zurückgreifen konnte. 112 Grundrechte wurden zum damaligen Zeitpunkt noch überwiegend einseitig als einklagbare Individualrechte mit negatorischem Inhalt eingeordnet. Die prinzipielle Betrachtung der Grundrechte und daran anknüpfend die Lehre von den objektiven Grundrechtsgehalten befand sich erst im Anfangsstadium und wies noch rudimentäre Züge auf. Erstaunlicherweise gelang es Nipperdey jedoch bereits in seinen frühen Schriften, hier noch im Rahmen einer umfassenden Relativismuskritik und unter Hinweis auf die materiale Werteordnung, eine nachvollziehbare Begründung dafür zu leisten, wie das, was von ihm als „institutionell garantiert“ bezeichnet wurde, verfassungsdogmatisch herzuleiten sei. Grundrechte, so Nipperdey, seien „Grundsatznormen für die gesamte Rechtsordnung“. Als verfassungsrechtliches Wertesystem würden sie eine ganzheitliche Berücksichtigung durch den Staat einfordern. 113 Hierauf aufbauend und unter Hinweis 110 Freilich lassen die frühen Schriften Nipperdeys insofern einiges an Deutlichkeit vermissen. Vgl. hierzu bspw. dens., Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954, S. 21, wo er die „Prinzipien der Marktwirtschaft“ als Maßstab für den Gesetzgeber heranzieht, letztlich aber doch deren verfassungsrechtliche Verankerung im Einzelfall meint. Vgl. aber P.-C. Müller-Graff (ders., Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 254), der davon spricht, Nipperdey habe mit der sozialen Marktwirtschaft einen „eigenständigen Maßstab“ kreiert. 111 So G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 GG Rn. 44 (Erstbearbeitung). 112 Vgl. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 9 ff. (9). 113 H. C. Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954, S. 3 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung und Bundesverfassungsgericht, 1960. S. 11; ders., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte, Bd.IV, Hbb. 2, 1972, S. 741 ff. (744 f., 746 ff.).
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auf den „Bedeutungswandel der ‚Grundrechte‘“ sah Nipperdey dann auch die Notwendigkeit einer Ausweitung der Funktion von Grundrechten. Aus diesem Grund entwickelte er seine Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte.114 Den von ihm im Rahmen seiner wirtschaftsverfassungsrechtlichen Analyse aus Art. 2 Abs. 1 GG deduzierten Freiheiten billigte er konsequenterweise, neben ihrer Funktion als subjektiv-öffentliche Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat, gleichzeitig auch die Bedeutung objektiver Ordnungsgrundsätze des Wirtschaftsgeschehens zu, die mit absoluter Drittwirkung ausgestattet sind.115 Der später geäußerte Vorwurf, Nipperdey sehe in den Grundrechten, auch im Rahmen der Konstruktion von institutionellen Garantien, überwiegend einklagbare Individualrechte und erkenne „entsprechend der zivilistischen Methode nur im subjektiven Recht dasjenige Medium, über welches die grundrechtlichen Grundsatznormen [...] die behauptete ‚unmittelbare‘, ‚absolute‘ Wirkung erhalten“, trifft somit nicht zu. 116 Nipperdeys Ansatz erweist sich freilich in anderer grundrechtsdogmatischer Hinsicht als problematisch. Gemeint ist die von ihm praktizierte Reduktion der (institutionellen) Rechtsfolgewirkung von Grundrechten auf einen negatorischen Inhalt. 117 Die einseitige Rechtsfolgenzuordnung resultierte dabei wesentlich aus Nipperdeys Freiheitsverständnis basierend auf der Vorstellung eines Dualismus von Rechtsstaat und bürgerlicher Gesellschaft. 118 Der von ihm letztlich institutionalisiert verwendete Begriff der grundrechtlichen „Freiheit“ war noch von der wissenschaftlichen Diskussion um die verfassungsrechtliche Verankerung von Einrichtungsgarantien geprägt, die sich seit der Weimarer Zeit entwickelt hatte und bis zum Ende der 50er Jahre andauerte. Die gemeinsame Grundidee der Weimarer Lehre von den Einrichtungsgarantien bestand zunächst darin, „bestimmte, besonders benannte Rechtseinrichtungen vor einer Beseitigung oder Antastung ihres Wesensgehaltes oder Kernbereichs durch den Staat, namentlich durch den Gesetzgeber, zu schützen“. 119 Der wissenschaftliche Konsens erkannte somit in der institutionellen Garantie oder Einrichtungsgarantie eine Garantie gegen den Staat und nicht eine Garantie durch den Staat. 120 Dabei wurde jedoch betont, dass die Freiheit selbst nicht als Institution aufgefasst werden könne. C. Schmitt formulierte: „Die Freiheit ist kein Rechtsinstitut, keine Einrichtung und keine Anstalt; sie kann noch weniger eine organisierte und formierte Institution des öffentlichen Rechts sein“. 121 114 Vgl. H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte, Bd. IV, Hbb. 2, 1972, S. 741 ff. (747 ff.). 115 Vgl. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S.100 f. 116 So aber H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 9 f. (Fn. 17). 117 Ähnlich A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 6. 118 Vgl. A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 5 ff. 119 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 761. 120 Vgl. I. Groß, Die Institution Presse, 1971, S. 64. 121 C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, 1931, S. 27.
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Dieser „antithetischen Zuordnung von Freiheit und Institution“ folgend, unterlag dann konsequenterweise auch die Deutung des grundrechtlichen Freiheitsbegriffes: Die „individuelle Willkür“ als Zustandsbeschreibung einer ausschließlich negativ verstandenen, staatsabwehrenden grundrechtlichen Freiheit war hiernach, im Gegensatz zur normativen Gestaltbarkeit der als Einrichtungsgarantien beschriebenen Strukturkomplexe, gerade keiner normativen Inhaltsbestimmung durch den Staat zugänglich. Nach dieser tradierten Auffassung konnten somit „Freiheit und Institution nur als Gegensätze gedacht werden“ und standen letztlich inhaltlich „beziehungslos nebeneinander“. 122 Da sie sich sozusagen die Institution für die Freiheit nicht nutzbar machte, erwies sich diese Verfassungsdogmatik zur Überwindung der vom negativen Freiheitsbegriff in der Struktur der Freiheitsrechte aufgeworfenen Probleme als ungeeignet. Nipperdey erkannte zwar diese Problematik, konnte sich jedoch letztlich bei der Formulierung seiner „institutionellen Garantien“ nicht ganz von der tradierten Auffassung lösen. Sehr deutlich wurde dies bei der Begründung seiner Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Nipperdey erkannte zwar, aufgrund eines hinter einzelnen Grundrechtsnormen stehenden Wertungsgedankens, die Notwendigkeit, den grundrechtlichen Wirkungsrahmen auch auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten auszudehnen. Er stützte sich dann jedoch im Wesentlichen auf eine Rechtsfolgenargumentation. Die Begründung der Drittwirkungsfunktion, so Nipperdey, hänge von einer faktischen Unterworfenheit ab. Maßgeblich sei letztlich, ob das Bürger-Bürger-Verhältnis einem hoheitlichen Machtverhältnis entspräche und ob es darum gehe, eine Repression des privatrechtlichen Gegenübers abzuwehren, die mit einer staatlichen vergleichbar ist. 123 Nipperdeys grundrechtlicher Freiheitsbegriff verharrte damit in der Abwehrfunktion basierend auf einem Über-/Unterordnungsverhältnis und erfuhr damit noch nicht die Durchdringung, wie sie später durch die grundrechtliche Freiheitsdogmatik im Rahmen der (Werte-)Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und der institutionellen Grundrechtslehre erfolgen sollte, die dann letztlich zu einer Etablierung der positiven grundrechtlichen Freiheit führte. 124 Erst P. Häberle unterschied zu Beginn der 60er Jahre im Rahmen der von ihm wesentlich geprägten institutionellen Grundrechtslehre die unterschiedlichen Rechtsfolgewirkungen basierend auf der Vielfalt der Grundrechtsdimensionen. Der Unterschied zur tradierten Lehre von den Einrichtungsgarantien lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Nicht die Freiheit einer Institution, sondern die Freiheit als Institution“ stand im Mittelpunkt der Betrachtung.125 Häberle erkannte, dass die institutionelle Seite der Grundrechte auch die „verfassungsrechtliche Gewährleistung freiheitlich geordneter und ausgestalteter Lebensbereiche“ durch den Staat einforE. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 218 f. Vgl. H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte, Bd. IV, Hbb. 2, 1972, S. 741 ff. (753). 124 Vgl. 4. Kapitel § 1 II. 1. b). 125 I. Groß, Die Institution Presse, 1971, S. 69. 122 123
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derte. 126 Die verinstitutionalisierte grundrechtliche Freiheit verlangte somit, zur Verwirklichung eines Optimums an Freiheit, im Ergebnis beides: Freiheit vor dem Staat und Freiheit durch den Staat! 127 Auf diese gesicherte und nur vermeintlich paradoxe Erkenntnisessenz einer fortentwickelten prinzipiellen Betrachtung der Grundrechte konnte Nipperdey indes nicht zurückgreifen. In seinen späteren Schriften stellte er zwar, u. a. in Anknüpfung an die Lüth Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, fest: „Wer die Verfassung als Wertsystem anerkennt, kann die Grundrechte nicht isoliert betrachten, sondern muss sie als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Ordnungsgefüges werten.“ Gleich darauf fuhr er dann jedoch fort: „In dieser Funktion sichern sie dem Grundrechtsträger eine umfassende, den staatlichen und sozialen Bereich ergreifende Freiheitssphäre“. 128 Mit dieser Bezugnahme auf den klassisch-liberalen, abwehrtheoretisch verwurzelten Sphärengedanken verfehlte Nipperdey augenblicklich die Breite der Gestaltungswirkungen, die sich aus einer prinzipiellen Grundrechtsbetrachtung ergeben, und reduzierte die grundrechtliche Rechtsfolgenwirkung sofort wieder auf den Abwehrcharakter, wenn auch jetzt in einer „verabsolutierten“ Form. Einen neben dem negativen stehenden, selbstständigen positiven Freiheitsbegriff entwickelte er auch im Rahmen seiner institutionellen Betrachtung nicht. Diesen ausschließlich negativ geprägten Freiheitsbegriff übertrug Nipperdey dann auf seine Grundrechtsanalyse im Rahmen der Begründung seiner These von der institutionellen Garantie der Wirtschaftsverfassung. Nur so lässt sich dann auch die später heftig kritisierte Nipperdey’sche Deduktion der Wettbewerbs- und Marktfreiheit aus Art. 2 GG und der damit zusammenhängenden extensiven Interpretation des benannten Freiheitsrechtes erklären.129, 130 Freiheit bedeutete für Nipperdey Freiheit vor dem Staat. Ein Höchstmaß derselben wollte er dadurch erreichen, dass er Art. 2 Abs. 1 GG zur wirtschaftsverfassungsrechtlichen „Abwehrwaffe“ heraufstilisierte. Dabei nahm er es in Kauf, den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG auf ein Maß der Bedeutungslosigkeit zu reduzieren, da sich die vermeintlich strengere Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG für seine Zwecke als dienlicher erwies. Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken 131 gegen eine derartige Handhabung muss sich Nipperdey zumindest den Vorwurf der Ergebnisorientiertheit gefallen lassen. Nipperdeys Freiheitsdenken sollte sich im weiteren Verlauf bei der Begründung der institutionellen, marktwirtschaftlichen Garantie als dogmatisch hinderlich erweisen. So sah er sich alsbald mit dem Problem konfrontiert, dass das von ihm erP. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1983, S. 70. Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 772. 128 H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte, Bd.IV, Hbb. 2, 1972, S. 741 ff. (749, Fn. 33). 129 Vgl. H. Hablitzel, Wirtschaftverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S.65 ff. (67). 130 Zur Verankerung der Markt- und Wettbewerbsfreiheit in den Wirtschaftsgrundrechten vgl. vor allem 4. Kapitel § 3 II. 1. 131 Vgl. zum Konkurrenzverhältnis von Art. 2 I und 12 I GG: 4. Kapitel § 2 IV und 4. Kapitel § 3 II. 3. 126 127
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kannte wirtschaftsverfassungsrechtliche Ordnungssystem, wie er selbst formulierte, die „Aufrechterhaltung und Sicherung eines umfassenden Wettbewerbes“ durch den Staat positiv einforderte. Wie sollte er nunmehr den dogmatischen Kunstgriff zur Begründung dieser staatlichen Markt- und Wettbewerbsgarantie grundrechtlich bewerkstelligen, wo sich doch die von ihm reduziert erkannte Rechtsfolge der institutionalisierten Grundrechtsbetrachtung in der „Abwehr“ bzw. „Ausgrenzung“ des Staates erschöpfte? Nipperdeys Bemühen aus der grundrechtlichen Abwehrfunktion der Freiheitsrechte verabsolutisierend einen normativen verobjektivierten (institutionellen) Gestaltungsauftrag des Grundgesetzes zugunsten einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung zu entwickeln, musste, angesichts dieser „dogmatischen Lücke“, nicht nur verkrampft und zähflüssig wirken. Vielmehr konnte auch ein „fließender Übergang“ von den doch im Ergebnis richtig herausgearbeiteten, grundrechtlich statuierten Ordnungsgrundsätzen (Wettbewerbsfreiheit, etc.) zu einer Verankerung der sozialen Marktwirtschaft als einziges Wirtschaftsordnungsmodell im institutionellen Rahmen des Grundgesetzes nicht mehr glaubhaft gelingen. Ungeachtet dessen konnte auch die Nipperdey’sche Einbindung des Sozialstaatsprinzips in den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Begründungskontext dogmatisch nicht ganz überzeugen. Er erkannte im Sozialstaatsprinzip ein zur Markt- und Wettbewerbsgarantie gegenläufiges Verfassungsprinzip und gestand in Anknüpfung an Huber einen Wechselwirkungsmechanismus, d. h. ein System von Freiheit und Bindungen ein. 132 Dieser Begründungsansatz erwies sich gleich in zweierlei Hinsicht als nicht dienlich. Zum einen konnte Nipperdey durch Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip nicht die eigentliche Lücke seiner Argumentation, nämlich das Fehlen einer positiv statuierten staatlichen Handlungspflicht zur Begründung einer Marktund Wettbewerbsgarantie, schließen. Weiterhin warf das „bloße“ Anfügen des Sozialstaatsprinzips an die zuvor erfolgte Grundrechtsexegese die von Nipperdey schließlich auch offen gelassene Frage nach dem Verhältnis der prinzipiellen grundrechtlichen Freiheitsgehalte zum Sozialstaatsprinzip auf. Ein irgendwie geartetes, reibungsloses Ineinandergreifen schlicht zu unterstellen, ohne die Zusammenhänge näher zu beleuchten, erscheint aus heutiger Sicht, angesichts der Komplexität der Problematik, unangemessen. 133 Vor allem ist Nipperdey in diesem Zusammenhang vorzuwerfen, dass er die Frage nach Inhalt und Stellung der Freiheit bzw. Pflicht zur privaten Sozialgestaltung völlig außen vor ließ. Die Kritiker der Nipperdey’schen These werten all dies als „Desinteresse am Sozialen“. Nipperdey, so der Tenor der sicherlich im Ergebnis unberechtigten Kritik, habe die sozialen Vorbehalte des Grundgesetzes nicht ernst genommen. Er habe primär ein System freier Wettbewerbswirtschaft entwickelt, welches „durch den Zusatz ‚sozial‘ nur am Rande gewissen sozial determinierten Berichtigungen unterworfen“ sei. 134 Seiner marktwirtschaftlichen Ordnung habe er, eher unwirsch, durch die Verbindung mit den Ge-
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H. C. Nipperdey, Soziale Martwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S. 22. Vgl. 4. Kapitel § 5 II. 1. E. R. Huber, Streit um die Wirtschaftsverfassung, in: DÖV 1956, S. 101.
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meinschaftsvorbehalten des Grundgesetzes das schmückende Attribut des „sozialen“ beigefügt und somit letztlich doch nur eine bereinigte Wettbewerbsordnung mit stärkerem sozialen Einschlag begründet. 135
III. Die These von der „gemischten Wirtschaftsverfassung“ Dem Nipperdey’schen Ansatz sehr angenähert ist die von E. R. Huber begründete These von der „gemischten Wirtschaftsverfassung“. 136 Ähnlich wie Nipperdey griff auch Huber auf eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Makrobetrachtung zurück. Die Wirtschaftsverfassung, so betonte er, sei „kein zusammenhangloses Nebeneinander von einzelnen Grundnormen wirtschaftsrechtlichen Gehalts, sondern ein in der rechtlichen Grundordnung gegebenes Gesamtgefüge von Rechtssätzen, Rechtseinrichtungen und Rechtsinstituten“. 137 Die miteinander verknüpften Bausteine der Wirtschaftsverfassung sollten dabei die Freiheits- und Gleichheitsverbürgungen, das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und den Grundsatz der Subsidiarität und Proportionalität bilden. Der Nipperdey’schen Vorgehensweise entsprechend sah er „die Freiheitsverbürgungen der Art. 2–19 GG als einen Normenkomplex“ an, „dem auch eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Ordnungsfunktion zukommt“. 138 Wie Nipperdey, so zog auch Huber Art. 2 Abs. 1 GG als „wirtschaftsverfassungsrechtliches GeneralGrundrecht umfassenden Charakters“ heran, welches „die Freiheit des wirtschaftlichen Schaffens in weitestem Ausmaß“ und damit die unternehmerische Wettbewerbsfreiheit begründen würde. 139 In den exegierten wirtschaftlichen Freiheiten sah er schließlich einen gleichgewichtigen (Gegen-)Part zu den grundgesetzlichen Sozialbindungen, im Speziellen zum Grundsatz der Sozialstaatlichkeit. Beide seien „durch die Wechselbezüglichkeit aller Verfassungsnormen in der Weise ‚gemischt‘, dass jedes der wirtschaftlichen Freiheitsrechte vom Sozialstaatsprinzip, umgekehrt aber auch jede soziale Gewährleistung vom Freiheitsprinzip von innen durchdrungen und nach außen begrenzt ist“. 140 Dieses dialektische System von Freiheit und 135 Vgl. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 19; E. R. Huber, Streit um die Wirtschaftsverfassung, in: DÖV 1956, S. 101; A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, S. 6 f. 136 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 1953, S. 23, 30 f.; vgl. ders., Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (98 ff.), ders., Grundgesetz und vertikale Preisbindung, 1968, S. 15 f. 137 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 1953, S. 23. 138 E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (98). 139 E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (135); vgl. A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 6. 140 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 99–102.
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Bindungen, so Huber, präge sowohl die Einzelinterpretation der Wirtschaftsgrundrechte als auch die sinnhafte Erfassung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhanges. In Anknüpfung an R. Smend forderte er die Berücksichtigung „integrierender Sachgehalte“ in der modernen Demokratie ein. Hierunter seien legitimierende Wertgehalte zu verstehen, die einen Rahmen für das „Bekenntnis zu dem normativen Ideengefüge“ bilden würden, „auf dem die politische Einheit“ ruhe. Denn letztlich würde auch dem Grundgesetz ein „Mindestmaß von Wertgrundsätzen über die Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ zugrunde liegen. Dabei stützte er sich vornehmlich auf ein so genanntes „Bekenntnis zu dem normativen Ideengefüge“, welches er als Ergebnis eines echten Verfassungskompromisses sah und mit dem Terminus „gemischte“ Wirtschaftsverfassung belegte. Den erkannten Verfassungskompromiss ordnete Huber wiederum als das Resultat einer Verfassungsverständigung, d. h. als „Vereinbarung zwischen den Verfassungspartnern, die auf einen Ausgleich zwischen entgegengesetzten Wirtschaftsideologien und Wirtschaftsinteressen in einer gemischten Wirtschaftsverfassung zielt“, ein. 141 Der Inbegriff von Verfassungsnormen, so Huber schließlich, der der Verwirklichung des erzielten Kompromisses diene und auf eine „derart ausgeglichene Ordnung“ ziele, dürfe „als institutionelle Garantie bezeichnet werden“. 142 Freilich stößt Hubers Annahme, das Grundgesetz träfe einen echten Verfassungskompromiss zugunsten einer gemischten Wirtschaftsverfassung auf Bedenken. So lässt sich das Grundgesetz entgegen Huber nicht als „Ergebnisprotokoll einer Vertragsverhandlung“ auffassen und auszulegen. 143 Die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte, insbesondere die Berücksichtigung der unterschiedlichen Standpunkte bei den Verfassungsberatungen spielt im Rahmen der Verfassungsauslegung allenfalls hilfsweise eine Rolle. 144 Hiervon abgesehen erscheint es aus historischer Sicht schlicht unzutreffend, von einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Kompromiss zu sprechen. Angesichts der unüberwindbaren Gegensätze konnte die Verständigung der Fraktionen im Parlamentarischen Rat nur der Natur sein, dass man eine ausdrückliche Entscheidung über die infrage stehenden Wirtschaftskonzeptionen zunächst schlicht ausklammerte und dem neu zu konstituierenden Gemeinwesen überließ. 145, 146 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 1953, S. 25, 30 f. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (102). 143 Vgl. R. Zuck, Wirtschaftsverfassung und Stabilitätsgesetz, 1975, S. 47 f. 144 Vgl. schon BVerfGE 1, 299 ff. (312); vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 502. 145 Vgl. hierzu schon 2. Kapitel § 2 I. 146 Aus heutiger Sicht muss es freilich paradox und unverantwortlich erscheinen, dass die gewichtigen sozialen und wirtschaftlichen Fragen gerade deswegen keine ausdrückliche Regelung im Grundgesetz erfuhren, weil die an der Verfassungsgebung beteiligten politischen 141 142
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Obwohl zunächst argumentativ zutreffend herangeführt, hat sich Huber letztlich nicht von den „legitimierenden Wertgehalten“, die den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten zugrunde liegen, leiten lassen. Deutlich wird dies insbesondere an Hubers Grundrechtsverständnis. Mehrfach betonte er ihre ausschließliche Funktion als individuelle Freiheitsrechte, d. h. subjektive Rechte mit negatorischem Inhalt. 147 Einer prinzipiellen Betrachtung verschloss er sich. Objektive Grundrechtsgehalte, die über die Abwehrgehalte hinausgehen, lehnte er strikt ab. Stringenter noch als Nipperdey verharrte Huber somit in der grundrechtsfunktionalen „Ausschließlichkeit“ der abwehrtheoretischen Konzeption basierend auf der Trennung von Staat und Gesellschaft. Diesem tradierten Grundrechtsverständnis entsprechend vermochte er nur eingeschränkt auf die Grundrechte als „Motor“ zur Verwirklichung der „legitimierenden Wertgehalte“ zurückzugreifen. Ähnlich wie bei Nipperdey klafft letztlich eine „dogmatische Lücke“, die er dadurch zu schließen versuchte, dass er ohne dogmatische Begründung Begriffe wie „institutionelle Garantie“, „Gesamtgefüge“ oder „Ordnungsleitbild“ in Behauptungsform heranzog. 148 Auch die von Huber vorgenommene Einbindung des Sozialstaatsprinzips muss Kritik erfahren. So betonte er dessen Gleichgeordnetheit mit den Freiheitsrechten und legte diesen im Vergleich zu Nipperdey deutlich „strengere ‚soziale Fesseln‘“ an. 149 Wie bei Nipperdey blieb jedoch die entscheidende Frage, nämlich nach dem Verhältnis von staatlicher Sozialgestaltungsmacht einerseits und grundrechtlich verbürgter Kompetenz zur privaten Sozialgestaltung andererseits außer Betracht.
IV. Die „limitierte“ 150 Marktwirtschaft als wirtschaftsverfassungsrechtliche Konsequenz Der Nipperdey’sche Ansatz fand, grundrechtsdogmatisch verfeinert, seine Fortsetzung in den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Modellen von R. Scholz und H. H. Rupp. 151 Beide leiteten im Rahmen einer Verfassungsexegese, insbesondere aus den Parteien sie als zu gewichtig empfanden, um sie auf dem „Altar der Politik“ zugunsten eines Konsenses „zu opfern“. 147 Vgl. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd.I, 1953, S.30; ders., Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (101, 102, 137); ders., Grundgesetz und vertikale Preisbindung, 1968, S. 15; vgl. auch H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 101; A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 5. 148 E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, S. 97 ff. (102). 149 A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 5. 150 A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 8 ff. 151 Vgl. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 11 ff.; ders., in: HdWW, Bd. IX, 1982 S. 141 ff.; ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 21 ff.; R. Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971, S. 26 ff. u. 38 ff.; ders., Paritätische Mitbestim-
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Grundrechten, eine mittelbare Garantie zugunsten einer marktwirtschaftlichen Ordnung ab. 152 Scholz erkannte dabei in der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes kein inhaltlich geschlossenes oder präformiertes, sondern vielmehr ein ordnungspolitisch gestaltungsfähiges, d. h. offenes Ordnungssystem. 153 Dieses bezeichnete er als „offene“ oder „neutrale“ Wirtschaftsverfassung. Die Basisstrukturen dieser „offenen“ Wirtschaftsverfassung sah er einerseits in einer dezentralen Gesellschaftsordnung und der „prinzipiellen Gewährleistung gesellschaftlich-privater Autonomie“ und andererseits im „wirtschafts- sowie sozialpolitischen Ordnungsmandat des demokratischen Gesetzgebers“. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, so Scholz, sei in rechtlicher Hinsicht durch die konkreten Ordnungsentscheidungen der Verfassung, namentlich durch die Grundrechte und die Prinzipien des sozialen Rechtsstaates begrenzt. Dabei konstituieren die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip „die liberale Verfassungskomponente und formulieren damit die definitive Grenze aller staatlichen (auch sozialen) Zuständigkeiten“. 154 Die Grundrechte, so Scholz, seien „funktional auf die gesellschaftliche [...] Realität zugeschnitten“ und würden „aus ihr ihren spezifisch funktionalen Geltungsgehalt“ empfangen. Aus der umgekehrten Perspektive gelte, dass die „real-gesellschaftliche Funktionalität der Grundrechte [...] mit zu deren (konkretem) Gewährleistungsinhalt“ gehöre. Neben dieser „Wechselwirkungslogik“, so konstatierte Scholz, bildeten die Grundrechte auch „objektive Rechtsgrundsätze“. Aus der Kombination der herausgearbeiteten Aspekte (funktionelle Bedingtheit und Einordnung als objektive Grundsatznormen) würden in der Konsequenz „funktionelle Garantien für die Gesellschaft mit der Folge entsprechender Begrenzungen staatlicher Aktivitäten“ vermittelt. Scholz versuchte, diese allgemeinen grundrechtsdogmatischen Erwägungen anhand einzelner Grundrechte zu belegen. Als für das Wirtschaftsgeschehen maßgeblich nannte er dabei Art. 14, 12, 9 Abs. 3 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG, wobei er seine Argumentation maßgeblich auf Art. 12 und 14 GG stützte. Der Eigentumsgarantie billigte er eine Funktionalität in zweierlei Hinsicht zu. So würde Art. 14 GG „einmal in mikroökonomischer Richtung durch Schutz und Garantie der konkreten wirtschaftlichen Einheit“ seine grundrechtsfunktionale Wirkung entfalten. Gleichzeitig würde die so genannte „makroökonomische Systemmung und Grundgesetz, 1974 S. 31 ff.; ders., Grenzen staatlicher Aktivität unter der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, in: Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113 ff. 152 Vgl. A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 8. 153 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei R. Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 32–34. 154 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei R. Scholz, Grenzen staatlicher Aktivität unter der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, in: Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113 ff. (120, 123–126).
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funktion“ der grundrechtlichen Eigentumsgarantie eine Wirtschaftsordnung einfordern, „die den realen Wirtschaftsablauf nach den Strukturgesetzen von Privatautonomie, tatsächlichem [...] Wettbewerb und dezentralisierter Selbstregulation organisiert“. Als notwendige Organisationsform käme dann nur der private, d.h staatsunabhängige Markt in Betracht. Die gleichen Konsequenzen folgerte Scholz aus Art. 12 GG: Die „Hauptfunktion“ einer freiheitsoptimierten Berufs- und Gewerbefreiheit würde letztlich durch eine „markt- und wettbewerbsmäßig organisierte Grundordnung“ gebildet. Insgesamt würde die Wirtschaftsverfassung „in der Gestalt des offenen Systems wesentlich Züge einer marktmäßigen und wettbewerblichen Ordnung tragen“, die den „wirtschaftenden Individuen ein System freiheitlich-pluraler, dezentraler und damit optimaler“ Freiheitschancen bietet. Diese marktwirtschaftliche Ordnung sah Scholz schließlich durch ihren verfassungsrechtlichen Entstehungsgrund, d. h. durch die funktionale grundrechtliche Vermittlung sowie durch den wirtschafts- und sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, als eingeschränkt an und bezeichnet sie als „limitiert“. Rupps Argumentationsstrang unterschied sich von dem Scholz’ nicht wesentlich. Sein Ansatz war „fast vollständig in den objektivierbaren Bedingungen der grundrechtlichen Freiheit im Gesamtzusammenhang der Verfassungsordnung und in der sozioökonomischen Realität angelegt“. 155 Methodisch löste er die Grundrechte von ihrer klassischen Funktion als Individualrechte mit negatorischen Inhalt und wies auf ihre Bedeutung als „objektive Grundsatznormen“ von höchstem Rang hin, die infolge von Art. 1 Abs. 3 GG unabhängig davon, ob sich der Einzelne auf sie beruft, die staatliche Gewalt binden würden. 156 Neben dieser ordnungspolitischen Deutung der Grundrechte hob er, ähnlich wie Scholz, die Notwendigkeit einer Ausrichtung der Grundrechtsinterpretation an der Verfassungswirklichkeit hervor, ohne sich freilich auf eine bestimmte Grundrechtstheorie zu beziehen. So erklärte auch er: „Die Wirklichkeit fungiert bei der Umsetzung der normativ gesollten in gelebte Ordnung als wichtiges Element und spielt daher auch bei der [verfassungsrechtlichen] Interpretation eine gewichtige Rolle.“ 157 Gleichzeitig machte er deutlich, dass die grundrechtlichen Normen neben ihrem negatorischen Gehalt in ihrer objektiven Dimension auch „die positive rechtliche Verpflichtung des Staates“ einschließen würden, „diejenigen Bedingungen zu erhalten, zu fördern und zu schaffen, unter denen in der heutigen sozialen und technischen Umwelt personale Freiheit überhaupt noch möglich ist“. 158 155 P. Badura, Rezension des Werkes v. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, in: ZHR 139 (1975), S. 281 ff. (282). 156 H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 11; vgl. ders., in: HdWW, Bd. IX, 1982 S. 141 ff. (144). 157 H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 19 unter Hinweis auf F. Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 114 ff. 158 H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 12.
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Zur Umsetzung dieser, über Art. 1 Abs. 3 GG in Verbindung mit den grundrechtlichen Gehalten, staatlicherseits eingeforderten Maßnahmen zur Freiheitsverwirklichung bedürfe es eines „Instrumentariums und einer Strategie, die den Grundrechten unter wechselnden Bedingungen zu ihrem Recht verhelfen“. 159 In diesem Zusammenhang erklärte Rupp zwar, dass die unumstößliche Festlegung auf ein nationalökonomisches Wirtschaftsmodell durch das Grundgesetz mangels weitergehender Spezifikation nicht in Frage kommt. 160 Gleichzeitig wies er jedoch auch darauf hin, dass die Abschaffung der Wettbewerbswirtschaft einen Verstoß gegen das aus der objektiven Grundrechtsdimension erwachsende Optimierungsgebot darstellen würde und insofern verfassungswidrig wäre. 161 Der Konzeption von Scholz und Rupp wurde eine unzulässige „Verschränkung der Ebenen der Verfassungsnormativität und der Verfassungswirklichkeit“ vorgeworfen. 162 Die Ausrichtung an der durch die Wirtschaftsgesetzgebung konkretisierten Verfassungswirklichkeit, so der Vorwurf, führe dazu, dass einfaches Gesetzesrecht „zum maßgeblichen Bestimmungselement der Verfassungsnormativität avancieren“ würde. Dies führe zu einer Preisgabe der exponierten normenhierachischen Stellung der grundgesetzlichen Regelungen. Der Ansatz sei zudem inkonsistent, denn die genannten Autoren würden ihrer Betrachtung letztlich das Idealbild der sozialen Marktwirtschaft und nicht ihre reale Ausprägung zugrunde legen. Soweit sich diese Kritik ganz grundsätzlich gegen die Verschränkung von Verfassungsnormativität und Verfassungswirklichkeit richtet, erscheint sie freilich überspitzt. Das „Ob“ der Geltung faktischer Gegebenheiten im Rahmen der Verfassungsinterpretation kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, denn die Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit wird ausdrücklich in einzelnen Grundgesetzartikeln verlangt. 163 So knüpft etwa Art. 33 Abs. 5 GG an die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ an und öffnet somit der Faktizität Eingang bei der Auslegung der Verfassungsnorm. Darüber hinaus weisen auch das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG als auch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG eine normstrukturelle Offenheit gegenüber realen Gegebenheiten auf, wenn dort an Elemente wie die „Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ oder „die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“ angeknüpft wird, die ihrerseits faktischen Einflüssen offen stehen. Problematisch erscheint allein, „wie“ die Lebenswirklichkeit über die einzelnen Wertungen des Verfassungsinterpreten Eingang in das Verfassungsrecht finden kann. Der Konflikt reduziert sich demnach auf den einzufordernden Anspruch gegenüber Werten und Wertungen im Rahmen der Verfassungsauslegung. Diese Überlegungen werden an anderer Stelle noch vertieft behandelt. 164 An dieser Stelle nur soviel: Ungeachtet 159 160 161 162 163 164
H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 19. Vgl. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 17. Vgl. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung, 1974, S. 20. So A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, S. 8 f. Hierauf verweist M. Dolderer, in: Objektive Grundrechtsgehalte, S. 137 f. Vgl. hierzu 3. Kapitel § 4 II.
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der grundsätzlichen Möglichkeit zur Einbeziehung realer Lebenssachverhalte in die Verfassungsinterpretation gilt es stets, das Bezugsband zur Rechtsidee zu wahren. In diesem Zusammenhang spielt der Umstand eine besondere Rolle, dass die Grundrechte Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie darstellen und durch diese ihre Ur-Sinngebung erfahren. 165 Aus dem Blick darf auch nicht geraten, dass der Wortlaut der Norm und ihre systematische Stellung Anhaltspunkte für die Sinnermittlung liefern. Der „spezifisch funktionale Geltungsgehalt“, den die Wirtschaftsgrundrechte nach Einschätzung von Scholz aus der gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Realität empfangen, darf zu alldem nicht im Widerspruch stehen.
V. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes In seiner Entscheidung zum Investitionshilfegesetz vom 20. Juli 1954 vertrat das Bundesverfassungsgericht erstmals die These von der so genannten „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes. Es hielt fest: „Das Grundgesetz garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde ‚soziale Marktwirtschaft‘. Die ‚wirtschaftspolitische Neutralität‘ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“ 166 In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht diese zentralen Aussagen wiederholt und sie fortan zur ständigen Rechtsprechung entwickelt. 167 Dem Rückgriff auf den wortgewaltigen Terminus „wirtschaftspolitische Neutralität“ ist es letztlich zu verdanken, dass ein bedeutsamer Nebensatz in der Formulierung der verfassungsgerichtlichen These im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion keine hinreichende Berücksichtigung fand. Von Bedeutung ist nicht nur, dass das Bundesverfassungsgericht eine „wirtschaftsverfassungsrechtliche InhaltsVgl. 4. Kapitel § 1 I. BVerfGE 4, 7 ff. (17 f.). 167 Vgl. BVerfGE 12, 354 ff. (363); E 14, 263 ff. (275); E 30, 292 ff. (315); E 50, 290 ff. (336 ff.); vgl. auch BVerwGE 17, 306 ff. (308); E 39, 329 ff. (336); E 71, 183 ff. (195). Vgl. auch H. D. Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1997, § 3 Rn. 2; U. Karpen, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, in: Jura 1985, S. 188 ff. (191); G. Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1989, S. 17; F. v. Zezschwitz, Einführung in das Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftverwaltungsrecht, in: JA 1979, S. 247 ff. (250). 165 166
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2. Kap.: Historische Entwicklung
oder Entscheidungslosigkeit“ im Krüger’schen Sinne und somit eine wirtschaftspolitische Neutralitätsgarantie ausdrücklich ablehnte. Vielmehr wurde dem Gesetzgeber nur insoweit wirtschaftspolitische Gestaltungsbefugnis zugebilligt als „er dabei das Grundgesetz beachtet“. 168 Diese auf den ersten Blick eher banal klingende Formulierung bildet, wie insbesondere Nipperdey und E. Benda später feststellten, die eigentliche Kernaussage des verfassungsgerichtlichen Standpunktes 169, denn sie ist das Einfallstor, durch das mithilfe einer fortentwickelten Verfassungs- bzw. Grundrechtsdogmatik die Konturierung bzw. Konkretisierung des wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraumes möglich ist. Erst in der Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz im Jahre 1979 hat das Bundesverfassungsgericht das wirtschaftsverfassungsrechtliche Anforderungsprofil näher präzisiert. Dabei hatte es sich mit den Positionen des so genannten Kölner Gemeinschaftsgutachtens zum Mitbestimmungsgesetz 1976 auseinander zu setzen. 170 Wie schon zuvor Rupp und Scholz versuchten die Autoren des Gutachtens die Überwindung des tradierten, rein negatorischen Grundrechtsverständnisses. Ausgehend von einer prinzipiellen Betrachtung der Grundrechte, sollten die sich daraus ableitenden objektiven Gehalte der Grundrechte in den Mittelpunkt der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Betrachtung gestellt werden. Diese objektiv-direktiven Inhalte der Grundrechtsbestimmungen, so die Autoren, würden einen Koppelungsmechanismus in zweierlei Hinsicht auslösen: Zum einen seien die Grundrechte über ihre objektiven Gehalte „selbst in einem gemeinsamen Sinnprinzip verbunden“, das sich in den Art. 1, 2 und 19 Abs. 2 GG andeuten würde. 171 Darüber hinaus ergebe sich eine (Ver-)Koppelung jedoch auch im Verhältnis zu anderen materiellen Verfassungsbestimmungen, wie beispielsweise dem Rechtsstaatsprinzip, dem Sozialstaatssatz und den materiellen Inhalten der Kompetenznormen. Die genannten Koppelungseffekte, so die Quintessenz des Kölner Gemeinschaftsgutachtens, würden einen Ordnungs- und Schutzzusammenhang der wirtschafts- und arbeitsverfassungsrechtlichen Freiheiten, Rechte und Garantien konstituieren, der es verbieten würde, „die Grundrechtsbestimmungen nur als isolierte Einzelregelungen mit bloß sektoraler Garantiewirkung zu berücksichtigen“. Vielmehr verdichte sich dieser makrosystematisch gewonnene Ordnungszusammenhang „zu einzelnen Prinzipien zugunsten der Privatwirtschaft und der Marktwirtschaft, des freien marktwirtschaftlichen Wettbewerbs und der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, des unBVerfGE 4, 7 ff. (18). E. Benda, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, in: Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 185 ff. (189 f.); H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1965, S. 24; vgl. H. Hablitzel, Wirtschaftverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S. 65 ff. (68). 170 Vgl. P. Badura, F. Rittner, B. Rütters, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz, 1977, S. 186 ff., 190 ff., 246 ff., 296 f. 171 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei P. Badura, F. Rittner, B. Rütters, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz, 1977, S. 246–250. 168 169
§ 2 Die unterschiedlichen Standpunkte
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ternehmerischen Handelns und des privatnützigen Eigentumsgebrauchs“. Der wirtschaftsgestaltende Gesetzgeber bedürfe bei Eingriffen in eben diese Strukturprinzipien einer „definierten und hinreichenden Rechtfertigung durch das öffentliche Interesse“. Im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit wirtschaftsordnender Gesetze stellte das Bundesverfassungsgericht demgegenüber fest: „Diese ist unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte primär eine solche der Wahrung der Freiheit des einzelnen Bürgers [...]. Nicht ist sie Frage eines ‚institutionellen Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung‘, der durch verselbständigte, den individualrechtlichen Gehalt der Grundrechte überhöhende Objektivierungen begründet wird, oder eines mehr als seine grundgesetzlichen Elemente gewährleistenden ‚Ordnungs- und Schutzzusammenhangs der Grundrechte‘.“ 172 Als verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab wollte das Bundesverfassungsgericht „diejenigen Einzelgrundrechte“ heranziehen, „welche die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Einführung einer erweiterten Mitbestimmung markieren“. 173 Das Bundesverfassungsgericht sprach sich damit zwar unmissverständlich für eine Verortung der einzelnen Wirtschaftsgrundrechte in ihrer klassischen Form als Abwehrrechte „bei gleichzeitiger Zurückdrängung von deren institutioneller oder objektiv-rechtlicher Sicht“ aus 174. Jedoch hatte es in derselben Entscheidung noch kurz zuvor festgestellt, dass sich Einzelgrundrechte „nicht ohne Berücksichtigung der Überschneidungen, Ergänzungen und Zusammenhänge zwischen ihrem Schutzbereich und dem anderer Grundrechte und nicht ohne Rücksicht auf die das Grundgesetz tragenden Prinzipien auslegen“ 175 ließen. Mit diesen Formulierungen, so stellt R. Schmidt zutreffend fest, „gerät das Gericht in kaum mehr trennbare Nähe“ 176 zu dem von ihm letztlich so eindringlich abgelehnten Ansatz des „Kölner Gemeinschaftsgutachtens“ 177, welcher gerade die wechselseitigen Verschränkungen der Wirtschaftsgrundrechte in den Mittelpunkt seiner Betrachtung rückte. Die dargestellte Position des Bundesverfassungsgerichts wird im Hinblick auf diese Unstimmigkeit im Rahmen der folgenden Untersuchung eine intensive kritische Würdigung erfahren müssen. 178
BVerfGE 50, 290 (337 f.). BVerfGE 50, 290 (336). 174 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht AT, 1990, S. 77; ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 24. 175 BVerfGE 50, 290 (336). 176 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 77; ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 24. 177 Vgl. P. Badura, F. Rittner, B. Rütters, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz, 1977, S. 186 ff., 190 ff., 246 ff., 296 f. 178 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 1 I, 4. Kapitel § 1 II. 3, 4. Kapitel § 3 II. 1 und 5. Kapitel § 2 II. 172 173
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2. Kap.: Historische Entwicklung
VI. Die These Abendroths Kaum Zustimmung hat in der wissenschaftlichen Diskussion die These W. Abendroths gefunden. Nach seiner Auffassung – wobei er die Begriffe der Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung im idealtypischen Sinne verwendet – würde das Bonner Grundgesetz gar keine Wirtschaftsverfassung festlegen. 179 Vielmehr hätte die Verfassung diese Frage bewusst offen gelassen, um es dem Staatsvolk im Rahmen der demokratischen Willensbildung zu ermöglichen, die „auf Restauration der früheren (und durch die Interventionen der Besatzungsmächte vorläufig hergestellten) Machtverhältnisse“ gerichtete „spätkapitalistische Gesellschaftsordnung“ durch einen „demokratischen Sozialismus“ zu ersetzen, ohne dass es hierzu einer Verfassungsänderung bedürfe. Dieses Ergebnis entnahm Abendroth, letztlich ohne größeren Begründungsaufwand, aus einer von ihm erkannten Parallelität des Eigentumsgrundrechtes und der „Sozialisierungsermächtigung“, welche er „durch die Formel des ‚demokratischen und sozialen Bundesstaates‘ in Art. 20 Abs. 1 GG sowohl überdacht als auch ergänzt“ sah. Das Unterfangen, aus dem Grundrechtssystem des Bonner Grundgesetzes „den verfassungsrechtlichen Schutz des liberalkapitalistischen bzw. des spätkapitalistischen Wirtschaftssystems“ ableiten zu wollen, nannte er „logisch und rechtsgeschichtlich unhaltbar“. Vielmehr, so seine Auffassung, würde das Demokratie- und Sozialstaatsprinzip zu einer Grundrechtsinterpretation zwingen, die im Hinblick auf die „sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft“ die „Möglichkeit legaler Verwirklichung“ enthält. Abendroths Argumentationsgang war wesentlich dadurch geprägt, dass sich seine Begründungsversuche stets in Behauptungsform vollziehen. Abgesehen von der rechtsgeschichtlichen Deutung der Verfassungsberatungen, wonach sich die im Parlamentarischen Rat vertretenen politischen Kräfte eine weitgehendere Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung offen halten wollten, erscheinen seine Prämissen wie Schlussfolgerungen durchweg bedenklich. Wenn Abendroth auch das Modell einer sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft unter dem Grundgesetz für möglich hält, so berücksichtigt er letztlich nicht die prinzipielle Wirkkraft der wirtschaftsrelevanten Grundrechte und den Geltungsanspruch des Prinzips „freiheitlicher Sozialstaat“. 180 Es wird Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung sein, diese Position zu entkräften.
179 Die hier und nachfolgend zitierten Textstellen und sinngemäß wiedergegebenen Gedanken finden sich bei W. Abendroth, Das Grundgesetz, 1976, S. 65–68. 180 Vgl. Ch. Tsiliotis, Der verfassungsrechtliche Schutz der Wettbewerbsfreiheit und seine Einwirkung auf die privatrechtlichen Beziehungen, 2000, S. 37.
3. Kapitel
Methodische Grundlagen der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemfreilegung § 1 Vorüberlegungen I. Abkehr von einer systematischen Betrachtungsweise Seit dem Ende der siebziger Jahre haben sich die Schwerpunkte in der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Debatte erkennbar verlagert. Ob sich das Grundgesetz für ein bestimmtes Wirtschaftsmodell entschieden hat, erscheint nunmehr von nachrangiger Bedeutung. So hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Beantwortung der Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung eines Wirtschaftsmodells erst dann erfolgen kann, wenn der Gehalt der einzelnen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten des Grundgesetzes, ihr Verhältnis zueinander und die Frage nach einem möglicherweise bestehenden Gesamtzusammenhang zwischen den Verfassungsbestimmungen eine umfassende Klärung erfahren haben. Deutlich lässt sich diese Entwicklung anhand der heftig geführten Diskussion um die Verfassungsgemäßheit des Mitbestimmungsgesetzes 1976 nachvollziehen. 181 Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage nach einem dem Grundgesetz immanenten wirtschaftverfassungsrechtlichen System und der sich daraus ergebenden Konturierung des wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Mit diesem Streit über das „Ob“ und „Wie“ eines „institutionellen“ Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung ging die Diskussion über die (inhaltlichen) Gehalte und Funktionen der Wirtschaftsgrundrechte einher. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mitbestimmungsgesetz 182 verharrte die wirtschaftsverfassungsrechtliche Debatte, trotz der weiterhin ungelösten Problematik, für rund ein Jahrzehnt im Stillstand. Erst zu Beginn der neunziger Jahre brach die Diskussion erneut auf. Dabei traten die Konsequenzen der deutschen Einheit sowie die sich aus der fortschreitenden europäischen Integration ergebenden Wechselwirkungen zwischen grundgesetzlicher und gemeinschaftsrechtlicher Wirtschaftsverfassung als neue Streitpunkte hinzu. 181 Eine umfassende Darstellung des Streitverlaufs findet sich bei P. Pernthaler, Ist Mitbestimmung verfassungsrechtlich meßbar?, 1980, S. 13 ff., 51 ff. 182 BVerfGE 50, 290 ff.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Die Wiederbelebung dieser Debatte führte indes nicht dazu, der Idee einer „systematischen Gesamtschau“ des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Normengefüges zum Durchbruch zu verhelfen. 183 Dies mag kaum verwundern, denn die Mitbestimmungsentscheidung scheint auf den ersten Blick den Standpunkt der Skeptiker und erklärten Gegner einer systematischen Betrachtungsweise zu stützen. Erst näheres Hinsehen eröffnet den Blick für eine differenzierte Betrachtungsweise. So ist es dem Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung keineswegs darum gegangen, den systematischen Bestrebungen im Wirtschaftsverfassungsrecht gänzlich einen Riegel vorzuschieben. 184 Vielmehr verwahrte es sich nur insoweit gegen einen „institutionellen Zusammenhang der Wirtschaftsverfassung“ als Systemsubstrat und Prüfungsmaßstab, als dieser „durch verselbständigte, den individualrechtlichen Gehalt der Grundrechte überhöhende Objektivierungen begründet wird“. 185 Ungeachtet der Frage nach den Hintergründen dieser Relativierung 186 wird doch bereits aus dieser einschränkenden Formulierung selbst deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht einen Systemzusammenhang im Wirtschaftsverfassungrecht unterhalb der von ihm bezeichneten Schwelle offenbar grundsätzlich anerkennt. 187 Diese Auffassung wird durch die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichtes gestützt, wonach sich auch die Wirtschaftsgrundrechte „nicht ohne Berücksichtigung der Überschneidungen, Ergänzungen und Zusammenhänge zwischen ihrem Schutzbereich und dem anderer Grundrechte und nicht ohne Rücksicht auf die das Grundgesetz tragenden Prinzipien“ auslegen lassen. 188 Mit dieser zutreffenden Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht konsequent an seine traditionelle, systemfreundliche Sichtweise angeknüpft. Bereits in einer frühen Entscheidung heißt es hierzu: „Eine einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Sie steht in einem Sinnzusammenhang mit den übrigen Vorschriften der Verfassung, die eine innere Einheit darstellt. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und
183 Systematische Betrachtungen der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung lassen sich in jüngerer Zeit nur noch vereinzelt im Schrifttum ausmachen; vgl. bspw. M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff.; H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S.35 ff. Für die Wirtschaftsverfassung der EU findet sich ein systematischer Ansatz bei T. Schubert, in: Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 68 ff. u. 333 ff. 184 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 78; vgl. aber R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 21; ders., Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 74; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1753. 185 BVerfGE 50, 290, 337 f. (Hervorhebung durch Verf.). 186 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 II. 3. 187 Vgl. auch U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 18 f. 188 BVerfGE 50, 290 ff. (336); vgl. auch H. Hablitzel, Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S. 65 ff. (101).
§ 1 Vorüberlegungen
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Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet sind.“ 189 Die Ursachen für die traditionelle Reserviertheit gegenüber systembezogenen Lösungsvorschlägen im Wirtschaftsverfassungsrecht und die undifferenzierte Bewertung des verfassungsgerichtlichen Standpunktes lassen sich mit einem tradierten Grundrechtsverständnis und mit der noch nicht vollständig vollzogenen „Wendung zur Wertungsjurisprudenz“ erklären. 190 „Begriff und Grundlagen der Rechtsgeltung“ werden im „modernen Rechts- und Verfassungsstaat“ immer noch von der „wissenschaftstheoretischen Perspektive“ des „juristischen Positivismus“ dominiert. 191 Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass einer systematischen Gesamtbetrachtung, die sich „um die Aufdeckung allgemeiner Rechtsgedanken, die Vermeidung von Wertungswidersprüchen, die Konkretisierung der Rechtsprinzipien in den Regelungsinhalten und in der Rechtssprechung“ 192 bemüht, vorgehalten wird, dem Recht längst entrückt zu sein und ergebnisorientiert zu arbeiten. 193
II. Sinnhaftigkeit einer systematischen Auslegung der Wirtschaftsverfassung Der Verzicht auf eine systematische Betrachtungsweise ist indes mit erheblichen Nachteilen verbunden. So müssen Zweifel daran geäußert werden, ob das verkrampft wirkende Unterfangen, „Legitimität [...] restlos in Legalität“ aufgehen zu lassen, einen Rückgriff auf ein wertgeladenes Systemmodell tatsächlich ersetzen kann. 194 Zumal gerade im Verfassungsrecht positivrechtlichen Spezifizierungen und einer allein hierauf abstellenden juristischen Argumentation Grenzen gesetzt sind. Auch darf nicht übersehen werden, dass die „schwindende Neigung zu anspruchsvoller, analytischer Systematisierungsarbeit [...] ein wichtiger (und der von der Ju-
189 BVerfGE 1, 14 ff. (32); vgl. auch BVerfGE 34, 165 ff. (183); E 39, 334 ff. (368); R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 24. 190 Vgl. B.-C. Funk (ders., Regeln und Prinzipien in Teilsystemen des Rechts, in: Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S.259 ff. (261), der davon spricht, dass das öffenliche Recht „dem beweglichen Systemdenken und der Regelgewinnung im Wege der Abwägung von antagonistischen Prinzipien traditionell eher reserviert gegenüber“ steht. Vgl. auch 2. Kapitel § 2 II und K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 119 ff. 191 G. Luf, Zur Geltung von Rechtsprinzipien, in: Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 129 ff. (129). 192 So K. Larenz (ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 124 f.) unter Hinweis auf das „innere System“ i. S. Ph. Hecks; vgl. hierzu auch 3. Kapitel § 5. 193 Zu den rechtspositivistischen Ansätzen einer Systembildung im Verfassungsrecht vgl. N. Luhmann, Soziale Systeme, 1985, passim; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 9 ff., 40 f., 76 f. 272 ff., 496 ff.; zur Kritik hieran vgl. bereits H. Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, 1975, S. 194; vgl. auch K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 428. 194 M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, 1979, S. 125.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
risprudenz am besten bekämpfbare!) Grund für die stets zunehmenden unübersichtlichen und kasuistischen Paragraphenmassen [darstellt], die zu der von jedermann laut und mit Recht beklagten ‚Gesetzesflut‘ führen, die allmählich alle Rechtssubstanz zu verschlingen droht“. 195 Eine systematische Betrachtung der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, d. h. der „verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens“ 196 verfolgt deshalb keinen Selbstzweck. Werden beispielsweise wirtschaftlich relevante Grundrechte, losgelöst vom einzelnen Grundrechtsträger und seiner aktuellen Grundrechtsausübung 197, auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, ihre wechselseitigen Schutzverflechtungen, ihr Verhältnis zu anderen Verfassungsbestimmungen sowie die von ihnen hervorgebrachten Wirkungen und tragende Sinnzusammenhänge hin untersucht, so geht es nicht nur schlicht darum, ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den Verfassungsbestimmungen zu entwickeln. Vielmehr dient ein derart gewonnenes System vor allem der Rechtsgewinnung; freilich nicht in dem Sinne, als dass es neue Lösungen hervorbringen könnte, die nicht schon vorher in den einzelnen Elementen angelegt waren. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, rechtsalltägliche Probleme systemkonform zu lösen. 198 So sieht sich die Verfassungsrechtspraxis vor die oftmals schwierige Herausforderung gestellt, Konflikte zwischen Gütern von Verfassungsrang im Wege der Abwägung aufzulösen. Die verallgemeinerbaren Kriterien, auf die in diesem Zusammenhang zurückgeriffen werden kann, erweisen sich als sehr vage. Klarheit herrscht zumindest insoweit, dass die abzuwägenden Materien im Vorfeld der Abwägung einer gründlichen Aufbereitung bedürfen. Bei diesem Vorgang könnten aus der Verfassung hergeleitete Systeme eine wertvolle Hilfestellung bieten. Dies würde freilich voraussetzen, dass solche Systeme überhaupt geeignet sind, fundierte Erkenntnisse zu liefern, die der Rechtsgewinnung dienen, was nachfolgend noch einer weiteren Vertiefung bedarf. Dies unterstellt, liefern sie fundamentale Aussagen als Basis für die im Wege der praktischen Konkordanz zu treffenden Einzelfallentscheidungen. Wirtschaftlich relevante Grundrechte als Gewichtungsfaktoren sind in den Abwägungsvorgang daher stets unter Berücksichtigung der ermittelten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemzusammenhänge einzustellen. Durch diese Rückbindung an das abstrakte System wird einem Kernproblem des Abwägens, dem Unterlaufen von Fundamental- durch Einzelfallentscheidungen, konsequent und von Anfang an entgegengetreten. 199 Einem möglichen Missverständnis sei an dieser Stelle bereits klar entgegengetreten: In Übereinstimmung mit der Mitbestimmungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bilden die Einzelgrundrechte den Ausgangspunkt der jeweiligen Prü195 F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 683 ff. (688 f.). 196 Vgl. Fn. 59. 197 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 78. 198 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 419. 199 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 112.
§ 1 Vorüberlegungen
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fung und nicht der freigelegte Systemzusammenhang. Letztgenannter dient vielmehr als Interpretationshilfe im Rahmen der systematischen Auslegung der Einzelgrundrechte. 200
III. Methodische Basis als notwendige Prämisse einer systematischen Betrachtung der Wirtschaftsverfassung Unter Anknüpfung an die historische Entwicklung des Streitstandes soll im Folgenden die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes einer eingehenden systematischen Analyse unterzogen werden. Erst im Anschluss an dieses Unterfangen kann Klarheit darüber herrschen, als wie weitreichend sich die Zusammenhänge zwischen den einzelnen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten erweisen und ob es angemessen erscheint, von einem System der Wirtschaftsverfassung zu sprechen, das verbindliche Leitlinien enthält. 201 Im Hinblick auf die beabsichtigte Systemfreilegung sind der eigentlichen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Analyse grundsätzliche Überlegungen methodischer Art voranzustellen. So kann bereits die Verwendung des Topos „System“ nicht vorbehaltslos erfolgen. Der in nahezu allen Wissenschaftsfeldern erfolgende Rückgriff auf den Systembegriff lässt eine Vielzahl an unterschiedlichen Bedeutungsgehalten vermuten. 202 Diese darzustellen kann nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. Ungeachtet der konkreten Fragestellung 203 kommt es zunächst darauf an, einen für die Jurisprudenz brauchbaren Systembegriff zu entwickeln. Im Anschluss hieran ergeben sich drei weitere, eng miteinander verknüpfte Fragestellungen. So ist zu klären, welche Art von System, in Anlehnung an den gewonnenen Systembegriff, überhaupt zur rechtswissenschaftlichen Erkenntnis- und Rechtsgewinnung taugt. Danach ist zu untersuchen, welche Struktur die im Rahmen der Systemmodellation heranzuziehenden Bestandteile aufweisen müssen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Frage nach der der Vorgehensweise zur Offenlegung der Zusammenhänge im System zu beantworten.
Vgl. hierzu 5. Kapitel § 2 II. Vgl. hierzu auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1755. 202 Vgl. nur T. Eckhoff/N. K. Sundby, Rechtssysteme, 1988, S. 18. 203 Um die beabsichtigte Analyse nicht bereits im Vorfeld dem Vorwurf der „Tendenziösität“ auszusetzen, gilt es, eine allzu enge Anknüpfung an die vorliegende Fragestellung zu vermeiden. Sicherlich muss sich der Systembegriff, gemessen an der jeweilige Problemstellung, als brauchbar erweisen. Um als wissenschaftlich überzeugende Prämisse zu dienen, darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass die Begriffsfindung auf die erwünschte Lösung hin „zugeschnitten“ wird. Der vorliegend zu entwickelnde Systembegriff muss somit ein für die Jurisprudenz allgemeingültiger sein. 200 201
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
§ 2 Systeme als zulässiges Instrumentarium der Rechtsmethodik? Das „Systemdenken“ generell sah sich in der Rechtslehre stets heftiger Kritik ausgesetzt. Was die Einstufung der gesamten Rechtsordnung als System betrifft, so reichte das Meinungspektrum ursprünglich von einer vorbehaltslosen Zustimmung bis hin zu uneingeschränkter Ablehnung. 204, 205 In neuerer Zeit wurde die Systemkritik, wenn auch in abgeschwächterer Form, wesentlich durch Th. Viehwegs Schrift „Topik und Jurisprudenz“ bestärkt. 206 Die Vertreter der Topik lehnen die Bedeutung von Systemen insbesondere für Einzelfallentscheidungen ab. 207 Wesentliche Fragestellungen der Rechtsmethodik und Rechtsphilosphie verleihen der Systemkontroverse letztlich die fortgesetzte „Hartnäckigkeit und Schärfe“. 208 Die Themenpalette reicht von der die Rechtsmethodik des 20. Jhs. bestimmenden Auseinandersetzung zwischen „Begriffs-“ und „Interessensjurisprudenz“, die sich anschließende bis heute nur zum Teil vollzogene Hinwendung zur Wertungsjurisprudenz, der Kritik am Subsumtionsmodell bis hin zu den neuheitlichen Verfahren der wertgeladenen juristischen Argumentation. 209 Angesichts dieser Vielzahl an Problemen sind offenbar die Folgen einer entschiedenen Ablehnung des Systemdenkens weitgehend in Vergessenheit geraten. Erinnert sei an die Worte von J. Binder und später K. Engisch, die den Kritikern des Systemdenkens überzeugend die destruktiven Konsequenzen ihrer Argumentation vor Augen führten. In der Quintessenz hieß es dort: Der Rechtsordnung den Systemcharakter abzusprechen, heißt auch den Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz in Frage zu stellen. So stellte Engisch fest: „Um dem Juristen den Glauben an sein 204 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 9 f.; K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. 205 Diese Extrempositionen seien kurz zitiert. So erklärte schon W. Sauer: „Nur das System verbürgt Erkenntnis, verbürgt Kultur. Nur im System ist möglich wahres Wissen, wahres Wirken“ (ders., Juristische Methodenlehre, 1940, S. 171). Ganz anders hingegen C. A. Emge: Ein „System ist stets ein inhaltlich zu weit gehendes Unterfangen der ‚Vernunft‘“ (ders., Einführung in die Rechtsphilosophie, 1955, S. 378). Wie Canaris später feststellt, trennt diese Aussage nicht viel von der inzwischen klassisch gewordenen Formulierung Nietzsches, wonach ein Wille zum System als ein „Mangel an Rechtschaffenheit“ zu werten sei (vgl. ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 9; F. Nietzsche, Götzen-Dämmerung, oder: Wie man mit dem Hammer philosophiert, in: Werke in drei Bänden, Bd.II, 1977, S.939 ff. (946, 26)). 206 Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1974 (vgl. z.B. S. 82 ff.); vgl. zur Kritik an diesem Standpunkt U. Diederichsen, Topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz, in: NJW 1966, S. 697 ff. 207 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 125. 208 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 9. 209 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 124 f.
§ 2 Systeme als zulässiges Instrumentarium der Rechtsmethodik?
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Fach zurückzugeben, hat man die Rechtswissenschaft als Wissenschaft zu retten sich bemüht dadurch, daß man Methodik und Systematik als Kriterien strenger Wissenschaft herausgestellt [...] hat.“ 210 Binder hatte zuvor bemerkt: „Unter Wissenschaft [...] verstehen wir anerkanntermaßen ein System von objektiv gesicherten, inhaltlich zusammengehörigen, logisch geordneten Erkenntnissen [...]. Wissenschaft wird also die Rechtswissenschaft sein, wenn sie [...] aus ihrem Materiale, den Rechtssätzen, die ihr in dem Zustand der Vereinzelung gegeben sind, ein System objektiv gültiger Begriffe zu gewinnen und zu errichten sucht“. 211 Kürzer, aber deswegen nicht minder zutreffend hatte H. J. Wolff festgestellt: „Rechtswissenschaft [...] ist systematisch oder sie ist nicht!“ 212 Die vorliegende Analyse muss sich jedoch nicht vertieft mit der Frage des Systemcharakters der Rechtsordnung in Gänze und den damit zusammenhängenden, rechtsphilospophischen und -methodischen Kontroversen auseinandersetzen, denn die Systembildung soll sich lediglich nur auf einen Teilausschnitt des Grundgesetzes – die Wirtschaftsverfassung – beziehen. Entsprechend differenziert auch F.J. Peine zwischen der Gesamtrechtsordnung als System und der Bildung von Teilsystemen. Er kommt zu dem Schluss, dass selbst die Annahme einer Nichtsystematisierbarkeit der Gesamtrechtsordnung nicht die Möglichkeit der Bildung von Teilsystemen ausschließen würde. 213 Auch im Zusammenhang mit der Analyse eines rechtlichen Teilgebietes ist der Einwand nicht von der Hand zu weisen, dass die Bildung eines juristischen Teilsystems nur dann möglich erscheint, wenn das Erkenntnisobjekt, d. h. das zu analysierende Rechtsgebiet auch tatsächlich ein „objektives“ bzw. „reales“ System aufweist. 214 Wenn von der „Summe der verfassungsrechtlichen Gestaltungselemente der Ordnung der Wirtschaft“ 215 die Rede ist, so ist damit zwar „an eine Erfassung aller dieser Elemente zu systematischen Zwecken gedacht“. 216 Damit gilt alledings nicht a priori, dass „diese Summe ein kohärentes Sinngefüge ergibt“. 217 Dem Forscher wird vielmehr die Aufgabe zuteil, real gegebene Systemstrukturen nachzuweisen, oder deren Existenz zu verneinen. 218 Eine Systembildung zielt somit auf die 210 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173. 211 J. Binder, Philosophie des Rechts, 1925, S. 838 u. 841 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 212 H.J. Wolff, Typen im Recht und in der Rechtswissenschaft, in: Studium Generale, 5.Jhrg., Heft 4 (1952), S. 195 ff. (205). 213 F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 114 ff. insbes. S. 122, 124 f. 214 Vgl. R. Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. III, 1930, S. 204 ff. 215 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 70; vgl. auch H. Hablitzel, Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz, in: BayVBl. 1981, S. 65 ff. (71). 216 J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 8. 217 J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 8. 218 So stellt F. J. Peine zutreffend fest, dass die Möglichkeit einer wissenschaftlichen (Teil-)Systembildung bzw. -freilegung im konkreten Fall „durch Probieren gezeigt werden“
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Aufschlüsselung des tatsächlich Vorhandenen. 219 Der Forscher hat dabei die engstmöglichste Bindung mit den zu analysierenden Normstrukturen zu wahren, um ein wirklichkeitsnahes Abbild mithilfe des wissenschaftlichen Systems zu erzeugen. Insofern erscheint es auch terminologisch präziser, von einer Systemfreilegung anstatt von einer Systembildung zu sprechen. Über ihr Gelingen kann erst „ex-post“ geurteilt werden.
§ 3 Der „juristische“ Systembegriff als Prämisse des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Teilsystems I. „Zweibezüglichkeit“ als Bestandteil des „juristischen“ Systembegriffs Das Wort „systema“ fand ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, ausgehend von der Theologie, Eingang in andere Wissenschaftsfelder. 220 Ein Jahrhundert danach formulierte Ch. Wolff seinen später die Kant’sche Denkweise prägenden Systembegriff. 221 Ein System war hiernach der Zusammenhang miteinander verknüpfter Wahrheiten, wobei die Verknüpfung methodisch richtig und aus einem zugrundeliegenden Prinzip vollständig deduziert sein muss. 222 I. Kant begriff dann das System als „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ oder als „ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes“. 223 All diese Begriffsdefinitionen stellten noch nicht den „Höhepunkt theoretischer Systemreflektion“ dar, auf den erst J. H. Lambert führte, indem er den Systembegriff als durch drei Faktoren geprägt sah. 224 Ihm zufolge sollte ein System denknotwendig mehrere Teile voraussetzen. Diese Teile müssten einer bestimmten Zielsetzung gemäß geordnet werden. Letzlich würde jedoch erst eine doppelte Ordnung den muss (ders., Das Recht als System, 1983, S.122 u. 124 f.). Peine bezieht sich zwar ausdrücklich auf die Bildung von axiomatischen Teilsystemen. Seine Aussage ist allerdings verallgemeinerungsfähig (vgl. S. 125). 219 Ähnlich auch O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), S. 193 ff. (224). 220 Vgl. A. v. d. Stein, Der Systembegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, S. 1 ff. (10 ff.). 221 Vgl. A. v. d. Stein, Der Systembegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, S. 1 ff. (12). 222 Vgl. Ch. Wolff, Philosophia Rationalis sive logica, in: ders., Gesammelte Werke, II. Abteilung, Bd. 1.3, 1983, § 889 (vgl. auch § 829); vgl. auch H.W. Arndt, Einführung des Herausgebers, in: Ch. Wolff, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd. I, 1965, S. 90 ff. 223 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 860; ders., Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A IV. 224 F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 33.
§ 3 Der „juristische“ Systembegriff
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Systembegriff komplettieren. So müsste neben der Bezugnahme auf den leitenden Ordnungsgesichtspunkt auch das Verhältnis der Systemteile untereinander eine Klärung erfahren. 225 In neuerer Zeit vertrat vor allem W. Fikentscher eine juristisch brauchbar erscheinende Definition des Systembegriffs. Nach seiner Auffassung enthält ein System die „Anordnung von Begriffen in mindestens drei logischen Beziehungen [...], von denen eine ein verallgemeinertes Prinzip und zwei andere inhaltlich gleiche Besonderheiten wiedergeben: Zwei Begriffe liegen gleich im Bezug auf ein Prinzip“. In einem derart geprägten System erkennt er eine „Struktur mit Verallgemeinerungsmöglichkeiten, sofern man unter Verallgemeinerung die Absicht versteht, auf fernerliegende Umstände, auf ‚dritte Punkte‘ zu schließen“. 226 Dieses „Strukturverständnis“ erscheint jedoch im Hinblick auf die Verwendbarkeit in der Jurisprudenz m. E. problematisch. Den „dritten Punkt“ möchte Fikentscher nämlich dadurch gewinnen, dass er aus der Gleichordnung zweier Elemente zunächst ein allgemeines Prinzip entwickelt und dann auf die Punkteebene zurückschließt. 227 So gerät dieses Verfahren in bedenkliche Nähe zu der zu recht gescholtenen Inversionsmethode. 228 Zudem hält Peine zutreffenderweise die Allgemeinheits-Besonderheits-Aussage im Verhältnis von Punkten und Prinzip bei Fikentscher letztlich auch für überflüssig und bescheinigt ihr zudem eine unnötige Einschränkung des Systembegriffes. 229 Damit ist die Brauchbarkeit der Begriffsdefinition Fikentscher’s jedoch nicht gänzlich in Frage gestellt. Wie schon die Definition von Lambert enthält auch sie mit ihrem doppelten Ordnungsbezug einen richtigen Kern. Diesen stellt Peine in der von ihm aus einer Analyse zahlreicher neuerer Systembegriffe 230 gewonnenen De225 Vgl. J. H. Lambert, Drei Abhandlungen zum Systembegriff, in: System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 161 ff. 226 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 97 ff. (104, 107). 227 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 97 ff. (105). 228 Zur Inversionsmethode vgl. auch K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 53. 229 Vgl. F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983 S. 56. 230 Peine legt seiner Betrachtung zunächst die Systembegriffe von Lambert, Savigny, Eisler, Hegler, Binder Coing, Fikentscher und der „Düsseldorfer Gruppe“ zugrunde und arbeitet dann aus der Vielzahl an Definitionen insgesamt neun Merkmale heraus, die er schließlich in einer Definition zusammenführt. Im einzelnen nennt er 1. das Vorhandensein verschiedener Teile, 2. einen Ordnungsgesichtspunkt, der als verbindende Kraft bzw. gemeinsames Band speziell ausgestaltet sein muss, 3. eine Struktur bzw einen Strukturzusammenhang, 4. ein übersummatives Ganzes, der in sich vorhandenen Gliederung, 5. eine einheitliche, zusammenhängende Ordnung, 6. ein Elementengesamt, 7. eine Begründungsmöglichkeit, 8. ein spezieller Bezug zur bzw. eine Spiegelung der objektiven Ordnung und schließlich 9. eine Absicht. Was die Merkmale 1. und 6. betrifft, so erkennt er eine weitgehende Übereinstimmung in allen Definitionen. In den Elementen 2. bis 5. sieht er lediglich unterschiedliche Formulierungen für das schon von Lambert beschriebene „Verhältnis der einzelnen Teile zueinander und [...] ihr Verhältnis zum
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
finition dann heraus: „Ein System besteht aus mehreren Teilen. Auswahl und Verknüpfung dieser Teile erfolgen nach einem Prinzip, das eine Aussage darüber ermöglicht, welche Art von Teilen zum System gehört, und darüber, wie die zum System gehörenden Teile sich untereinander verhalten“. 231 Deutlich wird damit die Unterscheidung zwischen ein- und zweibezüglichen Systemen. 232 Einbezügliche Systeme erschöpfen sich in ihrem Aussagegehalt dahingehend, dass sie lediglich feststellen, ob sich die zuzuordnenden Elemente oder Teile unter einem gemeinsamen Oberbegriff, Ordnungsgesichtspunkt o. Ä. zusammenfassen lassen. Ein zweibezügliches System trifft weitergehende Aussagen. Es stellt zusätzlich auch das Verhältnis der Systembestandteile untereinander klar. Auf diese Weise gelingt die Ausgestaltung einer Systemstruktur in höchst filigraner Weise. Der jedem System innewohnende Hang zur Vereinfachung wird entschärft. Das zusätzliche Erfordernis der Verhältnisbestimmung zwischen den Systembestandteilen ermöglicht eine deutliche Präzisierung des Aussagegehalts und gewährleistet damit zugleich eine höhere Qualität der Analyse. Bezogen auf die wirtschaftsverfassungsrechtliche Systemanalyse führt dies dazu, dass die einzelnen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten entsprechend ihrer Gewichtung in die Betrachtung eingestellt werden können. Diese Methodik gewährleistet die Berücksichtigung zahlreicher verfassungsrechtlicher Konfliktfelder. Ohne der Analyse vorgreifen zu wollen, sei hier nur an das konflitktträchtige Verhältnis zwischen der grundrechtlichen Freiheit und dem Sozialstaatsprinzip erinnert.233 Es bleibt somit als Zwischenergebnis festzuhalten, dass nur ein zweibezügliches System aufgrund seiner Mehrdimensionalität für die anspruchvolle Aufgabe einer wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemfreilegung geeignet ist. 234
Gliederungs- oder Ordnungsgesichtspunkt“. Die in 7. genannte Begründungsmöglichkeit ordnet er als dem Systembegriff immanent ein. Im Hinblick auf 8. weist er darauf hin, dass der Systembegriff ein „künstlicher“ sein muss; auf die objektive Ordnung käme es insoweit nicht an. Auch in der 9. genannten Absicht sieht er ein unbeachtliches Kriterium, denn die „Motivation dürfe „keinen Einfluß auf das Ergebnis wissenschaftlicher Begriffsbildung besitzen“ (F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 29 ff.). 231 F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 58. 232 Auch diese Unterscheidung geht auf Peine zurück. Fikentscher verwendet eine andere Aufteilung, die sich jedoch letzlich nur begrifflich von der Peines unterscheidet (vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd.III, 1976, S.647 sowie Bd.IV, 1977, S.86). Fikentscher unterscheidet im Hinblick auf den Systembegriff zwischen einer zweibezüglichen und einer dreibezüglichen Ausgestaltung. Ein Zweierbezug käme zum Ausdruck durch die Beziehung von „Geordnetem und Ordnendem“. Ein Dreierbezug ergebe sich zwischen den geordnenten Elementen untereinander und zwischen ihnen und dem ordnenden Element. 233 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 1. 234 Wie hier, allerdings auf ein System der Wirtschaftsverfassung der EU bezogen und unter Verwendung der Fikentscher’schen Terminologie (vgl. Fn. 232), auch T. Schubert (ders., in: Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff [...], 1999, S. 69 f.).
§ 3 Der „juristische“ Systembegriff
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II. Die dynamisch wirkende Komponente des „juristischen“ Systembegriffs Die Anforderungen an den rechtswissenschaftlichen Systembegriff hat C.-W. Canaris weiter präzisiert. So exegierte Canaris aus der Vielzahl an allgemeinen Systemdefinitionen das Begriffspaar „Ordnung“ und „Einheit“ als ständig wiederkehrende Elemente. Mit der „Ordnung“, so Canaris, sei „eine rational erfaßbare ‚innere‘, d. h. von der Sache her begründete Folgerichtigkeit gemeint“. 235 Das Element der „Einheit“ wirke auf das der „Ordnung“ dahingehend ein, „daß jene nicht in eine Fülle unzusammenhängender Einzelheiten zerfallen darf, sondern sich auf wenige tragende Grundprinzipien zurückführen lassen muß“.236 Das Begriffspaar „Ordnung“ und „Einheit“, so Canaris, finde seine „juristische Entsprechung im Gedanken der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und inneren Einheit der Rechtsordnung“ als Ausfluss aus dem „Gerechtigkeitsgebot und seinen Konkretisierungen im Gleichheitssatz und [...] der Tendenz zur Generalisierung“. 237 Beide Faktoren seien letztlich „Emanationen und Postulate der Rechtsidee“.238 Sie „darzustellen und zu verwirklichen“ sei die Aufgabe des Systemgedankens in der Rechtsordnung. 239 Jedoch fand diese, von einem spezifischen Systemauftrag ausgehende Begriffsfindung keine uneingeschränkte Zustimmung. 240 Die erhobenen Einwände lassen sich allerdings entkräften, zumal sie teilweise auf Missverständnissen beruhen. So geht der Vorwurf fehl, Canaris hätte seine Begriffsdefinition lediglich auf einbezügliche Systeme bezogen. 241 Denn die von ihm eingeforderte Darstellung und Verwirklichung der inneren Ordnung und Sinneinheit des Rechts beinhaltet in der Konsequenz auch eine Verhältnisbestimmung der Systembestandteile untereinander, ohne deren Klärung sich der von Canaris formulierte Systemauftrag zur Ermittlung
C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 12. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 12 f. 237 So C.-W. Canaris (ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 13 ff., 155), der weiterhin festhält, dass auch die Rechtssicherheit als „ein anderer oberster Wert [...] in dieselbe Richtung weist“ (S.17). Vgl. zur „wertungsgemäßen Folgerichtigkeit“ als Maßstab im Steuerrecht BVerfGE 93, 121 ff. (136) m. w. N. 238 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 16 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original); vgl. zu dieser Terminologie schon BVerfGE 3, 225 ff. (233 f.). 239 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 18 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 240 Vgl. J. Esser, Besprechung des Werkes von C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, in: RabelsZ 33 (1969), S.757 ff.; D. Grimm, Besprechung des Werkes von C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, in: AcP 171 (1971), S. 266 ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, S. 646 ff.; F. Wieacker, Besprechung des Werkes von C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 1 (1970), S. 107 ff.; vgl. auch H. Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, 1975, S. 75 ff. 241 So F. J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 49. 235 236
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
der Sinngesamtheit gar nicht erreichen lässt. 242 Auch die Behauptung, die Kriterien „Ordnung“ und „Einheit“ erwiesen sich für die Systembegriffsbestimmung als untauglich, trifft im Ergebnis sicherlich nicht zu. Canaris erkannte in den genannten Elementen zunächst nicht mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Begriffsdefinitionen, so dass die nicht zu leugnende Inhaltsarmut erst aus dem hohen Abstraktionsgrad der im Rahmen eines subtrahierenden Verfahrens 243 gewonnenen Elemente resultiert. Vorbehalte gegen die Verallgemeinerungsfähigkeit der Elemente „Ordnung“ und „Einheit“ ließen sich nur dann glaubhaft vorbringen, wenn die Begriffsauffüllung nicht im Wege einer stufenweisen Konkretisierung erfolgen könnte, sondern die Elemente je nach unterschiedlichen Systemmodellen auch qualitativ divergieren. Gerade für die hier relevante Differenzierung von ein- und zweibezüglichen Systemen ergeben sich jedoch keine qualitativen Unterschiede. 244 „Ordnung“ und „Einheit“ lassen sich qualitativ gleichwertig sowohl in ein- wie auch zweibezüglich ausgestalteten Systemen nachweisen, wenn auch unbestreitbar in einem jeweils unterschiedlichen Entwicklungsgrad. Stellt sich die Frage nach der Zuordnung eines Elements zum Ordnungsgesichtspunkt, so kann Folgerichtigkeit, d. h. innere Konsequenz und damit Ordnung bereits dadurch erreicht werden, dass der Auswahlmechanismus unverändert und die ihm zugrundeliegenden Maßstäbe stetig beibehalten werden. Auch zweibezügliche Systeme beinhalten diese einfache Ordnung, denn die Herstellung des Erstbezuges ist notwendige Voraussetzung für die Herstellung der Zweibezüglichkeit. Diese Ordnung erfährt eine Ergänzung durch die nach einheitlichen Maßstäben praktizierte Verhältnisbestimmung der Systembestandteile untereinander. Gleiches gilt für die „Einheit“. Das Streben nach Zusammenführung im einbezüglichen System wird deutlich durch das positive Bekenntnis des einzelnen Systembestandteils zum übergeordneten Ordnungsgesichtspunkt. Filigraner sind auch hier die Strukturen im zweibezüglichen System. Der Gesichtspunkt der Idendifikation mit dem übergeordneten Ordnungsgesichtspunkt wird ergänzt durch die Darstellung der Besonderheiten des jeweiligen Systembestandteils und der Abgrenzung zu anderen Systembestandteilen. Zu Recht bemerkt Peine, dass Canaris im Rahmen seiner Ausführungen nicht immer deutlich zwischen dem Systembegriff als solchem und den Elementen des zu bildenden Systems unterscheidet. 245 Auf den ersten Blick erscheint es auch problematisch, wenn Canaris die systembegriffsbildenden Funktionen „wertungsgemäße Folgerichtigkeit“ und „innere EinÄhnlich W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, S. 646. Vgl. F. J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 20 f. 244 Anders offenbar F.-J. Peine, in: Das Recht als System, 1983, S. 21 (Fn. 42). 245 Unter der Überschrift „Der Begriff des Systems“ setzt sich Canaris (ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 19 ff.) tatsächlich mit den unterschiedlichen Systementwürfen und Systembestandteilen auseinander. Hierin liegt, wie Peine zu Recht feststellt, eine „begriffliche Unschärfe“ (F.-J Peine, Das Recht als System, 1983, S. 22). 242 243
§ 3 Der „juristische“ Systembegriff
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heit der Rechtsordnung“ mit dem grundgesetzlichen Gleichheitssatz in Berührung bringt und als Folge die „Tendenz zur Generalisierung“ 246 aus ihm ableitet. Die Zweifel ergeben sich jedoch nur, wenn der Aussagegehalt des grundgesetzlichen Gleichheitssatzes auf das Willkürverbot reduziert wird. Denn aus dem Verbot „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ zu behandeln lässt sich – auch unter interpretatorischer Heranziehung des Gerechtigkeitsgedankens – 247 nicht zugleich zwingend das Gebot zum folgerichtigen staatlichen Handeln oder gar zur staatlichen Erhaltung bzw. Herstellung der inneren Einheit der Rechtsordnung entnehmen. Der Aussagegehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes erschöpft sich jedoch nicht im Verbot der Willkür. 248 Im Rahmen seiner Auslegung, so hielt das Bundesverfassungsgericht bereits in einer frühen Entscheidung fest, müsse vielmehr auch berücksichtigt werden, dass er Ausfluss eines überpositiven Rechtsgrundsatzes sei. 249 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht von Anfang an im materiellen Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG – seiner nicht zu leugnenden inhaltlichen Vagheit zum Trotz – 250 die weitergehende, an den Staat gerichtete grundsätzliche Aufforderung erkannt, „bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken, ‚Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden‘ zu behandeln“. 251 Eine extensive Formulierung des grundrechtlichen Gehaltes des Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot zur Gleichbehandlung erfolgte ausdrücklich durch die so genannte „neue Formel“ des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Dieser hielt fest: „Diese Verfassungsnorm gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“. 252, 253
C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 16 ff. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 3 Abs. I Rn. 341 ist sehr zurückhaltend im Hinblick auf die Interpretation des Willkürverbots unter Rückkkoppelung an den Gerechtigkeitsgedanken. 248 Kritisch zur Formel des Willkürverbots auch U. Battis, Systemgerechtigkeit, in: FS für H. P. Ipsen, 1977, S. 11 ff. (16). 249 Vgl. u. a. BVerfGE 1, 208 ff. (233) und E 84, 90 ff. (121). 250 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 4 I. 251 BVerfGE 3, 58 ff. (135); vgl. zur umfangreichen Kasuistik auch M. Gubelt, in: v. Münch/ Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 3 Rn. 11. 252 So BVerfGE 55, 72 ff. (88). Staatliche Gleich- oder Ungleichbehandlung kann hiernach nicht bereits dann verfassungsrechtlich bestehen, wenn sich „irgendein sachlicher Grund finden läßt“. Vielmehr muss der Grund von „solcher Art und solchem Gewicht“ sein, dass er auch das „Ausmaß“ staatlichen Handelns rechtfertigt (R. Herzog, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Anh. zu Art. 3 I GG, Rn. 6). 253 Wird im vorliegendem Zusammenhang von Gleichbehandlung gesprochen, so ist rechtliche und nicht etwa faktische Gleichbehandlung gemeint, vgl. hierzu 4. Kapitel § 4 II. 2. 246 247
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Gilt es nunmehr, diesem Postulat zu entsprechen und den Verfassungsauftrag „Gleichbehandlung“ staatlicherseits umzusetzen, so kann insofern auf „Kohärenz“ und die „Einhaltung zwingender Ableitungsvorgänge“ und damit auf die Elemente „innere Einheit“ und „Folgerichtigkeit“ nicht verzichtet werden. 254, 255 Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich bei diesen Elementen um zwingende Richtlinien für die Konkretisierung bzw. Realisierung des Verfassungsauftrages handelt. Anders ausgedrückt: Beide sind conditiones sine qua non bei der Erreichung des grundgesetzlichen Postulats der Gleichbehandlung auf allen Ebenen des Rechts. Auch überzeugt der von Canaris praktizierte argumentative Rückgriff auf die Rechtsidee und das Gerechtigkeitsgebot. Der in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand, dass „aus einem rechtsethischen Postulat [...] noch nicht auf dessen Verwirklichung im geltenden Recht geschlossen werden“ darf256, erweist sich als verfehlt, denn er verkennt den vorgelagerten Legitimitätsansatz. Die Argumentation von Canaris stützt sich gerade nicht auf irgendwelche rechtsethischen Forderungen, die Geltung beanspruchen und diesbezüglich noch einer Begründung bedürften. Vielmehr sind Postulate der Rechtsidee angesprochen.257 Die Rechtsidee wirkt als Inbegriff der obersten Rechtswerte konkretisierend auf die Werte- bzw. Prinzipienebene fort und formiert die dort angesprochenen Rechtswerte bzw. Rechtsprinzipien wiederum als „Leitgedanken positiver rechtlicher Regelungen“ „nach unten“. Die Rechtsidee bildet somit „etwas Letztes, allem anderen Zugrundeliegendes“ und damit „den Sinn-Grund des Rechts als eines Gesollten“.258, 259 Sie bedarf keiner expliziten Begründung. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch das Postulat des Rechtsfriedens bzw. der Rechtssicherheit einen unmittelbaren Ausfluss der Rechtsidee bildet. Es steht gleichberechtigt neben dem Gerechtigkeitspostulat 260 und findet seine verfas254 Zu den Formulierungen „Kohärenz“ und „zwingende Ableitungszusammenhänge“ s.a. F. Wieacker, Besprechung des Werkes von C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 1 (1970), S. 107 ff. 255 Zum Postulat der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeitkeit als Substrat des Art. 3 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des BVerfG vgl. auch H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (865). 256 F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 23. 257 Zur Lehre von der Rechtsidee vgl. auch F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 290 ff.; G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 1973, S. 70 ff., 119 ff., 164 ff., 170 ff.; H. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1977, S. 389 ff.; K. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 186 ff.; vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Gerechtigkeit auch B. Rüthers, Rechtsordnung und Wertordnung, 1986, S. 34 ff. 258 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 129; ders., Richtiges Recht, 1979, S. 29 f.; vgl. zur besonderen Stellung der Rechtsprinzipien auch 3. Kapitel § 5 I. 259 Hiermit sei nicht gesagt, dass sich ein Rechtssystem deduktiv bilden lasse; vgl. vielmehr auch 3. Kapitel § 5 II. 1. 260 F. Bydlinski unterscheidet bei der „Rechtsidee“ zwischen der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und der Zweckmäßigkeit (vgl. ders., Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 687, Fn.-Nr.: 21 m. w. N.).
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sungsrechtliche Konkretisierung im Rechtsstaatsgebot. 261 Denkbar erscheint damit auch die Ableitung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit aus dem Postulat des Rechtsfriedens. Es ergäbe sich somit ein weiterer Anknüpfungspunkt zur Rechtsidee. Eine Analyse des Begriffs „Folgerichtigkeit“ schafft hier Klarheit, denn Folgerichtigkeit bedeutet regelmäßig „folgerichtig zu verfahren“. 262 So kann z. B. ein praktizierter Handlungs- oder Argumentationsstrang vor seiner Vollendung nicht ohne sachliche Rechtfertigung fallen gelassen werden. Staatliches Handeln muss messbar, bestimmbar und vorhersehbar sein. Der Ableitungsstrang bildet sich damit wie folgt: Rechtsidee – Postulat des Rechtsfriedens – Rechtssicherheit – Folgerichtigkeit. Auf dem gleichen Wege, d. h. ausgehend von der Rechtsidee, lässt sich das Gebot zur Darstellung und Verwirklichung der „inneren Einheit der Rechtsordnung“ ableiten. 263 Es ist zudem in zahlreichen Strukturpinzipien des Grundgesetzes, insbesondere in den Grundrechten, dem Demokratieprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Bundesstaatsprinzip enthalten. 264
III. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich der hier zu verwendendende juristische Systembegriff somit folgendermaßen charakterisieren: Ein System besteht aus mehreren Systembestandteilen (Determinanten). Es erweist sich als zweibezüglich265, weil es nicht nur klarstellt, welche Teile dem Gliederungs- bzw. Ordnungesichtspunkt genügen und ihn formen 266, sondern darüber hinaus auch eine Aussage über das Verhältnis der Systembestandteile untereinander trifft. Die wegweisende Richtung erhält das System jedoch erst durch den Systemauftrag (Systemzweck), der aus der Rechtsidee herrührt. Neben das statische tritt somit ein dynamisch wirkendes, finales Element des Systembegriffs. Es fordert vom System zweierlei ein: Zum einen 261 Kritisch jedoch Ph. Kunig (ders., Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 337), dessen Bedenken letztlich dadurch weitgehend entkräftet werden können, dass im Rahmen der Systemfreilegung die enge Anbindung an das Verfassungsgesetz gewahrt wird; vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 II. 3 und 4. Kapitel § 5 I. 1. 262 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 16 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 263 Zur Einordnung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als „vorpositives Prinzip“ vgl. auch H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (864, 866 ff.). 264 Vgl. H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (868 ff.). 265 Vgl. zur abweichenden Sprachregelung von Fikentscher die Hinweise in Fn. 232. 266 „Formen“ heißt hier gestaltenden Einfluss nehmen. Der wechselseitige Doppelbezug („Genügen“ und „Formen“) stellt keinen Widerspruch dar. Er beruht auf der Unterscheidung zwischen „äußeren“ und „inneren“ Systemen. Letztgenannte werden gebildet durch einen Prozess „wechselseitiger Erhellung“; vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 und 3. Kapitel § 5 II. 3.
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gilt es, „einmal getroffene Wertungen ‚konsequent‘ wieder aufzunehmen“ und sie „bis in alle Einzelfolgerungen ‚zu Ende zu denken‘ und sie „nur [...] aus sachlichem Anlaß zu durchbrechen“. Ziel ist also die Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit. 267 Zum anderen fordert der Systemauftrag, die inhaltlichen (Norm-)Zusammenhänge dadurch erkennbar offenzulegen, dass die hinter den zu analysierenden (Norm-)Gesamtheiten stehenden tragenden Prinzipien herauspräpariert werden. Dadurch gelingt es, die der Verfassungsrechtsordnung „als einem Sinnganzen innewohnenden Sinnzusammenhänge sichtbar zu machen und darzustellen“. 268 Das so zu entwickelnde Verständnis über die Sinnzusammenhänge bildet seinerseits die Voraussetzung für die Verwirklichung der inneren Einheit des Analysegebiets. 269
§ 4 Einwände gegen einen wertgeladenen Systembegriff im Verfassungsrecht Der hier verwendete Systembegriff unterstellt erkennbar die Zulässigkeit des Wertdenkens und damit die Möglichkeit zur Heranziehung von Wertungen zur systematischen Rechtsgewinnung im Verfassungsrecht. Diese Prämisse stößt in der Verfassungsrechtslehre nicht auf uneingeschränkte Akzeptanz.270 Soll dennoch in einem System der Wirtschaftsverfassung – in welchem Rahmen auch immer – mit Werten und Wertungen gearbeitet werden, so gilt es, sich mit den im Rahmen der Systemfreilegung auftauchenden Einwänden im Vorfeld auseinander zu setzen und diese zu entkräften.
Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 16. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 487. 269 Wie hier O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), S.193 ff. (224); U. Battis, in: FS für H.P. Ipsen, 1977, S. 11 ff. (15 f.); C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 3; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 168 ff.; K. Tipke, in: FS für G. Wacke, 1972, S. 211 ff. (214). 270 Kritik am „Wertdenken“ im Verfassungsrecht wurde u. a. geübt von: H. Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, 268 f.; E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, 1529ff.; ders., Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Recht, Staat, Freiheit, S.67 ff.; E. Denninger, Freiheitsordnung – Wertordnung – Pflichtordnung, in: JZ 1975, 545 ff.; E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S.35 ff.; ders., in: FG f. C. Schmitt, 1968, S. 185 ff.; H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973; C. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985 S, 58 ff.; R. Steinberg, Verfassungspolitik und offene Verfassung, in: JZ 1980, 385 ff.; vgl. hierzu auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1752 ff. 267 268
§ 4 Einwände gegen einen wertgeladenen Systembegriff
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I. Ausgangsproblematik: Mannigfaltigkeit der Begriffsbedeutungen Die Auseinandersetzung mit der gegen das Wertdenken vorgebrachten Kritik wird durch die uneinheitlich verwendete Terminologie deutlich erschwert. 271 Eine soziologische Untersuchung hat allein für den Wertbegriff 178 Begriffsmuster aufgeschlüsselt und „kann womöglich trotzdem keinen Anspruch auf erschöpfende Vollständigkeit erheben“. 272 Diese zahlreichen interpretatorischen Verästelungen sind für die vorliegende Untersuchung nicht weiter von Bedeutung. Soll die Terminologie für die Handhabung im Verfassungsrecht nutzbar gemacht werden, so erscheint vielmehr ein gemeinsamer wissenschaftsübergreifender Grundkonsens als Ausgangspunkt sinnvoll. Tatsächlich lässt sich über den Bedeutungsgehalt der Begriffe „Wert“, „Wertung“ und „Werturteil“ zumindest im Ansatz Übereinstimmung erzielen. Der Begriff „Wertung“ kann einerseits statisch das Substrat eines vorangegangenen Erkenntnisprozesses beschreiben. Andererseits erscheint denkbar, dass mit „Wertung“ der Erkenntnisprozess als wissenschaftlicher Vorgang der Erkenntnisfindung selbst gemeint ist. Demgegenüber würdigt ein „Werturteil“ den Wertungsvorgang abschließend. Terminologische Unterscheidungskraft weist der Begriff der „Wertung“ im Verhältnis zum Begriff des „Werturteils“ nur in seiner Beschreibung des Wertungsprozesses auf, denn Werturteile beinhalten als solche bereits das angesprochene Erkenntnissubstrat. 273 Schließlich gilt: Wer „bewertet“, der formuliert, die Wertung abschließend, ein Werturteil. 274, 275 Werturteile erschöpfen sich jedoch dabei stets in „Urteilen darüber, daß etwas einen Wert hat“. Die hier bedeutsame Anschlussfrage, die sich stellt, lautet: Was kann es denn bedeuten, „daß etwas ein Wert ist“? 276 271 An dieser Stelle sei ausdrücklich solchen Auffassungen widerspochen, die eine weitgehende interdisziplinäre Übereinstimmung für die Begriffe „Werturteil“ und „Wertung“ konstatieren; vgl. bspw. A. Podlech im Hinblick auf den Begriff „Werturteil“ (ders., in: Wertungen und Werte im Recht, in: AöR 95 (1970), S. 195). Beide Begriffe stehen vielmehr in interdependenter Beziehung zum Begriff des „Wertes“ und werden von dessen Facettenhaftigkeit beeinflusst. 272 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S.126; R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S. 98. 273 Vgl. zum Verständnis der „Wertung“ als Vorzugsrelation A. Podlech, Wertungen und Werte im Recht, in: AöR 95 (1970), S. 185 ff. (196) m. w. N. Podlech stellt fest: „Die zwischen zwei Größen a und b bestehende Vorzugsrelation werde sprachlich durch die synonym verwendeten Ausdrücke ‚a wird b vorgezogen‘ oder ‚a ist besser als b‘ ausgesagt.“ 274 Es ist davon auszugehen, dass der vollzogene Akt des Wertens und die „Wertung“ inhaltlich Gleiches kennzeichnen. Die Unterschiede sind allenfalls begrifflicher Natur. Der „Akt des Wertens“ betont den Prozess, die Wertung betont das Resultat der Analyse. 275 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 128. 276 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 129.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Unterschieden werden muss insofern zwischen dem „Gegenstand“, der bewertet wird, und den „Kriterien“, die der Bewertung zugrunde liegen. 277 Den Gegenstand einer Bewertung können im Verfassungsrecht sowohl Zustände rechtlicher Normierung als auch Verhaltensweisen staatlicher Organe bilden. 278 Beides ist Beurteilungsgegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Hingegen liefern die Kriterien der Bewertung den Bewertungsmaßstab. Ihre eigentliche Bedeutung im Bewertungsvorgang wird ihnen dadurch zuteil, dass sie durch ihre spezifische Zuordnung zum Bewertungsgegenstand das Werturteil formieren. Je mehr Kriterien in die Bewertung eingeführt werden und die damit zusammenhängenden Kollisionslagen ausgeglichen werden, desto differenzierter fällt die Bewertung aus. Bereits aus dieser unverzichtbaren Stellung innerhalb des Bewertungsvorgangs wird deutlich, dass nicht „die Gegenstände, sondern die Kriterien der Bewertung“ das sind, „was als ‚Wert‘ zu bezeichnen ist“. 279, 280 Das Element „Kriterium“ lässt sich treffend auch als „Formelelement“ beschreiben. 281 Es ermöglicht eine Aussage „über die Form, die Art, die Struktur, das Sein der Werte“. 282 Vom Formelelement ist das „Sachverhaltselement“ zu unterscheiden. 283 Dieses bezeichnet das Element, auf das der Maßstab bzw. das Kriterium Bezug nimmt, im hier gewonnenem Sprachgebrauch also den Gegenstand der Bewertung. 284 Abschließend ist damit eine enge Vernüpfung zwischen den Begriffen „Wert“, „Wertung“, „Bewertung“ und „Werturteil“ erkennbar. Der „Wert“ liefert die Kriterien für die Wertung, für die Bewertung und schließlich für das Werturteil. Hiervon 277 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 130 ff. Die Differenzierung zwischen Wert als Gut bzw. Wert als Maßstab bringt letztlich Gleiches zum Ausdruck (vgl. R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S. 26 ff.). 278 Vgl. BVerfGE 20, 162 ff., (219). 279 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996 S. 130; F. J. Peine (ders., Das Recht als System, 1983, S. 91 f.) verweist noch auf weitere Umstände, die für diese Klassifizierung sprechen. Wolle man Gegenstände bzw. Güter mit Werten gleichsetzen, so müsse man „so viele Werte annehmen, wie es verschiedene Güter“ gibt. Dies führe dazu, dass dann erneut selektiert und „so [...] letztlich doch wieder zu Maßstäben als Ausgangpunkt zurückgekehrt“ werden müsste. Außerdem sei es „sprachlich überzeugend, die Frage nach dem Grund einer konkreten Wertrealisation mit einem Hinweis auf die dahinterstehenden Wertvorstellungen zu beantworten“. „Schließlich“, so Peine, „bietet die Bedeutung von Wert als Maßstab die Möglichkeit der Quantifizierung“. 280 Unpräzise verfährt indes A. Podlech, wenn er aus einer ermittelten Vorzugsrelation unmittelbar den „Wert“-Begriff gewinnen möchte. „Als Wert“, so Podlech, „werde eine Vorzugsregel dann bezeichnet, wenn sie von etwas die Aussage gestattet, es sei wertvoll“. Richtigerweise ist hier bereits von einem Werturteil zu sprechen. Dabei übersieht Podlech die Frage nach dem „Warum“ des Wertvollseins als entscheidenden Ansatzpunkt (ders., in: Wertungen und Werte im Recht, in: AöR 95 (1970), S. 185 ff. (196) m. w. N.). 281 R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S. 30. 282 R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S.29. Folgende Formulierungen lassen sich mit Hilfe des „Formelelements“ vornehmen: Werte sind Kriterien zur Auswahl von konkreten Zielen des Handelns bzw. „Gesichtspunkte der Vorziehenswürdigkeit von Handlungen“ (R. Williams, Die amerikanische Gesellschaft, 1953, S. 371; N. Luhmann, Rechtssoziologie, 1987, S. 88). 283 R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S. 32 ff. 284 R. Lautmann, Wert und Norm, 1971, S. 32.
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ist der Gegenstand zu unterscheiden, der bewertet wird. Für die folgende Auseinandersetzung mit den Einwänden, gerichtet gegen das Wertdenken im Verfassungsrecht, ist von diesem einheitlichem Sprachverständnis auszugehen.
II. Die einzelnen Kritikpunkte Den Ausgangspunkt aller Kritik am verfassungsrechtlichen Wertdenken bildet die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung 285, wenn auch unter Rückgriff auf eine uneinheitliche Terminologie 286, vertretene Auffassung, wonach das Grundgesetz ein „System, bestehend aus dem Element ‚Wert‘“ bildet. 287 Ursprünglich hatte das verfassungsgerichtliche Wertdenken eine politische Funktion und stand in engem Zusammenhang mit der vom Grundgesetz konzipierten, streitbaren Demokratie. 288 Das Bundesverfassungsgericht zog das axiologische Begründungselement erstmalig in den Entscheidungen zum Verbot der SRP und der KPD heran und sprach unter deutlicher Betonung der antirelativistischen Stoßrichtung des Grundgesetzes von einer wertgebundenen Ordnung. 289 Dabei hatte das Gericht wohl die destruktiven Konsequenzen im Hinterkopf, die durch die Einordnung der Weimarer Reichsverfassung als „wertneutrales System“ entstanden waren. Auch in folgenden Entscheidungen machte es deutlich, dass das Grundgesetz über eine ganzheitliche materiale Konzeption verfüge, die in allen Bereichen des Rechts nach Verwirklichung strebe. 290 1. Philosophische Prägung des Wertdenkens? Der verfassungsgerichtliche Standpunkt erwies sich von Anfang an als angreifbar, denn das Bundesverfassungsgericht hatte es konsequent vermieden, den ver285 Vgl. u. a. BVerfGE 7, 198 ff. (205); E 30, 173 ff. (193); E 32, 98 ff. (108); E 33, 23 ff. (29); E 47, 327 ff. (369). 286 Eine instruktive Zusammenstellung der vom Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogenen Terminologie findet sich bei H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, S. 17 f. 287 F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 76, Fn. 77; vgl. zum Verständnis der Verfassung als „inneres“ Wertsystem in der Rechtsprechung des BVerfG auch B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 752 und A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn. 161; vgl. auch J. Schapp, Grundrechte als Wertordnung, in: JZ 1998, S. 913 ff. 288 Vgl. A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn. 146. 289 Siehe hierzu H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 10 und BVerfGE 2, 1 ff., 12 f.; E 5, 85 ff. (139 ff.). 290 Vgl. A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn. 146. Insbesondere das bis dato vertretene Grundrechtsverständnis erwies sich als defizitär. In der Lüth-Entscheidung gewann das Bundesverfassungsgericht das Wertdenken erstmalig zur Erweiterung der Grundrechtsgehalte und entwickelte hieran anknüpfend die Drittwirkung der Grundrechte (vgl. BVerfGE 7, 198 ff. (208 f.). Unter Berufung auf die „objektive Wertordnung“ sollten weitere grundrechtliche Dimensionserweiterungen folgen (vgl. 4. Kapitel § 1 II. 2).
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wendeten Wertbegriff, d. h. die herangezogenen Kriterien zu explizieren und Einzelheiten über die weitere Systemstruktur offen zu legen. 291 Gleichzeitig hat es sich weder ausdrücklich „auf eine bestimmte philosophische oder rechtsphilosophische Schule berufen“ noch von einer bestimmten eindeutig distanziert. 292 Diese indifferente Position eröffnete der Kritik eine besonders breite Flanke, erschien es doch zwanglos möglich, dem Bundesverfassungsgericht wertphilosophische Standpunkte und grundrechtstheoretische Ansätze samt ihrer Kritkwürdigkeit als dessen eigene unterzuschieben. Aus der Kritik am Wertdenken des Bundesverfassungsgerichts erwuchs so unversehens die Kritik an dessen vermeintlicher Wertphilosophie bzw. vermeintlich spezifischer Ausrichtung des Grundrechtsdenkens. 293 E. Forsthoff glaubte im Wertdenken gar die „Preisgabe der Positivität des Rechts überhaupt“ zu erkennen, denn würde man „Normanwendung“ als „Wertverwirklichung“ begreifen und dieses Verständnis der interpretativen Erfassung des jeweiligen Normgehaltes zugrunde legen, so sei die Sinnerfassung keine Rechtskunst mehr, sondern eine rein philosophische Tätigkeit. 294 Als derart weitgehend erwies sich der überwiegende Kanon der Kritik indes nicht. Vielmehr wurde dem Bundesverfassungsgericht vorgehalten, sich mit dem Bekenntnis zur „objektiven Wertordnung“ zugleich auch für das objektive Wertdenken der materialen Werthethik im Sinne M. Schelers und N. Hartmanns entschieden zu haben. 295 Tatsächlich erscheint die Beantwortung der Frage nach der „Existenz und Erkennbarkeit von ‚Werten‘“ im Grundgesetz unter Rückgriff auf die materiale Wertethik bedenklich. 296 Scheler und Hartmann hatten den Werten ein „Ansichsein“ beigemessen. 297 Werte sollten unabhängig von ihrer Realsierung oder In-Geltung-Setzung existieren. Sie seien „selbstständige Tatsachen des sittlichen Lebens“ 298 und letztlich „einer unmittelbaren Erkenntnis zugänglich, die weder empirischen noch analytischen Charakter hat, sondern am ehesten als Wertschau oder Evidenzerlebnis beschrieben werden kann“. 299 Dabei geht die materiale Wertethik von einer Homogenität der Evidenzbedingungen aus, was schließlich auch den Haupteinwand gegen 291 Vgl. A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn. 145; E. Denninger, Freiheitsordnung – Wertordnung – Pflichtordnung, in: JZ 1975, S. 545 ff. (546). 292 A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn. 145. 293 Vgl. H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 12 f. 294 Vgl. E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S. 35 ff. (39, 41); K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 913. 295 H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 12 f. 296 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 130. 297 Vgl. N. Hartmann, Ethik, 1962, S. 148 ff.; M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1954, S. 221 ff.; vgl. auch K. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 257 und zur „Apriorität der Werte“ nach dem Verständnis der materialen Wertethik vgl. auch R. Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte, 1962, S. 104 ff. 298 M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1954, S.198, 202. 299 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 136.
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eine Heranziehung im (Verfassungs-)Recht begründet. 300 Augenblicklich sähe sich das materiale Wertdenken zu Recht dem Vorwurf ausgesetzt, das „Faktum des Pluralismus [...] und die daraus resultierende hochgradige Unterschiedlichkeit, ja Widersprüchlichkeit der Werterfahrungen und Werthaltungen von Individiuen und Gruppen“ zu missachten, welches der freiheitlich demokratischen Gesellschaft immanent ist. 301 Der Versuch, Evidenzkriterien zu verallgemeinern, muss letztlich gekünstelt wirken und „läuft“ in der Konsequenz „auf eine subjektivistische Position hinaus“. 302, 303 Dennoch lässt sich die im Ergebnis berechtigte Kritik an der materialen Wertethik nicht auf den Standpunkt des Bundesverfassungsgerichtes oder das Wertedenken generell übertragen, denn „Wertetheorien wie die Schelersche sind nur eine Variante im Spektrum denkbarer Werttheorien“. 304 Allein aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht von einer „objektiven Werteordnung“ der Grundrechte oder des Grundgesetzes spricht, lässt sich nicht der Schluss auf ein Bekenntnis für einen wie auch immer gearteten philosophischen Ansatz ziehen. Insofern hat die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage letztlich Methode, denn zweifelsohne beinhaltet die Verfassung, insbesondere mit Aufnahme des Grundrechtskatalogs, einen axiologischen Gundtenor. 305 Aber „außer seinem ‚Wertbekenntnis dem Grunde nach‘ enthält das Verfassungsgesetz keine, das Wertbekenntnis weiter spezifizierende und im Sinne einer bestimmten ‚Wertphilosophie‘ konkretisierende, Aussage“. 306 Nicht umsonst, wie K. Stern 307 feststellte, verlangt das Bundesverfassungsgericht die „Gesamtschau des verfassungsrechtlichen Normenbestandes und der in ihm beschlossenen Wertordnung“. 308 Zieht es somit „Werte“ im Rahmen von verfassungsrechtlichen Systemen heran, so stellt dies keine eigene, wie A. Podlech, Recht und Moral, in: Rechtstheorie 3 (1972), S. 129 ff. (135 f.). H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993 S.19; J. Rawls, Der Gedanke eines übergreifenden Konsenses, in: Die Idee des politischen Liberalismus – Ausätze 1978–1989, 1992, S. 293 ff. (294). 302 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 137; vgl. auch A. Podlech, Wertungen und Werte im Recht, in: AöR 95 (1970), S. 185 ff. (205). 303 Ebenso wie diejenigen Strömungen der Wertphilosophie, die den „Wertepluralismus“ von vornherein als nicht zu nihilierende gesellschaftliche Realität anerkennen, stößt die materiale Wertethik auf nahezu unüberwindliche Hürden, wenn es darum geht, ein so verstandenes Wertdenken in die Rechtswissenschaft zu inkooperieren – M. Dolderer (ders., Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 131 f.), nennt diese Hürde „Wertpluralität“ –, denn eine im Ergebnis subjektivistische Handhabung der Werte kann nichts anderes als einen „richterlichen bzw. interpretatorischen Dezisionismus“ begründen (E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff. (1534)). Die Normativität des Verfassungsgesetz erschiene letztlich in Frage gestellt (vgl. auch E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S. 35 ff. (insbes.: 41, 47). 304 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 137. 305 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 915 f. 306 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 128. 307 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 916. 308 BVerfGE 39, 1 (36) (Keine Hervorhebung im Original). 300 301
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immer erdachte Wertphilosophie des Gerichts, sondern allein eine mit dem positiven Verfassungsrecht eng verknüpfte Wertexegese dar. 309 Festzuhalten bleibt damit, dass jede systematische Heranziehung von Werten und Wertungen im Verfassungsrecht, will sie den genannten Einwänden entgehen, einer „prinzipiellen Trennung“ von verfassungsrechtlichem und philosophischem Wertdenken bedarf. 310 Diesem Umstand muss bereits die Systemstruktur Rechnung tragen. Es gilt einerseits, ein Wertsystem zu verhindern, dass als „frei schwebendes amorphes Gebilde“ keinen hinreichenden Bezug zur positiven Rechtsordnung aufweist 311. Doch neben dem Bezug zum Verfassungsgesetz gilt es auch, gleichsam den zur Rechtsidee (!) zu wahren. Die Schaffung beider Bezugsbande im System zur Erlangung eines „gereinigten“ Rechtswertebegriffs erscheint – an dieser Stelle bewusst noch als Hypothese formuliert – durch Installation eines übergesetzlichen Selektionskorrektivs denkbar. 312 „Ob“ und „Wie“ diese Lösung ggf. auf der Ebene der Systembausteine erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. 2. Methodische und dogmatische Einwände Die Vorbehalte gegen ein verfassungsrechtliches Wert- und Wertungsdenken erstrecken sich indes nicht nur auf die (vermeintliche) Heranziehung bestimmter philosophischer Begründungsansätze. Sie sind vielmehr auch methodischer und dogmatischer Natur. 313, 314 Dabei richten sich die Vorbehalte nicht spezifisch gegen die Heranziehungen von Wertungen in juristischen Systemen. Sie zielen vielmehr generell auf das Wertdenken als Bestandteil und Methode des Verfassungsrechts ab. Das Argumentieren mit Werten im Verfassungsrecht, so der von Forsthoff erhobene Kernvorwurf, führe, unter Rückgriff auf welche Begründung auch immer, zur „Auflösung“ der normativen Struktur „des Verfassungsgesetzes“. 315 Es drohe eine „Überlagerung“ der „Verbindlichkeit rechtlicher Sollenssätze durch ein System ‚axiologischer‘ Wertaussagen“. 316 Damit würde den Zeitgeistströmungen, insbesondere „demokratisch-sozialen Tendenzen“, zu einer Dominanz gegenüber dem aus-
309 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 916; vgl. auch ders., Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1727 ff. 310 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 132 f. 311 W. Zeidler, Grundrechte und Grundentscheidungen der Verfassung im Widerstreit – Festvortrag anläßlich des 53. DJT (1980), S. 9. 312 Vgl. 3. Kapitel § 5 I und 3. Kapitel § 5 I. 3. 313 Vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 134 ff. 314 Deutlich zu unterscheiden ist zwischen solchen Einwänden, die sich gegen „das Werten“ im Rahmen der Systemfreilegung richten und solchen die sich gegen die Funktion von „Werten“ als Systembausteine richten. Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 315 E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S. 35 ff. (47); vgl. auch E. Forsthoff, in: FG f. Carl Schmitt, 1968, S. 185 ff. 316 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 131, 135.
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drücklich normierten Verfassungsrecht verholfen. 317 Insbesondere durch Heranziehung von Wertungen bei der Interpretation der Grundrechtsgehalte, so Forsthoff, liefere „man die Grundrechte den manipulatorischen Möglichkeiten des Auf-, Ab- und Umwertens aus und verwandelt auf diese Weise die Fundamentalentscheidung des Verfassungsgebers in eine Globalermächtigung an die Verfassungsinterpreten“. 318 Schließlich, so die Kritiker, sei eine „Freiheitsgefährdung durch absolute Wertgeltung“ 319 zu befürchten. So war Forsthoff 320 ursprünglich der Ansicht, dass die Wertrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine enge Verschränkung 321 mit der von Smend entwickelten, „auf geisteswissenschaftliches ‚Erklären‘“ gerichteten werthierarchischen Verfassungstheorie bzw. Staats(rechts)lehre aufweisen würde. 322 Immerhin sprach auch Smend schon von einem Wertsystem, das aus dem Grundrechtskatalog der Weimarer Reichsverfassung abzuleiten sei. Nach seiner Auffassung verfolgte der Grundrechtskatalog den Zweck, „eine sachliche Reihe von einer gewissenen Geschlossenheit, d. h. ein Wert- oder Güter-, ein Kultursystem“ festzulegen, welches den „Sinn des von dieser Verfassung konstituierten Staatslebens“ bilden solle. 323 Forsthoff erkannte in der vermeintlichen Rezeption des Smend’schen Grundrechtsdenkens durch das Bundesverfassungsgericht die Installation eines abstrakten und geschlossenen hierachischen Wertsystems der Grundrechte. In der Konsequenz würde die „in die Subjektivität gebundene Freiheit durch die Objektivität des Wertes ersetzt“. 324 Dies führe zu einer „Inpflichtnahme [...] auf diese Werte hin“. 325 Es sei, so die Kritik, eine „Tyrannei der Werte“ zu erwarten. 326 Die beiden zuerst genannten, eng zusammenhängenden Einwände gegen das Wertdenken – Gefahr einer Auflösung der normativen Struktur des Verfassungsgesetzes und Anheimstellung der Grundrechtssubstanz – lassen sich freilich in dieser Pauschalität nicht aufrechterhalten. Was die vorzunehmende Systemanalyse angeht, so ist die Qualität der herangezogenen Werte und Wertungen sowie die Qualität der Art und Form ihrer Einbindung in die Systembetrachtung entscheidend. Beide Aspekte stellen die Weichen für die Qualität des Systems. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Einwände entkräften. 317 E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S. 35 ff. (59); ähnlich auch E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff. (1534). 318 E. Forsthoff, in: FG f. Carl Schmitt, 1968, S. 190. 319 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 139 ff.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S.1529 ff. (1534). 320 E. Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, 1959, S. 35 ff. (37 ff.); ihm folgt später u. a. E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 (1533). 321 H. Dreier spricht von „evidenter Abhängigkeit“ (ders., Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 13). 322 H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 13. 323 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 158 ff. (163, 164). 324 E. Forsthoff, in: FG f. Carl Schmitt, 1968, S. 185 ff. (190); vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 154. 325 H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, S. 37 m. w. N. 326 Carl Schmitt, in: FS für Ernst Forsthoff, 1967, S. 37 ff.
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Wenn es darum geht, die entsprechenden Qualitätsanforderungen zu entwickeln, so hilft bereits die dynamisch wirkende Komponente des Systembegriffs weiter. Ist das Systemziel u. a. die Darstellung und Verwirklichung der inneren Einheit der Rechtsordnung, so sind Wertungen und Werte ihrerseits nicht Selbstzweck. Innerhalb des Systems dienen sie im weitesten Sinne als Mittel zur Offenlegung der inneren Zusammenhänge der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes. Gelingt es dem Systematiker, Werte und Wertungen in enger Anbindung an das Verfassungsgesetz und unter Berücksichtigung ihrer Ableitung aus der Rechtsidee in das System hineinzutragen, so „erklären“ Werte und Wertungen die Verfassung. Ihre Rolle erweist sich dann als konstruktiv. Entscheidend ist damit, ob sich die vom Systematiker herangezogenen Werte und Wertungen insofern als wissenschaftlich begründbar bzw. nachvollziehbar erweisen, denn in diesem Fall würde die Heranziehung von Werten und Wertungen nicht mit dem Grundsatz der „Bindung an die Verfassung“ (Art. 1 Abs. 3 GG) kollidieren und in „interpretatorische Willkür“ münden. 327 Diese Möglichkeit darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden. 328 Es wird die Aufgabe des Systematikers sein, seine Anforderungen an das System, seine Methode zur Systemfreilegung und die in diesem Zusammenhang herangezogenen Systembestandteile mit Blick auf das beschriebene Anforderungsprofil kritisch und sorgfältig zu formulieren bzw. auszuwählen. Hieran gemessen kann es zwar notwendig erscheinen, zwischen verschieden Arten von Systemen, Systembestandteilen (z. B. Werten, Rechtswerten und Rechtsprinzipien) oder zwischen unterschiedlichen Methoden zur Systemfreilegung zu differenzieren. Keinesfalls kann aber nach alldem apodiktisch behauptet werden, „der Rekurs auf Werte zerstöre die Kraft des Verfassungsrechts zu normativer Steuerung“. 329 Im Gegenteil. Im Idealfall ermöglicht der Rückgriff auf Wertungen und Werte die Schaffung „flexibler Steuerungsmechanismen“ zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Vorgaben. 330 Auch der Einwand einer „Freiheitsgefährdung durch absolute Wertgeltung“ bedarf einer differenzierteren Betrachtung. So ist die Rezeption der Theorie Smends durch das Bundesverfassungsgericht bislang nicht nachgewiesen worden. Unabhängig davon muss kein Verfassungsinterpret erst auf Smend zurückgreifen, um der Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 156. Anders offenbar H. Goerlich, der dem Bundesverfassungsgericht pauschal vorwirft, mit seinem Rekurs auf die Wertordnung des Grundgesetzes ein „Arkanbegriff der Verfassungsinterpretation“ zu schaffen, dessen „inhaltliche Beschreibung weitgehend fehlt, wodurch die Intransparenz seiner Verwendung in Wahrnehmung der judiziellen Begründungspflicht“ ausgelöst würde. (ders., Wertordnung und Grundgesetz, 1973, S.140 ff. u. 189). Kritik in diesem Sinne äußert auch E. Denninger (vgl. ders., Freiheitsordnung – Wertordnung – Pflichtordnung, in: JZ 1975, S. 545 ff. (546)). 329 So die Formulierung des Vorwurfs bei M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalten, 2000, S. 139. 330 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 139. 327 328
§ 4 Einwände gegen einen wertgeladenen Systembegriff
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Verfassung glaubwürdig eine Hierachie der Werte zu unterstellen. 331 Auch die Kritiker einer Wertrangordnung müssen innehalten, wenn es darum geht, die Stellung der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) im verfassungsrechtlichen Gesamtgefüge zu beschreiben. 332 Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht mehrfach betont, dass sie der oberste Wert der Verfassung ist. Damit kann die Existenz einer Wertrangordnung nicht generell geleugnet werden.333 Strittig ist alleine, wie weit diese Konzeption in der Verfassung reicht. In diesem Zusammenhang wird der Systematiker die hierachiebezogenen Vorwürfe jedoch im Auge behalten müssen, fordert doch das System Zweibezüglichkeit, d. h. die Konstituierung eines systeminternen Ordnungszusammenhangs ein. 334 An dieser Stelle kann jedoch bereits eine teilweise Klärung der Problemstellung insoweit erreicht werden, als dass verdeutlicht wird, wie eine systeminterne „Wertrangordnung“ oder „Werthierachie“ keinesfalls verstanden werden darf, nämlich i. S. e. Instrumentariums zur Erzeugung „absoluter“, „rigoroser“ bzw. „fundamentalistischer“ Wertgeltung. Bereits die Verknüpfung des Systembegriffs mit der Rechtsidee lässt generell die Vermutung gegen ein derartiges Verständnis der Geltung von Werten und Wertungen aufkommen. Denn der Wertpluralismus ist nicht nur gesellschaftliche Realität, sondern auch Ausfluss der Rechtsidee. 335 Für den Wertpluralismus als methodische Prämisse und gegen eine Wertgeltung im oben genannten Sinne sprechen auch systemtechnische Überlegungen. Diese hängen wiederum eng mit dem Vorgang des Wertens als Akt geistigen Verstehens zusammen. Die Erfassung und Würdigung der systemtragenden Sinnzusammenhänge und damit die Schaffung eines wertbezogenen Gesamtbildes könnte nicht dadurch erreicht werden, dass einzelne Werte oder Wertungen im Kollisionsfalle zugunsten anderer für ungültig erklärt werden bzw. ihre Wertaussage im System vollkommen nihiliert wird. Dies würde auf einen Aus331 Die Problematik einer Wertehierachie bzw. Wertrangordnung taucht wieder auf, wenn es um das abstrakte Verhältnis von Prinzipien innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems geht. Als Beispiel dient die durch eine wertgeladene „relative Gewichtung“ erzeugte Hierachie im Verhältnis von Berufswahl- und -ausübungsfreiheit; vgl. 4. Kapitel §2 I. 5. c); vgl. aber auch Fn. 447 und 802. 332 Vgl. Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 1 Rn. 4. 333 Vgl. bspw. A. Dietel, Ermessensschranken bei Eingriffen in das Versammlungs- und Demonstrationsrecht, in: DVBl. 1969, S. 569 ff. (575 f.). 334 Der überwiegende Teil der Verfassungsrechtslehre äußert zwar generelle Vorbehalte hinsichtlich der Annahme einer abstrakten Hierachie innerhalb der Verfassung (vgl. statt vieler M. Sachs, in: M. Sach, GG-Komm., 2003, Vor Art. 1 Rn. 123, insbes. Fn. 285, der allerdings eingesteht, dass sich insofern Ansätze in der Rechtsprechung finden). Trotz aller Bedenken greifen auch die Zweifler ohne Begründungsnöte auf abstrakte Hierarchien zurück, wenn dies zweckdienlich erscheint. So bspw., wenn es darum geht, die unterschiedlichen Anforderungen an objektive und subjektive Berufswahlregelungen oder Berufsausübungsregeln mit Blick auf den grundrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit zu formulieren (vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. c)). 335 Zur „Phänomenologie und Problematik“ des Wertpluralismus und der Stellung desselben in der Rechtswissenschaft vgl. H. Suter, Wertpluralismus und Recht, 1979, S. 20 ff. u. 77 ff.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
wahlprozess hinauslaufen, der, ernst genommen, nur dazu führen kann, dass wenige dominante, widerspruchslos nebeneinanderstehende Werte und Wertungen ein stark vereinfachtes und damit unvollständiges System bilden. Ob ein derartiges System die innere Einheit der Rechtsordnung darstellen könnte, erscheint fraglich. Aber auch die statische Komponente des Systemauftrags weist in eine andere Richtung. Sie fordert mit der Zweibezüglichkeit letztlich die Schaffung einer systeminternen Ordnungsstruktur, die der Bedeutung jedes Systembestandteils im Verhältnis zum übergeordneten Ordnungsgesichtspunkt und im Verhältnis zu den anderen Systembestandteilen hinreichend Rechnung trägt. Dies geschieht durch die Begründung von Elementstellen (Stellenwerten) im System. 336 Bereits jetzt lässt sich davon sprechen, dass Werten oder Wertungen – sollen sie systematisch zumindest im weitesten Sinne eine Rolle spielen – im System eine Position zugewiesen werden muss. Diese Positionierung dient allerdings dem systeminternen Gleichklang, d. h. zielt auf Herstellung der inneren Einheit durch Ordnung ab. Man könnte auch folgendermaßen formulieren: Die Herstellung der Zweibezüglichkeit im System zielt auf Verkoppelung der Systembestandteile zu einem einheitlichen Ganzen. Eine „absolute“, d. h. rigorose Wertgeltung würde zwangsläufig zur Entwertung der Elementstelle eines gegenläufigen Wertes oder einer Wertung führen, eine wechselbezügliche Ordnungsstruktur verhindern und dem systeminternen Einheitsstreben zuwiderlaufen. Auch für die außerhalb des Systems zu erzielenden Abwägungslösungen stellt eine so verstandene Wertrangordnung keine Gefahr dar. 337 Abstrakte Hierachien, die Werte betreffen, bilden nur einen Gesichtspunkt neben vielen anderen, was eine spätere Einzelfallabwägung verschiedener Verfassungsgüter betrifft. Genauer gesagt: Die Hierachie im System verleiht dem Systemsubstrat ein gewisses abstraktes Gewicht, dass neben anderen Gesichtspunkten in die spätere Abwägung eingestellt werden muss. 338
III. Zwischenergebnis Die Einwände gegen das Wertdenken verfügen nach alldem nicht über die Potenz, einen Systembegriff zu unterminieren, der Wertungen im System gestattet. Sie erweisen sich als nicht von so grundsätzlicher Natur, dass sie Werte und Wertungen im Verfassungsrecht schlechtin in Frage stellen. Deutlich ist vielmehr geworden, dass die Kritik, entgegen ihrer weithin pauschalen Formulierung, tatsächlich auf Einzelaspekte abzielt, die erst im Rahmen der Systemfreilegung Relevanz entfalten. Somit 336 Der Terminus „Elementstelle“ basiert auf einer terminologischen und thematischen Klärung des Begriffsfeldes durch Mitglieder des Philosophischen Instituts der Unviversität Düsseldorf, in: System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 150 ff. 337 Zuzustimmen ist R. Alexy (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S. 140), der den alleinigen Rückgriff auf abstrakte Rangordnungen im Rahmen von Abwägungen ablehnt. 338 Vgl. Fn. 607 und 802.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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kann die Beantwortung der Frage nach der Berechtigung des jeweiligen Einwandes letztlich auch nur ganz spezifisch im Hinblick auf die herangezogenen Methode zur Freilegung des Systems bzw. der Systemstruktur und der Systembestandteile erfolgen. Damit ist aber nicht der gewonnene Systembegriff Adressat der Kritik. Vielmehr muss das exegierte System selbst an der jeweils relevanten Stelle der Kritik standhalten.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung Der hier verwendete, zweibezügliche und dynamisch wirkende Systembegriff stellt an die Konstruktion eines verfassungsrechtlichen Teilsystems hohe Anforderungen; als System kann ja letzlich nur gelten, was dem Systembegriff genügt! Oder anders ausgedrückt: Die Systemfreilegung wird durch die Anspruchshaltung des Systembegriffs determiniert. Der Systematiker erreicht nur dann eine nach außen vermittelbare Klarheit über das Analysegebiet, wenn es ihm gelingt, die Auswirkungen dieses Bestimmungsprozesses offen zu legen. Hieraus ergibt sich dann der Arbeitsrahmen des Systematisierens als Prozess. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, welche Spezifikationen der gewonnene „juristische“ Systembegriff dem Prozess der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemfreilegung vorgibt. Ursprünglich zeigte Ph. Heck der rechtswissenschaftlichen Forschung zwei ganz unterschiedliche Möglichkeiten auf, Systeme zu bilden bzw. frei zu legen. Er prägte die Unterscheidung zwischen den so genannten „inneren“ und „äußeren“ Systemen. 339, 340 Die „Ordnung der fertiggestellten Gedanken“, die der Forscher durch die Bildung von Ordnungsbegriffen, durch Einteilungen und durch die Reihenfolge der Erörte339 H.-M. Pawlowski weist dem Begriffspaar eine andere Bedeutung zu (ders., Methodenlehre, 1999, Rn. 223 ff.). Er geht offenbar davon aus, dass sich juristische Systeme durch die „Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten“ ständig fortentwickeln. Den Maßstab für die anstehende Entscheidung würde die jeweils neueste Systematisierung bieten, die an das vorhandene Material anknüpft. Dabei bildet die deskriptive, Zusammenfassung des vorhandenen Materials nach Einschätzung von Pawlowski das „äußere“ System. Hieran schließe sich das „innere“ System an, welches entscheidungsspezifisch unter Berücksichtigung des Gesetzmäßigkeitsund Gleichbehandlungspostulates aktuell erstellt werden müsse. Dieses würde den rechtlichen Konflikt schließlich zur Entscheidungsreife leiten. Kürzer mit den Worten Pawlowskis: „Das äußere System bietet Ordnungsgesichtspunkte für die Darstellung des vorhandenen rechtlichen Materials, aus dem die Entscheidung zu entwickeln ist. Das innere System, das in der Orientierung am Prinzip der Gesetzmäßigkeit und Gleichbehandlung jeweils neu zu erarbeiten ist, bietet Maßstäbe für die Entscheidung“ (Rn. 226, Hervorhebungen im Original). 340 Dieser Unterscheidung steht bspw. K. Stern, zumindest mit Blick auf ein System der Grundrechte, ablehnend gegenüber (ders., Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1756).
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
rungen vornimmt, bezeichnet Heck als „äußeres“ System. 341 Eine derartige Systematisierung verfolge den Zweck, die Übersichtlicheit und Klarheit in der Darstellung und Gliederung der jeweils zu analysierenden Rechtsmaterie zu erhöhen.342 Hiervon sei das „innere“ System zu unterscheiden, welches vornehmlich darauf abzielt „den sachlichen Zusammenhang“ bzw. die „immanente Ordnung“ des zu analysierenden Gebiets freizulegen. 343, 344 Es ist Ausdruck einer dem Recht als Ganzen innewohnenden Sinneinheit und fordert ein ebensolches Verständnis vom Systematiker ein. Das fertig gestellte „innere“ System erschöpft sich damit nicht in der bloßen Deskription des Erkannten, sondern dient der Vermittlung der tragenden Sinnstruktur des jeweiligen Analysefeldes. Während somit das „äußere“ System in erster Linie als Erklärungshilfe dient, fungiert ein „inneres“ System primär als Basis für eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit dem zu analysierenden Rechtsgebiet. Vorliegend interessiert die Frage, ob sich die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes unter Rückgriff auf das Begriffspaar und gemessen am gewonnenen Systembegriff (rechts-)gewinnbringend strukturieren lässt. Insoweit das „äußere“ System in Frage steht, so erscheint es bereits zweifelhaft, ob das GG ein solches im Hinblick auf die Wirtschaftsverfassung überhaupt aufweist. Bei „äußeren“ Systemen stehen „rechstechnische Gesichtspunkte“ im Vordergrund. 345 Sie spiegeln sich regelmäßig in „einer sichtbaren Gliederung eines Komplexes von Rechtsvorschriften“ in Gestalt einer Unterteilung in Bücher, Teile, Abschnitte und Titel wieder. 346 Eine derartige normative Struktur weist das Grundgesetz mangels Errichtung eines eigenständigen Abschnitts über die Wirtschaftsverfassung gerade nicht auf, so dass man folglich ein „äußeres“ System der Wirtschaftsverfassung verneinen müsste. Heck hat jedoch ganz bewusst ein solch enges „äußeres“ Systemverständnis nicht vertreten. „Äußere“ Systeme lassen sich zwar regelungstechnisch in Gesetzeswerken statuieren. Hierauf ist die rechtswissenschaftliche Forschung allerdings nicht angewiesen. Vielmehr kann eine eigenständige, „äußerliche“ Systembildung auch unter Anknüpfung an unterschiedliche Sachgebiete oder im Anschluss an die „Abstraktion allgemeiner Regelungselemente aus [...] Einzelbestimmungen“ nach den Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 142 f. Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 19 f. 343 Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 143. 344 Das „innere“ System liefert nach Einschätzung von Heck die Basis für „Konfliktentscheidungen“, die er als systematisch-wissenschaftlich geordneten Vorgang der „Problemlösung“ einstuft. Über die Zusammenführung der einzelnen „Konfliktentscheidungen“, so Heck, sei eine Gliederung der gesamten Rechtsordnung möglich. 345 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 416 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 346 Vgl. K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10. Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (180). 341 342
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Regeln der formalen Logik erfolgen. 347 Wichtig ist nur, dass der Forscher bereits zu Beginn des Systematisierens über taugliche Kriterien (z. B. Normen oder Normenkomplexe, Ordnungsbegriffe etc.) verfügt, die es nun zu ordnen gilt. Denkbar wäre daher beispielsweise ein „äußeres“ System, an dessen Spitze ein durch Abstraktion gewonnener Ordnungsbegriff „Wirtschaftsverfassung“ steht. Fraglich erscheint jedoch, ob ein derartiges „System“ dem statischen und dynamischen Element des gewonnenen Systembegriffs entspricht. Auch in einem „äußeren“ System kann die vom Systembegriff eingeforderte Zweibezüglichkeit in der Systemstruktur grundsätzlich erreicht werden. Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel aus dem Zivilrecht verdeutlichen. So hat sich das Bürgerliche Gesetzbuch für ein „äußeres“ System des Schuldrechts in der Form entschieden, dass es nicht nur die Frage nach der Zugehörigkeit der jeweiligen Norm zum Ordnungsgesichtspunkt „Schuldrecht“ klärt, sondern darüber hinaus über die Einteilung in einen allgemeinen und besonderen Teil auch das Verhältnis der Normen als Systembestandteile untereinander durch Rückgriff auf die „lex specialis“ – Regel verdeutlicht. Ein „äußeres“ System der Wirtschaftsverfassung stößt jedoch, wenn es um das Kriterium Zweibezüglichkeit geht, schnell an seine Grenzen. Der erste Prüfungspunkt erscheint noch unproblematisch. Die Frage nach der Zugehörigkeit eines Teiles zum Ordnungsgesichtspunkt lässt sich nach definitorischer Klärung des Begriffes der Wirtschaftsverfassung klar mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Schwierigkeiten treten aber auf, wenn es darum geht, die Zweibezüglichkeit zu komplettieren, d. h. den wechselseitigen Bezug der Einzelteile untereinander und damit die Zweibezüglichkeit „äußerlich“ zu begründen. Ein unter Rückgriff auf die Regeln der formalen Logik abstrakt-begrifflich modelliertes „äußeres“ System der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes kann das Verhältnis der Bestandteile untereinander zumindest nicht vollständig wiederspiegeln. Die sich hier ergebenden Fragen des wechselseitigen Verhältnisses von Verfassungsgütern und einer denkbaren Hierarchie innerhalb der Verfassung lassen sich nicht rechtstechnisch–formal abhandeln, sondern bedürfen stets eines Rückgriffs auf materiale Wertungsgesichtspunkte, den die formale Logik gerade verbietet. Aus diesem Grunde ist ein „äußeres“ System auch generell nicht geeignet, die wertungsgemäße Folgerichtigkeit und innere Einheit der Rechtsordnung darzustellen und zu verwirklichen. 348 Auch im Hinblick auf die Erfüllung des Systemauftrags (Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und inneren Einheit der Rechtsordnung) erscheint ein „äußeres“ System der Wirtschaftsverfassung ohne nennenswerte Relevanz. Es kommt zu spät, denn es folgt der eigentlichen Forschungsarbeit erst nach. Schon Heck beschrieb das „äußere“ System als die „Sichtbarmachung“ 347 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 414 ff. (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 348 Es darf an dieser Stelle jedoch nicht übersehen werden, dass „äußere“ Systeme durchaus den Ausgangspunkt für die Freilegung der tiefer liegenden „inneren“ Sinngesamtheit bilden können.
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der fertiggestellten Gedanken des Forschers. 349 Es setzt den Abschluss der Forschungstätigkeit bereits voraus und dient dann nur noch zur Herstellung der „Übersichtlichkeit und leichteren Beherrschbarkeit des Materials“. 350 Der Systemauftrag als dynamisch wirkende Komponente des Systembegriffes entfaltet seine Anspruchshaltung jedoch bereits während der Forschungstätigkeit selbst. 351 Es handelt sich um ein Kriterium, dass über den systematischen Forschungserfolg entscheidet. Klar wird damit Folgendes: Der Schwerpunkt der Forschungstätigkeit muss sich auf die Aufdeckung und konsequente Fortentwicklung von Wertungen und die Zusammenführung von Einzelzusammenhängen in eine tragende Sinnstruktur beziehen, um dem Systemauftrag gerecht zu werden. Entsprechendes gilt für die wirtschaftsverfassungssrechtliche Forschung. Sie muss sich auf die Freilegung des inneren Systems beziehen. 352 Dabei ist der wissenschaftliche Denkvorgang, d. h. der Prozess des Systematisierens bereits für sich genommen impliziter Bestandteil des Systems. Das Systemat bildet dann der „sachliche Zusammenhang zwischen den hervorgebrachten Gedanken“, der letztlich die Kernessenz des „inneren“ Systems darstellt. 353, 354, 355 Oder anders mit den treffenden Worten Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 142 f. Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 142 f.; vgl. auch K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 416. 351 Vgl. 3. Kapitel § 3 II. 352 Vgl. bspw. T. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 69 f. Schubert übersieht allerdings die determinative Wirkung, welche die statische Komponente des Systembegriffes auf den Prozess des Systematisierens ausübt. Folglich kennzeichnet er die „Dreibezüglichkeit“ (nach dem hier verwendeten Sprachgebrauch: Zweibezüglichkeit (vgl. Fn.232)) als bloße Eigenschaft des Systems; vgl. auch O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), S. 193 ff. (225). 353 Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 143. 354 Das „Systemat“ meint systemterminologisch das „Gesamt“ des Systematisierten und kennzeichnet damit zugleich den Endpunkt der Systematisierung als Prozess. Vgl. zur terminologischen und thematischen Klärung des Begriffsfeldes durch Mitglieder des Philosophischen Instituts der Unviversität Düsseldorf: A. Diemer (Hrsg.), System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 150 ff. 355 Ähnlich verwendet T. Schubert den „inneren“ Systemgedanken im Rahmen seiner Analyse zum Wirtschaftsverfassungsrecht des EG-Vertrages. Zunächst möchte er, sozusagen isoliert, die Determinanten des EG-Vertrages auf ihren „freiheitlichen Gehalt“ hin analysieren. Im Unterschied zu der hier praktizierten Vorgehensweise sieht er darin allerdings noch keinen Schritt auf dem Weg zur Systemfreilegung. Erst im Anschluss an die separate Analyse der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Bestimmungsfaktoren sollen die exegierten Elemente in das System eingepasst werden, „um so auf die allgemeine Wirtschaftsfreiheit als zugrundeliegendes Prinzip schließen zu können“. Insofern spricht Schubert auch von „zwei getrennt zu behandelnden Schritten“. Tatsächlich spielt das von Schubert entwickelte Teilsystem des „Gemeinsamen Marktes“ bei der Erreichung des gesteckten Zieles nur eine „stiefmütterliche“ Rolle. Das, was es zu beweisen gilt – die Existenz der allgemeinen Marktfreiheit – ließe sich aus der „missing link“-Eigenschaft im System, d. h. sozusagen aus der Eigenschaft als noch fehlendes Puzzleteil oder Bindeglied zur Vervollkommnung des Gemeinsamen Marktes in Gänze, nachweisen. Abgesehen von den grundlegenden Bedenken, die sich gegen die Heranziehung des „missing link“-Arguments im Rahmen der juristischen Argumentation richten, auf diese 349 350
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Hecks ausgedrückt: „Dieses System entsteht nicht durch eine ordnende Tätigkeit des Forschers, sondern automatisch durch den Inhalt der Forschungsergebnisse. Es ist nicht Ordnungserfolg, sondern ein Teil des Forschungserfolgs.“ 356 Die Bildung eines Ordnungsbegriffes Wirtschaftsverfassung 357 stellt dabei einen ersten Schritt bei der Identifizierung des „inneren“ Systems dar und ist zugleich für den Forscher Anreiz und Verpflichtung die vorgelagerte immanente Ordnungsstruktur aufzudecken.
I. Rechtsprinzipien als Systembestandteile des „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung Die bereits erfolgte Untersuchung der methodischen Grundlagen hat gezeigt: Will ein System der Wirtschaftsverfassung der Rechtsgewinnung dienen, so muss es „durch wissenschaftliche Erkenntnis ins Bewußtsein gehoben werden“. 358 Bisher herrscht aber weder Klarheit über die Systembestandteile, die ein solches System konstituieren, noch über die Vorgehensweise zur Offenlegung der immanenten Zusammenhänge. Deutlich geworden ist aber bereits Folgendes: Der axiologisch geprägte Systembegriff fordert über ein „inneres“ System die Zusammenführung von wirtschaftsverfassungsrechtlichen Wertungen in einem Sinnganzen ein. Die in Betracht kommenden Systembestandteile müssen sich somit auch nach axiologischen Gesichtspunkten einordnen lassen, d.h. eine für Wertungen zugängliche Struktur aufweisen. Bereits Erwähnung fand das Erfordernis, den Vorgang des Wertens im Rahmen der Systemmodellation rational fassbar zu gestalten. Insofern fordert die Entkräftung des Einwandes einer Missachtung der „Postulate rationaler Begründung“ ihren Tribut. 359 Es bedarf eines systemeinheitlichen, übergesetzlichen Qualitätsmaßstabs, der eine „Selektionierung mit Hilfe rechtlicher Kriterien“ vornimmt. 360 Sinnvoll erscheint es, die in Betracht kommenden Systembestandteile von vornherein danach zu hinterfragen, ob sie diesen Qualitätsmaßstab als einen ihrem Wesen nach eigenen beinhalten. Sollten sich die übergesetzlichen Wertmaßstäbe als der Struktur der jeweiligen Sysgrundlegenden Bedenken kann hier nicht eingegangen werden, muss auch Schubert letztlich eingestehen, dass dieser Argumentationsansatz nicht einer sei, der aus dem System resultiert, sondern wegen des Systems bestünde. Eine bloße Rückbestätigung der Existenz des gesuchten Prinzips bleibt allerdings hinter dem zurück, was ein „inneres“ System tatsächlich zu leisten vermag. Das System sollte nicht nur eine Hilfsfunktion in diesem Sinne einnehmen, sondern vielmehr der Gewinnung inhaltlicher Aussagen im Hinblick auf die jeweiligen Prinzipiengehalte dienen. (Die zitierten Textstellen finden sich bei T. Schubert, in: Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 49 f.; 81 f., 339 ff., 352 ff.). 356 Ph. Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 143. 357 Vgl. zur Definition der Wirtschaftsverfassung i. e. S. die Ausführungen im 2. Kapitel § 1. 358 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (180). 359 Vgl. hierzu die Ausführungen im 3. Kapitel § 4 II. 2. 360 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 130; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 129; vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 4 II.
