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German Pages 206 [208] Year 2015
Friederike Werschkull Vorgreifende Anerkennung
R e f l e x i v e S o z i a l p s y c h o l o g i e | hrsg. von Heiner Keupp | Band 1
Dieses Buch widme ich Christiane † und Martina †.
Friederike Werschkull (Dr. phil., Dipl.-Psych., M.A.) arbeitet als freie Wissenschaftlerin. Ihre Forschungen widmen sich Fragen der Bildungstheorie, Ästhetik sowie der Reflexiven Sozial- und Entwicklungspsychologie.
Friederike Werschkull
Vorgreifende Anerkennung Zur Subjektbildung in interaktiven Prozessen
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Friederike Werschkull Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-658-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Heiner Keupp: Vorwort
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Einleitung
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„Figurationen“ in der Spätmoderne. Sozialpsychologische Zugänge zum Subjekt
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Zur Veränderungsdynamik der Gesellschaft
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Selbstverortung inmitten sozialer Umbrüche
27
Exkurs: Zur Verwendung der Begriffe „Subjekt“, „Selbst“, „Identität“
29
Selbstwerdung als Konstruktionsaufgabe
36
Die Bedeutung der Anerkennung für die Identitätsarbeit
42
Transformationen der Anerkennung. Zum Prozeß der Individualisierung sozialer Wertschätzung
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Erschließung der Anerkennungs-Ressource. Netzwerke der Nutzung
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Anerkennung und Selbstbeziehung
56
Antwort, Vorgriff und Widerspruch
63
Anfänge und Übergänge. Frühe Formen der Anerkennung und Subjektwerdung in entwicklungspsychologischer Perspektive
81
Verwicklungen
81
Anerkennung im Spektrum interaktiver Erfahrungen
89
„relational turn“
89
Das prekäre Gleichgewicht zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung. Benjamins Plädoyer für die „Lösung“ eines Paradoxons
93
Die Andere entdecken, erkennen, anerkennen
97
Bedürfnis und Fähigkeit
97
„Objektverwendung“ oder Anerkennung als Entwicklungserrungenschaft bei Winnicott
98
Ontologie und Emotion
103
Kindliche Anerkennung als Antwort auf Anerkennungserfahrungen
109
Zur Neuformulierung der interpersonellen Genese des Selbst in den Entwicklungstheorien von Fonagy, Gergely, Jurist 115 und Target Die Entwicklung des Selbst als zunehmende Mentalisierungsfähigkeit
118
Mentalisierung und Reflexionsfunktion
118
Die Theorie des Mentalen als Entwicklungserrungenschaft
120
Fünf Ebenen der Urheberschaft des Selbst
122
Die interaktive Hervorbringung der kindlichen Mentalisierungsfähigkeit
132
Mütterliche Affektspiegelung
134
Elterliche Kommentare im Symbolspiel
139
Affektspiegelung als An-/Erkennen des konstitutionellen Zustands
142
Folgen verfehlter Spiegelungen
154
Anerkennungserfahrungen. Die Entwicklung der Wahrnehmung von Einstellungen
159
Der Grund des Lächelns
171
Anerkennung der Bildsamkeit. Zusammenfassung und bildungstheoretischer Ausblick
183
Literatur
197
„Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, daß er bei allem Determinismus glaubt er agiere als freies Wesen.“ Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher
„Wenn aber die Anerkennung ausbleibt, dann muß sich der Autor [...] die Anerkennung selber machen; das ist eine ungesunde Tägigkeit, die viele Autoren mit dem Preis der individuellen Verschrobenheit bezahlen.“ Wilhelm Genazino, Der gedehnte Blick
Dank Das vorliegende Buch hat schon in verschiedenen Phasen seiner Entstehung interessierte Leser und unterstützende Kommentare gefunden. So danke ich Dr. Joachim Hohl für Lob, kritische Fragen und Präzisierungsvorschläge vor allem zum sozialpsychologischen Teil. Sie haben mich angeregt, meine Argumentation noch einmal zu prüfen und in einigen Punkten zu schärfen. Von Privatdozent Dr. Martin Dornes habe ich weiterführende Empfehlungen zum entwicklungspsychologischen Kapitel und den Hinweis auf Tzvetan Todorovs Abenteuer des Zusammenlebens erhalten. Ihm danke ich außerdem und vor allem dafür, daß er sich mit großem Elan für die Veröffentlichung meiner Studie eingesetzt hat. Zusammen mit Professor Dr. Axel Honneth hat er auch aus dem ursprünglichen, verschachtelt-komplizierten TitelGebilde einen brauchbaren Buch-Titel gemacht. Dafür, daß die Arbeit nun in der vorliegenden Form erscheint, danke ich dem transcript Verlag. Gerade mein Anliegen, Diskursbestände aus der Reflexiven Sozial- und Entwicklungspsychologie, Psychoanalyse, Philosophie und Bildungstheorie konsequent aufeinander zu beziehen und in der Diskussion von Argumenten aus unterschiedlichen Kontexten über die Problem- und Reflexionslagen einer einzelnen Disziplin hinauszugehen, stieß dort auf Resonanz. Professor Dr. Heiner Keupp danke ich für die freundliche Aufnahme des Bandes in seine Reihe „Reflexive Sozialpsychologie“. Damit hat er zugleich Möglichkeiten eröffnet, welche diese thematisiert. Entstand nämlich das vorliegende Buch ohne institutionelle Beheimatung oder disziplinäre Einbettung auf dem brüchig gewordenen Boden einer dekonstruierten Biographie, so hat es mich um so mehr gefreut, daß sich inmitten von Fragmentierungserfahrungen ein neues „Passungsverhältnis“ ergeben hat. Meine Studien zu frühen Formen der Subjektbildung und ihre Verbindung mit sozialpsychologischen Konzepten wurden aus dem Blickwinkel der Identitätsforschung als deren produktive Weiterführung gewürdigt. Ich danke Professor Keupp für seine Offenheit, mit der er meiner Arbeit begegnet ist und für seine Unterstützung wissenschaftlicher Interdisziplinarität.
Privatdozent Dr. Peter Tenhaef und Sigrid Naumann danke ich für das gründliche Korrekturlesen, meinem Mann Antonius für geduldiges Vorlesen und meinem Bruder Andreas dafür, daß er mir bei der Erstellung der Druckvorlage weniger geholfen, mir diese Sache vielmehr abgenommen hat. Sie alle haben meiner Arbeit große Aufmerksamkeit geschenkt, und sie haben auf die Lektüre jeweils in einer Art geantwortet, die verhindern hilft, daß – mit Genazino zu reden – die Verschrobenheit der Autorin weiter zunimmt. Dem gilt mein besonderer Dank.
Bernried, Januar 2007
Vorwort HEINER KEUPP
Unter dem Reihentitel „Reflexive Sozialpsychologie“ werden Bücher veröffentlicht werden, die einer Psychologie verpflichtet sind, die subjektives Erleben und Handeln in ihrem Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Realität zu begreifen versucht. Die Reflexive Sozialpsychologie steht in der Tradition der Sozialwissenschaften. Sie begreift den Menschen als soziales Wesen, das in seinem Denken, Fühlen, Handeln von der spezifischen Kultur, von der Position in der Sozialstruktur und der Geschichte geprägt ist. Die theoretischen Ansätze, auf die sie aufbaut, sind unter anderem die psychoanalytische Sozialpsychologie, der Symbolische Interaktionismus, die Kritische Theorie, die Foucaultsche Diskurstheorie, Zivilisationstheorien und feministische Theorien. Diesen theoretischen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie das Subjekt in seiner jeweiligen Verfaßtheit nicht als Naturgegebenheit betrachten, dessen Verhalten und Erleben unter Laborbedingungen erforscht und in allgemeinen Gesetzmäßigkeiten erklärt werden könnten. Die Psychologie ist von ihren disziplinären Anfängen in der frühen Neuzeit her ein Unternehmen der reflexiven Selbstverständigung der Subjekte, bezogen auf epochale Veränderungen, bezogen auf den krisenhaften Verlust bislang bestimmender Sinnkonstrukte und Leitseilen jeweils möglicher oder geforderter Lebensführung. Diese Art von Psychologie, die sich als Medium der
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
Selbsterfahrung und Selbstreflexion in einer Zeitperiode begriff und anbot, in der alte Normalitäten objektiv dekonstruiert waren und die neuen sich noch nicht stabil etablieren konnten, hat der Hauptstrom der sich entwickelnden Wissenschaft Psychologie links liegen gelassen. Eine „reflexive Sozialpsychologie“ ist aber gerade in einer gesellschaftlichen Situation gefordert, in der die existentielle oder ontologische Bodenlosigkeit geradezu nach einem reflexiven Modus der Selbstvergewisserung dieser unaufhebbaren Bodenlosigkeit verlangt. Gerade die Identitätsforschung hat in den vergangenen Jahren die Notwendigkeit einer reflexiven Weiterentwicklung gezeigt. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, daß den klassischen Theorien die kulturelle Rahmung abhanden kam, auf die hin sie sich entworfen hatten. Identität bezeichnet ja den Selbstpositionierungsprozeß der Subjekte, bezogen auf den soziokulturellen Rahmen ihrer Lebenswelt. Die Krise der Moderne führte auch zu einer Dekonstruktion grundlegender Koordinaten modernen Selbstverständnisses. Die an Vorstellungen von Einheit, Kontinuität, Kohärenz, Entwicklungslogik oder Fortschritt orientierten Konstrukte sind zertrümmert worden. Begriffe wie Kontingenz, Diskontinuität, Fragmentierung, Bruch, Zerstreuung, Reflexivität oder Übergänge sollen zentrale Merkmale der Welterfahrung thematisieren. Identitätsbildung unter diesen gesellschaftlichen Signaturen wird von ihnen durch und durch bestimmt. Identität wird deshalb auch nicht mehr als Entstehung eines stabilen inneren Kerns thematisiert, sondern als ein Prozeßgeschehen beständiger „alltäglicher Identitätsarbeit“, als permanente Passungsarbeit zwischen inneren und äußeren Welten. Die Vorstellung von Identität als einer fortschreitenden und abschließbaren Kapitalbildung wird zunehmend abgelöst durch die Idee, daß es bei Identität um Projektentwürfe geht oder um die Abfolge von Projekten, wahrscheinlich sogar um die gleichzeitige Verfolgung unterschiedlicher und teilweise widersprüchlicher Projekte. Mit diesem Thema habe ich mich mit meiner ForscherInnengruppe intensiv beschäftigt, und daraus ist unter anderem das Buch „Identitätskonstruktionen“ entstanden. Im Zentrum dieses empirisch fundierten Buches stand die Bedeutung psychosozialer Ressourcen für die Gewinnung einer souveränen Selbstdefinition, die aus einer Verknüpfung von oft widersprüchlichen Selbsterfahrungen entstehen kann. Als eine der zentralen Voraussetzungen
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VORWORT
dafür haben wir die Anerkennungsdimension herausgearbeitet. In den „Nachgedanken“1 zu diesem Buch wurde die Frage aufgeworfen, welche Desiderate für die weitere Forschung essentiell sind, und da wurde explizit die frühe Sozialisation der Subjekte im Sinne der aktuellen psychoanalytisch inspirierten Kleinkindforschung angesprochen, über die elementare Grundvoraussetzungen gelingender Subjektwerdung begriffen werden können. Friederike Werschkull hat sich speziell auf diesen Aspekt konzentriert, und mit ihrer zentralen These von der „Subjektwerdung als Antwort auf vorgreifende Anerkennung“ legt sie mit diesem Buch eine kongeniale Weiterführung unserer Identitätsforschung vor. Hier wird deutlich, daß das In-die-Welt-Geworfensein des Neugeborenen anthropologisch gesehen erst einmal ein heteronomer Akt ist, der aber in dem Maße zu einer selbstbestimmten Subjektwerdung werden kann, wie in der frühen Sozialisation die Anerkennung des eigenen Daseins durch die ersten Bezugspersonen erlebt und dann auch zu einer Selbstanerkennung werden kann. Friederike Werschkull liefert mit ihrem Buch einen wichtigen Beitrag zur produktiven Weiterentwicklung der „Reflexiven Sozialpsychologie“.
München zum Jahresbeginn 2007 Heiner Keupp
1
Heiner Keupp, Thomas Ahbe, Wolfgang Gmür, Renate Höfer, Wolfgang Kraus, Beate Mitzscherlich und Florian Straus: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek: Rowohlt 2006 3, S. 298ff.
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Einleitung
Auch nach der viel zitierten Formel vom „Tod des Subjekts“ lebt die Auseinandersetzung mit dem Thema menschlicher Subjektivität weiter fort, sowohl in Prozessen alltäglicher Selbstverständigung als auch in therapeutischer Arbeit und in wissenschaftlichen Studien. Zur Lebendigkeit der fortgeführten Auseinandersetzung gehört dabei durchaus, daß die Diskussion um das Ende des „Projekts der Moderne“ samt seinem Hauptakteur, dem Subjekt, das sich als autonomes entwirft, berücksichtigt wird. Diesem Subjekt könnte man allerdings den bekannten Satz von Mark Twain zuspielen, mit dem dieser die Anzeige seines Todes in der Zeitung kommentiert: „The report of my death was an exaggeration“ (New York Journal, 2.6.1897). Gesteht man zu, daß „eine bestimmte Subjekt-Konzeption ihre erklärende Kraft eingebüßt“ habe (Meyer-Drawe 1990, S. 9), so ist weiter danach zu fragen, welche Revisionen das erhellende und kritische Potential bewahren können, das der Idee des autonomen Subjekts ursprünglich zukam. In der vorliegenden Studie werden Konzepte aus unterschiedlichen Disziplinen vorgestellt, die sich vor dem Hintergrund dieser Problematik mit dem Thema menschlicher Subjektwerdung befassen bzw. die in diesem Kontext zu diskutieren sind.
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
Der erste, sozialpsychologische Teil geht der Frage nach, wie „Subjektivität in der spätmodernen Gesellschaft“1 zu begreifen sei. Die reflexive Sozialpsychologie, die „ihre Themenstellungen an der Nahtstelle von Subjekt und Gesellschaft“ sucht (Keupp et al. 2002, S. 9), legt dar, daß die epochalen gesellschaftlichen Veränderungen seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts „nicht ohne Spuren für das Selbstverständnis der Subjekte bleiben konnten“ (ebd.). Gestützt auf empirische Studien, wird gezeigt, wie sich die Transformationen gesellschaftlicher Lebensbedingungen auswirken auf die Identitätskonstruktionen der Individuen, auf deren Art, sich unter den Bedingungen wachsender Globalisierung, Individualisierung und Entstandardisierung zu entwerfen und Handlungsfähigkeit zu erlangen. Der zweite, entwicklungspsychologische Teil verfolgt die Prozesse, in denen sich Subjektwerdung vollzieht, zurück bis in die frühen Phasen menschlichen Lebens. Von Beginn an entfaltet sich die innere Struktur des Individuums in interaktivem Austausch mit einem anderen. Es wird diskutiert, inwiefern Anerkennungserfahrungen dabei auch in präverbaler Zeit eine Rolle spielen (können). Der dritte Teil enthält eine Zusammenfassung der Diskussionen und schließt mit einem bildungstheoretischen Ausblick. Ich erinnere in einem skizzenhaften Entwurf an bildungstheoretische Traditionen, die die Subjektwerdung thematisieren und die „immer auch Einspruch erhoben“ haben „gegen vorherrschende Welt- und Selbstdeutungen von Menschen“ (Meyer-Drawe 1999, S. 743). Die Frage, inwiefern Anerkennungserfahrungen für die Subjekt-Genese konstitutiv oder förderlich seien, verbindet die unterschiedlichen Zugänge zum Thema. Die verschiedenen theoreti1
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So der Titel der Publikation von Hans-Joachim Busch (2001), die sich mit konzeptuellen Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer psychoanalytisch-sozialpsychologischen Zeitdiagnose befaßt. Einen informativen Überblick über die Spannbreite der Debatte, die heute in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften um den Subjektbegriff geführt wird, liefern Heiner Keupp und Joachim Hohl in dem von ihnen herausgegebenen Band Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel (2006). Die hierin gesammelten Beiträge antworten auf die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich die Strukturveränderungen spätmoderner Gesellschaften auf sozialwissenschaftliche Theorien des Subjekts auswirken.
EINLEITUNG
schen Modelle aus unterschiedlichen Diskurstraditionen sollen darüber hinaus nicht in ein einheitliches, integrierendes System überführt werden, sondern die je spezifischen Bearbeitungsweisen und Problemstellungen sollen in Überschneidungen und Differenzen erkennbar bleiben und die Komplexität des Problemfeldes sichtbar machen. Die Themen-Wahl und Entstehung dieses Buches wurden angeregt durch neuere Studien in sozial- und entwicklungspsychologischen Forschungsfeldern sowie deren Querverbindungen. Hier wie in anderen Disziplinen zeigt sich die Aktualität der Frage nach der Bedeutung von Anerkennungsverhältnissen für die Entwicklung und das Selbstverständnis von Subjekten. Ein Beispiel dafür liefert die Kontroverse um vor-/soziale und präreflexive Momente des Selbst in der Zeitschrift Psyche.2 Die Debatte, die mit Beiträgen von Honneth und Whitebook eröffnet wurde und weite Kreise zieht, greift unter anderem zurück auf Denkfiguren und Modelle aus der Klassischen Psychoanalyse, Objektbeziehungstheorie, Kritischen Theorie und der empirischen Säuglingsforschung. Es geht um die – keineswegs neue – Frage, ob die „Arbeit des Negativen“ oder die Anti-/Sozialität zur natürlichen Grundausstattung des Menschen gehöre und darum, welche Bedeutung Anerkennungserfahrungen in der Primärbeziehung zukomme. H.-J. Busch faßt die Streitfrage schlagwortartig zusammen: „‚Kampf und Anerkennung schließen sich aus’ (Whitebook) und ‚Anerkennung schließt Kampf ein’ (Honneth). Ich würde eine drit2
Whitebook, J. (2001): Wechselseitige Anerkennung und die Arbeit des Negativen; Honneth, A. (2001a): Facetten des vorsozialen Selbst. Eine Erwiderung auf Joel Whitebook; Whitebook, J. (2003): Die Grenzen des ‚intersubjective turn’. Eine Erwiderung auf Axel Honneth; Busch, H.-J. (2003): Intersubjektivität als Kampf und die Anerkennung des Nicht-Intersubjektiven. Kommentar zur HonnethWhitebook-Kontroverse; Warsitz, R.-P. (2003): Anerkennung und Begehren. Anmerkungen zur Intersubjektivitätstheorie des Subjekts; Bedorf, Th. (2004): Zu zweit oder zu dritt? Intersubjektivität, (Anti-)Sozialität und die Whitebook-Honneth-Kontroverse. Siehe zu der Debatte auch Publikationen außerhalb der Psyche: Honneth, A. (2001b): Das Werk der Negativität. Eine psychoanalytische Revision der Anerkennungstheorie; Brede, K. (2004): Überblick über die Kontroverse zwischen Joel Whitebook und Axel Honneth; Wetzel, D. (2004): Intersubjektivität, Alterität, Anerkennung. Eine Kritik des Intersubjektivitätsparadigmas; Warsitz, R.-P. (2004): Zur Dialektik der Intersubjektivität.
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
te Position beziehen: ‚Kampf um Anerkennung ist immer nur die eine Seite der Realität von Intersubjektivität; Intersubjektivität ist immer zugleich Kampf gegen Anerkennung’“ (Busch 2003, S. 263). Im Rückgriff auf Lorenzers Theorie der Interaktionsformen bzw. dessen sozialisationstheoretische Reformulierung der Freudschen Triebtheorie legt Busch dar, daß „die Verbindung zwischen Psychoanalyse und Interaktionismus viel tiefer angesetzt werden“ könne „als es Whitebook und Honneth [...] ahnen lassen’ (ebd., S. 272). Er plädiert für „die Anerkennung des Nicht-Intersubjektiven“. Dabei unterscheidet Busch zwischen innerer Natur und Interaktion. „Es gibt einen biologischen Ausgangspunkt der Biographie, der sich durch alle Sozialisationsschritte als Leib seine Eigenständigkeit nicht nehmen läßt. Der Einfluß eines Elements naturhafter Leiblichkeit bleibt für die wie immer intersubjektiv verfaßte Lebensgeschichte eines Individuums doch entscheidend“ (ebd., S. 273). Die vorliegende Studie widmet sich den so umrissenen Problemstellungen, versucht sie aber mit Hilfe anderer theoretischer Modelle zu reflektieren. In der Antwort auf die Zuschreibungen, Herausforderungen und Zumutungen, die das Individuum durch andere Menschen, die Welt der Dinge und Ereignisse unterschiedlichster Art erfährt, kommt seine eigentümliche Zwittergestalt zum Ausdruck: die Unverfügbarkeit seiner Spontaneität und Intentionalität sowie seine Rezeptivität, Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf anerkennende Erfahrungen. Die These, daß Subjektwerdung sich als Antwort auf vorgreifende Anerkennung verstehen lasse, sollen die folgenden Studien erläutern und begründen.
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„Figurationen“ in der Spätmoderne. Sozialpsychologische Zugänge zum Subjekt
Zur Veränderungsdynamik der Gesellschaft Fragt man nach dem menschlichen Subjekt, den Prozessen seiner Entstehung und seinem Werdegang1, so sieht man sich verwiesen auf die Untersuchung von Beziehungen und Verhältnissen, in denen das Individuum situiert ist. Wie zu zeigen sein wird, läßt sich Subjektwerdung verstehen als komplexes Handlungs- und Reflexionsgeflecht, das sich zwischen Menschen aufbaut und inmitten einer Welt natürlicher Gegebenheiten und technisch sowie künstlerisch hergestellter Dinge. Dabei ergeben sich zum einen Austauschprozesse, die sich eher in einer horizontalen Dimension beschreiben lassen als Formen wechselseitiger Einflußnahme. Die Zeitstruktur dieser Interaktionen ist einer Mikroebene zuzuordnen, auf der sich konkrete Handlungen und Erlebnisse von Individuen ereignen. Was als Gleichzeitigkeit erscheinen mag, läßt sich analysieren bis hin zu kleinsten Sequenzen wie sie etwa in
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Ausgespart bleibt der Tod des Subjekts – nicht jener im Sinn des postmodernen Schlagworts, sondern das Sterben, das als plötzlicher Abbruch oder Vollendung eines Verfallsprozesses zum Werdegang des Subjekts hinzugehört, aber in alltäglichen oder wissenschaftlich-technischen Diskursen und Praxisformen tabuisiert und „totgeschwiegen“ wird. Er findet auch in der vorliegenden Arbeit über das Innewerden dieser Lücke hinaus keine Berücksichtigung.
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
der neueren empirischen Säuglingsforschung mit Hilfe von Zeitlupentechnik bei Videoaufnahmen bzw. deren Wiedergabe untersucht werden (Dornes 2000, S. 37f.). Zum andern gehen die Prozesse wechselseitigen Austausches mit Veränderungen einher, die sich eher in einer vertikalen Dimension als historisch-gesellschaftlicher Wandel beschreiben lassen. Diesem Strukturwandel sind die Interaktionen einzelner Individuen unterworfen, und sie bringen ihn zugleich durch die Dynamik ihrer Beziehungen mit hervor. Das Ineinandergreifen individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen, das so stark anzunehmen ist, daß eine Auftrennung in die beiden genannten Seiten eher eine künstliche Abstraktion von tatsächlichen Verhältnissen darstellt, macht Norbert Elias mit der Einführung des Konzepts der „Figuration“ deutlich. In seinen Studien Über den Prozeß der Zivilisation wendet er sich gegen die unhinterfragte Annahme, der Mensch sei ein „homo clausus“. Er führt kulturgeschichtliche Beispiele an, die zeigen, „wie beharrlich und wie selbstverständlich in den Gesellschaften der europäischen Neuzeit das Empfinden von Menschen ist, daß ihr eigenes ‚Ich’, ihr eigentliches Selbst, etwas im ‚Innern’ von allen andern Menschen und Dingen ‚draußen’ Abgeschlossenes ist, obgleich [...] niemand es besonders einfach findet, klar und deutlich festzustellen, wo und was die greifbaren Wände oder Mauern sind, die dieses Innere, wie ein Gefäß seinen Inhalt, umschließen und von dem, was ‚draußen’ ist, abschließen“ (Elias 1997, Bd. I, S. 59).
Dem Bild vom Menschen als homo clausus setzt Elias „das Bild des Menschen als einer „offenen Persönlichkeit“ entgegen, „die im Verhältnis zu andern Menschen einen höheren oder geringeren Grad von relativer Autonomie, aber niemals absolute und totale Autonomie besitzt, die in der Tat von Grund auf Zeit ihres Lebens auf andere Menschen ausgerichtet und angewiesen, von andern Menschen abhängig ist. Das Geflecht der Angewiesenheiten von Menschen aufeinander, ihre Interdependenzen, sind das, was sie aneinander bindet. Sie sind das Kernstück dessen, was hier als Figuration bezeichnet wird, als Figuration aufeinander ausgerichteter, voneinander abhängiger Menschen. Da Menschen erst von Natur, dann durch gesellschaftliches Lernen, durch ihre Erziehung, durch Sozialisierung, durch sozial erweckte Bedürfnisse gegenseitig voneinander mehr oder weniger abhängig sind, kommen Menschen, wenn man es einmal so ausdrücken darf, nur als
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„F IGURATIONEN“ IN DER SPÄTMODERNE
Pluralitäten, nur in Figurationen vor. [...] Der Begriff der Figuration ist gerade darum eingeführt worden, weil er klarer und unzweideutiger als die vorhandenen begrifflichen Werkzeuge der Soziologie zum Ausdruck bringt, daß das, was wir ‚Gesellschaft’ nennen, weder eine Abstraktion von Eigentümlichkeiten gesellschaftslos existierender Individuen, noch ein ‚System’ oder eine ‚Ganzheit’ jenseits der Individuen ist, sondern vielmehr das von Individuen gebildete Interdependenzgeflecht selbst“ (ebd., S. 70f.).
Mit dem Konzept der Figuration erfaßt Elias in detailreichen Studien zum Zivilisationsprozeß Veränderungen im sozialen Zusammenleben.2 Diese werden dabei weder auf menschenlose Systemtransformationen reduziert, noch auf a-soziale Personmerkmale zurückgeführt. Statt dessen zeichnet Elias historisch konkrete Gestalten des Interaktionsgeflechts nach. In den Figurationen werden bestimmte Formen sozialer Einbindung hergestellt, die 2
Auf problematische Aspekte der Figurationssoziologie sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen. Joachim Hohl etwa merkt dazu an: „Das Figurationskonzept von Elias mag den empirischen Phänomenen angemessener sein als die klassische Gegenüberstellung von ‚Individuum und Gesellschaft’. Verloren geht bei diesem Gesellschaftsbegriff allerdings das kritische Potential, das in jener begrifflichen Dichotomie implizit enthalten war; denn in dieser war noch etwas aufbewahrt von dem, was in der Hegel-Marxschen Tradition als ‚Entfremdung’ bezeichnet wurde, nämlich die Tatsache, daß die Gesellschaft, die doch nichts anderes ist als das gemeinsame Produkt der Individuen, jedem einzelnen als fremde Macht gegenübertritt; daß sie, wiewohl von Menschen ‚gemacht’, nach ihren eigenen Gesetzen funktioniert und sich dem planenden Zugriff der Individuen weithin entzieht“ (Hohl 1993, S. 49). Auch Gabriele Klein legt in ihrer Rekonstruktion des Subjektbegriffs bei Norbert Elias dar, daß dieser den Menschen als ein „durchweg durch die jeweilige Figurationsordnung entstandenes Produkt“ versteht, das „ohne Rest in den gesellschaftlichen Verhältnissen aufgeht“ (Klein 2006, S. 192), während Marx noch einen „emphatischen Subjektbegriff“ (ebd.) hatte, der ein Verlangen nach Freiheit impliziert und der zum Maßstab für seine Gesellschafts- und Entfremdungskritik werden konnte. Auf eine weitergehende Diskussion zu Elias’ Ansatz, die unter anderem auch die inzwischen umfangreich vorgetragene Kritik an seinem Umgang mit kunstgeschichtlichen Quellen zu berücksichtigen hätte, kann im Kontext der vorliegenden Arbeit verzichtet werden, da Elias’ Theorie hier nur herangezogen wird, um die Vorstellung der Verflochtenheit von gesellschaftlichen und individuellen Entwicklungen darzulegen.
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
sich im Verlauf geschichtlicher Entwicklungen verändern. So kommt die Gleichzeitigkeit makrogesellschaftlicher und subjektspezifischer Entwicklungen in den Blick. Soziale Prozesse, Veränderungen von Verhaltensweisen und psychischen Strukturen sind ineinander verwoben, so daß auch die Vorstellung einer ahistorischen Triebnatur und eines invarianten Affekthaushalts verabschiedet werden. „Es ändert sich die Art, in der die Menschen miteinander zu leben gehalten sind; deshalb ändert sich ihr Verhalten; deshalb ändert sich ihr Bewußtsein und ihr Triebhaushalt als Ganzes“ (Elias 1997, Bd. II, S. 388). Menschliche Bedürfnisse und Verhaltensweisen erscheinen somit als immer schon gesellschaftlich modellierte und historisch variable Phänomene. Geht die vorliegende Untersuchung also im Anschluß an Elias’ Figurationskonzept davon aus, daß Subjektwerdung nicht unabhängig von soziokulturellen Verhältnissen zu verstehen ist, so muß bei der Behandlung des Themas auch die gegenwärtige gesellschaftlich-kulturelle Situation berücksichtigt werden. Daher sollen im folgenden wenigstens in skizzenhafter Vereinfachung einige Ergebnisse von Analysen der spätmodernen Gesellschaft rekapituliert werden. „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisie-Epoche vor allen früheren aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen“ (Marx/Engels 1979 [1848], S. 27).
Umwälzung, Erschütterung, Unsicherheit, Bewegung, Auflösung, Verdampfung – mit diesen Worten, die verschiedene Spielarten von Veränderung und Diskontinuität ausdrücken, beschreibt Karl Marx 1848 die Dynamik gesellschaftlicher Verhältnisse und menschlichen Erlebens. Dabei geht es um Veränderung als Prinzip. Zwar unterlegt der Marxismus insgesamt der Menschheitsgeschichte im Sinne einer „großen Erzählung“ eine Richtung, die sich durch das Gewirr aller Geschehnisse hindurch erkennen las-
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„F IGURATIONEN“ IN DER SPÄTMODERNE
se, doch in dieser Passage wird nicht eine Entwicklung hin zu wachsender Integration nachgezeichnet, keine Höherbildung, die in gelungeneren Organisationen oder Gestalten ihr Ziel fände, sondern unterstrichen wird hier die fortwährende Erneuerung als Auflösung je neu gebildeter Formen, der stete Wandel als das einzig Dauerhafte. Liest man diesen kurzen Textauszug als Beispiel für eine Zeitdiagnose der bürgerlichen Epoche oder der klassischen Moderne, so verblüfft – bei allem Befremdlichen, das der Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts für heutige Leser inzwischen hat – die Aktualität der zugrundeliegenden Aussage. Denn auch in den Diagnosen der gegenwärtigen Verfaßtheit westlicher Kulturen und Gesellschaften tauchen ähnliche Merkmale auf: Schnellebigkeit, der rasche Wechsel neuer gesellschaftlicher Formationen, Wahrnehmungs- und alltäglicher Verhaltensweisen. Damit sind aber offenbar nicht Spezifika der sogenannten Postmoderne benannt, wie vielfach behauptet wurde, sondern Signaturen der Moderne. Versucht man, die epochalen Veränderungen zu kennzeichnen, die sich seit den späten sechziger oder siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den westlichen Industriegesellschaften bemerkbar machen, so sind sie eher als Beschleunigung und Radikalisierung schon vorhandener Prozesse zu begreifen. In diesem Sinn schreibt Ulrich Beck von einem Bruch „innerhalb der Moderne“. Sie löse sich „aus den Konturen der klassischen Industriegesellschaft“ heraus und präge eine neue Gestalt aus, die er „Risikogesellschaft“ nennt (Beck 1986, S. 13). In der Folge unterscheidet Beck zwischen „Modernisierung der Tradition und Modernisierung der Industriegesellschaft oder, anders gesagt: zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung“ (ebd., S. 14; Kursivdruck im Original). Auch Anthony Giddens weist die oft allzu einfach vorgetragene Gegenüberstellung von Moderne und Postmoderne zurück: „Wir treten nicht in eine Periode der Postmoderne ein, sondern wir bewegen uns auf eine Zeit zu, in der sich die Konsequenzen der Moderne radikaler und allgemeiner auswirken als bisher“ (1995, S. 11). Giddens ermittelt Diskontinuitäten, die die gesellschaftlichen Institutionen der Moderne von den sozialen Ordnungen der Tradition trennen. Dabei führt er unter anderem folgende Merkmale auf: erstens „die schiere [das heißt extreme] Geschwindigkeit des Wandels, der von der Moderne in Bewegung gesetzt wird“, zweitens die „Reichweite des Wandels“ (ebd., S. 14f.). Letztere ergebe sich daraus, daß zwischen verschiedenen Berei-
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VORGREIFENDE ANERKENNUNG
chen des Erdballs Verbindungen hergestellt werden, so daß „Wogen der sozialen Umgestaltung praktisch über die gesamte Oberfläche der Erde“ schwappen. Zudem werden neuerdings weitere Gruppen und Schichten innerhalb einer Gesellschaft von den Veränderungen erfaßt, die als solche schon länger in Gang waren und die Lebensläufe der jeweils Betroffenen geprägt haben. Gehörte es früher zur lebensweltlichen Erfahrung dieser Menschen, an den Rand der (modernen) Gesellschaft gedrängt zu werden und im Vergleich zu anderen Gruppen weniger in Sicherungssystemen eingebunden zu sein, so wiederholt sich die Marginalisierung leicht auf theoretischer Ebene, indem solchen Lebensläufen jegliche Aufmerksamkeit entzogen wird. Das sollte nicht unterschlagen werden oder in Vergessenheit geraten, wenn man von qualitativen Neuerungen der Spätmoderne spricht. Die Umgestaltungsprozesse, die sich in Hinsicht auf Tempo und Reichweite am Ende des 20. Jahrhunderts steigern, sind unter den Stichworten „Individualisierung“ und „Pluralisierung“ vielfach beschrieben worden. Ulrich Beck führt das Individualisierungstheorem ein, um den „Anfang eines neuen Modus der Vergesellschaftung“ (ebd., S. 205) zu kennzeichnen, als eine Art „Gestaltwandel“ im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Er erläutert, daß Modernisierung nicht nur „zur Herausbildung einer zentralisierten Staatsgewalt, zu Kapitalkonzentrationen und zu einem immer feinkörnigeren Geflecht von Arbeitsteilungen und Marktbeziehungen, zu Mobilität, Massenkonsum usw.“ führte, sondern auch „zu einer dreifachen ‚Individualisierung’: Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (‚Freisetzungsdimension’), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (‚Entzauberungsdimension’) und [...] eine neue Art der sozialen Einbindung (‚Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension’)“ (kursiv im Original; Beck 1986, S. 206).
Zur Ausräumung von Mißverständnissen verweist Beck darauf, daß Individualisierung nicht gleichzusetzen sei mit Individuation, Personwerdung, Singularität oder Emanzipation; statt eine subjektive Bewußtseinslage oder Umgangsweise mit gesellschaftlichen
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Bedingungen zu erfassen, ziele der Begriff auf ein historisch-soziologisches Geschehen. Er sei als „gesellschaftsgeschichtliche Kategorie“ zu verstehen, als Kategorie, die „in der Tradition der Lebenslagen- und Lebenslaufsforschung“ stehe (ebd., S. 207). Das Individualisierungskonzept verweist auf die biographischen Folgen von Modernisierungsprozessen. Im Zuge der Herausbildung eines komplexen, von globalen Interdependenzen geprägten Wirtschaftssystems, fortschreitender Urbanisierung, Mobilität, technologischer Innovationen etc. entwickeln sich zugleich neue Muster des Lebenslaufs, neue Denk- und Verhaltensweisen. Sie stehen in einem dialektischen Verhältnis zu den veränderten Anforderungen und Erwartungen in den Bereichen Arbeit, Ausbildung, Freizeit und Familie, insofern sie zum einen Anpassungen an gesellschaftliche Transformationen darstellen, zum andern letztere wiederum mit anstoßen und befördern. Die tiefgreifenden zivilisatorischen Umgestaltungen auf der sozialen Makroebene wirken sich aus in der Alltagskultur, in den Zielen, Werthaltungen, Lebensentwürfen und im Handeln der Menschen. Für den einzelnen bringen die Neuerungen 1. eine Lockerung traditioneller Kontrollen und damit vergrößerte Handlungsspielräume sowie einen Zuwachs an Wahlmöglichkeiten in bezug auf Wohnort, Ausbildung, Lebensstil und Beziehungsgestaltung; 2. den Verlust traditioneller Stabilitäten. Da die überlieferten Bindungen nicht nur kontrollierende und einschränkende Wirkungen besaßen, sondern auch Schutz, Halt, Orientierung und soziale Einbettung boten, stellen die Freisetzungsprozesse zugleich auch einen Verlust eben dieser stützenden Strukturen dar. Bindungslosigkeit und Überforderung des einzelnen bei der Aufgabe, sich unter den Bedingungen erhöhter Mobilität und Flexibilität seine sozialen Netzwerke auf der Grundlage eigener Entscheidungen aufzubauen, sind die Kehrseite des Zugewinns an Freiheit. So eröffnen Individualisierungsprozesse etwas durchaus Ambivalentes; es ergeben sich für das Individuum „riskante Chancen“, wie Heiner Keupp es prägnant formuliert (Keupp 1988). 3 Selbst 3
Zum „Doppelgesicht von Individualisierungsprozessen“ siehe auch Beck-Gernsheim (1993, S. 136 ff.).
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verantwortete Gestaltungen des Lebensganges, aktive Eigenleistungen werden dem einzelnen sowohl zugestanden als auch abverlangt. Und mit den erweiterten Möglichkeiten erhöhen sich auch die des Scheiterns. Allerdings kommen – allen Freisetzungsprozessen zum Trotz – gegenläufig neue Abhängigkeiten und Standardisierungen auf, in die subjektive und objektive Faktoren eingehen (siehe Keupp 1993c, S. 258). Und es bleibt zu bedenken, daß jene Transformationen nicht außer Kraft gesetzt sind, die Norbert Elias beschrieben hat als Überführung von „Fremdzwang“ in eine „Selbstzwangapparatur“4. Von hier aus kehrt die Skizzierung der Veränderungen in der spätmodernen Gesellschaft zu den Ausgangsüberlegungen zurück, nämlich in Anschluß an Elias’ Figurationsbegriff zur Darlegung, daß individuelle und gesellschaftliche Entwicklungen unauftrennbar ineinandergreifen. Makrogesellschaftliche Neuerungen gehen stets einher mit subjektspezifischen, und der beschleunigte Transformationsprozeß der Spätmoderne, der sich „vor dem beängstigenden Hintergrund folgenreicher Risiken abspielt“, ist „ein Prozeß der gleichzeitigen Umgestaltung der Subjektivität und der globalen Gesellschaftsorganisation“, wie auch A. Giddens hervorhebt (1995, S. 218). Im folgenden Schritt soll der Frage weiter nachgegangen werden, wie die sozialstrukturellen Merkmale aus der Perspektive der Individuen wahrgenommen werden, was sie für ihre biographischen Entwürfe bedeuten, wie sich Subjekte unter den Bedingungen gesellschaftlicher Individualisierung verorten und entwickeln. Damit ist das genuin sozialpsychologische Terrain betreten, und es wird eine vorbereitende Grundlage geschaffen für die Untersuchung der Zusammenhänge von sozialer Anerkennung und Sub-
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Elias (1997, Bd. II, S. 324ff. u.ö.). Interessant ist im Kontext der vorliegenden Studie vor allem, daß Elias im Problem der Anerkennung die Kraft ausfindig macht, die die Transformation von Fremdzwängen in eine Selbstzwangapparatur bewirkt: „Die Angst vor dem Verlust oder auch nur vor der Minderung des gesellschaftlichen Prestiges ist einer der stärksten Motoren zur Umwandlung von Fremdzwängen in Selbstzwänge“ (ebd., S. 377). Im Anschluß daran hat Sighard Neckel die Scham als Reaktion auf Erfahrungen des Achtungsverlusts genauer beschrieben (1993; siehe unten, S. 64f.).
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jektwerdung, die Thema des darauffolgenden Abschnitts sein wird.
S e l b s t v e r o r t u n g i n m i t t e n s o z i a l e r U m b r üc h e Den aufgeworfenen Fragen danach, welche Folgen die Modernisierungsprozesse für die Individuen haben, widmet sich die reflexive Sozialpsychologie. Sie sucht allgemein ihre Themenstellungen an den „Nahtstellen von Subjekt und Gesellschaft“ (Keupp 1993b, S. 7), und die Forschungsgruppe um Heiner Keupp greift insbesondere die hier interessierenden Fragen nach dem veränderten Selbstverständnis der Subjekte in den aktuellen sozialen Umbrüchen auf. Reflexiv ist ihr Ansatz in mehrfacher Hinsicht (ebd., siehe insbesondere S. 16ff.): 1. Das Subjekt erscheint, anders als dies in der nomothetisch orientierten Psychologie geschieht, als historisch konstituiert; das heißt die sozialgeschichtlichen Bedingungen menschlichen Empfindens und Verhaltens sowie der entsprechenden theoretischen Modelle hierzu werden reflektiert. 2. Unter Einbeziehung psychoanalytischer Konzepte und des Ansatzes der Kritischen Theorie wird die Sozialpsychologie kritisch-reflexiv gegenüber den Selbstverständlichkeiten des herrschenden Alltagsbewußtseins und -empfindens. 3. Konfrontiert mit Einsichten feministischer Studien, reflektiert die Sozialpsychologie geschlechtsspezifische Differenzen, das heißt sie überwindet die bedenkenlose Gleichsetzung von Männlichem mit Menschlichem. 4. Die wissenschaftlichen Konstrukte werden reflektiert, indem das jeweils erarbeitete Wissen, die konzeptuellen Annahmen vom Subjekt und psychosozialen Phänomenen in ihrer Verflochtenheit mit gesamtgesellschaftlichen Erkenntnis- und Praxissystemen betrachtet werden. 5. Die untersuchten kulturellen, gesellschaftlichen und subjektiven Phänomene der Gegenwart verlieren den Charakter des Selbstverständlichen, lösen sich aus tradierten Normalitätsvorstellungen und werden im Zuge der Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse selber reflexiv.
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6. Reflexiv wird schließlich auch das Methodenverständnis in der Aufnahme von Vorgehensweisen der qualitativen empirischen Sozialforschung. Im Sinne des so umrissenen Forschungsansatzes legen diverse Studien dar, daß das Subjekt sich infolge der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandlungsdynamik und der damit einhergehenden Auflösung tradierter biographischer Schablonen zunehmend seine Lebensentwürfe selber auswählen und gestalten muß. Überlieferte Vorgaben, die bislang durch normierende und stützende Regelungen den Lebenslauf des Individuums steuerten, verlieren im Zuge der skizzierten Individualisierungsprozesse immer mehr an bestimmendem Einfluß. Der einzelne, freigesetzt aus der Selbstverständlichkeit sozialer und kultureller Bindungen, sieht sich einer Vielfalt von Optionen gegenüber, zwischen denen er Entscheidungen treffen muß auf der Grundlage mehr oder weniger reflektierter Abwägungen. Er kann „bei seiner eigenen Biographiebastelei und Identitätsarbeit“ (Keupp 1997, S. 16) immer weniger auf ordnende Rahmen und unhinterfragt geltende Deutungsmuster zurückgreifen. Er sieht sich, inmitten von Erosionsprozessen, die seine berufliche und private Erfahrungswelt kennzeichnen, vor die Aufgabe gestellt, seinen Werdegang in Ausbildung, Beruf und Arbeitslosigkeit, seine Beziehungen und sozialen Netze, politische, religiöse und kulturelle Einbindungen in höherem Maß selbst auszuwählen und zu organisieren als dies in früheren Phasen der Modernisierung der Fall gewesen ist. Bevor nun einige Ergebnisse aus sozialpsychologischen Studien genauer rekapituliert werden, die weiteren Aufschluß darüber geben, wie sich die einzelnen unter der Bedingung wachsender Globalisierung, Individualisierung und Entstandardisierung entwerfen und Handlungsfähigkeit erlangen, wie – anders formuliert – Selbst-Konstruktionen beschaffen sind, ist die Verwendung einiger zentraler Begriffe zu bedenken.
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Exkurs: Zur Verwendung der Begriffe „Subjekt“, „Selbst“, „Identität“ Eine umfassende oder eingehende Klärung der Begriffe „Subjekt“, „Selbst“ und „Identität“ kann, obwohl sie in der vorliegenden Studie einen wichtigen Stellenwert haben, hier nicht erbracht werden. So unüberschaubar ist der uneinheitliche und inkonsistente Gebrauch dieser Begriffe innerhalb psychologischer, sozialwissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Ansätze sowie einzelner Studien, daß jeder Versuch, definitorische Klärungen herbeizuführen, zum Scheitern verurteilt wäre. Was Odo Marquard von der Identitätsdiskussion schreibt, nämlich es handle sich dabei um eine „Problemwolke mit Nebelwirkung“ (Marquard 1979, S. 347), trifft auf die Verwendung der anderen genannten Begriffe ebenfalls zu. Und auch eine begriffsgeschichtliche Übersicht, die im Sinne einer reflexiv vorgehenden Wissenschaft wünschenswerter wäre als eine definitorische Festlegung, muß im Rahmen der vorliegenden Untersuchung unterbleiben, weil die theoretischen Traditionen schon jedes einzelnen Begriffs viel zu weitläufig und komplex sind. Statt dessen müssen zur groben Orientierung wenige ausgewählte Hinweise genügen. Auch ist die Trias von „Subjekt“, „Selbst“ und „Identität“ als lockere Reihung zu verstehen, die um die Begriffe „Ich“, „Individuum“, „Person“, „Persönlichkeit“ mit einigem Recht erweitert werden könnte. Begegnet letzterer am ehesten in nomothetisch ausgerichteten psychologischen Forschungsarbeiten, operationalisiert und bestimmt als individuelle Ausprägung der in einem Zusammenhang stehenden psychischen Funktionen, Eigenschaften (traits), Gewohnheiten, Einstellungen o.a. Dispositionen (siehe Schneewind 1992), so tauchen die zuerst genannten Begriffe auch in Studien der reflexiven Sozialpsychologie auf. In die Begriffe oder in das durch sie Bezeichnete geht dabei die Struktur der Reflexivität ein, insofern sie weniger etwas Faktisches erfassen, vielmehr ein Verhältnis des Individuums zu sich selbst, zu seinen Möglichkeiten, die sozial vermittelt sind. „Identität“ etwa erscheint dann nicht (mehr) als verfestigte Eigenschaft, als Prägung durch Rollenübernahme, sondern als offener Prozeß, Aufgabe und Projekt. Die sozialpsychologische Forschung der Gegenwart wurzelt mit dieser Ausrichtung in einer theoriegeschichtlichen Tradi-
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tion, die kurz erwähnt sei. Und zwar verweist die Auffassung des Selbstverhältnisses des Individuums auf William James, der seinerseits Überlegungen der Identitätsphilosophie aufnimmt, wenn er die von Leibniz und Kant eingeführte Unterscheidung zwischen „reinem“ und „empirischem Ich“ in der Differenzierung eines „pure ego“ vom „Me“ fortführt (siehe Deusinger 1990, Schönpflug 1995). Dabei meint das reine Ich den reflektierenden oder reflexionsfähigen Subjekt-Anteil der Person, das empirische Ich das Objekt der Reflexion. Beide zusammen bilden das „Selbst“, die organisierte Persönlichkeit als Ganzes. George Herbert Mead greift diese Differenzierung auf in der Gegenüberstellung von „I“ und „Me“. Zugleich radikalisiert er die interaktionistische Facette des Begriffs; denn während sie für James nur eine („social self“) neben den beiden anderen: dem physisch-materiellen und dem kognitionspsychologischen („spiritual self“) ausmacht, ist das soziale Selbst für Mead nicht nur eine Komponente des Selbst, sondern das Selbst erscheint als schlechthin sozial konstituiert. Der Theorie des Symbolischen Interaktionismus zufolge entsteht das, was einer ist, aus dem, was er für die Gesellschaft vorstellt. Durch die Internalisierung des generalisierten Anderen bildet sich die Identität der Person. Dabei betonen neuere Forschungsarbeiten, die an diese Theorietradition anknüpfen, daß der Identitätserwerb nicht als abschließbares Ergebnis, sondern als Prozeß zu verstehen sei, der lebenslangen Umgestaltungen, Reflexions- und Anpassungsleistungen unterworfen ist. Während Erikson, dessen Identitätsbegriff sich weitgehend mit dem deckt, was andere Autoren „Selbst“ nennen, die Aufgabe der Identitätsbildung noch als vorrangige Problematik der Adoleszenz zuordnet, betonen neuere Arbeiten, daß die Herstellung von Ich-Identität unter den Bedingungen der spätmodernen Gesellschaft lebenslang eine zentrale Aufgabe bleibe. Ihre Dringlichkeit verblasse jenseits des Jugendalters nicht. In der Beantwortung der Frage „Wer bin ich?“ stelle sich Identität dar. Diese Frage komme nicht zur Ruhe; sie verliere – im Unterschied zu Eriksons Konzept der Abfolge psychosozialer Krisen – ihren Prioritätsanspruch in der phasenspezifischen Zuordnung zur Adoleszenz. Sie behalte vielmehr ihre Dringlichkeit über die ganze Lebensspanne des Menschen; denn sie frage nach dem Platz des Ich im gesellschaftlichen Zusammenhang, die soziale Realität sei jedoch in der Gegenwart massiven Veränderungen unterworfen, so daß auch die je gefundenen Antworten auf
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die Frage „Wer bin ich?“, das heißt die je erbrachte Integration in soziale Zusammenhänge, aus der Selbstgewißheit entstehe, unter dem Druck der umfassenden gesellschaftlichen Transformationen immer wieder hinfällig oder revisionsbedürftig werde. Konsequenterweise beschäftigen sich deshalb Studien im Bereich der Identitätsforschung zunehmend mit dem Selbst oder der Persönlichkeitsentwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg bis ins hohe Alter (siehe Baltes/Baltes 1990, Freund 2000, Greve 2000, Staudinger 2000). Auffallend ist, daß auch in empirischen Studien zur Psychologie des Selbst, die sich dem naturwissenschaftlich-nomothetischen Forschungsparadigma verpflichtet fühlen, zunehmend versucht wird, das Moment der Reflexivität zu erfassen. Zunächst stand in empirischen Arbeiten das Interesse am Objekt der Selbstreflexion, am „Me“, im Vordergrund. Es wurde zum Beispiel als „Selbstdefinition“ inhaltlich bestimmt, als System von selbstbezogenen Überzeugungen. Später wurden die Untersuchungen erweitert um den Aspekt der „Selbstregulation“, jene Instanz, die eher an das anknüpft, was in der Sprache der skizzierten sozialpsychologischen Tradition „I“ genannt worden ist. Unter dem Begriff „Selbstregulation“ werden Prozesse zusammengefaßt, mit deren Hilfe eine Person ihr Verhalten, Denken und Fühlen nach Maßgabe eigener Pläne, Ziele und Standards beeinflußt, modifiziert und kontrolliert (siehe Freund 2000). Nicht zuletzt durch die Differenzierung von Real- und Ideal-Selbst („possible selves“; Markus et al. 1986), zwischen der sozialen Gebundenheit und den auf die Zukunft gerichteten Wünschen des Individuums, wird ein Spielraum für Reflexionen eröffnet und damit eine determinierende oder objektivierende Festlegung des Selbst überwunden. Insgesamt läßt sich anhand der Studien zum Selbst deutlich nachweisen, daß wissenschaftliche Ansätze die erforschten Gegenstände selbst mit konstituieren. Die theoretischen Konzepte, Methoden der Datenerhebung, -auswertung und -interpretation, sowie die Operationalisierung der zu untersuchenden Phänomene stehen diesen nicht neutral als Instrumente der Forschung gegenüber, sondern bringen sie in spezifischer Art mit hervor. Diese Einsicht knüpft an die neuzeitliche Begründung der Methodenreflexion durch Descartes und ihre Anwendung auf die gesamte Erkenntnistheorie in Kants „Kopernikanischer Wende“ an; ihr zufolge wird die Konstitution eines erfaßten Objekts ganz auf die
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Struktur der Erkenntnis zurückgeführt. 5 So kann man auch anhand der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Forschungsarbeiten belegen, wie stark die erarbeiteten Aussagen über den behandelten Gegenstand abhängen von der jeweiligen Herangehensweise an ihn. Man wendet sich dem Subjekt, über das man Näheres erfahren möchte, mit je spezifischen Instrumentarien zu, und dementsprechend erscheint dieses untersuchte Phänomen in anderer Gestalt. Es ist weniger eine „pure“ oder „nackte“ Tatsache, die lediglich beobachtet und entdeckt wurde, vielmehr erscheint sie „verunreinigt“ bzw. zugleich wieder verhüllt durch unseren Wahrnehmungsakt oder unsere Erkenntnisbemühungen. Das interessierende Subjekt wird in wissenschaftlich-theoretischen Arbeiten beispielsweise als „Selbst-Konzept“ vorgestellt, in Werken der Malerei kommt es hingegen als „SelbstBild“ in den Blick. In ein Selbst-Bild werden ganz andere – ikonographische – Strukturprinzipien eingehen wie zum Beispiel die Gestaltung von Vorder- und Hintergrund, Perspektive, Farbe, Lichtverhältnissen usw. Mittels dieser Gestaltungsprinzipien werden bestimmte Bedeutungen generiert, die in kunstgeschichtlich vergleichenden Studien aufzuspüren sind. So geläufig ist uns generell die optische Wahrnehmung als Erkenntnismittel, daß uns auch die Reflexion der eigenen Person im optischen Medium, ein „Selbst-Bild“ und seine gestalterische Darstellung in der Malerei vertraut sind, ganz befremdlich aber so etwas wie ein „SelbstKlang“. Die sozialwissenschaftlichen und psychologischen Forschungen, die sich dem Subjekt zuwenden, orientieren sich interessanterweise bei der Erfassung des Selbst an ihren eigenen Mit5
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Siehe auch die neukantianische Fortführung zum Beispiel in Cassirers Auffassung der „symbolischen Formen“. In der Diskussion der „Tatsachen“ der Physik und den „Fakten“ der Geschichte schreibt er: „Hier bewährt sich alsbald die Wahrheit und Tiefe von Goethes [im Original gesperrt gedruckt] Wort: das Höchste wäre es, zu erkennen, daß alles Faktische schon Theorie ist. Es gibt keine Faktizität an sich, als ein absolutes, ein für allemal feststehendes und unveränderliches Datum: sondern was wir ein Faktum nennen, muß immer schon in irgendeiner Weise theoretisch orientiert, muß im Hinblick auf ein gewisses Begriffssystem gesehen und durch dasselbe implizit bestimmt sein. Die theoretischen Bestimmungsmittel treten nicht nachträglich zum bloß-Tatsächlichen hinzu, sondern sie gehen in die Definition des Tatsächlichen selbst ein“ (Cassirer 1994, S. 477).
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teln wissenschaftlicher Arbeit, nämlich an „Konstrukten“, „Theorien“ oder „Konzepten“. So ist beispielsweise vom „SelbstKonzept“ die Rede. Offen bleibt bei diesem Kompositum, ob es sich, theoretisch-objektivierend, um ein Konzept handelt, das man in der wissenschaftlichen Arbeit entwirft, um das „Selbst“ zu beschreiben, oder ob es, lebensweltlich gewendet, als eine Art Plan oder Entwurf zu verstehen ist, den das Individuum von sich selber macht. Im Sinne dieser lebensweltlichen Auslegung begegnet der Begriff „Selbst-Konzept“ in Studien, die durch die kognitive Wende der Psychologie gekennzeichnet sind. In der Zurückweisung eines naiven Realismus wird betont, daß der Mensch Wirklichkeit nicht einfach abbilde, sondern seine Erfahrungen in konzeptuellen Systemen organisiere. „Genau wie der Wissenschaftler“ konstruiere jedes Individuum „seine Theorie von der Wirklichkeit“ und ordne „somit, was ohne eine solche Theorie chaotische Erfahrungswelt bliebe“ (Epstein 1979, S. 15). Die „Selbsttheorie“ als eine Subtheorie über die eigene Person trete dabei neben die „Umwelttheorie“ und mit dieser in eine Wechselwirkung. Epstein nimmt an, daß das Selbstkonzept „in der Tat eine Selbsttheorie“ [kursiv im Original] darstelle, welche Menschen zwangsläufig entwickeln müssen, weil sie für die Steuerung ihres Lebens notwendig sei. Die Selbsttheorie stelle zusammen mit der Umwelttheorie die Realitätstheorie einer Person dar, welche dem „gesamten konzeptuellen System der Person“ entspreche (ebd., S. 42). Sie diene den grundlegenden Funktionen der Assimilation von Erfahrungsdaten, der Erlangung einer günstigen Lust-Unlust-Balance und der Aufrechterhaltung der Selbstwertschätzung. In Beibehaltung dieser Orientierung an der kognitiven Psychologie entwickelt auch Sigrun-Heide Filipp ihre Vorstellung eines „Selbstmodells“. Ausgehend von der Grundannahme, daß der Mensch als ein informartionsverarbeitendes System und als aktiver Konstrukteur seines Wissens zu betrachten sei, stellt sie die Prozesse dar, in denen der einzelne selbstbezogene Informationen verarbeitet und im „Selbstmodell“ integriert (Filipp 1979). Und Werner Greve entwickelt die epistemologische Fassung des Subjekts weiter, indem er die Analogie zwischen wissenschaftstheoretischen Konzepten und Prozessen des Selbst explizit entfaltet. Zunächst erläutert er „das Dilemma des erwachsenen Selbst“ (2000, S. 100). Es bezieht sich auf das Phänomen, daß der
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Erwachsene trotz entwicklungsgemäßer Veränderungen persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, trotz zunehmender Verlusterfahrungen vor allem ab dem mittleren Erwachsenenalter normalerweise ein sicheres Gefühl persönlicher Identität über seine Entwicklung hinweg aufrechterhält. Um den handlungsregulierenden Nutzen zu bewahren und realitätsorientiert zu bleiben, muß das Selbstkonzept auch schmerzhaft empfundene Verluste aufnehmen, die die etablierte Ich-Identität bedrohen. Stabilisierung und Kontinuität des Selbst sind also zu verbinden mit der Anforderung, variabel und anpassungsfähig zu bleiben. „Was wir brauchen, ist, kurz gesagt, die Fähigkeit zum flexiblen Widerstand“ (ebd., S. 99). Eine Antwort auf die Frage, in welchen Prozessen so ein flexibler Widerstand gelingen könne, der zugleich die Stabilisierung persönlicher Identität befördert, liefert Greve nun, indem er einerseits Epsteins Beschreibung des Selbstkonzepts als Theorie einer Person über sich selbst aufnimmt, anderseits wissenschaftstheoretische Überlegungen von Popper und Lakatos.6 Greve erklärt in der doppelten Perspektive auf das durch Verlusterfahrungen irritierte Selbst und auf den Umgang mit wissenschaftlichen Entwürfen: „ein bedrohtes Konzept kann auch bei Akzeptanz einer bedrohlichen Datenlage dann im Kern verteidigt werden, wenn es gewissermaßen an der Peripherie modifiziert wird. [...] Unter Rückgriff auf einen Begriff 6
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Lakatos entwickelt in der Auseinandersetzung mit Poppers Falsifikationstheorem und Kuhns Kritik an Poppers Kritischem Rationalismus einen „verfeinerten methodologischen Falsifikationismus“. In Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme (1974) analysiert er Theorien als organisierte Strukturen. Ein Forschungsprogramm wird als Struktur dargestellt, die sowohl auf positive als auch auf negative Weise zukünftige Forschung anleitet. Während die positive Heuristik grobe Richtlinien enthält, die angeben, wie das Forschungsprogramm entwickelt werden könnte und der harte Kern ergänzt wird durch weitere Annahmen, gehören zur negativen Heuristik eines Programms jene theoretischen Grundannahmen, die, als harter Kern, nicht verworfen oder verändert werden dürfen. Dieser Kern wird gegen Falsifikationen durch einen Schutzgürtel unter anderem aus Hilfshypothesen geschützt, immunisiert und unfalsifizierbar gemacht. Lakatos betont das konventionelle Element bei der Arbeit innerhalb eines Forschungsprogramms; auch Bewährung (Verifikation), nicht nur Falsifikation, sei unverzichtbar für wissenschaftlichen Fortschritt.
