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German Pages 293 [305] Year 2000
TOPOS POIETIKOS 2
In der Reihe TOPOS POIETIKOS finden Arbeiten ihren Ort, die sich auf der »imaginären« Grenzlinie zwischen Philosophie und Literatur- bzw. Sprachwissenschaft bewegen und die besonderen Texturen von Theorie und Dichtung zu ihrem Untersuchungsgegenstand machen: Poiesis ist (Kunst)gestaltung im Wort. Streng methodisch und theoretisch reflektierte Wissenschaft der Literatur und der Sprache ist offen auf die Philosophie hin, indem sie sich der philosophischen Modellbildung bedient. Einer Literaturwissenschaft, die darüber hinaus ihren theoretischen Anspruch nicht in der Applikation vorgefundener Modelle erschöpft, sondern sie am konkreten Gegenstand auffindet bzw. durch ihn herausgefordert produziert, und einer Philosophie, die ihren Kontakt mit der Dichtung nicht auf Illustrationszwecke beschränkt, sondern ihren Diskurs selbst als Art der Literaturproduktion begreift, wird mit der Reihe TOPOS POIETIKOS ein Forum geschaffen.
Stephan Grotz
Vom Umgang mit Tautologien: Martin Heidegger und Roman Jakobson
MEINER
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INHALT
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
Das Problem (mit) der Tautologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tautologien der Ars grammatica und der Ars rhetorica . . . . . . 2. Philosophische Gebrauchsweisen von Tautologien . . . . . . . . . . a) Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aristoteles und sein Kommentator Boethius . . . . . . . . . . . . c) Wilhelm von Ockham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Meister Eckhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 7 17 19 32 38 49
Überleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Martin Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Das »Wort« und die tautologische Satzform . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Wörtliches Übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Tautologia rediviva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Roman Jakobson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der tautologische Charakter von metasprachlichen Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grammatische Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tautologie und Poetizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 188 215 228
Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
So demonstrirt’ er z. Ex. daß ’n Student ’n Student und kein Rinoceros sey. Denn sagte er, ’n Student ist entweder ’n Student oder ’n Rinoceros; nun ist aber ’n Student kein Rinoceros, denn sonst müßt ’n Rinoceros auch ’n Student seyn; ’n Rinoceros ist aber kein Student, also ist ’n Student ’n Student. Man sollte denken, das verstünd’ sich von selbst, aber unser eins weiß das nicht beßer. Er sagte, das Ding »daß ’n Student kein Rinoceros sondern ’n Student wäre« sey eine Hauptstütze der ganzen Philosophie, und die Magisters könnten den Rücken nicht fest genug gegenstemmen, daß sie nicht umkippe. Matthias Claudius, Eine Chria, darin ich von meinem Academischen Leben und Wandel Nachricht gebe.
VORBEMERKUNG
Wenn der Titel dieser vergleichenden Arbeit eine Gemeinsamkeit zwischen Martin Heidegger und Roman Jakobson postuliert, dann geschieht dies nicht in der Absicht, mit einer möglichst exotisch klingenden Konjunktion zweier Namen einen vorab gesicherten ›Komparatismus‹ in Gang zu setzen. In der Tat wird nämlich der Spielraum rasch gering, wenn man sich auf inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Heideggerschen »Seinsdenken«, das in zunehmend reduktionistischer Weise um das Problem der Sprache kreist, und dem breitgefächerten sprachwissenschaftlichen Œuvre Roman Jakobsons konzentrieren will. Maßgebend für einen derartigen Vergleich wird die Intention, man könne mit ihm eine verpaßte Gelegenheit nachholen: daß Heideggers und Jakobsons ›Theorie‹ eigentlich in einen sachbezogenen Dialog hätten treten können. Eine solche Möglichkeit zeichnet sich denn auch tatsächlich ab: Der Dialog führt über Hölderlin.1 Geradezu symptomatisch für diesen Dialog zwischen Heidegger und Jakobson wird jedoch, daß ihn zwei grundlegend verschiedene Auffassungen von »Gespräch« prägen. So bleibt er von Mißverständnissen gekennzeichnet und – nicht nur in einem äußerlichen Sinne – einseitig. Es ist Jakobsons Hölderlin-Studie, die sich zwar kursorisch, aber immerhin explizit auf Heidegger einläßt: auf dessen ›Kommentierung‹ des Hölderlinschen »Seit ein Gespräch wir sind…«.2 Problematisch daran wird für Jakobson vor allem Heideggers offensichtliches Verständnis von ›Gespräch‹: »Aber was heißt nun ein ›Gespräch‹? Offenbar das Miteinandersprechen über etwas. Dabei vermittelt dann das Sprechen das Zueinanderkommen.«3 Jakobsons Behandlung dieser Heideggerschen Sätze redet jedoch insofern am Philosophen vorbei, als sie dessen entschieden idiolektalen Gebrauch von »Gespräch« völlig verkennt. So schneidet Jakobsons Heidegger-Zitat dem Zitierten dort das Wort ab, wo es weiter geheißen hätte: »Wo Sprachfähigkeit des Menschen vorhanden ist und ausgeübt wird, da ist noch nicht ohne weiteres das wesentliche Ereignis der Sprache – das Gespräch.«4
1
Vgl. etwa M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Frankfurt a. M. 1971. – R. Jakobson, »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin« [1975/76], in: Selected Writings III: Poetry of Grammar and Grammar of Poetry, ed., with a preface, by S. Rudy, The Hague/Paris/New York 1981, 388–446. 2 Dazu Heidegger, Erläuterungen, 38 ff.; sowie Jakobson, op. cit., 434. 3 Heidegger, Erläuterungen, 39; zit. in: Jakobson, op. cit., 434. 4 Heidegger, Erläuterungen, 39. – Siehe auch Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Pful-
VIII
Vorbemerkung
Aber nicht nur dieses ›philologische‹ Mißverständnis Jakobsons gegenüber Heidegger verschenkt die Chance zu einem sachhaltigen Dialog. Diesen verwehrt vor allem Heideggers »bedachtsamer« Gebrauch von »Gespräch«, da dieser gerade nicht zu einem Dialog über… führen will, sondern in den – seinerseits idiolektal gebrauchten – »Dialekt«: »Das Miteinandersprechen aber, darin sie [die Sprache] gesprochen wird, heißt griechisch διαλéγεσθαι . Dieses ist ein auserlesenes, je besonderes Miteinandersprechen, und d. h. Aufeinanderhören. Auslesen ist der ursprüngliche Sinn des griechischen Zeitwortes διαλéγειν. Das auserlesene Miteinandersprechen, das διαλéγειν im zwiefachen Sinne ist die Muttersprache als Dialekt. Wir sagen: Mundart. Dieser Name achtet mehr nur auf die Verlautbarung und den Klangcharakter der Sprache. Das Fremdwort Dialekt sagt dagegen mehr, falls wir es bedachtsam gebrauchen.«5 So trifft Jakobsons Hölderlin-Analyse trotz ihrer sachlichen Unvereinbarkeit mit Heidegger in einem Punkt auch den Philosophen: dessen Sprachmodus: »›[…] Aber was heißt nun ein ›Gespräch‹? Offenbar das Miteinandersprechen über etwas. Dabei vermittelt dann das Sprechen das Zueinanderkommen.‹ Was auch immer Hölderlins Welt- und Sprachanschauung im 18. Jahrhundert gewesen sein mag, sein späterer Weg ist jedenfalls eine Umkehrung der zitierten Konzeption. Nicht als Gespräch, sondern nur als Gedicht ist für ihn Sprache mit ihrem mächtigen Bestand von Wörtern und spannenden Regeln der Wortfügung wesentlich, wogegen das Miteinandersprechen und Zueinanderkommen von Hölderlin« – und man kann hinzufügen: auch von Heidegger – »je später desto entschiedener, als ein bloßer Vorraum der Sprache abgelehnt werden.«6 An Jakobsons ›Dialog‹ mit Heidegger zeichnet sich etwas für unseren Vergleich Wesentliches ab: Der Unvereinbarkeit, ja Unvergleichbarkeit in der Sache steht eine anders geartete Affinität zwischen der Philosophie Heideggers und Jakobsons Linguistik und Poetik gegenüber. Letztere bleibt mit ihren eigenen Mitteln einem Sprachmodus auf der Spur, zu dem auch der philosophisch motivierte Sprachvollzug Heideggers ›unterwegs‹ ist. Beider Suche nach diesem Sprachmodus konvergiert dem Verfahren nach. Wenngleich dies Verfahren sich in den denkbar verschiedensten ›Ergebnissen‹, in Gestalt einer jeweiligen ›Theorie‹, äußert, so hat es doch für diese Ergebnisse und für ihren sprachlichen Vollzugsmodus einen vergleichbaren systematilingen 1959, 151: »Dann dürften wir aber nicht mehr jedes Miteinanderreden ein Gespräch nennen…«. 5 Heidegger, »Sprache und Heimat«, in: Denkerfahrungen 1910–1976, Frankfurt a. M. 1983, 87–112; hier 88. 6 Jakobson, op. cit., 434. – Sachlich freilich sind auch diese Worte Jakobsons unvereinbar mit denen Heideggers: »Dieses [das Gespräch] ist jedoch nicht nur eine Weise, wie Sprache sich vollzieht, sondern als Gespräch nur ist Sprache wesentlich. Was wir sonst mit
Vorbemerkung
IX
schen Stellenwert: »[Ihre] Texte behandeln unterschiedliche Gegenstände; ihre Gemeinsamkeit liegt im Verfahren. […] Aber was heißt das genau? Sicherlich nicht ein dem Text Vorgängiges erfassen zu wollen, obwohl gerade das nahezuliegen scheint.«7 Die besondere Schwierigkeit unseres Vergleichs besteht also darin, ein Verfahren zu thematisieren, das selbst, wie zu zeigen sein wird, bei Heidegger und Jakobson nicht direkt expliziert wird. Insofern aber dieses Verfahren von beiden Autoren nicht direkt expliziert wird, kann es auch nicht direkt verglichen werden. Es geht uns also bei diesem indirekten Vergleich primär darum, auf einem Umweg – über die Analyse von sprachlich wie thematisch disparaten Details – analoge verfahrenstechnische Strukturen an den Texten Heideggers und Jakobsons zu beschreiben, welche die Vereinzelung dieser Texte und diejenige der Autoren aufheben sollen. Der Vergleich kann daher seine Legitimation nur von hinten, auf sein Ganzes gesehen erhalten. Vorweg angedeutet sei hier nur so viel: Heideggers Strategie, die Sprache der »Metaphysik« durch einen Sprachvollzug zu unterlaufen, der nicht mehr einem »metaphysischen« Sprachbau – der strikten Opposition von signans und signatum – gehorchen soll, und Jakobsons Etablierung einer (dann in eigener Interpretationspraxis verwirklichten) Einstellung auf die poetische Funktion ›der‹ Sprache, welche den referentiell-kognitiven Sprachwert als sekundär behandelt, konvergieren in dem Bemühen, einen Grenzbereich der ›Sprache als Sprache‹ ins Auge zu fassen. Dadurch aber, daß dieser anvisierte Grenzbereich das gesicherte Terrain der Explizierbarkeit in gewisser Weise verlassen muß und doch nie ganz verlassen kann, wenn anders dieser Bereich aussagbarer Gegenstand einer linguistischen oder philosophischen Betrachtung werden soll, gerät notwendigerweise seine metasprachliche Explikation zum Problem. Insofern die Tautologie, allgemein verstanden als eine Spielart mehr oder minder inhaltsleeren, aber grammatisch korrekten Sprechens, eine Sprachform markiert, die für eine explikative Rede ein zu vermeidendes Skandalon darstellt, scheint sie als Parameter geeignet für unseren Vergleich, der sich Heideggers und Jakobsons (sprachlichen) Umgang mit dem Problem einer ›Sprache als Sprache‹ zum Gegenstand nimmt: Wie Heidegger und Jakobson jeweils das Problem ›der Sprache als Sprache‹ – der ›Sprache, insofern sie Sprache ist und (zunächst) nichts außerdem‹ – durch ein analoges Verfahren mit ›der‹ Tautologie erschließen, versuchen die folgenden Ausführungen zu zeigen.
›Sprache‹ meinen, nämlich einen Bestand von Wörtern und Regeln der Wortfügung, ist nur ein Vordergrund der Sprache.« (Heidegger, Erläuterungen, 38.) 7 P. Bürger, Prosa der Moderne, Frankfurt a. M. 1988, 305f. Hervorh. von mir.
X
Vorbemerkung
Für die Verdeutlichung dieses Verfahrens exponiert das erste Kapitel unserer Arbeit ein typologisches Spektrum an Mustern für ein Sprechen in und über Tautologien, d. h. die beiden wohl grundsätzlichen Verwendungsmöglichkeiten ›der‹ Tautologie: einerseits als ein sprachpraktisch relevanter Terminus technicus, wie er sich innerhalb der antiken Ars grammatica und Ars rhetorica herausbildet; andererseits als eine in ihrer philosophischen Sachhaltigkeit problematische Satzform. Diese historische und systematische Ortsbestimmung des ›Problems (mit) der Tautologie‹ dient uns als Folie, auf der und zugleich gegen die ersichtlich werden soll, wie jeweils bei Heidegger und bei Jakobson sozusagen der Begriff einer nicht-begrifflichen Sprache problematisiert und zugleich dessen sprachliche Darstellung realisiert wird. Mit anderen Worten: Unsere Arbeit bietet keine sachgeschichtliche Untersuchung, die in Heideggers und in Jakobsons Texten das traditionelle, diesen Texten vorgängige Problem der Tautologie als ein mehr oder minder modifiziert wiederkehrendes Thema nur wiederentdeckt. Indikatorfunktion haben diese traditionellen Verwendungsmöglichkeiten von Tautologien nur für Heideggers und Jakobsons jeweiligen Umgang mit Tautologien.
I. DAS PROBLEM (MIT) DER TAUTOLOGIE
Das Ziel der Wiederholung liegt in der Identität, – das Ziel der sprachlichen Bezeichnung liegt in der Differenz. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I.
Die Schwierigkeit, das dänische Königspaar ohne Umschweife und doch schonend über den offensichtlichen Wahnsinn Prinz Hamlets benachrichtigen zu müssen, versucht der Shakespearsche Polonius mit einem rhetorischen Kunstgriff zu lösen. In einer Art Praeteritio mit deutlich apologetischem Impetus – »es schätzt ja niemand den Boten schlechter Nachricht«1 – gerät die bei der Sache gebotene Kürze zum Hauptgegenstand von Polonius’ Suada: My liege and madam, to expostulate What majesty should be, what duty is, Why day is day, night night, and time is time, Were nothing but to waste night, day and time. Therefore, since brevity is the soul of wit, And tediousness the limbs and outward flourishes, I will be brief. Your noble son is mad. Mad call I it, for to define true madness, What is’t but to be nothing else but mad? But let that go.2 Was die Angesprochene, Königin Gertrude, sogleich mit der Bemerkung quittiert: More matter, with less art. Den Unmut der Königin scheint diese Rede insbesondere durch eine – offenbar allzu artifizielle – Sprachform auf sich zu ziehen, die nicht nur ihren Zweck als Ornatus des Redeinhalts (»matter«) verfehlt, sondern die den Gesamteindruck einer Inhaltsleere erst ursächlich erweckt: Gemeint sind die tautologischen Formen, in die Polonius seine ›Reflexionen‹ über »day«,
1
Vgl. Sophokles, Antigone, v. 277 (ed. A. Pearson, Oxford 1987, o. P.). – Soweit nicht anders angegeben, stammen sämtliche Übersetzungen von mir. 2 Shakespeare, Hamlet II.ii, v. 86–95 (ed. H. Jenkins. London/New York 1982, o. P.). Die beiden folgenden Shakespeare-Zitate beziehen sich auf ebd., v. 95 bzw. v. 96–99.
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Das Problem (mit) der Tautologie
»night«, »time« und »madness« kleidet, um darin seine eigentliche Botschaft buchstäblich einzubetten. Jedoch insistiert Polonius nun seinerseits auf der völligen Kunstlosigkeit seines sprachlichen Ausdrucks mit dem Hinweis, nichts als die Wahrheit, als den bloßen Sachverhalt von Hamlets Wahnsinn referiert zu haben. Und wie zur Bekräftigung dessen versteigt er sich sogleich zu einer Bemerkung über die Wahrheit von Hamlets beklagenswertem Zustand und den beklagenswerten Zustand dieser Wahrheit. Erst diese »foolish figure« läßt ihn einhalten und zu einem kunstlosen Ausdruck zurückkehren, welchen er eben noch durch eine tautologische Sprachform gewahrt sah: Madam, I swear I use no art at all. That he is mad, ’tis true; ’tis true ’tis pity; And pity ’tis ’tis true: a foolish figure – But farewell it, for I will use no art. Sieht man davon ab, daß Polonius’ Rede ihre dramaturgische Motivation und Spannung aus dem (seit der Antike geläufigen) Topos des Botenberichts bezieht, dann läßt sich das Bemühen des Polonius um eine möglichst kunstlose, klare Diktion, die jedoch faktisch ein vitiöses Übermaß an artifiziellem Ausdruck aufweist und die für die Königin unverständlich wird, in einen Problemhorizont rücken, wie er im 22. Kapitel der Aristotelischen »Poetik« eröffnet wird: »Λéξευς δè ρετ σαφ καì µ ταπειν ν εναι. σαφεστáτη µèν ον στιν κ τ ν κωρíυν #νοµáτυν, λλà ταπειν'.«3 Die klare Diktion und ein uneigentlicher Sprachgebrauch erscheinen hier als die beiden konträren Pole, zwischen denen Aristoteles eine gelungene artifizielle Sprachform eingespannt sieht: Die größtmögliche Klarheit und Verständlichkeit einer Rede wird zwar durch einen ausschließlich herkömmlichen Sprachgebrauch erzielt, doch ein solcher Sprachgebrauch erweckt beim Hörer im extremen Fall den ermüdenden Eindruck, hier sei etwas Selbstverständliches gesagt. Umgekehrt läuft eine ausschließlich ungewöhnliche, gekünstelte Sprachform in letzter Konsequenz Gefahr, unverständlich zu werden.4 Beide sprachlichen Extremformen – hier ein Zuviel, dort ein Zuwenig an artifiziellem Ausdruck – müssen deswegen vermieden werden, weil sonst jedesmal der Aussagegehalt gleichsam gegen Null tendiert und dabei eine Inhaltsleere droht, die sich in der Selbst3
Aristoteles, Poetik 1458a 18–20 (ed. I. Bywater, Oxford 1958, o. P.). – »Die beste Redeform besteht darin, klar und nicht herkömmlich zu sein. Am klarsten ist zwar diejenige, die aus eigentlich bezeichnenden Wörtern besteht, jedoch ist sie herkömmlich.« 4 Vgl. ebd. 1458a 23–25: » λλ( )ν τις *παντα τοια+τα [sc. τà παρà τò κúριον] ποι'σ., / α0νιγµα 2σται / βαρβαρισµóς [sc. λéξις].« – »Wenn man ausschließlich derartiges [d. h. was dem eigentlichen Sprachgebrauch entgegenliefe] verfertigte, wird [die Rede] entweder zu einem Rätsel oder zu einem Barbarismus.«
Das Problem (mit) der Tautologie
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verständlichkeit bzw. in der Unverständlichkeit des jeweils Ausgesagten manifestiert.5 Diese in der Aristotelischen »Poetik« nicht weiter ausgeführte Spannung zwischen dem Gebot der sprachlichen Klarheit und demjenigen der sprachlichen Eleganz, die sich gegen einen herkömmlichen Sprachgebrauch absetzt,6 kann nun in einer ganz bestimmten Hinsicht auch für einen weiteren Zusammenhang der antiken Tradition, nämlich für das grundsätzliche Verhältnis zwischen der Ars grammatica und der Ars rhetorica, geltend gemacht werden.7 Definitionsgemäß als die »recte loquendi scientia« und die »enarratio poetarum« verstanden,8 bildet die Ars grammatica eine spezifische Lehre von Regelverstößen (vitia) aus, welche dem grundsätzlich geforderten korrekten Sprachgebrauch 56Ελληνισµóς bzw. Latinitas oder puritas) dienen soll. Im Gegensatz zu einem modernen Grammatikverständnis bleibt aber der Begriff des grammatikalischen Regelverstosses (vitium) innerhalb der antiken Tradition nicht bloß auf rein formalsprachliche Verstöße, d. h. auf Fehler in der Wortbildung bzw. auf syntaktische Regelwidrigkeiten, eingeschränkt, sondern betrifft im Sinne der antiken Ars grammatica insbesondere auch stilistische Verstöße gegen die sprachliche Prägnanz und die Angemessenheit des Ausdrucks (τò σαφéς bzw. perspicuitas und proprietas).9 5
Demnach muß gemäß der (für Aristoteles nicht untypischen) Forderung nach einem Mischverhältnis – »δε8 )ρα κεκρ9σθαí πυς« (1458a 31) – die Mitte zwischen einer völlig platten und einer überzogen künstlichen Sprachform gesucht werden. 6 Für das Aristotelische Korpus wäre noch auf Rhetorik III, 2; 1404b 1ff. (ed. R. Kassel, Berlin/New York 1976, 148ff.) und III, 5; 1407a 19ff. (ed. Kassel, 156ff.) zu verweisen, wo Aristoteles in teils wörtlicher Entsprechung auf dieselbe Problematik für die rednerische Sprachgebung eingeht, diese Problematik jedoch wiederum nur en passant berührt: Weder in der Poetik noch in der Rhetorik konzentiert sich Aristoteles’ Hauptinteresse auf eine systematische Ausarbeitung jener Spannung. 7 Wenn im folgenden diese beiden historisch ausgeprägten und über Jahrhunderte tradierten ›Kunstlehren‹ in ihrem systematischen Wechselverhältnis skizziert werden, dann verdankt diese Skizze Entscheidendes R. Barthes’ kenntnisreichem Aufsatz »Die alte Rhetorik«, der einen struktural geprägten, »diachronischen Wettlauf« durch die Rhetorik von der Antike bis hin zur Neuzeit unternimmt und der in das methodologische Credo mündet: »[…] wir haben ja in diesem diachronischen Wettlauf deutlich genug gesehen, daß die Rhetorik immer im strukturalen Zusammenspiel mit ihren Nachbarinnen zu lesen ist (Grammatik, Logik, Poetik, Philosophie): nicht jeder Teil an sich ist historisch von Belang, sondern der Zusammenhang des Systems.« (R. Barthes, »Die alte Rhetorik«, in: ders., Das semiologische Abenteuer, aus dem Französischen von D. Hornig, Frankfurt a. M. 1988, 15–49; hier 48.) 8 Zu dieser klassischen Definition der Grammatik vgl. Quintilian, Institutio oratoria I, 4.2 (ed. H. Rahn, Darmstadt 1988, 46 f.). 9 Zu diesem Problemkreis siehe E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bern 1954, v. a. 52–87 und 435–440 [= Exkurs V: Spätantike Literaturwissenschaft] und Barthes (= Anm. 7), bes. 24ff. – Zur Entwicklung der Ars grammatica vgl.
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Das Problem (mit) der Tautologie
Demgegenüber versteht sich die Ars rhetorica als »bene dicendi scientia«,10 die zuweilen einen gezielten Verstoß gegen die grammatikalisch korrekte bzw. die prägnante Diktion unternehmen kann, um daraus Überzeugungskraft und sprachliche Schönheit zu ziehen. So kann, was auf Seiten der Ars grammatica einem Regelverstoß (vitium) gleichkommt, sich gleichzeitig als eine rhetorische virtus zeigen, kann also der Geltungsbereich der Grammatik in gewisser Weise durch die Rhetorik subvertiert werden. Insofern besteht die Kunstlehre der Rhetorik auch darin, grammatikalische Regelverstöße zum allgemeinen Zweck einer sprachlichen variatio in einen mehr oder minder systematischen Kanon von Figuren zu kanalisieren. Mit einer Neuerung der grammatikalisch regelrechten Sprachverwendung sieht denn auch Quintilian die Möglichkeit gegeben, daß das, was auf grammatikalischer Seite einem Regelverstoß (vitium) gleichkäme, im rhetorisch funktionalisierten Sprachgebrauch als eine grammatische Figur (schema grammaticum) eingesetzt werden kann.11 Entscheidend für die regelrechte Verwendung einer solchen grammatischen Figur ist allerdings, daß sich die licentia des Redners, von der grammatisch korrekten Diktion abzuweichen, stets zu legitimieren hat: »prius [sc. schema grammaticum] fit isdem generibus, quibus vitia. esset enim onme eiusmodi schema vitium, si non peteretur, sed accideret. verum auctoritate, vetustate, consuetudine plerumque defenditur, saepe etiam ratione quadam. ideoque, cum sit a simplici rectoque loquendi genere deflexa, virtus est.«12 H. Steinthal, Die Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik II, Hildesheim 1961; sowie R. H. Robins, Ancient und Mediaeval Grammatical Theory in Europe, London 1951, 10 ff. – Wie K. Barwick, Remmius Palaemon und die römische Ars grammatica, Leipzig 1922, 90ff. überzeugend darlegt, steht dieses auf eine praktikable vitia-Lehre zielende Grammatik-Verständnis eher in der stoisch-pergamenischen Tradition als in der von Dionysios Thrax herkommenden, vorwiegend von einem theoretischen Sprachinteresse geprägten Grammatik-Tradition. Vgl. dazu auch die monumentale Rekonstruktion einer »Philologia perennis« bei R. Pfeiffer, History of Classical Scholarship. From the Beginnings to the End of the Hellenistic Age, Oxford 1968, hier bes. 234–279. 10 Für diese auf die ältere Stoa (Kleanthes) zurückgehende, bis in die Neuzeit maßgebende Definition der Rhetorik entscheidet sich Quintilian, Institutio oratoria II, 15.34 (ed. Rahn, 240) nach einer doxographischen Diskussion der verschiedensten RhetorikBegriffe, welche vorwiegend die Überredung (persuasio) als Ziel des rhetorischen Vortrags in den Vordergrund rücken. Vgl. ebd. II, 15.1–32 (ed. Rahn, 230ff.). – Einen Überblick über die Wandlungen des antiken Rhetorik-Begriffes bietet J. Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode, München 1974, 1–13. 11 Quintilian, Institutio oratoria IX, 3.2 (ed. Rahn, 318). 12 Ebd. IX, 3.2–3. – »Die erstere [die grammatische Figur] hat dieselbe formale Erscheinung wie ein grammatikalischer Regelverstoß. Jede derartige Figur wäre nämlich ein grammatikalischer Regelverstoß, wenn sie nicht bewußt verwendet würde, sondern zufällig unterliefe. Sie legitimiert sich aber vor allem durch ihre Verwendung bei anerkannten
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Dementsprechend finden die beiden grundsätzlichen grammatikalischen Regelverstöße – der Solözismus (syntaktischer Regelverstoß) und der Barbarismus (Fehler in der Wortbildung)13 – innerhalb der rhetorischen virtusLehre ihr jeweiliges Gegenstück im tropus (das Einzelwort betreffend) bzw. in der figura oder dem σχµα (die Syntax anbelangend). Die für die idiomatische Syntax relevanten Termini des grammatischen soloecismus bzw. der rhetorischen figura lassen sich des weiteren kategorisieren hinsichtlich der »Hinzufügung« (per adiectionem) bzw. der »Weglassung« (per detractionem) und hinsichtlich der »Veränderung der korrekten syntaktischen Abfolge« (per mutationem) bzw. der »korrekten syntaktischen Anordnung« (per ordinem).14 Über diese begrifflichen Oppositionen hinaus – welche ihrerseits schon kein starres Gefüge bilden – ist die für unseren Zusammenhang relevante, weitere terminologische Spezifikation derart unscharf in ihrer begrifflichen Fassung, daß es schon von daher verfehlt wäre, auf dieser Grundlage eine fest umrissene Definition ›der‹ Tautologie als eines spezifischen Terminus technicus allein für die antike Tradition zu rekonstruieren. Wenn nun anhand von verschiedenen (spät)antiken Grammatiken und Rhetoriken einige signifikante Verwendungen des Terminus ›Tautologie‹ für eine grammatisch vitiöse bzw. für eine spezifische rhetorische Sprachpraxis gesichtet und wenn dabei diese metasprachlichen Verwendungen in ihrer Relation zueinander erörtert werden, dann geschieht dies also nicht in der Absicht, aus dieser – doch nur auf die antike Tradition beschränkten – Synopse einen etwas genauer gefaßten, sozusagen purifizierten Begriff ›der‹ Tautologie abzuleiten und diesen Autoren, durch ihren eingebürgerten Gebrauch und durch den [gegenwärtigen] Sprachgebrauch, oftmals auch [nur] aus einem bestimmten Grund. Deshalb ist sie eine gute [rhetorische] Form, obgleich sie von der einfachen und richtigen Sprechweise abweicht.« Gerade auch die bis ins Hochmittelalter hinein für das Grammatikverständnis maßgebenden »Etymologiae« des Isidor von Sevilla halten die Parallelität von grammatischem Regelverstoß (vitium) und rhetorischer virtus einschränkend unter dem Gesichtspunkt der ratio, d. h. einer regelrechten Begründbarkeit eines grammatischen vitium, lapidar fest: »Figura est vitium cum ratione.« (Ders., Etymologiae sive Origines [ed. W. M. Lindsay, Oxford 1971, o. P.].) 13 Vgl. Quintilian, Institutio oratoria IX, 1.17 bzw. IX, 2–3 (ed. Rahn, 256f. bzw. 268 ff.); sowie Isidor, Etymologiae I, 34.6: »Soloecismus est plurimorum verborum inter se inconveniens compositio, sicut barbarismus unius verbi corruptio.« – »Der Solözismus ist eine Kombination von mehreren Worten, die nicht zueinander passen; der Barbarismus die fehlerhafte Bildung eines Einzelwortes.« 14 Vgl. Quintilian, Inst. orat. IX, 3.27 (ed. Rahn, 328). Die äquivalenten griechischen Termini finden sich etwa bei Phoibammon Sophistes, Περì σχηµáτυν ρ6 ητορικ ν I.1 (in: Rhetores Graeci VIII, ed. C. Walz, Stuttgart/Tübingen 1835, 492–519; hier 496f.) – Im folgenden wird für einen Begriff der Tautologie vornehmlich das Oppositionspaar »detractio« – »adiectio« von Belang, da dieses nicht so sehr die formalsprachlich korrekte Diktion als vielmehr die stilistische Prägnanz einer Aussage betrifft.
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Das Problem (mit) der Tautologie
dann auf Heideggers und Jakobsons jeweilige sprachliche Praxis direkt anzuwenden. Im Brennpunkt unseres Interesses stehen diese verschiedenen Verwendungsweisen des Terminus ›Tautologie‹ vielmehr, weil an ihnen das Problem (mit) der Tautologie exponiert wird: eine problematische Form der sprachlichen Praxis, deren metasprachliche Bestimmung wiederum dem über Jahrhunderte tradierten und bewährten Klassifikationssystem der Grammatik und Rhetorik deutliche Schwierigkeiten bereitet hat.
1. TAUTOLOGIEN
DER
A RS
GRAMMATICA UND DER
A RS
RHETORICA
Zeigt der Terminus ›Tautologie‹ einen grammatikalischen Regelverstoß an, so liegt dieser Verstoß in der Mißachtung der allgemein gebotenen sprachlichen Kürze (brevitas); mithin fällt die Tautologie unter die Kategorie eines »vitium per adiectionem«. Dieses grundsätzliche Kriterium der vitiösen Hinzufügung ist es, das die Ars grammatica dazu (ver)führt, die spezifischen Formen einer Tautologie unter einem quantitativen Gesichtspunkt voneinander zu sondern: Grundsätzlich gibt sich der Ars grammatica eine Tautologie entweder als die Wiederholung eines einzelnen Wortes (dictio oder verbum) oder aber als eine Sprachform zu erkennen, die innerhalb eines größeren syntagmatischen Zusammenhangs, etwa in einem Satz (sermo), eine sprachliche Wiederholung aufweist. Terminologisch wird diese Alternative gemeinhin mit »iteratio«, der Wiederholung eines Einzelwortes, bzw. mit »repetitio«, einer Wiederholung im größeren Sprachzusammenhang, festgehalten. 15 Das für eine Tautologie spezifische vitium der Hinzufügung, d. h. die sprachliche Wiederholung, legt aber ihrem Begriff nach die syntagmatische Verknüpfung von mindestens zwei Einzelwörtern (wenn auch nicht zwingend) nahe, so daß allein schon die quantitative Differenzierung einer tautologischen iteratio von einer tautologischen repetitio keine genaue Trennschärfe für sich beanspruchen kann. So kann etwa die »Ars grammatica« des Donatus die Tautologie als eine repetitio, also mit demjenigen Terminus bestimmen, der eigentlich eine Wiederholung in einem größeren syntagmatischen Zusammenhang meint. Diese repetitio wird aber sogleich anhand des Beispiels »egomet ipse« veranschaulicht, welches sich offenkundig auf die Ebene des Einzelwortes (dictio) oder zumindest auf diejenige der idiomatischen Syntax bezieht: »Tautologia est eiusdem dictionis repetitio vitiosa, ut egomet ipse.«16 Nun muß zwar die Wiederholung als das maßgebende Kriterium gelten, unter dem die Ars grammatica die Klassifikation einer Tautologie, d. h. deren definitorische Bestimmung und deren Einordnung in das System der vitiaLehre, vornimmt (und das auch die Ars rhetorica in entsprechender Weise übernimmt). Doch setzt sich die anfängliche Unschärfe, die bei der terminologisch alternativen Fassung einer tautologischen Wiederholung als iteratio oder als repetitio auftritt, mit der Definition der Tautologie als einer Wiederaufnahme »desselben Wortes« offenbar noch in eine andere Richtung fort: Das griechische Äquivalent für die iteratio lautet παλιλογíα, dasjenige für die repetitio πανáληψις. 16 [Aelius] Donatus, Ars grammatica III, 3 (in: Grammatici Latini IV, ed. H. Keil, Leipzig 1864, 367–402; hier 395. Hervorh. von mir.) – »Die Tautologie ist eine fehlerhafte Wiederholung desselben Wortes, wie z. B. ich selbst in eigener Person.« 15
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Das Problem (mit) der Tautologie
Betrachtet man nämlich das Verhältnis dieser Definition zum gewählten Beispiel »egomet ipse«, so liegt darin insbesondere eine Ambiguität beschlossen, die mit der Tautologie-Bestimmung des Sosipater Charisius nicht etwa behoben, sondern explizit zum Vorschein gebracht wird: »Tautologia est eiusdem vel idem significantis verbi iteratio, ut egomet ipse.«17 Eine tautologische »Wiederholung desselben Einzelwortes« kann sich demnach entweder als die buchstäblich identische Wiederholung auf der Ebene der Signifikanten (»iteratio eiusdem verbi«) manifestieren oder weiter gefaßt als eine Aneinanderreihung zweier Wörter, deren identische Bedeutung eine Wiederholung darstellt (»iteratio verbi idem significantis«) – wie eben im Falle des »egomet ipse«. (Hinzu kommt, daß die identische Wiederholung einer Tautologie im Fall des Standardbeispiels »egomet ipse« das suffigierte Morphem »–met« und das Lexem »ipse« betrifft, so daß hier die allgemeinere Rede von der ›Wiederholung bedeutungsgleicher Spracheinheiten‹ eher angebracht wäre als die auf die lexikalische Ebene beschränkte Rede von ›der Wiederholung eines bedeutungsgleichen Einzelwortes‹. Entscheidend für den hier besprochenen Zusammenhang ist jedoch nicht diese moderne, von der Ars grammatica noch gar nicht getroffene Unterscheidung zwischen der morphologischen und der lexikalischen Sprachebene, sondern die beinahe selbstverständliche, nichtsdestoweniger aber grundsätzliche Tatsache, daß sich für die Ars grammatica die tautologische, d. h. die identische Wiederholung einer – linguistisch wie auch immer näher bestimmbaren – Spracheinheit auf die Ebene der Singifikanten oder auf diejenige der Signifikate erstrecken kann.) Insofern sich aber die tautologische Wiederholung von zwei bedeutungsgleichen Wörtern in ihrer redundanten Aussageweise nicht von der tautologischen Wiederholung zweier Signifikanten unterscheidet, wird die erstere Wiederholungsform zuweilen auf die letztere zurückgeführt. Die Wiederholung von zwei identischen Signifikanten entpuppt sich dabei sozusagen als die Reinform einer tautologischen Wiederholung und sogar als der eigentliche Grund dafür, daß die Wiederholung von synonymen sprachlichen Einheiten mit ihrer redundanten Aussageweise nicht bloß gegen die sprachliche Präzision (perspicuitas), sondern subkutan auch gegen die grammatisch korrekte Diktion (puritas) verstößt: »Quid est tautologia? Eiusdem dicti repetitio vitiosa, ut ›egomet‹ ›ipsemet‹. Quomodo dicebant ›egomet‹ ›ipsemet‹? Tamquam si dicerent ›ego ego‹ ›ipse ipse‹«.18 17
Flavius Sosipater Charisius, Ars grammatica IV, 271 (ed. K. Barwick, Leipzig 1964, 347. Hervorh. von mir.) – »Die Tautologie ist eine Wiederholung desselben oder eines bedeutungsgleichen Wortes, wie z. B. ich selbst in eigener Person.« 18 [Anonym,] De Iuliano Tolentano Grammatico (in: Grammatici Latini Supplementum, ed. Keil, Leipzig 1870, CCIV–CCXXXIX; hier CCXXI). – »Was ist eine Tautologie? Die fehlerhafte Wiederholung desselben Ausdrucks, wie z. B. ich in eigener Person, [ich]
Ars grammatica und Ars rhetorica
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Indem nun bei diesem Tautologie-Begriff der Aspekt der buchstäblichen Wiederholung (Identität der Signifikanten) und der Aspekt der semantischen Äquivalenz (Synonymie) ineinander übergehen, wird die begriffliche Fassung der Tautologie gegenüber dem grammatikalischen Terminus des Pleonasmus unscharf, der gemeinhin definiert wird als »adiectio unius verbi supervacua, ut sidera caeli«.19 Die überflüssige Hinzufügung des Pleonasmus besteht aber darin, daß das Implikat eines Begriffes redundanterweise mit diesem zusammen explizit ausgesagt wird – wobei aber der Begriff wie das mitausgesagte Implikat hinsichtlich ihres jeweiligen signatum keineswegs identisch sein müssen.20 Die für die Tautologie konstitutive Form der überflüssigen Hinzufügung, d. h. die Wiederholung (iteratio), läßt sich demgegenüber gerade an einem identischen Signifikat, also anhand von synonym gebrauchten sprachlichen Einheiten, festmachen. Im größeren syntagmatischen Zusammenhang hingegen zeigt sich die tautologische Wiederholung (repetitio) als ein und derselbe Sachverhalt, welcher, als Sinneinheit verstanden, unnötig mehrfach verbalisiert wird. Diese Wiederholungsform meint ein grammatikalischer Terminus der Tautologie, der das Mißverhältnis der gesamten Aussage (sermo) zum ausgesagten Sachverhalt (res) ins Auge faßt. Tautologisch in diesem Sinne präsentiert sich eine Aussage, insofern ihr Wortlaut mit übertrieben sprachlichem Aufwand auf einen einheitlichen Sachverhalt zielt, der im Sinne der Ars grammatica selbst in eigener Person. Wie ist dieses ›ich in eigener Person‹, ‹[ich] selbst in eigener Person› gemeint? [So nämlich,] als ob man sagte: ›ich ich‹, ›in eigener Person in eigener Person‹.« 19 So etwa Isidor, Etymologiae I, 34.6. – »Der Pleonasmus ist die überflüssige Hinzufügung eines Wortes, wie etwa ›die Gestirne des Himmels‹.« – Vgl. auch Charisius, Ars grammatica IV, 271: »Pleonasmus est sententia verbo plus quam necesse est abundans, ut ›sic ore locutus est‹, cum sufficeret dici ›sic locutus est‹.« – »Der Pleonasmus ist ein sprachlicher Ausdruck, der aufgrund eines unnötigen Wortes überladen ist, z. B.: ›So sprach er mit dem Mund‹; dabei würde es schon reichen zu sagen: ›So sprach er‹.« – Ähnlich Diomedes, Ars grammatica II (in: Grammatici Latini I, ed. Keil, Leipzig 1857, 300–529; hier 449). – Daß sich diese in den antiken Grammatiken festgehaltene Nähe des Pleonasmus zur Tautologie über Jahrhunderte bewahrt hat, zeigt deutlich das »Doctrinale« des Alexander von Villa Dei, eine verzifizierte Grammatik des späten 12. Jhds., die sich im Lehrbetrieb des Hochmittelalters einer großen Beliebtheit erfreut: »atque supervacua debet dici pleonasmus / additio vocis, ut sic est ore locuta. / signat idem verbis diversis tautologia: / exultans redeo rursus gaudensque revertor.« (Das Doctrinale des Alexander de Villa-Dei. Kritisch-exegetische Ausgabe, bearbeitet von D. Reichling, Berlin 1893, v. 2364ff.) – »Eine überflüssige Erweiterung des sprachlichen Ausdrucks muß man den Pleonasmus nennen, wie z. B.: ›So sprach sie mit dem Mund.‹ Das Gleiche sagt mit verschiedenen Worten die Tautologie: ›Jubelnd komm’ ich wieder zurück und freudig kehre ich heim‹.« 20 So impliziert etwa in Isidors obigem Beispiel (vgl. Anm. 19) der Begriff des Gestirns seine Zugehörigkeit zum Himmelsbereich, ohne daß dabei das Signifikat von ›Gestirn‹ mit demjenigen von ›Himmel‹ identisch (synonym) wäre.
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Das Problem (mit) der Tautologie
sprachlich ökonomischer dargelegt werden könnte: »Tautologia, idemloquium […]. Totum enim quod repetitur una res est, sed crebro sermone adnuntiata.«21 Unter der grammatikalischen Maxime sprachlicher Klarheit und ökonomischer Präzision meint der Terminus der Tautologie eine spezifische Inhaltsleere: Im Falle des Pleonasmus droht durch die sprachliche Explikation dessen, was ein Begriff qua Begriff impliziert, eine Inhaltsleere, die – unter sprachpraktischen Kriterien – den Charakter einer eigentlich nicht zu explizierenden Selbstverständlichkeit hat (z. B. ›Gestirne des Himmels‹, ›weiße Milch‹ usw.). Dagegen besteht die Inhaltsleere einer tautologischen Phrase bzw. eines tautologischen Satzes darin, daß ein und derselbe Sachverhalt unnötigerweise mit denselben oder mit bedeutungsgleichen Worten als solcher wiederholt, noch einmal konstatiert wird. Eine im Sinn der Ars grammatica tautologisch gehaltene Phrase oder Aussage verhält sich wenn nicht destruktiv gegen die geforderte korrekte Diktion, so doch gegenläufig zur sprachlichen Präzision, insofern sie durch eine redundante Konstatierung die Weiterführung eines Gedankenganges, d. h. die explikatorische Entfaltung eines Aussagegehaltes, hemmt oder sogar verhindert. Die virtus-Lehre der Rhetorik muß demnach am formalen Element der Wiederholung einen anderen Aspekt als diese mangelhafte explikatorische Leistung akzentuieren, wenn eine Tautologie für einen bewußt eingesetzten rhetorischen Kunstgriff soll eingesetzt werden können. Ein bemerkenswertes Seitenstück zu einer solchen Umakzentuierung der Tautologie, d. h. der anderweitigen Funktionalisierung ihrer grammatikalisch vitiösen Inhaltsleere, liefert Pompeius Grammaticus in seinem Kommentar zur »Ars grammatica« des Donatus. Gerade die schlechte Verwendbarkeit der Tautologie für die explikative Diktion veranlaßt Pompeius dazu, seine Aufmerksamkeit auf die Ebene der Signifikanten zu lenken. Ein poetischer Aspekt vermag nämlich die Tautologie als ein sprachliches Phänomen zu legitimieren, das sich für eine (in der Tradition der Gorgianischen Rhetorik stehende) rhythmisierte Satzklausel verwenden läßt: »tautologia est verbi iteratio. plerumque propter clausulas faciunt hoc scholastici, puta ›ego perfeci‹ mala clausula est; illi addunt et dicunt ›egomet ipse perfeci‹. quid opus fuerat ut adderes illud, ut etiam metrum faceret? ista dicuntur propter clausulam. ceterum qua rationem pertinet, nihil significant; ergo adiectio est ex superfluo posita.«22
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Isidor, Etymologiae I, 34.9. – »Tautologie: [lateinische Übersetzung] idemloquium. […] Das, was alles (sprachlich) wiederholt wird, ist nämlich ein einziger Sachverhalt, der aber durch seine wiederholte Aussage ausgedrückt wird.« 22 Pompeius Grammaticus, Commentum Artis Donati (in: Grammatici Latini V, ed. Keil, Leipzig 1868, 83–312; hier 294). – »Die Tautologie ist eine Wortwiederholung. Die
Ars grammatica und Ars rhetorica
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Im allgemeinen wird aber die Tautologie als eine rhetorische Ausdrucksfigur23 unter den Oberbegriff des Pleonasmus gebracht, der hier (ohne negative Konnotation) die sinngleiche, sprachlich jedoch ›gehäufte‹ Ausgestaltung einer Rede (λéξις bzw. elocutio) meint: »Ταωτολογíα λεξéυν στì τα?τò σηµαινοωσ ν παρáλληλος θéσις, @ς ειA λéγοµεν, #ξε8ς καì ταχε8ς […].«24 Als eine rhetorische Figur legitimiert sich die Tautologie grundsätzlich dadurch, daß die Wiederholung (iteratio) des sprachlichen Ausdrucks einem Aussagegehalt im allgemeinen Nachdrücklichkeit verleiht: »Hoc schema fieri solet, cum id quod dictum semel est, quo gravius est, iteratur. Id interdum fit uno verbo, interdum plurimorum verborum coniunctione.«25 Aber gerade dieser allzu allgemeine affektische Aspekt bei einer wiederholten Äußerung scheint die begriffliche Abgrenzung der Tautologie gegenüber anderen Redefiguren erheblich zu erschweren, bei denen ebenfalls jener funktionale Aspekt der emphatischen Wiederholung ausschlaggebend ist. In den verschiedensten Rhetoriken ist bei der Auflistung der einzelnen Ausdrucksfiguren ein sehr merkwürdiges Verhältnis zwischen der Tautologie und ähnlich gelagerten Figuren zu verzeichnen. Für die verschiedensten konkreten For-
Redner machen so etwas in der Regel wegen einer Satzklausel, denn ›Ich habe es vollbracht‹ ist eine schlechte Satzklausel; sie fügen ihr etwas hinzu und sagen: ›Ich selbst, in eigner Person, hab’ es vollbracht‹. Warum sollte man so etwas hinzufügen und dabei sich sogar ein [daktylisches] Versmaß ergeben? Wegen einer Satzklausel wird so gesprochen. Im Hinblick auf den Aussagegehalt bezeichnet übrigens [eine solche Hinzufügung] nichts Zusätzliches; die Hinzufügung ist also [inhaltlich] überflüssig.« 23 Grundsätzlich unterscheidet die Rhetorik Ausdrucksfiguren (σχ'µατα λéξευς bzw. figurae elocutionis) von Sinnfiguren (σχ'µατα διανοíας bzw. figurae sententiarum), wenngleich nicht stets eindeutig. Die Ausdrucksfiguren stehen und fallen jedoch im allgemeinen mit bestimmten Wortkonfigurationen, gewinnen also ihren Reiz eher aufgrund formaler denn aufgrund semantisch-pragmatischer Kriterien. Vgl. dazu etwa Cicero, De oratore III, 52.200 (in: Rhetorica I, ed. A. Wilkins, Oxford 1968, o. P.): »inter conformationem verborum et sententiarum hoc interest, quod [sc. conformatio] verborum tollitur, si verba mutaris, sententiarum permanet, quibuscumque verbis uti velis.« – »Ausdrucksund Sinnfiguren unterscheiden sich dadurch, daß eine Ausdrucksfigur verschwindet, wenn man die [in der Ausdrucksfigur verwendeten] Wörter austauscht, eine Sinnfigur jedoch bestehen bleibt, gleich welche Wörter man dafür verwenden will.« 24 Phoibammon Sophistes, Περì σχηµáτυν ρ6 ητορικ ν I, 3 (in: Rhetores Graeci VIII, ed. Walz, 498). – »Die Tautologie besteht aus nebeneinander gesetzten Ausdrücken, die dasselbe besagen, so wenn wir z. B. sagen ›schnell und geschwind‹.« – Vgl. auch Zonaios, Περì σχηµáτυν κατà λóγον II, 1 (in: Rhetores Graeci VIII, ed. Walz, 673–690; hier 681). 25 Rutilius Lupus, Schemata Lexeos I,11 (in: Rhetores Latini Minores, ed. K. Halm, Leipzig 1863, 3–21; hier 8). – »Diese Redefigur [der iteratio] kommt in der Regel dann zustande, wenn das einmal Gesagte – je bedeutender es ist – wiederholt wird. Diese Wiederholung erfolgt zuweilen mit einem einzigen Wort, zuweilen mittels der Kombination von mehreren Wörtern.« – Im übrigen findet die Tautologie im Figurenkatalog des Rutilius keine Erwähnung mehr. Siehe dazu unten, 12ff.
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Das Problem (mit) der Tautologie
men der sprachlichen Wiederholung findet sich nämlich eine Vielzahl rhetorischer Termini, während die Figur der Tautologie auffällig formal, d. h. einzig über das Moment der Wiederholung, definiert wird – und zwar fast durchweg ohne Angabe konkreter Beispiele. Offensichtlich bestehen also über diese allgemeine Formaldefinition hinaus Legitimationsschwierigkeiten für die Tautologie als einer konkreten rhetorischen Figur. Angesichts der Tatsache, daß alle konkreten Fälle affektischer Wiederholung von anderen Termini bereits abgedeckt sind, scheint es sogar, als ob sich die Figur der Tautologie in den antiken Rhetoriken gleichsam verflüchtigt und als ob im Gegenzug bei jenen anderen Termini technici für die rhetorische Wiederholung von tautologischen Figuren gesprochen werden könnte. Hierbei zeichnen sich grundsätzlich drei rhetorische Formen mit tautologischem Charakter ab: a) Diejenige rhetorische Form von Wiederholung, die sich durch eine unmittelbare Wiederaufnahme eines Einzelwortes oder einer Satzpassage auszeichnet, ohne daß sich dabei die grammatische Form oder syntaktische Funktion des wiederholten Ausdrucks ändert, wird mit dem Terminus der » ναδíπλυσις« bzw. der »(re)duplicatio«26 oder einfach mit »iteratio«27 belegt. Wohl aufgrund ihres stark affektischen Charakters kann diese Wiederholungsform der ›Verdoppelung‹ in der Redepraxis nur derart selten und ohne Beeinträchtigung ihrer Effizienz eingesetzt werden, daß Aquila Romanus ihren eigentlichen Ort nicht in der Rhetorik, sondern in der Dichtung ausmacht: »(Αναδíπλυσις, reduplicatio, rarum apud oratores figurae genus, frequentius apud poetas: si quando tamen in civilem orationem incidit, non mediocrem dignitatem habet. […] tale est illud Terentianum: 26
Bezeichnenderweise folgt ebenso wie bei Julius Rufinianus, Schemata Lexeos § 8 (in: Rhetores Latini Minores, ed. Halm, 48–58; hier 50) auch in Phoibammons Figurenkatalog die Figur der Anadiplosis direkt auf diejenige der Tautologie: »(Αναδíπλυσις στì λéξευς / λεξéυν δìς / πολλáκις περì το+ α?το+ πρáγµατος προφορá? γíνεται δè καì διχ / παρáλληλος, @ς Eνα ε0πυµεν? F δε8να F δε8να ο?χ Gπ'κοωσεν […].« (Poibammon Sophistes, Περì σχηµáτυν ρ6 τορικ ν I.3, ed. Walz, 498f.) – »Die Anadiplosis ist die zweioder öftermalige Fortführung eines sprachlichen Ausdrucks oder von Ausdrücken über ein und denselben Sachverhalt; sie erfolgt in getrennter oder in direkter Aufeinanderfolge, so z. B. in dem Satz: ›Der und der hat nicht gehorcht‹.« 27 Dazu etwa Martianus Capella, Ars rhetorica 40 (in: Rhetores Latini Minores, ed. Halm, 451–492; hier 481): »παλλιλογíα, iteratio. Haec figura repetito verbo aut nomine non diversa vult intellegi, sed vehementius repetita significat, ut est: ›nos, nos, dico aperte, nos consules desumus‹ [= Cicero, In Catilinam I, 1.3]«. – »Diese Figur [der iteratio] gibt durch die Wiederholung eines Wortes oder eines Namens nicht Verschiedenes zu verstehen, sondern kennzeichnet das wiederholte [Wort] in seiner Nachdrücklichkeit, wie z. B.: ›Wir, wir – ich sage es offen – wir Konsuln fehlen [dem Staat]‹.« – Vgl. auch Aquila Romanus, Figurae sententiarum et elocutionis § 29 (ed. Halm, 22–37; hier 30). – An der bei Martianus und Aquila eigens aufgeführten Figur der iteratio wird besonders deutlich, daß der Tautologie, die sich innerhalb der Grammatik als iteratio definiert, als einer eigenständigen rhetorischen Figur der Boden entzogen wird. Weiteres dazu im Anschluß.
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›Negat Phanium esse hanc tibi cognatam Demphio? Hanc Demphio negat esse cognatam?‹«28 b) Liegt eine Wiederholung vor, bei der sich ein gewöhnlich intransitives Verb in transitivem Gebrauch mit einem Nomen des etymologisch gleichen Wortstammes oder desselben Wortfeldes verbindet, wird allgemein von einer »figura per pleonasmon« gesprochen, so z. B. bei »mortem occumbere, et obire diem, et vivere vitam, et pugnare pugnam, et ire iter, et oculis videre, et voce vocans«.29 Doch wird an dieser Beispielreihe eine problematische Ambiguität spürbar, insofern sich nämlich der intensivierende, ›innere‹ Bezug eines Verbums zu seinem Objekt über eine semantische Äquivalenz (z. B. bei »mortem occumbere«) oder über die etymologisch fundierte Identität der Signifikanten (z. B. bei »vitam vivere«)30 konstituieren kann. c) Genau diese im Begriff der sprachlichen Wiederholung angelegte Ambiguität zwischen der wörtlichen Identität und der semantischen Gleichheit scheint dann der Ansatzpunkt für den Versuch geworden zu sein, die Tautologie gegenüber jenen konkreten Formen der wörtlichen Wiederholung (Anadiplosis, figura etymologica) als eine eigenständige rhetorische Figur der Wiederholung zu profilieren. Zur Lösung dieses Problems bietet sich nämlich geradezu automatisch die Möglichkeit einer Desambiguierung an – also die Möglichkeit, die tautologische Wiederholung hauptsächlich über das Kriterium der semantischen Gleichheit und so die Tautologie als eine Sinnfigur zu fassen. Dabei bleibt aber die entsprechende Definition der Tautologie in der Regel so allgemein wie im Falle der anonymen »Schemata Dia28
Aquila Romanus, Figurae sententiarum et elocutionis § 32 (ed. Halm, 32). – »[Die Anadiplosis ist] eine Figur, die selten bei den Rednern, aber ziemlich regelmäßig bei den Dichtern vorkommt: Wenn sie dennoch einmal in einer Rede vorkommt, ist sie von einer ungewöhnlichen Erhabenheit. […] Ein Beispiel [für die Anadiplosis] ist folgende Stelle aus Terenz [Phormio II, ii.5f.]: ›Leugnet etwa Demphio, mit Phanium verwandt zu sein? Leugnet Demphio, verwandt zu sein?‹« – Ganz analog dazu rückt der Kommentar des Servius zu Vergils Aeneis III, 522ff.: »[…] videmus / Italiam. Italiam primus conclamat Achates, / Italiam laeto socii clamore salutant« (»[…] sehen wir Italien. Italien ruft als erster Achates aus, Italien begrüßen mit freudigem Geschrei die Gefährten«) den affektischen Charakter der Tautologie in den Vordergrund: »Italiam. tautologia usa est ad exprimendum affectum navigantium.« (Servianorum in Vergilii Carmina Commentariorum Editio Harvardiana, Vol. III: The Commentaries on Aeneid III–V, ed. A. F. Stocker, A. H. Travis et al., Oxford 1965, 193. – »Italien. Diese Tautologie wird verwendet zum Ausdruck des Affekts der Gefährten im Schiff.«) 29 Julius Rufinianus, Schemata Lexeos § 40 (ed. Halm, 57). – Im übrigen findet in diesem Figurenkatalog die Tautologie als rhetorische Figur keine Erwähnung mehr. 30 Diese in den antiken Sprachen seit Homer durchaus geläufige, gemeinhin als Figura etymologica bezeichnete Erscheinung hat sich vorwiegend im romanischen Sprachraum erhalten, während sie etwa im Deutschen (bis auf wenige Ausnahmen) als Gräzismus bzw. Latinismus abgelehnt wird.
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Das Problem (mit) der Tautologie
noias«: »ταωτολογíα, eiusdem […] sermonis iteratio, quae et epanalepsis dicitur«.31 Jedoch wird durch diese Ineinssetzung der Tautologie mit einer »Wiederholung desselben Aussagegehaltes« das Problem der begrifflichen Trennschärfe eher verschoben als behoben: Wenn nämlich – wie bei Martianus Capella und Aquila Romanus – die Termini der iteratio bzw. der repetitio bereits als eigenständige rhetorische Figuren angeführt sind,32 dann kann selbst das zentrale Kriterium der Wiederholung nicht mehr für die Definition der Tautologie als einer eigenständigen rhetorischen Sinnfigur zureichen. Gerät nun notgedrungen anstatt der (wörtlichen) Wiederholung die semantische Äquivalenz zum zentralen, ja einzigen Kriterium für die rhetorische Figur der Tautologie, so ist diese von der Figur der Synonymie nicht mehr scharf zu trennen und wird von dieser gleichsam überlagert.33 Sowohl für Martianus Capella als auch für Aquila Romanus kann die Tautologie letztlich nur noch einen rein quantitativ differenzierten Sonderfall der Synonymie abgeben: »Ταωτολογíα. Eadem pluribus verbis significat hoc schema, differt autem perexiguo […] a superiore figura [sc. a synonymia]. Ibi enim singulae partes ex ordine idem significantes ponuntur: hic unius nominis aut verbi prius positi vis deinceps pluribus verbis explicatur, ut si dicas: senatus populi Romani summum consilium, a quo ordine iura exterae nationes petunt. Hic enim unum nomen senatus prosecutionem accipit ex pluribus verbis non aliud significantibus. Qui enim summum consilium dicit et eum ordinem […], non aliud quam senatum dicit, sed prosequendo latius ornavit elocutionem.«34 31
[Anonym:] Schemata Dianoias § 46 (in: Rhetores Latini Minores, ed. Halm, 71–78; hier 76). – »Tautologie: Die Wiederholung desselben Aussagegehaltes, auch Epanalepse [Wiederaufnahme] genannt.« 32 Vgl. Martianus Capella, Ars rhetorica 40; sowie Aquila Romanus, Figurae § 29. 33 Vgl. Martianus Capella, Ars rhetorica 41 (ed. Halm, 482): »Σωνυνωµíα est communio nominis, quotiens uno verbo non satis dignitatem rei aut magnitudinem demonstramus, ideoque ad eandam significationem plura conferimus. Ταωτολογíα est eadem pluribus verbis significatio: hoc differt a superiore, quod ibi singulis verbis eadem res, in hoc plurimis significatur.« – »Die Synonymie ist eine Gleichheit von Worten; sooft wir durch ein einziges Wort die Bedeutung bzw. die Wichtigkeit eines Sachverhaltes nicht genügend zeigen können, verwenden wir für die Anzeige desselben Sachverhaltes mehrere Wörter. Die Tautologie ist die Anzeige ein und desselben Sachverhaltes durch mehrere Worte: Sie unterscheidet sich von der vorhergehenden Figur dadurch, daß dort durch einzelne Wörter, hier durch sehr viele Worte derselbe Sachverhalt angezeigt wird.« 34 Aquila Romanus, Figurae § 39 (ed. Halm, 34. Gesperrte Hervorh. von mir.) – »Tautologie. Diese Figur zeigt denselben Sachverhalt durch mehrere Worte an; sie unterscheidet sich aber von der vorhergehenden Figur [der Synonymie] nur sehr wenig. Dort werden nämlich einzelne bedeutungsgleiche Satzteile der Reihe nach angeführt, hier aber wird die Bedeutung eines einzelnen Nomen oder Verbum, das zunächst angeführt worden ist, hernach durch mehrere Worte erklärt, wie z. B. in dem Satz: ›Der Senat des römischen Volkes ist die höchste Ratsversammlung; von diesem Gremium erbitten die auswärtigen Völker
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So sieht Aquila die spezifische Funktion der Tautologie in der schmückenden Explikation eines Begriffes, dessen Bedeutung im doppelten Wortsinn – dessen lexikalisches Signifikat und dessen rhetorisches Gewicht – dadurch hervorgehoben wird. Indem aber nach diesem Verständnis die Tautologie eine Explikation (im obigen Beispiel: von »Senat«) innerhalb eines größeren Satzzusammenhanges (prosecutio) leistet, wird derjenige rhetorische TautologieBegriff vollständig untergaben, der die Tautologie als eine nicht-explikative, vereindringlichende Wiederholung des gleichen Sachverhalts innerhalb der idiomatischen Syntax faßt. Insofern nämlich das Moment der Bedeutungsgleichheit innerhalb einer größeren syntagmatischen Abfolge zum zentralen Kriterium des Tautologiebegriffs wird, läßt sich eine derartige Sinnfigur der Tautologie nur etablieren auf Kosten des ›engeren‹ Tautologiebegriffes: Hinsichtlich der idiomatischen Syntax – zu erinnern wäre etwa an Poibammons Beispiel »schnell und geschwind«35 – wird die Figur der Tautologie bei Aquila Romanus durch diejenige der Synonymie ersetzt. So geht letztlich am Tautologiebegriff das Moment der identischen Wiederholung (dessen ›substantieller‹ Charakter in der Ars grammatica nie bestritten wurde) fast völlig verloren. Die gleichzeitige Einführung der explikativen Funktion in den Tautologiebegriff führt zu seiner endgültigen Aufweichung; ein rhetorischer Begriff von der Tautologie kann in diesem Zusammenhang nur noch eine generalisierende Verwendung finden, da jede synonyme Begriffsexplikation in einen größeren syntagmatischen Zusammenhang eine rhetorisch schmückende, ›tautologische‹ Sprachform darstellt. Infolge dieser begrifflichen Entleerungen – einerseits vermittels der Ersetzung der Ausdrucksfigur durch ähnlich gelagerte Termini, andererseits vermittels der Einverleibung der Sinnfigur in die Figur der Synonymie – ist die Tautologie als genuine rhetorische Sprachform kaum aufrecht zu erhalten: einerseits nicht als eine spezifische Wiederholungsform mit identischem Wortmaterial, andererseits nicht als eine Sinnfigur, die ihre hochgradige Unfähigkeit zur Explikation eines Sachverhaltes nicht ›verleugnen‹ müßte. Aufgrund dieser Legitimationsschwierigkeiten wird in letzter Konsequenz die Tautologie – wenn sie innerhalb eines Figurenkatalogs nicht einfach verschwiegen wird36 – expressis verbis als ein allein schon grammatikalisch nicht zu rechtihre Satzungen.‹ In diesem Fall wird nämlich das einzelne Nomen ›Senat‹ weiter ausgeführt mittels von mehreren Wörtern, die nichts anderes bedeuten. Wer nämlich ›höchste Ratsversammlung‹ sagt und diese ein ›Gremium‹ nennt, meint nichts anderes als den Senat, doch hat er seine Rede durch größere Ausführlichkeit geschmückt.« – Aquilas Verlegenheit bei der Tautologie hinsichtlich ihres systematischen Ortes zeigt sich insbesondere auch daran, daß der ταωτολογíα als der einzigen Figur seines Katalogs keine lateinische Übersetzung beigegeben ist. 35 Vgl. oben Anm. 24. 36 So bei Rutilius Lupus (vgl. Anm. 25) und Julius Rufinianus (vgl. Anm. 29).
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Das Problem (mit) der Tautologie
fertigendes stilistisches Skandalon aus der Rhetorik ausgeschieden: »Fugienda sunt quoque, sicut in litteris et verbis, ita in sententiis vitia, quae inter prima Grammaticorum studia cognoscuntur. Sunt autem […] Tautologia […] et his similia«.37 Sowohl für die Ars grammatica als auch für die Ars rhetorica markiert die Tautologie als die »wiederholte Aussage desselben« eine problematische Sprachform: zunächst im Hinblick auf ihre sprachpraktische Verwendbarkeit, dann aber auch im Hinblick auf den systematischen Ort, der dieser Sprachform innerhalb des grammatischen und rhetorischen Begriffssystems zugewiesen werden kann. Die eingangs angedeutete Parallelität zwischen einem grammatischen vitium und einer rhetorischen figura38 scheint sich somit im speziellen Falle des Terminus ›Tautologie‹ ex negativo zu bestätigen: Bleibt schon innerhalb der Ars grammatica die Möglichkeit offen, die sprachpraktisch redundante Aussage desselben entweder über eine Identität der Signifikanten oder über eine Gleichheit der Signifikate zu fassen, so verflüchtigt sich erst recht die rhetorische Bestimmung der tautologischen Wiederholungsform zwischen einer Ausdrucks- und Sinnfigur, zwischen einer rhetorischen Form der wörtlichen Wiederholung (Anadiplosis, figura etymologica) und derjenigen der Synonymie. Aufs Ganze gesehen überschneidet sich hier die Tautologie begrifflich mit diesen anderen rhetorischen Figuren der Wiederholung derart und in so hohem Maße, daß der rhetorische Terminus technicus ›Tautologie‹ innerhalb eines Figurenkatalogs zuweilen selbst den Charakter eines redundanten Begriffs bekommt.
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Isidor, Etymologiae II, 20.3–4. – »Ebenso wie Fehler in der Rechtschreibung und der Formenlehre sind auch die stilistischen Fehler zu vermeiden, die in erster Linie in der Grammatik abgehandelt werden, nämlich die Tautologie […] und dergleichen.« – Auch nach Julius Victor muß insbesondere die Tautologie als ein vitium größten Ausmaßes der rednerischen Darlegung eines Sachverhaltes (narratio) ferngehalten werden. Vgl. ders., Ars rhetorica 16 (in: Rhetores Latini Minores, ed. Halm, 373–448; hier 424). 38 Siehe oben, 3ff.
2. P HILOSOPHISCHE G EBRAUCHSWEISEN
VON
TAUTOLOGIEN
Markiert der grammatische und rhetorische Terminus ›Tautologie‹ eine in doppelter Hinsicht problematische Sprachform – nämlich die sprachpraktische Unzulänglichkeit einer Redeform und zugleich die definitorische Unschärfe eines Begriffs –, so steht in einem philosophischen Kontext mit der Tautologie eine nicht minder problematische Sprachform zur Debatte. Zunächst ist damit eine (lexikalisch identische) Aussageform gemeint, in der vom Selben (τα?τóν) als dem prononciert philosophischen Sachproblem der Identität die Rede (λóγος) ist – oder zumindest sein kann. Insofern sich aber die Verwendung einer tautologischen Aussageform in philosophischen (Kon-)Texten nicht bloß nach rein sprachpraktischen, sondern auch und vor allem nach sachlichen Kriterien bemißt, dient der Begriff ›Tautologie‹ hier nicht bloß zur stilistischen und/oder rhetorischen Einschätzung der eigentümlichen Diktion eines philosophischen Autors. Der Begriff impliziert hier insbesondere das Problem, daß mit einer als Tautologie beschreibbaren Sprachform ein spezifischer philosophischer Gebrauchswert verbunden sein kann, welcher sich aber nur im Rahmen einer jeweiligen philosophischen Sachproblematik zeigt. Problematisch ist hier eine Tautologie also nicht als ein »abgeschmacktes« (Hegel) und beinahe nichtssagendes Phänomen der Sprachpraxis, sondern in dem Sinn, daß gerade wegen ihres offensichtlich mangelnden signifikativen Gehalts ihre Sprachform zum Gegenstand philosophischer Reflexion werden kann. Nicht zuletzt deshalb dient der Begriff ›Tautologie‹ in philosophischen (Kon-)Texten vornehmlich zur Kennzeichung des formallogischen Aussagetypus einer identischen Prädikation ›A ist A‹ bzw. einer sprachlichen Gleichung ›A = A‹, obgleich, wie im folgenden deutlich werden soll, sich der philosophische Gebrauchswert einer tautologischen Aussageform nicht auf diesen formallogischen Aspekt reduzieren läßt. Damit kann sich aber unsere Behandlung einer philosophischen Dimension bei dieser Aussageform nicht einfach mit der Aufzählung von offensichtlich tautologischen Formulierungen aus den unterschiedlichsten philosophischen Texten begnügen. Ebensowenig kann sie sich aber in eine philosophische Sachproblematik um dieser selbst willen und in deren vielfältige Transformationen durch die Philosophiegeschichte hindurch verlieren. Von daher, und zugleich in der Vorausschau auf unser HeideggerKapitel, erscheint uns die Beschränkung auf vier antike bzw. mittelalterliche Philosophen sinnvoll – oder vielmehr auf jeweils eines ihrer Werke. Im Vergleich zu anderen philosophischen Texten zeichnet sich zwar deren Diktion nicht gerade durch ein auffällig extensives Vorkommen von tautologischen Formulierungen aus. Doch aber spielt hier jeweils die Frage nach dem
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Gebrauchswert von tautologischen Aussageformen in die jeweilige philosophische Sachproblematik selbst auf eine distinkte und entschiedene Weise mit hinein. Wir behandeln die folgenden vier Texte also nicht in einem Horizont, der sich an einem bestimmten Sachproblem orientiert und der daraus seine thematische Einheit empfängt. (Diesen Problemhorizont thematisch etwa als die philosophische Konzeptgeschichte von Identität und Differenz zu umreißen, könnte sich ja gerade von der in einer ›Tauto-logie‹ angelegten philosophischen Sachproblematik her, vom sprachphilosophischen Problem eines ›Sagens des Selben‹ her, anbieten.39) Vielmehr sind es die in diesen Texten anzutreffenden verschiedenen Möglichkeiten dieses Gebrauchs selbst, die unserem Problemhorizont die thematische Einheit verleihen sollen: In erster Linie versucht unsere Synopse von vier philosophischen Werken ein Spektrum zu skizzieren, in dem sich die Verwendung von tautologischen Sprachformen für philosophische Sachprobleme wohl grundsätzlich bewegen kann. Daß für die Auswahl dieser vier Werke auch philosophiegeschichtliche Gründe und einige systematische Gemeinsamkeiten zwischen diesen Werken geltend gemacht werden können, erhöht nicht einen – hier ohnehin absurden – Anspruch auf die Vollständigkeit dieses Spektrums, sondern signalisiert in diesem eher typologisch angelegten Spektrum durchaus eine gewisse diachrone Kontinuität des philosophischen Problems (mit) der Tautologie.40 39
Daß und in welcher Weise sich jedoch von den vier hier behandelten Werken der Platonische »Sophistes« und Meister Eckharts »Opus tripartitum« in den sachlichen Problemhorizont von Identität und Differenz rücken lassen, zeigt eindrücklich das auf eine Konzeptgeschichte von Identität und Differenz hin angelegte Buch von W. Beierwaltes, Identität und Differenz, Frankfurt a. M. 1980, bes. 9 ff. und 97ff. 40 Ohne daß wir hier strikt einen systematischen gegen einen geschichtlichen Aspekt von Philosophie abheben wollen, welch letzterer dabei ein »bloßes Akzidens eines sich als ›systematisch‹ verstehenden Philosophierens« (Beierwaltes, Identität und Differenz, 8) abgeben würde, erscheint es uns aus einer eher diachronen Perspektive plausibel, mit K. O. Apel (Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 1963) vier relativ selbständige »geistesgeschichtliche Traditionsströme« anzunehmen, »die zur eigentlichen Sprachphilosophie der Neuzeit hinführten« (17): Neben dem »Sprachdenken des Humanismus« (17) und der »vor allem bei Leibniz entfaltete[n] ›Zeichenkunst‹ der ›mathesis universalis‹« – von denen wir im folgenden absehen – sind dies vor allem »die Sprachkritik des Ockhamschen Nominalismus« und die »ebenfalls im späten Mittelalter zur charakteristischen Ausprägung gelangte deutsche Logosmystik« (18), als deren erster Höhepunkt wohl Meister Eckhart angesehen werden darf. (Für die Verwendung von ›Logosmystik‹ für Eckharts Denken vgl. schon J. Bernhart, Die philosophische Mystik des Mittelalters, München 1922, 190.) – Eher systemisch maßgebend für die folgende Synopse der Verwendung von tautologischen Aussageformen ist die Leitfrage, wie im Ausgang von Platon und Aristoteles sich einerseits Ockhams aussagelogische Differenzierung der bei Aristoteles ineinander verquickten Ordnungen des Seins und der Sprache gestaltet und wie andererseits Platons ontologisch fundierte Konzeption der ideellen
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a) Platon Für die Gesprächspartner des Platonischen Dialogs »Sophistes«41 wird im Zuge ihres Versuchs, dessen Titelgestalt begrifflich zu bestimmen, der Begriff des Nichtseienden zum Problem. Die zunächst (mittels der berühmten Dihäresen) gewonnene Definition des Sophisten als eines »Nachahmers von Seiendem«, der seine nichtseienden, »gesprochenen Trugbilder« als wahr und damit als seiend ausgibt,42 scheint nämlich gerade dann nicht mehr haltbar zu sein, wenn mit dem wiederholt angeführten Parmenides angenommen werden muß, Nichtseiendes sei überhaupt nicht und könne als solches weder gedacht noch ausgesagt werden.43 Mit einer solchen Annahme wäre aber nicht bloß die sophistische Wortkunst vom anfänglichen Verdacht der ›Falschaussage‹ gereinigt und damit dieser von den Dialogpartnern geäußerte Verdacht als seinerseits falsch erwiesen. Vor allem könnte nach diesem Parmenideischen Konzept ein solcher Verdacht überhaupt nicht geäußert, also eine metasprachliche Aussage über die Unwahrheit der Sophistischen Wortkunst niemals gemacht werden. Indem nämlich eine solche metasprachliche Aussage behauptet, die Wortkunst des Sophisten sei als etwas Falsches und mithin als etwas Nichtseiendes (sprachlich bestimmbar), verfällt sie unweigerlich dem von Parmenides gebrandmarkten Widerspruch: Ein sprachliches Sein wäre mit etwas Nichtseiendem verbunden – und damit überhaupt kein solches. Dieser von Platon referierte, ›Parmenideische‹ Begriff von Falschheit meint daher nicht bloß die Bedeutungslosigkeit einer Aussage im Sinne einer aussagelogisch unmöglichen Verknüpfung von bestimmten Sprachzeichen.44 Begriffsgestalten (ε0δη) überboten wird durch Eckharts Reflexion auf die ontologisch ausgezeichnete Selbstexplikation Gottes »Ego sum qui sum« (Ex. 3, 14). – Weiteres dazu unten im Abschnitt »Überleitung« (75ff.). 41 Platon, Sophistes (in: Opera I, ed. I. Burnet, Oxford 1905, o. P.). 42 Der Sophist als ein »µιµητ ς τ ν Iντυν« (235 a 1) wird bestimmt durch seine Kunstfertigkeit (τéχνη), »το8ς λóγοις γοητεúειν, δεικνú[υν] ε0δυλα λεγóµενα περì πáντυν, Jστε ποιε8ν ληθ δοκε8ν λéγεσθαι […]« (234c 5–7): »mittels von Aussagen zu täuschen, indem er gesprochene Trugbilder über alle Gegenstände [des Wissens] vorführt, so daß er die Vorstellung hervorruft, es sei etwas Wahres gesagt«. 43 Vgl. das Parmenides-Zitat in 237a 8–9 und 258d 2–3 (= Frgm. B 7,1–2, ed. H. Diels und W. Kranz, Berlin 1934, 234): »ο? γàρ µ'ποτε το+το δαµK εναι µ óντα? / λλà σù τσδ( φ( Fδο+ διζ'µενος εργε νóηµα […].« – »Niemals wird sich das Nichtseiende zwingen lassen zu sein. / Von diesem Weg halte du aber bei deiner Erkundung den Gedanken fern.« 44 Ob Platons Referat in allen seinen thematisierten Punkten dem historischen Parmenides gerecht wird, braucht für unseren Zusammenhang nicht erörtert zu werden. Wenn aber im folgenden von ›Parmenides‹ gesprochen wird, dann stets unter dem Vorbehalt eines Platonischen Parmenides bzw. eines Parmenides der Dialogpartner. Und dies vor allem deswegen, weil in diesem Dialog die »implizite und explizite Auseinandersetzung
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In letzter Konsequenz läuft dieser Falschheitsbegriff auf die prinzipielle Unmöglichkeit von falschen Aussagen bzw. von metasprachlichen Aussagen über Falsches hinaus. Jeder Versuch einer sprachlichen Verlautbarung von Nichtseiendem wäre dann nicht nur eine gegenstandslose Aussage, ein Aussagen von Nichts (λéγειν µηδéν). Aufgrund der ontologisch unmöglichen ›Verknüpfbarkeit‹ des Seienden mit dem Nichtseienden läge hier nicht einmal eine Aussage, eine begriffliche Verknüpfung, vor (ο?δè λéγειν).45 Um diesem rigorosen ›Aussagerealismus‹ – alles Aussagen ist entweder ein wahres Aussagen von Seiendem (Iν) oder überhaupt kein solches – ontologisch adäquat entgegentreten zu können, genügt es Platon daher noch nicht, Parmenides’ eigenen Aussagen über das nicht-aussagbare Nichtseiende einen performativen Selbstwiderspruch nachzuweisen.46 (So wird Platon als erstes Argument gegen Parmenides anführen: Wer die Nicht-Aussagbarkeit von Nichtseiendem behauptet, unternimmt dies seinerseits in Form einer Aussage über das Nichtseiende und damit, dem obigen Aussagebegriff zufolge, in keiner eigentlichen Aussage.47) Jenseits des faktischen Vorkommens von Begriffskombinationen in der Sprachpraxis versucht Platon deswegen die prinziPlatons mit seiner eigenen philosophischen Vorgeschichte […], speziell mit dem Begriff des Seins und der Identität«, nicht allein von Parmenides ihren Ausgang nimmt, sondern zugleich von »dem rigorosen und depravierenden Fortsetzer dieses Denkens: Antisthenes, und vor allem der rabulistisch verführenden Logik der Sophisten«. (Beierwaltes, Identiät und Differenz, 13.) – Zu diesem Komplex siehe auch K. v. Fritz, »Zur antisthenischen Erkenntnistheorie und Logik«, in: ders., Schriften zur griechischen Logik I, Stuttgart/Bad Cannstatt 1978, 119–145. 45 Vgl. 237e 1–6: »Τòν δè δ µ τì [sc. µ IνN λéγοντα ναγκαιóτατον, @ς 2οικε, πανταπáσι µηδèν λéγειν. […] OΑρP ον ο?δè το+το σωγχυρητéον, τò τòν τοιο+τον λéγειν µéν […], λéγειν µéντοι µηδéν, λλ( ο?δè λéγειν φατéον, Qς γ( Rν πιχειρK µ οA ν φθéγγεσθαι;« – »Wer also kein Etwas [d. h. Nichtseiendes] aussagt, sagt ganz zwangsläufig, so scheint es, überhaupt nichts aus. […] Kann man nun aber nicht einmal zugestehen, daß jener zwar eine Aussage mache, dabei freilich nichts aussage, sondern kann nur dies dazu gesagt werden: Der macht nicht einmal eine Aussage, wer es unternimmt, Nichtseiendes auszusprechen?« – Zur Platonischen Definition der Aussage (λóγος) als einer Vermischung oder Verknüpfung vgl. vorläufig 252b 5f.: »κατà πáντα λéγοιεν Rν ο?δéν, ε0περ µηδεµíα 2στι σúµµειξις.« – »In jeder Hinsicht sagte man nichts aus, wenn es denn keine Vermischung gibt.« – Vgl. auch 259e 5f.: »διà γàρ τ ν λλ'λυν τ ν εTδ ν σωµπλοκ ν F λóγος γéγονεν µ8ν.« – »Denn durch die gegenseitige Verknüpfung der Begriffe entsteht uns eine Aussage.« – Für Platons methodologischen Übergang von der Hierarchisierung von Begriffen (Dihairesis) zur Analyse ihrer Verflechtung (Symploke) siehe neuderdings U. Krohs, »Platons Dialektik im Sophistes vor dem Hintergund des Parmenides«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 52 (1998), 237–256; bes. 241ff. 46 Vgl. 237b 1–2: »µáλιστá γε δ πáντυν F λóγος α?τòς [sc. F το+ Παρµενíδοω] Rν δηλẃσειε µéτρια βασανισθεíς.« – »Zuallererst müßte freilich [Parmenides’] Aussage selbst es [d. h. die Nicht-Aussagbarkeit des Nichtseienden] zeigen bei ihrer angemessenen Prüfung.« 47 Vgl. 252c 2–9.
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pielle Möglichkeit von wahren und falschen Aussagen in ihrer ontologischen Bedingtheit aufzuzeigen: Als Aussage liegt eine jede Aussage zwar immer in Form einer Aussage über ein ›ist‹ bzw. über ein Etwas (τι) vor.48 Aber wenn denn eine Aussage auch als eine falsche Bestand haben, sein soll, dann muß sich doch etwas an ihr als »irgendwie nichtseiend« erweisen lassen.49 Als »eine gewisse Einheit unter den seienden Gattungen«50 muß daher alles Aussagen (λéγειν) seiner Struktur nach notwendig ein Moment von Nicht-Identität – Nichtseiendes – in sich bergen können: »Τòν το+ πατρòς Παρµενíδοω λóγον ναγκα8ον µ8ν µωνοµéνοις 2σται βασανíζειν, καì βιáζεσθαι τò τε µ οAν @ς 2στι κατá τι καì τò οA ν α πáλιν @ς ο?κ 2στι π..«51 Zunächst fragt Platons Gegenargumentation nach dem Sinn, in dem innerhalb der Parmenideischen Philosophie von »Seiendem« gesprochen wird.52 Die Bezeichnung (Iνοµα) ›Seiendes‹, die ja stets ein Etwas (τι) meinen muß,53 soll also eine begriffliches Explikation (λóγος) erfahren gemäß der methodologischen Bemerkung: »δε8 δè εì παντòς πéρι τò πρ9γµα α?τò µ9λλον διà λóγυν / τοVνοµα µóνον σωνυµολογσθαι χυρìς λóγοω.«54 Insofern nun mit Parmenides das Seiende im ganzen (π9ν) als Einheit begriffen werden muß,55 bringt sich dieser ontologisch ausgezeichnete Einheitsbegriff (τò Wν) offensichtlich in einen unvermittelbaren Gegensatz zur Zweizahl seiner bestehenden Bezeichnungen ›Eines‹ und ›Seiendes‹. Entweder wird dann die Bezeichnung ›Seiendes‹ gegenstandslos, ein Name von nichts 263c 9f.: »Μηδενòς δé γε υA ν ο?δ( Rν λóγος ε0η τò παρáπαν? πεφ'ναµεν γàρ Qτι τ ν δωνáτυν Yν λóγον Iντα µηδενòς εναι λóγον.« – »Mit einer Aussage von nichts läge überhaupt gar keine Aussage vor. Wie wir ja gezeigt haben, kann eine Aussage von nichts unmöglich Aussage sein.« 49 240d 10f.: »Καì λóγος οµαι ψεωδ ς ο[τυ κατà τα?τà νοµισθ'σεται τá τε Iντα λéγυν µ εναι καì τà µ Iντα εναι.« – »Als eine gleichermaßen falsche Aussage muß man es also wohl betrachten, wenn sie aussagt, das Seiende sei nicht, wie auch wenn sie aussagt, das Nichtseiende sei.« 50 260a 5: »τ ν Iντυν Wν τι γεν ν«. 51 241d 5–7. – »Den Satz des ehrwürdigen Parmenides müssen wir, wenn wir uns dagegen verteidigen wollen, überprüfen und zwingend erweisen, daß sowohl das Nichtseiende in gewisser Hinsicht ist, als auch, daß das Seiende hinwieder irgendwie nicht ist.« – Zu diesem Gegensatz zwischen der Platonischen »Relations-Logik« und der Parmenideischen »Identitäts-Logik«, der sich gerade vom onto-logischen Problem des Einen Seins her eröffnet, vgl. E. Cassirer, »Zur Logik des Symbolbegriffs«, in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Oxford 1956, 201–230; hier 204ff. und 220f. – Siehe auch Beierwaltes, Identität und Differenz, 11ff. 52 Vgl. 243c 10 – d 5. 53 Vgl. 244b 12f. 54 218c 4 f. – »Stets muß man sich umfassend über die Sache selbst eher vermittels begrifflicher Erklärungen verständigen als nur über ihre Bezeichnung ohne begriffliche Erklärung.« 55 244b 6–13. 48
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(µηδενòς Iνοµα), oder die Bezeichnung ›Eines‹ ist allenfalls ein Name für einen Namen (#νóµατος Iνοµα µóνον), welcher nicht mehr unmittelbar zum Seienden (Iν) ›durchstößt‹.56 Wenn aber weiterhin dieses Einheitskonzept seine unmittelbare ontologische Relevanz für alles Aussagen haben soll und wenn dabei die lexikalische Verschiedenheit der bestehenden sprachlichen Bezeichnungen nicht einfach geleugnet werden kann, dann erscheint es sinnvoll, alles Aussagen (als ein Verknüpfen von lexikalisch differenten Bezeichnungen) auf einen minimalen Grenzwert von Verknüpfung zu reduzieren: Als ontologisch wahr in diesem Sinne – als ein tatsächliches Aussagen von Seiendem – präsentieren sich daher nur noch solche Aussageformen, die jeweils ein und denselben Sachverhalt bzw. Gegenstand lexikalisch identisch, eben tautologisch, zu benennen vermögen; demnach darf man »nicht den Menschen als einen guten aussagen, sondern (nur) das Gute als gut und den Menschen als Mensch«.57 Diese tautologische Form versichert zwar sprachlich adäquat jeweils einen Aussagegegenstand seiner ontologisch begründeten Einheit. Gleichzeitig gerät sie aber (aufgrund ihrer unendlichen Wiederholbarkeit) zum sprachlichen Signal für einen ontologischen »Atomismus«,58 der dem Parmenideischen Konzept einer unteilbaren Einheit alles Seienden völlig zuwiderläuft. Gegen diese Unterordnung des Aussagebegriffs unter das Prinzip einer Einheit, das sich in seiner rigiden ontologischen Fassung völlig heterogen zur Sprache und ihrer syntaktischen Struktur verhält, sucht Platon den Einheitsbegriff konzeptuell so zu modifizieren, daß dadurch auch die Möglichkeit zur sprachlichen Kombination von differenten Begriffen eine ontologisch adäquate Begründung erfährt. Hierbei kann Platon die anfangs hypostasierte prinzipielle Unmöglichkeit begrifflicher Verknüpfung nicht in eine prinzipiell beliebige Verknüpfbarkeit aller Begriffe umkehren, da die völlige Preisgabe eines Einheitskonzeptes für die sprachliche Aussage gleichermaßen absurde Folgerungen nach sich zöge.59 Der Weg für die Modifikation des Einheitskonzeptes wird demnach notwendig durch die Exklusion jener beiden als unmöglich befundenen Alternativen vorgegeben: »Καì µ ν Wν γé τι τοúτυν ναγκα8ον, / πáντα / µηδèν / τà µèν θéλειν, τà δè µ σωµµεíγνωσθαι […]. Καì µ ν τá γε δúο δúνατον ηGρéθη.«60 56
244c 8ff. 251b 8 – c 2: »ο?κ […] γαθòν λéγειν )νθρυπον, λλà τò µèν γαθòν γαθóν, τòν δè )νθρυπον )νθρυπον.« 58 Dazu P. Seligman, Being and Not-Being. An Introduction to Plato’s Sophist, The Hague 1974, 48. 59 Vgl. 252 d 2–10. 60 252e 1–4. – »Eines davon ist doch notwendig: Entweder kann sich [1.] alles oder [2.] nichts oder [3.] einiges zwar schon, anderes aber nicht vermischen. […] Und die [ersten] zwei Möglichkeiten wurden doch als unmöglich befunden.« 57
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Daraufhin wird anhand eines wohl nicht zufällig dem Sprachbereich entnommenen Beispiels, nämlich anhand des griechischen Alphabets, veranschaulicht, wie innerhalb eines überschaubaren Bereiches – in diesem Falle: der Buchstaben (γρáµµατα) – bestimmte Kombinationen möglich werden können, andere aber unmöglich sind. Laut der wortführenden Dialogfigur des Fremden aus Elea besitzen nämlich die – fünf – griechischen Vokale61 gegenüber den Konsonaten einen Sonderstatus, insofern sie aufgrund ihres ›Bindecharakters‹ erst die Kombination von Buchstaben zu Wörtern ermöglichen: »Τà δé γε φυν'εντα διαφερóντυς τ ν )λλυν ο \ ο ν δ ε σ µ ò ς διà πáντυν κεχẃρηκεν, Jστε )νεω τινòς α?τ ν δ ú ν α τ ο ν ]ρµóττειν καì τ ν )λλυν Wτερον ^τéρ_.«62 Ganz analog dazu sieht der Fremde die grundsätzliche Kompatibilität 5σωµφυνε8ν, σωναρµóττειν) von verschiedenen Begriffen (ε0δη) bzw. ihrer sprachlichen Bezeichnungen (Iνοµατα) in einem Aussagesatz63 ermöglicht durch fünf ineinander verschlungene ›ideelle Begriffsgestalten‹ von allgemeinster Natur (ε0δη oder µéγιστα γéνη), zu denen auch ein modifizierter Einheitsbegriff, nämlich derjenige der Identität (τò τα?τó), zählt.64 Erst auf dieser Folie lassen sich dann auch konkrete Begriffskombinationen als wahr bzw. als falsch qualifizieren: Die dialektische Wissenschaft (διαλεκτικ πιστ'µη), die als die eigentliche philosophische Tätigkeit der trügerischen τéχνη des Sophisten gegenübertritt,65 muß demnach die (Un-)Verknüpfbarkeit konkreter Begriffe angemessen aufzeigen:66 durch deren Sonderung nach Maßgabe jener Begriffsgestalten (τò κατà γéνη δαιρε8σθαι).67 Da nun diese fünf begründenden ε0δη nicht vollkommen auf die sprachlichen Begriffe reduzierbar sind, erfolgt ihre Etablierung im »Sophistes« auch
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Für das Vokalsystem des Griechischen immer noch sehr aufschlußreich R. Kühner, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache I.1, bearbeitet von F. Blass, Hannover 1890, 59ff. – Zu den ursprünglich fünf Vokalzeichen α, ε, ο, ι, ω kommen noch die (auch sprachgeschichtlich späteren) Zeichen η für das gelängte /e/ bzw. υ für das gelängte /o/ hinzu, während α, ε und ω sowohl für einen Lang- wie auch für eine Kurzvokal verwendet werden können. 62 253a 4–6. Hervorh. von mir. – »Anders als die anderen [Buchstaben] ziehen sich die Vokale wie ein Band durch alle, so daß ohne einen von ihnen sich die anderen nicht miteinander zusammenzufügen vermögen.« 63 Vgl. 253b 8ff. bzw. 261d 11ff. 64 Zur Etablierung der fünf ideellen Begriffgestalten bzw. der ›reinen‹ ε0δη des Seienden selbst (τò οA ν α?τó), der Ruhe (στáσις) und Bewegung (κíνησις), der Identität (τò τα?τó) und der Differenz (θáτερον) vgl. 254b 7 – 255e 7. – Zur Modifikation des Einheitsbegriffes Näheres im Anschluß. 65 253c 6ff. 66 253b 10ff.: »#ρθ ς µéλλοντα δεíξειν πο8α ποíοις σωµφυνε8 τ ν γεν ν καì πο8α )λληλα ο? δéχεται«. 67 Vgl. 253d 1–3.
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nicht über eine strikt aussagelogische Analyse der prädizierenden Rede. Die µéγιστα γéνη scheinen aber auch keine eigenen Ideen darzustellen, die absolut vom Bereich der ›normalen‹ Begriffssprache zu trennen wären: Sind sie doch im Gesamtzusammenhang des Dialogs zu sehr mit dem Problem der sprachlichen Verknüpfung verwoben.68 Vielmehr müssen die fünf µéγιστα γéνη als »die jedem Seiendem und jeder Idee zukommenden, ontologischen und deshalb auch logisch ausdrückbaren Strukturen«69 verstanden werden. Daß es sich dabei tatsächlich um allgemeinste onto-logische Strukturbestimmungen handelt, legt gerade die besagte Analogie zwischen den fünf ε0δη und den fünf Vokalen nahe: Das im Analogiebeispiel verwendete Bild des Bandes (δεσµóς), als das sich die Vokale durch alle Buchstaben ziehen,70 signalisiert nicht so sehr den absolut über- und vorgeordneten Ursachencharakter der Vokale für die Buchstabenkombinationen als vielmehr deren immanente und beständige Wirksamkeit (δúναµις) in diesen Kombinationen.71 68
So bemerkt R.-P. Hägler zu Recht, »daß in den Spätdialogen [Platons] deutliche Verschiebungen zugunsten einer begrifflichen Ideenkonzeption zu beobachten sind […]«. (R.-P. Hägler, Platons ›Parmenides‹. Probleme der Interpretation, Berlin/New York 1983, 47.) Doch sollte diese Beobachtung nicht zu der buchstäblich verkehrten Annahme verleiten, daß die Ideenkonzeption der Platonischen Spätdialoge völlig auf einer logischen Sprachanalyse basiert. Die bedenkliche, sprachanalytisch zentrierte Rezeption des »Sophistes« charakterisiert Beierwaltes zusammenfassend: »Aufs Ganze gesehen wird darin die Frage der Verbindung von Logos und Idee mehr oder weniger verdrängt, weil die in Aristoteles explizit werdenden Ansätze einer in den Dialogen eher verdeckt erscheinenden platonischen Logik den Leitfaden der Interpretationen abgeben.« (Beierwaltes, Identität und Differenz, 12.) – Weiteres dazu unten, 26ff. 69 Beierwaltes, Identität und Differenz, 19. 70 Siehe oben Anm. 62. 71 Diesen hier im Bild des δεσµóς evozierten Aspekt der beständigen Wirksamkeit bzw. der Mitteilung einer δúναµις (hier: zur Kombinationsfähigkeit) thematisiert bereits Platons früher Dialog »Ion« (in: Opera III, ed. Burnet, Oxford 1958, o. P.) an entscheidender Stelle mit dem gleichen Bildbereich: Im Zusammenhang mit der Frage, ob der Vortrag der Homerischen Epen aufgrund einer Kunstfertigkeit (τéχνη) bzw. eines spezifischen Wissens (πιστ'µη) oder eher aufgrund von göttlicher Inspriation (νθοωσιασµóς) dem Rhapsoden Ion derart gut gelinge und die Zuhörer ergreife, evoziert der Platonische Sokrates das Bild einer magnetisierten Kette: »καì γàρ α[τη λíθος ο? µóνον α?τοùς τοùς δακτωλíοως )γει τοùς σιδηρο+ς, λλà καì δúναµιν ντíθησι το8ς δακτωλíοις Jστ( α δúνασθαι τα?τòν το+το ποιε8ν Qπερ λíθος, λλοως )γειν δακτωλíοως, Jστ( νíοτε Fρµαθòς µακρòς πáνω σιδηρíυν καì δακτωλíυν ξ λλ'λυν `ρτηται? π9σι δè τοúτοις ξ κεíνης τς λíθοω δúναµις ν'ρτηται.« (533d 5 – e 3.) – »Denn dieser [Magnet-]Stein zieht nicht bloß die eisernen Ringe an, sondern er flößt auch den Ringen die Wirksamkeit ein, daß sie genau dasselbe tun können wie der Stein selbst – nämlich andere Ringe anziehen –, so daß sich bisweilen eine ganze lange Reihe von eisernen Ringen zusammenfügt; allen diesen aber ist ihre Wirksamkeit von jenem Steine angefügt.« – In diesem Bild geben nacheinander der Dichter (Homer), der Rhapsode und der Zuschauer die von der göttlichen Kraft durchwirkten Kettenglieder ab; »der Gott aber zieht durch die Seele aller dieser Menschen, wohin er will«. (536a 1–3: »F δè θεòς διà πáντυν τοúτυν
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Für die Konzeption des Aussagesatzes im »Sophistes« ist es also charakteristisch, daß zwar die fünf ε0δη als die allgemeinen Strukturbestimmungen des Seienden in gewisser Weise auch in den sprachlichen Begriffen und ihren Kombinationen durchgängig gegenwärtig sind, daß sie sich aber zugleich aufgrund ihres bestimmend wirksamen Charakters nicht auf den sprachlichen Zusammenhang reduzieren oder sich gar diesem verdanken: An die »Stelle des unmittelbaren und unhaltbaren Ähnlichkeitsverhältnisses« zwischen dem Parmenideischen Einen Sein und einem ›sinnvollen‹ Sprachausdruck ist bei Platon »vielmehr ein tieferes mittelbares Verhältnis getreten«.72 Terminologisch kommt diese Vermitteltheit der µéγιστα γéνη in den Begriffen und ihren Kombinationen als die µéθεξις (›Teilhabe‹) zum Ausdruck. Dieser Gedanke der µéθεξις impliziert aber bereits »ebensowohl ein Moment der Identität, wie ein Moment der Nicht-Identität […]. Die reine Idee des ›Gleichen selbst‹ bleibt, gegenüber den gleichen Steinen oder Hölzern, durch die sie repräsentiert wird, ein anderes, ein Wτερον – und doch läßt sich eben dieses Andere, vom Standpunkt der bedingten sinnlichen Weltansicht, nur in dieser Darstellung erfassen. Im gleichen Sinne wird der physisch-sinnliche Gehalt des Wortes für Platon zum Träger einer ideellen Bedeutung, die als solche doch in die Grenzen der Sprache nicht einzuspannen ist, sondern jenseits ihrer stehen bleibt.«73 Diese Vermitteltheit betrifft aber nicht bloß das Verhältnis zwischen dem einzelnen Wort (Iνοµα) und seiner jeweiligen begrifflichen Bedeutung, sondern insbesondere die fünf ideellen Begriffsgestalten (ε0δη) untereinander, so daß erst von daher alle Begriffskombinationen bzw. Sätze als ein sprachlich vermitteltes, analoges Abbild der dialektischen Verschlungenheit der fünf 2ιδη ineinander verstanden werden können. Die ε0δη überkreuzen sich ›in‹ jeder Satzstruktur: Der syntagmatische Verhalt zwischen den Satzelementen, welcher einer der Differenz und der Identität zugleich ist, wird garantiert durch die µéθεξις-Struktur der fünf ε0δη untereinander. Wλκει τ ν ψωχ ν Qποι Rν βοúληται τ ν νθρẃπυν.«) Dazu auch H. Flashar, Der Dialog Ion als Zeugnis Platonischer Philosophie, Berlin 1958, 55ff. und 76f. – Die Frage, ob das Bild des Bandes als einer durchgängig wirksamen Kraft im »Sophistes« darüber hinaus nicht auch eine dynamisierende Transformation des Parmenideischen δεσµóς darstellt, welcher im unmittelbaren Zusammenhang des von Platon zitierten Parmenides-Gedichtes (vgl. oben Anm. 43) zweimal in geradezu tautologischen Formulierungen vorkommt und dort Konnotationen der statischen und ehernen Notwendigkeit mit sich führt, sei hier nur aufgeworfen. Siehe dazu Frgm. B 8 v. 26f.: »α?τàρ κíνητον µεγáλυν ν πεíρασι δεσµ ν / 2σται[…]« – »Doch unbeweglich liegt es [sc. das Seiende] in den Grenzen gewaltiger Bande […]«; sowie ebd., v. 30f.: »κρατερ γàρ (Ανáγκη / πεíρατος ν δεσµο8σι 2χει […]«. – »Denn die mächtige Anangke [Notwendigkeit] hält es [sc. das Seiende] in den Banden der Grenze […]«. 72 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, Berlin 1923, 62. 73 Cassirer, op. cit., 65.
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Somit vermag insbesondere auch die tautologische Satzstruktur den sprachlich vermittelten Ausdruck des Platonischen Identitätskonzeptes darzustellen: Sie zeigt zunächst an, daß ein darin verwendeter Begriff am εδος der Identität teilhat und daß von daher dieser tautologische Satz das Gepräge eines Identitätssatzes hat – nicht aber, daß jener Begriff unvermittelt identisch ist. Unter dieser Hinsicht signalisiert das Prädikat ›ist A‹ innerhalb des tautologischen Satzes ›A ist A‹, daß dem Begriff A Selbstidentität gleichsam von außen zukommt und daß somit das Eidos der Identität nicht unmittelbar mit diesem einheitlichen Begriff A identisch ist und darin aufgeht. In der prädikativen Struktur einer tautologischen Satzform, im sprachlich vermittelten Bezug von (lexikalisch) Identischem und zugleich von Nicht-Identischem (Subjekt und Prädikat) aufeinander, spiegelt sich die Teilhabe-Struktur eines Begriffes am Eidos der Identität. Hier scheint nun besonders im Hinblick auf die der sprachanalytischen Philosophie verpflichtete Rezeption des »Sophistes« eine exkursorische Bemerkung erforderlich. Gemeinhin wird dort Gottlob Freges Differenzierung des ›ist‹ als Prädikatskopula von dessen Funktion als Gleichheitszeichen bereits für Platons Identitätskonzept reklamiert.74 Frege hat jedoch im Vergleich zu Platon einen erweiterten bzw. unschärferen Identitätsbegriff, insofern er diesen auch auf lexikalisch differenzierte Bezeichnungen anwendet, welche in dem durch sie Bezeichneten – in der Fregeschen Nomenklatur: hinsichlich ihrer Bedeutung – einander gleichkommen (›A = B‹).75 Identitätsaussagen des Typs ›A = A‹ haben zwar apriorische Geltung, stellen aber wegen ihres analytischen Charakters »keine sehr wertvolle Erweiterung unserer Erkenntnis« dar. Dem Fall A = B liegt nämlich im Vergleich zu A = A eine andere »Art des Gegebenseins« seiner Sprachzeichen und damit ein Erkenntniswert im strikten Sinne zugrunde.76 Die Erkenntnis der umfassenden Bedeutung eines Gegenstandes kann sich für Frege nicht in dem einem Sprachzeichen A erschöpfen.77 Andererseits ist dieser Identitätsbegriff bei Frege differenzierter, d. h. in seiner Geltung eingeschränkter, gedacht als bei Platon: Identitätsaussagen im
74
So etwa. J. Ackrill, »Plato and the Copula: Sophist 251–259«, in: Studies in Plato’s Metaphysics, ed. by R. Allen, London 1965, 207–218; hier v. a. 210f. – M. Frede, Prädikation und Existenzaussage. Platons Gebrauch von ›… ist …‹ und ›ist nicht …‹ im Sophistes, Göttingen 1967, bes. 55ff. 75 Vgl. Frege, »Sinn und Bedeutung«, in: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hrsg. von G. Patzig, Göttingen 1962, 38–63; hier 38: »Ich [G.F.] brauche dies Wort [›Gleichheit‹] im Sinne von Identität und verstehe ›a=b‹ in dem Sinne von ›a ist dasselbe wie b‹ oder ›a und b fallen zusammen‹.« 76 Vgl. ebd., 39f. und 63. – Erinnert sei hier an Freges bekanntes Beispiel vom Abendstern und Morgenstern ebd., 44f. 77 Vgl. ebd., 40.
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Fregeschen Sinn beziehen sich nur auf logische Eigennamen, »deren Bedeutung ein bestimmter Gegenstand ist (dies Wort im weitesten Umfange genommen), aber kein Begriff und keine Beziehung«.78 Freges Differenzierung betrifft dabei den grundlegend verschiedenen Status von umkehrbaren Identitätsaussagen und nicht-umkehrbaren Prädikationen: Identität im Fregeschen Sinne bezieht sich nur auf die Bedeutung – und d. h. auf den »Wahrheitswert« eines bestimmten Aussagetypus –,79 nicht aber auf Prädikationen, die ein asymmetrisches Verhältnis von Subjekt und Prädikat aufweisen: »Eine Gleichung ist umkehrbar; das Fallen eines Gegenstandes [Subjektes] unter einen Begriff [d. h. unter die Bedeutung eines Prädikates] ist eine nicht umkehrbare Beziehung.«80 Somit hätte es wohl wenig Plausibilität für sich, wenn man bei der Platonischen Konzeption der ε0δη eine strikte Trennung zwischen Identitätsaussagen (A = A) und lexikalisch identischen Prädikationen (A ist A) vorfinden wollte (welch letztere für Frege überhaupt nicht in Betracht kommen): Ein Satz wie »Großes ist groß« drückt für Platon zwar die Gleichheit im Sinne der Identität zweier Lexeme bzw. des durch sie Bezeichneten aus. Gleichzeitig aber – und dem scheint hier Platons hauptsächliches Augenmerk zu gelten – signalisiert die prädikative Gestalt dieses Satzes, die Differenz von Subjekt und Prädikat, daß der Begriff des Großen als Begriff am Eidos der Identität nur teilhat. Erst diese Teilhabe ermöglicht es, den Begriff des Großen als einen mit sich selbst identischen auszusagen und ihn dann als einen einheitlichen in einer anderen prädikativen Aussage zu verwenden. Der Satz »Das Große ist groß« meint von daher für Platon zugleich: Der Begriff der Großheit kommt eben seinem Prädikat ›Großheit‹ gleich, gerade insofern diesem Begriff das Eidos der Identität zukommt. Im Falle solcher Selbstprädikationen81 zeigt sich die Funktion des Eidos der Identität für die Konstitution eines prädikativen Aussagesatzes wohl am deutlichsten, da mit ihnen der vermittelte Bezug, in dem ein Begriff zum Eidos der Identität steht, gleichsam nach außen gestülpt, sprachlich vermittelt werden kann. Anders als im Dialog »Parmenides« jedoch82 geht es hier 78
Ebd., 39. Ebd., 63. 80 Frege, »Begriff und Gegenstand«, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung (= Anm. 75), 64–78; hier 66. 81 Der Gebrauch dieses problematischen und »nicht sehr präzisen Ausdrucks« ist »nur zulässig, wenn man sich bewußt bleibt, daß schon die Anwendung dieses Ausdrucks eine bestimmte Deutung antizipiert. Ein griechisches Äquivalent für ›Selbstprädikation‹ findet sich bei Platon jedenfalls nicht.« (W. Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Göttingen 1982, 119.) – Zu diesem Begriff siehe auch G. Vlastos, »Plato’s ›Third Man‹ Argument (Parm. 132 A1–B2): Text and Logic«, in: ders., Platonic Studies, Princeton 1981, 342–360; hier 351 (Fn. 36). 82 Vgl. v. a. Parmenides 132aff. (in: Opera II, rec. I. Burnet, Oxford 1910, o. P.) 79
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offensichtlich nicht so sehr um das Verhältnis der einen Idee des Großen zu dem Vielen, zu den »anderen großen Dingen«, deren Idee sie ist,83 – und mithin nicht um die Frage, was mit dem Prädikat ›groß‹ gemeint ist (und zwar im Unterschied zu den »großen Dingen«, von denen es als Prädikat ausgesagt wird).84 Insofern steht im »Sophistes« mit einem Satz wie »Das Große (selbst) ist groß« auch nicht die Problematik eines unendlichen Regresses – daß die Idee des Großen selbst wiederum an einer Großheit zweiten Grades teilhaben müsse – im Vordergrund85 und also nicht die Schwierigkeit, mit einer Ideenlehre die Ideen selbst thematisch werden zu lassen.86 Die sachhaltige Bestimmung, insbesondere des Eidos des Seins, der Identität und der Differenz, betrifft im »Sophistes« vor allem ihren ›funktional‹-bestimmenden Charakter für den Aussagesatz – und d. h. für die ›identifizierende‹ Verwendung von differenten Begriffen im Satz: Dadurch daß mit der tautologischen Satzform ein vermitteltes, in sich Identisches auch als ein solches sprachlich angezeigt werden kann, kann jeder sprachlich verwendete Begriff in einer lexikalisch identischen Prädikation seiner φúσις, d. h. seiner einheitlichen Begriffsgestalt (εδος), versichert werden. Die tautologische Satzform fungiert hier als ausgezeichneter Indikator für das Platonische Unterfangen, »hinter der fließenden und unbestimmten Wortgestalt […] die dauernde identische Begriffsgestalt, als das eigentliche, die Möglichkeit des Sprechens und Denkens erst begründende Eidos«87 aufzuweisen: »καì δε8 θαρρο+ντα `δη λ é γ ε ι ν Qτι τò µ οA ν βεβαíυς στì τ ν αGτο+ φúσιν 2χον, Jσπερ τò µéγα Yν µéγα καì τò καλòν Yν καλòν Parm. 132 a 6: »α?τò τò µéγα καì τbλλα τà µεγáλα.« Siehe Wieland, Platon und die Formen des Wissens, 115f. 85 Zu diesem (nach Aristoteles, Met. 1059b 8 so genannten) Argument des »τρíτος )νθρυπος« siehe G. Vlastos, »The Third Man Argument in the Parmenides«, in: Philosophical Review 63 (1954), 319–349; sowie: ders., »Plato’s ›Third Man‹ Argument (Parm. 132 A1–B2): Text and Logic« (= Anm. 81). 86 Wieland, op. cit., 119f.: »In der Tat kann bei Platon von der Idee in der Weise die Rede sein, daß von ihr das Prädikat, dem sie zugeordnet ist, selbst ausgesagt wird. Das gilt nicht nur für den ›Parmenides‹. Nur in diesem Dialog werden indes die Konsequenzen in Richtung auf einen unendlichen Regress gezogen. […] Wie immer man dieses Problem aber auch lösen wird, – man wird gut daran tun, Selbstprädikationen als Gebilde sui generis zu behandeln und nicht als Prädikationen, die sich von anderen Prädikationen nur durch ihren Inhalt unterscheiden. Ohnehin ist die Selbstprädikation im Umkreis der Idee nur eine Verlegenheitslösung. Sie signalisiert die Verlegenheit, in die derjenige kommt, der überhaupt eine sachhaltige Bestimmung der Idee zu geben sucht. Würde man jede Selbstprädikation wörtlich nehmen, so wäre sie Dokument einer Verdinglichung der Idee. Deutet man sie als Verlegenheitslösung, so hätte sie umgekehrt gerade die Funktion, einer derartigen Tendenz entgegenzuwirken. Denn dann würde sie nur die Schwierigkeit beleuchten, die Idee überhaupt zum Gegenstand, und sei es zum Gegenstand von Aussagen, zu machen.« 87 Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, 67. 83 84
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καì τò µ µéγα 〈µ µéγα〉 καì τò µ καλòν 〈µ καλον´ 〉, ο[τυ δè καì τò µ οAν κατà τα?τòν Yν τε καì 2στι µ Iν, νáριθµον τ ν πολλ ν Iντυν εδος Wν.«88 So zeigen denn auch die beiden Aussagen »Das Nichtseiende ist nichtseiend« und »Das Nichtseiende ist« für Platon keinen absoluten und unvermittelbaren ontologischen Gegensatz zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden an. Vielmehr erhält die Aussage »Das Nichtseiende ist« ihre Legimitiät als Aussage (λóγος) – als der aktuale identifizierende Bezug von Differentem, ja Kontradiktorischem aufeinander – erst dadurch, daß ein einheitlicher Begriff des Nichtseienden auch in seinem Sein als Begriff etabliert werden kann: »Das Nichtseiende ist nichtseiend«. Der einheitliche Begriff des Nichtseienden hat am εδος des Seins teil; in Anbetracht seiner seinsmäßigen Gestalt ist der Begriff des Nichtseienden »irgendwie«. Insofern jedoch alle Begriffe als Begriffe, in Anbetracht des εδος ihrer (Selbst-)Identität, nicht vollständig in jenem εδος des Seins aufgehen, können sie immer zugleich als das Andere des Seins, als nichtseiend, begriffen werden89 – und damit die Verwendung ihrer sprachlichen Bezeichnungen (#νóµατα) in einem Satz gegebenenfalls als ›gegenstandslos‹ (ψεωδ'ς): Erst dadurch, daß ein Begriff, als ein einheitlicher, sich nicht unmittelbar mit dem Eidos des Seins identifizieren läßt, erst aufgrund seiner Gemeinschaft (κοινυνíα) auch mit dem Nichtseienden ergibt sich für ihn überhaupt die – vom Sophisten ja durchweg bestrittene – reale Möglichkeit seiner ›Gegenstandslosigkeit‹ und also die Möglichkeit zu seiner falschen Anwendung in einer Aussage. »ψε+δος γàρ τò παρáπαν ο?κ εναι ταúτης µ σωνισταµéνης τς κοινυνíας [sc. το+ µ Iντος].«90 88
258b 9 – c 3. Hervorh. von mir. – »So darf man jetzt getrost die Aussage machen, daß das Nichtseiende mit Sicherheit ist, insofern es seine eigene Natur hat, [d. h.] daß – ebenso wie das Große groß, das Schöne schön, das Nichtgroße nichtgroß und das Nichtschöne nichtschön war – auch das Nichtseiende nach Maßgabe der Identität nichtseiend war und ist und somit als eine einheitliche Begriffsgestalt unter das viele Seiende gezählt werden kann.« 89 256d 12 – e 3: »κατà πáντα γàρ θατéροω φúσις Wτερον περγαζοµéνη το+ Iντος Wκαστον ο?κ οA ν ποιε8, καì σúµπαντα δ κατà τα?τà ο[τυς ο?κ Iντα #ρθ ς ρο+µεν, καì πáλιν, Qτι µετéχει το+ Iντος, εναì τε καì Iντα.« – »Denn im Hinblick auf alle [Begriffe] macht die Natur des Verschiedenen [d. h. das Eidos ihrer Verschiedenheit] einen jeden Begriff verschieden vom [Eidos des] Seienden und so nichtseiend; und alle [Begriffe] insgesamt können wir demnach im Hinblick auf [das Eidos] ihrer Identität richtigerweise als nichtseiend bezeichnen, und doch wieder [sagen], daß sie auch Seiende sind, weil sie am [Eidos] des Seienden teilhaben.« 90 260e 2f. – »Denn es gäbe gar keine Falschheit, wenn diese Gemeinschaft [mit dem Nichtseienden] nicht bestünde.« – Damit ist aber der Gegenpol zur Antisthenischen #νοµáτυν πíσκεψις erreicht, nach der als »Wort, als Iνοµα, im Gegensatz zum bloßen artikulierten Laut, dem φθóγγος, […] nur angesehen werden [darf], was ein bestimmtes Seiendes, ein Wirkliches, ein Iν, bezeichnet. Daraus ergibt sich dann gemäß der Definition
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Unter dieser Hinsicht kann das εδος der Identität von ›A‹, welches in der tautologischen Prädikation ›A ist A‹ zur Sprache kommt, auch nicht einfach auf das εδος des Seins reduziert werden, worauf das ›ist‹ in seiner existentialen Bedeutung hinweist.91 Nicht die unmittelbare Bindung eines unvermittelt einheitlichen Iνοµα an ein ›ist‹ (Iν) kommt so mit der tautologischen Satzform unmittelbar zum Ausdruck – und damit auch nicht eine exklusive Wahrheitsleistung innerhalb einer ›aussagerealistischen‹ Sprachkonzeption. Vielmehr spiegelt sich in ihrer Satzform die dialektische Verschlungenheit der Begriffe des Seins, der Identität und der Differenz: Wohl ist der Allgemeinbegriff (εδος) des Seins identisch mit sich selbst: vermittels seiner Teilhabe am Eidos der Identität (διà τ ν µéθεξιν τα?το+ 92). Zugleich aber ist er nicht dieses Eidos der Identität selbst,93 und dies vermittels seiner Teilhabe am Allgemeinbegriff der Verschiedenheit (διà τò µετéχειν τς Tδéας τς θατéροω).94 Die gegenseitige Irreduzibilität des Identitätsbegriffs und des Seinsbegriffs impliziert also notwendig den Begriff der Differenz: »Ο?κο+ν α?τ ν Wκαστον το8ν µèν δωο8ν Wτερóν στιν, α?τò δ( ^αωτe τα?τóν.«95 Wie der »Sophistes« in seiner Auseinandersetzung mit Parmenides und seinen radikalen Fortsetzern darlegt, muß jegliches Aussagen im Sinne einer begrifflichen Kombination dem Verdikt eines letztlich unhaltbaren ›Aussagerealismus‹ verfallen, wenn dieser seinen einzigen Maßstab in der unmittelbaren Versprachlichung des Einen Seins findet. In diesem Fall ließe sich nämlich die unmittelbare ›Bedeutsamkeit‹ einer Aussage nur ex negativo beibehalten, über ein Mindestmaß an syntaktischer Verknüpfung und an lexikalischer Differenz: einzig über die tautologische Konstatierung ›A ist A‹. Die dabei etablierte Art von Bedeutsamkeit darf mit Platon als eine ausschließlich ›nominale‹ bezeichnet werden, insofern sie sich gegen einen prävon selbst, daß es ein Iνοµα ψεωδéς, ein falsches Wort, ein Wort also, dem nichts Wirkliches entspricht, nicht geben kann. Das Wort, sofern es diesen Namen verdient, wird damit von vornherein in eine unmittelbare und unauflösliche Beziehung zu einem real und objektiv Vorhandenen, griechisch ausgedrückt, zu einem Iν gesetzt.« Daraus folgt aber: »Wie in der objektiven Bedeutung des Wortes das ›falsch‹ zugunsten des absoluten Gegensatzes zwischen dem Wort und bloßem Schall ausgeschaltet wurde, so ist auch hier das Bestreben darauf gerichtet, ein unbedingtes Entweder – Oder zwischen ›wahr‹ und ›überhaupt nicht‹ zu konstatieren und das Mittelglied einer falschen Anwendung, die trotzdem Anwendung wäre, als unmöglich zu erweisen.« (K. von Fritz, »Zur antisthenischen Erkenntnistheorie und Logik«, 122; 124. Hervorh. von mir.) 91 Zur existentialen Dimension des ›ist‹ vgl. etwa 265a 1: »fΕστι δé γε διà τò µετéχειν το+ Iντος.«– »Er [d. h. ein Begriff ] ist aber doch aufgrund seiner Teilhabe am [Eidos des] Seienden.« 92 256b 1. 93 253c 3. 94 255e 5f. 95 254d 14f. – »Also ist ein jedes von diesen beiden [d. h. hier: das Eidos der Identiät und des Seins] ein anderes, als es selbst aber für sich selbst dasselbe.«
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dizierenden Satzzusammenhang richtet: »ο?δεµíαν γàρ […] πρ9ξιν ο?δP
πραξíαν ο?δè ο?σíαν Iντος ο?δè µ Iντος δηλο8 τà φυνηθéντα, πρìν )ν τις το8ς #νοµáσιν τà ρ6 'µατα κερáσ.. τóτε δ( hρµοσéν τε καì λóγος γéνετο ε?θùς πρẃτη σωµπλοκ' […]. iΟταν ε0π. τις? ›)νθρυπος µανθáνει‹, λóγον εναι φjς το+τον λáχιστον τε καì πρ τον. […] διò λ é γ ε ι ν τε α?τòν λλ( ο? µóνον # ν ο µ á ζ ε ι ν ε0ποµεν, καì δ καì τe πλéγµατι τοúτ_ τò Iνοµα φθεγξáµεθα λóγον.«96 Ganz im Gegensatz zu dem, was Platon hier für einen λóγος veranschlagt, beschränkte sich also die bloße ›Nennkraft‹ (#νοµáζειν) eines Sprachzeichens auf die unmittelbare Konstatierung des ›ist‹ von jeweils einem Seienden. Innerhalb einer solchen ›nominalen‹ Sprachkonzeption würde die tautologische Form ›A ist A‹ nicht einen Grenzfall von prädikativer Verknüpfung, sondern nach Art eines Minimalkonsenses den einzig möglichen, wahren Satz darstellen – einen ›Satz‹ freilich, der ein genanntes Seiendes in seinem einheitlichen ›ist‹ bloß noch einmal nennt und gewissermaßen bestätigt, der aber für sich keinen prädikativen Aussagecharakter beanspruchen kann. Gegenüber dieser exklusiven Aufwertung der einen, tautologischen Satzform erweist sich die tautologische Satzform innerhalb der Platonischen Konzeption der Allgemeinbegriffe als ein ›verdichteter‹ Kreuzungspunkt der Konzepte des Seins, der Identität und Differenz: Der Aussagewert der tautologischen Satzform verdankt sich nicht mehr der unmittelbaren Deckungsgleichheit des Seinsbegriff mit dem Begriff einer unteilbaren Einheit97 – einer Deckungsgleichheit, die letztlich einem ontologischen ›Atomismus‹ und damit einem rigiden Differenzbegriff die Hintertür öffnet. Vielmehr wird hier bei Platon jene Deckungsgleichheit ›entzerrt‹ in aufeinander irreduzible und doch miteinander vermittelte Konzepte, die sich in einer tautologischen Satzform sprachlich am deutlichsten vermitteln lassen: »Als es selbst ist jedes für sich selber dasselbe.« Insofern kann dann auch jeder bestimmte Begriff sich in seiner identischen Begriffsgestalt – die zugleich am Eidos der Identität und des Seins teilhat, diesen aber nicht unmittelbar gleichkommt – eben mit dieser Satzform ›sehen lassen‹. Insofern aber eignet der tautologischen Satzform auch keine exklusive Wahrheit innerhalb eines ›Aussagerealismus‹ 96
262c 2 – d 6. Hervorh. von mir. – »Denn keine Handlung noch das Fehlen einer Handlung, noch das Sein eines Seienden oder Nichtseienden wird die sprachliche Verlautbarung anzeigen, bis man die Verben mit den Nomina vermischt. Dann erst hat sich eine einfache Verknüpfung verfugt und wird gleich zu einer Aussage. Wenn man sagt: ›Der Mensch erkennt‹, so nennt man das doch eine Aussage von kürzester und einfacher Art. Deshalb, so sagten wir, sagt man a u s und nennt nicht nur; und somit haben wir dieser Verknüpfung die Bezeichnung ›Aussage‹ beigelegt.« 97 Vgl. Ackrill, »Plato and the Copula«, 209: »The assimilation of these [three concepts of being, identity, and difference] had led to a denial of any true non-tautological statement.«
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mehr, sondern sie gibt hier das sprachliche Urbild für alle »anderen«, wahren und falschen Prädikationen ab. Anders gesagt: Die tautologische Satzform ist nicht mehr einem Aussagebegriff verpflichtet, der sich einzig durch die unmittelbare und alleinig wahre ›Benennung‹ des Einen Seins legitimiert. Vielmehr lassen sich in der tautologischen Satzform, die eine Begriffsgestalt als eine mit sich selbst identische prädiziert und zugleich als seiende aussagt, die Bedingungen erkennen, die die richtige bzw. falsche Verwendung von differenten Satzelementen in einer prädikativen ›Gleichung‹ ermöglichen. Durch eine #νοµáτυν πíσκεψις 98 kann dann der der prädikative Bezug – die ›identifizierende‹ Verknüpfung von jeweils in sich Identischem (Subjekt) mit einem anderen in sich Identischen (Prädikat) – als wahr bzw. als falsch im Sinne seiner Gemeinschaft (κοινυνíα) mit dem Sein bzw. dem Nichtseienden qualifiziert werden. So sagen denn auch die beiden Sätze »Theätet sitzt« und »Theätet, mit dem ich gerade spreche, fliegt« gleichermaßen etwas (Qτοω) aus, das für etwas (περì Qτοω) gelten soll.99 Gleichwohl sagt nur die erste, wahre Aussage »das Seiende, das für [Theätet] gilt, so aus, daß es ist«. Die zweite, falsche Aussage hingegen sagt »Nichtseiendes als seiend« aus: Auch sie sagt also »Seiendes aus, das aber freilich in Differenz zum Seienden, das für [Theätet] gilt«.100
b) Aristoteles und sein Kommentator Boethius Eine Fortführung der im »Sophistes« etablierten fünf obersten Gattungen (µéγιστα γéνη) stellt in gewisser Hinsicht der Aristotelische Kategorienbegriff dar. Diese Fortführung besteht dabei nicht so sehr in einer ›inhaltlich‹ reicher differenzierten bzw. rein quantitativen Erweiterung der fünf ε0δη zu den zehn Kategorien101 als vielmehr darin, daß die Aristotelischen Kategorien das bei Platon zu verzeichnende »Nebeneinander und Ineinander der ätiologischen und prädikativen Aspekte«102 an den ε0δη in ein logisches Miteinander zu transformieren versuchen. 261d 2: »περì τ ν #νοµáτυν […] πισκεψẃµεθα«. – Zur Antisthenischen Methode der #νοµáτυν πíσκεψις siehe oben, Anm. 90. 99 263a 1–10. 100 263b 4–10. – Dazu H.-G. Gadamer, »Platons ungeschriebene Dialektik«, in: ders., Kleine Schriften III: Idee und Sprache. Platon, Husserl, Heidegger, Tübingen 1972, 27–49; hier v. a. 44f. 101 Vgl. dazu Aristoteles, Kategorien, übersetzt und erläutert von K. Oehler, Berlin 1986, 42. – Oehler bietet zudem einen guten Überblick über die Geschichte der Kategorienlehre bis in die Neuzeit sowie die wichtigsten Stationen der Rezeptionsgeschichte der Aristotelischen »Kategorien« seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Vgl. ebd., 41–127. 102 Ebd., 42. 98
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Während sich im Platonischen »Sophistes« trotz aller Parallelität zwischen der allgemeinen ontologischen Struktur des Seienden und der prädikativen Struktur eines herkömmlichen λóγος ein χυρισµóς zwischen den fünf ideellen Begriffsgestalten und der herkömmlichen sprachlichen Begrifflichkeit behauptet, sich also die prädikative Verknüpfung der sprachlichen Repräsentanten nur als ein ›teilhaftiges‹ Abbild der dialektischen Verhältnisse der ε0δη begründen läßt, sind im Aristotelischen Kategorienbegriff das ontologische und prädikative Moment so untrennbar miteinander verschmolzen, daß die Kategorien sowohl die allgemeinen Strukturbestimmungen der Seins als auch die allgemeinsten Schemata der Aussage über das Seiende darstellen.103 Die zweite Schrift des sog. Aristotelischen Organon mit dem (spätantiken) Titel »Περì ^ρµηνεíας«,104 welche nach traditionellem Verständnis den Schritt von den »unverbunden« geäußerten Kategorien eines Seienden105 hin zum Satzurteil (λóγος ποφαντικóς 106) vollzieht, entwickelt jene kategoriale Prädikation eines Seienden von ihrer Gestaltung im Satz her.107 Das letzte Kapitel von »De interpretatione«108 geht anhand der beiden apophantischen Satztypen der Bejahung (κατáφασις) und der Verneinung ( πóφασις) systematisch denjenigen Formen von Kontrarietät (τò 103
Die »phänomenologischen« Gründe für diese Verschmelzung eines ontologischen und eines sprachlich-prädikativen Schemas im Kategorienbegriff, die wiederholt zu dem einseitigen Vorwurf führte, Aristoteles sei mit seiner Kategorientafel nicht zu ›reinen‹ Verstandesbegriffen vorgedrungen (vgl. etwa I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von A. Görland, Berlin 1923, 99 [= B 106f.]), ja er habe unbewußt die grammatischen Kategorien eines gegebenen Sprachzustands in Denkkategorien transponiert (vgl. dafür É. Benveniste, »Kategorien des Denkens und Kategorien der Sprache«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, aus dem Französischen von W. Bolle, München 1974, 77–90; hier 86), zeigt W. Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingen 1970, bes. 144ff. unter der (nicht nur für Aristoteles gültigen) Maxime: »Wenn Aristoteles diese Unterscheidung [zwischen einer Seinstruktur und Sprachstruktur] nicht macht, kann man ihm auch nicht vorwerfen, gegen sie verstoßen zu haben«. Methodologisch wegweisend für eine Interpretation der sprachlichen Verfaßtheit von philosophischen Texten ist Wielands programmatisches »Nachwort« (ebd., 341ff.). 104 Zur Genese des Titels vgl. H. Meier, »Die Echtheit der Aristotelischen Hermeneutik«, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 13 (1900), 23–72. – Der Begriff »^ρµηνεíα« betrifft in klassischer Zeit bekanntlich noch nicht die Hermeneutik im Sinne einer Kunst (τéχνη) der Auslegung (ξ'γησις), sondern die sprachliche Kundgabe von etwas. Siehe die klassischen Parallelstellen Platon, Ion (ed. Burnet) 534 e und 535 a sowie Aristoteles, Poetik (ed. Bywater) 1450b 13f. 105 Vgl. Aristoteles, Cat. 1 b 25 (ed. L. Minio-Paluello, Oxford 1949, o. P.). 106 Zur Definition der apophantischen Rede vgl. Aristoteles, De interpr. 16 b 26 – 17a 7. 107 Dazu etwa Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, 65f.; sowie Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern I, Hildesheim 1961, 237ff. 108 De interpr. 23a 27ff.