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tembestandteile immanent erweisen, so kann es gelingen, die dem Vorgang des Wertens innewohnenden „Bewußtseinsinhalte wiederholbar“ und „auch mitteilbar“ zu gestalten, so dass sie „von verschiedenen Menschen als übereinstimmend (oder nicht übereinstimmend) erfaßt werden können“. 361 Das „Werten“ erhält auf diesem Weg seine wissenschaftliche Verbindlichkeit und seine methodische Prägung. Damit wird bereits angedeutet, warum der Verlockung widerstanden werden muss, nicht nur Wertungen als Arbeitsschritt im Rahmen der Systemmodellation zu gestatten, sondern gleichsam „Werte“ als Systembestandteile einzuführen. Denn Werte existieren regelmäßig auch ohne rechtliche Begründung. Der angesprochene Qualitätsmaßstab ist dem Wertbegriff somit nicht inhärent. Um einen Wert rechtlich anzuerkennen, d. h. ihn in den Rang eines Rechtswertes zu erheben, muss dieser „von außen“ an den Wertbegriff herangetragen werden. Die genannte Konsens- bzw. Transparenzfunktion zum Zwecke der Herstellung rationaler Fassbarkeit würde damit verfehlt. Zudem ergeben sich praktische Probleme. So könnten nur solche Werte überhaupt Eingang in das System finden, die dem aufgestellten Maßstab Rechnung tragen. Der Wertebegriff müsste also selbst eine maßstabsgerechte Einschränkung erfahren. Anders ausgedrückt: Werte, die selber als Maßstäbe für Bewertungen dienen, müssten ihrerseits einem Maßstab, nämlich dem der übergesetzlichen Ordnung, unterliegen. Im Rahmen der Systematisierung könnten also nur solche Werte berücksichtigt werden, die das Nadelöhr des übergesetzlichen Selektionskorrektivs passiert haben und damit als Rechtswerte fungieren. Im Ergebnis müsste man mit zwei Wertebegriffen arbeiten. Einem ursprünglich bzw. weiten Wertebegriff stände ein „bereinigter“ bzw. enger Wertebegriff gegenüber und nur der letztgenannte erscheint zur Systemfreilegung geeignet. 362 Der Rückgriff auf Werte als Systembestandteile erweist sich nach alldem als nachteilig. Es bietet sich daher an, nach anderen Systembausteinen zu suchen. In der neueren Systemlehre werden deshalb vor allem Rechtsprinzipien herangezogen. 363 Sie sollen die strukturelle Eignung aufweisen, den Vorgang des Wertens aus sich heraus rational fassbar zu gestalten. 1. Rechtsprinzipien als „Tiefenstrukturen“ 364 und Interpretationshilfen des Rechts Das „positivistische“ Unterfangen, die Rechtsordnung auschließlich über ausformulierte Regelungsstrukturen beschreiben zu wollen, muss zwangsläufig in einer K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 125 f. Zu den Schwierigkeiten der Begriffsaufspaltung tritt der Umstand hinzu, dass Rechtswerte per se keine Normen darstellen. Würde man Rechtswerte als Systembestandteile heranziehen, so wäre ein so modelliertes System vielleicht rechtsethisch wünschenswert, nicht notwendigerweise jedoch rechtlich verbindlich. Vgl. hierzu eingehend 3. Kapitel § 5 I. 6. 363 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 437 ff., 474 ff. 364 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 251 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 361 362
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verkürzten Darstellung münden. Die eigentliche Weichenstellung für die Konstituierung des Rechts findet auf einer anderen Ebene statt. Deutlich wird dies, wenn man die „Rechtsidee“ 365 als Legitimationsquelle und Ursprung jeden Rechts begreift und ihr Verhältnis zum positivierten Gesetzesrecht bestimmt. Mit ihren Kerngehalten, Rechtssicherheit bzw. Rechtsfrieden einerseits und Gerechtigkeit andererseits, bedarf sie einer stufenweisen Konkretisierung. Hierbei gleich auf ausformulierte Regelungsstrukturen abstellen zu wollen, würde bedeuten, eine Konkretisierungsstufe zu überspringen. Für die auf dieser Zwischenstufe anzutreffenden „Tiefenstrukturen des Rechts“ 366 hat der Begriff „Rechtsprinzip“, wenn auch in zahlreichen inhaltlichen Nuancen 367, weithin Verwendung gefunden. 368 365 Für den anglo-amerikanischen Rechtskreis kennzeichnet R. Dworkin – vergleichbar dem hier praktizierten Verständnis – die Elemente „fairness“, „justice“ und „procedural due process“ und ihre Zusammenfassung in dem so genannten „integrity“-Ideal als diejenigen Faktoren, aus denen Rechtsprinzipien ihre Legitimation beziehen. (vgl. R. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, passim). 366 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 251. 367 Bereits der Teilbegriff „Prinzip“ erfährt im Sprachgebrauch eine vielseitige Verwendung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich folgende Synonyme für den Teilbegriff finden: „Regel, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht“, „Grundlage“, „Grundnorm“, „Grundsatz“, „Gesetzmäßigkeit“ bzw. „Idee, die einer Sache zugrunde liegt“. (Duden „Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“, Bd. VII, 1999, S. 3008). Entsprechend vielfältig erscheint die terminologische Umschreibung der „Tiefenstrukturen“ des Verfassungsrechts. R. Alexy (ders., in: Theorie der Grundrechte, 1996, S. 33) verweist darauf, dass U. Scheuner (ders., Die Funktion der Grundrechte im Sozialstaat. Die Grundrechte als Richtlinie und Rahmen der Staatstätigkeit, in: DÖV 1971, S. 505 ff.) „21 Ausdrücke mit strukturtheoretischen Konnotationen verwendet“, um die Tiefenstrukturen der Grundrechte zu charakterisieren. I. E. nennt er die Grundrechte „Freiheitsgewährungen“, „Prinzipien der Sozialgestaltung“, „soziale Ordnungselemente“, „Verfassungsprinzipien“, „Schranke“ der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, „Ziel“, „Auftrag“, „bindende Leitlinie“, „Prinzipien und Festsetzungen in ihrem institutionell-funktionalen Gehalt“, „Grundsätze“, „objektive Festsetzungen“, „Rahmen“, „grundrechtliche Freiheiten“, „Teilhabe“, „soziale Rechte“, „staatliche Zielbestimmungen“, „Zielvorstellungen“, „Zielbindung“, „Gesetzgebungsaufträge“, „Richtlinien“. 368 Zur Bedeutung des Terminus „Rechtsprinzip“ vgl. u. a.: R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Rechtstheorie, Beiheft 1 (1979), S. 59 ff.; ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S. 71 ff.; ders.; Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 31 ff.; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 132 ff.; ders. Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, passim; R. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, S. 54 ff., 145 ff.; J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1990, vgl. hier insbes. S. 39 ff. u. 69 ff.; K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 23 ff. Zur Heranziehung des Begriffes „Rechtsgrundsatz“ als Synonym vgl. insbes.: H. J. Wolff, Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen, in GS f. W. Jellinek, 1955, S. 33 ff. Eine instruktive Darstellung der Prinzipientheorie und des Terminus „Rechtsprinzip“ findet sich bei A. Birk (ders., Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs und seine Bedeutung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S.75 ff.), der allerdings einer Einordnung von Rechtsprinzipien als „Tiefenstruktur“ des Rechs sehr kritisch gegeübersteht (vgl. S. 103). Birk hinterfragt allerdings ausschließlich die Möglichkeit einer tauglichen Unterscheidung von Regel und Prinzipien und verkennt, dass der Terminus „Tiefenstruktur“ primär dazu dient, die Ursprünge der Rechtsprinzipien und letztlich auch der Regeln zu erklären.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Die Existenz dieser Zwischenstufe lässt sich anhand zahlreicher Beispiele verdeutlichen. Gesetzliche Regelungen beschränken sich oftmals darauf, spezifische Fallkonstellationen eines stillschweigend unterstellten Prinzips, Ausnahmen von demselben oder Folgen seiner Missachtung zu normieren. 369 Im Zivilrecht erfährt das Prinzip „pacta sunt servanda“ keine ausdrückliche gesetzliche Erwähnung. 370 Erlangt eine vertragliche Vereinbarung durch wirksames Zustandekommen erst einmal Gültigkeit, so beschränkt sich das Bürgerliche Gesetzbuch im Folgenden darauf, die Konstellationen einer möglichen Vertragsauflösung oder die Konsequenzen eines Vertragsbruches zu regeln. Im Verfassungsrecht tritt die interdependente Verknüpfung zwischen der Prinzipienebene und der normativen Endausprägung im Verfassungstext besonders deutlich zutage. So erschöpft sich die verfassungsgesetzliche Normierung oftmals in der rudimentären Wiedergabe des vorgelagerten Rechtsprinzips. Dasselbe erscheint dann als Auslegungshilfe unabdingbar. Insbesondere für das Sozial(-staats)prinzip gilt: Der Bedeutungsgehalt der lediglich adjektivischen Beifügung des Wortes „sozial“ in Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich ohne Kenntnis von Art und Umfang des vorgelagerten Prinzips nicht erschließen. Gleiches kann für das Rechtsstaatsprinzip festgehalten werden. Dabei kann an dieser Stelle noch offenbleiben, ob es sich funktionell in der vollständigen normativen Wiedergabe von ausdrücklich im Grundgesetz normierten Unterprinzipien erschöpft oder aber eine eigenständige Rechtsquelle für die Ableitung zusätzlicher Gehalte bietet. Denkbar ist jedoch in jedem Fall die Bildung der abstrakten Wertungskategorie „Rechtsstaatsprinzip“ innerhalb des „inneren“ Systems. 371 In dieser Rolle kann es freilich nur dann eine systematische Bedeutung erlangen, wenn hinreichende Klarheit über den (abstrakten) Prinzipieninhalt bzw. -gehalt selbst besteht. Die notwendige Klarheit hierüber kann wiederum nur dann erzeugt werden, wenn gleichermaßen die Bezugsebene zur Rechtsidee als auch die zum Verfassungsgesetz hinreichende Berücksichtigung erfahren. Weitgehende Einigkeit in der Rechtslehre herrscht auch dahingehend, dass sich Grundrechtsinhalte und -gehalte auf der Prinzipienstufe verorten lassen. 372 Grund369 Hierauf verweist schon Larenz bei der Unterscheidung der Prinzipienformen (ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 480). 370 Vgl. zu diesem Beispiel auch K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 252 f. 371 Vgl. 4. Kapitel § 5 I. 1. 372 Auf die Bedeutung der ideengeschichtlichen Grundlage für das Verständnis der Grundrechte und ihrer Gehalte verweist insbes. K. Stern, Staatsrecht, Bd.III/1, 1988, S.53. Jedoch, so Stern, müsse auch „berücksichtigt werden, daß der Verfassungsgeber – mehr als in anderen Teilen des Grundgesetzes – grundlegende Festlegungen mit teilweise völligen Neuorientierungen gegenüber der bisherigen Theorie und Praxis getroffen hat“ (ders., Staatsrecht Bd. III/1, 1988, S. 207). Sozusagen unter Vorwegnahme der späteren rechtstheoretischen Einordnung von Grundrechten als Rechtsprinzipien und unter Berücksichtigung ihres metapositiven Ursprungs bezeichnete bereits U. Scheuner zu Beginn der 50er Jahre Verfassungsrechtssätze und damit auch Grundrechtsnormen als „Leitgrundsätze“ oder „verfassungsrechtliche Leitprinzipien“ (ders., Die Auslegung verfassungsrechtlicher Leitgrundsätze, 1952, S. 23 u. 38 ff.).
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rechte sind „weithin in der Weise ‚ausfüllungsbedürftiger‘ Begriffe formuliert“. 373 Ihre rechtliche Anwendung fordert Wertentscheidungen ein, die – dies sei an dieser Stelle bereits als Vermutung formuliert – über die übergesetzliche Prinzipienstufe, gleichsam als Transformator, zu entwickeln sind. 374 Auf die diesbezüglich umstrittenen Einzelheiten soll hier nur hingewiesen werden. Eine nähere Verdeutlichung des Streitstandes wird an späterer Stelle erfolgen. 375 2. Rechtsprinzipien als Bestandteile von abstrakten Systemen und abwägungsbezogenen Prinzipienmodellen Ist nach alldem die Existenz und besondere Bedeutung der Prinzipienstufe als Interpretationshilfe evident, so schließt sich die Frage nach deren weiteren Funktionen an. Was die hier erfolgende Untersuchung betrifft, so ist auf die spezifische Problemperspektive hinzuweisen: Während sich die Prinzipienlehre 376 überwiegend mit dem Kollisionsverhalten von Prinzipien und ihrer Eignung zur Erzielung von Abwägungslösungen bei einzelnen grundrechtlichen Fällen beschäftigt, d. h. damit, wie Prinzipien letztlich „funktionieren“, so zielt die vorliegende Analyse auf eine andere, diesem Prozess vorgelagerte Problemebene. 377 Es geht um die Feststellung der Eignung von Prinzipien für die Freilegung von „inneren“ Systemen und ggf., sofern diese festzustellen ist, um den Inhalt und die Stellung von Prinzipien als Bestandteile eines „inneren“ Systems, das die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Schutzzusammenhänge abstrakt analysiert. 378 Erst im Rahmen dieser Analyse erhalten die F. Klein sprach später von den Grundrechten als den „Grundsätzen des Staatslebens“ (ders., in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd.I, 1966, Vor. A VI 4, S. 86 ff.). Vgl. weiterhin: R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 71 ff.; W. Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in der Verfassung, in: JZ 1994, 213 ff. (218) („Funktion von Staatszielen“); W. Henke, Systematik der Grundrechte, in: DÖV 1984, S. 1 ff. (6 ff.); H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), S. 363 ff.; K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, S. 370. Kritisch gegenüber einem Verständnis von Grundrechten als Grundsatznormen und Konstitutionsprinzipien der gesamten Rechtsordnung E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), S. 1 ff. 373 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 125. 374 R. Zippelius hat früh darauf hingewiesen, dass es bereits im Rahmen der Explikation der Grundrechtsgarantien selbst, der Heranziehung von Wertentscheidungen bedürfe (ders., Wertungsprobleme im System der Grundrechte, 1962, S. 13). 375 Vgl. 4. Kapitel § 1. 376 Grundlegend R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.71 ff.; vgl. zur Ausformung der Eigentumsgarantie als Prinzip, die auf die Verwendung in Prinzipienmodellen ohne vorangehende Systemverortung abzielt J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998. 377 Vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 117 f. 378 Vgl. hierzu das 4. Kapitel.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Prinzipien die notwendige Kontur, um überhaupt in einem späteren, sich an die Systemfreilegung anschließenden, rechtspraktischen Fall als Abwägungselemente zu dienen. Beide Sichtweisen – Prinzipien im Rahmen von Abwägungen und als Systembestandteile – weisen deutliche Unterschiede auf. Dies gilt zwar nicht hinsichtlich des Inhalts und des Gehalts, wohl aber in Bezug auf die Handhabung der Prinzipien zur Rechtsgewinnung. 379 So erfolgt bspw. die Lösung systeminterner Konflikte entsprechend der Forderung des Systemauftrags, der die „Darstellung und Verwirklichung der inneren Einheit des Analysegebiets“ verlangt. 380 Dabei liegt der Problemlösung freilich eine abstrakte Sichtweise zugrunde, denn nichts anderes kann das System zunächst leisten. Verfassungsprinzipien als Normen sind abstrakt-generell. Soll auch das von ihnen erzeugte System – die erzeugte Ordnung und Einheit – in jeder Hinsicht Allgemeingültigkeit besitzen, so sind systeminterne Probleme mit einem hierauf passenden Ansatz und nicht mit Hilfe eines anwendungsorientierten, rechtspraktischen Abwägungsszenarios – einer „weichen“ Ordnung im oben verstandenen Sinne – zu lösen. Als „passender Ansatz“ wurde bereits die Formulierung von Systemstellen, d. h. Stellenwerten im System beschrieben. 381 Zudem ist zu prüfen, ob sich Konflikte innerhalb des Systems bereits dadurch entschärfen lassen, dass nach dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gesucht wird. Erst wenn die tragenden Elemente der Wirtschaftsverfassung feststehen und hinreichend formuliert sind, treten sie in den Wettstreit mit anderen Gütern von Verfassungsrang. Jetzt erst sind sie, auf den Einzelfall bezogen, als Bestandteile einer „weichen Ordnung“ denkbar und gehen in den Prozess der jeweiligen Abwägung ein. 3. Die Eignung von Prinzipien als Systembestandteile Was die Frage nach der Eignung von Prinzipien als Systembestandteile angeht, so wurden als Eignungskriterien bereits die Wertungszugänglichkeit als auch die Implikation eines übergesetzlichen Selektionskorrektivs gefordert. 382 Beiden Anforderungen werden Rechtsprinzipien gerecht. Die Erfüllung des Anforderungsprofils erklärt sich dabei entscheidend aus der Positionierung als Zwischenstufe und Mittler zwischen der Rechtsidee und dem positivierten Gesetzesrecht. So erfolgt die „notwendige Selektionierung allgemein oder vorherrschend anerkannter gesellschaftli379 Soweit die Erkenntnisse der Prinzipienlehre für die vorliegende Analyse taugen, werden sie allerdings fruchtbar gemacht. Die gilt insbes., wenn die Funktionsweise von Prinzipien Rückschlüsse auf ihren spezifischen Charakter zulässt (vgl. bspw. 3. Kapitel § 5 I. 5. 380 Vgl. zur Lösung systeminterner Konflikte durch Erzielung eines „systeminternen Gleichklangs“ im Wege der Ermittlung des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ 3. Kapitel § 4 II, 3. Kapitel § 5 I. 6 und 4. Kapitel § 2 II. 6. a). Vgl. indes zur (systemexternen) Funktionsweise von Prinzipien im Rahmen einer „weichen“ Ordnung, d. h. im Rahmen von Abwägungsmodellen 3. Kapitel § 5 I. 6, vgl. insbes. Fn. 430. 381 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 4 II (insbes. S. 80) und 3. Kapitel § 5 II. 3. 382 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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cher Wertungen auf ihre ‚rechtliche Relevanz‘ hin“ einmal „durch die Prüfung ‚nach oben‘, ob sie sich inhaltlich als Konkretisierung der Rechtsidee für die historisch gegebene Gesellschaft darstellen lassen, und [weiterhin] ‚nach unten‘, ob sie als Leitgedanken positiver rechtlicher Regelung erkennbar sind“ 383. Weisen somit Rechtsprinzipien die generelle Eignung zur systematischen Rechtsgewinnung auf, so gilt es, sie nunmehr als Systembausteine weiter zu fixieren. Dies soll im Folgenden dardurch geschehen, dass zunächst die strukturellen Besonderheiten von Rechtsprinzipien anhand verschiedener, von der Rechtslehre vorgenommener terminologischer Einordnungen verdeutlicht werden. Darüber hinaus sollen die Gemeinsamkeiten von Rechtsprinzipien und Regeln sowie das Verhältnis von Rechtsprinzipien und Werten eine vertiefte Darstellung erfahren. 4. Die Unterscheidung zwischen rechtssatzförmigen bzw. normativen Prinzipien und den offenen bzw. informativen Prinzipien Deutlich geworden ist bereits, dass Rechtsprinzipien über ihre Mittlerstellung384 in der Rechtsordnung, insbesondere im Verfassungsrecht, eine besondere Bedeutung zuteil wird. Über die Struktur von Rechtsprinzipien selbst ist damit aber noch nichts gesagt. Rechtsprinzipien weisen einen „Doppelcharakter als Modell und Direktive“ auf. 385 Über ihren Modellcharakter dienen sie dem Rechtsmethodiker als Arbeitsinstrumentarium, d. h. als Ordnungs- bzw. Differenzierungselement im Rahmen der Systematisierung ähnlich der Verwendung abstrahierter Begriffe. In dieser pragmatischen Funktion als äußerlich deskriptives Konstruktionselement verharren Rechtsprinzipien jedoch nicht. 386 Ansonsten würden sie sich nicht zur Freilegung von „inneren“ Systemen eignen. 387 Es besteht vielmehr Einigkeit darüber, dass sie gleichermaßen ein „Geltungsverlangen“ in sich tragen. 388 Wie weit dieses „Geltungsverlangen“ reichen kann und ob es normativer Art im Sinne der klassischen Rechtsquellenlehre sein kann, bildet jedoch den Hauptstreitpunkt der „Prinzipienlehre“. 383 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 133; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 129. 384 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 129. 385 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 251. 386 Vgl. K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 252. 387 Erinnert sei nur an die dynamische Komponente des Systembegriffes. Gefordert wird nicht nur die Darstellung, sondern auch die Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und der inneren Einheit der Rechtsordnung. Der Prozess der Verwirklichung bedarf der antreibenden Kraft der Systembestandteile. Diese müssen aus sich heraus (Antriebs-)Wirkung entfalten; vgl. hierzu 3. Kapitel § 3 II. 388 K. F. Röhl spricht von „normativer Geltung“ (ders., Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 252).
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Feststellung, dass sich bei Prinzipien nur in Ausnahmefällen eine Struktur erkennen lässt, die mit der von subsumtionsfähigen Rechtssätzen vergleichbar ist. Sie weisen grundsätzlich kein „Wenn-Dann Schema“ in der Weise auf, dass sie einen Tatbestand und für den Fall seiner Erfüllung eine Rechtsfolge für den Rechtsanwender bereithalten, sondern sind vielmehr auf Konkretisierung durch weitere Rechtssätze angelegt. Prinzipien sind somit in der Regel nicht selbst „Weisung“, sondern stellen deren „Grund, Kriterium und Rechtfertigung“ dar. 389 In Abhängigkeit von ihrer „inhaltlichen Weite“ soll dann auch die Rechtsgeltung von Rechtsprinzipien stehen. In der Rechtstheorie wurde die Unterscheidung zwischen den so genannten rechtssatzförmigen bzw. normativen Prinzipien und den offenen bzw. informativen Prinzipien entwickelt. 390 Nur die erstgenannten sollen Normcharakter aufweisen. Sie seien „Normen von großer Allgemeinheit“ und bilden somit die Ausnahme vom genannten Grundsatz der Konkretisierungsbedürftigkeit. 391 Zu „einer unmittelbar anwendbaren Regel verdichtet“ seien sie „nicht nur ratio legis, sondern selbst lex“. 392 Ohne ausdrücklich ausgesprochen zu sein, könnten sie einer gesetzlichen Regelung in der Weise mittelbar zugrundeliegen, dass das Gesetz sich darauf beschränkt, Ausnahmen vom Grundsatz zu formulieren. Greifen die gesetzlichen Ausnahmetatbestände hingegen nicht, so regelt das Prinzip die jeweilige Fallkonstellation unmittelbar. Als Beispiel werden aus dem Zivilrecht die Postulate der Vertragsfreiheit und der Formfreiheit von Verträgen im Schuldrecht genannt. 393 Auch das Verfassungsrecht soll rechtssatzförmige bzw. normative Prinzipien bereithalten. Beispielhaft genannt werden die Prinzipien „nulla poena sine lege“ und „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 2 und 3 GG), die Freiheitsgarantien des Artikels 104 GG, der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Artikel 97 Abs. 1 GG) und das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 101 GG). 394 Hingegen sollen offene bzw. informative Prinzipien, zu denen die „Grundrechte und die mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgüter“ gezählt werden, als Ausfluss einer „werthaften Idee“ lediglich einen „Anspruch auf Beachtung“ einfordern können. 395 Basierend auf einem Verständnis „als Postulate ethischer oder politischer J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 51 f. Vgl. J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S.73 ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 479 f. Die Vertreter dieser Auffassung sind in Anknüpfung an die von R. Dworkin und R. Alexy eingeführte Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien als Anhänger der „schwachen Trennungsthese“ einzuordnen; vgl. hierzu Fn. 427 und J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 52 ff. (Fn. 9). 391 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 252 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 392 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 479. 393 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 480. 394 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 480. 395 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 253. 389 390
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Natur“ müssten sie „erst in ein positives System hineingetragen werden“. 396 Sie seien zwar so genannte „guides“ und könnten den Gesetzgeber als „Direktiven“ binden. Indes würden sie kein aktuelles Recht für den Einzelnen beinhalten.397 Gleichermaßen soll sich ein System aus offenen bzw. informativen Prinzipien erst dann gewinnen lassen, „wenn man ihre unterschiedlichen Konkretisierungen berücksichtigt und diese zueinander in Beziehung setzt.“ 398 Die Überzeugungskraft der aufgezeigten begrifflichen Unterscheidung ist begrenzt, zumal ihre Vertreter beständig darauf hinweisen, dass eine klare Grenzziehung zwischen den Prinzipienformen nicht möglich erscheint, die Grenzen vielmehr fließend seien. 399 Es ergibt sich ein weiteres Problem. Die graduelle Unterscheidung zwischen dem „Anspruch auf Beachtung“ einerseits und der „normativen Geltung“ andererseits erweist sich als letztlich nur schwer praktikabel. So soll ja der „Anspruch auf Beachtung“ offenbar ein Weniger an Verbindlichkeit zum Ausdruck bringen. Doch welche Maßstäbe sollen hier herangezogen werden? Es ergeben sich somit bereits faktische Schwierigkeiten bei der rechtsmethodischen Umsetzung der gewonnen Einteilung. Die Brauchbarkeit der Unterscheidung wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Es treten Zweifel an der rechtsmethodischen Begründung hinzu. Bereits die an die inhaltliche Bestimmtheit von Prinzipien anknüpfende Differenzierung zwischen solchen die „schon“ und solchen die „noch nicht“ Bestandteile positiven Rechts darstellen sollen, erscheint missglückt. So kann „ein Prinzip [...] positives Recht sein, ohne für sich allein den Gehalt eines materiellen Rechssatzes aufzuweisen“. 400 J. Esser spricht in diesem Zusammenhang von positivem Recht „kraft Sachgesetzlichkeit“. 401 Ohnehin erscheint es zu undifferenziert, wenn die Frage der Geltung von Rechtsprinzipien zu eng mit der Eigenschaft einer möglichen „Positivierung“ verknüpft wird. Denn ein derartiges Verständnis trägt der Einordnung von Rechtsprinzipien als Mittler zwischen Rechtsidee und positiviertem Gesetzesrecht keine Rechnung. Rechtsprinzipien fungieren ja gerade als „Vorentscheidungen“ und Gestaltungsfaktoren gesetzlicher Strukturen. Ihre rechtliche Geltungskraft kann somit, jedenfalls nicht allein, von einer Wiedergabe in positivierten Regelungsstrukturen abhängen. Man wird der vorgenommenen Unterscheidung jedoch zumindest zugute halten müssen, dass sie einen berechtigten Ansatz beinhaltet. So muss tatsächlich zwischen lediglich werthaften, ethischen und politischen Postulaten, die ohne lex zu sein nur einen unverbindlichen Appellcharakter aufweisen, einerseits, und solchen 396 397 398 399 400 401
J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 74. Vgl. J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 75. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 481. Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 480. J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 73. J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 71.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Strukturen, die zwar inhaltlich vage sind, aber bereits als Bestandteil des Rechts ein „Geltungsverlangen“ mit sich führen, andererseits, unterschieden werden. Diese Trennung wird jedoch schon auf der Prinzipebene erreicht, denn zum Rechtsprinzip konstituieren sich nur solche Wertvorstellungen und Postulate, die dem übergesetzlichen Selektionskorrektiv standhalten. 402 Dies gelingt durch eine entsprechende Verhältnisbestimmung zur Rechtsidee und zur positiven Regelungsebene. Aus beiden Ebenen heraus wird die Geltungskraft von Rechtsprinzipien gespeist. Ist neben dem Bezug zur Rechtsidee lediglich der „Leitgedanke“ im Hinblick auf positivrechtliche Regelungen erkennbar, so besteht schon Klarheit, dass tatsächlich ein Rechtsprinzip und damit ein Bestandteil der Rechtsordnung vorliegt. Über das „Ob“ der Rechtsgeltung kann dann kein Zweifel mehr bestehen. 403 Selbst wenn manche Rechtsprinzipien somit auch noch keinen ausdrücklich „positiven“ Niederschlag in ausformulierten Regelungsstrukturen gefunden haben, so entfalten sie demzufolge bereits jetzt als überpositive Bestandteile des Rechts normative Verbindlichkeit. Die Unterscheidung zwischen positivierten und nicht-positivierten Prinzipien erscheint zur Kennzeichnung der Rechtsgeltung von Prinzipien im Verfassungsrecht ohnehin als ungeeignet. Aus der „Tiefenstruktur des Rechts“ 404 kommend, haben Verfassungsprinzipien Eingang in das positivierte Verfassungsrecht gefunden. Die im obigen Sinne „offenen“ Verfassungsprinzipien sind somit keinesfalls bloße „ethische oder politische Postulate“, denen man lediglich einen „Anspruch auf Beachtung“ zuteil werden lassen könnte. 405 Es gilt vielmehr: Auch die „(offenen) Verfassungsprinzipien sind [...] kraft ihrer ‚Setzung‘ durch die Verfassung bereits Bestandteile des positiven Rechts.“ 406 Dabei kommt es nicht darauf an, ob Rechtsprinzipien im Text der Verfassung ausdrücklich genannt sind. J. Esser verweist darauf, dass es „andere Formen der Positivierung als die Text-Einverleibung“ gäbe und zudem „diese allein noch keine Gewähr für eine rechteindeutige Formulierung“ bieten würde. 407 Zur obigen Einteilung bleibt somit festzuhalten: Gewisse Verfassungsprinzipien, wie z. B. das Rechtsstaatsprinzip, lassen sich zwar durchaus als „offen“ umschreiben, wenn man damit deren Konkretisierungsbedürftigkeit bei der inhaltlichen Aus402 F. Bydlinski unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen so genannten „moralischen Verhaltensanforderungen“ und „rechtsethischen Prinzipien“. Rechtsethische Prinzipien, so Bydlinski, seien solche, „die sich gerade oder doch in erster Linie auf spezifisch ‚positivrechtliches‘ Verhalten, nämlich auf Rechtssetzung und Rechtsanwendung beziehen und die an solches Verhalten bestimmte Anforderung stellen; ferner solche, die die elementarsten Anforderungen an menschliches Sozialverhalten überhaupt betreffen, so daß sie – wenn überhaupt irgendwelche – auch mit organisierten Zwang durchzusetzen sind“ (ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, S. 130). 403 Vgl. B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 759 ff. 404 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 251. 405 Vgl. bereits Fn. 395 und 396. 406 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 242. 407 J. Esser, Grundsatz und Norm, 1990, S. 71.
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füllung auf der Verfassungsebene 408 oder bei der einfachgesetzlichen Umsetzung ausdrücken möchte. „Offen“ im Sinne von „eingeschränkt verbindlich“ sind sie aber keineswegs. 5. Prinzipien und Regeln a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede Es erscheint, entsprechend der oben aufgezeigten Unterscheidung der Prinzipienformen fragwürdig, überhaupt zwischen Prinzipien und Normen differenzieren zu wollen. So ist doch vielmehr denkbar, dass sich auch Prinzipien als Normen begreifen lassen. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, muss jedoch nicht der Streit über den Normenbegriff entschieden werden, da es mit den Worten R. Alexys nur darauf ankommt „nach einem Modell der Norm zu suchen, das einerseits ausreichend stark ist, um die Basis für weitere Erörterungen zu bilden, und andererseits schwach genug, um mit möglichst vielen Entscheidungen in dem angedeuteten Problemfeld vereinbar zu sein.“ 409 Diesem Anforderungsprofil genügt der semantische Normbegriff. 410 Zu differenzieren ist dabei zwischen Norm und Normsatz. 411 Unter einer Norm ist „die Bedeutung eines Normsatzes“ zu verstehen. 412 Normsätze können dabei in ganz unterschiedlicher Weise formuliert werden und doch stets inhaltlich die gleiche Bedeutung, also dieselbe Norm, zum Ausdruck bringen. Hieraus wird deutlich, „daß der Begriff der Norm gegenüber dem Begriff des Normsatzes der primäre Begriff ist“. 413 Auf dieser primären Begriffsebene müssen die maßgeblichen Idendifikationskriterien, d. h. diejenigen Faktoren gefunden werden, mit deren Hilfe der so genannte „Normkern“ freigelegt werden kann. Die semantische Basis lässt sich mit Hilfe der so genannten „deontischen Operatoren“ (Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung) offen legen. 414, 415 Sucht man hier 408 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich Verfassungsprinzipien im Verfassungstext oftmals nur in rudimentärer Ausprägung wiederfinden. „Inhaltliche Ausfüllung“ meint den Rückgriff auf die vorgelagerten Tiefenstrukturen des (Verfassungs-)Rechts, wobei gegebenenfalls eine systematischen Betrachtungsweise notwendig erscheint. 409 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 41. 410 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 41. 411 C./O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, S. 20, 108. 412 J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 26; C./O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, S.20, 108; vgl. auch H.J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd. I, 1999, § 24 Rn. 10. 413 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 43. 414 Der Begriff „deontisch“ findet seinen Ursprung in dem altgriechischen Verb „dein“. Dieses bedeutet „sollen oder müssen“. Damit ist „deontisch“ das „was sein soll“. Der Begriff „Ontisch“ entstammt hingegen dem griechischen „einai“ und bedeutet dann das „was ist“ (K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 66). 415 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 42 ff., 125 ff.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
nach einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“, so zeigt sich, dass sämtliche deontische Operatoren Verhaltensappelle zum Ausdruck bringen. Man kann in diesem Zusammenhang auch von einem „Sollen“ im weitesten Sinne, d. h. als „Ausdruck für alle normativen Funktionen“ sprechen und die Bedeutung eines Normsatzes in diesem Sinne mit dem Terminus „Sollenscharakter“ belegen. 416 Zusammenfassend gilt damit: Die Normen und die sie wiederspiegelnden Normsätze dienen der Konkretisierung der Rechtsidee und deren Ausflüsse, d. h. der Konkretisierung von Rechtssicherheit bzw. Rechtsfrieden sowie von Gerechtigkeit. Darüber hinaus stellen sie verbindliche Steuerungskriterien für Konfliktentscheidungen im Rahmen der zahlreichen Formen menschlichen Zusammenlebens auf. Das „gesollte“ Ergebnis der Steuerung ist ein spezifisches Verhalten der Normadressaten. 417 Ein Vergleich mit dem Begriffspaar „Aussage und Aussagesätze“ 418 fördert letztlich Folgendes zutage: Aussagesätze machen deutlich, „daß etwas der Fall ist“. Normsätze, unter Rückgriff auf deontische Ausdrücke, bringen zum Ausdruck, „daß etwas der Fall sein soll“. 419 Damit soll nun freilich nicht behauptet werden, dass sich der normative Bedeutungsgehalt überhaupt nur mittels deontischer Sätze wiedergeben lässt. 420 Normen lassen sich auch in der Form imperativer oder indikativer Sätze formulieren, ohne dass es eines Rückgriffes auf deontische Operatoren bedürfte. 421 Sie lassen sich gar unter Verzicht auf Normsätze in Gänze ausdrücken. Bedient man sich jedoch bei der Wiedergabe von Normen einzelner Normsätze, so erscheint eine Besonderheit augenfällig: Normsätze mit imperativer oder indikativer Satzstruktur lassen sich mit unveränderter Entsprechung des normativen Bedeutungsgehaltes in deontische Sätze umformulieren. 422
416 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 77; B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 96, 129. 417 An dieser Stelle kann keine vertiefte Auseinandersetzung mit der Struktur der Rechtsnorm erfolgen. Hinzuweisen sei nur auf Folgendes: Nach der so genannten „Imperativentheorie“ kann überhaupt nur dann von Rechtsnormen gesprochen werden, wenn diese ein bestimmtes Verhalten anordnen. Die so genannte „Sanktionstheorie“ verlangt zusätzlich zum Verhaltensgebot ein Sanktionsgebot gerichtet an die maßgebliche Rechtsinstanz für den Fall der Missachtung der Verhaltensaufforderung durch den Normadressat (vgl. K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 168, 200). 418 Entsprechend der Verhältnisbestimmung von Norm und Normsatz bildet die Aussage die Bedeutung eines Aussagesatzes. 419 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.46; J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 29 ff., 36 ff. 420 Zum Terminus „deontischer Satz“ vgl. insbes. G. H. v. Wright, Norm und Handlung, 1979, S. 102. 421 G. H. v. Wright, Norm und Handlung, 1979, S.102 ff., 107 ff.; vgl. hierzu auch J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 28 f. 422 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 46; G. H. v. Wright, Norm und Handlung, 1979, S. 106.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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An den semantischen Normbegriff und die Möglichkeit seiner Wiedergabe in deontischen Normsätzen kann nunmehr die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien anknüpfen. Als gemeinsamer Ausgangspunkt gilt zunächst: Sowohl Prinzipien als auch Regeln sind Normen, denn beide „lassen sich mit Hilfe der deontischen Grundausdrücke des Gebots, der Erlaubnis und des Verbots formulieren“. Beide bringen somit zum Ausdruck „was gesollt ist“. Sowohl Prinzipien als auch Regeln sind „Gründe für konkrete Sollensurteile“. 423 Die maßgeblichen Unterschiede zwischen Prinzipien und Regeln ergeben sich aus ihrer Handhabung bei der Rechtsanwendung. Der Rückgriff auf Regeln als „konkrete Normen“ mit ausformuliertem Tatbestand und Rechtsfolge ermöglicht es, mittels Subsumtion Fallkonstellationen unmittelbar zu entscheiden. Ausgehend von dieser Struktur ergibt sich Folgendes: Regeln sind Normen, „die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können“. 424 Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, so eröffnet die Rechtsfolge einen unmissverständlichen Maßstab für die Regelerfüllung. Demgegenüber sind Rechtsprinzipien grundsätzlich wegen ihrer inhaltlichen Weite nicht der Subsumtion zugänglich. Sie bedürfen meist weiterer Konkretisierung durch Rechtsprinzipien mit geringerem Abstraktionsgehalt (Unterprinzipien) oder aber durch Regeln. Insoweit bietet es sich an, Rechtsprinzipien als „unvollständige Rechtsnormen“ zu kennzeichnen. 425 Nicht zutreffend ist hingegen die Einordnung als unfertige Regeln 426, denn zu Recht verweist Alexy auf einen qualitativen Unterschied zwischen Prinzipien und Regeln. 427 So lassen sich Rechtsprinzipien, anders als Regeln, in einem „mehr oder weniger hohen Maße“428, also „graduell“ erfüllen. 429 430 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 72. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 76. 425 K. F. Röhl, Allgmeine Rechtslehre, 2001, S. 400. 426 K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 23. 427 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.75. Die hier vertretene Auffassung eines qualitativen Unterschiedes zwischen Regeln und Prinzipien wird im Schrifttum als so genannte „strenge Trennungsthese“ bezeichnet und ist im Wesentlichen auf R. Dworkin (ders., Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, S.54 ff., 130 ff.) zurückzuführen. Vgl. hierzu auch R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, Rechtstheorie 1979, Beiheft 1, S. 59 ff. (63 ff.); J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodell des Rechtssystems, 1990, S.52 ff.; M. Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, 1998, S. 176 f. Der Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien, so die Vertreter dieser Auffassung, sei nicht nur gradueller, sondern auch logischer Art, wobei der Begriff „logisch“ in einem „weiten Sinn, in dem er auch allgemeine Eigenschaften der Normstruktur erfaßt“ verstanden werden müsse. Hiervon zu unterscheiden ist die so genannte „schwache Trennungsthese“, die zwischen Regeln und Prinzipien ausschließlich einen Unterschied „dem Grade nach“ erkennt. Schließlich soll sich nach der „Übereinstimmungsthese“ kein im oben genannten Sinne „logischer“ Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien ergeben. (Die zitierten Textstellen finden sich bei R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, a. a. O., S. 63, 65). 428 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 475. 429 Zur graduellen Erfüllbarkeit von Rechtsprinzipien vgl. J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 71 ff. Rechtsprinzipien sind nach R. Alexy so genannte „Optimierungsgebote“. Hierunter sind Normen zu verstehen, „die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen 423 424
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
b) Wechelwirkungen zwischen den Normenarten Im „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung wird den Regeln eine besondere Bedeutung zuteil. 431 Denn Regeln kommen nicht von ungefähr. Ihnen liegen regelmäßig Wertungen des Normgebers zugrunde. Bei der Freilegung des inneren Systems können sie wertvolle Anhaltspunkte für dahinterstehende Prinzipien liefern. Soweit das Grundgesetz Regeln im oben beschriebenen Sinne bereithält 432, fließen sie somit über das Bezugsband, bestehend zwischen der Prinzipienstufe und den ausformulierten Normenstrukturen im Verfassungsgesetz, in die Betrachtung ein. Der qualitative Unterschied zwischen Prinzipien und Regeln bildet insofern kein Hindernis, denn er bezieht sich, wie gesehen, ausschließlich auf die Rechtsfolgeanordnung, d. h. darauf, wie das „Gesollte“ in die Tat umzusetzen ist und nimmt nicht auf den Gegenstand der Normierung Bezug. Insofern kann auch von einem „normstrukturellen Unterschied allein im Bereich der Rechtsgeltung“ gesprochen werden. 433 Eine grundgesetzliche Regel ist zumeist nichts anderes als die fortgesetzte Konkretisierung eines Rechtsprinzips, wobei der Übergang in die höhere Konkretisierungsstufe zu einer qualtitativen Änderung des Rechtsanwendungsbefehls führt. Der inhaltlich-axiologische Gehalt bleibt davon unberührt. Zusammenfassend gilt:
Maße realisiert wird“ (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S.75). Vgl. hierzu auch M. Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, 1998, S. 177 ff. Vgl. hierzu auch 3. Kapitel § 5 I. 7. 430 Im Vergleich zu Regelkonflikten fällt die systemexterne Behandlung von Konflikt- bzw. Kollisionsfällen zwischen Prinzipien gänzlich unterschiedlich aus. Konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auch auf eine systeminterne Betrachtung, so sollen diese Besonderheiten dennoch, zum Zwecke der Verdeutlichung der strukturellen Eigenarten von Rechtsprinzipien, kurz dargestellt werden. Insofern gilt: Ein „Konflikt zwischen Regeln kann nur dadurch gelöst werden, daß entweder eine Ausnahmeklausel, die den Konflikt beseitigt, in eine der Regeln eingefügt oder mindestens eine der Regeln für ungültig erklärt wird“ (R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.77). Ein bekanntes Beispiel aus dem Verfassungsrecht bietet die Kollision von bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen. Art.31 GG dient hier der Auflösung des Konflikts (vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 78). Systemexterne Prinzipienkollisionen werden hingegen durch Abwägung gelöst. Alexy stellt hierzu fest: „Wenn zwei Prinzipien kollidieren, was etwa der Fall ist, wenn nach dem einen Prinzip etwas verboten und nach dem anderen Prinzip dasselbe erlaubt ist, muß eines der beiden Prinzipien zurücktreten. Dies bedeutet aber weder, das zurücktretende Prinzip für ungültig zu erklären, noch, daß in das zurücktretende Prinzip eine Ausnahmeklausel einzubauen ist. Vielmehr geht das eine Prinzip dem anderen unter bestimmten Umständen vor. Unter anderen Umständen kann die Vorrangfrage umgekehrt zu lösen sein.“ (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S. 78 f.). Die kollidierenden Prinzipien bleiben somit beide uneingeschränkt gültig. „Das stärkere Prinzip genießt lediglich Anwendungsvorrang“ (K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 255 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original)). Letztlich hängt somit die Auflösung eines Prinzipienwiderspruchs im Anwendungsfall maßgeblich vom Rang der jeweils eingebrachten Rechtsgüter und den Umständen der jeweiligen Fallkonstellation ab (vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 475). 431 Vgl. aber E. v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, 1965, S. 15 f. 432 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 5. 433 A. Birk, Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs und seine Bedeutung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 109.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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Die jeweils anzutreffenden Verfassungsprinzipien beinhalten eine Verallgemeinerung von Wertungen der jeweils relevanten Regeln. 434 Aus der gegensätzlichen Perspektive heraus betrachtet bringen Regeln ihrerseits die Wertungen der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien konkretisierend zum Ausdruck. 435 6. Prinzipien und Werte In einem „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung spielt der rational fassbare Vorgang des Wertens eine entscheidende Rolle; der unmittelbare Rückgriff auf Werte als Systembausteine stößt jedoch bereits auf terminologische Bedenken, Alles das wurde bereits festgestellt. 436 An die im Hinblick auf den Wertbegriff geleisteten Vorarbeiten kann jetzt der Vergleich zwischen Werten und Prinzipien anknüpfen. 437 Entscheidend ist der Umstand, dass Werte und Prinzipien ganz unterschiedliche Maßstäbe formulieren, denn im Gegensatz zu Prinzipien bringen Werte keinen normativen Verhaltensappell zum Ausdruck. 438 Während die „Prinzipienseite“ deontologisch aufzeigt, „was gesollt“, d. h. geboten, verboten bzw. erlaubt ist, verhält sich die Werteseite axiologisch. Sie arbeitet mit den Kategorien des Guten oder Bösen. 439 Es ergibt sich ein grundsätzlicher Unterschied. Einmal ist der herangezogene Maßstab lex; ein andermal gelangt er zunächst nur in den Bereich des rechtsethischen oder politischen Postulats. 440 Dabei gilt: Dadurch, dass Werte bereits vor und außerhalb des Rechts bestehen, gelten sie insoweit auch ohne (rechtliche) Begründung. Rechtsprinzipien bedürfen einer Konstituierung auf der Zwischenstufe des Rechts, um Rechtsgeltung zu erlangen. Diese Unterscheidung gilt selbst dann, wenn der Wert bei seiner Prüfung dem übergesetzlichen Selektionskorrektiv stand hält und die Stellung eines Rechtswertes 441 einnimmt, denn auch jetzt ändert sich der Maßstab des Wertes nicht. Er trägt zwar jetzt das Attribut „rechtlich“, sein Wesensgehalt ändert sich dadurch aber nicht, denn der erzeugte Verhaltensappell bleibt weiterhin voluntativ. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, S. 656. Vgl. K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 4 Rn. 11. 436 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 4 und 3. Kapitel § 5. 437 Vgl. schon 3. Kapitel § 4 I. 438 Vgl. R. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 218 f. 439 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 72, 125 ff., 133. 440 An dieser Stelle zeigen sich nun die praktischen Probleme, die durch die Arbeit mit zwei Wertbegriffen auftreten; vgl. schon 3. Kapitel § 5 I. 441 Ein anderes Verständnis von Rechtswerten vertritt T. Schubert (ders., in: Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 74 f.). Die nach seinem Sprachgebrauch „rechtliche Wertebene“ würde durch den Gesetzgeber gesteuert. Der jeweils positivierte Normzweck würde letztlich erst den (Rechts-)Wert bilden. Hiervon seien die „außerrechtlichen Wertmaßstäbe [...] als Ausfluß des Naturrechts“ zu unterscheiden. Diese Betrachtungsweise erweist sich, wie aufgezeigt, als zu einseitig. Die Konstituierung von Rechtswerten und Rechtsprinzipien auf der Zwischenstufe des Rechts resultiert entscheidend aus dem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsidee und den audrücklichen Regelungsstrukturen des Gesetzesrechts. 434 435
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Letztlich kann das Verhältnis zwischen Rechtswerten und Rechtsprinzipien abschließend folgendermaßen beschrieben werden: Rechtswerte und Rechtsprinzipien erweisen sich als im „wesentlichen strukturgleich“. 442 Insofern erscheint auch die Feststellung zutreffend, dass sich die aus der Wertordnungsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts resultierenden inhaltlichen Kernaussagen „ohne Gehaltsverlust“ auf die Prinzipienebene transferieren lassen.443 Doch nur auf den ersten Blick erweist sich die Entscheidung zugunsten von Werten oder Prinzipien im Rahmen der Systemfreilegung als semantische Petitesse, denn die normative Komponente formuliert den einzigen, aber letztlich wesentlichen Unterschied. Aus den Kategorien „des Guten und des Bösen“ erwächst im Rahmen der Freilegung eines „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung nicht die notwendige Verbindlichkeit. Rechtliche Relevanz entfaltet vielmehr das, was gesollt ist. Damit wird der Rechtswert als Analysefaktor im Rahmen des Systematisierens nicht bedeutungslos. Rechtsprinzipien können und müssen sich der Rechtswerte im Rahmen ihres Konstitutionsprozesses auf der Zwischenstufe des Rechts bedienen. Aus diesem Grund hat Peine Recht, wenn er formuliert, dass Rechtsprinzipien „selbst unter Rückgriff auf die ihrerseits erläuterungsbedürftigen Begriffe ‚Wert‘ und ‚Wertung‘ inhaltlich präzisiert“ werden. 444
7. Rechtsprinzipien als Optimierungsgebote Rechtsprinzipien bringen zum Ausdruck, dass etwas „gesollt“ ist. Genauer gesagt handelt es sich um Optimierungsgebote. 445 Sie gebieten, dass „etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“, d. h. sie beinhalten keine definitiven, sondern nur prima-facie-Gebote. 446 Die prima-facie-Forderung auf Grundrechte als Prinzipien angewendet bedeutet, dass „möglichst viel der gewährleisteten Freiheit realisiert werden soll“. 447 Anhand von Beispielen präzisiert heißt dies, dass in einem möglichst weitgehenden Maß Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) oder des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) herrschen soll. „Optimierung“ meint somit nicht absolute Geltung. Die prinzipielle Forderung gilt zunächst nur prima facie, d. h. nur vorläufig auf den ersten Anschein hin und kann durch gegenläufige Gründe weitgehend entkräftet werden. Aus diesem Grund 442 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 134. Auch C.-W. Canaris (ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1983, S. 124) verweist darauf, dass sich Prinzipien oftmals aus Werten ableiten ließen. Rechtsprinzipien, so Canaris, sollen sich aber dadurch von den Rechtswerten unterscheiden, dass Erstgenannte „schon eine Stufe stärker konkretisiert“ seien. 443 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 125. 444 F. J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 76 f. 445 Wegweisend R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 75 f., 87 f. 446 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 75 f., 87 f. 447 Ch. Enders, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Vor Art. 1 Rn. 52.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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wird erst im konkreten Kollisionsfall, d. h. bei einer systemextern vorzunehmenden Abwägung im Einzelfall deutlich, welcher der kollidierenden Wertungsgesichtspunkte sich durchsetzt und in welchem Maße aus der jeweiligen prima-facie-Position eine definitive Position erwächst. Der „Einwand der absoluten Wertgeltung“, der sich grundsätzlich auf die Prinzipienbetrachtung übertragen lässt, kommt somit weder systemintern noch systemextern zum Tragen. 448 8. Zwischenergebnis: Offenheit, Flexibilität und Verbindlichkeit im „inneren“ System durch Heranziehung von Rechtsprinzipien Die Charakterisierung von Rechtsprinzipien hat damit Folgendes gezeigt: Rechtsprinzipien verbinden in einem ausgewogenen Maß strukturelle Offenheit und Flexibilität, wie sie ursprünglich „Werten“ eigen ist, mit der traditionell in ausformulierten Regelungsstrukturen verankerten „normativen Verbindlichkeit“, ohne dabei zugleich einen Tribut im Hinblick auf „begriffliche Unschärfe“ bzw. „Beliebigkeit“ einerseits oder „kompromisslose Enge“ andererseits zu zollen. Rechtsprinzipien kumulieren somit strukturell die systembezogenen Vorteile von Werten und Regeln und klammern zugleich deren systemrelevante Nachteile aus. Auch auf diesem Weg lässt sich die Mittlerstellung von Rechtsprinzipien in der Rechtsordnung beschreiben. Dieser spezische Charakter der Rechtsprinzipien überträgt sich letztlich auch auf das System. Aus der Prinzipienstruktur erwächst somit die deontische Modellstruktur des Systems. Ein „inneres“ System der Wirtschaftsverfassung ist damit ein zukunftsoffenes bzw. beweglich ausgestaltetes System. Die dem System entnommenen Aussagen dienen aber nicht nur dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Sie konkretisieren und konturieren zugleich die Anforderungen an das Handeln des Systemadressaten.
II. Methoden zur Freilegung der „inneren“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung Klarheit herrscht jetzt insoweit, als dass auf die Freilegung eines „inneren“ Systems für den systematischen Erkenntnisgewinn nicht verzichtet werden kann. Hierbei bedarf es der Heranziehung von Rechtsprinzipien als Systembestandteile. Die „Arbeitsanweisung“ an den Systematiker lautet daher mit den Worten F. Bydlinskis und in Anlehnung an den Systemauftrag kurz gefasst: „Arbeite die Prinzipien deines jeweiligen Rechtsgebiets [...] heraus und verwende sie methodisch bei der Anwendung, Auslegung, Fortbildung und auch bei der gesetzgeberischen Gestaltung“.449 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 4 II. 2. F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 683 ff. (686). 448 449
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Wie diese Rechtsprinzipien und damit letztlich auch das „innere“ System freigelegt und der Prozess des Forschens bzw. Systematisierens inhaltlich modelliert werden kann, ist jedoch weiterhin offen. Ursprünglich hatte Engisch in diesem Zusammenhang drei Möglichkeiten zur Freilegung einer „inneren“ Systemstruktur aufgezeigt. „Innere“ Systeme können hiernach axiomatisch, axiologisch oder teleologisch ausgestaltet sein.450 1. Rückgriff auf die axiomatisch-deduktive Methode? Das in der Jurisprudenz seit langem angestrebte Ideal besteht in einer „axiomatisch-deduktiven Methode“. 451 Die Systemfreilegung soll hier „nach dem Vorbild der euklidischen Geometrie“ erfolgen. 452 Aus einem oder aber wenigen Axiomen, d. h. allgemeinen, ohne Begründung vorausgesetzten Sätzen, soll eine Systemstruktur „von oben nach unten“, d. h. deduktiv, entwickelt werden. Für das hier interessierende innere System der Wirtschaftsverfassung würde das bedeuten, eine „Pyramide“ von Rechtsprinzipien zu bilden, „die die Ordnung und Einheit des Rechtsstoffes“ gewährleistet. 453 An der Spitze der Pyramide hätten als Axiome die Leitprinzipien der Wirtschaftsverfassung zu stehen. Auf der folgenden, „nächsttieferen Ebene“ würden sich, mit einem deutlich höheren Konkretisierungsgrad, die so genannten Unterprinzipien wiederfinden. Zwischen beiden Prinzipienstufen bestünde ein deduktiver Begründungszusammenhang. An der Tauglichkeit der axiomatisch-deduktiven Methode als Mittel zur Freilegung eines „inneren“ verfassungsrechtlichen Teilsystems bestehen indes erhebliche Zweifel. 454 Verschiedene Gründe sprechen gegen diese Art der Herangehensweise. 450 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff.; vgl. auch K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 416. 451 Grundlegend zur axiomatisch-deduktiven Methode und ihrer Eignung zur Systemmodellation R. Carnap, Abriss der Logistik, 1929, S.70 ff.; ders., Einführung in die symbolische Logik, 1968, S. 172 ff.; D. Hilbert, Grundlagen der Geometrie, 1968, passim. Ein eingehendes Plädoyer zugunsten der axiomatisch-deduktiven Methode in der Rechtswissenschaft findet sich bei: E. v. Savigny, Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie, 1971, S. 315 ff. Vgl. auch U. Klug, in: Juristische Logik, 1982, S. 192 ff., der der Axiomatisierung des Rechts positiv gegenübersteht. 452 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 416; vgl. auch O. Weinberger, Rechtslogik, 1989, S. 387 ff. 453 K. Tipke, in: FS für G. Wacke, S. 211 ff., 214. 454 F. J. Peine hält zwar die Axiomatisierbarkeit von Teilsektoren der Verfassung grundsätzlich für möglich; gerade für den wichtigen Bereich der Grundrechte verneint er sie jedoch (vgl. ders., Das Recht als System, 1983, S. 122 f.). Richtigerweise stellt er fest, dass zumindest mit dem Umstand „der Nichtaxiomatisierbarkeit der Gesamtrechtsordnung“ noch nicht zwingend der Schluss einhergeht, dass auch der Zugang zu Teilgebieten des Rechts über die axiomatische Methode nicht möglich ist (ders., Das Recht als System, 1983, S. 122). Bedenken im Hinblick auf Axiomatisierungen im Verfassungsrecht äußert auch F. Müller, in: Juristische Methodik, 1997, Rn. 395 ff.
§ 5 Die „innere“ Systemstruktur der Wirtschaftsverfassung
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Ein erster Einwand richtet sich gegen die Vorstellung, „daß alle innerhalb eines bestimmten Sachgebietes geltenden Sätze sich aus den Axiomen im Wege einer rein formal-logischen Deduktion ableiten lassen“. 455 Gerade im Bereich des Verfassungsrechts bildet die Wertungsebene das eigentliche Forschungsfeld des Juristen. Es gilt „Wertungen verstehend nachzuvollziehen, zu Ende zu denken und schließlich, auf einer letzten Stufe, selbst vorzunehmen“. 456 Diesen Zusammenhängen trägt der Systemauftrag Rechnung, indem er konsequenterweise die Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen und nicht der logischen Folgerichtigkeit einfordert. 457 Die von der formalen Logik vorgegebenen Bahnen sind indes zu starr und unflexibel, um dem Systemauftrag genügen zu können. 458 Auch die vielfältigen Zusammenhänge zwischen den Prinzipien bilden geistige Sinnkonstruktionen, die erst durch die Heranziehung von Wertungen verstanden werden können. Somit lassen sich entgegen der oben postulierten These keine rein formal logischen Ableitungsstränge zwischen den Prinzipien bilden. Die Logik kann allenfalls den „Rahmen“ einer so verstandenen Forschungstätigkeit bieten. 459. Weiterhin erscheint höchst zweifelhaft, ob den Ansprüchen, die die axiomatischdeduktive Methode an sich selbst stellt, im Rahmen des Systematisierens tatsächlich entsprochen werden kann. Sie fordert als Postulat Widerspruchsfreiheit, Unabhängigkeit und Vollständigkeit der Axiome ein. 460 Bereits der Forderung nach Widerspruchsfreiheit kann nicht entsprochen werden. Denn diese verlangt, dass Widersprüche bereits auf der Axiomebene aufzulösen sind. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Vielzahl an Kollisionszenarien bereits auf der Axiomebene erfasst werden müsste. 461 Die gesamte Systemstruktur wäre damit in Frage gestellt. 455 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S.25 f. (Hervorhebung im Original). 456 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 23; kritisch zu diesem Einwand: E. v. Savigny, Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie, 1971, 315 ff., 328 f., 343. 457 Auf den Unterschied verweist auch C.-W. Canaris in: Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 45. 458 F. Müller (ders., Juristische Methodik, 1997, Rn. 396 m. w. H (Hervorhebung im Original)) verweist darauf, dass Logik im Verfassungsrecht „durchgehend nicht als formale Logik“ verstanden werden kann. Sie sei vielmehr eine „an die Bedingungen von Normkonkretisierung gekettete Sachlogik“. 459 Der Ausdruck „Rahmen“ wurde in diesem Zusammenhang, so bemerkt Canaris, von Engisch geprägt in: Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10. Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (176). Hierauf verweist Canaris und nennt weiterführende Textstellen, in: Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 23, Fn. 20. 460 Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1974, S. 83; O. Weinberger, Rechtslogik, 1989, S. 391 f. 461 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S.26.; K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10. Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (176).
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Zumindest aus systemtechnischer Sicht erscheint die Unabhängigkeit und damit die Trennbarkeit der Axiome voneinander denkbar, wenn man an der Spitze des Systems gleichberechtigt nebeneinanderstehende Axiome schafft, die sich überschneidungsfrei gegenüberstehen. Im Verfassungsrecht wäre dafür aber ein Abstraktionsgrad erforderlich, der die Axiome letztlich in Konturlosigkeit verschwimmen ließe. Als Beispiel sei nur der Freiheitsbegriff genannt. 462 Auf dieses Problem verweist auch Engisch: Wolle man derartige Axiome schaffen, so landet man entweder bei der formal-begrifflichen Gehaltlosigkeit einer Stammlerschen „Kategorientafel“ oder aber bei „letzten empirischen Vorstellungselementen“, die „so zahlreich sind wie die Aspekte, die uns die natürlich-soziale Welt bietet“. 463 Außerdem, so Engisch, sei dann im Rahmen des systemschöpfenden Fortschreitens vom Allgemeinen zum Besonderen „so viel Materie zu bewältigen, daß hinter den dafür erforderlichen Erkenntnisakt das rein Deduktive zurücktritt“. 464 Schließlich kann die von der axiomatisch-deduktiven Methode verlangte Vollständigkeit auf der Axiomebene nicht erreicht werden. 465 Eine derartige Vollständigkeit würde bedeuten, dass auch alle hinter den Normen stehenden Wertungsgesichtspunkte auf der Axiomebene als feste Größe zu berücksichtigen wären. Dies erscheint nun aber völlig undenkbar 466, denn der Vorgang des Wertens bildet einen Prozess (geistigen) Verstehens, der sich ständig fortentwickelt und nicht stehenbleibt. Gerade im Verfassungsrecht kann ein axiologischer Status quo vielleicht noch ermittelt werden. Ihn jedoch als Axiom dauerhaft zu formulieren und an die Spitze eines logisch strukturierten Systems zu stellen, heißt den Wertungsgedanken und die ihm innewohnende Dynamik und Flexibilität zu denaturieren. 467 Drittens bietet die axiomatisch-deduktive Methode keinen befriedigenden Ansatz zur Herstellung der Zweibezüglichkeit. Denn geht man davon aus, dass sich ergebende Widersprüche nicht auf der Axiomebene auflösen lassen, so trifft Engisch auch hier den Punkt, wenn er feststellt: „Die rechtlichen Grundsätze, aus denen scheinbar deduziert wird, werden durch andere Rechtsgrundsätze durchkreuzt und eingeschränkt, so daß kein einfaches Ableiten mehr möglich ist, sondern Entschei462 Zum Freiheitsbegriff des Grundgesetzes vgl. insbes. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S.187 ff., 235 ff.; H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 47 ff. 463 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10 Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (175); zur Kategorientafel R. Stammlers vgl. dens., in: Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1928, S. 240 ff. 464 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (176). 465 Zu den Bedenken im Hinblick auf die Annahme einer uneingeschränkte Problemlösungseignung von juristischen Systemen vgl. Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1974, S. 88 f. 466 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 27. 467 Dieses Argument hält auch E. v. Savigny (ders., Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: G. Jahr/W. Maihofer, Rechtstheorie, 1971, 315 ff., 328 f., 343) für schwerwiegend.
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dungen hinzutreten müssen, die darüber befinden, welcher Grundsatz dem anderen im Range vorgeht.“ 468 Über diese „hinzutretenden Entscheidungen“ sagt ein axiomatisch-deduktives System jedoch nichts aus. Auch können Rechtsprinzipien generell nicht mit Axiomen gleichgesetzt werden. So verfügen Prinzipien über ein spezifisches Konfliktlösungsinstrumentarium. Dieses kommt zwar erst systemextern zum Tragen. Jedoch zeigt es, dass sich Prinzipien strukturell und grundlegend von den Axiomen unterscheiden. Axiome „fordern ausnahmslose Geltung“ und Widerspruchsfreiheit ein. 469 Sie lassen sich nach dem Schema, „immer wenn ..., dann...“ formulieren. 470 Prinzipien funktionieren nur im Ausnahmefall nach dem „Wenn-Dann Schema“. Auch fordern sie keine Widerspruchsfreiheit als Postulat ein. Sie sind im Gegenteil bereits konzepitionell auf die Lösung von Kollisionslagen ausgelegt. Gegebenfalls fordern sie im Konflikfall lediglich ihre graduelle Erfüllung oder treten ausnahmsweise ganz zurück. Schließlich steht die axiomatisch – deduktive Methode zu dem im Rahmen dieser Untersuchung verfolgten Zweck im Widerspruch. Dieser besteht letztendlich darin, die tragenden Prinzipien des Analysegebietes herauszuarbeiten. Dieses Ziel kann jedoch nicht mithilfe eines methodischen Ansatzes erreicht werden, der die Leitprinzipien nicht als Ergebnis der Analyse begreift, sondern zum Ausgangspunkt von (deduktiven) Schlüssen machen möchte. 471 2. Rückgriff auf die axiologisch-teleologische Methode? Als Alternative zum Rückgriff auf Axiome kommt eine teleologisch bzw. eine axiologisch geprägte Ausgestaltung von Systemen in Betracht. Die Aufgabe von teleologischen Systemen kann es sein, eine Mittel-Zweck-Verknüpfung im engeren Sinne aufzuzeigen, d. h. ein System von Mitteln zur Verwirk468 K. Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale, 10.Jhrg., Heft 3 (1957), S. 173 ff. (176). 469 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 59 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 470 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 59 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 471 Dieser Einwand wiederholt sich in leicht abgewandelter Form auch bei der teleologischen Methode und bei der Bestimmung der axiologischen Erklärungszusammenhänge; vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 II. 2 und 3. Kapitel § 5 II. 3; kritisch zu diesem Einwand E. v. Savigny (ders., Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie, 1971, 315 ff., 328 f. u. 336 f., 343), der aber letztlich auch darauf hinweist, dass sich Prämissensicherung nicht durch Deduktion im System erreichen lässt, sondern die inhaltliche Richtigkeit der Prämissen dieser notwendigerweise vorauszugehen hat (S. 343). Zum Erfordernis einer Begründung der Axiome außerhalb des deduktiven Systems vgl. auch Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1974, S. 83 und O. Weinberger, Rechtslogik, 1989, S. 391. Besonders kritisch zu einer Heranziehung der deduktiven Methode unter Einbindung der Rechtsidee E. Schneider, Logik für Juristen, 1999, S. 46 ff.
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
lichung der (obersten) Zwecke des Analysegebiets darzustellen. 472 In einem derartigen System würde dem Systematiker die Aufgabe zuteil, festzustellen, inwieweit sich aus der fortgesetzten Konkretisierung von Unterprinzipien Lösungsmöglichkeiten zur Erreichung der obersten (End-)Zwecke ergeben. 473, 474 Geht es jedoch darum, Mittel zur Zweckerreichung zu ordnen, so verlangt das System bereits vor Beginn der Systematisierung Klarheit über den oder die (obersten) Zweck(e) und damit über den Gehalt der Leitprinzipien als Bezugspunkt der Mittelsuche. Für die vorliegende Fragestellung: Freilegung eines „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung, erscheint diese Vorgehensweise ungeeignet, denn sie kommt verfrüht. Es gilt das Gleiche, wie wenn man Leit- oder Kernprinzipien zum Ausgangspunkt einer Deduktion machen möchte. Über den Gehalt der Leitprinzipien der Wirtschaftverfassung kann in diesem Stadium noch keine Klarheit herrschen, denn die Leitprinzipien ihrerseits sind ja noch nicht formuliert. Aufgabe der beabsichtigten Systematisierung ist es, sie freizulegen. Die Bestimmung ihres Gehaltes bildet den Schlusspunkt der Systematisierung. Ein Bezugspunkt, an dem etwaige Mittel zur Problemlösung zu messen sind, besteht damit zunächst nicht.475 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erweist sich somit ein teleologisches System als Mittel-Zweck Verknüpfung im engeren Sinne als nicht brauchbar. Diese Feststellung lässt sich allerdings nicht gänzlich auf teleolgische Systeme übertragen So kann ein solches auch das Ziel verfolgen, eine Ordnung der spezifischen Zwecke des Analysegebietes zu errichten. Rechtsprinzipien könnten also nach den von ihnen 472 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 41 m. w. N. 473 So könnten, um ein Beispiel zu nennen, die den Freiheitsrechten entnommenen, verfassungsrechtlichen Prinzipien einerseits und die sie auf einfacher Gesetzesebene realsierenden verwaltungsrechtlichen Instrumentarien andererseits, entsprechend dem Schachtschneider’schen Postulat „Freiheit als Gesetzlichkeit“ eine Verknüpfung erfahren (vgl. ders., Res publica res populi, 1994, S. 126 ff., 294, 307. Zur „Verfassungsgeprägtheit des Verwaltungsrechts“ vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, S. 37 ff. und zur Freiheit als Verfassungsprinzip siehe E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 137 ff. 474 An dieser Stelle sei bereits bemerkt, dass es kein Problem darstellt, wenn der Zweckbegriff auch in der dynamischen Komponente des Systembegriffs auftaucht. So gibt, wie bereits festgestellt, die dynamische Komponente des Systembegriffs den Systemzweck vor. Dies hat aber nichts mit den „Zwecken“ zu tun, wie sie im Rahmen eines teleologischen Systems auftauchen. Ein teleologisches System, verstanden als Einzelzweck-Gesamtzweck oder als Mittel-Gesamtzweck Verknüpfung, entwickelt nicht aus sich heraus einen u. U. mit dem Systembegriff kollidierenden Systemzweck, sondern ordnet vielmehr Einzelzwecke oder eben Mittel auf den Gesamtzweck des zu analysierenden Rechtsgebietes hin. 475 Ohne den Ausführungen vorgreifen zu müssen, kann es zwar als gesichert gelten, dass in das System als Prinzipien eingebrachte grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen prima facie Freiheitsverwirklichung fordern. Bevor über Szenarien zur Zweckerreichung, d. h. zur Freiheitsverwirklichung nachgedacht werden kann, muss aber Klarheit über die sie konstituierenden Grundrechtsgehalte herrschen. Ein oberster Zweck „Freiheitsverwirklichung“ wäre noch zu vage und unbestimmt, um als Maßstab für die auszuwählenden Mittel zu dienen.
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verfolgten Zwecken sortiert werden. 476 Eine solche Vorgehensweise liegt auf einer Linie mit dem Systemauftrag. Jedoch bleibt sie hinter dem zurück, was die axiologische Methode im Rahmen der Systemfreilegung zu leisten vermag. Dabei hat das Adjektiv „axiologisch“ im hier verstanden Sinne zunächst nur die Bedeutung, den Prozess des Systematisierens zu beschreiben. Das axiologische Systematisieren begreift das „Werten“ und „Wertedenken“ bei der Freilegung einer „inneren“ Systemstruktur nicht nur als wissenschaftlich zulässigen, sondern auch als notwendigen, juristischen Denk-, Verstehens- und Arbeitsvorgang. 477 Wird vorliegend von einem axiologischen System gesprochen, so ist damit ein System gemeint, das im denkbar weitesten Sinne auf Wertungen beruht – nicht mehr, aber auch nicht weniger. 478 Zieht man schließlich den Vergleich zwischen der axiologischen und der teleologischen Methode, so wird die Überlegenheit einer axiologischen Vorgehensweise deutlich. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Ist es dem Systematiker generell gestattet, bei der Systemfreilegung das Kriterium einzuführen, ob ein Systembestandteil mehr oder weniger wertvoll erscheint, ihn somit auf die Stellung seines Gehalts im Gesamtzusammenhang zu hinterfragen, so ist man auch schnell bei der Zweckausrichtung innerhalb des zu betrachtenden Systems angelangt. Denn das „Werten“ und die damit zusammenhängende Formulierung von Werturteilen fordern als Akte geistigen Verstehens die ganzheitliche Erfassung der Zusammenhänge und damit auch die Klärung der Frage nach dem Beweggrund oder Ziel im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang. 479 Die Klarstellung der Zweckzusammenhänge ist damit immanenter Bestandteil eines ganzheitlichen Wertungsvorgangs. Bildlich Vgl. F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 123 f. Anders offenbar K. F. Röhl (ders., Allgemeine Rechtslehre, 2001, S.416), der davon ausgeht, dass die axiologische Methode zwangsläufig mit dem Rückgriff auf Werte als Systembausteine einhergeht (ders., Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 416). 478 Wie hier offenbar auch B. Rüthers, in: Rechtstheorie, 1999, Rn. 752 ff. Ausdrücklich ist dem Missverständnis entgegenzutreten, unter der Bezeichnung „axiologisch“ zwingend solche Systeme einordnen zu wollen, die auf Werten als Systembausteine beruhen. Prinzipien als Systembestandteile unterscheiden sich aus den genannten Gründen von Werten, weisen aber auch Gemeinsamkeiten auf. Auch ein System bestehend aus Prinzipien greift auf Wertungen zurück und kann daher als „axiologisch“ bezeichnet werden. Es macht durchaus einen Unterschied, ob der Systematiker seinen eigenen Überlegungen Wertvorstellungen als Erklärungshilfe zugrundelegt, um überhaupt das System, seine Zusammenhänge oder gar seine Systembestandteile begreifen zu können oder ob er das System explizit aus Werten konstruiert. Im erstgenannten Fall dient das Wertdenken als Erklärungsmuster; im letztgenannten Fall nimmt es die bedeutungsvollere Stellung als Konstitutionselement ein. Nicht notwendig liegt bei beiden Bedeutungsvarianten derselbe Wertbegriff zugrunde. Es ist zwar nicht zwingend, aber doch als wahrscheinlich anzunehmen, dass der Systematiker den verwendeten Wertebegriff von subjekiven Einfärbungen befreit, wenn es ihm darum geht, sein System nach außen glaubwürdig zu vermitteln. Festgestellt wurde ja bereits, dass ein wie auch immer gearteter Wertebegriff zunächst einen Filter durchlaufen muss, um überhaupt die Eignung als Systembaustein eines „inneren“ Systems aufzuweisen. 479 Vgl. zur Begriffsdefinition: Duden „Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“, Bd. VII, Bd. X, 1999, S. 4494 f.; vgl. auch C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 23. 476 477
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
ausgedrückt „schluckt“ demnach die weitergehende axiologische Methode die Methode der teleologischen Zweckverknüpfung. Der „teleologische“ Begriff soll damit nicht aufgegeben werden. Allenfalls seine Bedeutung wird modifiziert. Es bietet sich nach alldem an, den Begriff „teleologisch“ „im weitesten Sinne jeder Zweck- und Werteverwirklichung“ zu verstehen, etwa „in dem Sinne, in dem man die ‚Wertungsjurisprudenz‘ auch mit ‚teleologischer‘ Jurisprudenz gleichsetzt“. 480 Die eingeforderte „Darstellung und Verwirklichung“ der „wertungsgemäßen Folgerichtigkeit“ und „inneren Einheit der Rechtsordnung“ findet somit ihre systematische Realisierung in einem System axiologisch-teleolgischer Ordnung. 481 3. Systemfreilegung durch „wertenden Rückschluss“ und Einbindung der Konkretisierungen der Rechtsidee Möchte ein derartiges System dem Einwand der Irrationalität oder gar Willkürlichkeit entgehen, so kann es sich nicht mit der erfolgten Beschreibung des „axiologischen“ Systematisierens zufrieden geben. Es muss weiterhin aufgezeigt werden, wie die Systemstrukturen freizulegen sind. Für das System der Wirtschaftsverfassung bedeutet dies, den Prozess der Bildung von Unterprinzipien sowie die Ableitung von Leitprinzipien hieraus offen zu legen. Die Prinzipienbildung bzw. -freilegung setzt zunächst einen dem „inneren“ System vorgelagerten Ausgangspunkt voraus, mit dessen Hilfe der „Anwendungsbereich“ der Systematisierung im weitesten Sinne, also das zu analysierende Teilsystem, gekennzeichnet wird. 482, 483 Dieser Ausgangspunkt muss sich durch „normative Spezifität“ sowie den Rückgriff auf „trennscharfe Grundbegriffe“ mit „guter Abgrenzungseignung“ auszeichnen, um dem Vorwurf der Beliebigkeit der Systemfestlegung abzuwehren. 484 Insofern besteht jedoch vorliegend kein Problem, da der bereits gewonnene Begriff der Wirtschaftsverfassung i. e. S. diese Anforderungen erfüllt und somit eine genaue Festlegung des zu analysierenden Teilgebietes ermöglicht. 485 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 41. Ähnlich wie hier – allerdings für ein System der Wirtschaftsverfassung der EU – auch T. Schubert, in: Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 70. Schubert spricht im Ergebnis von einem teleologischen System, wobei er jedoch auf die Canaris’sche Interpretation von „teleologisch“ zurückgreift. 482 F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 683 ff. (688). 483 Nach Bydlinski müsse der Systematiker zunächst gar ein „äußeres“ System konstruieren oder ein bereits vorhandenes seinen Überlegungen zugrunde legen. Ich halte diese Vorgehensweise aus den oben besagten Gründen, zumindest für die Analyse der Wirtschaftsverfassung, für nicht möglich (vgl. schon 3. Kapitel § 5 ). 484 F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 683 ff. (689). 485 Vgl. schon 2. Kapitel § 1. 480 481
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Teilweise wird das Verfahren der Prinzipiengewinnung selbst als „ein Vorgang der Konkretisierung“ 486 beschrieben. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass eine so verstandene „Prinzipienkonkretisierung“ eine andere Einstufung als die „Deduktion aus einem axiomatisierten Begriff“ erfahren muss 487, denn insofern bedient man sich nicht eines formal-logischen Schlussverfahrens mit allen seinen unerfüllbaren Postulaten, sondern praktiziert Erkenntnisgewinnung durch wertende Verdichtung des Erkenntnismaterials. Konkretisierung als Arbeitsvorgang ist zwar notwendig, wenn es darum geht, die einzelnen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten mit Inhalten zu füllen, damit sie als Ausgangsbasis für die Ableitung übergeordneter Prinzipien dienen können. Spätestens dann jedoch, wenn man die Partikularität dieser Ausgangsbasen mit dem Ziel einer ganzheitlichen Betrachtung überwinden möchte und dabei die Frage im Raume steht, wie sich aus der Zusammenschau der Einzelelemente überwölbenden Prinzipien ermitteln lassen, erweist sich die Konkretisierungsmethode als untauglich. Dies beruht darauf, dass sie für die Konkretisierung der Prinzipien „nach unten“ einen greifbaren Prinzipienbestand als Plattform voraussetzt, der bisher noch nicht entwickelt wurde. Empfehlenswert ist vielmehr eine Vorgehensweise, die unter Beachtung der wechselseitigen Bezugsbande zur Rechtsidee und zum Verfassungsgesetz eine ganzheitliche Erkenntnisgewinnung betreibt. Das Verfahren zur Herstellung des Bezugsbandes zwischen Rechtsidee und „Tiefenstruktur“ des Rechts, d. h. die Offenlegung der Einwirkungen der Rechtsidee auf die Prinzipienebene kann durchaus als Konkretisierung beschrieben werden. Kerngehalte der Erstgenannten sind hinreichend ausgeformt. 488 Ein zweites Bezugsband, nämlich das zum Verfassungsgesetz, lässt sich knüpfen, indem man die Substanz der Ausgangsbasis, d. h. die einzelnen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten, wertend verdichtet und darüber hinaus einen wertenden bzw. induktiven 489, 490 (Rück-)Schluss, also einen „Rückgang auf die ratio legis“ 491 betreibt. 492 Mit Hilfe des „Rückschlußverfahrens“ werden die 486 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 246; zum Verfahren der Konkretisierung vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 57; D. C. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm ..., 1969, S. 91 ff. 487 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 246 m. w. N. 488 Vgl. z. B. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 290 ff., 300 ff. oder K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 29 ff., 31 ff., 41 f. 489 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 475. 490 K. Larenz präferiert für die Rechtswissenschaft den Begriff der „Gesamtanalogie“ (ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 384 ff.). 491 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 384. 492 C.-W. Canaris (ders., in: Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1983, S. 97 ff. und 106 ff.) erkennt offenbar in der induktiven Vorgehensweise einerseits sowie dem Verfahren der Rückführung auf die Rechtsidee andererseits zwei voneinander unabhängige Möglichkeiten zur Auffindung von Rechtsprinzipien; vgl. auch F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S.683 ff. (690); ders., Die „Elemente“ des beweglichen Systems, in: Regeln, Rechtsprinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 9 ff. Bydlinski verweist auch auf W. Wilburgs Lehre von den beweglichen Systemen (grund-
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
Rechtsprinzipien sozusagen „aus ihren Konkretisierungen herausgelöst“ 493, 494, was freilich wiederum voraussetzt, dass man eben diese Konkretisierungen zunächst in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Insgesamt gilt: Das Denken läuft nicht „linear“, d. h. nur in einer Richtung, sondern ist vielmehr gegenläufig. Es kann als ein Prozess der „wechselseitigen Erhellung“ beschrieben werden. 495 Mit dieser Methodik können zunächst die Unterprinzipien als Systembestandteile wertend-induktiv aus den wirtschaftsrelevanten Artikeln des Grundgesetzes gewonnen werden. 496 Noch während dieses Vorgangs bzw. im Anschluss daran gilt es, Verknüpfungen zwischen den Prinzipien bzw. prinzipienübergreifende Zusammenhänge zu ermitteln. Dies geschieht stets mit der Zielsetzung, die Zweibezüglichkeit im System herzustellen. Stehen die Unterprinzipien und ihre Wechselwirkungen und Gemeinsamkeiten fest, so ist im Anschluss daran wertend auf die Leitprinzipien im System zu schließen 497, denn ein „inneres“ System, das darauf abzielt, „hinter lex und ratio legis die übergreifende ratio iuris aufzuspüren“, darf „nicht bei den Einzelwertungen stehen bleiben“, sondern muss vielmehr auch die „tiefer liegenden Grundwertungen“ ermitteln, „also zu den allgemeinen Prinzipien [...] vordringen“. 498 Bereits im Rahmen der Systemfreilegung ist darauf zu achten, ob nicht gegebenfalls andere Ableitungsstränge der Annahme eines Rechtsprinzips entgegenstehen. 499 Von einem „inneren Konsens“ könnte letztlich nicht gesprochen werden, wenn im System zwei oder mehr Prinzipien existieren würden, die sich gegenseitig legend W. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht – Rektoratsrede, 1950, passim), welche eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den „inneren“ Systemen aufweist. Gleichfalls soll W. Wilburg, so Bydlinski, bei der Ermittlung der Systembestandteile induktiv vorgegangen sein. (S. 690 bzw. S. 23 f.). 493 H. J. Wolff, in: GS f. Walter Jellinek, 1955, S. 33 ff. (49). 494 Gleiches meint wohl auch K. Stern, wenn er in diesem Zusammenhang davon spricht, aus den Grundrechtsbestimmungen würde der „immanente Wertgehalt ‚herausgeholt‘“ (vgl. ders. Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1728). 495 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 475. 496 Vgl. zu dieser Vorgehensweise auch J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 198. 497 T. Schubert nennt dieses Verfahren „teleologische Begründung“, wobei er die Induktion offenbar ausschließlich im formal-logischen Sinne und nicht als axiologisches Verfahren, d. h. Verfahren zur Erzielung wertender Rückschlüsse, begreift. (ders., Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff ..., 1999, S. 81 f.). 498 C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983, S. 46 – Hervorhebungen im Original. 499 Nach K. Larenz (ders., in: Richtiges Recht, 1979, S.26) soll es für die Konstituierung auf der Prinzipienebene ausreichen, dass sich ein Rechtsprinzip als Leitgedanke bereits aus einer einzigen Regelung ergibt. Ein Prinzip, so Larenz, würde „aber auch dann schon unserem Recht angehören, wenn es nur einer dieser Regelungen zugrunde läge. [...] Nicht der Allgemeinheitsgrad ist für das Prinzip entscheidend, sondern seine Eignung als Rechtfertigungsgrund und seine Ausprägung in einer Regelung oder in mehreren.“
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nivellieren. Systeminterne Konflikte in derart scharfer Form sind indes bei der hier angewandten Methode nicht zu befürchten. Auf die bereits genannten Sicherungsinstrumentarien bei der Prinzipienformulierung zur Erzielung eines systeminternen Gleichklangs kann an dieser Stelle verwiesen werden. 500 Anderes gilt aber, wenn es um die Lösung spezifischer juristischer Konflikte, beispielsweise die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geht. Deren Lösung erfolgt systemextern im Wege der Abwägung, wobei diese freilich auch auf Positionen beruht, die das freizulegende System im Grundsatz verbürgt. 501 Die systemexterne Betrachtungsweise muss vorliegend jedoch ausgeblendet werden, denn der Systemauftrag fordert die Darstellung und Verwirklichung der „inneren“ Einheit des Analysegebiets. Mit anderen Worten: Nur die Lösung von Konflikten zwischen Prinzipien, die zum System gehören, ist Bestandteil der Systematisierung. Sie ist hier insoweit von Interesse, als dadurch ein systeminterner Gleichklang erzeugt werden kann. Eine derart konsequente Haltung verfolgt indes keinen Selbstzweck, sondern entfaltet ihre Vorteile dann, wenn es tatsächlich einmal darum gehen soll, systemextern Konflikte zu lösen. Denn im Ergebnis kann die Induktion eines Leitprinzips aus einer Vielzahl von Unterprinzipien und grundgesetzlichen Regelungen den Grad der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nur erhöhen. Kann der systematische Gleichklang auf einer breiten Basis erzeugt werden, so wirkt diese „Vielzahl“ zudem als bedeutsame Größe bei einer späteren Abwägung im Rahmen von Prinzipienkollisionen. 502 Die „Stoßrichtung“ des Forschungsprozesses der Systematisierung lässt sich in Anknüpfung an den Systemauftrag und unter Rückgriff auf die axiologisch-teleologische Methode damit wie folgt zusammenfassen: „Zu forschen ist nach den umfassenden Maximen“, die den wirtschaftsrelevanten grundgesetzlichen Bestimmungen zugrunde liegen, „um diese konsistent anwenden, auslegen, ergänzend fortbilden oder kontrolliert neu gestalten zu können“. 503
500 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 6 (S. 90). Zum systeminternen Konflikt bei staatlicherseits zu leistendem Freiheitsschutz gegenüber gesellschaftlichen Kräften und den daraus folgenden Anforderungen an die Prinzipienformulierung vgl. 4. Kapitel § 2 I. 7. b) (insbes. S. 185). 501 So überprüft das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Verfahrens der so genannten abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 Abs. 1, 77–79 BVerfGG) die infrage stehende Norm zwar losgelöst von einem konkreten Anwendungsstreit. Nichtsdestotrotz gilt auch hier: Sofern Grundrechte einschlägig sind, läuft alles auf eine Abwägung zwischen dem verfolgten Gesetzeszweck und den betroffenen Grundrechtspositionen Einzelner hinaus. Demgegenüber beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung nicht mit Grundrechtspositionen Einzelner, sondern mit den ihnen zugrunde liegenden, allgemeinen Grundrechtsprinzipien. Dies ist gemeint, wenn vorliegend von einer abstrakten Betrachtung gesprochen wird (vgl. schon 3. Kapitel § 5 I. 2). 502 Hierauf verweist zutreffend J.-R. Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, in: Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (59 f.); vgl. auch Fn. 607 und 802. 503 F. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, in: JBl. 1996, S. 683 ff. (690).
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3. Kap.: Methodische Grundlagen der Systemfreilegung
§ 6 Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Lösung von Konflikten zwischen Gütern von Verfassungsrang im Wege der einzelfallbezogenen Abwägung unterstützt das wirtschaftsverfassungsrechtliche System dadurch, dass es Fundamentalentscheidungen liefert und somit zur Vervollständigung der jeweils maßgeblichen Abwägungsbasis beiträgt. Auf diese Weise wird einem Kernproblem des Abwägens, dem Unterlaufen von Fundamental- durch Einzelfallentscheidungen, konsequent und von Anfang an entgegengetreten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird ein Systembegriff verwendet, der nicht nur klarstellt, welche Teile dem Gliederungs- bzw. Ordnungsgesichtspunkt „Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes“ genügen, sondern der darüber hinaus auch eine Aussage über das Verhältnis der Systembestandteile untereinander trifft (zweibezüglicher Systembegriff). Hinzu tritt der verfolgte Systemzweck „Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und der inneren Einheit des Analysegebiets“. (Rechts-)Prinzipien fungieren als Systembestandteile des „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung. Als Ausprägungen der Rechtsidee bilden sie die „Tiefenstrukturen“ der Rechtsordnung und dienen als Interpretationshilfen bei der Auslegung des (geschriebenen) Rechts. Rechtsprinzipien verbinden die systembezogenen Vorteile von Werten und Regeln und klammern gleichzeitig deren systemrelevante Nachteile aus. Im Unterschied zu Regeln lassen sich Prinzipien graduell erfüllen. Insofern können sie als Optimierungsgebote, d. h. prima-facie-Gebote bezeichnet werden. Sie beanspruchen keine absolute Geltung, sondern gebieten, dass etwas in einem relativ möglichst hohen Maße, bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, realisiert wird. Von (Rechts-)Werten unterscheiden sich Prinzipien dadurch, dass sie normative Verhaltensappelle zum Ausdruck bringen. Abgesehen hiervon sind Werte und Prinzipien im Wesentlichen strukturgleich. Die Freilegung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems des Grundgesetzes erfolgt durch Rückgriff auf die axiologisch-teleologische Methode, wobei sich das „Werten“ und „Wertdenken“ als notwendiger Denk-, Verstehens- und Arbeitsvorgang erweist. Die Vorgehensweise zur Systemfreilegung erfolgt in mehreren Schritten: Zunächst bedarf es einer wertenden Verdichtung des die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten betreffenden Erkenntnismaterials (Konkretisierung). Hiervon ausgehend hat sodann ein wertend-induktiver Rückschluss auf die Ratio legis zu erfolgen, wobei die zu gewinnenden Rechtsprinzipien aus ihren Konkretisierungen herausgelöst werden. Anschließend gilt es prinzipienübergreifende Zusammenhänge mit dem Ziel zu ermitteln, die Zweibezüglichkeit im System herzustellen. Sind die Unterprinzipien des Systems und ihre Verknüpfungen miteinander auf diese Weise gewonnen worden, so kann anschließend wertend-induktiv auf die Leitprinzipien bzw. Leitaussagen im System geschlossen werden. Dabei muss stets auf die Wahrung eines „inneren Konsenses“ im System geachtet werden.
4. Kapitel
Prozess der Prinzipienund Systemfreilegung Im Anschluss an die herausgearbeiteten methodischen Grundlagen kann nunmehr der Eintritt in die eigentliche Analyse des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems erfolgen. Dabei geht es darum, prima-facie-Aussagen der relevanten Determinanten zu ermitteln, zu sammeln, sie systematisch (wertungsgemäß folgerichtig) zu ordnen und aufzubereiten (Herstellung der Zweibezüglichkeit mittels Abstaktion übergreifender Prinzipien). Dabei muss sich der gesamte Vorgang an dem verfolgten Ziel ausrichten, das in der Ermittlung des „inneren“ Sinngefüges des Ganzen besteht. Am Ende steht die Vision der Formulierung eines einzigen Leitprinzips, das auf den gewonnenen prima-facie-Aussagen basiert. Dieses Sammelsurium grundlegender Wertentscheidungen der (Wirtschafts-)Verfassungsordnung mit einem Leitwert bzw. -prinzip an der Spitze spielt eine große Rolle bei der Güterabwägung im Einzelfall, denn die systematisierten Wertentscheidungen fließen allesamt in Einzelfallbewertungen ein und treffen insofern „Vorentscheidungen“ für die vorzunehmenden Abwägungen. 504
§ 1 Grundrechte als Konstitutionsprinzipien im System der Wirtschaftsverfassung Grundrechte, verstanden als Prinzipien im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System, entscheiden über das „Ob“ und den Umfang wirtschaftlicher Eigenverantwortung und das Funktionieren der Märkte. 505 Anhand ihrer systematischen Betrachtung lässt sich ermitteln, in welchem Maß die wirtschaftlichen Zusammenhänge entweder durch die Märkte selbst oder durch den Staat gesteuert werden. Der Status der privaten Wirtschaftsverantwortung entscheidet also über die wirtschaftliche „Gewaltenbzw. Arbeitsteilung zwischen Staat und privaten Wirtschaftsteilnehmern“. 506 Viel hängt indes nicht nur von der prinzipiellen Grundrechtssubstanz selbst, sondern auch von der Art und Weise der Grundrechtsinterpretation ab. Es muss daher zunächst eine Auseinandersetzung mit solchen Aspekten erfolgen, die die InterpreVgl. auch 3. Kapitel § 1 II. Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 209. 506 R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 209 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 504 505
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
tation von Grundrechten als Prinzipien wesentlich beeinflussen, um auf diesem Wege eine allgemeine dogmatische Basis für die grundrechtliche Argumentation zu schaffen. 507 In diesem Zusammenhang spielen die Menschenwürdegarantie und das interpretationsleitende klassisch-liberale Grundrechtsverständnis mit der Dominanz der Abwehrfunktion eine besondere Rolle. Beiden gilt nachfolgend das besondere Interesse.
I. Menschenwürde als Richtliniengehalt der Rechtsidee: Konkretisierung auf der Prinzipienebene „Menschenwürde bedeutet Selbstbestimmung auf der Grundlage des Eigenwertes jedes Menschen.“ 508 Der Eigenwert jedes Menschen findet seine Wurzeln in der individuellen Persönlichkeit. Dürig umschrieb dieses individuelle Menschsein als Menschsein „kraft [..] Geistes“, welches den Einzelnen abhebe „von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten“.509 Gleichermaßen gilt: Orginäre menschliche Faktizitäten sind nicht negierbar – für keinen (Verfassungs-)Gesetzgeber dieser Welt! Insoweit handelt es sich auch bei der Menschenwürde und der Individualität der menschlichen Persönlichkeit um etwas Vorgegebenes, d. h. um etwas, was „voll determiniert“ und somit einer normativen Beeinflussung nicht zugänglich ist. 510 Die Würde des Menschen existiert sozusagen als „Kern der unableitbaren Wesenheit der menschlichen Natur“. 511 Die Rechtsordnung als ein von Menschen geschaffener Gegenstand hat diesem Faktum zu entsprechen und es seinem Wesen nach zu integrieren. 512 Insoweit unterscheidet sich Recht vom Unrecht. Entsprechend postuliert die Rechtsidee als Gerechtigkeitsmaßstab eine so genannte „Würdigkeitsbeurteilung“, d. h die dem Recht vorgegebene Richtlinie, alle Menschen in ihrer Eigenschaft als „wollende und sich dadurch bis zu einem gewissen Grad selbstbestimmende Wesen“ anzuerkennen. 513 Dieser Vorgabe folgend hat das GG die Garantie der Menschenwürde als „tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte“ 514 bzw. „wichtigste Wertentscheidung“ 515 in Art. 1 Abs. 1 Vgl. hierzu auch die Hinweise zur grundrechtlichen Argumentation im 4. Kapitel § 2. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10. 509 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 1 Abs. 1 Rn. 18. 510 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 356; vgl. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VII, Rn. 14. 511 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 6 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 512 Vgl. zur „Vorrechtlichkeit“ der Menschenwürde U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GGKomm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1. 513 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 356. 514 BVerfGE 87, 209 ff. (228) m. w. N. 507 508
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GG aktualisiert und der so genannten „Ewigkeitsgaratie“ des Art. 79 Abs. 3 GG unterworfen. Damit sind die Zusammenhänge zwischen Menschenwürde und Verfassungsgesetz zunächst nur grob skizziert. Für weitere Klarheit sorgt die Einbeziehung der Prinzipienebene in die Betrachtung. Genauer gesprochen gilt es nunmehr, das Bezugsband zwischen Prinzipienebene und Rechtsidee herzustellen. Methodisch anzusetzen ist bei der Einstrahlungswirkung der Rechtsidee, d. h. ihren Auswirkungen auf die Konstituierung der Prinzipienebene. 516 Führt die Rechtsidee die Menschenwürdegarantie sozusagen als Postulat „mit sich“, so wird die Letztgenannte, den Grundelementen der Rechtsidee („Gerechtigkeit“ und „Rechtssicherheit“) entsprechend, gleichermaßen „von oben verordnet“. Sozusagen im „Schlepptau“ der Rechtsidee findet die Menschenwürdegarantie als ranghöchstes Prinzip Eingang in das Recht. Nicht mehr und nicht weniger als diesen Einstrahlungsvorgang und seine verfassungsrechtlichen Konsequenzen beschreibt der abstrahierte Prinzipiengehalt des Art. 1 GG auf der Zwischenstufe des Rechts. An dieser Stelle kann zur Verstärkung der Argumentation auf die bereits entwickelten systemtheoretischen Ansätze zurückgegriffen werden. 517 Beinhaltet das von der Rechtsidee aufgestellte Postulat der Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit die Forderung „einmal getroffene Wertungen ‚konsequent‘ wieder aufzunehmen“, sie „bis in alle Einzelfolgerungen ‚zu Ende zu denken‘ und sie nur „aus sachlichem Anlaß zu durchbrechen“518, so gilt das in besonderen Maße für die Garantie der Menschenwürde: Sie ist oberster Wert. Die Folgerichtigkeit verlangt somit, die Menschenwürdegarantie in allen Bereichen des Rechts konsequent zu Ende zu denken. Damit gilt: Aufgrund „seiner Würde steht dem Menschen Selbstverwirklichungsfähigkeit zu“. 519 Selbstverwirklichungsfähigkeit bedeutet letztlich nichts anderes als Freiheit. 520 Indes fordern Selbstzweck, Eigenwert und die ihn ausmachende Persönlichkeit des einzelnen Menschen nicht nur die Freiheit des Individums als solches ein, sie verlangen vielmehr zugleich auch Instrumentarien ihrer Sicherung und Gewährleistung. Diesem Verfassungsauftrag aus Art. 1 Abs. 1 GG zu entsprechen, ist Aufgabe von Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 GG und den nachfolgenden Grundrechten. 521 Die BegründungsH. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 1 Rn. 2. Vgl. auch 3. Kapitel § 5 II. 3. 517 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 3 II und 3. Kapitel § 3 III. 518 Siehe Fn. 267. 519 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 36. 520 Gegen eine Identität von Würde und Freiheit spricht sich W. Leisner aus. Er stellt fest: „‚Würde‘ ist Freiheit – aber sie ist mehr als das, sie beinhaltet eine ‚Freiheit zu etwas‘, die allein Wert ist.“ (ders., in: Grundrechte und Privatrecht, 1970, S. 143). 521 Vgl. auch U. Di Fabio, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1 f.; vgl. allgemein hierzu K. Stern, in: FS für H. U. Scupin, 1983, S. 627 ff. 515 516
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
ebenen eines derart erzeugten Systems verlaufen dabei wie folgt: 522 In einem ersten Schritt wird zunächst die in Art. 1 Abs. 1 GG aufgegriffene Menschenwürdegarantie durch Art. 1 Abs. 2 GG „in einzelne ‚Menschenrechte‘ aufgelöst, die ‚unverletzlich und unveräußerlich‘“ sind. Dieser Schritt lässt sich bereits mit dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 GG („darum“) begründen. Das System wird schließlich in einem zweiten Schritt dadurch ergänzt, dass Art. 1 Abs. 3 GG die Menschenrechte „unter der herkömmlichen Bezeichnung ‚Grundrechte‘ [...] zu subjektiven öffentlichen Rechten“ aktualisiert. Die aufgezeigte Verknüpfung darf freilich nicht in dem Sinne verstanden werden, dass eine rücksichtslos-grenzenlose Freiheit garantiert würde. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist das Menschenbild des Grundgesetzes „nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum/Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten“. Dies, so das Bundesverfassungsgericht, ergäbe sich „aus einer Gesamtsicht der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG“. 523 In der Tat ist dieses Ergebnis nur folgerichtig, denn alle Menschen sind über den Menschenwürdeschutz gleichermaßen frei. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings der Freiheitsschutz im Verhältnis Bürger/ Staat. 524 In diesem Spannungsverhältnis enthält Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG eine „Ausgangsvermutung zu Gunsten des Menschen“. 525 Die vorgenommene Verknüpfung darf auch nicht dahingehend fehlinterpretiert werden, dass sich die Menschenwürdegarantie, die Menschenrechte und die einzelnen Grundrechtsgehalte als inhaltlich identisch erweisen würden.526 Auch kann, ausgehend von der Menschenwürdegarantie, kein deduktiver Schluss zu den Menschenrechten und zu den Grundrechten erzeugt werden.527 Die aufgezeigten Zusammenhänge zwischen Art. 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 GG und den nachfolgenden Grund522 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff. (119 f.) (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original); fortgeführt von dems., in: Maunz/ Dürig, GG-Komm., Bd.I, Art.1 Rn.1 ff.; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht, Bd.III/1, 1988, S.35 ff. 523 BVerfGE 4, 7 ff. (15 f.); vgl. auch W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 69; W. Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 GG, 2000, S. 1 f. m. w. N. 524 Vgl. 4. Kapitel § 1 III. 525 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff. (123) (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original); vgl. auch C. M. Pecher, Verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten, 2002, S. 12. 526 Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 2 Rn. 107. 527 Teilweise wird behauptet, Dürig’s System sei deduktiv konstruiert (vgl. F.-J. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 122). Dieser Schluss ist jedoch nicht zutreffend. Dürig selbst stellt mit Blick auf die systematische Stellung von Art.2 Abs. 1 GG im Verhältnis zu den spezielleren Freiheitsrechten klar, dass es insofern nicht um eine „Ableitung von einem logischen Obersatz“ ginge. Ihm ist jedoch kritisch vorzuhalten, dass er sein System als „geschlossen“ bezeichnet (G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 254, vgl. zur Kritik an Dürigs Standpunkt R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.338 ff.). Diesem Einwand sieht sich indes die vorliegende Systembetrachtung nicht ausgesetzt; vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 7.
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rechten sind vielmehr Ausdruck einer vorgelagerten Wertentscheidung. Sie sind axiologisch-teleologischer Natur und lassen sich mittels „wertenden Rückschlusses“ mühelos auf die Prinzipienebene spiegeln. 528 Trotz ihrer „Schlichtheit“ macht diese prinzipielle wertbezogene Betrachtungsweise folgendes deutlich: Grundrechte fußen nicht auf einer wie auch immer gearteten „grauen Theorie“. Ihre Entstehung findet vielmehr neben anderen nachträglich hinzugetretenen Faktoren in der „menschlichen Existenz selbst“ ihren Ursprung.529 Sind damit zwar die Begründungszusammenhänge zwischen Rechtsidee, Menschenwürdegarantie und den Grundrechten aufgezeigt, so stehen doch die eigentlichen Schwierigkeiten noch bevor. Diese ergeben sich daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als Prinzip nicht nur eine rein passive Rolle als Glied in der grundrechtlichen Begründungskette, sondern zugleich auch eine steuernde Rolle zuteil wird.530 Das Prinzip „Menschenwürdegarantie“ dient als grundlegender Maßstab zur Beurteilung sämtlicher staatlicher Maßnahmen und entfaltet zudem Drittwirkung. Es fungiert zugleich als eigenständige Quelle für die Konstituierung von Unterprinzipien wie beispielsweise des Schuldprinzips. 531 Ein Aspekt der erwähnten Steuerungswirkung ist für die vorliegende Analyse von besonderer Bedeutung: Die Einflussnahme der Menschenwürdegaratie als Prinzip auf die Auslegung grundrechtlicher Normen, ja auf die des Grundgesetzes schechthin!532 Dürig stellte hierzu fest, dass schlichtweg kein Fall denkbar sei, in dem ein „staatlicher Angriff auf die Menschenwürde“ das Bollwerk des Grundrechtskatalogs durchdringen könne, sofern man nur Art. 1 Abs. 1 GG, „wie es von Verfassungs wegen nötig ist, als Wertmaßstab in die Spezialinterpretation des jeweiligen Grundrechts einbezieht“. 533 In dieser einschränkenden Formulierung liegt dann allerdings auch die eigentliche „Krux“ begründet. Um den Menschenwürdeschutz, komplementär zur verfassungsrechtlichen Vorgabe, lückenlos zu konzipieren, muss Art. 1 Abs. 1 GG im Rahmen der Auslegung des jeweiligen Grundrechtes seinem Gewicht entsprechend Berücksichtigung finden. Ist die Menschenwürdegarantie aber „oberstes Konstitutionsprinzip“, so kann für die Grundrechtsinterpretation nur Folgendes gelten: Art. 1 Abs. 1 GG muss im Hinblick auf die nachfolgenden Grundrechte bereits auf der Prinzipienebene so angewendet werden, dass eine „extensive Verwirklichung der 528 Von einem axiologischen Verhältnis zwischen Grundrechten und Menschenwürde geht offenbar auch W. Leisner aus. „Alle grundrechtlichen Freiheiten“, so Leisner mit Blick auf die Drittwirkungsproblematik, würden durch ihre Verbindung zur Menschenwürdegarantie zu werthaften „Verantwortungs-Freiheiten“. Der Menschenwürdegehalt aller Grundrechte könne als wertbezogener Freiheitskern beschrieben werden (ders., Grundrechte und Privatrecht, 1970, S. 143 f. u. 147). 529 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 36 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 530 Vgl. P. Häberle, in: HStR, Bd. I, 1987, § 20 Rn. 5 ff., 10 ff. 531 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 1 Rn. 2. 532 Sehr instruktiv K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 3 ff. und 33 ff. 533 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 1 Abs. 1 Rn. 13.
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Garantie der Menschenwürde“ erreicht wird. 534 Dieser Determinationsprozess entfaltet seine Wirkung bereits dann, wenn Grundrechte als Prinzipien formuliert werden. Die Ausformung ihrer Prinzipiengehalte unterliegt somit der Steuerung des ranghöchsten Verfassungsprinzips. In diesem Zusammenhang wird teilweise 535 davon gesprochen, dass es Aufgabe der Grundrechte sei, die Menschenwürde zu sichern. Diese Charakterisierung erscheint zu kurz gegriffen. Sie erweckt den fehlerhaften Eindruck einer rein statischen, lediglich den Menschenwürdekern umhegenden Funktion der Grundrechte. Ein derartiges Grundrechtsverständnis erweist sich als zu eindimensional. Richtigerweise geht es nicht nur um die Wahrung des jeweils unantastbaren Menschenwürdekerns des Grundrechts, sondern zugleich auch um die Verwirklichung der Menschenwürde(-garantie) in allen Bereichen des Rechts. Die Menschenwürdegarantie hat sozusagen eine dynamische Funktion, die durch die Grundrechte vermittelt wird. Zutreffender erscheint es insoweit von der Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie bzw. von der Konkretisierungsfunktion der Grundrechte zu sprechen. 536, 537 Einer derart dynamischen Interpretation der Menschenwürdegarantie kann schließlich nicht entgegengehalten werden, sie verfolge den Zweck, die Schrankensystematik der Grundrechte mittels des Adverbs „unantastbar“ (Art. 1 Abs. 1 GG) aus den Angeln zu heben. Zum einen bedeutet „Unantastbarkeit“ nicht, dass das Schutzgut der Menschenwürde (abgestuften) Konkretisierungen oder der Aktualisierung immanenter Schranken vollständig entzogen wäre. 538 Zum anderen beschreibt die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie lediglich einen axiologischen Ableitungszusammenhang, d. h. die „Nähe“ der Grundrechte zum Menschenwürdesatz. Damit liefert sie ein Erklärungsmuster für die besondere Schutzwürdigkeit der jeweiligen Grundrechte bzw. Grundrechtsinhalte. Die Vorstellung einer „Vollidentität“ beider, darauf wurde bereits hingewiesen, erwiese sich ohnehin als verfehlt. Der Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Wirtschaft wurde ausdrücklich bereits in Art. 151 WRV unterstrichen. In einzelnen Landesverfassungen wird er noch heute betont. 539 Dies geschieht aus gutem Grund, denn mit der UnantastH. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 1 Rn. 2. Vgl. H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 12. 536 Vgl. zur Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie P. Lerche in: FS für A. Arndt, 1969, S. 199 ff. (203 ff., 211 ff.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 70. 537 Präziser erschiene ohnehin die Heranziehung des Terminus „Konkretisierung der Garantiefunktion“. Es erscheint vorliegend allerdings interessengerecht, wenn die terminologische Präzison insoweit einen Tribut an die sprachliche Verständlichkeit zollt. 538 Vgl. P.-M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 19 Abs. 2 Rn. 131 m. w. N. 539 So heißt es bspw. in Art. 151 Abs. 1 BayLV: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“ 534 535
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barkeit der menschlichen Würde wird zugleich der Ursprung allen menschlichen Wirtschaftens unmittelbar gewährleistet: die Rechtsfähigkeit der natürlichen Person. 540 Für das hier freizulegende wirtschaftsverfassungsrechtliche System entfaltet zudem die Steuerungs- oder Konkretisierungwirkung der Menschenwürdegarantie eine besondere Bedeutung, denn wenn sich die Freiheit der wirtschaftlichen Entfaltung als „in Art. 1 Abs. 1 GG angelegt“ erweisen sollte 541, so beruht auf der Menschenwürdegarantie letztlich auch jede freiheitlich ausgestaltete Wirtschaftsordnung, die dem Rahmen des GG genügt. Unter ihrem besonderen unabänderlichen Schutz würden mittelbar auch Grundprinzipien der Wirtschaftsverfassung stehen. Auf die einzelnen Zusammenhänge zwischen der Menschenwürdegarantie und den wirtschaftsgrundrechtlich gewährleisteten Freiheiten wird noch zurückzukommen sein.
II. Die Prinzipienebene als Ausgangspunkt sämtlicher Grundrechtsdimensionen 1. Der Abwehrcharakter der Grundrechte a) Das klassisch-liberale Grundrechtsverständnis – Grundrechte als subjektive Abwehrrechte Grundrechte fungieren, so die inzwischen klassisch gewordene Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, primär als „Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“. In dieser Funktion erfüllen sie die Aufgabe, „die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern“. 542 Den Ausgangspunkt dieses als „klassisch-liberal“ zu kennzeichnenden Grundrechtsverständisses bildet die im 19. Jahrhundert begründete, konstitutionelle Staatsrechtslehre. 543 Die Staatsidee des bürgerlichen Rechtsstaates erhielt dabei ihre entscheidende Prägung durch das „fundamentale Verteilungsprinzip“. 544 Ihm lag die Vorstellung einer strikten Trennung der als gegensätzlich empfundenen „Sphären“ von Staat und Gesellschaft zugrunde. Infolge dieses Ansatzes konnte unter rechtlicher Freiheit konsequenterweise nur die „Gewährleistung einer ‚staatsJ. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 21. Bejahend R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsecht, 2000, S. 210. 542 BVerfGE 7, 198 ff., 204. 543 Vgl. hierzu R. Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 48 ff.; G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 35 ff.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 3 ff., 158 ff. 544 E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff. (1530). 540 541
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freien Sphäre‘“ zugunsten des Individuums verstanden werden. 545 Die Freiheit des Bürgers war hiernach „prinzipiell unbegrenzt“, während sich die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre als „prinzipiell begrenzt“ erwies. 546 Sozusagen mit der Funktion als „rechtliche Umhegungen vorstaatlicher, natürlicher Freiheit“ versehen, sollten die Grundrechte die Freiheitssphäre des einzelnen vor staatlicher Einflussnahme abschotten. 547 Dem Staat, verstanden als „Widerpart der Grundrechte“, sollte der Bürger einen status negativus entgegenhalten können. 548 G. Jellinek stellte hierzu fest: „Das Individuum soll vom Staate zu keiner gesetzwidrigen Leistung herangezogen werden und hat demnach einen auf Anerkennung seiner Freiheit beruhenden Anspruch auf Unterlassung und Aufhebung der diese Norm überschreitenden obrigkeitlichen Befehle. Alle Freiheit ist einfach Freiheit von gesetzwidrigem Zwange.“ 549 b) Rückgriff auf die Prinzipienebene zur Überwindung von Schwächen der klassisch-liberalen Lehre Auf Dauer erwies sich der Rückgriff auf ein Grundrechtskonzept, welches „Freiheit vom Staat“ propagierte, angesichts der gewachsenen Anforderungen an die Realisierung grundrechtlicher Freiheit als nicht ausreichend. Grundrechte ausschließlich als Rechte zur Wahrung der vorstaatlichen Freiheit verstanden, führen staatlicherseits, neben der grundsätzlich eingeforderten Abstinenz im Verhältnis zu den Freiheitsräumen des Idividuums, allenfalls die Verpflichtung mit sich, Voraussetzungen und Institutionen für den grundrechtlichen Freiheitsgebrauch im Sinne individueller Willkür zu schaffen sowie für eine Kompatibilität der Freiheitsräume der Individuen im Verhältnis untereinander Sorge zu tragen. Jedoch trifft den Staat nach diesem Grundrechtsverständnis keinerlei „Garantie- oder Gewährleistungspflicht für die Realisierung der grundrechtlichen Freiheit“.550 Im Widerspruch zur gesellschaftlichen und politischen Realität würden solche freiheitlichen Verhaltensweisen keinen Schutz erfahren, die vom Staate die Schaffung von Rahmenbedingungen für den grundrechtlichen Freiheitsgebrauch positiv einfordern. 551
E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976. S. 158. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1965 (1928), S. 126 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 547 F. Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: NJW 1976, S.2100 ff. (2101); vgl. auch H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (40). 548 J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 111 Rn. 2. 549 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 103. 550 E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff. (1531). 551 Vgl. auch Ch. Enders, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Vor Art. 1 GG Rn. 48. 545 546
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In Anbetracht dieser „relative[n] Blindheit“ 552 des klassisch-liberalen Grundrechtsverständnisses hat das Bundesverfassungsgericht früh versucht, ergänzende Interpretationskriterien heranzuziehen. Ausgangspunkt aller Überlegungen war die auf den ersten Blick banal wirkende Feststellung, dass Grundrechte stets das Derivat objektiver Verfassungsrechtssätze darstellen. 553 Bildet hiernach die das jeweilige Grundrecht formende (Prinzipien-)Norm das „logische Prius“ so ist von dieser Lösungsebene ausgehend, die dogmatische Komplettierung der Sicherung grundrechtlicher Freiheitssektoren zu betreiben. 554 Diesen Ansatz verfolgte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Wertordnungsrechtssprechung. 555 In der Lüth-Entscheidung heißt es: „Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitsspähre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. (...) Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will ..., in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt“. 556
c) Ursprung des Abwehrcharakters der Grundrechte auf der Prinzipienebene Der Ausgangspunkt der Wertordnungsjudikatur in den Tiefenstrukturen des objektiven Rechts ist von Teilen der Rechtslehre übersehen worden und hat zu einer fehlsamen terminologischen Dichotomie geführt: Der axiologisch geprägten Komponente, gekennzeichnet als objektiv bzw. objektiv-rechtlich, wird die Abwehrseite als subjektiv bzw. individualrechtlich gegenübergestellt. Dabei besitzt jedoch auch die Abwehrfunktion einen objektiv prinzipiellen Ursprung, denn sie beschreibt die Kernessenz der liberalen (Grundrechts-)Idee 557, wie sie aus der „geistesgeschichtlichen Entwicklung“ und „den geschichtlichen Vorgängen herrührt, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben“.558 Die Beschränkung und Begrenzung staatlicher Eingiffe zum Zwecke der Sicherung der 552 E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff. (1531). 553 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 909. 554 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S.9, K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 505, 909. 555 Zur „weitgehenden Strukturgleichheit“ von Rechtswerten und Rechtsprinzipien und der Möglichkeit einer Spiegelung der Gehalte der Wertordnungsjudikatur auf die Prinzipienebene vgl. schon 3. Kapitel § 5 I. 6. 556 BVerfGE 7, 198 ff. (204 f.). 557 H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), S. 363 ff. (368). 558 BVerfGE 7, 198 ff. (204 f.).
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Freiheitsräume des Individuums findet in der prinzipiellen Abwehrkomponente der Grundrechte „ihren vornehmsten Ausdruck“ und im subjektiven Recht eine Individualrechtsschutz vermittelnde, wenn auch nicht seine alleinige Konsequenz. 559, 560, 561 Der Geltungsanspruch des Prinzips „Abwehr des Staates“ entfaltet seine Wirkung unabhängig von der individualrechtlichen Geltendmachung im Einzelfall; er besitzt stets auch objektiv-rechtliche Verpflichtungskraft. 562 Insofern erscheint eine Titulierung der Grundrechte als „negative Kompetenznormen“ zutreffend. 563 Von der Abwehrfunktion der Grundrechte als Rechtsprinzip ist das Bundesverfassungsgericht auch in der Lüth – Entscheidung ausgegangen. Dort hat es zwar die „prinzipielle Ausrichtung“ der Grundrechte gegen den Staat 564 ausdrücklich hervorgehoben, denn das Grundgesetz habe mit der „Voranstellung des Grundrechtsabschnitts den Vorrang des Menschen und seiner Würde gegenüber der Macht des Staates betonen“ 565 wollen. Gleichzeitig hat es jedoch den dahinterliegenden Wertungsgedanken, also das grundrechtsdimensionelle Prinzip „Abwehr“ als Substrat des grundrechtlichen Wertsystems aufgegriffen, aktualisiert und für die Lösung der Drittwirkungsfrage fruchtbar gemacht. Es sollte fortan, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, Eingang in die Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften finden. Die Methodik, die das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil heranzieht, ist das beschriebene Verfahren des wertenden Rückschlusses in die Tiefenstrukturen des Verfassungsrechts oder anders ausgedrückt: die axiologisch geprägte „Verallgemeinerung des Grundrechts über die Rechtsfolge des Abwehranspruchs hinaus“. 566
559 H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), S. 363 ff. (368). 560 Die eigenständige Existenz eines Prinzips „Abwehr“ werden notwendigerweise diejeinigen Vertreter der Prinzipientheorie leugnen, die in der Abwehrwirkung lediglich eine Rechtsfolge grundrechtlicher Prinzipien erkennen; vgl. z.B. M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998, S. 231. 561 Wird nachfolgend von „Rechten“ geprochen, so sind damit nicht definitive, sondern prinzipielle Rechte gemeint; vgl. zu dieser grundlegenden Unterscheidung J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 72 f. 562 Vgl. J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 111 Rn. 75. 563 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 2003, Rn. 73. 564 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 559 (nur teilweise Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 565 BVerfGE 7, S. 198 ff. (205). 566 H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), S. 363 ff. (368).
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2. Weitere, institutionelle und direktive Grundrechtsgehalte als Ausfluss der Prinzipienebene Die Wertentscheidungs- bzw. Prinzipienebene, d. h. die Einordnung von Grundrechten als wertgeladene Prinzipiennormen hat dem Bundesverfassungsgericht als Ausgangspunkt für die Ableitung weiterer Gehalte gedient, die die traditionelle Abwehrfunktion der Grundrechte ergänzen. 567 Erwähnt wurde bereits die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts können beispielsweise Gerichte zur Sicherung einer ausgewogenen Privatautonomie Vertragsinhalte korrigieren. 568, 569 Neben der bereits erwähnten Einordnung von Grundrechten als Maßstab für die Auslegung bzw. die Gestaltung des Rechts wurden weitere direktive Gehalte freigelegt. Zu nennen ist die Einordnung von Grundrechten als Schutzpflichten bzw. Schutzgewährrechten 570 oder die grundrechtliche Gewährleistung von Rechten 571 auf Teilhabe an staatlichen Einrichtungen, Leistungen oder Verfahren. Im Rahmen der Freilegung eines inneren verfassungsrechtlichen Systems fungieren die genannten Grundrechtsdimensionen zunächst nur als kritisch zu hinterfragende Ausgangspunkte für die Konturierung der ihnen (möglicherweise) zugrundeliegenden Prinzipien. Ähnlich wie bei der subjektiv-rechtlichen Abwehrfunktion, die eine Spezifikation des allgemeineren objektiven Prinzips „Abwehr“ bildet, ist im Rahmen eines wertenden Rückschlusses nach den Ursachen für die jeweilige Ausformung zu fragen. Vgl. auch Ch. Enders, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Vor Art. 1 GG Rn. 49 ff. Vgl. bspw. zum verfassungsrechtlichen Maßstab für die Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen BVerfG, NJW 1996, S. 2021. 569 Weiterhin wurden institutionelle Gewährleistungen als Substrat einer Analyse der Tiefenstrukturen der jeweiligen Grundrechtsnormen bspw. für die Pressefreiheit (Art.5 Abs. 1 S. 2 GG), die freie Wissenschaft (Art.5 Abs. 3 GG), Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und für Privatschulen (Art. 7 Abs. 4 GG) ermittelt. 570 Die vom BVerfG vorgenommene Ableitung der Schutzpflicht für das ungeborene Leben aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG bzw. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kennzeichnet J. Isensee (vgl. ders., in: HStR, Bd. V, 2000, § 111 Rn. 80 ff.) hingegen als einen Vorgang der „grundrechtsimmanenten Deduktion“. Rechtslogisch gesehen, so Isensee, sei „die Deduktion des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend“. Der Rekurs auf die grundrechtliche Wertordnung würde zudem „keine plausible Begründung“ liefern, denn diese „diffuse Kategorie“ sei zu „abstrakt und zu verschwommen, um eine juristische Begründung zu leisten“. Isensees Kritik könnte nur dann beigepflichtet werden, wenn die grundrechtliche Wertordnung in der verfassungsgerichtlichen Judikatur tatsächlich als deduktive Ableitungsbasis dienen würde (vgl. hierzu auch die grundsätzlichen Kritik zur axiomatisch – deduktiven Methode: 3. Kapitel § 5 II. 1). Eine derartige Herangehensweise hat das Bundesverfassungsgericht jedoch erkennbar nicht praktiziert. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die verfassungsgerichtliche Judikatur insofern einer wertenden Induktion bzw. eines wertenden Rückschlusses in die Tiefenstrukturen des Verfassungsrechtes bedient (vgl. auch. 3. Kapitel § 5 II. 3.). 571 Vgl. Fn. 561. 567 568
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3. Interpretativer Rahmen für die Ausformung der Prinzipienebene im Grundrechtssektor – Rückkoppelung an die klassische Abwehrfunktion Was das Verhältnis zu den „neuartigen“ Grundrechtsfunktionen betrifft, so steht die Präponderanz der „‚Ur‘- oder ‚Grundfunktion‘“ 572 der Grundrechte als Abwehrrechte heute weitgehend außer Zweifel. 573 Das Abwehrrrecht bildet sozusagen das Maß, an dem sich die anderen, die „modernen“ Funktionen messen lassen müssen. In der klassischen Abwehrfunktion findet die Grundrechtsinterpretation das „feste, verläßliche Terrain, dessen sie sich immer wieder versichern muß, wenn sie neues Terrain zu erschließen versucht“. 574 Keinesfalls darf die Prinzipienebene als legitimatorischer Ausgangspunkt zur partiellen oder vollständigen Nihilierung, d. h. der „Ablehnung oder Zurückdrängung der Abwehrfunktion“ dienen. Das Gegenteil ist vielmehr gewollt. Die interpretatorische Ausformung der Prinzipienebene als Begründungsansatz für „neuere“ Grundrechtsfunktionen soll vielmehr den Zweck ihrer „Ergänzung durch weitere Funktionen“ verfolgen. 575 Die interpretatorische Dominanz der Ur-Funktion „Abwehr“ betont das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Was das Verhältnis der „neueren“ Grundrechtsfunktionen zur Abwehrfunktion betrifft, so konzediert es in der Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz wie folgt: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie [die Grundrechte: Anm. d. Verf.] in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft [...], hat jedoch ihre Wurzeln in dieser primären Bedeutung [...]. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt.“ 576 Weitere Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Mitbestimmungsentscheidung haben freilich ein erhebliches Maß an Verwirrung gestiftet. Wie bereits zitiert, hatte es im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit wirtschaftsordnender Gesetze festgehalten: „Diese ist unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte primär eine solche der Wahrung der Freiheit des einzelnen Bürgers [...]. Nicht ist sie Frage eines ‚institutionellen Zusammenhangs der WirtschaftsverfasM. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 68. Vgl. B. Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr – Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, in: EuGRZ 1984, S. 457 ff. 574 J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 111 Rn. 21. 575 H. D. Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, in: AöR 120 (1995), S. 345 ff. (347). 576 BVerfGE 50, 290 ff. (337). 572 573
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sung‘, der durch verselbständigte, den individualrechtlichen Gehalt der Grundrechte überhöhende Objektivierungen begründet wird, oder eines mehr als seine grundgesetzlichen Elemente gewährleistenden ‚Ordnungs- und Schutzzusammenhangs der Grundrechte‘“. 577 Die verfassungsgerichtliche Formulierung erweckt in der Tat den Eindruck einer Verortung der einzelnen Wirtschaftsgrundrechte in ihrer klassischen Form als Abwehrrecht „bei gleichzeitiger Zurückdrängung von deren institutioneller oder objektiv-rechtlicher Sicht“. 578, 579 In diesem Sinne waren die verfassungsrechtlichen Ausführungen jedoch nicht gemeint. Mit der Absage an eine „überhöhende Objektivierung“ bzw. an eine Abkoppelung von den „grundgesetzlichen Elementen“ sollte lediglich aufgezeigt werden, dass sich die Wahl eines Interpretationsansatzes verbietet, der die liberalen ideengeschichtlichen Ursprünge der Grundrechte als Abwehrrechte völlig hinter sich lässt und der Abwehrkomponente im Ergebnis zuwiederläuft. Dies gilt sowohl für die Freilegung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems, als auch für die Verwendung der gewonnenen Systemaussagen. Der Rückgriff auf ein objektives Prinzip „Abwehr“ und die Annahme seiner Dominanz im Rahmen der Grundrechtsinterpretation trägt den verfassungsgerichtlichen Vorgaben indes Rechnung. BVerfGE 50, 290 ff. (337 f.). R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 77; ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 24. 579 H. H. Rupp (ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 21 ff.) äußert Kritik unter Hinweis darauf, dass die Thesen des BVerfG „nicht dem Stand der Wissenschaft“ entsprechen würden. Sie seien „zumindest [...] höchst mißverständlich und widersprüchlich“. Den benannten Widerspruch stellt Rupp insbes. anhand eines Vergleichs mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsbildungs-, Meinungsäußerungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit dar. Hier würde das BVerfG, so Rupp, einen gegenseitigen Funktions- und Bedingungszusammenhang der Grundrechte sogar überbetonen. So hat das BVerfG den objektiv-rechtlichen Gehalt der Presse- und Rundfunkfreiheit in der Tat zum Anlass genommen, dem Gesetzgeber in diesem Bereich konkrete (!) Gestaltungsanforderungen aufzuerlegen. Das BVerfG verlangt beispielsweise in seinem 4. Rundfunkurteil im Hinblick auf die duale Rundfunkordnung, dass der Gesetzgeber bestimmte und geeignete Vorkehrungen zu treffen habe, die darauf abzielen, „ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern“ (BVerfGE 73, 118 ff. (118)). Tatsächlich erscheint es inkonsistent, wenn sich das BVerfG bei den Wirtschaftsgrundrechten „überhöhende Objektivierungen“ verbittet, dieses Begründungsmodell jedoch, wie aufgezeigt, im Rahmen der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 1 GG zur Ableitung neuerer Grundrechtsdimensionen exzessiv verwendet. Angesichts der fortschreitenden dogmatischen Verfestigung der Lehre von der Stellung der Grundrechte als objektiv-rechtliche Prinzipien kann eine derart unterschiedliche Handhabung kaum noch glaubwürdig erscheinen. Auch E.-W. Böckenförde (ders., in: Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), S. 1 ff. (19)) erscheint es zweifelhaft, ob sich der in der Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz entwickelte Standpunkt des BVerfG auf Dauer durchhalten lässt. So stellt er insbes. die Frage, ob die Anerkennung einer verstärkten, auf Wahrung der Freiheit des einzelnen Bürgers gerichteten objektiven Geltungskraft der Grundrechte nicht zwangsläufig „zu einer einlinigen Ausdehnung einer konkreten individuellen Freiheitsposition führen [muss], die sich dann aber – gerade im horizontalen Verhältnis – auf Kosten anderer, ebenfalls grundrechtlicher Freiheitspositionen Dritter realisiert“. 577 578
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Dem Verfahren der verfassungsrechtlichen Prinzipien- bzw. Systembildung im Grundrechtssektor ist nach alldem ein Interpretationsrahmen vorgegeben: Wertende Rückschlüsse zum Zwecke der Ausformung der grundrechtlichen Prinzipienebene erfolgen „durch Ablösung der in der [jeweiligen] Grundrechtsgarantie enthaltenen Wertentscheidung von der konkreten verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechts als Abwehrrecht des Individuums. Die Wertentscheidung, deretwegen das Grundrecht einen Abwehranspruch gewährt, wird von dieser Rechtsfolge getrennt und dann in anderer Richtung hin aktualisiert.“580 Diese Herangehensweise hat R. Alexy als einen Prozess der „dreifachen Abstraktion“ beschrieben. 581 Ausgehend von der jeweiligen Ausformung als Abwehrrecht müsse von dem Träger des Rechtes, d. h. dem Berechtigten, von dem Adressaten des Rechts, d. h. dem Verpflichteten und schließlich von dem Gegenstand des Rechts, namentlich der Unterlassung von Eingriffen, mit dem Ziel abstrahiert werden, die deontische Grundstruktur offen zu legen. Die so ermittelten „Grundprinzipien“ müssten dann durch eine „substantielle grundrechtliche Argumentation“ aufgefüllt werden. 582 Gegen diese Sicht sind Bedenken in zweierlei Hinsicht zu äußern. Zunächst erscheint der Ausgangpunkt für die grundrechtliche Abstraktion zu restriktiv gewählt. Dies gilt insbesondere, was das Verhältnis von individueller Freiheit und Schranken betrifft. 583 Entgegen Alexy erscheint es zudem kaum denkbar, die genannten Arbeitsschritte im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prinzpien- bzw. Systemfreilegung voneinander zu trennen, denn eine von den genannten Bezugspunkten ausgehende, sinnvolle Abstraktion ist ohnehin nur möglich, wenn auf eine hinreichend substantiierte argumentative Basis zurückgegriffen werden kann. Das hier praktizierte Verfahren des „wertenden Rückschlusses“ verbindet damit letztlich die grundrechtliche Argumentation mit der Abstraktion.
III. Prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit als prinzipielle Kategorie Die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie auf der Prinzipienebene sowie die Dominanz des Prinzips „Abwehr“ liefern Anhaltspunkte für das Verhältnis von grundrechtlicher Freiheit des Individuums zu ihren Begrenzungen. Beide sprechen für die so genannte „Außentheorie“.584, 585 Ihr zufolge ist die grund580 H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), S. 363 ff. (366). 581 R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 1990, S. 49 ff. (57 ff.). 582 R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 1990, S. 49 ff. (58). 583 Vgl. hierzu eingehend 4. Kapitel § 1 IV. 584 Vgl. auch A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 25 f. und 27 ff.; erschöpfend auch M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998, passim.
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rechtliche Freiheit des Einzelnen grundsätzlich unbegrenzt gewährleistet. Begrenzungen bzw. Schranken bilden die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme.586 Sie werden gleichsam „von außen“ an die gewährleistete Freiheit herangetragen und müssen ihre diesbezügliche Reglementierungsabsicht erst rechtlich begründen, um einschränkend wirken zu können. Insofern weist die grundrechtliche Freiheit zunächst eine prima-facie-Bedeutung auf. 587 Aus ihr erwächst im Einzelfall eine definitive Position, wenn feststeht, dass eine Entkräftung durch gegenläufige Positionen nicht erfolgt. Die „Außentheorie“ weist erkennbar eine große Ähnlichkeit mit dem maßgeblich von C. Schmitt entwickelten „rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip“ auf. 588 Ungeachtet der gemeinsamen historischen Wurzeln verfolgt die „Außentheorie“ im Unterschied hierzu jedoch keine ideologischen Motive. 589 Sie verdeutlicht vielmehr, dass ein so verstandenes Regel-Ausnahme-Modell ideologienunabhängig als Grundlage jeder gerechten Rechtsordnung gilt. In der „Außentheorie“ wird somit erneut die Konkretisierung der Rechtsidee deutlich: Will der Staat gerecht agieren, so ist er Begründungsstaat. Dies gilt schon im Hinblick auf die Messbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns. Die Begründungspflicht dient zugleich als Mittel zur Selbstkontrolle. Wird eine grundrechtliche Position im Rechtsstaat prima facie gewährleistet, so ist damit „der verfassungskräftige [...] Anspruch des einzelnen“ verbunden, dass „seine zunächst unbegrenzt gewährleistete Freiheit nur unter Beachtung der von der Rechtsordnung aufgestellten Eingriffsvoraussetzungen verkürzt wird“. 590 Einwände gegen die prima-facie-Gewährung grundrechtlicher Freiheit lassen sich durchgehend entkräften. Weder kommt es zu einer rücksichtslos-individualistischen Entfesselung der grundrechtlichen Freiheit mit sozialschädlichen Folgen, denn der Menschenwürdebezug beinhaltet von vornherein die gesellschaftliche Be585 Hiervon zu unterscheiden ist die so genannte „Innentheorie“. Diese differenziert von vornherein nicht zwischen grundrechtlich gewährleisteter Freiheit und Schranke. Vielmehr existiert hiernach nur die grundrechtlich gewährleistete Freiheit mit einem bestimmten Inhalt. Das, was herkömmlicherweise den Schrankengehalt separat wiederspiegelt, wirkt augenblicklich hinsichtlich der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit inhaltsbestimmend. An die Stelle des Begriffs „Schranke“ tritt der Begriff der „Grenze“ (vgl. hierzu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 250; P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1983, S. 126). 586 Vgl. J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 60. 587 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 249 ff.; ausführlich zur „Aussentheorie“: A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 16 m. w. N.; vgl. auch J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 111 Rn. 40. 588 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1965 (1928), S. 126. 589 Das „rechtsstaatliche Verteilungsprinzip“ geht indes vom Schutz der Bürgerfreiheit als „‚Sinn und Ziel‘, als ‚telos‘ der ‚modernen bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassung‘“ aus. (J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 61 m. w. H.). 590 A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 39.
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dingtheit individueller Freiheit. 591 592 Noch kann der Konzeption – aus den gleichen Gründen – der Vorwurf der Unredlichkeit 593 entgegen gehalten werden. Grenzenlose Freiheit wird von vornherein nicht suggeriert. Die prima-facie-Schutzwirkung wird im Falle eines Eingriffs in den grundrechtlichen Schutzbereich ausgelöst. 594 Schutzbereich und Eingriff stehen somit in einem sehr engen, wenn auch, dogmatisch gesehen, nicht untrennbaren Zusammenhang.595 Besteht im Rahmen der Prinzipienfreilegung die Notwendigkeit einer eingriffsbezogenen Schutzbereichsdefinition, so darf der Eingriffsbegriff nicht derart eng gewählt werden, dass er die Bemühungen nach Optimierung der Grundrechte bzw. größtmöglicher Effizienz des Grundrechtsschutzes zunichte macht. 596 Der staatlicherseits erfolgende Eingriff kann sowohl durch Normen oder Einzelfallregelungen, jedoch auch mittels faktischer, influenzierender oder indirekter Einwirkungen erfolgen. 597 Letzlich ist im Rahmen der Eingriffsbestimmung auf die zurechenbaren Wirkungen staatlichen Handelns abzustellen. 598 Einzelheiten lassen sich freilich nur anhand des einzelnen Grundrechts klären.
IV. Schrankenvorbehalte als Verständnishilfen im Rahmen der Prinzipienfreilegung Was Grundrechte als subjektiv-öffentliche Rechte betrifft, so wird im Zusammenhang mit der „Außentheorie“ zwischen dem „Recht an sich“ und der Schranke differenziert. Zwischen dem „Begriff des Rechts und dem Begriff der Schranke“ soll „keine notwendige Beziehung bestehen“. 599 Ungeachtet des Umstandes, dass sich prima-facie-Rechte und Prinzipien begrifflich und strukturell voneinander unter591 Das Menschenbild des GG beinhaltet nach Auffassung des BVerfG die Vorstellung „vom Menschen als eigenverantwortliche Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet“. (BVerfGE 32, 98 ff. (107 f.)). 592 Wie hier im Ergebnis auch A. v. Arnauld (ders., in: Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 18), der allerdings unzutreffenderweise davon ausgeht, dass die Einbeziehung eines Verhaltens in den Schutzbereich eines Grundrechts noch nichts über die Einstellung der Rechtsordnung zu diesem Verhalten aussagt. Dem widerspricht der axiologische Ableitungszusammenhang zwischen der Menschenwürdegarantie und den Grundrechten, der von vornherein auch die jeweiligen Schutzbereiche betrifft (vgl. hierzu: 4. Kapitel § 1 I). 593 Vgl. hierzu A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 40. 594 Vgl. A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 108. 595 Gegen eine Verknüpfung des Eingriffsbegriffs mit dem Tatbestand der Grundrechtsnorm spricht sich M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 38 f. aus. 596 Insoweit zutreffend A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 108 f. 597 Vgl. mit Blick auf die Eigentumsgarantie R. Wendt, M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 52 f. 598 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27. 599 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 250.
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scheiden 600, muss Gleiches konsequenterweise für das Verhältnis von Prinzipien und Schranken zueinander gelten. 601 Dies steht freilich der Nutzbarmachung grundrechtlicher Schrankenvorbehalte im Rahmen der Systemanalyse nicht im Weg. Bei diesen handelt es sich um bloße Eingriffstitel, die dem Gesetzgeber den Ermächtigungsrahmen zur Einschränkung grundrechtlicher Freiheit einräumen. Ist demgegenüber im oben erläuterten Sinne von Grundrechtsschranken die Rede, so sind damit Schranken im engen, d. h. eigentlichen Sinne gemeint. Hier hat der Gesetzgeber bereits von seiner Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht, d. h. gesetzliche Vorschriften formuliert, die die grundrechtliche Freiheit einschränken. An dieser Stelle treten erneut die strukturellen Unterschiede zwischen einer systeminternen und systemexternen Betrachtungsweise zutage: Schranken im eigentlichen Sinne funktionieren letztlich nur in Abwägungsmodellen. Sie werden im konkreten, grundrechtlichen Fall auf prima-facie-Positionen mit dem Ziel „angewendet“, definitive Positionen zu erzeugen. Daraus erwächst das, was dem einzelnen Grundrechtsträger einklagbar zusteht. 602 Ein abstraktes System, wie es den Untersuchungsgegenstand bildet, erweist sich indes als nicht fähig, definitive Postionen zu erzeugen, denn es ist strukturell so ausgestaltet, dass es allenfalls (globale) Vorentscheidungen für im Einzelfall vorzunehmende Abwägungen trifft. Schranken im engeren Sinne finden damit, anders als in Prinzipien- bzw. Abwägungsmodellen, keinen hinreichend bestimmten Anknüpfungspunkt. Damit zielt die systemexterne Schrankenziehung auf den Ausgleich gegenläufiger Interessen von Verfassungsrang, während das wirtschaftsverfassungsrechtliche System – dem vorangehend – Interessen von Verfassungsrang formuliert, d.h. Prinzipien konstituiert und in diesem Zusammenhang auf Schrankenvorbehalte (Schranken im weiteren Sinne) zurückgreifen möchte. 603 Was die Konstituierung von Prinzipien betrifft, so nehmen Schrankenvorbehalte freilich nicht die Rolle von inhaltsbestimmenden Faktoren ein. Denn um die grundrechtliche Freiheit inhaltlich zu erfassen, bedarf es keines argumentativen Rückgriffes auf einen Schrankenvorbehalt. Prima-facie600 So sind prima-facie-Rechte Substrate prima-facie-Positionen erzeugender Prinzipien. Sie ermöglichen ggf. den Rückschluss auf Prinzipien. Der Normbefehl ist wegen der bezweckten Individualbegünstigung bei prima-facie-Rechten im Vergleich zu Prinzipien konturierter; vgl. hierzu M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998, S. 101. 601 Vgl. Fn. 561. 602 Die Anwendung von Prinzipien im Abwägungsmodell ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung; vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 5 I. 2. Eine instruktive, wirtschaftsverfassungsrechtlich relevante Darstellung der Funktionsweise von Abwägungs- bzw. Prinzipienmodellen findet sich bei J.-R. Sieckmann (ders., Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz im deutschen und britischen Recht, 1999, S.17 ff.; vgl. schon ders., Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 37 ff., vor allem S. 72 f. und S. 339 ff.). 603 Da Schranken „im engen Sinne“ ohnehin keine Bedeutung im abstrakten, wirtschaftsverfassungsrechtlichen System entfalten, werden folgend die Begriffe „Schranke“ und „Schrankenvorbehalt“ synonym verwendet.
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Gewährleistungen, gleichgültig ob als subjektives Recht oder nur als objektivrechtliche Verbürgung gefasst, bringen ja gerade das zum Ausdruck, was ungeachtet der gesetztlichen Einschränkungsmöglichkeiten gewährt wird. 604 Die Heranziehung von Schrankenvorbehalten dient vielmehr axiologischen und grundrechtsagumentatorischen Gesichtspunkten, d. h. hat allenfalls eine die jeweils ermittelten Prinzipien erklärende und stützende Natur. So liefern Schrankenvorbehalte zunächst den Anreiz, nach den Gründen für die Einschränkbarkeit und für die Art und Weise der Einschränkung der grundrechtlichen Freiheit zu fragen. Umgekehrt kann das Fehlen eines ausdrücklichen Schrankenvorbehalts den Anlass dafür bieten, die Ursachen für die vorbehaltslose Gewährleistung zu ermitteln. Antworten auf all die damit zusammenhängenden Fragen kann wiederum nur derjeinige erlangen, der den Wert des grundrechtlichen Schutzgutes im Auge behält. Mit seiner Hilfe lässt sich – wenn auch nicht notwendigerweise zwingend – die Schrankenhandhabung begründen. 605 Präziser: Schrankenvorbehalte fungieren im System als Gewichtungsfaktor für den grundrechtlichen Freiheitssektor, dem sie zugeordnet sind. 606, 607 So lässt sich kaum leugnen, dass neben anderen Aspekten auch die Formulierung des jeweiligen grundrechtlichen Schrankenvorbehaltes und seine Handhabung durch das Bundesverfassungsgericht oder aber der gänzliche Verzicht auf die ausdrückliche Statuierung eines Schrankenvorberhaltes Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Wertschätzung des betroffenen grundrechtlichen Schutzgutes und die Stellung der jeweiligen grundrechtlichen Freiheit im verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhang gestatten. Dies gilt beispielsweise für einen auf der Prinzipienebene begründeten Wertrang innerhalb des Grundrechtstatbestandes.608 Aus diesen Zusämmenhängen rührt auch die fragwürdige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 Abs. 1 GG her. 609 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 273. Noch weitergehender W. Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, 1968, S. 109 ff. m. w. N. 606 Damit ist aber nicht gemeint, dass Schrankenvorbehalte stets den entscheidenden Gewichtungsfaktor bilden. Dies mag folgender Vergleich verdeutlichen: Was die körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) betrifft, so sind Schrankenvorbehalte ausdrücklich formuliert. Die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit sind hingegen vom Wortlaut her gesehen vorbehaltslos gewährleistet. Niemand wird freilich behaupten, dass das zuerst genannte Schutzgut den zuletzt genannten im Wertrang nachsteht. 607 Gegen die abstrakte Gewichtung von Prinzipien spricht sich R. Alexy (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S. 146) aus. Demgegenüber verweist J.-R. Sieckmann (ders., Zur Begründung von Abwägungsurteilen, in: Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (58 ff.)) zutreffend darauf, dass Prinzipien durchaus mittels bestimmter Kriterien ein abstraktes Gewicht zugeordnet werden kann, wobei auch er seine Betrachtung auf die Funktionsweise von Prinzipien in Abwägungsmodellen beschränkt; vgl. Fn. 802; vgl. auch Fn. 331 und 1725. 608 Vergleiche zu den aus der Ausformung der Schrankenvorbehaltsstruktur folgenden axiologischen Schlüssen, die die Stellung der Teilgewährleistungen im Grundrechtstatbestand von Art. 12 Abs. 1 GG betreffen auch die Ausführungen im 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 609 Das vom Wortlaut unmissverständlich geforderte unterschiedliche Gewicht der Teilgewährleistungen der Berufsfreiheit wird hier nicht auf der Schutzbereichsebene, sondern dadurch erzeugt, dass auf der Rechtfertigungsebene mit steigender axiologischer Bedeutung ein 604 605
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Grundrechtliche Schrankenvorbehalte bzw. ihre Absenz können damit verdeutlichen, was ein grundrechtliches Schutzgut „wert“ ist. Umgekehrt gilt: Aus ihrer Wertstellung heraus verlangen grundrechtlich gewährleistete Freiheitsfelder u. U. nach spezifischen Schrankenvorbehalten. Ein „Hin-und-her-wandern“ des Blickes fördert das Verstehen der Zusammenhänge und ermöglicht Wertungen bezüglich der Stellung von Prinzipien im System. Die Sinnzusammenhänge innerhalb des Systems lassen sich auf diesem Wege erschließen. Einem möglichem Missverständniss sei bereits hier entgegengetreten. Wird im Rahmen der Analyse von Wirtschaftgrundrechten mit Werträngen gearbeitet, so darf dies nicht als Versuch verstanden werden, eine vollständige und geschlossene axiologische Hierachie der (Wirtschafts-)Grundrechte zu errichten. Die Formulierung „Wertrang“ verfolgt in diesem Zusammenhang ausschließlich den Zweck, im Rahmen einer grundrechtsinternen Betrachtung den Nähegrad des jeweiligen Grundrechtsinhaltes zur Menschenwürdegarantie zum Ausdruck zu bringen. Die bereits erörterten ernstzunehmenden Bedenken können so entkräftet werden. 610 Neben der axiologischen Bedeutung von Schrankenvorbehalten im System erscheint es denkbar, dass sie freigelegte Prinzipien bzw. Prinzipieninhalte erklären oder stützen können. Dies kann dadurch geschehen, dass die Schrankennorm unter gewissen Umständen in die gleiche Richtung streitet wie die prima-facie-Freiheit und ihr Erklärungsgehalt insoweit über die schlichte Aussage hinausreicht, wonach die Schranke bei Nichtvorliegen ihrer Voraussetzungen nicht eingreift, sondern prima facie die Freiheit gilt. Die Einbettung von Schrankenvorbehalten in den systematischen Gesamtzusammenhang fördert nach alldem die Darstellung und Verwirklichung der inneren Einheit des Analysegebietes.
V. Die Berücksichtigung von Grundrechtskonkurrenzen im abstrakten System Die Verknüpfung von Grundrechten als Prinzipien zur Herstellung der Zweibezüglichkeit wirft die Frage nach der Berücksichtigung von Grundrechtskonkurrenzen als Teilbereich der Grundrechtsdogmatik auf. 611 In der Tat ergeben sich mit strengerer Maßstab an staatliches Eingriffshandeln angelegt wird. Wird in dieser Judikatur, entgegen dem klaren Wortlaut, auch die Anwendung eines einheitlichen Schrankenvorbehaltes (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) propagiert, so zeigen die Modifikationen auf der Rechtfertigungsebene, dass dieses Ergebnis aus axiologischen Gründen nicht durchzuhalten ist. Die Drei-Stufen Theorie ist insofern nicht nur ein Fall der angewandten Verhältnismäßigkeit, sondern vor allem auch ein Tribut an den Wortlaut und die axiologische Bedeutung der benannten Schrankenvorbehaltsstruktur (Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. Kritisch auch W. Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, 1968, S.110. 610 Vgl. hierzu auch 3. Kapitel § 4 II. 611 Vgl. allgemein zum Problemkreis, insbes. zur Abgrenzung von Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen L. H. Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, 1978, passim. 9*
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Blick auf die hier unternommene abstrakte Betrachtungsweise insofern Zweifel, denn gleichermaßen wie im Straf- oder Zivilrecht lassen sich Grundrechtskonkurrenzen letztlich nur anhand des Einzelfalles, d. h. nach der vorliegenden Sprachregelung „systemextern“, auflösen. 612 Sie gleichen insofern Grundrechtskollisionen im konkreten Fall. Dennoch erscheint eine begrenzte systeminterne Nutzbarmachung des Problembereichs möglich. So kann die Feststellung, dass ein Verhalten eines Grundrechtsträgers mehrere Grundrechte auf den Plan ruft, durchaus als Ausgangspunkt dafür dienen, einen wertenden Rückschluss mit dem Ziel einer Verhältnisbestimmung zwischen den Systembestandteilen vorzunehmen. Denn der Schutz einer freiheitlichen Verhaltensweisen durch mehrere Grundrechte kann auf ganz grundsätzlichen Überlegungen, wie z. B. der Annahme einer besonderen Wertigkeit der Betätigung o. Ä., beruhen. Schließlich können die so ermittelten abstrakten Aussagen ihrerseits einen Beitrag für Wertungen im System – so bei der Gewinnung der Leitprinzipien – liefern, aber auch bei systemexternen Abwägungen Berücksichtigung finden. 613 Was den Aspekt „Grundrechtskonkurrenzen“ im Rahmen der Systemanalyse betrifft, so lassen sich mit den Worten von K. Stern bereits „auf der abstrakt-generellen Ebene bereits einige Aussagen machen“. 614, 615 Dies gilt sowohl für den „allgemeinen Teil“ der Lehre von den Grundrechtskonkurrenzen, als auch für das Verhältnis einzelner Grundrechte zueinander. 616 Klassischerweise wird beispielsweise zwischen der Gesetzeskonkurrenz und der Idealkonkurrenz unterschieden. 617 So weisen Grundrechte ihrerseits gemeinsame axiologische Ursprünge auf; die durch sie geschützten Verhaltensweisen überschneiden sich regelmäßig. 618 Es bleibt festzuhalten: Das abstrakte System trifft, auch hinsichtlich der Lösung von Grundrechtskonkurrenzen, axiologische Vorentscheidungen, die im Rahmen eiVgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1377. Die hier erfolgte Einschätzung wird offenbar auch von W. Berg (ders., Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, 1968, S. 109 ff.) vertreten, wenn er aus den Schrankendivergenzen einzelner Grundrechte Wertigkeiten ableitet, die für die Lösung von Konkurrenzproblemen einen abstrakten Ansatzpunkt bieten, d. h. mitentscheidend sein sollen. Freilich kann der Vergleich der Schrankenvorbehalte nur ein Indiz für die Wertigkeit der infragestehenden Grundrechte bieten; vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 IVund in der praktischen Anwendung des dort Gesagten: 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 614 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1377. 615 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. b), 4. Kapitel § 2 I. 5. c), 4. Kapitel §2 III. 3. a) sowie schließlich umfassend 4. Kapitel § 3. 616 Eine neuere Untersuchung zur Konkurrenzproblematik (vgl. R. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 243) zieht im Anschluss an die Analyse der Eigentumsgarantie zutreffend „allgemeine Schlußfolgerungen“ hinsichtlich des Verhältnisses zu den übrigen Freiheitsrechten. 617 Kritisch A. Bleckmann/C. Wiethoff, Zur Grundrechtskonkurrenz, in: DÖV 1991, S. 722 ff. (724). 618 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 3 II. 612 613
§ 1 Grundrechte als Konstitutionsprinzipien
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ner sich anschließenden systemexternen Einzelfall(-kollisions)lösung mit zu berücksichtigen sind. 619
VI. Schutz der Essentialia durch die Wesensgehaltsgarantie Art. 19 Abs. 2 GG verlangt, dass der Wesensgehalt jeder einzelnen Grundrechtsbestimmung unangetastet bleibt. Die hier erfolgende Untersuchung kann die Kontroversen darüber, inwiefern der Wesensgehaltsschutz in die Systembetrachtung einzubeziehen ist und welche Rolle er für Grundrechte als Prinzipien – letztlich auch systemextern – spielt, weitgehend unbeachtet lassen. Denn soweit die damit zusammenhängenden Fragen für die hier erfolgende Betrachtung fruchtbar gemacht werden müssen, liefert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts per se genug Ansatzpunkte zur Gewinnung eines überzeugenden Standpunktes. So kann der verfassungsrechtlichen Judikatur seit längerem entnommen werden, dass die Wesensgehaltsgarantie neben dem (objektiven) Kerngehalt der grundrechtlichen Prinzipien auch (subjektive) grundrechtliche Positionen Einzelner schützt. 620 Darüber hinaus muss der Wesensgehalt für jedes Grundrecht mithilfe einer systematischen Betrachtung gesondert ermittelt werden. 621 Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass der Wesensgehalt eines jeden Grundrechts „nach dem klaren Wortlaut des Art. 19 Abs. 2 GG ‚in keinem Fall‘ angetastet werden“ darf und deshalb „die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff ausnahmsweise trotzdem zulässig sei“, gegenstandslos ist. 622 Die Wesensgehaltsgarantie, so das Bundesverfassungsgericht, würde „einen letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung“ abschirmen, „der der öffentlichen Gewalt schlechterdings entzogen“ sei. 623 Damit wird folgendes deutlich: Das Grundgesetz hält für jedes Grundrecht eine im Rahmen der Systemfreilegung näher zu bestimmende, unantastbare Verfas619 Offenbar jede Relevanz abstrakter Relationen strikt ablehnend M. Degen, Pressefreiheit, Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie, 1981, S. 295 f.; W. Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 GG, 2000, S. 3 (Fn. 13). 620 Vgl. beispielsweise BVerfGE 6, 32 ff. (41); E 7, 377 ff. (411); E 16, 194 ff. (201); E 22, 180 ff. (219); E 27, 344 ff. (351 f.); vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 268 (m. w. N.). In einer frühen Entscheidung hatte das BVerfG noch festgestellt: „Es kann dahingestellt bleiben, ob Art. 19 Abs. 2 GG die restlose Entziehung eines Grundrechts im Einzelfall verbietet oder ob er nur verhindern will, daß der Wesenskern des Grundrechts als solchen, z.B. durch praktischen Wegfall der im Grundgesetz verankerten, der Allgemeinheit gegebenen Garantie angestastet wird“ (BVerfGE 2, 266 ff. (285).; erneut offengelassen in BVerfGE 45, 187 ff. (270 f.). 621 Vgl. BVerfGE 22, 180 ff. (219). 622 Vgl. BVerfGE 7, 377 ff. (411). 623 BVerfGE 80, 367 ff. (373); vgl. bereits BVerfGE 6, 32 ff. (41).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
sungssubstanz bereit. Geschützt sind bestimmte Wesenselemente der Grundrechte als Prinzipien. Von der Wesensgehaltsgarantie sind außerdem die mittels Prinzipien erzeugten subjektiven Rechte Einzelner in ihren Grundzügen erfasst. Die Schutzwirkungen des Art. 19 Abs. 2 GG kommen im Endeffekt auf der systemexternenen Ebene zum Tragen. Denn die Wesensgehaltsbestandteile der jeweils in die Abwägung einfließenden prima-facie-Forderung konstituieren den abwägungsresistenten Teil derselben, d. h. den Teil der prima-facie-Forderung, der auch unter Berufung auf ein gegenläufiges Verfassungsgut nicht zurückgedrängt werden kann. Daher kann, auch im Rahmen von Abwägungen, unter normalen Umständen von einem „absoluten Schutz“ gesprochen werden. 624 Im Rahmen der hier erfolgenden Systembetrachtung hat das Abwägungsprozedere nicht weiter zu interessieren. Dem Systematiker wird vielmehr die Aufgabe zuteil, sofern das überhaupt möglich ist, die Wesensgehaltelemente der analysierten Wirtschaftsgrundrechte zu ermitteln und im Rahmen der weiteren Prinzipiengewinnung mit dem Ziel zu berücksichtigen, die „innere“ Einheit des Analysegebietes „Wirtschaftsverfassung“ darzustellen und zu verwirklichen.