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der Wissenschaftstheorie [...] kann dieser strategische Rückzug als Selbstkonzept-Immunisierung bezeichnet werden [...]. Der Begriff bezeichnet im wissenschaftstheoretischen Kontext die Modifikation des ‚Schutzgürtels’ einer Theorie, um ihren ‚harten Kern’ gegen falsifikatorische Evidenz zu schützen (Lakatos, 1974). Diese analoghafte Anwendung wissenschaftstheoretischer Konzepte auf Prozesse des Selbst [...] offenbart daneben eine unerwartete Fruchtbarkeit der vielfach benutzten metaphorischen Beschreibung des Selbskonzepts als ‚Theorie einer Person über sich selbst’ [...]. Selbstkonzeptimmunisierung schützt nach dieser Vorstellung einen Kern des Selbstkonzepts [...] im Sinne des Lustprinzips und paßt den Schutzgürtel der Operationalisierungen dieses Kernes gleichzeitig im Sinne des Realitätsprinzips den tatsächlichen Verhältnissen an [...]. Offenbar löst diese Immunisierung das skizzierte Dilemma des erwachsenen Selbst“ (Greve 2000, S. 100f.).
Nach einem Vorschlag zur empirischen Überprüfung der „SelbstImmunisierung“ zieht Greve das Fazit: „Durch Selbst-Immunisierung können also identitätskonstitutive Selbstkonzeptaspekte trotz des Eingeständnisses von einzelnen negativen Veränderungen und Verlusten grundsätzlich weiterhin aufrecht erhalten werden. Das erklärt, wieso wir über die lange Spanne des Erwachsenenalters offenbar gleichzeitig sehr realistisch und realitätsorientiert und meist erfolgreich handeln können, obwohl sich in und um uns über die Jahre manches verändert, aber wir trotzdem gerade hier so ein starkes Gefühl dafür bewahren können, dieselbe Person geblieben zu sein“ (ebd., S. 104).
Greves Ausführungen zum „Dilemma des erwachsenen Selbst“ bzw. sein Vorschlag, es theoretisch mit dem Konzept der „SelbstImmunisierung“ zu lösen, liefert ein überzeugendes Beispiel dafür, daß unsere Zugangsweisen zum Subjekt, die „symbolischen Formen“, in denen wir es zu erfassen versuchen, die Begriffe oder Metaphern, mit denen wir es kennzeichnen, dem untersuchten „Objekt“ gegenüber nicht neutral bleiben. Die jeweiligen Vorstellungen vom „Selbst“ offenbaren eine eigene „Fruchtbarkeit“. Das heißt, sie beeinflussen nicht nur lebensweltlich unsere Wahrnehmung, lenken nicht nur unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Qualitäten des Phänomens, indes sie andere ausblenden, sondern sie können darüber hinaus auch wissenschaftliche Erkenntnisse vorantreiben. Greve führt das exemplarisch aus, indem er die
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„Fruchtbarkeit der [...] metaphorischen Beschreibung des Selbstkonzepts als ‚Theorie einer Person über sich selbst’“ bemerkt und sie kreativ nutzt in der Entfaltung der Analogie zwischen wissenschaftstheoretischen Konzepten und Prozessen des Selbst. Im Zusammenhang der vorliegenden interdisziplinär angelegten Untersuchung geht es darum, die „Fruchtbarkeit“ der je verwendeten Vorstellungen vom Subjekt und seiner Genese in unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen aufzuspüren. In diesem Sinn ist auch die uneinheitliche Verwendung der Begriffe „Selbst“, „Subjekt“, „Identität“ u.ä. nicht nur als Mangel zu beklagen, und dem ist nicht mit einem definitorischen Kraftakt zu begegnen, der endlich eindeutige Begrifflichkeit und verbindliche Festlegungen herbeischaffen möge. Statt dessen ist die Vielfalt in problematisierender Arbeit aufzunehmen, die je spezifischen Fragestellungen und Behandlungsmodi sollen in Überschneidungen und Differenzen erkennbar werden und die Komplexität des Problemfeldes sichtbar machen, das sich auftut, sobald man nach menschlicher Subjektwerdung fragt.
Selbstwerdung als Konstruktionsaufgabe Wie einleitend dargestellt, bedeuten die Entstandardisierungsprozesse der spätmodernen Gesellschaft für den einzelnen, daß er sich seine sozialen, kulturellen und politischen Einbindungen zunehmend selber auswählen, organisieren und unter dem Druck auferlegter Flexibilität und beruflicher Diskontinuitäten immer wieder umgestalten muß. In höherem Maß als bisher ist er dazu aufgefordert, seinen Lebenslauf in eigene Regie zu nehmen. Da sein Werdegang immer weniger tradierten und vorgezeichneten Bahnen folgt, sind Entscheidungen und Aktivitäten des einzelnen zur Gestaltung des Lebens gefragt, die vielzitierte „Selbstverantwortung“, auch oder zynischerweise gerade dort, wo die politische Verantwortung aufgegeben, soziale Sicherungssysteme demontiert und solidarische Unterstützung verabschiedet werden. Die Betonung der Aktivität des einzelnen spiegelt sich entsprechend wider in sozialpsychologischen Konzepten der Subjektwerdung. So ist hier beispielsweise von „Biographiebastelei und Identitätsarbeit“ (Keupp 1997, S. 16) die Rede. Während die „Bastelei“ eher auf die Verlegenheit eines Werkelns verweist, das sich
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dem Aktivitäts-Postulat unterwirft und zugleich die Sinnperspektive inmitten spätmoderner Erosionen verloren hat, hält der Begriff der „Identitätsarbeit“ am Ernst menschlicher Tätigkeit fest. Denn Arbeit, wie auch immer ihre Erscheinungsformen sich unter je spezifischen kulturellen, technisch-wirtschaftlichen und politischen Bedingungen wandeln mögen, stellt einen Grundaspekt menschlicher Lebenswirklichkeit dar, der durch zielstrebige Auseinandersetzung mit der Umwelt zum Zweck der Daseinsvorsorge gekennzeichnet ist. Begegnet er nun in dem Kompositum „Identitätsarbeit“, so drückt sich darin aus, daß die Herausbildung von Identität nichts Naturwüchsiges ist, auch keine sich gesellschaftlich-kulturell ereignende Selbstverständlichkeit, sondern daß sie durch menschliche Tätigkeit herzustellen ist. Identität erscheint als Produkt zielgerichteter Aktivität. Diese Arbeit wird jedem zugewiesen, und sie kommt in den Blick gerade zu dem Zeitpunkt, da Alternativen zur Arbeitsgesellschaft angesichts des dramatischen Abbaus der Erwerbsarbeit diskutiert werden.7 Darauf, daß die Identität nichts Gegebenes sei, sondern sich eigener Anstrengung und Aktivität verdanke, zielt auch der Begriff der „Identitätskonstruktion“. Dieses Konzept ist naheliegend in einem sozialpsychologischen Ansatz, der an die Tradition des sozialen Konstruktivismus anknüpft. 8 Keupp, Ahbe, Gmür, Höfer, Mitzscherlich, Kraus und Straus präsentieren unter dem Titel 7
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Siehe Beck (1999). Siehe darüber hinaus zur Bedeutung der Erwerbsarbeit für die alltägliche Identitätsarbeit Keupp et al. (2002), vor allem S. 111-129: „In der Debatte um das Ende der Arbeitsgesellschaft wird mitunter argumentiert, angesichts der prekären und in Zukunft sich eher noch verschlechternden Arbeitsmarktsituation müßten Menschen lernen, etwas anderes als Erwerbsarbeit ins Zentrum ihrer Identitätsarbeit zu stellen. Ein scheinbar logischer Weg, der freilich die Verantwortung für die Lösung eines gesellschaftlich produzierten Problems den Individuen zuschreibt. Für viele der von uns befragten Jugendlichen würde sie vermutlich eher zynisch klingen, und nicht nur deshalb, weil die Experten offensichtlich weniger genaue Vorstellungen darüber haben, wie es sich mit Einkommen unter dem Existenzniveau lebt und was es für einen jungen Erwachsenen bedeutet, dauerhaft ökonomisch abhängig von den Eltern zu bleiben in einer Gesellschaft, deren Freiheitsbegriff wesentlich auf ökonomischer Unabhängigkeit beruht“ (S. 123). Zur sozialpsychologischen Erweiterung und materialistischen Untermauerung des sozialen Konstruktivismus siehe Keupp (1993c) und Berger (1993).
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„Identitätskonstruktionen“ (2002) die Ergebnisse eines Projekts, das die alltägliche Identitätsarbeit junger Erwachsener in Ost- und Westdeutschland auf der Basis einer empirischen Längsschnittstudie untersucht. Identität wird dabei verstanden als „das individuelle Rahmenkonzept einer Person, innerhalb dessen sie ihre Erfahrungen interpretiert und das ihr als Basis für alltägliche Identitätsarbeit dient“ (ebd., S. 60). Die Auswertungen der empirischen Befunde ergeben, daß das Subjekt in der Arbeit an der eigenen Identität Balancen herstellt zum einen zwischen sozialen Anforderungen und eigenen Selbstverwirklichungsentwürfen, zum anderen zwischen vergangenen, gegenwärtigen und zukunftsbezogenen Selbsterfahrungen. Es versuche, „situativ stimmige Passungen zwischen inneren und äußeren Erfahrungen zu schaffen und unterschiedliche Teilidentitäten zu verknüpfen“ (ebd.). Das erfordere kreative Leistungen, denn auf dem Hintergrund von Pluralisierungs-, Individualisierungs- und Entstandardisierungsprozessen sei „das Inventar kopierbarer Identitätsmuster ausgezehrt“ (ebd.). Umstritten ist, ob unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen die Bildung einer konsistenten, synthetischen Identität überhaupt noch möglich sei. Entgegen solchen Zweifeln hält Keupp mit Autoren wie R. Lifton, C. Camilleri und S. Frosh jedoch am Kohärenzbegriff fest. Es gehe darum, lediglich eine bestimmte Vorstellung von Kohärenz zu verabschieden, nämlich „als innere Einheit, als Harmonie oder als geschlossene Erzählung“ (ebd., S. 245). Verstehe man Kohärenz nicht als „Prämisse der Selbsterfahrung, sondern als Konstruktionsaufgabe“ (ebd., S. 94), dann sei es nicht nur möglich, auch in zeitgemäßen Identitätskonzepten an ihr festzuhalten, sondern man könne sich dieser Aufgabe nur „um den Preis psychotischer Fragmentierung entziehen“ (ebd.). Entscheidend sei, den Herstellungsprozeß je neu erbrachter Syntheseleistungen zu erkennen. „Es kommt weniger darauf an, auf Dauer angelegte Fundamente zu zementieren, sondern eine reflexive Achtsamkeit für die Erarbeitung immer wieder neuer Passungsmöglichkeiten zu entwickeln“ (ebd., S. 245). Unterstrichen wird, daß die Passungsverhältnisse keinen spannungsfreien Balancezustand bilden. Sie sind gekennzeichnet durch Widersprüche und Konflikte, die, als Quelle der Dynamik im Identitätsprozeß, das Subjekt zur permanenten Aushandlung von Differenzen herausfordern. Merkmal gelingender Identität sei daher nicht die Abwe-
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senheit von Konflikten, sondern solch ein kreativer Umgang mit ihnen, der zur Entstehung eines Gefühls von Authentizität beitrage, das heißt zum Gefühl, daß das jeweils gefundene Passungsverhältnis „subjektiv stimmig“ sei.9 Bei der näheren Kennzeichnung der Prozesse, in denen eine Passung hergestellt wird, rückt als Mittel der vielfältigen Verknüpfungsarbeit die Sprache ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Keupp und Mitarbeiter gehen davon aus, daß „Identitätsbildung wesentlich mit dem Mittel der Selbstnarration erreicht werde. Erzählend organisiert das Subjekt die Vielseitigkeit seiner Erlebnisse in einem Verweisungszusammenhang“ (ebd., S. 207f.). Diese Auffassung, daß „Identitätsarbeit stets auch Narrationsarbeit“ (ebd., S. 207) sei, knüpft an Konzepte der narrativen Psychologie an, die seit den achtziger Jahren entwickelt werden. Die narrative Psychologie erklärt, daß menschliche Individuen sich in alltäglichen Interaktionen in Form von Geschichten darstellen und ihr ganzes Leben inklusive ihre Beziehungen zur Welt als Erzählung gestalten. Demgemäß kann nun auch Identität als ein Konzept verstanden werden, das wesentlich über Sprache und Narrationen vermittelt ist.10 9
Ebd., S. 197. „Wir haben an mehreren Stellen unserer Überlegungen darauf hingewiesen, daß Identitätsarbeit nicht primär in dem Versuch besteht, Ambivalenzen und Widersprüche aufzulösen, sondern diese in ein für eine Person akzeptables Spannungsverhältnis zu bringen. Versteht man Ambivalenzen nicht nur als ‚NichtLösung’, sondern sieht darin prospektiv auch Herausforderungen für die Weiterentwicklung von Identität, so sind sie ein fundamentaler Bestandteil gelungener Identitätsarbeit“ (ebd., S. 263). 10 Auf die methodischen und theoretischen Konsequenzen, die der narrative Ansatz für die Identitätsforschung hat, kann im Zusammenhang der vorliegenden Studie nicht genauer eingegangen werden. Verwiesen sei an dieser Stelle lediglich auf die Diskussion über die „Konstruktionsmächtigkeit der Narrationen im Bereich der Subjektentwicklung“, die Keupp et al. referieren. Zu unterscheiden seien zwei Positionen: „Die Vertreter einer ‚schwächeren’ Form der narrativen Identität gehen davon aus, daß Narrationen dazu dienen, dem individuellen Leben eine Form zu geben.“ Dabei würden die Rohdaten des eigenen Lebens sequentiell sinnvoll organisiert. „Dagegen betonen die Vertreter einer ‚stärkeren Form [...] die implizit narrative Struktur von Leben. Narrationen werden also nicht einem nicht-narrativen Stoff übergestülpt [...]. Wenn – in einem konstruktivistischen Ansatz – Identität gleichgesetzt wird mit narrativer Identität, entledigt man sich zwar binnentheoretisch vieler
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Für Keupps Analyse der Identität von Subjekten ist der Ansatz der narrativen Identität deshalb attraktiv, weil er die Offenheit und Unabschließbarkeit des Sich-Erzählens betont. Der postulierte ständige Umbau und die Aufgabe, disparate Erfahrungen und Erlebnissequenzen je neu zu synthetisieren, läßt sich als fortgesetztes Erzählen beschreiben. In der Selbst-Narration bezieht das Subjekt selbstrelevante Ereignisse zeitlich geordnet aufeinander, reflektiert sie und teilt sie als sinnvolle Geschichte anderen mit. So werden vergangene Geschehnisse sozial sichtbar bzw. hörbar gemacht und die Erwartung zukünftiger Ereignisse begründet. Die Selbsterzählung macht die eigene Person für andere verstehbar. Sie stellt „einen grundlegenden Modus der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit“ (ebd., S. 208) dar. Neben der Bedeutung der individuellen und kreativen Leistung im Vollzug der Selbst-Narration sind jedoch zugleich auch deren soziale Einbettung und ihr kommunikativer Charakter hervorzuheben. „Die narrativen Strukturen sind keine Eigenschöpfung des Individuums, sondern im sozialen Kontext verankert und von ihm beeinflußt, so daß ihre Genese und ihre Veränderung in einem komplexen Prozeß der Konstruktion sozialer Wirklichkeit stattfinden. Insofern präformieren sie die Art und Weise, in der eine Person sich erzählen kann, und damit auch ihr Verständnis von sich selbst“ (ebd.). Diese Überlegungen weiterführend, und in Rückbezug auf Norbert Elias könnte man von „narrativen Figurationen“ sprechen. Dabei wäre die Verschränkung von individuell gestaltetem Erzählen und sozial-kulturell vorgegebenen Erzählschemata darzustellen. Des weiteren könnte man, über die Beschreibung des Ineinandergreifens individueller und gesellschaftlicher PerspektiProbleme. Man muß dann zum Beispiel nicht erklären, wie Selbstempfindungen und Narrationen zusammenhängen, weil auch solche Empfindungen zu sozialen Konstrukten erklärt werden. Der Preis ist, daß letztlich die Binnenprobleme der Theorie bloß nach außen verlagert werden und als Spannungen zwischen den einzelnen Identitätstheorien wieder auftauchen. Beläßt man die Spannung aber in der Theorie selber, dann kommen wir zum zweiten theoretischen Gesichtspunkt: Es bleibt die Notwendigkeit, die Vermittlung zwischen basalen Empfindungen und sozialen Konstruktionen innerhalb der Theorie auszuführen. Der Nutzen dieser Strategie ist – hoffentlich – eine größere Reichweite und Integrationskraft der Theorie selbst“ (Keupp et al. 2002, S. 106).
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ven hinaus das Interdependenzgeflecht der Narrationen diskurstheoretisch untersuchen und die darin eingelassenen Machtverhältnisse kritisch analysieren. Keupp geht darauf ein, wenn er, unter anderem in Anschluß an Bourdieu, schreibt: „Diese Selbsterzählungen werden von gesellschaftlich vorgegebenen Fertigpackungen ebenso beeinflußt wie von Machtstrukturen. Insofern sind Selbsterzählungen nicht einfach Ergebnisse kommunikativer Akte, sondern werden durch erzählerische Muster, medial verstärkte Metaerzählungen und von Machtfragen geprägte Darstellungsmechanismen mit beeinflußt“ (ebd., S. 216). Indem sich Selbstnarrationen auf das „gesellschaftlich verfügbare Formpotential stützen, schreiben sie die darin eingewobenen Machtbeziehungen auch ein in die Ausgestaltung individueller Erzählungen“ (ebd., S. 214). Doch sollen diese Überlegungen hier nicht weiter entfaltet werden. Statt dessen ist von den sozialpsychologischen Analysen der Identitätskonstruktionen festzuhalten, was für den argumentativen Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung wichtig ist. Unter dem Titel „Selbstwerdung als Konstruktionsaufgabe“ und Bezug nehmend auf ausgewählte Ergebnisse des Münchener Projekts zur empirisch gestützten Erforschung alltäglicher Identitätsarbeit, wurde die Identitätsentwicklung bislang eingeführt als offener Prozeß der Herstellung von Passungsverhältnissen zwischen äußeren Anforderungen und eigenen Lebensentwürfen sowie zwischen vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen und zukunftsbezogenen Erwartungen. Auf dem Hintergrund der spätmodernen Individualisierungs- und Entstandardisierungsprozesse werden dem Subjekt bei seiner Identitätsarbeit mehr Entscheidungen abverlangt und ermöglicht als dies in früheren Modernisierungsphasen der Fall gewesen ist. So ist es plausibel, daß eine zeitgemäße Auffassung von Identitätsentwicklung die Eigenleistung, kreative Aktivität, Konstruktionsarbeit und Selbstbestimmung des Individuums als konstitutive Momente betont. Das darf jedoch nicht im Sinne einer freischwebenden Autonomie des Subjekts mißverstanden werden. Wurde schon im Abschnitt über die spätmodernen Figurationen darauf hingewiesen, daß gegenläufig zu den beobachtbaren „Freisetzungsprozessen“ neue Abhängigkeiten und Standardisierungen aufkommen, so ist auch in der Beschreibung der Identitätskonstruktionen hervorzuheben, daß sie in keinem (Macht-)Vakuum stattfinden und nicht mit
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phantastischen Basteleien zu verwechseln sind, denen unbegrenzte Möglichkeiten offen stehen. Zwar überwindet das Konzept der Konstruktion eine substantialistische Subjektvorstellung, doch verkäme sie ohne materialistisches Fundament zu einem Spiel der Beliebigkeit (siehe Keupp 1993c, S. 267). Mit zu bedenken ist daher, daß die Arbeit an der eigenen Geschichte nur auf der Basis bestimmter Voraussetzungen gelingen kann, die das Subjekt nicht selber zu produzieren vermag. Es bleibt bei aller gestalterischen Aktivität zugleich bedürftig, angewiesen und ausgerichtet auf andere Menschen und Ressourcen unterschiedlicher Art. Identitätsbildung als immer wieder neu zu erbringender Akt der Aushandlung divergierender Anforderungen ist „trotz aller Betonung der subjektiven Konstruktionsleistung nie ohne Ressourcen zu schaffen“ (Keupp et al. 2002, S. 216). Keupp et al. führen zur ressourcentheoretischen Perspektive weiter aus: „Die Qualität der erreichbaren Handlungsfähigkeit hängt entscheidend von den Ressourcen der Person ab, von den individuellen, subjektiven Ressourcen wie auch von den materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen, die ein Subjekt für seine Identitätsarbeit zu mobilisieren vermag. Was nützt die Zunahme biographischer Optionen und der möglichen Selbste, wenn den Subjekten die ökonomischen, sozialen, kulturellen und individuellen Ressourcen fehlen, um aus den Möglichkeiten Wirklichkeiten zu machen? Diese Ressourcen haben für die Identitätsarbeit eine doppelte Funktion: Sie sind Energien und Orientierungen, sind Mittel und Ziele, Instrumente und Instruktionen“ (ebd., S. 269).
Aus dem Spektrum dieser Ressourcen und Voraussetzungen, die der freien Verfügungsmacht des Individuums entzogen sind und ohne die Identitätsentwicklung oder Subjektgenese nicht gelingen kann, soll nun ein Aspekt genauer untersucht werden: die Anerkennung.
Die Bedeutung der Anerkennung für die I d e n t it ä t s a r b e i t Wurde die Anerkennung am Ende des letzten Abschnitts als ein Aspekt im Spektrum der Ressourcen und Voraussetzungen hervorgehoben, ohne die Identitätsarbeit nicht gelingen kann, so stellt
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sich bei genauerer Betrachtung heraus, daß dieser Aspekt in sich vielschichtig und facettenreich ist. Anerkennung wird im Zusammenhang der Analyse von Prozessen der Subjektwerdung unterschiedlich eingeführt. Einmal begegnet der Begriff der Anerkennung zur Kennzeichnung einer Haltung anderen Menschen, Gruppen oder Institutionen gegenüber, ein anderes Mal bezeichnet er einen Handlungstyp. Zum einen beschreibt der Begriff „Anerkennung“ ein affirmatives Verhältnis, das bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten einer anderen Person eine zustimmende Unterstützung gewährt, zum andern nimmt er auch kognitive oder epistemische Konnotationen in sich auf, wenn er auf „erkennen“ oder „identifizieren“ zielt. Oder es spielen beide Bedeutungsfacetten ineinander, etwa wenn es darum geht, daß ein Individuum ein anderes oder äußere Realität überhaupt in ihrem ontologischen Status als von der eigenen Person und Vorstellungswelt unabhängige Wirklichkeit unterscheiden und akzeptieren lernt. Einmal ist von „Anerkennung“ aus der Perspektive eines Individuums die Rede, ein anderes Mal aus der Sicht der Gesellschaft, und jeweils kann dabei die Bereitschaft zu aktivem anerkennendem Verhalten gemeint sein oder das Bedürfnis bzw. die Forderung danach, selber anerkannt zu werden. Weiterhin wird Anerkennung einmal als Voraussetzung für gelingende Identitätsarbeit untersucht, zum andern als deren Ziel. In dieser Aufreihung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sind einige zentrale Bedeutungsdimensionen der Anerkennung benannt. Sie sollen nun – zunächst in sozialpsychologischer Perspektive – genauer vorgestellt und diskutiert werden. „Das Verlangen nach Anerkennung ist [...] ein menschliches Grundbedürfnis“ (Taylor 1993, S. 15). Charles Taylor, von dem diese Aussage stammt, geht dem Zusammenhang von Identität und Anerkennung nach, wobei er „Identität“ als ein Selbstverhältnis der Menschen faßt: „Die These lautet, unsere Identität werde teilweise von der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung, oft auch von der Verkennung durch die anderen geprägt, so daß ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen wirklichen Schaden nehmen, eine wirkliche Deformation erleiden kann, wenn die Umgebung oder die Gesellschaft ein einschränkendes, herabwürdigendes oder verächtliches Bild ihrer selbst zurückspiegelt. Nichtanerkennung oder Verkennung kann Leiden verursachen, kann eine
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Form von Unterdrückung sein, kann den anderen in ein falsches, deformiertes Dasein einschließen“ (Taylor 1993, S. 13f.).
Indem Taylor die Identitätsentwicklung in intersubjektive und politische Anerkennungsverhältnisse einbindet, unterstreicht er den „dialogischen Charakter menschlicher Existenz“ (kursiv im Original; ebd., S. 21). Die Ausbildung von Identität und Selbst sei kein individuell-monologischer Prozeß, sondern vollziehe sich in „einem fortdauernden Dialog und Kampf mit signifikanten Anderen“ (ebd., S. 27) – und das auf der Ebene persönlicher Beziehungen wie auch politisch in der öffentlichen Sphäre. Im Zuge der umfassenden und tiefgreifenden Transformationen der spätmodernen Gesellschaft ist nun zu beachten, daß auch etablierte Anerkennungsverhältnisse aufbrechen und sich neu formieren. Taylor verweist darauf, daß „in früheren Zeiten“ Anerkennung ein „fester Bestandteil der gesellschaftlich abgeleiteten Identität“ gewesen sei, weil diese Identität auf unangetasteten gesellschaftlichen Kategorien beruhte. Demgegenüber genieße die persönliche Identität, die sich unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen herausbilde, keine selbstverständliche Anerkennung. „Sie muß Anerkennung im Austausch erst gewinnen, und dabei kann sie scheitern“ (ebd., S. 24f.). Der vormoderne Zirkel ist aufgebrochen, in dem einerseits die Standesordnung und überlieferte allgemein akzeptierte Normen dem einzelnen vorgaben, was und wie er sein solle, in dem ihm andererseits bei Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen auch allgemeine Anerkennung garantiert war. Mit dem Aufbrechen dieses Zirkels sind nicht nur die tradierten Normen und gesellschaftlichen Erwartungen an den einzelnen fragwürdig geworden und in Individualisierungsprozessen der Reflexion überantwortet sowie in Aushandlungsdiskurse überführt worden, sondern auch die überlieferten Formen sozialer Anerkennung haben ihre Selbstverständlichkeit verloren. Es zeigt sich also eine Spannung zwischen Anerkennung als menschlichem Grundbedürfnis, das heißt anthropologischer Gegebenheit und den historisch veränderten Formen, in denen sie sozial vermittelt, gewährt oder verweigert wird.
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Transformationen der Anerkennung. Zum Prozeß der Individualisierung sozialer Wertschätzung Aufschlußreich für ein Verständnis dieser Zusammenhänge sind die Ausführungen von Axel Honneth. Unter dem Titel Kampf um Anerkennung rekonstruiert er die philosophische Begründung des Anerkennungskonzepts, das der junge Hegel in Texten der Jenaer Zeit entworfen hat, stellt es im Rückgriff auf Meads Sozialpsychologie auf eine empirische Basis und gewinnt daraus die Grundlage einer „normativ gehaltvollen Gesellschaftstheorie“ (Honneth 2003a, S. 7). Er zielt auf die Idee einer „kritischen Gesellschaftstheorie ab, in der Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezugnahme auf die normativen Ansprüche erklärt werden sollen, die in der Beziehung der wechselseitigen Anerkennung strukturell angelegt sind" (ebd., S. 8). Honneth zeichnet nach, wie Hegel mit dem Denkmodell des „Kampfes um Anerkennung“ das durch Machiavelli und Hobbes eingeführte Modell eines sozialen Kampfes aufgreift, ihm aber eine ganz andere Wendung gibt. Während Machiavelli und Hobbes eine feindselige Konkurrenz zwischen den Menschen postulierten, einen Kampf um die physische Identität und einen „Krieg aller gegen alle“, der erst durch einen Staatsvertrag beendet worden sei, führt Hegel die Konflikte unter den Menschen statt auf Selbsterhaltungsmotive auf moralische Antriebe zurück. Der Kampf wird in Hegels Konzept zum Medium eines sittlichen Bildungsprozesses und führt von einem unterentwickelten Zustand der Sittlichkeit zu einer reiferen Stufe der sittlichen Verhältnisse. Der Anspruch der Individuen auf intersubjektive Anerkennung ihrer Identität wohne dem gesellschaftlichen Leben von Anfang an als „moralische Spannung“ inne, treibe über das jeweils institutionalisierte Maß an sozialem Fortschritt wieder hinaus und führe so auf dem negativen Weg eines sich stufenweise wiederholenden Konfliktes allmählich zu einem „Zustand kommunikativ gelebter Freiheit“ (S. 11). Dabei greifen die Fortschritte der Vergesellschaftung und Individuierung ineinander; die Gesellschaft findet ihren organischen Zusammenhalt in der intersubjektiven Anerkennung der Besonderheit aller einzelnen. Diese Auffassung stetiger und eindimensionaler Höherentwicklung erscheint nicht nur fragwürdig, sondern sie ist als Beschreibung geschichtlicher Prozesse nicht zu halten, da sie die Gewalt gesellschaftlicher Verhältnisse lediglich verleugnet, die lo-
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kal und global in modifizierten Formen alle Veränderungen überdauert. Statt faktische historische Vorgänge angemessen zu erfassen, wäre die Vorstellung des Zuwachses an „kommunikativ gelebter Freiheit“ aber im Sinne einer regulativen Idee zu bewahren. An ihr hätte sich eine menschliche Praxis zu orientieren, die ihre spezifischen Grenzen und Möglichkeiten kritisch reflektiert. Insgesamt ist Honneths breit angelegte Argumentation für die vorliegende Studie von großem Interesse, da sie die intersubjektive Struktur der persönlichen Identität nachzeichnet: „die Individuen werden als Personen allein dadurch konstituiert, daß sie sich aus der Perspektive zustimmender oder ermutigender Anderer auf sich selbst als Wesen zu beziehen lernen, denen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zukommen. Der Umfang solcher Eigenschaften und damit der Grad der positiven Selbstbeziehung wächst mit jeder neuen Form von Anerkennung, die der einzelne auf sich selbst als Subjekt beziehen kann“ (S. 278f.). Die unterschiedlichen, im Zivilisationsprozeß erkämpften Formen wechselseitiger Anerkennung beschreibt Honneth im Kapitel „Muster intersubjektiver Anerkennung: Liebe, Recht, Solidarität". Es geht um emotionale Zuwendung, rechtliche Anerkennung und solidarische Zustimmung oder soziale Wertschätzung. Honneth weist nach, daß sich – im Gegensatz zur Liebe, die in primären Sozialbeziehungen begegnet – sowohl die besondere Reziprozitätsform der rechtlichen Anerkennung als auch die soziale Wertschätzung in der uns heute vertrauten Gestalt erst infolge einer historischen Entwicklung haben herausbilden können. Das werde deutlich in der Unterscheidung von traditionsgebundenen und posttraditionalen Gesellschaften. Und zwar bekommen die rechtliche Anerkennung und die soziale Wertschätzung im Übergang zur Moderne einen neuen Charakter. In der Rechtssphäre werden individuelle Rechtsansprüche von sozialen Statuszuschreibungen abgekoppelt, individuelle Rechte lösen sich von konkreten Rollenerwartungen, mit denen sie zuvor in gewisser Weise verschmolzen waren. Während mit dieser Abkoppelung der allgemeine Rechtsgrundsatz entsteht, der „von nun an jede Rechtsordnung dem Postulat unterwirft, im Prinzip keine Ausnahmen und Privilegisierungen mehr zuzulassen“11, sondern alle 11 Ebd., S. 187. In traditionsgebunden Gesellschaften sei die Anerkennung als Rechtsperson „in gewisser Weise noch mit der sozialen
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Menschen als gleiche und freie Wesen anzusehen, werden in der sozialen Wertschätzung gerade die besonderen Eigenschaften hervorgehoben, durch die Menschen in ihren persönlichen Unterschieden charakterisiert sind. Es ist die Tendenz zur Konkurrenz und wachsenden Individualisierung in dieser Anerkennungsform, die von Belang ist für das Verständnis der oben benannten Umstrukturierungsprozesse sozialer Anerkennungsverhältnisse in der Gegenwart. In der sozialen Wertschätzung beziehen sich menschliche Subjekte positiv auf ihre konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten. Dabei ist dieses Muster der Anerkennung nur angemessen zu begreifen, wenn man einen intersubjektiv geteilten Werthorizont hinzudenkt; bezogen auf ihn erst kann die Bewertung von bestimmten Persönlichkeitseigenschaften erfolgen. In Hinsicht auf einen solchen Orientierungsrahmen wird der soziale „Wert“ bemessen, und zwar graduell abgestuft, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Subjekt zur Verwirklichung der gesellschaftlichen Zielvorgaben beiträgt. „Das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft gibt die Kriterien vor, an denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert, weil deren Fähigkeiten und Leistungen intersubjektiv danach beurteilt werden, in welchem Maße sie an der Umsetzung der kulturell definierten Werte mitwirken können; insofern ist diese Form der wechselseitigen Anerkennung auch an die Voraussetzung eines sozialen Lebenszusammenhanges gebunden, dessen Mitglieder durch die Orientierung an gemeinsamen Zielvorstellungen eine Wertgemeinschaft bilden. Wenn aber die soziale Wertschätzung jeweils durch die ethischen Zielvorstellungen bestimmt ist, die in einer Gesellschaft vorherrschen, sind die Formen, die sie annehmen kann [...] eine geschichtlich variable Größe“ (S. 198).
Honneth liest die Eigenschaften dieser spezifischen Form von Anerkennung, das heißt die fortschreitende Differenzierung und Individualisierung sozialer Wertschätzung, aus dem historischen Wertschätzung verschmolzen [...], die dem einzelnen Gesellschaftsmitglied in seinem gesellschaftlichen Status gilt [...]. Ist die rechtliche Anerkennung „noch graduell gemäß der jeweiligen Wertschätzung abgestuft, die der Einzelne als Rollenträger genießt, so löst sich dieser Zusammenhang erst in Folge des historischen Prozesses auf, der die Rechtsverhältnisse den Forderungen einer postkonventionellen Moral unterwirft“ (S. 179).
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Strukturwandel ab, den sie im Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften erfahren haben. Es geht um die Auflösung der ständisch gegliederten Gesellschaft, in der die ethischen Zielvorstellungen noch einen relativ geschlossenen Kanon bildeten. Bezeichnenderweise gehen mit den sozio-kulturellen Transformationen begriffliche Änderungen einher. Der im Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften „in Gang gekommene Strukturwandel wird begriffsgeschichtlich durch die Umstellung von Ehrbegriffen auf Kategorien des sozialen ‚Ansehens’ oder ‚Prestiges’ markiert. Solange die ethischen Zielvorstellungen der Gesellschaft noch substantiell gefaßt und ihre entsprechenden Wertvorstellungen hierarchisch gegliedert sind, so daß eine Rangskala von mehr oder weniger wertvollen Verhaltensformen zustande kommen kann, wird das Maß des Ansehens einer Person in Begriffen der sozialen Ehre gemessen: die konventionelle Sittlichkeit solcher Gemeinwesen erlaubt es, die gesellschaftlichen Aufgabenfelder gemäß ihrem vermuteten Beitrag zur Verwirklichung der zentralen Werte vertikal so zu schichten, daß ihnen spezifische Arten der Lebensführung zugeordnet werden können, deren Einhaltung den einzelnen zu der ihm standesgemäßen „Ehre“ gelangen läßt. Insofern ist mit „Ehre“ in ständisch gegliederten Gesellschaften das relative Maß an sozialem Ansehen bezeichnet, das eine Person zu erwerben vermag, wenn sie die kollektiven Verhaltenserwartungen habituell erfüllen kann, die „ethisch“ mit ihrem sozialen Status verknüpft sind“ (S. 199).
Die derart geregelte und etablierte ständische Anerkennungsordnung löst sich jedoch im Zuge der Entwertung traditionaler Sittlichkeit auf. Die kritisch-aufklärerischen Denkfiguren der Philosophie und der postkonventionellen Staatstheorie gewinnen breiteren kulturellen Einfluß. Als sie schließlich auch den Status der sozialintegrativen Wertüberzeugungen in Frage stellen, gerät auch die darauf bezogene überlieferte Anerkennungsordnung ins Wanken. Sobald ethische Verpflichtungen ihre soziale Geltung nicht länger der Überzeugungskraft religiöser oder metaphysischer Überlieferungen verdankten, sondern als „das Resultat innerweltlicher Entscheidungsvorgänge durchschaut waren, mußte sich [...] das alltägliche Verständnis vom Charakter der gesellschaftlichen Wertordnung ändern [...]. Mit der metaphysischen Geltungsgrundlage verliert der gesellschaftliche Wertekosmos
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sowohl seinen Objektivitätscharakter als auch die Fähigkeit, eine Skala sozialen Prestiges ein für allemal verhaltensorientierend festzulegen“ (S. 202). Es ist der Kampf, den das Bürgertum gegen die feudalen Ehrvorstellungen des Adels antritt. Honneth hebt hervor, daß es sich dabei nicht nur um einen kollektiven Versuch einer Durchsetzung von neuen Wertprinzipien handelt, sondern auch um die Eröffnung einer Auseinandersetzung um den Status solcher Wertprinzipien überhaupt; „zum ersten Mal steht jetzt zur Disposition, ob sich das soziale Ansehen einer Person an dem vorweg bestimmten Wert von Eigenschaften bemessen soll, die ganzen Gruppen typisierend zugeschrieben werden. Nunmehr erst tritt das Subjekt als eine lebensgeschichtlich individuierte Größe in das umkämpfte Feld der sozialen Wertschätzung ein“ (S. 202). Der Kampf des Bürgertums gegen die vormoderne Anerkennungsordnung stößt also einen Prozeß der Individualisierung an. Verabschiedet wird die normativ-unhinterfragte Festlegung, welche Formen der Lebensführung als ethisch zulässig gelten. Und eröffnet wird ein Raum pluraler Möglichkeiten, in dem über Geltungsansprüche gestritten wird. Dementsprechend muß sich die soziale Wertschätzung neu orientieren; sie richtet sich nicht mehr an kollektiven Eigenschaften aus, sondern an lebensgeschichtlich entwickelten Fähigkeiten des einzelnen. Für die neue individualisierte Anerkennungsordnung ergibt sich nun allerdings das Problem, wie der Werthorizont zu bestimmen sei, vor dem die Selbstverwirklichung des einzelnen zu beurteilen ist. Dieser Werthorizont muß „zugleich für verschiedene Arten der Selbstverwirklichung offen sein [...], andererseits aber auch noch als übergreifendes System der Wertschätzung dienen können. Mit diesen auseinanderstrebenden Aufgabenstellungen zieht eine Spannung in die moderne Organisationsform der sozialen Wertschätzung ein, durch die sie auf Dauer einem kulturellen Konflikt unterworfen wird: denn wie auch immer die gesellschaftlichen Zielsetzungen bestimmt sind, ob in der einen, scheinbar neutralen Idee der ‚Leistung’ zusammengefaßt oder als ein offener Horizont pluraler Werte gedacht, stets bedarf es einer sekundären Deutungspraxis, bevor sie innerhalb der sozialen Lebenswelt als Kriterien der Wertschätzung in Kraft treten können“ (S. 205).
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Die Leitideen, auf die hin der soziale Wert bestimmter Eigenschaften oder Fähigkeiten befragt wird, sind so abstrakt, daß sie zunächst durch „kulturelle Zusatzdeutungen konkretisiert werden müssen, um Anwendung in dieser Sphäre der Anerkennung zu finden“ (ebd.). So gewinnen zusätzliche Interpretationen eine zentrale Bedeutung. In sie fließen konkurrierende Interessen einzelner Subjekte und verschiedener sozialer Gruppen ein. Denn jeder bemüht sich darum, die eigenen Leistungen und Lebensformen öffentlich als besonders wertvoll auszulegen. Auf diese Weise kommt es zum kulturellen Dauerkonflikt, in dem die je eigene Machtposition über das soziale Prestige gesteigert werden soll. „Die Verhältnisse der sozialen Wertschätzungen unterliegen in modernen Gesellschaften einem permanenten Kampf, in dem die verschiedenen Gruppen mit den Mitteln symbolischer Gewalt versuchen, unter Bezug auf die allgemeinen Zielsetzungen den Wert der mit ihrer Lebensweise verknüpften Fähigkeiten anzuheben [...]. Allerdings ist es nicht nur die gruppenspezifische Verfügungsmacht der Mittel symbolischer Gewalt, sondern auch das schwer beeinflußbare Klima öffentlicher Aufmerksamkeiten, was über den jeweils nur vorübergehend stabilisierten Ausgang solcher Kämpfe mitentscheidet“ (S. 205f.).
Neben der Präsentation der eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften in der Öffentlichkeit sind es ökonomische Faktoren, die die Verhältnisse sozialer Wertschätzung bestimmen. Denn die Verteilung ökonomischer Mittel ist verkoppelt mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Selbst-Präsentation in einer Gesellschaft. So „gehören auch die ökonomischen Auseinandersetzungen konstitutiv dieser Form eines Kampfes um Anerkennung an“ (S. 206).
Erschließung der Anerkennungs-Ressource. Netzwerke der Nutzung Auf der Grundlage der Einsichten in die komplexen Transformationsprozesse gesellschaftlicher Anerkennungsordnungen lassen sich die Anerkennungs-Probleme präziser beschreiben, mit denen die Menschen in der spätmodernen Gesellschaft konfrontiert sind. Wenn konstatiert wird, Anerkennung sei „ein prekäres Gut“ (Keupp et al. 2002, S. 260), so wird damit keine einfache Verknappung behauptet. Das Reservoir sozialer Achtung schrumpft nicht einfach wie das der fossilen Brennstoffe auf diesem Planeten; son-
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dern es kommt darauf an, den Mangel an sozialer Zustimmung, den viele Menschen erleben und von dem Taylor schreibt, er verursache Leiden und könne Menschen in ein „deformiertes Dasein“ einschließen, im Zusammenhang des beschriebenen tiefgreifenden Strukturwandels zu sehen, der sich gegenwärtig weiter fortsetzt. Die Diagnose, daß Prozesse, die in der Moderne in Gang gekommen sind, sich in der Spätmoderne radikalisieren und beschleunigen, kann man auch heranziehen bei der kritischen Analyse der Individualisierung sozialer Wertschätzung in der Gegenwart. Hat Honneth gezeigt, daß der Strukturwandel im Übergang von traditionalen zu postkonventionell-modernen Gesellschaften zur Individualisierung sozialer Anerkennungsverhältnisse führte, so kann man darüber hinaus feststellen, daß die Veränderungsdynamik sich in der spätmodernen Gesellschaft in Hinsicht auf Geschwindigkeit und Reichweite noch einmal steigert. Dieser Tatbestand hat zur Folge, daß dem Individuum neue Kompetenzen abverlangt werden, die es ihm ermöglichen, sich im Feld der Anerkennung zurechtzufinden und so zu positionieren, daß es Zugang zu dieser Ressource bekommt. Es ist nicht zuletzt die Veränderungsbeschleunigung in den Anerkennungsverhältnissen, mit denen der einzelne oft überfordert ist. Angesichts dieser Überforderung und des möglichen Scheiterns ist es nachvollziehbar, daß mitunter eine Sehnsucht nach komfortableren und überschaubareren Anerkennungsverhältnissen aufkommt, in denen weniger Eigeninitiative und Orientierungsarbeit erforderlich wären und in denen der kulturelle Dauerkonflikt wieder zur Ruhe käme. Grundsätzlich sind dabei allerdings zwei Ausrichtungen zu unterscheiden; die eine Variante der Sehnsucht, eher regressiv oder illusorisch, wendet sich rückwärts und ignoriert die historische Ausdifferenzierung individueller Denk- und Handlungsspielräume. Macht man sich klar, daß die Selbstverständlichkeit und Garantie sozialer Achtung historisch an die ständische Gesellschaftsordnung mit den dazugehörigen Einschränkungen, hierarchischen und normativen Vorgaben gebunden war, dann erscheint der Tausch mitsamt der Einbuße an individuellen Selbst- und demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten kaum noch ernsthaft wünschenswert. Mag für denjenigen, der in einen privilegierteren Stand hineingeboren wurde, die Zusicherung von „Ehre“ bequemer gewesen sein als es der allgemeine Kampf um „Prestige“ oder „Ansehen“ heute ist, so bleibt
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doch zu bedenken, daß die gegenwärtige Ordnung sozialer Wertschätzung zumindest von der Idee getragen ist, daß „jedes Subjekt ohne kollektive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren“ (Honneth 2003a, S. 210). Will man den geschichtlich errungenen Zuwachs an persönlicher Freiheit nicht aufgeben, so muß man wohl auch deren Kehrseite annehmen, das heißt die Anstrengung der Anerkennungs-Arbeit. Von der regressiv-illusorischen Sehnsuchts-Variante ist jedoch eine andere, progressive, zu unterscheiden. Ihre Haltung der neuen Anerkennungsordnung gegenüber ist als Wertschätzung auf der Grundlage kritischer Reflexion zu verstehen. Sie verachtet weder die Idee der offenen und vielgestaltigen Anerkennungsverhältnisse, noch läßt sie diese Idee zu einer hohlen Parole verkommen; sie ist stattdessen daran interessiert, sie zu verwirklichen. Von diesem Interesse geleitet, bewahrt sie im Strudel der Umstrukturierungen eine kritische Aufmerksamkeit dafür, wie die Ressource sozialer Unterstützung und Zustimmung tatsächlich in praktischen Lebensvollzügen verteilt wird. Immer deutlicher zeigt sich auch hier, was für die Prozesse der Globalisierung, Pluralisierung und Entstandardisierung generell gilt: daß es nämlich im „freien Spiel“ der Kräfte eindeutige Verlierer gibt, die auf Grund nicht selbst zu verantwortender Nachteile und Behinderungen nicht partizipieren können am „Spiel“ bzw. Kampf um soziale Wertschätzung. Die Benachteiligungen der „looser“ können unterschiedliche Ursachen haben, etwa körperliche, geistige oder psychische Behinderung, finanzielle Armut oder mangelhafte Ausbildung – oft, meistens, korrelieren diese Nachteils-Faktoren hoch miteinander und verstärken sich wechselseitig. Werden solche Benachteiligungen nicht durch stützende Solidarsysteme auf ein erträgliches Maß gemildert, engt sich der Handlungsspielraum dieser Menschen immer mehr ein und verkümmern ihre Lebensentwürfe. Zu den ohnehin erlittenen Einschränkungen kommen weitere hinzu. So verlieren die Benachteiligten unter dem Diktat neuer Standardisierung, die alle Offenheit und Pluralität zunichte macht, das heißt vor allem unter dem totalitären Druck kurzfristiger ökonomischer Effizienz, auch noch jegliche soziale Wertschätzung. Sie erfahren nur noch deren kleinste Schwundstufe: die To-
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leranz, und selbst die ist in Gefahr, so daß zunehmend Herabwürdigung und Mißachtung drohen.12 Um die „riskanten Chancen“ nutzen zu können, die die spätmoderne Anerkennungsordnung bietet, ist man angewiesen – das kam bereits an mehreren Stellen zur Sprache – auf ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Ressourcen oder „Kapitalsorten“13. Neben materiellem Kapital und Mitteln symbolischer Gewalt müssen soziale Ressourcen vorhanden sein. Dazu zählen die Netzwerke familiärer, beruflicher, persönlicher und intimer Beziehungen. In ihnen werden Identitätsentwürfe vorgestellt, erprobt, in Frage gestellt, demontiert, aufgegeben, umgestaltet und 12 An diesem Punkt zeigt sich, daß das Anerkennungsproblem auch eine zentrale Bedeutung gewinnt in der Diskussion um „Menschenzüchtung“. Konfrontiert mit den Möglichkeiten, die die gentechnologische Forschung anbietet, stehen Phänomene, die bislang als naturale Gegebenheiten hingenommen werden mußten, zur Disposition, und die evaluative Unterscheidung zwischen „lebens-wertem“ und -„unwertem“ menschlichen Dasein taucht erneut auf. Sie rückt das Anerkennungsproblem ins Zentrum praktischer Entscheidungen und eigenen Handelns. Unabhängig davon, ob es explizit reflektiert wird oder aus dem bewußt geführten Diskurs verdrängt, immer werden die praktischen Entscheidungen auf der Grundlage wertschätzender Haltungen und evaluativer Akte gefällt. Verschiedene Formen menschlichen Lebens werden nicht mehr als Schicksal hingenommen, das es in solidarischer Verantwortung zu bewältigen gilt, sondern sie werden einer Evaluation unterworfen, darauf hin geprüft, ob ihre Reproduktion wünschenswert sei und als Aufgabe für technologische Steuerungs- und Optimierungsmaßnahmen begriffen. In diesem Klima verändern sich, wenn nicht die Werte an sich, so doch der Umgang mit ihnen und die Form ihrer Proklamation; rücksichtsloser werden unerwünschte Eigenschaften verworfen, und Menschen, die leibhaftig mit abqualifizierten Behinderungen leben, geraten zunehmend unter Entwertungs-Druck. Inwiefern der hier skizzierte Zusammenhang von Effekten überlagert wird, die sich aus der Verknappung ökonomischer Ressourcen ergeben, wäre in empirischen Studien zu klären. Denn bedrängt von den Einsparerfordernissen in privaten und öffentlichen Haushalten, verringert sich zugleich die Bereitschaft zur Solidarität mit Benachteiligten und in der Folge auch die Kompetenz, Schätzenswertes in einem beschädigten Dasein aufzuspüren. 13 Zu Bourdieus Ansatz siehe Keupp et al. (2002, S. 198). Über die bisher genannten Voraussetzungen hinaus ist für eine gelingende Identitätsarbeit auch ein Transfer „von Kapitalien in identitätsrelevante Ressourcen“ notwendig (ebd., S. 201f.).
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behauptet. Identitätskonstruktionen, die kein monologischer Akt sind, finden hier eine zustimmende Unterstützung oder Ablehnung. Und hier, im dialogischen Austausch, oft auch in konflikthaften Auseinandersetzungen, wird Identität erst „wirklich im Sinne von real und im Sinne von wirkend“ (kursiv im Original; Keupp et al. 2002, S. 201). Auch sei noch einmal betont: die verschiedenen „Kapitalsorten“ stehen nicht unabhängig nebeneinander, und ihr Besitz allein ist nicht ausreichend für die Erschließung sozialer Wertschätzung und gelingende Identitätsarbeit. Mehrfach schon wurde die wechselseitige Beeinflussung und Verschränkung unterschiedlicher Ressourcen betrachtet. Im Mittelpunkt stand dabei bisher vor allem die Bedeutung der ökonomischen Macht. Zwar scheint deren Bedeutung angemessener beschrieben werden zu können, wenn man die Vorstellung von materieller „Basis“ und kulturellem „Überbau“ durch die von komplexen Netzwerken ersetzt, in denen es vielgestaltige Verknüpfungen gibt, dennoch hält die sozialpsychologische Netzwerkforschung als vertraut anmutendes Ergebnis fest: „Je höher der sozioökonomische Status einer Person ist, desto mehr Ressourcen hat sie für die aktive Beziehungsarbeit, desto weiter ist der soziale Möglichkeitsrahmen gespannt, aus dem persönliche Beziehungen realisiert werden können“ (Keupp 1989, S. 57). Durch alle spätmodernen Diskontinuitäten hindurch und über alle Brüche hinweg erhält sich die eine alt-moderne Konstante: „Die eingehenden empirischen Analysen [...] zeigen, wie sich dem ‚freigesetzten’ Individuum der Moderne, das sich selbst kaum noch in Kategorien von Klassenzugehörigkeit zu definieren vermag, die sozialstrukturelle Unterschiedlichkeit im Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen als unverändert wirksam erweist: Je höher der Bildungsstand einer Person ist, desto größer sind ihre Netzwerke, desto mehr sozialen Begleitschutz hat sie, desto vertrauter sind die Beziehungen und desto weiter ist die geographische Reichweite der Beziehungen. Mit dem Einkommen steigt die Zahl der vertrauten Personen, die nicht aus der Verwandtschaft stammen und es wächst auch die Qualität und die Sicherheit der von diesen Personen erwartbaren praktischen und gemeinschaftlichen Unterstützung“ (ebd., S. 58).
In Hinblick auf Identitätskonstruktionen als Arbeit in und mit Netzwerken kann man festhalten: ökonomische Ressourcen sind
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eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Damit Identitätsarbeit gelingen kann, müssen weitere Faktoren ins Spiel kommen und das in bestimmter Weise. Für die Identitätsentwicklung ist „weniger der bloße Besitz dieser Ressourcen relevant als vielmehr die Art, wie diese im Rahmen einer Identitätsentwicklung für die jeweiligen Prozesse in identitätsrelevante Abläufe übersetzt werden“ (Keupp et al. 2002, S. 201). Keupp et al. benennen dazu zwei wichtige Transformationsleistungen: „In der ersten werden unter der Perspektive der Identitätsentwicklung bestimmte Kapitalien in andere Kapitalsorten verwandelt. In der zweiten werden ‚äußere Kapitalien’ in identitätsrelevante innere Kapitalien/Ressourcen übersetzt“ (ebd., S. 201f.). Dieser zweite Fall bedarf hier keiner weiteren Erläuterung, da die Anerkennungsressource per definitionem schon subjektive Relevanz besitzt; denn in der sozialen Wertschätzung beziehen sich menschliche Subjekte positiv auf ihre konkreten, lebensgeschichtlich entwickelten Eigenschaften und Fähigkeiten. Dadurch können Identitätsentwürfe angereichert werden, und die Arbeit am Identitätsprojekt findet in Krisensituationen Rückhalt und emotionale Unterstützung. Ein Beispiel für den ersten Fall wäre etwa der Transfer von kulturellen Ressourcen in ökonomische. Das „inkorporierte Kulturkapital“ eines angesehenen Musikers oder das „institutionalisierte Kulturkapital“14 eines renommierten Wissenschaftlers können beispielsweise mittels Benefizveranstaltungen oder Symposien in ökonomisches Kapital übersetzt werden. Dieses kann in Form von Spenden an Hilfsbedürftige weitergeleitet werden, die ansonsten von keinen tragenden Netzwerken gestützt sind. Zugleich können dabei auch soziale Ressourcen für Menschen erschlossen werden, die im gesellschaftlichen Abseits stehen. So kann das Renommee eines Künstlers die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf Randgruppen lenken, die bislang wenig eigene Möglichkeiten wirksamer Selbst-Darstellung hatten; das heißt, er kann sein kulturelles Kapital einsetzen, um Verständnis, Empathie und Respekt gegenüber Benachteiligten zu fördern.
14 Zu den drei Formen des kulturellen Kapitals: inkorporiertes, objektiviertes und institutionalisiertes, siehe Keupp et al. (2002, S. 199).
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Anerkennung und Selbstbeziehung Um die Bedeutung genauer zu bestimmen, die die soziale Wertschätzung für die Selbstwerdung hat, soll der Aspekt der subjektiven Relevanz wieder aufgegriffen werden, der zum Schluß des letzten Abschnitts erwähnt wurde. Honneth beschreibt in dem bereits vorgestellten Kapitel über „Muster intersubjektiver Anerkennung“, daß mit der Erfahrung sozialer Wertschätzung eine bestimmte Art von individuellem Selbstverständnis einhergehe. Wiederum in der Gegenüberstellung der vormodernen und der postkonventionellen Anerkennungsordnungen arbeitet er die historische Transformation im Selbstverhältnis heraus: „Solange die Anerkennungsform der Wertschätzung ständisch organisiert ist, kann sich die mit ihr korrespondierende Erfahrung der sozialen Auszeichnung weitgehend nur auf die kollektive Identität der eigenen Gruppe beziehen: noch sind nämlich die Leistungen, für deren gesellschaftlichen Wert der einzelne sich anerkannt finden mag, so wenig von den typisierten Kollektiveigenschaften seines Standes abgehoben, daß er auch nicht sich selbst als individuiertes Subjekt, sondern nur die Gruppe in ihrer Gesamtheit als Adressat der Wertschätzung empfinden kann. Die praktische Selbstbeziehung, zu der eine derartige Erfahrung von Anerkennung die Individuen gelangen läßt, ist daher ein Gefühl des Gruppenstolzes oder der kollektiven Ehre“ (Honneth 2003a, S. 207f.). „Mit der geschilderten Individualisierung dieser Anerkennungsform verändert sich jedoch auch das praktische Verhältnis, in das sie die Subjekte mit sich selbst treten läßt; der einzelne muß jetzt die Achtung, die er für seine Leistungen gemäß kulturellen Standards sozial genießt, nicht länger einem ganzen Kollektiv zurechnen, sondern kann sie positiv auf sich selbst zurückbeziehen“ (ebd., S. 209).
