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German Pages 170 Year 2015
Anke J. Hübel Vom Salon ins Leben
Edition Kulturwissenschaft | Band 76
Anke J. Hübel (Dr.) hat an der Universität zu Köln, der Ruhr-Universität Bochum, der Freien Universität zu Berlin, der Universidad Complutense de Madrid und der Humboldt-Universität zu Berlin Kunst- und Bildgeschichte sowie Kulturwissenschaft studiert. Sie promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Fachbereichen Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft. Die mehrfache Buchautorin und ehemalige Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes ist seit 2002 in der Kultur- und Medienbranche tätig.
Anke J. Hübel
Vom Salon ins Leben Jazz, Populärkultur und die Neuerfindung des Künstlers in der frühen Avantgarde
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G EWIDMET BRUNO DREWS
Inhalt
SEITE A 1 Die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln: Jazz als Auftrag | 9 2 Grunzen, Schnarren, Quietschen | 15 3 Der Mann des Schlagwerks | 31 4 Bewegungsakrobaten | 41 5 Boxerpoeten | 51 6 Das Leben eine Weltausstellung | 61
SEITE B 7 Unternehmen Avantgarde – Vertriebsnetz Moderne | 71 8 Dada-Publicity | 81 9 Unterhaltungskünstler: Die «Original-Bauhaus-Jazz-Band» | 97 10 «Der kleine ‹Shimmy-Liddy› tanzt auf jeder Platte»: Jazz und neue Medien | 107
11 The Avantgarde Voice | 121 12 Blue Notes: Jenseits des gelben Klangs | 131 Literaturverzeichnis | 143 Abbildungsnachweise | 155 Personenregister | 161 Autorin | 167
1 Die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln: Jazz als Auftrag
Der Kaiser war begeistert. Ob Wilhelm II. indes auch getanzt haben mag – wer weiß es. Eines jedoch ist wahrscheinlich: dass er in diesem Moment so populär war wie noch nie. Denn die Ursache seiner Begeisterung lag bei Philip Sousa, dem unumstrittenen Marsch- und Ragtimekönig. Sousa war zur richtigen Zeit – 1900, zum Zeitpunkt eines erwachenden Interesses an Cake-Walk- und Ragtimerhythmen – am richtigen Ort – der Weltausstellung in Paris – mit der richtigen Musik – «My Ragtime Baby» – gewesen; eine Mischung, die ihm nicht nur einen Preis einbrachte, sondern einen langanhaltenden Erfolg quer durch alle Bevölkerungsschichten zutrug (Abb. 1).1 Für Sousa stellte sich indes sein Erfolg nicht ganz ungetrübt dar. Hing sein Herz doch in erster Linie an den strammen Formen der Marschmusik, während ihm die populären Spielarten dieser Musik, Cake-Walk und Ragtime, zu deren Vater er gemacht worden war, eher als die von ihm ungeliebten Kinder einer längst bereuten nächtlichen Verirrung erschienen. Tanzbare Marschmusik barg die Gefahr, die Regimenter allzu sehr in Unordnung zu bringen – wenngleich sie auch
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Peter Kohler: «Zur Frühgeschichte des Jazz in Deutschland». In: That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Darmstadt 1988, S. 351.
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nicht, wie man allgemein feststellte, einer gewissen Schneidigkeit und Frische entbehrte. Diese Janusköpfigkeit ist bezeichnend. Kulminiert in dem Fall Sousa doch ein ganzes Bündel an Strängen, die hinsichtlich der Entwicklungs- und Erfolgsgeschichte des Jazz von tragender Bedeutung sind. Folgen wir zunächst einmal zwei der manchmal etwas unglücklichen, aber auch erfolgreichen Liaisons zwischen der klanggewaltigen Schlagkraft einer ebenso züchtigen wie zünftigen Militärmusik und den übermütigen, etwas aus der Reihe tanzenden Jazzrhythmen. Dabei war dieser Allianz im Jahre 1900 bereits eine der Ironie der Geschichte nicht ganz entsagende Entwicklung vorausgegangen, die dann in Sousa auch noch lange nicht ihr Ende finden sollte. Abbildung 1: John Philip Sousa mit seiner Kapelle bei der Weltausstellung in Paris (1900)
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33 Jahre vor Sousa war, ebenfalls zu einer Weltausstellung, aber in anderer Mission, der Musikkritiker Eduard Hanslick in Paris unterwegs. Geschickt von der österreichischen Regierung zur Berichterstattung über die neuesten Entwicklungen im Instrumentenbau, notierte Hanslick in seinen «Musikalischen Briefen aus Paris»: «Ich muß bekennen, niemals ähnliche Kunststücke auf Blas-Instrumenten gehört zu haben, wie die der Sax’schen Fanfare [...] Nachdem in einzelnen Variationen sich jeder Solist hervorgetan, ging’s an eine erstaunliche Gesamtbravour: sechs Posaunen bliesen Doppeltriller in allen Lagen, während die Saxhorns chromatische Läufe und halsbrecherische Sprünge ausführten. Die raschesten Modulationen in die entferntesten Tonarten wechselten fortwährend [...] In dieser Hinsicht sind die neuen Sax-Instrumente [...] die vollkommensten Werkzeuge; für die Kunst dürften sie ein blendendes Unheil werden [...] Die Sax’schen Blech-Instrumente, an sich vortreffliche Mechanismen, haben zwei unheilvolle Conzequenzen im Gefolge: einmal verleiten sie die Componisten zu einer bravourmäßigen entartenden Behandlung der Harmonie, sodann verdrängen sie allmählich ältere epische, in ihrem Klang unersetzbare Instrumente. Nicht nur sind Oboen und Fagotte bereits aus der französischen Militärmusik verschwunden, auch die Hörner werden bereits durchweg durch Saxhorn oder Saxo-Tromba ersetzt.»2
Hanslick konnte beides nicht verhindern: den Siegeszug des Saxophons durch die Militärkapellen und darüber hinaus die für ihn vermeintlich so «fatalen» Folgen für die Musik. 1867 ließ sich indes noch nicht absehen, dass eine dieser Folgen einmal die Bezeichnung Jazz erhalten sollte. Zunächst jedoch vollzog
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Eduard Hanslick: Aus dem Concertsaal – Kritiken und Schilderungen aus den letzten 20 Jahren des Wiener Musiklebens nebst einem Anhang: Musikalische Reisebriefe aus England, Frankreich und der Schweiz. Wien 1869/1870, S. 523f. Hier zitiert nach: Gunther Joppig: «Vom Bläserquintett zur Big Band». In: That’s Jazz, a. a. O., S. 9.
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sich, ausgehend von den französischen Militärkapellen, der Siegeszug des Saxophons als lautstark auftretender Exportschlager über Europa in die neue Welt, um dort, nach geleistetem Dienst während des amerikanischen Bürgerkriegs und Beendigung desselben, in Gesellschaft weiterer ausgemusterter Instrumente der Armeekapellen auch in Secondhand-Läden zu stranden.3 Bis zu seiner industriellen Produktion durch US-Firmen wie Conn, Buescher, Martin und King wäre das Saxophon, wie auch eine Reihe anderer Instrumente, für den durchschnittlichen Musiker gar nicht erschwinglich gewesen. Über den Weg der Ausmusterung indes wurde das Instrumentenrepertoire der Militär- und Marschorchester von den Afroamerikanern entdeckt und zur Bestückung ihrer Ragtimekapellen verwendet. Diese selbst waren nach dem Ende des Bürgerkriegs entstanden und blieben nicht nur über ihr neu erworbenes Instrumentarium dem Marsch verpflichtet. Beruht der Ragtime bereits in seiner musikalischen Herkunft, neben seiner Orientierung an verschiedenen Tanzmustern und der europäischen Salonmusik, auf dem formalen Grundmuster des Marschs, so umfasste das Repertoire von Musikkapellen wie etwa der Columbia Brass Band, der Excelsior Brass Band oder der Reliance Brass Band gleichermaßen Märsche wie populäre Ragtimekompositionen. Bezeichnend ist, dass die meisten Ragtimeformationen aus New Orleans kamen: Militärstützpunkt der Marine und Geburtsort des Jazz. Jene Schnittmenge in Rhythmus und Instrumentarium gewährleistete es dann auch, dass der Reimport des Saxophons in Form von Ragtime- und Cake-Walk-Musik so gut adaptierbar für die europäischen Militärkapellen blieb. Einmal vom Fieber erfasst, sollte Europa und speziell Deutschland das Stammland USA bald in der Produktion von Einspielungen überholen. Dabei bestimmten auch mitnichten die Afroamerikaner als Interpreten die Listen der Ragtime- und Cake-WalkEinspielungen, vielmehr lesen sich diese wie ein «Who’s Who» des deutschen Militärs: Pionier-Bataillon Nr. 7, Leibgarde-Husaren-Regi-
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Jürgen Hunkemöller: «Jazz». In: Musik in der Geschichte und der Gegenwart: allgemeine Enzyklopädie der Musik. Kassel: 1996, S. 1387f.
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ment in Potsdam, Garde-Grenadier-Regiment «Kaiser Alexander», Garde-Grenadier-Regiment Nr. 2 «Kaiser Franz», Infanterieregiment Nr. 15, schlesisches Husaren-Regiment Nr. 4 usw..4 Bei dem Siegeszug und der Übernahme des Jazz und seiner Vorformen durch die Europäer lässt sich hingegen eine für die Herauskristallisierung vermeintlich nationaler Stereotypen bezeichnende Beobachtung machen. Denn die Europäer glaubten, dass sich ihnen in dieser Musik etwas typisch Amerikanisches offenbare, bevor die Amerikaner selbst den Jazz als nationales Moment entdecken und protegieren sollten. Kurz, wie Darius Milhaud zugespitzt und etwas provokativ notieren sollte: «Die Amerikaner lernten den Jazz via Paris bewundern.»5 War Europa also bereits längst vor der Internierung amerikanischer Soldaten musikalisch infiziert, so ließen es sich diese nach Beendigung des Ersten Weltkrieges nicht nehmen, nochmals zum kulturellen Gefecht zu blasen. Geschickt wurden hierfür Brassbands, deren Vorhut sich aus Militärkapellen wie der Band des Leutnants Will Vodery, aus der später die Sam Wooding-Band hervorgehen sollte, oder den Hellfigthers unter der Führung des Bandleaders und Leutnants James «Reese» Europe konstituierte (Abb. 2). Um, nach den Worten von Colonel William Haywood, die Hellfigthers zu der «verdammt noch mal beste[n] Brass Band in der gesamten Armee der Vereinigten Staaten» zu machen, hatte man aus New York, Chicago und Harlem die besten Musiker für diese Mission herbeigerufen. 1918 auf Tournee geschickt, legte man innerhalb von zwei Monaten um die 3.000 Kilometer mit der Bahn zurück, und dies nicht ohne Erfolg, wie der geschäftsführende Offizier der Band, Arthur Little, bemerkte: «Wann immer wir an einem Bahnhof ankamen und der Zug einrollte, mußte erst einmal ein Aufgebot von Polizisten und Bahnbeamten dafür sorgen, daß die Schienen geräumt wurden. Später, wenn die Band abfuhr, jubelte die Menge
4 5
Peter Kohler, a. a. O., S. 351. Darius Milhaud: «A propos Jazz». In: Der Querschnitt, 6. Jg., Heft 10, 1926.
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endlos weiter: Frauen und Kinder weinten.»6 Man konnte zufrieden sein. Die musikalische Eingreiftruppe hatte an diesem Tag einmal mehr ihren Auftrag erfüllt. Abbildung 2: Tongewaltiger Exportschlager der US-Amerikaner im und nach dem Ersten Weltkrieg: Leutnant James «Reese» Europe mit seiner Militärband The Hellfighters
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Ekkehard Jost: «Jazz in Europa – Die frühen Jahre». In: That’s Jazz, a. a. O., S. 301f.
2 Grunzen, Schnarren, Quietschen
«[Es] [...] ist uns Europäern eine Sache der Ferne und der Zukunft, lockend wie alles, das hinter den Bergen liegt und gar hinter dem Meer [...] Auflehnung dumpfer Völkerinstinkte gegen eine Musik ohne Rhythmus. Abbild der Zeit: Chaos, Maschine, Lärm, höchste Steigerung der Extensität – Triumph des Geistes, der durch eine neue Melodie, neue Farbe spricht. Sieg der Ironie, der Unfeierlichkeit, Ingrimm der Höchstegüterwahrer. Überwindung biedermeierlicher Verlogenheit, die noch allzu gerne mit Romantik verwechselt wird; Befreiung also von der ‹Gemütlichkeit›. Reichtum, Glück, Ahnung lichterer Musik.»1
Was sich hier auf den ersten Blick wie eine Proklamation der europäischen Avantgarde liest, diese Sätze, die sich gebärden, als seien sie einem futuristischen oder dadaistischen Manifest entsprungen, notierte Paul Stefan 1925 in seiner Einleitung zu einer Sondernummer der Zeitschrift Musikblätter des Anbruch. Chaos, Lärm, Maschine – und die Rede ist von Jazz. Die zentralen Topoi, die von Stefan angeführt werden, spiegeln eine frühe europäische Jazzrezeption, die zwischen einer Einschätzung des Jazz (und seiner Vor- und Ablegerformen wie Rag-
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Paul Stefan: «Jazz? ... ». In: Musikblätter des Anbruch, 7. Jg., April-Heft 1925.
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time oder Blues) als «Keulenschlag auf die Nerven»2 und einem «Monument des Optimistischen»3 changierte. Auf einem Bogen von der Groteske zur neuen Sachlichkeit reihten sich Gefühle eines plötzlichen Erwachens, einer expressionistischen Ausdrucksstärke, von Vitalität und Aufbruchsstimmung und technischer Virtuosität. Gemein ist ihnen allen, dass diese Musik etwas zu versprechen scheint. Und sei es nur einen Moment der Versöhnung, in dem der Blick zurück – als Heraufbeschwörung einer vermeintlichen, verloren geglaubten Kraft einer Ursprünglichkeit längst vergangener Zeiten – nach vorn – in einem Bekenntnis für eine sehnsüchtig erwartete und glücksversprechende Zukunft im technischen Fortschritt – seine Synthese findet. Doch worauf gründeten sich diese Erlebnisse und Einschätzungen? Zunächst einmal auf das, was den Musikkritikern in die Ohren und den Tanzbegeisterten in die Beine drang: Jazzmusik. Oder vielmehr: akustische Ereignisse in der Zeit. Denn was den Menschen dort entgegenschallte, schien sich nach zeitgenössischer Einschätzung weniger an einem reinen, traditionell instrumentalen Klangspektrum zu orientieren, sondern war, wie man 1921 konstatierte, «mehr so eine Art von musikalischem Geräusch». Dabei konnten die Hörerlebnisse recht abstrakter Art sein: «Zischen, Brodeln [...] Gekreische [...] Gestöhn», «grunzt, schnarcht, winselt»4 oder, in ein Potpourri an Sprachbildern verpackt, entsprechend mannigfaltige Assoziationen mittransportieren: «Schellen an Schlitten, die zur Hochzeit fahren, das Rattern der Rolls-Royce [...] Glocken von Kühen, die im Rhythmus schwerfälliger Maurerkellenschläge ihr Kalb belecken, Kriegstrommeln von Sambesi, Hämmer und Sägen aus Mili-
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Heinz Pollack: Die Revolution des Gesellschaftstanzes. Dresden: SibyllenVerlag 1922, S. 23.
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Dr. A. Simon: «Jazz». In: Der Auftakt, 6. Jg. ,1926 (Jazzsondernummer).
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E. J. Müller: «Jazz als Karikatur», ebd.
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tärwerkstätten, die in nächtlichen Straßen weinen, zersprungen in Glut und Blut»5.
Im Jazz hatte man das Geräusch und die musikalische Seite des Lärms entdeckt – eine Seite, die manch einer auch geschickt für die Konstituierung seiner Selbstdarstellung zu nutzen wusste (Abb. 3). Abbildung 3: Selbstinszenierung: Mitja Nikisch und sein JazzOrchester (um 1930)
Verantwortlich für dieses Geräuschspektakel war in erster Linie ein Repertoire an Musikinstrumenten, das neben den typischen Instrumenten einer Marsch- und Bläserkapelle, die hauptsächlich in der Verantwortlichkeit für den Grundrhythmus standen, eine Vielzahl weiterer
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Ebd.