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ναντíον) nach, die als aussagelogische Widersprüchlichkeit (Falschheit) zwischen apophantischen Sätzen bestehen können. Näherhin stellt sich Aristoteles dort das Problem, in welcher Satzform die tautologische Affirmation ›A ist A‹ ihr eigentlich konträres Gegenstück mit dem höchsten Falschheitsgrad findet – in der kontradiktorischen Negation ›A ist nicht A‹ oder in einer Affirmation ›A ist B‹, in der sich die Begriffe A und B zueinander konträr verhalten: »λéγυ δè kδε? 2στι τις δóξα ληθ ς το+ γαθο+ Qτι γαθον´, )λλη δè Qτι ο?κ γαθòν ψεωδ'ς, ^τéρα δè Qτι κακóν? ποτéρα δ τοúτυν ναντíα τK ληθε8; καì εT 2στι µíα, κατà ποτéραν ναντíα;«109 Die Bestimmung der Kontrarietät zwischen diesen drei formalen Satztypen verfolgt Aristoteles nun aber weiter anhand der Frage, wie sich das Verhältnis des Prädikats zum Satzsubjekt jeweils innerhalb dieser drei Satztypen ausnimmt: Das konträre Verhältnis zwischen jenen drei Satzformen bestimmt sich nach der jeweiligen Kontrarietät des ihnen immanenten prädikativen Verhältnisses. So ist denn auch für Aristoteles die Kontrarietät zwischen diesen drei Satztypen nicht aus einem ideellen Begriff von Kontrarietät abzuleiten, welcher sozusagen außerhalb und oberhalb von deren jeweiliger Prädikationsform angesiedelt ist. »Gewiß ist es falsch zu glauben, konträr entgegengesetzte Meinungen seien dadurch bestimmt, daß sie sich auf konträr Entgegengesetztes bezögen.«110 Andernfalls verhielten sich die beiden tautologischen Prädikationen »Das Gute ist gut« und »Das Schlechte ist schlecht« schlechthin konträr zueinander, insofern sie sich absolut auf die Konträrietät der Begriffe ›gut‹ und ›schlecht‹ bezögen: Unabhängig davon, ob sich die beiden konträren Prädikate ›gut‹ und ›schlecht‹ jeweils auf ein und dasselbe Subjekt beziehen oder auf zwei inkommensurable Satzsubjekte, wäre dann stets eine Prädikation dieses tautologischen Typus falsch. Entscheidend an der aussagelogischen Kontrarietät von Prädikationsformen wird für Aristoteles in erster Linie, daß die in diesen Prädikationsformen verwendeten konträren Prädikate auf ein und denselben Redegegenstand bezogen sind; entscheidend ist zunächst nur das Kontrarietätsverhältnis von Prädikaten im Horizont eines einheitlich prädizierten Sachverhalts. Für eine tautologisch affirmierende und wahre Prädikation des ›Guten‹, d. h. für den Satz »Das Gute ist gut«, findet sich nun ein solches konträres Prädikat entweder in der einen kontradiktorischen Negation »Das Gute ist
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23a 39 – b 2. – »Ich meine dies so: Es gibt eine wahre Meinung vom Guten, daß es gut sei, und eine andere, falsche, daß es nicht gut, und noch eine weitere, daß es schlecht sei. Welche von diesen beiden ist der wahren konträr? Und falls die beiden [eigentlich] eine sind, auf welcher von beiden gründet die Kontrarietät?« 110 23b 4f. (Dt. Übs.: Aristoteles, Peri Hermeneias, übersetzt und erläutert von H. Weidemann, Berlin 1994, 34.)
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nicht gut« oder aber in einer unbestimmten Vielzahl ebenso falscher, konträrer Prädikationen des ›Guten‹, die zudem nicht strikt an eine bestimmte apophantische Satzform, weder an eine Affirmation noch eine Negation, gebunden sind – also etwa in den Sätzen »Das Gute ist schlecht« oder »Das Gute ist nicht schön«.111 Dieser Gegensatz zwischen der quantitativen und qualitativen Unbestimmtheit der konträren Prädikationsformen ›A ist (nicht) B‹ einerseits und der einen Prädikationsform einer kontradiktorischen Negation ›A ist nicht A‹ andererseits findet seinen Grund in dem jeweils unterschiedlichen Prädikationsmodus, in dem alle diese einfachen Sätze vorliegen.112 Ein akzidenteller Prädikationsmodus, bei dem das Prädikat ›von außen her‹ (κατà σωµβεβηκóς) zu einem jeweils bestimmten Subjekt hinzutritt, zeitigt buchstäblich eine Konkretion von Subjekt und Prädikat. Die Hinzufügung eines Prädikats zum Subjekt besteht (Gπáρχει) dann zwar in Form eines Satzganzen. Das akzidentielle Prädikat »ist im Subject, [doch] nur κατà σωµβεβηκóς: also ist dann das Prädicat und Subject lν κατà σωµβεβκóς«.113 Die Einheit eines solchen prädikativen Satzganzen bzw. des prädizierten Sachverhalts ist eine ›zusammengesetzte‹ (σωµπεπληγµéνη).114 Dem steht ein Prädikationsmodus gegenüber, der eine inhärente Einheit – das νωπáρχειν des Prädikates im Subjekt – anzeigt; diese prädikative Einheit von Satzsubjekt und Prädikat kann schlechthin (]πλ ς) in einem Satz entfaltet werden, da sie einen ›substantiellen‹ Sachverhalt betrifft: »διò ο?δP F σκωτεùς ]πλ ς γαθóς, λλà ζeον δíποων? ο? γàρ κατà σωµβεβηκóς. 2τι ο?δP Qσα νωπáρχει ν τe ^τéρ_? […] νωπáρχει γàρ ν τe
νθρẃπ_ τò δíποων καì τò ζeον.«115 111
Vgl. 23b 8–13. Dazu U. Hölscher, Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie, Heidelberg 1976, 20ff. Zu diesem Gegensatz vgl. auch Ammonios [Hermeiou], In Aristotelis De Interpretatione Commentarius (ed. A. Busse, Berlin 1897, 259): » óριστοι γàρ […] αmται καì )πειροι, lν δè ^νì ναντíον καì @ρισµéνον @ρισµéν_.« – »Unbestimmt sind diese [konträren Prädikationen] und zahllos, aber die eine [kontradiktorische Prädikation] ist der einen [tautologischen Prädikation] (eigentlich) konträr, und zwar als bestimmte [Negation] der bestimmten [Affirmation].« – Über den neuplatonischen Aristoteles-Kommentar des Ammonius Hermeiou gibt Auskunft: Aristoteles, Peri Hermeneias, übersetzt und erläutert von H. Weidemann (= Anm. 110), bes. 74ff. – Zur lakonischen Definition der Einfachheit einer apophantischen Rede vgl. De interpr. 18a 12f.: »µíα δé στι κατáφασις καì πóφασις lν καθ( ^νòς σηµαíνοωσα.« – »Eins [einfach] ist eine Bejahung und eine Verneinung, welche eins [d. h. ein einheitliches Prädikat] auf eines hin [d. h. auf ein einheitliches Subjekt hin] aussagt.« – Die Problematik, die den nicht-einfachen Satz angeht, sei hier ausgespart. Vgl. dazu 20b 12ff. 113 Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft, 248. 114 Vgl. 23b 25f. 115 21a 14–18. – »Deswegen ist auch ein Schuster nicht schlechthin ein guter [Schuster], wohl aber ist er [schlechthin] ein zweifüßiges Lebewesen: Denn [letzteres ist er] 112
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So stellt die tautologische Urteilsform ›A ist A‹ den sprachlich radikalsten Ausdruck für ein schlechthin einheitliches – ein identisches – Prädikationsverhältnis des Subjekts zu seinem Prädikat dar, wo das Prädikat vom Subjekt ›an diesem selbst‹ (καθ( αGτó) ausgesagt wird. Darüber hinaus kann dieses Subjekt als der einheitliche Bezugspunkt – als das καθ( ^νóς 116– für eine unbestimmte Anzahl von (lexikalisch verschiedenen) Prädikaten fungieren, die diesem Subjekt jeweils κατà σωµβεβηκóς, d. h. akzidentell, zukommen: »oν τò γαθον` καì γαθòν καì ο? κακóν στιν, καì τò µèν καθP αGτò τò δè κατà σωµβεβηκóς 5σωµβéβκηε γàρ α?τe ο? κακe εναιo […].«117 Entsprechend ist der Wahrheitsgehalt einer affirmativen Prädikation καθP αGτó, als deren Extremform die tautologische Satzform gelten darf, höher als derjenige einer akzidentellen Prädikation. Umgekehrt wird im Vergleich zu einer konträren Prädikation (›A ist B‹) die entsprechende Kontradiktion (›A ist nicht A‹) in höherem Maße logisch falsch sein, da nur letztere ein Prädikat negiert, das καθ( αGτó im prädizierten Subjekt A mit enthalten ist.118 Insofern ist eine kontradiktorische Negation des Typs ›A ist nicht A‹ einer Affirmation des tautologischen Typs ›A ist A‹ im eigentlichen Sinne konträr, d. h. direkt entgegengesetzt ( ντικεíµενον).119 Im Vergleich dazu ist der konträre Status einer konträren Pradikationsform vom Typ ›A ist (nicht) B‹ letztlich uneigentlich, d. h. von einer kontradiktorischen Prädikation des Typs ›A ist nicht A‹ abgeleitet; mithin läßt sich ein konträres Prädikat auf ein kontradiktorisches zurückführen.120 Eine der entscheidendsten Vermittlungsinstanzen der Aristotelischen Philosophie bis hin ins Hochmittelalter stellt Boethius dar.121 Sein sog. größerer Kommentar zu »De interpretatione«122 führt die bei Aristoteles grundlegennicht akzidentell. Darüber hinaus ist [ihm] auch alles das nicht [akzidentell], was im Anderen [d. h. im Prädikat ›zweifüßiges Lebewesen‹] mitenthalten ist. Im [Begriff des] Menschen ist nämlich das Zweifüßige und das Lebewesen mitenthalten.« 116 Vgl. oben Anm. 112. 117 23b 15–17. – »Also [ist] das Gute sowohl gut wie nicht schlecht, und zwar das erstere an sich und das letztere akzidentell. Denn es kommt ihm zu, daß es nicht schlecht ist.« 118 23b 18–22. 119 23b 14. 120 Vgl. dazu 23b 25–27. 121 Zu Boethius als Übersetzer und Kommentator des Aristoteles vgl. L. Minio-Paluello, »Boethius als Übersetzer und Kommentator der aristotelischen Schriften« (1957) und den breiter angelegten Aufsatz von F. Sassen, »Boethius – Lehrmeister des Mittelalters« (1938), beide wieder abgedruckt in: M. Fuhrmann/J. Gruber (Hrsg.), Boethius, Darmstadt 1984, 146–145 bzw. 82–124; sowie J. Barnes, »Boethian Logic in the Medieval West« und A. White, »Boethius in the Medieval Quadrivium«, beide in: M. Gibson (ed.), Boethius. His Life, Thought and Influence, Oxford 1981, 90–134 bzw. 162–205. 122 Anicius Manlius Severinus Boetius, In Librum Aristotelis De Interpretatione Libri Sex. Editio secunda, seu Maiora Commentaria (ed. J. P. Migne, Paris 1891 [=PL 64,2], col. 393–638).
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de Unterscheidung von καθ( αGτó und κατà σωµβεβηκóς in Form der »propositio secundum se« bzw. »per se« und der »propositio per accidens« fort: Im Vergleich zu einer propositio per accidens besitzt eine propositio per se eine höhere Aussagewahrheit, wie reziprok dazu eine negatio per se (Kontradiktion) eine größere aussagelogische Falschheit nach sich zieht: »Magis autem in unoquoque est [propositio] vera quae secundum se est; quod si hoc ita est, etiam falsa, id est etiam illa falsitas est magis falsior quae illam perimit opinionem vel propositionem, quae secundum se vera est, siquidem illa secundum se vera verior quam quae secundum accidens rei vera est, hoc est enim quod [sc. Aristoteles] dicit, siquidem et vera.«123 Mit dieser Explikation des Aristotelischen ε0περ καì ληθ'ς (23 b 18) schließt sich Boethius zunächst an die bei Aristoteles vorherrschende ontologische Verklammerung des Prädikationsmodus »per se« mit einem als solchem ausgesagten Sachverhalt (ipsa res) an.124 Hierbei scheint allerdings für Boethius – ganz im Gegensatz zu Aristoteles – jener Prädikationsmodus ›per se‹ nicht so sehr auf einen Begriff der herkömmlich prädizierender Rede als vielmehr auf eine ideelle Begriffsgestalt zuzutreffen, die im Platonischen Sinne einen ontologischen Vorrang vor jeglichem repräsentierenden Aussagen besitzt: »propinquior naturae bonitatis est ea [propositio] quae id quod bonum est, bonum esse arbitratur, quam ea quae id quod bonum est, utile: quod si ita est, verior est illa quae secundum rem ipsam vera est […].«125 So gerät hier die tautologische Satzform zum sprachlich ausgezeichneten Ausdruck für eine appropinquatio an einen Begriff ›an sich‹, d. h. an eine nur approximativ verbalisierbare, eigentlich jedoch ›vorsprachliche‹ Wesenheit. In diesem Sinne zeitigt jene Satzform eine unüberbietbare Aussagewahrheit, da sie »das Wesen der Wahrheit in höchstem Maße« zur Sprache zu bringen vermag.126 Boethius scheint aber deswegen allein der tautologischen Satzform eine unüberbietbare (Aussage-)Wahrheit im Sinne jener appropinquatio 123
Ebd. 629 B. – »Auf jeden Fall ist dasjenige Satzurteil im höheren Maß wahr, das [im Prädikationsmodus des] ›an sich‹ vorliegt. Dementsprechend ist auch das falsche Satzurteil, d. h. diejenige Falschheit, im höheren Maß falsch, welche jene Meinung bzw. jenes Satzurteil [im Prädikationsmodus des] ›an sich‹ negiert – falls denn dieses wahre Satzurteil ›an sich‹ wahrer ist als dasjenige (Urteil), das im Hinblick auf das Akzidens der [ausgesagten] Sache wahr ist. Denn das meint [Aristoteles] mit ›wenn es denn wahr ist‹.« 124 Vgl. 628 B: »illa quae bonum bonum esse arbitratur per se vera est, id est secundum rem ipsam vera est.« – »Jenes [Satzurteil], das das Gute als ein gutes festhält, ist an sich wahr, d. h. im Hinblick auf den Sachverhalt [des Guten] als solchen.« 125 628 B–C. Hervorh. von mir. – »Dem Wesen des Guten näher ist jenes Satzurteil, das das Gute als gutes festhält, als dasjenige, das das Gute als etwas Nützliches [festhält]: Demnach ist das erstere Urteil im Hinblick auf den Sachverhalt als solchen wahr.« 126 628 B: »illud tamen maxime veritatis naturam tenet, quod secundum ipsam rem dicitur.« – »Dasjenige aber hat das Wesen der Wahrheit im höchsten Maß inne, was im Hinblick auf einen Sachverhalt als solchen ausgesagt wird.«
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an das Wesen der Wahrheit zuzubilligen, weil allein der Aussagemodus »per se« der »natura« einer jeweiligen, ontologisch fundierten Begriffsgestalt Genüge zu leisten vermag. Bei Aristoteles dagegen genoß die tautologische Satzform gegenüber anderen schlechthin identischen Prädikationen zwar einen lexikalisch ausgezeichneten Status von Prädikation, nicht aber einen ontologisch höheren Rang.
c) Wilhelm von Ockham Verankerte Boethius den Anspruch der tautologischen Satzform auf unbedingte Aussagewahrheit in einer Begriffsmetaphysik, so wird dieser Anspruch in Wilhelm von Ockhams »Summa Logicae«, einem der zentralen Werke der Spätscholastik, in Frage gestellt:127 Vermittels der SuppositionenLehre wird das Verhältnis des Gehaltes jener Aussage (virtus sermonis) zu ihrer sprachlichen Form (virtus vocis) differenziert betrachtet. Für Ockham ist ein tautologischer Satz, worin dasselbe vom selben ausgesagt wird, nicht stets schlechthin notwendig, sondern zuweilen nur kontingent oder gar unmöglich wahr.128 So bedarf der universale Gültigkeit beanspruchende Satz des Boethius von der unüberbietbar notwendigen Wahrheit einer »propositio in qua idem praedicatur de se«129 einer Einschränkung: Nur im Rahmen von Satztypen, worin vom Subjekt etwas von ihm Differentes ohne eine modifizierende Einschränkung des sprachlichen Gefüges oder der gesamten Aussage (»sine omni determinatione compositionis vel totius propositionis«) prädiziert wird, kann derjenige Satz unüberbietbar wahr sein,
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Wilhelm von Ockham, Summa Logicae, hrsg. von Ph. Boehner u. a., St. Bonaventure 1974. Im Folgenden verkürzt zitiert mit Angabe des Werkteils (römische Ziffern), des Kapitels/der Zeile (arabische Ziffern) und der Seite (in Klammern). – Für den hier besprochenen Zusammenhang hilfreich waren v. a. M. M. Adams, »Ockham on Identity and Distinction«, in: Franciscan Studies 36 (1976), 5–74; E. A. Moody, The Logic of William of Ockham, London 1965, bes. Kap. 2 (31–65) und Kap. 4/5 (118–219); J. Pinborg, Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, Münster/Kopenhagen 1967; R. Price, »William of Ockham and Suppositio Personalis«, in: Franciscan Studies 30 (1970), 131–140; J. Salamucha, »Die Aussagenlogik bei Wilhelm von Ockham« (aus dem Polnischen übersetzt von J. Bendiek, O.F.M.), in: Franziskanische Studien 32 (1950), 97–134; P. V. Spade, »Ockham’s Rule of Supposition: Two Conflicts in His Theory«, in: Vivarium 12 (1974), 63–73; sowie J. Swiniarski, »A New Presentation of Ockham’s Theory of Supposition with an Evaluation of Some Contemporary Criticisms«, in: Franciscan Studies 30 (1970), 181–217. 128 Für das Folgende vgl. III–3, 9.146ff. (S. 628). 129 So die geläufige mittelalterliche Reformulierung von Boethius, In Librum Aristotelis De Interpretatione (= Anm. 122), col. 628 B–C. Für Ockham vgl. II, 14.36f. (S. 287) und III–3, 9.149f. (S. 628); für Meister Eckhart vgl. unten, Anm. 240.
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worin dasselbe vom selben prädiziert wird. In Ockhams Terminologie: Boethius’ Satz kann ausschließlich für »propositiones de inesse«, nicht aber für »propositiones modales« gelten.130 Ockhams Einschränkung von Boethius’ Satz auf propositiones de inesse hat dabei die besondere Prädikationsstruktur einer Tautologie im Blick: Die Tautologie stellt die buchstäblich radikalste und somit ›sicherste‹ Prädikationsform einer propositio de inesse dar. Zu erinnern ist dafür an den Modus der Inhärenz des Prädikats im Subjekt: »Et isto modo omnia accidentia […] possunt dici esse […] in subiecto, non quidem per realem inhaerentiam […], sed per praedicationem veram.«131 So nimmt zwar in einer tautologischen Satzform dieses inesse im Sinne einer begrifflichen Implikation, die in eine wahre prädikative Aussage entfaltet werden (explicari) kann, die Gestalt einer lexikalischen Identität an. Gleichwohl ist mit dieser Bestimmung nicht gesagt, daß ein tautologisch prädizierter Sachverhalt stets notwendig wahr sei, sondern nur, daß er in einem bestimmten Sinne unüberbietbar wahr sein kann. Hinsichtlich der Prädikationsform ›de inesse‹ verkörpert nämlich die tautologische Satzform einen lexikalisch ausgezeichneten Typus eines »modus dicendi per se, scilicet quando aliquid praedicatur per se altero«132 – doch nur in dem weiten Sinn (large), daß mit einer solchen Aussageweise prädikativ signalisiert wird: Das Satzsubjekt fällt ›an sich‹ in die Begriffsbestimmung (definitio) des Prädikats.133 Aufgrund ihrer lexikalischen Identität stellt eine tautologische Prädikation hierbei einen Grenzfall dar im Hinblick darauf, daß insbesondere 130
Zu dieser grundsätzlichen Unterscheidung vgl. II, 1.33ff. (S. 242): »alia divisio propositionis est quod quaedam est propositio de inesse et quaedam de modo vel modalis. Propositio modalis est illa in qua ponitur modus. Propositio de inesse est illa in quae est sine modo.« – »[Neben der Unterteilung eines Satzurteils in ein kategorisches (einfaches) und ein hypothetisches (zusammengesetztes) (vgl. II, 1.6–32)] besteht eine zweite Unterteilung darin, daß manche Sätze eine Inhärenz betreffen und manche eine modale Abschattung. Modal ist das Satzurteil, in dem eine modale Abschattung vorliegt. Eine Inhärenz betrifft das Satzurteil, welches keine modale Abschattung hat.« – Eine modale Abschattung muß nach Ockham das gesamte Urteil betreffen und ist dabei nicht auf die vier Aristotelischen Modi der Notwendigkeit, der Unmöglichkeit, der Kontingenz und der Möglichkeit (vgl. dafür Analytica Priora I, 2f. [25a 1 – 25b 25]) beschränkt, sondern betrifft des weiteren alle die Adverbien und Verben, die einen prädizierten Sachverhalt mit einer zusätzlichen Konnotation (des Meinens, des Zweifels, des Wissens usw.) versehen. 131 I, 32.7–10 (S. 94). Hervorh. von mir. – »Somit kann gesagt werden, daß alle Akzidentien im Subjekt liegen, freilich nicht aufgrund einer wirklichen Inhärenz, sondern aufgrund einer wahren Prädikation.« 132 III–2, 7.21f. (S. 515). Hervorh. von mir. – »eine Aussageweise des ›an sich‹, d. h. daß etwas durch ein anderes ›an sich‹ prädiziert wird.« – Für das Folgende vgl. III–2, 7.1–44 (S. 516). 133 Vgl. III–2, 7.27ff. (S. 516). Als Beispiele für solche propositiones per se führt Ockham hier die Sätze »omnis homo est animal« und »omnis homo est rationalis« an.
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begrifflich identische (synonyme) Wörter in jener Prädikationsform ›per se‹ logisch korrekt verwendet werden können.134 »Unde nulla talis ›homo albus est homo‹, ›homo albus est animal‹, ›homo albus currit‹, et sic de huiusmodi, est verior ista ›homo albus est homo albus‹, et tamen« – so Ockham weiter – »ista ›homo albus potest esse homo‹ est verior ista ›homo albus est homo albus‹.«135 Im strengen Sinne (stricte) kann nämlich eine tautologische Prädikation nicht in jedem Falle jenen »modus dicendi per se« – und d. h. schlechterdings eine Notwendigkeit ihres Aussagegehaltes – beanspruchen. Denn dies würde die allzeitige Infallibilität ihres Aussagegehaltes voraussetzen. So kann etwa der tautologische Satz »homo albus est homo albus« nicht diese allzeitige Infallibilität seines Aussagegehaltes für sich geltend machen, da er für den Fall falsch sein wird, daß es keinen Menschen mehr gibt: Der in diesem Satz verwendete der Terminus ›Mensch‹ beinhaltet etwas Kreatürliches – und d. h. etwas Vergängliches, das sich nie ganz der Potentialität zu entringen vermag –, so daß im Vergleich zu dieser tautologischen Prädikation ohne modale Abschattung hier die modale Möglichkeitsaussage dem Begriff des Menschen eher entspricht und deshalb notwendig wahrer in ihrem Aussagegehalt ist.136 Die Tautologie kann somit als Satzform einen Typus notwendiger Prädikation darstellen und insofern eine bedingte Notwendigkeit für ihren Aussagegehalt beanspruchen. Diese Differenzierung einer notwendigen Prädikationsform von einem notwendigen Aussagegehalt basiert aber auf Ockhams Differenzierung des Notwendigkeitsbegriff für alles Aussagen. Dabei ist der Begriff der Notwendigkeit zunächst nicht an einen sprachunabhängigen Wahrheitsbegriff gebunden: »propositio non propter hoc dicitur necessaria quia semper sit vera, sed quia est vera si sit et non potest esse falsa.«137 Not134
Zu Ockhams Auffassung von »esse idem« als »habere eandem definitionem« vgl. III–3, 29.50f. (S. 697). 135 III–3, 9.156–159 (S. 628). – »Von daher ist kein Satz vom Typ ›Ein weißer Mensch ist ein Mensch‹, ›Ein weißer Mensch ist ein Lebewesen‹, ›Ein weißer Mensch läuft‹ usw. wahrer als der Satz ›Ein weißer Mensch ist ein weißer Mensch‹, und dennoch ist der Satz ›Ein weißer Mensch kann ein Mensch sein‹ wahrer als der Satz ›Ein weißer Mensch ist ein weißer Mensch‹.« 136 Vgl. III–2, 7.42f. (S. 516): »propositiones de possibili et eis aequivalentes, compositae ex talibus terminis [sc. impotantibus res corruptibiles et creatas], sunt per se [stricte sumpti].« – »Möglichkeitsaussagen und ihnen entsprechende Sätze, die aus solchen Begriffen gebildet werden [d. h. Begriffen, die vergängliche und erschaffene Dinge zum Gegenstand haben,] haben den Prädikationsmodus ›an sich‹ [im strengen Sinne].« – Zum Problem der Termini vgl. unten, 42ff. 137 II, 9.72 ff. (S. 275). Hervorh. von mir. – »Ein Satzurteil wird nicht deswegen als notwendig bezeichnet, weil es stets wahr ist, sondern deswegen, weil es wahr ist, wenn es dieses gibt, und es [dabei] nicht falsch sein kann.« – Für das Folgende vgl. v. a. II, 9–10 (S. 273–279).
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wendigkeit impliziert also die Wahrheit einer Aussage, die nicht falsch sein kann, sofern es die Aussage selbst gibt, die Aussage aktuale Aussage ist. (Wenn keine aktuale Aussage vorliegt, kann weder von Wahrheit noch von Falschheit die Rede sein.) Das Moment der vergegenständlichenden Sprachäußerung (propositio prolata) ist dafür ausschlaggebend, daß die Notwendigkeit, d. h. die Infallibilität eines Aussagegehaltes, an die Kontingenz von dessen Äußerung gebunden ist. – Dieser grundsätzlichen Vorstellung einer notwendigen Aussage schließt sich konsequent die Differenzierung einer »propositio de necessario« von einer »propositio necessaria« an: Eine Aussage über die Notwendigkeit eines prädizierten Sachverhaltes muß selbst als Aussage, in ihrem signifikativen Aussagegehalt, nicht notwendig sein. Die propositio de necessario hat einen universal prädizierten Sachverhalt (dictum propositionis) zum Gegenstand, dessen notwendige Prädikation sie reflektiert. Sie besitzt die Form: »necessarium est ›AcI‹«.138 Eine propositio de necessario verifiziert also einen ausgesagten, nicht-modal prädizierten Aussagegehalt als notwendig, indem sie dessen notwendige Prädikation metasprachlich vergegenständlicht. Als propositio necessaria hingegen versteht sich eine Aussage, nur wenn sie selbst – als ganze sozusagen – in einem notwendigen Aussagemodus bestehen kann.139 Diese Notwendigkeit muß die propositio necessaria aber aufweisen in ihrer nicht falsifizierbaren Anwendbarkeit auf alle entsprechenden Aussagen über einen jeweils konkreten, nicht-modal prädizierten Sachverhalt, dessen notwendige Prädikation in einer propositio de necessario bereits sichergestellt ist.140 (So würde der als propositio necessaria formulierte Satz »omne verum de necessitate verum est« für seine aussagelogische Wahrheit die Notwendigkeit einer jeden Prädikation erfordern, worin das Prädikat »verum est« ausgesagt wird über einen beliebigen konkreten Gegenstand, für 138
Vgl. II, 9.15ff. (S. 273): »[…] per istam ›omnem hominem esse animal est necessarium‹ denotatur quod iste modus ›necessarium‹ verificetur de ista propositione ›omnis homo est animal‹, cuius dictum est hoc quod dicitur ›omnem hominem esse animal‹; quia ›dictum propositionis‹ dicitur quando termini propositionis accipiuntur in accusativo casu et verbum in infinitvo modo.« – »Mit dem Satz ›Es ist notwendig, daß jeder Mensch ein Lebewesen ist‹ wird angezeigt, daß die modale Abschattung der Notwendigkeit für den Satz ›Jeder Mensch ist ein Lebewesen‹ zu Recht ausgesagt wird. Dessen Aussagegehalt ist es, daß ausgesagt wird: ›Jeder Mensch ist ein Lebewesen‹. Denn als ›Aussagegehalt‹ bezeichnet man es, wenn die [substantivischen] Begriffe eines Satzes im Akkusativ und das Verb im Infinitiv stehen.« 139 Als Beispiele für einen als propositio necessaria formulierten (aber falschen) Satz führt Ockham die Sätze »omnis homo de necessitate animal est« (»Jeder Mensch ist mit Notwendigkeit ein Lebewesen«) und »omne verum necessario est verum« (»Jedes Wahre ist mit Notwendigkeit wahr«) an – und dies im Gegensatz zu den als propositiones de necessario formulierten (und wahren) Sätzen »omnem hominem esse animal est necessarium« bzw. »omne verum esse verum necessarium est«» Vgl. dazu II, 10.6ff. (S. 276). 140 Vgl. II, 10.14–16 (S. 276).
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den dann das Subjekt »omne verum« stehen kann.141) Im Falle ihrer aussagelogischen Wahrheit besitzt eine propositio necessaria einen schlechthin notwendigen Aussagegehalt, der seinerseits fundiert ist in den als notwendig verifizierbaren Prädikationen all derjenigen konkreten Sachverhalte, die in jenem Aussagegehalt dann aufgehen. Konstituiert sich so eine propositio necessaria als metasprachlicher Kreuzungspunkt aller ihr entsprechenden propositiones de necessario (von denen zuvor schon die notwendige Prädikation eines ausgesagten Sachverhaltes zu Recht behauptet sein muß), dann ist eine tautologische Prädikation allein ihrer Satzform nach bestimmten Wahrheitsbedingungen unterworfen: Die Tautologie als Satzform identischer Prädikation muß zunächst in einer propositio de necessario, also in ihrer notwendigen, nicht-modalen Prädikation, verifiziert werden können (›necesse est A esse A‹), wenn sie denn als propositio necessaria (›A de necessitate est A‹) unüberbietbar wahr sein soll. Das Gelingen einer derartigen Verifikation hängt nun nicht mehr von der Satzform als einer solchen ab, sondern in entscheidendem Maße von der Bestimmung der Termini, die in einer tautologischen Satzform verwendet werden, sowie von der Art ihrer dortigen Verwendung (suppositio). Gerade an Ockhams Behandlung von konnotativen Termini und von Termini fiktiver Ausprägung läßt sich die Fülle an Voraussetzungen erkennen, gemäß denen eine tautologische Prädikation als (notwendig) wahr verifiziert werden kann. Die termini connotativi142 sind in dem, was mit ihnen zur Sprache kommt (modus dicendi), janusköpfig: Einerseits verweisen (supponere) sie auf ein konkretes Signifikat, andererseits aber verweisen sie noch (consignificare/connotare) auf etwas, worauf sie nicht konkret referieren können und das gleichwohl in ihnen mitbezeichnet ist. Dieser doppelte modus dicendi – die explizite suppositio auf konkrete Gegenstände und die implizite consignificatio, die auf kein konkretes Signifikat verweist – bringt es nun mit sich, daß das jeweilige Konnotat eines terminus connotativus nicht stets durch denselben Terminus in konkret signifikativer Verwendung verifiziert werden kann. Anders formuliert: Konnotative Sprachzeichen können nicht stets als das washeitlich bestimmende Prädikat ihres Konnotats fungieren.143 Während also das Konnotat eines Terminus nicht einfach in dessen konkretem Signifi141
Vgl. II, 10.18–24 (S. 276). Zunächst müßte also das »omne verum« aufgespalten werden in die einzelnen konkreten Gegenstände (»hoc et illud«), die es umfaßt, damit daraufhin die Notwendigkeit der Prädikationen »hoc est verum«, »ille est verum« usw. in einer propositio de necessario – »necessarium est hoc esse verum, illud esse verum etc.« – gewährleistet werden kann. 142 Vgl. hierfür II, 11 (S. 279–282). 143 Vgl II, 11.25–31 (S. 280): »[…] quando aliquid per aliquem terminum connotatur vel consignificatur, pro quo tamen talis terminus supponere non potest, quia nec de tali verificatur, talis terminus est connotativus. […] sicut iste terminus ›album‹ secundum
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kat aufgeht, gilt umgekehrt, daß das Konnotat die washeitliche Bestimmung (das »quid«) bzw. die Begriffsbestimmung (definitio) darstellt, unter die das entsprechende, konkret signifikative Sprachzeichen (nomen) fällt. Da aber diese definitio bzw. das »quid nominis« in einem konnotativen Sprachzeichen nur implizit mit angezeigt ist, muß sie sprachlich eigens expliziert werden können: »ille terminus dicitur connotativus […] qui habet quid nominis, hoc est definitionem unam exprimentem quid nominis, ita quod non potest sciri quid nominis ipsius nisi habendo orationem. Et tunc semper significat aliquid principialiter et aliquid secundario, sicut patet de ist[o] ›album‹ […]; nam definitio ›albi‹ exprimens quid nominis est ›habens albedinem‹ vel ›informatum albedine‹ vel huiusmodi.«144 Wenn demnach innerhalb eines Aussagesatzes ein konnotativer Begriff als Prädikat auftritt – d. h. ein konkret signifikativer Begriff, der zugleich seine washeitliche Formalbstimmung mit sich führt –, dann muß zur Verifikation dieser Aussage die jenem terminus connotativus implizite Begriffsbestimmung in einen weiteren Satz exponiert werden und hierauf diese Begriffsbestimmung vom Subjekt jenes ersten Aussagesatzes verifiziert werden können.145 Aufgrund dieser Konstellation kann das Konnotat eines terminus connotativus nicht »per se« von eben diesem Terminus prädiziert werden, der, etwa in Verbindung mit einem Demonstrativpronomen, deiktisch auf ein konkretes Einzelnes hinweist.146 Für die explikative Prädikationsform »per se« unum modum dicendi significat principialiter albedinem, et tamen non supponit pro albedine sicut nec verificatur de albedine, nam ista est falsa ›albedo est alba‹, ideo iste terminus ›album‹ est connotativus […].« – »Wenn etwas durch einen Terminus konnotiert bzw. [als Konnotat] mitbezeichnet wird, für das der besagte Terminus gleichwohl nicht [in seiner konkreten Signifikation] stehen kann – denn es [d. h. das Konnotat] wird auch nicht durch ein solchen [Terminus] verifiziert –, dann ist dieser Terminus konnotativ. So zeigt etwa der Terminus ›weiß‹ in der einen [d. h. der konnotativen] Hinsicht grundsätzlich die Weißheit (mit) an; gleichwohl steht er nicht [in seiner konkreten Verwendung] für ›Weißheit‹ und wird auch nicht zu Recht von der Weißheit prädiziert, denn der Satz ›Die Weißheit ist weiß‹ ist falsch. Damit ist der Terminus ›weiß‹ konnotativ.« 144 II, 10.15–21 (S. 279f.) – »Derjenige Terminus ist konnotativ, der eine washeitliche Bestimmung seines Sprachzeichens mit sich führt, d. h. eine Begriffsbestimung, die die washeitliche Bestimmung dieses Sprachzeichens ausdrückt – und zwar dergestalt, daß dabei die washeitliche Bestimmung des besagten Sprachzeichens nur durch einen (weiteren) Satz erfaßt wird. Dann nämlich zeigt [dieses Sprachzeichen] etwas in erster Linie und etwas in zweiter Linie an, wie z. B. im Falle von ›weiß‹ klar wird. Denn die Begriffsbestimmung von ›weiß‹, die die washeitliche Bestimmung dieses Sprachzeichens zum Ausdruck bringt, lautet: ›Weißheit aufweisend‹ oder ›mit Weißheit ausgestattet‹ oder dergleichen.« 145 Vgl. II, 10.49–56 (S. 281). 146 Für das Folgende vgl. v. a. II, 10.79–103 (S. 282). – Ein Beispiel für einen solchen Satz wäre »istud album est albedo« (»Dieser weiße Gegenstand da ist die Weißheit, d. h. kommt der Weißheit begrifflich gleich«).
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müßte nämlich die Begriffsbestimmung (quid nominis) jenes konnotativen Terminus in jener konkret angezeigten Sache aufgehen können147 – oder aber diese Begriffsbestimmung müßte einem Supponenten auf ein konkretes Signifikat begrifflich identisch sein. Letzteres ist aber nur der Fall, wenn ein konnotativer Terminus in Verbindung mit einem Demonstrativpronomen (›istud A‹) von eben jenem Terminus A in abstrakter, nicht auf Einzelnes verweisender Bedeutung washeitlich bestimmt wird – so etwa in dem Satz »Istud album est album« (»Dieses Weiße da ist weiß«). Das Prädikat »est album« ist hierbei washeitlich (etwa im Sinne von ›weist Weißheit auf‹) nicht anders und außerhalb dessen bestimmt, worin auch das Subjekt »istud album« washeitlich (etwa im Sinne von ›das da, was Weißheit aufweist‹) bestimmt; das Konnotat bzw. die washeitliche Begriffsbestimmung von »album« bleibt buchstäblich in sich.148 Somit bietet diese tautologische Prädikationsform die – hinsichlich ihres Falsifikationsgrades – minimale Formalbestimmung eines sprachlichen Zeichens (nomen) als Begriff.149 Gleichwohl kann bei dieser identisch und insofern notwendig prädizierten, washeitlichen Begriffsbestimmung nicht im strikten Sinne von einer »praedicatio per se« die Rede sein: Aufgrund der in ihnen verwendeten, auf Kreatürliches verweisenden Termini150 stellt keiner der hier in Betracht kommenden Sätze einen in seinem Aussagegehalt notwendigen Satz (propositio necessaria) dar. Wie nun die tautologische Satzform ›istud A est A‹ als das gesicherte Minimum einer begrifflichen Formaldefinition desavouiert werden kann, zeigen Ockhams Betrachtungen zur Verwendbarkeit von »termini ficti« innerhalb von Aussagesätzen: Weit davon entfernt, nur sinnlose Buchstabenakkumulationen zu sein, stellen fiktive Termini sprachliche Zeichen dar, deren washeitliche Begriffsbestimmung (definitio) sehr wohl geleistet werden kann, denen aber kein außersprachlicher, dinglicher Gehalt (a parte rei) entspricht.151 Obgleich also termini ficti kein außersprachliches Denotat (res) besitzen, worauf sie in ihrer Verwendung als signifikative Sprachzeichen (suppostio personalis vel pro re) verweisen könnten, sind sie konnotativer Art: Indem sie auf etwas Vorstellbares (aliquid imaginabile), d. h. auf einen grundsätzlich wahren, innerhalb der drei Zeitdimensionen möglichen oder tatsächlichen Sachverhalt, konnotierend verweisen, kann dieses Konnotat in einer washeitlichen Begriffsbestimmung mittels anderer, lexikalisch differenzierter Termi147
Vgl. dazu oben Anm. 143. Vgl. II, 10.96–100 (S. 282). 149 Dies zeigt sich etwa daran, daß ein Satz vom Typus ›istud A est A‹ logisch korrekt in eine propositio de necessario transformiert werden kann (›necessarium est istud A esse A‹). 150 Vgl. dazu oben, Anm. 136. 151 Vgl. II, 14.1–6 (S. 286). 148
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ni exponiert werden.152 Mit anderen Worten: Termini ficti besitzen als Konnotat eine definitio, die sich in ihrer Bestimmung auf das sprachliche Zeichen als Begriff (quid nominis) richtet, nicht aber auf die durch jene Sprachzeichen denotierten, konkreten Sachen, welche durch eine definitio washeitlich (quid rei) näher bestimmt werden könnten.153 Daran aber, daß sich die »definitio quid nominis tantum«154 eines fiktiven Terminus auf dessen begrifflichen Vorstellungsgehalt – und zwar unabhängig von der Frage nach dessen signifikativem Aussagegehalt – richten kann, zeigt sich prototypisch, daß die Formalbestimmung eines (fiktiven) Sprachzeichens als Begriff (definitio formalis sive quid nominis) für die eigentliche Definitionsform eines jeden konnotativen Terminus zu gelten hat.155 Die Formalbestimmung eines Sprachzeichens als konnotativer Begriff entscheidet nämlich über dessen grundsätzliche Sinnhaftigkeit – und damit über dessen formale Zugehörigkeit zu einem Sprachsystem: »Verbi gratia hoc nomen ›serra‹ potest dupliciter definiri. Uno modo sic ›serra est aliquid quo possumus ligna dividere‹. Sit ita quod haec sit definitio sua exprimens quid debemus intelligere per hoc nomen ›serra‹; ita quod si sit aliquid cui non convenit haec oratio, eo ipso non significatur hoc nomine, saltem in recto. Ista oratione nota de hoc definito ›serra‹ possum ignorare an serra sit aer vel aqua, lignum vel lapis, caro vel os, et ita ignoro qualis res est serra et nescio quid est serra.«156 152
Vgl. II. 14.14–17 (S. 286): »per tales terminos fictos […] nihil significatur nisi quod significatur per terminos alios, sicut patet ex definitionibus exprimentibus quid nominis eorum.« – »Mittels fiktiver Begriffe wird nur das bedeutet, was [auch] durch andere Begriffe bedeutet wird. Dies wird ersichtlich aus den Begriffsbestimmungen [solcher fiktiver Termini], welche deren washeitlichen Gehalt zum Ausdruck bringen.« – Zur ›Andersheit‹ dieser explizierenden Termini siehe unten, 46f. 153 Vgl. III–2, 33.8f. (S. 568): »[termini ficti] habent praecise definitiones exprimentes quid nominis et nullo modo exprimentes quid rei.« – »Fiktive Begriffe besitzen ganz bestimmte Definitionen, die deren begrifflichen Gehalt, in keiner Weise jedoch einen [signifikativen] Aussagegehalt zum Ausdruck bringen.« 154 Vgl. III–2, 33.15–18 (S. 568). 155 Im folgenden soll bei fiktiven Termini von ihrem Vorstellungsgehalt (quid nominis tantum), bei sonstigen Termini von ihrem washeitlichen Gehalt oder Begriffsgehalt (quid nominis) und von ihrem signifikativen Aussagegehalt (quid rei) gesprochen werden. 156 III–2, 33.25–31 (S. 569). Hervorh. von mir. – »Zum Beispiel kann ›die Säge‹ auf zweifache Weise bestimmt werden. Einerseits so: ›Eine Säge ist etwas, womit man Holz zerstückeln kann‹. Diese ihre Bestimmung soll ausdrücken, was man unter dem Sprachzeichen ›Säge‹ verstehen muß, und zwar so, daß, wenn sie etwas ist, worauf dieser Satz nicht zutrifft, sie auch nicht – oder zumindest nicht richtig – durch eben dieses Sprachzeichen bezeichnet wird. Hat man diesen Satz über die so bestimmte Säge zur Kenntnis genommen, dann hat man [andererseits] möglicherweise noch keine Ahnung davon, ob eine Säge aus Luft oder Wasser, aus Holz oder Stein, aus Fleisch oder aus Bein besteht, und deshalb noch keine Ahnung davon, was für ein [konkretes] Ding eine Säge ist. Man weiß nicht, was eine Säge [als Ding] ist.«
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Diese Notwendigkeit, ein konnotatives Sprachzeichen aufgrund seines explizierbaren begrifflichen Gehaltes als (in Sätzen korrekt bzw. sinnvoll anwendbares) Sprachzeichen anerkennen zu müssen – möglicherweise sogar ohne eine nähere Kenntnis von der washeitlichen Spezifik seines Denotats bzw. seines signifikativen Aussagegehaltes –, verdeutlicht, daß für das (logische) Verständnis eines konnotativen Sprachzeichens die qualitative Bestimmung seines konkreten Gegenstandes oder Sachverhaltes (definitio materialis) gegenüber jener begrifflichen definitio formalis zunächst sekundär ist. In einem logisch ersten Schritt muß zunächst die generelle Begriffsbestimmung eines konnotativen Sprachzeichens gewährleistet sein, bevor über dessen konkret signifikative Kraft entschieden werden kann: »Istae autem duae definitiones serrae […] sic se habent quod quidiquid significatur per definitionem secundam [sc. materialem], significatur etiam per definitionem primam [sc. formalem], quamvis generalius.«157 Trotzdem bleibt die definitio materialis eines konnotativen Terminus das entscheidende Kriterium für die Verifizierbarkeit bzw. für den Satztypus der notwendigen Prädikation, innerhalb derer konnotative Termini verwendet werden. Nirgends zeigt sich dies deutlicher als an den termini ficti. Die fiktiven Termini erweisen sich nämlich insofern als ein problematischer Sonderfall der konnotativen Termini, als bei den letzteren eine ›Gleichzeitigkeit‹ von definitio formalis und definitio materialis zu verzeichen ist, bei den fiktiven Termini hingegen die definitio formalis in einer disparaten Asymmetrie zur definitio materialis steht.158 Welchen Vorstellungsgehalt ein fiktiver Terminus konnotiert, kann in dessen Formaldefinition nur durch (lexikalisch) andere Termini washeitlich expliziert werden. Anders aber sind diese explizierenden Termini vor allem darin, daß sie in einer definitio materialis als konkret signifikativ verifiziert werden können, d. h. daß deren jeweiliges Denotat als Seiendes im Sinne von Existentem in einer propositio de inesse oder de possibili washeitlich prädiziert werden kann. Hingegen tritt dem so explizierten begrifflichen Vorstellungsgehalt fiktiver Termini, der als solcher über den ›Umweg‹ tatsächlich signifikativer Termini formal definiert werden kann, kein verifizierbarer signifikativer Aussagegehalt zur Seite.159 Soll den termini ficti eine konkret sig157
III–2, 33.39–42 (S. 569). – »Diese beiden Definitionen der Säge verhalten sich aber so zueinander, daß alles, was vermittels der zweiten [materialen] Definition bezeichnet wird [d. h. der washeitliche Aussagegehalt], auch schon durch die erstere [formale oder begriffliche] Bestimmung bezeichnet wird, jedoch hier allgemeiner.« 158 Vgl. dazu III–2, 33.12–18 (S. 568). 159 Vgl. II, 14.17–21 (S. 286f.): »non eodem modo significantur res per istos [sc. fictos] terminos et alios, sed sic significantur per alios quod pro illis rebus alii termini supponere possunt, isti autem termini non possunt pro eis supponere, sicut nec definitiones exprimentes quid nominis eorum.« – »Außersprachliche Gehalte werden nicht in gleicher Weise
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nifikative Verwendung im Satz (suppositio personalis vel pro re) – sei sie explizit oder implizit – zu Recht unterstellt werden, dann kann dies nur in einer propositio negativa geschehen, die das entsprechende Signifikat eines fiktiven Terminus als nicht-seiend prädiziert. Diese bei den termini ficti auftretende definitorische Asymmetrie zwischen einem positiv bestimmbaren Vorstellungsgehalt (quid nominis) und einem nur negativ prädizierbaren signifikativen Aussagegehalt (quid rei) könnte realiter nur behoben werden, wenn neben dem »mundus ex possibilibus« ein »mundus ex impossibilibus« Bestand hätte, auf dessen einzelne Impossibilia die fiktiven Termini personaliter supponieren könnten, und wenn damit eine positive definitio materialis auf fiktive Termini Anwendung finden könnte.160 Geht nun ein terminus fictus in dieser personalen bzw. signifikativen Supposition als Subjekt oder Prädikat in eine (wie auch immer modal abgeschattete) propositio affirmativa ein, dann ist ein solcher Satz – etwa »chimaera est non-ens« – in seinem Aussagegehalt (de virtute sermonis) unabdingbar falsch. Der affirmativen Satzform liegt nämlich stets der falsche Exponent »chimaera est aliquid« implizit zu Grunde. Diesem ›Etwas‹ entspricht aber keine reale Entität (ens), welche »chimaera« zum Signifikat haben bzw. signifikativ bedeuten könnte.161 Die aussagelogische Alternative zwischen der affirmativen Prädikationsform »chimaera est ens« und der Affirmation mit dem entsprechend kontradiktorischen Prädikatsnomen »chimaera est non-ens« markiert hier kein stabiles und eindeutiges Verhältnis mehr zwischen einer stets falschen und wahren Aussage: Der stets falsche Aussagegehalt des Implikats »chimaera est aliquid« desavouiert eine jede affirmative Prädikationsform, in der der Teminus »chimaera« signifikativ verwendet wird. Nur die Disjunktion zwischen einer affirmierenden und negierenden Satzform eröffnet hier noch die Möglichkeit einer aussagelogischen Wahrheit: Von den beiden Sätzen »chimaera est homo« und »chimaera non est homo« – deren Prädikate »est« bzw. »non est« hier für die Verifikation des Aussagegehaltes von einer der beiden Satzformen einstehen – wird die negierende Satzform ihrem signifikativen Aussagegehalt nach und damit auch in ihrer notwendigen Prädikationsform verifiziert werden können.162 Somit kann selbst eine affirmative tautologische Satzform wie »chimaera est chimaera« nicht ihren notwendig wahren Status als Form identischer Prämittels dieser [fiktiven] Termini und mittels der anderen [sie explizierenden Termini] angezeigt, sondern mittels der anderen Termini, und zwar auf die Weise, daß diese anderen Termini für jene außersprachlichen Gehalte verwendet werden können, die [fiktiven] Termini aber nicht und genausowenig die Begriffsbestimmungen, die den washeitlichen Gehalt dieser [fiktiven Termini] zum Ausdruck bringen.« 160 Vgl. II, 14.21–26 (S. 287). 161 Vgl. II, 14.30–35 (S. 287). 162 Vgl. dazu II, 12.49–56 (S. 284) und III–2, 1.2–11 (S. 507).
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dikation – geschweige denn ihrem Aussagegehalt nach als propositio necessaria – behaupten, sobald der Terminus »chimaera« personaliter supponiert: »de virtute vocis ista est falsa ›chimaera est chimaera‹ si termini supponant significative, eo quod falsum implicatur.«163 Vor aller Kombination eines fiktiven Terminus zu der Satzform einer tautologischen propositio affirmativa ist logisch über die Frage nach deren notwendiger Prädikationsform oder gar nach der notwendigen Wahrheit ihres Aussagegehaltes entschieden. Mit der Statuierung eines einzigen Referenzbereiches, worin alle bedeutsame Sprache sozusagen ihre causa finalis findet, wird Ockham dasjenige sprachliche Material zum Problem, das durch fehlende Referenzialisierbarkeit von der Bedeutsamkeit »in aliquo reali« ausgeschlossen ist und das trotzdem als solches in den Horizont verständlicher Rede eingebunden bleibt: die termini ficti. Derartige Sprachzeichen können gar nicht erst in eine tautologische, notwendige Prädikationsform, in einen Satz minimaler begrifflicher Formalbestimmung eingebunden werden. So muß der Status der unbedingten Aussagewahrheit einer Tautologie, ihre Gültigkeit als prädikative Satzform, neu überdacht werden: Der tautologische Satz »chimaera est chimaera« ist bereits seiner prädikativen Form nach (de virtute vocis) falsch, da der stets implizierte Exponent eines signifikativen Begriffes, das »aliquid«, von »chimaera« nicht prädizierbar ist und da es somit keine verifizierbare signifikative Bedeutung des tautologisch prädizierten Terminus gibt. Dem gegenüber kann der Aussagegehalt eines konnotativen Terminus in signifikativer Supposition an einer konkreten Entität (ens) verifziert werden. Deshalb kann ihr abstrakter washeitlicher Gehalt (quid nominis) in einer affirmativen Aussage ›per se‹, in der tautologischen Satzform ›istud A est A‹, exponiert werden. Beides trifft auf termini ficti nicht zu: Ausgeschlossen ist bereits der Satz »chimaera est ens«, wobei »ens« personaliter auf ein konkretes Einzelding supponieren würde und somit der Begriff »ens« von »chimaera« prädizierbar wäre. Demnach können die definitio quid rei und die definitio quid nominis auch nicht in einer tautologischen Prädikation ›per se‹ zur Deckung gebracht werden, so etwa im Satz »ista chimaera est chimaera«. Daß ein sinnvoller, d. h. möglicher Vorstellungsgehalt (quid nominis tantum) von »chimaera« sprachlich dennoch eingeholt werden kann, wird durch materialiter supponierende, d. h. jenen Vorstellungsgehalt stützende, Termini geleistet: Prädizierbarkeit als logische Funktion ordnet sich hier der konkreten Verifizierbarkeit, der Bedeutung der prädizierten Termini, unter.
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II, 14.39f. (S. 287). Hervorh. von mir. – »Der sprachlichen Form nach ist der Satz ›Eine Chimäre ist eine Chimäre‹ falsch, wenn die Termini in signifikativer Supposition verwendet werden. Denn hier ist Falsches impliziert.«
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In dem Bereich von Begriffen, von denen der Begriff ›ens‹ grundsätzlich prädizierbar ist, stellt die Tautologie eine Form notwendiger Prädikation dar, die allerdings in ihrem Aussagegehalt modalen Einschränkungen unterliegt. Der Begriff ›ens‹ changiert hier in seiner Bedeutsamkeit, die nicht so sehr ontologisch als vielmehr aussagelogisch fundiert ist: So liegt etwa eine univoke Prädizierbarkeit von ›ens‹ bei den Termini ›deus‹ und ›homo‹ vor;164 insofern stellt eine tautologische Aussage mit diesen Termini jeweils eine notwendige Prädikation dar. Während jedoch der Satz »homo est homo« als notwendige Prädikation (propositio de necessario) expliziert werden, nicht aber in seinem notwendigen Aussagegehalt (als eine propositio necessaria) verifiziert werden kann, ist der Satz »Deus est« bzw. »Deus est deus« seinem Aussagegehalt nach notwendig wahr – doch nur insofern er als aktuale Aussage (propositio prolata) vorliegt. Allein im Rahmen von Aussagen mit Termini, deren einheitliche Prädizierbarkeit durch den univoken Begriff von ›ens‹ gewährleistet ist, kann über den Modus von deren Verifizierbarkeit entschieden werden. d) Meister Eckhart Während der univoke Begriff von ›ens‹ den Rahmen von Ockhams Logik und Metaphysik markiert, wird dieser Rahmen bei einem anderen zeitgenössischen Denker durch eine analogische »Ableitbarkeit von ›ens‹ aus einem ausgezeichneten, virtuell alles umfassenden Sinn von ›Seiendem‹«165 gesprengt: Gemeint sind Meister Eckharts komplexe Reflexionen, die immer wieder eine der prominentesten tautologischen Formen, die biblische Selbstexplikation Gottes als »Ego sum qui sum« (Ex. 3,14), zum Gegenstand haben.166 Mit dieser Ableitbarkeit von ›ens‹ aus dem allumfassenden göttlichen Sein ist aber nicht gemeint, daß Eckhart völlig die Univozität des menschlichen und göttlichen Seins gegenüber einer Analogie zwischen diesen beiden strikt getrennten Seinsbegriffen in den Hintergrund treten läßt. Vielmehr ist es für Eckharts subtiles Denken charakteristisch, daß im Seinsbegriff einerseits die ›univoke‹ Un-Unterschiedenheit Gottes von allem finiten, kreatürlichen Sein – Gottes Sein ist als der innerliche Grund alles Seienden
164
Vgl. dazu G. Leibold, »Zum Problem der Metaphysik als Wissenschaft bei Wilhelm von Ockham«, in: Die Gegenwart Ockhams, hrsg. von W. Vossenkuhl und R. Schönberger, Weinheim 1990, 123–127; hier 124f. 165 Ebd., 124. 166 Zu den wichtigsten Stationen der philosophischen und literarischen Rezeption des Gottesnamens »Ich bin, der ich bin« vgl. H. Birus, »›Ich bin, der ich bin‹. Über die Echos eines Namens (Ex. 3, 13–15)«, in: Juden in der deutschen Literatur, hrsg. von S. Moses und A. Schöne, Frankfurt a. M. 1987, 25–53.
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mit diesem unmittelbar und ohne Unterschied verbunden – und andererseits eine nur ›analogisch‹ beschreibbare, strikte Geschiedenheit von Gottes Sein gegenüber diesem finiten Sein ineins gefügt werden: Gottes Sein unterscheidet sich für Eckhart von allem (de)finiten Seienden gerade durch jene UnUnterschiedenheit, die keine reale Andersheit in sich hat, die nicht »dieses oder jenes« ist: »sua indistinctione distinguitur«.167 Mit Blick auf das kreatürliche Sein ist Gottes Sein gleichzeitiges In-Sein (inesse) und Über-Sein (superesse).168 Eckharts letzte Bemerkung im »Prologus generalis in opus tripartitum« betont die zentrale Bedeutung der ersten These (propositio) »Esse est deus« für sein Fragment gebliebenes Opus magnum: »Postremo notandum quod ex praemissa prima propositione, si bene deducantur, omnia aut fere omnia, quae de deo quaeruntur, facile solvuntur, et quae de ipso scribuntur – plerumque etiam obscura et difficilia – naturali ratione clare exponuntur.«169 Entsprechend der stufenartigen Gesamtkonzeption des »Opus tripartitum«170 bündelt sich in dieser ersten These all das, was Eckhart dann als die Behandlung sämtlicher Probleme (quaestiones) und als die Auslegung der 167
In Sap. n.154; LW II, 490. – Zu den vielfältigen Aspekten dieses Philosophems vgl. das Kapitel »Unterschied durch Ununterschiedenheit« in Beierwaltes, Identität und Differenz, 97ff. 168 Für diese paradoxe, anti-pantheistische Auffassung vgl. etwa auch in Gen. n.166; LW I, 312: »[…] ipse sic totus est in rebus singulis, quod totus est extra.« – »[Gott] selbst ist als Ganzer in allen Dingen, und zwar so, daß er als Ganzer außerhalb [ihrer] ist.« – Hier und im folgenden übernehme ich mit einigen, nicht eigens gekennzeichneten Abänderungen die Übersetzungen, die jeweils den lateinischen und mittelhochdeutschen Texten Eckharts in der kritischen Ausgabe beigegeben sind. 169 Prol. gen. n.22; LW I, 165. – »Zuletzt ist zu bemerken, daß von der ersten vorausgeschickten These [›Das Sein ist Gott‹] her alle oder fast alle Gott betreffenden Probleme leicht zu lösen sind – sofern sie [davon] richtig abgeleitet sind – und daß sich daraus die Schriftworte über ihn, auch die sehr dunklen und schwer verständlichen, mit natürlicher Begründung klar auslegen lassen.« – Einen guten Überblick über das »opus tripartitum« und über dessen Stellung in Eckharts Werk bietet neuerdings K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik III: Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, München 1996, Kap. XXXVI (Meister Eckhart); zum »opus tripartitum« bes. 290–308 (mit zahlreichen Hinweisen zur Forschungsliteratur). 170 Vgl. Prol. gen. n.11; LW I, 156: »[…] est praenotandum quod opus secundum [sc. quaestionum], similiter et tertium [sc. expositionum] sic dependent a primo opere, scilicet propositionum, quod sine ipso sunt parvae utilitatis, eo quod quaestionum declarationes et auctoritatum expositiones plerumque funduntur supra aliquam propositionum.« – »Es soll vorausgeschickt werden, daß das zweite Werk [der Quaestionen] wie auch das dritte [Werk der Auslegungen] so vom ersten Werk der Thesen abhängen, daß ohne dieses [die anderen Werke] nur geringen Nutzen haben, und zwar deswegen, weil sich die Erklärungen der Probleme und die Auslegungen der Schriftworte jeweils auf einer der Thesen aufbauen.«
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Schriftworte (expositiones) entfalten wird.171 Diese »naturali ratione« vorgenommene Entfaltung in drei Stufen – angefangen bei der einen, grundlegenden propositio »Esse est deus« über die Quaestionen bis hin zur Auslegung von verschiedensten Schriftstellen – läßt sich von Eckharts Verfahrensweise her als die zeitliche Nachbildung der zeitlosen trinitarischen Entfaltung Gottes begreifen, und d. h. insbesondere der Selbstexplikation Gottes als Wort (λóγος), welche im autoritativen, biblischen Wort ihr (sprachlich) ausgezeichnetes Abbild findet: Dieser einzigartig autoritative Status des Bibelwortes – gerade auch gegenüber den von Eckhart immer wieder als »heidenisch« apostrophierten Auctoritates-Zitaten172 – hat wohl eine kaum zu unterschätzende Bedeutung für das Verständnis des Verhältnisses von ratio und auctoritas bei Eckhart. Einerseits versucht nämlich Eckhart sehr wohl, theologische Sachverhalte mittels philosophischer Argumentation oder Begrifflichkeit zu durchdringen und darzustellen.173 Andererseits aber gipfelt dieser Versuch (innerhalb des »opus tripartitum«) nicht bloß in der Auslegung des verbum Dei, mit deren Hilfe über Gott gesprochen werden kann, sondern auch in der Auslegung desjenigen Verbum, in dem und als das Gott stets auch – zuweilen explizit als »Ego« – sich selbst ausspricht. In dieser letzteren Hinsicht dient die philosophische Argumentation Eckhart nicht nur nicht zur interpretatorischen Explikation des göttlichen Worts, sondern sie betreibt als ein Sprechen über Gott immer zugleich ihre Selbstaufhebung. Mehr noch: Das exegetische Verfahren Eckharts zeigt sich stets auch als eine Negatio negationis, d. h. hier: weniger als eine Gedankenfigur denn als ein modus dicendi, der ein angemessenes, negatives Sprechen über den attributslosen Gott nochmals überbietet durch die Relativierung dieses Aussagemodus.174 Das ›Ziel‹ dieses relativierenden modus dicendi ist 171
Zur Stellung von »Esse est deus« innerhalb des »opus tripartitum« vgl. etwa K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, Saarbrücken/Kastellaun 1976; sowie R. Manstetten, Esse est Deus. Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Usprünge in der Tradition des Abendlandes, Freiburg/München 1993, v. a. 49 ff. 172 Für diese Absetzung vgl. etwa Pred. 9; DW I, 149. Pred. 13; DW I, 215f. Pred. 20b; DW I, 346. 173 Bekanntlich bemerkt Eckhart zu seiner interpretatorischen Verfahrensweise im Johannes-Kommentar: »In cuius verbi [sc. ›in principio erat verbum‹] et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes philosophorum.« (In Joh. n.2; LW III, 4.) – »Wie in allen seinen Werken hat der Verfasser bei der Auslegung dieses Schriftwortes [›Im Anfang war das Wort‹] und der folgenden die Absicht, die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen.« 174 Zu dieser Problemkonstellation eines modus dicendi, der ein Sprechen über Gott (oder über das Sein) vermeidet gerade im Sprechen von Gott, vgl. den weit ausgreifenden,
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es, über die philosophische Auslegung (hinaus) – sozusagen durch sie hindurch – einen Blick auf das ›reine Dastehen‹ des göttlichen Wortes zu ermöglichen, in welchem sich Gottes Wesen und das Geschehen seiner trinitarischen Entfaltung andeutet (innuere). So wird in einem propädeutischen Abriß des »prologus generalis« jene als propositio formulierte Identität von Gott und Sein sogleich mit dem Schriftwort »Ego sum qui sum« direkt in Verbindung gebracht.175 Indem aber Eckhart hierbei (wie dann auch im Stellenkommentar zu »Ego sum qui sum«) den unmittelbaren Kontext des tautologischen Bibelwortes völlig ausblendet,176 kann Eckharts erste These »Esse est deus« nicht nur als das »Interpretament«177 verstanden werden, das Eckhart erst zu einem ontologischen Verständnis von »Ego sum qui sum« führt. Sondern »Esse est deus« liegt für Eckhart zugleich beschlossen in jenem von der biblischen Situation befreiten, ›rein‹ dastehenden Schriftwort; das Interpretament »Esse est deus« läßt sich sozusagen im Inneren des Interpretats »Ego sum qui sum« finden.178 Wie so oft bei Eckhart gehen hier die ›aktivisch‹ interpretierende Auslegung (expositio) der in bestimmte biblische Kontexte eingebetteten Worte und eine Überbietung oder Aufhebung dieser interpretatorischen Aktivität – ein ›passivisches‹ Hören und Sich-weisen-lassen durch die Entfaltung (explicatio) des trinitarischen Gottes ins göttliche Wort – ineinander über.179 mit dem programmatischen Titel »How to Avoid Speaking« versehenen Vortrag Jacques Derridas (dt. Übs.: Wie nicht sprechen: Verneinungen, aus dem Französischen übersetzt von H.-D. Gondek, Wien 1989, bes. 82ff. zu Eckhart.) – Weiteres dazu unten, 60 ff. 175 Vgl. Prol. gen. n.12; LW I, 158: »Praemissis alludit illud Exodi 3: ›ego sum qui sum‹.« – »Auf das gerade Gesagte [d. h. auf die Identität von Gott und Sein] spielt das Schriftwort ›Ich bin, der ich bin‹ [Ex. 3,14] an.« 176 Zum alttestamentarischen Verständnis von hyh) d#) hyh) »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« (Das Buch Namen. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Berlin 1934, 15) als einer prospektiven Willenserklärung des biblischen Gottes und zur onto-theologischen Umdeutung im Zuge ihrer (übersetzerischen) Transposition in den Kontext der neuplatonischen Metaphysik vgl. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt a. M. 1972, 9–32; sowie Birus, »Ich bin, der ich bin« (= Anm. 166), 29ff. 177 Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 64. 178 Bezeichnenderweise fährt Eckhart nach seiner Grundsatzerklärung zur Vorgehensweise im Johannes-Kommentar (= Anm. 173) fort: »Rursus intentio operis est ostendere, quomodo veritates principorum et conclusionum et proprietatum naturalium innuuntur luculenter – ›qui habet aures audiendi‹ – in ipsis verbis sacrae scripturae, quae per illa naturalia exponuntur.« (In Joh. n.3; LW 3, 4. Hervorh. von mir.) – »Zugleich ist es die Absicht dieses Werkes, zu zeigen, wie für die Wahrheiten der Prinzipien, der Schlußfolgerungen und der natürlichen Eigentümlichkeiten [dem,] ›der Ohren hat zu hören‹ [Matth. 13,43], gerade in den Worten der Hl. Schrift, welche mit Hilfe der natürlichen [Wahrheiten] ausgelegt werden, ein klarer Wink gegeben wird.« 179 Daß sich dieses Ineinander von einer interpretatorischen ›Aktivität‹ und von deren gleichzeitiger Aufhebung bei Eckharts Umgang mit dem Schriftwort bis in die Systematik
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In jedem Fall aber hat Eckharts Aufmerksamkeit auf die sprachliche Fassung des Schriftwortes nichts Vordergründiges an sich, und dies im doppelten Wortsinn: Weder wird sich Eckhart mit einer Auslegung der Schrift nach einem gängigen sensus literalis begnügen, noch setzt sich Eckharts Entzifferung eines sensus anagogicus über die ›Wörtlichkeit‹ des biblischen Wortes hinweg. Ein onto-theologischer Sinn des biblischen Wortes entspringt vielmehr dessen literaler Gestalt, in der – und nicht hinter der – sich der göttliche Logos verbirgt.180 seiner philosophischen Theologie fortsetzt, ja in dieser wurzelt, ließe sich etwa anhand von Eckharts Ecclesiasticus-Kommentar verfolgen. In Auseinandersetzung mit Eccli. 24,29 »Qui edunt me, adhuc esuriunt« (»Wer von mir zehrt, hungert weiter«) überbietet Eckhart die »übliche Auslegung« dieses Schriftwortes durch eine zunehmend paradoxe und doppeldeutige Denkbewegung: »Ex praemissis patet quod qui edunt deum, adhuc esuriunt. Patet etiam quod non propter hoc esuriunt quia non fastidiunt, ut communiter exponitur, sed e converso ideo non fastidiunt, quia esuriunt et quia esurire est ipsum edere. Qui ergo edit, esuriendo esurit, quia esuriem edit […]. Edendo enim esurit et esuriendo edit et esurire sive esuriem esurit.« (In Eccl. n.58; LW II, 286f.) – »Aus dem Gesagten wird klar, daß wer von Gott zehrt, verzehrt sich weiter [nach ihm]. Klar wird auch, daß er nicht deshalb [nach Gott weiter] hungert, weil er [dabei] keinen Überdruß empfindet, wie die übliche Auslegung besagt; sondern umgekehrt: er empfindet keinen Überdruß, weil er sich verzehrt und weil dieses Sich-Verzehren [nach Gott] das Zehren selbst ist. Wer sich also verzehrt, zehrt im Sich-Verzehren [nach Gott], weil er eben das Sich-Verzehren [nach Gott] verzehrt. Denn im Zehren verzehrt er sich und im Sich-Verzehren zehrt er und verzehrt sich nach dem Sich-Verzehren.« – In dieser paradoxen Form eines ›aktivischen‹ Strebens/Sich-Verzehrens (esuries) nach Gott ist zugleich ein Ablassen mitgemeint, das ein noch als aktivisch verstehbares Sich-Verzehren nach Gott wie nach einem herkömmlichen Objekt verzehrt/vertilgt und überbietet: Das in der Endlichkeit nie teleologisch zur Ruhe kommende, un-endliche Sich-Verzehren nach Gott selbst ist die Zehrung/Nahrung, die aus dem Sich-Verzehren entspringt, nicht weil dieses Sich-Verzehren als die Form eines reinen Selbstbezuges sich selbst genügen könnte, sondern weil die bezüglich eines ›Objekts‹ offene Form des Sich-Verzehrens nach dem Sich-Verzehren einen Modus eines ›Strebens‹ darstellt, der dem un-endlichen Gott am nächsten kommt. 180 Besonders deutlich zeigt sich dies etwa in der viel zitierten Pred. 9 »Quasi stella matutina in nebula« (Eccli. 50,6 f.), wo Eckharts Spekulationen über den göttlichen Logos sich geradezu wortspielerisch an der literalen Gestalt des Bibelwortes entzünden: »›Wie der Morgenstern im Nebel‹. Ich richte mein Augenmerk nun auf das Wörtlein ›quasi‹, das heißt ›gleichwie‹; das nennen die Kinder in der Schule ein ›Beiwort‹. Dies ist es, worauf ich es in allen meinen Predigten abgesehen habe. Das Allereigentlichste, was man von Gott aussagen kann, das ist ›Wort‹ und ›Wahrheit‹. Gott nannte sich selbst ein ›Wort‹. Sankt Johannes sprach: ›Im Anfang war das Wort‹ [Joh. 1,1], und er deutet damit zugleich an, daß man bei diesem Worte ein ›Beiwort‹ sein solle. So wie der ›freie Stern‹, nach dem der ›Freitag‹ benannt ist, die Venus: der hat manchen Namen. […] Von allen Sternen ist er der Sonne beständig gleich nahe; er kommt ihr niemals ferner noch näher und zeigt damit an, daß ein Mensch, der hierzu kommen will, Gott allezeit nahe und gegenwärtig sein soll, so daß ihn nichts von Gott entfernen kann […]. Der Mensch, der dazu gelangen will, wovon im voraufgehenden gesprochen wurde – hierauf läuft die ganze Predigt hinaus –, der muß sein wie der Morgenstern: immerzu Gott gegenwärtig und immerzu ›bei‹ ihm und gleich
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Der Stellenkommentar zu »Ego sum qui sum«181 reflektiert zunächst auf die drei einzelnen Satzbestandteile »Ego«, »sum« und »qui«. Bezeichnenderweise geht Eckhart hierbei von ihren grammatischen Formen aus und nimmt deren seit Priscian festgelegte, allgemeine Bedeutungsfunktionen (modi significandi) auf.182 Sogleich aber überbietet Eckhart diese Bedeutungen mit einem absoluten, im eigentlichsten Sinne nur Gott zukommenden Bedeutungsgehalt, der jene grammatischen Bedeutungsfunktionen weit hinter sich läßt. – Seiner grammatischen Form und Bedeutung nach stellt »Ego« das emphatisch diskretive Pronomen (pronomen discretivum) der ersten Person Singular mit einem zugleich qualitativ unbestimmten Bedeutungsgehalt dar.183 Als ein solches diskretives und qualitativ unbestimmtes Pronomen markiert »Ego« hier eine für Eckhart grundsätzliche Differenz: »Ego« bedeutet (significat) Gottes reine Substanz (mera substantia) ohne jedes qualitativ bestimmende Akzidens, und dies ganz im Gegensatz zum qualitativ bestimmten Seienden (ens hoc et hoc). Vor allem aber die diskretiv ausgesagte Weise (discretive) von »Ego« scheint dafür verantwortlich zu sein, daß »Ego« hier jener ontologisch diskretive Bedeutungsgehalt zuwächst, der die Singularität Gottes als reiner, über Akzidenz, Art und Gattung erhabener Substanz prononciert zum Ausdruck bringt. Eckharts Überbietung des herkömmlichen, grammatischen Bedeutungsgehalts (modus significandi) von nahe und erhaben über alle irdischen Dinge und muß bei dem Worte ein ›Beiwort‹ sein.‹« Da aber diese notwendige Ausrichtung des Adverbs/›Beiwortes‹ auf das Verb/göttliche ›Wort‹ – sowohl im literalen, grammatischen wie auch insbesondere im theologischen Sinne – stets eine abhängige ist, schließt die Predigt mit einem Gebet an den trinitarischen Gott, das Eckharts theologische Interpretation der menschlichen ›Beiworthaftigkeit‹ in eine Bitte wendet: »Daß wir allzeit bei diesem ›Wort‹ ein ›Beiwort‹ sein mögen, dazu helfe uns der Vater und dieses nämliche Wort und der Heilige Geist. Amen.« (Pred. 9; DW I, 154–158.) – Siehe dazu S. Köbele, »BÎWORT SÎN. ›Absolute Grammatik‹ bei Meister Eckhart«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 113 (1994) (= Sonderheft Mystik, hrsg. von C. Cormeau), 190–206. 181 Vgl. in Ex. n.14–21; LW II, 20–28. 182 Zu dieser Tradition der Ars grammatica, den grammatischen Formen der einzelnen Wortklassen (partes orationis) allgemeine Bedeutungsfunktionen (modi significandi) zuzuordnen, und zum mittelalterlichen Höhepunkt dieser Tradition im ausgehenden 13. Jhd., der sog. »Grammatica speculativa«, vgl. etwa J. Pinborg, Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, Münster/Kopenhagen 1967; sowie Thomas von Erfurt, Abhandlung über die bedeutsamen Verhaltensweisen der Sprache (Tractatus de Modis significandi), übs. und eingel. von S. Grotz, Amsterdam/Philadelphia 1998, bes. xviff. 183 Vgl. In Ex. n.14; LW II, 20. – Dazu Priscian, Institutiones Grammaticae XII, 1–3 (= Grammatici Latini II, ed. Keil, 577ff.) und XVII, 9.56 (= Grammatici Latini III, ed. Keil, 141). – Für die mittelalterliche Diskussion um die pronominale Bedeutungsfunktion, die (im Vergleich zum Nomen) einen Gegenstand (substantia) inhaltlich nicht näher bestimmt, sondern nur darauf einen unbestimmten deiktischen Hinweis liefert, sei auf die prägnante Darstellung M. Heideggers, Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, in: ders., Frühe Schriften, Frankfurt a. M. 1972, hier 314–323 verwiesen.
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»Ego« als einem »pronomen discretivum« gestaltet sich als eine semantische Überdetermination, welche ihre raison d’être erhält durch einen diskretiven modus dicendi: Gott ist es, der sich (als) »Ego« nennt. »›Ego‹ inquit discretive; solus singulariter, Psalmus: [›]singulariter sum ego‹.«184 Wird hier das in seinem Bedeutungsgehalt schillernde »discretive« durch das doppelsinnige »singulariter« (›in der Einzahl‹/›in einzigartiger Weise‹185) weitergeführt, so wird damit die grammatische Bedeutung des Singularwortes »Ego« durch eine ontologisch einzigartige Bedeutung von »Ego« überboten: durch die Anzeige von Gottes einzigartiger Seinsweise. Verbürgt wird dies durch das unmittelbar folgende Psalm-Wort, in dem sich Gott selbst in seinem einzigartigen Ich-Sein ausspricht. In dieser einzigartigen Aussageweise von »Ego« liegt gleichsam dessen einzigartiger, die normalsprachliche Bedeutung transzendierender Sinn beschlossen. Insofern Gott als die reine, absolute Substanz keines Akzidens bedarf, das formal für qualitativ bestimmtes Seiendes konstitutiv ist, ist er im Vergleich zur bestimmten Seinsweise des Seienden ein einzigartiges Über- und NichtSein im Sinne eines nicht (de)finiten Seinsmodus.186 Auf diese räumliche wie zeitliche Un-Bestimmtheit und Un-Bedingtheit verweist in »Ego sum qui sum« das »qui«, welches als ein Relativpronomen mit unbestimmter Bedeutung (nomen infinitum) wiederum einen absoluten Bedeutungsgehalt verkörpert: »[…] li qui nomen est infinitum: Infinitum autem esse et immensum soli deo convenit.«187 184
In Ex. n.74; LW II, 76f. – »Ich sagt er [Gott] auf eine unterscheidende Weise, (nämlich) als einziger in einzigartiger Weise: ›In einzigartiger Weise bin Ich‹ [Ps. 140,10].« 185 Siehe den von K. Weiß zu seiner deutschen Übersetzung (= Anm. 184) gegebenen Hinweis. 186 Vgl. dafür auch die Formulierungen in Pred. 83; DW III, 442 über Gottes Wesen als das »vber swebende wesen und ein vber wesende nitheit«. 187 In Ex. n.14; LW II, 20. Gesperrte Hervorh. von mir. – »Das qui ist ein Wort mit unbestimmter Bedeutung. Unendliches und unermeßliches Sein aber kommt allein Gott zu.« – Zum qualitativ unbestimmten pronominalen Bedeutungsgehalt siehe Anm. 183. – Wie Eckhart die hier im Wort »infinitum« anklingende Doppeldeutigkeit von ›qualitativer Unbestimmtheit‹ und ›Unendlichkeit‹ explizit zum Vorschein bringt – und zwar wiederum durch die unmittelbare Konfrontation mit dem bekannten auctoritas-Zitat aus Johannes Damascenus – und so die grammatische Bedeutung in einen onto-theologischen ›Sachverhalt‹ wendet, siehe dazu Sermo VIII »Homo quidam fecit cenam magnam« n.95; LW IV, 91: »Homo, inquit, quidam. Quidam a ›quis‹ vel ›qui‹ descendit, quae significant substantiam infinitam. E s t autem deus ›pelagus substantiae infinitae‹ habens omnia.« (Gesperrte Hervorh. von mir.) – »Er [Lukas] sagt also: ›Ein gewisser Mensch‹. Quidam [ein gewisser] kommt von quis [wer] oder von qui [welcher], die alle ein [qualitativ] unbestimmtes Etwas anzeigen. Es ist aber ›Gott ein Meer unendlichen Wesens‹, das alle Dinge [in sich] hat.« Vgl. auch in Sap. n.154; LW II, 490. – Zu diesem Komplex siehe Köbele, »BÎWORT SÎN«, 205: »Die grammatische Struktur ist nicht analog zu etwas (significat…), sondern in sich selbst etwas – beides. Die Zeichen sind, was sie sagen, das Zeichen ist auch Bezeichnetes, das Wort hat als Wort schon Wert, jenseits einer Zeichenbeziehung.« Wenn Köbele diese
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Das »sum« fungiert hier – wenn es denn Gott »propriissime« zukommen soll – nicht als Kopula, sondern es wird von Eckhart als substantivisches Verb (verbum substantivum) aufgefaßt, d. h. im grammatischen Sinne als Vollverb, dem keine prädikative Erweiterung zuzukommen braucht,188 und zugleich als Verbum Dei: als das göttliche (biblische) Wort und als der λóγος, der Gott ist.189 Als Satzprädikat mit ›voller‹ Aussage bildet »sum« das zweite Glied (secundum adiacens) im Satz »Ego sum« und bezeichnet sachlich das reine und bloße Sein am und vom Subjekt ohne weitere prädikative Bestimmung.190 In sachlicher wie sprachlicher Hinsicht stellt also der Satz »Ego sum« keine herkömmliche Prädikation im Sinne einer Vervollständigung (perfectio) des Subjekts durch das Prädikat dar.191 Das Satzprädikat »sum« ist hier seiner substantivischen Bedeutung nach selbst das Subjekt; es stellt als die Wesenheit des Subjekts bereits das Subjekt selbst dar und legt so »dem Subjekt dasjenige bei, was es s e l b s t ist: reines Sein […]«.192 Indem einerseits Sein (Obheit) und Wesenheit (Washeit) im bloßen Prädikat »sum« zusammenfallen, sind zugleich andererseits das Subjekt »Ego« und das Prädikat »sum« sachlich identisch: »li sum est hic praedicatum propositionis, cum ait: ego sum, et est secundum adiacens. Quod quotiens fit, purum esse et nudum ›Wertigkeit des Wortes als Wort‹ gerade nicht für »Eckharts lateinische Grammatikspekulation«, sondern nur für seine »volkssprachigen Predigt[en]« (ebd.) geltend macht, so scheint sie dabei das systematische Zentrum von Eckharts theologischer Aufwertung der Grammatik zu einer ›absoluten‹ außer Acht zu lassen: seine Auseinandersetzung mit dem Gottesnamen »Esse« (dazu unten, 64ff.). – Zur Auseinandersetzung mit dem seitens der germanistischen Eckhart-Forschung gelegentlich überbetonten »Mehrwert« der Volkssprache für Eckhart und mit einer darin implizierten Trennung von Eckharts »latenischer Scholastik« und seiner »deutschen Mystik« vgl. etwa auch B. Hasebrink, »Grenzverschiebung. Zu Kongruenz und Differenz von Latein und Deutsch bei Meister Eckhart«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121 (1992), 369–398. Eine gesonderte Darstellung des Problems von Deutsch und Latein bei Eckhart behalte ich mir vor. 188 Vgl. Priscian, Institutiones VIII, 10.51 (= Gramm. Lat. II, ed. Keil, 414). 189 Vgl. in Ex. n.15; LW II, 20: »Adhuc li sum verbum est substantivum. Verbum: ›deus erat verbum‹, Ioh. 1 […].« – »Ferner ist bin substantivisches [Zeit-]Wort. Wort: ›Gott war Wort‹ [Joh. 1,1].« 190 Vgl. in Ex. n.15; LW II, 21. Dazu etwa Prol. in op. prop. n.3; LW I, 166f. Ähnlich auch Tabula prol. in op. tripart. n.3; LW I, 131f. 191 Vgl. in Ex. n.19; LW II, 25: »Nunc autem sic est quod generaliter agnominatum sive subiectum propositionis est imperfectum. Habet enim se subiectum iuxta nomen suum imperfectum sicut materia. […] Agnominans autem et agnominatio semper se habet ut forma et perfectio subiecti […], ubi scilicet essentia non sufficit sibi […].« – »Nun aber ist im allgemeinen das, was benannt wird, bzw. ein Satzsubjekt unvollkommen. Es verhält sich, wie schon sein unvollkommener Name ausdrückt, wie die Materie. Das Benennende aber und die Benennung verhalten sich immer wie die Form und die Vervollkommnung eines Subjektes, [in solchen Fällen also,] wo sich eine Wesenheit nicht selbst genügt.« 192 Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 42.
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esse in subiecto et de subiecto et ipsum esse subiectum, id est essentiam subiecti, idem scilicet essentiam et esse, quod soli deo convenit, cuius quiditas est sua anitas, […] nec habet quiditatem praeter solam anitatem, quam esse significat.«193 »Ego sum« im Sinne einer grammatikalisch vollständigen Wesensaussage kann somit sinnvoll nur von Gott (selbst) ausgesagt werden: »Unde quaerenti quid sit homo vel quid sit angelus, stultum est respondere ›quia est‹ sive hominem esse sive angelum esse. In deo autem, ubi anitas [esse] est ipsa quiditas [essentia], convenienter respondetur quaerenti, quis aut quid sit deus, quod ›deus est‹.«194 Im »Ego sum« als der Wesensaussage Gottes genügt sich das bloße Sein als Wesenheit: »Esse enim dei est quiditas.«195 Das »Ego sum« begreift Eckhart in seinem Gott vorbehaltenen Sinn als syntaktisch vollständig und als eine sachliche Identität von Subjekt und Prädikat. So potenziert das Moment der Wiederholung des Subjekts im Prädikat auf der syntaktischen Ebene der gesamten Sequenz »Ego sum qui sum« die bereits bei »Ego sum« konstatierte Aufhebung einer normalsprachlichen Prädikation. Mit Berufung auf Maimonides versteht Eckhart den (lateinischen) Relativsatz »qui sum« als Prädikat zum Subjekt »(Ego) sum« und damit die gesamte Sequenz als einen einzigen Hauptsatz im Sinne von »Ich bin der Ich-bin«.196 In dieser für die lateinische Grammatik ungewöhnlichen ›Prädikation‹ bezeichnet das subjektivische »(Ego) sum« die Wesenheit der 193
In Ex. n.15; LW II, 21. – »Das bin ist hier, wenn Gott sagt: ›Ich bin‹, das Prädikat des Satzes und bildet dessen zweites Glied. So oft das der Fall ist, bezeichnet es das reine und bloße Sein am Subjekt und vom Subjekt, sowie, daß es selbst das Subjekt, d. h. die Wesenheit des Subjekts ist, also das Identisch-Sein von Wesenheit und Sein; das kommt allein Gott zu, dessen Wesenheit seine Obheit [Sein] ist und der keine andere Wesenheit hat als einzig die Obheit, welche das Sein meint.« 194 In Ex. n.18; LW II 24. – »Wenn man von daher fragt, was der Mensch oder was ein Engel sei, ist es töricht darauf [nur] zu antworten, daß der Mensch bzw. ein Engel ist, weil er ja [irgendwie] ist. Bei Gott aber, wo die Obheit die Wesenheit selbst ist, lautet die treffende Antwort auf die Frage, wer oder was Gott sei: ›Gott ist‹.« 195 Ebd. 196 Vgl. in Ex. n.19; LW II, 25 f. – Für Maimonides vgl. dessen »Dux neutrorum« I, 62 (ed. A. Weiss. Hamburg 1972, 228 ff.). Zu Eckharts Rezeption des Maimonides vgl. J. Koch, »Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters«, in: ders., Kleine Schriften I, Rom 1973, 249–365; hier bes. 352 ff. – So liegt Eckhart mit dieser Auffassung des »Ego sum qui sum« im Sinne eines einzigen Hauptsatzes auch nicht weit ab vom semitischen Sprachkontext: Das in der lateinischen Übersetzung mit »qui« wiedergegebene hebräische d#) [,ascher] bzw. arabische | œšZ [,allad¯ι], auf welche Maimonides hinweist (vgl. »Führer der Unschlüssigen« I, 63 [ed. Weiss, 237]), verstehen sich als (ursprünglich deiktische) Pronomina, die den Inhalt eines folgenden Hauptsatzes auf ein Satzglied des vorausgegangenen Satzes deiktisch beziehen; die wörtliche Übersetzung von hebr. ,eh,y¯e h ,asch¯er ,eh,y¯eh lautete dann ungefähr: ›Ich bin; von diesem [Ich bin] gilt: Ich bin‹.
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benannten Sache (essentia rei) und das prädikativische »qui sum« das Sein.197 Durch die lexikalische Identität des Subjekts »(Ego) sum« mit dem Prädikat »(qui) sum« bekräftigt sich nochmals die Unmöglichkeit einer herkömmlich durchführbaren Prädikation von Gottes wesenhaftem Sein: Die in dieser Wiederholung lexikalisch angezeigte Differenzlosigkeit von Sein und Wesen affirmiert Gottes Sein als ein singulariter selbstgenugsames und als ein singulariter notwendiges.198 Diese intrinsische Differenzlosigkeit des göttlichen Seins und – unter dem Aspekt dieser Differenzlosigkeit – dessen völlige Geschiedenheit vom kontingenten, nur differenziert qualifizierbaren Seienden wird aber streng genommen auch in »Ego sum qui sum« verfehlt, insofern jene vollkommene Identität hier die prädikative Satzform einer in Subjekt und Prädikat differenzierten Affirmation erhält. Eher schon scheinen extrem tautologische Affirmationen – etwa das von Eckhart angeführte Augustinische »bonum bonum« – die unwandelbare Selbstidentität Gottes sprachlich adäquater bezeichnen zu können.199 Es ist jedoch gerade jene in »Ego sum qui sum« beschlossene zirkuläre Wiederholungsstruktur, der Eckharts besondere Aufmerksamkeit gilt und im Ausgang von der er einige seiner zentralen Denkfiguren entfaltet. 197
Vgl. in Ex. n.19; LW II, 25. Zur Notwendigkeit von Gottes Sein vgl. in Ex. n.21; LW II, 27. Zur Selbstgenügsamkeit (sufficere sibimet) vgl. oben Anm. 191 und in Ex. n.20; LW II, 26: »Hoc autem, puta egere alio et non sufficere sibimet, alienum est prorsus ab essentia dei. ›Primum enim dives est pe se‹. Cum ergo dicit: sum qui sum, docet ipsum subiectum sum esse ipsum praedicatum sum secundo positum, et quod ipsum agnominans est ipsum agnominatum, essentia est esse, quiditas est anitas, ›essentia sufficit sibi‹, essentia est ipsa sufficientia. Hoc est dicere: ›non eget essentia alicuius entis nec eget alio extra se ad firmitatem‹ sive perfectionem sui […]. et hoc est proprium soli deo, talis scilicet sufficientia. […] Talis ergo sufficientia dei significatur, cum ex persona dei dicitur: ego sum qui sum; ego, inquam, discretive.« – »Dies aber, nämlich eines anderen zu bedürfen und sich nicht selbst zu genügen, ist dem Wesen Gottes völlig fremd. ›Das Erste nämlich ist reich durch [oder: an] sich selbst.‹ Wenn er also sagt: ›Ich bin der ich bin‹, dann gibt er zu verstehen, daß das Subjekt ›(ich) bin‹ selbst genau das an zweiter Stelle stehende Prädikat ›(ich) bin‹ ist, und weil das Benennende selbst genau das Benannte ist, ist das Wesen das Sein, die Washeit die Obheit, ›genügt die Wesenheit sich selbst‹, ist sie das Genügen selbst. Das meint: ›Die Wesenheit bedarf keines Seienden und auch keines anderen außerhalb ihrer selbst zu ihrer Festigkeit‹ oder ihrer Vollkommenheit. Und dies ist allein für Gott charakteristisch, d. h. eine solche Genügsamkeit. Eine solche Genügsamkeit ist also gemeint, wenn von Gottes Person her gesprochen wird: ›Ich bin der ich bin‹; ›ich‹, wie gesagt, in unterscheidender Weise [gesagt].« – Zu diesem von Eckhart aus der XX. propositio des neuplatonischen »Liber de Causis« übernommenen ›Reich-Sein des Ersten‹ und der gleichzeitigen Selbstgenügsamkeit Gottes vgl. Beierwaltes, »Primum est dives per se. Meister Eckhart und der Liber De Causis«, in: On Proclus and His Influence in Medieval Philosophy, ed. by E. P. Bos and P. A. Meyer, Leiden/New York/Köln 1992, 141–169. 199 Zum Augustinus-Zitat vgl. in Ex. n.17; LW II, 22f. – Weiteres dazu unten, Anm. 209. 198
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a) Die Wiederholung indiziert nach Eckhart einen einzigartigen modus dicendi, der eine jede herkömmliche Affirmation bzw. Negation übersteigt: »die Reinheit der Bejahung unter Ausschluß alles Negativen«.200 Die lexikalisch identische Wiederholung des ersten »sum« im zweiten meint die reine Affirmation, die sich selbst, reines Sein, affirmiert, indem sie von sich alles Negative und Privative – d. h. hier: die begrifflich distinkte Prädizierbarkeit dieses reinen Seins und zugleich noch dessen in »Ego sum« angezeigte Prädikationslosigkeit – ausschließt: »negatio negationis«.201 Das meint: Von Gottes Sein kann zugleich alles und nichts prädiziert werden – alles, insofern Gottes unbestimmtes und unbeschränktes Sein keine bestimmte Seinsqualität als eine von ihm distinkte ausschließt; nichts, insofern Gottes reinem und un-bestimmtem Über-Sein kein anderes Prädikat als eben dieses Sein zukommen kann: »Ait autem: ›sum qui sum‹, tum quia ipse est plenitudo esse et plenum esse, tum quia ipse nihil est aliud nisi purum esse. […] Ipsi autem esse non negatur aliquod esse, sicut animali non negatur hoc animal, puta leo. Nulla ergo negatio, nihil negativum deo competit, nisi negatio negationis […]. Negatio vero negationis purissima et plenissima est affirmatio: ›ego sum qui sum‹. […] Nulla ergo negatio deo congruit: ›se ipsum negare non potest‹, Tim. 2. Esse non potest negare esse se ipsum esse: ›nihil se ipsum deserit.‹ Propter quod etiam nulli se negare potest, secundum illud: ›primum dives est per se‹. Iterum enim nihil negare potest, secundum illud: ›operatur omnia in omnibus‹, 1 Cor. 12. ›In omnibus‹ inquit, quia nulli negat; ›omnia‹ ait, quia nihil negat.«202
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Vgl. in Ex. n.16; LW II, 21: »repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat.« – »Die Wiederholung – er wiederholt sich nämlich in Ich bin der ich bin – weist auf die Reinheit der Bejahung unter Ausschluß alles Negativen von Gott selbst hin.« 201 Ein Stellenverzeichnis für diesen zentralen Begriff Eckharts bietet die Anm. 4 zur Pred. 21; DW I, 362. Nur in dieser Predigt »Unus deus et pater omnium« findet sich zudem das mittelhochdeutsche Äquivalent »ein versagen des versagennes«. Vgl. ebd.; DW I, 361. – Dazu auch K. Hedwig, »Negatio Negationis. Problemgeschichtliche Aspekte einer Denkstruktur«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 24 (1980), 7–33; bes. 11f. (zu Eckhart). 202 In Ex. n.74; LW II, 77 f. – »Er sagt aber: ›Ich bin der ich bin‹, einmal weil er die Fülle des Seins und das volle Sein selbst ist, einmal weil er nichts anderes als das reine Sein selbst ist. Dem Sein selbst wird aber [dadurch] kein bestimmtes Sein abgesprochen, genauso wie von [der Gattung] Lebewesen kein bestimmtes Lebewesen, wie z. B. ein Löwe, ausgeschlossen ist. Keine Verneinung, kein [bestimmtes] Verneintes trifft also auf Gott zu, außer die Verneinung der Verneinung. Die Verneinung der Verneinung ist aber reinste und vollste Bejahung: ›Ich bin der ich bin‹. Gott ist also keine Verneinung angemessen: ›Er kann sich selbst nicht verneinen‹ [2 Tim. 2,13]. Das Sein kann nicht verneinen, daß es selbst das Sein ist, [denn] ›nichts verläßt sich selbst‹. Deswegen kann es sich auch keinem versagen, gemäß dem Wort: ›Das Erste ist reich durch sich selbst.‹ Ferner kann es auch nichts versagen, gemäß jenem Wort: ›[Gott] wirkt alles in allem‹ [1 Kor. 12,6]. ›In allem‹
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Diese Auslegung (expositio) des Schriftwortes, welche hier in der Entfaltung des Doppelsinnes von »negatio« als ›Verneinung‹ und ›Versagen‹ auf eine Reihe von auctoritates-Zitaten hin gipfelt, basiert aber auf der tautologischen Sprachform von »sum qui sum«, und d. h. hier: auf einem modus dicendi, der gerade dadurch mehr bedeutet (plus significare), daß er seinem signifikativen Gehalt nach weniger sagt (minus dicere). Weist die tautologische Diktion, d. h. die Reduzierung auf eine buchstäbliche Identität, einen unter normalsprachlichen Gesichtspunkten geringen, kaum explikativ zu nennenden Aussagegehalt auf, so liegt gerade in dieser tautologischen Wiederholungsform die ausgezeichnete Mehr-Deutigkeit beschlossen, daß jede (lexikalische) Andersheit von Gott verneint wird. Meint (significat) nun der Begriff der Negatio negationis genau diesen (in »sum qui sum« formulierten) Auschluß aller Nicht-Identität, so ist dieser Begriff seinerseits als tautologischer Intensivierungsgenitiv formuliert (dicitur): Ihrem modus dicendi nach bleibt die Negatio negationis in sich selbst mehr-deutig, d. h. sie meint einen negativen Sprachtypus, der als Verneinung der Verneinung (genitivus obiectivus) von Gott jegliche (prädikative) Andersheit verneint und der so Gottes Nicht-Prädizierbarkeit bekräftigt. Und zugleich meint sie einen affirmativen Sprachtypus, der sich selbst noch einer derartigen Negativität, d. h. der Verneinung der/einer Verneinung (genitivus subiectivus), verweigert und der so den Ausschluß aller Verneinung von Gott bekräftigt. Sowohl in einem quantitativen Sinne (insofern die Negatio negationis die vollkommene Prädikatlosigkeit und gleichzeitig die vollkommen positive Prädizierbarkeit von Gottes Sein in sich begreift) als auch in einem qualitativen Sinne (insofern die Negatio negationis jene einzigartige Simultaneität des affirmativen und negativen Sprachtypus bildet) stellt sie die angemessenste Sprechweise über Gott dar; gerade aber in seiner zurückgenommenen, tautologischen Formulierung weist der Begriff ›Negatio negationis‹ selbst jenen mehr-deutigen Sinn auf: »[…] iste modus aptissimus est loquendi de divinis, ubi vel minus dicitur et plus significatur […] vel per negationem negationis.«203 Im Hinblick auf Gottes grundsätzliche Unaussagbarkeit erteilt also die Denkfigur der Negatio negationis, deren mehr-deutiger, über-determinierter Bedeutungsgehalt gerade in ihrer zurückgenommenen Formulierung liegt, nicht schlechthin eine Absage an alles Aussagen über und an alle sprachliche Bezeichnungen für Gott.204 Vielmehr relativieren sich all diese in endlicher sagt [der Apostel], weil [Gott] keinem [etwas] versagt; ›alles‹ sagt er, weil er nichts versagt.« – Ähnlich etwa auch Prol. in op. prop. n.6, LW I, 169. n.12, 172. n.15, 175. 203 In Eccl. n.63; LW II, 293. – »Dies ist die angemessenste Weise, über die Gottheit zu sprechen, [nämlich] entweder wenn weniger gesagt und mehr [dabei] gemeint wird, oder in Form einer Verneinung der Verneinung.« 204 Vgl. hierfür etwa Eckharts Auseinandersetzung mit der XXI. propositio des »Liber
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Rede formulierten Bezeichnungen, weil sie nach Art einer conversio205 in jene einzigartige Negatio negationis zurückgenommen und zurückgeführt werden können, in der Gott sich selbst bei seinem ›eigentlichen‹ Namen nennt – in die Selbstexplikation »sum qui sum«.206 b) In der zirkulären Satzstruktur erblickt Eckhart nicht nur die reinste affirmative Sprechweise über Gottes wesenhaftes Sein, die als Negatio negationis dieses Sein in seinem allumfassenden und zugleich das Seiende übersteigenden Modus anzeigt, sondern insbesondere auch eine in sich kreisende Bewegung vom ersten »sum« in das zweite »sum« und wieder zurück, mit der sich die prädikative Satzstruktur – d. h. das statische Gegenüber, in dem das zugrundeliegende Subjekt und sein hinzukommendes Prädikat aufeinander bezogen sind – auflöst. In der sprachlichen Bewegung von »Ego sum qui sum« manifestiert sich »eine Art reflexive Wendung des Seins selbst zu sich und auf sich selbst«.207 Als rein affirmative, prädikative Aussage über Gottes Sein ist »Ego sum qui sum« zugleich die selbstreflexive Selbstexplikation des Seins selbst. »Ego sum qui sum« stellt nicht nur eine Aussage über eine washeitliche Identität dar, sondern zugleich die Selbstexplikation dieser Identität von sich selbst her in eine Aussage; Aussage als Reflexionsform und reflektierter Aussagegegenstand fallen in eins: »Im Prädikat ›sum‹ reflektiert sich das Subjekt ›sum‹ in einem doppelten Sinne: es spiegelt sich in seiner eigenen Identität ohne reale Differenz, es denkt oder durchdringt sich als Subjekt reflexiv im Prädikat selbst. Diese reflexive Selbstdurchdringung ist identisch mit der Selbst-Aussage eben dieses absoluten Subjekts.«208 Gleichwohl liegt in dieser affirmativen Selbstexplikation als der Selbstreflexion die Paradoxie beschlossen, daß sich die Selbstidentität Gottes als eine derart reflexive, sich selbst begreifende in gewissem Maße in einer Aussage vergegenständlicht und dabei in ein Denkendes und Gedachtes ›differenziede Causis« (»causa prima est super onme nomen«): in Ex. n.35; LW II, 41. – Dazu Beierwaltes, »Primum dives est per se«, 165f. 205 Für diesen aus der neuplatonischen Metaphysik erwachsenen Begriff und seine Relevanz für Eckhart vgl. Beierwaltes, Identität und Differenz, Index s. v. πιστροφ'. 206 Weiteres siehe unten, 65 ff. 207 In Ex. n.16; LW II, 21: »[Repetitio indicat] ipsius esse quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem […].« 208 Beierwaltes, »Primum dives est per se«, 150. – Zur formalen und sachlichen Parallele zwischen der Eckhartischen Anschauung des göttlichen Seins als sich selbst denkende Bewegtheit und Hegels ›spekulativem Satz‹ bzw. Schellings Identitätsphilosophie siehe Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 45ff. und 75ff; sowie ders., Identität und Differenz, 218f.; 238; 268. Im Gegensatz zu diesen idealistischen Konzeptionen – und dieser Gegensatz bedingt unsere Beschränkung der sachlichen Thematik allein auf Eckhart – ist aber diejenige Eckharts unabdingbar an einen ausgezeichneten Status von autoritativer Sprachlichkeit gekoppelt, insofern sich der selbstbewegte göttliche Logos im biblischen Wort »Ego sum qui sum« zu erkennen gibt.
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ren‹ muß.209 Daß jedoch diese differenzierten Momente in der zyklischen Un-Endlichkeit des selbstreflexiven Aktes immer schon aufgehoben sind, veranschaulicht gleichsam eidetisch die zirkuläre Sprachbewegung in »Ego sum qui sum«: Dadurch, daß von Eckhart das Subjekt und Prädikat in Bewegung und in dieser Bewegung als sich gegenseitig durchdringend gedacht werden, verweist der lineare ›Fortschritt‹ vom Subjekt zum Prädikat nicht so sehr auf eine in ein Reflektierendes und Reflektiertes differenzierte Bewegung, sondern die Wiederholungsbewegung verweist als solche auf Gottes reflexive Bewegung; Gottes Bewegung bleibt als Bewegung – als sich wiederholende Bewegung – eine, erste Bewegung. Differenziert sich eine lineare sprachliche Bewegung in ein Früher und Später,210 so weist die sich wiederholende Sprachbewegung mit einem in der Wiederholung liegenden Nachdruck auf Gottes zeitloses und selbstbezogenes Wesen hin. Wenn die un-endliche Kreisbewegung des göttlichen Denkens jegliche zeitliche und lokale Differenzierung an ihrer Bewegung ausschließt, sie also zugleich »ein Beharren oder Feststehen in sich selbst«211 ist, dann entspricht diesem Ausschluß einer Nicht-Identität – eines Früher und Später, eines Hier und Da usw. (negatio negationis) – in »Ego sum qui sum« der Ausschluß selbst noch eines herkömmlichen modus dicendi: »Ego sum qui sum« meint als Negatio negationis nicht nur den Ausschluß eines herkömmlichen Bedeutungsgehaltes, sondern auch den Ausschluß einer herkömmlichen Aussageweise: Wenngleich der endlichen, d. h. der Zeitlichkeit verhafteten Rede unterworfen, verneint die tautologische, ›unendliche‹ Zirkularität von »Ego sum qui sum« zugleich eine endliche, d. h. eine qualitativ bestimmende (de-finite) und eine linear verlaufende, ›diskursive‹ Rede von Gottes wesenhaftem Sein als Denken. 209
Entsprechend deutet Eckhart das Augustinische »bonum bonum« nicht nur als Ausdruck der unvermischten Selbstidentität Gottes, sondern gerade auch als Indiz der Selbstreflexivität des vollkommenen Guten (vgl. in Ex. n.17; LW II, 23). Das »bonum bonum« zielt in seiner radikalen Sprachform nicht nur auf das nicht-prädizierbare Differenzlose schlechthin, sondern markiert sprachlich mit seiner Entfaltung in zwei (wenngleich lexikalisch identische) Worte eine gewisse Differenz, die eine Bewegung der Selbstreflexivität erst konstituiert. 210 Die lineare sprachliche Bewegung innerhalb einer Prädikation über (de)finites Seiendes – ihr Verlauf vom prädikativ bestimmten Subjekt hin zum bestimmenden Prädikat – entspricht dabei in ihrer Zeitlichkeit genau dem ontologischen Sachverhalt, daß die Akzidentien ihrer Seinsweise nach »ihr Sein an einem zugrundeliegenden Träger und durch diesen erhalten; sie sind also [ihrer Natur nach] später als er und empfangen ihr Sein als Sein an etwas«. (Prol. gen. n.8; LW II, 152: »[…] accipiunt esse in subiecto et per subiectum […] et sunt posteriora ipso et inhaerendo esse accipiunt.«) 211 In Ex. n.16; LW II, 21: »[Repetitio indicat] quandam […] reflexivam conversionem et in se ipso mansionem sive fixionem«. – Zu Gottes bewegungsloser Bewegung (motus sine motu) siehe auch unten, Anm. 234.
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Diese singuläre Differenz in der Identität, die sich im Akt der göttlichen Selbstaffirmation/Selbstreflexion als eine sich wiederholende (Sprach-)Bewegung manifestiert, beschreibt Eckhart »dazu noch« als ein »Aufwallen« (bullitio) bzw. als ein »Gebären seiner selbst« (parturitio sui).212 In diesem selbstreflexiven Akt der bullitio, dem zeitlosen Hervorgang der Trinität in dem mit sich selbst identischen Ursprung, erweist sich das Sein Gottes als ein lebendiges. Gottes lebendiges Sein entfaltet sich als Einheit in die Trinität, und diese innertrinitarische »emanatio personarum«, der Ausfluß der Personen in Gott, bildet das Urbild der extratrinitarischen creatio, indem es in seiner Über-Fülle (de)finites Anderes als Differenz zu sich selbst erst setzt und umschließt: »Propter quod Ioh. 1 dicitur: ›in ipso vita erat‹. Vita enim quandam exseritionem, qua res in se ipsa intumescens se profundit promi in se toto, quodlibet sui in quodlibet sui, antequam effundat et ebulliat extra. Hinc est quod emanatio personarum in divinis ratio est et praevia creationis. Sic enim Ioh. 1: ›in prinicipio erat verbum‹; et post demum: ›omnia per ipsum facta sunt‹.«213 Insofern sich aber das göttliche Sein als und im Verbum, das es selbst ist, innertrinitarisch reflektiert und ausspricht, entfaltet es sich in seiner Selbstexplikation in eine selbstreflexive Differenz, die immer schon als Selbstexplikation ihre Identität behauptet. Diese einzigartige Worthaftigkeit, Gottes trinitarische Selbstexplikation/-entfaltung als Differenz in der Identität, ist der grund-lose Grund der kreativen, sich entäußernden ›Preisgabe‹ seines absoluten Seins an das akzidentelle Seiende: »Der Prophet spricht: ›Gott spach
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Ebd. n.16; LW II, 21: »adhuc autem [repetitio indicat] quandam bullitionem sive parturitionem sui – in se fervens et in se ipso et in se ispum liquescens et bulliens […].« – »Dazu zeigt die Wiederholung noch ein Aufwallen oder ein Sichselbstgebären an – insofern [das Sein] in sich braust und in sich und auf sich zu strömt und wallt.« – Zum Begriff der »bullitio« siehe Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 55f. (Fn. 235). – Der zeithafte Aspekt, daß nämlich die sprachliche Wiederholung in »Ego sum qui sum« nach der Negatio negationis und der selbstreflexiven Bewegung noch dazu (adhuc) das Aufwallen anzeigt, bestimmt allenfalls Eckharts Modus der philosophisch-theologischen Explikation (expositio) des in »Ego sum qui sum« angelegten Sachverhalts, nicht aber diesen Sachverhalt selbst und den Modus seiner Versprachlichung in »Ego sum qui sum«: Eckharts expositio ist es, die das zeit-lose, ›simultane‹ göttliche Geschehen und dessen in »Ego sum qui sum« intendierte Zeitlosigkeit nachträglich, ›diskursiv‹ entfaltet. 213 Ebd. n.16; LW II, 22. – »Daher wird in Joh. 1,4 gesagt: ›In ihm war das Leben‹. Leben meint nämlich ein Hervordrängen, wodurch etwas in sich selbst aufschwillt; dabei verströmt es sich, [und zwar] ein Jegliches von ihm in ein Jegliches von ihm, in sich selbst als Ganzem, bevor es sich nach außen verströmt und wallt. Von daher kommt es, daß der Ausfluß der Personen in der Gottheit der Grund und der Vor-gang der Schöpfung ist. Denn auf diese Weise ist [zuerst] in Joh 1,3: ›Im Anfang war das Wort‹ [gesagt] und darauf dann: ›Alles ist durch es geworden‹.« – Zum Aspekt einer creatio in principio vgl. Prol. gen. n.14 ff.; LW I, 159 ff. und die dort von Weiß gegebenen Hinweise.
