Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen: Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am Rhein [1997. Reprint 2013 ed.] 9783110910513, 9783110180725


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German Pages 91 [96] Year 1997

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Carl Pfaff – Begrüßung
Michael Curschmann – Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen
Curriculum vitae Michael Curschmann
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Michael Curschmann 1964-1996
Abbildungen
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Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen: Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am Rhein [1997. Reprint 2013 ed.]
 9783110910513, 9783110180725

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Michael Curschmann Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen

Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie - Vorträge herausgegeben vom Mediävistischen Institut der Universität Freiburg Schweiz Heft 6

1997

Universitätsverlag Freiburg Schweiz

Michael Curschmann

Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am Rhein

1997

Universitätsverlag Freiburg Schweiz

Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates Freiburg Schweiz

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Curschmann, Michael: Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen. Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am Rhein / Michael Curschmann. - Freiburg, Schweiz: Univ.-Verl., 1997 (Vorträge / Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für Germanische Philologie ; H. 6) ISBN 3-7278-1083-1

Copyright 1997 by Universitätsverlag Freiburg Schweiz Satz: Mediävistisches Institut der Universität Freiburg Schweiz Druck: Paulusdruckerei Freiburg Schweiz ISBN 3-7278-1083-1

Inhalt Carl Pfaff - Begrüßung

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Michael Curschmann - Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen

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Curriculum vitae Michael Curschmann

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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Michael Curschmann 1964-1996

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Abbildungen

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Begrüßung Verehrter Herr Curschmann, liebe Gäste, meine Damen und Herren, in Vertretung des landesabwesenden Kollegen Kurmann fällt es mir zu, Sie alle gleichsam willkommen zu heißen zur Antrittsvorlesung von Herrn Prof. Curschmann, den ich ganz besonders herzlich begrüße als den diesjährigen Inhaber der Wolfgang-Stammler-Gastprofessur. Sie gilt dem ehrenden Gedächtnis des bedeutenden Mediävisten, der hier von 1951 bis 1957 zwar nur wenige, aber für ihn glückliche und für seine Studenten unvergeßliche Jahre gelebt und gewirkt hat und seine Lehrtätigkeit hier mit dem Vortrag über «Frau Welt» in Wort- und Bild-Zeugnissen begann.1 Ich freue mich, auch einige Gäste begrüßen zu dürfen: aus Freiburg i.Br. die Herren Schupp und Wolf, aus Göttingen Herrn Schöne, Emeritus für neuere deutsche Literatur, aus Zürich - ein mir besonders lieber Gast Herrn Haas, der im kommenden Herbst die Stammler-Gastprofessur übernehmen wird. Es ist für unsere Universität äußerst schmeichelhaft, daß Herr Curschmann, Altgermanist in Princeton an einer der renommiertesten Hochschulen der Welt, hier vorübergehend seine Zelte aufschlägt und sich als Dozent unseren Studierenden zur Verfügung stellt. Herr Curschmann ist aber kein geborener Amerikaner und - obwohl er seit Jahrzehnten in den U S A lebt - schreibt er seinen Namen noch immer mit zwei n. Er ist vielmehr ein in München aufgewachsener Kölner. Zum Isar-Athen hat er seine Beziehungen niemals abgebrochen, was wohl begreiflich ist, hatte doch schon seine Dissertation etwas mit München zu tun. Sie trägt den Titel: .2 Dem König Oswald, der vom ebenso gottbegnadeten wie listenreichen Freier zu einem der vierzehn Nothelfer aufstieg, haben Sie die Treue gehalten und die Münchner Fassung zehn Jahre später auch ediert. Es ist an dieser Stelle nicht möglich - und ich wäre dazu auch gar nicht kompetent - auf Ihre zahlreichen Publikationen einzutreten, ich möchte nur noch auf Ihre verdienstvolle Mitarbeit an Edition und Kommentar 1

Wolfgang Stammler, Frau Welt. Eine mittelalterliche Allegorie (Freiburger Universitätsreden N F 23), Freiburg Schweiz 1959.

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Michael Curschmann, . Mit einem Exkurs zur Kultgeschichte und Dichtungstradition (MTU 6), München 1964.

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zum Werk der Herrad von Landsberg hinweisen. Die elsässische Äbtissin fordert ja die Fähigkeit zur Interdisziplinarität bei ihrem Leser und Deuter geradezu heraus. Und es ist eben diese Fähigkeit, die Sie, Herr Curschmann, in beneidenswertem Maße auszeichnet und Sie dazu legitimiert, zu den Problemen ein maßgebendes Wort zu sprechen, die sich bei der Beschäftigung mit der Bild-Text-Relation im Mittelalter ergeben. Vor allem - scheint mir - kann sich jener, der sich in das so ungemein vielschichtige und verwirrend variable Beziehungsnetz zwischen Literatur und bildlicher Darstellung einarbeiten will, bei Ihnen in methodischen Fragen Klarheit verschaffen. Daß Sie gerade dieses Thema für Ihr ab jetzt jeweils Samstag ganztägig durchzuführendes Blockseminar gewählt haben, dafür sind wir und die Studierenden Ihnen besonders dankbar. Dazu, lieber Herr Curschmann, wünschen wir Ihnen viel Erfolg und, noch lieber, viel Freude, so wie sie einst hier Wolfgang Stammler zuteil geworden ist - und wäre es einmal nicht so, wie man es sich wünschen möchte, dann hilft bestimmt ein Stoßgebet zum heiligen Oswald! Carl Pfaff

Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am R h e i n * Für Hans Fromm In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts hat bekanntlich der europäische Laienadel seine eigene Stimme in der Literatur gefunden, und ich meine damit im Hinblick auf mein Thema vor allem die volkssprachige Erzähldichtung, die in diesem Emanzipationsprozeß so bemerkenswert schnell schriftliche Form gewann. Die deutschen Träger dieser Bewegung haben sich zunächst überwiegend rezeptiv verhalten, aber es spricht für ihr schnell erwachtes literarisches und kulturelles Selbstbewußtsein, daß dann bald sie es sind, die einen wichtigen Schritt weitergehen und sich die neuen Stoffe und Themen auch monumental-visuell vergegenwärtigen. Das erste bekannte Beispiel für einen solchen Versuch überhaupt hat sich ja auf Burg Rodenegg bei Brixen (Bressanone) in Südtirol erhalten: Ein Zyklus von al secco gemalten Wandbildern, der die aus dem Artusroman vertraute Geschichte des Löwenritters Iwein behandelt. Er ist 1972/73 freigelegt und sorgfältig restauriert worden: seither eine bekannte Touristenattraktion und mittlerweile auch relativ gründlich erforscht.1 Man wird diese Malereien heute am ehesten auf die zwanziger Jahre des dreizehnten Jahrhunderts datieren, das heißt längst nicht mehr so früh wie man es in der ersten

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Die erste Fassung dieser Arbeit war ein Vortrag beim Festkolloquium zum 75. Geburtstag Hans Fromms im Juni 1994 in München. Weitere deutsche Versionen habe ich an den Universitäten Frankfurt, Köln und Regensburg zur Diskussion stellen dürfen, eine englische an der University of Washington und an der Universität Utrecht. Der vorliegende Text ist gegenüber dem Vortrag beträchtlich erweitert und durch Anmerkungen sowie einen Anhang ergänzt worden. Die Literatur findet sich bei James R. Rushing, Jr., Images of Adventure. Ywain in the Visual Arts, Philadelphia 1995 (das Rodenegg-Kapitel dort S. 30 bis 90), und Volker Schupp, Hans Szklenar, Ywain auf Schloß Rodenegg. Eine Bildergeschichte nach dem Hartmanns von Aue, Sigmaringen 1996. Das Bändchen von Schupp und Szklenar bietet die bislang besten Abbildungen und soll im übrigen dem Zweck dienen, «das bisher Erkannte zusammenzufassen» (S. 7). Rushings Arbeit konnte dort nur in ihrer Frühform als Princetoner Dissertation herangezogen werden.

- 10 Entdeckerfreude wollte. Einen festen literarhistorischen terminus post quem sehe ich nach wie vor im Erscheinen des von Thomasin von Zerklaere. 2 D o r t auf Rodenegg, in einem Trakt, u m den die H e r r e n von R o d a n k ihren ersten Bau aus den vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts bald erweitert hatten, 3 tut sich eine neue Dimension des Umgangs mit profanliterarischen Gegenständen auf. Zugleich beginnt, zumindest f ü r uns, die Geschichte adliger Selbstdarstellung im literarisch begründeten Vor-Bild. Es m u ß im Lauf der folgenden drei Jahrhunderte dutzende, w e n n nicht hunderte, solcher U n t e r n e h m u n g e n gegeben haben, auf Adelsburgen wie in den Häusern des Stadtpatriziats. Aber wenig ist erhalten, 4 und erst seit relativ kurzer Zeit besteht die Möglichkeit, sich vor Augen zu halten, wie diese Geschichte zuende geht. Das geschieht, w e n n ich recht sehe, auf Burg Wildenstein an der oberen D o n a u , nicht weit entfernt von Meßkirch, dem Residenzstädtchen der Freiherrn u n d späteren Grafen von Zimmern. Die mittelalterliche Burg kam im f r ü h e n 15. Jahrhundert in den Besitz dieses Geschlechts, u n d nachdem 1512 ein Großfeuer sie teilweise zerstört hatte, u n t e r n a h m der damalige Besitzer, Gottfried Werner von Zimmern, einen N e u b a u . D e r hat sich insgesamt sehr gut erhalten und gehört seit 1971 dem Deutschen Jugendherbergswerk. Teil dieses Neubaus war zweifellos auch ein anscheinend ebenfalls al secco gemalter -Zyklus, der ein T h e m a aus der spätmittelalterlichen Heldenepik aufgriff: die Geschichte von Dietrich von Bern u n d dem Riesen Sigenot. Letzteres hat vor ein paar Jahren Burghart Wachinger erkannt, u n d er u n d ich haben anschließend eine erste Bestands-