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Klangerzeuger aufwies.6 Selbst gefertigte Perkussionsinstrumente, Holz-Tom-Toms, Set of Bones, Slapsticks, aber auch Kuhglocken, Schellen, Waschbretter, Schreckschusspistolen und Kinderquarren kamen zum Einsatz, kurz: «jeder Gegenstand, der beim Draufschlagen oder sonstiger Bearbeitung ein recht durchdringendes Geräusch erklingen läßt»7. Elemente wie Dämpfer taten ihr Übriges, um auch den klassischen Blasinstrumenten zu einer klanglichen Erweiterung zu verhelfen und erfüllten dabei vorzüglich ihre Rolle hinsichtlich einer möglichen Ausnutzung aller nur denkbaren klanglichen Effekte. Zwischen vibrierendem Tremolo, Glissando und Portamento ließen sich so die Töne ganz im Sinne der gewünschten Ausdruckssteigerung beschleunigen, dehnen oder verschleifen. Es scheint fast so, als ob man sich, formiert in einer Jazzband, hätte anschicken wollen, Ferruccio Busonis Bedenken, dass die Entwicklung der Tonkunst an unseren Instrumenten scheitern würde, mit aller Kraft zu widerlegen.8 Insbesondere der Schlagzeuger avancierte zu einem geschickten Arrangeur, der, mit Geräuschen und Tönen jonglierend, den Musikcocktail namens Jazz würzt: «Wie die ins Auge fallende, immer bewegliche, magische Figur des Tränkemischers hinter der Bar kenntnisreich und souverän bald diese Flasche entkorkt, bald jene, hier ein paar Tropfen zugießt, dort etwas zerdrückt, zerreibt, quetscht, schüttelt, alles in der bewegten Ruhe planvollen Tuns, so sitzt der Trommelmann stoisch-mobil zwischen seinen akustischen Ingredienzien und würzt mit pauken, donnern, kreischen, klingeln, rasseln, läutern, pfeifen, sin-
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Zu den seinerzeit auch als «Geräuschinstrumente» titulierten Jazzinstrumenten siehe u. a. Alfred Baresel: Das neue Jazzbuch. Leipzig: Musik Verlag Wilhelm Zimmermann 1929, S. 57.
7
Heinz Pollack, 1922, a. a. O., S. 77.
8
Siehe hierzu auch: Luigi Russolo: Die Kunst der Geräusche (1913). Reprint (hrsg. von Johannes Ullmaier). Mainz: Schott Musik International 2000/2005, S. 7.
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gen, rattern, klappern, trommeln, meckern, schaben, rumpeln, kratzen, schmettern den musikalischen Hackbraten.»9
Das besondere, mit Klangrealien aus dem Alltag bestückte Instrumentarium erschien Paul Bernhard in seinen 1927 veröffentlichten Betrachtungen über den «Jazz als eine (musikalische) Zeitfrage» als charakteristisch für die Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit und deren Amüsierbetrieb: «Kuhglocken, Kindertrompeten und Autohupen waren das wenigste», notierte Bernhard, «was der heimgekehrte Etappenkrieger und seine jeweilige Braut verlangen konnten. Ließ man noch etwa einen Radmotor im gegebenen Augenblick vom Geräuschspezialisten ankurbeln und untermischte das im Tanzsaal akustisch prachtvoll wirkende, mit balsamischem Duft verbundene Geknatter mit rhythmisch gut verteilten Hammerschlägen auf eine Eisenstange, so galt dies als eine besondere Aufmerksamkeit des Veranstalters und wurde in den aufregenden Zeitläufen wohltuend und kalmierend empfunden.»10
Spätestens in den 1920er-Jahren hätte indes diese neue Klangwelt die Wucht ihres fremdartigen Charakters einbüßen müssen, die sie den zeitgenössischen Bekenntnissen nach auf die auditiven Wahrnehmungsorgane und das akustische Urteilsvermögen ausübte. War doch die europäische Avantgarde bereits selbst ausgezogen, die begrenzte Vielfalt der traditionellen Orchesterfarben durch die unbegrenzte Vielfalt der Geräuschfarben zu ersetzen. Für den Futuristen Luigi Russolo galt es, mit der Emanzipation des «Geräuschtons» jenes Ziel zu erreichen, das Francesco Balilla Pratella 1911 in seinem «Manifesto tecnico della Musica Futurista» aufgestellt hatte: den Einlass des akustischen «Grundrauschens» in das futuristische Werk, als tonale Äußerung des Lebens, das «der musikalischen Seele der Masse, der großen Indust-
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Paul Bernhard: Jazz. Eine musikalische Zeitfrage. München: DelphinVerlag 1927, S. 32.
10 Paul Bernhard, a. a. O., S. 27.
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riewerke, der Züge, der Überseedampfer, der Schlachtenschiffe, der Autos und der Flugzeuge» zugrunde liegt. Im Werk selbst konnte dann das Leben – respektive die Tonspur desselbigen – als ganz unmittelbare Klangrealie in Form von Schreibmaschinen, Türklingeln und Sirenen seinen Eingang finden. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist sicherlich das Aufgebot von Arseni Avraamov am November 1922 in Baku. Das eingesetzte «Instrumentenensemble», bestehend aus den Nebelhörnern der Kaspischen Flotte, sämtlichen Fabriksirenen, zwei Kanonengeschwadern, einer Maschinengewehrabteilung, Wasserflugzeugen, mehreren Infanterieregimentern und Chören, spottete jeder Annahme dieser Herausforderung durch ein klassisches Orchester. Abbildung 4: Arseni Avraamov dirigiert seine «Symphonie der Fabrik-Sirenen» mit zwei brennenden Fackeln in den Händen, Moskau (1923)
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Russolo sah in dieser (nicht zuletzt von ihm selbst mit beförderten) Entwicklung den Aufbruch in ein gleichermaßen musikalisch wie gesellschaftlich neues Zeitalter. Mit der Absage an das Instrumentarium des klassischen Orchesters ging dabei auch eine Absage an die ehemals großen Heroen der Musikgeschichte einher: «Beethoven und Wagner», so konstatierte Russolo 1916, «haben unser Gemüt und unsere Nerven jahrelang aufs Äußerste gereizt. Jetzt aber sind wir ihrer überdrüssig und erfreuen uns stärker an geschickt kombinierten Geräuschen von Straßenbahnen, Vergasermotoren, Wagen und kreischenden Menschenmengen als beispielsweise am wiederholten Hören der ‹Eroica› oder der ‹Pastorale›.»11
Verschreibt sich im Falle der Inszenierung Avraamovs in Baku und auch in Moskau (Abb. 4) der Künstler ganz dem Prinzip Gestaltung durch Führung, so eroberten die Künstleringenieure wie Russolo oder sein russisches Pendant Lew Termen neues gestalterisches Terrain über die Konstruktion von Klangerzeugern zurück, die imstande sein sollten, dem gesuchten erweiterten Klangspektrum wie auch der Elektrifizierung der Musik Rechnung zu tragen. Am 2.6.1913, bereits zwei Monate, nachdem Russolo sein Manifest «L’arte dei rumori» veröffentlicht hatte, kamen im Teatro Storchi in Modena unter großem Getöse (nicht minder auch vonseiten des Publikums) erstmals seine Geräuschtöner, die «intonarumori» zum Einsatz, denen weitere Klangerzeuger folgen sollten. Lew Termen wiederum gelang es l920 mit seinem «Termenvox», eines der ersten elektronischen Musikinstrumente zu bauen: ein Kästchen mit Antenne, bei dem die Tonerzeugung über einen Rückkoppelungseffekt erfolgte. Wesentliches Ziel bei diesen Untersuchungen blieb es, ein Instrument zu entwerfen, das in der Lage sein sollte, alle Geräuschfarben in sich zu vereinen und das dem Bild von «zwanzig Männern, die sich abmühen, das Miauen einer Geige zu
11 Luigi Russolo: Die Kunst der Geräusche, a. a. O., S. 8.
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verdoppeln»12, endlich ein Ende zu bereiten versprach – ein Anliegen, das Russolo durch sein 1921 patentiertes «Russolophon» verwirklicht sah (Abb. 5, links). Abbildung 5: «Multigeräuschtoner» Anfang der 1920er-Jahre: Luigi Russolos «Russolophon» (links);Jazz-Schlagzeug bestehend aus großer Trommel, kleiner Wirbeltrommel, Becken, Triangel, Tom-Tom und Ratsche (rechts)
Auf dem Markt der Musikindustrie war hingegen im Jahr der Patentierung längst ein Konkurrenzmodell erschienen, ein Instrument, das lange Zeit als Synonym für den Jazz gebraucht wurde: das moderne Schlagzeug. Als eine populäre Spielart des «Russolophons» bildete das Schlagzeug der Jazzbands als «Krachmacher» schlechthin nicht nur die mögliche Summe aller Schlaginstrumente einer Marschkapelle wie große Trommel, kleine Trommel, Becken, Tamburin, Triangel, sondern wurde zusätzlich noch mit Kuhglocken, Schellen und Tom-Toms bedacht (Abb. 5, rechts). Folgte dieses Instrument recht rationalen Prinzipien (aufwendige Orchesterbesetzungen waren nicht nur teurer, sie beanspruchten zudem reichlich Platz), so erforderte die Handha-
12 Luigi Russolo: «Die Geräuschkunst (1913)». In: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909 – 1918. Köln: DuMont 1972, S. 88.
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bung dieses polyphonen Klangerzeugers höchsten Einsatz. Der Schlagzeuger erscheint gleichsam als die Personifikation eines hart arbeitenden Menschen, der im Akkord sein Instrument zu bedienen und als multipler Solist möglichst viele Klangfarben in kürzester Zeit zu erzeugen hatte – «der für eine allgegenwärtige Geschwindigkeit geschaffene ahumane und mechanische Typus»13 Marinettis. In jener «geräuschhaften» Nähe zum Jazz liegt auch ein erster Grund, warum sich eine Reihe von Komponisten und Musikern im Umkreis des Futurismus gleichermaßen mit klanglichen und instrumentalen Experimenten wie mit Jazzidiomen beschäftigten. Franco Casavola, der sich in seiner Musik zu Fortunato Deperos Ballett «Anihccam del 3000» an den Klangmotiven der Lokomotive orientierte und in seinem Manifest «La musica futurista» von 1924 den Jazz als den vollkommensten und adäquatesten Ausdruck des modernen Lebens begrüßt hatte, verfasste ein Jahr später selbst einen auf Jazzelementen beruhenden «Hop-Frog». Waren ihm Alfredo Casella 1920 und Virgilio Mortari 1922 mit ihren «Fox-trots» bereits vorangeschritten, so gibt es insgesamt unter den Protagonisten und Vertretern der Musikavantgarde kaum einen, dessen Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksund Klangmöglichkeiten, meist unter einem Bekenntnis zur «Mechanisierung» der Musik, nicht unmittelbar auch von einer Auseinandersetzung mit dem Jazz oder einer seiner Vorformen begleitet gewesen wäre. So komponierte Igor Strawinsky Stücke wie den «Ragtime für 11 Instrumente» und «Piano-Rag-Musik», Milhaud den «Caramel Mou, Shimmy für Gesang und Jazzband» und «Trois Rag-Caprices». Auch Maurice Ravel, der ein reges Interesse für Russolos «Geräuschtöner» hegte, band Jazzrhythmen in seine Komposition «L’Enfant et les Sortilèges» und Blueselemente in seine «Violin-Klavier-Sonate» ein. Und hatte Satie bereits l9l7 in seinem Ballett «Parade» rhythmische und klangliche Elemente des Jazz mit dem Takt und der Klangwelt von Si-
13 F.T. Marinetti: «Der multiplizierte Mensch und das Reich der Maschine (1914)». In: Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente. Hamburg: rororo 1993, S. 108.
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renen, Revolvern, Schreibmaschinen und Lotterietrommeln verbunden, so arbeitete George Antheil zeitgleich zu seinem «Mechanismus für Klavier» und dem «Balett Mécanique», dessen Instrumentation von ihm durch das tonale Volumen von Flugzeugpropellern bereichert wurde, an Stücken wie «A Jazz Symphony» für 22 Instrumente oder «Jazz Sonata» für Klavier. Eine dezidiert politische Stoßrichtung erhielt der Jazz von dem «russischen Futuristen» Joseph Schillinger. Schillinger, der sich in Russland ebenso vehement und nachdrücklich für den Jazz wie für die Elektrifizierung der Musik einsetzte, ein Bekenntnis, das meist im gleichen Atemzug geschah (wie in seinen Einführungsworten anlässlich des Auftretens der «Ersten-Konzert-Jazzband» in Leningrad), war der Überzeugung, «Jazz zur Arbeitszeit [könne] die Produktivität der Arbeit um 30 bis 40 Prozent steigern»14. Sozialismus + Elektrizität = Kommunismus lautete noch die Lenin’sche Formel. Jazz + Elektrizität = Produktionssteigerung, so ließe sich diese im Sinne Schillingers umformulieren. Als ebenbürtige Mitstreiter auf dem Felde der neuen Musik erwiesen sich auch die Dadaisten, und Raoul Hausmann konnte zu Recht verkünden: «Aus und vorbei mit dem tönenden Zopf einer, ach so herrlich begründeten Tradition! Dada siegt auch in Tönen! Meine Herrschaften, ihre eingerosteten Ohren klingen?»15 Die Ohren zum Klingen brachten die Musiker des Dadaismus zunächst einmal ebenfalls über die Eroberung des Geräuschs als musikalischen Klang.16 Erwin Schulhoff, der
14 Übersetzung bei Detlef Gojowy: «Joseph Schillinger – Komponist und Utopist». In: Jürgen Arndt & Werner Keil (Hrsg.): Jazz und Avantgarde. Musikwissenschaftliche Arbeiten 5. Hildesheim: Olms 1998, S. 126. 15 Raoul Hausmann: Am Anfang war Dada. Gießen: Anabas-Verlag 1992, S. 119. Zum vergleichbaren Anliegen bei Russolo siehe: Luigi Russolo: «Die Geräuschkunst (1913)», a. a. O. . 16 Zum Thema Dada und Musik siehe: Dada und Musik. Neue Zeitschrift für Musik, Mai 1994.
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am 24.5.1919 im Berliner Meistersaal bei einem der berühmten öffentlichen Dada-Spektakel in persönlichen Kontakt zu den Dadaisten getreten war – ein Kontakt, der sich in der Folge als sehr fruchtbar erweisen sollte –, experimentierte auf der Suche nach neuen Tonalitäten und Rhythmen im Verbund mit Otto Griebel in Dresden mit mechanischen Geräuschen. Schreibmaschinen, Dampfkolben und Fabriksirenen bevölkerten Schulhoffs akustisches Laboratorium, während Hans Jürgen von der Wense in dadaistisch-humoresker Art Kompositionen im Stile seiner 1919 notierten «Musik für Klavier, Klarinette und freihängendes Blechsieb» verfasste. Bei genauer Betrachtung von Schulhoffs sich vermeintlich «klassisch» gebärdenden Kompositionstiteln offenbart sich zudem auch ein ausgeprägtes Interesse für Jazzrhythmen. So verbirgt sich hinter dem «Konzert für Klavier und kleines Orchester» ein Instrumentenensemble, bestehend aus nicht weniger als 18 verschiedenen Schlaginstrumenten, Autohupe, Torpedosirene, Amboss und schließt letztendlich mit dem Finale «Allegro alla Jazz». Und auch Schulhoffs «Suite im neuen Stil für Kammerorchester» zwingt einem dazu, in Anbetracht der Sätze «Ragtime», «Valse Boston», «Tango», «Shimmy» und «Step without music» die Bezeichnung «im neuen Stil» sehr genau zu lesen. «Foxtrott», «Ragtime», «One-Step und «Maxixe»: Satzbezeichnungen mit Verweischarakter auf die Modetänze und Jazzrhythmen dieser Zeit liegen auch Schulhoffs «Fünf Pittoresken für Klavier» zugrunde, die er seinem Ragtimebegeisterten Freund George Grosz widmete. Neben den Rhythmen, Strukturprinzipien und Klangformen des Jazz galt Schulhoffs Augenmerk unter dem Instrumentarium, das im musikalischen Gepäck des Jazz mit einhergeschritten war, insbesondere dem Saxophon. So notierte Schulhoff 1925 in seinem Artikel «Saxophon und Jazzband» zur Charakterisierung dieses Instruments: «In der Nähe betrachtet gleicht es [...] einem Staubsauger ‹Elektro-Lux› oder einer ‹Perolin›-Luftverbesserungsspritze [...] Das Saxophon eignet sich am besten zum Ausdruck aller menschlichen und animalischen Gefühle [...] Sein Ton
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kann ebenso den bekannten Jericho-Posaunen sowie einem Auto-Clakson [...] gleichen.»