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte – Basis und Prozess der grundrechtlichen Argumentation Grundrechte als Prinzipien beinhalten in erster Linie Forderungen an den Staat. Zum einen in Bezug auf die Existenz und den Inhalt von einklagbaren Rechten. 625 Dieser Aspekt ist gemeint, wenn subjektive Rechte als Ausfluss der Prinzipienebene bezeichnet werden. Zum anderen strahlt das (deontische) Geltungsverlangen von Grundrechtsprinzipien in alle Bereiche des (Wirtschafts-)Rechts ein. Von der konkreten verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechts als Abwehrrecht des Individuums ausgehend, verlangt die Prinzipienexegese, dass die in der jeweiligen Grundrechtsgarantie enthaltenen Wertentscheidungen freigelegt werden. Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht dabei die Frage nach dem jeweiligen Sinn der ermittelten Wertentscheidungen im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System. Prinzipienexegese kann deshalb nicht in einem rein technischen Sinne verstanden werden. Gerade wenn es darum geht, die jeweiligen Grundrechtsinhalte und -dimensionen zu abstrahieren, um daraus Prinzipien zu formulieren, so muss auf eine fundierte grundrechtliche Argumentation zurückgegriffen werden, wenn sich der Systematiker nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen will, insofern nur „Worthülsen“ zu produzieren. So hat die Feststellung, dass die Berufsfreiheit „gesollt“ ist, für sich genommen wenig praktischen Nutzen. Die grundrechtliche Argumentation als Mit624 625
R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 272. Vgl. J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 19.
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte
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tel zum Verständnis der Grundrechte als Prinzipien im „inneren“ System muss früher ansetzen. Sie fordert, die jeweilige Grundrechtssubstanz zu sammeln, sie zusammenzufügen und mittels wertenden Rückschlusses die ratio legis und damit den Prinzipieninhalt zu ermitteln. Erst jetzt macht der Hinweis auf das „Gesolltsein“ einen Sinn; der prinzipielle Gestaltungsauftrag, d.h. die Wirkweise des Prinzips, kann ermittelt werden. Hieran anknüpfend kann schließlich eine Vernetzung, d. h. die Herstellung der Zweibezüglichkeit im System, mit dem Ziel erfolgen, eine weitere Abstraktionsebene zu betreten. Der grundrechtlichen Argumentation wird nach alldem eine Schlüsselfunktion zuteil. Zu unterscheiden ist zwischen der Basis, auf die zurückgegriffen werden kann und die der Argumentation letztlich Festigkeit verleiht und dem Prozedere des (grundrechtlichen) Argumentierens. 626 Was die „Basis“ betrifft, so ist dreierlei zu unterscheiden: Verfassungsgesetz, Präjudiz und Dogmatik. 627 Bislang haben sich die Ausführungen im Wesentlichen darauf beschränkt, eine Verhältnisbestimmung von Verfassungsgesetz und Prinzipienebene vorzunehmen und die allgemeinen Parameter der Grundrechtsinterpretation zu erläutern. Sie waren also überwiegend dogmatischer Natur. Im Folgenden soll der Schwerpunkt der Betrachtungen auf den Faktoren „Verfassungsgesetz“ und „Präjudiz“ liegen. Die Analyse des Verfassungsgesetzes fragt nach Wortlaut und Wille der jeweiligen Grundrechtsbestimmung, sie greift daher vor allem auf eine semantische und genetische Interpretation zurück.628 Bereits auf der „Basisebene“ spielt zudem die Einbindung in den systematische Kontext eine besondere Rolle. Allenfalls hilfsweise treten historische Erwägungen hinzu. Die Enscheidungen des Bundesverfassungsgerichts liefern in diesem Kontext wichtige, aber dennoch kritisch zu hinterfragende Interpretationshilfen. Zielen grundrechtliche Prinzipien auf prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit, so interessiert bei der Bestimmung der Basis der juristischen Argumentation vor allem der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts. Die Bestimmung des Schutzbereichs kommt dabei gegebenfalls ohne eine „Eingriffsbetrachtung“ nicht aus. 629 Aber auch die Klärung der Grundrechtsträgerschaft ist genauso wichtig, wie die Berücksichtigung von Fragen der Schrankenziehung und -handhabung, da sich aus diesen Aspekten Erklärungen für die Struktur des Systems ergeben könnten. All dies erscheint nicht möglich, ohne zugleich auch relevante „Präjudizien“, d. h. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kritisch zu hinterfragen.
Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 501, 521. Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 501. 628 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1996, S. 289 ff. 629 Erinnert sei an das in der Grundrechtslehre praktizierte Verfahren der „eingriffsbezogenen Schutzbereichsdefinition“; vgl. hierzu B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 2003, Rn. 236. 626 627
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Stellt man nur auf die „Basis“ ab, so verbleibt eine „beträchtliche Rationalitätslücke“. 630 So wird die grundrechtliche Argumentation durch die gewonnene bzw. freilzulegende „Basis“ zwar weitgehend, aber eben nicht vollständig determiniert. Die gewonnene Grundrechts-„Basis“ kann zudem in sich Lücken, Widersprüche und Unklarheiten aufweisen. Daraus entstehende Zweifel vermag erst der „Prozess“ der Argumentation zu schließen. Hierbei darf nicht übersehen werden, in welchem Zusammenhang die Grundrechte vorliegend analysiert werden: Gemeint ist der Systemzusammenhang. Grundrechtlich zu argumentieren meint zugleich systematisch zu argumentieren. Systematische Erwägungen spielen zwar auch bei der „Basisgewinnung“ eine Rolle. Hier jedoch nur insoweit, als es darum geht, die jeweilige Grundrechtssubstanz aufzubereiten. Die dynamische Komponente des Systembegriffs fordert darüber hinaus mit Blick auf die Grundrechte als Bestandteile eines „inneren“ Systems eine Berücksichtigung der grundrechtsübergreifenden, mehr noch: der wirtschaftsverfassungsübergreifenden Zusammenhänge und daraus die Abstrahierung weiterer Prinzipien. Zur Lösung von Zweifelsfragen trägt ein axiologisch-teleologisches Verständnis bei. Es prägt den Prozess des grundrechtlichen Argumentierens ganz entscheidend.
I. Stellung und Inhalte der Berufsfreiheit als Prinzip Wirtschaften meint Handeln unter dem Gesichtspunkt des Erwerbsnutzens. Der Beruf dient dem Erwerb. Aus diesem Grunde verkörpert Art. 12 Abs. 1 GG das klassische Wirtschaftsgrundrecht. 631 Als Prinzip stellt die Berufsfreiheit hinsichtlich der Existenz und des Inhaltes des geschützten Freiheitsfeldes zahlreiche Forderungen an den Staat. Mannigfaltige Wertungsprobleme stellen sich in diesem Zusammenhang: Inwiefern erscheint die Berufsfreiheit rechtlich und faktisch als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie? 632 Wer wird durch das Prinzip geschützt? 633 Wie weit reicht das zentrale Tatbestandsmerkmal „Beruf“? 634 Wie können sich Inhalte der Grundrechtsgewährleistung aus der Grundrechtsstruktur gewinnen lassen und welche axiologische Bedeutung wird ihnen, auch im Verhältnis untereinander, zuteil? 635 Und schließlich: Welche Gewährleistungsdimensionen können aus der Prinzipienebene abgeleitet werden? 636 630 631 632 633 634 635 636
R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 520. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 79. Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1 und 4. Kapitel § 2 I. 2. Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 3. Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 4. Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 5. Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 6 und 4. Kapitel § 2 I. 7.
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte
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1. Berufsfreiheit als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie Den erwähnten, unauflöslichen Zusammenhang von individuellem Mensch-Sein, Persönlichkeit-Sein und Wahrung der Menschenwürde hat das Bundesverfassungsgericht im Apothekenurteil aufgegriffen und für die Auslegung des Grundrechtes der Berufsfreiheit fruchtbar gemacht. Nach der „Gesamtauffassung des Grundgesetzes“ sei „die freie menschliche Persönlichkeit der oberste Wert“. Die „Persönlichkeit des Menschen im ganzen“ könne sich erst dadurch vollenden, „daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich einen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt“. Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewinne dadurch an „Bedeutung für alle soziale Schichten“. Letztlich habe „die Arbeit als ‚Beruf‘ [..] für alle gleichen Wert und gleiche Würde“. 637 Artikel 12 Abs. 1 GG sei somit bereits „seiner Idee nach“ mit der Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit eng verknüpft und auch deshalb „praktisch von größter Bedeutung für die gesamte Lebensgestaltung jedes Einzelnen [..] – im Gegensatz zu den Grundrechten, die nur der Abwehr gelegentlicher Einzeleingriffe der öffentlichen Gewalt dienen“. 638 Der wirksame Schutz dieses Grundrechts verlange, „gesetzlichen Eingriffen hier grundsätzlich enge Grenzen zu ziehen.“ 639 Historische Vorbilder für diese Einschätzung findet das Bundesverfassungsgericht in den Essentialia der Aufklärungsphilosophie von J. Locke oder I. Kant. 640 Locke, ein Vertreter der frühbürgerlichen Rechts- und Staatsphilosophie, hatte unter Bezugnahme auf die christliche Arbeitsethik die menschliche Arbeit als natürliche Quelle des Eigentums und zugleich als den entscheidenden Faktor aller Wertschöpfung gekennzeichnet. 641 Kant erkannte in ihr gar den „Endzweck“ des Menschen. 642 An dem interpretatorischen Bezug zur Menschenwürdegarantie ändert die Einschätzung nichts, dass das Bundesverfassungsgericht den im Rahmen der Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG rekrutierten Persönlichkeitsbezug wohl in erster Linie mit Art. 2 Abs. 1 GG denn mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung bringen wollte. 643 Die Begründungskette lässt sich auch in diesem Fall schließen, denn Art. 2 Abs. 1 GG ist von seinem Kerngehalt her die „wegweisende Konkretisierung der Menschenwür637 BVerfGE 7, 377 ff. (397); verstärkt in BVerfGE 50, 292 ff. (362); vgl. auch Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 1 Rn. 68. 638 BVerfGE 7, 377 ff. (400); vgl. hierzu auch H. Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Sozialstaat, 1977, S. 55 ff. 639 BVerfGE 7, 377 ff. (400). 640 Vgl. hierzu F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2914); vgl. zur Rechtsprechung: BVerfGE 7, 377 ff. (397); E 13, 97 ff. (104); E 30, 292 ff. (334); E 50, 290 ff. (362). 641 John Locke, Über die Regierung, V. 642 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 388 ff. 643 BVerfGE 13, 97 ff. (104); E 13, 181 ff. (185); E 30, 292 ff. (334); E 54, 301 ff. (313); E 63, 266 ff. (286); E 71, 183 ff. (201); E 81, 242 ff. (254); E 82, 209 ff. (223).
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de“. 644 Setzt das Bundesverfassungsgericht die freie menschliche Persönlichkeit mit dem obersten Wert der Verfassung gleich, so kann es damit nur die (konkretisierte) Menschenwürde meinen, denn nur dieser wird unzweifelhaft eine derart dominierende Rolle zuteil. 645 Tatsächlich führt die Verknüpfung von Menschenwürdegarantie, Persönlichkeitsentfaltung und Berufsfreiheit (anthropologische Bedeutung) zu der beschriebenen interpretatorischen Determinationswirkung auf der Prinzipienebene.646 Es gilt das bislang für die Grundrechte allgemein formulierte Postulat nunmehr spezifiziert: Die Garantie der beruflichen Freiheit dient der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie. 647 Dies geschieht dadurch, dass sie dem Individuum die Möglichkeit vermittelt, an der Gestaltung der Wirklichkeit beteiligt zu sein. Auf diesem Wege wird es ihm möglich, seine eigene Persönlichkeit mittels der ihm eigenen Schaffenskraft zu verobjektivieren. Dadurch tritt der Einzelne „aus sich heraus“ und gewinnt „als schaffendes Wesen [...] einen Teil seiner Identität und Selbstachtung“. 648 Die Freiheit des Berufes bezieht sich damit nicht nur auf die wirtschaftliche, sondern vor allem auf die geistig-moralische Existenzgrundlage des Menschen.649 Nimmt man dem Einzelnen die wirtschaftliche oder geistig-moralische Existenzgrundlage oder gar beides, so beraubt man ihn dessen, was Menschenwürde ausmacht. 650 Beide Elemente sind keine theoretischen Größen, sondern werden entscheidend durch wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Realitäten geprägt, weshalb zu Recht gefordert wird, dass sich die Verfassungsinterpretation den realen Problemlagen dieses Grundrechts stellen muss. 651
U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 2. Einen systematischen Zusammenhang zwischen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG stellen u. a. folgende Autoren her: P. Badura, Grundfreiheiten der Arbeit. Zur Frage einer Kodifikation „sozialer Grundrechte“, in: FS für F. Berber, 1973, S. 11 ff., S. 24 ff.; P. Häberle, Arbeit als Verfassungsproblem, in: JZ 1984, S. 345 ff., S. 351; G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Abs. 1 Rn. 4; R. Wendt, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, in: DÖV 1984, S. 601 ff., S. 601 f. 646 Vgl. hierzu: 4. Kapitel § 1 I. 647 Vgl. auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. II, 2001, Art. 12 Rn. 12. Von einem engen Verhältnis zwischen der Berufsfreiheit und der Menschenwürde geht auch G. Manssen aus (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 4.). 648 H.-P. Schneider, Freiheit des Berufs – Grundrecht der Arbeit, in VVDStRL 43 (1985), S. 7 ff., 15. 649 Vgl. F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2914 f.). 650 Vgl. zur geistigmoralischen Existenz als Kernelement der Menschenwürdegarantie Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 16. Das Bundesarbeitsgericht hat die Bedeutung der wirtschaftlichen Existenzsicherung für die Menschenwürde offen ausgesprochen. Dort heißt es: „Die Möglichkeit zu arbeiten und die wirtschaftliche Existenzgrundlage zu sichern, sind für die Würde des Menschen wesentlich“ (BAGE 33, 185 ff. (191 f.)). 651 Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 26. 644 645
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2. Erkenntnisse der Berufssoziologie zur Bedeutung des Faktors „Beruf“ für die Persönlichkeitskonstituierung Rechtsprechung 652 und Schrifttum 653 haben wegen der genannten Gründe im Rahmen der Grundrechtsinterpretation von Art. 12 GG wiederholt rechtssoziologische Erkenntnisse zur Ermittlung realer Zusammenhänge bemüht.654 Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise seine Erwägungen im so genannten Kassenarzt-Urteil maßgeblich auf sozio-ökonomische Untersuchungen zum Beruf des Arztes gestützt. 655 Der Rückgriff auf soziologische Untersuchungen zum Zwecke der Verfassungsinterpretation kann nicht verwundern, denn die Bestimmung von Wechselwirkungen zwischen der Rechtsordnung und der sozialen Wirklichkeit ist ein zentrales Anliegen der Rechtsidee mit ihren Konkretisierungen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. 656 Das ausgestaltete Recht kann sich zunächst nur auf die Erwartung stützen, gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. Rechtssoziologische Erkenntnisse verschaffen hingegen die Gewissheit über Gelingen oder Misslingen dieses Unterfangens und geben darüber hinaus Anregungen für die zukünftige Ausgestaltung des Rechts. Daneben haben diese Untersuchungen aber auch den Vorteil, dass 652 BVerfGE 11, 30 ff.; vgl. hierzu auch L. Fröhler/G. Mörtel, Der Berufsbegriff des Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: GewArch. 1979, S. 105 ff. u. 145 ff. (105 f.). 653 Vgl. z. B. H. A. Hesse, Der Einzelne und sein Beruf: Die Auslegung des Art.12 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht aus soziologischer Sicht, in: AöR 95 (1970), S. 449 ff.; G. Hoffmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, 1981, S. 30 ff. u. 87 ff.; weitere berufssoziologische Abhandlungen: H.-H. Noll, Soziale Indikatoren für Arbeitsmarkt und Beschäftigungsbedingungen, in: W. Glatzer/W. Zapf, Lebensbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 97 ff.; G. Steinhilper, in: FS für R. Wassermann, 1985, S. 1061 ff. Zustimmend im Hinblick auf die Einstufung der Berufssoziologie als Element der Grundrechtspinterpretation wohl auch R. Breuer (vgl. ders., in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 26 ff.). 654 Berufssoziologische Überlegungen sind in der Regel auf zwei Erwartungen gestützt: Zum einen sollen die Bedingungen sozialen Handelns unter Bezugnahme auf die Rechtsordnung ermittelt werden. Zur Kategorisierung dienen so genannte Handlungschancen, die das Individuum entweder faktisch vorfindet oder die es sich auf anderem Wege zu Eigen macht und denen letztlich die Bedeutung zuteil wird, über das Lebensschicksal zu bestimmen. Zum anderen soll die soziologische Auseinandersetzung mit den Berufen einen Beitrag zur Lösung der Problematik der sozialen Ungleichheit leisten. 655 Anknüpfend an statistische Erhebungen der Jahre 1895, 1931 und 1958 legte das BVerfG seiner Entscheidung die Annahme zugrunde, dass den Ärzten ohne Kassenarztzulassung ca. 80 % der Bevölkerung als Patienten vorenthalten seien. Im Falle einer Freigabe der Kassenarztzulassung hingegen, so das BVerfG, sei, eine Datenbasis bezogen auf den 1. Januar 1959 zugrunde gelegt, allenfalls mit einer Erhöhung der Zahl der Kassenärzte um ca. 12% zu rechnen. Insofern sei eine einschneidende Mehrbelastung der Krankenkassen kaum zu erwarten (BVerfGE 11, 30 ff. (44 ff.)). 656 Vgl. zur „Rolle des Wissens, der Selbstbeherrschung und der Sozialordnung für die Wanderung auf dem Wege zur Gerechtigkeit“ insbes. J. Stone, in: Lehrbuch der Rechtssoziologie, Bd. III, 1976, S. 325 ff. und zur Bedeutung der Rechtssoziologie für die Rechtswissenschaft: H. Ryffel, Rechtssoziologie, 1974, S. 208 ff.
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durch sie die gesellschaftliche Bedeutung und Wertschätzung einzelner Freiheitssektoren ermittelt werden kann. 657 In der Tat hat die Berufssoziologie die überragende personale Bedeutung der beruflichen Freiheit weithin bestätigt. 658 Die soziale Wertschätzung des Berufes als „Faktor der Persönlichkeitskonstituierung“ ist dabei nicht ausschließlich Gegenwartsphänomen, sondern beruht auf einer „bis in die Ständeordnung zurückreichenden Tradition der bürgerlichen Mittelschicht“. 659 Auch die mit dem Ausklingen des 20 Jh. einsetzenden Zeitgeistströmungen konnten an dieser Einstufung dauerhaft nichts ändern. 660 So waren die mit dem Ende der 60er Jahre laut gewordenen Forderungen nach Emanzipation von den gesellschaftlichen Leistungszwängen nur vorübergehender Natur. In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschien die soziale Bedeutung des Berufs einseitig auf die Funktion als Quelle zur Speisung einer hedonistisch-materialistischen Lebensform reduziert. Auch diese Entwicklung erscheint überwunden. Ausbildung, Arbeit und Beruf sind heute mehr denn je „Kristallisationspunkte der individuellen Freiheitsentfaltung und Selbstverwirklichung“. 661 Zugleich sind sie ein sichtbares Zeichen der wirtschaftlichen und sozialen Integration des Einzelnen in die „moderne, hochgradig arbeitsteilige und komplexe Gegenwartsgesellschaft“. Dabei fungiert der Beruf „aus individueller wie aus sozialer Sicht“ als das „prägende und verklammernde Element, dem die Phänomene der Arbeit und der Ausbildung zu- und untergeordnet sind“. Insofern kann vom Beruf als einer „zentralen gesellschaftlichen Institution“ oder einer zentralen Einrichtung zum Zwecke der Persönlichkeitsentfaltung gesprochen werden. 662 Der Beruf ist zwar ein Medium geblieben, welches der Selbstverwirklichung des Individuums dient. Seine „Okkupation durch die Gesellschaft“ ist allerdings nicht folgenlos geblieben. Gegenwartsbezogene Anforderungen wie Spezialisierung, Professionalisierung oder Mobilität sind reale Gegebenheiten, die den Freiheitsgebrauch faktisch lenken. Unter diesen Bedingungen kann die Wahrnehmung der Berufsfreiheit „nur in ständiger Interaktion und Kooperation mit anderen Grundrechtssubjekten verwirklicht werden“. 663 Die soziale Prägung der Identität des Individu657 Kritisch zur Rolle der Rechtssoziologie allerdings F. Bydlinski, in: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 84 ff. 658 Vgl. auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 13. 659 H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 13. 660 Anders H. Rittstieg, der diesbezügliche demoskopische Untersuchungen aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts für noch immer aktuell hält (ders, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 16 m. w. N.). 661 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 26. 662 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 26 f.; vgl. auch R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S. 32. 663 H.-P. Schneider, Freiheit des Beruf-Grundrecht der Arbeit, in: VVdStRL 43 (1985), S. 7 ff., 13.
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ums erwächst sozusagen aus der Stabilisierung der Umweltbeziehungen.664 Mit der anthropologischen geht somit auch die sozio-kulturelle Bedeutung des Art.12 Abs. 1 GG einher. 665 Dem Einzelnen werden berufsabhängig sozio-kulturelle Handlungschancen, wie beispielsweise die Chance auf Ansehen und Prestige, auf Selbstdarstellung, die Chance zur Durchsetzung eines eigenen Führungs- bzw. Gestaltungswillens und zur Kontrolle sozialer Beziehungen eingeräumt. 666 Auch die ökonomische Bedeutung des Berufs kann von der anthropologischen und der sozialen Bedeutung nicht getrennt werden. Dem verfassungsrechtlichen Postulat auf wirtschaftliche Existenzsicherung entsprechen die durch Art. 12 GG real vermittelten, berufsabhängigen sozio-ökonomischen Handlungschancen, d. h. die Möglichkeit des Einzelnen, für sich und seine Angehörigen eine dauerhafte, ertragsbringende Lebensgrundlage zu schaffen. 667 Die sozio-ökonomische Betrachtung muss sich dabei nicht auf die Sichtweise des „homo oeconomicus“ beschränken. Auch im Rahmen einer Makrobetrachtung gilt: Dem „Treibsatz des Berufsmarktes“ 668 als einem „der wichtigsten Märkte überhaupt“ wird überragende wirtschaftliche Bedeutung zuteil. Nicht umsonst ist die Berufsfreiheit als „Eckstein der Verfassungsordnung in wirtschaftlicher Hinsicht“ beschrieben worden. 669 Denn die ökonomische Bedeutung der Berufsfreiheit spiegelt sich nicht nur in egoistischen Erwerbsmotiven und Selbstverwirklichungsbedürfnissen der beruflich Tätigen wieder. Vielmehr geht es auch darum, die Marktnachfrage zu befriedigen. J. Isensee hält hierzu fest: „Erfüllung und Erfolg des Berufes vollziehen sich in der Polarität von Angebot und Nachfrage, im Leistungsaustausch zwischen Unternehmer und Kunden, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Ausgleich gegenläufiger Individualinteressen dient mittelbar dem überindividuellen Gemeinwohlinteresse der Gesellschaft. So wirken eingennützige und fremdnützige Belange zusammen: einerseits Persönlichkeitsentfaltung, Subsistenzsicherung und Erwerbsstreben, andererseits Erfüllung einer Nachfrage, Deckung eines gesellschaftlichen Bedarfs.“670 O. Depenheuer verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Abhängigkeit des Staates von gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen. Das Gemeinwohlpotential der Berufsfreiheit ist nach seiner Einschätzung vor allem deshalb unverzichtbar, weil der freiheitliche Staat „nicht nur von ethischen, sondern auch von ökonomischen Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann“ lebt. 671 Er hält fest: H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 13. F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2915). 666 Vgl. H. A. Hesse, Der Einzelne und sein Beruf, in: AöR 95 (1970), S. 449 ff. (453). 667 Vgl. H. A. Hesse, Der Einzelne und sein Beruf, in: AöR 95 (1970), S. 449 ff. (451 ff.). 668 F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2915). 669 T. Oppermann, Freiheit des Berufs – Grundrecht der Arbeit, Aussprache, in: VVDStRL 43 (1985), S. 83. 670 J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 245. 671 O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (242). 664 665
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„Mittels ihrer Arbeit verdienen die Bürger die finanziellen Mittel, an denen der Staat durch Steuern partizipiert, die ihm die materielle Grundlage für die Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben bieten. Bildung, Beruf und Arbeit bilden mithin in einem elementaren Sinne die Grundlagen von Freiheit, Gleichheit und sozialer Sicherheit der Bürger.“ 672 3. Schutzadressaten des Prinzips Art. 12 Abs. 1 GG adressiert die Freiheit des Berufs an „alle Deutschen“ i. S. v. Art. 116 GG. Abweichend vom ausdrücklichen Wortlaut befürwortet ein Teil der Rechtslehre eine Ausdehnung des Adressatenkreises auf EG-Ausländer. 673 Im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) und diesbezügliche Entscheidungen des EuGH 674 würden, so die Vertreter dieser Auffassung, aus „neuerer, europarechtlich fundierter Sicht durchgreifende Bedenken“ an der rein wortlautorientierten Sicht bestehen. Insofern bedürfe es einer „Korrektur auf seiten der traditionellen Staatsrechtslehre“.675 In der Tat lässt sich die eingeforderte Korrektur zumindest methodisch begründen. Den Rahmen bietet das Verfahren des wertenden Rückschlusses auf die Prinzipienebene. 676 Um letztlich von „Rechts“-Prinzipien sprechen zu können, versichert sich dieses Verfahren einer engen Anbindung an das Verfassungsgesetz. Aus diesem Grund bildet der Text des Verfassungsgesetzes, hier Art. 12 Abs. 1 GG, den Ausgangspunkt für den Rückschluss bzw. den Rückgang auf die ratio legis. Für insoweit abweichende Wertungen müssen sich überzeugende Gründe finden lassen, d. h. das Wortlautindiz müsste, beispielsweise mit der Argumentation entkräftet werden können, dass der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu einer europarrechtskonformen Auslegung des Adressatenkreises gleichermaßen zwingt, wie das in das wirtschaftsverfassungsrechtliche System einstrahlende Integrationsgebot aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG. Für einen solchen „Interpretationszwang“ besteht jedoch von vornherein kein Bedürfnis, wenn eine befriedigende Lösung auch auf anderer Ebene ohne den Preis des „Wortlautverbiegens“ erreicht werden kann. Genau dies ist der Fall. Art. 2 Abs. 1 GG lässt sich dahingehend interpretieren, dass er EG-Ausländern „im Bereich der Freiheit von Beruf, Arbeit und Ausbildung einen – wenngleich weniger intensiven – Schutz gewährt“. 677 Die vergleichsweise erfolgende O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (242). Vgl. bspw. OVG NW, NWVBl. 1995, S. 18; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 12 Rn. 10; R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 21. 674 So z. B. EuGH, NJW 1988, S. 2165 ff. 675 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 21. 676 Vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 5 II. 3. 677 J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 12 Rn. 72; vgl. auch H. Bauer/ W. Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschen-Grundrechten?, in: JZ 1995, S. 1077 ff. (1085); M. Sachs, Ausländergrundrechte im Schutzbereich von Deutschengrund672 673
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„Schlechterstellung“ von EG-Ausländern erklärt sich daraus, dass die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und der Regelungsgehalt von Art. 12 Abs. 1 GG nicht deckungsgleich sind und die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Verfassungsrechts nur so weit reichen kann, wie das Gemeinschaftsrecht diesen Schutz einfordert. 678 Dem Vorwurf einer mangelnden Gemeinschaftskonformität des Grundrechtsschutzes ist insoweit schon im Ansatz die Spitze genommen. Außer für natürliche Personen gilt die Grundrechtsgewährleistung gem. Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen des Privatrechts und für nichtsrechtsfähige Handelsgesellschaften. Und zwar insoweit, als von diesen eine bestimmte Erwerbstätigkeit „ihrem Wesen und ihrer Art“ nach in gleicher Weise ausgeübt werden kann wie von natürlichen Personen. 679 Ein so gefasster Adressatenkreis steht nicht mit dem „personalen Grundzug“ der Berufsfreiheit in Widerspruch. 680 Er trägt vielmehr der „assoziativen Berufsausübung in einem arbeitsteiligen Wirtschaftleben Rechnung“. 681 4. Beruf als „jedes dauerhaft wirtschaftliche Tätigsein“ a) Definitionsmerkmale Der „Beruf“ bildet das „zentrale Tatbestandsmerkmal“ der prima-facie-Gewährleistung. 682 Angesichts seiner Bedeutung für die Persönlichkeitskonstituierung hatte das Bundesverfassungsgericht bereits früh eine weite Auslegung befürwortet. 683 Auch in der Literatur wurde gefordert, den Berufsbegriff als einen prinzipiell offenen Begriff zu verstehen. 684 Art. 12 Abs. 1 GG vermittele dem Einzelnen das Recht „jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als ‚Beruf‘ zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen“. 685 „Beruf“ ist somit jede auf eine gewisse Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienenrechten, in: BayVBl. 1990, S. 385 ff. (388 ff.); P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 20; BVerfGE 78, 179 ff. (196 f.); a. A. H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 47 ff. 678 H. Bauer/W. Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschen-Grundrechten?, in: JZ 1995, S. 1077 ff. (1082 f.); vgl. auch M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 5. 679 BVerfGE 21, 261 ff. (266); E22, 380 ff. (383); E30, 292 ff. (312); E50, 290 ff. (363); E65, 196 ff. (209 f.); E 74, 129 ff. (148 f.); E 95, 173 ff. (181); kritisch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 157 f. 680 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 1, 4. Kapitel § 2 I. 6 und BVerfGE 50, 290 ff. (362 ff.). 681 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 118; vgl. auch: K. H. Friauf, Die Freiheit des Berufes nach Art. 12 Abs. 1 GG, in: JA 1984, S. 537 ff. (540). 682 G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 33. 683 So bereits im Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377 ff. (397)). 684 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 18. 685 BVerfGE 7, 377 ff. (397).
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de Tätigkeit. 686, 687 Damit ist der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheitsbereich bereits tatbestandlich weiter gefasst als in Art. 151 WRV. 688, 689 Was den Aspekt der „Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage“ betrifft, so ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Die Tätigkeit muss ihrer Art nach eine Eignung zur Existenzsicherung aufweisen.690 Insofern unterscheidet sich der „Beruf“ vom „Hobby“. Erfasst sind auch Zweit- und Nebenberufe. 691 „Auf Dauer“ angelegt ist eine Tätigkeit, wenn die Absicht besteht, diese über einen gänzlich unerheblichen Zeitraum hinaus auszuüben.692 Das Abstellen auf die Erwartungshaltung des Grundrechtsträgers erscheint angesichts der Zukunftsgerichtetheit der Berufsfreiheit ausreichend. 693 Wird teilweise ergänzend gefordert, die jeweilige Tätigkeit müsse „wirtschaftlich sinnvoll“ sein bzw. einen „Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung“ erbringen, so wird der Schutzbereich gemessen an der Bedeutung des Grundrechts unzulässig verkürzt. 694 Wie aufgezeigt, bildet die ökonomische Bedeutung nur einen Teilaspekt neben der eng verknüpften anthropologischen und sozio-kulturellen Bedeutung der Berufsfreiheit. Im Ergebnis gleiches gilt für das Kriterium des „Erlaubtseins“ des Berufes. Der Grund für die Ungeeignetheit zur Bestimmung des Berufsbegriffes liegt hier aller686 Siehe hierzu BVerfGE 7, 377 ff. (397); E 50, 290 ff. (362); E 54, 301 ff. (313); BVerwGE 1, 54 ff. (54); E1, 92 ff. (93); E22, 286 ff. (287); M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GGKomm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 8. 687 Das BVerfG (BVerfG, NJW 1998, 1627 ff. (1627)) hält seit kurzem eine weitere Definition bereit. „Beruf“ ist hiernach „jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft“. Vgl. auch G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 33. 688 Vgl. O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd.III/1, 1958, S. 155 ff. (160). 689 Art. 151 Abs. 3 WRV proklamierte die Gewerbefreiheit als ein objektives Prinzip der Gesellschafts- und Wirkungsordnung, ohne damit einen prinzipiellen Geltungsanspruch im oben entwickelten Sinne zu verbinden bzw. hieran die heute bekannten Grundrechtsdimensionen zu knüpfen. Die in Art. 151 WRV aufgeführten Gewährleistungen waren nur „nach Maßgabe der Reichsgesetze“ gewährleistet (vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 34). In diesem historischen Kontext ist auch die Haltung des BVerfG zu verstehen, wenn es sich im Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377 ff. (Leitsatz 1 u. 397)) dagegen ausspricht, dem Berufsgrundrecht lediglich die objektiv-prinzipielle Verbürgung der Gewerbefreiheit zu entnehmen. Die verfassungsgerichtliche Judikatur steht somit nicht im Widerspruch zu der im Rahmen dieser Untersuchung praktizierten Prinzipienbetrachtung. Sie möchte vielmehr verdeutlichen, dass Art. 12 Abs. 1 GG mehr zum Ausdruck bringt, als ein der Disponibilität des einfachen Gesetzgebers obliegendes und auf die Gewerbefreiheit beschränktes objektiv-rechtliches Prinzip. 690 Vgl. P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 32. 691 Vgl. BVerfGE 21, 173 ff. (179); 87, 287 ff. (316); BVerfG/K, NVwZ-RR 1994, S. 153 f. (153) und NJW 1995, 951 ff. (952). 692 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 38. 693 Vgl. P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 30. 694 Wie hier auch P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 34.
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dings darin, dass Art.12 Abs. 1 GG in seiner Abwehrfunktion gerade als Maßstab dafür dienen soll, ob der Staat eine Tätigkeit untersagen darf. 695 Dieser Zweck darf nicht dadurch vereitelt werden, dass mit Hilfe dieses Kriteriums von vornherein eine Schutzbereichsbegrenzung unternommen wird. Einzig mit Blick auf das Menschenbild des Grundgesetzes muss eine Korrektur insoweit unternommen werden, als dass Tätigkeiten, die diesem evident entgegenstehen (Berufskiller, Rauschgiftdealer) bereits bei der Berufsbegriffsbestimmung keine Berücksichtigung erfahren dürfen. 696 Vom Berufsbegriff tatbestandlich erfasst ist nicht nur die selbstständige Ausübung eines Gewerbes, d. h. eine selbstständige, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit. 697, 698 Zum „Beruf“ zählen daneben auch unselbstständige Tätigkeiten. Geschützt ist auch die „Arbeit als Beruf“, also der „arbeitnehmerorientierte Teilaspekt des Grundrechtsschutzes“ 699 mit dem Ziel der Wahrung von „Selbstbestimmung in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft“. 700 Angesichts seiner Weite erfasst der Berufsbegriff auch ursprünglich im privatrechtlichen Sektor verankerte Tätigkeitsfelder, die in den Staatssektor hineinragen (staatlich gebundene Berufe) 701 sowie Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes. 702, 703 b) Berufsbildlehre Prinzipiell gesehen bezweckt der grundrechtliche prima-facie-Schutz angesichts der tatbestandlichen Offenheit des Berufsbegriffs die Wahrung der Mannigfaltigkeit der Tätigkeitsformen. 704 Das Grundrecht umhegt also die vorstaatliche Freiheit des Individuums, berufliche Entscheidungen autonom zu treffen, und sichert auf diesem Wege seine (dezentrale) Wirtschaftsgestaltungsmacht. Die Berufsfreiheit beinhaltet damit zwar grundsätzlich das Recht, neue Berufe zu erfinden. 705 Der individuellen 695 Vgl. O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 155 ff. (189 f.); vgl. auch BVerwGE 22, 286 ff. (287 ff.); E 96, 293 ff. (296 f.). 696 Vgl. H. Sodan, Verfassungsrechtsprechung im Wandel – am Beispiel der Berufsfreiheit, in: NJW 2003, S. 257 ff. (260); P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 38. 697 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 35. 698 Vgl. zur Unternehmerfreiheit als wertend-induktiv gewonnenes Prinzip der Wirtschaftsverfassung die Ausführungen im 4. Kapitel § 2 I. 6. a) und im 4. Kapitel § 3 II. 1. 699 P. J. Tettinger, in: M. Sachs, 2003, GG-Komm., Art. 12 Rn. 28. 700 BVerfGE 41, 251 ff. (264). 701 Vgl. BVerfGE 16, 6 ff. (21); E 47, 285 (319); E 80, 257 (263 f.). 702 Vgl. BVerfGE 7, 377 (397 f.); E 73, 301 (315). 703 Die Garantie der Berufsfreiheit wird allerdings, was die staatlichen Berufe betrifft, durch die „Sonderregelung des Art. 33 GG überlagert und modifiziert“ (P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 39 f. m. w. N.). 704 Als „Beruf“ wurde beispielsweise der Handel mit loser Milch (BVerfGE 9, 39 ff. (48)), das gewerbsmäßige Fremdaustellen von Gewinnspielgeräten (BVerfGE 31, 8 ff. (27 ff.)) und der Betrieb einer Deckhengststation (BVerfG, NJW-RR 1994, 663 f. (664)) eingeordnet; vgl. zu den genannten Beispielen auch P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 27. 705 Vgl. BVerfGE 7, 377 ff. (397); E 13, 97 ff. (106); E 78, 179 ff. (193).
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Berufskreation sind allerdings Grenzen gesetzt: Letztlich ist es nicht möglich, „jede beliebige ‚untypische‘ Betätigung als ‚Beruf‘ zu wählen“. 706 Entsprechendes vertritt im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht. 707 Es stellt zwar fest, dass „die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich auch das Recht umfaßt, untypische Betätigungsformen als Beruf zu wählen“. Der Einzelne, so das Bundesverfassungsgericht, könne aber nicht „unter Berufung auf sein Recht zur freien Berufswahl durch die jederzeit mögliche Erfindung untypischer Betätigungsformen fordern, daß die Gestalt eines solchen typischen Berufs von eigenem sozialen Gewicht und charakteristischem Gepräge aufgelöst werde in eine Vielzahl allein dem Belieben des Einzelnen anheimgehender ‚Berufe‘“. Vor allem könne nicht durch „eine rein quantitative Ausweitung des Umfangs der typischen Berufstätigkeit ein neuer Beruf entstehen“. 708 Das Bundesverfassungsgericht räumt damit den beschriebenen, faktisch wirkenden gesellschaftlichen Einflüssen – hier in Form von traditionell gewachsenen Berufsbildern – zu Recht einen breiten Raum ein. Insofern liegt ein „Tatbestand freiheitsrechtlich geschützter Grundrechtsobjektivation“ vor, der den Freiheitsgebrauch aller Grundrechtsträger lenkt und auf den staatlicherseits nicht ohne weiteres Einfluss genommen werden kann. 709 Das Bundesverfassungsgericht hat sich indes nicht darauf beschränkt, die gesellschaftliche Determinantionswirkung traditioneller Berufsbilder hervorzuheben. Es stellte fest, dass auch der Gesetzgeber im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG das Recht habe, Berufsbilder zu fixieren. 710 Diese Gestattung sei „nicht darauf beschränkt, bestehende Berufsbilder lediglich klarstellend voneinander abzugrenzen“. Dadurch, dass „der Gesetzgeber bestimmte wirtschafts-, berufs- und gesellschaftspolitische Zielvorstellungen und Leitbilder durchsetzt und [..] in den Rang wichtiger Gemeinschaftsinteressen erhebt“, geschehe „die Fixierung des Berufsbildes auch gestaltend, also durch Änderung und Ausrichtung überkommener Berufsbilder“. 711 So sei es dem Gesetzgeber gestattet, verwandte Berufe zu vereinheitlichen oder berufsspezifische Leitbilder zu formulieren. 712 Die normative Festlegung eines Berufsbildes beinhaltet eine zweifache Konsequenz: Zum einen wird der jeweilige Beruf „monopolisiert“, d. h. er kann zukünftig nur noch von demjenigen ergriffen werden, der 706 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 151. 707 Vgl. hierzu H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 151. 708 BVerfGE 17, 232 ff. (241 f.). 709 So R. Scholz, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 270 f., der zwischen autonomen und heteronomen Berufsbildern unterscheidet (siehe dort insbes. Fn.270). 710 Wegweisend zur gesetzgeberischen Kompetenz bezüglich der Fixierung und Typisierung von Berufsbildern BVerfGE 13, 97 ff.; vgl. hierzu auch R. Scholz, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 271. 711 BVerfGE 75, 246 ff. (265). 712 BVerfGE E 46, 43 ff. (54); E 75, 246 ff. (265 f.).
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den rechtlichen Anforderungen des einschlägigen Berufsbildes entspricht (Aspekt der Berufswahl). Gleichzeitig wird er „typisiert“, d. h. die Wahrnehmung des jeweiligen Tätigkeitssektors untersteht nunmehr den normativ in personeller und inhaltlicher Hinsicht formalisierten Vorgaben (Aspekt der Berufsausübung). 713 Ganz generell wird an der freiheitsbegrenzenden Tendenz der „Berufsbildlehre“ Kritik geübt. 714 Dem Bundesverfassungsgericht wird vorgeworfen, durch die „Inflation der Berufsbilder“ das „Berufserfindungsrecht eines jeden Deutschen“ weitgehend entwertet zu haben. 715 Art. 12 Abs. 1 GG drohe leer zu laufen. 716 Die Freiheitlichkeit würde ins Gegenteil verkehrt. Die Fixierung von Berufsbildern führe dazu, dass der „Neue“, der „Grenzüberschreiter“ oder „Branchenfremde“ „vom grundrechtsgeschützten Individuum“ zum „Angreifer“ auf die etablierten Berufsstrukturen mutieren würde. 717 Tatsächlich ist eine differenziertere Auseinandersetzung mit der „Berufsbildlehre“ gefordert. Grundlegende Fragen, die Verfassungskonformität normative Berufsbilder betreffend, lassen sich mit Blick auf die Prinzipienebene beantworten. Das Prinzip „Abwehr“ und der „offene“ Berufsbegriff als Kerninhalt des Prinzips „Berufsfreiheit“ stellen klar, dass die Freiheit zur Berufskreation den Regelfall, die Festlegung von Berufsbildern bzw. Berufsfeldern durch den Gesetzgeber hingegen die Ausnahme bildet. Grundrechtsdogmatisch gesehen handelt es sich somit bei Letzterem nicht um ein Problem der Schutzbereichsbegrenzung bzw. der Inhaltsbestimmung der prima-facie-Gewährleistung, sondern stets um einen Eingriff in einen von der Berufsfreiheit als Prinzip gewährleisteten Freiheitssektor. 718 Je nach betroffenem Freiheitssektor gelten die entsprechenden Schrankenanforderungen. 719 Dies liegt daran, dass jedes diesbezügliche staatliche Handeln die Wahrnehmung atypischer Tätigkeitskombinationen zumindestens rechtlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. 720 Von einem Grundrechtseingriff ist sogar dann auszugehen, wenn der Gesetzgeber sich darauf beschränkt, ein Berufsbild sozusagen „deklarato713 P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 52; vgl. auch BVerfGE 7, 377 ff. (406); E 17, 232 ff. (241 f.); E 21, 173 ff. (180); E 25, 236 ff. (247); E 54, 301 ff. (314); E 75, 246 ff. (265 f.); E 80, 1 ff. (24). 714 Besonders deutlich jüngst O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (251 ff.). 715 H. Lecheler, Art. 12 GG – Freiheit des Berufs-Grundrecht der Arbeit, in: VVDStRL 43 (1985), S. 48 ff. (53). 716 So H. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, in: AöR 92 (1967), S. 212 ff. (221 f.). 717 F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2916). 718 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 42; so auch das BVerfG (vgl. BVerfGE 75, 246 ff. (266 f.)). 719 Zur Struktur des Grundrechtstatbestandes und zu den Schranken des Art. 12 Abs. 1 vgl. die Ausführungen im 4. Kapitel § 2 I. 5 und im 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 720 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 42.
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risch“ abzugrenzen. 721 Es macht durchaus einen Unterschied, ob die berufliche Freiheit zunächst mittels eines traditionellen Berufsbildes ausschließlich der gesellschaftlichen Bindung unterliegt, die jederzeit – in Abhängigkeit von Zeitgeistströmungen – modifizierbar erscheint, oder ob der Gesetzgeber auf Dauer eine rechtlich verbindliche Regelung trifft und somit, wenn auch den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragend, in den vorstaatlichen Freiheitssektor eindringt. Sofern es um die Regelung bestimmter Ausübungsmodalitäten oder aber um differenzierte und angemessene Regelungen, die subjektiven Voraussetzungen der Berufsaufnahme betreffend, geht, legitimiert sich der Eingriff jedoch oftmals „aus der Sache heraus“. 722 Das Bundesverfassungsgericht erklärt dies damit, dass „viele Berufe bestimmte, nur durch theoretische und praktische Schulung erwerbbare technische Kenntnisse und Fertigkeiten (im weiteren Sinn) erfordern und daß die Ausübung dieser Berufe ohne solche Kenntnisse entweder unmöglich oder unsachgemäß wäre oder aber Schäden, ja Gefahren für die Allgemeinheit mit sich bringen würde. Der Gesetzgeber konkretisiert und ‚formalisiert‘ nur dieses sich aus einem vorgegebenen Lebensverhältnis ergebende Erfordernis; dem Einzelnen wird in Gestalt einer vorgeschriebenen formalen Ausbildung nur etwas zugemutet, was er grundsätzlich der Sache nach ohnehin auf sich nehmen müßte, wenn er den Beruf ordnungsgemäß ausüben will.“ 723 Der Gesetzgeber kann in solchen Fällen von der Regelungsbefugnis nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG Gebrauch machen, die auch die Festlegung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen erfasst. 724 Alles in allem gilt: Der Gesetzgeber hat keinen „Freibrief zur gesetzlichen Fertigung von beruflichen Zwangsjacken“. 725 Er muss bei der Festlegung der Berufsbilder die „vorgegebenen Sachverhalte“ berücksichtigen und darf diesen tatsächlichen Vorgaben nicht ohne tragfähigen Grund andersartige Regelungen ‚willkürlich‘ aufzwingen. 726 Letztlich geht es darum, mit den vorgefundenen Lebenssachverhalten behutsam und schonend umzugehen und wertungsgemäß folgerichtig zu verfahren. Entsprechende Regelungen müssen „das gesamte Spektrum des einschlägigen beruflichen Umfelds sachlich angemessen“ würdigen und berücksichtigen.727 Kurzum: Sie müssen verhältnismäßig sein.
G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 42. So zutreffend H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 150 unter Hinweis auf BVerfGE 7, 377 ff. (406 f.). 723 BVerfGE 7, 377 ff. (406 f.). 724 Vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 150; vgl. auch 4. Kapitel § 2 I. 5 und Fn. 767. 725 R. Breuer, in: HStR VI, 2001, § 147 Rn. 39. 726 BVerfGE 13, 97 ff. (106); E 54, 301 ff. (322). 727 BVerfGE 78, 179 ff. (193). 721 722
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5. Erkenntnisse aus der Grundrechtsstruktur a) Wortlautindizierte Differenzierungsthese und Lehre vom einheitlichen Grundrechtstatbestand – Unvereinbarkeit der Konzeptionen Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG differenziert zwischen den Freiheitsfeldern Berufs-, Arbeitsplatz- und Ausbildungsstättenwahlfreiheit. An diese positive Umschreibung des Schutzbereiches in S. 1 knüpft S. 2 mit einem Regelungsvorbehalt an, der die Berufsausübung betrifft. Die Regelbarkeit durch oder aufgrund eines Gesetzes setzt notwendigerweise einen Regelungsgegenstand voraus. Dieser erschließt sich zwar inhaltlich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG, wohl aber mithilfe eines geschichtlichen, systematischen und axiologisch-teleologischen Verständnisses. Es erweist sich daher allenfalls als ein Mangel der textlichen Fassung von Art. 12 GG, wenn dort nicht ausdrücklich von der prima-facieGewährleistung bzw. von einem „Recht“ der freien Berufsausübung die Rede ist. Dass die Berufsausübungsfreiheit stillschweigend in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fällt, steht heute außer Zweifel. 728 Bei „unbefangener Betrachtung“ der Textaussage könnte der Eindruck entstehen, dass die genannten Freiheitsfelder bzw. Grundrechtssegmente jeweils selbstständige prima-facie-Gewährleistungen zum Ausdruck bringen, die isoliert voneinander Geltung beanspruchen und Schutz gewähren. Hiernach würde es sich anbieten, innerhalb des Prinzips „Berufsfreiheit“ verschiedene Unterprinzipien zu differenzieren und deren Stellung und Inhalte getrennt zu untersuchen. Für dieses Verständnis spricht die Enumeration in Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und der Erklärungsgehalt von Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, wonach ausdrücklich nur die Berufsausübung zur Regelungsdisposition 729 des Gesetzgebers steht, hingegen die Berufswahlfreiheit vorbehaltslos gewährleistet erscheint. Diese die Prinzipienstruktur betreffende These soll folgend als wortlautindizierte „Differenzierungsthese“ bezeichnet werden.
728 In der Tat wurde in der Vergangenheit vereinzelt die Auffassung vertreten, die Nichterwähnung des „Rechts“ der Berufsausübungsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG könne nur bedeuten, dass die Berufsausübungsfreiheit nicht grundrechtlich gewährleistet sei (Werner, in: DVBl. 1950, S. 511); vgl. hierzu auch J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 8 (siehe dort Fn. 40). 729 Teilweise wird die Frage diskutiert, ob sich aus dem Umstand, dass Art.12 Abs. 1 S. 2 GG von der „Regelung“ der Berufsausübung spricht, Besonderheiten ergeben. So soll die Zitierpflicht des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG nicht gelten. Auch das Verbot des Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 und die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG seien deswegen obsolet. All diese Interpretationsversuche führen zu einer weitreichenden Entwertung des Abwehrcharakters von Art. 12 Abs. 1 GG. Sie laufen somit ganz grundlegenden grundrechtsdogmatischen Annahmen (vgl. 4. Kapitel § 1 II. 1 und 4. Kapitel § 1 II. 3) zuwider und sind deswegen abzulehnen. Auch ergeben sich aus dieser Formulierung keine Besonderheiten was die Art von Grundrechtseingriffen betrifft (vgl. zu alldem auch G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 5 u. 69).
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Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat sich für eine andere Lesart entschieden. Art. 12 Abs. 1 GG müsse als ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit verstanden werden. Eine trennscharfe Abgrenzung der unterschiedlichen Freiheitsfelder bzw. eine Differenzierung von prima-facie-Gewährleistungen sei letztlich nicht praktikabel. Vorbildung, Berufswahl und Berufsausübung seien vielmehr Abschnitte eines einheitlichen Lebensvorgangs. 730 So stehe die Wahl einer Ausbildungsstätte grundsätzlich in einem engen Zusammenhang mit der Berufswahlfreiheit. Sowohl der Beginn als auch die Beendigung einer beruflichen Tätigkeit könnten sowohl der Berufswahl als auch der Berufsausübung zugeordnet werden. Die Begriffe „‚Wahl‘ und ‚Ausübung‘ des Berufes“ ließen sich nicht so trennen, „daß jeder von ihnen nur eine bestimmte zeitliche Phase des Berufslebens bezeichnete, die sich mit der andern nicht überschnitte“.731 Vielmehr, so das Bundesverfassungsgericht, würden die Begriffe „Berufsausübung“ und „Berufswahl“ „den einheitlichen Komplex ‚berufliche Tätigkeit‘ von verschiedenen Blickpunkten her“ erfassen. 732 Entsprechend könnte nur von einer Einheit des Grundrechtstatbestandes bzw. der prima-facie-Gewährleistung ausgegangen werden. Dem folge die Einheitlichkeit in der Schrankenhandhabung. Zwar müsse stets, so das Bundesverfassungsgericht, „der im Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG deutlich zum Ausdruck kommende Wille der Verfassung“ beachtet werden, „daß die Berufswahl ‚frei‘ sein soll, die Berufsausübung hingegen geregelt werden darf“. 733 Es könne andererseits aber nicht der Sinn der Grundrechtsbestimmung sein, so das Bundesverfassungsgericht weiterhin, die Berufswahl der gesetzlichen Regelung schlechthin zu entziehen. Mit Blick auf Art. 74 Nr. 19 a. F. GG stellte es zudem fest, dass das Grundgesetz eine Kompetenz der Gesetzgebung für die „Zulassung“ zu bestimmten Berufen begründen würde. Diese Regelung erschiene sinnentleert, wenn dem Gesetzgeber der Zugriff auf die Berufswahl generell versagt wäre. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG sei somit auf die Berufswahl zu erstrecken. 734 Dem Postulat des entgegenstehenden Wortlautes möchte das Bundesverfassungsgericht dadurch entsprechen, dass es die Unterschiedlichkeit der genannten Freiheiten auf der Rechtfertigungsebene, d. h. im Rahmen einer „gestuften“ Schranke-Schranke berücksichtigt. Die so genannte „Stufentheorie“ unterscheidet ursprünglich die drei Ebenen der Berufsausübungsregelung, der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen und der objektiven Zulassungsschranken. Je intensiver sich der gesetzgeberische Eingriff darstellt, um so geringer sei seine Gestaltungsfreiheit und um so höher seien die an ihn gestellten Rechtfertigungsanforderungen. Die Stufentheorie könne somit letztlich als „das Ergebnis strikter Anwendung des Prin-
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So BVerfGE 33, 303 ff. (329 f.); E 41, 251 ff. (261 ff.); E 59, 172 ff. (205 f.). BVerfGE 7, 377 ff. (401). BVerfGE 7, 377 ff. (401). BVerfGE 7, 377 ff. (402). Vgl. BVerfGE 7, 377 ff. (401); vgl. auch 4. Kapitel § 5 V.
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zips der Verhältnismäßigkeit bei den vom Gemeinwohl her gebotenen Eingriffen in die Berufsfreiheit“ beschrieben werden. 735 Der verfassungsgerichtliche Gedankengang lässt sich sinngemäß folgendermaßen zusammenfassen: 736 Eine Unterscheidung der Berufswahlfreiheit und der Berufsausübungsfreiheit ist auf der Schutzbereichsebene praktisch nicht möglich. Daraus folgt: Die Berufswahlfreiheit kann keinesfalls vorbehaltslos gewährleistet sein. Ansonsten wäre dem Gesetzgeber, mangels Trennbarkeit, auch kein Zugriff auf die Berufsausübungsebene möglich, was aber Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ausdrücklich vorsieht. Vielmehr gilt: Der untrennbare Schutzbereich bedingt eine einheitliche Schranke! Es folgt in der Konsequenz: Die Schranke des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG muss auch für die Berufswahlfreiheit gelten. Die unterschiedliche Bedeutung der Teilgewährleistungen ist auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen. Trotz des damit erzeugten Widerspruchs – Verneinung der Unterscheidungskraft im Grundrechtstatbestand, Bejahung derselben auf der Rechtfertigungsebene – ist die verfassungsgerichtliche Konzeption seit dem Apothekenurteil zur ständigen Rechtsprechung avanciert. 737 Die Literatur hat sich dieser Auffassung nahezu uneingeschränkt angeschlossen. 738 b) Entkräftung der gegen die Differenzierungsthese gerichteten Einwände Angesichts seiner Wortlautferne und seiner Widersprüchlichkeit bedarf der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts und der ihm folgenden Literaturstimmen einer kritischen Überprüfung. Dies gilt im Besonderen im Hinblick auf die gegen die Differenzierungsthese vorgebrachten Einwände. Gerade hier sind „offene“ Flanken in der Argumentation erkennbar. Bereits die Vorstellung, die Berufswahlfreiheit wäre vorbehaltslos gewährleistet, wenn sie nicht dem Schrankenregiment des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG unterfallen würde, erweist sich als seit langem überholt. Seit 1970 739 hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung für die vom Wortlaut vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechte (wie beispielsweise Art. 4 BVerfGE 13, 97 ff. (104). Vgl. auch H. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 92 (1967), S. 212 ff. (224 ff.). 737 Vgl. bspw. BVerfGE 7, 377 ff. (401); E 9, 338 ff. (344 f.); E 17, 269 ff. (276); E 33, 303 ff. (330); E 41, 251 ff. (261); E 92, 140 ff. (151). 738 Vgl. statt vieler O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 155 ff. (192 f.) K. M. Meessen, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: JuS 1982, S. 397 ff. (398) H.-P. Schneider, Art. 12 GG – Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, in: VVDStRL 43 (1985), S. 7 ff. (18 f.); J. Schwabe, Die Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts zur Berufsfreiheit, in: DÖV 1969, S. 734 ff. (737 f.). 739 Schon vor dem Apothekenurteil wurden Regelungen der Berufswahl unter restriktiven Voraussetzungen zugelassen. Insofern griff man allerdings nicht auf Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG zurück, sondern bediente sich einer „Schrankenleihe“ mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG. 735 736
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Abs. 3 oder Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) so genannte verfassungsimmanente Schranken entwickelt. Diese gelten nach inzwischen h. M. für alle Grundrechtsgewährleistungen und damit auch für die Berufswahlfreiheit. 740 Was die Prinzipienbetrachtung betrifft, so widerspricht die Vorstellung einer vorbehaltslosen Geltung ohnehin allen prinzipientheoretischen Annahmen. 741 Der teleologische Argumentationsstrang des Bundesverfassungsgerichts beruht damit ausschließlich auf der Prämisse der mangelnden Praktikabilität einer Differenzierung nach Teilsektoren bzw. Grundrechtssegmenten innerhalb des Prinzips „Berufsfreiheit“ und eines hierauf bezogenen Eingriffskonzepts. Er steht und fällt mit der Richtigkeit dieser Prämisse. Tatsächlich sind insofern Zweifel angebracht. Vor allem J. Lücke 742 hat die Möglichkeit einer schutzbereichsbezogenen Differenzierung bejaht. 743 Die Freiheit der Berufsausübung solle, so Lücke, als „notwendige Ergänzung“ der Freiheit der Berufswahl verstanden werden. 744 Besonders deutlich wird sein Konzept mit Blick auf die auch vom Bundesverfassungsgericht als problematisch hervorgehobene Aufnahme und Beendigung des Berufs. Gerade hier erkennt Lücke die Möglichkeit der Differenzierung. Die Berufsaufnahme liege an der „Nahtstelle“ zwischen Berufswahl und Berufsausübung. Entsprechend fungiere sie als „Bindeglied“ bzw. „verknüpfende“ Klammer zwischen beiden. 745 Dem Bundesverfassungsgericht sei insoweit zuzustimmen, wenn es feststellt, dass „die Aufnahme der Berufstätigkeit sowohl den Anfang der Berufsausübung [..] wie die gerade hierin – und häufig nur hierin – sich äußernde Betätigung der Berufswahl“ darstellt. 746 Wenn aber die Berufsaufnahme die Teilgewährleistungen Berufswahl und Berufsausübung miteinander verkettet, so sei es nur folgerichtig, dass beide auch nebeneinander geschützt seien. Die entwickelten Erkenntnisse, so Lücke, ließen sich auf die Berufsbeendigung übertragen. Sie sei mithin die letzte Phase der Berufsausübung und umfasse zugleich die Berufsabwahl, denn entsprechend der „gegenläufigen Deutung“ der Grundrechte als „positive und negative Freiheitsrechte“ sei die Berufsabwahl gleichermaßen geschützt wie die Berufswahl. Im Ergebnis würden sowohl die Freiheit der Berufsausübung als auch die der Berufswahl, d. h. „jede für sich“ die Berufsaufnahme bzw. die Berufsbeendigung schützen. 747
740 Strittig ist allerdings, welche Verfassungsgüter im Einzelnen zur Grundrechtseinschränkung taugen. Letztlich wird ein wertender Vergleich auf der Prinzipienebene erfolgen müssen. Vgl. auch 4. Kapitel § 2 I. 5. c), 4. Kapitel § 2 I. 5. c) und 4. Kapitel § 2 I. 6. b). 741 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 5. 742 Vgl. Die Berufsfreiheit – Eine Rückbesinnung auf den Text des Art. 12 Abs. 1 GG, 1994, passim. 743 Für eine getrennte Betrachtung von Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit tritt auch K. Doehring ein (ders., in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1980, S. 339 ff., insbes. S. 341). 744 J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 11. 745 J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 9 ff. 746 BVerfGE 7, 377 ff. (401). 747 J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 11.
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Der Unterscheidung im Schutzbereich verleiht Lücke im Folgenden durch Einbindung des Eingriffszenarios weitere Transparenz. So differenziert er zwischen vier verschiedenen Regelungstypen, mit denen im Falle eines Eingriffes in den Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 GG auch Schnittmengen erfasst werden können. „Reine“ Berufsausübungs- bzw. Berufswahlregelungen seien solche, die ausschließlich das „Wie“ bzw. das „Ob“ eines Berufes festlegen. 748 Hinzu kämen so genannte „vermischte“ Berufsregelungen, die „Teile der beruflichen Betätigung erfassen, in denen die Freiheit der Berufswahl und die der Berufsausübung miteinander verschränkt sind“. 749 Hiervon seien vornehmlich Regelungen erfasst, die sich auf die Berufsaufnahme bzw. die Berufsbeendigung beziehen. Schließlich müsse man unter so genannten „gespaltenen“ Berufsregelungen solche Regelungen verstehen, in denen „ein und dieselbe Regelung [sich] auf die Betroffenen unterschiedlich auswirkt“. 750 Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn sich die Berufsregelung für den einen Grundrechtsträger als Berufsausübungs- für den anderen als Berufswahlregelung darstellt. „Vermischte“ und „gespaltene“ Berufsregelungen könnten auch gruppenübergreifend eine Verschränkung erfahren. Im Hinblick auf die genannten Regelungstypen sollen nach Lücke’s Vorstellungen unterschiedliche Schranken zur Anwendung kommen. „Reine“ Berufsausübungsregelungen seien dem Wortlaut entsprechend Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG zuzuordnen. 751 „Reine“ Berufswahlregelungen würden hingegen nicht unter den Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG fallen. Die Berufswahlfreiheit sei aber auch nicht vorbehaltslos gewährleistet; es würden verfassungsimmanente Schranken eingreifen. 752 Für den Typus „vermischte“ Berufsregeln entwickelt Lücke ein eigenständiges Schrankenkonzept. Als Resultat einer ungewollten Idealkonkurrenz zwischen den Teilgarantien Freiheit der Berufsausübung und der Berufswahl gelte hier eine so genannte „abschwächende ‚Konkurrenzschranke‘“. „Vermischte“ Berufsregelungen seien somit gerechtfertigt, wenn sich „einfache“ gegenläufige Verfassungsgüter finden ließen. 753 Für die „gespaltenen“ Berufsregelungen würden schließlich diejenigen Schranken gelten, die „sich für die reinen Berufsausübungs-, die reinen Berufswahl- und die vermischten Berufsregelungen als einschlägig herausgestellt haben“. 754 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) würden für alle Regelungstypen als bedeutsamste Schranken-Schranken gelten. 755 Daneben bedürfe es keiner Heranziehung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Theorie, denn die dort ver748 749 750 751 752 753 754 755
Vgl. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 12 ff., 15 ff. u. 57. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 20 ff. u. 57. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 25 ff. u. 57 f. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 26 u. 58. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 26 ff. u. 58. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 39 ff. u. 58 f. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 51 u. 59. Vgl. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 52 ff. u. 59.
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wendete Konzeption fände schon Berücksichtigung durch die unterschiedliche Ausformung der Schranken. 756 Sicherlich lässt die Konzeption Lücke’s viele Fragen offen. Praktische Probleme treten vor allem dann auf, wenn es darum geht, umfassende Regelungswerke aufzuspalten und den genannten Gruppen zuzuordnen. Die Zuordnung zu den Regelungsbzw. Eingriffstypen kann nur dann gelingen, wenn Klarheit darüber herrscht, welche freiheitlichen Verhaltensweisen im Schutzbereich jeweils betroffen sind. Ein Einwand gegen die Konzeption Lückes lässt sich hieraus allerdings nicht ableiten, denn vor diesen Mühen bleibt auch die überwiegende Auffassung nicht verschont. Sie muss auf der Rechtfertigungsebene je nach Eingriffsintensität zwischen Berufsausübungsregelungen sowie subjektiven und objektiven Berufswahlregelungen unterscheiden. Hierauf und auf die Schrankenkonzeption Lückes wird noch zurückzukommen sein. 757 An dieser Stelle kann es zunächst nur darum gehen, die Einwände des Bundesverfassungsgerichts, die „Differenzierungsthese“ betreffend, zu entkräften. Und soviel steht nach der Konzeption von Lücke fest: Ein gewisses Maß an Transparenz lässt sich auch im Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit erzielen, wenn man auf eine eingriffsbezogene Schutzbereichsdefinition zurückgreift. 758 Gleiches muss gelten, wenn es darum geht, zwischen Unterprinzipien der Berufsfreiheit zu differenzieren. Dem Bundesverfassungsgericht ist insoweit zuzustimmen, dass Berufswahl und Berufsausübung zeitlich zusammenfallen können. Doch ist der zeitliche Faktor nicht der einzige, der für eine Differenzierung auf der Schutzbereichsebene herangezogen werden kann. Durchaus lassen sich Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit mit Blick auf den „individuellen und sozialen Handlungssinn“ 759 bzw. durch weitere begriffliche Ausformung auseinander halten. Für die Begriffsbestimmung bedarf es auch keiner Orientierung an überkommenen Berufsbildern. 760 Schützt Artikel 12 Abs. 1 GG jede auf Dauer angelegte wirtschaftliche Tätigkeit 761, so umfasst der Schutz der Berufswahl schlicht die Entscheidung über das „Ob“ des dauerhaften wirtschaftlichen Tätigseins als einen „Akt der Selbstbestimmung“, d. h. des „freien Willensentschlusses“. 762 Die Berufsausübungsfreiheit umfasst die Form, Mittel und die Bestimmung des Umfangs und des Inhalts der Betätigung wie beispielsweise das Führen einer bestimmten Berufsbezeichnung oder die Außendarstellung des 756 J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 52 f. u. 59; zu dem gleichen Ergebnis gelangte schon vorher K. Doehring, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1980, S.341. 757 Vgl. hierzu: 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 758 So offenbar auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 54; ansatzweise auch G. Manssen, v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 3. 759 H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 54. 760 A. A. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 49 m. w. N. 761 Vgl. hierzu: 4. Kapitel § 2 I. 3. 762 BVerfGE 7, 377 ff. (403).
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Grundrechtsträgers. 763 Diese allgemeinen Definitionen können als Grobschema dienen, um das „von der Verfassung geschützte Freiheitsfeld“ 764 zu sektorieren. Zusätzlich kann auf diejenigen Kriterien zurückgegriffen werden, die von der neueren Dogmatik in Ergänzung des tradierten Drei-Stufen-Modells auf der Rechtfertigungsebene, d. h. zur Spezifizierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung herangezogen werden. 765 Im Rahmen einer Typisierung müssen zunächst, in Anlehnung an die gewonnenen Begriffsdefinitionen, verallgemeinerungsfähige Fallgruppen der grundrechtlichen Freiheitsbetätigungen innerhalb der jeweiligen Teilgewährleistungen entwickelt werden. Es gilt also zu klären, welche grundrechtsrelevanten Handlungsmöglichkeiten herkömmlicherweise der Freiheit der Berufswahl bzw. -ausübung zuzuordnen sind. Bei einer Überprüfung, ob eine Berufsregelung einen Eingriff in den Grundrechtstatbestand beinhaltet sind dann zunächst die einzelnen Bestandteile des zu überprüfenden Regelungswerks nach den einzelnen Fallgruppen innerhalb der Teilgewährleistungen aufzuschlüsseln. Es gilt daher zu ermitteln, welche Freiheitssektoren durch die relevante Maßnahme staatlichen Handelns betroffen sein könnten. Grundsätzlich ist im Rahmen des beschriebenen Verfahrens zu beachten, dass der Sektor der Berufswahlfreiheit im Verhältnis zur Berufsausübungsfreiheit „restriktiv interpretiert werden“ muss. 766 So sind gegebenfalls subjektive Berufszulassungsregelungen wie beispielsweise das Erfordernis zur Erbringung einer Prüfungsleistung, als Eingriff in den Teilsektor der Berufsausübungsfreiheit zu werten. 767 Mit Blick auf den Teilsektor „Berufsausübungsfreiheit“ soll nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein besonderes Zuordnungskorrektiv beachtet werden. Hiernach können nur solche Regelungen in den Sektor der Berufsausübungsfreiheit eingreifen, die entweder ausschließlich oder primär beruflich Tätige als Adressaten erfassen bzw. die auf die Regelung der Berufsausübung abzielen (Eingriff mit subjektiv berufsregelnder Tendenz). 768 Gleichermaßen soll ein Eingriff aber auch dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen, beispielsweise die Einführung einer Abgabe, „infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen und -objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen“ (Eingriff mit objektiv berufsregelnder Tendenz). 769 Dieser restriktive Ansatz Vgl. M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 38 m. w. N. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 1 Rn. 253 sieht in dieser Formulierung den Begriff „Grundrechtstatbestand“ definiert. 765 Vgl. hierzu G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 138 ff. 766 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 393; vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 58 f. 767 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 393; vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 58 f. 768 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 70. 769 BVerfGE 37, 1 ff. (17). 763 764
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überzeugt freilich „weder in seiner dogmatischen Fundierung noch in seinen Ergebnissen“. 770 Im Einklang mit der dem Art. 12 Abs. 1 GG zugrunde liegenden objektiven Wertentscheidung, der allgemeinen Grundrechtsdogmatik und im Interesse einer einheitlichen und klaren Handhabung gilt es vielmehr, den Grundrechtsschutz gegenüber sämtlichen Formen hoheitlichen Einwirkens zu gewährleisten. Über den Grundrechtseingriff sollte daher maßgeblich das Kriterium der materiellen Betroffenheit des Grundrechtsträgers entscheiden. 771 Es erscheint durchaus möglich, dass sich einzelne Regelungsbestandteile beiden Teilsektoren zuordnen lassen. Dies gilt beispielsweise, wie gezeigt, für Regelungen, die die Berufsaufnahme bzw. -beendigung betreffen. Denkbar sind aber auch atypische Fälle mit außergewöhnlicher Eingriffsschwere, bei denen eine Berufsausübungsregelung den Berufszugang faktisch unmöglich macht. In solchen Fällen muss eine Korrektur bei der Zuordnung erfolgen. Diese Fallkonstellationen müssen dogmatisch nicht i. S. eines „Umschlagens“ einer Berufsausübungs- in eine Berufswahlregelung verstanden werden. 772 Die besondere Eingriffsintensität führt hier vielmehr zu einer Ausdehnung der Tatbestandsrelevanz, d. h. eine Regelung, die besonders intensiv in die Berufsausübungsfreiheit eingreift, betrifft ausnahmsweise (auch) den Tatbestand der Berufswahlfreiheit. Aus einer „reinen“ Berufsausübungsregelung wird gegebenfalls eine „vermischte“ Berufsregelung i. S. Lückes. Die Differenzierung im Grundrechtstatbestand beschränkt sich indes nicht auf die Unterscheidung zwischen der Berufsausübungsfreiheit und der Berufswahlfreiheit. Auch bei den Elementen „Wahl der Ausbildungsstätte“ und „Wahl des Arbeitsplatzes“ handelt es sich um selbstständige Teilgewährleistungen, die über die Typisierung von Fallgruppen eine inhaltliche Ausprägung erfahren. Auch hier erscheinen sektorenübergreifende Fallgruppen denkbar, die sowohl die Arbeitsplatzwahlfreiheit als auch die Berufswahlfreiheit betreffen. Unter der Wahlfreiheit der Ausbildungsstätte wird die autonome Entscheidung des Grundrechtsträgers darüber verstanden, ob er eine private oder öffentliche Einrichtung besuchen möchte, die berufliche Kenntnisse oder Fähigkeiten vermittelt. 773 Der Schutz ist indes nicht auf diese räumliche Komponente beschränkt. 774 Das Grundrechtssegment wendet sich ganz generell gegen Freiheitsbeschränkungen im Ausbildungsbereich. 775 Es schützt im Ergebnis die „gesamte Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung“ 776, d. h. beispielsweise die freie Wahl des Ausbildungsfachs oder des Ausbildungsgangs. 777 Richtigerweise sollte daher anstatt von Ausbildungs770 771 772 773 774 775 776 777
G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 71. Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 71. So aber R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 325. Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 57. Vgl. D. C. Umbach, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. I, 2002 Art. 12 Rn. 52. Vgl. BVerfGE 33, 303 ff. (329). H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 12 Rn. 70. Vgl. M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 27.
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stättenwahlfreiheit von der Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung die Rede sein. 778 „Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will“, ist Gegenstand des „Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes“ die freie Entscheidung, „an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte“. 779 Der Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit umfasst zunächst den Entschluss des Einzelnen, eine „konkrete Betätigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis“ anzunehmen bzw. einzugehen. 780 Damit zusammen hängen beispielsweise die freie Wahl des Vertragspartners und der Zutritt zum Arbeitsmarkt. 781 In zeitlicher Hinsicht umfasst die Arbeitsplatzwahlfreiheit auch die Beibehaltung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses. 782 Der Schutz des Teilsegmentes kommt sowohl Arbeitnehmern als auch Selbstständigen zugute.783, 784 Die Arbeitsplatzwahlfreiheit schützt auch die Niederlassungsfreiheit, d. h. die wirtschaftliche Freizügigkeit, denn es ist „kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb die örtliche Komponente der beruflichen Niederlassung eine grundrechtliche Sonderbehandlung nach Maßgabe des Art. 11 GG genießen sollte“. Vielmehr sprechen der Sachzusammenhang mit den anderen beruflichen Freiheiten und die Entstehungsgeschichte der Berufsfreiheit für eine Verortung dieses Freiheitsfeldes im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG. 785, 786 Hinsichtlich der Zuordnung des grundrechtlich geschützten Verhaltens „wirtschaftliche Freizügigkeit“ zu den Teilsektoren im Grundrechtstatbestand erweist sich die „Arbeitsplatzwahlfreiheit“ jedoch gegenüber der „Berufswahlfreiheit“ als insoweit spezieller. 787 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 12 Rn. 70. BVerfGE 84, 133 ff. (146). 780 BVerfGE 84, 133 ff. (146). 781 Vgl. BVerfGE 84, 133 ff. (146); E 85, 360 ff. (373). 782 Vgl. BVerfGE 84, 133 ff. (146); E 85, 360 ff. (373). 783 Vgl. auch Fn. 797. 784 Für einen Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten der Selbstständigen und den Schutz der Niederlassungsfreiheit (beruflichen Freizügigkeit) durch Art. 12 GG: BVerfGE 41, 378 ff. (399); M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 23; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 12 Rn. 9; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GGKomm, Bd. II, Art. 12 Rn. 429; a. A. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 56. 785 Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd.VI, 2001, §147 Rn. 68; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GGKomm., 2004, Art. 11 Rn. 4. 786 Angesichts dessen entfaltet Art. 11 GG im Bereich der Wirtschaft keine Relevanz und scheidet somit auch als Systembestandteil eines freizulegenden Systems der Wirtschaftsverfassung aus; vgl. hierzu Ph. Kunig (ders., in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 11 Rn. 17 m. w. N.), der allerdings einen eingeschränkten Anwendungsbereich des Art.11 GG neben Art. 14 GG bejaht. 787 Ähnlich M. Gubelt (ders., in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 23), der davon spricht, dass die Wahl des Arbeitsplatzes der Berufswahl nachfolgt und diese konkretisiert. 778 779
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Trotz verbleibender Unsicherheiten, die die Differenzierungen innerhalb des Grundrechtstatbestandes betreffen, gilt in jedem Falle: Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Teilgewährleistungen sind für sich genommen kein hinreichender Grund, sich über den Wortlaut der Verfassung hinwegzusetzen. 788 Dieser fungiert als primär heranzuziehendes Element im Rahmen der juristischen bzw. grundrechtlichen Argumentation und ist damit zugleich zentraler Anknüpfungspunkt, wenn es darum geht, das Bezugsband zwischen Verfassungsgesetz und Prinzipieneben herzustellen. Im Rahmen der Prinzipiengewinnung entfaltet er sozusagen Indizwirkung. c) Unterschiedliche Schrankenhandhabung als Konsequenz fehlender axiologischer Homogenität im Grundrechtstatbestand und Auflösung von Schrankenkollisionen Aufgezeigt wurde bislang, dass eine Differenzierung nach Teilsektoren bzw. Grundrechtssegmenten innerhalb des Prinzips „Berufsfreiheit“ und ein hierauf bezogenes Eingriffskonzept durchaus praktikabel und vom Wortlaut her am naheliegensten erscheint. Im Anschluss hieran stellt sich konsequenterweise die Frage, ob für alle Teilgewährleistungen ein einheitlicher Schrankenvorbehalt gilt oder ob jeweils die Anwendung verschiedener Schrankenvorbehalte geboten ist. Den maßgeblichen Ansatzpunkt zur Klärung dieser Frage liefert eine Analyse der Wertigkeit der Teilfreiheiten, d. h. eine Untersuchung des Stellenwertes der Freiheitsfelder im System. Auf diesem Weg lassen sich die Sinnzusammenhänge im System weiter verdeutlichen. Ein wertender, d. h. axiologisch-teleologischer Rückschluss kann dabei an das Wortlautindiz 789 der Schranke (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) anknüpfen, um die vorgelagerten Werte und Wertungszusammenhänge auf der Prinzipienebene zu verdeutlichen, die im Zusammenhang mit den Teilgewährleistungen stehen. Die axiologische Betrachtung fördert dabei Folgendes zutage: Die Freiheit der Berufswahl meint, dass „der Bewerber den erstrebten Beruf unbeeinflußt von fremdem Willen frei [..] wählen“ kann. 790 Sie ist nicht lediglich als einmaliger Akt, sondern vielmehr als ein „kontinuierlicher Prozeß beruflicher Selbstbestimmung“ zu verste788 Vgl. H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 54; vgl. auch J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 28. 789 Dabei kann von einem übergreifenden Konsens in der Rechtslehre insoweit ausgegangen werden, als dass der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG für eine Heterogenität der grundrechtlichen Gewährleistungen spricht (vgl. u. a.: G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKomm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 3). Hieraus wird gleichermaßen einhellig die Konsequenz gezogen, dass es diese Verschiedenheit „irgendwo“ in der grundrechtsdogmatischen Struktur zu berücksichtigen gilt. An dieser Stelle endet dann der Konsens. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die h. M. die Heterogenität der Grundrechtsgehalte nicht auf der Schutzbereichsbzw. Schrankenebene wohl aber auf der Schranken-Schranken-Ebene berücksichtigen möchte (vgl. schon oben: 4. Kapitel § 2 I. 5). 790 BVerwGE 2, 89 ff. (93).
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hen. 791 Als „individuelle[r] Anteil am lebensgeschichtlichen Prozeß der Berufsbestimmung oder Berufsfindung“ 792 weist sie im Ergebnis – was die berufliche Sicht betrifft – den denkbar engsten Bezug zum individuellen Mensch- bzw. PersönlichkeitSein auf. Ihr hoher Stellenwert lässt sich dem in der Verfassung vorausgesetzten Menschenbild entnehmen. 793 Das Bundesverfassungsgericht zieht die Konsequenzen aus den Tiefenstrukturen der Berufswahl, wenn es fordert, dass „angesichts des Wertes der freien menschlichen Persönlichkeit“ die Berufswahl letztlich „als ein Akt der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Einzelnen“ zu verstehen sei, der „von Eingriffen der öffentlichen Gewalt möglichst unberührt bleiben“ müsse. 794 Mit der Berufswahlfreiheit eng verknüpft und gleichermaßen von existentieller Bedeutung sind die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung und die Arbeitsplatzwahlfreiheit. Entscheidungen des Einzelnen, das erstgenannte Freiheitssegment betreffend, beinhalten immer -unabhängig von einer später abweichenden Entscheidung – eine berufswahlbezogene Dimension. Es erscheint schlechterdings kaum vorstellbar, dass der Einzelne eine Berufsausbildung aufgreift, ohne sich zumindest gleichzeitig die Option offen zu halten, später einen entsprechenden Beruf zu wählen. Neben dieser intentionalen besteht auch eine reale Verknüpfung der Freiheitssegmente. Die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung ist regelmäßig auch die unmittelbare Voraussetzung für die Schaffung und Erhaltung einer wirtschaftlichen bzw. geistigen Existenzgrundlage, denn ohne die Erlangung einer berufsspezifischen Qualifikation kommt in der Regel die Wahl des entsprechenden Berufes nicht in Betracht. Ähnliches gilt für die Arbeitsplatzwahlfreiheit. Sie umfasst als Freiheitsgegenstand, im Gegensatz zur Berufswahl, nicht nur allgemein das „Feld“ sondern die konkrete „Stelle“ des beruflichen Tätigseins. 795 Ihr wird jedoch nicht nur die Rolle zuteil, die Berufswahl zu konkretisieren. 796 Was unselbstständige Berufe betrifft, so bildet sie zugleich die Voraussetzung für die Berufsaufnahme. Derjenige, der eine unselbstständige Tätigkeit übernehmen möchte, ist darauf angewiesen, dass er „Zugang zu fremdgeschaffenen Arbeitsplätzen hat, die auf vorausgehende Investitionen und Dispositionen der Unternehmer beruhen und marktwirtschaftlich angeboten werden“. Die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz frei zu wählen, ist hier Voraussetzung bzw. „Medium“, wenn es darum geht, von der Berufswahlfreiheit Gebrauch zu machen. 797 Trotz der Tatsache, dass alle drei Elemente im Grundrechtstatbestand eigenständige Teilsektoren bilden und sich somit als Unterprinzipien innerhalb des Prinzips 791 792 793 794 795 796 797
H. Rittstieg, in AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 88. H. Rittstieg, in AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 86 m. w. N. Vgl. BVerfGE 7, 377 ff. (402 f.); vgl. zum „Menschenbild des GG“ auch Fn. 591. BVerfGE 13, 181 ff. (185) mit Verweis auf BVerfGE 7, 377 ff. (403, 405). Vgl. Fn. 779. Auf diese Funktion verweist das BVerfG, in: E 84, 133 ff. (146). So R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 69.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
der Berufsfreiheit begreifen lassen, stehen sie nicht nur inhaltlich (weitgehende qualitative Identität) und systematisch 798 in engstem Zusammenhang, sondern darüber hinaus auch wertungsmäßig auf einer Stufe. 799 Man kann auch davon sprechen, dass die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung, die Arbeitsplatzwahlfreiheit und die Berufswahlfreiheit ein und dasselbe Prinzip, wenn auch jeweils mit einem unterschiedlichen Konkretisierungsgrad, beschreiben: Autonomie des Einzelnen die fundamentalen Weichenstellungen seines beruflichen Werdegangs betreffend! Alle drei Teilsektoren weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie den prinzipiell unantastbaren Kern der individuellen Selbstbestimmung in beruflicher Hinsicht beinhalten. 800 Trifft der jeweilige Grundrechtsträger diesbezüglich Entscheidungen, so haben diese unmittelbare Auswirkungen auf die Konstituierung seiner Persönlichkeit bzw. bilden das Fundament, auf das seine weitere Persönlichkeitsentwicklung aufbaut. Das kann jedoch nicht bedeuten, dass die Berufsausübung im Vergleich zu den anderen Teilfreiheiten eine „pauschale Geringschätzung“801 erfährt. Davon könnte nur gesprochen werden, wenn sie ihres verfassungsrechtlichen Stellenwertes im wirtschaftsverfassungsrechtlichem System vollständig beraubt würde. Von einer „Geringschätzung“ in diesem Sinne ist aber ausdrücklich das zu unterscheiden, was sich im Vergleich der Systembestandteile mit den Worten „relativ geringere Gewichtung“ bezeichnen lässt. 802 Eine solche Betrachtung nimmt das axiologische Verhältnis meh798 Vgl. hierzu H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 112 und R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S. 43 ff. u. 45 ff. 799 R. Breuer hebt diese axiologische Identität, mit Blick auf die Eingriffsebene, insbes. für das Verhältnis von Arbeitsplatzwahl- und Berufswahlfreiheit hervor. Er stellt fest: „Orts- oder gebietsbezogene Kontingentierungen“, die berufliche Niederlassung betreffend, „stehen gleichartig und gleichwertig neben sonstigen objektiven Berufszulassungsschranken“, d. h. Berufswahlregeln (ders., in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 68). G. Manssen (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Abs. 1 Rn. 13) hält hingegen die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung und die Arbeitsplatzwahlfreiheit in axiologischer Hinsicht für nicht gleichgewichtig. Nach seiner Auffassung hat die Wahl eines Ausbildungsplatzes „eine noch stärkere Affinität zur Persönlichkeitsentwicklung und damit zu Art.1 Abs. 1 GG als die Wahl des Arbeitsplatzes“. 800 Vgl. hierzu auch G. Hoffmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, 1981, S.85 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG. 801 F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, S. 2913 ff. (2917 f.). 802 Auch systemextern, d.h. ihm Rahmen von abwägungsspezifischen Begründungen ist von „relativen Gewichten“ bezugnehmend auf Prinzipien die Rede. Die hier verwendete Formulierung darf damit nicht verwechselt werden. Vorliegend geht es ausschließlich um eine abstrakte Verhältnisbestimmung zwischen der Berufsausübungsfreiheit und den anderen Berufsfreiheiten zum Zwecke der Erzielung eines systeminternen Gleichklangs, d.h. um Stellenwertbestimmung im System und nicht um die Auflösung eines Kollisionsverhältnisses bezogen auf den Einzelfall. Vgl. hierzu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 146, der sich dagegen ausspricht, dass das Gewicht von Prinzipien „an sich“ bestimmtbar ist. Alexy beschränkt die Betrachtung dabei zu eng auf den Abwägungsvorgang und verkennt, dass einem Prinzip noch bevor es in die Abwägung eingeht durchaus eine gewisse, systemerzeugte abstrakte Gewichtung zuteil werden kann. Ebenfalls kritisch, wenn auch nicht gänzlich ablehnend W. Enderlein, Abwägung in Recht und Moral, 1992, S. 100. In die hier vertretene Richtung einer systemer-
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rerer Systembestandteile untereinander ins Visier, ohne eines davon gänzlich entwerten zu wollen. 803 Einen ersten Schritt in diese Richtung geht das Bundesverfassungsgericht, wenn es den unterschiedlichen Bedeutungsgehalt von Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit mit dem im Wortlaut zum Ausdruck kommenden Willen der Verfassung zu erklären versucht. 804 Die Freilegung dieses „Verfassungs(-gewichtungs)willen“ ist das Ziel einer über das Verfassungsgesetz hinausreichende wertgeladene Argumentation. Die Zusammenhänge lassen sich im Folgenden exemplarisch am Verhältnis Berufswahl-/Berufsausübungsfreiheit beschreiben. 805 Neben dem Wortlaut kann die faktische Angewiesenheit beider Freiheitssektoren aufeinander als Aufhänger der Wertung dienen. Berufsausübungsfreiheit ohne Berufswahlfreiheit kann schlechterdings nicht sein. 806 Man kann daher auch von der Berufsausübungsfreiheit als unterscheidbares Folgesegment der Berufswahlfreiheit sprechen. Bleibt das Eingangstor der Berufswahlfreiheit verschlossen, so ergibt sich die Möglichkeit zur freien Ausübung eines Berufes erst gar nicht. Persönlichkeitsentfaltung in beruflicher Hinsicht ist dann schlichtweg unmöglich. Umgekehrt gilt zwar im Ergebnis sicherlich nichts anderes. Berufswahlfreiheit ohne Berufsausübungsfreiheit wäre allenfalls theoretisch denkbar, praktisch wäre sie aber nichts wert. Man könnte daher meinen, dass sich beide Konstellationen in nichts nachstehen und sich mithilfe dieser Argumentation kein Wertrang begründen ließe. Diese Sicht würde jedoch einen entscheidenden Umstand übersehen. Gemeint ist die vom Postulat der Menschenwürde im Gefolge der Rechtsidee ausgehende Konkretisierungswirkung. 807 Die Menschenwürdegarantie findet im Gewande der Berufswahlfreiheit eine höchst unmittelbare Ausprägung. Sie beinhaltet den prinzipiell unantastbaren Kern der individuellen Selbstverwirklichung in beruflicher Hinsicht, dessen Verletzung in den Fällen der totalen Berufswahlsperre durch den Staat die Wesensgehaltsgarantie auf den Plan ruft. 808 Die Menschenwürdegarantie drängt zwar nach einer weiteren Umsetzung auch auf der Folgeebene, d. h. auf der Ebene der Berufsausübungsfreiheit. Mehr noch: Sie fordert diese schlichtweg ein. Insofern kann letztlich auch von der Berufsausübung als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie gezeugten abstrakten Gewichtung von Prinzipien geht die Auffassung von J.-R. Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, in: Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (58 ff.), wobei auch Sieckmann die Betrachtung ausschließlich auf die Funktionsweise von Prinzipien in Abwägungsmodellen beschränkt. Was vorliegend als „relativ geringere Gewichtung im System“ bezeichnet wird, nennt Sieckmann „Kriterien für relative Gewichte“; vgl. 3. Kapitel § 4 II und insbes. Fn. 331 und 607. 803 Zur Kritik hieran vgl. 3. Kapitel § 4 II. 804 Vgl. hierzu Fn. 733. 805 Die gleichen Zusammenhänge gelten im Verhältnis zwischen der Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung und der Arbeitsplatzwahlfreiheit einerseits und der Berufsausübungsfreiheit andererseits. 806 Von einem Rangverhältnis geht auch R. Scholz (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 16) aus. 807 Vergleiche zur determinativen Wirkung der Menschenwürdegarantie 4. Kapitel § 1 I. 808 Vgl. Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 19 Abs. 2 Rn. 21. 11 Meyer
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sprochen werden. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Bande zur Menschenwürdegarantie von Konkretisierungsstufe zu Konkretisierungsstufe schwächer werden. Aus dem unmittelbaren Bezug der Berufswahlfreiheit entsteht daher der mittelbare Bezug der Berufsausübungsfreiheit. Daraus ergibt sich zugleich der im Vergleich zu den verbleibenden drei Teilsektoren niedrigere Wertrang der Berufsausübungsfreiheit. Was das „innere“ Verhältnis von Berufswahlfreiheit, Arbeitsplatzwahlfreiheit und Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung zur Berufsausübungsfreiheit betrifft, so ergibt sich abschließend aus der axiologisch-teleologischen Betrachtung Folgendes: Die „Angewiesenheit“ der Berufsausübungsfreiheit begründet eine Hierarchie, an deren Spitze die zuerst genannten Teilgewährleistungen stehen. Das darin zum Ausdruck kommende Wertrangverhältnis bildet methodisch betrachtet das Resultat der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit, d. h. des wertungsgemäß folgerichtigen Umsetzens der Menschenwürdegarantie. 809 Ergibt sich nach alldem eine axiologisch-teleologisch begründete Dichotomie zwischen der Berufswahlfreiheit einerseits und der Berufsausübungsfreiheit andererseits, so rechtfertigt dies eine unterschiedliche Handhabung der Schranken, d. h. der staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf die benannten Teilsektoren im Grundrechtstatbestand. Insoweit kann an die erläuterte Konzeption Lückes nahezu vollständig angeknüpft werden. 810 Für „reine“ Berufswahlregelungen gelten ausschließlich verfassungsimmanente Schranken. 811 Angesichts des hohen Stellenwertes der Berufswahlfreiheit, bedingt durch den engen Menschenwürdebezug, kann allerdings nicht jedes Verfassungsgut zur Eingriffsrechtfertigung herangezogen werden. Als verfassungsimmanente Schranken können insoweit nur Grundrechte Dritter sowie objektive, den Grundrechten gleichwertige Verfassungsgüter in Betracht kommen. 812 809 Vergleiche zur Werthierarchie innerhalb der Berufsfreiheit B.-O. Bryde, Artikel 12 Grundgesetz – Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, in: NJW 1984, S. 2177 ff. (2181); vgl. auch R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1981, S. 41 ff., der von „eigengewichtigen Ausprägungen“ der Berufsfreiheit spricht. Vergleiche zum Terminus „wertungsgemäße Folgerichtigkeit“ auch 3. Kapitel § 3 II und 3. Kapitel § 3 III zum Zusammenhang zwischen Menschenwürdegarantie und wertungsgemäßer Folgerichtigkeit siehe insbes. auch 4. Kapitel § 1 I. 810 Siehe hierzu: 4. Kapitel § 2 I. 5. 811 Noch weitergehender K. A. Schachtschneider (ders., Res publica res populi, 1994, S. 392 ff.), der mit Blick auf den Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 GG und angesichts des Umstands, dass Entscheidungen über die Berufswahl höchstpersönliche Entscheidungen sind, die dem Menschen nicht durch den Gesetzgeber aus der Hand genommen werden dürfen, „weil die Gesetze eben doch von Vertretern des ganzen Volkes und nicht vom Volk in seiner Gesamtheit beschlossen werden“, für eine gänzlich vorbehaltslose Gewährleistung der Berufswahlfreiheit plädiert. Das „Recht der freien Berufswahl“, so Schachtschneider, sei „gesetzlicher Regelung unzugänglich“. 812 Im Ergebnis wie hier J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S.36; vgl. zu dieser Problematik im Hinblick auf die Rechtfertigung staatlicher Monopole auch 4. Kapitel § 2 I. 6. b).
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Einzig das Unterfangen Lückes, die so genannten „vermischten“ Berufsregelungen einer „abgeschwächten Konkurrenzschranke“ zu unterstellen, erscheint fraglich, sobald das Konkurrenzverhältnis zwischen den Teilsektoren eine nähere Verdeutlichung erfährt: Tatsächlich stehen im Grundrechtstatbestand von Art. 12 Abs. 1 GG alle Freiheitssektoren im Verhältnis der Idealkonkurrenz zueinander, was bedeutet, dass sie, sofern betroffen, allesamt zum Tragen kommen. Dabei stellt sich das Problem, wie im Konflikfalle der von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG statuierte Regelungsvorbehalt mit den gleichermaßen einschlägigen verfassungsimmanenten Schranken in Einklang gebracht werden kann. Was die Auflösung der Kollision divergierender Schrankenanforderungen betrifft, so bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an. Eine Option bestünde darin, die kollidierenden Schranken zu verschmelzen und eine neue Schranke zu kreieren. Für diese Lösung hat sich Lücke entschlossen. 813 Er möchte im Rahmen der Gewinnung einer neuen „abgeschwächten Konkurrenzschranke“ entscheidend auf den Wert der am jeweiligen Verbund beteiligten Schranken abstellen. Dieser Schrankenwert würde zwar häufig nicht dem Rang der jeweils zugeordneten Grundrechte entsprechen. Eine „Wertberichtigung“ im Rahmen der Schrankenfindung verbiete sich jedoch mit Blick auf den Willen des Verfassungsgesetzgebers. 814 Beruhe das Nebeneinander der Freiheitssektoren auf einer Nachlässigkeit des Verfassungsgesetzgebers, sei es also ungewollt, so müsse die Harmonie grundsätzlich durch ein Verringerung der „höchsten“ am „Verbund“ beteiligten Schranke wiederhergestellt werden. 815 Zweifel an dieser Vorgehensweise sind angebracht. Es finden sich isofern keinerlei Anhaltspunkte im Grundgesetz. Die als Begründung herangeführte Harmonisierungswirkung, d. h. das Ziel einer schonenden Überwindung des „Fauxpas“ des Verfassungsgesetzgebers ließe sich zudem durch ein „Heraufstufen“ der am Verbund beteiligten niedrigsten Schranke erreichen. Der Haupteinwand richtet sich jedoch gegen das einseitige Abstellen auf die Wertigkeit der Schranken. Diese Betrachtung erweist sich in der Tat als verfehlt, weil sie den tatsächlichen Anknüpfungspunkt für eine Wertigkeitsbetrachtung aus den Augen verliert. Im Rahmen der aufgezeigten axiologisch-teleologischen Betrachtung wurde deutlich: Schranken eines Grundrechts bilden zwar ein Indiz, wenn es im Rahmen einer Abstraktion um die Freilegung der Tiefenstrukturen des jeweiligen Grundrechtes geht. Ursprünglicher als die Schranken ist jedoch die Freiheit, um deren Gewährleistung es letztlich geht. Schrankenvorbehalte eröffnen die Möglichkeit, diese Freiheit zu beschneiden, um gegenläufige Interessen zu sichern. Diese Zusammenhänge dürfen auf der Prinzipienebene nicht aus den Augen verloren werden. 816 Daraus folgt: Nicht die WertigVgl. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 41 ff. J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S. 46. 815 J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S.50 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 816 Vgl. hierzu: 4. Kapitel § 1 II. 3. 813 814
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keit einer Schranke bildet den Ansatzpunkt für die Auflösung einer Grundrechtskonkurrenz. Abzustellen ist vielmehr auf den Wertgehalt des grunddrechtlich geschützten Freiheitssektors. Dies lässt sich, wie am Beispiel der Berufswahl gezeigt, mit Blick auf die Menschenwürdegarantie und deren Konkretisierungswirkung begründen. Lücke erkennt zwar, dass der „Rang“ der Grundrechte wesentlich durch ihre Tatbestandsnähe zu Art. 1 Abs. 1 GG begründet wird, stellt jedoch hierauf letztlich nicht ab. Die Begründung der von ihm entwickelten „abgeschwächten“ Konkurrenzschranke kann daher nicht überzeugen. Die zweite, überzeugendere Möglichkeit, Idealkonkurrenzen mit divergierenden Schrankenanforderungen im Grundrechtsbereich zu lösen, besteht darin, eine der involvierten Grundrechtsschranken herauszugreifen und ihren Wirkungsrahmen auf die restlichen Teilgewährleistungen zu erstrecken. Dieses Ergebnis entspricht dem Sinn der Verfassung. Ist es dem Grundrechtsträger möglich, mehrere Teilgewährleistungen zu beanspruchen, so darf dieser Umstand ihm im Ergebnis nicht zum Nachteil gereichen. Es gilt: Die „jeweils geringste Einschränkungsmöglichkeit ist zu achten“. 817 Für den vorliegenden Fall kann dies nur bedeuten, dass „vermischte“ Berufsregelungen, die sowohl den Sektor der Berufsausübungsfreiheit als auch den der Berufswahlfreiheit betreffen, im Ergebnis ausschließlich an verfassungsimmanenten Schranken zu messen sind. d) Würdigung der divergierenden Konzeptionen im Hinblick auf die Eignung zur Systemfreilegung Die Konzeption von Art. 12 Abs. 1 GG als Grundrecht mit partikularen Teilgarantien und unterschiedlichen Schrankenanforderungen erweist sich nach alldem, entgegen der überwiegenden Auffassung, sowohl als handhabbar als auch axiologisch begründbar. Für dieses Modell streitet zudem der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG. Es müssen sich daher andere, „gute“ Gründe finden lassen, die für die verfassungsgerichtliche „Rechtsschöpfung“ 818 sprechen. Der bloße Hinweis auf die langjährige Übung und die verbreitete Anerkennung genügen für sich genommen nicht. Für die Beibehaltung der Stufenstruktur spricht vor allem ihre Praxistauglichkeit. Sie wurde seit dem Apothekenurteil „wesentlich verfeinert und fortentwickelt“. 819, 820 Für die Gegenwart gilt: „Als systematisches Koordinatensystem“ hat das Modell „auf einer mittleren Abstraktionsebene zwischen der Verfassungsnorm des Art. 12 P. Lerche, in: HStR, Bd. V, 2000, § 122 Rn. 48 m. w. N. Insbes. R. Scholz (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.II, Art.12 Rn.319) spricht mit Blick auf die Drei-Stufen-Theorie von einer „rechtsschöpferischen Tätigkeit“ des BVerfG. 819 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 8. 820 In der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG sind indes auch Rückschritte erkennbar (vgl. BVerfGE 102, 197 ff. (214 f.)); kritisch hierzu H. Sodan, Verfassungsrechtsprechung im Wandel – am Beispiel der Berufsfreiheit, in: NJW 2003, S. 257 ff. (259 f.). 817 818
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Abs.1 GG und der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebenswirklichkeit den Zugang zu typisierten und zugleich differenzierten Kategorien verschiedener Fallund Problemlagen eröffnet“. 821 Dabei hat das Modell zugleich den Vorteil, dass mit ihm ein Hang zu „begrifflicher und systematischer Rationalität“ einhergeht. 822 Auch lässt sich mithilfe der installierten Abwägungsmechanismen ein Optimum an Einzelfallgerechtigkeit erzielen. Nach dem heutigem Entwicklungsstand bildet die Zuordnung eines staatlichen Eingriffs zu einer Stufe allenfalls einen ersten Schritt, d. h. einen groben Rahmen für die nachfolgende Verhältnismäßigkeitskontrolle. Danach erfolgt eine stufeninterne Kontrolle, bei der zu prüfen ist, „ob die gesetzlich bewirkte oder fundierte, generell-abstrakt geregelte Beschränkung der Berufsfreiheit nach den Abwägungsmaßstäben ‚ihrer‘ Stufe durch den Gemeinwohlzweck des Gesetzes gerechtfertigt wird“. 823 Zuletzt schließt sich eine die individuelle Betroffenheit berücksichtigende Endkontrolle an, bei der das bislang erzielte Ergebnis in atypischen Fällen eine Korrektur erfahren kann. Gegebenfalls wäre hiernach eine Berufsausübungsregelung ausnahmsweise als Berufswahlregelung oder eine subjektive Zulassungsschranke im Hinblick auf ihre Wirkung als objektive Zulassungsschranke zu deuten. Die „Zensurfunktion“ der einzelfallorientierten Endkontrolle greift zudem in Fällen der „Altbetroffenheit“ ein. 824 Angesichts der geschilderten Vorzüge darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein Rückgriff auf die herrschende Konzeption zu deutlich nachteiligen Konsequenzen für die Systemfreilegung führen würde: Unterschiede, die im Hinblick auf die deontische Struktur der Berufsfreiheit bestehen, auf die der Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 GG klar verweist, würden von Anfang an eingeebnet. In der Konsequenz würde das komplexe Geltungsverlangen der Berufsfreiheit als Prinzip im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System weitgehend verunklart. Mit anderen Worten: Dadurch, dass die in Art. 12 Abs. 1 GG aufgeführten Teilfreiheiten lediglich als „Chiffren für unterschiedliche Blickwinkel innerhalb eines einheitlichen Berufsgrundrechts anzusehen sind“ 825, verschwimmt der ursprünglich differenzierte prinzipielle Verhaltensappell weitgehend. Das wortlautindizierte, interne Differenzierungsgebot kommt also in der prima-facie-Aussage des Prinzips „Berufsfreiheit“ nicht mehr deutlich zum Tragen. 826 Die Konzeption der Rechtsprechung und herrschenden Auffassung im Schrifttum behindert somit die systematische Untersuchung der Wirtschaftsverfassung, da sie die grundrechtsinternen qualitiativen Unterschiede, die maßgeblich für die Schutzbereichsbestimmung und die Ableitung daraus resultierender prima-facie-Aussa821 822 823 824 825 826
R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 8. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 8. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 9. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 10. P. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 12 Rn. 82. Vgl. R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1981, S. 42 m. w. N.
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ge(n) sind, nicht hinreichend berücksichtigt. 827 Ein „inneres“ System, das auf die Darstellung und Verwirklichung der inneren Einheit des Analysegebietes zielt, ist jedoch seinerseits auf eine möglichst weitgehende, qualitative wie quantitative Aufschlüsselung der Erkenntnisbasis angewiesen. Dem Systemauftrag kann letztlich nur dann entsprochen werden, wenn alle relevanten Aussagen differenziert mit Blick auf Inhalt, Gehalt und Stellenwert im System berücksichtigt werden. Mit dieser eingeschränkten Tauglichkeit der herrschenden Konzeption im Rahmen der Systemfreilegung geht im direkten Vergleich mit der hier favorisierten wortlautindizierten Differenzierungsthese ein weiterer schwerer Mangel einher. So übersieht die vom Bundesverfassungsgericht und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum praktizierte Betrachtungsweise, dass die Berufswahlfreiheit, die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung und die Arbeitsplatzwahlfreiheit Positionen sind, die allenfalls in den Wettstreit mit gleichwertigen Verfassungsgütern treten können. Für die Einschränkung dieser Freiheiten genügt deshalb ein erhöhter Begründungsaufwand seitens des Gesetzgebers für sich genommen nicht. An dieser Stelle liegt der Haupteinwand gegen das Stufenmodell begründet, der sowohl auf der systeminternen, vor allem aber auf der systemexternen Ebene zum Tragen kommt. Gemeint ist der Rückgriff auf die „rechtsdogmatische Figur des gesetzlich konstituierten Gemeinwohls“. 828, 829 Aller konstruktiven Mühe zum Trotz bleibt die Vagheit dieses 827 Nicht zu überzeugen vermag der Ansatz von M. Borowski (ders., Grundrechte als Prinzipien, 1998, S. 29 (Fn. 2), der die „prima-facie-Problematik“, welche die h. M. mit der „Einheitsbetrachtung“ erzeugt, dadurch umschiffen möchte, dass er zwei Schutzbereichsbegriffe voneinander unterscheidet. Im Ergebnis konstruiert er aus dem nach der h. M. einheitlichem Grundrecht der Berufsfreiheit mithilfe eines „Schutzbereichs im weiteren Sinne“ kurzerhand das „Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit“. Überzeugend ist diese Position nicht, denn unzutreffend ist seine Prämisse: Der „Schutzbereich“ ist nicht das, was ein Grundrecht „prima facie“ verlangt. Dies würde in der Tat bedeuten die Gewährleistungszusammenhänge auf den Kopf zu stellen. Sondern „prima facie“ gewährleistet ist das, was der Schutzbereich bietet. Der Schutzbereich im grundrechtsdogmatischen Sinne, besser: der jeweilige Prinzipieninhalt, gestaltet die prima-facie-Position, nicht umgekehrt! Außerdem verfolgt die von R. Alexy stammende Konstruktion eines Schutzbereichs im weiteren Sinne den Zweck, das Eingriffselement in die Betrachtung zu implementieren. Sie löst nicht im Ansatz die mit der herrschenden „Einheitsbetrachtung“ einhergehende Problematik. Wird die herrschende Meinung der Betrachtung zugrundegelegt, so bleibt das grundrechtliche Schutzgut, auf dass sich der Eingriff im Rahmen einer weiten Schutzbereichsbetrachtung bezieht, entgegen Borowski weiterhin die gesamte berufliche Tätigkeit. Dass die Unterscheidung zwischen engem und weitem Tatbestand die beschriebene Problematik nicht löst, zeigt auch die Darstellung bei R. Alexy, der, ohne die Auseinandersetzung mit der h. M. zu führen, in seinen Beispielsfällen jeweils die Berufswahlfreiheit als Schutzgut anführt (vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 273 ff.). 828 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 12. 829 Dieses Konstruktionselement, welches von Stufenebene zu Stufenebene graduell variiert, soll im Rahmen der differenzierten Verhältnismäßigkeitsprüfung den staatlichen Eingriff in die Berufsfreiheit jeweils legitimieren, d. h. als Maßstab hinsichtlich der Legitimationsanforderungen fungieren. Die staatlichen Eingriffe in die Berufsfreiheit sind also jeweils an den besagten Gemeinwohlkriterien zu messen. Das BVerfG unterscheidet bekanntlich im Hinblick auf Berufsausübungsregeln sowie subjektiven und objektiven Zulassungsvoraussetzungen
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Begründungsansatzes dem praktizierten Stufenmodell nach wie vor inhärent. Lässt sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch in sich verfeinern oder modifizieren, so fungiert weiterhin als „Archimedische[r] Punkt der Begründung [...] der Bezug zu Gemeinwohl und Gemeinschaftsgut“. 830 Die Begriffe „vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls“, „wichtige Gemeinschaftsgüter“ oder „überragend wichtige Gemeinschaftsgüter“ hätten deshalb von Anfang an einer eingehenden Klärung durch das Bundesverfassungsgericht bedurft. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verantwortung nicht wahrgenommen, sondern im Gegenteil die Begriffsausfüllung in fataler Weise dem Gesetzgeber überlassen. Es hat ihm sozusagen eine „Eigendefinitionskompetenz“ in Bezug auf diejenigen Gemeinwohlbelange oder Gemeinschaftsgüter eingeräumt, an denen letztlich sein Handel gemessen werden soll.831 Die damit verbundene In-Sich-Legitimation für Grundrechtseingriffe in die Berufsfreiheit hat zu Recht scharfe, wenn auch letztlich bis zum heutigen Tage folgenlose Kritik hervorgerufen. 832 Allem Anschein nach wird das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auch weiterhin gestatten, unter Berufung auf vermeintlich „überragend wichtige Gemeinschaftsgüter“, wie beispielsweise „Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs“, „Schutz vor ungeeigneten Rechtsberatern“ oder „Aufbau effektiver Verwaltungsstrukturen in den neuen Ländern“, die Essentialia der menschlichen Persönlichkeitentfaltung einzuschränken. 833 Von gleichwertigen Verfassungsgütern im oben postulierten Sinne kann hier jedenfalls nicht die Rede sein. 834 Nach alldem wird deutlich, warum das hier präferierte Modell (partikularer Grundrechtstatbestand, d. h. Unterscheidung zwischen Unterprinzipien und unterschiedliche Schrankenhandhabung) im Vergleich zur herrschenden Konstruktion generell vorzugswürdig ist. Es trägt, im Gegensatz zum Standpunkt der überwiegenden Auffassung, der unterschiedlichen axiologischen Bedeutung der Teilsektoren von Art. 12 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung. Vor allem aber stellt es die Festlegung solcher Gründe, die die Konkretisierungsfunktion der Menschenwürdegarantie auf zwischen vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls, die eine Beschränkung zweckmäßig erscheinen lassen und zwischen überragenden und überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern, die der Freiheit des Einzelnen entgegenstehen. 830 F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, NJW 1994, S. 2913 ff. (2918). 831 Vgl. BVerfGE 13, 97 ff. (107); a. A. offenbar H. J. Papier, in: FS für K. Stern, 1997, S. 543 ff. (554 f.). 832 Vgl. H. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 92 (1967), S. 212 ff. (234 f.); P. Häberle, „Gemeinwohljudikatur“ und Bundesverfassungsgericht, in: AöR 95 (1970), S. 86 ff. (101 f.). 833 Vgl. BVerfGE 11, 168 ff. (184 f.), E 75, 246 ff. (267); E 84, 133 ff. (151 f.). Weitere Hinweise zur Judikatur finden sich bei D. C. Umbach, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. I, 2002, Art. 12 Rn. 101. 834 Durch die neuerdings erkennbaren Tendenzen in der Rechtsprechung des BVerfG, dem Gesetzgeber bei Eingriffen in die Berufswahlfreiheit einen breiteren Beurteilungsspielraum im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfungen einzuräumen (vgl. BVerfGE 102, 197 ff. (218), wird der hier beschriebene, freiheitsmindernde Effekt weiter verstärkt; kritisch hierzu H. Sodan, Verfassungsrechtsprechung im Wandel – am Beispiel der Berufsfreiheit, in: NJW 2003, S. 257 ff. (260).
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der unmittelbaren Bezugsebene entwerten, nicht dem Gesetzgeber anheim. Auch den Anforderungen der Prinzipienebene mit Blick auf das Prinzip „Abwehr“ kann mit der hier favorisierten Lösung eher entsprochen werden. Denn was die Bedeutung der Berufsfreiheit als „negative Kompetenznorm“ betrifft, so macht es durchaus einen Unterschied, ob die Unterscheidung der Freiheitsfelder von Anfang an besteht und diese als Bestandteile eines umfassenden Systems einen differenzierten Verhaltensappell in alle Bereiche der Rechtsordnung senden, oder ob staatliches Tätigwerden sich zunächst mit dem abstrakten Sammelbegriff „Berufsfreiheit“ konfrontiert sieht und ex post anhand des Einzelfalles, d. h. lediglich punktuell überprüft wird, wobei dem Gesetzgeber aufgrund seiner Gemeinwohldefinitionskompetenz weitgehend eine Bestimmung der Gegengewichte der beruflichen Freiheiten obliegen soll. Im erstgenannten Fall kommen die Wertentscheidungen der Verfassung unverfälscht zum Ausdruck. Demgegebenüber besteht im letztgenannten Fall zumindest die Gefahr, dass die Wertentscheidungen der Verfassung durch diejenigen des Gesetzgebers überlagert werden. 6. Gehalt des Prinzips „Abwehr“ bei der Berufsfreiheit a) Prima-facie-Gewährleistung einer reglementierungsfreien beruflichen Betätigung, Unternehmerfreiheit und das Prinzip der Öffnung und Offenhaltung der Märkte Funktionell betrachtet gilt für den Abwehrcharakter als Prinzip bei der Berufsfreiheit nichts anderes als bei den übrigen Freiheitsrechten: Er genießt gegenüber allen anderen aus der Prinzipienebene abgeleiteten Grundrechtsdimensionen den Vorrang. 835 Die tiefenstrukturellen Aussagen liefern aber, wie gesehen, nicht nur die (methodische) Begründung für das Prinzip „Abwehr“ selbst. 836 Sie formen zugleich den staatlicherseits freizuhaltenden Freiheitssektor inhaltlich aus, d. h. verdeutlichen, was unter „grundrechtlicher Freiheit“ jeweils auf der Prinzipienebene gemeint ist. Damit liefern sie dem Prinzip „Abwehr“ die grundsätzlichen Wertungen in Bezug auf das Schutzobjekt. Es gewinnt erst dadurch inhaltlich an Kontur. Trotz der Wertungsunterschiede im Grundrechtstatbestand lässt sich ein alle Teilsektoren übergreifender prinzipieller Grundkonsens ermitteln. Die gemeinsame Basis dafür bildet der „innere“ Sinnzusammenhang des Art. 12 Abs. 1 GG. Als zentrales Freiheitsrecht für das Arbeits- und Wirtschaftsleben 837 zielt das Grundrecht auf Konkretisierung der Menschenwürde, d. h. die Sicherstellung der freien Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen in beruflicher Hinsicht und zwar primär durch Vgl. hierzu: 4. Kapitel § 1 II. 3. Daneben fungieren sie auch als methodischer Ausgangspunkt für die Gewinnung weiterer Grundrechtsdimensionen (vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 IIVgl. insbes. 4. Kapitel § 1 II. 1. c)). 837 Vgl. P. J. Tettinger, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003 Art. 12 Rn. 9. 835 836
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die Gewährleistung essentieller Freiräume, die geistige und wirtschaftliche Lebensgestaltung betreffend. Die Autonomie jedes Einzelnen, berufliche Entscheidungen zu treffen, ist von Seiten des Staates zu achten. 838 Hieran gemessen stellt die staatliche Einflussnahme auf die Entfaltung der beruflichen Freiheiten, z. B. durch Festsetzung von Ausbildungszielen, Berufsabschlüssen oder Berufsbildern, regelmäßig einen Freiheitseingriff dar. Dem Prinzip „Abwehr“ entsprechend, haben derartige Maßnahmen prima facie zu unterbleiben. 839 Es zielt somit auf eine „möglichst unreglementierte berufliche Betätigung“ ab. 840, 841 Hierzu hält das Bundesverfassungsgericht fest: „Die Berufsfreiheit verwirklicht sich gegenwärtig [...] vorwiegend im Bereich der privaten Berufs- und Arbeitsordnung und ist hier vornehmlich darauf gerichtet, die eigenpersönliche, selbstbestimmte Lebensgestaltung abzuschirmen“. 842 Sie soll also die Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit der Wahl und der Ausübung des Berufes gewährleisten. Prinzipiell und als prinzipienerzeugtes prima-facie-Recht wird vor allem die „Unternehmerfreiheit“, d. h. die Möglichkeit zur freien Gründung und Führung von Unternehmen gewährleistet. 843 Die Berufsfreiheit „überantwortet damit den Privatrechtssubjekten und ihrer Autonomie das Recht, Produktionsfaktoren durch dezentrale Planungs- und Leitungsakte zu einem Produktionserfolg zu kombinieren“. 844 Zielsetzung ist es, das dezentrale Wertschöpfungspotential der Gesellschaft dadurch zu entfalten, dass die Freiheitsinhaber beruflichen Chancen und Risiken ausgesetzt werden. 845 Vgl. hierzu F. Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz, 2000, S. 100 f. Vgl. M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998, S. 29 (Fn. 2). 840 BVerwGE 95, 341 ff. (348); G. Manssen, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd.I, 1999, Art. 12 Rn. 4. 841 Noch weiter gehender G. Uber (ders., Freiheit des Berufs, 1952, S. 27 f. sowie S. 101 ff., 135 ff. u. 146 f.), der mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG vom Grundsatz „in dubio pro libertate“ als „obersten Auslegungsgrundsatz“ ausgeht; von einer „grundsätzlichen Freiheitsvermutung“ spricht auch das BVerfG: E 12, 281 ff. (295 f.); E 18, 353 ff. (364); E 48, 376 ff. (388); a. A. insoweit R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 10; vgl. auch BVerwGE 52, 42 ff. (46), wonach Art. 12 Abs. 1 kein Gebot enthalte, Prüfungsvorschriften im Zweifel zugunsten des Prüflings auszulegen. Grundlegend zum Grundsatz „in dubio pro libertate“ im Verfassungsrecht P. Schneider, in: FS DJT, Bd. II, 1960, S. 263 ff.; ders., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 1 ff. (31 ff.); vgl. auch A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 272 ff., der den Satz „in dubio pro libertate“ als allgemeine Auslegungsregel zu Recht für entbehrlich hält und den Rückgriff auf ein Regel-Ausnahme-Prinzip präferiert (vgl. hierzu: 4. Kapitel § 1 III). Vgl. zum „liberalen Denkmodell“ im Hinblick auf die Berufsfreiheit BVerfGE 7, 377 ff. und BVerfGE 11, 30 ff.; vgl. auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 12 Rn. 41 ff. 842 BVerfGE 33, 303 ff. (331). 843 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (363); vgl. aber auch U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GGKomm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 126, der die Unternehmerfreiheit bei Art.2 Abs. 1 GG verortet, ohne das Spezialitätsverhältnis zu Art.12 und 14 GG zu beachten (vgl. hierzu 4. Kapitel §2 IV). 844 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 48. 845 Vgl. O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (242). 838 839
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Diese Freiheitsgewähr erscheint nur denkbar, wenn Art. 12 Abs. 1 GG zugleich auch das „Prinzip der Öffnung und Offenhaltung der Märkte“ zum Ausdruck bringt, denn eine umfassende Gewerbe- und Marktzutrittsfreiheit bildet die unabdingbare Voraussetzung unternehmerischen Erfolges. 846 Dies gilt freilich nicht nur für die Freiheit von Unternehmern, in den Wettbewerb mit anderen zu treten, sondern auch dafür, sich im Wettbewerbsgeschehen ohne staatliche Reglementierung und Verzerrung desselben behaupten zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat grundsätzlich klargestellt, dass im „Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung [...] das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb Bestandteil ihrer Berufsausübung“ ist. 847 Bereits an dieser Stelle seien Zweifel geäußert, ob die genannten freiheitlichen Schutzausprägungen ausschließlich der Berufsfreiheit als Prinzip zuzuordnen sind. 848 Wie noch aufzuzeigen sein wird, liefern beide vielmehr einen wichtigen Ansatzpunkt, wenn es bei der Herstellung der Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System darum geht, so genannte „innere Sinngesamtheiten“ bzw. „eigene Schutzqualitäten“ zu ermitteln. 849 Wegen Art. 19 Abs. 3 GG gilt der Freiheitsschutz sowohl für den einzelnen privaten Unternehmer als auch für privatrechtliche Vereinigungen. Auch Großunternehmen und Konzerne müssen, trotz der personalen Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG, auf diesen Schutz nicht verzichten. 850 Hierzu stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Wahrnehmung von Unternehmerfreiheit ist sowohl die Gründung und Führung eines Klein- oder Mittelbetriebes als auch die Tätigkeit eines Großunternehmens. Während sich bei den beiden Erstgenannten der personale Grundzug des Grundrechts auch im wirtschaftlichen Bereich voll verwirklicht, geht dieser bei Großunternehmen nahezu gänzlich verloren; er mag sich noch bei einem maßgebenden Anteilseigner finden, vor allem wenn dieser, wie bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung möglich, zugleich in der Leitung des Unternehmens tätig ist. [...] Diese Sachlage kann indessen nicht dazu führen, Unternehmerfreiheit auf kleine und mittlere Unternehmen zu beschränken: Großunternehmen und auch Konzerne sind wesentliche Elemente einer hochentwickelten und leistungsfähigen Volkswirtschaft“. 851 Der erhöhte „soziale Bezug“ bzw. die erhöhte „soziale Funktion“ im J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 23. BVerfGE 46, 120 ff. (137). 848 So hat das BVerfG beispielsweise im Mitbestimmungsurteil die unternehmerische Freiheit sowohl an Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 1 GG und subsidiär an Art. 2 Abs. 1 GG gemessen (vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (339 ff.)); vgl. auch M. Hoffmann, Der grundrechtliche Schutz der marktwirtschaftlichen Unternehmenstätigkeit und der gesellschaftsrechtlichen Unternehmensorganisation durch die „Unternehmensfreiheit“, 1988, S.127 f.; vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 5. c), 4. Kapitel § 2 III. 1, 4. Kapitel § 2 III. 2, 4. Kapitel § 2 IV. 2 und 4. Kapitel § 3 II. 1. 849 Auf die im Rahmen der Grundrechtsexegese ermittelten Gewährleistungsdimensionen wird aus diesem Grunde noch zurückzukommen sein; vgl. hierzu 4. Kapitel § 3 I und im Besonderen 4. Kapitel § 3 II. 850 Vgl. schon 4. Kapitel § 2 I. 3. 851 BVerfGE 50, 290 ff. (363 f.). 846 847
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Zusammenhang mit dem Freiheitsgebrauch wird allerdings bei einer systemexternen Abwägung der prima-facie-Freiheit schneller dazu führen, dass Schranken i. e. S. gezogen werden können, als wenn die Wahrnehmung von Berufsfreiheit „Ausdruck einer individuellen Persönlichkeitsentfaltung“ ist. 852 b) Besondere wirtschaftsverfassungsrechtliche Ausprägungen des Prinzips „Abwehr“ Auf drei wirtschaftsverfassungsrechtlich besonders relevante Konstellationen staatlichen Eingriffshandelns soll im Folgenden exemplarisch das Prinzip „Abwehr“ „angewendet“ werden. Es wird sich zeigen, dass sich insofern eine noch speziellere und dennoch verallgemeinerungsfähige Aussage als Prinzip gewinnen lässt. (1) Abwehr von öffentlichen Monopolen sowie staatlicher Konkurrenzwirtschaft Berufliche Tätigkeiten, an denen sich der Staat ein Monopol vorbehält, fallen ungeachtet dieser exklusiven staatlichen Inanspruchnahme in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG. 853 Zu unterscheiden sind Finanz- und Verwaltungsmonopole. Finanzmonopole verfolgen einzig das Ziel, öffentliche Einnahmequellen dadurch zu erschließen, dass den Privaten die entsprechende Tätigkeit untersagt wird. 854 Verwaltungsmonopole funktionieren ähnlich 855, dienen aber der Erreichung eines jeweils näher zu bestimmenden öffentlichen Zweckes. 856 Für beide gilt stets als Charakteristikum, dass sie ihre freiheitsbegrenzende Wirkung noch vor der Berufsaufnahme abschließend entfalten. Sie entfalten von vornherein eine derart strikte Wirkung, dass „sie den Gedanken an eine spätere Berufsausübung bei den an diesem Beruf zunächst interessierten Personen ernsthaft gar nicht aufkommen lassen“. 857 Staatliche Maßnahmen, die darauf abzielen, ein Monopol zu verankern oder ein bereits bestehendes beizubehalten, sind typischerweise „reine“ BerufsBVerfGE 50, 290 ff. (365); vgl. auch H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 49. A. A. O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd.III/1, 1958, S.155 ff. (201). Anders offenbar auch das BVerfG mit Blick auf landesrechtliche Gebäudeversicherungsmonopole, vgl. hierzu Fn. 865. 854 Vgl. P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 81 ff., 218 ff. 855 Zwei Gestaltungsmöglichkeiten kommen insofern in Betracht: So kann die berufliche Tätigkeit Privaten untersagt werden. Denkbar erscheint aber auch der an Private gerichtete Zwang zur ausschließlichen Nutzung der öffentlichen Veranstaltung oder Einrichtung (Anschluss- bzw. Benutzungszwang); vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 40. 856 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Bd. II, Art. 12 Rn. 406 ff. 857 In dieser Fallkonstellation kann sich der vom BVerfG beschworene „einheitliche Komplex der beruflichen Betätigung“, der nach der einschlägigen Judikatur den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ausmachen soll, erst gar nicht konstituieren – ein weiteres Argument gegen die „Einheitsthese“. 852 853
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wahlregelungen. 858, 859 Die Erkenntnis, dass es sich insofern um einen bestimmten staatlichen Eingriff durch Zugriff auf ein bestimmtes Freiheitssegment handelt, kann als Ausgangspunkt dafür dienen, das allgemeine Prinzip „Abwehr“ wertungsgemäß folgerichtig zu präzisieren. Dieses „neu“ gewonnene Prinzip, welches das allgemeine Prinzip „Abwehr“ in einem konkreten Anwendungsfall beschreibt, enthält im Vergleich hierzu eine speziellere Normaussage. Das Prinzip muss lauten: Die Errichtung und Beibehaltung staatlicher Monopole bildet einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit und indiziert eine Verletzung derselben; der Staat hat sich ihrer grundsätzlich zu enthalten! 860 Mit dieser Indizwirkung wird indes keine Besonderheit staatlicher Monopole zum Ausdruck gebracht. Sie gilt aufgrund der prima-facie- Gewährleistung individueller Freiheit für sämtliche Eingriffe. Besonderheiten ergeben sich hier jedoch, was das Gewicht der prima-facie- Position betrifft. Ihre Stärke resultiert aus dem hohen axiologischen Stellenwert der Berufswahlfreiheit, welcher seinerseits die hohen Anforderungen an die Entkräftung der Position rechtfertigt. In Betracht kommen insofern nur Grundrechte Dritter sowie objektive, den Grundrechten gleichwertige Verfassungsgüter. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trägt dem nicht Rechnung. 861 Zahlreiche Entscheidungen, die die Verfassungsmäßigkeit von Monopolen betreffen, erweisen sich insoweit als fragwürdig. So hat das Bundesverfassungsgericht die bloße Erwähnung von Finanzmonopolen in Art. 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 und 108 Abs. 1 S. 1 GG zum Anlass genommen, bereits hieraus eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit zu konstruieren. 862 Aus diesen Normen, so das Bundesverfassungsgericht, würde sich eine „grundgesetzliche Billigung“ der (damals) bereits vorhandenen Monopole (Branntwein- und Zündwarenmonopol) „im großen“ ergeben. 863 Damit würden „diejenigen Beschränkungen der freien wirtschaftlichen Betätigung des einzelnen, die sich aus der vom Grundgesetz angetroffenen Struktur der Monopole notwendig 858 Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 64; vgl. auch BVerfGE 21, 245 ff. (250 f.). 859 Im Ergebnis wie hier J. Lücke, Die Berufsfreiheit, 1994, S.36; vgl. zu dieser Problematik im Hinblick auf die Rechtfertigung staatlicher Monopole auch 4. Kapitel § 2 I. 6. b). 860 Die Schärfe in der Formulierung folgt aus dem Umstand, dass Monopole regelmäßig in Konflikt mit dem abwägungsresistenten Bereich (Wesensgehalt) der Berufswahlfreiheit geraten können; vgl. hierzu Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.II, Art.19 Abs.2 Rn. 21; vgl. auch 4. Kapitel § 2 I. 5. c); vgl. allgemein zum Wesensgehalt der Grundrechte: 4. Kapitel § 1 VI. 861 Als zu weitgehend erweist sich die verfassungsgerichtliche Judikatur, wenn sie zu den verfassungsimmanenten Schranken generalisierend feststellt: Nur „kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen“ (BVerfGE 28, 243 ff. (261). 862 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 5 V. 863 BVerfGE 14, 105 ff. (111).
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ergeben, im Prinzip hingenommen und gebilligt“. Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG läge nicht vor. 864 Gleichermaßen obskur wird zum Teil die Legitimation von Verwaltungsmonopolen betrieben. Die Aufrechterhaltung des landesrechtlichen Gebäudeversicherungsmonopols sieht das Bundesverfassungsgericht letztlich durch die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gewährleistet, die dem Bund u. a. die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das privatrechtliche Versicherungswesen zuweist. Aus der Beschränkung dieser Norm auf die Regelungsmaterie „privatrechtliches Versicherungswesen“ ergebe sich die Zuständigkeit der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG für die Regelung des öffentlich-rechtlichen Versicherungswesens und insoweit auch die Gestattung zur Beibehaltung des Monopols. In dogmatisch kaum haltbarer Weise soll zum Zwecke der Bestandswahrung offenbar der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG eine Eingrenzung erfahren. 865 Ähnlich kritisch müsste die öffentliche Konkurrenzwirtschaft an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen werden. Dieses Unterfangen findet in der Rechtsprechung 866 und im Schrifttum 867 wenig Unterstützung. Nach der überwiegenden Auffassung der Rechtslehre soll die Garantie der Berufsfreiheit keinen Schutz gegenüber staatlichem Wettbewerb und staatlicher Konkurrenzwirtschaft entfalten. Bereits ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG wird überwiegend verneint. Gleichermaßen wie bei der privaten, handele es sich bei der öffentlichen Konkurrenz lediglich um „eine weitgehend systemimmanente Verschärfung des marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks“. 868 Insofern könne nicht von einer Eingriffskonstellation, sondern nur von einem typischen Konkurrenzverhältnis gesprochen werden. 869 Der Berufsfreiheit wird damit „ein umwälzendes Verdikt gegen die öffentliche Eigenwirtschaft sowie eine Abwehrfunktion gegenüber der Konkurrenz öffentlicher Unternehmen abgesprochen“. 870 Dies soll selbst für den Fall gelten, dass der staatliche BVerfGE 14, 105 ff. (111). Hierzu hält das BVerfG (E 41, 205 ff. (227 f.)) fest: „Wenn Art. 74 Nr. 11 GG das Versicherungswesen nur insoweit zum Wirtschaftsrecht zählt, als es nicht die öffentlich-rechtlichen Versicherungen mit ihrem Kernbestand der Monopolanstalten umfaßt, so ist daraus zu entnehmen, daß das Grundgesetz diesen Bereich des Versicherungswesens in seiner überkommenen rechtlichen Ausgestaltung als Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe durch die Verwaltung nicht dem Prinzip der Gewerbe- und Unternehmerfreiheit und damit dem Maßstab des Art.12 Abs. 1 GG unterstellen wollte“; kritisch hierzu: R. Breuer, in: HStR, Bd.VI, 2001, §148 Rn. 65; vgl. auch 4. Kapitel § 5 V. 866 Vgl. RhPfVerfGH, DVBl. 2000, 992 ff. (993); BVerwGE 17, 306 ff. (313); 39, 329 ff. (336 ff.); BVerwGE 71, 183 ff. (193); BVerwG, NJW 1978, S. 1539 (1540); BVerwG, BayVBl. 1981, S. 601 f.; BVerwG, GewArch. 1995, 329 ff. (330). 867 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 44 m. w. N.; vgl. auch B. Pieroth/B. J. Hartmann, Grundrechtsschutz gegen wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: DVBl. 2002, S. 421 ff. 868 BVerwGE 71, 183 ff. (193); vgl. auch BVerwG, GewArch. 1995, 329 ff. (330). 869 Vgl. auch U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 121. 870 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 58. 864 865
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Konkurrent Subventionen bezieht und seine Stellung auch insoweit staatlicherseits gestärkt würde. 871 Der Grundrechtsschutz soll ausnahmsweise dann eingreifen, wenn die private wirtschaftliche Betätigung „unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wird oder eine unerlaubte Monopolstellung entsteht“.872 Bereits die Prämisse, staatliche Konkurrenz sei mit der rein privaten vergleichbar, ist unzutreffend. 873 Was das wirtschaftliche Kräftemessen betrifft, so sind öffentliche Unternehmen im Verhältnis zu ihren privatwirtschaftlichen Konkurrenten stets „mehr als schlichte Wettbewerber“. 874 Ihre Übermacht resultiert u. a. aus der zumindest theoretisch unbegrenzten Finanzkraft der öffentlichen Haushalte sowie aus den politischen wie administrativen Gestaltungsmöglichkeiten. 875 Zudem ist kaum verständlich, wie staatliche Konkurrenz einerseits die Berufsausübungsfreiheit unberührt lassen soll, andererseits jedoch ein staatliches Monopol oder ein staatlich inszenierter Verdrängungswettbewerb die Berufswahlfreiheit beeinträchtigen kann. 876 Die von Art. 1 Abs. 3 GG lückenlos erstrebte Grundrechtsbindung verlangt schließlich für das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs nicht ausschließlich ein zielgerichtetes staatliches Handeln. Art. 12 Abs. 1 GG muss vielmehr auch Maßstabsnorm für solche staatlichen Handlungen sein, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die beruflichen Freiheiten mittelbar zu beeinträchtigen, obwohl sie keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter beinhalten. 877 Die staatliche Teilnahme am Wirtschaftsverkehr ist reales Handeln und stellt keine an den Konkurrenten adressierte Maßnahme mit Regelungswirkung dar. 878 Für die Annahme eines mittelbaren „Grundrechtseingriffs durch Konkurrenz“ ist entscheidend auf die materielle Betroffenheit des Grundrechtsträgers abzustellen. 879 Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG liegt jedenfalls dann vor, wenn die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand eine „(finale) interventionistische Wirkung“ aufweist bzw. „wenn Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 45. BVerwG, GewArch. 1995, S. 329 ff. (329); vgl. auch RhPfVerfGH, DVBl. 2000, 992 ff. (993). 873 So beispielsweise R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 523 f., vgl. auch B. Pieroth/B. J. Hartmann, Grundrechtsschutz gegen wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: DVBl. 2002, S. 421 ff. (423). 874 R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 57. 875 Vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 122 m. w. N. 876 Vgl. U. Battis, Grenzen gewerblicher Betätigung des Friedhofsträgers, in: GewArch. 1982, S. 145 ff. (150); vgl. auch D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 102. 877 Die aufgrund des besondern axiologischen Gewichts in BVerfGE 13, 181 ff. (185 f.) vorgenommene Beschränkung auf die Freiheit der Berufswahl überzeugt im Ergebnis nicht. 878 Vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 120. 879 R. Scholz, Maunz/Dürig, in: GG-Komm, Bd. II, Art. 12 Rn. 104, 303, 401; vgl. zum Kriterium „materielle Betroffenheit“ bei mittelbaren Eingriffen in die Berufsfreiheit auch R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 31 sowie G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKomm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 71. 871 872
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aufgrund ihrer faktischen Auswirkungen fühlbar die Marktbedingungen für den privaten Grundrechtsträger verändert werden“. 880 An die „Fühlbarkeit“ der Beeinträchtigung sind keine gesteigerten Erwartungen zu stellen. Hierfür spricht die prima-facie-Gewährleistung, d. h. die grundsätzliche Annahme einer vorbehaltslos gewährleisteten individuellen Freiheit. Eine „fühlbare“ Beeinträchtigung muss bereits dann angenommen werden, wenn es messbar zu einer Verkürzung von Gewinnerwartungen und -chancen eines privaten Wirtschaftsteilnehmers infolge der staatlichen Konkurrenztätigkeit kommt. 881 Damit soll nun nicht behauptet werden, dass die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand gemessen an den grundgesetzlichen Vorgaben gänzlich unzulässig ist. Im Bereich der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge, d. h. im Rahmen der „Befriedigung öffentlicher (sozialer) Bedürfnisse“ erscheint sie zumindest partiell unverzichtbar. 882 Dies ändert jedoch nichts an der Eingriffsqualität. Das Prinzip „Abwehr“ fordert staatlicherseits die positive Entkräftung der prima-facie-Gewährleistung zugunsten der individuellen Freiheit ein. Insofern gilt grundsätzlich der Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. Bei besonders schwerwiegenden staatlichen Eingriffen, die eine vergleichbare Eingriffsintensität aufweisen wie die Errichtung eines Monopols, kommen allerdings nur verfassungsimmanente Schranken im oben bezeichneten Sinne in Betracht. Eine gegebenfalls staatlicherseits verfolgte sozialstaatliche Motivation kommt erst auf der Rechtfertigungsebene zum Tragen. Die entsprechende Betätigung des Staates ist dabei „vor allem an die Voraussetzungen von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gebunden [...] (Übermaßverbot)“. Damit darf der Staat „nur dort eigene, sozialwirtschaftliche Zuständigkeiten begründen oder übernehmen, wo ein entsprechendes Erfordernis besteht und wo private Wirtschaftsfreiheiten nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt werden“. 883 Alles in allem gilt: Die individuelle (Berufs-)Freiheit privater Wirtschaftsteilnehmer bildet den verfassungsrechtlichen Regelfall; die staatliche, sozialwirtschaftlich gerechtfertigte Betätigung hingegen die Ausnahme. Zutreffend gilt daher der Satz: Staatliche Eigenwirtschaft ist zwar nicht generell, wohl aber prinzipiell untersagt, wenn dadurch die Marktbedingungen zum Nachteil der privaten Wirtschaftsteilnehmer eine fühlbare Veränderung erfahren.
U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 122. A. A. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 79. 882 Vgl. H. Sodan mit Blick auf die kommunalwirtschaftliche Tätigkeit (ders., Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (63). 883 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Bd. II, Art. 12 Rn. 405. 880 881
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
(2) Besteuerungsschutz Ausdruck des Prinzips „Abwehr“ bei der Berufsfreiheit ist zudem der prinzipielle Besteuerungsschutz, der eine möglichst berufsschonende rechtliche Ausgestaltung und Anwendung von Abgabengesetzen einfordert. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in noch keinem einzigen Falle die Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG bejaht hat, so spielt in dieser Konstellation auch die Berufsfreiheit neben der Eigentumsgarantie und (subsidär) Art. 2 Abs. 1 GG als prinzipielle Gewährleistung eine entscheidende Rolle. 884 Was die geschützen Freiheitsfelder betrifft, so darf der Blick nicht auf solche steuerlichen Maßnahmen verengt werden, die unmittelbar auf das Freiheitsfeld abzielen.885 Eine bedeutsame Rolle bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von staatlichen Besteuerungsmaßnahmen wird vielmehr auch den von ihnen ausgehenden mittelbaren und kumulativen Wirkungen auf die Berufsfreiheit zuteil. 886 Werden Abgabepflichten an bestimmte berufliche Tätigkeiten geknüpft, so wird es sich dabei in den meisten Fällen um Berufsausübungsregeln handeln. Insbesondere der Schutz der wirtschaftlichen Rentabilität und Leistungsfähigkeit wird grundsätzlich durch das Teilsegment „Berufsausübungsfreiheit“ gewährleistet. 887 Es verbietet sich hier allerdings eine allzu pauschale Betrachtungsweise. 888 Geboten ist vielmehr eine axiologische Gesamt884 Vgl. K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 433 m. w. N.; vgl. auch H. WeberGrellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, 2001, S. 29 ff.; vgl. zur Judikatur BVerfGE 13, 181 ff. (186); E 14, 76 ff. (100); E 16, 147 ff. (162); E 26, 1 ff. (12); E 37, 1 ff. (17); E 38, 61 ff. (79); E42, 374 ff. (384 ff.); E47, 1 ff. (21); vgl. auch H. Weber/G. Crezelius, in: GS für Friedrich Klein, 1977, S. 542 ff. 885 So aber O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 155 ff. (196 f.). 886 Vgl. H. Hohmann, Berufsfreiheit (Art.12 GG) und Besteuerung, in: DÖV 2000, S. 406 ff. (416). 887 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Abs. 1 Rn. 195; K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 434 f. 888 Das BVerfG (E 13, 181 ff. (184 ff.)) hat dies bereits früh erkannt, wobei allerdings die aufgezeigte Differenzierung zu grobschematisch ausfiel. In der genannten Entscheidung (S.184 f.) heißt es: „Eine Steuernorm, die an die Erlangung der Erlaubnis zur Ausübung eines bestimmten Berufes anknüpft, kann an Art.12 Abs.1 GG gemessen werden. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich wie eine Ausübungsregelung zu behandeln, die Rückwirkungen auf die freie Berufswahl haben kann.“ Weiterhin (S. 186 f.) hält es fest: „Im Rahmen der Prüfung, welche ‚Stufe‘ der Regelungsbefugnis der Gesetzgeber mit einer Erlaubnissteuer betritt, kann es dahingestellt bleiben, ob eine solche Steuer dann einer – die Berufswahl unmittelbar berührenden – Zulassungsvoraussetzung gleichgesetzt werden kann, wenn von ihrer Entrichtung die Erteilung oder der Fortbestand der Erlaubnis abhängig ist. Jedenfalls ist sie, wenn eine solche rechtliche Verknüpfung nicht besteht, verfassungsrechtlich wie eine Ausübungsregelung zu behandeln, die ihrer Art nach auf die Freiheit der Berufswahl zurückwirken kann [...]. Es ist also entscheidend, ob sie ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen wegen in die Nähe einer Zuslassungsvoraussetzung kommt. Eine verfassungsrechtlich relevante Rückwirkung einer Steuer auf die Freiheit der Berufswahl liegt nicht nur dann vor, wenn sie den Zugang zu einem Beruf völlig versperrt. Andererseits reicht es nicht aus, wenn sie in der Weise ‚motivationsbestimmend‘ wirken kann, daß sie den aus der Ausübung eines Berufes erzielten Gewinn in mehr oder weniger großem
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würdigung, die die Auswirkungen der staatlichen Besteuerungsmaßnamen auf die wirtschaftliche Freiheit der Betroffenen hinreichend würdigt. 889 Gleichzusetzen sind daher beispielsweise solche Fälle, in denen die Besteuerung die freie Berufswahl unmittelbar ausschließt bzw. staatlicherseits die Anwendung eines Steuersatzes erfolgt, der eine wirtschaftliche Betätigung unmöglich macht und mittels dieser „erdrosselnden Wirkung“ der Einnahmeerzielung als steuerlichem Hauptzweck zuwiderläuft.890 Aber bereits unterhalb dieser Schwelle bedarf es einer differenzierteren Betrachtungsweise: Faktoren wie die Kumulation von Abgabenbelastungen oder eine sensible wirtschaftliche Stellung der betroffenen Unternehmen erfordern im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gegebenfalls die Einordnung als „vermischte“ Berufsregelung mit all den damit zusammenhängenden Konsequenzen. 891 Dabei sind rechtliche und tatsächliche Wirkungen von gleicher Relevanz. „Vermischte“ Berufsregelungen in Form von Abgabengesetzen liegen somit beispielsweise auch dann vor, wenn aufgrund der Höhe einer Abgabe oder aufgrund der durch Kumulation von Abgaben entstehenden Gesamtbelastung für den Grundrechtsträger eine „berufliche Abschreckungswirkung nicht ausgeschlossen werden kann“, weil er sich mit einer drastischen Einschränkung der Rentabilität bzw. der Refinanzierungsmöglichkeiten konfrontiert sieht. 892 7. Prinzipien der Berufsfreiheit als Basis direktiver Gehalte Da Art. 12 Abs. 1 GG auf der Prinzipienebene eine „Wertentscheidung zugunsten eines freiheitlichen Berufswesens in der gesellschaftlichen Sphäre“ beinhaltet, Umfange mindert und deshalb geeignet ist, einen Bewerber zu veranlassen, sich einem einträglicheren Beruf zuzuwenden. Vielmehr ist eine Rückwirkung auf die freie Berufswahl nur dann rechtlich beachtlich, wenn eine Steuer ihrer objektiven Gestaltung und Höhe nach es den von ihr betoffenen Berufsbewerbern in aller Regel wirtschaftlich unmöglich macht, den gewählten Beruf zur Grundlage ihrer Lebensführung zu machen.“ 889 So bspw. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 148 Rn. 31; K. H. Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung durch Steuergesetze, 1966, S. 39 ff.; G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 71 f., 195. Nach Auffassung des BVerfG soll Art. 12 Abs. 1 GG in Ermangelung eines finalen Eingriffs jedenfalls dann als Maßstab für das Steuerrecht fungieren, wenn die relevanten Normen „infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen“ (BVerfGE 13, 181 ff. (186)); vgl. auch BVerfGE 14, 76 ff. (100 f.); E 16, 147 ff. (162); E 29, 327 ff. (333); E 37, 1 ff. (17 f.); E 38, 61 ff. (79); E 47, 1 ff. (21)). Allerdings, so das BVerfG, sei zu prüfen, ob eine derartige steuerliche Ausübungsregelung wirkungsbedingt „in die Nähe einer Zulassungsregelung kommt“, wenn sie dem Grundrechtsträger die Verwirklichung seines Berufes unmöglich macht (BVerfGE 11, 30 ff. (44 f.)). 890 Vgl. BVerfGE 31, 8 ff. (23); vgl. zur Erdrosselungssteuer als unzulässige Freiheitsbeeinträchtigung auch M. Jachmann, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, 1996, S.45 ff. 891 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 892 H. Hohmann (ders., Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Besteuerung, in: DÖV 2000, S. 406 ff. (413)), der in diesen Fällen von einer Einstufung als „subjektive Berufswahlregelung“ bzw. „qualifizierte Ausübungsregelung“ ausgeht. 12 Meyer
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konnte, angesichts der gewachsenen staatlichen Verantwortlichkeit für die grundrechtliche Freiheitsrealisierung, auf Dauer die Fortentwicklung der Grundrechtsgehalte über den klassischen Abwehrcharakter hinaus nicht ausbleiben.893 Ausgehend von der Prinzipienebene wurden von der Rechtslehre so genannte objektiv-rechtliche Grundrechtsdimensionen der Berufsfreiheit abgeleitet, wie z. B. Leistungs- und Teilhaberechte oder Schutzpflichten. Auf die Bedeutung objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte für die vorliegende systematische Betrachtung wurde bereits hingewiesen. 894 Sie beinhalten, sofern sie sich im Wege der grundrechtlichen Argumentation begründen lassen, regelmäßig objektive an den Staat gerichtete Direktiven. In der verfassungsgerichtlichen Praxis geht es primär darum, inwiefern sich aus der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension individuelle, über das Abwehrrecht hinausreichende prima-facie-Rechte ableiten lassen. Die damit zusammenhängenden, freilich kritisch zu hinterfragenden Präjudizien, sind auch für die vorliegende Untersuchung von Interesse, nämlich insoweit, als sie Anhaltspunkte über den Gehalt der prinzipiellen Ableitungsbasis liefern. a) Recht auf einen Studienplatz, einen betrieblichen Ausbildungsplatz oder „auf Arbeit“ generell? – wertender Rückschluss auf ein jeweils gleich lautendes Prinzip? Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals in der Numerus clausus-Entscheidung 895 aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ein derivatives Teilhaberecht auf Zulassung zum Hochschulstudium abgeleitet. Es hat ferner die Frage aufgeworfen, „ob aus den grundrechtlichen Wertentscheidungen und der Inanspruchnahme des Ausbildungsmonopols ein objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten für die verschiedenen Studienrichtungen“ folge. Darüber hinaus hat es sich auch damit auseinander gesetzt, ob sich aus dem Prinzip „Berufsfreiheit“ „unter besonderen Voraussetzungen ein einklagbarer Individualanspruch des Staatsbürgers auf Schaffung von Studienplätzen herleiten ließe“. 896 Die gestellten Fragen hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung weitgehend offen gelassen; die Diskussion in der Rechtslehre über diese Fragen ist daraufhin voll entbrannt. 897
Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 1 II. 2. Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 II. 2. 895 BVerfGE 33, 303 ff. 896 BVerfGE 33, 303 ff. (333). 897 Das BVerwG steht der Ableitung weiterer Leistungs- und Teihaberechte aus Art. 12 Abs. 1 GG offenbar reserviert gegenüber. Es hat insbes. Ansprüche auf die unentgeltliche Bereitstellung von Lehr- oder Lernmitteln (BVerwG, NJW 1997, 2465 f., 2466), sowie den Anspruch von Rechtsanwälten auf Mitteilung von Verwaltungsvorschriften verneint (BVerwGE 893 894
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Kritisch zu hinterfragen ist im Anschluss an das oben Gesagte, ob und wenn ja, inwiefern die grundrechtliche Gewährleistung der Berufsfreiheit, trotz ihrer klassisch abwehrrechtlichen Bedeutung, Leistung- bzw. Teilhaberechte bereithält. Ist diese Frage geklärt, so ist im Anschluss daran zu prüfen, welche Konsequenzen diese Erkenntnis für die Prinzipienbetrachtung liefert. Gegebenfalls besteht die Möglichkeit eines axiologischen Rückschlusses vom Prinzipiensubstrat, ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Präjudiz) und der ihr folgenden Lehrmeinungen, auf das dahinter stehende Prinzip.898 Zumindest unter Hinweis auf die primäre Abwehrfunktion der Grundrechte lassen sich Teilhaberechte indes nicht gänzlich verwehren. Zwar sind Grundrechte primär Abwehrrechte und zielen zuvörderst auf die Gewährleistung von privater Eigenverantwortlichkeit – der Staat hat sich vom geschützten Freiheitssektor fern zu halten! Die grundrechtsfunktionelle Beurteilung muss sich jedoch ändern, je mehr sich der Staat der grundrechtlichen Freiheit annimmt, sie sozusagen zum Gegenstand von staatlicher Organisation und Verfahren avanciert. 899 Hierzu stellt das Bundesverfassungsgericht in der Numerus clausus-Entscheidung fest: „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen“. 900 Dies gelte „besonders, wo der Staat – wie im Bereich des Hochschulwesens – ein faktisches, nicht beliebig aufgebbares Monopol für sich in Anspruch genommen hat und wo – wie im Bereich der Ausbildung zu akademischen Berufen – die Beteiligung an staatlichen Leistungen zugleich notwendige Voraussetzungen für die Verwirklichung von Grundrechten ist“. 901 Diese Formulierung darf allerdings nicht in dem Sinne missverstanden werden, als dass durch die Rollenverteilung des Staates ein „Mehr“ an grundrechtlicher Freiheit gewährleistet werden müsste. Es geht ausschließlich darum, sich insoweit ergebende Unterschiede und Defizite, die Freiheitsrealisierung betreffend, auszugleichen. Für die derivativen Teilhaberechte ist dieser Zusammenhang leicht vermittelbar. Verwaltet der Staat den Mangel, ein Gut betreffend, welches der Freiheitsverwirklichung dient, so wandelt er sich vom „Freiheitsgefährder“ zum mittelbaren „Freiheitsgewährer“. Das vorhandene Maß an individueller Freiheit ist vorher wie nachher das Gleiche. Es wird durch die Knappheit des Gutes beschränkt, nicht jedoch 61, 15 ff. (17)). Vgl. hierzu auch G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 23 f. 898 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 II. 3 und zum subjektiven Recht als Ableitungsbasis Fn. 561. 899 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 7. 900 BVerfGE 33, 303 ff. (330 f.). 901 BVerfGE 33, 303 ff. (331 f.); vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 52. 12*
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durch den Staat. Durch sein Hinzutreten entwickelt sich indes eine insofern gerechtfertigte „neuartige“ Anspruchsqualität. Schwieriger ist es jedoch, die Brücke vom Primat der Abwehrfunktion zu den originären Teilhaberechten gegenüber dem Staat zu schlagen. Dies ist jedoch möglich, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für originäre Teilhaberechte restriktiv interpretiert werden. Originäre Teilhaberechte sind somit nur dann begründet, wenn die „gewährleistete Freiheit mangels hinreichender Ausübungsvoraussetzungen Not leidend wird, d. h. als bloßes negatorisches Abwehrrecht existentiell gefährdet wäre“. 902 Eine solche Konstellation wäre im Extremfall denkbar, wenn länderübergreifend ganze Studiengänge ersatzlos abgeschafft würden. Die Ableitung originärer Teilhaberechte wird nicht nur aus diesem Grund in den seltensten Fällen gelingen. Hinzu treten reale Zwänge. R. Breuer spricht insofern von „einer rechtlich nicht auflösbaren Verstrickung, die durch die ständige Konkurrenz gegenläufiger Wünsche und Interessen, den chronischen Mangel finanzieller und administrativer Ressourcen und die Notwendigkeit finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischer Verteilungsentscheidungen geprägt wird“. 903 Das Bundesverfassungsgericht hat die Problemlage noch prägnanter formuliert. Derartige Ansprüche stünden von vornherein „unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann“. 904 Kurz gesagt: der Anspruch auf exklusive Schaffung eines Studienplatzes gehört nicht dazu. Die Begründung des gewonnenen Ergebnisses lässt Rückschlüsse auf die Prinzipienebene zu. Die Ableitung originärer Teilhaberechte scheitert vor allem an faktischen Voraussetzungen. Nicht in Frage zu stellen ist indes der axiologische Bedeutungsgehalt der diskutierten Materie. Sowohl die Schaffung einer ausreichenden Kapazität als auch der Zugang zu den schon vorhandenen Studienplätzen entscheidet maßgeblich darüber, ob sich der jeweilige Kandidat seinen Begabungen und persönlichen Fähigkeiten entsprechend entwickeln, d. h. „höhere“ Berufsweihen erlangen kann. 905 Diesbezügliche Entscheidungen des Einzelnen betreffen den prinzipiell unantastbaren Kern der individuellen Selbstbestimmung in beruflicher Hinsicht. 906 Sie sind dem Teilsektor „Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung“ zuzuordnen. Beruhend auf dieser tiefenstrukturellen Erkenntnis und dem hohen Stellenwert des Freiheitsfeldes im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie lässt sich sowohl die Verpflichtung zur Schaffung ausreichender staatlicher Ausbildungskapazitäten als auch die Ermöglichung eines angemessenen Zugangs zu den bereits vorhandenen R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 78. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 77. 904 BVerfGE 33, 303 ff. (333). 905 Vgl. hierzu auch G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 14 ff. 906 Vgl. 4. Kapitel § 1 VI und 4. Kapitel § 2 I. 5. c). 902 903
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Kapazitäten als ein den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dirigierendes Prinzip begründen. 907 Parallelen und Unterschiede zu der beschriebenen Konstellation ergeben sich, wenn vereinzelt ein Recht auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz oder ein „Recht auf Arbeit“ aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gefordert wird. 908 Zu der bereits geschilderten hier gleichermaßen einschlägigen Problematik der originären Teilhaberechte tritt hinzu, dass der Staat in diesen Bereichen – im Gegensatz zur Studienplatzvergabe – keine Monopolstellung innehat und eine solche auch nicht errichten darf. Ausbildungs- wie Arbeitsplätze werden überwiegend von Privaten zur Verfügung gestellt. Insofern wird ein grundrechtliches Spannungsfeld erzeugt. Die grundgesetzliche Verankerung eines Anspruchs auf einen betrieblichen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz würde insbesondere das „freiheitliche Grundanliegen des Art. 12 Abs. 1 GG auf der privaten Angebotsseite „zunichte machen“. 909 Finden sich damit keine subjektiven Rechte, die als Ausgangspunkt für einen axiologischen Rückschluss dienen können, so stellt sich die Frage, ob dennoch eine Verankerung der Materie auf der Prinzipienebene möglich ist. Dies hängt im Wesentlichen von zweierlei ab. Einmal davon, ob sich andere gewichtige Anhaltspunkte für die Begründung eines Prinzips finden lassen. Ebenso entscheidend ist, mit welchem Inhalt das bzw. die jeweiligen Prinzipien formuliert werden. Formuliert man beispielsweise ein „allgemeines Gebot zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen“, so spricht für ein gleich lautendes Prinzip der enge Menschenwürdebezug, vermittelt über die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung und der Berufswahl. Es lassen sich in der Verfassung weitere Anhaltspunkte finden, die diese Vermutung letztlich bestätigen. Art. 109 Abs. 2 GG beinhaltet mit Blick auf die Erfordernisse eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts unter anderem die Verpflichtung, die Vollbeschäftigung zu gewährleisten bzw. anzustreben. Gleichermaßen fordert der Sozialstaatsgedanke (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) staatliche Maßnahmen ein, die auf Vollbeschäftigung abzielen. 910 Eine vergleichbare Situation besteht, wenn es darum geht, hinreichende gesetzliche Rahmenbedingungen für die betriebliche Ausbildung zu schaffen. 911 Die Indizienbasis, die einen Rückschluss auf ein gleich lautendes Prinzip erlauben könnte, ist hier zugegebenermaßen dünn. Dennoch ergibt sich – gleichermaßen wie bei der geschilderten Studienplatzproblematik und dem Gebot zur Schaffung von Arbeits907 Zur inhaltlichen Reichweite von Prinzipien als „Optimierungsgebote“ vgl. 3. Kapitel § 5 I. 7. 908 Vgl. etwa B.-O. Bryde, Artikel 12 Grundgesetz – Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, in: NJW 1984, S. 2177 ff. (2182 ff.). 909 G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 10. 910 Vgl. vor alle G. Manssen (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Rn. 9, der in dem Gebot zur Schaffung von Arbeitsplätzen eine „(objektive) verfassungsrechtliche Verpflichtung“ erkennt. 911 Vgl. G. Manssen, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd.I, 1999, Art.12 Rn.12 ff.