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Den sich anbahnenden Konsensus stellt neuerdings wieder Schupp zu Gunsten einer früheren Datierung in Frage (Anm. 1), S. 109-112. Unerwähnt bleiben dabei u.a. meine Überlegungen zur Mittlerrolle Thomasins: Michael Curschmann, Der aventiure bilde nemen: The Intellectual and Social Environment of the Iwein Murals at Rodenegg Castle, in: Chrétien de Troyes and the German Middle Ages, hg. von Martin H. Jones und Roy Wisbey (Arthurian Studies Senes 26), Cambridge 1993, S. 219-227, hier: 223ff. Im 16. Jahrhundert ist die Anlage dann noch einmal beträchtlich erweitert worden. Eine detaillierte Übersicht, die die wegweisenden, aber längst überholten Zusammenstellungen Wolfgang Stammlers ersetzen könnte, ist dringend erwünscht. Vgl. bes. Wolfgang Stammler, Schrifttum und Bildkunst im deutschen Mittelalter, in: Deutsche Philologie im Aufriß, hg. von Wolfgang Stammler, 2. Aufl., Bd. 3 (1962), Sp. 614-698, bes. 639ff.

- 11 aufnähme und Analyse veröffentlicht. 5 Als Entstehungsdatum scheinen mir die zwanziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts heute am wahrscheinlichsten. Für die Erhaltung dieses wichtigen literar- wie kunstgeschichtlichen Denkmals bleibt noch alles zu tun. Die Sujets liefert in beiden Fällen also die profane, volkssprachige Erzählkunst, - der höfische Roman im einen und das Heldenepos im anderen. Der Roman ist dabei die Gattung, der sich die monumentale bildende Kunst, wie gesagt, schon früh öffnet, und diese Versuche individueller Aneignung literarischer Stoffe in der bildlichen Ausgestaltung privater Räume signalisieren nachdrücklich die allseitige Anerkennung weltlicher Fiktion als Statussymbol: Mittel der Selbstdefinition und gesellschaftlicher Repräsentation. Unsere unmittelbaren Fragen gelten somit dem Verhältnis dieser neuen Bildlichkeit zur verbalen Tradition und den Impulsen und Gedanken, die solchen Umsetzungen zugrundeliegen. Aber Beziehungen dieser Art entstehen jeweils in besonderen historischen und intellektuellen Zusammenhängen, die sich wandeln und damit auch das Verhältnis von Wort und Bild in der literarischen Unterhaltung des Laien verändern. In diesem weiteren historischen Zusammenhang nun rückt als wesentliche Komponente dieses Verhältnisses die Art der Uberlieferung und Darbietung und damit das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Gesamt dieser Entwicklung in den Vordergrund. Was sich aus dieser Perspektive ergibt, mag auf den ersten Blick paradox erscheinen: Obwohl der Gegenstand ihres Interesses bereits in schriftlicher Form existierte, haben die Rodanks die Aufgabe, die sie sich stellten, als Mitglieder einer Gesellschaft gelöst, die sich immer noch in einem überwiegend oralen Umfeld bewegte. Auf der anderen Seite hat Gottfried Werner von Zimmern, als er zu ähnlichen Zwecken der Selbstdarstellung und Repräsentation einen heldenepischen Stoff heranzog, diese Gattung, die am längsten in mündlicher Tradition überlebte, bereits im Geist eines modernen Lesers rezipiert. Das ist der weitere Rahmen, in dem es mir darum geht, an Hand der beiden Beispiele Rodenegg und Wildenstein das Verhältnis von Literatur und bildender Kunst in diesem Bereich aristokratischer Kunstübung vergleichend, und das heißt vor allem kontrastiv, zu beleuchten. Zugleich ist das ein Versuch, zwei Bereiche mittelalterlicher Ausdrucksform sachdien-

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Michael Curschmann, Burghart Wachinger, Der Berner und der Riese Sigenot auf Wildenstein, in: PBB 116 (1994, Heft 2: Festgabe für Hans Fromm), S. 360 bis 389. Vgl. Michael Curschmann, Ein Zyklus profaner Wandmalerei auf Burg Wildenstein an der Donau: Dietrich und Sigenot, in: Kunstchronik 48 (1995), S. 4 1 - 4 6 (Zusammenfassung aus kunsthistorischer Sicht).

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lieh zusammenzusehen, die wir gemeinhin immer noch getrennt behandeln: die verbale Tradition in der Spannung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit einerseits und das Verhältnis des Verbalen zum Bild andererseits. Es ist in der Forschung längst der Punkt erreicht, wo man in der einen Frage ohne die Berücksichtigung der anderen kaum weiterkommen wird. Ich beginne meine Überlegungen mit Rodenegg und gehe dann zu Wildenstein über. Ein kleiner Umweg über das ebenfalls Südtiroler Runkelstein wird uns zurück nach Rodenegg führen und zu einem zusammenfassenden Uberblick, zu dem auch ein Kontrastbeispiel ganz anderer Art aus der Zeit von Wildenstein gehört, die Fassade des Flaarschen Hauses in Stein am Rhein.