In jener eigentümlichen, aber sehr zeitgemäßen Einbettung des Saxophons zwischen Urkraft und Hochtechnologie sollte insbesondere Schulhoffs Verweis auf «alle menschlichen und animalischen Gefühle» nochmals zum Tragen kommen und eine Modifizierung erfahren: «Die Gemeinschaft der Saxophone setzt die bisher nur durch die Musiklüge illusorischen Phallusorgien in die Tat um, weshalb dieses sympathische Instrument in der Frauenwelt tagtäglich umso mehr an Ansehen gewinnt.» Und es kommt, was kommen muss: «Dem Saxophon können mit ruhigem Gewissen starke kosmische Gefühle zugeschrieben werden und kein geringerer als Prof. Dr. Sigmund Freud befasst sich mit diesem Problem in einer ausführlichen Untersuchung, einer Parerga zu dessen ‹Totem und Tabu›, die sich ‹Fetisch Saxophon› betitelt.»17
Wie eine Trophäe soll auch George Grosz sein Saxophon herumgezeigt haben, allerdings nicht auf einer Großstadtjagd erbeutet, sondern per Katalog bestellt, und Tristan Tzara bescheinigte dem Saxophon, das «als Rose den Mord des Chauffeurs der Eingeweide» in sich trage, aus «sexuellem Kupfer» zu sein.18 Die Eroberung neuer Klangwelten fand ihre Grenzen jedoch nicht im Einbruch des Klangspektrums von Maschinen und Technik als tönende Insignien einer neuen, industriellen Zeit. Entdeckt und gleichermaßen in ihrem Klang- und Ausdrucksspektrum erweitert wie die Musik wurde die vox humana. Die menschliche Sprache, die in der «parole de li-
17 Erwin Schulhoff: «Saxophon und Jazzband». In: Der Auftakt, 1925, Heft 5/6. 18 Tristan Tzara: «Herr AA der Antiphilosoph schickt uns dieses Manifest». In: Karl Riha und Jörgen Schäfer (Hrsg.): DADA total. Manifeste, Aktionen, Texte, Bilder. Stuttgart: Reclam 1994, S. 252.
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bertá» der futuristischen Lautdichtung, dem «poéme simultané» und der «sound poetry» der Dadaisten von ihrer Syntax befreit, dynamisiert, rhythmisiert und zerlegt ihre ganze phonetische Kraft entwickeln sollte. Trafen sich in Marinettis Maschinengewehr-Stakkato «taratataratatatatatarara Maschinengewehre trak trak» Mensch und Maschine jenseits der Sprache auf der Ebene der Geräuscherzeugung, so tritt Kurt Schwitters in seiner von Raoul Hausmanns phonetischem Gedicht «fmsbwtäzäu» inspirierten «Sonate in Urlaute» an die Ursprünge von Wort und Musik zurück. Mensch – Musik – Maschine, gebunden in einer Tonspur, die ihre Bedeutungshaftigkeit zwischen phonetischem Raunen und schrillen Lauten finden konnte. Als Virtuosen schlechthin im Grenzgang zwischen instrumentalen und vokalen Klangformen lässt sich mit Berechtigung auch eine Reihe von Jazzmusiker apostrophieren. Kaum eine europäische Musikgattung wies eine vergleich- und spürbare Kultivierung ausschlaggebender Elemente einer oral tradierten Musik auf wie der Jazz. Seine Wurzeln, neben der Marsch- und Tanzmusik eben auch in den Spirituals, Work Songs und Field Holders, blieben im Klangideal, der kompositionellen Struktur und im Rhythmus erhalten. Das AABA-Schema, die Spielform des call-and-response, in dem Klarinette oder Posaune eine Art Antwortfunktion für die sich in der Lead-Position befindende, melodiebildende und -haltende Trompete darstellt, trägt den Sprechgesang zwischen Prediger und Gemeinde, Vorsänger und Chor in sich. Die beliebten dirty tones – also unsauber intonierte Töne –, der Einsatz von Wha-Wha-Dämpfern, das Spiel der Posaune mit «Doo Wacka Doo»Effekten, das «Growlen» der Trompeten, die Verwendung des Squawker orientieren sich als instrumentale Klangeffekte am menschlichen Stimmpotenzial. Neben den Instrumenten und den Spielweisen, die das Vokale betonen, oder auch denjenigen Klangerzeugern wie dem Kazoo, das die Stimme verzerrt und die Sprache in phonetischen Klang umwandelt, kommt dem Scat-Singen eine besondere Bedeutung hinsichtlich eines erweiterten Stimm- und Sprachgebrauchs zu. Scat als jene Gesangsart
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des Jazz, die in der Aneinanderreihung von semantisch befreiten Lauten oder Silben lautmalerisch instrumentale Phrasen nachahmend dem ästhetischen Anspruch eines «poème simultan», einer «parole in libertà» oder der «sound poetry» virtuos zu entsprechen weiß. Die vielfache Aufnahme von Jazzstücken oder jazzverwandten Kompositionen in die Programme der Dada-Soireen spiegelt diese Wahlverwandtschaft. Sie trägt der Syntheseleistung des Jazz Rechnung, der die klanglich vokale Seite des Instruments, die instrumentale Seite der Sprache und die Zerlegung dergleichen in ein onomatopoetisches Lautsystem, bei gleichzeitiger Eroberung neuer tonaler Ausdrucksmöglichkeiten durch die akustische Rehabilitierung und Aktivierung des Geräuschs, in einem Stück Musik zu einer Einheit führt. Dass es nicht allein bei der Aufnahme des Jazz als Programmbaustein der kakophonisch und synästhetisch angelegten Aufführungen blieb, zeigt nur um so deutlicher, welch produktives Potenzial dem Jazz hinsichtlich der eigenen künstlerischen Bestrebungen zugesprochen wurde. Über Kompositionen in der Art von Schulhoffs «Wolkenpumpe. Ernste Gesänge für eine Baritonstimme mit vier Blasinstrumenten und Schlagzeugen nach Worten des Heiligen Geistes Hans Arp» von 1922, in die er Jazzidiome integrierte, verankerte sich über einen Klangbogen aus Musik – Geräusch – Sprache das ästhetische Recht des Jazz auf einen festen Platz im dadaistischen Werk. Das Konstruktionsprinzip dieses phonetischen Klangteppichs der «Wolkenpumpe» entsprach dabei dem, was Schulhoff unter der «Addition aller Dinge» eingefordert hatte: dem dadaistischen Prinzip der Montage. Unter dieser konstruktiven Perspektive werden die Klangrealien des tonalen Einsatzes, sowohl der Avantgarde als auch des Jazz, Sirene, Blechsieb, Waschbrett oder Kinderquarre, aber auch die aus verschiedenen Materialien montierten Perkussionsinstrumente wie Holz- oder Fell-Tom-Toms gleichsam zu jenen Realitätspartikeln, die in der bildenden Kunst in Form von Fundstücken oder «objets trouvés» in der Assemblage ihren Eingang fanden. Im Moment der Herausnahme dieser «Klangrealien» aus einem fest definierten und ihnen zugesprochenen funktionalen Rahmen und der Überführung dieser in einen
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neuen (Kunst-)Kontext liegt dann auch das gleiche, oft ironische, aber produktive Potenzial des Verfremdungseffekts, wie dies in den materiellen oder gesprochenen, zu «Readymades» montierten Kunstwerken der Fall ist. Nicht weniger zur Verfremdung trugen im Jazz auch jene beschriebenen Klangeffekte bei, wie die «dirty-tones» und tonalen Verschiebungen, mit denen auch Stephan Wolpe experimentierte. Eines der bemerkenswertesten Resultate von Wolpes frühen Experimenten ist sicherlich eine Grammophon-Inszenierung, die 1920 im Rahmen einer «Dada-Performance» aufgeführt wurde. Auf acht Grammophonen ließ Wolpe Beethoven-Symphonien, gemixt mit Schlagern, zeitgleich in verschiedenen Geschwindigkeiten spielen, die sich hierdurch im Klangspektrum verschoben und rhythmisch überlagerten. Das Konstruktionsprinzip, das Wolpes Inszenierung zugrunde liegt, kommt dabei einer kompositionellen Struktur des Jazz sehr nahe. Gemeint ist hier nicht allein die Synkope mit ihrer Verschiebung eines betonten Taktteils auf einen unbetonten, vielmehr auch die Beat-OffBeat-Technik. Setzen sich von der stabilen Basis des Grundschlags, dem Beat, der meist von den Instrumenten der Rhythmusgruppe wie Schlagzeug, Zupfbass oder Klavier gehalten wird, im Off-Beat Trompete, Saxophon, Klarinette oder Posaune ab, so verschieben sich die Letztgenannten beständig, sowohl in ihrem Verhältnis zur Grundebene, die gleichsam attackiert wird, als auch untereinander. Mit dieser Verschachtelung der rhythmischen Schichten durch die jeweilige Akzentsetzung und -verschiebung trägt der Jazz nicht nur dem dadaistischen Konstruktionsprinzip Rechnung, sondern auch Russolos «Schlußfolgerung Nr. 3»: «Die Sensibilität des Komponisten muß sich vom leichten und herkömmlichen Rhythmus frei machen und in den Geräuschen ein Mittel finden, sich zu erweitern und zu erneuern, weil jedes Geräusch außer dem dominierenden Rhythmus die Verbindung der verschiedenartigsten Rhythmen bietet.»19
19 Luigi Russolo: «Die Geräuschkunst (1913)», a. a. O., S.108.
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Mehring proklamierte den «Sprachen-Ragtime». Als «Syncopation, eigene Verse» kündigte Grosz seine Darbietung auf einem Berliner Dada-Abend vom 12.4.1918 an. Und die Künstler waren sich dieser konstruktiven Affinitäten zur Jazzmusik durchaus bewusst. Dies zeigt nicht minder auch ein Jazzauftritt von Jean Cocteau, Georges Auric und Francis Poulenc im Rahmen einer von Francis Picabia organisierten Ausstellungseröffnung im Dezember 1920 in Paris. Neben musikalischen Einlagen wie dem «New York Foxtrot» verlas Cocteau, nachdem er Tzaras Anweisung für ein dadaistisches Gedicht «Nehmt eine Zeitung. Nehmt eine Schere» rezitiert hatte, eine Anleitung zur musikalischen Kompositionsgestaltung. Die Ingredienzien des Cocteau’schen MontageCocktails: ein Dichter, ein paar Musiker, ein populärer Foxtrott und das Ganze wahlweise geschüttelt oder gerührt mit einer Anzahl an verschiedenartigsten Geräuschen.
3 Der Mann des Schlagwerks
Doch der Jazz lebt nicht vom Klang allein. Die eingangs beschriebenen Wirkungen und Topoi, die die Jazzrezeption dieser Zeit formulierte und prägte, liegen nicht ganz unwesentlich auch im Moment der Inszenierungsform begründet, die dem Jazz zu neuen Qualitäten verhalf und über die er sich zu definieren verstand. Die Spielart der Jazzmusiker und ihr Umgang mit den Instrumenten mussten aus dem Blickwinkel des traditionellen orchestralen Bereichs heraus ebenso Erstaunen wie Misstrauen erregen. Aus Paris berichteten André Schaeffner und André Coeuroy: «Der Mann des Schlagwerks ist immer noch ‹derjenige, der den Lärm macht›. Er ist wie ein Cowboy gekleidet und klopft mit kurzen Schlägen auf ein Brett. Ein andermal wieder drückt er die Hupe und führt dann auf seinem Sitz zusammen ‹in Momenten gesteigerter Raserei, wo die Hölle ihre Pforten öffnet›. Die Federkraft der Becken schleudert ihn vom Schemel, und er drischt auf die große Trommel los, mit Schlägen, die fast ihren Bauch durchlöchern und ihr Lust machen, sich zu Tode zu bellen.»1
1
André Schaeffner und André Coeuroy: «Die Romantik des Jazz». In: Auftakt, 6. Jg., 1926 (Jazzsondernummer).
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Blas- und Zupfinstrumenten erging es ebenfalls nicht viel besser: «da gibt’s einen Banjospieler, der mit wahnsinnigen Gebärden sein Instrument boxt, zwickt und förmlich zerfleischt [...] Posaunentrio, bei dessen Glissandi die Gedärme der Zuhörerschaft zu vibrieren beginnen»2, notierte Erich Steinhard beim Anblick des musikalisch sonst eher zahmen Whiteman Jazzensembles. Abbildung 6: Jazz-Schlagzeuger (1921)
Verfehlten diese eindrucksvollen Inszenierungen durchaus nicht ihre Wirkung, so stand das «Bearbeiten» des Instruments nicht allein im
2
Erich Steinhard: «Whitemanns Jazzorchester in Paris», ebd.
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Dienst optischer Effekte, sondern schuf gleichfalls weiteres Klangpotenzial, wie etwa das Slapping des Kontrabasses, bei dem durch das Anreißen einer Saite und das gleichzeitige Aufschlagen auf das Griffbrett klatschende Geräusche entstehen. Als Meister dieses Fachs galt abermals der Jazz-Schlagzeuger, der «Mann der Überraschungen, der Zauberer von Abwechslungen und Verblüffungen», dessen «improvisatorische[r] Phantasie [...] keine Grenzen gesetzt [sind]» (Abb. 6). Für Paul Bernhard repräsentierte er gleichsam «den musikalischen Urfaktor» des Jazzspektakels: «Er sitzt, den Rhythmus in der Faust, auf der Grenzscheibe zwischen Geräusch und Ton. Er schlägt die dumpfe Trommel des Tanganjika, zu deren Klängen die Urväter ihre Feinde verspeisten. Er ist der Gott des Donners und der prasselnden Regenschauer. Er zitiert die Toten aus den Gräbern und läßt im Step sie klappernd ihre Skelette drehen. Er läßt greisenhafte Vögel durch die Luft schwirren mit schrillem Kreischen und pfeifendem Flügelschlag. Er läutet Glocken tief unter der Erde und er kennt die Schmiede und die Tenne und den Gesang des Motors.»3
Tonbildende Qualität aus der Art der instrumentalen Behandlung heraus zu gewinnen, dieses Anliegen verfolgte auch Henry Cowell mit seinen «ton clusters», der Bearbeitung der Klaviertastatur durch Handballen oder Unterarm, die er im San Francisco Music Club 1912 erstmals vorführte.4
3
Paul Bernhard: Jazz. Eine musikalische Zeitfrage. München: DelphinVerlag 1927, S. 31f.
4
Auf der Suche nach neuen Spielweisen und Klangformen sollte Cowell später Lew Termen den Auftrag für ein neues elektronisches Instrument erteilen, das sogenannte «Rythmicon», das Termen 1932 in der New York School of Social Research in New York ausstellte.
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Abbildung 7: Musikalische Explosionen: «The Rail Road, Gallop & Terrific Explosion As Performed By Perham’s Troupe Only», Ausschnitt Werbeplakat für eine Minstrelshow (1882)
Nicht weniger berühmt für seine «Fortissimo-Explosionen und rasenden Glissandos quer über die Tastatur»5 war auch George Antheile, und Paul Hindemith stellte seinem, im Jazzidiom gehaltenen 5. Satz seiner Klavier-Suite 1922 opus 26 die Spielanleitung voran: «Nimm keine Rücksichten auf das, was Du in der Klavierstunde gelernt hast – Überlege nicht lange, ob Du Dis mit dem vierten oder sechsten Finger anschlagen mußt. – Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus, wie eine Maschine. – Betrachte hier das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug und handle dementsprechend.»
5
Hans Heinz Stuckenschmidt: «Musik am Bauhaus». Wiederabgedruckt in: Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungs-Katalog). München: Prestel 1985, S. 410.