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plätzen – ein enger Bezug zur Menschenwürdegarantie. Es wäre auch nicht erklärbar, warum im Gegensatz zur Hochschulausbildung die Förderung der betrieblichen Ausbildung keine besondere Aufmerksamkeit verdienen sollte. Gleichermaßen widersprüchlich müsste es erscheinen, wenn einerseits die staatliche Wirtschaftspolitik prinzipiell auf Vollbeschäftigung ausgerichtet ist, jedoch andererseits nicht die Pflicht bestünde, die Schaffung der arbeitsmarktpolitischen Voraussetzungen hierfür, die betriebliche Ausbildungsförderung betreffend, mit der gleichen Aufmerksamkeit zu verfolgen. Das Prinzip gerichtet auf Förderung der betrieblichen Ausbildung durch Schaffung ausreichender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wird somit sowohl durch den Menschenwürdebezug als auch durch die bereits genannten, flankierenden Prinzipien gestützt. 912 Die hier beschriebenen Prinzipien dürfen nicht in einem wirtschaftsinterventionistischen bzw. -dirigistischen Sinne verstanden werden. Entscheidend für ihre inhaltliche Interpretation und Zielsetzung bleibt die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie mit dem Ziel der Schaffung und Wahrung der Freiheit des Individuums zum Zwecke der Selbstentfaltung im gesellschaftlichen Gefüge. Die gleiche Stoßrichtung verfolgt ein Grundrechtsverständnis, dass primär darauf aus ist, die prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit im Verhältnis Staat/Bürger rechtlich sicherzustellen. Diese interpretatorischen Determinanten sind maßgeblich für den direktiven Gehalt der genannten Prinzipien. Direktive Gehalte der Berufsfreiheit dürfen staatlicherseits nicht als Argumentationsmuster dafür verwendet werden, um berufliche Freiheitsfelder anderer Grundrechtsträger zu relativieren. Dies verbietet das Primat des grundrechtlichen Prinzips „Abwehr“. Die Berufsfreiheit als Prinzip steht damit zwar einerseits im Mittelpunkt einer sozialstaatlichen Politik, „die eine menschenwürdige Gestaltung des Arbeitslebens zum Ziel hat“.913 Andererseits geht es – gerade auch wegen des der Freiheit innewohnenden Menschenwürdebezuges – darum, eine Politik zu verfolgen, die auf Schaffung von im globalen Vergleich günstigen Rahmenbedingungen für Investitionen, Innovationen und produktive Arbeitsplätze ausgerichtet ist. 914 Enthält Art. 12 Abs. 1 GG somit den normativen Appell an den Staat, zum Zwecke der Freiheitsgewährleistung tätig zu werden, so zielt dieser – abgesehen von der Problematik staatliche Ausbildung- bzw. Studienplätze betreffend – ausschließlich darauf ab, notwendige Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Tätigwerden privater Wirtschaftsteilnehmer fördert bzw. ermöglicht, wie beispielsweise durch Förderung von Existenzgründern und mittelständischen Unternehmen, durch Entlastungen im Steuerrecht oder durch Senkung der Arbeitskosten. 915 Denn letztlich überträgt Art. 12 Abs. 1 GG den privaten Wirtschaftssubjekten die Verantwortung für die 912 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt auch U. Mückenberger, Die Ausbildungspflicht der Unternehmen nach dem Grundgesetz, 1986, S. 117 ff. 913 O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (243). 914 Vgl. O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (243). 915 Vgl. auch D. Merten, Grenzen des Sozialstaats, in: VSSR 1995, S. 155 ff. (164 f.).
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Schaffung und Bereithaltung von Arbeitsplätzen. 916 Tatsächlich beinhaltet der grundrechtliche Prinzipienappell ein wirtschaftspolitisches Vabanquespiel, denn er gestattet nur staatliches Handeln zum Zwecke der Freiheitsgewährleistung zugunsten solcher Grundrechtsadressaten, die von ihrer Freiheitssubstanz entweder gar nicht oder nur eingeschränkt Gebrauch machen können, ohne zugleich freiheitsreglementierende Maßnahmen zum Nachteil anderer Grundrechtsträger zu legitimieren. Dieser Aspekt soll nachfolgend eine Vertiefung erfahren.
b) Persönlichkeitsentfaltung in beruflicher Hinsicht – Schutzgewähr durch den Staat? Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts beinhaltet die Berufsfreiheit – ausgehend von der Prinzipienebene – bestimmte Schutzpflichten, die an den Gesetzgeber gerichtet sind und von ihm gegebenenfalls den Erlass entsprechender Normen abverlangen. 917 Aus Art. 12 Abs. 1 GG, so das Bundesverfassungsgericht, sei beispielsweise die Verpflichtung abzuleiten, im Zivilrecht und dort vor allem im Vertragsrecht Schutzvorkehrungen für solche Fälle zu treffen, in denen „es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten“ fehle. 918 Die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit erfordere regelmäßig die Eingehung längerfristiger Bindungen. Entsprechende Verträge würden zwar auf einer freiwilligen zivilrechtlichen Bindung beruhen, und der Staat habe insofern die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren. 919 Die Privatautonomie fände jedoch ihre Grenze in zwingenden zivilrechtlichen Regelungen, die ihrerseits nicht gegen die Grundrechte verstoßen dürften. Das Bundesverfassungsgericht stellt hierzu fest: „Das Grundgesetz will keine wertneutrale Ordnung sein, sondern hat in seinem Grundrechtsabschnitt objektive Grundentscheidungen getroffen, die für alle Bereiche des Rechts, also auch für das Zivilrecht, gelten. Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu den Prinzipien stehen, die in den Grundrechten zum Ausdruck kommen. Das gilt vor allem für diejenigen Vorschriften des Privatrechts, die zwingendes Recht enthalten und damit der Privatautonomie Schranken setzen“. 920 Die Privatautonomie, so fährt das Bundesverfassungsgericht fort, beruhe zwar auf dem Prinzip der Selbstbestimmung. Die Voraussetzungen für eine Selbstbestimmung der Vertragsparteien müssten jedoch auch tatsächlich vorliegen. Wenn dies 916 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 84; für die Saarländische Verfassung unmissverständlich SaarlVerfGH NJW 1996, S. 383 ff. (385). 917 Wegweisend BVerfGE 81, 242 ff.; vgl. hierzu auch: J. Wieland, in: H. Dreier, GGKomm., Bd. I, 2004, Art. 12 Rn. 151 ff. 918 BVerfGE 81, 242 ff. (255); vgl. zu den Schutzpflichten bei der Berufsfreiheit F. Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz, 2000, S. 215 ff. 919 Vgl. BVerfGE 81, 242 ff. (254). 920 BVerfGE 81, 242 ff. (254 f.).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
nicht der Fall sei, weil einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht hat, dass „er vertragliche Regelungen faktisch einsetzen kann“ und somit der andere Vertragsteil einer „Fremdbestimmung“ unterliegen würde, müsse eine Korrektur vorgenommen werden. 921 Hierzu hält das Bundesverfassungsgericht fest: „Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern [...]. Gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, verwirklichen hier die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG).“ 922 Das Anforderungsprofil an die die Privatautonomie korrigierende Schutzverpflichtung des Staates hat das Bundesverfassungsgericht in einer späteren Entscheidung weiter präzisiert. Dort heißt es: „Der Staat ist [...] verpflichtet, [...] das Privatrecht so zu gestalten, daß die in den Grundrechten verkörperte objektive Ordnung gewahrt wird, die für alle Bereiche des Rechts gilt [...].“ Die Schutzpflicht des Staates greife immer dann, wenn „die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann“. 923 Mit ähnlicher Begründung, d. h. gleichermaßen mit Blick auf die Prinzipienebene wird postuliert, dass der Gesetzgeber für einen gewissen Kündigungsschutz sorgen müsse. 924 Die Schutzpflicht aus Art.12 Abs.1 GG wird vom Bundesverfassungsgericht nicht auf den Gesetzgeber als Adressaten beschränkt.925 Auch Verwaltung und Rechtsprechung müssten den axiologischen Vorgaben jeweils Rechnung tragen. 926 Habe der Gesetzgeber insoweit kein zwingendes Recht geschaffen, so müssten die Gerichte auf die zivilrechtlichen Generalklauseln (bspw. §§138 oder 242 BGB) zurückgreifen. Sie würden als Übermaßverbot Wirkung entfalten. Keineswegs sei die Vertragspraxis dem „freien Spiel der Kräfte unbegrenzt ausgesetzt“. „Der entsprechende Schutzauftrag der Verfassung“, so das Bundesverfassungsgericht, richte sich vor allem an den Richter, „der den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen“ hätte. BVerfGE 81, 242 ff. (254 f.). BVerfGE 81, 242 ff. (255). 923 BVerfGE 98, 365 ff. (395). 924 Vgl. BVerfGE 92, 140 ff. (150); E 97, 169 ff. (175 f.); vgl. hierzu auch F. Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz, 2000, S. 221 f. 925 Vgl. BVerfGE 81, 242 ff. (255 f.). 926 Zu Art. 12 Abs. 1 GG als Schutzgewährrecht bei Verfahren für Prüfungen vgl. beispielsweise BVerfGE 84, 34 ff. (45 ff.); BVerfG, NVwZ 1995, 469 ff. (470); BVerfG, EUGRZ 1999, 359 f.; BVerwGE 98, 324 ff. (330 ff.); E 99, 185 ff. (189 ff.). 921 922
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Sowohl was die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Schutzpflicht, als auch im Anschluss daran die Palette möglicher Handlungsinstrumentarien betrifft, räumt das Bundesverfassungsgericht 927 dem Staat einen weiten Beurteilungs- und Handlungsspielraum ein. Der Verfassung könnten insoweit keine eindeutig verbindlichen Vorgaben entnommen werden. Wenn es darum geht, den Tiefenstrukturen des Art. 12 Abs. 1 GG einen prinzipiell-verbindlichen Schutzauftrag zu entnehmen, so ist zunächst zu prüfen, ob dem Unterfangen der Prinzipienkonstituierung insoweit keine grundsätzlichen Einwände entgegenstehen. Dabei kann sowohl auf die bereits entwickelten interpretatorischen Rahmenbedingungen für die grundrechtliche Prinzipiengewinnung als auch auf die für die Ableitung von Prinzipien grundlegenden, systemmethodischen Anforderungen verwiesen werden. 928 Vor allem das Primat der grundrechtlichen Abwehrfunktion steht aus der Sicht des Grundrechtsträgers der Ableitung einer Schutzpflicht nicht entgegen. Das bereits postulierte Prinzip „Abwehr“ zielt auf eine staatlicherseits „möglichst unreglementierte berufliche Betätigung“. 929 Für den Grundrechtsträger kann es indes keinen Unterschied machen, wer sein grundrechtlich geschütztes Freiheitsfeld beeinträchtigt, zumal dies gerade in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung häufig durch Private geschieht. Die dem Prinzip „Abwehr“ zugrunde liegende Wertung lässt sich insofern verallgemeinern. Besondere Aufmerksamkeit muss aber folgendem Aspekt zuteil werden: Wird Freiheitsschutz gegenüber gesellschaftlichen Kräften zum Schutze eines Wirtschaftsteilnehmers gewährt, so führt dies in der Regel zu einem Eingriff in die (Wirtschafts-)Grundrechte der Gegenpartei, d. h. derjenigen Privaten, vor denen Schutz gewährt werden soll. Aus Sicht dieser Partei gilt: Die Formulierung einer Schutzpflicht zugunsten eines anderen Grundrechtsträgers darf nicht zu einer Verletzung der eigenen Grundrechte führen. So stellen Regelungen des Arbeitnehmerschutzes aus der Sicht der Arbeitgeber regelmäßig einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff dar, der nur für den Fall überwiegender öffentlicher Belange gerechtfertigt ist. 930 Bei der Prinzipienformulierung ist der abstrakt-generelle systeminterne Konflikt mit dem Ziel der Wahrung des „inneren Konsenses“ zu lösen, d. h. die Prinzipienformulierung ist so vorzunehmen, dass das Prinzip nicht von vornherein einer hinreichend gesicherten Ableitungsbasis entbehrt und sich innerhalb des Systems nicht in Widerspruch setzt. Aus diesem Grund kommt somit letztlich nur der kleinste gemeinsame Nenner als Prinzipieninhalt in Betracht. Das heißt nicht, dass der erkennbare Konflikt im Rahmen der Systembetrachtung übergangen würde. Das System Vgl. BVerfGE 81, 242 ff. (255). Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 6 (insbes. S. 90), 3. Kapitel § 5 II. 3 (vgl. insbes. S. 110) und 4. Kapitel § 1 II. 3. 929 Vgl. Fn. 840. 930 Vgl. O. Depenheuer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 241 ff. (259). 927 928
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behandelt ihn vielmehr seiner Funktion entsprechend. Insofern gilt es zu unterscheiden: Von der abstrakt-generellen Konfliktebene innerhalb des Systems ist die Ebene der Lösung spezifischer Konfliktkonstellationen zu trennen, die außerhalb des Systems durch Abwägung stattfindet. Sie interessieren vorliegend für die Systemfreilegung gleichermaßen nicht wie die Lösung abstrakt-genereller Konflikte, an denen systemexterne Elemente beteiligt sind. Das System bereitet die Lösung von Einzelfallentscheidungen für Kollisionen mit systemexternen Prinzipien lediglich vor und überlässt letztendlich die Konfliktlösung so genannten Prinzipien- bzw. Abwägungsmodellen. Damit gilt, dass Schutzpflichten als Prinzip nicht generell in Frage stehen. 931 Im jeweiligen Konfliktfall ist vielmehr im Wege der Abwägung den gegenläufigen Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Wohl aber ist diesem sich abzeichnenden Konflikt bereits im Rahmen der Formulierung der tatbestandlichen Anforderungen der Schutzpflicht als Prinzip Rechnung zu tragen, denn das System bereitet die spätere Lösung externer Konfliktfälle – abstrakter oder spezifischer Natur – dadurch vor, dass es den „Schwellenwert“ für die Pflicht zum staatlichen Einschreiten festlegt, d. h. klärt, wann eine Schutzpflicht überhaupt besteht. Gleichzeitig legt es ihren axiologischen Stellenwert fest. Diese „Gewichtung“ entfaltet gleichermaßen Bedeutung im Abwägungsvorgang. Dadurch, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ohne selbst Prinzip zu sein, der Prinzipienstruktur sozusagen inhärent ist, liefert das System zugleich einen groben Maßstab für die im spezifischen Anwendungsfall – außerhalb des Systems – vorzunehmende Abwägung. 932 Was die beiden zuerst genannten Aspekte betrifft, so kann abschließend – gerade auch mit Blick auf den zu lösenden, systeminternen Konflikt der Grundrechtsträger – festgehalten werden, dass die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Freiheit nur in Ausnahmefällen relevant sein kann, d. h. nur dann, wenn die eigenständigen Instrumentarien des Zivilrechts zur Sicherung der Privatautonomie versagen. 933 Kriterien wie das Fehlen eines „annähernden Kräftegleichgewichts der Beteiligten“ bzw. der „Fremdbestimmung“ bedürfen einer restriktiven Interpretation. Dennoch lassen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen einer objektiven Schutzpflicht auf der Prinzipienebene zumindest grob bestimmen. Sie liegen dann vor, wenn die Autonomie des Einzelnen die fundamentalen Weichenstellungen seines beruflichen Werdegangs betreffend durch Private angetastet wird. Dies ist dann der Fall, wenn der Kern der individuellen Selbstbestimmung in beruflicher Hinsicht entwertet wird und das Zivilrecht insofern keinen ausreichenden Schutzmechanismus bietet. Primär ist in solchen Fällen der Gesetzgeber gefordert. Die Fachgerichte müssen, in Ermangelung einschlägiger Regelungen, die Wertungen auf der Prinzipienebene in die Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln einfließen lassen.
931 Aus den gleichen Gründen kann auch der Einwand einer Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch die systeminterne Prinzipienkonstituierung im Hinblick auf Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG keine Rolle spielen. 932 Vgl. 4. Kapitel § 5 I. 2. c). 933 Vgl. J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 12 Rn. 155.
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c) Berufsfreiheit und Gewährleistung der Binnenordnung der Unternehmen Das Prinzip „Berufsfreiheit“ aktiviert den Staat noch in anderer Hinsicht. Wegen des „anerkannt personalen Gehalts“ des Art. 12 Abs. 1 GG und der Gewährleistung selbstständiger Erwerbstätigkeit sind „gesetzgeberische Transformations- und Einrichtungsakte im gesellschafts- oder unternehmensrechtlichen Binnenbereich“ gefordert. 934 Letztlich nimmt das Prinzip auf diesem Wege zugleich Einfluss auf die sozietäre und korporative Privatrechts- wie Gesellschaftsordnung. Der Freiheitsschutz ist allerdings lediglich auf die Bereitstellung eines privatrechtlichen Mindestrahmens gerichtet. Die Schaffung bzw. Bereithaltung der rechtlichen Voraussetzungen für eine bestimmte interne Unternehmensorganisation ist nicht gefordert. 935 Staatlicherseits geht es ausschließlich darum, gegenwärtige oder zukünftig entstehende Freiheitsdefizite mittels Zurverfügungstellung einer ausreichend breiten Palette sozietärer und korporativer Assoziationsformen, die die interne Autonomie der Willensbildung gewährleisten, auszugleichen bzw. zu verhindern. Ein Untätigbleiben kann hier in der Tat den gleichen Effekt erzielen wie eine Marktzugangssperre. 936 Dem Gesetzgeber verbleibt aber die (Wahl-)Freiheit dahingehend, mithilfe welcher Assoziationsformen er im Einzelnen dem verfassungsrechtlichen Handlungsauftrag genügen möchte. 8. Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten: Die Garantie der Berufsfreiheit dient der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie, indem sie den grundrechtlich geschützten Individuen die Möglichkeit vermittelt, an der Gestaltung der Lebenswirklichkeit durch Einbringung ihrer eigenen Schaffenskraft mitzuwirken. Dadurch, dass sie die Schaffung und Wahrung der ökonomischen Voraussetzungen garantiert, auf die der freiheitliche Staat angewiesen ist, erfüllt die Berufsfreiheit eine Gemeinwohlfunktion, wobei der Freiheitsgebrauch durch gesellschaftliche Strömungen faktisch gelenkt wird. Dies wird im Rahmen einer näheren Auseinandersetzung mit dem Berufsbegriff besonders deutlich. Einerseits bezweckt dieser als prinzipiell offener Begriff die Wahrung der Mannigfaltigkeit der Tätigkeitsformen, andererseits wird er zumindest teilweise von traditionell gewachsenen Berufsbildern geprägt. Die in Art. 12 Abs. 1 GG genannten Freiheitsfelder bringen jeweils selbstständige prima-facie-Gewährleistungen zum Ausdruck, wobei sich eine solche DifferenzieH.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 50. So H. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 698. 936 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 50 f.; vgl. auch E.-J. Mestmäcker, in: FS für H. Westermann, 1974, S. 411 ff. Vgl. auch 4. Kapitel § 2 I. 6. a). 934 935
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rung vor allem mithilfe einer eingriffsbezogenen Schutzbereichsdefinition sowie durch weitere begriffliche Ausformung und Fallgruppenbildung erreichen lässt. Ungeachtet dessen stehen die Berufswahlfreiheit, die Arbeitsplatzwahlfreiheit und die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung inhaltlich und systematisch in einem denkbar engsten Zusammenhang sowie wertungsmäßig auf einer Stufe, denn sie bringen ein und dasselbe Prinzip zum Ausdruck: Autonomie des Einzelnen hinsichtlich der fundamentalen Weichenstellungen seines beruflichen Werdegangs. Daneben erfährt die Berufsausübungsfreiheit aus axiologischer Sicht eine „relativ geringere Gewichtung“. Im Vergleich zur Berufsausübungsfreiheit muss die Berufswahlfreiheit eine andere Schrankenhandhabung erfahren. Für die Berufswahlfreiheit gelten ausschließlich verfassungsimmanente Schranken, wobei nur Grundrechte Dritter sowie objektive, den Grundrechten gleichwertige Verfassungsgüter zur Eingriffsrechtfertigung taugen. Gleiches gilt für die „vermischten“ Berufsregelungen. Gegen das verfassungsgerichtliche Stufenmodell spricht der in diesem Zusammenhang erfolgende Rückgriff auf das Konstrukt eines vom Gesetzgeber konstruierten Gemeinwohls. Demgegenüber trägt das Differenzierungsmodell der unterschiedlichen axiologischen Bedeutung der Teilsektoren der Berufsfreiheit in einem hinreichenden Maße Rechnung. Die Berufsfreiheit verfolgt primär das Ziel eines möglichst unreglementierten beruflichen Tätigseins zur Sicherstellung der freien Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen. Die „Unternehmerfreiheit“, die Gewährleistung einer Öffnung und Offenhaltung der Märkte, der Schutz vor staatlichen Monopolen und staatlicher Konkurrenzwirtschaft sowie der Besteuerungsschutz stellen allesamt besondere Ausprägungen des Prinzips „Abwehr“ bei der Berufsfreiheit dar. Sowohl die objektiv- rechtliche Forderung nach Schaffung einer ausreichenden Kapazität von Studienplätzen als auch die Ermöglichung eines angemessenen Zugangs zu den bereits vorhandenen Studienplätzen sind Ausdruck des direktiven Gehalts der Berufsfreiheit als Prinzip. Gleiches gilt für das allgemeine Postulat gerichtet auf Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für betriebliche Ausbildungsplätze. Abgesehen von der Gewährleistung derivativer Teilhaberechte den Zugang zu vorhandenen Studienplätzen betreffend, sind die genannten prinzipiellen Forderungen nicht subjektivrechtlich verbürgt. Nur in Ausnahmefällen besteht die Verpflichtung des Staates zur Sicherung der Grundrechte vor Beeinträchtigungen durch Private. Sie besteht nur dann, wenn das Recht des Einzelnen, die fundamentalen Weichenstellungen für seinen beruflichen Werdegang selbst vorzunehmen, durch Private angetastet wird. Der direktive Gehalt der Berufsfreiheit als Prinzip fordert schließlich die Schaffung und Vorhaltung eines gesetzlichen Mindestrahmens im gesellschafts- oder unternehmensrechtlichen Binnenbereich. Mittels der Gewährleistung einer ausreichend breiten Palette sozietärer und korporativer Assoziationsformen soll die Autonomie der Willensbildung in Unternehmen gesichert werden.
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II. Stellung und Inhalte der Eigentumsgarantie als Prinzip Art. 14 GG fungiert neben dem Grundrecht auf Berufsfreiheit als „das zweite Hauptgrundrecht wirtschaftlicher Freiheit“. 937 U. Di Fabio stellte jüngst fest: „Erwerbswirtschaft bedarf [...] in komplexen Handlungssystemen der institutionellen Sicherung durch das Eigentum: Erst wenn Eigentum als die jedem offenstehende und frei übertragbare zivile Herrschaftsposition über Sachen fest etabliert ist, findet die moderne Erwerbswirtschaft ihre maßgebliche Entwicklungsvoraussetzung.“ 938 Ein derartiger Etablierungsprozess setzt seinserseits ein tragfähiges verfassungsrechtliches Eigentumsverständnis voraus. Über dieses besteht allerdings kein Konsens in der Rechtslehre. Zwar sind die liberal-rechtsstaatliche Tradition des Eigentumsschutzes als Menschenrecht 939 sowie die Verknüpfung von Eigentum, persönlicher Freiheit und Menschenwürdegarantie 940 und damit die vorpositiven Ursprünge des Eigentums 941 wiederholt betont worden. Dennoch wird eine prima-facie-Gewährleistung individueller vorstaatlicher Freiheit durch Art. 14 Abs. 1 GG verbreitet in Zweifel gezogen. 942 Die Eigentumsgarantie sei in Gänze oder doch überwiegend normgeprägt. Geschützt seien nur die vom einfachen Gesetzgeber geschaffenen Eigentumspositionen. 943 Ein originär verfassungrechtlicher Eigentumsbegriff spiele entweder gar keine oder eine höchstens untergeordnete Rolle. „Natürliches“ Eigentum könne es schlechterdings nicht geben. 944 Art. 14 Abs. 2 GG bzw. das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) würden die Eigentumsfreiheit von vornherein oder aber über das Inhaltsbestimmungs- und Schrankenziehungsrecht des Gesetzgebers (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) einer weitreichenden sozialen Bindung unterwerfen. 945 Der Eigentumsschutz sei letztlich demokratisch-gemeinschaftsorientiert konzipiert. 946 Individuelle Rechtssphären, welche dem positiven Recht vorgegeben sind, seien nicht vorstellbar. 947
R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 252. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 79. 939 Vgl. J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 3, 6. 940 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 140 ff. 941 Vgl. BVerfGE 14, 263 ff. (277); E 15, 126 ff. (144); E 24, 367 ff. (389); E 31, 229 ff. (239). 942 Vgl. nur H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 14/15 Rn. 53. 943 Vgl. U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 120 f. 944 Vgl. BVerfGE 58, 300 ff. (330); W. Böhmer, Eigentum aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Das Eigentum, 1989, S. 39 ff. (63 ff.); vgl. auch A. Lubberger, Eigentumsdogmatik, 1995, S. 163 m. w. N. 945 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 11 m. w. N. 946 Kritisch hierzu T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 160 ff. 947 Vgl. J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 7. 937 938
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Die nachfolgende Analyse beschreitet einen anderen Weg. Sie will mithilfe des gewonnenen, methodischen Instrumentariums aufzeigen, dass die Eigentumsgarantie als Freiheitsschutz des Einzelnen durchaus auf vorpositive, d. h. vorverfassungsgesetzliche Grundwertungen zurückgreifen kann und dass sich auf dieser Basis durchaus inhaltliche Konturen des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System zeichnen lassen. Eine derartige Vorgehensweise ist nicht der Verfassung entrückt. Dieser Vorwurf könnte nur dann erhoben werden, wenn vorpositive Inhalte als Axiome formuliert würden, die dann als Ausgangspunkt für die Deduzierung von Prinzipien dienen. 948 Demgegenüber betreibt die hier vorzunehmende Analyse, ausgehend vom Verfassungsgesetz, einen wertenden Rückschluss auf die ratio legis, d. h. auf die Prinzipienebene. 949 Mithilfe dieser Vorgehensweise wird sichergestellt, dass nur solche „vorverfassungsgesetzliche“ Wertungen berücksichtigt werden, die letztlich auch von der Verfassung rezipiert und damit als „verfassungsrechtlich“ einzustufen sind. Das Eigentum trägt als „Prinzip“ neben der Forderung nach der Existenz und dem Inhalt von Eigentumsrechten 950 ein weiter gehendes, objektives wirtschaftskonzeptionelles Geltungsverlangen in sich. Kurzum: Das Prinzip will in allen Bereichen des (Wirtschafts-)Rechts verwirklicht werden. Auf dem Weg zu diesem Ziel sind zahlreiche Wertungsprobleme zu lösen. Eigentum als „Prinzip“ muss Eigentum als „Ideologie“ 951 und seine Bezüge zur Freiheit und Menschenwürde berücksichtigen. 952 Im Rahmen der Prinzipienfreilegung ist weiterhin nach den „Gründen“, den grundsätzlichen „Ausprägungen“ und nach der „Reichweite“ des Eigentumsschutzes zu fragen 953 sowie das Verhältnis zur Sozialbindung offen zu legen 954 Zuletzt bedürfen die Gewährleistungsdimensionen einer eingehenden Betrachtung.955 948 Vgl. M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, S. 344 (insbes. Fn. 245) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG; generell zur Kritik an dieser Vorgehensweise vgl. 3. Kapitel § 5 II. 1. 949 Eine eingehende Analyse zur Eigentumsgarantie als Prinzip findet sich bei J.-R. Sieckmann (ders., Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, passim sowie ders., in: Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz im deutschen und britischen Recht, 1999, S.17 f.). Der hier vertretenen Konzeption vergleichbar beinhaltet der Prinzipiengehalt bei Sieckmann sowohl abwehrrechtliche wie auch staatsaktivierende Elemente. Im Unterschied zu der vorliegenden Analyse untersucht Sieckmann die Eigentumsgarantie mit Blick auf ihre Wirkungsweise in Prinzipienmodellen, d. h. er versucht, die Frage zu klären, wie Prinzipien im konkreten Verfassungskonflikt als Abwägungselemente funktionieren. Die vorliegende Untersuchung zielt demgegenüber auf die Klärung von Inhalt und Funktionsweise im Rahmen eines abstrakten Systems (vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 2); vgl. hierzu auch eine stark verkürzte Darstellung von J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 33 ff. 950 So J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 19. 951 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 1. 952 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 2. 953 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 4 und 4. Kapitel § 2 II. 5. 954 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 6. 955 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 7.
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1. Eigentum als Ideologie W. Leisner hat den „Verfassungskampf ums Eigentum“ folgendermaßen beschrieben: „Eigentum ist ein eigentümliches Recht: Die meisten haben es, alle streben danach – und doch steht es überall in Streit. Der Kampf ums Recht ist die Theorie, der Kampf ums Eigentum die Praxis. Ohne Eigentumsgarantie bleiben dem Bürger nur ‚nutzlose Freiheiten‘, die Souveränität des Diogenes“. 956 Dennoch sei das „private Eigentum [...] vielen zum Ärgernis geworden: In ihm sieht man den Hort des unmoralischen Egoismus und der Gemeinschaftsfeindlichkeit, vor allem aber eine Bedrohung der Freiheit anderer.“ 957 Das Streitpotential, das Leisner beschreibt, rührt aus den unterschiedlichen weltanschaulichen Tendenzen her, die bei der Eigentumsfrage besonders heftig aufeinander prallen. Genauer gesagt: Eigentum als Grundrecht ist Gegenstand von Ideologien, die auf unterschiedlichen Eigentumstheorien beruhen.958 Gerade eine axiologisch-teleologische Betrachtung kann und möchte sich diesem Faktum nicht entziehen. 959 Im Folgenden soll deshalb eine Analyse der theoretischen Wurzeln der Eigentumsgarantie erfolgen. 960 Ursprünglich standen sich im rechtsphilosophischen und naturrechtlichen Theorienstreit über den Ursprung des Eigentumsrechts die so genannte „Okkupations-“ und die „Arbeitstheorie“ unversöhnlich gegenüber. 961 Begründet in der Antike von ihrem Vordenker M. T. Cicero versuchten die Vertreter der „Okkupationstheorie“ namentlich Th. v. Aquin, H. Grotius, S. Pufendorf und Th. Hobbes über Jahrhunderte hinweg, die Legitimation von Eigentum mit mannigfaltigen Variationen der stets gleichen Grundthese zu erklären: der physischen Inbesitznahme als ursprünglichem Rechtsgrund! Ab der Mitte des 17. Jh. war die mit „Widersprüchen und Inkonsistenzen“ übersäte Struktur der Okkupationstheorie nicht mehr aufrecht zu erhalten.962 Angesichts der neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten des beginnenden Industriezeitalters erwies sich vor allem die Prämisse eines endlichen Güterbestandes als fehlerhaft. 963
W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 1. W. Leisner, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, in: Eigentum, 1996, S. 3. 958 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 2; U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 85 ff.; vgl. zur Politisierung der Eigentumsgarantie im Nachkriegsdeutschland A. v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984, S. 374 ff. 959 Zu den Schwierigkeiten der Eigentumsforschung vgl. vor allem F. Weyreuther, Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums, 1983, S. 25. 960 Vgl. hierzu J. Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, 1975, S. 115 ff. 961 Umfassende Darstellung bei M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, passim. 962 Vgl. M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, S. 116. 963 Vgl. M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, S. 121. 956 957
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Der fällige Paradigmenwechsel wurde von J. Locke eingeleitet. Locke vertrat die Auffassung, die Vereinigung der Menschen zum Staat beruhe ausschließlich auf dem Wunsch, Leben, Freiheit und vorhandene Güter zu sichern. 964 „Das große und hauptsächliche Ziel [...], zu dem sich Menschen in Staatswesen zusammenschließen“, so Locke, „ist die Erhaltung ihres Eigentums“. 965 Die fundamentale Wertschätzung des Eigentums wäre nicht zu erklären, wenn es schlicht darum ginge, Vorhandenes zu verteilen. Ein solcher Motor für das Staatswesen, das war Locke klar, müsste schnell zum Stillstand gelangen, spätestens dann, wenn die vorhandenen Güter verteilt wären. Sogar der gegenteilige Effekt könnte dann einsetzen. Der beginnende Umverteilungskampf könnte den Staat erodieren. Eigentum musste vielmehr als durch das Individuum formbar verstanden werden. Nach diesem Verständnis wurde Eigentum nicht durch „Verteilung und Vertrag, sondern durch Produktion“ erworben. 966 Individuelle Leistung und Arbeit, so die Essenz der Theorie Lockes, würden dem Eigentum Legitimität verleihen. Zum Menschen als Schöpfer des Eigentums stellt er fest: „Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände, so können wir sagen, sind im eigentlichen Sinne sein. Was immer er also jenem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und hat ihm etwas hinzugefügt, was sein eigen ist – es folglich zu seinem Eigentum gemacht.“ 967, 968 964 Vgl. hierzu O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 2. 965 John Locke, Über die Regierung, IX 124. 966 M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, S. 125 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 967 John Locke, Über die Regierung, V 27. 968 Lockes Arbeitstheorie wurde nicht nur von der Strömung des deutschen Naturrechts im 18. Jh., der Philosophie der Klassik und Romantik und der politischen Ökonomie der englischen Klassik rezipiert. Auch die Frühsozialisten und Karl Marx fanden die Formel „Eigentum durch Arbeit“ als für ihre Umverteilungsinteressen gelungen (vgl. J. Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, 1975, S. 124 ff.). Vor allem Marx proklamierte ein „Recht des Arbeiters auf das Eigentum an den von ihm produzierten Gütern“ (M. Brocker; Arbeit und Eigentum, 1992, S.334 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original)). Tatsächlich hatte eine derartige Forderung nichts mit den Vorstellungen Lockes gemein. Zum einen befand sich, wie auch Marx selbst eingestehen musste, der Kapitalismus zur Zeit Lockes noch in seiner „Kindheitsperiode“ (ders., in: Das Kapital, 1867, in: MEW 23, 1969, S.777; vgl. auch D. Eißel, Eigentum, 1978, S. 15). Die Prämisse einer ungleichen Verteilung der Produktionsmittel, die Marx Locke unterschieben wollte, war somit zu diesem Zeitpunkt noch nicht existent. Zum anderen zielten Lockes staatstheoretische und -philosophische Überlegungen in eine gänzlich andere Richtung. Er unterstützte die emanzipierenden Bestrebungen des Bürgertums, die gegen „jede staatliche Reglementierung der wirtschaftlichen ‚Privatsphäre‘“ gerichtet waren (D. Eißel, Eigentum, 1978, S. 14). Keineswegs wollte Locke den Besitzlosen im Falle einer einseitigen Konzentration des Eigentums das Recht zu einer egalitaristischen Verteilung einräumen. In Besitzlosen erkannte Locke vielmehr „inaktive Bürger“ (D. Eißel, Eigentum, 1978, S. 15), die an der Konstituierung des Staatswesens nicht beteiligt waren. Ganz im Gegensatz zu den philosophisch geprägten Bemühungen, die Legitimation von Eigentum zu begründen, standen diejenigen Denkrichtungen, die in ihren Forderungen nach radikaler Egalität das Recht auf Eigentum prinzipiell ablehnten. Vor allem Jean J. Rousseau
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte
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2. Eigentum als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie: „Eigentum ist Freiheit!“ Mit Blick auf die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie kommt es nicht von ungefähr, dass das Bundesverfassungsgericht die Leitlinien der Arbeitstheorie Lockes in seine Rechtsprechung implementiert hat. 969 Stärker als in jedem anderen verfassungstheoretischen Begründungsansatz spiegelt sich in ihr der Legitimationsgrund und das Leitbild des Eigentums wieder: die „geronnene Arbeit“ bzw. die erfassbare individuelle Leistung als Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung jedes einzelnen Menschen! 970 Die Zusammenhänge sind hier ganz ähnlich wie bei der Werthaftigkeit des Berufes dargestellt. Eigentum bildet das Substrat von Selbstbestimmung auf der Grundlage des Eigenwertes jedes Menschen. Mit seiner Hilfe „vermag der Bürger seine personale Existenz zu transzendieren“.971 Dadurch, dass er „leistet“, d. h. greifbare Werte schafft, tritt er nach außen in die Rechtsgemeinschaft und kann seiner personalen Wertigkeit dadurch entsprechen, dass er mit seinem Eigentum den eigenen und den gesellschaftlichen Alltag mitgestaltet.972 Die Selbstentfaltung als Kerngehalt der Menschenwürde hat sozusagen zwei Ausprägungen: zum einen die individuelle Vervollkommnung durch Schaffung einer materiellen Basis zu eigenem Nutzen in dem Vertrauen, dass die „Anstrengungen in materialisierter Form Achtung und Schutz der Rechtsgemeinschaft finden“ und zum anderen die Erzielung von Respekt und sozialem Status durch Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in der Rolle des Eigentümers. 973 wollte einen unversöhnlichen Widerspruch zwischen Freiheit und Eigentum, im letztgenannten gar die Ursache für Verbrechen, Krieg und Schrecknis erkannt haben (vgl. ders., Vom Gesellschaftsvertrag, Erstes Buch, Viertes Kapitel). Auch die sozialistischen Theorien tendierten in ihrer inneren Widersprüchlichkeit in diese Richtung. Nur an der Oberfläche wurde das Eigentum in der Form einer so genannten „sozialistischen Eigentumskonzeption“ propagiert. Die innere Geisteshaltung erwies sich indes der Eigentumsgarantie gegenüber als generell feindlich. Nicht selten fielen indes die Masken. Auf die Frage: „Qu’est-ce que la propriété?“ antwortete beispielsweise Pierre J. Proudhon im Rahmen einer akademischen Auseinandersetzung im Jahre 1840: „C’est le vol!“ (Siehe ders., Justice et Liberté, 1962, S. 22; vgl auch T. v. Danwitz/ O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 3 f.). 969 Vgl. vor allem BVerfGE 50, 290 ff. (340) m. w. N.; vgl. auch M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992, S. 342 ff.; D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S. 414 ff. 970 W. Leisner, Eigentum – Grundlage der Freiheit, in: ders., Eigentum, 1996, S. 21 ff. (23); vgl. zum personalen Kern der Eigentumsgarantie auch A. v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984, S. 386 ff.; vgl. auch K. H. Friauf, Eigentumsgarantie, Leistung und Freiheit im demokratischen Rechtsstaat, in: Markwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 438 ff. 971 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 11; vgl. zum Menschenwürdebezug der Eigentumsgarantie auch U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 113 ff., 120. 972 Zum Zusammenhang zwischen Eigentum, Menschenwürde, Persönlichkeitsentfaltung und Leistung vgl. auch B.-O. Bryde, in: v.Münch/Kunig, GG-Komm., Bd.I, 2000, Art.14 Rn.3. 973 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 13 f. 13 Meyer
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Die Verwirklichung beider Aspekte der Selbstentfaltung – das Ich-Sein durch Ich-Bezug und das Ich-Sein durch Gemeinschafts- bzw. Gesellschaftsbezug – folgen aufeinander. So hat insbesondere A. H. Maslow mithilfe seiner Bedürfnispyramide nachgewiesen, dass die höherwertigen Bedürfnisse mit sozialem Bezug vom Individuum erst dann befriedigt werden können, wenn die Erfüllung der eigenen existentiellen Bedürfnisse sichergestellt ist. 974 Für den Einzelnen ist damit Eigentumserwerb zunächst „Risikovorsorge“, d. h. ein Sicherheitsfaktor, der die persönliche Existenz betrifft. 975, 976 Aus der ökonomischen Autonomie des Einzelnen, d. h. dem materiellen „sich-sicher-sein-können“, erwächst dann in der Folge geistige Autonomie, die ihrerseits die Basis für das politische sowie das gesellschaftliche Selbst- und Verantwortungsbewusstsein liefert – allesamt unverzichtbare Grundlagen für den freiheitlich-demokratischen Staat!977 In dieser Funktion vermittelt Art. 14 GG schließlich „dem einzelnen Bürger als Rechtsperson einen bestimmenden Anteil an der der Sozialgestaltung“.978 Die Menschenwürdegarantie und die sie konkretisierende Ausprägung in Art. 14 GG sind über die Stellung des Eigentums als Menschenrecht (vgl. Art.1 Abs. 2 GG) miteinander verknüpft. 979 Aus dieser Stellung heraus lassen sich die Unterschiede, letztlich aber auch die Gemeinsamkeiten zur grundgesetzlichen Freiheit ableiten. Denn die Freiheit ist wie das Eigentum ein Menschenrecht.980 Was die Unterschiede 974 Vgl. A. H. Maslow, Motivation and personality, 1970 (1954), passim; vgl. auch L. Fischer/G. Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, 2002, S. 109 f.; A. Weinert, Organisationspsychologie, 1998, S. 144 ff. 975 Die hier vertretene Auffassung kollidiert nicht mit der von H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd.II, Art.14 Rn.2. Papier spricht dem „Sicherheitsaspekt“ die Eignung zur „ausschließlichen und vorrangigen Funktions- und Inhaltsbestimmung der Eigentumsgarantie“ ab (hiergegen vor allem A. Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, 1997, § 35 Rn. 7 ff.). Die geäußerten Bedenken wären zutreffend, wenn grundrechtsinterpretatorisch ein sachlich-inhaltliches Primat des „Sicherheitsaspektes“ angenommen würde. Dies ist vorliegend nicht der Fall (vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 II. 4. a)). Wird der Ausdruck „primär“ verwendet, so soll damit allein eine zeitliche Verwirklichungsreihenfolge, die Aspekte „Leistung“ und „Existenzsicherung“ betreffend, aufgezeigt werden; vgl. zum Aspekt der „Risikovorsorge“ auch O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 14. 976 Vgl. auch A. Bleckmann, der von der Sicherungsfunktion des Eigentums und der damit zusammenhängenden Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Bürger als „notwendige Voraussetzung der Menschenwürde“ spricht (ders., Staatsrecht II – Die Grundrechte, 1997, § 35 Rn. 5); vgl. zur „Existenz- und Freiheitssicherungsfunktion“ auch D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S. 410 ff. 977 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 II. 3. 978 H.-J. Papier, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 4 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original); vgl. auch K. H. Friauf, Eigentumsgarantie, Leistung und Freiheit im demokratischen Rechtsstaat, in: Markwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 438 ff. (450); F. Rittner, Unternehmensverfassung und Eigentum, in: FS für W. Schilling, 1973, S. 363 ff. (365 f.). 979 Vgl. zum Ableitungszusammenhang G. Dürigs auch die Ausführungen im 4. Kapitel §1I. 980 Zur Stellung des Eigentums als Menschenrecht vgl. W. Leisner, Eigentum – Grundlage der Freiheit, in: Eigentum, 1996, S. 21 ff. (27 ff.); ders., in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 1.
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betrifft, so gilt mit Leisner: „Eigentum im Licht der Menschenwürde ist nicht ein Raum, wie die Freiheit, sondern ein Ergebnis, es ist nicht die Schöpfungskraft des Menschen, sondern das Geschaffene“. 981 Mit dieser Unterscheidung wird indes kein Gegensatz zwischen Eigentum und Freiheit gezeichnet, sondern lediglich die qualitative Selbstständigkeit des Eigentums innerhalb des Freiheits-Raumes zum Ausdruck gebracht. Eigentum und Freiheit lassen sich zusammenführen.982 Die Komplementarität beider ist letztlich eine Frage der Formulierung. Alles hängt davon ab, inwieweit der Freiheitsbegriff in Richtung Eigentum präzisiert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat Eigentum als „geprägte Freiheit“ bezeichnet.983 Im Schrifttum wird von der „gespeicherte[n] Freiheit“ (J. Isensee) 984 oder von der „Fortsetzung der Freiheit im Bereich der Güterordnung“ (O. Depenheuer) 985 gesprochen. All diese Formulierungen bringen zum Ausdruck, dass das Eigentum aus der Freiheit erwächst, also eine spezifische Ausprägung der Freiheit darstellt. Die Freiheit ist dem Eigentum aber nicht nur zeitlich vorgelagert, d. h. Eigentum ist Freiheit nicht nur in der Retrospektive. Eigentum fungiert mit Leisner vielmehr auch als „‚potentielle Freiheit‘ für die Zukunft“ sozusagen als materielle Basis, aus der im Rahmen der Freiheitsentfaltung geschöpft werden kann. 986 Der hier beschriebene Zusammenhang zwischen der Menschenwürde, der Persönlichkeitsentfaltung, der Freiheit und dem Eigentum ist vom Bundesverfassungsgericht wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Es hält hierzu fest: „Das Eigentum ist ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht. Ihm kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.“ 987 Das Eigentum, so das Bundesverfassungsgericht, ist „in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet [...]. Seine Nutzung soll dem Eigentümer ermöglichen, sein Leben nach eigenen, selbstverantwortlich entwickelten Vorstellungen zu gestalten [...]. Die grundrechtliche Eigentumsverbürgung enthält damit Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit soW. Leisner, Freiheit und Eigentum, in: Eigentum, 1996, S. 7 ff. (13). Das Ergebnis dieses Prozesses beschreibt die Formel „Eigentum ist Freiheit“. Ursprünglich G. Dürig, in: FS für W. Apelt, 1958, S. 3 ff. (31); ihm folgend O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd.I, 1999; Art.14 Rn.14; W. Leisner, in: HStR, Bd.VI, 2001, § 149 Rn. 11; H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 46; K. A. Schachtschneider/O. Gast, Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 165. 983 BVerfG, EuZW 1998, S. 279 (283) – bezugnehmend auf Geldeigentum. 984 J. Isensee, Vorwort des Herausgebers, in: Eigentum, 1996, S. V ff. (X). 985 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm. Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 13. 986 W. Leisner, Eigentum – Grundlage der Freiheit, in: Eigentum, 1996, S. 21 ff. (23). 987 BVerfGE 24, 367 ff. (389); vgl. auch BVerfGE 31, 229 ff. (239); E 50, 290 ff. (339); E 78, 58 ff. (73); E 79, 292 ff. (303 f.). 981 982
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wie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wegen der spezielleren Regelung in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf es insoweit keines Rückgriffs auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.“ 988 Die Betonung der personalen Struktur der Eigentumsgarantie durch das Bundesverfassungsgericht gipfelt in der Formulierung, wonach Art. 14 Abs. 1 GG als Grundrecht „nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“ schütze. 989 3. Eigentum Privater als Faktor für die Freiheit der „Wirtschaftsgesellschaft“ Das Eigentum Privater als gelebte individuelle Freiheit und als Freiheitsquelle ist von Gemeinschaftsinteresse. Denn Eigentum als Freiheit bezweckt, dass der Einzelne „eigenverantwortlich (‚autonom‘) und mit privatnütziger Zielsetzung am Aufbau und an der Gestaltung der Rechts- und Gesellschaftsordnung mitwirken“ kann. 990 Wird dieser Zwecksetzung entsprochen, so folgt daraus ein Zuwachs an kollektiver (wirtschaftlicher) Freiheit. Gilt es, diesen Konnex im Folgenden eingehender zu explizieren, so kann an die bereits vermittelten Effekte, Individuen betreffend, angeknüpft werden. Die aus dem Eigentum erwachsende Bürgerautonomie und Bürgerverantwortung und in weiterer Folge die Möglichkeit der Individuen zur praktischen Sozialgestaltung begründen ein Pflichtengefüge, also eine In-die-pflichtnahme auf das Eigentum hin. Mit steigendem quantitativem Umfang und zunehmend komplexer werdenden sozialen Abhängigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentumsgebrauch steigen die Anforderungen an die Eigentumshandhabung durch den Eigentümer. Einerseits vergrößern sich damit regelmäßig die Chancen, das Eigentum ertragbringend zu nutzen. Andererseits wächst jedoch auch die faktische Notwendigkeit zur (gesellschaftlichen) Rücksichtnahme. Ihr muss der Eigentümer entsprechen, will er seinen sozialen Status nicht verspielen. Alles in allem ist der Eigentümer „erster Diener seines Eigentums“.991 Diese Pflichtigkeit gegenüber dem Eigentum und aus dem Eigentum, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Pflichtigkeit aus Art. 14 Abs. 2 GG steht 992, bildet das Schlüsselglied zwischen individueller und kollektiver Freiheit, denn sie verhindert 988 BVerfGE 79, 292 ff. (303 f.); vgl. auch BVerfGE 46, 325 ff. (334); E 52, 1 ff. (30); E 88, 366 ff. (377). 989 BVerfGE 61, 82 ff. (108 f.). 990 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 4. 991 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm. Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 27 m. w. H. 992 Im Gegensatz zu der Verpflichtung aus Art. 14 Abs. 2 GG, handelt es sich bei der hier beschriebenen um eine moralische Pflicht, „die aus der Notwendigkeit steter Bestandserhaltung erwächst“ (O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 27).
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individuelle und damit in der Konsequenz gesellschaftliche Lethargie. Aus dem Eigentum erwächst wirtschaftliche Initiative, denn das Eigentum bedarf der Pflege und Aufmerksamkeit seitens des Eigentümers. 993 Je mehr es vermehrt, denn schlicht bewahrt werden soll, in desto größerem Maße werden entsprechende Aktivitäten verlangt. Neue Strategien zur Erreichung der gewünschten Ziele müssen ausgetüftelt werden. Das Eigentum als „gespeicherte Freiheit“, das ausgestattet ist mit dem Recht zur Nutzung und Verfügung, schafft somit die Möglichkeit der „Kommunikation der Freiheit“ und bedarf dieser auch im steigenden Maße, je mehr das Eigentum nicht der existentiellen Sicherung des Eigentümers dient. 994 In einem solchen Stadium sind wirtschaftliche Güterbewegungen mehr als das Streben nach Profit. Sie sind nicht nur Ausdruck von Risiko- und Experimentierbereitschaft zum Zwecke der Verwirklichung eigener Geltungsdränge. Vielmehr gilt: Wirtschaftsdynamik entfaltende Motive, wie Innovations- und Investitionsbereitschaft, entspringen schlicht auch dem sozialen Verantwortungsbewusstsein des Eigentümers. 995 Die Möglichkeit, das Eigentum im gesellschaftlichen Kontext über den eigenen Nutzen hinaus glaubwürdig und daher allseits geachtet zu positionieren, bildet die höchste, die erstrebenswerteste Form der Freiheitsverwirklichung im vermögensrechtlichen Bereich. Insoweit besteht eine Parallele zur Freiheit des Berufs, die genau wie die Freiheit des Eigentums erst im gesellschaftlichen Kontext ihre Vollendung gewinnt. 996 Mit Leisner gilt: „Frei ist nicht, wer ‚liegt und besitzt‘, wer nur schlafen will, nachdem er konsumiert hat [...]. Frei ist, wem die Chance das Höchste ist, wer verdienen will, nicht empfangen.“ 997 Das Eigentum Privater als Freiheit dient somit dem Individuum genauso sehr wie der Gemeinschaft. Aus der Freiheit des Einzelnen erwächst die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens mit dem Ziel einer „Sicherung und Stärkung der Grundlagen der res publica“. 998 4. Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff und einfachgesetzliche Ausformung Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 GG wirft zentrale dogmatische Schwierigkeiten auf. Einerseits wird das Eigentum verfassungsrechtlich „gewährleistet“ (S. 1); zugleich jedoch die Inhaltsbestimmung des Eigentums auf den Gesetzgeber übertragen; daneben werden Inhaltsbestimmung und Schrankenziehung schließlich in ei993 Vgl. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 2; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 26 f. 994 W. Leisner, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, in: Eigentum, 1996, S. 3 ff. (4); vgl. zum Terminus „gespeicherte Freiheit“ Fn. 984. 995 Vgl. zur Bereitschaft der Individuen zur Übernahme von Gemeinwohlpflichten M. Jachmann, Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, in: StuW 1996, S. 97 ff. (99 f.). 996 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1 und 4. Kapitel § 2 I. 2. 997 W. Leisner, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, in: Eigentum, 1996, S. 3 ff. (4). 998 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 26.
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nem Atemzug genannt (S. 2). Soll damit lediglich gemeint sein, dass der einfache Gesetzgeber, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Institutsgarantie, a priori vorhandenes Eigentum ausgestalten und Eigentümerrechte unter Hinweis auf die Sozialpflichtigkeit beschränken darf? Oder setzt die Eigentumsgarantie ihrerseits stets die Konstituierung von Eigentum auf der einfachgesetzlichen Ebene voraus? 999 Wie verträgt es sich schließlich, dass ein Grundrecht, dass primär mit dem Zweck ausgestattet ist, die individuelle Freiheit durch Abwehr staatlichen Handelns zum Zwecke der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie zu gewährleisten, gerade durch den Staat inhaltlich ausgestaltet werden kann? a) „Leistung“, „Existenzsicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“ als Elemente und Unterprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs Die Versuche in der Verfassungslehre, diese Kernfragen der Eigentumsdogmatik beantworten zu wollen, sind mannigfaltig. 1000 Sie in ihrer dogmatischen Vielfalt gänzlich erfassen und darstellen zu wollen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Erklärungsversuchen ist aber auch nicht nötig. Die wesentlichen Unterschiede erklären sich bereits, wenn im Vorfeld berücksichtigt wird, woher der „Feuereifer“ im Rahmen der Auseinandersetzung rührt. Oft wird zutreffend auf die unterschiedlichen Eigentumsbzw. Freiheitskonzeptionen verwiesen, d. h. der Konflikt wird letztlich auf die Auseinandersetzung zwischen liberalem und pflichtigem Freiheitsdenken sowie auf dessen weltanschauliche Ursprünge zurückgeführt.1001 Die rechtsmethodische Facette des Konflikts wird indes häufig übersehen. Vor allem die „Positivisten“ und die „Wertungsjuristen“ sind im Kampf ums Eigentum gegeneinander angetreten. Beide bedienen sich unterschiedlicher methodischer Instrumentarien, um über den begrenzten Gehalt der Wortlautexegese des Art. 14 Abs. 1 GG hinaus Erkenntnisgewinnung zu betreiben. Den „Positivisten“ kann es dabei nicht gelingen, auf der Ebene des Verfassungsrechts zu verbleiben. Nach ihrem Verständnis bei der Beantwortung der Frage nach dem Eigentum vom Grundgesetz im Stich gelassen, sind sie gezwungen, nach ausformulierten Regelungsstrukturen zu suchen, die sie auf einfachgesetzlicher Ebene finden. Anders gestaltet sich der methodische Handlungsrahmen der „Wertungsjuristen“. Sie nehmen den Wortlaut des Grundgesetzes gleichermaßen ernst, suchen aber im Falle seiner (Erkenntnis-)Begrenztheit nach Gründen und Erklärungsmöglichkeiten für die verfassungsgesetzliche Formulierung. Im Unterschied zu den „Positivisten“ bietet sich ihnen die Möglichkeit, die Vgl. C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (193). Eine aktuelle Übersicht hierzu findet sich bei A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, S. 104 ff., 217 ff. 1001 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 37 ff. 999
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Lösung der „Eigentumsfrage“ ohne dogmatische Klimmzüge auf der Ebene des Verfassungsrechts und zwar unter Einbeziehung der Werteebene zu suchen. Zugespitzt formuliert läuft der Konflikt auf die Alternative hinaus, den Eigentumsbegriff entweder durch im Verfassungsgesetz zum Ausdruck kommenden, vorgelagerten Wertungen zu verstehen, oder ihn aber mittels ausformulierter Regelungsstrukturen auf der einfachgesetzlichen Ebene bestimmen zu wollen. Bevor die Divergenz zwischen den unterschiedlichen Standpunkten vertieft werden soll, sei auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ hingewiesen; gleichermaßen auch einem möglichen Missverständnis entgegengetreten: Das Gebot zur Inhaltsbestimmung in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, insofern herrscht Konsens, bildet gerade keine Leerformel. Eigentum ist in den meisten Fällen auf den Gesetzgeber angewiesen. Viele anerkannte Eigentumspositionen wären ohne gesetzgeberisches Zutun kaum handhabbar oder schlechterdings unerklärlich. Dies gilt vor allem für „wesentlich abgrenzungsbedürftige Güter“ oder für „gesetzlich erst zu bestimmende Güter“.1002 Unter die zuerst genannte Kategorie fällt beispielsweise das Grundeigentum. Um im Einzelfall „Eigentumsfähigkeit“ herzustellen, muss der Gesetzgeber das Eigentum im Verhältnis der Grundrechtsträger untereinander abgrenzen, d. h. beispielsweise mit Mitteln des Sachenrechts festlegen, wo das Eigentum für den Einzelnen beginnt und wo es endet. 1003 Eigentum fungiert in dieser Rolle als das wichtigste Rechtsinstitut im Hinblick auf die Abgrenzung privater Vermögensbereiche. 1004 Wie schon die Formulierung deutlich werden lässt, sind „gesetzlich erst zu bestimmende Güter“ ohne Gestaltungsakt durch den Gesetzgeber kein Eigentum. Unter diese Kategorie fallen vor allem Forderungen und Individualgüterrechte. 1005 Hier definiert der einfache Gesetzgeber Eigentum, bringt es sozusagen hervor und beschränkt es sodann. 1006 Die Unterschiede konzentrieren sich auf die Frage, ob der Gesetzgeber, der mit einer Eigentumskreationskompetenz ausgestattet ist, nur die Rolle eines Mittlers zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einnimmt, er sozusagen einen rudimentären verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff vorfindet und den grundrechtlichen Schutzbereich dementsprechend ausgestaltet bzw. ihm Schranken zieht, oder ob ausschließlich der Gesetzgeber festlegt, was unter Eigentum zu verstehen ist, d. h. er es stets exklusiv definiert. 1007
1002 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 68 ff.; vgl. auch C.-L. Lee, Eigentumsgarantie und Bestandsschutz im Immissionsschutzrecht, 1994, S. 23; D. Schmalz, Grundrechte, 2001, Rn. 880 f. 1003 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 68. 1004 Vgl. BVerfGE 24, 367 ff. (389 f.); E 58, 300 ff. (339). 1005 Vgl. auch M. Nierhaus, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers? – Ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 1 Abs. 3 GG, in: AöR 116 (1991), S. 72 ff. (101). 1006 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 69. 1007 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 54.
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Die zuletzt genannte Auffassung von der „exklusiven Maßgeblichkeit gesetzgeberischer Inhaltsbestimmung des Eigentums“ 1008 wird, was kaum verwundern mag, von Teilen der „positivistischen“ Literatur vertreten. 1009 Der Begriff der „Normprägung“ wird in einem auf den einfachen Gesetzgeber zugeschnittenen Sinne verstanden – Eigentum entstehe ausschließlich durch einfachgesetzliche Prägung! Vom Grundgesetz geschützt seien nur die rechtlich, d. h. gesetzlich ausgeformten Herrschaftsbeziehungen, denn entgegen den in Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Gütern und den einzelnen Handlungsfreiheiten könne das Eigentum nicht auf „eine ‚natürliche‘ Freiheit“ zurückgeführt werden. 1010 Eigentum ohne (einfaches) Gesetz könne es schlechterdings nicht geben. 1011 Letztlich sei es ein „Institut des positiven Rechts“. 1012 Die alleinige gesetzgeberische Eigentumsdefinitionskompetenz und damit verbunden das „Gottvertrauen“ in den einfachen Gesetzgeber ist i. d. R. kein Selbstzweck, sondern verfolgt, getragen von einer methodischen und weltanschaulichen Motivation, ein klares Ziel. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber soll ein Instrumentarium in die Hand bekommen, dass ihm die Schaffung des (sozialen) Ausgleichs von Eigentümer- und Allgemeininteressen ermöglicht. Letztlich soll er über die Option verfügen, den Abschied vom liberalen Eigentumsdenken einzuläuten, um an dessen Stelle die Vorstellung vom „konkreten, pflichtgebundenen“ bzw. „sozial gebundenen“ Eigentum zu etablieren. 1013 So sehr die sozialnützige Motivation 1014 für sich genommen begrüßenswert ist; die Konzeption, zu deren Verwirklichung man sich ihrer bedient, ist aus verschiedenen Gründen nicht haltbar. Versteht man das Eigentum ausschließlich als Kreation des einfachen Gesetzgebers, so würde sowohl die prägende Kraft des ranghöheren Verfassungsgesetzes als auch das Geltungsverlangen der ihm gedanklich vorgelagerten Prinzipienebene ignoriert. Dies gilt im Besonderen für die Konkretisierungsfunktion der Grundrechte, die als Ausfluss der Menschenwürdegarantie der Wahrung und Sicherung individueller vorstaatlicher Freiheit dienen. Die KonkretisieO. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 37. Vgl. u. a. W. Böhmer, Eigentum aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Das Eigentum, 1989, S. 39 ff. (63 ff.); D. Ehlers, Eigentum, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt – Zweiter Beratungsgegenstand, in: VVDStRL 51 (1992), S. 211 ff. (214); R. Lutz, Eigentumsschutz bei „störender“ Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983, S. 129 ff. u. 215; O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 11; J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 14 Rn. 25 ff. u. 73 ff. 1010 J. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), 2003, Rn. 697 (Hervorhebung im Original). 1011 Vgl. R. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, passim. 1012 J. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), 2003, Rn. 697 m. w. N. 1013 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 37; vgl. auch O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 11. 1014 In der Tat lässt sich die Sozialnützigkeit des Eigentums in anderer Weise begründen als mithilfe des einfachen Gesetzgebers; vgl. zur „entwickelten“ Privatnützigkeit als Quelle der Fremdnützigkeit schon 4. Kapitel § 2 II. 3 und zur insofern zentralen Rolle des Art. 14 Abs. 2 GG: 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1008 1009
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rungsfunktion der Grundrechte meint eben die determinative Wirkung auf der einfachgesetzlichen Ebene und nicht etwa den umgekehrten Vorgang. Andernfalls wäre das allen Freiheitsrechten zugrunde liegende Prinzip „Wahrung vorstaatlicher Freiheit vor Zugriffen des Staates“ gleichermaßen auf den Kopf gestellt wie die normenhierarchische Struktur der Rechtsordnung in Gänze.1015 Eigentum so verstanden, wäre weder mit der hier vertretenen Außentheorie, noch mit dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip in Übereinklang zu bringen. In der Tat würde ein derartiges Rollenverständnis – der Gesetzgeber in der Rolle als „Herr der Verfassung“ – zu einer „Reihe rechtsstaatlicher Kurzschlüsse“ führen. Die Verfassung geriete „mangels eigenen Selbstands in funktionale und uneinholbare Abhängigkeit vom Gesetz“. Die Bindung aller Staatsgewalten an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) „wäre für Art. 14 außer Kraft gesetzt“. 1016 Scheidet die zuletzt genannte Auffassung aus den angeführten Gründen aus, so verbleibt nur die Einschätzung, wonach das Grundgesetz über einen originären, verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff verfügen muss, der den grundrechtlichen Schutzbereich zumindest in Grundzügen ausgestaltet. Dieser Auffassung folgt auch das Bundesverfassungsgericht. Im sog. Naßauskiesungsbeschluss heißt es hierzu: „Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Aus Normen des einfachen Rechts, die im Range unter der Verfassung stehen, kann [nicht] der Begriff des Eigentums im verfassungsrechtlichen Sinne abgeleitet“ werden. 1017 Im Einzelnen steht trotz dieser scheinbar eindeutigen Formulierung freilich vieles in Zweifel, denn das Bundesverfassungsgericht hat nicht den Versuch unternommen, die Kriterien für die Begriffsbestimmung ausdrücklich zu benennen. 1018 Vor allem aber hat es einerseits zwar eine verfassungsautonome Eigentumsbegriffsbestimmung befürwortet, jedoch andererseits wiederholt und vehement auch auf die einfachgesetzliche Inhaltsbestimmungskompetenz gepocht. 1019 Teile der Literatur haben der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsbegriff „verbale Widersprüchlichkeit“ attestiert bzw. behauptet, es läge insofern ein „offener Zirkelschluss“ vor. 1020 Widersprüchlichkeiten lassen sich vermeiden, wenn von vornherein eine klare Trennlinie zwischen einem verfassungsrechtlichen und einem derivativem, einfachgesetzlich geprägten Eigentumsbegriff gezogen wird. Der verfassungsrechtliche EiO. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 43 f. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 43. 1017 BVerfGE 58, 300 ff. (335). 1018 Vgl. D. Ehlers, Eigentum, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt – Zweiter Beratungsgegenstand, in: VVDStRL 51 (1992), 211, 214 (Fn.6).; J. Ipsen, Neuere Entwicklungen der Eigentumsdogmatik, in: Recht und Wirtschaft, 1985, S. 145. 1019 Vgl. hierzu BVerfGE 58, 300 ff. (330 u. 335); E 95, 64 ff. (82 f.). 1020 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 38 (Fn. 3); F. Baur, Die „Naßauskiesung“ – oder wohin treibt der Eigentumsschutz?, in: NJW 1982, S.1734 ff. (1735); vgl. auch M. Nierhaus, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers? – Ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 1 Abs. 3 GG, in: AöR 116 (1991), S. 72 ff. (96 f.). 1015 1016
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gentumsbegriff liefert zum einen die Wertungsbasis für ohne Vermittlung des Gesetzgebers bestehende unmittelbar von der Verfassung kreierte Eigentumspositionen. Hierunter fallen „natürlich abgegrenzte Güter“, im Besonderen das Eigentum an beweglichen Sachen. Sie sind „sozusagen ‚natürlich eigentumsfähig‘, weil [sie] außerrechtlich abgegrenzt und beherrschbar sind“. 1021 Selbstverständlich kann der Gesetzgeber an diesen Verfassungsbestand anknüpfen und für ihre weitere rechtliche Konkretisierung (nicht Relativierung!) sorgen. Gleichermaßen beinhaltet der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff Elemente, die als Maßstab für die Schaffung derivativer Eigentumspositionen durch den Gesetzgeber dienen, sozusagen eine Wertungsbasis für die weitere Fortentwicklung und praktische Tauglichmachung des Eigentums bilden. Tatsächlich spricht vieles für eine Verortung dieser Wertungsbasis auf der Prinzipienebene. Obwohl verbreitet auf die Notwendigkeit einer verfassungsautonomen Interpretation des Eigentums verwiesen wird, hat die Verfassungsrechtslehre dennoch bislang nur vereinzelt den Versuch unternommen, dem Grundrechtsinterpreten insoweit verlässliche Maßstäbe an die Hand zu geben. Teilweise beschränkt man sich darauf, die (Abgrenzungs-)Funktion eines verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes zu beschreiben, ohne sich seinen Inhalten zu nähern.1022 Vielfach scheitert das Unterfangen der Begriffsdefinition, weil eine allzu große Distanz zur Prinzipienebene besteht. Eine Herangehensweise, die den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff sozusagen über die „ratio legis“, d. h. unter Berücksichtigung der tragenden Sinngesamtheit und der vorstaatlichen Ursprünge, mittels Wertungen zu erklären sucht, wird im wissenschaftlichen Kontext als schwer praktikabel oder unglaubwürdig abgetan. 1023 Unter den neueren Lösungsansätzen offenbart besonders deutlich der Standpunkt von A. Grochtmann das Dilemma derjenigen Verfassungsinterpreten, die sich zwar eines Rückgriffs auf Wertungen nicht gänzlich verweigern, ihn wohl aber scheuen. 1024 Nach seiner Auffassung lässt sich der originäre, verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff anhand zweier Teildefinitionen gewinnen. Die erste Teildefinition benennt, vereinfacht gesagt, Kriterien, nach denen so genannte Eigentumsgesetze bestimmt werden können. Der zweite Begriffsbestandteil, so Grochtmann, würde dem Grundrechtsauslegenden aufzeigen, „daß als Endresultat die auf eben diesen Eigentumsgesetzen begründeten Zuordnungsverhältnisse in der Hand von Grundrechtsträgern als Eigentum im Sinne des Art. 14 I 1 GG geschützt sind“. 1025 „Rechtlich ‚anspruchsvoll‘“ sei „zumeist nur die Bestimmung der Eigentumsgesetze nach MaßgaW. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 67. Vgl. u. a. H. Melchinger, Die Eigentumsdogmatik des Grundgesetzes und das Recht des Denkmalschutzes, 1994, S. 113; G. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S. 13 f. 1023 Vgl. bspw. H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 14/15 Rn. 53. 1024 A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 217 ff., 274, 377 ff. 1025 A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 379. 1021 1022
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be der dies ermöglichenden Teildefinition des Eigentumsbegriffs“. Die sich „danach ausrichtende Feststellung der tatsächlich Art. 14 I 1 GG unterfallenden Zuordnungsverhältnisse“ verbliebe dagegen „überwiegend im Bereich der Empirie“. 1026 Mit dieser Definition lässt Grochtmann es ausdrücklich bewenden. Als entscheidender Ansatzpunkt für die Begriffsfindung bleiben damit die von ihm in der ersten Teildefinition angesprochenen Kriterien weiterhin verschüttet. Es wurde bereits angedeutet, warum Grochtmann die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Kriterien scheut. Eine solche würde übergesetzliche Wertungen voraussetzten, auf die er nicht zurückgreifen möchte. So verweigert er sich ausdrücklich der Annahme „natürlicher“ Eigentumsinhalte; einem per se materiell angereicherten Eigentumsbegriff steht Grochtmann, milde ausgedrückt, skeptisch gegenüber. 1027 Daher gelingt es ihm nicht, den Rahmen inhaltlich auszufüllen, den er zuvor gezeichnet hat. Seine Definition des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes bleibt inhaltlich hohl. Gegen einen „natürlichen“ bzw. „übergesetzlichen“ Eigentumsbegriff wendet sich auch Depenheuer. 1028 Dennoch sei es eine Fehlvorstellung, davon auszugehen, die grundgesetzliche Eigentumsordnung würde die Verfassung unter das Gesetz stellen. Art. 14 Abs. 1 GG beinhalte vielmehr „auf Verfassungsebene eine erste grundlegende, normativ verpflichtende, weiteren Konkretisierungen zugängliche, ermöglichende und bedingte Konstituierung des rechtlich anzuerkennenden Eigentums“. 1029 „Der phänomenologische Strukturtypus des Eigentums“, der sich hier wiederfände und „bindende Prägestrukturen“ für den Gesetzgeber aufweisen soll, werde „verfassungsrechtlich in erster Linie durch das bürgerliche Sach- und Grundeigentum geprägt“, denn dieses habe der Verfassungsgeber im Jahre 1949 „zum Leitbild gesetzlicher Konkretisierungen erhoben“. 1030 Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne sei somit „durch privatnützig zugewiesene umfassende Herrschafts- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers“ gekennzeichnet, die von § 903 BGB als „magna charta des Eigentumsgrundrechts“ klassisch dahingehend umschrieben werde, dass der Eigentümer einer Sache mit dieser „nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ könnte. 1031 Art. 14 GG enthalte somit einen „spezifischen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff“, auf den „sich jeder Eigentümer [...] seinem Inhalt und seinen Befugnissen nach berufen“ könnte. 1032 Den Parametern „individuelle Freiheit“, „personaler Bezug“ und „Exis1026 1027
A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 379. Vgl. A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 263,
111. 1028 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 30. 1029 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 32 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1030 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 33 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1031 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 33. 1032 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 34.
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tenzsicherungsfunktion“ soll, was den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff betrifft, keine konstituierende Funktion zuteil werden. Allerdings sollen sie in der Lage sein, die Schutzwirkungen des Eigentums zu determinieren.1033 So griffig und praktikabel der postulierte verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff auch erscheint; letztlich gelingt Depenheuer der Nachweis für eine Rezeption eines spezifisch „bürgerlich-rechtlich“ geprägten verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs durch das GG nicht. 1034 Insoweit kann er sich auch nicht auf das Bundesverfassungsgericht stützen. Zwar hat dieses festgestellt, dass das Grundgesetz mit der Eigentumsgarantie „das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben, schützen“ wolle. 1035 Mit dieser Aussage hat das Bundesverfassungsgericht jedoch lediglich eine denkbare Schutzrichtung beschrieben und nicht etwa abschließend den Begriffsinhalt des Eigentums festlegen wollen. Die exemplarisch angeführten Lösungsansätze des Schrifttums haben aufgezeigt, dass die verfassungsautonome inhaltliche Konturierung des Eigentumsbegriffs dann nicht gelingen kann, wenn seine Verankerung in den „Tiefenstrukturen“ des Rechts keine Beachtung findet, d. h. kein Rückgriff auf ursprüngliche, übergesetzliche Wertungen erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht geht offenbar, trotz aller Widersprüche und Zweifel, die die Judikatur zu dieser Problematik im Übrigen aufweist, grundsätzlich von einem wertgeladenen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff, d. h. von der Möglichkeit eines wertenden (Rück-)Schlusses auf die „Garantie eines ‚Wert-Kerns‘ bzw. einer ‚Kern-Nutzung‘“ aus. 1036 Überwiegend jedoch sind die diesbezüglichen Aussagen sehr allgemein gehalten. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt die axiologische Prägung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes eher beiläufig und konzentriert sich darauf, dessen Vorgaben an den Gesetzgeber zu charakterisisieren. Dieser, so stellt es pauschal fest, müsse „die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums“ beachten. 1037 Der „Kern des Eigentumsrechts“ dürfe nicht angetastet werden. 1038 Gleichermaßen gelte: Der „Inbegriff des Eigentums“ müsse durch den Gesetzgeber normiert werden, wenn die verfassungsrechtlichen Vorgaben darauf drängen. 1039 Der Institutsgarantie des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 GG werde in diesem Zusammenhang die Aufgabe zuteil, 1033 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 15; a. A. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 92. 1034 Insoweit ist A. Grochtmann (ders., Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 267) zuzustimmen. 1035 BVerfGE 1, 264 ff. (278); E 65, 196 ff. (209). 1036 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 82. 1037 BVerfGE 14, 263 ff. (278); vgl. auch BVerfGE 58, 300 ff. (338); E 62, 169 ff. (183). 1038 BVerfGE 45, 142 ff. (173). 1039 Vgl. BVerfGE 21, 73 ff. (79 f.); vgl. auch W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 79.
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den „Grundbestand von Normen, die das Eigentum im Sinne dieser Grundrechtsbestimmung umschreiben“, zu sichern. 1040, 1041 Trotz der Tatsache, dass die verfassungsgerichtliche Judikatur damit zwar nicht expliziert, wie der Terminus „grundlegende Wertentscheidung zugunsten des Privateigentums“ zu verstehen sei und damit insoweit auf eine Aufschlüsselung des Wertungspools verzichtet, lässt sie sich dennoch für die vorliegende Analyse fruchtbar machen. Denn eine Erkenntnis kann der Rechtsprechung ohne Zweifel entnommen werden: Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff muss mehr beinhalten, als das Gebot der Bestimmtheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, d. h. das, was ohnehin das allgemeine Rechtsstaatsprinzip einfordert.1042 Walter Leisner hat ursprünglich an dieses verfassungsgerichtliche Postulat angeknüpft und dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff zutreffend drei wertgeladene Kernelemente entnommen: Leistung, Sicherung und Vertrauen! 1043 Die beiden erstgenannten Aspekte finden ihren legitimatorischen Ursprung in der Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie. Auf die hierzu geleisteten Ausführungen kann verwiesen werden. 1044 Bemerkenswert erscheint an dieser Stelle, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Leistungskriterium keinesfalls eng interpretiert werden darf. 1045 Es gewährt „besonderen Schutz“ für das „durch eigene Leistung und eigenen Kapitalaufwand“ Erworbene. 1046 „Arbeits-Leistung“ und Leistung durch Einsatz von Kapital stehen sozusagen auf der gleichen Stufe.1047 Dem Leistungselement wird zwar im Besonderen die Aufgabe zuteil, als Abgrenzungskriterium gegenüber Leistungen der staatlichen Fürsorge zu dienen. Jedoch ist es generell nicht dazu bestimmt, auf der Prinzipienebene Wertränge zwischen unterschiedlichen Eigentumspositionen zu konstituieren. Keinesfalls kann unter Rückgriff hierauf eine „Schutzabschwächung für ‚unverdienten Besitz‘ begründet werden. 1048 Kurz gesagt: Leistung begründet Eigentum und nihiliert es nicht! BVerfGE 26, 215 ff. (222). An dieser Stelle kann auf die bereits geleisteten Ausführungen zum (semantischen) Normbegriff verwiesen werden. Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 5. 1042 Vgl. hierzu W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 82; vgl. aber auch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 38. 1043 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 85 ff. Zum „Leistungskriterium“ als Prinzipieninhalt der Eigentumsgarantie vgl. auch J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 37 m. w. N, der die hier genannten Elemente teilweise aufgreift und als „Eigentumsprinzipien“ bezeichnet. Sieckmann meint damit offenbar „Unterprinzipien“ als Bestandteile des Prinzips „Eigentum“. 1044 Zur Rezeption des Leistungskriteriums in der Rechtsprechung des BVerfG vgl. schon 4. Kapitel § 2 II. 2. 1045 Vgl. C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (200); A. Stücke, Eigentum an Wirtschaftssubventionen, 1991, S. 23 ff. 1046 BVerfGE 1, 264 ff. (277 f.); vgl. auch BVerfGE 50, 290 ff. (340); E 58, 81 ff. (112). 1047 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 85. 1048 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 87. 1040 1041
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Das Sicherungselement begründet verfassungsrechtliches Eigentum für alles, „was existenzsichernd wirkt, was gar zur Existenzsicherung gebraucht wird“. 1049 Für die sozialversicherungsrechtliche Judikatur des Bundesverfassungsgerichts entwickelte es sich als der Aufhänger schlechthin. Das Bundesverfassungsgericht stellte hierzu früh fest: „Wenn der Eigentumsschutz ein Stück Freiheitsschutz enthält, insofern er dem Bürger die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung sichert, so muss er sich auch auf die öffentlich-rechtlichen Berechtigungen erstrecken, auf die der Bürger in seiner wirtschaftlichen Existenz zunehmend angewiesen ist“. 1050 In einer späteren Entscheidung referierte es ergänzend: Eigentum an sozialversicherungsrechtlichen Positionen liegt dann vor, wenn solche Positionen „für die große Mehrzahl der Bevölkerung eine wichtige Grundlage ihrer Daseinssicherung sein“ können, d. h. sich ihre Stellung durch eine wesentliche, über lange Zeiträume gewährte Leistung „so verfestigt hat, daß die Versicherten sie zu ihrer existentiellen Vorsorge rechen können“. 1051 Die „Existenzsicherung“ als Zweck ist wie die „Leistung“ ein Grund für Eigentum. Das Sicherungskriterium verdrängt ebenso wenig wie das Leistungskriterium ein anderes Begründungselement, sondern tritt gegebenenfalls bei der Begründung von Eigentum verstärkend hinzu. Die Existenzsicherung ist wie die Leistung nicht als ein zwingend konstitutives Erfordernis anzusehen. Auch kann dieses Kriterium nicht dazu dienen, Schutzabstufungen zum Nachteil anderer Positionen abzuleiten. Denn das Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne umfasst nicht nur das, was zur Existenzsicherung gebraucht wird. Vielmehr gilt: Sämtliche Güter, die ihrem Wesen nach die Eignung zur Existenzsicherung aufweisen, können auch verfassungsrechtliches Eigentum sein. 1052 Das Vertrauenselement hat gleichermaßen wie die bereits genannten Elemente keine zwingend konstitutive oder verdrängende, sondern eine begründungsergänzende Funktion. 1053 Im Vergleich zu den zuvorgenannten Elementen wird es jedoch auf der Prinzipienebene zudem noch von einer anderen Seite her begründet. Die Rechtsidee mit ihren Postulaten Rechtssicherheit und Gerechtigkeit bildet hier eine weitere Legitimationsbasis. Nicht umsonst bildet der „Vertrauensschutz“ gerade auch einen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Der Vertrauensschutz im Rahmen der Eigentumsgarantie reicht jedoch über den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz hinaus: „Auch im Falle einer Änderung der Rechtsordnung muß der Gesetzgeber für den Eingriff in geschützte subjektive [Eigentums-]Rechte legitimierende Gründe haben“. 1054 1049 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 90; kritisch J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 47. 1050 BVerfGE 32, 111 ff. (142). 1051 BVerfGE 69, 272 ff. (303); vgl. auch BVerfGE 72, 9 ff. (19); E 76 220 ff. (235). 1052 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 92. 1053 Vom Vertrauenselement als „Eigentumsprinzip“ spricht J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 19; vgl. auch Fn. 1043. 1054 BVerfGE 58, 81 ff. (121).
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„Vertrauen“ als konstitutives Element meint, dass sämtliche Rechtspositionen in den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff einzubeziehen sind, die objektiv die Eignung aufweisen, Vertrauen in ihren Bestand zu erwecken, die also „ihrem Wesen nach nicht zentral dem Zugriff des Staates oder anderer Bürger ausgesetzt sind“. 1055 Auf das Vertrauenselement lassen sich zahlreiche Eigentumspositionen zurückführen. Das gilt beispielsweise für sozialversicherungsrechtliche Ansprüche. Hier entfaltet das Kriterium zudem die notwendige Abgrenzungswirkung gegenüber staatlich gewährten Sozialleistungen ohne Vertrauenscharakter. Ein weiterer Ableitungsstrang besteht auch zu den Immaterialgüterrechten oder den ausnahmsweise eigentumsrechtlich geschützten Erwerbschancen. Daneben entfaltet das Vertrauenselement gegenüber dem Gesetzgeber in gewichtigen Fällen direktive Kraft. Hierauf legt insbesondere Leisner zutreffenderweise die Betonung: Vertrauenseigentum fordere „Systemgerechtigkeit“ und „Gesetzgebungsvertrauen“ sowie einen effektiven „Schutz gegen Rückwirkungen“. Die Inhalts- und Schrankenbestimmung seitens des Gesetzgebers dürfe das „Bürgervertrauen in die Beständigkeit der Rechtsordnung nicht erschüttern“. Das, „was der Gesetzgeber mit der inhaltsgestaltenden Hand heute gegeben hat, darf er nicht morgen mit der Eingriffshand nehmen“. 1056 Die bisher aufgezählten Elemente beschreiben den prinzipiellen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff nicht abschließend. Hinzu tritt das Kriterium der „Privatnützigkeit“. 1057 Es beschreibt den Zusammenhang zwischen Freiheitsschutz und Eigentum besonders deutlich und zwar nicht nur in einem statischen, d. h. das Innehaben persönlichen Eigentums bewahrenden Sinne. 1058 Privatnützigkeit des Eigentums ist Ausdruck der prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit. Insofern bildet die Privatnützigkeit zunächst zwar die Grundlage für die private Interessensgestaltung und die eigenverantwortliche Nutzung des Eigentums, sozusagen im Sinne einer Nutzung zu eigenem Gusto. Aus dieser Nutzungsmöglichkeit erwächst jedoch in einem fortentwickelten Stadium private (wirtschaftliche) Initiative. Freiheit zur persönlichen Lebensgestaltung, dies wurde bereits aufgezeigt, mündet so in gesellschaftliche Freiheit. 1059 Insofern lohnt es sich auch nicht, die „grundsätzliche Verfügungsbefugnis“ von der „Privatnützigkeit“ unterscheiden zu wollen. 1060 VielW. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 94. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 96 f. 1057 Vgl. M. Nierhaus, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers? – Ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 1 Abs. 3 GG, in: AöR 116 (1991), S. 72 ff. (99); A. Stücke, Eigentum an Wirtschaftssubventionen, 1991, S. 18 ff., 31 ff.; Ch. Wunderlich, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigentumsgarantie ..., 1994, S. 10; für die Privatnützigkeit als Prinzipieninhalt der Eigentumsgarantie spricht sich auch R. Alexy (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S.304) aus; kritisch bis ablehnend indes C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (201). 1058 Vgl. P. Badura, F. Rittner, B. Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz – Gemeinschaftsgutachten, 1977, S. 194. 1059 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 3. 1060 Wie hier H. Sodan (ders., in: Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 484 f.), der in „terminologischer Hinsicht“ die Verwendung des in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG 1055 1056
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mehr gilt: Die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers ist die Voraussetzung für Privat- und letztlich Gemeinnützigkeit. Die Gemeinnützigkeit ist ihrerseits die vollendetste Form der Privatnützigkeit! Nichts anderes kann in Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG gemeint sein, wenn davon gesprochen wird, dass der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass den genannten Elementen des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs, d. h. „Leistung“, „Sicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“ im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System eine besonders bedeutsame Stellung zuteil wird. Sie bilden jeweils die Basis für die Ableitung gleich lautender Unterprinzipien im System. Zugleich sind sie zentrale, integrale Bestandteile des Prinzips „Eigentum“. Prinzipiell gefordert ist letztlich der Schutz des durch eigene Leistung Erworbenen, die Gewährleistung der existentiell-materiellen Voraussetzungen persönlicher Freiheit, der Vertrauensschutz und der Schutz der privaten Interessensgestaltung und eigenverantwortlichen Nutzung. b) Inhaltsbestimmung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs und die Unterschiede zur Schrankenziehung Die oben aufgeworfenen Kernfragen der Verfassungsdogmatik sind damit nicht abschließend beantwortet. Es bleibt noch das Verhältnis von Inhalts- und Schrankenbestimmung zueinander zu klären. 1061 Die ausdrückliche Doppelnennung in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG lässt den Schluss auf einen unterschiedlichen, jeweils selbstständigen Bedeutungsgehalt zu. 1062 Für diesen Befund streitet auch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Hier wird davon gesprochen, das Eigentum sei „gewährleistet“. Die Besonderheit der Befugnis des Gesetzgebers zur Inhaltsbestimmung wird erst in diesem Kontext deutlich, denn „Gewährleisten“ meint nicht lediglich „Unverletztlassen“. 1063 „Gewährleisten“ meint mehr. Und genau auf dieses „Mehr“ zielt die Befugnis zur Inhaltsbestimmung ab. Sie fungiert als die Fortschreibung der Gewährleistungsgarantie in Satz 1 und dient in erster Linie dem Schutz des Grundrechtsträgers, der aus den oben genannten Gründen auf die Gestaltungsmacht des Gesetzgebers weitgehend angewiesen ist. Wird dem Gesetzgeber aus genau diesen Gründen die Realisierung des Verfassungsversprechens „privates Eigentum“ übertragen, so trägt er die Verantwortung für die Optimierung dieser Grundrechtsgarantie mittels einer inhaltlichen, an den Bedürfnissen des Grundrechtsträgers ausgerichteten Gestaltung. Direktive Kraft entfaltet insoweit der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff enthaltenen Wortes „Gebrauch“ als „Oberbegriff“ vorschlägt; a. A. indes A. Stücke, Eigentum an Wirtschaftssubventionen, 1991, S. 23; vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 5. c). 1061 Vgl. auch S. Parodi, Eigentumsbindung und Enteignung im Natur- und Denkmalschutz, 1984, S. 68 ff. mit einer umfassenden Darstellung des Streitstandes. 1062 So im Ergebnis auch J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, S. 629 ff., 680. 1063 S. Parodi, Eigentumsbindung und Enteignung im Natur- und Denkmalschutz, 1984, S. 78 f.
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mit seinen explizierten Elementen Leistung, Sicherung, Vertrauen und Privatnützigkeit, die es einfachgesetzlich umzusetzen gilt. 1064 Hiervon zu unterscheiden ist die Schrankenziehungskompetenz des Gesetzgebers, die es ermöglicht, der grundrechtlichen Freiheit entgegengesetzte Belange zu verwirklichen. Keinesfalls darf der „Eigentumsinhalt über eine Inhaltsbestimmung „‚wegdefiniert‘ werden, bevor es überhaupt zur Schrankenbestimmung kommt“. 1065 Das gewonnene Ergebnis fügt sich in die hier vertretene Außentheorie und das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip ein. 1066 Letztlich verbietet es sich, die gesetzgeberische Schrankenziehungskompetenz einerseits und die Inhaltsbestimmungskompetenz andererseits gleich setzen zu wollen. 1067 Zusammenfassend gilt: Die vom Gesetzgeber verfassungsgemäß praktizierte Inhaltsbestimmung führt zu einer Ausformung des Eigentums auf der Prinzipienebene in Anlehnung an den direktiven Gehalt des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs. Die Schrankenziehungskompetenz zugunsten des Gesetzgebers und ihre Realisierung infolge hat zunächst einmal mit dem Eigentum als Prinzip direkt nichts zu tun. Ihr wird allenfalls ein mittelbarer Erklärungswert dadurch zuteil, dass sie von außen an das Prinzip herantritt und seine Bedeutung bzw. die Bedeutung seiner Inhalte im Systemkontext oder im verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhang erläutert. 1068 Die Schrankenanwendung führt indes dazu, dass aus einer das Eigentum betreffenden prima-facie-Position – außerhalb des hier interessierenden Systemzusammenhangs – im Einzelfall eine definitive Position erwächst. 1069 5. Prinzipienerzeugte Eigentumspositionen a) Allgemeines Was Eigentum als Prinzip betrifft, so besteht bislang insoweit Klarheit, dass die Elemente des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs allesamt Unterprinzipien 1064 Einen anderen Ansatz wählen hingegen K. H. Friauf/R. Wendt (dies., Eigentum am Unternehmen, 1977, S.17). Zum „positiven Leitbild der Inhaltsbestimmung“ wird dort die „Funktion“ der Eigentumsgarantie erhoben. 1065 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 137, der diese Gefahr anhand der Naßauskiesungs-Entscheidung (BVerfGE 58, 300 ff.) verdeutlicht. 1066 Vgl. zur „Außentheorie“ im Allgemeinen 4. Kapitel § 1 IIIwie hier auch J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 12 und 23 f. m. w. N.; von der Notwendigkeit einer Unterscheidung geht auch W. Leisner aus (ders., in: HStR, Bd.VI, 2001, §149 Rn. 134), der eine andere grundrechtliche Konzeption als die Außentheorie offenbar gar nicht erst in Erwägung zieht, sie vielmehr für „logisch“ hält. 1067 Vgl. auch J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, S. 629 ff., 680; S. Parodi, Eigentumsbindung und Enteignung im Natur- und Denkmalschutz, 1984, S. 78 ff.; a. A. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 305 ff. 1068 Vgl. die diesbezügliche Interpretationsprämisse in 4. Kapitel § 1 IV. 1069 Vgl. J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 23.
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bilden, die den von der Verfassung geforderten Mindestinhalt des Eigentums festlegen. Diese allgemeinen prinzipiellen Vorgaben gewährleisten die Entwicklungsoffenheit der Inhalte des Prinzips „Eigentum“. Zwar lässt sich mit ihrer Hilfe die Frage, welche Positionen im Einzelnen als Eigentum geschützt sind, nicht umfassend beantworten, denn den abschließenden Schutzrahmen zieht letztlich der Gesetzgeber. Die genannten Unterprinzipien geben als Bestandteile des Prinzips Eigentum allerdings in Grundzügen die diesbezügliche Marschrichtung vor. Sie fungieren daher als Direktive, was das Inhaltsbestimmungsgebot seitens des Gesetzgebers betrifft und gebieten zugleich unmittelbar den Schutz notwendigerweise zunächst abstrakt formulierter prima-facie-Eigentumspositionen. Die wesentlichen Inhalte des Eigentums sind damit schon vorgezeichnet. Insofern kann vorliegend von prinzipienerzeugten Eigentumspositionen gesprochen werden. Für die hier erfolgende Systemfreilegung, die auf Ermittlung der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitprinzipien zielt, reicht es aus, die Konturen des Prinzipieninhalts „Eigentum“ dadurch zu zeichnen, dass die grundlegenden Zusammenhänge und einige ausgewählte wirtschaftsverfassungsrechtliche Konfliktfelder anhand der ermittelten Vorgaben des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs, d. h. anhand der Basisprinzipien des Prinzips „Eigentum“ näher beleuchtet werden. b) Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Positionen Prinzipienerzeugte Eigentumspositionen sind grundsätzlich alle konkreten vermögenswerten Rechte, die sich einer hinreichenden Ableitungsbasis zu den genannten Grundprinzipien versichern können. Insbesondere solche, die durch „Entfaltung des Leistungswillens“ entstanden sind. 1070 Generell gewährleistet sind alle vermögenswerten Rechte, die das Privatrecht dem einzelnen Rechtsträger so zuordnet, dass „er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf“. 1071 Hierzu gehören alle dinglichen Rechte, insbesondere das Sacheigentum. 1072 Aber auch privatrechtliche Ansprüche und Forderungen – vorausgesetzt sie sind nicht jederzeit kündbar – sind verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum. 1073 Immaterialgüterrechte und gewerbliche Schutzrechte fallen unter den Schutz der Eigentumsgarantie, soweit sie dem Einzelnen spezifizierbare vermögenswerte Befugnisse zum Zwecke der eigenverantwortlichen und privaten Verfügung rechtlich allumfassend zuordnen. 1074 Der Eigentumsschutz vermögenswerter öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen ist ausnahmsweise dann gefordert, wenn die prinzipiellen Elemente „Leistung bzw. 1070 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 14 Rn. 7; vgl. auch BVerfGE 31, 229 ff. (240 f.); E 51, 193 ff. (218). 1071 BVerfGE 83, 201 ff. (209); E 89, 1 ff. (6). 1072 Vgl. zur Problematik den Bestandsschutz für Wirtschaftsbauten betreffend R. Wahl, in: FS für K. Redeker, 1993, S. 245 ff. und 4. Kapitel § 2 II. 5. c). 1073 Vgl. J. Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. I, 2002, Art. 14 Rn. 160. 1074 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 151.
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eigener Kapitaleinsatz“, „Sicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“ darauf drängen. 1075 Auf die hierzu bereits geleisteten Ausführungen kann verwiesen werden. 1076 Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, bleibt allerdings weithin unklar. Dies gilt vor allem dann, wenn es darum geht, das quantitative Maß an „eigener Leistung“ zu bestimmen, welches notwendig ist, um den Eigentumsschutz zu begründen. Nach Auskunft des Bundesverfassungsgerichts muss die „eigene Leistung“ mindestens hinzutreten. 1077 Die öffentlich-rechtliche Position dürfe nicht ausschließlich auf staatlicher Gewährung fußen. Zusätzlich sei zu fordern, dass sie „dem einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen des Eigentümers entspricht“. 1078 Maßgeblich komme es darauf an, ob die jeweilige Position dem Inhaber „nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts [...] zugeordnet ist“. 1079 Wirtschaftsverfassungsrechtliche Probleme werfen in diesem Zusammenhang vor allem zwei Aspekte auf: die Frage nach dem Eigentumsschutz subjektiv-öffentlicher Genehmigungen, Erlaubnisse bzw. ähnlicher Akte sowie die Frage nach dem Eigentumsschutz von Subventionen. Beide Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten. In jedem der einzelnen Fälle kommt es auf die Gestaltungskraft der eigentumskonstitutiven Unterprinzipien an. Die Zulassung zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung genießt beispielsweise als sozialversicherungsrechtliche Position Eigentumsschutz aus mehreren Gründen: 1080 Durch die persönliche Zulassung als Vertrags(zahn)arzt erfolgt die Einstufung einer vermögenswerten Rechtsposition als privatnützig, denn sowohl die Zulassung als auch der Praxis(anteil) sollen „als Grundlage privater Inititative“ bzw. dem „eigenverantwortlichen Interesse“ des Vertrags(zahn)arztes dienen und ihm „von Nutzen“ sein. Die Erbringung persönlicher Leistungen durch den einzelnen Vertrags(zahn)arzt als Ergebnis seiner Leistungsbereitschaft und -fähigkeit sowie der eigene Kapitaleinsatz die eigene Praxis bzw. den Praxisanteil betreffend bieten ein weiteres Begründungselement für eine Einbeziehung in den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz. Der Umstand, dass die vertragsärztliche Tätigkeit letztlich auf staatlicher Gewährung beruht, kann hiergegen nicht „ins Felde geführt“ werden, denn das Kriterium „Leistung“ dient ausschließlich der Begründung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, nicht seiner Abstufung. 1081 Außerdem darf nicht übersehen 1075 Am Vertrauenstatbestand mangelt es vor allem bei subjektiv-öffentlichen Genehmigungen, Erlaubnissen bzw. ähnlichen Akten, die unter einem Widerrufsvorbehalt stehen bzw. noch nicht realisiert sind, bevor sie aufgehoben werden (vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsgrecht, 2000, S. 259 f.). 1076 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1077 Vgl. BVerfGE 18, 392 ff. (397). 1078 BVerfGE 53, 257 ff. (289). 1079 BVerfGE 69, 272 ff. (300); vgl. auch BVerfGE 72, 175 ff. (195). 1080 Vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 256 ff. 1081 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 4. a).
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werden, dass die eigene Praxis bzw. der eigene Praxisanteil grundsätzlich die alleinige oder wesentliche Basis für die Altersvorsorge des Vertrags(zahn)arztes, d. h. seine wirtschaftliche Existenzsicherung bildet. Auch aus dieser Funktion heraus erwächst der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz. Ähnliches gilt es zu beachten, wenn es darum geht, Wirtschaftssubventionen dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz zu unterstellen.1082 Die Rechtsprechung verneint zwar zutreffend die Eigentumsqualität, wenn die Subvention nur auf staatlicher Gewährleistung beruht, d. h. ohne Berücksichtigung der Adressatenleistung vergeben wird. 1083 So hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass staatliche Zuwendungen, die aus Haushaltsmitteln gespeist sind, selbst dann nicht erworben werden, wenn für die Erfüllung der Förderungsvoraussetzungen auch Eigenleistung notwendig waren. Denn die Subvention trete hier gerade an die Stelle der eigenen Leistung des Subventionsempfängers. 1084 Der Eigentumsschutz kann jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein. Insbesondere dann, wenn angesichts der Rechtslage ein berechtigter Anlass besteht, dauerhafte unternehmerische Weichenstellungen vorzunehmen und Investitionen zu tätigen. 1085
c) Unternehmerische Nutzung des Betriebseigentums, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Anteilseigentum und Eigentum der Unternehmensträger Der verfassungsrechtliche Schutz des Betriebseigentums ist vom Bundesverfassungsgericht im Grundsatz nie in Frage gestellt worden, soweit es um den Bestand vermögenwerter betrieblicher Einzelbestandteile (z. B. Sachanlagen, Betriebsgrundstücke, geistiges Eigentum o. Ä.) oder aber ihre Nutzung, d. h. beispielsweise ihren Einsatz als Produktionsfaktoren ging. 1086 So hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont, dass zur „Substanz des Eigentums“ eben auch die Freiheit gehört, den Eigentumsgegenstand zu nutzen. 1087 Dafür, dass nicht der Schutz des „Ausnutzensdürfens“ von Eigentumspositionen generell, sondern nur im jeweiligen Falle die Reichweite eines solchen Schutzes in Frage steht, spricht bereits der Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG, der mit Blick auf die Sozialbindung ausdrücklich auch auf den „Gebrauch“ des Eigentums verweist und damit diese Gewährleistungsdimension der Eigentumsgarantie implizit unterstellt. 1088 Neben dem Bestand genießt Vgl. zur Problematik: A. Stücke, Eigentum an Wirtschaftssubventionen, 1991, passim. Vgl. hierzu R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsgrecht, 2000, S. 260. 1084 Vgl. BVerfG, DÖV 1986, S. 788 ff. (791); vgl. auch BVerfGE 88, 384 ff. (401 f.); E 97, 67 ff. (83). 1085 Vgl. BGHZ 25, 266 ff. (269 f.). 1086 Vgl. hierzu auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 14/15 Rn. 102. 1087 Vgl. z. B. BVerfGE 79, 292 ff. (304). 1088 Vgl. H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 483; ders., Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 1082 1083
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somit die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit von (betrieblichen) Eigentumsgegenständen innerhalb eines bestimmten Rahmens prima-facie-Schutz. Nicht umsonst postuliert das Eigentum als Prinzip die „Privatnützigkeit“. Was die Reichweite des „Gebrauchsschutzes“ betrifft, so fallen, pauschal formuliert, grundsätzlich solche unternehmerischen Nutzungsmöglichkeiten unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz, die dem Eigentumsgegenstand „wesensmäßig inhärent“ sind. 1089 Inwieweit Nutzungen eines Eigentumsgegenstandes prima-facie-Positionen verkörpern, kann somit nur aus dem Eigentumsgegenstand selbst, d. h. aus der ihm typischerweise innewohnenden Gebrauchsbedeutung heraus ermittelt werden.1090 Das genannte Kriterium gilt insbesondere für die gewerbliche Nutzung von Betriebsgrundstücken. 1091 Gerade auf dieses Beispiel lässt sich das vom Bundesverfassungsgericht allgemein formulierte Postulat, wonach „aus Art. 14 Abs. 1 GG kein übergreifender Schutz ökonomisch sinnvoller und rentabler Eigentumsnutzung und hierfür bedeutsamer unternehmerischer Dispositionsbefugnisse“ erwachse, anwenden. 1092 Für die restriktive Handhabung sprechen hier gute Gründe. Es erscheint schlechterdings nicht vorstellbar, dass jede unternehmerische Tätigkeit, die auf einem Betriebsgrundstück vorgenommen wird, bereits aus diesem Umstand heraus als Substrat des Grundeigentums von Art. 14 Abs. 1 GG erfasst werden kann. Ansonsten wären zufällige Ergebnisse vorprogrammiert. 1093 Dessen ungeachtet erscheint die Formulierung „übergreifender Schutz ökonomisch sinnvoller rentabler Eigentumsnutzung“ aber letztlich als zu weit geraten. Sie bietet in ihrer Vagheit die Handhabe, zahlreichen unternehmerischen (Eigentums-)Nutzungsmöglichkeiten von vornherein den verfassungsrechtlichen Schutz zu versagen, der ihnen bei näheren Prüfung letztlich zuzubilligen ist. Zur Verdeutlichung dient folgendes Beispiel: Als Nutzungsmöglichkeit dem Grundeigentum „wesensmäßig inhärent“ und damit vom Eigentumsschutz erfasst ist das prima-facie-Recht, das Betriebsgrundstück mit Bauten zu versehen. Die Baufreiheit ist Kerngehalt des „freien Bodenrechts“ als Re-
S. 254 f.; Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 2 Abs. 1 Rn. 76. 1089 C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S.169 ff. (180); ders., Planungssicherheit für Unternehmen durch Verwaltungsakt, 1992, S. 85; vor ihm schon H. Schulze-Fielitz, Bestandsschutz im Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung 20 (1987), S. 307 ff. (325); noch weitergehender W. Leisner, Eigentumsschutz von Nutzungsmöglichkeiten, in: BB 1992, S.73 ff. (78), der sich dafür ausspricht, „jede sinnvolle Nutzungsmöglichkeit“ unter verfassungsrechtlichen Schutz zu stellen. 1090 Freilich ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, die prinzipiengeforderten Positionen inhaltlich auszugestalten bzw. dem eigentumsrechtlichen Nutzungsschutz im Kollisionsfalle Grenzen zu ziehen. 1091 Eine allgemeine Darstellung über den Nutzungsschutz von Grundeigentum findet sich bei T. Schönfeld, in: Die Eigentumsgarantie und Nutzungsbeschränkungen des Grundeigentums, 1996, passim. 1092 BVerfGE 77, 84 ff. (118). 1093 Vgl. C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (179 f.).
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sultat einer seit dem 18. Jahrhundert gewachsenen historischen Tradition. 1094 Angesichts der zunehmenden, gesetzlich erzeugten Beschränkungsdichte wird indes der Eindruck vermittelt, es handele sich um ein staatlicherseits „verliehenes Recht“ oder aber um ein Staatsgeschenk. 1095 Dieser unrichtige Eindruck verfehlt nicht seine Wirkung. In der Konsequenz wird der Baufreiheit als verfassungsrechtliches primafacie-Postulat im Rahmen von Abwägungen nicht im ausreichenden Maße Rechnung getragen. Dies gilt im Besonderen im Verhältnis zu Umweltschutzbelangen. Die in der Judikatur teilweise allzu pauschal vorgenommene Einschätzung „in dubio pro Umweltschutz“ steht im offenen Widerspruch zu der verfassungsrechtlichen prima-facie-Gewährleistung individueller Eigentümerfreiheit. 1096 An dieser Entwicklung trägt letztlich die verfassungsrechtliche Geringschätzung der Gebrauchsdimension des Eigentums wesentlichen Anteil. Ein weiteres Beispiel vertieft den gewonnenen Eindruck. So wird aus dem Schutz des Grundeigentums der Bestandsschutz für Wirtschaftsbauten abgeleitet. 1097 Dieser beinhaltet grundsätzlich das Recht, ein im Einklang mit früheren baurechtlichen Vorschriften errichtetes Vorhaben weiterhin in der bisherigen Art und Weise zu nutzen, auch wenn aktuelle baurechtliche Vorgaben dem entgegenstehen. Grundrechtlich geschützt ist zum einen der Bestandsschutz im passiven, d. h. bewahrenden Sinne. 1098 Darüber hinaus gefordert ist aber auch ein aktiver Bestandsschutz, der sich nicht nur auf die Genehmigung von (baulichen) Folgeinvestitionen unter Wahrung der Identität des Bauwerkes bezieht, sondern weitergehend auch Betriebserweiterungen und Nutzungsänderungen erfasst. 1099 Die restriktivere Auffassung der Rechtsprechung 1100 verkennt hier die Relevanz des Vertrauens- und des Leistungselements. Die Errichtung betrieblicher Bauten bildet ein strategisches Element der unternehmerischen Planung, denn ein gewinnorientierter Unternehmer, der seine Tätigkeit an den Marktgegebenheiten ausrichten muss, vertraut von Anfang an auf die Möglichkeit der zukünftigen baulichen Ausweitung seiner betrieblicher Anlagen, sofern die Sach- und Rechtslage mit Blick auf das vorhandene Grundeigentum objektiv geeignet ist, Vertrauen im Hinblick auf diese zukünftige Nutzungsmöglichkeit zu erwecken. Auf diese Option hin richtet er gegebenfalls seine unternehmerische Leistung aus. Aus dem schützenswerten Vertrauen heraus resultiert die unter-
1094 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 104; R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltunsgrecht, 2000, S. 254. 1095 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 104. 1096 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 142. 1097 Vgl. hierzu schon Fn. 1072. 1098 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsgrecht, 2000, S. 254; vgl. auch T. Gehrke/G. Brehsan, Genießt der baurechtliche Bestandsschutz noch Bestandsschutz?, in: NVwZ 1999, S. 932 ff. 1099 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsgrecht, 2000, S. 255. 1100 Vgl. BVerfGE 58, 300 ff. (352); BVerfG, BayVBl. 1996, S. 240, BVerwGE 84, 322 ff. (334); E 95, 341 ff. (349); E 98, 235 ff. (238); BGH, NJW 1996, 2422 ff. (2423).
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nehmerische Initiative, die innovative Fortentwicklung und Fortschreibung der betrieblichen Anlagen zu betreiben. All dies fordert Eigentumsschutz. Leistung, Vertrauen und Privatnützigkeit begründen aber noch in ganz anderer Hinsicht den verfassungsrechtlichen Schutz für die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit von bzw. über Sacheigentumspositionen. Erfasst ist auch der Vertrieb von Produkten auf den Märkten. 1101 Freilich ist damit grundsätzlich kein Schutz des Unternehmers vor dem Markt garantiert. Gewährleistet ist jedoch der Schutz gegen staatliche Maßnahmen das Marktgeschehen betreffend. Staatliche Einwirkungen auf die Nachfrage beispielsweise mittels Produktwarnungen oder generell die Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen können bereits aus dieser Perspektive heraus (mittelbare) Eingriffe in die Eigentumsfreiheit darstellen. 1102 Es lassen sich schließlich weitere Fälle finden, in denen die angesprochene, restriktive verfassungsgerichtliche Handhabung so genannter ökonomisch motivierter Eigentumsnutzungen unangebracht erscheint. Dies gilt exemplarisch für den verfassungsrechtlichen Schutz des Urheberrechts. Urheberrechte bilden ein Paradebeispiel für die ökonomisch motivierte Eigentumsnutzung. Hier steht die Nutzbarkeit selbst als originäres Element im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht etwa ein abgeleitetes Element, das auf bereits vorhandenen Vermögenswerten als Ergebnis des geschützten „Gebrauchens“ basiert. Die Nutzbarkeit existiert dabei nicht im luftleeren Raum, sondern in Relation zu dem vom Urheber geschaffenen Werk als einem festen Bezugsobjekt. Ob jedoch das Bezugsobjekt selbst (Sach-)Eigentum des Werkurhebers ist oder nicht, spielt keine Rolle für den verfassungsrechtlichen Schutz der (originären) Nutzbarkeit. Sie selbst ist eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte vermögenswerte Rechtsposition. Zur Verdeutlichung der Zusammenhänge mag folgendes Beispiel dienen: Ein Künstler hat ein Bild gemalt. Die Möglichkeit, das Bild als das Ergebnis seiner eigenen künstlerischen Kreativität zu nutzen, und die damit zusammenhängende Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes des „vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung“ 1103, muss unabhängig davon geklärt werden, ob die Farbe oder die Leinwand, die er verwendet hat, in seinem (Sach-)Eigentum gestanden hat und sich insoweit ein verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz infolge des Gebrauchs von Sacheigentumsgegenständen ableiten lässt. Die oben angeführten verfassungsgerichtlichen Bedenken lassen sich allenfalls auf die derivative unternehmerische Nutznießung erstrecken, nicht jedoch auf den Eigentumsschutz der originären Nutzbarkeit, um die es hier geht. 1104 Immerhin spricht 1101 Vgl. J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, S.623, 680. Zutreffend sieht z. B. auch R. Scholz (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 124) den Schutz der Vertriebs- bzw. Absatzfreiheit u. a. durch Art. 14 GG begründet. 1102 Vgl. C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (215 ff., 222 ff.). 1103 BVerfGE 31, 229 ff. (241). 1104 Die Unterscheidung zwischen dem Schutz der „originären Nutzbarkeit“ einerseits und dem Schutz der „derivativen Nutznießung“ als Ergebnis des „Gebrauchens“ andererseits darf
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das Bundesverfassungsgericht zwanglos davon, dass bei dem Aspekt der Urheberrechte die Institutsgarantie des Eigentums eine „Zuordnung der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnisse an den Werkschöpfer“ gebietet. 1105 Damit scheint es implizit auch zwischen dem eigentumsrechtlichen Schutz der orginären Nutzbarkeit und der derivativen Nutznießung zu differenzieren. Bestehen schließlich keine körperlichen Gegenstände, an denen Urheberrechte geltend gemacht werden können, sondern geht es um den verfassungsrechtlichen Schutz des nicht visuell wahrnehmbaren Ergebnisses rein geistiger Leistung, so erlangt der Begriffstypus der originären Nutzbarkeit vollste Überzeugungskraft, denn hier fehlt ja gerade der substantiell-materielle Bezugspunkt, aus dem sich die Eigentumsnutzung als „Gebrauch“ herleiten ließe. 1106 Die Eigentumsposition nimmt hier dadurch Form an, dass man sich das immateriell Geschaffene nutzbar machen kann und gerade diese Nutzbarkeit einen schützenswerten Vermögenswert darstellt, der durch eine eigene Leistung geschaffen wurde. Die vorgenommene exemplarische Verdeutlichung des verfassungsrechtlichen Nutzbarkeitsschutzes von unternehmerischem Eigentum kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein gesetzlich geregelter Interessensausgleich vielerorts unentbehrlich ist, um den grundrechtlichen Wertentscheidungen zum Freiheitsschutz aber auch öffentlichen Belangen Geltung zu verschaffen. 1107 Dies gilt sowohl im Zivilrecht bei der Regelung der Rechte zwischen Privatpersonen, als auch im öffentlichen Recht, das beispielsweise einen Ausgleich zwischen Eigentümerinteressen und Umwelt- und Landschaftsschutzbelangen schaffen muss. Die geschützte unternehmerische Freiheit muss im Abwägungsfalle u. U. in zentralen Bereichen Abstriche hinnehmen. 1108 An der grundlegenden Entscheidung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems ändert das freilich nichts. Insofern gilt: Weder unter Berufung auf ein vermeintliches Primat des Umwelt- und Landschaftsschutzes, noch mit Blick auf andere abwägungsrelevante Belange darf eine „totale Sozialbindung“ erzeugt werden. 1109 Gerade was die Einschränkbarkeit der Nutzbarkeit von Eigentumspositionen betrifft, so fungiert das Prinzip „Eigentum“ insoweit als ein gewichtiger Gegenpart. Keinesfalls darf die gesetzgeberische Gestaltung im Ergebnis dazu führen, dass das Eigentum seiner „wirtschaftlich wesentlichen Nutzungs- und Ertragsmöglichkeiten entkleidet“ wird und dadurch seine „funktionsentsprechende nicht im Sinne einer Kategorisierung von Schutzqualitäten im Rahmen der Eigentumsgarantie verstanden werden. Ausgehend von der „Einheit des Eigentumsbegriffs“ verbietet sich jede qualitative Schutzabstufung. 1105 BVerfGE 51, 193 ff. (217). 1106 Zum verfassungsrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums vgl. die Gesamtdarstellung von F. Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, 1999. 1107 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 7. b). 1108 Vgl. beispielsweise BGHZ 99, 262 ff. (269). 1109 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 139; zur Kritik an der diesbezüglichen Rechtsprechung mit Blick auf die Berücksichtigung der Privatnützigkeit vgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003 Art. 14 Rn. 132.
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Nutzungs- oder Ertragsfähigkeit einbüßen oder die rechtliche Verfügbarkeit für den Eigentümer verlieren“ würde. 1110 Für das Prinzip „Eigentum“ streitet hier die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG). 1111 Genießen nach alldem Einzelpositionen – mit Blick auf Bestand und Nutzungsmöglichkeit – Eigentumsschutz, so gilt dies gleichermaßen für ihre Zusammenführung in einer Handelsgesellschaft, weil wegen Art. 19 Abs. 3 GG auch juristischen Personen sowie sonstigen privatrechtlichen Vereinigungen Grundrechtsschutz zusteht. 1112 Auf einem anderen Blatt steht freilich die Frage, ob darüber hinaus der Schutz des Unternehmens als „lebende Einheit“ vom Prinzip „Eigentum“ verlangt wird. Das Schrifttum zeigt sich insofern gespalten. 1113 Gleiches gilt für die Rechtsprechung. Während der BGH 1114 und das BVerwG 1115 den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (ReaG), d. h. den Schutz des Gewerbebetriebs als solchen bejahen, ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprüchlich. Einerseits hat es betont, dass es „innerlich berechtigt“ sei, die Sach- und Rechtsgesamtheit eines Betriebes „dem reinen Sacheigentum gleichzustellen.1116 Andererseits, so die diesbezügliche Judikatur, sei es fraglich, ob ein zusätzlicher verfassungsrechtlicher Schutz des Gewerbebetriebs als solchem geboten ist, denn aus der eigentumsrechtlichen Perspektive betrachtet sei das Unternehmen „die tatsächliche – nicht aber die rechtliche – Zusammenfassung der zu seinem Vermögen gehörenden Sachen und Rechte, die an sich schon vor verfassungswidrigen Eingriffen geschützt sind“. 1117 Mit dieser Formulierung will das Bundesverfassungsgericht freilich nicht den Umstand leugnen, dass ein „lebendes“ Unternehmen in der Regel wertvoller ist als die Summe seiner Einzelteile. Diese ökonomische Realität hat das Bundesverfassungsgericht seinerseits anerkannt. 1118 Vielmehr müssen die verfasP. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 39. Vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 255. 1112 Vgl. H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 14/15 Rn. 102; vgl. auch H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 19 Rn. 13 ff. 1113 Diese Frage bejahen u. a. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 94 ff.; O. Kimminich, in: BK. z. GG, Bd.II, Art. 14 Rn. 77 ff.; W. Leisner, in: HStR, Bd.VI, 2001, §149 Rn. 109; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.II, Art.14 Rn.95 ff.; D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S.429. Ablehnend hingegen C. Kellenberger, Der verfassungsrechtliche Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes, 1999, S. 301 ff.; J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 14 Rn. 50. Kritisch: H. Rittstieg, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 14/15 Rn. 106. 1114 Vgl. BGHZ 23, 157 ff. (162 ff.); 45, 150 ff. (155); 78, 41 ff. (44). 1115 Vgl. BVerwG, GewArch. 1993, 195 f. 1116 BVerfGE 1, 264 ff. (277 f.); vgl. auch BVerfGE 13, 225 ff. (229 f.). 1117 BVerfGE 51, 193 ff. (221 f.); vgl. auch BVerfGE 66, 116 ff. (145); E 68, 193 ff. (222 f.); BVerfG, JZ 1998, S. 352 ff. (353). 1118 Zutreffend C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (189) unter Verweis auf BVerfGE 81, 40 ff. (50 f.). 1110 1111
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sungsgerichtlichen Zweifel als „Ausdruck des Unbehagens an einem – partiellen – Doppelschutz von unternehmerisch genutzten Sachen und Rechten“ gedeutet werden. 1119 Zur Beseitigung dieses Unbehagens kann jedoch eine Untersuchung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten beitragen. Insofern zeigt sich, dass sich staatliches Handeln zwar gegen Einzelteile des Betriebes richten kann. Denkbar ist aber auch, dass sich die Stoßrichtung staatlichen Handelns gegen den Betrieb bzw. das Unternehmen als Organismus wendet und sich nicht lediglich auf die Beeinträchtigung eines spezifisch geschützten Gegenstandes beschränkt (betriebsbezogener Eingriff). 1120 Ernster zu nehmen sind hingegen solche Bedenken, die eine Erklärung dafür verlangen, warum im Rahmen des ReaG wertbildende Elemente unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz fallen, die als solche, d. h. im Rahmen einer isolierten Betrachtung, keinen Schutz genießen. Freilich ist es insoweit nicht damit getan, schlicht auf die zivilrechtlichen Ursprünge des ReaG zu verweisen. War es auch wegen der Systematik des BGB notwendig, Lücken im deliktischen Unternehmensschutz dadurch zu schließen, dass ein „sonstiges Recht“ i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB entwickelt wurde, so liefert dieser Umstand für sich genommen keine Legitimation für den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz. 1121 Wie bei allen anderen Eigentumspositionen bedarf es einer Rückführung des Schutzes auf die entwickelten Unterprinzipien, d. h. einer verfassungsautonomen Ableitung des ReaG. 1122 Objekt der Betrachtung ist die organische Betriebseinheit. Ihr Vermögenswert konstituiert sich durch die spezifische Kombination der eingesetzten Mittel und der Form ihres Einsatzes. 1123 Diesen Vorgang hat der Unternehmer durch seine Leistung zu verantworten. Dem daraus resultierenden Leistungserfolg zollt der Markt dann seine Anerkennung, indem er dem Unternehmen einen adäquaten Vermögenswert zuordnet. 1124 Zu berücksichtigen ist auch, dass der Unternehmer in einer freiheitlich ausgestalteten Wirtschaftsordnung auf die geschaffene Einheit seines Betriebes als Ausdruck eigener Leistung vertraut. 1125 Schließlich dient der Betrieb zudem der Sicherung seiner Existenz. 1126 Erst diese ganzheitliche Betrachtung zeigt, dass eine pauschale Skepsis gerichtet gegen die Einbeziehung von Erwerbschancen, bestehenden Geschäftsbeziehungen, C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (189). Vgl. mit Blick auf die Rechtsprechung des BGH: D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S. 158 ff. 1121 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 18. 1122 Vgl. C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (199 ff.). 1123 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 109. 1124 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel (Hrsg), Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 178 f. 1125 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 109. 1126 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 109; vgl. zu den „Unterprinzipien“ des Eigentums: 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1119 1120
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dem erworbenen Kundenstamm oder die Marktstellung in den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz unangebracht erscheint. So können die genannten Positionen allesamt Vertrauenspositionen innerhalb des Betriebes darstellen.1127 Auch soweit sie ausschließlich auf eigener Leistung bzw. eigenem Kapitaleinsatz des Unternehmers beruhen, genießen sie als kapitalisierte Gewinnerwartungen Eigentumsschutz im Rahmen des ReaG. Gerade in ihrer Fragilität setzen sie das besondere Bemühen und die stetige Pflege seitens des unternehmerisch Handelnden voraus. Erst aus seiner Überzeugungskraft heraus erwächst die vermögenswerte Honorierung. „Bloße“ Chancen, d. h. solche, die, abgesehen von den Fällen des geschützen Vertrauens, allein durch tatsächliche oder rechtliche äußere Faktoren entstanden sind, werden nicht vom Prinzip „Eigentum“ geschützt. Schwieriger ist die Einordnung solcher Fälle, in denen Chancen und Gewinnerwartungen sowohl auf äußeren Faktoren als auch auf den genannten eigentumskonstituierenden Faktoren beruhen. Die Frage nach dem Eigentumsschutz, d. h. der Zuordnung zum ReaG, kann hier nur für den Einzelfall geklärt werden. Die Schutzwürdigkeit wird jedoch dann zu verneinen sein, wenn der Einfluss der äußeren Faktoren den Leistungs- bzw. Kapitaleinsatz des Handelnden deutlich überwiegt und keine Vertrauensgesichtspunkte eingreifen. Für den Schutz des ReaG streiten zudem systematische Gründe. Wenn Art. 15 GG die Vergesellschaftung von „Produktionsmitteln“ – zu denen vornehmlich Unternehmen gehören – in einem engen Rahmen gegen Entschädigung zulässt, so ist es nur konsequent, die Unternehmen auch gegenüber anderen Formen staatlichen Eingreifens durch die Grundrechte zu schützen. 1128 Zudem: Wenn die Kapitalbeteiligung an Unternehmen in Form von Geschäftsanteilen als geschütztes Eigentum einzustufen ist, dann muss dies auch für das Unternehmen selbst gelten. „Denn handelbare Anteile kapitalisieren ebenso Gewinnerwartungen wie das bei der Bewertung eines gesamten Unternehmens geschieht.“1129 Demgegenüber liefern soziale Bezüge allenfalls eine Eingriffsrechtfertigung, bedingen aber keinen generellen Ausschluss des prinzipiellen Schutzes. Nach alldem schützt der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowohl in dessen eigentlichem Bestand als auch in dessen Erscheinungsformen vor Störungen staatlicherseits. „Zum Gewerbebetrieb gehören nach heutiger Auffassung nicht nur die Betriebsgrundstücke und -räume sowie die Einrichtungsgegenstände, die Warenvorräte und die Außenstände; dazu gehören auch geschäftliche Verbindungen, Beziehungen, der Kundenstamm, kurz alles das, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebes ausmacht.“ 1130 Das Behalten- und Nutzendürfen der im Betrieb Vgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 48. D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S. 221; vgl. zur Stellung von Art. 15 GG im System der Wirtschaftsverfassung auch 4. Kapitel § 2 II. 6. c). 1129 C. Engel, Eigentumsschutz für Unternehmen, in: AöR 118 (1993), S. 169 ff. (193). 1130 BGHZ 23, 157 ff. (162 f.); vgl. auch BVerfGE 45, 150 ff. (155); E 78, 41 ff. (44). 1127 1128
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gebündelten Rechte wird gewährleistet. 1131 Das ReaG kommt nicht nur Gewerbebetrieben im eigentlichen Sinne zugute. Vielmehr ist auch das Betriebseigentum von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Praxen und Sozietäten freier Berufe geschützt. Der Eigentumsschutz für Unternehmen beinhaltet freilich weder Bestandsschutz im Hinblick auf die private Wettbewerbswirtschaft, noch einen Anspruch auf den Fortbestand der äußeren Bedingungen der unternehmerischen Tätigkeit. 1132 In diesem Sinne ist die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, wenn es davon spricht, dass der Schutz des Gewerbebetriebes nicht weiter reichen kann als seine Grundlagen. Das unternehmerische Risiko kann dem Unternehmer nicht abgenommen werden. Ihm allein obliegt es, Chancen, Geschäftskontakte und sonstige Vorteile zu nutzen, um seine Marktstellung zu behaupten oder auszubauen. Nur in diesem Zusammenhang gilt die Behauptung, dass durch das Eigentum als Prinzip keine Chancen, Hoffnungen, Geschäftsverbindungen u. ä. geschützt würden. Geschützt ist der Unternehmer allerdings gegen wettbewerbsverzerrende Maßnahmen staatlicherseits, wenn das Unternehmen dadurch am Markt an Wert einbüßt. Gerade in diesem Bereich finden sich die wesentlichsten wirtschaftsrelevanten Fallgruppen, die das Prinzip „Abwehr“ betreffen. Vom Unternehmer-Eigentümer, „der mit seinem Eigentum unmittelbar wirkt und die volle Verantwortung trägt“ ist die Stellung des Anteilseigentümers zu unterscheiden. 1133 Anteilseigentum ist zwar „vollwertiges Eigentum“, denn es fußt auf dem Prinzip „Schutz der eigenen Leistung bzw. des eigenen Kapitaleinsatzes“ und gewährleistet wie jede andere Eigentumsposition auch die klassischen eigentumsrechtlichen Ausschlussrechte. 1134 Indes ergeben sich signifikante strukturelle Unterschiede, die daraus herrühren, dass das Anteilseigentum notwendigerweise einer gesellschaftsrechtlichen Vermittlung bedarf. 1135 Regelmäßig kann es nur im Zusammenwirken sämtlicher Anteilseigentümer genutzt werden. Abgesehen vom Recht auf Veräußerung und Belastung des Anteilsrechts kann der Rechtsträger seine Verfügungsbefugnisse nur mittelbar über die Gesellschaftsorgane wahrnehmen. 1136 Neben den Mitgliedschaftsrechten stehen ihm beispielsweise Ansprüche auf Gewinnbeteiligung und auf eine Liquidationsquote zu. 1137 In der gesetzlichen Endausprägung ist die für das Sacheigentum „typische Koinzidenz“ von Rechtsinhaberschaft, Herrschafts- und Nutzungsmacht einerseits sowie Herrschaft und Verantwortung 1131 Vgl. D. Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, in: VVDStRL 51 (1992), S. 211 ff. (215). 1132 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 180. 1133 BVerfGE 50, 290 ff. (342). 1134 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 112. 1135 Vgl. BVerfGE 14, 263 ff. (276 ff.); E 25, 371 ff. (407); E 50, 290 ff. (341 ff.). 1136 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 195. 1137 Vgl. T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 182.
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bzw. Haftung andererseits für das Anteilseigentum „in signifikanter Weise aufgelockert“. 1138 Erfolgt damit zwar die Wahrnehmung der prima-facie- Eigentümerfreiheit letztlich im Konzert mit den anderen Anteilseignern, so darf dieser Umstand doch nicht als Vorwand für eine a priori-Schutzabschwächung des gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentums dienen. 1139 Insbesondere darf dies nicht – auch nicht im Rahmen der Mitbestimmungsdebatte – zum Anlass genommen werden, den Kreis der Konsensgemeinschaft unzulässigerweise weiter zu öffnen. 1140 Denn trotz der unbestritten starken sozialen Bezüge gilt beim Anteilseigentum wie bei jeder anderen prinzipienerzeugten Eigentumsposition der abschließende, verfassungsrechtlich gesteckte Rahmen der Sozialbindungsmöglichkeiten. 1141 Allenfalls im Anschluss an eine von Fall zu Fall vorzunehmende umfassende Güter- und Interessensabwägung kann ggf. vom Anteilseigentum als „entpersonalisiertem“ und deswegen „abgeschwächtem“ Eigentum gesprochen werden, so wie es sich in der gesetzlichen Endausprägung als das Ergebnis einer verschärften Sozialbindung darstellt. 1142 Nicht aus dem Blick darf hier allerdings das Unterprinzip der „Privatnützigkeit“ geraten. Mag auch die „Privatnützigkeit“ im jeweiligen Konfliktfall hinter sonstigen anerkennenswerten Belangen zurückstehen, so verbleibt ein letzter Rest an Geltungsverlangen, der sich mit Blick auf die Wesensgehaltsgarantie nicht weiter zurückdrängen lässt. Gerade für die nicht enden wollende Mitbestimmungsdebatte gilt: Dem einzelnen (Anteils-)Eigentümer muss ein Mindestrahmen an Letztentscheidungsrechten erhalten bleiben, um dem Prinzip der Privatnützigkeit gerecht zu werden. 1143 Neben dem Anteilseigentum wird auch das Eigentum des Unternehmensträgers, d. h. das Eigentum der Trägergesellschaften, vom Prinzip „Eigentum“ geschützt. 1144 Erfasst sind nicht nur die Außenbeziehungen, d. h. das Verhältnis zwischen Träger und Unternehmen nach außen, sondern auch die „Integrität unternehmensinterner Rechtsbeziehungen“. 1145 Das Bundesverfassungsgericht hat insofern klargestellt, dass die Eigentumsgarantie vor solchen Verfahrens-, Organisations- und Mitbestimmungsregeln schützt, die möglicherweise zur partiellen oder gänzlichen Funktionsunfähigkeit des Unternehmens führen. Dabei hatte es vor allem solche Regelungen im Blick, die sich als derartig kompliziert gestalten, dass die innerbetriebliche EntSo zutreffend H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.II, Art.14 Rn.195 m.w. N. Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 112 ff. 1140 Vgl. W. Leisner, HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 115 ff.; mit Blick auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Mitbestimmungsgesetzes 1976 vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (341 ff.); vgl. zur aktuellen Mitbestimmungsnovelle M. Löwisch, Änderung der Betriebsverfassung durch das Betriebsverfassungs – Reformgesetz, in: BB 2001, S. 1734 ff. u. S. 1790 ff. 1141 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 6. 1142 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 118. 1143 Vgl. G. Leibholz/H.-J. Rinck/D. Hesselberger, GG-Komm., Bd. I, 1993, Art. 14 Rn. 990. 1144 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (341, 351). 1145 T. v. Danwitz/O. Depenheuer/C. Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 182. 1138 1139
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scheidungsfindung nicht mehr mit einem sachlichen und zeitlich vertretbaren Aufwand herbeigeführt werden kann. 1146 Definiert man nach dem herkömmlichen Verständnis „Unternehmerfreiheit“ als die Möglichkeit zur freien Gründung und Führung von Unternehmen und sieht man in ihr das Recht verankert, dass Privatrechtssubjekte selbstbestimmt „Produktionsfaktoren durch dezentrale Planungs- und Leitungsakte zu einem Produktionserfolg [...] kombinieren“ können 1147, so ist die „Unternehmerfreiheit“ nicht nur von Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Denn die im vorstehenden Abschnitt analysierten Ausprägungen des Eigentumsschutzes lassen sich allesamt dem Schutzkomplex „Unternehmerfreiheit“ zuordnen. Dies gilt beispielsweise mit Blick auf die autonome Ausgestaltung der Unternehmensorganisation, die freie wirtschaftliche Planung, die Verfügung über Betriebsmittel und die Investitions- und Entwicklungsfreiheit. Es geht hier sowohl um die freie, möglichst unreglementierte berufliche Betätigung des Unternehmers, als auch um eigentumsrechtliche Fragen. Hierauf und auf die Konsequenzen dieser Schutzverschränkung wird noch zurückzukommen sein. 1148 d) Eigentumsschutz für das Vermögen und das Prinzip der eigentumsschonenden Besteuerung Die Verfügbarkeit über das vorhandene Vermögen bzw. dessen Nutzungsmöglichkeit und die dauerhafte Integrität seines Bestandes bilden zentrale Faktoren, wenn es Privaten darum geht, wirtschaftliche Initiativen zu realisieren. 1149 Dennoch soll das Vermögen als solches nach überwiegender Auffassung nicht den Schutz der Eigentumsgarantie genießen. 1150 Insbesondere das Bundesverfassungsgericht judizierte ursprünglich ganz rigoros: Die Eigentumsgarantie sichere zwar den Bestand der seitens der Rechtsordnung anerkannten einzelnen Vermögenswerte. Nicht geschützt sei indes das Vermögen als lediglich faktische Zusammenfassung der einzelnen Vermögenswerte bzw. als „Inbegriff der gesamten wirtschaftlichen Potenz eines Bürgers“. 1151 Die Konsequenzen dieser Einschätzung hat das Bundesverfassungsgericht wie folgt gezogen: Schütze Art. 14 GG das Vermögen nicht als solches, so gewähre die Grundrechtsnorm auch keinen Schutz vor Vermögensbeeinträchtigungen, Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (352). Vgl. Fn. 844. 1148 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 3 II. 1149 Vgl. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, § 3 Rn. 41. 1150 In diesem Sinne B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 23; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 3, 160 ff.; U. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, 1980, S. 133 ff.; J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 14 Rn. 56; a. A. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 124 ff.; J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 53. 1151 Eingehend zur Judikatur des BVerfG O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKomm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 164 ff. 1146 1147
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die auf öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten beruhen, denn Steuern und Abgaben würden nur abstrakte Geldwertschulden begründen. Diese führten zwar zu einer Belastung für das gesamte Vermögen des Steuerschuldners, ein Entzug konkreter Eigentumsrechte erfolge aber nicht, da es dem Steuerschuldner anheim gestellt sei, wie er die Schuld begleicht. 1152 Dieses Ergebnis erwies sich in zunehmendem Maße als unbefriedigend, denn es eröffnete im Hinblick auf die stetig wachsenden Abgabenverpflichtungen „offene Flanken“ im Bereich des vermögensrechtlichen Freiheitsschutzes. 1153, 1154 Eine axiologisch-teleologische Betrachtung bringt diese Problematik zum Ausdruck: Das Prinzip „Eigentum“ bezweckt die Wahrung eines individuellen Freiraums in vermögensrechtlicher Hinsicht, um dem Bürger eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen. 1155 Das Steuerrecht der Gegenwart steht hierzu jedoch in weiten Teilen im Widerspruch. Zutreffend ist zwar die Annahme, dass der Staat zur Erfüllung seiner (sozialstaatlichen) Aufgaben auf Leistungen und Erträge privaten Wirtschaftens notwendigerweise zurückgreifen muss, wenn er das Primat des privaten Wirtschaftens beachtet und seinerseits prinzipiell auf eine eigene Wirtschaftstätigkeit verzichtet. Die staatliche Besteuerungsgewalt ist also letztlich der „unerläßliche Preis für die Gewährleistung sozialer Sicherheit und die Förderung des sozialen Fortschritts durch den Staat“. 1156 Die Realität geht indes an einer „idealtypischen Harmonie zwischen Rechtsstaat, Sozialstaat und Steuerstaat“ vorbei. 1157 Das Steuerrecht der Gegenwart ist „sozialpolitisch überfrachtet“. 1158 Es wird vornehmlich als Mittel der Klientelpolitik zur Befriedigung von Wählerinteressen missbraucht. Mit dieser Entwicklung geht einher, dass im Gegensatz zur Ära des staatsrechtlichen Konstitutionalismus und der des ökonomischen Liberalismus der Steuerzugriff des Staates heutiger Dimension weder gering noch neutral ist. 1159 Infolge einer zügellosen Haushaltspolitik, einer Ausdehnung staatlicher Tätigkeitsbereiche und durch die zunehmenden Versuche, mit Hilfe der Statuierung von Abgabenpflichten wirtschafts- und sozialpolitische Gestaltung und Lenkung zu betreiben, ist das Instrumentarium der „Auferlegung 1152 Vgl. u. a. BVerfGE 4, 7 ff. (17); E 8, 274 ff. (330); E 10, 89 ff. (116); E 10, 354 ff. (371); E 11, 105 ff. (126); E 95, 267 (300); vgl hierzu auch Fn. 1184. 1153 Zutreffend K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 447. 1154 Zur Sonderproblematik der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Lenkungsabgaben vgl. U. Di Fabio, in; Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 95. 1155 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (339); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 166. 1156 E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: FS für A. Arndt, 1969, S. 53 ff. (71). 1157 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 168. 1158 K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 1 Rn. 8. 1159 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.II, Art.14 Rn. 168; K. H. Friauf, Eigentumsgarantie und Steuerrecht, in: DÖV 1980, S. 480 ff. (482).
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von Geldleistungspflichten“ mittlerweile zu einer ernsthaften Bedrohung für die Freiheit des Bürgers avanciert. 1160 Denn diese Entwicklung – „Superfiskalismus“ durch eine expansive Statuierung von Abgabenverpflichtungen staatlicherseits – hat die privatautonomen Dispositionsmöglichkeiten über das Einkommen und Vermögen nicht nur schlicht verringert. 1161 Im Hinblick auf die Gesamtsteuerlast für mittelständische Unternehmen und für das persönliche und familiäre Gebrauchsvermögen kann von einem „individuellen Freiraum in vermögensrechtlicher Hinsicht“, wie ihn das Prinzip „Privatnützigkeit“ statuiert und optimierend einfordert, kaum noch die Rede sein. Im Rahmen der heutigen Steuerpolitik und Steuerrechtssetzung wird offenbar übersehen, dass zwischen dem inneren Sinnzusammenhang der freiheitlichen Wirtschaftsverfassung und den Kernaussagen des Steuerrechts durchaus ein Zusammenhang besteht. Der ursprüngliche Sinn und Zweck staatlicher Abgabenpolitik besteht in der Deckung des eigenen Finanzbedarfs, „der benötigt wird, um die Rechts- und Wirtschaftsordnung zu verwirklichen, die das Individuum schützt und ihm den institutionellen Rahmen für die Entfaltung der Persönlichkeit bietet“. 1162 Staatliche Finanzpolitik dient somit vor allem der Gewährleistung individueller Freiheit und Privatheit! Das Anliegen, die Steuerrechtsordnung wieder auf dieses ursprüngliche Ziel hin auszurichten und in Übereinklang mit den freiheitlichen Vorgaben der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung zu bringen, verfolgen diejenigen Teile der Rechtslehre, die die Eigentumsgarantie unter Rückgriff auf eine wertende, funktionale Betrachtung gegen die Auferlegung von staatlichen Geldleistungspflichten in zunehmenden Maße aktivieren. Der Rückgriff auf die Eigentumsposition „Vermögen“ ruft freilich, angesichts der begrifflichen Weite und der damit verbundenen Gefahr einer Hypertrophie des Eigentumsschutzes, Bedenken hervor. Infolgedessen sind zahlreiche Versuche unternommen worden, den Schutz der Eigentumsgarantie vor Abgabenbelastungen unter Verzicht auf das Schutzgut „Vermögen“ zu konstruieren. Von all diesen Lösungen am erfolgversprechsten erscheint der Ansatz, mit der Auferlegung von Geldleistungspflichten zugleich einen Grundrechtseingriff in eine spezifische vermögenswerte Rechtsposition nachzuweisen. Dies kann gelingen, wenn eine Geldleistungspflicht an den Bestand oder die Nutzungs- bzw. Verfügungsmöglichkeit einer bestimmten, als Eigentum geschützten Position anknüpft.1163 Beispiele hierfür sind mit Blick auf das Grundeigentum die Grundsteuer, mit Blick auf das Sacheigentum und private Vermögensrechte die Einkommenssteuer und bezüglich des ReaG die Gewerbesteuer. 1164 Denn neben der Bestandsgarantie beinhaltet das Vgl. K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 1 Rn. 8. Vgl. zum Ausdruck „Superfisklismus“: W. Röpke, Der moderne Fiskalstaat, in: Steuerberater-Jahrbuch 1965/66, 1966, S. 35 ff. (39). 1162 K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 1 Rn. 6. 1163 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 14 Rn. 16. 1164 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 169 ff. 1160 1161
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Prinzip „Eigentum“ immer auch die „Freiheit zur Eigentumsnutzung in Bezug auf sämtliche vermögenwerten Rechtspositionen“. 1165 Der Eingriffsqualität von Abgaben und Steuern kann nicht entgegengehalten werden, dass die Auferlegung einer abstrakten Geldwertschuld dem Eigentümer die Wahlfreiheit einräumt, auf welche eigenen vermögenswerten Positionen er zur Erfüllung der Verpflichtung zugreifen möchte, denn dem Steuerschuldner wird lediglich eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt. 1166 Ein so erzeugter „mittelbarer“ Vermögensschutz 1167 kann aber nicht gänzlich alle Lücken schließen, die der Verzicht auf die Statuierung eines grundrechtlichen Schutzguts „Vermögen“ reißt. So werden die Nutzungsmöglichkeiten von Eigentumspositionen nur innerhalb eines bestimmten Rahmens gewährleistet. 1168 Abgabeverpflichtungen fallen danach nur dann unter die Eigentumsgarantie, wenn sie an eine geschützte Nutzungsmöglichkeit anknüpfen. Abgabepflichten sind zudem regelmäßig nicht final auf die Beschränkung bestimmter Nutzungsmöglichkeiten gerichtet. Sie stellen sich daher nur als faktischer, d. h. mittelbarer Eingriff dar 1169, vor dem Art. 14 GG nur bei besonderer Schwere oder hoher Eingriffsintensität Schutz gewährt. 1170. Was die vorliegende Systemanalyse betrifft, so gilt es, festzuhalten, dass der auf Umwegen über den Bestands- und Nutzungsschutz von einzelnen Eigentumspositionen partiell erzeugte (Steuer-)Schutz dem axiologischen Appell des Prinzips „Eigentum“ nicht hinreichend Rechnung trägt. Letztlich ist sogar das Gegenteil der Fall, denn dadurch wird verschleiert, dass der Schutz der Vermögenssubstanz des einzelnen Grundrechtsträgers prima facie geboten ist. 1171 Diese Erkenntnis hat das Bundesverfassungsgericht zum Anlass genommen, Schritt für Schritt eine Steuer- und Eigentumswende einzuleiten, die zunächst noch in sich widersprüchlich blieb. 1172 So hieß es am Anfang noch zögerlich, Eigentumsverletzungen im Zusammenhang mit einer Besteuerung kämen „allenfalls dann in Betracht [...], wenn die Geldleistungspflichten den Pflichtigen übermäßig belasten 1165 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 173 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original. 1166 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 173. 1167 Vgl. R. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 40. 1168 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 5. c). 1169 A. A. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 168 u. 17; vgl. aber zum Problemkreis der Lenkungsabgabe U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 95. 1170 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 14 Rn. 16 f. 1171 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 129; vgl. auch R. Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze der Besteuerung, in: FR 1999, S. 1280 ff. (1283); K. Tipke, Die Steuerrrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 449 ff. 1172 Vgl. zur Widersprüchlichkeit dieser Rechtsprechung, die neuerdings ausdrücklich vom 1. Senat des BVerfG vertreten wird auch Fn. 1184.
