Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4: Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit 9783787325375, 3787325379

Hegels ausführlichste Vorlesungen galten der Geschichte der Philosophie. Im Unterschied zur Ausgabe von Hegels Schüler M

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German Pages 456 Year 1986

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Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung der Herausgeber
Die zweite Periode. Die Philosophie des Mittelalters
1. Die Kirchenväter
2. Die Philosophie der Araber
3. Die Scholastiker
Die Hauptmomente der scholastischen Philosophie
Der Beginn der Philosophie
Die philosophische Betrachtung der Kirchenlehre
Die Ausbildung der Theologie durch die Scholastiker
Realismus und Nominalismus
Lehrbegriff und Formalismus
Die Mystiker
4. Renaissance und Reformation
Das Interesse an der alten Philosophie
Die besonderen Individuen
Die Reformation
Die dritte Periode. Die neuere Philosophie
1. Bacon und Böhme
Francis Bacon
Jakob Böhme
2. Descartes und Spinoza
Rene Descartes
Benedict Spinoza
Nicolas Malebranche
3. Locke und Leibniz
John Locke
Hugo Grotius
Thomas Hobbes
Gottfried Wilhelm Leibniz
Christian Wolff
Metaphysische und populäre Philosophie
David Hume
4. Kant, Fichte und Schelling
lmmanuel Kant
Johann Gottlieb Fichte
Friedrich Heinrich Jacobi
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Anhang
Zeichen, Siglen, Abkürzungen
Zur Konstitution des Textes
Anmerkungen
Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philosophie
Personenverzeichnis
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Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4: Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit
 9783787325375, 3787325379

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G.W.F. HEGEL

VORLESUNGEN AUSGEWÄHLTE NACHSCHRIFTEN UND MANUSK RIPTE

9

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

VORLESUNGEN Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte Band 9

FELIXMEINER VERLAG HAMBURG

G.W. F. HEGEL · VORLESUNGEN · BAND 9

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Teil4 Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit Herausgegeben von PIERRE GARNIRON und WALTER JAESCHKE

FELIXMEINER VERLAG HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-0639-8 ISBN eBook: 978-3-7873-2537-5

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1986. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Vorbemerkung der Herausgeber

VII

Die zweite Periode Die Philosophie des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Die Kirchenväter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Philosophie der Araber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Scholastiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hauptmomente der scholastischen Philosophie. . . . Der Beginn der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die philosophische Betrachtung der Kirchenl~hre . . . Die Ausbildung der Theologie durch die Scholastiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realismus und Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehrbegriff und Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mystiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Renaissance und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Interesse an der alten Philosophie . . . . . . . . . . . . . Die besonderen Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 40 42 45 45 48 49 61

Die dritte Periode Die neuere Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Bacon und Böhme . . . Francis Bacon . . . . . Jakob Böhme . . . . . 2. Descartes und Spinoza Rene Descartes . . . . Benedict Spinoza . . Nicolas Malebranche 3. Locke und Leibniz . . . John Locke. . . . . . .

..... ..... ..... ..... ..... ..... ..... ..... .....

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....... ....... ....... ....... ....... ....... ....... ....... .......

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VI

Inhalt

Hugo Grotius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gottfried Wilhelm Leibniz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Wolff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaphysische und populäre Philosophie . . . . . . . . . . . David Hume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kant, Fichte und SeheHing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lmmanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johann Gottlieb Fichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Heinrich Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Wilhelm Joseph SeheHing . . . . . . . . . . . . . .

123 124 128 136 140 146 148 149 156 165 179

Anhang Zeichen, Siglen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Konstitution des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philosophie. Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VORBEMERKUNG DER HERAUSGEBER

Umstritten ist heute, ob Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie überhaupt ein Teil seines Systems der Philosophie seien oder ob sie gar dessen krönenden Abschl~ß bildeten, wie zumindest einige seiner Schüler annahmen. Unbezweifelt ist hingegen die große Bedeutung, die Regel selbst ihnen beimaß, welchen bestimmten systematischen Stellenwert er der Geschichte der Philosophie auch eingeräumt haben mag: Ihr Studium ist das Studium der Philosophie selbst. Anderenfalls hätte er kaum so regelmäßig und so auiführlich über die Geschichte der Philosophie gelesenschon in Jena 1805/06, später in Heide/berg 1816/17 und 1817/18 und schließlich in Berlin im Sommer 1819 sowie im Wintersemester 1820/21 und dann im zweijährigen Turnus 1823/24, 1825/26, 1827/28,1829/30. Auch im November 1831, wenige Tage vor seinem Tode, hat Regel erneut mit dieser Vorlesung begonnen, aber nicht einmal die Einleitung zu Ende vortragen können. Hegcls Schüler dürften seine Ansicht von der Wichtigkeit dieses Themas geteilt haben. Denn keine seiner Vorlesungen ist heute in mehr Nachschriften überliefert als das Kolleg über Geschichte der Philosophie, und keine füllt in der ersten, von Karl Ludwig Michelet besorgten Edition im Rahmen der Freundesvereinsausgabe so viele Seiten wie gerade dieses Kolleg. Anders jedoch als bei all den übrigen Kollegien, die Regel nicht an Hand gedruckter Kompendien, sondern eigens ausgearbeiteter Manuskripte vorgetragen hat, sind diese Vorlesungen seitdem nicht mehr als Ganzes neu ediert worden. Dies dürfte weniger einem mangelnden Interesse an ihnen zuzuschreiben sein als vielmehr der Ungunst der Verhältnisse. Einen Ansatz zu einer Neuausgabe hat im Jahre 1940 Johannes Hoffmeister unternommen. Sein Band Hegel: System und Geschichte der Philosophie. umfaßt jedoch nur die Einleitung und einen Abschnitt über die orientalische Philosophie, die für Regel vor die eigentliche Geschichte der Philosophie fällt. Eine Weiterführung ist nicht mehr erschienen. Der die Einleitung umfassende Teil der Ausgabe Hoffmeisters ist auch gegenwärtig erhältlich unter dem Titel Hegel: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister. 3., gekürzte Auflage

vm

Vorbemerkung der Herausgeber

1959, besorgt von Friedhelm Nicolin. Unveränderter Nachdruck Harnburg 1966.

Hoffmeisters Edition ist die einzige unter den früheren Editionen von Vorlesungsnachschriften, der man einen kritischen Charakter zuerkennen kann. Gleichwohl versteht sich die hier vorgelegte Neuausgabe nicht als deren Fortsetzung. Sie beabsichtigt aber auch nicht, die alte Ausgabe des Freundesvereins zu ersetzen. Neben mehreren Nachschriften der Schüler stand dem Erstherausgeber auch Hegels eigenhändiges, a~f die erste Vorlesung in Jena zurückreichendes Kollegheft mit den späteren handschriftlichen Ergänzungen zur Veifügung. Bis auf die Manuskripte zur Einleitung in die Geschichte der Philosophie aus Heidelberg und Berlin sind diese Materialien heute verschollen. Trotz dieses Verlustes erlaubte die gegenwärtige Oberlieferungslage jedoch, wenigstens sämtliche sechs Berliner Kollegien und den Beginn des siebenten zu edieren, in ähnlicher Weise wie die Vorlesungen über die Philosophie der Religion (Hegel: Vorlesungen. Bde 3-5). Auch in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie hat Hegel seinen früheren Vortrag niemals bloß wiederholt, ohne zugleich Änderungen am Wortlaut und auch an der Anordnung der Gestalten der Philosophiegeschichte vorzunehmen. Die Differenz zwischen den philosophiegeschichtlichen Kollegien ist jedoch von anderer Art als diejenige zwischen den Vorträgen derjenigen Disziplinen - wie z. B. der Religionsphilosophie -, deren systematische Form Hege/ allererst im Verlauf mehrerer Semester gewonnen hat. Hegel setzt meh~fach neue Akzente, behandelt einmal diesen, ein anderes Mal jenen Abschnitt ausführlicher. Einige alte Themen entfallen, neue treten hinzu. Aber wenn er auch öfters in der Anordnung einzelner Philosophim variiert- etwa in der Stellung der schottischen und der französischen Philosophie des 18. Jahrhunderts gegenüber Hume -, so ist doch der Aufriß des Gattzen hier durch die Chronologie vorgegeben. Die Eigenart dieser Überarbeitungen wird das Vorwort der Herausgeber zum ersten Teil dieser Vorlesungen ausführlich darlegen. Nicht allein aus Gründen der Arbeitsersparnis schien deshalb ein serieller Abdruck sämtlicher Kollegien nicht angezeigt. Er hätte lediglich eine enorme Aufblähun,~ des Umfangs der Ausgabe zur Folge gehabt, ohne den philosophischen Ertrag auch nur in annähernd ähnlichem Maße zu steigern. Die neue Edition gibt deshalb den Teil für das Ganze: den Vortrag aus dem Wintersemester 1825/26 an der Friedrich Wilhelms-Universität Ber-

Vorbemerkung der Herausgeber

IX

lin. Daß dieser und nicht ein anderer Jahrgang ausgewählt wurde, liegt nicht daran, daß er inhaltlich einen besonderen Vorzug vor dem der anderen Semester genösse. Es hat vor allem den pragmatischen Grund, daß dieser Vortrag gegenwärtig weitaus am besten- durch fünf Nachschr!fienbelegt ist. Daneben wurde aber auch berücksichtigt, daß der Vortrag dieses Semesters mit den meisten anderen in den Grundzügen übereinstimmt anders als etwa der Vortrag 1823/24, der einige Eigentümlichkeiten aufweist, aber gleichwohl vom Erstherausgeber Michelet der Konzeption des Ganzen zu Grunde gelegt worden ist. Wegen dieser Beschränkung auf ein einziges Kolleg ist die Neuausgabe zwar nicht so materialreich wie die frühere. Sie gewährt jedoch erstmals einen Einblick in Hegels wirklichen Vortrag dieses Teils seiner Philosophie im Verlauf eines Semesters - an Stelle der früheren Kompilationen voll Vorlesungsmanuskripten Hegels und Nachschr!fien seiner Schüler aus nahezu drei Jahrzehnten. Und nicht allein die Konzeption eines Kollegs ist hier authentisch wiedergegeben - auch der hier hergestellte Text kann als erheblich zuverlässiger gelten als in denjenigen Partien des Kollegs 1825/26, die Michelet in die alte Ausgabe aufgenommen hat, und ebenso in den anderen auf Nachschr!fien gestützten Partien. Unerreichbar bleibt einer Nachschr!fienedition freilich die Authentizität des Wortlauts eines Hegeischen Manuskripts. Doch ist dieser Einwand fiir die gegenwärtige Interpretation von He,itels Darstellung der Geschichte der Philosophie unerheblich, da aus den alten Ausgaben allein gar nicht ersichtlich ist, welche Partien auf Hegeischen Handschr!fien beruhen. Dies kann nur mittels eines sehr aufwendigen quellenkritischen Verfahrens aus den früheren Editionen näherungsweise ermittelt werden. Zum ei1te11 lassen sich auf diese Weise durch Identifikation mit den Nachschr!fien Partien ausgrenzet!, von denen man mit Grund behaupten kann, daß sie dem Berliner Vortrag einzelner Kollegien zu Grunde gele,iten haben. Es ist gleichsam eine List der Editionstechnik, dqß sich beim Versuch der Rekonstruktion des Wortlauts eines Kollegs auch Hinweise auf die diesem Vortrag zu Grunde liegenden Manuskripte finden und die Manuskripte selbst atmäherullgsweise bestimmen lassen. Und zum anderen lassen sich durch Subtraktion zum Teil Utf!fangreiche Partien ausgrenzen, von denen man mit Sicherheit sagen kann, daß sie nicht auf Nachschr!fien irgendeines der Berliner Kollegien zurückgehen. - Ein weiteres Novum der Neuausgabe bilden die Ulf!{angreichen Anmerkungen, die einen genauen Vergleich der Quellen

X

Vorbemerkung der Herausgeber

Hegels und seiner Darstellung - oder doch den Nachschriften seiner Darstellung - erlauben und dadurch zugleich eir1en Einblick in Hegels Arbeitsmethode gewähren. Ein Register zu allen vier Teilen der philosophiegeschichtlichen Vorlesungen wird dem zuletzt erscheinenden dieser Teilbände beigegeben werden. Die hier vorgelegte Neuausgabe ist aus einem Plan der beiden Herausgeber zur Publikation ursprünglich nur einer einzigen der Nachschr!ften des Kollegs 1825/26 erwachsen. Der Vergleich mit den anderen Nachschriften dieses - und nicht nur dieses - Kollegs hat jedoch zu der Einsicht geführt, daß die Publikation einer einzigen Nachschrift- welcher auch immer-mtschieden zu fehlerhaft und deshalb nicht vertretbar gewesen wäre. Es hätte in diesem Falle Uff!{angreicher Korrekturen bedurft, die doch allein unter Berufung auf den Jeweils von den anderen Nachschriften ü.berlieferten Text zu rechtfertigen gewesen wären. Deshalb wurde der urspüngliche Plan erheblich ausgeweitet. Eine kurze Information über die Editionsmethode geben im Anhang die Bemerkungen Zur Konstitution des Textes; eine auiführliche Darlegung wird das Vorwort der Herausgeber zum ersten Teil dieser Vorlesungen enthalten, der al: Band 6 dieser Reihe Hegel: Vorlesungen. erscheinen wird. Dieser Erweiterung des ursprünglichen Planes wegen konnte die Neuausgabe nur dank der Unterstützung der beiden Herausgeber durch Dritte verwirklicht werden. Es galt zunächst, Transkriptionen nicht allein der füf!{ erhaltenen Nachschriften des Kollegs 1825/26, sondern auch der übrigen Nachschriften herzustellen. Für die Mitwirkung bei diesen langwierigen - langjährigen - Arbeiten sei Gudrun Sikora und Dora Braun sehr herzlich gedankt, ebenso fiir die Herstellung der Druckvorlage des Textes und der Anmerkungen. Ilona und Barbara Jaeschke gilt der Dank für die Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Anderer Art ist die Förderung, die die Ausgabe von seiten mehrerer Institutionen erfahren hat. Die Arbeit der Herausgeber steht einerseits im Zusammenhang der Edition der Heidelberger und Berliner Vorlesungsmanuskripte Hegels sowie der Vorbereitungen für die Edition der Vorlesungsnachschriften im Rahmen der - von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen - Gesammelten Werke Hegels. Andererseits bildet sie einen Teil eines I'Om Centre National de la Recherche Scienti.fique, Paris, unterstützten Projekts zur philosophischen wie auch zur iibersetzerischen und editorischen Erschließung der Vorle-

Vorbemerkung der Herausgeber

XI

sungen Hegels über die Geschichte der Philosophie. In diesem Rahmen sind in den zurückliegenden Jahren sechs Bände eir1er auf sieben Bände geplanten französischen Übersetzung und Kommentierung der Erstausgabe der Regelsehen Vorlesungen erschienen (Hegel: Lenotwendig< ist ein leeres Wort. Warum die Substanz dieses setzt, das soll gar nicht begriffen werden, und es soll auch dazu kein Versuch gemacht werden. So ist also Gott die Substanz der Tätigkeit, aber als ganz unvernünftig dargestellt. I Diese abstrakte Negativität und vollkommene Auflösung, verbunden mit dem beharrenden Einen, das ist die Grundbestimmung in der orientalischen Vorstellungsweise. Die orientalischen Dichter sind vornehmlich Pantheisten. Der Spinozismus ist ihre allgemeinste, gewöhnlichste Anschauungsweise. Die Araber haben so die Wissenschaften und die Philosophie ausgebildet, ohne die konkrete Idee weiter zu bestimmen, sondern [durch] Willkür. Das letzte ist vielmehr die Auflösung alles Konkreten, [aller] Bestimmung in der Substanz, mit der nur die Veränderlichkeit als abstraktes Moment der Negativität verbunden ist. 567-568 eigentümlich gemacht.] so Pi; Lii: hinzugetan 571-573 Der ... Augenblick. $0 Lii 574-575 alles ... gehört. so Gr, ähnlich Lii 580-581 Warum ... dieses] so Pi; He: weil er die Substanz setzt, aber daß er die Physis 581-582 und ... werden. so Gr 587-588 Der ... Anschauungsweise. so Lö, ähnlich Gr 591-592 der Substanz] so Lii; Gr: dieser Substanz Pi: die Substanz He: der Einen Sv: der Einheit der Substanz

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Philosophie des Mittelalters

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Zu erwähnen sind hier noch einige Juden, besonders Mo s es Maimonides. Er war ein Jude, in Ägypten geboren, und lebte in Cordoba in Spanien im 12. Jahrhundert. Sein Werk, More N evochim, doctor perplexorum, der Lehrer der Verwirrten, haben wir noch; es ist ins Lateinische übersetzt. Wie bei den Kirchenvätern und Philo ist die geschichtliche Gestaltung zugrunde gelegt und metaphysisch behandelt worden.

*

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3. Die Scholastiker Das dritte sind nun in dieser Periode die Scholastiker; es ist die europäische Philosophie im europäischen Mittelalter. Die eigentlichen Kirchenväter dagegen gehören der römischen Welt vornehmlich an. Aber die christliche Kirche, Gemeinde, hatte sich zwar ausgebreitet in der römischen Welt, besonders aber im Anfang nur so, daß sie eine eigene Gemeinschaft unter sich bildete, von welcher die Welt aufgegeben war. Sie machte keinen Anspruch, darin zu gelten, zu herrschen. Die Individuen entsagten der Welt und waren Märtyrer in ihr. Die Kirche ist nun auch zwar herrschend geworden, östliche und westliche Kaiser sind Christen geworden, und die Kirche war so öffentliche Autorität. Sie hat eine öffentliche, unverkümmerte Existenz erlangt und erhielt auch so vielen Einfluß auf das Weltliche. Die politische Welt fiel aber in die Hände der germanischen Völker, mit denen eine neue Welt im Abendland aufging - und dieser gehört die scholastische Philosophie vornehmlich J an. Wir kennen diese Revolution als Völkerwanderung. Andere, frische Stämme haben sich über die alte römische Welt ergossen und sich darin festgesetzt; sie bauten ihre Herrschaft auf die Ruinen des Alten. Durch Brand und Zerstörung ist diese neue Welt gegründet - ein Bild, das uns noch der Anblick Roms gegenwärtig gibt, wo die Pracht der christlichen Tempel zum Teil Reste der alten sind und die neuen Kirchen auf und unter Ruinen stehen. Das Hauptelement im Mittelalter ist 594 Zu ... besonders so Gr, ähnlich Lö 597 Verwirrten] Lö: Verwickelten He: was verwickelt ist 602 nun] so Pi; Gr: die Hauptpersonen

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Scholastiker

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dies Gedoppelte, diese Entzweiung. Wir sehen Völker, die vorher geherrscht haben, eine vorhergehende Welt, die eigene Sprache, Gesetze, Verfassung, Künste und Wissenschaft, das Recht ausgebildet hatten, tmd auf dies ihnen Fremde setzten sich die neuen Nationen. Wir haben so in dieser Geschichte nicht vor uns die Entwicklung einer Nation aus ihr selbst, sondern die Entwicklung einer Nation, insofern sie vom Gegensatz ausgeht, mit diesem Gegensatz behaftet ist und bleibt, ihn in sich selbst aufnimmt und zu überwinden hat. Diese Völker haben so auf diese Weise die Natur des geistigen Prozesses an ihnen dargestellt. Der Geist ist dies, eine Voraussetzung sich zu machen, das Natürliche sich als Unterlage zu geben, sich von dem Natürlichen zu scheiden und dies so zu seinem Objekt, zu seiner Voraussetzung zu machen, und diese ist dann zu verarbeiten, zu formieren und so aus sich hervorzubringen, zu erzeugen, aus sich zu rekonstruieren. Deswegen ist das Christentum in der römischen und byzantinischen Welt zwar triumphierend und herrschend geworden, allein nicht die römische noch byzantinische Welt ist fähig gewesen, die neue Religion wahrhaft in sich zu betätigen und die Welt aus diesem Prinzip hervorzubringen, denn in beiden Völkern war alles fertig: Sitte, Gesetze, Rechtsverhältnisse, Verfassung, politischer Zustand, Kunst, Wissenschaft, die ganze geistige Bildung, alles war schon etwas Fertiges. Hingegen der Natur des Geistes ist es nur gemäß, daß diese gebildete Welt aus ihm erzeugt werde und daß diese Erzeugung hervorgehe durch die Gegenwirkung und die Assimila Ition eines Vorhergegangenen durch diesen Prozeß. Diese Eroberer also haben sich festgesetzt in einem Fremden und sind die Herrschenden darüber gewesen; aber zugleich sind sie in die Gewalt eines fremden, neuen Geistes gekommen, der ihnen auferlegt worden ist überhaupt. Weltliche Herrschaft haben sie ausgeübt einerseits, aber andererseits sich passiv verhalten gegen das geistige Prinzip. Die geistige Idee oder die Geistigkeit, das Geistige ist in sie hineingelegt worden. Sie als rohe Barbaren erscheinend, in Stumpfheit des Gemüts und des Geistes, haben in diese Stumpfheit das Geistige aufgenommen. Ihr Herz ist damit gleichsam durchstochen worden. Ihrer 634 Unterlage] so Pi; GrLö: Widerlage 653--654 Die ... oder so GrLö

Philosophie des Mittelalters

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stumpfen und rohen Natur ist die Idee auf diese Weise als eine unendlich entgegengesetzte immanent geworden, oder es ist in ihnen die unendliche Qual entzündet worden, so daß sie selbst als ein gekreuzigter Christus dargestellt werden können. Diesen großen inneren Kampf dieses ungeheuren Gegensatzes hatten sie zu bestehen, und eine Seite dieses Kampfes ist die Philosophie, die später sich unter ihnen eingestellt hat und zunächst als ein Gegebenes überkommen ist. Es sind noch ungebildete Völker, aber tief an Herz und Gemüt bei barbarischer Dumpfheit; in diese ist dann das Prinzip des Geistigen gelegt worden, und damit ist diese Qual, dieser Kampf des Geistes und des Natürlichen notwendig gesetzt. Die Bildung fängt hier vom ungeheuersten Widerspruch an, und dieser Widerspruch hat sich aufzulösen. Die zwei Seiten desselben sind wesentlich so im Verhältnis gegeneinander, daß das Geistige es ist, was regieren soll, was herrschen soll. Die wahrhafte Herrschaft des Geistes kann aber nicht Herrschaft sein in dem Sinne, daß das Gegenüberstehende ein Unterworfenes sei, sondern der allgemeine Geist kann den subjektiven Geist, zu dem er sich verhält, nicht als einen äußerlich Gehorchenden, Knechtischen gegenüber haben, denn dieses Subjekt ist selbst Geist. Die Herr-J schaft hat den Sinn, daß der Geist im subjektiven Geiste sich mit sich selbst vereinigt. Diese Stellung, Harmonie, Versöhnung ist die, welche zuerst als ein widersprechendes Verhältnis des allgemeinen Geistes zu dem subjektiven erscheint, in dem das eine nur die Macht haben kann mit Unterwerfung des anderen. Aber so ist [es] nur äußerer Schein. Die ganze folgende Geschichte ist Entwicklung zu der Versöhnung. Zur Versöhnung gehört, daß das subjektive Bewußtsein, die weltliche Herrschaft, [das] weltliche Wesen, Gesetz, Verfassung usf. auf der einen Seite vernünftig werden. Wir haben gesehen, daß Plato die Idee einer Republik aufgestellt hat, wo die Philosophen regieren sollten; jetzt ist es die Zeit, in der ausgesprochen wird, daß das Geistige herrschen solle, und dies Geistige hat den 664-665 665-666 668-669 670-671

und ... ist. so Gr, ähnlich Lö aber ... Gemüt so Gr Die ... und so Gr Die ... daß so Gr

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besonderen Sinn erhalten, daß das Geistliche, nämlich die Geistlichen herrschen sollen, d. h. das Geistige in besonderer Gestalt von Individuen. Der wahre Sinn ist aber, daß das Geistige das Bestimmende sein soll, was bis auf unsere Zeiten gegangen ist. So sehen wir in der Französischen Revolution, daß der Gedanke, der abstrakte Gedanke allein der herrschende Regierer der Welt sein soll; nach ihm sollen Staatsverfassung und Gesetze bestimmt werden, er soll das Band unter den Menschen ausmachen, und das Bewußtsein der Menschen soll sein, daß das, was unter ihnen gilt, abstrakte Gedanken sind, Freiheit und Gleichheit; diese sollen das allein Geltende sein, worein auch das Subjekt seinen wahren Wert in Beziehung auf die Wirklichkeit setzt. Eine Form dieser letzten Versöhnung kann auch bemerklich gemacht werden, nämlich, daß das Subjekt in sich selbst mit sich, wie es steht und geht, mit seinen Gedanken, seinem Wollen, mit seinem Geistigen zufrieden ist, so daß das Subjekt, sein Wissen, Denken, seine Überzeugung zum Höchsten geworden ist - die Bestimmung des Göttlichen, des an und für sich Geltenden hat. Diese Versöhnung, das allgemeine Geistige, ist so in meinem subjektiven Geiste gesetzt, identisch mit mir, so daß ich selbst das allgemeine Geistige sei, so daß ich sei in meinem unmittelbaren Geiste, und es gilt I nur, wie ich unmittelbar weiß. Das ist die neueste Form der Versöhnung, aber einseitig, da das Geistige nicht als objektiv an und für sich seiendes aufgefaßt ist, sondern nur wie es in meiner Subjektivität als solcher ist, in meinem Gewissen; meine Überzeugung als solche wird für das Letzte genommen. Wenn die Versöhnung nur diese Gestalt erhalten hat, so hat diese Stellung, welche wir früher [in] der christlichen Religion gesehen haben, kein Interesse mehr; es ist nur etwas Vergangenes, Historisches. Was wir wissen, wie wir überzeugt sind, wie es sich unmittelbar im Innerenjedes Subjekts offenbart, dies ist das Wahre, das Anundfürsichseiende. Alle diese Weisen und Gänge der Vermittlung des Wahren als des Anundfürsichseienden, Gottes, mit den Menschen haben kein anderes Interesse als ein geschichtliches. Es gilt als etwas, 693 was ... ist so Gr 714-715 meine ... genommen. so Gr

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Philosophie des Mittelalters

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was für uns nicht mehr Bedürfnis ist, uns nicht mehr interessiert. Ebenso die Lehren, die Lehrbegriffe der christlichen Religion, haben 725 die Stellung eines Fremdartigen, eines nur einer besonderen Zeit Angehörigen, mit dem sich jene Menschen bemüht haben. Die Idee an und für sich - daß die Idee konkret ist, der Geist ist tmd daß das Subjekt selbst in diese Idee eintrete - dies ist verschwunden und erscheint nur als etwas Vergangenes. Insofern hat das, was ich vom 730 Prinzip des christlichen Lehrbegriffs gesagt habe und noch von der Philosophie der Scholastiker sagen werde, nur auf dem angegebenen Standpunkt Interesse, d. h. auf dem Standpunkt, wo die Idee in ihrer konkreten Bestimmung gilt, nicht aber auf dem Standpunkt der unmittelbaren Versöhnung des Subjekts mit sich selbst. Das 735 Allgemeine ist also dieser Gegensatz, der das Prinzip der Auflösung so in sich enthält, daß das Geistige es ist, was regieren soll, das aber nur regiert, insofern es versöhnend ist. Näher haben wir nur zu betrachten den Charakter des Gegensatzes im Vergleich I mit der Philosophie, und hierbei ist an das Geschieht- 740 liehe kurz zu erinnern, jedoch nur an die Hauptmomente. - Diese Gestalt des Gegensatzes, wie sie in der Geschichte erscheint, ist einerseits die Geistigkeit, die als solche die Geistigkeit des Herzens sein soll. Der Geist ist aber Einer, und so haben wir [eine] Gemeinschaft derer, die in dieser Geistigkeit stehen, so entsteht eine Gemeinde - 745 sofern Äußerlichwerden und Anordnung der Gemeinde, die sich eben dadurch zu einer Kirche ausbreitet. Insofern das Geistige das Prinzip ist, so ist das Geistige unmittelbar allgemein. Das Geistlose ist, einzeln zu sein mit seiner Empfindung, Meinung. Die Kirche ist so organisiert. Sie geht aber selbst fort zum weltlichen Dasein, zu 1so Reichtum und Gütern und wird selbst weltlich mit allen Leidenschaften der Roheit, denn nur erst das Prinzip ist vorhanden, das Geistige, als Prinzip des Herzens; was aber zur Wirklichkeit des Daseins gehört- und dazu gehören selbst die Neigungen, Begierden 727 mit ... haben so Gr, ähnlich Lö 728 konkret ist so GrLii 734-735 auf ... selbst.] so Gr; He: wo das allgemeine Interesse unmittelbar herrscht und für immer. 744-745 und ... stehen, so Gr mit Lö

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des Herzens -, dies und das ganze Verhältnis unter den Menschen ist nach diesen Neigungen, Leidenschaften, noch nach dieser Roheit bestimmt. Die Kirche also, sofern sie nur das geistige Prinzip in sich enthält, aber noch nicht wahrhaft realisiert, so daß die Verhältnisse noch nicht vernünftig sind, so sind es auch die weiteren Verhältnisse vor der Entwicklung, Realisierung des geistigen Prinzips in der Welt. Ehe aber das Weltliche angemessen ist dem Geistigen, ist das Wehliehe auch vorhanden als ein Dasein, und dieses Weltliche ist das unmittelbar natürliche Weltliche. Die Kirche wird sonach das weltliehe Prinzip in ihrer Unmittelbarkeit an sich haben- Betrug, Habsucht, Gewalttätigkeit, Raub, Mord, Neid, Haß, Leidenschaft, alle diese Laster der Roheit wird sie an sich haben, und diese gehören dann ebenso zu dem Regiment. Diese Herrschaft ist also schon, wie sie Herrschaft des Geistigen sein soll, eine Herrschaft der Leidenschaft. Beides, das Geistige und Weltliche verschränkt sich ineinander, so daß solche Kirche meistenteils, wo nicht durchgehend, ebenso Recht hat nach dem geistigen Prinzip als sie Unrecht hat nach dem Prinzip der W eltlichkeit, der Leidenschaftlichkeit. I Was diesem geistlich-weltlichen Reiche gegenübersteht, ist das weltliche Reich für sich. Es stehen also gegenüber Papst und Kaiser, Kirche und Reich. Dieses weltliche Imperium soll dem geistigen oder geistlichen - was weltlich geworden ist - unterworfen sein; der Kaiser wird nur advocatus ecclesiae, Kirchenvogt. Dieses Weltliche stellt sich einerseits für sich, ist aber mit dem Anderen in Vereinigung, so daß es das Geistige zugleich als herrschend anerkennt. Beide aber müssen in Kampf kommen, eben wegen des Weltlichen, das in der Kirche selbst ist, und ebenso wegen des schlechten Weltlichen, des Gewalttätigen, der Barbarei in dem weltlichen Regiment, wie es für sich ist. Dieser Kampf mit dem Geistigen muß aber zunächst zum Nachteil desWeltlichen geführt werden, denn ebenso, wie es sich für sich stellt, so anerkennt es auch das Andere; es muß sich diesem, dem 765 in ihrer Unmittelbarkeit] so Pi; He: diese Unmittelbarkeit der Welt 766 Gewalttätigkeit ... Leidenschaft, so Gr 784 aber zunächst so Gr 785-786 denn ... Andere; so Gr, ähnlich Lö"

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Geistigen und dessen Leidenschaften unterwerfen. Die tapfersten, edelsten Kaiser sind in den Bann getan, teils von Päpsten, teils selbst von Kardinälen und Bischöfen. Sie haben mehr oder weniger zu Kreuze kriechen müssen und konnten nichts dagegen tun, konnten sich nicht auf die äußere Macht verlassen, denn sie waren in sich gebrochen, und so waren sie immer die Besiegten, mußten nachgeben. Was nun zweitens die Sitten anbetrifft, so sehen wir einerseits in den Individuen das Geistige in ihrem Herzen, unendlich geltend in ihm, aber ebenso andererseits den Gegensatz der Roheit, Unbändigkeit, der Leidenschaften, der Begierde, und so sehen wir die Individuen fallen von einem Extrem ins andere; von dem Extrem der rohesten Gewalttat fallen sie in das andere Extrem, in die vollkommenste Entsagung von allem, der Besiegung aller Neigungen, Leidenschaften usf. Das größte Beispiel hiervon machen vorzüglich die Kreuzzüge anschaulich. Zu heiligem Zwecke ziehen sie aus, auf dem Zuge aber verfallen sie in alle möglichen Leidenschaften, wobei die Anführer ihnen vorangehen; [sie] lassen sich frei aus- ebenso die Gewalt, Wildheit, Roheit der Einzelnen. Nachdem sie den Zug auf das Kopfloseste, auf die ungeschickteste Weise gemacht haben, kommen sie vor die Stadt Jerusalem, nachdem sie Tausende verloren haben; hier fallen alle nieder auf die Knie, sie beten, tun Buße I und sind zerknirscht. In diesem Moment werden [sie] dadurch zur Tapferkeit begeistert, und so erobern sie Jerusalem. Gleich nachher verfallen sie wieder in dieselbe frühere Roheit und Leidenschaftlichkeit zurück. Sie baden sich in Blut, sind unendlich grausam und dann tun sie zerknirscht wieder Buße und kehren wieder zurück zu den kleinlichsten Leidenschaften, Roheit, Habsucht und Geiz und verderben durch ihre Leidenschaften den Besitz, den sie sich erworben haben durch ihre Tapferkeit. Das geschah, weil das Prinzip nur als abstraktes Prinziplin ihnen, im Inneren ist, aber die Wirklichkeit des Men-

787 und dessen Leidenschaften so Gr 788-790 teils ... tun, so Gr mit Lö 791-793 denn ... nachgeben. so Gr, ähnlich Lö 814 Habsucht und Geiz] so He; Gr: des Eigennutzes und Neides

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sehen an sich noch nicht geistig ausgebildet ist. Dies ist die Art und Weise des Gegensatzes in der Wirklichkeit. Was in der Religion selbst diesen Gegensatz betrifft, so hat er darin viele Gestalten; es ist jedoch hier nur an das Irmerste derselben zu erinnern. Einerseits ist die Idee von Gott und auf der anderen Seite, was von ihm gewußt, erkannt wird, daß er die Dreieinigkeit ist; das andere ist der Kultus, d. h. der Prozeß des Individuums, sich dieser Idee zu nähern, selbst dem Reiche Gottes mit anzugehören und die Gewißheit dieser Vermittlung zu haben. Diese Vermittlung im Kultus ist nur vorhanden, wird nur vollbracht, am Individuum vollbracht, in dem höchsten Punkte, der die Messe heißt. Darin ist das Verhältnis zum Vermittelnden als zum Objektiven, welches genossen werden soll von den Individuen, so daß sie die Gewißheit erhalten, des Geistes teilhaft zu sein, daß das Göttliche in ihnen sei. Dies Objektive ist die Hostie, einerseits das Göttliche als gegenständlich, andererseits der Gestalt nach ein äußerliches Ding, aber so, daß es in seiner vollkommenen Äußerlichkeit verehrt werden soll. Luther hat diese Weise verändert, er hat den mystischen Punkt vollkommen beibehalten in dem, was das Abendmahl genannt wird, daß das Subjekt in sich empfängt das Göttliche, aber daß dies nur insofern göttlich ist, als es genossen wird im Glauben, d. h. insofern es im Glauben und im Genuß aufhört, ein äußerliches Ding zu sein; dieser Glaube und Genuß ist erst die subjektive Geistigkeit, und sofern es in dieser ist, ist es geistig, nicht indem es ein I äußerliches Ding bleibt. In der Kirche des Mittelalters, in der katholischen Kirche überhaupt, ist die Hostie auch als äußerliches Ding verehrt, so daß, wenn eine Maus eine Hostie gefressen hat, die Maus zu verehren ist und ihre Exkremente. Da ist das Göttliche im Sinne der vollkommenen Äußerlichkeit genommen. Dies ist der Mittelpunkt, dieser ungeheure Gegensatz, der einerseits aufgelöst ist, andererseits im vollkommenen Widerspruch bleibt, so daß z. B. die Hostie auch als bloß äußerliches Ding festgehalten und verehrt werden soll. Mit dieser Äußerlichkeit ist dann verbunden die andere Seite, das Bewußtsein über dies Verhältnis. Dieses Bewußtsein des Geistigen, 841 geistig] so Gr; Pi: geltend 849 verehrt werden] so LifSv; Gr: und doch dies Hohe, Absolute sein

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Philosophie des Mittelalters

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dessen, was die Wahrheit ist, ist in einzelne Individuen, in Besitz einer Priesterschaft gesetzt worden, und diese ist geschieden von den anderen als Laien. Die Priesterschaft ist im ausschließenden Besitz sowohl der Bestimmungen der Lehre als auch der Gnadenmittel, d. h. der Art und Weise des Prozesses, wodurch das Individuum im Kultus religiös ist und zur Gewißheit kommt, daß es des Göttlichen teilhaftig sei. Ebenso wie in Beziehung auf den Kultus die Geistlichkeit im Besitz ist, so ist sie auch im Besitz der moralischen Würdigung der Handlungen der Individuen, im Besitz des Gewissens der Einzelnen, so daß das Innerste des Menschen, das Gewissen, wodurch eine Handlung dem Einzelnen zugeschrieben werden kann, die Zurechnungsfähigkeit des Menschen, einer anderen Person übergeben wird und so die Subjekte bis ins Innerste selbstlos sind. Dies sind die Hauptverhältnisse der Äußerlichkeit in der Religion selbst, wovon denn alle weiteren Bestimmungen abhängen. Damit ist zugleich das, worum es zu tun ist, das Verhältnis zur Philosophie, bestimmt. Es kann im allgemeinen das Verhältnis, wenn es in einer theologischen Form ausgesprochen werden soll, so ausgedrückt werden, daß das Mittelalter gewesen sei die Herrschaft des Sohnes, nicht des Geistes, denn der Sohn ist das vom Varer sich Unterscheidende und als Sohn bloß aufgefaßt als im Unterschied bleibend - an sich die Idee, was der Vater ist, aber noch unterschieden. Der Geist ist aber erst die Liebe, die Vereinigung beider, was der Sohn und der Vater ist. Wenn wir sagen, der Sohn ist die Liebe, so sagen wir auch schon, er ist der Geist, schließen ihn zusammen mit dem Vater. Der Sohn an sich ist die konkrete Idee, aber noch nicht in ihrem Unterschied. So haben wir die göttliche Idee im Mittelalter nach dem unaufgelösten Unterschied, in ihrer Äußerlichkeit feststehend. Halten wir uns ungehörig einen Augenblick auf I bei dem Unterschied, ohne die Identität zugleich zu setzen, so ist der Sohn das Andere, und so finden wir das Mittelalter bestimmt. Den Charakter der Philosophie betreffend haben wir also im Mittelalter eine Philo864-866 Dies ... abhängen. so Gr, ähnlich LO' 874-875 was ... ist. so Lö' 881-883 Halten ... bestimmt. so Gr

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sophie, ein Denken, ein Begreifen, aber Begreifen mit einer Voraussetzung; es ist nicht die denkende Idee in ihrer Freiheit, sondern schlechthin mit der Form einer Äußerlichkeit oder Voraussetzung behaftet. Es ist so hier ganz derselbe Charakter wie im Allgemeinen des Zustands, und darum habe ich vorher an den konkreten Charakter erinnert; es ist ip. einer Zeit immer Eine Bestimmung, die darin vorhanden ist. Das christliche Prinzip enthält in sich selbst die höchste Aufforderung zum Denken, weil die Idee darin durchaus spekulativen Inhalts ist. Einerseits ist die Idee mit dem Herzen aufzufassen; Herz nennen wir den einzelnen Menschen, und die Identität des Individuums mit der Idee liegt darin, daß die Mitte der Idee, der Sohn, als das Vermittelnde selbst vorgestellt wird in der Form unmittelbarer Einzelheit, als dieser Mensch; dies ist die Identität des Geistes mit Gott, die Identität für das Herz als solches. Aber dieser Zusammenhang selbst, da er zugleich ein Zusammenhang ist mit Gott, in Gott, und der Gegenstand der ganzen Idee ist mystisch, spekulativ, und darin liegt eben eine Aufforderung zum Denken, welche früher die Kirchenväter und jetzt die scholastischen Philosophen erfüllt haben. Die scholastische Philosophie ist so wesentlich Theologie und diese Theologie unmittelbar Philosophie. Der sonstige Inhalt der Theologie ist nur der, welcher in der Religion überhaupt ist, Vorstellung des Lehrbegriffs. Aber sie [sc. diese Theologie] ist auch Wissenschaft, [ist auch] noch Gedankeninhalt. Das Wissenschaftliche daran ist auch das Geschichtliche, daß es soundsoviele Codices des Neuen Testaments gibt, die Geschichte der Päpste, Konzilien, Bischöfe, Kirchenväter, aber alles dieses gehört der Natur Gottes nicht an und dem Verhältnis dieser zum Menschen; der wesentliche Gegenstand der Theologie als Lehre I von Gott ist die Natur Gottes, und dieser Inhalt ist seiner Natur nach wesentlich spekulativ. Da also der Inhalt zum Denken auffordert, kann diese wahre Theologie nur eine Philosophie sein. 888-891 wie ... ist. so Gr 892 Das ... selbst] so Pi, ähnlich He; Gr: Die Philosophie des Mittelalters enthält also das christliche Prinzip, das Lö": In der Philosophie des Mittelalters liegt, daß das christliche Prinzip 898 Geistes] so Gr; He: Herzens

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Philosophie des Mittelalters

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Wir haben nun näher von der Art und Weise der Scholastiker zu sprechen. Es ist angegeben, daß das Philosophieren, das Denken, mit absoluter Voraussetzung behaftet war; es war dies die kirchliche Lehre- selbst zwar spekulativ, an sich das Wahre, aber doch in der Weise der Vorstellung. Das Denken erscheint also nicht als frei von no sich ausgehend, sich in sich bewegend, sondern abhängig von einem gegebenen Inhalt, der spekulativ ist, aber noch die Weise des unmittelbaren Daseins in sich enthält. Die Folge davon ist, daß das Denken mit dieser Voraussetzung sich wesentlich als schließend benehmen wird; Schließen ist die Weise des formellen logischen Fortgangs; es 925 wird eine endliche besondere Bestimmung vorausgesetzt und von dieser zu einer anderen fortgegangen, und solche Bestimmungen als besondere sind endliche überhaupt; diese verhalten sich als äußerlich, nicht als in sich, wie in einem Kreislauf, zurückgehend, sich mit sich zusammenschließend. 93o Mit dieser endlichen Form ist auch unmittelbar endlicher Inhalt verbunden; es ist endliche Form des Inhalts überhaupt. Das Denken ist ebenso nicht ein freies, sondern die Selbstlosigkeit macht in seinem Inhalt eine wesentliche Bestimmung aus. Wenn wir dies konkreter ausdrücken und betrachten, indem wir uns näher auf das 935 Menschliche berufen, so sprechen wir von Menschlichkeit, von gesundem Menschenverstand, [von] Naturanschauung. Wir sprechen von menschlichem konkreten Gemüt überhaupt, z. B. griechischer Menschlichkeit. In diesem Konkreten liegt, daß der Mensch als Denkendes oder Fühlendes präsente Gegenwart habe, daß solcher 940 konkrete Inhalt in seinem Denken seine Wurzel hat; dies Konkrete macht den Stoff aus für sein wesentliches Bewußtsein. Es ist sein Gegenstand, an dem sich das formelle Denken orientiert, die Verirrungen des abstrakten Reflektierens haben an solchem Bewußtsein ein Ziel, welches ihnen eine Grenze setzt und sie zurückführt auf 945 menschlich Konkretes überhaupt, auf Naturanschauung, auf das richtige Denken. 916-917 Wir ... sprechen. so Gr 920 der Vorstellung.] so Pi; Gr: äußerliche Gegenstände 922-923 die ... sich] so Gr; He: eine geschichtliche Wahrheit 944 des abstrakten Refl.ektierens so Gr

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Den Inhalt dieser Art entbehrt I nun die Weise des Philosophierens in dieser Zeit. Einerseits ist die kirchliche Lehre und andererseits ist der natürliche Mensch noch nicht zur Vernünftigkeit oder noch nicht einmal zur Menschlichkeit aus der Barbarei herausgearbeitet. Die Wildheit und Barbarei besteht eben aus dem Gegensatz, wie er aufgezeigt ist; sie ist um so fürchterlicher, je mehr sie am Geistigen diesen ungeheuren Gegensatz hat. Es ist Barbarei, nicht Mangel an Entwicklung, sondern sie ist um so fürchterlicher, je mehr sie vom Gegensatz des Geistigen behaftet ist. Indem nun dieser Gegensatz überhaupt besteht, indem der Mensch an ihm selbst, an dem, was gesunder Menschenverstand heißt, in die Vernünftigkeit noch nicht hineingedrungen ist, hat er zum Orientieren des formellen Denkens noch keinen solchen konkreten Inhalt. Was er auch über solchen Inhalt reflektiert, hängt dann haltungslos an Reflexionsbestimmungen, Bestimmungen des formellen Denkens, des Schließens. Was etwa von Naturbetrachtungen, Bestimmungen über natürliche Verhältnisse, Gesetze der Natur usf. vorkommt, hat an der Erfahrung noch nicht seinen Widerhalt, ebenso, was über das Besondere, Menschliche reflektiert wird; es ist noch nicht begründet, bestimmt durch gesunden Menschenverstand. Der Inhalt ist auch in dieser Rücksicht innerhalb dieser Sphäre noch geistlos, und diese geistlosen Verhältnisse werden umgekehrt, wenn es zur Bestimmung des Höheren, Geistigen übergehen soll; sie werden in das Geistige hinübergetragen.