Diese Art der praktischen Selbstbeziehung nennt Honneth im Anschluß an die Begriffe „Selbstwertgefühl“, „Selbstvertrauen“ und „Selbstachtung“ „Selbstschätzung“ (ebd.). Die begriffliche Parallele in diesem Kompositum verweist darauf, daß das Gefühl der Selbstschätzung mit der Erfahrung sozialer Wertschätzung einhergeht. Die Erfahrung der Anerkennung durch andere ist eng verbunden mit der eigenen evaluativen Haltung sich selbst gegenüber; doch gerät man, sobald man danach fragt, wie die Vermitt-
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lung zwischen beiden genauer zu denken sei, auf umstrittenes Gebiet oder schwankenden Boden. Verschiedene, zum Teil konkurrierende theoretische Ansätze versuchen, die zeitliche Struktur und das Bedingungsverhältnis aufzuklären. Einerseits liegt es nahe, im Sinne interaktionistischer Theorien eine Vorgängigkeit der sozialen vor der Selbst-Schätzung anzunehmen und letztere als Resultat eines mehrstufigen Prozesses von Verinnerlichungen aufzufassen. Demnach orientiert der einzelne sein Verhalten an einer Regel, die er aus der Synthetisierung der Perspektiven unterschiedlicher Gesellschaftsmitglieder gewonnen hat. Er verinnerlicht Handlungsnormen, die aus der Generalisierung der Verhaltenserwartungen anderer hervorgegangen sind. Diese Übernahme verschafft dem Individuum soziale Zustimmung. Es gelangt durch die Übernahme der Handlungsnormen des „generalisierten Anderen“ zur Identität eines sozial akzeptierten Mitglieds seines Gemeinwesens, und daraus erwächst wiederum Selbstachtung. Honneth faßt dieses intersubjektive Geschehen anfangs unter den Begriff der Anerkennung: „in dem Maße, in dem der Heranwachsende seine Interaktionspartner auf dem Weg der Verinnerlichung ihrer normativen Einstellungen anerkennt, kann er sich selbst als ein Mitglied ihres sozialen Kooperationszusammenhanges anerkannt wissen“ (S. 126). Und er macht darauf aufmerksam, daß G.H. Mead, dessen interaktionistischer Ansatz den gerade skizzierten Überlegungen zugrundeliegt, selber vorschlägt, „hier von einer Beziehung der wechselseitigen Anerkennung zu sprechen: ‚Das ist jene Identität, die sich in der Gemeinschaft halten kann, die in der Gemeinschaft insoweit anerkannt wird, als sie die anderen anerkennt’“ (ebd.). Später, im neuen Nachwort der Ausgabe des Kampf um Anerkennung von 2003, legt Honneth die Revision einiger Kernelemente seiner Arbeit vor. Zu dieser Revision zählt auch die Abkehr von Mead: „Inzwischen bin ich allerdings wieder von der Meadschen Sozialpsychologie abgerückt, weil mir Zweifel gekommen sind, ob sich seine Vorstellungen tatsächlich im strikten Sinn als Beiträge zu einer Anerkennungstheorie verstehen lassen: im Grunde genommen reduziert sich nämlich das, was bei Mead ‚Anerkennung’ heißt, auf den wechselseitigen Akt der Perspektivübernahme, ohne daß dabei die Art der Hand-
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lung des jeweils Anderen von ausschlaggebender Bedeutung wäre“ (ebd., S. 312).
Honneths Revision in diesem Punkt erscheint plausibel; denn bei genauerer Prüfung wird klar, daß man einerseits die Perspektive eines anderen übernehmen kann, ohne dies explizit mit einer wertschätzenden Haltung zu begleiten oder gar zu begründen – etwa in routiniert-nachahmendem Verhalten; und andererseits kann man den Standpunkt eines anderen anerkennen, ohne ihn selber zu übernehmen. Anerkennung und Perspektivenübernahme sind also nicht aufeinander zu reduzieren, sondern müssen, auch wenn sie inhaltlich Berührungspunkte haben, als unterschiedliche Akte betrachtet werden. Unabhängig von dieser Diskussion um Meads Theorem der Perspektivenübernahme kann dennoch für unseren Argumentationszusammenhang als ein möglicher Erklärungsansatz die These herangezogen werden, daß die Selbstschätzung aus der Erfahrung sozialer Wertschätzung folge. Der einzelne synthetisiert zunächst verschiedene Handlungserwartungen anderer Gesellschaftsmitglieder und gewinnt daraus eine Regel, an der er sein eigenes Verhalten orientiert. Wird das als Perspektivenübernahme, das heißt als Verinnerlichung anderer Standpunkte vorgestellt, so vollzieht sich allerdings die Übernahme der evaluativen Haltung erst in einem weiteren, zusätzlichen Schritt: indem der einzelne seine Identität unter der Berücksichtigung bestehender sozialer Erwartungen ausbildet, wird er als Mitglied seines Gemeinwesens anerkannt und geschätzt. Und erst die Verinnerlichung dieser erfahrenen sozialen Wertschätzung setzt die evaluative Haltung der Selbstschätzung frei. Die Vorstellung, daß die Selbstschätzung aus der Erfahrung sozialer Wertschätzung durch den psychischen Mechanismus der „Verinnerlichung“ oder Perspektiven“übernahme“ hervorgehe, erweist sich indes bei näherer Prüfung als zu plakativ. Es handelt sich bei der Selbstschätzung nicht um die plane Abbildung eines „äußeren“ evaluativen Aktes in einem „inneren“, subjektiven. Vielmehr muß das Phänomen inmitten vielschichtiger und verwickelter Prozesse verstanden werden, die die Identitätskonstruktion ausmachen. Wurde im letzten Abschnitt versucht, die Erschließung und Nutzung der sozialen Ressource der Anerkennung als Netzwerkarbeit zu kennzeichnen, so sind diese Überle-
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gungen hier weiter zu entwickeln, indem aufgezeigt wird, daß auch das praktische Selbstverhältnis der Selbstschätzung in einem komplexen Geflecht vielfältiger Beziehungen zu begreifen ist. Während diese Vorstellung den strukturellen Zusammenhang erfaßt, muß zugleich an den Prozeßcharakter der Identitätskonstruktionen erinnert werden. Dementsprechend ist auch das praktische Selbstverhältnis der Selbstschätzung nichts Statisches, sondern es unterliegt, wie alle Facetten des Selbst, permanenten Wandlungen und dem Wechsel von Kontinuität und Diskontinuität. Im Zuge der je neuen Ausbalancierung und in dem konflikthaften Bemühen, ein je stimmiges Passungsverhältnis zwischen inneren und äußeren Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnissen herzustellen, verändert sich auch die Selbstschätzung, so daß diese Prozesse differenzierter betrachtet werden müssen als es das Schlagwort der „Verinnerlichung“ sozialer Wertschätzung erlaubt. Wie schon die Ausführungen über „Selbstwerdung als Konstruktionsaufgabe“ gezeigt haben, ist das Selbst kein monolithisches Gebilde. Ganz unterschiedliche theoretische Modelle versuchen, seine Komplexität zu erfassen. So legt beispielsweise Werner Greve eine „dreidimensionale Topographie des Selbst“ vor (Greve 2000, S. 20). In ihr unterscheidet er auf der 1. Achse eine kognitive/deskriptive Perspektive von einer emotionalen/evaluativen; 2. Achse zeitliche Perspektiven. In retrospektiver, aktueller und prospektiver Sicht erinnert das Individuum seine Geschichte, erfährt es sich in der Gegenwart und entwirft es auf der Grundlage seiner Biographie und aktuellen Bedürfnisse, Hoffnungen, Befürchtungen etc. seine Zukunft; 3. Achse die Modalitäten des „realen“ und des „möglichen“ Selbst. Diese dreidimensionale Topographie, in deren Rahmen klassische Konzepte der Psychologie des Selbst einzuordnen sind, läßt sich erweitern zum Beispiel um eine Handlungsdimension, auf der psychoanalytisch fundiert, bewußt oder unbewußt motivierte Aktionen zu unterscheiden wären. Oder im Anschluß etwa an Keupps Modell der Teilidentitäten wäre danach zu differenzieren, auf welchem Abstraktionsniveau die das Selbst betreffende Erfahrung reflektiert wird: auf der Ebene
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a) der situativen Selbstthematisierungen, b) der Teilidentitäten (Arbeit, Freizeit, Familie, Gesundheit usw.) c) der Metaidentität („Dominierende Teilidentität“, „Biographische Kernnarrationen“, „Identitätsgefühl“) (Keupp et al. 2002, S. 217ff.). Je nachdem, was für ein Modell des Selbst man zugrundelegt, wird man auch das praktische Selbstverhältnis der Selbstschätzung spezifischer erfassen können. Bedeutet es grundlegend eine positive, wertschätzende Haltung sich selbst gegenüber, so ist genauer zu bestimmen, ob diese Wertschätzung einzelnen Eigenschaften oder Leistungen gilt, ob diese situationsspezifisch betrachtet werden oder auf der Folie zunehmender Generalisierung der Selbstthematisierung. Weiterhin ist zu beachten, daß der evaluative Akt der Selbstschätzung aufs engste verbunden ist mit Emotionen, was im Begriff des „Selbstwertgefühls“ am prägnantesten zum Ausdruck kommt. Je nach den charakteristischen Merkmalen des Werturteils sowie des Kontextes der Identitäts-Narration wird es Gefühle von Stolz, Freude, Genugtuung o.ä. auslösen. Da die evaluative Ebene auch nicht isoliert ist von der kognitiv-deskriptiven, motivationalen sowie der Handlungsebene, kann die Selbstschätzung ihrerseits stark beeinflußt sein von kognitiven und Handlungskompetenzen. Aufgrund der unterschiedlichen Konkretions- bzw. Abstraktionsebenen, der verschiedenen Dimensionen des Selbst und deren wechselseitiger Beeinflussung ist daher auch die Bedeutung der sozialen Anerkennung für das Selbstverhältnis des Individuums nur im Kontext der konkreten Identitätsarbeit angemessen zu beschreiben. Die soziale Ressource der Anerkennung kann nur im Zusammenspiel bestimmter Handlungskompetenzen, kognitiver und emotionaler Voraussetzungen erschlossen und in die evaluative Haltung der Selbstschätzung sowie die damit korrespondierenden Gefühle der Freude oder des Stolzes transformiert werden. Es müssen Handlungskompetenzen im Sinne sozialer Anpassung und lebensweltlicher Klugheit gegeben sein, um soziale Wertschätzung provozieren zu können. Wird diese in Worten, Gesten oder symbolischen Auszeichnungen ausgedrückt, muß das Individuum sie wahrnehmen, angemessen encodieren und auf sich beziehen. Daß dies nicht selbstverständlich erfolgt, erläutern zum
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Beispiel Keupp et al., indem sie drei Dimensionen der Anerkennung unterscheiden: a) Aufmerksamkeit von anderen (non-/verbal) b) Positive Bewertung durch andere c) Selbstanerkennung. Das „Gefühl der Anerkennung“, das heißt: nicht das soziale Faktum, sondern die subjektiv erlebte Wertschätzung, entwickele sich erst im Zusammenspiel dieser drei Dimensionen. „Erst wenn alle drei Elemente ‚erfüllt’ sind, kann eine erfahrene Selbstthematisierung ihre ‚anerkennende’ Wirkung entfalten. Fehlt eine der drei Komponenten, bleibt die Anerkennung unvollständig und wird vom Subjekt mit Zweifeln erlebt“ (ebd., S. 256). Zur weiteren Erklärung führen Keupp et al. aus, daß sich vier „Gefährdungsvarianten“ analytisch unterscheiden lassen (ebd., S. 256ff.): 1. Keine Aufmerksamkeit Basisgefährdung: niemand nimmt Notiz von einem; vor allem isoliert lebende Personen klagen über diese Form der NichtBeachtung. 2. Erfahrene Aufmerksamkeit, aber wenig positive Bewertungen a) fehlende Wertschätzung wird ins Negative radikalisiert; b) seltener: innerer Widerstand, bei dem ich das, was ich tue, als wertvoll erachte, obwohl die anderen mir dies nicht zurückspiegeln. 3. Trotz Aufmerksamkeit und erfahrener positiver Wertschätzung durch signifikante Andere wenig Selbstanerkennung a) Pessimisten, die dem, was sie hören und spüren, nicht vertrauen; b) Folge traumatischer früherer Erfahrungen, die stärker wirken als positive Gegenwartserfahrungen. 4. Hohe Selbstwertschätzung, die mit wenig Rückbezug auf geäußerte positive Bewertung und Aufmerksamkeit anderer gelebt wird. Beruht auf dem Gefühl eigener Überlegenheit; egoistisches, narzißtisches Selbstverständnis. Diese Übersicht macht deutlich, daß es kein einfaches Ableitungsverhältnis, keine lineare Überführung von „äußerer“ in „innere“ Bewertung gibt, sondern komplex vermittelte Verhältnisse der Entsprechung, Diskrepanz und Transformation. Sucht man im
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Rahmen eines nomothetischen Forschungsparadigmas nach gesetzmäßigen Kausalbeziehungen, müßten diese durch die Berücksichtigung zahlreicher Einflußfaktoren bis zur Unüberschaubarkeit relativiert werden.15 Idiographische Verfahren tragen dem von vornherein Rechnung, und der Ansatz, Identitätskonstruktionen als Selbst-Narration aufzufassen, erweist sich hier erneut als vorteilhaft. Einen Zugang zu den Selbst-Narrationen findet man, ähnlich wie zu anderen „Texten“, in hermeneutischer Arbeit. Ihre Aufgabe besteht nach Schleiermacher, dem Klassiker der neuzeitlichen Hermeneutik, darin, Fremdes verstehend zu erschließen. Dabei wäre der Rückgriff gerade auf Schleiermacher interessant für den Versuch, Identitätskonstruktionen aufzuklären, weil er das hermeneutische Vorgehen nicht als Nacherleben im Sinn von Sich-Hineinversetzen konzipiert, wie es Dilthey postuliert, sondern als „Nach-konstruieren“:
15 Zur Illustration dieses Problems sei beispielhaft eine empirische Studie von Staudinger et al. herangezogen, die sich im Kontext des sogenannten Zufriedenheitsparadoxes mit der Frage befaßt, ob selbstregulative Prozesse oder Persönlichkeitseigenschaften zur psychologischen Widerstandsfähigkeit im Alter beitragen (Staudinger et al. 1996). Es zeigt sich, daß Protektivität nur in Abhängigkeit von spezifischen Entwicklungskontexten zu bestimmen ist. Zwar werden Zusammenhänge zwischen bestimmten Ausprägungen in Persönlichkeitsdimensionen (Neurotizismus, Extraversion) und Bewältigungsstilen („reife“, „regressive“) gefunden, doch bleibt die Interpretation der Wirkungsrichtung spekulativ. Zudem verändern sich die Korrelationen zum Teil grundlegend, wenn man spezifische Entwicklungskontexte unterscheidet. So wird der Risikofaktor Neurotizismus unter der Bedingung körperlicher Beeinträchtigungen zum protektiven Faktor, und im Fall sozioökonomischer Einschränkungen oder körperlicher Beeinträchtigungen werden (a) die protektiven Bewältigungsstile dysfunktional, (b) der „regressive“ Bewältigungsstil hingegen protektiv. So kommt die Auswertung der Daten zu dem Ergebnis, daß es nicht sinnvoll sei, von dem protektiven oder dem Risikofaktor zu sprechen. Am Beispiel solcher konkreten Analysen wird deutlich, daß immer differenziertere Forschungsdesigns notwendig sind, um die Abhängigkeit der Befunde von internen und externen Entwicklungskontexten bzw. individuellen biographischen Konstellationen aufzuklären. Und es erscheint angebracht, das nomothetische Forschungsparadigma durch idiographische Verfahren zu ergänzen.
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„Das Ziel der Hermeneutik ist das Verstehen im höchsten Sinne. [...] Man hat nur verstanden, was man in allen seinen Beziehungen und in seinem Zusammenhange nachconstruirt hat“ (Schleiermacher 1985 [1809/10], S. 1273).
Und diese Aufgabe ist eine unendliche.
Antwort, Vorgriff und Widerspruch Quer zu Keupps Unterscheidung von vier „Gefährdungsvarianten“ läßt sich eine andere Systematik erstellen, anhand derer das Problematische im Verhältnis zwischen sozialer Anerkennung und Selbstschätzung diskutiert werden soll. Ausgehend von den beiden Fällen, daß positive Selbstschätzung A. fehlt, B. vorhanden ist, wird gefragt, ob das Selbstverhältnis der Bewertung durch andere entspricht oder im Widerspruch dazu steht: A.
B.
(-) I. () II. (#)
negative Soziale „
Selbsteinschätzung Anerkennung „
fehlt ist gegeben
(+) I. () II. (#)
positive Soziale „
Selbsteinschätzung Anerkennung „
ist gegeben fehlt
A. I. Im ersten Fall entspricht die fehlende Selbstachtung der Bewertung durch andere. Das Individuum erfährt Mißachtung, Herabwürdigung oder Demütigung und bezieht sie im Sinne der dargestellten Individualisierungsprozesse der Anerkennungsordnung auf die besonderen Merkmale der eigenen Person oder Biographie. Denn so wie der einzelne unter postkonventionellen Bedingungen soziale Auszeichnung nicht mehr auf die kollektive Identität seiner Gruppe oder seines Standes zurückzuführen braucht, sondern sie seinen eigenen Leistungen zuschreiben kann, die lebensgeschichtlich entstanden sind, so versteht er sich andererseits auch als Adressat sozialer Mißachtung. Das geht einher mit dem Selbstverhältnis der Verachtung und der Empfindung von Scham.
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Erhellend für das Verständnis dieses existentiellen Gefühls, das im historischen Wandel eine je spezifische soziale Gestalt gewinnt, sind die Ausführungen von Sighard Neckel. In seiner Studie über Achtungsverlust und Scham untersucht er die historischen Transformationen moralischer und sozialer Scham, ihre Bedeutung für die Handlungsregulierung sowie für die Identitätsarbeit. Bezug nehmend auf den Prozeß der Individualisierung sozialer Lagen und Bewußtseinsformen, erklärt er: „Weil der Wert der Individualität ansteigt, wird Scham als die Empfindung eines gestörten Selbstwerts vom Subjekt nicht weniger belastend empfunden als in Zeiten, in denen sich der einzelne nicht als Individuum, sondern als Repräsentant seiner Gruppe empfand. Je weniger zudem ein moralisches Gewissen den Entwurf persönlicher Identität bestimmt, desto eher öffnet sich das Ich-Ideal den äußeren Einflüssen sozialer Bewertung. Dieser Prozeß läßt sozialer Scham in der modernen Gesellschaft eine größere Bedeutung für die normative Ausrichtung des Subjekts zukommen als dem moralischen Schuldgefühl“ (Neckel 1993, S. 261).
In dieser Argumentation wird die Rolle der Scham für die Ausbildung psychischer Instanzen und Mechanismen beschrieben. Ähnlich begegnete sie schon in Norbert Elias’ Studien Über den Prozeß der Zivilisation, wo er in der „Angst vor dem Verlust oder auch nur vor der Minderung des gesellschaftlichen Prestiges“ einen „der stärksten Motoren zur Umwandlung von Fremdzwängen in Selbstzwänge“ (Elias 1997, S. 377) ausfindig macht. Erscheint die Scham als Reaktion auf soziale Demütigung hier in bezug auf zivilisatorische Prozesse funktional, so kann sie vom Individuum allerdings unter bestimmten Umständen als gleichsam vernichtend erlebt werden. Eines der eindrucksvollsten Dokumente, die diese Wirkung der Mißachtung und Beschämung beschreiben, ist Anton Reiser, ein Roman von Karl Philipp Moritz, der in vier Teilen zwischen 1785 und 1790 erschien. Der Autor gibt ihm die Gattungsbezeichnung „ein psychologischer Roman“, und der Literaturwissenschaftler Hans Joachim Schrimpf präzisiert diesen Werkcharakter weiter: es sei „der Rechenschaftsbericht eines scharfsichtigen Diagnostikers, eine in pädagogisch-therapeutischer Absicht
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geschriebene, sozialpsychologisch orientierte ‚Anamnese’: Autobiographie als Pathologie“ (Schrimpf 1980, S. 49). In der „Vorrede“ kündigt der Erzähler an, er schildere „die innere Geschichte des Menschen“, wolle „den Blick der Seele in sich selber schärfen“ und dem Menschen „sein individuelles Dasein wichtiger“ machen (Moritz 1981, S. 36). Dieses Vorhaben zieht keineswegs die Abkehr von der äußeren Realität nach sich, sondern der Autor macht in kritischen Analysen die sozialen, ökonomischen und ideologischen Unterdrückungsmechanismen der Epoche des ausgehenden 18. Jahrhunderts kenntlich. In ihnen sieht er die Ursache für das Leiden des Protagonisten. Von zentraler Bedeutung sind dabei der Mangel an Aufmerksamkeit (die „1. Gefährdungsvariante“ nach Keupp et al.), die Verweigerung bzw. der Entzug von Anerkennung sowie massive Demütigungen. Dieses Thema durchzieht das ganze Werk. Eine Passage, in der die zerstörerische Wirkung erlittener Beschämung geschildert wird, findet sich im II. Teil. Anton Reiser, der „von der Wiege an unterdrückt ward“ (S. 40), der von seinen Eltern „fast ganz vernachlässigt wurde und sich, sooft man von ihm sprach, mit einer Art von Geringschätzung und Verachtung nennen hörte, die ihm durch die Seele ging“ (S. 41), besucht, etwa 15jährig, das Lyzeum. Er lebt von den Eltern getrennt, in Abhängigkeit von verschiedenen Gönnern, die ihm den ersehnten Schulbesuch ermöglichen. Doch der „Stand der geringsten Lehrburschen eines Handwerkers ist ehrenvoller, als der eines jungen Menschen, der, um studieren zu können, von Wohltaten lebt, sobald ihm diese Wohltaten auf eine herabwürdigende Art erzeigt werden“ (S. 152).
Unter zahlreichen kränkenden Demütigungen bleibt Anton Reiser eine ungerechte Beschuldigung unvergeßlich. Er fühlte sich erniedrigt, „er war in einem solchen Zustande, wo man gleichsam zu versinken, oder in einem Augenblick gänzlich vernichtet zu sein wünscht. Ein Zustand, der eine Art von Seelenlähmung hervorzubringen vermag, welche nicht so leicht wieder gehoben werden kann. – Man fühlt sich in einem solchen Augenblick gleichsam wie vernichtet, und gäbe sein Leben darum, sich vor aller Welt verbergen zu können. – Das Selbstzu-
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trauen, welches der moralischen Tätigkeit so nötig ist, als das Atemholen der körperlichen Bewegung, erhält einen so gewaltigen Stoß, daß es ihm schwer hält, sich wieder zu erholen“ (S. 153). „Kurz, Reiser hat in seinem Leben nichts Schrecklicheres empfunden als diesen Zustand der Beschämung, worin ihn oft eine Kleinigkeit versetzen konnte. – Alles andere griff nicht so sein innerstes Wesen, sein eigentliches Selbst an, als gerade dies. In Ansehung dieser Art des Leidens hat er auch das stärkste Mitleid empfunden. Um jemandem eine Beschämung zu ersparen, würde er mehr getan haben, als um jemanden aus wirklichem Unglück zu retten: denn die Beschämung deuchte ihm das größte Unglück, was einem widerfahren kann“ (S. 154).
In dem Augenblick, als er eine beschämende Verachtung erlebt, kam er sich „so unbedeutend, so weggeworfen, so nichts vor, daß ihm sein Gesicht, seine Hände, sein ganzes Wesen zur Last war“ (S. 155). „Hätte Reiser irgend jemanden gehabt, der an seinem Schicksal wahren Anteil genommen hätte, so würden ihm dergleichen Begegnungen vielleicht nicht so kränkend gewesen sein. Aber so war sein Schicksal an die eigentliche Teilnehmung anderer Menschen nur mit so schwachen Fäden geknüpft, daß die anscheinende Ablösung irgend eines solchen Fadens ihn plötzlich das Zerreißen aller übrigen befürchten ließ, und er sich dann in einem Zustande sah, wo er keines Menschen Aufmerksamkeit auf sich mehr erregte, sondern sich für ein Wesen hielt, auf das weiter gar keine Rücksicht genommen wurde. – Die Scham ist ein so heftiger Affekt, wie irgend einer, und es ist zu verwundern, daß die Folgen desselben nicht zuweilen tödlich sind“ (S. 155).
Hier wird die vernichtende Wirkung sozialer Demütigung und Beschämung deutlich gemacht. Wurde Anerkennung anfangs als notwendige Ressource für Identitätsarbeit dargestellt, so wird diese Auffassung auch ex negativo bestätigt. Unterstützende Aufmerksamkeit, Achtung und Wertschätzung sind lebensnotwendig. Fehlen sie, so kommen Prozesse der Subjektwerdung nicht in Gang oder sie verkümmern. Das Individuum kann nicht mehr antworten, es kann sich nicht mehr in seiner Besonderheit darstellen, sondern will „versinken“, „gänzlich vernichtet“ sein, „sich vor aller Welt verbergen“. Die „Art von Seelenlähmung“, die durch Beschämung bewirkt wird, beendet jeglichen Austausch
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und lebendige Dynamik. Der Eingriff in das „innerste Wesen“ oder das „eigentliche Selbst“ ist so schmerzhaft, daß es verwundert, daß die Folgen „nicht zuweilen tödlich“ sind, also die ganze physische Existenz mit auslöschen. Was hier geschildert wird, ist keine Erzählvariante der Selbst-Narration mehr, sondern deren Zerstörung. Moritz demonstriert in diesem Roman, wie „individuelle menschliche Persönlichkeitsentfaltung und selbstverantwortliche Eingliederung in die Gesellschaft nicht [kursiv im Original] zustande kommen“ (Schrimpf, S. 54). Die sozialpsychologische Einschätzung, die nach Formen der Identitätsarbeit fragt, findet eine Entsprechung in der literaturwissenschaftlichen Einordnung des Werks: Moritz hat „das Problem des Entwicklungsromans so scharf gesehen und gestellt wie vor und außer ihm kein zweiter. Die Rolle, die ‚Anton Reiser’ innerhalb der Geschichte dieser Gattung gespielt hat, ist eine produktiv-negative: er ist ein negativer Bildungsroman, ein Anti-Bildungsroman, ja man kann sagen ein sozialpsychologisch demaskierter‚ Verbildungsroman“ (Schrimpf, S. 54). Dieser „Verbildungsroman“ macht sichtbar, welche destruktive Wirkung der Mangel an wertschätzender Aufmerksamkeit für die individuelle Entfaltung haben kann – ja, wenn er so tief und umfassend erlebt wird wie von Anton Reiser, – haben muß. Es ist allerdings zu beachten, daß man, geleitet von dem Eindruck so extremer biographischer Erfahrungen, in der sozialpsychologischen Beschreibung nicht generell ein automatisches und einfachlineares Ableitungsverhältnis zwischen „äußerer“ Mißachtung und Selbst-Verachtung unterstellen darf. Wie im Fall positiver Wertschätzung sind auch hier die abschätzigen Akte und deren Wahrnehmung in komplexe Selbst-Narrationen eingebettet. Wie das Selbst ist zudem auch die evaluative Haltung „des generalisierten Anderen“ kaum etwas Monolithisches, so daß eine erlittene Demütigung unter bestimmten Bedingungen durch andere, wertschätzende Äußerungen kompensiert werden kann. Auch der Autor des Romans reflektiert diese Möglichkeit: „Hätte Reiser irgend jemanden gehabt, der an seinem Schicksal wahren Anteil genommen hätte, so würden ihm dergleichen Begegnungen vielleicht nicht so kränkend gewesen sein“. In Abhängigkeit von dem vielschichtigen biographischen Geflecht sowie von der Reichweite und dem Generalisierungsgrad der Herabwürdigung wird ein Individuum die Erfahrung von Mißachtung unterschiedlich ver-
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arbeiten und in die Identitätskonstruktion integrieren. Neben Scham kann es mit Selbstzweifeln reagieren, die sich eventuell auf einen Lebens- oder Leistungsbereich beschränken, oder auch mit schwerer Depression. A. II. Der zweite Fall, in dem Selbstachtung trotz positiver Wertschätzung durch andere nicht entwickelt wird, begegnete als dritte „Gefährdungsvariante“ bei Keupp et al. Tritt diese Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbewertung nicht nur in einzelnen Situationen auf, sondern regelmäßig, so sind systematische Verzerrungen auf Seiten des Subjekts zu vermuten, die auf traumatische Erfahrungen zurückzuführen sind. Eine genauere Untersuchung dieses Problems wäre Gegenstand der Klinischen Psychologie. Dabei wären sozialpsychologische und interpersonale Ansätze in der diagnostischen und therapeutischen Arbeit im Sinne eines biopsycho-sozialen Modells psychischer Störungen miteinzubeziehen. Dieses Thema wird im Rahmen entwicklungspsychologischer Modelle im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung weiter berücksichtigt. B. I. Im dritten Fall geht eine positive Selbstschätzung mit der Erfahrung sozialer Anerkennung einher. (1) Zunächst kann das Entsprechungsverhältnis zwischen Selbstund Fremdbewertung als Ausdruck gelungener Identitätsarbeit verstanden werden. Das Subjekt orientiert sich an den Normen und Erwartungen seiner Gruppe oder des Gemeinwesens, in dem es seine personale und soziale Identität konstruiert. Es stellt im Prozeß der Selbst-Narration Balancen her zwischen sozialen Anforderungen und eigenen Entwürfen zur Selbstverwirklichung. Gelingt dies, findet das Bemühen um akzeptable Passungen zustimmende Unterstützung durch andere und wird es begleitet von Selbstachtung, so kann das als geglückte Selbstnarration gelten. Wie die Untersuchung des Verhältnisses von sozialer Anerkennung und Selbstbeziehung im vorigen Abschnitt gezeigt hat, ist die Vermittlung zwischen beiden komplexer zu denken und nicht durch eine einfache Ableitung oder „Verinnerlichung“ eines Äußeren zu erklären. Über die bereits vorgelegte Diskus-
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sion des interaktionistischen Theorems der „Perspektivenübernahme“ hinaus kann das Verhältnis als Antwortgeschehen aufgefaßt werden. Dabei geht es auch hier nicht um einen einfachen Mechanismus, wie ihn etwa das Stimulus-responseSchema konzeptuell anbietet, sondern um sich überlagernde und vielfach vermittelte Handlungs- und Reflexionsvollzüge. So greift eine erste Annäherung zu kurz, nach der ein Individuum mit seiner Selbst-Narration auf Normen und Erwartungen des „generalisierten Anderen“ antwortet, dieser darauf mit wertschätzender Zustimmung reagiert, woraufhin das Individuum wiederum mit gestärktem Selbstwertgefühl respondiert. Für solch ein Modell, das nur oberflächliche Varianten des Phänomens erfaßt, scheinen die mythologischen Gestalten von Echo und Narziß Pate gestanden zu haben: das verwünschte Individuum sucht in spiegelnder Bestätigung immer nur sich selbst, und der „generalisierte Andere“, unfähig, eine Rede zu beginnen, ist zur bloßen Wiederholung eines Restes fremder Rede verdammt. Oder umgekehrt, gibt der „generalisierte Andere“, ein Staat mit totalitärem Machtanspruch, eine „Parole“ aus, und der einzelne hat die Aufgabe, in affirmierender Phrase seine Gefolgschaft zu bekunden. Gegen solch eine Auffassung vom Antworten, das zum Echo und spiegelnder Selbstbestätigung verkümmert ist, sind die Einsicht in die intersubjektive Struktur personaler Identität und der Befund, daß Anerkennung eine notwendige Ressource für gelingende Selbstwerdung sei, zu bewahren. Das heißt, die Reformulierung der Prozesse der Identitätskonstruktion als Antwortgeschehen hat zweierlei zu berücksichtigen: daß 1. die Anerkennung eine konstitutive Bedeutung für gelingende Selbstwerdung hat, 2. die Identität sich produktiver Konstruktionsleistungen des Individuums verdankt. Für den Versuch, ein Antwortmodell zu entwerfen, das diese beiden Aspekte in sich aufnimmt, ist es hilfreich, Honneths Ausführungen zu zwei verschiedenen Anerkennungskonzepten in die Überlegungen miteinzubeziehen. Und zwar setzt Honneth sich im Nachwort zum Kampf um Anerkennung mit den Beiträgen zweier finnischer Autoren auseinander, die seinen ursprünglichen Ansatz weiterentwickeln und bei der ge-
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nerischen Charakterisierung der Anerkennung unterschiedliche Akzente setzen. In dem ersten Modell wird Anerkennung als attributiver, im zweiten als rezeptiver oder responsiver Akt verstanden. Damit sind zwei Alternativen bezeichnet, „die das kognitive Verhältnis zum Interaktionspartner betreffen: Entweder können wir die Affirmierung, die durch einen derartigen Akt geschieht, nach dem Muster einer Attribuierung begreifen, kraft deren dem anderen Subjekt eine neue positive Eigenschaft gleichsam zugeschrieben wird; oder aber wir verstehen diesen Akt nach dem Muster einer Wahrnehmung, so daß die bereits vorhandene Eigenschaft einer Person sekundär nur irgendwie bekräftigt oder öffentlich bekundet wird. Im ersten Fall würde das, was wir unter ‚Anerkennung’ verstehen, dem betroffenen Subjekt einen Status verleihen oder hinzufügen, den es vorher nicht hat besitzen können, im zweiten Fall hingegen würde es sich um eine bestimmte Art der Wahrnehmung eines unabhängig bereits bestehenden Status handeln“ (Honneth 2003a, S. 320f.).
Honneth fügt hinzu, man könne die Unterschiede zwischen diesen beiden Sichtweisen auch dadurch bestimmen, daß man die Leistung der Anerkennung im ersten Fall produktiv nenne, im zweiten Fall reproduktiv. Im Vordergrund seiner Auseinandersetzung mit diesen Positionen steht das Werte-Problem, das heißt die Frage nach der Legitimität und normativen Qualität des evaluativen Aktes der Anerkennung. Welche Eigenschaft einer Person kann mit welchen Gründen als wertvoll erachtet werden? Die Diskussion darüber ist von zentraler Bedeutung für Honneths Projekt, im Anerkennungsbegriff moralische Implikationen aufzuweisen und die Idee einer kritischen Gesellschaftstheorie zu entwickeln, in der Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezugnahme auf die normativen Ansprüche erklärt werden sollen, die im Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung strukturell angelegt sind. Im Zusammenhang der vorliegenden Studie braucht die Kontroverse um die Positionen eines unhistorischen Wertrealismus einerseits und die eines kulturellen Wertrelativismus andererseits nicht eigens referiert zu werden16; vielmehr kann, in Abstraktion von 16 Honneth selbst schlägt letztlich den Weg eines „moderaten Wertrealismus“ ein: „unter ‚Anerkennung’ sollten wir ein Reaktionsver-
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der inhaltlichen Frage nach dem Status von Normen und Werten, die zugleich freigelegte basale Struktur der Anerkennung für unsere Argumentation genutzt werden. Es geht hier um die Frage, inwiefern man von einer konstitutiven Rolle für Prozesse der Subjektwerdung sprechen könne. Je nachdem, ob man das Attributions- oder das Antwortmodell der Anerkennung zugrundelegt, ergeben sich unterschiedliche Auffassungen: Nur das Attributionsmodell würde es erlauben, von der konstitutiven Bedeutung der Anerkennung „in einem direkten Sinn zu sprechen“ (S. 326). Dagegen läßt das Antwortmodell, das auch Honneth vertritt, lediglich die Möglichkeit zu, von einer solchen konstitutiven Bedeutung „in einem indirekten Sinn“ zu sprechen: „Die evaluativen Eigenschaften, die die Subjekte nach diesem Modell vorgängig ja schon ‚besitzen’ müßten, wären dann als Potentiale zu begreifen, die durch anerkennende Reaktionen in aktuelle Fähigkeiten verwandelt würden“ (ebd.). Allerdings bedürfe es zu dieser These einer „zusätzlichen Annahme, die erklärt, wie wir uns jene Transformation von Potentialität in Aktualität mit Hilfe des Anerkennungsbegriffs vorzustellen haben“ (ebd.). Im weiteren referiert Honneth Laitinens Vorstellung, daß wir über unsere „potentiellen Fähigkeiten nur dann tatsächlich auch verfügen können, wenn wir uns mit ihnen vollständig ‚identifizieren’ können“ (S. 326f.). Auf der Grundlage dieser Erklärung verbindet Honneth nun das Antwortmodell mit seiner eigenen Auffassung von der konstitutiven Rolle der Anerkennung: „In unseren anerkennenden Haltungen reagieren wir angemessen auf evaluative Eigenschaften, die menschliche Subjekte nach Maßgabe unserer Lebenswelt vorgängig schon besitzen, über die sie freilich nur dann aktuell verfügen können, wenn sie sich mit ihnen dank der Erfahrung jener Anerkennung auch identifizieren können“ (S. 327).
Rekurrierend auf das Personenkonzept von Harry Frankfurt, unterstreicht Honneth, daß ich „jene Fähigkeiten, die mir aufhalten verstehen, mit dem wir in rationaler Weise auf Werteigenschaften antworten, die wir im Maße der Integration in die zweite Natur unserer Lebenswelt an menschlichen Subjekten wahrzunehmen gelernt haben“ (Honneth 2003a, S. 332).
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grund der normativen Präsuppositionen meiner Kultur als Subjekt zukommen“, nur dann wirklich bejahen könne, wenn sie „von meinen Interaktionspartnern in ihrem Anerkennungsverhalten als wertvoll bekräftigt worden sind“. Insofern stelle das Erklärungsmodell eine „mittlere Position zwischen einem reinen Konstruktivismus und einem bloßen Repräsentationalismus der Anerkennung“ dar (ebd.). Wir bekunden zwar in unserem Anerkennungsverhalten nur, „was an evaluativen Eigenschaften bei dem betreffenden Subjekt bereits vorhanden“ sei, aber durch unsere Reaktionen könne sich dieses Subjekt auch erst mit seinen Fähigkeiten identifizieren (S. 327f.). Bezieht man nun diese Ausführungen auf den Argumentationsgang der vorliegenden Arbeit, so ergibt sich, daß das Attributionsmodell der Anerkennung nicht kompatibel ist mit der hier vertretenen Auffassung von Identitätskonstruktionen. Es zieht jene Probleme nach sich, die aus dem soziologischen „labeling-approach“ bekannt sind und die der reine Konstruktivismus in sich birgt. Er unterschlägt die kreative Konstruktionsleistung des Individuums, indem er es als durch soziale Etikettierungen und Attribuierungen determiniert denkt. Dagegen kann das Wahrnehmungs- oder Antwortmodell die Vorstellung von Subjektwerdung weiter erhellen und differenzieren, die in der vorliegenden Studie entwickelt wird. Im Akt der Anerkennung bezieht sich der Anerkennende auf etwas, das in irgend einer Weise schon da ist und sich mitteilt. Der Anerkennende bringt im anderen nicht wie in einem Schöpfungsakt ex nihilo etwas hervor, sondern er orientiert sich an evaluativen Eigenschaften des Anderen, die sich in irgend einer Form zeigen. Dabei ist die Wahrnehmung von etwas, in diesem Fall von schätzenswerten Eigenschaften einer Person, keineswegs gleichzusetzen mit einer bloß passiven Aufnahme. Sondern Wahrnehmung vollzieht sich in konstruktiven Prozessen; das belegen nicht nur klassische Studien der Gestaltpsychologie, sondern auch aktuelle Forschungsarbeiten in der Wahrnehmungspsychologie eindrucksvoll. Von der Selektion der Reize bis hin zu deren Verarbeitung auf verschiedenen, komplex verschalteten Ebenen, sind der Wahrnehmungs“apparat“ und die Modi der Verarbeitung konstitutiv für die spezifische Gestalt, in der das wahrgenommene Phänomen erscheint. So ist auch der Wahrnehmungs- oder responsive Akt,
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als der die Anerkennung begriffen wird, keine einfache Abbildung, kein bloßes Echo. In ihn selber gehen individuelle Eigenarten des Antwortenden, die Perspektive sowie der Werthorizont des Anerkennenden formbildend ein. Und die als Antwort konzipierte Anerkennung nimmt nicht bloß „fertige“ evaluative Eigenschaften einer Person auf und spiegelt sie zurück, sondern sie gibt einem Vorfindlichen im Akt der Bekundung einer Wertschätzung eine veränderte Gestalt. Diese Umgestaltung kann unterschiedliche Formen annehmen: Es kann eine Transformation von Potentialität in Aktualität sein, wie Honneth sie beschreibt. Die ausgesprochene Anerkennung kann der Person, deren besondere Eigenschaften zustimmend hervorgehoben werden, diese ins Bewußtsein heben, nachdem sie bislang vielleicht in unbewußtem, nachahmendem Verhalten entwickelt worden waren. Oder es ist möglich, daß die öffentliche Auszeichnung eines bis dato verkannten Individuums dessen gesellschaftlichen Status und seine Einbettung ins soziale Netz gravierend und nachhaltig verändert. Dann bedarf die Selbst-Narration vielleicht nicht nur einer Erweiterung um neue Passagen, sondern sie kann in einer Neuauflage radikal umgeschrieben werden. In diesem Sinn lassen sich überzeugend Anschlußstellen finden, die das Antwortmodell der Anerkennung mit der Vorstellung der Identitätskonstruktion bzw. Selbst-Narration verbinden können. Sowohl die konstitutive Bedeutung der Anerkennung für gelingende Selbstwerdung als auch die produktiven Konstruktionsleistungen des Individuums kommen darin zur Geltung. (2) Es wurde schon im Abschnitt über „Selbstwerdung als Konstruktionsaufgabe“ betont, daß Konfliktlosigkeit kein Kriterium gelungener Identitätsarbeit sei. Im Gegenteil: Widersprüche verdienen als Quelle der Dynamik im Identitätsprozeß eine Wertschätzung. Und zu den produktiven Konflikten können Differenzen zwischen Fremd- und Selbstbewertung zählen, so daß ein harmonisches Entsprechungsverhältnis zwischen beiden, würde es auf Dauer gestellt, Prozesse der Subjektwerdung gerade gefährdete. Ein „Kampf“ um erweiterte Anerkennungsverhältnisse, das heißt eine je neu hervorgebrachte und umstrittene Differenz zwischen der Verteidigung bestehender und dem Vorgriff auf erweiterte Anerkennungsverhältnisse ist ent-
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scheidend für die Entwicklung sowohl von Individuen als auch der Gesellschaft. Die kreative Arbeit an der eigenen Identität käme zum Stillstand, würde das Subjekt Beifall heischend gesellschaftlichen Auszeichnungen hinterherlaufen. Daher gerät ein Individuum, bei dem die Harmonie zwischen positiver Selbst- und Fremdbewertung durchgängig anhält, unter den Verdacht allzu ausgeprägter Anpassungsbereitschaft. Zu fragen wäre, ob die soziale Wertschätzung durch eine Aufopferung von innovativen Impulsen und Streitkompetenz erzielt werden soll, so daß keine wirklichen Aushandlungen mehr stattfinden. B. II. Im vierten Fall schließlich steht eine positive Selbstschätzung in Widespruch zur Geringschätzung durch andere. (1) Zum einen kann diese Diskrepanz Ausdruck eines narzißtisch gestörten Selbstverständnisses sein, wie es Keupp et al. unter der Rubrik der vierten „Gefährdungsvariante“ beschreiben. Das Subjekt lebt egoistisch, ohne Rücksicht auf die Werturteile anderer zu nehmen. Überzeugt von der eigenen Größe, Wichtigkeit oder Überlegenheit, ist es lediglich an Selbstbehauptung interessiert, so daß kollektive Verbindlichkeiten und die Verortung im sozialen Gefüge verloren gehen (siehe Anselm 1997). Dieses Problem wird inzwischen auch in der empirischen Selbstkonzeptforschung berücksichtigt. So legt Astrid Schütz eine Studie über Das Selbstwertgefühl als soziales Konstrukt vor, in der sie zu Ergebnissen kommt, die im Widerspruch zu dem lange vertretenen Postulat stehen, hohe Selbstwertschätzung gehe mit hoher Wertschätzung anderer Personen einher sowie zur These, daß „positive Selbsteinschätzungen grundsätzlich mit positiven Auswirkungen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen verbunden und Korrelat psychischer Angepasstheit“ seien (Schütz 2000, S. 193). Zwar belegen empirische Studien, daß illusionärer Optimismus und Selbstüberschätzung sich im Gesundheitsbereich positiv auswirken und „negative Selbstbewertungen sogar ungünstige Auswirkungen auf das Funktionieren des Immunsystems“ haben, doch hat das für soziale Beziehungen problematische Implikationen, sofern sich die Illusionen nicht nur auf die positive Bewertung der eigenen Person, sondern auch auf die „Überlegenheit über
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andere und die damit verbundene negative Bewertung anderer beziehen“ (ebd., S. 199). Schütz schlägt daher vor, neue Wege der Selbstwertdiagnostik einzuschlagen und künftig Varianten der Selbstwertschätzung zu berücksichtigen, nämlich die Gruppe der Personen mit hoher Selbstwertschätzung in distinkte Teilgruppen zu differenzieren: die der egozentrischen Selbstaufwertung, instabilen Selbstwertschätzung und stabilen Selbstakzeptanz. Im Sinne dieser Differenzierung empfiehlt sie darüber hinaus, den Begriff des „Selbstwertgefühls“ durch den der „Selbstbewertung“ zu ersetzen. Die üblichen positiven Konnotationen, die der Begriff des „Selbstwertgefühls“ nach sich zieht, lassen sich durch empirische Daten nicht untermauern. „Die Ergebnisse zeigen, dass hohes Selbstwertgefühl nicht notwendigerweise sozial-integrativ und mit adaptivem Interaktionsverhalten verknüpft ist. Die Verwendung eines regelmäßig positiv bewerteten Begriffes für problematische Phänomene kann allerdings Mißverständnisse hervorrufen. Es mag daher sinnvoll sein, auf den Begriff ‚Selbstwertgefühl’ zu verzichten und stattdessen weniger wertbehaftete Begriffe wie ‚Selbstbewertung’ oder ‚Selbsteinschätzung’ zu verwenden, bei denen auch im Alltagsverständnis Varianten zwischen der Annahme der eigenen Person ohne Abwertung anderer bis hin zu egozentrischer Selbstliebe und Arroganz subsumiert werden können“ (ebd., S. 203).
(2) Während der Widerspruch zwischen positiver Selbst- und negativer Fremdbewertung zunächst dahingehend erklärt wurde, daß eine egozentrische Verzerrung auf Seiten des Subjekts vorliege, muß aber auch die andere Möglichkeit bedacht werden, daß die Gesellschaft, die Gruppe oder „der generalisierte Andere“ das Individuum verkennt, ihm eine angemessene Wertschätzung entzieht oder verweigert. Damit stellt sich die Frage nach dem Werthorizont, vor dem die evaluativen Akte ausgeführt werden. Wie im Abschnitt über die Transformationen der Anerkennungsordnung beschrieben wurde, bemißt sich die soziale Wertschätzung eines bestimmten Verhaltens oder einer Persönlichkeitseigenschaft an dem Grad, in dem diese zur Verwirklichung der gesellschaftlichen Zielvorgaben beitragen. Wurden die ethischen Zielvorgaben in der traditionalen Ge-
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sellschaft noch substantiell gefaßt, so haben sie in der postkonventionellen Gesellschaft ihren Objektivitätscharakter verloren. Ethische Verpflichtungen sind im Übergang zur Moderne als „das Resultat innerweltlicher Entscheidungsvorgänge durchschaut worden“ (Honneth 2003a, S. 202) und werden ab da als Gestaltungsaufgabe menschlicher Praxis begriffen. Weder kann ein verbindliches Wertesystem aus metaphysischen Gewißheiten fraglos abgeleitet, noch soll es einer verantwortungslosen Beliebigkeit preisgegeben werden; statt dessen wird es Gegenstand eines kulturellen Dauerkonfliktes, die ethischen Normen zu bestimmen, die in einem Gemeinwesen Gültigkeit haben sollen, und der Streit um eine Verständigung über verbindliche Werte kann nicht unter Rekurs auf eine unparteiische Autorität geschlichtet werden. So muß die Diskrepanz zwischen positiver Selbstachtung und gesellschaftlicher Herabsetzung nicht automatisch eine Folge a-sozialer narzißtischer Überheblichkeit sein, sondern sie kann auch der Ausdruck eines produktiven Kampfes um Anerkennung sein, in dem gesellschaftlicher Fortschritt und Subjektwerdung vorangetrieben werden. Eine Diskrepanz zwischen positiver Selbstschätzung und fehlender Akzeptanz durch andere ließe sich als Indiz gelingender Subjektwerdung verstehen, wenn das Individuum sich im Sinn eines „inneren Widerstands“ (Keupp et al. 2002, S. 257) oder von Empowerment bestehenden Anerkennungsverhältnissen nicht aus Prinzip angleicht oder unterwirft, sondern die Anstrengung eines konflikthaften Aushandelns auf sich nimmt. Der individuelle Vorgriff auf erweiterte Anerkennungsverhältnisse dient nicht allein der Individuation und Selbstbehauptung, sondern kann auch den Prozeß der Zivilisation vorantreiben. Oder ein Individuum oder eine Gruppe kann, anstatt vorzugreifen, in Zeiten, in denen eine Gesellschaft hinter den historisch bereits erreichten moralischen Bewußtseinsstand zurückfällt, Widerstand leisten und an wertvoll Erachtetem festhalten, auch wenn es „der generalisierte Andere“ herabwürdigt. Vor diesem Hintergrund wird auch die Behauptung von Keupp et al. fragwürdig, Anerkennung sei „das wichtigste [...] Identitätsziel“ (2002, S. 263). Im Kontext der vorigen Überlegungen ist zu bedenken, ob man in Anlehnung an Kants Dik-
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tum, Ziel unseres sittlichen Handelns sei nicht unsere eigene Glückseligkeit, sondern es komme darauf an, sich ihrer würdig zu machen (Kant 1981 [1781], B 838), nicht davon sprechen solle, es sei ein Identitätsziel, fremder und eigener Wertschätzung würdig zu sein. Das von seinen Zeitgenossen „verkannte Genie“, die für gleiche Rechte kämpfende, als „Blaustrumpf“ gedemütigte und verfolgte Frauenrechtlerin oder der Widerstandskämpfer in einem totalitären menschenverachtenden Regime wären Beispiele dafür, daß die Erfahrung – temporärer – sozialer Wertschätzung nicht generell als Indiz für gelingende Identitätsarbeit gelten kann. Hat diese ihr (wichtigstes) Ziel verfehlt, wenn ihr jene verweigert wird? Allerdings fügen auch Keupp et al. dem Superlativ, Anerkennung sei „das wichtigste“ Identitätsziel, einschränkend hinzu, es sei nicht das einzige. Kohärenz und Autonomie etwa seien daneben als andere übergreifende Identitätsziele zu beachten. Zwischen ihnen gebe es immer wieder Spannungen, und es sei noch zu untersuchen, ob eine der „Nebenfolgen der Spätmoderne“ darin bestehe, daß „Subjekte immer mehr Identitätsziele gleichzeitig zu verfolgen suchen. Identitätsarbeit würde damit [...] zwar dynamischer, aber auch konfliktreicher und anstrengender“ (ebd.). Weitere Problematisierungen der Ziel-Frage finden sich bei Honneth. Anerkennung erscheint in seinen Ausführungen zunächst nicht als Ziel, sondern als Voraussetzung für das Ziel wachsender individueller Selbstverwirklichung. Die verschiedenen Muster der Anerkennung: Liebe, Recht und Solidarität, werden als intersubjektive Bedingung begriffen, „unter denen menschliche Subjekte zu jeweils neuen Formen der positiven Selbstbeziehung gelangen können. Der Zusammenhang, der zwischen der Erfahrung von Anerkennung und dem Sichzusichverhalten besteht, ergibt sich aus der intersubjektiven Struktur der persönlichen Identität: die Individuen werden als Personen allein dadurch konstituiert, daß sie sich aus der Perspektive zustimmender oder ermutigender Anderer auf sich selbst als Wesen zu beziehen lernen, denen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zukommen. Der Umfang solcher Eigenschaften und damit der Grad der positiven Selbstbeziehung wächst mit jeder neuen Form von Anerkennung, die der einzelne auf sich selbst als Subjekt beziehen kann; so ist in der Erfahrung von Liebe die Chance des Selbstver-
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trauens, in der Erfahrung von rechtlicher Anerkennung die der Selbstachtung und in der Erfahrung von Solidarität schließlich die der Selbstschätzung angelegt“ (Honneth 2003a, S. 277f.).
Die Möglichkeit der positiven Selbstbeziehung sei allein mit der Erfahrung von Anerkennung gegeben. So erweist sich Anerkennung auch in dieser Konzeption, wie schon im Ressourcen-Kapitel, als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der individuellen Selbstverwirklichung. Im Nachwort zum Kampf um Anerkennung setzt sich Honneth allerdings mit dem Vorwurf auseinander, er schreibe der Anerkennung damit „nur die Rolle eines instrumentellen Wertes“ (S. 328) zu. Er begegnet diesem „Verdacht des Instrumentalismus“, indem er seiner Aussage, soziale Anerkennung sei eine notwendige Bedingung der individuellen Autonomie, ergänzend hinzufügt, daß „ein solches Anerkennungsverhalten zugleich die moralisch angemessene Reaktion auf die Werteigenschaften von Subjekten“ darstelle; „das, was zunächst nur eine ‚Bedingung’ war“, verliere damit seine „rein instrumentelle Bedeutung“, indem es nun auch zur „Erfüllung von etwas moralisch oder ethisch Gebotenem“ werde (ebd.). Honneth hält daran fest, die Autonomie oder Selbstverwirklichung als das „übergreifende Telos unserer menschlichen Lebensform“ zu verstehen (S. 329). Dazu erläutert er, daß er einen formalen Begriff von „Autonomie“ oder „Selbstverwirklichung“ verwende; mit ihm unterstelle er jedem menschlichen Subjekt das Interesse, „die eigenen Wünsche und Absichten frei bestimmen und realisieren zu können“ (ebd.). Mit dieser formalen oder „möglichst neutralen“ (S. 329) Fassung des Begriffs vermeidet Honneth dessen ahistorische Festlegung und macht ihn anschlußfähig an sein Anerkennungskonzept; dieses ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, daß es die invariante Abhängigkeit des Menschen von der Erfahrung der Anerkennung bewahrt und zugleich „die historische Veränderbarkeit betont, der die Formen der Anerkennung unterliegen“ (S. 336). Ebenso wie sich die Gestalten der Anerkennung im Zuge geschichtlicher Wandlungen ausdifferenzieren können, realisiert sich das Ziel eines „ungezwungenen Selbstverhältnisses“ in je spezifischen kulturellen Kontexten variabel und doch nicht beliebig, und die sich wandelnden Werteigen-
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schaften menschlicher Subjekte legen jeweils fest, „worin die Eigenart der individuellen Autonomie gesehen werden muß“ (S. 339). Einerseits bedürfen menschliche Wesen der Erfahrung der Anerkennung, „um sich auf ihre Fähigkeiten und Potentiale in einer Weise beziehen zu können, die ihnen eine ungezwungene, freie Verwirklichung ihrer Persönlichkeit erlaubt“ (335f.), anderseits scheint sich – gleichsam in Umkehrung der Blickrichtung – „die Autonomie des Einzelnen erst durch die entsprechenden Anerkennungsreaktionen vollenden zu können“ (S. 338f.). So verschränken sich Voraussetzung und Ziel. Diese eigentümliche Überlagerung ähnelt Strukturen bzw. Prozessen, die in den Untersuchungen dieses Kapitels immer wieder begegneten; auch in Elias’ Figurationskonzept oder im „Antwortmodell“ der Anerkennung verlor die Gegenüberstellung sauber getrennter Entitäten wie „Inneres“ und „Äußeres“, „Vorgriff“ und „Antwort“ ihre scharfen Konturen. Die Selbstbestimmung menschlicher Subjekte verwirklicht sich nicht in Akten uneingeschränkter Intentionalität. Statt über die Situation, die Welt und andere soziale Akteure frei verfügen und das eigene Handeln einem vernunftbestimmten Bewußtsein gemäß kontrollieren zu können, gelingt Autonomie nur begrenzt, partiell und prinzipiell von Heteronomie durchkreuzt. Das eigene Handeln, das auf Selbstverwirklichung zielt, ist immer schon durch die Ansprüche und Zumutungen der Situation provoziert. Das Subjekt, das seine unverwechselbare Individuallität zum Ausdruck bringt, ist unhintergehbar in vielfältige Beziehungen eingebunden, durch heterogene Aufforderungen angesprochen, bedrängt und gelockt. Die Ansprüche und Anforderungen, die es vernimmt, und die Erwiderungen darauf „können in ihrem Verhältnis zueinander nur angemessen verstanden werden, wenn der disjunkte Gegensatz von Autonomie und Heteronomie, Autarkie und Dependenz aufgegeben wird“ (Straub 2006, S. 65). Die Verwicklungen sollen nun weiter verfolgt und die Prozesse, in denen Anerkennungsbeziehungen entstehen und Subjektwerdung sich verwirklicht, in entwicklungspsychologischer Perspektive untersucht werden.