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Eine Anleitung, die gleichermaßen einer dadaistischen Soiree oder einer futuristischen Kunstaktion entnommen sein könnte wie sie auch Charakterzüge des Jazz und seiner Vorformen kennzeichnet (Abb. 7 – Abb. 8). Abbildung 8: Künstlerische Eruptionen: Umberto Boccioni, «Futuristenabend» (1914)
Zwischen Handgemenge, Schaukämpfen und «Hexensabbat, wie sie ihn sich nicht vorzustellen vermögen, ein Trara von morgens bis abends, ein Taumel mit Pauken und Negertrommeln, eine Ekstase mit Steps»6, war die von der Avantgarde eroberte Bühne zum «Tummelplatz verrückter Emotionen»7 geworden. Bruitismus in Leben und Kunst, vereint in einem lärmenden Aktivismus, der in seinem Ereignischarakter auch die Publikumsbeschimpfung als willkommenes Mittel entdeckt. Ganz im Sinne von Hans Arp: «ein fürchterliches mene tekel
6
Richard Huelsenbeck: «Erste Dadarede in Deutschland (1918)». In: DADA total, a. a. O., S. 96.
7
Hugo Ball: «Die Flucht aus der Zeit (1916)». In: DADA total, a. a. O., S. 17.
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zeppelin wird ihnen bereitet werden und die dadaistische hauskapelle wird ihnen was blasen»8, erwiesen sich insbesondere auch die Musiker unter den Dadaisten als Meister dieses Fachs. Schrieb Schulhoff zu seiner Komposition «Baßnachtigall» von 1922 einen Epilog in Form einer Publikumsbeschimpfung, so ist mithin auch Georges RibemontDessaignes Manifest «An das Publikum» alles andere als eine Liebeserklärung.9 Im Kontakt mit der Musik und den Inszenierungsformen des Jazz entwickelten gleichfalls jene Künstler der Moderne ein gewisses Destruktionspotenzial, die hinsichtlich ihres öffentlichen Auftretens – gemessen an den Dadaisten und Futuristen – eher gemäßigte Züge aufwiesen. Aus den Erinnerungen von Farkas Molnár, erstmals 1925 in der Zeitung «Periszkop» erschienen, lässt sich Dahingehendes auch für die Bauhaus-Jazzkapelle feststellen. Mit Andor Weiniger als Spielführer – «wenn er sich ans Klavier setzte, dann herrschte er über alle Meister wie Admiral Scheer; er hebt, winkt, dirigiert und diktiert» – konnten auch Bauhausabende im Tumult enden und ließen nichts in ihrem Ereignischarakter zu wünschen übrig: «Der Tanz, nimmt kein Ende. Die Jazz-Kapelle zerbricht ihre Instrumente. Der Kneipier verliert seine Geduld. Draußen stellt die Polizei Maschinengewehre aus Cherry-Brandy-Flaschen auf. Drinnen ist jetzt der Höhepunkt erreicht. Barometer 356 Grad. Spannungsmaximum. Zapfenstreich, der Henker erscheint. Roter Pfeil. Notausgang.»10
8
Hans Arp: «cacadou supérieur.» In: DADA total, a. a. O., S. 222.
9
Georges Ribemont-Dessaignes: «Manifest ‹An das Publikum›». In: DadaAlmanach, a. a. O., S. 98f.
10 Farkas Molnár: «Das Leben im Bauhaus (1925)». In: Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik. Ausstellungskatalog. Marburg: Jonas-Verlag 1986, S. 274.
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Manch einer der Musiker fühlte sich dabei in seiner Rolle als «Admiral» so heimisch, dass es zu ungeahnten, aber durchaus nicht gänzlich fernliegenden Musikkarrieren kommen konnte. Der dadaistische «Hauspianist» Hans Heuser, von dem Ferruccio Busoni gesagt haben soll, um im Stile seiner Kompositionen zu bleiben, müsse man eigentlich die Worte Da capo silbenweise verdoppeln, sollte später eine glänzende Karriere als Komponist Schweizer Marschmusik machen.11 Hingegen konnten musikalische Bekenntnisse für oder wider die Marschoder die Jazz-Rhythmen auch den umgekehrten Weg gehen. Hatte Alban Berg noch l92l an Schulhoff auf dessen Bekenntnis zum Jazz hin geschrieben: «Schließlich ist unsere österreichische Militärtrommel Rhythmus auch nicht von Pappe»12, so sollte er acht Jahre später, allerdings unter veränderten Umständen, in seiner Oper «Lulu» ein komplettes Jazzensemble zum Einsatz und zum Tönen bringen. Revolver und Trommel, bevorzugt «Negertrommel» bei den Dadaisten, diesen beiden Insignien kommt im Instrumentarium sowohl einzelner Jazzbands wie auch aller genannten Avantgarden hinsichtlich einer angestrebten, größtmöglichen Schockwirkung besondere Bedeutung zu. Beide sind nicht nur unüberhörbar im Klangvolumen, ihnen liegt auch in der unvermittelt auftretenden Wucht der Tonerzeugung jenes Moment des Erschreckens zugrunde, das eine unmittelbare Präsenz zu schaffen vermag. Über die klangliche und optische und damit auch emotionale Explosionswirkung, die sich entwickeln konnte, wenn dieses Instrumentarium mit entsprechenden Inszenierungsformen zusammenstieß, waren sich auch Serner und Schad bewusst, die im März 1920 in Genf im
11 Raimund Meyer: Dada in Zürich. Die Akteure, die Schauplätze. Frankfurt am Main: Luchterhand 1990, S. 78. 12 Zitiert nach Albrecht Riethmüller: «Erwin Schulhoffs Vitalisierung der Musik durch Tanz und Jazz». In: ‹Zum Einschlafen gibt’s genügend Musiken›. Referate des Erwin Schulhoff-Kolloquiums in Düsseldorf. Hamburg: von Bockel 1996, S. 39.
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Rahmen eines Dada-Balls einen Jazzband-Abend mit anschließendem Revolverduell inklusive Beschießung organisierten. Nachdem eine «Original-Jazz-Band-Dada-Kapelle, die sich zur Komplettierung ihrer Klangwirkungen alter Töpfe, Autohupen, Kasserollen, Hundepfeifen und Flaschen bediente», ein «geradezu beispielloses Spektakel» veranstaltet hatte, kam es, wie das Prager Tagesblatt am 21.3.1920 zu berichteten hatte, zu «einer gewaltigen Dada-Apotheose: Zwanzig Dadaisten schossen aus Kinderrevolvern minutenlang auf Dr. Serner, der ununterbrochen stöhnte: ‹Ah, c’est bon! Encore! Encore!›»13. «Schüsse als Argumente», so sollte Serner diesen Abend später bezeichnen und verweist damit auf eine Dimension, die hinter der vordergründigen Schicht dieses lärmenden und aggressiven Aktionismus liegt. Nicht nur Lärm, nein, auch «mit dem Revolver in der Tasche Literatur machen»14 wollte Richard Huelsenbeck und dieselbe gleich «am liebsten in Grund und Boden trommeln»15. Beides Chiffren einer Kunsterzeugung: Denn hinter der Freilegung eines ungeahnten Klangpotenzials eines Instruments oder Gegenstandes durch seine Zerstörung liegt eben jenes künstlerische Prinzip, das aus dem Akt der Destruktion neues schöpferisches Potenzial zu gewinnen vermag, in dem selbst noch der Krieg, wie für die Futuristen, zu einer – in den Worten Huelsenbecks – «spontanen Eruption von Möglichkeiten» werden kann. An der Grenze zum Spiel- und Zumutbaren wird die künstlerische Präsentation und Inszenierung zu einem Kampfeinsatz, der, mit den Mitteln der Demontage operierend, Wahrnehmungs- und Denkkategorien aufzubrechen und zu
13 «Dada-Ball in Genf», Prager Tagblatt, Nr. 69, 21.3.1920. In: DADA total, a. a. O., S. 211. 14 Richard Huelsenbeck: En avant dada. Die Geschichte des Dadaismus. Reprint der Originalausgabe von 1920, Hamburg: Edition Nautilus 1984, S. 15. 15 Hugo Ball: «Die Flucht aus der Zeit (1916)». In: DADA total, a. a. O., S. 17.
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verändern trachtet. «Jede Tat [...] ein zerebraler Pistolenschuß»16, wie Tristan Tzara von seinen Mitstreitern einforderte.
16 Tristan Tzara: «Herr AA der Antiphilosoph schickt uns dieses Manifest». In: DADA total, a. a. O., S. 252.
4 Bewegungsakrobaten
Jazz und Avantgarde als Formeln einer neuen Form der (Kunst-)Aktion verlangten nicht nur den aufführenden Musikern ein Höchstmaß an Beweglichkeit ab. Die bei den Inszenierungen freigesetzte Dynamik verlagerte sich auch auf den Rezipienten und konnte sich dabei recht unterschiedlich äußern: im Zuschauertumult – oder in der organisierten Form des Zuschauertumults, im Tanz. «Ein Riesenkrach, ein wahnsinniger Tanz, und jeder wird hypnotisiert. Die ältesten Leute unterliegen der rasenden Stimmung, eine unerhörte Lebensfreude hüpft durch den Saal. Ein Kellner fällt mit einem vollen Tablett – kein Mensch merkt es –, das gehört zur Musik. Zwei Gents ohrfeigen sich –, das gehört zur Musik. Nach drei Tagen hat man zehn Pfund abgenommen, ist jung, elastisch, lebensfroh»,
notierte 1921 R. L. Leonard in seinen Ausführungen zu «Jazz – Shimmy – Steinach & Co.».1 Entsprechend lässt sich dann auch das Phänomen der Jazzbegeisterung in Europa nicht von einer Tanzeuphorie trennen, die sich in Modetänzen wie dem Cake Walk, Shuffle, Rag-
1 R. L. Leonard: «Jazz – Shimmy – Steinach & Co.» In: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 122.
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time, Onestep, Twostep, Lindy Hop, Shimmy, Charleston, Black Bottom und Jazztanz ihren Ausdruck und ihre Form suchte.2 Mehr noch: Der Begriff «Jazz» avancierte zum Sammelbegriff der neuesten Modetänze.3 Abbildung 9: «Kautschukmann»: CharlestonTänzer (um 1926)
2 Alfred Baresel konstatierte bezüglich der grassierenden Tanz-Euphorie, der «Jazz» sei die «sieghafteste Tanzmusik seit der Wiener Walzermusik», Baresel, 1929, a. a. O., S. 5. 3
So handelt es sich auch bei der Publikation von Koebner, «Jazz und Shimmy» (1921), um ein «Brevier der neuesten Tänze».
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Die zum Teil einfachen Grundmuster der Schrittfolgen, insbesondere wenn sie sich an einem dem Marsch abgeleiteten Rhythmusgefühl orientierten, wurden schnell durch diejenigen Tänze erweitert, die einzelne Gliedmaßen (oder auch ganze Gliedmaßenkomplexe) in diachrone Bewegungsabläufe auflösten (Abb. 9). Im Angesicht der Herausforderung durch Bewegungskünstler vom Schlage einer Josephine Baker kommt es bei Pollack zu einer zeittypischen Einschätzung: «Nach diesen irrsinnigen Fragmenten zu tanzen, schien nur den Wilden möglich. Und in den Varietés sah man dann bald Neger, die zur Rag-time Musik einen Tanz produzierten, der durch seine groteske Wildheit zunächst auf all die feinen Gemüter abstoßend wirkte.»4 Doch statt abstoßend zu wirken, verbreiteten sich diese «wilden Tänze» wie ein Virus, dem sich keiner entziehen konnte: «die Jazz-Band-Musik geht in die Knochen, in die Glieder, in die Beine», sie setzt einen «in Bewegung wie eine Marionette»5, stellte Hans Siemsen von der Weltbühne fest. Und Leonard, dessen Beine selbst noch im Schlaf zu Jazz-Rhythmen zuckten, keuchte elektrifiziert: «Ich stehe unter Jazz, total unter Jazz.»6 Die Gleichsetzung von Jazzmusik und Modetänzen brachte es mit sich, dass in den zeitgenössischen Beschreibungen der Jazztänze eben jene beiden Topoi ihren Niederschlag fanden, derer man sich auch zur Charakterisierung dessen, was man seinerzeit unter Jazzmusik subsumierte, bediente: auf der einen Seite die ungezähmte Wildheit und Exzentrik, die man vorzugsweise Afrikanern und Afroamerikanern zuschrieb, auf der anderen Seite Elektrifizierung und Mechanisierung als Leitsterne der Moderne. Wahlweise erschien es dem einen oder anderen Beobachter der Modetänze aber auch, als seien die Tänzer vor allem eines: stark alkoholisiert (Abb. 10). Und in der Tat: Folgt man den damaligen Aussagen der enthusiastischen Jazzliebhaber, so machte der Jazzrausch die Menschen nahezu trunken: «Wer Jazz-Bands hat, der braucht keinen
4
Pollack, 1922, a. a. O., S. 23.
5
Hans Siemsen: «Jazz», Weltbühne. In: F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 17.
6
R. L. Leonard, a. a. O., S. 121.
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Schnaps.»7 Vor dem Hintergrund der seinerzeit in den USA herrschenden Prohibition bekam dieses Statement nochmals eine ganz besondere Note: «Amerika hat, so sagt man wenigstens, keinen Alkohol mehr. Es hat auch keinen nötig. Es hat Jazz-Bands. Das sind Musikkapellen, die einen ohne Alkohol besoffen machen.»8 Abbildung 10: Tanzszene aus dem Revue-Kurzfilm UND NELSON SPIELT (1929)
Das Phänomen der Tanzeuphorie sollte jedoch nicht nur die breiten Bevölkerungsschichten ergreifen, sie machte auch vor der Avantgarde nicht halt. «Ob wir tanzen! Ach, du bist noch nie im Bauhaus-Tanz untergegangen? Noch bist du ein gewöhnlicher Erdenwurm, noch hast
7
Hans Siemsen: «Jazz», Weltbühne. In: F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 18.
8
Ebd., S. 14.
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du nicht des Shakespeares Rätsel von Sein oder Nichtsein zu lösen vermocht», schrieb 1924 Xanti Schawinsky als Mitglied der BauhausJazzband, die für die richtigen Rhythmen zu sorgen hatte. Erschien Schawinskys Statement zum Tanz in der Zeitschrift Junge Menschen, so blieb die Tanzbegeisterung beileibe nicht auf die Studenten am Bauhaus beschränkt. Auch unter den «Altmeistern der Moderne» fanden sich Stimmen, die mit für uns heute so vertraut klingenden Tönen die Bauhausforderung, «tanzen [zu] können», kommentierten: «Itten hatte ein geflügeltes Wort: ‹Locker sein›»9 (Abb. 11). Abbildung 11: «Itten hatte ein geflügeltes Wort: ‹Locker sein›», Tanzpaar (um 1921)
Diesem Aufruf Genüge leistend, bediente man sich neben eigenen Choreographien wie dem Bauhaus-Tanz oder dem Dada-Trott auch der populären Tanzformen, die nach Originalmusik einstudiert wurden. «Wir erlebten eine Art Evolution der Tanzstile», erinnerte sich Andor
9
Farkas Molnár, a. a. O., S. 272.
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Weininger. «Erst gab es den Foxtrott [...] Dann kamen Onestep und Twostep, Ragtime und Charleston, dann Blues und Shimmy, dann Java.»10 Geschwindigkeit = Synthese aller Kräfte in Bewegung. Diese Gleichung Marinettis lässt sich in Angesicht dieser sehr körpernahen Umsetzung der Forderung nach Dynamisierung durch ein Segment erweitern: Geschwindigkeit = Synthese aller Kräfte in Bewegung = Tanz. Und wenn Theo van Doesburg ausrief «Dada – und die Kranken werden gesund, sie bewegen sich und [...] tanzen Shimmy»11, dann trägt er auch auf dieser Ebene jenem dadaistischen Credo der Moderne als Mouvement Avantgarde Rechnung, die Huelsenbeck im DadaAlmanach formuliert hatte: «Dada ist der tänzerische Geist über den Moralen der Erde [...] Dada ist die amerikanische Seite des Buddhismus [...] Dada [ist] die Bewegung [...] Dada [ist] der direkteste und lebendigste Ausdruck seiner Zeit»12. Seinen unmittelbaren (körperlichen) Ausdruck fand dieses Credo in den Tanzeinlagen der Dadaisten, die sie im Rahmen von dadaistischen Veranstaltungen vorzugsweise in Form von aus populären Tanzstilen bestehenden Bewegungsmontagen darbrachten: «Foxwalk», «Caketrott», «foxty-one-step» und «dada-trot».13
10 Andor Weininger: «Weininger spricht über das Bauhaus» (Passagen aus In terviews, zusammengestellt von Katherine Jánszky Michaelsen). In: Jiri Svestka (Hrsg.): Andor Weiniger. Vom Bauhaus zur konzeptionellen Kunst. Düsseldorf: Kunstverein für die Rheinlande und Westphalen 1990, S. 41. 11 Theo van Doesburg: «Charakteristik des Dadaismus». In: DADA total, a. a. O., S. 179. 12 Richard Huelsenbeck: «Einleitung». In: Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach, Berlin 1922. Reprint. Hamburg: Edition Nautilus 1980, S. 3ff. 13 «Dada. Tribüne». Vossische Zeitung. Morgenausgabe vom 1.12.1919. Abgedruckt in: Karin Füllner: DADA in Berlin in Zeitungen: Gedächtnisfeiern und Skandale. Muk 43, 1986/1987, S. 28. aeo: «Dadaistenskandal in Prag». Abendblatt der Deutschen Zeitung Bohemia (Prag) vom 2.3.1920. Abgedruckt in: Karin Füllner, a. a. O., S. 54.