I Die neureiche Ministerialenfamilie Rodank fand auf der Suche nach gesellschaftlicher Legitimation im populären Artusroman ein handliches literarisches Identifikationsmuster, und sie fand weiterhin ein kirchliches Maleratelier, das es ihr ermöglichte, sich diesen Stoff in einer Weise anzueignen, die weit über die bis dahin übliche, passive Rezeption des gesprochenen oder geschriebenen Dichterwortes hinausging. Was der Laie eigentlich sollte, war Gottes Wort und seine Wahrheit, und jetzt sollte weltliche Fiktion zum sichtbaren Objekt bewundernder Sympathie erhoben werden. Das war etwa ganz Neues. Es lag allerdings auch in der Luft, und es lohnt sich, dazu einen Seitenblick auf ein literarisches Denkmal der Zeit zu werfen. In dem ca. 1215/30 verfaßten französischen Prosaroman von Lancelot wird der Held eines Tages von der bösen Fee Morgan in ihrem Palast gefangen gesetzt. Zum Zeitvertreib schaut er aus dem Fenster in einen anderen Raum und er sieht dort einen Mann, der gerade vne änderte ystoire an die Wand malt. An den Beischriften erkennt er: Es ist die Geschichte von der Flucht des Aneas aus Troja. 6 Das war, von Vergil her immer schon legitimiert, zumindest in der literarischen Einbildungskraft längst nicht mehr ungewöhnlich,7 denn das war , historia, heilsgeschicht6 7

The Vulgate Version of Arthurian Romances, hg. von H. Oskar Sommer, Bd. 5, Nachdr. New York 1979, S. 217-219. So findet sich das Vergilsche Modell schon im Chrestiens de Troyes auf den Sattelbögen von Enites Pferd (Chretien de Troyes, Erec und Enide, übers.

- 13 lieh abgesegnet. Aber Lancelot geht nun einen bedeutsamen Schritt weiter und malt nach diesem Vorbild an die Wände seines Gefängnisses seine eigene Geschichte: die Geschichte seiner Jugend und seiner Beziehung zu Guinevere. Aber auch, wie es ausdrücklich heißt, die Geschichte : mais des autres si comme li contes a ia deuise.' Wir sind mithin gewarnt, den Sprung von der historischen Biographie ins autobiographische Schildern nicht im modernen Sinn mißzuverstehen. Im Rahmen der Romanfiktion überträgt Lanzelot ins andere Medium, was der Leser oder Hörer bis dahin selbst schon weiß. Er gibt, mit anderen Worten, ein Abbild des Lancelot-Romans als Korrelat eigenen Erlebens, persönliche Geschichte in der Typik des Romans. An diesem Punkt setzt auch der Rodenegg-Maler, stellvertretend für seine Auftraggeber, an. Nur, er objektiviert diesen Ansatz, und die in jedem Fall nötige inhaltliche Perspektivierung unterliegt hier natürlich einer anderen, außerliterarischen Aktualität. Machen wir also einen schnellen Rundgang, um zu sehen, was mit der Geschichte vom Artusritter Iwein geschehen ist, die etwa vierzig Jahre früher Chrétien de Troyes schriftliterarisch gefaßt und danach Hartmann von Aue für ein deutsches Publikum adaptiert hatte.9 Der nur etwa sieben mal vier Meter große Raum liegt im alten Teil der Burg zu ebener Erde, und man betritt ihn direkt vom Hof her und, grob gesagt, von Osten. Die Erzählung beginnt, kaum noch erkennbar, gerade zur Linken und über dieser Tür und läuft dann oberhalb einer weißen Sockelzone in einer eigenen, insgesamt 190 Zentimeter hohen Bildzone von rechts nach links kontinuierlich um den ganzen Raum herum, bis fast zum

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u. eingel. von Ingrid Kasten [Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 17], München 1979, V. 5337ff.) und danach weiter ausgeführt bei Hartmann von Aue (Erec von Hartmann von Aue, hg. von Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff, 6. Aufl. von Christoph Cormeau und Kurt Gärtner [ATB 39], Tübingen 1985, V. 7526ff.). Es sei nicht verschwiegen, dal? die ca. zwei Dekaden spätere deutsche Fassung das in charakteristischer Weise ausdrücklich wieder verkürzt (Lancelot, hg. von Reinhold Kluge, Bd. 2, [DTM 47] Berlin 1963, S. 478): von im besunder und nit von den andern. Zum deutschen Text vgl. zuletzt Haiko Wandhoff, Gemalte Erinnerung. Vergils und die Troja-Bilddenkmäler in der deutschen Artusepik, in: Poetica 28 (1996), S. 66-96, hier: 87-91. Chrétien de Troyes, Yvain (der Löwenritter), hg. von Wendelin Förster, 4. Aufl. (Romanische Bibliothek 5), Halle 1912. Hartmann von Aue, Iwein. Eine Erzählung, hg. von G[eorg] Ffriedrich] Benecke und K[arl] Lachmann, neu bearb. von Ludwig Wolff, 7. Aufl., Berlin 1968.