Die Hauptmomente der scholastischen Philosophie

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Diese Bestimmungen sind hier der allgemeine Charakter des Philosophierens. Das Feld ist also sehr groß. Wir überlassen es der Literaturgeschichte und wollen, kurz an das Nähere gehend, die Hauptmomente des äußerlichen Gangs herausheben. Was wir zuerst von

954-955 Es ... Entwicklung,] so He; Pi: daß sie nicht unbefangen, unentwickelt ist

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Philosophie im Mittelalter, im Beginn selbständiger Staatsbildung finden, das sind nur dürftige Überbleibsel von der römischen Welt her, welche nach ihrem Verfall in jeder Rücksicht hinabgesunken war. So hat man im Abendland fast weiter nichts gekannt als etwa Boethius' Kompendium über die aristotelische Logik, [die] Isagoge des Porphyrius, eine dürftige Abhandlung von Augustin De dialectica, und De categoriis, eine schlechte Paraphrase der Kategorien des Aristoteles. Dies Äußerste und Formellste war damals nur bekannt. I

Der Beginn der Philosophie Eine eigentliche Philosophie begann mit J ohann Scotus Eriugena im 9. Jahrhundert. Sein Vaterland, ob es Irland oder Schottland gewesen, ist nicht bekannt. Er hat einige Kenntnis des Griechischen und Arabischen besessen. Er las griechische Schriften des Dionysius Areopagita und übersetzte sie ins Lateinische. Michael Balbus, der griechisehe Kaiser, hat 824 dem Kaiser Ludwig dem Frommen diese Schrift zum Geschenk gemacht; Karl der Kahle ließ sie vonjenem Schotten und Irländer, Johann Scotus, übersetzen. Dadurch ist im Abendland von der alexandrinischen Philosophie etwas bekannt geworden. Der Papst hat ihn etwas ausgescholten, daß er ihm die Schrift nicht vorher übersandt [und] daß er keine Approbation gesucht. Scotus hat auch selbsteigene Werke, über die Natur, geschrieben, De naturae divisione, worin einige Tiefe [und] Scharfsinn nicht zu verkennen ist. Doktor Hjort in Kopenhagen hat einen Auszug aus den Schriften des Eriugena geliefert. Es sind dem Scotus Eriugena auch Vorwürfe von einer Kirchenversammlung gemacht worden, daß er sich nicht gestützt habe auf die Heilige Schrift und auf die auctoritates patrum,

977 Staatsbildung] so Gr; He: Staaten und Bildung Lö: Staaten und wissenschaftlichen Interesses 981 Boethius' Kompendium] so Pi, ähnlich He; Gr: Schriften von Boethius und Cassiodor 984 damals nur bekannt.] so He; Pi: der Anfang 986 Eine ... Eriugena] so He, ähnlich PiLö; Gr: Johann Eriugena aus Eryng in der Grafschaft Wales war der erste,

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sondern auf menschliche und philosophische Argumentationen seine Sätze gestellt habe. Dies machte nun so den Anfang.

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Die philosophische Betrachtung der Kirchenlehre Anselmus und Abälard haben sich unter den späteren berühmt gemacht. Anselmus war ein gelehrter Mönch; [er] lebte von 1034 bis 1109; er wurde sehr geehrt und später zum Erzbischof von Canterbury erhoben. Er hat vornehmlich die Lehre der Kirche auf philosophische Weise zu betrachten und zu beweisen gesucht. Es wird sogar von ihm vornehmlich gesagt, daß er den Grund zur scholastischen Philosophie gelegt habe, daß er philosophisch bewiesen, was der Grund der Lehre der Kirche ist. Er sagt in dieser Rücksicht: Der Christ muß durch den Glauben zum denkenden Erkennen fortgehen, nicht durch den Intellectus zum Glauben kommen. Wenn er zum denkenden Erkennen durchzudringen vermag, so wird er sich freuen, wenn er sich durch den Gedanken beweist, was er sonst glaubt. Wenn er sich nicht durch das Denken den kirchlichen Glauben [zu] beweisen vermag, so muß er bei der Lehre der Kirche bleiben, nicht von ihr ablassen. Sehr merkwürdig ist folgendes, was das Ganze seines Sinnes enthält; in seinem Traktat Cur Deus sit homo, der reich an Spekulationen ist, sagt er: Es scheine ihm eine Nachlässigkeit - negligentia mihi videtur -, wenn wir, nachdem wir im Glauben befestigt worden sind, nicht suchen, dasjenige, I was wir glauben, zu verstehen, intelligere. lntelligere ist das denkende Erkennen. Aber heutigentags erklärt man das für Hochmut, Übermut; unmittelbares Wissen, Glauben, hält man für höher als Erkennen. Anselmus aber, der scholastische Gelehrte des Mittelalters, und die [anderen] Scholastiker haben das Gegenteil ausgesprochen. Er ist besonders berühmt durch den sogenannten ontologischen 18-19 daß ... ist. so M 26-27 was ... enthält so Gr 28 Spekulationen] so Gr; He: Scharfsinn 33 unmittelbares ... Erkennen. so Gr

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Beweis vom Dasein Gottes, den er aufgestellt hat, daß Gott ist, durch ein einfaches Räsonnement zu beweisen; davon sagt er in der Verrede zu jener Schrift: es habe ihm dies Tag und Nacht keine Ruhe gelassen; er hielt den Gedanken lange für eine Versuchung des Teufels. Endlich aber sei es ihm gelungen. Der einfache Inhalt dieses Beweises enthält den Gegensatz von Denken und von Sein, und es ist merkwürdig, daß wir sehen, daß erst jetzt und nicht früher das Denken, das Allgemeine, und das Sein in dieser Abstraktion einander entgegengesetzt werden und so der höchste Gegensatz zu Bewußtsein gekommen ist. Es ist die höchste Tiefe, den höchsten Gegensatz zum Bewußtsein zu bringen. Sein Beweis enthält den Mangel, daß er nach formell logischer Weise gemacht ist. Er enthält näher dieses: »Wir denken etwas, wir haben einen Gedanken; dieser Gedanke ist einerseits subjektiv, aber der Inhalt des Gedankens ist das ganz Allgemeine. Dieses ist zunächst nur so als Gedanke. Unterschieden davon ist das Sein. Wenn wir nun etwas denken und auch Gott z. B. denken (der Inhalt ist gleichgültig), so kann das, was wir denken, vielleicht auch nicht sein. Für das Vollkommenste halten wir aber, was nicht nur gedacht wird, sondern zugleich existiert. Folglich wäre Gott, der das Vollkommenste ist, unvollkommen, wenn er nur im Gedanken wäre und ihm nicht die Bestimmung des Seins zukäme. Folglich müssen wir ihm das Sein zuschreiben.« Der Inhalt ist von der höchsten Art; diese Identität des Denkens, d. h. des Gedankens Gottes, des reinen allgemeinen absoluten Gedankens und des Seins ist darin ausgesprochen, und wir geben es zu, daß das das W ahrlufte ist, was nicht bloß Denken ist, sondern auch ist; das Denken müssen wir aber hier nicht als bloß subjektiv nehmen; der Gedanke heißt hier der absolute, der reine Gedanke. Der Beweis ist von seiten des Formellen, des Logischen angegriffen worden, weshalb Kant ihn auch angegriffen und verworfen hat, welcher I Verwerfung die ganze Welt hinten nachgelaufen ist, der Beweis sei [etwas] Unzulässiges. Der Mangel des Formellen ist Jie Voraussetzung, daß die Einheit des Denkens und Seins, als das Vollkommenste, als Gott, vorausgesetzt ist. Der wahrhafte Beweis 46-47 Es ... bringen. so Gr 61-64 und ... Gedanke. so Gr, ähnlich Lii

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wäre, daß am Denken für sich aufgezeigt wird, daß es, für sich genommen, ein Unwahres ist, sich selbst negiert und sich damit zum Seienden bestimmt, ebenso wie auf der anderen Seite auch am Sein gezeigt werden muß, daß die eigene Dialektik des Seins ist, sich aufzuheben, sich zu setzen als das Allgemeine und eben damit als der Gedanke. Es ist dieser Beweis schon damals von einem Mönche, Gaunilo, kritisiert worden in einer Schrift, die er liber pro insipiente genannt hat. Anselmus hat ihm darauf geantwortet, [mit dem] liber apologeticus contra insipientem. [Gaunilo] hat dasselbe aufgezeigt als Kant, daß das Sein und das Denken verschieden sei. Der Einwurf ist, wenn wir uns etwas denken, ist damit noch gar nicht gesagt, daß etwas sei. So z. B., wenn wir uns 100 Taler denken. Es ist aber hier vom reinen Gedanken überhaupt die Rede. Gerade die Einheit dieser Verschiedenen ist es, worum es sich handelt. Es ist dies auch gar keine Neuigkeit, daß sie verschieden sind; das wußte Anselm ebensogut. Plato sagt: Gott ist das unendlich Lebendige, wodurch Seele und Leib, Sein und Gedanke auf ewig verbunden sind. Das ist die absolute Definition von Gott. Anselm hat also den Grund zur scholastischen Philosophie gelegt, hat so die Philosophie eingeführt in die Betrachtung der Lehre der Kirche, die also in dieser Hinsicht viel höher steht als die heutige. Gott ist der Inhalt der Religion, was nur mit dem Geiste wahrhaftig ist und nur durch den Gedanken wahrhaft begriffen werden kann. Das ist das eine, was bei ihm herauszuheben ist; das andere ist, daß er den Gegensatz von Denken und Sein in seiner höchsten Spitze aufgestellt [hat]. In der folgenden Philosophie, bei Cartesius, werden wir auch Denken und Sein an der Spitze sehen. 80-81 hat ... sei. so Gr 89 absolute] so Pi; Gr, ähnlich Lö: spekulative, wahrhafte 90 hat ... gelegt, so Lii, ähnlich Gr 91-92 Betrachtung ... Kirche,] so He; GrLö: Theologie des Mittelalters Pi: Religion 92 die ... heutige. so Lö, ähnlich Gr 95-97 er ... aufgestellt] so Lii; Pi: Das Denken ist von der höchten Spitze ausgegangen. 97-98 In ... sehen. so Lö

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Abälard lebte von 1097 bis 1142; er ist nach Anselm zu großem Ansehen gelangt; er hat ebenso über die Lehren der Kirche, besonders über die Dreieinigkeit philosophiert. Abälard hat vor mehreren 1000 Zuhörern vorgetragen. Wie um jene Zeit Bologna Mittelpunkt für das juristische Studium, so war Paris für die Theologen der Mittelpunkt der Wissenschaften; es war der Sitz der philosophierenden Theologie. Anselm und er waren die Stifter der scholastisehen Philosophie. Wir haben noch in diesem Sinne viele Werke von den Scholastikern überhaupt, aber sie sind sehr weitschichtig geschrieben, viele Folianten, und sind je später, desto formeller. I

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Die Ausbildung der Theologie durch die Scholastiker Das Weitere ist die nähere bestimmte Form, die die scholastische uo Theologie bekommen hat. Die Theologie wurde für die allgemeine Bildung der Geistlichen so getrieben, daß man aus den Kirchenvätern, besonders aus Augustinus und anderen, Stellen, Sentenzen über die Glaubenslehre zusammenschrieb. Dies hat so die Weise ausgemacht, die man zum Grunde legte, beim Lehren der Theologie. 115 Das Nähere war dann, den Lehrbegriff der Kirche in methodischer Form darzustellen und zugleich die metaphysischen Gründe damit zu verbinden, also die Theologie in ein wissenschaftliches System zu bringen. Die Männer, die dies besonders geleistet haben, sind vornehmlich: 120 Petrus von Navarra in der Lombardei, woher er gemeinhin * Petrus Lombardus genannt wird. Er schrieb Vier Bücher von Sentenzen, und er hieß daher auch Magister sententiarum. Überhaupt hat jeder scholastische Gelehrte, der sich auszeichnet, einen solchen Beinamen wie doctor invincibilis, sententiosus, angelicus, 125 divinus, deusinter philosophos usf. Er ist im Jahre 1164 gestorben. Er * sammelte die Hauptbestimmungen der kirchlichen Lehre, und diesen 99 lebte ... er so Gr 108 je ... formeller.] so Gr, ähnlich Lö; Pi: nur ganz formell 110-111 Das ... hat. so Lii mit Gr 115 Theologie] so He; Gr: Kirche

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wurden dann Fragen und Antworten beigefügt über besondere Umstände. Bei Petrus waren aber die Antworten mehr nur problematisch hinzugefügt, so daß die Fragen eigentlich nicht entschieden beantwortet waren. Er gebrauchte dazu eine Menge von Beweisstellen aus den Kirchenvätern. Der andere, der hier berühmt ist, war Thomas von Aquino. Er ist aus einem gräflichen Geschlecht bei Neapel 1224 geboren und starb 1274 auf einer Reise zu einer Lyoner Kirchenversammlung. Er war ein Dominikaner und hat Kommentare verfaßt über Aristoteles und Petrus Lombardus, und er hat selbst eine Summa theologiae geschrieben. Summa heißt Lehrbegriff. Er hieß doctor angelicus oder auch doctor universalis. Tiefe philosophische Gedanken über den ganzen Umfang der Theologie und Philosophie finden sich in seiner Summa. Er hat ebenso Fragen, Anmerkungen und Zweifel hinzugefügt und auch den Punkt angegeben, von dem die Auflösung abhängt. Das Hauptgeschäft der scholastischen Theologie hat darin bestanden, die Summa des Thomas Aquinus auszuführen und zu kommentieren. Ebenso sind eine unzählige Menge von Kommentaren I über [die] vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus geschrieben worden. Außerdem sind noch viele unbedeutendere. Die Hauptsache war, die Theologie philosophisch und weiter systematisch zu machen; Petrus Lombardus und Thomas von Aquino sind in dieser Rücksicht die berühmtesten, und man hat sie bei allen weiteren gelehrten Bearbeitungen lange zum Grunde gelegt. - In Rücksicht der formellen Ausbildung der philosophischen Theologie ist berühmt Johannes Duns Scotus, doctor subtilis, ein Franziskaner, geboren zu Dunston in der Grafschaft Northumberland, der auch einen Kommentar über den Magister sententiarum geschrieben hat. Er ist auchdeusinter philosophos genannt worden. Es sagt einer von ihm: Er hat die Philosophie so ausgebildet, daß er ihr Erfinder hätte sein können, wenn er sie nicht vorgefunden hätte. Er wußte die Myste130-131 so ... waren.] so Gr, ähnlich He; Pi: Noch verschiedene Annahme der W ortbedeutung. 132 Der ... war so Gr 147-151 Die ... gelegt. so Gr 157-158 Er ... hätte. so Gr mit Lö"

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rien des Glaubens so, als ob er sie nicht geglaubt hätte; er kannte die Eigenschaften der Engel, als wenn er selbst ein Engel wäre. Er schrieb 160 in wenigen Jahren so vieles, daß kaum ein Mensch hinreicht, es zu lesen oder es zu verstehen. Zwölf Folianten sind von ihm gedruckt. * 1304 kam er nach Paris und 1308 nach Köln, wo ihn die Dominikaner, die damals besonders die Lehrstühle der Theologie besetzten, sehr recht empfangen [haben] ; er starb jedoch daselbst bald darauf. 165 Er kommentierte die Sententiae des Petrus Lombardus. Dann machte * er dazu quaestiones und gab die argumenta pro und contra an. Er hat die scholastische Disputiermethode und ihren Stoff zur höchsten Höhe, auf den höchsten Gipfel gebracht und eine Menge Sätze erfunden, viele Unterscheidungen, eine Menge neuer Wörter gebildet, no Ausdrücke festgestellt. Die Ausdrücke der Scholastiker sind allerdings barbarisches Latein, aber dies ist nicht die Schuld der Scholastiker, sondern Schuld der lateinischen Bildung, daß die Gedankenbestimmungen der neuen Geistesbildung nicht in lateinischer Sprache vorhanden gewesen sind. Scotus gilt auch als Urheber der quodlibe- * tanischen Methode, [d. i.] die eristische Abhandlung über einzelne Gegenstände, die über alles spricht, aber ohne systematische Ordnung des Ganzen. I In der Mitte des 12. Jahrhunderts ist die Scholastik ganz allgemein geworden. Die doctores theologiae dogmaticae waren die Bewahrer t8o der öffentlichen Lehre, welche Bücher kritisierten, sie für ketzerisch erklärten usf. Sie waren gewissermaßen eine Art Kirchenversammlung, eine Art von Vätern in Ansehung des christlichen Lehrbegriffs. Dahin gehört die Sorbonne in Paris. Die aristotelischen Schriften wurden später mehr bekannt, kommentiert und interpretiert, und 185 Aristoteles wurde hoch bewundert. Der Weg ist schon gezeigt, wo- * durch die Abendländer mit den aristotelischen Schriften bekanntgeworden sind; der Kaiser Friedrich II. ließ des Aristoteles Bücher * aus dem Arabischen und Syrischen ins Lateinische übersetzen. Die Kirchenversammlungen haben sich auch zum Teil damit befaßt und 190 159-160 er ... wäre. so Gr 183 eine ... Vätern so Gr 185 mehr) so He; Gr: allgemein 189 rmd Syrischen so Gr, ähnlich Lö

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das Lesen der Metaphysik, Physik und die Summen, die daraus verfertigt wurden, wurden anfangs auf einer Synode zu Paris verboten. Papst Gregor verbot 1231 durch eine Bulle, die nach Paris gerichtet wurde, die Physik des Aristoteles zu lesen, bis sie geprüft und von den Irrtümern gereinigt sei. Später aber wurde verordnet, daß keiner in Paris Magister der Philosophie werden solle, wenn er nicht die vorgeschriebenen Bücher des Aristoteles, die metaphysischen und einige physische, studiert und erklärt hätte. Unter denen, die sich durch das Kommentieren der aristotelischen Schriften ausgezeichnet haben, ist besonders zu bemerken Albertus Magnus. Er war ein Deutscher. Von seinen Schriften sind noch 21 Folianten vorhanden. Er hat über Dionysius Areopagita, über Aristoteles' Physik [geschrieben] und den Magister sententiarum kommentiert. Er ist gebürtig aus Lauingen in Schwaben, ein Dominikaner, dessen Familienname von Bollstedt ist. Er studierte in Padua, wo noch sein Studierzimmer gezeigt wird. Er starb 1280. Früher soll er geistesschwach und stumpfsinnig gewesen sein. Da soll ihm dann die Jungfrau Maria erschienen sein mit drei schönen Frauen I und ihm die Philosophie empfohlen haben und die Weisheit gegeben. [Sie) befreite ihn von der Geistesschwäche, indem sie ihm verhieß, er würde die Kirche erleuchten und der Wissenschaft ungeachtet rechtgläubig sterben. So widmete er sich der Philosophie. Es wurden ihm dann Zaubereien zugeschrieben; er soll eine Sprechmaschine erfunden haben, die Thomas von Aquino, der sie gesehen, so erschreckte, daß er anfing zu evaporieren. Fünf Jahre vor seinem Tode habe er aber ebenso schnell alle seine Philosophie wieder vergessen, und [er) verfiel in seinen früheren Stumpfsinn zurück [und soll) orthodox gestorben sein, und man führt als Sprichwort von ihm an: Albertus repente ex asino factus est philosophus et ex philosopho asinus. [Die] Kenntnis von der Geschichte der Philosophie war damals sehr gering; [dies) mag aus einigen Äußerungen des Albertus über diese erhellen. Von den Epikuräem sagt er, sie hätten ihren Namen davon, weil sie auf der faulen Haut gelegen hätten, quod supra 204-205 gebürtig ... ist. so Gr 212-213 So ... Philosophie. so Lei

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cutem iacebant, und weil sie supra curantes gewesen wären, die sich um unnütze Dinge bekümmerten; die Stoiker stellt er sich vor wie unsere Chorschüler; sie hätten ihre Philosophie in Verse gebracht, facientes cantilenas, und hätten sich in den Hallen [und] Säulengängen herumgetrieben. Nach ihm sind die Currendejungen wohl noch ein Überrest von ihnen. Im Leben des Epikur von Gassendi wird von Albert angeführt, daß die ältesten unter den Epikuräern gewesen seien: Hesiod, dann Achalius (wer dieser war wird nicht gesagt) und Caecinna, den andere Tetinnus nannten, ein Freund des Cicero. Dann auch Isaacus. - Von den Stoikern seien die ältesten: Speusippus, Plato, Sokrates und Pythagoras. Diese Anekdoten geben ein Bild des Zustands der Bildung der damaligen Zeit. - Die Hauptsache aber in dieser Zeit ist die Bekanntschaft mit Aristoteles und besonders mit seiner Logik, was sich von der ältesten Zeit her erhalten hat.

Realismus und Nominalismus Ein drittes, was anzuführen ist, ist ein Hauptgesichtspunkt, der auch noch für uns Interesse hat, oder eine Bestimmung, die sich durch das ganze Mittelalter hindurch erhalten hat: Dies ist der Unterschied von realistischer und norninalistischer Philosophie. Dieser Unterschied hat sich durch die ganze Zeit der Scholastik hindurchgezogen. Dieser Streit ist mit aller Heftigkeit und scholastischer Subtilität geführt worden. Man unterscheidet ältere und neuere Nominalisten und Realisten. Unter den älteren werden Roscellin und Abälard genannt. Zu denneueren gehört vorzüglich IWilhelm Occam, ~in Engländer und Franziskaner mit dem Beinamen doctor invincibilis, der 228-229 sich ... herumgetrieben.] so Lö mit He, ähnlich Sv; Gr: sie in den Hallen abgesungen 236-237 Diese ... Zeit. so Gr 238-239 und ... hat. so Gr 244-245 Dieser ... hindurchgezogen. so Gr 250-251 ein Engländer so Gr 251-252 mit ... starb. so Gr

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Scholastiker

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1347 zu München starb. [Er] hat diese Frage wieder an die Tagesordnung gebracht. Die Franziskaner waren Occamisten, wie Occam selbst Franziskaner war, und die Dominikaner waren dagegen, nach Thomas von Aquino, Thomisten. Dieser Unterschied ging jetzt fort. Die Ordensinteressen mischten sich ein. Occam und die Franziskaner sind auch in politischer Rücksicht merkwürdig. Occam war ein Anhänger des Kaisers Ludwig von Bayern und hat mit der Feder, wie der Kaiser mit dem Schwerte, die germanische Freiheit gegen die Anmaßungen des römischen Stuhls zu behaupten gesucht. Mit diesem Streitpunkt haben sich auch politische Rücksichten verbunden; der König von Frankreich, Ludwig XI. z. B. hat die Bücher der Nominalisten weggenommen oder verschließen lassen, 1481 aber gab er sie wieder frei. Was nun den Unterschied der Realisten und Nominalisten im allgemeinen betrifft, so bezieht [er] sich auf den Gegensatz des Allgemeinen und Einzelnen. Es handelt sich um die Universalien, das Allgemeine, [die] Idee Platos, die Gattung überhaupt, das Wesen der Dinge. Es war die Hauptfrage, ob dieses Allgemeine realiter existiere oder ob es nur nominell sei, d. h. eine subjektive Vorstellung oder ein Gedankending. Bei uns heute hat der Ausdruck >Realismus< den ganz entgegengesetzten Sinn, nämlich, ob die sinnlichen Dinge, wie sie in ihrer unmittelbaren Existenz sind, etwas Wahrhaftes, Substantielles seien, so daß ihnen eigentliches Sein zugeschrieben werden kann, und der Idealismus steht dem entgegen, abstrakt als die Vorstellung, daß das Sinnliche, wie es sich unmittelbar in seiner Einzelheit den Sinnen zeige, nicht ein Wahrhaftes sei. Im Mittelalter war es aber das Umgekehrte; der scholastische Realismus behauptete, daß das Allgemeine, die Universalien, die Gattungen, das Wesen der Dinge, die Idee ein Selbständiges, Fürsichseiendes, Existierendes sei; wogegen die Nominalisten sagten, es sei nur Vorstellung, subjektive Verallgemeinerung. Wenn man Gattungen usf. formiere, so seien dies Namen, Vorstellungen für uns, die wir machen. Dies ist nun der Gegenstand; er ist von großem Interesse. Das ist ein viel höherer Gegensatz als ihn die Alten gekannt haben. Nach den Nominalisten

282 Wenn ... so so Gr, ähnlich Lö"

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Philosophie des Mittelalters

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waren also die Universalien bloße Abstraktionen, die an sich nichts Reelles haben. Das Seiende dabei sei nur im Individuum; nicht das Leben, das Sein als solches I für sich habe eine eigentümliche Realität. Da kommen denn viele Bestimmungen und Unterscheidungen herein. In einer anderen Schrift von Occam wird der Standpunkt der Realisten so angegeben: Es ist eine Meinung, daß jedes Allgemeine, das Gleichnamige, realiter eine außer der Seele existierende Sache sei, daß die Essenz jedes Einzelnen unterschieden sei von jedem Einzelnen, aber auch von jedem Allgemeinen, so daß der allgemeine Mensch eine wahre Sache außer der Seele sei, die realiter in ihm existiere. Dieser allgemeine Mensch sei unterschieden von allem Einzelnen und allen Gattungen, vom allgemeinen Leben, von der natürlichen Substanz; also jede Gattung habe für sich reale Existenz. Occam nun dagegen sagte, daß das Universale nicht ein solches sei, das ein esse subiectivum habe, weder in noch außer der Seele, aber ein esse obiectivum in der Seele; es sei ein Gebildetes in der Seele, das aber doch objektive Realität habe, wie auch die Vorstellung Realität habe in der Sache; es sei für uns ein Zeichen dessen, was in der Natur existiere. Dies ist die Hauptfrage bei den Scholastikern, die für sich wichtig genug ist.

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Lehrbegriff und Formalismus Das letzte, was noch von ihnen zu bemerken ist, das ist dies, daß die Scholastiker nicht nur in den kirchlichen Lehrbegriff alle möglichen formellen Verhältnisse des Verstandes hineingebracht haben, sondern daß sie auch diese an sich intelligiblen Gegenstände behandelt haben nach sinnlichen, ganz äußerlichen Verhältnissen. Man kann daher sagen, daß sie den kirchlichen Lehrbegriff einerseits tief behandelt haben, auf der anderen Seite, daß sie ihn durch ganz ungeeignete äußerliche Verhältnisse verweltlicht haben, so daß dies hier der 286-287 diez ... haben. so Lii 289-290 Da ... herein. so Gr 298 natürlichen Substanz;] so He; Lö: allgemeinen Existenz; Gr: Existenz 303-304 es ... existiere. so Gr

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Scholastiker

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schlechteste Sinn der W eltlichkeit ist, den man nehmen kann. Der kirchliche Lehrbegriff enthält nun für sich ein geschichtliches Moment, eine Bestimmung von äußerlichen, sinnlichen Verhältnissen. Das christliche Prinzip enthält diesen Zusammenhang in sich selbst. Diese Seite haben die Scholastiker aufgefaßt und mit unendlichem Scharfsinn, mit endlicher formeller I Dialektik behandelt. Hiervon will ich einige Beispiele geben. Von Julian, Erzbischof von Toledo, hat man auch solche Behandlung von quaestiones. Der eigentliche Lehrbegriff war undisputabel. Aber es wurden an demselben verschiedene Seiten aufgesucht oder an ihn angehängt, und diese wurden betrachtet als freigelassen von der Kirche; über die Beweise, die vom Inhalt des Lehrbegriffs gegeben wurden, konnte man streiten, nicht aber über den Inhalt selbst. Außerdem wurde aber auch eine Menge Inhalts aufgefunden durch den Scharfsinn, der dann disputabel war. Es kommt z. B. eine solche Frage vor über die Gestorbenen: Der Mensch wird auferstehen und mit einem Leibe bekleidet werden. Dies ist eine kirchliche Lehre. Mit dem Leibe tritt man aber in die sinnliche Sphäre ein, und damit wird es disputabel. Nun kam man darauf, diesen Leib bestimmen zu wollen, und die Frage wird aufgeworfen: In welchem Alter werden die Gestorbenen auferstehen? Als Kinder, Jünglinge, Männer oder Greise? Ferner, in welcher Gestalt, mit welcher Leibeskonstitution? Wenn sie mager gewesen, [wieder] mager, wenn sie fett gewesen, wieder fett? Wird der Geschlechtsunterschied fortdauern? Ob die Menschen alles wiederbekommen werden, was sie an Nägeln und Haaren verloren? Eine Hauptfrage betraf ferner auch die Geburt Christi, ob sie natürlich oder übernatürlich gewesen sei? Schon früh wurde ein Werk: de partu beatae virginis geschrieben, das den Gegenstand mit einer eines Accoucheurs würdigen Genauigkeit behandelt. Bei Petrus Lombardus finden sich über die Schöpfung, den Sündenfall, die 320 endlicher formeller) Gr: endlicher PiLö: formeller He: unendlich scharfsinniger 332-333 Mit ... disputabel. so Gr mit Lö 345-346 den ... Engel) Lö: den Sündenfall, He: die Engel, über die Gefallenen

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Dreieinigkeit, die Engel solche quaestiones, ob ein Vorhersehen [und] Vorherbestimmung Gottes möglich gewesen wäre, wenn keine Geschöpfe gewesen wären. Wo war Gott vor der Schöpfung 1 Thomas von Straßburg antwortete: Tune ubi nunc, in se, quoniam sibi sufficit ipse. Jene Frage bezieht sich auf eine lokale, kleinliche Bestimmung, die Gott nichts angeht. Ferner, ob Gott mehreres wissen kann als er weiß 1 Von [der] Wirklichkeit des Wissens kann [die] Möglichkeit unterschieden werden. Ob Gott allezeit alles könne, was er einst gekonnt habe, z. B. ob er allezeit den König Salomo machen könne 1 Wo die Engel nach ihrer Schöpfung gewesen sind 1 Ob die Engel immer gewesen 1 Wie alt Adam erschaffen werde 1 Warum Eva aus der Rippe Adams und nicht aus einem anderen Teile, und warum [sie] während des Schlafs von Adam erschaffen worden sei 1 Warum die ersten Menschen sich im Paradies nicht begattet haben 1 I Wie sich die Menschen würden fortgepflanzt haben, wenn sie nicht gesündigt hätten 1 Warum der Sohn und nicht der Vater oder der Geist Mensch geworden sei 1 Ob Gott den Menschen nicht auch in dem weiblichen Geschlecht hätte annehmen können, suppositare 1 Ob Gott auch in den Teufel hätte fahren [können] 1 Ob er nicht auch in Esels- oder Kürbisgestalt hätte erscheinen können? Num Deus potuerit suppositare mulierem1 Num diabolum1 Num asinum1 Num cucurbitam1 Und wie ein Kürbis da hätte predigen können, oder wie er hätte gekreuzigt werden können 1 Diese ganz äußerlichen Formen der Sinnlichkeit haben sie so in dies rein Geistige gebracht und es damit verweltlicht. Hiermit sind nun die Hauptmomente angegeben, die bei der scholastischen Philosophie in Betracht kommen, indem wir eben noch diese Verweltlichung, dies Hineinbringen von Verstandesunterschieden und sinnlichen Verhältnissen in das, was an und für sich seiner Natur nach Geistiges, Absolutes und Unendliches ist, gesehen haben. 349-351 Themas ... Ferner, so Gr 366-367 Num ... cucurbitam?] so W; Lö: num diabolum, num [lacuna] potuerit 369-370 Diese ... verweltlicht. so Gr 371-376 Hiermit ... haben.] so Gr, ähnlich LO"; Pi: Endliches ist so hineingebracht in das Unendliche, Absolute.

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Es muß in Rücksicht auf die letztere Richtung noch bemerh werden, daß neben dieser Verendlichung, Verschlechterung, auch viele große Scholastiker gewesen sind, die Mystiker genannt werden, die teils in Ansehung der Kirchenlehre und teils in Ansehung der philosophischen Betrachtung sich rein erhalten haben, die auch die Moralität, Religiosität, Liebe zu Gott aus wahrhafter Empfindung geschöpft und Betrachtungen, Vorschriften über Philosophie in diesem Sinne gegeben haben: Johann Charlier. Er wird auch von Gersou genannt und schrieb eine theologia mystica im 14. Jahrhundert, ebenso Raimund von Sabunde u. a., der 1437 eine theologia naturalis schrieb, welche er in einem spekulativen Geiste auffaßte. Diese Weise ist dann jener gegenüberzustellen; um den scholastischen Theologen auch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sind auch diese Mystiker zu beachten.

4. Renaissance und Reformation

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Wir haben nun nach diesen Spezialien von dem allgemeinen Fortgang des I Geistes zu sprechen. Wir haben gesehen einerseits eine Behandlung des Lehrbegriffs auf philosophische Weise, aber auch eine Ausbildung der formell logischen Wissenschaft und die Verweltlichung des an und für sich seienden, höchsten Inhalts. Ebenso hat sich die existierende Kirche auch auf eben solche Weise verweltlicht; sie nahm alle Leidenschaften, Herrschsucht, Habsucht, Laster, in sich auf. Sie hat das Verhältnis der Herrschaft über das Innerste der Menschen und das Verhältnis der Priester zu den Laien gegründet und festgehalten. Auf der anderen Seite hat sich das Weltliche sich in

383 wahrhafter Empfindung] so HcLif, iihnlich Gr; Pi: dem Inneren 384 über Philosophie so Gr 389 welche . . auffaßte. so Gr 389-390 Diese ... gegenüberzustellen so Gr, ähnlich Lö

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sich vergeistigt, oder es hat sich in sich festgesetzt, und zwar auf eine durch den Geist berechtigte Weise. Was das Verhältnis der Zeit überhaupt betrifft, so kann bemerkt werden, daß, wenn wir einerseits das Prinzip der Selbstlosigkeit des Menschen, das Verhältnis des Geistes, nicht bei sich zu sein, der Entzweiung des Menschen in sich, sehen, so sehen wir auf der anderen Seite den gesetzlichen, politischen Zustand überhaupt fester werden, und es bildet sich eine Selbstischkeit, die nicht nur mehr barbarisch, selbstsüchtig ist. In jener Selbstischkeit ist das Moment der Barbarei enthalten, die der Furcht vor der Strafe der Kirche bedarf, um in Schranken gehalten zu werden. Jetzt sehen wir aber das Recht des Eigentums, gesetzliche Ordnung eintreten; es ist zwar das Feudalsystem, die Leibeigenschaft die Weise der herrschenden Ordnung, aber alles dieses wird jetzt ein rechtlich Festes, d. h. ein Festes in Beziehung auf die Freiheit; das ist Recht, daß die Freiheit der einzelnen Individuen sich zur Existenz bringe und durch das Gesetz als schlechthin geltend betrachtet werde. Das Recht ist so festgesetzt, wenn auch Verhältnisse zum Privateigentum gemacht sind, die eigentlich dem Staate angehören. Das Gelten der Selbstischkeit des Menschen, die sich auf die Freiheit des Menschen bezieht, setzt sich also fest gegen das Prinzip der Kirche, das Prinzip der Selbstlosigkeit. Die Verhältnisse der Feudalmonarchie, zwar auf der Geburt beruhend, sind aber auch nichts kastenmäßiges wie bei den Ägyptern und Indem. In der kirchlichen Hierarchie kann einer vom niedrigsten Stande I selbst zu den höchsten Stellen gelangen. In Italien haben Städte, Bürgerschaften sich ihre Freiheiten behaupten und ihre Rechte anerkennen gemacht gegen die weltliche und geistliche Gewalt. Die Freiheit dieser Städte wird gegründet. Die Capitani in Italien traten auch aus dem Feudalsystem heraus. Auch in dem Feudalsystem war Recht wenigstens auf formelle Weise 406-407 Was ... daß so Gr 412 Selbstischkeit] Gr: Selbständigkeit 420-422 Das ... angehören.] so Gr; Lö: Es ist das Recht des Eigentums geltend geworden 430 gegen] so He; Gr: durch 431 Die ... gegründet. so He

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festgesetzt und anerkannt worden. Bürgerliche, gesetzliche Ordnung, Freiheiten treten nach und nach hervor; damit stehen dann im Zusammenhang Gewerbe, Handel und Künste. In den Künsten liegt, daß der Mensch aus sich das Göttliche darstellt, hervorbringt. Wenn die Künstler noch so fromm waren, die Selbstlosigkeit zum inneren Prinzip hatten, waren sie es als Künstler dennoch, aus deren subjektivem Vermögen diese Darstellungen und Vorstellungen in religiöser Beziehung hervorgingen. Es hängt also damit zusammen, daß der Mensch, das Weltliche sich so berechtigt in sich gewußt hat, Bestimmungen festgehalten hat, die sich auf die subjektive Freiheit gründen. Im Gewerbe auch ist das Individuum wesentlich auf seine eigene, freie Tätigkeit angewiesen; es selbst ist das Betätigende und Hervorbringende. Die Menschen sind dazu gekommen, sich frei zu wissen, ihre Freiheit anerkennen zu machen; sie sind dazu gekommen, in ihre Hände zu schauen, daß sie es waren, die für eigene Interessen, für eigene Zwecke tätig zu sein die Kraft hatten. Es ist damit die Zeit eingetreten, daß jetzt wieder Künste und Wissenschaften aufblühten, und zwar so, daß man sich vornehmlich in Ansehung der Wissenschaften zu den Werken der Alten wendete, und diese Werke sind Gegenstand der Studien geworden, welche im Gegensatz [zum Göttlichen] studia humaniora hießen, d. h. wo der Mensch in seinem Wirken und Zwecken anerkannt ist. Daß die Menschen selbst etwas sind, hat ihnen Interesse gegeben für die Menschen, die auch als Menschen etwas sind. Damit war verbunden die nähere Seite, daß die formelle Bildung des Geistes der Scholastiker allgemeiner geworden ist. Das Resultat war, daß der Gedanke sich dabei in sich selbst gefunden hat, und daraus ist dann der I Gegensatz entsprungen von V erstand und von Kirchenlehre oder Kirchenglauben. Die Vorstellung des Gegensatzes wurde allgemein, daß der Verstand etwas für falsch erkennen könne, was die Kirche behauptet. Es ist von Wichtigkeit geworden, daß der Verstand, das Denken überhaupt sich so erfaßt hat, obschon in Gegensatz gegen das Positive überhaupt. 450-451 Es ... wieder so Lö, ähnlich Gr 465 Es ... daß so Gr, ähnlich Lö"

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Das Interesse an der alten Philosophie Die nächste Weise, wie das Umschauen nach dem Menschlichen in Ansehung des Wissenschaftlichen sich hervorgetan hat, ist die gewesen, daß im Abendland ein Interesse für die Werke der Alten entstand und daß besonders eine Bekanntschaft des Abendlands mit der griechischen Philosophie gemacht wurde. Die alten Philosophien wurden aufgefrischt. Freie Philosophie, Systeme, die vom Denken ausgegangen wären, sind noch nicht aufgekommen, sondem nur die alten philosophischen Systeme wurden jetzt erneuert und erweckt. Diese Bekanntschaft, die das Abendland mit den griechischen Originalen gemacht hat, hängt mit äußeren politischen Gegebenheiten zusammen, indem die Türken Griechenland verheert und Konstantinopel erobert haben. In dieser Bedrängnis des griechischen Kaisertums wurden Gesandte ins Abendland geschickt, um die Hilfe der Christenheit anzuflehen. Diese Gesandten waren größtenteils gelehrte Griechen, wissenschaftlich gebildete Männer, so Chrysoloras. Diese Gesandten und diejenigen, welche flüchtend später nach dem Abendland kamen, haben nähere Bekanntschaft mit den Griechen gebracht. Petrarca hat Griechisch gelernt von einem griechisehen Mönch in einem Kloster in Kalabrien, wo dergleichen viele wohnten, die aus Griechenland geflüchtet waren. Vornehmlich sind also wieder die alten Philosophien erweckt worden, und wir haben noch eine Menge Schriften aus jener Zeit, die Ausbildungen einer älteren Philosophie enthalten. Alle griechischen Schulen haben ihre Anhänger gefunden. Es gab z. B. Aristoteliker, Platoniker usf., aber nun in einem ganz anderen Sinne als die Scholastiker sich so nannten. So [ist] besonders Pomponatius berühmt. Es gab Averroisten, welche über die Unsterblichkeit der Seele stritten, so heftig, daß ein Konzilium darüber entscheiden mußte. Diese Aristoteliker schöpfen aus den Schriften 474--475 488-489 489-490 498-499

die ... wären so Lö wo ... waren. so Gr Vornehmlich ... und so Lö, ähnlich Gr Diese ... selbst. so He

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selbst. Es hat auch Platoniker gegeben; der Kardinal Bessarion, der Patriarch in Konstantinopel gewesen war und aus Trapezunt herübergekommen war, hat den Plato im Abendland näher bekannt gemacht. Ficinus in Florenz hat ihn dann übersetzt. Die Medici schützten Künste und Wissenschaften, [haben] griechische Gelehrte an ihren Hof gezogen, und einer von ihnen hat eine platonische Akademie gestiftet, an deren Spitze Ficinus gestanden. [Ferner ist zu nennen] der Fürst von Mirandola. Die epikuräische I Philosophie wurde später durch Gassendi bekannt gemacht; auch die stoische fand ihre Anhänger. Die kabbalistische [und die] eigentlich pythagoräische Philosophie (alles ist mit vieler Trübheit vermischt) ist auch wieder ausgebildet, besonders von einem gewissen Reuchlin ausgebreitet. Die Begeisterung für das Griechische war so groß, daß Reuchlin von einem Griechen in Wien Griechisch gelernt hat. Reuchlin hat sich das Verdienst erworben, einen Schluß eines Reichstages, daß alle hebräischen Bücher verbrannt werden sollten, [zu] verhindern. - Die stoische [Philosophie wurde] durch Lipsius [wieder belebt]. Auch die Form der ciceronianischen Philosophie verbreitete sich - eine mehr populäre Philosophie, die aber alles, was im menschlichen Gemüt vorgeht, die Gefühle, betrachtet. Das ist ihr Wert, der um so größer ist, als damals Selbstlosigkeit herrschte.

Die besonderen Individuen

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Neben diesem ruhigen Hervortreten der alten Philosophie sind die Gestalten besonders auffallend und merkwürdig, in denen der Trieb der Erkenntnis, des Spekulierens, des Wissens zu dieser Zeit auf eine gewaltsame, gärende Weise sich aufgetan hat. Hier finden sich viele große Individuen, groß durch die Energie ihres Charakters und SOS an ... gestanden. so Lö S1S Lipsius] He: Leibniz S18-S20 Das ... herrschte] so He; Gr mit Lö: Die Gefühle des Menschen usf. sind zu bemerken für würdig gefunden worden, gegen das Prinzip der Selbstlosigkeit der Kirche.