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Anfänge und Übergänge. Frühe Formen der Anerkennung und Subjektwerdung in entwicklungspsycholo gischer Perspektive
Verwicklungen Im vorhergehenden Kapitel wurde darauf verwiesen, daß uns Wirklichkeit nicht unmittelbar gegeben ist, sondern in je spezifischen Perspektiven, die sich – nach Cassirer – zu relativ konstanten symbolischen Formen auskristallisiert und historisch verfeinert haben. Dem entsprechend wurde dargestellt, daß uns auch jene Wirklichkeit, die uns am nächsten ist: das eigene Selbst, nur zugänglich ist in vermittelnden Vorstellungs- und Gestaltungsweisen, Begriffen oder Modellen wie „Selbstbild“, „Selbstkonzept“, Selbsttheorie“, „Selbstkonstruktion“ oder „Selbstnarration“. Diese „Formen“ werden der erfahrenen Wirklichkeit nicht als etwas Äußerliches hinzugefügt, sondern lenken unsere Aufmerksamkeit in charakteristischer Weise und bestimmen unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von ihr mit. So erwies sich der sozialpsychologische Ansatz, Identität als „Arbeit“, „Konstruktion“ und „Narration“ aufzufassen, als besonders geeignet dafür, die herstellenden Verfahren und das Prozeßhafte menschlicher Identitätsbildung hervorzuheben und zu beschreiben. Insbesondere die Selbst-Narration ermöglicht und provoziert Reflexionen auf die zeitliche Struktur von Identität; denn im Erzählen einer Geschichte werden Erlebnissequenzen synthetisiert, vergangene erinnert,
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gegenwärtige kommentiert und erwartete als befürchtete oder erhoffte in die Zukunft entworfen und begründet. Das Subjekt bezieht selbstrelevante Ereignisse zeitlich geordnet aufeinander, reflektiert sie, teilt sie anderen mit und macht die eigene Person erzählend sich selbst und für andere verstehbar. Auf die Frage „Wer bin ich?“ wird eine Geschichte angeboten, die Auskunft darüber erteilt, wie das Ich zu dem geworden ist, wer oder wie es ist. Scheint insofern die Vorstellung von Identität oder Subjektwerdung als Selbsterzählung in besonderer Weise geeignet, Prozesse der Veränderung und Entwicklung des Individuums zu beschreiben, so stößt man allerdings auf gravierende Probleme, wenn man sich im Rückblick den frühen und anfänglichen Erlebnissen des Selbst zuwenden will. Denn die beiden grundlegenden und strukturbildenden Formen der Selbstnarration: das autobiographische Gedächtnis und die Sprache, sind selbst erst relativ späte Entwicklungserrungenschaften und stehen dem präverbalen Selbst fremd gegenüber. Wie kann ich die infantilen Anfänge meiner Geschichte erzählen, in denen ich der Sprache nicht mächtig und ohne Gedächtnis für meine Erfahrungen gelebt habe? Wer und wie war ich, als ich anfing, ich selbst zu sein? Wie kann ich mir und anderen eine Identität verständlich machen, deren Anfänge sich der verstehenden, das heißt sprachlich verfaßten Vergegenwärtigung gerade entziehen? Die Idee von Identität, Kohärenz oder Selbsterhaltung über Veränderungen hinweg scheint radikal, von den Wurzeln, in Frage gestellt. Das Bemühen, autobiographische Zusammenhänge herzustellen, Entwicklungen erkennbar zu machen, vergangene Erfahrungen als eigene Geschichte zu erzählen, stößt auf die Barriere der Kindheits-Amnesie und – noch weiter zurückliegend – auf die Undurchdringlichkeit des eigenen Anfangs. Spätestens am Anfang kommen Verfügungswille und Autorschaft ans Ende. Ur-Heber des Selbst sind andere, und das Subjekt, das zu kennzeichnen ist durch Intentionalität, die Fähigkeit, eine Handlung spontan anfangen zu können, beginnt selbst objekthaft. „Geboren werden heißt, ungefragt anfangen müssen: für ein freies Wesen eine gewaltige, ja gewalttätige Zumutung. Das Leben besteht darin, mit ihr fertig zu werden: das aufgenötigte Dasein so durchzuformen und auszugestalten, daß darin dem zufälligen Anfang nachträgliche Zustimmung zuteil wird; das erzwungene Leben so zu ‚entwerfen’, daß
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seine ‚Geworfenheit’ darin angenommen und aufbewahrt wird“ (Sommer 1988, S. 9)
So beschreibt Manfred Sommer in seinen phänomenologischen Studien zu einer Theorie der Identität den geburtlichen Anfang des menschlichen Lebens. Es vollziehe sich von Beginn an in der Grundfigur des Übergangs; wir gehen von einem Zustand zu einem anderen über. Unsere Identität bestehe darin, daß wir versuchen, sie trotz dieser Übergänge zu bewahren und sie in ihnen immer wieder neu zu gewinnen. Bereits im ersten Übergang, der nicht innerhalb des Lebens stattfindet, sondern überhaupt erst ins (postnatale) Leben führt, zeige sich das zentrale Problem, das unser ganzes Leben prägen wird; es ist die eigentümliche Verschränkung von Kontingenz, Erzwungenem und zwangloser Freiheit. Daß es in dem oben zitierten Abschnitt „anfangen müssen“ heißt und nicht „dürfen“, rührt nicht etwa von einer depressiven Einstellung des Autors her, sondern betont die Anfangs-Antinomie. Die unfaßbare Veränderung von Nicht-Sein zum Sein setzt etwas. Dieses Positive, dieses Datum oder Faktum, in vorliegenden Fall: die Person, kann, weil es sie noch nicht gibt, nicht gefragt und vor die Wahl gestellt werden, zwischen Sein oder Nicht-Sein zu entscheiden. In diesem Sinn wird der erste und wichtigste Übergang des Lebens, der ins Leben, als „unüberbietbarer Gewaltakt erlitten. Vom Nichtsein zum Sein geht man nicht freiwillig: man wird dazu genötigt“ (ebd., S. 19). Wie die andere Seite, die der Schöpfung oder Zeugung neuen Lebens, konzipiert oder erlebt wird, ob als Ausdruck von Potenz, All- und Verfügungsmacht, als Vergewaltigung oder aber als Ausfluß von liebevoller Vereinigung und Lebensbejahung, ist eine andere Geschichte. Der Anfang des Selbst markiert als Grenzwert „die absolute Übermacht des Äußeren, des Fremden, der Wirklichkeit“ (ebd. S. 19) gegenüber der eigenen Ohnmacht. Obwohl nicht gefragt, wird die Person auf die Zumutung des Zur-Welt-gebracht-Seins reagieren müssen. Will sie sich die fremde Macht, von der die Person ursprünglich abhing, zur eigenen machen, so wird sie versuchen, selbst über alles zu verfügen oder ihr Nicht-Sein realisieren, das heißt sich das aufgenötigte Leben nehmen. Das ungefragt zur Welt gebrachte Individuum kann aber auch versuchen, zwischen der „Skylla des Wahnsinns und der Charybdis des Suizids“ (ebd., S. 20) durchzukommen und diesseits von Allmacht und Ohn-
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macht sein Leben annehmen. Als und zum Subjekt entwickelt es sich, indem es dem erzwungenen Leben nachträglich zustimmt und sich das Aufgenötigte aneignet, zunächst im Zuwachs an Beweglichkeit, später „schritt“weise und im Zugewinn eigener Entscheidungsfähigkeit und Durchformung. Subjektwerdung erscheint so als Anerkennung eines Daseins, das ursprünglich aufgenötigt, zunehmend aber als eigenes bejaht wird.1 1
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Es ist zu beachten, daß diese Aussagen auf der Ebene philosophisch-phänomenologischer Re-/Konstruktion angesiedelt sind, die nicht gleichzusetzen ist mit der Ebene empirischen Erlebens menschlicher Subjekte. Die Frage, wie beide Ebenen zusammenhängen, ist spannend, und ihre Behandlung gehört mit zu den Aufgaben einer kritisch-reflexiven Wissenschaft. Wie kommt man dazu, und was bedeutet es, menschliches Dasein als „Geworfenheit“ zu beschreiben, als ein Aufgezwungenes, das es zu bewältigen und anzueignen gilt, anstatt es beispielsweise als freudige Fülle oder Gedeihen in Geborgenheit zu begreifen? Träfe man die Aussagen aus Sommers Text als Kundgabe subjektiven Erlebens an, so wäre es möglich, sie unter Berufung auf die einschlägigen Klassifikationssysteme der klinischen Psychologie oder Psychiatrie als Symptome bestimmter Störungen einzuordnen. Je nach Schweregrad gelten sie dann als krankheitswertig und behandlungs-, das heißt korrekurbedürftig. Damit wäre zugleich die Diskussion über Normierung, Normalisierung und Pathologisierung von Identitätskonstruktionen eröffnet. Auch auf der Ebene des wissenschaftlichen Diskurses ist zu prüfen, ob mit der These der „Geworfenheit“ ein Aspekt menschlichen Daseins übergeneralisiert ist oder aber ob dieser Ansatz in kritischer Absicht gegenüber herrschenden Auffassungen eine Einsicht zur Geltung bringt, die es ermöglicht, zentrale Erfahrungen besser in das Verständnis vom Selbst und seinem Dasein in der Welt zu integrieren. Kommt man theoretisch weiter und unter Umständen lebensweltlich besser zurecht, wenn man von der „Geworfenheit“ ausgeht? Mich persönlich überzeugen Befunde, die die beiden zuletzt genannten Vermutungen bestätigen. Noch einmal: Wie ist es zu verstehen, daß einige theoretische Modelle davon ausgehen, daß der Mensch in die Welt passe, in ihr zu Hause sei, daß es eine prästabilierte Harmonie gebe, andere dagegen den Gedanken der Entfremdung zu Grunde legen, die durch menschliches Bemühen und Aneignungsleistungen innerweltlich zu verwandeln sei oder als Signatur irdischen Daseins auszuhalten und zu akzeptieren? Der häufig begegnende Versuch, auch hier psychologische Erklärungen zu liefern, in denen Theorien quasi auf die Couch gelegt oder anderen diagnostischen Verfahren unterworfen werden oder in denen vom Gehalt der Werke auf die psychische Struktur ihrer Autoren geschlossen wird, verkennt, daß die Beziehungen zwi-
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Nun ist Anerkennung eine Haltung oder ein Handlungstyp, der bestimmte Wahrnehmungsleistungen, kognitive und evaluative Kompetenzen voraussetzt, die nicht von Anfang an gegeben sind, sondern erst einmal entwickelt werden müssen. Wie kommt die ins Dasein genötigte Person zu Freiheit und damit in die Lage, (auch) ihr Dasein zu bejahen? Wie kommt sie zu Sprache, mit der sie Zumutungen, Angebote und Fragen verstehen sowie darauf antworten kann? Wie zu symbolischen Formen oder Repräsentationen von Welt, anderen Personen und sich selbst, die es ihr ermöglichen, Erfahrenes zu reflektieren? Wie zu Gedächtnisleistungen, mit denen Erlebtes als das Selbst betreffend gespeichert und bei Bedarf abgerufen werden kann? Auf diese und andere Fragen versuchen entwicklungspsychologische Modelle Antworten zu geben. In unterschiedlichen Theorien und unter Berücksichtigung empirischer Befunde wird versucht, das Fortschreiten aufzuklären, in dem sich menschliche Kompetenzen steigern oder erweitern. Dabei geht es generell um den Zuwachs von Selbstbewußtheit, -bestimmung, Symbolisierungs- und Mentalisierungsfähigkeit. Aus organismisch gebundenen Reaktionsweisen und körpernahen Prozessen entwischen unterschiedlichen Diskursformen und Praxisfeldern vielgestaltig und verschränkt sind, so daß jede einfache Ableitung zu kurz greift. Zum einen wird bei solch einfachen Deutungsmustern die Differenz von Genese und Geltung unterschlagen, zum anderen die Genese allzu schlicht gedacht. Ein theoretisches Modell ist nicht einfach die Manifestation psychischer Eigenarten des Autors, sondern seine Entstehung ist in einem komplexen Bedingungsgefüge zu sehen. In ihm spielen neben anderen auch sozialhistorische und theoriegeschichtliche Einflußfaktoren eine Rolle, die eine gewisse Eigenständigkeit haben und zugleich aufeinander bezogen sind. Was den speziellen Fall von Konzeptionen menschlicher Subjektivität betrifft, so wäre die gegenseitige Durchdringung wissenschaftlicher und lebensweltlicher Auffassungen des Selbst genauer zu untersuchen (siehe den Exkurs im ersten Teil). Eine kritisch-reflexive Wissenschaft zielt darauf, das herrschende Alltagsbewußtsein durch „Nach-Konstruieren“ (Schleiermacher) oder De-Konstruktion zu erweitern. Selbstverständliches wird hinterfragt, so daß es anders betrachtet und gestaltet werden kann. Einerseits enthält die Lebenswelt, das heißt hier: das Erleben und Verhalten des Menschen, immer mehr als die theoretischen Modelle einfangen (können), andererseits verändern sie sich auch durch theoriegeschichtliche Entwicklungen. Die Identitätskonstruktionen bleiben nicht immun gegen theoretische Re- und Prokonstruktionen.
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ckeln sich zunehmend freiere Handlungs- und Reflexionsmöglichkeiten. Jedoch führen diese Fortschritte nicht zu einer körperlosen Vergeistigung oder absoluter Freiheit. Der Antagonismus des Anfangs zieht sich durch das ganze Leben, findet sich wieder als Behinderung des eigenen Strebens oder als Widerständigkeit der Wirklichkeit. Das menschliche Subjekt läßt seine Natalität nicht hinter sich, die jeweils verlassenen oder überwunden geglaubten Entwicklungsstufen bleiben nicht spurlos zurück. Diese Einsicht findet eine Entsprechung in der Umorientierung entwicklungspsychologischer Betrachtungsweisen. Wurden früher eher definitive Entwicklungserrungenschaften in linearen Fortschrittsgeschichten herausgearbeitet, so betonen neuere Forschungsbeiträge eher zyklische Prozesse, Koexistierendes, „das nicht endgültig Festgelegte psychischer Konfigurationen“ (Dornes 2002, S. 306). Und auch im psychoanalytischen Denken ist dieser Trend zu verzeichnen, indem zunehmend synchrone seelische Zustände gegenüber ihrer Dichotomie hervorgehoben werden. So geht beispielsweise die kleinianische Theorie mittlerweile stärker als früher davon aus, „daß die depressive Position die paranoidschizoide nicht ‚überwindet’, sondern daß beide nebeneinander existieren und sich abwechseln“ (ebd.). Ein weiteres Beispiel für diese veränderte Sicht liefert Pines Revision der Symbiose-Theorie von Margaret Mahler. Pine plädiert dafür, nicht länger eine symbiotische Phase anzunehmen, sondern lediglich symbiotische Momente. Was für eine psychische Bedeutsamkeit diese gewinnen, hänge vor allem vom elterlichen Umgang mit ihnen ab (siehe Dornes 1997, S. 164ff.). Hat die psychoanalytisch inspirierte Säuglingsforschung gezeigt, daß Symbiose und Individuation keine aufeinander folgenden, sondern schon in den ersten Lebenswochen koexistierende Zustände sind, so wurde auch für Primärund Sekundärprozeß eine Parallelität statt eines Nacheinanders behauptet (Dornes 1993, S. 182ff.). Insgesamt lassen sich diese Revisionen unter dem Aspekt bündeln, daß Zyklisches oder Koexistierendes an die Stelle sich ablösender Phasen einer linearen Höherentwicklung tritt. Zwar werden Kompetenzen des Kindes erweitert oder gesteigert in Richtung auf größere Selbstbestimmungsfähigkeit, doch Individuation und Symbiose, Autonomie und Bindung bleiben nebeneinander bedeutsam. Darin kommen neuere entwicklungspsychologische Ansätze mit den Ergebnissen gegenwärtiger sozialpsychologischer Studien überein. Auch in
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diesen hatte sich gezeigt, daß noch das erwachsene Selbst eingebunden ist in ein Interdependenzgeflecht, daß es seine Identität nicht voraussetzungslos konstruiert, sondern angewiesen ist auf ein Netzwerk vielfältiger Ressourcen. Die Parallelität verschiedener psychischer Funktionsweisen und Zustände begründet eine innere Pluralisierung und Heterogenität, die als Signum der spätmodernen Subjektivität eigens zu thematisieren ist (siehe Honneth 2000 und Dornes 2002, Anmerkung 1). Über diesen Aspekt des Nebeneinander hinaus soll jedoch im folgenden das Ineinandergreifen von Individuation und Verbundenheit, Selbstfindung und Fremdzuschreibung, Autonomie und Anerkennung näher untersucht werden. Das Subjekt nämlich „entwickelt“ sich nicht im eigentlichen Wortsinn. Es ist nichts Vorhandenes, das ein- oder zusammengewickelt ist und das aus(einander) zu wickeln wäre.2 Vielmehr vollzieht sich Subjektwerdung in Verwicklungen. Der Zuwachs an Selbstbestimmung geschieht gerade unter Mitwirkung von Außensteuerung. „Autonomie“ oder „Selbstverwirklichung“ in dem Sinn, eigene Wünsche und Absichten freier bestimmen und realisieren zu können, bedarf der Anerkennung durch andere. Das ergaben nicht nur die sozialpsychologischen Untersuchungen, sondern dies ist auch in entwicklungspsychologischer Perspektive zu verifizieren. Die paradoxale Struktur dieses Geschehens tritt hier besonders deutlich hervor, insofern in Prozessen der Subjektgenese etwas Anerkennung finden soll, das es eigentlich noch gar nicht gibt, das aber als Antwort auf vorgreifende Anerkennung entstehen kann.
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Bei dem Ausdruck „Entwicklung“ handelt es sich ursprünglich um die Übersetzung von „explicatio“, das zu „complicatio“ gehört bzw. von „evolutio“, das im klassischen Latein das Aufrollen oder Entwickeln von Schriftrollen bezeichnet (Weyand 1972, Sp. 550). Bezieht man diese begriffsgeschichtliche Erinnerung auf die Vorstellung von Identitätsarbeit als Selbstnarration, so erscheint es auch unter diesem Aspekt fragwürdig, Prozesse der Subjektwerdung als „Entwicklung“ aufzufassen. Die Konzeption der Selbstnarration, die im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurde, verweist auf Geschichten, die das Individuum erzählt und die es in der Auseinandersetzung mit je neuen Erfahrungen modifiziert und umgestaltet. Seine Lebensgeschichte rollt nicht ab, entwickelt nicht ein bereits verfaßtes Schriftstück. Das Individuum wird gedacht als Autor seiner Geschichte, die noch (weiter) zu schreiben oder zu erzählen ist.
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Das Selbst findet und verwirklicht sich, indem es dem aufgezwungenen Leben nachträglich zustimmt. Mit dieser Aussage wurden einleitend Sommers phänomenologische Ausführungen zum objekthaften Anfang des Subjekts referiert. Subjektgenese vollziehe sich, so führt er weiter aus, als „Bejahung unserer Verantwortlichkeit auch noch für das, was an uns zufällig ist“ (Sommer 1988, S. 70). Die Aneignung des Auferlegten, durch die das Eigene als solches erst konstituiert werde, greife auf Zufälliges aus. Pure Fakten werden dabei gleichsam als intentionale Leistungen ausgegeben, und diese eigenartige Verwandlung werde durchaus interaktiv gestützt oder fundiert; durch Zurechnungen drängen die anderen das Individuum zu solcher Aneignung. Dieses Geschehen illustriert Sommer in der Ausformung biologischer Vorgaben: „Wie elementar und tiefgreifend dieser Zwang [zur Aneignungshandlung] ist, erkennt man leicht an so selbstverständlichen und doch höchst eigentümlichen Vorgängen dieser Art: Noch die physische Ereignisfolge, daß die beim Trinken verschluckte Luft sich im Magen versammelt, durch die Speiseröhre nach oben steigt und aus einer Öffnung im Gesicht hörbar den Organismus verläßt: noch dies bringt dem Säugling, als sei es seine Tat, Worte der Anerkennung ein. Wenn man so beobachtet, wie schon das, was zum puren Stoffwechsel gehört, etwa schlechtes Trinken, gute Verdauung oder schnelles Wachstum, einem ‚kaum geborenen Kind’ durch tadelnde oder lobende Worte, deren Bedeutung es doch versteht – denn die liegt allein im Tonfall –, von Anfang an als eigene Handlung zugeschrieben wird, kann man erahnen, wie tief so etwas sitzt. Und da diese Zurechnung, welche Spontaneität weckt und Aneignungsakte provoziert, bereits ein erstes Stück ‚moralischer Erziehung’ darstellt, sieht man, wie früh diese anfängt“ (Sommer, S. 71).
Welche entwicklungspsychologischen Konzepte dazu beitragen, diese Akte der Zuschreibung und Anerkennung weiter aufzuklären, die das Aneignen provozieren und damit Prozesse der Subjektgenese fundieren, soll im folgenden dargelegt werden.
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Anerkennung im Spektrum interaktiver Erfahrungen „relational turn“ Zur Frage nach frühen Formen der Anerkennung gelangt man über zwei unterschiedliche Zugänge. Der eine leitet sich her aus der systematischen Beschäftigung mit der Anerkennung als philosophischem und sozialpsychologischem Problem. Bei der Ausarbeitung verschiedener Formen von Anerkennungsverhältnissen vor allem in Anschluß an Hegel wenden sich sozialpsychologische Studien deren Entstehungsgeschichte und damit entwicklungspsychologischen Konzepten zu. Der andere Zugang ergibt sich aus der neueren empirischen Säuglingsforschung. Diese hat, angestoßen vor allem von C. Trevarthens Arbeiten seit den siebziger Jahren, betont, daß das Selbst von Anfang an auf den Anderen bezogen ist. Mit der Grundaussage, daß die menschliche Psyche relational verfaßt sei, ist zugleich der Rahmen abgesteckt, in dem die Frage nach frühen Formen der Anerkennung einzuordnen ist. Denn Anerkennung ist als spezieller Handlungstyp ins Spektrum interaktiver Erfahrungen eingebettet. Um genauer zu untersuchen, ab wann und in welchem Sinn von Anerkennung zwischen einem Kind und seinen Bezugspersonen die Rede sein könne, soll daher zunächst ein orientierender Überblick über die Debatte um frühe Formen von Intersubjektivität gegeben werden. In der Entwicklungsforschung der letzten Jahrzehnte stößt man immer wieder auf die Behauptung einer „intersubjektiven Wende“ oder eines „relational turn“. Wie gewöhnlich beim Gebrauch von Schlagworten, dient auch dieses der Abgrenzung des eigenen Ansatzes gegenüber theoretischen Vorgängern; dabei werden letztere vereinfachend zusammengefaßt und eine differenzierende Sicht zum Zweck der eigenen Profilierung vernachlässigt. Problemgeschichtliche Studien könnten aufzeigen, daß Intersubjektivität durchaus in älteren Denktraditionen steht und zum Beispiel ein Kennzeichen moderner Sozialphilosophie ist oder, worauf Martin Altmeyer hingewiesen hat, als „eine Wiederentdeckung“ und „Entfaltung eines ureigenen Potentials der Psychoanalyse“ (Altmeyer 2004, S. 1121) verstanden werden könnte. Gleichwohl bezeichnet der Ausdruck der „intersubjektiven Wende“ einen Paradigmenwechsel, wenn man den mainstream psy-
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choanalytisch fundierter Entwicklungskonzepte des vergangenen Jahrhunderts betrachtet. Diese nämlich hatten die Realität der Außenwelt nach Freuds Aufgabe der Verführungstheorie weitestgehend ausgeblendet. Das Baby, sozusagen das Phantasiegebilde psychoanalytischer Konstruktionen, erscheint als passives, undifferenziertes und seinen Trieben ausgeliefertes Geschöpf, das „in einem langen und dramatischen Kampf die Schrecken dieser Zeit der Hilflosigkeit und Abhängigkeit bewältigen“ müsse (Dornes 2000, S. 21). Der Säugling wird als in sich zurückgezogen, beinahe „autistisch“ vorgestellt. Seine erste Beziehung zur Mutter beruhte in Freuds Konstruktionen auf dem oralen Trieb; demnach war es die physiologische Abhängigkeit, ein unspezifisches Bedürfnis nach einer Person, die durch Befriedigung seine Spannungen abbaut, und nicht ein primäres Bedürfnis nach sozialem Kontakt, das der ersten Beziehung zugrunde liegt. So beschreibt Freud 1925 in Hemmung, Symptom und Angst das kindliche Verlangen nach der Mutter als rein triebbestimmtes Verhalten: „Wenn der Säugling nach der Wahrnehmung der Mutter verlangt, so doch nur darum, weil er bereits aus Erfahrung weiß, daß sie alle seine Bedürfnisse ohne Verzug befriedigt. Die Situation, die er als ‚Gefahr’ wertet, gegen die er versichert sein will, ist also die der Unbefriedigung, des Anwachsens der Bedürfnisspannung [kursiv im Original], gegen die er ohnmächtig ist“ (Freud 1926, S. 168).
Die Triebtheorie geht von der asozialen Natur des Menschen aus; die frühe Beziehung zur Mutter habe anaklitischen Charakter, das heißt, sie entwickle sich in Anlehnung an die Befriedigung lebensnotwendiger oraler Bedürfnisse. Der Mangel treibe das Kind zur Mutter. Diese kommt entsprechend nur als Objekt der Bedürfnisse des Babys in den Blick und nicht als eigenständige Person mit selbständiger Existenz. „Die Beziehung des Babys zur Welt war also nur durch sein Bedürfnis nach Nahrung und Tröstung bestimmt – repräsentiert in der Mutterbrust. Da war keine Rede von Neugier oder Empfänglichkeit für Geräusche und Blicke, für Stimme und Gesicht der Bezugspersonen, also für soziale Kontakte. [...] Solche Komponenten des Seelenlebens, die eine lebendige und empfängliche Andere voraussetzen, fanden bislang wenig Platz im psychoanalytischen Denken“ (Benjamin 1990, S. 19f.).
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Mit diesen Worten zeichnet Jessica Benjamin Ende der achtziger Jahre die vorherrschende Sicht auf den – psychoanalytisch phantasierten – Säugling und seine frühen Beziehungen nach. Demgegenüber arbeiteten nicht-psychoanalytische Entwicklungsmodelle, etwa in Anschluß an Piagets Untersuchungen, mit einem Bild vom Säugling, der aktiv nach Stimulation strebt. Von wiederum anderem Forschungsinteresse geleitet, stellen die Bindungstheoretiker, ausgehend von John Bowlbys Beobachtungen kleiner Kinder in den fünfziger Jahren, klar, daß das Bedürfnis nach sozialen Kontakten fundamental und primär sei. Schon in seinen ersten Lebensmonaten entwickle der Säugling eine aktive Bereitschaft zur Herstellung interpersonaler Nähe; ihr komme als Basis für alle späteren Formen von emotionaler Bindung ein zentraler Stellenwert zu. Zeitlich parallel zu Bowlbys Forschungen entstand in der britischen Psychoanalyse die Objektbeziehungstheorie, die der gewachsenen Einsicht in die Bedeutung frühkindlicher Interaktionserfahrungen nachging. Ein Anstoß, sich mit Objektbeziehungen zu befassen, kam aus der amerikanischen Ich-Psychologie. Die einflußreichste Theorie der Kindheitsentwicklung aus diesem Kontext wurde Ende der sechziger Jahre von Margaret Mahler vorgelegt (zusammengefaßt in Mahler et al. 1978). Sie beschreibt eine allmähliche Ablösung und Individuation des Kindes, das aus einer ursprünglichen symbiotischen Einheit mit der Mutter heraustritt. Wie Benjamin deutlich macht, ist dieses Konzept insofern problematisch, als die Vorstellung einer Herauslösung aus dem Einssein implizit annimmt, „daß wir aus Beziehungen herauswachsen, statt immer aktiver und selbständiger in ihnen zu werden“ (kursiv im Original, Benjamin 1990, S. 21). Dennoch bildeten Mahlers Arbeiten über Ablösung und Individuation einen „Meilenstein in der Theorie des Selbst. Denn hier wurde eine Entstehungsgeschichte der mit dem Selbständigwerden verbundenen Ängste und Konflikte vorgelegt“ (ebd.). Damit wurde zugleich der Schwerpunkt der psychoanalytischen Theorie und Praxis verschoben, die Aufmerksamkeit auf die tatsächliche Interaktion zwischen dem Kind und seinen Eltern gelenkt. Sich mit der interpersonalen Dynamik zu befassen, wurde nun als wichtige Aufgabe erkannt. Gelingt damit ein Schritt in Richtung (Wieder-)Gewinnung der Realität der Außenwelt, so wiederholt Mahlers Theorie in der Beschreibung der Säuglingszeit jedoch auch die „alte Vor-
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stellung vom Baby, das niemals von der Mutterbrust aufblickt“ (ebd.). Dagegen nun, das heißt: gegen das Kindheitsbild der amerikanischen Psychoanalyse wie auch die klassisch-freudianische Auffassung, tritt in den siebziger Jahren der Psychoanalytiker und Kindheitsforscher Daniel Stern mit der Behauptung hervor, daß das Kleinkind zu keiner Zeit in völlig undifferenzierter Symbiose mit seiner Mutter lebe. Angeregt unter anderem durch Forschungen von R. Spitz und J. Bowlby, liefert Stern Belege dafür, daß die Interaktion zwischen Mutter und Kind sich als ein hochkomplexer Prozeß vollzieht, in dem beide aktiv beteiligt sind und die Fähigkeit einüben, Gefühle aufeinander abzustimmen (Stern 1979). Statt in undifferenzierter Einheit mit der Mutter verschmolzen zu sein, sei das Kind von Anfang an abgegrenzt von der Welt der Anderen und interessiere sich für sie. Erst mit dieser Umorientierung in der Auffassung der frühkindlichen Erlebniswelt vom Monadischen zum Dyadischen, Dialogischen oder Relationalen sind überhaupt erst die Voraussetzungen dafür gegeben, nach frühen Formen von Anerkennungsverhältnissen zu suchen. Trotz der Einwände, die man gegen psychoanalytische Entwicklungsmodelle vorbringen kann, werden neben anderen im folgenden auch objektbeziehungstheoretische Konzepte herangezogen, denn ihr Vorzug liegt darin, daß sie auch die inneren Erlebniswelten und systemische Verflochtenheit berücksichtigen, ohne die ein komplexes Geschehen wie es die Anerkennung darstellt, gar nicht zu begreifen oder angemessen zu beschreiben wäre. Andererseits ist die Einbeziehung empirisch gestützten Wissens, das aus Verhaltensbeobachtungen und experimentellen Studien gewonnen wurde, zur Überprüfung spekulativer oder rekonstruktiv ermittelter Hypothesen notwendig, damit sich die Konzepte nicht in Phantasien über den Säugling verlieren. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß sich auch die Baby-watcher nicht voraussetzungslos ins Untersuchungsfeld der Mutter-Kind-Dyade begeben. Zudem läßt sich auch durch direkte Beobachtung die Frage nicht beantworten, wie der Säugling sich selbst und seine Umwelt erlebe. Die Beobachtung des Verhaltens führt nicht unmittelbar zu Einsichten in das Erleben, „es bedarf eines modellvermittelnden Sprungs von objektiven zu subjektiven Daten“ (Altmeyer 2000, S. 131). Daher betont Altmeyer in seinen Überlegungen zu den Methoden der Beobachtung, Konstruktion und
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Rekonstruktion zu Recht, daß auch die Konstruktion der Welt des Säuglings durch die beobachtende und experimentierende Säuglingsforschung „letzten Endes auch bloß ein Modell“ liefere, das sich mit psychoanalytischen Modellkonstruktionen vergleichen lasse (S. 132). Statt die unterschiedlichen Ansätze gegeneinander auszuspielen, kommt es darauf an, ihre jeweiligen Stärken zu nutzen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen psychoanalytisch, kognitiv und behavioral orientierten Entwicklungstheorien hat sich seit einigen Jahren als möglich, sinnvoll und produktiv erwiesen.3
Das prekäre Gleichgewicht zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung. Benjamins Plädoyer für die „Lösung“ eines Paradoxons Mit dem Buch Die Fesseln der Liebe legt Jessica Benjamin 1988 aus feministischer Sicht eine kritische Analyse des Problems der Herrschaft vor. In der Auseinandersetzung mit Hegels Kampf zwischen Herr und Knecht aus der Phänomenologie des Geistes beschreibt sie das Paradoxon der Anerkennung. Das Verlangen nach absoluter Selbständigkeit kollidiere mit dem Wunsch des Selbst nach Bestätigung. „Das Bedürfnis des Subjekts nach dem Anderen ist insofern paradox, als das Subjekt sich als ein Absolutes, als ein selbständiges Wesen zu setzen versucht, aber um selbst anerkannt zu sein, auch den anderen als Gleichen anerkennen muß“ (Benjamin 1990, S. 34). In einer Formulierung aus der Phänomenologie des Geistes kommt die Verschränkung der Perspektiven und Bedürfnisse besonders prägnant zum Ausdruck: „Sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend“ (Hegel 1952 [1807], S. 143). Nach Hegels Dialektik von Widerspruch und Aufhebung ist die notwendige Spannung im geschichtlichen Fortgang jedoch nicht aufrechtzuerhalten; die beiden Subjekte geraten in einen unlösbaren Konflikt. Es komme zum Zusammenbruch der Spannung zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung des Anderen, und dieser Zusammenbruch münde in die Herrschaft des einen und die Unterwerfung des anderen. Demgegenüber plädiert Benjamin dafür, Selbstbehauptung und Anerkennung als die beiden „Pole eines prekären Gleichgewichts“ (Benjamin 1990, S. 15) aufzufas3
Siehe zum Beispiel die wichtigen Veröffentlichungen von Dornes (1993, 1997, 2006).
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sen, das es im Laufe der Differenzierung des Selbst immer wieder neu auszubalancieren gelte. Eine „Lösung“ bestehe also darin, die Spannung immer wieder neu herzustellen oder zuzulassen und die Beziehung gerade nicht nach einer Seite hin aufbrechen zu lassen und sie zu Gunsten des einen und Ungunsten des anderen zu lösen. Die Unfähigkeit, das Paradoxon in der Interaktion auszuhalten, stelle sich zwar leicht ein, so daß sich der intersubjektive Austausch in die Herrschaft des einen über den anderen verkehre, aber dieses Scheitern einer auf gegenseitiger Achtung beruhenden Beziehung sei vermeidbar. Das aufzuweisen, unternimmt Benjamin in ihrer kritischen Re-Interpretation auch einiger renommierter Entwicklungsmodelle. Der Einsicht folgend, daß Herrschaft und Unterwerfung als Resultat aus dem Zusammenbruch jener grundlegenden Spannung zwischen Selbstbehauptung und gegenseitiger Anerkennung zu begreifen seien, deutet Benjamin Liebesbeziehungen als Prozesse wechselseitiger Anerkennung. In dieser Perspektive untersucht sie auch die erste Bindung zwischen dem kleinen Kind und seiner ersten Bezugsperson, der Mutter. Gleichsam doppelt gegenläufig zu den bis dato dominierenden Konzepten der menschlichen Entwicklung, nach denen der Säugling sein Leben als Teil einer undifferenzierten Einheit beginnt und in einer Abfolge von Schritten der Ablösung und Individuation aus der symbiotischen Verschmelzung mit der Mutter heraustritt, unternimmt Benjamin zweierlei: einerseits versucht sie zu belegen, daß schon in den frühesten Interaktionen zwischen Mutter und Kind das Bedürfnis nach gegenseitiger Anerkennung gegeben sei. Andererseits modifiziert sie dementsprechend auch das Ziel der Entwicklung; statt purer Loslösung und Autonomie stelle sich eine andere Aufgabe; es gehe „nicht mehr einzig darum, wie wir uns aus diesem Einssein herauslösen, sondern auch darum, wie wir Bindungen mit anderen Menschen eingehen und diese anerkennen. Es geht nicht mehr nur darum, auf welche Weise wir uns von der primären Anderen befreien, sondern auf welche Weise wir uns aktiv in die Beziehung zu dieser Anderen einbringen und uns darin zu erkennen geben“ (Benjamin 1990, S. 22).
Benjamin fordert, die Interaktion als Begegnung zweier Subjekte aufzufassen und sie in der Weise zu gestalten, daß beide sich als
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selbständige Personen respektieren, die voneinander verschieden und doch einander ähnlich sind. Die Struktur der Gegenseitigkeit sei von manchen Theoretikern des Selbst übersehen worden. Betrachte man nämlich die überlieferten psychologischen Modelle der Mutter-Kind-Beziehung, so falle auf, daß die Mutter als „bloßes Mittel zur Entwicklung des Babys“ (Benjamin 1990, S. 26) fungiere. Sie erscheine lediglich als „Objekt der kindlichen Bedürfnisse“ (ebd.) und werde nicht als selbständiges Subjekt gewürdigt. Ein derart verzerrtes Mutterbild, das als ideologischer Reflex auf patriarchalische Gesellschaftsformen zu analysieren wäre, findet sich nicht nur in psychoanalytischen, sondern auch in anderen Konzepten, die das Kleinkind als ein aktiv soziales Wesen beschreiben. Zunächst sei diese Einseitigkeit erläutert am Beispiel der Entwicklungsmodelle im Anschluß an Margaret Mahlers Theorie der Separation und Individuation. Benjamin macht dabei auf interessante Parallelen zwischen diesem Konzept und Hegels Anerkennungs-Philosophie aufmerksam. Wie das Subjekt bei Hegel den Anderen nur als Mittel seiner Selbstgewißheit benutze, so sehe die klassische Psychoanalyse auch die Beziehung des Kleinkinds zur Mutter. Denn für Hegel wie für die klassische Psychoanalyse befinde sich das Ich, sobald es seiner selbst gewahr werde, in einem Zustand der „Allmacht“; es betrachte alles um sich her als Erweiterung seiner selbst und seiner Macht. In der Auslegung der Differenzierungs-, Übungs- und Wiederannährungsphase unter diesem Blickwinkel entpuppt sich das Kind als ein Subjekt, das die Rolle des Herrn im Hegelschen Sinne einnehmen will und die Selbständigkeit der Anderen negiert – „His Majesty the Baby“, wie Freud es nennt (Freud 1914, S. 157). Benjamin führt aus, daß das Kind im Zusammenhang seiner Entdeckungen mit etwa einem Jahr, in dem es aufrecht zu gehen lernt und mit dem Aktionsradius auch seine Unabhängigkeit von der Mutter vergrößert, eine euphorische Zeit erlebe, entzückt über sich und die Welt. Seine grandiosen Ambitionen müssen dann in der Wiederannäherungsphase, im Alter von etwa 14 bis 24 Monaten, mit der wahrgenommenen Wirklichkeit seiner Grenzen und Abhängigkeit in Einklang gebracht werden. Es versuche, despotisch seinen Willen durchzusetzen und verlange zugleich die Bestätigung seines Tuns durch die Mutter oder Eltern. Der aufbrechende Konflikt um omnipotente Kontrolle stelle für diese eine große Herausforderung dar. Akzep-
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tieren sie, daß sie dem Kind keine Welt einrichten können, die seinen Wünschen vollkommen entspricht, bedeute das eine „Niederlage für ihren Narzißmus“ (Benjamin 1990, S. 37). Versuchen sie, diese Niederlage zu vermeiden, indem sie unter Selbstverleugnung dem Kind jeden Wunsch zu erfüllen trachten, so fungieren sie nicht mehr „als ‚Andere’, die dem Willen des Kindes Grenzen setzen“ (ebd.), und das Kind erlebe diese Situation als ein Verlassenwerden. Wenn sie andererseits das Unabhängigkeitsstreben des Kindes nicht ertragen und jede Äußerung seiner Selbständigkeit unterdrücken, werde das Kind, um den Beifall der Eltern zu erhalten, seine Wünsche aufgeben und sich der Herrschaft der Eltern unterwerfen. „In beiden Fällen überlebt das Allmachtsgefühl: einmal wird es auf andere projiziert – einmal wird es vom Selbst übernommen. In keinem Fall aber kann man sagen, [...] daß der Prozeß der Anerkennung begonnen hätte. Die ideale Lösung des Anerkennungsparadoxons wäre, wenn es als konstante Spannung [kursiv im Original] erhalten bliebe. Eine solche Lösung ist aber bei Hegel nicht vorgesehen und wird auch von der Psychoanalyse kaum in Betracht gezogen“ (ebd., S. 38).
Voneinander unabhängige Subjekte, die sich in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit begegnen, haben in diesen Modellen keinen Platz. Wie bereits erwähnt, bleiben allerdings auch andere Konzepte, die nicht psychoanalytisch fundiert sind, in einer auf den Säugling zentrierten Betrachtung gefangen, so daß die Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht als eine intersubjektive Begegnung verstanden wird, in der sich beide Beteiligten gegenseitig achten. Modelle, die die Entwicklung frühkindlicher Kompetenzen, besonders kognitiver Fähigkeiten betonen, tendieren dazu, die Beziehung zwischen Mutter und Kind auf einen einseitigen Förderungs-Faktor zu reduzieren. So findet – zumindest theoretisch – eine Instrumentalisierung der Beziehung zum Zweck der kindlichen Entwicklungsfortschritte in Richtung (kognitiver) Leistung und Autonomie statt, und die intersubjektive Begegnung kommt nicht in den Blick. In diesem Sinn konstatiert Benjamin, bislang, das heißt bis zum Ende der achtziger Jahre, habe „noch keine Theorie die selbständige Existenz der Mutter adäquat dargestellt“ (ebd.). Die Mutter aber solle – und mit dieser Forderung weitet
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sich das theoretische Anliegen zugleich in den Bereich gesellschaftlicher Praxis aus – „die unabhängige Andere sein, die auf ihre eigene, selbständige Art und Weise auf das kindliche Selbst reagiert“ (ebd., S. 27). Gegenseitige Anerkennung setze eben auch voraus, daß das Kind die Mutter als selbständige Person wahrnimmt und respektiert. Daher betont Benjamin zum einen, daß dies ein „ebenso wichtiges Entwicklungsziel wie die Ablösung“ (ebd.) sei; zum anderen widmet sie sich dem Aufweis der Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen – nicht im Sinne eines einmal Angestrebten, das in einer Sequenz von Ereignissen oder wie eine Reifung zum End- oder Höhepunkt käme, sondern als „ein konstantes Element, das alle Ereignisse und Phasen des Lebens durchzieht“ (ebd., S. 25).
Die Andere entdecken, erkennen, anerkennen Bedürfnis und Fähigkeit Folgt man Benjamins Vorschlag, einen „Kernkonflikt zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung“ (ebd., S. 34) anzunehmen, der sich als aufrechtzuerhaltende Spannung durch das ganze Leben ziehe, so muß man konzedieren, daß dieser Konflikt je nach Entwicklungsphase in verschiedenen Gestalten begegnet, je nachdem, in welcher Weise das Kind seine eigene Selbständigkeit und die der Anderen erleben kann und umgekehrt auch in Abhängigkeit davon, wie es sein individuelles Selbst zu erkennen gibt, so daß seine Bezugspersonen es als differenzierteres wahrnehmen und respektieren können. Gesteht man demnach zu, daß sich in den Anfängen interaktiver Erfahrungen das Phänomen gegenseitiger Anerkennung anders, vager, darstellt als in späteren Phasen, in denen die Differenzierungen von Selbst und Anderen weiter entfaltet sind, so überzeugt doch Benjamins Bemühen, die ersten Interaktionen zwischen der Mutter und dem Neugeborenen als erste Form gegenseitiger Anerkennung zu interpretieren, nicht. Sie schreibt im Abschnitt über „Erstes (An)erkennen“, die Einwände einer skeptischen Leserin vorwegnehmend, über den friedlichen Augenblick nach dem Stillen: „wenn das Kleine dann seine Mutter so aufmerksam, wach und doch rätselhaft anschaut ... – dann ist dies tatsächlich ein Augenblick des Erkennens und Anerkennens“ (ebd., S. 16). Aber diese Behauptung, die mit dem Hinweis auf wissenschaftlich gestützte Befunde verbunden wird,
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daß Neugeborene den Geruch und die Stimme ihrer Mütter erkennen und sie gegenüber denen anderer Personen bevorzugen, reicht meines Erachtens nicht aus, um plausibel zu machen, warum dieser frühe Sympathie-Austausch sowie die Gesten des Anlächelns und das abgestimmte Vokalisieren als Ausdruck gegenseitiger „Anerkennung“ gelten sollen. Das Bedeutungs-Spektrum der Anerkennung scheint mir zu breit angesetzt, wenn es alle Spielarten emotionaler Einstimmung, gegenseitiger Beeinflussung oder gemeinsamen Erlebens umfassen soll. Statt dessen erscheint es überzeugender, für die ersten Lebensmonate ein Bedürfnis nach Anerkanntwerden anzunehmen. Einige empirische Untersuchungen legen nahe, zunächst von einem „Bedürfnis nach Anerkennung von Bedürfnissen“ (Dornes 1997, S. 143) auszugehen. Dieses erweitert oder differenziert sich im Alter von etwa neun Monaten zu einem Bedürfnis nach Teilung von emotionalen und kognitiven Zuständen, die bezug nehmen auf ein Drittes außerhalb der Mutter-Kind-Dyade. Trevarthen unterscheidet in diesem Sinn eine „primäre Intersubjektivität“ von einer „sekundären“ (Trevarthen 1979), Stern hebt eine anfängliche „Kern-Bezogenheit“, die noch keine Intersubjektivität sei, ab von den späteren Phänomenen „gemeinsamer Ausrichtung der Aufmerksamkeit“ (inter-attentionality), „Gemeinsamkeit von Absichten“ (inter-intentionality) und „Gemeinsamkeit affektiver Zustände (inter-affectivity) (Stern 1985/1992, Kapitel 6). Das Auftauchen dieser Kompetenzen wird im Zusammenhang der Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit genauer zu behandeln sein. Hier sollen zunächst Konzepte vorgestellt werden, die sich explizit mit dem Anerkennungsvermögen befassen. Wie kommt das Kind dahin, seine Mutter als getrennte Person wahrzunehmen und sie als ihm ähnlich und doch verschieden zu respektieren?
„Objektverwendung“ oder Anerkennung als Entwicklungserrungenschaft bei Winnicott Zu diesem Problem liefert Donald W. Winnicott anregende und originelle Beiträge. In seinem Aufsatz über Objektverwendung und Identifizierung, der auf einen Vortrag von 1968 zurückgeht, befaßt Winnicott sich mit dem „Übergang von Selbstbezogenheit und Bezogensein auf das subjektive Objekt hin zum Bereich der Objektverwendung“ (Winnicott 1974c, S. 103). Unter „subjektivem Objekt“ sind Halluzinationen oder Phantasien vom
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Objekt4 zu verstehen. Während eine „Beziehung“ auch zu einem „subjektiven Objekt“ als einem „Bündel von Projektionen“ möglich sei, setze die „Verwendung“ des Objekts voraus, daß es „im Sinne eines Teils der wahrgenommenen Realität real“ (ebd.) ist. Um verwendet werden zu können, muß es in seiner „unabhängigen Existenz“ (ebd., S. 104) berücksichtigt werden. Die Fähigkeit dazu ist „Teil des Übergangs zum Realitätsprinzip“ (ebd.); sie sei nicht angeboren, und ihre Entwicklung sei von förderlichen Umweltfaktoren abhängig. Interessant für unsere Frage ist nun, daß Winnicott die wichtige „Verwandlung“ von einer symbiotisch verfaßten Erlebniswelt des Säuglings zur Wahrnehmung der Un4
Daß die in der psychoanalytischen Literatur gängige Verwendung des Begriffs „Objekt“ für Personen Probleme in sich birgt, wird spätestens und gerade deutlich beim Versuch, das Verhältnis zwischen Personen zu klären, die sich in ihrem Subjekt-Charakter wahrnehmen und respektieren (lernen). Um nachvollziehbar zu machen, wie sich dieser Jargon überhaupt etablieren konnte, sei begriffsgeschichtlich daran erinnert, daß Freud 1915 dem Objekt eine mechanische Funktion bei der Befriedigung von Triebbedürfnissen zuschrieb: „Das Objekt [im Original gesperrt gedruckt] des Triebes ist dasjenige, an welchem oder durch welches der Trieb sein Ziel erreichen kann“ (Freud 1915, S. 215). So instrumentalisiert Freuds Trieblehre das menschliche Gegenüber. Andererseits werden ihr zufolge Aspekte der Bezugsperson internalisiert oder bei äußerem Verlust per Identifikation im Innern „ersetzt“, und Beziehungserfahrungen schlagen sich nieder in der inneren Welt der psychischen Strukturen, Instanzen oder unbewußten Phantasien, die wiederum einen Einfluß auf die Wahrnehmung, Verarbeitung und Gestaltung der äußeren Welt und das interpersonellen Geschehens haben. So ergibt sich, daß an keine einfache Gegenüberstellung von „innen“ und „außen“ oder „Subjekt“ und „Objekt“ zu denken ist, sondern an deren komplexe Verschränkungen. Ohne sich der klassischen Triebtheorie wieder anzunähern, läßt sich der psychoanalytische ObjektBegriff daher „in kritischer und emanzipatorischer Absicht“ verstehen, insofern er „die durch unbewußte Motive eingeschränkten Beziehungen von Personen oder Subjekten zu sich selbst und zueinander“ (Hinz 2000, S. 502) benennt. In dieser Sicht verweist der Objekt-Begriff auf die reale Verdinglichung menschlicher Verhältnisse. Ihr entgegenzuwirken, ist ein Anliegen psychoanalytischer Arbeit. „Werden nämlich die unbewußten Determinanten oder Modalitäten der Objektbeziehungen, die hinter den Beziehungen der Subjekte liegen, das heißt der Objektcharakter dieser Beziehungen erkannt und benannt, kann dies dazu verhelfen, die (inter)subjektive Freiheit [...] zu vergrößern“ (ebd.).
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abhängigkeit der äußeren Realität und speziell seiner ersten Bezugsperson, der Mutter, explizit als Anerkennungs-Problem darstellt: „Dieser Prozeß zwischen Objektbeziehung und Objektverwendung besteht darin, daß das Subjekt das Objekt außerhalb des Bereiches seiner eigenen omnipotenten Kontrolle ansiedelt; es handelt sich also darum, daß das Subjekt das Objekt als ein äußeres Phänomen und nicht als etwas Projiziertes wahrnimmt, also letzten Endes um die Anerkennung des Objekts als ein Wesen mit eigenem Recht“ (ebd., S. 105).
Winnicott stellt bei der Frage, ab wann und wie das kleine Kind zur Anerkennungskompetenz gelange, nicht den EmpathieAspekt in den Vordergrund, sondern die Probleme des ontologischen Status sowie des praktisch-moralischen Handelns. Entscheidend ist nach seinem Konzept, ob es dem Kind gelinge, „das Objekt außerhalb des Selbst“ anzusiedeln (S. 106), ihm eine Selbständigkeit zuzugestehen, die seiner Macht entzogen ist. In diesem Verständnis (und nicht transzendentalphilosophisch) soll das Kind sein Gegenüber als „Ding an sich“ (S. 103) in Betracht ziehen. Winnicott hebt hervor, daß dieser Wendung eine paradoxale Struktur eingeschrieben ist: „Das Kleinkind erschafft das Objekt, aber das Objekt war bereits vorher da, um geschaffen und besetzt zu werden“ (S. 104). Die andere Person als ein selbständiges Wesen „mit eigenem Recht“ wahrnehmen und respektieren zu können, stellt eine Entwicklungserrungenschaft dar, an der das Kind aktiv beteiligt ist. Es generiert etwas Neues; aber neu ist für das Kind in dieser Entwicklungsphase, daß das von ihm Kreierte gerade keine Projektion ist, keine Phantasie-Geburt, daß es nicht dem Bereich seiner subjektiven Welt entspringt. Neu ist die Fähigkeit des Kindes, zu erkennen, daß das „Objekt mit seiner Eigenschaft schon immer dagewesen“ ist (S. 104). Die Entdeckung der vorfindlichen Realität ist seine kreative Leistung, die das undifferenzierte Einssein mit der Mutter aufbricht: „In der hier zur Diskussion stehenden Entwicklungsphase erschafft das Subjekt das Objekt in dem Sinne, daß es die Umwelt als solche entdeckt“ (S. 107). Zugleich unterstreicht Winnicott, daß diese Entwicklungserrungenschaft kein einsamer Akt des Kindes ist, sondern im kommunikativen Austausch zwischen Mutter und Kind gelingt –
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oder scheitert5. Die Interaktionen konzipiert Winnicott auf folgende, zunächst provozierende Weise: „Diese Wandlung von der Objektbeziehung zur Objektverwendung bedeutet, daß das Subjekt das Objekt zerstört“ (S. 105). Diese Zerstörung ist weniger als Ausdruck einer emotionalen Befindlichkeit zu verstehen, sondern wird, wie das Anerkennungsthema insgesamt, auf die Entdeckung eines ontologischen Status bezogen. Winnicotts These besagt, daß die Destruktion, die das Objekt als „subjektives“ in der „Phantasie“ (S. 105) attackiert, eine zentrale „Rolle bei der Entstehung der Realität“ (S. 106) spielt. Damit das Kind das Objekt als real, außerhalb seiner Kontrolle existierendes Wesen erfahren kann, ist es allerdings notwendig, daß dieses Objekt in bestimmter Weise auf die Attacken reagiert. Es muß „seine eigene Autonomie“ (S. 105) entwickeln, sein selbständiges Dasein behaupten und erfahrbar werden lassen. Es muß über die Fähigkeit verfügen, zu „überleben“ (S. 107). Hat das Objekt überlebt, kann das kindliche Subjekt es „verwenden“, das heißt von seinen spezifischen Eigenarten profitieren und in einen produktiven Austausch mit der oder dem Anderen treten. Mit der Aussage, daß das Objekt „immer wieder zerstört“ (S. 110) werde, macht Winnicott deutlich, daß es um die Einübung einer Haltung geht. Aus ihr heraus erwachsen allmählich stabilere Beziehungen sowie Selbst- und Objektkonzepte. „Diese Eigenschaft, ständig wieder zerstört zu werden, macht die Realität des überlebenden Objekts überhaupt erst erlebbar, verstärkt die Gefühlsbeziehung und führt zur Objektkonstanz. Erst danach kann das Objekt verwendet werden“ (ebd., S. 109). Zu beachten ist dabei, daß der Aufbau der Objektkonstanz nur als ein Schritt oder „Teil des Übergangs zum Realitätsprinzip“ (ebd., S. 104) anzusehen ist. Sie stellt jene komplexe kognitive und emotionale Konstruktionsleistung dar, mit der eine konstante positive Vorstellung vom Liebes-Objekt auch über Trennungen und wechselnde affektive Stimmungslagen bzw. Interaktionserfahrungen hinweg aufrechterhalten wird (siehe Fischer 2000, S. 508). Nach dem geläufi5
Mißrät „in der menschlichen Entwicklung der vielleicht schwierigste Prozeß“, eben der Übergang von der Objektbeziehung zur Objektverwendung, das heißt die „Anerkennung des Objekts als ein Wesen mit eigenem Recht“, dann „entsteht die folgenschwerste aller frühen Fehlentwicklungen, die überhaupt zur Behandlung kommen“ (Winnicott 1974c, S. 104f.).
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gen Verständnis, etwa in Konzepten, die sich an Mahlers Individuations-Theorie anlehnen, wird die Objektkonstanz mit der Fähigkeit in Zusammenhang gebracht, Partialobjektbeziehungen oder „gute“ und „böse“ Objekte zu einem ganzheitlichen Objekt zu integrieren. Außerdem wird oft die Ähnlichkeit mit dem von Piaget untersuchten Problem der Objektpermanenz erwähnt, das die Fähigkeit des Kindes bezeichnet, eine Vorstellung von einem Gegenstand zu entwerfen, auch wenn dieser nicht in der aktuellen Wahrnehmung gegeben ist. Dabei handelt es sich insofern um eine Erweiterung des egozentrischen Erlebens und einen Zugewinn an Realitätsorientierung, als das Kind entdeckt, daß die Welt auch ohne die eigene Wahrnehmung fortbesteht. Demgegenüber geht der Aufbau der Objektkonstanz nicht mit gesteigerter Realitätsorientierung einher. So macht auch Sherwood (1989) darauf aufmerksam, daß das konstante Objekt etwas ganz anderes sei als das permanente oder ganze Objekt. Bildet das Kind eine Objektkonstanz, so fühlt es sich weiterhin bemuttert, auch wenn die Mutter vorübergehend nicht anwesend und mit anderen Dingen oder Personen beschäftigt ist. Da auch die einfühlsamste Mutter ihrem Kind nicht dauernd und gleichbleibend liebevoll zugewandt sein kann, sei die Objektkonstanz eine Übergeneralisierung wichtiger Erfahrungen und eher eine illusorische als eine realistische Einschätzung. Daher sei im Unterschied zum permanenten Objekt die egozentrische Wahrnehmung eine Voraussetzung für das Erleben der Objektkonstanz. In kognitiver Hinsicht komme es zu einer Dezentrierung der kindlichen Erlebniswelt, in gefühlsmäßiger Hinsicht bleibe das Kind egozentrisch. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird deutlicher, welchen Stellenwert die Objektkonstanz in Winnicotts Konzept einnimmt. Sie gehört, selber noch illusorisch und auf das eigene Bedürfnis nach Sicherheit bezogen, in den Bereich „des Übergangs zum Realitätsprinzip“. Das noch egozentrisch bewahrte Erleben, in dem das Kind sich „sorglos“ von der Mutter distanzieren kann, ohne Angst vor ihrer „Rache“ und Liebesentzug haben zu müssen, ist eine notwendige Voraussetzung dafür, daß das Kind zu einer Selbstkonstanz findet und das Gefühl entwickeln kann, sein eigenes Leben leben zu dürfen. Erst auf dieser Basis und aus diesem Vertrauen heraus wird es dann die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln können, das egozentrische Erleben um die Perspektive der anderen zu erweitern und auch die Mutter als reales Wesen
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mit eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen und sie als „Person mit eigenem Recht“ zu respektieren.
Ontologie und Emotion In Winnicotts Konzept der Entwicklung der Fähigkeit zur Anerkennung spielt die Entdeckung der Realität, also der ontologische Aspekt, eine entscheidende Rolle, doch die Dimension der Sympathie und der emotionalen Zuwendung bleibt dabei nicht ausgespart. Zunächst wird die „Aggression“, auf die der erste Emotions-Verdacht fällt, im bisher dargestellten Zusammenhang instrumentalisiert, indem sie als Mittel erscheint, mit dem das Realitätsprinzip „überprüft“ (S. 106) wird, als Testverfahren also. Dieses zielt letztlich auf etwas Produktives. Dazu stellt Winnicott die tradierte Auffassung und seine Revision einander gegenüber: „Die orthodoxe Theorie geht stets davon aus, daß Aggression sich aus der Auseinandersetzung mit dem Realitätsprinzip ergibt, während der Destruktionstrieb nach unserer Auffassung das Äußere in seinem Wesen erst erschafft“ (S. 109).
Des weiteren macht er deutlich, daß es bei der Destruktion im vorliegenden Konzept der Entwicklung der Anerkennungskompetenz „keinen Zorn“ (ebd.) gebe. Statt dessen könne man im Gegenteil von einer „Freude“ sprechen, die aufkomme, wenn das Objekt überlebt. Gelingen die Prozesse des „Zerstörens“ und „Überlebens“, so entsteht – in einer Art De-Konstruktion – eine „Welt erlebter Realität, die das Subjekt verwenden kann“ (S. 110). Diesen Gewinn begrüßend, rufe das Subjekt: „Hallo, Objekt! Ich habe dich zerstört! Ich liebe dich!! Du bist für mich wertvoll, weil du überlebt hast, obwohl ich dich zerstört habe!“ (S. 105). So entwirft Winnicott ein anderes Szenario als die orthodoxe Gegenüberstellung von Lust- und Realitätsprinzip. Während die Triebtheorie die Einsicht ins Realitätsprinzip als Ergebnis von frustrierenden Einschränkungen der Triebbedürfnisse auffaßt, die, schließlich einmal als unvermeidlich eingesehen, eher resignativ hingenommen werden müssen, entfaltet Winnicott ein Drama, in dem die Beteiligten lebendig miteinander agieren, kreativ sich und die Welt erkunden und das von ihnen Geschaffene / Entdeckte freudig willkommen heißen. Dies erscheint insofern einleuchtend, da mit dem Verzicht auf Verfügungsmacht und Kon-
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trolle zugleich etwas Neues, Schätzenswertes entsteht; denn erst die konstruktiv gewendete „Destruktion“ ermöglicht die „Liebe zum realen Objekt“ (S. 110), eine Liebe, die befreit ist von narzißtischen Omnipotenzphantasien und in der sich beide Personen zugleich als anerkannt und real erleben können. So weit, so kreativ. Nun erheben sich aber auf der Grundlage neuerer empirischer Forschungen Einwände gegen Winnicotts Ideen. Seine Konzeption, in der es ausgerechnet um die kritische Prüfung von Phantasiegebilden und Realitätsgewinn geht, wird von empirisch gestützten Einsichten in frühkindliche Kompetenzen angegriffen, und es ist zweifelhaft, ob sie diese Attacken – zumindest in der vorliegenden Form – unbeschadet zu „überleben“ vermag. Dornes jedenfalls hat gezeigt, daß die beiden Grundbausteine von Winnicotts Anerkennungstheorie durch neuere Befunde zur frühkindlichen Entwicklung in Frage gestellt werden: „Weder gibt es beim Säugling Phantasien, noch gibt es ein vollständig subjektives Objekt“ (Dornes 1997, S. 149). Im dritten Kapitel des Buches über Die frühe Kindheit befaßt sich Dornes mit der Frage, ob das Theorem frühkindlicher Phantasien haltbar sei. Er trägt in einer vorzüglichen Übersicht Indizien zusammen, die gegen ihre Annahme sprechen, und er empfiehlt zugleich theoretische Alternativen zur Rezeption – nämlich Piagets sensomotorische Schemata, Lichtenbergs WahrnehmungsAffekt-Handlungsmuster und Sterns generalisierte Interaktionsrepräsentanzen.6 6
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Dornes schlägt vor, man solle erst dann von „Phantasie“ sprechen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. die freie Evokation eines Bildes (oder einer andersartigen Präsenzerfahrung), 2. die Kombination mehrerer Bilder zu einer Sequenz („Bildgeschichte“), 3. die Fähigkeit, solche Bilder zu verändern oder sie aus dem Kontext, in dem sie ursprünglich aufgetaucht sind, herauszulösen und in einen neuen (hypothetischen) Kontext einzugliedern (Dornes 1997, S. 93). Die Fähigkeit zur hypothetischen – und nicht nur empirischen – Repräsentation sei das entscheidende Kriterium für Phantasietätigkeit. Sie stelle Möglichkeiten dar, die noch nie Wirklichkeiten gewesen sein müssen. Der Säugling könne nicht phantasieren, weil er allenfalls Empirisches, nicht aber Hypothetisches repräsentieren kann. Nach der Sichtung relevanter empirischer Befunde kommt Dornes zu dem Fazit, daß Kinder „nicht vor 18 Monaten über die Fähigkeit zur hypothetischen Repräsentation verfügen“ (S. 98). Vermutlich dauere es noch länger, bis sie phantasieren, das heißt „die jeweilige Realität im Hinblick auf rein imaginierte ver-
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Zum zweiten „Grundbaustein“, das heißt Winnicotts „Idee eines vollständig subjektiven Objekts“7 erklärt Dornes, daß sie mit den Konzepten der Symbiose, des primären Narzißmus oder Piagets ursprünglichem Adualismus von Subjekt und Objekt in der Behauptung übereinkomme, daß es anfangs keine Unterscheidung von Ich und Umwelt gebe. Habe demgegenüber die neuere Säuglingsforschung Belege dafür geliefert, die die Annahme rechtfertigen, daß der Säugling die Außenwelt differenziert wahrnimmt, so bleibe allerdings zu fragen, ob er die dargebotenen Dinge oder Reize, deren Unterschiedlichkeit er bemerkt und auf die er differenziert reagiert, auch als von äußeren Objekten herrührend empfindet, das heißt, ob er sie auch „als Außenwelt“ wahrnimmt (ebd.). Letzteres bestreitet Winnicotts Konzept des subjektiven Objekts; es besagt, daß der Säugling, so vielgestaltig seine Empfindungen auch sein mögen, noch über keine Idee oder Empfindung einer von ihm unabhängigen Außenwelt verfüge. Die Sinneseindrücke „enthalten zunächst keinen ‚Objekthinweis’“ (ebd., S. 150), sondern bleiben im Bereich des Subjektiven. „Und genau das ist falsch“ (ebd.), kontert Dornes. Gestützt auf neuere Studien, erläutert er, daß es gerechtfertigt sei, anzunehmen, daß der Säugling „von Anfang an in der Lage ist, eine von Objekten ausgelöste Empfindung als Empfindung ‚von etwas’ zu
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gangene oder zukünftige Möglichkeiten transzendieren und unabhängig von jeder momentanen äußeren Realität eine Innenwelt kreieren können“ (ebd.). Darüber hinaus setzt sich Dornes mit der Frage auseinander, ab wann man unbewußte Phantasien annehmen könne. Hierzu konstatiert er, Unbewußtheit von Phantasien setze Verdrängung voraus; Verdrängung aber sei erstens ein reifer Abwehrmechanismus, der zwischen zwei und vier Jahren entsteht, und sie greife zweitens an einer „Vorstellungsrepräsentanz an, die aber erst einmal gebildet sein muß, bevor sie verdrängt werden kann“ (S. 99). Deshalb geht Dornes davon aus, daß das „frühe Seelenleben topisch noch nicht in bewußt und unbewußt differenziert“ ist, merkt jedoch an, daß (frühe) Formen von Unbewußtheit beim Säugling denkbar sind, „die auf anderem Wege als dem der Verdrängung entstehen, zum Beispiel durch Unterdrückung von Affekten oder durch Abspaltung“ (ebd., Fußnote). Dornes (1997, S. 149). Angemerkt sei, daß in Winnicotts Text die Zuspitzung zum „vollständig“ subjektiven Objekt nicht vorkommt. Sie läßt allerdings die Kritik daran umso markanter erscheinen.