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Eines und ich hörte zwei‹ (Ps. 61,12). Das ist wahr: Gott sprach stets nur Eines. Sein Spruch ist stets nur einer. In diesem einen Spruch spricht er seinen Sohn und zugleich den Heiligen Geist mit und alle Kreaturen und es gibt [doch] nur einen Spruch in Gott. Der Prophet sagt aber: ›Ich hörte zwei‹, das heißt: Ich vernahm Gott und Kreatur. Da, wo Gott es [d. h. das Wort] spricht, da ist es Gott; hier [in endlicher Rede] ist es Kreatur.«214 Als These formuliert und gebündelt liegt das in »Ego sum qui sum« Angezeigte mit der ersten propositio »Esse est deus« vor.215 Als prädikativer Aussagesatz verstanden, entfaltet »Esse est deus« die prädikativ angezeigte ontologische Identität von Gott und absolutem Sein in eine lexikalische Differenz. Indem aber in dieser Prädikation das Sein in seinem absoluten Sinne bar jeder prädikativ heterogenen Bestimmung wesentlich es selbst ist, kann die prädizierende Satzform ›A ist B‹ hier gleichsam als Überlagerung zweier gleichbedeutender, ›vollständiger Ellipsen‹ »Esse est« bzw. »Deus est« verstanden werden: »Gott, das Sein, ist.«216 Wenn »das Sein« im prädikativen Satz »Esse est deus«, d. h. unter dem Maßstab endlicher Rede, Gott als Prädikat zuzukommen scheint, so zeigt sich gleichzeitig ›das Sein‹ in der prädikativen Ellipse ›Gott, das Sein, ist‹ als Gottes Name. Dies aber erhellt insbeson214
Pred. 30 »Praedica verbum«; DW II, 97f. Gesperrte Hervorh. von mir. Vgl. auch die dort gegebenen Hinweise auf Parallelstellen. – Zu dieser göttlichen Entäußerung als lebendiges, sein- und lebenstiftendes Wort, welche in den Kontext der von Eckhart intensiv bedachten »Gottesgeburt« gehört, vgl. auch Pred. 18; DW I, bes. 296ff., sowie die (noch nicht in die Historisch-Kritische Ausgabe übernommenen) Pred. »Dum medium silentium teneret« und »Ubi est, qui natus est rex Judaeorum?« (in: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. und übersetzt von J. Quint, Zürich 1979, 415–431; in der dortigen Zählung Predigt 57 und 58.). Zum Motiv der Grund-losigkeit jener Entäußerung als einer freiwilligen Gabe Gottes im höchsten und besten Sinn vgl. die Textpassage in Ex. n.74f.; LW II 78f., welche Eckhart unmittelbar aus dem oben (Anm. 202) zitierten Gedankengang der Negatio negationis entwickelt; sowie etwa Pred. 4; DW 1, 60 ff. und Sermo XXV n.254ff.; LW IV, 234f. 215 Vgl. Prol. gen.; LW I, 156ff. und Prol. in op. prop.; LW I, 166ff. 216 Analog zu dieser ›Aufsprengung‹ eines herkömmlichen Prädikationsschemas bemerkt Eckhart zu dem Satz »Deus unus est« [Gal. 3,20], »quod dupliciter hoc potest accipi. Primo sic: deus unus est. Nam hoc ipso quod unus, ipsi competit esse, id est quod sit suum esse, quod sit purum esse, quod sit omnium esse« (Sermo XXIX n.301; LW IV, 267): »[…] daß dieser [Satz] auf zweierlei Weise verstanden werden kann. Einmal so: Gott, der Eine, ist. Denn gerade dadurch, daß er der [differenzlose] Eine ist, fällt mit ihm selbst das Sein zusammen: Er ist sein eigenes Sein, er ist das reine [un-unterschiedene] Sein, er ist das Sein für alle/aller Dinge.« – Ähnlich auch in Ex. n.148 f.; LW II, 486f., wo Eckhart das unmittelbare Verhältnis des Einen zum Sein, das dem Sein inhaltlich nichts hinzufügt, zum Anlaß nimmt, den Satz »Gott ist Einer« so zu fassen, »daß sich der Sinn ergibt: Gott ist nicht nur Einer, sondern er selbst ist als einziger bzw. nur er allein ist. [Der Apostel] sagt: ›Gott ist Einer‹, d. h. Gott, er selbst als Einziger, ist«. (Ebd. n.149; LW II, 486: »Gal 3: ›deus unus est‹, ut sit sensus quod deus non solum unus sit, sed etiam quod ipse unus tantum sive solus sit. ›Deus‹, inquit, ›unus est‹, id est deus unus ipse est‹.«)
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dere »Ego sum qui sum«: »das Sein Gottes spricht sich als Ich aus; weil es Ich ist, nennt es seinen Namen«.217 Gemeint ist damit nicht nur die dem Mittelalter durch Dionysios Areopagites’ »De divinis nominibus« geläufige theologische Identifikation der göttlichen Namen mit den philosophischen Prädikaten, die Gott zugesprochen werden können,218 sondern inbesondere die von Eckhart im Anschluß an Moses Maimonides entwickelte Dialektik zwischen dem allgemeinsten göttlichen Wesensprädikat und dem Gott vorbehaltenen Eigennamen.219 Nach Eckhart impliziert ein Name (nomen) stets das jeweilige Wesen der benannten Sache (essentia rei). Als ›Name‹ versteht sich von daher eine jede sprachliche Bezeichnung, die die eigentümliche, unveräußerliche Washeit (quiditas) der bezeichneten Sache, die sie »von keinem anderen hat«, anzeigt. Weil sich das kreatürliche Seiende durch die Diskrepanz zwischen seinem unveräußerlichen Wesen (quiditas) und seinem nur verliehenen, akzidentellen Sein (anitas) auszeichnet, können die Namen für das kreatürliche Seiende nur auf dessen eigentümliches So-Sein eine gesicherte Antwort geben.220 Kann nun diese Antwort als die Begriffsbestimmung (ratio sive diffinitio) dieses Namens gegeben und in Form einer prädikativen Wesensaussage kenntlich gemacht werden, so beschränkt sich bei dieser Wesensaussage das »ist« der Prädikation – eben aufgrund der akzidentellen Seinsweise des
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Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 64. Zu dieser Tradition vgl. etwa R. Schönberger, Nomina Divina. Zur theologischen Semantik bei Thomas von Aquin, Frankfurt a. M./Bern 1981, bes. 53ff. und 93ff. 219 Für die von Maimonides ausgehenden Filiationen der Spekulationen über den/die Namen Gottes im Kontext der jüdischen Philosophie und Mystik (v. a. derjenigen Abraham Abulafias) vgl. die mittlerweile klassischen Studien Gershom Scholems, »Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala«, in: ders., Judaica 3, Frankfurt a. M. 1970, 7–70; hier 56ff.; sowie: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Zürich 1957, 151ff. – Zu einer Theorie des Namens bei Eckhart vgl. A. de Libera, Le Problème de l’être chez Maître Eckhart. Logique et métaphysique de l’analogie, Lausanne/Genève/Neuchâtel 1980, v. a. 20–27. 220 Vgl. in Ex. n.18; LW II, 23f.: »[…] notandum quod licet li ›quis‹ quandoque extenso vocabulo quaerat de nomine, […] propie tamen ipsum ›quis‹ sicut li ›quid‹ quaerit de quiditate sive essentia rei, quam significat nomen et ratio sive diffinitio indicat. Quia igitur in omni creato aliud est esse et ab alio, aliud essentia et non ab alio, propter hoc alia est quaestio, an est, quaerens de anitate sive de esse rei, alia quaestio, quid est, quaerens, ut dictum est, de quiditate sive essentia ipsius rei.« – »Das Wort wer? kann zwar bisweilen seine Bedeutung erweitern und nach dem Namen fragen, doch eigentlich fragt wer? ebenso wie was? nach der Washeit oder Wesenheit einer Sache, die deren Name bedeutet und die deren Begriff oder Begriffsbestimmung anzeigt. Weil nun bei jedem Erschaffenen Sein und Wesenheit verschieden sind – das Sein ist von einem Anderen [gegeben], die Wesenheit ist nicht von einem anderen –, so ist die Frage, ob etwas ist, verschieden von der Frage, was etwas ist: Jene fragt nach der Obheit oder dem Sein eines Dinges, diese, wie gesagt, nach der Washeit oder Wesenheit des besagten Dinges.« 218
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Kreatürlichen – auf die Funktion der Kopula: »Verbi gratia cum dico ›hoc est homo vel lapis‹, non praedico esse, sed praedico hominem vel lapidem aut huiusmodi aliquid. Propter quod haec est vera : ›Martinus est homo‹ nullo homine existente. Non enim dico hominem esse nec esse praedico nec terminorum existentiam, sed cohaerentiam. Sic cum dico rosam esse rubeam, nec dico nec praedico rosam esse, nec rubedinem esse, sed solam cohaerentiam naturalem terminorum. Unde li ›esse‹ vel ›est‹ non est subiectum nec praedicatum, sed tertium extra haec, puta copula praedicati cum subiecto.«221 Extrapoliert die prädikative Satzform eine begriffliche Inhärenz in die »natürliche Kohärenz« eines Begriffes und seines Implikats,222 so ist sie eine wahre Affirmation, deren Wahrheit sich als eine Identität zwischen den als Subjekt und Prädikat fungierenden Begriffen zu erkennen gibt.223 Diese begriffliche Extrapolation bedingt also eine Sprachform, die einem Aussagegegenstand sein Wesen zu-spricht, d. h. die dessen prädikative Identität mit einem akzidentellen Prädikat lexikalisch differenziert in einer Wesensaussage vergegenständlicht. Die prädikative Identität – etwa im Satz »Martin ist ein Mensch« – zeigt somit an, daß sowohl das prädizierende Nomen »Mensch« als auch der prädizierte Eigenname (nomen proprium) »Martin« gleichermaßen und zu Recht als sprachliche Bezeichungen dem ausgesagten kreatürlichen Etwas (ens) zukommen können: Neben dem Eigennamen »Martin« stel221
Tab. prol. in op. trip. n.3; LW I, 131f. Hervorh. von mir. – »Wenn ich z. B. sage: ›Das ist ein Mensch oder ein Stein‹, dann sage ich hier nichts über das Sein, sondern über den Menschen oder den Stein aus. Deswegen ist der Satz: ›Martin ist ein Mensch‹ wahr, auch wenn gar kein Mensch existierte. Denn ich sage hier nicht, daß der Mensch ist, noch besagen meine Worte das Sein oder die Existenz der Begriffe [›Martin‹ bzw. ›Mensch‹], sondern sie besagen nur deren Zusammenhang. So besagt auch, wenn ich sage: ›Die Rose ist rot‹, meine Formulierung und meine Aussage nicht, daß die Rose ist, noch daß die Röte ist, sondern nur, daß diese [beiden] Begriffe natürlich zusammenhängen. Daher ist ›Sein‹ und ›ist‹ weder Prädikat noch Subjekt, sondern ein Drittes außer ihnen, nämlich die Verbindung des Prädikats mit dem Subjekt.« 222 Vgl. in Sap. n.20; LW II, 341. 223 Vgl. in Ex. n.73; LW II, 75: »veritas affirmativae propositionis universaliter constitit in identitate terminorum […].« Vgl. auch ebd. n.55; LW II, 60: »orationes et propositiones respondent primo et per se non rebus, sed rerum conceptionibus. Sunt enim voces signa et ›notae earum quae sunt in anima passionum‹. Propter quod ipsam conceptionem notant et indicant et singificant. Et idcirco etiam iudicantur esse verae vel falsae, compactae vel incompactae orationes vel propositiones non ex rebus sive ex entibus absolute, sed ex rerum et entium conceptionibus, quae significant primo et per se.« – »Sätze oder Satzurteile entsprechen zunächst und als solche nicht den Dingen, sondern den begrifflichen Auffassungen von den Dingen. Denn die sprachlichen Verlautbarungen sind Zeichen und ›Merkmale für die Eindrücke in der Seele‹. Daher kennzeichnen sie die besagte Auffassung, geben Kenntnis von ihr und bezeichnen sie. Deswegen werden auch die Sätze oder Satzurteile nicht schlechterdings nach den Dingen bzw. nach dem Seienden als wahr oder falsch, als zutreffend oder unzutreffend beurteilt, sondern nach den begrifflichen Auffassungen der Dinge und des Seienden, welche zunächst und als solche bezeichnet werden.«
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len die in ihm implizierten allgemeinen Wesensprädikate »Lebewesen« und »Mensch« Benennungen (agnominationes) dar, die gleichermaßen auf dieses Benannte (suppositum) auch noch zutreffen. Doch treffen die (lexikalisch) verschiedenen Benennungen auf dieses benannte, kreatürliche Etwas unter jeweils unterschiedlichen Aspekten zu – der Name »animal« unter dem Aspekt der Gattungszugehörigkeit, »homo« unter demjenigen der Spezies sowie »Martin« unter dem Aspekt der individuellen Persönlichkeit (proprietas suppositi). Wenngleich von daher ein jeder dieser Namen auf seinen jeweiligen Träger eigens verweist und so einem bestimmten Träger zu eigen, angemessen ist (proprium esse),224 ist doch im Gegensatz zu den allgemeinen – d. h. den generischen und spezifischen – Namen »animal« und »homo« der Eigenname »Martin« nicht auf noch andere Träger übertragbar (incommunicabilis): Er trifft ausschließlich auf einen Träger zu.225 Diese Differenzierung der Namen in die verschiedenen Modi ihres Zutreffens auf einen Namensträger (nomen proprium vs. nomen commune/appellativum) berührt nicht die Frage nach der angemessenen ›Benennung‹, nach dem »proprium esse« eines Namens als Begriff: So ist mit dem Namen »Sein« das Sein selbst am angemessensten benannt,226 da dieser Name begrifflich alles das in sich vereinigt, was für das benannte Ding eigentümlich (proprium) ist.227 Indem aber der Name »Sein« das proprium des Seins in sich vereinigt, daß es nichts von sich ausschließt, sondern »allen Seienden und Namen gemeinsam ist«,228 ist »Sein« kein exklusiver Eigenname (nomen proprium) im Horizont der endliche Rede: »Sein« trifft als Name nicht ausschließlich auf einen kreatürlichen Namensträger zu.
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Vgl. ebd. n.162; LW II, 142: »nullum nomen est magis proprium homini quam li homo.« – »Kein Name ist dem Menschen [als Namensträger] mehr zu eigen als ›Mensch‹.« 225 Ebd. n.165; LW II, 145: »Nomina autem sumpta a genere et specie cum multis conveniant et sint communia et communicabilia ex sui natura aliis praeter Martinum, sic ergo solum nomen proprium sumptum a proprietate et ratione suppositi, quodcumque est illud, est proprium Martino et incommunicabile aliis, sed proprium soli Martino.« – »Da die von einer Gattung und einer Art hergeleiteten Namen vielen [Trägern] zukommen und da sie aufgrund ihrer [allgemeinen] Natur noch anderen [Trägern] als Martin gemeinsam sind und sein können, so ist also nur der Eigenname, der die Eigentümlichkeit und die Besonderheit seines jeweiligen Trägers betrifft, für Martin eigentümlich, [d. h.] nicht noch anderen [Trägern] gemeinsam, sondern ausschließlich Martin zu eigen.« 226 Genauso wie für den Menschen (vgl. Anm. 224) gilt im Hinblick auf das »proprium esse« eines Namens auch für das Sein: »nullum nomen est magis proprium ipsi esse quam li esse.« (Ebd. n.162; LW II, 142.) 227 Vgl. ebd. n.163; LW II 142: »illud nomen est propriissimum rei, cui competunt et attribuuntur omnia, quae illius rei sunt propria.« – »Derjenige Name ist einer Sache der eigenste [d. h. am angemessensten], dem alles das zukommt und zugeschrieben wird, was für jene Sache eigentümlich ist.« 228 Ebd. n.166; LW II, 146: »esse est commune omnibus entibus et nominibus«.
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Insofern jedoch dieser Name »Sein« auf Gottes allumfassendes Sein zutrifft, ist Gottes Name nicht nur nicht »innominabile«, sondern insbesondere »omninominabile«:229 In Gottes Name »Sein« sind alle seine Namen, d. h. alle ihm zugesprochenen Wesensprädikate (genannt).230 »Also ist der Name ›Sein‹ unter allen Gottesnamen der erste und der eigentlichste.«231 Als dieser erste – da allgemeinste – Name übersteigt »Sein« zugleich alle anderen Gottesnamen und trifft eben aufgrund dieses Überstiegs ausschließlich auf Gott zu: Als der eine Eigenname Gottes ist das in allen Namen genannte »Sein« zugleich »super omne nomen«.232 Mit der Doppelnatur dieses gleichzeitigen ›In‹ und ›Über‹ nimmt der Eigenname »Sein« gegenüber allen anderen Namen (Bezeichnungen) einen einzigartigen sprachlichen Status ein – in genauer Entsprechung zu jenem einzigartigen onto-theologischen ›Sachverhalt‹ von Gottes gleichzeitigem In- und Über-Sein. Den extraordinären, über alle sprachlichen Benennungen (nomina) erhabenen Status von »Esse« findet Eckhart auf dessen literaler Ebene sozusagen bestätigt. In einer zwar sehr vorsichtig formulierten, für einen christlichen Philosophen des Mittelalters nichtsdestoweniger erstaunlichen Bemerkung überträgt Eckhart die von Maimonides übernommenen Spekulationen über 229
Ebd. n.35; LW II, 41. Vgl. ebd. n.18; LW II, 24: »Bernardus V De consideratione sic dicit: ›si bonum, si magnum, si beatum, si sapientem vel quidquid tale de deo dixeris, in hoc verbo instauratur quod est. Nempe hoc est ei esse, quod omnia haec esse‹.« (Hervorh. von mir.) – »Bernhard [von Clairvaux] sagt in De Consideratione V, 6: ›Wenn du von Gott sagst: Gott ist gut, groß, selig, weise oder was es sonst sei, dann ist dies in dem Wort ist wieder aufgenommen. Denn für ihn [Gott] heißt Sein: dies alles zu sein‹.« – Die termini generales wie Weisheit, Gutheit etc. werden also von Eckhart »nicht etwa analysiert, um mit ihrer Hilfe Gottes Wesen näher zu bestimmen, denn diese [termini generales] sind nicht nur in Gott, sondern sind Gott selbst«. (Koch, »Zur Analogielehre Meister Eckharts«, in: ders., Kleine Schriften I, 378.) 231 Ebd. n.163; LW II, 142: »Igitur hoc nomen esse est primum et magis proprium inter omnia nomina dei.« Ähnlich auch in Ex. n.149; LW II, 486. 232 In Ex. n.166; LW II, 146: »id, quod est super omne nomen, nullum nomen excludit, sed onme nomen generaliter includit et aequaliter indistincte, nec aliquod illorum per consequens est ipsi proprium praeter id, quod est super omne nomen, commune omnibus nominibus.« – »Das, was über jedem Namen ist, schließt keinen Namen aus, sondern schließt überhaupt jeden Namen ein, und zwar ununterschieden in gleicher Weise. Folglich kann keiner dieser [eingeschlossenen Namen] sein Eigenname sein, sondern nur derjenige, der über jedem Namen ist, [und d. h.] der allen Namen gemeinsam ist.« Neben Phil. 2,9 stehen hierfür als auctoritates v. a. Ps. 137,2 »Magnificasti super omne nomen sanctum tuum« und die XXII. propositio des »Liber de Causis«, »causa prima est super omne nomen quo nominatur«, ein, wobei Eckhart allerdings den in diesen auctoritates anklingenden, ›rein‹ negativen Akzent der Unnennbarkeit Gottes verlegt auf die mit dem einzigen Eigennamen »esse« umspannte Allnennbarkeit Gottes, welche gerade die Differenz zum herkömmlich Benannten ausmacht. Vgl. dafür in Ex. n.35; LW II, 41 und im Anschluß daran Beierwaltes, »Primum dives est per se«, 165ff. 230
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die verschiedenen Gottesnamen und insbesondere über das Tetragrammaton YHWH auf die literale Gestalt von »esse«: »Et fortassis posset videri alicui quod esse esset ipsum nomen quattuor litterarum. Ad litteram enim li esse habet quattuor litteras, multas proprietates et perfectiones latentes. Ipsum etiam non videtur ›sumptum ab opere nec dictum a participatione.‹ Sed haec hactenus.«233 Markiert ist aber jene sprachliche Doppelnatur des Gottesnamens »Esse« insbesondere auch auf seiner grammatischen Ebene; »über einem jeden Namen« steht dieses Nomen proprium schon allein seiner verbalen Form nach: »Esse« ist als der über ein jedes Nomen erhabene Eigennanme Gottes zugleich das Verbum Dei – das Wort, das Gott ist (λóγος), als das und in dem sich Gott creativ, als der Schöpfer seiner selbst und aller Dinge, (aus)spricht.234 Wie das prinzipiierte (kreatürliche) Seiende in Gott als dem 233
Ebd. n.164; LW II, 144. – »Und man könnte vielleicht der Meinung sein, daß ›Sein‹ [esse] gerade das Tetragrammaton ist. ›Sein‹ hat ja in der Tat vier Buchstaben, die viele Eigentümlichkeiten und Vollkommenheiten in sich bergen. Auch ist [der Name ›Sein‹] offensichtlich nicht ›von einer bestimmten Tätigkeit abgeleitet, noch besagt er die Teilhabe [an einer bestimmten Qualität]‹. Doch genug davon.« – Zu Eckharts Auseinandersetzung mit Maimonides’ Namensspekulationen, insbesondere im 60. bis 64. Kapitel seines »Führers der Unschlüssigen« (ed. Weiss, 213ff.), vgl. in Ex. n.143–160; LW II, 130–141, dort vor allem Eckharts Resümee, das nochmals den einzigartigen Status des Tetragrammaton gegenüber allen anderen Gottesnamen hervorhebt: »Et sicut dictum est in his duobus nominibus [sc. ›yeh‹ et ›schaddai‹], sic se habet de omnibus nominibus generaliter, quibus deus nominatur in scripturis, excepto solo ›nomine quattuor litterarum‹ […], ›quod est non sumptum ab opere nec dictum a participatione‹.« (Ebd. n.160; LW II, 141 f.) – »Und was zu diesen beiden [Gottes]namen [d. h. zu hebr. hy , abgeleitet von hyh ›sein‹ und zu yD# , abgeleitet von yd ›(selbst-)genügsam‹] gesagt worden ist, das gilt überhaupt von allen Namen, mit denen Gott in der Hl. Schrift benannt ist – mit der einzigen Ausnahme des Tetragrammaton, ›das von keiner Tätigkeit abgeleitet ist, noch irgendeine Teilhabe [an einer bestimmten Qualität] besagt‹.« 234 Diese grammatische Struktur einer nominal-verbalen Zwiefalt im vornehmsten Gottesnamen »Esse« findet an anderer Stelle, in Eckharts Auslegung von Sap. 7, 24 »Beweglicher als alles Bewegliche ist nämlich die Weisheit« (in Sap. n. 125ff.; LW II, 463 ff.), eine weitere Verwendung. Im Ausgang von Offb. 19,13 »nomen eius verbum dei« (»sein Name ist Gottes Wort«) deutet Eckhart den Zusammenfall von nomen und verbum – hier im Gottesnamen »Weisheit, die Gott ist,« (ebd. n. 125; LW II 463) – als Indiz für Gottes bewegungslose Bewegung (motus sine motu); der interpretatorische Brückenschlag zwischen den beiden biblischen auctoritates, zwischen »nomen eius verbum dei« und »omnibus enim mobilibus mobilior est sapientia«, gelingt hier Eckhart wiederum mit Hilfe der grammatischen Bedeutungsfunktionen von verbum und nomen: »Et hoc est quod Apoc. 19 dicitur: ›nomen euis verbum dei‹ – verbum enim cum motu significat, nomen sine motu; verbum ergo dei nomen e s t, quia motus dei est sine motu et movere sine moveri […].« (Ebd. n.129; LW II, 467. Hervorh. von mir.) – »Und dies [daß nämlich die Tätigkeit der Weisheit, die Gott ist, beweglicher ist als alle Bewegung] ist in Offb. 19,13 ausgesprochen: ›Sein Name ist Gottes Wort‹ – denn ein Zeitwort [verbum] bedeutet etwas, was mit einer Bewegung verbunden ist, ein Name [nomen], was ohne Bewegung ist; das Wort [ver-
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Sein stiftenden Wort seinen Grund – Halt und Begründung zugleich – findet, so zieht sich durch alle sprachlichen Benennungen (nomina) Gottes Eigenname »Esse«: »Quod enim non participat esse, non est ens et nomen. Puta sapientia, potentia et huiusmodi singula vel nomina non sunt vel participant id, quod super omne nomen est. Hoc autem solum esse est. Quod enim sine esse est, nec est nec nomen est, sed falsum, vanum et fictum nomen est. Sed nec nomen est, quia non notificat; nomen autem a notitia dictum est, eo quod sit nota conceptus alicuius in intellectu, notificans etiam ipsum conceptum aliis. Propter quod ipsum est nuntius, quo nuntiatur ipse conceptus aliis.«235 Wenngleich von daher eine wahre Affirmation des Typs ›A ist B‹ zunächst die begriffliche, washeitliche Identität der Nomina A und B sprachlich wiederzugeben vermag,236 so vermag sie dies nur dadurch, daß gleichzeitig in der Kopula ›ist‹ das Sein mitgenannt ist. »Die Wahrheit einer Affirmation besteht also darin, daß ist, was ist«:237 »Hoc [sc. esse quod est] autem proprie dei est et solius dei, supra tertio, scilicet huius Exodi: ›ego sum qui sum‹. ›Ego‹ inquit discretive; solus singulariter, Psalmus: [›]singulariter sum ego‹. Ait autem: ›sum qui sum‹ […]. Concluditur igitur quod affirmatio, consistens in esse et identitate terminorum, deo propie competit. Quod enim tam idem quam esse et esse: ›sum qui sum‹? Nulla enim propositio propter hoc est verior illa, in qua idem praedicatur de se ipso.«238 Die im Horizont der endlichen Rede unhintergehbare Wahrheit einer tautologischen, affirmativen Prädikation, bei der die begriffliche Identität von bum] ist also Gottes Name [nomen], weil Gottes Bewegung ohne Bewegung, sein Bewegen ohne Bewegtwerden ist […].« 235 In Ex. n.167; LW II, 146f. – »Was nämlich am Sein nicht teilhat, ist weder Seiendes noch Name. So sind etwa Weisheit, Macht und derartige Einzelbezeichnungen entweder keine Namen oder sie haben [als Namen] teil an dem [Namen], der über jedem Namen ist. Das aber ist allein das Sein. Was also ohne Sein ist, ist weder, noch ist es ein Name, sondern ein falscher, nichtiger und gegenstandsloser Name. Und so ist es überhaupt kein Name, da er von nichts Kenntnis liefert. ›Name‹ [nomen] ist nämlich von ›Kenntnis‹ [notitia] abgeleitet, und zwar deswegen, weil er das Kennzeichen [nota] einer begrifflichen Auffassung im Intellekt ist und anderen [Menschen] von dieser Auffassung eine Kenntnis gibt. Der Name ist also ein Bote, der anderen die Botschaft von einer begrifflichen Auffassung bringt.« 236 Vgl. oben Anm. 223. 237 In Ex. n.73f.; LW II, 76: »Veritas igitur affirmationis constitit in esse quod est.« 238 Ebd. n.74; LW II, 76f. Hervorh. von mir. – »Dies aber [d. h. ›daß ist, was ist‹] ist eigentlich bei Gott und nur bei ihm der Fall: ›Ich bin der ich bin‹ hieß es oben im dritten Kapitel dieses Buches Exodus. ›Ich‹ sagt er in unterscheidender Weise, als einziger in einzigartiger Weise gemäß jenem Psalmwort: ›In einzigartiger Weise bin ich.‹ Es folgt also, daß die Bejahung, die im Sein und der Identiät der Begriffsworte besteht, auf Gott in eigener/eigentlicher Weise zutrifft. Denn was ist derart dasselbe wie Sein und Sein: ›Ich bin der ich bin‹? Kein Satz ist daher wahrer als derjenige, in dem dasselbe von sich selbst ausgesagt wird.«
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Subjekt und Prädikat mit einer lexikalischen Identität zusammenfällt, bezieht sich in einem Begründungsverhältnis auf jene tautologische, einzigartig affirmative Selbstexplikation »Ego sum qui sum« zurück, weil dort Gott sich selbst in seinem einzigartigen, über eine jede normalsprachliche Benennung erhabenen Eigennamen »Sein« in einzigartiger Weise reflektiert und ausspricht. In einem mehrfachen Sinn kommt dem reinen Sein hier nichts von außen zu: weder ein washeitlich von ihm differenziertes Prädikat, noch eine Prädikation im Sinne einer zu-gesprochenen, nachträglichen Wesensaussage über das Sein, noch der Name »Sein« seinem Namensträger. In »Ego sum qui sum« liegt das sprachliche Urbild einer jeden wahren Affirmation beschlossen – oder in Eckharts eigenen Worten: »Ego sum qui sum« ist »medulla et apex purissimae affirmationis«.239 Wenn Eckhart nun für die Wahrheit von »Esse est deus« das Diktum des Boethius – daß nämlich »kein Satz wahrer ist als der, in welchem dasselbe über gerade dieses selbst ausgesagt wird, wie z. B. der Mensch ist Mensch« – beansprucht,240 dann bleibt diese Beanspruchung notwendig zweideutig; oder anders gesagt: Die Engführung von »Esse est deus« mit der tautologischen Prädikation »homo est homo« kann nur auf einer Analogie beruhen. »Homo est homo« ist aufgrund des akzidentellen Seinsmodus seines Subjektes keine Wesensaussage – die ihrerseits einer begrifflichen Extrapolation ihres Gegenstandes »homo« bedürfte –, sondern eine im Bereich der endlichen Rede unbedingt wahre Prädikation über ein noch nicht washeitlich expliziertes Etwas. Das »est« fungiert hier in einer propositio de tertio adiacente als Kopula und d. h. als analoges Sprachzeichen für die prädikative Identität eines Aussagegegenstandes mit dem ihm zukommenden ›dritten Glied‹. Diese Form einer lexikalischen Identität ›A ist A‹ bedarf somit noch der Differenzierung nach dem Muster ›A ist B‹, soll die begriffliche Extrapolation des Subjekts dessen Wesen, das jener Aussagegegenstand »von keinem anderen hat«, in Form einer begrifflichen Identität anzeigen. Hingegen besteht der formal dreigliedrige Satz »Esse est deus« hinsichtlich seines ontologischen Gehalts eigentlich aus zwei Gliedern: Das Vollverb »est« ist das eigentliche Satzprädikat (Satzaussage) und als solches (auch lexikalisch) identisch dem Subjekt »esse«; das dritte Glied »deus« stellt keine sachlich notwendige Ergänzung des Subjekts dar – wenngleich es im Horizont der endlichen Rede anzeigt, auf wen dieser sachlich zweigliederige Satz
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In Joh. n.207; LW III, 175: »das Mark und die Spitze der reinsten Affirmation«. – Hier wiederum bezeichnend ist die direkte konnotative Engführung einer innersten Verbindung (›medulla‹ /›das Mark‹) mit einer äußersten, wenn nicht gar extrinsischen Position (›apex‹ /›die Spitze‹). 240 Vgl. Prol. gen. n.13; LW I, 158: »nulla propositio est verior illa in qua idem de se ipso praedicatur, puta homo est homo. Sed esse est deus. Igitur verum est deum esse.«
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»Das Sein ist«, der doch den einen Namen »Sein« zum ›Gegenstand‹ hat, zutrifft: »Das Sein, (nämlich) Gott, ist.« Wenn aber Gott sein prädikativ unbestimmtes Sein als seinen Namen in einer lexikalisch identischen ›Wesens‹-Aussage »Ich bin der Ich-bin« nennt, dann spricht sozusagen im Gegenzug die lexikalisch differenzierte Aussage »Esse est deus« vor allem den Namen, mit dem sich Gott selbst nennt, nach und stellt nicht nur eine begrifflich extrapolierte Wesensaussage über Gott dar. Gottes Sein kann sich als sein Eigenname nur extrapolieren – und d. h. von einem endlichen Standpunkt aus: nur offenbaren – in der reflexiven Selbst-Entfaltung des Seins selbst: In »Esse est deus« als der Form einer »praedicatio de se ipso« – d. h. nicht nur einer ›Prädikation über sich selbst‹, sondern zugleich einer ›Prädikation von sich selbst her‹ – gibt das »Sein« den Gegenstand wie den Sprecher der Aussage ab. »Esse est deus« changiert in seinem modus dicendi zwischen dem sprachlichen Nachvollzug von Gottes Eigennnamen, der sich in »Ego sum qui sum« offenbart, und dem Charakter als thetischer Prämisse des »opus tripartitum«: Von der Selbstexplikation des Seins »Ego sum qui sum« her gesehen, besitzt »Esse est deus« keine einem washeitlichen Prädikationsgehalt adäquate Satz- und Zeichenstruktur, sondern verkörpert gleichsam vor aller Prädizierbarkeit der ›notifizierenden‹ Namen eine ausgezeichnete Sprachontologie, für die stets schon Name (»Sein«) und Benanntes (»Gott«) in eins fallen. Insofern aber »Esse est deus« zugleich dieses absolute Sein als das Wesen Gottes im Medium der Logik und Grammatik in einen Satz ausspricht, hat dieser Satz den Charakter einer ontologischen Prämisse, auf die einerseits Eckharts Auslegung von Ex. 3,14 a zurückgreift; andererseits aber vermögen herkömmliche Wesensaussagen über (de)finit Seiendes aus »Esse est Deus« ihre sprachlich adäquate Form analogisch abzuleiten – in einer Analogie, der dabei eine Differenz von »esse absolute« und »esse huius et huius« zugrunde liegt. Im Bereich der normalsprachlichen Termini kann somit der identischen Prädikation ›A ist A‹ nicht der Bedeutungsgehalt einer Wesensaussage zukommen, wie umgekehrt die lexikalisch differenzierte Satzform ›A ist B‹ – die sehr wohl eine prädikative Wesensaussage über (de)finites Seiendes präformiert – nicht den sprachontologisch ausgezeichneten Status von »Esse est deus« erreicht. In der Interferenz von »Esse est Deus« mit der tautologischen Selbstexplikation »Ego sum qui sum« versprachlicht sich in einmaliger Weise die NichtPrädizierbarkeit eines ausgezeichneten ontologischen ›Sachverhalts‹. Ihre Mehr-Deutigkeit bezieht diese absolute Rede sowohl aus einer ausgezeichneten Bedeutsamkeit des Gottesnamens »Sein« als auch aus ihrem tautologischen Charakter, der weniger sagt und gerade dadurch mehr meint – und
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somit aus einer metapysisch fundierten Inhaltsleere, die den Horizont der endlichen Rede zwar nicht transzendiert, die aber gerade durch die Reduzierung der endlichen Rede auf ein tautologisches Minimum ein ›Jenseits davon‹, oder in Eckharts Worten, ein »super omne nomen« markiert.
ÜBERLEITUNG
Gegenüber einem rigiden Aussagerealismus, der einzig Aussagen über Seiendes (ν) auch als Aussagen bestehen läßt und der in letzter Konsequenz nur mehr eine tautologische Wortfolge als die einzig mögliche und somit wahre Aussageform über die allumfassende Einheit des Seienden anerkennt, unternimmt es der Platonische »Sophistes«, nicht nur die Möglichkeit von nichttautologischen, lexikalisch differenzierten Sätzen, sondern auch von wahren und falschen Aussagen zu begründen. Der Differenz zwischen den einzelnen sprachlichen Bezeichnungen (νóµατα) im Satzurteil entspricht hierbei grundsätzlich eine zwischen Sprache und Sein: die prinzipielle Möglichkeit, etwas (τι) über ein anderes Etwas (περì τινος) auszusagen und dabei dieses doch so auszusagen, daß es als falsch im Sinne von nichtseiend (µ ν) qualifiziert werden kann. Wenn im »Sophistes« der Aussagesatz (λóγος) als eine ›identifizierende‹ Verknüpfung von lexikalisch differenziertem Sprachmaterial bestimmt wird, welche Gemeinschaft (κοινυνíα) am Seienden und Nichtseienden haben kann, dann wird auch der tautologischen Satzform ›A ist A‹ jener exklusive Wahrheitsanspruch benommen, den einzulösen sie letzten Endes nicht in der Lage ist: als einzig zu(ver)lässige Aussage das Eine Sein sprachlich unmittelbar abbilden zu können. Vielmehr hat die tautologische Satzform im Rahmen der Platonischen Konzeption des Aussagesatzes eine integrative Funktion für ›alle anderen‹ – für lexikalisch differenzierte, wahre und falsche – Sätze. Daß die obersten Allgemeinbegriffe (µéγιστα γéνη) des Seins, der Identität und Differenz durch ihr dialektisches Ineinandergreifen die ideellen Begriffsgestalten (εδη) in ihrem Sein konstituieren, als einheitliche umreißen und zugleich gegeneinander abgrenzen, läßt sich sprachlich am deutlichsten in der tautologischen Satzform vermitteln, insofern dort die jeweiligen sprachlichen Bezeichnungen (νóµατα) für diese εδη als lexikalisch identisch aufeinander bezogene, als in sich vermittelt identische zur Sprache kommen können: »καστον […] ατò δ αωτ! τατóν«. Diese Satzform verbürgt gewissermaßen als ideales Grundmuster eines λóγος – des identifizierenden Bezuges von Differentem aufeinander – die sprachliche Vermittelbarkeit der ideellen Begriffe, indem sie eine Mittlerrolle zwischen den sprachtranszendenten, feststehend identischen Begriffsgestalten und der fließenden, stets von neuem sich verknüpfenden Sprachgestalt einnimmt. Begründet Platon den prädikativen Zusammenhang im Satz als eine Ordnung, die an der dazu heterogenen Ordnung der µéγιστα γéνη nur indirekt teilhat und die sich durch diese Teilhabe als bedeutsame legitimiert, so trägt
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Überleitung
für Aristoteles der prädikative Satzzusammenhang direkt zur Aufhellung der Seinsordnung bei. Nicht mehr kristallisiert sich in der tautologischen Satzform jeweils eine sprachtranszendente Begriffsgestalt, die in sich identisch und zugleich von den anderen reinen Begriffsgestalten differenziert ist; vielmehr markiert die tautologische Satzform nun ein unüberbeitbar wahres Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Rahmen eines einheitlich prädizierten Sachverhaltes. In diesem Rahmen genießt die tautologische Satzform aufgrund ihrer lexikalisch ›radikalen‹ Form den ausgezeichneten Prädikationsmodus καθ α#τó und zeitigt dadurch eine unüberbietbare aussagelogische Wahrheit. Somit erklärt sich zwar der sprachliche Sonderstatus einer Tautologie aus einem jeweils anderen Sachzusammenhang – bei Platon aus einer ideellen Sprachkonzeption, bei Aristoteles hingegen aus der Frage nach einer Prädikation mit unüberbietbarer Aussagewahrheit. Beide Male ist jedoch das Moment des λóγος im Sinne der prädikativen Satzform ausschlaggebend dafür, daß die Tautologie überhaupt eine sprachliche Sonderrolle einnehmen kann. Demgegenüber führen Ockhams In-Frage-Stellung der unbedingten aussagelogischen Wahrheit einer tautologischen Satzform sowie Eckharts Überbietung ihrer ontologisch fundierten Ausnahmestellung innerhalb der herkömmlichen Sprache dazu, daß auch der Satzcharakter der Tautologie problematisch wird: Mit der Statuierung eines einzigen Referenzbereiches, einem »mundus ex entibus«, auf den alle bedeutsame Sprache bezogen bleibt, ist für Ockham die unbedingte Aussagewahrheit einer Tautologie nicht mehr haltbar, sofern diese allein auf deren formalem Charakter als Satzform gründet. Über die notwendige Aussagewahrheit kann nur noch entschieden werden im Rückgang auf diejenigen Termini, die innerhalb einer tautologischen Satzform verwendet werden. In letzter Konsequenz stellt die Tautologie für Ockham nur im Bereich von Termini, von denen der Begriff ›ens‹ grundsätzlich prädizierbar ist, eine Form notwendiger Prädikation dar (propositio de necessario), ohne daß dabei schon über die notwendige Verifizierbarkeit ihres Aussagegehaltes, über ihre Gültigkeit als propositio necessaria, entschieden wäre. Unter dem Primat von Gottes hyperessentiellem, nicht-prädizierbarem Sein besitzt für Eckhart die einzigartige tautologische Selbstexplikation Gottes »Ego sum qui sum« nicht mehr einen prädikativen Satzcharakter im herkömmlichen Sinn. Insofern sich aber diese tautologische Selbstexplikation Gottes gleichwohl im Medium der Grammatik und Logik mitteilt, verabsoluiert sie sich nicht völlig vom herkömmlich bedeutsamen Sprachzusammenhang. Sondern sie bleibt in ihrer metaphysisch fundierten Inhaltsleere auf ihn bezogen, indem sie in ihrem die herkömmliche Sprachordnung übersteigenden Mehr-Sinn diese Sprachordnung erst als bedeutsame begründet. Angesichts der Interferenz von »Esse est deus« mit jener tautologischen
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Selbstexplikation bleibt ein normalsprachlicher tautologischer Satz im Sinne einer identischen Prädikation über ein (de)finit Seiendes zur Bedeutungslosigkeit im doppelten Sinne verdammt: Weder vermag er als explikativ-prädizierender (de)finitem Seienden einen washeitlichen Gehalt zuzusprechen, noch erreicht er den selbstexplikativen Status jener einzigartigen Tautologie. So wird bei Eckhart der tautologischen Satzform die genuin ›prädikative‹ Leistung entzogen, die ihr nach der Platonischen Konzeption zukommt. Die Tautologie stellte dort eine Form von Prädikation dar, insofern sie eine ideelle Begriffsgestalt als identische und zugleich als von den anderen reinen Begriffen differenzierte zur Sprache bringen vermag. Bei Eckhart aber zeigen sich die Termini generales – von denen zwar (ganz wie bei Platon) normalsprachliche Termini ontologisch differenziert und zugleich ableitbar sind – im hyperessentiellen Sein Gottes aufgehoben, so daß diese Termini gleichsam in der einen tautologischen Form »Ego sum qui sum« koinzidieren. Gerade im Hinblick auf ein nachfolgendes Heidegger-Kapitel mag sich der Verdacht einstellen, die auffällige Beschränkung des letzten Abschnitts auf vier antike bzw. mittelalterliche philosophische Werke gehe davon aus, daß eine in diesen Texten waltende Dignität des Ursprünglichen es ohne weiteres erlaube, den Gebrauch tautologischer Formen in philosophischen Texten der Neuzeit als irrelevante Marginalie stillschweigend zu übergehen. Dabei finden sich ja gerade in so gewichtigen philosophischen Texten wie in denen des Deutschen Idealismus unübersehbare tautologische Formulierungen: Erinnert sei hier nur an den für Fichtes »Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre« (1794/1795) so zentralen Satz »Ich bin Ich«, an Schellings extensive Inanspruchnahme von »A = A« für die »Darstellung meines Systems der Philosophie« (1801) oder an Hegels »Das Seyn ist das Seyn« in der ersten Fassung seiner »Wissenschaft der Logik« (1812). Aufs Ganze gesehen scheinen jedoch diese tautologischen Formulierungen in ihrem sprachlichen Gebrauchswert für die jeweilige Sachproblematik nicht so radikal und so systematisch funktionalisiert zu sein wie gerade bei Meister Eckhart, der in unserem Spektrum einen typologischen Pol darstellt. Wenn etwa Eckharts zentraler – und tautologisch formulierter – Begriff der Negatio negationis gegenüber einer ›rein‹ negativen Theologie gerade an einer Sagbarkeit von Gottes un-bestimmtem Einem Sein festhält,1 dann stellt dies einen deutlichen strukturellen Gegensatz zur sprachlichen Fassung der Identitätsproblematik etwa bei Schelling dar: »Dem Einen Schellings […] kommt […] zu, daß es schwer aussagbar oder unbegreifbar ist. Die Sprache nämlich, die das Eine zu sagen versucht, ist, ›von den Abbildern hergenommen‹, durch ihre Differenz-Struktur, in der Subjekt und Prädikat auseinandergehalten werden, für den Ausdruck der Indifferenz inadäquat. Indifferenz der 1
Siehe oben, 59ff.
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Gegensätze oder das in sich relations- und gegensatzlose ν fordern geradezu die der Einheit kongeniale intellektuelle Anschauung oder die mystische Ekstasis als ein zwar durch diskursives Denken vorbereitetes, selbst aber über ihm stehendes Medium der Evidenz.«2 – Daß und wie dagegen Eckhart die schwere Aussagbarkeit und Begreifbarkeit des Einen und zugleich trinitarischen Gottes in dem tautologischen Verbum Dei »Ego sum qui sum« (Ex. 3,14), welches als die Selbstexplikation Gottes einen ausgezeichneten und einzigartigen Sprachtypus markiert, sprachlich aufgehoben sieht, versuchten unsere Bemerkungen zu Meister Eckhart zu zeigen.3 Genau diese eigentümlich sprachliche Verankerung von Eckharts Denken des Einen Seins in der creativen Offenbarung Gottes als Logos – im WORT, das Gott selbst ist – zeichnet Eckharts Werk in einer bestimmten Hinsicht auch etwa gegenüber Hegels »Wissenschaft der Logik« von 1812 aus.4 In einer Passage, die Hegel nicht in die Neufassung seiner »Logik« von 1832 übernommen hat und die er der Frage nach der sprachlichen Fassbarkeit des reinen, unbestimmbaren Seins widmet, stellt die tautologische Satzform »Das Seyn ist das Seyn« nur die zweite Stufe eines reduktionistischen Verfahrens dar, das nach dem ersten, durch eine Verschiedenheit von Subjekt und Prädikatsnomen gekennzeichneten Satz »Das Seyn ist das Absolute« über jene Tautologie noch zu dem dritten Satz ohne prädikative Erweiterung »Das Seyn ist« führt und das schließlich in der bloßen Nennung der reinen Seins kulminiert: »Reines Seyn, oder vielmehr nur Seyn; satzlos ohne Behauptung oder Prädikat«.5 Aber auch wenn für Hegel in diesen Sätzen die Kategorie des Seins stets »etwas anderes ist, als sie bezeichnet – und etwas anderes, als sie meint, wenn man von ihr Gebrauch macht [nämlich: kein Etwas bzw. kein Subjekt]«,6 so gibt es für Hegel, trotz seiner bekannten Skepsis 2
Beierwaltes, Identität und Differenz, 239 f. – Dazu auch W. Wieland, »Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur«, in: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, hrsg. von M. Frank und G. Kurz, Frankfurt a. M. 1975, 237–279; hier 252 f. 3 So verstehen wir die Eckhartische Form der Mystik – gerade im Hinblick auf ihre sprachliche Verfahrensweise – als eine ›Logosmystik‹ in dem Sinne, daß sich Eckharts philosophische Durchdringung und diskursive Darstellung des trinitarischen ›Geschehens‹ als göttlicher Logos zugleich leiten läßt durch ein Hören oder durch ein sich versenkendes Einlassen auf die sprachliche Fassung des biblischen Verbum Dei. 4 Für das Folgende vgl. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band, erstes Buch. Das Sein. Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1812, besorgt von W. Wieland, Göttingen 1966, 35–37. Dazu den instruktiven Aufsatz von W. Wieland, »Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik«, in: Wirklichkeit und Reflexion (FS Walter Schulz), hrsg. von H. Fahrenbach, Pfullingen 1973, 395–414. – Vgl. auch D. Henrich, »Anfang und Methode der Logik«, in: ders., Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 73–94; hier v. a. 85ff. 5 Hegel, Logik (= Anm. 4), 36. 6 Wieland, »Bemerkungen«, 402.
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gegenüber der Satzform als dem geeigneten Ausdruck für die spekulative Wahrheit, dennoch «keinen Weg, der hinter die in der Gestalt des Satzes erreichte Vergegenständlichung [des Seyns] zurückführen könnte«. Denn »was soll an die Stelle des Satzes treten? Hegel macht nie einen Ansatz, eine neue Kunstsprache einzuführen oder gar ein neues, außersprachliches Organon der Philosophie zu entwickeln.«7 Auf eine der zentralen Fragen im Eingang der Hegelschen »Logik« bezogen, wie und wonach sich nämlich der absolute Anfang der Philosophie zu bestimmen habe, heißt dies: Auch in jenen Sätzen verwendet, kann »Seyn« als der absolute Anfang (noch) nicht inhaltlich bestimmt, sondern nur »leeres Wort« sein.8 Nun hat auch Eckhart keine neue Kunstsprache entwickelt; doch die entscheidenden Kriterien, von denen sich Eckharts Transformation und Auflösung der prädikativen Satzform – insbesondere bei dem systematischen Ausgangspunkt seines »Opus tripartitum«, bei der ersten These »Esse est Deus« – leiten läßt, gewinnt Eckhart gerade aus den einzigartigen ›Sätzen‹ des biblischen Verbum Dei. Wenn sich für Eckhart in dem ›Satz‹ »Ego sum qui sum« der Zusammenfall des ›Daß‹ (anitas) und des ›Was‹ (quiditas) in Gottes Sein zeigt, dann ist gerade dieses Sein Gottes als der anfängliche Grund allen (de)finiten Seins nicht nur unbestimmtes, reines Sein (purum esse), sondern immer zugleich die Fülle des Seins selbst (plenitudo esse).9 Ebensowenig bleibt für Eckhart das reine »Esse« als Gottes ureigenster Name ein »leeres Wort«: Dadurch daß Gott sich selbst mit seinem Namen »Esse« als Sein ›expliziert‹, dadurch daß er sich selbst als Logos in die trinitarische ›Differenz‹ setzt und dabei immer schon sein Sein als seinen Eigennamen und es zugleich creativ (seinsstiftend) mitteilt, ist der Name/das Sein Gottes nicht bloß unnennbar und unbestimmbar, sondern er/es ist zugleich als der alle kreatürliche Sprache und alles kreatürliche Sein durchwaltende Grund dasjenige, in dem alles genannt und bestimmt ist.10 7
Ebd., 406. Vgl. auch ebd., 400: »Man will die Bestimmungslosigkeit des reinen Seins ausdrücken und kann es doch nicht verhindern, dieses Sein mittels eben dieses Versuches zu bestimmen.« 8 Vgl. Hegel, Logik (= Anm. 4), 18: »Was somit über das Seyn ausgesprochen oder enthalten sein soll, in den reichern Formen von Absolutem oder Gott, diß ist im Anfange nur leeres Wort, und nur Seyn; diß Einfache, das sonst keine weitere Bedeutung hat, diß Leere ist also der absolute Anfang der Philosophie.« – Wielands Kommentar dazu: »Denn was Anfang ist, bestimmt sich aufgrund der Überlegung Hegels aussschließlich aus der Voraussetzung, daß es sich um den Anfang handelt.« (Wieland, Bemerkungen, 411.) Vgl. schon E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Dritter Band: Die nachkantischen Systeme, Berlin 1920, 332: »Was der Anfang ist, das kann und darf sich lediglich daraus ergeben, daß es der Anfang sein soll, der hier gesucht wird.« 9 Vgl. oben, 59ff. – Dazu auch Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 174; 180. 10 Vgl. oben, 67ff.
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Während es in jenen Eingangspassagen der Hegelschen »Logik« das unausgesprochene systematische Ziel ist, »daß eine Kategorie wie das reine unbestimmte Sein daraufhin angesprochen und befragt wird, ob sie und die über sie formulierten Sätze, das, was sei meinen, selbst auch sind«,11 und während Hegel dabei auch im Falle der Tautologie »Das Seyn ist das Seyn« zu einem negativen Ergebnis gelangt,12 sind für Eckhart sowohl der Begriff »Sein«, der zugleich der Gottesname ist, als auch insbesondere die einzigartige tautologische Selbstexplikation »Ego sum qui sum« das, was sie meinen: Aussage als Reflexionsform und ausgesagter, reflektierter ›Gegenstand‹ fallen in eins. Findet sich für »Hegels Unternehmen, den Begriff zu konstruieren, der das selbst ist, was er meint, […] kein Pendant im Bereich der klassischen Logik«,13 so machen sich in Meister Eckharts Denken deutlich Züge bemerkbar, in denen sich bereits jenes Hegelsche Unternehmen ankündigt. Nicht aber diese sachliche Nähe Eckharts zu Hegel – allgemeiner formuliert: die strukturelle Präfiguration von Hegels Denken des Absoluten als einer reflexiven, bewegungshaften Selbstentfaltung in die Differenz durch Eckharts Trinitätskonzeption – war für unsere Auswahl von Eckhart ausschlaggebend.14 Entscheidend ist vielmehr, daß Eckhart den sprachlichen Gebrauchswert von tautologischen Formen für seine Onto-Theologie in systematischer Weise insofern steigert, als er diesen Gebrauchswert aus den in ihrem modus dicendi einzigartigen, autoritativen ›Zitaten‹ des biblischen Verbum Dei ableitet. Wenn Eckhart dabei diese biblischen ›Autoritätszitate‹ nicht wie eine illustrative Bestätigung seiner Philosophie handhabt, sondern sie auf eine zuweilen atemberaubende Weise in ihrer herkömmlichen sprachlichen Fassung de- und transfomiert und so seiner Philosophie amalgamiert, dann hat dies nicht zuletzt, wie zu zeigen sein wird, deutliche strukturelle Parallelen zur sprachlichen Verfahrensweise des späten Heidegger. Die Frage des späten Heidegger nach dem Einbezug der Sprachinstanz in die Identitätsproblematik scheint ein entscheidendes Moment an seiner Auseinandersetzung mit dem Identitätsdenken des Deutschen Idealismus, und hier insbesondere mit Hegel, zu sein.15 Vergegenwärtigt man sich Heideggers Ausführungen zur Satzstruktur von ›A ist A‹, so hält nun Heidegger – genauso wie Hegel dies für das »Seyn« tat – daran fest, daß die tautologische 11
Wieland, »Bemerkungen«, 403. Zu einem negativen Ergebnis freilich, das erst den Fortgang der »Logik« hin zur »absoluten Idee« motiviert. Hierzu Wieland, »Bemerkungen«, 402. – Zur affirmativen Funktion der Negation bei Hegel siehe Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 175 ff. 13 Wieland, »Bemerkungen«, 411. 14 Vgl. Beierwaltes, Identität und Differenz, 268: »In der Frage nach der geschichtlichen und sachlichen Kontinuität einer Struktur absoluter Reflexion gibt es […] innerhalb der Metaphysik keinen überzeugenderen Analogiepunkt zu Hegel als etwa die Trinitätskonzeption des Cusanus oder Meister Eckharts.« 15 Vgl. dafür insbesondere BuFV, 86 f.; 91 f.; 112. 12
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Satzform sprachlich gerade das verdeckt, was sie zur Sprache bringen soll: »die Identität selber«.16 Daß es sich hier bei Heidegger um eine kryptische Bezugnahme auf Hegels zweite Fassung seiner »Logik« (1832) handelt, legt insbesondere Heideggers Übernahme von Hegels Beispielsatz nahe. Heidegger: »Wenn einer immerfort dasselbe sagt, z. B.: die Pflanze ist Pflanze, spricht er in einer Tautologie. Damit etwas das Selbe sein kann, genügt jeweils eines. Es bedarf nicht ihrer zwei wie bei der Gleichheit.«17 – Hegel: «Wodurch sich diese [tautologische] Erklärungsweise eben empfiehlt, ist ihre große Deutlichkeit und Begreiflichkeit; denn nichts ist deutlicher und begreiflicher, als daß z. B. eine Pflanze ihren Grund in einer vegetativen, d. h. Pflanzen hervorbringenden Kraft habe. – Eine okkulte Qualität könnte sie nur in dem Sinne genannt werden, als der Grund einen anderen Inhalt haben soll als das zu Erklärende; ein solcher ist nicht angegeben; insofern ist jene zum Erklären gebrauchte Kraft allerdings ein verborgener Grund, als ein Grund, wie er gefordert wird, nicht angegeben ist. Es wird durch diesen Formalismus sowenig etwas erklärt, als die Natur einer Pflanze erkannt wird, wenn ich sage, daß sie eine Pflanze ist oder daß sie ihren Grund in einer Pflanzen hervorbringenden Kraft habe; bei aller Deutlichkeit dieses Satzes kann man dies deswegen eine sehr okkulte Erklärungsweise nennen.«18 Wenn Hegel hier von der »sehr okkulten« Qualität einer tautologischen Erklärungsweise spricht, so scheint er wiederum auf die Diskrepanz in einem tautologischen Satz zu zielen, der nicht ist, was er zu meinen intendiert (in diesem Falle: eine inhaltlich andere Erklärung als das zu Erklärende selbst). Wenn sich wie für Hegel nun auch für Heidegger eine derartige okkulte Qualität oder Diskrepanz im Satz ›A ist A‹ zu erkennen gibt, insofern der Satz der Identität ›A ist A‹ nicht »die Identität selber« ist, welche er als Aussage zu bezeichnen oder zu meinen intendiert, so sucht Heidegger – über Hegel hinaus – die tautologische Satzform mit aller sprachlichen Radikalität zum Sprechen zu zwingen: Entscheidend gefördert wird dieses Heideggersche Unternehmen durch die Zuhilfenahme von philosophischen oder literarischen ›Autoritätszitaten‹, deren sprachliche Fassung Heidegger seiner eigenen Sprache und Sprachauffassung so amalgamiert, daß jeweils der gesamte Heideggersche Text unverkennbare Züge einer Kunstsprache trägt.19 16
ID, 18. – Näheres dazu unten, 97ff. ID, 14. 18 Hegel, Wissenschaft der Logik II [1832], in: Werke 6, hrsg. von. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1976, 99. 19 Um vorläufig nur ein Beispiel zu nennen: Im Vortrag »Der Satz der Identität« nimmt nach der Einführung des Parmenides-Zitates »τò γàρ ατò νοε%ν &στíν τε καì ε'ναι« – »Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken) sowohl als auch Sein« – Heideggers idiolektaler Gebrauch von Lexemen wie »Ge-Stell«, »An-wesen« oder »Er-eignis« sprunghaft zu. Vgl. dafür ID, 18 ff. 17
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Wie aber diese Kunstsprache aus Heideggers eigentümlicher sprachlicher Verfahrensweise resultiert, kann, so glauben wir, auf weite Strecken dadurch begriffen werden, daß beim späten Heidegger auf ganz bestimmte Weise Züge seiner scholastischen Anfänge zu finden sind. Damit ist aber nicht gemeint, daß wir etwa im Heidegger von »Unterwegs zur Sprache« (1959) einen zu spät gekommenen Mystiker oder Scholastiker sehen wollen. Sondern wir verstehen Heideggers sprachliche Verfahrensweise gerade auch als eine Form seiner (nicht erst in den späten fünfziger Jahren zu Tage tretenden) ›historischen Reaktivierung‹ des eigenen »Denkweges«: als die Reaktivierung von grammatischen Bedeutungen (modi significandi) für den eigenen sprachlichen Vollzug.20 Wenn wir dafür noch hinter »Sein und Zeit« (1927), das stets als der ›eigentliche‹ Ausgangspunkt des Heideggerschen »Denkweges« gegolten hat, auf Heideggers Habilitationsschrift von 1916 und insbesondere auf die dort intensiv behandelte Modi significandi-Lehre der spätscholastischen »Grammatica speculativa« zurückgreifen,21 dann soll damit nicht nur eine ›werkimmanente‹ Perspektive auf Heideggers offensichtlich tautologische Verfahrensweise in den späten Schriften gewonnen werden. Gleichzeitig kann damit auch ein direkter systematischer Anschluß an Roman Jakobsons Theorie der »grammatical meanings« gefunden werden, die ein zentrales Lehrstück seiner strukturalen Poetik ausmacht und die den tautologischen Charakter seiner durchgeführten Gedichtanalysen wesentlich bestimmt. Das Verhältnis der beiden nachfolgenden Kapitel zueinander bestimmt sich durch die spezifische Anlage unserer Untersuchung. Die Reihenfolge dieser Kapitel wäre prinzipiell austauschbar oder allenfalls von der darstellerischen Ökonomie diktiert, wenn es sich um eine Darstellung der geringen sachhaltigen Konvergenzen und der ungleich größeren Divergenzen zwischen Heideggers und Jakobsons Sprach- und Dichtungsverständnis handelte.22 In 20
Bereits den Heidegger der »Holzwege« (1950) kennzeichnet H. Kuhn zutreffend als jemanden, »der sich selbst und sein Werk historisch versteht und von Sein und Zeit wie von einem vergangenen aber noch fortwirkenden Ereignis der neueren Geschichte spricht«. (H. Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, in: Archiv für Philosophie 4 [1952], 253–269; hier 253.) – Vgl. etwa auch BüH [1947], 91: »Man meint allenthalben, der Versuch in ›Sein und Zeit‹ sei in eine Sackgasse geraten. Lassen wir diese Meinung auf sich beruhen. Über ›Sein und Zeit‹ ist das Denken, das in der so betitelten Abhandlung einige Schritte versucht, auch heute nicht hinausgekommen. Vielleicht ist es aber inzwischen um einiges eher in seine Sache hineingekommen.« 21 Vgl. KuB, v. a. 245 ff. 22 Denkbar wäre hierbei ein für Heidegger und Jakobson gleichermaßen erschließbarer Ausgangspunkt von Hegel und insbesondere von Husserl (siehe dazu H.-G. Gadamer, »Hegel und der Sprachforscher Roman Jakobson«, in: R. Jakobson/H.-G. Gadamer/E. Holenstein, Das Erbe Hegels II, Frankfurt a. M. 1984, 13–20; sowie E. Holenstein, Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus, Frankfurt a. M. 1975). Freilich erwiesen
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der Aufeinanderfolge des Heidegger- und des Jakobson-Kapitels spiegelt sich daher die Problematik unseres indirekten Vergleiches, der sich auf zwei verschiedenen Ebenen ansiedelt und doch zugleich einem Verfahren nachgeht. Nicht zufällig also folgt nun das Heidegger-Kapitel, insofern dem Philosophen unsere thematischen Untersuchungen – die Frage nach seinem Umgang mit Tautologien – in besonderer Weise gelten. Welche Probleme und Chancen eine solche Untersuchung, unser Umgang mit Heideggers Tautologien, mit sich bringt, sucht dann das Jakobson-Kapitel zu erhellen. Vom Heidegger-Kapitel her gesehen, versteht sich also der Jakobson-Teil als eine methodo-logische Reflexion auf unsere bis dahin praktizierte Lesart Heideggers, die dessen tautologischen Sprachstil als das ›geronnene‹ Resultat eines philosophisch motivierten Sprachvollzuges behandelt – einen tautologischen Sprachstil, an den wir, über Jakobson vermittelt, Heideggers eigene Fragen »Was geschieht hier? Was ist im Werk am Werk?«23 richten. Zugleich aber versteht sich das Jakobson-Kapitel nicht als ein bloßer Appendix zu Heidegger, der Heideggers tautologischen Sprachstil nun etwa direkt an Jakobsons Theorem der poetischen Funktion mißt und dadurch die Frage entscheiden will, ob der späte Heidegger ›auch schon‹ Poet sei oder ›doch noch‹ Philosoph. Ein solches Vorgehen hieße nämlich, Martin Heideggers Denken in seiner fundamentalen Zwiespältigkeit zu verkennen und gleichzeitig dem Jakobson-Kapitel eine bloß dienende Funktion zuzuschreiben, die dieses um die Chance brächte, sich gegenüber dem Heidegger-Kapitel als ein äquivalentes Vergleichsmoment zu behaupten. Insofern unsere Vergleichung einen bestimmten Umgang mit Tautologien thematisiert, der sich zwar in zwei kaum direkt vergleichbaren ›Theorien‹ auswirkt, der aber sehr wohl für deren Vollzugsmodus einen vergleichbaren systematischen Stellenwert hat, erfordert es ein thematisch so gearteter Vergleich geradezu, dann auch Jakobsons Umgang mit Tautologien eigens zu diskutieren. Wenn also unser Jakobson-Kapitel diesem modus operandi innerhalb der Jakobsonschen Linguistik und ihres analytischen Begriffsapparates nachgeht, so dient hier der zuvor dargestellte Heideggersche Umgang mit Tautologien nicht einfach nur als ein (im doppelten Sinne) praktischer Gegenstand, durch den sich Jakobsons Theoreme veranschaulichen oder gar legitimieren lassen. Vielmehr soll die mit dem Heidegger-Kapitel gesetzte Vergleichsperspektive – unsere Konzentration auf einen bestimmten Umgang mit Tautologien – auch für das Jakobson-Kapitel Geltung haben: Unsere Darstellung der Jakobsonschen ›Theorie‹ zielt auf die in ihr wirksasich solche theoriegeschichtlichen Filiationen spätestens dann von geringem heuristischen Wert, wenn das Sprach- und Dichtungsverständnis des späten Heidegger und dasjenige Jakobsons in ihren sachhaltigen Gemeinsamkeiten zur Debatte stünde. 23 Hw, 20.
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me tautologische Vollzugsform, deren wohl gewichtigste Erscheinung sich in Jakobsons Gedichtanalysen abzeichnet.24 Ideales Ziel der folgenden Bemerkungen wäre es also, eine Art struktureller ›Zwiesprache‹ zwischen Heideggers und Jakobsons sprachlichen Bemühungen um die ›Sprache als Sprache‹ in Gang gebracht und dabei ohne die Verwischung von sachhaltigen Differenzen die ›fugierte‹ Wiederholung ein und desselben Themas – Heideggers und Jakobsons Umgangsweise mit Tautologien – verdeutlicht zu haben.25
24
Siehe hierzu die monumentalen, kurz vor Jakobsons Tod erschienenen Selected Writings III: Poetry of Grammar and Grammar of Poetry, ed., with a preface, by S. Rudy, The Hague/Paris/New York 1981. 25 Daß für diese Überlegungen Erwin Panofskys »Gotische Architektur und Scholastik« (engl. 1951; dt. Übs. 1989) Pate gestanden hat, soll nicht verschwiegen sein: Bei der Herausarbeitung der strukturellen Korrespondenzen zwischen gotischer Kathedralarchitektur und Scholastik gibt die Verfahrensweise der scholastischen »Summen« – vor allem deren Aufbau als disputatio – Panofsky eine metasprachliche, gleichsam dokumentarische Basis an die Hand, um den modus operandi der Architekten bei der Verfertigung ihrer ›stummen‹ Monumente zu erschließen. Genauso wie dies für unseren Vergleich eines philosophischen mit einem philologischen Œuvre gelten soll, geht es Panofsky nicht um einen direkten Vergleich von kulturellen Erscheinungen, die auf ein und derselben Ebene anzusiedeln wären, sondern um einen »method of procedure«, der sich in dem jeweils für den Architekten bzw. für den Philosophen genuinen Erzeugnis (im Bauwerk bzw. Schriftstück) manifestiert und auswirkt, der aber gleichwohl für die Erschließung des ihnen zugrundeliegenden Vollzugsmodus – für die ›Formensprache‹ der gotischen Kathedrale bzw. der scholastischen Summa – einen vergleichbaren systematischen Stellenwert hat.
II. MARTIN HEIDEGGER
Man erkennt den Autor sogleich, wie ein Gedicht von Stefan George oder von Brecht. Es fragt sich, was das philosophisch bedeutet. Karl Jaspers, Notizen zu Martin Heidegger. Das Schießgewehr schießt und das Spießmesser spießt Und das Wasser frißt auf, die drin waten. Bertolt Brecht, Die Ballade von dem Soldaten. Solche Wege zu gehen, verlangt Übung im Gang. Martin Heidegger, Nachwort zum Vortrag »Das Ding«.
Seit dem Erscheinen von »Sein und Zeit« im Jahre 1927 ist der enge, ja unauflösbare Zusammenhang zwischen dem Seinsdenken und der eigenwilligen Sprache Martin Heideggers nie in seiner Problematik verkannt worden. Als eines der ersten und zugleich repräsentativen Beispiele dafür kann wohl Maximilian Becks Referat und Kritik von »Sein und Zeit« gelten.1 Gleich zu Beginn versammelt Beck unter dem Titel »Äußere Kennzeichnung« all jene Charakteristika der Heideggerschen Sprachgebung, welche mittlerweile zu gängigen Topoi einer Heidegger-Kritik geworden sind: »Heidegger prägt sich eine völlig neue Sprache, die, in dem Bestreben, deutsche Worte an einem vermeintlich ursprünglichen Sinn terminologisch festzulegen, an die Terminologie deutscher Mystik erinnert. Solches Beginnen ist gefährlich. Denn erstens wird dadurch der bloßen Sprache eine Beweiskraft zudiktiert, die sie nur im Aspekt des nur schwer kontrollierbare Etymologie treibenden Verfassers hat. Er erklärt für den Ursinn gewisser Worte das, was er laut eigener Vormeinung als deren ›eigentlichen‹ Sinn gern wahrhaben möchte. Ferner wird aber dadurch die Kontinuität der Heideggerschen Philosophie mit der zeitgenössischen Philosophie kaschiert, und dem Anspruch, wirklich ein absolut neuer Anfang zu sein, der Schein von Erfüllung gegeben. Und schließlich – als dessen unmittelbare Folge – wird dadurch Kontrolle und Diskussion dieser Philosophie außerhalb ihres eigenen Bodens fast unmöglich gemacht. Denn notwendig wird der Sinn all dessen, was Heidegger lehrt, ein anderer, wenn man es in einer anderen Sprache diskutiert, als in der eigens auf diese Lehre hin erfundenen. Was aber innerhalb des Heideggerschen Systems und auf seinem eigenen Boden ›stimmt‹, muß noch lange nicht – wahr sein!«2 1
M. Beck, »Referat und Kritik von Martin Heidegger: ›Sein und Zeit‹«, in: Philosophische Hefte 1 (1928), 5–44. 2 Ebd., 5f.
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Daß diese »Kennzeichnung« freilich keineswegs eine »äußere« bleibt, zeigt spätestens der mit »Kritik« überschriebene Abschnitt, den Beck mit den selbstkritischen Sätzen einleitet: »Es mag sein, daß der Versuch dieses Referats [von ›Sein und Zeit‹] – besonders in seinem Schlußteil – wenig zum Verständnis von Heideggers Philosophie beiträgt. Der Grund dafür liegt aber darin, daß sich tiefgehende innere Widersprüche dieser Philosophie selbst jeder rationalen Aufhellung radikal entgegenstemmen. Vielleicht hat man gefunden, daß ihre Subtilitäten hier mit allzu rohem Griff angefaßt werden, daß ihre Nuancen hier durch allzu scharfe Kontur verzeichnet wurden. Dies mag stimmen – aber anders läßt sich begriffliche Klarheit überhaupt nicht in ein Systemgefüge bringen, das seine faszinierende Wirkung nur im Dunkel und Dämmerlicht von Zweideutigkeiten und gewaltsamen Identifizierungen entfalten kann.« – Anmerkung Becks hierzu: »Diese Zweideutigkeiten und gewaltsamen Identifizierungen widerstehen auch radikal jedem Versuche eines Referats in der Sprache traditioneller Philosophie. Hier m u ß t e ich schließlich vor Heideggers Sprache kapitulieren, so sehr ich mir auch Mühe gegeben hatte, es anders zu versuchen.«3 Auch für die Selbsteinwände Becks ist es bezeichnend, daß sie sich aus heutiger Sicht wie eine unbeabsichtigte Vorwegnahme von Argumentationsfiguren lesen lassen, die inzwischen zum ›klassischen‹ – d. h. vor allem: zu einem weitgehend selbstverständlich gewordenen und zuweilen mit einer mechanischen Abwehrreaktion eingesetzten – Vorrat der Heidegger-Apologetik gehören. In einer deutlich von Selbsthistorisierung geprägten Rückschau auf den eigenen »Denkweg«, den der 65jährige Heidegger nicht erst mit seinem ersten Hauptwerk von 1927 eingeschlagen sieht, charakterisiert der Philosoph »die Thematik ›Sprache und Sein‹« als das seinen »Denkweg« schon immer beherrschende, wenngleich nicht stets in dessen Vordergrund stehende Problem.4 Wie Heidegger dabei anhand von seinen Veröffentlichungen und Vorlesungen verdeutlicht, tritt jene Thematik nach einem ersten »Ausblick« in der Habilitationsschrift »Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus« (1916) mit »Sein und Zeit« (1927) wieder in den Hintergrund; doch mit seinen »ersten Auslegungen von Hölderlins Hymnen« Mitte der 30er Jahre sieht er sich wieder der »Frage nach der Sprache«5 ausgesetzt, um schließlich der »Sprache selbst und nur ihr«6 einen zentralen Stellenwert in seiner späten Philosophie einzuräumen. 3
Ebd., 38. Vgl. dafür »Aus einem Gespräch von der Sprache« [1953/54]; UzSp, 91ff. – Falls nicht anders angegeben, werden Heideggers Schriften künftig verkürzt zitiert und im Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt. 5 UzSp, 93. 6 UzSp, 12. 4
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Man mag Heideggers Darstellung des eigenen »Denkweges« für zutreffend halten oder nicht – zumal er in diesem »Denkweg« nichts weniger als einen kontinuierlichen Fortschritt in der »Sache des Denkens« sieht.7 Unstrittig am Verlauf dieses »Denkwegs« dürfte dagegen sein, daß im Zuge von Heideggers thematischer Auseinandersetzung mit dem Problem der Sprache und des »Dichtens« sich sowohl Heideggers sprachliche Darstellung dieses Problems als auch der Tonfall der Kritik an dieser Darstellung noch verschärft haben: Gemessen an »Sein und Zeit«, am Kant-Buch von 1929 oder noch an den »Holzwegen« (1950), ist es vor allem der ›raunende‹ Sprachgestus der Aufsatzsammlung »Unterwegs zur Sprache« (1959), auf den »sich wiederum verständlicherweise die Kritik konzentriert hat«, und hier »nicht zuerst [auf] die Formulierung: ›Die Sprache ist das Haus des Seins‹, […] sondern [auf] Tautologien wie ›Die Sprache ist die Sprache‹ und [auf] Selbstprädikationen wie ›Die Sprache spricht‹«.8 Die Motive, aus denen heraus dieser (tautologische) Sprachgestus des späten Heidegger auf Ablehnung stößt, sind sicherlich von unterschiedlichster Natur und Qualität. Zumeist aber scheint diese Kritik an Heideggers Sprachgebung bei aller Polemik an dem – legitimen – interpretatorischen Ziel orientiert, Heideggers Sprache als ein, wenn nicht als das Symptom für philosophische, hermeneutisch-philologische und nicht zuletzt für die politischen ›Fehlkonstruktionen‹ seines Seinsdenkens begreifbar zu machen.9 7
Im Verlauf des eigenen »Denkweges« »bestätigt sich« für Heidegger vielmehr der Vers aus Hölderlins Rhein-Hymne »… Denn / Wie du anfiengst, wirst du bleiben«. Siehe UzSp, 93. 8 W. Anz, »Die Stellung der Sprache bei Heidegger«, in: Das Problem der Sprache, hrsg. von H.-G. Gadamer, München 1967, 469–482; hier 480. – Für Anzens Heidegger-Zitate siehe UzSp, 12, 20, 163 und 267 (letzteres in Form eines Heideggerschen Selbstzitates aus BüH, 60; 79 u.ö.). 9 Stellvertretend für die immense kritische Heidegger-Literatur sei hier nur an das berühmte Diktum Theodor W. Adornos erinnert: »Die pure Tautologie, die den Begriff propagiert, indem sie sich weigert, ihn zu bestimmen, und ihn statt dessen starr wiederholt, ist Geist als Gewalttat. […] Gewalt wohnt wie der Sprachgestalt so dem Kern der Heideggerschen Philosophie inne […].« (Th. W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt a. M. 1964, 111) – Nicht weniger exemplarisch für eine harsche literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Heidegger sind Robert Minders stilistische »Untersuchungen über Herkunft und Qualität« von Heideggers Sprache am Beispiel von dessen Hebel-Auslegungen. Insbesondere mit kritischem Blick auf Heideggers »Geviert« resümiert Minder das Sprachgebaren von Heideggers Spätphilosophie: »Durch die Erfahrung gewitzigt, hatte er nach dem Krieg einen Privat-Kahlschlag veranstaltet. Aber in der Tiefe wabert Wagner weiter und bräunelt es von ewigem Volkstum. In allen Ehren! Der Wurm bleibt doch im Holz. Immer radikaler auf die vier Pfähle eines sklerotischen Grundschemas eingeengt, befriedigt sich hier eine total objektlos gewordene Sprache mit sich selber.« (R. Minder, »Heidegger und Hebel oder die Sprache von Meßkirch«, in: ›Hölderlin unter den Deutschen‹ und andere Aufsätze zur deutschen Literatur, Frankfurt a. M. 1968, 86–155; hier 86 und 150.) – Für die jüngste Zeit vgl. den Auf-
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Unsere Bemerkungen haben nun nicht das in einem mehrfachen Sinn vermessene Bestreben, Heideggers tautologischen ›Sprachstil‹ durch einen Rückgriff auf sein (Sprach-)Denken ›rein philosophisch‹ zu legitimieren, um damit diesen Sprachstil gegenüber jenen kritischen Enwänden in Schutz nehmen zu können. Abgesehen davon, daß es der Heideggerschen Philosophie nie an engagierten Fürsprechern gefehlt hat, müßte nämlich für eine derartige Legitimation zunächst einmal »die mehr implizite als explizite Sprachphilosophie Heideggers«10 in eine sie explizierende Darstellung überführt werden. Dabei wäre es sicherlich sinnvoll, wenn noch vor der Legitimierung der konkreten Sprachgestalt das zunehmende Mißtrauen Heideggers gegen ein explizites ›Sprechen über…‹ in seiner grundsätzlichen philosophischen Legitimierbarkeit ausgewiesen würde.11 So sind denn auch zahlreiche Interpretationen zu Heideggers Sprache verfahren.12 Angesichts der eigentümlichen sprachlichen Verfaßtheit der Heideggerschen Philosophie bleibt aber ein derartiges Unterfangen im besten Sinne fragwürdig. Der Versuch einer solchen Legitimation, d. h. eine (sprach)philosophische Begründung der Tatsache, daß sich Heideggers Philosophie zunehmend einer idiolektal geprägten Sprache bedient, kann nämlich kaum der Frage ausweichen, wie eine Explikation des Heideggerschen Sprachdenkens in ihrer eigenen sprachlichen Darstellung interpretatorisch angemessen auf Heideggers Sprache reagieren kann. Es scheint, als ob eine solche Explikation geradezu automatisch zu einer mehr schlechten als rechten Alternative gedrängt wird, der zu entgehen die Heidegger-Interpretation von jeher Schwierigkeiten hatte: Entweder wird eine Zugehensweise, die aus Heideggers »impliziter« Sprachphilosophie einen philosophischen Aussagegehalt satz »Heideggers Rückgang zu den Griechen« von Werner Beierwaltes, der einige der wichtigsten sprachlichen Eigentümlichkeiten Heideggers nachzeichnet, «in denen bewußt oder unbewußt praktizierte Un-Philologie philosophische Entscheidungen bedingt«. (Bayer. Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Sitzungsberichte H. 1, München 1995, 15.) 10 K. O. Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 1963, 55. 11 Vgl. etwa die für den späten Heidegger typischen Eingangssätze seines Vortrags »Das Gedicht« (1968): »Über das Gedicht sprechen, das hieße: von oben her und somit von außen darüber befinden, was das Gedicht ist. Mit welcher Befugnis, aus welcher Kenntnis könnte dies geschehen? Beides fehlt.« (EH, 182.) – Für ein Modell der Legitimierbarkeit des impliziten bzw. des nicht-expliziten philosophischen Sprechens anhand der Platonischen Philosophie vgl. die mustergültige Studie von W. Wieland, »Platons Schriftkritik und die Grenzen der Mitteilbarkeit«, in: Romantik. Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik [Bd. 1], hrsg. von V. Bohn, Frankfurt a. M. 1987, 24–44; hier 39ff. 12 An solchen Arbeiten, die unmittelbar unsere Thematik berühren, sind zu nennen: T. Kwan, Die hermeneutische Phänomenologie und das tautologische Denken Heideggers, Bonn 1982; sowie C.-A. Scheier, »Die Sprache spricht. Heideggers Tautologien«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 47 (1993), 60–74.
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abstrahiert und diesen anders als im Heideggerschen Idiom, d. h. in der traditionellen Begriffssprache der Philosophie, reformuliert, sich alsbald dem (auch von Heidegger selbst gemachten) Einwand aussetzen, damit sei »ein ›unangemessenes Maß‹ für die Beurteilung eines ›ursprünglicheren Denkens‹« angelegt.13 Oder aber die Suche nach einem sprachlichen und interpretatorischen Maßstab, der dem Seins- und Sprachdenken Heideggers ›eigentlich‹ angemessen ist, führt nicht selten zu dem (auch für Heidegger selbst) unerfreulichen »Schauspiel von Leuten, die in den abgelegten Kostümen ihres philosophischen Meisters herumwandeln«.14 Gleich ob ein explikatorischer Zugang zu Heideggers (Sprach-)Denken dessen Wortlaut imitierend reproduziert oder ob er, dessen Sachgehalt refomulierend, auf sprachliche Distanz geht – in beiden Fällen wird sich ein solcher Zugang über die sprachliche Eigen- und Einzigartigkeit dieser Philosophie hinwegsetzen müssen. Das heißt nun nicht, daß Heideggers Sprache aufgrund einer hehren ›Einmaligkeit‹ sakrosankt wäre und keinesfalls einer a priori unbotmäßigen Kritik oder Vulgarisierung zum Opfer fallen dürfte. Vielmehr betrifft dies die Tatsache, daß die Heideggersche Sprache, noch bevor sie in ihrer idomatischen Faktur wahrgenommen werden kann, bereits als ein Faktum hingenommen werden muß, wenn ihre Bedeutung im weitesten Sinne unter den verschiedensten Hinsichtnahmen (philosophiegeschichtlich, aussagelogisch, ideologiekritisch, stilistisch usw.) soll expliziert werden können. Umso dringlicher erscheint uns ein Einblick in die eigentümliche Machart der Heideggerschen Sprache, als der barsche Sprachgestus, der Heidegger offensichtlich zur »Selbstprofilierung« (Gadamer) sowohl gegenüber der Geschichte der »Metaphysik« als auch gegenüber einer nachkommenden, ihn ebenso bestätigenden wie ablehnenden Interpretation diente, für mehr oder minder klare Fronten innerhalb der akademisch-philosophischen Heideggerrezeption gesorgt hat.15 Nicht nur dies: Auch und gerade Disziplinen über13
Vgl. H. Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, in: Archiv für Philosophie 4 (1952), 253–269; hier 254: »Das Verfahren der Prüfung in Zustimmung und Ablehnung ist ja bereits im voraus durch den Gegenstand der Kritik diskreditiert. Denn wohl oder übel muß sich die Kritik der ›technischen Auslegung‹ des Denkens bedienen, die von der ›Logik‹ sanktioniert ist und die etwas wie gemeinsame Forschung erst möglich macht […]. Aber Logik und Forschung sind nach Heideggers Behauptung Resultate der Seinsvergessenheit und also ein ›unangemessenes Maß‹ für die Beurteilung eines ›urspünglicheren Denkens‹.« Kuhns Heidegger-Zitate beziehen sich auf BüH, 55. 14 Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, 255. – »Man kann nicht«, so Kuhn weiter, »ohne sich lächerlich zu machen, Heideggers Bildausdrücke übernehmen, und sei es auch nur zu Besprechungszwecken.« 15 Einen anschaulichen, durch persönliche Erfahrung gewonnenen Einblick in Heideggers »Selbstprofilierung« gegenüber Aristoteles und Hegel sowie gegenüber ihm selbst gibt Hans-Georg Gadamer in seinem Nachwort zu: H.-G. Gadamer/J. Habermas, Das
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schreitend hat diese Selbstprofilierung Heideggers zu beinahe stereotypen Mustern in der Heidegger-Interpretation geführt. Denn wollte man sich für Heideggers »halbpoetische Redeversuche« 16 und für seine »Überdichtung von Dichtung«17 auf einen spezifisch philosophischen Wahrheitsgehalt berufen, der seinem Umgang mit ›interpretationsbedürftigen‹ Texten der literarischen und philosophischen Tradition innewohnt, so könnte man sich kaum der querelle mit der literaturwissenschaftlichen Heideggerrezeption entziehen, einer querelle zumal, die sich nicht gerade durch den Vermittlungswillen ihrer Kontrahenten, vor allem aber nicht durch die Vermittelbarkeit der dabei angeführten Bewertungskriterien auszeichnet: Auch wenn Heideggers Interpretationen einen eigentümlichen philosophischen Wahrheitsbegriff für sich reklamieren – gemessen an literaturwissenschaftlichen Standards bleibt die Vorgehensweise dieser Interpretationen in der Tat skandalös. »Zwischen der wissenschaftlichen Bemühung um ein verantwortbares Reden über literarische Texte und Heideggers ›Hören‹ auf diese Texte gibt es wirklich nichts Gemeinsames.«18 Ebensowenig kann aber diese – auch vom Philosophen selbst nie bestrittene19 – Inkommensurabilität seiner ›Interpretationen‹ mit der gängigen literaturwissenschaftlichen Praxis nur dazu dienen, die Heideggersche Philosophie nun im ganzen für »brüchig« zu erklären.20 Unsere Untersuchungen zur tautologischen Verfahrensweise Heideggers versuchen deshalb von vornherein, sich in methodologischer Hinsicht dem Erbe Hegels. Zwei Reden aus Anlaß des Hegel-Preises, Frankfurt a. M. 1979, hier 81ff. Ähnlich auch Gadamer, »Heidegger und die Sprache«, in: P. Kemper (Hrsg.), Martin Heidegger – Faszination und Erschrecken. Die politische Dimension einer Philosophie, Frankfurt a. M./New York 1990, 95–113; hier 102ff. – Zu Heideggers Einschätzung seiner Arbeit und deren Fortführbarkeit durch Schüler vgl. etwa seinen Brief vom 26. März 1924 an Karl Löwith: »Das Verfluchte an meiner Arbeit, die ich machen muß, ist, daß sie im Umkreis der alten Philosophie und Theologie sich zu bewegen hat, und zwar kritisch, in bestimmter Absicht auf Belanglosigkeiten wie ›Kategorien‹. Es entsteht der Schein, als sollte durch Kritik etwas dem Negierten Entsprechend Inhaltliches entgegengestellt werden. Und als sei die Arbeit etwas für Schule, Richtung, Fortführung, Ergänzung. Die Arbeit ist beschränkt einmalig und kann nur von mir gemacht werden – aus der Einmaligkeit dieser Konstellation der Bedingungen.« (Zit. in: K. Löwith, »Die Natur des Menschen und die Welt der Natur«, in: Die Frage Martin Heideggers, hrsg. von H.-G. Gadamer, Heidelberg 1969, 36–49; hier 37.) 16 Gadamer/Habermas, Das Erbe Hegels, 72. 17 Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, 255. 18 K. Weimar/C. Jermann, »›Zwiesprache‹ oder Literaturwissenschaft? Zur Revision eines faulen Friedens«, in: Neue Hefte für Philosophie 23 (1984), 113–157; hier 137. 19 Siehe etwa EH, 7. 20 Vgl. Weimar/Jermann, »›Zwiesprache‹ oder Literaturwissenschaft?«, 157: »Wie sämtliche interpretatorischen Ergebnisse Heideggers in dem Sinne ›falsch‹ sind, als die Methode ihrer ›Begründung‹ unhaltbar ist, so sind auch alle Methoden hinfällig, solange sie nur auf Heideggers brüchiger Philosophie fußen.«
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Dualismus eines klaren Für oder Wider zu entziehen: sowohl der Ablehnung der Heideggerschen Philosophie, die ausschließlich auf literaturwissenschaftlichen Standards beruht, als auch einer philosophischen Heidegger-Apologie, die mit dem Hinweis auf das eigentlich noch ausstehende, adäquate Heidegger-Verständnis zu kurz greifende Einwände der Literaturwissenschaft einfach ignorieren zu können glaubt.21 Einen ersten Ansatzpunkt mag hierfür die umsichtige – angesichts jener literaturwissenschaftlichen und philosophischen querelle durchaus voraussichtige – Bemerkung Ernst Cassirers zum gebotenen Umgang mit Heidegger liefern: »Soll hier überhaupt irgendeine Form der philosophischen ›Auseinandersetzung‹ möglich und soll sie in irgendeinem Sinne f r u c h t b a r sein, so muß der Kritiker sich entschließen, sich auf den von Heidegger gewählten Boden zu stellen. Ob er auf ihm verh a r r e n kann, ist eine Frage, die erst durch die Erörterung selbst zu entscheiden ist – aber begeben muß er sich auf ihn, wofern nicht die Kritik in bloßer Polemik und in ein ständiges Aneinandervorbeireden ausarten soll.«22 – Auf unsere Untersuchungen zur sprachlichen Verfahrensweise Heideggers übertragen, soll das heißen: Philosophische Sachverhalte werden hier von uns nur insoweit herangezogen und nachgezeichnet, als in ihnen Heideggers Frage nach dem angemessenen »Wort« für sein Seinsdenken thematisch wird. Die von Heidegger dabei gewonnene philosophische Einsicht, daß ein explikatives Reden über bzw. gegen ›die‹ Sprache der »Metaphysik« in einem zirkulären Regreß wiederum zu einer Sprache der Metaphysik führe und daß dagegen der Vollzug einer anderen als metaphysischen Sprache aufzubringen sei, dient uns als Ausgangspunkt dafür, daß dann in einer Art Distanznahme vom ›expliziten‹ philosophischen Gehalt der Heideggerschen Texte mit der Beschreibung von Heideggers sprachlichem Vollzug philologisch Ernst gemacht werden kann. Eben diese Distanznahme, die unsere Untersuchungen von der philosophischen Motivation des Heideggerschen Sprachvollzuges weg und hin zur dessen philologischer Beschreibung führen soll, bestimmt nun die Art und Weise unseres Umgangs mit Heideggers sprachlicher und denkerischer Absolutheitspose. Damit versuchen wir nämlich einerseits, eine Art interpretatorischer ›Gelassenheit‹ gegenüber Heidegger zu praktizieren: dessen tau21
Vgl. etwa O. Pöggeler, Heidegger und die hermeneutische Philosophie, Freiburg/München 1983, 197: »Nicht ohne Bestürzung sieht man, daß etwa Literaturwissenschaftler […] mit Heideggers Fortentwicklung seiner Grundfrage überhaupt nichts mehr anzufangen wissen. Jene ›Kritik‹ freilich, die sich unter dem Namen Heidegger einen Popanz aufbaut, um auf ihn zu schlagen, kommt nicht zur Ruhe; es scheint eine tiefes Bedürfnis nach solchem Tun zu bestehen, nur sagt dieses Tun nichts über die Aufgabe, vor die Heidegger sich gestellt sah.« 22 E. Cassirer, »Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation«, in: Kant-Studien 36 (1931), 1–26; hier 4.
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tologischen Sprachgestus in erster Linie nicht auf ›dahinter‹ stehende philosophische Sachverhalte hin zu explizieren. Vielmehr liegt es ja in der Absicht unseres Vergleiches von Heidegger mit Jakobson, daß wir Heideggers ›dialogverweigernden‹ Sprachgestus als das Resultat einer sprachlichen Verfahrensweise verstehen wollen, die zwar philosophisch motiviert, die aber zugleich als Verfahrensweise systematisch eingesetzt – und insofern beschreibbar und vergleichbar – ist.23 Andererseits aber führt uns diese Distanznahme von philosophischen Sachverhalten nicht einfach weg von Heideggers ›Philosophie‹ und hin zu einer Bestandsaufnahme, die dem dort »eigentlich« Gedachten bewußt äußerlich bleiben will, um auf dessen (un)philologische Voraussetzungen pochen zu können. Dies hieße ja nur, die Heideggersche Pejoration von »philologisch« selbst noch in deren Negation anzuerkennen und eine vorab gesicherte Disjunktion von Inhalt und Form zugunsten der letzteren umzukehren. Unsere vorwiegende Aufmerksamkeit auf Heideggers Verfahrensweise bietet aber die Möglichkeit, seinen Sprachgestus gerade nicht nur als die (mehr oder minder) gelungene figurative Sprachform für einen philosophischen Gedanken zu verstehen, welcher von dieser abgehoben werden kann. Sondern sie erkennt in Heideggers Verfahrensweise auch und vor allem eine Sprachform an, in die der philosophische Gedanke »sich gleichsam hineinbaut«,24 in und mit der er sich vollzieht. Wenn aber dieser Sprachvollzug wie bei kaum einem anderen Œuvre der philosophischen Tradition eine schwer zu trennende, gar eine spezifische Einheit von Form und Inhalt kreiert, dann hat dies wiederum Konsequenzen für die Art der Bedeutungskonstitution in den Heideggerschen Texten. Dieser Sprachvollzug, der insbesondere in den Texten des späten Heidegger zu Tage tritt, ist nämlich, wie zu zeigen sein wird, nicht so sehr an die Ebene der lexikalischen Bedeutungen als vielmehr an diejenige der grammatischen Formen gebunden: Wenn Heidegger der (durchaus nicht so neuartigen) Ansicht war, »daß wir über die Sprache der Metaphysik deshalb nicht hinauskommen, weil die Grammatik unserer Sprachen unser Denken an die Metaphysik bindet«,25 dann scheint diese Ansicht von Anfang an und bei 23
Von daher ist im folgenden auch keine extensive Diskussion der immensen Heidegger-Literatur zu erwarten, die auch da, wo sie sich auf Heideggers Sprache einläßt, primär an den einschlägigen, philosophisch sachhaltigen Problemen interessiert ist. Dieser ›Mangel‹ unseres Heidegger-Kapitels entspringt nicht irgendeiner Geringschätzung dieser Sekundärliteratur, sondern ist mit Ausdruck einer methodischen Notwendigkeit unserer Umgangsweise mit Heidegger: der Beschreibung von Heideggers sprachlicher Verfahrensweise. 24 W. von Humboldt, Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, in: GS VII, 1–344; hier 80. 25 Gadamer/Habermas, Das Erbe Hegels, 71.
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allen Wandlungen seines Seinsdenkens ein durchgängiges Motiv seiner Philosophie zu sein. Um vorläufig nur zwei der prominentesten Texte Heideggers anzuführen: »Mit Rücksicht auf das Ungefüge und ›Unschöne‹ des Ausdrucks innerhalb der folgenden Analysen darf die Bemerkung angefügt werden: ein anderes ist es, über Seiendes erzählend zu berichten, ein anderes, Seiendes in seinem S e i n zu fassen. Für die letztgenannte Aufgabe fehlen nicht nur meist die Worte, sondern vor allem die ›Grammatik‹.«26 – »›Subjekt‹ und ›Objekt‹ [sind] ungemäße Titel der Metaphysik, die sich in der Gestalt der abendländischen ›Logik‹ und ›Grammatik‹ frühzeitig der Interpretation der Sprache bemächtigt haben. Was sich in diesem Vorgang verbirgt, vermögen wir heute nur erst zu ahnen. Die Befreiung der Sprache aus der Grammatik in ein ursprünglicheres Wesensgefüge ist dem Denken und Dichten aufbehalten.«27 Wenn aber diese Ansicht je später, desto intensiver Heideggers sprachlichen Vollzug bestimmt, dann wird eine Kernfrage unserer Untersuchungen sein, wie Heidegger selbst diesen ›metaphysischen Zwang‹ der Grammatik bzw. diesen ›Fehl‹ eines »ursprünglicheren Wesensgefüges« in seiner späten Philosophie sprachlich bewältigt. – Aber schon die Sprachgebung in »Sein und Zeit« läßt diese sprachpraktische Bewältigung des »metaphysischen« Charakters der Grammatik erahnen: »Nehmen wir die Sprache von ›Sein und Zeit‹, und zwar, noch vor der auffallenden Bildlichkeit, die pure Grammatik der begrifflichen Diktion. Was sofort auffällt, ist die Vorliebe für Infinitive von Zeitwörtern in der Rolle von Hauptwörtern: das In-der-Welt-sein, das Geworfensein, Miteinandersein, Zuhandensein, Sich-Vorwegsein, Vorlaufen zum Tode… Überwiegend sind es Zusammensetzungen mit dem Infinitiv ›Sein‹. Die ›Zeit‹ des Buchtitels wird im Text zu ›Zeitlichkeit‹ und ›Zeitigung‹, und statt Vergangenheit und Zukunft heißt es ›Gewesenheit‹ und ›Zukünftigkeit‹. All das sind nicht Gegenstandsbegriffe, sondern Geschehens- und Vollzugsbegriffe: Sie bezeichnen nicht Sachen, sondern Weisen zu sein; das Substanzmodell verschwindet, alles ist sozusagen ›im Gange‹, und was vorher ›Subjekt‹ hieß, heißt jetzt ›Dasein‹.«28
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SZ, 39. – Siehe auch ebd., 165 f. BüH, 54. 28 H. Jonas, Philosophie. Rückschau und Vorschau am Ende des Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1993, 15f. – Bereits eine (nicht weiter ausgeführte) Bemerkung Karl Löwiths innerhalb seines Vergleichs von »Sein und Zeit« mit Franz Rosenzweigs »Der Stern der Erlösung« verweist darauf, daß sich der Verlaufs- und Vollzugscharakter, der die Sprachgebung von »Sein und Zeit« prägt, von einem grammatischen Sprachdenken herschreibt: »Das Denken, sagt Rosenzweig, muß zum ›Sprachdenken‹ werden, weil nur das Sprechen zeit-gemäß ist, wogegen das Denken als solches von der Zeit des Gesprächs – des Redens, Schweigens und Hörens – der Absicht nach abstrahiert. Das sprachlich geleitete Denken ist kein bloß logisches, sondern ein ›grammatisches‹ Denken, und nur dieses sprachlich 27
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Wenn nun Heideggers Sprache von »Sein und Zeit« auf ihrer grammatischen Ebene zwar erst ansatzweise, doch aber schon stillschweigend eine Dimension aufweist, die dann für den Sprachvollzug und die Bedeutungskonstitution in den späten Texten bestimmend wird, so liegt dabei die Vermutung nahe, daß diese grammatische Dimension von Heideggers Sprachvollzug in seinem Denken noch vor »Sein und Zeit« wurzelt: in seiner Beschäftigung mit dem Problem einer genuin grammatischen Bedeutsamkeit im Rahmen der Habilitationsschrift.29 Mit dieser Möglichkeit einer Rückbindung von Heideggers sprachlicher Verfahrensweise an das Problem der grammatischen Bedeutungsfunktionen kann unsere Art der Lektüre von Heideggers späten Texten sozusagen werkimmanent beleuchtet werden – gebundene Denken nimmt die Zeit in den Formen des Logos ernst. Ein solches grammatisches Denken kennzeichnet Rosenzweigs Stern und auch Heideggers Sein und Zeit, dessen revolutionäre Neuerung vorzüglich darin besteht, daß es die in der alltäglichen Rede eingeschlossenen Zeitworte […] zu philosophischen Termini ausprägt.« (K. Löwith, »M. Heidegger und F. Rosenzweig. Ein Nachtrag zu Sein und Zeit«, in: ders., Heidegger – Denker in dürftiger Zeit. Zur Stellung der Philosophie im 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1984, 72–101; hier 76f.) 29 Vgl. KuB. – Im Anschluß an Löwiths Überlegungen (vgl. Anm. 28) ist R. Schaefflers Bemerkung als einer der wenigen Hinweise aufschlußreich, inwiefern gerade Heideggers frühe Beschäftigung mit der mittelalterlichen Grammatica speculativa als ein sachhaltiges Motiv für sein späteres Sprachdenken verstanden werden kann: »Und es scheint, dieses erkenntnisleitende Interesse [an der mittelalterlichen Sprachphilosophie] kann in folgender Weise beschrieben werden: Gegen die Anonymität einer Logik, deren Gesetze rein abstrakt, ohne jede Beziehung auf ein konkretes Subjekt und dessen Lebenssituation formuliert werden, wandte man sich hier den Strukturgesetzen der Sprache zu, die stets zugleich die konkrete Ortsbestimmung eines Sprechers im Geflecht intersubjektiver Beziehungen widerspiegelt. Nicht ein anonymes ›Ich denke‹ im Verhältnis zur ‹Gemeinschaft aller Vernunftsubjekte›, sondern ein konkreter Sprecher als Mitglied einer konkreten historischen Sprachgemeinschaft steht im Blick, wenn man anstelle einer transzendentalen Logik (einer Untersuchung der logischen Bedingungen für den Gegenstandsbezug des Denkens) eine spekulative Grammatik unternimmt. […] Für Heidegger […] ergab sich daraus eine Erweiterung des Begriffes vom ›Denken‹. Denken erschöpft sich nicht in der Befähigung zur Gegenstandserkenntnis, wie sie im Aussagesatz zum Ausdruck kommt. Denken ist allererst Entsprechen, in eine Wechselbeziehung eintreten, einen Gruß erwidern, einem Anspruch entsprechen oder auch widersprechen. ›Im Gedanc als dem ursprünglichen Gedächtnis waltet schon jenes Gedenken, das sein Gedachtes dem zuDenkenden verdankt [sic! Im originalen Wortlaut: ›zu-denkt‹], der Dank.‹ [WhD, 94.] Bis in Heideggers Spätzeit hinein hat die Befassung mit einer spekulativen Grammatik ihm das Auge dafür geöffnet, daß die Frage nach dem Sein, nach der Bedingung für die Begegnung mit Gegenständen, nicht ohne Zusammenhang mit der Frage behandelt werden kann, was der Mensch in seinem Sprechen ›zur Sprache bringen‹ soll: einbringen soll in jenes Verhältnis von Anspruch und Entsprechung, von Gruß, Dank und Andenken.« (R. Schaeffler, »Heidegger und die Theologie«, in: Heidegger und die praktische Philosophie, hrsg. von A. Gethmann-Seifert u.a., Frankfurt a. M. 1988, 286–309; hier 295ff.) – Der dem Titel nach vielversprechende Aufsatz von J. Caputo, »Phenomenology, Mysticism and the ›Gramma-
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und d. h. nicht zuletzt: eine Lektüre, die über eine Bestandsaufnahme von einzelnen stilistischen Eigenheiten Heideggers hinausgelangen will.30 Wenn wir uns hierbei auf Heideggers tautologische Formen konzentrieren, dann hat dies, ungeachtet einer ohnehin notwendigen Beschränkung, vornehmlich systematische Gründe, die auch unseren Umgang mit Heidegger wesentlich bestimmen: Heideggers In-Frage-Stellung des tautologischen Satzes der Identität ›A ist A‹ entspricht bei seinem sprachlichen Vollzug die Aushebelung von lexikalischen Identitäten – so wenn er etwa die geläufige intrasprachliche Identität der Lexeme »das Selbe« und »das Identische« oder die geläufige intersprachliche Identität des griechischen »λθεια« mit dem deutschen »Wahrheit« untergräbt. Mit Hilfe einer derartigen intra- und intersprachlichen ›Übersetzungsverweigerung‹ schafft sich Heidegger einen Idiolekt, der offensichtlich anderen als den herkömmlichen lexikalischen Identitäten den Vorzug gibt.31 Um also die sprachliche Verfahrensweise des späten Heidegger genauer kennzeichnen zu können, wollen wir in einem ersten, vorbereitenden Schritt die philosophische Motivation jener Entsprechung ein Stück weit verfolgen und dabei nachzeichnen, inwiefern Heideggers Destruktion der prädikativen Satzform am Modell des tautologischen Identitätssatzes als ein systematischer Ansatzpunkt für seine Etablierung des »Wortes« als Namen (nomen) begriffen werden kann und inwiefern Heidegger damit der herkömmlichen lexikalischen Repräsentationsleistung der Sprache ihre Grenzen weist.32
tica speculativa‹: A Study of Heidegger’s ›Habilitationsschrift‹« (in: Journal of the British Society for Phenomenology 2 [1974], 101–117) beläßt es bei dem allzu summarischen Schlagwort des »Mystischen«, das eine Verbindung zwischen Heideggers Habilitationsschrift und seinem späten Denken erlaube. Zu Heidegger und der Mystik, speziell derjenigen Meister Eckharts, einläßlicher und differenzierter: Beierwaltes, »Heideggers Gelassenheit«, in: Amicus Plato magis amica veritas (FS Wolfgang Wieland), hrsg. von R. Enskat, Berlin/New York 1998, 1–35. 30 Vgl. im Gegensatz dazu E. Schöfer, Die Sprache Heideggers, Pfullingen 1962. Schöfer widmet dem bis zum damaligen Zeitpunkt erschienenen Werk Heideggers eine eher aufzählend verfahrende, linguistische Untersuchung. Soweit wir sehen, stellt Schöfers Buch bis heute die einzige umfangreichere Bestandsaufnahme der Heideggerschen Sprache aus linguistisch-philologischer Sicht dar. 31 Man denke etwa an Heideggers »Lichtung« bzw. »Unverborgenheit« anstatt der üblichen »Wahrheit« für das griechische λθεια oder an seine intrasprachliche ›Übersetzung‹ von »Sprache« als »Zeige« bzw. als »Lege«. – Näheres dazu unten im Abschnitt »Wörtliches Übersetzen« (123ff.). 32 Für Heideggers Begriff der Destruktion vgl. etwa SZ, 22ff. und BüH, 97f. – Zur (text)geschichtlichen Genese von Heideggers Wendung zum ›Namen‹, die den Beginn seiner genuinen ›Theorie der Sprache‹ markiert, vgl. die erhellende Darstellung von D. Thomä, Die Zeit des Selbst und die Zeit danach. Zur Kritik der Textgeschichte Martin Heideggers 1910–1976, Frankfurt a. M. 1990, v. a. 659ff.
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Oblgleich unser erster Schritt mitunter den Charakter einer Explikation von philosophischen Sachverhalten aufweist, machen wir uns schon hier, im Vorausblick auf Heideggers Begrenzung des herkömmlichen sprachlichen Repräsentierens, eine programmatische Bemerkung zu den ›Rezeptionsbedingungen‹ zu eigen, welche Heidegger für einen seiner Vorträge geltend macht: »Darum ist es ratsam, im folgenden auf den Weg zu achten, weniger auf den Inhalt.«33 Mit anderen Worten: Insofern es Ziel unserer Analysen ist, Heideggers sukzessive Transformation des herkömmlichen Sprachgebrauchs in sein tautologisches Idiom zu beschreiben, richtet sich unser hauptsächliches Augenmerk auf dieses transformatorische Verfahren selbst – nicht so sehr auf Heideggers Thematisierung des Sprachproblems als vielmehr auf den Verlauf von dessen darstellerischer Realisierung.
33
ID, 13.
1. DAS »W ORT «
UND DIE TAUTOLOGISCHE
SATZFORM
Zu Beginn seines 1957 gehaltenen und publizierten Vortrags »Der Satz der Identiät« kündigt Heidegger das Vorhaben an, dem Satz der Identität, der »als das oberste Denkgesetz [gilt]« und der sich in der Tautologie »A =A« formalisieren läßt, »für eine Weile nachzudenken«, um durch ihn zu »erfahren, was Identität ist«.34 Überblickt man jedoch den Vortrag als ganzen, dann ist gerade nicht eine washeitliche Begriffsbestimmung der Identität das tatsächlich angestrebte Ziel von Heideggers Unterfangen: In seinem Verlauf ist Heideggers Vortrag von einer Diskrepanz zwischen dem anfangs bekundeten, offensichtlich konzeptuellen Anspruch an die tautologische Satzform und der ausbleibenden Einlösung dieses Anspruchs gekennzeichnet.35 Diese Diskrepanz verdankt sich zunächst dem spezifischen Umstand, daß sich die tautologische Satzform jenem Anspruch Heideggers nicht fügt, insofern nämlich aus der kaum explikativ zu nennenden tautologischen Satzform keine washeitliche Bestimmung für den befragten Sachverhalt der Identität – oder »wenigstens nicht unmittelbar« – herausgelesen werden kann: »Sagt der Satz der Identität etwas über die Identität aus? Nein, wenigstens nicht unmittelbar. Das Satz setzt vielmehr schon voraus, was Identität heißt und wohin sie gehört.«36 Für Heidegger bleibt aber der Anspruch, den tautologischen Identitätssatz auf einen washeitlichen Gehalt hin befragen zu können, seinerseits fraglich, und dies vor allem, weil mit dem explikativ-begrifflichen Ansatz der ›Was ist?‹-Frage ein metasprachlicher Charakter verbunden ist, welcher von vornherein den jeweils befragten ›Gegenständen‹ äußerlich bleibe: »›Was ist Metaphysik?‹ – Die Frage weckt die Erwartung, es werde über die Metaphysik geredet. Wir verzichten darauf. Statt dessen erörtern wir eine bestimmte metaphysische Frage. Dadurch lassen wir uns, wie es scheint, unmittelbar in die Metaphysik versetzen.«37 – »Wenn wir fragen: Was ist das – die Philosophie?, dann sprechen wir über die Philosophie. Indem wir auf diese Weise fragen, bleiben wir offenbar auf einem Standort oberhalb und d. h. außerhalb der Philosophie. Aber das Ziel unserer Frage ist, in die Pilosophie hineinzukommen, in ihr uns aufzuhalten […].«38
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ID, 13. Diese Diskrepanz im Vortragsverlauf nimmt Heidegger bereits mit einer Bemerkung vorweg, die unmittelbar auf die Bekundung seines Vorhabens folgt: »Wenn das Denken, von einer Sache angesprochen, dieser nachgeht, kann es sein, daß es sich unterwegs wandelt.« (ID, 13.) 36 ID, 16. 37 WiM, 22. 38 WiP, 8. – Siehe auch oben, Anm. 11. 35
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Ihrer philosophischen Motivation nach kann diese Verfahrensweise Heideggers, die ›Was ist?‹-Frage aufzuwerfen und dabei die an sie geknüpften Erwartungen ihrer explikativen Funktion zu enttäuschen, als eine (in seinem Sinne) phänomenologische verstanden werden: »Der Ausdruck ›Phänomenologie‹ bedeutet primär einen Methodenbegriff. Er charakterisiert nicht das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das Wie dieser. Je echter ein Methodenbegriff sich auswirkt und je umfassender er den grundsätzlichen Duktus einer Wissenschaft bestimmt, umso ursprünglicher ist er in der Auseinandersetzung mit den Sachen selbst verwurzelt, umso weiter entfernt er sich von dem, was wir einen theoretischen Handgriff nennen, deren es auch in den theoretischen Disziplinen viele gibt. Der Titel ›Phänomenologie‹ drückt eine Maxime aus, die also formuliert werden kann: ›zu den Sachen selbst!‹ […].«39 Indem aber Heidegger die explikativ-begriffliche Funktion jener Fragestellung nicht einfach als unzureichend für sein ›phänomenologisches‹ Unterfangen zurückweist, sondern diese ›Was ist‹-Frage (gar als Titel von mehreren Publikationen) weiterhin beibehält,40 wird dieser »grundsätzliche« phänomenologische »Duktus« Heideggers in seiner darstellerischen Realisierung zweideutig: Wenn Heidegger mit dem neuerlichen Aufwurf dieser so traditionell lautenden Frage in einen anderen als explikativen Modus des Fra-
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SZ, 27. – Dem schließt sich Heideggers bekannte Expostition des Vorbegriffs ›Phänomenologie‹ anhand der beiden »Bestandstücke: Phänomen und Logos« (SZ, 28) an. Bereits dieser sprachliche Rückgriff auf das griechische λóγος, den Heidegger als πóφανσις bzw. als (τò) ποφαíνεσθαι (›sehen lassen‹) interpretiert (vgl. SZ, 32ff.), führt Heidegger zu der tautologischen Formulierung: »Der Ausdruck Phänomenologie läßt sich griechisch [!] formulieren: λéγειν τà φαινóµενα; λéγειν besagt aber ποφαíνεσθαι. Phänomenologie sagt dann: ποφαíνεσθαι τà φαινóµενα: Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen. Das ist der formale Sinn der Forschung, die sich den Namen Phänomenologie gibt. So kommt aber nichts anderes zum Ausdruck als die oben formulierte Maxime: ›Zu den Sachen selbst!‹« (SZ, 34. Hervorh. von mir.) – Gerade in dieser tautologisch formulierten Erklärung der Phänomenologie zeigt sich ein sachhaltiges ›Was‹ des zu Erklärenden fast vollständig zurückgedrängt; ja, durch die tautologische griechische (Re-)Formulierung von »Phänomenologie« als »ποφαíνεσθαι τà φαινóµενα« koinzidieren geradezu Erklärung und zu Erklärendes: »›Phänomenologie‹ nennt weder den Gegenstand ihrer Forschungen, noch charakterisiert der Titel deren Sachhaltigkeit.« (SZ, 34.) Bereits hier versucht also Heidegger ansatzweise, sein philosophisches (phänomenologisches) Unterfangen im sprachlichen Verfahren selbst zu verankern, und zwar nicht so sehr dadurch, daß von einer metasprachlichen Ebene aus eine regelrecht sachhaltige Begriffsklärung erfolgt, als vielmehr dadurch, daß Heideggers sprachlicher Umgang mit dem Wort »Phänomenologie« selbst von phänomenologischer Art ist: »Das Wort [›Phänomenologie‹] gibt nur Aufschluß über das Wie der Aufweisung und Behandlungsart dessen, w a s in dieser Wissenschaft abgehandelt werden soll.« (SZ, 34f. Kursive Hervorh. von mir.) 40 Siehe auch WiM, 39: »Die Frage ›Was ist Metaphysik?‹ bleibt eine Frage.«
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gens überzugehen versucht, dann gehört es für ihn zum »Wesen solcher Übergänge […], daß sie in gewissen Grenzen noch die Sprache dessen sprechen müssen, was sie überwinden helfen«.41 Zielt nun Heideggers ›Was ist‹-Frage auf den Sachverhalt der »Identität selber«,42 so rückt Heidegger mit dieser Frage zunächst das Wechselverhältnis zwischen dem sachhaltigen ›Was‹ einiger Identitätskonzepte und dem ›Wie‹ ihrer sprachlichen Darstellbarkeit in den Blickpunkt: Die sprachliche Gestalt des Satzes »A = A« drückt eine Gleichung zweier Glieder aus und steht somit in einem disparaten Verhältnis zum ›projektierten‹ Sachverhalt der Identität; das Selbe (τατó) wird in der Tauto-logie »A = A« als einer Identitätsaussage durch den Sprachzusammenhang geradezu verfehlt: »Wenn einer immerfort dasselbe sagt, z. B.: die Pflanze ist Pflanze, spricht er in einer Tautologie. Damit etwas das Selbe sein kann, genügt jeweils eines. Es bedarf nicht ihrer zwei wie bei der Gleichheit. Die Formel A = A spricht von Gleichheit. Sie nennt A nicht als dasselbe. Die geläufige Formel für den Satz der Identität verdeckt somit gerade das, was der Satz sagen möchte: A ist A, d. h. jedes A ist selber dasselbe.«43 Als Ausdruck einer Gleichung verhindert also die tautologische Satzform »A = A« bereits von der Sprachform her eine unmittelbare Abbildung der Selbstidentität von »A«; sie entfaltet mit ihrem sprachlichen Gefüge in zweifacher Hinsicht eine Differenz: zunächst aufgrund des zweimals genannten »A« eine numerische, aus der wiederum eine Differenz zwischen der gesamten Aussage und dem eigentlich anvisierten Aussagegehalt resultiert. Daß und wie gegenüber diesem unvermittelten und formal-sprachlich unvermittelbaren Begriff von Selbstidentität überhaupt noch eine sprachliche Vermittelbarkeit des Identitätsbegriffes in der tautologischen Satzform philosophisch gehalten werden kann, sieht Heidegger im Platonischen »Sophistes« präformiert: Die Passage »καστον ατò δ ατ τατóν«44 – Heidegger übersetzt »Mit ihm selbst ist jedes […] selber dasselbe«45 – gilt ihm als erster Anklang an die Vermittlung des Identischen mit sich selbst, an die »Vermittelung innerhalb der Identität«.46 Das nun »in sich synthetische[…] Wesen der Identität«47 beinhaltet notwendig ein Moment der Differenz, so daß sich die Einheit der Identität nicht mehr als ein atomistisches, beziehungslos in sich selbst verharrendes ν – in der Heideggerschen Nomenkla41
Ebd. ID, 18. 43 ID, 14. – Zu Heideggers kryptischer Hegel-Anspielung anhand des Beispielssatzes »Die Pflanze ist Pflanze« vgl. oben, 80f. 44 254d 14f. – Vgl. dazu oben, 30f. 45 ID, 15. 46 ID, 15. 47 ID, 16. 42
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tur: »als das bloße Einerlei«48 –, sondern als eine in sich und mit sich selbst vermittelte ausnimmt. Gleichsam der Preis für den Doppelaspekt dieser Vermittlung – einerseits die Vermitteltheit des Identischen mit sich selbst, andererseits die sprachliche Vermittelbarkeit dieses Konzepts in der tautologischen Satzform – ist die nunmehr abstrakte Vorstellung, die ›Konzeptualität‹ der Identität; von Heidegger wird dies durch Anführungszeichen bei der Formel angedeutet: »Auch in der verbesserten Formel ›A ist A‹ kommt allein die abstrakte Identität zum Vorschein.«49 Zwar kann nun die prädikative Satzform »der verbesserten Formel« das modifizierte Identitätskonzept adäquat vermitteln, da hier Subjekt und Prädikat die beiden differenten und zugleich als identisch aufeinander bezogenen Momente abgeben. Jedoch bleibt auch diesem Identitätskonzept die Möglichkeit seiner unmittelbaren Verbalisierung insofern versagt, als die Satzform nur die approximativ verbalisierte oder verschriftlichte Anzeige eines metaphysischen Prinzips darstellt: Insofern in der prädikativen Satzform »A ist A« das Subjekt und das Prädikat distinkt auseinandergehalten und als identische miteinander vermittelt sind, ist der gesamte Satz nicht unmittelbar das, was er seinem philosophischen Inhalt nach zu meinen intendiert – die je schon vorgängige Einheit von Subjekt und Prädikat. Jene beiden Aspekte der tautologischen Satzform koinzidieren für Heidegger darin, daß das sachhaltige ›Was‹ der Identität im Sinne der »Identität selber« jeweils durch den Sprachzusammenhang verstellt wird und ungesagt bleibt: Scheitert im Falle der Gleichung »A = A« eine unmittelbare Nachbildung der Selbstidentität eines ausgesagten »A« bereits am sprachlichen Gefüge, so gibt die zwischen Subjekt und Prädikat vermittelnde tautologische Prädikation »A ist A« von vornherein das ›mimetische Vermögen‹ der Sprache preis und gerät damit zum sekundären Zeichen für ein Identitätskonzept, welches vor allem Sprachzusammenhang – auch in der Art seiner Explizierbarkeit – bereits vorausgesetzt ist. Mit diesem Bezug eines sachhaltigen ›Was‹ der Identität aufs ›Wie‹ seiner Versprachlichung bewegt sich Heidegger durchaus noch im Horizont der Platonischen oder der Hegelschen Fragestellung, mithin innerhalb der Grenzen dessen, was Heidegger als die »Metaphysik« zu überwinden hofft. Diktiert ist diese Bewegung innerhalb der »Metaphysik« zunächst von der faktischen Übermacht einer über zweitausendjährigen Philosophiegeschichte, welche Heidegger einen abrupten Ausstieg aus ihrem Denkhorizont verwehrt: »Niemand kann sich aus dem herrschenden Vorstellungskreis mit einem Sprung heraussetzen, vor allem dann nicht, wenn es sich um die seit 48 49
ID, 16. ID, 16.