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und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden“. 1173 Dies sei bei „konfiskatorisch“ oder „erdrosselnd wirkenden“ Geldleistungspflichten der Fall. 1174 Freilich hatte das Gericht bereits damit insoweit eine dogmatische Kehrtwendung vollzogen, als es Abgabepflichten, entgegen der aufgezeigten ursprünglichen Judikatur, als ausnahmsweise eigentumsgrundrechtlich relevant einordnete. 1175 Als Durchbruch im Streit um den prinzipiellen Eigentumsschutz des Vermögens sind schließlich die Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu werten. 1176 Ihnen liegt die von P. Kirchhof entwickelte Vorstellung zugrunde, wonach Art. 14 Abs. 1 GG ein Prinzip der eigentumsschonenden Besteuerung entnommen werden muss. 1177 Ein solches fordere – so der Einheitswertbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögenssteuer – unter anderem Bestandsschutz für den Vermögensstamm, der jedoch durch die steuerliche Anknüpfung an die Soll-Erträge nicht im ausreichenden Maße sichergestellt sei. 1178 Hierzu heißt es: „Die Vermögenssteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt“. 1179 Weiter: „Die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung [...] begrenzen den steuerlichen Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens. An dieser Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens haben sich die gleichheitsrechtlich gebotenen Differenzierungen auszurichten“. 1180 Daran anknüpfend stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass im Hinblick auf Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG ein so genannter Halbteilungsgrundsatz gelte. 1181 Es hält hierzu fest: „Die Vermögenssteuer darf [...] zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt“. 1182 Denn das Prinzip „Eigentum“ statuiere, „daß dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten“ bleiben muss. 1183 BVerfGE 14, 221 ff. (241). Vgl. BVerfGE 23, 288 ff. (315); E 30, 250 ff. (272); E 95, 267 ff. (300). 1175 Hieran hielt in der jüngeren Vergangenheit auch der 1. Senat des BVerfG fest (BVerfGE 96, 375 ff. (397)); vgl. zum Konflikt zwischen dem 1. und dem 2. Senat des BVerfG in Bezug auf den grundrechtlichen Schutz von Abgabepflichten auch Fn. 1184. 1176 Vgl. BVerfGE 93, 121 ff. (Vermögenssteuer); E 93, 165 ff. (Erbschaftssteuer). 1177 Vgl. P. Kirchhof, Besteuerung und Eigentum, in: VVDStRL 39 (1981), S. 213 ff. (281). 1178 Vgl. K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 4 Rn. 101, 214 ff.. 1179 BVerfGE 93, 121 ff. (137). 1180 BVerfGE 93, 121 ff. (136). 1181 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1182 BVerfGE 93, 121 ff. (121 – Leitsatz 3 und 138). 1183 BVerfGE 93, 121 ff. (137). 1173 1174
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Bei einer zusammenfassenden Würdigung lassen die verfassungsgerichtlichen Ausführungen keinen Zweifel daran aufkommen, aus welcher Richtung der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz der Vermögenssubstanz seine Legitimation erfährt. Er erfolgt ausgehend vom prinzipiellen Geltungsverlangen der (Unter-)Prinzipien „Schutz eigener Leistung bzw. eigenen Kapitaleinsatzes“, „Schutz der Privatnützigkeit“, „Existenzsicherung“ und „Vertrauensschutz“. 1184 In den Einheitswertbeschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht vor allem aus den Prinzipien „Existenzsicherung“ und „Privatnützigkeit“ den besonderen Schutz für das persönliche und familiäre Gebrauchsvermögen abgeleitet. 1185 Das Bundesverfassungsgericht stellt hierzu fest: Das Gebrauchsvermögen „sichert die persönliche Freiheit des Einzelnen in Ergänzung der im wesentlichen durch Arbeitseinkommen und Sozialversicherungsanspruch sowie durch Gewerbe und andere selbstständige Tätigkeit gewährten Sicherheit. Unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens darf der Steuergesetzgeber daher in bestimmten Grenzen das vom Steuerpflichtigen zur Grundlage seiner individuellen Lebensgestaltung bestimmte Vermögen nicht durch weitere Besteuerung mindern. Er muß deshalb jedenfalls die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung [...] abschirmen. [...] Diese wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung entwickelt sich je nach den in einer Rechtsgemeinschaft erreichten ökonomischen und kulturellen Standards. Sie ist daran erkennbar, in welcher Breite in der Bevölkerung die Wirtschaftsgüter der persönlichen Lebensgestaltung gewidmet sind. [...] Der Gesetzgeber hat die ökonomische Grundlage individueller Freiheit typisierend zu bemessen und von der Vermögenssteuerlast freizustellen.“ 1186, 1187 1184 Der 1. Senat des BVerfG ist mittlerweile auf Distanz zur Konzeption des 2. Senates gegangen und hält an der tradierten Rechtsprechung fest: Das Vermögen als solches sei grundsätzlich nicht von Art. 14 GG geschützt. Die Auferlegung von Geldleistungspflichten staatlicherseits berühre grundsätzlich nicht die Eigentumsgarantie. Ein Eingriff käme nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BVerfGE 95, 267 ff. (300); E 96, 375 ff. (397). Freilich erzeugt eine derartige Betrachtungsweise einen „unauflöslichen Widerspruch“ (O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 167), denn grundrechtsdogmatisch erscheint es schlechterdings nicht möglich, dass die Auferlegung von Geldleistungspflichten staatlicherseits den Schutzbereich der Eigentumsgarantie in Ermangelung eines relevanten Schutzobjektes einerseits nicht tangieren soll, andererseits ab einem gewissen Grade aber doch eigentumsrechtliche Relevanz entfalten soll. Auch ein mittelbarer bzw. faktischer Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechtes setzt bereits unterhalb der Eingriffsschwelle voraus, dass das zu messende staatliche Handeln den Schutzbereich berührt. Erst aus der „Berührung“ und infolge der „Schwere“ bzw. „Intensität“ staatlichen Handels ergibt sich in derartigen Fällen die Eingriffsqualität; kritisch auch R. Herzog, in: FS 75 Jahre Reichsfinanzhof – Bundesfinanzhof, 1993, S. 105 ff. (110 f.). Trotz der m. E. schlüssigen Konzeption, die den Einheitswert-Beschlüssen zugrunde liegt folgt der Bundesfinanzhof dieser Judikatur nicht (vgl. BFH NJW 1999, 3798f.). 1185 Vgl. BVerfGE 93, 121 ff. (138, 140 f.); E 93 165 ff. (174 f.). 1186 BVerfGE 93, 121 ff. (141). 1187 Zu den weiteren Konkretisierungen des Prinzips der eigentumsschonenden Besteuerung in den Einheitswert-Beschlüssen vgl. K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 4 Rn. 214 ff.
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6. Sozialbindungs-, Enteignungs- und Sozialisierungsbefugnis als Quelle für die axiologische Bedeutung des Prinzips „Eigentum“ Unter dem Begriff „Sozialbindung“ 1188 erfasst das Bundesverfassungsgericht die „Gesamtheit der in den gesetzlichen Normen sichtbar werdenden Beschränkungen des Eigentums“, d. h. Eigentumsschranken im oben erläuterten, engen Sinne. 1189 Die Sozialbindung des Eigentums soll also erst dadurch sichtbar werden, dass der einfache Gesetzgeber zu Werke schreitet. In der Tat wäre nach dieser Sichtweise für die Analyse der Sozialbindung im Rahmen eines wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems, das mit aus Grundrechtsprinzipien abgeleiteten prima-facie- Geboten/Verboten arbeitet, kein Raum. Der Inhalt und der Umfang der Sozialbindung ließe sich daher vielmehr erst im Wege der Untersuchung sämtlicher vom Gesetzgeber vorgenommener Abwägungen von primafacie-Positionen und der daraus folgenden Ausgestaltung zu definitiven Positionen ermitteln. Gegen diese enge Sicht sprechen indes gewichtige Gründe. Soziale Bezüge des Eigentums erwachsen bereits aus der hoch entwickelten Privatnützigkeit und damit aus einem Unterprinzip des Prinzips „Eigentum“, ohne dass es eines Tätigwerdens des einfachen Gesetzgebers bedürfte. Bereits aus diesem Grund verbietet es sich, die „Schrankenziehung seitens des Gesetzgebers“ und die „Sozialbindung“ gleichzusetzen. Dieses Postulat vermag auch die folgende vertiefte Darstellung des Art. 14 Abs. 2 GG und die Verhältnisbestimmung dieser Norm zu Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bestätigen. Vorweg nur soviel: Art. 14 Abs. 2 S. 1 i.V. m. S. 2 GG erweckt für sich genommen schon beim flüchtigen Durchsehen den Eindruck eines hinreichend bestimmten, prinzipiellen Verhaltensappells, der zumindest auch an den Grundrechtsadressaten gerichtet ist. 1190 Demgegenüber halten Art. 14 Abs. 3 GG und Art. 15 GG jeweils einen spezifischen Ermächtigungsrahmen für Eigentumsbeeinträchtigungen bereit. Mit ihrer Hilfe lässt sich das Prinzip „Eigentum“ zwar nicht inhaltlich konturieren. Als besondere Schrankenvorbehalte des Eigentums können beide jedoch als Verständnishilfen bei der Freilegung des Prinzips „Eigentum“ und damit bei der Systemfreilegung fungieren. 1191 1188 Die Begriffe „Sozialbindung“ und „Sozialpflichtigkeit“ werden im Folgenden synonym verwendet. 1189 BVerfGE 20, 351 ff. (356); vgl. auch 4. Kapitel § 1 IV. 1190 Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Art. 14 Abs. 2 GG (ggf. im Zusammenspiel mit Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) als Schrankenvorbehaltsbestandteil oder gar als verfassungsunmittelbare Schranke dient, die insoweit einen Eingriff des Gesetzgebers mühelos rechtfertigen würde (vgl. 4. Kapitel § 2 II. 6. a)). 1191 Vgl. zum insofern (begrenzten) Erklärungswert von Schrankenvorbehalten auch die Ausführungen in 4. Kapitel § 1 IV.
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a) Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG im Verhältnis zu Art. 14 Abs. 2 GG – „Private Gemeinwohlgestaltung“ und flankierender Schutz der „Privatnützigkeit“ Über die Stellung von Art. 14 Abs. 2 GG im wirtschaftsverfassungsrechtlich-systematischen Kontext, insbesondere im Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG lässt sich trefflich spekulieren. Die Verfassungsrechtslehre bietet einen „bunten Strauß“ an Interpretationsmöglichkeiten an. 1192 So geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass Art. 14 Abs. 2 GG in einem unlösbaren Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG steht und sich die Bedeutung von Art. 14 Abs. 2 GG nur aus dieser Warte heraus erfassen lässt. 1193 Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG würde den Handlungsrahmen für die Realisierung eines Sozialmodells eröffnen, das sowohl den in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG normierten prinzipiellen Vorgaben des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs als auch dem in Art. 14 Abs. 2 GG verankerten Prinzip „Sozialbindung“ Rechnung tragen müsse.1194 Es sei daher die Aufgabe des Gesetzgebers, „beiden Elementen des im Grundgesetz angelegten dialektischen Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Freiheit [...] und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung [zu] tragen und die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis [zu] bringen“. 1195 In die gleiche Richtung gehen Literaturmeinungen, die Art.14 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 14 Abs. 2 GG zusammengenommen als einen „einheitlichen Gesetzesvorbehalt“ deuten und unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht, im Ergebnis sicherlich zutreffend, darauf verweisen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht nur den Grund, sondern zugleich auch die Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen aufzeigen würde. In jedem Fall solle Art. 14 Abs. 2 GG hiernach als Direktive für die Schrankenhandhabung fungieren. 1196, 1197 1192 Vgl. F. L. Ekey, Die Verminderung von Eigentümerrechten im Spannungsfeld zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, 1988, passim; J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, passim; A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, passim; U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 180 ff.; A. Lubberger, Eigentumsdogmatik, 1995, passim; K. Nüßgens/K. Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rn. 62 ff. 1193 Vgl. BVerfGE 37, 132 ff. (140); E 50, 290 ff. (339 f.); E 52, 1 ff. (29 f.); E 58, 300 ff. (338 f.); E 68, 361 ff. (367 f.); vgl. auch J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, S. 565 ff. 1194 Vgl. BVerfGE 37, 132 ff. (140). 1195 BVerfGE 37, 132 ff. (140); der in dieser Entscheidung gezeichnete Gegensatz zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit erweist sich in dieser Schärfe als nicht zutreffend; vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 3. 1196 Vgl. W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 136; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 306. 1197 Noch weitergehender wird teilweise gar behauptet, Art. 14 Abs. 2 GG regele den Inhalt und Umfang der gesetzgeberischen Sozialbindungsmöglichkeiten abschließend (vgl. A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 11 ff.).
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Fragwürdig erscheint indes Folgendes: Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG hätte nach all diesen Interpretationsmustern neben Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG keine selbstständige Bedeutung. 1198 Die eigentliche Zentralnorm würde vielmehr Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG sein, der den Gesetzgeber zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ermächtigt. Eines Rückgriffes auf Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG bedürfte es insofern nicht, denn schließlich wäre der Gesetzgeber infolge einer systematischen Interpretation seiner Schrankenziehungskompetenz ohnehin bereits aus demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Erwägungen heraus zur Formulierung von Eigentumsregelungen verpflichtet, die dem Gemeinwohl hinreichend Rechnung tragen. 1199 Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG enthielte insofern keine darüber hinausreichende Konkretisierung dessen, was unter „Gemeinwohl“ zu verstehen ist. 1200 Demgegenüber würde Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG mit dem Halbteilungsgrundsatz auch nach der Rechtsprechungsansicht und der geschilderten Literaturmeinung weiterhin einen eigenständigen Aussagegehalt beinhalten. 1201 Im Gegensatz zu den erörterten Ansichten steht die Auffassung, nach der Art. 14 Abs. 2 S. 1 i.V. m. S. 2 GG als immanente Schranke im engen Sinne fungiere. 1202, 1203 Als solche soll sie das prinzipielle Freiheitssegment von vornherein, entsprechend ihrer Reichweite, zurücknehmen. Ein Konflikt zwischen Gemeinwohl- und Individualinteressen könne damit schlechterdings nicht entstehen. 1204 Diese These ist freilich nicht haltbar. Sie widerspricht der Außentheorie und dem rechtsstaatlichen Verteilungsgrundsatz völlig. Zudem fordert der rechtsstaatliche und grundrechtliche Gesetzesvorbehalt für Eigentumsbeschränkungen stets ein hinreichend bestimmtes Gesetz. Hieran gemessen kann Art. 14 Abs. 2 GG keine immanente Schranke darstellen, denn die Norm erweist sich als inhaltlich zu unbestimmt, um selbst den Maßstab eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes zu erfüllen. 1205 Auch unter Rückgriff auf die Inhaltsbestimmungskomponente in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG lässt sich nach dem oben Gesagten keine solche, eigentumsimmanente Bindung erzielen. Es verbietet sich, die Inhaltsbestimmung und die Sozialbindung in einen Zusam1198 Zu diesem Ergebnis gelangt W. Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 44; vgl. auch J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 391. 1199 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 391; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 333 ff. 1200 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 392; a. A. offenbar A. Grochtmann, Art. 14 GG – Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, 2000, S. 12. 1201 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 5. d). 1202 Vgl. F. Weyreuther, Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums, 1983, S. 40 f. 1203 Vgl. zur Schrankenbegrifflichkeit und zur Bedeutung von Schranken(-vorbehalten) im System die Ausführungen im 4. Kapitel § 1 IV. 1204 Vgl. S. Leibholz/D. Lincke, Denkmalschutz und Eigentumsgarantie, in: DVBl., 1975, S. 933 ff. (936 f.). 1205 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 206; J.-R. Sieckmann, Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz im deutschen und britischen Recht, 1999, S. 53.
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menhang zu bringen 1206 oder gar zu behaupten, die Sozialbindung würde über die Inhaltsbestimmung des Eigentums vermittelt. 1207 Beide Begriffe sollten getrennt gehandhabt werden, denn Eigentum ist Freiheit und diese ist zunächst einmal unbegrenzt – das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip und die grundrechtliche Außentheorie in Anlehnung an die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie streiten in eine andere Richtung! Einfachgesetzliche Regelungswerke beschränken das Eigentum sozusagen „von außen“ oder gestalten es – entsprechend der Maßgabe des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes – „von innen“ aus. In beiden Fällen spielt Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG keine Rolle. Nach alldem verbleibt noch die Möglichkeit zu prüfen, ob Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG ein Prinzip entnommen werden kann, das ausschließlich den Eigentümer trifft und bindet. Systematisch gesehen ginge es im Anschluss an eine gelungene Ableitung vor allem darum, diese verfassungsunmittelbare prima-facie-Pflicht innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems zu positionieren und inhaltlich zu bestimmen. In diesem Zusammenhang könnte Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG eine besondere Rolle zuteil werden, der dann nicht nur, wie bereits erläutert 1208, die Gemeinwohlverpflichtung des Gesetzgebers sondern auch die des Grundrechtsträgers näher präzisieren würde. In der Tat beinhaltet Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG mehr als nur eine moralische Verpflichtung des Eigentümers. 1209 Andererseits begründet die grundgesetzliche Norm aus den oben genannten Gründen, „keine unmittelbar durchsetzbaren Verpflichtungen des Eigentümers“. 1210 Darauf verweist zutreffend J.-R. Sieckmann. 1211 Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG bringt vielmehr ein Prinzip zum Ausdruck, das sich an den Grundrechtsadressaten wendet und ihm die Verwirklichung des Gemeinwohls in einem weiten Rahmen selbst verantwortlich anheim stellt. 1212 Dieses Prinzip ist Ausdruck Insofern nicht ganz konsequent W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 136. Vgl. hierzu die vertiefte Darstellung im 4. Kapitel § 2 II. 4. 1208 Vgl. zum Halbteilungsgrundsatz die Ausführungen im 4. Kapitel § 2 II. 5. d). 1209 Vgl. auch C. v. Pestalozza (ders., Eigentum verpflichtet, in: NJW 1982, S. 2169 f.), der die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentümers als in Art. 14 Abs. 2 GG „angelegt“ beschreibt und eine einfachgesetzliche Konkretisierung einfordert; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S. 32; vgl. auch BVerfGE 20, 350 ff. (361); vgl. aber auch U. Hösch (ders., Eigentum und Freiheit, 2000, S.204), der davon ausgeht, dass sich Art.14 Abs.2 GG nur an den Gesetzgeber richtet. 1210 J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 169 m. w. N. Zu weitgehend, weil die Direktivkraft der Privatnützigkeit und das Primat der privaten Gemeinwohlgestaltung verkennend indes J. Wieland, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 14 Rn. 90. 1211 Vgl. ders., Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 391 ff.; ders., Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz im deutschen und britischen Recht, 1999, S.52 f.; ders., in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 167 ff. 1212 Von einer „Verfassungserwartung“ bzw. einem „Kompetenztitel zur Hervorbringung des Gemeinwohls“ spricht M. Jachmann (dies., Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, in: 1206 1207
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des grundgesetzlichen Menschenbildes, das ausgehend von der Menschenwürdegarantie die Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit des Individuums unter Wahrung seines Eigenwertes verdeutlicht. 1213 Für die Existenz eines solches Prinzips lassen sich der Wortlaut und die systematische Stellung sowie der Zweck des Grundrechts auf Eigentum anführen. Die Formulierung „Eigentum verpflichtet“ in Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG stellt zwar aus sich heraus noch nicht eindeutig klar, wer verpflichtet ist und was die Verpflichtung im Einzelnen vom Verpflichtungsadressaten abverlangt. Der Bezug auf das Eigentum deutet jedoch in die Richtung des Eigentümers. 1214 Dieser Befund wird durch die Erkenntnis bestätigt, dass für den Gesetzgeber als dem alternativen Verpflichtungsadressaten bereits Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip den gemeinwohlorientierten Handlungsrahmen schafft. Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG weist somit nur in Bezug auf den Grundrechtsadressaten einen eigenständigen normativen Gehalt auf. 1215 In der Tat lässt sich mit Blick auf die von Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG ausgehende prima-facie-Pflicht letztlich von einem a priori pflichtgebundenen Eigentum unter dem Grundgesetz sprechen. 1216 Der oft gezeichnete Gegensatz zum klassisch-liberalen Grundrechtsverständnis besteht allerdings nach dieser Sichtweise nicht.1217 Eigentum bleibt vorstaatlich gewährleistete Freiheit. Dieser Bereich wird nicht angetastet. Unbestritten jedoch kann das Eigentum Privater auf Dauer nur in der Gemeinschaft bestehen, es ist sozusagen auf die soziale Akzeptanz angewiesen. Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG knüpft an diesen Umstand an. Ähnlich wie die so genannten objektiv rechtlichen Grundrechtsdimensionen, die letztlich auf die Verstärkung des Prinzips „Abwehr“ zielen, um Defizite im Freiheitsschutz zu verhindern, möchte ein Prinzip ausgehend von Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG dauerhaft die Freiheit des Eigentümers dadurch sichern, dass einer Entfremdung im Verhältnis Eigentümer/Gesellschaft und einem Schwinden an sozialer Akzeptanz vorgebeugt wird. Die Sozialbindung als prinzipielle Verpflichtung des Eigentümers fungiert damit als Schutzschild der (Eigentums-)Freiheit. Die Verknüpfung von Eigentümerpflicht und Eigentümerverantwortung geschieht dabei nicht zufällig. Vielmehr vertraut die Verfassung die Verwirklichung der Gemeinwohlbezüge aus guten Gründen zuvörderst dem Eigentümer an. Denn in Anlehnung an die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie StuW 1996, S. 97 ff. (99 f.)); vgl. hierzu Fn. 1821; ganz grundsätzlich kritisch indes H. Bethge, Die verfassungsrechtliche Problematik der Grundpflichten, in: JA 1985, S. 249 ff. (252); vgl. auch W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 140. 1213 Vgl. schon 4. Kapitel § 1 I und später vertiefend 4. Kapitel § 5 II. 2. 1214 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 393; vgl. aber auch C. v. Pestalozza, Eigentum verpflichtet, in: NJW 1982, S. 2169 f. 1215 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 391 f. 1216 Generell von Erwartungen an die Grundrechtsträger und nicht von Pflichten der Grundrechtsträger spricht mit Blick auf das Gemeinwohl J. Isensee, in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 86. 1217 Zu pauschal O. Depenheuer (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 42 ff.), wobei sich seine Kritik jedoch letztlich zutreffend gegen die Vorstellung einer exklusiven Eigentumsdefinitionskompetenz des Gesetzgebers richtet.
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gilt: Die private Selbstverantwortung für das Eigentum bildet die Schnittstelle zwischen Privat- und Gemeinnützigkeit. Die Gemeinnützigkeit wiederum bildet ihrerseits die höchste Form der Privatnützigkeit! Aus der Freiheit des Einzelnen erwächst letztlich die Freiheit des Gemeinwesens! 1218 Trotz aller Bereitschaft des fortentwickelt privatnützig Handelnden und des Vertrauens, das ihm entgegengebracht wird, darf Folgendes nicht übersehen werden: Wird die Gemeinpflichtigkeit grundgesetzlich statuiert, d. h. dem Grundrechtsträger diesbezüglich ein wie auch immer gearteter Pflichtenrahmen aufoktroyiert und wird auch dem Staat Gemeinwohlverantwortung zuteil, so sind unterschiedliche Sichtweisen dahingehend vorprogrammiert, wie sich Gemein- und Eigennützigkeit vereinen lassen. Besteht somit ein reales Konfliktpotential im Verhältnis zur Privatnützigkeit als Unterprinzip, so könnte der Ableitung eines insofern gegenläufigen Prinzips der rechtsstaatliche und grundrechtliche Gesetzesvorbehalt entgegenstehen, denn Prinzipien im System treffen globale Vorentscheidungen für spätere Abwägungslösungen und entscheiden somit mittelbar auch über konkrete Rechtspositionen. Der Einwand gegen die Ableitung eines Prinzips aus Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG würde jedoch voraussetzen, dass dieses bereits systemintern freiheitsrelativierende Aussagen trifft. Dies trifft indes nicht zu, denn im Gegensatz zu Abwägungsmodellen kommt es bei Prinzipienkonflikten in inneren Systemen nicht zu einem Eingriff in die prima-facie-Freiheit. Denn lassen sich Prinzipien bzw. Prinzipieninhalte des Eigentums innerhalb des Systems ableiten, d. h. stehen der Ableitung nicht von vornherein Argumente oder Elemente gegenüber, die schlicht die Annahme eines entsprechenden Prinzips- bzw. Prinzipieninhalts verbieten, so gilt das durch Ableitung gewonnene als Prinzip zunächst einmal prima facie. Gegenläufige Prinzipien kommen systemintern im Rahmen eines wertenden Rückschlusses auf die nächsthöhere Abstraktionsebene zum Tragen. Hierbei gilt: Wertende Rückschlüsse auf eine andere Abstraktionsebene lassen die prima-facie-Inhalte der zuvor gewonnenen „Unter“-Prinzipien unangetastet. Ihre Aussagen fließen in die abstrahierende Betrachtung mit dem Ziel ein, die axiologische Basisharmonie zu ermitteln. Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass ein möglicher systeminterner Konflikt mit dem (Unter-)Prinzip der Privatnützigkeit nicht gegen die Ableitung eines den Eigentümer bindenden Prinzips aus Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG spricht. Klärungsbedürftig bleibt indes, wie weit das von Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG ausgehende prinzipielle Geltungsverlangen reichen kann und wie ggf. Konflikte mit dem gesetzgeberischen Handlungsspielraum zu lösen sind. Zu beachten ist dabei, dass die vorliegende Systembetrachtung auf diese Fragen nur begrenzte Antworten liefern kann, denn die jeweiligen Divergenzen zwischen Privat- und Gemeinnützigkeit müssen für den Einzelfall im Wege der Abwägung gelöst werden. 1219 Für die Stellung als Prinzip im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System reichen die folgenden Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 2, insbes. 4. Kapitel § 2 II. 3. Zur im Vergleich zu Abwägungs- bzw. Prinzipienmodellen anders gearteten Funktion von Prinzipien in (abstrakten) Systemen vgl. schon 3. Kapitel § 5 I. 2. 1218 1219
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Feststellungen: Da sich Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG an den Eigentümer als Verpflichtungsadressaten wendet, ist davon auszugehen, dass dieser grundsätzlich die besagten Einzelfallabwägungen eigenverantwortlich vorzunehmen hat. 1220 Die andere Lösung, die zwar von der Pflichtigkeit des Eigentümers, vor allem aber von einer einzelfallbezogenen Abwägung durch den Gesetzgeber ausgeht, stößt auf erhebliche Probleme: Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG würde entgegen seinem Wortlaut, seiner systematischen Stellung und seinem Zweck mit Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG verknüpft. Letztlich würde dem Staat in Anlehnung an die eher allgemein gehaltenen verfassungsrechtlichen Vorgaben die alleinige Gemeinwohldefinitionskompetenz verliehen. Als Konsequenz wäre der Eigentumsschutz weitgehend in Frage gestellt. Der Wortlaut in Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG, insofern besteht Klarheit, schränkt die Reichweite der prinzipiellen Gemeinwohlverpflichtung des Eigentümers auf die Gebrauchs- bzw. Nutzungsdimension. 1221 Nur in diesem Rahmen hat der Eigentümer für ein vernünftiges und nachvollziehbares Maß an Gemeinnützigkeit zu sorgen. 1222 Ihm verbleibt im Hinblick auf die Wahl der Mittel zur Verwirklichung der Gemeinwohlverpflichtung ein weiter Gestaltungsspielraum, denn Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG trifft insoweit keine inhaltlichen Konkretisierungen. Der insofern „weiche“ Normbefehl entspricht der unbestimmten Formulierung von Art. 14 Abs. 2 GG, der letztlich auch eine Einordnung als Grundrechtsschranke verhindert. Tatsächlich erscheint der (zugegebenermaßen grobe) Vergleich mit einer gebundenen Ermessensentscheidung passend. 1223 Der mögliche Konflikt mit dem Gesetzgeber wurde bereits angedeutet. Denn auch der Gesetzgeber ist aus demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Gründen auf das Gemeinwohl verpflichtet. 1224 Wegen Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG, der sowohl die Gemeinwohlverpflichtung des Grundrechtsträgers als auch die des Gesetzgebers näher präzisiert, ist ein gegebenenfalls gesetzlich zu schaffender Ausgleich zwischen Privatnützigkeit und Gemeinwohl gleichermaßen auf die Gebrauchs- bzw. Nutzungsdimension des Eigentums beschränkt. Soweit eine inhaltliche Deckungsgleichheit der Verpflichtungen besteht, ist davon auszugehen, dass Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG eine lex specialis Norm darstellt. Was den Gesetzgeber betrifft, so hat er, obwohl selber auf das Gemeinwohl hin verpflichtet, Entscheidungen des Grundrechtsträgers grundsätzlich hinzunehmen, sofern diese vertretbar und ermessensfehlerfrei getroffen wurden. 1225 Nur in Ausnahmefällen kann es insoweit zu einem Wechsel bei der Wahrnehmung der Gemeinwohlverpflichtung kommen. Für Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 396 f. A. A. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 58. 1222 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 396 f. 1223 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 396. 1224 Zur Verortung im Rechtsstaatsprinzip vgl. T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 157; vgl. aber auch Ph. Kunig (ders., Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 332 ff.), der die Gemeinwohlverpflichtung staatlichen Handelns im Demokratieprinzip begründet sieht. 1225 Vgl. J.-R. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 396 f. 1220 1221
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diese Wertung sprechen die ermittelten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinnzusammenhänge, d. h. die Wechselwirkungen zwischen der Gemeinwohlverpflichtung und den freiheitlichen Unterprinzipien des Eigentums sowie der Menschenwürdegarantie. Die in den Unterprinzipien „Leistung“, „Existenzsicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“ zum Ausdruck kommende Wahrung des menschlichen Eigenwerts durch Sicherstellung der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung liefert auch die Vorgabe für die widerspruchsfreie Einordnung des Prinzips aus Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG in das wirtschaftsverfassungsrechtliche System. Die Norm verfolgt nicht nur das Ziel, den Grundrechtsträger prinzipiell auf das Gemeinwohl zu verpflichten, sondern möchte ihm vor allem die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Abwägung zwischen Eigen- und Fremdnützigkeit einräumen. Bestehen im Einzelnen an dieser Stelle noch vielerlei Zweifel, so herrscht dennoch im Grundsatz Klarheit: Über Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit der verfassungsrechtlich begründeten Gemeinwohlverpflichtung des Staates kann die grundlegende Wertentscheidung zugunsten einer vorrangig privat wahrzunehmenden Gemeinwohl- bzw. Sozialgestaltungsmacht nicht ausgehebelt werden. Sie ist als eigenständiges Prinzip begründbar. Es gilt vielmehr: Der Gesetzgeber hat auch auf dieses prinzipielle Geltungsverlangen Rücksicht zu nehmen. Insbesondere die sehr komplexe gesetzliche Ausgestaltung der betrieblichen Mitbestimmung, die dem Unternehmenseigentümer ein großes Maß an Sozialgestaltungsmacht raubt, ist aus dieser Warte heraus tief greifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Daneben konturiert Art. 14 Abs. 2 GG das Prinzip „Eigentum“ noch in anderer Hinsicht. Hierauf verweist das Bundesverfassungsgericht. Es stellt fest: „Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Belastungen. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient.“ 1226 Damit wird letztlich der Schutz der Privatnützigkeit ausgehend von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in Art. 14 Abs. 2 GG verstärkend flankiert. Ist die Verhältnisbestimmung von Fremdund Privatnützigkeit bzw. im Idealfall die Erzielung von Fremdnützigkeit durch Privatnützigkeit primär Aufgabe des Eigentümers, so ist dieser darauf angewiesen, verdeutlicht zu bekommen, wo die Grenze der ihn treffenden Verfassungserwartung liegt. Die Formulierung „zugleich“ in Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG hilft für sich genommen nicht weiter. „Zugleich“ kann sowohl „zeitgleich“ bedeuten, aber auch im Sinne von „quantitativ“ bzw. „qualitativ gleich“ verstanden werden. In seinem Einheitswertbeschluss hat das Bundesverfassungsgericht, bezugnehmend auf die Ertragssteuern für das Vermögen, den so genannten Halbteilungsgrundsatz statuiert und insofern, d. h. mit Blick auf Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG für weitreichende Klarheit gesorgt. 1227 Dieser Halbteilungsgrundsatz, der sich als Direktive sowohl an die private wie die staatliche Gemeinwohlgestaltung wendet, „markiert in idealtypischer 1226 BVerfGE 100, 226 ff. (241); vgl. auch BVerfGE 72, 66 ff. (78); E 79, 174 ff. (198); E 87, 114 ff. (138 f.). 1227 Insofern euphorisch W. Leisner, Steuer und Eigentumswende, in: NJW 1995, S.2591 ff. (2594); a. A. O. Bryde, v. Münch/Kunig, GG-Komm, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 68.
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und allgemein gültiger Weise eine (Ober-)Grenze der Sozialpflichtigkeit“. 1228 So fordert das Bundesverfassungsgericht in der besagten Entscheidung, dass die vermögensmäßige Gesamtbelastung des Bürgers „in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand“ verbleiben muss. 1229 b) Art. 14 Abs. 3 GG als Erklärungsmuster für das Prinzip „Eigentum“ Strikt von der Eingriffsmöglichkeit nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG unterscheidet das Bundesverfassungsgericht die von Art. 14 Abs. 3 GG eingeräumte Befugnis zur Enteignung, die auf den vollständigen oder teilweisen Entzug von konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten subjektiven Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet ist. 1230 Eine Enteignung erfolgt entweder dadurch, dass „durch Gesetz einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Eigentumsrechte“ entzogen werden oder aber, dass auf gesetzlicher Basis administrative Maßnahmen eingeleitet werden, die darauf abzielen, „konkretes Eigentum Einzelner zu entziehen“. 1231 Vorliegend soll es darum gehen, den Erklärungswert der Enteignungsregelung, die einen besonderen Schrankenvorbehalt darstellt, für das Prinzip „Eigentum“ nutzbar zu machen, d. h. danach zu fragen, inwiefern die Regelung Wertungen zur Klärung und Erläuterung der bereits gewonnenen prima-facie-Inhalte des Prinzips „Eigentum“ bereithält. 1232 Insofern zeigt sich in der Tat, dass der prinzipielle Geltungsanspruch des Prinzips „Eigentum“ weiter reichen muss als zunächst angenommen, denn die Art. 14 Abs. 3 GG vorgelagerte Wertung verdeutlicht Folgendes: Die „Sicherung gegen Entzug“ muss sich in den besonders eingriffsintensiven Fällen der Enteignung in eine „Sicherung bei Entzug“ umwandeln. 1233 Wertungsgemäß folgerichtig muss aus dem Bestandsschutz der Wertschutz des Eigentums erwachsen. Es sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betont, dass Art. 14 Abs. 3 GG als Schrankenvorbehalt insofern kein eigenes freiheitliches Prinzip konstituiert. Die Enteignung stellt eine Ausnahme dar, den Grundsatz und somit das Prinzip bildet vielmehr die prima-facieGewährleistung individueller Freiheit. 1234 Die Norm des Art. 14 Abs. 3 GG erhellt aber den bereits gewonnenen Prinzipieninhalt, indem sie dem Systematiker eine neue Sicht der Dinge eröffnet. Es zeigt sich, dass axiologisch betrachtet der „Entzug der Rechtsposition“ mit einer auf Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG basierenden Entwertung in O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm. Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 223. BVerfGE 93, 121 ff. (138); vgl. schon 4. Kapitel § 2 II. 5. d). 1230 Vgl. BVerfGE 52, 1 ff. (27); E 100, 226 ff. (240). 1231 BVerfGE 58, 300 ff. (330 f.). 1232 Zum begrenzten Erklärungswert von Schrankenvorbehalten im Rahmen der grundrechtlichen Prinzipienfreilegung vgl. schon 4. Kapitel § 1 IV. 1233 W. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 168. 1234 Vgl. Fn. 1232. 1228 1229
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den Händen des Eigentümers gleichzusetzen ist. Es wäre aus einer wertgeladenen Betrachtung heraus kaum einzusehen, warum der Staat in dem einen Fall Ersatz und in dem anderen Falle keinen solchen leisten müsste. Der Staat könnte mühelos und für ihn durchaus weniger kostenintensiv „‚vom Entzug in die Entwertung‘ des Eigentumes fliehen“. 1235 Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass von vornherein nicht nur das bloße „Innehaben“ durch das Prinzip „Eigentum“ prima facie gewährleistet ist, sondern auch der marktgemäße Wert des Eigentums. Diese Erkenntnisse liefern schließlich einen Begründungsansatz für den verfassungsrechtlichen Schutz der Märkte, denn die Entschädigungspflicht nach Art. 14 Abs. 3 GG würde leer laufen, wenn der Staat die Möglichkeit hätte, das Eigentum bereits mittels Beseitigung des Marktes oder Beeinträchtigung des Marktgeschehens zu entwerten. 1236 c) Art. 15 GG als argumentative Verstärkung von Eigentum als Prinzip Die Forderung nach Sozialisierung bzw. Vergesellschaftung 1237 des Eigentums bildet einen klassischen Bestandteil sozialistischer Wirtschaftsdoktrinen und beruht ideengeschichtlich auf dem tief greifenden Misstrauen gegenüber privatnützigem Eigentumsgebrauch. 1238 Bestimmte Güter sollen nicht mehr dem Eigennutzen des Eigentümers, sondern der gesellschaftlichen Bedarfsdeckung oder der Verfolgung anderer Gemeinwohlziele dienen. 1239 Aus diesem Grund sei ihre Überführung an staatliche Einrichtungen zu veranlassen bzw. dem Rechtsträger zwar die formale Eigentümerstellung zu belassen, wohl aber der öffentlichen Hand ein wesentlicher Einfluss bei der Entscheidung über die Nutzung des Eigentums einzuräumen. Zielsetzung sei die gemeinwohlorientierte Nutzung. Entsprechend dieser ideengeschichtlichen Entwicklung finden beide Formen der Sozialisierung, d.h. die Überführung in Gemeineigentum, als auch die Einführung anderer Formen der Gemeinwirtschaft, ihre verfassungsgesetzliche Ausprägung in Art. 15 GG. Die darin vorgesehene strikte Ausrichtung der Vergesellschaftung an dem Ziel der Gemeinwohlnutzung soll die Verfolgung rein fiskalischer Interessen verhindern. 1240 Art. 15 GG steckt den Rahmen für die Sozialisierung als wirtschaftspolitische Option ab, er enthält also eine Ermächtigung des Gesetzgebers, im Rahmen der GeW. Leisner, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 149 Rn. 168. Vgl. W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, in: Eigentum, 1996, S. 724 ff. (734); vgl. auch C.-W. Canaris, in: FS für P. Lerche, 1993, S. 873 ff. (879); vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 7. a). 1237 Beide Ausdrücke werden synonym gebraucht. 1238 Vgl. zu den ideengeschichtlichen Ursprüngen T. Schell, Art. 15 GG im Verfassungsgefüge, 1996, S. 21 ff., 43 ff.; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 15 Rn. 1, 9; vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 1. 1239 Vgl. R. Wendt, in: M. Sachs GG-Komm., 2003, Art. 15 Rn. 5. 1240 Vgl. O. Kimminich, in: BK z. GG, Bd. III, Art. 15 Rn. 11. 1235 1236
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staltung der Wirtschaftspolitik in das Eigentumsgrundrecht einzugreifen. Dem „qualifizierten“ grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt in Art. 14 Abs. 3 GG vergleichbar, ist der Eingriff in die Eigentumsgarantie allenfalls unter restriktiven Voraussetzungen gestattet. Art. 15 GG enthält keinen Verfassungsauftrag zur Sozialisierung. 1241 Die Norm bringt auch keine objektive Wertentscheidung zum Ausdruck. 1242 Ein Prinzip in dem Sinne, dass die Sozialisierung etwa grundgesetzlich „gesollt“ ist, kann der Norm schon wegen ihres Wortlauts nicht entnommen werden. 1243 Art. 15 GG begründet daher nicht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, im Rahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik die Sozialisierung des Eigentums zu betreiben. Die Regelung steht somit auch der Privatisierung öffentlicher Unternehmen nicht im Wege. 1244 Wie schon mithilfe der Enteignungsregelung, lässt sich anhand von Art. 15 GG die Stellung und der Inhalt des Prinzips „Eigentum“ im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System verdeutlichen. Gleichermaßen wie Art. 14 Abs. 3 GG zielt Art. 15 GG darauf ab, bestehende individuelle Rechte zu relativieren und die betroffenen Grundrechtsadressaten auf einen Wertersatz zu verweisen. 1245 Auch die Sozialisierungsbefugnis geht somit vom Bestehen freien (Produktiv-)Eigentums in den Händen Privater aus. 1246 Von der Ermächtigung des Art. 15 GG ist bislang ausdrücklich kein Gebrauch gemacht worden. Die Prognosen für ein Wiedererstarken des Sozialisierungsgedankens im klassischen Sinne sind zudem düster. Die Sozialisierung von Wirtschaftsunternehmen würde voraussetzen, dass der Nationalstaat die Aufgabe als Entscheidungsträger des jeweiligen Unternehmens auch tatsächlich wahrnehmen könnte. Eine Rolle, die ihn schon heute angesichts der fortschreitenden Globalisierung und den daraus erwachsenden Erfordernissen (bspw. globale strategische Planung, Flexibilität in der Beschaffung und dem Einsatz von Produktionsfaktoren) „hoffnungslos und endgültig“ überfordern würde. 1247 Indes ist die Norm nicht, wie es H. Ridder bereits im Jahre 1951 prognostizierte, durch Nichtgebrauch obsolet geworden. 1248 Das Gegenteil ist der Fall. Im Rahmen der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte kann gar nicht deutlich genug auf die den freiheitlichen Gehalt des Eigentums unterstützende und erklärende Wirkung von Art. 15 GG verwiesen werden. So bestehen von politischer Seite auch weiterhin Tendenzen, das freiheitliche Marktgeschehen und wirtschaftliche Gewinnstreben mittels schleichender bzw. verdeckter Sozialisierung, d. h. in Vgl. BVerfGE 12, 354 ff. (363 f.). R. Wendt, M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art.15 Rn. 3; a. A. O Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 15 Rn. 5. 1243 Vgl. O. Kimminich, in: BK z. GG, Bd. III, Art. 15 Rn. 23. 1244 So BVerfGE 12, 354 ff. (364). 1245 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 2003, Rn. 955. 1246 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 17. 1247 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 15 Rn. 5. 1248 H. K. Ridder, Enteignung und Sozialisierung, in: VVDStRL 10 (1952), S.124 ff. (146 f.). 1241 1242
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Form von wirtschaftslenkenden Maßnahmen, nachhaltig zu beeinträchtigen. An dieser Stelle entfaltet Art. 15 GG seine freiheitsunterstützende Wirkung; er schiebt sozusagen derartigen Strömungen einen wirksamen Riegel vor. Regelmäßig gilt zwar, dass Art.15 GG im Hinblick auf Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftslenkung keine Anwendung findet, weil im Verhältnis zur Sozialisierung die Wirtschaftslenkung grundsätzlich kein Minus, sondern ein Aliud darstellt. Etwas anderes gilt jedoch, wenn Maßnahmen zur Wirtschaftlenkung staatlicherseits eine gemeinwirtschaftliche Zielsetzung verfolgen. In diesen Fällen greift Art. 15 GG ein. 1249 Im Ergebnis begründen somit die in Art. 15 GG aufgeführten „Restriktionen“ für die Sozialisierung die eigentliche axiologische Bedeutung der Norm im wirtschaftsverfassungsrechtlichem System. Denn insoweit „der Gesetzgeber eine Sozialisierung als solche ausdrücklich und nur in den in Art. 15 GG angegebenen Formen und Grenzen zum Gegenstand einer gesetzlichen Regelung“ machen darf, „schützt die Vorschrift [...] die privatwirtschaftliche Wirtschaftstätigkeit“. 1250 So stützt Art.15 GG das Prinzip „Eigentum“, indem es die Sozialisierung im Falle des Nichtvorliegens der einschlägigen Voraussetzungen verbietet 1251, denn Art. 14 GG und Art. 15 GG stehen in einem keinesfalls umkehrbaren Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander. 1252 Was die materiellen Voraussetzungen der Sozialisierung betrifft, so sind die sozialisierungsfähigen Gegenstände von Art. 15 GG abschließend erfasst. 1253 Strittig ist der Begriff der Produktionsmittel. Die überwiegende Auffassung beschränkt ihn zu Recht auf die in einem Betrieb zur Produktion von Gütern benötigten Gegenstände, auf Rechtstitel und auf produktionsrelevante Immaterialgüterrechte. 1254 Der Dienstleistungssektor ist hingegen nicht sozialisierungsfähig. Aus diesem Grund hat die Sozialisierungsbefugnis auch nur eine geringe Bedeutung, da mit ihrer Hilfe 1249 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 15 Rn. 28 f.. 1250 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 15 Rn. 8. 1251 Noch weiter geht beispielsweise H. Krüger (ders., in: Die Grundrechte, Bd.. III/1, S. 267 ff. (302)), der unter Hinweis auf H. P. Ipsen (vgl. ders., Enteignung und Sozialisierung, in: VVDStRL 10 (1952), S. 74 ff. (108)) von Art. 15 GG als einem „Freiheitsrecht des Eigentümers auf Nicht – Sozialsierung“ spricht; kritisch T. Schell, Art. 15 GG im Verfassungsgefüge, 1996, S. 150, vgl. auch W. Leisner, Der Sozialisierungsartikel als Eigentumsgarantie, in: JZ 1975, S. 272 ff. Krügers These vom „Freiheitsrecht auf Nichtsozialisierung“ wirft konsequenterweise die Frage nach einem gleich lautenden Prinzip auf. Ein solches besteht indes ebensowenig wie das behauptete Freiheitsrecht. Selbstständig in einem Grundgesetzartikel verfasst, lässt sich die Sozialisierungsermächtigung zwar als ein „eigenständiges Rechtsinstitut“ einordnen. Letztlich formuliert die Norm jedoch lediglich einen „besonderen Eingriffstitel“, d. h. bildet einen Grundrechtsvorbehalt im weitesten Sinne. Als solche beschränkt oder stützt die Norm, jeweils in Abhängigkeit vom Vor- bzw. Nichtvorliegen ihrer Voraussetzungen, die prima-facie-Freiheit Eigentum. Was die Brauchbarkeit von Schrankenvorbehalten im Rahmen der Prinzipienfreilegung bzw. -gewinnung betrifft vgl. auch 4. Kapitel § 1 IV. 1252 Vgl. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. II, 1954, S. 165; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 15 GG Rn. 7. 1253 Vgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 15 Rn. 7. 1254 Vgl. O. Kimminich, in: BK z. GG, Bd. III, Art. 15 Rn. 31.
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die für die Wirtschaft bedeutenden und mächtigen Allfinanz-Unternehmen nicht in die staatliche Obhut überführt werden können. 1255 Die Sozialisierungsbefugnis befreit den Gesetzgeber nicht von Rechtfertigungslasten. Es bedarf insoweit eines legitimen Gemeinwohlinteresses. Die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt zudem ein gewisses Maß an Sozialisierungsreife, d. h. eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung des zu sozialisierenden Unternehmens. 1256 Auch ist zu beachten, dass die Sozialisierungskompetenz des Staates mit dem Prinzip der privaten Gemeinwohlgestaltung kollidieren kann. 1257 Die genannten Konflikte sind systemextern im Wege der Abwägung zu lösen. In formeller Hinsicht darf die Sozialisierung nur durch förmliches Gesetz erfolgen. Die Anforderungen an die Junktimsklausel sind stringenter noch als bei der Enteignung einzuhalten. 1258 Art. 15 GG verweist im Übrigen auf Art. 14 Abs. 3 S. 3 und 4 GG. Alles in allem fügen sich die Aussagen von Art. 15 GG harmonisch in das bislang freigelegte wirtschaftsverfassungsrechtliche System ein. Die Norm streitet mit Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in Richtung „Freiheit vor dem Staat“. 1259 Sie bringt mittelbar zum Ausdruck, dass prima facie die individuelle Freiheit des Eigentums gewährleistet ist. Die der Sozialisierungsbefugnis von sozialistischen Strömungen gemeinhin zuerkannte „wirtschaftsverfassungsrechtliche Konträrfunktion“ lässt sich somit nicht ermitteln. 1260
7. Forderungen der Eigentumsgarantie als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip a) Das Prinzip „Abwehr“ als Ausdruck der Eigentümerverantwortung für die Wirtschaftsgestaltung Das Prinzip „Abwehr“, als Beschreibung der primären Wirkungsweise des Prinzips „Eigentum“, zielt wie bei allen anderen Freiheitsrechten auf die Konkretisierung der Menschenwürdegarantie, indem es essentielle Freiräume für die geistige und wirtschaftliche Lebensgestaltung absichert und damit die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen ermöglicht. 1261 Der Einzelne soll letztlich „eigenverantwortlich, autonom und mit privatnütziger Zielsetzung am Aufbau und an der GeVgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 15 Rn. 9 f. Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm. Bd. I, 1999, Art. 15 Rn. 40. 1257 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1258 Vgl. O. Bryde, v. Münch/Kunig, GG-Komm, Bd. I, 2000, Art. 15 Rn. 21. 1259 Vgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 15 Rn. 23. 1260 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 17. 1261 Vgl. 4. Kapitel § 1 II. 1. c). 1255 1256
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staltung der Rechts- und Gesellschaftsordnung mitwirken“. 1262 Entsprechend verlangt Eigentum als prima facie gewährleistete Freiheit, dass der Staat, was das Eigentum Privater betrifft, grundsätzlich außen vorsteht. Diese Forderung gilt zunächst als Prinzip. Um dem prinzipiellen Geltungsverlangen Nachdruck zu verleihen, wird sie zudem von der Verfassung individualrechtlich verbrieft. 1263 Ein klassisch-liberales Grundrechtsverständnis verlangt, dass das subjektiv-öffentliche Abwehrrecht des Bürgers gegen staatliche Eingriffe in das Eigentum als primäres, prinzipienerzeugtes prima-facie-Recht angeführt wird. 1264 Als die dem subjektiven Recht zugrunde liegende, gegenüber anderen Wirkdimensionen vorrangige prinzipielle Wirkungsweise, muss dann konsequenterweise die „sichernde und abwehrende“ Funktion des Eigentums im Vordergrund stehen. 1265 In der Tat werden die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung oft übersehen. So wird verkannt, dass die primäre, prinzipielle Abwehrfunktion den Grund für die Gewährung des subjektiven Abwehrrechts im Rahmen der Eigentumsgarantie bildet. Gleichzeitig besteht jedoch die Einsicht, dass allein die subjektiv rechtliche Betrachtung, d. h. ein alleiniges Abstellen auf die subjektivrechtliche Verbürgung einzelner Eigentumspositionen, die Schutzwirkungen der Eigentumsgarantie nicht ausreichend genug beschreibt. Diese Mikrobetrachtung soll daher durch eine Makrobetrachtung ergänzt werden, die die objektive Schutzfunktion der Eigentumsgarantie widerspiegelt. 1266 In der so genannten Institutsgarantie will man das geeignete Instrumentarium gefunden haben, welches das Eigentum als subjektives Abwehrrecht grundrechtsdimensionell ergänzt: Der primär bestandssichernden Individualrechtsgarantie wird die Institutsgarantie als zweite grundrechtsdimensionelle Wirkungsweise zur Seite gestellt. 1267 Beide Grundrechtsdimensionen sollen dabei in der Weise miteinander verknüpft sein, dass die Institutsgarantie im Dienste der Individualrechtsgarantie stehen soll. Der zuerst Genannten soll eine objektive, ordnungsgestaltende Bedeutung zuteil werden; die Individualrechtsgarantie ziele hingegen darauf ab, die konkreten Rechte des einzelnen Eigentümers zu sichern.1268 „Dimensionell dazwischen“ bzw. „axiologisch davor“ soll es nichts geben. 1262 H.-J. Papier, Unternehmen in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, in: VVDStRL 35 (1977), S. 55 (83). 1263 So stellt das BVerfG (E 61, 82 ff. (113)), u. a. mit Blick auf die Eigentumsgarantie, zutreffenderweise fest, dass der Wesensgehalt eines Grundrechts betroffen sein kann, „wenn jeglicher Störungsabwehranspruch, den die Rechtsordnung zum Schutze eines Grundrechts einräumt, materiellrechtlich beseitigt oder wenn verfahrensrechtlich verwehrt wird, ihn wirkungsvoll geltend zu machen, mag er oder das Grundrecht, zu dessen Schutz er gewährt ist, auch – unbewehrt in bezug auf ein bestimmtes Vorhaben – materiellrechtlich bestehen bleiben“. Vgl. auch F. L. Ekey, Die Verminderung von Eigentümerrechten im Spannungsfeld zwischen Art.14 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, 1988, S. 17. 1264 Vgl. BVerfGE 24, 367 ff. (400). 1265 BVerfGE 31, 229 ff. (239). 1266 Vgl. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 34. 1267 Vgl. hierzu U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 57 ff.; Ch. Wunderlich, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigentumsgarantie [...], 1994, S. 8 ff. 1268 Vgl. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 32 f.
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Diese abschließende Aufgabenteilung reißt indes grundrechtsdimensionelle Lücken. 1269 Für die über die Abwehrfunktion hinausreichenden Grundrechtsfunktionen ist dies ohne weiteres einsichtig, denn die Institutsgarantie, die unter der WRV konzipiert wurde, bedient sich einer rein staatsabwehrenden Konstruktion in der Form einer Schranken-Schanke. So entnahm ursprünglich M. Wolff der „Gewährleistung“ des Eigentums eine Zusicherung, wonach Privateigentum als Rechtsinstitut erhalten bleiben müsse, d. h. der bereits vorhandene greifbare Normenbestand, der ein Minimaleigentum formuliere, nicht angetastet werden dürfe.1270 Während die Ausweitung des Eigentumsbegriffes auf alle vermögenswerten Rechte, so Wolff, für die Bestandsgarantie gelte, sei für die Institutsgarantie der Eigentumsbegriff des bürgerlichen Rechts maßgeblich. 1271 Seitdem hat die Institutsgarantie keinen tiefgreifenden Bedeutungswandel erfahren. Dies zeigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Während die Individualrechtsgarantie des Art. 14 GG „im Rahmen des zwischen dem privaten Wirtschaftssubjekt und dem Staat bestehenden verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis in erster Linie den Bestand an konkreten vermögenswerten Rechten und Rechtspositionen des einzelnen Eigentümers“ schützt, soll die so genannte Institutsgarantie einen „Grundbestand von Normen“ sichern, die „als Eigentum im Sinne dieser Grundrechtsbestimmung bezeichnet werden“. Die Institutsgarantie soll es letztlich verbieten, „daß solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, und damit der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsbereich aufgehoben oder wesentlich geschmälert wird“.1272 Auf „neuere“ grundrechtliche Wirkungsweisen ist die Institutsgarantie nach alldem weder historisch noch konstruktiv zugeschnitten. Vor allem staatsaktivierende wirtschaftspolitische Direktiven können ihr nach diesem Urverständnis nicht entnommen werden. 1273 Aber auch was den klassischen Anwendungsbereich betrifft, erweist sich die Institutsgarantie als weitgehend überholt. 1274 Inhaltlich erschöpft sie sich in der Wiedergabe dessen, was der statische Menschenwürde- bzw. Wesensgehaltskern der Grundrechtsgewährleistung verlangt. 1275 Aus diesem Grunde ist die
1269 Kritisch auch B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 32; a. A. offenbar H. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 100 ff. 1270 Vgl. M. Wolff, in: FG f. W. Kahl, 1923, IV, S. 5 f.; vgl. auch P. Badura, Zur Lehre der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie des Eigentums, in: FS F. Th. Maunz, 1981, S. 1 ff. (13). 1271 So der „Vater“ der Institutsgarantie M. Wolff, in: FG f. W. Kahl, 1923, IV, S. 5 f.; a. A. H.-J. Papier, Unternehmen in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, in: VVDStRL 35 (1977), S. 55 (82, Fn. 113). 1272 BVerfGE 24, 367 ff. (389). 1273 Vgl. aber Fn. 1307. 1274 Kritisch zur Institutsgarantie mit Blick auf die Funktionsweise von Eigentumsprinzipien in Abwägungsmodellen auch J.-R. Sieckmann, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 85. 1275 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 32 m. w. N.; vgl. auch P. Badura, Zur Lehre der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie des Eigentums, in: FS für Th. Maunz, 1981, S. 1 ff. (14).
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Institutsgarantie nicht nur überflüssig. Der Rückgriff hierauf erweist sich gar als schädlich, denn damit gerät aus dem Blick, was die Menschenwürdegarantie darüber hinaus noch fordert: Konkretisierung der Menschenwürdegarantie primär durch Abwehr des Staates! 1276 Dieser Forderung kann indes nur dann entsprochen werden, wenn ausgehend von der Prinzipienebene zunächst ein objektives Prinzip abgeleitet wird. Der hieraus folgende, prinzipielle Verhaltensappell ist nicht nur präzise genug, um als Wirtschaftsgestaltungsauftrag zu fungieren. Er reicht auch weiter, als der aus der Instititutsgarantie folgende Verhaltensappell. Durch ein alleiniges Abstellen auf die Institutsgarantie kommt demgegenüber die Funktion der Eigentumsgarantie als „negative Kompetenznorm“ nicht vollends zur Geltung. 1277 Das Postulat von der „Freiheit des Eigentums Privater vom Staat“ ist freilich nur eine Vergröberung des dem subjektiven Abwehrrecht und der Institutsgarantie vorgelagerten prinzipiellen deontischen Appells. Für das Prinzip „Eigentum“ lässt sich die prinzipielle Ausformung der Staatsabwehr dezidierter ermitteln: Formuliert wird letztlich ein objektives „an den Staat gerichtetes grundsätzliches Vermögensentziehungs- und -umverteilungsverbot“ sowie ein „Bereicherungsverbot“ für die öffentliche Hand zum Nachteil Privater. Damit korrespondieren zugleich Unterlassungs- oder Nichtsstörungspflichten der öffentlichen Hand. 1278 Eine Spezifikation dieser prinzipiellen Verbote wurde bereits eingehend vorgenommen: Das Prinzip der „eigentumsschonenden Besteuerung“ bringt letztlich nichts anderes zum Ausdruck als die prinzipielle Abwehr des steuerlichen Zugriffs, d. h. Distanzhaltung des Steuerstaates. 1279 Prinzipiell geboten ist zwar primär nur die Staatsferne mit Blick auf den Bestand bestehender Eigentumspositionen. Geschützt ist aber, wie gesehen, nicht nur „die Integrität des konkreten Vermögenbestandes in der Hand des Eigentümers um seiner Freiheit willen“, sondern zugleich auch das „Ausnutzendürfen“ vorhandener Eigentumspositionen. 1280 Für diese prinzipielle Dimension des Eigentumsschutzes spricht vor allem eine auf dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG basierende Wertung. Dort ist ausdrücklich vom „Gebrauch“ die Rede. Aber auch der „Erwerbsschutz“ kann wie gesehen unter gewissen Umständen vom Prinzip „Eigentum“ gefordert sein. Ausgehend von Art. 14 Abs. 1 S. 1 i.V. m. Art. 14 Abs. 3 GG lässt sich zudem eine prinzipielle Wertgarantie, d. h. die Garantie des marktmäßigen Wertes ermitteln. 1281 Mit ihr korrespondiert ein Verbot der Eigentumswertbestimmung durch den Staat. 1282 Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Wäre es dem Staat gestattet, die Werte für das dem Einzelnen zustehende Privateigentum zu beVgl. 4. Kapitel § 1 I. Vgl. zu dieser Funktion 4. Kapitel § 1 II. 1. c). 1278 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 5. 1279 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 5. d). 1280 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 86; R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 41. 1281 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 6. b). 1282 Vgl. W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, in: Eigentum, 1996, S. 724 ff. (734 ff.). 1276 1277
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stimmen, so würde die Garantie der Eigentumsgewährleistung in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Enteignungsrecht unterlaufen.1283 Die Wertbestimmung von Privateigentum erfolgt primär auf Märkten. Dem folgt auch die enteignungsrechtliche Judikatur im Grundsatz, wenn sie die bei einer Enteignung zu zahlende Entschädigung anhand des Marktwertes festlegt. 1284 Hat sich der Staat aus den genannten Gründen der Wertbestimmung zu enthalten, so kann dies nur bedeuten, dass prinzipiell sämtliche hoheitliche Maßnahmen zu unterbleiben haben, die zu einer Wertveränderung auf den Märkten führen können. 1285 Das Verbot der Eigentumswertbestimmung durch den Staat erfährt eine gewichtige Modifikation, wenn es um den Tauschwert von Geld geht, denn das Eigentum realisiert sich auf den Märkten regelmäßig in Geld und umgekehrt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heißt es hierzu: „Eine wesentliche Freiheitsgarantie des Eigentums liegt gerade darin, Sachgüter und Geld gegeneinander austauschen zu können. Die Gleichwertigkeit von Sach- und Geldeigentum ist auch eine der Funktionsgrundlagen des Art. 14 GG. Geld ist geprägte Freiheit; es kann frei in Gegenstände eingetauscht werden“. 1286 Allerdings könne der Eigentumsgarantie weder „eine staatliche Wertgarantie des Geldes noch das währungs- und wirtschaftpolitische Leitbild, die Vorstellung eines stabilen Geldwertes“ entnommen werden.1287 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erweist sich insofern als leicht unstimmig. Denn Geld und geldwerten Forderungen fehlt „ein den Sachgütern vergleichbarer, vom Tauschwert gelöster und unabhängiger Besitz und Nutzungswert“. 1288 Es wäre sinnlos, einerseits das Sacheigentum an den Geldscheinen und Geldstücken sowie das geldwerte Forderungsrecht hochzuhalten, gleichzeitig jedoch das eigentliche vermögenswertige Element, nämlich die Tauschkraft unter den Tisch fallen zu lassen. Dies zeigt vor allem die Tatsache, dass im gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Kontext den Geldwerten vor Sachwerten die eigentliche Bedeutung im Rahmen der geistigen und wirtschaftlichen Lebensgestaltung zuteil wird. Konsequenterweise richtet sich das Prinzip „Abwehr“ daher auch gegen „inflationsverursachendes, -mitverursachendes oder -intensivierendes Staatsverhalten“. 1289, 1290 Obwohl im Rahmen der Währungsunion die Verantwortung für Preisstabilität primär beim Europäischen System der Zentralbanken (Art. 105 Abs. 1 EG) liegt, geht 1283 W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, in: Eigentum, 1996, S. 724 ff. (734); vgl. auch C.-W. Canaris, in: FS für P. Lerche, 1993, S. 873 ff. (879). 1284 Vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 6. b). 1285 Vgl. W. Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, in: ders., Eigentum, 1996, S. 724 ff. (735). 1286 BVerfG, EuZW 1998, S. 279 ff. (283). 1287 BVerfG, HFR 1969, 347. 1288 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 186. 1289 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 187. 1290 Ein subjektives Recht auf Verpflichtung zur Sicherung der Geldwertstabilität beinhaltet Art. 14 GG jedoch nicht; vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 256.
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insofern der prinzipielle Appell nicht ins Leere. Im Rahmen ihrer Fiskalpolitik nehmen die Mitgliedstaaten weiterhin einen beachtlichen Einfluss auf dieses anerkannte Teilelement des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. 1291 Art. 14 Abs. 1 GG tritt somit neben die Geldwertstabilitätsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 104 EG. 1292 Das Prinzip „Abwehr“ wirkt zudem einer Konzentration von Eigentum in den Händen des Staates entgegen. Hier gilt es, die verfassungsgerichtliche Formulierung ins Gedächtnis zu rufen, wonach das Eigentumsgrundrecht nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater schützt und fordert. 1293 Insofern korrespondiert das Geltungsverlangen des Prinzips „Abwehr“ im Rahmen der prinzipiell gewährleisteten Eigentumsfreiheit mit der Forderung nach einem prima-facie-Verbot staatlicher wirtschaftlicher Tätigkeit als Konsequenz einer möglichst unreglementierten beruflichen Tätigkeit Privater. 1294 Bei so viel prinzipiell geforderter Staatsferne darf freilich Folgendes nicht übersehen werden: Freiheit vom Staat insbesondere vom Gesetzgeber setzt voraus, dass Eigentum für den Einzelnen handhabbar ist, insbesondere der die Inhaltsbestimmung betreffende rechtliche Rahmen besteht. Gerade der prinzipiell gewährleistete Bestandsschutz knüpft an die kraft (Verfassungs-)Gesetz bestehende und geltende Eigentumsordnung und die hiernach bestehenden konkreten vermögenswerten Eigentumsrechte an. 1295 Eigentum als entwicklungsoffenes Prinzip wird in dieser Hinsicht immer auch ein Tätigwerden des Gesetzgebers einfordern. Abgesehen von der Notwendigkeit der Inhaltsbestimmung agiert der Staat jedoch, was das Eigentum betrifft, auf allen Ebenen subsidiär. Dies gilt vor allem auch für die verfassungsrechtlich geforderte Gemeinnützigkeit des Eigentums. Aus dieser Warte heraus ist das Prinzip der privaten Gemeinwohlgestaltung letztlich nichts anderes als eine Konkretisierung der staatsabwehrenden Funktion des Prinzips „Eigentum“. b) Schaffung der Voraussetzungen für die privatautonome (ökonomische) Freiheitsrealisierung – Verfassungsdirektive Gehalte als Substrat der Prinzipienebene Gleichermaßen wie das Prinzip „Abwehr“ zielen von der Prinzipienebene ausgehende, direktive Gehalte zuvörderst auf Gewährleistung von Privatautonomie im vermögensrechtlichen Bereich. 1296 Im Unterschied hierzu wird allerdings ein staatVgl. J.-P. Schneider, in: AK-GG, Bd. III, 2001, Art. 109 Rn. 22. Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 185. 1293 Vgl. Fn. 989. 1294 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 18. 1295 Vgl. P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 28. 1296 Vgl. H.-J. Papier, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 4; anders B.-O. Bryde (ders., in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 34), der das Primat der grund1291 1292
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liches Tätigwerden zum Zwecke des Freiheitsschutzes eingefordert. Direktive Gehalte sind nur in einem sehr engen Rahmen subjektiv rechtlich verbürgt. Wo die Konstruktion eines subjektiven (Leistungs-)Rechts überzeugend geschieht, kann im Rückschluss auf ein gleich lautendes Prinzip geschlossen werden.1297 Im weitesten Sinne gehört zu den vom Prinzip „Eigentum“ ausgehenden direktiven Gehalten auch das Gebot zur Inhaltsbestimmung nach Maßgabe der aus dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff gewonnenen Unterprinzipien. 1298 Staatlicherseits eingefordert sind indes nicht nur handhabbare Rechtspositionen. Da das Prinzip „Eigentum“ in Richtung Privatnützigkeit und Gemeinnützigkeit durch Privatnützigkeit streitet, ist der Verfassungsauftrag um ein Vielfaches weitreichender. Der Gesetzgeber hat „eine der privaten Eigentumsordnung adäquate Infrastruktur zur Seite zu stellen, die Erwerb, Nutzung und Vermögenswertbildung des Privateigentums ermöglicht“. 1299 Staatlicherseits gefordert ist somit die Bereitstellung einer im Grundsatz privat organisierten Eigentumsordnung, d. h. die Schaffung und Bereithaltung „zentraler Sachbereiche der Privatrechtsordnung“. 1300 Wird eine funktionsfähige Privatrechtsordnung eingefordert, so heißt dies zuallererst Schaffung der „Verkehrsfähigkeit durch Einräumung von Verfügungsmacht über Eigentum“. 1301 Erst dadurch wird das Eigentum zum Tauschobjekt und erlangt so einen marktgemäßen Vermögenswert. Die Vermögenswertbildung des Eigentums ist zwar nicht Aufgabe des Staates, im Gegenteil. Die Wertgarantie ausgehend von Art. 14 Abs. 1 S. 1 i.V. m. Art. 14 Abs. 3 GG verhindert im Grundsatz staatliche Wertmanipulationen, insbesondere eine „Enteignung durch Preisdiktat“.1302 Unwägbarkeiten des Marktes und sich daraus ergebende Risiken wie Chancen sind zunächst von den Grundrechtsadressaten zu tragen. 1303 Freilich ergibt sich aber auch hier erst eine Pflicht zum staatlichen Einschreiten, wenn der Freiheitsgebrauch gefährdet erscheint. Die Garantie einer funktionsfähigen und an den ökonomischen Gegebenheiten ausgerichteten Privatrechtsordnung verlangt vor allem die Vorhaltung marktmäßiger Rahmenbedingungen zum Zwecke der wirtschaftlichen Optirechtlichen Abwehrfunktion nicht hinreichend beachtet; vgl. zum Primat der grundrechtlichen Abwehrfunktion auch 4. Kapitel § 1 II. 3. 1297 Vgl. 4. Kapitel § 1 II. 2. 1298 Vgl. O. Depenheuer, in: FS für W. Leisner, 1999, S. 277 ff. (299 f.). 1299 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 16; vgl. aber auch U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 61. 1300 Insofern war der Gesetzgeber im Rahmen der deutschen Einheit wegen Art. 14 GG i.V. m. Art. 143 GG gefordert, die eigentumsrechtlichen Normen auf die neuen Bundesländer zu erstrecken und das Projekt der Sachenrechtsbereinigung zu verfolgen (vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 17). 1301 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 22. 1302 W. Leisner, Marktoffenes Verfassungsrecht, in: Eigentum, 1996, S. 697 ff. (698); vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 6. b). 1303 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 23.
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mierung von Eigentum. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass der einzelne die rechtlichen aber auch tatsächlichen Möglichkeiten zur autonomen Nutzung seiner Eigentumspositionen eingeräumt bekommt. Der Eigentümer muss zudem die Möglichkeit zur Aneignung der eigentumserzeugten Produkte bzw. Erträge erhalten. Schließlich muss er über seine Eigentumspositionen frei verfügen können. 1304 Staatlicherseits muss insbesondere der Konzentrationen des Privateigentums entgegengetreten werden, wenn das Eigentum Privater dadurch bedroht ist. 1305 Entsprechend hält das Grundgesetz in Art. 74 Nr. 16 GG einen Kompetenztitel bereit, der dem Bund das Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung für den Bereich der Verhütung des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Machtstellung einräumt. Die gesetzgeberliche Handlungspflicht meint indes etwas anderes als das, was das Bundesverfassungsgericht gemeinhin mit Blick auf die Institutsgarantie postuliert. 1306 Nicht die Erhaltung eines privatrechtlichen Mindestrahmens, sondern die Vorhaltung, d. h. gegebenfalls die Schaffung einer die Eigentumsgarantie optimierenden rechtlichen Basis ist gefordert. Dies vermag die Institutsgarantie aus den angegebenen Gründen freilich nicht zu leisten. 1307 Eine von der Prinzipienebene ausgehende objektiv-rechtliche Schutzpflicht, welche zunächst schlicht die Direktive „Bereitstellung einer Privatrechtsordnung“ beinhaltet, kann sich inhaltlich auch zu der Verpflichtung verdichten, dem Eigentümer gesetzliche Abwehransprüche zur Verfügung zu stellen, die gegen die Einwirkungen durch Private gerichtet sind. 1308 Gleichermaßen kann ein gesetzgeberliches Tätigwerden mit Blick auf den strafrechtlichen Schutz des Eigentums1309 oder aber mit Blick auf ein angemessenes Verfahren der Rechtsdurchsetzung 1310 gefordert sein. Vgl. R. Wendt, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 41. Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 16; vgl. auch Fn. 1307. 1306 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 7. a). 1307 A. A. R. Wendt (ders., in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 14 Rn. 11), der aus der Institutsgarantie ggf. die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Rechtsvorschriften ableiten möchte; vgl. auch H.-J. Papier (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 11, 15 ff.), der zunächst die bewahrende, staatsabwehrende Bedeutung der Institutsgarantie hervorhebt und sie als „konstitutionelle Zusicherung, daß das Privateigentum als Rechtseinrichtung erhalten bleibt“, bezeichnet. Weiterhin hebt er hervor, dass die Institutsgarantie des Eigentums nicht die „sozio-ökonomischen Grundvoraussetzungen einer effizienten Grundrechtswahrnehmung“ oder staatliche Vermögenszuwendungsgebote objektiv oder gar subjektiv rechtlicher Art begründen kann. Im Gegensatz dazu möchte er jedoch staatliche Schutzpflichten zugunsten des Privateigentums bzw. das Gebot zur staatlichen Förderung der Vermögensbildung aus der Institutsgarantie ableiten. 1308 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 41; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risken der Technik, 1985, S. 96 f. 1309 Vgl. allgemein zum strafrechtlichen Schutz des Eigentums W. Sax, in: FS für F. Laufke, 1971, S. 321 ff. 1310 Vgl. bspw. BVerfGE 37, 132 ff. (148); E 46, 325 ff. (334); E 49, 220 ff. (225); vgl. auch D. Suhr, Eine grundrechtsdogmatisch aufschlußreiche Zwangsversteigerung wegen vermögenswerter Rechte, in: NJW 1979, S. 145 f. 1304 1305
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Gerade was den zuletztgenannten Aspekt betrifft, so beinhaltet Art. 14 Abs. 1 GG nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine an die Exekutive, Judikative oder Legislative gerichtete prinzipielle Verpflichtung zur effektiven Rechtsschutz- bzw. Verfahrensgestaltung, sondern unmittelbar auch den Anspruch des Grundrechtsträgers auf einen effektiven Rechtsschutz in Ergänzung zu Art. 19 Abs. 4 GG. 1311 Freilich stellt dieses leistungsrechtliche Element in der Eigentumsdogmatik eine Ausnahme dar. Leistungsrechtliche Ansprüche sind nur dann denkbar, wenn ein effektiver Freiheitsschutz es erfordert und die abwehrrechtliche Komponente versagt. 1312 Keinesfalls dient das Prinzip „Eigentum“ als Ableitungsbasis für ein generelles „Recht auf Eigentum“. Ein diesbezüglicher prinzipieller Verfassungsauftrag zu einer „gerechten Vermögenspolitik“ lässt sich allenfalls aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten. 1313 Verbietet das Prinzip „Eigentum“ staatliche Maßnahmen, die sich inflationär auf den Geldwert auswirken, so ließe sich hierauf gestützt die Frage aufwerfen, ob staatlicherseits aktive währungsstabilisierende Maßnahmen zu fordern sind. Eine solche prinzipielle Forderung ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Verkehrsfähigkeit, aber auch die Wertbestimmung des Eigentums verlangen nach einem tauglichen Währungssystem. 1314 Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Mitwirkung bei der Schaffung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft aus Art. 88 S. 2 GG und Art. 14 Abs. 1 GG die objektiv-rechtliche Verpflichtung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zur Sicherung des Geldeigentums abgeleitet. Nach dem oben Gesagten muss sinnvollerweise auch der Tauschwert erfasst sein. 1315 8. Zusammenfassung Das Eigentumsgrundrecht gewährleistet als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie jedem Grundrechtsträger die Schaffung einer materiellen Basis zu seinem eigenen Nutzen. Zudem wird ihm die Möglichkeit eingeräumt, Respekt und sozialen Status durch die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in der Rolle des Eigentümers zu erzielen. Das Eigentum Privater ist somit von Gemeinschaftsinteresse, denn es schafft die Voraussetzung dafür, dass der Einzelne unter Wahrnehmung seiner Eigenverantwortung und zum Zwecke seines privaten Nutzens an der Gestaltung der Rechts- und Gesellschaftsordnung mitwirken kann und auch die Bereitschaft Vgl. BVerfGE 49, 252 ff. (257). Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 98; vgl auch Fn. 1296 und 4. Kapitel § 1 II. 3. 1313 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 14 Rn. 41. 1314 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 24. 1315 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 7. a). 1311 1312
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hierfür entwickelt. Hieraus erwächst Bürgerautonomie und Bürgerverantwortung und in weiterer Folge die Möglichkeit der Individuen zur praktischen Sozialgestaltung. Gleichzeitig geht damit eine In-die-Pflichtnahme mit Blick auf das Eigentum einher. Letztlich bildet erst die Möglichkeit, den Eigentumsgebrauch nicht nur gesellschaftsverträglich, sondern zum Wohle der Gesellschaft zu gestalten, die erstrebenswerteste Form der Freiheitsverwirklichung im vermögensrechtlichen Bereich. Das Grundgesetz stützt sich auf einen originären, verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff, der das Prinzip „Eigentum“ in Grundzügen ausgestaltet und eine Wertungsbasis für die weitere Fortentwicklung und praktische Tauglichmachung des Eigentums durch den Gesetzgeber liefert. Im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Inhaltsbestimmung des Eigentums obliegt ihm die Verpflichtung, die Optimierung der Eigentumsgarantie in Anlehnung an die Direktiven des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs zu betreiben, welcher im Einzelnen die Elemente bzw. Unterprinzipien „Schutz des durch eigene Leistung und durch eigenen Kapitaleinsatz Erworbenen“, „Existenzsicherung“, „Vertrauensschutz“ und „Privatnützigkeit“ beinhaltet. Prima facie geschützt ist nicht nur der Bestand und – mit Blick auf die Art.14 Abs.3 GG zugrunde liegende Wertentscheidung – der marktmäßige Wert von Eigentumspositionen. Vielmehr fällt auch die Nutzungs- bzw. Verfügungsmöglichkeit Eigentumspositionen betreffend unter den Schutz der Eigentumsgarantie. Diese Schutzdimensionen schaffen nur die Basis für den eigentumsrechtlichen Schutz von Unternehmen. Denn auch der über die Einzelbestandteile hinausreichende Vermögenswert von Unternehmen fällt unter den Schutz der Eigentumsgarantie. So genießt der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG sowohl in seinem eigentlichen Bestand als auch in seinen Erscheinungsformen. Komplettiert wird der eigentumsrechtliche Unternehmensschutz schließlich durch die Gewährleistung des Anteilseigentums und des Eigentums des Unternehmensträgers. Die Eigentumsgarantie beinhaltet das Prinzip der „eigentumsschonenden Besteuerung“, welches aus den genannten Unterprinzipien, die den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff kennzeichnen, herrührt. Gefordert wird Bestandsschutz für den Vermögensstamm. Daneben bringt es Grenzen für den Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens zum Ausdruck, wobei der Halbteilungsgrundsatz als Maßstab gilt. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG trägt der verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie des Eigentümers in besonderer Weise Rechnung. Dieser Grundgesetzbestimmung kann als Prinzip eine Gemeinwohlverpflichtung entnommen werden, die ausschließlich den Eigentümer trifft und bindet. Dabei wird dem Grundrechtsträger die Verwirklichung des Gemeinwohls in einem weiten Rahmen eigenverantwortlich anheim gestellt. Im Verhältnis zur Gemeinwohlverpflichtung des Staates folgt hieraus die grundlegende Wertentscheidung für ein Primat der privaten Sozialgestaltung. Der Prinzipiengehalt des Prinzips „Eigentum“ zielt primär darauf ab, das Eigentum Privater vor staatlichem Zugriff zu schützen. Dabei stellen die prinzipiellen, an
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den Staat gerichteten Verbote der Eigentumswertbestimmung, des inflationsverursachenden bzw. inflationsintensivierenden Verhaltens, der Vermögensentziehung und Vermögensumverteilung sowie das Verbot der Bereicherung der öffentlichen Hand zum Nachteil Privater besondere Ausprägungen der prinzipiellen Abwehrfunktion dar. Demgegenüber fordert der direktive Gehalt des Prinzips „Eigentum“ die Schaffung und Bereithaltung von Kernbereichen der Privatrechtsordnung, wobei auch gesetzliche Regelungen gefordert sind, die der Bedrohung des Eigentums Privater durch Eigentumskonzentrationen entgegentreten. Nur ausnahmsweise kann sich eine bestehende objektiv-rechtliche Schutzpflicht inhaltlich zu der Verpflichtung verdichten, Eigentümern gesetzliche Abwehransprüche zur Verfügung zu stellen, um Einwirkungen durch Private abzuwehren.
III. Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip 1. Freie wirtschaftliche Assoziation und gesellschaftsrechtliche Privatautonomie als Ausdruck der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie und persönlicher gemeinschaftsbezogener Freiheit Sowohl das in Art. 9 Abs. 1 GG allgemein gewährleistete prima-facie-Recht zur Bildung von Vereinen und Gesellschaften (Vereinigungen) als auch das in Art. 9 Abs. 3 GG angeführte prima-facie-Recht zur Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verfolgt vornehmlich den Zweck, die personale Selbstverwirklichung des Individuums als Ausfluss der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde zu sichern. 1316 Wie bei der Entfaltung der Berufs- und Eigentumsfreiheit soll dieses Ziel im gesellschaftlichen Kontext erreicht werden. Entsprechend dem verbindenden Postulat „Fremdnützigkeit durch Eigennützigkeit“ schützt Art. 9 GG die Persönlichkeitsentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung in Gruppenform. 1317 Stehen eigene Zielsetzungen mit denen anderer Wirtschaftsteilnehmer im Einklang, so soll durch eine Vereinigung der Kräfte der gemeinsam verfolgte Zweck erreicht werden, um auf diese Weise zugleich den individuellen Interessen jedes einzelnen Gruppenmitglieds zu entsprechen. Die „Aggregation der Interessierten“ im Wege der gesellschaftlichen Selbstorganisation dient vor allem dazu, im gesellschaftlich-pluralistischen Wettstreit und im Verhältnis zum Staat Stärke zu beweisen. Zutreffend erscheint insofern das von R. Scholz 1318 gezeichnete Bild einer Dreiheit von Individuum, Gruppe/Verband und Staat: Die 1316 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 11, 21; vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG auch Fn. 1322. 1317 Vgl. A. Rinken, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 1 Rn. 42; vgl. auch BVerfGE 38, 281 ff. (303). 1318 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 12.
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freie Assoziation ist einerseits eine elementare Äußerungsform der menschlichen Handlungsfreiheit und Ausdruck personaler Selbstentfaltung des Individuums, sie ist zugleich Faktor der sozialen Integration durch Gruppenbildung und schließlich – daraus erwachsend – Grundlage zur Bildung sozialer Macht, vor allem gegenüber dem Staat. 1319 Das bislang Beschriebene bildet ein Rechtsprinzip. Dieses konstituiert sich auf der Zwischenstufe des Rechts infolge der determinativen Wirkungen der Menschenwürdegarantie und ist Ausdruck der werthaften Idee von Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG. 1320 Im Mitbestimmungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht diese Zusammenhänge trefflich zusammengefasst. Zwar nimmt es dabei explizit Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG. Die dort getroffenen Wertungen lassen sich allerdings auf die Koalitionsfreiheit als „Sonderfall der Vereinigungsfreiheit“ übertragen. 1321 In der Entscheidung heißt es: „Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, gewährleistet Art. 9 Abs. 1 GG ein konstituierendes Prinzip der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung [...]. Das soziale System des durch das Grundgesetz verfaßten Gemeinwesens soll weder in ständisch-korporativen Ordnungen, wie sie namentlich das Kennzeichen älterer Sozialordnungen waren, Gestalt gewinnen, noch in der planmäßigen Formung und Organisation durch den Staat nach den Maßstäben eines von der herrschenden Gruppe diktierten Wertsystems, wie sie den totalitären Staat der Gegenwart kennzeichnet. In diesem Prinzip sind der menschenrechtliche Gehalt der Vereinigungsfreiheit und ihre Bedeutung für die Gestaltung der Gesellschaft und des Staates eng aufeinander bezogen. Der menschenrechtliche Gehalt wird deutlich mit Blick auf das Bild des Menschen, von dem das Grundgesetz in Art. 1 ausgeht; es ist nicht das des isolierten und selbstherrlichen Individuums, sondern das der gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Person [...], die, von unverfügbarem Eigenwert, zu ihrer Entfaltung auf vielfältige zwischenmenschliche Bezüge angewiesen ist. Diese stellen sich zu einem wesentlichen Teil durch Vereinigungen her. Auch Art. 9 Abs. 1 GG ist also durch einen personalen Grundzug gekennzeichnet.“ 1322 Der vom Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gebrachte, enge Bezug der Vereinigungsfreiheit zur Menschenwürdegarantie, der sich auch für die Koalitionsfreiheit ermitteln lässt, und der daraus entstammende menschenrechtliche Gehalt des Prinzips der freien sozialen Gruppenbildung sprechen für eine exponierte Stellung im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System. Für diese Einschätzung spricht auch – von Art. 9 Abs. 2 GG und verfassungsunmittelbaren Einschränkungsmöglichkeiten einmal abgesehen – die vorbehaltslose Gewährleistung des Grundrechts auf Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit. 1319 1320 1321 1322
Vgl. auch J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 260. Vgl. allgemein zum Konstituierungsprozess auf der Prinzipienebene 4. Kapitel § 1 I. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd.I, 1999, Art.9 Abs. 3 Rn. 165. BVerfGE 50, 290 ff. (353 f.); vgl. auch BVerfGE 80, 244 ff. (252).
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2. Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit und sich daraus ergebende prinzipielle Gestaltungsanforderungen Von Art. 9 Abs. 1 GG geschützt, so stellte im Jahre 1956 E. R. Huber fest, seien „wirtschaftliche Vereinigungen aller Art“ bzw. das „wirtschaftliche Assoziationswesen im weitesten Sinn“. 1323 Diese Einschätzung konnte bis in die Gegenwart insoweit keine uneingeschränkte Zustimmung erfahren, als der für die Schutzeffektivität des Grundrechts wesentliche, wirtschaftlich relevante Trägerkreis weiterhin in Frage steht. 1324 Die geäußerten Vorbehalte sind teilweise unzutreffend, teilweise erweist sich die Einschätzung von Huber als zu euphorisch. Ersteres gilt, wenn Bedenken gegen die Stellung von Art. 9 Abs. 1 GG als „Doppelgrundrecht“ erhoben werden. Nach überwiegender Einschätzung (u. a. des Bundesverfassungsgerichts) sind von der Vereinigungsfreiheit als Prinzip und Individualrecht nicht nur die einzelnen privaten Wirtschaftssubjekte geschützt (individuelle Vereinigungsfreiheit). Schutzadressaten sind vielmehr auch die wirtschaftlichen Assoziationen selbst. Sie genießen Schutz in ihrem „Entstehen und Bestehen“ und zwar „unbeschadet der Frage ihrer Rechtsfähigkeit“ (kollektive Vereinigungsfreiheit). 1325 Gegen diese Ansicht wird vorgebracht, sie sei historisch nicht haltbar. 1326 Auch sei die Grundrechtsträgerschaft von Vereinigungen speziell und abschließend in Art. 19 Abs. 3 GG geregelt. 1327 Die „Doppel“-Konstruktion ließe sich nicht mit dieser Norm abstimmen; sie sei außerdem überflüssig und stünde nicht im Einklang mit dem personalen Wesen der Vereinigungsfreiheit. 1328 Letztlich greifen diese Einwände allesamt nicht. Historisch gesehen „war der Kampf um die Vereinsfreiheit stets zugleich ein Kampf gegen Vereinsverbote, zumal ein staatliches Vorgehen gegen Vereine auch die individuelle Vereinigungsfreiheit beeinträchtigt“. 1329 Auch kann der Rückgriff auf Art. 19 Abs. 3 GG die Konstruktion als Doppelgrundrecht nicht ersetzen. Der Schutz von Vereinsbestand und Vereinsbetätigung werden von Art. 19 Abs. 3 GG vorausgesetzt. 1330 Die Norm ge-
1323 E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV 1956, S. 97 ff., 135 ff., 172 ff. (139). 1324 Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 148 (Fn. 421). 1325 Vgl. BVerfGE 13, 174 ff. (175); vgl. auch BVerfGE 30, 227 ff. (241); E 50, 290 ff. (354); E 84, 372 ff. (378); D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 27 ff.; D. Murswiek, Grundfälle zur Vereinigungsfreiheit – Art. 9 I, II, in: JuS 1992, S. 116 ff. (118); vgl. zur Entwicklung der Diskussion auch T. Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 49 ff. 1326 Vgl. R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 47. 1327 Vgl. A.v. Mutius, Die Vereinigungsfreiheit gem. Art.9 Abs.1 GG, in: Jura 1984, S.193 ff. (197 f., 201); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 2003, Rn. 731; vgl. auch W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 26. 1328 Vgl. R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 47. 1329 D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 27.
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währleistet ihrerseits in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 GG nur das Recht zum Zusammenschluss mit anderen Vereinigungen und zur Bildung von Dachorganisationen. 1331 1330 1331 Unter dem Terminus „Vereinigung“ als Oberbegriff von Vereinen und Gesellschaften ist jeder Zusammenschluss von gewisser Dauer einzuordnen, zu dem sich eine Mehrheit von natürlichen oder juristischen Personen bzw. Personenvereinigungen zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammenfindet und sich einer organisatorischen Willensbildung unterwirft. 1332 Unerheblich ist dabei der von der Vereinigung verfolgte Zweck. 1333 Auch aus dieser Warte heraus kann somit keine Einschränkung des Trägerkreises erfolgen. Deshalb sind beispielsweise auch Erwerbsgesellschaften (Personen- und Kapitalgesellschaften) gleichermaßen prinzipiell geschützt, wie die wirtschaftlichen Dachverbände, denen es um die Wahrnehmung ihrer Mitgliederinteressen geht, sowie Unternehmenszusammenschlüsse und genehmigte wirtschaftliche Kartelle. 1334 Der Verweis auf die personalen Ursprünge des Grundrechts kann insbesondere nicht als Argument dafür dienen, Kapitalgesellschaften den Schutz der Vereinigungsfreiheit zu versagen. 1335 Es darf nicht übersehen werden, dass es auch bei Kapitalgesellschaften nicht ausschließlich um die Bündelung von Kapital geht. Hinter ihnen steht vielmehr auch ein personaler Zusammenschluss von Aktionären. 1336 Zudem gilt es zu bedenken, dass „unter den Bedingungen der heutigen Wirtschaft eine unternehmerische Betätigung in nennenswertem Umfang ohne die überindividuelle Kapitalsammlung in der gesellschaftsrechtlichen Organisation des Eigentums nicht möglich ist“. 1337 Die umfassend grundrechtlich abgesicherte gesellschaftsrechtliche Privatautonomie bildet vielmehr einen unverzichtbarer Faktor in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft. Von einer Überlastung des Art.9 Abs. 1 GG infolge einer Abkoppelung vom rein personalen Verständnis durch Einbeziehung von Kapitalgesellschaften kann deshalb im Rahmen einer systematisch-prinzipiellen Betrachtung nicht die Rede sein 1338; vielmehr von einer Effektivierung des Grundrechts-
1330 Wie hier D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 28; vgl. auch W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 15, der in Art. 19 Abs. 3 eine allgemeine Regelung sieht, die spezielleren Regelungen in Einzelgrundrechten nicht entgegensteht. 1331 Vgl. D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 28. 1332 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth GG-Komm., 2004, Art. 9 Rn. 3. 1333 Vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 1 Rn. 75. 1334 Vgl. D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 39. 1335 Kritisch beispielsweise A. Rinken, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 1 Rn. 48. Bedenken an einer Einbeziehung von Kapitalgesellschaften in den Grundrechtsschutz hat auch das BVerfG formuliert, die Frage jedoch letztlich offen gelassen; vgl. hierzu BVerfGE 50, 290 ff. (355 f.); vgl. auch R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 47; vgl. zur selben Problematik im Rahmen des Art.12 GG auch 4. Kapitel § 2 I. 3 und 4. Kapitel § 2 I. 6. a). 1336 Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht II, Grundrechte, 2003, Rn. 550. 1337 P. Badura, Staatsrecht, 2003, S. 227 f. 1338 So aber J. Rübenach, „Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit“ und Vereinigungsfreiheit, 1984, S. 92 ff. und 145 ff.
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schutzes. 1339 Den geäußerten Bedenken kann aber insofern Rechnung getragen werden, als in den Fällen, in denen das personale Element weithin zurücktritt, im Rahmen der systemexternen Abwägung der Gewichtung des Prinzips „Vereinigungsfreiheit“ ein geringeres und dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum ein größeres Gewicht eingeräumt wird. 1340 Probleme in Bezug auf die Schutzeffektivität von Art. 9 Abs. 1 GG ergeben sich jedoch in anderer Hinsicht. So ist die Vereinigungsfreiheit gleichermaßen wie die Berufsfreiheit als so genanntes Deutschengrundrecht ausgestaltet. Bei international gemischten wirtschaftlichen Vereinigungen, an denen nicht nur Deutsche i.S.d. Art.116 GG beteiligt sind, ergeben sich daraus besondere Probleme. 1341 Der umissverständliche Wortlaut bildet hier die Richtschnur für die Problemlösung: Im Rahmen der Bildung einer derart gemischten Vereinigung können sich nur Deutsche, nicht jedoch Ausländer auf Art. 9 Abs. 1 GG stützen. Ist die Vereinigung erst konstituiert, so kommt es für die Bejahung des Grundrechtsschutzes entscheidend darauf an, ob die Vereinigung maßgeblich von Ausländern oder Deutschen kontrolliert wird. 1342 International verflochtenen Gesellschaften ist im erstgenannten Falle der Schutz der Vereinigungsfreiheit ab-, im letztgenannten Falle zuzusprechen. 1343 Wie schon bei Art. 12 Abs. 1 GG bedarf es, was die Grundrechtsträgerschaft betrifft, auch mit Blick auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben keiner vom Wortlaut abweichenden Korrektur. 1344 Art. 2 Abs. 1 GG nimmt insofern seine Auffangfunktion wahr. 1345 Das Prinzip „Vereinigungsfreiheit“ gewährleistet zum einen die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, bestehenden Vereinigungen beizutreten, in diesen zu verbleiben und sich innerhalb der Assoziation vereinsmäßig zu betätigen (positive Vereinigungsfreiheit). Gewährleistet wird weiterhin das prima-facie-Recht, keinen Zusammenschluss zu betreiben, einem bestehenden Zusammenschluss fernzubleiben oder aus ihm auszutreten bzw. ihn aufzulösen (negative Vereinigungsfreiheit). 1346 Kritisch W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 25. Vgl. auch R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 47. 1341 Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 148, insbes. Fn. 421. 1342 I. v. Münch, in: BK z. GG, Bd. II, Art. 9 Rn. 4; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 50. 1343 Darüber hinaus wird gefordert, dass die Vereinigung wegen Art. 19 Abs. 3 GG ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben muss (vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GGKomm., 2004, Art. 9 Rn. 11). Diese Einschätzung erscheint m. E. insoweit nicht zwingend als man die Statuierung des Kollektivschutzes schon in Art. 9 Abs. 1 GG selbst verankert sieht und Art. 19 Abs. 3 GG allenfalls eine schutzverstärkende Wirkung im dargelegten Sinne zubilligt. Gleiches gilt, wenn man Art. 9 Abs. 1 GG im Verhältnis zu Art. 19 Abs. 3 GG als eine lex specialis Regelung begreift. M. E. widersprüchlich W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 13, 15 (vgl. hierzu auch Fn. 1330). 1344 Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 2 I. 3. 1345 Vgl. H. Bauer/W. Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschen-Grundrechten?, in: JZ 1995, S. 1077 ff. 1346 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 9 Rn. 7. 1339 1340
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Weithin umstritten ist allerdings, ob Art. 9 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der negativen Vereinigungsfreiheit Schutz gegen den Zwangszusammenschluss in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen bietet. 1347 Teilweise wird dies im Schrifttum bejaht. 1348 Danach stelle zwar der „öffentlich-rechtliche Zwangszusammenschluß keine freie (private) Vereinigung im Sinne des Art. 9 GG“ dar. Er beinhalte aber die „wohl stärkste Form des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit“, denn diese würde „damit schon als solche negiert“; „ihr Tatbestand“ würde „schon durch die staatliche Organisationsgewalt selbst ausgeschaltet“. 1349 Demgegenüber verneint die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum die Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit von Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen. Sie zieht vielmehr Art. 2 Abs. 1 GG heran. 1350 Für diese Handhabung sprechen in der Tat gute Gründe. Bereits die Entstehungsgeschichte des Art. 9 GG deutet in diese Richtung. Der vom Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen vorgelegte Bericht, der sich auf den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee im August 1948 bezieht, liefert insofern ein unmissverständliches Indiz. Obwohl die Problematik, angesichts bereits bestehender öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, bereits zum damaligen Zeitpunkt relevant war, wurde die Aufnahme des Passus: „niemand solle gezwungen werden dürfen, sich einer Vereinigung anzuschließen“, in den angestrebten Grundgesetzentwurf ausdrücklich abgelehnt. Als Begründung diente der Hinweis „auf die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, auch künftig Angehörige bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Organisationen verpflichtend zusammenzufassen“. 1351 Neben diesen historischen Bezügen sprechen auch axiologisch-teleologische Erwägungen gegen die Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 GG: Die freiwillige private Initiative in Anlehnung an das „Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“ bildet den maßgeblichen Aspekt für den Grundrechtsschutz von Zusammenschlüssen durch das Prinzip „Vereinigungsfreiheit“. 1352 Staatlicher1347 Vgl. hierzu H. Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 23 ff. 1348 Vgl. z. B. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 413 f.; A. v. Mutius, Grundrechtsschutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangszusammenschlüssen, VerwArch. 64 (1973), S. 81 ff. (82 ff.); ders., Die Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG, in: Jura 1984, S. 193 ff. (196 f.); K. Rode, Negative Vereinigungsfreiheit und Zwangsmitgliedschaft in öffentlichen Körperschaften, in: DÖV 1976, S. 841 ff. (844 ff.); R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 149 f.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 272 f.; ders., Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 100 (1975), S. 80 ff. u. 265 ff. (124 f.); ders., in: Maunz/Dürig, GG.-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 90. 1349 R. Scholz, Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 100 (1975), S. 80 ff. u. 265 ff. (124 f.). 1350 Vgl. BVerfG, NVwZ 2002, S. 335 ff. (336); vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 325 ff. 1351 Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1948, S. 22. 1352 Entsprechend sieht das BVerfG durch Art. 9 Abs. 1 GG die Freiheit des Einzelnen gewährleistet, „sich aus privater Initiative mit anderen zu Vereinigungen irgendwelcher Art zu-
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seits angeordnete Zwangszusammenschlüsse, denen dieses Merkmal gänzlich fehlt, fallen erst gar nicht unter den Vereinigungsbegriff. 1353 Die positive Vereinigungsfreiheit gewährleistet somit weder die Befugnis zur Gründung von öffentlich-rechtlichen Verbänden, noch kann umgekehrt die negative Vereinigungsfreiheit die Eingliederung in öffentlich-rechtliche Zwangsverbände verhindern. 1354, 1355 Effektiven Grundrechtsschutz mit Blick auf das Wirtschaftsleben bietet – abgesehen von den genannten Einschränkungen – neben der individuellen vor allem die kollektive Vereinigungsfreiheit. Insofern schützt das Grundrecht, wie erwähnt, nicht nur das Entstehen, sondern gleichermaßen auch das Bestehen der Vereinigung. Der Bestandsschutz macht wiederum jedoch nur dann Sinn, wenn er in einem gewissen Maß mit einem Betätigungsschutz einhergeht. Aus diesem Grund bildet den prinzipiell geschützten Inhalt des Grundrechts die „Gründungs-, Typenwahl-, Satzungs-, Willensbildungs-, und Auflösungs- bzw. Änderungsautonomie“. 1356 Prinzipiellen Schutz genießen im Einzelnen die Freiheiten zur Selbstbestimmung über die eigene Organisation, zur Ausgestaltung von Verfahren und Inhalt der Willensbildung und zur Geschäftsführung. 1357 Gerade mit Blick auf die garantierte Willensbildungsautonomie eines Unternehmensverbandes oder der gleichermaßen geschützten Trägergesellschaft ergeben sich besondere Anforderungen an die Mitbestimmungsgesetzgebung. 1358 Die prima-facie-Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit als Prinzip bringt sammenzufinden, sie zu gründen, aber auch ihnen fernzubleiben und aus ihnen wieder auszutreten“ (BVerfGE 38, 281 ff. (298) (Hervorhebung durch Verfasser)). 1353 Vgl. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 20. 1354 Vgl. H. Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 24 f. m. w. N. 1355 Denkbar erscheint allerdings ein mittelbarer Eingriff in die positive Vereinigungsfreiheit in den Fällen, in denen als unbeabsichtigte Folge der gesetzlichen Statuierung einer Zwangseingliederung in einen öffentlich-rechtlichen Verband die Gründung und Betätigung privater Vereinigungen beeinträchtigt wird. Maßgeblich kommt es hier auf die tatsächlichen Auswirkungen des staatlichen Handelns an. Nicht jede Beeinträchtigung entfaltet Eingriffswirkung. Staatlicherseits ist insofern eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigungsintensität zu fordern. Vgl. zu diesem Problemfeld H. Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 26 ff. 1356 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 63; vgl. auch ders., Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, in: VVDStRL Bd. 35, (1977), S. 55 ff. (87 ff.). 1357 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (354). 1358 Dies gilt freilich nur, wenn die Träger der Mitbestimmung, wie bislang, „in einem externen, vertraglichen Austausch-, d.h. Arbeitsvertragsverhältnis zum Unternehmensträger verbleiben, also gerade nicht in den Unternehmensträgerverband inkorporiert“ und zu ‚socii‘ eines Unternehmensverbandes oder einer Trägergesellschaft werden“ (H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 67); vgl. zu den Anforderungen an die Mitbestimmungsgesetzgebung auch P. Badura, F. Rittner, B. Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz (Gemeinschaftsgutachten), 1977, S. 195 f., 215 ff. Von der unternehmensbezogenen Mitbestimmung im Wege der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Auswahl und Kontrolle der Unternehmensleitung ist die so genannte betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung in Form einer arbeitsrechtlichen Mitbestimmung mittels Beteiligung von Betriebsräten zu unterscheiden. Die
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dabei mehr zum Ausdruck als das Verbot einer Aufhebung der mitgliedschaftlichen Struktur der betroffenen Unternehmen bzw. einer vollständigen Fremdbestimmung. 1359 Als auf die Abwehrkomponente des Grundrechtes hin optimiert, ist eine gesetzliche Regelung nur dann einzustufen, wenn sie soweit wie möglich, d.h. bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten hin Beeinträchtigungen der (internen) Willensbildungsautonomie vermeidet bzw. die Effektivität der Strukturen der Entscheidungsfindung des Unternehmens wahrt. So reicht die Statuierung von theoretisch funktionierenden Konfliktlösungsmechanismen zur Wahrung der verbandsinternen Selbstbestimmung per se nicht aus. Solche Regelungen müssen sich vielmehr auch als „alltagstauglich“ erweisen, um den materialen verfassungsrechtlichen Anforderungen standzuhalten. Das Verfahren der verbandsinternen Willensbildung darf beispielsweise durch die Mitbestimmungsregeln nicht blockiert oder nachhaltig erschwert bzw. verzögert werden. Gleichzeitig darf durch sie auch keine Lähmung der unternehmensinternen Entscheidungsfindung erfolgen. 1360 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob aus dem „Doppelgrundrecht“ zugunsten der Vereinigung, neben dem Schutz der internen Vereinstätigkeit, auch ein gewisser Schutz der externen Vereinstätigkeit abgeleitet werden kann. 1361 Freilich kann nicht jede externe Tätigkeit den Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG genießen. Eine Erwerbsgesellschaft würde ansonsten nur den Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG unterliegen, während hingegen der einzelne erwerbswirtschaftlich Tätige mit Blick auf Berufsausübungsregeln der Schranke des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG unterfiele. 1362 Dieses Ergebnis stünde wiederum nicht im Einklang mit der Akzessorietät des Kollektivrechts, wonach dieses nicht weiter reichen kann als das verbürgte Individualrecht. 1363 Zutreffenderweise entscheidet letztlich das axiologische Gewicht der in Frage stehenden freiheitlichen Verhaltensweise. Das hat das Bundesverfassungsgericht trotz ansonsten verbleibender Unsicherheiten deutlich zum Ausdruck gebracht: Art. 9 Abs. 1 GG schütze jedenfalls „vor einem Eingriff in den Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit“. 1364 Garantierter Kernbereich der exStruktur der Betriebsverfassung und die damit zusammenhängenden Mitbestimmungsstrukturen sind im Rahmen des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.07.2001 (BGBl. I S. 1852 ff.) im Wesentlichen beibehalten worden (vgl. hierzu R. Richardi, Komm. zum Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 2002, Einleitung Rn. 4, 37 f.). 1359 Vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 3 Rn. 71. 1360 Dies bringt auch das BVerfG zum Ausdruck, wenn es den Gesetzgeber „bei einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Unternehmen“ letztlich „zu einer Korrektur verpflichtet“ sieht (BVerfGE 50, 290 ff. (331 ff., 352, 357)). 1361 Vgl. zur Problemstellung: P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, 1972, S. 18 ff.; ablehnend bspw. N. Nolte/M. Planker, Vereinigungsfreiheit und Vereinsbetätigung, in: Jura 1993, S. 635 ff. (639). 1362 Vgl. D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 50. 1363 Vgl. D. Merten, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 144 Rn. 50. 1364 BVerfGE 30, 227 ff. (241); vgl. auch BVerfGE 80, 244 ff. (253); deutlich restriktiver allerdings BVerfGE 70, 1 ff. (25). 17 Meyer
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ternen Vereinstätigkeit ist der „vereinssichernde Außenkontakt“, der freiheitliche Verhaltensweisen wie die Geschäftsführung, Mitgliederwerbung und Selbstdarstellung umfasst. Hiervon ist das „vereinszweckrealisierende Außenwirken“ zu unterscheiden, das keinen privilegierten Grundrechtsschutz genießt. Es hat „keinen spezifischen Bezug zur vereinsmäßigen Struktur und kann auch von Einzelpersonen wahrgenommen werden“. 1365 Die Vereinigungsfreiheit in ihrer Ausprägung als Abwehrprinzip gebietet einerseits größtmöglichste Staatsferne im Hinblick auf die Freiheit der Grundrechtsträger zur Assoziation. 1366 Das sich hieraus ableitende prima-facie-Recht räumt dementsprechend den Grundrechtsträgern das Recht ein, „sich ohne präventive oder repressive staatliche Einflussnahme zu beliebigen Zwecken zusammenzuschließen“. 1367 Wie bei den bereits erläuterten Wirtschaftsgrundrechten erschöpft sich jedoch die grundrechtsdimensionelle Wirkweise darin nicht. Das Prinzip „Vereinigungsfreiheit“ und das ihm im Wesentlichen zugrunde liegende Prinzip freier sozialer Gruppenbildung entfaltet darüber hinaus normative Direktivkraft. Dies gilt beispielsweise für den Aspekt der mittelbaren Drittwirkung im Zivilrecht. 1368 Bei der Anwendung wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe sind daher die Wertentscheidungen, die Art. 9 Abs. 1 GG auf der Prinzipienebene zugrunde liegen, zu berücksichtigen. 1369 Besondere Bedeutung nimmt daneben die organisationsrechtliche Dimension der Vereinigungsfreiheit ein. Vergleichbar der Unterscheidung zwischen Inhaltsbestimmung und Schrankenziehung beim Eigentum, ist die faktisch notwendige und auch grundrechtlich gebotene gesetzgeberische Ausgestaltung im Rahmen der Vereinigungsfreiheit strikt von der rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtsbeeinträchtigung zu trennen. 1370 Unter gleichwohl enger Anbindung an die Vorgaben der Prinzipienebene geht es im Rahmen der prinzipiell gebotenen Grundrechtsausgestaltung ausschließlich darum, den rechtlichen Rahmen für die verbürgte, effektive Freiheitswahrnehmung bzw. -realisierung zu schaffen bzw. den Bestehenden zu optimieren. Grundrechtlich geforderte, typisierende gesetzliche Regelungen sollen somit zu einer Erweiterung und nicht zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums der Schutzadressaten führen. 1371 Die Unterscheidung zwischen Ausgestaltung im Sinne einer gesetzgeberischen Optimierung des grundrechtlichen Freiheitsgehalts einerseits und der Grundrechts1365 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art.9 Rn.19 f. (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1366 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 1 II. 1. 1367 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 27. 1368 Vgl. H. Bauer, in: H. Dreier GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 9 Rn. 88 f. 1369 Vgl. P. J. Tettinger, Grundlinien der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, in: Jura 1981, S. 1 ff. (1 f.). 1370 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1371 Vorsichtiger M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 1 Rn. 44 unter Hinweis auf Rn. 37 u. 226.
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beeinträchtigung zum Zwecke der Wahrung gegenläufiger Interessen andererseits nimmt das Bundesverfassungsgericht bei der Vereinigungsfreiheit jedoch nicht vor. Der Begriff „Ausgestaltung“ dient hier vielmehr als Oberbegriff für beide Varianten eines gesetzgeberischen Tätigwerdens. Zur Ausgestaltungsbedürftigkeit der Vereinigungsfreiheit hält das Bundesverfassungsgericht im Mitbestimmungsurteil fest: „Vereinigungsfreiheit ist in mehr oder minder großem Umfang auf Regelungen angewiesen, welche die freien Zusammenschlüsse und ihr Leben in die allgemeine Rechtsordnung einfügen, die Sicherheit des Rechtsverkehrs gewährleisten, Rechte der Mitglieder sichern und den schutzbedürftigen Belangen Dritter oder auch öffentlichen Interessen Rechnung tragen. Demgemäß ist mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Vereinigungsfreiheit seit jeher die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung dieser Freiheit verbunden, ohne die sie praktische Wirksamkeit nicht gewinnen könnte. Diese Notwendigkeit gehört von vornherein zum Inhalt des Art. 9 Abs. 1 GG, der sich unter dem hier wesentlichen Aspekt nur bestimmen läßt, indem die Bindungen geklärt werden, denen der ausgestaltende Gesetzgeber unterliegt. Dieser ist durch Art. 9 Abs. 1 GG nicht an die überkommenen Rechtsformen und Normenkomplexe des Vereins- und Gesellschaftsrechts gebunden. Aus der Notwendigkeit einer Ausgestaltung kann nicht folgen, daß eine bestimmte bestehende Ausgestaltung Verfassungsrang erhielte. Auf der anderen Seite darf der Gesetzgeber die Ausgestaltung nicht nach seinem Belieben vornehmen. Diese hat sich vielmehr an dem Schutzgut des Art. 9 Abs. 1 GG zu orientieren; sie muß auf einen Ausgleich gerichtet sein, der geeignet ist, freie Assoziation und Selbstbestimmung der Vereinigungen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit eines geordneten Vereinslebens und der schutzbedürftigen sonstigen Belange zu ermöglichen und zu erhalten. Der Gesetzgeber hat daher eine hinreichende Vielfalt von Rechtsformen zur Verfügung zu stellen, die den verschiedenen Typen von Vereinigungen angemessen und deren Wahl deshalb zumutbar ist. Er hat die Grundlagen für das Leben in diesen Rechtsformen so zu gestalten, daß seine Regelung die Funktionsfähigkeit der Vereinigungen, im besonderen ihrer Organe gewährleistet.“ In „jedem Fall“, so die Quintessenz der verfassungsgerichtlichen Ausführungen schließlich, muss „das Prinzip freier Assoziation und Selbstbestimmung grundsätzlich gewahrt bleiben“. 1372 3. Inhalte der Koalitionsfreiheit als Prinzip und wirtschaftsverfassungsrechtliche Gestaltungsanforderungen a) Koalitionsfreiheit: Verortung zwischen der Wirtschaftsund Arbeitsverfassung des GG Der Formulierung des Art. 159 Satz 1 WRV nahezu vollständig entsprechend statuiert Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG für jedermann und für alle Berufe das prima-facie1372
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BVerfGE 50, 290 ff. (354 f.).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen (Koalitionen) zu bilden. 1373 Der Grundrechtstatbestand der Koalitionsfreiheit beinhaltet sämtliche Elemente von Art. 9 Abs. 1 GG und darüber hinaus die Festlegung auf einen spezifischen Vereinigungszweck („Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedinungen“), die Drittwirkungsklauseln in Abs. 3 Satz 2, die Notstandsklausel in Abs. 3 Satz 3 sowie die Ausdehnung der Freiheit auf „jedermann“. 1374 Gleichermaßen wie die allgemeine Vereinigungsfreiheit fungiert Art. 9 Abs. 3 GG als so genanntes „Doppelgrundrecht“. 1375 Der Schutz erstreckt sich zum einen auf die individuelle Koalitionsfreiheit, d. h. die Freiheit des Einzelnen Koalitionen zu bilden und sich in ihnen zu betätigen.1376 Darüber hinaus ist die Koalition ihrerseits durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt (kollektive Koalitionsfreiheit). 1377 „Die individualrechtliche Gewährleistung“, so erklärt das Bundesverfassungsgericht zutreffend, setze sich „in einem Freiheitsrecht der Koalitionen selbst fort“. 1378 Von der Koalitionsfreiheit gewährleistet wird „die Koalition selber in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer Betätigung“.1379 Die Einordnung der „Koalitionsfreiheit“ als Prinzip und prima-facie- Recht in das System der Wirtschaftsverfassung des GG orientiert sich maßgeblich an der ihr zugrunde liegenden werthaften Idee. Besondere Beachtung verdienen dabei die historischen Bezüge. 1380 Die Koalitionsfreiheit „gehört nicht zu den ‚klassischen‘ Grundrechten“. Sie ist vielmehr „erst unter den Bedingungen moderner Industriearbeit entstanden, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt haben“. 1381 Ideengeschichtlich 1373 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (367); vgl. auch F. J. Säcker/H. Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992, S. 59 ff. 1374 Vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 1 Rn. 165. 1375 Vgl. hierzu die st. Rspr. des BVerfG: BVerfGE 19, 303 ff. (312); E 28, 295 ff. (304); E 50, 290 ff. (367); E55, 7 ff. (21); E57, 220 ff. (245); E88, 103 ff. (114); E92, 26 ff. (38); E92, 365 ff. (393); E 94, 268 ff. (282); zur h. M. in der Literatur vgl. bspw. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 57; H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (422); P. J. Tettinger, Grundlinien der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, in: Jura 1981, S. 1 ff. (2 f.); W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1965, S. 14; vgl. auch 4. Kapitel § 2 III. 2. 1376 Vgl. BVerfGE 19, 303 ff. (312); E 28, 295 ff. (304); E 50, 290 ff. (367). 1377 Vgl. S. Reinemann, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Koalitionsfreiheit – Widerspruch zum klassischen Grundrechtsverständnis oder richtungsweisende Trendwende?, in: JA 1995, S. 811 ff. (812); kritisch zum Konstrukt der kollektiven Koalitionsfreiheit nach der h. M.: M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 1 Rn. 221 ff. 1378 BVerfGE 94, 268 ff. (282); vgl. hierzu auch H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (422). 1379 BVerfGE 84, 212 ff. (224). 1380 Std. Rspr. des BVerfG, vgl. z.B. BVerfGE 4, 96 ff. (101 f., 106, 107 f.); E 18, 18 ff. (28 f.); E 19, 303 ff. (314); E 38, 386 ff. (394); E 44, 322 ff. (347 f.); E 50, 290 ff. (367); vgl. auch F. Farthmann/M. Coen, in: HVerfR, 1994, § 19 Rn. 10. 1381 BVerfGE 50, 290 ff. (366 f.).
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verfolgte sie stets das Ziel, eine Unterdrückung der Gewerkschaften staatlicherseits, vergleichbar der im 19. Jh., zu verhindern und Arbeitnehmerinteressen zur Vermeidung sozialer Benachteiligungen verfassungsrechtlich zu stärken. 1382 Diese historische Tradition wirkt fort. Ihr folgend bildet die Koalitionsfreiheit in der nationalen Verfassungsordnung der Gegenwart eine „gesellschaftspolitische Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips“. Sie fühlt sich mithin dem abhängigen Arbeitnehmer und seiner Interessenwahrung mittels assoziativer Selbsthilfe in besonderem Maße verpflichtet. 1383 Jedoch erscheint das Unterfangen, die Koalitionsfreiheit in Anlehnung an die historischen Ursprünge primär als Arbeitnehmer-Schutzrecht zu deuten, als zu undifferenziert. 1384 Neben der Stellung als „soziales Schutzrecht“ ist sie zugleich auch dem „liberalen Formprinzip verpflichtet“. 1385 „Das heutige Koalitionsrecht“, so stellt R. Scholz zutreffend fest, ist über den „entstehungsgeschichtlichen Ansatz [...] längst hinausgeschritten und hat gerade das Gegen- wie Zusammenspiel von organisierter Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeberschaft als solches zum grundrechtlich gleichberechtigten und damit ordnungspolitisch gegen- wie wechselseitigen Gewährleistungstatbestand erhoben“. 1386 Letztlich geht es vor allem darum, den sich frei konstituierenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden einen von staatlicher Rechtsetzung frei bleibenden Raum zu gewährleisten, damit diese letztlich das Arbeitsleben selbstständig und sinnvoll zu ordnen vermögen. 1387 Die Koalitionsfreiheit reiht sich damit in die Kette der bislang analysierten liberalen Wirtschaftsgrundrechte ein. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG fungiert insofern als Ausprägung des Prinzips der gesellschaftlichen Selbstorganisation an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. 1388 Was die axiologischen Ursprünge bzw. den Sinngehalt betrifft, so zeigen sich Parallelen, aber auch Unterschiede zu den anderen wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechten. Die Koalitionsfreiheit spiegelt zwar gleichermaßen das Vertrauen des Grundgesetzes gegenüber den privatautonomen Ordnungskräften der Gesellschaft, d. h. in ihre Fähigkeit zur „Selbstorganisation“, zur „freiheitlich-pluralistischen Interessensartikulation und deren offene Austragung von Interessensgegensätzen in freiheitlicher Dezentralisation“ wieder. 1389 Im Gegensatz zur Berufs- und Eigentumsfreiheit weist die Koalitionsfreiheit jedoch 1382 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 9 Rn. 22; M. Kittner/ D. Schiek, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 3 Rn. 2. 1383 So R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 26; ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 155. 1384 So aber beispielsweise W. Däubler/H. Hege, Koalitionsfreiheit, 1976, Rn. 79 f.; M. Kittner/D. Schiek, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 3 Rn. 80, 82. 1385 R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 26. 1386 R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 11. 1387 Vgl. bspw. BVerfGE 44, 322 ff. (340 f.); E 50, 290 ff. (367); E 64, 208 ff. (215); vgl. auch W. Höfling, in: FS für K. H. Friauf, 1996, S. 377 ff. (378). 1388 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 III. 1. 1389 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 165.
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noch stärkere soziale Schutztendenzen auf. 1390 Geht es bei den erstgenannten Grundrechten hinsichtlich der gemeinwohlorientierten (Sozial-)Gestaltung darum, auf die Schöpfungskraft des größtmöglichen gesellschaftlichen Partikularismus zu vertrauen, d. h. die Sozialgestaltung in erster Linie der kleinsten gesellschaftlichen Einheit also der Souveränität des Individuums zu überantworten, so spielt bei den Grundrechten des Art. 9 GG von vornherein der Faktor „Gruppenverantwortung“ die maßgebliche Rolle. b) Der verfassungsrechtliche Koalitionsbegriff als Schlüssel zur Reichweitenbestimmung der prima-facie-Gewährleistung (1) Basiselemente des Koalitionsbegriffs Koalitionen im verfassungsrechtlichen Sinne genügen zum einen vollständig den Begriffselementen des Vereinigungsbegriffs (Art. 9 Abs. 1 GG). Hierzu gehört die freiwillige und private Bildung der Koalition als Vereinigung. Sie müssen zudem „ein gewisses Maß an zeitlicher oder organisatorischer Stabilität“ aufweisen. 1391 Hinzu tritt die Forderung nach dem Gegnerfrei-Organisiert-Sein: 1392 Dem jeweiligen Verband dürfen entweder nur Arbeitnehmer oder nur Arbeitgeber angehören. Fehlt es an der „Reinheit des Verbandes“, so kann der verfassungsrechtlichen Zwecksetzung – Schaffung einer annähernden Parität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden – nicht entsprochen werden. 1393 Gleiches gilt, wenn es an der Gegnerunabhängigkeit der Verbände fehlt, z. B. weil Verbände in wirtschaftliche Abhängigkeit zueinander geraten. 1394 Hieran anknüpfend wird verschiedentlich die Überbetrieblichkeit der Vereinigung als ein begriffskonstituierendes Merkmal der Koalition gefordert. 1395 Diese Einschätzung erweist sich als unzutreffend, denn weder liefert dieses Kriterium eine Garantie für die Gegnerfreiheit bzw. -unabhängigkeit des in Frage stehenden Verbandes, noch kann umgekehrt allein aus dem Umstand, dass ein Zusammenschluss auf rein betrieblicher Ebene erfolgt, diesem bereits die Gegnerfreiheit bzw. -unabhängigkeit abgesprochen werden. Für den ersten Teil dieser These sprechen die zahlreich verbleibenden Möglichkeiten der (wirtschaftlichen) Einflussnahme; für den zweiten Teil indes der Umstand, dass die Koalitionseigenschaft von Gewerk1390 Zu den „sozialen Schutztendenzen“ der Berufs- und Eigentumsfreiheit vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1, 4. Kapitel § 2 I. 2, 4. Kapitel § 2 II. 2, 4. Kapitel § 2 II. 3 und 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1391 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 53; H. D. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 9 Rn. 23 f. 1392 Vgl. z. B. BVerfGE 18, 18 ff. (28); E 50, 290 ff. (373 ff.); E 58, 233 ff. (247); E 100, 214 ff. (223). 1393 P. Hanau/K. Adomeit, Arbeitsrecht, 2000, Rn. 149. 1394 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (368, 373); E 58, 233 ff. (247); vgl. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 74. 1395 Vgl. BVerfGE 4, 96 ff. (106 f.); E 18, 18 ff. (28); E 50, 290 ff. (368); E 58, 233 ff. (247).
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schaften, die ihr Tätigkeitsfeld auf monopolartige Betriebe beschränken (Gewerkschaften im Bereich von Bahn und Post AG) letztlich nie in Frage gestellt worden ist. 1396 Ansonsten liefert weder der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG, noch die systematische Stellung der Norm oder irgendein anderer verfassungsrechtlicher Aspekt Anhaltspunkte dafür, dass die „Überbetrieblichkeit“ ein konstituierendes Merkmal einer Koalition ist. Indes drängt sich der Verdacht auf, dass das Festhalten hieran ideologisch motiviert ist. So weist H. Sodan zutreffend darauf hin, dass der „gängige Koaltionsbegriff [...] insbesondere der verfassungsrechtlichen Privilegierung mächtiger Gewerkschaften“ dient. Der Grund hierfür, so Sodan, sei in der historisch begründeten „These von der angeblich nur verbandsmächtig herzustellenden Parität der Tarifparteien“ auszumachen, die, mit Blick auf Art.9 Abs. 3 GG, in verfassungsrechtlich unhaltbarer Weise von einem Selbstdefinitions(grund)recht der Tarifparteien ausgeht und „auf der vom Grundgesetz nicht geteilten Ideologie des Klassenkampfs beruht“. 1397 Tatsächlich sollte auch die Forderung nach sozialer Mächtigkeit der Zusammenschlüsse nicht überstrapaziert werden. Ohnehin kann sie als konstitutives Element nur gegenüber Verbänden der Arbeitnehmerseite eingefordert werden.1398 Das Bundesverfassungsgericht hat die der Verfassungsbestimmung des Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde liegenden Wertungen insofern zutreffend nachvollzogen und klargestellt, in welchem Rahmen das Kriterium Sinn macht: „Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler zur Teilnahme an einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens kann nicht bedeuten, daß die Arbeitnehmer-Koalition die Chance des vollständigen Sieges haben muß. Es muß nur erwartet werden, daß sie vom Gegner überhaupt ernstgenommen wird, so daß die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat der einen Seite entspringt, sondern ausgehandelt wird, wobei dann die unterschiedliche Stärke ins Gewicht fällt. Ob eine solche Durchsetzungsfähigkeit angenommen werden kann, muß bei jeder Koalition nach ihrer konkreten Situation im Einzelfall beurteilt werden.“ 1399 Offenbar liegt dem Festhalten an der „Überbetrieblichkeit“ sowie den überspannten Erwartungen gegenüber der Verbandsmacht die fehlgehende Vorstellung zugrunde, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit Gewerkschaftsverbände gegen neuartige Konkurrenz schützen möchte. 1400 Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind Gewerkschaften indes nicht Selbstzweck. Primär geht es darum, den Ausgleich von 1396 Vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 3 Rn. 182. 1397 H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (428 f. m. w. N.). 1398 Vgl. BAGE 66, 258 ff. (263 f.); BVerfGE 20, 312 ff. (318); E 58, 233 ff. (256); vgl. auch W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 76. 1399 BVerfGE 58, 233 ff. (249); das Kriterium „Verbandsmacht“ relativierend auch BVerfG/K, NJW 1995, 3377 f. (3377). 1400 Vgl. W. Grunsky, Anmerkung zu BAG-Beschluss v. 15.03.1977 – 1 ABR 16/75, in: JZ 1977, S. 473 f. (473).
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Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu optimieren. Ein Arbeitnehmerzusammenschluss – auch auf rein betrieblicher Ebene –, der bezogen auf die jeweilige konkrete Situation über ein Mindestmaß an Chancen verfügt, die Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, erfüllt bereits die verfassungsrechtlichen Anforderungen. 1401 (2) Der Koalitionszweck als Grenze der Tarifautonomie Anders als bei Art. 9 Abs. 1 GG wird der verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionsfreiheit nur im Rahmen einer spezifischen Vereinigungszwecksetzung („Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“) gewährt. 1402 Diese Koalitionszweckbestimmung nimmt eine Schlüsselstellung ein, wenn es darum geht, die Koalitionsfreiheit als Prinzip und prima-facie- Recht zu explizieren. Nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, eine Konturierung des prinzipiell gewährleisteten Freiheitsfeldes vorzunehmen, denn der Koalitionszweck beschreibt die Reichweite der Koalitionsfreiheit, indem er einerseits den Garantiebereich des Art. 9 Abs. 3 GG positiv umschreibt, zugleich jedoch auch die Grenze der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gestaltungsmöglichkeiten der Koalitionen aufzeigt. 1403 Am Beispiel der Tarifautonomie werden diese Zusammenhänge besonders deutlich. Sie beinhaltet die verfassungsrechtliche Gewährleistung, dass die Koalitionen auf vertraglicher Basis die Löhne und Gehälter für verschiedene Wirtschaftszweige und Berufe in räumlich umgrenzten Bezirken und für jeweils bestimmte Zeitspannen festlegen können. 1404 Diese Befugnis zur tarifvertraglichen Regelungsmacht wird den Koalitionen einerseits über die spezifische Zweckbestimmung als prinzipielle Verfassungsvorgabe vermittelt, zugleich wird diese Befugnis jedoch augenblicklich umgrenzt. 1405 Vermittelt insofern, als dass das „Instrument der Vertragsfreiheit auf kollektiver Ebene“ gerade zur Erfüllung der verfassungsrechtlich statuierten Verpflichtung prädestiniert erscheint. 1406 Nicht umsonst kann, was die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ durch tarifvertragliche Regelung betrifft, auf eine lange historische Tradition zurückgeblickt werden. 1407 Das Bundesverfassungsgericht hält hierzu fest: „Die historische Entwicklung hat dazu 1401 Aus den genannten Gründen ist auch die so genannte „Kampfbereitschaft“ als begriffskonstituierendes Merkmal der Koalition abzulehnen (vgl. BVerfGE 18, 18 ff. (32 f.). 1402 Vgl. J-H. Park, Verfassungs-, zivil- und arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitgeberverbände, 1997, S.27; G. Schwerdtfeger, Individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit, 1981, S.3. 1403 Vgl. R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 93 ff. 1404 Vgl. BVerfGE 4, 96 ff. (106); E 18, 18 ff. (28); E 44, 322 ff. (341); E 58, 233 ff. (248 f.); E 84, 212 ff. (224 f.); E 92, 26 ff. (38); E 94, 268 ff. (283); E 100, 271 ff. (282). 1405 Vgl. T. Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, 1999, S. 157 ff.; F. J. Säcker/H. Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992, S. 33 ff. 1406 M. Kittner/D. Schiek, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 3 Rn. 130 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original); vgl. auch H. Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, in: Die Tarifautonomie auf dem Prüfstand, 1996, S. 25 ff. (29). 1407 Vgl. zur Historie der Tarifautonomie T. Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, 1999, S. 61 ff.; P. Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, 1990, S. 93 ff.
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geführt, daß solche Vereinbarungen in Gestalt geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit abgeschlossen werden. Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen sind.“ 1408 Zum Koalitionszweck als Grenze der tarifvertraglichen Regelungsmacht hat sich das Bundesverfassungsgericht gleichermaßen unmissverständlich geäußert: „Der Staat hat, soweit es um die Regelung des Inhalts von Arbeitsverträgen geht, gemäß Art. 9 Abs. 3 GG seine Zuständigkeit von vornherein weit zurückgenommen und die Befugnis der Koalitionen, selbst Rechtsregeln zu setzen und wieder aufzuheben, anerkannt. Ihre verfassungsrechtliche Grenze findet diese Befugnis darin, daß es sich um Rechtsregeln zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handeln muß“. 1409 Was diese Grenzziehungsfunktion der Koalitionszweckgarantie betrifft, so ist die von H. Sodan vorgenommene Qualifizierung als „grundrechtstatbestandliche und somit verfassungsunmittelbare Schranke für die tarifvertragliche Regelungsbefugnis“, deren inhaltliche Konkretisierung nicht den Tarifvertragsparteien obliegen kann, in der Tat zutreffend. 1410 Eine derartige Betrachtungsweise bildet entgegen W. Höfling keine „grundrechtsdogmatisch unzulässige Vermischung verschiedener Stufen des grundrechtlichen Argumentationsprozesses“ und darf auch nicht als Variante der Innentheorie verstanden werden. 1411 Selbst W. Höfling muss mit Blick auf den so genannten „arbeitsrechtlichen Begriffskern“ der Koalitionszweckbestimmung eingestehen, dass Elemente des Grundrechtstatbestandes durchaus eine „negativ-ausgrenzende Funktion“ erfüllen können, d. h. gewisse freiheitliche Verhaltensweisen außen vor lassen. 1412 Dies gilt in um so stärkerem Maße, je klarer sich diese Elemente inhaltlich bestimmen lassen und dadurch sozusagen ihre begriffliche Abgrenzungswirkung perfektionieren. Letztlich nichts anderes ist im vorliegenden Kontext gemeint. 1413 BVerfGE 4, 96 ff. (106). BVerfGE 44, 322 ff. (349). 1410 H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (422 f.). 1411 W. Höfling, Der verfassungsrechtliche Koalitionsbegriff, in: RdA 1999, S. 182 ff. (183, Fn. 21); vgl. zur Unterscheidung zwischen Innen- und Außentheorie die Ausführungen im 4. Kapitel § 1 III. 1412 W. Höfling, Der verfassungsrechtliche Koalitionsbegriff, in: RdA 1999, S. 182 ff. (183); ders., in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 55 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1413 Im Rahmen der hier praktizierten Prinzipienbetrachtung gilt es, Folgendes festzuhalten: Anders als bei der Eigentumsgarantie mit Blick auf das Prinzip der vorrangig privaten Gemeinwohlgestaltung expliziert, handelt es sich vorliegend nicht um einen Fall der Prinzipienkollision, denn der Koalitionszweck hat auf der Systemebene sowohl eine die Tarifautonomie abs1408 1409
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Trotz der aufgezeigten, zentralen Bedeutung des Koalitionszweckes für das Prinzip „Koalitionsfreiheit“ finden sich bislang kaum Ansätze einer überzeugenden inhaltlichen Konturierung. Die teilweise in der Literatur vorgenommene Einordnung des Terminus „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ als so genannter „zeitoffener Begriff“ genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. 1414 Eine derartige Konstruktion steht, sofern die Begriffsprägung vornehmlich an der momentanen Verfassungswirklichkeit ausgerichtet wird, zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot im Widerspruch. 1415 Eher kursorisch muten die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts 1416 an, wenn es darum geht, den Koalitionszweck inhaltlich zu explizieren. So soll „eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner“ erzielt werden. Der Koalitionszweck bestünde in der damit zusammenhängenden „öffentlichen Aufgabe“. Materien, die den Koalitionen zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung überlassen bleiben, sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „vor allem das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen wie etwa Arbeits- und Urlaubszeiten sowie nach Maßgabe von Herkommen und Üblichkeit weitere Bereiche des Arbeitsverhältnisses, außerdem darauf bezogene soziale Leistungen und Einrichtungen“. 1417 Die verfassungsgerichtliche Bezugnahme auf die Ordnung des Arbeitslebens beschreibt nur einen Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen. Daneben nennt Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG eben auch die Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen als Gestaltungsauftrag. Gemeint sind Maßnahmen, die sich auf die allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Zustände beziehen wie beispielsweise solche zur Verringerung der Arbeitslosigkeit, die Einführung neuer Technologien u. ä. 1418 Die auf das Wohl der Wirtschaftsbedingungen gerichtete Verpflichtung darf allerdings nicht als ein generelles „koalitionsrechtliches Mandat etwa im Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik und des allgemeinen Wirtschaftsrechts“ missverstanden werden. Wirtschaftliche Gestaltungsverpflichtungen bzw. -befugnisse der Koalitionen existieren nur insoweit, als sie „im unmittelbaren Zusammentrakt begründende als auch eine begrenzende Funktion (vgl. 4. Kapitel § 2 II. 6. a)). Er statuiert im Gegensatz zu Art. 14 Abs. 2 GG kein gegenläufiges Prinzip, das mit Blick auf die nächsthöhere Abstraktionsebene zum Tragen kommt, sondern bildet vielmehr ein Element zur Bestimmung des Prinzipieninhaltes auf der gegenwärtigen Analyseebene. 1414 Vgl. zu dieser Konstruktion beispielsweise H. Bauer, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 9 Rn. 75; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 69; F. J. Säcker/H. Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992, S. 64 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 259. 1415 So auch H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (423). 1416 So beispielsweise BVerfGE 4, 96 ff. (107); E 18, 18 ff. (27 f.); E 28, 295 ff. (304); E 58, 233 ff. (249 f.); vgl. auch BVerfGE 20, 312 ff. (317); E28, 295 ff. (304); E34, 307 ff. (316); E38, 281 ff. (305); E 44, 322 ff. (340 f.). 1417 BVerfGE 94, 268 ff. (283). 1418 Vgl. H. Bauer, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 9 Rn. 75.
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hang mit dem Arbeitsleben und dem Arbeitsrecht stehen“.1419 Dies folgt schon aus dem Verfassungswortlaut, der durch die Verwendung des Wortes „und“ keine Zweifel daran aufkommen lässt, dass mit der „Wahrung und Förderung“ der Arbeitsbedingungen gleichzeitig die „Wahrung und Förderung“ der Wirtschaftsbedingungen einhergehen muss, und umgekehrt. 1420, 1421 Die kumulative Verpflichtung bestimmt inhaltlich unmittelbar die Gestaltungsmöglichkeiten der Koalitionen, vor allem deren tarifvertragliche Regelungsmacht. Die Tarifautonomie beinhaltet letztlich nur das Recht, „allgemein die Wirtschafts-, spezifisch aber zugleich die Arbeitsbedingungen zu wahren und besonders in ihrer Existenz zu sichern, zudem noch zu fördern“. 1422 Dieser Rahmen wird überschritten, wenn die Summe der Kosten des Produktionsfaktors „Arbeit“ auf lange Sicht und von Dauer die allgemeine Produktivität der Arbeit im Tarifgebiet übersteigt. 1423 Inhaltliche Klarheit über den Koalitionszweck verschafft letztlich eine Betrachtungsweise, die den Koalitionszweck mit Blick auf seine Begrenzungswirkung material mittels Verortung im axiologisch-teleologischen System der Wirtschaftsverfassung zu bestimmen versucht. Entsprechend sind seine Teilbegriffe zu interpretieren. Enge systematische Verbindungen ergeben sich zwischen dem Begriff „Arbeitsbedingungen“ und dem Prinzip „Berufsfreiheit“, was bereits durch den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. Danach ist das Recht zur Bildung von Koalitionen „für alle Berufe gewährleistet“. 1424 (Unter-)Prinzipien der Berufsfreiheit liefern, wie gesehen, die Basis für direktive Gehalte, die an den Staat gerichtet sind. 1425 Die ihnen zugrunde liegenden Wertentscheidungen verlangen aber nicht nur staatlicherseits Beachtung. Sie strahlen ein in alle Bereiche des Rechts. 1426 Sie beeinflussen mithin die Auslegung des Koalitionszwecks und seiner R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 94. Vgl. H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (423). 1421 Sind die Koalitionszwecke untrennbar miteinander verknüpft, so genießt dementsprechend eine Vereinigung, deren Zwecksetzung sich ausschließlich dem Sektor „Wirtschaftsbedingungen“ zuordnen lässt, nicht den Schutz der Koalitionsfreiheit. Solche Vereinigungen, zu denen hauptsächlich Kartelle und Unternehmensgesellschaften, Handels- und Kapitalgesellschaften zu zählen sind, werden daher nur durch die Vereinigungsfreiheit geschützt (vgl. R. Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Die Grundrechte III/1, 1958, S. 417 ff. (427)). 1422 H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (423). 1423 So zutreffend H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (423 f.). 1424 H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (424); vgl. auch F. J. Säcker/H. Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992, S. 252 f. 1425 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 7. 1426 Entsprechend lieferte die Wertungs- bzw. Prinzipienebene in der Rechtsprechung des BVerfG den Ansatzpunkt für die so genannte Drittwirkungslehre; vgl. hierzu 3. Kapitel § 4 II und 3. Kapitel § 5 I. 1 und 4. Kapitel § 1 II. 2. 1419 1420
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Teilbegriffe. 1427 Berufsfreiheit als Prinzip fordert die Verwirklichung eines möglichst hohen Beschäftigungsniveaus. 1428 In diese Aussage stimmen das Sozialstaatsprinzip sowie die verfassungsrechtlich statuierte Zielsetzung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) ein. 1429 Von der „Wahrung und Förderung“ der Arbeitsbedingungen kann somit nur dann gesprochen werden, wenn die Tarifvertragsparteien bei ihrer Tätigkeit diesen Wertentscheidungen in hinreichendem Maße Rechnung tragen. 1430 Vergleichbare Pflichten für die Tarifvertragsparteien ergeben sich bei einer systematischen Explizierung des Terminus „Wirtschaftsbedingungen“. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der verfassungsrechtlich gewährleistete Unternehmer- bzw. Unternehmensschutz. 1431 Er kommt sowohl bei der Berufsfreiheit als auch bei der Eigentumsgarantie bzw. in den jeweiligen Unterprinzipien zum Ausdruck. 1432 Die sich in diesen Verfassungsbestimmungen widerspiegelnden objektiven Wertentscheidungen, so stellt H. Sodan folgerichtig fest, „stehen einer Auslegung von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG entgegen, die in den Schutz dieses Grundrechts Tarifverträge einbezieht, welche die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen bzw. Unternehmer existenzgefährdend beeinträchtigt“. 1433 Das Anforderungsprofil an das Handeln der Koalitionen lässt sich im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemkontext noch weiter verschärfen: Art. 109 Abs. 2 GG i.V. m. § 1 StWG, das Sozialstaatsprinzip aber auch die objektiven Wertentscheidungen der genannten Wirtschaftsgrundrechte statuieren in der Gesamtschau eine prinzipielle Gemeinwohlverpflichtung der Koalitionen in wirtschaftlicher Hinsicht. 1434 Das heißt vor allem, dass die Tätigkeit der Koalitionen am Grundsatz „Gemeinwohlgestaltung durch Eigenwohlgestaltung“ auszurichten ist. Der privatautomen unternehmerischen Wirtschaftsgestaltung ist daher im Rahmen von Tarifabschlüssen optimal Rechnung zu tragen. Mit anderen Worten: Die Wahrung des Koalitionszwecks verbietet es nicht nur, unternehmerische Initiative gänzlich abzuwürgen. Sie zu fördern und zu opti1427 Die Berufsfreiheit als Prinzip trägt zur inhaltlichen Gestaltung und Grenzziehung der Koalitionsfreiheit bei. Aber auch die umgekehrte Konstellation gilt: Die Koalitionsfreiheit bildet ihrerseits ein ganz wesentliches Instrument zur Realisierung der Berufsfreiheit (vgl. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1983, S. 378); vgl. zur Interpretation des Koalitionszwecks in Anlehnung an die Werte- bzw. Prinzipienebene der Grundrechte auch R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.I, Art.9 Rn.268; vgl. allgemein zu den grundrechtlichen Maßstäben T. Dieterich, in: FS für G. Schaub, 1998, S. 117 ff. 1428 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 7. a). 1429 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 7. a), 4. Kapitel § 5 II. 5. b) und 4. Kapitel § 5 IV. 1430 Vgl. hierzu auch BVerfGE 100, 271 ff. (284). 1431 Vgl. bspw. BAGE 64, 284 ff. (295). 1432 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 6. a), 4. Kapitel § 2 II. 5. c) sowie 4. Kapitel § 3 II. 1. 1433 H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (425). 1434 Vgl. J. Knebel, Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl, 1978, S.128 ff.; R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 97; ders., Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 220 ff.; H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (425).
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mieren, ist vornehmlich das verfassungsrechtlich gebotene Ziel des Agierens der Koalitionen. Dieser Zielsetzung kann letztlich nur durch strikte Mäßigung im Rahmen von Lohnabschlüssen und, soweit das möglich erscheint, durch eine möglichst weitgehende Nichteinmischung in die unternehmerischen Entscheidungsspielräume erreicht werden. Zu weit geht nach alldem jedenfalls die Forderung, wonach alle zentralen unternehmerischen Entscheidungen des Arbeitgebers, die durch arbeitsrechtliche Fragen wesentlich beeinflusst werden (Investitionsentscheidungen, Standortfragen, etc.) in den Gestaltungsspielraum der Koalitionen fallen. 1435 Derartiges zum Bestandteil der prima-facie-Forderung der Koalitionsfreiheit zu erheben, würde im eklatanten Widerspruch zum abwägungsresistenten Teil, d. h. zur Wesensgehaltsgarantie der Prinzipien Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie und Vereinigungsfreiheit im Hinblick auf den Schutz des Unternehmers stehen, denn zum Kernbereich der sich aus dem Zusammenspiel der Grundrechte ergebenden Unternehmensautonomie gehört, dass der „Unternehmensträger die Entscheidungen über Bestand, Umfang und Zielsetzung des Unternehmens“; d. h. „alle unternehmerischen Grundlagenentscheidungen“ trifft. 1436 Eine den Wesensgehalt der genannten Grundrechte verletzende Beeinträchtigung wäre jedenfalls dann festzustellen, „wenn die angestrebte Tarifregelung dem Unternehmer die Herrschaft über das Unternehmen selbst und die mit ihm verfolgten Ziele entziehen würde“. 1437 Eine treffliche Umschreibung dessen, was den grundgesetzlich statuierten Koalitionszweck letztlich ausmacht, findet sich außerhalb des hier analysierten Systems auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene. Im Rahmen der Aufgabenumschreibung der Gemeinschaft wird in Art. 2 EGV u. a. eine „harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens“, „ein hohes Beschäftigungsniveau“, ein „hohes Maß an sozialem Schutz“, ein „beständiges, nichtinflationäres Wachstum“, sowie ein hoher Grad von Wettbewerbsfähigkeit gefordert. c) Dimensionen des Prinzips „Koalitionsfreiheit“ Die Koalitionsfreiheit als Prinzip gebietet den Schutz einer sozial- bzw. privatautonomen Ordnung und die Befriedigung des Arbeitslebens.1438 Hierfür steht grundsätzlich die volle Bandbreite der grundrechtlichen Dimensionen – Abwehrgehalte, aber auch direktive Gehalte – zur Verfügung. 1435 So aber z. B. W. Däubler/H. Hege, Koalitionsfreiheit – Ein Kommentar, 1976, Rn. 243 (S. 120 f.); M. Kittner/D. Schiek, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Abs. 3 Rn. 93; wie hier V. Beuthien, Mitbestimmung unternehmerischer Sachentscheidungen kraft Tarif- oder Betriebsautonomie?, in: ZfA 15 (1984), S. 1 ff. (7 ff., 29); F. A. Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, 1987, S. 97 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 257; H. Wiedemann, Unternehmensautononomie und Tarifvertrag, in: RdA 1986, S. 231 ff. (232 f.). 1436 F. A. Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, 1987, S. 97. 1437 H. Wiedemann, in: FS für S. Riesenfeld, 1983, S. 301 ff. (314 f.). 1438 Vgl. R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 13.
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Das Prinzip „Abwehr“ verlangt der Zielsetzung entsprechend die Vorhaltung eines „weitgehend staatsfreien Autonomie- und Geltungsbereichs“ der Koalitionen. Staatlicherseits besteht insoweit die Pflicht zur „prinzipiellen Neutralität“. 1439 Es handelt sich um ein Prinzip, dass sich verallgemeinern lässt und sich nicht nur an den Staat als Verpflichtungsadressaten wendet, sondern gleichermaßen auch Private und Koalitionen selbst erfasst. Für diese Wertung spricht vor allem Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, der sämtliche sich gegen das prima-facie-Recht richtende Abreden oder Maßnahmen für nichtig bzw. rechtswidrig erklärt. 1440 Probleme wirft vor allem die Frage auf, welche direktiven Gehalte der Koalitionsfreiheit sich ausgehend von der Prinzipienebene ermitteln lassen. 1441 Eine institutionelle Verbürgung der Koalitionen scheidet aus, denn es handelt sich hierbei um gesellschaftliche bzw. privatrechtliche Verbände. 1442 Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Blick auf eine weitere Ausprägung der so genannten Einrichtungsgarantien gelenkt wird: So wird für Koalitionen, den Arbeitskampf oder die Tarifautonomie teilweise eine Institutsgarantie befürwortet. 1443 Nach dem hier zugrunde liegenden Verständnis von Institutsgarantien als Gewährleistungsgehalte, die sich inhaltlich in der Wiedergabe dessen erschöpfen, was der statische Menschenwürde- bzw. Wesensgehaltskern der Grundrechtsgewährleistung ohnehin verlangt, ist diese Einschätzung selbstverständlich. 1444 Staatlicherseits ist der Bestand dieser Institute in seinen rudimentären Zügen zu gewährleisten. Auf dieser Erkenntnis fußen letztlich auch wissenschaftliche Ansätze, die sich mit der Existenz und dem Inhalt eines „auxiliären leistungsrechtlichen Gehalts“ der Koalitionsfreiheit sozusagen als Konsequenz ihrer „kompetentiellen Bewirkdimension“ beschäftigen. 1445 Insofern sei nicht nur eine Ausgestaltungsbefugnis, sondern gar eine einklagbare Ausgestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungsrechtlich statuiert, sofern die effektive Freiheitswahrnehmung auf eine gesetzliche Ordnung angewiesen ist. 1446 Freilich sind die Einzelheiten umstritten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Forderung nach rechtlicher Ausgestaltung in einem engen sachlichen Kon1439 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 165, 283 f.; vgl. auch BVerfGE 50, 290 ff. (367); vgl. allgemein hierzu auch P. Badura, in: FS für W. Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1591 ff. 1440 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 9 Rn. 34; H. Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, in: JZ 1998, S. 421 ff. (426). 1441 Vgl. zum Problemstand: H. Bauer, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 9 Rn. 101 f. 1442 Vgl. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 57 m. w. N. 1443 Für die Tarifvertragsfreiheit z. B. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 9 Abs. 3 Rn. 173; vgl. auch D. Reuter, in: FS für E.-J. Mestmäcker, 1996, S. 271 ff. (285 ff.); vgl. auch BVerfGE 4, 96 ff. (108); E 44, 322 ff. (340). 1444 Vgl. hierzu 4. Kapitel: § 2 II. 7. a). 1445 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 76 ff.; ders., in: FS für K. H. Friauf, 1996, S. 377 ff. (385 f.). 1446 Vgl. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 59.