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Geistes, groß durch die Liebe für die Wissenschaften, bei denen aber zugleich sich eine so große Verworrenheit der Vorstellungen und Empfindungen des Geistes und Charakters findet. Die Zeit war reich an solchen Individuen, die sich auf die genialste und dann aber auf die korrupteste Weise herumtrieben, im Gedanken, im Gemüt, wie in den äußerlichen Verhältnissen. Hieronymus Cardanus (1501 bis 1576) ist besonders ausgezeichnet von dieser Seite. Man hat von ihm noch 10 Bände in Folio. Darunter ist auch seine eigene Lebensbeschreibung, De vita propria, worin er das Härteste von sich sagt, was nur ein Mensch von sich sagen kann. Um ein Bild von diesen Widersprüchen zu geben, diene dieses. Er spricht zunächst von seinen Schicksalen vor der Geburt. Seine Mutter hätte Getränke genommen, um ihn unreif abzutreiben, seine Säugamme starb an der Pest; sein Vater war sehr hart gegen ihn; er legte sich dann auf die Wissenschaften, wurde Doktor der Medizin und reiste viel, ist überall gewesen. Er wurde Professor der Mathematik [zu Mailand], dann der Medizin zu Bologna, war mehrere Male in Schottland; er hat überhaupt in beständigen innerlichen und äußerlichen Stürmen gelebt. Er sagt, er hätte die größte Folter des Ge lmüts in sich gehabt und habe die größte Wonne daran gefunden, sich und andere zu quälen; er geißelte sich heftig, biß sich in Finger und Lippe, um zum Weinen zu kommen und so sich von der Geistesmarter zu befreien, Erleichterung zu finden. Ebenso war er in seiner Sitte und in seinem Betragen und äußerlichen Leben von der entgegengesetztesten Weise, bald ruhig, bald wie ein Verrückter [und] Wahnsinniger, war bald fleißig, arbeitsam, bald liederlich; er verspielte dann alles. Seine Kindererziehung war natürlich unter solchen Verhältnissen sehr schlecht. Einem seiner Söhne ließ er die Ohren abschneiden, wegen dessen Liederlichkeit. Ein anderer seiner Söhne brachte seine eigene Frau um und wurde mit dem Schwerte hingerichtet. Er selbst war weit und breit berühmt als ein tiefer Astrologe, hat vielen Königen und Fürsten die Nativität gestellt, und daher reiste er auch nach Schottland. Er war auch ein gründlicher Mathematiker; die Auflösung der Gleichungen dritten Grades heißt noch nach ihm die Cardanische Regel. Er sagt von sich selbst: ))Ich habe einen in Wissenschaften gebildeten Geist, ich bin sinnreich, elegant, an-

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ständig, aufgeräumt, listig, wohltätig, treu, erfinderisch, gutmütig, durch mich selbst gelehrt, strebe nach Wundem, verschlagen, nüchtern, arbeitsam, gottesfürchtig, geschwätzig, Verächter der Religion, heimtückisch, verräterisch, Zauberer, unglücklich, der Menge gram, eifersüchtig, ein Zotenreißer, willfährig, veränderlich usf. Solcher Widerspruch meiner Natur und Sitten ist in mir.« Dies sagt er selbst in seinem Buch De vita propria. Thomas Campanella ist ebenso ein Gemisch von allen möglichen Charakteren; er war zu Stylo in Kalabrien 1568 geboren und starb zu Paris 1639. Wir haben noch mehrere Folianten von ihm. Er ist unter anderem 27 Jahre lang in einem harten Gefängnis in Neapel gewesen. Die Menge seiner Schriften, die wir noch haben, ist unter diesem äußeren Drucke entstanden. Er hat vieles - innere und äußere Stürme - gelitten. In dieser Gärung sind noch besonders zu erwähnen Giordano Bruno und Vanini. Giordano Bruno ist aus Nola in Neapel im 16. Jahrhundert gebürtig. Er trieb sich in den meisten europäischen Staaten umher. In Neapel war er zuerst Dominikaner gewesen, aber hatte bittere Anmerkungen über manche Lehren - über [die] Transsubstantiation, über die Unbeflecktheit der Empfängnis - [und] gegen die krasse Unwissenheit der Mönche und ihr lasterhaftes Leben. Er lebte dann in vielen Staaten, in Genf zur Zeit des Calvin, dann in Lyon und Paris, wo er Theses zur öffentlichen Disputation anschlug - eine beliebte Manier der damaligen Zeit. (Ein Fürst von Mirandola hatte 900 Theses in Europa verbreitet, worüber er zur Disputation nach Rom einlud, indem er selbst den Entfernteren die Erstattung der Reisekosten versprach.) Brunos Theses gingen gegen die Aristoteliker, d. h. die Scholastiker. Er ist auch in London gewesen und in vielen deutschen Universitäten; so I lehrte er in Wittenberg und Prag. Zuletzt ging er nach Italien zurück und lebte eine Zeit lang in Padua ungestört, wurde aber in Venedig von der Inquisition gepackt, nach Rom gebracht und, weil er nicht wider-

571-573 ist ... 1639 so Gr 576 ist ... entstanden. so Lö

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rufen wollte, 1600 in Rom verbrannt wegen Ketzerei. Er war standhaft im Tode. Seine Schriften sind sehr selten zusammen, weil er sie überall hat drucken lassen; die größte Anzahl deren befindet sich in der Universitätsbibliothek zu Göttingen. Jacobi hat besonders auf ihn aufmerksam gemacht. Die ausführlichsten Nachrichten über ihn findet man in der Buhleschen Geschichte der Philosophie. Von Bruno ist zweierlei zu betrachten, seine philosophischen Gedanken und andererseits das, was seine Lullische Kunst genannt wird. In den Schriften des Bruno zeigt sich vornehmlich die lebendigste Begeisterung des Gedankens. Im allgemeinen ist seine Philosophie Spinozismus. Diese Trennung von Gott und der Welt und alle diese Verhältnisse der Äußerlichkeit sind hinweggeworfen in seiner lebendigen Idee der Einheit von Allem. Näher sind die Hauptformen seiner Vorstellung diese, daß er Materie auf eine Seite als Bestimmung setzt und auf die andere Seite die zweite Bestimmung, Form. Die Form ist der allgemeine Verstand, die allgemeine Form des Weltalls, die sich zur Hervorbringung der Naturdinge so verhält wie der Verstand des Menschen zur Bildung des Begriffs; es ist der innere Künstler, der aus dem Inneren die Gestalt bildet. Aus dem Inneren, der Wurzel [oder) des Samenkorns, komme der Stamm hervor, aus diesem die Zweige und aus diesen die Blüten. Alles ist in sich angelegt. Dieser Verstand ist wirkender Verstand, Ursache, aber nicht bloß causa efficiens, sondern auch formaler Verstand, und dies hat dann die Bestimmung von Endursache. Endursache ist Z weckbestimmung. Bei der Kautischen Philosophie werden wir diese Bestimmung näher zu erwähnen haben. Das organisch Lebendige, dessen Prinzip die Lebendigkeit ist, das Bildende, das in dieser seiner Wirklsamkeit nur sich hervorbringt, bei sich bleibt, sich erhält, das ist Zweck überhaupt. Bei >Zweck< muß man nicht an die äußere Vorstellung eines Verstandes [denken), der für sich einen Zweck macht und Materie äußerlich formiert nach dieser Bestimmung. >Zweck< ist also die in sich bestimmte Tätigkeit, 601 Göttingen] so GrPiHc; in He am Rande: auf der hiesigen Bibliothek ist nur eine seiner Schriften. 603 Buhleschen] so Gr; Lii: Buhle, ein Göttinger Professor

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die aber in ihrem Verhalten zu anderen nicht als bloße Ursache sich verhält, sondern die in sich zurückgeht und sich erhält. Das ist die Form. Vorher ist von Materie gesagt worden, daß sie die eine Bestimmung sei. Die Hauptsache ist aber bei ihm, daß er die Einheit der Form und der Materie behauptet, daß die Materie an ihr selbst lebendig ist. Sie stellt nur das Bleibende dar, und insofern das Bleibende das Abstrakte ist, so ist es das Formlose, das aber aller Form fähig ist. Diese wird aber nicht von außen an ihr gesetzt, sondern die Form ist ihr immanent, identisch mit ihr, so daß sie [sc. die Materie] diese Veränderungen, Umbildungen selbst setzt, selbst hervorbringt. Sie ist also das Vorausgesetzte aller Körperlichkeit, selbst intelligibel, das Allgemeine, das Verständige, die Endursache an ihr selbst. Da gebraucht er denn aristotelische Formen von [der] Dynamis, der Potenz (Möglichkeit) und der Wirklichkeit. Er sagt: Es ist unmöglich, einer Sache Dasein beizumessen, der die Kraft, dazusein, gebricht. Und darin liegt sogleich der aktive Modus; das eine setzt das andere voraus, die Passivität und die Aktivität sind unzertrennbar. Wenn von jeher eine Wirksamkeit da war, so mußte auch von jeher ein Vermögen, bewirkt, erschaffen zu werden, da sein. Die vollkommene Möglichkeit des Daseins der Dinge kann vor dem wirklichen Dasein nicht vorhergehen, sie kann aber auch ebenso nicht übrig bleiben nach ihrem Dasein. Alles kann da sein und ist Alles. Das erste Prinzip ist Möglichkeit und Wirklichkeit; [sie] sind bei ihm ein unzertrennliches Prinzip. Es ist eine sehr wichtige Bestimmung, die darin liegt; in dem Vermögen zum Wirken, Kräften liegt ebenso die Bestimmung eines Bewirktwerdenden, Hervorgebrachten, der Materie. Diese Materie ist aber nichts ohne Kraft, ohne die Wirksamkeit - ein leeres Abstraktum. Das Universum ist die unerzeugte Natur - alles was Natur sein kann; sie enthält alle Materie unter der unveränderlichen Form ihrer wechselnden Gestalt. Dies ist seine Hauptidee. Diese Einheit von Form und Materie in allem I zu erkennen, ist das Streben der Vernunft. Um zu dieser 65~55 Es ... liegt so Gr 662 Dies ... Hauptidee. so Gr

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Einheit zu dringen, [die] Geheimnisse der Natur zu erforschen, müssen wir den entgegengesetzten und widerstreitenden äußersten Enden der Dinge nachforschen, und diese Extreme hat er Maximum und Minimum genannt. Diesen äußersten Enden, diesen Extremen müssen wir nachforschen. In diesen Extremen ist es, daß sie [sc. die Dinge] besonders intelligibel werden; sie [sc. die Extreme] sind es, die als vereinigt gedacht werden müssen, und diese Vereinigung ist die unendliche Natur. Er sagt nun: Aus diesem Einen nun auch das Entgegengesetzte, aus demselben seine Gegensätze zu entwickeln und diese Extreme als nichtig darzustellen, das ist das eigentliche und tiefste Geheimnis der Kunst. Dies ist ein großes Wort; aus der Idee ihre Entwicklung darzustellen und zu erkennen, so daß sie notwendig ist - eine Notwendigkeit von Unterschieden und Bestimmungen, die sie zugleich zurückführt auf die Einheit. Es ist das Urprinzip, oder was anderswo die Form heißt; dies stellt Bruno unter der Bestimmung des Minimums, des Kleinsten, dar, aber so, daß es zugleich das Größte ist - Eins, das zugleich Alles ist. Im Universum, sagt er, ist der Körper nicht vom Punkte unterschieden, das Zentrum nicht von der Peripherie, das Größte nicht von dem Kleinsten; es ist lauter Mittelpunkt, der Mittelpunkt ist überall; wie die Alten vom Vater der Götter gesagt haben, er habe seinen Sitz in jedem Punkte des Weltalls. Dies ist nun die Grundidee, die Bruno ausgeführt hat. Die Begeisterung einer edlen Seele, ein tiefes Denken tritt in diesen Untersuchungen hervor. Das zweite, was damit, mit dieser allgemeinen Idee, zusammenhängt, ist die Lullische Kunst des Bruno. Der Name kommt her von Raimundus Lullus, doctor illuminatus, der eine ars magna Lulliana aufgestellt hat. Lullus lebte im 13. Jahrhundert, [er] war aus Mallorca, wo er 1235 geboren wurde. Er ist eine von den gärenden Naturen, in allen Schicksalen herumgeworfen. In der 673 und ... darzustellen] so He; Lö: und nicht nur diese Einheit zu erkennen 678-679 oder ... heißt so Gr, ähnlich Lii 685-686 Dies ... hat. so Gr mit Lö 693 wo ... wurde. so Gr

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Jugend schwärmte er im Vergnügen. Dann lebte er als Einsiedler in einer Einöde. Hier hatte er eine Menge Visionen, und dabei wurde in seiner heftigen, feurigen Natur der unwiderstehliche Trieb erweckt, das Christentum zu verbreiten bei den Mohammedanern in Asien und Afrika. Da erlitt er Gefangenschaft, Mißhandlung und 100 starb 1315 an [den] Folgen einer Mißhandlung in Afrika. I In Mailand und Paris hat er lange gelebt und hat arabisch gelernt, um sein Bekehrungswerk bei den Mohammedanern verrichten zu können. Bei allen Königen Europas und bei dem Papste hat er Unterstüt* zung aufgesucht. Neben jenem Hauptzweck, das Christentum 705 auszubreiten, hat er sich zugleich mit seiner Kunst beschäftigt, die sich auf die Kunst des Denkens bezieht, näher auf eine Aufzählung und Anordnung der Begriffsbestimmungen, der reinen Kategorien eine solche Anordnung, daß dadurch alle Gegenstände darein fallen * und danach bestimmt werden können. Er hat da neun Klassen der no Dinge gemacht. Diese hat er in neun Kreise beschrieben. Jeder Kreis hat eine graphische Darstellung; von diesen Kreisen war ein Teil unbeweglich und ein Teil beweglich; durch die Regeln des Herumdrehens, wo die Prädikate so auf einander fallen, sollte die allgemeine Wissenschaft, alles Konkrete nach seinen Gedankenbe715 stimmungen vollkommen erschöpft werden. Von jeder Klasse hatte er wieder neun Prädikate, neun Bestimmungen. Das erste waren neun absolute Prädikate (Weisheit, Güte, Größe, Einigkeit, Macht, Wille, Tugend, Wahrheit, Ewigkeit, Herrlichkeit) ; dann das zweite: neun relative Prädikate (Verschiedenheit, Gleichheit, Geno gensatz, Anfang, Mitte, Ende, Größersein, Kleinersein); das dritte: neun weitere Kategorien (wo, was, wovon, warum, weswegen, wie groß etc.); dann das vierte: neun Substanzen (Gott, Mensch, Engel, Himmel, das Elementarium, Instrumentarium etc.). Diese hat er, wie bemerkt, auf Kreise verzeichnet, und durch die Kombination 725 von solchen Prädikaten sollten die konkreten Gegenstände, überhaupt alle Wissenschaft, Erkenntnis bestimmt werden. Dies hieß nun die Lullische Kunst. 695

699 Da ... Mißhandlung) so He; Lö: was er trotz aller Widerwärtigkeiten, die ihn trafen, mit glühendem Eifer durchzusetzen strebte. 726-727 Dies ... Kunst. so Gr, ähnlich Lii

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134-135

Ein ähnliches hat nun Bruno getan und diese Kunst weiter ver- * vollkommnet. Aristoteles, in der Topik, hat nun eine Zusammen- * Stellung aller Kategorien, aller allgemeinen Vorstellungen und 73o Bestimmungen, und die Mnemonik hängt auch damit zusammen. Die Mnemonik enthielt auch der Autorad Herennium (bei Cicero). * Es handelt sich da nur um bestimmte Bilder in der Phantasie, die man sich festmacht. Von allen besonderen Inhalten und Gegenständen, die man auswendig wissen will, trägt man alle einzelnen m Vorstellungen in ein solches hinein. Z. B. jetzt soll eine Rede, eine Erzählung behalten werden. Jede Vorstellung darin wird in diese Bilder, nach der Reihe, wie sie folgen, eingetragen. Das erste Bild, * z. B. Herkules, kann so nach den Buchstaben geordnet sein: von Aaron, dann 2) Abimelech, 3) Achilles usf. Ein oberflächlicher I 740 Witz, z. B. bei Aaron, dem Hohenpriester, muß eine Kombination machen zwischen dem Inhalt, den man behalten soll, und dem Bilde, welches die Buchstaben waren; und indem ich den Inhalt in das Bild hineinfixiere, habe ich ilm gleichsam nicht mehr im Gedächtnis, sondern ich lese ihn nur wie von einem Tableau ab. Die 745 Schwierigkeit liegt nur darin, eine Verbindung zu machen zwischen dem Inhalt und den Bildern. Es ist dies auch eine schlechte Kunst. Wer darin geübt ist, kann freilich sehr leicht etwas auswendig lernen. Mit dieser Mnemonik hängen dann die Lullische Kunst und auch * Brunos Bemühungen zusammen, aber so, daß bei Bruno das Tableau nicht nur ein Gemälde von äußerlichen Bildern ist, wie dort, sondern ein System von Ideen, Gedankenbestimmungen oder allgemeinen Vorstellungen. Bruno geht zu dieser Kunst über von seinen * allgemeinen Ideen, die vorher berührt worden sind; nämlich der 755 Verstand überhaupt, die unendliche Form, der tätige Verstand, ist das erste, die Grundlage, und dieser entwickelt sich; er ist, wie die * Neuplatoniker diese Form haben; das Licht der Substanz geht aus * 738 nach ... folgen so Lö 745-747 Die ... Bildern. so Gr 747 Es ... Kunst. so Gr, ähnlich Lö 748-749 Wer ... lernen. so Lö 757-758 er ... haben; so Gr

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von dem ersten Urlicht, von dem primus actus lucis; die vielen Substanzen und Akzidenzien können nicht das volle Licht aufnehmen, sie sind nur im Schatten des Lichts enthalten. Die Entwickhmg der unendlichen Natur geht fort von Moment zu Moment. Ihre einzelnen Teile, die erschaffenen Dinge, sind nicht mehr, was die unendliche Natur an und für sich ist, sondern nur ein Schatten der ursprünglichen Ideen, des ersten Aktus des Lichts. Bruno hat auch ein Buch geschrieben: De umbris idearum. Von dem Ersten, dem Urlichte, von dem Superessentiale, von dieser um:poucrloc, geschieht der Fortgang zu den Essenzen, von diesen zu dem, was wirklich existiert, und dies enthält davon Spuren, Bilder, Schatten, die zum Teil als materielle, natürliche Dinge vorhanden sind. Auf der anderen Seite gehen sie zu der Empfindung und Wahrnehmung, um durch sie erkannt zu werden. Die Dinge entfernen sich vom Urlicht zum Finsteren. Da aber alle Dinge eng im Universum zusammenhängen, das Materielle mit dem Geistigen, das Ganze mit dem Einzelnen, so daß ein Prinzip, ein Erstes, ein Letztes ist, so kann nach dem Ton der Leier des allgemeinen Apollo (Ausdruck des Heraklit, [d. i.] allgemeine Harmonie, allgemeine Form) das Unterste stufenweise zum Obersten zurückgeführt werden, da Alles Ein Wesen ist. I Der Fortgang ist dasselbe wie der Rückgang. Die Natur einerseits bringt innerhalb ihrer Grenzen Alles aus Allem hervor, und so kann der Verstand auch Alles aus Allem erkennen. Der erste Verstand strömt sein Licht aus vom Innersten zum Äußersten, und dann nimmt er sein Licht vom Äußersten wieder zurück. Jedes Besondere kann nach seiner Fähigkeit etwas vom Lichte auffassen. Was hier Kontrast ist, ist im Urverstand Harmonie. Diese Stufen, diese Ordnung des Fortgangs solle man aufsuchen. »Versuche also«, ruft er aus, »ob du die erhaltenen Bilder identifizieren kannst, dann wird dein Gedächtnis nicht ermüden, dann wirst du diese allgemeine Ordnung, [diesen] allgemeinen Rhythmus erkennen.« 771 sie] so GrLöPi; HcSv: Die Schatten 772 durch sie] so GrLöPi; He: von der subjektiven Vernunft Sv: im Subjektiven 776 ein1 ... Letztes so Gr

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Philosophie des Mittelalters

136-137

Dies zu entwickeln hat er also versucht; das allgemeine System dieser Entwicklung hat er dargestellt und näher bemerkt, wie die Bestimmungen der natürlichen Dinge entsprechen den Bestimmungen, die im subjektiven Verstand erscheinen. Da gibt er an die Momente der Urform; die \mepouO"[oc sei Sein, Güte und Einheit; dies ist mehr entnommen aus dem, was wir bei Proclus gesehen haben. Güte ist Leben, und Einheit ist das Zurückkehrende und Zurückführende. Die metaphysische und physische Welt betrachtet er und stellt das System dieser Bestimmungen auf und gibt an, wie das als Natürliches erscheint, was in anderer Weise als Gedachtes, Verständiges ist. Das Denken ist Tätigkeit, und nach seiner Vorstellung stellt es einerseits innerlich, durch eine innere Schrift, das dar, was die Natur äußerlich, durch eine äußerliche Schrift, darstellt. Der Verstand nimmt die äußere Schrift der Natur in sich auf, und die innere Schrift ist auch in der äußeren abgebildet; es ist eine Form, die sich entwickelt. Dasselbe Prinzip ist das, was er außer sich organisiert und was im Menschen denkt. Diese Schriftarten sucht er zu bestimmen, und dabei hat er 12 Grundformen, von denen er ausgeht: species, simulacra, imagines [usf.]. Hierüber hat er mehrere Schriften geschrieben: De simulacris, De imaginibus, De sigillis; daß das Erscheinen der Dinge also Buchstaben, Zeichen sind, die dann einer Denkbestimmung entsprechen. Es ist also in Bruno ein großer Anfang, die konkrete, absolute Einheit zu denken, und dann das andere Große ist dieser Versuch, das Universum in seiner Entwicklung, im System seiner Bestimmung aufzufassen und aufzuzeigen, wie das Äußerliche ein Zeichen ist von den Ideen. Dies sind die beiden Seiten, die von Bruno aufzufassen waren. I Vanini. Dieser ist ebenso ein Märtyrer der Philosophie geworden wie Bruno. Lucilius Cäsar Vanini ist geboren 1583 zu Taurozano im Neapolitanischen und ist 1619 zu Toulouse auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Er schweifte überall umher und 804 Der Verstand] so Pi; He: jene Schrift 806--807 Dasselbe ... denkt.] so Pi; Gr: es ist ein Weltprinzip, was sich in der ganzen Welt ausdrückt; 817-818 Dies ... waren. so Gr

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ist besonders aufgeregt worden durch das Lesen des Cardanus. Er ist in Genf und Lyon gewesen und hat sich einmal nach England retten müssen, [ist] viel herumgereist und wurde in Paris vor Gericht gefordert. Ein Ankläger beschwor, daß Vanini gotteslästerische Dinge gesagt. Vanini nahm als Antwort auf die Beschuldigung des Atheismus einen Strohhalm vor Gericht auf und sagte, schon dieser Strohhalm überzeuge ihn vom Dasein Gottes. In Toulouse wurde ihm die Zunge ausgerissen und dann [wurde] er verbrannt. Indessen ist der ganze Prozeß sehr dunkel, ging mehr aus persönlicher Feindschaft hervor. In der katholischen Kirche hat sich die Kunst aufgetan; als aber das freie Denken aufkam, hat die Kirche dies überhaupt nicht in sich aufnehmen können, hat sich davon geschieden und in Bruno und Vanini hat sie sich am freien Denken gerächt. Das freie Denken ist insofern von der katholischen Kirche geschieden und ist ihr entgegengesetzt geblieben. Wir haben von Vanini noch zwei Werke; das eine heißt Amphitheatrum aeternae providentiae divino-magicum, christiano-physicum, nec non astrologo-catholicum, adversus veteres Philosophos, Atheos, Epicuros, Peripateticos et Stoicos. 1615 -eine Widerlegung der alten Philosophen, Atheisten, Epicuräer usf., worin er ihre Philosophien, ihre Gründe mit vieler Beredsamkeit vorträgt, aber die Widerlegungen fallen schwach aus. Das zweite Werk heißt De admirandis naturae reginae deaeque mortalium arcanis dialogorum inter Alexandrum et Jul. Caesarem [libri]. 1616, und es sind Untersuchungen über physikalische und andere Materien in dialogischer Form, doch so, daß sich der Verfasser nicht zu entscheiden scheint für die [eine oder andere] Vorstellung. Es hat die Tendenz, daß die Natur I die Gottheit sei und daß alles mechanisch entstehe, daß die Natur, das Universum in seinem Zusammenhang, aus mechanischen Ursachen begriffen werden könne. 827-828 als . . . Atheismus so Gr 829 vom Dasein Gottes) so GrLö; Pi: von der Dreieinigkeit 835 am freien Denken) He: an das freie Denken GrLö: dagegen 840 astrologo] Gr: astronomico 849-850 sich ... Vorstellung) so He, ähnlich etwas später GrLö; Gr hier: nicht angegeben ist, in welcher Person V anini seine Meinungen darlegt.

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Philosophie des Mittelalters

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Er spricht immer auch vom Gegensatz dieser Lehre gegen die Kirche, von dem Gegensatz dessen, was die Vernunft erkennt, und er versichert immer, die Vernunft käme zwar auf diesen Gedanken, den sie mit Gründen nicht widerlegen könne; da er aber der Kirche widerspreche, so müsse sich der Christ dem Glauben unterwerfen, und er unterwerfe sich, da die Vernunft nicht alles einsehe. So machte er Einwürfe gegen die Vorsehung, bringt Gründe, Räsonnement an dafür, daß die Natur Gott sei. Da beweist er durch die eine Person in den Dialogen, daß der Teufel mächtiger ist als Gott, daß er, nicht Gott, die Welt regiere. Er gibt folgende Gründe an: Z. B. wider den Willen Gottes haben Adam und Eva gesündigt und dadurch das ganze Menschengeschlecht zum Verderben gebracht [und] unglücklich gemacht. Ebenso auch Christus sei durch die Macht der Finsternis gekreuzigt worden. Aus diesen Gründen beweist er die Übermacht des Teufels über Gott. Gott will, daß alle Menschen selig werden. Dagegen wendet er ein, die Juden seien von Gott abgefallen; die Katholiken seien wenige gegen die übrigen Menschen, und wenn man noch von den Katholiken die Ketzer, Atheisten, Ehebrecher, Huren, Säufer usf. abziehe, so bleiben noch weniger übrig; so sehe man klar die Herrschaft des Teufels. Dies seien Gründe des Verstandes, der Vernunft; sie seien nicht zu widerlegen, aber man unterwerfe sich dem Glauben, und dies tue er, sagt er, obgleich die Vernunft dieses so einsehe. Man hat aber dem Vanini nicht geglaubt. Man hat vorausgesetzt, daß, wenn die Vernunft etwas bestimmt einsehe und diese Ansicht nicht von der Vernunft widerlegt werde, könne es einem solchen Menschen nicht Ernst damit sein, solcher Meinung nicht anzuhängen [- daß er] ein Entgegengesetztes nicht glauben kann; man glaubte nicht, daß der Glaube in ihm stärker sei als diese Einsicht. Noch viele andere merkwürdige Männer fallen in diese Zeit, die auch in der Geschichte der Philosophie aufgeführt zu werden pflegen, als I Michael de Montaigne, Charron, Machiavelli. Dergleichen Männer werden genannt, aber sie gehören nicht eigentlich der Philosophie, sondern mehr der allgemeinen Bildung überhaupt an. 862-863 daß2 ... an so Lö, ähnlich Gr 881-882 ein ... Einsicht. so Gr

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Insofern werden ihre Bemühungen, ihre Schriften dann den philosophischen beigezählt, als solche Männer aus sich selbst, aus ihrem Bewußtsein, aus ihrer Erfahrung, Beobachtung, ihrem Leben geschöpft haben. Ein solches Räsonnieren, Erkennen, ist dem bisherigen scholastischen Erkennen gerade entgegengesetzt. Es finden sich bei ihnen gute, feine, sehr geistreiche Gedanken über das menschliche Leben, über das Rechte, Gute, es ist eine Lebensphilosophie aus dem Kreise der menschlichen Erfahrung, wie es in der Welt, im Herzen, im Geiste des Menschen zugeht; solche Erfahrungen haben sie aufgefaßt und mitgeteilt, und dies ist so teils unterhaltend, teils lehrreich, und dem Prinzip nach, woraus sie geschöpft haben, sind sie ganz abgewichen von der Quelle und Methode der bisherigen Weise des Erkennens; aber indem sie nicht die höchste Frage der Philosophie zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen und indem sie nicht aus dem Gedanken als solchen räsonniert haben, gehören sie nicht eigentlich der Geschichte der Philosophie an. Sie haben aber dazu beigetragen, daß der Mensch an dem Seinigen, seiner Erfahrung, seinem Bewußtsein usf. ein größeres Interesse gewonnen hat, daß er ein Zutrauen zu sich erhalten hat, daß es ihm wert ist und gilt, und dies ist ihr Hauptverdienst. Sie haben zur Bildung im allgemeinen und besonders zur philosophischen Bildung mehr beigetragen.

Die Reformation Hier ist nun ein Übergang zu erwähnen, der uns angeht des allgemeinen Prinzips wegen, das darin höher erkannt und in seiner Berechtigung erkannt ist. Jordanus Bruno, Vanini und andere fallen in die Zeit der Reformation und später. Die Reformation ist also in diese I Zeit eingetreten. Es ist schon früher der Beginn dieses Prinzips bemerklich gemacht worden, des Prinzips des eigenen Denkens des Menschen, des 894 über ... Gute so Gr 896-897 solche ... mitgeteilt so Gr 912-913 und ... Berechtigung so Gr

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eigenen Wissens, seiner Tätigkeit, seines Rechts, seines Zutrauens zu sich. Es ist das Prinzip, Befriedigung in seiner Tätigkeit, Vernunft, Phantasie usf., in seinen Produkten, an seinem Werke eine Freude zu haben und dasselbe für etwas Erlaubtes und Berechtigtes zu halten, ja als solches, worein er wesentlich sein Interesse setzen darf und soll, anzusehen. Es ist also der Beginn der Versöhnung des Menschen mit sich selbst. Dies Gelten des Subjektiven hat jetzt einer höheren Bewährung, ja der höchsten Bewährung bedurft, um vollkommen legitimiert zu sein und sogar zur absoluten Pflicht zu werden. Um dahin zu kommen, hat es in seiner reinsten Gestalt aufgefaßt werden müssen. Die höchste Bewährung dieses Prinzips ist nun die religiöse Bewährung, so daß dieses Prinzip der eigenen Geistigkeit, der eigenen Selbständigkeit erkannt wird in der Beziehung auf Gott und zu Gott; dann ist es durch die Religion geheiligt. Die bloße Subjektivität, bloße Freiheit des Menschen, daß er einen Willen hat und damit dieses oder jenes treibt, ist noch nicht für sich berechtigt, sondern der barbarische Eigenwille, der sich nur mit subjektiven Zwecken befriedigt, die nicht vor der Vernunft Bestand haben, ist nicht berechtigt. Aber auch, wenn der Wille Zwecke hat und Bestimmungen in seinem Zweck, die der Form der Vernünftigkeit angemessen sind, wie z. B. das Recht, meine Freiheit, aber nicht als Freiheit dieses besonderen Subjekts, sondern als Freiheit des Menschen überhaupt, als gesetzliches Recht, als Recht, das dem Anderen ebenso zukommt als mir. Wenn auch der Selbstwille die Form der Allgemeinheit enthält, so liegt darin zunächst nur das Erlaubtsein, und es ist schon viel, wenn es als erlaubt, nicht bloß als ein Subjektives anerkannt wird und nicht als an und für sich Sündiges. Industrie, Kunst etc. I erhalten auch das Prinzip meiner eigenen Tätigkeit, insofern sie zugleich auf eine gerechte Weise tätig ist. So ist aber dies Prinzip zunächst auf besondere Sphären der Gegenstände seinem Inhalt nach beschränkt. Erst wenn dieses Prinzip der Tätigkeit in Beziehung auf den an und für sich seienden Gegenstand, d. h. in Beziehung auf Gott, aufgestellt und erkannt ist 919-920 Vernunft ... Produkten so Gr 944-946 wenn ... Sündiges so Gr mit Lö

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und damit in seiner vollkommenen Reinheit aufgefaßt wird, frei von Trieben, endlichen Zwecken, erst dann erhält es seine Bewährung. Da erhält der Mensch in sich selbst die Gewißheit seines Geltens in Beziehung auf Gott. Dies ist nun das, was der lutherische Glauben ist, daß der Mensch im Verhältnis zu Gott stehe und hierin er selbst als dieser nur erscheine, nur Dasein haben müsse; d. h. seine Frömmigkeit und die Hoffnung seiner Seligkeit und alles dergleichen erfordere, daß sein Herz, sein Innerstes, seine Empfindung, seine Überzeugung, seine Gesinnung dabei sei, kurz: schlechthin das Seinige. Seine Subjektivität ist der Boden, und diese innerste Gewißheit seiner selbst - nur diese kann wahrhaft in Betracht kommen in Beziehung auf Gott. Der Mensch selbst muß Buße und Reue fühlen, sein Herz muß erfüllt sein von einem wahrhaft heiligen Geist. Hier ist also das Prinzip der Subjektivität, der reinen Beziehung auf sich selbst, der wahren Freiheit, worauf alles andere beruht, nicht nur anerkannt; sondern es ist schlechthin gefordert, daß es nur darauf ankomme im Kultus, in der Religion. Dies ist die höchste Bewährung dieses Prinzips, daß nur dies vor Gott gelte; nur der Glaube, nur das eigene Herz, die Überwindung des eigenen Herzens und die Begeisterung des eigenen Herzens ist Prinzip der christlichen Freiheit. Damit ist denn dies Prinzip der christlichen Freiheit erst aufgestellt und zum Bewußtsein, zum wahrhaften Bewußtsein gebracht worden. Es ist damit ein Ort im Innersten des Menschen gesetzt worden, auf den es allein ankommt und wo der Mensch nur bei sich und bei Gott ist; und bei Gott kann er nur sein bei sich selbst. Im Gewissen muß ich zu Hause sein; I dieses Hausrecht soll nicht gestört werden, es soll kein anderer sich anmaßen, darin zu gelten. Alle Äußerlichkeit in Beziehung auf mich ist da verbannt, ebenso die Äußerlichkeit, die in der Hostie war. Nur im Genuß und Glauben bin ich in Beziehung auf ein Göttliches. Der Unterschied von Laien und Priestern ist damit aufgehoben; es gibt keine Laien 952-953 frei von Trieben,] so Gr; He: nicht mit diesen oder jenen trüben 961 der Boden] so Pi; GrLö: gefordert 980-981 ebenso ... war] so Lii mit Gr; Pi: In der Hostie ist dies das Innerste des Herzens.

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142-143

mehr, denn jeder Laie ist angewiesen, in Rücksicht seines Glaubens für sich selbst zu stehen. Die Imputation fällt in das Recht des Individuums; kein anderer kann für mich eintreten, meine Zurechnungsfähigkeit kann nicht entfernt werden durch irgendeine Autorität. Die guten Werke sind etwas Äußerliches; ohne Gesinnung, ohne Beisichsein des Geistes bei sich selbst ist nichts; aber wie das Herz in sich selbst für sich ist, so verhält es sich zu Gott, ohne Vermittlung, ohne die Jungfrau und ohne die Heiligen - das ist dort gefordert. Dies ist also das große Prinzip, daß alle Äußerlichkeit in dem Punkte des absoluten Verhältnisses zu Gott verschwindet. Alle Entfremdung seiner selbst, die Abhängigkeit daher und Knechtschaft ist dadurch verschwunden. Auch in fremder Sprache zu beten und in fremder Sprache die Wissenschaft zu haben, das ist verbannt. In der Sprache ist der Mensch in der Konzeption produz;erend. Es ist die erste Äußerlichkeit, die der Mensch sich gibt durch die Sprache; was der Mensch sich vorstellt, stellt er sich auch im Inneren vor als ein Gesprochenes; es ist die erste, einfachste Form der Produktion, des Daseins, wodurch das, was in ihm ist, zu Bewußtsein kommt. Diese erste Form ist so ein Gebrochenes, Fremdartiges, wenn der Mensch in einer fremden Sprache das empfangen und ausdrücken soll, was sein höchstes Interesse berührt. Dieser Bruch mit dem ersten Heraustreten des Menschen aus sich in das Bewußtsein ist durch jenes Prinzip aufgehoben. Hier bei sich selbst, in seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken, vorzustellen, gehört ebenso zur Form der Befreiung. Dies ist von höchster Wichtigkeit. Luther hätte nicht seine Reformation vollendet ohne die Bibelübersetzung in die deutsche Sprache. Ohne diese wäre die Reformation nicht allgemein geworden; ohne diese I Form, in eigener Sprache zu denken, wäre die subjektive Freiheit nicht befördert worden. 993-994 Dies ... verschwindet] so Lö' mit Gr; He: Alle äußeren Verhältnisse Sv: Alle Äußerlichkeit 5 was ... vorstellt] so etwas später Gr; Lö: Wenn er etwas will, so 12-13 in seinem Eigentum so Gr 14 gehört ... Befreiung so Gr, ähnlich Lö'

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Dieses Prinzip der Subjektivität ist Moment der Religion selbst geworden, und dadurch hat es seine absolute Anerkennung erhalten, und es ist im ganzen in der Form aufgefaßt worden, worin * es nur Moment der Religion sein kann. Nun ist das Gebot der christlichen Religion erst erfüllt, Gott im Geiste zu verehren. Gott, 2s ein Geist, ist nur unter dieser Bedingung der freien Geistigkeit des Subjekts, denn nur diese ist es, die sich zum Geiste verhalten kann; ein Subjekt, worin eine Unfreiheit ist, verhält sich nicht geistig, verehrt Gott nicht im Geiste. Dies ist das Allgemeine des Prinzips. Zu merken ist, daß die erste Aufstellung dieses Prinzips auch so 30 aufgefaßt worden ist in der Religion; dadurch hat es seine absolute Berechtigung erhalten; es ist aber zunächst noch bloß in Beziehung auf religiöse Gegenstände gesetzt erschienen; es ist noch nicht ausgedehnt auf die weitere Entwicklung der Lebendigkeit dieses subjektiven Prinzips selbst. Der Mensch ist zum Bewußtsein gekom35 men, an sich versöhnt zu sein und sich für sich versöhnen zu können. Insofern hat der Mensch in seiner Wirklichkeit auch eine andere Gestalt gewonnen; der kräftige Mut, die Gewißheit darf bei gutem Gewissen sein. Ein frommes Leben für sich, das tüchtig ist und auch genießt, ist nicht mehr als zu entsagen angesehen worden, 40 sondern der mönchischen Entsagung ist entsagt worden. Aber auf weiteren Inhalt hat sich das Prinzip zunächst noch nicht ausgedehnt. Der religiöse Inhalt ferner ist mehr aufgefaßt worden, wie er für die Vorstellung, für das Gedächtnis ist, d. h. wie er geschichtliche Gestalt hat. Dadurch ist in diese geistige Freiheit der Anfang, die 45 Möglichkeit einer ungeistigen Weise gekommen. Der alte Glaube der Kirche, das Credo, ist gelassen worden, wie er früher war. Dieser Inhalt nun, der wesentlich spekulativer Inhalt I ist, der eine geschichtliche Seite hat, ist in dieser trockenen Form aufgenommen und gelassen worden, so daß er in dieser Form geglaubt, vom so Subjekt aber für das Gewisse in sein Gewissen solle aufgenommen 20

28 Dies ... Prinzips so Gr, ähnlich Lö 33 der Lebendigkeit so He 40-41 Aber ... ausgedehnt. so Gr 44 der Anfang so GrLö"

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werden, als das Wahre, als die höchste Wahrheit betrachtet werden soll. Damit hängt unmittelbar zusammen, daß das spekulative Erkennen - der dogmatische Inhalt auf spekulative Weise ausgebildet ganz auf die Seite gesetzt worden ist. Was das Bedürfnis war, ist die 55 Vergewisserung des Menschen in sich von seiner Versöhnung, von seiner Erlösung, seiner Seligkeit, das Verhältnis des subjektiven Geistes zum absoluten Geist. Die Form der Subjektivität als Glaube, Sehnsucht, Buße, Bekehrung, ist so als das Überwiegende gestellt worden, so daß der Inhalt der Wahrheit schlechthin wichtig sei, 60 Wesen Gottes, aber der Lehrbegriff in einer Gestalt, wie sie zunächst für die Vorstellung erscheint. Es ist verworfen worden nicht nur alle diese Endlichkeit, Äußerlichkeit, Entzweiung, aller dieser Formalismus, der in der scholastischen Philosophie geltend gemacht worden, und zwar mit Recht; aber auf der anderen Seite ist auch 65 die philosophische Entwicklung der Kirchenlehre auf die Seite gesetzt worden, und [zwar] eben in diesem Zusammenhang, daß das Subjekt sich in sich vornehmlich vertieft hat in sein Herz. Dies Vertiefen in sich selbst, diese seine Buße, Reue, seine Bekehrung, diese Beschäftigung des Subjekts mit sich selbst ist das Moment 10 gewesen, das zunächst hat geltend gemacht werden sollen. In den Inhalt hat sich das Subjekt nicht vertieft; diese Verweltlichung des allgemeinen Inhalts hat es verworfen, aber damit auch die frühere Vertiefung des Geistes; die spekulative Ausbildung ist beiseite gelassen und verworfen worden. 75 Noch bis auf diesen Tag fmdet man in der Dogmatik der katholischen Kirche die Anklänge und gleichsam die Erbschaft von den Philosophemen der alexandrinischen Schule; es ist in der katholischen Dogmatik viel mehr Philosophisches, Spekulatijves; in dem protestantischen Lehrbegriff, in der protestantischen Dogmatik - so wenn überhaupt in dieser noch ein Objektives ist und sie nicht ganz 61 Wesen ... Lehrbegriff] so Pi mit He; Gr, ähnlich Lö: aber der Lehrbegriff über die Natur, den Prozeß Gottes ist aufgefaßt 68 sein Herz] so Gr; Pi: die Empfindungen 72-73 diese ... verworfen so Lö 81-82 wenn ... ist1 so Lö"

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Renaissance und Reformation

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leer gemacht ist - ist hingegen der Inhalt mehr geschichtlicher Art oder mehr in Form geschichtlicher Art gehalten, wodurch die Lehre trocken wird. Die Verbindung der Theologie mit der Philo85 sophie ist in der katholischen Kirche der Hauptsache nach immer erhalten geblieben. In der protestantischen Kirche dagegen hat sich das subjektive religiöse Prinzip von der Philosophie getrennt. Aber in ihr ist es dann auf wahrhafte Weise auch wieder auferstanden. Es ist also in diesem Prinzip der Reformation der religiöse Inhalt 90 der christlichen Kirche überhaupt erhalten, aber so, daß dieser Inhalt seine Bewährung durch das Zeugnis des Geistes erhält, daß er insofern für mich gelten soll, als er in meinem Gewissen, meinem Herzen sich geltend macht. Es ist dies, was Christus gesagt hat: * »Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr inne werden, daß meine 95 Lehre die Wahrheit ist.« Das Kriterium der Wahrheit ist, wie es sich in meinem Herzen bewährt und ergibt. Ob es die Wahrheit sei, das muß sich in meinem Herzen ergeben. Mein Geist eben ist nur dann recht daran, wenn er in dieser Weise in diesem Inhalt ist. Wie der Inhalt in meinem Herzen ist, so ist sie, [die Wahrheit]. too Der Inhalt hat insofern nicht diese Bewährung in ihm selber, die er durch die philosophische Theologie erhalten hat, nicht durch das spekulative Denken - dadurch, daß die spekulative Idee sich darin geltend macht. Er hat auch nicht die geschichtliche Bewährung, die einem Inhalt, sofern er eine historische Außenseite hat, auf die to5 Weise gegeben wird, daß geschichtliche Zeugnisse abgehört werden und seine Richtigkeit danach bestimmt wird; sondern die Lehre hat sich als wahrhaft zu bewähren durch meinen Geist, durch mein eigenes Herz, durch die Buße, Bekehrung und Freudigkeit des Gemüts in Gott. Es wird zwar bei der Lehre, beim äußerlichen uo Inhalt angefangen, aber insofern ist sie ein äußer llicher Anfang, und zwar notwendig. Aber so genommen, ohne Beziehung auf mich, wie sich mein Geist, mein Herz dazu verhält, hat sie eigent-

98-99 Wie ... sie so Lö" 104 sofern ... hat, so Gr 108 Buße, Bekehrung und] so Gr; Lii: Reue 112 dazu] so He, Gr: in sich

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lieh keinen Sinn. Dieser äußerliche Anfang ist nun aber als christliche Taufe und christliche Erziehung, Bearbeitung des Gemüts zur Frömmigkeit zugleich verbunden mit dem äußerlichen Bekannt- m werden. Die Wahrheit des Evangeliums, der christlichen Lehre, existiert nur in dem wahrhaften Verhalten zu derselben, und dies ist eben das, was gesagt ist, daß das Gemüt sich in sich rekonstruiert, sich in sich heiligt, geheiligt werde, und nur in dieser Heiligung des Gemüts liegt das Kriterium des Inhalts. Nur für diese Heiligung ist 120 der Inhalt ein wahrer. Es ist kein weiterer Gebrauch vom Inhalt zu machen als daß er erbaulich werde, zur Erweckung des Prozesses des Gemüts in sich selbst [diene]. Ein anderes und unrichtiges V erhalten ist es, diesen Inhalt äußerlich zu nehmen, wie nach dem neueren Prinzip, daß der Inhalt des 12s Neuen Testaments zu behandeln sei wie die alten griechischen und lateinischen Schriftsteller, auf kritisch philologische [und] historische Weise. Der Inhalt aber soll sich verhalten wesentlich für den Geist und nur für den Geist, und es ist ein verkehrtes Beginnen, die Wahrheit der christlichen Religion auf diese äußerliche, geschieht- 130 liehe Weise beweisen zu wollen, wie dies die Orthodoxie getan hat. Der Inhalt wird so in Form eines Geistlosen genommen. Es ist dies also das erste Verhalten des Geistes zu diesem Inhalt, so daß der Inhalt als solcher zwar wesentlich ist, daß aber ebenso wesentlich ist, daß der heilige und heiligende Geist sich zu dem- 135 selben verhalte. Dieser Geist ist aber wesentlich auch denkender Geist. Das Denken als solches muß sich auch darin entwickeln, und zwar wesentlich als die Form der innersten Einheit des Geistes mit sich selbst. Zur Unterscheidung, Betrachtung dieses Inhalts muß es kommen und übergehen in diese Form der reinsten Einheit des 140 113-116 Dieser ... Bekanntwerden.] so Gr mit Pi, ähnlich Lö'; He: Aber in diesem Anfang ... liegt schon der Grund zur folgenden wahren Erkenntnis. 120 diese Heiligung] ergänzt entsprechend GrPi; Lö': den heiligen Geist 122 er erbaulich werde] so Pi, ähnlich He; Gr: das Gemüt erbaut, erweckt werde zur Zuversicht, Freudigkeit, Buße, Bekehrung 127-128 auf ... Weise] so Lii, ähnlich Gr; Sv: durch Kritik und Exegese 131 wie ... hat] so Gr; Lö': Es ist in dieser Weise die Orthodoxie bekämpft worden. 139-141 Zur ... sich. so Gr mit Lö'

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Geistes mit sich. Das Denken ist zunächst abstraktes Denken. So I zeigt es sich unmittelbar, und dies abstrakte Denken enthält dann näher noch ein Verhältnis zur Religion, zur Theologie. Der Inhalt, von dem hier die Rede ist, insofern er auch nur historisch, äußerlich aufgenommen wird, soll doch zugleich religiös sein, die Manifestation der Natur Gottes soll darin enthalten sein. Darin liegt die nähere Forderung, daß eben der Gedanke, für welchen die innere Natur Gottes ist, daß dieser Gedanke sich auch in Beziehung auf diesen Inhalt setzt. Sofern der Gedanke nun zunächst Verstand und Verstandesmetaphysik ist, wird er aus dem Inhalt die Spekulation, die vernünftige Idee wegbringen und daraus ein Leeres ohne absolute Bedeutung machen, so daß nur eine äußerliche Geschichte stehenbleibt, die nach dem absoluten Inhalt wenig Interesse haben

kann.