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Ende der Südwand. Elf Einzelszenen gehen ohne künstliche Begrenzung ineinander über, sind jedoch zugleich durch natürliche Markierungen (Bäume oder Architektur) immer deutlich als getrennte Handlungsphasen und Handlungsräume ausgewiesen. Im übrigen ist der Raum als solcher, einschließlich der realen architektonischen Details, mit großer Sorgfalt zur Gliederung der Handlung genützt. Folgendes zeigt die Nordwand (Abb. 1): Der Ritter Ywain (Yvain/ Iwein) reitet in die aventiure hinein und kommt zu einem Wilden Mann, der seine wilde Herde hütet. Und der weist ihn weiter zu einem magischen Brunnen, wo der Ritter Wasser schöpft, um es auf den magischen Stein zu gießen. Es folgt der Zweikampf mit dem Herrn des Landes, Ascheion (Esclados/Ascalon), der in zwei Waffengängen über die Bühne geht: erst mit Speeren und dann mit Schwertern. - Wir kommen zur stark zerstörten Westwand (Abb. 2). Rechts verfolgt Ywain den schwer verwundeten AscheIon durch das Burgtor, dessen Gatter herunterfällt. In der Mitte hält die Burgherrin, Laudina (Laudine), den Sterbenden oder Toten im Schoß. Links empfängt Ywain von der Hofdame Luneta (Lunete) den unsichtbar machenden Ring. Auf dieser Wand ist eine Zentralkomposition gestaltet, die im Übergang von außen nach innen den Erzählfluß merklich verlangsamt: Rechts reitet der Held ein, links steht er in der Gegenrichtung, nach rechts gewandt. Dazwischen liegt die Trauerszene, auf die ich gleich noch zurückkomme. - Auf der Südwand (Abb. 3) bekommt die Handlung schnell wieder Bewegung und zugleich neue Richtung: Wir folgen Ywains Blick, wie er rechts oben aus einem Turmfenster unbemerkt die Trauerfeierlichkeiten beobachtet und die erstarrte Schönheit Laudinas bewundert. Bei genauem Zusehen erkennt man, daß eine Hand, die Hand Lunetas, den Ungeduldigen zurückhält. Dann die (vergebliche) Suche nach dem unsichtbaren Mörder und abschließend der Moment, in dem er, begleitet von Luneta, vor der trauernden Witwe kniet (Abb. 4). Diese Bildgeschichte bezieht sich, wie angedeutet, durch Namenstituli auf einen literarischen Hintergrund, den man kannte oder doch kennen konnte.10 Andererseits endet sie hier, auf Rodenegg, in einer Szene, mit der in den einschlägigen Texten erst eine frühe Zwischenstation erreicht ist. Es folgt dort ein zweiter Handlungsumlauf, der das Geschehen des ersten Teils relativiert und überhöht. Man bemerkt in dem Raum auf Rodenegg auch

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Daß ich dabei das Verhältnis völlig anders sehe als Schupp, sollte im folgenden noch deutlicher werden. Vgl. Volker Schupp, PICT-ORALES oder: Können Bilder Geschichten erzählen?, in: Poetica 25 (1993), S. 35-69, bes. 55ff.

- 15 keinerlei ikonographische oder sonstige Anzeichen eines happy end,11 wie es dort, in den Texten, erst einmal gefeiert wird: Laudine vereint sich mit Yvain/Iwein, ohne daß das allerdings irgendwie geschildert würde. 12 Der Maler hat, den Gesetzen seines Mediums folgend und sie zugleich nützend, die Erzählung überhaupt und von vornherein völlig anders akzentuiert und strukturiert, und zwar sowohl im zweidimensionalen Rahmen der einzelnen Wände als auch in der Dreidimensionalität des Raumes insgesamt. Das ist heute auch weitgehend anerkannt, und ich habe den Beobachtungen meiner Vorgänger im einzelnen nur wenig hinzuzufügen. 13 Worauf es mir