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Bei ihren Adaptionen der verschiedensten Modetänze kam den Dadaisten entgegen, dass den Jazztänzen etwas politisch Subversives anhaftete. So avancierte in Deutschland nicht nur die Jazzmusik mit ihrem «jede Vernunft niedertrampelnde[n] Rhythmus», sondern eben auch der Tanz zu diesen Rhythmen zum Gegenbild preußischer Zucht und Ordnung: «Er [der Jazztanz, Anm. d. A.] schlägt jeden Ansatz von [...] korrekter Haltung, von Schneidigkeit, von Stehkragen in Grund und Boden. Wer Angst davor hat, sich lächerlich zu machen, kann ihn nicht tanzen. Der deutsche Oberlehrer kann ihn nicht tanzen. Der preußische Reserveoffizier kann ihn nicht tanzen. Wären doch alle Minister und Geheimräte und Professoren und Politiker verpflichtet, zuweilen öffentlich Jazz zu tanzen! Auf welch fröhliche Weise würden sie all ihrer Würde entkleidet!»14
Und auch für Paul Bernhard fanden – allerdings unter umgedrehten Vorzeichen – in der Jazzband als «orgiastische(m] Tanzorchester, wie es in Europa noch niemals bestanden hat» und der sich «in förmliche[n] Epidemien ausbreitenden» Tanzwut die «anarchischen Zustände, die das Kriegsende brachte», ihren ungezügelten Ausdruck.15 Über Nutzen und Nachteil der Leibesübung machte man sich ebenfalls am späten Bauhaus seine Gedanken. Mit der Übernahme der Rektorenstelle durch Hannes Meyer wurden mit dem Semesterplan 1926/27 Sportunterricht, Gymnastik und Tanzlehre zu Pflichtfächern. Kommentiert wurde diese Neuerung von Meyer mit der Begründung: «Den sprichwörtlichen Kollektiv-Neurosen des Bauhauses, Furcht einer einseitig-geistigen Betätigung, begegnete ich durch die Einführung des
14 Hans Siemsen, a. a. O., S. 18. 15 Paul Bernhard: Jazz. Eine musikalische Zeitfrage. München: DelphinVerlag 1927, S. 27f.
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Sportunterrichts. Eine Hochschule ohne Leibesübungen erschien mir ein Unding.»16 Bei Schulhoff hingegen fehlen die Untertöne eines Abbildung 12: Kampf der Geschlechter: Tanzpaar ...
Turnvaters Jahn, wenn er von den Denkern seiner Zeit eine gewisse Beweglichkeit auch auf dem Tanzparkett einfordert. So monierte er 1925 in einer Sondernummer der Zeitung Der Auftakt, die der «Musik der Gegenwart» gewidmet war, «ein Manko des Künstlers» bestehe eben darin, «daß er entweder ein schlechter Tänzer, meist aber überhaupt ein Nicht-Tänzer ist». Ein nicht ganz folgenloses Versäumnis für
16 Wulf Herzogenrath (Hrsg.): bauhaus utopien – Arbeiten auf Papier (Ausstellungs-Katalog). Stuttgart: Edition Cantz 1988, S. 218.
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Schulhoff, da er zu der Ansicht gelangte, dass diese «Einseitigkeit und der Mangel an Beweglichkeit zweifelsohne mit dem Intellektgrad in unmittelbarem Zusammenhang» stünden. Abbildung 13: ... im Boxring
Unter der Apotheose von Beschleunigung und Beweglichkeit war seinerzeit auch die Literatur zum «poème mouvementiste»17 geworden, mit rhythmischen Eigengesetzlichkeiten, die eine entsprechende Rezitierweise erforderten. «Der futuristische Deklamator muß mit den Armen und den Beinen deklarieren», schrieb Marinetti in seinem Mani-
17 Richard Huelsenbeck: «Erste Dadarede in Deutschland (1918)». In: DADA total, a. a. O., S. 98.
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fest «La declamazione dinamica e sinottica»; und: «Dieser lyrische Sport wird die Dichter dann zwingen, nicht mehr so weinerlich zu sein, sondern aktiver und optimistischer zu sein.» Literatur als Leibesübung – zwecks mentaler Stärkung.
5 Boxerpoeten
Beweglich, das wollte auch George Grosz bleiben, der sich mit seiner Forderung «Ja, wieder elastisch werden nach allen Seiten höchst federnd – sich verbiegen – anboxen! Kinn- oder Herzgrubenhieb!»1 zum Kampf gleichermaßen auf dem Gebiet der Politik wie der Kunst rüstete. Dabei avancierte der «Kautschukmann» für Grosz zur Chiffre eines neuen Kunstaktionismus und modernen Künstlertypus: «Kautschukmann sein beweglich in allen Knochen nicht bloß im Dichter-Sessel dösen oder vor der Staffelei schön getönte Bildchen pinseln.»2
Bildlichen Ausdruck fand diese Liaison von körperlicher Beweglichkeit und geistiger Elastizität unter dem Signet der Kampfbereitschaft in Groszs «Selbstporträt (für Charlie Chaplin)» von 1919. Mit der Rechten vorpreschend, sein Gegenüber mit abschätzendem, aber ebenso entschlossenem Blick fixierend, wird der Zeichenstift zum Instrument des Angriffs, mit dem sich ungleich schärfer und gezielter agieren und
1
George Grosz: «Man muß Kautschukmann sein». In: Neue Jugend, Juni 1917.
2
Ebd.
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attackieren lässt als mit der grob brutalen, aber gepolsterten Kraft eines Boxhandschuhs. Die charakteristische Boxerhaltung, die Grosz in seinem «Selbstporträt (für Charlie Chaplin)» einnimmt, der Stand der Beine und der aufrecht gehaltene Oberkörper, verdanken sich sicherlich nicht nur Groszs eigener Boxerfahrung bei dadaistischen Schaukämpfen, sondern lassen sich ebenso auf seinen Kontakt zum damaligen deutschen Starboxer Max Schmeling zurückführen, den er 1926 auch porträtieren sollte.3 Abbildung 14: Werbeplakat zum Boxkampf Cravan vs. Johnson
3
Eine größere Verbreitung fand das Porträt 1927 auch als Cover-Bild der Zeitung Neue Jugend (Nr. 44), die im Malik Verlag erschien. Der Malik Verlag stand den Dadaisten (auch personell) sehr Nah.
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Die dadaistischen Boxkämpfe selbst bargen dabei das Potenzial, zu wahren Publikumsmagneten zu avancieren (Abb. 15, links). Sogar Kurt Tucholsky, der durchaus kritische Töne für die Dadaisten fand, riet seinen Lesern in seiner Rezension über eine Berliner DadaAusstellung, die er unter seinem Pseudonym Paul Panter im Berliner Tageblatt veröffentlichte: «Das Boxmatch zwischen Grosz und dem Jahrhundert des Soldaten [...] sollten Sie nicht versäumen zu betrachten.»4 Abbildung 15: Box-Match: George Grosz vs. John Heartfield (links); der Schriftsteller Frank Thiess am Punchingball (rechts)
4
Kurt Tucholsky (Paul Panter): «Dada». In: Berliner Tageblatt, 20.7.1920.
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Zum «Protest mit den Fäusten» hatte Tzara seine dadaistischen Freunde, jene «Raufbolde des Geistes»5, aufgefordert, und dieser Forderung in letzter Konsequenz entsprochen hat wohl kaum einer mehr als der zum Stammvater der Dadaisten ernannte Arthur Cravan. «Hochstapler – Matrose auf dem Pazifik – Maultiertreiber – Apfelsinenpflücker in Kalifornien – Schlangenbeschwörer – Hoteldieb – Neffe von Oscar Wilde – Holzfäller in Riesenwäldern – Exboxchampion von Frankreich – Enkel des Kanzlers der Königin (von England) – Chauffeur in Berlin»6:
Ein Steckbrief seiner selbst, den Cravan in der von ihm gegründeten Zeitschrift Maintenant veröffentlicht hatte. Für Furore sorgte jedoch nicht allein Cravans spitze journalistische und literarische Feder, die erbarmungslos auch durch die eigenen Künstlerreihen ihre Furchen grub, sondern ebenso seine sportliche Profession als Boxer. Die Herausforderung des Titelverteidigers und Schwergewichts Jack Johnson durch Cravan, ein legendärer Boxkampf, der am 23.4.l9l6 auf der Plaza Monumental in Barcelona stattfand, sorgte für eine entsprechend internationale Aufmerksamkeit. Bei Cravan versteht man, was es heißt, schlagartig populär zu werden (Abb. 14). Wenn nun sowohl Werk als auch Inszenierungsformen auf dem Prinzip der Demontage aufbauen, wenn für Dada zu sein heißt, gegen Dada zu sein, wenn Manifeste gegen Manifeste verfasst werden und Dada alles aufhebt, bleibt indes nur noch eine Figur im Spiel. «Die Anwesenheit eines Boxer[s]», die Tzara für «unerläßlich für das match» hielt («die Mitglieder einer dadaistischen Mörderbande haben den Selbstschutzvertrag für Operationen dieser Art unterzeichnet»), sollte dementsprechend nicht das letzte Wort in seinem «Herr AA der Antiphilosoph
5
Tristan Tzara: «Manifest Dada (1918)». In: DADA total, a. a. O., S. 45 und S. 42.
6
Arthur Cravan: Der Boxer-Poet oder Die Seele im zwanzigsten Jahrhundert. Schriftensammlung. Hamburg: Edition Nautilus 1991, S.74.
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schickt uns dieses Manifest» bleiben. So rief er auch noch zur letzten dadaistischen Konsequenz auf: «Haut euch selbst einen Faustschlag ins Gesicht und fallt tot um.»7 Und auch Cravan notierte in seinen Selbstbetrachtungen: «ich bin so brutal, daß ich mir einen Faustschlag auf die Schnauze hauen könnte.»8 Aber nicht nur bei den Dadaisten stand das Boxen hoch in Kurs. Wie Farkas Molnár 1925 berichtete, wurde der Boxkampf ebenfalls von den Bauhäuslern sehr geschätzt. Er selbst habe «Gropius, ‹den großen Herren›, zu zwei Runden aufgefordert»9. Und auch jenseits der literarischen und künstlerischen Avantgarde fand der Topos des «BoxerPoeten», dem Francis Picabia 1924 mit seiner gleichnamigen Zeichnung eine künstlerische Form verlieh, seinen leibhaftigen Ausdruck. So etwa in Gestalt des Schriftstellers Frank Thiess, der die Ansicht pflegte: «Dichter sollten Boxen – dann würde es um die Literatur besser bestellt sein.»10 Um sich geistig auf Trab zu bringen und seine Konzentration zu stählern, griff Thiess selbst gerne täglich zu Punchingball und Boxhandschuhen. «Wer auch nur zwei Runden im Ring gestanden hat, weiß, daß seinem Gehirn ebensoviel zugemutet wird wie seinen Fäusten.»11 Thiess Selbstinszenierung als «Freiluftspoet» – einschließlich einer Fotostrecke im Uhu Monatsmagazin, die den Schriftsteller im knappen Lendenschurz bei der Arbeit am Punchingball zeigt (Abb. 15, rechts) – lässt indes die (selbst-)kritisch-ironische
7
Tristan Tzara: «Herr AA der Antiphilosoph schickt uns dieses Manifest». In: DADA total, a. a. O., S. 253.
8
Arthur Cravan, a. a. O., S. 95.
9
Farkas Molnár: «Das Leben im Bauhaus (1925)». In: Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik. Ausstellungskatalog. Marburg: Jonas-Verlag 1986, S. 273.
10 Frank Thiess: «Dichter sollten Boxen – dann würde es um die Literatur besser bestellt sein.». In: Uhu – Das neue Monatsmagazin, Oktober 1926, Heft 1, 3. Jg., S. 68. 11 Ebd., S. 70.
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Brechung eines Künstlers vom Schlage eines Cravan oder Grosz vermissen. Die Topoi wiederum, mit denen die Künstler die Gestalt des Boxers zu charakterisierten pflegten, finden sich (teils bis ins Vokabular hinein) in den zeitgenössischen Darstellungen des Boxers wieder. So galt der Boxer den damaligen Kommentatoren als «ein Mann des Heißsporntemperaments, der Schnelligkeit und der geistigen Konzentration». Er verkörperte gleichsam den Takt der Moderne: «Schnelligkeit im Schlag und Schnelligkeit in der Abwehr – Schnelligkeit und wieder Schnelligkeit». Als Heroe jenseits kriegerischer Schauplätze verband der Boxer Rohheit und Kraft mit Geschmeidigkeit und tänzerischer Elastizität. Und die Beschreibungen, mit denen man die Bewegungen des Boxers charakterisierte – insbesondere im Kontrast zur Figur des Ringers –, klingen wie eine Hommage an George Groszs «Kautschukmann»: «Bei ihnen gibt es kein [...] langweiliges Sich-amBoden-Wälzen [...] Sie sind unerhört elastisch, federnd, jaguargeschmeidig.»12 Sowohl bei den Dadaisten wie auch bei den Bauhausangehörigen gingen dabei Tanzkunst und Boxakrobatik eine enge Liaison ein, und dies nicht nur in einem theoretisch-abstrakten, sondern auch in einem ganz unmittelbaren Sinn. Nicht selten vereinigte sich dabei die Trias Künstler, Boxer, Tänzer in einer Person. Er wolle seinen «Körper in Musik umsetzen»13, konstatierte der Boxer-Poet Cravan, der mithin auch ein leidenschaftlicher Tänzer war.14 Und George Grosz steuerte nicht nur Boxkämpfe als Showeinlagen bei, sondern schwang bei den dadaistischen Auftritten gleichfalls das Tanzbein – fast so gut «wie ein Berufs-
12 Herman Linden: «Boxer». In: Die Werag, 3. Jg., 18.3.1928, Heft Nr. 12, S. 17. 13 Arthur Cravan, a. a. O., S. 103. 14 Ebd., S. 32.
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tänzer aus dem Wintergarten»15, wie ein zeitgenössischer Beobachter notierte. Auf ihre ganz eigene Art und Weise knüpfte wiederum die Bauhausschülerin Marianne Brandt in ihrer Bewegungsstudie «Boxkampf» das Band zwischen Boxkampf und Tanz, bei der sie mittels Fotomontage ebenso harmonisch wie spannungsvoll die Schrittfolgen und Bewegungsabläufe zweier (männlicher) Boxer in Verbindung sowie in Kontrast zu einer (weiblichen) Tanzfigur brachte. Die Analogie zwischen Boxer und Tänzer, wie sie insbesondere bei George Grosz ihren Niederhall fand, lag umso näher, als auch die damaligen Kommentatoren und Sportreporter Boxer nicht nur als «brutale» Sportler und moderne Heroen einstuften, sondern in ihnen ebenfalls «Exzentriktänzer»16 sahen. Und manch ein Boxer pflegte als sportlich-gelenkiger Kautschukmann mithin auch selbst das Tanzen (Abb. 16). Abbildung 16: Die Boxer Jarvis und Genaro beim Charleston-Unterricht (1926)
15 «Dada. Tribüne», a. a. O., S. 28. 16 Herman Linden, 1928, a. a. O., S. 17.