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text mit der so genannten Kernbereichslehre steht. In der Tat haben die verfassungsgerichtlichen Ausführungen zu diesem Themenkomplex in der Vergangenheit ein gewisses Maß an Verwirrung gestiftet, wobei sich der Schleier neuerdings, wenn auch bislang nur ansatzweise, doch zu lüften scheint.1447 Im Rahmen der Analyse der einschlägigen Judikatur muss berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht den Terminus „Ausgestaltung“ dogmatisch verfehlt in einem doppelten Sinne verwendet. 1448 „Ausgangspunkt der Kernbereichsformel“, so das Bundesverfassungsgericht jüngst, sei die Annahme einer Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers, d. h. die „Überzeugung, daß das Grundgesetz die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht schrankenlos gewährleistet, sondern eine Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zuläßt“. „Mit der Kernbereichsformel“ umschreibe das Gericht „die Grenze, die dabei zu beachten ist“. Diese werde überschritten, „soweit einschränkende Regelungen nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind [...].“ Es sei im Rahmen der einschlägigen Judikatur nicht darum gegangen, so fährt das Bundesverfassungsgericht fort, den Schutz der Koalitionsfreiheit „von vornherein auf den Bereich des Unterläßlichen“ zu beschränken. Die Koalitionsfreiheit schütze prinzipiell solche Verhaltensweisen, „die koalitionsspezifisch sind“. Der Gesetzgeber sei „auch dort, wo er – außerhalb des Kernbereichs – koalitionsmäßige Betätigungen ausgestaltend regelt, zu einer Rücksichtnahme auf die Koalitionen und ihre Mitglieder“ verpflichtet. 1449 Diese Rechtsprechung auf den Punkt gebracht bedeutet: Prima facie gewährleistet, ist mehr als der Kernbereich der Koalitionsfreiheit umschreibt. Die entscheidende Definitionsmacht wird, sowohl was das prima facie Gewährleistete als auch den Kernbereich betrifft, dem Koalitionszweck zuteil. Der Kernbereich ist als eine unantastbare Schranken-Schranke im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung zu verstehen. Mit Blick auf die „kompetentielle Bewirkdimension“ erweist sich die geschilderte Betrachtungsweise an dieser Stelle als noch unvollständig. Sie genügt nur der Abwehrdimension und bedarf einer Erweiterung im Hinblick auf direktive Gehalte. Hier kommt die bereits angesprochene, dogmatisch eigentlich zutreffende Bedeutung des Begriffs „Ausgestaltung“ ins Spiel: „Ausgestaltung“ meint, entgegen der verfehlt doppeldeutigen Begriffsverwendung durch das Bundesverfassungsgericht, grundrechtlich eingeforderte Inhaltsbestimmung seitens des Gesetzgebers. An die Seite der Problematik, Grenzen für ein grundrechtsbeschränkendes Tätigwerden des Gesetzgebers aufzuzeigen, sind somit konsequenterweise Überlegungen zur prinzipiell eingeforderten einfachgesetzlichen Inhaltbestimmung der Koalitionsfreiheit zu 1447 Vgl. BVerfGE 4, 96 ff. (106, 108); E 19, 303 ff. (321 f.); E 28, 295 ff. (305); E 28, 310 ff. (313); E38, 281 ff. (305); E38, 386 ff. (393); E42, 133 ff. (139); E44, 322 ff. (341 f.); E50 290 ff. (368 f.); E 57, 220 ff. (245 f.); E 58, 233 ff. (247 f.); E 84, 212 ff. (228); E 93, 352 ff. (358); E 94, 268 ff. (283). Kritisch zur Kernbereichslehre im tradierten Sinn W. Herschel, Kernbereichslehre und Kodifikationsprinzip in der Tarifautonomie, in: AuR 1981, S.265 ff.; vgl. auch H. Seiter, Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 9 Abs. 3 GG, in: AöR 109 (1984), S. 88 ff. (98 f.). 1448 Vgl. zu dieser Problematik schon 4. Kapitel § 2 III. 2. 1449 BVerfGE 93, 352 ff. (358 f.); E 94, 268 ff. (283).
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rücken. Diese Zusammenhänge hat das Bundesverfassungsgericht im Mitbestimmungsurteil hervorgehoben und Folgendes festgehalten: „Mehr noch als die in Art.9 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Vereinigungsfreiheit bedarf die Koalitionsfreiheit von vornherein der gesetzlichen Ausgestaltung. Diese besteht nicht nur in der Schaffung der Rechtsinstitute und Normenkomplexe, die erforderlich sind, um die grundrechtlich garantierten Freiheiten ausüben zu können. Die Bedeutung und Vielzahl der von der Tätigkeit der Koalitionen berührten Belange namentlich im Bereich der Wirtschafts- und Sozialordnung machen vielmehr vielfältige gesetzliche Regelungen notwendig, die der Koaltionsfreiheit auch Schranken ziehen können“. 1450 An die Inhaltsbestimmungskomponente muss sinnvollerweise auch die Kernbereichslehre mit ihrer Unerlässlichkeitsbetrachtung anknüpfen. Insofern ist die verfassungsgerichtliche Deutung der Kernbereichsfunktion zu ergänzen. Die gesetzgeberische Verpflichtung zur Ausgestaltung kommt nur für einen Kernbereich zum Tragen, d. h. dort, wo es um elementare koalitionsspezifische Verhaltensweisen geht, die ihrerseits auf Regelung angewiesen sind. Zur Sicherung dieser Kernelemente ist staatlicherseits die Bereitstellung eines „Koalitionsinstrumentariums“ gefordert, „das unter den gegebenen sozio-ökonomischen Bedingungen eine eigenverantwortliche und wirksame Erfüllung des Koalitionszwecks ermöglicht“. 1451 Ob es sich dabei allerdings um ein einklagbares prima-facie-Recht handelt, erscheint höchst fraglich. Zumindest dessen Reichweitenbestimmung würde angesichts des zugegebenermaßen weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums Praktikabilitätsprobleme aufwerfen. Dies braucht vorliegend aber nicht vertieft werden, denn zumindest für die Annahme eines gleich lautenden objektiven Prinzips finden sich die aufgezeigten eindeutigen Ansatzpunkte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
IV. Die „allgemeine Handlungsfreiheit“ als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip 1. Stellung von Art. 2 Abs. 1 GG im System: Wirtschaftliches „Muttergrundrecht“, „Auffanggrundrecht“, oder beides? Was die Stellung von Art. 2 Abs. 1 GG im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System betrifft, so ist sowohl die Bezeichnung „Muttergrundrecht“ 1452 als auch „Auffanggrundrecht mit Anwendungssubsidiarität“ 1453 gleichermaßen zutreffend. In der BVerfGE 50, 290 ff. (368); vgl. auch BVerfGE 58, 233 ff. (247); E 88, 103 ff. (115). W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 77 m. w. N. 1452 A. Hamann/H. Lenz, Das Grundgesetz, Komm., 1970, Art.2 Bem. A3 a) m. w. N.; G. Dürig, Anmerkung zu BVerfG-Urteil v. 16.01. 1957 – 1 BvR 253/56, in: JZ 1957, S. 169 ff. (170); vgl. auch BGHZ 24, 72 ff. (78). 1453 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.I, Art. 2 Rn. 21 – keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original. 1450 1451
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Tat beinhaltet diese Charakterisierung keinen Widerspruch, denn sie knüpft an ganz unterschiedliche Bezugspunkte an: 1454 Im Verhältnis zu den besonderen Freiheitsgewährleistungen bringt die erstgenannte Komponente die gemeinsamen axiologischen Ursprünge zum Ausdruck (axiologische Basisharmonie). An dieser Stelle ist erneut der Hinweis auf den Menschenwürdebezug aller Grundrechte angebracht.1455 Art. 2 Abs. 1 GG nimmt insofern eine „Paraderolle“ ein. 1456 G. Dürig umschrieb dies mit den Worten: „Im Wertsystem der Grundrechte macht Art. 2 I unbezweifelbar, worin inhaltlich (materiell) die Würde des Menschen (Art. 1 I) vornehmlich besteht: – in der ‚freien Entfaltung seiner Persönlichkeit‘“. 1457 Die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit beinhaltet somit nicht nur einen wichtigen Auslegungsgrundsatz für das Verhältnis Staat/Bürger, „sondern vielmehr eine Grundentscheidung, die Prägekraft für das Verständnis der gesamten Rechtsordnung entfaltet“. 1458 In dieser Rolle als systembestimmendes, grundlegendes Prinzip „enthält sie die Ausgangsentscheidung für die Abwägung mit anderen Rechtswerten“. 1459 Dazu hat das Bundesverfassungsgericht erstmals in der so genannten Elfes-Entscheidung hervorgehoben, dass die allgemeine Handlungsfreiheit bzw. freie Entfaltung der Persönlichkeit als Prinzip über einen abwägungsresistenten Bereich verfügt, der im Wettstreit mit anderen Verfassungsprinzipien stets Geltung beansprucht. 1460 Das Bundesverfassungsgericht führte aus, dass „dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist“. 1461 Obwohl die allgemeine Handlungsfreiheit als Prinzip nach alldem die axiologische Basis für die grundrechtliche prima-facie- Gewährleistung individueller Freiheit liefert und infolgedessen „keine inhaltliche Qualifizierung bezüglich geschützter Verhaltensweisen zuläßt“ 1462, kommt das Prinzip bzw. das aus ihm resultierende prima-facie-Recht dort nicht zum Einsatz, wo der Verfassungsgeber speziellere und deswegen vorrangige Freiheitsgewährleistungen statuiert hat, die einzelne freiheitliche Verhaltensweisen gesondert erfassen. Hier kommt die bereits erwähnte zweite Komponente, die so genannte „Konkurrenz-Komponente“ ins Spiel, die eng mit der Komponente der axiologischen Basisharmonie verbunden ist. A. A. offenbar H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 27. Vgl. 4. Kapitel § 1 I. 1456 Vgl. insbes. 4. Kapitel § 2 I. 1. 1457 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.I, Art.2 Rn. 1 (Erstkommentierung) – keine Hervorhebung im Gegensatz zum Orignal. 1458 H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 9. 1459 H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 9. 1460 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 VI. 1461 BVerfGE 6, 32 ff. (41). 1462 Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 16; vgl. auch Fn. 1465. 1454 1455
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Systemintern wie systemextern gilt daher: Art. 2 Abs. 1 GG ist ein „‚Auffanggrundrecht‘ für alle nicht speziell geregelten oder gesondert gewährten (unbenannten) Freiheiten“. 1463 „Geschützt ist“, so die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, „nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt“. 1464, 1465 Dabei wird die allgemeine Handlungsfreiheit als Prinzip und prima-facie-Recht in dem Moment, wo sich von ihr geschützte Freiheitsfelder mit denen spezieller Freiheitsgewährleistungen überschneiden, nicht etwa ihrer Geltung beraubt. Sie kommt vielmehr wegen ihrer Subsidiarität schlicht nicht zur Anwendung, bleibt aber als axiologische Basiskategorie im Hintergrund bestehen. Dieses Konkurrenzverhältnis lässt sich, eingeordnet in den systematischen Kontext 1466, wie folgt beschreiben: Entsprechend dem Doppelcharakter 1467 von Grundrechten als Regeln und Prinzipien enthalten die spezielleren Freiheitsgewährleistungen gegenüber dem allgemeinen Freiheitsrecht zusätzliche Festsetzungen des Verfassungsgebers in Regelform zum Zwecke der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie. Dabei wird durch die speziellen Freiheitsrechte ein Mehr an Schutz erreicht. 1468 So ist, um ein Beispiel zu nennen, die Berufswahlfreiheit im Ergebnis durch die vorbehaltslose Gewährleistung nachhaltiger geschützt, als dies der Fall wäre, wenn zum Schutze der entsprechenden Verhaltensweisen nur auf das allgemeine Freiheitsrecht zurückgegriffen werden könnte. Dadurch, dass die allgemeine Handlungsfreiheit freiheitliche Verhaltensweisen unter Umständen zwar subsidiär, zugleich jedoch umfassend prima facie schützt, 1463 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1823 m. w. N. (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1464 BVerfGE 80, 137 ff. (152). 1465 Die vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 6, 32 ff. (36); E 74, 129 ff. (151 f.); E 75, 108 ff. (154 f.); E 80, 137 ff. (152 f.); E 97, 332 ff. (340)) vertretene weite Tatbestandskonzeption hat weithin Zustimmung gefunden. Vgl. zur Rspr. etwa BVerwGE 86, 349 ff. (351); E107, 75 ff. (83); BGH, NJW 1989, S.101 ff. (102); vgl. zur Literatur statt vieler Ch. Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG, in: JuS 1990, S. 161 ff. (162 f.); Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 12 ff.). In der Tat entspricht sie der Außentheorie, wonach der prinzipiell gewährleisteten prima-facie- Freiheit eine nur begrenzte staatliche Eingriffskompetenz gegenübersteht (vgl. W. Höfling, in: Berliner Komm. z. GG, Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 31). 1466 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 1 V. 1467 Vgl hierzu 3. Kapitel § 5 I. 5. b). 1468 Vgl. R. Alexy (ders., Theorie der Grundrechte, 1996, S.341), der festhält, dass zwischen diesen Festsetzungen und dem allgemeinen Freiheitsrecht „so wenig eine deduktive Beziehung“ besteht, „wie zwischen den Festsetzungen, die im Rahmen des allgemeinen Freiheitsrechts bei dessen Anwendung getroffen werden, und diesem“. „Die Festsetzungen“, so Alexy, seien „das Ergebnis von Abwägungen und damit von Wertungen“. An dieser Stelle bedarf die These Alexys einer Korrektur dahingehend, dass die maßgeblichen Wertungen auf der Prinzipienebene ausgehend von der Rechtsidee und der Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie den Verfassungsgeber 1949 sehr wohl zur Statuierung eines umfassenden Grundrechtskataloges zwangen. Die von Alexy angesprochenen Abwägungen und Wertungen seitens des Verfassungsgebers waren insofern determiniert; vgl hierzu 3. Kapitel § 5 I. 1 und 4. Kapitel § 1 I.
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte
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wird der Freiheitsschutz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System abgerundet bzw. abgeschlossen. Anderseits bleibt er, mit den Worten R. Alexys, zugleich insofern offen, „als die Existenz des allgemeinen Freiheitsrechts die Möglichkeit neuer definitiver Rechte sowie neuer unbenannter Rechte offenhält“. 1469 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt R. Scholz. Er hält fest: „Die Auffangposition des Art. 2 Abs. 1 GG wirkt nicht nur ‚systemschließend‘, sondern auch ‚systemöffnend‘, indem sie die grundrechtliche Ordnung permanent den realen (‚zeitgemäßen‘) gesellschaftlichen Freiheitsprozessen und ihren Wandlungen erschließt.“ Als Basis eines (Grundrechts-)Systems, so fährt Scholz fort, könne das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit „daher kein geschlossenes, sondern nur ein offenes und bewegliches System vermitteln“. 1470, 1471
2. Wirtschaftsverfassungsrechtliche Konsequenzen der „Doppelstellung“: Subsidiärer Schutz wirtschaftlicher Freiheiten Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Prinzip erfasst angesichts ihrer tatbestandlichen Weite „selbstverständlich auch wirtschaftliche Betätigungen“. 1472 Dies darf im Anschluss an das Gesagte freilich nicht dazu verführen, einen von den speziellen Freiheitsrechten losgelösten prima-facie-Schutz wirtschaftlicher Freiheiten zu konstruieren. 1473 Mit G. Dürig gesprochen ist vielmehr „aus den Teilfreiheitsrechten mit wirtschaftlichem Inhalt alles herauszuholen, was sie thematisch nur irgendwie hergegeben“, ehe ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG erfolgen kann. 1474 Diese These lässt sich anhand der Dispositionsfreiheit des Unternehmers verdeutlichen. Die Befugnis, ein Unternehmen frei zu begründen, es staatlicherseits möglichst unbeeinflusst und ökonomisch orientiert zu führen und es gegebenenfalls wieder einzustellen, wird bereits durch die Berufsfreiheit umfassend geschützt. 1475 HinR. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 341. R. Scholz, Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 100 (1975), S. 80 ff. u. 265 ff. (290). 1471 Vgl. allgemein zur systemöffnenden Funktion von Prinzipien 3. Kapitel § 5 I. 8. 1472 Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 16; vgl. mit Blick auf die „wirtschaftliche Betätigung“: BVerfGE 91, 207 ff. (221), „die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet“: BVerfGE 50, 290 ff. (366); E 65, 196 ff. (210); E 73, 261 ff. (270); E 78, 232 ff. (242) und mit Blick auf einen „angemessenen Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative“ als Schutzgegenstand des Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfGE 65, 196 ff. (210). 1473 So aber H. P. Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung in J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung II, 1966, S. 63 ff. (95). 1474 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 11. (Erstkommentierung). 1475 Vgl. hierzu vor allem 4. Kapitel § 2 I. 4, 4. Kapitel § 2 I. 6, 4. Kapitel § 2 I. 7. b) und 4. Kapitel § 2 I. 7. c); vgl. auch H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 61; vgl. auch die umfassende Darstellung bei M. Hoffmann, in: Der grundrechtliche Schutz der marktwirtschaftlichen Unternehmenstätigkeit und der gesellschaftsrechtlichen Unternehmensorganisation, 1988, S. 49 ff. 1469 1470
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
zu treten die durch die Eigentumsgarantie vermittelten unternehmensbezogenen Schutzaspekte 1476 sowie der auf der Vereinigungsfreiheit basierende Gründungsund Tätigkeitsschutz für Handelsgesellschaften. 1477, 1478 Für Art. 2 Abs. 1 GG verbleibt nur insoweit ein Anwendungsspielraum, als sich die jeweilige wirtschaftliche Betätigung nicht den spezielleren Freiheitsrechten zuordnen lässt. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Konstellationen, bei denen das Bundesverfassungsgericht auf Art. 2 Abs. 1 GG als „Muttergrundrecht“ 1479 zurückgreift und ihm eine Basiswertung dahingehend entnimmt, dass ein „angemessener Spielraum“ für die Entfaltung unternehmerischer Initivative „unantastbar“ ist. 1480 In den letztgenannten Fällen geht es schlicht darum zu verdeutlichen, dass die unternehmerische Dispositionsfreiheit als axiologische Grundentscheidung (Basiswertung) bereits in Art. 2 Abs. 1 GG angelegt ist und dass dieses Freiheitsfeld über einen abwägungsresistenten Bereich verfügt, der letztlich stets Berücksichtigung finden muss. 1481 Das zur Anwendungskonkurrenz Gesagte gilt gleichermaßen für die Wettbewerbsfreiheit, d. h. die Gewährleistung zugunsten des Unternehmers, „seine unternehmerische Dispositionsfreiheit im Wettbewerb mit anderen ohne staatliche Behinderung und ohne staatlich bewirkte Wettbewerbsverzerrung wahrzunehmen“, bzw. im Falle einer von privaten Markteilnehmern verursachten, erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung staatliches Einschreiten verlangen zu können. 1482 Auch hier sind, wie gesehen, die vorrangigen Freiheitsgewährleistungen des Art. 12 und 14 Abs. 1 GG thematisch einschlägig. 1483 Freilich wird noch im Einzelnen aufzuzeigen sein, wie sich das Zusammenspiel der spezifischen Freiheitsgewährleistungen in diesem Kontext gestaltet. 1484 Auch der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie im wirtschaftlichen Sektor obliegt weitestgehend den vorrangigen Freiheitsgrundrechten Art. 9 Abs. 1 und 3, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG. Der Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG greift allenfalls subsidiär ein. 1485 Dies gilt insbesondere für die Vertragsfreiheit als den wichVgl. hierzu vor allem 4. Kapitel § 2 II. 5. c), 4. Kapitel § 2 II. 5. d) und 4. Kapitel § 2 II. 7. Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 III. 2. 1478 Vgl. auch H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, §18 Rn.75; vgl. zum Zusammenspiel der Freiheitsrechte 4. Kapitel § 3 II. 1479 Vgl. Fn. 1452. 1480 BVerfGE 29, 260 ff. (267); E 50, 290 ff. (366); vgl. zum abwägungsresistenten Bereich von Prinzipien auch 4. Kapitel §1 VIund mit Blick auf Art.2 Abs.1 GG auch 4. Kapitel §2 IV. 1. 1481 Vgl. schon 4. Kapitel § 2 IV. 1. 1482 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 77 f. 1483 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Bd. II, Art. 12 Rn. 115; vgl. zur Abwehrkomponente der Wettbewerbsfreiheit 4. Kapitel § 2 I. 6 und 4. Kapitel § 2 II. 7. a) und zu ihrer staatsaktivierenden Komponente 4. Kapitel § 2 I. 7. b); vgl. aber vor allem auch 4. Kapitel § 3 II. 1. 1484 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 3 II. 1. 1485 Vgl. hierzu 4. Kapitel §2I. 6, 4. Kapitel §2 I. 7. b), 4. Kapitel §2I. 7. c), 4. Kapitel §2 II. 7, 4. Kapitel § 2 III. 2 und 4. Kapitel § 2 III. 3. c); vgl. auch H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, 1476 1477
§ 2 Prinzipienexegese der wirtschaftsrelevanten Freiheitsrechte
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tigsten Unterfall der Privatautonomie. 1486 Werden Verträge im Zusammenhang mit der beruflichen Betätigung eingegangen, so beruht der Schutz der Vertragsfreiheit auf Art. 12 Abs. 1 GG. 1487 Damit jede Vertragspartei über die Möglichkeit verfügen kann, ihre Freiheit optimal zu entfalten, ist auch die Bereithaltung eines Mindestbestandes an spezifischen Vertragsnormen durch das Prinzip „Berufsfreiheit“ gefordert. 1488 Gleiches gilt für die Eigentumsgarantie im Hinblick auf obligatorische und dingliche Nutzungs-, Belastungs- und Veräußerungsverträge über geschützte Eigentumspositionen. 1489 Ausgehend von der Prinzipienebene wird ein „Normenbestandsschutz hinsichtlich eines Mindestbestands an Vorschriften“ verlangt, „der die bindende Eingehung von Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Verwertung von individuellen Fähigkeiten, Leistungen und Rechtspositionen ermöglicht“.1490 Mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 GG gilt zudem: Im gesellschaftsrechtlichen Sektor ist die Vertragsfreiheit Ausfluss der Vereinigungsfreiheit. 1491 Auch hier ist die Vorhaltung entsprechender Gestaltungsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber gefordert. Zu kurz greifen in diesem Kontext Deutungen, die den Begriff „Privatautonomie“ nur als „zivilrechtlichen Entsprechungsbegriff der Handlungsfreiheit“ sehen. 1492 Mit H.-U. Erichsen ist vielmehr „zwischen den Gegenständen grundrechtlicher Regelung und ihrer einfachgesetzlichen Entfaltung zu unterscheiden“. 1493 Die verfassungsrechtlich geforderte und die zivilrechtlich realisierte Privatautonomie müssen nicht notwendigerweise deckungsgleich sein. Dies zeigen die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Privatautonomie staatliche Schutzpflichten betont hat, die verfassungskonforme Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften verlangte oder gar ein Tätigwerden des Ge§ 152 Rn. 56 ff.; W. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S. 6 ff.; H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 76; zweifelnd indes U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103; vgl. auch G. Manssen (ders., Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994, S.134 f.; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Abs. 1 Rn. 66), der die tatbestandliche Relevanz der Vertragsfreiheit im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG schlichtweg leugnet; zutreffend differenzierend zwischen Tatbestands- und Konkurrenzebene indes Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 16. 1486 Vgl. BVerfGE 8, 274 ff. (328); E 74, 129 ff. (151 f.). 1487 Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 63; F. Ossenbühl, Die Freiheiten des Unternehmers nach dem Grundgesetz, in: AöR 115 (1990), S. 1 ff. (25); R. Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 115. 1488 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 7. b) und 4. Kapitel § 2 I. 7. c); vgl. aber auch M. Bäuerle (ders., Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001, S. 393), der der Berufsfreiheit als Prinzip „einen institutionellen Gehalt in bezug auf einen Bestand ‚berufsnotwendiger‘ Vertragsnormen nicht entnehmen“ will. 1489 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 101. 1490 M. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001, S. 392 f. 1491 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 76. 1492 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101. 1493 H.-U. Erichsen, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 152 Rn. 58.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
setzgebers einforderte. 1494 Als Beispiele dafür seien die Fälle der gestörten Vertragsparität oder die von Bürgschaften naher Familienangehöriger genannt. 1495 Die Privatautonomie als ein in den genannten Grundrechten statuiertes Prinzip fordert die Schaffung, Bereithaltung und Anwendung eines Instrumentariums „Zivilrecht“, das freiheitsoptimiert ist und den kollidierenden Interessen aller Beteiligter ausreichend Rechnung trägt. Nur auf diesem Wege kann die „Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben“ gewährleistet werden, die von Art. 2 Abs. 1 GG als Grundgedanke in Konkretisierung der Menschenwürdegarantie zum Ausdruck gebracht wird, welchen wiederum die nachfolgenden Freiheitsrechte spezifizierend aufgreifen. 1496 Diese spezifischen Forderungen gilt es, im Hinblick auf alle (Vertrags-)Parteien zu garantieren. Das Zivilrecht muss einen angemessenen Gestaltungs-, aber auch Schutzrahmen bereithalten, um eine bedürfnisgerechte Freiheitsverwirklichung durch Selbstgestaltung unter gleichzeitiger Wahrung eines Mindeststandards an Interessen für alle Grundrechtsträger zu ermöglichen. Dies gilt im Besonderen für die Vertragsfreiheit als wichtigsten Unterfall der Privatautonomie. Aus diesem Grund besteht gegebenenfalls ein im Wege der verfassungskonformen Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln zu ermittelnder Anspruch des fremdbestimmten Vertragspartners auf eine Vertragskorrektur. 1497 Nach alldem erfasst der eigenständige Anwendungsbereich des Grundrechtsschutzes der allgemeinen Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Sektor sämtliche Verhaltensweisen, die „maßgeblich von Erwerbsmotiven geprägt“ sind oder „typischerweise in objektiven Erwerbszusammenhängen“ erfolgen und die „nicht bereits durch eigentumsrechtliche Verfestigung oder durch die Merkmale des Berufs erfasst“ sind und auch nicht der Vereinigungs- oder Koalitionsfreiheit zuzuordnen sind. 1498 Ob mit Blick hierauf ein „nicht unbeträchtlicher Anwendungsbereich“ des Art. 2 Abs. 1 GG besteht, wie U. Di Fabio jüngst behauptet hat, erscheint zweifelhaft. 1499 Dies gilt mit Blick auf das vorrangig anzuwendende Berufsgrundrecht zumindest dann, wenn man wie vorliegend einen weiten Berufsbegriff heranzieht, der z. B. auch Nebentätigkeiten erfasst bzw. auf das Kriterium der „berufsregelnden
Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 7. b). Vgl. BVerfGE 81, 242 ff. (253 ff.); E 89, 214 ff. (229 ff.); BVerfG/K, NJW 1994, S. 2749 f.; BVerfG/K, NJW 1996, S. 2021; vgl. zur gestörten Vertragsparität beim Abschluss von Eheverträgen BVerfG, NJW 2001, S. 957 ff.; vgl. allgemein zum Kriterium der (materialen) Vertragsgerechtigkeit als Korrektiv D. Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, 2000, S. 305 ff. 1496 BVerfGE 89, 214 ff. (231); vgl. W. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1979, S. 19. 1497 Vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 112. 1498 Enger U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 81. 1499 So aber U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 80; klar ablehnend hingegen R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 115; für einen, mit Blick auf die Unternehmensfreiheiten, geringen Anwendungsbereich des Art.2 Abs. 1 GG plädiert R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 219. 1494 1495
§ 3 Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System
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Tendenz“ bei der Eingriffsbestimmung verzichtet und vielmehr auf die tatsächlichen Wirkungen staatlichen Handelns abstellt. 1500 Nach diesem Verständnis sind beispielsweise kommunale Vertretungsverbote an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. 1501 Unterstellt man zudem der Eigentumsgarantie den Schutz des Vermögens per se, so fällt auch die Auferlegung von Abgaben aus dem Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG heraus. 1502 Es bleiben einige wenige, bereits angesprochene Fallgruppen übrig: Grundrechtlicher Schutz vor Zwangsmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Verbänden wird grundsätzlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährt. 1503 Als „Auffanggrundrecht“ im wirtschaftlichen Bereich fungiert Art. 2 Abs. 1 GG zudem für Ausländer und insbesondere für Unionsbürger. 1504
§ 3 Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System durch Abstraktion übergreifender Prinzipien der Freiheitsrechte I. Eigene Schutzqualität durch Verknüpfung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Prinzipien oder „bloße“ Herstellung einer Sinngesamtheit? Dem wirtschaftsverfassungsrechtlichen System wird die Aufgabe zuteil, einer atomisierenden Betrachtungsweise der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten entgegenzutreten. Es soll vielmehr eine Gesamtschau ermöglichen. Die Herstellung der Zweibezüglichkeit, d. h. die Vernetzung der einzelnene Grundrechte als Prinzipien untereinander, dient entscheidend diesem Ziel. 1505 Schritte in diese Richtung wurden bereits im Rahmen der Einzelanalyse insoweit unternommen, als die Vernetzung für die jeweilige Prinzipienkonturierung unentbehrlich erschien. 1506 Die Systemzielsetzung, die auf die Offenlegung der rechtlich verbindlichen „inneren Sinngesamtheit“ unter Rückgriff auf das Verfahren des „wertenden Rückschlusses“ 1507 gerichtet ist, verlangt es, den bereits eingeschlagenen Weg weiter zu beVgl. 4. Kapitel § 2 I. 4 und 4. Kapitel § 2 I. 5. b). Vgl. BVerfG/K, NJW 1988, S. 694 f. 1502 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 5. d); differenzierend mit Blick auf Rechtsprechung des BVerfG Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 16 m. w. N. 1503 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 III. 2. 1504 Vgl. hierzu H. Bauer/W. Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von DeutschenGrundrechten?, in: JZ 1995, S. 1077 ff. sowie 4. Kapitel § 2 I. 3 und 4. Kapitel § 2 III. 2. 1505 Vgl. zur Zweibezüglichkeit als „statisches“ Element des Systembegriffs 3. Kapitel § 3 I. 1506 Vgl. hierzu die systematisch-axiologische Bestimmung des Koalitionszwecks im Rahmen der Koalitionsfreiheit im 4. Kapitel § 2 III. 3. b) (2). 1507 Vgl. zu den „dynamischen“ Elementen des Systembegriffs 3. Kapitel § 3 IIzum Verfahren des „wertenden Rückschlusses“ vgl. 3. Kapitel § 5 II. 3. 1500 1501
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schreiten. Dabei dient die Abstraktion wertungsrichtiger wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sinngesamtheiten, die prinzipielle Geltung beanspruchen und letztlich in der Ableitung von Leitprinzipien münden, als Mittel zur Zielerreichung. Diese Überlegungen bilden den Hintergrund für die nachfolgende, axiologische Darstellung über das Zusammenwirken der Schutzmechanismen der bislang separat analysierten Freiheitsrechte. 1508 Es geht also darum, wirtschaftsverfassungsrechtliche Prinzipien auf der nächsthöheren, der Stufe der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitprinzipien unmittelbar vorgelagerten Abstraktionsstufe zu gewinnen. Außerdem bleibt im jeweiligen Falle zu prüfen, ob die Verschränkung der Schutzmechanismen, d. h. das Zusammenwirken der Grundrechtsprinzipien, eine „eigene Schutzqualität“ hervorruft. 1509
II. Prinzipielle Sinngesamtheiten, Synergien und flankierender Schutz durch wirtschaftsverfassungsrechtliche Verbundkonstellationen Als Ergebnis der Einzelanalyse der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten bleibt festzuhalten, dass ein breites Spektrum wirtschaftsrelevanter Verhaltensweisen von den speziellen Freiheitsgewährleistungen (Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit) geschützt wird und Art.2 Abs. 1 GG eine „Auffangfunktion“ zuteil wird, sofern Lücken im Freiheitsschutz bestehen. Die subsidiäre Stellung von Art. 2 GG ausgenommen, herrscht nach alldem aber noch keine Klarheit darüber, ob bzw. inwiefern sich die genannten Freiheiten ergänzen, überschneiden oder verdrängen. Dieser Frage widmet sich die nachfolgende Betrachtung. 1. Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit als wirtschaftsverfassungsrechtliche Sinngesamtheit Das Bundesverfassungsgericht 1510 hat ursprünglich versucht, die Schutzbereiche der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie ganz strikt voneinander abzugrenzen. Vgl. auch 3. Kapitel § 5. In diese Richtung zielt die wirtschaftsverfassungsrechtliche Betrachtungsweise bei H.H. Rupp (vgl. ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 25). Nach der Auffassung von Rupp erschöpft sich die verfassungsrechtliche Fundierung der sozialen Marktwirtschaft nicht nur in der arithmetischen Summe der investierten grundrechtlichen Individualfreiheiten; vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 6 IV. 1510 Vgl. BVerfGE 30, 292 ff. (334 f.); E 31, 8 ff. (32); E 38, 61 ff. (102); E 65, 237 ff. (248); E 81, 12 ff. (16); E 84, 133 ff. (157); E 85, 360 ff. (383). Der Ansatz für die diesbezügliche höchstrichterliche Judikatur findet sich bei P. Wittig, Der Erwerb von Eigentum und das Grundgesetz, in: NJW 1967, S. 2185 ff. (2188); ders., in: FS für G. Müller, 1970, S. 575 ff. (590, insbes. Fn. 67). 1508 1509
§ 3 Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System
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Diese Vorgehensweise hat Zustimmung bei anderen Gerichten1511 sowie in Teilen des Schrifttums 1512 erfahren. Die Garantie der Berufsfreiheit sei „in erster Linie persönlichkeitsbezogen“. Sie konkretisiere das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und müsse daher als „in hohem Maße ‚zukunftsgerichtet‘“ verstanden werden. Demgegenüber sei die Eigentumsgarantie „objektsbezogen“. Geschützt sei der durch eigene Leistung und Arbeit erworbene Bestand an vermögenswerten Gütern jedes Einzelnen. Art. 14 GG scheide als Prüfungsmaßstab aus, wenn es um die berufliche Tätigkeit als solche und nicht um das Ergebnis dieser Tätigkeit ginge. Kurz und bündig fasst das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtskonkurrenz in der Formel zusammen: „Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Erworbene, die Ergebnisse geleisteter Arbeit, Art. 12 Abs. 1 dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst. Greift ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungsfähigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht“. 1513 An dieser Formel hält das Bundesverfassungsgericht formal zwar weiterhin fest. Allerdings sind in der verfassungsgerichtlichen Judikatur auch Tendenzen erkennbar, die darauf hinauslaufen, Schutzverflechtungen zwischen den genannten Verfassungsdeterminanten anzuerkennen. Bereits in der Mitbestimmungsentscheidung1514 hatte das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die genannten grundrechtlichen Gewährleistungen festgestellt, dass sich diese „nicht ohne Berücksichtigung der Überschneidungen, Ergänzungen und Zusammenhänge zwischen ihrem Schutzbereich und dem anderer Grundrechte und nicht ohne Rücksicht auf die das Grundgesetz tragenden Prinzipien auslegen“ ließen. 1515 Es folgt die vorsichtig gehaltene Feststellung: „Art. 12 Abs. 1 GG wird durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht verdrängt. Zwar sind beide Grundrechte funktionell aufeinander bezogen; sie haben jedoch selbstständige Bedeutung“. 1516 In einer neueren Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht noch weiter von der These einer Trennung der Schutzbereiche entfernt und sich ganz klar dafür ausgesprochen, auch den Schutz des Erworbenen, nämlich die „wirtschaftliche Verwertung der beruflich erbrachten Leistung“, dem Prinzip „Berufsfreiheit“ zuzuordnen. 1517 So beispielsweise BGH, NJW 1990, S. 3260 ff. (3262). Vgl. statt vieler G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 12 Abs. 1 Rn. 282; differenzierend M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 12 Rn. 98; D. Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999, S. 435 ff. 1513 BVerfGE 30, 292 ff. (335); E 84, 133 ff. (157); E 85, 360 ff. (383); vgl. auch BVerfG/K, NJW 1998, S. 1776 ff. (1777). 1514 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (336). 1515 Vgl. hierzu schon die Ausführungen in 2. Kapitel § 2 V und 3. Kapitel § 1 I. 1516 BVerfGE 50, 290 ff. (361). 1517 BVerfGE 97, 228 ff. (253). 1511 1512
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Diese Rechtsprechungstendenz ist insbesondere mit Blick auf den Unternehmerbzw. Unternehmensschutz zu begrüßen, denn in der Tat lassen sich Erwerbsschutz und Schutz des Erworbenen nur sehr bedingt tatbestandlich trennen. Oftmals „geht es nur um einen zeitlich-phasenmäßigen Unterschied in der jeweiligen Freiheitsbetätigung“ und nicht um einen „qualitativen Rechtsunterschied“. 1518 Erfolgt die Zuordnung des Grundrechtseingriffs ausschließlich anhand des „äußeren Eingriffsansatzes“ und bleiben spätere Entwicklungen, d. h. eine „Phasenverschiebung“ bzw. die Würdigung der materiellen Betroffenheit des Grundrechtsträgers in Gänze außer Betracht, so sind Schutzlücken vorprogrammiert. 1519 Im Ergebnis weist R. Scholz zutreffend darauf hin, dass zwischen Eingriffen in die „gewerbliche Tätigkeit“ und in den „gewerblichen Betrieb“ letztlich nicht strikt unterschieden werden könne. Beide Aspekte des wirtschaftlichen Freiheitsschutzes seien vielmehr „funktional aufeinander bezogen“ und gehörten damit auch „rechtlich zusammen“.1520 Ein Eingriff in die gewerbliche Betätigung müsse zumeist auch als Eingriff in das ReaG als Bestandteil der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie verstanden werden. Zusammenfassend stellt er fest: „Zielt ein Eingriff mehr auf die ‚gewerbliche Tätigkeit‘, so wäre zunächst Art. 12 einschlägig; zielt der Eingriff dagegen mehr auf den ‚gewerblichen Bestand‘, so ist zunächst Art. 14 angesprochen. Bei dieser Phasendifferenz bleibt es jedoch nicht; denn die äußere (finale) ‚Ziel-Richtung‘ eines Eingriffs entscheidet, der bloßen Instrumentalität des Eingriffsbegriffs gemäß, keinesfalls über die materielle Betoffenheit tatsächlich beeinträchtigter Grundrechte. Dies bedeutet, daß die grundrechtliche Kontrolle entsprechender Eingriffe nur formal zwischen Art. 12 und Art. 14 unterscheiden darf: Passiert ein ‚tätigkeitsbezogener‘ Eingriff die Kontrolle der Berufsfreiheit, so muß er bei (zusätzlich) vermögensmäßiger, ggf. auch nur mittelbarer Eingriffsrelevanz auch vor Art. 14 bestehen. Passiert ein (unmittelbar) mehr vermögens- oder ‚bestandsbezogener‘ Eingriff die Kontrolle des Art. 14, so muß er ungeachtet dessen auch bei (mittelbar) ‚tätigkeitsbezogener Eingriffsrelevanz‘ zusätzlich vor Art. 12 bestehen, um insgesamt verfassungsmäßig zu sein.“ 1521 Inwiefern der Schutz von „Erwerb“ und „Erworbenen“ miteinander zusammenhängt, lässt sich besonders deutlich für Gewerbebetriebe in der Startphase ermitteln. 1522 Hier kann ein Rückgriff auf den eigentumsrechtlichen Schutz des Erworbenen für sich genommen zunächst kaum weiterhelfen. Junge Unternehmen weisen in der Regel einen hohen Anteil an Fremdkapital auf. Der Schwerpunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes muss sich deshalb zunächst vielmehr auf die unternehmerische „Aufbautätigkeit“ beziehen. Diese Aufgabe kann vorrangig durch Art. 12 Abs. 1 GG geleistet werden. Mit der fortschreitenden Unternehmer- bzw. Unternehmenstätigkeit wird dann der Bestand als Basis für die weiter gehende unternehmeR. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 141. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 141. 1520 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 141. 1521 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 141. 1522 Vgl. C. Kellenberger, Der verfassungsrechtliche Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, 1999, S. 109. 1518 1519
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rische Nutzung, d. h. die Substanz für den Eigentumsschutz geschaffen bzw. ausgebaut. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz tritt also im Zeitverlauf verstärkend hinzu. Der Zuwachs an Unternehmenssubstanz verlangt seinerseits wiederum Schutz durch das Prinzip „Berufsfreiheit“, denn die Nutzung des unternehmerisch Geschaffenen zu unternehmerischen Zwecken ist nicht nur Eigentumsgebrauch, sondern vor allem auch gewerbliche Betätigung und somit „Erwerb“. „Thematischkonzeptionell“ muss hier vom Schutz des berufsbezogenen Eigentumsgebrauch gesprochen werden. 1523 Die enge Verknüpfung zwischen Art. 12 GG und Art. 14 GG kann letztlich nicht überraschen, denn die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie sind grundsätzlich identischen Schutzgütern verpflichtet und rühren aus den gleichen Legitimationsgesichtspunkten her. 1524 Beide Grundrechte sind Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie und des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit. 1525 Entsprechend der Formel „Gemeinnützigkeit durch Eigennützigkeit“ möchten beide zur Förderung des Gemeinwohls beitragen, indem sie dem Individuum einen autonomen Handlungsspielraum zur Persönlichkeitsverwirklichung einräumen. Der durch die Elemente „eigene Leistung“, „eigene Arbeit“ und „Existenzschutz“ erzeugte Persönlichkeitsbezug kommt sowohl bei der Berufsfreiheit als auch bei der Eigentumsgarantie zum Tragen. 1526 Unter Rückgriff hierauf lässt sich, wie gesehen, ein eigentumsrechtlicher Erwerbsschutz konzipieren. 1527 Umgekehrt gilt jedoch auch: Nicht nur das Eigentumsgrundrecht steht im Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheit und dem Gemeinwohlbezug, sondern auch die Berufsfreiheit sieht sich dem gleichen Konflikt ausgesetzt. Innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems bilden die Prinzipien „Berufsfreiheit“ und „Eigentumsfreiheit“ letztlich die „beiden Säulen der wirtschaftlichen Freiheit“. 1528 Beide stehen, was den Verfassungsschutz von Unternehmen und Unternehmer betrifft, regelmäßig in verbundener Idealkonkurrenz zueinander. 1529 Berufs- und Eigentumsgarantie bilden im Rahmen einer wertenden Betrachtung die „allgemeine Verfassungsgewährleistung der ‚Wirtschaftsfreiheit‘ – verstanden als Einheit und Komplex aller wirtschaftlich relevanten Verhaltens- und Bestandsweisen“. 1530 Unter diesen prinzipiellen Sammelbegriff ist die unternehmerische Dispositionsfreiheit, d. h. die Freiheit, autonome unternehmerische PlanungsVgl. H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 487. Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 123. 1525 Vgl. 4. Kapitel § 1 I, 4. Kapitel § 2 I. 1 und 4. Kapitel § 2 II. 2. 1526 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1, 4. Kapitel § 2 I. 2 und 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1527 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 5. c). 1528 F. Ossenbühl, Die Freiheiten des Unternehmers nach dem Grundgesetz, in: AöR 115 (1990), S. 1 ff. (25). 1529 Demgegenüber geht R. Breuer (ders., in: HStR, Bd.VI, 2001, §147 Rn.99 f.) regelmäßig von einer unverbundenen Idealkonkurrenz zwischen der Berufs- und Eigentumsgewährleistung aus. 1530 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 141. 1523 1524
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sowie Grundsatzentscheidungen zu treffen, einzuordnen. 1531 Weitere „typische Ausübungsfreiheiten“ sind die Investitions- und Produktionsfreiheit, d. h. die freie unternehmerische Entscheidung über den Einsatz von Kaptital bzw. die Art und den Umfang der Produktion 1532; ebenso die Freiheit des Marktzutritts bzw. der marktmäßigen Betätigung 1533, die unternehmerische Wachstums- 1534, Preis- 1535 und Organisationsfreiheit 1536 sowie letztendlich die Werbungs- 1537 und Vertriebsfreiheit 1538. Außerdem können auch die Leitungs- und Dispositionsbefugnis sowie die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers in diesen Sammelbestand eingeordnet werden.1539 Auch die Wettbewerbsfreiheit findet, wie die übrigen Annexfreiheiten, als eigenständiges Prinzip und besonderer Bestandteil des Prinzips „allgemeine Wirtschaftsfreiheit“ ihre Wurzeln regelmäßig in Art. 12 Abs. 1 GG, aber auch in Art. 14 GG. 1540, 1541 Als Prinzip und Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit nimmt sie aber erst durch das systematische Zusammenspiel der Verfassungsdeterminanten eine fassbare Gestalt an. Sie erwächst erst aus einer von verfassungswegen gewollten wirtschaftlichen Konkurrenz der Grundrechtsträger untereinander, d. h. aus der abstrakt fassbaren Kollision ihrer grundrechtlich geschützten Wirtschaftsinteressen. Tatsächlich vorhandener, schützenswerter Wettbewerb ist daher die Folge, sozusagen das „reale Ergebnis“ dieser freiheitlichen Grundrechtsausübung und entspricht dem Sinn eines miteinander verschränkten, pluralen Grundrechtsgebrauchs. 1542 Dementsprechend sieht das Bundesverfassungsgericht im „grundsätz-
Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (363); vgl. zur „Unternehmerfreiheit“ auch 4. Kapitel §2I. 6. a). Vgl. zum grundrechtlichen Schutz der unternehmerischen Planungs- und Dispositionsfreiheit auch H. P. Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: Planung II, 1966, S. 63 ff. (95); vgl. zur Produktionsfreiheit R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 63; eingehend zur Investitionsfreiheit R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 108 f. 1533 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 2 I. 6. a) und 4. Kapitel § 2 II. 6. b). 1534 Vgl. BVerfGE 25, 1 ff. (11 ff.). 1535 Vgl. BVerfGE 42, 191 ff. (202 ff.). 1536 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. (339 ff.); vgl. auch 4. Kapitel § 2 II. 5. c). 1537 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 3 II. 3. b). 1538 Vgl. BVerfGE 30, 336 ff. (350 f.); 34, 71 ff. (78); E 36, 47 ff. (62); zum Verwertungsrecht im Hinblick auf die Kurzberichtserstattung vgl. BVerfGE 97, 228 ff. (253); vgl. auch Fn. 1517. 1539 Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers stützt sich indes ausschließlich auf Art.12 GG; vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 132. 1540 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 14 Rn. 102; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 136; H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S.488. Das Bundesverfassungsgericht verortet die Wettbewerbsfreiheit regelmäßig bei Art.12 Abs.1 GG (vgl. BVerfGE 32, 311 ff. (317); E46, 120 ff. (137)). Das BVerwG sieht sie – unter Außerachtlassung des Spezialitätsverhältnisses zu Art.12 GG und Art.14 GG – überwiegend in Art.2 Abs.1 GG verankert (vgl. BVerwGE 6, 134 ff. (139); E 17, 306 ff. (309); E 30, 191 ff. (198); E 60, 154 ff. (159); E 65, 167 ff. (174); E 79, 326 ff. (329)); hingegen auf Art.12 Abs.1 GG abstellend BVerwGE 28, 295 ff. (299); E89, 281 ff. (283). 1541 Vgl. zur Abwehrkomponente der Wettbewerbsfreiheit 4. Kapitel § 2 I. 6 sowie 4. Kapitel § 2 II. 7. a); vgl zu ihrer staatsaktivierenden Komponente 4. Kapitel § 2 I. 7. b). 1542 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 136. 1531 1532
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lich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer“ eines der „Grundprinzipien“ der „bestehenden Wirtschaftsverfassung“. 1543 Trotz der beschriebenen realen Wirkung bleibt der „Ansatz in der Sinnhaftigkeit“ freilich stets das entscheidende, weil steuernde Element im Rahmen der Systemfreilegung. Das gilt sowohl für die „allgemeine Wirtschaftsfreiheit“ als auch für die Wettbewerbsfreiheit. Beide bilden letztlich das Ergebnis eines wertenden Rückschlusses von der im Einzelnen prinzipiell gewährleisteten Grundrechtssubstanz auf die nächsthöhere Abstraktionsebene. Erst das wertende Zusammenfügen der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Bausteine, im vorliegenden Falle die systeminterne, werthafte Analyse von Grundrechtskonkurrenz und Grundrechtskollision zwischen Art. 12 GG und Art. 14 GG, liefert das Ergebnis axiologischer wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sinnhaftigkeit. Diese systematische Betrachtungsweise, die von einem Zusammenspiel der Art. 12 GG und Art. 14 GG ausgeht, sieht sich keinen grundlegenden grundrechtsdogmatischen Bedenken ausgesetzt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und im Schrifttum lassen sich weitere anerkannte Beispiele von Grundrechtsgesamtschauen finden: Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird nach ganz herrschender Auffassung durch eine Verbindung von Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewonnen. 1544 Verfassungsrechtliche Verbindungslinien werden zudem durch die Bezugnahme auf Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 GG geknüpft. 1545, 1546 Von der Wettbewerbsfreiheit als Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit ist die Teilnahme am Wettbewerb geschützt, d. h. zum einen die freie Entscheidung darüber, in den Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsteilnehmern einzutreten und sich einem ökonomischen Kräftemessen zu unterziehen, sowie die negative Freiheit, nicht zum Wettbewerb verpflichtet werden zu können. 1547 Freie Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr bedingt wiederum Preisfreiheit und einen freien Markt, auf dem überhaupt erst Leistungswettbewerb möglich ist. Die Annexfreiheiten der „allgemeinen Wirtschaftsfreiheit“ sind also eng miteinander verschränkt; die bereits faktische Notwendigkeit wirtschaftsverfassungsrechtlicher Verbundstrukturen zeigt sich dadurch besonders deutlich. BVerfGE 32, 305 ff. (317). Vgl. BVerfGE 6, 389 ff. (433); E 96, 56 ff. (61); E 96, 171 ff. (181); E 97, 391 ff. (399); E 98, 169 ff. (199 f.); E 99, 185 ff. (185, 193 f.); E 100, 271 ff. (284); E 100, 313 ff. (358); E 101, 106 ff. (121); E 101, 361 ff. (379). 1545 Vgl. BVerfGE 70, 138 ff. (162); E 72, 278 ff. (289); E 79, 69 ff. (75); E 83, 341 ff. (353). 1546 Für eine Schutzverstärkung der Berufsfreiheit durch die Religionsfreiheit BVerfG, NJW 2002, S. 663 ff. 1547 Grundrechtlicher Schutz gegen privaten Wettbewerb wird nur in Ausnahmefällen gewährt. Dies ergibt sich schon aus den Einzelaussagen der relevanten Grundrechtsdeterminanten (vgl. hierzu u. a. 4. Kapitel § 2 I. 6. a), 4. Kapitel § 2 II. 4. a) und 4. Kapitel § 2 II. 5. c)). 1543 1544
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Die Wettbewerbsfreiheit als Prinzip beinhaltet freilich nicht nur eine staatsabwehrende, sondern auch eine staatsaktivierende Dimension. Staatlicherseits besteht nicht nur die von Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG verliehene Befugnis, sondern ausgehend von der Prinzipienebene auch die prinzipielle Pflicht, gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorzugehen. Vergleichbar den Fällen, in denen es um eine verfassungsrechtliche Korrektur der Privatautonomie aufgrund gestörter Vertragsparität geht, meint aktive staatliche Freiheitsgewährleistung im vorliegenden Kontext, dass „grundsätzlich durch geeignete staatliche Maßnahmen die freien Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen vor Beschneidungen durch andere, (markt-)mächtigere Private zu schützen sind“. 1548 2. Schutzverstärkung als Konsequenz des Verbundes der Prinzipien „Berufsfreiheit“ und „Eigentum“ a) Wechselseitige Wirkungserstreckung der Schrankenvorbehalte als Konsequenz des Prinzipienverbundes? Freilich stellt sich nach alldem die Frage, ob der Verbund von Art. 12 und Art. 14 GG „nur“ die Abstraktion wertungsrichtiger, prinzipielle Geltung beanspruchender wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sinngesamtheiten liefert, oder ob mit ihm auch Synergieeffekte einhergehen, die zu einem „Mehr“ an prinzipiellem Schutz führen. Mit Blick auf die Schrankenvorbehalte hat das Bundesverfassungsgericht 1549 diese Frage mehrfach verneint. Zwischen Art. 12 und Art. 14 GG bestünde, so sinngemäß, im Wesentlichen eine schrankenrechtliche Identität. Diese Einschätzung erweist sich freilich nur in den Fällen als zutreffend, in denen zugleich ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit und ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit i.S. e. Schrankenziehung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erfolgt. 1550 Anders verhält es sich allerdings, wenn ein besonders intensiver Zugriff auf das Eigentum, beispielsweise mittels Enteignung, erfolgt und diese staatliche Maßnahme dazu führt, dass der unternehmerisch Tätige seine bislang auf Bestand und Nutzung von Eigentumspositionen beruhende berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. 1551 In einem solchen Fall geht gleichzeitig mit dem Eigentumseingriff ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit einher. Die dadurch entstehende Konkurrenz der Schrankenvorbehalte muss nach den bereits entwickelten, verallgemeinerungsfähigen Grundsätzen gelöst werden. 1552 Ein derartig schweU. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 125. Vgl. BVerfGE 13, 225 ff. (229); E21, 150 ff. (160); E50, 290 ff. (365); E97, 228 ff. (265). 1550 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 142. 1551 Vgl. C. Kellenberger, Der verfassungsrechtliche Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, 1999, S. 117; W. Leisner, Eigentümer als Beruf, in: JZ 1972, S. 33 ff. (34, 37). 1552 Vgl. hierzu 4. Kapitel §2I. 5. c). Entgegen R. Breuer (ders., in: HStR, Bd.VI, 2001, §147 Rn. 96) weist die Lösung der Schrankenkonkurrenz im Rahmen der verbundenen wie der unverbundenen Idealkonkurrenz keine Unterschiede auf. 1548 1549
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rer Eingriff ist nur im Hinblick auf den Schutz von Grundrechten Dritter sowie zum Schutze objektiver, den Grundrechten gleichwertiger Verfassungsgüter gestattet. Dieses Ergebnis kann auch nicht durch einen Hinweis auf die Sozialisierungsbefugnis (Art.15 GG) in Frage gestellt werden. Diese bildet ausschließlich eine spezifische Eingriffsbefugnis im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum; sie vermag es indes nicht, die verfassungsrechtlich gewährleistete, in derartigen Verbundkonstellationen gleichfalls betroffene Berufsfreiheit zu „derogieren“. 1553 Die Wirkungserstreckung ist freilich nicht nur einseitiger Natur. Eine Optimierung des Grundrechtsschutzes kann in den Fällen der „berufswahlbeschränkenden Enteignung“ nur bedeuten, dass auch die in Art. 14 Abs. 3 GG postulierten Anforderungen an das rechtfertigende Gesetz (z. B. Junktimsklausel) berücksichtigt werden. Somit sind letztlich in einer solchen Verbundkonstellation höhere Anforderungen an das staatliche Handeln zu stellen, als dies der Fall wäre, wenn es ausschließlich an Art.14 GG gemessen würde. 1554 b) Konsequenzen für Entschädigungsleistungen Eine Schutzverstärkung durch das Zusammenwirken von Art. 12 und Art. 14 GG erscheint noch in einer anderen Hinsicht relevant. Sind, was den verfassungsrechtlichen Schutz der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit betrifft, sowohl Art. 12 GG als auch Art. 14 GG grundsätzlich thematisch einschlägig, so kommt die Frage nach den Entschädigungspflichten des Staates ins Spiel. 1555 Im Einzelnen geht es darum, ob sich durch den Umstand, dass ein staatlicher Eingriff in die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit regelmäßig sowohl die Berufs- als auch Eigentumsfreiheit beeinträchtigt, die Bandbreite der Entschädigungsmöglichkeiten erhöht. Die Rechtsprechung des BGH 1556, die von einer strikten Trennung der Schutzbereiche beider Grundrechte ausgeht, erweist sich bei dieser Rechtsfrage als sehr restriktiv. Die richterlich geprägten Rechtsinstitute „enteignender“ und „enteignungsgleicher“ Eingriff sollen bei einer „bloßen“ Betroffenheit bzw. einer Verletzung der Berufsfreiheit nicht einschlägig sein. Der allgemeine Aufopferungsanspruch erfasse nur solche Rechtsgüter, denen kein Vermögenswert beigemessen werden kann. Schäden, die aus Eingriffen in die Berufsfreiheit resultieren, seien deshalb vom Aufopferungsrecht nicht erfasst. 1557 Seitdem der BGH jedoch auf der Grundlage von § 75 EinlALR Aufopferungsansprüche aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken ableitet, erscheint diese restriktive Haltung, vor allem was den Anwendungsbereich des enteignungsgleichen So H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 18. Vgl. W. Leisner, Eigentümer als Beruf, in: JZ 1972, S. 33 ff. (37). 1555 Vgl. H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 486 f. 1556 Vgl. BGHZ 111, 349 ff. (355 ff.); BGH, NJW 1994, S. 1468 ff. und S. 2229 f.; BGH, WM 1996, 1109 ff. (1111 f.). 1557 Vgl. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1998, S. 133. 1553 1554
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Eingriffs betrifft, vollends überholt. 1558 Die Prinzipien „Berufsfreiheit“ und „Eigentum“ weisen weitgehend identische legitimatorische Ursprünge auf und darüber hinaus entsprechen sie sich in ihrer axiologischen Sinnhaftigkeit. Beide honorieren die persönliche Leistung und dienen der Existenzsicherung des Individuums. 1559 Beide sollten daher gleichermaßen die Möglichkeiten der Schadenskompensation genießen. 1560 Ohnehin sind Eigentums- und Erwerbsschutz in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft eng miteinander verzahnt. Damit erweist sich der Standpunkt, der Beeinträchtigungen bzw. Verletzungen der Berufsfreiheit per se als nicht entschädigungsfähig ansieht, spätestens mit Blick auf die für den Schutz der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit ermittelten Verbundkonstellation zwischen Art. 12 GG und Art. 14 GG als nicht mehr praktisch relevant. Den Beleg hierfür liefert die Rechtsprechung des BGH, der ausgehend von seiner restriktiven Auffassung wertungsgemäß folgerichtig zu der Erkenntnis gelangte, dass Art. 14 GG durchaus einen haftungsbegründenden Verbundbeitrag mit Blick auf Art. 12 GG zu leisten vermag. 1561 Konsequenterweise stellt sich nach alldem die Frage, ob die Betroffenheit bzw. Verletzung beider Grundrechte in der Verbundkonstellation Einfluss auf die Entschädigungshöhe hat. Teilweise wird mit Blick auf die Verbundkonstellation von Art. 12 und Art. 14 GG eine im Vergleich zu einem „isolierten“ Eigentumseingriff höhere Entschädigung des Grundrechtsträgers gefordert.1562 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen, wenn, wie vorliegend, auch Eingriffe in die Berufsfreiheit per se als entschädigungsfähig angesehen werden. Denn in diesem Falle sind zwei axiologisch miteinander verknüpfte, aber doch selbstständige, verfassungsrechtliche Freiheitsfelder betroffen bzw. verletzt. Schwierigkeiten wird allerdings die Quantifizierung der Anspruchshöhe bereiten. Dieses Unterfangen erfordert einen Mechanismus, der zwischen einer Verbundgesamtwürdigung und der Würdigung eines „isolierten“ Grundrechtseingriffs mit Blick auf die Schadensfolgen unterscheidet, wobei identische Vergleichsmaßstäbe gewährleistet sein müssen.
1558 Vgl. H. Maurer, Anm. z. BGH, Urt. v. 7.6.1990 – III ZR 74/88 (OLG Köln), in: JZ 1991, S. 38 f. (39). 1559 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1, 4. Kapitel § 2 II. 2 und 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1560 Vgl. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1998, S. 246. 1561 Vgl. BGHZ 78, 41 ff. (42 ff.). In dieser Entscheidung hat der BGH Überlegungen des BVerfG (vgl. BVerfGE 40, 371 ff. (383)), die Verfassungswidrigkeit wegen Art. 12 Abs. 1 GG eines im Wege der Rechtsverordnung eingeführten absoluten Verbotes von innerörtlichen reinen Werbefahrten für Unternehmen betreffend, aufgegriffen und neben anderen Erwägungen mit Blick auf eine Verletzung des eigentumsrechtlich geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs fruchtbar gemacht. Er hat im Anschluss daran einen Entschädigungsanspruch aus dem Rechtsinstitut des „enteignungsgleichen Eingriffs“ abgeleitet (vgl. hierzu auch H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 486 f. (Fn. 685)). 1562 Vgl. C. Kellenberger, Der verfassungsrechtliche Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes, 1999, S. 120 ff.
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3. Komplettierung der Verbundstruktur a) Die Rolle der Vereinigungs-, Koalitionsund allgemeinen Handlungsfreiheit im Verbund Der Verbund von Art. 12 GG und Art. 14 GG zum Schutz des freien privaten Wirtschaftens wird flankiert durch Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG. Die Brücke zwischen den Wirtschaftsgrundrechten wird durch das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung als Kernbestandteil der Vereinigungs- und Koalititionsfreiheit geschlagen. 1563 Es bildet seinerseits eine besondere Ausprägung der grundgesetzlich gewährleisteten Privatautonomie, d. h. bringt den Schutz der „gesellschaftlichen Privatautonomie“ zum Ausdruck. 1564 Von Art. 9 GG wird daher das Recht zur autonomen gesellschaftlichen Selbstorganisation prima facie gewährleistet. 1565 Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit, Berufs- und Eigentumsfreiheit stehen im Verhältnis der unverbundenen Idealkonkurrenz zueinander. 1566 Mit der Parallelität der Geltung geht eine wechselseitige inhaltliche Ergänzung einher, denn mit der Erweiterung der unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten durch den Schutz wirtschaftlicher Assoziationen verfolgt die wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit gegenüber der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie ein „selbstständiges Schutz- und Ordnungsziel“. 1567 So statuiert Art. 9 Abs. 1 GG eine „spezifische Organisationsgarantie“, die ihrerseits „eine Verstärkung der allgemeinen korporativen Seite grundrechtlicher Freiheit“ bewirkt und die die „koordinierten, korporativen, kollektiven und solidarischen Formen der Grundrechtsausübung“ sichert. 1568, 1569 Diese Verbundzusammenhänge kommen vor allem bei Fragen der gesellschaftsrechtlichen Unternehmensorganisation zum Tragen, so beispielsweise, wenn es darum geht, den grundrechtlichen Schutz des externen Unternehmenswachstums zu konstruieren: 1570 Das Gesellschaftsrecht muss insofern eine hinreichende Bandbreite an Gestaltungsformen bereithalten. Auch die konzentrationspolitische Gesetzgebung hat den geschilderten Schutzzusammenhängen Rechnung zu tragen. Demgegenüber ist der verfassungsrechtliche Schutz des internen Unternehmenswachstums als Bestandteil
Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 III. 1. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 62. 1565 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 11. 1566 Vgl. R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 96, 99.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 111. 1567 P. Badura, F. Rittner, B. Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz (Gemeinschaftsgutachten), 1977, S. 196. 1568 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 9 Rn. 3; A. Rinken, in: AK-GG, Bd. I, 2001, Art. 9 Rn. 42 f.; vgl. auch W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 9 Rn. 2. 1569 Vgl. hierzu auch 4. Kapitel § 3 II. 3. 1570 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 185 f. 1563 1564
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der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit ausschließlich durch den Verbund von Art. 12 GG und Art. 14 GG gewährleistet. 1571 Die erwähnten Grundrechtsbestimmungen verbinden sich aber auch mit der allgemeinen Vereinigungsfreiheit zu einem „freiheitlichen Wirkungszusammenhang“ dergestalt, dass sich daraus legitime Vereinigungszwecke ergeben. Wird beispielsweise dem Individuum eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit durch Art. 12 GG gestattet, so ist davon auszugehen, dass diese Betätigung bzw. der damit im Zusammenhang stehende Zweck auch durch eine Handels- oder Kapitalgesellschaft verfolgt werden darf. 1572 Wechselwirkungen zwischen der Koalitionsfreiheit, der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie ergeben sich schon auf der Ebene der Bestimmung des Koalitonszwecks („Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“). Auf die entsprechenden Ausführungen hierzu kann verwiesen werden. 1573 Dabei ist deutlich geworden, dass die Koalitionsfreiheit insbesondere die Tarifautonomie keinen Gegenpol zur Freiheit der privaten Wirtschaftsgestaltung oder gar eine „verfassungsfeste Schranke“ zugunsten der Mitbestimmung bildet. 1574 Die systematische Betrachtung hat vielmehr gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: Das „Primat der freiheitlich-dezentralen Privatautonomie, des privaten Wettbewerbs und der privaten Verfügungsmacht über Produktionsgüter“ als Substrat einer Verschmelzung von Art. 12 und Art. 14 GG wird durch die Koalitionsfreiheit im systematischen Kontext gestützt. 1575 Innerhalb dieses Gesamtgefüges fungiert Art. 2 Abs. 1 GG schließlich als „Auffanggrundrecht“ mit dem Auftrag zur Sicherstellung der „allgemeinen Wirtschaftsfreiheit“. 1576 Art. 2 Abs. 1 GG leistet „hilfsweise“ dann einen eigenständigen Beitrag zum Schutze privater Wirtschaftstätigkeit, wenn es um den verfassungsrechtlichen Schutz des Wirtschaftens von Ausländern geht. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in diesem Zusammenhang subsidiär wirtschaftliche Annexfreiheiten wie z. B. die Vertragsfreiheit oder die Wettbewerbsfreiheit. 1577 b) Kommunikationsgrundrechtlicher Komplementärschutz Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art.5 Abs. 1 Satz 1 GG) ist „als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines Vgl. R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 103 ff. Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 9 Rn. 39. 1573 Vgl. 4. Kapitel § 2 III. 3. b) (2). 1574 Vgl. F. Farthmann/M. Coen, in: HVerfR, 1994, § 19 Rn. 34 m. w. N. 1575 So vor allem R. Scholz, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 151 Rn. 28; vgl. auch 4. Kapitel § 2 III. 3. b) (2) m. w. N. 1576 Vgl. 3. Kapitel § 3 II. 1577 P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 320. 1571 1572
§ 3 Zweibezüglichkeit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System
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der vornehmsten Menschenrechte“ und „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“. 1578 Hieraus folgt für die Systembetrachtung zweierlei: Zum einen wird es der fundamentalen Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht gerecht, sie schlicht als Wirtschaftsgrundrecht zu titulieren. 1579 Zum anderen heißt das jedoch nicht, dass Äußerungen, Erklärungen und Mitteilungen, die auf die Verfolgung von wirtschaftlichen Interessen abzielen, aus dem Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG ausgeklammert werden können. Auch sie genießen den „unverkürzten Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit“, denn das Grundrecht will ganz umfassend die freie Meinungsbildung sichern und zwar losgelöst vom jeweiligen Gegenstand und verfolgten Motiv. 1580 Damit fällt auch die Wirtschaftswerbung unter den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. 1581 Im Verhältnis zu Art. 12 und Art. 14 GG, die die berufliche und betriebliche Werbung gleichermaßen schützen, entfaltet nicht nur die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Meinungsäußerungsfreiheit, sondern auch die dort gleichermaßen normierte Informationsfreiheit eine Komplementärfunktion. 1582 Hierzu hält Ch. Degenhart fest: „Wirtschaftliche Dispositionen, Investions- und Konsumentscheidungen werden im Schutzbereich der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen für wirtschaftliches Handeln staatsfrei-privatautonom getroffen. Daher muss der Grundsatz freier Kommunikation auch insoweit gelten. Jegliche freiheitliche Ordnung auch in Teilbereichen der Verfassungsordnung (wie sie für den wirtschaftlichen Bereich durch die hier einschlägigen Grundrechtsgewährleistungen konstituiert wird) setzt BVerfGE 7, 198 ff. (208). Vgl. R. Stober (ders., Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 143), der von einer „wirtschaftsverfassungsrechtlichen Seite“ des Grundrechts spricht. 1580 Ch. Degenhart, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 121; vgl. auch E. SchmidtJortzig, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 141 Rn. 21. 1581 So beispielsweise Ch. Degenhart, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 125 ff.; K. H. Friauf/W. Höfling, Meinungsgrundrechte und Verfolgung von wirtschaftlichen Belangen, in: AfP 1985, S. 249 ff. (253 f.); P. Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 85 f.; ders., Grundrechtsfragen eines gemeinschaftsrechtlichen Verbots mittelbarer Werbung, 1990, S. 55 ff.; W. Schmitt Glaeser, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 113 (1988), S.52 ff. (72 f.). Nachdem das Bundesverfassungsgericht anfänglich die Frage offen gelassen hat, ob Wirtschaftswerbung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist (vgl. BVerfGE 40, 371 ff. (382)), hat es in einer späteren Entscheidung die Anwendbarkeit der Grundrechtsnorm verneint (vgl. BVerfGE 53, 96 ff. (99)). Erst im Jahre 1985 hat es anerkannt, „daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch für eine Wirtschaftswerbung jedenfalls dann als Prüfungsmaßstab in Betracht“ kommen würde, „wenn eine Ankündigung einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enhält, die der Meinungsbildung dienen“ (BVerfGE 71, 162 ff. (175); vgl. auch später BVerfGE 95, 173 ff. (182)). Letztlich bleibt die verfassungsgerichtliche Judikatur allerdings widersprüchlich; vgl. hierzu BVerfG, NJW 1994, 3342 f. (Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausdrücklich offen gelassen); BVerfG, NJW 1995, 775 f.; vgl. auch BVerfGE 94, 372 ff. (388 ff.) (Prüfungsmaßstab lediglich Art. 12 GG). 1582 Vgl. Ch. Degenhart, Anm. z. BVerwG, Urteil v. 24.10.1985 – 7 C 55. 84, in: JZ 1986, S. 440 f.; R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 146; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 5 Rn. 11. 1578 1579
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
freie Kommunikation für eben diese Teilbereiche voraus. Dies bedeutet nicht nur freie Information über Produkte und Leistungen, sondern auch die Freiheit der Auseinandersetzung im Wettbewerb und auch die Freiheit der Werbung für Produkte und Dienstleistungen, die Verbreitung von Tatsacheninformationen, vor allem aber Werturteilen hierüber mit dem Ziel einer Einflußnahme auf den Adressaten.“ 1583 Im Rahmen einer systematischen Betrachtung wird somit deutlich: Die Meinungsäußerungsfreiheit des werbenden Produzenten bzw. Händlers ist die notwendige Bedingung für die Informationsfreiheit des Konsumenten im Hinblick auf Produkte und Dienstleistungen. Hierauf wiederum kann der Konsument die Realisierung seiner Freiheiten, Konsum- und Investitionsentscheidungen zu treffen, stützen. 1584 Die Wirtschaftswerbung ist somit nicht nur von Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG, sondern auch von der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG) geschützt. 1585
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System – Exemplarische Verdeutlichung der Verknüpfung von Freiheit und Gleichheit I. Der Gleichheitssatz als zentrale, aber verfassungssystematisch ausfüllungsbedürftige Norm Die fundamentale Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes als Prinzip im Wirtschaftsleben ist wiederholt betont worden: „Selbstbestimmte und eigenverantwortliche wirtschaftliche Betätigung“, so umschrieb es z. B. R. Schmidt zutreffend, „ist nur dann möglich, wenn der Staat nicht durch einseitige gleichheitswidrige Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Wirtschaftssubjekte oder Gruppen von Wirtschaftssubjekten in das Wirtschaftsgeschehen eingreift“. 1586 Mag dieses Postulat auf den ersten Blick auch eingängig erscheinen, die Frage, was im Wirtschaftsleben gleich behandelt werden soll und was nicht, erschließt sich jedoch nicht ohne weiteres. 1587 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht von Anfang an im materiellen Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG ein an den Staat gerichtetes prinzipielles Gebot erkannt, „bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken“ Glei1583 Ch. Degenhart, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 123 f. (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 1584 Vgl. R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 146. 1585 Vgl. insbes. P. Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S.85; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 5 Rn. 11. 1586 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 165. 1587 Vgl. R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 127.
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 293
ches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. 1588 Die so genannte „Neue Formel“-Rechtsprechung hat deutlicher als noch zuvor klargestellt, dass die grundrechtliche Forderung nach Gleichheit prima facie gilt und außerdem im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Abwägung im Einzelfall unter strenger Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse ein gerechtes Ergebnis erzielt werden soll. 1589 Auch sind dem Gleichheitspostulat die im Ergebnis zutreffenden Forderungen nach Systemgerechtigkeit, „innerer“ Einheit der Rechtsordnung und Folgerichtigkeit entnommen worden. 1590 Jedoch erweisen sich die vom Bundesverfassungsgericht gelieferten Kriterien zur praktischen Handhabung des Gleichheitssatzes als durchgehend unpräzise. Verwendete Großformeln, wie „Gerechtigkeit“, „Vernunft“, „Natur der Sache“, „Willkür“ u. ä. tragen kaum dazu bei, den Gleichheitssatz mit Inhalt zu füllen. 1591 Die Ursache hierfür ist in dem Umstand zu sehen, dass sich das Bundesverfassungsgericht lange Zeit darauf konzentriert hat, den allgemeinen Gleichheitssatz aus sich heraus zu interpretieren. Dass ein derartiges Unterfangen letztlich scheitern muss, kann nicht verwundern, denn die „inhaltliche Unbestimmtheit des allein für sich betrachteten allgemeinen Gleichheitssatzes ist dessen wesentliches und unumgängliches Strukturmerkmal“. 1592 Folgerichtig erscheint es daher, den Gleichheitssatz primär mithilfe anderer verfassungsrechtlicher Wertungen, d. h. systematisch-axilogisch zu interpretieren. 1593 Dieser Ansatz wurde zunächst von Teilen der Literatur entwickelt 1594, schließlich aber auch vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffen. 1595 Für die in dieser Arbeit erfolgende wirtschaftsverfassungsrechtliche Systembetrachtung passt er voll und ganz ins Konzept. Er zeugt ganz allgemein von der Bedeutung einer systematischen Betrachtungsweise im Rahmen der Verfassungsinterpretation. Vor allem aber kann mit seiner Hilfe den Anforderungen des Systembegriffs nach Herstellung der Zweibezüglichkeit und der Zielsetzung, gerichtet auf eine ganzheitliche Betrachtung der Wirtschaftsverfassung, entsprochen werden.
1588 Vgl. 4. Kapitel: § 3 II. (insbes. Fn. 251); vgl. hierzu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 370 ff. 1589 Vgl. L. Osterloh, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 3 Rn. 14. 1590 Kritisch gegenüber der widersprüchlichen Judikatur des BVerfG H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (865) m. w. N. 1591 Vgl. W. Kluth, Gleichheitssatz im Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: LdWR, GW 1991, G 1060, S. 5; Ch. Starck (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 12) spricht diesen Kriterien in Gänze die Eignung zur Inhaltsbestimmung ab. 1592 Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 15. 1593 Vgl. auch 4. Kapitel § 4 II. 3. 1594 Vgl. H. P. Ipsen, Gleichheit, in: Die Grundrechte, Bd. II, 1954, S. 111 ff. (164 ff.); Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 16 ff.; vgl. auch F. Schoch, Der Gleichheitssatz, in: DVBl. 1988, S. 863 ff. (872). 1595 Vgl. BVerfGE 93, 121 ff. (133 f.).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
II. Prinzipieller Freiheits- und Gleichheitsschutz in wechselseitiger Ergänzung Bedarf somit der Gleichheitssatz einer systematischen Ausfüllung durch Wertungen anderer Verfassungsnormen, weil die Forderung nach Gleichheit vor dem Grundgesetz Bestand haben muss, so rückt im vorliegenden Kontext vor allem das Problem der wechselseitigen Verschränkung von grundgesetzlichem Freiheits- und Gleichheitsschutz in das Zentrum des Interesses. 1. Vom Gegensatz zur Annäherung Oft ist ein scharfer Gegensatz zwischen grundgesetzlich gewährleisteter Freiheit und Gleichheit gezeichnet worden. So beispielsweise bei G. Dürig. Dürig erkennt zwar in horizontaler Richtung einen „Standard“ bzw. „Sockel“ der Gemeinsamkeit von Freiheit und Gleichheit an, „bei dem ein Widerstreit von Gleichheit (im Recht) und Freiheit (vor Unrecht) gar nicht aufkommen dürfe, weil Kongruenz von ‚Freiheits-Gleichheit‘ bzw. ‚Gleichheits-Freiheit‘“ bestünde. Auf dieser Ebene müsse die Verfassung einen egalitären Standard unterschiedsloser Startchancen normieren. Auf diesem Sockel der Gemeinsamkeit, so Dürig, setzte dann aber in „vertikaler Richtung“, d. h. als „Stützpfeiler“, die durch die einschlägigen Grundrechte verbürgte Entfaltungsfreiheit an. Der Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit entsteht nach der Konzeption Dürigs bei der Deckelung der Entfaltungsfreiheit. Er hält fest: „Dieses von einer horizontalen Basis egalitärer Chancengleichheit ausgehende Modell der sich darauf bauenden vertikalen Entfaltungsfreiheit mit Konkurrenz, Wettbewerb, Risiko, Eigeninititiative, Kreativität usw. muß stets [...] wieder durch egalitäre Berechtigungen von Verfassung wegen ‚aufgefangen‘ werden“, wenn der Mensch z. B. infolge Alter, Krankheit, Invalidität in diesem Konkurrenzkampf nach oben nicht mehr mithalten kann.“ Aus der Modellperspektive heraus soll dies durch das Dazwischenschieben „egalitärer Ebenen“, d. h. mittels Gewährleistung „sozialer Auffangrechte“ geschehen. 1596 Nach der Vorstellung Dürigs bilden somit Freiheit und Gleichheit allenfalls auf der Sockelebene eine Einheit. Ansonsten wäre die Gleichheit ein Korrekturelement grundrechtlich gewährleisteter Freiheit. In dieser gegenläufigen Tendenz von Freiheit und Gleichheit sieht Dürig freilich keinen Systemwiderspruch. Es sei eben „dieselbe Verfassung, die nach Ansicht der Gesellschaft die Basis für Konkurrenz, Wettbewerb, Entfaltung, Initiative usw. liefern soll, und die, wenn damit naturgemäß ein pluralistischer ungleicher Überbau entsteht, dann wieder nivellieren soll.“ Es sei „dieselbe Verfassung, die nach Ansicht der Gesellschaft die uniforme Nivellierung dann später wieder dem individuellen Aufstieg in Freiheit öffnen soll.“ Aus der Divergenz würden „ununterbrochene dialektische Spannungen und normative 1596 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 120 ff. (insbs. Rn. 121, 122, 123, 139 ff.) (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original).
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 295
Synthesen“ resultieren, die durchaus nutzbringend verwendet werden könnten. Freilich ist G. Dürig im Rahmen dieses sehr allgemein gehaltenen Verständnisses einer Polarität von Freiheit und Gleichheit gezwungen, die sich daraus ergebende Frage nach der abstrakten Rangfolge zu beantworten. Er entscheidet sich für eine Präponderanz der gesellschaftlich bedingten Freiheit und für die „dienende Funktion“ der Gleichheit „als Basis und als Bedingung der freien Entfaltung menschlicher Anders- und Einzigartigkeit“. 1597 Dürigs Ausführungen rufen Zweifel hervor. Was er mit seiner Korrekturthese nicht gemeint haben kann ist, dass Freiheit und Gleichheit unter dem Grundgesetz in der Lage seien, sich gegenseitig vollständig zu verdrängen. Freiheit verdrängt Gleichheit und Gleichheit verdrängt Freiheit nur dann, „wenn beide Prinzipien isolierend verabsolutiert werden“. Nur in diesem Falle gilt: „Die totale Freiheit ist Ungleichheit und die totale Ungleichheit ist Unfreiheit“.1598 Eine derartige Einschätzung steht im Widerspruch zum grundgesetzlichen Menschenbild, dem das wirtschaftsverfassungsrechtliche System durchgehend Rechnung trägt. Eine absolute Wert- bzw. Prinzipiengeltung mit „Tendenz zum Totalen“ ist im Rahmen der vorliegenden Systemfreilegung ohnehin nicht zu befürchten. 1599 Sie widerspricht sowohl der gewonnenen Struktur von Prinzipien, als auch der Vorstellung von „inneren“ Systemen überhaupt. 1600 Mit der These von der Korrektur der Freiheit durch die Gleichheit hat sich Dürig vielmehr auf das mögliche Ergebnis von systemexternen Prinzipienkollisionen bezogen, d. h. auf den Umstand, dass im Einzelfall die Freiheit wegen divergierender Forderungen des prinzipiellen Gleichheitsgebotes graduell einzuschränken ist. Verallgemeinern lässt sich seine These aber nicht. Insofern gilt vielmehr: Freiheit und Gleichheit sind durchaus in der Lage, sich harmonisch in die Systemstruktur einzufügen, wobei eine „gewisse Präponderanz der Freiheit [...] nicht zu leugnen ist“.1601 Insofern bedarf Dürigs Säulenmodell einer Modifikation. Das Dazwischenschieben „egalitärer Ebenen“, wie es Dürig beschreibt, verfolgt im Einzelfall u. U. eine Korrektur-, gemeinhin jedoch eine Ergänzungsfunktion. Die Gleichheit steht insofern nicht in einem schroffen, unüberbrückbaren Gegensatz zur Freiheit. Sie ist und bleibt vielmehr „modal auf diese bezogen“. Grundgesetzlich gewährleistete Gleichheit bedeutet daher „Gleichheit in der Freiheit“. 1602 1597 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 135 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 1598 M. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, 1980, S. 46. 1599 Vgl. auch 3. Kapitel § 4 II. 1600 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 und 3. Kapitel § 5 I. 1601 So K. Stern (ders., Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 925), der sich allerdings auf das Verhältnis von grundrechtlicher Freiheit und sozialstaatlich bedingter, faktischer Gleichheit bezieht. Die Verhältnisbestimmung ist freilich verallgemeinerbar; vgl. zur interpretatorischen Angewiesenheit des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Wertaussagen der Freiheitsrechte 4. Kapitel § 4 II. 3. 1602 D. Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 12.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
2. Keine faktische, sondern rechtliche Gleichheit Ob das Unterfangen einer harmonischen Verhältnisbestimmung gelingt, hängt freilich vom „richtigen“ „Gleichheits“-Verständnis ab. Grundrechtlich gewährleistete Gleichheit kann immer nur rechtliche Gleichheit meinen und nicht faktische Gleichheit i. S. v. „Gleichschaltung“ und „Gleichmacherei“. 1603 Rechtliche Gleichheit begreift die Gleichheit aller Menschen als Prämisse jedes staatlichen Handelns und sieht darin, im Gegensatz zum faktischen Freiheitsverständnis, nicht ein erst noch staatlicherseits zu verwirklichendes Ziel. 1604 Die Erstgenannte ist wie die Freiheit Ausfluss des Faktums „Menschenwürde jedes Einzelnen“, sie wird gleichermaßen wie die Freiheit von der Rechtsidee aufgegriffen und letztlich über die Prinzipienebene in die Rechtsordnung transformiert. Rechtliche Gleichheit definiert sich daher von vornherein in Beziehung zur Freiheit. 1605
3. Wechselseitige Ergänzung von grundrechtlich gewährleisteter Freiheit und Gleichheit Freiheit und (rechtliche) Gleichheit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System stehen mithin nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich wechselseitig. Die Gewährleistung von Freiheit ist letztlich nur möglich, wenn mithilfe der Gleichheit die Freiheitssphären der Individuen voneinander abgegrenzt werden. 1606 Freiheit ist nach dem traditionellen, materialen Freiheitsverständnis des Grundgesetzes die Negation der Fremdbestimmung. 1607 Dieser Gedanke kommt in der klassischen Abwehrfunktion der Freiheitsrechte zum Ausdruck. Aus diesem Freiheitsverständnis heraus, d. h. Freiheit verstanden als vorstaatlicher, grundsätzlich nicht anzutastender Freiraum des Einzelnen als Ausfluss seiner Würde, wird die gewährleistete Gleichheit aller Menschen in ihrer axiologischen Sinnhaftigkeit deutlich: „Jeder Mensch muß die gleiche Möglichkeit der Selbstbestimmung haben und soll die gleiche sittliche Verpflichtung in sich fühlen, seine konkrete Individualiät autonom im Sinne allgemeingültiger Gesetzmäßigkeit zu bestimmen.“ 1608
1603 Vgl. zu dieser Unterscheidung: Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 3 ff. 1604 Vgl. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 3 f. 1605 Vgl G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1959, S. 21 ff. 1606 Vgl. P. Kirchhof, in: HStR, Bd. V, 2000, § 124 Rn. 158. 1607 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 II. 1. a); vgl. hierzu schon G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1959, S. 18. 1608 P. Kirchhof, in: HStR, Bd. V, § 124 Rn. 159; vor ihm schon G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1959, S. 21; vgl. auch A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 282.
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 297
Der „innere“ Zusammenhang von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit 1609 hat grundrechtspraktische Auswirkungen. So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Grenzen gesetzgeberischen Handelns umso enger zu ziehen sind, „je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann“. 1610 Insofern greift das Bundesverfassungsgericht die bereits erwähnte, von H. P. Ipsen 1611 und Ch. Starck 1612 entwickelte Konzeption einer primären Interpretation des Gleichheitssatzes mithilfe anderer verfassungsrechtlicher Wertungen auf. Die Freiheitsrechte liefern der verfassungsrechtlichen Gleichheitsprüfung nach dieser systematisch-axiologischen Sicht regelmäßig verfassungsunmittelbare Differenzierungskriterien (Differenzierungsverbote, Differenzierungsgebote, Differenzierungserlaubnisse). 1613 Von einem Differenzierungsverbot ist beispielsweise auszugehen, wenn die Koalitionsfreiheit „für jedermann“ und „für alle Berufe“ gewährleistet ist. 1614 Was die Grundrechtsträgerschaft betrifft, so gilt Gleiches bei Art. 14 GG. Demgegenüber enthält Art. 12 Abs. 1 GG als „Deutschen“-Grundrecht ein Differenzierungsgebot, indem es die dort verankerten Freiheiten nur Staatsbürgern gewährt. 1615 Art. 12 Abs. 1 GG lassen sich weiterhin Differenzierungsgebote bei der Festlegung und Abgrenzung von beruflichen Tätigkeiten entnehmen. 1616 Dies gilt vor allem im Hinblick auf traditionell ausgeprägte Berufsbilder, die einen Ausdruck freiheitlicher Grundrechtsobjektivation darstellen. 1617 Außerdem muss der axiologischen Heterogenität des Berufsgrundrechts im Rahmen der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden. Differenzierungserlaubnisse, aus grundrechtlichen Schrankenvorbehalten herrührend, lassen einen gewissen Spielraum, wenn es um Gattungsbildungen im Zusammenhang mit Grundrechtsbeschränkungen geht, wobei letztlich der axiologische Stellenwert des geschützten Freiheitssegments die Gestattung hierfür liefert. 1618 Neben den angewendeten Differenzierungskriterien müssen auch die verfolgten Differenzierungsziele im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen. 1619 Verboten wäre daher beispielsweise die 1609 1610
Vgl. hierzu M. Kriele, in: HVerfR, 1. Aufl., 1983, S. 129 ff. BVerfGE 88, 87 ff. (96); E 89, 15 ff. (22 f.); 89, 69 ff. (89); E 90, 46 ff. (56); E 91, 346 ff.
(363). Vgl. H. P. Ipsen, Gleichheit, in: Die Grundrechte, Bd. II, 1954, S. 111 ff. (164 ff.). Vgl. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Rn. 16 ff. 1613 Vgl. F. Schoch, Der Gleichheitssatz, in: DVBl. 1988, S. 863 ff. (872); vgl. auch M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 3 Rn. 3, 20. 1614 Vgl. P. Kirchhof, in: HStR, Bd. V, 2000, § 124 Rn. 227. 1615 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 3. 1616 Vgl. bspw. BVerfGE 9, 338 ff. (350); E 13, 97 ff. (122 f.); BVerfG, NJW 1983, S. 2869 f. (2870). 1617 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 4 (insbes. Fn. 709). 1618 Vgl. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Rn. 20 mit Beispielen. 1619 Vgl. M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 3 Rn. 21. 1611 1612
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Zielsetzung, den Individuen ihre dezentrale Wirtschaftsgestaltungsmacht gänzlich zu rauben, denn diese stünde im Widerspruch zur grundrechtlichen prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit. Auf systematischem Wege verstärkt bzw. präzisiert der grundrechtliche Freiheitsschutz nach alldem die Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsschutz. Die Perspektive der Betrachtung lässt sich aber auch umkehren, d. h. auch der Gleichheitsschutz tritt verstärkend an den Freiheitsschutz heran: Während sich der grundrechtliche Freiheitsschutz gegen eine übermäßige Beschneidung der Freiheit der Grundrechtsträger richtet, d. h. die Möglichkeit schützt, Freiheitsrelationen untereinander autonom und eigennützig im Rahmen des wirtschaftlichen Kräftemessens gestalten zu können, bewirkt der gleichheitsrechtliche Abwehrschutz dadurch zusätzlichen Schutz, dass er inhaltlich unangemessene Einwirkungen des Staates auf diese Freiheitsrelationen verhindert. 1620 Im vorliegenden Kontext gilt daher: „Die Verwirklichung individueller wirtschaftlicher Freiheit setzt voraus, dass der Staat die Bürger in wirtschaftlichen Angelegenheiten gleich behandelt. [...] Gleichheitsrechte und wirtschaftliche Freiheitsrechte stehen in einem unauflösbaren Zusammenhang, weil privilegierte Freiheit individualfeindlich ist und die ökonomischen Startchancen verzerrt.“ 1621
4. Ausgewählte Fallgruppen Aus dem geschilderten Zusammenspiel der wirtschaftlichen Freiheitsrechte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich zum Beispiel grundsätzliche Maßgaben für die Ausgestaltung des Steuerrechts. Über die Abwehrfunktion hinaus können sich aus der Verschränkung weitere grundrechtsdimensionelle Gehalte ergeben. 1622 So hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang „derivative“ Teilhabe- oder Leistungsrechte, insbesondere den Anspruch auf (wirtschaftliche) Chancengleichheit, abgeleitet. 1623 Diesen Zusammenhängen gilt nachfolgend das besondere Interesse.
Vgl. L. Osterloh, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 3 Rn. 16 ff. u. 41. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 269. 1622 Vgl. zum derivativen Teilhaberecht auf Zulassung zum Hochschulstudium aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip schon 4. Kapitel § 2 I. 7. a). 1623 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 7. a). 1620 1621
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 299
a) Umfassender prinzipiell gewährleisteter Besteuerungsschutz: Die Prinzipien der Steuergerechtigkeit, der Lastengleichheit und der freiheitsschonenden Besteuerung (Zusammenspiel aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1624 und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum 1625 ist das Prinzip der Steuergerechtigkeit im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verankert. Sozusagen als „Fundamentalnorm staatlicher Verteilungsgerechtigkeit“ gebietet die Gleichheit als Prinzip in dieser Ausprägung die konsequente Gleichbehandlung des (wesentlich) Gleichen und die Ungleichbehandlung des (wesentlich) Ungleichen durch Bildung und Anwendung gerechter Vergleichsmaßstäbe im Steuerrecht. 1626 Dabei geht es vor allem darum, Maßstäbe für die systemexterne Lösung von Kollisionszenarien zu formulieren. So ist der Gleichheitssatz bei der Steuerrechtsetzung nur dann gewahrt, wenn die Kriterien der Allgemeinheit (Heranziehung der betroffenen Bürger in Gänze), der Gleichmäßigkeit (Gleichartigkeit der steuerlich relevanten Lebenssachverhalte) und der Angemessenheit (relativ gleiche Belastung Einzelner) in hinreichendem Maße berücksichtigt werden. 1627 Nur auf diesem Wege kann die Brücke zur verfassungsrechtlichen Forderungen nach horizontaler und vertikaler Steuergerechtigkeit geschlagen werden. 1628 Hierzu hält das Bundesverfassungsgericht fest: „In vertikaler Richtung muß die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen. In horizontaler Richtung muß darauf abgezielt werden, daß Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden“. 1629 Die prinzipielle Forderung nach Steuergerechtigkeit mittels Gleichheit der Belastungen wird somit durch das Prinzip der „Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ wesentlich substantiiert. 1630 Die Rechtslehre kann insofern an eine lange historische Tradition anknüpfen. Bereits Art. 134 WRV verlangte, dass alle Staatsbürger ohne Unterschied ihren Mitteln entsprechend zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze beitragen müssten. 1631 Das Leistungsfähigkeitsprinzip entfaltet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts besondere Bedeu-
1624 So etwa BVerfGE 6, 55 (70); E 13, 331 ff. (338); E 26, 302 ff. (310); E 66, 214 ff. (223); E 68, 143 ff. (152); E 68, 287 ff. (310); E 74, 182 ff. (199 f.). 1625 Vgl. statt vieler W. Heun, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. I, 2004, Art. 3 Rn. 74; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 3 Rn. 44. 1626 D. Birk, Steuerrecht, 2004, Rn. 152. 1627 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 3 Rn. 51 m. w. N. 1628 Grundlegend D. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 165 ff., 170 ff. 1629 BVerfGE 82, 60 ff. (89). 1630 Vgl. BVerfGE 66, 214 ff. (223); E 82, 60 ff. (86); E 89, 346 ff. (352). 1631 Vgl. hierzu D. Birk, Steuerrecht, 2004, Rn. 153.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
tung mit Blick auf das Einkommenssteuerrecht. 1632 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen werden hier durch das so genannte Nettoprinzip, d. h. durch die Bestimmung der Ist-Leistungsfähigkeit als Anknüpfungspunkt der Einkommenssteuerpflicht, konkretisiert. 1633 Im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System wird die auf Art. 3 Abs. 1 GG basierende prinzipielle Forderung nach Steuergerechtigkeit bzw. die Forderung nach Besteuerung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch das Prinzip der freiheitsschonenden Besteuerung, das aus einer Gesamtbetrachtung der Menschenwürdegarantie und ihrer Konkretisierungen in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG abzuleiten ist, ergänzt. Zusammengefasst führen die genannten Prinzipien im Ergebnis zu einem umfassenden, prinzipiell gewährleisteten Steuerschutz. 1634, 1635 Die Konsequenzen des Zusammenspiels von verfassungsrechtlichem Freiheitsund Gleichheitsschutz entfalten sich in vielerlei Hinsicht. Beide kommen vor allem dann zum Tragen, wenn es um das Verbot der Konfiskation durch Besteuerung bzw. um die abstrakte Bestimmung einer Grenze der Steuerbelastung im Vorkonfiskationsbereich geht. 1636 Die verfassungskräftig geschützte Freiheitlichkeit in Gestalt der Privatinitiative und der unternehmerischen bzw. beruflichen Initiative beansprucht prinzipielle, d. h. prima facie Geltung. Wie bei allen Prinzipien besteht auch hier ein abwägungsresistenter Bereich. Der prinzipiell geforderte Freiheitsschutz wäre weitgehend entwertet, „wenn Steuerlasten auferlegt werden dürften, die die Eigentumsverhältnisse grundlegend verändern oder beeinträchtigen, die Unternehmen unrentabel werden lassen“ oder sonst den Leistungswillen und die Leistungsfähigkeit dauerhaft untergraben. 1637 Dies gilt für alle am marktwirtschaftlichen Kräftemessen Beteiligten und ist zugleich die Voraussetzung zur Herstellung einer materialen Steuergerechtigkeit. Sie funktioniert als Maßgabe der Rechtsidee letztlich nur bei Gleichheit in der Freiheit. 1638 Vorliegend reicht es aus, den aus dem Zusammenwirken der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten resultierenden Besteuerungsschutz exemplarisch 1632 1633
Vgl. beispielsweise BVerfGE 61, 319 ff. (343 f.); E 66, 214 ff. (223) m. w. N. Vgl. zum Nettoprinzip G. Crezelius, Steuerrecht II, 1994, § 4 Rn. 11, § 9 Rn. 1, 12, § 10
Rn. 7. 1634 Vgl. D. Birk, Steuerrecht, 2004, Rn.45–61, 157 ff.; vgl. auch K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 115 ff., 417 ff., insbes. 449. 1635 Zur Komplettierung der steuerrechtlichen Grundprinzipien-Trias durch das Sozialstaatsprinzip (Art.20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) vgl. 4. Kapitel § 5 II; vgl. zum Besteuerungsschutz durch die Berufsfreiheit 4. Kapitel § 2 I. 6. b); vgl. zum Prinzip der eigentumsschonenden Besteuerung bereits 4. Kapitel § 2 II. 5. d) und 4. Kapitel § 2 II. 7. a). 1636 Vgl. M. Jachmann, Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, in: StuW 1996, S. 97 ff. (100); K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 419 f., 434 f., 451, 457. 1637 K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 449. 1638 Vgl. hierzu auch E. Benda, in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 169.
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 301
zu verdeutlichen. Als Beispiel soll dabei die steuerliche Unantastbarkeit des eigenen Existenzminimums dienen. 1639 Während der allgemeine Gleichheitssatz den Verfassungsmaßstab „Leistungsfähigkeitsprinzip“ begründet, wird dieser durch den Menschenwürdesatz, das Sozialstaatsprinzip und durch die wirtschaftlichen Freiheitsrechte hin zu einem Gebot auf Freistellung von der Besteuerung des Existenzminimums konkretisiert. 1640 Die auch dem Menschenwürdesatz innewohnende prinzipielle Abwehrfunktion kreiert insofern nicht nur ein prima-facie-Recht, sondern ein definitives „Elementarrecht auf Belassen des Bestandes an für ein menschenwürdiges Leben nötigen Außenweltsgütern“. 1641 Kürzer formuliert: Art. 1 Abs. 1 GG postuliert unmittelbar und absolut zwingend, dass die Besteuerung dem Bürger jedenfalls soviel belassen muss, dass es ihm möglich ist, ein menschenwürdiges Leben zu führen. 1642 In diese Forderung stimmt das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) ein. 1643 Die von Art. 3 Abs. 1 GG postulierte Forderung nach rechtlicher Gleichheit wird somit durch die sozialstaatliche Forderung nach faktischer Angleichung der Lebensverhältnisse ergänzt. 1644 Weil die Gewährleistung des Existenzminimums die essentielle Voraussetzung für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheit bildet, tritt zum explizierten Gleichheitsverbund auch der Verbund der Freiheitsrechte hinzu. Relevant sind dabei das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit – freilich nur als Basiswertung, weil im konkreten Falle regelmäßig subsidiär –, das Grundrecht der Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantien. 1645 Grundlegend BVerfGE 87, 153 ff. (169). Vgl. bspw. BVerfGE 82, 60 ff. (85 ff.); vgl. aber auch D. Birk, Steuerrecht, 2004, Rn. 157 ff. 1641 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 1 Abs. 1 Rn. 44. 1642 So auch der Erste Senat des BVerfG (vgl. BVerfGE 82, 60 ff. (85) und neuerdings auch der Zweite Senat des BVerfG (vgl. BVerfGE 99, 216 ff. (233); E 99, 246 ff. (259)); vgl. auch K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 417, 420 ff. 1643 Vgl. zur Verknüpfung von Freiheit und Gleichheit im sozialen Rechtsstaat 4. Kapitel § 5 II. 1, 4. Kapitel § 5 II. 2, 4. Kapitel § 5 II. 3 und 4. Kapitel § 5 II. 4; vgl. auch E. Benda, in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 169 ff. und M. Jachmann, Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, in: StuW 1996, S. 97 ff. (99 ff.). 1644 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 5. 1645 So früher der Zweite Senat des BVerfG, vgl. BVerfGE 87, 153 ff. (169). Er hielt fest, dass die freiheitsbeschränkende Wirkung von Steuergesetzen jedenfalls an Art. 2 GG zu messen sei. Es müsse aber auch berücksichtigt werden, „daß Steuergesetze in die allgemeine Handlungsfreiheit gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art.14 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG) eingreifen“. Dies bedeute, „daß ein Steuergesetz keine ‚erdrosselnde Wirkung‘ haben darf“. Das geschützte Freiheitsrecht dürfe „nur so weit beschränkt werden, daß dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen) ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützlichkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt“. Hieraus folge, so das BVerfG, „daß dem der Einkommenssteuer unterworfenen Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommenssteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben muß, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und – unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG – 1639 1640
302
4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Zwar wurde die Forderung nach Steuerfreiheit des eigenen Existenzminimums des Steuerpflichtigen vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Vergangenheit ausschließlich unter Rückgriff auf die genannten Freiheitsrechte und unter Verzicht auf das Leistungsfähigkeitsprinzip abgeleitet. 1646 Diese enge Sichtweise beruhte indes auf einer Fehleinschätzung. So ging zwar der Zweite Senat zunächst zutreffend von der Annahme aus, dass – anders als bei den Fallkonstellationen, die das so genannte „Familienexistenzminimum“ betreffen – der Maßstab der horizontalen Steuergerechtigkeit nicht relevant sei. 1647 Hieraus zog es dann allerdings den fehlerhaften Schluss, dass damit auch ein Rückgriff auf das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht in Betracht käme, obwohl kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass derjenige, der seinerseits auf den existentiellen Bedarf beschränkt ist, auch in steuerlicher Hinsicht nicht leistungsfähig ist. 1648 Verblüffenderweise wird aber vor allem der Umstand übersehen, dass die Freistellung des eigenen Existenzminimums auch durch das auf dem Leistungsfähigkeitsprinzip beruhende Prinzip der vertikalen Steuergerechtigkeit gefordert wird. 1649 Als Vergleichspaar sind zwei Steuerpflichtige heranzuziehen, die im Hinblick auf familiäre Unterhaltsverpflichtungen keine Differenzen aufweisen, deren Erwerbseinkommen sich aber in der Höhe unterscheidet. Konkret schlägt sich dann die Forderung nach vertikaler Steuergerechtigkeit zunächst in der Tarifgestaltung nieder, d. h. der Steuerpflichtige mit einem höheren Einkommen muss eine höhere absolute Steuerlast tragen.1650 Mit steigendem Einkommen darf die durchschnittliche Steuerbelastung des Steuerpflichtigen nicht fallen. 1651 Trägt man zudem dem Postulat Rechnung, dass sich die Forderung nach vertikaler Steuergerechtigkeit in der Berücksichtigung des Existenzminimums niederzuschlagen hat, so muss zum Zwecke der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Steudesjenigen seiner Familie bedarf (‚Existenzminimum‘)“. Vgl. hierzu auch L. Schemmel, Das einkommensteuerliche Existenzminimum: Berücksichtigung der Menschenwürde im Steuerrecht oder politisch gestaltbare Steuervergünstigung? – Anm. z. Beschl. des Zweiten Senats des BVerfG vom 25.09.1992, in: StuW 1993, S. 70 ff. (73 ff.). Zur Existenzsicherungsfunktion der Berufsfreiheit als Prinzip vgl. 4. Kapitel § 2 I. 1 sowie 4. Kapitel § 2 I. 2. Zum „Unterprinzip“ Existenzsicherung als Bestandteil des Prinzips „Eigentum“ vgl. 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1646 Vgl. Fn. 1645. 1647 So auch L. Osterloh, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art.3 Rn. 153 ff. (insbes. Rn.156). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG unterscheidet sie zwischen dem Gebot auf Steuerfreiheit des eigenen Existenzminimums und dem auf Freistellung des „Familienexistenzminimums“, d. h. auf Steuerfreiheit des notwendigen Lebensunterhalts von Kindern des Steuerpflichtigen. Art. 3 Abs. 1 GG käme unmittelbar nur im letzteren Falle zur Anwendung, weil das Familienexistenzminimum „als nicht disponibles Einkommen die Leistungsfähigkeit“ mindere, „so dass horizontale Gleichheit im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen mit und ohne unterhaltsberechtigte Kinder auch bei höheren Einkommen die Berücksichtigung entsprechender Unterhaltsaufwendungen fordere“. 1648 Vgl. K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 423. 1649 Vgl. H.-W. Arndt/A. Schumacher, Unterhaltslast und Einkommenssteuerrecht, in: NJW 1994, S. 961 ff. (964). 1650 Vgl. H.-W. Arndt/A. Schumacher, Unterhaltslast und Einkommenssteuerrecht, in: NJW 1994, S. 961 ff. (964). 1651 Vgl. BVerfGE 8, 51 ff. (68 f.).
§ 4 Der allgemeine Gleichheitssatz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System 303
erzahlung das Existenzminimum wie eine Sonderausgabe von der Summe der Einkünfte abgezogen werden. Das Ergebnis bildet das „disponible Einkommen“. Hieran gemessen steht das geltende Recht im Widerspruch zur vertikalen Steuergerechtigkeit. Denn dadurch, dass die Berücksichtigung des Existenzminimums im Rahmen eines Grundfreibetrages und nicht einer Freigrenze erfolgt, hat der darauf angewiesene Steuerpflichtige im Eingangsbereich des Einkommenssteuertarifs einen höheren Anteil am disponiblen Einkommen abzuführen, als ein Steuerpflichtiger mit einem höheren zu versteuernden Einkommen. 1652 b) Rechtliche Chancengleichheit als Substrat der „verbundenen Idealkonkurrenz“ zwischen dem Gleichheitssatz, der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie Inhalt und Reichweite bestimmter, prima facie gewährleisteter Positionen ergeben sich erst aus dem Zusammenspiel von allgemeinem Gleichheitssatz, Berufsfreiheit und ggf. der Eigentumsgarantie. Hierzu gehören zum Beispiel die prinzipiell gewährleisteten Ansprüche auf derivative Teilhabe bei der Zuteilung vorhandener Ausbildungsplätze 1653 oder der grundrechtliche Drittschutz bei der Vergabe wirtschaftlicher Subventionen. 1654 Sie alle sind Ausdruck eines allgemeineren Prinzips, dass in wirtschaftsverfassungsrechtlicher Hinsicht von der Rechtslehre bislang vor allem mit Blick auf berufsrelevante Prüfungen und Auswahlentscheidungen erörtert wurde: dem Prinzip der Chancengleichheit! 1655 Chancengleichheit meint im vorliegenden Kontext vor allem „Chancengleichheit im Wettbewerb“ oder „Wettbewerbsgleichheit“. 1656 Damit ist jedoch freilich nicht die Herstellung voller materieller Gleichheit im Ergebnis gemeint. 1657 Es geht vielmehr um die Gewährleistung der rechtlichen 1652 Vgl. H.-W. Arndt/A. Schumacher, Unterhaltslast und Einkommenssteuerrecht, in: NJW 1994, S. 961 ff. (964). 1653 Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 2 I. 7. a); vgl. auch R. Breuer, in: HStR, Bd. VI, 2001, § 147 Rn. 99; vgl. auch F. Schoch (ders., Der Gleichheitssatz, in: DVBl. 1988, S. 863 ff. (872 f.)), der Art. 3 Abs. 1 GG insofern eine Auswahl- und Verteilungsfunktion einräumt. 1654 Vgl. V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 263 ff. 1655 Vgl. P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 532; Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 33 ff.; vgl. auch G. Robbers (ders., Der Gleichheitssatz, in: DÖV 1988, S. 749 ff. (757)), der das Prinzip der Chancengleichheit nicht nur in Verbindung mit dem Gleichheitssatz bringt, sondern die Abhängigkeit von weiteren Verfassungsnormen sieht. 1656 P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 532 f.; vgl. hierzu R. Scholz (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 153), der den Terminus „autonome Chancengleichheit“ wählt und bei der Ableitung derselben allein auf Art. 12 GG und 14 GG abstellt. Im Gegensatz hierzu sieht H.-W. Laubinger (ders., Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, 1967, S. 89) die wirtschaftliche Chancengleichheit offenbar ausschließlich in Art. 3 GG verankert. 1657 Vgl. F. Schoch (ders., Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, S. 863 ff. (880)), der dem Prinzip der Chancengleichheit ausdrücklich die Stellung als „Garantie gleicher Erfolgsverwirklichung“ abspricht.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Startgleichheit zwischen den Konkurrenten im wirtschaftlichen Wettbewerb, wobei eine tatsächliche Differenzierung im Ergebnis in Kauf zu nehmen ist. 1658 In seiner staatsabwehrenden Komponente beinhaltet das Prinzip zum einen das prima-facieVerbot einer staatlichen Konkurrentenbegünstigung im wirtschaftlichen Wettstreit. 1659 Gleichermaßen richtet sich das Prinzip dagegen, dass der Staat selbst zu günstigeren Bedingungen tätig wird als der oder die betroffenen privaten Wirtschaftsteilnehmer und dadurch den Wettbewerb verzerrt. 1660 Der staatsaktivierenden Dimension des Prinzips der Chancengleichheit, d. h. der Forderung an den Staat, prinzipielle Startgleichheit positiv zu gewährleisten, sind bereits aus der Abwehrfunktion heraus Grenzen gesetzt. Soweit die Herstellung von Chancengleichheit staatlicherseits beeinflussbaren Faktoren unterliegt, gilt: Startgleichheit, verstanden im vorliegenden Sinne, kann grundsätzlich nur bedeuten, gleiche rechtliche Ausgangsbedingungen für alle Konkurrenten zu schaffen. 1661 Sie kann nicht für „jeden neuen Versuch“ oder „jede neue Stufe“ gewährleistet werden. 1662 Dies würde dem Prinzip der verfassungsrechtlich gebotenen Staatsferne die Märkte betreffend zuwiederlaufen und wäre letztlich mit einem freiheitlichen Staatswesen unvereinbar. 1663, 1664
§ 5 Sonstige wirtschaftsverfassungsrechtliche Determinanten des GG im systematischen Kontext I. Das Rechtsstaatsprinzip im „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung 1. „Rechtsstaatlichkeit“ als selbstständiges, verallgemeinertes Prinzip mit eigenständigem Normgehalt? Die Rechtsstaatlichkeit unter dem GG ist als ein „außergewöhnlich vielseitiges, ganz unterschiedliche verfassungsrechtliche Aspekte zusammenfassendes RechtsVgl. W. Rüfner, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 58. Vgl. P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 564. 1660 Vgl. mit Blick auf die Chancengleichheit im Bereich der politischen Willensbildung BVerfGE 42, 53 ff. (59); E 52, 63 ff. (89); E 73, 40 ff. (89). 1661 Vgl. aber zur Möglichkeit einer sozialen Angleichung faktischer Verhältnisse 4. Kapitel § 5 II. 2. 1662 W. Rüfner, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 58. 1663 Vgl. W. Rüfner, in: BK z. GG, Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rn. 58; vgl. aber zur Möglichkeit einer sozialen Angleichung faktischer Verhältnisse 4. Kapitel § 5 II. 2. 1664 Wie jedes Prinzip – von der Menschenwürdegarantie einmal abgesehen – gilt auch das hier erläuterte nicht absolut. Freilich kann das Prinzip im (systemexternen) Kollisionsfalle soweit entkräftet werden, wie beispielsweise das Sozialstaatsprinzip oder die Sicherung eines funktionierenden Marktes einen staatlicherseits herbeigeführten Ausgleich zwischen den Konkurrenten verlangt (vgl. Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. I, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 43 m. w. N.). 1658 1659
§ 5 Sonstige wirtschaftsverfassungsrechtliche Determinanten des GG
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prinzip“ zu verstehen, in dem „zahlreiche, untereinander sehr heterogene Unterprinzipien zusammengefaßt werden“. 1665 Es stellt sich aus diesem Grund die Frage, ob es überhaupt zulässig ist bzw. Sinn macht, von „dem“ Rechtsstaatsprinzip zu sprechen. Die Antwort auf diese Frage kann sich auf ein bereits gelegtes Fundament stützen: Die Rechtsstaatlichkeit bildet als Ausfluss der Rechtsidee zumindest eine „abstrakte Wertungskategorie“. 1666 Zweifel bestehen allerdings insoweit, als man dieser einen eigenständigen normativen Gehalt zubilligen möchte. So trifft Ph. Kunig die Feststellung, dass „von ‚Rechtsstaatlichkeit‘ als verfassungsrechtlicher Kategorie unter dem Grundgesetz“ nur insofern die Rede sein kann, als es um die „Problemkennzeichnung“ als solche geht. Das „Rechtsstaatsprinzip“, so Kunig, „mag diejenigen Bestandteile des Grundgesetzes bündelnd bezeichnen, die Rechtsstaatlichkeit gewährleisten“. Es sei allerdings „keine selbstständig neben diese tretende Rechtsnorm“. 1667 In der Tat bewahrt Kunigs Ansatz den in der Verfassung verankerten Schutz des Rechtsstaates vor der Verwässerung durch ideologisch begründete Interpretationswillkür. 1668 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gilt es, ihn insofern fruchtbar zu machen, als bei der Ermittlung der Prinzipieninhalte bzw. -gehalte des Rechtsstaates auf die enge Anbindung an die verfassungsgesetzlichen Aussagen geachtet wird. Dabei bildet es keinen Widerspruch, weiterhin den ideengeschichtlichen Ursprung in der Rechtsidee zu berücksichtigen und in Anlehnung hieran den wertenden Rückschluss, ausgehend von den Einzelbestimmungen auf das übergeordnete Leitprinzip „Rechtsstaat“ zu betreiben und schließlich diesem in seiner Eigenschaft als Prinzip auch einen gewissen Normencharakter zuzuschreiben. Kunig ist dabei in der Tat zuzustimmen, wenn er davon spricht, dass das Rechtsstaatsprinzip, was das Verhältnis zu seinen positivierten Unterprinzipien betrifft, nicht selbstständig neben diese tritt. An dieser Stelle sei auf die Ausführungen zum semantischen Normbegriff verwiesen. 1669 In Anlehnung hieran lassen sich Rechtsprinzipien zutreffend als „unvollständige Rechtsnormen“ titulieren. 1670 Sie bedürfen meist weiterer Konkretisierung durch Rechtsprinzipien mit geringerem Abstraktionsgehalt (Unterprinzipien) oder aber durch Regeln. Hier genau setzen die vorliegenden Überlegungen zum Rechtsstaatsprinzip als Leitprinzip der Wirtschaftsverfassung ein. Das Rechtsstaatsprinzip in diesem Sinne bildet das durch Abstraktion gewonnene Substrat der in Einzelbestimmungen konkretisierten rechtsstaatlichen Programmatik. Entsprechend abstrakt und vage ist somit auch der von ihm ausgehende Norm1665 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VII, Rn. 3 (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original); vgl. auch die Darstellung zur Spruchpraxis des BVerfG bei Ph. Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 421 ff. 1666 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 1. 1667 Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.463, vgl. aber auch S.89 ff., 109 f. und 457 ff. 1668 Zustimmend vor allem P. Häberle, Buchbesprechung z. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, in: NJW 1987, S. 175 f. (176); F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. II, 2001, Art. 20 Rn. 24. 1669 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 5. 1670 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2001, S. 400.
20 Meyer
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befehl. Dieser ist auf die Vermittlung durch den weit konkreteren Normbefehl seiner Unterprinzipien bzw. Regeln angewiesen, um rechtspraktische Bedeutung zu erlangen. Als Quelle zur Deduktion selbstständiger, spezifischer Gehalte, die den Konkretisierungsgrad positivierter Unterprinzipien oder gar Regeln erreichen und diese ergänzen, eignet es sich in der Tat nicht. 1671 Und dennoch kann auf die Ermittlung „des“ Rechtsstaatsprinzips im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System nicht verzichtet werden. E. Schmidt-Aßmann hat die entscheidenden Aspekte trefflich zusammengefasst. Er hebt hervor, dass die „Anknüpfung an das Rechtsstaatsprinzip“ die erforderliche „Verallgemeinerungsfähigkeit“ von Lösungen ermögliche. Weiter, so Schmidt-Aßmann, habe das Rechtsstaatsprinzip dort „eine eigenständige Aufgabe [...], wo es darum geht, die normierten Gehalte als System zu verstehen, sie um das Zentrum einer Sicherung durch Recht und um rechtliche Institutionen zu gruppieren und auf Regelungslücken und Wertungswidersprüche hin zu untersuchen“. Der Rückgriff auf das Prinzip diene der Erschließung funktionaler Einsichten. Aber auch die Rechtstraditionen, sofern sie institutionsprägend sind, so Schmidt – Aßmann, würden hier Gewicht gewinnen. Konsequent zieht er den folgenden Schluss: „‚Das‘ Rechtsstaatsprinzip besitzt folglich zwei Schichten, zwischen denen wiederum Übergänge denkbar sind: Es wirkt deklaratorisch als Kurzform, wo spezielle Gewährleistungen bestehen, konstitutiv aber dort, wo es um den Ausdruck gerade des Allgemeinen und des Systematischen geht.“ 1672, 1673 2. Konstituierende Bestandteile des Prinzips „Rechtsstaat“ a) Überwölbende Zielsetzung in Anlehnung an das Postulat der Rechtsidee: Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit Das heutige Verständnis vom Rechtsstaat findet seine Wertungsursprünge in der Rechtsidee mit ihren besonderen Ausprägungen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. 1674 Hier liegen nicht nur die gemeinsamen Wurzeln sämtlicher Unterprinzipien und Regelbestandteile, sondern zugleich auch die sie verklammernde Zielsetzung. 1675 1671 Zu den einer derartigen Vorgehensweise ohnehin anhaftenden methodischen Bedenken (Verbot der Inversionsmethode) vgl. auch 3. Kapitel § 3 I. 1672 E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Bd. I, 1987, § 24 Rn. 8 f.; vgl. auch P. Häberle, Buchbesprechung z. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, in: NJW 1987, S. 175 f. (176). 1673 Eine umfassende Auflistung von Argumenten, die gegen einen Verzicht auf „das“ Prinzip „Rechtsstaat“ sprechen, findet sich bei K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 527 f. 1674 Vgl. zur methodischen Grundlegung 3. Kapitel § 3 II, 3. Kapitel § 4 II, 3. Kapitel § 5 I. 1, 3. Kapitel § 5 I. 2, 3. Kapitel § 5 I. 4, 3. Kapitel § 5 II. 3 und 4. Kapitel § 1 I. 1675 Vgl. BVerfGE 2, 380 ff. (403); E 3, 225 ff. (237); E 7, 89 ff. (92); E 20, 323 ff. (331); E 25, 269 ff. (290).
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Das Verständnis eines vor allem auf Verwirklichung und Sicherung der Gerechtigkeit zielenden Staates kommt vor allem in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck, wo von der Bindung an Gesetz und Recht die Rede ist. 1676 Die Gerechtigkeit als rechtsstaatlicher Maßstab und Auftrag wird inhaltlich durch die Werte- und Prinzipienebene des Grundgesetzes substantiiert und spiegelt sich zuvörderst in den materiellen Prinzipien wieder, die die inhaltlichen Ziele des Staatshandelns vorgeben und auf den Schutz der Würde der Bürger und somit im Ergebnis auf die Gewährleistung ihrer Freiheit und Rechtsgleichheit gerichtet sind.1677 Diese Bereiche der grundgesetzlich verankerten materialen Rechtsstaatlichkeit – Menschenwürdegarantie und Grundrechtskatalog – sind bereits mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand „Wirtschaftsverfassung“ eingehend erörtert worden. Ihre prinzipiellen Gehalte formulieren einen abgestuften Doppelauftrag an den Rechtsstaat: Gefordert ist die rechtliche bzw. gesetzliche Disziplinierung staatlichen Handelns zur Wahrung privater Freiräume (Wahrung des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips bzw. des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Freiheit und Bindung). Gegebenfalls bestehen staatsaktivierende Postulate gerichtet auf Verwirklichung von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Sicherheit im Wirtschaftsleben, so beispielsweise mit Blick auf den Schutz des freien Wettbewerbs. 1678 Daneben bestehen, freilich durch die materiellen Prinzipien determiniert, formelle Elemente grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit, die die Modalitäten des Staatshandelns bestimmen. Von diesen nehmen die Forderung nach Gewährleistung von Rechtssicherheit (i. E. nach Rechtskontinuität, Bestimmtheit und Rechtsklarheit) 1679, der Grundsatz vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine besondere Rolle ein. Weiterhin zu nennen, sind der Grundsatz der Gewaltenteilung, die Gewährleistung von Rechtsschutz, das rechtliche Gehör, die Gewährleistung des gesetzlichen Richters sowie das System öffentlicher Ersatzleistungen. 1680
Vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Bd. I, 1987, § 24 Rn. 41. Vgl. hierzu grundlegend O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), S. 37 ff. (39); vgl. auch K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 4 Rn. 51; vgl. BVerfGE 7, 89 ff. (92); E21, 378 ff. (388); E37, 57 ff. (65); vgl. indes Ph. Kunig (ders., Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 151 ff., 162 f., 311, 336 ff., 469 ff.), der einen Rückgriff auf das (allgemeine) Rechtsstaatsprinzip für verzichtbar hält, weil in Art.3 Abs. 1 GG sowie in anderen diversen Normen des GG ein eigenständiger rechtsstaatlicher Gehalt enthalten sei; zum Verhältnis von Gleichheitssatz und Rechtsstaat vgl. auch F. Schoch, Der Gleichheitssatz, in: DVBl. 1988, S. 863 ff. (871); vgl. auch K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 20 Abs. 3 Rn. 220. 1678 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Bd. I, 1987, § 24 Rn. 1, 4. 1679 So stellt K.-P. Sommermann (ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 20 Abs. 3 Rn. 228) fest: „Die Elemente formeller Rechtsstaatlichkeit erfüllen keinen Selbstzweck, sondern dienen der Verwirklichung der Menschenwürde und individuellen Freiheit“. Die Menschenwürdegarantie sowie Menschenrechts- und die Grundrechtsgarantien, so Sommermann, würden insofern die „entscheidenden Auslegungsmaßstäbe“ liefern. 1680 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 Rn. 28. 1676 1677
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Für die vorliegende Analyse mit der Zielsetzung „Offenlegung systemdeterminantenübergreifender ‚innerer‘ Zusammenhänge und Ermittlung der sich daraus ergebenden Gestaltungsanforderungen sowie Abstraktion der Leitprinzipien“ sind nicht alle Bestandteile gleich bedeutend. Die für die Systemfreilegung entscheidenden Aspekte werden nachfolgend eine Vertiefung erfahren. b) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips ist die Forderung nach Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns. In Form von Regeln beinhaltet sie die Gebote vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes. Gesetzesvorrang meint zunächst Gesetzesbindung. Die Wirtschaftsverwaltung muss ihr Verhalten an den jeweils relevanten Gesetzen ausrichten, d. h. darf gegen bestehende Gesetze nicht verstoßen. 1681 Dies lässt sich Art. 20 Abs. 3 GG entnehmen. 1682 Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Handeln der Exekutive den Bürger belastet oder begünstigt. 1683 Unbeachtlich ist ferner, ob als Rechtsquelle formelle oder „nur“ materielle Gesetze fungieren.1684 Der Vorrang des Gesetzes gilt für sämtliche Formen des Verwaltungshandelns, einschließlich dem Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge. 1685 Der Vorrang des Gesetzes statuiert zudem das Gebot der Wahrung der Normenhierarchie. Er erklärt vor allem den Anwendungsvorrang des Parlamentsgesetzes vor allen anderen Rechtsnormen. 1686 Der Vorbehalt des Gesetzes geht über die inhaltlichen Anforderungen des Gesetzesvorrangs hinaus. Er verlangt, dass sich Verwaltungshandeln explizit auf eine gesetzliche Grundlage stützen kann. Darüber hinaus statuiert er, dass bestimmte Rechtsetzungsgegenstände nicht auf die Exekutive übertragbar sind. 1687 Der Vorbehalt des Gesetzes folgt im Staat/Bürger Verhältnis unmittelbar aus den Grundrechten. 1688 Daneben existieren aber auch haushaltsrechtliche, finanzrechtliche und organisationsrechtliche Vorbehalte, so in Art. 105 ff., Art. 110 und Art. 115 GG. Die materielle bzw. materiale Durchdringung formeller Elemente des Rechtsstaats wird im Zusammenhang mit der Frage besonders deutlich, ob der Vorbehalt des Gesetzes auch für den wirtschaftlich relevanten Bereich der Leistungsverwal1681 Vgl. Ph. Kunig, Rechsstaatsprinzip und Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: H.-J. Bunte, R. Stober, LdWR, Bd. III, R 300 (Stand Februar 1999), S. 3 f. 1682 Vgl. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 317. 1683 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 Rn. 37. 1684 So bspw. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 803; vgl. aber K. Sobota (ders., Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S.106), die davon ausgeht, dass sich das Gebot des Gesetzesvorrangs nur auf förmliche Gesetze bezieht. 1685 Vgl. K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art.20 Abs. 3 Rn. 261. 1686 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 803. 1687 Vgl. Th. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 1998, S. 95 f. 1688 Vgl. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 318 ff. m. w. N.; ablehnend K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 403.
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tung gilt. 1689 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Wesentlichkeitsrechtsprechung unter Überwindung der tradierten Beschränkung auf die Formel des „Eingriffs in Freiheit und Eigentum“ vor allem auf die Grundrechtsrelevanz des Verwaltungshandelns abgestellt. Der Gesetzgeber habe im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit dieser staatlichen Regelungen zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 1690 Damit hat das Bundesverfassungsgericht die grundrechtliche Wertungs- bzw. Prinzipienebene angesprochen, deren prima-facieAussagen diejenigen geschützten Verhaltensweisen aufzeigen, die, wenn sie von Verwaltungsseite bewusst oder mit einer gewissen belastenden Wirkungsintensität 1691 aufgegriffen werden, eine Ermächtigung des Verwaltungshandelns durch Parlamentsgesetz einfordern. Gerade im Subventionsrecht und im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe ist die Mehrpoligkeit der rechtlichen Beziehungen, d. h. sind Konkurrenz- und Drittverhältnisse, zu beachten. 1692 Staatliches Handeln bedarf mit Blick auf den primär durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten freien Wettbewerb jedenfalls in solchen Konstellationen, in denen strukturelle Entscheidungen über staatliche Leistungen getroffen werden, nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage. 1693 Hieran gemessen erscheint die bisherige haushaltsrechtliche Subventionspraxis – Berücksichtigung der Subventionsmittel im Haushaltsplan und Feststellung durch Haushaltsgesetz basierend auf Art. 110 GG – aus verfassungsrechtlicher Sicht zumindest bedenklich. 1694, 1695 Materielle Elemente des Rechtsstaates nehmen indes nicht nur Einfluss auf die Klärung der Frage nach der Anwendbarkeit der genannten Gebote. Sie entfalten auch eine inhaltsbestimmende Wirkung. K. Tipke hat diese Zusammenhänge für das 1689 Vgl. hierzu F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. II, 2001, Art. 20 Rn. 54 ff. 1690 Vgl. BVerfGE 40, 237 ff. (249); E 49, 89 ff. (127); E 58, 257 ff. (278); E 61, 260 ff. (275); E76, 1 f. (75 f.); E77, 170 ff. (230 f.); E95, 267 ff. (307 f.); E98, 218 ff. (251 ff.); E101, 1 ff. (34). 1691 Die Annahme eines Totalvorbehaltes geht freilich zu weit, vgl. hierzu H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 98. 1692 Vgl. Th. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 1998, S. 96. 1693 Vgl. K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art.20 Abs. 3 Rn. 271; vgl. zum Problemkreis aus der Sicht der Judikatur auch J. Wieland, Konkurrentenschutz in der neueren Rechtsprechung zum Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 217 ff. (234 ff.). 1694 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 93 f. 1695 Vgl. zu den Anforderungen an die haushaltsrechtliche Subventionsvergabe auch 4. Kapitel § 5 I. 2. b). Angesichts des grundrechtlichen prima-facie-Schutzes des privatwirtschaftlichen Wettbewerbs stellt sich die Frage nach dem Gesetzesvorbehalt freilich nicht nur für den Bereich der Subventionsvergabe. Wird z. B. die öffentliche Hand erwerbswirtschaftlich tätig, so kann dieses Verhalten grundsätzlich eine eingriffsgleiche Wirkung aufweisen. Es bedarf der Legitimation durch Gesetz (vgl. P. Badura, in: FS für E. Steindorff, 1990, S. 835 ff. (842 ff.); vgl. auch A. Krölls, Grundrechtliche Schranken der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, in: GewArch. 1992, S. 281 ff. (283 ff.); R. Stober, Deregulierung im Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: DÖV 1995, S. 125 ff. (130 f.).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Steuerrecht fruchtbar gemacht. Mit Blick auf das von ihm konzipierte „innere“ System des Steuerrechts führt er den Nachweis, dass mit dem „material-rechtsstaatlichen Gehalt“ der Gebote der Gesetzmäßigkeit ein wertungsfreier, gerechtigkeitsfreier Gesetzespositivismus nicht zu vereinbaren ist. Konsequent hält er fest: „Der Steuergesetzgeber muß sich bei der Ausübung seines Gestaltungsrechts primär von Gerechtigkeitserwägungen leiten lassen. Das Gesetz hat seinen Platz auf der Seite der Gerechtigkeit“. 1696 c) Übermaßverbot, Prognosespielraum und Gebot zur (systemexternen) Abwägung und Optimierung Die Einhaltung der Schranken der Verhältnismäßigkeit bzw. die Wahrung des Übermaßverbotes bildet eine Forderung, deren Erfüllung der Wirtschaftsgesetzgebung und Wirtschaftsverwaltung gemeinsam obliegt. Dabei handelt es sich um eine bereits dem Prinzipiencharakter der Grundrechtsnormen implizierte,1697 „durchgehende rechtsstaatliche Mindestgarantie“ 1698, die jedoch selber kein Prinzip sondern eine Regel zum Ausdruck bringt. 1699 Staatlicherseits wird Maßhaltung mit dem Ziel eingefordert, dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip zu entsprechen bzw. das von der Außentheorie beschriebene Regel-Ausnahme Verhältnis zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlich erzeugter Bindung zu konkretisieren. 1700 Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit dient somit in letzter Konsequenz der Freiheitswahrung durch Begrenzung der Staatszwecke. 1701 Mit Blick auf den staatlichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheiten wird vom Verhältnismäßigkeitsgebot zunächst ein verfassungslegitimes Anliegen eingefordert. 1702 Hieran gemessen muss sich das gewählte Eingriffsmittel im jeweiligen Falle erstens als geeignet, zweitens als erforderlich, d. h. als möglichst schonend und schließlich drittens als verhältnismäßig im engeren Sinne erweisen, d. h. eine „gewisse Propor1696 K. Tipke/J. Lang, Steuerrecht, 2002, § 4 Rn. 64; ders., Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 1993, S. 539; vgl. auch ders., Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 1981, passim. 1697 Ausführlich R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 100 ff.; vgl. auch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 354 ff. m. w. N. 1698 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 79. 1699 Dies ist freilich umstritten. Überwiegend wird der Regelcharakter angenommen (vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.100 (Fn. 84); G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, 1983, S. 11 (Fn. 38); L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, 2002, S. 21.), teilweise jedoch auch der Prinzipiencharakter (vgl. M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 52 ff., 58). Die erstgenannte Auffassung überzeugt letztlich, denn die Teilgrundsätze (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit) werden nicht etwa gegen andere Güter abgewogen. Sie bilden vielmehr einen Maßstab im Rahmen der Abwägung gegenläufiger Verfassungsgüter im Einzelfall. Entweder ist dieser Maßstab erfüllt oder er ist es nicht. 1700 Vgl. A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 222 ff. 1701 Vgl. R. Stober, Allgemeine Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 102. 1702 Vgl. M. Sachs, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 20 Rn. 149.
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tionalität in der Zweck-Mittel Relation“ aufweisen.1703 Die gebotene Verhältnismäßigkeit bzw. das Gebot zur Abwägung kommt damit zwar erst systemextern im Einzelfall zum Tragen. Das Gebot selbst ist jedoch Substrat des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems. Es handelt sich dabei um ein verfassungsrechtlich gefordertes Instrumentarium zur Feinsteuerung mit dem Ziel, gegenläufige Rechtsgüter und Verfassungsprinzipien gegeneinander abzuwägen und ihnen auf diesem Wege optimal zur Geltung zu verhelfen. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit bildet damit das Bindeglied zwischen dem systeminternen und -externen Bereich. Die (wirtschafts-)verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit wirft dabei Anwendungsprobleme auf, die bereits auf der Systemebene eine hinreichende Klärung erfahren können. Dies soll im Folgenden mit Blick auf den Wirtschaftsgesetzgeber geschehen. Regelmäßig greift der wirtschaftsordnende und -gestaltende Gesetzgeber in die grundrechtlich prima facie gewährleistete, dezentrale Wirtschafts- und Sozialgestaltskompetenz der privaten Wirtschaftssubjekte ein. 1704 In seiner allgemeinen Ausprägung verlangt das Gebot der Verhältnismäßigkeit in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber die angeordneten Freiheitsbeschränkungen durch vernünftige und sachgemäße Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen kann. 1705 Zwanglos wird in diesem Zusammenhang auf den weiten Gestaltungsspielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers verwiesen, obwohl eine so verstandene „Gemeinwohldefinitionskompetenz“, wie bereits gezeigt wurde, aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus bedenklich erscheint und ein hohes Missbrauchspotential in sich trägt.1706 So besteht beispielsweise die Gefahr, dass rein individuelle Belange oder Gruppeninteressen vom Gesetzgeber aus sachfremden Erwägungen heraus zu Gemeinwohlbelangen aufgestuft werden. 1707 Zwar verbietet es sich in einer pluralistischen Demokratie, eine abschließende Aufzählung von Gemeinwohlbelangen vorzunehmen. Andererseits gilt aber: Damit der zugegebenermaßen vage Maßstab überhaupt irgendeine Bedeutung entwickeln kann, verbietet sich der pauschale Rückgriff auf „heterogene Groß-Begrifflichkeiten“ 1708 wie „Gesundheit“, „Umweltschutz“ u. ä., ohne dass zugleich die staatlicherseits verfolgten Ziele eingehender expliziert werden. Denn die Gemeinwohlbindung beinhaltet auch die Forderung nach Transparenz staatlichen Handelns. Es muss also Klarheit herrschen, welcher Zweck in concreto verfolgt wird. Wird eine Gemengelage von Zielsetzungen verfolgt, so besteht trotz aller Schwierigkeiten im Einzelfall die Notwendigkeit, die angestrebten Regelungszwecke herauszukristallisieren. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 79. Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 2 II. 6. a) und später 4. Kapitel § 5 II. 3. 1705 Von der ganz h.M. werden bei Eingriffen in die Berufsfreiheit besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung, genauer gesagt an die eingriffslegitimierende Zwecksetzung gestellt; vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. a). 1706 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 5. d). 1707 Vgl. F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, NJW 1994, S. 2913 ff. (2918) m. w. N. 1708 W. Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997, S. 75. 1703 1704
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Nur über die Gewährleistung einer hinreichenden Transparenz der verfolgten Regelungszwecke kommt zudem dem Kriterium der Geeignetheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung „eine eigenständige, zweck- und zielbezogene Filterfunktion zu“. 1709 Ungeachtet der Problematik der Gemeinwohlbestimmung selbst wirft das Kriterium „Eignung“ als Maßstab wirtschaftsgesetzgeberischer Maßnahmen eine weitere Kernfrage auf, nämlich was mögliche Unterschiede zwischen einer ex ante und einer ex post Betrachtung betrifft. 1710 Aus der ex post Sicht ist eine staatliche Maßnahme nur „dann zur Zweckerreichung geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg näherrückt“. 1711 Sie erweist sich als ungeeignet, „wenn sie die Erreichung des beabsichtigten Ziels erschwert oder im Hinblick auf das Ziel überhaupt keine Wirkungen entfaltet“. 1712 Schwierigkeiten ergeben sich indes, wenn man auf die ex ante Sicht abstellt. Ex ante wird der Wirtschaftsgesetzgeber teilweise nur schwer abschätzen können, ob sich eine wirtschaftspolitische Maßnahme als geeignet in diesem Sinne erweisen wird. Oftmals wird es von den Wirtschaftssubjekten abhängen, ob der gesetzlich verfolgte Zweck einer Verhaltenssteuerung bspw. mittels wirtschaftlicher Anreize erreicht wird. 1713 Aufgrund seines demokratischen Gestaltungsauftrages muss dem Wirtschaftsgesetzgeber freilich ein gerichtsfreier Einsschätzungs- bzw. Prognosespielraum zugebilligt werden. Dieser stößt jedoch an klare Grenzen. 1714 Vor allem „Anforderungen an die Sachgerechtigkeit“, die „im wesentlichen verfahrensspezifischer Natur sind“, gilt es zu berücksichtigen. 1715 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang einen Vertretbarkeitsmaßstab konzipiert. Dieser verlange, dass sich der Gesetzgeber „an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichten Materials orientiert“. Im Einzelnen besteht seinerseits die Verpflichtung, die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen auszuschöpfen, „um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelungen so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden“. 1716 Wird diesen Anforderungen entsprochen, so stellt das Bundesverfassungsgericht zutreffend fest, bestünde eine „Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“, die es selbst bei seiner Prüfung zu beachten habe. 1717 Diese ist allerdings zeitlich begrenzt. Letztlich kann insofern „nur“ R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, 1995, S. 70. Vgl. allgemein zu dieser Problematik E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 98 (1973), S. 568 ff. (572). 1711 M. Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, in: NJW 1968, S.1600 ff. (1603). 1712 M. Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, in: NJW 1968, S.1600 ff. (1603); vgl. auch Z. Yi, Das Gebot der Verhältnismäßigkeit in der grundrechtlichen Argumentation, 1998, S. 112. 1713 Vgl. H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 80. 1714 Nicht eng genug ist der Maßstab bei M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 62. 1715 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 80. 1716 BVerfGE 50, 290 ff. (333 f.). 1717 BVerfGE 50, 290 ff. (334); vgl. auch BVerfGE 58, 300 ff. (346 f.). 1709 1710
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von einem „Argumentationsvorsprung“ gesprochen werden. 1718 Nach Ablauf eines angemessenen Zeitfensters ist von Seiten des Gesetzgebers der Nachweis zu führen, dass das angestrebte Ziel erreicht wurde. Scheitert dieses Unterfangen, so „kann ein ursprünglich hinnehmbares Gesetz wegen erwiesener Untauglichkeit verfassungswidrig werden“. 1719 Mit Blick auf die grundrechtliche prima-facie-Gewährleistung individueller wirtschaftlicher Freiheit verlangt die Prüfung der Erforderlichkeit staatlicherseits die Suche nach einem gleichermaßen geeigneten, im Vergleich zu den vorhandenen Alternativen jedoch weniger eingriffsintensiven Mittel zur Ziel- bzw. Zweckerreichung. Was die Auslotung von Alternativlösungen betrifft, so dürfen solche Ansätze nicht außer Betracht bleiben, die der gesellschaftliche Sektor bietet, denn es entspricht „dem Verständnis eines freiheitlich verfassten und auf Kooperation angelegten Rechtsstaates, wenn er auch die von seinen Entscheidungen betroffenen Wirtschaftsbürger an der Wahl der Mittel mitwirken lässt“ und damit dem Gedanken der privaten Eigen- wie Gemeinwohlverantwortung Rechnung trägt. 1720 Freilich lebt die Problematik der „Zweckdefinitionskompetenz“ in diesem Prüfungspunkt fort. Dem Gesetzgeber öffnen sich nach der bisher gängigen Praxis zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten in der Erforderlichkeitsprüfung. Bietet sich beispielsweise eine weitaus freiheitsschonendere Lösungsalternative an, bei der, gemessen am verfolgten und selbst definierten Zweck, allerdings geringe Abstriche zu machen sind, so fällt dieses Mittel nach der bisher gängigen Praxis aus der Bandbreite der Lösungsmöglichkeiten heraus. Zudem besteht folgende Gefahr: „Je mehr verfassungslegitime Haupt- oder Nebenzwecke“ der Gesetzgeber verfolgt, „desto schwieriger wird die Feststellung echter tauglicher Alternativlösungen, die als milderes Mittel in Frage kommen.“ 1721 Die Forderung nach einer konkreten Zweckbestimmung durch den Staat unter Beachtung der aufgezeigten Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes entfaltet ihre Bedeutung schließlich dann, wenn es darum geht, die Verhältnismäßigkeit der in Frage stehenden gesetzlichen Regelung im engeren Sinne bei einer Abwägung zu überprüfen. Zunächst werden sowohl der verfolgte Zweck als auch das zu seiner Erreichung eingesetzte Mittel jeweils isoliert auf ihre „Wertigkeit“ hin F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, NJW 1994, S. 2913 ff. (2919). F. Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, NJW 1994, S. 2913 ff. (2919); für ein Anwendungsverbot in einem engen Rahmen plädiert Z. Yi, Das Gebot der Verhältnismäßigkeit in der grundrechtlichen Argumentation, 1998, S. 114; für eine „materiell-rechtliche Korrekturverpflichtung des Gesetzgebers“ indes H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 82; vgl. auch BVerfGE 25, 1 ff. (13); E 30, 250 ff. (263); E 49, 89 ff. (130); E 50, 290 ff. (335). 1720 R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 103; vgl. hierzu auch Ch. Koenig, Internalisierung des Risikomanagements durch neues Umwelt- und Technikrecht?, in: NVwZ 1994, S. 938 ff. (940). 1721 R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, 1995, S.71 f.; vgl. auch L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 59 ff. 1718 1719
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überprüft, wobei eine separate wertgeladene Betrachtung der zur Abwägung stehenden Rechtsgüter erfolgt. 1722 In einem weiteren Schritt werden Zweck und Mittel bzw. die betroffenen Rechtsgüter zueinander ins Verhältnis gesetzt. Um es mit M. Ch. Jakobs noch präziser zu formulieren: Es wird eine Relation zwischen den eingriffsweise und förderungsweise durch staatliches Handeln tangierten Rechtsgütern hergestellt. 1723 Mittel und Zweck dürfen dabei, gemessen am Grad und der Dauer der jeweiligen Betroffenheit, nicht außer Verhältnis zueinander stehen. 1724 Bereits in die dem eigentlichen Abwägungsvorgang vorgelagerte erste Stufe fließen die prinzipiellen Kernaussagen des freigelegten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems ein. Denn den in die Waagschale eingebrachten Prinzipien (z. B. „Leistung“ als Unterprinzip des Prinzips „Eigentum“ oder aber, um ein weiteres zu nennen, das Prinzip der vorrangig privat zu leistenden Gemeinwohlgestaltung) wird eine systemerzeugte abstrakte Gewichtung beigelegt, die jeweils der ermittelten axiologischen Bedeutung Rechnung trägt und die die spätere Abwägung im konkreten Einzelfall mitentscheidet 1725, wobei die mittels Abstraktion gewonnenen Prinzipiengehalte im Rahmen der Grundrechtsauslegung zum Tragen kommen. 1726 Insofern kann von abwägungsrelevanten Belangen gesprochen werden. Was der Rechtsanwender im Rahmen der Abwägung zu leisten hat, lässt sich mit dem Begriff „Werten“ abschließend umschreiben. Prinzipien liefern ihm hierfür die Handhabe, denn sie sind letztlich nichts anderes als verbindlich gewordene Werte. Zusammenfassend kann damit festgehalten werden: Der Abwägungsprozess, der vom wirtschaftsverfassungsrechtlichen System in Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips als Regel eingefordert wird, liefert den Rahmen und das Forum für die praktische Berücksichtigung der gewonnenen prima-facie-Aussagen des Systems. Oder anders ausgedrückt: Die Abwägung ist das Procedere, in dem sich die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemaussagen im Kräftemessen mit gegenläufigen Prinzipien behaupten müssen. Letztlich kann es zwar nicht gelingen, eine „Angemessenheitsschwelle“ abstrakt zu bestimmen. Die Aussagekraft des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems stößt hier an ihre Grenzen, denn das Abwägungsergebnis hängt jeweils von Wertungen ab, die anhand des konkreten Einzelfalles zu treffen sind. 1727 Zwei wesentliche rechtsstaatliche Mindestanforderungen lassen sich aber dennoch an dieser Stelle zusammenfassen: Staatliche Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheiten „müssen auf einem annähernd vollständigen und von zutreffenden Vgl. R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, 1995, S. 72. Vgl. M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 22 f. 1724 Vgl. Z. Yi, Das Gebot der Verhältnismäßigkeit in der grundrechtlichen Argumentation, 1998, S. 116 f. 1725 A. A. offenbar R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S.146; demgegenüber in einem ersten Schritt für eine abstrakte rechtliche Bewertung von der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsgüter ausgehend Ch. Degenhart, Staatsrecht I, 2003, Rn. 398; vgl. hierzu schon Fn. 607. 1726 Vgl. hierzu auch 3. Kapitel § 1 II und 5. Kapitel § 2 II. 1727 Vgl. R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, 1995, S. 73. 1722 1723
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tatsächlichen Annahmen getragenen Abwägungsvorgang beruhen“. 1728 In Anlehnung an R. Alexy gilt zudem als abstraktes Abwägungsgesetz: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“ 1729 Im Anschluss an die dargelegte Konzeption der Verhältnismäßigkeitsregel als Systemsubstrat kann der Bogen zu der Behauptung gezogen werden, dass der Prinzipiencharakter der Grundrechte das Verhältnismäßigkeitsgebot impliziert. 1730 Denn Rechtsprinzipien sind Optimierungsgebote und als solche verlangen sie im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten eine möglichst weitgehende Verwirklichung des prima facie Eingeforderten. 1731 Die Teilelemente „Eignung“ und „Erforderlichkeit“ gewährleisten die optimale Prinzipienrealisierung in Relation auf die tatsächlichen Möglichkeiten. Demgegenüber folgt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne aus der Einschränkung der Prinzipien mit Blick auf die rechtlichen Möglichkeiten. 1732
d) Rechtssicherheit durch Rechtskontinuität, Bestimmtheit und Rechtsklarheit bzw. Widerspruchsfreiheit Die Gewährleistung von Rechtssicherheit als Ausfluss der Rechtsidee und als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips 1733 findet mittelbar Ausdruck in zahlreichen Normen des Grundgesetzes. 1734 Kernbestandteile bilden die prinzipiellen Forderungen nach Rechtskontinuität i. S. v. Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns, nach Rechtsbestimmtheit i. S. v. inhaltlicher Bestimmtheit von gesetzlichen Regelungen und schließlich nach Rechtsklarheit i. S. v. Transparenz und Widerspruchsfreiheit des Rechts bzw. rechtlicher Entscheidungen. 1735 Rechtssicherheit im Sinne von Rechtskontinuität als Bestandteil des Systems der Wirtschaftsverfassung meint vor allem Gewährleistung ökonomischen Vertrauensschutzes. 1736 Die wichtigste Fallgruppe bildet der Schutz vor Rückwirkung staatlichen Handelns. Zwei Konstellationen werden unterschieden: erstens der rückwirkende Eingriff durch den Staat in bereits abgeschlossene Sachverhalte (echte RückH.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 84. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 146. 1730 Vgl. Fn. 1697. 1731 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 7. 1732 So die Begründung bei R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 100 f.; vgl. auch M. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 69. 1733 So schon BVerfGE 3, 225 ff. (237). 1734 Eine Übersicht hierzu findet sich bei Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.390 ff. 1735 Vgl. Ch. Münch, FS für H. J. Hahn, 1997, S. 673 ff. (674 f.); ders., Rechtssicherheit als Standortfaktor, in: NJW 1996, S. 3320 ff. (3320 f.). 1736 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 95 ff. 1728 1729
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
wirkung) und zweitens die Einwirkung in schon begründete, auf Dauer angelegte, jedoch noch nicht abgewickelte Rechtsbeziehungen (unechte Rückwirkung).1737 Beiden Varianten gemeinsam ist die Vorstellung, dass rechtsstaatlich gewährleistete Freiheit für die geschützten Individuen die Möglichkeit voraussetzen muss, die rechtlichen Konsequenzen ihres Verhaltens abschätzen zu können. Der Einzelne soll über die Option verfügen, eigene Verhaltensweisen an der Rechtslage auszurichten, d. h. diese unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen, die sie herbeiführen, auszuwählen oder steuern zu können. Hierfür muss er auch für die Zukunft darauf vertrauen können, dass die von ihm vorgenommene Weichenstellung rechtlichen Bestand hat. Beide Fälle – echte wie unechte Rückwirkungen – bilden regelmäßig Eingriffe in diese Entscheidungsautonomie, weil im Nachhinein an das Verhalten der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer andere Rechtsfolgen geknüpft werden als solche, die zunächst absehbar waren. 1738 Rückwirkend wird also eine der Determinanten, die den Freiheitsgebrauch beeinflusst, verändert. Dem Einzelnen wird auf diesem Wege Dispositionssicherheit und -vertrauen genommen. Die aufgezeigte Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung behält aber trotz der gemeinsamen Basis durchaus ihren Sinn. Sie verfolgt den Zweck, unterschiedliche Maßstäbe in Abhängigkeit zum Schweregrad des enttäuschten Vertrauens zu postulieren. Staatlicherseits besteht umso höherer Rechtfertigungsbedarf, je schwerer der Eingriff in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung und den individuellen Vertrauensschutz wiegt. 1739 Die Messlatte wird in den Fällen der echten Rückwirkung sehr hoch gehängt. Entsprechendes staatliches Handeln ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, das geltende Recht war unklar bzw. verworren, der Bürger musste mit einer Neuregelung rechnen, eine nichtige Norm wurde durch eine verfassungsgemäße ersetzt, zwingende Gründe des Gemeinwohls geboten eine derartige Form des Eingreifens oder die Auswirkungen stellen sich für die Betroffenen als Bagatelle dar. 1740 1737 Vgl. BVerfGE 72, 175 ff. (196); E 74, 129 ff. (155); E 75, 246 ff. (279 f.); E 79, 29 ff. (45); E 95, 64 ff. (86). Entgegen der Einstufung durch den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts unterscheidet der Zweite Senat zwischen einer im Grundsatz unzulässigen Rückbewirkung von Rechtsfolgen und einer grundsätzlich zulässigen tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl. BVerfGE 63, 343 ff. (353); E 72, 200 ff. (242)). Der Divergenz in der Terminologie ist freilich keine allzu große Bedeutung beizumessen. In einer neueren Entscheidungen hat der Zweite Senat, entgegen früheren Einschätzungen, indirekt zum Ausdruck gebracht, dass keine sachlichen Unterschiede zur Rechtsprechung des Ersten Senats beabsichtigt sind (vgl. BVerfG, NJW 1998, 1547 ff. (1548); vgl. auch J. Möller/A. Rührmair, Die Bedeutung der Grundrechte für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an rückwirkende Gesetze, in: NJW 1999, S. 908 ff. (909)). 1738 Vgl. T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 154. 1739 Vgl. T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 154. 1740 Vgl. u. a. BVerfGE 13, 261 ff. (272); E30, 367 ff. (389); E 37, 363 ff. (397 f.); E 45, 142 ff. (173 f.); E 72, 200 ff. (258); E 72, 302 ff. (325 ff.); E 88, 384 ff. (404); E 95, 64 ff. (86 f.); E 97, 67 ff. (79 f.); E 101, 239 ff. (263 f.).