11 Daß die Wand in der anschließenden Südostecke nicht bemalt ist, hat man seit jeher damit erklärt, daß dort ein Kamin eingefügt war, dessen Umrisse in der Tat noch angedeutet scheinen. Schupp, der sich früher für eine Bemalung dieses Kamins ausgesprochen hatte, um dort eine versöhnliche Abschlußszene unterzubringen, postuliert jetzt stattdessen eine ummantelte und auf dieser Ummantdung bemalte Wendeltreppe, die den Raum mit dem darüberliegenden Palas verbunden habe. In jedem Fall «muß» es für ihn eine solche 12. Szene gegeben haben; die Logik seiner textgestützten Bildergeschichte will es so (1996, S. 102): «Auch wenn der Roman nicht erhalten wäre, müßte postuliert werden, daß Ywains Kampf und Mut ihr Ziel erreichen, zugleich Laudinas Leid und Verlust wieder gutgemacht werden. Wie auch immer die Hochzeit dargestellt war, als Festbankett oder Trauung, sie muß in Rodenegg vorhanden gewesen sein.» Methodisch entschieden solider erscheint mir Rushings Versuch, mit dem Vorhandenen allein auszukommen, dessen Ergebnis Schupp als «(modernistisch) schief» bezeichnet (S. 105). 12 Der ganz anders strukturierte und viel kleinteiliger komponierte Schmalkaldener Iwein-Zyklus (hierüber Rushing [Anm. 1], S. 90-132) imaginiert die Trauung sowie das Beilager und stellt diesen Komplex geradezu ins Zentrum der Komposition. Die überdimensionale Bankettszene, die darüberhinaus den Raum beherrscht, steht eher in allgemein thematischer als in spezifisch narrativer Beziehung zum Ganzen (Rushing [Anm. 1], S. 113). 13 Als wichtigste Schritte auf diesem Weg sind zu nennen die frühe Arbeit Volker Schupps, in der die thematische Eigenständigkeit des Zyklus als solche verfochten wird (Kritische Anmerkungen zur Rezeption des deutschen Artusromans anhand von Hartmanns . Theorie - Text - Bildmaterial, in: Frühmittelalterliche Studien 9 [1975], S. 405-442); der Aufsatz von Norbert H. Ott und Wolfgang Walliczek (Bildprogramm und Textstruktur. Anmerkungen zu den -Zyklen auf Rodeneck und in Schmalkalden, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Tübingen 1980, S. 473-500), der erstmals die Rolle des neuen Mediums und die gesellschaftliche Dimension des Unternehmens in Zusammenhang mit der Raumgestaltung klar herausgestellt hat; die Bemer-

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ankommt, ist, dieses Bestreben des Malers als solches hervorzuheben und zu charakterisieren. In den Textfassungen wird das Wald- und Brunnenabenteuer bis zum Erscheinen Ascalons hin ja nur von dem Ritter Kalogrenant, und zwar von diesem selbst, wirklich erzählt. Iwein tut es ihm nach, aber das wird natürlich nicht im einzelnen dargestellt, sondern im Zeitraffer des eigentlichen Erzählers als Nachfolgeaktion charakterisiert, deren unziemliche Hast bei Hartmann zum Beispiel nicht zu überhören ist (989-993): Vil schiere sacb her Iwein den boum, den brunnen, den stein, und gehörte ouch den vogelsanc. do was sin twelen unlanc unz daz er ûf den stein gäz.

Der erste große Schritt des Malers auf das eigene Konzept hin war, dieses prototypische Abenteuer ganz auf Iwein zu übertragen. Damit ist ein von allen möglichen Ambivalenzen und Ironien unbelasteter Held kreiiert, der sich in dieser Rolle dann im ritterlichen Zweikampf durchsetzt, und zwar ganz nach malerischer Schablone in zwei imposanten Waffengängen. In den Texten ist das wieder ganz anders. Hartmanns Erzähler weigert sich sogar ausdrücklich, Iweins Schwertkampf zu schildern, mit ironischem Hinweis auf Iweins eigene höfische Bescheidenheit. Ein solcher Erzähler, der direkt manipulierend eingreift, gegebenenfalls auch ironisch distanziert, steht dem Maler nicht zur Verfügung - was bedeuten soll, muß sichtbar sein - , und so tendiert seine Erzählung hier fast zwangsläufig zum Eindeutigen, affirmativ Vorbildlichen, schon vor aller eventuellen ideologischen Begründung. Zugleich sorgt die Zweikampfschablone des Malers dafür, daß die Großepisode im Wald bei allem Drang nach vorn doch auch im eigenen Rahmen bleibt: Der flüchtende Ascheion erscheint erst in der nächsten Szene; zunächst bleiben Pferd und Reiter dem Helden entgegengerichtet und grenzen so das Abenteuer effektiv ab. Diesem Geschehen im Außenraum, in der Welt von Aventiure und Ehre, stellt die gegenüberliegende Südwand eine ähnlich geschlossene kungen Anne-Marie Bonnets zur zentralen Rolle der Westwand in der Gesamtkomposition (Rodenegg und Schmalkalden. Untersuchungen zur Illustration einer ritterlich-höfischen Erzählung und zur Entstehung profaner Epenillustration in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts [tuduv-Studie, Reihe Kunstgeschichte 22], München 1986, passim); und die strukturalistische Analyse des Ganzen von James R. Rushing, Jr. (Anm. 1), der ich mich besonders verpflichtet weiß, ohne ihr immer folgen zu können.