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Kraft und Dynamik, die schnellen und oft gebrochen wirkenden oder raumgreifenden Bewegungen der neuen Modetänze sowie die ihnen zugrunde liegende, ausgefeilte Beinarbeit ließen es aber nicht minder auch für die damaligen Tanzprofis reizvoll erscheinen, ihrerseits mit der Analogie von Boxtanz und Tanzsport zu spielen (Abb.12 -13). Abbildung 17: Karikatur «Box trot» (1921)
Der Filmschauspielerin und «ausgezeichnete[n] Gesellschafttänzerin» Lissi Arna hatte man diesbezüglich ein recht ausgefallenes Arrangement zu verdanken: Auf einer großen Wohltätigkeitsvorstellung stellte sie ihren «Tanz im Ring» vor. Ein «phantastisches Tanzintermezzo, das in einem veritablen Box-Ring unter Assistenz zweier Boxer» statt-
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fand.17 Ganz unbelächelt blieb die «ausufernde» Tanzwut indes nicht. Insbesondere den Modetänzen zur populären Jazzmusik sagte man eine «verstärkt sportliche untermauerte Motorik»18 nach, was den einen oder anderen zu einem ironischen Kommentar reizte: «Box trot» – ein tänzerischer Vorschlag von Mühlen-Schulte (Abb. 17). Angesichts dieser Analogien verwundert es nicht, dass Jazzbands, deren Performances und Spielweisen sich ebenfalls zumeist durch ein hohes Maß an Körpereinsatz auszeichneten, einzelne Jazznummern als Boxkampf inszenierten.19
17 F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 86. 18 Fritz Giese: «Revue und Film». In: Der Auftakt, 8. Jg., 1928, Heft 8, S. 172. 19 Siehe hier in diesem Buch, Seite B, Kapitel 4: «Der kleine ‹ShimmyLiddy› tanzt auf jeder Platte»: Jazz und neue Medien.
6 Das Leben eine Weltausstellung
«Josephine Baker, ein kleines Tier von prachtvollen Instinkten, Leben und Tollheit, mitreißender Ausgelassenheit [...] vollendeter Jazz, die gutturalen und erregten Stimmen der Negerinnen zeigen uns endlich die Tiefen einer Kunst, die wir bis dahin nur fragmentarisch gekannt hatten.»1 Darius Milhaud suchte das Ursprüngliche und fand Josephine Baker, den Star unter den Exportschlagern der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. In einer perfekt inszenierten Form die Sehnsucht nach dem Wilden und Exzentrischen bedienend, zog in den Bühnenshows der «Revue Negre» im schnellen Szenenwechsel die Summe aller männlichen Wunschbilder vorbei: wahlweise Josephine Baker im Bananenröckchen oder, für die eher etwas strammer Veranlagten, Josephine Baker in der Uniform der Rough Riders. Die «Primitiven» der Expressionisten und Kubisten hatten in den 1920er-Jahren ein neues Gesicht bekommen. Man kam per Auto, trug Smoking und schlug auch keine Buschtrommel mehr, sondern spielte Schlagzeug in einer Jazzband. Den Dadaisten war dies nur recht. Als Grenzgänger zwischen den kulturellen Lebenswelten ging der neue Dadandy (als Synthese aus Dadaist und Dandy) im legeren amerikanischen Anzug und mit einge-
1
Darius Milhaud: «A propos Jazz», a. a. O.
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klemmtem Augenzwickel zum proletarischen Boxkampf oder ins populäre Varieté. Vom Salon auf die Straße, aus den esoterischen Zirkeln ins Leben, bevorzugt ins Nachtleben. Das neue Ornament der Großstadtarchitektur, die Leuchtreklamen – signifikantes Zeichen der Eroberung der Nacht durch die Elektrizität – zogen die Menschen in die Nacht wie die Motten ins Licht. Lichtspieltheater, Tanzhäuser, Varietés, Kabaretts, Revuen und Music-Halls schossen explosionsartig hervor; Gastronomie, Tanzschulen und die Modebranche profitierten nicht weniger von diesen zwischen Lebenslust und Vergnügungssucht schwankenden, in stetig steigender Anzahl ausschwärmenden Bewohnern der zweiten Tageszeit. «Warum wundern wir uns, daß Kino, Revue und exotische Tanzmusik die Menschen unserer Zeit in Scharen zu sich locken, während im Theater die Klassiker vor leeren Bänken abgeleiert werden? Ist wirklich das Publikum daran schuld? Oder nicht lieber das Theater selbst?», notierte Herbert Graf 1926 und gab auf seine (rhetorische) Frage auch umgehend eine Antwort: «Sicherlich dieses (das Theater, Anm. d. A.). Es geht zu größten Teilen den alten Schritt, spielt in seiner szenischen Gestaltung, die vom heutigen Empfinden ebenso weit entfernt ist wie das Jahr 1926 vom Jahr 1914. Anders aber Kino, Revue und Tanzmusik. Hier pulsiert das neue Leben, der tobende Rhythmus unserer Zeit, der die Sehnsucht und den Willen zu einer neuen, gesunden, ursprünglichen Empfindungsfähigkeit bedeutet. In Foxtrot, Shimmy, Blues und Jazzband liegt das Streben der Zeit nach neuer, gesunder, unkomplizierter Primitivität am deutlichsten offenbar.»2
Als Verkaufsschlager, unter kräftiger Mitwirkung der Unterhaltungsindustrie und ihres Propagandaapparats, erwiesen sich dabei zwei «Produkte», die schnell zu Labels wurden: «Neger» und «Jazz» (Abb. 18 und Abb. 19).
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Herbert Graf: «Händel als Wegbereiter für die Opernriege der Zukunft». In: Oper. Musikblätter des Anbruch, 8. Jg., Mai, 1926.
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Abbildung 18: Stereotype Darstellung einer Jazzband bestehend aus afroamerikanischen Musikern. Zum Instrumenten-Repertoire gehörend: die «Geräuschtoner» und «Krachmacher» Kochtopf, Sirene, Hupe und Schellen (um 1921)
Indes: Was als Jazz daherkam, musste noch lange kein Jazz sein. Was sich mithin auch vom Erstgenannten sagen lässt, angesichts der zahlreich schwarz geschminkten «Weißen», die als Jazzsänger auftraten und damit ihren Sensations- und Verkaufswert zu steigern suchten. Diesen Sensationswert hatte man bereits vor der Jahrhundertwende entdeckt, in der ersten Welle afroamerikanischer Artisten, die nach Europa gingen, um sich dort neue Erwerbschancen zu eröffnen. So warb schon 1894 das Berliner Varieté «Neue Welt», in dem Mr. Edgar Jones als «Original Musikalischer Neger-Excentric» gastierte, mit dem Vermerk «wirklicher Schwarzer»3. Bei aller Exzentrik, die der Afroamerikaner ohnehin für die Unterhaltungsindustrie versprach, traf es sich bestens, dass seine Musik, die ihn begleitete, schon in seinen Ursprüngen funktional ausgerichtet und zudem bereits im Showgeschäft erprobt war. New Orleans war eben nicht nur Marinehafen und Geburtsort des Jazz, ebenso Berühmtheit hatte es sich durch sein Vergnügungsviertel Storyville er-
3
Köhler, a. a. O., S. 348.
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worben. War der Jazz über Cafés und Kellerbars, durch Varietés bis in die Music-Halls gezogen, so beherrschten die Unterhaltungsmusikszene zumeist «weiße» Musikverleger und Komponisten. Die Erfolge von Irving Berlin mit «Alexander’s Ragtime» und «Ragtime Violin» und von George Botsford mit seinen Erfolgsstücken «Black and White Rag» und dem «Grizzly Bear Rag» veranlassten zu der spöttelnden Sorge, die zwei großen B Bach und Beethoven würden durch die zwei großen B Berlin und Botsford verdrängen werden. Dass Irving Berlins Kompositionen nicht nur auf reges Interesse bei den «dunklen Massen» der ausschwärmenden Nachtfalter stieß, zeigen die Anleihen von Satie für sein Stück «Parade» sowie George Grosz, zu dessen Lieblingssongs «Alexander’s Ragtime Band» gehörte. Eisler hingegen sollten die ungleichen (Macht-)Verhältnisse innerhalb des Shows- und Musikbusiness zu seiner «Ballade vom Neger Jim» anregen, in der der Afroamerikaner als Produzent und Arbeiter im Weinberg der Unterhaltungsindustrie auftritt, dem jedoch alle bürgerlichen Rechte und sein verdienter Lohn vorenthalten werden. Und unter dem «Nigger-Song» von 1929 verbirgt sich denn auch kein rassistisches Grauen, sondern der Aufruf der «Roten Raketen» zu einer Allianz der Unterdrückten. Jenseits dieser Kritik erforderte der expandierende Markt eine steigende Produktion, die nicht selten auch zu Stücken von minderer Qualität führte. Konnten die Bedürfnisse des Schallplattenmarktes nicht schnell oder preiswert genug gestillt werden, so erfand man einfach Bandpseudonyme, unter denen sich ein und derselbe Titel mehrfach verkaufen ließ.4 Dabei wimmelte es in der Welt der Plagiate nur
4
Diese Verkaufs- respektive Zweitverwertungsstrategie war indes kein Unikum des damaligen Musikbusiness. Eine ähnliche Strategie verfolgten seinerzeit auch einzelne Lichtspieltheaterbesitzer, die einen bereits gezeigten Film nochmals unter neuem Namen in ihr Programm aufnahmen. Anke J. Hübel: Big, bigger, cinema. Film- und Kinomarketing in Deutschland (1910 – 1933). Marburg: Schüren 2011, S. 37.
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so vor lauter «Originalen»: «Original Dixieland Jazz Band», «Original Excentric Band», «Original Picadilly Four»... . Auf den Brettern des Amüsierbetriebs paarte sich derweil die Exotik fremder Länder mit den technischen und medialen Errungenschaften dieser Zeit. Der Schock und das Staunen erhielten einen neuen Raum, der nicht an der Abendkasse seine Grenzen finden sollte. Das Leben eine Weltausstellung. Und das Varieté eine Weltausstellung im Kleinen. Diese Welt im Kleinen, als Probierfeld und Laboratorium futuristischer Ziele und Bekenntnisse, hatte auch Marinetti entdeckt. «Der Futurismus verherrlicht das Varieté», schrieb Marinetti 1913, und pries das Varieté – in Anlehnung an seine Definition des Krieges als Hygiene der Welt – als das «hygienischste aller Schauspiele». Wider den Stillstand bekennt sich für Marinetti das Varieté bedingungslos zur Tat. Durch sein «geistreiches Schockieren» und «seine schnellen und mitreißenden Tanzrhythmen rüttelt das Varieté zwangsläufig auch die abgestumpftesten Gemüter aus ihrer Trägheit auf». Im dynamischen Ablauf von Bildern und Szenen – «Simultanbewegung der Taschenspieler, Ballerinen, Turner, Reiter in bunten Kostümen, spiralförmige Zyklopen von Tänzern, die auf den Fußspitzen einherhüpfen» – wird das Varieté zum Ausdruck futuristischer Synästhesiebestrebungen unter dem Signet der Beschleunigung. Bedingungslos modern jagt ein Rekord den anderen und reizt die Grenzen des Möglichen aus: «höchste Gewichtsakrobatik der Japaner, höchste Anspannung der Muskeln der Neger», «ein Höchstmaß an Pariser Esprit» und «die höchste Schönheit der Frau». Ein Fest der Superlative, das sich, ebenfalls ganz im Sinne des Futurismus, der neuesten technischen Errungenschaften zu bedienen weiß. Mit den Mitteln des Schocks und der Überraschung operierend, in der «ironische[n] Zerlegung aller Prototypen», wird das Varieté zu einem Verbündeten im futuristischen Kampf um die Auflösung kultureller Traditionen. Für den Museumsstürmer verkörperte das Varieté in seinem parodierenden Umgang mit den Heiligtümern der Kunst das Antiakademische schlechthin. «So billigen wir bedingungslos die Aufführung des Parzivals in 40 Minuten, die in einem großen Varieté
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in London vorbereitet wird»5, konstatierte Marinetti. Dabei war sich Marinetti der retardierenden und affirmativen Momente des Varietés durchaus bewusst. In der Spirale von Traditionszerstörung und eigener Traditionsbildung gefangen, sollte das Varieté durch den Futurismus seine beständige Erneuerung und Radikalisierung erfahren. In diesem Punkt ansetzend, umsteuert Marinetti, nach seinem futuristischen Lobgesang auf das Varieté, die Ablösung seiner selbst und des Futurismus durch Ersteres. Nicht das Varieté, hingegen aber das Kabarett, erst als artistische, dann auch als politische Plattform, eroberten die Dadaisten, die selbst auf den Bühnenbrettern des Cabarets Voltaire in Zürich auf die Welt gekommen waren. «Wer mag jetzt noch Theater spielen, oder auch nur spielen sehen»6, hatte Hugo Ball in sein Züricher Tagebuch notiert. Auf der Suche nach Alternativen wurde sein Blick im vergnügungsbegeisterten Zürich dieser Zeit auf das Kabarett gelenkt, das schnell zum Sammelplatz und Experimentierfeld verschiedenster Kunstformen avancieren sollte. Mit dieser Erhebung des Kabaretts aus den künstlerischen Niederungen herauf, bei gleichzeitig angestrebter Befreiung der Kunst vom akademischen Staub, stand Ball nicht alleine da. Bereits Kurt Hiller hatte dem Kabarett 1910 in seiner Eröffnungsrede des «Neopathetischen Cabarets» seine künstlerische Weihe erteilt: «Unser Begriff von Pathos dürfte [...] übereinstimmen mit dem Begriff, den Nietzsche davon hat [...] Pathos: nicht als angemessener Gebärdengang leidender Prophetensöhne, sondern als universale Heiterkeit, als panisches Lachen. So versteht es sich auch, dass wir keineswegs für unwürdig und unvornehm halten, seriöse Philosopheme zwischen Chansons und [zerebrale] Ulkigkeiten zu streun; im Gegenteil: gerade weil für uns Philosophie nicht fachliche, son-
5
F. T. Marinetti: «Das Varieté (1913)». Abgedruckt in: Umbro Apollonio, a. a. O., S. l70 – 177.
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Zitiert nach Raimund Meyer, a. a. O., S. 40.
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dern vitale Bedeutung hat, nicht Lehrsache, Geschäft, Moralität oder Schweißausbruch ist, sondern: Erlebnis – scheint sie uns viel eher in ein Cabaret zu passen als auf ein Katheder oder eine Vierteljahrsschrift.»7
Als abgesunkener philosophischer Bodensatz, in dem sich bestens und oft wahllos wühlen ließ, hatte einmal mehr Friedrich Nietzsche herhalten müssen. Und es verwundert nicht, wenn sich auch die Jazzrezeption seiner bediente. Mit einem Zitat aus Nietzsches «Tanzlied», mit dem er am Ende seine «Fröhliche Wissenschaft» beschließt, steigt Der Auftakt in seine Jazzsondernummer von 1926 ein. Jenseits der Parolen von Elan, Vitalismus und dem Orgiastischen haben Nietzsche und der Jazz vor allem eins zu dieser Zeit gemeinsam: Hinter ihnen als «Label» fand eine Menge Platz. Dada kann man nicht begreifen, «Dada muß man erleben»8, hatte Huelsenbeck geschrieben, und Doesburg notierte in seinem «Charakteristikum des Dadaismus»: «Dada zeigt sich in vielerlei Gestalten: intuitiv und spontan als direkte Lebensäußerung (vor allem an nachmitternächtlicher Stunde)»9. Auf der Suche nach Freiräumen jenseits des akademischen Kunstbetriebes folgte man einer Losung von Rimbaud, die Breton bei Cravan eingelöst sah: «Man muß absolut modern sein»10. Und Cravan war es dann auch mal wieder, der scheinbar vor nichts zurückzuschrecken schien: «Wäre ich so berühmt wie Paul Bourget, ich zeigte mich Abend für Abend im Lendenschurz in einer Varieté Revue, und ich garantiere Ihnen, daß ich volle Kasse machen würde.»11 Der Künstler als Exhibitionist.
7
Ebd., S. 46f.
8
Richard Huelsenbeck: «Einleitung». In: Dada-Almanach, a. a. O., S. 4.
9
Theo van Doesburg: «Charakteristikum des Dadaismus». In: DADA total, a. a. O., S. 179.