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Das dritte Verhalten ist dann das des vernünftigen, konkreten, spekulativen Denkens. Nach dem angegebenen Standpunkt, wie der religiöse Inhalt und seine Form bestimmt ist, ist zunächst der spekulative Inhalt als solcher und die nähere Ausführung desselben von der Religion beiseite gestellt worden, und wie dieser Inhalt bereichert worden ist durch die Schätze der Philosophie der alten Welt, der tiefen Ideen aller früheren orientalischen Religionen usf., alles dies ist zunächst vergessen. Der Inhalt also hat Objektivität, aber diese Objektivität hat nur die Bedeutung, daß der objektive Inhalt nur der Anfang sein sollte, nicht für sich bestehe als äußerliehe Geschichte, sondern nur als ein Anfang, von dem das Gemüt sich in sich geistig bilden und heiligen soll. Alle jene Bereicherung des Inhalts also, wodurch er philosophisch wurde, ist beiseite gesetzt worden. Es ist nur das Spätere, daß der Geist sich als denkend wieder in sich vertieft, um konkret, vernünftig zu sein. Das Prinzip der Reformation nun ist gewesen das Moment des Insichseins des Geistes, des Freiseins, des Zusichselbstkommens; eben die Freiheit heißt, in dem bestimmten Inhalt sich zu sich verhalten. I Die Lebendigkeit des Geistes besteht darin, in dem Bestimmten, 153-154 die ... kann so Lö, ähnlich Gr 158-159 von der Religion so He 164 für sich] so PiHc; Lö: als in sich begründeter Inhalt

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Philosophie des Mittelalters

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Anderen in sich zurückgekehrt zu sein. Das, was als ein Anderes im Geiste bleibt, ist ein Unassimiliertes, ein Totes. Insofern ist der Geist unfrei, als er sich zu einem Anderen verhält, es als Fremdes an ihm bestehen bleibt und es gar sein Wesen sein soll. Also diese Bestimmung, daß der Geist wesentlich in sich selbst frei, bei sich selbst sei, dieses abstrakte Moment macht die Grundbestimmung aus. Insofern nun der Geist zum Erkennen fortgeht, zu geistigen Bestimmungen, sich umsieht, heraustritt in einen Inhalt überhaupt, so wird er sich darin verhalten als in seinem Eigentum und es wesentlich darin behaupten und es haben wollen als das Seinige. Der Inhalt ist an und für sich Seiendes, aber das Seinige. In diesem seinem Eigentum, seinem Inhalt sich bewegend und zum Erkennen fortschreitend wird er sich zunächst als konkret darin bewegen, denn er ist konkretes Sein. Dies Eigentum bestimmt sich einerseits als äußeres W elteigentum, als das endliche, natürliche W eltwesen, andererseits als innerliches Eigentum, göttliches Erkennen und Streben.

177 und ... soll] so Pi; Lö: das sein Wesen zerstört 186-187 denn ... Sein so Gr 189 göttliches ... Streben] so He; Gr: als das mystische, göttliche, christliche Wesen und Leben; Lii: und nur als des Christen göttliches Leben und Wesen

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1so

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DIE DRITTE PERIODE DIE NEUERE PHILOSOPHIE

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lo

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Diese konkrete Gestalt des Erkennens haben wir zuerst zu betrachten, und damit treten wir in die dritte Periode. Nach der konkreten Gestalt ist dann das Hervortreten des Denkens für sich zu betrachten. Dies tritt wesentlich jetzt auf als ein Subjektives, mit der Reflexion seines Insichseins, so daß es einen Gegensatz am Seienden überhaupt hat. Das Interesse ist dann ganz allein, diesen Gegensatz zu versöhnen, die Versöhnung in ihrem höchsten Extrem zu begreifen, die abstrakteste, höchste Entzweiung des Seins und des Denkens zu fassen. Alle Philosophie von da an hat das Interesse dieser Einheit. Indem I das Denken abstrakt für sich von der Philosophie selbst ausgeht, verlassen wir zunächst seine Einheit mit der Theologie; es trennt sich von derselben, wie es auch bei den Griechen sich separiert hat von der Mythologie der Volksreligion und erst am Ende, in der alexandrinischen Philosophie, diese Form für das Denken wieder aufgesucht und die mythologischen Vorstellungen damit versöhnt hat. Wir verlassen also auch hier die Einheit der Theologie mit der Philosophie. Das Band bleibt aber dennoch schlechthin an sich, denn die Theologie bleibt durchaus dasselbe was Philosophie ist, und sie kann sich nicht von der Philosophie trennen. Die Theologie hat es immer mit Gedanken zu tun, die sie mitbringt, und diese Gedanken - [diese] >Privatcogito< ist unmittelbar damit verbunden. »Diese Erkenntnis ist die erste und gewisseste von allen, die sich jedem, der in Ordnung philosophiert, darbietet.« Dies ist das berühmte cogito ergo sum; Denken und Sein ist so darin unzertrennlich verbunden. Diesen Satz sieht man einerseits an als einen Schluß; aus dem Denken werde das Sein geschlossen. I Kant hat gegen diesen Zu727-728 das ... verbunden] so Lö; Gr: das reine Ich ist cogito He: mit dem Denken habe ich das Sein meines Ichs

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Neuere Philosophie

171-172

sammenhang eingewandt, im Denken sei nicht das Sein enthalten, es sei verschieden vom Denken; dies ist ganz richtig. Aber sie sind m unzertrennlich, d. h. sie machen Eine Identität aus; was unzertrennlich ist, ist dennoch verschieden, aber die Identität wird durch diese Verschiedenheit nicht gefährdet; sie sind [eine] Einheit. Indessen - * ein Schluß ist es nicht, denn zu diesem gehören drei Glieder, [d. h.] hier ein drittes, wodurch Denken und Sein vermittelt wären. So ist 740 es aber nicht. Nicht: »Ich denke, also bin ich« - dies >Also< ist hier nicht das >Also< des Schlusses, sondern es drückt nur den Zusammenhang aus, wodurch das Sein unmittelbar mit dem Denken verknüpft ist. Wir sehen also bei Descartes die Identität des Seins und 745 Denkens ausgesprochen. Eine zweite Einwendung hat Gassendi gemacht: Man kann eben- * sogut sagen: »Ludificor, ergo sum - ich werde von meinem Bewußtsein zum besten gehabt, also existiere ich.« Daß etwas an * diesem Einwurf daran ist, hat Descartes selbst sehr wohl gewußt; er sagt: »Unter dem Denken begreife ich alles, was in unserem Be- * wußtsein vorgeht, insofern wir uns dessen bewußt sind; Wollen, Empfindung, Einbilden usf. - alles dies ist auch darin enthalten.« Wenn ich sage: »ich sehe, ich gehe spazieren«, so ist Ich in der Bestimmung des Sehens, Gehens, aber ich bin darin auch denkend. Daß ich »Ich« sage, ist Denken. Es ist absurd zu meinen, die Seele 755 habe das Denken in einer besonderen Tasche und in einer anderen die Empfindung, das Sehen, Wollen usf. Denken ist das ganz Allgemeine. Das Denken vorgestellt als Denkendes ist Ich; es ist das Allgemeine, was auch im Wollen, Fühlen, Gehen usf. ist. Descartes sagt: »Bei dem Sehen, Gehen usf. ist zugleich solches Enthalten, was 760 durch eine Funktion des Körpers geschieht.« Der Schluß ist hier also nicht absolut gewiß; im Traume kann einem oft passieren, daß man zu gehen glaubt; Empfinden und Vorstellen ist nicht mehr das allgemei jne Denken und nur mit dem Allgemeinen ist das Sein 765 unmittelbar verbunden.

736--737 was ... verschieden so Gr 744-745 Wir ... ausgesprochen. so Lö 755-757 Es ... usf. so GrLö

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Descartes und Spinoza

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Es 1st ganz leicht, diese Identität einzusehen; Denken ist das ganz Allgemeine, nicht das Besondere, Sehen, Gehen usf.; in allem Besonderen ist auch das Allgemeine; das Denken ist die Beziehung auf sich selbst, ist das Allgemeine, das reine sich Beziehen auf sich selbst, das reine Einssein mit sich. Wenn also vom Sein die Rede ist, so müssen wir uns darunter nicht ein Besonderes, nicht das Sein eines konkreten Inhalts vorstellen; >Sein< ist dann nichts als die ebenso einfache Unmittelbarkeit. Denken ist Bewegung in sich, aber reine Beziehung auf sich selbst, reine Identität mit sich. Das ist das Sein auch. Unmittelbarkeit ist das Sein; das Denken ist dieselbe Unmittelbarkeit, zugleich aber auch die Vermittlung mit sich selbst, aber seine sich negierende Vermittlung mit sich selbst, also auch Unmittelbarkeit. >Unmittelbarkeit< ist eine einseitige Bestimmung; das Denken enthält sie, aber sie nicht allein, sondern auch die Bestimmung, sich mit sich selbst zu vermitteln, und dadurch, daß das Vermitteln zugleich Aufheben des Vermittelns ist, ist es also auch Unmittelbarkeit. Im Denken ist allerdings Sein. >Sein< ist eine viel ärmere Bestimmung als >Denkenich J denke< - damit ist gesetzt das Sein; das Bewußtsein sucht nun seine Erkenntnis zu erweitern und findet, daß es Vorstellungen von vielen Dingen in sich hat. Das Interesse ist der Fortgang von der abstrakten Einheit zu weiterer Konkretion. Er geht dabei äußerlich reflektierend zu 766 Es ... einzusehen so Gr 784-787 Die ... Denken. so Gr

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Neuere Philosophie

173-174

Werke. Wir finden in uns mancherlei Vorstellungen; in diesen aoo täuscht sich das Bewußtsein nicht, so lange es nicht urgiert, daß etwas Ähnliches, Objektives, außer ihm sei. Ich trage dies in der Weise des Cartesius vor. Unter den ver- * schiedeneu Vorstellungen, die wir haben, ist auch die eines höchst intelligenten, höchst mächtigen, absolut vollkommenen Wesens, 805 und dies ist die vorzüglichste aller Vorstellungen. Es ist nun die Frage: »Ist dies eine bloß zufällige oder eine notwendige, ewige Vorstellung?« Cartesius sagt nun: >>Es ist dies eine notwendige Vorstellung, daß das Allgemeine, was wir >Gott< nennen, ist.« Denn es soll eben das sein, in dessen Vorstellung die Existenz als not- s1o wendig enthalten ist. Dies ist nun schon bei Anselm gesagt worden: >>Gott ist das * Vollkommenste«, und es entsteht nun die Frage: »Existiert aber auch dieses Vollkommenste?« Diese Frage darf man nicht machen. Denn das Vollkommenste soll eben das sein, in dessen Begriff schon die 815 Existenz liegt; das ist das Vollkommenste: Existenz und Vorstellung ist in ihm verbunden. Diese Idee ist also eine Voraussetzung. Wir finden in uns diese Idee - würde man jetzt sagen - als die höchste, daß das Eine ist. Dies ist also so vorausgesetzt, und wenn wir fragen, ob diese Idee auch existiere, so soll gerade dies die Idee sein, 82o daß damit auch die Existenz gesetzt ist. Es ist hier in der Form von Gott keine andere Einheit ausgesprochen als die in cogito ergo sum Sein und Denken, unzertrennlich verknüpft. >Cogito< hat den Sinn des Bewußtseins als reinen Denkens. Hier, bei der Idee Gottes, haben wir die Gestalt einer Vorstellung, die ich in mir habe; der 825 ganze Inhalt dieser Vorstellung - der Allmächtige, Allweise usf. sind Prädikate, die sich erst später ergeben; der Inhalt selbst, um den [es] allein zu tun ist, ist der Inhalt I der Idee, des reinen Gedankens, des reinen Allumfassenden, des Allgemeinen, mit der Existenz, mit der Wirklichkeit, mit dem Sein verbunden. 830 So sehen wir diese Bestimmungen aufeinander folgen auf eine Weise, die empirisch und naiv ist, die also nicht philosophisch, 804 die wir haben] so Lö; Pi: die Cartes in Gang aufnimmt 816 Vollkommenste] He: Vollkommene

( 1) (unleserlich) naivem

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metaphysisch beweisend ist. »Dieser Begriff«, sagt Cartesius, •ist nicht von uns geschaffen. Wir finden in uns die Perfektionen nicht, die in dieser Vorstellung liegen; diese ist uns gegeben als ewige Wahrheit.« In ganz anderer Form wird jetzt dasselbe gesagt: Daß Gott ist, ist uns absolut gewiß, und diese absolute Gewißheit ist der Beweis, daß Gott ist. Cartesius sagt nun: »Was uns von Gott geoffenbart ist, müssen wir glauben, ob wir es gleich nicht begreifen. Wir müssen uns nicht wundem, daß es über unsere Fähigkeit geht.« Das ist denn ein Hereinfallen einer gewöhnlichen Vorstellung. »Deswegen müssen wir uns nicht durch Untersuchungen ermüden. Freiheit des Willens und göttliche praescientia sind beide gewiß, aber wir wissen sie nicht zu vereinen.« Das erste Attribut Gottes ist, daß er wahrhaftig ist, daß er der Geber alles Lichts ist. Es ist seiner Natur also ganz zuwider, daß er uns täuscht. Was wir also durch unser Erkenntnisvermögen einsehen, daß es uns deutlich und klar ist, das ist so, das ist wahr; was gedacht wird, richtig und klar eingesehen wird, das ist so, weil Gott uns das Denkvermögen gegeben. Es ist also ausgesprochen, daß der Mensch durch das Denken erfahre, was in der Tat an den Dingen ist; Gottes Wahrhaftigkeit ist zum absoluten Band gemacht zwischen dem subjektiven Erkennen und der Wirklichkeit dessen, was so erkannt ist. Dies werden wir in Malebranche noch bestimmter ausgedrückt sehen. Wir haben hier diesen Gegensatz - subjektives Erkennen und die Wirklichkeit; das eine Mal ist gesagt, sie sind beide unzertrennlich verbunden, Denken ist Sein; das andere Mal werden sie als verschieden betrachtet; da tritt nun das Bedürfnis ein, sie zu vermitteln; auf dem Vermitteln beruht der Beweis dieser Einheit. Hier ist nun auf einer Seite unser subjektives Erkennen vorgestellt und auf der anderen Seite die Wirklichkeit. Das Vermittelnde ist die 840-842 Wir ... Vorstellung. so Gr 842 Deswegen] so Wund Descartes; He: Dennoch 850-852 Es ... istz so Gr 856-857 Wir ... Wirklichkeit so Gr 861 unser subjektives Erkennen] so HcLö; Gr: unser Erkennen Pi: unser Erkennen als subjektiv

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Neuere Philosophie

174-176

Wahrhaftigkeit Gottes oder die Wahrheit Gottes. Diese I ist selbst wieder nichts anderes als daß seine Idee unmittelbar auch die Wirklichkeit in sich enthält. - [Den] Begriff und seine Realität nennen 865 wir Wahrheit; also sind uns diese Verknüpfungen von Idee und Wirklichkeit nur in verschiedenen Beziehungen vorgestellt. Dies sind die Grundbestimmungen. Descartes geht nun weiter und sagt: »Was unter unser Bewußtsein fällt, das betrachten wir entweder als Dinge oder als deren 870 Eigenschaften oder als ewige Wahrheiten, die uns eingeboren, ideae innatae, nicht von uns gemacht sind.« Dieser Ausdruck >ewige Wahr- * heit< ist bis auf die neuesten Zeiten ganz gebräuchlich; >ewige Wahr- * heiten< heißen allgemeine, ganz allgemeine Bestimmungen, ganz allgemeiner Zusammenhang, und von diesen ist hier vorgestellt, 875 daß sie uns angeboren sind. >Angeboren< ist ein schlechter Ausdruck, weil dies eine natürliche Weise bezeichnet; es paßt nicht für den Geist; also es [sc. die angeborenen Wahrheiten] ist ein Inhalt, der in der Natur unseres Geistes gegründet ist. Der Geist überhaupt ist tätig und verhält sich in seiner Tätigkeit auf eine bestimmte sso Weise; diese hat aber keinen anderen Grund als seine Freiheit. Was nun die näheren Dinge betrifft, zu deren Betrachtung Carte- * sius übergeht, so sind die allgemeinen Bestimmungen der Dinge: Substanz, Dauer, Ordnung usf.; von diesen gibt er dann Definitio- * nen. Er legt zum Grunde, man müsse keine Voraussetzungen 885 machen, und den unterschiedenen Inhalt, die Vorstellungen, zu denen er dann übergeht - diese nimmt er doch als ein Gefundenes auf in unserem Bewußtsein. Er definiert nun die Substanz so, daß * sie ein Gegenstand sei, der keines anderen Etwas zum Existieren bedürfe - das ist auch die Definition des Spinoza -; diese Substanz 890 ist nun allein Gott; man kann sagen, es sei auch die wahrhafte Definition der Substanz, die Einheit der Idee und der Realität. Solche Substanz ist nur Gott. Die anderen, die wir >Substanzen< nennen, existieren nicht für sich, haben ihre Existenz nicht in ihrem Begriff selbst; sie können nur vermöge eines concursus Dei existie- 895 ren. I Gott ist die absolute Verknüpfung von Begriff und Wirklich-

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890 das . . . Spinoza so Gr

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keit. Die anderen, die endlichen [Substanzen], die eine Grenze haben, in Abhängigkeit stehen, bedürfen eines anderen. Die anderen Substanzen als Gott können nicht univoce, d. h. in einem und demselben Sinne >Substanzen< genannt werden. Jetzt geht er weiter fort zum Unterschied, [zur distinctio] realis. Es gibt zweierlei Gattungen, erstens die denkenden Dinge und zweitens die Dinge, die sich auf das Ausgedehnte beziehen. Da haben wir diesen Unterschied von Denken und Ausgedelmtem, Räumlichem, Außereinander. Das Denken, Begriff, Geistiges, Denkendes, Selbstbewußtes ist das, was in sich zurückgeht, bei sich ist. Der Gegensatz des Denkens ist, was nicht bei sich ist - das Außersichseiende, Ausgedehnte, das Unfreie. Dies sind nun erschaffene Substanzen; diese beiden Substanzen können unter der gemeinschaftlichen Bestimmung >erschaffene Substanzen< gefaßt werden, weil sie Dinge sind, die allein Gottes concursus zur Existenz bedürfen. Die endlichen Dinge bedürfen eines anderen endlichen Dinges zu ihrer Existenz, aber die ausgedehnte Substanz, das Reich der Natur und die geistige Substanz- dieser ganze Umfang ist eine Totalität in sich; jedes der beiden, das Ganze jeder Seite, kann ohne das andere gefaßt werden; jedes ist Totalität für sich. (Bei Spinoza [ist] auch davon [die Rede].) Andere, einzelne Dinge bedürfen anderer einzelner Dinge zu ihrer Existenz, aber das Denkende und das Ausgedehnte als ganze Substanzen für sich sind Totalitäten, bedürfen nicht eins des anderen zur Existenz, sondern bedürfen nur des concursus Dei zu ihrer Existenz. Die Substanz nun hat Attribute, und jede hat mehrere; jede hat aber ein eigentümliches Attribut, welches die Natur und Essenz desselben ausmacht. Denken macht das Attribut des Geistes aus; Denken ist seine Qualität. Bei dem Körper macht Ausdehnung seine Essenz, seine Qualität aus, und der Körper ist nur ausgeJdehnt. Was der Verstand vom Körper erfaßt ist seine Substanz, seine 897 Die ... endlichen] Gr: die Anderen, die Endlichen Lii: Das andere Endliche He: Die andere sind endlich 901 Jetzt ... Unterschied] Lö: Jetzt geht man aber fort zum Unterschied Sv: Dann unterschied er 916-917 (Bei ... davon so Gr

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Neuere Philosophie

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wahrhafte Natur, und diese ist nur die Ausdehnung, welche wieder zwei Bestimmungen hat, Materie und Bewegung. Nach Descartes ist die Natur des Körpers vollendet durch sein Ausgedehntsein; alles andere, was wir als Qualitäten der Körper gelten lassen, sind nur sekundäre Qualitäten, Modi usf. - andere Arten jener ersten, der Ausdehnung. Descartes sagt insofern: ))Gebt mir Materie und Bewegung, und ich will euch die Welt erschaffen.« Das Denken sucht die einfache Bestimmung der Unterschiedenen. Ferner liegt darin die mechanische Weise, die Natur zu betrachten, oder daß die Naturphilosophie des Descartes rein mechanisch ist, indem er alles auf Verhältnisse der Ruhe und Bewegung zurückführt. Im Lebendigen sind Verdauen, Sehen, Hören, alles nur solche mechanische Effekte, deren Prinzipien Materie und Bewegung sind. Wir sehen hier also den Grund, den Ursprung der mechanischen Philosophie; es ist nun eine weitere Einsicht, daß Materie und Bewegung nicht hinreichen, um das Lebendige zu erklären. Es ist aber das Große darin, daß das Denken in seinen Bestimmungen nun nicht nur auf äußere Weise fortgeht und sich einfach erfaßt, daß es diese Gedankenbestimmungen zu dem Wahrhaften der Natur macht. Von da geht Descartes nun von der Metaphysik zur Mechanik über, zu dem Weltsystem, [der] Bewegung der himmlischen Körper, [den] Wirbeln, zu den Poren oder Partikeln, die sich begegnen, wobei er auf Erde und Sonne und endlich auch auf Salpeter und Schießpulver kommt. So geht seine Metaphysik aus. Zuerst sollen die allgemeinen Gedanken das Interesse haben; das weitere ist ein Übergang zum Bestimmten, und dies Bestimmte, Physikalische, errichtet eine Physik, die das Resultat von Beobachtungen und Erfahrungen ist. Descartes hat so viele Beobachtungen mit einer solchen Metaphysik vermengt, und dies ist daher etwas Trübes und Verwirrtes für uns. I

935 Das ... Unterschiedenen.] so Pi; He: Cartesius sucht die einfache Bestimmung der Körper in der Materie und Bewegung. 950-951 zu ... begegnen] He: zu den Poren oder Artikeln LO": Die Poren, die Partikeln bewegen sich

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Bei dieser Philosophie ist die denkende Behandlung des Empirisehen vorherrschend. Auf dieselbe Weise der denkenden Mechanik zeigen sich die Philosophien von hier an. Professor Cousin in Paris hat Descartes' Werke französisch neu herausgegeben; neun Bände in Oktav sind heraus; der größte Teil besteht in Briefen über physisehe und mechanische Gegenstände aller Art. Der erste Teil [seines Werkes] handelt de principiis cognitionis humanae, der zweite de principiis rerum naturalium; dies ist eine Physik. Auch den dritten, ethischen Teil hat er ausarbeiten wollen, ist aber nicht dazu gekommen. Spinozas Hauptwerk dagegen ist die Ethik; bei ihm ist der erste Teil auch allgemeine Metaphysik; den zweiten, die Naturphilosophie, hat er nicht behandelt. In seinem Briefwechsel sind Beobachtungen über Natur, aber eine Ethik, Philosophie des Geistes, hat er geschrieben. Bei Cartesius ist nichts Ethisches, und das, was das Erkennen betrifft, den intelligenten Geist, das kommt im ersten Teil, in den Prinzipien der menschlichen Erkenntnis vor. Dies sind nun die Hauptmomente der Cartesischen Philosophie. Es sind noch einige besondere Formen anzuführen, die sonst in der Metaphysik auch bei W olff betrachtet sind, z. B. das Verhältnis der Seele zum Körper. In der Metaphysik finden sich viele Systeme darüber; das eine ist das des influxus physicus, daß der Geist sich auf körperliche Weise verhalte, daß die äußerlichen Dinge zur Seele ein mechanisches Verhältnis haben, wie ein Ding auf das andere durch Drücken, Stoßen. Dies ist eine sehr rohe Vorstellung, welche Descartes widerlegt. Descartes hat das Spirituelle, Intellektuelle frei für sich festgesetzt; in seinem Cogito bin ich mir selbst zunächst nur gewiß, ich kann abstrahieren von allem; darauf gründet er das Bestehen des Geistes für sich; nun ist das Mittelglied, die Verbindung von dem abstrakten Allgemeinen und dem besonderen Äußerlichen anzugeben. Dies bestimmt nun Cartesius nach dem, daß er sagt, Gott ist das Mittelding, das Mittelglied; dies heißt man 959-960 Bei ... vorherrschend. so Gr, ähnlich Lö 970--971 In ... Natur so Pi 975-977 Dies ... z. B. so Gr 984-985 in ... allem] so Gr; He: Ich bin meiner selbst bewußt und meiner Freiheit ohne alles Äußerliche

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Neuere Philosophie

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das System der Assistenz: Gott ist der metaphysische Grund der gegenseitigen Veränderungen. In der Seele gehen Veränderungen vor, wie in dem Körper. Letztere entsprechen denen der Seele. Dies Entsprechen ist bewirkt durch Gott - das ist das systema assistentiae. Das Bedürfnis des Vermittelnden zwischen den zwei Gegensätzen sehen wir hier. In Gott allein I ist die Einheit der Idee oder des Begriffs und des Realen. Dies wird dann besonders in dem Spinozistischen System in seinen weiteren Momenten herausgehoben.

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Benedict Spinoza Die Spinozistische Philosophie verhält sich zur Cartesischen nur als eine konsequente Ausführung, Durchführung des Prinzips des Cartesius. Zunächst sind jedoch die Lebensumstände des Spinoza zu betrachten. Er ist in Amsterdam 1632 geboren, aus einer portugiesisch-jüdischen Familie und heißt mit Vornamen. Baruch, den er jedoch in Benedict verwandelte. Er hat früh Krieg mit den Rahbinen in der Synagoge geführt; er ist weggeblieben aus der Synagoge. Man hat ihm viel Geld geboten, wieder in die Synagoge zu kommen, und [er] kam, als ihn die Juden durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen suchten, wiewohl mit knapper Not, mit dem Leben davon. Er hat sodann die jüdische Gemeinde verlassen, ohne jedoch förmlich zur christlichen Kirche überzugehen. Er legte sich nun besonders auf die lateinische Sprache, studierte die Philosophie des Descartes und gab eine Darstellung - nach geometrischer Methode - davon heraus, die unter seinen Werken ist. Später machte er sich berühmt durch seinen Tractatus theologicopoliticus; es ist darin die Lehre von der Inspiration [behandelt], eine Beurteilung der mosaischen Schriften, besonders aus dem 7-8 Zunächst ... betrachten. so Gr 9-10 und ... verwandelte so Gr 10--11 hat ... geführt] so He mit Pi, ähnlich LöSv; Gr: Er erhielt in seiner

Jugend Unterricht von den Rabbinen 14 knapper] Gr: genauer

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Descartes und Spinoza

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Gesichtspunkt, daß sich die mosaischen Gesetze nur auf die Juden beschränken - eine kritische Behandlung der mosaischen Bücher. Das meiste, was spätere christliche Theologen über Inspiration und Einschränkung des mosaischen Gesetzes auf die jüdische Nation Kritisches geschrieben haben, wodurch gewöhnlich gezeigt werden soll, daß diese Bücher erst später redigiert worden sind - ein Hauptkapitel für die protestantischen Theologen -, haben [sie] schon bei Spinoza vorgefunden. 1664 ging dieser nach Rhynsburg bei Leyden I und lebte von 1665 an in einem Dorfe beim Haag und im Haag selbst, wo er sich von Verfertigung optischer Gläser ernährte, nach Ausschlagung mehrerer Geschenke seiner Freunde. Er wurde nach Heidelberg zu einer Professur der Philosophie gerufen - der Kurfürst von der Pfalz, Carl Ludwig, tat ihm dies Anerbieten -, mit der Freiheit, zu lehren und zu schreiben, indem der Fürst glaube, daß er diese Freiheit nicht mißbrauchen werde, die öffentliche Religion zu beunruhigen. Spinoza lehnte es ab, weil er nicht wisse, in welche Grenzen die philosophische Freiheit eingeschlossen werden müsse, um die öffentliche Religion nicht zu beunruhigen. Er blieb in Holland außer aller Verbindung. Er starb den 22. Februar 1677 an der Schwindsucht. Seine Ethik gab erst nach seinem Tode sein vertrautester Freund, der Arzt Ludovicus Meyer heraus. So groß der Haß der Juden gegen ihn war, ebenso groß war auch der Haß der protestantischen Geistlichkeit. Das Hauptwerk ist seine Ethik. Sie besteht aus fünf Teilen; der erste Teil handelt von Gott, der zweite von der Natur und dem Ursprung des Geistes; er [sc. Spinoza] behandelt so nicht die Natur, sondern geht von Gott gleich zum Geist über; das dritte Buch 31-32 in ... selbst) so HeLö; Pi: in einem Dorfe bei Haag Gr: im Haag, oder in Vorburg beim Haag 34-35 der ... Anerbieten so Gr 41-42 den 22. Februar so Gr 44-45 So ... Geistlichkeit.) so Gr; Pi: Großer Haß der Juden und der Protestanten He: Großen Haß der Juden und der Protestanten zog er sich durch seine Schriften zu. Lö": Noch größere Feindschaft als bei den Juden hatte Spinoza bei den Christen. 46 Das ... Ethik. so He 48-49 er ... über so Gr

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Neuere Philosophie

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handelt von den Affekten und Leidenschaften, das vierte von den Kräften der Affekte oder der menschlichen Knechtschaft, wie das vierte Buch überschrieben ist; endlich das fünfte von der Macht des Verstandes, des Denkens, oder von der menschlichen Freiheit. Was das System des Spinoza anbetrifft, so ist es im ganzen sehr einfach. Die Schwierigkeit, es zu fassen, liegt zum Teil in der Methode, in der verschränkten Methode, in der er seine Gedanken vorträgt, und [zum Teil] in dem Beschränkten der Ansicht, wodurch man über Hauptgesichtspunkte, Hauptfragen unbefriedigt bleibt. Das Einfache des Spinoza ist die absolute Substanz, und nur diese ist wahrhaft, ist wirklich, ist die Wirklichkeit. Sie ist die Einheit des Denkens und Seins oder das, dessen Begriff I seine Existenz in sich selbst enthält. Wir haben vor uns zwei Bestimmungen, das Allgemeine, das Anundfürsichseiende, und zweitens die Bestimmung des Besonderen und Einzelnen, die Individualität. Nun ist von dem Besonderen, dem Einzelnen nicht schwer aufzuzeigen, daß es ein Beschränktes überhaupt ist, daß sein Begriff überhaupt von einem Anderen abhängt, daß es abhängig ist, nicht wahrhaft für sich selbst existierend, so nicht wahrhaft wirklich. In Rücksicht des Bestimmten hat Spinoza so den Satz aufgestellt: omnis determinatio est negatio. Also ist nur das Nichtbesonderte, das Allgemeine. Nur das ist das Substantielle und also wahrhaft Wirkliche. Die Seele, der Geist, ist ein Beschränktes, als einzelnes Ding, beschränkt. Das, wonach ein einzelnes Ding ist, ist Negation. Also hat es nicht wahrhafte Wirklichkeit. - Dies ist im ganzen die spinozistische Idee. Im allgemeinen ist darüber zu bemerken, daß das Denken, der Geist, sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß. Diese spinozistische Idee ist als wahrhaft, als begründet zuzugeben. Es ist eine absolute Substanz; diese ist das Wahre. Aber das ist noch 60 61 70 74 74 75

Das ... Spinoza] so Gr; Lö: Die Hauptidee Sie ist] so PiLö; He: diese Substanz ist Gr: es ist, wie bei Descartes, determinatio] so GrPiLöSv; He: determinatio (Besonderung) wonach] so Pi; Gr: wonach er Also hat es] so Lö; Pi: Darum hat es Gr: und er hat so Sv: also hat er Dies ... Idee. so Gr

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Descartes und Spinoza

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so nicht das ganze Wahre, sondern die Substanz muß auch als in sich tätig und lebendig gedacht werden und eben dadurch sich als Geist bestimmen. Die spinozistische Substanz ist die allgemeine und so die abstrakte Bestimmung; man kann sagen, es ist die absolute Grundlage des Geistes, aber nicht als der absolut unten festbleibende s5 Grund, sondern als die abstrakte Einheit, die der Geist in sich selbst ist. Wird nun bei dieser Substanz stehen geblieben, so kommt es zu keiner Entwicklung, keinem Leben, keiner Geistigkeit, Tätigkeit. So kann man sagen, es geht beim Spinozismus alles nur in den 90 Abgrund hinein, aber es kommt nichts heraus. Das Besondere des Spinoza wird aufgenommen aus der I Vorstellung, ohne daß es gerechtfertigt wäre; sollte es gerechtfertigt sein, so müßte er es deduzieren, ableiten aus seiner Substanz; aber dies ist nicht der Fall. * Was das Besondere unterscheidet und bildet, soll nur Modifikation 95 der absoluten Substanz, nichts Wirkliches an ihm selbst sein. Die Operation an ihm ist nur die, es von seiner Bestimmung, Besonderheit zu entkleiden, es in die eine absolute Substanz zurückzuwerfen. * Dies ist das Unbefriedigende bei Spinoza. Bei Leibniz wird das Entgegengesetzte, die Individualität, zum Prinzip gemacht, .>o daß 100 das Spinozistische System so äußerlich integriert ist durch Leibniz. Es ist das großartige der Denkungsart der Spinozistischen Philosophie, auf alles Bestimmte, Besondere Verzieht zu tun und sich nur zu verhalten zu dem Einen - nur das Eine zu achten und zu ehren und allein anzuerkennen. Diese Ansicht muß die Grundlage aller 1os wahrhaften Ansicht sein. Es ist aber ein durchaus Starres, Bewegungsloses. Dies ist das Allgemeine. Einige nähere Bestimmungen sind noch zu erwähnen. Spinoza hat seine Philosophie auf geometrische Methode vorgetragen, um der mathematischen Evidenz und Konsequenz willen. Diese ist aber uo nur bei endlichen Verstandeswissenschaften an ihrem Ort. Er fängt 105-106 Starres, Bewegungsloses] so PiHc; Gr: starre Bewegungslosigkeit, deren einzige Tätigkeit ist, alles in den Abgrund der Substanz zu werfen. Lö: Bewegungsloses; alles wird in den Abgrund der Substanz geworfen. 106 Dies ... Allgemeine. so Gr

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Neuere Philosophie

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daher an mit Definitionen; diese betreffen allgemeine Bestimmungen, und diese sind geradezu aufgenommen, vorausgesetzt, nicht abgeleitet; er weiß nicht, wie er dazu kommt. Er sagt: »Unter * Ursache seiner selbst, causa sui, verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz in sich schließt und was nicht anders gedacht werden kann, 115 als existierend.« Es ist dies ein ganz spekulativer Begriff. Die Ursache bringt eine Wirkung hervor, die etwas an Ideres ist als jene; die Ursache seiner selbst ist eine Ursache, die eine Wirkung hervorbringt, aber der Unterschied ist darin aufgehoben; die Ursache seiner selbst produziert nur sich selbst. Es ist dies ein Grundbegriff 120 in allem Spekulativen - Rückkehr in sich im Anderen. Die zweite Definition ist die des Endlichen. >Endlich< ist das, was * durch ein Anderes seiner Art begrenzt wird; es hat daran ein Ende, ist da nicht; was da ist, ist ein Anderes, und zwar ein Anderes seiner Art; denn die, welche sich begrenzen sollen, müssen gleicher Art 125 sein, in Gemeinschaft stehen, einen gemeinen Boden haben. So wird der Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt, der Körper durch den Körper, nicht aber ein Körper durch einen Gedanken oder umgekehrt. Die dritte Definition ist die der Substanz; >Substanz< ist, was in * sich und durch sich begriffen wird oder dessen Begriff nicht des Begriffs eines anderen Dinges bedarf, um dadurch begriffen zu werden, nicht ein Anderes nötig hat - sonst wäre es endlich, akzidentell. Zu der Substanz gehört [als] das zweite das Attribut; das ist * - 4. [Definition] - das, was der Verstand von der Substanz erfaßt, m als deren Wesen ausmachend. Aber wo die Substanz zum Attribut übergeht, ist nicht gesagt. Das dritte ist der Modus, das heißt, die * Affektion der Substanz oder das, was in einem Anderen ist, durch das es begriffen wird. Gott ist das absolut unendliche Wesen. Das Unendliche ist die * 113 er1 ... kommt so Gr 123-124 es ... ist2 so Gr 130 Die ... Substanz so Gr, ähnlich Lö 133-134 nicht ... akzidentell so Gr 136-137 wo ... übergeht] so Gr; Lö: wie die Bestimmungen folgen,

woher der Verstand kommt,

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Descartes und Spinoza

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Affirmation seiner selbst. Es ist unterschieden das Unendliche des Denkens von dem Unendlichen der Imagination. Das letzte ist das schlechte Unendliche, z. B. die Unendlichkeit des Raumes, der Zeit, die unendlichen Reihen der Mathematik, der Zahlen. Dies ist aber die Unendlichkeit, die man gewöhnlich vor sich hat, wenn von Unendlichkeit gesprochen wird. Die philosophische Unendlichkeit ist die Affirmation seiner selbst. Spinoza bringt hier auch geometrische Beispiele an, um seinen Begriff des Unendlichen zu erläutern. Er nimmt zwei Kreise, die nicht konzentrisch sind, aber, obwohl sie innerhalb einander sind, sich nicht berühren. Der Raum zwischen beiden Kreisen ist ein gegenwärtiger, I vollendeter Raum. Er ist actu, wirklich, nicht ein jenseitiger, und doch läßt sich in Zahlen die Bestimmung dieses Raums nicht genau angeben. Das Bestimmen erschöpft den Raum nicht, und doch ist der Raum wirklich. Von jeder Linie, die beschränkt ist, kann man sagen, sie besteht aus unendlich vielen Punkten, und doch ist die Linie präsent, gegenwärtig, ist bestimmt. Das Unendliche soll als wirklich gegenwärtig vorgestellt werden. Das wahrhaft Unendliche ist, daß die Ursache sich selbst hervorbringt (causa sui); sobald die Ursache ein Anderes gegenüber hat, die Wirkung, so ist die Endlichkeit vorhanden; aber hier ist dies Andere zugleich aufgehoben, was sie begrenzen wollte; es ist wieder sie selbst. Gott ist also das absolut unendliche Wesen oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, deren jedes seine ewige und unendliche Essenz ausdrückt. Dies sind aber allgemeine Bestimmungen und so im ganzen formell. Die Hauptsache ist, daß er sagt, die Substanz bestehe aus unendliehen Attributen. Das scheint den Sinn zu haben, daß es unendlich viele Attribute sein sollen. Allein Spinoza spricht nur von zwei 144-146 Dies ... wird. so Gr, ähnlich Lö 152 nicht ein jenseitiger so Gr 157-158 Das ... werden. so Gr 159-160 sobald ... vorhanden so Gr, ähnlich Lö 161 was ... wollte so He 164 seine] so GrPiLö; He: eine 164 ausdrückt] so PiLö; GrHc: ausmacht 164-165 Dies ... formell.] so Gr; Pi: Das ist nun sehr formell mit der ewigen, unendlichen Essenz, die jedes Attribut ausdrückt.