- 17 Komposition im Innenraum gegenüber: Vom Blick Iweins oben rechts bis zu seinem Kniefall ganz links unten entwickelt sich mit Hilfe Lunetas eine Beziehung völlig anderer Art, die allenfalls in der Unterwerfung zum Sieg führen kann. Anders hier aber auch der Tenor der Darstellung. An der Nordwand ist dem Gegenstand im Visuellen das abgewonnen, was ihn im weiteren Sinn gesellschaftlich interessant und darstellungswürdig macht, nämlich eine unreflektiert vorbildhafte, idealisierende Konstellation, wie sie sich ja öfter, unter Umständen auch bei ganz verschiedener literarischer Thematik, in dieser Form der Anverwandlung herauskristallisiert: Wir kennen das Muster sowohl aus der Tristan- als auch aus der Parzival-Tradition. Die Südwand scheint, unter anderem Vorzeichen, zunächst ähnlich orientiert, aber jene Schlußszene hält alles letztlich in der Schwebe. Und das ist keineswegs punktuell zu verstehen, sondern spiegelt eine grundsätzliche Ambivalenz, die der Maler in der Ausgestaltung der Westwand bereits begründet hat. Das ist die Wand, auf die man blickt, wenn man den Raum betritt (Abb. 2). Sie stellt die Verbindung zwischen Nord und Süd her und ist dabei selbst, wie schon erwähnt, in ganz besonderer Weise zentriert. Man muß diese Darstellung heute zu großen Teilen rekonstruieren," aber über den Inhalt besteht kein Zweifel: Von rechts bricht mit Iwein, der den fliehenden Ascalon in seine Burg verfolgt, gewaltsam die Außenwelt der Aventiure herein; links beginnt, mit dem ersten Auftritt Lunetes und schon hier mit Blickrichtung auf Laudine, die Umstellung auf das ganz andere Verhaltensmuster, das dann das Geschehen der Südwand beherrscht. Und im Zentrum der ganzen Komposition liegt das Opfer im Schoß der Witwe, umgeben von deren Gefolge (Abb. 5). Und diese Szene ist einmalig, das heißt sie findet kein Gegenstück in den Texten. Der Maler hat sie aus dem Bildfundus der christlichen Ikonographie als Lamentado neu gestaltet. Die Lamentatio Christi (Abb. 6) auf einer ungefähr gleichzeitigen Tafelmalerei aus Pisa veranschaulicht das zur Genüge. 15 Dieselbe Bildformel ist auch in den etwas älteren Wandbildern in der Krypta des Doms von Aquileia prominent gegenwärtig, und zwar wieder eher in der dortigen Lamentatio als in der Depositio, auf die man

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Wie es Bonnet (Anm. 13) getan hat: Abb. 12,14,16. Rushing (Anm. 1), S. 55. Es handelt sich um eine auf Pergament über Holz gemalte monumentale Kruzifixdarstellung eines imbekannten Pisaner Meisters, die seitlich von je drei solchen Passionsszenen flankiert ist. Vgl. Otto von Simson, Das hohe Mittelalter 2 (Propyläen Kunstgeschichte 6), Frankfurt 1972, Abb. 380 u. S. 367.

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früher öfter verwiesen hat. 16 Und diese Assoziationen werfen dann ihre Schatten voraus - ganz konkret auf den Schluß des Ganzen: Haltung und Miene Laudines in der letzten Szene drücken Schmerz und Trauer aus. Auch das ist natürlich formelhaft, es lohnt sich aber doch, wieder gewisse Details aus den Darstellungen in Aquileia danebenzuhalten, zum Beispiel die Gruppe der Klagenden aus der dortigen Depositio (Abb. 7). Auf der anderen Seite erinnert die Körpersprache Lunetes zweifellos «an den Kommendationsgestus einer Schutzheiligen», 17 besonders, wenn man die Texte im O h r hat. Das ist jedoch nur ein Aspekt. Daß noch eine ganz andere visuelle Erfahrung in der Gestaltung dieser Schlußszene mit angelegt ist, legt ein Beispiel profaner Ikonographie nahe, das ich dem durchillustrierten entnehme, dessen Bildprogramm nach allem, was man heute vermuten darf, bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreicht. Die Illustration zu Landrecht III 55 §1 auf fol. 50 r (4) der Wolfenbütteler Handschrift (Abb. 8), die selbst aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt, zeigt in genau der gleichen Figurenkonstellation und Gestik wie sie auf Rodenegg Laudine, Lunete und Iwein verbindet einen zum T o d verurteilten Fürsten in Unterwerfungshaltung vor seinem Richter, in diesem Fall dem König, während dieser den Scharfrichter anweist, seine Pflicht zu tun. 18 V o m Zentrum der Komposition her hat man auf Rodenegg dasselbe Ideal ritterlicher Lebensweise, das die Nordwand so eindringlich vor Augen führt, wie auch das Korrelat auf der Südwand, in ganz eigener Weise perspektiviert und sichtbar in Frage gestellt. Das Geschehen um Ehre und Minne ist überschattet von Trauer und der Frage nach Recht und Gericht. Was das im einzelnen bedeuten mag, steht hier nicht zur Debatte; sicherlich gibt es auch mehr als nur eine Möglichkeit, diesen Befund nutzbar zu machen. Die historisch-biographischen Hintergründe bleiben in diesem Fall ohnehin im Dunkeln. Klar ist nur: Fiktion wird mit Wirklichkeit konfrontiert - eine blutige Tat und ihr unschuldig gemordetes Opfer, Erinnerungen an die Realität ritterlicher Lebensweise. Man hat sich nicht

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Abbildungen bei Luigi Magnani, Gli affreschi della Basilica di Aquileia, Turin 1960, S. 38. Bonnet (Anm. 13), S. 58. Eike von Repgow, Sachsenspiegel. Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2°, hg. von Ruth Schmidt-Wiegand, Berlin 1993, Faksimilebd. Auch in der Szene auf Rodenegg sind im übrigen die Hände des Knieenden zur Bitte um Schutz oder Gnade geöffnet und nicht im Gestus der manumissio geschlossen, wie Rushing (Anm. 1), S. 63 und 74 meint.