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begreifen. [...] Er hat [...] a priori ein epistemisches, erkennendes Verhältnis zur Welt und nicht bloß Empfindungen“ (ebd.). Schließlich zieht Dornes das Fazit: „Primärer Narzißmus, Symbiose, vollständig subjektives Objekt, ursprünglicher Adualismus sind keine brauchbaren Konzepte mehr. Der Säugling nimmt vielmehr von Anfang an die Außenwelt als Außenwelt wahr“ (ebd. S. 151). Mit den Thesen, daß der Säugling nicht phantasieren könne und daß es kein „vollständig subjektives Objekt“ gebe, argumentiert Dornes gegen das „Winnicottsche Szenario der Anerkennung des Objekts“, denn das bestand „ja gerade darin, die Wahrnehmung der Unabhängigkeit des Objekts als einen Entwicklungsschritt zu konzipieren“ (ebd., S. 151). Die Vorstellung vom „Übergang von der Symbiose zur Anerkennung (der Unabhängigkeit) des Objekts“ erscheint nach Dornes nicht haltbar, weil es sozusagen das erste, die Symbiose, nie gegeben, und weil es das zweite immer schon gegeben habe. Seiner Meinung nach müssen wir davon ausgehen, „daß der Säugling von Anfang an in der Wahrnehmungssituation über ein intuitives Wissen von der Unabhängigkeit des Objekts verfügt [...]. Die Wahrnehmung der Unabhängigkeit des Objekts ist also kein Resultat eines Entwicklungsprozesses, sondern ein primäres Datum“ (ebd.).
In einer Fußnote (S. 151f.) unterscheidet Dornes allerdings a) die Idee von der Unabhängigkeit des Objekts in der Wahrnehmungssituation von b) der Idee der Unabhängigkeit des Objektes von der Wahrnehmungssituation (Objektpermanenz). Die erste sei von Geburt an vorhanden, die zweite entwickle sich allmählich. Dornes vertritt die Auffassung, daß der Säugling Reize, die von einem aktuell anwesenden Objekt ausgelöst werden (a), als „von etwas“ herstammend wahrnehme und nicht als rein subjektive Empfindung. Zum Aufbau der Objektpermanenz (b) erinnert Dornes an die verschiedenen Stufen, die seit Piagets Forschungen bekannt sind: x mit drei bis vier Monaten glauben Säuglinge nur wenige Sekunden an die Weiterexistenz des Objekts, wenn es keine aktuellen Empfindungen mehr verursacht,
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x mit sechs bis acht Monaten etwa eine Minute lang, wenn sie das Verschwinden des Gegenstandes beobachtet haben, x mit 18 Monaten unter allen Umständen und über längere Dauer. Obwohl Dornes also im Fußnotentext selber eine differenziertere Sicht auf die Fähigkeit zur Objektwahrnehmung oder -erkenntnis einfügt, nivelliert er sie in der Hauptlinie seiner Argumentation. Hier changiert er zwischen den Begriffen bzw. kognitiven Leistungen „Wahrnehmung der Unabhängigkeit des Objekts“ und „intuitives Wissen von der Unabhängigkeit des Objekts“, bis er schließlich alle Abstufungen einfach unter „Wissen um die Unabhängigkeit des Objekts“ und „Erkennen der Unabhängigkeit der Außenwelt“ (ebd., S. 152) subsumiert. Dieser kognitiven Leistung, die „von Anfang an“ gegeben und „für den Säugling kein Problem“ sei, stellt Dornes die „emotionale“ gegenüber, die darin bestehe, die Unabhängigkeit des Objekts anzuerkennen (ebd.). Die Fähigkeit oder Bereitschaft, jenes „Wissen auch emotional [zu] ‚ertragen’, das heißt diesen Sachverhalt [der Unabhängigkeit des Objekts] an[zu]erkennen“, könne ein Problem werden (ebd.). Winnicott habe die beiden Fragen vermengt, die auseinanderzuhalten und getrennt zu beantworten seien: die Frage nach den wahrnehmungspsychologischen Voraussetzungen bzw. der kognitiven Leistung, wann der Säugling die Unabhängigkeit des Objekts erkenne und die nach den emotionalen Voraussetzungen, wann er sie anerkenne. Letzteres sei eine Entwicklungserrungenschaft, die mit etwa drei Jahren erreicht werde. Um jenes unproblematisch gegebene Wissen „auch in Beziehungen zu lebendigen Personen zwanglos und ohne allzuviel Anstrengung praktizieren / anwenden zu können [...], muß er [der Säugling] vorher in seinem Bedürfnis nach ‚Anerkannt-werden-wollen’ bestätigt worden sein“ (ebd., S. 153). Wann und in welchem Ausmaß sich diese Fähigkeit beim kleinen Kind entwickelt, ist also abhängig von spezifischen Beziehungserfahrungen. Bevor diese im folgenden Abschnitt weiter untersucht werden, ist die Überzeugungskraft von Dornes’ Kritik an Winnicott ihrerseits zu prüfen. Wie schon erwähnt, bietet Dornes’ Auseinandersetzung mit dem Theorem infantiler Phantasien nicht nur eine vorzügliche Übersicht über Indizien, die gegen eine solche Annahme sprechen, sondern er benennt zugleich weiterführende theoretische Alterna-
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tiven. Die Kritik am zweiten „Grundbaustein“ von Winnicotts Konzept der Entwicklung der kindlichen Anerkennungsfähigkeit scheint mir dagegen weniger überzeugend. Seine Argumentation zielt auf die Differenz von wahrnehmungspsychologisch fundiertem „Erkennen“ und emotionalem „Anerkennen“ der Unabhängigkeit der Außenwelt. Beide Aspekte bleiben jedoch in Dornes’ Überlegungen erstaunlich vage. Macht er zwar gegenüber der tradierten Auffassung einer primären symbiotischen Phase zu Recht geltend, daß der Säugling schon bald nach der Geburt unterschiedlich auf Stimuli reagiert, je nachdem, ob diese aus dem eigenen Körper oder der Außenwelt herstammen, so ist damit aber die Frage nach der Fähigkeit zur Objekt-„Erkenntnis“ keineswegs erledigt. In welcher Weise kann der Säugling die organismisch verankerte und beobachtbare Differenz in den Reaktionen erleben? Welche Bedeutung hat das zunächst auf der Ebene eines instinkthaft geregelten Reiz-Reaktions-Zirkels „Gegebene“ für ihn? Dornes hält offenbar den Entwicklungsprozeß für unwesentlich, der von einem anfänglichen Gespür einer Außenwelt zu einer klaren und von Bewußtsein getragenen „Erkenntnis“ verläuft. Mir erscheint es demgegenüber durchaus sinnvoll, in diesem Prozeß jene Zwischenstufe hervorzuheben, auf der das Kind in Akten gesteigerten Bewußtseins das „Datum“ reflektiert; in Anlehnung an Winnicott ließe sich sagen, nicht nur „das Objekt war bereits vorher da“ (Winnicott 1974c, S. 104), sondern auch irgendein Gespür für die Außenwelt. Aber das Kind eignet sich die organismisch „gegebene“ Wahrnehmung der Realität erst an, indem es sie, vermittelt über selbsttätige Auseinandersetzungen mit eigenen Möglichkeiten sowie dinglichen und sozialen Widerständen, entdeckt. Nun ist die Frage nach der Erkenntnis der physikalischen Welt im Zusammenhang der vorliegenden Studie nicht weiter von Interesse, sondern nur die interpersonelle. Auch hier bleibt Dornes’ Vorschlag vage, Anerkennung der Unabhängigkeit des (Liebes-) Objekts als „emotionales“ Problem zu fassen. Und die andere Formulierung, daß es ein „intuitives Wissen“ als „ein primäres Datum“ (S. 150) gebe, das das Kind dann „ohne allzuviel Anstrengung praktizieren / anwenden“ (153) müsse, scheint die komplexen Vermittlungsprozesse kognitiver, emotionaler und interaktiver Art nicht angemessen zu kennzeichnen. Es geht ja nicht darum, daß der Säugling die Mutter als „Objekt“ einer un-
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abhängig existierenden Außenwelt gelten läßt, sondern daß er die Realität ihres Person-Seins wahrnimmt und respektiert. Die Anerkennung der Mutter als „Wesen mit eigenem Recht“ ist eine Entwicklungserrungenschaft – nicht, weil ein immer schon gegebenes Wissen anzuwenden oder emotional zu ertragen wäre, sondern weil ein Verständnis dessen, was es heißt, ein „Wesen mit eigenem Recht“ zu sein, sich überhaupt erst aufbauen muß. Ich schlage vor, die Lesart von Winnicotts Konzept in dieser Richtung weiterzuführen: es geht um die Frage, wie das Kind dahin komme, ein Verständnis eigener und fremder Subjektivität zu gewinnen; wie es zu der Fähigkeit komme, sich selbst und die andere als Personen mit je eigenen Bedürfnissen, Absichten und Wünschen zu erkennen und zu achten. Wie kommt es, anders ausgedrückt, zur Fähigkeit, sich selbst und andere als Wesen mit mentalen Zuständen zu verstehen?8 In späteren Abschnitten (S. 113-157 und 158-169) werden Modelle vorgestellt, die erklären helfen, wie sich diese Kompetenz entwickelt. Zunächst aber soll noch ein wichtiger Aspekt beschrieben werden, der in Winnicotts Konzept enthalten ist und der jenseits aller fragwürdigen Spekulationen über infantile Phantasie und Ontologie wichtige Hinweise gibt auf die zentrale Bedeutung mütterlichen Verhaltens für die Entwicklung der kindlichen Anerkennungskompetenz.
Kindliche Anerkennung als Antwort auf Anerkennungserfahrungen Bisher wurde die aktive Leistung des Kindes beim Übergang zur Anerkennung der Anderen hervorgehoben, weil es – mit Win8
Vorerst sei nur der kognitive Aspekt herausgearbeitet. Daß er mit einem praktisch-moralischen verbunden ist, wird später erläutert. (Kapitel „Der Grund des Lächelns“ ). Aus wiederum anderer Perspektive und in anderer theoretischer Absicht wendet sich Altmeyer gegen Dornes’ Winnicott-Kritik. Nicht Winnicott habe „die Frage von Erkennen und Anerkennen ‚vermengt’, wie Dornes meint, sondern er selbst, indem er nämlich die Bedeutung der Unabhängigkeit des Objekts mit der Frage seiner Lokalisation in der Außenwelt verwechselt“ (Altmeyer 2000, S. 144). Altmeyer geht es darum, aufzuzeigen, daß die Theorie des primären Narzißmus nicht im Widerspruch stehe zu der einer primären Intersubjektivität – „wenn man sie in einer Zwei-Personen-Psychologie formuliert, in der Innen und Außen, Selbst und Objekt intersubjektiv verschränkt und nicht, wie im erkenntnistheoretischen Dualismus, voneinander getrennt gedacht sind“ (ebd.).
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nicott – darum ging, diese nicht angeborene Kompetenz als Entwicklungserrungenschaft kenntlich zu machen. Es wurde jedoch ebenfalls gesagt, es hänge von der Beschaffenheit der Interaktionen ab, ob dieser Prozeß gelingt oder scheitert. Unverzichtbar für ein angemessenes Verständnis ist es daher, die Bedeutung der Mutter in diesem Geschehen zu berücksichtigen. Damit das Kind sie anerkennen kann, muß sie vorgängig bereits da sein, und zwar als autonomes Wesen, unverfügbar für das Omnipotenzstreben des Säuglings. Für ihn „überlebt“ sie seine testenden Angriffe, wenn sie sich „nicht rächt“(Winnicott 1974c, S. 104). Was dieses „Sich-nicht-Rächen“ (S. 105) bedeutet, das keineswegs auf ein Alles-mit-sich-machen-lassen zielt, erläutert Benjamin, die Winnicotts Aufsatz im Kern als ein „modernes Echo auf Hegels Überlegungen zur Anerkennung der Subjekte“ (Benjamin 1990, S. 39) liest. Sie interpretiert die Dialektik von Zerstörung und Überleben in bezug auf die Wiederannäherungskrise wie folgt: „Wenn ich die Andere völlig zerstöre, dann existiert sie nicht mehr für mich. Und wenn sie mich völlig zerstört, existiere ich nicht mehr. Das heißt, ich bin keine autonome Person mehr. Wenn also die Mutter dem Kind keine Grenzen setzt, wenn sie sich und ihre Interessen verleugnet, wenn sie sich völlig kontrollieren läßt – dann ist sie für das Kind keine lebendige Andere mehr. Sie ist dann zerstört – und nicht nur in der Phantasie des Kindes. Wenn sie versucht, sich zu rächen, den Willen des Kindes zu brechen [...] – dann pflanzt sie dem Kind die Idee ein, es gäbe in einer Beziehung nur Platz für ein Ich. Dann glaubt das Kind, es müsse sein Ich einstweilen verleugnen – in der Hoffnung, es irgendwann wiederzufinden: gleichsam als spätere Rache. Nur durch das Überleben der Anderen gelangt das Subjekt über die Sphäre von Unterwerfung und Vergeltung hinaus in die Sphäre gegenseitiger Achtung“ (Benjamin 1990, S. 41f.).
Benjamin betrachtet in dieser erhellenden Auslegung den eher reaktiven und mitspielenden Part der Mutter bei der Entwicklung der Anerkennungskompetenz des Kindes. Man kann ihre Bedeutung allerdings noch weiter beschreiben, indem man zeitlich vorhergehende Interaktionssequenzen einbezieht. Damit nämlich im Kind überhaupt die Motivation oder Bereitschaft entstehen kann, die egozentrische Erlebniswelt um die Perspekitve der anderen zu erweitern, muß es zuvor bereits bestimmte interaktive Erfahrungen gemacht haben. Und zwar geht ontogenetisch die Anerken-
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nung des Kindes durch die Mutter seiner Anerkennungsfähigkeit voraus. Die anerkennenden Einstellungen und Akte der Mutter ihrem Kind gegenüber sind facettenreich; sie nehmen affektive Bestätigung, erkennende Aufmerksamkeit und praktische Unterstützung in sich auf. In der präverbalen Phase, in der die Symbolisierungskompetenz noch nicht ausgebildet ist, die immer auch eine Möglichkeit bietet, Distanz zu schaffen, zu überbrücken oder auszuhalten, ist das Anerkennungsverhältnis notwendigerweise an die leibliche Präsenz konkreter Anderer gebunden. Diese primäre Anerkennungsform, die Honneth in seiner Typologie als „Liebe“ logisch und genetisch vor die beiden später erkämpften Anerkennungsmuster des Rechts und der solidarischen Zustimmung stellt (Honneth 2003a, vor allem Kapitel 5), ist charakterisiert durch die Orientierung auf Leiblichkeit und vitale Bedürfnisse. Das kleine Kind anerkennen bedeutet in der präverbalen Phase, seine elementaren Bedürfnisse wahrzunehmen, zu erkennen und sie zu befriedigen. Diese Reaktionen der Mutter vollziehen sich – bei aller Einfühlung, Vertrautheit und liebevollen Verbundenheit – nicht im symbiotischen Gefühl des Einsseins. Solch ein Zustand kann zwar für Momente der frühen Mutter-Kind-Beziehung angenommen werden, doch käme Anerkennung darin gerade nicht zum Ausdruck. Diese setzt immer schon das Bewußtsein einer Differenzierung voraus, so daß die Eine dem Anderen als Anderem begegnet. Interpretiert man die Befriedigung von elementaren Bedürfnissen als frühe Form der Anerkennung, so darf das nicht etwa mißverstanden werden als Wiederannäherung an triebtheoretische Irrtümer. Diesen gegenüber ist an der jesuanischen Einsicht festzuhalten, daß der Säugling nicht von Milch allein lebe. Das haben empirische Befunde vielfach wie traurig belegt9 und steht nicht zur Diskussion. Ob man das, was über Milch oder Brot, das heißt die Befriedigung vitaler Bedürfnisse hinausgeht, „transzendental-theologisch“ als „Wort Gottes“, „spirituell als ‚Suche nach Sinn’ oder psychologisch-intersubjektivitätstheoretisch als ‚An9
Siehe zum Beispiel die einschlägigen Studien von Bowlby und Spitz. Sie machen sichtbar, unter welchen Folgeschäden Kinder leiden, wenn sie ohne ihre Mütter in Institutionen aufwachsen, in denen ihre emotionalen und kognitiven Bedürfnisse nicht (hinreichend) befriedigt werden.
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erkennung der Person’ formuliert“ (Dornes 1997, S. 140f.), mag weniger wichtig sein, „solange klar ist, daß es diesen ‚Überschuß’ gibt“ (ebd.). Dieser Überschuß, der in der vorliegenden Studie als Anerkennung gefaßt wird,10 ist in zweierlei Hinsicht zu berücksichtigen; zum einen ist er in das „orale“ Bedürfnis und seine Befriedigung eingelassen. In diesem Punkt hat Brecht, wie auch Dornes anmerkt, unrecht, wenn er eine seiner Figuren sagen läßt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Denn in die Art, wie ein Mensch seine Nahrung, das, was ihn am Leben erhält, aufnimmt, wie es ihm gegeben, vorenthalten oder verweigert wird, sind „Moral“ oder „Unmoral“ immer schon eingeschrieben. Zum andern hat der Mensch aber auch andere Bedürfnisse, die unabhängig sind vom „oralen“. Den „Überschuß“, der hier im Bedürfnis nach Anerkennung gesehen wird, nimmt die Mutter, wenn alles gut geht, in ihrem Kind wahr, erkennt und befriedigt ihn, noch ehe es selbst einen Begriff davon hat. Das genauer zu untersuchen, ist der Inhalt des Abschnitts, in dem eine anerkennungstheoretische Auslegung mütterlicher Affektspiegelung versucht wird (siehe unten, S. 134139 und S. 142-154). An dieser Stelle sei zuvor noch eine Überle10 Hier wird versucht, aufzuzeigen, wie weit man mit der Deutung der Prozesse menschlicher Subjektwerdung kommt, wenn man den „Überschuß“ anerkennungstheoretisch faßt. Das verbindet sich nicht mit dem Anspruch, die beste Lesart vorzulegen. Dornes vermutet, daß die „meisten neurotischen Probleme, die es heute gibt, nicht von frustrierten Triebwünschen, sondern von frustrierten Anerkennungsbedürfnissen“ herrühren (Dornes 1997, S. 141). Er kann sich damit auf Balints Konzept der primären Liebe, Winnicotts Unterscheidung von wahrem und falschem Selbst und Kohuts Konzeption des Größenselbst stützen, das „empathische Spiegelung, d.h. Anerkennung und Validierung in seinem So-Sein sucht“. Diese Autoren haben nach Dornes „das anthropologische Mißverständnis Freuds korrigiert, daß der Mensch in seiner Bedürfnisstruktur ähnlich ist wie ein Tier“ (ebd.). Darüber hinaus liefert Dornes Erklärungen dafür, warum Freud sich in dieser Frage getäuscht und warum wir heute über ein „klareres Bewußtsein der Anerkennungsproblematik“ verfügen. Zu Freuds Zeit, da die materielle Reproduktion weniger gesichert war, habe sich aus sozialgeschichtlichen und wirtschaftlichen Gründen das Anerkennungs- als Triebproblem maskiert. Erscheint das plausibel, so ist dennoch festzuhalten, daß es anderen Denkern unter ähnlichen wirtschaftlichsozialgeschichtlichen Bedingungen möglich war, das Anerkennungsproblem in aller Deutlichkeit zu sehen.
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gung in Anschluß an Winnicott eingefügt, die sein Konzept wechselseitiger Anerkennung erweitert. Und zwar beziehen auch Benjamin und Honneth Winnicotts Ideen zum Spiel- und „Übergangs“-Bereich11 ein, weil in ihnen die interaktionellen Bedingungen beleuchtet werden, unter denen das Kind die Bereitschaft entwickeln kann, die Andere als „Wesen mit eigenem Recht“ anzuerkennen. Zum Spiel gehören jene Momente, in denen das Kind auf keine äußeren und inneren Stimuli reagieren muß, die es bedrängen; seine „oralen“ Bedürfnisse sind befriedigt und keine äußeren Einflüsse nehmen es fordernd gefangen; in entspannter Aufmerksamkeit kann es sich der Umwelt oder der eigenen Person zuwenden. Diese Momente werden möglich, wenn das Kind allein ist, während eine Vertrauensperson anwesend ist. Winnicott nennt es in dem gleichnamigen Aufsatz ein „Alleinsein in Gegenwart der anderen“. Es ist die „Geborgenheit, die eine unaufdringliche Andere bietet. [...] In diesen Momenten [...] kann – wie Winnicott sagt – ein Impuls von innen aufsteigen, der als authentisch empfunden wird. Und genau hier setzt das Gefühl der eigenen Urheberschaft ein: nämlich die Überzeugung, daß unser Tun von innen ausgeht, daß es unsere eigene Absicht zum Ausdruck bringt. Genau hier entsteht also auch die Fähigkeit, die Außenwelt uneingeschränkt wahrzunehmen: die Freiheit, sich unabhängig von Ängsten und Wünschen für das Objekt zu interessieren“ (Benjamin 1990, S. 44).
11 Winnicott selbst verweist in seinem Aufsatz über die Fähigkeit zur Objektverwendung, die er ja als „Teil des Übergangs zum Realitätsprinzip“ vorstellt, auf sein Konzept der Übergangsobjekte und -phänomene (Winnicott 1974c, S. 104). Und auch von dort aus, im Aufsatz über Übergangsobjekte und Übergangsphänomene, stellt er Zusammenhänge her: „Wir behaupten nun, daß die Akzeptierung der Realität als Aufgabe nie ganz abgeschlossen wird, daß kein Mensch frei von dem Druck ist, innere und äußerer Realität miteinander in Beziehung setzen zu müssen, und daß die Befreiung von diesem Druck nur durch einen nicht in Frage gestellten intermediären Erfahrungsbereich (in Kunst, Religion usw.) geboten wird [...]. Dieser intermediäre Bereich entwickelt sich direkt aus dem Spielbereich kleiner Kinder, die in ihr Spiel ‚verloren’ sind“ (Winnicott 1974a, S. 23).
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Entscheidend ist in diesem Konzept die paradoxe Struktur; das Kind ist weder einfach allein gelassen, verlassen, noch wird es in permanentem Kontakt gebunden; es geht auch nicht um das Abwechseln in zeitlicher Folge mal dieses, mal jenes Zustandes, vielmehr um ein „kommunikativ gestütztes Alleinseinkönnen“ (Honneth 2003a, S. 169), um eine durch „Zuwendung begleitete, ja unterstützte Bejahung von Selbständigkeit“ (ebd., S. 173). Das Kind kann nur „sorglos“ (Winnicott 1974c, S. 166) allein sein, wenn es das basale Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der mütterlichen Zuneigung hat, die affektiv fundierte Sicherheit, daß die Mutter sich „nicht rächt“ (ebd.). Erst wenn es in dieser Abhängigkeit von der Anderen anerkannt worden ist, kann es selber die Fähigkeit entwickeln, sich und die Andere als selbständige Personen zu erleben und gelten zu lassen; erst dann kann es den „doppelten Vorgang einer gleichzeitigen Freigabe und emotionalen Bindung der anderen Person“ (Honneth 2003a, S. 173) seinerseits mitvollziehen. Es scheint, daß in diesen Prozessen beides zugleich auftaucht: das Gefühl des Selbst im Sinn eigener Urheberschaft und das Gefühl für die Andere als „Wesen mit eigenem Recht“. Der wechselseitige Austausch zwischen diesen beiden wäre aber allererst „Inter-Subjektivität“ im eigentlichen Verständnis. Kommen diese Prozesse der Reziprozität in Gang, so wird damit die „Grundschicht einer emotionalen Sicherheit“ gelegt (ebd., S. 172). Ohne Angst, verlassen zu werden, kann sich das Kind auf seine inneren Impulse einlassen, die eigenen Bedürfnisse und Empfindungen spüren und äußern. So ist es einleuchtend, daß Honneth in seiner Systematik der drei Anerkennungsmuster, in der er immer auch die jeweils spezifische Form der Selbstbeziehung bestimmt, auf der Stufe der Liebe das basale „Selbstvertrauen“ (ebd., S. 168) ansetzt. Es bilde die „psychische Voraussetzung für die Entwicklung aller weiteren Einstellungen der Selbstachtung“ (ebd., S. 172). Gelingen hingegen die beschriebenen Prozesse der Wechselseitigkeit nicht, ist das Liebesverhältnis in den Primärbeziehungen einseitig verzerrt, so kann es zu schweren Pathologien kommen, die mit dem Mangel an Selbstachtung und an Wertschätzung des anderen einhergehen. Benjamin hat diese Beziehungen untersucht, in denen die paradoxe Spannung nicht ausgehalten wird, in denen das Gleichgewicht zusammenbricht oder erst gar nicht geschaffen wird. Diese Beziehungen münden in die einfache Entgegenset-
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zung von Herrschaft und Unterwerfung, klinisch behandelt als „Masochismus“ und „Sadismus“ (Benjamin, vor allem Kapitel 2). Eine der beteiligten Personen kann sich aus dem Zustand der ichzentrierten Selbständigkeit nicht lösen, die andere nicht aus der symbiotischen Abhängigkeit. So lassen sich diese Störungen auf dem Hintergrund der Kategorie wechselseitiger Anerkennung deuten, als leidvolle Abweichungen von reziproken affektiven Bindungen.
Zur Neuformulierung der interpersonellen Genese des Selbst in den Entwicklungstheorien von Fonagy, Gergely, Jurist und Target Im ersten Kapitel des entwicklungspsychologischen Teils dieser Untersuchung wurde das Grundproblem der Subjekt-Werdung vorgestellt: sie ist kein Reifungsprozeß, in dem sich ein keimhaft Angelegtes einfach entwickelt, sondern sie vollzieht sich in Verwicklungen. Es ist ein komplexes Ineinandergreifen von Selbstfindung und Fremdzuschreibung, Selbstbehauptung und Anerkennung. Im zweiten Kapitel wurden Theorien diskutiert, die den speziellen Handlungstyp der Anerkennung in entwicklungspsychologischer Perspektive explizit behandeln. Von der Frage nach gegenseitiger Anerkennung geleitet, ergab die Auseinandersetzung vor allem mit Konzepten von Benjamin und Winnicott, daß zwar von Beginn an ein interaktiver Austausch zwischen dem kleinen Kind und seiner Mutter vorhanden ist, daß es aber fragwürdig ist, die primären Formen der Affektabstimmung als Intersubjektivität oder Ausdruck wechselseitiger Anerkennung aufzufassen. Vielmehr scheint es angemessen, die Fähigkeit zur Anerkennung als eine Entwicklungserrungenschaft aufzufassen, der das vorbewußte Bedürfnis nach und die Erfahrung von Anerkanntwerden vorausgehen. Im Verlauf der Darstellung erwies sich die Mehrdimensionalität der Anerkennung auch in entwicklungspsychologischer Perspektive als bedeutsam. Umfaßt „anerkennen“ gleichermaßen erkennen, für wahr halten, willkommenheißen, zustimmen, eingestehen, akzeptieren, gelten lassen, respektieren, lieben ..., so muß auch das Kind, damit diese Akte und Einstellungen in Wechselsei-
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tigkeit gelingen, über die entsprechenden kognitiven, emotionalen, evaluativen und praktisch-moralischen Kompetenzen verfügen können. Stand bisher die Diskussion um die Anfänge und Ermöglichungsbedingungen wechselseitiger Anerkennung im Vordergrund, so wurde die Entwicklung des Selbst erst beiläufig erwähnt. Sie ist aber in doppelter Hinsicht zu thematisieren: als Gefühl oder Verständnis des eigenen und des fremden Selbst. Es schien, daß beides zugleich auftaucht: die Fähigkeit, sich und den anderen als individuierte Personen mit je eigenen Bedürfnissen und Intentionen zu erleben und gelten zu lassen. Das Empfinden und Bewußtsein dafür, was es heißt, ein Subjekt zu sein, nämlich ein Wesen, das gelernt hat, eigene Wünsche und Absichten freier bestimmen und in kommunikativer Verständigung mit anderen realisieren zu können, ist weder von Anfang an gegeben, noch stellt es sich mit einemmal ein, sondern es entwickelt sich in Stufen, und es entsteht in interaktiven Prozessen mit anderen (entwickelteren) Subjekten – es entsteht als Antwort auf vorgreifende Anerkennung durch sie. Diese Grundthese soll im folgenden durch die neuesten Entwicklungstheorien von Peter Fonagy, György Gergely, Elliot L. Jurist und Mary Target weiter gestützt und plausibilisiert werden. Diese Autoren haben seit den neunziger Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen jene interaktiven Prozesse beschrieben, in denen sich ein Verständnis des Selbst und eine Repräsentanzenwelt aufbauen. 2005 ist das „Opus Magnum“ (Dornes 2005a, S. 72) in deutscher Übersetzung erschienen, das unter dem Titel Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst bisher verstreute Theorieteile miteinander verbindet.12 Die Arbeit steht in der Tradition psychoanalytischer Entwicklungsmodelle, zeigt ihnen allerdings eine neue Richtung auf, indem sie diese mit zwei anderen Forschungsgebieten verbindet, der theory of mind und der Bindungstheorie. Auch diese beiden Ansätze werden durch die Zusammenführung charakteristisch erweitert. Die Philosophie des Geistes dient den Autoren als „Grundlage, um den Prozeß, 12 Obwohl einzelne Module der Theorie von unterschiedlichen Mitarbeitern der Forschungsgruppe stammen, wird in der neuen, integrierenden Publikation nur vereinzelt darauf hingewiesen. Daher werde auch ich mich meistens undifferenziert auf „Fonagy et al.“ beziehen.
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durch den Säuglinge und Kleinkinder die innere Welt anderer Menschen und schließlich ihr eigenes Seelenleben zu verstehen versuchen, herauszuarbeiten und zu erklären“ (Fonagy et al. 2004, S. 10). Die Überlegung, daß der Mensch sich erst durch die Reaktion anderer Menschen auf ihn (er)kennen lerne und auf diesem Weg ein basales Identitätsgefühl gewinne, stammt, wie schon erläutert, aus der Tradition des symbolischen Interaktionismus oder – noch weiter zurückliegend – aus der Anerkennungsphilosophie. Auf sie nehmen Fonagy et al. zwar nicht näher bezug, und der Klassiker Hegel tritt namentlich nicht in Erscheinung, aber der deutsche Idealismus wird als problemgeschichtliche Wurzel kurz erwähnt. Seine Grundidee, daß wir uns selbst durch andere verstehen lernen, habe die analytische Philosophie des Geistes weiterentwickelt. Ihre Anwendung auf Konzepte der sozialen Kognition sei bekannt und verbreitet. Etwas Innovatives legen Fonagy et al. nun vor, insofern sie nicht nur die Kognition, sondern auch die Affekte in diesem theoretischen Rahmen untersuchen. Dabei stützen sich die Autoren auf die Bindungstheorie, die den „empirischen Nachweis für das Konzept erbracht hat, daß das Selbstgefühl des Säuglings aus der affektiven Bindung zur primären Bezugsperson hervorgeht“ (ebd.). Auch dieser dritte Theoriestrang erfährt allerdings eine Modifizierung oder „präzise Neuformulierung“ (ebd.). Denn Fonagy et al. berufen sich nicht lediglich auf die Bindungstheorie in der vorliegenden Fassung, sondern bringen eine veränderte Deutung ein, indem sie die These vertreten, daß Bindung kein Selbstzweck sei; vielmehr diene sie dazu, die Entwicklung eines Repräsentationssystems zu ermöglichen, das „im Dienst des menschlichen Überlebens“ stehe (ebd.). Der umfassende Entwurf verbindet theoretische Modelle, entwicklungspsychologische sowie klinische und therapeutische Fragestellungen, stützt sich auf klinische Beobachtungen und ist verankert in den Erkenntnissen der empirischen Forschung. Die Fülle der eingebrachten Forschungsbefunde, die Breite des Horizontes, vor dem die eigenen Positionen dargestellt und diskutiert werden und die Implikationen für die Konzeptualisierung klinischer Phänomene sowie therapeutische Arbeit können und brauchen hier nicht referiert werden. Ich beschränke mich darauf, die elaborierte Theorie von Fonagy et al., in der das Anerkennungsproblem explizit nicht behandelt wird, in der hier interessierenden Perspektive vorzustellen; gefragt wird, was die Theorie über
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„Mentalisierung, Affektregulierung und die Entwicklung des Selbst“ beitragen könne zur Stützung der Grundthese, daß Selbstwerdung sich als Antwort auf vorgreifende Anerkennung vollziehe. Die Untersuchung erfolgt in drei Schritten: zunächst wird die Entwicklung des Selbst als zunehmende Mentalisierungsfähigkeit dargestellt, danach zwei Theorien zur interaktiven Hervorbringung des kindlichen Mentalisierungsvermögens. Abschließend ist zu diskutieren, ob und inwiefern dieser Ansatz anerkennungstheoretisch ausgelegt werden könne.
Die Entwicklung des Selbst als zunehmende Mentalisierungsfähigkeit Die Überlegungen zur Verwendung der Begriffe „Selbst“, „Subjekt“ und „Identität“ im sozialpsychologischen Teil dieser Untersuchung haben betont, daß die Rede vom „Selbst“, vom „Subjekt“ oder der „Identität“ immer perspektivisch gebunden ist und mitbestimmt von der spezifischen Herangehensweise an den untersuchten Gegenstand. Im Kontext der sozialpsychologischen Behandlung wurde „Identität“ nicht als etwas Faktisches begriffen, nicht als Bündel von festgelegten Eigenschaften, sondern als Konstruktionsaufgabe, offener Prozeß, Arbeit oder auch als Narration, in der die eigene Geschichte reflektiert, kommunikativ vermittelt, ausgehandelt und in die Zukunft entworfen wird. Aus zwei Gründen bietet es sich an, die Theorie der Entwicklung des Selbst, die Fonagy et al. vorstellen, als entwicklungspsychologische Ergänzung zu dieser Konzeption heranzuziehen; erstens handelt es sich, wie schon einführend gesagt, um eine interaktionistische Theorie der Selbstentwicklung, und zweitens läuft sie auf das Selbst als „mentales“ oder „autobiographisches Selbst“ hinaus. Was genauer darunter zu verstehen ist, sollen die Ausführungen dieses Kapitels deutlich machen.
Mentalisierung und Reflexionsfunktion Als „Mentalisierung“ bezeichnen Fonagy et al. den „Prozeß, durch den wir erkennen, daß unser Geist unsere Weltwahrnehmung vermittelt“ (S. 10). Es ist die Fähigkeit, sich selbst und den anderen als Wesen mit geistig-seelischen Zuständen zu betrachten. Zu diesen mentalen Zuständen zählen beispielsweise Gefühle, Wünsche oder Überzeugungen. Wer mentalisiert, hat gelernt, die-
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se inneren Zustände als Gründe oder Ursachen von Handlungen zu begreifen. Fremdes Verhalten, Gestik, Mimik oder Handlungen können durch die Zuschreibung seelischer Zustände sowohl erklärt oder verstanden als auch vorhergesagt werden. Insofern gewinnt die Fähigkeit zur Mentalisierung eine wichtige orientierende Funktion, die das Fremdverstehen ermöglicht und das Selbsterleben in praktischen Bezügen beeinflußt. Sie ist eine „zentrale Determinante der Organisation des Selbst“ (S.31) und hängt unauflöslich mit der Entwicklung des Selbst zusammen, „mit seiner zunehmend differenzierteren inneren Organisation und seiner Teilnahme an der menschlichen Gesellschaft, einem Netzwerk von Beziehungen zu anderen, die diese einzigartige Fähigkeit ebenfalls besitzen“ (S. 11). Zu Forschungszwecken haben Fonagy et al. jene psychischen Prozesse, die der Mentalisierungsfähigkeit zugrunde liegen, als „Reflexionsfunktion“ operationalisiert. Mit diesem Instrument kann die graduelle Ausprägung dieser Fähigkeit gemessen werden, eigenes Verhalten und das Verhalten anderer unter dem Blickwinkel zugrundeliegender mentaler Zustände plausibel zu interpretieren. Die Reflexionsfunktion ist seit den letzten Jahren in der Entwicklungspsychologie bekannt unter der Bezeichnung einer „theory of mind“. Von anderen, rein kognitionspsychologischen Konzeptualisierungen unterscheidet sich der Ansatz von Fonagy et al. allerdings dadurch, daß er die Entwicklung der Mentalisierungsfunktion nicht unabhängig von Beziehungserfahrungen betrachtet, sondern einbettet in die frühen und konflikthaften Beziehungen zwischen dem Kind und seinen Eltern (oder älteren Geschwistern). Die kognitive Mentalisierungsfähigkeit ist nicht die Leistung eines einsamen Ich, sondern sie entsteht in Bindungskontexten und sie beeinflußt ihrerseits das kommunikative Geschehen. Sie hat eine selbstbezügliche und eine interpersonale Komponente, die dem Individuum „im Idealfall eine verläßliche Fähigkeit vermitteln, zwischen innerer und äußerer Realität, [...] zwischen intrapersonalen geistigen und emotionalen Prozessen und interpersonalen Kommunikationen zu unterscheiden“ (S. 33). Aber auch der intrapsychische oder selbstbezügliche Aspekt ist in sich bereits vielschichtig, insofern die kognitive Fähigkeit des Mentalisierens mit den Dimensionen des Emotionalen, des Unbewußten und des Handelns aufs engste verbunden ist und ei-
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nen wesentlichen Beitrag leistet zu dem, was in anderen Diskursen Aufbau von „Identität“ genannt wird. Die kognitive Fähigkeit zur Mentalisierung „ist individuell unterschiedlich entwickelt und bildet eine wichtige Determinante für die individuellen Besonderheiten der Selbstorganisation, weil sie aufs engste mit zahlreichen Definitionsmerkmalen der Selbstheit wie Selbstbewußtheit, Autonomie, Freiheit und Verantwortlichkeit zusammenhängt [...]. Verstanden in dem erweiterten Sinn, der auch scheinbar irrationale unbewußte Handlungen berücksichtigt, erzeugt der intentionale Blickwinkel die Kontinuität des Selbsterlebens, die einer kohärenten Selbststruktur als Grundlage dient“ (S. 34f.).
Wichtig sei, die Reflexionsfunktion nicht mit Introspektion oder Selbstreflexion zu verwechseln. Während diese Konzepte oder Akte dadurch definiert sind, daß sie bewußt erfaßbar oder Gegenstand von Selbstaussagen sind, werden mentale Zustände bei Fonagy et al. unter einem anderen Aspekt betrachtet, daß sie nämlich dazu dienen, Verhalten zu erklären und dadurch zu regulieren. „Introspektion oder Selbstreflexion ist etwas ganz anderes als die Reflexionsfunktion, ein automatisches Verfahren, das bei der Interpretation menschlichen Handelns unbewußt in Gang gesetzt wird. [...] Die Gestalt und die Kohärenz, die der Selbstorganisation durch die Reflexionsfunktion verliehen werden, bleiben vollständig außerhalb des Gewahrseins, während die Introspektion klar ersichtliche Auswirkungen auf das eigene Selbsterleben hat. Nicht die Selbsterkenntnis ist das Definitionsmerkmal der Reflexionsfunktion, sondern das grundsätzliche Wissen um mentale Vorgänge; Introspektion ist die Anwendung der Theorie des Mentalen auf die eigenen mentalen Zustände“ (S. 35).
Die Theorie des Mentalen als Entwicklungserrungenschaft Wie schon im sozialpsychologischen Teil, begegnet auch bei Fonagy et al. die auf W. James zurückgehende Unterscheidung zwischen einem empirischen Selbst oder „Me“ und einem „subjektiven Selbst“ oder „I“. Der erste Aspekt, der in der zeitgenössischen Terminologie auch als „kategoriales“ Selbstkonzept bezeichnet wird, bezieht sich auf die sozial vermittelten Merkmale und Eigenschaften einer Person. Wurde schon im Blick auf die empirischen Studien der Selbstpsychologie festgestellt, daß das
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Objekt der Selbstreflexion bislang häufiger und intensiver erforscht wurde als das reflektierende „I“ oder die Prozesse der Selbstregulation, so konstatieren auch Fonagy et al. in bezug auf die entwicklungspsychologische Forschungslage dieses Ungleichgewicht, und sie erklären es mit dem nachhaltigen Einfluß, den die „cartesianische Doktrin der ‚Autorität der ersten Person’“ (ebd., S. 211) ausgeübt habe. Sie besage, daß die eigenen inneren Zustände durch unmittelbare und unfehlbare Selbstbeobachtung zugänglich seien. Descartes’ Evidenzerlebnis des „cogito sum“ – so läßt sich diese Diagnose weiter ausführen – erscheint gleichsam so überzeugend und alles zweifelnde Nachsinnen durch methodische Stringenz abgearbeitet, daß in der Folge über lange Zeit die Frage nach den Entstehungsbedingungen der „res cogitans“ gar nicht gestellt wurde. „So ging man schließlich davon aus, daß das Wissen um das Selbst als geistbegabten Akteur keine sich entwickelnde oder konstruierte Fähigkeit darstellt, sondern angeboren ist“ (ebd.). Fonagy et al. reihen auch die gegenwärtig geführte Diskussion „populärer Sichtweisen einer ‚Intersubjektivität’ von Geburt an“ (ebd.) in diese Denktradition, die unter dem Einfluß der cartesianischen Doktrin stehe. Demgegenüber betrachten Fonagy et al. den Zugang zu intentionalen Zuständen „als eine mühsam erworbene Entwicklungserrungenschaft“ (ebd., S. 11). Sie versuchen, „radikal“ mit der Tradition zu brechen, die sich aus der cartesianischen Doktrin speist, indem sie, gestützt auf neuere philosophische, kognitionswissenschaftliche und neurophysiologische Modelle der Repräsentation intentionalen Handelns, die These vertreten, „daß es sinnvoller und ergiebiger ist, mentale Urheberschaft als eine sich entwickelnde und konstruierte Fähigkeit zu begreifen“ (ebd.). Wichtig für den Zusammenhang der vorliegenden Studie ist dabei, daß in der Theorie der Entwicklung des Selbst die beiden Dimensionen der zeitlichen Sukzession und der Interaktion berücksichtigt werden. Fonagy et al. betrachten die Entwicklung des Selbst, die sich in zunehmender Mentalisierungsfähigkeit vollziehe, einerseits als Abfolge in der Zeit, jedoch nicht als einfachen Reifungsprozeß, anderseits als interaktives Geschehen, jedoch nicht als eines, das von Beginn an symmetrisch verfaßt ist. Intersubjektivität wird nicht als primäres Datum angenommen, sondern als „emergentes Phänomen“ (S. 210) konzipiert; denn die Subjektivität des Kindes entwickelt sich erst auf der Grundlage von be-
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stimmten Reaktionen der erwachsenen (oder entwickelteren) Bezugspersonen, die über die Mentalisierungsfähigkeit verfügen. „Das Selbst ist eine Struktur, die sich vom Säuglingsalter bis in die Kindheit hinein entwickelt, und diese Entwicklung hängt in entscheidendem Maße von Interaktionen mit reiferen Psychen ab, die das Kind wohlwollend und reflektierend unterstützen“ (S. 12; kursive Hervorhebung von F.W.).
Das kann als Umschreibung eines (vorerst) einseitigen Anerkennungsverhältnisses gelesen werden, so daß der hier unternommene Versuch, die Arbeit von Fonagy et al. anerkennungstheoretisch auszulegen, nicht ganz abwegig erscheint.
Fünf Ebenen der Urheberschaft des Selbst Im Kapitel 5 über die „Entwicklung eines Verständnisses des Selbst und seiner Urheberschaft“ beschreiben Fonagy et al. die Entwicklung der Mentalisierung, die ihre Anfänge bereits im Säuglingsalter nimmt. Sie unterscheiden fünf Ebenen der Urheberschaft des Selbst, auf denen sich das Verständnis des Selbst als mentaler Akteur sukzessive entfaltet: die physische, soziale, teleologische, intentionale und repräsentationale Ebene. Im folgenden soll der fünfstufige Prozeß nicht einfach (umfassend oder willkürlich selektiv) rekapituliert werden, sondern nachgezeichnet, insofern er bedeutsam ist für die Argumentation der vorliegenden Studie. Es werden kurze Ausblicke auf anerkennungstheoretische Implikationen gegeben, die später wieder aufzunehmen sind; vorrangig geht es in diesem Durchlauf durch die Theorie der Entwicklung des Selbst jedoch darum, die fünf Ebenen als unterschiedliche Niveaus zu lesen, auf denen das Individuum seine Antworten auf Herausforderungen der dinglichen und sozialen Welt gibt. Zwar verfügt es anfangs noch nicht über symbolische Fähigkeiten, es gibt jedoch Selbsttätigkeit oder Wirksamkeit auf eine präverbale und prärepräsentationale Weise zu erkennen. In dem Sinn gilt es, frühe Formen von Urheberschaft aufzuspüren, die im Zugewinn von Mentalisierungskompetenzen schließlich zu jenen entwickelten symbolischen Formen führen, in denen sich Subjektivität im eigentlichen Verstand ausdrückt.
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1. Die frühe Entwicklung des Selbst als „physischer Akteur“ Wie bereits im vorigen Kapitel dargelegt (siehe vor allem S. 90ff. und S. 106), ist die herkömmliche Annahme einer symbiotisch-undifferenzierten Phase beim Neugeborenen nicht haltbar. Rekurrierend auf neuere Forschungen, stellen auch Fonagy et al. klar, daß das Baby unterscheiden könne zwischen Stimuli, die zu ihm selbst gehören und solchen, die aus der Umwelt stammen. Zahlreiche Forschungsbefunde, etwa in Anlehnung an Gibsons ökologischen Ansatz der Wahrnehmungspsychologie, haben gezeigt, daß Säuglinge das körperliche Selbst schon früh in Relation zur Umwelt erkennen und differenzieren können. Auf dieser basalen Ebene tritt das Selbst als „physischer Akteur“ auf. Ihm erschließen sich zwei Arten von körpergebundenen Kausalbeziehungen: die zwischen Aktionen und physischem Selbst einerseits (ich bringe die Handlung hervor) sowie die zwischen Aktionen und dinglicher Außenwelt anderseits (die Handlung beeinflußt die Welt). „Das Verstehen des Selbst als ‚physischer Akteur’ beinhaltet somit auch eine minimale Anerkennung dieser Kausalbeziehungen: das Selbst als physische Entität mit einer Kraft, die Aktion generiert, und das Selbst als Urheber, dessen Aktionen Veränderungen in der angrenzenden Umwelt herbeiführen“ (S. 212).
Auf der Grundlage vor allem von Watsons Studien zur Kontingenzentdeckung kommen Fonagy et al. dahin, angeborene informationsverarbeitende Mechanismen anzunehmen, die dem Säugling im ersten Lebenshalbjahr ermöglichen, sein Körperselbst als ein differenziertes Objekt im Raum zu repräsentieren, das Aktion initiieren und kausalen Einfluß auf seine Umwelt ausüben kann (S. 215). 2. Frühes Verständnis des Selbst als „sozialer Akteur“ Daß Fonagy et al. das Selbstverständnis des Säuglings als „sozialer Akteur“ auf der zweiten „Ebene“ ansetzen, ist insofern irreführend, als es zeitlich parallel zum Verständnis des „physischen Akteurs“ auftritt. Hier kommen Handlungen in den Blick, die im Austausch mit anderen Personen stattfinden. Der Säugling bildet von Anfang an ein affektives Kommunikationssystem mit der Mutter,
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„in dem die Erwachsene für die Modulation der Affektzustände des Babys eine überaus wichtige interaktive Rolle spielt, indem sie dessen Gefühlsäußerungen immer wieder mimisch und lautierend spiegelt, um seine Affekte zu regulieren“ (S. 216f.).
Wie Fonagy et al. diese Prozesse der Affektspiegelung erfassen, wird im nächsten Kapitel ausgeführt. An dieser Stelle geht es weniger um die konkreten Details dieser Mechanismen, vielmehr um die Linie zunehmender Mentalisierung, in der sich die Selbst-Entwicklung vollzieht (wenngleich beides der Sache nach gerade untrennbar miteinander verbunden ist). Die Befunde der neueren Säuglingsforschung, die aus Beobachtungen und Experimenten zum (Interaktions-)Verhalten gewonnen wurden, haben dazu geführt, daß Vertreter unterschiedlicher entwicklungspsychologischer Ansätze darin übereinstimmen, daß der Säugling von Geburt an aktiv an affektiven Interaktionen mit seiner Bezugsperson beteiligt ist. Die Frage aber, was die beobachtbaren Interaktionen für das kindliche Erleben bedeuten, wird kontrovers diskutiert. So legen Fonagy et al. ihre Theorie der Entwicklung des Selbst, der gemäß sich Intentionalität oder Subjektivität erst allmählich und in Stufen aufbauen, in der Auseinandersetzung mit anderen, widerstreitenden Auffassungen vor. Dazu strukturieren sie die inzwischen breit geführte Debatte um Intersubjektivität, indem sie drei Positionen gegeneinander abgrenzen: (1) die „starke intersubjektivistische“ Position, die davon ausgeht, daß der Säugling a) über angeborene Mechanismen verfüge, um mentale Zustände wie Intentionen und Gefühle zu identifizieren und anderen zuzuschreiben, b) von Beginn an introspektiven Zugang zu differenzierten mentalen Selbstzuständen wie Emotionen, Intentionen, Motiven und Zielen habe, c) die Ähnlichkeit solcher subjektiven mentalen Zustände des Selbst mit den entsprechenden mentalen Zuständen anderer Personen erkenne und daher auch wahrnehme, daß sie kommuniziert werden können. Beispiele dieser Position finden sich etwa in Trevarthens Konzept „primärer Intersubjektivität“, Bråtens angebore-
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nem Gewahrsein des „virtuellen Anderen“ 13 , sowie bei Stern und Meltzoff und Gopnik. (2) die „schwache intersubjektivistische“ Position, repräsentiert vor allem durch Tomasellos Simulationstheorie. Sie besagt, das Baby lerne, den Anderen durch Analogie mit den innerlich erlebten subjektiven mentalen Zuständen des Selbst zu verstehen. Tomasello grenzt sich von den „starken Intersubjektivisten“ dadurch ab, daß er dem Säugling vor dem neunten Lebensmonat noch kein differenziertes Verständnis eigener und fremder subjektiver innerer Zustände zuspricht. (3) die Auffassung, daß Intersubjektivität nicht primär sei. Es ist die Position, die Fonagy et al. vertreten. Sie setzen die Subjektivität des Säuglings nicht als gegeben voraus, sondern tragen Argumente zusammen, die dafür sprechen, daß sie „im Prozeß der Interaktion erworben wird“ (S. 225). Die frühen affektregulierenden und imitativen Interaktionen werden nicht als Manifestation der kindlichen Fähigkeit begriffen, subjektive mentale Zustände in sich oder im anderen zu erkennen; umgekehrt dienen die frühen affektregulierenden Spiegelungsinteraktionen mit der Mutter dazu, das Kind für innere Zustände überhaupt erst zu sensibilisieren. Daher läßt sich die Zunahme an Mentalisierungsfähigkeit oder Subjektwerdung als Antwort auf vorgreifende und unterstützende Reaktionen der Bezugsperson lesen. Die Argumente, die sie zur Widerlegung der beiden anderen Positionen und zur Stützung ihrer eigenen Thesen entwickeln, sind beeindruckend, beruhen zum Teil auf subtilen Studien, können jedoch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht einzeln referiert werden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß zu einem Teil die empirische Datenbasis, auf die sich die „starken Intersubjektivisten“ gestützt haben, durch Replikationsstudien präzisiert oder korrigiert wurde, zum andern bestätigte Befunde anders ausgelegt wurden. „Zwingende Beweise“ (S. 226) gibt es allerdings für keine der theoretischen Positionen, da Aussagen über innere Zustände des subjektiven Erlebens oder des 13 Siehe zu diesem Konzept vorsprachlicher Intersubjektivität Dornes (2002).
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Bewußtseins gemacht werden, auf die nur interpretierend geschlossen werden kann.14 3. Das Verstehen des Selbst und anderer als „teleologische Akteure“: die sozio-kognitive Neunmonatsrevolution Im Alter von etwa neun Monaten tauchen einige qualitativ neue kommunikative Verhaltensweisen auf, die vielfach untersucht und auf verschiedene Weise erklärt worden sind. Dieser Einschnitt in der Entwicklung wird von einigen Autoren als „sozio-kognitive Neumonatsrevolution“ bezeichnet. Der Säugling beginnt unter anderem, dem Blick der Erwachsenen zu folgen (Blickverfolgung), er schaut in unbekannten Situationen prüfend auf die mimischen und vokalen Äußerungen der Betreuungsperson, um sein eigenes Verhalten daran auszurichten (social referencing) und er benutzt selber kommunikative Gesten, um Einfluß auf das Verhalten und die Aufmerksamkeit der Betreuungsperson zu nehmen (protoimperatives und -deklaratives Zeigen). Kinder beginnen nun auch, Aktionen von ihren Resultaten zu unterscheiden. Sie zeigen neue Fähigkeiten, zielgerichtete rationale Handlungen durchzuführen, und sie können Handlungen anderer Personen als zielgerichtet interpretieren. Der teleologische Blickwinkel ist allerdings weder mentalistisch noch kausal, das heißt, die wahrgenommenen Aktionen werden als zielgerichtet verstanden, nicht aber als durch mentale Zustände verursacht. Dem Handelnden – sei es dem Selbst, sei es dem Anderen – werden keine vorgängigen Wünsche oder Überzeugungen zugeschrieben. Mit der These der Unabhängigkeit oder „Dissoziation“ (S. 240) des teleologischen Standpunktes von einem mentalistischen widersprechen Fonagy et al. anderen Entwicklungstheorien. Während beispielsweise Tomasello ein intentionales Stadium ab dem Alter von neun Monaten annimmt, ordnen Fonagy et al. jene neuen Kompetenzen, die bei Kindern ab diesem Alter zu beobachten sind, dem teleologischen Standpunkt zu und sprechen von „Intentionalität“ erst ab dem Alter von 18-24 Monaten, wenn auch das mentalistische Stadium erreicht ist. Ohne die Experimente zum physikalischen, teleologischen und 14 Daß die Prämissen des Ansatzes von Fonagy et al. ihrerseits umstritten sind, wird später ausgeführt (S. 158ff.).
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mentalistischen Weltverstehen im Detail wiederzugeben, sei hier nur so viel gesagt, daß es dabei um die grundlegende Frage geht, ob die Wahrnehmung von Absichten in die Wahrnehmung von Handlungen eingebettet sei oder ob jene von dieser losgelöst werden könne, so daß sie als separater mentaler Zustand „im Kopf“ existiert. Erst dann wäre auch zu unterscheiden, ob die rudimentäre Zielverfolgung eher handlungsbegleitend ist oder ob sie der Handlung vorausgeht und sie verursacht. Es geht also um Fortschritte des Repräsentationsvermögens: kann das Ziel zumindest zeitweise von der ursprünglichen Handlung entkoppelt werden, kann es zum Beispiel über eine Unterbrechung im Handlungsablauf hinaus, die durch dazwischentretende Hindernisse und deren Beseitigung erfolgt, als Ziel bewahrt bleiben?15 4. Verstehen des Selbst und anderer als „intentionale mentale Akteure“ Erst im zweiten Lebensjahr tritt die Fähigkeit in Erscheinung, dem Anderen und dem Selbst „vorausgehende Intentionen“ (S. 244) zuzuschreiben, um zielgerichtete Aktionen zu erklären oder vorherzusagen. Nun sind die Kinder in der Lage, intentionale mentale Zustände zu repräsentieren. Sie können anderen Personen einen subjektiven Zustand zuschreiben und ihn von dem Gefühl unterscheiden, das sie selbst empfinden. Daher sind ab diesem Alter auch einfühlsam anteilnehmende Reaktionen zu beobachten, die zu prosozialer Aktivität führen – Verhaltensweisen, die eventuell als Ausdruck einer anerkennenden Haltung dem Anderen gegenüber verstanden werden können. Ein Beispiel für den Beleg der neuen Kompetenz findet sich in einem Experiment von Repacholi und Gopnik, das Fonagy et al. referieren (S. 244f.). Auf die Bitte der Versuchsleiterin, ihr etwas zu essen zu geben, holen achtzehn Monate alte Kinder 15 Zur diffizilen Unterscheidung zwischen teleologischen, kausalen und intentional-mentalistischen Handlungserklärungen siehe Dornes (2004b, Abschnitte 4.1 & 4.2). Die entwicklungspsychologischen Überlegungen zum nichtmentalistischen teleologischen Interpretationssystem werden für das Verständnis klinischer Phänomene relevant, insbesondere für die Erklärung einiger Aspekte der Borderlinestörung. Siehe dazu auch Dornes (1997, S. 69ff.; 2004a).