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langem eingefahrenen Bahnen des bisherigen Denkens handelt […].«50 »Dergleichen zu wollen, wäre eine kindische Anmaßung und eine Herabsetzung der Geschichte«.51 Doch nicht nur dies: Eine nur destruktive und nostalgische Reversion geschichtlich geprägter Denkformen der abendländischen Metaphysik auf einen chronologisch zu datierenden, vor-metaphysischen Ursprung hin ist für Heidegger vor allem deshalb nicht möglich, weil sich ihm alle Epochen der europäischen Philosophie jeweils als verschiedene und notwendige Modi einer ποχ zeigen, als das jeweilige »An-sich-halten« des Seins selbst »zugunsten [seiner] Vernehmbarkeit« und »Anwesenheit« als Sein des Seienden.52 So betont Heidegger immer wieder – und ganz offensichtlich in einer mutwilligen Verzerrung dessen, was man eine sachgemäße Geschichte der Metaphysik nennen könnte – eine durchgängige Struktur in der abendländischen Philosophie: Die Geschichte des sich entziehenden Seins bzw. das »Geschick von Sein« manifestiert sich für ihn zunächst in einer Geschichte der Verdeckung dieses Seins-Entzuges.53 Bewerkstelligt wird dieser eigenwillige Blick Heideggers auf die Tradition durch eine gewisse Distanznahme, durch einen »Schritt zurück«54 vom »bisher Gedachten«, um »das Ganze dieser Geschichte« – und damit deren Grenzen – zu »erblicken«.55 Mit dieser Distanznahme scheint aber Heidegger weder die Vollendung von noch nicht zu Ende gedachten Sachproblemen der Tradition noch ein vollkommen neues Denken gegenüber einem erratischen Block ›der‹ Metaphysik zu verfolgen. Den »Schritt zurück« vom »bisher Gedachten« vollziehen Heideggers Texte vielmehr in Form einer Freilegung jener ποχαí des »Seins« – und d. h. zunächst und vor allem: in Form des »Abbaus« der sprachlichen »Verdeckungen« jenes Seins-Entzuges.56 So erfüllt auch Heideggers Betrachtung des Wechselverhältnisses zwischen einem sachhaltigen ›Was‹ der Identität und dem ›Wie‹ ihrer sprachlichen Darstellbarkeit wohl kaum den Zweck einer philosophiegeschichtlich sachgemäßen Rekapitulation, namentlich denjenigen, eine Konzeptgeschichte der Identität zumindest in groben Zügen zu exponieren und sich dabei ihrer »durch Aufweis und Nachweis«57 zu vergewissern. Dies bezeugt allein schon
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UzSp, 130. UzSp, 109. 52 ZSD, 9; ähnlich auch Hw, 333. 53 Vgl. dazu ID, 51f. ZSD, 63f. 54 ID, 47. 55 ID, 46. 56 ZSD, 9. – Weiteres zum »Schritt zurück« siehe unten, 120 f. 57 K. Löwith, »Heideggers ›Kehre‹«, in: Neue Rundschau 4 (1951), 48–79; hier 50. (Mit geringfügigen Änderungen wieder abgedruckt unter dem Titel »Zu sich selbst entschlossenes Dasein und sich selber gebendes Sein«, in: Heidegger – Denker in dürftiger Zeit [= Anm. 28], 124–234; hier 125ff.) 51
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der berechtigte Zweifel an der sachlichen Angemessenheit von Heideggers ›Rekapitulation‹, die, zwar mit apodiktischer Gewißheit vorgetragen, doch bloß »verrätselte Hinweise«58 auf gewichtige, mit der »Metaphysik« konnotierte Namen gibt.59 Offenbar dient dieser in seiner Sachhaltigkeit fragliche, ja unsachgemäße Durchgang durch die »Metaphysik« Heidegger vielmehr dazu, seine mit einem Konzeptualisierungsanspruch verbundene anfängliche Frage an den Satz der Identität – in Frage zu stellen. Indem nämlich Heidegger entgegen dem explikatorischen Ansatz der ›Was ist‹-Frage auf dem nichtexplikatorischen Charakter des Identitätssatzes insistiert, sucht er die tautologische Satzform einem philosophischen Konzeptualisierungsanspruch zu entziehen: Darin, daß die tautologische Satzform auf einen konzeptuellen Anspruch an sie keine unmittelbare Antwort gibt und insofern sprachlich versagt, erblickt Heidegger die ausgezeichnete Möglichkeit, daß der Identitätssatz in seiner diskrepanten Antwort auf die ›Was ist‹-Frage gerade das verschweigt, was als (noch) Ungesagtes in ihm verborgen liegt. Wenn Heidegger also auf diese Möglichkeit ausgeht, dann vermag er aber dem im Identitätssatz Verborgenen und Ungesagten nicht zu einer sprachlichen Klarheit zu verhelfen. Vielmehr bleibt jene Möglichkeit in sich zweideutig, insofern die in der tautologischen Satzform vorherrschende Diskrepanz zwischen dem, was durch sie dargestellt werden soll, und dem, wie dies 58
Ebd. Vgl. ID, 15f.: »Bis jedoch die in der Identität waltende, frühzeitig [bei Platon] schon anklingende Beziehung desselben mit ihm selbst als diese Vermittelung entschieden und geprägt zum Vorschein kommt, bis gar eine Unterkunft gefunden wird für dieses Hervorscheinen der Vermittelung innerhalb der Identität, braucht das abendländische Denken mehr denn zweitausend Jahre. Denn erst die Philosophie des spekulativen Idealismus stiftet, vorbereitet von Leibniz und Kant, durch Fichte, Schelling und Hegel dem in sich synthetischen Wesen der Identität eine Unterkunft.« – Zur sachlichen Fragwürdigkeit von Heideggers Konstruktion der »Metaphysik« und ihrer Geschichte vor dem Hintergrund einer Konzeptgeschichte von Identität und Differenz vgl. etwa Beierwaltes, Identität und Differenz, 131ff. – Daß diese Hinweise Heideggers auf die Geschichte der »Metaphysik« eine kalkulierte Verrätselung darstellen, erhellt die erst 1994 unter dem Titel »Grundsätze des Denkens« erschienene Reihe von fünf Vorträgen (vgl. BuFV, 81–175), deren dritter der Vortrag »Der Satz der Identität« ist: In seiner 1957 publizierten Form gibt dieser Vortrag keinerlei Hinweis auf seinen ursprünglichen Kontext, verschweigt also auch seinen Bezug auf die extensivere Behandlung etwa von Fichte und Hegel in den ersten beiden Vorträgen. Ein ähnliches publikationstechnisches Verfahren der Verschleierung läßt sich im Falle von Heideggers vieldiskutierten Vorträgen »Die Frage nach der Technik« und »Das Ding« beobachten: Die Erstpublikation beider Vorträge (in Buchform) im Jahr 1954 (vgl. VA, 13ff. bzw. 163ff.) verschweigt, daß es sich hierbei um die erweiterten Fassungen von zwei Vorträgen handelt, die zur der 1949 gehaltenen Reihe »Einblick in das was ist« gehören (vgl. die »Hinweise« in VA, 283f.). Diesen Hinweis liefert Heidegger sozusagen erst 1962 nach (vgl. TuK, 3). Für die Erstpublikation der ursprünglichen Vortragsreihe vgl. BuFV, 3–79. Zur Zielgerichtetheit dieser Verschleierungstechnik und zu ihrer Auswirkung auf die Bedeutungskonstitution in den Heideggerschen Texten siehe unten, 145 ff. 59
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in ihr dargestellt wird, gerade auf ein Schweigen der tautologischen Satzform hindeutet: Die Fähigkeit des Identitätssatzes, noch Anderes zu sagen, ist zunächst an das Versagen der expliziten Rede gebunden. Soll aber der Satz der Identität doch noch sagen, was in ihm selbst genannt ist, dann ist dies für Heidegger nur möglich durch eine Verkehrung der Frage- und Betrachtungsweise: Der Satz der Identität gibt Antwort, »wenn wir sorgsam auf seinen Grundton hören«.60 Heidegger entbindet die Satzform dadurch von einem konzeptuellen Anspruch, daß er sich von der Sache selbst angesprochen sieht.61 Nun ist aber das Angesprochen-Sein von dieser Sache selbst für Heidegger nicht bloß eine vorsprachliche Erfahrung, sondern Schauplatz dieses Angesprochen-Seins wird der Identitätssatz selbst. So sucht Heidegger jenen tautologischen Satz aus dem für ihn entscheidenden, typographisch hervorgehobenen Wort zu verstehen: »Eigentlich lautet sie [d. h. die Formel]: A ist A.«62 Nichts Geringeres wird dabei von Heidegger angestrengt, als im Wort »ist« einen Bezug von Sprache und Sein jenseits der Einheit des Satzzusammenhangs zu eröffnen: »Gewöhnlich meinen die Wörter, genauer der geprägte Zusammenhang eines Sprechens […] das Seiende. Jedes ›Etwas‹, das im Gespräch besprochen wird, ist ein Seiendes. Gleichwohl aber verbirgt sich im Gespräch noch ein Gesagtes, was nicht ein Besprochenes ist. Gerade dieses zuletzt genannte Wort ›ist‹ sagt ›etwas‹, was nicht ein ›Seiendes‹ ist; das Wort nennt das Seyn. Ist es, dieses Wort, seine Abwandlungen und verborgenen Formen im Sprachgefüge, nur eine Ausnahme unter den Wörtern, ist es ein Fremdling innerhalb des sprachlichen Bestandes, oder ist es das Wort aller Worte, worin alle Wörter erst Wörter sein können?«63 Gegenüber dem bedeutsamen Sprachzusammenhang der Wörter birgt das Wort »ist«64 für 60
ID, 16. Hervorh. von mir. – Spätestens an dieser ›Kehrtwendung‹ des Vortrags wird Heideggers ständiger Gebrauch von »wir« zweideutig, insofern dieses »wir« als ein pluralis modestiae des Vortragenden und zugleich als ein rhetorischer Kunstgriff Heideggers verstanden werden kann, dem Hörer bzw. Leser diese ›Kehrtwendung‹ nicht als eine abstrakte vorzustellen, sondern als eine momentan sich vollziehende und nachzuvollziehende vorzuführen. Allein schon an diesem zweideutigen rhetorischen Gebrauch des »wir« zeigt sich der Vollzugsmodus des Heideggerschen Denkens als ein Vordenken, in dem die darstellerische Vorführung eines Gedankengangs, die Antizipation des ›eigentlich erst‹ zu Denkenden und ein Anspruch auf ›geistige Führerschaft‹ in befremdlicher Weise miteinander verschmelzen. 61 Vgl. ID, 13 (= Anm. 35). 62 ID, 16. 63 Heidegger, »Das Wort. Die Bedeutung der Wörter«, in: Zur philosophischen Aktualität Heideggers III. Im Spiegel der Welt: Sprache, Übersetzung, Auseinandersetzung, hrsg. von D. Papenfuss und O. Pöggeler, Frankfurt a. M. 1992, 13–16; hier 15. Hervorh. von mir. 64 Zu Heideggers nomenklatorischer Differenzierung zwischen der »ursprünglich
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Heidegger eine Valenz von sprachlicher Bedeutsamkeit in sich, die zum Vorschein kommt, sobald von der repräsentierenden Verweisleistung dieses Lexems abgesehen wird; die »nennende Leistung« des Wortes gibt ein im und durch den Sprachzusammenhang Verborgenes frei: seine eigentümliche ›Bindung‹ ans Sein.65 Dieser Modus von Bedeutsamkeit zeigt sich für Heidegger aber nicht auf die Lexeme »ist« und »Sein« beschränkt – so, als ob diesen der Status eines aus dem allgemeinen Wortschatz hervorragenden Eigennamens zukommt, als ob allein diese das ›verdeckte Phänomen‹ des Seins indizieren und so in ausdrücklicher Klarheit zur Sprache bringen können. Vielmehr durchzieht das Sein als eine verborgene Einheit eigener Art das gesamte Sprachsystem; vorzüglich in jedem einzelnen Wort aber vermag das verborgene Sein ›aufzuscheinen‹ – sofern es sich jeweils als »nennendes« Wort zu erkennen gibt: »[I]n jedem Zeitwort, auch wenn es in seinen Abwandlungen den Namen des ›Seins‹ nicht gebraucht, [ist] gleichwohl das Sein gesagt […], jedes Zeitwort nicht nur, sondern jedes Haupt- und Beiwort und jegliches Wort und Wortgefüge [sagt] das Sein […]. Dieses Gesagteste [d. h. das Sein] ist zugleich das Verschwiegenste in dem betonten Sinne, daß es sein Wesen verschweigt und vielleicht die Verschweigung selbst ist. Wie laut und oft wir auch das ›ist‹ sagen und das ›Sein‹ nennen, solches Sagen und dieser Name sind vielleicht nur scheinbar der Eigenname des zu Nennenden und zu Sagenden, da jegliches Wort als Wort ein Wort ›des‹ Seins ist, und zwar ein Wort ›des‹ Seins nicht nur, sofern ›über‹ das Sein und ›vom‹ Sein die Rede ist, sondern ein Wort ›des‹ Seins in dem Sinne, daß das Sein in jeglichem Wort sich ausspricht und gerade so sein Wesen verschweigt.«66 Heideggers Entscheidung für das Wort ist also zunächst eine gegen den herkömmlichen bedeutsamen Sprachzusammenhang, der von der Satzstruktur ›Subjekt – Prädikat‹ geprägt ist. Im prädikativen Satzzusammenhang scheint sich nämlich für Heidegger die in jedem Wort gegenwärtige ›Seinsverschwiegenheit‹ zu einer »Bedrohung des Seins« zu steigern, insofern hier das Sein durch »eine Begründung […] aus dem Seienden«67 in seinem ihm eigenen, verborgenen Wesen beschnitten wird.68 Im prädikativen Aussa-
bewohnte[n] Bedeutung des Wortes« und den »gewöhnliche[n] Wörter[n]« mit ihren »vordergründigen Bedeutungen« vgl. etwa WhD, 83f. Dazu P. Emad, »Heidegger’s Originary Reading of Hercalitus-Fragment 16«, in: Heidegger on Heraclitus. A New Reading, ed. by K. Maly and P. Emad, Lewiston/Queenstown 1986, 103–120; hier 117ff. 65 Dazu etwa FnD, 19: »Die nennende Leistung […] gehört zu den ursprünglichsten des Sagens überhaupt; sie ist keine stellvertretende, also zweitrangige und nachgeordnete.« 66 N II, 252. – Zur Problematik des »Wesens« siehe unten, 117ff. 67 ZSD, 2. 68 Vgl. EH, 36 f.: »[Die Sprache] ist die Gefahr aller Gefahren, weil sie allererst die
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gesatz kommt das »Sein« als es selbst nicht eigens zum Ausdruck, sofern es als das So-Sein (›Washeit‹) eines Seienden aufgefaßt und von diesem seienden Etwas her begriffen wird; durch die prädikative Satzstruktur ist das »Sein« selbst stets schon auf das Sein des Seienden, auf den allgemein bestimmenden Grund des bestimmt Seienden reduziert. Vor allem aber ist es die an diese Satzstruktur gebundene zeichenhafte Bedeutsamkeit, also das Reden vom und über das Sein (des Seienden), wodurch das »Sein« selbst auf ein sprachtranszendentes, gleichwohl aber explizierbares ›Etwas‹ reduziert und dabei gewissermaßen vergegenständlicht wird.69 Ersichtlich wird diese »metaphysische« Reduktion des »Seins« selbst auf das Sein des Seienden so lange nicht, als nicht der Horizont der herkömmlichen – d. h. für Heidegger: der »metaphysischen« – (Vorstellung der) Sprache überschritten wird: Sprache als zeichenhaft vermittelnder Ausdruck von sprachtranszendenten Konzepten (›Bedeutungen‹) und »Metaphysik« als die sprachlich vermittelte und vermittelbare Reflexion auf diese sprachtranszendenten Konzepte setzen sich gegenseitig voraus; die »metaphysische« Struktur der Sprache(n)70 und die Sprache(n) der »Metaphysik«71 stehen in einem in sich rückläufigen Verhältnis zueinander.72 Ein Einblick in die »metaphysische« Seinsreduktion ist für Heidegger somit unabdingbar an ein freies Verhältnis zur Sprache überhaupt gebunden. Sobald jedoch über den zeichenhaften, »metaphysischen« Sprachausdruck, der das »›Sein‹ als ›Sein‹ hinsichtlich des ihm eigenen Sinnes«73 beschneidet, von einem dazu transzendenten Blickpunkt aus befunden wird, wird gleichMöglichkeit einer Gefahr schafft. Gefahr ist Bedrohung des Seins durch Seiendes. […] Die Sprache schafft erst die offenbare Stätte der Seinsbedrohung und Beirrung und so die Möglichkeit des Seinsverlustes, das heißt – Gefahr.« 69 Aus dieser stets schon vorauszusetzenden sprachlichen ›Seinsreduktion‹ ergibt sich für Heidegger die ›gewöhnliche‹ Vorstellung vom Aussage-Satz der Identität, vermittels dessen der Sachverhalt der Identität als ein grundlegender Charakterzug des So-Seins auf jegliches Seiende beziehbar wird: »Der Satz [der Identität] gibt sich zunächst in der Form eines Grundsatzes, der die Identität als einen Zug im Sein, d. h. als einen Grund des Seienden voraussetzt.« (ID, 32. Hervorh. von mir.) – Auf die philosophisch sachhaltige Problematik des Grundes, die mit Heideggers »Vom Wesen des Grundes« (1929) in Form seiner Auseinandersetzung mit Leibniz anhebt und die sich bis in die späte Zeit (vgl. etwa die Vorlesung »Der Satz vom Grund«, Pfullingen 1957) verfolgen läßt, soll hier nicht näher eingegangen werden. 70 Vgl. etwa UzSp, 103: »[…] die Sprache selbst [beruht] auf dem metaphysischen Unterschied des Sinnlichen und Nichtsinnlichen […], insofern die Grundelemente Laut und Schrift auf der einen und Bedeutung und Sinn auf der anderen Seite den Bau der Sprache tragen.« 71 Vgl. ID, 72: »Unsere abendländischen Sprachen sind in je verschiedener Weise Sprachen des metaphysischen Denkens.« 72 Dazu auch UzSp, 243. 73 UzSp, 110.
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sam ein archimedischer Standpunkt eingenommen. Dieser kann aber wiederum nur ein sprachlich-ausdruckhafter sein, wenn diese in der Sprache beschlossene ›Seinsbedrohung‹ definitorisch abgegrenzt werden soll gegen ein nicht-mehr-metaphysisches Sprechen, das das »Sein« freigibt von jenen Reduktionen: Der Versuch, den »metaphysischen« Charakter des ›herkömmlichen‹ philosophischen Sprachgebrauchs in reflexiver und explikativer Distanz zu beheben, führt unvermeidlich in einem zirkulären Regreß zu einer neuerlichen Meta-Sprache im Sinne der »Metaphysik« der Sprache;74 »die metaphysische Vorstellungsweise [bleibt] in gewisser Hinsicht unumgänglich«.75 Allein der zwiespältige ›Ausweg‹, der »in der Sache begründet ist und mit dem Gebrauch des Namens ›Sein‹ zusammenhängt«,76 steht Heidegger noch offen: der metaphysischen Seinsreduktion im (beinahe) unhintergehbaren Horizont der herkömmlichen Sprachordnung begegnen zu müssen, um innerhalb dieses Horizonts jene sprachliche Seinsreduktion von einem zur explikativ-prädizierenden Rede ›exzentrischen‹ Punkt aus wenn schon nicht begrifflich explizieren, so doch irgendwie transparent machen zu können. Insbesondere wird damit für Heidegger ein »zweideutiger Gebrauch des Wortes ›Sein‹«77 unumgänglich: »Denn eigentlich gehört dieser Name [›Sein‹] in das Eigentum der Sprache der Metaphysik, während ich [M. H.] das Wo r t in den Titel einer Bemühung setzte, die das Wesen der Metaphysik zum Vorschein und sie dadurch erst in ihre Grenzen einbringt«.78 Angesichts dieses zweideutigen Gebrauchs des Wortes »Sein« meint aber diese von Heidegger veranschlagte Grenzziehung gegenüber der »Metaphysik« keine faktisch machbare und strikte Scheidung zwischen einem »metaphysischen« Sprechen einerseits und einem nicht-mehr-metaphysischen Sprechen andererseits, welches zwar ›begriffslos‹ ist, aber doch noch zeichenhafter Ausdruck von Etwas bleibt: Wenn Heidegger dezidiert an einer zweideutigen Gebrauchsweise von »Sein« festhält, dann verleibt er dabei diesen zentralen Begriff der Metaphysik nicht nur und nicht einfach mit einer gewandelten Bedeutung seinem eigenen Denken ein, sondern er verleiht dem Wort »Sein« innerhalb der eigenen Texte zugleich deutliche Anzeichen eines Fremdkörpers. »Sein« besitzt für Heidegger nicht nur nicht den gleichen begrifflichen Gehalt wie in der »Metaphysik«, sondern das Wort »Sein« bedeutet vor allem nicht mehr in derselben Weise: als ein Sprachzeichen, das 74
Vgl. UzSp, 160: »Neuerdings zielt die wissenschaftliche und philosophische Erforschung der Sprache immer entschiedener auf die Herstellung dessen ab, was man die ›Metasprache‹ nennt. […] Das klingt wie Metaphysik, klingt nicht nur so, ist auch so.« 75 UzSp, 116. 76 UzSp, 109. 77 UzSp, 109. 78 UzSp, 109. Gesperrte Hervorh. von mir.
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homogen einem Textzusammenhang eingegeliedert bleibt. Ablesbar wird dies an den bloßen, typographisch verfremdenden Formen, in denen Heidegger das »Sein« innerhalb der eigenen Texte zeitweise präsentierte – etwa an der kreuzweisen Durchstreichung des Wortes »Sein« oder an der veralteten Schreibweise »Seyn«, deren Vorkommen in den Heideggerschen Texten durchaus an die Möglichkeit einer dialektal gefärbten, alemannischen Aussprache des Wortes (/Sei:n/ anstatt von /Sai:n/) gemahnt.79 So verschieden sich Heideggers philosophische Motivation für diese Präsentationsformen des Wortes »Sein« im jeweiligen Textzusammenhang ausnimmt, so scheint doch all diesen Präsentationsformen gemeinsam zu sein, daß sie einen ambigen Sprachmodus Heideggers veranschaulichen helfen sollen: die Präsenz eines anderen Sprechens, das ein »metaphysisches« Sprechen durch dessen buchstäbliche Durchstreichung bzw. durch eine verfremdende Schreib-/Sprechweise abzuwehren versucht, das sich aber mit dieser Abwehr nicht explizit als ein anderes Sprechen präsentiert (sondern eher als eine behelfsmäßige Bekundung, anders sprechen zu wollen oder zu müssen) und das so als ein anderes Sprechen zugleich absent bleibt. Mit Heideggers Evokation eines ambigen Sprachmodus, wie er ansatzweise an konkreten Präsentationsformen des Wortes »Sein« zu beobachten ist, kündigt sich ein sprachlicher Vollzug an, welcher die Sprache von ihrer »metaphysischen«, d. h. von ihrer ausdrucks- und zeichenhaften Beschaffenheit ein Stück weit zu entbinden und auf ein »Wesen der Sprache« hin zu öffnen sucht, das für Heidegger »nichts Sprachliches [im Sinne des ausdruckshaften Sprechens] sein kann«.80 Insofern nämlich Heidegger dem Wort »Sein« keinen exklusiven Status zuerkennt, durch den es in einer ›gesteigerten‹ Bedeutsamkeit aus dem allgemeinen Wortschatz herausgehoben wäre, sondern das »Sein« als eine Art Struktur faßt, die sich durch das gesamte Sprachsystem zieht,81 lassen sich die Heideggerschen Präsentationsformen des Wortes »Sein« als prototypische Beispiele für die allgemeine sprachliche Verfahrens-
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Zur kreuzweisen Durchstreichung von »Sein« siehe etwa ZS, 30ff. – Zum Gebrauch von »Seyn« vgl. »Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«, GA 65, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1989; sowie »Besinnung«, GA 66, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1997, 197ff.: Kap. XIV: »Das Seyn und das Sein«, wo Heidegger das »Seyn« dem »Sein« im Sinne von Sein des Seienden bzw. von »Seiendheit« gegenüberstellt, welche mit der Kopula des Ausssagesatzes als das »daß« und »so« eines besprochenen Subjektes zum Vorschein komme. – In analoger Weise zeigt sich diese idiolektale, aus dem schwäbisch-alemannischen Dialekt gespeiste Gebrauchsweise etwa an Heideggers Schreibweise »Be-wëgen (Be-wëgung)«. Siehe UzSp, 261. 80 UzSp, 114. – Zur näheren Kennzeichnung von Heideggers Verfahren der Entgrenzung vgl. unten den Abschnitt »Wörtliches Übersetzen« (123ff.). 81 Vgl. Hw, 362: »[…] denn das Sein spricht in der verschiedensten Weise überall und stets durch alle Sprache hindurch.«
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weise des späten Heidegger geltend machen: Eine erste Möglichkeit, innerhalb des Horizonts des herkömmlichen Sprach- und Bedeutungszusammenhangs den besagten ›exzentrischen‹ Punkt zu beziehen und dadurch die »metaphysische« Struktur der Sprache auf deren »Wesen« hin zu entgrenzen, sieht Heidegger im Wort gegeben. Heideggers aufwertende Akzentuierung des Wortes gegenüber einem sprachlichen Zusammenhang stellt jedoch nicht bloß dessen gewalttätige Zerlegung in Einzelteile dar – ebenso wie sich sein Umgang mit dem geschlossenen Zusammenhang eines dichterischen bzw. philosophischen Textes oder Gesamtwerkes nicht bloß als ein destruktiver präsentiert. So dient etwa die Reduktion der Hölderlinschen Dichtung auf »fünf Leitworte« nach Heideggers eigenem Bekunden der »Erläuterung« des »Wesens der Dichtung«.82 An diesen »Leitworten« – welche jeweils aus einem grammatisch vollständigen Satz bestehen – soll sich aber nun nicht in besonders prägnanter Weise das Wesen, d. h. hier: das sachhaltige ›Was‹ der Hölderlinschen Dichtung oder gar ›der‹ Dichtung überhaupt, ablesen lassen.83 Das Verfahren Heideggers, zum Zwecke einer »Aneignung und Verwandlung des Überlieferten«84 und insbesondere der »überlieferten Sprache«85 Worte aus ihrem jeweiligen Zusammenhang zu lösen, versucht einerseits, an einem dichterischen Gebilde – und d. h. hier zunächst: an einem sprachlichen Zusammenhang (Satz, Satzverband, Text) – den Charakter eines eigenständigen, in sich geschlossenen Ganzen auf die Seite zu räumen, über das gemeinhin in ästhetischer und metasprachlicher Distanz gehandelt wird. Die Verwandlung eines Satz- bzw. Textganzen in ›Bruchstücke‹ erlaubt es Heidegger aber andererseits, diese Bruchstücke in eine »bestimmte Ordnung« zu transformieren und so einen »innere[n] Zusammenhang«86 als ein »Wort-Werk«87 erfahrbar zu machen, das nicht nur die ›worthaften‹ Bruchstücke eines fremden Textes oder einer fremden Rede, sondern insbesondere auch Heideggers eigenen Text bzw. eigene Rede mit einbegreift.88 Das Verhältnis von Einzelwort und Sprachzusammenhang wird also von Heidegger nicht einfach umgekehrt und dabei ein Wort mit einer gesteigerten Bedeutsamkeit in eine dominante Position gegenüber dem Sprachzusammenhang lanciert. Vielmehr gibt erst die ›Einklammerung‹ eines Satz- oder Textganzen »die wesenhafte Mehrdeutigkeit des Wortes«,89 d. h. dessen 82 83 84 85 86 87 88 89
EH, 33. Vgl. EH, 33f. W i P, 33. Hervorh. von mir. Vgl. ÜSuTS, 27 f. EH, 34. EH, 69. Näheres dazu unten, 120 f.; 150 ff. ZS, 42.
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mehrdeutigen Bezug auf den ›Sprachhorizont‹ frei: Zum einen meint das Wort in einem allgemein geläufigen Sinne einen grammatisch noch nicht spezifizierten elementaren Bestandteil der Sprache im Sinne des ausdruckshaften Sprechens; das Wort bleibt dem Satzzusammenhang oder einem größeren Satzverband untergeordnet und erhält erst in diesem Horizont seine bestimmte Bedeutung. Zugleich aber kann das »Wort« in einem für Heidegger entscheidenden Sinne – als ein aus dem herkömmlichen Sprachhorizont gelöstes, eigenständiges »Wort« – seinerseits den Horizont des prädikativen (Satz-)Zusammenhangs der Sprache markieren; im »Wort« wird die Eingeschränktheit des geläufigen Blickfeldes auf die Sprache gleichsam durchschaut: Das »Wort« als Grenze verweist auf ein Anderes – ohne dies Andere eindeutig sichtbar machen und ›festhalten‹, d. h. sich selbst als Grenze in Richtung eines ›Jenseits davon‹ transzendieren zu können. So verstanden, eröffnet das »Wort« als Horizont der geläufigen Sprache einen Möglichkeitsspielraum jenseits des eingefahrenen Umgangs mit Sprache, ohne daß es diesen verbindlich festschreiben könnte. Die Tatsache aber, daß das »Wort« in seinem Grenzcharakter, als Horizont, ein Anderes markiert, gleichwohl dies Andere nicht zeichenhaft bedeutet, also in diesem Sinne kein eindeutiges Gegen-Wort zum herkömmlichen Sprachzusammenhang darstellen kann, affiziert den »Wort«-Charakter selbst: Das »Wort« muß notwendig unverbindlich, in seinem Charakter mehrdeutig bleiben. Diese »Mehrdeutigkeit« besteht aber für Heidegger »keineswegs in einer bloßen Anhäufung beliebig auftauchender Bedeutungen«.90 Das »Wort« oszilliert vielmehr zwischen seiner wesentlichen Bedeutungsfunktion als eröffnender Horizont der Sprache und seiner für Heidegger unwesentlichen Bedeutsamkeit im Horizont des ausdruckshaften Sprechens: »Das Wort als Wort bietet daher nie unmittelbar die Gewähr dafür, ob es ein wesentliches Wort oder ein Blendwerk ist. Im Gegenteil – ein wesentliches Wort nimmt sich […] oft aus wie ein Unwesentliches.«91 Für das Verständnis dieses »Wort«-Charakters ist es also entscheidend, daß das »Wort« auch als ein im Heideggerschen Sinne »wesentliches« ein Moment des »Unwesentlichen« miteinbegreift; ja: daß das »Wesentliche« des »Wortes« nicht einfach im Sinne einer positiven Eigenschaft verdeckt ist durch ein und hinter einem – negativ zu verstehenden – »Unwesentlichen«, sondern daß diese Verdecktheit selbst einen notwendigen Modus des »wesentlichen Wortes« ausmacht.92 »Die Uneigentlichkeit, die Verstellungen und die Verdeckungen gehören nicht der Ordnung der Negativität (des
90 91 92
ZS, 42. Hevorh. von mir. EH, 37. Hervorh. von mir. – Ähnlich auch WhD, 88. Zu diesem Modus von Verdecktheit vgl. schon SZ, 36.
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Falschen oder des Bösen, des Irrtums oder der Sünde) an.«93 Das Heideggersche »Wort« verhält sich vielmehr neutral, als ein ›Ne-utrum‹ gegen diese binären, wertbesetzten Oppositionen ›wesentlich/unwesentlich‹, ›eigentlich/uneigentlich‹, ›positiv/negativ‹ – doch gerade nicht in dem negativen Sinn, daß das »Wort« diese Oppositionen überhaupt zu annullieren oder zu neutralisieren vermöchte; das Heideggersche »Wort« scheint gerade als ein »wesentliches« noch in dieser binären Opposition festgehalten und darin doch auch neutralisiert, offengelassen zu sein. Als »wesentliches« tritt das Heideggersche »Wort« also in einer zweifachen, doppeldeutigen Ausprägung auf: im Modus einer wertbesetzten, »wesentlichen« Eigentlichkeit, der trotz oder gerade wegen dieser Werthaftigkeit einen ›neutralen‹ Modus des »Wortes« erkennen läßt: dessen wesentlich-unwesentliche Struktur, welche sich einer eindeutigen Zuordnung zu jeweils einem der Oppositionsglieder ›wesentlich/unwesentlich‹, ›eigentlich/ uneigentlich‹, ›negativ/positiv‹ entzieht.94 In systematischer Hinsicht dürfte diese werthafte ›Neutralität‹ bzw. ›neutrale‹ Werthaftigkeit des Heideggerschen »Wortes« dafür mitverantwortlich sein, daß Heideggers Rede vom »wesentlichen Wort« in so erstaunlichem Ausmaß eine gleichermaßen eindeutige werthafte Beurteilung – eine vorbehaltlose Zustimmung oder Ablehnung – finden konnte, daß sich aber in der philosophischen Heidegger-Rezeption zugleich immer wieder die Erkenntnis eingestellt hat, daß keine von beiden Beurteilungsweisen »eine klärende und die Weiterführung des Gedankens vorbereitende Auseinandersetzung [mit Heidegger hat] aufkommen lassen«.95
93
J. Derrida, »Geschlecht. Sexuelle Differenz, ontologische Differenz«, in: ders., Geschlecht (Heidegger). Sexuelle Differenz, ontologische Differenz. Heideggers Hand (Geschlecht II), aus dem Französischen von H.-D. Gondek, Wien 1988, 11–43; hier 39. 94 Für konkrete Auswirkungen dieser »Wort«-Struktur siehe unten, 130ff.; 139ff. 95 Beierwaltes, Heideggers Rückgang zu den Griechen, 5; ähnlich schon Löwith, »Heideggers ›Kehre‹«, 49. – Zur weitreichenden Heideggerschen Gedankenfigur des ›Neutralen‹ vgl. etwa WhD, 113ff. und ZSD, 18ff.; 43, dort v. a. Heideggers Bemerkungen zum Gebrauch des grammatikalisch neutralen, impersonalen »es« in Wendungen wie »Es gibt Sein« oder des griechischen »χρ (es tut not)« im Parmenideischen »χρ" τò λéγειν τε νοε#ν τ òν $µµεναι« (Frgm. B 6, v. 1). Äußerst bemerkenswert dabei ist Heideggers wiederholtes darstellerisches Verfahren nach Art einer Praeteritio, d. h. seine explizite Weigerung, nach einer als ungenügend bewerteten grammatikalischen Bestimmung des neutralen »es« als privativer Modus des grammatischen Genus nun eine ›eigentlich‹ positive Bestimmung der Neutralität des »Wortes« »es« folgen zu lassen: »Das in der Rede ›Es gibt Sein‹, ›Es gibt Zeit‹ gesagte ›Es‹ nennt vermutlich etwas Ausgezeichnetes, worauf hier nicht näher einzugehen ist.« (ZSD, 19.) Diese merkwürdige ›Indifferenz‹ Heideggers scheint durchaus lesbar zu sein als Heideggers Vollzug einer explikatorischen ›Neutralität‹ gegen das »Wort« und insofern als seine Antwort auf den neutralen Charakter des »Wortes«. – Weiteres dazu im Anschluß.
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Insbesondere relevant wird diese strukturelle Konstellation eines wesentlich-unwesentlichen »Wortes« für den diachronen ›Sprachverfall‹, welchen Heidegger mit der bekannten »Seinsvergessenheit« in eins gehen sieht.96 Wie im Falle dieser ist im Sprachverfall kein Prozeß einer Dekadenz oder eines Sündenfalls zu sehen, durch den eine ursprüngliche Wahrheit/»Unverborgenheit« des Seins sprachlich leichtfertig vergessen und verdeckt wird, so daß also die »wesentliche« Bedeutung eines »Wortes« als eine unversehrtursprüngliche, vor-»metaphysische« ans Licht befördert werden könnte. Vielmehr ist es offenbar ein Grundzug dieses von Heidegger angesetzten Sprachverfalls, daß in ihm die anfängliche Verborgenheit des »Seins«, d. h. der »Grundzug des Seins, den es als die Αλθεια in der Λθη eher verbirgt als enthüllt«,97 ihrerseits vergessen und verborgen – also gerade nicht als Verborgenheit sprachlich enthüllt wird. Dementsprechend ist dieser ›Sprachverfall‹ nicht so sehr durch den Verlust einer klaren und lebendigen Sprache, durch ihre Erstarrung zu einer abstrakten philosophischen Begrifflichkeit, die nichts mehr zu sagen hat, gekennzeichnet, als vielmehr dadurch, daß der Zeichencharakter der Sprache das »Sein« selbst »nicht zu sehr verhüllt, sondern zu sehr preisgibt«.98 Als eine solche ›Preisgabe‹ verstanden, rührt der von Heidegger veranschlagte Sprachverlust ans Ganze der Sprache(n): Es geht Heidegger nicht bloß um die Abarbeitung von einzelnen Begriffen einer bestimmten Sprache, um den von einer romantischen Sehnsucht getriebenen Versuch einer Wiederbelebung ihrer ›Aussagekraft‹ und Prägnanz, sondern um die Subvertierung eines signifikativ deutlichen Zeichencharakters aller Sprache, der in sich, als solcher, bereits die Möglichkeiten zur ›klaren‹ und ›reinen‹ Begriffsbildung trägt und verwirklicht. So scheint Heidegger seine sprachliche Enthüllung der Verborgenheit des »Seins« im »Wort« – d. h. eine stets das Heideggersche »Wort« notwendig begleitende Un-Wesentlichkeit und »Un-Wahrheit«,99 ein in ihm beschlossenes »Anwesen von Abwesen«100 – anhand des »begriffsfrei gesprochenen«101 Denkens der Vorsokratiker allererst ins rechte Licht rücken zu wollen. Bei dieser ›Begriffsfreiheit‹ kann also nicht von einer durch eben diese Freiheit hervorkommenden, ›substantiell‹-urspünglichen Bedeutung der vorsokratischen »Worte« die Rede sein, welche das »Sein« in einer bis zu Heidegger nicht mehr vorkommenden signifikativen Klarheit ausdrücklich anzuzeigen vermögen, sondern eher doch von einem ›unklaren‹ – in der Heideggerschen 96
Vgl. dafür etwa Hw, 7. – Zur »Seinsvergessenheit« vgl. etwa Hw, 360. ZS, 35. DE,
178. 97 98 99 100 101
Hw, 332. – Ähnlich auch Hw, 47 und DE, 148. FG, 159. Hervorh. von mir. – Zur »Preisgabe« siehe auch unten, 125f. Hw, 47. ZSD, 19. Hw, 347.
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Nomenklatur: einem »rätselhaften« – Sprachmodus, in dem das »Sein« für Heidegger in einer ihm ›zustehenden‹ Verborgenheit angezeigt oder vielmehr angedeutet ist.102 Angesichts dieser Ambivalenz in der »wesentlichen« Bedeutsamkeit des »Wortes«, das über den herkömmlichen, zeichenhaften Sprachausdruck hinausführen soll und doch auf gewisse Weise in diesem Horizont verbleiben muß, sieht sich Heidegger einer vorgängigen argumentativen Begründung enthoben, wann und aufgrund welcher Kriterien sich ihm ein solches »Wort« zu erkennen gibt. Weder kann Heidegger das »Wort« anhand eines metasprachlichen Maßstabes als ein in distinkter Weise »wesentliches« gegen unwesentliche »Wörter« abgrenzen, noch kann er es verbindlich in seiner »wesentlichen« Bedeutung festlegen, da einer solchen Definition des »Wortes« das »horizontal-transzendentale«103 Verhältnis zwischen einem begründenen Bedeutungskonzept und der darin begründeten Bedeutsamkeit des »Wortes« zugrunde liegt. So beläßt Heidegger seiner Auffindung des »Wortes« im Sprachzusammenhang einen befremdenden, provozierend thetischen Duktus, um ein einmal als »wesentlich« konstatiertes und festgeschriebenes »Wort« nicht wieder zu einem (eindeutigen) Sprachzeichen (er)klären zu müssen. Jedoch nicht die bloße, konstatierende Festschreibung des »Wortes« scheint für Heidegger, der sich entschieden als »unterwegs« mit seinem Denken verstand,104 die hauptsächliche Instanz in seinem Umgang mit dem »Wort« zu sein. Bestimmend wird vielmehr der jeweilige ›Verlauf‹ von Heideggers späten Texten (welchen gemeinhin auch in der publizierten Fassung der ursprüngliche Vortragscharakter noch deutlich anzumerken ist105): In deren sprachlichem Vollzug, im »Gang des Zeigens«, hat sich das konstatierte 102
Vgl. dafür etwa die drei Arbeiten »Logos«, »Moira« und »Aletheia« zu Heraklit, zu Parmenides und wieder zu Heraklit, welche, in einer archaisch anmutenden Ringkomposition angeordnet, den dritten Teil der »Vorträge und Aufsätze« ausmachen; dort insbesondere Heideggers leitmotivisch wiederholte Rede vom »Rätsel« bzw. vom »Rätselwort« (VA, 208; 229; 241ff.; 246) etwa in Anbetracht des Parmenideischen »Spruches: τò ατó, das Selbe«, welches es erst »inständiger in seiner Rätselfülle zu hören« (VA, 246) gelte. Vgl. auch Heideggers Bemerkung zur Dunkelheit des Heraklit, mit der er seinen zuletzt angeordneten Heraklit-Vortrag beginnt – »Er [Heraklit] heißt der Dunkle, ( Σκοτεινóς« (VA, 257) – und an der Heidegger auch am Ende, nach dem Gang seiner Erläuterungen, nicht weniger entschieden festhält: »Heraklit heißt ( Σκοτεινóς. Er wird diesen Namen auch künftig behalten.« (VA, 282.) 103 Gel, 55. 104 An Stelle von Nachweisen im einzelnen genüge hier der Hinweis auf das Motto »Wege – nicht Werke«, das Heidegger wenige Tage vor seinem Tod handschriftlich zusammen mit dem Titelblatt für seine Gesamtausgabe letzter Hand aufsetzte. 105 Vgl. etwa die späten Texte bzw. Textsammlungen VA; ID; W i P; UzSp; v. a. die dort von Heidegger jeweils gegebenen »Hinweise« am Schluß des jeweiligen Bandes.
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»Wort« als »wesentliches« auszuweisen. »Es gilt, nicht eine Reihe von Aussagesätzen anzuhören, sondern dem Gang des Zeigens zu folgen« – so Heideggers »kleiner Wink für das Hören« anläßlich seines Vortrages »Zeit und Sein«.106 Diesen Ausweis des »wesentlichen Wortes« erbringt Heidegger aber nun nicht durch eine jeweils in diesem »Gang« nachgeholte, inhaltliche Explikation des »Wortes«. Ganz im Gegenteil: Formal nimmt sich, wie Heidegger mehrfach betont, der jeweilige »Gang« dieses »Zeigens« zwar durchwegs als »eine Reihe von Aussagesätzen« aus.107 Doch »möchte« Heidegger dabei »den Anspruch auf unmittelbare Verständlichkeit preisgeben«108 und erbringt insofern gerade nicht die fortschreitende inhaltliche Klärung eines »Wortes«, das zuvor unvermittelt als ein »wesentliches« eingeführt worden ist: Das an sich schon schwer verständliche Verfahren Heideggers, unvermittelt »wesentliche Worte« zu konstatieren, scheint sich im jeweiligen Textverlauf eher in eine schwerverständliche Aneinanderreihung immer neuer »Worte« zu verwickeln als diese »Worte« begrifflich auseinander zu entwickeln.109 So zwiespältig Heideggers Vollzug des »Wortes«, bei dem sich das »unkontrollierbare Geschenk der sprachlichen Eingebung […] mit einer technisch vollendeten Kunst der sprachlichen Formulierung«110 verbindet, auch ist, so viel Konsequenz und Plausibilität auch die beiden grundsätzlichen Rezeptionsweisen jeweils für sich beanspruchen können, wenn sie sich angesichts
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ZSD, 2. Vgl. auch ID, 13 (= Anm. 33). Vgl. etwa die Schlußbemerkung zum eben genannten Vortrag: »Er [der Vortrag] hat nur in Aussagesätzen gesprochen.« (ZSD, 25.) – Schon der Erstausgabe seiner »Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung« stellt Heidegger einen (in den späteren Auflagen wieder gestrichenen) Satz voran, dessen explizit ›technischer‹ Charakter in einer auffallenden Diskrepanz zu Heideggers ansonsten allen ›Äußerlichkeiten‹ abholdem Sprachgestus steht: »Die Erläuterungen sind mitgeteilt in den Formen einer Rede und eines Vortrages.« (Frankfurt a. M. 1944, [4].) 108 ZSD, 1. Hervorh. von mir. 109 Für konkrete Beispiele einer immer unverständlicher werdenden Aneinanderreihung von idomatischen ›Termini‹ und zu unserer Lesart dieses Heideggerschen Verfahrens vgl. unten, 140ff.; 146 ff. – Zur Kennzeichnung dieser sprachlich produzierten Art von Schwerverständlichkeit vgl. schon Löwith, »Heideggers ›Kehre‹«, 50: »Damit ist nicht gemeint, daß es nicht leicht ist, einem ungewöhnlichen Gedankengang in seinen Voraussetzungen, Konsequenzen und Brechungen Schritt für Schritt zu folgen, sondern die besondere Schwierigkeit, einem Denken zu folgen, das eine ›logische‹ Entwicklung im Sinne eines folgerichtigen Fortschreitens prinzipiell verpönt, um stattdessen in immer neuen Variationen dasselbe Thema zu umgehen. Dem entspricht in Heideggers späteren Schriften die zunächst verwirrende Vielfalt immer wechselnder Formulierungen für ein und dasselbe. […] Heidegger [verzichtet] in den späteren Veröffentlichungen nicht nur auf systematischen Fortschritt, sondern auch auf ausgebreiteten Ausweis. Statt eines Beweises durch Aufweis und Nachweis gibt er nur noch verrätselte Hinweise. […] Die Sache, um die es geht, wird nicht mehr phänomenologisch entwickelt, sondern aus- und hingesagt.« 110 Löwith, »Heideggers ›Kehre‹«, 53. 107
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von Heideggers zwiespältigem Verfahren in die »beiden extremen Reaktionen der Faszination und der Abstoßung«111 spalten, so scheint sich doch diese in Heideggers spachlicher Verfahrensweise beschlossene Zwiespältigkeit selbst immer wieder einer Beurteilung zu entziehen, die einer mehr oder minder eindeutigen, wertbesetzten Opposition von ›richtig‹ oder ›falsch‹, von ›sachlich angemessen‹ oder ›unangemessen‹ gehorcht. Um also diese Zwiespältigkeit des Heideggerschen Verfahrens (an)erkennen zu können, bedarf es in gewisser Weise der Abblendung dieser wertbesetzten Oppositionen. Damit sind aber diese Oppositionen nicht als irrelevant oder unangemessen für jegliche Heidegger-Interpretation gebrandmarkt. Sondern es gilt zunächst, in der Mehrdeutigkeit des Heideggerschen »Wortes« selbst, in dessen jeweiliger An- und Abwesenheit als »wesentliches Wort« eine dynamische Struktur zu erblicken, welche als verfahrenstechnische ›Kompositionsregel‹ die sprachliche Gestalt und die Bedeutsamkeit von Heideggers späten Texten entscheidend bestimmt. Unter dieser Hinsichtnahme zeigen sich uns die Heideggerschen Termini »wesentlich« und »unwesentlich« nicht so sehr als strikt oppositive Prädikate, die Heidegger zur Kennzeichnung von Qualitätsmerkmalen eines besseren oder schlechteren (Sprach-)Denkens dienen – so, als ob allein schon Heideggers Gebrauch eines von ihm als »wesentliches« gekennzeichneten Wortes nun auch den eindeutigen und adäquaten Ausdruck für ein als ›besser‹ qualifizierbares (Sprach-)Denken erbringt. Das »wesentliche Wort« ist nicht nur und nicht einfach das Wort, worin etwas Wesentliches, Eigentliches oder selbst die höchste Wahrheit gesagt wird: Innerhalb unserer Beschreibung, die den Heideggerschen Sprachvollzug eben in dieser besagten zweideutig ›neutralen‹, dynamischen Struktur näher zu kennzeichnen sucht, lassen sich jene beiden Termini »wesentlich« und »unwesentlich« eher als verfahrenstechnische Chiffren begreifen, welche Heideggers Vollzug des dynamisierten, »wesentlich« an- und abwesenden »Wortes« markieren.112 Im Ausgang von der Frage, »ob jedes Sagen ein Aussagen ist, ob überhaupt das Sagen, wie die Grammatik meint, vom Satz her bestimmt werden kann«,113 erblickt Heidegger im »Wort« eine andere Dimension von Sprachlichkeit, welche sich zunächst in dessen herkömmlicher deiktisch-indexikalischer Funktion als Name (nomen) andeutet.114 111
Ebd., 50. Weiteres dazu unten, 130ff. – Auch Derrida hält fest, daß Heideggers »Neutralisierung« von binären Oppositionen »einem methodischen Verfahren gleicht«. (Derrida, Geschlecht, 37.) 113 WhD, 163. 114 Vgl. WiP, 15f.: »Wir können fragen: was ist das dort in der Ferne? Wir erhalten die Antwort: ein Baum. Die Antwort besteht darin, daß wir einem Ding, das wir nicht genau erkennen, seinen Namen geben.« Bereits diese herkömmliche deiktische Funktion eines 112
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Das »Wort« steht Heidegger ein für eine sprachliche »Nennkraft« überhaupt,115 indem es sich als »wesentliches Wort« im »Nennen« vollzieht. Dieser dynamischen Vollzugsstruktur einer oszillierenden An-/Abwesenheit im Wort trägt der späte Heidegger dadurch Rechnung, daß er diese in einem anderen Zusammenhang als ein »Rufen« apostrophiert: »Was ist dieses Nennen? Behängt es nur die vorstellbaren, bekannten Gegenstände und Vorgänge […] mit den Wörtern einer Sprache? Nein. Das Nennen verteilt nicht Titel, verwendet nicht Wörter, sondern ruft ins Wort. Das Nennen ruft. Das Rufen bringt sein Gerufenes näher. Gleichwohl schafft dies Näherbringen das Gerufene nicht herbei, um es im nächsten Bezirk des Anwesenden abzusetzen und darin unterzubringen. Der Ruf ruft zwar her. So bringt er das Anwesen des vordem Ungerufenen in eine Nähe. Allein, indem der Ruf herruft, hat er dem Gerufenen schon zugerufen. Wohin? In die Ferne, in der Gerufenes weilt als noch Abwesendes. Das Herrufen ruft in eine Nähe. Aber der Ruf entreißt gleichwohl das Gerufene nicht der Ferne, in der es durch das Hinrufen gehalten bleibt. Das Rufen ruft in sich und darum stets hin und her; her: ins Anwesen; hin: ins Abwesen.«116 Wortes als Namen besitzt für Heidegger eine bewegungshafte Struktur: Ein »in der Ferne« bleibendes, nicht genau erkanntes Seiendes wird erst mittels Benennung, durch ›Ansprechen‹ herangeholt und dadurch präsent – präsent allerdings innerhalb eines sprachpragmatischen Horizonts. Konzeptuell präfiguriert ist wohl Heideggers Aufmerksamkeit auf diesen deiktischen Charakter des »Wortes« als Namen im Gegensatz zu dessen ›essentieller‹ Dimension als Begriff (vgl. Wi P, 16) in der als existenzial bestimmten »Ent-fernung« von »Sein und Zeit«: Von Heidegger »in einer aktiven und transitiven Bedeutung« verstanden und mit einem Vollzugscharakter ausgestattet, ist es diese »Ent-fernung«, die allererst den »bestimmte[n], faktische[n] Modus« der Entferntheit und des Abstandes zwischen zwei nicht daseinsmäßigen Seienden (Dingen) näherbringt, indem sie vermittels ihrer dynamischen Struktur eines zunächst ›praktischen‹ (»besorgenden«) Sich-Näher-Bringens die kategoriale Entferntheit sehen läßt (»entdeckt«). Vgl. dazu SZ, 104ff. 115 Vgl. etwa EiM, 11: »Wir […] suchen die unzerstörte Nennkraft der Sprache und Worte wieder zu erobern; denn die Worte und die Sprache sind keine Hülsen, worin die Dinge nur für den redenden und schreibenden Verkehr verpackt werden. Im Wort, in der Sprache werden und sind erst die Dinge.« (Hervorh. von mir.) 116 UzSp, 21. Hervorh. von mir. – Ein möglicher Anknüpfungspunkt für Heideggers Rede vom »Rufen des Wortes«, die die Vorstellung vom »Wort« als einer bloß sekundären, zeichenhaften Erscheinung abzuwehren sucht, dürfte Wilhelm von Humboldt sein, den Heidegger wenige Seiten vor seiner so apodiktisch wirkenden terminologischen Einführung des »Rufens« namentlich erwähnt. (Vgl. UzSp, 11: »Als der Sprechende ist der Mensch: Mensch. Wilhelm von Humboldt hat dies gesagt.« Dazu Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung, in: GS IV, 1–34; hier 15: »Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache.«) In Humboldts Abhandlung »Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus« heißt es: »Insofern es [das Wort] den Begriff durch seinen Laut hervorruft, erfüllt es allerdings den Zweck eines Zeichens, aber es geht dadurch gänzlich aus der Classe der Zeichen heraus, dass das Bezeichnete ein von seinem Zeichen unabhängiges Daseyn hat, der Begriff aber erst selbst seine Vollendung durch
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Diese Vollzugsstruktur im »Wort« zeitigt ein ›gewandeltes Sagen‹,117 das sich auf das bloße ›Daß‹ eines genannten Dinges beschränkt und so »dem Ding erst das Sein [verschafft]«,118 erst »ein Ding als Ding sein läßt«.119 Wenn sich aber die spezifische ›Wirkungsweise‹ des nennenden »Wortes« als »sein lassen« manifestiert, so kommt angesichts der dynamisierten Struktur des »Wortes« auch in diesem »sein lassen« eine »wesenhafte Mehrdeutigkeit« zum Tragen: Das im »Wort« sich vollziehende »sein lassen« ist lesbar im Sinne von ›das Ding auf sich beruhen lassen‹, als ein im »Wort« beschlossenes Abstehen vom herkömmlichen sprachlichen Anspruch, ein »Ding« anderweitig – im zum »Ding« selbst heterogenen Medium der begrifflichen Sprache – zu fassen und so von außerhalb des »Dinges« darüber zu entscheiden, was das »Ding« ist: Das »Wort« beläßt das »Ding«, ohne es als einen außersprachlichen Gegenstand in seinem Wesen (›Wassein‹) begreifen und definieren zu wollen;120 das »Wort« entläßt das »Ding« gleichsam in sein ›Selbst‹ als Ding. In diesem Sinn der Wendung »sein lassen« liegt eine Art von Zugeständnis, ein Geschehen-lassen, welches eine dem besagten begriffflichen Anspruch entzogene ›Wirkung‹ einräumt; mit dem nennenden »sein-lassen« des »Wortes« soll das – als dynamischer Vollzug verstandene – »Sein« des Dinges, dessen »Dingen«, zugelassen werden: »Im Nennen sind die genannten Dinge in ihr Dingen gerufen. […] Dingend sind die Dinge Dinge.«121 Gerade indem sich das nennende »Wort« als eine bestimmte sprachliche das Wort erhält, und beide nicht voneinander getrennt werden können. Dies zu verkennen, und die Wörter als blosse Zeichen anzusehen, ist der Grundirrthum, der alle Sprachwissenschaft und alle richtige Würdigung der Sprache zerstört.« (In: GS V, 364–473; hier 428. Hervorh. von mir.) Entscheidend für unseren Zusammenhang ist, daß Humboldt das ›Hervorrufen‹ eines Wortes in dessen Doppelnatur eingespannt sieht: Einerseits bildet das Wort, als ein ›hervorrufendes‹, den Begriff, indem dieser mit dem Wort als dem bildenden Organ des Gedankens Gestalt gewinnt und insofern vom Wort ins »Daseyn« gerufen wird. Andererseits aber ist der Zeichencharakter am Wort nie ganz auszuschalten, da der mit einem Wort sich bildende Begriff stets schon auf Kommunikabilität, aufs Verstanden-Werden durch den Hörer ausgerichtet ist und insofern in gewissem Maße ein »unabhängiges Daseyn« vom Wort als seinem Zeichen gewinnt. Als dieses »unabhängige Daseyn« liegt der Begriff schon ›vor‹ dem zeichenhaften Wort – jedoch gerade nicht im Modus der Präsenz, die er erst mit dem Wort erhält: Das ›hervorrufende‹ Wort ist weder bloß zeichenhaftes Organon noch bloß bildendes Organ des Begriffs. – Zu den mannigfachen Aspekten dieser Struktur vgl. neuerdings H.-J. Frey, »Übersetzung und Sprachtheorie bei Humboldt«, in: Übersetzung und Dekonstruktion, hrsg. von A. Hirsch, Frankfurt a. M. 1997, 37–63. 117 Vgl. UzSp, 231. 118 UzSp, 164. 119 UzSp, 229. Hervorh. von mir. 120 Dazu etwa UzSp, 201: »Das, was etwas ist, τò τí στι, das Wassein, enthält seit Platon dasjenige, was man gewohnterweise das ›Wesen‹, die essentia einer Sache nennt. Das so verstandene Wesen wird in jenes eingegrenzt, was man später den Begriff nennt […].« (Hervorh. von mir.) 121 UzSp, 22.
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Entität, in seiner Präsenz als Sprachzeichen zurücknimmt und in diesem Sinne abwesend bleibt, verhilft es dem »genannten Ding« dazu, daß es seinerseits die Dynamik seines »Dingens«, seines gleichzeitigen An- und Abwesend-Seins, ins Spiel bringen kann.122 Die Dimension, welche die sprachliche »Nennkraft« eröffnet und nicht erst nachträglich nachzeichnet, ist eine des bloßen »ist« oder »als« – ohne deren weitere qualitativ-begriffliche Explikationsbedürftigkeit.123 In sprachlicher Form festgeschrieben werden kann das »Wort« oder das »Ding« in dieser dynamischen Struktur einer gleichzeitigen An- und Abwesenheit nur als »Wort« oder als »Ding« bzw. das darin zum Vorschein kommende »Sein« nur als – das ›neutrale‹ – »Es selbst«: »Doch das Sein – was ist das Sein? Es ist Es selbst.«124 Heideggers derart formuliertes ›Aufzeigen‹ bleibt aber hinter der aufzuzeigenden seinshaften Dynamik notwendig zurück, insofern es unvermeidlich die mehr oder minder fest umrissene Gestalt explikativ-begrifflicher Sprache annimmt. Gleichzeitig deutet aber dieses tautologische »ist« / »als« für Heidegger in einer »zweiten Tonart«125 auf eine in Bewegung geratene sprachliche ›Form‹ hin: Die in ihrer explikativen Funk-tion zurückgenommene tautologische Form »A ist / als A« hält das nennende »Wort« bzw. das in seinem ›Daß‹ genannte »Ding« gewissermaßen in der Schwebe und markiert so an ihnen jene seinshafte Geschehensstruktur als »das Selbe«. Für Heidegger zeigen sich »Wort« und »Ding« mit dieser tautologischen Form nicht so sehr in ihrer jeweiligen Identität (mit sich selbst) festgelegt, als vielmehr auf ein und dieselbe Geschehensstruktur bezogen, in diese gehörig und so in ihr »verborgene[s] Wesen (verbal)«126 gebracht: »Darnach meint das Selbe nicht das leere Einerlei von Einem und Anderem, auch nicht das Einerlei von etwas mit ihm selbst. Das Selbe im Sinne dieses Einerlei ist das Gleichgültige der leeren, endlos wiederholbaren Identität: A als A, B als B. Das Selbe, gedacht im Sinne des Zusammengehörens im Wesen, sprengt jedoch die Gleichgültigkeit dessen, was zusammengehört […] und läßt es gerade nicht auseinander- und so zer-fallen.«127 – »Das Wort ›Wesen‹ meint aber jetzt nicht mehr das, was etwas ist. ›Wesen‹ hören wir als Zeitwort, wesend wie anwesend und abwesend.«128 122
Zur Mehrdeutigkeit des Heideggerschen Gebrauchs von »sein lassen« vgl. etwa auch ZSD, 40; Hw, 67f. und v. a. Gel, 34ff. – Dazu neuerdings Beierwaltes, »Heideggers Gelassenheit« (= Anm. 29). 123 Dazu auch E. Schöfer, Die Sprache Heideggers (= Anm. 30), 210. 124 BüH, 76. 125 Sv G, 152. 126 UzSp, 236. 127 Sv G, 152. Hervorh. von mir. – Vgl. dazu ID, 31: »Die Frage nach dem Sinn dieses Selben ist die Frage nach dem Wesen der Identität.« (Hervorh. von mir.) 128 UzSp, 201. Hervorh. von mir.
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Sieht man einmal ab von den in ihrer Sachhaltigkeit äußerst weitreichenden und problematischen Konsequenzen, die sich aus Heideggers Deutung des οσíα-Begriffes für sein Philosophieren ergeben, so zeigt sich an Heideggers Änderung des Blickwinkels, vom nominal aufgefaßten »Wesen« hin zu dessen verbalem Aspekt eines substantivierten Infinitivs, die Hinsichtnahme auf eben jene dynamische Struktur des »Wortes« als eines »wesentlichen« Wortes.129 Das «Wort», zunächst von Heidegger gegenüber seiner explikativen Funktion als Begriff in seiner deiktischen Funktion als Namen/nomen prononciert, ist als »wesentliches« Wort zugleich verbal gefaßt: Als ein »wesentliches« behauptet das »Wort« eine unentschiedene, ›neutrale‹ Mitte zwischen zeigendem nomen und dynamischem verbum.130 Mit der (typographischen) Akzentuierung des »ist« sucht Heidegger die tautologische Satzform »A ist A« vom Status einer Formel zu entbinden, die 129
Siehe oben, 109ff. Zur »wesentlichen« nominal-verbalen Zwiefalt des »Wortes« siehe auch Hw, 339ff. (im sachlichen Zusammenhang mit *ν). Weiteres dazu unten, 159ff. – Genau in diesem Punkt berührt sich Heideggers Konzept des »Wortes«, welches als zeigendes nomen zugleich einen dynamisch-verbalen Charakter aufweist, mit Meister Eckharts Namensspekulationen, vergegenwärtigt man sich den amphibolen und einzigartigen Status des göttlichen Eigennamen »Esse«, der sein »super omne nomen« weniger bedeutet als der sprachlichen – verbalen – Form nach veranschaulicht. (Vgl. oben, 69f.) Soweit wir sehen, greift jedoch Heidegger zur Kennzeichnung des Geschehenscharakters des »Wortes« anders als bei seinen sonstigen Wortprägungen – wie etwa im Falle der tautologischen Selbstprädikationen »Das Ding dingt« (VA, 166) oder »Die Sprache spricht« (UzSp, 12) – nicht auf die entsprechende mittelhochdeutsche Verbform ›worten‹ zurück: Das »Wort« wortet bei Heidegger nicht. Der Grund dafür, daß Heidegger entgegen seiner Gewohnheit hier nicht auf diachrone Sprachvalenzen rekurriert, mag in der ansonsten zu befürchtenden (allzugroßen) Nähe dieses worthaften Geschehens im Sinne Heideggers zur mittelalterlichen Logosmystik liegen. Dort deutet dieser Verbal-Begriff »worten« auf die Weltschöpfung im göttlichen ›Sprachakt‹, auf eine »creatio in verbo« hin, nimmt also eine zentrale Stellung innerhalb der transzendent(al)en Begründungsleistung der Sprache ein: »In dem dynamischen Verbal-Begriff des ›(Ge-)wortens‹ vermittelt die Logosmystik der Sprachphilosophie gewissermaßen das […] Inkarnationsprinzip der christlichen Weltschöpfungslehre. So wie im genuin christlichen Denken die Welt im Wort […] nicht nur ihre ewige Ordnung enthüllt, sondern durch es als personalen Akt Gottes ins Sein tritt, so liegt auch in dem ›(Ge-)worten‹ der Mystiker ein Moment der Welt-Zeitigung und damit der Keim einer Sprachphilosophie, welche […] aus dem Gesichtspunkt der Identität von Sprachakt und Weltkonstitution im Sinn-Ereignis denkt.« (K. O. Apel, Die Idee der Sprache, 79.) Für Meister Eckharts Gebrauch von ›worten‹ vgl. Pred. 4; DW I, 66 und Pred. 18; DW I, 296. – Zu den sachhaltigen Bezügen zwischen Heidegger und Eckhart vgl. neuerdings E. WolzGottwald, »Martin Heidegger und die philosophische Mystik«, in: Philosophisches Jahrbuch 104 (1997), 64–79. Wolz-Gottwald parallelisiert zwar Eckhart und Heidegger im Hinblick auf den Vollzugscharakter ihres Denkens (exercitium philosophicum), sieht aber dann bei beiden Denkern erstaunlicherweise einen »völlig verschiedenen Umgang mit Sprache und Denken« (ebd., 78) am Werk. – Vgl. auch Beierwaltes, »Heideggers Gelassenheit« (= Anm. 29), 14ff.; 29 (zu Wolz-Gottwald). 130
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mit universalem Geltungsanspruch ein beliebig in sie einsetzbares Sprachzeichen als identisch mit sich selbst und damit als ein in seinem begrifflichen Vorstellungsgehalt bzw. in seiner Bedeutsamkeit distinktes Sprachzeichen definiert. Heideggers verfremdender Blick auf den Satz der Identität sucht also letztlich »die begrenzende Kraft [der Sprache], Gegenstände in der eindeutigen Zuordnung zueinander als wechselweise über- und untergeordnete vorzustellen«,131 wenn nicht zu entkräften, so doch in gewisser Weise zu unterlaufen. Ein solches Verfahren wird für Heidegger unumgänglich, sobald sich angesichts jener nicht eindeutig artikulier- und definierbaren wesenhaften Dynamik des »Wortes« ein Sprachausdruck als begrenzt erweist, dessen Sprachzeichen mittels der tautologischen Satzform in ihrer jeweils distinkten Bedeutungsleistung reflektiert werden können: Es »fehlt das Wort, d. h. jenes Sagen, das es vermöchte, das [verbal gefaßte] Wesen der Sprache – zur Sprache zu bringen«.132 In diesem Sinne gewährt der zeichenhafte Sprachausdruck nicht »das Wort für das Wesen des Wortes«.133 So schreibt sich Heideggers ›Einklammerung‹ der Tautologie als einer prädikativen Satzform zwar her von einer Sprachnot, das (verbal gefaßte) »Wesen des Wortes« nicht nur nicht in der tautologischen Satzform reflektieren, sondern auch im akzentuierten »ist« nicht eindeutig namhaft machen zu können. Dort jedoch, »wo wir vor das Unaussprechliche gelangen, gibt es dieses nur, insofern uns die Bedeutsamkeit des Sprechens an die Grenze der Sprache bringt«.134 Diese Sprachnot, das ›Gelangen vor das Unaussprechliche‹, stellt also für Heidegger nur solange eine negative Grenzerfahrung dar, als diese Sprachnot auf den Horizont des bedeutsamen Sprechens bezogen bleibt: Der Horizont im Sinne einer begrenzten Tragweite der sprachlichen Bedeutsamkeit zeigt sich dann als die Kehrseite der »begrenzenden Kraft« des distinkten Sprachausdrucks. Mit dieser Grenzerfahrung, »wo wir […] das rechte Wort nicht finden«,135 ist der Horizont der Sprache als der Vermögensspielraum des bedeutsamen Sprechens ex negativo bestimmt. Gleichzeitig aber gibt sich Heidegger im Ausbleiben eines herkömmlich bedeutsamen Wortes der Sprachhorizont in einem gewandelten Sinn zu erkennen: Nicht so sehr zeigt dann die Sprachnot der Tragweite des bedeutsamen Sprachausdrucks ihre Grenze, ein ›Nichtmehr-weiter‹ auf. Vielmehr zeigt sich an dieser Grenze zum Verstummen die Sprache von ihrer Vorstellung als bedeutsames Sprechen gelöst; dabei kann sich der geläufige Sprachhorizont auf ein sprachliches ›Noch-nicht‹ hin der-
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UzSp, 86f. Hervorh. von mir. UzSp, 236. – UzSp, 93: »[…] das gemäße Wort fehlt auch heute noch.« UzSp, 236. ÜSuTS, 6. Hervorh. von mir. UzSp, 161.
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art weiten, daß sich der Möglichkeitsspielraum einer anderen ›Sprachlichkeit‹ eröffnet: »Der Horizont ist demnach noch etwas Anderes als Horizont.«136 Nun ist aber ein solchermaßen auf ein Anderes hin gerichteter Horizont der Sprache nicht zu verstehen als das Resultat eines stets sich erneuernden sprachlichen Kreativitätspotentials, mittels dessen die Grenze des bislang ›ungenügenden‹ Sprachausdrucks transzendiert und ein bislang ungesagtes »Wort« im Sinne eines noch nicht richtig Reflektierten und Verbalisierten endlich dem erweiterten Horizont des bedeutsamen Ausdrucks einverleibt werden könnte. Vielmehr bleibt jene Grenze des Verstummens selbst »noch etwas Sprachliches«;137 sie markiert innerhalb, noch im gewöhnlichen Sprachhorizont eine von der distinkten Bedeutsamkeit entbundene Sprache, ohne diese Sprache wieder in ein ausdruckshaftes Sprechen eingrenzen zu können: Dies ›beredte Schweigen‹, das den Horizont einer ›Sprache ohne Wörter‹ eröffnet, ist »das Andere seiner selbst und deshalb das Selbe, das es ist«.138 Dieser offene Horizont einer ›Sprache ohne Wörter‹ läßt sich also nicht mehr ausschließlich über das Kriterium des Sprechens konstituieren, welches das Schweigen als das negative Andere, als das eindeutig vom Sprechen Distinkte, ausgrenzt: »Sagen und Sprechen sind nicht das gleiche. Einer kann sprechen, spricht endlos, und alles ist nichtssagend. Dagegen schweigt jemand, er spricht nicht und kann im Nichtsprechen viel sagen.«139 Ein solches vielsagendes Schweigen (»Nichtsprechen«) ist für Heidegger in erster Linie nicht zu fassen als ein Mangel an Verlautbarung, sondern als die Grundstruktur eines »Sagens«, das noch ›Sprache‹ ist und gleichwohl nicht eigens zu Wort kommen kann: »Das Ungesprochene ist nicht nur das, was einer Verlautbarung entbehrt, sondern das Ungesagte, noch nicht Gezeigte […]. Was gar ungesprochen bleiben muß, wird im Ungesagten zurückgehalten, verweilt als Unzeigbares im Verborgenen […].«140 Diese Grenze im Sinne eines beredten Schweigens, welches nicht mehr in eine aussprechbare oder gar aussagbare ›Offenheit‹ überführt werden kann, aber doch noch »andere Möglichkeiten des Sagens und d. h. zugleich des sagenden Nichtsagens«141 offenhält, sieht Heidegger in der Struktur der worthaften Mehrdeutigkeit präfiguriert: Die Oszillation des »Wortes« zwischen seinem ›unwesentlichen‹ Charakter als kleinste grammatische Einheit des Sprachzusammenhangs und seinem Charakter als »wesentliches Wort« 136
Gel, 40. ÜSuTS, 6. Hervorh. von mir. 138 Gel, 40. 139 UzSp, 252. Hervorh. von mir. – Ähnlich auch ÜSuTS, 23. 140 UzSp, 253. – Zum Heideggerschen »Wort«-Spektrum von »sagen/zeigen« siehe unten, 140ff. 141 ID, 72. 137
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zeitigt eine Entgrenzung von eben dieser eindeutigen Bestimmbarkeit als grammatikalisch distinktes Sprachzeichen (nomen vs. verbum). Ebenso entbindet die dynamisch-nennende Struktur des »Wortes«, dessen gleichzeitiges An- und Abwesenlassen, das wesentliche »Wort« von einer distinkten Bedeutsamkeit innerhalb eines sprachpragmatischen Horizonts. Diese doppelte – formale wie semantische – Entgrenzung des »Wortes« und die damit verbundene Eröffnung der verborgenen, wesenhaften Dynamik sucht Heidegger durch eine parodistische Transformation des George-Verses »Kein ding sei wo das wort gebricht« zu verdeutlichen: »Ein ›ist‹ ergibt sich, wo das Wort zerbricht. Zerbrechen heißt hier: Das verlautende Wort kehrt ins Lautlose zurück […]. Dieses Zerbrechen des Wortes ist der eigentliche Schritt zurück auf dem Weg des Denkens.«142 – Eben dieses »Zerbrechen des Wortes«, dessen Struktur einer ›lautlosen Sprachlichkeit‹, prägt Heideggers eigenes Verhalten gegenüber interpretationsbedürftigen Texten der Tradition auf eine entscheidende Weise: »Was immer eine Erläuterung vermag und was sie nicht vermag, von ihr gilt stets dieses: damit das im Gedicht rein Gedichtete um einiges klarer dastehe, muß die erläuternde Rede sich und ihr Versuchtes jedesmal zerbrechen. […] Der letzte, aber auch der schwerste Schritt jeder Auslegung besteht darin, mit ihren Erläuterungen vor dem reinen Dastehen des Gedichtes zu verschwinden.«143 Heideggers ›Zerbrechen‹ der eigenen erläuternden Rede, d. h. sein Versuch, diese von einer metasprachlichen Funktion zu entbinden, stellt somit die Kehrseite von Heideggers Zerbrechung eines zu erläuternden Primärtextes dar – all dies mit dem Ziel, das jeweils geschlossene Ganze von Text und Metatext in einen ›inneren Zusammenhang‹ zu transformieren.144 Heideggers Zerbrechen des eigenen und des fremden Textes bestimmt sich als ein erster, stets zu wiederholender (Nach-)Vollzug des »Zerbrechen des Wortes«: als ein Verfahren, am eigenen und fremden Text die ›rigide‹ Präsenz eines diskursiven oder poetischen Sprechens zurückzunehmen, um dadurch die immer von neuem sich entziehende sprachliche Dimension eines ›vielsagenden Schweigens‹ wenn schon nicht einholen zu können, so doch um sie wenigstens überhaupt einmal zuzulassen. Von daher, und angesichts von Heideggers neutralisierendem Verfahren mit binären Oppositionen, kann das, was Heidegger als maßgeblich für seinen Umgang mit Hölderlins Texten veranschlagt, auch als eine Selbstcharakteristik, als Charakteristik seiner eigenen Texte gelesen werden: »Inzwischen ist die Frage laut geworden, ob 142 143 144
UzSp, 216. EH, 8. Hervorh. von mir. Dazu oben, 108.
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Hölderlin den Philologen oder den Philosophen gehöre. Es gehört weder den einen noch den anderen, auch nicht beiden. Dieses Entweder-Oder läßt, wie immer man es entscheiden mag, den maßgeblichen Sachverhalt außer acht.«145 Mit der Etablierung des »Wortes« als Indikator einer Sprachlichkeit, welche genausoviel sagen wie sie verschweigen soll, verliert die Tautologie ihre herkömmliche funktionale Bedeutung für diesen gewandelten Sprachhorizont: Die Tautologie zeigt sich dann in ihrer allgemeinen Gültigkeit zurückgenommen, d. h. von ihrer formalen Funktion entbunden, den Rahmen für die Distinktheit der Sprachzeichen und Dinge sprachlich abzustecken (»A« als identisch »A« ist zugleich nicht-identisch mit »B«, »C« usw.).146 Gleichzeitig bietet die von ihrer herkömmlichen Funktionalisierbarkeit entbundene Inhaltsleere der tautologischen Satzform Heidegger einen modellhaften Ausgangspunkt innerhalb des normalsprachlichen Ausdrucks, um jenes gesuchte ›vielsagende Schweigen‹, die Struktur der worthaften An- und Abwesenheit, sprachlich zum Vorschein zu bringen.147 Mit der tautologischen Form »A ist /als A« deutet sich also für Heidegger die Struktur eines Sagens an, welches ein von der deiktischen Bedeutsamkeit entgrenztes »Wort« bzw. ein von seiner außersprachlichen Gegenständlichkeit entbundenes »Ding« als »Wort« bzw. als »Ding« nennt: im »Selben« beläßt und dabei dieses »Selbe« nicht als Identität expliziert, sondern sprachlich ›verborgen‹ sein läßt. Mit dieser tauto-logischen Form sind zwar »Wort« und »Ding« im Selben – in ihrem verbal gefaßten »Wesen« – berührt, zugleich aber mit dieser ›Festschreibung‹ allein noch nicht dieser wesenhaften Verborgenheit entsprechend gezeigt.
145
EH, 152. Vgl. UzSp, 216: »Das Allgemeine, das für jede Sache gilt, nennt man das Wesen.« – Heideggers Zurücknahme der Allgemeingütligkeit der tautologischen Satzform betrifft also ihren Charakter als Wesensaussage über die essentielle Identität und Distinktheit eines Sprachzeichens bzw. eines durch dieses Sprachzeichens bezeichneten Dings. 147 Vgl. dazu das von Alfredo Guzzoni angefertigte und von Heidegger überarbeitete Protokoll zu seinem Seminar über den Vortrag »Zeit und Sein«; danach ist ein Denken, »das in Modellen denkt, […] nicht unmittelbar als ein technisches Denken zu kennzeichnen, weil Modell dabei nicht im technischen Sinne als Wiedergabe oder Entwurf von etwas im verkleinerten Maßstabe zu verstehen ist. Modell ist vielmehr das, wovon das Denken als der natürlichen Voraussetzung sich notwendig abstoßen muß, so nämlich, daß dieses Wovon zugleich das Womit des Sichabstoßens ist. Die Notwendigkeit für das Denken, Modelle zu gebrauchen, hängt mit der Sprache zusammen. Die Sprache des Denkens kann nur von der natürlichen Sprache ausgehen. Diese ist aber im Grunde geschichtlich-metaphysisch. In ihr ist also bereits eine Ausgelegtheit – in der Weise der Selbstverständlichkeit – vorgegeben.« (ZSD, 54. Hervorh. von mir.) 146
2. W ÖRTLICHES Ü BERSETZEN
Damit dieses nur tautologisch »nennbare«, sprachliche »Wesen« in seiner Verborgenheit um einiges klarer zum Vorschein kommen kann, sucht Heidegger die einzelnen Wörter aus ihrem herkömmlichen Sprach- und Bedeutungszusammenhang herauszutreiben und als »wesentliche« in das Beziehungsgeflecht einer gewandelten Sprachlichkeit einzubringen. Dieses Verfahren Heideggers, Lexeme bzw. »Wörter« in einer be- und verfremdenden Weise zum Zweck ihrer »Erweckung, Klärung, Entfaltung«148 zu »Worten« miteinander in Bezug treten zu lassen, soll nun ein Stück weiter verfolgt werden, näherhin anhand von Heideggers ›wörtlichem‹ Übersetzungsverfahren.149 Hängt für Heidegger das Sichtbarwerden einer wesenhaft-dynamischen Struktur des »Wortes« entschieden davon ab, daß das »Wort« einem »metaphysischen«, dichotomen Blick auf »den Bau der Sprache«, d. h. auf deren »Grundelemente Laut und Schrift auf der einen und Bedeutung und Sinn auf der anderen Seite«,150 die Grenzen zu weisen vermag, so dient auch Heideg148
HHI, 80. In jüngster Zeit sind zwei Versuche unternommen worden, das im deutschen Sprachraum bislang ungewürdigte oder nur marginal behandelte Problem des Übersetzens – und nicht bloß einzelner Übersetzungen – in seiner zentralen Bedeutung für Heideggers (Sprach-)Denken nachzuzeichnen: H.-D. Gondek, »Logos und Übersetzung. Heidegger als Übersetzer Heraklits – Lacan als Übersetzer Heideggers«, in: Übersetzung und Dekonstruktion (= Anm. 116), 263–348; sowie L. Heidbrink, »Das Eigene im Anderen: Martin Heideggers Begriff der Übersetzung«, in: ebd., 349–372. Wie bereits der jeweilige Titel dieser Arbeiten signalisiert, geht es Heidbrink vornehmlich um die Herausarbeitung einiger theoretischer Grundlagen, die Heideggers übersetzerische Praxis im allgemeinen bestimmen und verstehen helfen. Anschauliche Detailanalysen zu Heideggers Aufsatz »Logos (Heraklit, Fragment 50)« (vgl. VA, 207ff.) liefert Gondek (dessen zahlreiche Zitate aus diesem Aufsatz in ihrer Paginierung nicht mit der von ihm herangezogenen Erstausgabe [Pfullingen 1954] übereinstimmen). Gondek läßt sich dabei von der überzeugenden Prämisse leiten, daß eine interpretatorische Annäherung an Heideggers Übersetzungen »ein Verständnis von Sprache in Frage zu stellen [hat], das […] diese als Repräsentation oder als Expression, als Zeichen denkt« (Gondek, 277). Doch Gondeks konsequente »Frage, ob – und wie – dies gelingt«, scheint, sobald sie sich »als erstes an Heidegger selbst« (ebd.) richtet, nicht so sehr die sprachliche Verfahrensweise Heideggers bei seinem übersetzerischen Unternehmen im Blick zu haben, sondern eher die sachhaltigen Bezüge, die Heidegger etwa mit seiner Übersetzung von λóγος entfaltet: »›Lesende Lege‹ ist keine Übersetzung von Logos – im Sinne der Übersetzung eines Wortes ›Logos‹. ›Lesende Lege‹ expliziert des Bezughafte des Logos, in das sich das legein als homologein einfinden, d. h. erst dahinein übersetzen muß. Indirekt sagt es aber auch, daß sich der Logos – wie das Sein, als das Sein – entzieht.« (Ebd., 283. Gesperrte Hervorh. von mir.) Wie aber Heidegger diesen ›indirekten‹ bzw. ›sich entziehenden‹ Aussagemodus des λóγος sprachlich etabliert, kann wohl erst ein Blick auf Heideggers sprachliche Verfahrensweise erhellen. 150 UzSp, 103. 149
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gers übersetzerische Praxis nicht mehr dem Bedeutungstransfer von einem Sprachhorizont in den anderen zu »technisch-praktischen Verkehrszwecken«.151 Bereits ein derartiger Bedeutungstransfer, der am Maßstab philologischer Adäquatheit idealiter die Deckungsgleichheit der Wortbedeutungen von Original und Übersetzung verfolgt, hat nämlich zur Voraussetzung, daß die jeweils konkreten, lexikalisch erfaßten Wortbedeutungen einer Originalsprache »durchgängig auf einer voraufgehenden Auslegung der sprachlichen Zusammenhänge beruhen müssen, aus denen die einzelnen Worte und Wortverwendungen entnommen sind«.152 Um diese durchweg vorgängige Auslegung eines (fremd)sprachlichen Zusammenhangs auf die kontextuelle Bedeutsamkeit seiner Elemente hin in gewisser Weise unterlaufen zu können, suchen Heideggers Übersetzungen »wissentlich alle ungemäßen Vormeinungen fallen[zu]lassen«.153 Für Heideggers Übersetzungsverfahren bedeutet dies zunächst, daß es sich als ein ›wörtliches‹ Übersetzen im doppelten Sinne gestaltet: a) Zum einen gliedert Heidegger nur sehr spärlich Übersetzungen von zusammenhängenden fremdsprachlichen Textpassagen in seine späten Publikationen ein. In »Unterwegs zur Sprache« etwa beschränkt sich Heidegger auf die explizite Zitation und Übersetzung von zwei Versen der Apostelgeschichte, von drei Versen der Sophokleischen »Antigone« und der Eingangssätze der Aristotelischen Schrift »Περì ρµηνεíας«.154 Charakteristisch für Heidegger wird die Konzentration auf einzelne Wörter oder auf kurze Wortverknüpfungen, bei denen er es offenbar vermeidet, sie als Bestandteil eines bestimmten fremdsprachlichen Textkorpus oder Kontextes zu behandeln.155 151
HHI, 80. – Zum »Bau der Sprache« vgl. auch UzSp, 204, 245f. Über den mit dieser Formulierung angedeuteten Bezug Heideggers auf Humboldts »Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und seinen Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts« siehe unten, 167ff. 152 HHI, 74f. Hervorh. von mir. 153 Hw, 328. 154 Vgl. UzSp, 203, 219, 203f. und 244. – Abgesehen von ihrem dritten Teil, der sich thematisch auf einige Fragmente von Heraklit und Parmenides konzentriert, finden sich auch in den »Vorträgen und Aufsätzen« nur noch drei längere fremdsprachliche Zitate: jeweils ein Satz bzw. Halbsatz aus Platons »Symposion« (VA, 19) und »Theaetet« (VA, 109), sowie zweieinhalb Verse von Parmenides Frgm. B 8 (VA, 141). 155 Kritisch dazu Beierwaltes, Heideggers Rückgang, 21f.: »Dabei läßt er [Heidegger] formale Alternativen, die sachlich allerdings und im Blick auf den gedanklichen und geschichtlichen Kontext wesentlich plausibler sind, notorisch außer Acht. Als ein Beispiel hierfür mag Heideggers Übersetzung und In-Gebrauchnahme eines ›alten Spruches‹ gelten, dessen Autor er zunächst gar nicht nennt, aber kennt: ›Folgen wir dem alten Spruch: µελéτα τò π-ν, Nimm in die Sorge das Seiende im Ganzen‹ … Er stammt von einem der sogenannten sieben Weisen, dem Korinther Periandros.« Beierwaltes bezieht sich hier auf Heideggers Vorlesung »Grundbegriffe«, GA 51, hrsg. von P. Jaeger, Frankfurt a. M. 1981, 23 und 41f., sowie auf H, 261. Vgl. auch BuFV, 146. – Weiteres dazu unten, 150ff.
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Hierbei richtet sich Heideggers übersetzerisches Bemühen in erster Linie auf Wörter der altgriechischen Sprache, in seinen späten Texten mit zunehmender Rekurrenz auf solche, die eine ausgedehnte philosophische Interpretationsgeschichte – auch seitens von Heidegger – vorweisen können: etwa auf ε.ναι, νοε#ν, λóγος, φúσις, τò ατó. Dieser Rückgang auf die ›grundlegende‹ Sprache der europäischen Philosophie und hierbei insbesondere auf einzelne Wörter dieser Sprache ist für Heidegger deshalb unumgänglich, weil sich für ihn die (philosophisch relevante) Übersetzungsgeschichte der griechischen »Worte« als die Geschichte ihrer Umdeutung in distinkte und untereinander hierarchisierte Sprachzeichen und dabei wie eine Art Verfallsgeschichte ausnimmt: »Sie beginnt mit der Übernahme der griechischen Wörter in das römisch-lateinische Denken. […] Diese Übersetzung der griechischen Namen in die lateinische Sprache ist keineswegs der folgenlose Vorgang, für den er noch heutigentags gehalten wird. Vielmehr verbirgt sich hinter der anscheinend wörtlichen und somit bewahrenden Übersetzung ein Übersetzen griechischer Erfahrung in eine andere Denkungsart. Das römische Denken übernimmt die griechischen Wörter ohne die entsprechende gleichursprüngliche Erfahrung dessen, was sie sagen, ohne das griechische Wort. Die Bodenlosigkeit des abendländischen Denkens beginnt mit diesem Übersetzen.«156 Jedoch ist es nun nicht das Bestreben von Heideggers eigenem übersetzerischen Verfahren, sich unvermittelt, mit einem Sprung aus dieser ›Verfallsgeschichte‹ heraus, an den Nullpunkt einer unversehrt-ursprünglichen (Seins-) Erfahrung zurückzuversetzen, wie sie sich doch dem obigen Zitat zufolge im griechischen »Wort« konserviert zu haben scheint. Ein unbesehener Rückgriff auf »das griechische Wort« ist Heidegger zunächst deshalb nicht möglich, weil für ihn jene übersetzerische Ablösung vom griechischen »Wort« und seiner Erfahrung bereits innerhalb des griechischen Sprachhorizonts einsetzt. Diese intrasprachliche Ablösung vollzieht sich für Heidegger vor allem mit einem logischen Sprachverständnis und Sprachgebrauch, deren nachhaltigstes Symptom die allmähliche Herausarbeitung des λóγος als Begriff und Satzurteil »im Umkreis des Schulbetriebs der platonisch-aristotelischen Schulen«157 ist. Vor allem in der Aristotelischen Kennzeichnung des λóγος als πóφανσις erblickt nämlich Heidegger eine grundsätzliche Struktur der sprachlichen ›Preisgabe‹,158 die das Ganze der Sprache(n) und nicht bloß eine bestimmte Einzelsprache (wie etwa das Lateinische) betrifft: die Etablie-
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»Der Ursprung des Kunstwerkes« [1935/36]; Hw, 7. – Eine kursive Akzentuierung des Satzes hat Heidegger erst in einer späteren Auflage der »Holzwege« vorgenommen; in der Erstausgabe von 1950 findet sich diese nicht. 157 EiM, 92. Vgl. etwa auch BüH, 97 f. WhD, 99ff. UzSp, 204f. und 245. 158 Vgl. dafür oben, 111.
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rung eines von signifikativer Deutlichkeit geprägten Sprechens und Sprachverständnisses, mit dem zugleich eine in der πóφανσις namhaft gemachte »Bauform« des λóγος »verschwindet« – preisgegeben wird: »Den λóγος der Logik kennzeichnet Aristoteles als λóγος ποφαντικóς, […] auch einfach [als] πóφανσις. Das Wort ist in seiner Nennkraft nicht zu übersetzen; es meint: das Zum-Scheinen-Bringen des Vorliegenden von ihm selbst her. Wenn wir das Wort πóφανσις durch Dar-legung übersetzen, betonen wir zwar das Vorliegenlassen, aber das eigentümlich Griechische – das ZumSchein-Bringen – geht verloren. […] Das Seltsamste indes, was in der Wesensgeschichte des abendländischen Denkens sich begab, ist, daß der alles tragende Zug des λóγος der Logik, die πóφανσις, das entbergende ZumErscheinen-Bringen, alsbald verschwindet und zwar zugunsten einer anderen Bauform des λóγος, die ursprünglich in der πóφανσις beheimatet ist. Aristoteles bringt sie kurz und bündig ans Licht, wenn er den λóγος als λéγειν τι κατá τινος umgrenzt. […] Schwindet nämlich, was frühzeitig geschieht, der πóφανσις-Charakter in die Vergessenheit weg, dies, daß Denken ist: Erscheinenlassen, dann drängt sich die genannte Bauform des λóγος in den Vordergrund: das λéγειν τι κατá τινος; dieses wurde in der Folge herausgelöst aus dem Darlegungscharakter, für sich als Beziehung vorgestellt. So finden wir uns denn in die seit langem herkömmliche Vorstellung vom λóγος der Logik versetzt: Er ist die Verbindung eines Subjekts […] mit dem Prädikat […]. Die Vorstellung vom λóγος ist sogar richtig; ihre Richtigkeit läßt sich überall durch die grammatische Betrachtung belegen.«159 Nun scheint es allerdings zuzutreffen, daß Heidegger »der ›Bodenlosigkeit‹ des Übersetzens vom Griechischen ins Lateinische […] dann mit Hilfe Hölderlins die spezifische Verklammerung der griechischen mit der deutschen Sprache gegenüber[stellt]. Letzteres blieb auch nach 1945 erhalten; ersteres wurde ohne weitere Begründung fallengelassen.«160 Doch begreift Heidegger die »Bodenlosigkeit«, die sich »hinter der anscheinend wörtlichen und somit bewahrenden Übersetzung« ins Lateinische verbirgt und die »mit diesem Übersetzen«161 beginnt, nur als ein, wenngleich als ein prototypisches Beispiel für ein »Übersetzen in eine andere Denkungsart«:162 als ein Beispiel für das Verfahren eines übersetzerischen Bedeutungstransfers, das bereits gesteuert wird über jene »andere Bauform des λóγος« – über das λéγειν τι κατá τινος – und damit über den dichotomen »Bau« der Sprache.163 Inso-
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»Grundsätze des Denkens – IV. Vortrag« [1957]; BuFV, 142ff. Hervorh. von mir. Gondek, »Logos und Übersetzung«, 281. 161 Hw, 7. Hervorh. von mir. 162 Hw, 7. Hervorh. im Original. 163 Zum dichotomen »Bau« der Sprache vgl. oben, 123. – Vgl. auch Hw, 366 f .: »Eine bloße Übersetzung [der griechischen νéργεια in die lateinische actualitas] soll dieses [eine 160
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fern stellt auch Heideggers Rede von der »Bodenlosigkeit« keine bloß hierarchisierende, wertbesetzte Qualitätsaussage über lateinische Übersetzungen oder über das Latein als einer Einzelsprache dar, was einerseits daran ersichtlich ist, daß Heidegger die lateinische Sprache – oder genauer: das lateinische Wortmaterial – ›positiv‹ in sein eigenes Übersetzungsverfahren einbezieht,164 andererseits daran, daß für ihn das »Wegschwinden« des »πóφανσις-Charakters« gerade auch das Griechische selbst – intrasprachlich – beherrscht. Wenngleich also Heidegger stets an einer Verbündung der griechischen mit der deutschen Sprache festhält,165 so doch nicht unter dem stetigen Vorzeichen einer ausgezeichneten lexikalischen Bedeutsamkeit beider Sprachen: Bereits ein lexikalisch adäquater Bedeutungstransfer der Aristotelischen πóφανσις ins Deutsche ist für Heidegger nicht nur nicht nötig, sondern vor allem auch nicht möglich, da die »Nennkraft« dieses »Wortes« ein derartiges, an der Dichotomie von Signifikant und Signifikat orientiertes Übersetzen nicht zuläßt. Doch ebensowenig kann dieses »Wegschwinden« des »πóφανσις-Charakters«, welches noch im griechischen Sprachhorizont einsetzt, mit einer nostalgischen Flucht in die ersten noch greifbaren Stadien der griechischen Sprachgeschichte aufgehalten werden, wo endlich die Hoffnung bestünde, die eine, substantiell-ursprüngliche lexikalische Bedeutung oder grammatische Funktion eines »Wortes« anzutreffen. In diesem eskapistischen Sinne beanspruchen Heideggers berühmt-berüchtigte übersetzerische Rückgriffe auf die Fragmente der frühgriechischen Philosophie wohl kaum, die besseren oder eigentlichen Verdeutschungen zu sein. Für Heidegger bleibt »jedes bloße ›Zurück zu‹ eine Selbsttäuschung, gelte dieses Zurück dem klassischen Altertum oder dem Neuen Testament«;166 ebensowenig geht es Heidegger »um irgend eine Renaissance des vorsokratischen Denkens, solches Vorhaben wäre eitel und widersinnig«.167 Insofern erhofft sich Heidegger auch nicht, mit einer »Haltung der [eigenen] Sprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch […] zu einer fremden Aehnlichkeit hinübergebogen«168 ist, irgendwelche ›vor‹-begrifflichen Bedeutungspotentiale, die im frühgriechischen Sprachausdruck ›noch‹ angelegt sind, so getreu wie möglich in den Horizont der eigenen Sprache hinüberretten zu können. Ein derartiges Übersetzen, d. h. ein »›Über-setzen‹ und Hinübergehen in die fremde Spraandere Epoche/ποχ des Seins] veranlaßt haben? Doch vielleicht lernen wir bedenken, was sich im Übersetzen ereignen kann.« (Hervorh. von mir.) 164 Für konkrete Beispiele siehe unten, 141ff.; 155ff. 165 Vgl. dafür etwa EiM, 43. 166 HHI, 81. Hervorh. von mir. 167 WiM, 10. 168 F. Schleiermacher, »Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens«, in: Das Problem des Übersetzens, hrsg. von H. J. Störig, Stuttgart 1963, 38–70; hier 55.
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che mit Hilfe der eigenen«,169 bewegt zwar die eigene Sprache auf den Horizont der Fremdsprache hin, doch stets mit dem primären Ziel, die so ›erreichten‹ Bedeutungspotentiale der frühgriechischen Wörter in die Bedeutsamkeit der eigenen Sprache einzuverleiben. Die Über-setzung der eigenen Sprache gerät unvermeidlich zur (wie auch immer modifizierten) übersetzerischen Aneignung der fremden Sprache: Vor allem Hinübergehen in jenes frühgriechische Sprachstadium ist dieses schon auf den Horizont der – lexikalischen – Bedeutsamkeit der eigenen Sprache bezogen. Damit werden auch die frühgriechischen Wörter für Heidegger letztlich »aus dem ungefähr Verständlichen auf[genommen], das ihnen die geläufige Verständlichkeit der eigenen Sprache schon geliehen hat«.170 Infolge eines solchen, an der lexikalischen Bedeutsamkeit orientierten Bezuges zwischen Original und Übersetzung wird »das Übersetzen [zum] Ersetzen der fremden Sprache durch die eigene oder umgekehrt«.171 Das übersetzerische Prinzip der semantischen Gleichwertigkeit, das idealiter auf die Identität und damit auf die Austauschbarkeit der Bedeutungen (Signifikate) von Original und Übersetzung abzielt, wird mit der materialen Absenz der jeweils übersetzten Signifikanten, mit der Ersetzung eines Zeichensystems durch das andere, erkauft. Demgegenüber »lichtet sich« für Heidegger das verbal verstandene Wesen der Sprache gerade aus einem, wie er es formuliert, »Bezug des Vorliegenden zum Vorliegenlassen«, der auch »den Griechen verhüllt [bleibt]«.172 Diese Formulierung Heideggers kann nun durchaus als eine programmatische Selbstbeschreibung seines Übersetzungsverfahrens gelesen werden, insofern nämlich das mit einer Sprache vorliegende, sinnlich erfahrbare Material, d. h. die gesprochenen oder geschriebenen Signifikanten, für ihn kein unmittelbar gegebenes Substrat darstellt, aus dem man »einen vorhandenen Inhalt schöpfen«173 könnte: »Wenn wir unmittelbar Gesprochenes unmittelbar hören, dann hören wir weder Worte als Wörter, noch gar die Wörter als bloßen Schall.[174] Damit wir den reinen Schall eines bloßen Lautes hören, müssen wir uns zuvor erst aus allem Verstehen und Nichtverstehen des Gesprochenen herausnehmen. Wir müssen von all dem absehen, abstrahieren, um ledig-
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HHI, 80. Hw, 330. 171 HHI, 80. 172 WhD, 123. »Sie [die Griechen]«, so Heidegger weiter, »haben dieses Wesen der Sprache nie eigens hervorgehoben oder gar in das Fragwürdige gebracht. Aber ihr Sagen bewegt sich in diesem Wesen.« – VA, 228: »[Die] Griechen wohnten in diesem Wesen der Sprache. Allein sie haben dieses Wesen der Sprache niemals gedacht, auch Heraklit nicht.« 173 WhD, 89. Hervorh. von mir. 174 Gemeint ist hier wohl: weder einen geprägten Zusammenhang des Sprechens, einen Satz etwa, als das Produkt von verschiedenen syntaktischen Einheiten, noch diese syntaktischen Einheiten als bloßes Lautkonglomerat. 170
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lich den bloßen Lautschall aus dem Gesprochenen heraus- und von ihm abzuziehen, damit wir dieses Abgezogene für sich akustisch ins Ohr bekommen. Den Schall, den man im Auffassungsfeld jenes vermeintlichen ›zunächst‹ für das unmittelbar Gegebene hält, ist ein abstrahiertes Gebilde, das beim Hören des Gesprochenen weder für sich, noch je zunächst vernommen wird. […] Der bloße Lautschall ist niemals das unmittelbar im Wortlaut Gegebene. […] Selbst dort, wo wir das Gesprochene einer Sprache hören, die uns völlig fremd ist, hören wir niemals bloße Laute als nur sinnlich gegebene Schälle, sondern wir hören unverständliche Worte.«175 Bereits durch seine Beschäftigung mit der Bedeutungslehre der mittelalterlichen Grammatica speculativa war Heidegger auf diese ›desubstanzialisierende‹ Ansicht eines gegebenen Sprachmaterials gestoßen. Dort werde nämlich, so Heidegger, die empirische Wirklichkeit, also auch das gegebene Sprachmaterial (vox), »als unter einer ›ratio‹, d. h. einem Gesichtspunkt, einer Form, einer Bewandtnis stehend charakterisiert; […] auch die ›Gegebenheit‹ stelle bereits eine kategoriale Bestimmung dar«.176 Sprachliche Bedeutsamkeit kann also für Heidegger nur insofern auf »dem lautlichen Zeichencharakter der Wörter«177 beruhen, als die Siginifkate sozusagen auf den Signifikanten ruhen; doch entspringt diese sprachliche Bedeutsamkeit – die zeichenhafte Bedeutsamkeit auf der lexikalischen Ebene der Sprache – schon einer bestimmten kategorialen Anschauung des vermeintlich ›zunächst gegebenen‹ und so ›vorliegenden‹ Sprachmaterials.178 Verfahrenstechnisch gesehen bedingt somit ein Wandel der sprachlichen Bedeutsamkeit bzw. ein ›gewandeltes Sagen‹, das Heidegger in seinen späten Texten zu etablieren sucht, vor allem eine andere »κατηγορíα, das Andeuten, Sichtbarmachen«179 des Sprachmaterials: Heideggers übersetzerisches »Vorliegenlassen« des »vorliegenden« Sprachmaterials zielt auf einen genuinen 175
WhD, 88f. – Die letzten Sätze finden sich fast wörtlich bereits in SZ, 164. KuB, 260. – Diese von Heidegger veranschlagte ›Desubstanzialisierung‹ des Sprachmaterials hat in Jakobsons Theorie der »distinctive features« eine bemerkenswerte sachhaltige Parallele: Die für seine strukturale Linguistik so zentrale phonologische Anschauung der Sprache(n) als eines relationalen Gefüges von Phonemen sieht sich im Gegensatz zu einer phonetischen Anschauung von Sprache, die das Lautinventar einer Sprache als stoffliches Substrat begreift: »Die Laute sind selbstverständlich ein Stoffbegriff. Dagegen ist das Phonem […] ein typischer Form- bzw. Funktionsbegriff.« (Jakobson, »Zur Struktur des Phonems«; SW I, 280–310; hier 286.) 177 WhD, 123. Hervorh. von mir. 178 Vgl. dazu FG, 174: »Man beachtet den Zeichencharakter der Sprache, aber man beachtet nicht die Art des Zeigens dieser Zeichen.« (Hervorh. von mir.) – Für Heideggers Adaption und Fortführung der Husserlschen »kategorialen Anschauung« vgl. die prägnante Darstellung von K. Held, »Heidegger und das Prinzip der Phänomenologie«, in: Heidegger und die praktische Philosophie, 111–139; hier v. a. 112ff. und 128f. 179 H, 261. 176
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semantischen Möglichkeitsspielraum, der sich im und nicht nur mittels des Sprachmaterials eröffnet: auf eine »Gleichursprünglichkeit«, in der die »Worte« und das, »was sie sagen«, zur Deckung kommen sollen.180 Insofern konzediert Heidegger »der« Sprache, die für ihn bekanntlich »spricht«,181 nicht einfach den absoluten Status eines ein für allemal feststehenden und gegebenen Inventars, aus dem sich ›dann‹ irgendwelche anderen, ›eigentlichen‹ Bedeutungen, in Abhebung von den ›herkömmlichen‹ Bedeutungen, herauslesen lassen. Heideggers übersetzerische Arragements, die wiederholt in einer atemberaubenden Weise das griechische, lateinische und deutsche Wortmaterial über (Pseudo-)Etymologien und/oder über lautliche Assoziationen miteinander verknüpfen, dienen in erster Linie nicht der Kreation einzelner neuer lexikalischer Bedeutungen, sondern der Freisetzung einer anderen Art von sprachlicher Bedeutsamkeit, die sich gleichwohl nicht strikt von der herkömmlichen zeichenhaften Bedeutsamkeit sondern läßt; »inmitten der langher überlieferten Sprache der Metaphysik und ihrer Grammatik« sucht Heidegger »das gemäße Wort«.182 Anders formuliert: Der bedeutungsverleihende Akt von Heideggers ›Übersetzungen‹ besteht in der buchstäblichen Produktion einer »Mehrdimensionalität«183 der sprachlichen Bedeutsamkeit. b) So zeigt sich jenes ›wörtliche‹ Übersetzen in seinem zweiten Sinn zunächst an Heideggers Aufmerksamkeit auf den Bau der Signifikanten, etwa an seiner Berücksichtigung der grammatischen Form, der Prä- und Suffixe, aber auch des etymologischen Wortstammes.184 Doch erfüllt dieses ›wört180
Hw, 7 (= Anm. 156). Vgl. etwa UzSp, 12. VA, 190. BuFV, 168f. 182 BüH, 79. 183 BüH, 56. 184 Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl Heideggers Berücksichtigung des ›a–privativum‹ und des etymologischen Wortstammes λαθ-/ληθ- bei seiner Übersetzung der griechischen λθεια/ *αληθεσια mit »Unverborgenheit« (vgl. etwa VA, 259). In diesem Zusammenhang steht auch Heideggers Berücksichtigung der grammatischen Konstruktion des korrespondierenden Verbs λανθáνοµαι mit prädikativ gebrauchtem Partizip: »Das ›verborgen bleiben‹ ist in der griechischen Sprache das regierende Wort. […] [Dagegen] übersetzen wir das bekannte epikuräische Mahnwort λáθε βιẃσας durch: ›lebe im Verborgenen‹. Griechisch gedacht sagt das Wort: ›bleibe als der sein Leben Führende (dabei) verborgen.‹ […] Die griechische Sprache gibt durch die Art ihres Sagens kund, daß das Verbergen […] einen beherrschenden Vorrang hat.« (VA, 262. Hervorh. von mir.) So bedarf es für Heidegger hier »nicht erst einer anscheinend freischwebenden Etymologie des Wortes ληθεσíα« (VA, 262) für seine lexikalisch nicht erfaßte Übersetzung mit »Unverborgenheit«. Desgleichen sucht Heidegger ein weiteres, für ihn entscheidendes griechisches »Wort, das zum Stamm λαθ- gehört, nachdenklicher zu gebrauchen. Es lautet πιλανθáνεσθαι. Wir übersetzen es richtig mit ›vergessen‹. Auf Grund dieser lexikalischen Richtigkeit scheint alles im reinen zu sein. Man tut so, als sei das Vergessen die sonnenklarste Sache von der Welt. Man bemerkt nur flüchtig, daß im entsprechenden griechischen Wort das Verborgenbleiben genannnt ist.« (VA, 264. Hervorh. von mir.) Zum ›reinen‹ und 181
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liche‹ Übersetzen nicht die Funktion, die buchstäbliche Bedeutung eines griechischen Wortes zu eruieren, die dann unbesehen als die eine, eigentliche und ursprüngliche gelten könnte; nach eigenem Bekunden Heideggers erschöpft sich sein ›wörtliches‹ Übersetzen gerade nicht darin, »in einer simplen Art die wörtliche Bedeutung […] aus- und nachzusprechen«;185 »solange eine Übersetzung nur wörtlich ist, braucht sie noch nicht wortgetreu zu sein. Wortgetreu ist sie erst, wenn ihre Wörter Worte sind«.186 In verfahrenstechnischer Hinsicht zeigt sich Heideggers übersetzerische Treue zum »Wort« besonders daran, daß seine Übersetzungen auch dort, wo sie verdeutlichende Alternativübersetzungen für ein und dasselbe griechische Wort zu sein scheinen, lexikal nicht erfaßt oder im Deutschen gar nicht gebräuchlich sind.187 Verglichen mit den jeweils philologisch adäquaten Übersetzungen bleibt Heideggers übersetzerische Wortwahl mit Absicht »befremdlich, gewaltsam oder ›philologisch‹ gesprochen: ›falsch‹«.188 Philosophisch motiviert ist diese Verfahrenstechnik Heideggers aus seinem Vorbehalt gegenüber einem Identitätsbegriff, durch den sich die Verschiedenheit zweier Sprachen übersetzerisch ausgleichen läßt in Form der jeweiligen Gleichwertigkeit der Sprachzeichen, d. h. einer Identifizierbarkeit ihrer lexikalischen Signifikate.189 Insofern gestalten sich Heideggers Übersetzungen zunächst als »Ein-Bildungen« des Fremden in die eigene, deutsche und in die übersetzte, griechische Sprache: »als erblickbare Einschlüsse des Fremden in den Anblick des Vertrauten«.190 ›klaren‹ Charakter der zeichenhaften Sprache vgl. oben, 112. – Angesichts dieser in der materialen Struktur von λθεια und πιλανθáνεσθαι präsenten »Verborgenheit«, die mit den üblichen deutschen Übersetzungslexemen »Wahrheit« und »vergessen« nicht zum Ausdruck kommt, behauptet Heideggers übersetzerischer Neologismus »Unverborgenheit« die ›neutrale‹ Mitte in einem semantischen Bezugsfeld, dessen Pole einerseits das zur »Verborgenheit« positive Kontrarium »offen, sichtbar« und andererseits das negative Kontradiktorium »nicht verborgen« markieren. 185 VA, 259. Hervorh. von mir. – Ähnlich auch BüH, 26. 186 Hw, 318. 187 Vgl. Heideggers ›alternative‹ Übertragungen von λθεια mit der lexikal nicht erfaßten »Lichtung« (VA, 258; Hw, 38) bzw. mit der im Deutschen nicht gebräuchlichen »Entbergung« (BüH, 32; UzSp, 245). 188 HHI, 74. 189 Vgl. VA, 193: »Das selbe deckt sich nie mit dem gleichen, auch nicht mit dem leeren Einerlei des bloß Identischen. Das gleiche verlegt sich stets auf das Unterschiedslose, damit alles übereinkomme. Das selbe ist dagegen das Zusammengehören des Verschiedenen aus der Versammlung durch den Unterschied. Das Selbe läßt sich nur sagen, wenn der Unterschied gedacht wird.« 190 VA, 201. Hervorh. von mir. – Unübersehbar ist hier Heideggers Nähe zu einer Übersetzungstheorie und -praxis, wie sie sich seit Vossens Homer-Übersetzungen im frühen 19. Jhd. etabliert haben und insbesondere in Humboldts Vorrede zu seiner »Agamemnon«-Übersetzung zum Ausdruck kommen. »Den richtig bemessenen Grad des in
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Vermittels dieser übersetzerischen Verfremdung, die nicht bloß die Bedeutungen der griechischen Wörter, sondern zugleich auch den Wortlaut der deutschen Sprache betrifft, verleiht Heidegger den übersetzten Wörtern sowie seinen Übersetzungswörtern eine sprachliche Präsenz, die in erster Linie nicht diejenige ihrer jeweiligen lexikalischen Bedeutungen ist: Er übersetzt und verwandelt ein griechisches Wort – etwa »λθεια« – nicht in das semantisch äquivalente Lexem der deutschen Sprache (»Wahrheit«), sondern präsentiert stattdessen »Worte« wie »Lichtung« und »Entbergung«, deren Lexikalisierung angesichts des gewöhnlichen Sprachgebrauchs im Deutschen nun in dem gleichen Maße fraglich wird, wie es ihre Eignung für eine lexikalisch äquivalente Wiedergabe von »λθεια« ist. Heideggers Engführung von »λθεια« und »Lichtung« restituiert keine semantische Äquivalenz in dem Sinne, daß hier ein »Austausch von Namen«,191 eine (tropische) Ersetzung des Signifikanten »Wahrheit« durch den Signifikanten »Lichtung« erfolgen würde, daß also die »Lichtung« als ein (figuratives) Synonym für die λθεια verstanden werden könnte, welches im Gegensatz zur »Wahrheit« nun endlich das eigentliche lexikalische Signifikat von λθεια prägnanter träfe, das aber genauso wie der Signifikant »Wahrheit« nur wieder ein alternativer lexikalischer Ausdruck für die λθεια wäre. Die »Lichtung« ist hier kein Lexem, das intersprachlich eine äquivalente Übersetzung der »λθεια« und intrasprachlich eine äquivalente Ersetzung der »Wahrheit« darstellt. Insofern sich aber die beiden Wörter »λθεια« und »Lichtung« gerade durch ihre Engführung von ihrem herkömmlichen lexikalischen Gehalt abheben, vermittelt ihre sprachlich ›gleichwertige‹ Präsenz nicht so sehr einen sachhaltigen, lexikalisch angezeigten Gehalt, sondern beschränkt sich gewissermaßen auf die Andeutung eines im Wortmaterial beschlossenen ›formalen Sinnes‹.192 Wenn dieser formale Sinn nicht mit aller signifikativen Deutlichkeit zum Vorschein kommt, dann mag dies mit ein Grund dafür sein, daß Heideggers zunächst so plastisch und konkret anmutende Übersetzungen – z. B. von λθεια als der »Lichtung«, von φúσις als dem »Aufgehen«, von λóγος als der eigenen Sprache fühlbaren Fremden nennt Humboldt die Treue der Übersetzung.« (Frey, »Übersetzung und Sprachtheorie bei Humboldt« [= Anm. 116], 59; vgl. dort auch den Verweis auf Goethes »Noten und Abhandlungen zu besserem Verständniß des Westöstlichen Divans« [ed. Birus, 280ff.] und Schleiermachers »Akademie-Rede« [= Anm. 168]. Dazu auch G. Häntzschel, Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung, München 1977; sowie Humboldt, »Einleitung zu Aeschylos Agamemnon, metrisch übersetzt«, in: GS VIII, 119–146; hier 130ff.) Allerdings geht Heidegger entschieden – und in entscheidendem Maße – über Humboldt hinaus, wenn er »den richtig bemessenen Grad« des Fremden in der eigenen Sprache so weit treibt, daß eine innersprachliche Übersetzbarkeit bzw. Explizierbarkeit etwa seiner »Lichtung« nicht mehr gewährleistet ist. Näheres dazu im Anschluß. 191 Hw, 36. 192 Zum formalen Sinn vgl. oben, Anm. 39. – Weiteres dazu unten, 157ff.
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der »Lese« oder von 4θος als dem »Aufenthalt« – im jeweiligen Textverlauf dann auch nebulös und ›abstrakt‹ in ihrem semantischen Gehalt wirken. Doch zeigt sich der herkömmliche und konkrete lexikalische Sinngehalt, der im Deutschen etwa mit einer ›Lichtung‹, dem ›Aufgehen (einer Saat)‹, der ›Lese (von Trauben)‹ oder dem ›Aufenthalt (von Tieren im Stall)‹ verbunden wird, überhaupt erst dann unterminiert, wenn diese von Heidegger verwendeten Wörter zugleich als lexikalisch gleichwertige Ausdrücke für die entsprechenden griechischen Signifikanten gelten, wenn also etwa die »Lichtung« sowohl im ›konkreten‹ Sinne als eine Waldschneise als auch dann in einem ›bildhaften‹ Sinne als ein lexikalisch bedeutsames Äquivalent für die λθεια verstanden wird.193 Betrachtet man Heideggers übersetzerische Wortwahl vornehmlich oder sogar ausschließlich als die Gleichsetzung der jeweils lexikalischen Bedeutsamkeit seines Übersetzungswortes mit einem griechischen Ausdruck, der wiederum in seiner lexikalischen Bedeutsamkeit diesem Übersetzungswort äquivalent sein soll, dann scheint Heidegger sehr wohl eine zuweilen peinlich ›erdverbundene‹ Lexik philosophisch nobilitieren wie umgekehrt die philosophische Begrifflichkeit des Griechischen ins erschlichen Konkrete zurückwenden zu wollen. Was aber ebenso für Heideggers übersetzerische Wortwahl geltend gemacht werden muß, ist weder ihr jeweils herkömmlicher lexikalischer Gehalt im Deutschen noch ihre lexikalisch äquivalente Korrelierbarkeit mit den jeweiligen philosophischen Begriffen des Griechischen und mit deren üblichen deutschen Übersetzungslexemen: Vor einer Entscheidung für eine oder mehrere dieser inter-/intrasprachlichen lexikalischen Äquivalenzen – ›Lichtung‹ soll lexikalisch äquivalent sein a) der ›Waldschneise‹, b) der ›Wahrheit‹, c) der ›λθεια‹ – benimmt Heideggers Übersetzungsverfahren dem griechischen Wortmaterial den Charakter eines ursprünglichen und maßgebenden Bedeutungsinventars, auf das eine Übersetzung nur zurückzugreifen braucht, so wie es dem deutschen Sprachmaterial den Charakter einer Zielsprache benimmt, in die der übersetzerische Bedeutungstransfer zu münden hat. ›Original‹- und ›Ziel‹-Sprache treten in ein unentschiedenes, ›neutrales‹ Verhältnis zueinander.194 Von daher bestimmt sich auch der bereits erwähnte Usus Heideggers, die von ihm übersetzten griechischen Wörter einem bestimmten Kontext, in dem sie verwendet werden und ihre bestimmte Bedeutung erhalten, gewalt193
So etwa Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, 256ff. Daß Heidegger die griechischen »Worte« nicht einfach durch seine deutschen ersetzt wissen will, die diesen in lexikalischer Hinsicht gleichkämen, sondern daß er sie als gleichwertige Momente seines Übersetzungsverfahrens buchstäblich beibehält, verdeutlicht er etwa durch die Doppelpunkte zwischen den einzelnen ›Lexemen‹ seiner ›Übersetzung‹ »die 5Αλθεια als: die Lichtung: / die Entbergung der sich entziehenden Befugnis« (DE, 164). 194
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sam zu entreißen oder erst gar nicht einem solchen zu entnehmen. Gerade die verschiedenen kontextuellen Bedeutungsvarianten, die ein derartiges, gleichsam im luftleeren Raum schwebendes griechisches Lexem im Deutschen dann aufweisen kann, greift Heidegger auf, um anhand des entsprechenden deutschen Wortmaterials weitere Bedeutungsambivalenzen zu evozieren. So konzentriert Heidegger etwa seine wiederholt vorgetragene Auslegung des ersten Standliedes der Sophokleischen »Antigone«195 sogleich auf das Wort δεινóν in der Eingangstrophe »πολλà τà δεινà κοδèν νθρẃποω δεινóτερον πéλει…« und übersetzt dieses mit »das Unheimliche«.196 Diese lexikal nicht erfaßte Übersetzung erläutert Heidegger zunächst mit dem Verweis auf die verschiedenen, lexikal erfaßten Bedeutungsmöglichkeiten von δεινóν. In eben diesen Bedeutungsnuancen, im »Furchtbaren« und im »Gewaltigen«, sieht Heidegger nun jeweils eine weitere, in sich ambivalente Bedeutungsnuance angelegt, die gerade nicht mehr aus dem lexikalischen Gehalt von δεινóν zu motivieren ist, sondern nur noch aus dem deutschen Wortmaterial: »δεινóν bedeutet das Furchtbare und somit das Furchterregende. Die Furcht braucht aber nicht notwendig die gewöhnliche Furcht und Furchtsamkeit zu sein, die leicht in das Ausweichen und Zittern der Feigheit abfällt. Die Furcht, die das δεινóν erweckt, kann auch die Ehrfurcht sein und die Scheu. Das δεινóν als das Furchtbare ist dann nicht das Fürchterliche, sondern das Ehrfurcht Gebietende und sie Bestimmende: das Ehrwürdige. Die Furcht der Ehrfurcht ist nicht Ausweichen und Flucht, sondern die Zuwendung der Achtsamkeit und der Achtung […]. Das Gewaltige kann sein das Überragende und dann kommt es in die Nähe des Ehrwürdigen; es kann auch sein das Gewalttätige und dann kommt es in die Nähe des Fürchterlichen.«197 Fächert Heidegger dieses aus dem deutschen Sprachmaterial gewonnene lexikalische Spektrum bereits so auf, daß die einzelnen Bedeutungsnuancen jeweils in sich und untereinander in ein dynamisches Wechselverhältnis der Anziehung und Abstoßung bzw. der Nähe und Ferne eingespannt werden – die »Furcht«/»Ehrfurcht« als das »Ausweichen«/die »Zuwendung«, das Nahekommen des »Gewaltigen«/»Gewalttätigen« ans »Ehrwürdige«/ »Fürchterliche« –, so reduziert Heideggers übersetzerisch ›ungewöhnliche‹ Wortwahl »das Unheimliche« weder das δεινóν auf eine, eigentliche Bedeutung, noch bringt sie jenes mit seiner übersetzerischen Entfaltung in Bewegung geratene Spektrum wieder auf einen konzisen Nenner: »Mit dieser Übersetzung, die das griechische Wort für uns auslegt, soll nicht behauptet sein, daß für die Griechen das in Begriffe gefaßt war, was unser Wort das 195 196 197
Für das Folgende vgl. HHI, 70–152 und EiM, 114–126. HHI, 71 und passim. HHI, 76f.