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Neuere Philosophie

184-185

Attributen, so daß >unendlich< auf ihren Charakter gehen muß. Aber wie diese zwei aus der einen Substanz hervorgehen, zeigt er 110 nicht auf, sagt auch nicht, warum er nur von zweien spricht. Diese beiden sind nun, wie bei Cartesius, das Denken und die Ausdeh- * nung, jedes für sich die ganze Totalität, so daß beide dasselbe enthalten, nur dasselbe einmal in der Form des Denkens, das andere Mal in der Form der Ausdehnung gesetzt. Der Verstand nun faßt m diese Attribute auf, faßt sie als Totalitäten. Sie drücken dasselbe Wesen aus, Gott, nur in einer Form, die der Verstand sozusagen mit herbeibringt, die dem Verstand zukommt. Beide sind dieselbe Totalität, oder, wie er sagt, die Ordnung - das System - der aus- * gedehnten Dinge ist dieselbe als die Ordnung der denkenden 180 Dinge; es ist ein und dasselbe System. Dies ist nun neuerlich in * dieser Redeweise aufgewärmt worden: An sich ist die denkende Welt dieselbe als I die ausgedehnte Welt, und [beide sind nur] in verschiedenen Formen; aber es ist hier die Frage: Wo kommt der Verstand her, daß er diese beiden Formen auf die absolute Substanz 185 anwendet, und wo kommen diese beiden Formen her 1 - Es ist also hier gesetzt die Einheit des Seins (der Ausdehnung) und des Denkens, so daß das Denken die Totalität an sich, und ebenso das Ausgedehnte dieselbe Totalität ist. Wir haben so zwei Totalitäten; an sich sind sie dasselbe, und die Unterschiede sind nur Attribute 190 oder Bestimmungen des Verstandes, der hinzukommt. Dies ist die allgemeine Vorstellung; die Attribute sind eben nichts an sich, keine Unterschiede an sich. Das dritte sind nun die Modi, affectiones. Diese sind im Aus- * gedehnten Ruhe und Bewegung und im Denken intelleetos und * 169 so ... muß so Lö 170 aus] so GrPiHc; Lö: und warum nur sie aus 171 sagt ... spricht so Gr 184-185 Wo ... her] so HcLö; Gr: wie kommt der Verstand herbeigelaufen Pi: wie kommtjetzt der Verstand herbei 188-189 Denken ... Ausgedehnte] so Pi; Sv: Denken ist Totalität an sich Gr: denkende Universum an sich ist die ganze absolute göttliche Totalität, und das körperliche Universum 192-193 nichts ... sich] so Gr; Pi: nicht das an sich des Unterschiedenen He: nicht an sich

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Descartes und Spinoza

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voluntas, Erkennen und Wollen; es sind bloß Modifikationen. Was sich auf diesen Unterschied bezieht und dadurch besonders gesetzt wird, ist nichts an sich. Dies sind nun die allgemeinen Formen Spinozas. Einige bestimmtere Formen sind noch zu erwähnen. Das, was Spinoza vom Bösen sagt, [ist]: »Man behauptet, Gott sei auch Urheber des Bösen, weil er Urheber von allem ist; das Böse sei er selbst. Ich statuiere, daß Gott absoluter Urheber ist von allem, was positive Realität oder Essenz ist (Brief 36). Wenn Du mir nun beweisen kannst, daß der Irrtum, das Laster, das Böse etwas sei, was eine Essenz ausdrückt, so will ich Dir gern zugeben, daß Gott Urheber des Bösen sei. Aber ich habe hinreichend bewiesen, daß die Form des Bösen nicht in etwas ist, das eine Essenz [ausdrückt], nichts an sich wahrhaft Reales, und daher ka1m nicht gesagt werden, daß Gott Urheber des Bösen ist. Neros Muttermord z. B., sofern er Positives enthält, Wollen, ist etwas anderes. Sein Laster war nur Ungehorsam, Mitleidslosigkeit, Undankbarkeit; das ist aber keine Essenz; Gott ist also nicht Ursache des Bösen darin. Indem nun Gott die Sache nicht abstrakt betrachtet, den Dingen aber nicht mehr Realität zukommt als Gott ihnen erteilt, so folgt, I daß solches Privative nur in Rücksicht auf unseren Verstand, nicht in Rücksicht auf Gott stattfindet. Böses und dergleichen ist nur Privation; Gott ist das schlechthin Reale.« Dies ist wohl gut gesagt, aber nicht befriedigend. Gegen die Spinozistische Substanz empört sich die Vorstellung der Freiheit des Subjekts, denn daß ich als Subjekt, individuelle Geistigkeit da bin usf., ist nach Spinoza alles nur Modifikation, vorübergehende Form. Dies ist das Empörende, was das Spinozistische System in sich hat und was den Unwillen gegen dasselbe hervorbringt. Der Mensch aber hat das Selbstbewußtsein der Freiheit und [das Bewußtsein], 196 Erkennen und Wollen so Gr 198-200 Dies ... erwähnen. so Gr 209 nichts . . . Reales] so Gr; Sv: und so könnte man es auch nicht als etwas Positives nehmen 214-215 den ... zukommt] Pi: den Dingen kommt nicht mehr Realität zu Gr: die Dinge aber nicht wahre Realität haben

110

Neuere Philosophie

186-187

daß der Geist an und für sich wesentlich das Negative vom Körperlichen ist und daß er erst im Entgegensetzen gegen das Körperliche das ist, was er wahrhaft ist. An diesem Negativen haben die Menschen, die Theologie und der gesunde Menschensinn, festgehalten. Diese Form des Gegensatzes ist zunächst die, daß das Freie wirklich ist, das Böse existiert. Dies ist nun nicht erklärt, wenn ich das alles nur Modifikation nenne. Das Moment des Negativen ist das, was in dieser einen, starren, bewegungslosen Substantialität fehlt und mangelt. Die Art dieses Gegensatzes ist: Der Geist als für sich sich unterscheidend vom Körperlichen ist substantiell, wirklich, ist, ist nicht bloß eine Privation oder Negation. Ebenso die Freiheit ist, sie ist nicht bloß Privation. Diese Wirklichkeit hält man nun dem Spinozistischen System gegenüber; dies ist im formellen Gedanken richtig; diese Wirklichkeit beruht nun einerseits auf dem Gefühl, aber das Weitere ist: Die Idee an und für sich enthält dies, das Prinzip der Bewegung, Lebendigkeit, das Prinzip der Freiheit und daher das Prinzip der Geistigkeit in sich selbst. Das hat Spinoza nicht aufgefaßt. Einerseits ist der Mangel des Spinozistischen Systems, daß es nicht der Wirklichkeit entspricht; andererseits ist der Mangel aber auf höhere Weise zu fassen, und zwar so, daß die Spinozistische Substanz die Idee nur ganz abstrakt, nicht in ihrer Lebendigkeit ist. Ich könnte noch viele beisondere Sätze aus Spinoza anführen; sie sind aber sehr formell und immer die Wiederholung eines und desselben. So sagt er, das wirkliche Sein der mens humana ist die Idee eines einzelnen und existierenden Dinges. Diese Bestimmung ist allerdings darin; sie ist aber nur ein Modus, eine Affektion. Es fehlt also die unendliche Form, die wir Wissen, Freiheit, Geistigkeit nennen können. Ein System der Form aufzustellen, die Organisation 237 Wirklichkeit] so Gr; He: Freiheit 238-239 dies ... richtig so Gr 248 Ich ... anführen so Gr 252 ein ... Affektion] so Lii; Gr: ein modus affectionis Pi: ein modus Sv: eine Modifikation 254 Ein] so He; Gr: Schon früher habe ich angeführt, daß Lullus und Bruno versucht haben, ein 254 die] He: eine

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Descartes und Spinoza

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des Einen in sich selbst zu fassen, wie Bruno es tat - darauf hat Spinoza verzichtet. * Man sagt, der Spinozismus ist Atheismus; dies ist in einer Rück* sieht allerdings richtig, indem Spinoza Gott von der Welt, von der Natur nicht unterscheidet, indem er sagt, Gott ist alle Wirklichkeit, 260 aber diese, sofern sich die Idee Gottes expliziert auf eine besondere Weise, z. B. in der Existenz des menschlichen Geistes. Man kann also sagen, es ist Atheismus, und man sagt dies, insofern er Gott nicht unterscheidet von dem Endlichen, der Welt, der Natur. Es ist schon bemerkt, daß allerdings die Spinozistische Substanz den 265 Begriff von Gott nicht erfüllt, indem er zu fassen ist als der Geist. Will man den Spinozismus aber Atheismus nennen nur deshalb, weil er Gott nicht von der Welt unterscheidet, so ist dies unge* schickt; man könnte ihn vielmehr Akosmismus nennen, weil alle * natürlichen Dinge nur Modifikationen sind. Spinoza behauptet, was 210 man eine Welt heißt, gibt es gar nicht, es ist nur eine Form Gottes, nichts an und für sich; die Welt hat keine wahrhafte Wirklichkeit. Es mischt sich immer die schiefe Vorstellung [hinein], als ob die einzelnen Dinge wahrhafte Wirklichkeit seien, wie sie in der Endlichkeit sind. Jener Vorwurf also, daß Spinoza Gott vom Endlichen 275 nicht unterscheide, ist nichtig, sondern alles dieses ist von Spinoza in den Abgrund der Einen Identität geworfen. Die endliche Wirklichkeit (Kosmos) hat nach ihm keine Wahrheit; was ist, das ist allein Gott. Der Spinozismus ist so weit davon entfernt, Atheismus im gewöhnlichen Sinne zu sein, aber in dem Sinn, daß Gott nicht als zso Geist gefaßt wird, so würde sein System wohl Atheismus genannt * werden können. Aber so sind auch viele andere, selbst Theo Jlogenwelche sagen, Gott ist der unbekannte, die Gott nur das allmäch-

261-262 Man ... insofern so Gr 264-265 daß ... erfüllt] so Gr; Pi: Allerdings ist die Spinozistische Substanz nicht den Begriff Gottes erkennend 266 den Spinozismus] Gr: ihn 270-271 Form ... Wirklichkeit] so Gr; He: vorübergehende Erscheinung 281-283 Aber ... nennen] so Gr mit He; Pi: aber ebenso ist es dann [mit] vielen Philosophien und Weisen der Theologie, wo Gott nicht als Geist gefaßt ist.

112

Neuere Philosophie

188

tige, höchste Wesen usf. nennen - ärgere Atheisten als Spinoza, denn sie lassen das Endliche, wie es so ist, als das Wahrhafte gelten. Wir haben noch von der Moral Spinozas zu sprechen. Sein Hauptwerk ist die Ethik; das Prinzip derselben ist kein anderes als daß der endliche Geist darin seine Wahrheit habe, also moralisch sei, als er sein Erkennen und Wollen auf Gott richte, sofern er wahrhafte Ideen hat. Dies ist allein die Erkenntnis Gottes. Man kann so sagen, es gibt keine erhabenere Moral als diese, indem sie allein dies fordert, eine klare Idee von Gott zu haben. Die Werke der Rechtschaffenen, d. h. derer, die eine klare Idee von Gott haben, sagt er, sind die, daß sie alle Gedanken und Handlungen auf den erkannten Gott richten. Die Bösen sind diejenigen, welche diese Idee nicht haben und nur auf irdische Dinge gerichtet sind, nach einzelnen, persönlichen Interessen, Meinungen handeln. Alles, was ist, geht aus Gottes ewigen Gesetzen und Ratschlüssen notwendig hervor, und die Wahrheit, die wahrhafte Erkenntnis ist, alles zu betrachten sub specie aeterni. [Die] Notwendigkeit der Dinge ist der ewige Wille Gottes. Die menschliche Knechtschaft sind die Affektionen, weil da der Mensch nur hat den Zweck eines Bestimmten. Der Geist kann machen, daß er alle Affekte des Körperlichen, alle Vorstellungen von körperlichen Dingen auf Gott zurückführt, denn was ist, ist in Gott, und nichts ist ohne Gott. Dadurch gewinnt der Mensch Macht über seine Affekte. Das ist die Rückkehr des Geistes zu Gott, und das ist die wahrhafte menschliche Freiheit. Diese Ideen sind wahr, insofern sie auf Gott bezogen werden. Aus dieser Erkenntnis, dem Wissen vom Einen, was das Wahrhafte ist, entspringt die intellektuelle Liebe Gottes - eine Freudigkeit, die zugleich die Vorstellung der Ursache darin hat, und diese ist Gott. Gott liebt sich selber mit einer unendlichen intellektuellen Liebe, denn Gott kann nur sich selbst zum Zweck und zur Ursache haben, 287 also moralisch sei so Gr, ähnlich Lö 292-293 d.h .... er so Gr 299-300 Notwendigkeit ... Gottes. so He 300-302 Die ... Bestimmten so Lö" 307 Diese ... werden. so Gr; in Gr folgt: Dies ist nun nicht philosophische Erkenntnis;

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Descartes und Spinoza

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und die Bestimlmung des subjektiven Geistes ist, sich auf ihn zu richten. Es ist so die höchste, größte Moral; [sie] bleibt aber noch in dieser Allgemeinheit stehen.

Nicolas Malebranche

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Noch einer Form ist zu erwähnen, die dem Spinozismus an die Seite gesetzt werden kann. Es ist dies auch eine Entwicklung der Cartesianischen Philosophie - die Form, in der Malebranche diese Philosophie vorgestellt hat, in theologischer Form. Malebranche ist darum auch nicht der Vorwurf des Atheismus gemacht worden. Malebranche ist 1638 zu Paris geboren; er war übel gewachsen, mit kränklichem Körper, und wurde daher mit großer Zärtlichkeit erzogen. Er war schüchtern und liebte die Einsamkeit. In seinem 22. Jahre wurde er in die Congn!gation de l'Oratoire - eine Art geistlicher Orden - aufgenommen und widmete sich den Wissenschaften. Er sah zufällig in einem Buchladen ein Werk des Cartesius, das ihn bis zum Herzklopfen interessierte, und wurde von der entschiedensten Neigung zur Philosophie ergriffen. Er war ein frommer, sanfter Mann, trefflicher Charakter; er starb zu Paris 1715, im 77. Jahre seines Alters. Sein Hauptwerk hat den Titel De Ia recherche de Ia verite. Ein Teil davon ist ganz metaphysisch, der größere Teil aber geht empirisch-logisch zu Werke; er handelt z. B. von den Irrtümern im Sehen, Hören, in der Einbildungskraft. Das Wichtigste ist seine Vorstellung von der Natur und [dem] Ursprung unserer Erkenntnis. Er setzt das Wesen der Seele in das Denken, das der Materie in die Ausdehnung, wie Cartesius. Sein Hauptgedanke ist, daß die Seele ihre Vorstellungen, Begriffe nicht bekommen kann von 313-314 und ... richten so Gr 323-324 und ... war] so W; He: Zärtlichkeit, 330 frommer ... Charakter] so Pi mit He; Gr: Mann von edelstem Charakter und der reinsten, unverwandelbarsten Frömmigkeit Lö": Edel, sanft, von reiner Frömmigkeit Sv: fromm 334-335 er ... Einbildungskraft so Gr 339 Begriffe] Gr: Begriff

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Neuere Philosophie

189-190

äußerlichen Dingen. Wie kommt Denken und Ausgedehntes zusammen 1 Dies ist immer ein Hauptpunkt - wie kommt das Ausgedehnte, I Viele in das Einfache, den Geist, da es das Gegenteil ist von dem Einfachen, von dem [sich] auf sich selbst Beziehenden das Außereinander 1 »Die Seele kann die Ideen« aber ferner »auch nicht aus sich selbst erzeugen.« »Saget nicht, daß ihr selbst nur eigenes Licht seid.« Das Resultat ist dann, daß wir alle äußerlichen Dinge in Gott erkennen, daß wir alle Dinge in Gott sehen. Gott ist allgegenwärtig und aufs Innigste mit dem Geiste vereinigt; er ist der Ort der Geister (d. h. das Denken, das Allgemeine, Gott), so wie der Raum der Ort der Körper ist. Was wir erkennen, das erkennen wir in Gott, insofern Gott erschaffene Wesen darstellt. In Gott sind die Dinge intellektuell, geistig, und wir sind auch intellektuell, und wir schauen daher die Dinge in Gott an, wie sie in ihm als intellektuell sind. Er spricht dann von dem Allgemeinen, dem Denken überhaupt, dem Unendlichen; er sagt, das Allgemeine ist nicht eine verworrene Vorstellung, keine Verwirrung der einzelnen Ideen, nicht eine Vereinigung von einzelnen Dingen; sondern das Besondere, die besonderen Vorstellungen sind nur Partizipationen der allgemeinen Idee des Unendlichen. Das Allgemeine empfängt nicht sein Dasein von den besonderen Dingen. Die Idee des Allgemeinen ist die erste im Menschen, muß vorausgehen; wollen wir etwas Besonderes denken, so müssen wir zuerst das Allgemeine denken; es ist die Grundlage des Besonderen, so wie alle Körper die Grundlage des Raumes haben, dieses Außereinander überhaupt. Das Allgemeine ist an und für sich, entsteht nicht durch das Besondere. Wenn wir einen Triangel im Allgemeinen sehen, kann man nicht sagen, daß 342-344 da ... Außereinander] so Gr; Pi: Der doch gerade das Gegenteil des Mannigfaltigen ist. He: Ausdehnung ist ja das Gegenteil von dem Einfachen. 344-345 »Die ... erzeugen.«] so W; Lö, ähnlich Gr: es kann sich auch nicht aus sich selbst erzeugen, geboren werden. 345-346 »Saget ... seid.« so Pi 360-361 Das ... Dingen.] so PiHc; Gr, ähnlich Lö: wie Gott nicht sein Dasein von dem Erschaffenen hat, so hat nicht das Unendliche sein Dasein von den endlichen Dingen.

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Descartes und Spinoza

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man etwas Besonderes sieht. Man kann keine Rechenschaft geben, wie der Geist abstrakte [und] allgemeine Wahrheiten erkennt als durch die Gegenwart dessen, der den Geist erhellen kann, der das Allgemeine an und für sich ist. Das Bewußtsein des Allgemeinen, Gottes, hat die Seele nur durch Gegenwart Gottes. Eine deutliche Erkenntnis können wir nur durch die Union mit Gott haben; und diese Erkenntnis, I diese Idee ist nicht eine erschaffene, ist an und für sich. Alles andere ist nur Einschränkung dieses Grundes. Es ist wie bei Spinoza; das Eine Allgemeine ist Gott. Wir wissen von dem Allgemeinen, und sofern es bestimmt ist, so ist es das Besondere; dies Besondere sehen wir nur im Allgemeinen, wie die Körper im Raume. Augustirr sagt, wir sehen Gott des cette vie, von diesem Leben an, d. h. durch die Erkenntnis, die wir von ewigen Wahrheiten haben; diese Wahrheit ist unendlich, unermeßlich, an und für sich, unerschaffen; diese ist wahr durch sich selbst, nicht von einem endlichen Dinge. Sie ist es, die die Kreatur vollkommener macht; durch sich selbst wollen Geister suchen, [sie] zu erkennen. Diese Vollkommenheit ist nur in Gott; Gott ist also die Wahrheit; wissen wir von der unendlichen Wahrheit, so schauen wir Gott an. Er sagt - ebenso wie Spinoza nach seiner ethischen Seite gesagt hat -, es ist unmöglich, daß Gott einen anderen Zweck habe als sich selbst; es ist daher notwendig, daß nicht nur unsere natürliche Liebe nach ihm strebt, sondern es ist auch unmöglich, daß das Licht und die Erkenntnis, die Gott unserem Geiste gibt, etwas anderes erkennen lasse als das in ihm ist. Alle natürliche Liebe, noch mehr die Erkenntnis, das Wollen des Wahrhaften, hat Gott zum Zweck; alle Bewegungen des Willens für die Kreatur sind nur Bewegungen für den Schöpfer; er ist seine eigene

370 der ... erhellen] so Wund Malebranche; Lö: das der Geist erhalten 376 Es ... Spinoza so Gr 380 an] HcLö: aus 381 Wahrheit ist] He: Wahrheiten sind 382 unerschaffen] so Wund Malebranehe; He: nicht angeboren 383 nicht ... Dinge] so Gr; He: die Vollkonunenheiten alle umfassend 387-388 ebenso ... hat so Gr 392-393 Alle ... Erkenntnis so Gr

116

Neuere Philosophie

191-192

Ursache.- So sehen wir in Malebrauches edler Seele ganz denselben Inhalt wie bei Spinoza, nur in einer frömmeren Form. Das Angegebene sind die Hauptideen Malebrauches; das übrige ist teils formelle Logik, teils empirische Psychologie - [die] Form, wie man zur Wahrheit komme.

* 400

3. Locke und Leibniz

Locke und Leibniz sind beide für sich selbst stehend, einander entgegengesetzt; das Allgemeine, was in ihnen gemeinschaftlich ist, ist, daß sie, im Gegensatz gegen Spinoza und Malebranche, das Besondere, die endliche Bestimmtheit und das Einzelne zum Prinzip machen. Bei Locke I besonders ist es darum zu tun, das Allgemeine, die allgemeinen Ideen, Vorstellungen überhaupt, und den Ursprung derselben zu erkennen. Bei Spinoza und Malebranche war umgekehrt die Substanz oder Gott, das Eine das Allgemeine, das Wahrhafte, was an und für sich, ohne Ursprung, ewig ist und wovon das Besondere nur Modifikationen sind. Bei Locke ist hingegen das Endliche und das endliche Erkennen, Bewußtsein, das Erste, und daraus soll abgeleitet werden das Allgemeine. Leibniz macht ebenso die Monade, das Einzelne, Individuelle, was bei Spinoza nur untergeht, ein Vorübergehendes ist, zum Prinzip. Sofern schließen sich beide auch zusammen.

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John Locke John Locke ist geboren 1632 zu Wrington; er studierte zu Oxford die Cartesianische Philosophie und widmete sich der Arzneiwissenschaft, die er jedoch seiner Schwächlichkeit wegen nicht eigentlich ausübte. 1664 kam er mit einem englischen Gesandten auf einige Zeit nach Berlin. Nach der Rückkehr kam er in Verbindung mit 398 Das ... Malebranches so Gr 415-416 Sofern ... zusammen.] so Pi; Gr: und in dieser Rücksicht ist es, daß ich beide zusammenstelle.

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Locke und Leibniz

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dem nachmaligen Grafen Shaftesbury, bei dem er Arzt wurde. Als dieser späterhin Großkanzler von England wurde, erhielt Locke von ihm ein Amt, aber er wurde verwickelt in den Ministerialwechsel der damaligen Zeit und verlor, als sein Patron fiel, seine Stelle. Er begab sich nun 1675 um seiner Gesundheitwillen nach Montpellier. Er erhielt seine Stelle zwar wieder, wurde jedoch bald nachher bei einem neuen Sturz seines Patrons von neuem abgesetzt und mußte sogar fliehen. Er ging nach Holland, das [sich] aller Unterdrückung - sei sie politisch oder religiös - entgegensetzte, und Asyl der Vertriebenen war, I wo sich damals die berühmtesten und freisinnigsten Männer zusammenfanden. 1688 kehrte er mit Wilhelm von Oranien nach England zurück, gab 1694 sein berühmtes Werk Über den menschlichen Verstand heraus und starb am 28. Oktober 1704. Was seine Philosophie betrifft, so ist sie sehr berühmt; sie ist im ganzen noch die Philosophie der Engländer und der Franzosen und auch in einem gewissen Sinne der Deutschen gewesen und ist es auch noch jetzt zum Teil. Der kurze Gedanke der Lockischen Philosophie ist dieser, daß unsere allgemeinen Vorstellungen, daß das Wahre, die Erkenntnis, beruhe auf Erfahrung. Erfahrung ist Beobachtung und das Analysieren derselben nach allgemeinen Bestimmungen, die herausgehoben werden. Es ist metaphysizierender Empirismus, und dies ist derWeg in den gewöhnlichen Wissenschaften. Locke hat in der Methode den Spinoza entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Spinoza fängt von Definitionen an, die er vom hinstellt; Locke aber zeigt auf, daß diese allgemeinen Vorstellungen Substanz, Ursache und Wirkung- aus der Erfahrung hervorgehen. Bei der Methode des Spinoza und Descartes kann man vermissen, 423 bei ... wurde] so He; Gr: dessen Erziehung er leitete 428-429 bei ... Patrons] He: beim Sturze seines neuen Patrons Lö: bei einem neuen Ministerialwechsel 442-444 Erfahrung ... werden.] so He mit Pi; Gr, ähnlich Lö: Einerseits wird die Erfahrung und Beobachtung, andererseits das Analysieren (Lö": derselben), Herausheben der allgemeinen Bestimmungen als Gang, Weg der Erkenntnis vorgeschrieben. Sv: Die muß man einerseits beobachten und dann aber die Stoffe bearbeiten. 447-448 die ... hinstellt] so Lö; Sv: und allgemeinen Vorstellungen

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Neuere Philosophie

193-194

daß nicht angegeben sei die Entstehung der Ideen; sie sind geradezu genommen, wie z. B. Substanz, Unendliches usf.; das Bedürfnis ist jedoch, aufzuzeigen, wo diese Ideen, Gedanken herkommen, wodurch diese Vorstellungen begründet, bewahrheitet sind. So befriedigt Locke das aus diesem Mangel entstandene Bedürfnis, indem er die Begründung der allgemeinen Vorstellungen gibt. Allein diese Entstehung, wie Locke sie aufzeichnet, betrifft nur die empirische Entstehung, d. h. was sie für einen Weg in unserem I Bewußtsein geht. Jeder Mensch weiß, daß er von Erfahrungen, Empfindungen, ganz konkreten Zuständen anfängt, und das Spätere der Zeit nach sind die allgemeinen Vorstellungen. Diese haben einen Zusammenhang mit dem Konkreten der Empfindung; die allgemeinen Vorstellungen sind darin enthalten. Indem ich dieses Blatt Papier sehe, sehe ich ein räumlich Ausgedehntes; das Allgemeine, der Raum, ist auch darin enthalten. Dies Allgemeine, der Raum, kommt mir erst später zum Bewußtsein als das Räumliche, die Gattung später als das Individuelle, das Konkrete, worin das Allgemeine enthalten ist; man muß daher dahin kommen, das Allgemeine von diesem Partikulären zu unterscheiden. Das Allgemeine herauszuziehen ist Operation meines Bewußtseins. So ist der Gang, den Locke eingeschlagen hat, ganz richtig. Aber eine andere Frage ist: Sind diese allgemeinen Bestimmungen an und für sich wahr, und wo kommen sie nicht nur in meinem Bewußtsein, in meinem Verstande her, sondern in den Dingen selbst 1 Raum, Ursache, Wirkung usf. sind Kategorien; wie kommen diese Kategorien in der Besonderhei~, im Konkreten zusammen 1 Wie kommt der allgemeine Raum zu dieser Besonderheit und [diesen] konkreten Eigenschaften 1 Der Standpunkt aber, ob diese Bestimmungen des Unendlichen, der Substanz usf. an und 451-452 sie ... usf. so Gr 457 Entstehung] so PiHc; Gr: Begründung 467 das1 ... Konkrete] so He; Gr: das Einzelne Pi: dieses Tier Lii: das Konkrete 470-471 So ... richtig. so Gr, ähnlich Lo" 475 Raum ... Kategorien] so Gr; Lii: welchen Zusammenhang haben diese Kategorien, daß sie notwendig sind, und 477-478 zu ... Eigenschaften] so Pi; Gr: dazu, sich zu bestimmen

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Locke und Leibniz

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für sich wahr sind, wird ganz aus dem Auge verloren. Bei Plato ist das Unendliche als identisch mit dem Endlichen das Wahre. Die Wahrheit dieses Inhalts mag herkommen, woher sie will, aber hier wird sie ganz aus den Augen verloren. Was nun die näheren Gedanken Lockes anbetrifft, so sind sie sehr einfach. Die Ideen sind angeboren bei Cartesius. Locke bestreitet die sogenannten angeborenen Ideen und beruft sich darauf, daß man sie bei Kindem und bei vielen Menschen nicht findet; z. B. den Satz: Was ist, das ist, kennen viele Menschen nicht usf. Dies ist eine sehr I schwache Einwendung, denn sie setzt voraus, daß man unter angeboreneu Ideen solche versteht, die der Mensch im Bewußtsein sogleich als ganz fertig habe, wie dem Menschen die Hand angeboren ist, die er hat von Kindheit an. Aber die Entwicklung im Bewußtsein ist etwas anderes als das Ansich der Vernunft ist, und so ist der Ausdruck >angeborene Idee< allerdings ganz schief. Das Weitere ist dann, daß Locke dazu übergeht, daß er sagt: Jeder Mensch ist sich bewußt, daß er denkt und daß das, womit sich sein Geist beschäftigt, die Ideen sind. Die Menschen haben verschiedene Ideen (Vorstellungen überhaupt); wir verstehen unter >Idee< etwas anderes; die Ideen hier sind z. B. die von Elefant, [das] Weiße, Härte, Weichheit, Ruhe, Bewegung usf. Die Frage ist nun: Wie kommt der Mensch zu diesen Vorstellungen; setzt man den Geist voraus als weißes Papier, leer von allen Charakteren - wie wird er nun damit versehen? Die Antwort ist mit einem Worte: von der Erfahrung; auf sie gründet sich all unser Wissen; durch die Erfahrung kommt er zu den Bildern - bestimmte Empfindung, die sich in Vorstellung verwandele. Alles ist Erfahrung, nicht bloß das Sinnliche, sondern auch, was meinen Geist bestimmt, bewegt; d. h.

480-481 Bei ... Wahre.] so Pi; Gr: Plato untersuchte das Unendliche und das Endliche und bestimmte, daß keines für sich das Wahre sei; dies seien sie nur als beidesich identisch setzend. Lö: Nur das Unendliche, insofern es sich identisch setzt mit dem Endlichen und umgekehrt ist das Wahre. 491-492 wie ... an so Pi 504 auf ... Wissen so Gr 504-505 durch ... Bildern so Pi 507 was ... bewegt] so Gr; He: was memen Geist bewegt Lii: was

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Neuere Philosophie

195-196

ich muß das selbst sein und selbst haben. Das Bewußtsein über das, was ich habe, bin, ist Erfahrung; es ist absurd, daß man etwas wisse usf., was nicht in der Erfahrung sei; z. B. Mensch - alle sind Mensehen, ich brauche sie nicht alle gesehen zu haben; ich bin Mensch, habe Tätigkeit, Willen, Bewußtsein über das, was ich bin und was andere sind, und so ist dies allerdings Erfahrung. Locke geht also davon aus, daß alles Erfahrung ist; aus dieser Erfahrung nun bilden wir uns allgemeine Vorstellungen. Locke unterscheidet nun die Gegenstände und ihre Qualitäten. Er macht dabei einen Unterschied zwischen primären und sekundären Qualitäten. Primäre Qualitäten sind bei Cartesius Ausdehnung, Ruhe und Bewegung; dies sind Qualitäten des Körperlichen, wie das Denken die Qualität des Geistigen ist. Die ersten Qualitäten [bei Locke] sind Ausdehnung, Festigkeit; hingegen Qualitäten, die sich auf die Natur des Empfindens, auf das Gefühl beziehen, sind sekundär, z. B. Farben, Töne, Gerüche. Nachdem dies vorausgesetzt I ist, so ist das Weitere, daß das understanding, intellectus, der Verstand es ist, der jetzt das Allgemeine findet und erfindet; allgemeine Ideen kommen in den Geist weder durch Sensation noch durch Reflexion, innere Empfindung, sondern sie sind Kreaturen, Geschöpfe, Erfindungen des Verstandes; der Verstand macht sie durch Vorstellungen, die er durch die Sensation und Reflexion gewonnen hat; so ist er auch aktiv, allein seine Aktivität besteht nur in der Verbindung, Zusammensetzung solcher allgemeiner Ideen. Er sagt: Der Verstand ist in Rücksicht seiner einfachen Formen, Modi, ganz passiv; solche einfachen Bestimmungen sind Kraft, Zahl, Unendlichkeit usf.; in Rücksicht auf diese ist er ganz passiv und empfängt sie von der Existenz und der Operation der Dinge, wie diese [sc. Sensation und Reflexion] sie ihm

meinen Geist in Tätigkeit setzt Pi: was für Tätigkeiten in meinem Geiste tätig sind 519-520 wie ... ist] so Gr; Lö": beim Geiste das Denken 523 Farben] Pi: Farbe 527 Reflexion, innere Empfmdung] so He; PiUi: Reflexion Gr: Affektion 528 Erfindungen] so Locke; Lö: der Empfindungen, 529-530 Sensation und Reflexion] so Lö; Gr: Affektion und Sensation

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Locke und Leibniz

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darbieten, ohne daß er überhaupt irgendeine Idee macht. Der Verstand ist also weiter nichts als die Auffassung der abstrakten Bestim* mungen, die im Gegenstand enthalten sind. Da macht er denn auch 540 einen Unterschied zwischen einfachen und vermischten Formen; Kausalität z. B. ist ein vermischter Modus aus Ursache und Wirkung. Die Art nun, wie der Verstand die allgemeinen Vorstellungen gewinnt aus den konkreten Vorstellungen - diese Art expliziert er 545 am Besonderen, aber diese Explikation ist höchst trivial und lang* weilig. Dies nun nimmt den größten Teil seines Werkes ein. Raum z. B. ist eine allgemeine Vorstellung. Diese bilden wir uns aus der Wahrnehmung der Entfernung unserer von den Körpern und der Körper von einander, durch Gesicht und Gefühl. Die Entfernung 550 der Körper von einander aber ist nichts anderes als Raum; dies ist nur ein anderes Wort. Die Aufmerksamkeit stößt auf diese eine Bestimmung der Räumlichkeit bei den Körpern; es ist jedoch kein Ableiten, sondern nur ein Weglassen der anderen Bestimmungen. * Zu dem Begriff der Zeit kommen wir durch die ununterbrochene 555 Sukzession der Vorstellungen im Wachen; sie folgen fortwährend aufeinander; dadurch erhalten wir allgemeine Vorstellungen von Zeit. Wenn wir auf diese aufmerksam sind und das Besondere weglassen, so haben wir die Sukzession überhaupt, die selbst die * Zeit ist. So erhalten wir die Vorstellung von Ursache I und Wir560 kung durch die Kenntnis unserer Sinne von der beständigen Veränderung der Dinge; in diesem Wahrnehmen sehen wir, verschiedene Besondere (Substanz und Qualität) fangen an zu existieren, und wir bemerken, daß ihre Existenz von der gehörigen Applikation und Wirksamkeit eines anderen Dinges herrührt. Etwas fängt an zu 565 existieren, weil ein anderes Ding gehörig appliziert wird. Dies gibt uns die Vorstellung von Ursache und Wirkung. Wir sehen z. B., daß das Wachs am Feuer zerschmilzt. Das Wachs wird weich, verändert seine Gestalt; wir sehen das Feuer dann als Wirksamkeit * an. Das ist die Vorstellung von Ursache und Wirkung. Aber in s1o dieser fortwährenden Veränderung sehen wir auch Bestehen, und dies ist die Substanz. Man kann sagen, es kann nichts Oberfläch555-557 sie ... Zeit so Gr

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licheres geben, nichts kann trivialer sein als diese sogenannte Ableitung der Idee; es wird auf eine Bestimmung aufmerksam gemacht, die in einem konkreten Verhältnis enthalten ist. Das Tun des Verstandes ist nur Fixieren der einen Bestimmung und W eglassung der anderen. So empfiehlt sich die Lockische Philosophie durch ihre Klarheit und Deutlichkeit, und es kann nichts Klareres geben als diese Ableitung, die wir eben aufgezeigt haben. Wir erhalten nun also auf diese Weise allgemeine Vorstellungen, Gattungsbegriffe, aber diese sind nun bloß Namenwesen, die dazu dienen, die Gattungen, Arten für uns zu erkennen zu geben; aber das, was das reale Wesen der Natur ist, kennen wir nicht. Daß nun die Gattungen nichts an und für sich seien, dafür führt Locke als Beweis an z. B. die Mißgeburten; wäre die Gattung an und für sich, so wäre keine Mißgeburt. Es ist das nur ein sehr schwacher Grund: Er übersieht, daß auch zur Gattung gehört, daß sie existiert. Die Seite der Existenz der Gattung ist eben das wesentlich von anderen bestimmenden Umständen Abhängige. Das Allgemeine tritt heraus und verendlicht sich so; es ist ein Außereinanderwerfen der einzelnen Seiten der konkreten Idee; so kann die Existenz der Gattung äußerlich verkümmert werden. Das Wahre zu erkennen ist ein Interesse der Philosophie; dies soll hier auf empirische Weise erreicht werden; es dient, auf die allgemeinen Bestimmungen aufmerksam zu machen, aber der Gesichtspunkt, daß dies an und für sich Wahrheit habe, bleibt auf der Seite liegen. Die Lockische Philosophie ist, wenn man will, eine Metaphysik; es handelt I sich darin bei aller ihrer Formalität um allgemeine Bestimmungen, allgemeine Gedanken, und dies Allgemeine soll aus Erfahrung, Beobachtung abgeleitet werden. Ein anderes ist das 573-574 es ... ist so Gr 574-576 Das ... anderen.] so Pi, ähnlich Lö; Gr: der Verstand abstrahiert daher nur und fixiert andererseits. He: indem der Verstand nur abstrahiert; 577-578 undz ... haben so Lö mit Gr 584-585 wäre ... Mißgeburt so Gr, ähnlich Lö 589-590 es ... Idee] so He mit Pi; Gr, ähnlich Lö: es ist die Sphäre, wo die einzelnen, besonderen Dinge aufeinander einwirken 591-594 Das ... machen so Gr, ähnlich Lö 597 darin ... Formalität so Lö

* 575

* S8o

* 585

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eoo praktische Verfahren, das sich auf dieselbe Weise verhält, daß der

6os

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*

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Gedanke sich anwendet auf Gegenstände oder daß aus den Gegenständen ihre Gedanken - das innewohnende wesentliche Allgemeine - herausgezogen werden. Dieser metaphysizierende Empirismus ist die vorzüglichste Weise der Betrachtung, des Erkennens in England und in Europa überhaupt geworden und das, was wir die Wissenschaften im allgemeinen nennen und besonders die empirischen Wissenschaften, haben diesem Gange ihren Ursprung zu verdanken. Die Beobachtung der Gegenstände und die Erforschung, das Herausziehen ihres inneren Gesetzes ist dieser Gang der Wissenschaft. Das Umgekehrte ist teils das Scholastische, teils das Metaphysische: von Grundsätzen, Definitionen auszugehen. Es ist dies also praktisches Philosophieren, Philosophieren des räsonnierenden Denkens, was jetzt allgemein geworden ist und wodurch die ganze Revolution der Stellung des Geistes hervorgegangen ist.

Hugo Grotius Die eben angeführte Weise ist es, die sich bei Hugo Grotius zeigt; sie hat sich einesteils auf die physikalischen, anderenteils auf die politisch-rechtlichen Gegenstände gelegt. Hugo Grotius schrieb: D e jure belli et pacis (1625); es liestjetzt niemand mehr, aber es ist von der höchsten Wirksamkeit gewesen. Er hat geschichtlich, selbst aus dem Alten Testament, vieles hergeleitet; er hat zusammen-! gestellt, wie historischer Weise die Völker in den verschiedenen Verhältnissen des Krieges und des Friedens sich gegeneinander benommen haben. Durch solche ganz empirische Zusammenstellung des Verhaltens der Völker zueinander, verbunden mit empiri-

600 das ... verhält so Gr, ähnlich Lö 618 Grotius schrieb:] so He, ähnlich PiLö; Gr: van Groot, geboren 1583 zu Delft, war Jurist, Generaladvokat und Syndikus. 1619 mußte er jedoch, in den Barneveltschen Prozeß verflochten, fliehen, hielt sich längere Zeit in Frankreich auf, bis er 1634 in die Dienste der Königin Christina von Schweden trat; er wurde 1635 schwedischer Gesandter in Paris und starb 1645 in Rostock auf einer Reise von Stockholm nach Holland. Sein Hauptwerk ist

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schem Räsonnement - z. B. Gefangene dürfen nicht getötet werden, denn der Zweck sei, den Feind zu entwaffnen, kriegsunfähig zu machen; dieser sei erreicht, es sei daher nicht weiter zu gehen usf. - hat er die Wirkung gehabt, daß allgemeine Grundsätze, verständige und vernünftige Grundsätze zum Bewußtsein gebracht worden sind, daß man sie anerkannt hat, daß sie geltend geworden sind. Solche allgemeinen Grundsätze haben in ihrem Gegenstand ihren Grund gehabt. Mit solchen Beweisen, Deduktionen sind wir unbefriedigt, aber wir dürfen nicht verkennen, was sie geleistet haben in ihrer Zeit.

*

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Thomas Hobbes England ist es gewesen, wo Reflexion über staatsrechtliche Gegenstände besonders erwuchs. Ausgezeichnet und berühmt wegen der Originalität seiner Ansichten ist Hobbes, geboren 1588 zu Malmesbury, gestorben 1679. Er hat viel geschrieben und auch über die Philosophie überhaupt: Elemente der Philosophie; der erste Teil De corpore ist 1655 zu London erschienen. In diesem ersten Teile handelt er zuerst von der Logik, zweitens von der philosophia prima, von der Ontologie, dann drittens de rationibus motuum et magnitudinum, dann viertens von der Physik, Natur der Phänomene, Schall, Geruch usf. Der zweite Teil sollte De homine und der dritte De cive handeln. Er sagt in der Vorrede zu diesen Elementen der Philoso626-629 z.B .... usf. so Gr mit Lii 632-633 Solche ... gehabt.] so He; Gr: und dies ist das Feststellen von allgemeinen Grundsätzen, die ihren letzten Grund in den Gegenständen selbst haben. Lö: die in der Natur des Gegenstands mehr oder weniger ihren allgemeinen Grund hatten. Pi: Grundsätze, die in der Natur des Gegenstands liegen. 637-638 England ... erwuchs.] so He, ähnlich Lii; Pi: In England war besonders Revolution der politischen Ansichten. Gr: Die innerlichen staatsrechtlichen Verhältnisse hat besonders England ausgebildet, indem die eigentümliche Verfassung die Engländer zur Reflexion auf diesen Gegenstand geführt hat.