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ihr jenen Imbiß, den sie zuvor mit positiven Kommentaren versehen hatte: Broccoli („hm, lecker“) – contra Goldfischcracker („igitt“). Die Kinder richteten damit ihre Aktivität an der zuvor wahrgenommenen Vorliebe der Versuchsleiterin aus, obwohl sich deren Wunsch von ihrer eigenen Präferenz unterschied. Dagegen brachten vierzehn Monate alte Kinder der Versuchsleiterin jenen Snack, den sie selber bevorzugten. Sie orientierten sich an der eigenen Vorliebe und konnten die relevanten zuvor geäußerten Geschmacksurteile der Versuchsleiterin noch nicht berücksichtigen. Die Fähigkeit, den mentalistischen intentionalen Standpunkt zu beziehen und Akteure unter dem Aspekt generalisierter und beständiger intentionaler Eigenschaften zu repräsentieren, bringt zugleich ein verändertes Selbstverständnis mit sich. An die sozialkonstruktivistischen Vorstellungen der Selbstentwicklung bei Baldwin, Cooley und Mead anknüpfend, beschreiben Fonagy et al. die sozial vermittelte Entstehung der kategorialen Repräsentanz des Selbst oder des „Me“ im Sinn von James. Zeitliche und kausale Kontinuität sind dabei zunächst allerdings noch nicht erschlossen. Die Konstruktion eines zeitlich „erweiterten Selbst“ als Grundlage des autobiographischen Gedächtnisses, „in dem frühere Erfahrungen des Selbst kausal mit dem gegenwärtigen Selbst zu einem einheitlichen Selbstkonzept integriert werden“ (S. 249), scheint noch weitere Entwicklungen der repräsentationalen Fähigkeiten vorauszusetzen; denn diese Konstruktion taucht erst im Alter von etwa vier bis fünf Jahren auf. 5. Das Verstehen des Selbst und anderer als „repräsentationale Akteure“ und die Entwicklung des „autobiographischen Selbst“ Das reife Verstehen mentaler Urheberschaft, auch „naive Theorie des Mentalen“16 genannt, umfaßt einige neue Fähigkeiten. So kommen Kinder erst im Alter von etwa vier Jahren zu einer Repräsentation epistemischer mentaler Zustände wie Über16 S. 249. Zu den Auffassungen der Theorie des Geistes als eine „Theorie-Theorie“ und eine „Simulationstheorie“ siehe Dornes (2004b, S. 299ff.). Darüber hinaus könnte man Beziehungen zu jenen Modellen herausarbeiten, in denen das Selbst als „Selbsttheorie“ vorgestellt wird (siehe oben, S. 33ff.).
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zeugungen, während ein mentalistisches Verstehen von Wünschen bereits im Alter von zwei Jahren gegeben scheint. Diese Ungleichzeitigkeit wird von verschiedenen Forschern unterschiedlich erklärt. Nach Perner können Kinder vor Vollendung des vierten Lebensjahres intentionale mentale Zustände noch nicht „als Repräsentationen“ verstehen, das heißt als „mentale Zustände ‚über’ einen – realen oder hypothetischen – Sachverhalt, die als wahr oder falsch beurteilt werden können“ (S. 250). Das Verstehen von Überzeugungen „als Repräsentationen“ sei auch eine notwendige Voraussetzung dafür, daß Aktionen als „mental, nämlich durch Repräsentationen der Realität – das heißt nicht durch die Realität selbst – verursacht verstanden werden können“ (S. 251). Der Rekurs auf das Theorem der „kausalen Selbstbezüglichkeit“ (ebd.), den Perner zur Begründung vornimmt, soll hier nicht näher erläutert werden. Von Belang für die vorliegende Studie ist allerdings, daß die Entstehung des autobiographischen Gedächtnisses auf eine ähnliche Weise begründet wird. Damit nämlich die Erinnerungsrepräsentanz eines spezifischen Erlebnisses als Bestandteil des autobiographischen Gedächtnisses erinnert werden kann, muß zweierlei repräsentiert werden: einerseits der Ereignis-Inhalt des Erlebnisses, andererseits auch die Tatsache, daß die Erinnerung durch jenes Ereignis verursacht wird. Diese zusätzliche Leistung wird auch Gedächtnis für die „kausale Wissensquelle“ (ebd.) genannt. Perner begründet daher die infantile Amnesie mit der Unfähigkeit des Kleinkindes, „persönlich erlebte Vorgänge als persönlich erlebt zu enkodieren“ (Perner, zitiert nach Fonagy et al. 2004, S. 252). Wenn nun ab dem Alter von etwa vier Jahren die Fähigkeit auftaucht, die Informationsquelle ebenso wie den Inhalt des Wissens zu repräsentieren, werden zugleich auch die Erinnerungen als persönlich erlebte Ereignisse autobiographisch organisiert. Das „autobiographische Selbst“ tritt auf, das seine eigene Geschichte als kohärentes Gebilde erzählen kann. Während Kinder gegen Ende des zweiten Lebensjahres dahin kommen, sich eine einzelne Repräsentation einer Aktion oder physischer Merkmale des Selbst zu vergegenwärtigen – das „gegenwärtige Selbst“ – können sie mit ungefähr vier Jahren gleichzeitig mehrere Modelle der Welt oder der eigenen Person präsent halten. Das gegenwärtige wächst zum zeitlich
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erweiterten Selbst. Die neue Fähigkeit zu multipler Repräsentation ermöglicht es dem Kind, Erinnerungen an zuvor gemachte Erfahrungen zeitlich und kausal aufeinander zu beziehen und die Relevanz früherer Zusände des Selbst für das gegenwärtige Selbst zu prüfen. „Die Fähigkeit, multiple Repräsentationen zueinander in Beziehung zu setzen, liegt folglich der Herstellung eines abstrakten, historischkausalen Selbstkonzepts (des „autobiographischen Standpunktes“) zugrunde, das Erinnerungen an zuvor zusammenhanglose Selbstzustände zu einer organisierten, kohärenten und vereinheitlichten autobiographischen Selbstrepräsentanz integriert“ (S. 254).
Es erübrigt sich, zu erklären, daß mit dem Aufbau dieser autobiographischen Selbstrepräsentanz, der letzten Ebene innerhalb des Modells von Fonagy et al., kein Endpunkt der Entwicklung des Selbst erreicht ist. Je nach dem, worauf das Interesse fokussiert, wird man den Akzent unterschiedlich setzen: mit gewissem Recht könnte man sagen, daß die Identitätskonstruktionen ab hier erst einsetzen, insofern in ihnen die eigene Geschichte als selbst erlebt reflektiert, verhandelt, entworfen und im Fortlauf des Lebens neu erzählt wird. Subjektivität emergiert erst auf dieser Ebene der Selbst-Entwicklung. Ihre Aus- und Umgestaltung bleibt, wie die Darstellung im sozialpsychologischen Teil gezeigt hat, ein offener und unabschließbarer Prozeß. Daß er allerdings auch eine präverbale Vorgeschichte hat, konnte mit Hilfe des Modells der SelbstEntwicklung von Fonagy et al. deutlich gemacht werden. So ist ebenso mit gewissem Recht festzuhalten, daß Subjekt-Werdung nicht erst mit dem Erwerb eines repräsentationalen Selbst- und Weltverständnisses beginnt. Auf der Ebene des autobiographischen Selbst angelangt, sind zudem die prämentalen Erlebnisse nicht einfach zurückgelassen oder unwirksam. Die Vor-Geschichte des repräsentationalen Selbst ist durch die Errungenschaften des Symbolisierungsvermögens und des autobiographischen, bewußtseinsfähigen oder deklarativen Gedächtnisses nicht einfach überwunden und vergangen im Sinn von verloren. Nicht-mentalisierte Erfahrungen können unter bestimmten Umständen im prozeduralen Gedächtnis aufgehoben sein. Sie wirken weiter in dem, was Psychoanalytiker etwa als Agieren, Handlungsinszenierungen oder Körpergedächtnis beschrieben haben. So verweist Mertens
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darauf, daß es „vermutlich einen unterschiedlich großen Kern bestimmter Erinnerungsgruppen gibt, der von der üblichen Resynthetisierung, die unsere Erinnerung ansonsten vornimmt, mehr oder weniger ausgenommen“ bleibe (Mertens 1998, S. 121). Sie bilde den Inhalt des impliziten Gedächtnisses, das ebenfalls einen Einfluß auf die Entwicklung des Subjekts ausübt. Von der Übersicht über die stufenweise Entwicklung des Selbst eröffnen sich Forschungsgebiete nach verschiedenen Seiten: x Man könnte in entwicklungs- und sozialpsychologischer Perspektive die zeitlich folgenden Entwicklungsprozesse im Schulalter und in der Adoleszenz beschreiben und so erneut den Anschluß an die Konzeptionen der Identitätsarbeit explizieren, die Gegenstand des ersten Teils dieser Studie waren. x Man könnte die Implikationen für die Entwicklungspsychopathologie diskutieren – mit Fonagy et al. und über ihre Darstellung hinaus.17 Dabei wäre Taylors identitätstheoretisch vorgebrachte These, daß Menschen „wirklichen Schaden“ nehmen, eine „wirkliche Deformation erleiden“ (Taylor 1993, S. 13), wenn sie keine Anerkennung erfahren, psychopathologisch zu untermauern. Denn die anerkennungstheoretisch gewendeten Modelle von Fonagy et al. können aufzeigen, daß frühe Bindungserfahrungen, in denen das zu entwickelnde Selbst des Kindes nicht angemessen erkannt und unterstützt wird, zu diversen Beeinträchtigungen in kindlichen Mentalisierungsprozessen führen, die sich schließlich in schweren Persönlichkeitsstörungen manifestieren können. Dementsprechend sehen Fonagy et al. „ein wichtiges Ziel der Psychotherapie, wenn nicht sogar das wichtigste“ (S. 21) darin, die Mentalisierungsfähigkeit weiterzuentwickeln. Zur Erreichung dieses Zieles wiederum sind therapeutisch vermittelte Anerkennungserfahrungen unverzichtbar. x Man könnte die interaktiven Erzählprozesse, in denen sich das autobiographische Gedächtnis szenisch organisiert, beschrei17 Fonagy et al. widmen sich diesem Thema ausführlich, was die Begriffs-Trias im Titel des Buches nicht zu erkennen gibt. Siehe auch Dornes (2004a). Negative Bindungserfahrungen und Traumatisierungen in frühen Interaktionen korrelieren nicht nur mit Blockaden oder Entgleisungen in der Entwicklung von Mentalisierungsfähigkeit, sondern zugleich mit Veränderungen in somatischen und neurobiologischen Abläufen.
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ben und im Anschluß an entsprechende Studien zur entwicklungspsychologischen Theorie eines „Narrativs“ (Hamburger 1998) versuchen, dieses interaktive Geschehen der Ko-Narration anerkennungstheoretisch zu deuten. Auf all diese Ausführungen muß im Rahmen dieser Untersuchung verzichtet werden. Statt dessen soll im nächsten Schritt gezeigt werden, mit welchen Modellen Fonagy et al. die interaktive Genese des Selbst erklären. Danach ist zu diskutieren, ob und inwiefern die elterlichen Interaktionsbeiträge als Vorgriffe auf das kindliche Mentalisierungsvermögen oder als Akte der Anerkennung aufgefaßt werden können. Denn es wurde ja betont, daß die Entwicklung des Selbst keine einfache Reifungsgeschichte darstelle, sondern: „Das Selbst ist eine Struktur, die sich vom Säuglingsalter bis in die Kindheit hinein entwickelt, und diese Entwicklung hängt in entschiedenem Maße von Interaktionen mit reiferen Psychen ab, die das Kind wohlwollend und reflektierend unterstützen“ (Fonagy et al. 2004, S. 12).
Die interaktive Hervorbringung der kindlichen Mentalisierungsfähigkeit Mentalisieren meint die Fähigkeit, sich selbst und andere Personen als Wesen mit geistig-seelischen Zuständen zu betrachten. Innere, subjektive Zustände wie Wünsche, Absichten oder Überzeugungen werden als kausal wirksame Entitäten, als Ursache von Handlungen begriffen. Wie dargestellt, gehen Fonagy et al. davon aus, daß diese mentalen Verfassungen nicht direkt durch Introspektion zugänglich sind. Das, was uns nach cartesianischer Auffassung am nächsten liegt und im unmittelbaren Evidenzerleben gegeben ist, wird der Entwicklungstheorie von Fonagy et al. zufolge erst auf dem Umweg über interaktive Erfahrungen konstituiert. Die kindliche Mentalisierungsfähigkeit entwickelt sich demnach in kommunikativen Prozessen mit Personen, die bereits über diese Fähigkeit verfügen. So ergibt sich eine Konstitutionsgeschichte, in die auf zweifache Weise etwas Paradoxes eingeschrieben ist: zum einen ist die Bezugnahme auf einen anderen eine notwendige Voraussetzung für das Erleben der eigenen Subjektivität. Erst die Wahrnehmung einer exzentrischen Perspektive, die das soziale Gegenüber bietet, ermöglicht es dem Kind, die eigene in-
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nere Welt zu entdecken. Zum andern geschieht in den Interaktionen auch insofern etwas Paradoxes, als aus Sichtbarem etwas Unsichtbares entsteht. Aus der Welt wahrnehmbarer Phänomene wird etwas Mentales, Subjektives extrahiert. Das ist einmal der Fall, wenn beobachtbare Bewegungen als zielgerichtete Handlungen verstanden werden, das heißt, wenn anderen Personen eine (unsichtbare) Intention zugeschrieben wird, die als Ursache für das sichtbare Handeln angenommen wird. Ein anderer Fall des Wechsels vom Sichtbaren zum Unsichtbaren ist gegeben, wenn die figurativen Qualitäten eines menschlichen Gesichts als Ausdruck von etwas, nämlich von Affekten gelesen werden. Die Bewegungen der Gesichtsmuskeln sind vom mentalen Standpunkt aus kein bedeutungsloses Grimassieren, sondern sie werden verstanden als Ausdruck von etwas Innerem. Dieses Innere, der Affekt, ist einerseits ein Zustand subjektiven Empfindens, andererseits hat es einen Handlungsbezug, das heißt eine Verhaltensdisposition. Sieht man das Gesicht des anderen wutverzerrt, tut man gut daran, sich selbst in Sicherheit zu bringen oder mit geeigneten Mitteln zu wappnen, denn es ist zu erwarten, daß ein Mensch mit diesem Gesichtsausdruck sich aggressiv verhalten wird. Nimmt man dagegen im Gesicht des anderen ein mildes, entspanntes Lächeln wahr, so darf man eher mit freundschaftlichen Handlungen rechnen. „Die dispositionelle Information, die in Gefühlen enthalten ist, spezifiziert, daß sich ein Mensch, der sich in diesem dispositionellen emotionalen Zustand befindet, unter bestimmten Umständen wahrscheinlich so und so, nicht aber so und so verhalten wird“ (S. 156). So gehören auch Gefühle zur Gruppe intentionaler mentaler Zustände, die wir anderen zuschreiben, um uns deren Verhalten zu erklären und es vorherzusagen. Daher beziehen Fonagy et al. die Emotionen in ihre Theorie der Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit ein. Dabei nehmen die Gefühle in der Klasse intentionaler mentaler Zustände, zu denen beispielsweise auch Überzeugungen und Wünsche gehören, einen besonderen Platz ein. Sie sind die frühesten mentalen Zustände und können im Vergleich zu anderen einfacher erschlossen werden, weil (im Bereich des Sichtbaren) auffällige mimische Ausdrucksweisen mit ihnen einhergehen. Zudem werden sie – zumindest, was manche Basisemotionen anlangt – (im propriozeptiven Bereich) von „ganz spezifischen und differentiellen Veränderungen
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des physiologischen Erregungszustands“ begleitet, so daß „eine korrekte Selbstzuschreibung relativ leicht“ erfolgen kann (S. 157). Wie sich nun, vermittelt über interaktive Mechanismen, im Kind ein Bewußtsein eigener und die Zuschreibung fremder emotionaler Zustände entwickeln, erklären Fonagy et al. mit ihrer Theorie mütterlicher Affektspiegelung. Dieses Modell, das auf Forschungen von Gergely und Watson zurückgeht, bildet daher einen zentralen Bestandteil ihrer Theorie zur Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit.18
Mütterliche Affektspiegelung Fonagy et al. gehen davon aus, daß der Säugling im ersten Lebensjahr eine angeborene Tendenz zeige, seinen Gefühlszustand automatisch auszudrücken. Die Primäremotionen werden als vorverdrahtete Verhaltensautomatismen betrachtet, über die das Kind zunächst keine Kontrolle hat. Zur Regulierung der Affekte sei es weitgehend auf modulierende Reaktionen der Bezugsperson angewiesen (siehe S. 168). Zudem könne das Baby den Gefühlszustand, in dem es sich befindet und den es ausdrückt, zunächst nicht bewußt wahrnehmen; zumindest könne es die viszeralen und propriozeptiven Hinweisreize, die charakteristischer Weise mit einem bestimmten Gefühl verbunden sind, nicht so kategorial zusammengruppieren, daß sie als distinkter Gefühlszustand wahrnehmbar würden (siehe S. 161). Damit wird nicht jede Art Gewahrsein innerer Zustände bestritten; möglich sei im Rahmen dieser Theorie die Annahme, daß das Baby anfangs die einzelnen Stimuli bewußt wahrnehme, die, zusammengruppiert, kategoriale Emotionen anzeigen. Aber eine solche Perzeption könne lediglich ein „Teil der ‚blühenden, summenden Verwirrung’ (James, 1890) innerer Sinneseindrücke“ (S. 161) sein, die der Säugling in den ersten Lebensmonaten empfinde. Der bewußte Zugang zur eigenen emotionalen Subjektivität könne, wie gesagt, nicht direkt durch Introspektion gelingen, sondern auf dem Umweg über eine andere Person, die eine externe, sichtbare Darstellung des kindlichen emotionalen Zustandes anbietet. Diese Funktion erfülle die primäre Bezugsperson des Säug18 In dieser Studie kann ich auf den faszinierenden Facettenreichtum der Argumentation nicht eingehen. Zur kontrovers geführten Diskussion über die Prämissen des Modells siehe die informierenden Ausführungen bei Dornes (1993, Kapitel 5) sowie unten, S. 160ff.
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lings, die mit mimischen und vokalen Äußerungen auf seine Emotionsausdrücke reagiert. Das geschehe ebenfalls auf der Ebene automatischen Verhaltens, denn nach Fonagy et al. gibt es eine „instinktive menschliche Neigung, Säuglingen während emotionsregulierender Interaktionen affektspiegelnde Verhaltensäußerungen zu präsentieren“ (S. 162). Die wiederholte Darbietung der kindlichen Affektausdrücke durch äußere Spiegelung habe eine „entscheidende ‚Lehr’funktion“ (S. 169), denn sie sensibilisiere den Säugling allmählich für die relevanten Hinweisreize innerer Zustände und führe ihn dazu, die aktuell empfundene distinkte Emotion korrekt zu identifizieren. Im Unterschied zum Säugling sei also die Mutter in der Lage, die „affektexpressiven mimischen, vokalen oder körperhaltungsbezogenen Gefühlsausdrücke zu lesen“ (S. 177). Intuitiv drücke sie ihrerseits die wahrgenommenen Emotionen des Kindes in Mimik, Vokalisieren und Körperhaltung oder -bewegungen aus, so daß das Kind seine eigenen emotionalen Zustände im Gegenüber gleichsam gespiegelt wahrnehmen könne. Um die These zu plausibilisieren, daß so eine externe Darstellung die Sensibilisierung für innere Zustände ermögliche, verweisen Fonagy et al. auf das Beispiel des Trainingsverfahrens des Biofeedbacks. Auch hier werden bestimmte innere Zustände wie Blutdruckschwankungen, die vom Probanden ursprünglich nicht wahrgenommen werden, durch Messungen relevanter physiologischer Merkmale und deren Übertragung auf ein äußeres Medium der Beobachtung zugänglich gemacht. Das wiederholte Erleben der externalisierten Repräsentanz des inneren Zustandes sensibilisiert allmählich für diesen und ermöglicht in bestimmten Fällen sogar die Kontrolle über ihn. In Analogie dazu lautet die These von Fonagy et al.: „daß der an der Affektspiegelung beteiligte psychische Mechanismus identisch ist mit jenem Prozeß, den die Biofeedback-Trainingsverfahren demonstrieren. Wir sind der Ansicht, daß die mütterliche Affektspiegelung eine Art natürliches soziales Biofeedback-Training für den Säugling ist, das in der emotionalen Entwicklung eine zentrale Rolle spielt“ (kursiv im Original, S. 170).
Bevor die Funktion für die emotionale und mentale Entwicklung erläutert wird, soll zunächst die Struktur der affektspiegelnden
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Interaktion genauer beschrieben werden, das heißt jene Aspekte, die es dem Säugling ermöglichen, das „Gesicht der Mutter als Widerspiegelung seines eigenen Zustands zu interpretieren“ (S. 183) – anstatt es, was doch nahe läge, als Ausdruck ihrer Emotionen aufzufassen. Dieses Problem der angemessenen Zuschreibung wird durch das Merkmal der „Markierung“ gelöst, mit dem die affektspiegelnde Äußerung der Mutter versehen ist. Fonagy et al. gehen davon aus, daß „Mütter, um eine Fehlzuschreibung der widergespiegelten Emotion an sich selbst zu vermeiden, instinktiv veranlaßt werden, ihre affektspiegelnden Ausdrücke prononciert zu markieren, um sie von ihren realistischen Emotionsausdrücken unterscheidbar zu machen. Die Markierung wird in der Regel dadurch erreicht, daß die Mutter eine übertriebene Version ihres realistischen Gefühlsausdrucks produziert [...], ähnlich wie die markierte ‚Als-ob’-Version von Gefühlsausdrücken, die charakteristischerweise beim Als-ob-Spiel gezeigt werden“ (kursiv im Original, S. 184f.).
Die bekannten Phänomene der Ammensprache kommen auch in den affektspiegelnden Äußerungen zum Tragen; neben phonologischen und syntaktischen Modifizierungen sowie prosodischen Signalen wie zum Beispiel eine erhöhte Stimmlage und übertriebene Stimmlagenmodulation werden auch visuelle mimische Merkmale des Emotionsausdrucks überdeutlich wiedergegeben. So erscheinen der Freudenjuchzer schriller, die Unmutsgebärde düsterer, das Lächeln breiter und jeweils zu wiederholten Malen. Dabei behält der markierte Ausdruck dennoch eine hinreichend große Ähnlichkeit mit dem authentischen Emotionsausdruck der Mutter, „damit der Säugling den dispositionellen Inhalt der Emotion erkennen kann“ (S. 185). Auch gerät die Übertreibung nicht zu einem satirischen Zerrspiegel, sondern die Mutter stellt einen Hinweis in Form einer „empathischen Widerspiegelung“ (S. 177) des kindlichen Emotionsausdrucks bereit. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird klar, daß die mütterliche Affekt-„Spiegelung“ nicht mit den reflektierenden Ei-
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genschaften eines echten Spiegels konkurriert. 19 Die wahrnehmbare Übertreibung in der mütterlichen Reaktion ist nicht als mißratenes Abbild aufzufassen, das einen höheren Grad an Übereinstimmung mit dem Urbild bedauerlicherweise nicht zu erreichen vermag, sondern sie sorgt dafür, daß der Säugling den Charakter des Als-ob darin bemerkt. Auf diese Weise hemmt die Markierung ein realistisches Mißverständnis und eine Fehlattribution der widergespiegelten Emotion an die Mutter. Diesen Prozeß bezeichnen Fonagy et al. als „referentielle Entkopplung“ (S. 185). Der wahrgenommene Emotionsausdruck wird von seinem Referenten, der Mutter, abgekoppelt. Das Verständnis der Markierung bewirkt einen Hiatus, denn der „Zusammenhang zwischen dem Emotionsausdruck und dem entsprechenden dispositionellen Zustand des Urhebers, der den Ausdruck produziert“ (ebd.), wird durch die mütterliche Herstellung und die kindliche Rezeption der Markierung aufgebrochen. Nun verliert sich aber der abgekoppelte Emotionsausdruck nicht in frei schwebender Bedeutungslosigkeit, sondern er wird „gleichwohl als Ausdruck der Emotion von jemandem interpretiert“ (kursiv im Original, S. 186). Genau diese Leistung, Bereitschaft oder Erwartungshaltung ist meines Erachtens das eigentlich Erstaunliche, vielleicht Unerklärliche oder Irreduzible. Bemerkenswerterweise gehen Fonagy et al. jedoch, ohne weiteres Aufhebens davon zu machen, darüber hinweg und widmen sich statt dessen der Erklärung der Mechanismen, die dazu führen, daß der abgekoppelte Emotionsausdruck anderweitig untergebracht wird. Sie rekurrieren dabei auf das Konzept eines angeborenen Kontingenzentdeckungsmoduls, zu dem Gergely und Watson aufschlußreiche Studien vorgelegt haben. Im Rückgriff auf diese Untersuchungen erklären Fonagy et al., wie der abgekoppelte Emotionsausdruck neu, nämlich im Säugling, verankert wird. Sie stellen auf dieser soliden Begründungsbasis, die hier nicht eigens zu erläutern ist, die These auf, „daß dieser Prozeß der referentiellen Verankerung durch den hohen Grad an kontingenter Beziehung zwischen dem affektspiegelnden Ausdruck der Mutter und dem emotionsexpressiven Verhalten des Säuglings de19 Zu der Problematik, die die Spiegel-Metapher in sich birgt, siehe Fonagy et al. (2004, S. 183f.) sowie das Kapitel 5 über „Die Rolle des Spiegel(n)s in der kindlichen Entwicklung“ in Dornes (2000).
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terminiert wird. Das Kontingenzentdeckungssystem des Säuglings registriert die zeitliche Kontingenz und cross-modale Ähnlichkeit der Muster zwischen dem Ausdruck der Mutter und seinem eigenen, augenblicklichen affektiven Verhalten. Die Wahrnehmung dieser Kontingenzbeziehung schafft nun die Grundlage für die referentielle Deutung und Erdung des abgekoppelten Gefühlsausdrucks. Das Ergebnis besteht darin, daß der Säugling den markierten Spiegelungsreiz referentiell als Ausdruck seines eigenen Selbstzustandes verankert“ (kursiv im Original, S. 186).
Mit dem Modell des sozialen Biofeedbacks wird ein grundlegender psychischer Mechanismus spezifiziert, durch den die Bezugsperson die Entwicklung des kindlichen Selbst beeinflußt. In den frühen Interaktionen werden nicht nur die elementaren Bedürfnisse des Kindes befriedigt und seine Zustände reguliert, sondern die mütterliche Affektspiegelung trägt entscheidend „zur psychischen Strukturbildung und zum Auftauchen von emotionaler Selbstbewußtheit und Selbstkontrolle“ (S. 198) bei. Fonagy et al. machen vier Entwicklungsfunktionen aus, denen die mütterliche Affektspiegelung diene: 1. Sie sensibilisiere das Baby für seine primären, zunächst nicht bewußt wahrgenommenen Gefühle. Es entdecke im Biofeedback-Training Reizhinweise auf innere Zustände, lerne sie zusammenzugruppieren, so daß ihm kategorial distinkte dispositionelle Emotionszustände bewußt werden. 2. Sie verhelfe dem Säugling dazu, sekundäre Repräsentanzen zu bilden, die mit seinen primären, prozeduralen Affektzuständen verbunden werden. Diese sekundären Repräsentanzen eröffnen neue (kognitive) Möglichkeiten des Zugangs zu emotionalen Zuständen sowie ihrer Kontrolle. 3. Sie reguliere die affektiven Zustände des Babys und befördere – wiederum vermittelt über den Mechanismus der Kontingenzentdeckung – das Gefühl für kausale Effektanz und die Fähigkeit der Selbstkontrolle. 4. Sie ermögliche das Entstehen neuer Kommunikations- und Mentalisierungskompetenzen. Indem der Säugling die markierten sekundären Repräsentanzen verinnerliche, erwerbe er einen „generalisierten Kommunikationskode ‚markierter’ Ausdrücke“, der gekennzeichnet sei durch referentielle Abkopplung, referentielle Verankerung und Suspendierung realisch-
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er Konsequenzen. Auf diese Weise entstehe ein „neuer ‚Alsob’-Modus des Mentalisierens und Kommunizierens über Affektzustände“, der dem Kind „wirksame repräsentationale Instrumente zur emotionalen Selbstregulierung und Selbstäußerung“ zur Verfügung stelle (S. 209). Alle aufgeführten Aspekte kommen darin überein, daß sie eine Steigerung der kindlichen Selbständigkeit oder Selbstbewußtheit bedeuten und auf die Entwicklung seiner Subjektivität abzielen. Wie gezeigt, bedeutet das keine solipsistische Abkehr von Beziehungen, sondern diese hinterlassen, vermittelt über die interaktive Konstitution des Selbst, ihre Spuren in seinem Inneren, sogar noch in der subjektiven Welt der Gefühle.
Elterliche Kommentare im Symbolspiel Um die Systematik der Argumentation bei Fonagy et al. wenigstens zu skizzieren, sei der weitere Verlauf kurz zusammengefaßt. Die Form der interaktiven Konstitution des Selbst, die im sozialen Biofeedback mütterlicher Affektspiegelung gegeben sei, verliere gegen Ende des ersten Lebensjahres an Bedeutung. Mit den Errungenschaften des Krabbelns und Laufens erweitere sich der Bewegungsradius des Kindes, und damit werden die direkten face-to-face-Interaktionen zwischen Mutter und Kind seltener. Die Grundstruktur der interaktiven Hervorbringung des Selbst bleibe jedoch über diese Veränderungen hinweg erhalten; weiterhin gelte, daß die Entwicklung des Selbst „ein interpersonaler Prozeß“ sei, „der die Interaktion mit den Innenwelten anderer voraussetzt“ (S. 271). Im Alter zwischen eineinhalb und vier Jahren nehme das Symbolspiel den Stellenwert ein, den die Affektspiegelung im ersten Lebensjahr hatte. Mit zwei bis drei Jahren entwickele das Kind ein Bewußtsein für seine psychische Realität, jedoch sei dies zunächst durch einen „Doppelcharakter“ (S. 262) gekennzeichnet. Im allgemeinen operiere es im Modus der „psychischen Äquivalenz“, wobei es Vorstellungen nicht als Repräsentation begreife, sondern als „direkte Abbilder der Realität und infolgedessen als immer zutreffend“ (ebd.). Es erlebe die furchteinflößende Vorstellung vom Krokodil unterm Bett mit derselben Intensität wie sie eine reale Erfahrung auslöst. Das heißt, das Psychische ist Ereignissen der äußeren Realität in Hinsicht auf die Wirkungen im Erleben äqui-
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valent. In anderen Situationen komme ein „Als-ob-Modus“ zum Tragen, in dem das Kind Gedanken als repräsentational auffaßt, ohne sie daraufhin zu prüfen, ob sie der Realität entsprechen. Es selbst und die Mitspieler tun so, als ob die Banane ein Telephonhörer sei. Vigotskys These zustimmend, daß das Kind im Spiel „seinem Durchschnittsalter, seinem Alltagsverhalten, immer voraus“ sei, heben Fonagy et al. die Bedeutung des Symbolspiels für die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit hervor. In der Welt des Phantasiespiels könne das Kind Repräsentationen partiell von ihren Referenten ablösen; „diese freigesetzten Repräsentationen können dann modifiziert werden, so daß eine flexiblere Denkweise entstehe, die das Auftauchen von zuvor latenten mentalen Strukturen fördert“ (S. 266). Zunächst existieren beide Modalitäten parallel nebeneinander. Das Kind oszilliere zwischen dem Als-ob-Modus und dem Modus psychischer Äquivalenz, bevor es sie im Alter von etwa vier Jahren im „reflektierenden Modus“ integriere. Dann beginnen Kinder „anzuerkennen, daß Dinge unter Umständen anders sind, als sie zu sein scheinen, daß andere Menschen die Realität auf andere Weise wahrnehmen können als sie selbst, daß man Überzeugungen mit unterschiedlich hoher Gewißheit vertreten kann und daß sich ihre eigenen Eindrücke oder Überzeugungen im Laufe der Zeit verändern können“ (S. 268).
Auch auf der Altersstufe des Zwei- bis Dreijährigen, auf der sich das Selbst als teleologischer, später als intentionaler Akteur verstehe, betonen Fonagy et al. die Bedeutung des mentalisierungsfähigen Anderen für die Entwicklung des kindlichen Selbst. Nun sei es nicht mehr das mütterliche Gesicht, das den Zustand des Kindes aufnimmt, ihn modifiziert und zurückspiegelt, sondern es seien die Kommentare der Eltern (oder älteren Geschwister) zu seinen Spielhandlungen. Die „intensive, liebevolle Zuwendung der Betreuungspersonen“ (S. 271) trage entscheidend dazu bei, daß das drei- bis vierjährige Kind die beiden Realitäten – innere (psychische) und äußere – zu erkennen, aufeinander zu beziehen und zu akzeptieren lerne. Um die beiden zunächst getrennt nebeneinander existierenden Modi integrieren zu können, müsse das Kind immer wieder Gelegenheit finden, seine augenblicklichen mentalen Zustände wahrzunehmen, sie im Denken und Füh-
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len des Gegenübers repräsentiert zu sehen sowie den Halt gebenden „Rahmen“ wahrzunehmen, den die Erwachsene bietet, die normalerweise und verläßlich an der äußeren Realität orientiert ist. Wenn die erwachsene Bezugsperson spielerisch in die Welt des Kindes eintrete, geschehe, auf einer neuen Ebene, etwas Ähnliches wie in den Vorgängen der frühen Affektspiegelung. Im Symbolspiel externalisiere das Kind eigene innere Zustände. Diese nehme der erwachsene Mitspieler auf und biete ihn spiegelnd dem Kind zum Re-Internalisieren an: „Der mentale Zustand des Kindes muß genügend klar und exakt repräsentiert werden, damit dieses ihn erkennen kann; gleichzeitig muß er so spielerisch sein, daß das Kind von seinem Realitätsgehalt nicht überwältigt wird. Auf diese Weise kann es letztlich die Repräsentation seiner inneren Realität durch die Mutter als Ausgangsbasis für sein eigenes symbolisches Denken benutzen, das heißt für die Repräsentation seiner eigenen Repräsentationen“ (S. 271).
An anderer Stelle erklären Fonagy et al., daß sich im Spiel „markierte Externalisierungen“ (S. 295) der inneren Zustände des Kindes finden. Dort, wo das Kind im Modus psychischer Äquivalenz operiere, gehe es darum, daß die Eltern das Empfinden des Kindes verstehen und ernst nehmen, aber zugleich kenntlich machen, daß sie selber nicht dasselbe erleben, selber keine Angst vor dem Krokodil unterm Bett haben. Indem sie die Wirklichkeit seiner Gefühle akzeptieren, zugleich aber ihren eigenen Standpunkt aufrechterhalten, eine andere Perspektive einführen und damit Perspektivität überhaupt, schaffen sie eine Basis, auf der das Kind sich „sorglos“ (Winnicott) mit seiner Innenwelt befassen kann und die anderer Personen kennenlernen. Die Betreuungsperson müsse immer wieder Verbindungen zwischen Realität und Phantasie anbieten, und zwar in einer Weise, „die auch die Akzeptanz und erkennbare Spiegelung der mentalen Zustände des Kindes umfaßt“, damit das Kind seine Erfahrungen organisieren und miteinander vergleichen könne, die zwischen den beiden Modi vermitteln. Allmählich lerne es dann „selbst an einer mentalisierenden Einstellung festzuhalten, weil es den Prozeß durch wiederholte Interaktionen mit der Betreuungsperson [...] internalisiert“ habe (S. 272). Wie die frühe Affektspiegelung befördert nun das Spiel mit den Kommentaren durch die Eltern das Bewußtwerden und
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die Regulierung der Affekte und Impulse des Kindes. Zudem können eigene und fremde Handlungen zunehmend bewußt wahrgenommen und schließlich mentalisiert werden.
Affektspiegelung als An-/Erkennen des konstitutionellen Zustands Inwiefern lassen sich nun die beschriebenen Interaktionen zwischen dem Kind und seiner Betreuungsperson dem Handlungstyp der Anerkennung zuordnen? Kann die Theorie der Entwicklung des Selbst zum mentalen Akteur die These stützen, daß sich Subjektwerdung als Antwort auf vorgreifende Anerkennung vollziehe? Zwar behandeln Fonagy et al. das AnerkennungsThema nicht explizit, doch enthalten ihre Modelle Handlungsstrukturen, die sich als Anerkennung deuten lassen. Zudem finden sich Umschreibungen, die eine solche Auslegung anzubieten scheinen: „Das Selbst ist eine Struktur, die sich vom Säuglingsalter bis in die Kindheit hinein entwickelt, und diese Entwicklung hängt in entscheidendem Maße von Interaktionen mit reiferen Psychen ab, die das Kind wohlwollend und reflektierend unterstützen“ (Fonagy et al. 2004, S. 12). Es wäre allerdings wenig damit gewonnen, wenn Elemente der Theorie lediglich mit einem neuen Etikett versehen würden. Statt sie einfach einem Begriff zu subsumieren, der gerade en vogue ist, zielt der hier unternommene Versuch auf eine Diskussion, die sich nach zwei Seiten hin öffnet: einerseits sollen die Leistungen und Grenzen des Erklärungsmodells von Fonagy et al. genauer gekennzeichnet werden, indem es unter dem Blickwinkel der Anerkennung betrachtet wird. Andererseits wird der Anerkennungsbegriff von der Entwicklungstheorie des Mentalen neu befragt. Da Fonagy et al. elaborierte Modelle von sehr frühen Interaktionen liefern, die unter anerkennungstheoretischem Verdacht stehen, ist zu vermuten, daß sie dazu beitragen können, bekannte Facetten des Anerkennungskonzepts durch empirisch untersuchte Mechanismen inhaltlich zu konkretisieren, sowie eventuell neue Aspekte in den Blick zu bringen.20
20 Ausdrücklich sei angemerkt, daß dieser Versuch auf Differenzierungen in bescheiden abgestecktem Rahmen zielt und nicht etwa als umfassende Revision anerkennungstheoretischer Konzepte mißverstanden werden darf.
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Im Abschnitt über „Anerkennung im Spektrum interaktiver Erfahrungen” wurden Entwicklungsmodelle vorgestellt, die das Anerkennungsthema explizit behandeln. Während die Untersuchungen dort also an die jeweils angebotenen Konzeptionen anknüpfen konnten, muß hier zunächst erläutert werden, was unter „Anerkennung“ verstanden werden soll. Da es keine allgemein verbindliche Definition gibt und der „begriffliche Kerngehalt des gemeinten Phänomens immer noch stark umstritten“ (Honneth 2004, S. 55) ist, kann es an dieser Stelle nur darum gehen, das hier zugrundegelegte Verständnis zu kennzeichnen und zur Diskussion zu stellen. Wie schon im ersten, sozialpsychologischen Teil dieser Studie greife ich erneut auf Ansätze zurück, die Axel Honneth bietet, weil sie sowohl für die sozial- als auch für die entwicklungspsychologisch ausgerichtete Frage der Subjektwerdung theoretische Anbindungen und produktive Weiterführungen ermöglichen. Denn der Aufweis der drei Unterarten von Anerkennungsverhältnissen im Anschluß an Hegel öffnet, wie gezeigt, die Perspektive auch auf das frühe Anerkennungsmuster der „Liebe“, das in den menschlichen Primärbeziehungen begegnet. Am Vorzug dieser Binnendifferenzierung festhaltend, hat Honneth ansonsten Abstand genommen von der „Selbstgewißheit“ seines ursprünglichen Ansatzes mit der fraglosen Rückversicherung bei Hegel, dem „Stammvater der Anerkennungstheorie“ (Honneth 2003b, S. 7). In den letzten Jahren rückt Honneth vor allem drei systematische Fragen in den Vordergrund, die mit Hegels Ansatz nicht zu klären sind: das bereits im ersten Teil diskutierte Problem, ob Anerkennung attributiv oder responsiv zu verstehen sei, die Frage, ob Anerkennung „stets nur das Begleitprodukt von anderen Handlungen oder Äußerungen“ sei oder selbst einen „eigenständigen Handlungsakt“ (ebd., S. 8) darstelle, und schließlich die Frage, „inwiefern wir die intersubjektive Anerkennung als konstitutiv für das Personsein ansehen dürfen“, das heißt als Voraussetzung für die „Autonomie“ menschlicher Personen (ebd.). Im Dickicht von „begrifflichen Verwirrungen und ungelösten Fragen“ schlägt Honneth nun vor, „durch eine kategoriale Festlegung Klarheit zu schaffen, die weder Vereinheitlichungen noch Ausschließungen scheut“ (Honneth 2004, S. 55). Auf der basalen Annahme aufbauend, daß es sich bei der Anerkennung „um einen moralischen Akt handeln soll, der in der sozialen Welt als ein alltägliches Geschehen verankert ist“ (ebd.), expliziert Honneth vier
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Prämissen, über die inzwischen „weitgehend Konsens“ zu herrschen scheint: 1. Erstens bestehe der „Originalmodus“ der Anerkennung in jenem normativen Sachverhalt, den die deutsche Bedeutung des Worts ins Zentrum rückt. Gegenüber der im Englischen oder Französischen vorrangig epistemischen Bedeutung des „Wiedererkennens“ oder „Identifizierens“ bezeichnet der Ausdruck im Deutschen zunächst die „Affirmierung von positiven Eigenschaften menschlicher Subjekte oder Gruppen“ (ebd.). 2. Zweitens sei der Handlungscharakter der Anerkennung hervorzuheben. Worte oder symbolische Äußerungen müssen ihre Glaubwürdigkeit dadurch beweisen, daß sie mit entsprechenden Verhaltensweisen verbunden werden. Es ist daher von einer „Haltung“ oder „handlungswirksam gewordenen Einstellung“ (ebd.) die Rede. 3. Drittens seien solche Akte der Anerkennung ein „distinktes Phänomen in der sozialen Welt“. Nicht nur „Nebenprodukt einer andersgerichteten Handlung“, müssen sie sich als „Ausdruck einer eigenständigen Absicht“ (ebd.) begreifen lassen. Ihr primärer Zweck müsse „in irgendeiner Weise affirmativ auf die Existenz der anderen Person oder Gruppe gerichtet“ (ebd., S. 56) sein. 4. Viertens umfasse der Gattungsbegriff „Anerkennung“ verschiedene Unterarten. „So kommen etwa in den ‚Haltungen’ der Liebe, des rechtlichen Respekts und der Wertschätzung jeweils unterschiedliche Akzentuierungen der einen Grundeinstellung zur Geltung, die sich generisch als ‚Anerkennung’ begreifen“ lasse (ebd.). Auf der Grundlage dieser Prämissen formuliert Honneth folgende Definition: „Die vier Prämissen [...] resümieren nur, wovon heute bei einem halbwegs geklärten Begriffsgebrauch auszugehen ist: die Anerkennung sollte als Genus von verschiedenen Formen einer praktischen Einstellung begriffen werden, in der sich jeweils die primäre Absicht einer bestimmten Affirmierung des Gegenübers spiegelt“ (ebd.).
Diese „kategoriale Festlegung“ beschreibt den Anerkennungsbegriff nicht erschöpfend – Honneth selbst stellt ja offene Fragen
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zur Diskussion; aber mit ihr sind doch essentials benannt, die mit guten Gründen als „Kerngehalt“ angesehen werden können und die dazu verhelfen, eine allzu große Beliebigkeit und Vagheit bei der Begriffsverwendung zu überwinden. Mit diesem Zugewinn an begrifflicher Klarheit ist nun die mütterliche Affektspiegelung im Entwicklungsmodell von Fonagy et al. zu untersuchen. Indem ein Kerngehalt der „Anerkennung“ bestimmt wurde, ist genauer bezeichnet, was in den frühen Interaktionen gesucht wird, und umgekehrt bleibt das Konzept offen für Ergänzungen, Konkretisierungen und differenzierende Rückfragen. Unstrittig ist, daß die mütterliche Affektspiegelung im System der Spielarten von Anerkennung der „Liebe“ zuzuordnen ist (4. Prämisse). Gegenüber den beiden anderen und später auftauchenden Anerkennungsmustern des Rechts und der sozialen Wertschätzung hat sich die emotionale Zuwendung in der Primärbeziehung nicht erst in historischen Kämpfen herausgebildet. Die „empathische Widerspiegelung“ (Fonagy et al. 2004, S. 177), mit der die Betreuungsperson dem Kind begegnet, vollzieht sich weder nach Maßgabe ausgehandelter Rechte und Verpflichtungen, noch erfolgt sie in abgestufter Weise auf individuell erbrachte Leistungen, sondern sie geschieht „intuitiv“ (ebd.) und bedingungslos. Sie gilt dem Kind in seinem konkreten Dasein. Vergegenwärtigt man diese Besonderheit, die das spezifische Merkmal ist, mit dem sich die „Liebe“ von den beiden anderen Anerkennungsformen unterscheidet, so wird zugleich die charakteristische Ausprägung des Hauptkriteriums (1. Prämisse) deutlich. Affirmiert werden nicht positive Eigenschaften im Sinne hervorragender Qualitäten oder rechtlich ausgehandelter Positionen, sondern bejaht wird das Kind in seinem leibhaftigen Sosein. Dazu gehört die ganze Bandbreite seiner vitalen Äußerungen. Die Akte mütterlicher Affektspiegelung nehmen prinzipiell alle Emotionsausdrücke auf und filtern die „negativen“ der Angst, des Ärgers o.ä. nicht vorab aus. Gleichwohl behauptet sich der Anerkennungscharakter dieser Akte gegenüber einem gleich-gültigen und neutral-mechanischen Spiegeln darin, daß die Mutter, selber eine lebendige Person mit individuellen Vorlieben und eingebunden in ein sozial vermitteltes Wertesystem, spezifische Akzente setzt und die Emotionsausdrücke in den konkreten Interaktionen evaluiert. So wird sie die „affektiven, willkürlichen oder spielerischen Ver-
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haltensakte des Säuglings selektiv verstärken, deren Fortsetzung oder künftige Wiederholung ihr wünschenswert erscheint“ (ebd., S. 192). Sie wird also in bestimmten Situationen bestimmte Emotionsausdrücke des Babys mehr bejahend unterstützen als andere. Aufgrund der Wirkmechanismen, die das Modell von Fonagy et al. erklärt, ist davon auszugehen, daß solche Äußerungen des Kindes, die im mütterlichen Biofeedback eine zustimmende Aufmerksamkeit erhalten, vom Kind angeeignet, ins Bewußtsein gehoben werden und sich so stärker entwickeln. Auf diese Weise beginnt schon in infantiler Zeit jener doppelschichtige Prozeß, der über die Verteilung intersubjektiver Anerkennung Individuation und Sozialisation zugleich befördert: „Widerspiegelnde Abstimmungen sind ein wirksames Instrument der frühen, nonverbalen Sozialisation, mit dessen Hilfe Mütter die auftauchenden willkürlichen, zielorientierten oder spielerischen sozialen Aktivitäten selektiv verstärken und beeinflussen können“ (ebd.). Die Akte der Affektspiegelung, die in ihrer Selektivität den normativ-evaluativen Charakter der Anerkennung zur Geltung bringen, stellen den Idealfall dar, der gegeben ist, wenn die Mutter flexibel auf die kindlichen Expressionen reagieren kann und sie über ein breites Spektrum von Resonanzfähigkeit verfügt. Wie gezeigt, vertreten Fonagy et al. die These, daß die affektspiegelnden Verhaltensäußerungen auf eine „instinktive menschliche Neigung“ (S. 162) zurückgehen, in dieser Form auf die Emotionsausdrücke des Babys zu reagieren. Auf Seiten des Säuglings wie auf Seiten der Mutter geht es um automatisch-instinkthafte Vorgänge und nicht um bewußte Handlungsakte. Dabei sind die mütterlichen Spiegelungen im Normal- oder Idealfall unbewußt im deskriptiven Sinn, also vorbewußt. Das heißt, die mütterliche Psyche hat jene „reifere“ (S. 12) Struktur, die sich mit dem Vermögen zur Mentalisierung ausbildet. „Mentalisierte Affektivität“ (ebd.) meint die „reife Fähigkeit“, einen bewußten Zugang zu den Affekten herstellen und sie regulieren zu können sowie ihre subjektive Bedeutung zu ergründen (ebd.). Verfügt die Mutter selber über diese höchst entwickelte Variante der Affektregulierung, werden ihre Affektausdrücke, die habituell ablaufen und nicht ins Bewußtsein gehoben werden müssen, flexibel auf die des Kindes abgestimmt sein. Hat sie aufgrund ausreichender Anerkennungserfahrungen in ihrer eigenen frühen Kindheit oder aufgrund späterer therapeutischer Korrekturen ein weit tragendes Selbstvertrauen in die
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eigene Gefühlswelt und ihre Regulierungskompetenz ausgebildet, so wird sie eine große Bandbreite an eigenen und fremden Emotionen zulassen können und in einen lebendigen Kontakt mit ihnen treten. Dabei wird sie, wie gezeigt, auf vorbewußter Ebene Akzente setzen, die sich anerkennungstheoretisch als evaluative Hervorhebungen bestimmter Emotionsexpressionen auslegen lassen. Jenseits unterstützender oder mißbilligender Kommunikationsakte, die prinzipiell bewußtseinsfähig sind, kann jedoch auch der andere Fall eintreten, daß es systematische Verwerfungen in den mütterlichen Spiegelungen gibt, die nur auf pathologische Einschränkungen im mütterlichen Erleben zurückzuführen sind. Hat die Mutter beispielsweise in ihrer eigenen Geschichte bestimmte traumatisierende Erfahrungen erlitten, deren Spuren in der eigenen Gefühlswelt sie abwehren muß, so wird sie, sobald sie im Emotionsausdruck des Kindes eine verwandte Regung wahrnimmt, diese entweder systematisch übergehen oder umetikettieren; oder sie wird von den negativen Affekten überwältigt, so daß sie dem Säugling keinen markierten Als-ob-Affekt anbietet. Statt dessen konfrontiert sie das Kind dann mit ihrem echten, realistischen Gefühlsausdruck, der wiederum den negativen Affektzustand im Kind verstärkt, was schließlich zur Eskalation von Angst oder Aggression im dyadischen Kommunikationssystem führt. In diesen Fällen nicht kongruenter Spiegelung oder fehlender Markierung sind die Spiegelungsakte der Mutter nicht nur vorbewußt, sondern dynamisch-unbewußt; eine Verdrängungsschranke hält die schmerzhaften oder schambesetzten Inhalte des Erlebens und Erinnerns vom Bewußtsein fern. Bestimmte emotionale Erfahrungen werden abgewehrt, so daß auch die entsprechenden Affektausdrücke des Kindes keine Chance auf eine angemessene Widerspiegelung und Affirmierung haben – durchgehend und unabhängig von situativen Umständen. Untersucht man des weiteren das Modell des sozialen Biofeedbacks unter dem Aspekt, der in Honneths zweiter Prämisse formuliert ist, so zeigt sich in gewisser Hinsicht eine Umkehrung der Problemstellung. Honneth hebt hier den Handlungscharakter der Anerkennung hervor. Sie dürfe sich nicht „in bloßen Worten oder symbolischen Äußerungen erschöpfen“, sondern müsse durch „die entsprechenden Verhaltensäußerungen“ eine Glaubwürdigkeit erzeugen (Honneth 2004, S. 55); erst dadurch könne sie
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für das anerkannte Subjekt eine Bedeututng gewinnen. Diese Überlegungen nehmen einen zentralen Stellenwert in Honneths Kritik der „Anerkennung als Ideologie“ (Honneth 2004) ein. In seinem Bemühen, das kritisch-emanzipative Potential der Anerkennung gegenüber einer affirmativen Kultur zu verteidigen, in der die öffenliche Belobigung benutzt wird, um systemkonforme Einstellungen herzustellen, entwickelt Honneth ein Kriterium, das ideologische und gerechtfertigte Anerkennungsformen voneinander unterscheiden hilft. Entscheidend sei, neben der evaluativen eine zweite, „materielle“ Komponente zu berücksichtigen, „die je nach dem Komplexitätsgrad der sozialen Interaktion entweder in angemessenen Verhaltensweisen oder in entsprechenden institutionellen Maßnahmen“ (ebd., S. 67) bestehe. Der Akt der Anerkennung müsse sich „über die bloß symbolische Ebene hinaus bis zur materiellen Erfüllung vollenden“ (ebd., S. 68). Ohne dies verkomme die lobende Zustimmung zur leeren Floskel und zum billigen Surrogat. Im Sinne dieser „materiellen Erfüllung“ führt Honneth den Handlungscharakter der Anerkennung in seiner zweiten Prämisse auf: „Ein Akt der Anerkennung ist gewissermaßen unvollständig, solange er nicht in Verhaltensweisen mündet, die den artikulierten Wert auch tatsächlich zum Ausdruck bringen“ (ebd., S. 67). Nun zeigt sich aber in den Akten mütterlicher Affektspiegelung das Problem in gegenläufiger Richtung. Während Honneth sich kritisch mit einer Gefahr auseinandersetzt, die in der adulten Welt der Symbolverwendung eintritt, geht es in der infantilen Welt darum, die Fähigkeit zur Symbolbildung überhaupt erst aufzubauen. In den ersten Lebensjahren besteht die zentrale Aufgabe darin, die Symbolfunktion des Kindes durch den interaktiven Austausch mit „reiferen Psychen“ herzustellen. Nach Fonagy et al. leistet die mütterliche Affektspiegelung dies für die Emotionen als die frühesten mentalen Zustände. In dieser prämentalen Phase stellt sich nicht das Problem, daß frei flottierende Symbole durch den Verlust an materieller Fundierung einen ideologisch nutzbaren Charakter annehmen, sondern das Kind soll – umgekehrt – lernen, den mentalen Gehalt aus Verhaltensäußerungen oder körperlich-materiellen Prozessen herauszulösen.21 Oder anders her21 Daß die sekundären Repräsentanzen nicht in einer kognitiven Welt bedeutungslos herumschwirren, sondern mit den primären, proze-
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um: die Mutter muß, will sie dem Kind ihre Anerkennung ausdrücken, dies in einer Weise tun, die das Infans „versteht“; das heißt, sie muß ihre wohlwollende Einstellung in Handlungen einbetten, weil das Kind noch keine symbolischen Repräsentanzen bilden und damit kommunizieren kann. Aus der Perspektive des präverbalen Erlebens gehen die entsprechenden Verhaltensäußerungen nicht über die affirmierenden Worte oder Symbole „hinaus“, sondern bewahren umgekehrt jene Fundierung in Körperprozessen und Interaktionsformen, aus denen sie später, wenn das Mentalisierungsvermögen entwickelt ist, extrahiert werden können. Neben dieser Umkehrung ist noch eine Besonderheit zu beachten, wenn man die Affektspiegelung hinsichtlich der Forderung untersucht, daß die affirmierende Einstellung „mit beglaubigenden Handlungen einhergehen“ (Honneth 2004, S. 67) müsse. Im ersten Zugriff ließe sich sagen: zwar ist der Ausdruck eines Affekts bereits eine „Verhaltensäußerung“, die über bloße Worte hinausgeht. Er manifestiert sich in Mimik, Gestik, Vokalisierungen, Körperhaltung und -bewegungen, so daß er auf dieser Ebene leiblicher Prozesse gleichsam eine erste Stufe von Glaubwürdigkeit erzeugt. Wer nicht nur sagt, er empfinde Freude, sondern dazu noch lacht und in die Hände klatscht, dem glaubt man. Darüber hinaus kann man eine zweite Stufe der Erzeugung von Glaubwürdigkeit ansetzen, auf der die Handlungsdisposition eines Affekts ihre Wirksamkeit zu erkennen gibt. Derjenige, der die Behauptung „innerer“ Wut zunächst mit einem roten Kopf, angespannt-zuckenden Gesichtsmuskeln und lauter Stimme unter Beweis stellt, kann die Glaubwürdigkeit erhöhen, indem er sein Gegenüber am Kragen packt oder das zuhandene Mobiliar demoliert. Allerdings soll gerade dieses während der mütterlichen Affektspiegelung nicht passieren. Die Mutter soll in den Spiegelungsakten die Glaubwürdigkeit herabsetzen, keine echte Emotion ausdrücken, sondern die des Kindes darstellen. Die notwendige „Markierung“ , die den gespiegelten Affekt in seinem Als-obCharakter kenntlich macht, wird unter anderem dadurch von der Mutter hergestellt und vom Kind wahrgenommen, daß der ge-
duralen Affektzuständen des Babys verbunden werden müssen, ist ebenfalls eine Art „materieller Erfüllung“, gehört aber nicht zum hier diskutierten Handlungs-Charakter der Affektspiegelung.