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›Unheimliche‹ nennen möchte«.198 Sofern das »Unheimliche« eine lexikalische Äquivalenz zum δεινóν und zu dessen lexikalischen Bedeutungsnuancen im Deutschen, zum »Furchtbaren« und »Gewaltigen«, unterbricht, reformuliert es auch nicht das sachhaltige Signifikat, das ›quid nominis‹ des δεινóν in Form einer interpretatorischen Auslegung (Exegese). Das »Unheimliche« ist kein Interpretat, das aus dem Begriffsgehalt des δεινóν entnommen werden könnte. Ebensowenig aber vermag das »Wort ›das Unheimliche‹« die Auslegung im Sinne der ›spektralen‹ Entfaltung, die Heidegger mit den im δεινóν angelegten lexikalischen Bedeutungsnuancen vollzieht, lexikalisch zu vermitteln. Vielmehr sieht Heidegger im »Wort ›das Unheimliche‹« jenes von ihm zuvor entfaltete Spektrum derart »gefaltet, d. h. zusammengelegt und […] als so Gefaltetes zugleich verflochten und versteckt«,199 daß er nun dieses Wort über eine paronomastische Assoziation des deutschen Wortmaterials – und nicht über eine lexikalische Äquivalenz – als das »Un-heimische«200 und dieses wiederum in seiner simultanen Struktur der Ferne und Nähe kennzeichnet: als eine »Art des Heimischseins, […] die innerhalb des eigenen Wesens nicht den Eingang zu diesem findet«.201 Diesen »gefalteten« und »versteckten« Modus des »Wortes ›das Unheimliche‹« gewinnt Heidegger jedoch aus dem griechischen Wortlaut. Heideggers deutsche Übersetzung des »πολλà τà δεινá« behält nämlich die (im Griechischen geläufige) syntaktische Struktur eines Nominalsatzes bei, gibt diese Struktur also ›wörtlich‹ wieder: »Vielfältig das Unheimliche«.202 Wenn Heidegger hier die für die deutsche Satzstruktur unerläßliche Kopula unterdrückt, so verfremdet er nicht bloß den deutschen Wortlaut durch dessen Gräzisierung. Vielmehr scheint diese verfremdende ›Übersetzung‹ den prädikativen Satzcharakter nicht nur im Deutschen, sondern in einer Art Rückprojektion dann auch im griechischen ›Original‹ beiseite räumen zu wollen: Bereits diese ›wörtliche‹ Übersetzung, die der Syntax des Griechischen folgt und dadurch den Satzsinn des ›Originals‹ aufhebt, verhilft Heidegger zu einer Disjunktion von Wort und Satz. Damit wird für Heidegger der Weg frei, das Wort πολλá nicht in dessen syntaktischer Funktion – also nicht als das prädikative Satzglied, das das Subjekt τà δεινá im Hinblick auf dessen quantitatives Vorkommen näher charakterisiert – in seine Übersetzung einbringen zu müssen. Insofern erfüllt für Heidegger das πολλá hier nicht seine übliche grammatische Bedeutungsfunktion: die nähere Bestimmung eines mit dem Lexem τà δεινá angezeigten Sachverhalts »im Sinne der bloßen Anzahl 198 199 200 201 202
HHI, 83. HHI, 83. HHI, 86. HHI, 91. Hervorh. von mir. – Vgl. auch EiM, 115f. EiM, 112; HHI, 71. – Siehe auch DE, 35.
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oder Menge«203 – und damit nicht die Funktion eines Lexems, dem etwa das deutsche ›zahlreich‹ äquivalent wäre. Wenn Heidegger nun dagegen als die »echte Bedeutung« von πολλá »das Vielerlei, das Mannigfaltige, Vielfältige«204 hervorhebt, so hat diese »echte Bedeutung« dabei weder den lexikalischen Sinngehalt des Quantitativen, noch fungiert dieses »Vielfältige« innerhalb des Satzes »Vielfältig das Unheimliche« als eine qualitative Bestimmung des Sachverhalts des »Unheimlichen«; die »echte« – d. h. zugleich: die lexikalisch falsche – Bedeutung von πολλá, das »Vielfältige«, betrifft in erster Linie die modale oder bewandtnishafte Struktur des »Wortes ›das Unheimliche‹«. Dieser indirekte, »gefaltete« Modus, den Heidegger aus der grammatischen Struktur des »πολλà τà δεινá« gewinnt und den er für das »Wort ›das Unheimliche‹« geltend macht, wirkt aber nun seinerseits auf das δεινóν zurück – und zwar derart, »daß das griechische Wort τò δεινóν nicht nur das Unheimliche bezeichnet, sondern als echtes Wort sein Gesagtes so nennt, daß es als Wort selbst von der Art des Genannten, also selbst ein unheimliches Wort ist«.205 Als dieses »echte Wort« liegt τò δεινóν seinem ›eigentlichen‹ lexikalischen Signifikat, dem, was es sagt, stets schon voraus, insofern es bereits »selbst von der Art des Genannten ist«. Τò δεινóν signifiziert das »Unheimliche« gewissermaßen in Form eines Eigennamens, der nicht nur als ein Signifikant auf das »Unheimliche« deiktisch hinweist, sondern der auch bei diesem Verweis »selbst ein unheimliches Wort« ist. Im Sinne einer intersprachlichen Übersetzung, die den Begriffsgehalt, das sachhaltige ›Was‹ von τò δεινóν in die Zielsprache überführt und dort explikatorisch auslegt und verdeutlicht, kämen die Signifikanten »das Unheimliche« und »das Un-heimische« für das Wort »τò δεινóν« sozusagen zu spät; als bloß äquivalente Lexeme wären sie allein schon deswegen unzutreffend oder gar überflüssig, weil τò δεινóν als Wort schon das ist, was die deutschen Signifikanten »das Unheimliche«/»das Un-heimische« nur bezeichnen. Nicht nur dies: Als dieses »unheimliche Wort« liegt das δεινóν zwar vor seinem »Gesagten«, d. h. hier: vor seinem Signifikat »das Unheimliche« – doch nur durch die Art seines ›Nennens‹. Τò δεινòν »nennt« für Heidegger das »Unheimliche« nur, indem es »als Wort selbst von der Art« des – genannten – »Unheimlichen« ist, insofern es also selbst als Wort, in seinem »nennenden« Modus, die Charakterzüge des »Unheimlichen« aufweist; τò δεινóν hat denselben signifikativen Modus, in dem das Wort »das Unheimliche« sein »Gesagtes« nennt: »zusammengelegt«, »verflochten«, »versteckt«. Wenn Heideggers intrasprachliche Übersetzung des Wortes »das Unheimliche« in das »Un-heimische« vor allem einen Sprachmodus veranschaulicht, der »innerhalb seines 203 204 205
HHI, 83. HHI, 83. HHI, 83.
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eigenen Wesens nicht den Eingang zu diesem [Wesen] findet« und der insofern nicht zu sich als einem lexikalisch bedeutsamen Sprechen, zu einer konzisen Verbalisierung des ›Eigentlichen‹ kommt, so macht Heideggers intersprachliche Übersetzung des »δεινóν« ins Wort »das Unheimliche« nicht minder diesen Sprachmodus für das Wort »τò δεινóν« geltend: Als »unheimliches Wort« präsentiert sich das δεινóν nicht als Lexem, welches imstande wäre, das »Unheimliche« oder vielmehr das, was mit dem Wort »das Unheimliche« auch nur schemenhaft umrissen ist, nun ›eigentlich‹ zu bezeichnen. Heideggers übersetzerischer Bezug des Wortes »τò δεινóν« auf das Wort »das Unheimliche« veranschaulicht nichts anderes als »das [verbal gefaßte] Wesen der Unheimlichkeit selbst: nämlich die Anwesung in Art einer Abwesung«.206 206
HHI, 92. – Bemerkenswert in dem hier besprochenen Zusammenhang ist Heideggers Rede davon, daß er eine seiner ›interpretatorischen‹ Vermutungen über Hölderlins »…dichterisch wohnet der Mensch…«, die dem Wortlaut dieses Verses augenscheinlich zuwiderläuft, in eben dem Vers »auf die unheimlichste Weise bestätigt« sieht: »›Dichterisch wohnet der Mensch‹. Wohnen wir dichterisch? Vermutlich wohnen wir durchaus undichterisch. Wird, wenn es so steht, das Wort des Dichters dadurch Lügen gestraft und unwahr? Nein. Die Wahrheit seines Wortes wird auf die unheimlichste Weise bestätigt.« (VA, 202f.) Durch wen, so möchte man fragen, wird nun die »Wahrheit« des Hölderlinschen »Wortes« bestätigt: Unterstellt Heidegger dem Hölderlinschen Vers den Aussagemodus einer ›unheimlichen Bestätigung‹, sozusagen als Signum seiner »Wahrheit«, so dient diese Unterstellung Heidegger nicht einfach nur dazu, Hölderlin als Ausdruckphänomen des Eigenen zu gebrauchen, einen im Hölderlinschen Vers »ungesagten« Sachverhalt zu erhellen und diesen dann gegenüber einem ›oberflächlichen‹ und ›gewöhnlichen‹ Verständnis des Verses als den ›eigentlichen‹ festzuhalten. Bei dieser Unterstellung scheint es nämlich entscheidend zu sein, wie Heidegger hier auf dieses von ihm veranschlagte »Ungesagte« sprachlich reagiert. Wenn für Heidegger das Hölderlinsche »Wort« – genauso wie das griechische »Wort« τò δεινóν – seiner Formulierung nach weniger sagt (minus dicere) und gerade so mehr meint (plus significare), in diesem Sinne also den Modus eines »sagenden Nichtsagens« (ID, 72) aufweist, dann ›expliziert‹ er diese Mehr-Deutigkeit nur bis zu einem gewissen Grad oder vielmehr nur auf eine bestimmte Weise: Heidegger vollzieht einen interpretatorischen/übersetzerischen »Schritt zurück«, insofern er selbst die zuvor konstatierte Mehr-Deutigkeit »auf die unheimlichste Weise bestätigt«, insofern er also diese MehrDeutigkeit wieder in ein ›weniger sagen‹, also in einen Aussagemodus zurückbringt, dem es an explikativer Deutlichkeit mangelt. Eine Explikation des »unheimlichen« Aussagemodus des Hölderlinschen bzw. des griechischen »Wortes« gelingt nur in demselben Aussagemodus. – Ein nicht minder bemerkenswerter Gebrauch des »Unheimlichen« zur Kennzeichung des eigenen Aussagemodus findet sich in den Eingangspassagen des vierten Vortrags der »Grundsätze des Denkens«, die dem dritten Vortrag »Der Satz der Identität« unmittelbar nachfolgen (vgl. oben Anm. 59). Dieser vierte Vortrag führt nun nicht die sachhaltige Erörterung des »Satzes der Identität« fort, sondern setzt zunächst mit einer Bemerkung Heideggers zum Darstellungsmodus seines »Satzes der Identität« ein: »Die nachfolgende Besinnung übergeht den letzten Vortrag, der den Satz der Identität erörterte. […] Weil jedoch der Vortrag über den Satz der Identität als geschriebener und gesprochener in einer besonderen Weise festliegt, bedarf es eines kurzen Nachwortes.« (BuFV,
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Dieser Übersetzungsstrategie, die griechische und die deutsche Sprache aus der Konstellation zweier einander gegenüberstehender Zeichensysteme zu lösen, zwischen denen sich ein übersetzerischer Bedeutungstransfer vermittelnd zu bewegen hat, dient nun auch Heideggers (pseudo)etymologische Auslotung des griechischen, lateinischen und deutschen Wortmaterials. Anders formuliert: Mit der Berücksichtigung einer sprachlichen Diachronie zielt Heidegger weder auf die Erhellung eines allgemeinsprachlichen Funktionsmechanismus, noch führt er den modernen deutschen Sprachgebrauch auf verschüttete, ursprüngliche Bedeutungen zurück, die aus dem Sprachmaterial regelrecht (re)konstruiert und wiederbelebt werden könnten. Aufs Ganze gesehen ermöglicht es nämlich dieser diachron-etymologische Blick auf die Sprache, daß Heidegger den konventionell abgesicherten Sprachgebrauch der eigenen Sprache, der »für die Masse der Sprechenden« primär als ein synchroner präsent und insofern »die wahre und einzige Realität ist«,207 unterläuft und dabei eine dissoziierende Perspektive auf die gültige Bedeutsamkeit dieses Sprachgebrauchs entwickelt.208 130.) Dieses »Nachwort« liefert Heidegger aber nicht in Form einer direkten metasprachlichen Reflexion auf seine Darstellungsweise nach, sondern gestaltet es als die Übersetzung einer Passage aus dem Platonischen Dialog »Phaidros«. Darin, so ließe sich sagen, sieht Heidegger seine eigene Darstellungsweise im »Satz der Identiät« auf die unheimlichste Weise bestätigt: »Es [das Nachwort] ist seit langer Zeit, also im voraus, schon geschrieben. Wir finden es in einem der Dialoge Platons, der den Namen ›Phaidros‹ trägt. Gegen Ende des Gesprächs bringt Sokrates die Rede auf die επρéπεια καì πρéπεια τ9ς γραφ9ς, auf das Schickliche und Unschickliche des Schreibens und des Geschriebenen. Sokrates erzählt dabei eine Geschichte aus dem alten Ägypten.« (BuFV, 130.) Daraufhin gibt Heidegger die berühmten Dialogpassagen (274c 5 – 275 d 4) in eigener Übersetzung wieder, bis hin zu der Stelle, an der Sokrates das Wort ergreift mit: »∆εινòν γáρ ποω, ; Φα#δρε, το=τ5 $χει γραφ […]« (275d 2). Heidegger übersetzt: »Unheimliches hat da, mein Phaidros, irgendwie das Schreiben und das Geschriebene […]«. (BuFV, 132.) In der abschließenden Charakteristik dieser Passage und vor allem Platons, wie er darin als ›Schriftsteller‹ zum Vorschein kommt, scheint Heidegger nicht zuletzt sich selbst als ›Schriftsteller‹ zu bestätigen: »Durch das Gespräch zwischen Sokrates und seinem jungen Freund Phaidros spricht Platon selber. Er, der dichtende Meister des denkenden Wortes, spricht hier zwar nur von der Schrift, deutet aber zugleich an, was ihn auf seinem ganzen Denkweg immer wieder neu überfiel, daß nämlich das im Denken Gedachte sich nicht aussagen läßt. Doch wäre es übereilt, zu folgern, also sei das Gedachte unsagbar. Vielmehr wußte Platon, daß es die Aufgabe des Denkens sei, durch ein Sagen das Ungesagte näher zu bringen und zwar als die zu denkende Sache. So ist denn auch in dem von Platon Geschriebenen nie unmittelbar zu lesen, was Platon dachte, wenngleich es geschriebene Gespräche sind, die wir nur selten in die reine Bewegung eines gesammelten Denkens befreien können, weil wir zu gierig und irrig nach einer Lehre suchen.« (BuFV, 132.) 207 F. de Saussure, Gundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. von C. Bally und A. Sechehaye unter Mitwirkung von A. Riedlinger, übersetzt von H. Lommel, Berlin/Leipzig 1931, 107. 208 Vgl. dazu Saussures Analogiebeispiel für die beiden linguistischen Betrachtungswei-
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So richtet sich das Heideggersche Interesse an einem »ausgestorbene[n] Wort«209 »der alten Sprache«210 zunächst auf die Struktur eines innerhalb des eigenen Sprachhorizonts verborgenen, aber eruierbaren Sprachmaterials, das zugleich für die Bedeutsamkeit des modernen Sprachgebrauchs fremd geworden ist. Gerade dies »Verschollene« eines Wortes macht sich Heidegger »zunutze«, um dieses Wort »in einer wesentlichen Weite neu auf[zunehmen]«,211 ohne jedoch damit »die bloße Ausweitung derselben Bedeutung auf einen noch größeren Geltungsbereich«212 zu verbinden. Mit der übersetzerischen Ent-deckung einer diachronischen Dimension sucht Heidegger eine bloß synchrone, d. h. eine eindimensionale und statische Perspektive auf die Bedeutsamkeit des eigenen Sprachgebrauchs aufzugeben: Der sonst als synchron erfahrene eigene Sprachhorizont wird transzendiert in Richtung einer ›polyphonen‹ Simultaneität, indem Heidegger die »ausgestorbenen« Stadien der deutschen Sprache sowie die ›toten‹ Sprachen des Altgriechisen: »Als erstes fällt einem beim Studium der Sprachtatsachen auf, daß für den Sprechenden das Sichforterben derselben in der Zeit nicht vorhanden ist: für ihn besteht nur ein Zustand. So muß auch der Sprachforscher, der diesen Zustand verstehen will, die Entstehung ganz beiseite setzen und die Diachronie ignorieren. […] Es wäre absurd, das Panorama der Alpen zu zeichnen, indem man es von mehreren Gipfeln des Jura aus gleichzeitig aufnimmt; ein Panorama muß von einem einzigen Punkt aus aufgenommen werden. Ebenso ist es mit der Sprache: man kann sie weder beschreiben noch Normen für ihren Gebrauch geben, ohne sich auf den Standpunkt eines gewissen Zustandes zu stellen. Wenn der Sprachforscher die Entwicklung der Sprache verfolgt, so gleicht er einem in Bewegung befindlichen Beobachter, welcher von dem einen Ende des Jura zum anderen geht, um die Veränderungen der Perspektive zu beobachten.« (Saussure, Grundfragen, 96f. Hervorh. von mir.) Inwiefern aber für Heidegger gerade der von Saussure abgelehnte simultane Blick auf verschiedene Sprachstadien entscheidend wird, dazu im Anschluß. – Die für Saussure unzulässige Vermischung einer dichronen mit der synchronen Sprachbetrachtung kennzeichnet auch Karl Vossler als einen »sprachmörderischen« und »ungetreuen« modus operandi: »Sämtliche Formen werden auf ihr Alter, auf ihre Herkunft, auf ihre historischen Rechtstitel untersucht. Dabei zeigt es sich aber bald, daß jegliche Form, d. h. jeglicher Sprachgebrauch, seine Vorfahren, seine Ahnen, seine Rechtstitel hat. Ja, oft sind gerade diejenigen Lautgestalten oder Konstruktionen, die von der Akademiegrammatik als fehlerhaft bezeichnet werden, durch eine lange und glänzende Ahnenreihe ausgezeichnet; und die dekadentesten Sprachgebilde können sich der erlauchtesten Vorfahren rühmen. Je rücksichtsloser die historische [Sprachbetrachtung] arbeitet, desto besser löst sie das sprachlich Gültige in das sprachlich Existierende auf, erweist die Relativität alles Gewordenen und gefährdet und zerstört den Begriff des sprachlich Richtigen […].« (K. Vossler, »Grammatik und Sprachgeschichte oder das Verhältnis von ›richtig‹ und ›wahr‹ in der Sprachwissenschaft« [1910], in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie, München 1923, 1–19; hier 7 f. Hervorh. von mir.) Zu Heideggers kritischer Replik auf Vossler vgl. KuB, 260 (Fn. 59). 209 UzSp, 253. 210 UzSp, 50. 211 Hw, 356. 212 UzSp, 97. Hervorh. von mir.
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schen und des Lateinischen in den eigenen Sprachhorizont mit einbezieht und dort auf eine bestimmte Weise reaktiviert: »Das Wort ›Verzicht‹ gehört zum Zeitwort verzeihen; eine alte Wendung lautet: ›sich eines Dinges verzeihen‹, etwas aufgeben, darauf verzichten. Zeihen ist das selbe Wort wie das lateinische dicere, sagen, das griechische δεíκνωµι, zeigen, althd. sagan: unser sagen.«213 – »Doch was heißt ›sagen‹? Wir erfahren es, wenn wir darauf achten, was uns die eigene Sprache bei diesem Wort zu denken gibt. ›Sagan‹ heißt zeigen. Und was heißt zeigen? Es heißt: etwas sehen und hören lassen, etwas zum Erscheinen bringen«.214 Eine derartige Wortvernetzung schreibt zunächst die geläufige Bedeutung des Ausgangswortes – hier von »Verzicht«/»verzichten« – einem diachron evozierten semantischen Bezugsfeld »verzichten«/»(sich) verzeihen« ein und hebt dann die moderne Lexikalisierung des Kompositums »verzeihen« durch die Wiederherstellung von dessen hauptsächlicher Komponente »zeihen« auf. Dieses Verfahren wendet Heidegger bekanntlich schon seit »Sein und Zeit« an. Es besteht darin, »daß an sich durchsichtige, aber im alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr eigens auf ihre zutage liegenden Elemente hin bedachte Wörter wieder in ihre Bestandteile ausartikuliert werden. So bringt Heidegger Dasein auf Da-sein, Wiederholung auf Wieder-holung, Zukunft auf Zukunft zurück.«215 Fraglich ist allerdings, ob diese »bedeutungsmäßige Ausgliederung der Wortelemente« – zumindest beim späten Heidegger – darauf hinausläuft, daß »die Abschleifung der Wörter im täglichen Gebrauch und ihr Selbstverständlichwerden in gewisser Weise rückgängig gemacht und damit eine frühere Sprachstufe mit einer elementarern Nennkraft der Wörter wiedergewonnen«216 werden soll. Zwar zielt dieses verfremdende Verfahren auf ein ›Ergreifen von Möglichkeiten‹,217 auf eine »Erschließung [von] ursprünglichen, bislang verborgenen Möglichkeiten«. 218 Bestünde jedoch diese Erschließung von Möglichkeiten in einer – auch für Heidegger utopischen – wiedergewinnenden Rückführung des Wortmaterials auf die eine, ›verschüttete‹ Bedeutung, so wäre damit keineswegs das Heideggersche Problem einer anderen als zeichenhaften Bedeutsamkeit der Sprache gelöst: Als Problem bedarf die zeichenhafte Bedeutsamkeit der Sprache für Heidegger vielmehr einer Erweckung »in denjenigen inneren Kräften […], die [sie] als Problem […] ermöglichen«.219
213 214 215 216 217 218 219
UzSp, 168. ÜSuTS, 23. – Siehe auch UzSp, 252. B. Allemann, Hölderlin und Heidegger, Zürich/Freiburg i. Br. 1954, 104. Ebd. Hervorh. von mir. Vgl. SZ, 38. KuPM, 185. Ebd.
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So läßt Heidegger jene ›wiederhergestellte‹ Form »zeihen« mit den etymologisch korrespondierenden Worten des Lateinischen (dicere), des Griechischen (δεíκνωµι) und des Althochdeutschen (sagan) zusammentreten, um schließlich bei dem über diese etymologischen Bezüge in eins gebrachten »Wort«-Spektrum »sagen/zeigen« anzugelangen, dessen herkömmliche Bedeutung für Heidegger auf ein »erscheinen-, sehen- und hören-lassen«220 (zurück)geht. Mit diesem »erscheinen lassen« ist aber kein Endpunkt dieser übersetzerischen Verknüpfung erreicht, der im Sinne einer eigentlichen Bedeutung diese Wortreihe semantisch auf den Punkt bringt. Vielmehr bezieht diese intrasprachliche Übersetzung »erscheinen lassen« das »Wort«Spektrum »sagen/zeigen/zeihen« nun seinerseits in einer Art Parallelisierung auf die griechische Wurzel φα- zurück, in welcher sich φαíνεσθαι (›erscheinen, zeigen‹) und φáναι (›sagen‹) als etymologisch verwandt finden.221 Eine derartige Wortvernetzung löst also die in sie einbezogenen Wörter aus ihren ›eindimensionalen‹, linear (re)konstruierbaren Äquivalenzen, und zwar über ein Wechselspiel, in dem die lexikalisch äquivalenten Verknüpfungen (»verzichten = sich verzeihen«; »dicere = sagen«; »δεικνúειν = zeigen«; »erscheinen lassen = φαíνεσθαι«, »sagen = φáναι«) und die etymologisch äquivalenten Verknüpfungen (»zeihen – dicere – δεικνúειν – sagan«; »φαíνεσθαι – φáναι«) sich gegenseitig in die Quere kommen, sich in ihrer jeweils linearen Verknüpftheit stets von neuem durchkreuzen (z. B. lexikalisch: »verzichten« vs. »zeigen« vs. »dicere/sagen«; »dicere« vs. »δεικνúειν«; z. B. etymologisch: »verzichten« vs. »φαíνεσθαι« vs. »δεικνúειν«).222 220
UzSp, 252. Entsprechend ›übersetzt‹ Heidegger »die φáσις, das Sagen als [das] zum-VorscheinBringen« (VA, 245). Vgl. auch VA, 236. 222 Daß innerhalb dieses Wechselspiels das Moment der etymologischen Verwandtschaft funktionalisiert wird für die Etablierung eines polyphonen »Wort«-Spektrums, ist auch an einem ähnlich gelagerten Fall, an Heideggers bekannter pseudoetymologischer Verbindung des Wortmaterials, des Verbs ρµηνεúειν mit dem Eigennamen >Ερµ9ς, nachvollziehbar: »Dies [Zeitwort ρµηνεúειν] bezieht sich auf das Hauptwort ρµηνεúς, das man mit dem Namen des Gottes >Ερµ9ς zusammenbringen kann in einem Spiel des Denkens, das verbindlicher ist als die Strenge der Wissenschaft. Hermes ist der Götterbote. […] ρµηνεúειν ist jenes Darlegen, das Kunde bringt […]. Solches Darlegen wird zum Auslegen […].« (UzSp, 121f. Hervorh. von mir. – Weitere Hinweise zu dieser etymologischen Verbindung etwa bei E. Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, übs. von Ch. Münstermann [u. a.], Frankfurt a. M. 1981, 145 Fn. 32.) – In seiner frühen Freiburger »Ontologie«-Vorlesung (1923) konstatiert Heidegger dagegen noch vorsichtig: »Die Etymologie des Wortes [ρµηνεúειν] ist dunkel. Der Name des Gottes >Ερµ9ς, des Botschafters der Götter, wird damit in Beziehung gebracht.« (O, 9.) Innerhalb dieser reich und philologisch exakt belegten Bedeutungsgeschichte von »ρµηνεíα /ρµηνεúειν« (vgl. O, 9–14) verweist Heidegger zunächst auf deren lexikalische Bedeutung in klassischer Zeit (Platon, Aristoteles): sprachliche »Mitteilung, Kundgabe« (O, 9), »die faktische Vollzugsweise des λóγος […] ([der] Rede von etwas)« (O, 10). In byzantinischer Zeit erfährt das 221
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Heideggers Verfahren des ›wörtlichen‹ Übersetzens behauptet somit einen unentschiedenen Zwischenraum zwischen dem geprägten Sprachmaterial der inter-/intrasprachlich vernetzten Sprache(n) und ihrer lexikalischen Codierung, welche jeweils über eine metasprachliche Gleichung inter-/intrasprachlich bestätigt und vereindeutigt werden kann (z. B. ›δεικνúειν = zeigen‹; ›sagan = zeigen‹). Heideggers Übersetzungen entscheiden sich gerade nicht eindeutig für die übersetzerische Norm einer lexikalischen Äquivalenz zweier Sprachzeichen; sie kommen also nicht bei einer ›tautologischen Gleichheit‹ zweier Sprachzeichen hinsichtlich ihrer idealiter identischen Bedeutung an, sondern durchkreuzen diese Gleichheit in einer be- und verfremdenden Weise – sei es durch lexikal nicht erfaßte und/oder in der eigenen Sprache nicht (mehr) lexikalisierte Übertragungen, sei es durch (pseudo)etymologische Bezüge, die einer lexikalischen Gleichheit in die Quere kommen. So sucht Heidegger die sukzessive Aufeinanderfolge verschiedener Sprachzeichen, die sich unter dem übersetzerischen Primat einer semantischen Identität jeweils in einer linearen Reihe ablösen (z. B. von »(sich) verzeihen« zu »verzichten«; von »δεικνúειν« über »sagan« zu »zeigen«; von »dicere« zu Wort eine Verallgemeinerung »und entspricht da unserem ›bedeuten‹; ein Wort, Wortgefüge meint etwas, ›hat eine Bedeutung‹« (O, 11). Im spätantiken, sogenannten »AristeasBrief«, der eine (nicht authentische) Übersetzungsgeschichte des Pentateuch ins Griechische der Septuaginta bietet, findet Heidegger ein Zeugnis der (für die moderne Lexikalisierung des Hermeneutik-Begriffes ausschlaggebenden) Bedeutungsänderung von ρµηνεíα in ›Übersetzung, Auslegung‹: »Aristeas: τà τ@ν Ιοωδαíυν γρáµµατα ›ρµηνεíας προσδε#ται‹ (die Schriften der Juden bedürfen einer Übersetzung, Auslegung). Übersetzen: was in fremder Sprache vorliegt, in der eigenen und für diese zugänglich machen. In den christlichen Kirchen besagt dann ρµηνεíα soviel wie Commentar (enarratio); ρµηνεíα εCς τ"ν Dκτáτεωχον; kommentieren, auslegen: dem nachgehen, was in einer Schrift eigentlich gemeint ist, und so das Gemeinte zugänglich machen, zum Zugang dazu verhelfen. ρµηνεíα = ξγησις.« (O, 11f.) Hält man diese philologisch adäquate Bedeutungsgeschichte gegen Heideggers Übersetzung von ρµηνεíα in »Unterwegs zur Sprache« – gegen »das Darlegen, das Kunde bringt« und das »zum Auslegen [wird]« –, so scheint sich diese Übersetzung geradezu im Rahmen der üblichen Bedeutungsäquivalenzen zu halten. Doch zugleich erfährt hier das Wort »ρµηνεíα« seinerseits eine ξγησις im buchstäblichen Sinne: Heidegger führt dieses Wort aus seiner distinkten lexikalischen Äquivalenz zur »Kundgabe« und »Auslegung« heraus, indem er es nun doch wortspielerisch – d. h. paronomastisch und nicht regelrecht sprachwissenschaftlich – in eine Verbindung mit dem Wort »>Ερµ9ς« bringt: »Hermes ist der Götterbote. Er bringt die Botschaft des Geschickes; ρµηνεúειν ist jenes Darlegen, das Kunde bringt, insofern es auf eine Botschaft zu hören vermag.« (UzSp, 121. Hervorh. von mir.) Der verfahrenstechnischen Funktion nach stellt dieses »auf eine Botschaft hören« keine Zusatzbestimmung oder gar eine ganz neue lexikalische Bedeutung dar, die aus dem ρµηνεúειν allein abgeleitet werden könnte, und kann insofern wohl kaum als eine Überdetermination des Lexems ρµηνεúειν verstanden werden. Die wortspielerisch evozierte ›Verbindlichkeit‹ des griechischen Wortmaterials (>Ερµ9ς – ρµηνεíα) kommt einer lexikalisch motivierten Verbindung von ρµηνεíα und »Kundgabe« bzw. »Auslegung« in die Quere.
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»sagen«), zu einem in sich vernetzten, simultanen »Wort«-Spektrum zu entfalten: »Verzichten ist kein Aussagen, aber vielleicht doch ein Sagen. […] Im Verzeihen, Verzichten waltet […] ein Sagen«.223 Von ›außen‹ dagegen – und d. h. zunächst: von der Ebene der lexikalischen Bedeutungen aus – nimmt sich das jeweilige ›Ergebnis‹ dieser übersetzerischen Verflechtung unvermeidlich wie eine tautologische Kreisform aus: «Der Verzicht ist ein Entsagen.«224 – »Das Identische, lateinisch idem, heißt griechisch τò ατó. In unsere deutsche Sprache übersetzt, heißt τò ατó das Selbe«.225 Vergegenwärtigt man sich jedoch die Bemerkung des späten Heidegger, daß die (von ihm selbst in früheren Jahren in Anspruch genommene) »Rede von einem Zirkel stets vordergründig«226 bleibe, und betrachtet man daraufhin jene zirkulären ›Ergebnisse‹ des Heideggerschen Übersetzens gleichsam von innen, d. h. im Hinblick auf die Verfahrensweise des In-Bezug-Setzens von »Worten«, dann zeigen sich diese Kreisformen als die manifesten Resultate eines offenen, schwebenden übersetzerischen Verfahrens; die in Bezug gesetzten »Worte« werden (wie im Falle von »verzichten« und »sagen«) aus ihrer lexikalisch distinkten Bezogenheit aufeinander und vice versa aus ihrer lexikalisch identischen Bezogenheit aufeinander (wie im Falle von »Aussagen« und »Sagen« oder auch von »das Identische« und »das Selbe«) gelöst: »Wenn wir freilich meinen, das Wort τò ατó, das Selbe, meine das Identische, wenn wir vollends die Identität für die sonnenklare Voraussetzung der Denkbarkeit alles Denkbaren halten, dann verlieren wir durch solches Meinen [in diesem zweifachen, interdependierenden Sinn] in zunehmendem Maße das Gehör für das Rätselwort [τò ατó].«227 Dadurch, daß die einzelnen Elemente einer derartigen Wortvernetzung nicht mehr über herkömliche lexikalische Äquivalenzen identifizierbar sind und daß im Gegenzug dazu keine neuerlichen lexikalischen Äquivalenzen an die Stelle der alten treten, zeitigt Heideggers Übersetzungsverfahren in erster Linie keine Verschiebung von lexikalischen Gehalten auf andere Sprachzeichen: »τò ατó« meint nicht mehr »das Identische«, »sagen« kein »aussagen« mehr usf.; gleichzeitig aber übernimmt das Wort »τò ατó« bzw. »sagen« nicht nur und nicht einfach den Gehalt, den vordem das Lexem »das Selbe«
223
UzSp, 222. Hervorh. von mir. UzSp, 168. 225 ID, 14. 226 UzSp, 151. 227 VA, 242. Hervorh. von mir. – Heideggers sprachliche Abkehr von der semantischen Gleichheit, d. h. von der lexikalischen Identität zweier Sprachzeichen, bestimmt sich so gerade aus seiner Distanzierung vom tautologischen Identitäts-Satz, insofern dieser von »Gleichheit spricht« (vgl. ID, 14): »Φηµí, ich sage, ist des selben, obzwar nicht des gleichen Wesens wie λéγυ«. (VA, 244. Hervorh. von mir.) 224
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bzw. »zeigen« lexikalisch vermittelte.228 Mit anderen Worten: Heideggers Übersetzungsverfahren lockert den grundsätzlichen semiologischen Konnex zwischen dem Lautmaterial und einem lexikalischen Gehalt; eine Auffassung von Sprache als der »Verlautbarung (φυν) dessen, was ein Wort oder Satz bedeuten (σηµαíνειν)«229 ist nur mehr eingeschränkt gültig. Entzieht sich Heideggers übersetzerische Vernetzung auf der lexikalischen Sprachebene dem Prinzip einer inter-/intrasprachlichen semantischen Äquivalenz und also einer Substituierbarkeit der einzelnen Sprachzeichen, so wird dadurch der propositionale Gehalt eines – in den Heideggerschen Texten offensichtlich ›präsenten‹ – Sprachzusammenhanges gradezu automatisch unterlaufen. Mit Roman Jakobson läßt sich nämlich die Bedeutung eines jeden lexikalischen Sprachzeichens im Hinblick auf zwei verschiedene »modes of arrangement«230 beschreiben: Einerseits steht ein Sprachzeichen in einem äußerlichen Bezug (external relation) zu seinem sprachlichen Kontext, etwa zu einem Satz oder einer idiomatischen Wendung, und zwar in Form einer Kontiguitätsbeziehung. Erst innerhalb der Kombination mit anderen, grammatisch wie semantisch distinkten Sprachzeichen zu einer Mitteilung (message) erhält dieses Sprachzeichen seine jeweils konkrete kontextuelle Bedeutung (contextual meaning). Andererseits aber steht dieses Sprachzeichen in einem inneren Bezug (internal relation) zum lexikalischen Code einer Sprache; dieser innere Bezug eines Sprachzeichens zum lexikalischen Code ermöglicht es, daß dieses Sprachzeichen noch vor seiner konkreten Verwendung in einem bestimmten Kontext überhaupt aus einem semantisch identischen Bezugsfeld (general meaning) ausgewählt und in diesem Kontext dann gegebenfalls durch ein oder mehrere lexikalisch äquivalente Sprachzeichen substituiert werden kann. Mittels metasprachlicher Gleichungen kann dieser innere Bezug gleichsam nach außen gestülpt, der lexikalische Code also explizit gemacht werden (etwa in Form der Gleichung: »sagen meint soviel wie sprechen«).231 Im Vergleich zur konkreten kontextuellen Verwendung eines Sprachzeichens innerhalb einer Mitteilung nimmt sich deshalb die lexikalisch codierte Beziehung dieses Sprachzeichens zu anderen
228
Vgl. WhD, 84: »Die geläufige Bedeutung des Wortes […] läßt sich nicht einfach zugunsten der seltenen verschieben, mag diese auch die eigentliche bleiben. Wollten wir so verfahren, dann wäre dies eine offenkundige Vergewaltigung der Sprache.« (Hervorh. von mir.) 229 VA, 244. 230 Jakobson, »Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances«; SW II, 239–259; hier 243. 231 Vgl. Jakobson, »Two Aspects«, 244: »A given significative unit may be replaced by other, more explicit signs of the same code, whereby its general meaning is revealed, while its contextual meaning is determined by its connection with other signs within the same sequence.« (Hervorh. von mir.)
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Lexemen, die ihm jeweils äquivalent sind und die es insofern ersetzen können, als eine Beziehung in absentia aus.232 Indem nun Heideggers inter-/intrasprachliches Übersetzungsverfahren sich dem Prinzip der lexikalisch codierten Äquivalenz und also der gegenseitigen Substituierbarkeit der Sprachzeichen, ausdrücklich verweigert233 und indem es zugleich die verschiedensten, semantisch distinkten Lexeme in ein simultanes »Wort«-Spektrum (wie etwa in dasjenige von »sagen – zeigen – erscheinen lassen«) einbezieht, lassen sich diese in ihrem lexikalischen Code ›erschütterten‹ Sprachzeichen nicht mehr zu einer Mitteilung im Sinne eines propositionalen Gehalts kombinieren: »Without such an [i. e. lexical] equivalence the message is fruitless«.234 Anders gesagt: Über die wechselweise Durchkreuzung von semantischen und etymologischen Äquivalenzen der in die ›Übersetzung‹ einbezogenen Lexeme wird ein ›tautologisches‹ Spektrum von »Worten« freigesetzt, deren grundsätzliche lexikalische Bedeutung innerhalb eines semantisch identischen Bezugsfeldes (general meaning) nicht mehr durch äquivalente Sprachzeichen metasprachlich expliziert und kaum noch innerhalb ein und derselben syntagmatischen Abfolge kontextuell konkretisiert werden kann. Desavouiert Heideggers inter-/intraprachliche Vernetzung des geprägten Sprachmaterials dessen zeichenhaften Charakter, so bringt dies das bedeutsame Sprechen an die Grenze seines Leistungsvermögens, an – oder besser: auf – der sich der Möglichkeitsspielraum einer latenten, einheitlichen Sprachstruktur, das verbal gefaßte »Wesen« der »Worte«, eröffnen soll. Zugleich kann aber Heideggers Übersetzungsverfahren keine begriffliche Explikation, keine »brauchbare Aufhellung des Wesens der Sprache«235 mehr liefern, die das Ziel hätte, vermittels einer Synopse von konkreten sprachlichen Erscheinungsweisen – von verschiedenen Stadien des Sprachgebrauchs innerhalb der eigenen Sprache sowie von Ausdrucksmöglichkeiten in anderen Sprachen – eine im bedeutsamen Sprechen implizierte, allgemein-wesentliche Struktur von ›Sprache überhaupt‹ zu abstrahieren und zu verbalisieren. Wenn nun Heidegger in seinen späten Texten, insbesondere in denjenigen ›über‹ die Sprache, diese inter-/intrasprachlichen Bezüge eines simultanen »Wort«-Spektrums im allgemeinen nicht mehr ausdrücklich entfaltet, so 232
Vgl. ebd., 243: »In order to delimit the two modes of arrangement which we have discribed as combination and selection, F. de Saussure states that the former ›is in praesentia: it is based on two or several terms jointly present in an actual series‹, whereas the latter ›connects terms in absentia as members of a virtual mnemonic series‹.« (Gesperrte Hervorh. von mir.) – Weiteres dazu unten, 188ff. 233 Vgl. etwa UzSp, 252: »Sagen und Sprechen sind nicht das gleiche.« 234 Jakobson, »Two Aspects of Language«, 244. 235 UzSp, 153. – Zum Problem der ›Brauchbarkeit‹ der späten Texte Heideggers siehe auch unten, Anm. 332.
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sucht er die im bedeutsamen Sprechen verborgene, »wesentliche« Verschwiegenheit »der« Sprache nicht mehr thematisch zum Vorschein zu bringen, sondern nur mehr modellhaft zu vollziehen: Soweit Heidegger mit seinen übersetzerischen Arrangements die Bedeutung(säquivalenz)en der ›übersetzten‹ Sprachzeichen untergräbt, sucht er jener Verschwiegenheit im Modus der ›metasprachlichen‹ Erläuterung auf der Spur zu bleiben. Ein Sprachvollzug aber, der mit diesem Schweigen Schritt zu halten und ihm am nächsten zu kommen sucht, »müßte einen eigenen Charakter haben, demgemäß mehr geschwiegen als geredet würde« – und zwar »[g]eschwiegen vor allem über das Schweigen[,] weil das Reden und Schreiben über das Schweigen das verderblichste Gerede veranlaßt«.236 Dieser Modus, in dem Heidegger jene Verschwiegenheit sprachlich zu vollziehen hofft, etabliert sich aber in erster Linie nicht über eine Unverständlichkeit des diskursiven Sprachzusammenhangs seiner späten Texte, über ein elaboriertes ›Geraune‹, das sich jeglichem propositionalen Gehalt verweigert. Vielmehr kann diese Unverständlichkeit von Heideggers späten Texten ihrerseits als die Folge seines ›wörtlichen‹ Übersetzungsverfahrens verstanden werden. Insbesondere auf der Ebene der idiomatischen Syntax verschleiern diese Texte bewußt inter- und intrasprachliche Bezüge, verschleiern sie aber dabei so, daß diese Bezüge gleichzeitig noch als ›Übersetzungen‹ kenntlich sind, wie etwa im Falle von Heideggers bekannten ›Bestimmungen‹ der Sprache: »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.«237 – »Wir nennen das lautlos rufende Versammeln […] das Geläut der Stille. Es ist: die Sprache des Wesens.«238 Jenseits des jeweils linear-diskursiven Satzzusammenhanges, der in der Form eines Oxymorons (»Geläut« vs. »Stille« bzw. »rufend« vs. »lautlos«) augenscheinlich eine Aussage über die Sprache trifft, entpuppen sich die idiomatischen Wendungen »das Geläut der Stille« bzw. »das lautlos rufende Versammeln« – welche ihrerseits über den lexikalischen Gehalt ihrer einzelnen Konstituenten (»[Glocken-]Geläut« und »Versammeln« bzw. »Stille« und »lautlos«) parallelisiert sind – als die ›sichtbaren‹ Momente eines »Wort«Spektrums, das Heidegger in anderen Texten, vor allem anhand seiner ›Übersetzung‹ des griechischen λóγος entfaltet. Mit der Rückführung des (Herakliteischen) λóγος auf das korrespondierende Verb λéγειν entfaltet Heidegger nämlich ein weit verzweigtes »Wort«-Spektrum, das über ein Wechselspiel von etymologischen Ableitungen [e] und semantischen Bezügen [s] ein herkömmlicherweise heterogenes Sprachmaterial zusammenbringt: »Wer möchte leugnen, daß in der Sprache der Griechen von früh an λéγειν reden, sagen, 236 237 238
UzSp, 152. Hervorh. von mir. UzSp, 30. UzSp, 215.
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erzählen [s] bedeutet? Allein es bedeutet gleich früh und noch ursprünglicher und deshalb immer schon und darum auch in der vorgenannten Bedeutung das, was unser gleichlautendes ›legen‹ [e] meint: nieder- und vorlegen [s]. Darin waltet das Zusammenbringen, das lateinische legere [e] als lesen [s] im Sinne von einholen und zusammenbringen [s]. Eigentlich bedeutet λéγειν das sich und anderes sammelnde Nieder- und Vorlegen.«239 Entsprechend lautet – unter Ausschaltung einer herkömmlichen semantischen Äquivalenz – Heideggers ›Übersetzung‹ von »[(] Λóγος, τò Λéγειν«: »die lesende Lege«240 und die »Versammlung«.241 »Doch λéγειν heißt für die Griechen immer zugleich: vorlegen, darlegen [ρµηνεúειν!], erzählen, sagen. >Ο Λóγος wäre dann der griechische Name für das Sprechen als Sagen, für die Sprache. Nicht nur dies. >Ο Λóγος wäre, als die lesende Lege gedacht, das griechisch gedachte Wesen der Sage. Sprache wäre Sage.«242 – »Wir pflegen das Wort ›Sage‹, wie manche anderen Worte unserer Sprache, jetzt meist in einem herabmindernden Sinne zu gebrauchen. Sage gilt als die bloße [d. h. insbesondere: als die lexikalisch distinkte] Sage, das Gerücht, was nicht verbürgt und daher unglaubwürdig ist. So wird ›die Sage‹ hier nicht gedacht, auch nicht in dem wesentlichen Sinne, den die Rede von der ›Götter- und Heldensage‹ meint. […] Nach dem ältesten Gebrauch des Wortes verstehen wir die Sage vom Sagen als dem Zeigen her und gebrauchen zur Benennung der Sage, insofern in ihr das Sprachwesen beruht, ein gutbezeutgtes, aber ausgestorbenes Wort: die Zeige.«243 Was sich, vom linearen Sprachzusammenhang dieser Zitate aus gesehen, darstellt als eine sukzessive Aufreihung immer neuer ›Termini‹, die alles andere als eine begriffliche Erhellung und fortschreitende Spezifikation des Sprachwesens erbringen, beruht auf der besagten übersetzerischen Vernetzung der Worte zu einem polyphonen Zugleich. Sichtbar werden dessen ›direkte‹ Verknüpfungspunkte erst jenseits eines linear-diskursiven Satzzusammenhanges, erst dann also, wenn diese Sätze gleichsam als übereinander gelagert und dabei die jeweils in diesen Sätzen verwendeten ›Termini‹ als die verschleierten Berührungspunkte eines simultanen »Wort«-Spektrums betrachtet werden: Nicht allein erläutert Heidegger den Herakliteischen λóγος bzw. das GΕν πáντα 244 über eine herkömmliche lexikalische Konnotation von »Geläut« bzw. von »Versammlung« als das In-Eins-Bringen, als
239
VA, 208. – Analog dazu WhD, 120ff. (dort im Zusammenhang mit Parmenides). Vgl. auch BuFV, 142ff. 240 VA, 228. 241 ID, 67. 242 VA, 228. Hervorh. von mir. 243 UzSp, 253. 244 Vgl. dazu VA, 218ff.
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den Vollzug einer einheitlichen, verschwiegenen und verborgenen Geschehensstruktur; entscheidender ist hier, daß mit der ›übersetzerischen‹ Entfaltung eines »Wort«-Spektrums diese als verschwiegen erläuterte Geschehensstuktur in den Heideggerschen Texten selbst vorgeführt oder vielmehr vollzogen wird. »Vollzug der Sache und Vollzug der Sprache fallen zusammen.«245 Als ein jeweils linear-diskursives Ganzes verstanden, zeigen sich die späten Heideggerschen Texte im Hinblick auf ihre idiomatischen Wendungen wie »das Geläut der Stille« zunächst als eine hybride Sublimation verschiedenster Formen von eingeflossener ›fremder Rede‹, welche dem jeweiligen Textganzen mehr oder minder homogen eingegliedert und untergeordnet werden: »Sein gesamter Text könnte [jeweils] im Grunde mit Anführungszeichen übersät sein, wodurch die kleinen Inseln der verstreuten direkten und reinen Autorrede hervorgehoben würden, die von allen Seiten von den Wellen der Redevielfalt umspült werden. Aber dies zu tun wäre unmöglich, weil ein und dasselbe Wort […] oft gleichzeitig in die fremden Reden und in die Autorrede eingeht. Die fremde Rede, die […] bald in kompakten Massen angeordnete, bald sporadisch verstreute, meist unpersönliche Rede ist nirgendwo deutlich von der Autorrede abgegrenzt: die Grenzen sind absichtlich fließend und zweideutig gehalten, oft verlaufen sie durch ein syntaktisches Ganzes, oft durch einen Satz, manchmal jedoch zertrennen sie die Hauptglieder eines Satzes.«246 Indem ein über ›übersetzerische‹ Bezüge gewonnenes »Wort«-Spektrum im und durch den linearen Textverlauf verschleiert bleibt, zugleich aber im Zeichen des gesuchten »Sprachwesens« auf seinem gegenüber dem Satz-/ Textganzen exzentrischen Charakter beharrt, zeitigt es eine Textgestalt von anderer Art, die die augenscheinlich distinkte, geschlossene Satz-/Textform sprengt und sich auf andere »Worte« hin öffnet.247 245
Schöfer, Die Sprache Heideggers, 210. M. M. Bachtin, »Das Wort im Roman«, in: ders., Die Ästhetik des Wortes, hrsg. von R. Grübel, aus dem Russischen übersetzt von R. Grübel und S. Reese, Frankfurt a. M. 1979, 154–300; hier 198. Hervorh. von mir. 247 In seinem »Vorwort« zu den »Vorträgen und Aufsätzen«, das sich die Homonymie des deutschen »Lesen« – als ›Lektüre‹ und ›Sammeln‹ – zunutze macht und das sich damit seinerseits, d. h. als ein geschlossener, gattungsspezifischer Text, auf das »Wort«-Spektrum von »λóγος – lesen – legen – ins-Vorliegen-bringen« hin (vgl. VA, 209) öffnet, bemerkt Heidegger ausdrücklich: »Das Buch ist, solange es ungelesen vorliegt, eine Zusammenstellung von Vorträgen und Aufsätzen. Für den Leser könnte es zu einer Sammlung werden, die sich um die Vereinzelung der Stücke nicht mehr zu kümmern braucht.« (VA, [7]. Hervorh. von mir.) – Selbst noch so ›technische‹ Hinweise Heideggers, wie etwa die »Vorbemerkung« zu seiner Vorlesung »Was heißt Denken?«, die gegenüber dem in der Vorlesung dann ›eigentlich‹ Gedachten in so auffälliger Weise äußerlich zu bleiben scheint, können im Hinblick auf jenes ›textübergreifende‹ sprachliche Verfahren Heideggers verstanden werden: »Die wöchentlichen und bisweilen noch längeren Pausen zwischen den Vor246
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Nach Art eines Vexierbildes wird somit über die Grenzen der jeweils linearen Textabfolge hinweg eine subkutane Verknüpfung oder ein Sub-Text von »Worten« lesbar, das die linear-diskursive Explikation bzw. Explizierbarkeit jener idiomatischen Wendungen unterläuft: Innerhalb einer linear verlaufenden Lektüre der Heideggerschen Texte bleibt jenes »Wort«-Spektrum ›abwesend‹ – und zwar gerade dadurch, daß innerhalb der idiomatischen Wendungen die jeweiligen einzelnen Konstituenten durchaus herkömmlich lexikalisierbar sind und so als bedeutsame Lexeme ›präsent‹ bleiben (z. B. »Geläut«, »Stille«, »lautlos«, »rufend«, »Versammeln«, »lesend«, »Lege«, »Sage« usw.). Zugleich aber gewinnt ein »Wort«-Spektrum dadurch an ›Präsenz‹, daß sich über die syntaktische Kombination dieser Sprachzeichen zu idiomatischen Wendungen (»Geläut der Stille«, »lautlos rufendes Versammeln«, »lesende Lege«, »Sage als Zeige«) ein überraschender und befremdender Effekt einstellt, der nicht nur die herkömmliche Lexikalisierung der einzelnen Sprachzeichen erschüttert, sondern der sich vor allem nicht nur im jeweiligen syntaktischen Kontext einlösen läßt: In diesen idiomatischen Wendungen spricht sozusagen jeweils ein »Wort«-Spektrum mit. Nach Heideggers eigenem Bekunden erweckt sein übersetzerisches Verfahren, Lexeme aus ihrer distinkten Bedeutsamkeit herauszulösen und in einem »Wort«-Spektrum zu entgrenzen, welches die Bedeutsamkeit der einzelnen Sprachzeichen »immer weiter ins Offene ent[läßt]«, »allzu leicht den Anschein […], als gleite alles ins Unverbindliche weg«.248 Es scheint, als ob sich ein Sprachzeichen, einmal ins Heideggersche Übersetzungsverfahren involviert, beliebig mit anderen verkuppeln läßt zu idiolektalen »Wort«-Reihen mit ›offenem‹ Ende. Gesteuert wird jedoch dieses von normativen Übersetzungskategorien befreite Verfahren über ein höchst konstruiertes Spiel mit grammatischen, lexikalischen und etymologischen Valenzen, die per se nicht aus der Luft gegriffen sind (z. B. grammatisch: »Wesen« als substantivierter Infinitiv/lexikalisiertes Begriffsnomen; lexikalisch: der homonymische Gebrauch von »lesen«; etymologisch: »δεικνúειν – dicere – zeihen«). lesungsstunden machten es nötig, durch eine Wiederholung der jeweils vorausgegangenen Vorlesung die Hörer in den Fortgang dieser zurückzubringen. Die Stundenübergänge sind gesondert [als Anhang] gedruckt. Sie können für sich in ihrer eigenen Folge oder aber als Überleitung zwischen den Vorlesungsstunden gelesen werden.« (WhD, o. P.) Allein schon durch diese drucktechnische Anordnung der »gesonderten Stundenübergänge« läßt Heidegger die Art der Lektüre/›Versammlung‹ seiner Textabschnitte offen: in Form einer Alternative zwischen einer sukzessiven, linearen Lesart, die die vorangegangene Vorlesung nochmals in komprimierter Form, anhand der Wiederholungen »in ihrer eigenen Folge«, nachvollzieht, und einer ›simultanen‹ Lesart, die die drucktechnisch aufeinander gelegten Vorlesungsabschnitte und jeweiligen Wiederholungen als ineinander verschachtelte begreift und die so von einem Textabschnitt in den anderen buchstäblich »überzugehen« hat. (Für den »Übergang« vgl. das jeweilige Ende eines Vorlesungsabschnittes.) 248 UzSp, 123.
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Dann aber werden diese Valenzen derart miteinander konfrontiert und verbunden, daß nach Art eines Aspektwechsels ›wörtliche‹ Bezüge freigesetzt werden oder »aufleuchten«, die sich gleichzeitig unter dem »stetigen« Aspekt des bedeutsamen Sprachzusammenhangs als ein chaotisches Signifikantengestöber ausnehmen.249 Wenn nun Heidegger ein simultanes »Wort«-Spektrum so in den syntagmatischen Zusammenhang seiner späten Texte einbettet, daß dieses »Wort«-Spektrum zumeist nur noch in seiner ›subtextuellen‹ Organisation faßbar wird, dann potenziert sich dieser Aspektwechsel: Nicht nur unterläuft ein simultanes »Wort«-Spektrum die metasprachliche (innersprachliche) und übersetzerische (zwischensprachliche) Ersetzbarkeit von lexikalisch codierten Sprachzeichen, sondern es bringt auch ein dynamisches Changieren des Heideggerschen Text(begriff)es in Gang. Der lineare Text und der worthafte Sub-›Text‹ stehen in keinem exklusiven oder hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern zeitigen ihrerseits eine Simultaneität. Als Vollzug der »wesentlichen Verschwiegenheit« der Sprache verstanden, sprechen und schweigen die späten Heideggerschen ›Texte‹ zugleich. Heideggers ›wörtliches‹ Übersetzungsverfahren wendet sich also auch gegen die prädikativ-syntaktischen Strukturen seiner eigenen Texte und stellt damit deren Lesbarkeit insofern zur Disposition, als sich eine Lektüre an der linear-diskursiven Textstruktur orientiert und auf den lexikalisch vermittelten, propositionalen Gehalt eines Sprachzusammenhangs konzentriert. Mit diesem Übersetzungsverfahren erfährt aber auch der »Leser« Heidegger, der mit den ›Denkern und Dichtern‹ »Zwiesprache« hält und auf den dort zur Sprache kommenden λóγος »hört«, einen merkwürdigen Gegenstoß durch den ›Schriftsteller‹ Heidegger. Wenn nämlich Heidegger den λóγος (Heraklits) als die aller sprachlichen Vereinzelung und Verlautbarung vorausgehende »Versammlung« bzw. »lesende Lege« übersetzerisch ›erläutert‹ und wenn er diese ›Übersetzung‹ als die »ursprüngliche Bedeutung« dieses »Wortes« proklamiert, so ist diese »ursprüngliche Bedeutung« durch Heideggers eigenen Sprachvollzug gleichzeitig einer Zerstreuung und Zersplitterung, einem »wesentlichen Zerbechen des Wortes« ausgesetzt. Als Lexem hat sich der »λóγος« nicht selbst: Es bedarf für Heidegger nicht einfach und nicht nur einer Fülle von erläuternden Übersetzungen wie »lesende Lege«, »Versammlung« oder »Geläut der Stille«, die dem λóγος seinen »worthaften« Charakter 249
Am Beispiel des wahrnehmungspsychologischen Hasen-Enten-Kopfes unterscheidet Ludwig Wittgenstein »zwischen dem ›stetigen Sehen‹ eines Aspekts und dem ›Aufleuchten‹ eines Aspekts. Das Bild [der Hasen-Enten-Kopf] mochte mir gezeigt worden sein, und ich darin nie etwas anderes als einen Hasen gesehen haben.« (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: Werkausgabe 1, Frankfurt a. M. 1989, 225–577; hier 520.) Zum Aspektwechsel vgl. ebd., 522f.: »Der Ausdruck des Aspektwechsels ist der Ausdruck einer neuen Wahrnehmung, z u g l e i c h mit dem Ausdruck der unveränderten Wahrnehmung.« (Gesperrte Hervorh. von mir.)
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und sein »Gesagtes« endlich und ein für allemal (zurück)geben; der »λóγος« ist im Sinne Heideggers kein Gattungsbegriff, in dem das »sagen«, das »zeigen«, das »legen« und »versammeln« als verschiedene Modi des λéγειν eingeordnet und zusammengefaßt sind.250 Sondern das übersetzerisch erläuterte »Wort« und die erläuternden »Worte« stellen die simultanen – und nicht gleichwertig ersetzbaren – Bestandteile eines weit verzweigten »Wort«-Spektrums dar, das Heidegger über seine einzelnen ›Texte‹ hinweg verstreut und immer wieder von neuem entfaltet, das aber dabei vornehmlich über seine ›subtextuelle‹ Organisation in seiner ›Einheit‹ erfahrbar wird. Nicht zuletzt aber wirft Heideggers Verfahrenstechnik der Zerstreuung ein Licht auf seinen Umgang mit einer fremden Rede, insofern diese mit einer distinkten Autorstimme verbindbar ist: »Das Wort der Denker hat keine Autorität. Das Wort der Denker kennt keine Autoren im Sinne der Schriftsteller.«251 Prototypisches Vorbild für die Heideggersche Verfahrensweise mit einer fremden Autorrede sind die fragmentarisch vorliegenden ›Texte‹ der Vorsokratiker, insofern diese aufgrund der antiken Zitationspraxis nicht stets eindeutig als die wörtliche Rede eines Autors namhaft gemacht werden können, insofern sich also bei diesen ›Texten‹ die Rede des zitierenden, ›nachsokratischen‹ Autors mit derjenigen des zitierten, ›vorsokratischen‹ Autors bis zur Unkenntlichkeit vermischen kann.252 Wenn Heidegger eine derartig fragmentarisch erhaltene fremde Rede nun weiter fragmentarisiert und diese dann im eigenen Text unter dem Namen des betreffenden Autors präsentiert – man denke etwa an seinen Umgang mit Anaximanders »Spruch«,253 aber auch mit Hölderlins hymnischem Fragment »Wie wenn am Feiertage…«,254 dessen letzte Verszeilen »die geschlossene Kunstgestalt der Hymne auf[lösen]«255 –, dann führt diese paradoxe Bewegung einer Frag-
250
Zu dieser Gedankenfigur vgl. etwa EiM, 69. VA, 229. Vgl. dort insbesondere die unmittelbar vorangehende Auseinandersetzung Heideggers mit Heraklit Frgm. B 50 »οκ εµο=, λλà το= λóγοω κοúσαντας (µολογε#ν σοφóν στιν Hν πáντα [ε.ναι]«, das Heidegger in »erläuternde[r] Übertragung« übersetzt mit: »Nicht mich, den sterblichen Sprecher, hört an; aber seid horchsam der lesenden Lege […]« (VA, 225). Siehe auch Gondek, »Logos und Übersetzung«, 281ff. 252 Vgl etwa VA, 257: »Der Gedankengang der späteren Denker und Schriftsteller bestimmt die Auswahl und die Art der Anführung von Worten Heraklits. […] Deshalb können wir durch eine genauere Betrachtung ihres Fundortes in den Schriften der späteren Autoren stets nur denjenigen Zusammenhang ausmachen, in den das Zitat von ihnen eingerückt, nicht aber jenen, aus dem es bei Heraklit entnommen wurde.« (Hervorh. von mir.) 253 Vgl. Hw, 335ff. 254 Vgl. EH, 51ff. 255 P. Szondi, »Der andere Pfeil. Zur Enstehungsgeschichte des hymnischen Spätstils«, in: ders., Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über philologische Erkenntnis, Frank251
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mentarisierung von Fragmenten nicht zur Restitution einer kritisch-philologisch entschlackten, ›wörtlichen‹ Rede, die nun »den richtigen Heraklit«,256 »die unmittelbar echten [Worte] des Anaximander«257 erkennen läßt bzw. für die »Hölderlin selbst sich einst entschieden hätte«.258 Dadurch, daß keiner der jeweils unter dem Namen Anaximanders, Heraklits oder Hölderlins zitierten Texte in derjenigen Gestalt autorisiert ist, in der Heidegger sie anführt, fälscht Heidegger nicht bloß den Text der betreffenden Autoren.259 Sondern er entpersonalisiert auch und vor allem die jeweilige Autorrede, er entbindet also diese ›Texte‹ von einer distinkten Autorstimme – was zuweilen sogar so weit führt, daß Heidegger einen ›Text‹ offensichtlich bewußt anonymisiert, ihm buchstäblich die Autorstimme benimmt.260 So schiebt Heidegger der von einer distinkten Autorstimme entbundenen fremden Rede nicht einfach nur ein dort »Ungesagtes« unter, das vorgeblich dem betreffenden Autor zugehört, das aber in Wirklichkeit nur wieder Heideggersches Gedankengut enthält. Im Gegenteil: Noch bevor sich Heidegger über eine sachhaltige und in einem bestimmten Kontext situierte Autorintention, über das mit einer bestimmten Autorstimme und Autorrede verbindbare Gesagte und Gemeinte hinwegsetzt, um dann das Eigene als das vom fremden Autor ›eigentlich‹ Gesagte und Gemeinte ausgeben und behaupten zu können, verliert mit dieser Destruktion einer distinkten fremden Autorstimme auch Heideggers eigene Autorstimme an klarer Kontur: Heidegger rückt dem »Wort« der ›Denker und Dichter‹ so auf den Leib, daß sich mit der Vernetzung des eigenen und fremden Sprachmaterials nicht nur die eigene und fremde Rede, mithin das jeweils in ihr Gemeinte, durchwirken, sondern daß vor allem Heideggers eigene »Worte« nicht mehr nur ihm allein zugeschlagen werden können. So sehr Heideggers eigenes auktoriales Sprechen einen unverkennbar autoritären Gestus aufweist, der das Argument durch die Emphase ersetzt, so sehr hat dieses auktoriale Sprechen nicht sich selbst, in dem Sinne, daß es nicht »primär aus sichtbar und spürbar Ursprünglich-Eigenem einen Stand gewinn[t], der sich selbst aus sich selbst auch produktiv zu halten vermag. Heideggers Stand am Ende seines Weges aber ist der ›seines‹
furt a. M. 1967, 33–54, hier 42. – Zu Szondis Kritik an der Heideggerschen Textkonstitution dieser Hymne vgl. ebd., 40ff. 256 H, 13. 257 Hw, 337. 258 EH, 75. 259 Für Walter Muschg etwa stellt Heideggers Unterschlagung der fragmentarischen Schlußstrophe von Hölderlins »Wie wenn am Feiertage…« eine »plumpe Fälschung« dar. (W. Muschg, »Zerschwatzte Dichtung«, in: ders., Die Zerstörung der deutschen Literatur, Bern 1958, 217f.; zit. in: Szondi, »Der andere Pfeil«, 42.) 260 Dies ist etwa der Fall bei dem Periander zugeschriebenen »Spruch« µελéτα τò π-ν. Vgl. dazu oben Anm. 155.
Wörtliches Übersetzen
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Hölderlins und der ›seiner‹ Griechen, der frühen zumal.«261 Heideggers Behandlung einer fremden auktorialen Rede als eine autoritative, sein »Hören« auf deren ›Zuspruch‹, das »der [Haltung] des Theologen gegenüber den Offenbarungsurkunden aufs genaueste entspricht«,262 und Heideggers autoritäre Ermächtigung dieser fremden Autorrede zu einem solchen autoritativen Status münden in eine Polyphonie von Autorstimmen: Mit Heideggers Übersetzungen beginnt nicht etwa nur Heraklit zu ›heideggern‹, sondern es ist zugleich auch Heideggers eigene, scheinbar unverkennbare Stimme, in der Heraklit ›mitspricht‹.263
261
Beierwaltes, Heideggers Rückgang zu den Griechen, 29. Kuhn, »Heideggers ›Holzwege‹«, 255. 263 Ein schönes Beispiel hierfür gibt Beierwaltes, Heideggers Rückgang zu den Griechen, 16: »Heraklits Fragment 123 lautet: ›φúσις κρúπτεσθαι φιλε#‹: ›Die Natur liebt es, (›pflegt sich…‹, im Sinne eines wiederkehrenden Vorgangs, der auf einen Wesenszug schließen läßt… ›libet‹), sich zu verbergen.‹ Heidegger übersetzt diesen Satz mit: ›Das Aufgehen dem Sich-Verbergen schenkt’s die Gunst.‹ Weil Heidegger in dem ›philei‹, im Sinne von ›liebt‹, ›Psychologie‹ wittert, geht er auf die ursprüngliche Bedeutung von ›philein‹ zurück, die er als ›die Gunst schenken‹ festsetzt, aus dem deutschen (!) Wort alsdann das ›Gönnen‹, ›Vergönnen‹, die ›Gewährung‹ oder die der Wahrheit nahe ›Wahrung‹ herauszieht […]. In der nächsten Stufe der Auslegung […] bestimmt Heidegger ›philia‹ zum ›Verbürgen‹ fort. Dieses ›Verbürgen‹ […] scheint mir assoziativ, durch sprachliche Allitteration [sic!], aus dem ›Verbergen‹ herausgehorcht zu sein, hörbar und sichtbar, etwa in dem [Heideggerschen] Satz: ›Das Verbergen verbürgt dem Aufgehen sein Wesen.‹ Diesen Satz kann man durchaus als eine heideggersche ›Übersetzung‹ von Fragment 123 verstehen.« Beierwaltes’ Heidegger-Zitate beziehen sich auf die 1943/44 gehaltene Vorlesung »Heraklit«, GA 55, hrsg v. M. Krings, Frankfurt a. M. 1979, 110 ff. – In dem über zwanzig Jahre später gehaltenen Vortrag »Die Herkunft der Kunst und die Bestimmung des Denkens« (1967) kehrt Heidegger zu einer, wie es scheint, sprachlich gemäßigteren Übersetzung des Fragments 123 zurück: »Dem von sich her Aufgehenden ist es eigentümlich, sich zu verbergen«. (DE, 148.) Diese Übersetzung scheint nun verfahrenstechnisch typisch für den späten Heidegger zu sein, da sie einerseits wieder im Sinne des »libet« als eine Wesensaussage gelesen werden kann, andererseits aber ›sub-textuell‹, über das »eigentümlich«, mit dem äußerst weitreichenden »Wort«-Spektrum der Heideggerschen Spätphilosophie von »Eignen – Er-eignis – das Eigentümliche – proprius – prope – Nähe – Nahnis« verzahnt ist. Dazu etwa UzSp, 258f.; ZSD, 16, 20. 262
3. TAUTOLOGIA
REDIVIVA
Bisher konzentrierten sich unsere Bemerkungen darauf, Heideggers funktionale Eingrenzung der tautologischen Satzform, d. h. deren Zuweisung zu einem Modus von Sprachlichkeit nachzuzeichnen, welcher sein Telos im referentiell-kognitiven Aussagegehalt allen Sprechens findet. Nur innerhalb dieses Modus stellt die tautologische Satzform für Heidegger eine grenzwerthafte Reinform dar: Sie verbürgt ihrem ›herkömmlichen‹ kognitiven Gehalt nach das – lexikalisch angezeigte – Konzept der Gleichheit (der Identität als Gleichheit mit sich selbst) und bleibt allenfalls im Horizont des lexikalisch bedeutsamen Sprechens unhintergehbar. Umgekehrt bestreitet aber Heidegger keineswegs die Geltung des Bereichs der lexikalischen Bedeutsamkeit an sich, sondern nur dessen absolute Gültigkeit. Mit dieser Bestimmung des Stellenwertes der tautologischen Satzform und ihrer Leistung im Horizont des lexikalischen Bedeutungsvermögens der Sprache(n) erschöpft sich aber nicht die konstitutive Funktion von tautologischen Formen für den Heideggerschen Sprachvollzug. Mit jener modellhaften Einschränkung der tautologischen Satzform sucht Heidegger einen freien Blick auf einen anderen Sprachmodus zu gewinnen, der sich in solchen Formulierungen wie »Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen«264 andeutet und für den ein anderer Modus von ›Tautologizität‹ konstitutiv zu sein scheint. Um aber diesen anderen Sprachmodus ein Stück weit zum Vorschein bringen zu können, bedarf es für Heidegger, metatheoretisch gesehen, einer Art Transposition, die aufs engste mit dem Problem des Übersetzens zusammenhängt. Dabei zeigte sich uns jenes ›wörtliche‹ Übersetzungsverfahren Heideggers als ein Verfahren, das ein an lexikalischen Äquivalenzen orientiertes Übersetzen transponiert in eine Vernetzung des Sprachmaterials, und mithin als ein Verfahren der »Wort«-Bildung, das die lexikalisch distinkten Zeichen der verschiedenen Sprachen und Sprachstadien über ihre jeweilige Verwendbarkeit im Satzkontext hinaus zu simultanen, in sich vernetzten »Wort«-Spektren zusammentreten läßt. Wenngleich sich also unsere Konzentration auf das Heideggersche Übersetzen zunächst als ein Umweg präsentiert, der unsere Bemerkungen thematisch von ›der‹ Tautologie abzubringen scheint, so ist dieses Übersetzen gleichwohl für Heidegger ein verfahrenstechnisch unerläßlicher Zwischenschritt bei seiner sprachtheoretischen und -praktischen ›Introversion‹ in die Sprache selbst, d. h. bei seiner Suche nach einem Sprachmodus, der sich gegen seine automatische Funktionalisierung für ein kognitiv-propositionales Wissen sträubt und der gleichwohl durch eine spezifische Bindung ans 264
UzSp, 242 (im Original kursiv).
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Sprachmaterial in seinen grammatischen und syntaktischen Formen hochgradig semantisch aktiviert ist. In unseren Blickpunkt rückt nun dieses Heideggersche Verfahren der »Wort«-Bildung, insoweit sich darin das Bemühen Heideggers zeigt, anhand einer semantischen (Re-)Aktivierung von grammatischen und syntaktischen Formelementen jene »wesentliche« Mehr-Deutigkeit des »Wortes«, dessen Struktur sich durch eine Simultaneität von zeigendem nomen und dynamischem verbum auszeichnet,265 in den eigenen Texten geltend zu machen. a) Zunächst, d. h. am deutlichsten faßbar wird Heideggers »Wort«-Bildung, die jenen Zwischenstatus des »Wortes« zu veranschaulichen sucht, auf der Ebene der grammatischen Wortformen. Gemeint ist damit nicht nur der seit »Sein und Zeit« typische und immer wieder bemerkte Sprachgebrauch Heideggers, infinitivische Verbalformen des Deutschen zu substantivieren, um sie dadurch als Geschehens- bzw. Vollzugsbegriffe zu kennzeichnen (»Zuhandensein«, »Vorhandensein«, »Verfallen«, »Verstehen« usw.).266 In nicht geringerem Maße reaktiviert Heidegger nämlich auch den verbalen Charakter von Nomina, so etwa im Falle von »Er-eignis« oder »Wesen (verbal)«.267 Vor allem aber sein ›wörtliches‹ Übersetzungsverfahren ist es, dem Heidegger diese zentralen und idiolektal gebrauchten Deverbativa zum Großteil verdankt, wie z. B. die in das »Wort«-Spektrum von λóγος gehörigen »Sage«, »Zeige« und »Lege«,268 die allein schon ihrer grammatischen Wortform nach als ›wörtliche‹ Übersetzungen von griechischen Deverbativa auf -ις, von λéξις, δε#ξις und θéσις, verstanden werden können. Im zwanzig Jahre später verfaßten »Zusatz« zum Vortrag »Der Ursprung des Kunstwerkes« (1935/36), in dem Heidegger nachträglich auf seine dortige »Leitbestimmung ›Ins-Werk-Setzen [der Wahrheit]‹«269 zu sprechen kommt, heißt es ausdrücklich: »Mit ›stellen‹ und ›setzen‹ gehört auch ›legen‹ zusammen, die alle drei noch e i n h e i t l i c h im l a t e i n i s c h e n ponere gemeint sind. ›Stellen‹ müssen wir im Sinne von θ é σ ι ς denken. So wird [im KunstwerkAufsatz] gesagt: ›Setzen und Besetzen sind hier überall (!) aus dem griechischen Sinn der θéσις gedacht, die ein Aufstellen im Unverborgenen meint.‹ [Hw, 47.] Das griechische ›Setzen‹ besagt: Stellen als Erstehenlassen z. B. ein Standbild, besagt: L e g e n , Niederlegen eines Weihegeschenkes. Stellen und Legen haben den Sinn von: Her- ins Unverborgene, vor- in das Anwesende bringen, d. h. vorliegenlassen.«270 Die deutschen substantivierten Infinitive ›Stellen‹ und ›Legen‹, das lateini265 266 267 268 269 270
Siehe oben, 117f. Vgl. oben, 93f. Dazu im Anschluß. Vgl. oben, 146f. Hw, 68 Hw, 68. Gesperrte Hervorh. von mir.
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sche (!) ponere und das griechische Deverbativum θéσις geben sich als die Momente eines »Wort«-Spektrums zu erkennen. Wenn nun Heidegger im Horizont dieses »Wort«-Spektrums die (durch Großschreibung angezeigte) Substantivierung der infiniten Verbformen ›stellen‹ und ›legen‹ modifiziert zu den deverbativen Nomina »Lege«, »Zeige« und »Sage«, dann deswegen, weil an diesen Nomina das grammatische Formelement des Verbalen in gewisser Weise deutlicher als an den substantivierten Infinitiven »Stellen« und »Legen« zum Vorschein kommen und dabei eine genuin semantische Aktivierung erfahren kann: Die Verbalsubstantive »(das) Legen« und »(das) Stellen« sind im modernen deutschen Sprachgebrauch geläufig und insofern durchaus so lexikalisierbar, wie Heidegger dies im obigen Zitat vorführt: »Stellen« im Sinne von »Aufstellen«, »Erstehenlassen (eines Standbildes)«, »Legen« im Sinne von »Niederlegen«. Dagegen verhalten sich die »Lege«, »Zeige« und »Sage« ihrer deverbativen Form nach offensichtlich gegenläufig zum herkömmlichen, d. h. lexikalisch codierten deutschen Sprachgebrauch. Im Vergleich zur lexikalisch veralteten »Zeige« und zu dem nur mundartlich gebrauchten Lexem »Lege«271 tritt diese Kontrafaktur des lexikalischen Code durch die deverbative grammatische Form besonders deutlich zu Tage im Falle der »Sage«, da deren lexikalischer Gehalt im modernen Sprachgebrauch mit dem Äquivalent ›Gerücht‹ (etwa in der Wendung ›der Sage nach‹ im Sinne von ›gerüchteweise‹272) wiedergegeben werden kann. »So [aber] wird ›die Sage‹ hier nicht gedacht, auch nicht in dem wesentlichen Sinne, den die Rede von der ›Götter- und Heldensage‹ meint. […] Nach dem ältesten Gebrauch des Wortes verstehen wir die Sage vom Sag e n als dem Zeigen her und gebrauchen zur Benennung der Sage, insofern in ihr das Sprachwesen beruht, ein altes, gutbezeugtes, aber ausgestorbenes Wort: die Zeige.«273 Mit diesem »ältesten Gebrauch« von »Sage«, der offensichtlich seinen »wesentlichen Sinn« nicht so sehr auf der lexikalischen Ebene entfaltet, als vielmehr einen formalen Sinn, einen Sinn auf der Ebene der grammatischen Formelemente andeutet (»die Sage« als »[das] Sagen«), bezweckt Heidegger also nicht nur eine Intensivierung oder Überdetermination des lexikalischen Gehalts von »Sage«, die »der auferweckten Buchstäblichkeit dieses Wortes folgt«.274 Eine solche, eher lexikalisch orientierte Überdetermination läßt sich etwa am spezifisch Heideggerschen Gebrauch von Kompositbildungen wie »Erörterung« und »Ereignis« beobachten, deren grammatische Formalelemente Heidegger allein schon im Schriftbild (z. B. »Er-eignis«275) hervor271
Siehe Grimmsches Wörterbuch VI, col. 517 f. (s. v. »Lege«). Siehe Grimmsches Wörterbuch VIII, col. 1644ff. (s. v. »Sage«); bes. col. 1646 273 UzSp, 253. Gesperrte Hervorh. von mir. 274 Derrida, »Heideggers Hand (Geschlecht II)«, in: ders., Geschlecht (= Anm. 93), 45–99; hier 93. 275 Vgl. etwa ID, 29. 272
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hebt, um dadurch diese Elemente in ihrer jeweils ›wörtlichen‹ Bedeutung zu restituieren.276 Nun »versteht« Heidegger zwar die »Sage vom Sagen als dem Zeigen her«; und insofern könnte »das Zeigen« für Heidegger ja durchaus noch als ein lexikalisches Äquivalent zum »Sagen« in Betracht zu kommen. Auf dieser lexikalischen Ebene jedoch erbringt die weitere ›Explikation‹ der »Sage« – die grammatische Transformation des substantivierten Infinitivs »das Zeigen« zum deverbativen Nomen »die Zeige« – gerade keinen inhaltlichen Fortschritt mehr: Heideggers »Gebrauch« des Wortes »die Zeige« »zur Benennung der Sage, insofern in ihr das Sprachwesen ruht«, betrifft in erster Linie dessen grammatische Form, in der sich die »nennende Leistung« 277 dieses »Wortes« als die Verschränkung des ›nennenden‹ Nomen mit dem ›dynamischen‹ Verbum präsentiert und vollzieht. Ein solcher »Wortgebrauch«,278 der den lexikalisch codierten Zeichencharakter der Sprache zwar nicht vollständig zu beseitigen vermag, der aber doch gegenüber diesem Zeichencharakter die grammatischen Formelemente in ihrer genuinen »nennenden« Leistung stärkt, läßt sich nun durchaus als Heideggers eigentümliche Antwort auf seine Frage nach der »Urform des Wortes« und damit nach dem »ursprünglichen Charakter des Sagens und Sprechens« verstehen.279 Mit diesem »Wortgebrauch« beantwortet Heidegger diese Fragen allerdings weder metasprachlich, noch entscheidet er sie dadurch, daß er aus sprachgeschichtlichen oder sprachtheoretischen Erwä276
Dementsprechend »meint« für Heidegger etwa die »Erörterung« über ihren herkömlichen lexikalischen Sinn als ›Abhandlung‹ hinaus »das Weisen in den Ort« (UzSp, 37) bzw. das »Ereignis« kein »Vorkommnis« oder »Geschehen«, sondern ein »in sein jeweiliges Eigenes [erbringen]« (UzSp, 258). Beispiele für diese Art der lexikalisch-semantischen Überdetermination des Wortmaterials finden sich, zumal beim späten Heidegger, in Mengen, wie etwa das »Ge-birge« (UzSp, 45) bzw. »Ge-birg« (»Vorwort« zu VA, [7]), das dem für Heidegger zentralen Wortfeld von »bergen«, »verbergen«, »entbergen« zugehört, oder auch Heideggers Gebrauch von »wahr-haft« (UzSp, 62), der dieses Wort in die Nähe von »Gewährung«, »Wahrung«, »Hut« und »Achtsamkeit« rückt. So extensiven Gebrauch Heidegger von diesem Verfahren auch macht, das seinem Sprachgestus einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen scheint, so steht dieses Verfahren als solches gleichwohl in gut philosophischer Tradition. Erinnert sei hier nur an die Schlußpassagen von Hegels »Phänomenologie des Geistes«: »Aber die Er-Innerung hat sie [d. h. die Erfahrung der früheren Geister] aufbewahrt und ist das Innere und die in der Tat höhere Form der Substanz.« (Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke 3, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1970, 591.) 277 Vgl. oben Anm. 65. 278 EiM, 44. 279 Vgl. EiM, 43: »Denn die Frage, ob die Urform des Wortes das Nomen (Substantivum) sei oder das Verbum, deckt sich mit der Frage, welches überhaupt der ursprüngliche Charakter des Sagens und Sprechens sei. Diese Frage enthält zugleich jene nach dem Ursprung der Sprache.«
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gungen heraus dem Nomen oder dem Verbum den Vorzug des Ursprünglichen einräumt.280 Soweit es sich also um die Form einer direkt replizierenden und expliziten Antwort handelt, beläßt Heidegger »die Frage absichtlich ohne Antwort«281: »[Die] in der Sprachwissenschaft viel erörterte Frage, ob das Nomen oder das Verbum die Urform des Wortes darstelle, [ist] keine echte Frage […]. Diese Scheinfrage ist erst im Gesichtskreis der ausgebildeten Grammatik erwachsen, nicht aus dem Blick auf das noch gar nicht grammatisch zerfaserte Wesen der Sprache selbst.«282 Aber auch als eine Art des ›indirekten‹ Antwortens verstanden, erreicht Heideggers »Wortgebrauch« nicht schon dadurch einen »ursprünglichen Charakter des Sagens und Sprechens«, daß er einfach »die maßgebende Unterscheidung der Grundformen der Worte (Hauptwort und Zeitwort, Nomen und Verbum)«283 ignoriert und nun mit verzweifelter Anstrengung einer nur formalen ›Zerfaserung‹ der Sprache durch die Grammatik entgegenzuwirken versucht.284 Weil für Heidegger dieser »ursprüngliche Charakter« nicht durch einen dichotomen Sprachbau, durch eine hierarchische Opposition zwischen Signifikant und Signifikat gekennzeichnet ist, wirkt Heideggers »Wortgebrauch« so auf die grammatischen Grundformen des Nomen und des Verbum ein, daß diese Formen jenseits der zeichenhaften Repräsentationsleistung eines Lexems eine »nennende Leistung des Wortes« erbringen und damit einer sprachtheoretischen ›Zerfaserung‹ von grammatischer Form und Bedeutung entgegenwirken: »Bedeutung ist, indem sie durch den [bedeutungsverleihenden] Akt gegenständlich wird, auch schon geform280
Als eines der bekanntesten Beispiele für eine derartige Bevorzugung sei hier nur Herders Preisschrift »über den Ursprung der Sprache« (1771) erwähnt: »Das erste Wörterbuch war also aus den Lauten aller Welt gesammelt. Von jedem tönenden Wesen klang sein Name: die menschliche Seele prägte ihr Bild drauf, dachte sie als Merkzeichen – wie anders, als daß diese tönenden Interjektionen die ersten wurden, und so sind z. E. die morgenländischen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke schwebte noch zwischen dem Handelnden und der Handlung: […] aus den Verbis wurden also Nomina und nicht Verba aus den Nominibus.« (J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, in: Werke 1, hrsg. v. K.-G. Gerold, München 1953, 733–830; hier 767.) – Einen facettenreichen Einblick in die Konzeptgeschichte dieser Ursprungsfragen bietet G. Genette, Mimologiken. Reise nach Kratylien, aus dem Französischen von M. von Killisch-Horn, München 1996 (zu Herder besonders 140ff. und 270ff.). 281 UzSp, 247. 282 EiM, 44. 283 EiM, 43. 284 Für Gadamer etwa führt »Heideggers Ansicht, daß wir über die Sprache der Metaphysik deshalb nicht hinauskommen, weil die Grammatik unserer Sprachen unser Denken an die Metaphysik bindet», zu «einem fast tragischen Ringen […] gegen den Rückfall in die Sprache der Metaphysik«, welches »manchmal mehr Ausdruck seiner [Heideggers] Sprachnot als deren Überwindung« ist. (Gadamer/Habermas, Das Erbe Hegels, 71f.)
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te Bedeutung.«285 In den grammatischen Formelementen erblickt Heidegger »eine bestimmte Bewandtnis, die es um die Bedeutung hat«,286 ein jeweils charakteristisches bedeutsames Verhalten oder, in der Sprache der mittelalterlichen Grammatica speculativa, einen aktivischen Modus significandi, der sich in diesen grammatischen Formen zu verwirklichen vermag. Wenn also Heidegger die grammatischen Formelemente sehr wohl »als Hinweise auf bestimmte Richtungen und Richtungsunterschiede des möglichen Bedeutens der Worte und der damit vorgezeichneten möglichen Einfügung in einen Satz, in ein weiteres Redegefüge«287 (an)erkennt, dann begreift er dabei die grammatischen Grundformen des Nomen und Verbum insofern als »Urformen des Wortes«, als in ihnen beiden, mit ihrer beider Zusammenspiel, eine »nennende Leistung« zum Vorschein kommen kann: »Neben der Frage: wie ist die Sprache geworden? ist die andere möglich: was soll sie leisten? In der genetischen Erklärung vollendet sich also nicht die Erkenntnis eines Gegenstandes. Es gibt daneben ein teleologisches Verstehen. Zwar ist auch dieses, vom Standpunkt der Logik aus betrachtet, nicht der Grund und Schlußstein der Erkenntnis, aber doch weit eher als die genetische Erklärung der Weg zum wahren ›Ursprung‹.«288 Zum Vorschein kommt diese »nennende Leistung des Wortes« nicht durch eine codierte Verbindlichkeit der jeweiligen lexikalischen Bedeutungen, sondern mit einer Beharrlichkeit der grammatischen Formen. Mit der Preisgabe einer signifikativen Deutlichkeit verbindet Heideggers Sprache den Gestus der Unersetzbarkeit von Formulierungen – gerade auch auch da, wo diese »das Selbe« zu sagen scheinen (»λθεια« und »Lichtung«; »λóγος« und »lesende Lege«; »Sage« und »Zeige«). Damit aber verweigert sich die Heideggersche Sprachform in zweifacher Richtung einer Wiederholbarkeit: Weder vermag Heideggers »Wortgebrauch« etwas wiederzugewinnen, »was in einem Verfallsprozeß geschichtlich verlorengegangen ist, irgendwann aber in ursprünglicher Präsenz dagewesen sein könnte als mythisches Elementarerlebnis, das sich restaurieren ließe«;289 noch ist der Heideggersche »Wortgebrauch« selbst wiederholbar als ein operationables, wiederverwertbares Instrumentarium der »Seins«-Analyse.290 b) Diese Heideggersche »Wort«-Bildung, die sich zum herkömmlichen lexikalischen Code nach der Art eines Vexierbildes gegenläufig verhält, läßt sich 285
KuB, 251. KuB, 251. 287 EiM, 40. Hervorh. von mir. 288 KuB, 247. 289 H. Blumenberg, »Sprachsituation und immanente Poetik« [1966], in: ders., Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1981, 137–156; hier 146. 290 Zur Frage nach der ›Wiederverwertbarkeit‹ der Heideggerschen Sprachform vgl. auch unten, Anm. 332. 286
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aber nicht nur auf der grammatischen Ebene der einzelnen Wortformen, sondern auch auf der Ebene des syntagmatischen Zusammenhangs nachvollziehen: Etliche Sätze Heideggers sind im ganzen als »Worte«, d. h. »wesenhaft mehrdeutig«, lesbar. Besonders prägnant zeigt sich dies an einer für Heidegger typischen syntaktischen Struktur, die in einem direkten Zusammenhang mit der tautologischen Satzform ›A ist A‹ steht und die als tautologische Selbstprädikation bezeichnet worden ist.291 Mit diesem selbstprädikativen Formulierungen entfaltet Heidegger die ›worthafte‹ Struktur eines syntaktischen Zusammenhangs in jenen unentschiedenen Zwischenraum, in ein Zugleich von nomen und verbum: »Das Nichts selbst nichtet«, 292 »Diese Einheit einigt«,293 »Die Welt […] weltet«,294 »Das Ding dingt«,295 »Von der Zeit läßt sich sagen: die Zeit zeitigt. Vom Raum läßt sich sagen: der Raum räumt«,296 »Die Stille stillt«,297 »Das Ereignis ereignet«,298 »Die Sprache spricht«.299 Gerade an der letztgenannten Wendung »Die Sprache spricht« betont Heidegger durch typographische Akzentuierung die Gleichwertigkeit der beiden syntaktischen Glieder: »Die Sprache spricht. Dies heißt zugleich und zuvor: Die Sprache spricht.«300 Betrachtet man diese Gleichwertigkeit von grammatischem Subjekt und Prädikat nun auf der Folie von Heideggers Engführung der »Sprache« mit den Deverbativa »Sage« und »Zeige« – »Das Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige«301 –, dann zeigt sich die »Sprache« gegenüber ihrer lexikalisch herkömmlichen Codierung gerade in ihrer grammatischen Form als dynamisches Deverbativum reaktiviert: Im ›Satz‹ »Die Sprache spricht« nähert sich das Nomen »Sprache« allein seiner grammatischen Form nach dem Verbum »spricht« an. Abgesehen davon, daß in solchen ›Selbstprädikationen‹ Heideggers verbale Neologismen wie »nichten«, »dingen« und »welten« qua ihrer grammatischen Form keinen herkömmlich lexikalisch codierten Gehalt besitzen und so ganz im Zeichen der Dynamisierung der etymologisch korrespondierenden Nomina »Nichts«, »Ding« und »Welt« stehen, entpuppt sich diese stereotype Syntax ›A at‹ ihrerseits als eine ›Übersetzung‹, als die Umkehrung 291
Vgl. dazu Anz, »Die Stellung der Sprache bei Heidegger«, 480; sowie Schöfer, Die Sprache Heideggers, 202ff. 292 WiM, 31. 293 KuPM, 59. 294 VA, 178. 295 VA, 172. 296 UzSp, 213. 297 UzSp, 30. 298 ZSD, 24. 299 UzSp, 32. 300 UzSp, 20; vgl. auch UzSp, 254f. 301 UzSp, 254 (im Original kursiv).
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einer syntagmatischen Struktur, die in der antiken Sprachpraxis seit Homer geläufig ist und die dann in der Ars rhetorica mit dem Terminus der figura etymologica belegt wird.302 In ihrer konkreten sprachlichen Erscheinungsweise stellt diese figura etymologica einen syntaktischen Konnex zwischen einem Verb und einem Substantiv mit klarer etymologischer Verwandtschaft her, wobei zu einem in der Regel intransitiven Verb ein sog. ›inneres‹ Akkusativobjekt hinzutritt, das dem lexikalischen Aussagegehalt des Verbs rhetorisch Nachdruck verleiht. Das im Sinne der Ars grammatica vitiöse »tautologische Moment in solchen Verknüpfungen ist offenbar«.303 Gilt im deutschen Sprachgebrauch bereits die bloße syntaktische Verbindung eines Verbs mit einem Akkusativobjekt desselben Etymons als unschön,304 so verwandelt Heidegger diesen antiken Typus der figura etymologica in eine syntaktische Form, die die Struktur einer grammatisch korrekten Subjekt-Prädikat-Aussage besitzt und die im Deutschen nicht minder befremdlich wirkt als die Nachbildung einer antiken figura etymologica. Mit dieser ›Übersetzung‹, die eine für das Griechische und das Lateinische typische syntaktische Struktur dem deutschen Sprachhorizont anverwandelt, bricht Heidegger nicht allein mit dem herkömmlichen deutschen Sprachgebrauch; gleichzeitig appliziert nämlich Heidegger diese ›aus‹ den antiken Sprachen gewonnene Satzstruktur gewissermaßen in die umgekehrte Richtung zurück auf den griechischen Sprachhorizont, in dem sie nicht weniger deplaziert wirkt: »Auf die Frage, was der Λóγος sei, gibt es nur eine gemäße Antwort. Sie lautet in unserer Fassung: ( Λóγος λéγει.«305 Nun kann eine Heideggersche Formulierung dieses Typus sehr wohl als »eine Tautologie […], in der ›Gegenstand‹ und ›Tätigkeit‹ als identisch ausgesagt werden«, als »der beabsichtigte Ausdruck des Einsseins der beiden Elemente«306 betrachtet werden. Als tautologischer Satz verstanden, vermittelt 302
Dazu oben, 13f. Schöfer, Die Sprache Heideggers, 204. 304 Vgl. Schöfer, op. cit., 204: »Der Erlkönig konnte dem Kind zwar verheißen, gar schöne Spiele mit ihm zu spielen, man kann den Schlaf des Gerechten schlafen, und in dem populären Zungenbrecher fischt Fischers Fritz frische Fische, faute de mieux singt auch der Sänger, angelt der Angler, weckt auch der Wecker, aber schon einen Gesang singt niemand mehr, kaum geht man einen Gang, und wer sagt in normaler Rede ›der Regen regnet‹.« – Aus Schöfers Beispielreihe wird ersichtlich, daß im Gegensatz zu den weniger bzw. nicht gebräuchlichen Wendungen wie ›einen Gesang singen‹, ›einen Gang gehen‹ eine im Deutschen (literarisch oder sprichwörtlich) eingebürgerte figura etymologica zumeist einen spezifizierenden und sinnerweiternden Zusatz mit sich führt (›gar schöne Spiele spielen‹, ›den Schlaf des Gerechten schlafen‹, ›frische Fische fischen‹); so geht man zwar in der Regel kaum ›einen Gang‹, wohl aber ›geht alles seinen Gang‹ oder ›den Gang alles Irdischen‹. 305 VA, 220. 306 Schöfer, op. cit., 209. 303
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diese Formulierung einen – explizierbaren – propositionalen Gehalt: den Selbstvollzug des jeweils besprochenen Redegegenstandes (Subjektes), insofern sich dieser besprochene Gegenstand wesentlich als das zeigt, als was er sich vollzieht. So unverkennbar diese Satzstruktur für Heideggers Idiom auch zu sein scheint, so stellen diese Formulierungen als solche dennoch kein Unikum innerhalb der philosophischen Tradition dar. Gleichartig gebaute SubstantivVerb(form)-Verbindungen mit demselben Etymon finden sich etwa in der scholastischen Formulierung »natura naturans« und in deren Wiederaufnahme durch Spinozas »Ethik«.307 Am nächsten aber kommen den Heideggerschen Selbstprädikationen vor allem solche Sätze wie etwa das »idem identificat« des Nicolaus Cusanus: »[…] primum non haesitas idem identificare. […] Non est igitur idem aptum natum nisi identificare et hoc est idem facere. Hinc omnis res, quia idem sibiipsi, identificat ut intellectus intellegit, visus vidit, calor caleficat, et ita de omnibus. Et quia idem est immultiplicabile, hinc omnis identificatio reperitur in assimilatione. Vocat igitur idem nonidem in idem.«308 Eine entscheidende Differenz zu Heideggers Sprachgestus scheint aber darin zu liegen, daß der Cusaner die auch im Lateinischen ungewöhnliche Wendung »idem identificat« zu verdeutlichen sucht, wenn er den lexikalischen Gehalt, den er mit »identificare« verbindet, metasprachlich expliziert (zunächst ›wörtlich‹ als »idem facere«, dann auch als »vocare in idem«). Dagegen hält Heidegger etwa für seine Wendung »Die Welt weltet« lapidar fest: »Die Welt west, indem sie weltet. Dies sagt: das Welten von Welt ist weder durch anderes erklärbar noch aus anderem ergründbar.«309 Bezeichnenderweise hat man in dieser ›metasprachlichen Erklärung‹ Heideggers einen explikatorischen Mangel entdeckt: »Deutlicher noch wäre gewesen und wohl auch gemeint war: ›das Wesen von Welt ist…‹.«310 Folgt man einer solchen Lesart, dann wird in Heideggers Wendung und durch deren nachgeschobene Erklärung das »Wesen von Welt« immerhin noch als »welten«, also der washeitliche Gehalt von »Welt« als ein dynamischer Vollzugsmodus
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Vgl. dazu Schöfer, op. cit., 207 f. Nicolaus de Cusa, De Genesi n.149, 1–9, in: ders., Opuscula I, ed. P. Wilpert, Hamburg 1957, 103–129; hier 108f. – »Zunächst besteht kein Zweifel, daß das Selbe verselbigt. […] Seinem Wesen nach kann also das Selbe nur verselbigen, d. h. selbig machen. So hält sich jedes Ding, da es mit sich selbst dasselbe ist, in der Selbigkeit, wie die Erkenntnis erkennt, der Blick blickt, die Wärme wärmt usw. Da das Selbe sich nicht vervielfältigen kann, so zeigt sich jede Verselbigung als Angleichung. Das Selbe ruft also das Nicht-Selbe ins Selbe.« – Dazu auch Beierwaltes, Identität und Differenz, 118f. 309 VA, 178. Hervorh. von mir. 310 Schöfer , op. cit., 208 f. 308
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dessen, was »Welt« je schon in und an sich selbst ist, expliziert und verstanden: Das Wesen von Welt wird als ihr ›creativer‹ Selbstvollzug konzeptualisiert.311 In diesem Fall aber wäre Heideggers Erklärung der Unerklärbarkeit des »Wesens von Welt« durch anderes wohl nichts weiter als eine jener paradoxen Formulierungen, die zuweilen für philosophisch ›letzte Dinge‹ in Anspruch genommen werden. Wenn aber Heidegger gerade das »Welten von Welt« als unerklärbar durch anderes festhält, dann kommt für ihn auch und vor allem eine weitere metasprachliche Explikation des lexikalischen Gehalts von »welten« nicht in Frage: Mit der Formulierung »Die Welt […] weltet« scheint Heidegger vielmehr bei einer Sprachform angekommen zu sein, die in erster Linie nicht mehr mit lexikalischen Bedeutungen operiert, sondern die auf der grammatisch-syntaktischen Ebene »die Zusammengehörigkeit der beiden Worte herausheb[t] und kennzeichne[t], auch ohne daß wir bereits imstande sind, das in den Worten Genannte sachgerecht zu denken«.312 Insbesondere aber an der Wendung »Die Sprache spricht« (die als einzige der Heideggerschen ›Selbstprädikationen‹ die Sprache ausdrücklich zum ›Thema‹ hat) zeigt sich, wie Heidegger die entscheidende Instanz dieses Selbstvollzuges von der Ebene des lexikalischen Ausdrucks auf die Ebene der grammatischen Formelemente verlagert: Im grammatischen »Gefüge« selbst kommt jene »worthafte« Struktur als das unentschiedene Zugleich von nomen und verbum, als das Zugleich der lexikalischen Bedeutsamkeit der Sprachzeichen und ihrer ›worthaften‹ Bedeutung, des fremden und eigenen Sprachhorizonts, von Aussage(n) und Sage(n) zum Vorschein. Als »Wort« betrachtet, »sagt« die figura etymologica in der Heideggerschen Ausprägung »die forma, die Gestalt des Gefüges, worin das […] Sprachwesen sich«313 vollzieht. Gerade im Hinblick auf Heideggers tautologische Sätze »Die Sprache selbst ist die Sprache« und »Sprache ist Sprache«314 ist es somit die figura etymologica »Die Sprache spricht«, die die »für Heidegger zuletzt wesentliche«315 Sprachform markiert. Nicht so sehr behauptet die figura etymologica hinsichtlich ihres quantitativen Vorkommens einen Vorrang vor der tautologischen Satzform. Entscheidend ist vielmehr, daß die figura etymologica »Die Sprache spricht« die buchstäbliche Antwort Heideggers auf seine Frage nach 311
Kein Wunder also, daß Schöfer in Heideggers Selbstprädikationen vor allem eine säkularisierte Fortführung jener Konzepte erblickt, welche sich einer tautologischen Substantiv-Verb-Verbindung bedienen »zur Benennung der aus sich selbst erneuernden, in sich kreisenden, mit sich identischen Gott-Natur […], deren Tätigkeit als darin bestehend gedacht war, sich selbst […] zu schaffen und zu vollziehen«. (Schöfer, op. cit., 207f.) 312 WhD, 132. 313 UzSp, 261f. Hervorh. von mir. 314 UzSp, 12. 315 Anz, »Die Stellung der Sprache bei Heidegger«, 480.
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dem »Sprachwesen« darstellt, welche ihren Ausgang nimmt von jener »nichtssagende[n] Tautologie […]: Sprache ist Sprache«: »Zweimal nur das Gleiche sagen: Sprache ist Sprache, wie soll dies uns weiterbringen? Wir wollen jedoch nicht weiterkommen. Wir möchten nur erst einmal eigens dorthin gelangen, wo wir uns schon aufhalten. Darum bedenken wir: Wie steht es mit der Sprache selbst? Darum fragen wir: Wie west die Sprache als Sprache? Wir antworten: Die Sprache spricht.«316 Während sich die Wendung »Sprache ist Sprache« als eine herkömmliche tautologische Satzform, als ein Aussagesatz über die prädikatslose Selbstidentität der Sprache, noch für einen geläufigen Sprachausdruck funktionalisieren läßt, wird Heideggers figura etymologica dem »gewohnte[n] Vorstellen« zum Ärgernis, »und dies mit Recht. Denn es bedarf, um sie zu verstehen, der denkenden Erfahrung dessen, was Identität heißt.«317 Bleibt für Heidegger das »Wesen« der »Identität selbst« in der tautologischen Prädikationsform ›A ist A‹ so verdeckt, daß diese unschwer als der sprachlich adäquate Ausdruck der Einheit von ›A‹ mit sich selbst verstehen läßt, so wird mit der figura etymologica Heideggers die ›Gefahr‹ einer konzeptuell – d. h. vor- und außersprachlich – gefaßten Identität zwar nicht gebannt, doch aber wird das »Wesen« des »Selben« nicht auf eine sprachlich geläufige ›Formel‹ reduziert: Das »Selbe« wird in der Wendung »Die Sprache spricht« vielmehr vorgeführt durch die Dynamisierung der ›Satzbestandteile‹ – und d. h. hier: durch die ›übersetzerische‹ Reaktivierung der grammatischen Form des Verbalsubstantivs »Sprache« sowie durch die verwandelnde ›Übersetzung‹ einer antiken rhetorischen Figur. Aufs Ganze gesehen stellt Heideggers Verfahren der »Wort«-Bildung nicht bloß eine Re-Rhetorisierung des eingefahrenen Sprachgebrauchs dar: Durch die übersetzerische Reaktivierung von einzelnen grammatischen und syntagmatischen Formen verfremdet Heidegger nicht einfach einen ›eigentlichen‹ Sprachgebrauch der »Metaphysik«, dem in seiner ›abgelebten‹ Begrifflichkeit angeblich der Totenschein ausgestellt werden muß, zu einer konkret anmutenden, ›bildhaften‹ Sprache, die über paronomastische, metaphorische, homonymische und andere Effekte eine lexikalische Neudetermination von einzelnen Signifikanten erbringt und die nun ihrerseits in einem gesteigerten Sinn ›eigentliche‹ Geltung haben soll. Vielmehr sucht Heideggers »Wort«Bildung die Sprachzeichen überhaupt gegen einen – sei es ›eigentlichen‹, sei es ›uneigentlichen‹ – lexikalischen Sinn auszuspielen. Gleichsam programmatisch angekündigt wird dieser Gestus, mit dem »Heidegger Ausdrücke benutzt, die man als Metaphern bezeichnen möchte,
316 317
UzSp, 12. UzSp, 213.
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zugleich aber deutlich macht, daß es keine Metaphern sind«,318 bereits in den 1941 im Privatdruck erschienenen »Winken«. Zu Schluß dieser Sammlung von 17 kurzen Texten, die sowohl durch ihre formale Erscheinung (Vers, Reim) als auch durch ihren Sprachduktus den Eindruck erwecken, hier handle es sich um ein ›bildhaftes‹ Sprechen des Philosophen, heißt es ausdrücklich: »Die ›Winke‹ sind keine Dichtungen. Sie sind auch nicht eine in Verse und Reime gebrachte ›Philosophie‹. Die ›Winke‹ sind Worte eines Denkens, das zu einem Teil dieses Aussagen braucht, aber in ihm sich nicht erfüllt. […] Das Sagen des Denkens ist im Unterschied zum Wort der Dichtung bildlos. Und wo ein Bild zu sein scheint, ist es weder das Gedichtete einer Dichtung noch das Anschauliche eines ›Sinnes‹, sondern nur der Notanker der gewagten, aber nicht geglückten Bildlosigkeit.«319 Diesen programmatischen Anspruch beschränkt Heidegger aber gerade nicht auf die eigenartige ›poetische‹ Textproduktion, die sich bis in seine späteste Zeit verfolgen läßt.320 Gälte nämlich dieser Anspruch nur für sein ›dichterisches‹ Korpus und nicht auch für seine ›eigentlich philosophischen‹ Schriften, dann könnte das uneigentliche, poetische Sprechen Heideggers mit Hilfe seines eigentlich denkerischen eben doch noch als ein in Vers und Reim gebrachtes »Denken« entschlüsselt und somit aus den philosophischen Schriften ein sachhaltiger Rückschluß für jenes Korpus gezogen werden.321 Wie aber Heidegger für sein übersetzerisches Verfahren nicht nur in metasprachlicher Distanz erklärt, »die geläufige Bedeutung […] nicht einfach
318
J. Derrida, »Der Entzug der Metapher« (übs. von A. G. Düttmann und I. Radisch), in: Romantik. Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik, hrsg. von Volker Bohn, Frankfurt a. M. 1987, 317–355; hier 342. 319 DE, 33. 320 Siehe etwa die zwischen 1969 und 1974 entstandenen Texte »Zeichen«, »Das Wohnen des Menschen«, »Gedachtes«, »Sprache« und »Der Fehl heiliger Namen« in: DE, 151–180. 321 Daß dieser in den »Winken« erhobene programmatische Anspruch nicht minder Heideggers philosophische Schriften betrifft und sich dort in solchen Wendungen wie »Die Sprache ist das Haus des Seins« und »die Nachbarschaft von Dichten und Denken« niederschlägt (vgl. die, wenn man so will, metasprachlichen Ausführungen Heideggers zu dieser seiner »bildlichen« bzw. »metaphorischen Redeweise« in BüH, 111ff. und UzSp, 186f.; 206ff.), zeigt Derrida (= Anm. 318) in seiner Untersuchung zum unmetaphorisch-metaphorischen Status dieser Heideggerscher Wendungen. –– Nicht der geringere Bekanntheitsgrad dieser ›Gedichte‹, sondern vor allem ein mögliches Verständnis von ihnen als ein Parergon angesichts der Sache des Heideggerschen Denkens dürfte dafür mitverantwortlich sein, daß sie bisher nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie Heideggers philosophische Texte gefunden haben. Zu fragen bleibt allerdings, ob diese ›Gedichte‹ als eine Art Notausgang für die philosophisch bedingte Sprachnot Heideggers zu gelten haben oder ob sie nicht einen sprachlichen Weg erkennen lassen, zu dem auch die späten philosophischen Texte führen.
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zugunsten der seltenen verschieben«322 zu können (z. B. »Wahrheit« zugunsten von »Entbergung«), sondern er jenseits solcher Verschiebungen die Original- und Zielsprache in eine semantische Schwebe zu bringen sucht,323 so wird auch hier, für die Durchführung jenes ›anti-metaphorischen Programms‹, entscheidend, daß Heidegger – ohne einen weiteren Kommentar – einzelnen »Leit-« oder »Merkworten« auch innerhalb seiner philosophischen Texte die Gestalt von Versen verleiht: Erst Gebild wahrt (d. h. verwahrt) Gesicht. Doch Gebild ruht im Gedicht.324 Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens.325 Das Regende im Zeigen der Sage ist das Eignen.326 Mit diesem ›prosimetrischen‹ Verfahren scheint Heidegger keine Sprachform kreieren zu wollen, die im dichterischen Bild das zuvor philosophisch Besprochene noch einmal veranschaulicht. Vielmehr sucht Heidegger an und mit den eigenen Texten das zu vollziehen, was er immer wieder als die »Nachbarschaft von Dichten und Denken« beschwört.327 Wenn hierbei der Heideggersche Vers oftmals, und wohl mit Absicht, poetisch einiges zu wünschen übrig läßt, dann dürfte dieser offensichtliche ästhetische ›Mangel‹ an den Heideggerschen Versen mit ein Anzeichen dafür sein, daß sich diese »Nachbarschaft« für Heidegger über einen anderen als nur poetisch-›uneigentlichen‹ oder nur philosophisch-›eigentlichen‹ Sprachmodus konstituiert. Daß Heideggers Explikation sich dieser »Nachbarschaft« nicht bloß metasprachlich bemächtigt, sondern in einen Vollzug dieser »Nachbarschaft« mündet, hintertreibt nicht nur den metaphorischen Charakter der »Nachbarschaft«: deren auf das Verhältnis von »Dichten« und »Denken« übertragene Bedeutung, »daß beide einander gegenüber wohnen, eines gegenüber dem anderen sich angesiedelt hat, eines in die Nähe des anderen gezogen ist«.328 Sondern hier findet auch und gerade die ›Übersetzung‹ eines Lexems ins Verfahren statt – sei dieses Lexem nun als ein (im Heideggerschen Sinne) eigentlich-unmetaphorisches oder als ein (im philologischen Sinne) uneigentlichmetaphorisches verstanden. Verfahrenstechnisch organisiert jedenfalls
322 323 324 325 326 327 328
WhD, 84. Siehe dazu oben, 131ff. DE, 112. UzSp, 200. UzSp, 258. Vgl. etwa AED, 23f. EH, 30f., 48. Hw, 324f. UzSp, 186f., 196, 208, 267. UzSp, 187.
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Heidegger diese »Nachbarschaft« als einen Zusammenhang zwischen dem eigenen und einem fremden (dichterischen) Text, wobei sich jeweils einzelne Bestandteile der Heideggerschen Verse als ›subtextuelle‹ Bezugspunkte erkennen lassen.329 Gegenüber Bemühungen, die unmetaphorisch-metaphorischen Lexeme Heideggers genetisch (d. h. im Hinblick auf seine Anleihen aus Lexika und auf die damit verbundenen terminologischen Verschiebungen) oder durch rhetorische Analyse (d. h. durch eine Inversion der Heideggerschen ›Metaphern‹) zu entschlüsseln und so auf ihre Sachhaltigkeit hin zu diskutieren,330 könnte Heideggers Verfahren der »Wort«-Bildung und das, was es leisten soll, mit Humboldt als eine »mittlere Periode der Sprachbildung« bezeichnet werden: »Die Anwendung schon vorhandener Lautform auf die inneren Zwecke der Sprache […] lässt sich in mittleren Perioden der Sprachbildung als möglich denken. Ein Volk könnte, durch innre Erleuchtung und Begünstigung äusserer Umstände, der ihm überkommenen Sprache so sehr eine andere Form ertheilen, dass sie dadurch zu einer ganz andren und neuen würde.«331 329
Zu den eben zitierten ›Versen‹ seien hier nur zwei Stichpunkte angemerkt: a) Den ›stockenden‹, nicht-explikativen Doppelpunkt in der Wendung »Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens« gewinnt Heidegger in der Auseinandersetzung mit Stefan Georges Gedicht »Das Wort« (vgl. UzSp, 161ff.) und überträgt diesen Doppelpunkt dann auf die eigenen syntaktischen Verbindungen mit dem Ziel, einen prädikativen Satzzusammenhang gleichsam non-verbal, durch bloße Interpunktion, zu durchkreuzen. Vgl. dazu etwa UzSp, 11, 12, 193, 229ff., 260. (Die Kontrafaktur eines prädikativen Zusammenhangs durch dessen »schärfere Gliederung« mittels von Doppelpunkten und Versifikation nimmt Heidegger auch bei seinen ›Übersetzungen‹ von Parmenides Frgm. B 6 vor. Vgl. WhD, v. a. 111; 130.) – b) Das »Regende« und das »Eignen« in der Wendung »Das Regende im Zeigen der Sage ist das Eignen« verweist auf das »Wort«-Spektrum von »regend – ragend – πéλει – πóλις – πóλος – πéλας– Nachbar(schaft) – Nähe – Nahnis«, welches Heidegger in der Auseinandersetzung mit dem ersten Stasimon der Sophokleischen »Antigone« entfaltet. Vgl. HHI, 87ff. 330 Siehe etwa Beierwaltes, Heideggers Rückgang, 17 f.: »Derartige als eigentliche, ursprüngliche Bedeutungen – ›concreta‹ – angenomene sind in vielen Fällen diejenigen, die z. B. in dem Griechisch-Deutschen Handwörterbuch von Wilhelm Pape aus dem 19. Jahrhundert in dem jeweiligen Lemma als erste angegeben sind. Man sieht deutlich, daß in diesem Selektionsverfahren, das sich auf die jeweils erst-genannte als die vermeintlich von der Sache her ursprüngliche Bedeutung konzentriert, ein peinliches Vermeiden sogenannter Abstracta leitend ist (diese sind ja bereits vorstellend-›metaphysisch‹!).« 331 Humboldt, Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, 80. – Diese Worte Humboldts zitiert Heidgger am Ende seines Aufsatzes »Der Weg zur Sprache« (vgl. UzSp, 268), der im Rahmen von »Unterwegs zur Sprache« wohl die reichsten und komplexesten ›übersetzerischen‹ Bezüge in sich birgt. Freilich fungiert dieses Humboldt-Zitat nicht allein als eine bekräftigende Bestätigung des propositionalen Gehaltes von Heideggers vorangehendem ›Text‹. Der an dieser Stelle von Heidegger explizit gemachte Bezug auf Humboldts monumentale Einleitung zum Kawi-Werk gründet vielmehr in einem ›subtextuellen‹ Bezug
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Gemeint ist mit dieser »mittleren Periode der Sprachbildung« (auch bei Humboldt) nicht so sehr ein bestimmtes Stadium der Sprachbildung, in dem sich eine einmal erreichte konkrete Sprachform noch weiter entwickeln ließe.332 Eine »mittlere Periode« markiert also die Heideggersche »Wort«Bildung, sofern sie gerade »nicht [über die] ›Lautform‹ und Bildung neuer Wörter«333 neuartigen Gedanken einen neuartigen »Ausdruck […] erschafft«.334 Wenn Heideggers »Wort«-Bildung den gesuchten »Wandel der Sprache […] weder erfinden noch erzwingen« kann »durch die Beschaffung neu gebildeter Wörter und Wortreihen«,335 dann deswegen, weil eine schaffende Spracherfindung im eigentlichen und ursprünglichen Sinne illusorisch oder zumindest hypothetisch bleibt: Jede Neubildung von Wörtern könnte zwar die Grenzen des herkömmlichen Sprachausdrucks nach außen erweitern, zugleich müßte sie jedoch in den Grenzen des herkömmlichen ›dichtomen‹ Sprachbaus und seiner Bedeutsamkeit verbleiben. In erster Linie mani(den wir im folgenden nur noch andeutungsweise berühren können). Die Tatsache aber, daß Heidegger gleich zwei, direkt aufeinanderfolgende Zitate aus der Einleitung zum Kawi-Werk unkommentiert an das Ende dieses Aufsatzes (und des Buches) stellt (vgl. UzSp, 268), verweist wohl auf den Versuch Heideggers, das »reine Dastehen« eines fremden Textes (vgl. oben, 121) zu verwirklichen, um nach einer Auseinandersetzung mit diesem fremden Text diesen wieder sich selbst zu überlassen. Zu Heideggers Technik, am Schluß seiner jeweiligen Ausführungen (nochmals) einen fremden Text zu zitieren, der sich mit dem jeweils vorangehenden Heideggerschen Text über ein (meist) verschleiertes »Wort«-Spektrum berührt, vgl. auch EH, 31, 48, 181, 192. VA, 125, 204. UzSp, 33, 81f., 177. 332 Wenn Heidegger immer wieder den in doppeltem Wortsinn »vorläufigen« Charakter seines Sprechens betont, dem – ganz im Zeichen der »dürftigen Zeit« des späten Hölderlin (vgl. EH, 47f.) – »das gemäße Wort auch heute noch« fehle (UzSp, 93), dann scheint er sein Idiom dabei nicht als eine Sprachform zu begreifen, die als eine gesicherte Ausgangsbasis für andere, weiterführende ›Denkwege‹ verwertet werden könnte. Daher wohl auch seine immer wieder deutlich spürbare Skepsis, ob die von ihm gebrauchten »Worte« nicht doch als eine Nomenklatur mißverstanden werden (müssen), die man »aus- und nachsprechen« (VA, 259) könne. Hinter dieser Skepsis Heideggers steht wohl nicht nur die Anmaßung, daß jede Rezeption seiner Texte a priori Gefahr läuft, seine »Worte« ohne »Erfahrung des Denkens« zu gebrauchen, sondern sie signalisiert auch und vor allem einen Vorbehalt gegenüber dem Anspruch, seine »Worte« sollten mittels einer lexikalischen Bedeutsamkeit eine signifikative Deutlichkeit erbringen, die sie nicht leisten können und wollen. 333 Unterwegs zur Sprache, GA 12, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1985, 256 Anm. c (= Randbemerkung Heideggers in seinem Handexemplar von »Unterwegs zur Sprache«). Hervorh. von mir. 334 Vgl. Humboldt, op. cit., 80: »Die Lautform ist der Ausdruck, welchen die Sprache dem Gedanken erschafft. […] Das Schaffen, wenn es ein eigentliches und vollständiges seyn soll, könnte nur von der ursprünglichen Spracherfindung, also von einem Zustande gelten, den wir nicht kennen, sondern nur als nothwendige Hypothese voraussetzen.« (Hervorh. von mir.) 335 UzSp, 267. Hervorh. von mir.