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phie, daß in der Astronomie Copernicus und in der Physik Galilei den Weg gebahnt hätten; vorher sei nichts Sicheres in beiden Wissenschaften gewesen; die Wissenschaft des menschlichen Körpers habe I Harvey [ausgebildet]; Kepler, Gassendi und andere hätten die allgemeine Physik und Astronomie weitergebildet. Dies gilt alles für Philosophie, nach dem Gesichtspunkt, der schon früher angegeben ist. Er selbst geht [vor] nach unmittelbarer Wahrnehmung und reflektierendem Verstand. Er sagt ferner, was die staatsrechtliche Philosophie, philosophia civilis betreffe, so sei sie nicht älter als sein Buch De cive. Sein Buch Leviathan ist desselben Inhalts, ein sehr verrufenes Werk. Er hat versucht, die Grundsätze der Staatsgewalt, der monarchischen Gewalt usf. aus allgemeinen Bestimmungen abzuleiten, und seine Sätze sind zu originell, als daß wir sie nicht anführen sollten. Er sagt im Anfang, der Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft rühre aus der gegenseitigen Furcht her; jede Gesellschaft werde geschlossen aus eigenem V orteil oder Ruhmsucht oder Eigennutz. Die Menschen sind alle von Natur gleich, aber diese Gleichheit beweist er aus einem eigentümlichen Grund, nämlich, weil jeder den anderen umbringen könne, jeder die letzte Gewalt über den anderen sei. Jeder also ist gleich schwach, vom anderen umgebracht werden zu können. Die Gleichheit ist also auf die allgemeine Schwäche, nicht wie in neuerer Zeit auf die absolute Freiheit, Selbständigkeit gegründet. Ferner sagt er, den Willen, einander zu verletzen, haben alle im natürlichen Zustand. Damit hat er Recht. Er nimmt diesen Zustand in seinem wahrhaften Sinne; es ist nicht das leere Gerede von einem natürlichen guten Zustand; dieser ist vielmehr der tierische Zustand, der Zustand der Begierde, des nicht gebrochenen Eigenwillens. Alle haben den Willen, sich zu verletzen und ebenso sich gegen die Anmaßungen der anderen zu sichern und 650-651 vorher ... gewesen so Gr 653-655 Dies ... ist. so Gr, ähnlich Lei 655-656 Er . . . Verstand.] so Pi; Gr: der reflektierende Verstand will darin das Allgemeine erkennen. 669-670 Jeder ... können. so Pi 673-675 Er ... Zustand so Gr, ähnlich Lö

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sich größere Rechte, Vorzüge zu erwerben; so ist ein Mißtrauen aller gegen alle. Diesen natürlichen Zustand bestimmt er näher als ein bellum ornnium contra ornnes, Krieg aller gegen alle. Das ist [die] ganz richtige Ansicht vom Naturzustand. Der Ausdruck >Natur< hat diesen doppelten Sinn, diese Zweideutigkeit. Man versteht unter der >NaturNaturzustandSchöpfung< ist aus der Religion bekannt, aber um Gedanke zu sein, philosophische Bedeutung zu haben, muß er noch viel näher bestimmt sein. Die Monaden sind also dies Einfache; jede ist für sich, substantiell, jedes ist selbständig gegen das andere; sie sind ohne Wirkung aufeinander, so daß eins nicht Ursache im anderen ist, sich in demseihen setzt; sonst wäre es keine Entelechie. Das Verhältnis des Einflusses, sagt Leibniz, ist ein Verhältnis der Vulgärphilosophie, denn man kann nicht begreifen, wie materielle Partikeln einer Art oder materielle Qualitäten von einer Substanz in die andere Substanz übergehen können; man muß also die Vorstellung vom Einfluß verlassen. Nimmt man selbständige Substanzen an, wie Carte-

825 der individuellen Substanzen] so Pi; Sv: der Substanzen Gr: die individuelle Substanz He: der allgemeinen Substanz 825-826 die ... wird so Gr, ähnlich Lö 835 also ... Diese so Lö' 842-844 Der ... sein. so Gr, ähnlich Lö 852-853 man ... verlassen so Gr, ähnlich Lö' 853-854 wie Cartesius so Gr

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sius, so kann kein Kausalnexus gedacht werden, denn dieser setzt einen Einfluß, eine Beziehung eines auf das andere voraus, und so ist das andere keine Substanz. Drittens müssen die Monaden von einander unterschieden sein, unterschieden an ihnen selbst; hier kommt dann das Leibnizsche Prinzip der Ununterscheidbaren zur Sprache; populär gesagt, es gebe nicht zwei Dinge, die einander gleich seien. Dieser Satz der Verschiedenheit, oberflächlich genommen, ist ohne Interesse. Man hat selbst bei Hofe darüber philosophiert. Ein Hofmatm hat es nicht glauben wollen, da hat ihn die Frau Kurfürstin aufgefordert, zwei gleiche Blätter zu suchen; er hat aber keine gefunden. Zwei Milchtropfen, durch ein Mikroskop betrachtet, sind verschieden. Es ist uns gleich, ob es zwei Dinge gibt, die sich gleich sind oder nicht; dies ist der oberflächliche Sinn, der uns nichts angeht. Der nähere Sinn ist jedoch, daß jedes an ihm selbst ein Bestimmtes, sich an ihm selbst von allem anderen Unterscheidendes ist; ob zwei Dinge gleich oder ungleich sind, ist nur eine Vergleichung, die wir machen, die in uns fällt. Das Nähere aber ist der bestimmte Unterschied an ihnen selbst. Sind zwei Dinge bloß dadurch verschieden, daß sie zwei sind, so ist jedes Eins; zwei macht aber noch keine Verschiedenheit aus, sie sind gleich; sondern der bestimmte Unterschied I an sich ist die Hauptsache. Die Leibnizsche Monade ist also eine bestimmte Monas. Ihre Bestimmtheit ist näher so ausgedrückt, daß sie vorstellend ist, tmd insofern ist das Leibnizsche System das System einer intelligiblen Welt; alles Materielle sei ein Vorstellendes, Perzipierendes. Näher ist darin dieser Idealismus enthalten, daß das Einfache ein an ihm selbst Unterschiedenes sei und ungeachtet seiner Unterschiedenheit 854-856 denn ... Substanz so Gr, ähnlich Lö 858 unterschieden ... selbst so Gr, ähnlich Lö 861-862 Man ... philosophiert. so Lö 862-863 Ein ... aufgefordert,] so Lö"; He: Geschichte seines Freundes und der Frau Kurfürstin, die 864-865 Zwei ... verschieden. so He 865-867 Es ... angeht. so Gr, ähnlich Lö 869-870 ob ... sind] so Gr; Pi: Gleichheit oder Ungleichheit 872-873 Sind ... Eins so Gr, ähnlich Lö

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an ihm selbst, ungeachtet des mannigfaltigen Inhalts, doch nur Eines sei und bleibe. Wie z. B. ich, mein Geist; ich habe viele Vorstellungen, ein Reichtum von Gedanken ist in mir, und doch, dieser eas Mannigfaltigkeit in sich ungeachtet, bin ich nur Eins; dies ist diese Idealität, daß das Unterschiedene zugleich aufgehoben ist, als Eins bestimmt ist. Dies ist der interessanteste Punkt des Leibnizschen Systems. Die Monade ist also ein Vorstellendes, Perzipierendes. Der Aus890 druck, daß die Monade Vorstellungen habe, ist eigentlich etwas Ungeschicktes, indem wir ihn nur dem Bewußtsein und dem Be* wußten als solchem zuschreiben. Leibniz aber nimmt auch bewußtlose Vorstellungen an, im Schlaf, in der Ohnmacht, worin Vorstel* lungen sind ohne Bewußtsein. Das, was wir die Materie nennen, ist 895 nun bei Leibniz das Leidende, das Passive, [oder] ein Aggregat von * Monaden. Die Passivität der Materie besteht in der Dunkelheit der Vorstellungen, in einer Art von Betäubung, die nicht zum Selbstbe* wußtsein kommt. Die Körper sind solche Aggregate von Monaden Haufen, die nicht >Substanz< heißen könnten, so wenig als eine * Herde Schafe. Die Kontinuität derselben ist dann die Ordnung, die * Ausdehnung. Organische Körper sind solche, wo eine Monade, eine Entelechie über die übrigen herrscht; >Herrschen< ist aber hier nur * ein uneigentlicher Ausdruck. Die bewußte Monade unterscheidet sich von dem, was Leibniz I nackte Monade nennt, durch die Deut9os lichkeit des Vorstellens, aber es ist dies nur ein formeller Unterschied. * Näher setzt dann Leibniz den Unterschied des Menschen, der bewußten Monade, darein, daß derselbe der Erkenntnis der ewigen und notwendigen Wahrheiten fähig ist, das Allgemeine sich vor* stellt, und dies Allgemeine beruht auf zwei Grundsätzen: Der eine Satz ist der des Nichtzuunterscheidenden, der andere ist der des

883--884 885--886 886--887 889 Die 893--894 897--898

mein ... mir so Gr, ähnlich Lii dies ... Idealität] so Gr; Sv: Idealismus ist dieses daß ... ist1 so Gr ... Perzipierendes. so Gr, ähnlich Lö worin ... Bewußtsein so Gr zum Selbstbewußtsein) so He; Gr: zur Tätigkeit

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zureichenden Grundes. Dies scheint ein überflüssiger Zusatz, aber Leibniz versteht hierunter den Grund als Zweckbestimmung. Es ist der Unterschied von Kausal- und Finalursache, der hier zur Sprache kommt. Ein Haus, Stein, Balken sind bloße natürliche Ursachen; die Endursache ist eine Bestimmung des Hauses - der zureichende Grund, daß diese Balken, Steine und dergleichen so gesetzt worden sind. Dies sind nun also die Hauptmomente. Weiter gehört dann hierzu, daß als Folge dieser ewigen Wahrheiten die Existenz Gottes ist - ewige Wahrheit, Bewußtsein des an und für sich Allgemeinen und Absoluten, und dies Allgemeine, an und für sich Absolute, ist Gott, ist als Monas eins mit sich, ist die Monade der Monaden, ist die absolute Monade. Wenn die fLOv&~ fLOvoc8wv, Gott, die absolute Substanz ist, so fällt nun freilich die Substantialität der anderen Monaden weg; es ist ein Widerspruch, der in sich unaufgelöst ist: die eine substantielle Monade und dann die vielen einzelnen Monaden, die selbständig sein sollen, deren Grund ist, daß sie nicht in Beziehung auf einander stehen, und so ist ein Widerspruch, der nicht aufgelöst ist. Sie sind, wird gesagt, durch Gott geschaffen, d. h. durch seinen Willen so gesetzt, aber nur die Monade als Substanz. Die nähere Bestimmung des Verhältnisses der Monas monadum, ihrer Tätigkeit, ist, daß sie ist das Prästabilierende in den Vcränderungen der Monaden. Jede Monade ist an sich Tojtalität, an sich das Universum; die nackte Monade ist ebenso an sich das Universum, und das Unterscheiden ist die Entwicklung dieser Totalität in ihr. Leibniz sagt, aus einem Sandkörnchen könne das ganze Universum in seiner ganzen Entwicklung begriffen werden; dies sieht aus wie ein glänzender Gedanke; die Welt ist aber mehr als ein Sandkorn; 913-915 Es ... kommt. so Gr, ähnlich Lö 915 Ein ... Ursachen so He 917-918 daß ... sind so He 918 Dies ... Hauptmomente. so Gr 921-922 und2 ... sich] so Gr, ähnlich Lö; He: Gott Sv: von Gott 926-929 die1 ... ist so Gr 929-931 Sie ... Substanz. so Gr mit Lö 935 die ... Universum so Gr 938-940 dies ... ist so Gr mit Lö'

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[es] muß noch manches hinzukommen, was nicht darin ist, wobei die Vorstellung mehr hinzutut als in diesem Sandkömehen existiert. Jede Monade ist also an sich das Universum, und es kommt darauf an, daß es zur Existenz komme. Die Monade ist tätig, vorstellend, perzipierend; diese Perzeption entwickelt sich in ihr nach den Gesetzen der Begierden, der Tätigkeit. Wie die Bewegungen ihrer Außenwelt nach den Gesetzen der Körper sich entwickeln, so folgt die Entwicklung aus sich des Vorstellens in sich selbst, des Geistigen, den Gesetzen der Begierde. Es hat dieses nähere Beziehung auf die Vorstellung der Freiheit bei Leibniz. Er sagt: Die Natur der Magnetnadel ist, sich nach Norden zu richten; ein Magnet mit Bewußtsein würde sich vorstellen, daß die Richtung nach Norden seine eigene Determination sei, aber dies wäre nur Vorstellung. Indem so die Monaden abgeschlossen sind, jede sich in sich entwickelt, so muß denn ferner eine Harmonie ihrer Entwicklung sein, ein organisches Ganzes. Ein Mensch stellt sich dies und jenes vor, will dies oder jenes; seine Tätigkeit wendet sich dahin und bringt Veränderungen hervor; seine innere Bestimmung wird so leibliche Bestimmung und dann Veränderung nach außen; er erscheint als Ursache, wirkend auf andere Monaden; dies ist aber nur ein Schein; daß jedoch zusammenstimmt die Bestimmung seines Willens und die Veränderung, die er meint dadurch hervorzubringen, ist durch ein Anderes, ist von außen, und dies Andere ist Gott, der diese Harmonie prästabiliert; es ist dies die bekannte prästabilierte 942-943 Universum ... es] He: Universum, und es kommt darauf an, daß sie Lif: Unendliche, es kommt aber darauf an, daß es Gr: so kann das Universum und seine Entwicklung dann allerdings begriffen werden 943 komme.] so He; Lö": kommt, dies ist bei Leibniz das Bewußtsein, Deutlichkeit der Vorstellung. 945-948 Wie ... Begierde.] so W; Gr, ähnlich Lif: In der Bewegung der Außenwelt sind Bestimmungen der Monade, die sich in ihnen entwickeln nach den Gesetzen der Körper und im Geistigen nach den Gesetzen der Begierde. 948-949 Es ... Leibniz. so He 951 die ... Norden] Gr: sie Lö": dies Pi: darin 955-962 ein ... außen] so Gr, ähnlich Lö; Sv: Diese Harmonie kommt von außen, von Gott, 962 von] so LöSv; Gr: nicht von

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Harmonie, die also von außen kommt. Es ist ungefähr dasselbe, was wir bei Cartesius in seiner Assistenz gesehen haben. Was der Mensch auch tut, so ist dies Zusammenstimmung einer unendlichen Menge von Monaden in ihm. Die Seele wirkt nicht auf die körper-:liehe Monade ein; indem aber in der einen I Monade Veränderungen vorgehen, gehen in der anderen Monade Veränderungen vor, die jenem entsprechen, und dieses Entsprechen ist Harmonie und durch Gott gesetzt. Dies sind die Hauptmomente der Leibnizschen Philosophie. Wir sehen also, das Leibnizsche System ist eine Metaphysik, die von der beschränkten Verstandesbestimmung der absoluten Vielheit ausgeht, so daß der Zusammenhang nur als Kontinuität aufgefaßt werden kann; dadurch ist schon die absolute Einheit aufgehoben. Das absolute Fürsichsein ist abstrakt vorausgesetzt, und Gott muß die Einzelnen nun vermitteln und die Harmonie in den Veränderungen der einzelnen Monaden bestimmen. Es ist ein künstliches System, das auf den Verstandeskategorien des Absolutseins der Vielheit, der abstrakten Einzelheit begründet ist. Das Wichtigste bei Leibniz liegt in den Grundsätzen, in dem Prinzip der Individualität und dem Satz des Nichtzuunterscheidenden.

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Christian W olff An Leibniz' System schließt sich das Wolffische an. W olffs Philosophie ist ein Systematisieren der des Leibniz, und man sagt auch so: Leibniz-W olffsche Philosophie. W olff hat sich große Verdienste, unsterbliche Verdienste um die Verstandesbildung Deutschlands erworben.

965-967 Was ... ihm. so Lö 972 Dies ... Philosophie. so Gr 975-976 so ... aufgehoben so Gr, ähnlich Lö 981-982 liegt ..• Individualität] so Gr; Pi: ist darin der Grundsatz der Intelligibilität Lö: besteht in der Vorstellung der Intellektualität 985 Leibniz' System] Pi: die Systematisierung des Leibnizschen Systems 986-990 und ... Breslau so Gr, ähnlich Lö"

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5

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Er ist der Solm eines Bäckers in Breslau, wo er 1679 geboren wurde; er studierte anfangs Theologie, dann Philosophie und wurde 1707 Professor der Mathematik und Philosophie zu Halle. [Er] hatte Gegner: Die pietistischen Theologen machten ihm hier die schlechtesten Händel; als er sie jedoch in ihren Schriften zu Schanden machte, griffen sie zu Intrigen. Sie hinterbrachten dem König Friedrich Wilhelm 1., dem Soldatenfreund, W olff lehre einen Determinismus, daß der Mensch keinen freien Willen habe und die Soldaten daher auch nicht mit Willen, [sondern] durch göttliche Fügung desertierten. Sie deuteten zugleich auf die Gefahr hin, die diese Lehre haben könnte, wenn sie sich unter den Soldaten verbreitete. Friedrich Wilhelm I. ward darüber sehr zornig; 1723 mußte Wolff, bei Strafe des Stranges, binnen 48 Stunden Halle und die preußischen Staaten I verlassen. Die Theologen fügten noch den Skandal hinzu, daß sie wider ilm predigten, wobei der fromme Francke, der Stifter des Waisenhauses, Gott in der Kirche auf den Knien für die Entfernung Wolffs dankte, daß die Stadt von dem Atheisten befreit wäre. W olff begab sich nach Kassel und ward erster Professor der Philosophie an der Universität Marburg; die Akademien der Wissenschaften zu London, Paris, Stockholm ernannten ilm zum Mitglied - eine Ehre, die damals noch eine Ehre war. Peter der Große machte ilm zum Vizepräsidenten der Akadernie zu Petersburg. In Berlin wurde eine Kommission niedergesetzt, um ein Gutachten über seine Philosophie zu geben. Sie wurde von aller Gefährlichkeit freigesprochen. Den Theologen dagegen

991-992 er ... Philosophie so Gr 993-1 machten ... Soldatenfreund so Gr mit Lö" 3-4 göttliche Fügung] so Pi; Lö": eine besondere Einwirkung Gottes W: eine besondere Einrichtung (prästabilierte Harmonie) Gottes 4-6 Sie ... zornig so Lö 6 1723] so PiHcSv; Gr: Den 23. November 1723 8-9 Die ... predigten so Lö, ähnlich Gr 11-12 daß ... wäre so Lö 15-16 einet ... war so Lö" 18-19 Sie ... freigesprochen] so He, ähnlich GrLö; Pi: das ihn für nicht gefährlich erklärt

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ward der Mund gestopft und ihnen das Sprechen verboten. Schon zu Lebzeiten Friedrich Wilhelms I. wurde er nach Halle zurückberufen. W olff nahm indessen das Anerbieten, von neuem seine Professur in Halle anzutreten, nicht sogleich [an], sondern erst, als Friedrich II. 1740 den Thron bestiegen und es wiederholte. Er wurde Vizekanzler der Universität und 1745 von dem Kurfürsten von Bayern in den Freiherrnstand erhoben. Bis an sein Ende - er starb 1754 blieb er nun in Halle. W olff hat sich in der Mathematik sehr berühmt gemacht und ebenso durch seine Philosophie, welche in Deutschland lange herrschend gewesen ist. Wir können sie im allgemeinen eine VerStandesphilosophie nennen, die sich auf alle Gegenstände, die in das Gebiet des Wissens fallen, ausgedehnt hat. Man kann sagen, daß W olff die Philosophie erst eigentlich einheimisch in Deutschland gemacht hat. Besonders wichtig ist es, daß seine Schriften meistens in deutscher Sprache geschrieben sind; Leibniz schrieb lateinisch und zumeist französisch. Der Titel ist gewöhnlich »Vernünftige Gedanken« über Gott, die Welt, die Seele des Menschen, die Natur usf. Seine Schriften umfassen 24 Quartanten. Wolff schrieb also deutsch; Tschirnhausen und Thomasius teilen mit ihm das Verdienst der Ausbreitung deutscher Sprache in der Philosophie. Man kann erst sagen, daß eine Wissenschaft einem Volke wahrhaft angehöre, wenn sie in seiner eigenen Sprache geschrieben ist, und dies ist bei der Philosophie am notwendigsten. Im ganzen ist es also Leibnizsche Philosophie, die W olff systematisiert hat; dies bezieht sich aber nur auf die Hauptvorstellungen seiner Monadologie und seiner Theodizee, denen W olff treu geblieben I ist. Sonst aber hat er der Philosophie die Einteilung in Fächer gegeben, die bis auf die neueste Zeit gegolten hat: 1) Theo-

20 Sprechen] so Lö; W: Streiten 24-26 Er ... erhoben. so Gr 26-27 Bis ... Halle.] so Lö· mit GrHc 37-38 über ... usf. so Gr, ähnlich Lö 38 24] so He; GrU: 20 Sv: 25 42-43 und ... notwendigsten] so Gr, ähnlich U 46-47 denen ... ist so U, ährzlich Gr

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retische Philosophie; [sie] enthält a) Logik, gereinigt von der unso endlichen scholastischen Ausführung, worum sich Petrus Ramus und andere verdient gemacht. Es ist die Verstandeslogik, die W olff systematisiert hat; b) Ontologie, die Lehre von den abstrakten allgemeinen Kategorien des Philosophierens, des Seins, des Einen, der Substanz, des Phänomens - also abstrakte, allgemeine Meta55 physik; c) Pneumatologie, Philosophie der Seele; d) Kosmologie, allgemeine Körperlehre; e) Natürliche Theologie. 2) Praktische Philosophie: a) Naturrecht; b) Moral und Ethik; c) Völkerrecht oder Politik; d) Ökonomie. Das ganze ist in streng geometrischer Form vorgetragen - Axiome, Theoreme, Scholien, Korollarien usf. W olff 60 ging einerseits auf einen großen, ganz allgemeinen Umfang und andererseits auf Strenge der Methode in Ansehung der Propositionen und ihrer Beweise. Der Inhalt ist teils aus der Leibnizschen Philosophie genommen, in Rücksicht der allgemeinen V orstellungen, teils aus unserer Neigung, Empfindung empirisch aufgenom65 men. Die Strenge der Methode ist dann allerdings zum Teil sehr pedantisch geworden; der Schluß ist die Hauptform, und es ist oft in einen barbarischen Pedantismus ausgeartet, dessen Breitheit unerträglich ist. Die gewöhnlichen Beispiele aus einzelnen Wissenschaf* ten sind wie geometrische Aufgaben und Lösungen behandelt; z. B. der vierte Lehrsatz in seiner Kriegskunst heißt: »Das Anrücken an die Festung muß dem Feinde immer schwerer gemacht werden, je näher er kommt.« Der Beweis ist: »Denn je näher der Feind an die Festung heranrückt, je näher kommt die Gefahr für die Belagerten; 75 je näher die Gefahr für die Belagerten wird, je größer ist sie, und desto mehr müssen sie dieselbe, durch Schwierigkeiten, die sie dem Feinde entgegensetzen, abwenden. Derowegen: Je näher der Feind an die Festung kommt, desto schwieriger muß ihm das Anrücken gemacht werden. Quod erat demonstrandum.« Auf diese höchst so triviale Weise verfährt er mit allem möglichen Inhalt.

58 d)] Lö: c)

67 der ... oft so Gr 79-80 Auf ... Inhalt. so Gr

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Neuere Philosophie

212-213

Metaphysische und populäre Philosophie Die bisherigen Stufen der Philosophie, die wir betrachtet haben, haben den Charakter, Metaphysik zu sein, von allgemeinen Verstandesbestimmungen auszugehen, damit aber zu verbinden Erfahrung, Beobachtung, wie die natürlichen Gegenstände sich dem Geiste präsentieren. I Bei dieser Metaphysik ist die eine Seite die, daß die Gegensätze des Gedankens zum Bewußtsein gebracht und das Interesse auf die Auflösung des Widerspruchs gerichtet gewesen ist: Denken und Sein, Gott und die Welt, Gut und Böse, göttliche Präszienz und menschliche Freiheit - diese Widersprüche, die Gegensätze von Seele und Geist, Vorstellungen und materiellen Dingen und die gegenseitige Beziehung derselben haben das Interesse beschäftigt. Zweitens ist die Auflösung dieser Gegensätze und Widersprüche gegeben worden, und diese Auflösung ist gesetzt worden in Gott. Gott ist also das, in dem alle diese Widersprüche aufgelöst sind. Dies ist das Gemeinschaftliche aller dieser Philosophien nach der Hauptseite. Dabei ist zu bemerken, daß diese Gegensätze nicht an ihnen selbst aufgelöst sind, daß die Nichtigkeit der Gegensätze und ihrer Voraussetzungen nicht an ihnen selbst aufgezeigt worden ist. Daher ist keine wahrhaft konkrete Auflösung zu Stande gekommen, und wenn auch Gott als alle Widersprüche auflösend gedacht wird, so ist denn Gott und die Auflösung jener Widersprüche mehr genannt als gefaßt und begriffen worden. Gott, wenn er gefaßt wird nach seinen Eigenschaften- Präszienz, Allgegenwart, Allwissenheit usf. -, wenn die Eigenschaften Gottes - Macht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit - als Eigenschaften Gottes selbst betrachtet werden, so führen diese Gegensätze auch auf Widersprüche, z. B. Präszienz und Erschaffung freier Wesen. Diese Widersprüche nun hat Leibniz so zu mildern und aufzuheben gesucht, daß er sagt, diese Eigenschaften temperieren einander; sie sind so verknüpft, daß ihr Widerspruch hinwegfalle. Das ist aber kein Erfassen der Auflösung solcher Widersprüche. In dieser Hinsicht kontrastiert diese Metaphysik mit 85-86 wie ... präsentieren] so Lö; Gr: überhaupt die empirische Weise 92-93 und ... beschäftigt so Gr, ähnlich Lö"

85

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Locke und Leibniz

141

den alten Philosophien, zu denen wir immer wieder zurückkehren 115 und uns an ihnen befriedigen können auf ihrer Stufe, da sie nicht auf diesem Standpunkt stehen wie die neueren. In dieser modernen Metaphysik sind die Gegensätze zum absoluten Widerspruch, also tiefer als in der alten Philosophie entwickelt, also zu etwas Höherem als in der alten. Es ist zwar auch ihre Auflösung angegeben, 120 Gott; aber er bleibt jenseits stehen und alle Widersprüche bleiben diesseits ihrem Inhalt nach unaufgelöst. Gott ist als Vermittler nur genannt, aber nicht als solcher gefaßt, als der, in dem die Widersprüche sich ewig auflösen; er I ist nicht gefaßt als Geist, als der Dreieinige. Nur in ihm als Geist und dreieinigem Geist ist dieser 12s Gegensatz seiner selbst in ihm selbst enthalten und auch damit die Auflösung. Dieser bestimmte Begriff von Gott ist also noch nicht aufgenommen in jene Philosophie; die Auflösung der Widersprüche ist nur eine jenseitige. Gegen diese Metaphysik hat sich jetzt das erhoben, was populäre Bo Philosophie, reflektierende Philosophie oder reflektierender Empirismus genannt werden kann - selbst mehr oder weniger Metaphysik, wie umgekehrt die letztere im Besonderen empirisch wird. Gegen jene Widersprüche sind feste Grundsätze, Prinzipien gesucht worden, die nichts Wankendes sind - feste Sätze, die immanent sind m dem Geiste, der Brust des Menschen, und dagegen, daß nur jenseits sich in Gott die Auflösung findet, sind diese festen Prinzipien dies* seitig, ein Festes, Selbständiges. Diese Grundsätze sind überhaupt gerichtet gewesen gegen die jenseitige Metaphysik, gegen die Künstlichkeiten der metaphysischen Zusammenstellung, gegen As140 sistenz, prästabilierte Harmonie und Optimismus - die beste Welt. Ein diesseitiger verständiger Halt ist hervorgegangen, diesseitige Prinzipien sind geschöpft worden aus dem, was man gesunde Vernunft, gesunden Menschenverstand, natürliches Gefühl genannt hat; es sind die Prinzipien aus dem Inhalt, der sich in der gebildeten 145 Menschenbrust vorfindet. 115 132 135 140

ihnen] Pi: ihr wie ... wird so Pi

der Brust so Gr, ähnlich Lii und ... Welt so Lii

142

Neuere Philosophie

214-215

Diese Prinzipien können gut sein, wenn die Neigung, das Gefühl, das Herz des Menschen mit seinem Verstand gleichmäßig gebildet ist. Wenn dies der Fall ist, daß sein Herz sittlich gebildet ist, sein Geist zum Denken, Reflektieren gebildet, so können schöne Gefühle in ihm herrschen, so kann allerdings ein allgemein anzuerkennender 1so Inhalt es sein, den diese Grundsätze ausdrücken. Aber wenn man den gesunden Menschenverstand, das natürliche Herz im allgemeinen zum Grundsatz macht, so findet sich ein natürliches Empfinden [und] Wissen, wie die Inder Kuh und Affen, die Ägypter, die [einen] Vogel, einen Ochsen, den Apis anbeten. Die rohen 155 Türken haben auch natürliche Empfindungen und gesunden Menschenverstand bei den größten Grausamkeiten. Wenn wir aber von gesundem Menschenverstand sprechen, von natürlichem Gefühl, so hat man dabei immer im I Sinne einen gebildeten Geist, und man vergiBt, daß das Sittliche, Rechtliche, was sich in der Menschen- 160 brust findet, der Bildung und Erziehung verdankt werde; diese haben erst solche Grundsätze zu natürlichen Gefühlen gemacht, zur Gewohnheit gestempelt; jene Religion und Sittlichkeit werden dem Menschen dann zum unmittelbaren Wissen. Hier sind nun also natürliche Gefühle, gesunder Menschenverstand zum Prinzip ge- 165 macht, und darunter finden sich viele anzuerkennende. Dies ist die Gestalt der Philosophie im 18. Jahrhundert, und es gehören unter diese Gestaltung der Philosophie teils französische, teils schottische, teils deutsche Philosophie; die letztere bezeichnet man auch mit dem Ausdruck >Aufklärungweiß< und >Papier< auf, aber das >es ist< nicht 627-630 Fichte . 0. wissen.] so Gr, ähnlich Lö; Sv: Das philosophische Bewußtsein hat das Wissen des Wissens zum Gegenstande 632 in den Kategorien] Gr: der Kategorien Lii: in der Kategorie Sv: aus den Kategorien 639-641 Ich3 . sind so Gr mit Lö 0

0

0

0

0

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620

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* * 635

6.a

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* 660

* 665

Kant, Fichte und SeheHing

159

die aber hier dasselbe sind. - Das ist der erste Satz, die erste Bestimmung der Fichtischen Philosophie. Der zweite Satz ist: Ich setze mir ein Nicht-Ich, ein Objekt entgegen; Ich setze mich als nicht gesetzt. Dies Nicht-Ich ist das Objekt überhaupt, das Negative meiner. >Nicht-Ich< ist ein guter Ausdruck, obschon er beim ersten Blick etwas bizarr vorkommen mag; man hat vieles an dem Ich und Nicht-Ich lächerlich finden wollen; es ist ein neues Wort, und darum kommt es um Deutschen gleich kurios vor; der Ausdruck aber ist richtig. Ähnlich sagen die Franzosen moi et non moi, ohne zu lachen. Nicht-Ich ist das Andere meiner; der Gegenstand, was gegen mich ist, was nicht Ich ist, ist das Nicht-Ich. Dieser zweite Satz heißt also: Das Ich setzt sich als begrenzt, als Nicht-Ich. Dieser zweite Satz, sagt Fichte, ist ebemo absolut wie der erste, wenn er auch nach einer Seite hin bedingt ist durch den ersten, nämlich, daß das Nicht-Ich in das Ich aufgenommen ist, ich es mir entgegensetze, es ein anderes meiner ist, aber das Negative darin ist etwas Absolutes. Der I dritte Satz ist die Bestimmung dieser beiden Sätze durcheinander, daß ich setze das Nicht-Ich als mich begrenzend, oder auch mich als das Nicht-Ich begrenzend, einschränkend, daß es nur Gegenstand ist. Stets bin Ich in meiner Beziehung auf das Nicht-Ich gesetzt. Wenn ich begrenzt werde vom Nicht-Ich, so werde ich als Passives gesetzt. Der eine dieser Sätze ist der Satz des Theoretischen, der Intelligenz, der andere der Satz des Praktischen, des Willens. Nämlich insofern ich mir meiner bewußt bin als den Gegemtand 644 als] so GrPiHc; Sv: als begrenzt, als 648-649 es1 ... vor so Gr 649-650 Ähnlich ... moi2] so Pi mit Gr, ähnlich Sv; Lö: Die Franzosen sind darin weit vernünftiger als die Deutschen: Sie sprechen ganz unbefangen von moi et non moi, sie finden darin ausgedrückt, was ausgedrückt sein soll. Es ist eine Unart von uns, etwas deshalb für schlecht zu fmden, weil es passend, aber ungewöhnlich ausgedrückt ist. 659 begrenzend] so HcLö; Pi: Begrenztes Gr: begrenzend, die synthetische Tätigkeit 662-663 Wenn ... gesetzt.] so He mit Gr; Lii, ähnlich Gr: Entweder werde ich begrenzt oder ich setze mich als das begrenzende, einschränkende Ich; so bin ich Aktivität, Tätigkeit, und das Nicht-Ich wird beschränkt von mir

160

Neuere Philosophie

231-232

bestimmend, so mache ich mich tätig in bezug auf einen Gegenstand, das Nicht-Ich, und weiß dies. Der theoretische Satz ist, daß ich mir Gegenstand bin, so daß ich vom Nicht-Ich begrenzt werde. In der Anschauung sagen wir: Ich habe einen Gegenstand vor mir, der Gegenstand beherrscht mich; zwischen beiden ist ein Verhältnis, sie begrenzen einander ; einmal beherrsche ich die Sache, das andere Mal bin ich ein Passives, werde ich begrenzt von dem Nicht-Ich. Das Letzte ist das Theoretische: eben daß ich, indem ich anschaue, dies zum Inhalt erhalte, dies mich bestimmt. Die Vorstellung kommt vom Inhalt her; ich habe diesen Inhalt in mir, eben den Inhalt, der außer mir ist. Dies ist im ganzen ebenso wie bei der Kantischen Erfahrung, Ich und ein Stoff, Inhalt; so ist hier ein Nicht-Ich, wodurch das Ich bestimmt wird. Das Ich verhält sich ebenso bestimmend (tätig, denkend) als bestimmt. Im theoretischen Bewußtsein weiß ich, daß ich vom Nicht-Ich, vom Gegenstand bestimmt werde; im gewöhnlichen Bewußtsein weiß ich aber nicht, daß ich mich darin auch tätig, bestimmend verhalte; dies weiß nur das philosophische Bewußtsein. Diese Tätigkeit ist nun die Kategorie, und näher sucht Fichte nun die besonderen Kategorien in ihrer Notwendigkeit daraus abzuleiten. Das ist das Große in der Fichtischen Philosophie. Woran seit Aristoteles kein Mensch gedacht hat: die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit, ihrer Ableitung, ihrer I Konstruktion aufzuzeigen, dies hat Fichte versucht. Aber wir sehen, daß seine Darstellung von Haus aus behaftet ist mit einem Gegensatz - wie bei Kant Ich und die Vorstellung, und dann die Dinge an sich, hier bei Fichte das Ich und das Nicht-Ich. Ich soll nun das Ideal-Prinzip und das Nicht-Ich das Real-Prinzip sein, worüber Herr Krug viel geschwatzt hat, wie es denn damals in Deutschland viele Philosophen gegeben hat, wie Krug, Fries, Bouterwek, Schulze usw., die nichts getan haben, als ihre etwaigen Gedanken aufgeschnappt von diesen beiden, Kant und Fichte, oder von Schelling, und doch polemisieren sie gegen dieselben, obwohl sie ihre Gedanken daraus genommen haben, wenn anders Gedanken 677 Ich ... Inhalt so Gr 682-683 dies ... Bewußtsein so Gr

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Kant, Fichte und Schelling

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darin sind. Wir beschäftigen uns daher mit diesen Philosophien nicht. Sie bringen nur Modifikatiönchen, Verbesserungen an, und diese sind größtenteils nichts anderes, als daß die großen Prinzipien düdtig, kahl gemacht worden sind, daß gerade der lebendige Einheitspunkt getötet worden ist, oder es sind untergeordnete Formen gebraucht worden, wodurch dann ein anderes Prinzip aufgestellt werden soll, aber näher betrachtet bleiben es die Prinzipien einer jener Philosophien. Wir können uns also trösten, wenn von allen diesen Philosophien weiter nicht die Rede sein kann; wir würden lauter Diebstähle zu erzählen haben. Die Modifikationen der Formen sind entweder der Schein einer Veränderung oder vielmehr eine Verschlechterung der Prinzipienjener Philosophien. Bei Fichte ist das Idealprinzip, daß Ich das Bestimmende, Setzende bin. Darin ist aber auch ein Negatives enthalten: Ich finde mich bestimmt. Ich ist nur sich selbst gleich, das heißt, es ist unendlich; Unendlichkeit im Denken heißt nur: bei sich selbst sein, nicht zu einem Anderen, zu einer Grenze sich verhalten. Die Schranken der menschlichen Vernunft sind eine leere I Redensart. Daß die Vernunft des Subjekts beschränkt und abhängig ist, das ist natürlich und durch die Natur des Menschen selbst bestimmt; das Denken ist unabhängig. Der Ort, wo der Mensch unendlich ist, ist eben im Denken. Daß außerdem der Mensch auch abhängig und endlich ist, versteht sich von selbst, aber wir müssen nicht in die Vernunft, in das Denken diese Abhängigkeit hinübertragen wollen. Die Unendlichkeit kann denn auch sehr abstrakt sein, und so ist sie auch wieder endlich, aber dessen ungeachtet bleibt die Unendlichkeit in sich selbst. Bei Fichte ist das Ich unendlich, ist denkend. Aber dieses Ich findet sich mit einem Nicht-Ich; dies ist ein absoluter Widerspruch: Das Ich, das schlechthin bei sich selbst sein soll, soll nun bei Anderem sein - das Ich, welches bestimmt ist, schlechthin frei zu sein. Die Auflösung desselben hat bei Fichte die Stellung, daß sie nur eine geforderte Auflösung ist, und bleibt eine solche, daß ich die 705-707 wodurch ... Philosophien so Gr, ähnlich Lö 720-721 Der ... Denken. so Gr 721-723 Daß ... wollen. so Lö

162

Neuere Philosophie

233-234

Schranke immerfort aufheben kann, daß aber doch immer eine Grenze bleibt, über die Ich wieder hinausgehen kann und so fort ins Unendliche, d. h. in die schlechte Unendlichkeit, aber nach dieser Auflösung wieder eine neue Grenze, ein Nicht-Ich finde. Mit dem Aufheben einer Grenze zeigt sich immer eine neue; es ist eine fortgesetzte Abwechslung von Negation und Affirmation, eine Identität mit sich, die wieder in die Negation verfällt und daraus immer wieder hergestellt wird. Dies ist der Standpunkt der Fichtisehen Philosophie in Rücksicht des Theoretischen.

735

740

Was den Fortgang der Kantischen Darstellung betrifft, so stellt er als das dritte auf die Vernunft. Das zweite war der Verstand, das denkende Bestimmen; die Vernunft ist das Denken, insofern es das Unendliche, das Unbedingte zu seinem Gegenstand macht. Dies * Unendliche, Unbedingte nennt Kant Idee. Seit dieser Zeit erst ist es ein philosophischer Sprachgebrauch geworden, Vernunft und Verstand zu unterscheiden. Dieser Unterschied ist notwendig. Bei den älteren Philosophen ist dieser Unterschied dagegen noch nicht so vorhanden. Dort haben wir also auch die Ausdrücke promiscue 750 gebraucht. Sofern bestimmt gesprochen wird, muß dieser Unterschied beobachtet werden. Der Verstand ist das Denken in endlichen I Verhältnissen, die Vemunft - nach Kant - das Denken, was das Unbedingte, Unendliche zum Gegenstand hat, und dies Unbedingte nennt er Idee, welchen Ausdruck er von Plato entlehnt. Die * Idee ist freilich das Unbedingte, nur muß dies als konkret gefaßt werden. Jetzt tritt die Hauptschwierigkeit ein. Die Vernunft hat das Bedürfnis, das Unendliche, das Unbedingte zu erkennen, das heißt, es zu bestimmen, die Bestimmungen desselben zu finden und abzuleiten. Das Unbedingte soll also erkannt werden. Man spricht viel 760 von Denken, von Wissen und von Erkennen, und dennoch wird nie gesagt, was dies Wissen, Denken und Erkennen sei. Aber in der Philosophie ist es eben darum zu tun, daß das, was als bekannt vorausgesetzt wird, erkannt wird. Es handelt sich also hier darum, · ' , ', , I 748-750 Bei ... vorhanden. so Gr mit Lii 750-752 Dort ... werden. so Lö 764-766 Es ... Vernunft. so Gr mit Lö'

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Kant, Fichte und Schelling

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daß das Unbedingte erkannt werde. Dies ist der Gegenstand der Vernunft. Die Vernunft hat das Unendliche zum Gegenstand und hat den Trieb, das Unendliche zu erkennen. Dies aber vermag sie nicht, und der Grund, den Kant angibt, ist einerseits dieser, daß das Unendliche nicht in der Erfahrung gegeben ist, daß es keine dem Unendlichen entsprechende Anschauung gibt, daß es nicht in der äußerlichen oder inneren Erfahrung gegeben ist. Dies ist nun allerdings zuzugeben; das Unendliche ist nicht in der Welt, in der sinnlichen Wahrnehmung gegeben. Wenn vorausgesetzt ist, tmser Wissen sei Erfahrung, ein Synthesieren von Gedanken und Gefühlsstoffen, so kann allerdings das Unendliche nicht erkannt werden in dem Sinn, daß man eine sinnliche Wahrnehmung davon hat. Aber man wird auch für die Bewahrheitung des Unendlichen nicht eine sinnliche Wahrnehmung fordern wollen, denn das Unendliche ist nur für den Geist vorhanden, da es wesentlich geistig ist. Die zweite Seite ist, wenn das Unendliche erkannt werden soll, so muß es bestimmt werden. Dazu haben wir nichts als die Formen des Denkens, die wir Kategorien nennen. Diese geben das, was Kant ob jjektive Bestimmungen nennt, aber so, daß sie an sich doch wieder nur ein Subjektives sind. Wenn wir aber diese Kategorien zum Bestimmen des Unendlichen gebrauchen wollen, so verwickeln wir uns in falsche Schlüsse und Widersprüche (Antinomien), und es ist dies eine wichtige Seite der Kautischen Philosophie, die Bestimmung, daß das Unendliche, soweit es durch Kategorien bestimmt wird, sich in Widersprüchen verliert; diese Widersprüche, sagt er, sind notwendig, und die Vernunft wird darin transzendent. Der Gegenstand z. B. wäre die Welt; es soll erkannt werden, ob die Welt einen Anfang und ein Ende hat oder nicht, ob sie begrenzt ist in Raum und Zeit; die Welt aber ist dies Universum, das Ganze, so ist sie ein Allgemeines, eine Idee, und diese könnte als begrenzt oder unbegrenzt bestimmt werden. Wendet man nun diese Kategorien darauf an, so verfällt man in Widersprüche. Man kann beides behaupten. Das eine ist notwendig und ebenso das andere. So verfällt die Vernunft in Widerspruch. Die

770-771 daß ... ist so Gr

164

Neuere Philosophie

235-236

Notwendigkeit des Widerspruchs ist die interessante Seite, die Kant zum Bewußtsein gebracht hat. Man hatte sich vorgestellt nach der gewöhnlichen Metaphysik, das eine müsse gelten und das andere widerlegt werden; die Notwendigkeit aber, daß solche Widersprüche stattfinden, ist gerade das Interessante in der Kautischen Betrachtung. Kant kommt dann auch auf die Idee Gottes; er sagt, Gott ist das allerrealste Wesen, die Wolffische Definition; da handelt es sich denn darum, zu beweisen, daß Gott nicht bloß ein Gedanke ist, sondern daß er ist, Existenz, Wirklichkeit, Sein hat. Das nennt nun Kant das Ideal zum Unterschied von der Idee; das Ideal ist die Idee als seiend. So nennen wir in der Kunst Ideal die Idee, die realisiert ist auf sinnliche Weise; bei Gott die allgemeine Idee, die ist. Die Bestimmung, an der Kant festhält, ist die: Aus dem Begriff kann nicht das Sein herausgeklaubt werden. Hiervon ist die Folge, daß die Vernunft es ist, die Gedanken des Unendlichen, Unbestimmten zu haben, aber daß I von dieser Idee getrennt ist die Bestimmung überhaupt und näher die Bestimmung, die Sein heißt. Die Ideen zeigen sich nicht in der Erfahrung; die Ideen der Vernunft also beglaubigen sich nicht durch sie; werden die Ideen bloß durch Kategorien bestimmt, so entstehen Widersprüche. Soll die Idee überhaupt nur als seiend erwiesen werden, so ist sie nur subjektiv, Begriff, und davon ist immer unterschieden das Sein des Existierenden, das Objektive. Es bleibt also der Vernunft nichts weiter übrig als die Form ihrer Einheit oder Identität von der Idee, und diese reicht zu nichts, als die mannigfaltigen Verstandesgesetze und Verstandesverhältnisse zu systematisieren. Die Vernunft ordnet die Klassen, Gattungen, Arten, ebenso die Gesetze des Geistes, der Natur usf. [und) sucht sie in Einheit zu bringen. Das ist die theoretische Vernunft bei Kant. Nach dieser Seite schließt sich unmittelbar an Kant an die Jacobische Philosophie.

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Kant, Fichte und SeheHing

165

Friedrich Heinrich Jacobi Friedrich Heinrich Jacobi ist ein geistreicher, sehr edler, wissenschaftlich tief gebildeter Mann, der lange in Geschäften des Staats gelebt hat und sehr vertraut war mit der französischen Philosophie. Zufällig ist er in Streitigkeiten mit Mendelssohn gekommen wegen einer Lebensbeschreibung Lessings, die Mendelssohn machen wollte. Jacobi behauptete, daß Lessing ein Spinozist gewesen sei. Diejenigen, welche sich für Männer vom Fach hielten, für Männer vom Fach der Philosophie und vom Monopol der Freundschaft Lessings, wie Mendelssohn, Nicolai usw., traten mit Jacobi also in Kampf. Jacobi I zeigte im Briefwechsel eine tiefe Kenntnis des Spinozismus und daß Mendelssohn sogar völlig unwissend in diesem System sei. Bei dieser Gelegenheit kam es zu Erklärungen, die Jacobi veranlaßten, seine philosophischen Ansichten näher zu entwickeln und darzustellen, vorzüglich über das Erkennen. Bei Kant und Fichte sind die Lebensumstände fortgelassen worden, wir holen sie hier kurz nach: Kant ist 1724 in Königsberg geboren, und starb den 12. Februar 1804. Fichte ist den 19. Mai 1762 in Rammenau geboren und starb [den] 19. März 1814 in Berlin. Jacobi ist 1743 zu Düsseldorf geboren. Er hat in kameralistischen Staatsdiensten gestanden, zuletzt ist er Präsident der Akademie in München gewesen. Er privatisierte nach Niederlegen seines Postens und starb den 16. März 1819. Jacobi sagt über das Erkennen: Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihrer nächsten Ursache herleiten können, nicht aus einer entfernten; die entfernteste ist immer Gott, welchen wir dabei nicht ins Spiel bringen; das wäre oberflächlich. Die nächste, ganz bestimmte Ursache aber müssen wir haben, um die Sache davon 830 Jacobi) Gr: Jacobi. Geboren 1743 in Düsseldorf, stand in bergischen und nachmals in bayerischen Staatsdiensten; 1804 wurde er Präsident der Akademie der Wissenschaften zu München, welche Stelle er jedoch 1812 niederlegte und den 16. März 1819 daselbst verstarb. 840-841 Jacobi ... sei.) so He mit Pi, ähnlich Sv; Gr: es zeigte sich bei ihnen nicht nur Flachheit der philosophischen Einsicht, sondern sogar Unwissenheit. 851-852 Er ... Postens so Lö

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Neuere Philosophie

237-238

herzuleiten. Wir erkennen die Sache, wenn wir ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen. Den Zirkel begreifen wir, wenn wir die Bedingungen seiner Entstehung einsehen. Diese 860 Einsicht muß deutlich sein. Das ist nun das Erkennen überhaupt, nämlich von etwas Bestimmtem seine Bedingungen erkennen, es dadurch als etwas Bedingtes, als etwas von Anderem Bewirktes, von einer Ursache Hervorgebrachtes einsehen. Damit hängt zusammen seine Ansicht über das Unternehmen, das * Unbedingte erkennen zu wollen. Vorstellungen des Bedingten und Unbedingten sind im Menschen, beide sind unzertrennlich miteinander verknüpft (identisch), doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt und die Vorstellung des ersteren nur gegeben werden kann durch die Vorstel- 870 lung des letzteren. Unser bedingtes Dasein und Erkennen beruht nun auf einer unendlichen Menge von Vermittlungen, unsere Nachforschungen haben ein unendliches Feld vor sich, [wo wir] von Bedingungen zu Bedingungen aufsteigen müssen. Aber das Unbedingte erketmen hieße: unbedingte Bedingungen entdecken wollen 875 oder dem Unbedingten Bedingungen geben wollen, dem Unbegreiflichen ein uns begreifliches, d. h. ein bloß natürliches Dasein ausmachen zu wollen, denn alles, was für uns begreißich sein soll, muß auf eine bedingte Weise entstanden sein. So lange wir begreifen, haben wir eine Kette von bedingten Bedingungen; wenn diese sso Kette aufhört, so hört unser Begreifen auf und der Zusammenhang, den wir Natur nennen, und da können wir nicht mehr erkennen. Außerdem müßten wir [den] Begriff des Unbedingten haben. I Wenn nun das Unbedingte begriffen werden sollte, so müßte es aufhören, unbedingt zu sein, denn es müßte Bedingungen be- 8&s kommen.