§ 5 Sonstige wirtschaftsverfassungsrechtliche Determinanten des GG
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Demgegenüber soll die unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig sein, sofern öffentliche Interessen in einen Ausgleich zu den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen gebracht werden können. 1741 Diese Einschätzung erweist sich indes als unzutreffend, was deutlich wird, wenn man die Rückwirkungsproblematik im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtkontext betrachtet, d. h. sie aus der Perspektive der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systembetrachtung heraus analysiert. Zwar ändert diese Betrachtungsweise nichts an der Tatsache, dass die Grenzen der Rückwirkung staatlichen Handelns, als Ausdruck gewährleisteter Rechtssicherheit, formelle Elemente des Rechtsstaatsprinzips darstellen.1742 Werden jedoch, wie gesehen, die formellen Elemente des Rechtsstaates durch die materiellen determiniert, so müssen die grundrechtlichen Bezüge der Rückwirkungsproblematik im Vordergrund der Betrachtung stehen. 1743 Denn Grundrechte konkretisieren die Rechtsstaatlichkeit und sind somit eine spezifische Ausprägung derselben. Grundrechte und material zu gewährleistende Rechtssicherheit fließen letztlich ineinander. Entsprechend finden sich Ansätze in der Rechtslehre, die, was die dogmatische Verortung und Bestimmung der Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung betrifft, primär auf die Wirtschaftsgrundrechte abstellen. 1744 Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundrechtsbezug zunächst in den Fällen der unechten Rückwirkung hergestellt, später jedoch auch in Fällen der echten Rückwirkung festgestellt, dass „in Verbindung mit“ rechtsstaatlichen Grundsätzen „auch diejenigen Grundrechte zu berücksichtigen“ sind, „deren Schutzbereich von der nachträglich geänderten Rechtsfolge in belastender Weise betroffen ist“. 1745 Bei den im Zusammenhang mit der Rückwirkungsproblematik betroffenen Grundrechten steht im wirtschaftlichen Kontext die Berufsfreiheit im Vordergrund. Die Rückwirkung staatlicher Maßnahmen, so der zutreffende Begründungsansatz bei U. K. Preuß, tangiere solche persönlichen Leistungen der betroffenen Individuen, die deren soziale Funktion und Stellung, d. h. deren Status beträfen. Vertrauensschutz und Statusschutz seien daher als gleich zu erachten. Der Beruf sei der maßgebliche Bestimmungsfaktor für den sozialen Status des Individuums in der Gesellschaft. Art. 12 Abs. 1 GG böte aus diesem Grund die Basis für den verfassungsrechtlichen Vertrauens- bzw. Statusschutz und stecke daher die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rückwirkung ab. 1746, 1747 Dieser Lösungsansatz erfasst freilich nur einen Vgl. BVerfGE 72, 141 ff. (154); E 97, 271 (289); E 101, 239 ff. (263). Vgl. Fn. 1757. 1743 Vgl. 4. Kapitel § 5 I. 2. a). 1744 Vgl. bspw. J. Möller/A. Rührmair, Die Bedeutung der Grundrechte für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an rückwirkende Gesetze, in: NJW 1999, S. 908 ff. (909); H.-J. Papier/J. Möller, Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), S.177 ff. (182 f.). 1745 BVerfGE 72, 200 ff. (242). 1746 Vgl. U. K. Preuß, Vertrauensschutz als Statusschutz, in: JA 1977, S. 313 ff. (317 ff.); vgl. auch T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 140 ff. 1747 Auch das BVerfG hat den Vertrauensschutz teilweise bei Art. 12 Abs. 1 GG verortet. Als Beispiel können zwei Entscheidungen zum Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz aus dem Jah1741 1742
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
„Teilaspekt der Rückwirkungsfrage, da nicht alle Rückwirkungsanordnungen eo ipso eine Berufsbezogenheit aufweisen.“ 1748 Konsequent ist es, die Zulässigkeit von Rückwirkungen weiterhin an Art. 14 GG zu messen, denn, wie gesehen, prägt das Unterprinzip „Vertrauensschutz“ ganz wesentlich verfassungsrechtliches Eigentum und bildet eine Essentialia des Prinzips „Eigentum“.1749 In Übereinstimmung hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes „für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren“ hat. 1750 Wird der Eigentumsschutz, wie vorliegend, weit gefasst und auch das Vermögen als Ganzes einbezogen, so sind kaum Rückwirkungsfälle verbunden mit materiellen Einbußen denkbar, die nicht unter den Schutz des Prinzips Eigentum fallen. 1751 Weiterhin kann subsidiär auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden und zwar „nicht nur als prozessuale Krücke, um das Rechtsstaatsprinzip einklagbar zu machen“, sondern in seiner Stellung als „materielles Freiheitsrecht“.1752 Aspekte des Vertrauensschutzes sind Inhalte der aus den genannten Grundrechten entstammenden prima-facie- Verpflichtungen, die in konkreten Konfliktfällen in die Güterabwägung einfließen. In Abhängigkeit vom Schweregrad ihrer Beeinträchtigung beeinflussen sie das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Wie bereits angedeutet, wird verfassungsrechtlicher Rückwirkungsschutz nicht abschließend in den Grundrechten behandelt. Das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit, dass u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist, trägt gleichermaßen diese Forderung in sich. Im Vergleich zum grundrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz erfolgt der Schutz auf einer breiteren Basis. So werden auch Rückwirkungskonstellationen erfasst, die über das grundrechtlich geschützte Staat-Bürger Verhältnis hinausreichen, so beispielsweise solche, die aus dem organisationsrechtlichen Teil des Grundgesetzes herrühren. 1753 Soweit sich die Anwendungsfelder überschneiden, wird der grundrechtliche Vertrauensschutz teilweise als spezieller re 1981 dienen, in denen das BVerfG eine befristete Absenkung der Vergütungen für zahntechnische Leistungen sowie eine befristete Fixierung der Vergütungen im Sektor der Versorgung mit Heil- bzw. Hilfsmitteln anhand von Art. 12 Abs. 1 GG geprüft hat und innerhalb dieser Prüfung auch die Frage nach den „Gesichtspunkten unzulässiger Rückwirkung oder des Vertrauensschutzes“ stellte (BVerfGE 68, 193 ff. (221); vgl. auch BVerfGE 70, 1 ff. (28)); vgl. auch B. Pieroth, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz des Vertrauensschutzes, in: JZ 1990, S. 279 ff. (282 f.)). 1748 T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 141. 1749 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 4. a). 1750 BVerfGE 36, 281 ff. (293); vgl. auch E31, 275 ff. (293); E42, 263 ff. (300 f.); E45, 142 ff. (168); E 53, 257 ff. (309); E 58, 81 ff. (120 f.); E 64, 87 ff. (104); E 71, 1 ff. (11 f.); E 75, 78 ff. (104 f.); E 76, 220 ff. (244 f.); vgl. auch K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 170 f. 1751 Vgl. 4. Kapitel § 2 II. 5; vgl. M. Aschke, Übergangsregelungen als verfassungsrechtliches Problem, 1987, S. 401 ff., insbes. S. 423; W. Schmidt, „Vertrauensschutz“ im öffentlichen Recht, in: JuS 1973, S. 529 ff. (535). 1752 H. Maurer, in: HStR, Bd. III, 1996, § 60 Rn. 48. 1753 So bspw. Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG; vgl. B. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 1981, S. 279 m. w. N.
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erachtet. 1754 Diese Einschätzung überzeugt letztlich. Wenn in diesem Zusammenhang K. Sobota – offenbar in Anlehnung an E. Schmidt-Aßmann – die Feststellung trifft, die Grundrechte seien „zwar näher am verletzten Rechtsgut, aber weiter entfernt von dem spezifischen Umstand, der die Verfassungswidrigkeit der fragwürdigen Norm im konkreten Fall begründen könnte“, so ist darin gerade ein Beleg für die Verzahnung der grundrechtlichen Prinzipien mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit zu sehen und kein Indiz für die von Sobota behauptete Parallelität der Prinzipien. 1755 Grundrechtliche Prinzipieninhalte bzw. -gehalte greifen in ihrem Anwendungsfeld die Wertungen des übergreifenden rechtsstaatlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf und präzisieren diese. Die Hintergründe hierfür liegen auf der Hand: Freiheits- und Vertrauensschutz weisen die gleichen axiologischen Wurzeln auf und sind untrennbar miteinander verknüpft. Vertrauensschutz ist Freiheitsschutz und umgekehrt. Das einzelne Wirtschaftssubjekt muss darauf vertrauen können, dass seine wirtschaftlichen Verhaltensweisen gleichermaßen wie die daraus resultierenden Rechtsfolgen einer beständigen rechtlichen Bewertung unterliegen. 1756, 1757 Ansonsten würde der eigenverantwortliche Freiheitsgebrauch Privater in Ermangelung der Berechenbarkeit seiner Konsequenzen faktisch gehemmt. Zugleich würde es an einer entscheidenden ökonomischen Rahmenbedingung fehlen, denn erst Rechts- und Dispositionssicherheit bilden die Basis für den effektiven Einsatz von Produktionsfaktoren. Die Funktionstüchtigkeit der Wirtschaftsordnung und die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland wäre daher ohne diese Gewährleistungen in Frage gestellt. 1758 Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot sowie die Forderungen nach Klarheit bzw. Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wenden sich zuvörderst an den parlamentarischen Gesetzgeber. Entsprechend findet beispielsweise das Bestimmtheitserfordernis seinen Ausgangspunkt nicht nur im rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsgrundsatz, sondern auch im Demokratieprinzip. Hier legen die Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG die „Rolle der Legislative im demokratischen und gewaltenteiligen Staat des Grundgesetzes“ fest, indem sie normieren, dass der Gesetzgeber mittels eines hinreichend bestimmten gesetzgeberischen Handelns erst die Voraussetzungen dafür zu schaffen hat, durch die eine Bindung von Exekutive und Judikative entsprechend Art. 20 Abs. 3 GG verwirklicht werden kann. 1759 Dem Gesetzgeber sind aus1754 Vgl. hierzu BVerfGE 45, 142 ff. (168); E 64, 87 ff. (104); E 69, 272 ff. (309); E 75, 78 ff. (104 f.); vgl. auch T. Berger, Zulässigkeitsgrenzen der Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 153. 1755 K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 172; vor ihr schon E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Bd. I, 1987, § 24 Rn. 8. 1756 Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 176. 1757 Zur Ableitungskette „Rechtsstaatsprinzip – Rechtssicherheit – Vertrauensschutz“ in der Rechtssprechung des BVerfG vgl. H. Maurer, in: HStR, Bd. III, 1996, § 60 Rn. 19; vgl. auch K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 157. 1758 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 95. 1759 Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 397.
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reichend präzise formulierte Tatbestände abzuverlangen, um die Verhaltensanforderungen an die Normadressaten offen zu legen. 1760 Auch die Dispositionssicherheit der Wirtschaftsteilnehmer gilt es, auf diesem Wege zu gewährleisten. Aus den genannten Gründen verlangt Art. 80 Abs. 1 GG, dass die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ in einem hinreichenden Maße bestimmt zu sein hat. Das Postulat der Widerspruchsfreiheit bzw. Normenklarheit der Rechtsordnung ist eine im Vergleich zum Bestimmtheitserfordernis „globalere“ Forderung, die auf die „befriedende und ordnende Funktion“ der Rechtsordnung abzielt und letztlich die „Restauration des Prinzips systematischer, universaler Einheit des Rechts“ erzwingt. 1761 Sie ist, von ihren vorpositiven Ursprüngen in der Rechtsidee abgesehen, im Rechtsstaatsprinzip, daneben aber noch in zahlreichen anderen Prinzipien des Grundgesetzes verankert. 1762 Die Ausgangsverpflichtung des Gesetzgebers zur Wahrung von Bestimmtheit, Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit beim Erlass von Rechtsvorschriften nimmt, gleichermaßen wie die Folgeverpflichtung von Exekutive und Judikative, erst in Verbindung mit den Grundrechten und grundrechtsähnlichen Rechten inhaltliche Konturen an. 1763 Grundrechte als Prinzipien enthalten für die von ihnen erfassten Lebensbereiche Wertentscheidungen, die den staatlichen Handlungsspielraum konturieren und insofern klare Grenzen aufzeigen.1764 Auf die Wirtschafts- und Steuergesetzgebung übertragen bedeutet dies, dass die genannten rechtsstaatlichen Gebote vorrangig mittels gesetzlicher Konkretisierung der Freiheits- und Gleichheitsrechte anzustreben sind, wobei mit Konkretisierung in Anlehnung an den Prinzipiencharakter der Grundrechtsnormen eine Optimierung der prima-facie-Gewährleistung auf der einfachgesetzlichen Ebene gemeint ist. 1765 Hieran knüpfen dann Exekutive und Judikative an. Den besten Beleg dafür, dass die Grundrechtsordnung Orientierungspunkte für die hinreichend bestimmte, transparente und widerspruchsfreie Realisierung des Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 175. H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (864). 1762 Im Rahmen der vorzunehmenden wirtschaftsverfassungsrechtlichen Analyse des Rechtsstaatsprinzips beschränkt sich die Betrachtung, kaum verwunderlich, im Schwerpunkt nur auf eben diese rechtsstaatlichen Ableitungsbezüge. Zu der Verortung des Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in weiteren Strukturprinzipien des Grundgesetzes vgl. H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. 1763 Vgl. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 397 ff. 1764 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Bestimmtheitsprüfung eines grundrechtsbeschränkenden Gesetzes in die Grundrechtsprüfung integriert, ohne zugleich separat auf den Bestimmtheitsgrundsatz als spezifische Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips abzustellen; vgl. bspw. BVerfGE 90, 1 ff. (16); vgl. auch H.-J. Papier/J. Möller, Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), S. 177 ff. (182). 1765 Vgl. zum Charakter von Prinzipien als Optimierungsgebote schon 3. Kapitel § 5 I. 7. 1760 1761
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(Wirtschafts-)Rechts bereithält, vermag die vorliegende Untersuchung selbst zu liefern, die ja gerade auf Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und „inneren“ Einheit des Analysegebietes abzielt und sich dieser Orientierungspunkte maßgeblich bedient. Insofern kann im Anschluss an die bereits erfolgte Systemfreilegung festgehalten werden: Die einheits- und transparenzstiftenden Kerngedanken der einfachgesetzlich zu prägenden Wirtschaftsordnung werden durch die grundrechtlich-prinzipielle Verbürgung der dezentralen privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung auf Basis der systematisch miteinander verknüpften prima-facie-Gewährleistungen von Berufs-, Eigentums-, Vereinigungs- und Koalititionsfreiheit, durch Gewährleistung von Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit und durch die prinzipielle Verpflichtung Privater auf das Gemeinwohl hin geschaffen. Trotz alldem kann weder mit Blick auf die dogmatische Verortung noch bei der Bestimmung des Anwendungsrahmens der Postulate Bestimmtheit, Klarheit und Widerspruchsfreiheit ein Verzicht auf die Kategorien „Rechtssicherheit“ bzw. „Rechtsstaatlichkeit“ erfolgen. 1766 Diese Kategorien nehmen vielmehr die Rolle von Bindegliedern ein, die die Aussagen der unterschiedlichen legitimatorischen Ausgangspunkte aufnehmen und bündeln. Liefert beispielsweise das Demokratieprinzip – neben dem vorpositiven, zu methodischen Zwecken herangezogenen Legitimationsansatz in der Rechtsidee – den „konstitutiven Legitimationsgrund“ des Grundgesetzes für die „Einheitsidee“ und fordern beide die Einheit der „gesamten, vertikal und horizontal differenzierten Rechtsordnung“, so ist es die Aufgabe der Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips, diese Forderung aufzugreifen. 1767 Auf vertikaler Ebene erfolgt dies durch Hervorhebung des strikten Verfassungsvorrangs, d. h. des Vorrangs des Verfassungsgesetzes insbesondere der Grundrechte. Horizontal sind institutionell und funktional getrennte staatliche Gewalten zu unterscheiden. 1768 Aber auch auf die inhaltliche, wechselseitige Durchdringung von Rechtsstaatsprinzipien und Grundrechtsprinzipien ist an dieser Stelle erneut hinzuweisen. Die Schaffung von Bestimmtheit und Klarheit mittels Grundrechtskonkretisierung verfolgt somit das gleiche Anliegen wie die rechtsstaatliche Ausprägung „Gesetzesvorbehalt“. 1769 Mit Blick auf das Anwendungsfeld muss zudem Folgendes beachtet werden: Das, was an Bestimmtheit, Klarheit bzw. Widerspruchsfreiheit geboten ist, lässt sich zwar durch konsequente Grundrechtskonkretisierung griffiger fassen. In Verbindung mit dem Grundrechtskatalog liefert hier vor allem die in Art. 1 Abs. 3 GG sta1766 Wie hier offenbar Ch. Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland – Schweiz, 1997, S. 136 f.; vgl. auch H.-J. Papier/J. Möller, Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), S. 177 ff. (182 f.); a. A. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 401. 1767 H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (869) (keine Hervorhebungen, im Gegensatz zum Original). 1768 H. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 ff. (869). 1769 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 Rn. 60 m. w. N.
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tuierte Verpflichtung einheitsstiftende Kraft. Das darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grundrechte in diesem Zusammenhang lediglich als Mittel zum Zweck dienen. Das, was die Grundrechte hier zu leisten vermögen, ist inhaltlich gesehen nicht notwendigerweise deckungsgleich mit dem, was das Grundgesetz in Gänze an Bestimmtheit, Klarheit und Widerspruchsfreiheit einfordert. So „kann es nötig werden, für die Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit im Einzelfall zu stellen sind, Gesichtspunkte (etwa der Rechtssicherheit) einzubeziehen, die sich nicht unmittelbar einem bestimmten individuellen Grundrecht zuordnen lassen“. 1770 3. Zusammenfassung: Formelle und materielle Prinzipien des Rechtsstaates als Ausdruck einer Sinngesamtheit im Bereich der Wirtschaft Sämtliche Elemente des Rechtsstaats, die hier analysiert wurden, stehen im Dienste der Menschenwürde und der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit und Gleichheit. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand „System der Wirtschaftsverfassung“ ist das primäre grundrechtliche und rechtsstaatliche Ziel die Präzisierung, Mäßigung und Kompetenzbeschränkung des Staates zu Gunsten einer freien dezentralen Wirtschafts- und Sozialgestaltung der Individuen. Nur im Ausnahmefall ist staatliches Einschreiten geboten. An dieser Stelle ist es freilich noch zu früh, die Rolle des Staates im Bereich der Wirtschafts- und Sozialgestaltung abschließend zu beurteilen. Viel hängt vom Inhalt, Gehalt und Stellenwert der sozialstaatlichen Verpflichtung und deren Wechselwirkungen zu der bislang nur partiell untersuchten Sozialgestaltungsmacht Privater ab. Alldem gilt nachfolgend die besondere Aufmerksamkeit.
II. Das Sozialprinzip im systematischen Kontext Nach Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland als „sozialer Bundesstaat“ bzw. als „sozialer Rechtsstaat“ verfasst. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 n. F. GG statuiert die Verbindlichkeit dieses Staatsstrukturprinzips mit Blick auf die europäische Integration. Ist zugegebenermaßen der Textbefund auch wenig ergiebig und die historische Tradition gering, so lässt sich das Bekenntnis zum Sozialstaat dennoch nicht als „substanzloser Blankettbegriff“ bezeichnen. 1771 Eine derartige Einschätzung verkennt die von der Wertungsebene ausgehende Intention des Verfassungsgebers, de1770 H.-J. Papier/J. Möller, Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), S. 177 ff. (182). 1771 So noch W. Grewe, Das bundesstaatliche System des Grundgesetzes, in: DRZ 1949, S. 349 ff. (351).
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ren fortwährende Gültigkeit bis zum heutigen Tage kaum in Zweifel gezogen werden kann. Mit der adjektivischen Beifügung des „Sozialen“ sollte im Rahmen der Verfassungsgebung zweierlei zum Ausdruck gebracht werden: Zum einen – angesichts des zunächst provisorischen Charakters des Grundgesetzes und einer gewünschten Offenheit für zukünftige Entwicklungen – der Verzicht auf die ausdrückliche Statuierung einer Sozialverfassung, zum anderen die staatliche Verpflichtung, soziale Missstände und Defizite, zu deren Lösung der gesellschaftliche Sektor nicht willens oder in der Lage ist, korrigierend auszugleichen. 1772 Der grundgesetzlich verfasste Staat darf dem Wirtschaftsgeschehen somit bereits aus sozialstaatlichen Gründen nicht teilnahmslos im Sinne eines laissez-faire, laissez-aller gegenüberstehen. 1773 Vielmehr sieht er sich durch „ein der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip“ in die Pflicht genommen, welches freilich sowohl den Zeitpunkt als auch die Art des prinzipiell geforderten staatlichen Einschreitens weitgehend offen lässt. 1774 Zur Vagheit der sozialstaatlichen Zielsetzung hält H. F. Zacher treffend fest: „Das Ziel endlich, den allgemeinen Wohlstand – die Normalität selbst – zu heben und die Teilhabe an ihm auf möglichst viele auszubreiten, verliert sich seiner Natur nach im Unendlichen.“ 1775 1. Die freiheitsdienende und freiheitskonkurrierende Stellung des Sozialstaatsprinzips Was die Einordnung in das wirtschaftsverfassungsrechtliche System betrifft, so erscheint es zu einfach, von vornherein einen unüberwindlichen Gegensatz zwischen einem so verstandenen Sozialstaatsprinzip einerseits und den Prinzipien des materialen Rechtsstaates andererseits zu zeichnen.1776 Den Ansatz für eine differenziertere Betrachtungsweise hat W. Martens geliefert, indem er die noch weitgehend ungelöste Frage aufgeworfen hat, wo denn die „Grenze zwischen sozialer Sicherheit als Vorbedingung des Freiheitsgebrauchs und freiheitsgefährdender nivellierender Bevormundung“ verlaufe. 1777
1772 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 83; ders., Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 161 f. Eine instruktive Übersicht zur Entstehungsgeschichte des Sozialstaatsprinzips anhand der Berichte von Zeitzeugen findet sich bei N. Blüm/Hans F. Zacher (Hrsg.), 40 Jahre Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 305 ff. 1773 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 905. 1774 BVerfGE 5, 85 ff. (198); vgl. auch BVerfGE 33, 303 ff. (331 ff.); E 65, 182 ff. (193); E 82, 60 ff. (80). 1775 H. F. Zacher, in: HStR, Bd. I, 1987, § 25 Rn. 78. 1776 Den Konflikt überzeichnend E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL Heft 12 (1954), S. 8 ff. (29); von einem „Scheinbegriff des Spannungsverhältnisses“ spricht indes R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 32. 1777 W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff. (19); vgl. auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 931.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Zwar hat das Grundgesetz von einer ausdrücklichen Statuierung so genannter sozialer Grundrechte zum Zwecke der Gewährleistung sozialer Sicherheit abgesehen. 1778 Ausgehend von der Prinzipienebene lassen sich allerdings gerade auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip direktive Gehalte ableiten, die effektive staatlich initiierte Schutzmechanismen mit Blick auf den individuellen Freiheitsgebrauch einfordern. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Ausgestaltung von Organisation und Verfahren. Aber auch die Ableitung von Leistungs- und Teilhaberechten unter Heranziehung des Sozialstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten zielt in diese Richtung. Wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass den Staat eine Gewährleistungspflicht mit Blick auf die Realisierung grundrechtlicher Freiheit trifft, so ist damit gemeint, dass er in Ausnahmefällen gefordert ist, sozial-korrigierend einzuschreiten, um drohende oder bestehende Freiheitsdefizite auszugleichen. 1779 Freilich gilt Gleiches für den mit dem Freiheitsschutz eng verknüpften grundgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsschutz. In Fällen, in denen die wertungsgemäß folgerichtige, prinzipielle Ableitung von grundrechtlichen Leistungsund Teilhaberechten auf dem Prinzip der Chancengleichheit beruht, wird dies besonders deutlich. 1780 Dabei geht es letztlich nicht nur um rechtliche Chancengleichheit, d. h. die Herstellung bzw. Wahrung von Rechtsgleichheit. Indem das Sozialstaatsprinzip zu dem Verbund bestehend aus den einschlägigen Freiheitsgewährleistungen und dem allgemeinen Gleichheitssatz hinzutritt, wird vielmehr zusätzlich die Angleichung faktischer Verhältnisse staatlicherseits mit dem Ziel gestattet, soziale Sicherheit als Voraussetzung für den Freiheitsgebrauch zu schaffen. 1781 Insofern liefert auch die sozialstaatliche Gewährleistung einen Beitrag für den grundrechtlichen Freiheitsschutz des Bürgers. Die Konzeption, die dahinter steht, ist die des freiheitlichen Sozialstaates, der darauf abzielt, für jedermann die tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheit zu erschaffen und weiterzuentwickeln. 1782 Denn vom Grundgesetz bezweckt wird nicht nur eine ausschließlich formale, rechtliche Freiheit, sondern vielmehr eine reale, d. h. in der sozialen Wirklichkeit vorhandene Freiheit. 1783 Vgl. I.v.Münch, in: v.Münch/Kunig, GG-Komm., Bd.I, 2000, Vorb. Art.1–19 GG Rn.18. Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 II. 1. b). Derivative Teilhaberechte an in staatlicher Verantwortung betriebenen Ausbildungseinrichtungen hat das BVerfG als, durch das Zusammenspiel von Art. 12 Abs. 1 GG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip, verbürgt gesehen (vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 I. 7. a)). 1780 Vgl. zur rechtlichen Chancengleichheit 4. Kapitel § 4 II. 4. b). 1781 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art.20 Rn. 107 f., 112; vgl. auch E. Schwark (ders., Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, 1996, S. 11), der davon ausgeht, dass der Gleichheitssatz das Sozialstaatsprinzip in Richtung auf mehr Chancengleichheit verstärkt. 1782 Vgl. R. Gröschner, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. II, 1998, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 20; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 34.; H. D. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 Rn. 110. 1783 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 214; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 Rn. 110; ders., in: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1997, § 3 Rn. 78. 1778 1779
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Sozialstaatlich eingeforderte Maßnahmen – dies intendiert die Martens’sche Fragestellung gleichfalls – können aber auch in Konflikt zu den freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaates geraten. So ergeben sich Spannungsverhältnisse immer dann, wenn freiheitliche Prinzipien einerseits Staatsferne einfordern und Selbstverantwortung des Bürgers gewährleisten, die sozialstaatliche Verpflichtung jedoch, z. B. mit Blick auf bestehende Freiheitsdefizite anderer Wirtschaftsteilnehmer, auf Korrekturen drängt. Die Auflösung hieraus resultierender Konflikte findet auf zwei miteinander verbundenen aber dennoch klar voneinander zu unterscheidenden Ebenen statt: Zum einen geht es um die Bewältigung systeminterner Prinzipienkollisionen, zum anderen um die Auflösung konkreter systemexterner Prinzipienkollisionen im Wege der Abwägung. 1784 Für die vorliegende, systematische Untersuchung ist nur die erstgenannte Konstellation von Bedeutung. In methodischer Hinsicht kann dabei an das bereits Gesagte angeknüpft werden: Systeminterne Prinzipienkollisionen werden dadurch gelöst, dass der „kleinste gemeinsame Nenner“ mittels wertenden Rückschlusses ermittelt wird.1785 Disharmonien zwischen den besonderen prinzipiellen Ausprägungen werden sozusagen durch Ermittlung der (allgemeinen) Basisharmonie überwunden. 2. Die gemeinsame „soziale“ Verpflichtung von Staat und Gesellschaft als übergeordneter Wertungsgedanke Was das konkurrierende Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zu den freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaates innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems betrifft, so kann zur Lösung dieses Spannungsverhältnisses in einem ersten Schritt die Erkenntnis verhelfen, dass beide Prinzipiengruppen, axiologisch gesehen, im Schutz der Menschenwürde wurzeln, mithin Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie darstellen. 1786 Für die freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaates wurde dieser Nachweis bereits geführt.1787 Auch mit Blick auf 1784 Vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 5 I. 2. Um auf systemexterner Ebene die Beschränkung von Grundrechten legitimieren zu können, bedarf das Sozialstaatsprinzip wegen seiner Vagheit stets einer vermittelnden Konkretisierung durch den Gesetzgeber, die ihrerseits sämtlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben standhalten muss. Eine unmittelbare Beschränkung der Grundrechte durch das Sozialstaatsprinzip ist nicht denkbar (vgl. hierzu BVerfGE 52, 283 ff. (298); E 59, 231 ff. (262 f.); E 65, 182 ff. (193); vgl. auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 924). Keinesfalls dürfen unter pauschalem Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip die ausdifferenzierten, das Sozialstaatsprinzip konkretisierenden Schrankenvorbehalte (bspw. Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG) ausgehebelt werden. Gleiches gilt mit Blick auf Art.15 GG (vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 5. a)). 1785 Vgl. hierzu 3. Kapitel § 5 I. 6 und 3. Kapitel § 5 II. 3. 1786 Vgl. allgemein zum Menschenwürdegarantiebezug der Grundrechte 4. Kapitel § 1 I; vgl. zum Verhältnis von Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip D. Schiek, in: AK-GG, Bd. II, 2001, Art. 20 Abs. 1–3 V Rn. 59. 1787 Vgl. hierzu 4. Kapitel §1I, 4. Kapitel §2I. 1, 4. Kapitel §2II. 2, 4. Kapitel §2III. 1, 4. Kapitel § 2 IV. 1, 4. Kapitel § 4 II. 2 und 4. Kapitel § 5 I. 2. a).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
das Sozialstaatsprinzip ist die Existenz dieses Bezugsbandes ohne weiteres einsichtig. 1788 Die sozialstaatlich geforderte Absicherung des Existenzminimums liefert den besten Beleg hierfür. 1789 Freilich kann erst ein zweiter Schritt den Schlüssel zur Problemlösung liefern. Er beinhaltet zunächst die Feststellung, dass die Garantie der Menschenwürde, was ihre Konkretisierungen betrifft, stets auch einen „Sozialbezug“ einfordert. Denn die von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte „Wahrung der personalen Identität“ weist sowohl eine innen- als auch eine außenweltbezogene Schutzdimension auf.1790 Entsprechendes ist gemeint, wenn das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Gesamtschau feststellt: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum/Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“1791 Diese Sozialbedingtheit lenkt wegen des Menschenwürdegarantiebezuges nicht nur staatliches Handeln. Sie begründet zugleich – insofern kann an die Exegese der Wirtschaftsgrundrechte angeknüpft werden – auch eine Verpflichtung des Bürger zum gemeinschaftsbezogenen Gebrauch der Freiheitsrechte, denn der Menschenwürdesatz beinhaltet seinerseits „eine absolute Feststellung, die sich gegen jedermann wendet, sowohl gegen die staatliche Gewalt wie auch gegen jeden Privaten und gegen jede Institution“. 1792 Damit erfolgt auch die Freiheitswahrnehmung durch den Bürger, wie die Formel von der Sozialbindung des Eigentums exemplarisch beweist, ausschließlich im gesellschaftlichen Kontext. 1793 Dies entspricht dem Postulat, wonach die höchstentwickelte Form der Eigennützigkeit erst aus der Gemeinnützigkeit erwächst. 1794 Besteht nach alldem staatlicherseits kein Monopol am „Sozialen“ 1795, so erscheint es zumindest verkürzt wenn nicht gar unrichtig, die (wirtschafts-)verfassungsrechtliche Gewährleistung von Fremd- bzw. Gemeinnützigkeit auf das Sozialstaatsprinzip zu reduzieren. Dem Grundgesetz liegt vielmehr ein weiter reichendes „SozialVgl. hierzu bspw. E.-W. Luthe, Optimierende Sozialgestaltung, 2001, S. 41 ff. Die soziale Hilfe muss nach den Worten des BVerfG die „Mindestvoraussetzungen für ein menschenwüvrdiges Dasein“ sicherstellen (vgl. BVerfGE 40, 121 ff. (133); E 82, 60 ff. (80)). 1790 W. Höfling, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 1 Rn. 28 ff. 1791 BVerfGE 4, 7 ff. (15 f.). 1792 A. Süsterhenn, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR n. F. Bd. 1, 1951, S. 51; vgl. zur „unmittelbaren Drittwirkung“ der Menschenwürdegarantie auch Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. I, 2000, Art. 1 Rn. 27; vgl. auch BVerfGE 24, 119 ff. (144). 1793 Vgl. auch H.-C. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), S.7 ff. (45 f.); vgl. zur „sozialgebundenen Freiheit“ auch G. Dürig, in: Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, in: JZ 1953, S. 193 ff. (197). 1794 So bspw. mit Blick auf die Eigentumsgarantie 4. Kapitel § 2 II. 3. 1795 H. F. Zacher, in: HStR, Bd. I, 1987, § 25 Rn. 26; vgl. auch BVerfGE 22, 180 ff. (204). 1788 1789
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prinzip“ zugrunde, das eine gemeinsame Sozialverantwortung von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck bringt. 1796 Dieser übergeordnete Wertungsgedanke schafft die gewünschte axiologische Basisharmonie, denn er verdeutlicht, dass sich bestehende, systeminterne Gegensätze zwischen dem „Sozialen“ und gewährleisteter Freiheitlichkeit losgelöst vom konkreten Einzelfall auch im Rahmen einer abstrakten Betrachtungsweise überwinden lassen. Gemeinsame Sozialverantwortung als Grundentscheidung der Verfassung, so die sich hieran anschließende Feststellung, bringt zum Ausdruck, dass es auch dem Sozialstaatspostulat letztlich nicht darum gehen kann, die Freiheit aufzuheben. Die Schaffung einer „egalitären Versorgungsgesellschaft“, in welcher „die Freiheit des Menschen überhaupt nichts oder nur wenig gilt“ ist von der sozialen Verpflichtung des GG gerade nicht gewollt. 1797 Ganz im Gegenteil geht es vielmehr darum, eine „menschenwürdige Aktualisierung der Freiheit“ zu ermöglichen. 1798 Tragen auch die Privaten in der Gesellschaft Sozialverantwortung, so muss ihnen wertungsgemäß folgerichtig die Freiheit verbleiben, sozialgestaltend tätig zu werden. Die jeweils einschlägigen Grundrechte verbürgen diese private Sozialgestaltungsmacht. Die Sozialstaatlichkeit als Prinzip und Systemvorgabe befreit die staatlichen Organe nicht etwa von der strikten Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. 1799 Sie trägt vielmehr der privaten, grundrechtsgeschützen Freiheit zur Sozialgestaltung mit Rücksicht auf das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip und die Außentheorie sowie mit Blick auf die Einheit der Verfassung Rechnung. Soll also die Verfassungsentscheidung zugunsten des „Sozialen“ von Staat und Gesellschaft durch ein konzertiertes Zusammenwirken erreicht werden, so erscheint es nur folgerichtig, dem „Sozialstaatsprinzip“ unter dem gemeinsamen Dach des „Sozialprinzips“ ein den Freiheitsrechten entstammendes „Prinzip der gesellschaftlichen Sozialverantwortung“ an die Seite zu stellen, welches die individuelle Freiheitswahrnehmung eben wegen des Bezugs zur garantierten Menschenwürde unmittelbar „sozial“ determiniert, umgekehrt jedoch gleichermaßen die Wahrnehmung der „sozialen Verantwortung“ an der Freiheit ausrichtet und diesbezüglich Respekt vom Sozialstaatsprinzip einfordert. 1800 Das „Prinzip der gesellschaftlichen 1796 Vgl. K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S.17 ff., 31 f.; vgl. auch J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 193. 1797 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 47. 1798 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 276. 1799 Vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 312; vgl. auch D. Merten, Grenzen des Sozialstaats, in: VSSR 1995, S. 155 ff. (160); R. Pitschas, in: FS für H. F. Zacher, 1998, S. 755 ff. (758 f.); vgl. hierzu schon Fn. 1784. 1800 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt J. Isensee, in: Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S.193. Er stellt fest: „Die private Spontaneität ist im Sozialstaat von vornherein bereits objektiv auf die Gemeinschaft bezogen, ungeachtet aller subjektiven Motivationen. Aufgabe und Zielsetzung schaffen in diesem Bereich keinen grundlegenden Unterschied mehr. Im sozialen Rechtsstaat ist die Freiheit des Einzelnen sozial determiniert.“
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Sozialverantwortung“ erscheint dabei in der Tat als durchgehender Wertungsgedanke der Wirtschaftsverfassung, der besonders deutlich im Sozialbezug des verfassungsrechtlich geschützten Berufswesens, dem Prinzip der vorrangig privaten Gemeinwohlgestaltung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG), aber auch in der Gewährleistung dezentraler Problemlösungsmechanismen im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. 3. Primat der privaten Sozialgestaltung als Ausfluss des freiheitlichen Sozialstaats bzw. sozialen Rechtsstaats Aus der Feststellung, dass der freiheitliche Sozialstaat eine Gesamtleistung von Staat und Gesellschaft darstellt, wird deutlich, dass regelmäßig kein grundsätzlicher, unüberwindlicher Konflikt zwischen individueller Freiheit und sozialer Verpflichtung bestehen kann. Sich ergebende Divergenzen sind vielmehr kompetenzieller Natur. 1801 Entscheidend ist letztlich die Klärung der Frage, wem die Wahrnehmung der (wirtschaftsbezogenen) Sozialgestaltungsmacht bzw. -verpflichtung vorrangig obliegt. Denkbar erscheint zunächst eine Aufteilung nach verschiedenen Sozialmaterien. Aus diesem Blickwinkel heraus wird sehr schnell deutlich, dass so manche soziale Thematik ohne ein hinreichendes Maß an sozialstaatlicher Aktivität kaum realisierbar bzw. praktikabel erscheint oder aber gänzlich auf den Sozialstaat angewiesen ist. 1802 Ein Großteil der Sozialmaterien kann jedoch sowohl autonom auf der gesellschaftlichen Ebene bewältigt als auch durch staatliche Maßnahmen geregelt werden. 1803 In diesen Fällen lautet die noch offene Frage: Besteht ein kompetenzieller Vorrang des Staates oder der Gesellschaft bei der Sozialgestaltung mit Blick auf das Wirtschaftsgeschehen? Im Rahmen des Art. 14 Abs. 2 GG ist die Frage bereits im letztgenannten Sinne beantwortet worden. 1804 Man mag sich an dieser Stelle an die dort erzielte Lösung der Vorrangfrage erinnern. Sie wurde in Anlehnung an die prima-facie-Gewährleistung freien privaten Eigentums erreicht. Und das aus gutem Grund. Denn Antwort auf die gestellte Vorrangfrage liefert nicht das Sozialprinzip aus sich heraus, sondern erst eine systematisch axiologische Gesamtbetrachtung, d. h. die Betrachtung
1801 O. Bachof (ders., Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), S. 37 ff., Leitsatz 7 (S. 81), vgl. aber auch S. 45 ff., 66) hat in diesem Zusammenhang – freilich überspitzt mit Blick auf den rechtsstaatlichen Verteilungsgrundsatz und die Außentheorie – Folgendes formuliert: „Ein Rangverhältnis kann nicht zwischen Freiheit und Sozialbindung, sondern nur zwischen Freiwilligkeit sozialverpflichteten Verhaltens und staatlichem Zwang hierzu aufgestellt werden“. 1802 So bei der Herstellung einer sozialen Infrastruktur mit Blick auf das Sozialversicherungsrecht oder aber bei Leistungen die Daseinsvorsorge betreffend. 1803 Vgl. schon P. Koslowski/P. Kreuzer/R. Löw (Hrsg.), Chancen und Grenzen des Sozialstaats, 1983, S. 192 ff. 1804 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 2 II. 6. a).
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des Sozialprinzips im Lichte der Prinzipien des materialen Rechtsstaats.1805 Sie allesamt bedeuten den legitimierenden Ursprung aller staatlichen Gewalt und liefern zugleich seine Zielsetzung: Achtung und Schutz menschlicher Würde und daraus erwachsend der Freiheit. 1806 Steht hiernach für den Staat der personale Eigenwert des Menschen im Mittelpunkt, so achtet er nicht nur dessen Fähigkeit, sondern auch dessen vorrangige Kompetenz zur „verantwortlichen Selbstbestimmung“, auch mit Blick auf soziale Fragen. 1807, 1808 Denn die Unantastbarkeit des menschlichen Eigenwerts kann in letzter Konsequenz nur bedeuten, die Eigenverantwortlichkeit des Individuums ernst zu nehmen. Hierfür streiten die jeweils einschlägigen Grundrechte unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Verteilungsgrundsatzes und der Außentheorie. 1809 Vermittels ihres Schutzes wird die individuelle Freiheit zur Wirtschafts- und Sozialgestaltung nicht nur schlicht gewährleistet, sie wird prima facie gewährleistet. Anhand der einzelnen Grundrechte lassen sich diese Zusammenhänge weiter beleuchten: Prima facie geschützt ist die Eigen- wie die Gemeinwohlgestaltung im Rahmen des jeweils geschützten Freiheitssegmentes, denn beide bedingen einander und sind deshalb untrennbar miteinander verbunden. Mit den Worten Isensees kann davon gesprochen werden, dass die Grundrechte die zur rechtstechnischen Vollziehbarkeit erforderlichen „vermittelnden Konkretisierungen“ zur Verwirklichung des Primats „freier Individualität bei der Förderung des Gemeinwohls“ beinhalten. 1810 Für die Präponderanz individueller Wirtschafts- und Sozialgestaltung spricht auch die dem Art. 19 Abs. 2 GG zugrunde liegende Wertung. 1811 Im Kontext mit Art. 1 GG und Art. 20 GG, die dem Unantastbarkeitsschutz des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegen, wird dem Individuum „eine Sphäre privater Lebensgestaltung“ eingeräumt, d. h. ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit vorbehalten, der keinem Zugriff durch die öffentliche Gewalt unterliegt. 1812 Vgl. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 268 ff. Vgl. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 271. 1807 Ähnlich J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 271; vgl. ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 78 ff.; zweifelnd bis ablehnend indes E. Benda, in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 139. 1808 Zahlreiche Plädoyers gerichtet auf ein „Mehr“ an Selbstverantwortung bei der Bewältigung des „Sozialen“ finden sich in: Hans Braun (u. a.), Selbstverantwortung in der Solidargemeinschaft – Das Recht der sozialen Sicherung und der Verantwortungswille des Bürgers, 1981, passim. 1809 Vgl. zum Primat des grundrechtlichen Prinzips „Abwehr“ 4. Kapitel § 1 II. 3; vgl. zur prima-facie-Gewährleistung individueller grundrechtlicher Freiheit 4. Kapitel § 1 III. 1810 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 313; vgl. auch ders., in: FS für H. P. Ipsen, 1977, S. 409 ff. (431 f.); ders., Privatwirtschaftliche Expansion öffentlichrechtlicher Versicherer, DB 1979, S. 145 ff. (150); ders.; in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 165 ff.; vgl. ders., in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 159; vgl. hierzu auch H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (54 ff.). 1811 Vgl. hierzu allgemein 4. Kapitel § 1 VI. 1812 BVerfGE 6, 32 ff. (41); vgl. auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 925. 1805 1806
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Für eine derart im Grundgesetz verankerte Subsidiariät 1813 spricht auch die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG n. F. Ein vereintes Europa soll den Grundsätzen deutscher Verfassungsstaatlichkeit genügen, d. h. demokratisch, rechtsstaatlich, sozial und föderativ organisiert sein, dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet sein sowie einen im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten. Durch die Einfügung des Subsidiaritätsprinzips in diese Kette der Verfassungsessentialia wird dessen Bedeutung als Strukturprinzip sowohl im nationalen Verfassungsstaat als auch im vereinten Europa deutlich, denn „die ausdrückliche Benennung der Subsidiarität an dieser Stelle inmitten einer Aufreihung zweifelsfrei binnenstaatlicher Verfassungsprinzipien“ macht nur dann Sinn „wenn auch die Subsidiarität ein fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck bringt, welches für den inneren Staatsaufbau des Grundgesetzes konstitutiv ist und nicht auf dem Altar Europas geopfert werden darf.“ 1814 Auf nationaler wie auf supranationaler Ebene ist aus der Sicht des Grundgesetzes der subsidiäre (Sozial-)Staat gefordert. 1815 Für die Achtung der Mündigkeit des Bürgers mit Blick auf die Gestaltung des „Sozialen“ lassen sich auch praktische Erwägungen anführen: Nur Eigenverantwortlichkeit schafft Initiative und Leistungsbereitschaft, die wiederum die Voraussetzungen für ein Optimum an Leistungsfähigkeit bilden. Dieser Erkenntnis können sich nach dem Zusammenbruch der pseudo-sozialistischen Systeme im Osten auch die letzten Zweifler nicht verschließen. Der Sozialstaat ist seinerseits auf die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit seiner Bürger angewiesen, denn er ist zugleich auch Steuerstaat und darf „die Quelle seiner eigenen Leistungskraft“ nicht versiegen lassen. 1816 Die gesellschaftliche Selbstverantwortung liefert zudem Ansätze für eine Lösung der Krise im sozialen Sektor. Explodierenden Kosten im Sozialwesen sowie der mit einem gesteigerten Bürokratismus einhergehenden „‚Inhumanitäts‘- Tendenz des Wohlfahrtstaats“ kann auf diesem Wege entgegengetreten werden. 1817 Sozialstaatliche Interventionen sind nach alldem letztlich nur dort zulässig, „wo die gesellschaftliche Selbstregulierung den Erfordernissen sozialer Gerechtigkeit 1813 Vgl. auch 4. Kapitel § 6 III; umfangreiche Literaturnachweise zum Subsidiaritätsprinzip finden sich in Fn. 1956. 1814 T. Oppermann, Subsidiarität als Bestandteil des Grundgesetzes, in: JuS 1996, S. 569 ff. (571); vgl. zum Subsidiaritätsprinzip auch 4. Kapitel § 6 III. 1815 Schwächer indes R. Pitschas (ders., in: FS für H. F. Zacher, 1998, S. 755 ff. (763)), der davon spricht, dass das Grundgesetz national wie supranational den subsidiären Sozialstaat „akzeptiert“; a. A. M. Sachs, in: M. Sachs, GG – Komm., 2003, Art. 20 Rn. 48; BVerwGE 23, 304 ff. (306 f.). Vgl. zur Subsidiarität des Sozialstaats unter dem Grundgesetz G. Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL Heft 48 (1990), S. 56 ff. (104, 117). 1816 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 276. 1817 Vgl. zu den angedeuteten Problemen des Sozialstaats H. Klages, Einleitung, in: Selbsthilfe als ordnungspolitische Aufgabe, 1984, S. 9 ff.; E.-W. Luthe, Optimierende Sozialgestaltung, 2001, S. 1.
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nicht Genüge tut und die Resultate der Marktprozesse der Korrektur bedürfen“. 1818 J. Isensee hat diese Zusammenhänge konsequent weiter verfeinert und aufgeschlüsselt und sieht die Kompetenz zur Sozialgestaltung in einem Dreistufenverhältnis verankert. Sozialgestaltung erfolgt hiernach primär durch „gesellschaftliche Selbstregulierung auf der Basis der iustitia comutativa“, sekundär durch „staatliche Lenkung gesellschaftlicher Spontaneität und Umverteilung der Lebensgüter auf der Basis einer iustitia re-distributiva“ und tertiär durch „Ausschaltung aller privaten Unternehmensinitiative durch Daseinsvorsorge in staatlicher Regie, die eine orginäre iustitia distributiva ermöglicht“. 1819 4. Zwischenergebnis: Die primär sozialverantwortliche Gesellschaft und der „soziale Rechtsstaat“ bzw. „freiheitliche Sozialstaat“ als Ergebnis einer systematischen Betrachtung Die vorstehende systematische Einbettung des Sozial(staats)prinzips in den (wirtschafts-)verfassungsrechtlichen Systemzusammenhang hat gezeigt, dass sich Differenzen zwischen verfassungsrechtlich geforderter Sozialstaatlichkeit einerseits und Freiheitlichkeit als Ausfluss materialer Rechtsstaatlichkeit andererseits bereits auf der abstrakten Systemebene weitgehend lösen lassen. Die systematisch gewonnenen Erkenntnisse – Freiheitsverantwortung des Einzelnen und Verpflichtung des Staates zur Freiheitswahrung auch bei der Verwirklichung des „Sozialen“ sowie gemeinsame Sozialverantwortung von Staat und Gesellschaft und deren vorrangige Wahrnehmung durch die Gesellschaft – lassen sich in dem Prinzip „sozialer Rechtsstaat“ bzw. „freiheitlicher Sozialstaat“ zusammenfassen. Der Vorrang, so Isensee zutreffend, wird aus gutem Grunde der Freiwilligkeit zuteil, denn erst das „Primat der (sozialverpflichteten) Freiheit“ stellt „die normative Einheit des ‚sozialen Rechtsstaates‘“ bzw. des freiheitlichen Sozialstaates her. 1820, 1821 1818 J. Isensee, in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 168; vgl. ders., in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 159. Vgl. auch O. Depenheuer, der explizit auf die „Beachtung des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips und der „Präponderanz grundrechtlicher Freiheit“ bei der Wahrnehmung sozialer Verantwortung verweist. Mit Blick auf die Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern stellt er fest: „Auch der soziale Staat hat nur eine Letztverantwortung: in erster Linie sind es die Bürger, die die Angleichung der Lebensverhältnisse durch ihren individuellen Beitrag zum Gelingen des Ganzen leisten müssen“ (ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 204 Rn. 54 (vgl. auch Rn. 69 ff. und 133 ff.)); vgl zur Subsidiarität der Sozialhilfe und den Grenzen des Sozialstaats auch D. Merten, in: HVerfR, 1994, § 20 Rn. 108 sowie ders., Grenzen des Sozialstaats, in: VSSR 1995, S. 155 ff. (160 ff.). 1819 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 194, wobei Isensee die genannten Formen des sozialen Ausgleichs als mit der Sozialstaatsbestimmung vereinbar sieht und die Frage der Rangfolge zunächst offen lässt. 1820 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S.276; vgl. zum Gehalt des „sozialen Rechtsstaats“ auch F. Hufen, Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsrecht, in: VVDStRL 47 (1989), S. 142 ff. (164). 1821 Mit Blick auf die Steuer- und Sozialstaatlichkeit stellt beispielsweise M. Jachmann (dies., Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und
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5. Konsequenzen für die Konturierung des wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraumes Da die vorliegende Untersuchung das Ziel verfolgt, wirtschaftsverfassungsrechtliche Unter- und Leitprinzipien im Rahmen einer grundgesetzlichen Systembetrachtung abzuleiten, um den wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum staatlicherseits zu konturieren, kann es mit Blick auf das „Soziale“ nicht darum gehen, „dasjenige an Regelwerken zur Anschauung“ zu bringen, „was die Legislative auf einfach-gesetzlicher Ebene im einzelnen ‚ins Werk gesetzt hat‘“. Es muss vielmehr eine eingehende Auseinandersetzung mit Blick auf die „verfassungsrechtlich notwendigen Emanationen“ der sozialen Verpflichtung erfolgen. 1822 Dabei lässt sich der Gehalt des Sozialprinzips per se „kaum zu definitiven Einzelkonsequenzen“ verdichten. 1823 In Ermangelung eigener Begriffsschärfe ist das Sozialprinzip vielmehr auf eine Entfaltung im verfassungsrechtlichen Kontext angewiesen. Die systematische Einbettung in die (Wirtschafts-)Verfassung hat aufgezeigt, dass es die Wechselwirkungen zum Rechtsstaatsprinzip und zu den Grundrechten zu beachten gilt. 1824 Diese Erkenntnisse helfen weiter, wenn es darum geht, die verfassungsrechtliche Verpflichtung auf das „Soziale“ inhaltlich-rudimentär zu bestimmen. Denn erst durch die Wechselbeziehung zu den freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaates gewinnt das Sozialstaatsprinzip substantiellen Gehalt.1825
Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, in: StuW 1996, S. 97 ff. (99 f.)) fest: „Das objektivrechtliche Prinzip der Eigenständigkeit der Gesellschaft findet [...] in der sozialstaatlichen Prämisse des Vorrangs der Selbstverantwortung des einzelnen seine Entsprechung. Dieses Primat schafft eine maßgebliche Verbindung von Sozialstaatlichkeit und grundrechtlicher Freiheit im sozialen Rechtsstaat. Es basiert – vor dem Hintergrund des Prinzips der Menschenwürde – auf den Grundrechten der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) und des Eigentums (Art. 14 I GG). Die Grundrechte haben eine über die Interessenssphäre des einzelnen Grundrechtsträgers hinausweisende Gemeinwohldimension im Sinne eines Kompetenztitels zur Hervorbringung des Gemeinwohls. Dabei leistet der Bürger seinen Beitrag für das Allgemeinwohl in der Regel aus freien Stücken. Erst wenn sich diese Verfassungserwartung nicht erfüllt, aktualisiert sich die subsidiäre Gemeinwohlverpflichtung des Staates. Dieses auf einen Vorrang der Privatinititative abzielende Subsidiariätsprinzip ist notwendiges Element der Gemeinwohlkonzeption des sozialen Rechtsstaats des Grundgesetzes.“ 1822 F. E. Schnapp, Was können wir über das Sozialstaatsprinzip wissen?, in: JuS 1998, S. 873 ff. (876). 1823 M. Sachs, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 20 Rn. 47 unter Verweis auf die st. Rspr. des BVerfG seit BVerfGE 1, 97 ff. (105). 1824 So aber W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 114 ff. und H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, 1970, S. 344 ff.; vgl. auch R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 86; ders., Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 168. 1825 Vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 312 m. w. N.
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a) Kein prinzipielles Gebot zur ökonomischen Umgestaltung Eben diese enge systematische Anbindung an die grundgesetzlich gewährleistete Freiheit verbietet es, dem Sozialstaatsprinzip ein Gebot zur ökonomischen Umgestaltung, hin zu einer Zentralverwaltungswirtschaft und einem System imperativer bzw. zentralisierter Staatsplanung zu entnehmen oder aber die umfassende Demokratisierung der Wirtschaftsgesellschaft zu fordern. 1826 In dieser radikalen Ausprägung sind beide Konzepte darauf ausgerichtet, den Dualismus zwischen privater Wirtschaft- und Sozialgestaltungsautonomie einerseits und öffentlicher Sozialgestaltung andererseits aufzuheben. 1827 Der erstgenannte Ansatz würde die Gesellschaft unter dem Deckmantel des Sozialen in den Staat integrieren. Freie wirtschaftliche Betätigung wäre, abgesehen von kleineren Randbereichen, ausgeschlossen und somit „in einem wichtigen Teilbereich die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit verhindert“. 1828 Ähnliche Auswirkungen hätte die zuletzt genannte Konzeption. Zwar ist die Realisierung grundlegender „wirtschaftsdemokratischer“ Ansätze in der Tat vom grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip gefordert, sofern es um die Verwirklichung der organisatorischen Grundidee „soziale Selbstbestimmung“ oder um die Herstellung „sozialer Gerechtigkeit“ geht. Unternehmerische Mitbestimmungsmodelle oder aber so genannte Vermögensbeteiligungen der Arbeitnehmer am unternehmerisch genutzten Produktivermögen mittels überbetrieblicher Fonds tragen diesem Postulat Rechnung. 1829 Wirtschaftsdemokratische Konzeptionen unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn dadurch wirtschaftliche Freiheitspositionen entwertet werden. Aus diesem Grund wäre beispielsweise die Schaffung eines umfassenden wirtschaftlichen Rätesystems, wie von Art. 165 WRV gefordert, mit der grundgesetzlichen Gewährleistung wirtschaftlicher Freiheit seitens der Unternehmer bzw. Arbeitgeber nicht zu vereinbaren. 1830 Soweit muss man freilich gar nicht gehen: Vollparitätische Mitbestimmungsmodelle ohne Letztentscheidungsrecht der Arbeitgeber, die gegebenenfalls in den Entscheidungsgremien von Unternehmen Pattsituationen hervorrufen und die Handlungsfähigkeit des Unternehmens lähmen, sind unvereinbar mit den freiheitlichen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des GG. 1831 Daran ändert auch ihre „soziale Motivation“ nichts. 1826 Vgl. E. Benda, in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 108 ff.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GGKomm., Bd. II, Art. 14 Rn. 33 m. w. N.; R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 85; ders., Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 165 f. 1827 Vgl. P. Badura, Staatsrecht, 2003, S. 304. 1828 E. Schwark, Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, 1996, S. 9. 1829 Vgl. P. Badura, Staatsrecht, 2003, S. 283 f.; ders., Unternehmerische Mitbestimmung, soziale Selbstverwaltung und Koalitionsfreiheit, in: RdA 1976, S. 275 ff. (275). 1830 Vgl. schon G. Anschütz (ders., Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Kommentar, 1933, Anm. zu Art. 165 WRV), der offenbar von einer verfassungrechtlich gewährleisteten Vollparität ausgeht. 1831 Vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., 1999, Bd. I, Art. 9 Abs. 1 Rn. 69 ff.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Ohnehin gilt es zu beachten: Das Sozialstaatsprinzip erfährt in Art. 15 GG eine spezifische Ausprägung. Die dort geregelten Restriktionen, Voraussetzungen und Umfang gemeinwirtschaftlicher Umgestaltung betreffend, dürfen nicht unter bedenkenlosen Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip überspielt werden. 1832 Das dort austarierte Regel/Ausnahmeverhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und Bindung wäre ansonsten gefährdet. b) Primäres Ziel der sozialen Verpflichtung: Wohlstandsmehrung durch freiheitsorientierte Wachstumsvorsorge und Stärkung privater Eigeninitiative Vertrauen in die Bewältigung der sozialen Herausforderung gewährt das Grundgesetz zuvörderst dem privaten Sektor. Einen gewichtigen, zugegebenermaßen pragmatischen Grund hierfür muss man sich an dieser Stelle erneut ins Gedächtnis rufen: Die auf den grundrechtlichen Freiheiten basierende Leistungskraft der produktiven Wirtschaft bildet die Voraussetzung für den sozialen Erfolg. Sie erst schafft die Basis für Wirtschaftswachstum. Die daraus folgende Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstandes bietet ihrerseits das Fundament für die Verbreiterung der Teilhabe weiterer, ggf. wirtschaftlich schwächerer Gesellschaftsschichten. 1833 Diese Zusammenhänge bilden einen die Wirtschaftsverfassung durchziehenden Wertungsgedanken. Zutreffenderweise kann der Sozialstaatsklausel i.V. m. Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG, § 1 StWG und dem Postulat zur „Wahrung der [...] Wirtschaftseinheit“ im Rahmen der Wahrnehmung konkurrierender wirtschaftpolitischer Gesetzgebungskompetenzen (Art. 72 Abs. 2 GG) ein „Verfassungsauftrag“ zur „staatlichen Wachstumsvorsorge“ entnommen werden. 1834 Der moderne Staat muss also mit „allen seinen Mitteln dafür sorgen, daß die wirtschaftliche Potenz nicht nur erhalten bleibt, sondern wächst“. 1835 „Prinzipiell gesollt“ ist insofern eine „erweiterte Verantwortlichkeit des Staates für das wirtschaftliche Gedeihen, namentlich der Leistungsfähigkeit der Unternehmen“. 1836 Dabei geht es nicht in erster Linie darum, selbst aktiv in das private Wirtschaftsgeschehen einzugreifen bzw. Zwang auf den privaten Sektor auszuüben. Vielmehr sind staatlicherseits die Voraussetzungen für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheiten durch den privaten Sektor zu schaffen und bestehende Hemmnisse abzubauen, so dass unternehmerische Initiativen und 1832 Vgl. etwa E. Benda, in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 110; R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 166. Gleiches gilt i. Ü. für die Schrankenvorbehalte des Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Art. 14 Abs. 3 GG (vgl. schon Fn. 1784). 1833 Vgl. P. Badura, Staatsrecht, 2003, S. 304 f. 1834 H. P. Ipsen, Gesetzgeber und Verwaltung – Aussprache, in: VVDStRL Heft 24 (1966), S. 222; vgl. ders., Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: Planung, Bd.II, 1966, S. 63 ff. (87); ders., in: FS für K. Zweigert, 1981, S. 747 ff. (755); P. Badura, in: FS für H. P. Ipsen, 1977, S. 367 ff. 1835 H. P. Ipsen, Gesetzgeber und Verwaltung – Aussprache, in: VVDStRL 24 (1966), S.222. 1836 K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 902.
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Investitionen erleichtert bzw. ermöglicht werden. Sämtliche Instrumentarien einer freiheitsorientierten Wachstumspolitik können an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden. Exemplarisch kann auf die Umsetzung im Rahmen der Wettbewerbspolitik verwiesen werden. Primär muss es hier darum gehen, den grundrechtlichen primafacie- Gewährleistungen im Hinblick auf die produktive Wirtschaft optimierend zu entsprechen. Die Sicherung der freien Preisbildung, Verbesserung der Marktorganisation, Sicherung des freien Marktzugangs etc. bilden die Kernelemente für die Realisierung des Verfassungsauftrags. 1837 Vor allem eine „aktive und fördernde Mittelstandspolitik“ beispielsweise mittels Vergünstigungen im steuerlichen Bereich oder der Förderung von Investitionen ist dem Bereich der sozialstaatlich geforderten Wachstumspolitik zuzuordnen. 1838 Hier zeigt sich erneut die freiheitsstützende Funktion des sozialstaatlichen Handlungsauftrags besonders deutlich. Dem Staat obliegt eine sozialstaatlich wie grundrechtlich begründete „Schutz- und Fürsorgepflicht“ insbesondere mit Blick auf Existenzgründer, deren „Vorhandensein“ und „Produktivität“ von Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG aber auch vom Sozialstaatsprinzip und Art. 109 Abs. 2 GG „stillschweigend vorausgesetzt“ wird. Sozialstaatlich geforderte Mittelstandspolitik im Einklang mit den grundrechtlichen Gewährleistungen kann letztlich nur bedeuten, „die beruflichen Rahmenbedingungen und das wirtschaftliche Umfeld“ so zu gestalten, „dass kein potenter Unternehmer von der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit abgeschreckt wird“. 1839 Die verfassungsrechtlich gebotene staatliche Wachstumsvorsorge agiert nach alldem nicht nur im Rahmen der Freiheit. Sie steht im Dienste der wirtschaftlichen Freiheit! Dies gilt es insofern besonders hervorzuheben, als der Sozialstaat der Gegenwart zumindest in Teilbereichen auf (sozial-)staatliche Planung angewiesen ist. 1840 Es muss sich dabei stets um eine „Planung zur Freiheit“ handeln, die in letzter Konsequenz „zu einem „Mehr an Freiheit“ in der Gesellschaft führt.1841 Nicht geplant werden darf freilich das, was „mit Aussicht auf Erfolg den Selbststeuerungskräften der Gesellschaft überlassen werden kann“.1842 Mit einer freiheitlich-sozialen Wachstumspolitik ist die grundrechtlich wie sozialstaatlich geforderte Arbeitsmarktpolitik eng verzahnt. 1843 Dieser Umstand ver1837 Vgl. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, § 13 Rn. 37; U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 109. 1838 K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 899 f. (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1839 R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 239 f. 1840 Vgl. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 16, 62. 1841 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 62 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1842 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 62. 1843 Das BVerfG (E 21, 245 ff. (251)) hält fest, dass die Verpflichtung „die Arbeitslosigkeit auf der einen Seite“ und den „Mangel an Arbeitskräften auf der anderen Seite“ zu mindern und zu beheben „zu der dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge“ gehöre. Vgl. hierzu und zu den Gehalten der Berufsfreiheit bereits 4. Kapitel § 2 I. 7. a).
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deutlicht, wo die Letztgenannte ansetzen muss: Die Art und das Ausmaß der freiheitlichen Rahmenbedingungen in der Wirtschaftsgesellschaft entscheiden maßgeblich über die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen durch den unternehmerischen Sektor. 1844 Dem trägt die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung Rechnung, indem sie besonders im Rahmen der sozialstaatlichen Verpflichtung die Wahrung und Förderung der Freiheitlichkeit der Wirtschaftsgesellschaft in Gänze einfordert. c) Wirtschaftspolitischer Interventionismus im Rahmen bzw. zur Wahrung wirtschaftlicher Freiheit – ökonomische Mindestgarantien Das verfassungsrechtlich begründete Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaftsgesellschaft darf freilich nicht im Sinne eines „blinden Vertrauens“ falsch gedeutet werden. R. Herzog stellt zutreffend fest: „Wer von den Selbstregulierungskräften der Gesellschaft um jeden Preis die besten und richtigsten Lösungen der menschlichen Probleme erwartet, der postuliert einen uneingeschränkt vernunftgesteuerten Menschen und hat damit die Summe der geschichtlichen Erfahrung gegen sich.“ 1845 Von diesen negativen Erfahrungen zeugen die zahlreichen „sozialstaatlichen Imprägnierungen“ der Wirtschaft durch Arbeitnehmerschutzvorschriften, durch das Kartellrecht, durch die Wirtschaftsaufsicht und mittels Vorschriften zur Gesundheits- und Immissionsvorsorge. 1846 Ein sozialstaatlicher Korrekturbedarf des privaten Wirtschaftens zum Schutze der Schwächeren, zur Verhinderung von Machtmissbrauch und zur Vorbeugung vor drohenden Gesundheitsgefahren führt regelmäßig zu Freiheitseinbußen von Wirtschaftsteilnehmern. 1847 Und der Grad zwischen der von W. Martens angesprochenen Schaffung sozialer Voraussetzungen für den Freiheitsgebrauch einerseits und einer freiheitsgefährdenden staatlichen Bevormundung andererseits ist sehr schmal. 1848 Ausgewogene, einzelfallgerechte Lösungen sind letztlich nur systemextern, im Wege der praktischen Konkordanz herzustellen. Die Aussagekraft des freigelegten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems stößt insofern an gewisse Grenzen. Infolge der bereits festgestellten Tatsache, dass Freiheit, soziale Verantwortung der Gesellschaft und sozialstaatliche Verpflichtung eine Sinngesamtheit bilden, lassen sich jedoch aus dem wirtschaftsverfassungsverfassungsrechtlichen System gleichwohl ganz grundlegende Aussagen zur Reichweite des wirtschaftsinterventionistischen staatlichen Tätigwerdens ermitteln. So gilt: Angesichts der spezifischen Gren1844 Vgl. hierzu auch E. Schwark (ders., Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, 1996, S. 25 f.), der sich in diesem Zusammenhang für die Abschaffung des gesetzlichen Instruments der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ausspricht. 1845 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 20, VIII, Rn. 54 (Hervorhebung im Original). 1846 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 899. 1847 Vgl. E. Schwark, Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, 1996, S. 8. 1848 Vgl. Fn. 1777.
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zen, die die Wirtschaftsgrundrechte aufrichten, und mit Blick auf die subsidiäre sozialstaatliche Verpflichtung kann es letztlich nur darum gehen, für einen „Mindeststandard effektiver sozialer Gerechtigkeit“ zu sorgen 1849. Im Wege der Wohlstandsmehrung bzw. Verbreiterung der Wohlstandsteilhabe hat der Sozialstaat im Falle bestehender oder unmittelbar drohender Defizite auf gesellschaftlicher Ebene die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit zu fördern und zu schützen. Zutreffend kann auch davon gesprochen werden, dass der Staat die Freiheit schützt, „indem er sie ‚gerecht‘ verteilt“, denn „je enger Menschen zusammenleben und zusammenarbeiten, um so knapper wird Freiheit, um so mehr wird Freiheit zum Verteilungsproblem, um so mehr muß sich die liberale Freiheitsidee der sozialstaatlichen Modifikation beugen und öffnen“. 1850 Sind Grundrechtsbeschränkungen Einzelner bei der Verwirklichung der angesprochenen sozialstaatlichen Ziele gegebenenfalls auch in Kauf zu nehmen, so bleibt es aber prinzipiell dabei, dass die Gewährleistung von Freiheit stets auch die Voraussetzung für die private Sozialgestaltung bildet, die der Staat nicht ignorieren darf. „Freiheit ist der Regelfall, staatliche Intervention bleibt die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme.“ Die Wirtschaftspolitik bewegt sich „zwischen diesen Polen, wobei der staatliche Gestaltungsspielraum maßgeblich auf Schrankenebene durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird.“ 1851 Die sozialstaatliche Verpflichtung lässt sich mit Blick auf das Wirtschaftsgeschehen inhaltlich weiter präzisieren. Dabei kann zwischen makro- und mikrosozialen Verpflichtungen unterschieden werden. 1852 Aus makrosozialer Sicht geht es darum, das Funktionieren der Märkte durch globalsteuernde wirtschaftspolitische Maßnahmen, durch die Gewährleistung notwendiger Infrastrukturen sowie durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften abzusichern. 1853 Das Hauptaugenmerk muss darauf liegen, Bestrebungen, die sich gegen die etablierte Wettbewerbsordnung richten, zu korrigieren. Die staatlichen Interventionsmaßnahmen müssen sich deshalb vor allem gegen die zu starke Konzentrierung von Unternehmen und die Bildung von Kartellen richten, da durch diese die wirtschaftliche Freiheit schwächerer Marktteilnehmer erheblich beeinträchtigt wird. 1854 Aus dem wirtschaftsgrundrechtlichen Datenkranz und der systematischen Einbindung des Sozialstaatsprinzips in diesen ergibt sich zwar kein striktes Gebot zur Marktkonformität staatlicher Interventionen. 1855 Das Kriterium „Marktkonformität“ fungiert jedoch als ein „gewichtiger Faktor der J. Isensee, in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 168. F. Ossenbühl, Die Freiheiten des Unternehmers nach dem Grundgesetz, in: AöR 115 (1990), S. 1 ff. (8). 1851 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 76; vgl. auch C.-W. Canaris, in FS für P. Lerche, 1993, S. 873 ff. (879). 1852 Vgl H. F. Zacher, in: HStR, Bd. I, 1987, § 25 Rn. 70 ff.; vgl. D. Schiek, in: AK-GG, Bd.II, 2001, Art. 20 Abs. 1–3 V Rn. 76 ff., 91 ff. 1853 R. Gröschner, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. II, 1998, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 53. 1854 Vgl. W. Fikentscher, in: FS für P. Lerche, 1993, S. 893 ff. (905 ff.). 1855 Vgl. BVerfGE 4, 7 ff. (17 f.); vgl. auch J. Müller-Volbehr, Das Soziale in der Marktwirtschaft, in: JZ 1982, S. 132 ff. (138). 1849 1850
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Grundrechtskontrolle“, weil es eine gewisse Indizwirkung entfaltet. 1856 Denn auch das Marktgeschehen bzw. die Märkte unterliegen dem grundrechtlichem prima-facie- Schutz und meist führt die mangelnde Marktkonformität zu einem Eingriff in denselben. So sind beispielsweise staatlich erzeugte Wettbewerbsverzerrungen mittels Subventionen oder mittels eigener wirtschaftlicher Tätigkeit aus prima-facieSicht wie aus der Perspektive der Marktkonformität grundsätzlich unzulässig und bedürfen im konkreten Fall einer Rechtfertigung. 1857 In mikrosozialer Hinsicht beinhaltet das Sozialstaatsprinzip die Forderung, einzelfallbezogen sozial Schwächeren zu helfen, d. h. es ist solchen Personen Schutz zu gewähren, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. 1858 Steuerfreistellungen oder -erleichterungen, soziale Leistungen, die Schaffung und Wahrung sozialer Sicherungssysteme u. ä. ermöglichen die praktische Handhabung, wobei das Sozialstaatsprinzip dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Wahl der Mittel zur Erfüllung des aufgestellten Postulates eröffnet. 1859 Angesichts des hier verfolgten Untersuchungsziels kann an dieser Stelle eine exemplarische Verdeutlichung genügen. Mit der vor allem auch sozialstaatlich gebotenen, prinzipiellen Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums durch das Steuerrecht wurde bereits ein bedeutsames Beispiel im Rahmen dieser Untersuchung angesprochen. 1860 Sozialstaatlicher Schutz, so das Bundesverfassungsgericht, muss jedenfalls die „Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein“ sicherstellen. 1861 Insofern legt die Verfassung eine Untergrenze für Sozialleistungen fest. Weitere Beispiele liefern die Fälle der sozial motivierten, staatlichen Korrekturen der Privatautonomie. Bei diesen kann es nicht darum gehen, die Privatrechtsordnung „durch eine unmittelbar geltende Verpflichtung zu sozialem Verhalten, abgeleitet aus dem Sozialstaatsprinzip“ zu „demontieren“.1862 Vielmehr bilden Generalklauseln des Zivilrechts, wie beispielsweise § 138 und § 242 BGB das Einfallstor für den richterlich im Einzelfall zu leistenden Schutz zugunsten der schwächeren Vertragspartei vor Fremdbestimmung, die deren Privatautonomie aushebelt. 1863 An dieser Stelle treten erneut die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinn- und Schutzzusammenhänge zutage: In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und den zivilrechtlichen Generalklauseln können die einschlägigen Wirtschaftsgrundrechte bzw. die daraus resultierenden Schutzpflichten der benachteiligten Vertragspartei gegebeU. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 89. Vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Rn. 89 f. 1858 Vgl. H. F. Zacher, in HStR, Bd. I, 1987, § 25 Rn. 70; vgl. auch BVerfGE 35, 202 ff. (236); E 45, 376 ff. (387); E 100, 271 ff. (284). 1859 Seit BVerfGE 1, 97 ff. (105) stRspr.; vgl. auch BVerfGE 100, 271 ff. (284). 1860 Vgl. bereits 4. Kapitel § 4 II. 4. a). 1861 BVerfGE 40, 121 ff. (133); E 82, 60 ff. (80). 1862 E. Schwark, Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, 1996, S. 33. 1863 Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 2 IV. 2. 1856 1857
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nenfalls einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Vertragskorrektur vermitteln. 1864 Dieser bildet ein Beispiel für die zugegebenermaßen restrikte Auslegung von Grundrechten als Leistungs- und Teilhaberechte in Anlehnung an das Sozialstaatsprinzip zum Zwecke der Herstellung faktischer Chancengleichheit und zur Schaffung der Voraussetzungen für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheit. 1865
III. Umweltschutz als Prinzip im System der Wirtschaftsverfassung 1. Anthropozentrische Wurzeln – Gemeinsame Umweltverantwortung von Staat und Gesellschaft – Primat der inviduellen bzw. gesellschaftlichen Verantwortung Was die Implementierung der Forderung nach Umweltschutz in das System der Wirtschaftsverfassung betrifft, so kann im Wesentlichen an das zum Sozialprinzip Gesagte angeknüpft werden 1866, denn beide Prinzipien weisen in demselben Maße anthropozentrische Ursprünge auf. Für das Prinzip „Umweltschutz“ bringt dies sowohl die Wortlautinterpretation des Art. 20 a GG als auch eine verfassungssystematische Gesamtbetrachtung zum Ausdruck. 1867 Der Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ muss „an den ‚Menschen‘ als Bezugspunkt“ geknüpft werden.1868 Gleichermaßen wie das Sozialprinzip ist auch das Umweltschutzprinzip als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie einzuordnen. 1869 Mit den gemeinsamen Wurzeln gehen inhaltliche Berührungspunkte zwischen beiden Prinzipien einher, die aus dem Umstand folgen, dass der in Art. 20 a GG angesprochene Generationenbezug, d. h. die Forderung nach Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen letztlich nichts anderes zum Ausdruck bringt als die Formulierung zukunftsgerichteter Sozialverantwortung. 1870 Insofern verdeutlicht Art. 20 a GG eine objektive soziale Wertentscheidung der Verfassung. 1871 Dies geschieht aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung auf den Adressat „Staat“ nur unvollstän1864 Vgl. U. Di Fabio (ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 112), der in diesem Zusammenhang maßgeblich auf Art. 2 Abs. 1 GG abstellt. 1865 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 1. 1866 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 2. 1867 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. III, Art. 20 a Rn. 38 ff. m. w. N. Gegen eine derartige Auslegung des Wortlauts S. Westphal, Art.20 a GG – Staatsziel „Umweltschutz“, in: JuS 2000, S. 339 ff. (341). 1868 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. III, Art. 20 a Rn. 38. 1869 Vgl. schon Fn. 1866. 1870 Aus diesem Grund hat das Sozialstaatsprinzip vor der Einfügung von Art. 20 a GG u. a. als Quelle dazu gedient, Umweltschutzbelange abzuleiten (vgl. R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 277). 1871 Vgl. A. Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ und das Sozialstaatsprinzip im verfassungsrechtlichen Vergleich, in: JuS 1996, S. 96 ff. (96).
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dig. Zu Recht wurde kritisiert, dass der sich in Art. 20 a GG manifestierende „staatszentrierte Impetus“ außer Acht lasse, dass Umweltschutz letztlich eine „gemeinschaftliche Aufgabe von Staat und Gesellschaft“ sei. 1872 Mit einer für das Grundgesetz wünschenswerten Deutlichkeit ist dies in einzelnen Landesverfassungen zum Ausdruck gekommen (vgl. beispielsweise Art. 12 SächsV). 1873 Trotz alldem bringt Art. 20 a GG, infolge der Einbeziehung in die axilogisch-teleologische Systembetrachtung, jedenfalls auch die „Herausforderung“ zum Ausdruck, „die Staatsaufgabe Umweltschutz mit der Gemeinschaftsaufgabe Umweltschutz zu verzahnen“. 1874 Daraus ergibt sich, sowohl aus systeminterner wie systemexterner Sicht Konfliktstoff. Aus den bereits erläuterten Gründen beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die Überwindung systeminterner Prinzipienkollision durch Ermittlung der gemeinsamen Basisharmonie.1875 Insofern gilt das bereits zum Sozialprinzip Gesagte: Achtung und Schutz der Würde des Menschen heißt Schutz seines Eigenwertes, seiner Eigenverantwortlichkeit und mündet in der grundrechtlich verbürgten prima-facie-Freiheit zur Eigen- wie Gemeinwohlgestaltung. 1876 Die Wahrnehmung von Umweltverantwortung durch den einzelnen Bürgers fällt hierunter. 1877 Angesichts dessen muss die Wahrnehmung der Umweltverantwortung durch den Staat im Einklang mit den materialen Prinzipien des Rechtsstaates erfolgen. Das bereits zum Sozialprinzip Gesagte gilt entsprechend, denn die Wahrnehmung von Umweltverantwortung ist – es wurde bereits angesprochen – letztlich nichts anderes als Sozialgestaltung: Umweltverantwortung und individuelle Freiheit sind über den Menschenwürdesatz miteinander verknüpft, hebeln sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich wechselseitig. Sobald und soweit die Wahrnehmung von Umweltverantwortung einer grundrechtlichen Freiheitsverbürgung zuzuordnen ist, obliegt sie prima facie den privaten Wirtschaftssubjekten bzw. der Wirtschaftsgesellschaft. Über die Festlegung des Art. 20 a GG hat der Staat auf die Verwirklichung dieser Wertentscheidung hinzuwirken, denn der dort statuierte Rahmen „verfassungsmäßige Ordnung“ verlangt systemintern wie -extern die Wahrung der Einheit der Verfassung, auch mit Blick auf das rechtsstaatliche Verteilungs1872 T. Geddert-Steinacher, Staatsziel Umweltschutz: Instrumentelle oder symbolische Gesetzgebung?, in: Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2002, S. 31 ff. (48); M. Kloepfer, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20 a GG, in: DVBl. 1996, S. 73 ff. (74); R. Wolf, in: AK-GG, Bd. II, 2001, Art. 20 a Rn. 13. 1873 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 149. 1874 R. Wolf, in: AK-GG, Bd. II, 2001, Art. 20 a Rn. 13. 1875 Vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 1 II, 3. Kapitel § 5 I. 2 und 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1876 Vgl. 4. Kapitel § 5 II. 3. 1877 Umweltverantwortung meint Verantwortlichkeit für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wahrnehmung derselbigen meint das darauf ausgerichtete Handeln. Demgegenüber erfasst der Begriff „Umweltgestaltung“ auch umweltbelastende Maßnahmen als Ergebnis unverantwortlichen Handelns. Kritisch zur Ableitung der Pflicht zu umweltgerechtem Verhalten aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG: R. Stober, in: Handbuch des Wirtschaftsverwaltungsund Umweltrechts, 1989, S. 572 m. w. N.
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prinzip bzw. das Regel/Ausnahme-Verhältnis von grundrechtlich gewährleisteter Freiheit und staatlicher Bindung. 2. Gestaltungsanforderungen des Staatsprinzips „Umweltschutz“ aus Art. 20 a GG An die in Art. 20 a GG verankerte Staatszielbestimmung sind zwar alle Staatsgewalten ohne Einschränkung gebunden. 1878 Zuvörderst verpflichet die Norm jedoch den Gesetzgeber, weil sie aufgrund ihrer Unbestimmtheit weitgehend einer einfachgesetzlichen Konkretisierung bedarf. 1879 Der Gesetzgeber hat insofern einen weiten Gestaltungsspielraum. 1880 Dabei gilt jedoch: Aufgrund des Primats individueller bzw. gesellschaftlicher Verantwortung für den Umweltschutz sind private Umweltschutzinitiativen staatlicherseits zu respektieren. 1881 Indes lassen sich aus dem Prinzip keine subjektiven Rechte einzelner Bürger ableiten; das Staatsziel „Umweltschutz“ beinhaltet lediglich eine objektiv-rechtliche Verpflichtung. 1882 Hierzu gehört die Pflicht des Staates, seinerseits Umwelteingriffe zu unterlassen. 1883 Ferner „hat er Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Umwelt zu ergreifen“ und insbesondere „Umwelteingriffen von Privatpersonen entgegenzutreten“. 1884 In Art. 20 a GG kommt zudem die Zukunftsbezogenheit des Umweltschutzes zum Ausdruck, was die Berücksichtigung von Langzeitrisiken sowie der Aspekte der Vorsorge und Nachhaltigkeit erfordert. 1885 In seiner begrifflichen Offenheit liefert das Staatsprinzip „Umweltschutz“ zunächst nicht mehr als grobe Zielsetzungen. Dies geschieht bewusst, denn es will im Einklang mit den freiheitlichen Aussagen der Verfassung realisiert werden. Wenn betont wird, dass Art. 20 a GG ein prinzipielles Gebot zur Herstellung praktischer Konkordanz beinhalte, d. h. mit dem Umweltschutz ein Schutzgut bereithalte, dass keine absolute bzw. prioritäre, sondern im Verhältnis zu anderen verfassungsrechtlichen Gütern nur eine relative bzw. ausbalancierende Geltung beanspruche, so wird damit keine Besonderheit zum Ausdruck gebracht. 1886 Umweltschutz als Prinzip beansprucht wie jedes andere Rechtsprinzip – von der Menschenwürdegarantie einmal abgesehen – prima facie Geltung. 1887 Es kann im Abwägungsfalle durch gegenläuVgl. U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 99. Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 a Rn. 1. 1880 Vgl. D. Murswiek, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 20 a Rn. 17 m. w. N. 1881 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 a Rn. 5. 1882 Vgl. A. Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 20 a Rn. 37 ff. 1883 Vgl. M. Kloepfer, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20 a GG, in: DVBl. 1996, S. 73 ff. (77). 1884 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 a Rn. 5. 1885 Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 2004, Art. 20 a Rn. 6 ff. 1886 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. III, Art. 20 a Rn. 41. 1887 Vgl. 3. Kapitel § 5 I. 5 und 3. Kapitel § 5 I. 7. 1878 1879
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fige Interessen von Verfassungsrang weitgehend entkräftet werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Verfassungstext diese Selbstverständlichkeit durch den Bezug des Staatsziels „Umweltschutz“ zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ eigens hervorhebt. Damit soll offenbar sämtlichen Versuchen entgegengetreten werden, dem Prinzip „Umweltschutz“ einen besonderen Wertrang und damit eine besondere Gewichtung im Abwägungsvorgang beizulegen. 1888 Auf diesem Wege wird zudem sämtlichen Versuchen vorgebeugt, dem Grundgesetz die Konzeption eines „ökologischen Rechtsstaates“ zu entnehmen, die ihrerseits – konsequent fortgedacht – zur „Ablösung des grundgesetzlich garantierten Systems einer ebenso freiheitlichen wie sozialen Wirtschaftsordnung zugunsten eines weitgehend außerökonomischen Staatsdirigismus“ führt. 1889
IV. Das Prinzip „Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ (Art. 109 Abs. 2 GG) Art. 109 Abs. 2 GG konkretisiert die spezifische wirtschaftsverfassungsrechtliche Ausrichtung des „modernen Interventionsstaates“, der zuvörderst die grundrechtlich verbürgte Eigenverantwortung der privaten Wirtschaftssubjekte respektiert, der aber auch seiner unmittelbar aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip herrührenden „Verantwortung für gesellschaftliche Stabilität und Wohlfahrt und für eine gerechte Wirtschaftsordnung“ entsprechen muss. 1890 Dadurch, dass Art. 109 Abs. 2 GG einen konjunkturpolitischen Maßstab formuliert, weist er den Haushalten von Bund und Ländern eine wirtschaftspolitische Funktion zu.1891 So darf sich der Haushaltsgesetzgeber nicht nur an der Deckung des staatlichen Finanzbedarfs orientieren, sondern muss vielmehr stets auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen seines Handelns beachten. Trägt man dem Umstand Rechnung, dass die Haushaltswirtschaft letztlich untrennbar mit der sonstigen Wirtschafts- und Finanzpolitik verbunden ist, so muss die Norm auch für diesen Bereich Verbindlichkeit entfalten. 1892 Zwar findet sich für den Begriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ keine Legaldefinition im Grundgesetz. 1893 Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 109 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. III, Art. 20 a Rn. 43. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. III, Art. 20 a Rn. 43 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1890 H. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 1996, Art. 109 Rn. 8, 9 a, 10 (Erstbearbeitung); vgl. auch W. Heun, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. III., 2000, Art. 109 Rn. 20; vgl. zur inhaltlichen Funktion des Art. 109 Abs. 2 GG auch BVerfGE 79, 311 ff. (332). 1891 Vgl. BVerfGE 79, 311 ff. (331 f.); instruktiv G. Kisker, in: HStR, Bd. IV, 1999, § 89 Rn. 16 ff.; vgl. auch G. F. Schuppert, Die Steuerung des Verwaltungshandelns durch Haushaltsrecht und Haushaltskontrolle, in: VVDStRL 42 (1984), S. 216 ff. (224 f.). 1892 Vgl. H. Siekmann, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 109 Abs. 2 GG Rn. 16; differenzierend Vogel/Wiebel, in: BK z. GG, Bd. XI, Art. 109 (Zweitbearbeitung 1971) Rn. 122 ff.; a. A.: W. Heun, in: H. Dreier, GG-Komm., Bd. III., 2000, Art. 109 Rn. 27. 1893 Vgl. M. Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 2003, Art. 109 Rn. 11. 1888 1889
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Abs. 2 GG wird jedoch deutlich, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber in der gleichzeitig entstandenen Norm des § 1 S. 2 StWG eine zutreffende Charakterisierung des unbestimmten Verfassungsbegriffes gesehen hat. 1894 Deutlich wird insofern die Festlegung auf vier Teilziele, formuliert als prima-facie-Gebote, nämlich auf die Stabilität des Preisniveaus, auf einen hohen Beschäftigungsstand, auf außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie auf ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Dabei müsse allerdings beachtet werden, so das Bundesverfassungsgericht, dass „das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht dynamisch zu verstehen“ sei. Gemeint sei damit „nicht die volle und nachhaltige Erreichung aller Teilziele zugleich, sondern eine relativ-opitmale Gleichgewichtslage in der Realisierung der Teilziele, die untereinander in einem Spannungsverhältnis stehen können und oftmals nicht ohne wechselseitige Abstriche realisierbar sind“.1895 Hieran gemessen erscheint es durchaus schwierig, die aus Art. 109 Abs. 2 GG resultierende Verfassungspflicht inhaltlich näher zu bestimmen. Über allgemein gehaltene Postulate hinaus ist es kaum möglich, Anforderungen an die Verpflichtungsadressaten zu formulieren. Das Bundesverfassungsgericht zieht daraus den Schluss eines weitreichenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums der zuständigen Staatsorgane und beschränkt sich seinerseits auf eine Vertretbarkeitskontrolle. 1896 Diese Einschätzung erscheint angesichts des Umstandes konsequent, dass die ge1894 So hält das BVerfG (BVerfGE 79, 311 ff. (338)) fest: „Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, der auch in Art.104 a Abs. 4 und Art. 109 Abs. 4 GG verwendet wird, ist in der Verfassung nicht näher definiert. Aus der Entstehungsgeschichte des Art.109 Abs. 2 GG geht hervor, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber in der gleichzeitig entstandenen Vorschrift des § 1 Satz 2 StWG eine zutreffende Umschreibung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sah, daß er aber die dortigen vier wirtschaftspolitischen Teilziele (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum) nicht im Grundgesetz festschreiben wollte, um dieses für künftige Fortentwicklungen der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnis offenzuhalten“. Vgl. auch D. Birk, Das Haushaltsrecht in der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Art. 109–115 GG), in: JA 1983, S. 563 ff. (564); H. B. Brockmeyer, in: B. Schmidt-Bleibtreu/ F. Klein, GG-Komm., 1999, Art.109. Rn.9; G. Kisker, in: HStR, Bd.IV, 1999, §89 Rn. 18. Freilich bedeutet dies nicht, dass die Verfassungssubstanz von Art. 109 Abs. 2 GG zur Disposition des einfachen Gesetzgebers steht. Allein die besonderen historischen Umständen lassen die genannte Interpretationsmöglichkeit zu (vgl. auch Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Abs. 2 Rn. 72). 1895 BVerfGE 79, 311 ff. (339). 1896 So hält die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG (NVwZ 1990, S. 356 f. (357)) fest, dass sie „hauswirtschaftliche Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 109 II GG nur begrenzt überprüfen“ kann. Weiter heißt es: „Ein Verstoß gegen das Gebot des Art. 100 II GG [Druckfehler im Original, gemeint ist Art.109 Abs. 2 GG: Anm. d. Verf.] kann erst festgestellt werden, wenn bei einer Maßnahme offensichtlich die Belange des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts der Bundesrepublik Deutschland nicht beachtet werden und dadurch das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht beeinträchtigt werden wird. Ob die jeweilige haushaltspolitische Entscheidung ‚richtig‘ ist oder dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht am besten dient, hat das Gericht nicht zu prüfen.“ Vgl. auch BVerfGE 79, 311 ff. (338 f.). Vgl. zum Prognosespielraum des Gesetzgeber und den diesbezüglichen Anforderungen auch 4. Kapitel § 5 I. 2. c).
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samtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland primär dezentral über den Marktmechanismus gesteuert wird. Dem Staat wird insofern eine reaktiv- oder vorbeugend-korrektive Funktion im Wege der Globalsteuerung zuteil. Inwiefern sich die eingesetzten Mittel beispielsweise zur Sicherung der Geldwertstabilität oder zur Förderung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigungslage tatsächlich als zweckdienlich erweisen, lässt sich ex ante nicht eindeutig abschätzen. Art. 109 Abs. 2 GG muss insofern einen hinreichend flexiblen Handlungsrahmen bereithalten. 1897 Das Erfordernis einer Flexibilität der Handlungsmittel auf der Rechtsfolgenseite ist jedoch von der vom Bundesverfassungsgericht gleichermaßen befürworteten Disponibilität der Zielvorstellungen auf der Tatbestandsebene zu unterscheiden. 1898 Letztere schlicht und ohne weiteres dem so genannten wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt anheim stellen zu wollen, würde bedeuten, die Verfassung für wirtschaftswissenschaftliche Theorienstreitigkeiten zu öffnen und die von Art. 109 Abs. 2 GG i.V. m. dem StWG ausgehende prima-facie-Normbefehle der Beliebigkeit der Alltagspolitik Preis zu geben. 1899 Ch. Hillgruber sieht bei Änderungen der bisherigen Zielsetzungen deshalb zu Recht den verfassungsändernden Gesetzgeber gefordert. 1900 Hierfür spricht, dass auch andere wirtschaftsverfassungsrechtliche Determinanten in diese Richtung deuten. So beinhaltet bereits das Sozialstaatsprinzip den Verfassungsauftrag zur staatlichen Wachstumsvorsorge. Damit wird deutlich, dass dieser über die konjunkturpolitische Ausrichtung hinausreicht. 1901 Das Verbot inflationären Staatshandelns folgt zudem bereits aus Art.14 GG. 1902 Staatliche Maßnahmen gerichtet auf Vollbeschäftigung sind schließlich bereits von der Berufsfreiheit und dem Sozialstaatsprinzip gefordert. 1903
1897 Vgl. auch G. F. Schuppert, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. II, 2002, Art. 109 Rn. 17; vgl. zur zusätzlichen Grenze, die Art.115 Abs. 1 Satz 2 GG aufrichtet: R. Wendt/M. Elicker, Staatsverschuldung und intertemporäre Lastengerechtigkeit, in: DVBl. 2001, S. 497 ff. (499 ff.). 1898 Vgl. schon Fn. 1894. 1899 Vgl. U. Häde, Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht und europäische Haushaltsdisziplin, in: JZ 1997, S. 269 ff. (273). Die vermeintliche Offenheit des Art.109 Abs. 2 GG für Neuinterpretationen diente jüngst als Anlass für die These, dass die Regelungen des Art. 109 Abs. 2 und 4 GG gemeinschaftsrechtskonform im Sinne einer Wahrung der finanzwirtschaftlichen Stabilitätskriterien der Wirtschafts- und Währungsunion ausgelegt werden müssten. Ungeachtet des damit verfolgten, verständlichen Anliegens ist diese Vorgehensweise bedenklich; vgl. hierzu J. Hellermann, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft und der nationale Stabilitätspakt in der bundesstaatlichen Solidargemeinschaft, in: EuR 2000, S. 24 ff. (33) m. w. N. 1900 Vgl. Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Abs. 2 Rn. 84 ff. (87); eine Zieldefinitionskompetenz des einfachen Gesetzgebers indes uneingeschränkt befürwortend offenbar H. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 1996, Art. 109 Rn. 10 (Erstbearbeitung). 1901 Vgl. P. Badura, in: FS für H. P. Ipsen, 1977, S. 367 ff. (369); vgl. hierzu bereits 4. Kapitel § 5 II. 5. b). 1902 Vgl. hierzu bereits 4. Kapitel § 2 II. 7. a). 1903 Vgl. hierzu bereits 4. Kapitel § 2 I. 7. a) und 4. Kapitel § 5 II. 5. b).
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Die Postulate der Staatszielbestimmung 1904 lassen sich nach alldem folgendermaßen zusammenfassen: Spricht der Wortlaut des Art. 109 Abs. 2 GG davon, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen, so ist damit zunächst gemeint, dass „gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte in den haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungsprozess mit einbezogen werden müssen“. 1905 Über dieses Berücksichtigungsgebot hinaus hat eine klare Politikausrichtung von Bund und Ländern zu erfolgen, wobei der Normappell allerdings nicht überdehnt werden darf. Obwohl die Entstehungsgeschichte der Norm eng verknüpft ist mit den Lehren von J. M. Keynes („fiscal policy“), kann Art. 109 Abs. 2 GG keine Pflicht zu einer antizyklischen Haushaltspolitik entnommen werden. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ging es 1967 vielmehr darum, eine dementsprechende Wirtschaftspolitik optional zu verankern, d. h. der Staatshaushalt kann als konjunktursteuerndes Mittel eingesetzt werden. 1906 Bund und Länder müssen ihre Haushaltspolitik „in steter Orientierung am Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ an die veränderten ökonomischen Bedingungen anpassen und haben prozyklisches Verhalten gänzlich zu unterlassen. 1907 Der Haushaltsgesetzgeber muss wegen Art. 109 Abs. 2 GG die Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft tragen, wobei sich diese Verantwortung auch auf die Kreditaufnahme als Bestandteil der Haushaltswirtschaft erstreckt.1908 Aus der Stellung von Art. 109 Abs. 2 GG im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System wird schließlich deutlich, dass die Norm eine Rechtspflicht beinhaltet, zwischen den widerstreitenden Einzelzielen unter gleichzeitiger Wahrung privater Freiräume 1909 einen angemessenen Ausgleich zu erzielen. Damit formuliert Art. 109 Abs. 2 GG mittelbar eine verfassungsrechtliche Verbürgung einer dezentral-marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsordnung. 1910 1904 So M. Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 2003, Art. 109 Rn. 14; U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 101. 1905 H. Siekmann, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 109 Abs. 2 Rn. 20 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1906 Vgl. Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Rn. 96. 1907 Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Abs. 2 Rn. 97. 1908 Vgl. hierzu Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 31. Oktober 2003 – VerfGH 125/02 –, Gründe, D, I (zitiert nach http://www.berlin.de/senjust/gerichte/ lverfgh/125-02.html). 1909 Art. 109 Abs. 2 GG enthält keine Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen; vgl. hierzu H. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 1996, Art. 109 Rn. 14 (Erstbearbeitung). 1910 Dies wird besonders vor dem Hintergrund deutlich, dass §1 StWG ausdrücklich auf eine marktwirtschaftliche Ordnung abstellt, was für die Auslegung von Art. 109 Abs. 2 GG Bedeutung hat; vgl. H. B. Brockmeyer, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, GG-Komm., 1999, Art. 109 Rn. 9 a; M. Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 2003, Art. 109 Rn. 14; Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Abs. 2 Rn. 59; Vogel/ Wiebel, in: BK z. GG, Bd. XI, Art. 109 Rn. 100; vgl. auch 4. Kapitel § 6 V.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
V. Kompetenznormen im Gefüge der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes Was wirtschaftsrelevante Bereiche betrifft, so hält das Grundgesetz zahlreiche Kompetenztitel zur Gesetzgebung bereit. Von diesen hat der Bund weitgehenden Gebrauch gemacht, so dass im Bereich des Wirtschaftsrechts somit der Schwerpunkt der Gesetzgebungstätigkeit beim Bund liegt. 1911 So steht dem Bund beispielsweise die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz im Hinblick auf das Währungs-, Geld- und Münzwesen zu (Art. 73 Nr. 4 GG). Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) besteht eine ganz generelle Kompetenz für das Recht der Wirtschaft (Abs. 1 Nr. 11) 1912, daneben für die Regelungsmaterie Kernenergie (Abs. 1 Nr. 11 a), das Arbeitsrecht (Abs. 1 Nr. 12), für die Überführung von Grund und Boden sowie Naturschätzen und Produktionsmitteln in Formen der Gemeinwirtschaft (Abs. 1 Nr. 15), im Hinblick auf die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung (Abs. 1 Nr. 16) sowie für das Recht der Landwirtschaft (Abs. 1 Nr. 17). 1913 Der Gebrauch der eingeräumten konkurrierenden Kompetenzen durch den Bund ist zwar durch die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG begrenzt. Diese stellt jedoch weiterhin nur eine begrenzt wirksame Hürde für den Bundesgesetzgeber dar. 1914 Über die bereits erläuterten Kompetenztitel hinaus bestehen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes für die Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben des Bundes und der Länder, so beispielsweise in Art. 91 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 GG im Hinblick auf die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. 1915 Mithilfe der Kompetenztitel im Haushaltsrecht (Art. 109 Abs. 3, 110 GG) besteht zudem eine weitgehende Zugriffsmöglichkeit auf die Regelungsmaterie des Subventionsrechts. 1916 Auch was das Steuer- und Abgaberecht betrifft, so dominiert die Kompetenz des Bundesgesetzgebers. 1917 Demgegenüber obliegt die Wirtschaftsverwaltungskompetenz, von einigen durchaus gewichtigen Ausnahmen abgesehen (Art. 87 e, 87 f GG), vornehmlich den Ländern. 1918 Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 188 m. w. N. Dieser Kompetenztitel wird von der Rechtsprechung traditionell extensiv ausgelegt; vgl. BVerfGE 8, 143 ff. (148 f.); E55, 274 ff. (308); E68, 319 ff. (330); vgl. auch BVerwGE 97, 12 ff. (14 ff.); zur Kritik an dieser Rechtsprechung vgl. Ph. Kunig, Die Legende vom „weiten“ Begriff des „Rechts der Wirtschaft“, in: JR 1986, S. 491 ff. 1913 Vgl. R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 27. 1914 Vgl. zur Problematik S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 72 Abs. 2 Rn. 87 ff. 1915 Vgl. W. Spannowsky, Der Handlungsspielraum und die Grenzen der regionalen Wirtschaftsförderung des Bundes, 1987, S. 60 ff. 1916 Vgl. R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 27. 1917 Vgl. eingehend zur Problematik M. Küssner, Die Abgrenzung der Kompetenzen des Bundes und der Länder im Bereich der Steuergesetzgebung sowie der Begriff der Gleichartigkeit von Steuern, 1992, passim. 1918 Vgl. R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 160. 1911 1912
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Die vorliegende Darstellung kann sich ganz bewusst auf diese kursorische Übersicht beschränken, denn gemessen am Untersuchungsziel (Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und inneren Einheit der Rechtsordnung) steht die Klärung einer von den Einzelheiten der Kompetenzverteilung losgelösten, ganz grundsätzlichen Frage im Mittelpunkt des Interesses. Es geht darum zu eruieren, welche axiologische Stellung Kompetenznormen im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System einnehmen. Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich von dem Umstand ab, ob man den wirtschaftsrelevanten Kompetenzvorschriften vereinzelt oder generell eine materielle Bedeutung zuteil werden lässt, sie also im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System auf eine Stufe mit den Grundrechten oder anderen materiellen Verfassungsprinzipien stellt und ihnen systemextern im Einzelfall eine grundrechtsbeschränkende Wirkung attestiert. 1919 Das Bundesverfassungsgericht ist diesen Weg vereinzelt gegangen, so in den Entscheidungen zum Branntwein- oder zum Gebäudeversicherungsmonopol. Diese Entscheidungen wurden bereits an anderer Stelle besprochen. Hierauf kann verwiesen werden. 1920 Deutlich klingt diese Haltung auch in der Mühlheim-Kärlich Entscheidung an. Aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a GG, so das Bundesverfassungsgericht, könne eine verfassungsrechtliche Anerkennung und Billigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie abgeleitet werden. 1921 Diese Wertentscheidung dürfe nicht unter Berufung auf andere Verfassungsbestimmungen grundsätzlich in Frage gestellt werden. 1922 Teile des Schrifttums sind der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insofern gefolgt, als sie ganz bestimmten Kompetenz- bzw. Organisationsnormen einen materiellen Gehalt und grundrechtsbeschränkende Rechtsfolgen entnehmen. 1923 Vereinzelt wird die noch weiter gehende Forderung erhoben, aus den Kompetenzkatalogen der Art. 73 und 74 GG institutionelle Garantien abzuleiten. 1924 Indes sind all diese Begründungsansätze unzulässig. Sie übersehen, dass Kompetenznormen lediglich der Funktionsfähigkeit der Staatsorganisation dienen und sich in ihrem Aussagegehalt auf die Aufgabenverteilung innerhalb des Staatsgebildes beschränken. Sie sagen nichts über den verfassungsrechtlichen Rang der von ihnen 1919 Vgl. allgemein zum Problemkreis B. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, in: AöR 114 (1989), S. 422 ff. 1920 Vgl. 4. Kapitel § 2 I. 6. b). 1921 Vgl. BVerfGE 53, 30 ff. (56); kritisch indes Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. III, 2003, Art. 70 Rn. 4. 1922 Vgl. BVerfGE 53, 30 ff. (56). 1923 Vgl. Ch. v. Pestalozza, Der Garantiegehalt der Kompetenznorm, in: Der Staat 11 (1972), S. 161 ff. (169 ff.); B. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, in: AöR 114 (1989), S.422 ff. (431 ff.); vgl. auch J. Becker, Materielle Wirkung von Kompetenz-, Organisations- und Zuständigkeitsregelungen des Grundgesetzes?, in: DÖV 2002, S. 397 ff. (398). 1924 Vgl. A. Bleckmann, Zum materiellrechtlichen Gehalt der Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes, in: DÖV 1983, S. 129 ff. (130 ff.).
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angesprochenen Regelungsmaterie aus und beinhalten generell keine materiellen Wertentscheidungen, „die von anderweitig in der Verfassung festgelegten Beschränkungen exemtieren“. 1925 Das gilt auch für nachträglich eingefügte Kompetenznormen. 1926 Aus der systematisch-axiologischen Betrachtung heraus kann somit von einem Wertrangverhältnis zugunsten der Grundrechte gesprochen werden. Weder kann somit aus dem Verhältnis von Grundrechten und Kompetenznormen ein systeminterner, noch ein systemextener Konflikt erwachsen. Die gegenteilige Auffassung steht nicht mit Art. 1 Abs. 3 GG im Einklang, denn diese Norm hebt ausdrücklich die Bindung aller Staatsgewalten, insbesondere des Gesetzgebers, an die Grundrechte hervor und räumt diesen einen besonderen Stellenwert im Verfassungsgefüge ein. 1927 Zudem würde im Falle grundrechtsbeschränkender Wirkung von Kompetenznormen die Reichweite der Grundrechtswirkungen vom Staatsaufbau abhängen. Da nur im Bundesstaat Kompetenzabgrenzungen notwendig sind, erschiene der Zentralstaat demgegenüber als der grundsätzlich Freiheitlichere. 1928 Ein geradezu groteskes Ergebnis. Auch gilt es zu beachten, dass die Annahme einer grundrechtsbeschränkenden Wirkung von Kompetenznormen das austarierte System der geschriebenen Grundrechtsschranken unterminieren würde. 1929 Dabei sind doch Grundrechtsschranken bzw. Schrankenvorbehalte oftmals, wenn auch nicht zwingend, Ausdruck der Wertigkeit des geschützten Verfassungsgutes. 1930 Nach alldem ist nicht ausgeschlossen, dass Kompetenzvorschriften zur (systematischen) Interpretation von Grundrechten und deren Beschränkungsmöglichkeiten herangezogen werden. 1931 Wenn Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die Kompetenz zur Regelung der Zulassung zu bestimmten Berufen begründet, so erscheint der Schluss nur folgerichtig, dass das Grundgesetz Berufszulassungsregelungen nicht gänzlich untersagen wollte, d. h. unter gewissen Umständen auch Eingriffe in die vom Wortlaut her vorbehaltlos gewährleistete Berufswahlfreiheit zulässig sein müssen. 1932 Auch der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verankerte Kompetenztitel verdeutlicht, dass die her1925 J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 70 Rn. 52 unter Hinweis auf BVerfGE 69, 1 ff. (60) – Sondervotum Böckenförde und Mahrenholz; kritisch auch Ch. Degenhart, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 70 Rn. 59 ff. 1926 Vgl. J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. II, 2000, Art. 70 Rn. 52. 1927 Vgl. M. Selk, Einschränkung von Grundrechten durch Kompetenzregelungen?, in: JuS 1990, S. 895 ff. (897). 1928 Vgl. M. Selk, Einschränkung von Grundrechten durch Kompetenzregelungen?, in: JuS 1990, S. 895 ff. (898). 1929 Vgl. M. Selk, Einschränkung von Grundrechten durch Kompetenzregelungen?, in: JuS 1990, S. 895 ff. (897 f.). 1930 Vgl. hierzu 4. Kapitel § 1 IV. 1931 Vgl. J. Becker, Materielle Wirkung von Kompetenz-, Organisations- und Zuständigkeitsregelungen des Grundgesetzes?, in: DÖV 2002, S. 397 ff. (399). 1932 Vgl. BVerfGE 7, 377 ff. (401); vgl. auch schon 4. Kapitel § 2 I. 5. a).
§ 6 Gesamtergebnis
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kömmlicherweise Tarifverträgen vorbehaltenen Regelungsmaterien auch dem Gesetzgeber nicht gänzlich verschlossen bleiben dürfen. 1933 Vom hier entwickelten Standpunkt nur leicht abweichend ist die Stellung von Art. 28 Abs. 2 GG zu beurteilen: Zugegebenermaßen beinhaltet die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, von der auch wirtschaftsfördernde Maßnahmen und auch die eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden erfasst sind 1934, eine materielle verfassungsrechtliche Wertentscheidung bzw. ein verfassungsrechtliches Prinzip. 1935 Hieraus folgt allerdings weder ein systeminterner, noch ein systemexterner Konflikt mit den exegierten, freiheitlichen Prinzipien, die auf private Wirtschaftsgestaltung ausgerichtet sind. Denn die prinzipielle Garantie kommunaler Selbstverwaltung entfaltet eine ausschließlich staatsgerichtete Funktion.1936 Art. 28 Abs. 2 GG ist eine rein staatsorganisatorische Regelung, die lediglich die besondere Stellung der Gemeinden im Staatsaufbau verbürgt. Sie entfaltet keine Wirkung im Staat/ Bürger- Verhältnis. Noch präziser mit den Worten Löwers: Sie begründet keinen „Zuständigkeitstitel zur Verdrängung oder Einschränkung privater Grundrechtsinitiative“. 1937
§ 6 Gesamtergebnis: Formulierung der Leitprinzipien und Leitaussagen des Systems durch wertend-induktive Zusammenfassung der bislang gewonnenen Prinzipien Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Systemfreilegung hat sich bislang darauf konzentriert, die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Prinzipien mittels einer Ableitung von Prinzipieninhalten und prinzipiellen Gestaltungsanforderungen inhaltlich 1933 Vgl. BVerfG, NJW 1997, S. 513 ff. (513); vgl. auch Ch. Degenhart, in: M. Sachs, GGKomm., 2003, Art. 70 Rn. 62. 1934 Vgl. VGH Kassel, DÖV 1989, S. 34 f. (35); J.-C. Pielow, Gemeindewirtschaft im Gegenwind?, in: NWVBl. 1999, S. 369 ff. (372); U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 103. 1935 Von einer „Staatsfundamentalnorm“ spricht beispielsweise M. Nierhaus, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 28 Rn. 30. 1936 Vgl. zur ganz h. M.: P. Badura, Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze, in: DÖV 1998, S. 818 ff. (823); J. Isensee, in: HStR, Bd. IV, 1999, § 98 Rn. 166 (Fn. 453); W. Krebs, Der Vorbehalt des Gesetzes für Maßnahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung, in: D. Ehlers (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 205 ff. (210 ff.); H. Lecheler, Die Bedeutung des öffentlichen Rechts für das Energierecht, in: NVwZ 1995, S. 8 ff. (10); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. II, 2001, Art. 28 Rn. 40.; M. Nierhaus, in: M. Sachs, GGKomm., 2003, Art. 28 Rn. 34; F. Ossenbühl, Rechtliche Aspekte der Elektrizitätsversorgung in den neuen Bundesländern, in: DÖV 1992, S. 1 ff. (8). A. A. indes J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 140 ff. 1937 W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. II, 2001, Art. 28 Rn. 40.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
zu konkretisieren, um im Anschluss daran im Wege einer abstrakten Betrachtung prinzipienübergreifende Zusammenhänge zu formulieren sowie daraus (wertungsgemäß folgerichtige) Konsequenzen zu ziehen. Dem Auftrag zur Darstellung und Verwirklichung der „inneren“ Sinngesamtheit der Wirtschaftsverfassung ist damit zwar schon in einem hohen Maße entsprochen. 1938 Es fehlt jedoch noch, sozusagen als Kernstück, die Ableitung der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitprinzipien zur Komplettierung des Systems. Auf der Basis des bislang Gewonnenen gilt es somit im Folgenden, unter Rückgriff auf das Verfahren des wertenden Rückschlusses, eine weitere Abstraktionsebene innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems mit eben diesem Ziel zu erschließen.
I. Harmonischer Interessensausgleich in der Wirtschaftsgesellschaft primär unter Zuhilfenahme grundrechtlicher Freiheiten Eine zentrale, weil verallgemeinerungsfähige Wertung lässt sich dem System der Wirtschaftsverfassung mit der an den Staat wie die Gesellschaft gerichteten Forderung entnehmen, eine grundlegende Harmonie zwischen den Eigeninteressen der Wirtschaftsteilnehmer und Gemeinwohlinteressen zu erzeugen. Präziser formuliert: Der Staat einerseits und die Individuen bzw. die Gesellschaft andererseits haben im Wege des Zusammenwirkens „zu einer Sicherung der in der Verfassung verankerten Grundwertentscheidungen, zu einer rationalen Bewältigung sozialer Konflikte, zum Ausgleich der Einzel- und Gruppeninteressen, zum Schutz des hilfsbedürftigen Einzelnen und schließlich zu einer Vorsorge für künftige Probleme beizutragen. Gemeinsamer Nenner aller dieser Zielsetzungen ist die immer neue und den Besonderheiten der jeweiligen Problemstellungen angepaßte Zielsetzung, sich um einen Ausgleich der Interessen zu bemühen.“ 1939 Dieser gemeinsame Auftrag, gerichtet auf Befriedung durch Interessensausgleich, findet seine Ursprünge in dem vom Grundgesetz rezipierten Menschenbild, das sich für die Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums unter Wahrung seines Eigenwertes entschieden hat. 1940 Es beschreibt „in der Stufenfolge Individualismus – Personalismus – Kollektivismus die mittlere Linie des Personalismus“. 1941 Entsprechendes kommt zum Ausdruck, wenn davon geVgl. hierzu 3. Kapitel § 3 II. E. Benda (vgl. ders., in: HVerfR, 1994, § 17 Rn. 200) hat insofern eine treffliche Staatsaufgabenbeschreibung vorgenommen, die mit Blick auf die Erkenntnis, dass der freiheitliche Sozialstaat eine Gesamtleistung des Staates und der ihn tragenden Individuen in der Gesellschaft darstellt auch als Aufgabenbeschreibung für Private verstanden werden kann. 1940 Vgl. hierzu Fn. 1791. 1941 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.I, Art. 1 Abs. 1 Rn. 47 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original) unter Hinweis auf H. Peters, in: FS für R. Laun, 1953, S. 669 ff. (671). 1938 1939
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sprochen wird, dass die Menschenwürdegarantie eine innen- wie außenweltbezogene Schutzdimension aufweist. 1942 Ungeachtet dessen verdeutlicht erst ein von den gewonnenen grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Aussagen sowie von den Erkenntnissen über die Sozial- und Umweltverantwortung von Staat und Gesellschaft ausgehender wertender Rückschluss im Rahmen der Prinzipienbetrachtung, wie der Prozess der Befriedung durch Ausgleichsfindung erfolgt. Insofern gilt: Der Schlüssel für die Erzielung einer „inneren“ Harmonie zwischen der Vielzahl an wirtschaftsverfassungsrechtlich verbürgten Einzelinteressen und den übergeordneten Gemeinwohlinteressen liegt in der axiologisch gewonnenen Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Gemeinwohlverantwortung primär dezentral mittels grundrechtlichem Freiheitsgebrauchs erfolgt, wobei dem Grundrechtsträger insofern eine Einschätzungsprärogative zuteil wird. Mit anderen Worten: Was unter Gemeinwohl zu verstehen ist und wie sich der Ausgleich mit individuellen Interessen Einzelner vollzieht, wird in erster Linie durch die Grundrechtsträger selbst festgelegt. Die freigelegten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinnzusammenhänge verdeutlichen dies: Die Gemeinwohlverwirklichung zielt auf Befriedigung der Interessen des Gemeinwesens ab, das sich aus den Individuen und Verbänden konstituiert. 1943 Die Formulierung von Gemeinschafts- bzw. Gemeinwohlinteressen hat zunächst ausgehend von dieser (dezentralen) Warte zu erfolgen. Dementsprechend halten die Grundrechte nicht nur einen „Rechtstitel zur Mitwirkung am Gemeinwohl“ bereit, sondern bringen auch eine „Grundrechtserwartung“ zur Gemeinwohlrealisierung bzw. im Falle der Eigentumsgarantie gar eine ausdrückliche prima-facie-Pflicht der Grundrechtsträger zum Ausdruck. 1944 Dabei bildet es keinen Widerspruch, dass die Grundrechte Eigen- wie Gemeinnutzen gleichzeitig schützen. Was die Eigentumsgarantie betrifft, so wird als „Unterprinzip“ des Prinzips „Eigentum“ ausdrücklich die Privatnützigkeit eingefordert. Aus der Gemeinwohlperspektive heraus betrachtet geschieht dies aus gutem Grund, denn die entwickelte Privatnützigkeit strebt in Richtung Gemeinnützigkeit, weil Wohlstand und Freiheit der Wirtschaftsgesellschaft aus dem Eigentum Privater erwachsen. Schließlich, so benennt es Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG ausdrücklich, verpflichtet Eigentum. „Sein Gebrauch“, so Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG, „soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Diese prinzipielle Verpflichtung der Grundrechtsträger wird durch die allgemeine Gemeinwohlbindung des Staates sowie durch die Verpflichtung zur Verfolgung von Gemeinwohlinteressen im Rahmen der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) ergänzt.
Vgl. hierzu Fn. 1790. Vgl. J. Isensee, in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 78. 1944 Von einem „Rechtstitel zur Mitwirkung am Gemeinwohl“ bzw. von einer „Grundrechtserwartung“ spricht J. Isensee, in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 81 ff. u. 86 f.; vgl. auch C. Paehlke-Gärtner, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. I, 2002, Art. 3 Abs. 1 Rn. 80; zur prima-facie-Pflicht der Grundrechtsträger aus Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG vgl. R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 571 und 4. Kapitel § 2 II. 6. a). 1942 1943
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Dass sich die freiheitlichen Gewährleistungen im Grundrechtsteil mit der Erwartung der Gemeinwohlförderung verbinden, wird im Falle der Berufsfreiheit besonders deutlich. Deren Funktion beschreibt das Bundesverfassungsgericht dahingehend, dass sie die Freiheit gewährleiste, dass sich der Einzelne „einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt“.1945 Auch die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit hält eine enge Verknüpfung von Eigen- und Gemeinwohlausrichtung bereit. Die Assoziationen ermöglichen zum einen die verstärkte Durchsetzung der Interessen ihrer einzelnen Mitglieder. Darüber hinaus erfüllen sie eine gesellschaftlich-integrative Funktion. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Koalitionsfreiheit. Sie dient einerseits der „Organisation der Gruppenegoismen in den Verteilungskämpfen der Gesellschaft“ 1946, zielt aber andererseits im Endergebnis zugleich auf soziale Befriedung ab. Im „modifizierten Interessensmodell des Grundgesetzes“ 1947 ist somit der Eigennutz das grundrechtslegitime Vehikel für die Erreichung von Gemeinwohlzielen. 1948 Denkbar erscheint dabei, dass der Eigennutz, wie mit Blick auf die Eigentumsgarantie beschrieben, unmittelbar mit der Erreichung von Gemeinwohlzielen einhergeht, entsprechend dem Postulat: Gemeinwohl als die höchst entwickelte Form von Privatnützigkeit! Die Freiheit zur Bürgertugend wie zur Solidarität ist und bleibt eine grundrechtliche Option, der allzu oft nicht mit dem notwendigen Ernst begegnet wird. 1949 Bei genauerem Hinsehen bildet sie aber eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und Befriedung des freiheitlichen Gemeinwesens. Vor allem jedoch auf mittelbarem Wege lässt sich aus Eigennutz Gemeinwohl erzeugen. Ein plastisches Beispiel hierfür liefert der Steuerstaat. Der wirtschaftliche Erfolg der Bürger bildet die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt Steuerquellen erschließen lassen. Die entscheidende Triebfeder ist dabei das Eigeninteresse der grundrechtlich geschützten Bürger. Diese müssen von ihren wirtschaftlichen Freiheiten eigennützig Gebrauch machen können, d. h. den Märkten ihre Arbeitskraft, ihr Kapital zur Verfügung stellen können. Diese Optionen werden durch die wirtschaftsrelevanten grundrechtlichen Freiheiten gewährleistet. 1950 Zusammenfassend gilt: In grundrechtsrelevanten Bereichen kann die Verfolgung von Gemeinwohlinteressen durch den Staat sowohl einen Eingriff in die grundrechtlich geschützten Eigeninteressen, als auch in die Sozialgestaltungsmacht der betroffenen Grundrechtsträger bedeuten. Geht die Verfolgung von Gemeinwohlinteressen BVerfGE 7, 377 ff. (397); vgl. auch 4. Kapitel § 2 I. 1 und 4. Kapitel § 2 I. 2. J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 245. 1947 J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 243 ff. 1948 Vgl. J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 244 ff. 1949 Vgl. hierzu O. Depenheuer, Staatliche Finanzierung und Planung im Krankenhauswesen, 1986, S. 104 ff. 1950 Vgl. J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 246. 1945 1946
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staatlicherseits mit einem grundrechtlichen Freiheitseingriff einher, so gilt das Regel-Ausnahme-Prinzip. Der Freiheitseingriff bildet die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme; die individuelle Freiheit zur Eigen-, wie zur Gemeinwohlgestaltung hingegen den Regelfall. Der erbrachte Nachweis eines Primats der privaten Sozialgestaltung als Ausfluss des freiheitlichen Sozialstaats bzw. des sozialen Rechtsstaats belegt diese These. 1951 Die Wahrung des menschlichen Eigenwerts heißt Wahrung seiner Eigenverantwortlichkeit. Die prima-facie-Gewährleistung individueller Freiheit meint dementsprechend Schutz der Verantwortlichkeit für sich als auch für andere sowie für die Gesellschaft als Ganzes.
II. Dezentralisierung und pluralistische Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung Die prinzipielle Forderung nach einem Ausgleich zwischen Eigeninteressen der Individuen und den Gemeinwohlbelangen in der Wirtschaftsgesellschaft, primär mittels Gewährleistung grundrechtlicher Freiheit, lässt sich in ein weiter reichendes, wirtschaftsverfassungsrechtlich gefordertes, umfassendes Dezentralisierungs- und Verteilungskonzept einbetten. Übereinstimmende Wertungen, die als Ausgangspunkt für die Gewinnung eines derart allgemeinen Leitprinzips dienen könnten, lassen sich zunächst erneut den prima-facie-Aussagen der explizierten Freiheitsrechte entnehmen. So gilt etwa mit Blick auf das Prinzip „Berufsfreiheit“: In Konkretisierung durch seine Unterprinzipien stellt es die freie Berufswahl, die Wahl des Arbeitsplatzes und der Arbeitsstätte sowie die Berufsausübung grundsätzlich den geschützten Wirtschaftssubjekten anheim. Das Prinzip verlangt somit bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten einen möglichst unreglementierten Berufszugang und eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung Privater, wobei den drei zuerst genannten Freiheiten als unmittelbare Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gefüge ein besonders hoher Stellenwert zuteil wird. Gleichzeitig fordert das Prinzip staatlicherseits die Erhaltung bzw. Schaffung von Rahmenbedingungen im Wege einer wirtschaftspolitischen Freiheitsförderung ein, die die dezentrale private Selbstentfaltung und Verantwortungsübernahme ermöglichen. Das Individuum bekommt einerseits die Chance zur beruflichen Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung verliehen, andererseits trägt es in erster Linie das Beschäftigungsrisiko. Der Staat ist basierend auf Art. 12 Abs. 1 GG nur ausnahmsweise zum Einschreiten verpflichtet, und wenn, dann nur primär mit dem Auftrag zur Förderung privater Initiative. Ähnlich verhält es sich mit Blick auf das verfassungsrechtlich garantierte Privateigentum und den Schutz seiner ökonomischen Nutzbarkeit. Eigentum ist Freiheit! 1951
Vgl. hierzu 4. Kapitel § 5 II. 3.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Seinen verfassungsrechtlichen Kern und seine Legitimation findet es in den Prinzipien „Leistung“, „Existenzsicherung“, „Vertrauen“ und „Privatnützigkeit“, die ihrerseits sicherstellen, dass sich Eigentum dezentral anhand der Bedürfnisse der zu schützenden Individuen definiert. Der weit gefasste Schutzbereich, der auch das Vermögen als solches einbezieht, gewährleistet umfassend die Realisierung privatwirtschaftlicher Initiativen. In seiner staatsabwehrenden Bedeutung formuliert Eigentum als Prinzip ein grundsätzliches Vermögensentziehungs- und -umverteilungsverbot sowie ein Bereicherungsverbot für die öffentliche Hand zum Nachteil Privater. 1952 Das Prinzip „Eigentum“ beinhaltet die Garantie eines staatsunabhängigen Marktes. Eigentumswertbestimmung findet auf den Märkten durch Private statt; staatliche Wertbeeinflussung unterfällt einem prima-facie-Verbot. Demgegenüber ist der Gesetzgeber auch aktiv gefordert, nämlich dahingehend, die Inhaltsbestimmung des Eigentums in Anlehnung an die exegierten Unterprinzipien so vorzunehmen, dass die Voraussetzung für die Wahrnehmung von Eigentümerrechten geschaffen werden. Hierzu gehört die einfachgesetzliche Ausformung von Eigentumspositionen. Der Gestaltungsauftrag des Prinzips „Eigentum“ reicht allerdings noch weiter. Er beinhaltet letztlich die staatliche Verpflichtung zur Bereitstellung einer funktionsfähigen Privatrechtsordnung. Eigentum verleiht einerseits Macht, Einfluss und sozialen Status. Andererseits korrespondiert mit den Chancen des Eigentümers dessen (soziale) Eigentümerverantwortung, d. h. nicht nur die Verpflichtung, die Sorge um sein Eigenwohl zu tragen, sondern auch die Verpflichtung hin auf das Gemeinwohl. Gemeinwohlgestaltung und damit die so genannte Sozialbindung obliegt zuvörderst den Eigentümern. Dem Staat wird insofern eine Hilfsfunktion zuteil. Von seiner Kompetenz zur Schrankenziehung kann er nur in den Fällen Gebrauch machen, in denen der private Sektor seiner Gemeinwohlverpflichtung nicht in hinreichenden Maße Rechnung trägt. Die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit zielen in die gleiche Richtung. Sie setzen beide jeweils an der dezentralen Gestaltungskraft der assoziierten Individuen an und gewährleisten (dezentrale) Verantwortungsübernahme. Freilich bedürfen beide, ähnlich wie die Eigentumsgarantie, der gesetzlichen Ausgestaltung. Schließlich darf die Rückbindung an die Interessen der Individuen im Rahmen der Assoziationstätigkeit nicht aus den Augen geraten. Die Koalitionsfreiheit ist insofern eingeschränkt, als sie keine Gestattung dahingehend bereithält, die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft existenzgefährdend zu beeinträchtigen. Im Gegenteil: Art. 9 Abs. 3 GG gebietet es, die unternehmerische Initiativkraft zum Zwecke der Eigen-, wie Gemeinwohlförderung zu optimieren. Entsprechend ist der Passus „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zu verstehen. Dieser Wertentscheidung der Verfassung haben auch die Koalitionen Rechnung zu tragen. 1952 Vgl. schon 4. Kapitel § 2 II. 7. a); vgl. auch H.-J. Papier, Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 5.
§ 6 Gesamtergebnis
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Die Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit, die im Verbund durch die Wirtschaftsfreiheitsrechte geschützt ist, gewährleistet umfassend und lückenlos die dezentrale private Wirtschafts- und Sozialgestaltung. Das Prinzip der freiheitsschonenden Besteuerung als Ergebnis des grundrechtlichen Zusammenspiels schafft die Voraussetzungen dafür, dass dem privaten Sektor die nötigen Mittel hierfür verbleiben. Hinzu tritt die wechselseitige Schutzergänzungsfunktion von grundrechtlich verbürgter Freiheit und Gleichheit. Ein formal wie material geprägtes Rechtsstaatsprinzip im System der Wirtschaftsverfassung drängt in all seinen Ausprägungen auf Kompetenzbeschränkungen des Staates zur Sicherung der (dezentralen) Gestaltungsmacht der Individuen. Es liefert zudem einen Anknüpfungspunkt für das Sozialprinzip und damit zugleich die Basis für den sozialen Rechtsstaat bzw. den freiheitlichen Sozialstaat. Sozialstaatlichkeit hat nicht nur auf die Freiheit Rücksicht zu nehmen, sondern hat dieser letztlich zu dienen. Dem verfassungsrechtlichen Postulat der Sozialstaatlichkeit ist das Prinzip der gesellschaftlichen Sozialverantwortung, das eben auch die Gemeinwohlverantwortung der Individuen erfasst, zur Seite zu stellen. Beide zusammengenommen konstituieren das Sozialprinzip. Der Verbund von materialer Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit hat Konsequenzen für die Wahrnehmung der Sozialverantwortung. Kompetenziell betrachtet geht die dezentrale Wahrnehmung der Sozialverantwortung auf gesellschaftlicher bzw. privater Ebene der staatlichen Wahrnehmung vor. Diese Rangfolge bildet das Resultat der Verknüpfung des Sozialprinzips mit den materialen Prinzipien des Rechtsstaates, insbesondere mit den Grundrechten. Mit diesem Befund tritt zugleich das in Art.23 Abs. 1 GG positivierte Subsidiaritätsprinzip zutage. Als Ergebnis der systematischen Gesamtschau kann damit festgehalten werden: Die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten des Grundgesetzes, die einer Vielzahl von privaten Wirtschaftssubjekten Schutz gewähren, weisen übereinstimmend die prima-facie-Forderung nach Dezentralisierung und pluralistischer Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung auf. 1953 Den privaten Wirtschaftsteilnehmern soll somit maßgeblich die Aufgabe zuteil werden, der Wirtschaftsordnung ein Gepräge zu verleihen.
III. Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung als das beide Forderungen beinhaltende Prinzip Die umfassende Forderung nach freiheitlicher Dezentralität und Pluralität bei der Bewältigung der ökonomischen und der sozialen Herausforderungen bildet das wer1953 Vgl. H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 35, R. Scholz, Grenzen staatlicher Aktivität unter der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, in: Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113 ff. (124 ff.).
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
tungsgemäß folgerichtige Substrat der unternommenen systematischen Analyse der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Die Darstellung und Verwirklichung der „inneren“ Sinneinheit des Analysegebietes mündet in einem Prinzip, das die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft sowie innerhalb der Gesellschaft umfassend beschreibt. Dieses Leitprinzip des Systems der Wirtschaftsverfassung ist als „Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ zu bezeichnen. 1954 In der Tat bestehen unverkennbare Parallelen zum Subsidiaritätsprinzip. 1955, 1956 Gleichermaßen wie diesem lässt sich dem Vorrang der privaten Wirtschafts- und So1954 Die Terminologie wird bei übereinstimmender Bedeutung uneinheitlich verwendet. So ist vom „Vorrang der privatautonomen Gestaltung“ (F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, §3 Rn.5), vom „Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht“ (H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff.), vom „Vorrang der Privatwirtschaft“ (P.-C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (453)) oder vom „Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung“ (K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 387) die Rede. R. Schmidt spricht schließlich vom „Vorrang für die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung“ und sieht diesen zugleich in der Rechtsprechung des BVerfG verankert (ders., in: HStR, Bd.III, 1996, §83 Rn.25). Die hier erfolgte Begriffswahl zielt darauf ab, die verfassungsrechtlich verbürgte Sozial- bzw. Gemeinwohlgestaltungsmacht der Individuen hervorzuheben. Vgl. weiterhin U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd.I Art.2 Rn.76 u. 87 f. (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original), der von einer verfassungsrechtlichen „Grundentscheidung für die staatsfreie Gesellschaft“ bzw. von der „Entscheidung für eine grundsätzlich staatsfreie Wirtschaft“ spricht und im Anschluss hieran die Feststellung trifft: „Eine Wirtschaftsordnung ist staatsfrei, wenn die wesentlichen Entscheidungen nicht zentral vom Staat, sondern von den einzelnen Wirtschaftssubjekten getroffen werden.“. Vgl. schließlich auch K. Grupp, Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand unter dem Grundgesetz, in: ZHR 140 (1976), S.367 ff. (379 m.w.N.); H. Maurer, Staatsrecht I, 2005, §8 Rn.87 ff.; G. Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), S. 56 ff. (104, 117); K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986 S. 189 f., 317 ff.; H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 306 ff.; ders., Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, in: DÖV 2000, S. 361 ff.; ders./O. Gast, Die Relativität des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach SGB V, Verfassungs- und Europarecht, in: NZS 1998, S. 497 ff. (505). 1955 Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 5 II. 3. Vgl. zu den historischen Ursprüngen des Subsidiaritätsprinzips H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 33 ff.; D. Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: Die Subsidiarität Europas, 1994, S. 77 (90 f.). Eine auch für das deutsche Verfassungsrecht „bedeutsame Ausprägung“ (H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 308) findet der Subsidiaritätsgedanke in der katholischen Soziallehre. In Nr. 79 der Enzyklika Quadragesimo anno des Papstes Pius XI. vom 15. Mai 1931 heißt es: „Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, daß unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muß doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten
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zialgestaltung das „Primat freier Individualität bei der Förderung des Gemeinwohls“ entnehmen, wobei die Grundrechte die erforderlichen „vermittelnden Konkretisierungen“ enthalten, die für die rechtstechnische „Vollziehbarkeit“ dieses Primats notwendig sind. 1957 Aus diesen beiden Prinzipien folgt, dass der Staat „eine Aufgabe nur dann ganz oder teilweise an sich ziehen“ darf, „wenn er dem öffentlichen Interesse besser genügt als Private“. 1958 Denn geht die Verfassung sowohl vom Primat individueller Freiheit als auch zugleich vom sozialbereiten und -verantwortlichen Menschen und der daraus unmittelbar folgenden sozialgebundenen Freiheit aus, so kann eine Verfassung, die den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückt, nur eine vorrangig private Aufgabenbewältigung bzw. einen subsidiären Staat wollen. Trotz des Umstandes, dass der Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung ebenso wie das Subsidiaritätsprinzip in erster Linie auf die Erzeugung der „Wirkung negativer Kompetenz“ abzielt, nimmt er gegenüber diesem eine selbstständige Stellung ein. Während das Subsidiaritätsprinzip ganz allgemein einen Vorrang der kleineren vor der größeren Einheit postuliert, um darauf basierend Kompetenzabgrenzungen vornehmen zu können, begrenzt der Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung „die Staatlichkeit der Lebensbewältigung überhaupt“, Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“ (Ein Abdruck in der deutschen Übersetzung findet sich in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (Hrsg.), Texte zur Katholischen Soziallehre, Band I, 1977, S. 91 ff. (120 f.). 1956 Vgl. zum Subsidiaritätsprinzip P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, in: AöR 119 (1994), S. 169 ff.; H. Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, in: NVwZ 1995, S. 1052 ff.; J. Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, in: VVDStRL 54 (1995), S. 165 ff. (193 ff.) R. Herzog, Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, in: Der Staat 2 (1963), S. 399 ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, passim; ders., in: FS für H. P. Ipsen, 1977, S. 409 ff. (431 f.); ders., Privatwirtschaftliche Expansion öffentlich-rechtlicher Versicherer, in: DB 1979, S. 145 ff. (150); ders., in: HStR, Bd. III, 1996, § 57 Rn. 165 ff.; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, passim; W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 173, 199, 214, 326; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), S.7 ff. (26); D. Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: Die Subsidiarität Europas, 1994, S. 77 ff. (89 f.); K.W. Nörr/T. Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, 1997, passim; T. Oppermann, Subsidiarität als Bestandteil des Grundgesetzes, in: JuS 1996, S. 569 ff.; H. H. Rupp, in: HStR, Bd. I, 1987, § 28 Rn. 51 ff.; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 189 f.; 272 f.; ders., Res publica res populi, 1994, S. 201 ff., 220; 244, 390; Th. A. Schmitt, Das Subsidiaritätsprinzip, 1979, passim; R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 153 ff.; R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, 1968, passim. 1957 Vgl. 4. Kapitel § 5 II. 3, insbes. Fn. 1810. 1958 So die Formulierung von J. Isensee als Diskussionsbeitrag im Rahmen der Aussprache zum Thema „Privatisierung von Verwaltungsaufgaben“, in: VVDStRL 54 (1995), S. 303 ff. (305).
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denn „Privatheit als Verwirklichung der Freiheit ist zwar kompetenzhaft, aber keine Kompetenz“. 1959 Vielmehr ist die „Privatheit des Lebens [...] ein notwendiges Humanum, die Kompetenz des Landes anstelle der des Bundes oder des Mitgliedstaates anstelle der der Europäischen Gemeinschaft nicht“.1960 Soweit sich die Privatheit auf die eigenverantwortliche Lebensgestaltung des Einzelnen bezieht, erscheint dies ohne weiteres einsichtig und bedarf keiner weiteren Kommentierung. Die vorgenommene Untersuchung hat allerdings darüber hinaus den Nachweis erbracht, dass das Grundgesetz davon ausgeht, dass auch die private Wahrnehmung der Gemeinwohlverantwortung untrennbar mit der menschlichen Natur verknüpft ist. Somit gilt: Während das Subsidiaritätsprinzip das Gemeinwohl als Maßstab voraussetzt und sich darauf beschränkt, im Einzelfall vom Staat eine justiziable Rechtfertigung dahingehend einzufordern, warum gerade die Aufgabenwahrnehmung durch ihn dem Gemeinwohl bzw. öffentlichen Interesse besser genügen soll als die Wahrnehmung durch den privaten Sektor, greift das Prinzip „Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ darüber hinaus. Dem privaten Sektor wird von vornherein ein Einschätzungsspielraum dahingehend eingeräumt, wie er Gemeinwohl versteht und dem Gemeinwohlpostulat Rechnung trägt. Den rechtlichen Rahmen hierfür liefern die Grundrechte. Damit gilt: Bevor der Staat überhaupt tätig werden darf, muss dem privaten Sektor die Möglichkeit zur Wahrnehmung der Eigenwohlund der Gemeinwohlverantwortung sowie die Option eingeräumt werden, den harmonischen Ausgleich zwischen beiden zu erzeugen. Werden diese Wertungsgedanken folgerichtig fortgeführt, so lassen sich im Wege der Substantiierung des Vorrangs privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung mithilfe seiner Unterprinzipien nicht nur Grenzen „für die staatliche Regelungsdichte und Eingriffsintensität, sondern überdies für die Begründung oder Beibehaltung staatlicher Zuständigkeiten im Bereich auch privat wahrnehmbarer Angelegenheiten ableiten“. Dabei zeigt sich, dass eine staatliche Zuständigkeit stets der Rechtfertigung bedarf. Diese besteht nur solange und soweit, „wie sich die staatliche Aufgabenwahrnehmung als notwendig erweist“. 1961 Der Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung als Rechtsprinzip fordert aber nicht nur die Ausgrenzung des Staates, sondern auch die Optimierung der Rahmenbedingungen für die dezentrale Gestaltung. Durch diese vor allem grundrechtlich geprägte Leitmaxime der Verfassung wird der Gesetzgeber verpflichtet, „eine Rechtsordnung zu gestalten, welche den Bürgern und Menschen die größtmögliche Vielfalt der Persönlichkeitsentfaltung, der alleinbestimmten Wege zum
K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 220 (Fn. 76). K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 220 (Fn. 76). 1961 So H. Sodan (ders., Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (55 f.)) unter Verweis auf R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 12 Rn. 209 ff. 1959 1960
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Glück“ ermöglicht, „wenn sie dadurch nur anderen nicht schaden, d.h. wenn ihr Leben, ihr Handeln also, allgemeinverträglich bleibt.“ 1962 Alles in allem geht es somit darum, durch Staatsferne bzw. durch Schaffung der freiheitlichen Rahmenbedingungen staatlicherseits dem einzelnen Bürger zu gestatten, „das eigene Leben nach eigenen Entwürfen zu gestalten“.1963 Dadurch, dass dieser gewährleistete Schutz der Individualität, der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in letzter Konsequenz durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt wird, wird die in dieser Arbeit postulierte Stellung als Leitprinzip besonders deutlich. 1964
IV. Zwischenergebnis: Korrektur der Neutralitätsthese Das Grundgesetz, so der eingangs skizzierte Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts, sei wirtschaftspolitisch neutral. 1965 Es überlasse „die Wirtschaftsordnung dem Gesetzgeber, der innerhalb der ihm durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen frei zu entscheiden“ habe. 1966 Dieser dürfe jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, „sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet“. 1967 Die im Rahmen dieser Untersuchung erfolgte systematische Analyse hat die vom Bundesverfassungsgericht eher beiläufig erwähnte Bindung des Wirtschaftsgesetzgebers an die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zum Anlass genommen, deren prinzipielle Inhalte und Wirkweisen näher zu explizieren. 1968 Dabei hat sich gezeigt, dass das Grundgesetz im Ergebnis eine Vielzahl von beschränkenden und dirigierenden Vorgaben bereithält, die an den Staat und insbesondere den Gesetzgeber gerichtet sind. Es garantiert die Dezentralisierung und pluralistische Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung und damit letztlich das Primat dezentralen privaten Wirtschaftens. Hieran gemessen erweist sich die Formel von der „wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgeset1962 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 387; vgl. auch H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 306. 1963 BVerfGE 60, 253 ff. (268). 1964 Vgl. D. Merten (ders., Grenzen des Sozialstaats, in: VSSR 1995, S. 155 ff. (160), der vom „Prinzip Freiheit“ spricht und auf BVerfGE 84, 90 ff. (120 f.) verweist. 1965 Vgl. hierzu schon 2. Kapitel § 2 V. 1966 BVerfGE 4, 7 ff. (17 f.). 1967 BVerfGE 4, 7 ff. (18); vgl. 2. Kapitel § 2 V. 1968 Vgl. auch M. Schmidt-Preuß (ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff. (240)), der die „nicht oder nicht hinreichend gewürdigte Einschränkung“ in der verfassungsgerichtlichen Formulierung als Zielvorgabe für den „Weg zu einer Neuorientierung“ einstuft.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
zes“ als unzutreffend. Um dem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Anforderungsprofil gerecht zu werden, muss eine neue Sprachregelung gefunden werden. Dabei muss die Grundgesetzbindung des Gesetzgebers stärker betont werden. Die Neufassung muss lauten: Das Grundgesetz bringt die „Entscheidung für eine grundsätzlich staatsfreie Wirtschaft“ zum Ausdruck. 1969 Es überlässt das Wirtschaftsgeschehen prinzipiell den privaten Wirtschaftssubjekten bzw. der Wirtschaftsgesellschaft, weil die Freiheit der Individuen zur Wirtschafts- und Sozialgestaltung den verfassungsrechtlichen Regelfall bildet. Dem Gesetzgeber wird aufgetragen, das individuelle Wirtschaftshandeln zu garantieren, anzuerkennen und zu schützen. 1970 Hierfür hat er die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen bereitzuhalten. In Ausnahmefällen hat er das Marktgeschehen zu korrigieren. Stets muss er sich dabei im Rahmen der grundrechtlichen Schrankenvorbehalte bewegen. Sein wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltungsspielraum wird grundsätzlich durch die Entscheidungsprärogative der Wirtschaftssubjekte überlagert.
V. Die Gewährleistung der sozialen Marktwirtschaft als Substrat des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems An diese Feststellungen schließt sich – wertungsgemäß folgerichtig – ein weiterer Fragenkomplex an. Er lautet: Schließt das wirtschaftsverfassungsrechtliche System ein bestimmtes Wirtschaftsmodell aus? Legt es sich gar auf ein bestimmtes Wirtschaftsmodell – zumindest mittelbar – fest? Für den Fall, dass die letztgenannte Frage bejaht werden muss, stellt sich das Problem, ob eine derartige Festlegung einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Maßstab liefert. Die im Rahmen der Systemfreilegung ermittelten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Prinzipien sind Optimierungsgebote, die, bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten, ein möglichst hohes Maß an Verwirklichung anstreben. 1971 Die unterschiedlichen nationalökonomischen Modellvorstellungen müssen sich hieran messen lassen. Tatsächlich halten sie mehr oder minder taugliche Konzepte bereit. Relativ unproblematisch lässt sich eine Wertung dahingehend erzielen, welche Wirtschaftskonzeption mit den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben schlechterdings nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Gemeint ist der Typus der „Zentralverwaltungswirtschaft“. Ein solcher Typus zielt auf Zentralisierung der Wirtschaftsentscheidungen beim Staat und „ersetzt oder bindet die individuellen Wirtschaftspläne“. 1972 Dem steht gegenüber, dass der durch die GrundrechU. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Bd. I, Art. 2 Rn. 76 und 87 ff. Vgl. U. Di Fabio (ders., Maunz/Dürig, GG-Komm, Bd. I, Art. 2 Rn. 88), der sogleich die Brücke zur grundgesetzlichen Garantie der Marktwirtschaft schlägt; differenzierend indes A. Krölls, Grundgesetz und kapitalistische Marktwirtschaft, 1994, S. 256. 1971 Vgl. allgemein hierzu 3. Kapitel § 5 I. 7. 1972 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 5. 1969 1970
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te als Prinzipien gewährte, bestimmende Anteil der Individuen an der Wirtschaftsund Sozialgestaltung „eine potentiell absolute Herrschaft des politischen Systems (auch) über die Wirtschaft“ ausschließt. 1973 Anders ausgedrückt: Die Zentralverwaltungswirtschaft steht „unstreitig“ in einem nicht zu überwindenden Widerspruch zum abwägungsresistenten Teil der freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaats, d. h. zur Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG. 1974 Sie lässt sich weder unter Rückriff auf Art. 15 GG noch auf das Sozialstaatsprinzip begründen. 1975 Erkennbar legt das System der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes die „Grundfesten einer Wirtschaftsordnung“ in ganz anderer Richtung fest. So zielt es darauf ab, „einen staatsunabhängigen Marktmechanismus mit – freiem – Wettbewerb“ zu „konstituieren“ und zu „garantieren“. 1976 Enge Verbindungslinien lassen sich daher zu dem von der ordoliberalen Schule konzipierten Modell der Verkehrswirtschaft knüpfen. Denn im Einklang mit dem Prinzip des Vorrangs privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung, beruht die verkehrswirtschaftliche Konzeption auf der Vorstellung, dass „der Schutz privatautonomer Gestaltungsspielräume gegen jeglichen Machtmissbrauch staatlicher oder privater Provenienz dazu führt, dass das einzelwirtschaftliche Interesse und das Gesamtinteresse konvergieren“. 1977 Das von A. Müller-Armack und L. Erhard ab 1948 in der Bundesrepublik Deutschland realisierte wirtschaftspolitische Leitbild der sozialen Marktwirtschaft knüpft an die verkehrswirtschaftliche Konzeption an, greift aber nicht nur die Forderungen des Ordoliberalismus – gerichtet auf staatliche Gewährleistung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung – auf, sondern formuliert zugleich auch weitreichende sozialpolitische Ziele. 1978 Bei einem Vergleich mit den systematisch explizierten, wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben weist die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft eine weitgehende Kompatibilität mit diesen auf. 1979 Dies soll nachfolgend verdeutlicht werden.