- 19 mit der literarischen Illusion begnügt, sondern die Geschichte mit Überlegung eigenständig interpretiert, von der Auswahl und Gestaltung einzelner Szenen und Sequenzen über die Organisation der Wandflächen bis zur Aufteilung des Gesamtraums. Dieser Akt künstlerischer und gesellschaftlicher Anverwandlung bewirkt eine ganz individuelle Mischung von typischer Idealität, mit der man sich identifizieren wollte, und einem Realitätsbewußtsein, das diese Idealität erst begehrenswert machte. Er spiegelt damit eine Auseinandersetzung mit dem Stoff, die mir sehr bezeichnend scheint für eine kulturelle Situation, in der der laikale Umgang mit literarischen Gegenständen sich noch weitgehend im Freiraum mündlicher Verständigung abspielte." Man hat nicht etwa passiv nacherlebt - im «visuellen Erinnerungsraum einer höfischen Dichtung», wie Joachim Bumke es noch unlängst formuliert hat20 - , sondern mitgestaltet. Daß diese Geschichte auch geschrieben war und nach schriftlichen Vorlagen vorgetragen wurde, und zwar selbst von Anfang an in verschiedenen Versionen, 21 hat die Rodanks sicher inspiriert, aber es hat sie nicht gehindert, ihr ihren eigenen Stempel aufzudrücken, mit dem Selbstbewußtsein von Menschen, für die Geschriebenes noch nicht zur Richtschnur des Handelns geworden war. All das wird, wie ich hoffe, nach der Betrachtung der Malereien auf Wildenstein noch etwas deutlicher werden.

II Sehen wir uns also nun Wildenstein an! In diesem Fall liegt der fragliche Raum im oberen Stock des Palas, zu dem man über eine steile Treppe gelangte, ein Raum von beachtlicher Größe, in dem sich Gottfried Werner

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Über die Schwellsituation um 1200 zuletzt Michael Curschmann, Höfische Laienkultur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Das Zeugnis Lamberts von Ardres, in: und im Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Jan-Dirk Müller (Germanistische Symposien. Berichtsbände 17), Stuttgart/Weimar 1996, S. 149-169.

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Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme, in: PBB 114

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Zu Hartmanns grundlegend Christoph Gerhardt, -Schlüsse, in:

(1992), S. 414-492, hier: 488. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, N.F. 13 (1972), S. 13-39. Zuletzt systematisch Joachim Bumke, Die vier Fassungen der . Untersuchungen zur Uberlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert, Berlin/New York 1996, S. 5 - 1 1 und 33-42.

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von Zimmern das Riesenabenteuer Dietrichs von Bern an die Wand malen ließ, das in der Forschung unter dem Titel firmiert. 22 Gottfried Werner (ca. 1485-1554) spielt in der Chronik der Familie eine zentrale Rolle als durchaus zwiespältige Figur. Anders als sein Vater, Johannes Werner, 23 oder sein jüngerer Bruder Wilhelm war er kein fein gebildeter Mann; der Autor der Chronik, Froben Christoph von Zimmern, stellt ihn eher mit seinem gleichnamigen Großonkel in eine Linie, einem Haudegen, der zum Teil auch für die Erziehung des Knaben verantwortlich war.24 Herrisch, eigensinnig und eigenbrödlerisch sei er gewesen, Vater vieler unehelicher Kinder, die er gut versorgte; bodenständig und fremder Kleidung wie Nahrung abhold (4, 186). So etwa ist er auch überlebensgroß auf seiner Grabplatte an der Südwand der Pfarrkirche St. Martin in Meßkirch dargestellt, einem von Pankraz Labenwolf stammenden Meisterwerk der Nürnberger Bronzegießerei, und es ist sicher kein Zufall, daß die Inschrift auf diesem Denkmal auf Deutsch verfaßt ist, im Gegensatz etwa zu den lateinischen Hexametern, die die gegenüberliegende Grabplatte des gelehrten Bruders, Wilhelm Werner, zieren.25

22 Der Jüngere Sigenot, hg. von A. Clemens Schoener (Germanische Bibliothek, 3. Abt. 6), Heidelberg 1928. 23 Über ihn Frieder Schanze, in: 2VL 4 (1983), Sp. 813-816. Die . Ein Handschriftenfragment aus St. Pölten, ZfdA 100 (1971), S. 445-450. Waltherus Cantor, Oxford German Studies 6 (1971-2), S. 5-17. Das Abenteuer des Erzählens. Uber den Erzähler in Wolframs , DVLG 45 (1971), S. 627-667.