860 die Bedingungen] so GrHcLrJ; Pi: genau den Mechanismus 873-874 von ... müssen] Gr: von Bedingungen zu Bedingungen vor sich Sv: von Bedingungen, wodurch wir aufsteigen müssen 883 Außerdem ... haben.] so Pi; Lö: Die Möglichkeit des Daseins der Natur selbst wäre der Begriff des Unbedingten selbst, insofern dies nicht die natürliche Voraussetzung, die unbedingte Bedingung der Natur ist.

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Kant, Fichte und SeheHing

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Dies ist nun der Gedanke Jacobis; da nun alles, was außer der Sphäre des Zusammenhangs des Bedingten liegt, außer unserer deutlichen Erkenntnis ist, so kann die Erkenntnis desselben durch den Begriff nicht gefordert werden. Das Übernatürliche kann also auf keine andere Weise von uns angenommen werden als auf unvermittelte Weise; es kann nur angenommen werden als eine Tatsache; es ist, ist dies Unvermittelte, und dies unendliche Wesen, was ist, nennen alle Zungen Gott. Begreifen heißt, Bedingungen des Bedingten erkennen. Das Übernatürliche ist gerade das, was keine Bedingungen hat, nicht begriffen werden kann, ist nur als Tatsache für uns, ist für uns nur auf eine unmittelbare, nicht vermittelte Weise. Der Unterschied von Kants und Jacobis Ansicht ist der, daß bei Kant die Kategorien nichts taugen; [sie betreffen nur] endliche beschränkte Verhältnisse. Bei ihm ist das Erkennen nur ein Erkennen der Erscheinungen, nicht dessen, was an sich ist, und dies geschieht, weil die Kategorien nur subjektiv sind - nicht des Inhalts wegen, weil sie beschränkt, endlich sind, sondern die Hauptsache ist immer, daß sie subjektiv sind, wenngleich sie das Objektive in der Erfahrung ausmachen. Bei Jacobi ist dagegen die Hauptsache, daß die Kategorien nicht nur subjektiv sind, sondern daß sie nur Bedingungen sind und bedingte Bedingungen, und Begreifen heißt also, den Zusammenhang durch Kategorien setzen, d. h. durch bedingte Bedingungen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, aber im Resultat kommen beide miteinander überein. Das unmittelbare Wissen hat nun Jacobi Glauben genannt, und wir werden weiterhin davon sprechen. Das erste in der Kantischen Philosophie war die Intelligenz, das Theoretische; das zweite ist das Praktische, der Wille, das, was das Prinzip des Willens ist. Den Willen teilt Kant in niederes und höheres Begehrungsvermögen; dieser Ausdruck ist schlecht. Das niedere 887-890 Dies ... werden. so Gr, ähnlich Lö 894-895 Begreifen ... erkennen. so Lii 912-915 und ... Theoretische so Gr 917 schlecht] so Lö; Gr: nicht ungeschickt

168

Neuere Philosophie

238-239

Begehrungsvermögen sind die Begierden, Neigungen usw. Das höhere ist der Wille als solcher, der nicht äußerlliche, einzelne Zwecke hat, sondern allgemeine Zwecke ; er ist daher ein höheres Seelenvermögen. Die Frage ist nun, was ist das Prinzip des Willens, was soll den Menschen bestimmen in seinen Handlungen 1 Im allgemeinen hat man Wohlwollen, Geselligkeit, überhaupt die Glückseligkeit als Prinzip genommen. Kant sagt nun, solche Bestimmungen, die aus unseren Neigungen genommen sind, sind heterogene Prinzipien für unseren Willen, oder der Wille ist heteronomisch, wenn er solche zu seinem Zweck und seiner Bestimmung macht; er nimmt sein Gesetz von etwas anderem her. Der Wille aber ist, frei zu sein, sich selbst zu bestimmen, er ist selbständig, absolute Spontaneität, autonomisch. Er kann nur zu seinem Zweck seine Freiheit haben. Dies ist eine große, wichtige Bestimmung der Kantischen Philosophie. Indem der Mensch sucht nach diesem und jenem Zweck für sich und sein Handeln, wie er die Welt, die Geschichte beurteilen soll, was soll er da für den Willen als letzten Zweck annehmen 1 Aber für den Willen ist kein anderer Zweck als der aus ihm selbst geschöpfte, der Zweck seiner Freiheit. Es ist dies ein großer Fortschritt, daß dies Prinzip aufgestellt ist, daß die Freiheit des Menschen die letzte Angel ist, auf der der Mensch sich dreht, die letzte, absolut feste Spitze ist, welche auf sich nicht einwirken läßt, so daß der Mensch nichts, keine Autorität, welche Form es sei, gelten läßt, wenn sie gegen seine Freiheit geht. Dies große Prinzip hat der Kantischen Philosophie wenigstens von einer Seite die große Ausbreitung, Zuneigung gewonnen, daß der Mensch ein schlechthin Festes, Unwankendes in sich selbst findet. Es ist ein fester Mittelpunkt, das Prinzip der Freiheit; alles übrige ist schwankend, was auf diesem Punkt nicht feststeht, so daß nichts verpflichtend ist, worin diese Freiheit nicht respektiert ist. Dies ist das Prinzip. Das Weitere ist nun, daß diese Freiheit zunächst leer, formell ist, das Negative alles anderen; kein Band, nichts anderes verpflichtet mich. Es ist insofern unbestimmt, es ist die Identität des Willens mit sich selbst, seine Freiheit, daß er bei sich selbst ist. Aber in dieser 932-934 Indem ... annehmen 1 so Gr mit Lö" 936--937 Es ... ist so Gr mit Lö

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Kant, Fichte und SeheHing

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Einsamkeit in sich ist kein Inhalt, keine Bestimmung; die einzige Form, die dies Prinzip hat, ist die der Identität mit sich selbst. I Was ist Pflicht? Was verbindet den freien Willen 1 Nur die Form der Identität, des sich nicht Widersprechens - was das Gesetz des abstrakten Verstandes ist - hat Kant gehabt für die Pflicht. Aber mit der Identität kommt man zu keinem Schritt weiter. Gott ist Gott; Pflanze ist Pflanze. Dadurch kommt noch keine Bestimmung heraus. Irgendein Inhalt muß gegeben werden. Jeder Inhalt, der in diese Form gelegt wird, ist sich nicht widersprechend, aber dies ist ebensogut als wenn er gar nicht hineingelegt wird. Z. B. Eigentum; dies muß in Beziehung auf mein Handeln respektiert werden, aber es kann ganz wegbleiben; es hat gar nichts Widersprechendes, wenn ich >Eigentum< nicht annehme und sage: Es gibt gar kein Eigenturn, alles ist bloßer Besitz. Dies ist der Mangel des kantischen Freiheitsprinzips, daß es unbestimmt, formell ist. Dies ist ebenso bei Fichte, wo das Praktische bestimmt so ist, daß das Ich bestimmend sei das Nicht-Ich, Ich bei mir selbst darin sei; aber um eine Bestimmung zu haben, muß doch ein Nicht-Ich sein; dadurch kommt erst ein Inhalt herein. Kant hat angefangen, das Recht auf die Freiheit zu gründen; Fichte hat ein Naturrecht verfaßt, worin er die Freiheit zum Prinzip macht; es ist dies ein großer Anfang, aber um zum Besonderen zu kommen, haben sie Voraussetzungen machen, aufnehmen müssen. Das dritte bei Kant ist, daß die Forderung des Konkreten zum Vorschein kommt. Dies hat hauptsächlich zweierlei Gestalten; die dritte, die ästhetische, lassen wir auf der Seite. Die eine Form ist die Art und Weise, wie wir das Lebendige betrachten. In seiner Kritik der reflektierenden Urteilskraft stellt er das Lebendige so dar, daß 953-956 Was ... Pflicht.] so Pi (was ... ist Gr); He: Das nächste ist der Inhalt, die Bestimmung, die sich der freie Wille gibt. Das ist die Pflicht, welche die Form des sich nicht Widersprechens, der Identität mit sich ist. Gr, ähnlich Lö: So hat Kant zur Bestimmung der Pflicht - denn die abstrakte Frage ist »Was ist Pflicht für den freien Willen 1« - nichts gehabt als die Form der Identität, des sich nicht Widersprcchcns, was das Gesetz des abstrakten Verstandes ist. 970-971 Kant ... gründen so Gr, ähnlich Lö

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Neuere Philosophie

240--241

wir bei seiner Betrachtung, bei Blumen oder Tieren, ein Sinnliches 9so vor uns haben. Dies wird einerseits behandelt nach den Kategorien des Verstandes, nach Ursache und Wirkung. Aber wir bleiben bei der Betrachtung des Lebendigen nicht bei diesen Kategorien des Verstandes stehen, sondern wir betrachten dann das Lebendige auch * als Ursache seiner selbst, als sich selbst produzierend; dies ist das 9ss Sicherhalten des Lebendigen. Das Tote dauert nur, das Lebendige aber ist vergänglich, aber insofern es lebt, bringt es sich selbst hervor, erhält I es sich. Seine Glieder sind Mittel, aber es ist zugleich Zweck in sich, Selbstzweck, ein organisches Naturprodukt; alle seine Glieder sind Mittel und zugleich Zweck. [Es ist] nicht äußere * Teleologie; der Zweck ist nicht außerhalb der Materie, wie bei einem Haus. Dort ist der Zweck, daß es bewohnt werde, und die Mittel dazu sind außerhalb, das Holz, die Steine, die man dazu anwendete. Aber die innere Zweckmäßigkeit ist, daß etwas an ihm selbst Zweck und Mittel ist. Es ist der aristotelische Begriff. In den * organischen Naturprodukten haben wir also die Anschauung von der unmittelbaren Einheit des Begriffs und der Realität; die Lebendigkeit, die Seele und die Existenz ist identisch, das Allgemeine, die Lebendigkeit und die Besonderung ist identisch, ist in einer Einheit angeschaut bei den organischen Naturprodukten, nicht so in der s unorganischen Natur. Hier ist es, daß Kant das Bedürfnis des Kon- * kreten hat, daß der Begriff, das Allgemeine bestimmend ist das Besondere. Das zweite ist, daß Kant sagt, dies ist eine Weise unserer reflek- * tierenden Urteilskraft, das Lebendige ist nicht so, aber wir nur sind to genötigt, es so zu betrachten, es ist die Maxime unserer Reflexion über das Natürliche. In der Kunst ist es auch so; die Idee ist sinnlich * dargestellt; Realität und Idealität (das Besondere und Allgemeine) ist in dem Kunstwerk unmittelbar in Einem. 988 sich.] so He; Gr: sich, hat zwar Bedingungen dazu nötig, aber es bringt sich selbst hervor. Ferner ist es ein Mittel, 991-994 wie ... anwendete so Lö 995 Es ••. Begriff so Gr 4-5 istz ..• angeschaut so Gr 5-6 nicht ... Natur so Gr 11-12 es2 ... Natürliche so Gr mit Lii

241-242 t5

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Kant, Fichte nnd SeheHing

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Die andere, zweite Form, worin das Bedürfnis des Konkreten in der Kautischen Philosophie hervortritt, knüpft sich an das Praktisehe unmittelbar an. Die praktische Vernunft hat einen Zweck, dieser Zweck in seiner ganzen Allgemeinheit ist das Gute, dies Gute ist eine Idee, ist mein Gedanke, aber es ist zugleich die absolute Forderung vorhanden, daß das Gute auch realisiert werde in der Welt, daß die Najturnotwendigkeit entspreche dem Gesetz der Freiheit, dem Guten, und nicht nur sei als Notwendigkeit einer äußerlichen Natur, sondern [realisiert werde] durch die Welt überhaupt, durch das Rechtliche, Sittliche, durch das menschliche Leben, das Staatsleben, daß die Welt überhaupt gut sei. Das Gute ist der absolute Endzweck; es bestimmt die Realität im Menschenleben und [in] der äußerlichen Welt. Das ist die absolute Forderung in der Vernunft, diese Harmonie des Guten und der Realität. Für das Einzelne ist dies die Glückseligkeit. Aber die subjektive Vernunft vermag nicht, das zu realisieren. In jeder guten Handlung vollbringt der Mensch etwas Gutes; dies ist aber nur beschränkt; das allgemeine Gute, der allgemeine Endzweck der Welt kann nur realisiert werden durch ein Drittes, und diese Macht über die Natur, die Welt, die zum Endzweck hat das Gute in der Welt, ist Gott. Gott ist also ein Postulat der praktischen Vernunft, was geglaubt werden muß. Der Inhalt ist hier also der, einerseits das Weltliche, andererseits das Gute. Das Gute enthält die Bestimmung in sich selbst, daß es realisiert werden soll. Das Gute ist zuerst Idee in uns, im Denken, aber wir, die menschlichen Subjekte, können das Gute nicht vollführen. Die Natur hat ihre eigentümlichen Gesetze; diese selbständigen, einzelnen Beziehungen haben keine Beziehung auf das Gute. Aber die Bestimmung des Denkens, der Vernunft, ist, die Einheit des Guten in der Welt zu verlangen, sie als das Wesentliche, Substantielle in sich zu haben und zu wollen. Der Gegensatz, Widerspruch des Guten und der Welt ist dieser 29 Für ... Glückseligkeit. so•Hc 34 diez ... Weltz so Gr, ähnlich Lö 36-37 Der ... Gute1 so Gr 41-42 diese ... Gute so Gr 44 Substantielle ... wollen so Gr

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Identität zuwider; die Vernunft muß daher fordern, daß dieser Widerspruch aufgehoben werde, daß eine Macht sei, die gut für sich selbst und Macht über die Natur sei, und dies ist nur Gott. Diese Stellung hat also Gott in der Kanti Jschen Philosophie. Beweisen lasse es sich nicht, daß Gott sei, es bleibe Forderung. Gott ist also ein Postulat der praktischen Vernunft. Wir haben nämlich die zwei, die Welt und das Gute; das Gute, die Tugend, Moralität ist nur gut, sofern sie im Kampf ist; Tugend fordert selbst den Gegensatz. Einerseits ist die Unauflöslichkeit des Widerspruchs gesetzt und andererseits ist notwendig die Einigkeit, Harmonie beider. Der Mangel, daß dies nun nicht bewiesen ist, nicht bewiesen werden kann, liegt darin, daß nach Kants Dualismus nicht gezeigt werden kann, daß das Gute als abstrakte Idee, als bloß Subjektives an ihm selbst, dies ist, seine Subjektivität aufzuheben, und die Natur oder die Welt an ihr selbst dies ist, in ihrer Äußerlichkeit, Verschiedenheit von dem Guten sich selbst aufzuheben und als ihre Wahrheit zu zeigen, was in Rücksicht auf sie als das Dritte erscheint, aber zugleich als das Erste bestimmt wird. Gott kann nur geglaubt werden, ist nur ein Postulat der praktischen Vernunft bei Kant. Damit ist in Beziehung der Jacobische Glaube, wo Jacobi mit Kant zusammentrifft - und dieser Punkt ist hier einzuschalten. Es ist schon angegeben, was Jacobi Glauben heißt, nämlich: Gott, das Anundfürsichsein, das Absolute überhaupt, Unbedingte usw. kann nicht bewiesen werden, denn beweisen, begreifen, heißt: Bedingungen für etwas erfinden, es aus Bedingungen ableiten. Aber ein abgeleitetes Absolutes, ein abgeleiteter Gott, wäre somit nicht ein Absolutes, nicht ein Unbedingtes, nicht ein Gott, sondern ein Geschöpf. Nun ist in unserem Bewußtsein, Bewußtsein von Gott, und dies ist so beschaffen, daß mit dieser Vorstellung von Gott unmittelbar verknüpft ist das Wissen, daß er ist. Und dies Wissen kann kein bewiesenes sein, weder bei Jacobi noch nach Kant. Es ist also ein 52 die1 ... Moralität so Gr 56 dies] so Pi; GrLö: Gott 57 nach Kants Dualismus so Gr 70 Bedingungen1 ... erfmden so Gr, ähnlich Lei" 76-77 ein ... sondern so Gr

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nicht in unserem Wissen vermitteltes, sondern ein unmittelbares Wissen. Man kann an dies unmittelbare Wissen im Menschen appellieren. Der Mensch geht in seiner Vorstellung, seinem Denken über 80 das Natürliche, Endliche hinaus, geht fort zu einem Übernatürlichen, * Übersinnlichen. Daß dies I ist, ist ihm so gewiß, als daß er selbst ist; die Gewißheit, daß es ist, ist identisch mit seinem Selbstbewußtsein; so gewiß als ich bin, so gewiß ist Gott. Dies unmittelbare Wissen von Gott ist hier der Punkt, der in der Jacobischen Philosophie fest8s gesetzt ist; Jacobi nennt dies nun auch Glaube. Kants und Jacobis * Glaube sind verschieden. Bei Kant ist es ein Postulat der praktischen Vernunft, die Forderung der Auflösung des Widerspruchs der Welt * und des Guten. Bei Jacobi ist es aber ein unmittelbares Wissen für * sich selbst und ist so vorgestellt. Alles, was nun seit Jacobis Zeit von 90 Philosophen wie Fries und Theologen, auch in Schriften gesagt ist, ist dieses: Was wir von Gott wissen, wissen wir unmittelbar durch Anschauung, Uranschauung, intellektuelle Anschauung, unmittel* bares Wissen vom Geistigen. Man nennt dies auch Offenbarung, aber in einem anderen Sinn als Offenbarung im theologischen Sinn, als die 95 Kirche. Die Offenbarung als unmittelbares Wissen ist in uns selbst, während die Kirche die Offenbarung als ein Mitgeteiltes von außen nimmt; der Glaube im theologischen Sinn ist Glaube an etwas, was ein äußerlich Gegebenes ist durch Lehre, kein unmittelbares Wissen aus uns selbst. So ist es gleichsam ein Betrug, wenn hier [der] Ausloo druck von Offenbarung und Glaube gebraucht wird im philosophischen Sinne und wieder im theologischen Sinne. Dies ist der Standpunkt Jacobis, und was auch seitdem von Philosophen und Theologen darüber gesagt worden ist, das ist sehr gern aufgenommen und

79-80 in . . . fort so Gr 82 die ... Selbstbewußtsein so Gr, ähnlich Lii 83-85 Dies ... ist so Gr 89-90 von ... Theologen so Gr, ähnlich Li:i 100-101 im ... Sinne2] so Pi; Gr mit Lö": und vorgestellt wird als sei von Glaube und Offenbarung im theologischen Sinne die Rede, da doch hier der philosophisch sein sollende Sinn ein ganz anderer ist, und doch tut man in diesem Glauben recht christlich frornn1. Sv: Dies in allen theologischen Schriften der Zeit

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verbreitet worden, und man findet überall nichts als nur Wiederholung dieses Jacobischen Gedankens. Dies unmittelbare Wissen wird dem philosophischen Erkennen der Vernunft entgegengesetzt und nun abgeurteilt über Philosophie. Man spricht dabei vom Erkennen und Glauben, wie der Blinde von der Farbe. Von der Philosophie ist der Sinn dieser, daß jeder glaubt, von Haus aus ein Philosoph zu sein, über Philosophie urteilen zu können, weil er dasselbe Maß in sich habe. Man gibt zwar zu, daß einer keinen Schuh machen könne, wenn er nicht Schuhmacher ist, obgleich er das Maß des Schuhs, den Fuß, an sich hat und auch die Hände; hingegen von der Philosophie hat das unmittelbare I Wissen die Meinung, daß jeder, wie er geht und steht, ein Philosoph ist, absprechen könne wie er wolle, Bescheid wisse in der Philosophie. Unter Vernunft versteht man dann einerseits die vermittelte Erkenntnis, die Offenbarung Gottes in uns, und andererseits gerade die intellektuelle Anschauung selbst; Vernunft ist das Wissen des Anundfürsichseienden, die Vernunft ist Offenbaren Gottes, da der Verstand Offenbaren des Endlichen ist; aber unter Glaube, Wissen als unmittelbar, wird dann auchjeder andere Inhalt begriffen; ich glaube, daß ich einen Körper habe, Papier hier liegt usw.; alles, was ich unmittelbar weiß, ist Glaube. Der Ausdruck Glaube, der für religiösen Inhalt aufbehalten war, wird bei Jacobi im Sinn des unmittelbaren Wissens auch gebraucht für einen Inhalt jeglicher Art. Dieses ist auch der allgemeinste Standpunkt unserer Zeit. Unmittelbares Wissen ist die Bestimmung, man mag es nun Glaube, Wissen usw. heißen, dies ist das Erste. Wenn wir nach dem Inhalt fragen, ist dieser, daß Gott ist. Dies unmittelbare Wissen ist das individuelle, gehört jedem Individuum an, [dem] Individuum als einem solchen. Das Ich ist, weiß unmittelbar, daß Gott ist, das Allgemeine. Gott ist

109-111 Von ... habe. so Pi 114-116 hingegen ... Philosophie so Gr 121-124 aber ... Glaube. so Gr 127 unserer Zeit] so GrHcLö; Pi: der Philosophie 128-129 man ... heißen so Gr 129-130 istz ... ist.] so Pi; Gr: so wird gewußt Gott und daß er ist. 131-132 Individuumz ... Allgemeine so Pi

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hier genommen in der Bestimmung eines Geistigen überhaupt, nach der Bestimmung der Macht, der Weisheit usf. Das ganz allgemeine m Wissen nennen wir Denken; ein einzelnes, äußerliches Wissen heißen wir Anschauung, Vorstellung, und Gedankenbestimmungen hineinbringen heißen wir Verstand. Es ist absurd, wenn so gesprochen wird vom Denken, ohne es zu kennen. Alle allgemeine Tätigkeit ist Denken. Religiöses Gefühl ist bloß, sofern es Gefühl eines Denken140 den ist, sofern dessen Bestimmungen vom Denken herkommen; das Tier hat kein religiöses Gefühl. Dies Eine, Gott, ist das Allgemeine, abstrakt genommen, und er ist ganz abstrakt, selbst in seiner Persönlichkeit - die absolut allgemeine Persönlichkeit. - Dabei wird vergessen, daß das, was in dem un145 mittelbaren Wissen geoffenbart wird, das I Allgemeine ist. Aber das eigentliche unmittelbare Wissen ist das natürliche, sinnliche Wissen. Und wenn der Mensch dazu gekommen ist, von Gott zu wissen als nur Gegenstand des Geistes, so ist dies Resultat vermittelt durch * Lehre, durch eine lang fortgesetzte Bildung. Die Inder und Ägypter 1so haben ebenso unmittelbar gewußt, daß [ein] Ochse Gott ist, daß Gott ein Ochse ist, [daß er] eine Katze ist, und die Inder wissen noch jetzt mehr dergleichen. Es ist so ein Mangel der einfachen Reflexion, nicht zu wissen, daß das Allgemeine, Gott, als das Geistige, in sich gar nicht ein Unmittelbares ist, sondern daß dies nur Folge einer * Offenbarung von der Seite der Religion ist, Folge der Erziehung des Menschengeschlechts, also vermittelt. Wenn man das unmittelbare Wissen gelten läßt, so hat es jeder nur mit sich zu tun, alles ist dann gerechtfertigt, jeder kann subjektiv etwas anderes unmittelbar wissen, dieser weiß dies, jener jenes, alles ist gebilligt, das Abgötti133-134 nach ... usf. so Gr 137-138 Es ... kennen. so Pi 138-140 Alle ... herkommen;] so Pi; Gr: das Allgemeine im Menschen ist das Denken, z. B. das religiöse Gefühl; das Tier hat es nicht, es ist ein menschliches Gefühl, und sofern es religiös ist, ist es als Gefühl eines Denkenden, und die Bestimmung des Gefühls nicht Bestimmung eines natürlichen Triebes usf., sondern Bestimmung des Denkens. 147-148 als ... Geistes so Gr 149 Inder] so PiLö"; He: Phönizier 151-152 eine ... dergleichen so Gr

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Neuere Philosophie

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sehe, Irreligiöse usw. Die Versicherung, daß der Mensch Gott unmittelbar wisse, ist also ganz falsch. Das Unmittelbare ist das Natürliche, und zu wissen von Gott als einem Geistigen ist daher wesentlich erst Resultat von Vermittlung, Lehre. Zweitens wird nun das unmittelbare Wissen dem vermittelten Wissen entgegengesetzt. Die Unterschiede von Unmittelbarkeit und Vermittlung sind sehr dürftige, abstrakte Bestimmungen, und auf solche Vorstellungen Religion und Philosophie bauen zu wollen, wäre sehr beschränkt und sehr dürftig. Diese Bestimmungen sind nur Formen, deren keine für sich besteht, für sich Wahrheit hat. Die letzte Form, daß die Unmittelbarkeit als das Absoluteste gefaßt wird, zeigt den Mangel aller Kritik, aller Logik; die Kantische Philosophie ist die kritische Philosophie, aber man hat es aus ihr vergessen, daß man das Unendliche nicht mit endlichen Kategorien ausmachen kann. Eine solche Kategorie gehört dem endlichen, beschränkten Verstand an, [ist], wie Kant selbst sagt, nicht fähig, das Wahre zu fassen. Was den Gegensatz näher an~etrifft, so kann alles Wissen unmittelbar sein und ebenso nicht unmittelbar. Alles unmittelbare Wissen ist auch vermittelt in sich; dies wissen wir in unserem Bewußtsein und können es an den allergemeinsten Erscheinungen sehen; es ist absurd, dies zu vergessen. Ich weiß hier in Berlin unmittelbar von Amerika, und I doch ist dies Wissen sehr vermittelt. Wenn ich unmittelbar amerikanischen Boden vor mir sehe, so gehört erst als Vermittlung [dazu], daß ich hingereist bin; Kolumbus muß es erst entdecken, Schiffe müssen gebaut werden usw., alle diese Erfindungen gehören dazu. Daß es unmittelbar ist, ist ein Resultat von einer unendlichen Menge von Vermittlungen. Ich weiß unmittelbar, daß im rechtwinkligen Dreieck die Summe der Quadrate der Katheten gleich dem Quadrat der Hypotenuse ist. Ich weiß dies unmittelbar,

164-165 Zweitens ... entgegengesetzt. so Gr 169-174 Die ... kann. so Gr 174-176 Eine ... fassen. so Pi 179-181 dies ... vergessen. so Gr mit Ui 186 Daß ... ist 1] so Pi; Gr: Das, was wir jetzt unmittelbar wissen Lii: Daß ich es unmittelbar weiß Sv: Aber diese Unmittelbarkeit entsteht

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und doch habe ich es nur gelernt und bin überzeugt durch die Vermittlung des Beweises; das unmittelbare Wissen ist so überall vermittelt. Es ist also nur [eine] psychologische Unterscheidung von vermittelt und unmittelbar. Daß aber auch das Wissen, das als unmittelbar behauptete Wissen von Gott, ebensogut ein vermitteltes Wissen ist, ist ebenso leicht einzusehen. Der unmittelbare Mensch ist der natürliche Mensch in seinem natürlichen Verhalten, in seiner Begierde, der nicht das Allgemeine weiß, kein Gedanke ist, [ist] Kind oder Wilder, ist roh, unwissend, weiß von Gott nichts. Der natürliche Mensch ist, wie er nicht sein soll; es gehört die Vermittlung dazu. Erst vermittels der Erhebung über das Natürliche, erst wenn er zum Bewußtsein des Allgemeinen, Höheren gekommen [ist], hat er wahres Wissen. Dann aber weiß man das Höhere zwar unmittelbar, aber man kommt nur durch die Vermittlung dazu. Alles Denken ist Unmittelbares, aber eben dies Denken ist Prozeß in sich selbst, Bewegung, Lebendigkeit; alle Lebendigkeit ist Bewegung, Prozeß in sich, ist vermittelt, um so mehr noch geistige Lebendigkeit, und sie ist dies von einem zum anderen überzugehen, vom bloß Natürlichen, Sinnlichen zum Geistigen, und das ist Vermittlung. Der Gegensatz vom unmittelbaren und vermittelten Wissen ist so ganz leer, es ist eine der letzten flachen Ausgeburten des Denkens, so etwas für einen wahrhaften Gegensatz zu halten, es ist der dürftigste, trockenste Verstand, der meint, in solchen Gegensätzen etwas Festes, Letztes zu haben, wie Unmittelbarkeit und Vermittlung. Die Philosophie tut nichts als diese Vermittlung zum Bewußtsein zu bringen; die Philosophie zeigt I die Vermittlung, die der Sache nach darin ist, z. B. in der Religion usw. auf.

196-198 in ... ist1 so Gr 198-199 Kind ... weiß] so Pi; Gr, ähnlich Lö: die Kinder, die Eskimos

usf. wissen 200 es ... dazu so Gr, ähnlich Lö 206--207 Bewegung ... Lebendigkeit so Gr mit U 208-209 vom ... Geistigen so Gr 215-219 die1 ... liegt] so Gr; Sv: Dieses ist der jetzige Standpunkt der Dinge. Es liegt U: 3) Das dritte ist zu bemerken, daß

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Neuere Philosophie

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Wenn jeder Standpunkt aber eine Seite hat, worin er gerechtfertigt ist, so liegt in diesem Standpunkt aber das Große, daß, indem angenommen wird, der menschliche Geist wisse unmittelbar von Gott, so ist dies eine Anerkennung der menschlichen Freiheit, des menschlichen Geistes. In ihr ist die Quelle des Wissens von Gott; alle Äußerlichkeit, Autorität ist so in diesem Prinzip aufgehoben, es ist das Prinzip, aber auch nur das Prinzip der Freiheit des Geistes. Das ist das Große unserer Zeit, daß diese Form, so sehr sie auch sich nicht versteht, doch dies in sich hat, daß die Freiheit, das Eigentum des Geistes, anerkannt ist, daß er in sich bei sich ist, daß er in sich dies Bewußtsein hat; dies ist aber nur abstrakt. Das Weitere ist denn, daß dieses Prinzip der Freiheit des Geistes, das abstrakt ist, wieder zur reinen Objektivität komme, daß nicht alles, was mir einfällt, in mir aufsteigt, mir geoffenbart wird, darum schon das Wahre ist, sondern daß es gereinigt wird und seine wahrhafte Objektivität erhält. Diese erhält es nur durch den Gedanken, der das Besondere, Zufällige abstreift - eine Objektivität, die von der bloßen Subjektivität unabhängig und an und für sich ist, so daß das Prinzip der Freiheit doch darin respektiert ist. Der christlichen Religion liegt zum Grunde, daß Gott ein Geist ist, und der eigene Geist muß davon Zeugnis geben. Der Geist muß es aber sein, dem der Geist Zeugnis gibt; der Inhalt muß der wahrhafte sein, aber dies konstatiert sich nicht dadurch, daß es mir geoffenbart, versichert wird. Dies ist der Standpunkt, und wir haben so das Mangelhafte desselben und das Große des Prinzips, das darin liegt, gesehen. Wenn nun nach diesem Kantisch-Jacobischen Standpunkt Gott geglaubt wird und wir diesen Standpunkt für einen Augenblick zugeben, so ist allerdings darin eine Rückkehr zum Absoluten. Aber die Frage ist nun weiter: Was ist Gott 1 Das Übersinnliche ist noch blutwenig, das Allgemeine, Abstrakte, Anundfürsichseiende ist I 222 In ... Gott so Gr 223-224 es ... Geistes so Gr, ähnlich Lii 228 dies ... abstrakt so Gr 236 Der ... Grunde so Pi 240-242 Dies ... gesehen. so Gr 244-245 und ... zugeben so Gr 245 zum Absoluten] so Gr; Pi: zur Wahrheit

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ebensowenig; alle Beinamen, die ich ihm gebe, sagen noch nichts. Was ist nun die konkrete Bestimmung Gottes 1 Wollten wir zu BeStimmungen übergehen, so würde das für diesen Standpunkt Arge erfolgen, daß wir zu einem Erkennen übergingen, denn dies heißt wissen von einem Gegenstand, der in sich konkret, bestimmt ist. Nach diesem unmittelbaren Wissen wird nur gelangt dazu, daß Gott überhaupt ist, Gott mit der Bestimmung des Unbegrenzten, Allgemeinen, Unbestimmten; Gott, sagt man, könne darum nicht erkannt werden, denn um erkannt zu werden, müßte er konkret sein, also wenigstens zwei Bestimmungen enthalten, und zwei sind Vermittelte in ihrer Beziehung, denn ein Wissen vom Konkreten ist sogleich vermitteltes Wissen, Erkennen. Aber jener Standpunkt, indem er Vermittlung verwirft, bleibt so bei dem Unbestimmten stehen. lndem Paulus - in der Apostelgeschichte - zu den Athenern spricht, beruft er sich auf den Altar, den sie dem unbekannten Gotte geweiht hatten. Der hier erwähnte Standpunkt aber führt uns wieder zurück zu dem unbekannten Gott.- Auf diesem Standpunkt der Athener ist das unmittelbare Wissen. Paulus hat sie gelehrt, was Gott sei, daß er nichts Unbekanntes sei.

Friedrich Wilhelm Joseph SeheHing

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Die Schellingsche Philosophie ist nun zunächst übergegangen zum Erkennen Gottes und von Fichte ausgegangen. Die ersten Schriften Schellings sind noch ganz Fichtisch; erst nach und nach hat sich

258-259 denn ... Erkennen so Gr 266 sei.] als Überleitung zum nächsten Kapitelfolgt in Gr: Alle Lebendigkeit der Natur wie des Geistes ist Vermittlung in sich, und dazu ist nun die Schellingsche Philosophie übergegangen. in Lö: Es ist bemerkt, daß das Geistige wesentlich konkret ist; dazu ist übergegangen die SeheHingsehe Philosophie. 267 Schelling] Gr: ScheHing. Geboren zu Schamdorf im Württembergischen 1775, studierte in Leipzig und Jena, wo er in nähere Beziehung mit Fichte trat; seit mehreren Jahren ist er Sekretär der Akademie der bildenden Künste in München. 268-269 übergegangen ... und so Gr

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Neuere Philosophie

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Schelling von dieser Fichtischen Form losgemacht. Diese Form des Ich hat diese Zweideutigkeit: Ich als absolutes Ich, Gott- und Ich als in meiner Besonderheit; dies hat Anstoß gegeben. SeheHing ist einer-! seits von der Fichtischen Philosophie ausgegangen, und andererseits macht auch er zum Prinzip die intellektuelle Anschauung, die der Mensch haben müsse und besonders der Philosoph. Der Inhalt derseihen, was in ihr Gegenstand wird, ist nun auch das Absolute, Gott, das Anundfürsichseiende, aber als konkret, sich in sich vermittelnd, als die absolute Einheit des Subjektiven und Objektiven ausgedrückt, oder als die absolute Indifferenz des Subjektiven und Objektiven. Die SeheHingsehe Philosophie macht also den Anfang vom unmittelbaren Wissen, von der intellektuellen Anschauung, aber das Zweite ist, daß ihr Inhalt nicht mehr das Unbestimmte, das Wesen der Wesen ist, sondern das Absolute als konkret. Was die Form der intellektuellen Anschauung anbetrifft, so ist darüber schon gesprochen. Es ist nichts Bequemeres als die Erkenntnis auf das unmittelbare Wissen zu setzen, auf das, was einem einfällt. Aber das unmittelbare Wissen von Gott als einem Geistigen ist nur für christliche Völker, nicht für andere, nicht im Bewußtsein anderer Völker. Noch zufälliger erscheint dies unmittelbare Wissen als intellektuelle Anschauung des Konkreten, näher Subjektivität und Objektivität. Indem die Voraussetzung der Philosophie ist, daß das Subjekt die unmittelbare Anschauung habe von dieser Identität des Subjektiven und Objektiven, so erscheint die Philosophie in den Individuen als ein Kunsttalent, Genie, das nur Sonntagskindern zukommt. Philosophie ist aber ihrer Natur nach fähig, allgemein zu sein, denn ihr Boden ist das Denken, das Allgemeine, und eben dadurch ist der Mensch Mensch. Also das Prinzip ist ein schlechthin Allgemeines; wenn aber eine bestimmte Anschauung, Bewußtsein gefordert wird,

271-272 Diese ... Zweideutigkeit so Gr, ähnlich Lö 273 dies ... gegeben so Gr 275-276 diez ... Philosoph so Gr 281-286 Die ... gesprochen. so Gr 287-291 auf ... Objektivität. so Gr 298 Also ... Allgemeines so Gr

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Kant, Fichte und SeheHing

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wie das Bewußtsein oder die Anschauung der Identität des Subjekts und Objekts, so ist dies die Forderung eines bestimmten, besonderen Denkens. In dieser Form nun aber I des Wissens des Absoluten als Konkreten und näher in der Form der Einheit des Subjekts und Objekts hat sich die Philosophie wieder getrennt von der Vorstellung, von der gewöhnlichen, vorstellenden Weise des Bewußtseins und seiner Reflexion. Schon bei Kant ist der Anfang dieser Trennung von der gewöhnlichen Weise des Bewußtseins gemacht. Das Resultat, daß das Wahre nicht erkannt werden könne, Philosophie also überflüssig sei, ist allgemein gemacht, utiliter akzeptiert worden. Noch mehr hat sich mit der Fichtischen Philosophie das gewöhnliche Bewußtsein von der Philosophie ausgeschieden. Fichtes Ich soll nicht bloß Bewußtsein des Empirischen haben, sondern es sollen auch erkannt, gewußt werden solche Bestimmungen, die nicht in das gewöhnliche Bewußtsein fallen. Vornehmlich aber hat sich die Schellingsche Philosophie von den gewöhnlichen Vorstellungen des reflektierenden Bewußtseins geschieden. Fichte hat noch die Tendenz der Popularität, seine späteren Schriften sind besonders zu diesem Zweck geschrieben - [ein) Versuch, den Leser zum Verständnis zu zwingen; aber diese Popularität hat er nicht erreicht, noch weniger aber Schelling. Das Konkrete bei ihm ist seiner Natur nach sogleich spekulativ. Der konkrete Inhalt, Gott, Leben oder welche besondere Form er hat, ist wohl Inhalt des gewöhnlichen Bewußtseins, und in religiöser Bestimmung, wenn wir uns zu Gott verhalten, ist ein Bewußtsein eines Konkreten. Aber die Schwierigkeit ist, daß das, was im Konkreten enthalten ist, gedacht wird, die Gedanken konkret werden, die unterschiedenen Bestimmungen gedacht werden; es ist der Standpunkt des Verstandes, die Gedanken zu unterscheiden, zu bestimmen gegen einander, und die Forderung der Philosophie ist, diese unterschiedenen Gedanken zusammenzubringen. Das natürliche Bewußtsein hat allerdings das Konkrete zum Gegenstand, der Verstand aber ist das Entzweiende, die Reflexion, die I an den endlichen Gedankenbestimmungen festhält, und die Schwierigkeit ist, die Einheit zu fassen und festzuhalten. Endlich und unendlich, Ursache und Wirkung, positiv und negativ gelten dem Verstand als schlechthin entgegengesetzt. Das Denken fängt damit an, es ist das Gebiet des

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Neuere Philosophie

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reflektierenden Bewußtseins, dies hat denn das alte metaphysizierende Bewußtsein mitmachen können. Das Spekulative ist aber, diese Gegensätze vor sich zu haben, aber sie aufzulösen, sie als identisch zu wtssen. So ist hier bei Schelling die eigentliche Spekulation wieder emporgekommen, und die Philosophie ist so wieder ein Eigentümliches geworden; das Prinzip der Philosophie, das Denken an sich, das vernünftige Denken hat die Form des Denkens erhalten. Damit ist in der Schellingschen Philosophie auch wieder der Inhalt, die Wahrheit zur Hauptsache geworden, wogegen in der Kautischen Philosophie und in den späteren das Interesse sich besonders so ausgesprochen hat, daß das Wissen, das Erkennen, das subjektive Erkennen untersucht werden solle; es ist als plausibel erschienen, daß man das Instrument, das Erkennen zuerst untersuche; es ist aber eine alte Geschichte, die von dem crx_oAIXI1Ttx6c; erzählt wird, der nicht eher ins Wasser gehen wollte, als bis er schwimmen gelernt habe. Das Erkennen untersuchen heißt, das Erkennen erkennen; wie man aber erkennen will, ohne zu erkennen, ist nicht zu sagen. Dies ist nun der Standpunkt der Schellingschen Philosophie überhaupt. Daß der Punkt der Indifferenz des Subjektiven und Objektiven vorausgesetzt wird, nicht bewiesen wird, ist ein Mangel der Schellingschen Philosophie. Dieser Beweis könnte nur so geführt werden, daß das Subjektive und das Objektive jedes für sich untersucht würde in seinen logischen Bestimmungen, d. h. in seinen wesentlichen Bestimmungen, woran sich dann ergeben müßte, daß das Subljektive dies ist, sich zu verwandeln, nicht subjektiv zu bleiben, sondern sich objektiv zu machen, und das Objektive dies ist, nicht so zu bleiben, sondern sich subjektiv zu machen. So wäre dann das Resultat, daß jedes sich zu seinem Gegenteil macht und nur die Identität beider die Wahrheit ist. Der Verstand verwundert sich über diese Verwandlung, nennt [sie] Sophisterei, Hokuspokus, Gaukelei usw. Schelling hat wohl diese Vorstellung im allgemeinen gehabt, hat 337-338 Bewußtseins ... können] so Gr; Pi: Verstandes, alte Metaphysik 342-343 und ... geworden so Gr 352-354 Das . . . sagen.] so Gr; Pi: Das Erkennen will man vorher er-

kennen, ehe man es anwendet.