10 André Breton: «Vorwort zu Fragmenten». In: Arthur Cravan, a. a. O., S. 91. 11 Arthur Cravan, a. a. O., S. 59.
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Aber kein Fest mit Dada ohne vorweggenommenen Kater. 1920 schrieben Jefim Golyscheff, Raoul Hausmann und Richard Huelsenbeck in ihrem Manifest «Was ist Dadaismus und was will er in Deutschland?»: «Der Dadaismus fordert [...] die Einführung der progressiven Arbeitslosigkeit durch umfassende Mechanisierung der Tätigkeit. Nur durch die Arbeitslosigkeit gewinnt der Einzelne die Möglichkeit, über die Wahrheit des Lebens sich zu vergewissern und endlich an das Erleben sich zu gewöhnen»12. Zwei Jahre nach dem Ende des Weltkriegs die dadaistisch verordnete Freizeitgesellschaft. Und das Lachen wird zur Waffe. Schwarz und Weiß, schwarze Weiße und weiße Schwarze. Waren die Dadaisten zweifellos in der Perfektionierung von Brüchen und Widersprüchen Meister ihres Fachs, so stellt sich auch die Geschichte der Minstrels nicht ganz so ungebrochen dar, wie dies zunächst erscheinen mag. Die Entwicklung der Minstrels war stark geprägt von einem Spiel mit bewussten und unbewussten Verhaltensformen und Stereotypen, in denen sich «Weiße» und «Schwarze» zu fassen, sich gegenseitig zu spiegeln und zu parodieren suchten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter der Regie der «weißen» Amerikaner gegründet, karikierten diese zunächst in den Minstrels die Lebensform der Afroamerikaner. Als nach den Sezessionskriegen die Minstrel Shows dann in die Hand der Afroamerikaner gelangten, knüpfte man an diese Strategie an, die man in den Minstrels vorgefundenen hatte. Nun war es an den Afroamerikanern, mit weiß geschminkten Gesichtern wiederum die «Weißen» zu parodieren, die die «Schwarzen» karikiert hatten.13 Hinter allem Ulk und glattem Glanz des Showbusiness: ein Intermezzo im Umgang mit
12 Jefim Golyscheff, Raoul Hausmann, Richard Huelsenbeck: «Was ist Dadaismus und was will er in Deutschland? (1920)». In: DADA total, a. a. O., S. 138. 13 Wolfgang Sandner: «Vorformen des Jazz – Minstrel und Ragtime». In: That’s Jazz, a. a. O., S. 45.
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vermeintlich kulturellen Charakteristika über mehrfache Brechung hinweg. Abbildung 19: Zusammenprall der Stereotypen: Afroamerikanische Jazz-Tänzer treffen auf deutsche Spießbürger in der Filmkomödie DER BRAVE SÜNDER (1931) mit Max Pallenberg und Heinz Rühmann
7 Unternehmen Avantgarde – Vertriebsnetz Moderne
«Der Bewohner eines Alpendorfes kann durch eine Zeitung jeden Tag angsterfüllt um die Aufständigen in China, die Suffragetten in London und in New York, um Dr. Carell und die heroischen Schlitten der Polarforscher bangen. Der ängstliche und unbewegliche Einwohner jeder beliebigen Provinzstadt kann sich den Rausch der Gefahr leisten, wenn er im Kino einer Großwildjagd im Kongo beiwohnt. Er kann japanische Athleten, schwarze Boxer, Amerikaner von unerschöpflicher Exzentrik und hochelegante Pariserinnen bewundern, wenn er eine Mark für das Varieté ausgibt. Wenn er dann zu Hause in seinem Bett liegt, kann er die ferne und teure Stimme eines Caruso oder einer Burzio genießen.»1
Global Village im Jahre 1913, skizziert von der Feder Marinettis. Gleichermaßen wie die Welt zusammenzuschrumpfen schien, verweigerten sich die Avantgarden zunehmend einer Begrenzung im Feld der Nationalkultur. «Die internationale Dada-Company», wie man sich 1920 in einem Gruß an Charlie Chaplin nannte, erwies sich als ungemein eifrig in der Gründung von Filialen. Dada Zürich – Dada Berlin – Dada Köln – Dada Holland – Dada Genf – Dada Tirol – Dada New
1
F.T. Marinetti: «Distruzione della sintassi. Immaginazione senza fili. Parole in libertà (1913)». Übersetzung in: Apollonio, a. a. O., S. 119.
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York: Dada spannte ein verzweigtes Netz von «Dependancen» rund um den (westlichen) Globus, gleich so, als würde es sich um ein international agierendes Unternehmen aus der seinerzeit boomenden Musik- oder Filmindustrie handeln. Abbildung 20: International: DADA – Jazz – DADA-Jazz, Zagreb (1922)
Dada wurde zum Exportschlager – so wie ebenfalls die Jazzmusik: «Die amerikanischen Melodien, Foxtrotts der Weißen oder Blues der Neger, sind überall hin gedrungen, nicht nur in die Städte, sondern auch in die entlegensten Dörfer», konstatierte Milhaud in seinem Artikel «A propos Jazz». Im Verbund mit den Massenmedien, die neuesten Verkehrs- und Kommunikationsmittel ausschöpfend, über die die Jazzbands und ihre Musik in alle Welt geschickt wurden, gelang es der
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Unterhaltungsindustrie, einen alten imperialen Traum zu verwirklichen, an dem jede Militärmacht hoffnungslos scheitern musste: eine erste weltweite Landnahme unter dem Stern der Populärkultur, befeuert durch die reproduzierbaren Medien. Und wie der Jazz seinen internationalen Siegeszug angetreten hatte, sendete auch Dada aus dem produktiven Schmelztiegel der Großstadt heraus seine Botschaft in alle Welt (Abb. 20). Insbesondere Tzara baute ein weit verzweigtes, internationales Korrespondenznetz auf, sowohl über seine eigenen, ausgiebigen Reisen als Kunstunterhändler von Dada wie auch über einen stetig anwachsenden Briefverkehr. Das für diesen Zweck eigens angefertigte Briefpapier wurde in Auflagen von 10.000 produziert, gefolgt von einer Schwemme an Post- und Visitenkarten. Der Aspekt der Internationalität avancierte dabei kommunikationsstrategisch zu einem der Charakteristika der USP von Dada und diente den Dadaisten mithin auch als ein Kriterium der Abgrenzung zum Futurismus. So konstatierte auch Huelsenbeck in seiner ersten Dada-Rede in Deutschland, der Futurismus sei – im Gegensatz zu Dada – eine ausschließlich nationale, konkret: «eine ausschließlich italienische Angelegenheit»2 gewesen. Dada-Kongress in Weimar, Dada-Messe in Berlin, Dada-Tourneen weltweit. Wer zur Avantgarde gehören wollte, musste vor allem eines sein: mobil und beweglich – und zwar auf allen Ebenen. Dabei gingen nicht nur die Künstler als Handlungsreisende in eigener Sache auf Tour, auch die Kunst sollte beweglich werden, in Form von Duchamps transportabler Kofferkunst. Im Handgepäck führte man dabei das Label «Dada», das schnell zum Markenzeichen avancierte.3 Bereits 1918 hat-
2
Richard Huelsenbeck: «Erste Dadarede in Deutschland (1918)». In: DADA
3
Ebenso Programm wie der Name «Dada» war die «Spezialmarke MERZ»
total, a. a. O., S. 98. (je nach Quelle abgeleitet von Com-merz-bank oder dem Wort Kom-merz), die Schwitters 1918 als eigene Variante zum Dadaismus gründete und die ihm in Folge als Prädikatssiegel seiner Werke zu dienen hatte. In diese
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te sich Huelsenbeck vom Begriff «Dada» als Zeichen und Metapher für einen kindlichen Aktivismus verabschiedet: «Dada ist ein Wort, das in allen Sprachen existiert – es drückt nichts weiter aus als die Internationalität der Bewegung, mit dem kindlichen Stammeln, auf das man es zurückführen wollte, hat es nichts zu tun.»4 Dabei entstammte der Begriff von seinen Ursprüngen her jenem Bereich, den Dada für seine Zwecke perfekt zu nutzen verstand: der Welt der Waren und der Werbung. 1891 hatte die Parfümerie und FeinSeifen-Fabrik Bergmann & Co. eine Niederlassung in Zürich gegründet, in deren Zuge man sich die deutsche Schutzmarke der Firma, «Steckenpferd», in Anbetracht des französischsprachigen Raumes der Schweiz 1906 beim Amt für geistiges Eigentum unter der Marke «Dada» schützen ließ.5 Die Produkte aus dieser Dada-Serie sollten sich schnell als wahre Erfolgsrenner erweisen. 500.000 Stück der Lilienmilchseife «Dada» fanden innerhalb von neun Monaten einen Absatz. Diese Namenskonvergenz dürfte mehr als ein Zufall sein. So verkündete am 14.7.1916 Hugo Ball auf seiner Eröffnungsrede zur 1. DadaSoirée: «Dada ist die Weltseele, Dada der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.»6 Dada: Der Name ist Strategie, und die Dadaisten hätten sich kaum einen besseren Begriff aussuchen können. Dada, dieser gedoppelte Einsilber, bot die besten Voraussetzungen. Er ist kurz und griffig, gleichermaßen vieldeutig wie nichtssagend, ebenso prägnant wie suggestiv. Und so wie der Begriff Dada einen werbenden Warencharakter besaß, fügte er sich gleichermaßen auch nahtlos in die phonetischen Sprachspiele der Avantgarden ein, die den Sprachcharakter der Rekla-
Richtung zielte auch der Kölner Dadaist Johannes Theodor Gruenwald, der sich das Künstlerpseudonym «Baargeld» zulegte. 4
Richard Huelsenbeck: «Erste Dadarede in Deutschland (1918)». In: DADA total, a. a. O., S. 98.
5
Raimund Meyer, S. 51ff.
6
Hugo Ball: «Eröffnungs-Manifest (1916)». In: DADA total, a. a. O., S. 34.
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me zur literarischen Gattung erhoben. «Die Reklame und die Geschäfte sind auch poetische Elemente»7 schrieb Tristan Tzara 1918 und setzte den Dadaisten in die «Funktion eines Zettelverteilers oder einer Lichtreklame»8. Konsequenterweise bot dieser dann seine Dienste in seinen eigenen Sprachorganen, den Dada-Zeitungen, als Reklameberater einer dadaistischen Reklameabteilung an (Abb. 21) und rief seine Leser auf: «Machen Sie dadareklame! Inserieren Sie im dada! dada verbreitet ihre Geschäfte [...] Sie werden sehen, dass die Reklame dada die Universalreklame, die Reklame überhaupt ist.»9 Abbildung 21: Anzeige: Dada-Reklame-Gesellschaft (1919)
Dada-Bier, Dada-Kissen, Cigarette Dada, Cocktail Dada und nicht Kunst, sondern «Dadaistische-Erzeugnisse» wurden auf der DadaMesse angeboten. So, als handele es sich um Fanartikel, KunstMerchandise oder Markenwaren – urheberrechtlich geschützt, Dadapatentiert. «Achten sie auf die neue Fabrikmarke dada und weisen sie Nachahmungen energisch zurück», hielt man seine potenziellen Kunden an; «die Originaldadaisten sind nur die Spiegelgassendadaisten, man hüte sich vor Nachahmungen, man verlange in den Buchgeschäf-
7
Tristan Tzara: «Manifest Dada (1918)». In: DADA total, a. a. O., S. 40.
8
Tristan Tzara: «Erinnerungen an Dada». In: Richard Huelsenbeck: Dada siegt. Bilanz und Erinnerung. Hamburg: Nautilus / Nemo 1985, S. 61.
9
«Machen Sie daddareklame!». In: Der Dada, Nr. 1, Berlin, Juni 1919, S. 6 sowie: Der Dada, Nr. 2, Berlin, Dezember 1919, S. 4.
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ten nur Spiegelgassendadaisten»10, empfahl Hans Arp. Original oder Plagiat, Reproduktion und Readymade, der Dadaist selbst drückte sich einen Dada-Stempel auf die Stirn und führte durch diese Persiflage den Künstler als Ware und geschütztes Produkt nicht nur ein, sondern gleichzeitig ad absurdum.11 Durchaus zu Recht bilanzierte 1920 Huelsenbeck, Dada sei eine Bewegung, die es verstanden habe, «unter dem Reklameschild Dada eine Weltbewegung zu werden»12 – ein Statement, mit dem Huelsenbeck auch als Stichwortgeber für die Presse fungierte: «Nun weiß man, was Dadaismus ist. Sollte ich einmal glücklicher Erfinder eines Hühneraugenmittels oder Verfasser eines nie versagenden Traumbuches werden, dann gehe ich damit zum Dada, und er wird die Reklame machen, und ich bin Millionär», konstatierte ein Journalist der Berliner VolksZeitung.13 Dada wusste also geschickt die Strategien der Waren- und Reklamewelt sowie der Informationsproduktion und -distribution zu dekodieren wie gleichermaßen diese Strategien meisterhaft für sich selbst zu nutzen und perfekt umzusetzen.14 Gerade in diesem regen Interesse und dem eigenen Gebrauch liegt die konstruktive, analytische Potenz begründet, die Dada gegenüber den kulturkritischen Philistern auszeichnete, die sich jenseits und immun gegenüber ihrer Zeit wähnten.
10 Hans Arp: «cacadou supérieur.» In: DADA total, a. a. O., S. 222. 11 Diese Grenzgänge beherrschte nicht zuletzt auch Serner, dessen Jazzband, die «Original-Jazz-Band-Dada-Kapelle», ja ebenfalls ein «Original» war. 12 Richard Huelsenbeck: Dada siegt, a. a. O., S. 7. 13 R-v.: «Dada in der ‹Tribüne›». Berliner Volks-Zeitung, 3.12.1919. Abgedruckt in: Karin Füllner, a. a. O., S. 36. 14 Befördert wurde das dadaistische Spiel mit Reklamestrategien sicher nicht zuletzt auch durch einzelne Dadaisten wie John Heartfield, der auf eine Ausbildung als Werbegrafiker zurückblicken konnte.
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Neben ihrem Bekenntnis zur Reklame als Ausdruck des modernen Lebens und der Dekodierung derselben waren die Dadaisten den Gütern der Konsumkultur auch als Konsumenten sehr zugetan; insbesondere wenn es sich um Waren handelte, die als Insignien des modernen Großstadtlebens galten und einen entsprechenden Genuss versprachen, so wie Alkohol und Tabak. Letzterem nahm sich Raoul Hausmann auch in seinem «Manifest von der Gesetzmäßigkeit des Lautes» an und ersetzte dabei kurzerhand Nietzsches Proklamation vom «Willen zur Kunst» durch den «Willen zur Macht des Tabaks».15 Zu den avancierten deutschen Zigarettenherstellern der damaligen Zeit gehörte eine Dresdner Firma, die unter der Dachmarke «Manoli» solch illustre Zigarettenmarken wie «Suggestion» herausbrachte. Berühmt geworden war Manoli nicht nur durch, sondern vor allem auch für seine Werbung, auf die sogar ein Redewendung zurückgehen sollte: «total Manoli». Der Ausspruch, jemand sei «total Manoli» (teils von der Geste eines an der Stirnseite kreisenden Fingers begleitet), galt als Synonym für «nicht recht bei Verstand» und findet sich sogar noch bis heute im Duden verzeichnet. Zurück ging dieses «geflügelte Wort» auf eine Manoli-Leuchtreklame am Berliner Alexanderplatz, die zu den frühesten Leuchtreklamen überhaupt zählt. Sie bestand aus einem Rad mit einem Durchmesser von 2,5 Metern, an dessen Außenrand phasengesteuerte Leuchtmittel die Illusion eines gegen den Uhrzeigersinn kreisenden Lichtstreifens erzeugten, zeitlich gefolgt von der im Imperativ formulierten und im Innern des Kreises hell aufscheinenden Aufforderung «Raucht Manoli!».16 Welche (internationale) Popularität die Manoli-Werbung innerhalb der Avantgardebewegungen jener Tage genoss, zeigt ein Blick in Marinettis Text «Das Varieté» von 1913. Die Elektrifizierung der
15 Raoul Hausmann: Am Anfang war Dada, a. a. O., S. 32f. 16 Christoph Gutknecht: «Sprachgeschichte(n). ‹Total Manoli›. Wie ein jüdischer Zigarettenfabrikant das Deutsche bereicherte.» In: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und Jüdisches Leben, 20.1.2011.