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festiert sich Heideggers »Wort«-Bildung daher als die »Anwendung schon vorhandener Lautform auf die inneren Zwecke der Sprache«,336 als ein ›inversives‹ Verfahren, durch das »in dasselbe Gehäuse [der Sprache] ein anderer Sinn gelegt, unter demselben Gepräge etwas Verschiedenes gegeben« wird.337 Mit der ›übersetzerischen‹ Abarbeitung des überkommenen – d. h. auch: des überlieferten dichterischen und philosophischen – Sprachmaterials hofft Heidegger »der ihm überkommenen Sprache so sehr eine andere Form zu ertheilen, dass sie dadurch zu einer ganz andren und neuen würde«.338 Die Möglichkeit zu dieser »ganz andren und neuen« Sprache ergibt sich für Heidegger weder aus einer Erweiterung noch aus einer Reversion der lexikalischen Bestandes der ›natürlichen‹ Sprache(n); erreichbar ist diese »andere Form« der Sprache für Heidegger nur durch eine Versenkung in die »›innere Sprachform‹« der überlieferten Sprache.339 336
Humboldt, op.cit., 80; zit. in: UzSp, 268. Hervorh. von mir. Humboldt, op. cit., 93; zit. in: UzSp, 268. Hervorh. von mir. – Vgl. dazu Humboldt, op.cit., 81: »Die Lautform ist der Ausdruck, welchen die Sprache dem Gedanken erschafft. Sie kann aber auch als ein Gehäuse betrachtet werden, in welches sie sich gleichsam hineinbaut.« (Hervorh. von mir.) Über das Humboldtsche Deverbativum (!) »das Gehäuse« eröffnet sich ein »Wort«-Spektrum, das Heidegger unmittelbar vor seiner Zitation von Humboldt in Form eines Selbstzitates aus dem »Humanismus-Brief« anklingen läßt mit der bekannten Wendung: »Die Sprache wurde das ›Haus des Seins‹ genannt.« (UzSp, 267.) In diesem Sinne betreibt Heideggers übersetzerische Arbeit am »Gehäuse«/an der »Lautform« eine In-Spektion dieses »Gehäuses« auf ein dynamisches »Sprachwesen« hin, indem Heidegger mit Humboldt an der Lautform den funktionalen Aspekt eines äußerlichen Behälters von Gedanken bzw. von Bedeutungen abblendet. 338 Humboldt, op.cit. , 80; zit. in: UzSp, 268. 339 Unterwegs zur Sprache (= Anm. 333), 256 Anm. c (= Randbemerkung Heideggers in seinem Handexemplar). Hervorh. von mir. – Heideggers Randbemerkung, die die von ihm zitierte »andere Form der Sprache« Humboldts (vgl. Anm. 331) mit dem Humboldtschen Terminus der »inneren Sprachform« korreliert, zeigt seine verwandelnde Lesart dieser »nur schwer bestimmbare[n] ›innere[n] Sprachform‹« (UzSp, 248). Für Heidegger zielt nämlich dieser Humboldtsche Terminus »gemäß der Lehre des neuzeitlichen Idealismus« (UzSp, 248) auf eine Leistung der Sprache als »Weltansicht«, auf die in der Sprache selbst sich vollziehende Synthesis von subjektivem »Geist« und objektiver »Gegenständlichkeit« (UzSp, 248). Insbesondere der je verschiedene ›Materialstand‹ der Sprachen, d. h. der hinsichtlich des Schriftbildes, der Lautformen und der grammatischen Wortbildung jeweils verschiedene Bau einer Sprache oder Sprachfamilie, zeugt für Humboldt von der Entwicklung und Verfeinerung dieser »Weltansicht« durch eine Sprachgemeinschaft. (Vgl. dafür etwa Humboldt, Ueber das Entstehen der grammatischen Formen, und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung, in: GS IV, 285–313; ders., Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau, in: GS V, 107–133.) Humboldt begreift die Totalität der menschlichen Sprache anhand ihrer jeweils einzelsprachlich-›individuellen‹ Ausformungen als »Ausdruck«, d. h. als einen (wenngleich ausgezeichneten) Indikator der verschiedenen geistigen Entwicklungsstufen der Menschheit. Wenngleich sich also für Heidegger wie für Humboldt die »innere Sprachform« primär nicht über eine nach außen gerichtete Spracherweiterung durch lexikalische Sprachzeichen, über die »Schaffung« von 337
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Vorzüglich ablesbar ist Heideggers Suche nach der »inneren Sprachform« an seinem Umgang mit der tautologischen Satzform: Nur soweit die tautologische Satzform die endlos wiederholbare, jeweilige Identität bzw. Distinktheit der Sprachzeichen und ihrer lexikalischen Bedeutungen (›A ist A‹, ›B ist B‹ usw.) metasprachlich bestätigen kann, zeigt sie sich für Heidegger ihrer sprachlichen Gestalt nach als die formale Grenze des sprachlichen Ausdrucks; die tautologische Satzform bleibt allenfalls im Horizont der lexikalisch sanktionierten Bedeutsamkeit der Sprache unhintergehbar. Wenn nun Heidegger von einer solchen Funktion absieht, die der ›inhaltsleeren‹ Formalität der tautologischen Satzform für ein lexikalisch bedeutsames Sprechen zukommt, und wenn er dabei weiterhin auf einer Tautologie wie »Sprache ist Sprache« insistiert, also von ihr nicht los- und weiterkommen will, 340 dann scheint er mit dieser Insistenz eine Art von Intensivierung im Blick zu haben: Mit seinem Beharren auf der tautologischen Satzform (»Sprache ist Sprache«) verleiht Heidegger nicht nur und nicht so sehr der Nicht-Explizierbarkeit der »Sprache selbst« oder der »Identität selbst« rhetorischen Aus- und Nachdruck. Sondern dieses Beharren signalisiert auch und vor allem eine Intensivierung im Sinne einer Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf eine ›innere‹ Dimension des »Sprachwesens«. Vor dem Hintergrund des τò ατó, des ›einheitlichen‹ Sprachwesens, das jenseits der lexikalischen Differenz bzw. Identität der Sprachzeichen zum Vorschein kommen soll, verdichtet sich ›die‹ Tautologie nicht zu einer programmatischen »Formel«, der das Stigma anhaftet, hinter dem, was philosophisch zu sagen wäre, zurückzubleiben. Sondern sie zerstreut sich über mannigfache »Wort«-Spektren hinweg als eine Sprachform, die »in der verschiedensten Weise überall und stets durch alle Sprache hindurch[spricht]«.341 Nicht mehr fungiert die tautologische Satzform nur als eine Grenze im Sinne einer sprachlich extremen, gleichwohl noch bedeutsamen Form, mit der ein ineffabile zwar nicht mehr expliziert, doch aber noch als dieses ineffabile sprachlich festgehalten werden kann. Das ›Tauto-logische‹ markiert eine Grenze im Sinne eines Zwischenraumes innerhalb der – zugleich verbal gefaßten, ›worthaften‹ – Sprache, deren Spur Heideggers Sprachvollzug vor allem im ›unpersönlichen‹, da »programmierten Muster der Grammatik« verfolgt.342 neuen lautlichen Ausdruckformen, konstituiert, so sucht Heidegger diese »innere Sprachform« zugleich gegen Humboldt zu denken: nicht als den in einer Sprache jeweils ange-legten Möglichkeitsspielraum der »Ideenentwicklung«, welcher sich »durch umfassendes Vergleichen möglichst vieler und entlegener Sprachen« (SZ, 166) und also durch die in dieser Vergleichung zum Vorschein kommenden, graduell unterschiedenen Stufen einer sukzessiven Sprachentwicklung erschließt, sondern als die verborgene, innere Struktur einer ›Sprachlichkeit‹, die sich erst in einem simultanen »Wort«-Spektrum zu erkennen gibt. 340 Vgl. oben, 164. 341 Hw, 362.
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Unter dieser Hinsichtnahme aber lassen sich die späten Heideggerschen Texte nicht so sehr als die Träger eines kognitiven Gehaltes lesen, welchen es als das Implikat von Heideggers ›eigenwilligem‹ Sprachstil, von einem rhetorischen Ornatus mehr oder minder gelungener Figuren, abzuheben und zu einer explikativen Sprache zu bringen gilt. Eine Bedeutung wächst Heideggers ›Sprachstil‹ zu als dem Protokoll eines sprachlichen Grenzganges, der Signifikant und Signifikat zur Deckung zu bringen sucht und der in erster Linie verfahrenstechnisch zu beschreiben ist – oder um mit Wilhelm von Humboldt zu sprechen, der in »Unterwegs zur Sprache« buchstäblich vom Anfang bis zum Ende mitspricht:343 »Indem man also bekennt, dass man an einer Gränze steht, über welche weder die geschichtliche Forschung, noch der freie Gedanke hinüberzuführen vermögen, muss man doch die Thatsache und die unmittelbaren Folgerungen aus derselben getreu aufzeichnen.«344
342
P. de Man, »Semiologie und Rhetorik«, in: ders., Allegorien des Lesens [Teil I], aus dem Amerikanischen von W. Hamacher und P. Krumme, mit einer Einleitung von W. Hamacher, Frankfurt a. M. 1988, 31–51; hier 46: »[Rhetorische] Figuren sollen Erfindungen [d. h. inventiones im klassisch-rhetorischen Sinne] sein, die Produkte eines äußerst individualisierten Talents, während für die programmierten Muster der Grammatik niemand ein Verdienst in Anspruch nehmen kann.« 343 Vgl. UzSp, 11 und 268. 344 Humboldt, op. cit., 39.
III. ROMAN JAKOBSON
No grammatical analysis of a poem can give us more than the grammar of the poem. Michael Riffaterre, Describing Poetic Structures. Obwohl es eigentlich Banalitäten sind, werden gerade Banalitäten häufig vergessen. Roman Jakobson, Zeichen und System der Sprache. Es geht in der Tat um eine »Selbstverständlichkeit«, die wir uns näher bringen wollen, soweit das für die Aufhellung des Vorgehens dieser Abhandlung von Belang ist. Martin Heidegger, Sein und Zeit.
Während in den Heideggerschen Texten sich tautologische Sprachformen mit Händen greifen lassen und dabei als das Resultat eines kalkulierten Sprachverfahrens beschrieben werden können, vermittelt Roman Jakobsons facettenreiches und polyglottes Werk nicht gerade den Eindruck, daß ›die‹ Tautologie auch darin eine thematische Brisanz besitzen oder daß sie gar eine gewichtige Rolle für Jakobsons linguistische Verfahrensweise spielen könnte: Das Problem der Tautologie scheint für Jakobson keines zu sein, weder in seinen Schriften zu »crucial questions of linguistic theory«1 noch in seinen durchgeführten Analysen zahlreicher »Gedichte, die größtenteils zwischen dem achten und zwanzigsten Jahrhundert in nahezu zwanzig Sprachen verfaßt worden sind«.2 Wie aber schon Peter Szondi bemerkt hat, weist Jakobsons berühmte Definition der poetischen Funktion offensichtlich doch einen Bezug zum Problem der Tautologie auf: »The poetic function projects the principle of equiva-
1
So der Obertitel, unter dem in den (inzwischen auf acht Bände angewachsenen) »Selected Writings« (SW) thematisch verwandte Aufsätze Jakobsons zusammengestellt sind. Vgl. dazu das Inhaltsverzeichnis zu SW II und SW IV. 2 »Retrospect« [1980]; SW III, 765–789; hier 770. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (übs. v. E. Glaser und H. Stopp), in: Sprachwissenschaft 6 (1981), 245–272; hier 252. – Jakobsons Arbeiten werden künftig unter ihrem vollständigen Titel und mit verkürzter Angabe des jeweiligen Sammelbandes, dem sie entnommen sind, zitiert. Sämtliche deutschen Übersetzungen wurden mit den entsprechenden Fassungen in den »Selected Writings« verglichen und, wo nötig, darnach korrigiert. – Für die Korrekturen an den deutschen Übersetzungen derjenigen Schriften, die Jakobson in slavischen Sprachen verfaßt hat, bin ich Sebastian Donat und Florian Grotz zu großem Dank verpflichtet.
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lence from the axis of selection into the axis of combination. Equivalence is promoted to the constitutive device of the sequence. Jakobsons Definition beschreibt nicht ein Gedicht, sondern nennt das Prinzip, an dem sich die im strengen Wortsinn poetische Sprachverwendung orientiert. Dieses Prinzip kann nie ganz sprachliche Realität werden, wenn anders das Gedicht nicht tautologisch sein, wenn es etwas sagen soll.«3 Diese Tendenz zum Tautologischen, die Jakobsons Definition einem poetischen Sprachgebrauch unausgesprochen unterstellt, scheint zunächst ein weiteres Indiz für das vieldiskutierte Problem zu sein, inwieweit sich Jakobsons Definition der poetischen Funktion auf einer empirischen Ebene, d. h. für den konkreten, poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch, Geltung verschaffen kann, ob sie also überhaupt in der universalen Reichweite funktioniert, die sie für sich beansprucht. Das Problem der Tautologie betrifft jedoch nicht nur die Extension der Jakobsonschen Definition, sondern rührt auch und vor allem an der immanenten Systematik von Jakobsons Linguistik und Poetik. Insofern nämlich jene Definition einen poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch zu einem tendenziell tautologischen erklärt, gerät sie offensichtlich in Konflikt mit einer anderen Grundüberzeugung Jakobsons, derzufolge in einem poetisch funktionalisierten Sprachgebilde alle Elemente der formalen Distribution semantisch fundiert sind.4 Der definitorischen Festlegung eines poetischen Sprachmodus, dessen Wesen »auf jeder sprachlichen Ebene […] aus ständig wiederkehrenden Elementen besteht«5 und der aufgrund dieser Rekurrenzen in letzter Konsequenz tautologisch im Sinne von nichtssagend zu werden droht, steht Jakobsons Auffassung von der grundsätzlichen Bedeutsamkeit eben dieses Sprachmodus gegenüber. Ein Widerspruch also?6 3
P. Szondi, »Poetry of Constancy – Poetik der Beständigkeit. Celans Übertragung von Shakespeares Sonett 105«, in: ders., Celan-Studien, hrsg. von J. Bollack u.a., Frankfurt a. M. 1972, 13–45; hier 42. – Szondis Jakobson-Zitat bezieht sich auf »Linguistics and Poetics« [1960]; SW III, 18–51; hier 27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik« (übs. v. T. Schelbert); Poetik, 83–121; hier 94. 4 Vgl. »Linguistics and Poetics«; SW III, 40. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 108: »[...] lautliche Äquivalenz, die als konstitutives Prinzip auf die Sequenz projiziert wird, zieht unweigerlich semantische Äquivalenz nach sich.« – Vgl. auch »›Les chats‹ de Charles Baudelaire« [1962]; SW III, 447–464; hier 461 (Mitverfasser: C. Lévi-Strauss). Dt. Übs. »›Die Katzen‹ von Charles Baudelaire« (übs. v. E. Köhler u. a.); Semiotik, 206–232; hier 225. 5 »Grammatical Parallelism and Its Russian Facet« [1966]; SW III, 98–135; hier 98. Dt. Übs. »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart« (übs. v. T. Schelbert); Poetik, 264–310; hier 265. 6 Um diese systemimmanente Divergenz der beiden Jakobsonschen Thesen zu unterstreichen, spricht Gérard Genette davon, daß Jakobson nach einer frühen ›formalistischen‹ Phase, in der er die Autonomie des poetischen Wortes als Wort gegenüber dessen kogniti-
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Soweit nun die Tautologie als der »Grenzwert durchgängiger Realisierung des Äquivalenzprinzips«7 die faktische Reichweite von Jakobsons Definition bedroht, ist es nicht schon getan mit dem bloßen Hinweis auf die stupende Anzahl der strukturalen Gedichtanalysen, die dem späten Jakobson im Ausgang von seiner Definition noch gelungen sind. Ungeachtet dessen, daß einige dieser Gedichtanalysen grundsätzlichen Widerspruch erregt haben,8 wurde nämlich den von Jakobson analysierten Gedichten immer wieder eine Reihe von Gedichten bzw. von Autoren entgegenhalten, auf die Jakobsons Definition anscheinend nicht oder nur bedingt zutrifft. 9 Nicht nur dies: Die – von Jakobson selbst eingestandene – Beschränkung seiner Analysepraxis auf poetische Texte von kurzem Unfang10 scheint die eingeschränkte Gültigkeit seiner Definition vollends zu bestätigen.11 ver (= referentieller) Funktion als bedeutsames Zeichen betont hätte, sich »zum poetischen Mimologismus« bekehrt habe, also zu der Auffassung, daß im Falle eines primär poetischen Sprachgebrauchs eine intensivierte bzw. motivierte Verbindung zwischen Laut und Bedeutung (sound-meaning-nexus) zum Vorschein kommt. Diese »Bekehrung«, so Genette weiter, »sollte man [...] jedoch nicht zu vorschnell in einem ganz einfach diachronischen Sinne interpretieren. Es wäre schwierig zu begründen, was naheläge, daß sich Jakobsons Position diesbezüglich zwischen 1920 [in »Die neueste russische Poesie«; TRF II, 18–135] und 1960 [in »Linguistics and Poetics«; SW III, 18–51] verändert und daß eine persönlichere Interpretation des Poetischen sich nach und nach aus den gemeinsamen Haltungen der formalistischen Gruppe herausgelöst hätte.« (G. Genette, Mimologiken. Reise nach Kratylien, aus dem Französischen von M. von Killisch-Horn, München 1996, 363f.) – Ähnlich auch D. Attridge, Peculiar Language. Literature as Difference from Renaissance to James Joyce. Ithaca, N.Y. 1988, bes. 127–136 (Abschnitt »Hermogenes or Cratylus?«). 7 Szondi, »Poetry of Constancy – Poetik der Beständigkeit«, 42. 8 Am heftigsten wohl Jakobsons/Levi-Strauss’ »Les Chats«-Analyse (= Anm. 4). Vgl. dazu M. Riffaterre, »Describing Poetic Structures: Two Approaches to Baudelaire’s ›Les Chats‹«, in: Yale French Studies 36/37 (1966), 200–242; sowie R. Posner, »Strukturalismus in der Gedichtinterpretation. Textdeskription und Rezeptionsanalyse am Beispiel von Baudelaires ›Les Chats‹«, in: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Bd. II/2: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft I, hrsg. von J. Ihwe, Frankfurt a. M. 1971, 224–266. – Für Jakobsons Erwiderung auf Riffaterre vgl. »Retrospect«; SW III, 765ff. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 252ff. 9 Vgl. etwa Genette, Mimologiken, 370 f.: »[...] man kann sich – um uns nur an ein Gegenbeispiel zu halten – leicht vorstellen, was ein Malherbe, so sehr Feind jeder ›Wiederholung‹ und so hartnäckig bemüht, den klanglichen und rhythmischen Fächer des Verses und der Strophe so weit wie möglich zu öffnen, von unserer verallgemeinerten Similarität gedacht hätte.« 10 Vgl. »Retrospect«; SW III, 770. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 252. 11 In Jakobsons Kennzeichung der »prosaische[n] Spielart der Wortkunst« als einem »Übergangsphänomen [...] zwischen streng poetischer und streng referentieller Sprache« (»Linguistics and Poetics«; SW III, 46; dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 115) sieht etwa Derek Attridge eine »marginalisation of the major component of Western literary
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Umgekehrt aber helfen hier kaum Vermutungen darüber weiter, daß Jakobsons strukturale Poetik und Analysepraxis »unvermeidlich von einer bewußten oder unbewußten Wahl innerhalb des poetischen Korpus begleitet [werden], die eine Statistik der Zitate und Analysegegenstände auf beredte Weise zutage treten lassen würde«.12 In den bislang publizierten 47 Einzelanalysen Jakobsons13 finden sich nämlich keineswegs nur solche Texte behandelt, die durchweg den Verdacht erhärten könnten, Jakobsons strukturalistische Poetik reduziere die »poetische Sprache« auf »die Sprache einer bestimmten Poesie«.14 Angesichts der von Jakobson analysierten Texte, die den verschiedensten Sprachen, Epochen und Kulturkontexten zugehören, dürfte es schwerlich gelingen, sowohl diese Texte als auch dann Jakobsons Analysen auf einen Nenner zu bringen – und sei es auch nur auf denjenigen einer vom »Dämon der Analogie« getriebenen Poetik, die »hinter der poetischen Praxis selbst«15 zurückbleibe. Die Frage nach der Tragweite von Jakobsons Definition und damit nach ihrer Einlösbarkeit in der Analysepraxis ist also nicht auf ein statistisches Problem reduzierbar: Weder besteht Hoffnung, daß mit einer – im Prinzip endlos fortzusetzenden – Anwendung der Jakobsonschen Definition auf konkrete Texte irgendwann doch noch ihre uneingeschränkte Gültigkeit erwiesen werden könnte; noch bestätigt sich deren eingeschränkte Gültigkeit bereits mit der Anhäufung von konkreten Gegenbeispielen (deren negative Exemplarität erst einmal nachzuweisen wäre) bzw. durch die Aufzählung von (allzu) allgemeinen Gemeinsamkeiten, die die von Jakobson analysierten Gedichte miteinander teilen.16 tradition indicat[ing] that something is amiss with [Jakobson’s] theory«. (Attridge, »Closing statement: linguistics and poetics in retrospect«, in: The linguistics of writing. Arguments between language and literature, ed. by N. Fabb et al., New York 1987, 15–32; hier 28 [Fn. 9].) 12 Genette, Mimologiken, 370. (Übs. leicht modifiziert.) 13 Vgl. das Verzeichnis von Jakobsons Gedichtanalysen im Anhang zu: H. Birus, Hermeneutik und Strukturalismus. Eine kritische Rekonstruktion am Beispiel Schleiermachers und Jakobsons, München 1996 [Masch.]. 14 Genette, Mimologiken, 370. 15 Genette, Mimologiken, 371. 16 Mit Blick auf Genettes Gegenbeispiel (vgl. Anm. 9) hält Jakobson vielmehr fest: »Wenn man, wie es ein Kritiker getan hat, der modernen Poesie mit ihrer Neigung zur ›verallgemeinerten Similarität‹ einen solchen Feind aller Wiederholung wie François Malherbe gegenüberstellt, dann sind dieser Feindseligkeit enge Grenzen gezogen: Die Zahl der Silben, die Stelle der Zäsur und die Pause am Ende des Verses sind [in Malherbes Versen] streng beachtet, und in einem solchen Zusammenhang treten alle möglichen Ähnlichkeiten, Kontraste und Kontiguitäten der lexikalischen Einheiten und der grammatischen Formen klar hervor. So weist beispielsweise der berühmte Vers Et rose elle a vécu ce que vivent les roses [aus »Consolation à Monsieur Du Périer. Sur la Mort de sa Fille«] eine Spiegelsymmetrie der beiden Halbverse auf: dasselbe Substantiv tritt im verschiedenen Numerus
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Vor allem aber scheinen sich derartige statistische Erwägungen, die, mehr oder minder explizit, in der Jakobson-Rezeption immer wieder zu beobachten sind, einer kurzschlüssigen Gleichsetzung zu verdanken. Wenn nämlich für Jakobson »das empirische linguistische Kriterium der poetischen Funktion« darin besteht, daß sie »das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination [projiziert]«,17 dann ist damit keineswegs mit mechanischer Regularität ausgemacht, wie bzw. in welcher Form dieses (immerhin sehr abstrakt formulierte) »empirische linguistische Kriterium« im einem konkreten Sprachgebilde jeweils zu Tage tritt. Im Vergleich zur Regularität dieses »linguistischen Kriteriums« ist dessen Anwendung auf ein empirisches Sprachgebilde nicht wiederum auf mechanisch handhabbare – und statistisch verifizierbare – Regeln zu bringen.18 Mag sich deshalb die von Jakobson veranschlagte Projektion des Äquivalenzprinzips wie ein »einfaches ›empirisches [!] Kriterium‹« ausnehmen, wie »eine Art rule of thumb, ein bequemes Mittel, um einen Text mit poetischer Funktion zu ›erkennen‹«19 – ihre jeweils spezifische Art der Aktualisierung in einem emprischen Sprachgebilde erfordert eine jeweils spezifische Aufmerksamkeit des Interpreten: die distributive Analyse all der formalen Elemente, »die in der Poesie für Korrespondenzen von Ähnlichkeit oder Kontrast verwendet werden«.20 Bei aller Skepsis, die gegenüber quantifizierenden Argumenten für oder wider Jakobsons Analysepraxis angebracht ist, verdient es gleichwohl Beach-
auf, dasselbe Verb in anderer Person und anderem Tempus; metaphorische und wörtliche Bedeutung wechseln einander ab, ganz zu schweigen von der syntaktischen Unähnlichkeit der wiederholten Elemente.« (»Беседы (Dialogues)« [mit Krystyna Pomorska]; SW VIII, 439–583; hier 543. Dt. Übs. Dialoge, übs. v. H. Brühmann, 117 [Übs. modifiziert].) 17 »Linguistics and Poetics«; SW III, 27. Dt. Übs. »Lingusitik und Poetik«; Poetik, 94. (Im Original kursiv. Hervorh. von mir.) 18 Diese methodologische Spannung zwischen der Regularität jenes Kriteriums und der ›Irregularität‹ seiner Anwendung ist entscheidend geprägt durch Jakobsons Theorem vom Korrespondenzverhältnis zwischen Invarianz und Varianz. Näheres dazu unten, 192ff. 19 Genette, Mimologiken, 367. 20 »Поэзия грамматики и грамматика поэзии« [1961]; SW III, 63–86; hier 71. Dt. Übs. »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie« (übs. v. H. Schmid); Poetik, 233–263; hier 243 (zit. nach der korr. Übs. von Birus, Hermeneutik und Strukturalismus, 10). Hervorh. von mir. – So meldet Birus berechtigte Bedenken an, wenn sich für Jakobson jenes linguistische Kriterium nur in einer »unvoreingenommenen, aufmerksamen, detaillierten und ganzheitlichen Beschreibung [der Strukturen eines Sprachgebildes]« (op. cit.; SW III, 70; dt. Übs. Poetik, 242) erkennen läßt und wenn man dann, wie geschehen, »›unvoreingenommen‹ mit ›mechanisch‹, ›detailliert‹ mit ›erschöpfend‹ und ›ganzheitlich‹ mit ›komplett‹ gleichsetzt und die von Jakobson geforderte ›Aufmerksamkeit‹ des Interpreten durch die Suche nach einer aus einem linguistischen Algorithmus ableitbaren ›discovery procedure for poetic pattern‹ ersetzt – und dies als Jakobsons eigentliche Intention unterstellt« (Birus, op. cit., 10).
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tung, daß Jakobson für die überwiegende Mehrheit seiner Gedichtanalysen jeweils die gleiche (bzw. eine nahverwandte) Sprache gewählt hat, in der auch die von ihm analysierten Gedichte verfaßt sind.21 Diese Art der sprachlichen Angleichung von Jakobsons Analysen an ihren jeweiligen Analysegegenstand verweist nämlich auf eine Dimension seiner Linguistik und Poetik, in der das Problem der Tautologie erst sein volles Gewicht erhält. Nicht nur markiert die Tautologie einen Grenzwert, von dem her betrachtet Jakobsons Etablierung der poetischen Sprachfunktion als inkonsistent erscheint. Mit Jakobsons genereller Abkehr von linguistischen Beschreibungs- und Analysekriterien, die sich exogen bzw. heterogen zu ihrem jeweiligen Gegenstand verhalten, spielt das Problem der Tautologie auch in das sprachliche »Verhältnis de[s] Beobachter[s] zu dem beobachteten Ding«22 hinein; es greift sozusagen auf die metasprachlichen Operationen des Linguisten über. »Der funktionelle Unterschied zwischen formalen und natürlichen Sprachen muß von den Experten sowohl für die eine als auch für die andere Art der Sprache beachtet werden. Andersens Märchen vom häßlichen jungen Entlein soll nicht neu inszeniert werden, und die Verachtung des Logikers für die Synonymie und die Homonymie der natürlichen Sprache ist ebenso fehl am Platze wie das Befremden der Linguisten über die tautologischen Sätze der Logik. In der langen Geschichte der Sprachwissenschaft haben nicht nur Logiker, sondern zuweilen die Linguisten selbst willkürlich auf die natürlichen Sprachen Kriterien angewandt, die eigentlich für fachsprachliche Konstrukte gelten. Zum Beispiel stößt man auf heteronome, erkünstelte Versuche, die natürliche Sprache auf Behauptungen zu reduzieren und Formen, die ein Begehren ausdrücken (Interrogativ- und Imperativformen), als Abwandlungen oder Paraphrasen von Behauptungssätzen aufzufasssen.«23 Gerade die Einhaltung dieses »funktionellen Unterschiedes zwischen formalen und natürlichen Sprachen« wird so für Jakobson zum Gelungenheitskriterium für eine äquivalente Metasprache des Linguisten. Die Beschreibung und Übertragung von Phänomenen der natürlichen Sprache in eine(r) Meta-
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Abzüglich der zwei Analysen, die jeweils einen alttestamentarischen und einen altjapanischen Text zum Gegenstand haben (vgl. Nr. 1 und 2 im Anhang zu Birus, Hermeneutik und Strukturalismus), finden sich unter den 47 Gedichtanalysen Jakobsons nur noch sieben Analysen, bei denen sich die für die Analyse gewählte Sprache augenfällig von der Sprache des jeweils analysierten Textes unterscheidet (vgl. Nr. 7, 8, 21, 31, 35, 42 und 45 bei Birus). 22 »Zeichen und System der Sprache. Diskussionsbeitrag« [1959]; SW II, 272–279; hier 277. 23 »Linguistics in Relation to Other Sciences« [1967]; SW II, 655–696; hier 660. Dt. Übs. »Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaften« [1972] (übs. von R. Kuhn); Linguistik, 150–224; hier 173 (korr. Übs. von mir). – Das englische Original wurde für die deutsche Übs. von Jakobson wesentlich erweitert.
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sprache gilt ihm dann als gelungen, wenn diese nicht in den Analysegegenstand eingreift und ihn nicht auf heteronome Kriterien zurechtstutzt (wie dies für Jakobson etwa bei einer aussagelogischen ›Purifikation‹ der natürlichen Sprache der Fall ist). Tatsächlich hat dann Jakobson im tautologischen Charakter eines seiner grundlegenden poetologischen Theoreme, nämlich seiner These zur konstitutiven Rolle des Äquivalenzprinzips im Vers, geradezu das Gütesiegel einer solchen metasprachlichen Umsetzung gesehen: »Meine These, daß der Vers ›das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination projiziert‹, wurde als Glaubensdogma verstanden, das für eine bestimmte poetische Schule charakteristisch ist und das, nach Meinung der Kritiker, auf eine ganze Reihe anderer künstlerischer Richtungen nicht zutrifft. Es wurde die elementare Tatsache nicht verstanden, daß die angeführte These nichts anderes ist als eine entfaltete Tautologie. Sie geht ganz einfach in die Bestimmung des Verses selbst mit ein.«24 Eine solche tautologische Metasprache des Linguisten wäre aber höchstens dann unproblematisch, wenn sie sich nur um die Beschreibung von ›rein‹ formalen, etwa von phonologischen oder prosodischen, Phänomenen der natürlichen Sprache bemühen würde. Sobald jedoch, wie im Falle des poetischen Sprachgebrauchs, allen diesen formalen Phänomenen ein genuiner, ja autonomer Bedeutungswert zukommen soll, scheint dieses Idealbild von Metasprachlichkeit Risse zu bekommen. Wenn nämlich die autonome Bedeutsamkeit eines poetischen Sprachgebildes gerade in der äquivalenten Beziehbarkeit, in der ›diagrammatischen‹ Anordnung seiner formalen Elemente, besteht, dann vermag Jakobson diese autonome Bedeutsamkeit als solche metasprachlich kaum anders zu explizieren als durch eine diagrammatische Wiedergabe eben dieser formalen Distributionsverhältnisse: Jakobsons metasprachliche Explikation gewinnt selbst den Charakter eines Abbilds von Beziehungen.25 Auf einen solchen metasprachlichen Mimologismus, auf Jakobsons Vorliebe für diagrammatische Darstellungsformen in seinen Gedichtanalysen,26 hat man sich denn auch berufen, wenn es galt, Jakobsons eigener Poetik und deren metasprachlicher Formulierung genau jene mimetischen (ikonischen) Qualitäten zuzuschreiben, die nach seiner Theorie nur auf einen poetischen Sprachgebrauch zutreffen müßten. Nicht zuletzt darin 24
»Беседы (Dialogues)«; SW VIII, 542. Dt. Übs. Dialoge, 115f. (Übs. modifiziert). Zum Diagramm als »Ikon der Beziehung« vgl. vorläufig »Quest for the Essence of Language« [1965]; SW II, 345–359; hier 350. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache« (übs. von R. Stein und D. Münch); Semiotik, 77–98; hier 85. 26 Vgl. etwa nur »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin« [1975/76] (Mitverfasserin: G. Lübbe-Grothues); SW III, 388–446; hier 390–413. »Grammatical Imagery in Cavafy’s Poem ΘΥΜΗΣΟΥ, ΣΩΜΑ...[sic!]« [1965] (Mitverfasser: P. Colaclides); SW III, 582– 590; hier 584. Sowie »Yeats’ ›Sorrow of Love‹ through the Years« [1975/76] (Mitverfasser: S. Rudy); SW III, 601–636; hier 611–617 und 624. 25
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hat man den beschränkten explikativen Wert seiner Theorie und seiner Analysen erblickt.27 So viel Plausibilität im Detail die inzwischen gängige These vom Mimologismus der Jakobsonschen Poetik haben mag,28 so scheint diese These doch die semiotische Struktur dieser Mimesis ungeklärt oder zumindest unberührt zu lassen. Anders gesagt: Wie der von Jakobson veranschlagte poetische Sprachgebrauch genauerhin ›nachzuahmen‹ vermag, scheint hierbei eine weitgehend unbefragte Selbstverständlichkeit zu bleiben. Solange also nicht hinreichend geklärt ist, wie nach Jakobson die spezifische Art des mimetischen Verhältnisses von signans und signatum im poetischen Sprachgebrauch, d. h. dessen grundsätzliche signifikative Struktur oder Bedeutsamkeit, zu denken ist, können wohl weder die Rede von Jakobsons mimologischer Poetik noch diejenige von Jakobsons mimetischer Metasprache wirkliche Überzeugungskraft beanspruchen. Was nun die signifikative Struktur des poetischen Sprachgebrauchs anbelangt, so denkt Jakobson offensichtlich gerade das in eins, was wie eine spannungsvolle Alternative innerhalb seiner Poetik erscheinen kann: einerseits einen poetischen Sprachgebrauch, mit dem die Signifikanten eine Autonomie von ihrem kognitiven bzw. referentiellen Bedeutungswert erhalten, andererseits die semantische Fundierung eben dieses poetisch funktionalisierten Sprachmaterials. Als Widerspruch erscheint aber diese Alternative, wenn für Jakobson diese autonome Bedeutsamkeit des poetisch funktionalisierten Sprachmaterials wiederum nur die signifikative Struktur eines referentiellen 27
Genette sieht in Jakobsons poetologischen Reflexionen eine »spontane Vorliebe« für mimetische Verfahrensweisen in der Poesie am Werk, die sich nur schlecht »mit einer rückwirkenden Rationalisierung« bemäntele. (Genette, Mimologiken, 367.) – Einen Schritt weiter scheint Erika Greber zu gehen, wenn sie es als »eine Art systemischen Zirkelschluß« bezeichnet, »daß man an den Texten, die Jakobson mit zur Formulierung seiner Theoreme verhalfen, immer wieder oder immer nur eben diese entdecken kann«, und wenn sie dieses zirkuläre Wechselverhältnis von Analyse und Analysegegenstand in Jakobsons metasprachlichem Mimologismus begründet sieht: »Die mimetische Vorgehensweise Jakobsons ist bekannt. Seine Definition der poetischen Sprachfunktion hat – wie Attridge [...] feststellt – selbst die Qualität des Parallelismus und ist auf diese Weise ›an example as well as a definition of the poetic function‹.« (E. Greber, Textile Texte. ›Wortflechten‹, Kombinatorik und poetologische Reflexion [vornehmlich am Material der russischen Literatur], Konstanz 1994 [Masch. Habil.], 78f. – Grebers Zitat bezieht sich auf Attridge, »Closing statement«, 22.) 28 Tatsächlich stützen sich Genette und Attridge vorwiegend auf einen Text bzw. auf ein Textkorpus, das innerhalb des Jakobsonschen Œuvre mittlerweile als klassisch gilt: auf Texte, die, wie etwa »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie« und »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart«, im zeitlich wie sachlich unmittelbaren Kontext von »Linguistics and Poetics« angesiedelt sind. (Hier nun könnte, wenn überhaupt, eine Statistik der Zitate und Analysegegenstände die bewußte oder unbewußte Wahl innerhalb des Jakobsonschen Textkorpus zutage treten lassen...)
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Verweises besäße. Lösbar wäre dieser Widerspruch dann nur noch durch die Annahme, daß für Jakobson die eigentliche signifikative Leistung des autonomen Sprachmaterials in der verdoppelnden, mimetischen Abbildung von transsprachlichen Signifikaten besteht.29 Sollte sich aber für Jakobson die Alternative zwischen der Autonomie der Signifikanten und ihrer Bedeutsamkeit gar nicht in dieser Form stellen, dann wäre ihm schwerlich vorzuwerfen, sich nicht vor sie gestellt zu haben. Jakobson selbst verfolgt freilich die Frage, »durch welche Art der Nachahmung (µíµησις) die Sprache das signans mit dem signatum verbindet«,30 im Rahmen von drei grundsätzlichen semiologischen Aspekten oder Seinsweisen, die er im Anschluß an Charles Sanders Peirce als »index«, »icon« und »symbol« bezeichnet.31 »Der Metalogicus des Johannes von Salisbury lieferte Peirce sein Lieblingszitat: ›Nominantur singularia, sed universalia significantur.‹ Wieviel müßige und nichtssagende Polemiken hätten unter Sprachforschern vermieden werden können, wenn sie Peirce’ Speculative Grammar beherrscht hätten und besonders ihre These, daß ›ein echtes Symbol ein Symbol ist, das eine allgemeine Bedeutung hat‹ und daß diese Bedeutung ihrerseits ›nur ein Symbol sein kann‹ […]. Ein Symbol ist nicht nur dazu unfähig, auf einen besonderen Gegenstand zu verweisen – es ›zeigt‹ [also] notwendig ›eine Gattung von Gegenständen an‹. Sondern ›es ist selbst eine Gattung
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Eben diese Gleichsetzung nimmt Attrigde vor: »If one of the resources of poetic language is the creation of sequences of sound and rhythm which imitate sounds in the world beyond the poem, referentiality becomes a crucial element in its operation.« (Attridge, Peculiar Language, 131f. Hervorh. von mir.) Kein Wunder also, daß Attrigde Jakobsons Poetik, und hierbei vor allem das Theorem vom »sound-symbolism«, unter dem Leitbegriff einer »Art of Onomatopoeia« diskutiert. – Auch bei Genette scheint die referentielle Verweisstruktur der Sprache die uneingestandene Voraussetzung für seine Ansicht abzugeben, daß sich nach Jakobson die poetische Rede über eine imitativ abbildende Reproduktion von außersprachlichen Bewandtniszusammenhängen konstituiere: »Im Gedicht stellt sich also im Grenzfall ein echtes dreidimensionales symbolisches Volumen her, das es in Wahrheit konstituiert: ein horizontales Netz bedeutungsvoller (signifiants) (lautlicher, metrischer, grammatischer, intonatorischer, prosodischer) Äquivalenzen, das auf ein anderes horizontales Netz bedeuteter (signifiés) Äquivalenzen vermittels einer Serie (vertikaler) semantischer Äquivalenzen zwischen jeder Form und jeder Bedeutung (Bilder) und jeder Gruppe von Formen und jeder Gruppe von Bedeutungen (Diagramme) verweist: ein hyperbolischer und vollkommener Zustand des Baudelaireschen ›Waldes von Symbolen‹.« (Genette, Mimologiken, 369.) 30 »Quest for the Essence of Language«; SW II, 349. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 84f. Gesperrte Hervorh. von mir. 31 Ob Jakobsons Peirce-Rezeption in allen ihren Punkten der Philosophie des ›amerikanischen Leibinz‹ gerecht wird, braucht für unseren Zusammenhang nicht erörtert zu werden: Im Blickpunkt unseres Interesses steht nicht die genetische Herleitung des von Jakobson verwendeten begrifflichen Instrumentariums, sondern Jakobsons Verwendung und Anwendung dieser Begrifflichkeit.
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und nicht ein einzelner Gegenstand‹. Ein Symbol, zum Beispiel ein Wort, ist eine ›allgemeine Regel‹, die nur in den verschiedenen Einzelfällen [instances] ihrer Anwendung Bedeutung hat. Wie unterschiedlich auch die Verkörperungen des Wortes sein mögen, es bleibt in allen Fällen seines Vorkommens ›ein und dasselbe Wort‹. Die vorwiegend symbolischen Zeichen sind die einzigen, die kraft der ihnen innewohnenden allgemeinen Bedeutung Aussagen bilden können, während ›Abbilder [icons] und Anzeichen [indices] nichts aussagen‹.«32 Bemerkenswert ist hier vorerst die traditionelle semiologische Abhebung der indexikalischen Verweisleistung (nominare) von einer allgemeineren Spielart des Bedeutens (significare). Bedeuten und Bedeuten sind (auch für Jakobson) in beiden Fällen nicht dasselbe. Vor allem aber ist für Jakobson die grundsätzliche semiologische Seinsweise – und d. h. die signifikative Struktur – sprachlicher Zeichen eine konstitutiv andere als diejenige von ›reinen‹ Abbildern (icons): keine nachahmende Materialisation oder mimetische Repräsentation von bestehenden, bereits ›vorliegenden‹ Signifikaten: »Das Ikon (Abbild) wirkt in erster Linie durch eine tatsächliche Ähnlichkeit zwischen einem signans und einem signatum, etwa zwischen dem Bild eines Tieres und dem abgebildeten Tier; ersteres steht für letzteres, ›nur weil es ihm ähnelt‹.«33 – »›Die Seinsweise des Symbols unterscheidet sich somit von der des Ikons und der des Index. Das Sein des Ikons gehört zur Erfahrung der Vergangenheit. […] Ein Index hat sein Sein in der Erfahrung des Augenblicks. Das Sein eines Symbols besteht in dem realen Faktum, daß, wenn bestimmten Bedingungen Genüge getan worden ist, etwas sicher zu einer Erfahrung werden wird. […]‹ Dieser Gedanke wurde von dem Philosophen [d. i. Peirce] wiederholt vorgebracht: dem indexikalischen hic et nunc hielt er ständig das ›allgemeine Gesetz‹ entgegen, das jedem Symbol zugrunde liegt: 32
»Quest for the Essence of Language«; SW II, 358. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 96. (Korr. Übs. und gesperrte Hervorh. von mir.) – Vgl. dazu »Linguistic Glosses to Goldstein’s ›Wortbegriff‹« [1958]; SW II, 267–271; hier 268. Dt. Übs. »Linguistische Randbemerkungen zu Goldsteins ›Wortbegriff‹« (übs. von G. Stein); Sinn und Form, 135–149; hier 136: »Jedes Symbol hat eine allgemeine Bedeutung und die allgemeine Bedeutung eines jeden Symbols, insbesondere eines sprachlichen Symbols, hat Gattungscharakter. [...] So bedeutet Baum jede (Baum-)Art und jeden individuellen Einzelfall dieser Pflanzengattung, und nur der Kontext kann dieses Wort auf eine bestimmte Art oder ein bestimmtes Exemplar dieser Gattung festlegen.« (Korr. Übs. von mir.) – Zu dem von Peirce entlehnten Begriff des Symbols, den Jakobson nicht »im herkömmlichen Sinne« als »eine natürliche Verbindung zwischen dem signans und dem signatum [...] (zum Beispiel das Symbol der Gerechtigkeit – eine Waage)« verstanden und von »den verschiedenen Bedeutungen von Symbolismus« freigehalten wissen will, siehe »Quest for the Essence of Language«; SW II, 347. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 81. 33 Op. cit.; SW II, 347. Dt. Übs. Semiotik, 80 (korr. Übs. von mir).
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›Was auch immer wirklich allgemein ist, bezieht sich auf die unbestimmte Zukunft, denn die Vergangenheit enthält nur eine Sammlung solcher Fälle, die wirklich vorgekommen sind. Die Vergangenheit ist ein wirkliches Faktum. Ein allgemeines Gesetz kann jedoch nicht völlig verwirklicht sein. Es ist eine Möglichkeit; und seine Seinsweise ist ein esse in futuro‹.«34 Gegenüber der bloß ›rückwärtsgewandten‹ Semiose bei einem ikonischen Zeichengebrauch wird in jeglichem Sprachgebrauch, d. h. mit jeder Anwendung sprachlicher Symbole, der genuine Möglichkeitsspielraum ihrer allgemeinen Bedeutungen realisiert und zugleich restringiert, insofern jede Anwendung und damit die grundsätzliche Bedeutsamkeit der sprachlichen Symbole auf ein jeweils spezifisches ›zukünftiges‹ Telos hin ausgerichtet ist: »In der Tat ist jedes sprachliche Verhalten zielgerichtet, nur die Zielsetzung ist verschieden, und die Konformität der Mittel, die zu diesem Zweck eingesetzt werden, ist ein Problem, das den Erforscher der verschiedenen Arten der sprachlichen Kommunikation immer wieder beschäftigt.«35 Dementsprechend kennzeichnet Jakobson alle sechs konstitutiven Anwendungs- und also Bedeutungsmöglichkeiten von sprachlichen Symbolen, d. h. die sechs Sprachfunktionen, in der ihnen gemeinsamen teleologischen Ausgerichtetheit (»orientation toward …«, »set (Einstellung) on …«, »focus on …«36). So wird im Falle eines referentiell funktionalisierten Sprachgebrauchs die Anwendung der sprachlichen Symbole (der Wörter) auf einen bestimmten Kontext – d. h. auf einen Satz oder Satzverband, vor allem aber auf einen bestimmten »universe of discourse«37 – hin entworfen und damit die allgemeine Bedeutsamkeit dieser sprachlichen Symbole auf einen kontextuellen Bedeutungswert hin restringiert. Wenn Jakobson in dieser »Orientierung auf den Kontext hin« die eigentliche semiologische Bestimmung der »sogenannten referentiellen, ›denotativen‹ oder ›kognitiven‹ Funktion«38 sieht, dann sind von daher auch Jakobsons Vorbehalte gegenüber dem Begriff der Referenz bzw. der Denotation zu verstehen:39 Die spezifische Verwirklichung der potentiellen, allgemeinen Bedeutsamkeit eines sprachlichen Symbols durch den teleologischen Entwurf auf einen bestimmten Kontext hin stellt für
34
Op. cit.; SW II, 358. Dt. Übs. Semiotik, 97. – Vgl. auch »A Few Remarks on Peirce, Pathfinder in the Science of Language« [1977]; SW VII, 248–253; hier 253. Dt. Übs. »Peirce, Bahnbrecher der Sprachwissenschaft« (übs. von D. Münch); Semiotik, 99–107; hier 107. 35 »Linguistics and Poetics«; SW III, 19. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 85. (Übs. modifiziert.) 36 Vgl. op. cit.; SW III, 22ff. Dt. Übs. Poetik, 88ff. 37 Op. cit.; SW III, 19. Dt. Übs. Poetik, 85. – Näheres dazu unten, 196. 38 Op. cit., SW III, 22. Dt. Übs. Poetik; 88 (Kursivierungen im Original als Kapitälchen). 39 Vgl. op. cit., SW III, 21. Dt. Übs. Poetik, 88.
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Jakobson ein zugleich präziseres und fundamentaleres semiologisches Charakteristikum dar als der (nachträgliche) Verweis eines signans auf einen (bereits vorliegenden) Referenten. Im Gegensatz zu dieser kontextorientierten (referentiellen) Verwendung der sprachlichen Symbole ist im Falle des poetisch funktionalisierten Sprachgebrauchs die Anwendung eben dieser Symbole entelechisch strukturiert. Diese zielgerichtete Anwendung sprachlicher Symbole verwirklicht sich hier nicht im Bezug auf ein Telos, das diese Anwendung übersteigt und insofern ihr extern ist; sie verwirklicht also nicht mittels eines externen Bezugs einen realen Bedeutungswert der angewandten Symbole.40 Vielmehr hat diese Art der Anwendung sich selbst zum Ziel und zeitigt in dieser Anwendung einen Bedeutungswert, der insofern autonom ist, als dieser nicht von den angewandten sprachlichen Symbolen ›losgelöst‹, auf ein externes Telos hin entworfen wird. Prinzipiell bedingt ist damit die Autonomie dieses poetischen Bedeutungswertes nicht durch ein Spezifikum der angewandten Mittel, also etwa durch solche ›besonderen‹ sprachlichen Symbole wie onomatopoetische Wörter, sondern durch einen spezifisch zielgerichteten – den entelechischen – Modus ihrer Verwendung.41 Diese entelechische An- und Verwendung sprachlicher Symbole, d. h. diese Art der Restriktion oder Ausrichtung ihrer Bedeutsamkeit auf ein Ziel, das in ihrer Anwendung selbst liegt, führt zu einem systematisch organisierten ›Leerlauf‹ dieser Anwendung, welcher sich an den dabei angewandten Mitteln – an den sprachlichen Symbolen – als eine Wiederholungsstruktur zeigt. Sofern aber mit der sich wiederholenden Anwendung sprachlicher Symbole ein autonomer Bedeutungswert zu Tage treten kann, konstituiert sich dieser Bedeutungswert gerade über diejenigen Formen, in denen sich jede Anwendung sprachlicher Symbole stets und notwendig vollzieht: über das phonologische und grammatische Raster einer Sprache. Es kann demnach keine Rede davon sein, daß »das Prinzip der Wiederholung«, d. h. die Realisierung des Äquivalenzprinzips auf der Achse der Kombination, »nur ein technisches Mittel« sei, »um die Autonomie der Form herzustellen«,42 sondern höchstens davon, daß diese Wiederholung hier in einem spezifischen Modus an den angewandten und spezifisch ausgerichteten Mit40
Zur nomenklatorischen Unterscheidung zwischen realen und formalen bzw. zwischen lexikalischen und grammatischen Bedeutungen vgl. vorläufig »Implications of Language Universals for Linguistics« [1963]; SW II, 580–592; hier 587. Dt. Übs. »Implikationen der sprachlichen Universalien für die Linguistik« (übs. v. D. Münch); Semiotik, 492–511; hier 503. 41 Vgl. dafür nochmals Jakobsons Rede von der »Konformität der Mittel« in jedem Sprachverhalten (oben, 183) bzw. davon, daß ein sprachliches Symbol in allen Fällen seines Vorkommens ein und dasselbe bleibe (oben, 182). 42 Genette, Mimologiken, 367.
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teln, an den sprachlichen Symbolen, zu Tage tritt: Nicht jede Form der sprachlichen Wiederholung ist auch schon untrügliches Kennzeichen eines poetisch funktionalisierten Sprachgebrauchs. Damit ist aber die Feststellung, daß im Falle eines poetischen Sprachgebrauchs »das Instrument [d. h. hier: die Realisierung des Äquivalenzprinzips] offensichtlich leichter zu ›erkennen‹ ist als das angestrebte Resultat«, auch kein »Indiz […] für eine schwache Wirksamkeit« dieses »Instruments«.43 Nicht eine wirkursächliche Betrachtung, also nicht die isolierte Erkenntnis, daß sprachliche Wiederholungsstrukturen irgendwelche ›poetischen‹ Bedeutungen generieren könnten, ist der systematische Ausgangspunkt von Jakobsons Poetik und seinen Gedichtanalysen. Maßgebend wird vielmehr der Nachvollzug oder die Rekonstruktion des Baus eines poetischen Sprachgebildes unter der Leitfrage, wie die spezifisch zielgerichtete, finalursächliche Anwendung von sprachlichen Symbolen deren tatsächliche Organisation bis ins Detail beherrscht. Insofern die prospektive Integration in ein mögliches, zukünftiges Ganzes die tatsächliche Anordnung seiner Teile bestimmt und ihnen den Charakter »von möglich Wirklichem« (Ernst Bloch) verleiht, »ist die Aussage, die Zukunft beeinflusse die Gegenwart nicht, eine unhaltbare Theorie«.44 Obgleich jede empirische Wiederholungsform von sprachlichen Symbolen als eine realisierte Form des Äquivalenzprinzips gelten kann, so ist doch die sprachliche Wiederholung kein exklusives Charakteristikum für die spezifisch poetisch funktionalisierte Verwendung und Bedeutsamkeit sprachlicher Symbole. Im Gegenteil: Daß ein und diesselbe sprachliche Wiederholungsform von grundsätzlich verschiedenen Anwendungs- und Bedeutungsmöglichkeiten sprachlicher Symbole hervorgerufen werden kann, daß die jeweils spezifische Anwendung des Äquivalenzprinzips der Wiederholung von sprachlichen Symbolen einen jeweils anderen Stellen- und Bedeutungswert verleiht, wird gerade anhand einer Reinform sprachlicher Wiederholung – an der tautologisch sich wiederholenden Sprachform – ersichtlich. Insbesondere die Frage, inwiefern sich das Verhältnis zwischen einem metasprachlich und einem poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch als ein diametral entgegen43
Ebd. Hervorh. von mir. »A Few Remarks on Peirce, Pathfinder in the Science of Language«; SW VII, 252. Dt. Übs. »Peirce, Bahnbrecher der Sprachwissenschaft«; Semiotik, 106. – Vgl. auch »Беседы (Dialogues)«; SW VIII, 511; dt. Übs. Dialoge, 83: »Zwischen dem Wort und der Zukunft besteht ein unauflöslicher Zusammenhang, so lautet eine der genialsten Thesen des amerikanischen Denkers [d. i. Peirce]. Denn das Rahmengesetz legt alle möglichen Repliken fest, und der invariante Rahmen des sprachlichen Zeichens – seine allgemeine Bedeutung – erhält im Kontext jeder Replik seine neue, besondere Bedeutung. Der Kontext ist variabel, und in jedem neuen Kontext erneuert sich die besondere Bedeutung ständig. Darin liegt die schöpferische Kraft des sprachlichen Zeichens. Diese schöpferische Kraft des Zeichens öffnet ihm den Weg in eine unbestimmte Zukunft, d. h. sie nimmt das Künftige vorweg, sagt es voraus.« (Korr. Übs.) 44
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gesetztes und zugleich als ein ähnliches gestaltet, kann am Parameter von tautologisch sich wiederholenden Sprachformen verfolgt werden: Nicht nur sind diese beiden Arten der Sprachverwendung diejenigen, die innerhalb des Tableaus der sechs sprachlichen Funktionen in je besonderer Weise dem Äquivalenzprinzip unterliegen und die insofern als zentrale Stücke der Jakobsonschen Linguistik betrachtet werden dürfen. Das Verhältnis zwischen einem poetisch und einem metasprachlich funktionalisierten Sprachgebrauch bestimmt in besonderer Weise auch Jakobsons Analysepraxis, also seinen metasprachlichen Umgang mit poetisch funktionalisierten Sprachgebilden. Wenn nämlich der kognitive Bedeutungswert des referentiellen Sprachgebrauchs für Jakobson ein anderer ist als derjenige Bedeutungswert, der mit einer poetischen Sprachverwendung zum Tragen kommt, dann manifestiert sich auch der metasprachliche Bezug auf diese verschiedenen Funktionen und Bedeutungswerte als ein jeweils anderer. Sofern aber jeder metasprachliche Bezug dem Äquivalenzpostulat unterworfen ist, haben sich die metasprachlichen Operationen auf den funktionellen Unterschied zwischen dem referentiellen und poetischen Sprachgenbrauch einzustellen; die jeweils verschiedene metasprachliche Einstellung markiert auch einen funktionellen Unterschied innerhalb der metasprachlichen Operationen. Ersichtlich wird dies an einer asymmetrischen Konstellation innerhalb des Jakobsonschen Tableaus der sechs sprachlichen Funktionen: REFERENTIELL EMOTIV
POETISCH
KONATIV
PHATISCH METASPRACHLICH 45
Hierbei sind die metasprachliche und die referentielle Sprachfunktion achsensymmetrisch aufeinander bezogen; die referentielle Einstellung auf einen bestimmten Kontext, in dem jeweils die codierten sprachlichen Symbole verwendet werden (sollen), und die metasprachliche Einstellung auf den dabei verwendeten Code als solchen verhalten sich auf eine bestimmte Weise »komplementär« zueinander.46 Demgegenüber fehlt offensichtlich diese
45
Für Jakobsons diagrammatische Darstellung der sechs sprachlichen Funktionen und der ihnen zugeordneten sechs Faktoren jeder sprachlichen Kommunikation vgl. »Linguistics and Poetics«; SW III, 22 und 27; dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 88 und 94; sowie »Metalanguage as a Linguistic Problem« [1956]; SW VII, 113–121; hier 113. – Weiteres dazu unten, 208ff. 46 Vgl. »On Linguistic Aspects of Translation« [1958]; SW II, 260–266; hier 265. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung« (übs. v. G. Stein); Semiotik, 481–491;
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symmetrische Entsprechung zwischen der metasprachlichen und der poetischen Sprachfunktion. Damit ist aber nicht schon automatisch gesagt, daß eine metasprachliche Einstellung auf einen poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch notwendigerweise ihr funktionales Ziel, die äquivalente metasprachliche Umsetzung und Explikation eines poetisch funktionalisierten Sprachgebrauchs, verfehlt. »Asymmetrie bedeutet […] kein Fehlen an Übereinstimmung.«47 Wenn wir den bisher nur angedeuteten Zusammenhang zwischen der Jakobsonschen Linguistik und Poetik einerseits und dem Problem der Tautologie andererseits nun etwas ausführlicher entwickeln wollen, so scheint es uns dafür ratsam, mit demjenigen Problemkreis zu beginnen, den Jakobson selbst als den systematischen Einsatzpunkt seines Sprachdenkens begreift: »Die dringliche Aufgabe, die sich der Sprachwissenschaft stellt, eine systematische Analyse der lexikalischen und grammatischen Bedeutungen, hat zunächst bei der Metasprache als einem zutiefst linguistischen Problem anzusetzen.«48
hier 488: »Die Sprache [steht] in ihrer kognitiven [= referentiellen] Funktion [...] in komplementärer Beziehung zu den metasprachlichen Operationen.« (Übs. modifiziert.) 47 »The Phonemic and Grammatical Aspects of Language in their Interrelations« [1948]; SW II, 103–114; hier 105. Dt. Übs. »Das Ineinandergreifen des phonologischen und grammatischen Aspekts in der Sprache« (übs. v. G. Stein); Form und Sinn, 140–153; hier 142. 48 »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 121. (Dt. Übs. von mir.)
1. D ER
TAUTOLOGISCHE
VON METASPRACHLICHEN
C HARAKTER O PERATIONEN
Den Ausgangspunkt von Jakobsons Überlegungen bildet die traditionelle sprachtheoretische Unterscheidung zwischen Objektsprache und Metasprache.49 Metasprachliche Operationen sind für Jakobson jedoch kein exklusives Kennzeichen einer formal-wissenschaftlichen Sprachverwendung, sondern sind vielmehr eine Erscheinung der alltäglichen Sprachpraxis.50 Während sich die Objektsprache auf transsprachliche ›Gegenstände‹ (items) bezieht, kann mit Hilfe der Metasprache über die Objektsprache gesprochen werden. Genauer formuliert: Metasprachliche Operationen beziehen sich nach Jakobson auf den Sprachcode, d. h. auf die lexikalisch codierten Bedeutungen einer bestimmten Sprache: »Wenn der Sender und/ oder der Empfänger kontrollieren wollen, ob sie denselben Code gebrauchen, orientiert sich die Rede am Code: Sie erfüllt eine metasprachliche (d. h. erläuternde) Funktion. ›Ich verstehe nicht – was meinen Sie?‹ fragt der Empfänger, oder in Shakespeares Worten: ›What is’t thou say’st?‹ Und der Sender, indem er solche Kontrollfragen vorwegnimmt, fragt: ›Verstehen Sie, was ich meine?‹«51 Der Rückgriff auf diese alltägliche Erfahrung in der Sprachpraxis, daß man sich bei einer sprachlichen Interaktion jederzeit des benutzten Sprachcodes versichern kann, ermöglicht es Jakobson, die sprachliche Bedeutsamkeit grundsätzlich als eine ›rein‹ sprachliche, oder präziser: als eine semiotische Beziehung, als eine Beziehung zwischen Zeichen zu fassen – und gerade nicht als eine jeweilige Beziehung zwischen Sprachzeichen und transsprachlicher ›Welt‹: Jakobson sieht in einem Sprachzeichen in erster Linie nicht einen spezifischen Gegenstand, der auf einen anderen, außersprachlichen Gegenstand verweist und der dadurch eine Bedeutung zeitigt, sondern ein integrales Ganzes, »in dem signans und signatum – d. h. der verstehbare, übersetzbare, semantische Teil des gesamten signum – sich ver49
Angelegt sieht Jakobson diese Differenzierung breits in der Spätantike (Stoa), dann aber entscheidend weiterentwickelt in der Suppositionen-Lehre des späten Mittelalters und vor allem in der Logik unseres Jahrhunderts, etwa bei Rudolf Carnap. Vgl. dazu »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 116; sowie »Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances« [1954]; SW II, 239–259; hier 247f. Dt. Übs. »Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphasischer Störungen« (übs. von G. F. Meier); Grundlagen der Sprache, 49–70; hier 56f. 50 Vgl. etwa »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 117: »Weit davon entfernt, auf den Bereich der Wissenschaft eingeschränkt zu sein, erweisen sich metasprachliche Operationen als ein integraler Bestandteil unserer sprachlichen Aktivitäten.« (Dt. Übs. von mir.) 51 »Linguistics and Poetics«; SW III, 25. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 92. (Korr. Übs. von mir.)
Metasprachliche Operationen
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binden«.52 Vermittels einer indexikalischen Verweisleistung, durch die pure Deixis auf ein transsprachliches Etwas (mere pointing), konstituiert sich für Jakobson also nicht schon die grundsätzliche Bedeutsamkeit eines Sprachzeichens, zumal die Deixis nicht in allen Kulturen eine universal verbindliche Bedeutungsfunktion besitzt: »Die Bedeutung der Wörter Käse, Apfel, Nektar, Erfahrung, aber, bloß und eines jeden Wortes oder einer jeden nur möglichen Redewendung ist entschieden ein sprachliches oder – um genauer und weniger eng zu sein – ein semiotisches Faktum. Das einfachste und zutreffendste Argument gegen jene Leute, für die nicht das Zeichen, sondern nur die Sache selbst eine Bedeutung (signatum) hat, wäre, daß kein Mensch je die Bedeutung von Käse oder von Apfel gerochen oder geschmeckt hat. Es gibt kein signatum ohne signum. Das bloße Zeigen wird uns nicht lehren, ob Käse die Bezeichnung für die gegebene Sorte oder für jede Schachtel Camembert oder für Camembert im allgemeinen oder für jede Art Käse, jedes Milchprodukt, jedes Nahrungsmittel, jede Erfrischung oder vielleicht jede Schachtel unabhängig von ihrem Inhalt ist. Benennt schließlich ein Wort nur die betreffende Sache oder impliziert es solch eine Bedeutung wie Angebot, Verkauf, Verbot, Verfluchung? (Das Zeigen auf etwas kann tatsächlich Verfluchung bedeuten; in einigen Kulturen, besonders in Afrika, ist es eine unheilvolle Geste.)«53 Daß aber die sprachliche Bedeutsamkeit als ein spezifischer Bezugsmodus nicht nur zwischen signans und signatum, sondern vor allem zwischen signatum und signatum zu denken ist, zeigt sich für Jakobson gerade anhand von metasprachlichen Operationen, die, »indem sie ein in Frage stehendes Zeichen durch ein anderes Zeichen oder eine Zeichengruppe desselben oder eines anderen Sprachcode ersetzen«,54 eben diesen Bezugsmodus in actu realisieren. Ob sich eine metasprachliche Operation innerhalb ein und desselben Sprachcode, etwa innerhalb des Deutschen, vollzieht oder ob sie zwei Zeichen(gruppen) aus jeweils unterschiedlichen Codes miteinander korreliert – stets gestaltet sich für Jakobson der metasprachliche Bezug von Sprachzeichen als eine spezifische Art der Übersetzung.55 52
»Parts and Wholes in Language« [1960]; SW II, 280–284; hier 280. Dt. Übs. »Teil und Ganzes in der Sprache« (übs. v. R. Kuhn); Linguistik, 38–43; hier 38 (korr. Übs. von mir). Ähnlich schon »Linguistic Glosses to Goldstein’s ›Wortbegriff‹«; SW II, 267. Dt. Übs. »Linguistische Randbemerkungen zu Goldsteins ›Wortbegriff‹«; Sinn und Form, 135. 53 »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 260f. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 482 (Übs. leicht modifiziert). – Wenn also die grundsätzliche Bedeutsamkeit sprachlicher Symbole nicht mit einer indexikalischen Verweisleistung (›Benennung‹) gleichzusetzen ist, so heißt dies für Jakobson nicht automatisch, daß kein sprachliches Symbol eine indexikalische Verweisleistung erbringen könnte. Weiteres dazu unten, Anm. 66. 54 »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW II, 117 (dt. Übs. von mir). 55 Bekanntlich unterscheidet Jakobson drei Arten der Übersetzung: »1. Die innersprachliche [intralingual] Übersetzung oder Paraphrase [rewording] ist eine Wiedergabe
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Im Gegensatz zu einer »zwischensprachliche[n] Übersetzung oder Übersetzung im eigentlichen Sinne«56 besteht die spezifische Übersetzungsleistung einer metasprachlichen Operation in der explikativen, erläuternden Wiedergabe einer Code-Einheit durch eine andere Code-Einheit, mit der die metasprachlich übersetzte Code-Einheit »voller entwickelt« wird.57 Was also in einer metasprachlichen Übersetzung tatsächlich mitgeteilt wird, d. h. die Mitteilung (message) der Übersetzungszeichen, bezieht sich primär auf die jeweilige Codierung der übersetzten Zeichen.58 Der entscheidende Unterschied zwischen einer metasprachlichen Übersetzung und einer »eigentlichen«, zwischensprachlichen Übersetzung liegt demnach für Jakobson nicht in einer jeweils formal unterschiedlichen Operation, d. h. nicht bloß in dem formalen Kriterium, daß »die Wiedergabe sprachlicher Zeichen« einmal »mittels anderer Zeichen derselben Sprache« erfolgt und einmal »durch eine andere Sprache«.59 Metasprachliche Übersetzungen vollziehen sich zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich innerhalb ein und derselben Sprache.60 Doch ebensowenig ist eine erläuternde, metasprachliche Operation, die sich zwischen zwei verschiedenen Sprachen bewegt, sogleich eine zwischensprachliche »Übersetzung im eigentlichen Sinne«, da sich die Mitteilung einer zwischensprachlichen »Übersetzung im eigentlichen Sinne« nicht nur auf eine Wiedergabe einzelner lexikalischer Code-Einheiten beschränken kann: »Die Übersetzung von einer Sprache in eine andere ersetzt […] sehr häufig die Mitteilungen [messages] der einen Sprache nicht durch einzelne Codeeinheisprachlicher Zeichen mittels anderer Zeichen derselben Sprache, 2. die zwischensprachliche Übersetzung oder Übersetzung im eigentlichen Sinne ist eine Wiedergabe sprachlicher Zeichen durch eine andere Sprache, 3. die intersemiotische Übersetzung oder Transmutation ist eine Wiedergabe sprachlicher Zeichen durch Zeichen nicht-sprachlicher Systeme.« (»On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 261. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 483.) – Vom dritten, intersemiotischen Aspekt der Übersetzung sehen sehen wir hier vorerst ab. 56 Op. cit.; SW II, 261. Dt. Übs. Semiotik, 483. 57 Op. cit.; SW II, 261. Dt. Übs. Semiotik, 483. 58 Vgl. op. cit.; SW II, 261; dt. Übs. Semiotik, 483: »Ein Wort oder eine idiomatische Wortgruppe, kurz eine Codeeinheit auf der höchsten Ebene, kann nur durch eine äquivalente Verbindung von Codeeinheiten völlig wiedergegeben werden, d. h. durch eine Mitteilung [message], die sich auf diese Codeeinheit bezieht.« 59 Op. cit.; SW II, 261. Dt. Übs. Semiotik, 483. Hervorh. von mir. 60 Man denke etwa an eine solche metasprachliche Praxis wie die Glossierung einzelner Code-Einheiten und Phrasen innerhalb von kommentierten Editionen fremdsprachlicher Texte. – Vgl. auch »Shifters, Verbal Categories, and the Russian Verb« [1957]; SW II, 130–147; hier 131. Dt. Übs. »Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb« (übs. v. G. Stein); Sinn und Form, 35–53; hier 36: »Jede erläuternde Wiedergabe [elucidating interpretation] von Wörtern oder Sätzen – sei es in der gleichen Sprache (Umschreibungen, Synonyme) oder in einer anderen (Übersetzung) – ist eine Mitteilung [message], die sich auf den Code bezieht.« (Übs. leicht modifiziert. Hervorh. von mir.)
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ten, sondern durch ganze Mitteilungen der anderen Sprache. Solch eine Übersetzung ist eine berichtete Rede: Der Übersetzer benutzt für die Übermittlung einer Mitteilung, die er von einer anderen Quelle erhalten hat, einen neuen Code. Die [zwischensprachliche] Übersetzung impliziert somit zwei gleichwertige Mitteilungen in zwei verschiedenen Codes.«61 Sofern sich also für Jakobson eine zwischensprachliche Übersetzung »im eigentlichen Sinne« auf die Mitteilung (message) des Originals bezieht und diese nach Art einer berichteten Rede wiedergibt, ist sie dabei nichts anderes als »eine Mitteilung über eine Mitteilung«.62 Sofern dagegen bei einer metasprachlichen Operation der Bezug zwischen den übersetzten Zeichen und den Übersetzungszeichen auf die Sprachebene des lexikalischen Code restringiert wird, hat der spezifische Bezugsmodus einer metaspachlichen Operation den Charakter einer ›wörtlichen‹ Wiederholung (rewording).63 61
»On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 261f. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 483f. (Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) 62 Zu dieser zirkulären Kennzeichnung der berichteten Rede als »eine Mitteilung über eine Mitteilung« vgl. »Shifters, Verbal Categories, and the Russian Verb«; SW II, 130. Dt. Übs. »Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb«; Sinn und Form, 35. 63 Aufschlußreich in dem hier besprochenen Zusammenhang ist eine Detailbeobachtung Derridas: »Für die beiden Übersetzungsformen, die keine Formen der Übersetzung ›im eigentlichen Sinne‹ sind, schlägt Jakobson jeweils ein definierendes Äquivalent und ein anderes Wort vor. Die erste [Übersetzungsform] übersetzt er also, wenn man sich so ausdrücken darf, mit einem anderen Wort: die innersprachliche Übersetzung ist eine Paraphrase, ein rewording. Für die dritte Übersetzungsform, die intersemiotische Übersetzung, findet Jakobson ebenfalls ein anderes Wort: sie ist eine Transmutation. In beiden Fällen ist die Übersetzung von ›Übersetzung‹ eine definierende Deutung. Handelt es sich aber um die Übersetzung ›im eigentlichen Sinne‹, um jenes, was gemeinhin Übersetzung heißt, um eine Übersetzung im zwischensprachlichen und nach-babylonischen Sinne, übersetzt Jakobson nicht; er nimmt einfach dasselbe Wort wieder auf: ›die zwischensprachliche Übersetzung oder Übersetzung im eigentlichen Sinne‹.« (J. Derrida, »Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege« [übs. v. A. G. Düttmann], in: Übersetzung und Dekonstruktion, hrsg. v. A. Hirsch, Frankfurt a. M. 1997, 119–165; hier 128. Gesperrte Hervorh. von mir.) Derridas Schlußfolgerung aus dieser Beobachtung scheint aber wenig überzeugend zu sein: »Er [Jakobson] nimmt an und setzt voraus, daß man in diesem Fall nicht zu übersetzen b r a u c h t ; alle Welt versteht, was das bedeutet, weil alle Welt die Erfahrung dieses Übersetzens gemacht hat [...].« (Ebd. Hervorh. von mir.) Für Jakobson haben jedoch nicht nur zwischensprachliche Übersetzungen, sondern auch und vor allem inner- bzw. metasprachliche Übersetzungen den Status von ›Allerweltserfahrungen‹ (vgl. oben, Anm. 50). Vor allem aber haben solche sprachlichen Alltagserfahrungen gerade nicht denjenigen heuristischen Stellenwert in Jakobsons Linguistik, den Derrida ihnen zuschreibt: nicht den Status einer Selbstverständlichkeit, welche keiner weiteren metasprachlichen Explikation von Seiten des Linguisten mehr bedarf. Daß Jakobson in seiner eigenen Metasprache – durch die tautologische Kennzeichnung der zwischensprachlichen Übersetzung als eigentliche Übersetzung – ein paraphrastisches rewording vermeidet, hat seinen Grund vielmehr darin, daß sich eine zwischensprachliche Übersetzung nicht vorweg und ausschließlich an einer spezifischen Sprachebene orientieren kann, daß
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Es ist also bei einer metasprachlichen Übersetzung im Jakobsonschen Sinne nicht entscheidend, daß diese sich ausschließlich innerhalb desselben Code vollzieht, daß sie also nur in diesem Sinne innersprachlich (»intralingual«) wäre. Innersprachlich bleibt eine metasprachliche Operation für Jakobson vor allem deswegen, weil sie einen spezifischen Bezug zwischen Sprachzeichen aktualisiert und ersichtlich macht: den Bezug zweier Zeichen(gruppen) aufeinander unter dem Gesichtspunkt ihrer lexikalisch codierten Bedeutungen. Eine aktuelle metasprachliche Operation offenbart somit für Jakobson stets die Tatsache, daß die lexikalische Bedeutsamkeit der Sprache grundsätzlich als ein relationales, innersprachliches (»intralinguistic«) Verhältnis zwischen codierten Sprachzeichen zu verstehen ist.64 Wenn nun eine metasprachliche Übersetzung dieses relationale, innersprachliche Verhältnis zwischen lexikalisch codierten Sprachzeichen sprachlich realisieren, d. h. explizit machen kann, dann gelingt nach Jakobson diese Realisation jeweils nur innerhalb eines semantisch identischen Bezugsfeldes, das Jakobson (im Anschluß an Peirce) die »allgemeine Bedeutung« (general meaning) eines Sprachzeichens nennt. Diese allgemeine Bedeutung eines Sprachzeichens umfaßt für Jakobson »all das, was im Zeichen selbst ausgedrückt ist, unabhängig von seinem Kontext und den Umständen seiner Äußerungen«;65 die »allgemeine Bedeutung« eines Sprachzeichens stellt also einen semantischen Möglichkeitsspielraum, einen inhaltlich noch nicht festgelegten, allgemeinen Bezugsrahmen (frame-rule) dar, der jede konkrete, kontextuelle Verwendungsmöglichkeit dieses Sprachzeichens, dessen jeweils tatsächlichen kontextuellen Bedeutungswert (contextual meaning), mit einbegreift. Gerade diese allgemeine Bedeutung ist nach Jakobson kennzeichsich also im Gegensatz zu inner-/metasprachlichen Übersetzungen die funktionale Leistung einer zwischensprachlichen Übersetzung nicht auf die symmetrische Ersetzung von Code-Einheiten restringieren läßt. Diese Asymmetrie zwischen der gesamten Mitteilung (message) und den darin verwendeten einzelnen Code-Einheiten, die bei einer zwischensprachlichen Übersetzung zum Vorschein kommmt, erlaubt also dem Linguisten Jakobson keine einschränkende, »definierende Deutung« (Derrida) der zwischensprachlichen Übersetzung: Ihre tautologische metasprachliche Kennzeichnung ist für Jakobson gerade dadurch präzise, daß sie weniger eng ist. In vollem Ausmaß zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Asymmetrie von Mitteilung und Code einerseits und der tautologischen Kennzeichnung dieser Asymmetrie andererseits erst im Falle von Jakobsons metasprachlicher ›Reaktion‹ auf einen poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch. Wir werden also darauf zurückkommen müssen (vgl. unten, 255ff.). 64 Vgl. Jakobsons Rede davon, »daß die Metasprache einen entscheidenden innersprachlichen [intralinguistic] Faktor darstellt«. ( »Linguistics in Relation to Other Sciences«; SW II, 668. Dt. Übs. »Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaften«; Linguistik, 183.) 65 »A Few Remarks on Peirce, Pathfinder in the Science of Language«; SW VII, 251. Dt. Übs. »Peirce, Bahnbrecher der Sprachwissenschaft«; Semiotik, 104. – Vgl. auch »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 118.
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nend für den grundsätzlichen semiotischen Modus – den Symbolcharakter – aller Sprachzeichen.66 »Nach seiner [Peirce’] Trichotomie der semiotischen Arten und den ziemlich unscharfen Namen, die er ihnen gibt, ist (1) der Index ein Bezug des signans auf das signatum vermöge einer wirklichen Kontiguität; (2) das Ikon ein Bezug des signans auf das signatum vermöge einer wirklichen Ähnlichkeit und (3) das Symbol ein Bezug des signans auf das signatum vermöge einer (ihnen) ›zugeschriebenen‹, konventionellen und zur Gewohnheit gewordenen Kontiguität. […] Im Unterschied zu diesen beiden Kategorien ist das Symbol als solches kein Gegenstand; es ist nichts als ein Rahmengesetz, das klar von seiner tatsächlichen Umsetzung in Form von ›Wiederholungen‹ [replicas] und ›Einzelfällen‹ [instances], wie Peirce sie nennt, unterschieden werden muß.«67 Im Falle einer indexikalischen bzw. einer ikonischen Semiose gestaltet sich der Bezug des signans auf das signatum grundsätzlich als ein wirklicher und wirkursächlicher (effective) Zusammenhang zwischen zwei ›Gegenständen‹ (objects), also etwa zwischen einer frischen Fußspur im Sand (indexikalisches signans) und der Anwesenheit eines menschlichen Wesens (signatum) bzw. zwischen dem Abbild eines Gegenstandes (ikonisches signans) und dem abgebildeten Gegenstand (signatum), der (als tatsächlicher oder erinnerter) der ikonischen Abbildung ursächlich vorangeht.68 Demgegenüber besitzt im Falle einer symbolischen Semiose der Bezug eines signans auf ein signatum nur den Charakter einer Regel. Damit ist zwar für jedes Symbol dieser Bezug als solcher konstitutiv und im buchstäblichen Wortsinn verbindlich; ob und wie sich diese Beziehung eines signans auf ein signatum dann in einem kon66
Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei daran erinnert, daß für Jakobson die Zeichen der menschlichen Sprache zwar die prägnanteste Ausprägung einer symbolischen Semiose darstellen, daß aber ›das‹ Sprachzeichen nicht absolut ›dem‹ Symbol gleichzusetzen ist. Jakobson verzeichnet nämlich innerhalb der Sprachsymbole zahlreiche Übergangsphänomene wie z. B. indexikalische Symbole, unter die er vor allem okkasionelle, d.h. an eine bestimmte Mitteilung gebundene, Code-Einheiten (»shifters«), also etwa Demonstrativa, rechnet. Gleichwohl gilt auch für diese shifters der »Vorrang der symbolischen Beziehung von signans und signatum in den sprachwissenschaftlichen Daten«. (»A Glance at the Development of Semiotics« [1980]; SW VII, 199–218; hier 207. Dt. Übs. »Ein Blick auf die Entwicklung der Semiotik« [übs. v. D. Münch]; Semiotik, 108–135; hier 119.) Zum Symbolcharakter der Shifters vgl. »Shifters, Verbal Categories, and the Russian Verb«; SW II, 131ff. Dt. Übs. »Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb«; Sinn und Form, 37 ff.; sowie »Бeceды (Dialogues)«; SW VIII, 498 f. Dt. Übs. Dialoge, 70f. Dazu auch E. Holenstein, Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus, Frankfurt a. M. 1975, 162. – Wir bewegen uns also im folgenden auf der typologisch grundsätzlichen Ebene einer symbolischen Semiosis. 67 »A Glance at the Development of Semiotics«; SW VII, 206f. Dt. Übs. »Ein Blick auf die Entwicklung der Semiotik«; Semiotik, 118 (korr. Übs. von mir). 68 Für diese Beispiele Jakobsons vgl. »Quest for the Essence of Language«; SW II, 347. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 80f.
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kreten Einzelfall (instance) verwirklicht und für diesen Einzelfall tatsächlich erfüllt, ist jedoch mit dieser Regel noch nicht festgelegt. Zwar räumt diese Regel einen breiten Spielraum für ihre Realisation, d. h. bei der konkreten Gestaltung der Bezugsglieder (signans und signatum), ein. Ist aber einmal ein Bezugsglied in einen solchen obligatorischen Bezug gebracht, d. h. im Rahmen eines symbolischen Bezuges, verwendet, impliziert die Verwendung des einen Bezugsgliedes stets und notwendig das andere Bezugsglied. Selbst aktuale Ausfallserscheinungen bei den aufeinander bezogenen Konstituenten (signans und signatum) vermögen dann nicht mehr deren obligatorischen Bezug als solchen zu desavouieren: Sobald eine Folge von ›gegebenen‹ Lauten als signans verwendet und/oder verstanden – d. h. funktionalisiert – wird, ist diese Lautfolge stets auf ein potentielles signatum hin entworfen, auch wenn in diesem konkreten Einzelfall dieses signatum nicht ›gegeben‹ ist und das signans also noch nicht inhaltlich positiv erfüllt ist.69 Obwohl bei jedem symbolischen Zeichengebrauch der Bezug zwischen einem signans und einem signatum grundsätzlich ein »zugeschriebener«, ein »konventioneller«, ein »zur Gewohnheit gewordener«70 oder, wie Jakobson an anderer Stelle formuliert, ein »erlernter«71 ist, so hat dieser Bezug doch auch – d. h. unter einer anderen Perspektive – einen obligatorischen Charakter: Im Vergleich zum wirklichen (effective) signans-signatum-Bezug beim
69
Jakobson verdeutlicht dies anhand eines Beispiels aus Knut Hamsuns »Hunger«, am Wort »kuboa«: Wenn dieses unverständliche und scheinbar bedeutungslose »kuboa« als signans anerkannt, d. h. verwendet und/oder verstanden wird, wird grundsätzlich auch für ein solches signans ein eigenes signatum erwartet, ohne daß dabei das prinzipiell unterstellte signatum positiv zu konkretisieren wäre. »Sobald eine Lautfolge als ein signans verstanden wird, erfordert sie ein signatum, und sofern man das ›neue Wort‹ [kuboa] als den Bestandteil einer bestimmten Sprache ansieht, erwartet man, daß sich seine Bedeutung höchstwahrscheinlich von den Bedeutungen der anderen Wörter dieser Sprache in einer bestimmten Hinsicht unterscheidet. Demnach hat man eine Vorstellung davon, ›was es nicht bedeuten soll‹, ohne zu wissen, ›was es bedeuten soll‹. Hamsuns kuboa bzw. jedes Wort, von dem man weiß, daß es in einer bestimmten Sprache vorkommt, ohne daß man sich dabei an seine Bedeutung erinnert, ist kein signans, dem ein signatum fehlt, sondern ein signans mit einem Null-signatum.« (»Linguistic Glosses to Goldstein’s ›Wortbegriff‹«; SW II, 269. Dt. Übs. »Linguistische Randbemerkungen zu Goldsteins ›Wortbegriff‹«; Sinn und Form, 137. Korr. Übs. von mir.) Vgl. auch »Signe zéro« [1939]; SW II, 211–219. Dt. Übs. »Das Nullzeichen« (übs. v. R. Kuhn); Linguistik, 44–53. – Von Jakobsons Begriff des Nullzeichens (Nullsignans bzw. Nullsignatum) aus eröffnet sich ein sachhaltiger Berührungspunkt mit Heidegger: »Selbst dort, wo wir das Gesprochene einer Sprache hören, die uns völlig fremd ist, hören wir niemals bloße Laute als nur sinnlich gegebene Schälle, sondern wir hören unverständliche Worte« (WhD, 89) – oder in Jakobsons Nomenklatur: ›... hören wir niemals bloße phonetische Schälle, sondern signantia mit Nullsignata‹. 70 Vgl. oben Anm. 67. 71 Vgl. »Quest for the Essence of Language«; SW II, 347. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 81.
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Index und beim Ikon mag sich zwar der signans-signatum-Bezug beim Symbol als kontingent und arbiträr ausnehmen; d. h. die konkrete Gestaltung einer signans-signatum-Verbindung ist hier weder vorschreibbar noch vorhersehbar, wie der Laut- und Bedeutungswandel der Sprachzeichen in Raum und Zeit sogleich erhellt. Innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft jedoch gehorcht die Beziehung zwischen signans und signatum sozusagen einer inneren Logik; für diese Verwender sprachlicher Symbole hat die Beziehung zwischen einem konkreten signans und seinem signatum jeweils den Charakter einer natürlichen Unmittelbarkeit, eines ›motivierten‹ Bezuges, und zwar in erster Linie nicht aufgrund einer wirklichen (effective) Ähnlichkeit zwischen diesem signans und seinem signatum, sondern aufgrund ihrer verbindlich codierten Anwendbarkeit.72 Daß aber die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dann bei der tatsächlichen Anwendung von codierten Sprachzeichen einen breiten Gestaltungsspielraum haben, zeigt sich gerade an metasprachlichen Operationen, insofern sich mit ihrer Hilfe ein Sprachzeichen recodieren, sich also dessen signatum durch andere signantia wiedergeben läßt. Dabei kann sich eine solche innersprachliche Wiedergabe entweder von einem Zeichen aus zu höhergradig entfalteten Zeichen(gruppen) oder umgekehrt von voller entwickelten Zeichen aus zu einem bündigeren Sprachausdruck hinbewegen: »›Ein Gänserich ist ein ausgewachsenes Gänsemännchen‹ und umgekehrt ›Ein ausgewachsenes Gänsemännchen ist ein Gänserich‹. Der erste Satz ist ein Beispiel für C. S. Peirce’ These, daß ein jedes Zeichen sich in andere Zeichen übersetzen läßt, in denen es voller entwickelt ist, während die Rückübersetzung von einer expliziteren in eine bündigere Art des Ausdrucks durch den zweiten Satz veranschaulicht wird.«73 72
Vgl. »Franz Boas’ Approach to Language« [1944]; SW II, 477–488; hier 482: »Jede Sprache mag arbiträr sein, doch nur ›von einer anderen Sprache‹ in Raum und Zeit aus gesehen. Für die einheimischen Sprecher einer Sprache – sei diese nun ›primitiv‹ oder ›zivilisiert‹ – ist keine von deren Klassifikationen arbiträr.« (Dt. Übs. von mir.) Der obligatorische Charakter einer signans-signatum-Verbindung läßt sich also nur von einem linguistischen Standpunkt aus erkennen, der innerhalb der jeweils untersuchten Sprache(n) angesiedelt ist: »Saussures Grundforderung nach einer immanenten sprachlichen Analyse eines jeden idiosynchronischen Systems entkräftet offensichtlich den Hinweis auf Lautund Bedeutungsunterschiede in Raum und Zeit als Argumente für die willkürliche Beziehung zwischen den Konstituenten des sprachlichen Zeichens. Die schweizerdeutsche Bauersfrau, die gefragt haben soll, warum Käse bei ihren französischen Landsleuten fromage heiße – ›Käse ist doch viel natürlicher!‹ –, zeigt eine Einstellung [attitude], die weit mehr im Sinne von Saussure liegt als die Ansicht derjenigen, die behaupten, daß jedes Wort ein willkürliches Zeichen sei, an desen Stelle irgendein anderes für den gleichen Zweck verwendet werden könne.« (»Quest for the Essence of Language«; SW II, 348f. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 83.) 73 »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 117 (dt. Übs. von mir).
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Wenn nun innerhalb einer metasprachlichen Übersetzung prinzipiell ein und dasselbe signatum durch jeweils verschiedene signantia reformulierbar ist, so lassen sich umgekehrt doch auch die jeweils verschiedenen, kontextuellen signata ein und desselben signans metasprachlich explizieren. Erst vermittels von jeweils verschiedenen metasprachlichen Operationen kann der grundsätzliche semantische Möglichkeitsspielraum (general meaning) eines Sprachzeichens abgeschritten und entfaltet werden. Mit einer metasprachlichen Übersetzung ist also nicht schon die general meaning eines Sprachzeichens (im obigen Beispiel: diejenige von »Gänserich«) erschöpft und more geometrico umrissen. Vielmehr umschließt dessen general meaning alle seine – engeren oder weiteren, ›eigentlichen‹ oder ›uneigentlichen‹ – Verwendungsmöglichkeiten innerhalb eines bestimmten Code; die jeweils verschiedenen, konkreten Bedeutungen eines Sprachzeichens hängen vom jeweiligen – nicht im voraus zu bestimmenden – Kontext ab, in denen es dann tatsächlich verwendet wird.74 Selbst die Frage nach der tatsächlichen Existenz eines signatum vermag nicht die prinzipielle Bedeutsamkeit (general meaning) und metasprachliche Explizierbarkeit eines codierten Sprachzeichens zu unterlaufen. Erst in einem bestimmten Redekontext kann dann jeweils metasprachlich über die existentiale Verifizierbarkeit eines Sprachzeichens entschieden werden, sofern es dieser Kontext erfordert.75
74
Vgl. op. cit.; SW VII, 119: »Von dieser Art ist der kontextuelle metaphorische Gebrauch von ›Gänserich‹ oder ›Gans‹ für eine Person, die dem Vogel an Dummheit gleicht. In seiner kontextuellen Bedeutung ›Blicken, Blick‹ wird dasselbe Wort durch eine metonymische Übertragung der Gans auf ihren ausgestreckten Hals und die starrenden Augen metaphorisch für ein menschliches Wesen verwendet. ›Gans‹ ist eine geschlechtsunspezifische Bezeichung für eine Vogelart, doch in Kontexten, in denen ›Gans‹ dem ›Gänserich‹ gegenübergestellt wird, beschränkt sich die engere Bedeutung dieses Wortes auf die Weibchen.« (Dt. Übs. von mir.) 75 Solche umkehrbaren Sätze wie »Hermaphroditen sind Individuen sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsorganen – Individuen sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsorganen sind Hermaphroditen« stellen für Jakobson »metasprachliche Äußerungen« dar, »die eine Information über die Bedeutung, die dem Wort ›Hermaphrodit‹ [...] im Deutschen zugeschrieben wird, liefern, die jedoch nichts über den ontologischen Status der damit bezeichneten Individuen aussagen. [...] Aussagen der Existenz oder der Nicht-Existenz bei solchen fiktiven Entitäten waren der Anlaß für breite philosophische Kontroversen, doch von einem linguistischen Standpunkt aus bleibt das Verb der Existenz solange elliptisch, als es nicht von einer lokativen Abschattung begleitet wird: ›Einhörner kommen nicht in der Tierwelt vor‹; ›Einhörner gibt es in der griechisch-römischen und in der chinesischen Mythologie‹, ›auf alten Wandteppichen‹, ›in der Dichtung‹, ›in unserern Träumen‹ usw. Hier beobachten wir die linguistische Relevanz des Begriffes ›Universum der Rede‹ [Universe of Discourse] [...]: Einmal ist es möglicherweise das physikalische Universum, einmal die vorgestellte ›Welt‹ eines Dramas oder eines Romans, ein anderes Mal eine Reihe von Möglichkeiten.« (Op. cit.; SW VII, 119 f. Dt. Übs. von mir.)
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Als solche kommt die lexikalische Codierung eines Sprachzeichens somit nicht in einem absoluten Sinne, sozusagen nicht spontan an seinem substantiellen signans zum Vorschein, sondern nur in Form einer »Äquivalenz in der Relation«.76 Verschiedene signantia lassen sich in einen äquivalenten Bezug zueinander setzen, sofern sich eine sprachliche Interaktion auf die Ebene des Sprachcode bezieht. Bei Bedarf also, wenn im Verlauf einer sprachlichen Interaktion der kontextuelle, kognitive Bedeutungswert eines Sprachzeichens unverständlich ist bzw. unverständlich zu werden droht, kann der Fokus der Gesprächspartner von diesem kognitiven Gehalt weg und hin auf die lexikalische Codierung dieses Sprachzeichens verlegt werden. Unter dem Äquivalenzprinzip wird diese Codierung dann gleichsam nach außen gestülpt, indem das unverständliche Sprachzeichen recodiert, d. h. durch andere äquivalente, explizitere Sprachzeichen ersetzt wird. Mit anderen Worten: Das Äquivalenzprinzip, das jede metasprachliche Operation regiert, ist zugleich ein Prinzip, das im ›gewöhnlichen‹ Sprachverkehr – d. h. hier: unter dem primären kognitiven Aspekt einer syntagmatischen Kombination – latent bzw. virtuell bleibt.77 Jede metasprachliche Operation aktualisiert somit einen latenten oder inneren Bezug (inner relation) zwischen Sprachzeichen, der im Falle einer gelungenen sprachlichen Interaktion in absentia bleibt, der aber nichtsdestoweniger für die Bedeutsamkeit der Sprachzeichen konstitutiv ist.78 Werden nämlich in einer syntagmatischen Kombination verschiedene lexikalisch codierte Sprachzeichen tatsächlich zu einer Mitteilung (message) verbunden und dort tatsächlich aufeinander bezogen, so bezieht sich zugleich ein jedes dieser Sprachzeichen auf ein Spektrum äquivalenter Code-Einheiten, die prinzipiell ebensogut an seiner Stelle hätten verwendet werden können, die aber (aus welchen konkreten Gründen auch immer) dann doch nicht verwendet worden sind. Insofern zeigt sich eine jede syntagmatische Kombination von Sprachzeichen auch als das Produkt einer ihr vorausliegenden Se76
»Zeichen und System der Sprache«; SW II, 274. Von daher läßt sich der kognitive Gehalt, worauf eine sprachliche Äußerung in ihrer referentiellen Funktion abzielt, als ein fragiles Gelingen der sprachlichen Interaktion verstehen, das Gefahr läuft, jederzeit ›einzubrechen‹. Gerade metasprachliche Operationen vermögen diese Einbrüche aufzufangen und stehen so in einem notwendigen Komplementaritätsverhältnis zur referentiellen (kognitiven) Funktion einer sprachlichen Äußerung: »Die Sprache [steht] in ihrer Erkenntisfunktion [...] in komplementärer Beziehung zu den metasprachlichen Operationen [...] – die Erkenntnisebene der Sprache läßt nicht nur die Interpretation durch eine andere Codierung, das heißt Übersetzung, zu, sondern fordert sie geradezu.« (»On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 265. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 489.) 78 Vgl. etwa »Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances«; SW II, 243f. Dt. Übs. »Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphasischer Störungen«; Grundlagen der Sprache, 53f. – Siehe auch oben, 144f. 77
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lektion, als der realisierte Ausschnitt aus dem jeweiligen semantischen Möglichkeitsspielraum (general meaning), in dem jedes der tatsächlich verwendeten Sprachzeichen steht. Die Möglichkeit, diese Selektion überhaupt sichtbar zu machen bzw. im Einzelfall zu revidieren, bieten metasprachlichen Operationen, indem sie semantisch äquivalente Zeichen(gruppen) zur Auswahl stellen: Eine metasprachliche Operation korreliert ein (im Kontext unverständliches) Zeichen mit denjenigen Sprachzeichen, die in der jeweiligen general meaning des ›ersten‹, metasprachlich explizierten Sprachzeichens bereits simultan impliziert sind. Im Vergleich zu den syntagmatischen Kombinationen im eigentlichen Sinne stellen metasprachliche Sätze somit keine »Kombinationen in der Zeitfolge« dar, sondern »Kombination[en] der simultanen Merkmale«, welche sich hier auf die Ebene der lexikalischen Bedeutungen beschränken.79 Eine metasprachliche Operation kombiniert zwar verschiedene Sprachzeichen zu einem Miteinander und (zeitlichen) Nacheinander – und damit zu einer Mitteilung (message). Dieser eigentlich kombinatorische Aspekt wird jedoch überlagert vom funktionalen Charakter der metasprachlichen Operation, eine Gleichung zu sein. Gerade indem eine metasprachliche Gleichung eine äquivalente Beziehung zwischen Sprachzeichen realisiert und diese Beziehung als solche mitteilt, überschneidet sich in ihr ein syntaktisches und ein substitutives Moment.80 Sie präsentiert das Nacheinander der äquivalent bezogenen Sprachzeichen zugleich als deren gleichwertiges Statteinander, als eine explizite Simultaneität ihrer semantischen Merkmale – was sich niederschlägt in der beliebigen Umkehrbarkeit eines metasprachlichen Satzes. »Die Metasprache verwendet äquivalente [Code-]Einheiten nacheinander, wenn sie synonyme Ausdrücke zu einem Gleichheitssatz verbindet: A = A (›Stute ist ein weibliches Pferd‹). […] In der Metasprache dient eine sprachliche Abfolge [sequence] zum Bau einer Gleichung.«81 An Jakobsons Engführung
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Vgl. »Zeichen und System der Sprache«; SW II, 273f.: »[...] neben den Kombinationen in der Zeitfolge [muß] auch das Problem der Kombination der simultanen Merkmale behandelt werden [...]. Es ist hier ratsam [...], einfach [von] Kombinationen zu sprechen. Kombination, der ein anderer Faktor, entgegengesetzt wird, nämlich [derjenige] der Auswahl, der Selektion. Die Selektion der Einheiten oder der Kombinationen, im Gegensatz zur Kombination als solcher, gehört der paradigmatischen Ebene der Sprache an. Es ist ein Statteinander zum Unterschied vom Miteinander und vom Nacheinander.« 80 Zum Modus der Überschneidung bei einer metasprachlichen Gleichung siehe auch »Shifters, Verbal Categories, and the Russian Verb«; SW II, 131. Dt. Übs. »Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb«; Sinn und Form, 35. 81 »Linguistics and Poetics«; SW III, 27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 95 (korr. Übs. von mir). – Mit jeder metasprachlichen Gleichung kommt für Jakobson somit »eine doppelte Verbindung« zum Ausdruck: »einerseits eine Stellungs-Kontiguität (also eine syntaktische Kontiguität) und andererseits eine semantische Gleichartigkeit«. (»Two
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des formalisierten Ausdrucks für die metasprachliche Gleichung, der tautologischen Form ›A = A‹, mit dem von ihm gewählten konkreten Beispiel »Stute ist ein weibliches Pferd« zeigt sich nun deutlich, daß für ihn an einer metasprachlichen Gleichung weder die Wahrheitsleistung ihrer Mitteilung noch die materiale Identität der korrelierten Code-Einheiten, noch deren konkrete Art des Gegebenseins (eigentliche oder uneigentliche, engere oder weitere Bedeutung) entscheidend wird. Ausschlaggebend ist allein der gleichwertige Bezug von lexikalisch codierten Sprachzeichen aufeinander im Rahmen ein und desselben semantischen Bezugsfeldes (general meaning): »Eine rein linguistische Semantik kann und muß aufgebaut werden, falls wir […] einsehen, der Grundzug jedes sprachlichen Zeichens bestehe darin, daß es in ein anderes Sprachzeichen, ein mehr entfaltetes, explizites bzw. im Gegenteil mehr elliptisches Zeichen desselben Sprachsystems oder eines anderen Sprachsystems übersetzt werden kann. Diese Übersetzbarkeit enthüllt diejenige semantische Invariante, die wir im signatum suchen. Auf diese Weise erhalten wir die Möglichkeit, auch die semantischen Probleme der Sprache einer distributiven Analyse zu unterwerfen. Solche metasprachlich identifizierende Sätze wie ›der Hahn ist das Männchen des Huhns‹ gehören zum Textinventar der deutschen Sprachgemeinschaft, und die Umkehrbarkeit der beiden Ausdrücke – ›das Männchen des Huhns ist der Hahn‹ – veranschaulicht, wie durch eine distributive Analyse solcher üblicher metasprachlicher Äußerungen die Wortbedeutung zu einem echt linguistischen Problem wird.«82 Als tautologisch präsentiert sich dieser Bezug in einer metasprachlichen Gleichung zunächst aufgrund der Reversibilität der bezogenen Glieder, d. h. aufgrund ihrer Wiederholbarkeit in umgekehrter Reihenfolge (»der Hahn ist das Männchen des Huhns« – »das Männchen des Huhns ist der Hahn«). In dieser ›puren‹ Wiederholung der Satzglieder (wenn auch in umgekehrter Reihenfolge) erschöpft sich aber nicht der tautologische Bezug in einer metasprachlichen Gleichung. Die distributive Analyse, d. h. ein Verständnis der jeweiligen, kontextuell verschiedenen Bedeutungen einer Code-Einheit, kann nach Jakobson nur erfolgen im Hinblick auf die semantische Invariante eines jeden codierten signatum: im Hinblick auf dessen Übersetzbarkeit in andere Sprachzeichen. Die allgemeine Bedeutung, d. h. die codierte Bedeutsamkeit eines Sprachzeichens, welche mit dessen metasprachlicher Übersetzbarkeit zum Vorschein kommt, stellt diejenige semantische »Einheit [dar], auf die sich diese Varianten [d. h. die jeweiligen kontextuellen Bedeutungen] bezie-
Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances«; SW II, 255. Dt. Übs. »Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphasischer Störungen«; Grundlagen der Sprache, 65.) 82 »Zeichen und System der Sprache«; SW II, 274f.
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hen«.83 Insofern zeigt sich eine metasprachliche Übersetzung auch als ein tautologischer Bezug von Sprachzeichen innerhalb derselben general meaning: Von der Instanz des Sprechers einer Mitteilung, also von der codierenden Instanz aus betrachtet, besitzt die metasprachliche Explikation einer in Frage stehenden Code-Einheit keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu seiner (dem Hörer unverständlichen) Mitteilung.84 Für den Sprecher bleibt seine metasprachliche Operation, die Ersetzung eines Sprachzeichens in seiner Mitteilung durch ein anderes äquivalentes Sprachzeichen, tautologisch: Das Telos seiner Operation liegt in der ›analytischen‹ Verdeutlichung des schon einmal Gesagten. Der Produzent einer sprachlichen Mitteilung unternimmt einen Rückgriff auf die latente Struktur der lexikalischen Äquivalenz, um das für den Hörer in Frage stehende Vokabular einer nochmaligen Durchsicht zu unterziehen und zu recodieren mit dem Ziel der besseren Verständlichkeit eben dieser Code-Einheiten (und also der gesamten Mitteilung).85 Auf diese für den Hörer unverständliche(n) Code-Einheit(en) bezogen, sagt der Sprecher noch einmal dasselbe in anderen Worten. Der tautologische Bezug zweier Code-Einheiten innerhalb einer metasprachlichen Gleichung zeigt sich von diesem Standpunkt aus als die Wieder-holbarkeit, d. h. als der prinzipiell mögliche Rückgriff des Sprechers auf die general meaning des tatsächlich verwendeten Vokabulars, um von ihr aus solche Code-Einheiten metasprachlich zu evozieren, die für ihn dieselbe lexikalische Bedeutung wie das ursprüng83
Op. cit.; SW II, 274. (Hervorh. von mir.) Zu dieser grundsätzlichen Differenzierung einer codierenden von einer decodierenden Instanz innerhalb der sprachlichen Interaktion vgl. op. cit.; SW II, 277f.: »Zwei Standpunkte, der des Verschlüsselnden und der des Entschlüsselnden, bzw. in anderen Worten: die Rolle des Senders und die des Empfängers sollen scharf auseinandergehalten werden. [...] Den Hörer führt der Weg durch die distinktiven Elemente, durch die Phoneme, die er erkennt, zur grammatischen Form und zum Verstehen der Bedeutungen. [...] Eine unbewußt statistische Einstellung ist dem Wahrnehmenden eigen, und die Homonymie ist für ihn ein wesentlicher Vorgang. Für den Sprecher ist die Reihenfolge der einzelnen Sprachstufen gerade umgekehrt [...]. Für den Sprecher als solchen gibt es keine Homonyme, und wenn er z. B. das englische /s Λ n/ sagt, weiß er Bescheid, ob er den Sohn oder die Sonne meint, während der Hörer eine andere Wahrscheinlichkeitsmethode gebrauchen muß, um diese Frage zu lösen. Beide Standpunkte, Erzeugung und Wahrnehmung, haben einen gleichen Anspruch darauf, vom Linguisten beschrieben zu werden, und es wäre ein Fehler, die zweiseitige Sprachrealität zu einer einzigen Seite herabzusetzen. [...] Die Bedeutung kann nur ausgeschaltet werden, wenn man auf dem Standpunkt des Entschlüsselnden steht, den[n] für ihn entsteht die Bedeutung erst als Schlußfolgerung, während für den Sprechenden die Bedeutung das Prius darstellt.« 85 Vgl. »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 262. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 485: »Die Fähigkeit, eine gegebene Sprache zu spechen, impliziert die Fähigkeit, über diese Sprache zu sprechen. Solch eine ›metalinguistische‹ Operation ermöglicht die Revision und die erneute Definition des benützten Vokabulars.« 84
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lich verwendete Vokabular besitzen, die aber für den Hörer verständlicher sein sollen. Bei einer metasprachlichen Operation fokussiert der Sprecher sein sprachliches Verhalten nicht mehr auf den kognitiven Bedeutungswert seiner Mitteilung, sondern auf den lexikalischen Bedeutungswert des verwendeten Code, wobei er diesen Code dem aktualen Redekontext anpaßt, ihn kontextuell variiert. Sofern der Hörer diesen Fokuswechsel mitvollzieht, sofern er also die semantische Gleichwertigkeit der metasprachlich korrelierten Code-Einheiten anerkennt, fungiert für ihn die metasprachliche Mitteilung über den benutzten Code gewissermaßen als Katalysator, der ihm zur (vollständigen) Erfassung der ursprünglichen Mitteilung verhilft. Daß aber eine metasprachliche Explikation des lexikalischen Code eigentlich keinen kognitiven Bedeutungswert besitzt, zeigt sich insbesondere am hochgradig tautologischen Moment einer metasprachlichen Gleichung, an der »doppelten Verbindung«,86 in der ein metasprachlich expliziertes Zeichen steht. Insofern eine metasprachliche Äußerung einen propositionalen Zwischenstatus zwischen einer Gleichung und einer prädikativ-syntaktischen Kombination einnimmt, kommt der (vom Sprecher aus gesehen) tautologischen Konstatierung einer lexikalisch-semantischen Gleichwertigkeit zugleich eine (für den Hörer) bedeutungsexplizierende Funktion zu. Im Rahmen von metasprachlichen Gleichungen markiert die tautologische Satzform ›A = A‹ den typologischen Pol für eine jede Aussage über eine Gleichwertigkeit, welche hierbei auf der Ebene der lexikalisch codierten Bedeutungen angesiedelt ist.87 86
Vgl. oben, Anm. 81. Daß für Jakobson an der Tautologie nicht die pure Wiederholungsform entscheidend ist, sondern daß sie erst im Funktionszusammenhang von metasprachlichen Operationen den Grenzwert einer Äquivalenzaussage markiert, wird besonders am aphasischen Typus der Similaritätsstörung, d. h. an der Unfähigkeit zur Selektion bzw. zu metasprachlichen Operationen, ersichtlich: »Wenn eines der synonymen Zeichen (z. B. das Wort Junggeselle oder das Hinzeigen auf einen Bleistift) vorhanden ist, so wird [für den Aphasiker] das andere Zeichen (also die Phrase unverheirateter Mann oder das Wort Bleistift) redundant und damit überflüssig. Für den Aphasiker stehen beide Zeichen in komplementärer Distribution. Wenn das Zeichen schon durch den Prüfenden ausgeführt worden ist, wird der Patient das entsprechende Synonym vermeiden: ›Ich verstehe alles‹ oder ›Ich weiß schon‹ wird seine typische Antwortreaktion darauf sein. Ebenso verursacht das Bild eines Objektes die Hemmung seiner Bezeichnung: Es wird also ein verbales durch ein bildliches Zeichen verdrängt. Einem Patienten [...] wurde das Bild eines Kompasses vorgezeigt, worauf er antwortete: ›Ja ... es ist ein ... Ich weiß, wozu es gehört, aber ich kann den technischen Ausdruck nicht finden ... ja ... Richtung ... um die Richtung zu zeigen ... ein Magnet zeigt nach Norden‹. Solche Patienten können [...] nicht vom Hinweis (index) oder vom Bild (icon) zum entsprechenden ›Wortsymbol‹ umschalten. Sogar eine einfache Wortwiederholung eines vom Prüfenden vorgesprochenen Wortes erscheint dem Patienten als unnötige Redundanz. Trotz genauer Anweisung ist er nicht imstande, das Wort zu wiederholen. Auf die Aufforderung, das Wort ›nein‹ zu wiederholen, antwortete ein Patient [...] 87
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Für Jakobson stellt ›die‹ Tautologie keine Satzform mit lexikalisch identischem Wortmaterial dar, welche ›an sich‹, d. h. unter Absehung von ihrer jeweiligen sprachlichen Funktion, exklusiv einem außersprachlichen Identitätskonzept vorbehalten bleibt und eine (mehr oder minder unüberbietbare) Aussagewahrheit zeitigt. Vielmehr präsentiert sich die tautologische Satzform im Funktionszusammenhang von metasprachlichen Operationen als die syntaktische Reinform einer relationalen Äquivalenz, in der sich die lexikalische Bedeutsamkeit der Sprache(n) manifestiert.88 ›Nein, ich weiß nicht wie man das macht!‹ Während der Patient also spontan das Wort ›nein‹ im Kontext seiner Antwort benutzte, konnte er die einfachste [purest] Form einer Identitätsaussage, die Tautologie a = a: ›nein‹ = ›nein‹ nicht hervorbringen.« (»Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances«; SW II, 247. Dt. Übs. »Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphasischer Störungen«; Grundlagen der Sprache, 57f. Korr. Übs. von mir.) Zwar findet hier also eine tautologische Wiederholung des Wortes »nein« statt, jedoch in einem anderen Funktionszusammenhang: Der Aphasiker vom Typus einer Similaritätsstörung ist nicht imstande, die tautologische Wortwiederholung aus dem kognitiven Kontetxt seiner Mitteilung (die hier ironischerweise seine Unfähigkeit zur tautologischen Wortwiederholung thematisiert) auszuklinken und diese Wiederholung innerhalb einer metasprachlichen Gleichung zu vollziehen, da diese von ihm als redundant empfunden wird: »Solche Aphasiker können weder von einem Wort zu dessen Synonymen und Umschreibungen noch zu dessen Heteronymen, d. h. zu den ihm entsprechenden Wörtern in anderen Sprachen, umschalten. Am Verlust der Mehrsprachigkeit und an der Beschränkung auf eine einzige dialektale Variante einer einzigen Sprache zeigt sich diese Störung symptomatisch.« (Op. cit.; SW II, 248. Dt. Übs. Grundlagen der Sprache, 59. Korr. Übs. von mir.) Daß die tautologische Wortwiederholung im Rahmen metasprachlicher Operationen funktionalisiert ist als eine Form der Similaritätsverknüpfung unter dem lexikalisch-semantischen Aspekt ihrer Glieder, zeigt sich auch im Vergleich zu Äußerungen, bei denen ein und diesselbe tautologische Wortwiederholung anderweitig als nur metasprachlich funktionalisiert werden kann: Es sind pragmatische Redekontexte vorstellbar, in denen unter dem dominanten Aspekt der phatischen Funktion eine tautologische Wortwiederholung der Herstellung oder der Verlängerung der Kommunikation dient; z. B. antwortet ein Sprecher auf eine Frage mit »nein«; darauf der Fragende: »Wie bitte? Ich habe es akustisch nicht verstanden.« Der Sprecher wiederholt seine Antwort oder antwortet mit: »Ich habe ›Nein‹ gesagt.« Im Falle des wiederholten »Nein« kann durch die emphatische Dehnung des Diphthongs /nai:n/ die emotive Funktion dieser Äußerung, etwa zum Ausdruck des Unmuts, in den Vordergrund rücken – oder auch die konative Funktion mit der Äußerung: »Nein ist Nein! Und damit Schluß!« als ein imperativisches Signal des Sprechers, den Dialog abbrechen oder von Einwänden des Hörers absehen zu wollen. (Zu den erwähnten Sprachfunktionen im allgemeinen vgl. besonders »Linguistics and Poetics«; SW III, 21–27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 88–94.) 88 Analog zur tautologischen Satzform als einer syntaktischen Reinform von metasprachlich funktionalisierten Sprachäußerungen sieht Jakobson derartige syntaktische Reinformen auch im Falle von emotiv bzw. von konativ fuktionalisierten Sprachäußerungen gegeben: »Die sogenannte EMOTIVE oder ›expressive‹ Funktion, die sich am Sender ausrichtet, zielt darauf ab, die Haltung des Sprechers zum Gesprochenen unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. [...] Die emotive Schicht der Sprache findet sich am reinsten in den
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Für Jakobson liegt der besondere funktionale Wert einer metasprachlichen Operation darin, daß sie explizit Bezug auf den lexikalischen Code nimmt, der in einer Sprache zum Aufbau von kombinatorischen Sequenzen, von kognitiven Mitteilungen, verwendet werden kann. Diese Verwendungsmöglichkeiten bleiben innerhalb einer Sprachgemeinschaft in der Regel selbstverständlich, da sie dort jeweils einer obligatorischen Codierung von signans und signatum unterliegen. Sobald aber bei einer sprachlichen Interaktion die konkrete Verwendung eines Sprachzeichens, d. h. dessen signans-signatumBezug, in irgendeiner Form nicht mehr selbstverständlich – also etwa als ›unüblich‹, ›neuartig‹ oder überhaupt ›unverständlich‹ – erscheint, kann eine metasprachliche Operation dieses Sprachzeichen auf andere, semantisch äquivalente Sprachzeichen beziehen, um die in Frage stehende Verwendung des ersten Sprachzeichens ersichtlich zu machen. Diese Verwendung kann eine metasprachliche Operation aber nur dadurch veranschaulichen und explizieren, daß sie ihrerseits die Sprachzeichen in einem gleichwertigen Bezug aufeinander verwendet.89 In jeder metasprachlichen Operation verwendet also der Sender Sprachzeichen in der Weise, daß die Verwendungsmöglichkeit des in Frage stehenden Sprachzeichens – sei es dessen prinzipielle Verwendungsmöglichkeit innerhalb eines bestimmten Sprachcode (›Ente meint im Deutschen eine bestimmte Geflügelart‹) oder dessen konkrete Verwendungsmöglichkeit innerhalb eines bestimmten Redekontextes (›Ente meint in diesem Zusammenhang das weibliche Tier der Geflügelart, die Falschmeldung einer Zeitung, lahme Ente eine temperamentlose Person usw.‹) – zu Tage tritt und durch Recodierung für den Empfänger verständlich(er) wird.90 Interjektionen verwirklicht. Sie unterscheiden sich von den referentiellen sprachlichen Mitteln [...] durch ihre syntaktische Rolle (sie sind nicht Komponenten, sondern Äquivalente von Sätzen). [...] Die Ausrichtung auf den EMPFÄNGER, die KONATIVE Funktion, findet ihren reinsten grammatischen Ausdruck im Vokativ und Imperativ, die syntaktisch [...] von den übrigen nominalen und verbalen Kategorien abweichen.« (»Linguistics and Poetics«; SW III, 22f. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 89f. Hervorh. und korr. Übs. von mir.) 89 Erinnert sei an Jakobsons Rede vom »sequential use of equivalent [code-]units« bei einer metasprachlichen Operation (siehe oben, 198). 90 Eine metasprachliche Operation zeigt also in der Verwendung von Sprachzeichen auf, wie diese Sprachzeichen verwendet werden (können). Damit aber zeitigt für Jakobson eine metasprachliche Operation keine Selbstreferentialität von Sprachzeichen, da kein Sprachzeichen, sozusagen an sich und absolut, auf sich selbst als bedeutsames verweisen kann. Erst in seiner metasprachlichen Verwendung – bzw. in der Sprache der mittelalterlichen Philosophie: durch die Anzeige seiner »materialen Supposition« – klärt sich die (jeweilige oder grundsätzliche) Bedeutung eines Sprachzeichens: »Ab dem 12. Jahrhundert wurde das verwirrende Problem der univocatio [etwa von ›Sein‹] als manente eadem significatione variata nominis suppositio [als ›die verschiedene Supposition eines Wortes bei gleichbleibender Bedeutung‹] definiert und behandelt. [...] Die vielfältigen A n w e n d u n -
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Dadurch aber, daß die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft den metasprachlichen Bezug von Sprachzeichen ständig und ohne weiteres als einen integralen Bestandteil ihrer sprachlichen Aktivität handhaben, funktionieren metasprachliche Operationen in einer Weise, die für diese Mitglieder selbstverständlich ist: nach Art einer gewohnheitsmäßigen Verhaltensweise (customary habit). Weil aber metasprachliche Operationen für jeden Sprachteilnehmer so selbstverständlich funktionieren, gelangen ihre spezifische Funktionsweise und damit ihr spezifischer Stellenwert innerhalb des ›Sprachganzen‹ in der Regel nicht als solche, als ein distinkter Gegenstand der Reflexion, ins Bewußtsein der Sprachteilnehmer. Damit also ein metasprachlicher Bezug von Sprachzeichen überhaupt gelingen, d. h. funktionieren kann, bedarf es nicht (unbedingt) eines Bewußtseins davon, wie er funktioniert. Wohl aber bedarf es beim Sprecher eines Bewußtseins darüber, daß sein metasprachlicher Bezug von Sprachzeichen funktioniert, d. h. den Hörer auch erreicht hat. Signalisiert der Hörer Gegenteiliges, bedarf es einer weiteren metasprachlichen Operation: »Die aktive Rolle der metasprachlichen Funktion […] hält den ständigen Fluß zwischen dem Bewußten und Unbewußten in unserer Sprechaktivität aufrecht.«91 Ebenso wie der signans-signatum-Bezug bei einer symbolischen Semiose stellt auch der metasprachliche Bezug von lexikalischen signata einen regulären Verwendungsmodus von Sprachzeichen dar, der nicht als solcher bewußt werden muß, um zu funktionieren.92 Das ›natürliche‹ Funktionieren von sprachlichen Bezügen ›bestätigt‹ sich für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft vielmehr in der wiederholbaren Anwendung dieser Bezüge: »Diese relative Nicht-Einmischung [non-interference] des individuellen Bewußtseins in die Sprache erklärt den rigiden und obligatorischen Charakter ihres Aufbaus – eines Ganzen, dessen sämtliche Teile stark zusammenhalten. In je geringerem Maße gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen bewußt werden, gen der [einem Wort] inhärenten [allgemeinen] Bedeutung auf verschiedene tatsächliche oder mögliche Redekontexte brachten Gelehrte – von Abaelard und Petrus Helias an bis zu Wilhelm von Ockham – in durchdachte ›Stammbäume‹, die die Suppositionstypen vermittels von Dichotomien systematisierten. Die Arten, wie ein nomen [Wortzeichen] in einer Rede per translationem [vermittels einer Übersetzung] zu einem terminus [Begriff] wird, wurden aufmerksam erforscht – mit manchen noch immer gültigen linguistischen Entdeckungen und mit einer strikten Abgrenzung der suppositio formalis (Objektsprache) und den davon unterschiedenen Spielarten der suppositio materialis (Metasprache) [...].« (»Glosses on the Medieval Insight into the Science of Language« [1973]; SW VII, 185–198; hier 195. Dt. Übs. und gesperrte Hervorh. von mir.) 91 »On the Linguistic Approach to the Problem of Consciousness and the Unconscious« [1980]; SW VII, 148–162; hier 160. Dt. Übs. »Über die linguistische Einstellung zum Problem des Bewußtseins und des Unbewußten« (übs. v. D. Münch); Semiotik, 522–541; hier 537. 92 Vgl. oben, 193.