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sie aber nicht auf bestimmte, logische Weise durchgeführt. In einer seiner ersten Schriften, seinem Transzendentalidealismus, hat er das Verhältnis so angegeben: Es sind zwei Pole, der eine die Natur und das Objektive, der andere ist das Subjektive oder das Wissen. Diese zwei Pole setzen sich gegenseitig voraus und fordern sich; es muß also zwei Grundwissenschaften geben: Der Inbegriff alles Objektiven heißt Natur, der Inbegriff alles Subjektiven ist das Ich, die Intelligenz. Entweder kann der eine oder der andere zum ersten gemacht werden, und beides muß geschehen, sowohl das Ich als die Natur muß zum Ersten gemacht werden; wenn das Objektive zum Ersten gemacht wird, so fangen wir mit den Naturwissenschaften an, und ihr Bestreben ist, auf das Intelligente zu kommen; das höchste Ziel ist die Vergeistigung der Naturgesetze zu solchen des Denkens. Die Phänomene, das Materielle [und] dergleichen müssen verschwinden und nur Gesetze bleiben. Die vollendete Theorie der Natur würde die sein, kraft der sich die ganze Natur in Intelligenz auflöste. Die toten Produkte der Natur seien nur als mißlungene Versuche derselben zu betrachten, sich zu reflektieren. Die tote Natur ist zu fassen als unreife Intelligenz, erstarrte, versteinerte Intelligenz. Das höchste Ziel, sich selbst zum Objekt zu werden, erreicht die Natur nur durch ihre höchste Reflexion; dies ist der Mensch, der durch sich selbst, durch die Vernunft in sich zurückkehrt, wodurch offenbar wird, daß die Natur identisch ist mit dem, was in uns Bewußtsein und Intelligenz ist. Wenn dagegen das Subjektive zum Ersten gemacht wird, so ist die Auflgabe, zu zeigen, wie ein Objekt, das mit dem Subjekt übereinstimme, hinzukomme. Dies wäre dann die wahre Transzendentalphilosophie; diese geht vom Subjekt aus und läßt das Objektive aus 377-378 sowohl ... werden so Gr 383-384 vollendete ... Naturt] so GrLö; Sv: höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft 389-390 der2 ... zurückkehrt so Gr 391-392 daß ... ist] so Pi, ähnlich Gr; Sv: daß die Materie aufhörte und die ganze Welt nicht mehr objektiv, sondern subjektiv, im Gedanken gefaßt werde 394-395 das . . . hinzukomme] so He; Gr: zum Subjekt kommt, wie es mit ihm übereinstimme, eins wird

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ihm entstehen. Die Grundlage dieser Philosophie ist Ich, wie bei Fichte, und da wird das Faktum des Wissens vorausgesetzt, Ich = Ich, Ich als reines Tun, und von diesem Standpunkt aus wäre das Objektive aufzuzeigen, wie Ich zum Objektiven fortschreite. Die höchste Weise der Objektivität, die Identität des Objektiven und Subjektiven, ist nun das Ich, das die Objektivität erreicht und darin bleibt. Diese höchste Stufe ist [das, was] SeheHing Einbildungskraft nennt. Die Objektivität der intellektuellen Anschauung ist die Kunst, Dichtkunst [und] dergleichen. Die Kunst wird so als das Höchste gefaßt und das Philosophieren vorgestellt als diese Genialität der Kunst. Aber wir erkennen bald, daß die Einbildungskraft, [die] Kunst nicht das Höchste ist, denn die Idee des Geistes kann nicht auf wahrhaft höchste Weise ausgedrückt werden in [der] Kunst; die Kunst bringt die Idee in Weise des Sinnlichen, der Anschauung hervor, und wegen dieser Form der Existenz kann das Kunstwerk nicht entsprechen dem Geist. Indem so der letzte Punkt als Einbildungskraft, als Kunst bezeichnet ist, so ist dies selbst ein subjektiver, nur untergeordneter Standpunkt, und so ist dieser Punkt selbst nicht diese absolute Identität des Subjektiven und Objektiven; Kunst ist noch nicht die Totalität selbst. Die zwei Seiten sind im allgemeinen darin sehr bestimmt ausgedrückt. Eine Seite ist dabei diese Durchführung der Natur zum Subjekt und [die andere die] des Ich zum Objekt; die wahre Durchführung aber könnte nur auf logische Weise geschehen, denn diese enthält den reinen Gedanken. Die Seele der Natur wie des Subjekts ist der reine Gedanke und dessen Entwicklung, Prozeß. Aber die Betrachtung des Logischen ist es, wozu SeheHing in seiner Darstellung nicht gekommen ist. Der wahrhafte Beweis, daß diese Identität das Wahrhafte ist, müßte allerdings I auf die angegebene Weise geführt 406-407 wird ... gefaßt] so Gr, ähnlich Lö'; Sv: stellt das Subjektive objektiv dar 411-412 Kunst ... hervor] Pi: die in Weise des Sinnlichen, der Anschauung, etwas hervorbringt He: bringt die Idee Gr: dies ist immer Weise der Anschauung Lö: denn diese ist die sinnliche Weise, Anschauung Sv: bringt die Idee auf eine sinnliche Weise zur Anschauung 413-414 Indem ... so so Gr

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werden. So wäre diese Identität als das Wahre bewiesen, als Resultat, oder nach Jacobi als bedingt, als hervorgegangen gesetzt. Aber indem sie Resultat ist, ist der wahrhafte Sinn dies selbst, die Einseitigkeit - Form des Resultats, nur V ermitteltes zu sein - und daher dies Vermitteln selbst wieder aufzuheben, aber es ist ebenso unmittelbar als es vermittelt ist; es ist ein Prozeß, der ebenso das Vermitteln in sich ist. In den späteren Darstellungen hat Schelling nun, indem es in seiner Darstellung Bedürfnis ist, anzufangen mit der Idee des Absoluten als Identität des Objektiven und Subjektiven, immer neu versucht, diese Idee zu beweisen, und zwar besonders in der Neue n Zeitschrift über spekulative Physik. Aber diese Beweise sind höchst formell geführt, so daß sie eigentlich immer das voraussetzen, was bewiesen werden soll. Jene Identität ist nun auch angegeben als absolute Indifferenz des Objektiven und Subjektiven, so daß beide darin ihre wahre Bestimmung haben; aber der Ausdruck >Indifferenz< ist ungeschickt, die Indifferenz ist das Gleichgültige gegen beides. Danach könnte es scheinen, als ob das Absolute gleichgültig gegen die zwei Seiten ist, es davon entfernt wäre. Schelling sagt auch: Identität des Wesens und der Form, des Endlichen und Unendlichen, des Positiven und Negativen. Diese Gegensätze kann man gebrauchen; sie sind aber nur abstrakt und beziehen sich nur auf unterschiedene Stufen der Entwicklung des Logischen selbst. In den späteren Darstellungen geht also Schelling von dieser absoluten Identität aus. Eine ausführliche Darstellung seiner Philosophie ist in der Zeitschrift für spekulative Physik enthalten, Band 2, Heft 2. Hier hat Schelling wie Spinoza eine geometrische Methode gebraucht, von Definitionen ausgehend, Axiome, dann Sätze, die den Beweis führen, dann abgeleitete Sätze, aber diese Methode hat keine wahrhafte Anwendung auf die Philosophie. Er hat hierbei gewisse Formen des Unterschieds vorausgeisetzt, die er >Potenzen< nennt und von Eschenmayer aufgenommen hat. Man hat oft ver432-433 es2 ... ist so Gr 444 das Absolute] so Pi; Gr: die Erfüllung der Indifferenz, wodurch sie konkret ist He: sie [sc. die Indifferenz] 447-448 kann ... und so Gr

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Neuere Philosophie

256-257

sucht, die Philosophie mathematisch zu machen. Das war nun zwar nicht der Plan Schellings, jedoch hat er sich der Form der Potenzen bedient als fertiger Unterschiede. In dieser Darstellung ist er in der Entwicklung der Naturphilosophie jedoch nur fortgegangen bis zum Organismus. Was aber die Seite des Geistes betrifft, so hat er diese in seiner früheren Schrift »Transzendentalidealismus« in größerer Ausführlichkeit gegeben. In Rücksicht des Praktischen ist er jedoch nicht viel weiter fortgegangen als Kant in seiner Schrift Vom ewigen Frieden; es ist keine ausführliche Philosophie des Geistes. Eine besondere Abhandlung über die Freiheit ist tiefer, spekulativer Art, aber sie betrifft nur diesen einen Punkt. Schelling ist nun vornehmlich der Stifter der neueren Naturphilosophie geworden. Naturphilosophie heißt im ganzen nichts anderes als die Natur denkend betrachten, begreifen. Die gewöhnliche Physik hat auch ihre Metaphysik, denn ihre Bestimmungen von Kräften, Gesetzen usw. sind Gedanken. Aber wenn die Philosophie über die Form des Verstandes hinausgeht und den spekulativen Begriff erfaßt hat, so muß sie die Kategorien, Denkbestimmungen der Natur für sich kennenlernen. Kant hat schon den Anfang des Denkens über die Natur gemacht. Schelling hat aber an die Stelle der gewöhnlichen Verstandesmetaphysik der Natur den Begriff derselben zu setzen gesucht. Schelling nennt die Natur eine erstarrte Intelligenz, d. h. die äußerliche Weise des Daseins des Systems der Gedankenformen, wie der Geist ist das Dasein desselben Systems, aber in der Form des Bewußtseins. Dies ist das große Verdienst Schellings, den Begriff und die Form des Begriffs in der Naturbetrachtung eingeführt zu haben, den Begriff gestellt zu haben an die Stelle der gewöhnlichen Verstandesmetaphysik. Die Hauptform, die zu Grunde liegt, ist die der Triplizität, die Form der ersten, zweiten I und dritten Potenz. Hier fängt er von der Materie an, so daß er sagt: Das A = A, die absolute Indifferenz in ihrer ersten Unmittelbarkeit, ist die Materie und dann hiervon zu weiteren Bestimmungen übergeht. Der Fortgang der Formen er465-467 In ... Frieden so Gr 469 aber ... Punkt so Gr 490-491 und ... übergeht so Gr

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scheint aber mehr als ein äußerlich angebrachtes Schema. Das Logische des Fortgangs ist nicht für sich gerechtfertigt. Dadurch hat sich die Naturphilosophie besonders in Mißkredit gesetzt, indem sie auf 495 ganz äußerliche Weise verfahren ist, ein fertiges Schema zum Grunde legt und darunter die Naturerscheinungen bringt. Diese Formen waren bei SeheHing Potenzen. Man kann aber auch versuchen, statt solche mathematischen Formen oder den Typus von Gedanken, irgendein Schema sinnlicher * Formen zu Grunde zu legen. Man hat so den Magnetismus, die Elektrizität und den Chemismus in der Natur als die drei Potenzen bestimmt, und man hat so beim Organismus z. B. die Reproduktion den Chemismus, die Irritabilität die Elektrizität und die Sensibilität den Magnetismus genannt. Dieser Unfug, Formen, die aus irgendeinem sos Kreise der Natur genommen sind, auf einen anderen Kreis anzu* wenden - ein Spiel von Analogien - ist weit gegangen, wenn man z. B. die Holzfasern der Pflanzen mit Oken die Nerven nennt. Aber um den Gedanken ist es zu tun; Nerven sind keine Gedanken, ebenso nicht die Ausdrücke Pol der Kontraktion und Expansion, das Männ510 liehe undWeibliche etc. Dieser Formalismus, ein äußerliches Schema anzuheften an eine Sphäre der Natur, die man betrachten will, ist das ganz äußerliche Tun der Naturphilosophie. Man kann mit der Phantasie damit spielen, aber alles dies geschieht, um dem Gedanken zu entgehen, und dies ist denn doch die einzige Bestimmung, um die es s1s sich handelt. Dies ist die letzte Form, die wir zu betrachten hatten; die Hauptsache in der SeheHingsehen Philosophie ist, daß es um einen Inhalt zu tun ist, um Konkretes, Wahres. Man hat seine Philosophie auch Naturphillosophie genannt, aber Naturphilosophie ist nur ein Teil i2o des Ganzen, und das Verhältnis der Natur in diesem Konkreten hat * SeheHing so gefaßt: Das Absolute, Gott, macht sich selbst zum * Grunde, als vorausgesetzt; Gott als bloßer Grund ist die Natur, er macht sich selbst zum Grunde, [ist] aber nur der Grund, nicht die Ursache, und die Natur muß insofern erkannt werden. Das Absolute 494-495 indem ... ist so Gr, ähnlich Lii 520-521 und ... gefaßt so Gr 524 und ... werden so Gr, ähnlich Lii

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ist aber, diesen Grund aufzuheben und sich selbst zur Intelligenz zu machen. Dies ist nun die letzte interessante, wahrhafte Gestalt der Philosophie. Es fehlt darin die Form der Entwicklung, die das Logische ist, die Notwendigkeit des Fortgangs. Diese konkrete Idee ist das Resultat der Arbeit des Geistes von dritthalb tausend Jahren. Die Stufen sind: die Idee, die konkrete Idee im Neuplatonismus; aber das Werk der modernen Zeit ist, diese Idee zu fassen als Geist, als die sich wissende Idee; um dazu fortzugehen, von der Idee zur sich wissenden Idee, gehört, daß der Gegensatz sich absolut macht, die Idee zum Wissen, zum Bewußtsein ihrer absoluten Entzweiung gekommen ist; dies ist das Werk der neueren Zeit. Über diese Entzweiung, die sich bewußt werden mußte, hat das reine Denken bei Cartesius sich hervorgehoben und ist fortgegangen zum Gegensatz des Subjektiven und Objektiven. Die wahrhafte Versöhnung, Auflösung des Gegensatzes ist diese Einsicht, daß dieser Gegensatz, auf seine absolute Spitze getrieben, sich selbst auflöst, an sich allerdings, wie Schelling sagt, die Entgegengesetzten identisch sind, aber nicht nur an sich, sondern daß das ewige Leben dieses ist, diese Gegensätze ewig zu produzieren und ewig in Identität zu setzen. Dies ist nun der Standpunkt der jetzigen Zeit, und die Reihe der geistigen Gestaltungen ist für jetzt damit geschlossen. I Ich habe ihr notwendiges Hervorgehen auseinander aufzuzeigen versucht, so daß die eine Philosophie notwendig die vorhergehende voraussetzt. Unser Standpunkt ist: Das Erkennen des Geistes, Wissen der Idee als Geist, als absoluten Geist, der sich so entgegensetzt einem anderen Geist, dem endlichen, und das Prinzip und Bestimmung dieses endlichen Geistes ist, zu erkennen, daß für ihn sei der absolute Geist.

530 dritthalb] so PiHc; GrLö: 2500 545 Dies ... Zeit so Gr 546 ist ... geschlossen so Gr 547-548 so ... voraussetzt] so Gr; Pi: Der letztere (Standpunkt] ist vermittelt, Resultat des vorhergehenden Standpunkts.

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*

545

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ANHANG

ZEICHEN, SIGLEN, ABKÜRZUNGEN

Sperrdruck KAPITÄLCHEN

Kursivdruck Seitenzahlen innen

I

I

[] ]

die1

einfache Hervorhebung im Original doppelte Hervorhebung im Original Herausgeberrede Paginierung des Originals neue Seite im Original neuer Absatz im zitierten Text Hinzufügungen der Herausgeber Abgrenzung des Lemmas tiefgestellte Ziffern im Apparat geben bei öfterem Vorkommen des gleichen Wortes in einer Zeile die Reihenfolge an

Nachschriften zur Geschichte der Philosophie (Zur Beschreibung siehe das Vorwort der Herausgeber zu Teil 1 sowie die anschließenden Bemerkungen Zur Konstitution des Textes) Gr He Lö Pi Sr

Griesheim Anonymus Krakau Löwe Pinder Stieve

Ausgaben GW

V

w

G. W. F. Hege!: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Harnburg 1968ff. G. W. F. Hege!: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Harnburg 1983ff. G. W. F. Hege!: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Bde 13-15: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Herausgegeben von Kar! Ludwig Michelet. Berlin Bd 1. 1833.- Bd 2. 1833. - Bd 3. 1836. Zweite verbesserte Auflage. Berlin Bd 1. 1840. - Bd 2. 1842. - Bd 3. 1844.

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Anhang

Im Anhang werden folgenae Abkürzungen verwandt: Abt. Anm. Bd, Bde bzw. ed. hrsg. Ms Nr 0. 0. s. u. a. vgl. z. B.

Abteilung Anmerkung Band, Bände beziehungsweise edidit herausgegeben Hegels Manuskript zur Geschichte der Philosophie Nummer ohne Ort siehe unter anderem vergleiche zum Beispiel

ZUR KONSTITUTION DES TEXTES

Über das Verhältnis der sechs Berliner Kollegien über die Geschichte der Philosophie zueinander sowie über die Überlieferungssituation und die Methode der vorliegenden Ausgabe wird das Vorwort der Herausgeber zu Teil 1 der Vorlesungen (Hege!: Vorlesungen. Bd 6.) umfassend informieren. Hier seien vorweg einige unverzichtbare Hinweise zu den Quellen, zur Herstellung des Textes und zur Formulierung des Apparats gegeben.

a) Quellen FünfNachschriften des Kollegs 1825/26 sind den Herausgebern bekannt geworden und zur Konstituierung des Textes herangezogen worden. Drei von ihnen hat bereits johannes Hriffmeister verwendet in seiner Ausgabe Hege!: System und Geschichte der Philosophie. Leipzig 1940. bzw. jetzt Hege!: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. 3., gekürzte Auflage 1959, besorgt von Friedhelm Nicolin. Unveränderter Nachdruck Harnburg 1966: G riesheim ( Gr): Geschichte der Philosophie. - Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. -Eine sehr ausführliche, etwa um die Hälfte des Unifangs vo11 He oder Pi reichere, dabei im ganzen zuverlässige Reinschrift, die Hegels Vortrag jedoch an einigen Stellen stilistisch überarbeitet und auch ergänzt. Anonymus (He): Geschichte der Philosophie von Hege!. -Polnische Akademie der Wissenschaften, Abt. Krakow. - Eine ebenfalls sehr ausführliche Quelle, jedoch eine unmittelbare Mitschrift; sprachlich nicht so ,sorgfältig durchformuliert, aber manchmal getreuer als Gr. Insgesamt wird Gr durch He weitgehend bestätigt, zum Teil korrigiert und ergänzt. Stieve (Sv): Geschichte der Philosophie. Vortrag von Herrn Prof. Hege!. Berlin den 31ten [Oktober]1825- Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. - Eine Reinschrift (HoJJmeister: unmittelbare Nachschrift), die den Text deutlich verkürzt und auch in der Wiedergabe des Wortlauts hinter den anderen Quellen zurücksteht. Eine ausführlichere Charakteristik folgt in V 6; siehe aber bereits jetzt den genannten Titel von johannes Hriffmeister, S. XIIj. -Der Kritik Hrif[meisters an Gr schlitjlen sich die Herausgeber so nicht an. So richtig es ist, daß Gr alle die üblichen Fehler von Nachschriften enthält - Hö.rfehler, Verständnisfehler, Fehler bei der Entzifferung der im Kolleg mitgeschriebenen Vorlage -, so sehr ist aber zu

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betonen, d'!ß Grinsgesamt doch die wertvollste Überlieferung des Kollegs 1825/26 bietet. Als Quellen neu hinzugetreten sind: Löwe (Lo): Geschichte der Philosophie nach Hege!. (Von anderer Hand: W. S. 1825/1826) J. C. Löwe.- Staatsbibliothek Preußischer Kultur besitz, Berlin.Eine auiführliche Reinschrift, die jedoch einerseits mit Gr verwandt ist und andererseits mehrfach hinter der Überlieferung durch Gr zurücksteht. Sie kann deshalb Gr nicht bestätigen, wohl aber in einigen wenigen Partien ergänzen und korrigieren. Pinder (Pi): Geschichte der Philosophie von Prof. Hege!. Berlin. Winterhalbjahr 1825/26. Moritz Pinder. - Hegel-Archiv, Ruhr-Universität Bochum. Eine sehr auiführliche, in der Formulierung aber etwas stärker zur prägnanten Kürze neigende Quelle, die wahrscheinlich eine unmittelbare Mitschrift des Kollegs bildet. Pi weist große Ähnlichkeit zu Gr und insbesondere zu He auf, ohne aber mit ihnen verwandt zu sein; sie dient zur Bestätigung und Korrektur, gelegentlich auch zur Ergänzung von Gr.

b) Zur Textgestalt Der Text der vorliegenden Ausgabe ist durch Integration der genannten fünf Quellen hergestellt. Jede Quelle für sich genommen weist eine Vielzahl der vorhin genannten Mängel auf Die vier Nachschriften GrLöHcPi bieten aber insgesamt eine sehr weitgehend parallele Überlieferung des Textes. Deshalb lassen sich die in ihnen verborgenen Fehler durch Kollationierung aller fünf Quelleu erkennen und dadurch verbessern, daß an den fraglichen Partien auf die jeweils anderen Quellen zurückgegriffen wird. Als fehlerhafte Überlieferung im weitesten Sinne wird hier jede Abweichung vo11 dem mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit zu rekonstruierenden Wortlaut des Vortrags verstanden. Der edierte Text folgt im allgemeinen Gr; die Differenz zwischen Grals Leittext und HcPi als Ergänzungstexten ist hier jedoch vergleichsweise gering. Deshalbfolgt der Text HcPi, wenn sie gegetl Gr übereinstimmen; er folgt aber auch dann He oder Pi, wenn es Gründe für die Annahme gibt, daß Gr im fraglichen Fall nicht korrekt überliefere. Lö wird nur selteu in den Text aufgenommen, nämlich nur an den wenigen Stellen, an denen die anderen Nachschriften einen wenig zufriedenstellenden Text bieten, aber auf Grund des Verhältnisses zwischen ihnen und Lö Anlaß zu der Vermutung besteht, daß Lö den ursprünglichen Wortlaut authentisch oder doch wenigstens sinngemäß richtig wiedergebe. Noch seltener ist Sv in den Text aufgenommen worden; diese Nachschrift bietet aber wertvolle Hinweise beim Versuch der Feststellung der authentischen Überlieferung. Die Nachschriften enthalten nur wenige, zudem nicht untereinander einheitliche

Zur Konstitution des Textes

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Absatzgliederungen und auch nur wenige Überschriften. Die letzteren lassen soweit sie durch die Reinschriften überliefert sind- ohnehin erkennen, d~ß sie das Ergebnis einer nachträglichen Strukturierung des Textes sind. Wie in den anderen Manuskriptvorlesungen hat Hege/ offensichtlich auch in den philosophiegeschichtlichen die Überschriften im allgemeinen nicht eigens vorgetragen. Deshalb sind in der vorliegenden Ausgabe die Überschriften und die Absatzgliederungen von den Herausgebern einheitlich festgelegt worden, soweit möglich im Anschl~ß an Vorgaben durch die Nachschriften sowie an die Gliederungskonzeption auf Seite 72,42-45. Die Titel für den zweiten Teil: Die Philosophie des Mittelalters lauten in den Nachschriften: Gr: Die Philosophie des Mittelalters. - Lö: B. Geschichte der Philosophie. II. Zweiter Teil. Die Philosophie des Mittelalters.- Pi: Keine Überschrift.- He: Die zweite Periode. 500-1500.- Sv: ll. Periode. -Für den dritten Teil: Dieneuere Philosophie lauten die Titel: Gr: Die neuere Philosophie. - Lö: B. Geschichte der Philosophie. III. Dritter Teil. Philosophie der neuem Zeit. -Pi: Keine Überschrift. -He: Dritte Periode. - Sv: Dritte Periode. Nach der Behandlung Bacons und Böhmes Jolxt nochmals als Überschrift: Neuere Philosophie. Wegen der übereinstimmenden Überlieferung wurde hier der Titelfür den vierten Abschnitt der neuzeitlichen Philosophie - Kant, Fichte und SeheHing - aus den Nachschriften übernommen. Dieser Titel entspricht jedoch weder dem Umfang noch gar der Anlage dieses Abschnittes. Denn ein wichtiger Teil der Ausführungen gilt dem im Titel nicht erwähnten Jacobi, und vor allem handelt Hege/ hier die Philosophie Kants und Fichtes nicht als ganze nacheinander ab, sondern zunächst die transzendentale Asthetik und Analytik Kants (149-156) und den theoretischen Teil der Wissenschaftslehre Fichtes (156-162), sodann die transzendentale Dialektik (162-164),Jacobi (165-167), danach die praktische Philosophie Kants mit einem Hinweis auf Fichte (167-169) und schließlich die Kritik der teleologischen Urteilskraft und die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft bzw. den moralischen Gottesbeweis der Kritik der Urteilskraft, wiederum in Verbindung mit Jacobis Begriff des Glaubens und dem Begriff des unmittelbaren Wissens überhaupt (169-179). Dieses Ineinanderweben insbesondere der Darstellung Kants und Fichtes findet sich nicht in den anderen Kollegien, auch wenn Hege/ stets Fichtes Wissenschaftslehre für eine konsequenJere Ausgestaltung der Kontisehen Ansätze angesehen hat. Zum Teil in Übereinstimmung mit den Nachschriften, zum Teil abweichend von ihnen sind hier die Namen der behandelten Philosophen - sofern sie nicht zuvor in einer Überschrift genannt werden - durch Sperrung hervorgehoben worden, z. B. Rousseau (144,219); Gleiches giltfür die Titel der besprochenen Werke. Andere gelegentliche und uneinheitliche Hervorhebungen durch die Quellen sind hier nicht berücksichtigt worden. Die im Text genannten und auch die in den Anmerkungen

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Anhang

abgekürzten Buchtitel werden in der Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philosophie in ausführlicher Form wiedergegeben.

Die Normalisierung des Textes folgt den Grundsätzen, die bereits bei den religionsphilosophischen Vorlesungen angewandt und in V 3. LVI~{ und LXIX beschrieben worden sind. Ein Asterisk am Rande verweist auf die im Anhang beigegebenen Anmerkungen der Herausgeber. Die Anmerkungen sind über Seiten- und Zeilenzähler auf den Text bezogen. Der hier hergestellte Text ist überwiegend durch jeweils mehrere Nachschriften belegt. In allen diesen Fällen ist man zu der Annahme berechtigt, daß es gelungen sei, den ursprünglichen Wortlaut des Vortrags aus der Brechung in den Quellen zu rekonstruieren. Daneben stehen freilich solche Sätze oder Satzteile, die nur voll einer einzigen Nachschrift überliefert sind. Sofern diese in den Reinschriften GrLöSv enthalten sind, ist ihre Zugehörigkeit zum Kolleg nicht gesichert; sofern sie in den Mitschriften HcPi enthalten sind, ist doch zumindest die Authentizität des Wortlauts nicht gesichert. Auf diese Fälle wird im Apparat hingewiesen. Im Rahmen der vorliegenden Ausgabe war es jedoch nicht möglich, im Apparat ausführlich Rechenschcift über die Textkonstitution abzulegen oder gar den Leittext zu rekonstruieren. Es konnten auch nur die wichtigsten Varianten mitgeteilt werden. Im Kolumnentitel wird die Paginierung des zweiten Bandes der Nachschrift Gr angegeben. Wo ein Seitenbruch in Gr in der Edition nicht abgebildet wird, da der Text an der betreffenden Stelle nicht Gr folgt, steht der senkrechte Strich für die Seitentrennung vor dem ersten wieder durch Gr überliefertett Wort.

c) Zum Apparat Der Apparat erfüllt hier die Aufgabe eines- sehr knapp gehaltenen - Variantenapparats und, wenn auch nur in wenigen Fällen, eines textkritischen Apparats. Er verwendet die oben genannten Siglen der Nachschriften in Verbindung mit einer stark formalisierten Sprache, die hier noch zu erläutem ist. Die Nennungzweier Siglen (z. B. >GrLömit< (>Gr mit Löso Gr< gibt die Quelle einer in den Text aufgenommenen Pas-

Zur Konstitution des Textes

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sage an. Sofern dieser Notierung nicht andere Quellen gegenübergestellt werden, bezeichnet sie Sondergut der genannten Nachschrift. Diese Notierung wird aber nicht etwafür jedes nicht durch weitere Quellen bestätigte Wort verwendet, sondern allein mit Bezug auf Satzteile, deren Vorkommen im ursprünglichen Vortrag oder deren Formulierung als nicht in der gleichen Weise gesichert gelten kann wie beim übrigen Text. Die Notierung >so Gr, ähnlich Lö< besagt, daß die an zweiter Stelle genannte Nachschrift einen nur so geringfügig abweichenden Text bietet, daß auf eine ausführliche Mitteilung im Rahmen des hier konzipierten knappen Apparats verzichtet werden konnte.

ANMERKUNGEN

Die Gestaltung der Anmerkungen lehnt sich an die Form an, die in den Gesammelten Werken gewählt worden ist. Die Anmerkungen beschränken sich in der Regel auf Nachweise der im Text vorkommenden Zitate und Bezugnahmen auf andere Schriften sowie aufVerweise innerhalb des Textes. Sie sind kein Kommentar; nur in Ausnahmefällen wird zur Erhellung von Details auf Parallelstellen in Hegels Werk verwiesen. Im Unterschied zu den Gesammelten Werken werden die Zitate hier - sofern der Umfang dies zuläßt - in ausführlicher Form gebracht. Angeführt werden diejenigen Ausgaben, von denen wir mit Sicherheit wissen oder mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten können, daß Hege/ sie benutzt habe; sonst werden nach Möglichkeit die jeweiligen Erstausgaben herangezogen. Dabei wird stets die Rechtschreibung und Zeichensetzung der zu Grunde gelegten Ausgaben beibehalten. Soweit möglich, sind die betreffenden Stellen zusätzlich nach Band und Seite heute gebräuchlicher Gesamtausgaben nachgewiesen. Bei Aristoteles wird die heute gebräuchliche Zählung nach Bekker zusätzlich in Klammern angegeben. Altsprachlichen Zitaten wird nach Möglichkeit eine heute gebräuchliche Übersetzung beigegeben. Geringfügige, für Hegels Verständnis der Textstelle nicht wichtige Differenzen zwischen Text und Übersetzung werden nicht vermerkt. Bibelstellen werden dann in vollem Wortlaut zitiert, wenn der Inhalt aus Hegels Anspielung nicht ausreichend ersichtlich ist oder wenn die von Hege/ zitierte Formulierung mißverständlich ist. Bei Anspielungen auf die synoptischen Evangelien werden die Parallelstellen im allgemeinen nicht angegeben. Nachgewiesen werden diejenigen Stellen, die Hegels Formulierungen am nächsten stehen. Die Notierung von Quellenangaben antiker Autoren beschränkt sich in den Fällen, wo nicht feststeht und auch nicht wahrscheinlich ist, daß Hege/ diese Quellen gekannt oder vor Augen gehabt habe, auf die heute gebräuchliche Kurzform (z. B. Lactanz: Divinae institutiones); sofern Hege/ sich auf bestimmte Aussagen bezieht (z. B. auf einen Satz Tertullians), aber nicht bekannt ist, ob Hege/ den betreffenden Text selbst gelesen habe - und gegebenenfalls in welcher Ausgabe -, werden zum Teil neuere Ausgaben herangezogen. In den Anmerkungen wird mehrfach auf parallele, zumeist ausführlichere oder besser formulierte Texte und Fußnoten in W1 verwiesen, und zwar auf solche Stellen, die in W1 recte gesetzt sind und deshalb- nach Auskunft des Erstherausgebers Michelet, siehe W1 Bd 13. XIIIj- auf handschriftliche Notizen Hegels zurückgehen, und daneben auch auf solche Stellen, bei denen ein anderweitiger Anlaß zu der Vermutung besteht, daß in Wt handschriftliches Material Hegels herangezogen

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worden sei. Diese Verweise werden hier- sehr abgekürzt- in der Form >Vgl. W 15.000 (Ms? )Ideal< siehe Kritik der reinen Vernunft. B 595ff, insbesondere B 596: Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasjenige von der objectiven Realität entfernt zu seyn, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding, verstehe. - Siehe ferner eben da B 59~/J, insbesondere B 604 zu Kants Begriff des transzendentalen Ideals als des einzigen eigentlichen Ideals, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.

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164,812-813 Aus dem ... herausgeklaubt werden.] Siehe eben da B 631: Es war etwas ganz Unnatürliches und eine bloße Neuerung des Schulwitzes, aus einer ganz willkührlich entworfenen Idee das Daseyn des ihr entsprechenden Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen. 164,822-827 Es bleibt ... zu bringen.] Hege/ dürjte hier nicht so sehr die transzendentale Methodenlehre (ebenda 733Jf) im Blick haben als den Anhang zur transseendentalen Dialectik. Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft. (B 670-696) - Siehe insbesondere B 673: Uebersehen wir unsere Verstandeserkenntnisse in ihrem ganzen Umfange, so fmden wir, daß dasjenige, was unsere Vernunft ganz eigenthümlich darüber verfügt und zu Stande zu bringen sucht, das Systematische der Erkenntniß sey, d. i. der Zusammenhang derselben aus einem Princip. Diese Vernunfteinheit setzt jederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Form eines Ganzen der Erkenntniß, ... -Zur Ordnung der Gattungen und Arten siehe ebenda, insbesondere B 679J: Daß alle Mannigfaltigkeiteil einzelner Dinge die Identität der Art nicht ausschließen; daß die mancherley Arten nur als ver! schiedentliehe Bestimmungen von wenigen Gattungen, diese aber von noch höheren Geschlechtern etc. behandelt werden müssen; daß also eine gewisse systematische Einheit aller möglichen empirischen Begriffe, so fern sie von höheren und allgemeineren abgeleitet werden können, gesucht werden müsse; ist eine Schulregel oder logisches Princip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft stattfände, ... - Zu den Gesetzen des Geistes und der Natur siehe

ebenda, insbesondere B 677J.

165,834-841 Zufällig ... System sei.] Siehe Jacobi: Briefe. Insbesond~re ~ff, vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.37Jf. Eben da 4 ( vgl. Werke. Bd 4, Abt 1.39) teilt Jacobi mit, er habe Emi!ie- d. h. Elise Reimarus- geschrieben: Leßing sey ein Spinozist gewesen.- Sieheferner insbesondere 22Jf(vgl. 54Jf). 165,848 19. März 1814] Dieses Datum überliefert nur Pi; Lö nennt als Todesjahr 1809. Es muß richtig heißen: 29. Januar 1814.- Möglicherweise hat Regel-

wie auch bei Jacobi, siehe die folgende Anm. - ein falsches Datum genannt.

165,852 16. März 1819] Dieses Datum überli~fem sowohl Pi, Lö" als auch Gr (siehe die Fußnote zu 165,830). Es muß richtig heißen: 10. März 1819. -Siehe hierzu Friedrich Köppen in Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1. Ill. 165,853-166,860 Jacobi ... Entstehung einsehen.] Siehe Jacobi: Briefe. Beylage VII. 419 Fußnote: Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe mch einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar. So begreifen wir z. B. einen Cirkel, wenn wir uns den Mechanismus seiner Entstehung, oder seine Physik, deutlich vorzustellen wissen; ... Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4,

Abt. 2.149 Ftiflnote.

166,865-886 Damit ... bekommen.] Siehe Jacobi: Briefe. Beylage VII. 423-426: Ich nehme den ganzen Menschen, ohne ihn zu theilen, und finde, daß sein Bewußtseyn ans zwey ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstel-

Anmerkungen

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lung des Bedingten und des Unbedingten zusammen gesetzt ist. Beyde sind unzertrennlich mit einander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur gegeben werden kann. Wir brauchen also das Unbedingte nicht erst zu suchen, sonl dem haben von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Daseyn haben. I Da unser bedingtes Daseyn auf einer Unendlichkeit von Vermittelungen beruht, so ist damit unserer Nachforschung ein unabsehliches Feld eröffi1et, welches wir schon um unserer physischen Erhaltung willen, zu bearbeiten genöthigt sind. Alle diese Nachforschungen haben die Entdeckung dessen, was das Daseyn der Dinge vermittelt, zum Gegenstande. Diejenigen Dinge, wovon wir das Vermittelnde eingesehen, das ist, deren Mechanismus wir entdeckt haben, die können wir, wenn die Mittel selbst in unsern Händen sind, auch hervorbringen. Was wir auf diese Weise, wenigstens in der Vorstellung, construiren können, das begreifen wir; und was wir nicht construiren können, das begreifen wir auch nicht. I Bedingungen des Unbedingten entdecken, dem absolut Nothwendigen eine Möglichkeit erfinden, und es construiren zu wollen, um es begreifen zu können, scheint I als ein ungereimtes Unternehmen sogleich einleuchten zu müssen. Und doch ist es eben dieses, was wir unternehmen, wenn wir uns bemühen, der Natur ein uns begreifliches, das ist ein blos natürliches Daseyn auszumachen, und den Mechanismus des Prinzips des Mechanismus an den Tag zu bringen. Denn wenn alles, was auf eine uns begreifliche Weise entstehen und vorhanden seyn soll, auf eine bedingte Weise entstehen und vorhanden seyn muß; so bleiben wir, so lange wir begreifen, in einer Kette bedingter Bedingungen. Wo diese Kette aufhört, da hören wir auf zu begreifen, und da hört auch der Zusammenhang, den wir Natur nennen, selbst auf. Der Begriff der Möglichkeit des Daseyns der Natur, wäre also der Begriff eines absoluten Anfangs oder Ursprungs der Natur; er wäre der Begriff des Unbedingten selbst, in so fern es die nicht natürlich verknüpfte, das ist für uns unverknüpfte - unbedingte Bedingung der Natur ist. Soll nun ein Begriff dieses Unbedingten und Unverknüpften folglich Aussernatürlichen -MÖGLICH werden: so muß das Unbedingte I aufhören das Unbedingte zu seyn; es muß selbst Bedingungen bekommea; und das absolut N othwendige muß anfangen das Mögliche zu werden, damit es sich construiren lasse. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.152-155. 167,887-894 da nun ... Gott.] Siehe Jacobi: Briefe. Beylage VII. 426f: Und ferner: da alles, was ausser dem Zusammenhange des Bedingten, des natürlich vermittelten liegt, auch ausser der Sphäre unserer deutlichen Erkenntniß liegt, und durch I Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann das Uebernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nehmlich als Thatsache - ES IST! I Dieses Uebernatiirliche, dieses Wesen aller Wesen, nennen alle Zungen: den Gott. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.155f

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167,911-912 Das unmittelbare ... genannt,] Hege! bezieht sich auf das von Jacobi vertretene Verständnis des Glaubens; siehe Jacobi: Briefe. 228f: VI. Das Element aller menschlichen Erkenntniß und Wirksamkeit, ist Glaube. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.223. Sieheferner ebenda 215-217: Lieber Mendelssohn, wir alle werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est.- Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus I der zweyten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Aehnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiß sind. Die Ueberzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen seyn. Wenn nunjedes Fürwahrhalten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Ueberzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen./ Durch den Glauben wissen wir, daß wir einen Körper haben und daß außer uns andre Körper und andre denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung! Denn wir empfinden doch nur unseren Körper, so oder anders beschaffen; und indem wir ihn so oder anders beschaffen fühlen, werden wir nicht allein seine Veränderungen, sondern noch etwas davon ganz verschiedenes, das weder blos Empfindung noch Gedanke ist, andre Dinge wirklich gewahr, und zwar mit I eben der Gewißheit, mit der wir uns selbst gewahr werden; denn ohne Du, ist das Ich unmöglich. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.210J - Siehe ferner Jacobi: David Hume über den Glauben- oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch. Breslau 1787. 44: GLAUBE ist der wahre eigentliche Name für dies Gefühl, ... 47: Es gibt Worte, die etwas ähnliches ausdrücken; aber das wahre eigentliche Wort dafür ist GLAUBE. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 2.161,163. 167,912 weiterhin] Siehe vorliegenden Band 172,65-174,126. 167,916--168,921 Den Willen ... Seelenvermögen] Siehe Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 41ff, insbesondere 45: Alsdenn allein ist Vernunft nur, so fern sie für sich selbst den Willen bestimmt, (nicht im Dienste der Neigungen ist,) ein wahres oberes Begehrungsvermögen, dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja specifisch von diesem unterschieden, so daß sogar die mindeste Beymischung von den Antrieben der letzteren ihrer Stärke und Vorzuge Abbruch thut, ... (AA 5. 24f) 168,924-930 Kant ... Freiheit haben.] Siehe ebenda 58: Die A vtonomie des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten: Alle Heteronomie der Willkühr gründet dagegen

Anmerkungen

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nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. -Etwas später {84) nennt Kant die Idee der Freiheit ein Vermögen absoluter Spontaneität. (AA 5. 33 bzw. 48.) 168,934--936 Aber ... Freiheit.] Siehe ebenda 51j: Wenn aber auch kein anderer Bestimmungsgrund des Willens für diesen zum Gesetz dienen kann, als blos jene allgemeine gesetzgebende Form; so muß ein solcher Wille als gänzlich unabhängig von dem Naturgesetz der Erscheinungen, nemlich dem Gesetze der Causalität, beziehungsweise auf einander, gedacht werden. Eine solche Unabhängigkeit aber heißt Freyheit im strengsten d. i. transscendentalen Verstande. Also I ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freyer Wille. (AA 5.29.) 169,948-950 Das Weitere ... verpflichtet mich.] Siehe ebenda 59J: Zum practischen Gesetze muß also niemals eine practische Vorschrift gezählt werden, die eine materiale (mithin empilrische) Bedingungbey sich führt. Denn das Gesetz des reinen Willens, der frey ist, setzt diesen in eine ganz andere Sphäre, als die empirische, und die Nothwendigkeit, die es ausdrückt, da sie keine Naturnothwendigkeit seyn soll, kann also blos in formalen Bedingungen der Möglichkeit eines Gesetzes überhaupt bestehen. - 61: Das Gesetz der Beförderung der Glückseligkeit anderer entspringe blos daraus, daß die Form der Allgemeinheit, die die Vernunft als Bedingung bedarf, einer Maxime der Selbstliebe die objective Gültigkeit eines Gesetzes zu geben, der Bestimmungsgrund des Willens wird, und also war das Object (anderer Glückseligkeit) nicht der Bestimmungsgrund des reinen Willens, sondern die bloße gesetzliche Form war es allein, dadurch ich meine auf Neigung gegründete Maxime einschränkte, um ihr die Allgemeinheit eines Gesetzes zu verschaffen, und sie so der reinen practischen Vernunft angemessen zu machen, ... 113: Nur ein formales Gesetz, d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der practischen Vernunft seyn. {AA 5. 34 bzw. 35 bzw. 64.) 169,953-956 Was ist ... die Pflicht.] Siehe ebenda 144: Der Begriff der Pflichtfedert also an der Handlung, ob j ect i v, Uebereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjectiv, Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. (AA 5. 81.) 169,966--969 Dies ist ... Nicht-Ich sein;] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 159,658-660. 169,970--971 Kant ... gründen;] Siehe Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Königsberg 1797. XXXIII: §. C. I Allgemeines Princip des Rechts. I ~Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc.« (AA 6.230.) 169,971-972 Fichte ... macht;] Siehe Fichte: Gnmdlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre. Jena und Leipzig 1796. Siehe insbe-

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sondere die - nicht paginierte - Einleitung: Wie die Handelsweise in diesem Setzen der Begriff des Rechts sey, läßt sich sogar sinnlich darstellen. Ich setze mich als vernünftig, d. h. als frei. Es ist in mir bei diesem Geschäfte die Vorstellung der Freiheit. Ich setze in dergleichen (!) ungetheilten Handlung zugleich andere freie Wesen. Ich beschreibe so nach durch meine Einbildungskraft eine Sphäre für die Freiheit, in welche mehrere Wesen sich theilen. Ich schreibe mir selbst nicht alle Freiheit zu, die ich gesetzt habe, weil ich auch noch andere freie Wesen setzen, und denselben einen Theil derselben zuschreiben muß. Ich beschränke mich selbst in meiner Zueignung der Freiheit dadurch, daß ich auch für andere, Freiheit übrig lasse. Der Begriff des Rechts ist sonach der Begriff von dem nothwendigen Verhältnisse freier Wesen zu einander. (GA 3.319.)- 94: I.) Personen, als solche, sollen absolut frei, und lediglich von ihrem Willen abhängig seyn. Personen sollen, so gewiß sie das sind, in gegenseitigem Einflusse stehen, und demnach nicht lediglich von sich selbst abhängig seyn. Wie beides beisammen bestehen könne, dieses zu beantworten, ist die Aufgabe der Rechtswissenschaft: und die ihr zum Grunde liegende Frage ist die: wie ist eine Gemeinschaft freier Wesen, als solcher, möglich? (GA 3.383.)- Hegel vernachlässigt hier die Unterschiede in der praktischen Philosophie Kants und Fichtes - etwa die Bedeutung, die das Problem der Anerkennungfür Fichte hat, d. h. der Zusammenhang zwischen dem Setzen meiner als einer freien Person und dem Setzen anderer freier Personen. 169,97Cr-977 die dritte, die ästhetische,) Diese Aufzählung von drei Formen, in denen die Forderung des Konkreten zum Vorschein komme, gibt Kants Systematik nicht angemessen wieder. Mit der dritten Form meint Hege/ die ästhetische Urteilskrqft; siehe Kritik der Urteilskraft. 3-260 (AA 5.203-356.). Unter der ersten Form versteht Hege/ die teleologische Urteilskraft, ebenda 261-476 (AA 5.357-485.); siehe hierzu die folgende Anm. Als zweite Form bezeichnet Hege/ die Postulatenlehre-siehe vorliegenden Band 171,15-172,64-, die er allerdings in der Perspektive nicht der Kritik der praktischen Vernunft, sondern des moralischen Gottesbeweises der Kritik der Urteilkraft interpretiert. Die behauptete Dreiheit der Formen des Konkreten entspricht insofern also den beiden Formen der >Elementar/ehre< der Kritik der Urteilskraft, der Analytik und Dialektik, der ästhetischen (§§ 1-60) und der teleologischen Urteilskraft(§§ 61-78) sowie der Methodenlehre der teleologischen Urteilskrqft (§§ 79-91). 169,977-170,984 Die eine Form ... stehen,) Siehe Kant: Kritik der Urteilskraft. Insbesondere 265: Die teleologische Betrachtung der Natur nach Analogie mit der Kausalität nach Zwecken gehöre zur reflectirenden, nicht der bestimmenden, Urtheilskraft. Der Begrif von Verbindungen und Formen der Natur nach Zwecken ist doch wenigstens ein Prinzip mehr, die Erscheinungen derselben unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Causalität nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen. (AA 5.360.) 170,984-986 wir betrachten ... des Lebendigen.) Siehe ebenda, insbesondere 282: ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von sich selbst Ur-

Anmerkungen

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sache und Wirkung ist, ... Im Anschluß darm1 unterscheidet Kant drei Arten der Erzeugung, von denen insbesondere die zweite unter den Begriff der Ursache seiner selbst gestellt werden kann, 283: Zweytens erzeugt ein Baum sich auch selbst als Individuum. (AA 5.370f)- Zum Begriff der causa sui bei Spinoza siehe vorliegenden Band 107,158-159 mit Anm. 170,990--995 [Es ist] ... Mittel ist.] Zu Kants Unterscheidung zwischen der äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit siehe ebenda 375, 275ff, 292ff, (§§ 82, 63, 66) (AA 5.425, 366Jf, 376Jf.). 170,995 Es ist ... Begriff.] Siehe Aristoteles: Physik. Bd 1.152 (Buch 2, Kapp. 8-9). Insbesondere 152 6-1: d ou11 1:oc x.cx1:oc '1:'!)11 TtXIIYJII ~IIEX.cX 1:ou, 8'ijAOII 0'1:~ )((XL '1:0C X.(X'1:0C cpuow. OfLOLWLAocyplou ypocfLvocnxoü (Lachfreund. Aus den Papieren des Hierokles und des Grammatikers Philagrios). Siehe Philogelos der Lachfreund. Von Hierokles und Philagrios. Griechisch-Deutsch mit Einleitung und Kommentar hrsg. von A. Thierfelder. München 1968.28: §. 2. ~XoAoccrnxo~ xoAUfL~iiv ~oUA6fLE:VO~ 7rocp&: fLLXpov E7rVLYIJ" (.)fLOO"E:V ouv fL-IJ &