1973 H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 16; vgl. ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 33 f.; ders., Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, in: VVDStRL 35 (1977), S. 55 ff. (82 ff.). 1974 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 76 (Fn. 3); vgl. auch H.-J. Papier, in: HVerfR, 1994, § 18 Rn. 14 f., ders., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 33 f.; R. Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 79, ders., Grenzen staatlicher Aktivität unter der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung, in: Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S.113 ff. (116 ff.); vgl. zur Wesensgehaltsgarantie auch 4. Kapitel § 1 VI. 1975 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Art. 15 GG im 4. Kapitel § 2 II. 6. c) und zum Sozialstaatsprinzip im 4. Kapitel § 5 II. 5. a). 1976 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm. Bd.I, 1999, Art.14 Rn.9 (keine Hervorhebung im Gegensatz zum Original). 1977 J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 13. 1978 Vgl. Gabler Wirtschafts-Lexikon, Bd. IV, 2000, S. 2800. 1979 Vgl. hierzu 2. Kapitel § 1.
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4. Kap.: Prozess der Prinzipien- und Systemfreilegung
Übereinstimmung besteht bereits, was die Kernzielsetzungen beider betrifft: Sowohl den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes als auch dem Wirtschaftsmodell „Soziale Marktwirtschaft“ wohnt ein „irenischer Ordnungsgedanke“ inne, der auf einen harmonischen Interessensausgleich in der Wirtschaftsgesellschaft abzielt und die Schaffung dieses Ausgleichs vorrangig den privaten Wirtschaftssubjekten, hilfsweise dem Staat überlässt.1980 In Anlehnung an den Eigenwert jedes Menschen geht es beiden darum, „größtmögliche Freiheit in sozialer Gebundenheit“ zu erzielen. 1981 Die Übereinstimmung setzt sich fort, wenn man die konstituierenden Einzelbestandteile der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung mit denen der Konzeption „Soziale Marktwirtschaft“ vergleicht: Mittels prinzipieller Gewährleistung wirtschaftlicher Freiheiten (insbesondere der prima-facie-Garantien der Berufsfreiheit, des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Wettbewerbsfreiheit), mittels der Forderung nach Schaffung und Wahrung rechtsstaatlicher Sicherheit sowie der Verankerung sozialer Postulate hält die Verfassung die Rahmenbedingungen für die Dezentralisierung und pluralistische Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung in der Wirtschaftsgesellschaft bereit. Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft stützt sich auf diese grundgesetzlich gewährleisteten, freiheitlichen Rahmenbedingungen. Primär sollen die privaten Wirtschaftssubjekte – frei von staatlichen Planvorgaben – das Marktgeschehen planen, steuern und gestalten. Wirtschaftliche Leistungen sind grundsätzlich im Wettbewerb zu erbringen. Es herrscht Freiheit des Marktzugangs, aber auch des Marktaustrittes. Die Preisbildung ist grundsätzlich frei. Staatlicher Interventionsbedarf besteht dann, wenn es darum geht, drohenden Defiziten wirtschaftlicher Freiheit vorzubeugen bzw. bereits bestehende abzustellen. 1982 Dieses Verständnis liegt dem Ordo- Gedanke zugrunde, der auf die Gewährleistung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung durch den Staat gerichtet ist. Was die Lösung sozialer Fragen im Rahmen des Wirtschaftsgeschehens betrifft, so gilt für die grundgesetzlichen Vorgaben und die soziale Marktwirtschaft übereinstimmend die Devise: Vorrang der Eigenverantwortung und der gesellschaftlichen Sozialverantwortung vor dem Handeln des Sozialstaats! 1983 Im Ausnahmefall gestatten beide – Wirtschaftsverfassung und soziale Marktwirtschaft – staatliche Korrekturen und Einschränkungen des Marktgeschehens. 1984 In die Richtung einer weitgehenden Identität zwischen den Verfassungsvorgaben und dem hier beschriebenen Wirtschaftsmodell deuten schließlich auch die als Ausprägung des Sozialprinzips in Art.109 Abs. 2 bis R. Blum, Marktwirtschaft, soziale, in: HdWW, Bd. V, 1980, S. 153 ff. (155). Ch. Kannengießer, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, GG-Komm., 1999, Einl. Rn. 62. 1982 Vgl. zu den marktwirtschaftlichen Elementen F. v. Estorff/B. Molitor, Komm. z. EU/EGVertrag, Bd. I, 1997, Art. 3 a a. F. Rn. 19 EGV. 1983 Vgl. zur weitgehenden Identität zwischen dem Attribut des „Sozialen“ in der sozialen Marktwirtschaft und der Sozialstaatsklausel auch J. Müller-Volbehr (ders., Das Soziale in der Marktwirtschaft, in: JZ 1982, S. 132 ff. (134)), der allerdings im Vergleich zur vorliegenden Untersuchung eine abweichende Akzentuierung vornimmt. 1984 Vgl. Ch. Kannengießer, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, GG-Komm., 1999, Einl. Rn. 63. 1980 1981
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4 GG normierten Prinzipien, die „lediglich im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ihren systematisch widerspruchsfreien Platz finden“. 1985 Das dargelegte Verhältnis der wechselseitigen Entsprechung hat Konsequenzen für die Klärung der Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz der sozialen Marktwirtschaft. Zwei Feststellungen können nunmehr getroffen werden. Erstens: Die soziale Marktwirtschaft wird als ökonomische Modellvorstellung nicht unmittelbar von der Verfassung geschützt, bildet mithin kein eigenständiges Leitprinzip im „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung und ist auch ansonsten keine eigenständige verfassungsrechtliche Prüfkategorie. 1986 Insofern erweist sich die Konzeption als zu offen, weil sie konträren wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkten in entscheidenden Bereichen zugänglich ist, wie die Diskussion um die Unterscheidung von marktkonformen und nicht marktkonformen Eingriffen belegt. 1987 Nach Einschätzung von A. Müller-Armack ist die soziale Markwirtschaft zunächst nicht mehr als „ein der Ausgestaltung harrender, progressiver Stilgedanke“. 1988 Hieraus einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Maßstab zu kreieren, würde bedeuten, dass sich das Grundgesetz in Abhängigkeit zu den „Ungewißheiten einer sozialen Ordnung und deren Theorie“ begibt und unter Umständen seine normative Verlässlichkeit einbüßt. 1989 Zweitens: Finden die Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft sämtlich eine Stütze im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System des Grundgesetzes, d. h. richten sich die prima-facie-Gehalte der ermittelten Prinzipien gegen die Beschneidung oder Beseitigung wirtschaftlicher Freiheit, sozialer Rechtsstaatlichkeit und Markt und Wettbewerb, so ist es zutreffend, von einer Funktionsgarantie, „limitierten“ Garantie oder einer mittelbaren Garantie der sozialen Marktwirtschaft unter dem Grundgesetz zu sprechen. 1990 Geschützt ist nicht die Wirt1985 H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (48); vgl. auch Ch. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Bd. III, 2001, Art. 109 Abs. 2 Rn. 59. 1986 Vgl. R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 17. 1987 Vgl. R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 18. 1988 A. Müller-Armack, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, 1966, S. 12. 1989 R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 18. 1990 Wie hier H. Maurer, Staatsrecht I, 2005, § 8 Rn. 88; Ch. Kannengießer, in: B. SchmidtBleibtreu/F. Klein, GG-Komm., 1999, Einl. Rn. 60 ff.; H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S.35 ff. (48 ff.). Die herrschende Meinung geht zumindest von einer Funktionsgarantie bzw. mittelbaren Garantie marktwirtschaftlicher Strukturen aus; vgl. hierzu P. Badura, in: HVerfR, 1994, § 10 Rn. 2 f.; J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 25; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GGKomm., Bd. I, Art. 2 Rn. 88; J. Isensee, in: HStR, Bd. V, 2000, § 115 Rn. 153 ff.; H. –J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Bd. II, Art. 14 Rn. 33 f.; R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 20; ders., Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 73 f.; kritisch gegenüber dieser h. M. J. Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG-Komm., Bd. I, 2002, Art. 14 Rn. 37; P. J. Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung, in: DVBl. 1999, S. 679 ff. (680); vgl. weitere Hinweise zum Schrifttum in 2. Kapitel § 2 IV.
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schaftskonzeption als solche, sondern das Verhalten der Grundrechtsträger, das sich sowohl im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft, vor allem aber im Rahmen der systematisch gewonnenen Vorgaben der Wirtschaftsverfassung bewegt. Aus dieser Perspektive betrachtet, stellt die Konzeption „Soziale Marktwirtschaft“ eine optimale Verwirklichung der (prinzipiellen) Vorgaben des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems dar. 1991 Noch einen Schritt weiter geht der Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (StV). Im Gegensatz zum Grundgesetz beinhaltet bei diesem bereits die Präambel ein ausdrückliches Bekenntnis der Vertragsparteien zur sozialen Marktwirtschaft, nämlich deren gemeinsamen Willen, die soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftskonzeption auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik einzuführen. 1992 Die Formulierung in Art. 1 Abs. 3 StV wird noch deutlicher: „Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien. Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen; hierdurch wird die gesetzliche Zulassung besonderer Eigentumsformen für die Beteiligung der öffentlichen Hand oder anderer Rechtsträger am Wirtschaftsverkehr nicht ausgeschlossen, soweit private Rechtsträger dadurch nicht diskriminiert werden.“1993 An diese Formulierung schließen sich nahtlos die Leitsätze 1 bis 7 zur Wirtschaftsunion im Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze zum StV – welche über Art. 4 Abs. 1 StV Verbindlichkeit entfalten –, Art. 11 Abs. 1 und 2 StV und schließlich Art. 1 Abs. 4 StV mit seiner Forderung nach einer Sozialunion an. So erfolgt in den besagten Leitsätzen 1 bis 7 eine katalogartige Aufzählung von Strukturelementen der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung. Im Leitsatz 1 heißt es beispielsweise schlicht: „Wirtschaftliche Leistungen sollen vorrangig privatwirtschaftlich und im Wettbewerb erbracht werden.“ Leitsatz 2 hebt hervor, dass die Vertragsfreiheit gewährleistet ist. 1991 Vgl. Ch. Kannengießer (ders., in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, GG-Komm., 1999, Einl. Rn. 65), der von der sozialen Marktwirtschaft als „Verwirklichung des Wertsystems der Grundrechte im Bereiche der Wirtschaft“ spricht. Auch H. H. Rupp (ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 23) hält fest: „Sieht man die wirtschaftlich relevanten Grundrechte des Grundgesetzes in ihrem Gesamt, in ihrem Wechselspiel und als freiheitssichernde und freiheitsstiftende System- und Funktionselemente eines nicht autoritären endogenen Steuerungssystems, so wird der Blick für die Einsicht frei, daß dieses System nur ‚Marktwirtschaft‘ heißen kann.“ Generell gegen die Heranziehung von wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemsubstraten zur verfassungsrechtlichen Verankerung einer Wirtschaftsordnung wendet sich R. Schmidt (vgl. ders., in: HStR, Bd.III, 1996, §83 Rn.21; ders., Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S.74), wobei er allerdings die Aussagen der Mitbestimmungsentscheidung des BVerfG überinterpretiert (vgl. hierzu auch 3. Kapitel § 1 I). Vgl. schließlich zu der Stellung von wirtschaftsverfassungsrechtlichen Prinzipien als Optimierungsgebote: 3. Kapitel § 5 I. 7. 1992 Vgl. BGBl. 1990, Teil II, S. 537; vgl. auch H. H. Rupp, in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 2. 1993 BGBl. 1990, Teil II, S. 537.
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Leitsatz 3 fordert, dass unternehmerische Entscheidungen „frei von Planvorgaben“ sind. Leitsatz 5 statuiert die freie Preisbildung. Leitsatz 6 hält fest, dass die Freiheit des Erwerbs, der Verfügung und der Nutzung von Grund und Boden und sonstiger Produktionsmittel [...] für wirtschaftliche Tätigkeiten“ zu gewährleisten ist. 1994 In Art. 11 Abs. 1 StV wird u. a. gefordert, dass die DDR eine Unternehmensverfassung schaffen müsse, die auf der „freien Entscheidung der Unternehmen über Produkte, Mengen, Produktionsverfahren, Investitionen, Arbeitsverhältnisse, Preise und Gewinnverwendung beruht“. 1995 Art. 1 Abs. 4 StV erhebt schließlich „eine der Sozialen Marktwirtschaft entsprechende Arbeitsrechtsordnung und ein auf den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs beruhendes umfassendes System der sozialen Sicherung“ zum Postulat. 1996 Entsprechend Art. 40 Abs. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (EV) ist der Staatsvertrag für die gesamte Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 in Kraft getreten. Nach Art. 45 Abs. 2 EV bleiben die genannten Regelungen des Staatsvertrags auch nach Wirksamwerden des Beitritts weiterhin als geltendes Bundesrecht in Kraft, wobei weder der Begriff „Bundesrecht“ noch das Fehlen einer formellen Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG Argumente dafür liefern, die Vertragsregelungen als einfaches Bundesrecht zu qualifizieren und damit der Disposition des Bundesgesetzgebers auszuliefern.1997 Für eine formelle Verfassungsänderung bestand schlechterdings kein Anlass. Dies wird im Anschluss an die Analyse des Textbefundes deutlich. Auch wenn der StV mit dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ operiert, so heißt das nicht, dass er ihn für beliebige Interpretationswünsche offen hält. Vielmehr gilt: Was der StV unter „Sozialer Marktwirtschaft“ versteht, wird nicht etwa nur ansatzweise, sondern umfassend und abschließend in den zitierten Regelungen bestimmt. Dabei wird der Begriff mit Elementen aufgefüllt, die sich identisch auch im Grundgesetz finden. Der StV stellt somit „in gewisser Weise eine authentische Interpretation der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Staatsziele und Garantien des Grundgesetzes dar“.1998 Er formuliert eine Systemgarantie der sozialen Marktwirtschaft, die der grundgesetzlichen Funktionsgarantie entspricht. Insofern schafft der StV im Vergleich zum Grundgesetz auch kein „Mehr“ an Schutz. 1999 Ein Verstoß gegen ein im StV verankertes Gebot der soBGBl. 1990, Teil II, S. 545. BGBl. 1990, Teil II, S. 539. 1996 BGBl. 1990, Teil II, S. 537. 1997 So aber M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff. (238). 1998 P. Badura, Staatsrecht, 2003, S. 230, kritisch zu dieser Formulierung H. Maurer, Staatsrecht I, 2005, § 8 Rn. 92. 1999 Vgl. H. H. Rupp (ders., in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 29), der feststellt, dass die „Festlegung der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ im Einigungsvertrag ‚als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien‘“ dem Grundgesetz letztlich „nichts hinzugefügt und nichts genommen“, sondern lediglich „seinen Sinn in Worte gefaßt und bestätigt“ hat. 1994 1995
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zialen Marktwirtschaft ruft vielmehr grundsätzlich auch einen Konflikt mit den Vorgaben des Grundgesetzes hervor. Anders lautende Ansätze, die aus dem Fehlen der ausdrücklichen Nennung des Begriffs „Soziale Marktwirtschaft“ im Grundgesetz eine Schutzabstufung im Vergleich zum StV ableiten wollen, verkennen die Identität der Vorgaben und die Wirkkraft des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems des Grundgesetzes. 2000 Für diese Einschätzung spricht auch die Historie. So entfalteten die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes im Sommer 1990 noch keine Wirkung auf dem Gebiet der damaligen DDR. Daher bestand die Notwendigkeit, die grundgesetzlichen Wertentscheidungen mittels „Verfassungsvertrages“ auf dieses Gebiet zu erstrecken und zugleich die „alte“ Bundesrepublik Deutschland auf die Fortführung des bislang praktizierten Wirtschaftssystems gegenüber der DDR zu verpflichten. 2001 Seit dem In-Kraft-Treten des Grundgesetzes in den neuen Bundesländern besteht auch hier eine doppelte, inhaltlich identische Verpflichtung auf Einhaltung der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben, d. h. zum einen aus dem grundgesetzlichem System der Wirtschaftsverfassung sowie zum anderen aus den fortgeltenden Regelungen des StV. In diesem Kontext behält die Fortgeltung der staatsvertraglichen Vorgaben ihren Sinn: Zum einen eröffnen sie den neuen Bundesländer gem. Art. 44 EV die Möglichkeit zu klagen, wenn die (heutige) Bundesrepublik von den vertraglichen Vorgaben abrückt. 2002 Zum anderen wird mit ihrer Hilfe eine Verfassungsklarstellung erreicht, denn trotz inhaltlicher Identität mit dem Grundgesetz sind die staatsvertraglichen Vorgaben im Vergleich hierzu terminologisch präziser ausgefallen und bieten weniger Anlass für Missverständnisse.
2000 Widersprüchlich bleibt der Ansatz von M. Schmidt-Preuß (ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff.), der zwar im Anschluss an eine systematische Betrachtung eine „Gewährleistungsparallele“ zwischen dem Grundgesetz und dem StV feststellt, dennoch letztlich den grundgesetzlichen Schutz im Vergleich hierzu als geringer einstuft. 2001 Den Begriff „Verfassungsvertrag“ verwendet in diesem Zusammenhang K. Stern (ders., Einführung in den Staatsvertrag, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Staatsvertrag, Bd. I, 1990, S. 3 ff. (43)); vgl. auch H. H. Rupp, in: HStR, Bd. IX, 1997, § 203 Rn. 7; R. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 73. 2002 Vgl. H. Maurer, Staatsrecht I, 2005, §8 Rn.92; H.H. Rupp, in: HStR, Bd.IX, 1997, §203 Rn. 5; H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (48); a. A. offenbar M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff. (238).
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Auswirkungen des Systems § 1 Systemaussagen mit Blick auf die europäische Integration I. Komplementarität zwischen gemeinschaftsrechtlichen Zielvorgaben und denen des GG Der Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften (EGV) hält seit seiner Neufassung durch den Vertrag von Maastricht die Garantie eines bestimmten Wirtschaftssystems bereit, nämlich die ausdrückliche Verpflichtung der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaft zur Einführung einer Wirtschaftspolitik, die „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“ (Art. 4 Abs. 1 EGV). 2003 Eine derartige Systemgarantie führt zu den bereits geschilderten Problemen im Hinblick auf die rechtliche Auslegung des ordnungspolitischen Anspruchs. 2004 Zwar ist ihr ohne weiteres zu entnehmen, dass eine Planwirtschaft bzw. zentrale Verwaltungswirtschaft weder von der EG noch von den Mitgliedsstaaten eingeführt werden darf 2005; es zumindest der „Möglichkeit zur freien Koordination von freiem Angebot und freier Nachfrage“ bedarf, „wobei mindestens auf einer Seite, regelmäßig aber auf beiden Seiten mehr als ein Marktteilnehmer auftreten kann“.2006 Mit diesen Aussagen ist freilich noch nicht viel gewonnen. Sowohl in wirtschaftstheoretischer als auch in rechtlicher Hinsicht erweist sich der Begriff „Marktwirtschaft“ ansonsten als sehr dehnbar. Entsprechend kursiert über die Grenzen der Mitgliedsstaaten hinaus eine schillernde Begriffsvielfalt. So ist von „reinen“, „ökologisch regulierten“ oder von „sozialen“ Marktwirtschaften die Rede, wobei freilich auch diese Begriffe keine einheitliche Verwendung erfahren. 2007 Auch aus diesem Grund darf bei der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 EGV nicht ohne weiteres auf die Merkmale und Regeln 2003 Vgl. U. Häde, in: C. Calliess/M. Ruffert, EU-Komm., 2002, Art. 4 EGV Rn. 8; C. O. Lenz, in: C. O. Lenz, EU-Komm., 1999, Art. 4 EGV Rn. 1. 2004 Vgl. schon 4. Kapitel § 6 V. 2005 Vgl. A. Hatje, in: J. Schwarze, EU-Komm., 2000, Art. 4 EGV Rn. 9. 2006 P.-C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (437). 2007 Vgl. P.-C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (436).
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5. Kap.: Auswirkungen des Systems
zurückgegriffen werden, die die Marktwirtschaft in einem bestimmten Mitgliedsstaat prägen. 2008 Zudem würde eine derartige Handhabung den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der Mitgliedsstaaten nicht in einem hinreichenden Maße Rechnung tragen, denn trotz der vertraglichen Verpflichtung zur Koordinierung auf Gemeinschaftsrechtsebene ist in wesentlichen Bereichen die Zuständigkeit für die allgemeine Wirtschaftspolitik „im Sinne der Summe der gestaltenden Maßnahmen des Staates im Hinblick auf Wirtschaftsprozess, Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsordnung“ bei den einzelnen Mitgliedsstaaten verblieben. 2009 Schließlich mangelt es weiterhin an einer Europäischen Sozialunion. Auch aus dieser Warte heraus erscheint es verständlich, dass auch in der jüngsten Fassung des EGV von einer „offenen“ und nicht von einer „sozialen“ Marktwirtschaft die Rede ist. 2010 Vielmehr muss die rechtliche Bedeutung der Festlegung auf die Marktwirtschaft unter Rückgriff auf das primäre Gemeinschaftsrecht und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH systematisch erschlossen werden. 2011 Dabei leistet der in Art. 4 Abs. 1 EGV ausdrücklich erfolgte Hinweis auf das Wettbewerbsprinzip einen wichtigen Ansatzpunkt. Der Wettbewerb muss „als zentrales Regulativ einer marktwirtschaftlichen Güterproduktion gewährleistet sein“. 2012 Bereits die Präambel des EG-Vertrages hebt ausdrücklich das Streben nach redlichem Wettbewerb hervor. Art. 3 lit. g EGV umschreibt das Wettbewerbsprinzip näher. Danach hat die Wettbewerbspolitik die vorrangige Aufgabe, ein System zu schaffen, „das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“. Konkretisiert wird dieses prima-facie- Postulat durch die Wettbewerbsregelungen in Art. 81–86 EGV. Art. 2 EGV nennt weiterhin als Grundziel die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes „im Sinne eines im Kern freien und nach innen offenen europäischen Wirtschaftsraumes“. 2013 Diese Forderung wird durch die Regelungen zugunsten einer den gesamten Warenaustausch umfassenden Zollunion sowie durch die Freiheiten Vgl. R. Bandilla, in: E. Grabitz/M. Hilf, EU-Komm., Bd. I, Art. 4 EGV Rn. 7. T. Oppermann, Europarecht, 1999, § 12 Rn. 933 unter Hinweis auf E. Tuchtfeldt, Wirtschaftspolitik, in: HdWW, Bd. IX, 1982, S. 178 ff. (179). 2010 Vgl. auch H. Sodan (ders., Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (52)), der allerdings darauf verweist, dass der Vertrag von Amsterdam die sozialpolitischen Aufgaben und Kompetenzen ausgeweitet hat; vgl. hierzu auch ders., Anmerkung zum Urt. des EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-158/96 (Kohll./. Union des caisses de maladie) – Slg. 1998, I – 1931 ff., in: JZ 1998, S. 1168 ff. (1169). 2011 Sinnvoll erscheint in diesem Zusammenhang freilich nur ein „inneres“ System, d.h. ein System, das die „impliziten Aussagen“ des Primärrechts zutage fördert (vgl. P.-C. MüllerGraff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (440 ff.)). Vgl. auch G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 320; M. Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: DVBl. 1993, S. 236 ff. (245). 2012 A. Hatje, in: J. Schwarze, EU-Komm., 2000, Art. 4 EGV Rn. 9. 2013 T. Oppermann, Europarecht, 1999, § 12 Rn. 930 m. w. N. 2008 2009
§ 1 Systemaussagen mit Blick auf die europäische Integration
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des Personen-, Kapital- und Zahlungsverkehrs umgesetzt. Diesen „Grund-“ oder „Marktfreiheiten“ wird die Aufgabe zuteil, grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigungen zu schützen. 2014 Sie gelten zum einen objektivrechtlich im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander und im Verhältnis zur EG, zum anderen verleihen sie den wirtschaftenden Unionsbürgern subjektive Rechte auf Wahrnehmung der gewährleisteten wirtschaftlichen Freiheiten gegenüber dem jeweiligen Mitgliedsstaat. 2015 Der ursprüngliche Zweck der Warenverkehrsfreiheit (Art. 23 ff. EGV) bestand darin, bestehende Binnenzölle zu beseitigen und die Einführung neuer Binnenzölle zu verhindern. Gegenwärtig steht der prima-facie-Schutz vor mengenmäßigen Einund Ausfuhrbestimmungen sowie allen Maßnahmen gleicher Wirkungen im Zentrum des Interesses. 2016 Auch bei der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 ff. EGV) ist eine Verlagerung der Gewichte erkennbar. Reduzierte sich ihre ursprüngliche Bedeutung darauf, ein spezifisches Diskriminierungsverbot im Hinblick auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen zu formulieren, so hat sie sich durch die Rechtsprechung des EuGH inzwischen zu einem allgemeinen Beschränkungsverbot entwickelt. 2017 Demgegenüber schützt die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV) solche Unionsbürger, die selbstständige Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedsstaat ausüben wollen. Aus Art. 43 Abs. 2 EGV wird beispielsweise das Gebot der Inländergleichbehandlung abgeleitet. 2018 Für wirtschaftliche, entgeltliche und grenzüberschreitende Tätigkeiten, die nicht schon den bereits genannten Grundfreiheiten zugeordnet werden können, schafft die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EGV) einen Auffangtatbestand und gewährleistet auf diesem Wege abschließenden Schutz. 2019 Als Leitbild fungiert hierbei der gemeinsame Markt, „in dem sämtliche wirtschaftliche Betätigungen innerhalb der Gemeinschaft von allen Beschränkungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes befreit sind“. 2020 Durch die Gewährleistung einer möglichst unbeschränkten Mobilität des Produktionsfaktors Kapital schafft die Kapitalverkehrsfreiheit eine weitere Kernvoraussetzung für den liberalisierten Binnenmarkt, indem sie es ermöglicht, den Produktionsstandort unter Kostengesichtspunkten auszuwählen. 2021 2014 Vgl. H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (52). 2015 Vgl. Ch. Walter, Die europäische Grundrechtsidee, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 1 IV, Rn. 35 ff. 2016 Vgl. EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, S. 837 ff. (S. 852 ff.) – Dassonville; EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, S. 649 ff. (660 ff.) – Cassis-de-Dijon; vgl. auch W. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, 1998, S. 101. 2017 Vgl. U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 35. 2018 Vgl. J. Bröhmer, in: C. Calliess/M. Ruffert, EU-Komm., 2002, Art. 43 EGV Rn. 21. 2019 Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2001, Rn. 755 ff. 2020 Stellungnahme v. Generalanwalt C. O. Lenz, in: EuGH, Rs. 186/87. Slg. 1989, S. 195 ff. (205) – Cowan/Trésor Public. 2021 Vgl. M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, § 14 Rn. 1210.
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5. Kap.: Auswirkungen des Systems
Zu den genannten Grundfreiheiten tritt schließlich die Zahlungsverkehrsfreiheit als Annexfreiheit, indem sie die mit dem Warenaustausch, der Erbringung von Dienstleistungen und sonstigen Leistungen im Personenverkehr unmittelbar zusammenhängenden Zahlungen schützt. 2022 An die Seite der Grundfreiheiten treten „flankierende Maßnahmen zugunsten der grundlegenden europäischen ‚Marktfreiheit‘“ wie z. B. die erwähnten Regelungen über den Wettbewerb, das grundsätzliche Verbot der Gewährung von Beihilfen, das Prinzip „Steuerharmonisierung“ sowie das dem EGV durchgehend entnehmbare Bestreben nach Rechtsangleichung. 2023 Schließlich sind in diesem Kontext die EG-Grundrechte anzusprechen. Bislang besteht zwar noch kein ausdrücklich kodifizierter Grundrechtskatalog auf Gemeinschaftsrechtsebene, der rechtliche Geltung beanspruchen könnte. 2024 Allerdings greift die EuGH-Rechtsprechung seit 1969 auf Grundrechte als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze zurück, die dem einzelnen Unionsbürger klassische Abwehrrechte gegen gemeinschaftsrechtliche Hoheitsakte verleihen. 2025 An diese Rechtsprechung knüpft der Regelungsgedanke des Art. 6 Abs. 2 EUV an, der nahezu wortgleich die Sprachregelung des EuGH übernimmt und als Rechtserkenntnisquellen für Grundrechte die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten sowie die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) benennt. 2026 Der EuGH hat mittlerweile die Berufs-, Eigentums-, Handels-, Wettbewerbs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Freiheit der Arbeit, die allgemeine Handlungsfreiheit und den allgemeinen Gleichheitssatz als (Wirtschafts-)Grundrechte anerkannt. 2027 Insbesondere wenn es um die Berechenbarkeit und Transparenz in der Grundrechtsrechtsprechung geht, bleiben noch „einige Wünsche an den EuGH offen“. 2028 Vgl. T. Oppermann, Europarecht, 1999, § 12 Rn. 1480. T. Oppermann, Europarecht, 1999, § 12 Rn. 930. 2024 Die auf der Regierungskonferenz in Nizza im Dezember 2000 proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist bislang nicht in die Verträge aufgenommen worden und damit nicht rechtsverbindlich (vgl. Ch. Walter, Die europäische Grundrechtsidee, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 1 III 4, Rn. 30 ff.). 2025 Wegweisend EuGH, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419 ff. (425) – Stauder./.Ulm. 2026 Vgl. EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, S.1125 ff. (1135) – Internationale Handelsgesellschaft mbH; EuGH, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 ff. (507 f.) – Nold; vgl. zum Begriff „Rechtserkenntnisquelle“ T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert, EU-Komm., 2002, Art. 6 EUV Rn. 17, 33 ff. 2027 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 ff. (507 f.) – Nold; EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 ff. (3745 ff., 3750) – Hauer; EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, S. 531 ff. (548 f.) – Procureur de la République; EuGH, Rs. 175/73, Slg. 1974, S. 917 ff. (925) – Gewerkschaftsbund; EuGH, Rs. 133–136/5, Slg. 1987, S. 2289 ff. (2338 f.) – Rau; EuGH, Verbundene Rs. 117/76 und 16/77, Slg. 1977, S. 1753 ff. (1771) – Ruckdeschel; vgl. zum Schutz der Wirtschaftsgrundrechte durch den EGMR: B.W. Wegener, Die Europäische Menschenrechtskonvention. Wirtschaftsgrundrechte, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 5 Rn. 1 ff. (S. 108 ff.). 2028 R. Streinz, in: M. Sachs, GG-Komm., 2003, Art. 23 Rn. 44 m. w. N. 2022 2023
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Vergleicht man jedoch die grundrechtlichen Schutzstandards auf Gemeinschaftsrechtsebene mit denen des Grundgesetzes ganz generell, so lässt sich der von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG geforderte, im Wesentlichen vergleichbare Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsrechtsebene feststellen. 2029 Was für den Grundrechtsschutz gilt, lässt sich im Ergebnis auf die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtschauen beider Rechtsordnungen übertragen. Prinzipiell vergleichbar mit dem Grundgesetz beinhaltet das primäre Gemeinschaftsrecht mit der Festlegung auf eine „offene“ Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb sowie der Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit 2030, Grundfreiheiten und Grundrechten die umfassende Forderung nach freiheitlicher Dezentralität und Pluralität bei der Bewältigung der ökonomischen, aber auch der sozialen Herausforderungen. Die primär dezentral wahrzunehmende, private bzw. gesellschaftliche Sozialverantwortung wird freilich erst aus einer systematischen Gesamtbetrachtung der Grundfreiheiten und Grundrechte, der Aufgabenbeschreibung der Gemeinschaft sowie der Regelungen über die Sozialpolitik deutlich. 2031 Was die Wahrnehmung sozialer Verantwortung angeht, so wird den wirtschaftenden EU-Bürgern auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts durch die Gewährleistung von Grundrechten und Grundfreiheiten ein Vertrauensbonus eingeräumt. Insofern ergeben sich keine Unterschiede zwischen Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht: Die Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheit durch die Marktteilnehmer soll – zumindest prinzipiell betrachtet – mit der Wahrnehmung von Sozialverantwortung einhergehen. 2032 Somit steht die Gewährleistung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Freiheiten vor allem wegen des dezentral zu gewinnenden sozialen Potentials im Mittelpunkt des Vertragsrechts. Die sozialpolitischen Regelungen des Gemeinschaftsrechts stehen hierzu nicht im Widerspruch, im Gegenteil. Bereits in ihrem Weißbuch zur Europäischen Sozialpolitik aus dem Jahre 1994 hatte die Kommission ausdrücklich festgehalten, dass wirtschaftliches Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Sicherheit keine Gegensätze seien, sondern sich gegenseitig ergänzen würden. 2033 Diese Überlegungen 2029 Vgl. hierzu die Entscheidung des BVerfG zur Bananenmarktordnung (BVerfGE 102, 147 ff. (164), die an die Solange II – Entscheidung (vgl. BVerfGE 73, 339 ff. (378 ff.) anknüpft. 2030 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. 133–136/85, Slg. 1987, S. 2289 ff. (2342) – Rau; EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455 ff. (480) – Defrenne; EuGH 1981, Rs. 169/80, Slg. 1981, S. 1931 ff. (1942) – Gondrand Frères; EuGH, Rs. 112/77, Slg. 1978, S. 1019 ff. (1032) – Töpfer; EuGH, Verbundene Rs. 41, 121 und 796/79, Slg. 1997, S.1979 ff. (1997) – Testa; EuGH, Rs. C-295/94, Slg. 1996, S. I–3375 ff. (I–3401) – Hüpeden & Co. KG. 2031 Anders P.-C. Müller-Graff (ders., Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (456)), der davon ausgeht, dass sich der EG-Vertrag in dieser Frage ausdrücklich enthält. Hierzu im Widerspruch steht allerdings, dass Müller-Graff gleichzeitig die Existenz des Regel-Ausnahmeverhältnis auf der Gemeinschaftsrechtsebene betont (vgl. Fn. 2035). 2032 Vgl. hierzu schon 4. Kapitel § 6 I. 2033 Europäische Kommission, Weißbuch – Europäische Sozialpolitik, 1994, S. 12.
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5. Kap.: Auswirkungen des Systems
sind freilich nicht neu, sondern lassen sich bereits aus dem in Art.2 EUV bzw. Art. 2 EGV geschilderten Nebeneinander der Zielsetzungen bzw. Aufgabenbeschreibungen ableiten. Sie flossen in die Ausgestaltung der Art. 136 ff. EGV ein. So hält beispielsweise Art. 136 Satz 2 EGV ausdrücklich fest, dass die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Verfolgung sozialer Ziele „der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaften der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen“ müssen. Das Vertrauen in den gemeinsamen Markt als Motor für den sozialen Fortschritt wird aber vor allem in Art. 136 Satz 3 EGV deutlich. Diese Regelung bringt die Erwartung zum Ausdruck, dass sich die in Art.136 Satz 1 EGV genannten sozialen Ziele bereits über das Wirken des Gemeinsamen Marktes und der damit verbundenen Zurückdrängung bestehender nationaler Unterschiede in den Lebensbedingungen erreichen lassen. Wegen der Gewährleistung von Freizügigkeit haben die Berechtigten beispielsweise Anteil an den sozialen Vergünstigungen des Aufenthaltsstaates, was ab einem gewissen Ausmaß durchaus zu Rückwirkungen führen kann. 2034 Die Regelungen über die Einbindung der Sozialpartner in die Sozialpolitik, insbesondere über den so genannten Sozialen Dialog (vgl. Art. 139 EGV) stützen schließlich den hier skizzierten Befund des Vertrauens in die gesellschaftlichen Kräfte. Sozialpolitisch motivierte Korrekturen des freien Wettbewerbs durch die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft bleiben die Ausnahme und sind nicht die Regel. 2035 Das wird aus Art. 16 i.V. m. Art. 86 EGV besonders deutlich. Unternehmen, die Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse erbringen (gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge) sind von marktwirtschaftlichen Zwängen, insbesondere dem Primat dezentraler privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung nur insoweit entbunden, als das zur Erfüllung ihrer Aufgaben unbedingt erforderlich ist. 2036 Der EuGH hat zum Schutze der individuellen Freiheit der Unionsbürger generalisierend festgehalten, dass „nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfüllen müssen: Sie müssen in nichtdiskrimi2034 Zutreffend R. Streinz, Europarecht, 2001, Rn. 914; vgl. auch EuGH, Rs. C-85/96, Slg., I-1998, S. 2691 ff. (2716 ff.) – Sala. In dieser Entscheidung ging es zwar um die Gewährung einer sozialen Leistung staatlicherseits (Erziehungsgeld). Die dezentrale Sozialgestaltungskomponente kann jedoch in solchen Fällen eine mittelbare Wirkung entfalten. So erscheint es denkbar, dass die betroffenen Wirtschaftsunternehmen und Verbände Druck auf den nationalen Gesetzgeber mit dem Ziel ausüben eine vergleichbare Begünstigung einzuführen, um das Abwandern qualifizierter Arbeitskräfte zu verhindern. 2035 Das hier beschriebene Regel-Ausnahmeverhältnis gilt für sämtliche staatlichen Interventionsmöglichkeiten, die das Gemeinschaftsrecht bereithält, d. h. sowohl für die Möglichkeiten zur staatlichen Globalsteuerung des Wirtschaftslebens, zur Verfolgung bestimmter Gemeinschaftsziele (Umweltschutz, Verbraucherschutz) als auch im Agrarsektor, der dirgistische Eingriffsmöglichkeiten weithin gestattet (vgl. hierzu P.-C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip?, in: EuR 1997, S. 433 ff. (441 ff.); vgl. auch G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 320 f.). 2036 Vgl. Ch. Jung, in: C. Calliess/M. Ruffert, EU-Komm., 2002, Art. 16 EGV Rn. 4.
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nierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist“.2037 Ähnliche Anforderungen gelten bei Eingriffen in die EG-Grundrechte. Daneben wird die Freiheit der Unionsbürger auch durch Art. 5 Abs. 3 EGV garantiert, der die Gemeinschaftsorgane generell dazu verpflichtet, Belastungen Einzelner bei der Realisierung der Vertragsziele möglichst gering zu halten. 2038
II. Konsequenz: Wirtschaftsverfassung des GG als „Motor“ auf dem Weg zur europäischen Integration (Integrationshebel) Die Feststellung einer „weitgehenden Systemkonvergenz“ liefert den Schlüssel zur Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage nach der integrationsfördernden bzw. -hindernden Rolle der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes. 2039 Sie kann nur im erstgenannten Sinne beantwortet werden. Soweit zentrale Weichen der Wirtschaftspolitik weiterhin auf der Ebene der Mitgliedsstaaten gestellt werden (vgl. beispielsweise Art. 295 EGV; Art. 86 Abs. II i.V. m. Art. 16 EGV), erfüllt das System der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes das ihm von der Ebene des Gemeinschaftsrechts entgegengebrachte Vertrauen. Mehr noch: Das System der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes enthält im Zusammenspiel mit Art. 23 GG einen integrationspolitischen Verfassungsauftrag, der auf die Verwirklichung der ökonomischen und sozialen Zielsetzungen der Europäischen Union hinwirkt. 2040 Jedenfalls aus dieser Warte heraus präsentiert sich die Bundesrepublik Deutschland als kooperativer Verfassungsstaat.
§ 2 Prinzipielle Sinngesamtheiten als Anwendungsproblem I. Die noch offene Frage nach dem Prüfungsstandort Als Systemsubstrate wurden zunächst diverse (Unter-)Prinzipien, sowie schließlich – wertungsgemäß folgerichtig – ein zentrales Leitprinzip der grundgesetzlich 2037 EuGH, Rs. C-55/94, Slg. 1995, S. I–4165 ff. (I–4197 f., Rn. 37 m. w. N.) – Gebhard; vgl. auch H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (52). 2038 Vgl. U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 56. 2039 Vgl. zur Fragestellung „Die Wirtschaftsverfassung des GG als ‚Motor‘ oder als ‚Bremse‘ der europäischen Integration?“ bereits 1. Kapitel § 1. 2040 Vgl. P. Badura, in: FS für K. Stern, 1997, S. 409 ff. (410).
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5. Kap.: Auswirkungen des Systems
gewährleisteten Wirtschaftsverfassung („Vorrang privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung“) ermittelt; die allgemeinen prinzipientheoretischen Probleme wurden bereits vorab eingehend behandelt. Offen geblieben ist bislang, wo die freigelegten Systemzusammenhänge, d. h. die prinzipielle Geltung beanspruchenden wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinngesamtheiten und somit das genannte Leitprinzip, bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung einer staatlichen Maßnahme zu berücksichtigen sind. Diese Problematik soll nachfolgend vertieft werden. Sie rundet die erfolgte Untersuchung ab und bildet ihren Schlusspunkt.
II. Die Einzelgrundrechte als Prüfungsmaßstab und Standort für die Berücksichtigung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Systemzusammenhänge Wichtige Anhaltspunkte für die Klärung der aufgeworfenen Frage liefert das Bundesverfassungsgericht in der Mitbestimmungsentscheidung.2041 Es hat dort zwar den Rückgriff auf wirtschaftsverfassungsrechtliche Systemzusammenhänge nicht gänzlich ausgeschlossen; im Hinblick auf die Grundrechtsauslegung jedoch ganz grundlegende Bedenken geäußert. 2042 Nichts dürfe darüber hinwegtäuschen, dass die Einzelgrundrechte weiterhin den Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung liefern. 2043 Damit wird deutlich, wo die gewonnen Systemzusammenhänge zu berücksichtigen sind: Sie spielen eine Rolle im Rahmen der Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen Grundrechts, das weiterhin den Prüfungsmaßstab bildet! Das System wirkt also auf die Grundrechtsauslegung zurück. 2044 Den methodischen AnVgl. BVerfGE 50, 290 ff. Vgl. hierzu schon 3. Kapitel § 1 I und 4. Kapitel § 1 II. 3. Die vorliegende Untersuchung hat die geäußerten Vorbehalte aufgegriffen und sie bereits im Rahmen der Systemfreilegung, d. h. bei der Prinzipiengewinnung berücksichtigt. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die durchaus reale Gefahr einer Verselbstständigung bzw. einer den individualrechtlichen Gehalt überhöhenden Objektivierung der infrage stehenden Grundrechte als auch für das Problem einer möglichen Abkoppelung vom Ordnungs- und Schutzzusammenhang der Grundrechte. Die damit zusammenhängenden Bedenken konnten weitgehend entkräftet werden. 2043 Das BVerfG hält in der Mitbestimmungsentscheidung fest: „Maßstäbe der verfassungsrechtlichen Prüfung sind diejenigen Einzelgrundrechte, welche die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Einführung einer erweiterten Mitbestimmung markieren. Diese lassen sich nicht ohne Berücksichtigung der Überschneidungen, Ergänzungen und Zusammenhänge zwischen ihrem Schutzbereich und dem anderer Grundrechte und nicht ohne Rücksicht auf die das Grundgesetz tragenden Prinzipien auslegen.“ (BVerfGE 50, 290 ff. (336)); vgl. hierzu schon 2. Kapitel § 2 V und 4. Kapitel § 3 II. 1; vgl. auch R. Schmidt, in: HStR, Bd. III, 1996, § 83 Rn. 24. 2044 K. Stern (ders., in: Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1755 f.) stellt im Hinblick auf die Bedeutung eines (wissenschaftlichen) Grundrechtssystems fest: Diese „darf sich nicht in einer bloß klassifikatorischen oder theoretischen Ordnung des grundrechtlichen Normenkatalogs er2041 2042
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satzpunkt hierfür liefert die systematische Auslegung der einschlägigen Grundrechtsnorm. 2045 Denn dank des freigelegten „inneren“ Systems verfügt der Rechtsanwender über den Einblick in diejenigen Wertungszusammenhänge der Wirtschaftsverfassung, „die für die Lösung der anstehenden Steuerungs- und Entscheidungsprobleme einschlägig sind“. 2046 Eine derart auf Wertungen beruhende systematische Auslegung nimmt bereits in Teilen eine teleologische Auslegung vorweg, was freilich unschädlich ist. Auch die objektiv-teleologische Methode greift ihrerseits auf die der Rechtsordnung immanenten Rechtsprinzipien und damit auf Kriterien zurück, die gegebenenfalls Systemsubstrate darstellen. 2047 Beide Auslegungsmethoden „schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig“. 2048 Die Notwendigkeit einer Einbindung der Systemaussagen in die Grundrechtsprüfung führt zu Konsequenzen in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden auf diesem Wege die Grenzen der Gestaltungswirkung der prinzipienübergreifenden Systemzusammenhänge aufgezeigt. Denn eine „isolierte Kontrolle“, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme z. B. mit dem Leitprinzip „Vorrang privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ konform geht, scheidet nach alldem ausdrücklich aus.2049 Zum anderen trägt das System dazu bei, „den in der Praxis Verantwortlichen festeren Boden für die Grundrechtskonkretisierung zu verschaffen“. 2050 Dies wird mit Blick auf die Herstellung praktischer Konkordanz in konkreten verfassungsrechtlichen Konfliktfällen besonders deutlich. Bildlich gesprochen bündelt das jeweils einschlägige Grundrecht die im Kontext stehenden, allgemeineren prima-facie-Aussagen und trägt sie gleichsam in den Abwägungsvorgang hinein. Noch präziser müsste man formulieren: Die Berücksichtigung der gewonnenen Systemaussagen im Rahmen der Grundrechtsauslegung leistet einen Beitrag zur Vervollständigung der Abwägungsbasis und liefert damit eine wichtige Voraussetzung für eine sachgerechte Abwägung im Einzelfall. Denn erst unter Zuhilfnahme der Systemzusammenhänge erwächst das in Frage stehende (Wirtschafts-)Grundrecht als Prinzip zu voller Größe und kann einem widerstreitenden Belang von Verfassungsrang im Abwägungsprozess kraftvoll entgegentreten; sein Gewicht wird erst jetzt sichtbar.
schöpfen“. Das System „muß darüber hinaus selbst auf die Grundrechtsbestimmung zurückwirken und ihre Anwendung systemgerecht steuern“. 2045 Vgl. H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (53). 2046 B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 777. 2047 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 344. 2048 BVerfGE 11, 126 ff. (130). 2049 Vgl. H. Sodan, Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. (53). 2050 K. Stern, in: Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 1756.
Zusammenfassung/Ergebnisse I. 1. Die systematische Auslegung der Wirtschaftsverfassung dient der Rechtsgewinnung. Sie verfolgt den Zweck, der Verfassungsrechtspraxis Lösungsansätze für eine widerspruchsfreie Handhabung der einschlägigen Verfassungsnormen aufzuzeigen. Die Lösung von Konflikten zwischen Gütern von Verfassungsrang im Wege der einzelfallbezogenen Abwägung unterstützt das wirtschaftsverfassungsrechtliche System dadurch, dass es Fundamentalentscheidungen liefert und somit zur Vervollständigung der jeweils maßgeblichen Abwägungsbasis beiträgt. Durch die Berücksichtigung der Systementscheidungen wird einem Kernproblem des Abwägens, dem Unterlaufen von Fundamental- durch Einzelfallentscheidungen, konsequent und von Anfang an entgegengetreten. 2. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird ein zweibezüglicher Systembegriff verwendet, d. h. ein solcher, der nicht nur klarstellt, welche Teile dem Gliederungs- bzw. Ordnungsgesichtspunkt „Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes“ genügen, sondern der darüber hinaus auch eine Aussage über das Verhältnis der Systembestandteile untereinander trifft. Weiterhin wird der Systembegriff durch den verfolgten Systemzweck „Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und der inneren Einheit des Analysegebiets“ geprägt. 3. In Betracht kommt nur ein „inneres“ System, welches auf die Freilegung der immanenten Ordnung des zu analysierenden Gebiets abzielt und somit die Basis für eine konstruktive kritische Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes schafft. 4. (Rechts-)Prinzipien fungieren als Systembestandteile des „inneren“ Systems der Wirtschaftsverfassung. Als Ausprägungen der Rechtsidee bilden sie die „Tiefenstrukturen“ der Rechtsordnung und dienen als Interpretationshilfen bei der Auslegung des (geschriebenen) Rechts. Die Eignung von Prinzipien als Systembestandteile folgt aus deren Wertungszugänglichkeit und der Implikation eines übergesetzlichen Selektionskorrektivs. Rechtsprinzipien verbinden die systembezogenen Vorteile von Werten und Regeln und klammern gleichzeitig deren systemrelevante Nachteile aus. So weisen sie sowohl eine strukturelle Offenheit und Flexibilität, als auch eine normative Verbindlichkeit auf, ohne dabei Abstriche im Hinblick auf „begriffliche Unschärfe“ bzw. „Beliebigkeit“ einerseits oder „kompromisslose Enge“ andererseits zu machen.
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Prinzipien sind wie Regeln zwar auch Normen. Während aber Regeln einen subsumtionsfähigen Tatbestand und eine unmissverständliche Rechtsfolge bereithalten, sind Prinzipien der Subsumtion grundsätzlich nicht zugänglich. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sich Prinzipien im Gegensatz zu Regeln graduell erfüllen lassen. Bei Prinzipien handelt es sich um Optimierungsgebote, d.h. prima-facie-Gebote. Sie beanspruchen keine absolute Geltung, sondern gebieten, dass etwas in einem relativ möglichst hohen Maße, bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, realisiert wird. Im Rahmen der Systemfreilegung gilt es zu beachten, dass Wechselwirkungen zwischen Regeln und Prinzipien bestehen. Von (Rechts-)Werten unterscheiden sich Prinzipien dadurch, dass sie normative Verhaltensappelle zum Ausdruck bringen. Abgesehen hiervon sind Werte und Prinzipien im Wesentlichen strukturgleich. 5. Die Freilegung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems des Grundgesetzes erfolgt unter Rückgriff auf die axiologisch-teleologische Methode. Das „Werten“ und „Wertdenken“ erweist sich dabei als der notwendige Denk-, Verstehens- und Arbeitsvorgang. Die Vorgehensweise zur Systemfreilegung erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst bedarf es einer wertenden Verdichtung des Erkenntnismaterials, die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten betreffend (Konkretisierung). Anschließend hat hiervon ausgehend, ein wertend-induktiver Rückschluss auf die Ratio legis zu erfolgen. Dadurch werden die zu gewinnenden Rechtsprinzipien aus ihren Konkretisierungen herausgelöst. Sodann gilt es, prinzipienübergreifende Zusammenhänge mit dem Ziel zu ermitteln, die Zweibezüglichkeit im System herzustellen. Sind die Unterprinzipien des Systems und ihre Verknüpfungen miteinander auf diese Weise ermittelt worden, so kann anschließend auf die Leitprinzipien bzw. -aussagen im System, gleichermaßen wertend-induktiv geschlossen werden. Stets muss dabei auf die Wahrung eines „inneren Konsenses“ im System geachtet werden.
II. Im Rahmen der Interpretation der Wirtschaftsgrundrechte als Prinzipien und Systembestandteile gilt es, Folgendes zu beachten: 1. Die Menschenwürde ist ein Faktum. Demgegenüber stellt die Rechtsordnung ein von Menschen geschaffenes Erkenntnisobjekt dar. Letztgenannter wird die Aufgabe zuteil, das Faktum „Menschenwürde“ seinem Wesen nach zu integrieren. Insoweit unterscheidet sich Recht von Unrecht. Die Rechtsidee führt die Garantie der Menschenwürde als Postulat mit sich. Auf diese Weise findet sie als ranghöchstes Prinzip Eingang in das Recht, was Art. 1 Abs. 1 GG im Verfassungsgesetz zum Ausdruck bringt. Im Rahmen der Analyse des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems spielt die aus dem Integrationsgedanken herrührende Steuerungs- oder Konkretisierungs-
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funktion der Menschenwürdegarantie eine besondere Rolle. Sie tritt neben die Funktion, die auf Wahrung des Menschenwürdekerns jedes einzelnen Grundrechts gerichtet ist und fordert ein, dass sämtliche Systembestandteile, insbesondere die Wirtschaftsgrundrechte als Prinzipien in der Weise ausgelegt werden, dass eine größtmögliche Verwirklichung der Menschenwürdegarantie erfolgt. Anders ausgedrückt: Die Menschenwürdegarantie bezweckt nicht nur die Wahrung eines unantastbaren Kerngehaltes der Grundrechte (statische Funktion), sondern fordert darüber hinaus eine Grundrechtsauslegung, die ihrem Gehalt in allen Bereichen des Rechts möglichst weitgehend Rechnung trägt (dynamische Funktion). 2. Die Prinzipienebene liefert den Ausgangspunkt für sämtliche Grundrechtsdimensionen. Insbesondere die Abwehrkomponente der Grundrechte fußt hier. Dabei bildet die Verbürgung subjektiver Abwehrrechte zum Schutze der Freiheitsräume der Grundrechtsträger nicht die einzige Konsequenz der prinzipiellen Gewährleistung. Denn der Geltungsanspruch des Prinzips „Abwehr des Staates“ entfaltet seine Wirkung unabhängig von der individualrechtlichen Geltendmachung im Einzelfall; das Prinzip besitzt vielmehr stets objektiv-rechtliche Verpflichtungskraft. 3. Die Abwehrfunktion der Grundrechte liefert den interpretativen Rahmen für die Ausformung der Prinzipienebene im Grundrechtssektor, denn sie bildet die Grundfunktion der Grundrechte, an der sich die anderen „modernen“ Funktionen messen lassen müssen. Wertende Rückschlüsse zum Zwecke der Prinzipiengewinnung und Ausformung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems erfolgen daher primär durch eine Herauslösung der den Grundrechten als Abwehrrechten zugrunde liegenden Wertentscheidungen. Sofern im Verhältnis hierzu keine Widersprüche entstehen, können weitere Grundrechtsdimensionen als kritisch zu hinterfragende Ausgangspunkte für die Konturierung der ihnen (möglicherweise) zugrunde liegenden Prinzipien dienen. 4. Die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie auf der Prinzipienebene sowie die Dominanz des Prinzips „Abwehr“ sprechen für die so genannte „Außentheorie“. Ihr zufolge ist die grundrechtliche Freiheit des Einzelnen grundsätzlich unbegrenzt gewährleistet. Begrenzungen und Schranken der Freiheit bilden die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Die grundrechtlich verbürgte Freiheit ist somit prima facie gewährleistet. 5. Grundrechtlichen Schrankenvorbehalten wird im Rahmen der Systemfreilegung sowohl eine axiologische Bedeutung als auch eine Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsargumentation zuteil. Schrankenvorbehalte fungieren im System als ein Gewichtungsfaktor für den grundrechtlichen Freiheitssektor, dem sie zugeordnet sind. Neben anderen Gesichtspunkten können grundrechtliche Schrankenvorbehalte bzw. ihre Absenz verdeutlichen, wie hoch der Stellenwert eines grundrechtlichen Schutzgutes ist. Zudem können sie freigelegte Prinzipien erklären oder stützen. 6. Ähnliches gilt für den Gesichtspunkt „Grundrechtskonkurrenzen“ im Rahmen der Systemanalyse. Auch insofern trifft das abstrakte System axiologische Vorent-
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scheidungen, die im Rahmen einer sich anschließenden systemexternen Einzelfallkollisionslösung zu berücksichtigen sind. 7. Die Wesensgehaltsgarantie gilt es schließlich, im Rahmen der Systemfreilegung insofern zu berücksichtigen, als dadurch eine unantastbare Verfassungssubstanz geschützt wird, die den abwägungsresistenten Teil der Grundrechtsprinzipien markiert.
III. 1. Die Garantie der Berufsfreiheit dient der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie. Dies geschieht dadurch, dass sie den grundrechtlich geschützten Individuen die Möglichkeit vermittelt, an der Gestaltung der Lebenswirklichkeit durch Einbringung ihrer eigenen Schaffenskraft mitzuwirken. Dabei geht es sowohl um den Schutz der wirtschaftlichen aber auch der geistig-moralischen Existenzgrundlage der Grundrechtsträger. Denn die freie menschliche Persönlichkeit als Endzweck setzt in beruflicher Hinsicht die Kumulierung der Faktoren „ökonomische Sicherheit“, „Wohlstandsmehrung“, „autonome Bestimmung der Lebensinhalte“ und „Integration in die Gesellschaft durch Leistungserbringung“ voraus. 2. Was die wirtschaftliche und die geistig-moralische Existenzgrundlage im Einzelnen ausmacht, wird entscheidend durch wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Realitäten geprägt, sodass sich die Verfassungsinterpretation mit den aus der Lebenswirklichkeit resultierenden Problemen des Grundrechtsschutzes auseinander setzen muss. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die sozio-kulturellen als auch die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge hervorzuheben. Gegenwartsbezogene Anforderungen des Arbeitsmarktes, wie Spezialisierung, Professionalisierung oder Mobilität kennzeichnen die „Okkupation des Grundrechts durch die Gesellschaft“, was zu einer faktischen Lenkung des Freiheitsgebrauchs und zu der Notwendigkeit führt, die Berufsfreiheit in permanenten Austausch und in Kooperation mit anderen Grundrechtsträgern auszuüben. Aufgrund ihrer gesamtwirtschaftlichen Bedeutung erfüllt die Berufsfreiheit neben den individuellen Interessen der Grundrechtsträger auch eine Gemeinwohlfunktion. Sie bietet die Gewähr für die gesellschaftliche Bedarfsdeckung und Nachfrageerfüllung. Die Berufsfreiheit garantiert die Schaffung der ökonomischen Voraussetzungen, auf die der freiheitliche Staat angewiesen ist. Damit trägt sie der Abhängigkeit des Staates von gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen Rechnung. So entscheidet letztlich die Finanzkraft des Bürgers über die Fähigkeit des Steuerstaates zur Erzielung von Einnahmen. 3. Der Berufsbegriff ist als prinzipiell offener Begriff zu verstehen, der die Wahrung der Mannigfaltigkeit der Tätigkeitsformen bezweckt. Allerdings sind der individuellen Berufskreation Grenzen gesetzt. So lenken traditionell gewachsene Berufsbilder den Freiheitsgebrauch faktisch. Diese gesellschaftliche Determinationswirkung, auf die staatlicherseits nicht ohne weiteres Einfluss genommen werden kann, ist von der Fixierung von Berufsbildern durch den Gesetzgeber zu unterschei-
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den. Insofern handelt es sich stets um einen Eingriff in einen von der Berufsfreiheit als Prinzip gewährleisteten Freiheitssektor, der der Rechtfertigung im Rahmen der jeweiligen Schrankenanforderungen bedarf. 4. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und weiten Teilen der Literatur soll Art. 12 Abs. 1 GG ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit enthalten. Hiernach habe eine einheitliche Schrankenhandhabung zu erfolgen, was bedeuten soll, dass der in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genannte Regelungsvorbehalt auch auf die Berufswahlfreiheit zu erstrecken sei. Die nicht zu leugnende Unterschiedlichkeit der Freiheiten soll auf der Rechtfertigungsebene im Rahmen einer „gestuften“ Schranken-Schranke berücksichtigt werden. Jedoch lässt sich eine überzeugendere Interpretation des Berufsgrundrechts entwickeln, für die der Wortlaut spricht. Danach bringen die in Art. 12 Abs. 1 GG genannten Freiheitsfelder bzw. Grundrechtssegmente „Berufsausübungsfreiheit“, „Berufswahlfreiheit“, „Arbeitsplatzwahlfreiheit“ und „Ausbildungsstättenwahlfreiheit“ jeweils selbstständige prima-facie-Gewährleistungen zum Ausdruck, die isoliert voneinander Geltung beanspruchen (Differenzierungsthese). Die von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur vorgebrachten Einwände, gerichtet gegen diese Differenzierungsthese, greifen allesamt nicht. Angesichts verfassungsimmanenter Schranken erscheint die Vorstellung, die Berufswahlfreiheit sei vorbehaltslos gewährleistet, wenn sie nicht dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG unterfallen würde, überholt. Zudem erscheint eine Differenzierung nach Teilsektoren bzw. Grundrechtssegmenten mithilfe einer eingriffsbezogenen Schutzbereichsdefinition durchaus praktikabel. In Anlehnung an Lücke ist es möglich, zwischen „reinen“ Berufswahl- und Berufsausübungsregeln sowie „vermischten“ und „gespaltenen“ Berufsregeln zu unterscheiden. Zwar können Berufswahl- und Berufsausübungsregeln zeitlich zusammenfallen. Doch ist der zeitliche Faktor nicht der einzige, der für eine Differenzierung auf der Schutzbereichsebene herangezogen werden kann. So lässt sich eine Unterscheidung weiterhin unter Rückgriff auf den individuellen bzw. sozialen Handlungssinn und durch eine weitere begriffliche Ausformung erreichen. Ausgehend von einer groben begrifflichen Einordnung sind innerhalb der jeweiligen Teilgewährleistungen im Rahmen einer Typisierung verallgemeinerungsfähige Fallgruppen der grundrechtlichen Freiheitsbetätigung zu entwickeln. Das staatliche Handeln, das es zu überprüfen gilt, ist den innerhalb der Teilgewährleistungen ermittelten Fallgruppen zuzuordnen. Handelt es sich dabei beispielsweise um ein umfassendes Gesetzeswerk, so bedarf es gegebenfalls einer Aufschlüsselung der Regelungsbestandteile zu den einzelnen Fallgruppen. 5. Trotz der Tatsache, dass die Berufswahlfreiheit, die Arbeitsplatzwahlfreiheit und die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung im Grundrechtstatbestand eigenständige Teilsektoren bilden und sich somit als Unterprinzipien innerhalb des Prinzips „Berufsfreiheit“ begreifen lassen, stehen sie nicht nur inhaltlich (weitgehende qualitative Identität) und systematisch in denkbar engstem Zusammenhang, sondern darüber hinaus wertungsmäßig auf einer Stufe. Die genannten Teilfreiheiten brin-
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gen ein und dasselbe Prinzip zum Ausdruck: Autonomie des Einzelnen hinsichtlich der fundamentalen Weichenstellungen seines beruflichen Werdegangs! Daneben erfährt die Berufsausübungsfreiheit axiologisch betrachtet eine „relativ geringere Gewichtung“, die vor allem aus dem Wortlaut des Verfassungsgesetzes, ihrer faktischen „Angewiesenheit“ auf die Berufswahlfreiheit bzw. aus dem vergleichbar schwächeren Bezug zur Menschenwürdegarantie herrührt. 6. Aus der axiologisch-teleologisch begründeten Dichotomie zwischen der Berufswahlfreiheit einerseits und der Berufsausübungsfreiheit andererseits lässt sich eine unterschiedliche Handhabung von Schranken rechtfertigen. So gelten für die Berufswahlfreiheit ausschließlich verfassungsimmanente Schranken, wobei nur Grundrechte Dritter sowie objektive, den Grundrechten gleichwertige Verfassungsgüter zur Eingriffrechtfertigung dienen können. Gleiches gilt für die so genannten „vermischten“ Berufsregelungen. 7. Gegen das verfassungsgerichtliche Stufenmodell spricht vor allem der Rückgriff auf das Modell eines vom Gesetzgeber konstruierten Gemeinwohls. So hat das Bundesverfassungsgericht die Ausfüllung der Begriffe „vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls“, „wichtige Gemeinschaftsgüter“ und „überragend wichtige Gemeinschaftsgüter“ im Rahmen der Stufenprüfung dem Gesetzgeber überlassen. Daraus folgt eine „Eigendefinitionskompetenz“ des Gesetzgebers in Bezug auf diejenigen Gemeinwohlbelange oder Gemeinschaftsgüter, an denen letztlich sein Handeln gemessen werden soll (In-Sich-Legitimation). Im Gegensatz zur verfassungsgerichtlichen Handhabung trägt die hier praktizierte Vorgehensweise der unterschiedlichen axiologischen Bedeutung der Teilsektoren von Art. 12 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung. Sie stellt nämlich die Festlegung solcher Gründe, die die Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie auf der unmittelbaren Bezugsebene entwerten, nicht dem Gesetzgeber anheim. Was schließlich die Bedeutung der Berufsfreiheit als „negative Kompetenznorm“ betrifft, so macht es durchaus einen Unterschied, ob die Unterscheidung der Freiheitsfelder von Anfang an besteht und diese als Bestandteile eines umfassenden Systems einen differenzierten Verhaltensappell in alle Bereiche der Rechtsordnung senden, oder ob staatliches Tätigwerden sich zunächst mit dem abstrakten Sammelbegriff „Berufsfreiheit“ konfrontiert sieht und ex post anhand des Einzelfalles, d. h. lediglich punktuell überprüft wird, wobei dem Gesetzgeber aufgrund seiner Gemeinwohldefinitionskompetenz weitgehend eine Bestimmung der Gegengewichte der beruflichen Freiheiten obliegen soll. Im erstgenannten Fall kommen die Wertentscheidungen der Verfassung unverfälscht zum Ausdruck. Demgegenüber besteht im letztgenannten Fall zumindest die Gefahr, dass die Wertentscheidungen der Verfassung durch diejenigen des Gesetzgebers überlagert werden. 8. Als zentrales Freiheitsrecht für das Arbeits- und Wirtschaftsleben verfolgt das Grundrecht der Berufsfreiheit das Ziel eines möglichst unreglementierten berufli-
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chen Tätigseins zur Sicherstellung der freien Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen (Abwehrfunktion des Prinzips „Berufsfreiheit“). Gewährleistet wird in diesem Kontext beispielsweise die „Unternehmerfreiheit“, d. h. die Möglichkeit zur freien Gründung und Führung von Unternehmen. Diese Gewährleistung ist wiederum nur denkbar, wenn Art. 12 Abs. 1 GG zugleich auch die Öffnung der Märkte sowie deren Offenhaltung als Prinzip schützt. Eine weitere Ausprägung des Prinzips „Abwehr“ bei der Berufsfreiheit stellt der Schutz vor der Errichtung und Beibehaltung von staatlichen Monopolen dar. Derartiges staatliches Handeln stellt einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit dar, welches nur in Ausnahmefällen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Auch die öffentliche Konkurrenzwirtschaft ist zwar nicht generell, wohl aber prinzipiell untersagt, sofern dadurch die Marktbedingungen zum Nachteil der privaten Wirtschaftsteilnehmer eine fühlbare Veränderung erfahren. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn es messbar zu einer Reduzierung der Gewinnerwartungen und -chancen eines Grundrechtsträgers infolge der staatlichen Konkurrenzwirtschaft kommt. Aus ihrer Abwehrfunktion heraus, fordert die Berufsfreiheit schließlich eine möglichst berufsschonende Ausgestaltung und Anwendung von Abgabengesetzen ein. Werden Abgabepflichten an bestimmte berufliche Tätigkeiten geknüpft, so wird es sich dabei zwar in den meisten Fällen um Berufsausübungsregeln handeln. Sofern es um die Zuordnung zu den Teilfreiheiten der Berufsfreiheit geht, sind jedoch stets die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Freiheit der betroffenen Grundrechtsträger zu berücksichtigen. Die Kumulation von Abgabenbelastungen oder eine sensible wirtschaftliche Stellung der betroffenen Unternehmen erfordern im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gegebenenfalls die Einstufung der staatlichen Besteuerungsmaßnahme als „vermischte“ Berufsregelung, wenn für den Grundrechtsträger eine berufliche Abschreckungswirkung nicht auszuschließen ist, weil er sich mit einer drastischen Einschränkung der Rentabilität bzw. der Refinanzierungsmöglichkeiten konfrontiert sieht. 9. Sowohl die Forderung nach Schaffung einer ausreichenden Kapazität von Studienplätzen als auch die auf Ermöglichung eines angemessenen Zugangs zu den bereits vorhandenen Studienplätzen stellen Prima-Facie-Inhalte der Berufsfreiheit dar und sind Ausdruck ihres direktiven Gehalts. Die genannten Faktoren entscheiden maßgeblich darüber, ob sich der Berufsanwärter seinen Begabungen und persönlichen Fähigkeiten entsprechend entwickeln, d. h. „höhere“ Berufsweihen erlangen kann. Diesbezügliche Entscheidungen des Grundrechtsträgers betreffen den prinzipiell unantastbaren Kern der individuellen Selbstbestimmung in beruflicher Hinsicht und sind dem Teilsektor „Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung“ zuzuordnen, der im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie einen hohen Stellenwert genießt. Während den Grundrechtsträgern in diesem Kontext derivative Teilhaberechte einzuräumen sind, stehen der Gewährung originärer Teilhaberechte faktische Zwänge entgegen. 10. Auch die grundgesetzliche Verankerung eines Anspruchs auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz würde der freiheitlichen Grundtendenz des Art. 12 Abs. 1 GG auf der privaten Angebotsseite (Arbeitgeberseite) zuwi-
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derlaufen. Indes lässt sich als Unterprinzip der Berufsfreiheit ein allgemeines Gebot zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für betriebliche Ausbildungsplätze formulieren. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die verfassungsrechtlichen Postulate gerichtet auf Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und des Sozialstaates, die im Ergebnis auf Vollbeschäftigung abzielen. Aber auch insofern gilt: Enthält Art. 12 Abs. 1 GG den normativen Appell an den Staat, zum Zwecke der Freiheitsgewährleistung tätig zu werden, so zielt dieser – abgesehen von der Problematik staatlicher Ausbildungs- bzw. Studienplätze – ohnehin nur darauf ab, notwendige Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Tätigwerden privater Wirtschaftsteilnehmer ermöglichen bzw. fördern; so beispielsweise durch Förderung von Existenzgründern und mittelständischen Unternehmen, durch Entlastungen im Steuerrecht oder durch Senkung der Arbeitskosten. Denn letztendlich überträgt die Berufsfreiheit den privaten Wirtschaftssubjekten die Verantwortung für die Schaffung und Bereithaltung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. 11. Wird staatlicherseits Freiheitsschutz gegenüber gesellschaftlichen Kräften zum Schutze eines Wirtschaftsteilnehmers gewährt, so führt dies regelmäßig zu einem Eingriff in die (Wirtschafts-)Grundrechte der Gegenpartei, d. h. derjenigen Privaten, vor deren Handeln Schutz gewährt wird. Die Verpflichtung des Staates zur Sicherung der Grundrechte vor Beeinträchtigungen durch Private kann daher nur in Ausnahmefällen Relevanz entfalten, d. h. nur dann, wenn die eigenständigen Instrumentarien des Zivilrechts zur Sicherung der Privatautonomie versagen. Kriterien wie das Fehlen eines „annähernden Kräftegleichgewichts der Beteiligten“ bzw. der „Fremdbestimmung“ bedürfen einer restriktiven Interpretation. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Schutzpflicht liegen nur dann vor, wenn das Recht des Einzelnen, die fundamentalen Weichenstellungen für seinen beruflichen Werdegang selbst zu treffen, durch Private angetastet wird. Dies ist dann der Fall, wenn der Kern der individuellen Selbstbestimmung in beruflicher Hinsicht entwertet wird und das Zivilrecht keine ausreichenden Schutzmechanismen bereithält. Primär ist in solchen Fällen der Gesetzgeber gefordert. 12. Das Prinzip „Berufsfreiheit“ aktiviert den Staat wegen seines anerkannt personalen Gehalts noch in anderer Hinsicht. So ist im gesellschafts- oder unternehmensrechtlichen Binnenbereich die Schaffung eines gesetzlichen Mindestrahmens gefordert. Dabei geht es darum, gegenwärtige oder zukünftig entstehende Freiheitsdefizite mittels Zurverfügungstellung einer ausreichend breiten Palette sozietärer und korporativer Assoziationsformen, die die interne Autonomie der Willensbildung gewährleisten, auszugleichen bzw. zu verhindern. Ein Untätigbleiben staatlicherseits kann in diesem Zusammenhang den gleichen Effekt erzielen wie eine Marktzugangssperre.
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IV. 1. Ähnlich wie bei der Berufsgarantie besteht ein enger Zusammenhang zwischen der garantierten Menschenwürde, der Persönlichkeitsentfaltung, der Freiheit und dem Eigentum. Der Schutz der Selbstentfaltung als Kerngehalt der Menschenwürdegarantie erfährt durch das Eigentumsgrundrecht eine Konkretisierung in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird dem Grundrechtsträger die individuelle Vervollkommnung dadurch ermöglicht, dass die Schaffung einer materiellen Basis zu seinem eigenen Nutzen gewährleistet wird (Ich-Sein durch Ich-Bezug). Zum anderen wird ihm die Option eingeräumt, Respekt und sozialen Status durch die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in der Rolle des Eigentümers zu erzielen (Ich-Sein durch Gemeinschafts- bzw. Gesellschaftsbezug). Das Eigentum bildet eine spezifische Ausprägung der Freiheit im Bereich der Güterordnung. Sein verfassungsrechtlicher Schutz liefert zugleich die Voraussetzung für die potenzielle Wahrnehmung der Freiheit in Zukunft, denn das Eigentum gewährleistet die materielle Basis, aus der im Rahmen der Freiheitsentfaltung geschöpft werden kann. 2. Das Eigentum Privater als gelebte individuelle Freiheit und als Freiheitsquelle ist von Gemeinschaftsinteresse, denn es schafft die Voraussetzung dafür, dass der Einzelne unter Wahrnehmung seiner Eigenverantwortung und zum Zwecke seines privaten Nutzens an der Gestaltung der Rechts- und Gesellschaftsordnung mitwirken kann und auch die Bereitschaft hierfür entwickelt. Die aus dem Eigentum erwachsende Bürgerautonomie und Bürgerverantwortung und in weiterer Folge die Möglichkeit der Individuen zur praktischen Sozialgestaltung begründen ein Pflichtengefüge, also eine In-die-Pflichtnahme auf das Eigentum hin. Mit steigendem quantitativen Umfang und zunehmend komplexer werdenden sozialen Abhängigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentumsgebrauch steigen die Anforderungen an die Eigentumshandhabung durch den Eigentümer. Einerseits vergrößern sich damit regelmäßig die Chancen, das Eigentum ertragbringend zu nutzen. Andererseits wächst jedoch auch die faktische Notwendigkeit zur Rücksichtnahme. Ihr muss der Eigentümer entsprechen, will er seinen sozialen Status nicht verspielen. Dieses Spannungsfeld zwischen unmittelbaren Eigennutzen und einer Pflichtigkeit, die in keinem direkten Zusammenhang mit der aus Art. 14 Abs. 2 GG herrührenden Verpflichtung steht, bildet das Schlüsselglied zwischen individueller und kollektiver Freiheit. Letztlich bildet die Möglichkeit, das Eigentum im gesellschaftlichen Kontext über den eigenen Nutzen hinaus glaubwürdig und daher allseits geachtet zu positionieren, die höchste, die erstrebenswerteste Form der Freiheitsverwirklichung im vermögensrechtlichen Bereich. Wie für die Berufsfreiheit, so gilt auch für die Eigentumsgarantie, dass sie erst im gesellschaftlichen Kontext ihre Vollendung gewinnt. 3. Das Grundgesetz greift auf einen originären, verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff zurück, der den grundrechtlichen Schutzbereich und damit das Prinzip
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„Eigentum“ zumindest in Grundzügen ausgestaltet. Dieser liefert zum einen die Wertungsbasis für ohne Vermittlung des Gesetzgebers bestehende unmittelbar von der Verfassung kreierte Eigentumspositionen, deren weitere rechtliche Konkretisierung dem Gesetzgeber obliegt. Hierunter fallen so genannte „natürlich abgegrenzte Güter“. Gleichermaßen beinhaltet der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff Elemente, die als Maßstab für die Schaffung derivativer Eigentumspositionen durch den Gesetzgeber dienen. Sie bilden sozusagen eine Wertungsbasis für die weitere Fortentwicklung und praktische Tauglichmachung des Eigentums. In Anlehnung an Leisner beinhaltet der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff zunächst drei wertgeladene Kernelemente, die allesamt als Unterprinzipien des Prinzips „Eigentum“ fungieren: Leistung, Sicherung und Vertrauen. Diese Elemente verfolgen allesamt den Zweck, Eigentum zu begründen. Sie müssen nicht kumulativ vorliegen. Auch können sich die Elemente nicht wechselseitig verdrängen. Das Leistungskriterium gewährt Schutz sowohl im Hinblick auf das durch eigene Leistung, als auch durch eigenen Kapitalaufwand Erworbene. Sicherung meint Existenzsicherung. Sowohl das Leistungselement als auch das Existenzsicherungselement findet seine legitimatorischen Ursprünge im Schutz der Menschenwürde. Dies gilt zwar auch für das Vertrauenselement. Letztgenanntes findet seine Ursprünge darüber hinaus in der Rechtsidee mit ihren Postulaten „Rechtssicherheit“ und „Gerechtigkeit“, wobei Vertrauensschutz voraussetzt, dass Positionen bestehen, die objektiv die Eignung aufweisen, Vertrauen in ihren Bestand zu erwecken. Daneben beinhaltet der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff das Element der „Privatnützigkeit“ mit dem Ziel, dass hieraus Gemeinnützigkeit erwächst. 4. Die Befugnis zur Inhaltsbestimmung des Eigentums ist von der Schrankenziehungskompetenz zu unterscheiden. Inhaltsbestimmung des Eigentums meint Fortschreibung der Gewährleistungsgarantie, da der Grundrechtsträger auf die rechtliche Ausgestaltung des Eigentums durch den Gesetzgeber weithin angewiesen ist. Dabei ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Optimierung der Eigentumsgarantie in Anlehnung an die Direktiven des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs zu betreiben. Demgegenüber eröffnet die Schrankenziehungskompetenz dem Gesetzgeber die Möglichkeit, Belange zu verwirklichen, die der Eigentumsfreiheit des Einzelnen entgegenstehen. 5. Verfassungsrechtlichen Schutz genießt neben dem Bestand auch die Nutzungsund Verfügungsmöglichkeit (betriebliche) Eigentumsgegenstände betreffend. Dafür, dass nicht der Schutz des „Ausnutzensdürfens“ von Eigentumspositionen generell, sondern nur im jeweiligen Falle die Reichweite eines solchen Schutzes in Frage steht, spricht bereits der Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG. Dieser verweist mit Blick auf die Sozialbindung ausdrücklich auch auf den „Gebrauch“ des Eigentums und unterstellt damit diese Gewährleistungsdimension der Eigentumsgarantie als implizit. Was die Reichweite des „Gebrauchsschutzes“ betrifft, so fallen grundsätzlich solche Nutzungsmöglichkeiten unter den verfassungsrechtlichen Eigentums25 Meyer
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schutz, die dem Eigentumsgegenstand von seinem Wesen her betrachtet inhärent sind. Inwieweit Nutzungen eines Eigentumsgegenstandes prima-facie-Positionen bilden, kann somit nur aus dem Eigentumsgegenstand selbst, d. h. aus der ihm typischerweise innewohnenden Gebrauchsbedeutung heraus ermittelt werden, wobei im Rahmen einer allzu restriktiven Interpretation die Gefahr besteht, die Privatnützigkeit als Unterprinzip zu unterlaufen. 6. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb genießt den Schutz der Eigentumsgarantie sowohl in seinem eigentlichen Bestand als auch in seinen Erscheinungsformen. Die verfassungsautonome Ableitung kann jedoch nur dann gelingen, wenn die Betrachtung maßgeblich auf das Unternehmen als lebenden Organismus abstellt. Denn im Rahmen der tatsächlichen Zusammenfassung der zu seinem Vermögen gehörenden Sachen und Rechte ist zu berücksichtigen, dass diese Bestandteile bereits an sich Eigentumsschutz genießen. Für den Schutz des darüber hinaus gehenden Vermögenswertes des Unternehmens kann angeführt werden, dass ein solcher wesentlich auf der Leistung des Unternehmers beruht. Die Marktstellung des Unternehmens, bestehende Geschäftsbeziehungen und Erwerbschancen drücken den Leistungserfolg des Unternehmers aus. Der Markt zollt seine Anerkennung, indem er dem Unternehmen einen adäquaten Vermögenswert zuordnet. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Unternehmer in einer freiheitlich ausgestalteten Wirtschaftsordnung auf die geschaffene Einheit seines Betriebes als Ausdruck seiner Leistung vertraut. Schließlich dient der Betrieb der Sicherung seiner Existenz. Auch Anteilseigentum ist vollwertiges Eigentum, denn es fußt auf dem Prinzip „Schutz der eigenen Leistung bzw. des eigenen Kapitaleinsatzes“. Indes bedarf es notwendigerweise einer gesellschaftsrechtlichen Vermittlung. Die Wahrnehmung der prima-facie-Eigentümerfreiheit hat letztlich im Konzert mit den anderen Anteilseigentümern zu erfolgen. Besteht im Einzelfall auch Anlass für eine verschärfte Sozialbindung, so muss doch dem einzelnen Anteilseigentümer mit Blick auf die „Privatnützigkeit“ und die sie stützende Wesensgehaltsgarantie ein Mindestrahmen an Letztentscheidungsrechten erhalten bleiben. Schließlich ist das Eigentum des Unternehmensträgers verfassungsrechtlich geschützt, worunter auch die Integrität unternehmensinterner Rechtsbeziehungen fällt. Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Eigentumsgarantie vor solchen Verfahrens-, Organisations- und Mitbestimmungsregeln schützt, die möglicherweise zur partiellen oder gänzlichen Funktionsunfähigkeit des Unternehmens führen. Hierunter fallen auch Regelungen, die derart kompliziert sind, dass die innerbetriebliche Entscheidungsfindung nicht mehr mit einem sachlichen und zeitlich vertretbaren Aufwand herbeigeführt werden kann. 7. In vielen Fällen geht mit der Auferlegung von Geldleistungspflichten zugleich ein Grundrechtseingriff in eine spezifische vermögenswerte Rechtsposition einher, wenn eine Geldleistungspflicht an den Bestand oder die Nutzungs- bzw. Verfügungsmöglichkeit einer bestimmten, als Eigentum geschützten Position anknüpft.
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Ein Beispiel hierfür liefert die Grundsteuer. Ein so erzeugter mittelbarer Vermögensschutz kann aber nicht gänzlich alle Lücken schließen, die der Verzicht auf die Statuierung eines grundrechtlichen Schutzguts „Vermögen“ reißt. In Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht und an P. Kirchhof ist der Eigentumsgarantie das Prinzip der „eigentumsschonenden Besteuerung“ zu entnehmen, welches seine Legitimation aus den Unterprinzipien „Schutz eigener Leistung bzw. eigenen Kapitaleinsatzes“, „Schutz der Privatnützigkeit“, „Existenzsicherung“ und „Vertrauensschutz“ bezieht. Dieses fordert Bestandsschutz für den Vermögensstamm. Zudem beinhaltet es Grenzen für den Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens. In diesem Zusammenhang gilt der so genannte Halbteilungsgrundsatz, wonach die steuerliche Gesamtbelastung in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleiben muss. 8. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG kann als Prinzip eine Gemeinwohlverpflichtung entnommen werden, die ausschließlich den Eigentümer trifft und bindet. Diese beschränkt sich auf die Gebrauchs- bzw. Nutzungsdimension. Aus ihr folgt mehr als nur eine moralische Verpflichtung des Eigentümers. Andererseits begründet das Prinzip keine unmittelbar durchsetzbare Verpflichtung. Vielmehr stellt es dem Grundrechtsträger die Verwirklichung des Gemeinwohls in einem weiten Rahmen selbst verantwortlich anheim, d. h. überträgt primär ihm, die im Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen Eigen- und Gemeinwohl. Auch über Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit der verfassungsrechtlich begründeten Gemeinwohlverpflichtung des Staates kann die grundlegende Wertentscheidung für ein Primat der privaten Gemeinwohl- bzw. Sozialgestaltung nicht ausgehebelt werden, denn dieses ist Ausdruck des grundgesetzlichen Menschenbildes, das die Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit des Individuums unter Wahrung seines Eigenwertes hervorhebt. Insofern lässt sich mit Blick auf das erläuterte Prinzip in der Tat von einem a priori pflichtgebundenen Eigentum unter dem Grundgesetz sprechen, wobei kein Konflikt mit dem klassisch-liberalen Grundrechtsverständnis entsteht. 9. Die Art. 14 Abs. 3 GG zugrunde liegende Wertentscheidung verdeutlicht mit Blick auf das Prinzip „Eigentum“, dass in den besonders eingriffsintensiven Fällen der Enteignung anstelle des Bestandschutzes ein Wertschutz treten muss. Die Eigentumsgarantie schützt somit nicht nur das bloße Innehaben von Eigentumspositionen, sondern auch den marktgemäßen Wert von Eigentum prima facie. Aus der genannten Wertentscheidung folgt ein Begründungsansatz für den verfassungsrechtlichen Schutz der Märkte, denn die Entschädigungspflicht nach Art. 14 Abs. 3 GG würde leer laufen, wenn dem Staat die Möglichkeit offen stünde, das Eigentum bereits mittels Beseitigung des Marktes oder Beeinträchtigung des Marktgeschehens zu entwerten. 10. Art. 15 GG dient im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System der argumentativen Verstärkung von Eigentum als Prinzip. Denn soweit der Gesetzgeber eine Vergesellschaftung nur ausdrücklich und ausschließlich mittels der in Art. 15 GG 25*
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statuierten Formen und Grenzen im Gesetzeswege vornehmen darf, schützt die Norm das private Wirtschaften. 11. Was den Prinzipiengehalt betrifft, so ist primär die Freiheit des Eigentums Privater vor staatlichem Zugriff geschützt. Freilich beinhaltet diese Formulierung nur eine Vergröberung des dem subjektiven Abwehrrecht und der Institutsgarantie vorgelagerten prinzipiellen deontischen Appells. Mit den Worten Papiers wird letztlich ein an den Staat gerichtetes prinzipielles Vermögensentziehungs- und -umverteilungsgebot sowie ein Bereicherungsverbot für die öffentliche Hand zum Nachteil Privater formuliert. Wegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Art. 14 Abs. 3 GG korrespondiert mit der prinzipiellen Wertgarantie des Eigentums ein prinzipielles Verbot der Eigentumswertbestimmung staatlicherseits. Weiterhin richtet sich das Prinzip „Abwehr“ gegen staatliches Verhalten, welches inflationsverursachend oder inflationsintensivierend wirkt. Wird, dem Bundesverfassungsgericht folgend, richtigerweise angenommen, dass das Eigentumsgrundrecht nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater schützt, so wirkt es schließlich auch einer Konzentration von Eigentum in den Händen des Staates entgegen, was eine Übereinstimmung mit den prinzipiellen Forderungen der Berufsfreiheit schafft. 12. Die direktiven Gehalte des Prinzips „Eigentum“ fordern die Schaffung und Bereithaltung von Kernbereichen der Privatrechtsordnung. Denn unterliegt auch die Verfügungsbefugnis als Bestandteil des Gebrauchsschutzes der verfassungsrechtlichen Garantie, so bedarf es zuvörderst der gesetzlichen Statuierung von Verfügungsmacht, um die Verkehrsfähigkeit von Eigentumspositionen herzustellen. Auch gesetzliche Regelungen, die der Bedrohung des Eigentums Privater durch Eigentumskonzentrationen entgegentreten, sind gefordert. Entsprechend hält das Grundgesetz in Art. 74 Nr. 16 GG einen Kompetenztitel bereit, der dem Bund das Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung für den Bereich der Verhütung des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Machtstellung einräumt. Nur ausnahmsweise kann sich jedoch eine bestehende objektiv-rechtliche Schutzpflicht inhaltlich zu der Verpflichtung verdichten, Eigentümern gesetzliche Abwehransprüche zur Verfügung zu stellen, die gegen Einwirkungen durch Private gerichtet sind.
V. 1. Die freie wirtschaftliche Assoziation und die gesellschaftsrechtliche Privatautonomie sind Ausdruck der Konkretisierungswirkung der Menschenwürdegarantie und damit einhergehend, persönlicher gemeinschaftsbezogener Freiheit. Entsprechend dem Postulat „Fremdnützigkeit durch Eigennützigkeit“ schützt Art. 9 GG die Persönlichkeitsentfaltung und die Persönlichkeitsentwicklung in Gruppenform und bringt damit das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung zum Ausdruck. 2. Art. 9 Abs. 1 GG fungiert als „Doppelgrundrecht“, indem es nicht nur die einzelnen privaten Wirtschaftssubjekte, sondern auch die wirtschaftlichen Assoziationen selbst schützt. Letztgenannte genießen Schutz sowohl in ihrem Entstehen als
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auch in ihrem Bestehen, wobei die Rechtsfähigkeit keine Rolle spielt. Auch der Zweck der Vereinigung ist unbeachtlich, sodass Erwerbsgesellschaften gleichermaßen prinzipiell geschützt sind, wie die wirtschaftlichen Dachverbände sowie Unternehmenszusammenschlüsse und genehmigte wirtschaftliche Kartelle. Das Prinzip „Vereinigungsfreiheit“ gewährleistet zum einen die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, bestehenden Vereinigungen beizutreten, in diesen zu verbleiben und sich innerhalb der Assoziation vereinsmäßig zu betätigen (positive Vereinigungsfreiheit). Weiterhin wird die Freiheit gewährleistet, keinen Zusammenschluss zu betreiben, einem bestehenden Zusammenschluss fernzubleiben oder aus ihm auszutreten bzw. ihn aufzulösen (negative Vereinigungsfreiheit). Indes bietet Art. 9 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen den Zwangszusammenschluss in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen. Der Schutz des Bestehens von Vereinigungen macht nur dann Sinn, wenn er in einem gewissen Maße mit einem Betätigungsschutz einhergeht. Prinzipiell geschützt sind daher auch die Freiheiten zur Selbstbestimmung über die eigene Organisation, zur Ausgestaltung von Verfahren und Inhalt der Willensbildung und zur Geschäftsführung. Mit Blick auf die Abwehrkomponente fordert die prima-facie-Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit als Prinzip eine Optimierung gesetzlicher Regelungen dahingehend, dass so weit wie möglich, d. h. bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten hin, Beeinträchtigungen der (internen) Willensbildungsautonomie vermieden bzw. die Effektivität der Strukturen der Entscheidungsfindung des Unternehmens gewahrt werden. Als externe Vereinstätigkeit unterliegt nur das „vereinszweckrealisierende Außenwirken“ dem Schutz der Vereinigungsfreiheit. Neben der Abwehrfunktion entfaltet das Prinzip „Vereinigungsfreiheit“ auch eine normative Direktivkraft. Besondere Bedeutung entfaltet in diesem Zusammenhang die organisationsrechtliche Dimension der Vereinigungsfreiheit, die die Schaffung und Bereithaltung von gesetzlichen Regelungen vorsieht, welche die freien Zusammenschlüsse und ihr Wirken in die allgemeine Rechtsordnung integrieren, Sicherheit für den Rechtsverkehr bieten, die Rechte der Mitglieder gewährleisten und den schutzbedürftigen Belangen Dritter sowie öffentlichen Interessen in hinreichendem Maße Rechnung tragen. 3. Die Koalitionsfreiheit bringt einerseits Vertrauen gegenüber den privatautonomen Ordnungskräften der Gesellschaft, d. h. in ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum freiheitlich geführten Interessenswettstreit und zur Konsenserzielung, zum Ausdruck, andererseits weist sie im Vergleich zur Berufs- und Eigentumsfreiheit stärkere soziale Schutztendenzen auf. Was die gemeinwohlorientierte Sozialgestaltung betrifft, so setzten die beiden letztgenannten Grundrechte auf die Schöpfungskraft des größtmöglichen gesellschaftlichen Partikularismus, d. h. sie überantworten die Sozialgestaltung in erster Linie der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, d. h. dem Individuum. Demgegenüber setzt die Koalitionsfreiheit von vornherein auf „Gruppenverantwortung“, wobei den sich frei konstituierenden Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden ein von staatlicher Rechtssetzung frei zu bleibender
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Raum gewährleistet werden soll, damit diese letztlich das Arbeitsleben selbstständig und sinnvoll zu ordnen vermögen. Die „Überbetrieblichkeit“ der Vereinigung bildet kein konstituierendes Element von Koalitionen. Weder der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG, noch die systematische Stellung der Norm oder irgendein anderer verfassungsrechtlicher Aspekt liefert Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme. Auch die Forderung nach sozialer Mächtigkeit sollte nicht überstrapaziert werden. Ausreichend erscheint es, wenn ein gewisses Maß an Durchsetzungsfähigkeit besteht, sodass die Arbeitnehmer-Koalition als Verhandlungspartner ernst genommen wird. Keinesfalls verfolgt die Koalitionsfreiheit den Zweck, Gewerkschaftsverbände gegen neuartige Konkurrenz schützen zu wollen. Vielmehr geht es darum, den Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu optimieren. Ein Arbeitnehmerzusammenschluss auf rein betrieblicher Ebene erfüllt die Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs, sofern er über ein Mindestmaß an Chancen verfügt, die Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen. Der Koalitionszweck („Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“) nimmt eine Schlüsselstellung ein, wenn es darum geht, die Koalitionsfreiheit als Prinzip und prima-facie-Recht zu explizieren. Nur mit seiner Hilfe ist es möglich, eine Konturierung des prinzipiell gewährleisteten Freiheitsfeldes vorzunehmen, denn er kennzeichnet die Reichweite der Koalitionsfreiheit, indem er einerseits den Garantiebereich des Art. 9 Abs. 3 GG positiv umschreibt, zugleich jedoch auch die Grenze der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gestaltungsmöglichkeiten der Koalitionen aufzeigt und deren Handeln somit in eine bestimmte Richtung lenkt. Wie bereits der Wortlaut erkennen lässt, begründet der Koalitionszweck eine kumulative Verpflichtung: Mit der Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen muss gleichzeitig die Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen einhergehen. Inhaltliche Klarheit über den Koalitionszweck verschafft letztlich eine Betrachtungsweise, die den Koalitionszweck mit Blick auf seine Begrenzungswirkung material mittels Verortung im axiologisch-teleologischen System der Wirtschaftsverfassung zu bestimmen versucht. Entsprechend sind seine Teilbegriffe zu interpretieren. Enge systematische Verbindungen ergeben sich zwischen dem Begriff „Arbeitsbedingungen“ und dem Prinzip „Berufsfreiheit“, welche u. a. die Verwirklichung eines möglichst hohen Beschäftigungsniveaus fordert. Im Rahmen der Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsbedingungen“ spielt der in Art. 12 und 14 GG gewährleistete Unternehmer- bzw. Unternehmensschutz eine wesentliche Rolle. Soll der Koalitionszweck gewahrt werden, so besteht für die Koalitionen die Verpflichtung, unternehmerischer Freiheit Rechnung zu tragen, was letztlich nur durch strikte Mäßigung im Rahmen von Lohnabschlüssen möglich erscheint. Was ihren Prinzipiengehalt betrifft, so verlangt die Koalitionsfreiheit primär die Vorhaltung eines möglichst staatsfreien Autonomie- und Geltungsbereichs der Ko-
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alitionen. Dabei handelt es sich um ein Prinzip, das sich wegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nicht nur an den Staat wendet. Direktiv fordert die Koalitionsfreiheit als Prinzip die Schaffung und Vorhaltung eines Kernbereichs von Rechtsinstituten und Normenkomplexen. Im Einzelnen ist die Bereitstellung eines Koalitionsinstrumentariums gefordert, welches, gemessen an den wirtschaftlichen Bedingungen, die Basis für eine möglichst eigenverantwortliche und effektive Realisierung des Koalitionszwecks schafft.
VI. Im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System fungiert das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit sowohl als „Muttergrundrecht“ als auch als „Auffanggrundrecht“. Es bringt die gemeinsamen axiologischen Ursprünge mit den besonderen Freiheitsrechten zum Ausdruck, die im Menschenwürdebezug wurzeln. Jedoch kommt es dort nicht zum Einsatz, wo der Verfassungsgeber speziellere und deswegen vorrangige Freiheitsgewährleistungen statuiert hat, die einzelne freiheitliche Verhaltensweisen gesondert erfassen. Letztlich erfasst der eigenständige Anwendungsbereich des Grundrechtsschutzes der allgemeinen Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Sektor sämtliche Verhaltensweisen, die auf Erwerbsmotiven beruhen bzw. objektiv in Erwerbszusammenhängen erfolgen und die nicht bereits von der Berufs-, Eigentums-, Vereinigungs- oder Koalitionsfreiheit geschützt sind.
VII. 1. Die Berufs- und die Eigentumsfreiheit rühren aus denselben Legitimationsgesichtspunkten her. Beide Grundrechte sind Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie und des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Entsprechend der Formel „Gemeinnützigkeit durch Eigen- bzw. Privatnützigkeit“ möchten beide zur Förderung des Gemeinwohls beitragen, indem sie den grundrechtsgeschützten Individuen einen autonomen Handlungsspielraum zur Persönlichkeitsverwirklichung einräumen. Zwischen beiden Grundrechten bestehen zahlreiche Schutzverflechtungen, sodass eine randscharfe Trennung der Schutzbereiche nicht möglich erscheint. Denn Erwerbsschutz und Schutz des Erworbenen weisen aus rechtlicher Sicht regelmäßig keinen qualitativen Unterschied auf. Sie bringen allenfalls unterschiedliche zeitliche Abschnitte im Rahmen der Freiheitsbetätigung zum Ausdruck, wobei sie sich jedoch funktional aufeinander beziehen. In Anlehnung an Scholz konstituieren die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie durch ihr Zusammenwirken die Verfassungsgewährleistung der Wirtschaftsfreiheit, die als Einheit und Komplex sämtliche wirtschaftlich relevanten Verhaltens- und Bestandsweisen, und damit vor allem den Schutz des freien Wettbewerbs erfasst. 2. Der Verbund von Art. 12 und 14 GG ermöglicht nicht nur die Abstraktion wertungsrichtiger, prinzipielle Geltung beanspruchender, wirtschaftsverfassungsrecht-
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licher Sinngesamtheiten. Er führt auch zu Synergieeffekten. So beispielsweise in den Fällen der „berufswahlbeschränkenden Enteignung“. Die Konkurrenz der Schrankenvorbehalte ist hier dahingehend aufzulösen, dass derartige Eingriffe nur zum Schutze von Grundrechten Dritter sowie zum Schutze objektiver den Grundrechten gleichwertiger Verfassungsgüter gestattet sind. Zudem sind die in Art. 14 Abs. 3 GG postulierten Anforderungen zu stellen. Angesichts der gemeinsamen Ursprünge und der Verknüpfung miteinander sind nicht nur Eigentumseingriffe, sondern grundsätzlich auch Eingriffe in die Berufsfreiheit von der Aufopferungsentschädigung erfasst. Die Betroffenheit bzw. Verletzung beider Grundrechte in der Verbundkonstellation hat Einfluss auf die Entschädigungshöhe. 3. Der Verbund von Art. 12 und 14 GG zum Schutz des freien privaten Wirtschaftens wird flankiert durch Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG. Die Brücke zu den beiden erstgenannten Wirtschaftsgrundrechten wird durch das Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung geschlagen. Mit der Parallelität der Geltung geht eine wechselseitige inhaltliche Ergänzung einher. So verstärkt Art. 9 Abs. 1 GG die korporative Seite grundrechtlicher Freiheit. Umgekehrt liefert Art. 12 GG legitime Vereinigungszwecke. Deutlich geworden ist bereits, dass Wechselwirkungen zwischen der Koalitionsfreiheit einerseits und der Berufs- und Eigentumsgarantie andererseits bereits bei der Bestimmung des Koalitionszwecks bestehen. Zu dem beschriebenen Verbund tritt schließlich noch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG hinzu, indem die Norm kommunikationsgrundrechtlichen Komplementärschutz gewährleistet.
VIII. Ein wesentliches Strukturmerkmal des allgemeinen Gleichheitssatzes bildet, per se betrachtet, seine inhaltliche Unbestimmtheit. Folgerichtig ist er primär mithilfe anderer verfassungsrechtlicher Wertungen, d. h. systematisch-axiologisch zu interpretieren. Dabei gilt es zu beachten, das Freiheit und (rechtliche) Gleichheit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich wechselseitig ergänzen. Die Gewährleistung von Freiheit ist letztlich nur möglich, wenn mithilfe der Gleichheit die Freiheitssphären der Individuen voneinander abgegrenzt werden. Die Grenzen gesetzgeberischen Handelns sind umso enger zu ziehen, je stärker sich eine praktizierte oder beabsichtigte Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten negativ auswirkt bzw. auswirken könnte. Die Freiheitsrechte liefern der verfassungsrechtlichen Gleichheitsprüfung regelmäßig verfassungsunmittelbare Differenzierungskriterien. Daneben müssen freilich auch die verfolgten Differenzierungsziele im Einklang mit den freiheitlichen Vorgaben der Verfassung stehen. Indes verstärkt nicht nur der grundrechtliche Freiheitsschutz die Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsschutz. Viel-
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mehr gilt auch der umgekehrte Fall. So bewirkt der verfassungsrechtliche Gleichheitsschutz, dass der Staat inhaltlich unangemessene Einwirkungen auf die von Wirtschaftssubjekten im Rahmen des Kräftemessens untereinander erzeugten Freiheitsrelationen unterlässt. Die Verbindungslinien zwischen Freiheits- und Gleichheitsschutz lassen sich exemplarisch anhand des Zusammenspiels der Prinzipien der Steuergerechtigkeit, der Lastengleichheit und der freiheitsschonenden Besteuerung verdeutlichen, wodurch im Ergebnis ein umfassender prinzipiell gewährleisteter Besteuerungsschutz erzeugt wird. Ein Beispiel hierfür liefert die steuerliche Unantastbarkeit des eigenen Existenzminimums. Aus dem Zusammenspiel von Freiheit und (rechtlicher Gleichheit) folgt schließlich das Prinzip der Chancengleichheit. Gewährleistet wird dadurch rechtliche Startgleichheit zwischen den Konkurrenten im wirtschaftlichen Wettbewerb, wobei eine tatsächliche Differenzierung im Ergebnis in Kauf zu nehmen ist. In seiner staatsabwehrenden Komponente formuliert das Prinzip zum einen das prima-facie-Verbot einer staatlichen Konkurrentenbegünstigung im wirtschaftlichen Wettstreit. Weiterhin richtet sich das Prinzip dagegen, dass der Staat selbst zu günstigeren Bedingungen tätig wird als die privaten Wettbewerber und dadurch den Wettbewerb verzerrt. Die staatsaktivierende Dimension auf Herstellung von Chancengleichheit zwischen privaten Wettbewerbern unterliegt engen Grenzen. Grundsätzlich kann sie nur meinen, gleiche rechtliche Ausgangsbedingungen für alle Wettbewerber zu schaffen.
IX. 1. Das heutige Verständnis vom Rechtsstaat findet seine axiologischen Ursprünge in der Rechtsidee mit ihren besonderen Ausprägungen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Hier liegen nicht nur die gemeinsamen Wurzeln für sämtliche, das Rechtsstaatsprinzip konstituierende Unterprinzipien und Regelbestandteile, sondern zugleich auch die sie verklammernde Zielsetzung begründet. Die materiellen Prinzipien des Rechtsstaates werden durch die Menschenwürdegarantie und den Grundrechtskatalog gebildet. Ihre prinzipiellen Gehalte formulieren in Anlehnung an Schmidt-Aßmann einen abgestuften Doppelauftrag an den Rechtsstaat: Gefordert ist die rechtliche bzw. gesetzliche Disziplinierung staatlichen Handelns zur Wahrung privater Freiräume (Wahrung des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips bzw. des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Freiheit und Bindung). Gegebenfalls bestehen staatsaktivierende Postulate gerichtet auf Verwirklichung von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Sicherheit im Wirtschaftsleben, so beispielsweise mit Blick auf den Schutz des freien Wettbewerbs. Die formellen Elemente grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit werden durch die materiellen Prinzipien determiniert. Ein Beispiel hierfür liefert die Klärung der Frage, ob der Vorbehalt des Gesetzes auch für den Bereich der Leistungsverwaltung gilt. Staatliches Handeln bedarf mit Blick auf den durch Art. 12 und 14 GG geschützten freien Wettbewerb jedenfalls in solchen
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Konstellationen, in denen strukturelle Entscheidungen über staatliche Zuwendungen getroffen werden, regelmäßig einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage. 2. Die Wahrung der Schranken der Verhältnismäßigkeit fordert staatlicherseits Maßhaltung mit dem Ziel ein, dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip zu entsprechen bzw. das von der Außentheorie beschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlich erzeugter Bindung zu konkretisieren. Dabei handelt es sich nicht um ein Prinzip sondern um eine dem Prinzipiencharakter der Grundrechte inhärente Regel. Verlangt das Verhältnismäßigkeitsgebot in seiner allgemeinen Ausprägung, dass der Gesetzgeber Freiheitsbeschränkungen durch „vernünftige und sachgemäße Gründe des Gemeinwohls“ rechtfertigen kann, so darf er sich insofern nicht auf eine schlagwortartige Umschreibung der verfolgten Zielsetzung, wie z. B. unter Hinweis auf den Umweltschutz, beschränken. Denn die Gemeinwohlbindung des Staates beinhaltet auch die Forderung nach Transparenz staatlichen Handelns. Es muss also Klarheit herrschen, welcher Zweck in concreto verfolgt wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass rein individuelle Belange oder Gruppeninteressen vom Gesetzgeber aus sachfremden Erwägungen heraus zu Gemeinwohlbelangen aufgestuft werden. Geht es um die Klärung der Frage, ob die staatliche Maßnahme geeignet ist, der formulierten Zielsetzung zu entsprechen, so ist dem Gesetzgeber ein gerichtsfreier Einschätzungs- bzw. Prognosespielraum zuzubilligen. Dieser stößt jedoch an klare Vorgaben, die das BVerfG formuliert hat. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, sämtliche ihm zugängliche Erkenntnisquellen mit dem Ziel auszuschöpfen, die Auswirkungen der beabsichtigten Regelungen so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können. In Anlehnung an Hufen handelt es sich bei der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative nur um einen Argumentationsvorsprung, der mit Zeitablauf hinfällig wird, sofern der Gesetzgeber nicht den Nachweis führt, dass das anvisierte Ziel erreicht worden ist. Im Rahmen der sich anschließenden Erforderlichkeitsprüfung dürfen solche Lösungsansätze nicht außer Betracht bleiben, die der gesellschaftliche Sektor bietet, denn der freiheitliche Rechtsstaat hat dem Grundsatz der dezentralen Eigen- wie Gemeinwohlverantwortung Rechnung zu tragen. Der eigentliche Abwägungsvorgang, der vom wirtschaftsverfassungsrechtlichen System in Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips als Regel eingefordert wird, liefert schließlich den Rahmen und das Forum für die praktische Berücksichtigung der gewonnenen prima-facie-Aussagen des Systems. Die Abwägung ist sozusagen das Procedere, in dem sich die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Prinzipien im Kräftemessen mit gegenläufigen Prinzipien behaupten müssen. Dabei fließen die prinzipiellen Aussagen des Systems bereits in die dem eigentlichen Abwägungsvorgang vorgelagerte Stufe ein, in der eine isolierte Wertigkeitsprüfung von Zweck und Mittel erfolgt. Denn den in die Waagschale eingebrachten Prinzipien (z. B. „Leistung“ als Unterprinzip des Prinzips „Eigentum“ oder aber, um ein weiteres zu nennen, das Prinzip der vorrangig privat zu leistenden Gemeinwohlgestaltung) wird eine systemerzeugte abstrakte Gewichtung beigelegt, die jeweils der ermittelten axiologischen Bedeutung Rechnung trägt und die die spätere Abwägung im konkreten Einzelfall mitentscheidet, wobei die mittels Abstraktion
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gewonnenen Prinzipiengehalte im Rahmen der Grundrechtsauslegung zum Tragen kommen. 3. Rechtssicherheit im Sinne von Rechtskontinuität als Bestandteil des Systems der Wirtschaftsverfassung meint vor allem Gewährleistung ökonomischen Vertrauensschutzes. Vertrauensschutz ist zugleich Freiheitsschutz und umgekehrt. Das einzelne Wirtschaftssubjekt muss darauf vertrauen können, dass seine wirtschaftlichen Verhaltensweisen gleichermaßen wie die daraus resultierenden Rechtsfolgen einer beständigen rechtlichen Bewertung unterliegen. Ansonsten würde der eigenverantwortliche Freiheitsgebrauch Privater in Ermangelung der Berechenbarkeit seiner Konsequenzen faktisch gehemmt. Es würde zugleich an einer entscheidenden ökonomischen Rahmenbedingung fehlen, denn erst Rechts- und Dispositionssicherheit bilden die Basis für den effektiven Einsatz von Produktionsfaktoren. Soll beurteilt werden, ob die Rückwirkung staatlichen Handelns verfassungsgemäß ist, so müssen daher die von dieser Maßnahme betroffenen Wirtschaftsgrundrechte als Maßstab berücksichtigt werden. Ohnehin bildet das Prinzip „Vertrauensschutz“ einen wesentlichen Bestandteil des Prinzips „Eigentum“. 4. Die Grundrechtsordnung liefert ihrerseits Orientierungspunkte für die hinreichend bestimmte, transparente und widerspruchsfreie Realisierung des (Wirtschafts-)Rechts. Den Beleg hierfür vermag die vorliegende Untersuchung selbst zu liefern, die ja gerade auf die Darstellung und Verwirklichung der wertungsgemäßen Folgerichtigkeit und „inneren“ Einheit des Analysegebiets abzielt und sich dieser Orientierungspunkte maßgeblich bedient. Daher gilt: Die einheits- und transparenzstiftenden Kerngedanken der einfachgesetzlich zu prägenden Wirtschaftsordnung werden durch die grundrechtlich-prinzipielle Verbürgung der dezentralen privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung auf Basis der systematisch miteinander verknüpften prima-facie-Gewährleistungen von Berufs-, Eigentums-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, durch Gewährleistung von Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit und durch die prinzipielle Verpflichtung Privater auf das Gemeinwohl hin geschaffen.
X. 1. Das Sozialstaatsprinzip weist eine freiheitsdienende Komponente auf. Indem es zu dem Verbund bestehend aus den einschlägigen Freiheitsgewährleistungen und dem allgemeinen Gleichheitssatz hinzutritt, wird die Angleichung faktischer Verhältnisse staatlicherseits mit dem Ziel gestattet, soziale Sicherheit als Voraussetzung für den Freiheitsgebrauch zu schaffen. Insofern liefert die sozialstaatliche Gewährleistung einen Beitrag für den grundrechtlichen Freiheitsschutz des Bürgers. Die Konzeption, die dahinter steht, ist die des freiheitlichen Sozialstaates, der darauf abzielt, für jedermann die tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheit zu erschaffen und weiterzuentwickeln. Denn vom Grundgesetz wird nicht nur eine ausschließlich formale, rechtliche Freiheit, sondern vielmehr eine reale, d. h. in der sozialen Wirklichkeit vorhandene Freiheit, bezweckt.
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2. Besondere Probleme wirft das konkurrierende Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zu den freiheitlichen Prinzipien des materialen Rechtsstaates innerhalb des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems auf. Zur Lösung des Spannungsverhältnisses verhilft in einem Schritt die Erkenntnis, dass sowohl die freiheitlichen rechtsstaatlichen Prinzipien als auch das Sozialstaatsprinzip im Schutz der Menschenwürde wurzeln, mithin Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie darstellen. Ein zweiter Schritt vermag den Schlüssel zur Problemlösung zu liefern. Er beinhaltet zunächst die Feststellung, dass die Garantie der Menschenwürde, was ihre Konkretisierungen betrifft, stets auch einen „Sozialbezug“ einfordert. Denn Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG weist nicht nur eine innen-, sondern auch eine außenweltbezogene Schutzdimension auf. Diese Sozialbedingtheit lenkt wegen des Menschenwürdegarantiebezuges nicht nur staatliches Handeln. Sie begründet zugleich auch eine Verpflichtung des Bürgers zum gemeinschaftsbezogenen Gebrauch der Freiheitsrechte. Damit erfolgt auch die Freiheitswahrnehmung durch den Bürger, wie die Formel von der Sozialbindung des Eigentums exemplarisch beweist, ausschließlich im gesellschaftlichen Kontext. Dies entspricht dem Postulat, wonach die höchstentwickelte Form der Eigennützigkeit erst aus der Gemeinnützigkeit erwächst. Es ist damit unzutreffend, die verfassungsrechtliche Gewährleistung von Gemeinnützigkeit auf das Sozialstaatsprinzip zu reduzieren. Dem „Sozialstaatsprinzip“ ist vielmehr ein aus den Freiheitsrechten herrührendes „Prinzip der gesellschaftlichen Sozialverantwortung“ an die Seite zu stellen, welches die individuelle Freiheitswahrnehmung eben wegen des Bezugs zur garantierten Menschenwürde unmittelbar „sozial“ determiniert, umgekehrt jedoch gleichermaßen die Wahrnehmung der „sozialen Verantwortung“ an der Freiheit ausrichtet. Beiden Prinzipien liegt ein weiter reichendes „Sozialprinzip“ als gemeinsamer Wertungsgedanke zugrunde, welches eine gemeinsame Sozialverantwortung von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Dieser Wertungsgedanke schafft die gewünschte axiologische Basisharmonie, denn er verdeutlicht, dass sich bestehende, systeminterne Gegensätze zwischen dem „Sozialen“ und gewährleisteter Freiheitlichkeit losgelöst vom konkreten Einzelfall auch im Rahmen einer abstrakten Betrachtungsweise überwinden lassen. Gemeinsame Sozialverantwortung als Grundentscheidung der Verfassung, so die sich hieran anschließende Feststellung, bringt zum Ausdruck, dass es auch dem Sozialstaatspostulat letztlich nicht darum gehen kann, die Freiheit aufzuheben. Ganz im Gegenteil wird vielmehr der Zweck verfolgt, in Anlehnung an die Menschenwürdegarantie eine Aktualisierung der Freiheit zu ermöglichen. Die Sozialstaatlichkeit als Prinzip und Systemvorgabe trägt somit der privaten grundrechtsgeschützten Freiheit zur Sozialgestaltung mit Rücksicht auf das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip und die Außentheorie sowie mit Blick auf die Einheit der Verfassung Rechnung. 3. Stellt der freiheitliche Sozialstaat eine Gesamtleistung von Staat und Gesellschaft dar, so kann kein unüberwindlicher Konflikt zwischen individueller und so-
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zialer Verpflichtung bestehen. Vorhandene Divergenzen sind im Wege der Kompetenzverteilung lösbar. Welchem Sektor vorrangig die Sozialgestaltungsmacht bzw. -verpflichtung obliegt, wird unter Einbeziehung der Prinzipien des materialen Rechtsstaates deutlich. Dabei kann die Unantastbarkeit des menschlichen Eigenwertes in letzter Konsequenz nur bedeuten, die Eigenverantwortlichkeit des Individuums ernst zu nehmen. Mit anderen Worten: Steht für den Staat der personale Eigenwert des Menschen im Mittelpunkt, so achtet er nicht nur dessen Fähigkeit, sondern auch dessen vorrangige Kompetenz zur eigenverantwortlichen Selbstbestimmung, auch mit Blick auf soziale Fragen. In diese Richtung streiten die einschlägigen Grundrechte unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Verteilungsgrundsatzes bzw. der Außentheorie. Mittels ihres Schutzes wird die individuelle Freiheit zur Wirtschaftsund Sozialgestaltung prima facie gewährleistet. Zudem verbürgt die Wesensgehaltsgarantie einen letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit, der keinem Zugriff durch die öffentliche Gewalt unterliegt. Schließlich bringt die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG n. F. mit dem Grundsatz der Subsidiarität ein fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck, welches nicht nur auf der supranationalen, sondern auch auf binnenstaatlicher Ebene gilt. Die systematisch gewonnenen Erkenntnisse – Freiheitsverantwortung des Einzelnen und Verpflichtung des Staates zur Freiheitswahrung auch bei der Verwirklichung des „Sozialen“ sowie gemeinsame Sozialverantwortung von Staat und Gesellschaft und deren vorrangige Wahrnehmung durch die Gesellschaft – lassen sich in dem Prinzip „sozialer Rechtsstaat“ bzw. „freiheitlicher Sozialstaat“ zusammenfassen. 4. Die enge Verknüpfung mit der grundgesetzlich gewährleisteten Freiheit verbietet es, dem Sozialstaatsprinzip ein Gebot zur ökonomischen Umgestaltung, hin zu einer Zentralverwaltungswirtschaft und einem System imperativer bzw. zentralisierter Staatsplanung zu entnehmen oder aber die umfassende Demokratisierung der Wirtschaftsgesellschaft zu fordern. 5. Der Sozialstaatsklausel kann indes in Verbindung mit Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG, § 1 StWG und dem in Art.72 Abs. 2 GG verankerten Postulat auf „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ ein Verfassungsauftrag zur „staatlichen Wachstumsvorsorge“ entnommen werden. Staatlicherseits sind primär die Voraussetzungen für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheiten durch den privaten Sektor zu schaffen und bestehende Hemmnisse abzubauen, sodass unternehmerische Initiativen und Investitionen erleichtert bzw. ermöglicht werden. Die Sicherung der freien Preisbildung, die Verbesserung der Marktorganisation sowie die Sicherung des freien Marktzugangs bilden die Kernelemente im Rahmen der Realisierung dieses Verfassungsauftrages. 6. Wirtschaftspolitischer Interventionismus darf, angesichts der spezifischen Grenzen, die die Wirtschaftsgrundrechte aufrichten und mit Blick auf die subsidiäre sozialstaatliche Verpflichtung, letztlich nur darauf abzielen, soziale Gerechtigkeit in Grundzügen effektiv zu gewährleisten. Im Wege der Wohlstandsmehrung bzw. Verbreiterung der Wohlstandsteilhabe hat der Sozialstaat im Falle bestehender oder unmittelbar drohender Defizite auf gesellschaftlicher Ebene die freie Entfaltung der
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menschlichen Persönlichkeit zu fördern und zu schützen. Dabei lässt sich die sozialstaatliche Verpflichtung mit Blick auf das Wirtschaftsgeschehen weiter präzisieren. Aus makrosozialer Sicht geht es darum, das Funktionieren der Märkte durch global steuernde wirtschaftspolitische Maßnahmen, durch Gewährleistung notwendiger Infrastrukturen sowie durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften abzusichern. Ein striktes verfassungsrechtliches Gebot zur Marktkonformität staatlicher Interventionen besteht indes nicht. In mikrosozialer Hinsicht beinhaltet das Sozialstaatsprinzip die Forderung, einzelfallbezogen solchen Personen Schutz zu gewähren, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung eingeschränkt sind, wobei dem Gesetzgeber bei der Wahl der Mittel zur Erfüllung des aufgestellten Postulates ein weiter Spielraum eröffnet wird. Die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums liefert ein Beispiel für seine Umsetzung. Weitere Beispiele liefern die Fälle der sozial motivierten, staatlichen Korrekturen der Privatautonomie.
XI. Das Umweltschutzprinzip weist gleichermaßen wie das Sozialprinzip anthropozentrische Ursprünge auf. Zwischen beiden Prinzipien bestehen zudem inhaltliche Berührungspunkte. Die Forderung nach Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen bringt letztlich nichts anderes zum Ausdruck als zukunftsgerichtete Sozialverantwortung. Indem sich die in Art.20 a GG verankerte Verpflichtung zum Umweltschutz ausschließlich an den Staat als Adressaten wendet, bringt sie die Wertentscheidung der Verfassung nur unvollständig zum Ausdruck. Denn Umweltschutz stellt eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Gesellschaft dar. Die Kompetenzfrage, die Wahrnehmung von Umweltverantwortung betreffend, ist wie beim Sozialprinzip aufzulösen. Soweit die Wahrnehmung von Umweltverantwortung einer grundrechtlichen Freiheitsverbürgung zuzuordnen ist, obliegt sie prima facie den privaten Wirtschaftssubjekten bzw. der Wirtschaftsgesellschaft.
XII. Das in Art. 109 Abs. 2 GG verankerte Prinzip, gerichtet auf Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, verlangt als Staatszielbestimmung die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Gesichtspunkte im Rahmen des haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungsprozesses. Der Norm kann zwar keine Verpflichtung zu einer antizyklischen Haushaltspolitik entnommen werden. Jedoch haben sich Bund und Länder in konsequenter Ausrichtung an der Zielsetzung „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ an veränderte ökonomische Bedingungen anzupassen und prozyklisches Verhalten gänzlich zu unterlassen. Der Haushaltsgesetzgeber muss wegen Art. 109 Abs. 2 GG die Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft tragen, wobei sich diese Verantwortung auch auf die
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Kreditaufnahme als Bestandteil der Haushaltswirtschaft erstreckt. Indem Art. 109 Abs. 2 GG schließlich eine Rechtspflicht zum Ausdruck bringt, zwischen den widerstreitenden Einzelzielen „Preisniveaustabilität“, „hoher Beschäftigungsstand“, „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ und „angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum“ unter gleichzeitiger Wahrung privater Freiräume einen angemessenen Ausgleich zu erzielen, erfolgt mittelbar eine verfassungsrechtliche Verbürgung einer dezentral-marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsordnung.
XIII. Kompetenznormen beschränken sich in ihrem Aussagegehalt auf die Aufgabenverteilung innerhalb des Staatsgebildes. Sie sagen indes nichts aus über den verfassungsrechtlichen Rang der von ihnen angesprochenen Regelungsmaterien. Keinesfalls liefern sie eine Rechtfertigung dahingehend, die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit durch Private einzuschränken.
XIV. 1. Dem System der Wirtschaftsverfassung lässt sich in der Gesamtschau die an den Staat wie die Gesellschaft gerichtete Forderung entnehmen, einen harmonischen Interessensausgleich in der Wirtschaftsgesellschaft, d.h. zwischen den Eigeninteressen der Wirtschaftsteilnehmer und Gemeinwohlinteressen zu erzeugen. Dieser gemeinsame Auftrag findet seine Ursprünge in dem vom Grundgesetz rezipierten Menschenbild, das sich für die Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums unter Wahrung seines Eigenwertes entschieden hat. Der Schlüssel für die Erzielung einer „inneren“ Harmonie zwischen der Vielzahl an wirtschaftsverfassungsrechtlich verbürgten Einzelinteressen und den übergeordneten Gemeinwohlinteressen liegt in der axiologisch gewonnenen Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Gemeinwohlverantwortung primär dezentral mittels des grundrechtlichen Freiheitsgebrauchs erfolgt. 2. Die prinzipielle Forderung nach einem Ausgleich zwischen Eigeninteressen der Individuen und den Gemeinwohlbelangen in der Wirtschaftsgesellschaft, primär mittels Gewährleistung grundrechtlicher Freiheit, lässt sich in ein weiter reichendes, wirtschaftsverfassungsrechtlich gefordertes, umfassendes Dezentralisierungs- und Verteilungskonzept einbetten. Die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Determinanten des Grundgesetzes weisen übereinstimmend die prima-facie-Forderung nach Dezentralisierung und pluralistischer Verteilung von Herrschaft, Chancen, Risiko, Macht und Verantwortung auf. Den privaten Wirtschaftsteilnehmern soll somit maßgeblich die Aufgabe zuteil werden, der Wirtschaftsordnung ein Gepräge zu geben. 3. Die Darstellung und Verwirklichung der „inneren“ Sinneinheit des Analysegebiets „Wirtschaftsverfassung“ mündet in einem Prinzip, das die Aufgabenverteilung
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zwischen Staat und Gesellschaft sowie innerhalb der Gesellschaft umfassend beschreibt. Dieses Leitprinzip des Systems der Wirtschaftsverfassung ist als „Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ zu bezeichnen. Hiernach darf der Staat nur dann eine Aufgabe vollständig oder teilweise an sich ziehen, wenn er im Rahmen der Aufgabenerfüllung dem öffentlichen Interesse besser Rechnung trägt als Private. Während das Subsidiaritätsprinzip das Gemeinwohl als Maßstab voraussetzt und sich darauf beschränkt, im Einzelfall vom Staat eine justiziable Rechtfertigung dahingehend einzufordern, warum gerade die Aufgabenwahrnehmung durch ihn dem Gemeinwohl bzw. öffentlichen Interesse besser genügen soll als die Wahrnehmung durch den privaten Sektor, greift das Prinzip „Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ darüber hinaus. Dem privaten Sektor wird von vornherein ein Einschätzungsspielraum dahingehend eingeräumt, wie er Gemeinwohl versteht und dem Gemeinwohlpostulat Rechnung trägt. Den rechtlichen Rahmen hierfür liefern die Grundrechte. Damit gilt: Bevor der Staat überhaupt tätig werden darf, muss dem privaten Sektor die Möglichkeit zur Wahrnehmung der Eigenwohl- und der Gemeinwohlverantwortung sowie die Option eingeräumt werden, den harmonischen Ausgleich zwischen beiden zu erzeugen. Der „Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ als Rechtsprinzip fordert indes nicht lediglich die Ausgrenzung des Staates, sondern auch die Optimierung der freiheitlichen Rahmenbedingungen zum Zwecke der dezentralen, selbstbestimmten Lebensgestaltung seiner Bürger. 4. Nach alldem erweist sich die Formel von der „wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes“ als unzutreffend. Es gilt eine neue Sprachregelung. Sie lautet: Das Grundgesetz bringt die Wertentscheidung für eine prima facie staatsfreie Wirtschaft zum Ausdruck. Es überlässt das Wirtschaftsgeschehen prinzipiell den privaten Wirtschaftssubjekten bzw. der Wirtschaftsgesellschaft, weil die Freiheit der Individuen zur Wirtschafts- und Sozialgestaltung den verfassungsrechtlichen Regelfall bildet. Dem Gesetzgeber wird aufgetragen, das individuelle Wirtschaftshandeln zu garantieren, anzuerkennen und zu schützen. Hierfür hat er die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen bereitzuhalten. In Ausnahmefällen hat er das Marktgeschehen zu korrigieren. Stets muss er sich dabei im Rahmen der grundrechtlichen Schrankenvorbehalte bewegen. Sein wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltungsspielraum wird grundsätzlich durch die Entscheidungsprärogative der Wirtschaftssubjekte überlagert. 5. Zwar wird die soziale Marktwirtschaft als ökonomische Modellvorstellung nicht unmittelbar von der Verfassung geschützt. Sie bildet kein eigenständiges Leitprinzip im „inneren“ System der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes. Jedoch finden die Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft sämtlich eine Stütze im wirtschaftsverfassungsrechtlichen System. Denn die prima-facie-Gehalte der ermittelten Prinzipien richten sich gegen die Beschneidung oder Beseitigung wirtschaftlicher
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Freiheit, sozialer Rechtsstaatlichkeit sowie des Marktes und des Wettbewerbs. Daher ist es zutreffend, von einer mittelbaren Garantie der sozialen Markwirtschaft unter dem Grundgesetz zu sprechen. Geschützt ist nicht die Wirtschaftskonzeption als solche, sondern das Verhalten der Grundrechtsträger, das sich sowohl im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft, vor allem aber im Rahmen der systematisch gewonnenen Vorgaben der Wirtschaftsverfassung bewegt. Aus dieser Perspektive betrachtet, stellt die Konzeption „Soziale Marktwirtschaft“ eine optimale Verwirklichung der (prinzipiellen) Vorgaben des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems dar. Demgegenüber formuliert der Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschaftsund Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 eine Systemgarantie der sozialen Marktwirtschaft, die der mittelbaren Garantie des Grundgesetzes entspricht.
XV. 1. Ein Vergleich zwischen den wirtschaftsverfassungs-rechtlichen Zielvorgaben des Grundgesetzes und denen des Gemeinschaftsrechts fördert eine weitgehende Systemkonvergenz zutage, wobei der Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften eine marktwirtschaftliche Systemgarantie bereithält. Soweit zentrale Weichen der Wirtschaftspolitik weiterhin auf der Ebene der Mitgliedsstaaten gestellt werden, erfüllt das System der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes das ihm von der Ebene des Gemeinschaftsrechts entgegengebrachte Vertrauen. Mehr noch: Das System der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes enthält im Zusammenspiel mit Art. 23 GG einen integrationspolitischen Verfassungsauftrag, der auf die Verwirklichung der ökonomischen und sozialen Zielsetzungen der Europäischen Union hinwirkt. Jedenfalls aus dieser Warte heraus präsentiert sich die Bundesrepublik Deutschland als kooperativer Verfassungsstaat. 2. Gilt es abschließend, die Frage zu beantworten, wo die freigelegten Systemzusammenhänge, d. h. prinzipielle Geltung beanspruchenden wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinngesamtheiten bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung einer staatlichen Maßnahme zu berücksichtigen sind, so gilt Folgendes: Sie spielen eine Rolle im Rahmen der Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen Grundrechts, das weiterhin den Prüfungsmaßstab bildet! Das System wirkt also auf die Grundrechtsauslegung zurück. Den methodischen Ansatzpunkt hierfür liefert die systematische Auslegung der einschlägigen Grundrechtsnorm. Denn dank des freigelegten „inneren“ Systems verfügt der Rechtsanwender über den Einblick in diejenigen Wertungszusammenhänge der Wirtschaftsverfassung, die für die Lösung der anstehenden Probleme in der Rechtspraxis maßgeblich sind. Die Notwendigkeit einer Einbindung der Systemaussagen in die Grundrechtsprüfung führt zu Konsequenzen in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden auf diesem Wege die Grenzen der Gestaltungswirkung der prinzipienübergreifenden Systemzu26 Meyer
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sammenhänge aufgezeigt. Denn eine isolierte Prüfung, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme z. B. mit dem Leitprinzip „Vorrang privater Wirtschafts- und Sozialgestaltung“ konform geht, scheidet nach alldem ausdrücklich aus. Zum anderen trägt das System dazu bei, den Boden für die Grundrechtskonkretisierung zu verfestigen. Dies wird mit Blick auf die Herstellung praktischer Konkordanz in konkreten verfassungsrechtlichen Konfliktfällen besonders deutlich. Die Berücksichtigung der gewonnenen Systemaussagen im Rahmen der Grundrechtsauslegung leistet einen Beitrag zur Vervollständigung der Abwägungsbasis und liefert damit eine wichtige Voraussetzung für eine sachgerechte Abwägung im Einzelfall.
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Sachwortverzeichnis Allgemeine Handlungsfreiheit 273, 274, 278 Annexfreiheiten der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit 284, 285, 290 Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts 19, 22, 142 Apothekenurteil 20, 137, 143, 144, 151, 164 Arbeit – Recht auf 178, 181 Arbeitskampf 270 Arbeitsmarktpolitik 335 Arbeitstheorie 191 Assoziationsformen – sozietäre und korporative 187, 188, 383 Ausbildungsplatz – Recht auf 178, 181, 382 Ausnahmegerichte – Verbot 92 Außentheorie 126, 127, 128, 201, 209, 230, 231, 265, 274, 310, 327, 328, 329, 378, 394, 396, 397 axiologisch-teleologische Methode 102, 111, 112, 377 axiomatisch-deduktive Methode 102 Axiome 102, 103, 104, 105, 190
– – – – –
Begriffsjurisprudenz 60 Beruf – Arbeitsplatzwahlfreiheit 156, 157, 159, 166, 188, 380 – Ausbildungsstättenwahlfreiheit 149, 157, 380 – Berufsabwahl 152 – Berufsaufnahme 152, 153, 156, 159, 171 – Berufsbeendigung 152 – Berufszulassungsregelungen 155, 348 – Besteuerungsschutz 176, 188, 393 – Definitionsmerkmale 143
Chancengleichheit siehe Prinzipien 294
Erlaubtsein 144 Nebenberuf 144 Niederlassungsfreiheit 157, 369 staatlich gebundene Berufe 145 Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes 145 – Zweitberuf 144 Berufsausübungsfreiheit 20, 38, 143, 147, 149, 150, 152, 153, 155, 160, 161, 170, 171, 353 Berufsbegriff 139, 143, 145, 147, 187, 278, 379 Berufsbildlehre 20, 145 Berufsfreiheit 20, 23, 136, 267, 283, 290, 303, 344, 352 Berufssoziologie 139 Berufswahlfreiheit 20, 150, 154, 155, 177, 274, 286, 348, 380 Bestimmtheitsgebot 317, 319, 320, 321, 322 Bindungen – gemeinschaftsrechtliche 22 Binnenordnung von Unternehmen 187 binnenstaatliche Wirtschaftspolitik 21 Bürgschaften naher Familienangehöriger 278
Daseinsvorsorge 22, 175, 328, 331, 335, 349, 372 Determinationsprozess 118 Dichotomie 27, 121, 162, 381 Differenzierungserlaubnisse 297 Differenzierungsgebote 297 Differenzierungsthese 149, 154 Differenzierungsverbote 297 Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV 142
Sachwortverzeichnis Eigentum – an sozialversicherungsrechtlichen Positionen 206 – als Prinzip 209 – an beweglichen Sachen 202 – Anteilseigentum 220, 221, 249 – Baufreiheit 213 – Bestandsschutz 214, 220, 236, 245, 387 – Betriebseigentum 212 – dingliche Rechte 210 – Eigentumskreationskompetenz des Gesetzgebers 199 – Eigentumsordnung 22, 203, 229, 245 – Eigentumstheorien 191 – Forderungen 199, 210 – geistiges 212 – gewerbliche Schutzrechte 210 – Grundeigentum 199, 203, 213 – Immaterialgüterrechte 207, 210 – Individualgüterrechte 199 – Inhaltsbestimmung 208 – Institutsgarantie 198, 204, 216, 241, 242, 243, 247, 388 – Kapitalbeteiligung 219 – kapitalisierte Gewinnerwartungen 219 – Leistungselement 205 – Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 212, 217, 218 – Sacheigentum 203, 210, 215, 217, 220 – Schrankenziehung 208 – Sicherungselement 206 – sozial gebundenes 200 – Sozialbindung 216, 228, 229 – Urheberrecht 215 – Vermögenswert von Unternehmen 249 – vermögenswerte öffentlich-rechtliche Rechtspositionen 210 – Vertrauenselement 206 Eigentumsfreiheit 23, 189, 215, 245, 283, 385, 389 Eigentumsgarantie 48, 176, 189, 290, 303, 385 Eingriff – enteignender 287 – enteignungsgleicher 287 Einheit der Rechtsordnung 67, 293, 347 Einheitswert-Beschlüsse 226, 227, 235 28 Meyer
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Einschätzungsprärogative – des Gesetzgebers 312 – des Grundrechtsträgers 351 Einstrahlungswirkung der Rechtsidee 115 Elfes-Entscheidung 273 Enteignung 200, 201, 208, 209, 220, 229, 236, 238, 239, 240, 244, 246, 286, 351, 387, 392 – berufswahlbeschränkende 287 Entscheidungsprärogative der Wirtschaftssubjekte 360 europäische Integration 21, 23, 55, 373 europäischer Staatenverbund 22 Existenzgründer – Förderung von 182 – Fürsorgepflicht des Staates 335 Existenzgrundlage – geistig-moralische 138 Existenzsicherung – Definitionsmerkmal des Berufs 144 – durch Eigentum 204 – wirtschaftliche 141 Freiburger Schule 36 Freie Entfaltung der Persönlichkeit 100, 240, 273, 283 freiheitlich-demokratische Grundordnung 33 Freiheitlichkeit 20, 147, 197, 300, 327, 331, 336, 396 Freiheitsschutz 19, 319, 324, 383, 392, 395 Freiheitsverständnis des Grundgesetzes 296 Garantie der kommunalen Selbstverwaltung 349 Geldwertstabilität 244, 344 Geltungsverlangen von Rechtsprinzipien 91, 94 Gemeinschaftskonformität des Grundrechtsschutzes 143 gemeinschaftsrechtliche Zielvorgaben 367 Gemeinwohl 118, 151, 167, 230, 232, 234, 268, 321, 351, 352, 354, 358, 387, 395, 400
434
Sachwortverzeichnis
Gemeinwohlpotential der Berufsfreiheit 141 Gemeinwohlverpflichtung – des Eigentümers 234 – der Koalitionen 268 – des privaten Sektors 354 gemischte Wirtschaftsverfassung – These von der 34, 46 Gerechtigkeit 87, 96, 139, 385, 393 Gerechtigkeitsgebot 65, 299 Gesetzesflut 58 Gesetzesvorbehalt 37, 321 gesetzlicher Richter 307 Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 49 Gewerbefreiheit 37, 49, 170 Gleichheitssatz 65, 292, 293, 303 Gleichheits-Verständnis – rechtlich/faktisch 296 Grundrecht – auf Bildung von Vereinigungen 250 – auf Kommerzialisierung 20 Grundrechte – Abwehrcharakter 119, 179 – Abwehrrechte 35, 378 – als Konstitutionsprinzipien 113 – als negative Kompetenznormen 122 – als Schutzgewährrechte 123 – als Schutzpflichten 123 – Deutschengrundrecht 254 – Freiheitsrechte 36, 42, 47, 134, 240 – genetische Interpretation 135 – Grundrechtskatalog 35, 75, 117, 307, 321, 370 – mittelbare Drittwirkung 123 – objektive Grundsatznormen 49 – semantische Interpretation 135 – subjektiv-öffentliche Abwehrrechte 41 – Wirtschaftsgrundrechte 23, 46, 53, 125, 258, 289, 317, 337, 377, 395, 397 Grundrechtskollisionen 132, 285 Grundrechtskonkurrenzen 131, 132, 164, 281, 285, 378 Grundsatz der Gewaltenteilung 307 Grundsatz der Proportionalität 38 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 38, 153, 307, 310, 312, 313, 314, 337 Grundsätze des Berufsbeamtentums 50
Halbteilungsgrundsatz 226, 230, 235, 249 Handelsgesellschaft 143, 217, 276 homo oeconomicus 141 Idealkonkurrenz von Grundrechten 132, 163, 164 Individualrechte 40, 49 inflationsverursachendes Staatsverhalten 244, 250 Informationsfreiheit 291 Innentheorie 127, 265 institutionelle Garantie – aus Kompetenztiteln 347 – der sozialen Marktwirtschaft 40 institutionelle Garantie der Wirtschaftsverfassung – These von der 43 Interessensjurisprudenz 60 Investitions- und Produktionsfreiheit 284 Investitionshilfegesetz 51 Junktimsklausel 240, 287 Kartellproblem 38 Kassenarzt-Urteil 139 Kategorientafel – Stammlersche 104 Kernbereichslehre 271, 272 Koalitionsfreiheit 251, 259, 260, 261, 264, 269, 290 Kölner Gemeinschaftsgutachten 52 Komplementärschutz – kommunikationsgrundrechtlicher 290 Kriterium der materiellen Betroffenheit 156 Kündigungsschutz 184 Lebenswirklichkeit 50, 165, 187, 379 Legalität 57 Legitimationsquelle 87 Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 41, 42 Leistungsverwaltung 309, 393 Liberalisierung des Berufsmarktes 20 Limitierte Marktwirtschaft 47 Lüth-Entscheidung 21, 43, 121
Sachwortverzeichnis Makrobetrachtung – des Berufsmarktes 141 – wirtschaftsverfassungsrechtliche 45 Marktfreiheiten des EGV 369 Marktgarantie 44 Marktkonformität staatlicher Interventionen 337, 338, 398 Marktzutrittsfreiheit 170, 284 Meinungsäußerungsfreiheit 290 Menschenrechte 116, 291, 370 Menschenwürde 114, 115, 116, 117, 118, 137, 138, 161, 168, 190, 193, 194, 195, 242, 250, 270, 296, 297, 302, 306, 307, 322, 325, 326, 327, 332, 377, 384, 385, 396 Menschenwürdegarantie 51, 79, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 126, 128, 131, 136, 137, 138, 161, 162, 164, 167, 180, 182, 187, 189, 193, 194, 198, 200, 205, 231, 232, 235, 240, 243, 248, 250, 251, 274, 278, 283, 300, 304, 307, 325, 326, 339, 341, 351, 353, 378, 379, 381, 382, 384, 388, 391, 393, 396 Mitbestimmungsgesetz 55, 124 Mitbestimmungsdebatte 221 Mitbestimmungsentscheidung 56, 58, 251, 259, 272, 281 Mitbestimmungsgesetz 52, 55, 124, 256 Modellstruktur – deontische 101 Monopole 188 – Branntweinmonopol 172 – Finanzmonopole 171, 172 – Gebäudeversicherungsmonopol 173 – öffentliche 171 – Verwaltungsmonopole 171, 173 – Zündwarenmonopol 172 Mühlheim-Kärlich-Entscheidung 347 Naßauskiesungsbeschluss 201 ne bis in idem 92 Neue Formel des BVerfG 67, 293 Neutralität – wirtschaftspolitische 19, 359, 400 Nichtidentifikationstheorie 33, 35 Normbegriff – semantischer 95, 97, 305 Normkern 95 28*
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Normsatz 95 nulla poena sine lege 92 Numerus clausus-Entscheidung 178, 179 offenes Ordnungssystem 48 Okkupationstheorie 191 Optimierungsgebote 50, 100 Ordnungsmandat des demokratischen Gesetzgebers 48 ordoliberale Schule 361 Parlamentarischer Rat 32 Partikularismus 262, 389 Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen 255 Planwirtschaft 39, 367 Positivismus 57 praktische Konkordanz 58, 341, 375, 402 Prinzipien – Anspruch auf Beachtung 93 – Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 299 – Bundesstaatsprinzip 69 – Chancengleichheit 303, 304, 324, 393 – Demokratieprinzip 69, 232, 319, 321 – eigentumsschonende Besteuerung 222, 226, 243, 249 – Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 342 – Nettoprinzip 300 – normative 91 – Prinzipienfreilegung 190 – Prinzipienkonkretisierung 109 – Prinzipienlehre 89, 91 – rechtssatzförmige 91 – Rechtsstaatsprinzip 23, 48, 88, 205, 206, 232, 304, 305, 306, 308, 314, 315, 317, 318, 320, 321, 355 – Schuldprinzip 117 – Sozialprinzip 322, 327, 328, 332, 355 – Sozialstaatsprinzip 32, 38, 44, 178, 184, 189, 248, 261, 268, 301, 323, 324, 325, 327, 332, 334, 338, 344, 361 – Steuergerechtigkeit 299, 302, 393 – Subsidiaritätsprinzip 22, 39, 45, 330, 355, 356, 357, 397, 400 – Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung 356, 357, 358, 374
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Sachwortverzeichnis
– Wettbewerbsprinzip im EGV 368 Prinzipiencharakter der Grundrechte 315 Prinzipienexegese 134 Prinzipienfreilegung 128 Privatautonomie 49, 123, 183, 184, 186, 245, 250, 253, 276, 277, 286, 289, 290, 338, 383, 388, 398 Privateigentum 37, 38, 196, 204, 242, 244, 353, 364, 388 Privatisierung 22, 238 Privatnützigkeit des Eigentums 195, 207, 249 Produktwarnungen – Eingriff in die Eigentumsfreiheit 215 Qualitätsmaßstab – systemeinheitlicher 85 ratio iuris 110 ratio legis 92, 110, 135, 142, 190, 202, 377 Rechtsfähigkeit – der natürlichen Person 119 – wirtschaftlicher Assoziationen 389 Rechtsfrieden 68, 87, 96 Rechtsidee 51, 65, 68, 69, 76, 78, 79, 87, 88, 90, 93, 94, 96, 99, 105, 108, 109, 112, 114, 115, 117, 127, 139, 161, 206, 274, 296, 300, 305, 306, 315, 320, 321, 376, 377, 385, 393 Rechtsmethodik 60, 91 Rechtsphilosphie 60 Rechtsprinzipien – vorgelagerte 88 Rechtsquellenlehre 91 Rechtsschöpfung 164 Rechtssicherheit 87, 96, 139 Rechtsstaatsgebot 69 Rechtstheorie 92 Rechtswerte 68, 76, 78, 99 relativistisches Demokratieverständnis 31, 33 Religionsfreiheit 36 Rentabilität 176, 177, 382 res publica 197 Rückwirkung – echte 316, 317 – unechte 316, 317
Schrankenvorbehalt 128, 129, 158, 175, 236 Schrankenziehungskompetenz des Gesetzgebers 209, 230, 385 Schutzadressaten – der Berufsfreiheit 142 – der Vereinigungsfreiheit 252 Selbstbestimmung – des einzelnen 278 – der Vereinigungen 259 – wirtschaftliche 159 Selbstregulation – dezentralisierter 49 Selektionskorrektiv 86, 90, 376 Soziale Marktwirtschaft 36, 37, 38, 39, 40, 50, 51, 280, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 366, 400, 401 Sozialisierung des Eigentums 237, 239 Sozialisierungsbefugnis 238, 240, 287 spätkapitalistische Gesellschaftsordnung 54 status negativus 120 Struktur – Ordnungsstruktur 80, 85 – Sinnstruktur 84 – Tiefenstruktur des Rechts 109 Studienplatz – Recht auf 178, 180 Stufentheorie 150, 153 Subsumtionsmodell – Kritik 60 Subventionen 174, 211, 212, 303, 338 Superfiskalismus 224 Synergien 280 System – äußeres 81 – einbezügliches 64 – inneres 81, 233 – Systemadressaten 101 – Systemanalyse 77, 129, 132, 225, 378 – Systemauftrag 65, 69, 80, 83, 90, 101, 111, 166 – Systembegriff 23, 59, 62, 70, 81, 112, 293, 376 – Systembestandteile 23, 64, 65, 69, 78, 85, 90, 101, 112, 132, 160, 376 – Systembildung 61, 62, 82, 126
Sachwortverzeichnis – Systemfreilegung 23, 55, 62, 64, 78, 81, 100, 102, 107, 108, 112, 113, 126, 164, 186, 285, 295, 360, 377, 379 – Systemkritik 60 – Systemziel 78, 279 – Teilsysteme 61 – wertneutrales 73 – zweibezügliches 64 – Zweibezüglichkeit 62, 79, 104, 110, 131, 170, 279, 293, 377 Systemfunktionen – makroökonomische 21 Tarifautonomie 260, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 290 Übermaßverbot 175, 184, 186, 310 Umweltbelange – Abwägung mit Eigentümerinteressen 216 Umweltschutz 214, 311, 339, 340, 341, 372, 394, 398 Unternehmerfreiheit 168, 169, 188, 222, 382 Unternehmerische Dispositionsfreiheit 276, 283 Verdrängungswettbewerb 174 Vereinigung – Definition 253 – Grundrechtsschutz 217 Vereinigungsfreiheit 256, 259 – negative 254 – positive 254 Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit 280, 289, 352 Verfassungsauftrag 68, 115, 178, 238, 246, 248, 334, 344, 373, 397, 401 Verfassungsbegriff – dezisionistischer 26 Verfassungskonvent 255 Verfassungsnormativität 50 verfassungsrechtliche Nichtentscheidung – These von der 30 Verfassungstheorie 28, 77 Verfassungswirklichkeit 31, 49, 266 Vergesellschaftung – des Eigentums 237, 387 – von Produktionsmitteln 219
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Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 240 Verkehrswirtschaft 26, 361 Vermögen 222, 224, 225, 226 Vermögenssteuer 226 Verpflichtungsadressat – Eigentümer 234 Verstaatlichung 22 Verteilungsprinzip – fundamentales 119 – rechtsstaatliches 127, 201, 209, 231, 307, 310, 327, 341, 393 Vertragsfreiheit 37, 38, 92, 264, 276, 277, 284, 290, 364 Vertragsparität – gestörte 184 Vollbeschäftigung – Auftrag an den Staat 181, 383 vollziehende Gewalt 38 Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung siehe Prinzipien 358 Wachstums-, Preis- und Organisationsfreiheit 284 Währungspolitik 38 Wechselwirkungslogik – Grundrechte – gesellschaftliche Realität 48 Weimarer Reichsverfassung 30, 73, 118, 144, 242, 259, 299, 333 Werbungs- und Vertriebsfreiheit 284 Wertdenken – als Vorgang zur Systemfreilegung 112 – Kritik 71, 73 – philosophische Prägung 73 – Zulässigkeit 70 Wertgarantie 243, 244, 246, 388 Werthierachie siehe Wertrangordnung 79 Wertordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 100 Wertphilosophie – Kritik 74 Wertpluralismus – Ausfluss der Rechtsidee 79
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Sachwortverzeichnis
Wertrangordnung 80 – Begründung 79 – Kritik 79 Wertschau – Erkennbarkeit von Werten 74 Wertungsjurisprudenz 57, 60 Wertungszugänglichkeit – Eignung als Systembestandteil 90, 376 Wesensgehaltsgarantie 43, 127, 133, 134, 149, 153, 161, 217, 221, 268, 269, 361, 379, 386, 397 Wettbewerb 26, 29, 37, 41, 44, 47, 49, 170, 173, 276, 284, 285, 292, 294, 303, 304, 309, 361, 362, 363, 364, 367, 368, 370, 371, 393 Wettbewerbsfreiheit 37, 38, 43, 44, 45, 54, 276, 280, 284, 285, 286, 290, 321, 355, 362, 395 Wettbewerbsgarantie 44 Willkürverbot 67
Wirtschaftsfreiheit 283, 284, 290 Wirtschaftsgesetzgeber 21, 311, 312, 359 Wirtschaftslenkung – staatliche 239 Wirtschaftsmodell – national-ökonomisches 50 – ordo-liberales 36 wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes – These von der 51 Wirtschaftsrat 32 Wirtschaftssysteme 26 Wirtschaftstätigkeit – der öffentlichen Hand 174 Zeitgeistströmungen 76, 140, 148 Zentralverwaltungswirtschaft 26, 39, 54, 333, 360, 361, 397 Zivilrecht 83, 88, 92, 132, 183, 186, 216, 258, 278, 383