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desto stärker sind ihre Verfahrensweisen stereotypisiert, standarisiert und vereinheitlicht.«93 Stereotype bzw. invariante Verfahrensweisen (devices) beim sprachlichen Aufbau (pattern) verdanken sich also für Jakobson primär der wiederholbaren Anwendung von Bezügen und nicht den jeweils dabei verwendeten, konkreten Bezugsgliedern.94 Auf jeder sprachlichen Ebene impliziert daher der Vollzug bzw. der Aufbau von sprachlichen Operationen stets eine frame-rule, die während dieses Vollzugs zwar nicht als solche bewußt wahrgenommen werden muß, die aber gleichwohl in Anspruch genommen und so in irgendeiner (nicht im voraus bestimmbaren) konkreten Form verwirklicht werden muß. Insofern für die Funktionsweise aller Sprachpraxis die jeweils in Anspruch genommenen, aber nicht bewußt wahrgenommenen frame-rules auf den verschiedensten Sprachebenen kennzeichnend sind, sieht Jakobsons Linguistik ihre Aufgabe darin, diese in jedem Sprachvollzug jeweils implizit wirksamen frame-rules, d. h. die modalen Rahmenbedingungen für die jeweiligen Verwendungen von Sprachzeichen, sichtbar zu machen. Eine solche linguistische Analyse sucht demnach das, was in einer Sprache jeweils an phonetischen, morphologischen, grammatischen und semantischen Tatsachen gegeben ist, zugleich so in den Blick zu bekommen, wie diese Tatsachen für die Sprecher dieser Sprache im jeweiligen Sprachvollzug gegeben sind – und d. h. funktionieren: »als ein integrales System mit einer konstanten Gruppe charakteristischer Eigenschaften [features]«.95 Nach dieser Auffassung besteht eine Sprache nicht einfach nur als die Gesamtheit von gegebenen Sprachtatsachen; sie umfaßt nicht nur eine bestimmte Anzahl von absoluten Größen (items), z. B. von Lauten, grammatischen und syntaktischen Formen, Lexemen usw. Vielmehr liegen alle diese Sprachtatsachen in Form von Relationen vor, die dem Bestand dieser Sprachtatsachen als framework implizit eingeschrieben sind und die zugleich von den Sprachteilnehmern ›beherrscht‹ werden müssen, die also zwar nicht bewußt erkannt, aber doch als charakteristische Eigenschaften (features) anerkannt sein müssen, um jeweils verwertet und
93
»Franz Boas’ Approach to Language«; SW II, 478. (Dt. Übs. und Hervorh. von mir.) Vgl. etwa auch »Беседы (Dialogues)«; SW VIII, 477. Dt. Übs. Dialoge, 47: »Man muß sich davor hüten, eine logische Opposition zwischen zwei Gliedern durch eine oberflächliche, empirische Gegenüberstellung zweier kontingenter Einheiten zu ersetzen.« (Korr. Übs.) – So unterliegt etwa jede metasprachliche Recodierung von Sprachzeichen dem invarianten Prinzip der »Äquivalenz in der Relation«, ohne daß dieses Prinzip dem Sprecher (und dem Hörer) bei der jeweiligen Durchführung einer metasprachlichen Operation bewußt werden müßte. Die jeweilige konkrete Auswahl der Bezugsglieder liegt hingegen im Ermessensspielraum des Sprechers. 95 »On the Linguistic Approach to the Problem of Consciousness and the Unconscious«; SW VII, 161. Dt. Übs. »Über die linguistische Einstellung zum Problem des Bewußtseins und des Unbewußten«; Semiotik, 539. 94
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zielgerichtet angewendet werden zu können. So zeichnet sich etwa der tatsächliche lexikalische Bestand einer Sprache durch ein solches invariantes Charakteristikum aus: durch die Äquivalenz in der Relation. Die lexikalische Bedeutung eines Sprachzeichens besteht damit nicht als eine absolute Größe, sondern sie besteht in Relation zu anderen Sprachzeichen, welche wiederum durch die Mitglieder der jeweiligen Sprachgemeinschaft als eine charakteristische Eigenschaft anerkannt sein muß. Eine metasprachliche Operation stellt daher stets die spezifische Reaktion eines Sprechers auf die lexikalischen ›Gegebenheiten‹ seiner Sprache dar, eine Reaktion, die der impliziten Anerkennung und aktiven Verwertung einer charakteristischen Relationalität von Sprachzeichen Rechung trägt.96 Dementsprechend hat sich der Sprachforscher in den Stand eines »Quasi-Teilnehmers an der gegebenen Sprachgemeinschaft«97 zu bringen, indem er selbst anerkennen (lernen) muß, was dort jeweils als ein semantisch identisches Bezugsfeld (general meaning) gilt, innerhalb dessen semantisch gleichwertige Sprachzeichen angesiedelt sind. Gerade deshalb stellen die metasprachlichen Operationen der einheimischen Sprecher ein zuverlässiges Verfahren (device) dar, das dem Linguisten dazu verhilft, jene semantischen Bezugsfelder herauszuarbeiten.98 Besonders aber das Lautsystem einer gegebenen Sprache zeichnet sich durch solche relationalen – in diesem Fall durch oppositive – Eigenschaften, durch die sogenannten distinctive features, aus. Für die Analyse des Lautsystems einer Sprache hält Jakobson jedoch fest, daß »die geringsten lautlichen Unterschiede, soweit sie phonematisch sind [d. h. soweit sie eine charakteristische Eigenschaft darstellen], von jedem Eingeborenen ausnahmslos, mit einer selbstverständlichen Genauigkeit, wahrgenommen werden, wogegen ein Fremder, wenn auch ein geschulter Beobachter, sogar ein Fachlinguist, sie gar nicht bemerkt oder nur mit großer Mühe erkennt, weil diese Unterschiede in seiner Muttersprache keine distinktive Aufgabe ausüben«.99 96
Daß für Jakobson die metasprachliche Korrelierung von Sprachzeichen stets deren Wertung impliziert, zeigt sich auch daran, daß er die metasprachliche Wiedergabe von Sprachzeichen mit dem (von Peirce entlehnten) Begriff der »interpretation« bezeichnet: »[Die] Wiedergabe [interpretation] von Begriffen durch äquivalente Ausdrücke [ist] genau das, was die Linguisten unter ›Bedeutung‹ verstehen [...].« (»Boas’ View of Grammatical Meaning« [1959]; SW II, 489–495; hier 493. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas« [übs. v. G. Stein]; Form und Sinn, 69–76; hier 73.) 97 »Zeichen und System der Sprache«; SW II, 277. 98 Vgl. »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 494. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 74. 99 »Zur Struktur des Phonems« [1939]; SW I, 280–310; hier 300. Hervorh. von mir. – Dem schließt Jakobson ein konkretes Beispiel an: »Der Unterschied zwischen palatalisierten und nicht-palatalisierten Konsonanten [...] im Russischen [...] dient zur Wortdifferenzierung, und jedes russische Kind hört und verwertet diesen Unterschied. [...] Aber derselbe Unterschied zwischen palatalisierten und nicht-palatalisierten Konsonanten, welcher
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Eine bestimmte sprachliche Tatsache, z. B. ein Phonem, existiert demnach in einer gegebenen Sprache nicht als eine absolute, sondern als eine relationale Größe, und zwar (a.) sowohl im Hinblick auf die anderen Größen derselben Sprachschicht, in der sie angesiedelt ist (im obigen Beispiel: im Hinblick auf die phonetische Sprachebene) als auch (b.) im Hinblick auf eine andere (etwa die morphologische oder semantische) Sprachebene als auch (c.) im Hinblick darauf, daß diese Relation(en) durch die Sprechenden anerkannt und als ein konstantes Charakteristikum verwertet sein müssen. Insofern eine linguistische Analyse mit der relationalen Behandlung von Sprachtatsachen die »massgebliche Frage, das ›wozu‹ […], d. h. ihre unmittelbare raison d’être«100 zur Geltung bringt, läuft sie in letzter Instanz auf eine Anerkennung und »Rechtfertigung des Elements der Wertigkeit«101 hinaus. Welcher funktionelle Stellenwert jeweils einer Relation von Sprachtatsachen beigemessen wird, erschließt sich über einen internen Zugang zu einer Sprache. Insofern aber die relationalen Konstanten einer Sprache einen integralen, ganzheitlichen Bewandtniszusammenhang (framework) ausmachen, bedarf es zugleich der linguistischen Analyse dieses integralen Ganzen im Hinblick auf den Modus seines ›logischen‹, strukturalen Zusammenhangs. Methodologisch unterscheidet sich damit eine strukturale Sprachanalyse »wesentlich von einer mechanistischen Zerlegung, die weder die Beziehun-
einem Russen ganz scharf und auffallend klingt, ist beispielsweise für einen Deutschen oder für einen Tschechen, wie ich es vielmals genau beobachtet habe, beinahe unhörbar und u n e x i s t i e r e n d. Ich habe letztens das russische Wortpaar krov-krov’ erwähnt: krov /króf/ ohne Palatalisierung des Schlußkonsonanten bedeutet ›Obdach‹, krov’ /króf ’/ mit Palatalisierung bedeutet ›Blut‹. Der Russe sagt /krof ’/ und der Deutsche weiß einfach nicht, ob es sich um Blut oder um Obdach handelt. Es wäre allerdings ganz verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, daß der Russe etwa ein feineres Gehör hat. Nur eine andere Einstellung kommt hier zum Vorschein, und diese Einstellung ist durch das phonologische System der gegebenen Sprache bestimmt.« (Op. cit.; SW I, 300f. Gesperrte Hervorh. von mir.) Umgekehrt muß aber ein phonologischer Unterschied bzw. eine distinktive Eigenschaft, die gleichermaßen in zwei verschiedenen Sprachen anerkannt ist, dort nicht jeweils den gleichen funktionalen Stellenwert besitzen: »Deshalb interpretieren wir die phonologischen Elemente einer fremden Sprache oft als expressive Mittel und umgekehrt. So wirkte das normal gesprochene Tschechisch auf mich [R. J.], der ich an es nicht gewohnt war, wie ein Predigen, das den Zweck verfolgt, um jeden Preis von etwas zu überzeugen, etwas hartnäckig einzuhämmern, denn die Tschechen reduzieren nicht die Silben, die keinen dynamischen Akzent besitzen[,] und deshalb kann man vom russischen Gesichtspunkt her meinen, als würden sie das Unakzentuierte akzentuieren; auf jede Silbe legen sie Gewicht, sie sprechen mit Nachdruck. [...] Kurz, die quantitativen Unterschiede, die der Tscheche als phonologisch registriert, werden vom Russen als [...] expressiv aufgefaßt.« (»Über den tschechischen Vers unter besonderer Berücksichtigung des russischen Verses« [übs. v. F. Boldt u. a.]; Postilla Bohemica 8–10 [1974], 1–204; hier 50.) 100 »Zur Struktur des Phonems«; SW I, 281. 101 »Бeceды (Dialogues)«; SW VIII, 478. Dt. Übs. Dialoge, 49.
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gen der Teile untereinander noch deren Beziehung zum Ganzen in Betracht zieht«.102 Am prägnantesten zeigt sich eine derartige analytische Hinsichtnahme auf die Gesamtheit der sprachlichen Realität wohl im Falle von Jakobsons Differenzierung der sechs verschiedenen »sets (Einstellungen)«, d. h. von sechs unterschiedlichen Arten eines zielgerichteten Sprachverhaltens.103 Jakobsons Analyse gestaltet sich dabei zunächst als die Zuordnung eines Sprachverhaltens zu den einzelnen »konstitutiven Faktoren in jedem Sprechereignis«,104 auf die sich dieses Sprachverhalten jeweils einstellen kann. Am sinnfälligsten veranschaulicht Jakobson dies durch zwei symmetrisch gebaute Diagramme innerhalb von »Linguistics and Poetics«: KONTEXT
REFERENTIELL
MITTEILUNG
POETISCH
SENDER
_________
EMPFÄNGER
EMOTIV
KONATIV
KONTAKT
PHATISCH
KODE 105
METASPRACHLICH 106
Mit der Zuordnung eines Sprachverhaltens zu jeweils einem dieser Faktoren (etwa eines emotiven Sprachverhaltens zum Sender, eines referentiellen Spachverhaltens zum Kontext usw.) objektiviert Jakobson also die Bezüglichkeit (Einstellung) eines Sprachverhaltens in zweifachem Sinne: Er charakterisiert eine sprachliche Einstellung im Hinblick auf ihr jeweiliges linguistisches Formalobjekt und abstrahiert von der Vielfalt ihrer konkreten Realisationen. Jedoch ist diese objektive Bezüglichkeit eines Sprachverhaltens auf einen der sechs Faktoren der sprachlichen Kommunikation keine absolute, da sich die konkrete Vielfalt aller Sprachäußerungen durch diese Bezüglichkeiten nun gerade nicht auf sechs ›objektive‹ Möglichkeiten reduziert. Dem jeweils objektivierenden Bezug zwischen den einzelnen Konstituenten beider Diagramme tritt »eine immanent zu betrachtende Struktur«107 zur Seite, inso102
»The Phonemic and Grammatical Aspects of Language in their Interrelations«; SW II, 103. Dt. Übs. »Das Ineinandergreifen des phonologischen und grammatischen Aspekts der Sprache«; Form und Sinn, 140 (Übs. leicht modifiziert). 103 Vgl. »Linguistics and Poetics«; SW III, 22 und passim. – Zur genetischen Herleitung des »Einstellungs«-Begriffes aus der Gestaltpsychologie und der Husserlschen Phänomenologie vgl. Holenstein, Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus, v. a. 25ff. und 55ff. 104 »Linguistics and Poetics«; SW III, 21. Dt. Übs. Poetik, 88. 105 Op. cit.; SW III, 22. Dt. Übs. Poetik, 88. 106 Op. cit.; SW III, 27. Dt. Übs. Poetik, 94. 107 »Über die heutigen Voraussetzungen der russischen Slavistik« [1929]; Semiotik, 50–70; hier 55. (Dieser Aufsatz Jakobsons ist bisher nicht in die »Selected Writings« aufgenommen.)
Metasprachliche Operationen
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fern nämlich die jeweils ›objektive‹ Einstellung eines Sprachverhaltens nur als dominant, d. h. in Korrelation zu den anderen Modi des Sprachverhaltens, bestimmbar ist. Wie sich also das korrelative Kräftespiel in einem funktionell ausgerichteten Sprachverhalten jeweils gestaltet, ist nicht allein anhand seines Formalobjekts feststellbar, sondern das Kräftespiel hängt seinerseits auch von der »Einstellung auf eine Dominante«108 ab. Dementsprechend geht es Jakobsons Analysen auch im Falle eines primär poetischen Sprachverhaltens nicht so sehr um den Nachweis, daß hier ›objektiv‹ ein solches Sprachverhalten gegeben ist. Sondern seine Gedichtanalysen gehen vielmehr von der in einem soziokulturellen Kontext selbstverständlichen Anerkennung dieser Gegebenheit aus. Jakobsons linguistische Analyse erkennt somit selbst die (mehr oder minder) unbewußte »Einstellung auf eine Dominante« an, sie vollzieht aber zugleich diese Anerkennung so nach, daß »die unabdingbare Eigenschaft [feature], die einem Werk der Dichtung inhärent ist«109 – nämlich die Vorherrrschaft des Äquivalenzprinzips auf der Achse der Kombination – als eine sprachlich objektive Grundlage dieser selbstverständlichen Anerkennung zu Tage tritt. Aber auch wenn diese »unabdingbare Eigenschaft« in einer Sprachäußerung ›objektiv‹ gegeben ist, so braucht diese Eigenschaft noch lange nicht in einem bestimmten Kontext als dominant anerkannt und verwertet zu sein. So bemüht sich Jakobson anhand des für Eisenhowers Präsidentschaftskandidatur verwendeten Wahlslogans »I like Ike« sowohl um den Nachweis, daß hier überhaupt diese Eigenschaft (feature) gegeben ist (als dreimaliges Erscheinen des Diphthongs /ay/, als symmetrische Nachfolge eines Konsonanten /…l…k…k/ usw.), wie auch darum, zu zeigen, wie diese Eigenschaft hier gegeben ist: als eine »bild«-hafte Verstärkung des kognitiven Gehalts dieses Wahlslogans – und damit als eine Eigenschaft, die hier, im Vergleich zur referentiellen Funktion, einen sekundären funktionellen Wert hat: »Beide Kola der dreisilbigen Formel ›I like / Ike‹ reimen sich, und das zweite der beiden Reimwörter ist im ersten vollständig enthalten (Echoreim), /layk/ __ /ayk/, ein paronomastisches Bild [image] eines Gefühls, das sein Objekt vollständig umschließt. Beide Kola alliterieren und das erste der beiden Alliterationswörter ist im zweiten enthalten: /ay/ __ /ayk/, ein paronomastisches Bild des liebenden Subjekts, umfangen vom geliebten Objekt. Die sekundäre, poetische Funktion dieses Wahlslogans verstärkt dessen Einprägsamkeit und Wirksamkeit.«110 108
»The Dominant« [1935]; SW III, 751–755; hier 752 (Auszug aus einer noch unpublizierten Vorlesung über den russischen Formalismus). Dt. Übs. »Die Dominante« (übs. v. T. Schelbert); Poetik, 212–219; hier 214. 109 »Linguistics and Poetics«; SW III, 27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 94 (korr. Übs. von mir). 110 Vgl. op. cit.; SW III, 26. Dt. Übs. Poetik, 93 (Übs. von mir leicht modifiziert).
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Die hier sekundäre poetische Funktion der Sprachäußerung ist also anerkanntermaßen, d. h. bedingt durch den Kontext eines Wahlslogans, für die hier dominanten – für die referentielle und wohl auch für die konative – Funktionen dieser Äußerung verwertet. In diesem hierarchischen Funktionszusammenhang beruht also der Stellenwert einer poetischen Eigenschaft (feature) auf der Verstärkung des hier als dominant gewerteten kognitiven Gehalts. Die poetische Eigenschaft dieser Sprachäußerung erhält hier einen dienenden, mimetischen Charakter – erfüllt jedoch keine autonome, strukturbestimmende Funktion. Der mimetische Charakter eines sprachlichen signans bzw. die verschiedenen Spielformen der ikonischen Nachbildung des signatum sind jedoch kein exklusives oder gar ein ›objektives‹ Kennzeichen für die poetischen Eigenschaften (features) eines Sprachgebildes: »Eine Folge wie ›der Präsident und sein Staatssekretär nahmen an der Konferenz teil‹ ist bei weitem üblicher als die umgekehrte Reihenfolge, da die Anfangsstellung im Satz den Vorrang in der offiziellen Hierarchie widerspiegelt. Die Entsprechung in der Ordnung zwischen signans und signatum findet in den von Peirce skizzierten ›Grundarten möglicher Semiosis‹ ihren richtigen Platz. Bei den Ikons stellte er zwei verschiedene Unterklassen heraus: Bilder (images) und Diagramme (diagrams). Das signans gibt bei den Bildern ›die einfachen Eigenschaften‹ des signatum wieder, während die Ähnlichkeit zwischen dem signans und dem signatum bei den Diagrammen ›nur hinsichtlich der Beziehungen ihrer Teile‹ besteht.«111 Bei beiden Formen der ikonischen Nachbildung – in Jakobsons Beispielen gesprochen: sowohl bei dem bildhaften »I like Ike« als auch bei dem diagrammatischen »Der Präsident und sein Staatssekretär…« – resultiert die Entsprechung zwischen signans und signatum hier nur aus einem bestimmten Bezugsmodus: aus dem untergeordneten Stellenwert, den die Ebene des signans in Bezug auf den kognitiven Wert der gesamten Mitteilung einnimmt. Wenngleich also nur dem bildhaften »I like Ike« die relationale poetische Eigenschaft auf der Ebene des signans, d. h. das Äquivalenzprinzip auf der Achse der Kombination, inhäriert, so führt auch diese horizontale Relation zwischen den signantia hier nur zu einer Intensivierung des vertikalen Bezugs zwischen den signantia und ihren jeweiligen lexikalischen signata. Aber auch im Falle, daß der morphologische Bau bestimmter Sprachzeichen auf einen »gleichwertigen«, mimetischen signans-signatum-Bezug hindeutet – wenn also etwa »beim Positiv, Komparativ und Superlativ des Adjektivs eine allmähliche Zunahme der Anzahl der Phoneme, z. B. high – higher – highest, altus – altior – altissimus[,] […] die Steigerungsstufen des signatum [wider111
»Quest for the Essence of Language«; SW II, 350. Dt. Übs. »Suche nach dem Wesen der Sprache«; Semiotik, 85 (Übs. leicht modifiziert).
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spiegelt]«112 –, dann stellt auch dieser mimetische Bezug nicht schon automatisch eine poetische Eigenschaft dar, die ›absolut‹ an diesen Sprachzeichen gegeben ist. Vielmehr ist es für die Feststellung der poetischen Eigenschaft (feature) einer Sprachäußerung entscheidend, ob und wie ein solcher mimetischer Bezug in Relation zu den anderen Sprachzeichen poetisch funktionalisiert ist. Wie also nicht jedes poetisch organisierte Sprachgebilde schon in diesem ›absoluten‹ Sinne mimetisch ist, so kann umgekehrt nicht jeder mimetischen Entsprechung zwischen signans und signatum auch schon der Status einer poetischen Eigenschaft zugesprochen werden. Die analytische Herausarbeitung der poetischen Eigenschaften (features), die für eine Sprachäußerung kennzeichnend sind, kann also nicht erfolgen ohne die Berücksichtigung ihres funktionellen Stellenwertes innerhalb dieser Sprachäußerung – und also nicht ohne die Anerkennung und den Nachvollzug der geläufigen, vorherrschenden Einstellung, durch welche die dominante Funktion dieser Sprachäußerung bestimmt ist. Doch für diese Analyse ist neben der linguistischen Anerkennung und Beachtung der dominanten Funktion einer Sprachäußerung immer auch ein linguistischer Aspektwechsel, d. h. ein Blickwinkel erforderlich, der die geläufige Perspektive auf die Dominante sozusagen auffächert, dissoziiert. So kann eine solche Dissoziation die analytische Aufmerksamkeit auf den poetischen Bau eines Wahlslogans (also etwa nicht nur auf dessen kognitiven Wert) konzentrieren, ohne dabei diesem Wahlslogan nun gleich einen dominanten poetischen Wert unterstellen zu müssen. Diese analytische Dissoziation kann aber auch so weit führen, daß sie eine gängige Einstellung auf die Dominante bis zu einem gewissen Grade revidiert, also durch eine andere Einstellung ersetzt. So bezieht etwa Jakobsons Analyse von Hölderlins letztem Gedicht »Die Aussicht« (1843),113 wie auch seine Analyse eines Gedichtes aus Bertolt Brechts Lehrstück »Die Maßnahme« (1930/31),114 ihre Provokanz nicht zuletzt daraus, daß Jakobson sich jeweils ein Gedicht zum Gegenstand nimmt, das gemeinhin als das Dokument eines zerütteten Geistes bzw. als eine rechtfertigende Vorwegnahme der Stalinistischen ›Säuberungen‹ anerkannt wurde und wird. In dieser Hinsicht kann Jakobsons jeweilige Einstellung auf den dominanten poetischen Wert beider Gedichte und die Herausarbeitung der jeweils bestimmenden poetischen Eigenschaften (features) als ein – durchaus objektiv fundierter – Vorschlag zu einer ›Neueinstellung‹ auf diese Gedichte verstanden werden.115 112
Op. cit.; SW II, 352; dt. Übs. Semiotik, 88 (Übs. leicht modifiziert). Vgl. »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin«; SW III, 388–446. 114 Vgl. »Der grammatische Bau des Gedichts von B. Brecht ›Wir sind sie‹« [1963]; SW III, 660–676. 115 So zitiert Jakobson nach seiner Analyse, die den strengen Organisationsformen des Hölderlin-Gedichtes bis ins Detail nachgeht, geradezu genüßlich und in extenso den 113
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Sämtliche sprachliche Kategorien sind also jeweils innerhalb einer sprachlichen Realität gegeben, und zwar in Form eines integralen Systems, das von den Sprechenden in einer selbstverständlichen, unbewußten Weise funktionell verwertet wird, das aber dabei nicht in dieser seiner inneren Systematik, in seiner Struktur thematisch wird. Insofern stellt sich für Jakobson einer »realistischen« Linguistik die Aufgabe einer »möglichst objektiven, buchstäblichen und unverzerrten Übersetzung von unbewußten Sprachkategorien in die Sprache wissenschaftlicher Formulierungen«.116 Jedoch agiert eine solche »objektive« Übersetzung, d. h. die explikative Bezugnahme auf dieses integrale System, nicht von einem streng dagegen abgegrenzten, archimedischen Standpunkt aus: Allein schon dadurch, daß die linguistische Analyse ein Instrumentarium verwendet, das mit dem untersuchten Gegenstand »spießbürgerlichen Tadel«, der dem Spätwerk Hölderlins eine »grauenhafte Unverständlichkeit«, »eine tiefe Störung des Sprachgefühls« usw. attestierte. Siehe dazu »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin«; SW III, bes. 422ff. – Die Brecht-Analyse deckt vor allem anhand des »dialektischen Spiels« der Personalpronomina und der Artikel die zweideutige Didaktik des Brechtschen Gedichts, »einen zutiefst vieldeutigen Sinn« dieser Verse, auf. Den gegen Ende seiner Analyse zitierten Vers Brechts »Das Sichere ist nicht sicher« scheint also Jakobson sowohl auf den kognitiven Gehalt dieses Gedichts als auch auf dessen gängige Einschätzung als linksfaschistoides Produkt zu münzen. Vgl. dazu »Der grammatische Bau des Gedichts von B. Brecht ›Wir sind sie‹«; SW III, 675f. – Daß diese ›Neueinstellung‹ ein nicht zu unterschätzendes Kriterium für Jakobsons Auswahl seiner jeweiligen Analysegegenstände darstellt, zeigt sich gerade auch an seinen Sonett-Analysen: Zwar fungieren die zeitlich ersten dieser Sonett-Analysen – namentlich diejenige eines Sonetts aus Sidneys »Arcadia« (1960), von Baudelaires »Les Chats« (1961) und von Dantes »Se vedi li occhi miei« (1964) – auch als eine ›Illustration‹ zu den Theoremen, die Jakobson in »Linguistics and Poetics« (1958) bzw. in »Poetry of Grammar and Grammar of Poetry« (1960) entwickelte. (Daher wohl auch der Vorwurf, Jakobsons Poetik orientiere sich an einer bestimmten Form von Poesie oder gar an einer bestimmten poetischen Form.) Jedoch die beiden späteren Analysen von Shakespeare (1968) und du Bellay (1970) verbindet nicht nur die Tatsache, daß es sich hier einfach um weitere Analysen von Sonetten handelt, sondern vor allem der Umstand, daß diese Analysen hier jeweils dazu dienen, Jakobsons strukturalistische Betrachtungsweise gegenüber anderen Interpretationsansätzen zu profilieren: Die Analyse von Shakespeares Sonett 129 zielt nicht zuletzt darauf ab, solche Interpretationen buchstäblich in Frage zu stellen, die entweder dem Shakespeareschen Gedicht eine formal-korrekte und logische Organisation absprechen und in seiner Sonett-Form nur eine Verlegenheitslösung sehen wollen oder die nur an einer freischwebenden Semantisierung der offensichtlich sehr verknappten und grammatisch sehr ungewöhnlichen Diktion Shakespeares interessiert sind. Vgl. »Shakespeare’s Verbal Art in Th’ Expence of Spirit« (Mitverfasser: L. G. Jones); SW III, 284–303; hier 299. Weiteres dazu unten, 255ff. – Zu Jakobsons Konfrontation seiner strukturalistischen Methode mit Leo Spitzers ›explication du texte‹ anhand seiner du Bellay-Analyse vgl. »›Si Nostre Vie‹: Observations sur la composition & structure de motz dans un sonnet de Joachim du Bellay«; SW III, 239–274; hier 241f. 116 »Franz Boas’ Approach to Language«, SW II, 479f. (Dt. Übs. und Hervorh. von mir.)
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generisch, d. h. im Hinblick auf seinen Zeichencharakter, zusammenfällt, »ist es dem Sprachforscher nicht gegönnt, sein eigenes System der Symbole, sein schöpferisches Modell dem untersuchten Stoff aufzuzwingen, wie es in den Naturwissenschaften üblich ist«.117 Der Unterschied zwischen der Sprachverwendung des Linguisten und einer ›natürlichen‹ Sprachverwendung ist seinerseits nur ein funktioneller innerhalb eines integralen Ganzen, er besteht demnach nicht dem Wesen nach, sondern in der Weise, wie jeweils dieses integrale System im Sprachgebrauch thematisch wird. Die linguistische Einstellung verändert nicht die Gegebenheit, sondern die Art des Gegebenseins ihrer ›Objekte‹ (der Sprachzeichen); sie vollzieht sich innerhalb des symbolischen ›Universums‹, um dabei zugleich einen dissoziierenden, analytischen Bezug zu diesem Universum zu bekommen.118 Gerade diese Interferenz zwischen einer Verwendung von Sprachzeichen und einer (rekapitulierenden) Bezugnahme auf die Verwendung von Sprachzeichen ist nun auch der Grund dafür, daß Jakobsons Linguistik dem ›bana117
»Zeichen und System der Sprache«; SW II, 276. Vgl. dazu op. cit.; SW II, 276: »Die Symbole sind unmitelbar in der Sprache vorhanden. Anstatt des Gelehrten, der gewisse Indices aus der Außenwelt extrahiert und sie in Symbole umbaut, findet hier ein Austausch der Symbole zwischen den an der Kommunikation Beteiligten statt. Die Rolle des Senders und Empfängers ist hier auswechselbar. Deswegen ist auch die Aufgabe der Sprachwissenschaft eine ganz andere [als in den Naturwissenschaften]. [...] Symbole sind für den Naturforscher ein wissenschaftliches Werkzeug, während sie für den Linguisten außerdem und vor allem der eigentliche Gegenstand seiner Forschung sind.« (Hervorh. von mir.) Diese manngifache Interferenz zwischen dem (linguistischen) Gebrauch von sprachlichen Symbolen und dem (linguistischen) Bezug auf diese Symbole illustriert Jakobson sinnfällig anhand eines Beispiels: »Neulich bekam ich [R. J.] im Zug die Bruchstücke einer Unterhaltung mit. Ein Mann sagte zu einer jungen Frau: ›Sie brachten gerade The Raven im Radio. Eine alte Aufnahme mit einem Londoner Schauspieler, der seit Jahren tot ist. Ich wollte, Sie hätten sein nevermore gehört.‹ Obwohl ich nicht der Empfänger war, dem die mündliche Botschaft des Unbekannten galt, empfing ich sie gleichwohl und übertrug diese Äußerung einige Zeit später in zunächst handgeschriebene und dann in gedruckte Symbole; nun ist sie Teil eines neuen Bewandtniszusammenhanges [framework] – meiner Mitteilung an den künftigen Leser dieser Seiten. Der Unbekannte bediente sich eines literarischen Zitates, das offensichtlich auf eine gefühlsbetonte Erfahrung anspielte, die er mit seiner Gesprächspartnerin teilte. Er bezog sich auf einen Vortrag, der dem Vernehmen nach im Rundfunk gesendet worden war. Ein toter britischer Schauspieler war der ursprüngliche Sender einer Mitteilung, die an ›jeden‹ gerichtet war, ›den es angeht‹. Er wiederum hatte nur Edgar Allen Poes literarische Botschaft von 1845 wiedergegeben. Der amerikanische Dichter selbst übermittelte, seinen Angaben zufolge, wiederum nur das Bekenntnis eines ›Liebenden, der seine dahingeschiedene Herzensdame beklagt‹ – vielleicht des Dichters selbst, vielleicht eines anderen, wirklichen oder erfundenen, Mannes. Innerhalb dieses Monologes wird das Wort nevermore einem sprechenden Vogel in den Mund gelegt, mit der Folge, daß ›dieses eine Wort‹ des Raben ›von einem unglücklichen Herrn verstanden‹ wird als der ›melancholische Kerngedanke‹ seiner ständigen Klagen.« (»Language in Operation« [1949]; SW III, 7–17; hier 7. Dt. Übs. von mir.) 118
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len‹ Phänomen der metasprachlichen Operationen des Alltags einen solch entscheidendenden methodologischen Stellenwert zuspricht: Der analytische Bezug auf ein Sprachverhalten ist dort insofern schon präfiguriert, als eine metasprachliche Operation jeweils schon an sich selbst eine linguistische Dimension so vorführt und zugleich sehen läßt, wie diese Dimension sich mit jeder Sprachverwendung zeigt: als eine dem Sprachvollzug immanente Selektion aus einem jeweils semantisch identischen Bezugsfeld (general meaning). Nomenklatorisch schlägt sich dies durch ein bezeichnendes Changieren in der Terminologie Jakobsons nieder: Auch wenn metasprachliche (»metalingual«) Operationen ihren Sitz im alltäglichen Sprachvollzug haben, so weisen sie dabei immer auch den reaktiven, analytischen Charakter eines metalinguistischen (»metalinguistic«) Bezuges auf die (eigene) Sprachverwendung auf.119
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Vgl. etwa »Metalanguage as a Linguistic Problem«; SW VII, 117: »Weit davon entfernt, auf den Bereich der Wissenschaft eingeschränkt zu sein, erweisen sich metasprachliche [metalingual] Operationen als ein integraler Bestandteil unserer sprachlichen Aktivitäten.« (Dt. Übs. von mir.); sowie »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II 493. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn; 73: »Die Reaktionen von Sprechern oder, wie man jetzt sagen könnte, die ›metalinguistischen [metalinguistic] Operationen‹ sind Gleichungen, die entstehen, sobald eine Unsicherheit darüber aufkommt, ob beide Gesprächspartner denselben Sprachcode verwenden und wie weit die eigene Äußerung von anderen verstanden worden ist.« Vgl. auch oben Anm. 85.
2. G RAMMATISCHE B EDEUTUNGEN
Besonders virulent wird die analytische Bezugnahme auf das, was in einer selbstverständlichen und insofern unbewußten Weise verwendet wird, im Falle einer semantischen Analyse der grammatischen Kategorien einer Sprache. Während bei einer sprachlichen Interaktion jederzeit auf die lexikalischen Bedeutungen der jeweils verwendeten Sprachzeichen explizit Bezug genommen werden kann, sind die in einem aktualen Sprachvollzug jeweils verwendeten grammatischen Kategorien einer Sprache nicht ohne weiteres durch andere Kategorien äquivalent ersetzbar und explizierbar. So dürfte etwa bei einer gesprächsweisen Äußerung wie »Ich gab dem Kind seinen Ball«, die ein Hörer mit der Frage »Was meinen Sie hier mit ›dem‹?« quittiert, die gleichwertige Ersetzung des grammatischen Kasus innerhalb desselben Satzmusters – und damit die metasprachliche Explikation der Bedeutung dieses Dativs – schwerlich gelingen.120 Insofern also innerhalb einer gegebenen Sprachäußerung keine anderen, gleichwertigen grammatischen Kategorien und Raster (patterns) verwendet werden können als eben die verwendeten, erweist sich ihr aktualer Gebrauch für jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft als so hochgradig obligatorisch, daß sie im Falle guter Sprachbeherrschung bzw. von native speakers in verstärktem Maße selbstverständlich und insofern unbewußt gehandhabt werden. Anders als auf der Ebene des lexikalisch codierten Vokabulars stellt sich einem native speaker hier erst gar nicht das Problem des alternativen Ausdrucks; seine Entscheidungsfreiheit bei der Verwendung einer grammatischen Form beschränkt sich hier grundsätzlich auf die binäre Opposition ›korrekt – inkorrekt‹, wobei über die (un-)korrekte Handhabung von grammatischen Kategorien nur jeweils innerhalb ein und desselben codierten Systems, also etwa auch innerhalb eines jeweiligen Subcode, entschieden werden kann.121 Den Grund für diese relativ unflexible, an ein codiertes System gebundene Gebrauchsmöglichkeit der grammatischen Kategorien sieht Jakobson (mit Franz Boas) darin, daß die grammatischen Kategorien jeweils diejenigen Aspekte von lebensweltlicher Erfahrung verbalisieren, die für eine Sprachgemeinschaft jeweils zum Ausdruck gebracht werden müssen, während der lexi120
Dagegen können hier die jeweiligen lexikalischen Bedeutungen eines jeden einzelnen Satzkonstituenten – also auch diejenige von »dem« – metasprachlich expliziert und innerhalb desselben Satzmusters durch gleichwertige Sprachzeichen ersetzt werden: »›Ich gab dem Kind...‹ meint hier ›Ich gab einer Person geringen Alters...‹«; »›Ich gab dem Kind...‹ meint hier ›Ich gab einem bestimmten Kind, von dem gerade die Rede ist bzw. auf das sich meine Rede bezieht, ...‹«. 121 Vgl. z. B. die hochsprachlich ›falsche‹ Verwendung von Dativ und Akkusativ im Berliner Dialekt.
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Roman Jakobson
kalische Bestand einer Sprache alle diejenigen Aspekte von Erfahrung verbalisiert, die dort fakultativ zum Ausdruck gebracht werden können: »Die verschiedenen Sprachen wählen auf jeweils verschiedene Weise solche Aspekte von Erfahrung aus, ›die ausgedrückt werden müssen‹. Solche ›obligatorischen Aspekte werden vermittels von grammatischen Mustern [devices] ausgedrückt‹, während einige andere Aspekte als nicht-obligatorisch angesehen und durch lexikalische Mittel ausgedrückt werden.«122 Dieser nicht-obligatorische Stellenwert, den eine Sprachgemeinschaft einer bestimmten lebensweltlichen Erfahrung in ihrer Sprache zuweist, kommt also für Jakobson gerade dadurch zum Vorschein, wie diese Sprachgemeinschaft die Umsetzung und Eingliederung (classification) jener Erfahrung in ihre Sprache vornimmt: durch lexikalische Mittel, deren semantischer Wert insofern nicht strikt an die Struktur dieser Sprache gebunden ist, als er (metasprachlich) äquivalent übersetzbar ist. Dieser nicht strikt an eine bestimmte Sprachstruktur gebundene semantische Wert, der die lexikalischen Mittel in einer Sprache kennzeichnet, stellt sozusagen die negative Kehrseite ihrer flexiblen Anwendbarkeit, d. h. der Möglichkeit dar, sie für die sprachliche Eingliederung einer jeden kognitiven Erfahrung einsetzen zu können: »Jede kognitive Erfahrung und deren Eingliederung [classification] kann in jeder existierenden Sprache umgesetzt werden. Sobald eine Unzulänglichkeit [des Ausdrucks] auftritt, kann die Terminologie durch Lehnwörter oder Lehnübersetzungen, durch Neologismen und schließlich durch Umschreibungen verfeinert und erweitert werden. So wird in der noch jungen Literatursprache der Tschuktschen im Nordosten Sibiriens ›Schraube‹ als ›Drehnagel‹, ›Stahl‹ als ›hartes Eisen‹, ›Blech‹ als ›dünnes Eisen‹, ›Kreide‹ als ›Schreibseife‹, ›Uhr‹ als ›hämmerndes Herz‹ wiedergegeben. Selbst scheinbar widersprüchliche Umschreibungen wie èlektriceskaja konka (›elektrischer Pferdewagen‹), die erste russische Bezeichnung für die Straßenbahn ohne Pferde, […] bezeichnen einfach das elektrische Analogon des Pferdewagens […] und behindern die Kommunikation überhaupt nicht«.123 Im Gegensatz dazu beruhen für Jakobson die relativ konstanten, obligatorischen Verwendungs- und Bedeutungsmöglichkeiten, die das grammatische Raster in einer Sprache bietet, auf einer restriktiveren Selektion, welche mit 122
»Franz Boas’ Approach to Language«; SW II, 480. (Dt. Übs. und Hervorh. von mir.) Ähnlich auch »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 264. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 487. – Einen konzisen Überblick über Franz Boas’ sprachwissenschaftliche Arbeiten (v. a. zu den Indianersprachen Nordwestamerikas) gibt M. Dürr, »Die Suche nach ›Authentizität‹: Texte und Sprachen bei Franz Boas«, in: Franz Boas: Ethnologe, Anthropologe, Sprachwissenschaftler. Ein Wegbereiter der modernen Wissenschaft vom Menschen, Wiesbaden 1992, 103–124. 123 »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 263. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 485f. (Korr. Übs. von mir.)
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der Selektion distinkter Laute auf der phonematischen Ebene einer jeden Sprache zu vergleichen ist: »Eine begrenzte Anzahl von Lauten und Lautanhäufungen in jeder einzelnen Sprache (und darüber hinaus in der menschlichen Sprache allgemein) ist das Ergebnis einer Auswahl aus der unendlich großen Menge möglicher Laute und Lautanhäufungen. Genauso ist die unendlich vielfältige Bandbreite an Ideen durch ihre Eingliederung [classification] in jede einzelne Sprache (und darüber hinaus in die menschliche Sprache allgemein) auf eine geringere Anzahl beschränkt. Demnach hat die Forschung eine zweifache ›Auswahl des Rohmaterials [matter], das für den [sprachlichen] Ausdruck verwendet wird‹, zu berücksichtigen: die Auswahl der lautlichen Eigenschaften, die der Unterscheidung von Konzepten dienen, und die Auswahl der konzeptuellen Eigenschaften, die ›wiedererkannt werden können durch das Symbol mit demselben Lautkomplex‹. Diese zweiseitige Auswahl verwandelt einander fremde Substrate [foreign bodies] in sprachliche Werte; sie macht aus dem lautlichen Rohmaterial festgelegte phonemische Einheiten und aus dem konzeptuellen Rohmaterial festgelegte semantische Einheiten.«124 Die quantitative wie qualitative Restriktion solcher in einer Sprache »festgelegter semantischer Einheiten« ist jedoch nicht einfach gleichbedeutend mit irgendwelchen reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten in dieser Sprache – so, als ob dort im Vergleich zu anderen, ›entwickelteren‹ Sprachen einiges ungesagt bleiben müßte bzw. nicht zum Ausdruck kommen könnte. Vielmehr steht den Sprechenden neben den in ihrer Sprache jeweils festgelegten, grammatischen Bedeutungswerten eine variabel einsetzbare Bandbreite an lexikalischen Sprachwerten zur Verfügung, die es einer Sprachgemeinschaft erlauben, den durch neuartige Erfahrungen entstehenden nomenklatorischen Mangel sprachlich zu kompensieren.125 Im Hinblick auf ihren jeweiligen
124
»Franz Boas’ Approach to Language«; SW II, 481 (dt. Übs. von mir). – Wohl am prägnantesten beschreibt Jakobson die Selektion auf der phonematischen Ebene der Sprachen anhand des kindlichen Spracherwerbs, und zwar insbesondere anhand des Übergangs von der phonetisch indistinkten Lallphase zur ersten wirklichen Sprachstufe, welcher für Jakobson zugleich ein Modell für die Phylogenese der Sprache(n) abgibt. (Vgl. dazu Kindersprache, bes. 20–25 und 66–79.) Dieses Modell zielt allerdings nicht auf einen genetischen ›Ursprung der Sprache‹, es geht also nicht von einem Topos aus, der, vermittels einer Analogisierung von Ontogenese und Phylogenese, im kindlichen Spracherwerb die ›Wiege‹ der menschlichen Sprache erblickt. Vielmehr ist für Jakobson an dem Modus, wie sich der kindliche Lauterwerb in verschiedenen Stadien vollzieht, das allgemeine Prinzip einer hierarchischen Strukturation der verschiedenen Ebenen einer Sprache linguistisch nachvollziehbar: »Der Schichtenbau der Sprache ist hier bloßgelegt« (Kindersprache, 130) – aufgrund seines sukzessiven Aufbaues. 125 Vgl. auch »Franz Boas’ Approach to Language«; SW II, 482f.: »Jede Sprache ist [...] ›geschmeidig genug‹ gegenüber den terminologischen Anforderungen der Kultur [...]. Die
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semantischen Möglichkeitsspielraum gestaltet sich in jeder Sprache das Kräftespiel zwischen den grammatischen und den lexikalischen Bedeutungen, die Verteilung »zwischen dem Unifizierenden, Gemeinschaftlichen, Zentripetalen […] einerseits und dem Individualisierenden, Eigenartigen, Partikularistischen, Zentrifugalen andererseits«,126 in jeweils verschiedener Weise. Sofern nun Jakobson den phonetischen und den grammatischen Einheiten einer Sprache einen gleichermaßen obligatorischen Status zuerkennt, hat dies auch Auswirkungen auf den semantischen Charakter der grammatischen Formen. Denn in Analogie dazu, daß den einzelnen Phonemen einer Sprache kein positiver Bedeutungswert, sondern nur eine distinktive, bedeutungsunterscheidende Funktion zukommt, daß also »dem Unterschied zweier Phoneme […] einzig und allein die Tatsache eines Bedeutungsunterschiedes«127 entspricht, ist auch der Bedeutungswert, der den grammatischen Kategorien in dieser Sprache jeweils zukommt, auf eine charakteristische Weise oppositiv organisiert. Der Bedeutungswert einer lexikalisch codierten Einheit steht in einem semantischen Bezugsfeld (general meaning) mit vielen anderen, äquivalenten lexikalischen Einheiten desselben oder eines anderen Code und kann dabei in Redekontexten gelten, die nicht im voraus genau bestimmbar sind. Dagegen funktioniert die Auswahl und Verwendung einer grammatischen Kategorie nur innerhalb eines Code und kontextunabhängig auf der Grundlage von binären (+/–) Oppositionen bzw. von Alternativentscheidungen (two-choice situations),128 so etwa bei der Verwendung des bestimmten oder des unbestimmten Artikels im Deutschen, eines augmentierten oder eines nicht-augmentierten Tempus im Altgriechischen, des progressive oder des non-progressive im Englischen usw. Auf der Ebene des grammatischen Rasters bleibt von vornherein sowohl die Auswahl und Anwendung einer bestimmten grammatischen Form durch einen Sprachteilnehmer als auch die dabei vermittelte Information beschränkt: »Die Wahl einer grammatischen Form durch den Sprecher bietet dem Hörer eine bestimmte Anzahl an binären Informationseinheiten [bits of information].«129 An dem prinzipiellen, äußerst formal gehaltenen Moment der binären Alternativentscheidungen (two-choice situations) zeigt sich, »daß jeder Unterschied in den gramZivilisation erfordert nur eine Anpassung des Vokabulars und der Phraseologie, während die Grammatik davon unberührt bleibt.« (Dt. Übs. von mir.) 126 »Zur Struktur des Phonems«; SW I, 285. 127 »Zur Struktur des Phomens«; SW I, 292. 128 »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 264. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 487. 129 »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 490f. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 70. (Korr. Übs. von mir). – Dabei kann das universal verbindliche, binäre Strukturprinzip des grammatischen Rasters (pattern) und seiner Bedeutsamkeit innerhalb der verschiedensten Sprachen auf die verschiedenste Weise und in verschiedenstem Ausmaß ausgeprägt sein. Auf welch einer Fülle von
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matischen Kategorien eine semantische Information mit sich bringt«.130 Insoweit sich die Selektion und Verwendung von grammatischen Kategorien nicht nach dem Äquivalenzprinzip richtet, sondern auf einem disjunktiven Binarismus beruht, »hängt [die Sprache] in ihrer kognitiven Funktion in sehr geringem Maße vom grammatischen Raster ab«.131 Ersichtlich wird dieses spannungsvolle Verhältnis zwischen dem grammatischem Raster und dem kognitiven Gehalt einer Aussage besonders anhand von intersprachlichen Übersetzungen. Wenn nämlich eine bestimmte grammatische Kategorie zwar in der Originalsprache, aber nicht in der Übersetzungssprache ausgebildet ist, kann der dadurch sichtbar werdende semantische ›Mangel‹ in der Übersetzungssprache ohne weiteres durch lexikalische Mittel kompensiert und somit der kognitive Gehalt der gesamten Aussage des Originals gleichwertig in die Übersetzungssprache transferiert werden: »Auch wenn bestimmte grammatische Muster [devices] in der Übersetzungssprache fehlen, ist eine wörtliche Übersetzung der gesamten begrifflichen Information, die in der Originalsprache enthalten ist, möglich. […] Wenn in einer gegebenen Sprache eine grammatische Kategorie nicht vorhanden ist, dann kann deren Bedeutung mit lexikalischen Mitteln in diese Sprache übersetzt werden. Dualformen wie das altrussische brata werden mit Hilfe von Zahlwörtern übersetzt: ›zwei Brüder‹. Schwieriger ist es, dem Original treu zu bleiben, wenn wir in eine Sprache übersetzen, die eine bestimmte grammatische Kategorie besitzt, die in der Originalsprache nicht vorhanden ist. Wenn wir den deutschen Satz ›Sie hat Brüder‹ in eine Sprache übersetzen, die zwischen Dual und Plural unterscheidet, dann sind wir gezwungen, entweder unsere eigene Wahl zwischen den zwei Aussagen ›Sie hat zwei Brüder‹ / ›Sie hat mehr als zwei‹ zu treffen oder die Entscheidung dem Hörer zu überlassen und zu sagen: ›Sie hat zwei oder mehr als zwei Brüder‹.«132 konkreten binären (+/–) Entscheidungen etwa die Wahl einer Verbform im Englischen beruhen kann, veranschaulicht Jakobson anhand des Satzes »The man killed the bull«. Vgl. dazu op. cit.; SW II, 491. Dt. Übs.; Form und Sinn, 70. 130 »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 493. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 72. Hervorh. von mir. (Übs. leicht modifiziert.) – Zu Jakobsons Begriff der Information vgl. »Linguistics and Poetics«, SW III, 22; dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 89: »Analysieren wie die Sprache unter dem Gesichtspunkt der Information, die sie mit sich bringt, dann können wir den Begriff der Information nicht auf den kognitiven Aspekt der Sprache beschränken. Setzt jemand expressive Eigenschaften ein, um auf seinen Zorn oder auf seine ironische Einstellung aufmerksam zu machen, dann übermittelt er unverkenbar eine Information [...].« (Korr. Übs. von mir.) Der Begriff der Information im Sinne Jakobsons ist also gegenüber einem spezifischeren Begriff von Bedeutung (meaning) als ›kognitiver Gehalt‹ weiter gefaßt. 131 »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 265. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 489. (Dt. Übs. von mir leicht modifiziert.) 132 Op.cit.; SW II, 265f. Dt. Übs. Semiotik, 486. (Korr. Übs. von mir.)
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Die Kehrseite der Möglichkeit, die in einer Sprache nicht vorhandenen grammatischen Kategorien (z. B. Dualformen) durch den lexikalischen Code (z. B. durch Zahlwörter) zu kompensieren und damit den semantischen Informationsgehalt dieser gramatischen Kategorien übersetzerisch wiederzugeben, stellt die Unmöglichkeit dar, das grammatische Raster einer gegebenen Sprache äquivalent in eine andere Sprache mit anderen grammatischen Rastern zu übersetzen: »Wenn ein Russe sagt: Ja napisal prijatelju ›I wrote a friend‹, dann wird [im Russischen] der Unterschied zwischen der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit des Objektes (‹dem [Freund]‹ vs. ›einem [Freund]‹) nicht ausgedrückt, während die Vollendung des Briefes durch den Verbalaspekt und das Geschlecht des Freundes durch das maskuline Genus ausgedrückt werden. Da diese Konzepte im Russischen grammatischer Natur sind, können diese bei einer Mitteilung nicht weggelassen werden. Dagegen können im Falle des englischen »I wrote a friend« Fragen, ob der Brief beendet wurde bzw. ob er an einen Freund [boy-friend] oder an eine Freundin [girlfriend] gerichtet war, mit einem kurzen ›Das geht Sie nichts an‹ quittiert werden.«133 Sofern der Hörer qua Sprachbeherrschung den kognitiven Gehalt der – grammatisch korrekten – Aussage »I wrote a friend« erfaßt, besteht für den Sprecher keinerlei Notwendigkeit, die Bedeutung der von ihm verwendeten grammatischen Kategorien zu explizieren, da dies ihm nicht möglich ist, ohne auf die Ebene des lexikalischen Code ›auszuweichen‹ und ohne dabei expliziter als vielleicht gewollt zu werden: »I wrote a girl-friend«, »I wrote a friend and just finished the letter«, »… and finished it two days ago«, »… but I haven’t finished the letter yet« usw. Mit dem grammatisch korrekten Satz »I wrote a friend« hat der Sprecher alles gesagt, was es für ihn zu sagen gibt: Im Falle ausreichender Sprachbeherrschung hat der Hörer die semantische Unbestimmtheit bzw. Unspezifik anzuerkennen, die in den grammatischen Kategorien jenes englischen Satzes (etwa im Vergleich zum deutschen »Ich schrieb einer Freundin«) liegt.134 133
»Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 492. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 71. (Korr. Übs. von mir.) – Unsere Übersetzung ins Deutsche muß ihrerseits die Unmöglichkeit anerkennen, daß sie den Verbalaspekt von engl. »I wrote«, der (etwa im Gegensatz zu »I have been writing«) hinsichtlich der Vollendung einer Tätigkeit unspezifisch ist, durch den Gebrauch des Imperfekt im Deutschen (»ich schrieb«) nicht äquivalent wiedergeben kann: Die binäre Informationseinheit (bit of information), die der grammatische Unterschied zwischen Imperfekt »ich schrieb« und Perfekt »ich habe geschrieben« im Deutschen mit sich bringt, besitzt eher einen stilistischen Wert (schriftsprachlich vs. umgangssprachlich). 134 Falls jedoch der Hörer, des Englischen nicht so sehr mächtig, den kognitiven Gehalt der Aussage nicht erfaßt, kann sehr wohl auf die Frage »What does ›friend‹ or ›wrote‹ mean?« eine metasprachliche Explikation durch äquivalente Code-Einheiten geleistet werden (z. B. »A friend is a close aquaintance, a familiar person«; »To write means to pen«) –
Grammatische Bedeutungen
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Bei einem (übersetzerischen) Vergleich von grammatisch unterschiedlich strukturierten Sprachen kommt also ein merkwürdiger Doppelaspekt an den grammatischen Kategorien zum Vorschein: einerseits ihre relativ strikte Gebundenheit an eine Sprache und damit ihre dort immanent festgelegten Bedeutungen; andererseits die eingeschränkte Möglichkeit ihrer äquivalenten Übersetzung und damit ihr eingeschränkter Bedeutungswert. Dies heißt aber für Jakobson, daß die Bedeutungen der grammatischen Kategorien nur relational, nur in ihrem jeweiligen innersprachlichen Strukturzusammenhang, beschreibar und analysierbar sind: Im Gegensatz zum lexikalischen Code einer Sprache läßt sich die Bedeutung der grammatischen Kategorien nicht als eine »vom gegebenen System (bzw. Systemtypus) […] unabhängige«135 übersetzen – und d. h. metasprachlich explizieren; der Bedeutungswert einer grammatischen Kategorie ist eher formaler denn realer Natur.136 Analog zum streng relational strukturierten Bau des phonetischen Bestandes einer Sprache werden somit die grammatischen Bedeutungen einer Sprache nur faßbar als die »innersprachlichen und damit zwischensprachlichen semantischen Invarianten in den Beziehungen zwischen grammatischen Kategorien«.137 Eine Analyse solcher innersprachlichen semantischen Invarianten unternimmt Jakobson modellhaft am russischen Kasussystem; dabei richtet er sich gegen die atomistischen Versuche in der Linguistik, das »Problem der Gesamtbedeutungen« auf eine »Liste der Einzelbedeutungen« zu reduzieren bzw. dieses Problem »durch die Feststellung der Hauptbedeutung jedes Kasus (beim Nominativ ›herrscht der Wert des Subjekts vor‹, beim Akkusativ hingegen ›überwiegt der Wert des Objekts und ist oft der einzig berücksichtigte‹)«138 zu lösen: »Die Gesamtbedeutung jedes Kasus ist aber ›durch das ganze Kasussystem der gegebenen Sprache bedingt‹ und kann nur durch die Untersuchung der Struktur dieses Systems festgesetzt werden, und Thesen
ohne daß dabei näher auf die Geschlechtspezifik von »friend« bzw. auf den Verbalaspekt von »wrote« eingegangen werden müßte. 135 »Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus« [1936]; SW II, 23–71; hier 26. 136 Hierzu »Implications of Language Universals for Linguistics«; SW II, 587. Dt. Übs. »Implikationen der sprachlichen Universalien für die Linguistik«; Semiotik, 503: »Eine conditio sine qua non für eine solche Untersuchung ist die beständige Unterscheidung zwischen grammatischen und lexikalischen Bedeutungen (oder [...] zwischen formalen und realen Bedeutungen [...]), die [...] bestimmte Sprachforscher immer noch befremdet. Einige von ihnen sind offenbar sogar ratlos angesichts der grundsätzlichen Fragen: Was bedeutet denn in einem sprachlichen Code z. B. der Plural, die Vergangenheitsform oder das neutrale Genus? Und haben sie überhaupt irgendeine Bedeutung?« (Korr. Übs. von mir.) 137 Op. cit.; SW II, 587. Dt. Übs. Semiotik, 503 (Übs. leicht modifiziert). 138 »Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre«; SW II, 30. Hervorh. im Original gesperrt.
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von allgemeiner Tragweite nur durch vergleichende Analyse und Typologie einzelner Sprachstrukturen.«139 Wenn also für Jakobson eine grammatische Kategorie (in Analogie zu den phonetischen distinctive features einer Sprache) nur als ein integraler Bestandteil eines Systems von binären Oppositionen analytisch behandelt werden kann, so ist dabei die Bedeutung dieser grammatischen Kategorie (im Unterschied zu den Phonemen) positiv bestimmbar. Wie die Bedeutungen (general meanings) des lexikalischen Code lassen sich die Bedeutungen der grammatischen Formen als invariante frame-rules bestimmen: »Wir analysieren einen grammatischen Kasus im Hinblick auf seine semantischen Charakteristika, die er in sich vereinigt, und behandeln diese Charakteristika genauso wie die distinktiven Eigenschaften [features] in der Phonemik: Beide Male bestimmen wir diese Eigenschaften als Glieder von INVARIANTEN Oppositionen und dementsprechend als VARIANTEN, die von verschiedenen Kontexten oder von verschiedenen Subcodes (Sprachstilen) abhängen. Auch wenn es manchmal vorkommt, daß der Gebrauch eines gegebenen Kasus in bestimmten Kontexten zwingend erforderlich ist und daß sich in diesem Fall seine Bedeutung als redundant erweist, erlaubt es dieser Umstand nicht, daß wir eine noch so vorhersagbare Bedeutung mit Bedeutungslosigkeit gleichsetzen. Es wäre ein glattes Mißverständnis, würde man meinen, daß diese gelegentlichen Redundanzen die Erforschung der allgemeinen Bedeutungen der grammatischen Kasus irgendwie beeinträchtigen könnten. Es ist richtig, daß die russische Präposition k ›zu‹ einen nachfolgenden Dativ impliziert; doch der russische Dativ impliziert keine vorangehende Präposition k und bewahrt somit seine eigenständige allgemeine Bedeutung ›gerichtet nach‹, genauso wie das russische Nomen chleb ›Brot‹ nicht seine Bedeutung verliert, wenn ihm das Adjektiv peklevanij ›Vollkorn‹ vorangeht, obwohl chleb das einzige Nomen ist, das man nach diesem Attribut erwarten kann. Bei einer Folge von zwei Engelauten im Englischen muß, wenn der erste stimmlos ist, auch der zweite stimmlos sein: /kukt/ cooked. In diesem Falle ist jedoch die Analogie zwischen grammatischen und phonemischen Folgen irreführend. Redundanz nimmt der phonemischen Eigenschaft in der Tat ihren distinktiven Wert, doch kann sie bedeutungsvollen Einheiten nicht deren eigentümlichen Sinn benehmen.«140
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Op. cit.; SW II, 26. Hervorh. von mir. »Implications of Language Universals for Linguistics«; SW II, 587 f. Dt. Übs. »Implikationen der sprachlichen Universalien für die Linguistik«; Semiotik, 503f. (Korr. Übs. von mir.) – Daß das Moment der Redundanz sich nicht gegenläufig, sondern sich geradezu als konstituitv für den Jakobsonschen Bedeutungsbegriff erweist, zeigt sich auch ex negativo im Falle der aphasischen Similaritätsstörung (vgl. oben, Anm. 87); dort vermeidet der Aphasiker die verbale Explikation einer lexikalischen Äquivalenz wegen ihres 140
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Besonders deutlich zum Vorschein kommt der eigenständige Charakter der grammatischen Bedeutungen an einem spezifischen Grenzfall: bei syntagmatischen Kombinationen, die zwar grammatisch korrekt gebaut sind, die sich aber auf den ersten Blick als ›sinnlos‹ klassifizieren lassen; gedacht ist bei Jakobson an ›sinnlose‹ Sätze vom Typus des »Colorless green ideas sleep furiously« aus Dell Hymes’ gleichnamigen Gedicht.141 Diesem von Jakobson gewählten ›sinnlosen‹ Beispielsatz läßt sich nun durchaus ein Heideggerscher Satz wie »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« vergleichen, soweit es sich um dessen vielgescholtene ›Sinnlosigkeit‹ handelt.142 »Wenn wir also diesen angeblich sinnlosen Satz […] analysieren«,143 dann zeigt sich zunächst, daß die einzelnen lexikalischen Bestandteile dieses Heideggerschen Satzes im Wortschatz der deutschen Sprache herkömmlich codiert und als solche bei ausreichender Sprachkenntnis ohne weiteres verständlich sind. Darüber hinaus lassen sich in diesem grammatisch korrekten Satz ungefähr folgende syntagmatische Korrelationen ausmachen: Vom Aussagegenstand (Subjekt) im Singular »Sprache« wird die (in der Gegenwartsform sich vollziehende) Tätigkeit des »Sprechens« ausgesagt, welche ihrerseits prädikativ näher charakterisiert wird »als das Geläut der Stille«; des weiteren wird in der prädikativ gebrauchten Attributverbindung »das Geläut der Stille« die »Stille« durch das Deverbativum »Geläut« in ihrer ›läutenden‹
redundanten, um nicht zu sagen: wegen ihres tautologischen Charakters. So scheint für Jakobson das relationale Prinzip der Äquivalenz – gleich auf welcher Sprachebene und in welcher fuktionalen Hinsicht auf eine Sprachäußerung auch immer – stets an das Moment einer redundanten Wiederholung gekoppelt zu sein. Inwiefern dieses Moment der redundanten und gleichwohl bedeutsamen Wiederholung für poetische Sprachgebilde charakteristisch wird, dazu unten, 228ff. 141 Für das Folgende vgl. »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 494f. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 74f. – Jakobson übernimmt hier Dell Hymes’ Verszeile aus Noam Chomskys »Syntactic Structures« (1957) als ein argumentum a contrario für dessen Versuch, »eine vollständig nicht-semantische Theorie von der grammatischen Struktur« zu entwickeln. 142 Mit Heideggers Verstößen gegen die logische Syntax hat sich schon frühzeitig R. Carnap auseinandergesetzt: »Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache«, in: Erkenntnis 2 (1931), 219–241. Carnap sieht in solchen »metaphysischen [!] Scheinsätzen« wie dem Heideggerschen »Das Nichts selbst nichtet« (WiM, 31) eine gänzlich sinnlose – weder als wahr noch als falsch klassifizierbare – Aussage, die nicht aus einer regelwidrigen grammatischen Syntax, sondern aus Wörtern resultiert, die, wie etwa »das Nichts«, als »Gegenstandsname« in Verbindung mit einer Tätigkeit verwendet werden (ebd., 230). – Einen konzisen Überblick über Carnaps Auseinandersetzung mit Heidegger bietet Ingeborg Bachmann, Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers (Dissertation Wien 1949), hrsg. von R. Pichl, München/Zürich 1985, 16–24. 143 »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 494. Dt. Übs. Form und Sinn, 74 (Übs. leicht modifiziert).
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Tätigkeit charakterisiert. »Diese grammatischen Beziehungen bilden einen sinnvollen Satz, der einem Wahrheitstest unterworfen werden kann«144 – etwa anhand der Frage: Existieren solche Dinge wie das Geläut der Stille und eine sprechende Sprache oder nicht?. Für Jakobson berührt jedoch die konkrete Entscheidung über den (nicht-) fiktionalen Status der ausgesagten ›Gegenstände‹ in keinem Fall die Bedeutsamkeit eines solchen Satzes wie »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille«. Die Möglichkeit eines Einwandes gegen den Wahrheitswert dieses Satzes – etwa der Art, daß ›niemand die Sprache je als das Geläut der Stille sprechen gesehen oder gehört‹ habe – hat allenfalls eine Auswirkung auf die intersubjektive Anerkennung dieses Satzes durch die decodierende Instanz der Hörer bzw. der Leser. So kann ein des Deutschen mächtiger Hörer den kognitiven Gehalt eines solchen Satzes mit einem Prädikat der Zustimmung (›sinnhaft‹) oder der Ablehnung (›sinnlos‹) belegen, ohne daß dadurch diesem Satz die grammatisch korrekte Diktion und also den einzelnen Satzbestandteilen die Erfüllung einer bestimmten syntaktischen Funktion abgesprochen werden könnte: »Wir ergreifen gleicherweise die grammatische Bedeutung bzw. die syntaktische Funktion der Worte mit sinnlosen Wurzeln im erdachten Carnapschen Beispielsatz (weil die grammatischen Endungen dieser Worte uns bekannt sind) »Piroten karulieren elatisch«. Es bleibt uns zwar unbekannt, wer diese rätselhaften Piroten sind, doch wissen wir, daß es jemand ist, daß es sich um mehrere handelt, daß diese Vielheit unbestimmt ist, daß sie tätig ist, und daß eine gewisse, wenn auch unbekannte Art und Weise ihrer rätselhaften Tätigkeit angegeben ist.«145 – »[Die] Nicht-Existenz, der fiktive Charakter solcher Entitäten beeinträchtigt keineswegs die Frage nach ihrer semantischen Bedeutsamkeit. Die Möglichkeit, ihr Sein in Frage zustellen, ist die beste Warnung vor einer Vermengung der ontologischen Irrealität mit Sinnlosigkeit. Es gibt auch keinen Grund, solchen hier besprochenen Konstruktionen ›einen geringeren Grad an Grammatikalität‹ zu attestieren. […] Zum Zweck einer graduellen Abstufung der Grammatikalität können wir auch keine ontologischen Argumente beibringen, um damit angebliche ›Nicht-Sätze mit einer Inversion‹ wie etwa ›Golf spielt Hans‹ ausschließen zu können. Siehe etwa solch verständliche Äußerungen wie ›Hans spielt nicht Golf; Golf spielt Hans‹.«146 Diese Art von ›Sinnlosigkeit‹ herrscht nun auch in solchen Heidegger-
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Op. cit. ; SW II, 494. Dt. Übs. Form und Sinn, 74. Hervorh. von mir. »Zur Struktur des Phonems«, SW I, 287. (Interpunktion und Orthographie wurden aus dem bereinigten Wiederabdruck des Aufsatzes in: Semiotik, 139–181; hier 149 übernommen.) 146 »Boas’ View of Grammatical Meaning«; SW II, 495. Dt. Übs. »Der Begriff der grammatischen Bedeutung bei Boas«; Form und Sinn, 75. (Korr. Übs. von mir.) 145
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schen Inversionen wie etwa »Die Sprache spricht« oder »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« vor.147 Näherhin resultiert der ›unverständliche‹ kognitive Gehalt der gesamten Sequenz aus dem ›eigenwilligen‹ und gleichwohl korrekten syntagmatischen Bezug von Lexemen, welcher seinerseits einen, wenngleich ›befremdenden‹, semantischen Effekt erzielt.148 Insofern die grammatisch korrekte – und insofern invariante – Korrelation der Lexeme deren kontextuelle, variante Bedeutungen bestimmt, können bei solchen Sätzen die lexikalischen Bedeutungen des verwendeten Vokabulars einem native speaker als arbiträr – als ›typisch‹ Heideggersche Hypostasierungen der verschiedensten »Wörter« zu eigentlichen »Worten« – erscheinen: Der für einen native speaker jeweils ›natürliche‹ Bezug zwischen einem signans und seinem lexikalisch codierten signatum zeigt sich dabei zwar nicht vollständig aufgelöst, doch aber gelockert. Auch wenn also eine solche syntagmatische Verbindung die herkömmlich codierten lexikalischen Bedeutungen des verwendeten Vokabulars nicht ›bestätigt‹, so enthebt sie dieses Vokabular doch nicht seiner prinzipiellen Bedeutsamkeit; mehr noch: diese Bedeutsamkeit verdankt sich erst dem grammatisch korrekten Aufbau solcher Sequenzen. – Wie eine metasprachliche Explikation des kognitiv-lexikalischen Gehalts angesichts solcher ›sinnloser‹ Sätze aussehen könnte, führt Jakobson dann an »Colorless green ideas sleep furiously« vor: »›Farblos grün‹ ist ein synonymer Ausdruck für ›blaßgrün‹ mit der leichten Zuspitzung eines offenkundigen Oxymorons [!]. Das metaphorische [!] Epitheton in ›grüne Ideen‹ erinnert an Andrew Marvells berühmten Vers ›green thought in a green shade‹ und an die idiomatische [!] Wendung im Russischen ›grüne Langeweile‹ (zelenaja skuka) oder an Tol stojs ›Entsetzen, rot, weiß und viereckig‹ (Vse tot ze uzas krasnyj, belyj, kvadratnyj). In seinem figurativen [!] Sinn bedeutet das Verb ›schlafen‹ ›in einem schlafähnlichen Zustand sein, in einem Zustand von Trägheit, Lethargie, Benommenheit‹, z. B. ›his hatred never slept‹. Warum sollten also jemandes Gedanken nicht einschlafen? Und schließlich, warum sollte das
147
Für solche Inversionen siehe etwa UzSp, 33: »Der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht. / Die Sprache spricht.« – UzSp, 200: »Das Wesen der Sprache: / Die Sprache des Wesens.« – DE, 88: »Die Mundart ist nicht nur die Sprache der Mutter, sondern zugleich und zuvor die Mutter der Sprache.« 148 Daß in solchen ›sinnlosen‹ Sätzen sehr wohl ein lexikalisch-semantischer Effekt erzielt wird, zeigt sich etwa daran, daß die Heideggersche Inversion von »Der Mensch spricht« zu »Die Sprache spricht« als eine ›un-menschliche‹ klassifiziert werden kann. Demnach ›spricht nicht (mehr) der Mensch eine Sprache, sondern die Sprache (den Menschen)‹. Stets jedoch behandelt eine solche Klassifikation den Satz »Die Sprache spricht« notwendigerweise als das Resultat einer lexikalischen Übertragung: als eine ›ungewöhnliche‹ Fortschreibung des ›natürlichen‹ Satzmusters »Der Mensch spricht«. – Weiteres dazu im Anschluß.
226
Roman Jakobson
Attribut ›wütend‹ nicht eine Schlafwut eindringlich [!] zum Ausdruck bringen?«149 Eine Möglichkeit, diesen ›sinnlosen‹ Sätzen vom Typus des »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« zu begegnen, besteht also darin, sie in ihrem kognitiv-lexikalischen Gehalt zu explizieren. So kann denn auch eine philosophische Heidegger-Exegese, die sich vor allem um eine sachaufschließende Interpretation bemüht, jenen Satz im Kontext der Heideggerschen ›Philosophie‹ – durch Heranziehung von Parallelstellen – als Heideggers Übertragung, d. h. als eine figurative Übersetzung und Fortschreibung des griechischen Lexems »λóγος« ins Heideggersche Idiom, verständlich werden lassen: als eine sprachliche Bewegung des Versammelns, des In-Eins-Bringens ohne Verlautbarung.150 Angesichts von derartigen ›sinnlosen‹ Sätzen bleibt eine metasprachliche Reaktion, welche sich auf die Explikation des kognitiven Gehalts konzentriert, jedoch keineswegs die letzte Antwort Jakobsons. Zwar zeigt eine solche metasprachliche Explizierbarkeit die grundsätzliche Möglichkeit auf, die ›Sinnlosigkeit‹ von Sätzen als eine Fortschreibung natürlicher Sätze zu behandeln und jene ›sinnlosen‹ Sätze bzw. darin enthaltene idiomatische Wendungen in einer Art Rückübertragung auf den herrschenden, ›eigentlichen‹ Sprachgebrauch zurückzuführen und darnach zu beurteilen (»Die Sprache spricht« nach »Der Mensch spricht«; »das Geläut der Stille« nach »leises Glockengeläut als Aufruf zur Versammlung« usw.). Zu fragen bleibt aber mit Jakobson, ob diese Art der Explikation hier die einzige Reaktionsmöglichkeit 149
Op. cit.; SW II, 494f. Dt. Übs. Form und Sinn, 74f. (Korr. Übs. von mir.) – Das Phänomen der Sinnlosigkeit basiert für Jakobson somit auf einem disjunktiven Binarismus, da von Sinnlosigkeit eigentlich erst im Falle von agrammatischen Konstruktionen gesprochen werden kann: »Wirkliche Agrammatizität benimmt einer Äußerung ihre semantische Information. Umso zerstörter sich die syntaktischen Formen und die durch sie mitgeteilten relationalen Begriffe erweisen, umso weniger ist der Wahrheitstest bei einer Mitteilung durchführbar, und nur die Phrasenintonation hält solche mots en liberté wie ›silent not night by silently unday‹ (e. e. cummings) oder ›Furiously sleep ideas green colorless‹ (N. Chomsky) zusammen. Auf eine Äußerung wie ›Es geht wohl dem Ende zu‹ kann im Falle ihrer agrammatischen Fassung ›Ende geht dem wohl zu es‹ kaum eine Frage wie ›Ist das wahr?‹ oder ›Glauben Sie wirklich?‹ folgen. Vollständig entgrammatikalisierte Äußerungen sind in der Tat Unsinn.« (Ebd.) 150 Die Qualität der Heideggerschen Übersetzung von λóγος als »Versammlung« ist also überhaupt nur dann in ihrer Sachhaltigkeit diskutierbar, wenn man den Ausgang von den ›herkömmlichen‹, d. h. von den im Griechischen und Deutschen lexikalisch codierten Bedeutungen von »λóγος« und von »Versammlung« nimmt und wenn man dann die Heideggersche Übersetzung als das Resultat einer Verschiebung behandelt, welche sich zwischen »λóγος« und »Versammlung« abspielt: Nicht mehr führt dann der »λóγος« auf »Begriff, Satzurteil«, sondern dessen lexikalische Bedeutung verschiebt sich über die Zwischenstationen »λéγειν«, »legere«, »legen«, »lesen« und »Lese« in Richtung der »Versammlung«.
Grammatische Bedeutungen
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darstellt. Daß der kognitive Gehalt solcher ›sinnlosen‹ Sätze nicht mehr ohne weiteres ablösbar ist von seiner sprachlichen Formulierung – und dies scheint sowohl bei Dell Hymes als auch bei den ›typisch‹ Heideggerschen Sätzen der Fall zu sein –, hängt nämlich für Jakobson mit der dominanten Rolle zusammen, die hier das grammatische Raster gewinnt: mit dessen nicht mehr gleichwertig ersetzbarem ›So-und-nicht-anders-Sein‹. Ein solcher Sprachgebrauch bewirkte dann nicht mehr nur einen ›ungewöhnlichen Ausdruck‹ für einen bestimmten, anderweitig reformulierbaren Inhalt. Sondern er zielt auch und vor allem auf eine Einschränkung – nicht jedoch auf eine Auflösung von ›Inhalt‹: auf eine Einschränkung, die von den Erfordernissen, von Heideggers Suche nach einem anderen als ausdruckshaften Sprachmodus, erzwungen wird.151 Wie sich aber eine metasprachliche Reaktion auf dieses eingeschränkte Sound-nicht-anders-Sein einzustellen hat, um einen solchen Sprachgebrauch überhaupt als einen solchen (an)erkennen zu können – diese Frage berührt ein zentrales Problem der Jakobsonschen Poetik.
151
Insofern trifft auch Carnaps Befund der Sinnlosigkeit Wesentliches – nicht an einer metaphysischen, sondern an der Heideggerschen Sprachgebung, die »die bedeutungslosen Wörter [...] dadurch entstehen [läßt], daß einem bedeutungsvollen Wort durch die metaphorische Verwendung [...] die Bedeutung genommen wird«, daß also diesem »Wort seine frühere Bedeutung genommen [wird], ohne ihm eine neue zu geben«. (Carnap, »Überwindung der Metaphysik«, 230; 225. Hervorh. von mir.) Gleichzeitig verkennt Carnap aber diametral Heideggers Ziel bei einer solchermaßen produzierten Art von Sinnlosigkeit – seine Art der »Überwindung der Metaphysik« (siehe VA, 71ff.), die in ihrer Radikalität dem Carnapschen Projekt in nichts nachsteht. Wenn nämlich Heideggers ›metaphorisches‹ Verfahren den bedeutungsvollen »Wörtern« ihre – nicht nur eigentliche lexikalische – Bedeutung benimmt, sondern wenn es ihnen überhaupt eine solche lexikalische Bedeutung zu benehmen und sie damit zu »wesentlichen Worten« zu machen versucht, dann zielt dies Verfahren eben nicht, wie Carnap meint, auf eine uneingestandene Metaphorisierung, die sich zum ›eigentlichen‹ Ausdruck für eine Theorie gegen die »Metaphysik« hochstilisiert und die dabei doch nur wieder bedeutungslose »Scheinsätze« produziert, sondern auf die Produktion einer anderen Art von sprachlicher Bedeutsamkeit.
3. TAUTOLOGIE
UND
P OETIZITÄT
Metatheoretisch gesehen erfolgt wie bei Heidegger so auch bei Jakobson zunächst eine funktionale Zuweisung der tautologischen Satzform zu einem Modus der Sprachverwendung, der sein Telos in einem referentiell-kognitiven Gehalt findet. Innerhalb dieses Modus stellt die tautologische Satzform für beide Autoren jeweils eine grenzwerthafte Reinform dar, die die Gleichwertigkeit von lexikalischen Sprachzeichen konzeptuell verbürgt, die also im Horizont des lexikalisch bedeutsamen Sprechens unhintergehbar bleibt. Umgekehrt wird wie von Jakobson so auch von Heidegger, der die tautologische Satzform ihrem ›herkömmlichen‹ kognitiven Sinn nach als den – lexikalisch angezeigten – Grenzfall des Gleichheitskonzeptes (Identität als Gleichheit mit sich selbst) deutet, keineswegs die Geltung des Bereichs der lexikalischen Bedeutsamkeit an sich bestritten, sondern nur dessen absolute Gültigkeit. Mit dieser funktionalen Eingrenzung der tautologischen Satzform, d. h. mit der Bestimmung ihres Stellenwertes und ihrer Leistung im Horizont des lexikalischen Bedeutungsvermögens der Sprache(n), erschöpft sich aber nicht die konstitutive Funktion von tautologischen Formen für das jeweilige ›Sprachdenken‹ Heideggers und Jakobsons. Vielmehr wird mit jener Eingrenzung modellhaft der Blick auf einen anderen Sprachmodus freigegeben, der sich in (diesen Modus andeutenden) Formulierungen wie »Sprache als Sprache« (Heidegger) und »Wort als Wort« (Jakobson) niederschlägt und für den ein anderer Modus von ›Tautologizität‹ konstitutiv zu sein scheint. Um aber diesen anderen Sprachmodus positiv zu fassen, bedarf es – metatheoretisch gesehen – für beide Autoren einer Art Transposition, die jeweils aufs engste mit dem Problem der Übersetzung zusammenhängt. Bei Heidegger war dies jenes ›wörtliche‹ Übersetzungsverfahren, das ein an lexikalischen Bedeutungen orientiertes Übersetzen transponiert in eine Vernetzung des Sprachmaterials, welche semantische Valenzen sui generis freisetzt. Bei Jakobson eröffnet sich die Möglichkeit einer solchen Transposition mit der Opposition von grammatischen und lexikalischen Bedeutungen. Diese Opposition wird für Jakobson gerade an intersprachlichen Übersetzungen ersichtlich, insofern das grammatische Raster einer gegebenen Sprache nur bedingt übersetzbar ist: Im Gegensatz zu lexikalischen Bedeutungen, die primär den kognitiven Aspekt einer Sprache ausmachen und die insofern über ihre lautlich verwirklichte Form in der einen Sprache hinweg in eine andere Sprache transponiert werden können, bleibt das grammatische Raster einer bestimmten Sprache an seine lautlich verwirklichte Form gebunden. Indem das ›Sound-nicht-anders-Sein‹ einer sprachlichen Äußerung auf diesem Raster beruht, welches nicht direkt, d. h. in dieser Form, durch eine lexikalische
Tautologie und Poetizität
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Übersetzung erhalten werden kann, zeigt sich für Jakobson am grammatischen Raster einer Sprache die konstitutive Funktion, die dieses Raster dort für die Bedeutsamkeit überhaupt erfüllt. Im Hinblick auf die eingangs zitierte Bemerkung Peter Szondis, daß ein Gedicht mit der ausschließlichen Realisation der poetischen Funktion tautologisch, nichtssagend werden müßte,152 wollen wir nun abschließend verfolgen, welcher Modus von ›Tautologizität‹ gewissermaßen den Fluchtpunkt von Jakobsons Poetik bildet – und d. h. nicht nur, inwiefern dieser Modus nach Jakobsons Theorie in einem poetischen Sprachgebrauch zum Tragen kommt, sondern auch, inwiefern jener Modus von ›Tautologizität‹ dann für seinen eigenen metasprachlichen Umgang mit diesem Sprachgebrauch bestimmend wird. Wie im letzten Abschnitt besprochen, lassen sich grammatische Bedeutungen sowohl innersprachlich wie auch zwischensprachlich nicht in derselben Weise übersetzen wie lexikalische Bedeutungen, da sich der »rein relationale, unstoffliche Plan« des grammatischen Rasters einer Sprache zum »stofflichen Accessoir« ihres lexikalischen Bestandes prinzipiell oppositiv verhält.153 In besonderer Weise zum Tragen kommt für Jakobson diese Opposition im Falle einer solchen Sprachverwendung, mit der die grammatischen Konzepte einer Sprache hochgradig ›aktiviert‹ werden und einen gesteigerten Stellenwert bekommen: »Vor allem in der Dichtung sind die grammatischen Kategorien semantisch von großem Belang.«154 Dementsprechend ist Jakobsons Auffassung von der Unübersetzbarkeit der Dichtung – »Dichtung ist, ob ihre Vorherrschaft nun absolut oder eingeschränkt ist, per definitionem unübersetzbar«155 – nicht als ein rigides Postulat zu verstehen, das das Faktum von Übersetzungen dichterischer Werke aus der Welt wissen will. Die Un152
Vgl. oben, 173f. Vgl. dazu »Поэзия грамматики и грамматика поэзии«; SW III, 64. Dt. Übs. »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie«; Poetik, 235: »Beim Vergleich von Beispielen wie die Mutter beleidigt die Tochter und die Katze fängt die Maus ›fühlen wir‹ [...] ›instinktiv, ohne den geringsten Versuch einer bewußten Analyse, daß die beiden Sätze genau demselben Muster entsprechen, daß ihnen in der Tat ein und derselbe Satztyp zugrundeliegt und sie sich nur in ihrer stofflichen Ausschmückung voneinander unterscheiden. Mit anderen Worten, sie drücken identische Relationsbegriffe auf jeweils identische Weise aus‹ [...]. Umgekehrt können wir jedoch den Satz oder einzelne seiner Wörter ›auf dem reinen relationalen, unstofflichen Plan‹ verändern, ohne die ›stofflichen Accessoirs‹ anzutasten. Die Veränderungen können die syntaktischen Beziehungen betreffen (die Mutter beleidigt die Tochter und die Tochter beleidigt die Mutter) oder allein die morphologischen Beziehungen (die Mutter hat die Töchter beleidigt); hier sind das Tempus [...] modifiziert sowie der Numerus beim zweiten Nomen).« (Übs. modifiziert.) 154 »On Linguistic Aspects of Translation«; SW II, 265. Dt. Übs. »Linguistische Aspekte der Übersetzung«; Semiotik, 488 (Übs. modifiziert). 155 Op. cit.; SW II, 266. Dt. Übs. Semiotik, 490. 153
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Roman Jakobson
übersetzbarkeit von Dichtung hat für Jakobson nicht in einem faktischen Sinne absolute Gültigkeit, sondern erweist sich als eine spezifische Strukturbestimmung, die dem poetischen Sprachgebrauch und den dort hochgradig aktivierten grammatischen Bedeutungen Rechnung zu tragen sucht. Zwar ist für Jakobson auch im Falle eines poetischen Sprachgebrauchs eine meta- und intersprachliche Übersetzung und Explikation der lexikalisch codierten Sprachzeichen möglich, in gewisser Weise aber irrelevant. Ein ausschließlicher (linguistischer) Fokus auf die lexikalische Codierung – und damit auf den kognitiven Bedeutungswert – der Sprachzeichen ist hierbei weder ›falsch‹ noch unmöglich, er verfehlt jedoch für Jakobson die entscheidende Dimension an dieser Sprachverwendung: »Das Wortspiel oder, um einen gelehrteren und vielleicht genaueren Terminus zu gebrauchen, die Paronomasie herrscht in der Dichtkunst vor, und Dichtung ist, ob ihre Vorherrschaft nun absolut oder eingeschränkt ist, per definitionem unübersetzbar. […] Falls wir die gängige Wendung Traduttore, traditore mit ›ein Übersetzer ist ein Verräter‹ ins Deutsche brächten, dann würden wir den italienischen Reimspruch um seinen ganzen paronomastischen Wert bringen. Eine kognitive Einstellung würde uns also dazu zwingen, diesen Aphorismus in eine Aussage umzuwandeln, die in höherem Grade entfaltet [more explicit] ist«.156 Eine Ausrichtung des Blickwinkels, die sich nicht ausschließlich auf die Wahrnehmung des ›realen‹, kognitiven Bedeutungswertes einer Äußerung einstellt, ist also für Jakobson die angemessene – mentale und sprachliche – Reaktion auf die poetische Dimension dieser Äußerung: Gerade dadurch vermag diese Reaktion dem gesteigerten Stellenwert der grammatischen Kategorien in einer Sprachäußerung Rechnung zu tragen, daß sie den kognitiven Gehalt dieser Äußerung nicht voller entwickelt (recodiert) und expliziert, sondern daß sie den auf diese Äußerung beschränkten Stellenwert der grammatischen Kategorien erst einmal anerkennt, nicht ›verrät‹. Bemerkenswert an Jakobsons obigem Beispiel ist nun vor allem sein Gebrauch des Irrealis: »Falls wir die gängige Wendung Traduttore, traditore mit ›ein Übersetzer ist ein Verräter‹ ins Deutsche brächten, dann würden wir… Eine kognitive Einstellung würde uns also… ». Jakobson übersetzt hier also – und doch auch nicht; er führt sozusagen in einem metasprachlichen Konjunktiv vor, wie eine übersetzerische Fokussierung auf den kognitiven Bedeutungswert von »Traduttore, traditore« zu einem Verrat an dessen »paronomastischem Wert« führt (und damit ironischerweise zu einer impliziten oder verfahrenstechnischen Bestätigung des kognitiven Gehalts von »Traduttore, traditore«). Insofern leistet Jakobsons metasprachliche Anerkennung des beschränkten und gesteigerten Stellenwertes der grammatischen Kategorien zugleich weniger und mehr als ein zwischensprachlicher Transfer 156
Op. cit.; SW II, 266. Dt. Übs. Semiotik, 490 (korr. Übs. von mir).
Tautologie und Poetizität
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von lexikalischen Bedeutungen: weniger, insofern sie nicht in erster Linie den lexikalisch codierten, kognitiven Bedeutungswert dieser Mitteilung entfaltet und expliziert; mehr, insofern sie ihre Aufmerksamkeit nicht nur diesem kognitiven Bedeutungswert widmet. Doch ebensowenig wie Jakobson dem paronomastischen Wert von »Traduttore, traditore« einen absoluten Stellenwert innerhalb dieses Reimspruchs einräumt – sondern ihm vielmehr den Status eines integralen, unveräußerlichen Bestandteiles der gesamten Mitteilung zuerkennt –, so wenig verabsolutiert er solch einen paronomastischen Wert als einen objektiven Bestand in bestimmten Sprachgebilden: Allein schon durch seine Anbindung an das jeweilige grammatische Raster einer Sprache kann ein poetischer Sprachgebrauch für Jakobson nicht auf ein bestimmtes Korpus von schriftlichen oder mündlichen Äußerungen beschränkt werden. Von daher kennzeichnet Jakobsons Theorem der »poetischen Funktion« keine bestimmten sprachlichen Gegenstände, d. h. keine ›poetischen‹ im Gegensatz zu ›normalsprachlichen‹ Gebilden, in ihrer Sachhaltigkeit. Es macht also weder bestimmte Inhalte noch bestimmte formale Erscheinungen (Vers, Reim) zu wesentlichen Konstituenten von dichterischen Texten.157 Jenseits einer washeitlichen (essentiellen), historisch varianten Bestimmung von Poesie erhellt Jakobsons Poetik sowohl eine irreduzible, autonome Art und Weise, in der prinzipiell alle sprachlichen Mittel angewendet werden können, als auch die Art und Weise, wie dieser autonome Modus einer Sprachverwendung in einem Sprachgebilde Gültigkeit erlangen kann: »Gewinnt in einem Wortkunstwerk die Poetizität, die poetische Funktion, richtungweisende Bedeutung, so sprechen wir von Poesie.«158 157
Vgl. den schon in seiner Titelgebung programmatischen Aufsatz: »Was ist Poesie[?]« [1935] (übs. von F. Ph. Ingold); Poetik, 67–83. 158 Op. cit.; Poetik, 79. – Schon in diesem frühen strukturalistischen Aufsatz verweist Jakobson auf den fundamentalen Unterschied zwischen einem sachhaltigen, washeitlich geprägten Dichtungs- bzw. Poesiebegriff und der funktionalen Fassung einer bestimmten sprachlichen Dimension: »Was wir betonen, ist nicht der Separatismus der Kunst, sondern die Autonomie der ästhetischen Funktion. Ich habe bereits erwähnt, daß der Inhalt des Begriffs Poesie labil und zeitgebunden ist, doch die poetische Funktion, die Poetizität, wie die ›Formalisten‹ betonen, ist ein Element sui generis, ein Element, das sich nicht mechanisch auf andere Elemente zurückführen läßt. Dieses Element kann man aufdecken und verselbständigen [...] – das aber ist ein Sonderfall [...]. Meist ist die Poetizität lediglich ein Bestandteil einer komplizierten Struktur, der die übrigen Elemente notendigerweise verändert und die Beschaffenheit des Ganzen mitbestimmt.« (Op. cit; Poetik, 78. Gesperrte Hervorh. von mir.) Die linguistische Verselbständigung der poetischen Funktion aus dem integralen Zusammenspiel der sechs sprachlichen Funktionen – was nur möglich ist aufgrund ihrer gegenseitigen Irreduzibilität, ihrer jeweiligen funktionalen Autonomie – ist also nicht gleichbedeutend einer Verabsolutierung der poetischen Rede als eines Sonderfalls innerhalb einer bestimmten Sprache (und darüber hinaus der menschlichen Sprache im allgemeinen). Vielmehr geht es bei dieser Verselbständigung um die analytische Diffe-
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Roman Jakobson
Sofern nun Jakobson die (dominante) poetische Sprachfunktion als eine irreduzible, und insofern universale, Möglichkeit der Sprachverwendung mit einem spezifischen Telos versteht, scheint dieses Telos dabei – etwa im Gegensatz zur referentiellen Funktion, die sich auf den kognitiven Gehalt der verwendeten Sprachzeichen richtet – schwer explizierbar zu sein. Bezeichnenderweise bemüht Jakobson in »Linguistics and Poetics« für die konkrete Manifestation der poetischen Funktion in einer Sprachäußerung (neben »I Like Ike«159) zwei weitere Beispiele alltäglicher Rede, in denen die Verwendung von poetischen Verfahrensweisen zwar nicht bewußt erkannt, doch aber in irgendeiner Form als ›passend für die Mitteilung‹ anerkannt wird: »›Warum sagst du immer Ruth und Hildegard und nie Hildegard und Ruth? Hast du Ruth etwa lieber als ihre Zwillingsschwester?‹ ›Überhaupt nicht. Nur, es klingt einfach besser.‹ Sofern bei einer beiordnenden Abfolge von zwei Eigennamen keine Rangprobleme hereinspielen, erscheint dem Sprecher das Vorangehen des kürzeren Namens als eine passende Anordnungsform für seine Mitteilung [message], ohne daß er dies weiter erklären könnte. Ein Mädchen sprach ständig vom ›ekligen Erik‹. ›Warum eklig?‹ ›Weil ich ihn hasse.‹ ›Aber warum dann nicht scheußlich, schrecklich, furchtbar, fies?‹ ›Ich habe keine Ahnung; eklig paßt besser zu ihm.‹ Ohne es bewußt zu bemerken, hielt sie sich an die poetische Verfahrensweise [device] der Paronomasie.«160 Beide Sprachäußerungen sind für Jakobson jedoch nicht einfach nur beispielhafte Ausprägungen von »poetischer Botschaft«,161 sondern vielmehr renzierung einer (wenngleich autonomen) Dimension in grundsätzlich allen Sprachäußerungen. »Die poetische Funktion ist nicht die einzige Funktion der Wortkunst, sondern nur deren dominante, bestimmende Funktion, während sie in allen anderen sprachlichen Aktivitäten als ein unterstützender, nebensächlicher Bestandteil auftritt.« (»Linguistics and Poetics«; SW III, 25. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 92. Korr. Übs. von mir.) Entsprechend gilt: »Einerseits muß die linguistische Beschäftigung mit der poetischen Funktion die Grenzen der Dichtung überschreiten, und andererseits kann sich die linguistische Untersuchung der Dichtung nicht auf die poetische Funktion beschränken.« (Op. cit.; SW III, 26. Dt. Übs. Poetik, 93. Korr. Übs. von mir.) Jakobsons Etablierung einer poetischen Funktion der Sprache leistet also keinen neuerlichen Beitrag zur begrifflichen Bestimmung ›der‹ Literatur. Poesie wird für Jakobson allenfalls beschreibbar über die Anerkennung der Dominanz der poetischen Funktion. Jedoch hängt eine solche Anerkennung, d.h. die »Einstellung auf eine Dominante«, nicht nur vom jeweils untersuchten Sprachgebilde selbst ab, sondern sie liegt zugleich auch »außerhalb des dichterischen Werkes«. (»The Dominant«; SW III, 752. Dt. Übs. »Die Dominante«; Poetik, 214.) Siehe oben, 208ff. 159 Siehe oben, 209f. 160 »Linguistics and Poetics«; SW III, 25f. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 93. Korr. Übs. von mir. – Im englischen Original ist die Rede von »Joan and Margery« bzw. (als ein weiteres Beispiel für die strukturell bedingte Unübersetzbarkeit von poetischen Verfahrensweisen) von »horrible Harry«. 161 So Genettes – zumindest etwas ungenaue – Kennzeichnung der Beispiele in »Linguistics and Poetics«; vgl. dazu Genette, Mimologiken, 362.
Tautologie und Poetizität
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Beispiele für alltägliche Mitteilungen, in denen poetische Verfahrensweisen auf jeweils unterschiedliche Weise funktionalisiert und anerkannt sind. Entscheidend ist hier also der jeweils unterschiedliche funktionale Stellenwert, den die Verfahrensweise der Kombination (»Ruth und Hildegard«, »Hildegard und Ruth«) bzw. der Selektion (»ekliger Erik«, »schrecklicher Erik«, »fieser Erik« usw.) für den Sprecher – der hier durchaus mit Jakobson als dem ›Erfinder‹ beider Aussagen identisch sein kann – einnehmen. Während der Sprecher im ersten Beispiel seine Voranstellung des kürzeren Wortzeichens »Ruth« mit dem bloßen Hinweis auf den Wohlklang seiner Mitteilung (»es klingt einfach besser«) und nicht etwa durch seine Präferenz für einen der beiden Namensträger (»hast du Ruth etwa lieber als Hildegard?«) erklärt, ist im zweiten Beispiel die Auswahl des adjektivischen Wortzeichens »eklig« anders, ja deutlicher motiviert als nur durch einen Wohlklang zwischen den Wortzeichen »eklig« und »Erik«: durch den expressiven Ausdruck der Abscheu vor dem Namensträger. »Ekliger Erik« klingt besser, weil diese Wortverbindung besser zum Namensträger paßt. Im Vergleich zum ersten Beispiel »Ruth und Hildegard«, bei dem der Wohlklang, die »passende Anordnungsform« der Sprachzeichen in keiner Beziehung zu den Namensträgern stand und allenfalls als ein nebensächliches Moment an der Mitteilung auftrat, steht hier die interne (paronomastische) Struktur der Sprachzeichen in engerer, emotiv motivierter Verbindung mit ihrem Aussagegegenstand (»object«). Dabei wird aber diese engere Verbindung zwischen den Sprachzeichen und ihrem ›Aussagegenstand‹ in »ekliger Erik« gerade nicht »als imitative Harmonie empfunden«162 – es sei denn, »ekliger Erik« klänge tatsächlich auch ekelerregender als etwa »fieser Erik«. Vielmehr bringt die paronomastische Struktur hier einen gesteigerten Stellenwert der Signifikanten innerhalb der Mitteilung, in ihrem Verhältnis zur semantischen Ebene – und d. h. eine größere »Spürbarkeit der Zeichen«163 – mit sich. Entscheidend an den beiden Beispielen wird also für Jakobson »die Frage nach den Verschiebungen in der gegenseitigen Beziehung«164 zwischen signans und signatum: »Im Falle der referentiellen Funktion hat das Zeichen eine sehr geringe interne Verbindung mit dem bezeichneten Objekt und ist deswegen als solches nur von ganz geringem Belang; andererseits erfordert die expressive Funktion eine direktere, engere Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Objekt und also eine größere Aufmerksamkeit auf die interne Struktur des Zeichens. Im Vergleich zur referentiellen Sprache steht die emotive Sprache, die eine expressive Funktion erfüllt, in der Regel der poetischen Sprache (die 162
Genette, Mimologiken, 362. »Linguistics and Poetics«; SW III, 25. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 93. 164 »The Dominant«; SW III, 754. Dt. Übs. »Die Dominante«; Poetik, 216. (Korr. Übs. von mir.) 163
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sich auf das Zeichen als solches richtet) näher. Die poetische und die emotive Sprache überschneiden sich oft, und deswegen werden diese beiden Spielarten der Sprache des öfteren irrigerweise miteinander gleichgesetzt. Wenn die ästhetische Funktion die Dominante einer sprachlichen Mitteilung ist, dann kann diese Mitteilung sicherlich auch manche Verfahrensweisen [devices] der expressiven Sprache benutzen; doch in diesem Fall unterliegen diese Komponenten der entscheidenden Funktion des Werkes, d. h. sie werden durch dessen Dominante transformiert.«165 Seine zunehmende Aufwertung und Spürbarkeit bringt also das Zeichen aus seinem eingespielten, hierarchischen Verhältnis zum bezeichneten Objekt: Sobald das Zeichen aufgrund seiner poetischen Gebrauchsweise nicht mehr primär in seiner referentiellen Bezeichnungsfunktion ›zuhanden‹ ist, stellt sich die – nur auf den ersten Blick paradoxe – Situation ein, daß sich mit der engeren Verbindung zwischen dem Zeichen und seinem Objekt zugleich »die fundamentale Dichotomie zwischen den Zeichen und den Objekten [vertieft]«.166 Jakobsons Rede vom »Objekt« (die sich im übrigen nicht auf seine frühen, ›formalistischen‹ Aufsätze beschränkt) geht nämlich im Rahmen seines linguistischen Bedeutungsbegriffes nicht bloß auf einen außersprachlichen Gegenstand, sondern meint auch und vor allem das kognitive Telos, worauf sich ein jegliches Sprachzeichen als Zeichen richtet. Zu erinnern ist hierbei an den grundsätzlich unauflösbaren und für eine Sprachgemeinschaft obligatorischen signans-signatum-Bezug ›im‹ Sprachzeichen.167 Erst die innerhalb einer Sprachgemeinschaft gewohnheitsmäßige, eingespielte Anerkennung eines obligatorischen signans-signatum-Bezuges ermöglicht eine metasprachliche Korrelation von (phonetisch wie morphologisch distinkten) Sprachzeichen unter dem primären, dominanten Aspekt ihrer kognitiven Bedeutsamkeit und also ihrer ›Objekthaftigkeit‹ in einem bestimmten »universe of discourse«. Diesen eingespielten hierarchischen Stellenwert der beiden Konstituenten im signans-signatum-Bezug verändert 165
Op. cit.; SW III, 753. Dt. Übs. Poetik, 215. (Korr. Übs. von mir.) – Vgl. dazu auch V. Erlich, Russischer Formalismus, aus dem Englischen von M. Lohner, Frankfurt a. M. 1987, 201f.: »Was sind nun die ›Ziele‹ der poetischen Sprache im Unterschied zu denen gefühlshafter Äußerungen? Jakobson [...] räumte ein, daß Dichtung der gefühlshaften Sprechweise näher stehe als der verstandesmäßigen. In der ersteren sei das ›Verhältnis zwischen Klang und Bedeutung organischer, enger‹ als in der letzteren: der Versuch, Gefühle mit Hilfe ›passender‹ Klangverbindungen zu übertragen, erfordert stärkere Aufmerksamkeit gegenüber dem Klanggefüge eines Wortes. Hier aber, beharrt Jakobson, hört die Ähnlichkeit auch auf. In der gefühlshaften Sprache wird die ›passende‹ Klangverbindung nicht um ihrer selbst willen gewertet, sondern um dessentwillen, was sie übermittelt: der Wohlklang ist ein Handlanger der Kommunikation«. 166 »Linguistics and Poetics«; SW III, 25. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 93 (Übs. leicht modifiziert). 167 Vgl. oben, 194f.
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nun eine dominant poetische Sprachverwendung auf eine entscheidende Weise. Einerseits führt hier die Aufwertung der Signifikanten innerhalb des signans-signatum-Bezuges zu einer so engen Verbindung von signans und signatum, daß der kognitive Gehalt einer poetisch funktionalisierten Mitteilung (message) nicht mehr reformulierbar und übersetzbar ist, daß er also nicht mehr durch andere Sprachzeichen desselben oder eines anderen Code wiedergegeben werden kann, ohne daß dabei der gesteigerte, ja unveräußerliche Stellenwert der Signifikanten innerhalb der Mitteilung ›verraten‹ wird. Gerade aber dieses strukturbedingte, prinzipiell unübersetzbare ›So-undnicht anders-sein‹ einer Mitteilung (message) oder, in Jakobsons Formulierung, die »Spürbarkeit der Zeichen« in einer solchen Mitteilung führt andererseits zu einer »Vertiefung der fundamentalen Dichotomie« im signans-signatum-Bezug: zu einem schwindenden Stellenwert der mit einem signans verbundenen ›realen‹, kognitiven Bedeutung – nicht aber zu deren völliger Annullierung. »Der Vorrang der poetischen Funktion vor der referentiellen Funktion löscht den Gegenstandsbezug [reference] nicht aus, sondern macht ihn ambig.«168 Genau aufgrund dieser engen Verbindung zwischen Zeichen und Objekt, welche zugleich die Dichotomie zwischen den Zeichen und den Objekten vertieft, vermag auch ein Heideggerscher Satz wie etwa »Das Regende im Zeigen der Sage ist das Eignen« sowohl als eine ›prägnante‹ Formulierung zu erscheinen, deren kognitiver Gehalt nicht ohne weiteres mit anderen Sprachzeichen desselben (des deutschen) oder eines anderen Code wiedergegeben werden kann, wie auch als eine Mitteilung, deren kognitiver Gehalt in seinem Gegenstandsbezug ›arbitär‹ wirkt.169 »Doch wodurch manifestiert sich die Poetizität? Poetizität liegt vor, wenn das Wort als Wort, und nicht als bloßer Stellvertreter für das bezeichnete Objekt oder für einen Gefühlsausbruch empfunden wird, wenn die Wörter und ihre Anordnung, ihre Bedeutung, ihre äußere und innere Form ein eigenes Gewicht und selbständigen Wert erlangen, anstatt irgendwie auf die Realität zu verweisen. Doch wozu dies alles? Weshalb ist es nötig, darauf hinzuweisen, daß das Zeichen nicht mit dem bezeichneten Objekt zusammenfällt? Deshalb, weil neben dem unmittelbaren Bewußtsein der Identität von Zeichen und Objekt (A ist A1) auch das unmittelbare Bewußtsein der unvollkommenen Identität (A ist nicht A1) notwendig ist; diese Antinomie ist unab-
168
»Linguistics and Poetics«; SW III, 42. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 111 (Übs. modifiziert). 169 Vgl. nochmals Jakobsons Rede davon, daß der »Wahrheitstest«, d. h. die Überprüfung des Gegenstandsbezuges, bei einer solchen ›sinnlosen‹ Aussage allenfalls Auswirkungen auf ihre Akzeptanz durch den Hörer/Leser und nicht auf ihre grundsätzliche Bedeutsamkeit haben kann. (Siehe oben, 224f.)
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dingbar, denn ohne Widerspruch gibt es keine Bewegung der Begriffe, keine Bewegung der Zeichen, die Beziehung zwischen Begriff und Zeichen wird automatisiert.«170 Bei einer derartigen Loslösung des Zeichens aus seinem anerkanntermaßen identischen Verhältnis zum bezeichneten Objekt ergibt sich für Jakobson keine Loslösung des signans vom signatum, also keine absolute Bedeutungslosigkeit des ›poetisch‹ verwendeten Zeichens. Vielmehr resultiert aus einer vertieften – und keineswegs aus einer absoluten – Dichotomie von Zeichen und Objekt eine Dynamisierung, die jenes obligatorische, gewohnheitsmäßig als identisch anerkannte Verhältnis desautomatisiert. Zwar setzt Jakobson den gesteigerten, ja den autonomen Stellenwert der Zeichen in einem poetisch funktionalisierten Sprachgebrauch nicht einfach und schlechthin mit einer Autonomie der Signifikanten gleich, mit deren klanglicher, ›materialer‹ Struktur überhaupt kein semantischer Wert mehr verbunden werden könnte. Sehr wohl aber verbindet Jakobson mit diesem selbständigen Wert der Zeichen eine Reduzierung ihres realen Bedeutungswertes, einen verminderten Stellenwert ihres kognitiven Gegenstandsbezugs. Damit, so scheint es, ist jedoch »eigentlich nicht klar, worin die Bedeutung [eines poetisch funktionalisierten Zeichens] besteht, wenn sie nicht die Repräsentation von Objekten und Gefühlen mit einschließt«.171 Anders formuliert: Obwohl für Jakobson »keine auch noch so ungegenständliche Dichtung ohne Bedeutung auskommen [kann]«, scheint diese Bedeutung für Jakobson doch immer nur »irgendwie, […] nur in einer ›annähernden‹, potentiellen Form«172 gegenwärtig zu sein. Gerade aber diesem »irgendwie« gilt Jakobsons besondere Aufmerksamkeit, insofern der schwindende reale (lexikalische) Bedeutungswert von poetisch fuktionalisierten Zeichen kompensiert werden kann durch einen semantischen Wert, der mit der phonetischen und der morphologischen Ebene einer bestimmten Sprache auf engste verbunden ist: durch die grammatischen Bedeutungen. Der konstitutive Beitrag der grammatischen Formen zur Bedeutsamkeit einer poetischen Sprachverwendung, die »Poesie der Grammatik«, kommt nämlich dann zum Vorschein, sobald der primäre kognitive Bedeutungswert der Sprachzeichen auf eine bestimmte Weise entkräftet wird.173 Da sich für Jakobson der reale, kognitive Bedeutungswert eines 170
»Was ist Poesie[?]«; Poetik, 79. (Modifizierte Übs. von mir nach der englischen Fassung »What is Poetry?«; SW III, 740–750; hier 750.) 171 Attridge, Peculiar Language, 131 (dt. Übs. von mir). 172 Erlich, Russischer Formalismus, 204. Hervorh. von mir. 173 Es reicht für die »Poesie der Grammatik« also nicht zu, daß der kognitive Gehalt einer Sprachäußerung einfach minimiert oder gar annuliert wird: »Piroten karulieren elatisch« (siehe oben, 224) stellt nur ein Beispiel für die grundsätzliche Bedeutsamkeit der grammatischen Formen einer Sprache dar, nicht aber schon automatisch eines für eine poetische Sprachverwendung grammatischer Formen.
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Sprachzeichens über das Prinzip seiner Gleichwertigkeit (Äquivalenzprinzip), d. h. seiner lexikalischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit mit andern Sprachzeichen konstituiert,174 da aber die lexikalischen Bedeutungen für die poetische Sprachverwendung keine primäre Rolle mehr spielen, müssen sich im Gegenzug andere als nur lexikalische Äquivalenzen etablieren, wenn anders ein ›poetisches‹ Sprachgebilde bzw. eine poetische Sprachverwendung bedeutsam sein soll. Wie dies in Jakobsons tautologischer Formulierung vom »Wort als Wort« (und nicht als einem bloßen Stellvertreter für ›etwas anderes‹) schon anklingt, greift in einer poetisch funktionalisierten Sprachverwendung das Äquivalenzprinzip nicht mehr allein auf der lexikalischen Sprachebene Raum, sondern entfaltet sich prinzipiell über alle Sprachebenen hinweg: »Die Selektion vollzieht sich auf der Basis der Gleichwertigkeit (Äquivalenz), von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, von Synonymie und Antonymie, während der Aufbau einer Sequenz auf Kontiguität basiert. Die poetische Funktion projiziert das Äquivalenzprinzip von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination. Die Gleichwertigkeit wird zur konstitutiven Verfahrensweise [device] in einer Sequenz erhoben. In der Dichtung wird eine Silbe einer anderen Silbe derselben Sequenz angeglichen; Wortakzent gleicht anerkanntermaßen Wortakzent, wie das Fehlen des Akzents seinem Fehlen gleicht; prosodische Länge paßt zu prosodischer Länge, wie Kürze zur Kürze; Wortgrenze gleicht Wortgrenze, das Fehlen einer Grenze dem Fehlen einer Grenze, syntaktische Pause gleicht syntaktischer Pause, das Fehlen einer Pause dem Fehlen einer Pause.«175 Diese Übertragung des Gleichwertigkeitsprinzipes auf eine Sequenz, d. h. auf eine syntagmatische »Kombination in der Zeitfolge«,176 stärkt den Stellenwert der Signifikanten in einer poetisch funktionalisierten Sprachäußerung zunächst insofern, als diese Sprachäußerung aufgrund des projizierten Äquivalenzprinzips den Charakter einer »auf sich selbst ausgerichteten Mitteilung [self-focused message]«177 aufweist: Mit einer solchen Äußerung werden die Signifikanten nicht mehr primär auf die lexikalische Sprachebene ausgerichtet, sie werden also primär nicht mehr für den sprachlichen ›Entwurf‹ eines bestimmten kognitiven Gehalts miteinander und nacheinander kombiniert; vielmehr etabliert sich auf der Achse der Kombination – und d. h. auf prinzipiell allen möglichen Sprachebenen (also etwa auf der phonetischen,
174
Siehe oben, 179ff. »Linguistics and Poetics«; SW III, 27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 94 (korr. Übs. von mir). – Auf die tautologischen Formulierungen in den zuletzt angeführten Sätzen Jakobsons sei hier schon vorläufig hingewiesen. Näheres dazu unten, 255ff. 176 Siehe oben, Anm. 79. 177 »Linguistics and Poetics«; SW III, 42. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 110 (Übs. modifiziert). 175
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morphologischen, syntaktischen und/oder prosodischen Sprachebene) – ein Verweisungszusammenhang, der durch bestimmte wiederkehrende Äquivalenzen, in Jakobsons Nomenklatur: durch »grammatische Parallelismen«, gekennzeichnet ist. Dadurch aber wird das zeitliche Nacheinander, die zeitlich hierarchische Struktur dieser Sprachäußerung durch eine zeitlich gleichwertige, simultane Wiederholungsstruktur konterkariert und entkräftet. 178 Diese Wiederkehr von grammatischen Parallelismen bestimmt eine Mitteilung in dominant poetischer Funktion nicht nur auf irgendeine akzidentelle Weise mit, sondern weist eine poetisch funktionalisierte Mitteilung erst als solche aus: »Der Wiederholungscharakter [repetitiveness], der durch die Übertragung des Äquivalenzprinzips auf die Sequenz zustande kommt, betrifft nicht allein die einzelnen Sequenzen einer poetischen Mitteilung, sondern ebenso die gesamte Mitteilung.«179 Daß Jakobson seine konkreten strukturalen Analysen von poetisch funktionalisierter Rede wissentlich, ja geradezu systematisch auf Sprachgebilde von kurzem Umfang beschränkt, erklärt sich aus diesem Wiederholungscharakter, der für eine poetisch funktionalisierte Rede konstituitv ist. Durch die kurze Dauer einer poetisch funktionalisierten Rede kommen die Parallelismen besser in den Blick des Rezipienten, insofern sie von ihm hier eher als simultan, d. h. als zeitlich gleichwertig, erfahren werden können als in literarischen Großformen: »Die einzige Beschränkung, die ich [R. J.] mir bei der Auswahl der [analysierten] Texte erlaubt habe, betrifft ihre Länge: In seiner ›Philosophy of Composition‹ weist E. A. Poe […] deutlich auf eine besondere Beschaffenheit von kurzen Stücken hin, welche es uns ermöglicht, daß wir am Ende eines Gedichts immer noch einen lebendigen Eindruck von seinem Anfang haben; folglich läßt uns diese Kürze die Einheit des Gedichts und seine Wirkung als Ganzes besonders spüren. […] Die simultane Zusammen178
Vgl. dazu etwa »A Glance at the Development of Semiotics«; SW VII, 216. Dt. Übs. »Ein Blick auf die Entwicklung der Semiotik«; Semiotik, 130: »Als die charakteristische Eigenschaft [feature] eines jeden Kunstwerks meint der ›Parallelismus‹ den Bezug einer semiotischen Tatsache auf eine gleichwertige Tatsache innerhalb desselben Kontexts; [...] Diese untrügliche Zugehörigkeit der zwei parallelisierten [Tatsachen] zum selben Kontext ermöglicht es uns, das Zeitsystem, das Peirce in seine semiotische Trias mit einschließt, komplementär zu ergänzen: ›Ein Ikon hat ein Sein, wie es eine Erfahrung in der Vergangenheit aufweist. [...] Ein Index hat das Sein von einer gegenwärtigen Erfahrung. [...] Das Sein des Symbols ist ein esse in futuro‹ [...]. Das Kunstwerk erreicht die zeitlose [atemporal] Verbindung der zwei parallelisierten Glieder innerhalb des ihnen gemeinsamen Kontextes.« (Korr. Übs. von mir.) – Weiteres dazu unten, 243f. 179 »Linguistics and Poetics«; SW III, 42. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 111 (korr. Übs. von mir). – Vgl. auch op. cit.; SW III, 50. Dt. Übs. Poetik, 119: »Kurzum, die Poetizität stellt keine nachträgliche Ausstattung [supplementation] einer Rede mit rhetorischem Schmuck dar, sondern eine vollständige Neubewertung dieser Rede und aller ihrer nur denkbaren Teile.« (Korr. Übs. von mir.)
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schau [synthesis], die bei einem kurzen Gedicht mittels der unmittelbaren Erinnerung erfolgt, legt dessen Strukturgesetze bloß und unterscheidet diese von solchen [Strukturgesetzen], die dem Aufbau [network] von Langgedichten zugrundeliegen.«180 Auf eine prototypische Weise prägen sich solche Parallelismen für Jakobson in denjenigen Formen von poetischer Sprachverwendung aus, in denen sie ›vereinfachte‹, stereotype Züge tragen und deshalb ein umso strikteres, invariantes Gerüst bilden können: in der epischen Sprachkunst der Folklore oder in alttestamentarischen Texten. »In der Folklore finden sich die am prägnantesten gegliederten und stereotypisierten Formen der Dichtung, die sich besonders für die strukturale Forschung eignen […]. Mündliche Traditionen, die den grammatischen Parallelismus anwenden, um zwei aufeinanderfolgende Verszeilen zu verknüpfen, z. B. die finnisch-ugrischen Verssysteme und im hohen Maße auch die russische Volksdichtung, können erfolgversprechend auf allen Sprachebenen analysiert werden – phonologisch, morphologisch, syntaktisch und lexikalisch: Daraus wird ersichtlich, welche Elemente als gleichwertig empfunden werden und wie Gleichheit [likeness] auf bestimmten Ebenen durch auffallende Unterschiede auf anderen Ebenen gemäßigt wird.«181 180
»Retrospect«; SW III, 770. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 252f. (Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) 181 »Linguistics and Poetics«; SW III, 40. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 108 (Übs. leicht modifiziert). Hervorh. von mir. – Vgl. auch »Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances«; SW II, 255. Dt. Übs. »Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen«; Grundlagen der Sprache, 66: »Reiches Material [...] findet sich in denjenigen Verssystemen, die einen Parallelismus zwischen beieinander liegenden Verszeilen zwingend erfordern, zum Beispiel in der biblischen und in der finnischen Dichtung oder bis zu einem gewissen Grad auch in der russischen mündlichen Überlieferung. Dieser Umstand liefert ein objektives Kriterium dafür, was in einer bestimmten Sprachgemeinschaft als eine Korrespondenz gilt.« (Korr. Übs. von mir.) – Prototypischen Charakter für eine poetische Sprachverwendung hat demnach die Folklore deshalb, weil sie vorab der Sanktionierung durch eine Sprachgemeinschaft bedarf, weil sie also in ihrer jeweils konkreten sprachlichen Form ›überindividuellen‹, langue-artigen Gesetzen gehorcht, und dies im typologischen Gegensatz zu einer lexikalisch wie syntaktisch ›idiolektalen‹ parole-artigen Poesie. (Vgl. dazu »Die Folklore als eine besondere Form des Schaffens« [1929]; SW IV, 1–15; hier bes. 5ff.) Gerade derartig strikt gehandhabte Parallelismen, wie etwa im Falle des »kanonischen Parallelismus des biblischen Prototyps« (»Поэзия грамматики и грамматика поэзии«; SW III, 69; dt. Übs. »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie«; Poetik, 241), scheinen aber eine theoretische Fassung des Parallelismus als des konstitutiven Prinzips für jegliche poetische Sprachverwendung eher zu erschweren als zu fördern: Im Gegensatz zu solchen literarischen Formen, in denen »sprachliche Verfahrenweisen unauffällig eingesetzt werden und die Sprache ein fast transparentes Kleid zu sein scheint« (»Linguistics and Poetics«; SW III 46; dt. Übs. Poetik, 115; Übs. leicht modifiziert), erwecken auffällig stereotypisierte (biblische oder epische) Parallelismen gemeinhin eher den Eindruck einer ›primitiven‹ oder defektiven
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Am wirkungsmächtigsten erweisen sich aber solche stereotyp wiederkehrende, im strengen Wortsinn artikulierte Parallelismen gerade dann, wenn sie in ihrer strikten Invarianz gebrochen werden: »Jede Form des Parallelismus stellt eine verhältnismäßige Gewichtung [apportionment] von Invarianten und Varianten dar. Je strenger die Verteilung der Invarianten ist, desto größer ist die Erkennbarkeit und Wirksamkeit der Varianten. Ein durchgängiger Parallelismus aktiviert notwendigerweise alle Sprachebenen: Die [phonetischen] distinktiven Eigenschaften, […] die morphologischen und syntaktischen Kategorien und Formen, die lexikalischen Einheiten und ihre semantischen Klassen erhalten sowohl in ihren Konvergenzen als auch in ihren Divergenzen einen autonomen poetischen Wert.«182 Jakobsons Präferenz für den strikt gehandhabten Parallelismus kommt also ein systematischer Stellenwert für seine strukturalen Analysen von poetischen Verfahrensweisen zu, insofern im Falle des strikt gehandhabten Parallelismus die verhältnismäßige Aufteilung von Varianten und Invarianten typologisch polarisiert ist, sich also in ›Reinform‹ ausprägt. Damit aber stellt Jakobsons poetische Funktion kein Instrument für die ästhetische Bewertung literarischer Texte, für deren ›dichterischen‹ Charakater, bereit. Wenn sich nämlich für Jakobson in einer verfahrenstechnisch ›primitiven‹ Form von Dichtung das Verteilungsverhältnis zwischen Invarianten und Varianten am deutlichsten ausprägt, dann wird damit nicht einfach das Verhältnis zwischen einer verfahrenstechnisch ›primitiven‹ und einer ›entwickelten‹ Form von Dichtung zugunsten der ersteren umgekehrt. Mit anderen Worten: Es geht Jakobson um typologische – und nicht um essentielle – Reinformen von poetischen Verfahrensweisen, auch und gerade in solchen Texten, die wie die biblischen nicht primär der Poesie zugerechnet wurden (und werden), deren dichterischer Charakter also nicht vorab und in einer zeitenthobenen Objektivität gesichert ist. Die Wirkungsmächtigkeit poetischer Parallelismen entfaltet sich demnach über eine gezielte Erwartungsenttäuschung: Je strenger ein Parallelismus – auf welcher sprachlichen Ebene auch immer – gehandhabt wird, je höher also die zu erwartende Wahrscheinlichkeit der Wiederkehr einer parallelen Einheit ist,183 desto deutlicher kommt eine Durchbrechung eben dieses Parallelismus (wie etwa im Falle einer Abweichung vom Reimschema) zum Vorschein poetischen Verfahrensweise als den Eindruck, daß sie eine prototypische Geltung für sämtliche poetische Verfahrensweisen erlangen könnten. Zu Jakobsons Kritik daran vgl. unten, 244ff. 182 »Grammatical Paralellism and Its Russian Facet«; SW III, 129. Dt. Übs. »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart«; Poetik, 297 (korr. Übs. und Hervorh. von mir). 183 Zur Wahrscheinlichkeitsmethode, die der Hörer bei einer sprachlichen Interaktion ständig in Anspruch nimmt, vgl. oben, Anm. 84.