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spiegelte Emotionsausdruck seine Handlungswirksamkeit einbüßt. Der Wut-Ausdruck des Kindes, im ersten Lebensjahr noch nicht mit jenen Verhaltensäußerungen der „2. Stufe“ verbunden, wird spielerisch dargestellt und gerade nicht von den kategorial passenden Handlungen begleitet. Realität, Echtheit und materielle Erfüllung werden suspendiert. Dadurch unterscheidet sich die präsentierte Als-ob-Wut von der tatsächlich erlebten Wut der Mutter. Nur dadurch, daß der fiktionale Charakter an die Stelle der Glaubwürdigkeit im Sinn von Authentizität tritt, kommen die Prozesse der referentiellen Entkopplung und Verankerung in Gang, über die das Kind lernt, mentale Gebilde herzustellen und zu verstehen. Unter diesem Aspekt sperrt sich die Struktur der affektspiegelnden Interaktionen gegen die anerkennungstheoretische Auslegung – sofern man Honneths zweite Prämisse als wesentliches Merkmal gelten läßt. Hier scheint die Bedeutung des Funktionalen die der Anerkennung zu verdrängen. In der Theorie von Fonagy et al. wird die Affektspiegelung eindeutig instrumentalisiert für den Zweck der Entwicklung der kindlichen Mentalisierungsfähigkeit. Der fiktionale Charakter dieser Interaktionen ist in der Theorie des sozialen Biofeedbacks nicht Ausdruck eines kommunikativen Spiels, in dem die emotionale Welt des Kindes zweckfrei bestätigt würde; letztere ist als gehalt- und geistlos konzipiert. Statt also eine „Erfüllung“ in gelebter emotionaler Kommunikation zu finden, werden die Interaktionen in den Dienst genommen für jene Entwicklungsaufgabe. Die Glaubwürdigkeit anerkennender Akte, die Honneths zweite Prämisse meint, kann oder muß aber in anderen affektregulierenden Akten vorkommen, die es neben den affektspiegelnden in der frühen Mutter-Kind-Dyade gibt. So kann sich die bejahende Aufmerksamkeit auf das hungrige Baby nicht in der Bekundung der Akzeptanz dieses Zustands erschöpfen, sondern der anerkennende Akt muß sich „bis zur materiellen Erfüllung vollenden“ – das heißt: im Akt des Stillens. Es bleibt zu prüfen, wie es um Honneths dritte Prämisse steht, nach der Anerkennungsakte ein „distinktes Phänomen in der sozialen Welt“ sein sollen. Die Als-ob-Struktur der affektspiegelnden Äußerungen hebt diese von anderen Interaktionen ab. Dabei scheint es, wie sich zeigte, unklar, ob dieses Unterscheidungsmerkmal den Anerkennungscharakter der Spiegelungen eher
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stützt oder ob es ihn in Frage stellt; denn das spezifische Kennzeichen der Markierung, das die referentielle Entkopplung und NeuVerankerung ermöglicht, wird in der Theorie von Fonagy et al. eindeutig in den Dienst genommen für die Entwicklungsaufgabe der Mentalisierung. Daneben kann der Als-ob-Charakter aber auch dazu verhelfen, den gespiegelten Emotionsausdruck als Anerkennung von anderen Formen emotionaler Abstimmung und Sympathie zu unterscheiden, in denen sich keine Anerkennung ausdrückt, sondern – distanzloser – ein Mitschwingen in gemeinsamen Lebensvollzügen. Aufgrund des Als-ob-Charakters läßt sich also die Affektspiegelung von anderen Interaktionen unterscheiden und als „distinktes Phänomen in der sozialen Welt“ ausweisen. Ein weiteres Kennzeichen affektspiegelnder Akte liegt darin, daß sie automatisch-instinktiv ablaufen. Insofern sind sie in der Tat eher als „Verhaltensweisen“ (Fonagy et al. 2004, S. 192 u.ö.; kursive Hervorhebung durch F.W.) einzustufen und weniger als „Handlungen“, die aus einer expliziten Absicht hervorgehen. Es spricht allerdings einiges dafür, anzunehmen, daß die implizit enthaltene Absicht der „empathischen Widerspiegelung“ auf die Anerkennung des kindlichen Emotionszustandes zielt, denn jener andere Zweck, den Fonagy et al. in den Vordergrund stellen: die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit des Kindes, ist ein theoretisches Konstrukt und wohl kaum ein mentales Gebilde, das als Handlungsziel der lebensweltlich agierenden Mutter zuzuschreiben ist. Die Konzeption des sozialen Biofeedbacks durch mütterliche Affektspiegelung bzw. ihre instrumentelle Deutung in der Mentalisierungstheorie ist in Anlehnung an Kant als „teleologische“ Interpretation zu verstehen.22 Wir können die instinkthaft ablaufenden kommunikativen Prozesse so betrachten, „als ob“ sie zweckmäßig für die Entwicklung des menschlichen Symbolisierungsvermögens sind, ohne daß dieser Zweck objektiv gegeben wäre. Der Zweck wird nur in unserer – theoretisch ausgearbeiteten – Reflexion angenommen. Hält man diese Ebenen auseinander: die wissenschaftlich-theoretische Bestimmung der Affektspiegelung als Mittel zum Zweck der Entwicklung des Mentalen 22 Kants Vorstellung der teleologischen Urteilskraft, einer Variante der reflektierenden, ist nicht zu verwechseln mit dem „teleologischen Standpunkt“ in der Theorie von Fonagy et al. Siehe Kant (1981 [1790], vor allem § 75).
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einerseits und die Absicht, die in den mütterlichen Interaktionsbeiträgen implizit enthalten ist, nämlich die Affirmation und Regulation des kindlichen Emotionsausdrucks, so läßt sich sagen, daß die affektspiegelnden Akte das dritte Kriterium von Honneths Anerkennungsbegriff erfüllen; sie können als Ausdruck einer zwar vorbewußten, aber eigenständigen Absicht verstanden werden und nicht nur als „Nebenprodukt einer andersgerichteten Handlung“ (Honneth 2004, S. 55). Die Untersuchungen der affektspiegelnden Akte in Hinsicht auf die vier Prämissen, in denen Honneth den Kerngehalt des Anerkennungsbegriffs ausmacht, konnten erläutern, inwiefern sich jenes Modell von Fonagy et al. als Konzeption einer frühen Anerkennungsform verstehen läßt. Schließlich sollen noch die beiden Fragen behandelt werden, für die Honneth weiteren Klärungsbedarf sieht. Was die Frage nach Responsivität oder Attribution betrifft, so wird in den affektspiegelnden Akten Anerkennung nach dem Muster der Attribuierung ausgedrückt, „kraft derer dem anderen Subjekt eine neue, positive Eigenschaft gleichsam zugeschrieben wird“ (Honneth 2004, S. 56). Dem Modell von Fonagy et al. zufolge nimmt zwar die Mutter die Emotionsausdrücke des Kindes wahr und antwortet mimisch und vokalisierend auf sie, aber der entscheidende und weiterführende Schritt wird darin gesehen, daß die mütterlichen Reaktionen den zunächst vom Kind unverstanden externalisierten Zustand mit mentalem Gehalt anreichert und diesen so zur Darstellung bringt, daß das Kind ihn mit der Zeit zu internalisieren lernt. Wichtiger als der evaluative Aspekt ist in dieser Anerkennungsart der epistemische. Es geht vorrangig darum, daß das Kind dadurch, daß zunächst die Mutter die Bedeutung seiner Emotionsausdrücke erkennt und darstellt, lernt, den dispositionellen Inhalt eigener und fremder Gefühle als früheste Formen mentaler Zustände zu erschließen. Da es sich bei den mütterlichen Affektspiegelungen um das Erkennen der kindlichen Emotionsausdrücke handelt, ist zugleich die Gefahr der Beliebigkeit eingedämmt, die ansonsten mit den Anerkennungsakten vom attributiven Typus assoziiert ist (siehe Honneth 2004, S. 57f.). Dem Kind kann nicht alles mögliche zugeschrieben werden, sondern in seiner Leiblichkeit ist ein Kriterium verankert, das beurteilen hilft, ob die attributiven Akte angemessen sind. Denn Gefühle sind nicht nur mit bestimmten Ausdrücken verbunden, die sich in Mimik, Gestik, Stimmlage, Körperhaltung und –bewe-
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gungen zeigen und je nach sozio-kulturellen Deutungsmustern unterschiedlich interpretieren lassen, sondern zudem mit charakteristischen physiologischen Erregungsmustern und viszeralen Prozessen. Diese lassen sich in gewissem Umfang von der bewußten Wahrnehmung fernhalten, können aber nicht ganz und spurlos unterdrückt werden oder mit beliebigem mentalen Gehalt versehen.23 Fonagy et al. bezeichnen als „konstitutionelles Selbst“ die „biologisch determinierten Erfahrungen des Individuums, die mit emotionaler Expressivität und Temperamentsmanifestationen des Affekts assoziiert sind“ (S. 18). Die unhintergehbare Leiblichkeit oder das „konstitutionelle Selbst“ erweist sich als Kriterium, um angemessene von unangemessenen Attributionen, kongruente Affektspiegelung von inkongruenter zu unterscheiden. Kommen letztere gehäuft vor, so daß die Assimilationskraft des Kindes überfordert wird, so kann sich das fatal auf seine Entwicklung auswirken; das Mentalisierungsvermögen kann gehemmt werden oder zusammenbrechen, woraus schwere Persönlichkeitsstörungen entstehen. (siehe unten). Indem man die Folgen aufweist, die gelungene oder verfehlte Spiegelungs-Interaktionen für die Entwicklung des Kindes haben, stößt man zugleich auf jenes andere Problem, das Honneth als klärungsbedürftig anführt, inwiefern wir nämlich „die intersubjektive Anerkennung als konstitutiv für das Personsein ansehen 23 Schon sehr kleine Kinder können den Ausdruck eines Affekts unterdrücken, dessen physiologische Komponenten gleichwohl nachweislich erhalten bleiben. Das belegen diverse Studien. So zeigen Untersuchungen aus der Bindungsforschung, daß vermeidendgebundene Kinder im Alter von zwölf Monaten in der FremdeSituation, einer standardisierten experimentellen Anordnung, auf den Weggang und die Wiederkehr der Mutter scheinbar ruhig reagieren. Die Emotionen von Ärger oder Angst in der Trennungssituation werden kaum ausgedrückt, aber die Messungen von Herzschlagfrequenz und Cortisol-Ausschüttung ergeben deutlich erhöhte Werte. Das heißt, die ausgeglichen wirkenden Kinder sind auf der physiologischen Ebene erheblich erregt. Dornes diskutiert diesen Befund unter dem Stichwort „unbewußte Gefühle“. Er hält diese Erregungs- oder Spannungszustände für „physiologische Korrelate unterdrückter, unbewußt gewordener Affekte“ (Dornes 1997, S. 296). Letztere würden aus affektiven Gründen abgewehrt, weshalb sie auch im dynamischen Sinn unbewußt seien. Sie könnten dann als Ärger oder Angst nicht mehr gespürt werden, seien aber dennoch nicht unwirksam (siehe Dornes 1997, S. 294-297).
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dürfen“ (Honneth 2002, S. 8), das heißt: als Voraussetzung für die „Autonomie“ menschlicher Personen. Wie gezeigt, konstituieren die Prozesse, die durch das soziale Biofeedback mütterlicher Affektspiegelung in Gang gesetzt werden, die Selbständigkeit des Kindes, indem sie dem Baby dazu verhelfen, x die Emotionszustände als kategorial distinkte ins Bewußtsein zu heben, x sekundäre Repräsentanzen davon zu bilden, die neue (kognitive) Zugangsmöglichkeiten zu emotionalen Zuständen sowie ihrer Kontrolle eröffnen, x neue Kommunikations- und Mentalisierungskompetenzen zu entwickeln (siehe oben, S. 138f.). So konstituiert sich dem Entwicklungsmodell von Fonagy et al. zufolge interaktiv über Selbstbewußtheit und gesteigerte Selbständigkeit die Subjektivität des Kindes. Damit kann das Modell mütterlicher Affektspiegelung die These plausibilisieren, daß sich menschliche Subjektwerdung als Antwort auf vorgreifende Anerkennung entwickelt.
Folgen verfehlter Spiegelungen Des weiteren bekräftigt das Modell diese These ex negativo dadurch, daß es die Folgen sichtbar macht, die verfehlte Spiegelungen für die Entwicklung des Kindes haben. Fonagy et al. beschreiben zwei pathologische Formen mütterlicher Spiegelung, in denen der emotionale Zustand des Kindes nicht anerkannt wird und die zu schweren Entwicklungsstörungen führen. Wenn die Mutter von einem negativen Affekt, den der kindliche Emotionsausdruck in ihr weckt, überwältigt wird, so zeigt sie ihre eigene, „allzu realistische, emotional verstörende Äußerung“ (S. 17) statt einer markierten. Damit ist dem Kind zum einen die Möglichkeit verschlossen, über die beschriebenen Prozesse der referentiellen Entkopplung und Verankerung eine sekundäre Repräsentanz seines Affekts zu bilden, zum andern untergräbt es „das Gefühl der Abgegrenztheit von Selbst und Anderem – eine innere Erfahrung wird, da sie als ansteckend erlebt wird, plötzlich äußerlich“ (ebd.). Daher nehmen Fonagy et al. an, daß diese Prozesse der projektiven Identifizierung zugrunde lie-
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gen, jener habituellen Abwehr, die vor allem die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakterisiert. Bei der zweiten Form der pathologischen Spiegelungsstruktur, in der die Mutter zwar einen markierten, aber nicht kongruenten Affekt ausdrückt, wird das Baby eine verzerrte sekundäre Repräsentanz konstruieren. Diese unzutreffend etikettierte Selbstrepräsentanz „ist mit dem zugrundeliegenden emotionalen Zustand nicht fest verbunden. Das Individuum wirkt real, doch weil sein konstitutioneller Zustand von der Betreuungsperson nicht anerkannt wurde, fühlt sich das Selbst leer; denn es reflektiert die Aktivierung sekundärer Affektrepräsentationen, die keine Verbindung mit dem konstitutionellen Selbst aufweisen“ (S. 18).
Fonagy et al. bezeichnen das Selbst, das sich im Zusammenhang der pathologischen Varianten der mütterlichen Affektspiegelung bildet, als „fremdes Selbst“ (ebd.). In Anlehnung an Winnicotts These, daß das Baby, das sich selbst in der Mutter nicht finden kann, statt dessen die Mutter finde, erklären Fonagy et al., daß der Säugling gezwungen sei, die Repräsentation des mentalen Zustands der Mutter „als Kern seiner selbst zu internalisieren“ (ebd., S. 19). In solchen Fällen bleibe die verinnerlichte Andere den Strukturen des konstitutionellen Selbst fremd. In der frühen Entwicklung versuche das Kind, sich von diesem „fremden Selbst“ durch Externalisierung zu befreien. Später, wenn sich die Mentalisierungsfähigkeiten allmählich entfalten, könne es allerdings „fester im Selbst verwoben“ werden und erzeuge ein „illusionäres Kohärenzgefühl“ (ebd.). Über die Mechanismen der projektiven Identifizierung versuche das Kind, den fremden Teil seiner Selbststruktur außerhalb, das heißt: im anderen, unterzubringen. Fonagy et al. betonen, daß jeder ein fremdes Selbst in sich trage, weil auch die feinfühligste Mutter nicht immer kongruent auf die Emotionsausdrücke des Kindes reagieren könne. Unter normal-günstigen Voraussetzungen würden „die Lücken im Selbst, die der nicht-kontingenten Betreuung entsprechen, durch die Selbstnarrative überbrückt, die ein angemessenes mentales Funktionieren“ (ebd.) hervorbringe.
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Zu bedenken ist, daß die Rede von einem „fremden“ Selbst nicht dazu verführen darf, im Gegenzug ein „eigenes“ anzunehmen, das frei von intersubjektiver Kontamination bei sich bleibt. Zwar opponiert das Konzept des „konstitutionellen Selbst“ gegen eine grenzenlose Beliebigkeit attributiver Akte, doch würde die Bedeutung der interaktiven Hervorbringung des Selbst wieder simplifiziert, wenn man das „konstitutionelle Selbst“ als unentwickelte Präformation begriffe, die es im Verlauf von Spiegelungsakten lediglich zu entwickeln gilt. Vielmehr vollzieht sich die Genese des Subjekts verwickelter. Auch Winnicott, auf den sich Fonagy et al. affirmierend berufen24, hat bekanntlich die „Spiegelfunktion“ der Mutter in der kindlichen Entwicklung dargestellt und den Blick der Mutter als interaktives Medium gedeutet, das dem Baby präsentiert, was die Mutter sieht. In dieser Verschachtelung von Eigenem und Fremdem tauche das kindliche Selbst auf.25 24 Fonagy et al. sehen theoretische Grundlagen ihrer Modelle in Bowlbys Bindungstheorie, Bions und Winnicotts Objektbeziehungstheorie, Kohuts Selbstpsychologie und Sterns psychoanalytisch orientierter Entwicklungstheorie. Sie alle betonen die entscheidende ursächliche Rolle, „die in der frühen psychischen Entwicklung der biologisch determinierten Fähigkeit und Neigung der Mutter zukommt, die zustands-expressiven Verhaltensweisen ihres Babys zu lesen, zu modulieren und zurückzuspiegeln.“ Des weiteren nehmen diese Theorien an, daß die mütterlichen Aktivitäten zur psychischen Strukturbildung und zum Auftauchen von emotionaler Selbstbewußtheit und Selbstkontrolle beitragen. „Einige dieser Theorien haben die Fähigkeit der Mutter, die Affektzustände des Säuglings adaptiv zu ‚spiegeln’, ihnen ein ‚Echo’ zu geben oder eine genaue Entsprechung [...] bereitzustellen, sogar explizit als einen signifikanten und zentralen Mechanismus identifiziert, der der frühen Entwicklung des Selbst zugrunde liegt ([...] Winnicott, 1967). Es wurden indes keine spezifischen Modelle entwickelt, um die psychischen Prozesse zu beschreiben, durch welche die Affektspiegelung die verschiedenen Entwicklungsfunktionen, die man ihr zuschreibt, tatsächlich erfüllt. Wir vertreten daher die Auffassung, daß unser Modell des sozialen Biofeedbacks als Spezifizierung eines basalen psychischen Mechanismus angesehen werden kann, durch den die affektspiegelnde mütterliche Umwelt ihren Einfluß [...] auf die Entwicklung des Säuglings ausübt“ (Fonagy et al. 2004, S. 197f.). 25 „Die Mutter schaut das Kind an, und wie sie schaut, hängt davon ab, was sie selbst erblickt“ (Winnicott 1974b, S. 129; kursiv im Original). Winnicott geht in seinem Aufsatz über Die Spiegelfunktion von Mutter und Familie in der kindlichen Entwicklung auf „den normalen und den psychopathologischen Aspekt“ der Tatsache ein, daß das Ge-
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Hier geht es darum, daß das Selbst oder seine Emotionszustände nicht nur mit mentalem Gehalt angereichert werden, sondern es verwirklicht sich überhaupt erst als reflektiertes und vermittelt über die exzentrische Perspektive der Anderen. „Erst aus der Erfahrung der Anerkennung durch das primäre Objekt taucht das Selbst als etwas Eigenes auf“ (Altmeyer 2000, S. 199). So betont auch Martin Altmeyer in seiner intersubjektivitätstheoretischen Auslegung das „Rätsel der Emergenz“ (ebd., S. 198). Fremd-Zuschreibung und Selbst-Verwirklichung greifen stärker ineinander als es die Gegenüberstellung von einem „fremden“ vs. ein „eigenes“ Selbst vermuten läßt. 26 Jenseits dieser normalen Verwicklungen, in denen sich handelnd, reflektierend und narrativ ein Gefühl von Kohärenz konstituiert, ist das Konzept des „fremden“ Selbst allerdings bedeutsam, um klinische Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Hier wird die Synthetisierungsleistung des Individuums überfordert, narrative Prozesse, in denen Erlebtes reflektiert und modifiziert sicht der Mutter in der individuellen emotionalen Entwicklung „der Vorläufer des Spiegels“ ist (1974b, S. 128). 26 Eine andere Frage ist, ob Säuglinge „ein Gefühl der Entfremdung von ihrem (originären) Gefühlsleben“ (Dornes 2002, S. 324) haben können. Dornes geht ihr in seinem Aufsatz über die Theorie des „virtuellen Anderen“ von Stein Bråten nach. Er legt dar, daß es „so etwas wie das Gefühl von Fremdbestimmtheit in Bezug auf ein eigenes inneres ‚Design’“ und letztlich „auch kein wahres Selbst“ geben könne, wenn man unterstellt, daß Säuglinge den Unterschied zwischen einem selbsterzeugten Affekt und einem übernommenen oder zwischen einem primären Selbstzustand und dessen Veränderung durch Spiegelung/Affektinduktion nicht bemerken. Diese einfache Überlegung kompliziere sich allerdings dadurch, daß nicht jede Transformation als Entfremdung erfahren wird. Bewirkt der regulierende Einfluß der Mutter zum Beispiel die Linderung von kindlichem Schmerz, so wird das Kind diese Veränderung als Befreiung erleben und nicht als Entfremdung. In diese Überlegungen bezieht Dornes auch das Modell mütterlicher Affektspiegelung von Gergely und Watson ein. Wie gezeigt, werden die primären Selbstzustände des Kindes durch die Spiegelungsprozesse nicht nur bewußt, sondern sie werden zugleich auch in sekundäre Selbstzustände transformiert. Die Spiegelung verändert den Zustand, den sie aufgreift. Bleibt über die Transformationen des „Originalzustands“ hinweg eine „Ahnung von seiner ursprünglichen Verfasstheit erhalten“ und davon, „dass er von einem Anderen transformiert wurde“ (ebd.; kursiv im Original)?
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werden könnte, kommen gar nicht in Gang. Statt dessen kolonisiert ein Fremder qua nicht assimilierter Introjekte die eigene Psyche. Die Desorganisation des Selbst führt wiederum zur Desorganisation der Bindungsbeziehungen, „indem sie ein ständiges Bedürfnis nach [...] der Externalisierung des fremden Selbst“ erzeugt (Fonagy et al. 2004, S. 19).27 Perniziöse Fälle des „fremden“ Selbst sind dann gegeben, wenn traumatische Erfahrungen das Kind zwingen, sich vom Schmerz zu trennen, „indem es das fremde Selbst zur Identifizierung mit dem Angreifer benutzt“. Die unzulängliche frühe Betreuung in Form inkongruenter oder mangelnder Spiegelungsinteraktionen erzeugt eine Vulnerabilität, die destruktive Folgen für die Entwicklung hat und in Kombination mit späteren adversiven Erfahrungen hochgradig pathogen werden kann. Ist dagegen das Vermögen zur Mentalisierung ausgebildet und frei verfügbar, so eröffne es dem Kind die Möglichkeit, das
27 Fonagy et al. (2004, S. 19). Siehe auch Dornes’ Ausführungen zu den Konzepten des „fremden“ und „falschen“ Selbst sowie zur projektiven Identifizierung (2004a, S. 192ff.). „Das fremde Selbst [...] entsteht, wenn etwa bei Misshandlung nicht nur die Kongruenz, sondern auch die Markierung fehlt und eine gewaltsame Intropression der elterlichen Affektzustände stattfindet“ (ebd., S. 193). Gegenüber der üblichen Auffassung der projektiven Identifizierung einerseits, daß der Patient die unerträglichen Selbstanteile evakuieren wolle, um sie „den anderen spüren zu lassen, d.h. um ihm etwas über den eigenen Zustand mitzuteilen“ und gegenüber der Modifizierung bei Fonagy et al. anderseits, daß der Patient versuche, seinen „inneren Zustand zu verstehen, der ihm anders [als durch Externalisierung und über die Reaktionen des anderen] nicht zugänglich“ sei, bezweifelt Dornes, daß die projektive Identifizierung ein Versuch ist, etwas zu verstehen oder etwas mitzuteilen. Seiner Auffassung nach ist die Externalisierung eine „unkontrollierbare Expression von Gefühlen, die eine Aufforderung zur Änderung des Zustands enthält, aber weder eine Verstehens- noch eine Mitteilungsabsicht“. Das bedeute indes nicht, „dass der Therapeut sie nicht ‚kontrafaktisch’ so betrachten sollte. Im Gegenteil: Gerade indem er das tut, macht er sie zu etwas, was sie noch nicht ist, aber werden soll“ (ebd., siehe auch Dornes 1997, S. 69ff.). In diesem Sinne könnte man untersuchen, inwiefern auch in therapeutischen Prozessen Akte vorgreifender Anerkennung eine entscheidende Rolle spielen für die Weiterentwicklung einer blockierten Mentalisierungsfähigkeit und gelingende Subjektwerdung. Doch kann das im Rahmen der vorliegenden Studie nicht ausgeführt werden.
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Verhalten des Peinigers zu interpretieren und sich so psychisch davon abzugrenzen. „Brutalisierungserfahrungen im Kontext von Bindungsbeziehungen aber wecken intensive Scham. Bei der Vorgeschichte, die durch Vernachlässigung und eine daraus resultierende Mentalisierungsschwäche gekennzeichnet ist, wird diese Scham vermutlich Gewalt gegen das Selbst oder gegen Andere auslösen, weil die Demütigung in extremer Intensität erlebt wird, wenn sie durch Mentalisierung nicht verarbeitet und abgeschwächt werden kann. Scham, die nicht relativiert werden kann, weil ein Bewußtsein für die Distanz zwischen Gefühlen und objektiver Realität fehlt, wird dann als Zerstörung des Selbst empfunden“ (S. 19f.).
Deshalb sprechen Fonagy et al. von „ich-destruktiver Scham“ (ebd., S. 20). Was sich schon im sozialpsychologischen Teil anhand der Passagen aus Anton Reiser zeigte, wird hier aus der Perspektive moderner Entwicklungspsychopathologie bestätigt und durch spezifizierende Modelle genauer begründet: verweigerte oder ausbleibende Anerkennung in der frühen Entwicklung beeinträchtigt die Ausbildung von Kompetenzen, die für die Subjektwerdung von grundlegender Bedeutung sind. Treten zu dieser früh erzeugten Vulnerabilität, die mit mangelnden Deutungs- und Abgrenzungsfähigkeiten einhergeht, spätere Demütigungen und traumatisierende Erfahrungen hinzu, kann das vernichtend für das Individuum sein bis hin zur Selbst- und Fremdauslöschung. Diese wären zu begreifen als letzter, aktiv gewendeter Ausdruck der Unmöglichkeit, den quälenden Fremden zu akzeptieren – sei es in der inneren Selbststruktur, sei es in der Existenz des anderen.
Anerkennungserfahrungen. Die Entwicklung der Wahrnehmung von Einstellungen Wie gesagt, beruhen die Modelle von Fonagy et al. auf Annahmen, die umstritten sind. Der Säugling zeige Emotionsausdrücke, könne aber zunächst die viszeralen und propriozeptiven Hinweisreize nicht so kategorial zusammenführen, daß sie als distinkte Gefühle wahrgenommen werden könnten. Dieses sowie ein
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klar(er)es Bewußtsein und mentales Verständnis entwickeln sich erst im Laufe der beschriebenen interaktiven Prozesse. Mit dieser Ausgangsprämisse vertreten Fonagy et al. eine kontrovers diskutierte Position innerhalb der psychologischen Affekttheorien. Die Debatte siedelt sich zwischen folgenden zwei Extremstandpunkten an: Die kognitive Emotionstheorie der sechziger Jahre, deren bekannteste Vertreter Schachter und Singer waren, versuchte, Emotionen als Resultat kognitiver Deutungsprozesse zu begreifen. Zunächst unspezifische physiologische Erregungszustände würden je nach Kontext als Freude, Ärger, Furcht usw. interpretiert. Zu diesem Ansatz, der radikal-konstruktivistische Züge trägt, merkt Dornes an, daß er empirisch wie theoretisch kaum überzeugend gewesen sei. „Wer konnte glauben, daß der Unterschied zwischen Zahnschmerz und Orgasmus nur eine Frage der kognitiven Ausdeutung sei?“ (Dornes 1993, S. 107). Auf der anderen Seite des theoretischen Spektrums steht die universalistische Position, die angeborene oder kulturinvariante Emotionsausdrücke des menschlichen Gesichts annimmt, die früh in der kindlichen Entwicklung auftauchen und vom Säugling als differentielle Gefühle gespürt würden. Nach einem langen Kampf zwischen Relativisten und Universalisten auf unzureichender Datenbasis wurden erst Ende der siebziger Jahre systematische Studien mit verbesserten Untersuchungsmethoden auf den Säugling angewandt (ebd., S. 112f.) und differenziertere Modelle gesucht. So geht beispielsweise Dornes davon aus, daß „Affekte und ihre Veränderungen schon vom kleinsten Säugling als differentielle Gefühle gespürt und wahrgenommen werden“ (ebd., S. 129; kursiv im Original), ohne daß damit eine kognitive Kompetenz behauptet werden müßte. Die elementare Wahrnehmung beziehe sich auf körperliche Regulationsvorgänge und sei nicht angewiesen auf elaborierte Auswertungsprozesse. In diesem Sinn plädiert Dornes dafür, die Kluft zwischen den Konzeptionen eines emotionalen Zustands und emotionalem Erlebens oder zwischen „Spüren und Erleben eines Affekts“ nicht so weit aufbrechen zu lassen, daß dabei die basalen Gemeinsamkeiten zwischen präreflexiven und reflexiven Formen der Affektwahrnehmung unterschlagen werden. Die Gemeinsamkeit präsymbolischer und symbolischer Formen von Freude, Ärger etc. sei genügend groß, um „eine Anerkennung der frühen Säuglingsaffekte als erlebte Gefühle“ zu rechtfertigen, „ohne daß dadurch der Unterschied zwischen sensorischem und symboli-
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schem Auslösen und Erleben von Affekten unzulässig eingeebnet wird“ (ebd.). Legt man diese Auffassung zugrunde, so ergibt sich daraus eine Verschiebung in der Sicht auf die Kohärenz der Identität. Diese kann dann nämlich eher auf die Kontinuität des Selbstgefühls zurückgeführt werden als auf ein Ich-Bewußtsein, das sich erst später, im Zuge des Erwerbs von symbolischen Repräsentanzen ausbildet. Ob man sich zwischen beiden Varianten als Alternativen entscheiden muß, oder ob „kognitive und affektive Faktoren bei der Kontinuität des Selbstgefühls eine sich ergänzende Rolle“ (ebd., S. 131) spielen, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Festzuhalten ist, daß es entwicklungspsychologische Modelle gibt, die im Gegensatz zu Fonagy et al. auf der Grundlage der diskreten Emotionstheorie von Tomkins, Izard und Ekman von einer frühen Ausdruck-Gefühl-Konkordanz ausgehen. „Das bedeutet, dass der Säugling von Anfang an die Gefühle, die er ausdrückt, auch empfindet. [...] Dem Säugling sind in dieser Theorie seine verschiedenen Gefühlszustände nicht nur vage, sondern ziemlich differenziert bewusst, und es bedarf keiner elterlichen Rückmeldungen, um ihn für innere Zustände zu sensitivieren. Subjektivität ist dann weniger intersubjektiv konstituiert und stärker organismisch“ (Dornes 2004a, S. 179).
Die strittige Frage nach der Erlebnisqualität bzw. -quantität des Säuglings ist letztlich nicht zu entscheiden, „weil es keine Methode gibt, die den Grad der Bewusstheit eines Gefühls bei Säuglingen messen könnte“ (ebd., S. 180). Jede gute Theorie ist daran interessiert, zu erforschende Phänomene nicht nur überzeugend und widerspruchsfrei zu erklären, sondern auch auf eine möglichst einfache Weise. Es scheint dabei eine Frage des persönlichen Geschmacks zu sein, was man als einfachere oder kompliziertere Erklärung ansieht. Den Verfechtern einer Gefühl-Ausdruck-Konkordanz und den „starken Intersubjektivisten“ in der Klassifizierung von Fonagy et al. liegt es näher, die Interaktionsbeiträge des Säuglings mit der Annahme einer angeborenen Erlebnis-Kompetenz zu erklären – warum soll bei ihm das beobachtbare Verhalten, das unserem eigenen gleicht, nicht mit den gleichen Erlebnisqualitäten verbunden sein wie wir sie kennen? Dagegen ist für Fonagy et al. diese Erklärung früher Interaktionen viel zu kompliziert, weil viel zu weit hergeholt – nämlich aus der Welt
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mentalisierender Erwachsener, als daß sie für ein gerade zur Welt gekommenes Wesen eine Bedeutung haben könnte. Dornes, der die Modelle von Fonagy et al. kritisch würdigt und selber alternative Ansätze präferiert, verweist allerdings auf Befunde aus der Gehirnforschung, die die These stützen können, daß der Gefühlsausdruck in den ersten sechs Monaten differenzierter sei als die entsprechenden Gefühle. „Wie viel differenzierter ist unklar“ (ebd., S. 180). Darüber hinaus bietet Dornes eine Lesart der Affektspiegelung an, wonach es nicht um den „Prozess der initialen Bewusstwerdung von Gefühlen als vielmehr den der zunehmenden Bewusstwerdung“ geht und um den „Anteil der Umwelt daran sowie den Prozess der Ausbildung sekundärer Kontrollstrukturen (Repräsentanzen), die die Regulierung von Affekten fördern“ (ebd.; kursiv im Original). Nun ist die skizzierte Kontroverse um ein angemessenes Verständnis anfänglicher und früher Formen von Emotionen und Bewußtsein im Kontext dieser Unterscuchung insofern von Belang, als sich in Modellen, die dem des sozialen Biofeedbacks mütterlicher Affektspiegelung widersprechen, zugleich das Problem der Anerkennung und ihrer Bedeutung für die Subjektwerdung anders darstellt. Als erstes liegt die Vermutung nahe, daß die skizzierten Verlagerungen dazu führen, daß die interaktiven Akte der Anerkennung nicht mehr konstitutiv für die Subjektwerdung sind, sondern nur noch förderlich. Im weiteren ergibt sich aber die Frage danach, wem eigentlich die Anerkennung gelte. Das soll im folgenden untersucht werden, indem zunächst ein anderer Vorschlag zur Erklärung der Ursprünge des Denkens referiert und in den bisher entwickelten Argumentationszusammenhang eingebracht wird. Der Londoner Psychoanalytiker und Autismusforscher Peter Hobson legt eine Drei-Stufen-Theorie zur Entstehung des Denkens vor, die seit 2002 als Buch und seit 2003 in deutscher Übersetzung leicht zugänglich ist. Mit dem Ansatz von Fonagy et al. stimmt diese Theorie darin überein, daß sie den Ursprung der Reflexion und des Denkens in interaktiven Prozessen zwischen dem Kind und seinen erwachsenen Betreuungspersonen ansiedelt. Auch räumen beide Ansätze den Emotionen eine wichtige Rolle in der Entstehung der Fähigkeit zum Mentalisieren bzw. Symbolisieren ein, wobei implizit das Anerkennungsthema mitschwingt. Aber hier werden auch charakteristische Unterschiede deutlich.
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Fonagy et al. konzipieren Emotionen als früheste Form der Mentalisierung, und in der Theorie des sozialen Biofeedbacks mütterlicher Affektspiegelung erscheinen die Emotionsausdrücke des Säuglings sowie ihre externe Darstellung in den Reaktionen der Mutter als Mittel zum Zweck dieser Entwicklungsaufgabe. Die grundlegenden Modellannahmen bestanden darin, daß auf Seiten des Kindes die mimischen Expressionen zunächst nicht mit einem bewußten Erleben distinkter Gefühle verbunden seien und daß auf Seiten der Mutter gerade der Als-ob-Charakter der „empathischen Widerspiegelung“ von entscheidender Bedeutung für die Strukturbildung der kindlichen Psyche sei. Reflexionsfähigkeit und Subjektivität des Kindes verwirklichen sich erst im Laufe der interaktiven Prozesse, die sich allmählich mit mentalem Gehalt aufladen. Erst wenn in der Entwicklung die Ebene der mentalen Urheberschaft des Selbst erreicht ist, sei es sinnvoll, von intersubjektiver Anerkennung im eigentlichen Sinn zu sprechen. Demgegenüber ist in Hobsons Theorie die Matrix, aus der das spätere symbolische Denken entsteht, nicht so ein anfängliches dyadisches Geschehen aus Geistlosigkeit und „Als-ob“, sondern das echte Gefühl emotionaler Verbundenheit mit anderen Menschen. Hobson betrachtet die besondere Form der emotionalen Ansprechbarkeit, die (nicht-autistische) Kinder im Kontakt mit anderen Menschen zeigen, als Grundlage für spätere Denk- und Symbolisierungsprozesse. „Die Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Denkens ist, daß das Kind in der Lage ist, sich emotional ‚bewegen’ zu lassen“ (Hobson 2003, S. 107). Hobson geht davon aus, daß sich der Säugling bereits in den ersten Lebensmonaten von den Äußerungen anderer Menschen in besonderer Weise angesprochen fühle und bewegt sei – anders als durch Dinge. Dies manifestiere sich in Phänomenen, die bereits von anderen Entwicklungsforschern als Protokonversation beschrieben worden sind. So hat Trevarthen in Mikroanalysen früher Interaktionssequenzen zwischen Mutter und Kind den beobachtbaren Austausch als konversationsähnlich gekennzeichnet. Zu ihm liefere schon der sechs bis zwölf Wochen alte Säugling eigene Beiträge. Für dieses Verhalten unterstellt Trevarthen ein unabhängiges Kommunikationsbedürfnis. Das Baby wolle in einen emotional getönten Kontakt mit dem anderen treten. Dieses Bedürfnis sei als ein eigenständiges anzuerkennen und nicht aus anderen Motiven abzuleiten, etwa dem Abbau von Triebdruck oder
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Affektregulierung. Die bekannten Befunde aus den „still-face“Experimenten dienen Trevarthen als Beleg für das frühe Bedürfnis nach kommunikativem Austausch. In diesen Experimenten, die in unterschiedlichen Varianten entwickelt und durchgeführt wurden, interagiert die Mutter zunächst wie gewohnt mit ihrem Baby. Danach macht sie für einige Minuten ein unbewegliches Gesicht und unterdrückt auch sonst alle gestischen und verbalen Äußerungen und Berührungen. Schon im Alter von drei Monaten reagieren Säuglinge darauf, indem sie anfangs ernst werden, dann mit Gesten und Lauten versuchen, die Unbeweglichkeit der Mutter aufzulösen, bevor sie sich resigniert zurückziehen. Diese Reaktionen belegen nach Trevarthen ex negativo die frühe Existenz kommunikativer Erwartungen. Ähnlich wie Erwachsene erwarte der Säugling „passende Stellungnahmen zu seinen Äußerungen, das heißt Gesten, Mimiken und Vokalisierungen, die eine befürwortende Zurkenntnisnahme ausdrücken“ (Dornes 2005b, S. 8). Diese können nur andere Menschen bieten, nicht unbelebte Objekte. „Selbst wenn die Interaktion misslingt, fühlt er [der Säugling] sich nur missverstanden, aber nicht ignoriert (was das Schlimmste ist); und im gelungenen Fall macht er eine Anerkennungserfahrung, in der er sich auf eine sehr elementare Weise verstanden fühlt“ (ebd.). Aus dem Empfinden von Verbundenheit, das sich als basale Erfahrung von Anerkanntwerden deuten läßt, entsteht Hobsons Theorie zufolge auf zwei Entwicklungsstufen das symbolische Denken.28 Im Alter von neun Monaten tauchen unter anderem die 28 Auch Honneth stützt sich in seiner anerkennungstheoretischen Studie Verdinglichung (2005) unter anderem auf die entwicklungspsychologischen Forschungen von Hobson, um den ontogenetischen Vorrang der Anerkennung vor dem Erkennen zu belegen. Es geht ihm um die Klarstellung, daß die „Fähigkeit zur rationalen Perspektivübernahme [...] in einer vorgängigen Interaktion verwurzelt ist, die Züge einer existentiellen Besorgnis trägt“ (S. 46). Entwicklungspsychologische Forschungsergebnisse wie die von Hobson können als Indizien für die Stichhaltigkeit seiner These dienen. Im Rückgriff auf Heideggers Begriff der „Sorge“ und Deweys Idee einer anteilnehmenden Praxis stellt Honneth den Grundgedanken vor, „daß das menschliche Selbst- und Weltverhältnis nicht nur genetisch, sondern auch kategorial zunächst an eine befürwortende Einstellung gebunden ist, bevor dann andere, emotional neutralisierte Orientierungen daraus entspringen können“ (S. 38). Wenn jene ursprüngliche Praxis in Vergessenheit gerate oder verkümmere, in der
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neuen Fähigkeiten des protodeklarativen Zeigens und des social referencing auf. Fonagy et al. beschreiben sie, wie gezeigt, als „sozio-kognitive Neun-Monats-Revolution“, die den Übergang zum „teleologischen Standpunkt“ markiere. Hobson spricht von einer „Kopernikanischen Wende“ (2003, S. 86). In ihr mache das Baby wie jener Astronom und Begründer des heliozentrischen Weltbildes die Entdeckung, daß das, was wir wahrnehmen, nur ein kleiner Ausschnitt aus einer umfassenderen Realität ist. „Mit etwa einem Jahr macht das Baby eine ähnliche Entdeckung. Die Welt ist nicht einfach eine Welt-für-mich, die Bedeutung hat, weil sie in mir bestimmte Empfindungen auslöst oder weil ich in ihr bestimmte Dinge tue. Die Welt hat auch Bedeutung für andere, und diese Bedeutung kann die Bedeutung verändern, die die Welt für mich hat“ (ebd.).
Wichtig ist nach Hobson, festzuhalten, daß diese Entdeckung sich nicht im Denken vollziehe, „sondern im Handeln und Fühlen“. Das Kind könne sich und sein Verhältnis zu anderen nur begreifen lernen, „weil es erlebt, wie es auf andere reagiert, das heißt, wie es ihren Blickwinkel mitvollzieht und davon beeinflußt wird, wie sie auf Dinge reagieren“. Es beginne in seinem Handeln und Fühlen, Rollen zu übernehmen und gelange so auf einen Weg, der schließlich zu der „schmerzlichen, aber aufregenden Einsicht führen wird, daß es nicht der Mittelpunkt des Universums ist“ (S. 87). Diese „Kopernikanische Wende“ in der kindlichen Entwicklung eröffne den Übergang zum symbolischen Denken dadurch, daß sich die Interaktion zwischen Mutter und Kind triangulär erweitert; beide beziehen sich dann gemeinsam auf ein drittes Objekt außerhalb der Dyade. Während das Kind vorher die Welt egozentrisch nur aus seiner eigenen Perspektive betrachtet hat, beginne es nun, zu bemerken, daß der andere eine andere Einstellung zu demselben Objekt haben könne. Es lerne andere Perspektiven kennen, indem es sich von der Einstellung eines anderen in Bezug auf ein Objekt bewegen lasse. Das geschehe zunächst unbewußt und weil sich das Kind mit der anderen Person emotional verbunden fühle. Im zweiten Lebensjahr könne das Kind dann die Perspektive eines anderen gezielt und absichtlich übernehmen. der Mensch zu sich und zu seiner Umwelt ein anteilnehmendes Verhältnis einnimmt, käme es zu jenem Phänomen oder Sachverhalt, den Lukács’ Begriff der „Verdinglichung“ meine (S. 27).
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„Das Kind übernimmt zunächst die Rollen anderer Menschen, indem es sie nachahmt und sich ihre Haltungen zu eigen macht. Es tut das automatisch in dem Sinne, daß es wie selbstverständlich dazu neigt – vorausgesetzt natürlich, es ist in der richtigen Stimmung und interessiert, und der Kontakt zu den anderen ist eng genug. Nur weil es von Natur aus so auf andere anspricht, wird es schließlich begreifen können, was Rollen und Perspektiven sind. Das Kind nimmt die Perspektive anderer zunächst nicht absichtsvoll ein – das heißt, es versucht nicht bewußt, sich in andere hineinzuversetzen. Das geschieht erst später, im zweiten Lebensjahr, wenn es sich gezielt dafür entscheidet, andere Perspektiven einzunehmen. Vorläufig wird das Kind von anderen gleichsam innerlich bewegt, und dies ist möglich, weil es von Geburt an dafür gerüstet ist, sich in dieser Weise bewegen zu lassen“ (S. 89).
Entscheidend für die Entwicklung des symbolischen Denkens sei an diesen Vorgängen, daß das Kind die Perspektivität als solche entdeckt. Zunächst lerne es, daß ein Gegenstand nicht nur zwei Bedeutungen haben kann: die ursprüngliche, aus der eigenen Einstellung gewonnene (das Spiel mit dem eigenen Kothäufchen ist lustvoll und produziert duftende Formen, die sich variabel kneten lassen) und die übernommene des anderen (die Berührung mit Fäkalien ist ekelhaft). Darüber hinaus könne im Kind die Ahnung aufkommen, daß die Einstellung keine dem Ding innewohnende Eigenschaft ist, sondern daß es der Geist ist, der den Dingen Bedeutungen zuschreibt. Sei einmal die Unterscheidung zwischen psychischen Einstellungen und Dingen als Vorform des Denkens möglich geworden, so könne im weiteren Verlauf die Fähigkeit, Bedeutungen zu verleihen, in symbolischen Spielhandlungen erprobt werden, indem man die Bedeutung von einem Objekt ablöst und auf andere überträgt. 29 Der Erwerb der Fähigkeit, unterschiedliche Einstellungen zu äußeren Objekten von diesen zu unterscheiden, bildet die Voraussetzung für die weiteren Entwicklungsschritte, die für das Anerkennungsthema relevant sind. Da Anerkennung eine besondere Form der Einstellung einem Menschen gegenüber darstellt, ist zu fragen, wann und wie das Kind lernt, diese kommunikativen Äußerungen der Eltern zu verstehen, die sich nicht auf ein äußeres, 29 Das erinnert an die Prozesse der referentiellen Entkopplung und Verankerung in der Affektspiegelungstheorie von Gergely bzw. Fonagy et al., worauf auch Dornes aufmerksam macht (2005b, S. 14).
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gemeinsam betrachtetes Objekt richten, sondern auf seine eigene Person. Genau dieser Frage geht auch Dornes in seiner Darstellung von Hobsons Theorie nach, ohne sie explizit anerkennungstheoretisch auszuformulieren: „Zunächst einmal ist das Kind von den Äußerungen anderer nur betroffen. Es fühlt sich von einem Lächeln angeregt, von Ärger bedroht, von Angst beunruhigt. Es reagiert also auf affektive Kommunikation selbst affektiv. Es ist ihm aber noch nicht klar, dass solche Äußerungen auch (generalisierte) Einstellungen zum Ausdruck bringen, etwa die des Wohlwollens oder der Missbilligung. Die Frage ist also, ab wann Kinder aus den kommunikativen Stellungnahmen der Eltern zu ihren Lebensäußerungen so etwas wie Einstellungen zu sich oder Bewertungen ihrer Handlungen extrahieren und sich nicht nur davon betroffen fühlen“ (Dornes 2005b, S. 16f.).
Hobson vertritt die Auffassung, daß der Prozeß, in dem das Kind lernt, eine Perspektive zunächst auf eigene Impulse oder Handlungen, später auf das eigene Selbst einzunehmen, derselbe sei wie der bei der Übernahme anderer Perspektiven auf Gegenstände. Darin unterscheidet er sich von Tomasello (1999, 2002), der dagegen erklärt, es sei schwieriger, Einstellungen eines anderen zu verstehen, die sich auf die eigene Person richten als solche, die sich auf äußere Objekte beziehen. Tomasello betont in seiner Untersuchung der Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit, es sei wichtig festzustellen, welche Elemente vom Standpunkt des Kindes aus darin enthalten sind; koordiniert das Kind seine Aufmerksamkeit nur zwischen zwei Elementen: dem äußeren Gegenstand gemeinsamer Aufmerksamkeit und dem Erwachsenen? Oder bemerkt das Kind, daß es selbst in der Szene enthalten ist als Gegenstand der Aufmerksamkeit? Zunächst beginne das Kind damit, „die Aufmerksamkeit der Erwachsenen gegenüber äußeren Entitäten zu beobachten“ (Tomasello 2002, S. 120). Dann entdecke es, daß es manchmal selbst zum Gegenstand der Aufmerksamkeit wird. „Das Kind beginnt also, die Aufmerksamkeit des Erwachsenen ihm gegenüber zu beobachten und sich somit gewissermaßen selbst von außen zu sehen“ (ebd., S. 120f.). Sobald das Kind in der Lage ist, diese Außenperspektive einzunehmen, könne es nicht nur „einfache“, sondern auch „kommunikative Absichten“ verstehen (Tomasello 1999). Während sich einfache Absichten auf
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äußere Gegenstände richten, dienen kommunikative Absichten dazu, die Aufmerksamkeit des Kommunikationspartners zu beeinflussen, sei es in bezug auf dessen Person, sei es in bezug auf etwas anderes. Tomasello argumentiert, kommunikative Absichten seien deshalb schwerer zu verstehen als einfache, weil sie eine rekursive Schleife beinhalten; hierbei muß das Kind seine Aufmerksamkeit auf sich selbst, das heißt auf seine eigene Einstellung oder Aufmerksamkeit richten. Diese Wendung sei die Grundlage für das sich wenig später entwickelnde psychologische Selbst des Kindes. Dornes zeichnet weitere Binnendifferenzierungen dieser Vorgänge nach, indem er noch andere relevante Theorien und Befunde in diese Überlegungen einbezieht. Ab etwa neun Monaten bemerke das Kind, daß die Äußerungen des anderen seinen Handlungen gelten. In diesem Alter habe das Kind das Gefühl eines physischen Selbst, aber noch kein Bewußtsein seiner Selbst. Dieses etabliere sich erst mit etwa 18 Monaten.30 „In dem Moment, in dem das Kind über ein Bewusstsein seiner selbst verfügt, fühlt es sich durch elterliche Stellungnahmen in diesem Selbst bewertet“ (2005b, S. 18). Es verinnerliche wegen der besonderen emotionalen Verbundenheit mit den Eltern deren Stellungnahmen, ähnlich wie es vorher ihre Einstellungen zu Objekten und einzelnen Handlungen oder Impulsen übernommen habe. „Ab diesem Zeitpunkt fühlt sich das Kind nicht nur als kohärenter Körper [...], sondern als psychisches Selbst und dieses als organisierendes Zentrum seiner Handlungen und Einstellungen. Dann dämmert ihm auch, dass es verschiedene Perspektiven auf dieses Selbst geben kann“ (ebd., kursiv im Original). „Nunmehr fühlt es sich durch Ablehnung und Kritik nicht mehr nur in einzelnen seiner Lebensäußerungen, sondern in seinem Selbst bewertet“ (ebd., S. 19).
30 Als Indikator dafür gilt das Bestehen des Rouge-Tests, in dem man dem Kind unbemerkt einen roten Fleck auf die Nase tupft und es dann in einen Spiegel schauen läßt. Vor 18 Monaten greifen die Kinder dem Spiegelbild an die Nase, ab diesem Zeitpunkt sich selbst. Das zeige, daß sie eine Information aus dem Spiegel nun als eine über sich selbst verstehen. Siehe Dornes (2005b), S. 17 sowie ausführlicher Dornes (2000, Kapitel 5).
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Über diese Fähigkeiten hinaus entwickelt sich ein explizites Bewußtsein des Selbst mit autobiographischen Reflexionsmöglichkeiten erst mit vier Jahren. Erst wenn das psychische Selbst etabliert ist, erweitert sich auch die Fähigkeit des Kindes, auf Beziehungsangebote zu reagieren. Was anfangs ein emotionales Mitschwingen und bewußtloses Sich-ergreifen-Lassen war, gewinnt mit wachsender Handlungsund Reflexionskompetenz einen größeren Spielraum für selbstbestimmte Antwortmöglichkeiten. Betrachtet man die Entwicklungslinie unter dem Aspekt der Anerkennung, so ergibt sich, daß der Säugling sie schon in den ersten Lebensmonaten, in denen ein Gefühl des Körper-Selbst anzunehmen ist, affektiv erleben kann. Auf elementare Weise registriert er, ob seine Erwartungen befürwortender Zuwendung durch die Betreuungsperson erfüllt werden oder nicht. Werden diese kommunikativen Erwartungen verletzt, die sich als Bedürfnis nach Anerkanntwerden deuten lassen, so reagiert das Baby in jener Abfolge von gesteigertem Bemühen und resigniertem Rückzug, die in den still-face-Experimenten zu beobachten ist. Im Laufe der Entwicklung, die sowohl durch interaktive als auch durch Reifungsprozesse vorangetrieben wird, lernt das Kind Einstellungen als mentale, subjektive Gebilde verstehen, die sich auf Objekte beziehen und diesen nicht natürlicherweise als Eigenschaft angehören. Indem das Kind in symbolischen Spielhandlungen beginnt, Gegenständen selber Bedeutungen zuzuschreiben, erweitert sich sein Gefühl des Körperselbst zum psychischen Selbst. Dieses, als intentionaler und mentaler Akteur, kann dann auch die anerkennenden Einstellungen des anderen ihm gegenüber in einer neuen Qualität auffassen. Das Kind kann zustimmende Unterstützung oder mißbilligende Kommentare nicht nur global stimmungsmäßig spüren, sondern sie auf einzelne seiner Handlungen oder sein neu etabliertes psychisches Selbst beziehen. In der Entwicklungslinie, die bei Hobson die Entstehung des symbolischen Denkens aus den frühen emotionalen Wurzeln darstellen soll, wird also zugleich die Entstehung des Verständnisses von Anerkennung als einer spezifischen Form der Einstellung einem anderen Menschen gegenüber sichtbar. Anfangs eingebettet in Verhaltensweisen und Gesichtsausdrücke, wird der darin eingebundene mentale Gehalt allmählich und stufenweise als mentaler herausgelöst und bewußt. Hobson nimmt an, daß das Kind ab
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dem Alter von etwa neun Monaten die Einstellung, die noch in expressive Handlungen eingebettet ist, als subjektive Stellungnahme wahrnehme, auch wenn es sie noch nicht getrennt von den körperlichen Einbindungen repräsentieren könne. Fonagy et al. dagegen legen, wie gezeigt, strengere Maßstäbe für die Annahme mentaler Gebilde oder subjektiver Zustände an. Sie sprechen von Mentalem oder Subjektivem erst, wenn die Einstellung, Absicht oder Bedeutung aus den Einbettungen in Verhalten extrahiert und separat repräsentiert werden kann. So beginnt Fonagy et al. zufolge das Kind erst mit etwa 18 Monaten, echte Anerkennungserfahrungen zu machen. Hobson und Fonagy et al. legen Modelle vor, in denen die Entstehung der Symbolisierungs- bzw. Mentalisierungsfähigkeit erklärt werden soll. Geht es dabei gerade darum, daß das Kind lernt, daß Bedeutungen oder Einstellungen keine Eigenschaften sind, die den Objekten natürlicherweise innewohnen, sondern mentale oder subjektive Gebilde, die den Objekten zugeschrieben werden können, so ergeben sich im Fall der Anerkennung komplizierte Verwicklungen. Betrachtet man den attributiven Typ der Anerkennung, so gerät man in die Aporie, daß sich das Kind mit den positiven Eigenschaften, die der andere ihm affirmativ zuschreibt, identifizieren und sich diese Eigenschaften qua Verinnerlichung zu „eigen“ machen soll. Damit wird aber die Errungenschaft des mentalisierenden Standpunktes wieder unterlaufen, insofern die als subjektives Gebilde verstandene Anerkennungsäußerung „objektivierenden“ Charakter gewinnt: das Affirmierte wird zur Eigenschaft der belobigten Person. So konstituiert sich das „me“. Solchen Verfestigungen gegenüber hält die Reflexionsfunktion des „I“ die dialektische Beweglichkeit aufrecht. Die Übernahme der Einstellung des anderen dem Selbst gegenüber verläuft nicht reibungslos, und die bekannten Phänomene der Trotzphase geben Einblicke in frühe Formen der Widerständigkeit, mit der alle Sozialisierungsbemühungen zu rechnen haben. Die Aneignung vollzieht sich in Abhängigkeit von den Antwortmöglichkeiten, die dem Individuum jeweils offen stehen. Die Reflexionsfähigkeit des Subjekts ist wiederum in Anerkennungserfahrungen unterschiedlicher Art interaktiv hervorgebracht. So konnte gezeigt werden, daß in den interpersonellen Akten und Einstellungen der Anerkennung die Übernahme des „Fremden“ durch das „Eigene“ nicht bedingungslos geschieht, sondern mit-
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bestimmt wird durch die leiblich-konstitutionelle Verfaßtheit des Individuums, und daß das „Fremde“ zugleich in das „Eigene“ eingeschrieben ist.
Der Grund des Lächelns In diesem Kapitel soll Honneths sozialphilosophische Deutung der positiven Ausdrucksgebärde vorgestellt werden. Sie läßt sich auf die entwicklungspsychologischen Modelle beziehen, die zuletzt behandelt worden sind31, und sie erweitert das bisher entfaltete Anerkennungsproblem um eine neue (moralphilosophische) Dimension. In seinem Aufsatz Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von Anerkennung (Honneth 2003c) untersucht Honneth am Phänomen der sozialen Unsichtbarkeit, was „zum ‚Erkennen’ einer Person hinzutreten“ müsse, „um daraus einen Akt der Anerkennung zu machen“ (ebd., S. 11). Das Erkennen, das ein „nichtöffentlicher, kognitiver Akt“ sei (ebd., S. 15), meine das Identifizieren eines Individuums mit seinen besonderen Eigenschaften. Im Unterschied dazu bezeichne „Anerkennung“ einen befürwortenden expressiven Akt. Zur Beantwortung der Frage, wofür jene Expressionen einstehen sollen, wendet sich Honneth zunächst den mimischen und gestischen Ausdruckssignalen zu, mit denen „im allgemeinen das Kleinkind durch seine Bezugspersonen in die soziale Interaktion eingeführt wird“ (ebd., S. 16). Gestützt auf die Analysen der Mutter-Kind-Dyade von Daniel Stern, beschreibt Honneth die frühen Interaktionen, um aus dem Repertoire kommunikativer Gesten jene Gesichtsausdrücke besonders hervorzuheben, „die dem Kind zu erkennen geben sollen, daß es Liebe, Anteilnahme und Mitgefühl genießt“ (S. 17). Es ist vor allem das Lächeln, aber auch andere befürwortende Gesten und Mienen, die Ermutigung und Hilfestellung signalisieren. Sie seien den Grußzeremonien verwandt, mit denen auch Erwachsene untereinander ausdrücken, daß sie dem anderen Aufmerksamkeit schenken und ihm Respekt entgegenbringen.
31 Auch Dornes verweist in seinen Darstellungen dieser Entwicklungstheorien an mehreren Stellen auf Honneths „tiefschürfenden Aufsatz“ (2004b, S. 331f.) oder den „brillanten Essay“ (2005b, S. 8).
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In einem ersten Schritt zur Beantwortung der Frage, wofür die Expressionen einstehen sollen, mit denen die Bezugsperson reflexhaft auf das Kleinkind reagiert, zieht Honneth ein PlessnerZitat heran. Die positiven Ausdrucksgebärden des Lächelns und der Ermutigung seien als „Symbol einer Handlung“ (S. 16) zu verstehen, weil sie „in symbolischer Verkürzung“ (Plessner 1970, S. 72) die Handlung selber ersetzen, mit der man dem Kind zu Hilfe kommen möchte. Dabei ist, Bezug nehmend auf die zweite Prämisse zur Verwendung des Anerkennungsbegriffs (siehe oben, S. 144), klärend hinzuzufügen, daß dieser „Ersatz“ kein faules Surrogat darstellt, sondern die Bereitschaft anzeigt, die unterstützende Handlung, die dem Wohl des Babys dient, auch tatsächlich auszuführen, wenn die Situation es erfordert. Die Expressionen, die in den frühen Interaktionen begegnen, können als „Elementarform aller sozialen Anerkennung“ (S. 19) aufgefaßt werden. Auch in den Anerkennungsverhältnissen Erwachsener finden sich ähnliche Gesten, die wohlwollende Aufmerksamkeit und soziale Akzeptanz bekunden. In diesen körperlichen Ausdrucksgesten könne der einzelne eine intersubjektiv vermittelte Präsenzerfahrung machen, die für sein Selbstverständnis von grundlegender Bedeutung sei: „nur derjenige, der sich im Spiegel der expressiven Verhaltensweisen seines Gegenübers positiv zur Kenntnis genommen sieht, weiß sich in elementarer Form sozial anerkannt“ (S. 20). Die befürwortende expressive Geste habe den Charakter einer „Metahandlung“ (S. 21); denn in ihr komme – symbolisch verkürzt – die Bereitschaft zum Ausdruck, Anschlußhandlungen folgen zu lassen – und zwar wohlwollende bzw. fürsorgliche. Von diesen Überlegungen aus knüpft Honneth eine Verbindung zu Kants Begriff der „Achtung“, wie er in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten formuliert ist: „Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der meiner Selbstliebe Abbruch tut“ (Kant 1981 [1785], BA 17; Anm.). In den expressiven Gesten, die Anerkennung signalisieren, komme „exakt dieselbe motivationale Bereitschaft zum Ausdruck, die Kant als ‚Abbruch’ von Selbstliebe beschreibt“ (S. 22). Mit dieser Aussage zielt Honneth auf die Motivation, das eigene Handeln an dem geachteten „Wert“ auszurichten, anstatt egozentrischen Impulsen nachzugeben.
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„An der Kantischen Formulierung wird sogar noch deutlicher erkennbar, was mit jener moralischen Seite der Anerkennung gemeint sein soll, die ich bislang mit Begriffen wie ‚Bestätigung, ‚Befürwortung’ oder ‚Geltenlassen’ bezeichnet habe: Im anerkennenden Subjekt vollzieht sich eine Dezentrierung, weil es einem anderen Subjekt einen Wert einräumt, der die Quelle von legitimen Ansprüchen ist, die der eigenen Selbstliebe Abbruch tun“ (S. 22).
Die Person, die dem anderen Geltung verschafft und sich ihm gegenüber verpflichtet, wohlwollende Handlungen auszuführen und feindselige zu unterlassen, statte dadurch den anderen mit einer „moralischen Autorität“ aus (ebd.). Es ist dabei zu betonen, daß diese Handlungen aus keiner von außen auferlegten Verpflichtung hervorgehen, sondern freiwillig und selbstbestimmt übernommen werden. In ihnen verwirklicht sich Autonomie. Nun gibt es eine Vielzahl von Gesten und Gebärden, die unterschiedliche Arten motivationaler Bereitschaft anzeigen und die auf unterschiedliche Werte Bezug nehmen. Das Spektrum reiche vom liebevollen Lächeln über empathische Berührungen, aufmunterndes Nicken bis hin zu respektvollem Sich-Verneigen. Doch hält Honneth – wiederum im Rekurs auf Kant – fest, „daß alle diese Werte nur evaluative Facetten einer Eigenschaft sein können, die er [Kant] als die ‚Intelligibilität’ von Personen bezeichnet hat: ob wir einen anderen Menschen als liebenswert, als achtenswert oder als solidaritätswürdig betrachten, stets kommt in dem erfahrenen Wert nur ein anderer Aspekt dessen zur Geltung, was es heißt, daß Menschen ihr Leben in rationaler Selbstbestimmung vollziehen müssen“ (ebd., S. 23).
Den expressiven Gesten der Anerkennung liegt also eine Wertschätzung zugrunde, die „den intelligiblen Eigenschaften menschlicher Wesen gilt“ (S. 24). Von diesem Gedanken aus nimmt Honneth folgende Engführung vor: „Insofern fällt die Moral in einem gewissen Sinn sogar mit der Anerkennung zusammen, weil die Einnahme einer moralischen Einstellung nur möglich ist, wenn dem Anderen ein unbedingter Wert zugebilligt wird, an dem das eigene Verhalten kontrolliert werden soll“ (ebd.).
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In einem weiteren Schritt stellt Honneth die Frage, ob die „Vorstellung“ vom Wert einer Person das Ergebnis einer Zuschreibung sei oder eine Form der Wahrnehmung. Damit ist das bereits in anderem Zusammenhang diskutierte Problem reformuliert, ob Anerkennung angemessener im Attributions- oder im Rezeptionsmodell zu beschreiben sei. Erneut greift Honneth auf das expressive Verhalten zurück, mit dem die Bezugsperson reflexhaft auf den hilflosen Säugling reagiert. Ihr Lächeln sei der „Ausdruck einer Wahrnehmung von Eigenschaften, die symbolisch auf die Zukunft einer intelligiblen Person verweisen“ (S. 25). Die Wahrnehmung trägt hier weniger kognitiv-epistemische Züge, vielmehr moralisch-evaluative. In der gestischen Kommunikation zwischen Bezugsperson und Kind gehe es kaum darum, bestimmte Merkmale in Erkenntnisakten zu identifizieren, um sie danach in befürwortenden Akten zu bestätigen; sondern die Eigenschaften, die hier wahrgenommen werden, seien „symbolische Repräsentationen von Werten, die auf die Freiheit intelligibler Wesen verweisen“ (S. 26). Honneth legt eine Kantianisch inspirierte Lesart der mütterlichen „Spiegelfunktion“ für die kindliche Entwicklung vor. In Anlehnung an Winnicotts Konzept heißt es: „Auf dem Weg einer Differenzierung des Wahrnehmens, mit der der heranwachsende Mensch ursprünglich im Gesichtsausdruck seiner Bezugspersonen einen Spiegel des eigenen intelligiblen Potentials erblickt, [...] lernt er an seinen Interaktionspartnern unterschiedliche Werte zu erschließen, die stets Facetten ihrer intelligiblen Natur sind; am Ende verfügt der Erwachsene im Rahmen des evaluativen Vokabulars seiner Lebenswelt über eine Reihe von Möglichkeiten, den ‚Wert’ einer Person wahrzunehmen, wobei die im menschlichen Gesicht gegebene Tatsache der Intelligibilität durchgängig die elementare Schicht bleiben wird“ (ebd.).
Im letzten Schritt seiner Argumentation zieht Honneth die Konsequenzen, die der skizzierte Gedankengang für das Verhältnis von (kognitiver) Erkenntnis und (evaluativ-moralischer) Anerkennung hat. Die zunächst unterstellte Reihenfolge kehrt sich angesichts der Deutung expressiver Gesten geradezu um. Nunmehr verliert die kognitive Identifizierung den Vorrang vor der Anerkennung; zumindest generisch gehe die Anerkennung dem Erkennen insofern voraus, als „der Säugling im Gesichtsausdruck zunächst die
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werthaften Eigenschaften von Personen erschließt“ (S. 27), bevor er seine Umwelt kognitiv erkundet. Und was für das Kleinkind gilt, habe beim Erwachsenen seine grundlegende Bedeutung nicht eingebüßt: „auch wir nehmen im Rahmen sozialer Interaktionen am Anderen gemeinhin zunächst die werthaften Eigenschaften der intelligiblen Person wahr, so daß die bloß kognitive Identifikation eines Menschen den Sonderfall der Neutralisierung einer ursprünglichen Anerkennung darstellt“ (ebd.).
Soweit sei Honneths Essay „über die moralische Epistemologie der Anerkennung“ referiert, insofern er für die Argumentation der vorliegenden Untersuchung relevant ist. Ohne die philosophischen Grundlagen, die Honneth für sich in Anspruch nimmt, an dieser Stelle ausführlich diskutieren zu können, scheint mir doch eine Korrektur notwendig. Honneth beruft sich auf die Kantische Moralphilosophie, indem er die positive Ausdrucksgebärde in der Perspektive der „Achtung“ auslegt. Dabei behauptet er, Kant betrachte, „jene ‚Vorstellung vom Wert einer Person [...] als Voraussetzung aller Achtung“ (S. 24). Billige man dem anderen einen unbedingten Wert zu, so fielen anerkennende und moralische Einstellungen ihm gegenüber zusammen, man sei bereit, angesichts der „intelligiblen Eigenschaften von Personen“ (S. 25) seiner „Selbstliebe Abbruch“ zu tun und sein Handeln ganz am Anderen zu orientieren. Nun faßt aber Kant das „Gefühl der Achtung“ im Rahmen seiner moralphilosophischen Begründung anders als es unser umgangssprachlich verwendeter Begriff der „Achtung“ nahelegt. Der Kantische Terminus läßt sich streng genommen nicht auf Personen beziehen, sondern das einzige Objekt der Achtung ist das moralische Gesetz: „mithin das bloße Gesetz für sich, kann ein Gegenstand der Achtung und hiermit ein Gebot sein“ (Kant 1981 [1785], BA 15). Und weiter führt Kant in jener berühmten Anmerkung aus der Grundlegung der Metaphysik der Sitten, der Honneth die zitierten Formulierungen entnimmt, aus: „Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen
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Sinn, bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der meiner Selbstliebe Abbruch tut. [...] Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Gesetz, und zwar dasjenige, das wir uns selbst und doch als an sich notwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen [...]. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz [...], wovon jene uns das Beispiel gibt. [...] Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz“ (BA 17; Sperrdruck im Original ist hier kursiv wiedergegeben).
Eigentlich gilt also unsere Achtung nur dem Vernunftgesetz. Wenn man den Begriff auf unsere Einstellung einer anderen Person gegenüber anwenden will, so ist das nach Kant nur im beschriebenen indirekten Sinn möglich. Wir achten dann diese Person nur, insofern sie uns ein Beispiel für das Moralgesetz liefert. Keineswegs läßt sich daraus jedoch ableiten, daß wir unsere Bedürfnisse angesichts des Wertes dieser Person unterdrücken oder übergehen sollen. Mit Kant ist gegen Honneth festzuhalten, daß nicht „einem anderen Subjekt“ ein Wert eingeräumt werden soll, der „die Quelle von legitimen Ansprüchen ist, die der eigenen Selbstliebe Abbruch tun“ (Honneth 2003c, S. 22). Der Andere und ich stehen auf gleicher Augenhöhe, keiner hat den Vorrang vor dem anderen, insofern sich beide als Vernunftwesen verstehen. Das Gefühl eigener Würde oder Selbstachtung ist der Achtung, die wir dem anderen entgegenbringen, ebenbürtig. Subordination ist nur in bezug auf das moralische Gesetz angesagt, dem sich beide – selbstbestimmt – unterwerfen. Will man auf dem Boden der Kantischen Moralphilosophie das Anerkennungsproblem behandeln, so bietet sich statt der Orientierung am Begriff der „Achtung“ die Rezeption jener Formulierung des kategorischen Imperativs an, die Rücksicht nimmt auf die conditio humana: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (Kant 1981 [1785], BA 67; kursive Hervorhebung durch F.W.). Hier wird der Respekt vor dem intelligiblen Charakter gefordert und zugleich der sinnlich-empirische akzeptiert – und zwar beides sowohl in der eigenen Person als auch in der des andern.
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Honneth nimmt eine hierarchische Gliederung der Anerkennungsverhältnisse vor. Obenan steht danach Anerkennung als moralisch verstandene „Metahandlung“; ihr lassen sich spezifische Spielarten von Anerkennungsverhältnissen wie Liebe, rechtliche Positionierung oder Solidarität bzw. „Facetten“ der intelligiblen Eigenschaft der Person (S. 23) subsumieren. Zumindest was das Anerkennungsverhältnis der Liebe betrifft, die in diesem entwicklungspsychologischen Teil interessiert, ist allerdings zu bezweifeln, ob man sie „mit Kant“ (ebd.) als eine „Facette“ der „Metahandlung“ unterordnen kann, die Honneth als moralische „Achtung“ auffaßt. Die Aspekte leibhaftiger Präsenz, der zärtlich getönten Akzeptanz von Bedürfnissen, das Gefühl der Sympathie und die sinnliche Freude, mit der die Mutter dem Kind begegnet, sperren sich gegen die moralisch-rigide Forderung, die Handlungen und Einstellungen vor den Richterstuhl der Vernunft zu zerren, um dort die Maximen des Handelns kritisch prüfen und beurteilen zu lassen. Sie müssen sich nicht auf Prinzipien gründen, sondern haben ihre Berechtigung, solange sie die involvierten Personen nicht nur als Mittel gebrauchen, sondern immer auch in ihrem Selbstzweckcharakter respektieren. In der liebevollen Interaktion wird den Neigungen gerade kein „Abbruch“ getan – weder den eigenen, noch denen des Anderen. Wie Honneth im Kampf um Anerkennung zu Recht anmerkt, wohnt der Liebe ein „notwendiges Element des moralischen Partikularismus“ (2003a, S. 174) inne, das sich der rigiden Forderung nach Verallgemeinerbarkeit, in der alle individuellen Neigungen zum Schweigen gebracht werden, nicht fügen will. Der Kantischen Auffassung nach kann es in manchen Situationen zu konfliktreichen Spannungen kommen, so daß der zärtlich-innige Austausch nicht als eine „Facette“ der moralischen Einstellung oder intelligiblen Natur gelten kann. Honneths Versuch, die ursprüngliche Form der Anerkennung als „Achtung“ anzusetzen und diese als „Metahandlung“ einzuführen, der verschiedene ausdifferenzierte Unterformen der Anerkennung problemlos und glatt subsumiert werden, scheint also in der vorgelegten Weise nicht haltbar zu sein. Im Widerspruch zu Honneths These, daß „die Moral in einem gewissen Sinn sogar mit der Anerkennung zusammen[falle]“ (S. 24), ist zu fragen, ob nicht gerade mit dieser Gleichsetzung die spezifische und unüberwindbare Doppelnatur des Menschen mißachtet wird. Orientiert man sich statt dessen an der empirisch-
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intelligiblen Zwitterexistenz, die in der Leiblichkeit des Menschen gründet, so bedeutet „den Anderen anerkennen“, ihn in seiner Bestimmung zu freier Selbstbestimmung und in seiner Bedingtheit wahrzunehmen und zu bejahen. Er bedarf sowohl für die konkrete Verwirklichung seiner Freiheit und Autonomie als auch in den sinnlich-empirischen Aspekten seiner Subjektwerdung unterstützender Aufmerksamkeit durch andere.32 Daher schlage ich gegen Honneths Auslegung vor, die anerkennende Einstellung aus der Engführung mit der moralischen zu lösen. Unterscheidet man beide voneinander, so wäre zu klären, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Mir erscheint es plausibler, jene Anerkennung als elementar aufzufassen, die den anderen Menschen in seiner empirisch-intelligiblen Doppelexistenz bejaht. Dann wären ihr unterschiedliche Spielarten anerkennender Einstellungen und Akte nachgeordnet, die jeweils verschiedene Dimensionen akzentuieren: moralische, kognitive, emotional-evaluative. Vermutlich ist es angemessener, diese als Konkretisierung und Verwirklichung der elementaren Anerkennung aufzufassen; und es spricht einiges dafür, die verschiedenen Varianten, in denen sich unterschiedliche Aspekte der elementaren Anerkennung ausdifferenzieren, in ein nicht-hierarchisches Verhältnis zueinander zu setzen. Sie hätten sich in ihren charakteristischen Leistungen und Begrenzungen als verwandte, aber differente anzuerkennen. Hier aber zeigt sich, daß der Swinegel der Antinomie von Freiheit und Gebundenheit, Bedingtheit und Bedingungslosigkeit bereits wieder da ist. Betrachtet man nämlich die moralische Einstellung als einen Sonderfall der elementaren Anerkennung, so kehrt die bekannte Aporie wieder. In der moralischen Einstellung, mit der ich den Anspruch auf Selbstbestimmung des Anderen würdige, nimmt die begrüßende Zustimmung nach Honneths Konzeption den spezifischen 32 Das Problem, daß der Mensch, um seine Freiheit und Autonomie unter den Bedingungen seiner Eingebundenheit in soziale und sinnlich-körperliche Gegebenheiten verwirklichen zu können, auf förderliche Unterstützung angewiesen ist, habe ich an anderer Stelle im Zusammenhang von erziehungs- und bildungstheoretischen Fragen ausführlich behandelt. Die Aporie besteht darin, daß eine Erziehung zu Moralität nach Kant notwendig und streng genommen unmöglich ist. „Die sittliche Selbstbestimmung geschieht grundlos, sprunghaft und revolutionär. Daher kann Erziehung lediglich die Bedingungen fördern, die den Sprung zur Moralität erleichtern“ (Werschkull 1994, S. 202). Sie muß es allerdings auch.
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Charakter der „Achtung“ in jenem indirekten Sinn an, den Kant allenfalls zuläßt. Dabei wird der Andere nur berücksichtigt, insofern er als Vernunftwesen ein Beispiel für das Moralgesetz bietet. Hierbei wird aber der empirischen Seite der menschlichen Existenz gerade keine bejahende Aufmerksamkeit zuteil; sie wird nicht befragt und ihr wird – zumindest im Konfliktfall – keine Geltung zugestanden. Den Neigungen und der Selbstliebe wird „Abbruch“ getan. Es gibt bei diesem Kahlschlag, gerade wegen der Unbedingtheit, die das Moralgesetz fordert, nichts auszuhandeln. In entwicklungspsychologischer oder pädagogischer Hinsicht erwiese sich das so verstandene moralische Projekt als absurd oder als zerstörerisch. Denn in Entwicklungs-, Erziehungsund Bildungsprozessen ist allererst Aufbau angesagt: Hervorbringung, Differenzierung und Stabilisierung von Selbstbewußtsein und der Fähigkeit zur Selbstregulation, bevor der selbstbestimmte „Abbruch“ in Angriff genommen werden könnte.33 33 Eine Variante dieses Problems bringt Moritz’ psychologischer Roman Anton Reiser zur Darstellung, der schon im ersten Teil dieser Studie im Zusammenhang des Scham-Themas zitiert wurde. Dieser „Anti-Bildungsroman“ (Schrimpf 1980, S. 54) macht eindrucksvoll die destruktive Kehrseite einer Zeiterscheinung kenntlich, die nicht nur in zufälliger historischer Parallele zur Kantischen Begründung der Moralphilosophie steht. Die quietistische Mystik der Madame Guion, deren Lehren Anton Reisers Vater anhängt, wird in den pietistischen Strömungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts im Kontext der sozialpolitischen Prozesse in Deutschland zu einem Paradigma der Selbstverstümmelung. „Die Lehren [...] betreffen größtenteils jenes [...] völlige Ausgehen aus sich selbst und Eingehen in ein seliges Nichts, jene gänzliche Ertötung aller sogenannten Eigenheit oder Eigenliebe, und eine völlig uninteressierte Liebe zu Gott, worin sich auch kein Fünkchen Selbstliebe mehr mischen darf, wenn sie rein sein soll“ (Moritz 1981, S. 38; kursiv im Original). Was für die Erwachsenen als Folge und Sublimierung negativer Erfahrungen in der Realität durchaus als eine Form von Bewältigung unabänderlichen Leids verstanden werden kann, wirkt in dem Kind selbstverstümmelnd. Hier, wo noch keine Kompetenzen aufgebaut sind, sich selbst in der empirisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verstehen und zu behaupten, wo das Selbstwertgefühl aufgrund früher, massiver und wiederholter Erfahrungen von Mißachtung sich nicht hat bilden können, verkehren sich die Prinzipien mystischer Erfahrung ins Zerstörerische. Die Forderung nach Selbstvernichtung wird beim Kind zur Ursache pathologischer Entwicklungen. Ob „reine“ Liebe zu Gott oder „Achtung fürs Gesetz“ – Prinzi-
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Die Aporie, daß sich alles menschliche Handeln an der Idee des Guten ausrichten soll, die Unbedingtheit fordert, daß aber Selbstbegrenzung auch ein Ausdruck von Vernunft ist, und daß zudem der Mensch ein endliches Vernunftwesen ist, das in vielfältige Bedingungen verwickelt ist, unter denen es seine Freiheit und Autonomie realisieren muß, ist also anerkennungstheoretisch zu reformulieren. Vor dem Hintergrund meines Versuchs, die in der Leiblichkeit begründete sinnlich-intelligible Doppelexistenz des Menschen gegenüber Honneths Verwendung des Begriffs der „Achtung“ zu rehabilitieren, ist es um so erstaunlicher, daß er mit seiner Deutung der positiven Ausdrucksgebärde in anderer Hinsicht etwas Ähnliches vornimmt. Die frühe gestische Kommunikation zwischen Mutter und Säugling versteht er als „symbolische Repräsentationen von Werten, die auf die Freiheit intelligibler Wesen verweisen“ (Honneth 2003c, S. 26). Das Freiheitsmoment ist eingebunden in Körperprozesse, und daher sind umgekehrt die Gesichtsmuskulatur, Körperhaltung und -bewegungen nicht bedeutungslos, sondern Ausdruck von etwas – des Selbstzweckcharakters des Menschen. Es bietet sich daher an, Honneths anerkennungstheoretische Auslegung der körpergebundenen expressiven Äußerungen auf die Entwicklungstheorien zu beziehen, die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurden. Das intersubjektivistische Modell beispielsweise von Hobson erklärt die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit, indem es darstellt, wie Bedeutung, psychischer Gehalt oder subjektive Einstellungen als mentale Gebilde sich allmählich aus ihrer Eingebundenheit in Körperprozesse lösen, während das Modell von Fonagy et al. eher eine Entwicklungslinie zeichnet, in der zunächst geistlose Körperprozesse – Fleisch – mit mentalem Gehalt angereichert werden. Was anfangs reflexhaft und unbewußt abläuft, wird zunehmend freier verfügbar und kann in einem gewissem Maß reflektiert und bewußt reguliert werden. In dieser Fortschrittsgeschichte wachsender Mentalisierung erinnert Honneth an jene „elementare Schicht“ körpergebundener Expressionen, die „durchgängig“, das heißt, angefanpien mystischer Erfahrung Erwachsener oder die philosophische Prüfung von Geltungsansprüchen bewirken, wenn sie als pädagogische Handlungsmaximen mißbraucht werden, Selbstverstümmelung, wo Subjektwerdung angesagt ist.
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gen vom Säuglingsalter bis hin zum mentalisierungsfähigen Erwachsenen, bedeutsam sind. Dem menschlichen Gesicht, in dem die leibgebundene Freiheit des Menschen zum Ausdruck kommt, gilt die elementare Anerkennung, die das Lächeln repräsentiert. Dieses Lächeln, das in symbolischer Verkürzung den Respekt vor dem Selbstzweckcharakter des Anderen sowie die wohlwollende Zustimmung seiner Bedürfnisnatur anzeigt, unterscheidet sich also signifikant von dem Mienenspiel des „Als-ob“ aus der Affektspiegelungstheorie von Fonagy et al. Es ist auch kein verlegenes Lächeln angesichts der theoretischen Ungewißheit darüber, in wie hohem Maß die sichtbaren Emotionsausdrücke des Babys diesem selber bewußt seien und in welchem Grad es die damit einhergehenden Gefühle als distinkte erleben könne. Darüber hinaus liefert Honneth eine Auslegung des reaktiven Lächelns des Säuglings. Er reagiere auf unsere affirmierende Gebärde seinerseits mit einem entsprechenden Mienenspiel, das die „soziale Weltzugewandtheit“ (S. 19) und die „Interaktionsbereitschaft“ (S. 18) des Babys offenbare. Bezieht man das auf bestimmte Überlegungen aus Kants Anthropologie, so gewinnt die philosophische Spekulation eine verblüffende Plausibilität. Was mit einem „Geschrei“ begann, „welches ein kaum gebornes Kind hören läßt“ (Kant 1981 [1798], B 324), nimmt aufgrund früher Anerkennungserfahrungen einen glücklicheren Verlauf. Kant nämlich bietet eine Deutung des kindlichen Schreis nach der Geburt, die Honneths Auslegung des Lächelns um so einleuchtender werden läßt. Kant erklärt, das „Geschrei“ des Neugeborenen habe „nicht den Ton des Jammers, sondern der Entrüstung“ (ebd.). Es sei die Empörung des Kindes über die Mißachtung seines Anspruchs auf Freiheit. Das Gewahrwerden, ungefragt anfangen und im Freiheitsdrang eingeschränkt weiter leben zu müssen, löse das zornige Geschrei aus. Wie schon im ersten Kapitel dieses entwicklungspsychologischen Teils gesagt, bedeutet Subjektwerdung das nachträglich ausgedrückte Einverständnis zu einem Dasein, das ursprünglich aufgenötigt wurde, zunehmend aber als eigenes bejaht werden kann. Menschliche Freiheit und Autonomie stellen sich nicht in unbekannter Zukunft ein und realisieren sich nicht in bedingungsloser Reinheit, sondern eingebunden, das heißt: ermöglicht und zugleich behindert durch körperliche und soziale Verwicklungen. In diesem Sinn kann der intelligible Charakter schon beim „kaum gebornen Kind“ aufgespürt werden. So
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schreibt Sommer zur Kantischen Auffassung des anfänglichen Geschreis: „Indem er hörbar etwas ausdrückt, erweist sich der organische Körper als beseelter Leib eines freien Subjekts. Der Ausdruck ist bereits die partielle Realisierung des ‚Anspruchs auf Freiheit’, der in ihm erhoben wird“ (Sommer 1988, S. 24).
Dadurch, daß die philosophischen Ausführungen auf beobachtbare Phänomene menschlichen Erlebens bezug nehmen, verlieren sie ihren rein spekulativen Charakter. Aus dem Versuch, den Bedeutungsgehalt oder den Grund des Lächelns zu artikulieren, läßt sich ableiten: Was das Kind besänftigt und was dazu beiträgt, daß es sich sein aufgezwungenes Dasein bejahend aneignet, sind nicht nur die fürsorglichen Unterstützungen, die das Kind durch die Betreuungspersonen erfährt, sondern es ist auch das Lächeln, mit dem die Erwachsenen den infantilen Anspruch auf Freiheit anerkennen.
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Anerkennung der Bildsamkeit. Zusammenfassung und bildungstheoretischer Aus blick
Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde auf der Grundlage sozialpsychologischer Studien dargelegt, daß menschliche Subjektwerdung nicht unabhängig von sozio-kulturellen Verhältnissen verstanden werden kann. Individuen gewinnen ihre spezifische Gestalt innerhalb eines historisch konkreten Interaktionsgeflechts; ihre Bedürfnisse und Verhaltensweisen sind immer schon gesellschaftlich modelliert und historisch variable Phänomene. Unter den Bedingungen der Spätmoderne kann und muß der einzelne seine sozialen, kulturellen und politischen Einbindungen zunehmend selber auswählen, organisieren und unter dem Druck auferlegter Flexibilität und beruflicher Diskontinuität immer wieder umgestalten. In höherem Maß als bisher werden ihm Entscheidungen und Aktivitäten zur Formung der eigenen Biographie abverlangt. Die „Identität“, verstanden als „das individuelle Rahmenkonzept einer Person, innerhalb dessen sie ihre Erfahrungen interpretiert und das als Basis für alltägliche Identitätsarbeit dient“ (Keupp et al. 2002, S. 60), wird nicht aus Rollenzuweisungen oder sonstigen vorgegebenen Ordnungsmustern einfach abgeleitet, sondern sie entsteht aus konstruktiven und kreativen Leistungen. Dabei versucht der einzelne, „situativ stimmige Passungen zwischen inneren und äußeren Erfahrungen zu schaffen und unterschiedliche Teilidentitäten zu verknüpfen“ (ebd.). Der je gefundene Balancezustand ist nicht spannungsfrei, sondern gekenn-
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zeichnet durch Widersprüche und Konflikte, so daß sich eine Dynamik ergibt, die zu permanenter Aushandlung von Differenzen antreibt. Als zentrales Medium der vielfältigen Verknüpfungsarbeit, in der subjektiv stimmige Passungsverhältnisse hergestellt werden, erwies sich das Erzählen. Die Selbst-Narrationen stellen keine Eigenschöpfungen dar, sondern sie sind sozial-kommunikativ eingebettet. Überhaupt kann die Arbeit an der eigenen Geschichte nur auf der Grundlage bestimmter Voraussetzungen gelingen, die das Subjekt nicht selber zu produzieren vermag. Es bleibt bei aller gestalterischen Aktivität zugleich bedürftig, angewiesen und ausgerichtet auf andere Menschen und Ressourcen unterschiedlicher Art. Zu diesen gehört die Anerkennung. Im Zuge der umfassenden gesellschaftlichen Transformationen formen sich auch Anerkennungsverhältnisse neu. Der vormoderne Zirkel ist längst aufgebrochen, in dem die Standesordnung und überlieferte allgemein akzeptierte Normen dem einzelnen einerseits vorgaben, was und wie er sein sollte, ihm andererseits bei Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen auch allgemeine Anerkennung garantiert war. Mit dem Aufbrechen dieses Zirkels sind zum einen die tradierten Normen und gesellschaftlichen Anforderungen an den einzelnen fragwürdig geworden. In Individualisierungsprozessen sind sie der Reflexion überlassen und in Aushandlungsdiskurse überführt. Zum andern haben auch die überlieferten Formen sozialer Anerkennung ihre Selbstverständlichkeit verloren. Gleichwohl bedarf der einzelne für die Prozesse der Identitätskonstruktion sozialer Wertschätzung. Er muß also um das prekär gewordene Gut kämpfen. Die Darstellung zeigte auf, daß die Bedeutung der sozialen Anerkennung für das Selbstverhältnis des Individuums nur im Kontext der konkreten Identitätsarbeit angemessen zu beschreiben ist. Die soziale Ressource der Anerkennung kann nur im Zusammenspiel bestimmter Handlungskompetenzen sowie kognitiver und emotionaler Voraussetzungen erschlossen und in die evaluative Haltung der Selbstschätzung transformiert werden. Es gibt keine einfach-lineare Überführung von „äußerer“ in „innere“ Bewertung, sondern nur komplex vermittelte Verhältnisse der Entsprechung, Diskrepanz und Transformation. In der Diskussion zweier verschiedener Anerkennungskonzeptionen wurde untersucht, ob und inwiefern die intersubjektive
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Bekräftigung als konstitutiv für Prozesse der Subjektwerdung angesehen werden könne. Es zeigte sich, daß das Attributionsmodell der Anerkennung der vorgestellten Auffassung von Identitätskonstruktionen insofern widerspricht, als es dazu tendiert, die kreative Leistung des Individuums zu unterschlagen. Dagegen konnte das Antwortmodell die zugrunde gelegte Vorstellung von Subjektwerdung weiter erhellen und differenzieren. Die Auslegungen im Anschluß an die Konzeption der Anerkennung als responsivem Akt brachten sowohl die Bedeutung affirmierender Interaktionen für gelingende Selbstwerdung als auch die produktiven Konstruktionsleistungen des Individuums zur Geltung. Die dabei auftauchende Frage, wie Potentialität in Aktualität überführt werden könne, stellt sich um so dringlicher, je mehr man sich den Anfängen der Selbstwerdung nähert, das heißt, je weniger Kompetenzen beim Individuum ausgebildet sind. Diesen Anfängen widmet sich der zweite, entwicklungspsychologische Teil. Betrachtet man die infantilen Prozesse der Selbstwerdung, so greifen die zuvor erläuterten Modelle und Methoden nicht mehr bzw. noch nicht. Die beiden strukturbildenden Formen der Selbstnarration: das autobiographische Gedächtnis und die Sprache, sind selbst erst relativ späte Entwicklungserrungenschaften und stehen dem präverbalen Individuum fremd gegenüber. Die Idee von Identität, Kohärenz oder Selbsterhaltung über Veränderungen hinweg scheint radikal, von den Wurzeln, in Frage gestellt. Es wurde gezeigt, daß das Leben des Subjekts, das zu kennzeichnen ist durch Intentionalität oder die Fähigkeit, Handlungen spontan anfangen zu können, selbst objekthaft beginnt. Als und zum Subjekt entwickelt es sich, indem es dem aufgezwungenen Leben nachträglich zustimmt und sich das Aufgenötigte aneignet. Subjektwerdung erscheint hier als Anerkennung eines Daseins, das zunehmend als eigenes bejaht wird. Das wiederum setzt bestimmte Wahrnehmungsleistungen, emotionale, evaluative und kognitive Kompetenzen voraus, die erst einmal aufgebaut werden müssen. Es wurden unterschiedliche entwicklungspsychologische Modelle vorgestellt, die Aufschluß zu geben versuchen über die Mechanismen des Erwerbs der Symbolisierungsfähigkeit. Dabei geht es generell um die Konstitution und den Zuwachs von Selbstbewußtheit und -bestimmung. Aus organismisch gebundenen Reaktionsweisen und körpernahen Prozessen entwickeln sich zunehmend freiere Handlungs- und Refle-
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xionsmöglichkeiten. Allerdings führen diese Fortschritte nicht zur körperlosen Vergeistigung oder absoluter Freiheit. Autonomie und Bindung verändern ihre konkreten Ausformungen, bleiben aber nebeneinander bedeutsam. Darin kommen neuere entwicklungspsychologische Ansätze mit den vorgestellten Ergebnissen sozialpsychologischer Studien überein. Auch das erwachsene Selbst bleibt eingebunden in ein Interdependenzgeflecht; es konstruiert seine Identität nicht voraussetzungslos, sondern bleibt angewiesen auf ein Netzwerk vielfältiger Ressourcen. Ohne die Fortschritte wachsender Selbstbestimmungsfähigkeit zu verkennen, wurde daher das unaufhebbare Ineinandergreifen von Individuation und Verbundenheit, Selbstfindung und Fremdzuschreibung, Autonomie und Anerkennung betont. Subjektwerdung vollzieht sich in Verwicklungen. Der Zuwachs an Selbstbestimmung geschieht gerade unter Mitwirkung von Außensteuerung. Selbstverwirklichung in dem Sinn, eigene Wünsche und Absichten freier artikulieren und realisieren zu können, bedarf der Unterstützung durch andere. Die paradoxale Struktur dieses Geschehens tritt in entwicklungspsychologischer Perspektive besonders deutlich hervor, insofern in Prozessen der Subjektgenese etwas bestätigt werden soll, das es eigentlich noch gar nicht gibt, das aber als Antwort auf vorgreifende Anerkennung entstehen kann. Es zeigte sich, daß verschiedene Entwicklungsmodelle von unterschiedlichen Prämissen in bezug auf die Erlebnisfähigkeit des Säuglings ausgehen und dementsprechend die Anfänge von Intersubjektivität und von Anerkennungserfahrungen unterschiedlich datieren. Das Modell des sozialen Biofeedbacks mütterlicher Affektspiegelung von Fonagy et al., das die interaktive Hervorbringung der kindlichen Mentalisierungsfähigkeit und Subjektivität erklärt, wurde anerkennungstheoretisch ausgelegt. Anerkennung in Form der spezifischen Mechanismen der Affektspiegelung ist von Anfang an notwendig für die Entwicklung des Selbst. Anerkennung im eigentlichen Sinn, das heißt: als intersubjektive Erfahrung, taucht diesem Modell zufolge allerdings erst auf der Entwicklungsstufe der mentalen Urheberschaft des Selbst, das heißt im Alter von etwa 18 Monaten auf. Demgegenüber interpretieren andere Entwicklungstheorien schon die frühesten Interaktionen der Mutter-Kind-Dyade als basale Erfahrung von Anerkannt-Werden, die ihrerseits die entscheidende Grundlage für
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die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit und Subjektivität sei. Wie auch immer die primäre Form der Anerkennung konzipiert wird – in jedem Fall kommt ihr eine entscheidende Rolle zu in den Prozessen der Subjektgenese. Die Überlegungen sollen zum Abschluß um eine dritte Perspektive erweitert werden. Die Bildungstheorie teilt mit der reflexiven Sozialpsychologie das Interesse an den Herstellungsverfahren von individueller Selbstgestaltung im historisch-gesellschaftlichen Kontext. Mit der Entwicklungspsychologie hat sie die Ausrichtung auf Prozesse der Entstehung, auf Anfänge und Übergänge gemein. Sie setzt jene Kompetenzen, die für das Selbstverständnis des modernen Subjekts zentral sind – Reflexivität, Intentionalität, kommunikatives Aushandeln verbindlicher Regeln für ein gerechtes Miteinander – nicht als gegeben voraus, sondern behandelt, in Verbindung mit Erziehungstheorie, gerade das Problem ihrer Genese. Es geht ihr nicht darum, Prozesse der Sozialisation im Sinne der Eingewöhnung von Individuen in sozio-kulturelle Strukturen zu beschreiben, auch nicht darum, automatisch ablaufende Mechanismen aufzuklären, in denen sich humanspezifische Funktionen gesetzmäßig entwickeln, sondern sie stellt Subjektwerdung unter dem Blickwinkel menschlicher Praxis dar. Insofern die entwicklungspsychologischen Ansätze die Interaktionen zwischen erwachsener Bezugsperson und Kind untersuchen und sie als konstitutiv für dessen Entwicklung begreifen, nähern sie sich erziehungstheoretischen Auffassungen. Doch konzipieren diese die Interaktionen explizit als intergenerationelle Praxis. Mit Schleiermacher fragen sie: „Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?“ (Schleiermacher 1983 [1826], S. 9). Dabei wird die Behandlung der individuellen pädagogischen Begegnung als Dialog mit den Fragen nach ihrer gesellschaftlichen Einbindung und institutionellen Organisation verklammert. Entscheidend ist, daß auch im Rahmen dieser Disziplin Subjektwerdung als Antwort auf vorgreifende Anerkennung verstanden werden kann. Das soll im folgenden nicht ausgeführt, nur skizzenhaft entworfen werden. Menschliche Subjekt-Genese ist in bildungstheoretischen Ansätzen weder aus der Entwicklung eines präsozialen, ahistorischen Selbst, noch aus gesellschaftlicher Determination abzuleiten, sondern wird untersucht als eine Frage reflektierender intergene-
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rationeller Praxis. „Diesseits von Allmacht und Ohnmacht“ – so der Untertitel von Meyer-Drawes Studien zu „Illusionen von Autonomie“ (1990) – und belehrt über Voraussetzungen und Verwicklungen menschlicher Existenz, wird die Ermöglichung kritischer Selbstgestaltung gesucht. Von zentraler Bedeutung für eine Praxis, die einen kritisch-reflexiven Umgang mit eigenen Möglichkeiten, anderen Personen und Welt anregen und befördern soll, ist die Anerkennung der „Bildsamkeit“ des Menschen. Dieser Begriff bzw. dieses Konzept hat im Laufe der Geschichte unterschiedliche Akzentuierungen und Auslegungen erfahren. (siehe Benner und Brüggen 2004). An zentraler Stelle steht dabei die Vorstellung von Perfektibilität, die Rousseau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelt hat. Mit ihr formuliert er das „Grundtheorem der neuzeitlichen philosophischen Anthropologie“ (Buck 1984, S. 108) und mit ihr legt er zugleich das Fundament des modernen bildungs- und erziehungstheoretischen Denkens. Die Natur des Menschen, das heißt die humanspezifische Eigenschaft, die ihn von anderen Arten unterscheidet, sei die Perfektibilität als die naturgegebene Fähigkeit, Fähigkeiten hervorzubringen. Ihr ist kein vorbestimmtes Telos eingeschrieben, auf dessen Verwirklichung die geschichtliche Bewegung drängt. Die Geschichte des Individuums wie der Gattung ist nicht determiniert, sondern kann sich zur Fortschritts- oder Verfallsgeschichte formieren. Humane Selbstbestimmung entsteht dadurch, daß der Mensch seine Lernfähigkeit und das durch seine Lernprozesse erworbene Wissen reflektiert. Die Differenz zwischen dem Faktum der bisherigen individuellen oder gesellschaftlichen Entwicklung einerseits und ihren gestaltbaren Möglichkeiten andererseits kommt zu Bewußtsein und eröffnet einen Spielraum für Handlungsentwürfe. Darauf zielt Rousseau, wenn er sich dagegen wendet, die produzierten, historisch-gesellschaftlich vermittelten Fähigkeiten und Gewohnheiten zur ersten Natur des Menschen zu hypostasieren. Die erste Natur gibt dem Menschen gerade keine inhaltlichen Bestimmungen vor, sondern ist offen und bestimmbar: „Wir wissen nicht, was uns die Natur zu sein erlaubt“.1
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Rousseau (1983, S. 38). Was hier thesenhaft komprimiert wiedergegeben ist, habe ich an anderer Stelle ausführlich entwickelt und in problemgeschichtlicher Auslegung diskutiert (Werschkull 1994).
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Will die Erziehung dieser Einsicht in das Nicht-Wissen gerecht werden, dann darf sie das unbestimmte Ziel nicht durch Inhalte und Ansprüche okkupieren, sondern muß „den Menschen in seiner perfektiblen Natur anerkennen“ (Werschkull 1994, S. 17). „Die Natur in uns“ (Rousseau 1983, S. 11) bestehe darin, „empfindsam geboren“ (ebd.) zu sein, offen und affizierbar für ganz Disparates – bildsam. Die Aufgabe einer Erziehung, die keine Technik zur Fremdbestimmung und Manipulation sein will, sondern die auf die Verwirklichung von Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen abzielt, besteht nun darin, den Educanden bei der Hervorbringung seiner Bestimmung auf allen Stufen der Entwicklung als Mitwirkenden einzubeziehen. Seine Persona-Genese soll nicht das Ergebnis von Fremd- sondern von tätiger Selbstbestimmung sein. Der Erziehungsprozeß ist also keinesfalls als einseitig ausgerichtete Indoktrination oder Eingewöhnung in Gegebenes zu gestalten, sondern als interaktiver Vorgang, der das Kind von Anfang an als mitbestimmend respektiert – in Abhängigkeit von den altersgemäßen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Diese können nicht einfach vorausgesetzt werden, sondern es gehört gerade zur pädagogischen Aufgabe, sie anzuregen und zu fördern. Es geht Rousseau darum, Fremdbestimmung abzubauen, sei es in pädagogischen, politischen oder sonstigen Denk- und Handlungsfeldern. Herr-Knecht-Verhältnisse sollen in menschliche, auf gegenseitiger Anerkennung beruhende transformiert werden. Hier zeigt sich: Wie der deutsche Idealismus insgesamt, so schöpft auch der „Stammvater“ der Anerkennungsphilosophie, Hegel, aus der Quelle Rousseauschen Denkens. Auch Tzvetan Todorov hebt in seiner problemgeschichtlich angelegten Arbeit Abenteuer des Zusammenlebens (1996/frz. 1995) die vorrangige Stellung Rousseaus bei der Behandlung des Anerkennungs-Themas hervor. Dessen Einsicht in die grundlegende Bedeutung menschlicher Anerkennungs-Verhältnisse sei innovativ gewesen. Todorov würdigt diese historische Leistung, indem er schreibt, „daß es in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu einer wirklichen Revolution kommt, als Jean-Jacques Rousseau als erster eine neue Konzeption des Menschen entwirft als einem Wesen, das der anderen bedarf“ (S. 23f.; kursiv im Original). Rousseau habe „als erster im Westen die konstitutive Sozialität der menschlichen Gattung erkannt“ (S. 173). Ihm zufolge präge neben der „Selbstliebe“ die „Vorstellung der Achtung“ die spezifische Daseinsform des Men-
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schen. Die Auswirkungen des Bedürfnisses, gesehen, beachtet und anerkannt zu werden, ähneln denen der Eitelkeit. Der Unterschied liege aber darin, „daß es sich um ein konstitutives Bedürfnis der menschlichen Gattung (wie sie für uns erkennbar ist) handelt, und nicht um eine verderbte Neigung. Rousseaus Innovation besteht nicht in der Aussage, die Menschen würden vom Verlangen nach Ruhm oder Prestige bewegt – das wußten alle Moralisten -, sondern darin, dieses Begehren zu der Schwelle erklärt zu haben, jenseits derer man von Humanität sprechen könne. Das Bedürfnis, beachtet zu werden, das Bedürfnis der Wertschätzung – diese von Rousseau entdeckten spezifischen Merkmale des Menschen sind sehr viel allgemeiner und weitgespannter als das Streben nach Ehre“ (S. 26).
Todorov unterstreicht die Rousseausche These, daß das Bedürfnis nach Anerkennung als conditio humana nichts Zufälliges oder Vermeidbares sei, sondern eine Notwendigkeit, indem er es als „Sauerstoff der Seele“ darstellt: „ebenso wenig wie die Tatsache, daß ich heute atme, mich von der Atemluft des folgenden Tages unabhängig macht, genügt mir heute die gestern erhaltene Anerkennung. Nur aus Naivität oder Gehässigkeit können wir versuchen, denjenigen, der über mangelnde Anerkennung klagt, damit zu trösten, daß wir ihm seine vergangenen Erfolge in Erinnerung rufen. Diese Erinnerung läßt ihn im Gegenteil um so bitterer ermessen, was ihm heute fehlt. Die Lorbeeren des vergangenen Jahres klagen eher an, statt das Ausbleiben frischgeschnittenen Lorbeers zu kompensieren. Ich kann meine Ansprüche herunterschrauben, mir ein System sekundärer (oder gar tertiärer) Kompensationen schaffen, aber wieviel Anerkennung ich auch bereits erhalten haben mag, auf eine neue Anerkennung kann ich nicht völlig verzichten“ (S. 74).
„Die Anerkennung unseres Seins und die Bestätigung unseres Werts sind der Sauerstoff des Daseins“ (S. 107). Todorov entfaltet die Implikationen dieser Aussage für eine allgemeine Anthropologie. Daneben hat allerdings schon Rousseau selber auch das pädagogische Problem beschäftigt: wie ist es möglich, einen Menschen in der bestehenden Gesellschaft, das heißt in Verhältnissen, die gerade nicht auf gegenseitiger Anerkennung beruhen, so zu erziehen, daß er sowohl seine „Selbstliebe“ bewahrt, als auch der
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Solidarität mit anderen fähig ist? Wie können sich die Heranwachsenden zu freien und verantwortungsvollen Menschen bilden, die weder solipsistisch und lernunfähig bei sich bleiben, noch einer entfremdenden Außensteuerung erliegen? Rousseau hat diese Fragen in seinem Roman Emil oder über die Erziehung zu beantworten versucht und darin sein Konzept der „natürlichen Erziehung“ entfaltet. Wohlgemerkt, handelt es sich dabi um einen Roman, das heißt um ein hypothetisch-fiktionales Experiment und nicht etwa um ein Methodenbuch, das praktische Anleitungen zur Unterweisung von Kindern enthält oder in empirisch berichtender Form den „natürlichen“ Menschen beschreibt. Das Experiment der „natürlichen Erziehung“ soll über die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Entwicklung aufklären, damit der historisch-reale Mensch das faktisch Gewordene als geschichtlich Hervorgebrachtes begreife anstatt es als unveränderbares Fatum oder Telos einfach hinzunehmen. So enthält die literarische Gattung des Romans einerseits etwas Positives: sie bezieht sich unter dem Aspekt der Möglichkeit auf die menschliche Natur als offene Bildsamkeit, die je neu erzählt und individuell ausgestaltet werden kann. Andererseits greift Rousseau zugleich die negativen Konnotationen des Lügenhaften, Unwirklichen und Unglaubwürdigen auf, wenn er seinen zeitgenössischen Lesern entgegenschleudert: „Es liegt mir wenig daran, einen Roman geschrieben zu haben. Die menschliche Natur ist allein schon Roman genug. Wenn dieses Werk nur ein Roman ist, ist es meine Schuld? Es sollte vielmehr die Geschichte des menschlichen Geschlechts sein. Ihr habt sie verdorben; ihr habt aus meinem Buch einen Roman gemacht.“2
Emil soll zu einem Menschen erzogen werden, der zu Selbstbestimmung und Anerkennung fähig und bereit ist. Wenn diese humane Daseinsform als Phantasiegebilde erscheint, so ist das zugleich als eine bittere Kritik an der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, die etwas anderes zur Wirklichkeit macht, nämlich Selbstverlust, Herrschaft und Knechtschaft. Inmit2
Rousseau (1983, S. 456). Zum rivalisierenden Verhältnis von Kunstprodukt und Natur, Realität und Fiktion sowie zum Stellenwert des Ästhetischen in Rousseaus Erziehungstheorie siehe Werschkull (1994, vor allem S. 131-147).
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ten der von Konkurrenz und Ehrsucht gekennzeichneten sozialen Realität erscheint ein Leben, das dem menschlichen Grundbedürfnis nach wechselseitiger Anerkennung gerecht zu werden versucht, als befremdlich und unrealistisch. Daß Rousseau sein Konzept der „natürlichen Erziehung“ in Romanform entfaltet, ist also der Ausdruck einer tiefgreifenden Skepsis. Er sieht unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen, so wie sie sich geschichtlich und kontingent entwickelt haben, keine greifbare Möglichkeit, ein menschliches Zusammenleben zu verwirklichen, das das Grundbedürfnis nach wechselseitiger Beachtung und Bestätigung angemessen befriedigen könnte. Rousseaus Entdeckung, daß das Bedürfnis nach Anerkennung zur conditio humana gehöre, ist verbunden mit der resignativen Einsicht in die Aporie, daß eine Freiheit fördernde Erziehung eine vernünftig verfaßte Gesellschaft immer schon voraussetzt und umgekehrt. Wie angesichts dieser Aporie in den realen Verhältnissen pädaogogisch verantwortliches Handeln möglich sei, bleibt bei Rousseau als Frage offen. Für das Problem der Anerkennung im pädagogischen Diskurs ist festzuhalten, daß Rousseau zwei anthropologische Grundtheoreme formuliert hat, die zugleich das moderne biludngs- und erziehungstheoretische Denken fundieren: das Bedürfnis nach Anerkennung als elementare Notwendigekeit und die Perfektibilität des Menschen als naturgegebene Fähigkeit, Fähigkeiten hervorzubringen.3 Im Anschluß daran zielt nun jede pädagogische Pra3
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Wurde Rousseaus Theorem der Perfektibilität im Sinne menschlicher Bildsamkeit als formales Bildungsziel vorgestellt, so scheint das von der Anerkennungsbedürftigkeit materialiter gefüllt zu sein. Es wäre aber interessant, zu untersuchen, wie sich Rousseaus bzw. Todorovs These vom elemantaren Bedürfnis nach Beachtung und Bestätigung zu Honneths jüngst vorgetragener Auffassung der Anerkennung als einer ganz elementaren Form der Bestätigung verhält. In seiner anregenden Studie über „Verdinglichung als Anerkennungsvergessenheit“ (Honneth 2005, S. 62) präpariert Honneth aus dem vielschichtigen Komplex der Anerkennung „eine ganz elementare Form der intersubjektiven Bestätigung“ heraus, die „noch nicht die Wahrnehmung eines bestimmten Wertes der anderen Person einschließt“. Es sei eine elementarere Form der Anerkennung als diejenige, die er in seinen bisherigen Ausführungen zum Thema behandelt habe. Inzwischen gehe er deshalb davon aus, daß dieser „‚existentielle’ Modus der Anerkennung allen anderen, gehaltvolleren Formen der Anerkennung zugrunde“ liege, in denen
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xis, die sich an einer modernen, kritisch-reflexiven Bildungsidee orientiert, darauf, die Freiheit des einzelnen zu bewahren und die Möglichkeit von Solidarität mit den anderen offen zu halten und vorzubereiten. An diese Tradition schließt die Aussage an, daß mit dem Thema der Anerkennung nicht nur ein weiterer Aspekt in die vielfältigen pädagogischen Diskurse eingeführt werde, sondern daß es „eine zentrale Dimension pädagogischer Theorie und Praxis“ darstelle (Hafeneger/Henkenborg/Scherr 2002, S. 8). „In der Anerkennung ihrer Adressaten als Subjekte ihrer Lebenspraxis konstituiert sich eine modern-reflexive Pädagogik. Sie ist dem grundlegenden Ziel verpflichtet, Individuen in der Entwicklung selbstbestimmter und rational begründeter Entscheidungs-, Handlungsund Urteilsfähigkeit zu unterstützen“ (ebd.). Die besondere Herausforderung für erzieherisches Handeln besteht darin, daß im Kind etwas anerkannt werden soll, das es als Faktisches noch gar nicht gibt. Das Potential, auf das man Bezug nimmt, ist dabei kein keimhaft Angelegtes, das es lediglich zu entwickeln gilt; es verwirklicht sich in interaktiven Prozessen, durch die der Heranwachsende in Beziehungen zu anderen Menschen und zur Welt der Dinge verwickelt wird. Weil die Selbstbestimmung des Kindes gerade nicht gesichert wäre, wenn man es in diesen Verwicklungen oder den gegebenen Verhältnissen einfach sich selbst überließe, ist eine pädagogische Praxis notwendig, die in gewissem Sinn ein „advokatorisches, vorgreifendes Handeln“ (Brumlik 2002, S. 17) darstellt. Um zu klären, wie es möglich ist, die pädagogisch gebotene Antizipation so zu gestalten, daß sie nicht übergriffig das Handeln des Educanden vor„weg“nimmt, sondern dessen selbsttätige Mitbestimmung hervorlockt und unterstützt, wäre die Diskussion des Anerkennungsproblems aus den sozial- und ent-
bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten anderer Personen bestätigt werden (S. 60). Diese originäre Weise der Aufmerksamkeit oder emotionalen Zugewandtheit, aus der dann spezifische, artikuliertere Formen der Wertschätzung und Bestätigung entspringen können, sei nicht nur die Grundlage für intersubjektive Verhältnisse, sondern gehe auch allen anderen Formen voran, in denen wir uns auf uns selbst („Selbstsorge“ als eine „Haltung des engagierten Bekümmerns“ oder „Selbstliebe“ [!]; S. 89f.) und auf Dinge (S. 73ff.) beziehen.
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wicklungspsychologischen Teilen dieser Studie unter bildungstheoretischer Perspektive erneut aufzunehmen. Zieht man das Antwortmodell der Anerkennung heran, so wäre zu erläutern, daß die Beachtung und Bejahung der Bildsamkeit des Menschen nicht zu bloßer Affirmation führt, sondern in der konkreten Interaktion mit den Educanden sowohl unterstützende als auch gegenwirkende Maßnahmen verlangt; denn das Kind, zu Selbsttätigkeit aufgefordert, wird sich nicht immer so entscheiden und verhalten, daß es dem Anspruch auf Selbstbestimmung anderer Menschen gerecht wird. Das Attributionsmodell der Anerkennung, in dem sich das vorgreifende Moment wiederfindet, ist in Bildungsprozessen insofern bedeutsam, als die Heranwachsenden von einem Zustand des Noch-nicht-Könnens in den des Schon-Könnens hinübergehen. Indem ihnen die Fähigkeit zugeschrieben wird, an ihren Lernprozessen und an der Erlangung ihrer humanen Bestimmtheit selbsttätig mitzuwirken, kann sich Selbstbestimmung jenseits von HerrKnecht-Verhältnissen verwirklichen. Bezieht sich die Anerkennung dagegen auf die Attribution inhaltlich bestimmter Eigenschaften, über die das Individuum noch nicht verfügt, die es sich aber qua Identifizierung aneignen soll, so wäre das Problem der Affirmation zu diskutieren, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen muß eine pädagogische Praxis, die ein nicht-hierarchisches Verhältnis verschiedener Praxisfelder zueinander anerkennt, eine kritische statt affirmative Haltung gegenüber deren Erwartungen an die Pädagogik bewahren. Wirtschaft, Politik, Religion und andere Bereiche menschlichen Handelns stellen Ansprüche an das Erziehungssystem. Sie formulieren dabei eigene berechtigte Interessen; darüber hinaus versuchen sie mitunter aber auch, direkt Erziehungsziele aufzustellen, ohne die spezifischen Aufgaben der pädagogischen Praxis zu erkennen oder zu beachten. In diesen Fällen muß das Erziehungssystem das pädagogische Anliegen behaupten und zur Geltung bringen. Es hat gegen solche Übergriffe das Prinzip der Bildsamkeit zu verteidigen, statt sich als „bejahende Instanz unmittelbar in den Dienst außerpädagogischer Positivitäten zu stellen. In erziehungstheoretischer Hinsicht, im Hinblick auf den Prozeßcharakter der pädagogischen Praxis und die für ihn geltenden Prinzipien, ist die Position affirmativer Erziehung deshalb unhaltbar, weil das, was einsichtig erlernt werden soll, niemals durch einen
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bloßen Akt der Bejahung erlernt werden kann. Nicht durch Affirmation wird eine vom lernenden Subjekt zu lernende Positivität erkannt, sondern durch Aneignung eines dem lernenden Subjekt zunächst Fremden, Unbekannten. Bejaht werden kann dagegen nur das, was schon er-, zumindest aber schon bekannt ist. Insofern ist auf dem Boden affirmativer Erziehung gar kein Lernbegriff möglich, der den Aneignungsleistungen des lernenden Subjekts gerecht werden könnte“ (Benner 1987, S. 116).
Eine Erziehung, die die Bildsamkeit des Menschen anerkennt, kann sich nicht affirmativ zu inhaltlichen Zielvorgaben verhalten, die vorab festgelegt werden, ohne die Dimension der Mitwirkung des Educanden zu berücksichtigen. Das gilt auch für den Fall, daß die „intendierte Positivität stellvertretend für die Zu-Erziehenden von den pädagogisch handelnden Akteuren antizipiert wird“ (ebd.). Auch dieser Vorgriff wäre ein Übergriff, der das Ziel wachsender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes verfehlte. Deshalb ist auch in Hinsicht auf die Erwiderungen des Heranwachsenden zu betonen, daß Anerkennung sich nicht in Affirmation auflösen dürfe, sondern Aneignung und Kritik zusammengedacht werden müssen. Zwar ist es eine Aufgabe der nachwachsenden Generation, sich die jeweils vermittelte Kultur und die darin aufgehobenen Selbstdeutungen der vorhergehenden anzueignen, doch sind diese Prozesse nur dann als Bildungsgeschehen anzusehen, wenn die angebotenen Auslegungen und Zuschreibungen zugleich kritisch aufgenommen werden. So forderte schon Schleiermacher 1826 in diesem Zusammenhang die Dialektik von „erhalten“ und „verbessern“. Die Erziehung solle „so eingerichtet werden, daß die Jugend tüchtig werde, einzutreten in das, was sie vorfindet, aber auch tüchtig in die sich darbietenden Verbesserungen mit Kraft einzugehen“ (S. 31). Nicht identifizierende Verinnerlichung, erst die Dialektik von Aneignung und Kritik qualifiziert sozialisierende Angebote und eine attributiv verstandene Anerkennung als Bildungsgeschichte. Ohne das besteht die Gefahr, daß Anerkennung als manipulatives Instrument eingesetzt wird und zur „konformitätsstiftenden Ideologie“ (Honneth 2004, S. 53) verkommt. Wie dieser Mechanismus funktionieren kann, beschreibt Honneth in seinem Aufsatz über Anerkennung als Ideologie (2004). Was an der Oberfläche als öffentliche Belobigung erfreulich aussieht und ein positives Selbstverständnis der mit Auszeichnung Versehenen befördert, könne unter be-
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stimmten Umständen ein Mittel sein, das – statt auf Emanzipation – darauf zielt, Menschen in herrschende Systeme einzubinden und zu unterwerfen. Die „untergründige Funktion“ der Anerkennung bestehe dann darin, die Individuen in ein bestimmtes Selbstverhältnis einzuüben, „das sie zur freiwilligen Übernahme gesellschaftsdienlicher Aufgaben oder Pflichten motiviert“ (Honneth 2004, S. 51). Soziale Anerkennung könne so auf „repressionslose Weise“ eine Art von Selbstwertgefühl schaffen, „das die motivationalen Ressourcen für Formen der freiwilligen Unterwerfung liefert“ (S. 53). Es gehört zu den Stärken der bildungstheoretischen Tradition, daß sie seit ihren klassischen Anfängen bei Rousseau, Kant, Schleiermacher und Humboldt dieses Problem gezielter oder verdeckter Manipulation reflektiert hat. Im Bewußtsein der Aporie, die darin liegt, durch äußere Einwirkung Selbstbestimmung zu ermöglichen, hat sie sich um eine Praxis bemüht, die die kritische Selbstbildung des Heranwachsenden anregen und unterstützen soll. Seine respondierende Äußerung wird in bildungstheoretischen Konzepten daher nicht im Sinne eines behavioristischen Reiz-Reaktions-Schemas verstanden. In der Antwort des Kindes, mit der sich das Ich als Subjekt verwirklicht, kommt immer auch jenes Unverfügbare zum Ausdruck, das als perfektible Natur des Menschen zu achten ist. „In der Antwort auf bestimmte Situationen ereignet sich immer mehr als bloße Wiederholung, nämlich eine ‚kohärente Deformation’ (Merleau-Ponty) der Situation durch das Ich, das die Vorherbestimmungen seiner Existenz durcheinanderbringt, indem es sie übernimmt“ (Meyer-Drawe 1990, S. 24).
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Sabine Maasen Wissenssoziologie (2., komplett überarbeitete Auflage)
Fabian Lamp Soziale Arbeit zwischen Umverteilung und Anerkennung Der Umgang mit Differenz in der sozialpädagogischen Theorie und Praxis April 2007, ca. 230 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-662-5
Rainer Winter, Peter V. Zima (Hg.) Kritische Theorie heute April 2007, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-530-7
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