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und desto ›wirksamer‹ wird folglich die Enttäuschung der Erwartung ausfallen, die beim Rezipienten aufgebaut wurde.184 Dementsprechend kann die Projektion des Äquivalenzprinzipes, also etwa die Applikation einer metrischen Form auf eine syntagmatische Sequenz, ein spannungsgeladenes, divergentes Verhältnis zwischen dem metrischen Iktus und der natürlichen Wortakzentuierung schaffen: Die natürliche Phrasenintonation wird durch die Wiederkehr von gleichwertigen prosodischen Einheiten konterkariert. Hierbei kann sich der autonome poetische Wert dieser wiederkehrenden prosodischen Einheiten im extremen Fall so weit steigern, daß er sich gegenüber dem lexikalisch-kognitiven Bedeutungswert einer Äußerung verselbständigt, daß er also zu einer weitgehenden Unverständlichkeit des kognitiven Gehalts ursächlich beiträgt – wie etwa bei der bekannten spielerischen rhythmischen Umakzentuierung der Wortfolge »Apóthekers Ladénschelle«. Das Zusammenspiel von einer nicht aktualisierten natürlichen Betonung und einem aktualisierten daktylischen Rhythmus mit Auftakt, der sich einmal wiederholt und der mit den Wortgrenzen von /Apóthekers/ bzw. von /Ladénschelle/ zusammenfällt, erweckt beim Hörer »den Eindruck einer doppelten, ambivalenten Gestalt«.185 Erzeugt wird dieser Eindruck sowohl über divergierende Momente (im obigen Beispiel: über die ›Aufweichung‹ des obligatorischen Laut-Bedeutungs-Nexus im weitesten Sinne) als auch über kon-
184
Gerade die Abweichung von einem Reimschema birgt in besonders hohem Grad die Möglichkeit in sich, eine Erwartungsenttäuschung beim Hörer oder Leser hervorzurufen, da sich die parallelisierten Reimwörter ausschließlich über die distinktiven Eigenschaften organisieren, die für das Phonemsystem einer gegebenen Sprache obligatorisch sind und die also obligatorisch von den Sprechenden (sowohl in einem aktivischen wie passivischen Sinne) wahrgenommen werden müssen: »Man hat den Reim wiederholt als einen verdichteten Parallelismus charakterisiert, doch ein näherer Vergleich zwischen dem Reim und einem durchgängigen [d. h. einem auf allen Sprachebenen wirksamen] Parallelismus zeigt, daß es da einen fundamentalen Unterschied gibt. Die phonemische Gleichwertigkeit der Reimwörter ist obligatorisch, während für eine irgendeine [andere] Korrespondenz zwischen zwei parallelisierten Gliedern die Sprachebene frei gewählt werden kann.« (»Grammatical Paralellism and Its Russian Facet«; SW III, 133. Dt. Übs. »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart«; Poetik, 302. Korr. Übs. von mir.) – Wohl kann beim Aufbau eines Parallelismus frei gewählt werden, auf welchen Sprachebenen er sich konkret realisieren soll, doch bleibt dieser Aufbau nach erfolgter Wahl an die gewählten Sprachebenen gebunden, wenn ein paralleler Bezug zwischen zwei oder mehreren Gliedern hergestellt werden soll. 185 »Linguistics and Poetics«; SW III, 37. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 105. – Ein analoges Phänomen hierzu stellt der in den modernen westeuropäischen Sprachen gebräuchliche akzentuierende Vortrag von quantitierenden, prosodischen Abfolgen der klassisch-antiken Literatur, etwa von Homerischen Hexametern, dar. Bei neugriechischen native speakers erweckt dieser akzentuierende Vortrag allerdings den Eindruck einer völlig ›unnatürlichen‹ Phrasenintonation und erschwert (neben der sog. Erasmischen Aussprache) die Erfassung des kognitiven Gehalts der Homerischen Verse erheblich.
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vergierende Momente (im obigen Beispiel: über die identisch wiederkehrende Abfolge einer rhythmischen Einheit). Bei jedem, der mit der gegebenen Sprache vertraut ist und der die iterierten rhythmischen Einheiten erkennt, stellt sich gleichzeitig eine frustrierte wie erfüllte Erwartung ein: die nicht erfüllte Erwartung einer ›natürlichen‹, obligatorischen Wortakzentuierung sowie die erfüllte Erwartung der Wiederkehr einer rhythmischen Einheit.186 Gleich ob einem Hörer der kognitive Bedeutungswert einer solchen syntagmatischen Abfolge unmittelbar verständlich wird oder nicht – durch die gleichmäßige Wiederkehr von prosodisch gleichwertigen Einheiten (›Metrum‹) wird das Zeitmaß des Redeflusses erfahrbar, wenn auch nicht dessen physikalische Zeit, so doch buchstäblich das ihm eigentümliche rhythmische Zeit-Maß. »Die sukzessive Abfolge sprachlicher Einheiten wird von der rhythmischen Wiederkehr äquivalenter ›Klang‹-Einheiten nicht nur überblendet, sondern geradezu in ihrer linearen Zeitlichkeit konterkariert: ›Die Messung von sprachlichen Abfolgen [measure of sequences] ist eine Verfahrensweise, die außerhalb der poetischen Funktion keine Anwendung in der Sprache findet. Nur in der Dichtung mit ihrer regelmäßigen Wiederholung von gleichwertigen Einheiten wird die Zeit des Redeflusses erfahren, genauso wie – um ein anderes semiotisches System anzuführen – im Falle der musikalischen Zeit. Gerard Manley Hopkins […] definierte den Vers als ›eine Rede, die vollständig oder teilweise dieselbe Klangfigur wiederholt‹.«187
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Ähnliches läßt sich auch an jenen von Jakobson erwähnten mots en liberté »silent not night by silently unday« (E. E. Cummings) beobachten, welche laut Jakobson nur noch durch die Phrasenintonation zusammengehalten werden (siehe Anm. 149). Während hier für den Hörer die Erwartung eines kognitiven Bedeutungswertes durch die hochgradige ›Zerstörung‹ der syntaktischen Formen nicht oder zumindest nur zu einem sehr geringen Teil erfüllt wird, erfüllt sich für ihn gleichzeitig die Erwartung der Wiederkehr von gleichwertigen sprachlichen Einheiten: Abgesehen von der spannungsvollen Distribution gleichwertiger Phoneme (z. B. /sai..nt/nt/nait/.ai/sai..nt../.nd../), wiederholt sich in beiden metrischen Kola (sîlent not nîght | by sîlently ûnday) der rhythmische Kern eines Chorjambus (sîlent not nîght / ... sîlently ûn-...), der sich im zweiten Kolon durch eine klimaktische Zunahme um zwei rahmende Silben (by ... -day) auszeichnet. 187 »Linguistics and Poetics«; SW III, 28. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 95. (Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) – »Hopkins’ darauffolgende Frage«, so Jakobson weiter, »›Sind dann alle Verse Dichtung?‹ kann genau beantwortet werden, sobald man damit aufhört, die poetische Funktion willkürlich auf den Bereich der Dichtung zu begrenzen. Merkverse, wie sie von Hopkins zitiert werden (z.B. ›Thirty days hath September‹), moderne Werbesprüche, mittelalterliche Gesetze in Versform, [...] und schließlich wissenschaftliche Abhandlungen in Sanskrit, die in der indischen Tradition strikt von wirklicher Dichtung (k¯avya) unterschieden werden – alle diese metrischen Texte bedienen sich der poetischen Funktion, ohne jedoch dieser Funktion die zwingende, bestimmende Rolle zuzuweisen, die sie in der Dichtung hat. So überschreitet der Vers in der Tat die Grenzen der Dichtung, zugleich aber impliziert er immer die poetische Funktion.« (Korr. Übs. von mir.)
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An metrisch gebundenen Sprachäußerungen zeigt sich für Jakobson somit exemplarisch, daß das Äquivalenzprinzip innerhalb einer poetisch funktionalisierten Sprachäußerung dazu dient, über die gleichmäßige Wiederkehr von sprachlichen Einheiten »eine Abfolge [sequence] aufzubauen«.188 Damit aber kommt dem Äquivalenzprinzip bei der poetischen Sprachverwendung ein funktionaler Stellenwert zu, der sich diametral von demjenigen Stellenwert unterscheidet, den das Äquivalenzprinzip bei einem metasprachlichen Sprachgebrauch besitzt: »In der Metasprache wird eine sprachliche Abfolge [sequence] für den Aufbau einer Gleichheit [equation] verwendet, während in der Dichtung die Gleichheit für den Aufbau einer sprachlichen Abfolge verwendet wird.«189 Anders formuliert: Im Falle einer metasprachlich verwendeten Abfolge von Sprachzeichen stellt deren lexikalische Gleichheit das funktionale Telos dar, auf das eine jede metasprachliche Mitteilung (message) hinarbeitet und das die jeweilige metasprachliche Korrelation von Sprachzeichen sozusagen nach außen hin sichtbar zu machen hat.190 Im Gegensatz zu einer metasprachlichen Mitteilung über die Gleichheit von lexikalisch codierten Einheiten gerät die Gleichheit bei einem poetischen Sprachgebrauch zum inhärenten Wesenszug (feature) einer sprachlichen Abfolge, der diese als die poetische Mitteilung entscheidend bestimmt. Im Falle eines poetischen Sprachgebrauchs erfolgt nicht nur und nicht einfach eine explizite Mitteilung über eine semantische Gleichheit, sondern die Gleichheit ist auch und vor allem in der poetischen Mitteilung selbst situiert, sie verteilt sich dort gewissermaßen auf die verschiedensten Sprachebenen. Im Hinblick auf den jeweiligen Bau (pattern) einer metasprachlichen und einer poetischen Sprachverwendung bringt die Projektion des Äquivalenzprinzips auf die Achse der Kombination eine Internalisierung des Äquivalenzprinzips mit sich. Stellt nun für Jakobson die tautologische Satzform ›A = A‹ die typologische Reinform für jede metasprachliche Mitteilung über eine lexikalisch codierte Gleichheit dar, so markiert ›die‹ Tautologie im Falle einer poetischen Mitteilung nicht minder einen typologischen Grenzwert. Als tautologisch erweist sich jedoch ein poetischer Sprachgebrauch nicht etwa dadurch, daß sich das Äquivalenzprinzip wie bei einer metasprachlichen Gleichung auf die lexikalische Sprachebene beschränken würde, sondern dadurch, daß sich das Äquivalenzprinzip prinzipiell auf allen, qualitativ verschiedenen Sprachebenen eine dominante Geltung verschaffen kann. Zu diesem tautologischen Charakter einer dominant poetisch funktionaliserten Sprachäußerung trägt aber vor allem der Parallelismus bei. Bezeichnenderweise verwahrt sich Jakobson (im Anschluß an Herder) gegen eine Auffassung, die den Paralle188 189 190
Op. cit.; SW III, 27. Dt. Übs. Poetik, 95 (Übs. leicht modifiziert). Op. cit.; SW III, 27. Dt. Übs. Poetik, 95 (Übs. modifiziert). Siehe auch oben, 197ff.
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lismus und seinen kognitiven Bedeutungswert als eine bloß monotone und stilistisch vitiöse Tautologie abqualifiziert und die somit die spezifische Zielgerichtetheit – und d. h. den artifiziellen Charakter – einer poetischen Sprachverwendung verkennt: »Herder […] wehrte sich entschieden gegen die später oft vertretene Auffassung, daß ›der Parallelismus monoton ist und eine fortgeführte Tautologie darstellt‹ und daß, ›wenn man alles zweimal sagen muß, dann die erste Aussage nur halb gelungen und fehlerhaft sein muß‹ […]. Herders scharfsinnige Erwiderung ›Haben Sie noch nie einen Tanz gesehen?‹ und der darauf folgende Vergleich der hebräischen Poesie mit einem solchen Tanz versetzen den grammatischen Parallelismus aus dem Horizont einer entwicklungsgeschichtlich bedingten Unzulänglichkeit und deren Behebungsmöglichkeiten in die angemessene Kategorie von zielgerichteten poetischen Verfahrensweisen. Oder um […] G. M. Hopkins zu ziteren – der artifizielle Charakter der Dichtung ›läßt sich auf das Prinzip des Parallelismus zurückführen‹: Gleichwertige Entitäten treten dadurch miteinander in Beziehung, daß sie in gleichwertigen Positionen auftauchen.«191 An der Analogisierung des grammatischen Parallelismus mit dem Tanz oder, allgemeiner gesprochen, mit musikalischen Verfahrensweisen der Reiteration scheint also für Jakobson das Moment der Zielgerichtetheit von Belang zu sein. Bei dieser Zielgerichtetheit von wiederkehrenden gleichwertigen (sprachlichen bzw. musikalischen) Einheiten denkt aber Jakobson wohl nicht bloß an eine Wiederholungsform, die »mit einem in der Wiederholung steigenden Nachdruck« auf ihr zeitloses und statisches Wesen hinweist, bei der also »der zeithafte Charakter der Bewegung an sich völlig zurück[tritt]«.192 191
»Grammatical Paralellism and Its Russian Facet«; SW III, 128f. Dt. Übs. »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart«; Poetik, 297. (Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) 192 C. Lugowski, Die Form der Individualität im Roman. Studien zur inneren Struktur der frühen deutschen Prosaerzählung, Berlin 1932, 33. Hervorh. von mir. – Bereits in seinen phonologischen Arbeiten übt Jakobson Kritik an einer linguistischen Position, die eine grundsätzliche und strikte Trennung zwischen der Achse der Simultaneität (des »Beisammen«) und der Achse der linearen Sukzessivität (des »Nacheinander«) im Sprachgebilde vornimmt: »Die Größe Ferd. de Saussures erscheint darin, daß er die Kardinalfrage des Zeitfaktors in der Sprache eindringlich aufrollte. Die Schwäche seines Zeitalters erscheint darin, daß auch der scharfsichtige Sprachforscher [...], der den Wertcharakter der Sprache und ihrer Bestandteile stets betonte, unbeachtet ließ, daß auch die Zeit in einem Wertsystem zu einem Werte wird. Die beiden Achsen, die Saussure streng unterscheidet – die des Beisammen (AB) ›concernant les rapports entre choses coexistantes, d’où toute intervention du temps est exclue‹ und die des Nacheinander (CD) – A _______ ________ >D C B sind ein konstitutiver Bestandteil des Sprachgebildes als solches. [...] Die Bemühungen
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Eher schon hat Jakobson hier eine spezifisch artifizielle Wiederholungsform im Blick, deren genuine Bezugsform vor allem einen intrinsischen semiotischen Wert aufweist.193 So besteht etwa für Jakobson die genuine Funktion »der zweiten Zeile eines [parallelisierten] Verspaares« vor allem darin, »daß sie uns den Schlüssel zum Bau [construction] der ersten liefert […]. [Der] Parallelismus ist nicht einfach ein stilistisches Mittel zur formelhaften Verdoppelung von Sätzen. Mit ihm soll ein Resultat erreicht werden, das an ein binokulares Sehen erinnert: die Überlagerung von zwei syntaktischen Bildern, um ihnen damit Festigkeit und Tiefenschärfe zu verleihen, eine Wiederholung des Rasters [pattern], die die Sytagmen miteinander zu verbinden vermag, welche zunächst nur lose aneinandergereiht zu sein scheinen. […] Dies entspricht grundsätzlich Herders Einschätzung des biblischen Parallelismus […]: ›Die beiden Glieder bestärken, erheben, bekräftigen einander‹.«194 Während aber in einem musikalischen Code die intrinsischen Beziehungen zwischen den Elementen den einzigen semiotischen Wert ausmachen,195 bewirken im Falle des poetischen Parallelismus die intrinsischen Beziehungen zwischen den parallelisierten Gliedern auch und vor allem die Neuorganisation und Neubewertung einer anderen Bezugsform: des signans-signatum-Bezuges oder, in Jakobsons Formulierung, des »sound-meaning-nexus«. Der poetische Parallelismus stellt somit eine Verfahrensweise dar, die genuine Bedeutungspotentiale dadurch freisetzt, daß sie die lineare Abfolge der Sprachzeichen und ihrer Elemente durch eine Externalisierung der ›intern‹, im Bau (pattern) einer Sprache angelegten formalen (phonologischen, prosodischen, grammatischen) Strukturen konterkariert und im buchstäblichen Sinne dynamisiert. Anders formuliert: In einer poetischen Mitteilung tritt der zweidimensionale, zwischen Sukzession und Simultaneität eingespannte Charakter eines jeden Sprachgebildes in besonders deutlicher Weise dadurch
Saussures, das Sprachgebilde (langue) auf eine Dimension, nämlich auf die Achse des simultanéités zurückzuführen, sind im gleichen Maße verfehlt wie sein ähnlicher Versuch, jedes Sprachzeichen wiederum auf eine Achse, doch seltsamerweise gerade umgekehrt auf die des Nacheinander zu reduzieren.« (»Zur Struktur des Phonems«; SW I, 305ff. 193 Vgl. dazu »A Glance at the Development of Semiotics«; SW VII, 216; dt. Übs. »Ein Blick auf die Entwicklung der Semiotik«; Semiotik, 130: »In der Musik bilden die Korrespondenzen zwischen den Elementen, die in einem gegebenen Code als einander gleichwertig oder gegensätzlich anerkannt werden, den hauptsächlichen, wenn nicht den einzigen semiotischen Wert – eine ›innermusikalisch verkörperte Bedeutung‹«. (Korr. Übs. von mir.) 194 »Grammatical Parallelism and Its Russian Facet«; SW III, 102. Dt. Übs. »Der grammatische Parallelismus und seine russische Spielart«; Poetik, 268f. (Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) 195 Siehe Anm. 193.
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hervor, daß hier einerseits die syntagmatischen, verlaufshaften Kontiguitätsbeziehungen, die zwischen den Zeichen bestehen, und andererseits paradigmatische, als simultan gewertete Ähnlichkeitsbeziehungen ineinander greifen: »Die Ähnlichkeit, die auf die Kontiguität übertragen wird, verleiht der Dichtung ihr durch und durch symbolisches, vielfältiges, vieldeutiges Wesen, wie Goethes schöner Vers andeutet: ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis‹. Technischer ausgedrückt: Jedes Moment in einer Abfolge [anything sequent] hat Ähnlichkeitscharakter [a simile].«196 Gerade diese spezifische Überschneidung eines verlaufshaften, syntagmatischen Moments mit der Wiederkehr von sprachlichen Elementen, die als (zeitlich) gleichwertig anerkannt werden und die somit die innere Organisation eines poetischen Sprachgebildes bestimmen, erfordert nun ein Rezeptionsweise, die durchaus mit Jakobsons Terminus des »binokularen Sehens«197 umschrieben werden kann. Es gilt demnach, beide Momente an einem poetisch verwendeten Wort – sowohl seine Verwendung als ein kontextuell bestimmtes Zeichen, d. h. als Bestandteil einer syntagmatischen Abfolge, wie auch seine Verwendung als Wort, d. h. als Bestandteil einer inneren, simultanen Organisation – gesondert in den Blick zu bekommen und diese beiden Momente zur Deckung zu bringen. Erst das Zusammenspiel einer dissoziierenden mit einer integrierenden Betrachtungsweise vermag dem »ständigen Zusammenspiel zwischen Laut und Bedeutung«198 in einem poetischen Sprachgebrauch Rechnung zu tragen. Besonders markant zeigt sich dies im Falle von Jakobsons Betrachtung einer poetischen Verfahrensweise, die er bereits in seinen frühen Schriften mit dem Terminus der »poetischen Etymologie« bzw. der »etymologischen Metapher« belegt: »Solche Lautfolgen wie [Jaroslav] Seiferts Zeile dlouhé dalekohledy ›lange Fernrohre‹ (also das, was in der Terminologie der neueren 196
»Linguistics and Poetics«; SW III, 42. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 110. (Korr. Übs. von mir.) – Äußerst bemerkenswert ist die englische Übersetzung, die Jakobson in »Linguistics and Poetics« dem im deutschen Wortlaut zitierten »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis« beigibt: »Anything transient is but a likeness«. Wie sich an dieser Übersetzung und dann an der ›technischen‹ Reformulierung »anything sequent is a simile« (op. cit.; SW III, 42) erkennen läßt, biegt sich Jakobson den Goetheschen Vers für seinen sachlichen Zusammenhang zurecht. Jakobson versteht das »Alles Vergängliche« gerade nicht im Sinne von ›endlich‹ oder gar von ›sterblich‹, sondern im Sinne einer verlaufshaften Abfolge (anything transient; anything sequent), der er das »Gleichnis« – engl. parable! – im Sinne von die ›Gleichnis‹, Gleichheit (likeness) oder Ähnlichkeit (simile) an die Seite stellt. Für Jakobson scheint also das Ineinandergreifen einer verlaufshaften Kontiguitätsbeziehung und einer als simultan gewerteten Beziehung von Ähnlichkeitsmerkmalen bereits in Goethes Schlußvers von »Faust II« angesprochen zu sein. 197 Siehe Anm. 194. 198 »Retrospect«; SW III, 767. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 248 (Übs. leicht modifiziert).
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russischen Poetik den sogenannten povtor darstellt, das heißt eine Wiederholung vom Typ abc-ab-cba [dl..h. d.l…hl.d.]) bilden eine lautbildliche Parallele, eine poetische Eytmologie, wie ich [R. J.] es nenne. Eine umfangreiche und vielfältige Anwendung solchen Spiels mit der Ähnlichkeit verwandter Lautgruppen erhöht nicht nur die Prägnanz des Verses, sondern bereichert auch die poetische Semantik (das Spiel mit Wortbedeutungen).«199 – »In der Dichtung wird die innere Form eines Wortes [name], d. h. die semantische Aufladung seiner Konstituenten, ausgenutzt. Bei den ›Cocktails‹ kann ihre versteckte Verwandtschaft mit dem Gefieder zum Tragen kommen. Deren Farben werden in Mac Hammonds Versen lebendig: ›The ghost of a Bronx pink lady // With orange blossoms afloat in her hair‹, und die etymologische Metapher taucht auf in: ›O, Bloody Mary, // The cocktails have crowed not the cocks!‹ (›At an Old Fashion Bar in Manhattan‹).«200 Das »Wort als Wort« – um nochmals Jakobsons Wendung aufzugreifen – kommt also in poetischer Sprachverwendung insofern zur Geltung, als eine syntagmatische Abfolge von bestimmten sprachlichen Einheiten (z. B. eine 199
»Schluß mit der dichterischen Kleinkrämerei« [1925]; Semiotik, 196–205; hier 201 (übs. von J. Toman). – Bemerkenswert, daß Jakobson bereits in diesem frühem Aufsatz (und im Gegensatz zu Osip Brik) den »Zvukovye povtory« [Klang-Wiederholungen] einen semantischen Wert zuerkennt. 200 »Linguistics and Poetics«; SW III, 48. Dt. Übs. Poetik, 118 (korr. Übs. von mir). – Weitere Beispiele für die »poetische Etymologie« behandelt Jakobson anhand von Poes »The Raven« (vgl. op. cit.; SW III, 43f.; dt. Übs. Poetik, 111f.) bzw. anhand von Chlebni kovs »Kuznecik« [Die Heuschrecke] (vgl. »Subliminal Verbal Patterning in Poetry« [1970]; SW III, 136–147; hier 138f. Dt. Übs. »Unterbewußte sprachliche Gestaltung in der Dichtung« [übs. von W. Klein]; Poetik, 311–327; hier 314). – Vgl. auch »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin«; SW III, 415f.: »Im Gedicht [›Die Aussicht‹] wird [...] Die prächtige Natur genannt, welche des Menschen Tage erheitert und ihn von Zweifeln um die [...] oft umwölkte und verschlossene Innerheit der Welt befreit. Die poetische Etymologie, die besonders die späteste Wortkunst Hölderlins beherrscht, zerschlägt und vereinigt die verknüpften Wörter Inn-erheit und erheit-ert; eine ähnliche Assoziation scheint Vollkommen-heit und heiter zu verbinden [...]. Eine sonderbar wirksame Ausnutzung derartiger semantischer Beziehungen wie Synonymie, Antonymie und grammatische Paradigmatik ist in Hölderlins ›poëtischer Verfahrungsweise‹ mit einem Reichtum paronomastischer Kunstmittel eng verflochten.« (Gesperrte Hervorh. von mir.) Anhand des hier von Jakobson Veranschlagten läßt sich auch Heideggers Verfahren der »Wort«-Bildung verstehen als ein poetisch-etymologisches Zusammenspiel von synonymen bzw. antonymen Lexemen mit der grammatischen Paradigmatik, welches genuine semantische Bezüge schafft; vgl. etwa Heideggers Verfahren mit dem oben (139ff.) behandelten »Wort«-Spektrum »verzeihen–zeihen« oder seinen Umgang mit dem Wortfeld »ziehen« anläßlich seiner Erläuterung des Hölderlinschen Verses »die wunderbar / Allgegenwärtig erziehet in leichtem Umfangen / Die mächtige, die göttlichschöne Natur«: »Die Natur ›erziehet‹ ›wunderbar allgegenwärtig‹. [...] Dieses [Wunderbare] entzieht sich allem Herstellen und durchzieht doch Jegliches mit seiner Anwesenheit. Deshalb erzieht die Natur ›in leichtem Umfangen‹.« (EH, 52f. Hervorh. von mir.)
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Lautfolge, eine Abfolge von Morphemen und von Lexemen) konterkariert wird durch äquivalente Bezüge, die sich nicht ausschließlich über ihren jeweiligen Stellenwert in dieser Abfolge definieren, sondern die auch und vor allem einer anderen, intrinsischen Organisationsform unterliegen. Über den kognitiven Bedeutungswert dieser Abfolge hinaus eröffnen solche intrinsischen Bezüge genuine Bedeutungsvalenzen, sie fungieren also nicht als bloß rhetorischer Ornatus, der nur jenen kognitiven Gehalt wie auch immer unterstützt und intensiviert. Mit einer ungeheuer variationsfähigen Bandbreite bei ihrer konkreten Ausprägung kommen diese genuinen Bedeutungsvalenzen zum Vorschein durch eine Transformation des (für eine jede Sprachgemeinschaft) obligatorischen Laut-Bedeutungs-Nexus – durch eine Transformation, welche sich beschreiben läßt als die ›Destruktion‹ und zugleich als die (modifizierte) Konstitution eben dieses Nexus. Dabei kann gerade der gehäufte Gebrauch von lexikalisch äquivalenten (synonymen) Spracheinheiten in einer poetisch verwendeten Abfolge dazu beitragen, daß die Neugewichtung des Laut-Bedeutungs-Nexus besser sichtbar, d. h. ›bloßgelegt‹ wird. Prototypisch faßbar wird dies für Jakobson gerade an solchen dichterischen Sprachgebilden, die von ihrer Faktur her als ›primitiv‹ erscheinen. Durch einen auffällig stereotypisierten Gebrauch gerade auch von lexikalisch äquivalentem Sprachmaterial besitzen diese Sprachgebilde einen ›vitiösen‹ tautologischen Charakter; zugleich aber sind diese tautologischen Formen dort positiv anverwandelt für die Entfaltung von Parallelismen, die auf der prosodischen, phonematischen und/oder morphologischen Ebene den Laut-Bedeutungs-Nexus neu akzentuieren: »In der gesungen und gesprochen vorgetragenen Volkserzählung von Foma und Erema (Thomas und Jeremias) dienen die beiden vom Pech verfolgten Brüder als humoristische Motivierung für eine Kette paarweiser Phrasen, die den Parallelismus, wie er für die russische Volkspoesie typisch ist, parodieren: sie legen seine Pleonasmen bloß und geben eine scheinbar differenzierende, in Wirklichkeit aber tautologische Charakteristik der beiden ›Helden‹, indem sie synonyme Ausdrücke oder parallele Anspielungen auf eng angrenzende und weitgehend übereinstimmende Erscheinungen zusammenstellen […]:
Eremu šeju, a Fomu v tolcki! Erema ušel, a Fomu ubezal, Erema v ovin, a Fomu pod ovin, Erema syskali, a Fomu našli, Eremu bili, a Fome ne spustili, Erema ušel v bereznik, a Foma v dubnik.
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Erema wird hinausgeschmissen, aber Foma wird hinausgeworfen! Erema ging weg, aber Foma lief weg, Erema in die Korndarre, aber Foma unter die Korndarre, Erema spürten sie auf, aber Foma fanden sie, Erema schlugen sie, aber Foma ließen sie nicht laufen, Erema ging fort in einen Birkenwald, aber Foma in einen Eichenwald. Die Unterschiede zwischen den zusammengestellten Taten der beiden Brüder sind bedeutungslos, die elliptische Phrase ›Foma v dubnik‹ (Foma in einen Eichenwald) wiederholt die vollständige Phrase ›Erema ušel v bereznik‹ (Erema ging in einen Birkenwald); beide Helden sind gleicherweise in den Wald gelaufen, und wenn der eine den Birkenhain vorzog, der andere den Eichenhain, so nur deshalb, weil Erëma und beréznik beide Amphibrachen sind, während Fomá und dubník beide Jamben sind.«201 Insofern für Jakobson das konstitutive Prinzip einer jeden poetischen Sprachverwendung, der Parallelismus, auf allen sprachlichen Ebenen einer syntagmatischen Abfolge Raum zu greifen vermag – und zwar mit umso durchgängigerer ›Konsistenz‹, je mehr Sprachebenen über Parallelismen organisiert sind –, findet das Äquivalenzprinzip hier auch auf der lexikalischen Sprachebene eine ›erneute‹ Geltung. Ja, man könnte im Falle des poetischen Sprachgebrauchs durchaus von einer Äquivalenz der Äquivalenzbeziehungen sprechen, d. h. von einer gleichwertigen Gewichtung der verschiedensten Formen von sprachlicher Gleichwertigkeit, insofern es hier im strengen Wortsinn egal ist, »ob es sich um eine Ähnlichkeit zwischen zwei grammatischen Kategorien oder zwischen zwei lexikalisch verwandten Einheiten handelt«.202 Insofern aber vor allem die lexikalischen Einheiten zum ›realen‹, kognitiven Bedeutungswert in einer syntagmatischen Abfolge beitragen, bleiben die 201
»Поэзия грамматики и грамматика поэзии«; SW III, 67f. Dt. Übs. »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie«; Poetik, 238f. (Korr. Übs.) – Deutlich erkennbar ist hier wiederum Jakobsons »binokularer« Blick auf die beiden Momente an den poetisch verwendeten Wörtern bereznik (Birkenwald) und dubnik (Eichenwald): einerseits auf ihren kontextuellen Stellen- und Bedeutungswert innerhalb der jeweiligen syntagmatischen Abfolge, andererseits aber auf ihre innere (hier: prosodische) Organisationsform, die durch die metrische Parallelisierung von Erëma und beréznik bzw. von Fomá und dubník zum Vorschein kommt. Dem entspricht genau folgende Reflexion Jakobsons: »Als ich zu Beginn dieses Aufsatzes [vgl. oben Anm. 118] von einer jungen Dame sprach, der ich im Zug begegnet war, wurde das Wort ›Dame‹ einfach dazu verwendet, um damit auf den bedeuteten Gegenstand aufmerksam zu machen. In dem Satz ›Dame ist ein zweisilbiges Wort‹ wendet man jedoch dasselbe Wort an, um auf es selbst aufmerksam zu machen. Die poetische Funktion verwickelt das Wort gleichermaßen in beide dieser Gebrauchsweisen.« (»Language in Operation«; SW III, 17. Dt. Übs. und Hervorh. von mir.) 202 »Беседы (Dialogues)«; SW VIII, 542. Dt. Übs. Dialoge, 116.
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lexikalisch äquivalenten Bezüge in einer poetisch funktionalisierten Sequenz tautologisch im Sinne von nichtssagend, inhaltsleer. Aber gerade durch solche lexikalische Parallelismen wird in der poetischen Sprachverwendung das »Wort als Wort« am deutlichsten erfahrbar: Der als primär gewertete Aspekt der ›objekthaften‹, kognitiven Bedeutung wird in tautologischen Sequenzen auf ein Minimum reduziert – nicht aber annulliert –, und im Gegenzug dazu können andere, ansonsten vom lexikalischen Aspekt überblendete Äquivalenzen aufgewertet werden.203 Sofern bei einer poetischen Sprachverwendung »nicht nur eine phonologische Abfolge, sondern ebensogut eine Abfolge von semantischen Einheiten danach strebt, eine Gleichung aufzubauen« 204, erweist sich die Tautologie hier wiederum, wie im Falle des metasprachlichen Sprachgebrauchs, als ein ausgezeichneter Indikator für eine bestimmte Anwendung von gleichwertigen Sprachformen. Im Falle einer metasprachlichen Operation markiert aber die tautologische Satzform ›A = A‹ das syntaktische Grundmuster, das unterschiedslos für eine jede metasprachliche Gleichung gilt; die tautologische Satzform markiert den negativen semantischen Grenzwert an einer 203
Vgl. dazu Jakobsons grundsätzliche ›Reduktion‹ des kognitiven Bedeutungswertes einer Sprachäußerung auf ein (wenngleich auf ein zumeist wesentliches) Moment aller Sprachverwendung: »Obwohl eine Einstellung auf den Referenten, eine Orientierung auf den Kontext hin – kurz, die sogenannte referentielle, ›denotative‹ oder ›kognitive‹ Funktion – das leitende Vorhaben bei vielen Mitteilungen ist, muß der Linguist den untergeordneten Anteil der anderen Funktionen in solchen Mitteilungen berücksichtigen.« (»Linguistics and Poetics«, SW III, 22. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 88f. Korr. Übs. von mir.) So bringt umgekehrt die Dominanz einer nicht-referentiellen – mithin auch der poetischen – Sprachfunktion in einer Sprachäußerung auch eine Verschiebung des gemeinhin dominanten Stellenwertes der referentiellen Funktion und des mit ihr verbundenen kognitiven Bedeutungswertes mit sich: »Eine sprachwissenschaftliche Analyse, die notwendig die Verschiedenheit der Sprachfunktionen berücksichtigt und die sich konsequent auf ›die Eigentümlichkeit der poetischen Sprache‹ einläßt, kann die besonderen Strukturen, die diese Sprache charakterisieren, nicht verkennen. So kommt Baudelaire, für den [...] ›les mots ont, en eux-mêmes et en dehors du sens qu’ils expriment (d. h. über ihre lexikalische Bedeutung hinaus) une beauté et une valeur propres‹, dem jüngeren Dichter und Theoretiker im letzten Jahrhundert sehr nahe: G. M. Hopkins, der der ›grammatischen Figur‹ ein besonders poetisches Gewicht zuschrieb: ›[Diese grammatische Figur] kann so gestaltet sein, daß man sie um ihrer selbst willen wahrnimmt, und zwar über ihren Bedeutungsaspekt hinaus‹.« (»Retrospect«; SW III, 769. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« [= Anm. 2], 251. Korr. Übs. und Hervorh. von mir.) Daß hier Jakobson nicht einer rein ›formalistischen‹, asemantischen Poetik das Wort redet, wird daran deutlich, daß, Jakobsons Baudelaire- bzw. Hopkins-Zitat zufolge, die Wahrnehmung des eigentümlichen Charakters einer »grammatischen Figur« gerade nicht ohne, sondern über die Wahrnehmung ihres lexikalischen Bedeutungsaspektes hinaus erfolgt: Ein weiterer Anhaltspunkt also für Jakobsons analytische Methode des »binokularen Sehens«. 204 »Linguistics and Poetics«, SW III, 42. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 110 (Übs. modifiziert). Hervorh. von mir.
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metasprachlichen Mitteilung, insofern sich diese Mitteilung auf die tautologische Konstatierung einer lexikalischen Äquivalenz beschränkt, also nicht über eine solche Konstatierung hinausführt und insofern sie nur dazu dient, erst einmal die Verwendbarkeit eines Sprachzeichens als Träger eines kognitiven Bedeutungswertes sicherzustellen. (Der metasprachliche Satz »Stute ist ein weibliches Pferd« vemittelt keinen kognitiven Gehalt über das signatum, das mit dem Sprachzeichen »Stute« verbunden ist, sondern dieser Satz teilt ausschließlich dieses signatum selbst mit, d. h. den codierten Bedeutungswert, den das Sprachzeichen »Stute« bei seiner kognitiven Verwendung realisieren kann.) Im Falle eines poetischen Sprachgebrauchs hingegen markiert die Tautologie in gewisser Weise den positiven semantischen Grenzwert an einer poetischen Mitteilung (message). Über den linearen Verlauf der poetischen Sprachäußerung hinweg gewinnt hier eine intrinsische Organisationsform der sprachlichen Einheiten insofern eine genuine semantische Wertigkeit, als diese Organisationsform den kognitiven, lexikalisch vermittelten Bedeutungsgehalt einer poetischen Mitteilung in seinem Stellenwert einzuschränken und im extremen Fall sogar auf ein minimalen Stellenwert zu reduzieren vermag. Anders formuliert: Daß in einer poetischen Mitteilung die Bedeutungsform und der Bedeutungsgehalt nicht mehr hierarchisch organisiert und nicht mehr voneinander abstrahierbar sind, liegt an der modifizierten Gewichtung des Zeichencharakters der poetisch verwendeten Spracheinheiten. Insofern eine durchgängig äquivalente Organisation der poetisch verwendeten Spracheinheiten auch die lexikalische Ebene miterfaßt, bedeutet hier eine tautologische Organisation, d. h. der Grenzfall einer Gleichwertigkeit auf der lexikalischen Sprachebene, nicht einfach nur das ›Ende‹ einer poetischen Mitteilung. Sondern von ihr aus zeigt sich in prägnanter Weise die Möglichkeit, wie in der poetischen Mitteilung Form und Bedeutung als unveräußerliche Konstituenten miteinander verschmelzen: Eine Semantisierung der formalen Elemente in einer poetischen Mitteilung ist nicht denkbar ohne eine Formalisierung der sprachlichen Bedeutung – und also ohne den schwindenden Stellenwert der realen, lexikalisch vermittelten Bedeutung. Auf der Folie von Jakobsons strukturaler Poetik ist seine These von der Unübersetzbarkeit aller Dichtung zu verstehen als der Befund über die Tatsache, daß hier die primäre übersetzerische Konzentration auf einen lexikalischen Bedeutungswert nicht für den übersetzerischen ›Erhalt‹ der spezifischen formalen Strukturation und der darin begründeten Bedeutungsvalenzen zureicht.205 Zugleich aber wirft jene These auch ein Licht auf den Duktus von Jakobsons eigener Metasprache bei der Analyse des poetischen Sprachgebrauchs. Entsprechend seiner methodologischen Abkehr von heteronomen 205
Siehe oben, 229f.
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linguistischen Beschreibungs- und Analysekriterien sieht Jakobson die Möglichkeit einer methodisch und metasprachlich adäquaten Analyse des poetischen Sprachgebrauchs gerade mit einem linguistischen Blickwinkel gegeben, der sich auf die hier dominanten sprachlichen Verfahrensweisen einstellt und beschränkt. Nur so kann dem linguistischen Theorem, daß der »poetischen Gesamtstruktur eines poetischen Werkes«206 alle anderen sprachlichen Funktionen untergeordnet sind, auch in der metasprachlichen Analyse des Linguisten Rechnung getragen werden. Anders formuliert: Wenn sich diese reduktive Einstellung für Jakobson zunächst als eine Aufmerksamkeit auf das »Wort als Wort«207 gestaltet, dann deutet sich in all diesen tautologischen Formulierungen Jakobsons an, daß die für jede poetische Mitteilung dominante und irreduzible Organisationsform auch in der linguistischen Analyse erst einmal als solche anzuerkennen ist: »Die Dominante spezifiziert das Werk. Der spezifische Zug der gebundenen Rede ist eindeutig ihr prosodischer Bau [pattern], ihre Versform. Es hat den Anschein, daß dies nur eine Tautologie ist: Vers ist Vers. Doch dürfen wir nicht vergessen, daß dasjenige Element, welches eine gegebene Spielart der Sprache spezifiziert, die ganze Struktur dominiert und dabei als deren entscheidende und unveräußerliche Konstituente auftritt, die alle übrigen Elemente dominiert und auf sie einen direkten Einfluß ausübt.«208 Diese reduktive Einstellung der linguistischen Analyse bewirkt aber nun gerade nicht eine Reduzierung der poetischen Sprache auf ein Ensemble von formal-sprachlichen Erscheinungen, die im Gegensatz zur ›herkömmlich‹ repräsentierenden Sprachverwendung keinen semantischen Wert mehr aufweisen und die insofern autonom wären. Das Ziel einer solchen reduktiven Einstellung ist vielmehr, das »ständige Zusammenspiel von Laut und Bedeutung«,209 d. h. den für eine poetische Mitteilung spezifischen Bezugsmodus zwischen signans und signatum, in den Blick zu bekommen. Indem dieses Zusammenspiel den in einer Sprache obligatorischen Laut-BedeutungsNexus neu gewichtet – nicht aber auflöst –, tritt die poetische Mitteilung als solche, d. h. als ein integrales Ganzes von Form und Bedeutung, in den Brennpunkt des analytischen Interesses: »Heute ist dem Sprachwissenschaftler bewußt, daß er die Frage nach der Form nicht von der Frage nach der Bedeutung trennen darf; aber es wäre keine geringere Verfehlung des Ziels, wenn man die Frage nach der Bedeutung des dichterischen Ganzen entschei206
»Retrospect«; SW III, 767. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 247 (Übs. modifiziert). Hervorh. im Original. 207 Siehe oben, 235. 208 »The Dominant«, SW III, 751. Dt. Übs. »Die Dominante«; Poetik, 212 (Übs. modifiziert). 209 »Retrospect«; SW III, 767. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie«, 248 (Übs. modifiziert).
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den würde ohne die wissenschaftliche Berücksichtigung derjenigen Bestandteile, aus denen sich dieses Ganze zusammensetzt.«210 – »[Den] Sprachforscher beschäftigen in erster Linie semantische Probleme auf allen Sprachebenen, und wenn er zu beschreiben versucht, wie sich ein Gedicht aufbaut, dann erweist sich dessen Bedeutung – kurz: der semantische Aspekt des Gedichtes – als ein integraler Bestandteil des Ganzen«.211 Die semantische Analyse eines Gedichts – d. h. eines besonders prägnanten Falls von poetisch funktionalisierter Sprachverwendung – überschreitet somit nicht die linguistische Betrachtungsweise, sondern fällt geradezu in das linguistische Universum der Bedeutung.212 Innerhalb dieses linguistischen Universums der Bedeutung hebt sich für Jakobson die ›Poetizität‹, d. h. die poetische Struktur einer sprachlichen Mitteilung, keineswegs scharf ab von dem gemeinhin primären, kognitiven Bedeutungsaspekt einer Sprachäußerung. Die linguistische Analyse einer poetischen Mitteilung scheidet nicht einfach deren kognitiven Aspekt als unverwertbar aus, sondern sie begreift ihn vielmehr als Bestandteil eines umfassenderen Transformationsprozesses: »Die ›Literarizität‹ – mit anderen Worten: die Transformation eines sprachlichen Aktes in ein poetisches Werk und das System der Verfahrensweisen [devices], die eine solche Transformation zustande bringen, – ist das Thema, das der Linguist bei seiner Analyse von Gedichten entwickelt.«213 Wenn also Jakobsons linguistische Analyse ein poetisches Sprachgebilde als das Resultat eines dynamischen Transformationsprozesses behandelt, dann betrachtet sie damit ein Gedicht nicht als einen absoluten Gegenstand, nicht als ein Ensemble von bestimmten gegebenen Sprachtatsachen, welches mechanisch in seine Einzelteile zerlegt, ›analysiert‹ werden soll. Sondern diese strukturale Analyse sieht in dem Transformationsprozeß, der einem poetischen Sprachgebilde zugrunde liegt, sowohl eine Dissoziation des herkömmlich codierten Laut-Bedeutungs-Nexus als auch, gegenläufig dazu, eine Neukonstitution des Laut-Bedeutungs-Nexus am Werk: Innerhalb einer poetischen Mitteilung erfolgt die Dissoziation oder, in Jakobson Nomenklatur, »die Vertiefung der Dichotomie zwischen Zeichen und Objekt« nicht um
210
»Бeceды (Dialogues)«; SW VIII, 533. Dt. Übs. Dialoge, 105. (Übs. modifiziert.) »Retrospect«; SW III, 766. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie«, 246 (korr. Übs. von mir). Hervorh. von mir. 212 Vgl. E. Cassirer, »Strukturalismus in der modernen Linguistik« (aus dem Englischen von E. Manske), in: ders., Geist und Leben, hrsg. von E. W. Orth, Leipzig 1993, 317–348; hier 339: »Der Linguist lebt in seiner eigenen Welt. Sein Universum ist ein symbolisches, ein Universum der Bedeutung. Wir können die Bedeutung nicht auf die gleiche Weise und mit den gleichen Methoden analysieren, wie wir dies mit chemischen Verbindungen im Labor tun.« 213 »Retrospect«; SW III, 766. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie«, 247 (Übs. modifiziert). 211
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ihrer selbst willen. Sondern sie dient der Neuverwertung und Neubewertung des signans-signatum-Bezuges, der »Spürbarkeit der Zeichen« (und nicht etwa nur der Signifikanten).214 Von linguistischer Seite aus erfordert aber der rekonstruktive Nachvollzug dieses Transformationsprozesses und seiner beiden Momente – der Dissoziation und der Neubewertung des Laut-Bedeutungs-Nexus – eine »binokulare« Einstellung: Es genügt für eine strukturale Gedichtanalyse noch nicht, daß sie ihre analytische Aufmerksamkeit einfach auf die formalen (phonologischen, morphologischen, grammatischen) Korrespondenzen einer poetischen Mitteilung richtet und diese Korrespondenzen dann als solche, gleichsam um ihrer selbst willen, beschreibt. Sondern es muß bei dieser Analyse auch die kontextuelle Verwendung der Sprachzeichen, deren lexikalischer Bedeutungswert, anerkannt sein. Erst dadurch läßt sich die »Literarizität« einer poetischen Mitteilung als eine Transformation (als die Dissoziation und Neukonstitution des Laut-Bedeutungs-Nexus) begreifen und damit die formale Organisation dieser poetischen Mitteilung als »das System der Verfahrensweisen, die eine solche Transformation zustande bringen«.215 Eines der bemerkenswertesten Beispiele für diese »binokulare« Einstellung Jakobsons stellt seine Analyse von Shakespeares Sonett 129 dar.216 In einem der ersten Abschnitte, unter der Überschrift »Interpretation«, liefert Jakobson »eine behelfsmäßige erläuternde und möglichst wörtliche Paraphrase [rewording]«217 des Shakespeareschen Sonetts. Mit Hilfe von metasprachlichen Übersetzungen der Shakespeareschen Diktion in ein modernes Englisch (z. B. »Spirit, in the vocabulary of Shakespeare’s era, meant a life-giving, vital power manifested in mind and in semen as well«) restituiert Jakobson dabei den »sprachlichen Akt« Shakespeares im Hinblick auf dessen kognitiven Bedeutungswert, um dann in einer minutiösen Analyse der formalen Organisation des Sonetts einen Einblick zu gewinnen, wie sich hier eine »Menge […] von Wortassoziationen, lexikalischen Mehrdeutigkeiten und Wortspielen«218 über eine Umorganisation – über die Dissoziation und Neukonstitution – des Laut-Bedeutungs-Nexus konstituiert. Gerade diese binokulare Aufmerksamkeit auf das ständige Zusammenspiel von Laut und Bedeutung bewahrt für Jakobson eine strukturale Analyse vor einer ausufernden Semantisierung: »[Es] besteht ein großer Unterschied zwischen seinen [Shakespeares] Wortspielen und Doppelbedeutungen und der Vermutung, daß die semantische Aufladung, die dem Sonett 129 zugeschrie-
214 215 216 217 218
Siehe oben, 236ff. Vgl. Anm. 213. Vgl. »Shakespeare’s Verbal Art in Th’ Expence of Spirit«; SW III, 284–303. Op. cit; SW III, 288 (dt. Übs. von mir). Op. cit.; SW III, 288 (dt. Übs. von mir).
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ben […] wird, frei und unendlich vielfältig sei«.219 Mit anderen Worten: Die strukturale Analyse kann das analysierte Zusammenspiel von Laut und Bedeutung nicht wiederum auflösen durch die neuerliche metasprachliche Explikation eines kognitiven Bedeutungwertes, der auf die formale Organisation des Sonetts keine Rücksicht zu nehmen braucht. In diesem Sinne wendet sich Jakobson zu Schluß seiner Strukturanalyse gegen freischwebende (und v. a. psychoanalytisch inspirierte) Interpretationsversuche, die den in seiner Diktion verknappten Shakespeareschen Vers »Before a joy proposd behind a dreame« in eine explizitere Form zu überführen versuchen: »Die klare Gegenüberstellung eines Genusses [joy], den man zunächst angeboten bekommt, und eines Trugbilds, das hinterher davon übrigbleibt, kann nicht umgestaltet werden in einen Genuß, ›den man sich herbeiwünschen kann mit Hilfe eines Traums, durch den sich die Lust verlängert‹ oder in solche zusätzlichen ›folgerichtigen‹ Bedeutungen wie: ›Bevor ein Genuß überhaupt angeboten werden kann, muß dem ein Traum vorangehen – ein Genuß, der beim Erwachen verloren geht‹; ›bevor ein Genuß überhaupt angeboten werden kann, muß er als Traum überwunden worden sein‹ […] usw. usw. Daß keine dieser vermeintlichen Bedeutungen den geringsten Anhalt in Shakespeares Vers hat, […] kann und muß sich in der Strukturanalyse dieses Textes und der poetischen Gesamtstruktur in all ihren verschlungenen Aspekten erhärten.«220 Dementsprechend verwahrt sich Jakobson sowohl dagegen, die spezifische formale Organisation einer poetischen Mitteilung auf ein absolutes Kriterium für ›die‹ Dichtung zu reduzieren, als auch dagegen, diese formale Organisation zu einem irrelevanten Epiphänomen an literarischen Texten zu erklären: »Einige Polemiker [haben] die haltlose These hervorgebracht, daß unsere Untersuchungen zur grammatischen Gestaltung von Gedichten unweigerlich die Struktur eines literarischen Werkes durch die Überschätzung der grammatischen Kategorien verkürzen und daß wir die einzige suggestive Kraft der Dichtung in den Korrelationen zwischen den morphologischen Klassen und in den syntaktischen Parallelismen bzw. Kontrasten ausmachen. Die pleonastische Feststellung eines der streitbarsten Diskussionsteilnehmer kommt der Wahrheit schon näher: ›Die grammatische Analyse eines Gedichts kann uns nicht mehr bringen als die Grammatik des Gedichts‹. Den Schluß, den er aus dieser Feststellung zieht, – ›die Irrelevanz der Grammatik‹ – ist jedoch richtiggehend falsch.«221 Die »Grammatik der Poesie«, d. h. das System der formalen Korrelationen im poetischen Sprachgebrauch, ist also für Jakobson nur beschreibbar und 219
Op. cit.; SW III, 301 (dt. Übs. von mir). Op. cit.; SW III, 301 (dt. Übs. von mir). 221 »Retrospect«; SW III, 768f. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 250f. (Korr. Übs. von mir.) 220
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analysierbar unter Einbezug der »Poesie der Grammatik«, d. h. des spezifischen Beitrags, den die grammatischen Kategorien zur Bedeutungskonstitution in einer poetischen Mitteilung jeweils leisten. Da sich aber dieser Beitrag nicht pimär im kognitiven, lexikalisch vermittelten Bedeutungswert der poetischen Mitteilung manifestiert, läßt er sich auch nicht primär anhand der lexikalischen Bedeutungen des jeweils untersuchten Gedichtes metasprachlich explizieren. Gerade deshalb vermitteln Jakobsons strukturale Gedichtanalysen in ihrem systematischen Kern – bei der jeweiligen Analyse der realisierten Äquivalenzarten in einem Gedicht – den Eindruck, es handle sich hierbei um eine beliebige Aufzählung von prosodischen, phonologischen, morphologischen, grammatischen und syntaktischen Relationen ohne jeden semantischen Wert. Indem Jakobsons Gedichtanalysen vor allem solchen formalen Bezügen nachgehen, kommt ihren anscheinend die bedeutungsexplizierende Funktion abhanden: Jakobsons interpretatorische Explikation von Gedichten beschränkt sich auf eine tautologische Konstatierung der gleichwertigen Bezüge, die auf den verschiedensten Sprachebenen eines Gedichts bestehen.222 »Natürlich, die Klärung der grammatischen Komposition des Gedichts im Verhältnis zur Architektur seiner Stophen ist nur die erste Frage. Als Antwort darauf erfolgt die weiterführende, reizvolle Frage nach den Gründen oder vielmehr nach den Zielen, an denen sich die gegebene Verteilung der gewählten grammatischen Kategorien in dem gegebenen Gedichtganzen orientiert. Jedoch schon zu Anfang der grammatischen Analyse gebe ich nach Möglichkeit die Wege zur semantischen Interpretation des entdeckten grammatischen Planes an.«223 Gerade durch diese teleologische Perspektive relativiert sich der Beliebigkeitscharakter von Jakobsons konstatierender Aufzählung der formalen Relationen sehr stark. Jakobsons »ganzheitliche« Gedichtanalysen224 zielen nämlich nicht auf eine komplette Erfassung der einzelnen materialen Bestandteile, die in einem Gedicht jeweils gegeben sind – ganz analog zu seinen phonologischen Analysen, die nicht bloß das in einer Sprache gegebene lautliche »Rohmaterial«225, sondern insbesondere diejeni222
Vgl. nochmals die tautologischen Formulierungen Jakobsons, mit denen er seine Definiton der poetischen Funktion erläutert: »Die Gleichwertigkeit wird zur konstitutiven Verfahrensweise in einer Sequenz erhoben. In der Dichtung wird eine Silbe einer anderen Silbe derselben Sequenz angeglichen; Wortakzent gleicht anerkanntermaßen Wortakzent, wie das Fehlen des Akzents seinem Fehlen gleicht; prosodische Länge paßt zu prosodischer Länge, wie Kürze zur Kürze; Wortgrenze gleicht Wortgrenze, das Fehlen einer Grenze dem Fehlen einer Grenze, syntaktische Pause gleicht syntaktischer Pause, das Fehlen einer Pause dem Fehlen einer Pause.« (»Linguistics and Poetics«; SW III, 27. Dt. Übs. »Linguistik und Poetik«; Poetik, 94f. [Übs. modifiziert].) 223 »Бeceды (Dialogues)«; SW VIII, 533. Dt. Übs. Dialoge, 105f. (Übs. modifiziert.) Hervorh. von mir. 224 Siehe oben, Anm. 20. 225 »Zur Struktur des Phonems«; SW I, 304.
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gen Eigenschaften (distinctive features) am phonetischen Material ins Auge fassen, welche eine bedeutungsunterscheidende Funktion ausüben. Anders formuliert: Wie bei der phonologischen Analyse ein reduktives und ein »binokulares« Vorgehen notwendig ist, das die in einer Sprache gegebenen verschiedenen Phoneme auf »einfache binäre Oppositionen«226 zurückführt und das zugleich diese Reduktion im Hinblick auf den bedeutungsunterscheidenden Wert dieser binären Oppositionen vornimmt, so arbeiten auch Jakobsons strukturale Gedichtanalysen auf eine solche Reduktion der in einem Gedicht gegebenen grammatischen Kategorien hin. Für Jakobson stellen die in einem Gedicht jeweils auftretenden grammatischen Kategorien keine isolierte linguistischen Gegebenheiten dar, die dann immer ›irgendwie‹ – aufgrund der Projektion des Äquivalenzprinzips auf die Achse der Kombination – in eine gleichwertige Beziehung zueinander treten. Daß und wie vielmehr diese äquivalenten Bezüge den jeweiligen Bau eines Gedichtes, etwa seinen strophischen oder syntaktischen Bau, tragen (und nicht erst nachträglich ausfüllen), zeigt Jakobson jeweils durch die Herausarbeitung einer Vielzahl von einfachen binären Oppositionen, die als die jeweiligen distinctive features das Gedicht im ganzen – also auch in seinem semantischen Wert – charakterisieren. Beispielhaft hierfür ist wiederum Jakobsons Shakespeare-Analyse, deren einzelne Kapitel-Überschriften besonders deutlich Jakobsons reduktive Vorgehensweise zum Vorschein bringen. So geht Jakobson nach einer »Interpretation« (Kap. 4) des Sonetts 129, d. h. nach der metasprachlichen Reformulierung von dessen kognitivem Bedeutungswert, daran, die »Pervasive Features« (Kap. 5) des Sonetts – etwa das Fehlen von Personalpronomina und von Epitheta, die Beschränkung der finiten Verbformen auf die 3. Person Singular Präsens, aber auch die semantischen Leitmotive einer jeden Strophe – zu charakterisieren. Wie dabei diese features innerhalb des Sonetts zum Tragen kommen, zeigt Jakobson durch die Herausarbeitung von binären Oppositionen, die teilweise mit dem Strophenaufbau konform gehen, teilweise aber diesen konterkarieren: »Die vier strophischen Einheiten [des Sonetts] weisen drei Arten von binären Korrespondenzen auf: 1.) eine Alternation (a b a b), die die beiden ungeraden Strophen (I, III) aneinanderbindet und diese den beiden geraden Strophen (II, IV) entgegensetzt, welche ihrerseits aneinandergebunden sind; 2.) eine Rahmung (a b b a), die die beiden umschließenden äußeren Strophen (I, IV) zusammenbringt und diese den beiden umschlossenen, aufeinander bezogenen inneren Strophen (II, III) entgegensetzt; 3.) eine Nachbarschaft (a a b b), bei der sich jeweils ein Paar von vorangehenden (I, II) und von nachfolgenden (III, IV) Strophen bildet, die einander entgegengesetzt sind. Neben diese drei symmetrischen Verbindungen, die 226
»Zur Struktur des Phonems«; SW I, 303.
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prinzipiell in j e d e m vierstrophigen Bau angelegt sind, tritt in den S h a k e s p e a r e s c h e n Sonetten noch ein wirkungsvoller asymmetrischer Kontrast zwischen dem abschließenden Couplet und den drei Quartetten als den nichtabschließenden Strophen (a a a b). Zusätzlich zu diesen strukturellen Konvergenzen bei den strophischen Einheiten zeigt das Sonett 129, wie die einzelnen Verszeilen ihrerseits deutlich ihre eigenen binären Korrespondenzen entwickeln. Die jambischen Pentameter des vierzehnzeiligen Gedichtes zeigen einen auffallenden Unterschied zwischen der Phrasenintonation in den ersten sieben zentripetalen, hinführenden Zeilen, die auf das Zentrum des ganzen Gedichtes zulaufen, und der Phrasenintonation in den sieben letzten zentrifugalen, wegführenden Zeilen, die von Zentrum weglaufen.«227 Die jeweiligen formalen Gegebenheiten in einem Gedicht – d. h. seine etwaige Einteilung in Strophen und Verse, das Vorhandensein eines bestimmten Reimschemas, das Auftreten von bestimmten grammatischen und syntaktischen Formen usw. – unterliegen also einer Vielzahl solcher binären Oppositionen, deren linguistische Herausarbeitung sich nicht stets an diesen Gegebenheiten als solchen orientiert. Die Herausarbeitung der distinctive features eines Gedichtes orientiert sich vielmehr am semantischen Wert – und d. h. an ihren »signifikanten Funktionen für die semantische Gesamtstruktur«228 dieses Gedichts.229
227
»Shakespeare’s Verbal Art in Th’ Expence of Spirit«; SW III, 286 (dt. Übs. und gesperrte Hervorh. von mir). – Anhand dieser binären Oppositionen geht Jakobson dann den im Sonett realisierten Äquivalenzbeziehungen zwischen den einzelnen grammatischen Kategorien minutiös nach: »Odd Against Even« (Kap. 6), »Outer Against Inner« (Kap. 7), »Anterior Against Posterior« (Kap. 8), »Couplet Against Quartrains« (Kap. 9), »Center Against Marginals« (Kap. 10). 228 »Andrew Marvell’s Poem To His Coy Mistress« [1959]; SW VII, 341–348; hier 348 (dt. Übs. von mir). 229 Es reicht also für eine Strukturanalyse im Sinne Jakobsons nicht zu, daß sie sich an die gegebenen strophischen Einteilungen eines Gedichtes hält und diese nach den dort vorherrschenden grammatischen und syntaktischen Gegebenheiten absucht. So beschränkt sich etwa Jakobsons Analyse von Andrew Marvells »To His Coy Mistress« nicht auf eine Formalanalyse, die im ersten Abschnitt des Gedichts den wiederholten Gebrauch der Subjunktive »would« und »should«, im zweiten Abschnitt denjenigen des futurischen Hilfsverbs »shall« und im dritten Abschnitt denjenigen des präsentischen Adverbs »now« und des imperativischen »let us« konstatiert, um dann daraus direkt Kapital für eine semantische Analyse zu schlagen. »Anstatt hier einige wenige Charakteristika [features] herauszugreifen«, versucht hier Jakobson, durch die Herausarbeitung von binären Oppositionen, die die gegebene Dreiteilung des Gedichtes in vielfältiger Weise bestätigen und konterkarieren, »die gesamte Auswahl und Anordnung der grammatischen Kategorien in Marvells Gedicht einer konsistenten Analyse zu unterziehen. [...] Bei seinen zahlreichen Verben weist das Gedicht zugleich grundlegende Beschränkungen im Konjugationsmuster auf; einige von ihnen betreffen den gesamten Text, einige aber nur bestimmte Teile des Textes. Jeder Gedichtabschnitt besteht seinerseits aus drei Teilen: aus einem Kern (2) und aus zwei
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Da aber dieser semantische Wert einer poetischen Mitteilung nicht im lexikalisch codierten Bedeutungswert eines sprachlichen Aktes aufgeht, da hier vielmehr umgekehrt dieser lexikalisch codierte Bedeutungswert einer Transformation des Laut-Beutungs-Nexus unterliegt und im semantischen Wert einer poetischen Mitteilung aufgeht, hat sich die linguistische Analyse auf diese Asymmetrie zwischen dem semantischen Wert der poetischen Mitteilung und ihrem lexikalisch codierten Bedeutungswert einzustellen.230 Anders gesagt: Das funktionale Ziel einer strukturalen Gedichtanalyse im Sinne Jakobsons ist es gerade nicht, diese Asymmetrie zu beheben und nun eine metasprachliche Mitteilung darüber zu liefern, daß der lexikalische Bedeutungswert der im Gedicht verwendeten Sprachzeichen auf der Ebene der formalen Erscheinungen wieder auftaucht und sich dort mimetisch bestätigt, daß also in ›der‹ Dichtung stets eine Symmetrie herrsche zwischen dem, was gesagt wird und dem, wie es gesagt wird. Sondern es ist hier ein »binokulares« Sehen erforderlich, das erst einmal diese Asymmetrie in den Blick bekommt, um dann eine linguistische Mitteilung über eine poetische Mitteilung erbringen zu können.231
Rändern – einem Eingang (1) und einem Beschluß (3). Alle drei [Teile] unterscheiden sich deutlich in ihrem grammatischen Aufbau, insbesondere durch einen auffälligen Kontrast zwischen dem Kern und den Rändern. Abschnitte 1 2 3
I Erster Eingang Erster Kern Erster Beschluß
II Mittlerer Eingang Mittlerer Kern Mittlerer Beschluß
III Letzter Eingang Letzter Kern Letzter Beschluß
Der erste Eingang unterscheidet sich von den beiden anderen Eingängen und kann als ›äußerer Eingang‹ – in Opposition zu den beiden ›inneren Eingängen‹ – bezeichnet werden. In gleicher Weise ist der letzte Beschluß ein ›äußerer Beschluß‹ des Gedichts, welcher von den beiden anderen ›inneren Beschlüssen‹ unterschieden werden muß. Die beiden ›äußeren Ränder‹, [d. h.] der erste Eingang und der letzte Beschluß, unterscheiden sich merklich von den ›inneren Rändern‹ [d. h. vom ersten Beschluß/mittleren Eingang bzw. vom mittleren Beschluß/letzten Eingang], welche den mittleren Abschnitt [II] gegen die beiden anderen [Abschnitte I und II] abgrenzen.« (Op. cit.; SW VII, 342f. Dt. Übs. von mir.) – Vgl. dazu »Пoэзия грамматики и грамматика поэзии«; SW III, 71. Dt. Übs. »Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie«; Poetik, 243. 230 Zu dieser Asymmetrie vgl. auch oben, Anm. 63. 231 So arbeitet Jakobson etwa bei seiner Analyse von Hölderlins »Die Aussicht« solche sprachlichen Verfahrensweisen heraus, die das Gedicht als ein ›monologisches‹ kennzeichnen (so z. B. die Rücknahme der Pronomina der 1. und 2. Person, das Vorherrschen der 3. Person, des Präsens, des indikativischen Modus, die Bildung von verallgemeinernden »wenn«-Aussagen, der überwiegende Gebrauch von abstrakten Nomina etc.). Keineswegs ist aber mit all dem gesagt, daß diese charakteristische Monologizität nun auch ein oder gar das beherrschende Thema des Gedichts wäre oder daß gar dieses Gedicht nur noch als das Dokument eines zerrütteten Geistes zu lesen wäre (siehe auch oben, bes. Anm. 115).
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Roman Jakobson
Jakobsons Gebrauch von Diagrammen, d. h. von ikonischen Abbildern der in einem Gedicht jeweils vorherrschenden Beziehungen, entspricht nun genau einem tautologischen Festhalten dieser Asymmetrie zwischen Code und Mitteilung. Die weitaus überwiegende Mehrheit dieser Diagramme verzeichnet nämlich ein Nebeneinander der wörtlichen Wiedergabe von lexikalischen Einheiten einerseits und der ikonischen Abbildung ihrer formalen Strukturation andererseits.232 Anhand solcher Diagramme präsentiert Jakobson in einer Art simultanen Zusammenschau den lexikalischen Bedeutungswert – das sachhaltige ›Was‹ – der im Gedicht verwendeten Sprachzeichen und zugleich das ›Wie‹ ihrer Anordnung, welches seinerseits nicht direkt semantisierbar, also nicht unmittelbar für das sachhaltige ›Was‹ des Gedichts verwertbar ist, sondern das zunächst nur als solches metasprachlich explizierbar – und abbildbar – ist.233 232
Um noch einmal Jakobsons Hölderlin-Analyse als Beispiel anzuführen: Von den insgesamt 17 Diagrammen bedienen sich 11 derjenigen lexikalischen Einheiten, die in der »Aussicht« verwendet sind. Weitere fünf Diagramme betreffen die Abbildung von bestimmten wiederkehrenden phonologischen Einheiten (vgl. »Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin«; SW III, 406; 413) bzw. die Wiedergabe der Verteilung der nominalen Genera und Kasus (vgl. op. cit.; SW III, 406f.) Nur ein einziges Diagramm bezieht sich auf die prosodische (d. h. auf die vor aller sprachlichen Artikulation liegende) Sprachebene des Gedichts und operiert insofern mit non-verbalen Zeichen. Aber auch dieses Diagramm bildet nur den Auftakt zu zwei weiteren Diagrammen, die sich wieder der lexikalischen Einheiten des Gedichtes bedienen (vgl. op. cit.; SW III, 397f.). 233 Die Unmöglichkeit einer direkten Semantisierung von formalen Verhältnismäßigkeiten bestätigt sich in Jakobsons Gedichtanalysen auf eine bezeichnende Weise: Gerade dann, wenn Jakobson aus seinen jeweiligen Diagrammen einen direkten explikatorischen Gewinn zu ziehen versucht, lösen sich seine strukturalen Analysen auch vom jeweils untersuchten Gedicht. So analogisiert Jakobson anhand zweier – äußerst reduktionistischer – Diagramme den Bildaufbau eines Gemäldes (»Le Rêve«) von Henri Rousseau mit den Bauprinzipien eines achtzeiligen Gedichts, das als »Inscription pour le Rêve« dem Gemälde beigegeben ist. (Vgl. »On the Verbal Art of William Blake and Other Poet-Painters[:] II. Henri Rousseau’s Poetic Appendix to His Last Painting« [1968]; SW III, 331–338; hier 334. Dt. Übs. »Henri Rousseaus poetischer Zusatz zu seinem letzten Bild« [übs. von D. Münch]; Semiotik, 233–242; hier 236f.) In ähnlicher Weise korreliert Jakobson die von ihm herausgearbeiteten Symmetrien und Korrespondenzen in einem Dante-Sonett mit den Gestaltungsprinzipien der zeitgenössischen Malerei (Giotto) und Skulptur (Arnolfo di Cambio; Giovanni Pisano). (Vgl. »Vocabulorum Constructio in Dante’s Sonnet ›Se vedi li occhi miei‹« [Mitverfasser: P. Alesio]; SW III, 176–192; hier 191f.) Der explikative Wert von solchen Analogisierungen liegt in der Erhellung des Modus operandi, der als eine genuine Sinneinheit jeweils gegebenen kulturellen Phänomenen zugrunde liegt und der für diese Phänomene jeweils in individueller oder gar in epochenspezifischer Hinsicht charakteristisch ist. Vergleichbar – und auch von Jakobson verglichen worden – ist dieses Vorgehen mit demjenigen Erwin Panofskys, der in seiner (nicht unumstritten gebliebenen) Studie die historischen Erscheinungen, d. h. die faktisch gegebenen »Monumente« der mittelalterlichen Kathedralarchitektur und der scholastischen Summen als die »Dokumente« einer ihnen gemeinsamen Vefahrensweise (modus operandi) begreift: »Weil d i r e k t e
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Das funktionale Ziel von Jakobsons strukturalen Gedichtanalysen liegt also darin, die sprachlichen Einheiten eines Gedichtes metasprachlich noch einmal so zu verwenden, daß an diesen sprachlichen Einheiten das ›Wie‹ ihrer internen Beziehungen als das Resultat einer jeweils charakteristischen Verfahrensweise zu Tage tritt. Insofern aber Jakobson diese Verfahrensweise als einen dynamischen Transformationsvorgang begreift, der sich vornehmlich nicht der Erfindung einzelner neuartiger Sprachformen, sondern dem neuerlichen Umgang mit den in einer Sprache ›gegebenen‹ Sprachformen verdankt, so behandeln seine Gedichtanalysen und die darin verwendeten Diagramme ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand nicht als ein Ensemble von Sprachformen, mit denen unmittelbar ein poetischer Charakter gegeben ist. Sondern diesen Analysen liegt selbst ein transformatorischer Umgang mit den in einem poetischen Sprachgebilde ›gegebenen‹ Sprachformen – eine Tätigkeit der Destruktion und Neukonstitution des untersuchten Sprachgebildes – zugrunde.234 Jakobsons Analyse von poetisch verwendeten Sprachzeichen stellt eine Beziehung zur eben dieser poetischen Verwendung her, indem sie in der metasprachlichen Verwendung dieser Sprachzeichen zeigt, wie jene Sprachzeichen Evidenz für die Verbindung von gotischer Architektur und scholastischer Philosophie weitestgehend fehlt, beschreitet Panofsky den Weg, durch das Aufdecken eines tertium comparationis eine solche Verbindung aufzuweisen. In dieser Argumentation werden Leistungen der Philosophie und Architektur wechselweise als ›Monument‹ und ›Dokument‹ [...] herangezogen. Durch Analyse werden ausgewählte Monumente scholastischen Schrifttums als Dokumente eines ihnen zugrundeliegenden modus operandi erkennbar. Die Annahme, daß der scholastische modus operandi auch die T ä t i g k e i t mittelalterlicher Architekten geprägt habe, erlaubt, ausgewählte Züge [features!] einer ausgewählten Gruppe von Bauwerken als Dokumente derselben Denkgewohnheiten und desselben modus operandi zur Sprache zu bringen.« (T. Frangenberg, »Nachwort«, in: E. Panofsky, Gotische Architektur und Scholastik. Zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter, Köln 1989, 119f. Gesperrte Hervorh. von mir.) 234 Vgl. dazu R. Barthes, »Die strukturalistische Tätigkeit« (übs. von E. Moldenhauer), in: Kursbuch 5 (1966), 190–196; hier 191f.: »Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit, sei sie nun reflexiv oder poetisch, besteht darin, ein ›Objekt‹ zu rekonstituieren, und zwar derart, daß bei dieser Rekonstitution die Regeln seines Funktionierens (seine ›Funktionen‹) zu Tage treten. [...] Der strukturalistische Mensch nimmt das Gegebene [le réel], zerlegt es, setzt es wieder zusammen; das ist, wie es scheint, ziemlich wenig (und veranlaßt manche Leute zu der Behauptung, daß die strukturalistische Arbeit ›unbedeutend, uninteressant, unnütz‹ usw. sei). Und dennoch ist dieses Wenige von einem anderen Standpunkt aus betrachtet entscheidend; denn zwischen den beiden Objekten bzw. zwischen den beiden Momenten der strukturalistischen Tätigkeit geschieht etwas Neues. [...] Man sieht also, warum man von einer strukturalistischen Tätigkeit sprechen muß: Die [poetische] Schöpfung bzw. die [linguistische] Reflexion stellen hier keinen originalgetreuen ›Abdruck‹ der Welt dar, sondern sie stellen tatsächlich eine Welt her, die der ersten ähnelt – nicht um diese zu kopieren, sondern um sie verständlich zu machen.« (Übs. modifiziert. Hervorh. von mir.)
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verwendet sind. Was wie eine Kopie, wie eine mimetische Verdoppelung des Analysegegenstandes durch die Analyse erscheinen kann, beruht auf einer jeweils unterschiedlichen Art des Gegebenseins derselben Sprachzeichen. Insofern aber dieser wiederholenden Verwendung von Sprachzeichen zugleich eine explikative Funktion innewohnt, sehen sich Jakobsons Gedichtanalysen zurückgeworfen auf die Tautologie als dem positiven Ausgangspunkt für einen metasprachlichen Umgang mit einer poetischen Sprachverwendung: »Obwohl die Poetik, die das Werk eines Dichters durch das Prisma der Sprache interpretiert und die die dominante Funktion in der Dichtung untersucht, per definitionem den Ausgangspunkt für eine Explikation von Gedichten darstellt, bleibt selbstverständlich deren dokumentarischer Wert – sei dieser nun psychologisch, psychoanalytisch oder soziologisch – für die Erforschung offen, natürlich nur durch wirkliche Experten in den fraglichen Disziplinen. Die Spezialisten müssen jedoch die Tatsache berücksichtigen, daß die Dominante ihren Einfluß auf die anderen Funktionen des Werks ausübt und daß alle anderen Prismen demjenigen der poetischen Gesamtstruktur des poetischen Werkes untergeordnet sind. Diese kursiv gedruckte Tautologie behält ihre ganze Überzeugungskraft.«235
235
»Retrospect«; SW III, 766f. Dt. Übs. »Zur Diskussion über die Grammatik der Poesie« (= Anm. 2), 247. (Korr. Übs. von mir.)
SCHLUSSBETRACHTUNG
Er wende die letztern doch auf sein X – X + X = X an! Tödlich hass’ ich diese fünften Akte eines konsequenten Wörterschauspiels. Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi.
Um zum Thema unseres Vergleiches, dem Umgang Martin Heideggers und Roman Jakobsons mit Tautologien, vorzudringen, wurde eine Rekonstruktion ihrer jeweiligen Verfahrensweise unumgänglich. Da sich aber diese Verfahrensweise nur anhand von sachlich wie sprachlich disparaten Details ihrer ›Theorien‹ darstellen ließ, scheint gerade eine solche Darstellung nur die Unvergleichbarkeit beider Autoren zu befördern. Wer also im vorigen einen Vergleich erwartete, der z. B. das jeweilige Sprach- und Dichtungsverständnis von Heidegger und Jakobson sukzessive expliziert, um diese dann aufeinander beziehen zu können, sieht spätestens jetzt seine Hoffnungen enttäuscht oder, je nach Standpunkt, seine Befürchtungen bestätigt. Für dieses Unbehagen (so es denn eines ist) ist nicht allein die Tatsache verantwortlich, daß Heideggers und Jakobsons ›Theorie‹ die unmittelbare Evidenz ihrer Vergleichbarkeit abgeht, sondern auch und vor allem, daß das tertium comparationis unseres Vergleichs seine »Motivation von hinten« (Lugowski) erhält. Mitzuteilen war dem Leser nämlich nicht bloß, was Heidegger und Jakobson uns jeweils über ›die‹ Tautologie mitzuteilen haben: kein zum voraus gesetzter Gegenstand, an dem sich Heideggers und Jakobsons metasprachliche Reflexionen hätten festmachen und durch den sie sich in einen sachbezogenen Dialog miteinander hätten bringen lassen. Der jeweils erste Abschnitt im Heidegger- und im Jakobson-Kapitel diente vielmehr dazu, Heideggers Skepsis gegenüber dem tautologischen Identitäts-Satz und Jakobsons Kennzeichnung der tautologischen Satzform als Grenzwert jeder metasprachlichen Operation in eine teleologische Perspektive zu rücken, die ihnen beiden gemeinsam ist: die funktionale Zuweisung der tautologischen Satzform zu einem Sprachmodus, der sein Telos in einem referentiell-lexikalischen Bedeutungswert findet. Beider – metasprachlicher – Umgang mit der tautologischen Satzform zielt zunächst auf die Herausarbeitung der konstitutiven Funktion, die die tautologische Satzform für einen lexikalisch bedeutsamen Sprachmodus erfüllt: Sie ›verbürgt‹ für diesen Sprachmodus die Identität und (korrelativ dazu) die Distinktheit der lexikalischen Sprachzeichen, sie bleibt also im Horizont des lexikalisch bedeutsamen Sprechens unhintergehbar. Wie Jakobson so bestreitet auch Heidegger,
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Schlußbetrachtung
der die tautologische Satzform ihrem ›herkömmlich‹ kognitiven Sinn nach als den – lexikalisch angezeigten – Grenzfall des Konzeptes der Gleichheit (Identität als Gleichheit mit sich selbst) deutet, keineswegs die Geltung des Bereichs der lexikalischen Bedeutsamkeit an sich, sondern nur dessen absolute Gültigkeit. Jedoch erschöpft sich Heideggers und Jakobsons Umgang mit tautologischen Sprachformen nicht in dieser funktionalen Eingrenzung der tautologischen Satzform, also in der metasprachlichen Bestimmung ihres Stellenwertes und ihrer Leistung für das lexikalische Bedeutungsvermögen der Sprache(n). Mit dieser modellhaften Eingrenzung soll nämlich zugleich eine Perspektive gewonnen werden, die sich auf einen anderen Sprachmodus hin öffnet. Daß sich dieser gesuchte Sprachmodus dann in solchen Formulierungen wie »Sprache als Sprache« (Heidegger) und »Wort als Wort« (Jakobson) andeutet, gilt uns nicht nur als Indiz, daß für ihn eine andere Art von ›Tautologizität‹ konstitutiv ist, sondern daß seine Darstellung auch eine andere Art der sprachlichen Reaktion erfordert: eine Reaktion auf einen Sprachmodus, der nicht mehr primär durch die metasprachliche Explikation seiner lexikalisch-kognitiven Gehalte kontrolliert werden kann. Damit aber bekommen es beide Autoren gleicherweise mit der Schwierigkeit zu tun, daß sich dieser Sprachmodus einem paraphrastischen rewording und seiner konstitutiven Funktion für die lexikalische Bedeutsamkeit verweigert und daß er gleichwohl eine Bedeutsamkeit sui generis in sich birgt. Um diesen anderen Sprachmodus positiv zu fassen, ihn im jeweils eigenen Sprachvollzug auch zu ›treffen‹, bedarf es daher für beide Autoren einer Art Transposition, die jeweils aufs engste mit dem Problem der Übersetzung zusammenhängt und die der zweite Abschnitt des Heidegger- bzw. des Jakobson-Kapitels zu verdeutlichen suchte. Bei Heidegger steht dafür jenes ›wörtliche‹ Übersetzungsverfahren ein. Mit einem ›wörtlichen‹ Übersetzen im doppelten Sinn – einem Übersetzen von Worten (statt von größeren Passagen) und einem alles andere als philologisch richtigen, gleichwohl (in) seiner Art ›getreuen‹ Übersetzen – vermeidet Heidegger systematisch ein paraphastisches rewording besonders von griechischen Lexemen. Heideggers ›Übersetzungen‹, etwa von λθεια und λóγος, bieten von vornherein keine lexikalischen Äquivalente zu den griechischen Begriffen: Durch lexikalisch nicht zutreffende Wörter (»Lichtung«; »Lese«) bzw. durch solche, die im Deutschen nicht (mehr) lexikalisiert sind (»Unverborgenheit«; »Lege«), löst Heidegger die Lexeme der Original- und Übersetzungssprache aus ihrer distinkten lexikalischen Bezogenheit aufeinander (»λθεια = Wahrheit«; »λóγος = Begriff, Satzurteil«) – ohne daß nun seine ›Übersetzungen‹ anstattt der alten, ›uneigentlichen‹ wieder in einen solchen lexikalischen Bezug zu den übersetzten Wörtern eintreten würden (daß also etwa anstatt von »λθεια = Wahrheit« nur wieder gälte: »λθεια = Unverborgenheit bzw. Lichtung«).
Schlußbetrachtung
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Heideggers ›Übersetzungen‹ unterlaufen somit das zentrale Charakteristikum eines übersetzerischen Bedeutungstransfers: die idealiter tautologische Gleich- und Ersetzbarkeit der lexikalischen Bedeutungen von Original- und Übersetzungssprache. Gegenüber einem solchen, an lexikalischen Bedeutungen orientierten Übersetzen betreibt Heidegger nun eine Vernetzung des Sprachmaterials, um so semantische Valenzen sui generis freizusetzen. Dazu verhelfen ihm simultane »Wort«-Spektren, die er dadurch gewinnt, daß sich jeweils alle in sein Übersetzungsverfahren involvierten Sprachzeichen in ihren semantisch oder etymologisch äquivalenten Bezügen gegenseitig in die Quere kommen. In einem derartigen »Wort«-Spektrum wird keine lexikalische Bedeutung, etwa aufgrund einer etymologischen Dignität, als die eigentliche ›auf die Reihe gebracht‹. Alle involvierten Sprachzeichen werden vielmehr jenseits ihrer Lexik in eine semantische Schwebe gebracht und in dieser Schwebe einander angeglichen. Daraus resultiert eine idiomatische Vernetzung von Worten, die die tendenziell tautologische Gleichsetzbarkeit auch von deutschen Lexemen, etwa von »sagen = aussagen« oder »das Selbe = das Identische«, aushebelt. An den Worten, die durch Heideggers Übersetzungsverfahren in eine spezifische Idiomatik überführt werden, stellt sich eine vexierbildhafte Simultaneität ein: ein Changieren zwischen ihrer – sei es eigentlichen, sei es uneigentlichen – Lexikalisierbarkeit im jeweiligen Satzkontext und ihrer Eingebundenheit in ein dazu gegenläufiges »Wort«-Spektrum. Diese übersetzerische Transposition von »Wörtern« in »Worte« hat nun ihrerseits Auswirkungen auf den syntagmatischen Zusammenhang von Heideggers späten Texten. Gerade auf der Ebene der idiomatischen Syntax verschleiert Heidegger bewußt solche von ihm zuvor entwickelten inter-/intrasprachlichen Bezüge – jedoch so, daß sie zugleich als ›Übersetzungen‹ kenntlich sind: Heideggers bekannte ›Definition‹ der Sprache etwa – »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« – ist zunächst als ein grammatisch korrektes Gebilde ›linear‹ lesbar, dessen einzelne Bestandteile je herkömmlich lexikalisierbar sind. In dieser syntagmatischen Kombination jedoch erzielen sie einen befremdenden semantischen Effekt, der nicht ohne weiteres recodiert, metasprachlich wiedergegeben werden kann. Dadurch in ihrer herkömmlichen Lexik gelockert, zeigt sich zugleich die idiomatische Wendung das »Geläut der Stille« als das ›sichtbare Moment‹ eines verschleierten »Wort«-Spektrums, das Heidegger in anderen Texten, über die übersetzerische Auseinandersetzung mit dem Logos-Begriff (»λéγειν – lesen/versammeln – legere – legen«), entwickelt. So kann die zunehmende Unverständlichkeit der späten Heideggerschen Texte als eine Folge jenes ›wörtlichen‹ Übersetzungsverfahrens verstanden werden: Nicht nur unterläuft ein »Wort«-Spektrum die metasprachliche Gleichsetzbarkeit von lexikalisch codierten Sprachzeichen, also die eindeutige, ›tautologische‹ Identifizierbar-
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Schlußbetrachtung
keit ihrer lexikalischen Bedeutungen. Zugleich bringt ein solches »Wort«Spektrum ein dynamisches Changieren des Heideggerschen Text(begriff)es in Gang: Die linear-diskusiven Texte Heideggers und der latente ›worthafte‹ Subtext stehen in keinem exklusiven oder hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern zeitigen ihrerseits eine vexierbildhafte Simultaneität. Bei Jakobson eröffnet sich die Möglichkeit einer solchen Transposition mit der fundamentalen Opposition zwischen grammatischen und lexikalischen Bedeutungen. Diese Opposition wird für Jakobson gerade im Falle von zwischensprachlichen Übersetzungen ersichtlich, insofern nämlich das grammatische Raster einer gegebenen Sprache nur bedingt übersetzbar ist. Im Gegensatz zu einem lexikalischen Bedeutungswert, der über die jeweilige phonetische Sprachebene hinweg in jede Übersetzungssprache gerettet werden kann, bleibt das grammatische Raster und der darin vermittelte grammatische Bedeutungswert ans phonetische Material gebunden. Indem auf diesem grammatischen Raster das ›So-und-nicht-anders-Sein‹ einer sprachlichen Äußerung beruht, das nicht seiner Form nach durch eine lexikalische Übersetzung erhalten werden kann, zeigt sich für Jakobson am grammatischen Raster dessen konstitutive Funktion für die sprachliche Bedeutsamkeit. Besonders anschaulich wird diese konstitutive Funktion an grammatisch intakten, doch scheinbar sinnlosen Sätzen des Typs »Colorless green ideas sleep furiously«. Diesem von Jakobson gewählten ›sinnlosen‹ Beispielsatz läßt sich nun durchaus ein Heideggerscher Satz wie »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« vergleichen, soweit es sich um dessen vielgescholtene Sinnlosigkeit handelt. Die Sinnlosigkeit einer solchen Sequenz liegt für Jakobson zunächst in ihrem ›unverständlichen‹ – d. h. eine metasprachliche Explikation geradezu erfordernden – kognitiven Bedeutungswert. Dieser ›unverständliche‹ kognitive Bedeutungswert wiederum resultiert aus der ›eigenwilligen‹ und gleichwohl grammatisch korrekten Korrelation von Lexemen. Wenn also eine derartige Kombination den herkömmlich codierten Bedeutungswert des verwendeten Vokabulars nicht ›bestätigt‹, dann kann dies nach Jakobson allenfalls Auswirkungen auf die Bewertung dieser Sätze als ›seltsam‹, ›einleuchtend‹ o. ä. haben, nicht aber auf deren grundsätzliche Bedeutsamkeit. Daß also auch bei einer solchen Sinnlosigkeit eine metasprachliche Explikation eines kognitiven Bedeutungswertes möglich bleibt, verdankt sich dem unbestreitbar grammatisch korrekten Bau solcher Sequenzen. Angesichts von derartigen ›sinnlosen‹ Sätzen bleibt eine metasprachliche Reaktion, die sich auf die Herausarbeitung ihres kognitiven Gehalts konzentriert, die also die darin verwendeten lexikalischen Sprachzeichen durch semantisch gleichwertige und zugleich explizitere zu ersetzen sucht, keineswegs die letzte Antwort Jakobsons. Zwar zeigt eine solche metasprachliche Explizierbarkeit die grundsätzliche Möglichkeit auf, die ›Sinnlosigkeit‹ von
Schlußbetrachtung
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Sätzen als eine Fortschreibung natürlicher Sätze zu behandeln und dabei jene ›sinnlosen‹ Sätze bzw. die darin enthaltenen idiomatischen Wendungen in einer Rückübertragung (Recodierung) auf einen expliziteren, ›eigentlichen‹ Sprachgebrauch zurückzuführen. Insofern läßt sich der Heideggersche Satz »Die Sprache spricht« als eine ›un-menschliche‹ Fortschreibung des Satzmusters »Der Mensch spricht« begreifen und die idiomatische Wendung »das Geläut der Stille« etwa als »leiser Aufruf zur Versammlung« explizieren, die »Versammlung« wiederum als »Lese« wie (!) »Weinlese«, die »Lese« ihrerseits als die – wie auch immer in ihrer Sachrichtigkeit einzuschätzende – Heideggersche Übersetzung des Lexems »λóγος«. Zu fragen bleibt jedoch mit Jakobson, ob diese Art der Explikation hier die einzige Reaktionsmöglichkeit darstellt. Daß der kognitive Gehalt solcher ›sinnlosen‹ Sätze nicht mehr ohne weiteres ablösbar ist von seiner sprachlichen Formulierung – und dies scheint gerade bei den ›typisch‹ Heideggerschen Sätzen der Fall zu sein –, hängt nämlich für Jakobson mit der dominanten Rolle zusammen, die hier das grammatische Raster gewinnt: mit dem nicht mehr gleichwertig ersetzbaren ›So-und-nicht-anders-Sein‹ solcher Äußerungen. Die Sprachform wäre dann nicht mehr nur ein ›ungewöhnlicher‹ Ausdruck für einen bestimmten, explizierbaren Inhalt, sondern sie bedeutet auch in gewisser Weise eine Einschränkung (jedoch keine Auflösung!) von ›Inhalt‹ – eine Einschränkung, die von den Erfordernissen, von Heideggers Suche nach einem anderen als ausdruckshaften Sprachvollzug, erzwungen wird. Wie sich aber eine metasprachliche Reaktion auf dieses eingeschränkte ›So-und-nicht-anders-Sein‹ einzustellen hat, um mit einem solchen Sprachvollzug Schritt halten zu können, wird zur zentralen Frage, der sich die Jakobsonsche Poetik nicht so sehr theoretisch stellt, sondern die Jakobson erst im interpretatorischen Vollzug, in seinen Gedichtanalysen, zu bewältigen sucht. Das tertium comparationis unseres Vergleichs erhält daher erst im jeweils dritten Abschnitt des Heidegger- und des Jakobson-Kapitels sein volles Gewicht. Ihr beider Umgang mit Tautologien signalisiert hier einen Rückzug von metasprachlichen Recodierungen, um dem ›Anspruch‹, der von diesem Sprachmodus ausgeht, mit den jeweils eigenen – ›denkerischen‹ und linguistischen – Mitteln auch im eigenen sprachlichen Vollzug gerecht werden zu können: um von der Sprache als der Sprache sprechen zu können. Unser Heidegger-Kapitel beansprucht also nicht, Heideggers »Denken« expliziert zu haben. Sondern es versteht sich als ein Prolegomenon zur Art der Bedeutungskonstitution, wie sie sich vor allem in den späten Texten Heideggers bemerkbar macht. Sofern nämlich dort Heideggers Sprache dem gesuchten »Sprachwesen« nicht mehr metasprachlich-explizierend, sondern gleichsam vollzugshaft-wiederholend auf der Spur bleibt, kann die mit diesem Sprachvollzug verbundene Bedeutung auch ihrerseits nicht mehr mit
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Schlußbetrachtung
Hilfe einer metasprachlich-recodierenden Wiederholung expliziert werden: Den ›eigentlich gedachten‹ Gehalten der Heideggerschen Texte bliebe ein solches, ihnen fremdes Sprachverhalten ohnehin ›äußerlich‹. Ebensowenig aber läßt sich die im Heideggerschen Sprachvollzug beschlossene Bedeutung durch eine mimetische Wiederholung des Heideggerschen Sprachgestus explizieren. Wenn also eine Wiederholung des Heideggerschen Sprachgestus, die diesem nicht ›äußerlich‹ sein soll, zugleich eine Explikation erbringen soll, dann kann dies nur geschehen durch eine andere Art der Wiederholung der Heideggerschen Texte: durch einen Nachvollzug, der sich primär nicht um die lexikalische Recodierung ihrer kognitiven Gehalte bemüht, sondern um die ihnen zugrundeliegende Verfahrensweise. Daß wir hierfür eine von Jakobsons Linguistik bestimmte Terminologie wählten, hängt vor allem mit der im Jakobson-Kapitel gesetzten Perspektive zusammen: mit der Frage, ob und wie Jakobsons Umgang mit Tautologien und die darin sich abzeichnende mimetische Angleichung an einen Analysegegenstand jenen (auch von Heidegger gesuchten) Sprachmodus freizusetzen vermag. So bemühte sich der letzte Abschnitt des Heidegger-Kapitels zu zeigen, welchen Bedeutungswert Heideggers Gebrauch von tautologischen Formen erlangt: Heideggers buchstäbliche Entgegnung auf die tautologische Satzform ›A ist A‹ ist die eigentümlich abgewandelte figura etymologica ›A at‹. So ist etwa »Die Sprache spricht« zunächst linear lesbar als ein Satz, in dem über den aktivischen Selbstvollzug der Sprache mittels einer tautologischen Selbstprädikation philosophisch befunden wird. Zugleich aber wird dieser Vollzug über eine verfahrenstechnische Angleichung des Nomen »Sprache« ans Verb »spricht« in Heideggers Sprache selbst bewerkstelligt. Heideggers idiolektaler Gebrauch des Lexems »Sprache« ist nämlich in das »Wort»-Spektrum von »Sage« und »Zeige« eingebettet, welches Heidegger mit seiner ›Übersetzung‹ von λóγος entfaltet. Durch eine – gerade nicht lexikalisch motivierte – Engführung der »Sprache« mit »Sage« und »Lege« reaktiviert Heidegger am Lexem »Sprache« dessen grammatische Form eines Deverbativum, und zwar in Kontrafaktur zur lexikalischen Bedeutung des Nomen »Sprache«, und bringt es in dieser Form mit der verbalen Form »spricht« zusammen. Im ›Satz‹ »Die Sprache spricht« nähert sich das Nomen »Sprache« allein schon seiner grammatischen Form nach dem Verb »spricht« an. Die Satzform, ›textuell‹ als tautologische Selbstprädikation lesbar, ist zugleich lesbar als »Wort«, das sich über eine – ebenfalls ›übersetzerisch‹ aus dem Lateinischen (!) gewonnene – Homonymie syntaktisch in ein tautologisches ›Zugleich‹ von nomen und verbum entfaltet. Aufs Ganze unseres Heidegger-Kapitels gesehen entpuppt sich also Heideggers idiolektaler Gebrauch von tautologischen Formen als ein ausgezeichneter Indikator für eine sprachliche Verfahrensweise, die nicht mehr nur auf einen lexikalisch vermittelten Aussagegehalt zielt. Für den Nachvollzug die-
Schlußbetrachtung
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ser sprachlichen Verfahrensweise wird aber eine Lesart erforderlich, die sich nicht sogleich auf einen hinter Heideggers Texten stehenden Aussagegehalt konzentriert, sondern deren ›So-und-nicht-anders-Sein‹ erst einmal anerkennt. Mit anderen Worten: Für eine solche Lesart basiert der Heideggersche Sprachgestus nicht nur auf der Rhetorisierung eines propositional vermittelbaren Aussagegehalts, den es als das Implikat hinter einem rhetorischen Ornatus von Metaphern (»Geläut der Stille«), von Paronomasien (»Geläut« und »Verlautbarung«; »Ερµς« und »ρµηνεúειν«; »Wahrheit« und »Wahrnis« usw.) und von anderen Figuren in seiner eigentlichen oder, je nach Standpunkt, in seiner erschlichen ›eigentlichen‹ kognitiven Bedeutung zu dechiffrieren gilt. Der Umstand, daß eine solche Dechiffrierung der Heideggerschen Texte zwar sehr wohl möglich ist, daß sie jedoch immer wieder gezwungen sein wird, zumindest ansatzweise in das Heideggersche Idiom ›zurückzufallen‹, deutet auf einen Sachverhalt hin, der für eine genuin philosophische Reflexion auf Heideggers Texte wohl wegen seines selbstverständlichen Charakters in der Regel nicht in Betracht kommt: Zwar wird der tautologische ›Sprachstil‹ Heideggers als ein Faktum hingenommen und durchaus als ein unveräußerliches Konstituens seiner Philosophie anerkannt (gerade auch dort, wo eine kritische Auseinandersetzung mit ihr erfolgt). Ist aber einmal diese Formbedingtheit der philosophischen Inhalte anerkannt, so ist damit noch nichts über die spezifische Leistung dieser Form und über ihre spezifische Auswirkung auf die Inhalte ausgemacht: Erst ein Blick auf die Faktur, d. h. auf die sprachliche Verfahrensweise Heideggers, läßt diese Leistung und Auswirkung und damit den Zusammenhang zwischen Heideggers ›Sprachstil‹ und dem von ihm gesuchten, nicht mehr ausdruckshaften »Sprachwesen« erkennen. Entscheidend wird hierfür nicht der eher angedeutete als expressis verbis vermittelte Gehalt hinter Heideggers ›Sprachstil‹, sondern Heideggers aktuale Vorführung des dynamischen »Sprachwesens« im Sprachvollzug. Jedoch behauptet unsere Lesart der Heideggerschen Texte, unsere Aufmerksamkeit auf den dort zum Vorschein kommenden sprachlichen modus operandi, keinen exklusiven oder hierarchischen Wert gegenüber einer dechiffrierenden Heidegger-Explikation. Ein ›Mehrwert‹ gegenüber dieser dechiffrierenden Explikation ergibt sich aus unserer Lesart nur in dem Sinne, in dem Paul de Man von einem Nebeneinander zweier komplementärer Lesarten spricht: »Die volle Komplexität dieser [Texte] kann nur im Nebeneinander zweier Lektüren zum Vorschein kommen; dabei vergißt die erste Lektüre die Sprachstruktur, die die Texte entstehen läßt, und die zweite erkennt sie an.«1 1
P. de Man, Allegorien des Lesens, aus dem Amerikanischen von W. Hamacher und P. Krumme, Frankfurt a. M. 1988, 83 (Übs. modifiziert).
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Schlußbetrachtung
Angesichts von Peter Szondis Bemerkung, daß ein Gedicht bei ausschließlicher Herrschaft der poetischen Funktion tautologisch werden müßte, wurde zuletzt verfolgt, welcher Modus von ›Tautologizität‹ eine (in Jakobsons Sinne) poetische Sprachverwendung bestimmt, vor allem aber, inwiefern dieser Modus dann auch Jakobsons metasprachlichen Umgang mit dieser Sprachwendung dominiert. Für Jakobson beschränkte sich das Äquivalenzprinzip bei metasprachlichen Operationen auf die Ebene der Lexik, enthüllte sich dort aber zugleich als die konstitutive Invariante für den lexikalisch-kognitiven Bedeutungswert der Sprache(n). Demgegenüber zeigen sich in einem primär poetischen Sprachgebrauch alle Phänomene der formalen Distribution semantisch fundiert, insofern sich dort das Äquivalenzprinzip durch seine Projektion von der Achse der Selektion auf die der Kombination eine erweiterte Geltung auf allen, qualitativ verschiedenen Sprachebenen verschaffen kann. Dementsprechend gerät die Tautologie, die im Rahmen der metasprachlichen Funktion die syntaktische Reinform für eine lexikalische Gleichwertigkeit markierte, im Falle der poetischen Funktion zu einer grenzwerthaften Reinform, die sich gleichsam auf alle sprachlichen Ebenen verteilt und durch diese hindurch präsent ist: Durch die Wiederkehr gleichwertiger prosodischer, phonetischer, morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Einheiten (im sog. »Parallelismus«) wird nach Jakobson ein poetisch verwendetes Zeichen als Zeichen »spürbar« – als Zeichen also, an dem sich durch die Einbettung in andere als nur lexikalisch äquivalente Bezüge genuine Bedeutungsvalenzen eröffnen. Im einem als dominant poetisch gewerteten Sprachgebrauch wird damit die Dichotomie von Signifikant und lexikalischem Signifikat nicht einfach abgeschafft, sondern sie wird auf gewisse Weise verstärkt: Bedeutungsform und Bedeutungsgehalt sind hier nicht mehr voneinander abstrahierbar aufgrund der Neugewichtung des – lexikalisch relevanten – Laut-Bedeutungs-Bezuges. Prototypisch faßbar wird für Jakobson die ›Poetizität‹ gerade an solchen dichterischen Sprachgebilden, die von ihrer Faktur her als primitiv erscheinen (wie etwa die epische Sprachkunst der Folklore oder alttestamentarische Texte). Durch auffällig stereotypisierten Gebrauch gerade auch von lexikalisch äquivalentem Sprachmaterial weisen sich diese Sprachgebilde in ihrem kognitiven Gehalt als vitiös tautologisch aus. Zugleich aber sind diese tautologischen Formen dort positiv anverwandelt für die Entfaltung von Parallelismen, die auf der phonematischen und morphologischen Ebene den Laut-BedeutungsNexus neu akzentuieren. Gerade über lexikalische Parallelismen wird das Zeichen als Zeichen ›konzentriert‹ erfahrbar, da der kognitive Bedeutungswert in solchen tautologischen Formen auf ein Minimum reduziert (nicht aber ausgeschaltet) ist und so im Gegenzug generisch andere, normalerweise
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vom lexikalischen Aspekt überblendete Äquivalenzen spürbar werden können.2 Auf der Folie von Jakobsons strukturaler Poetik ist demnach seine These von der Unübersetzbarkeit aller Dichtung zu verstehen als der Befund darüber, daß hier die Konzentration auf einen lexikalischen Bedeutungswert nicht für den übersetzerischen Erhalt der spezifisch formalen Strukturation und der darin begründeten Bedeutungsvalenzen zureicht. Zugleich aber wirft jene These ein Licht auch auf den Duktus von Jakobsons eigener analytischer Metasprache, d. h. auf die Art, wie er einen poetischen Sprachgebrauch in seine linguistische Terminologie übersetzt. Bemerkenswert ist nun Jakobsons Rede davon, daß seine These zur Rolle des Äquivalenzprinzips im Vers »nichts anderes als eine entfaltete Tautologie« seiner Bestimmung der poetischen Funktion sei. Insofern kann die von Jakobson veranschlagte Geltung des Äquivalenzprinzips auf allen weiteren Sprachebenen als weitere tautologische Entfaltungen jenes Prinzips verstanden werden, welche dann konsequenterweise auch den sprachlichen Duktus von Jakobsons Gedichtanalysen bestimmen.3 Dort reduziert sich Jakobsons interpretatorische Explikation von Gedichten in ihrem systematischen Kern darauf, daß sie die in einer poetischen Sprachverwendung ›gegebenen‹ gleichwertigen Bezüge einfach noch einmal konstatiert: ›A ist äquivalent A, B ist äquivalent B‹ usw. In den Blick gebracht wird damit die Asymmetrie zwischen dem semantischen Wert einer poetische Mitteilung und ihrem lexikalisch codierten Bedeutungswert. Das Ziel von Jakobsons strukturalen Gedichtanalysen ist es also gerade nicht, diese Asymmetrie zu beheben und nun eine metasprachliche Mitteilung darüber zu liefern, daß der lexikalische Bedeutungswert der im Gedicht verwendeten Sprachzeichen auf der Ebene der formalen Erscheinungen wieder auftaucht und sich dort mimetisch bestätigt, daß also in ›der‹ Dichtung stets eine Symmetrie herrsche zwischen dem, was gesagt wird und dem, wie es gesagt wird. Ihr Ziel liegt vielmehr darin, die sprachlichen Einheiten eines Gedichtes metasprachlich noch einmal so zu verwenden, daß an diesen
2
An Heideggers tautologischer Wendung »Die Sprache spricht« zeigt sich dies etwa daran, daß die »Sprache« jenseits ihres nominalen Charakters und der damit verbundenen lexikalischen Bedeutung zugleich in ihrer deverbativen Form aktiviert wird: durch ihre – gerade nicht lexikalisch motivierte – ›Gleichsetzung‹ mit den Deverbativa »Zeige« und »Lege«. 3 Vgl. dazu D. Attridge, »Closing statement: linguistics and poetics in retrospect«, in: The linguistics of writing. Arguments between language and literature, ed. by Nigel Fabb et al., New York 1987, 21: »Jakobson’s account of all poetic features is in fact an extrapolation from his account of metrical form. (Indeed, as he himself suggested, his whole intellectual career can be seen as growing out of his ›undergraduate attempt of 1911 to outline the formal properties of the earliest Russian iambs‹.)« Das Jakobson-Zitat von Attridge bezieht sich auf »My Favorite Topics« [1981]; SW VII, 371–376; hier 371.
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sprachlichen Einheiten das ›Wie‹ ihrer internen Beziehungen als das Resultat einer jeweils charakteristischen Verfahrensweise zu Tage tritt. Insofern aber Jakobson diese Verfahrensweise als einen dynamischen Transformationsvorgang begreift, der sich nicht der Erfindung einzelner neuartiger Sprachformen, sondern dem neuerlichen Umgang mit den in einer Sprache ›gegebenen‹ Sprachformen verdankt, so behandeln seine Gedichtanalysen ihre Untersuchungsgegenstände nicht ein Ensemble von Sprachformen, mit denen unmittelbar ein poetischer Charakter gegeben ist. Sondern diesen Analysen liegt selbst ein transformatorischer Umgang mit den in einem poetischen Sprachgebilde ›gegebenen‹ Sprachformen – eine Tätigkeit der Destruktion und Neukonstitution des untersuchten Sprachgebildes – zugrunde. Jakobsons Analyse von poetisch verwendeten Sprachzeichen stellt eine Beziehung zur eben dieser poetischen Verwendung her, indem sie in der metasprachlichen Verwendung dieser Sprachzeichen zeigt, wie jene Sprachzeichen verwendet sind. Was wie eine mimetische Verdoppelung des Analysegegenstandes durch die Analyse aussieht, beruht auf einer jeweils unterschiedlichen Art des Gegebenseins derselben Sprachzeichen. Insofern aber dieser wiederholenden Verwendung von Sprachzeichen zugleich eine explikative Funktion innewohnt, sehen sich Jakobsons Gedichtanalysen zurückgeworfen auf die Tautologie als dem positiven Ausgangspunkt für einen metasprachlichen Umgang mit einer poetischen Sprachverwendung: Nur so kann dem linguistischen Theorem, daß der »poetischen Gesamtstruktur eines poetischen Werkes« alle anderen sprachlichen Funktionen untergeordnet sind, auch in der metasprachlichen Analyse des Linguisten Rechnung getragen werden. Eine Entwicklung von traditionellen Gebrauchweisen ›der‹ Tautologie hin zu Heidegger und Jakobson und damit ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit resultiert vornehmlich nicht aus der Neufassung eines einzelnen, inhaltlich fest umrissenen Tautologie-Begriffs oder aus der Erfindung einer tautologischen Sprachform bei Heidegger und Jakobson, sondern aus ihrem ›neuerlichen‹ sprachlichen Umgang mit tautologischen Formen. Gerade dieser entscheidende Aspekt des Umgangs ermöglicht dann eine Beziehung zwischen Heideggers Texten und Jakobsons Linguistik – eine Beziehbarkeit, die ihre Begründung erst aufs Ganze unserer Arbeit hin erhält. Wenn nämlich Jakobsons Poetik einen Sprachmodus verfolgt und diesen im metasprachlichen Vollzug der Gedichtanalysen freisetzt, so wird dieser Sprachmodus von Heidegger mit allem »denkerischen« Ernst des »Angesprochenseins von der Sache« im eigenen Sprachvollzug freigesetzt. Insofern sich aber Jakobsons und Heideggers Suche nach einem Sprachmodus jenseits eines codierten Bedeutungswertes über ›die‹ Tautologie als dem positivem Ausgangspunkt ihrer Verfahrensweise indizieren lassen, scheint das Jakobsonsche analytische Verfahren gleichzeitig geeignet, um nicht zu sagen: prä-
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destiniert dafür zu sein, den Heideggerschen Umgang mit Tautologien angemessen nachzeichnen zu können. Nicht, daß damit die Heideggerschen Texte nun endgültig als poetisch funktionalisierte gewertet werden könnten. Vielleicht aber dürfte die – in der Heidegger-Rezeption wohl nie bestrittene – Zielgerichtetheit seiner Sprache in der damit verbundenen Art ihrer Bedeutungskonstitution verständlicher werden. »Dies löst keineswegs das Problem der Beziehung zwischen Literatur und Philosophie […], aber setzt wenigstens einen etwas verläßlicheren ›Referenz‹punkt, von dem her die Frage zu stellen ist.«4 Daß sich diese Engführung von Jakobsons analytischem Verfahren (und nicht bloß seiner poetologischen ›Theoreme‹) mit Heideggers sprachlicher Verfahrensweise nicht als heterogen erweist, mag in erster Linie begründet liegen in dem tautologischen Moment, das den positiven Ausgangspunkt von Jakobsons metasprachlichem Verfahren in seiner Poetik markiert. Mehr noch: Diese Engführung affiziert auch notwendigerweise unseren Vergleich, der sich Heideggers und Jakobsons Umgang mit tautologischen Formen zum Thema nimmt. Nicht zuletzt werden nämlich die eingangs erwähnten Darstellungsschwierigkeiten für diesen Vergleich ersichtlich, da dieser nicht auf die Evidenz einer direkten, thematischen Verbindung zwischen Heideggers und Jakobsons Texten zurückgreifen kann, sondern einem modus operandi nachgeht, dessen Charakter als tertium comparationis erst im Verlauf unseres Umgangs mit Heideggers und Jakobsons Tautologien an Konturen gewinnt: Daß und wie unser Umgang einen metasprachlichen Bezug zu Heidegger sucht jenseits der Alternative zwischen einer bloß imitativen Reproduktion und einer Recodierung des kognitiven Gehalts, sollte vornehmlich den Analysen unseres Heidegger-Kapitels vorbehalten sein. Daß und inwiefern diesem metasprachlichen Umgang gleichwohl eine explikatorische Dimension zukommt – dies zu zeigen, war nicht zuletzt Aufgabe des Jakobson-Kapitels.
4
P. de Man, Allegorien des Lesens, 177.
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ABKÜRZUNGEN
1. Martin Heidegger AED BuFV
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Aus der Erfahrung des Denkens, Pfullingen 1954. Bremer und Freiburger Vorträge, hrsg. von Petra Jaeger, Frankfurt a. M. 1994 (= Gesamtausgabe 79, III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen. Vorträge – Gedachtes). Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den »Humanismus«, Bern 1947 (= Sammlung Überlieferung und Auftrag, hrsg. von Ernesto Grassi, Reihe Probleme und Hinweise 5). Denkerfahrungen 1910–1976, hrsg. von Hermann Heidegger, Frankfurt a. M. 1983. Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. [Vierte, erweiterte Auflage], Frankfurt a. M. 1971. Einführung in die Metaphysik, Tübingen 1953. Feldweg-Gespräche (1944/45), hrsg. von Ingrid Schüßler, Frankfurt a. M. 1995 (= Gesamtausgabe 77, III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen. Vorträge – Gedachtes). Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen, Tübingen 1962. Gelassenheit, Pfullingen 1959. Heraklit. Seminar Wintersemester 1966/1967 (zusammen mit Eugen Fink), Frankfurt a. M. 1970. Hölderlins Hymne »Der Ister«, hrsg. von Walter Biemel, Frankfurt a. M. 1984 (= Gesamtausgabe 53, II. Abteilung: Vorlesungen 1923–1944). Holzwege, Frankfurt a. M. 61980. Identität und Differenz, Pfullingen 21957. Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, in: Frühe Schriften, Frankfurt a. M. 1972, 131–353. Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt a. M. 21951. Nietzsche [2 Bde.], Pfullingen 1961. Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), hrsg. von Käte Bröcker-Oltmans, Frankfurt a. M. 1988 (= Gesamtausgabe 63, II. Abteilung: Vorlesungen). Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957. Sein und Zeit. Erste Hälfte, Halle a. d. Saale 1929 (= Sonderdruck aus: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung VIII). Die Technik und die Kehre, Pfullingen 81991. Überlieferte Sprache und technische Sprache, hrsg. von Hermann Heidegger, St. Gallen 1989. Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959. Was heißt Denken? Tübingen 1954.
290 WiM WiP VA ZS ZSD
Abkürzungen Was ist Metaphysik? Fünfte durch Einleitung und Nachwort vermehrte Auflage, Frankfurt a. M. 1949. Was ist das – die Philosophie? Pfullingen 1956. Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954. Zur Seinsfrage, Frankfurt a. M. 1956. Zur Sache des Denkens, Tübingen 1969.
2. Roman Jakobson a) Selected Writings SW I SW II SW III
SW IV SW V
SW VII
SW VIII
Selected Writings I: Phonological Studies, 2nd, expanded Edition, The Hague/Paris 1971. Selected Writings II: Word and Language, The Hague/Paris 1971. Selected Writings III: Poetry of Grammar and Grammar of Poetry, ed., with a preface, by Stephen Rudy, The Hague/Paris/New York 1981. Selected Writings IV: Slavic Epic Studies, The Hague/Paris 1966. Selected Writings V: On Verse, Its Masters and Explorers, prepared for publication by Stephen Rudy and Martha Taylor, The Hague/ Paris/New York 1979. Selected Writings VII: Contributions to Comparative Mythology. Studies in Linguistics and Philology, 1972–1982, ed. by Stephen Rudy, with a preface by Linda Waugh, Berlin/New York/Amsterdam 1985. Selected Writings VIII: Completion Volume One. Major Works, 1976–1980, ed., with a preface, by Stephen Rudy, Berlin/New York/Amsterdam 1988.
b) Monographien und Sammelbände in deutscher Sprache bzw. in deutschen Übersetzungen Dialoge
Form und Sinn Grundlagen der Sprache
(Mitautorin: Krystyna Pomorska.) Poesie und Grammatik. Dialoge, mit einem Verzeichnis der Veröffentlichungen Roman Jakobsons in deutscher Sprache 1921–1982, [aus dem Französischen] übersetzt von Horst Brühmann, Frankfurt a. M. 1982 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 386). Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen [Übersetzungen von Gabriele Stein], München 1974 (= Internationale Bibliothek für allgemeine Linguistik 13, hrsg. von Eugenio Coseriu). (Mitautor: Moris Halle.) Grundlagen der Sprache, autorisierte Übersetzung und wissenschaftliche Bearbeitung von Georg Friedrich Meier, Berlin [Ost] 1960 (= Schriften zur Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 1).
Abkürzungen Kindersprache Linguistik
Poetik
Semiotik
TRF
291
Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze, Frankfurt a. M. 1969 (= edition suhrkamp 330). Aufsätze zur Linguistik und Poetik, hrsg. und eingeleitet von Wolfgang Raible [Übersetzungen von Wolfgang Raible und Regine Kuhn], Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1979 (= Ullstein Materialien 35005). Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971, hrsg. von Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert [Übersetzungen von Tarcisius Schelbert, Herta Schmid u.a.], Frankfurt a. M. 1979 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 262). Semiotik. Ausgewählte Texte 1919–1982, hrsg. von Elmar Holenstein [Übersetzungen von Elmar Holenstein, Dieter Münch u. a.], Frankfurt a. M. 1988. Texte der russischen Formalisten, Bd. 2: Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache [Russisch–Deutsch], eingeleitet und hrsg. von Wolf-Dieter Stempel, München 1972 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste. Texte und Abhandlungen 6, 2).
NACHWORT
Die vorliegende Arbeit stellt eine leicht veränderte Fassung meiner Dissertation dar, die im Wintersemester 1997/98 von der Philosophischen Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft II der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen worden ist. Mir bleibt noch, denen zu danken, die in vielfältiger Weise diese Arbeit begleitet und gefördert haben: allen voran meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Hendrik Birus, ohne den dieses Buch nicht, geschweige denn in dieser Form, hätte geschrieben werden können. Herrn Professor Dr. Werner Beierwaltes danke ich ganz herzlich für die freundliche Übernahme des Koreferates, vor allem aber für ein stets offenes Ohr und den wohlwollend kritischen Blick. Besonders bedankt sei auch mein anderer philosophischer Lehrer, Herr Professor Dr. Rolf Schönberger (Regensburg), der am Entstehen dieser Arbeit, auch über räumliche Distanzen hinweg, gleichbleibend großen Anteil nahm und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Mit Dr. Michael Eskin (Sidney Sussex College, Cambrigde) verbindet mich mehr als ein jahrelanger kontinuierlicher Gedankenaustausch, für den ich ihm nicht genug danken kann. In vielfältiger Weise haben mir zudem geholfen: Dr. Ulrich J. Beil, Dr. Sebastian Donat, Frau Professor Dr. Erika Greber, Dr. Florian Grotz und Dr. Welf Kienast. Ihnen sei allen herzlich gedankt. Dank auch an den Felix Meiner Verlag für die vertrauensvolle und unkomplizierte Zusammenarbeit, sowie an die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Gewährung einer großzügigen Druckbeihilfe. Nicht zuletzt aber gilt mein innigster Dank meinen Eltern. Berlin, im November 1999
S. G.