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Großstädte besingend, verweist Marinetti (im charakteristischen Sprachstakkato der Futuristen) auf die moderne Leuchtreklame der Metropolen und führt, in Versalien und «fett» gesetzt, nicht zuletzt auch die berühmte Manoli-Reklame an: «Denn vergesst es nicht, wir Futuristen sind junge, ausgelassene Künstler wie wir in unserem Manifest ‹Tod dem Mondschein!› verkündet haben. Feuer + Licht + Feuer gegen den Mondschein und die alten Firmamente, jeden Abend Krieg – große Städte schwingen Leuchtreklamen – Riesengesicht eines Negers (30 m hoch + 150 m Höhe des Hauses = 180 m) – Öffnen Schließen Öffnen Schließen Goldauge (Höhe 3 m) – RAUCHT MANOLI RAUCHT MANOLI ZIGARETTEN.»17
Die von der hypnotisch-verwirrenden Wirkung der Manoli-Reklame abgeleitete Redewendung, dass jemand «total Manoli» sei, fand indes nicht nur Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und in Marinettis Traktat, sondern machte auch darüber hinaus literarisch Karriere. So dichtete etwa Kurt Tucholsky 1920: «Total Manoli! Total Manoli! Die meisten Menschen haben heut ein kleines Rad. Total Manoli! Total Manoli! Such dir mal wen in ganz Berlin, der das nicht hat. Tanz des Geschlechts um Manoli rechts rum, die ganze Erde tanzt von früh bis abends spät stets um das Dings rum, Manoli links rum! Ihr seid doch alle, alle, alle etwas durchgedreht.»18
17 F. T. Marinetti: «Das Varieté (1913)». Abgedruckt in: Umbro Apollonio, a. a. O., S. 176. 18 Kurt Tucholsky: «Total Manoli». In: Helga Bergmann (Hrsg.): In mein’ Verein bin ich hineingetreten. Kurt Tucholsky als Chanson- und Liederdichter. Berlin: Lied der Zeit Musikverlag 1989, S. 201.
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Die Reklame jener Tage konnte somit – wie im Fall der ManoliLeuchtreklame – selbst im gewissen Maße dadaistische Züge aufweisen, was die Adaption und Auseinandersetzung mit der Welt der Reklame durch die Dadaisten sicher noch befördert haben dürfte. DADA total? Total Manoli!
8 Dada-Publicity
Dada-Zeitschriften, Dada-Flugblätter, Dada-Handzettel, Dada-Programme, Dada-Aufkleber: Wenn es um die Frage der Vermarktung von Dada ging, agierte man jenseits des dadaistischen Prinzips des Zufalls: Man schaltete Anzeigen, kündigte seine dadaistischen Veranstaltungen «mit riesiger Reklame»1 an und engagierte auch schon mal Agenturen. Der gezielt inszenierte Radau der Dadaisten äußerte sich somit nicht zuletzt auch darin, dass sie kräftig die Werbetrommel schlugen. Dabei avancierte die Reklame der Dadaisten selbst zum Gegenstand der Berichterstattung in der Presse, so wie ihrerseits die dadaistischen Soireen von der Tagespresse teils als «öffentliche Werbeabende» oder «Extra-Riesen-Reklame-Vorstellung» tituliert wurden.2 «Die Presse der Welt nahm sich der dadaistischen Kunstrichtung an. Eine
1
«Dada-Ball in Genf», Prager Tagblatt, Nr. 69, 21.3.1920. In: DADA total, a. a. O., S. 211.
2
«Anzeigen als Anzeichen». Dresdner Lokal-Anzeiger, 13.1.1920. Abgedruckt in: Karin Füllner: DADA Berlin in Zeitungen: Gedächtnisfeiern und Skandale. Muk 43, 1986/1987, S. 38; «Dadaismus». Berliner Zeitung am Mittag, 13.4.1918. Abgedruckt in: Karin Füllner, a. a. O., S. 19; «Dadaismus in der Tribüne». Berliner Börsen Kurier, 2.12.1919, Nr. 562, I. Beilage. Abgedruckt in: Karin Füllner, a. a. O., S. 33.
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neue Sensation, meine verehrten Herrschaften»3, verkündete Richard Huelsenbeck 1920. Mehr noch: Dada war nicht nur ein nationales Phänomen, Dada wurde vielmehr «zu einer ungeheuren Sensation für Europa.»4 Und die dadaistischen PR- und Werbestrategien machten sich bezahlt: So konnte man bei den Dada-Tourneen einen Zulauf von bis zu über 2.000 anwesenden Personen pro Veranstaltung verzeichnen. Ein Erfolg, der bei Eintrittspreisen zwischen 1 RM – 6 RM auch in unmittelbar monetärer Hinsicht nicht ganz unwesentlich für die Dadaisten gewesen sein dürfte. Die Klaviatur der gesteuerten Öffentlichkeitsarbeit beherrschten die Dadaisten insgesamt perfekt: Ankündigungen von Duellen, die nie stattfinden sollten, Herausgabe von Pressemeldungen über nie durchgeführte Aktionen, Berichte über völlig fiktive Kunstereignisse, kurz: Falschmeldungen, die den Anlass, über den sie zu berichten vorgeben, erst erschaffen, indem sie über ihn berichten. Aus einem «nihil» (einem Nichts) etwas machen, etwas kreieren: Dieses dadaistische Prinzip kam auch im Rahmen der dadaistischen Kommunikations- und Reklamestrategien zum Einsatz. Falschmeldungen waren darüber hinaus nicht nur dazu geeignet, Aufmerksamkeit für den Dadaismus zu generieren, sondern diese auch im Falle künstlerischer (Schaffens-)Pausen zu erhalten: «Nach Huelsenbecks vorübergehendem Verschwinden nach dem ersten großen DADA-Abend in der Berliner Sezession», so Raoul Hausmann, «hielt ich neun Monate lang mit Baader allein die Bewegung DADA aufrecht: wir erfanden alle Tage neue Bluff-Nachrichten, die wir Nachts auf der Maschine schrieben und vor sechs Uhr morgens in die Redaktionen trugen, damit sie noch Mittags, vorzüglich in der ‹B. Z. am Mittag›, erscheinen konnten.»5
3
Richard Huelsenbeck: En avant dada, a. a. O., S. 18.
4
Ebd.
5
Raoul Hausmann: Am Anfang war Dada, a. a. O., S. 62. Raoul Hausmann galten insbesondere Baader («Wer hätte von allen DADAisten besser
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Die Tagespresse wurde für die Dadaisten zum preiswerten Werbeträger und willkommenen Verbündeten in eigener Sache. Im Hinblick auf die enge Liaison, die die Dadaisten mit der Presse eingingen, wurde 1920 dann auch hinsichtlich der Frage «Was ist Dada?» proklamiert: «Es ist die Kunst, ohne geistige Anstrengung in den Mund aller Bildungsphilister [...] zu kommen [...] Lege Dir, ohne weitere Begründung, den Titel Weltdada, Oberdada, Dideldumdada oder Wasbeisstmichdada bei: und deine Selbsternennung wird publiziert werden, so weit die deutsche Zunge klingt, mit genau der gleichen Promptheit, als wärst du zum Reichskanzler berufen oder mit dem Nobelpreis gekrönt worden [...] Es gibt keine Zahncreme und keine Nährmittel, das einen so weitverzweigten und zu jedem Dienst willigen Reklameapparat besäße: und zwar ohne einen Pfennig Kosten. Die Absichten, die die Zeitungen dabei verfolgen, sind völlig piepe: sie leisten den Dienst, den Dadaismus zur Hausse zu treiben.»6
Die aktiv betriebene PR-Arbeit der Dadaisten kann dabei nicht nur im Hinblick auf den regen Zulauf, den man bei den dadaistischen Veranstaltungen verzeichnete, sowie mit Blick auf die zahlreichen Presseveröffentlichungen als erfolgreich gewertet werden. Die Dadaisten verstanden es auch, die von ihnen lancierten und gesammelten Presseartikel erneut und wiederum äußerst werbeträchtig in den Kommunikationskreislauf einzuspeisen, indem sie Auszüge des von ihnen zusam-
Propaganda für DADA machen können als eben Baader?») und Schwitters («Schwitters war ein Reklamekünstler ersten Ranges») als die großen Werbestrategen. Raoul Hausmann: Am Anfang war Dada, a. a. O., S. 62 und S. 78. 6
Die Welt am Montag (Beilage) vom 20.9.1920. In: Hanne Bergius (Hrsg.): Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen. Gießen: Anabas-Verlag 1989, S. 366.
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mengetragenen internationalen Pressespiegels in ihren dadaistischen Veröffentlichungen wie dem DADA-Almanach publizierten (Abb. 22).7 Abbildung 22: «Kritiken aus allen Zeitungen der Welt»: Internationaler Pressespiegel als Eigen-PR im Dada-Almanach (1920), Reprint
Die Verwendung von zuvor lancierten Pressekritiken zu weiteren Werbezwecken stellte seinerzeit ein erprobtes und oft praktiziertes Mittel von Unternehmen sowohl aus der Warenwirtschaft wie auch der Unterhaltungsindustrie dar.8 Unter dem Blickwinkel dadaistischer
7
Siehe Dada-Almanach, a. a. O., S. 41ff sowie S. 110ff. Die Verwendung von Pressezitaten als PR-Instrument wurde auch vom Bauhaus gepflegt. Siehe die Bauhaus-Publikation: Pressestimmen (Auszüge) für das staatliche Bauhaus Weimar. Hrsg. von der Staatlichen Hochschule für Baukunst. Weimar: Druck von R. Wagner Sohn, März 1924.
8
Anke J. Hübel, a. a. O., S. 104.
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Kunstprinzipien betrachtet, erhält dieses kommunikationsstrategische Recycling in Form von (Presse-)Text-Montagen das Gepräge eines werbestrategischen Readymade-Verfahrens – wenngleich es sich bei den «objets trouvés» (in dem Fall: die «gefundenen» Zeitungsartikel) nicht einfach nur um Zufallsfunde handelte, sondern um gezielt initiierte Presseartikel, die nicht selten die Zuweisung von Autorenschaft und Urheber neu definierten. Abbildung 23: Text-Montage und (Foto-) Collage: Anzeige (1913) zum Kinofilm HERRIN DES NIELS – KLEOPATRA
Die Analogie zum kreativen Schaffensprozess von Collagen und Fotomontagen ist keineswegs in einem rein übertragenen, theoretischabstrakten Sinn zu verstehen, sondern auch in einem unmittelbar gestalterischen, wie etwa eine Werbeanzeige von 1913 für den Film DIE HERRIN DES NIELS – KLEOPATRA zeigt: eine Collage respektive Fotomontage mit aus Zeitungen ausgerissenen Filmkritiken (Abb. 23).
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Aufmerksamkeit und Presseresonanz generierten die Dadaisten ebenfalls mit ihren zahlreichen Veranstaltungen. Dazu gehörend: in der Öffentlichkeit stattfindende Dada-Aktionen, die man aus heutiger Sicht als eine Art «Flashmob»-Performance bezeichnen könnte und bei denen die Dadaisten – in einem Zeitalter vor Twitter & Co. – auf die in der damaligen Reklamepraxis üblichen Kommunikationsmedien (darunter auch «Sandwichmänner») als Propagandainstrumente zurückgriffen. So etwa im Fall einer unter freien Himmel veranstalteten Dadaisten-Aktion auf der Plain von Carouge: «Grotesk gekleidete Sandwichmänner hatten drei Tage zuvor die Stadt mit riesigen buntfarbigen Plakaten durchwandert, die ankündigten, daß pünktlich nachmittags um drei Uhr der Dadaistenführer Dr. Serner ‹dem Kosmos einen Tritt› versetzen würde. Die Plain, eine Art Genfer Theresienwiese, war dann auch zu dem festgesetzten Zeitpunkt schwarz vor Menschen.»9
Der große Skandal blieb zwar aus. Doch gehörte mittlerweile der Skandal bei den Dadaisten in einem solchen Maße zum Programm (gleichermaßen zum künstlerischen wie zum kommunikationsstrategischen), dass auch das Ausbleiben eines solchen für Aufsehen sorgen konnte. So notierte das Prager Tagblatt zu diesem Dada-Meeting unter freiem Himmel, dass eben gerade das Ausbleiben eines Skandals an jenem Nachmittag in Genf «für viele mit Recht eine Sensation war».10 Mit ihren Strategien wie dem Lancieren von Sensations- und Falschmeldungen, dem Operieren mit Superlativen und dem Begriff der «Sensation», dem Streuen von Gerüchten (gefolgt von einem nicht weniger pressewirksamen Dementi) oder auch dem Initiieren von PRträchtigen Skandalen griffen die Dadaisten weniger auf die Reklamestrategien der Warenwirtschaft zurück, sondern nutzten vielmehr die
9
«Das erste Dada-Meeting ohne Skandal», Prager Tagblatt, Nr. 90, 13.4.1920. Abgedruckt in: Dada total, a. a. O., S. 212.
10 Ebd.
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erprobten Werbemethoden des Unterhaltungssektors – allen voran die der Musik- und insbesondere der Filmindustrie.11 Zu diesen Werbestrategien gehörte das Spiel mit Sensationen und Enthüllungen (Abb. 27) wie auch die Konstituierung des Tabubruchs als Verkaufsschlager und Werbeargument sowie die Aufnahme von werbewirksamen Hinweisen auf etwaige Verbote im Rahmen von Anzeigen und Plakaten.12 Das gezielte Auslösen von Irritationen beim Adressaten, das bewusste Verwirrspiel, das die Dada-Akteure nicht zuletzt um den Namen Dada und die Anliegen der dadaistischen Bewegung inszenierten – «Was ist Dada? Eine Kunst? Eine Philosophie? eine Politik? Eine Feuerversicherung? Oder: Staatsreligion? ist Dada wirklich Energie? oder ist Dada Garnichts, d. h. alles?»13 (Abb. 24) –, ist strukturell sowie hinsichtlich der zum Tragen kommenden Wirkungsmechanismen mit einer in der Filmbranche der 1910er- und 1920er-Jahre häufig angewendeten Strategie vergleichbar, die man seinerzeit in Filmfachkreisen als «Mystifikationswerbung» oder auch «Trickreklame» bezeichnete.14 Dahinter verbarg sich eine Informationspolitik, die auf dem Prinzip der Verhüllung und Enthüllung beruht und bei der im ersten Kampagnenschritt bewusst wesentliche Informationen zurückgehalten werden, um den Rezipienten gezielt darüber im Unklaren zu lassen, was beworben wird, wer der Adressat ist oder auch: ob es sich überhaupt um Werbung handle. Das werbestrategische Ziel dieser Kommunikationstechnik war es, Neugierde und Interesse zu wecken und eine Mund-zu-Mund-Propaganda zu initiieren. «Gib dem Publikum ein Rätsel auf, aber kein unlösbares»15, brachte Richard Ott
11 Anke J. Hübel, a. a. O. 12 Anke J. Hübel, a. a. O., S. 88, S. 136, S. 101. Ein Beispiel vonseiten der Dadaisten: «Dada siegt!»-Plakat von Max Ernst. Abgedruckt in: DADA total, a. a. O., S. 240. 13 Der Dada, Nr. 2, Berlin, Dezember 1919, S. 6. 14 Anke J. Hübel, a. a. O., S. 83ff. 15 Ebd.; Richard Ott: Wie führe ich mein Kino? Berlin: Verlag der Lichtbildbühne 1922, S. 46.
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1922 diese Strategie auf eine griffige Formel. Eine Formel, die in vielerlei Hinsicht auch die Kommunikationsstrategien der Dadaisten kennzeichnete, wenngleich auch der zweite Abschnitt von den DadaAkteuren (bewusst) nicht in jedem Fall beachtet wurde.
Abbildung 24: «Gib dem Publikum ein Rätsel auf ... »: Was ist dada?, aus: Der Dada, Nr. 2, Berlin, Dezember 1919
Innerhalb der Filmvermarktung kam die Strategie der gezielten Irreführung und gesteuerten Informationspolitik seit den 1910er-Jahren zum Einsatz. Besondere Berühmtheit erlangte diese Vermarktungs- und Kommunikationstechnik jedoch nicht zuletzt durch eine der bis heute kongenialsten Werbekampagnen der Filmgeschichte: die 1920 lancierte Kampagne der Decla für den Film DAS CABINET DES DR. CALIGARI (Abb. 25 – Abb. 26).16 In der Lichtbild-Bühne wurde die Kampagne am
16 Mit DAS CABINET DES DR. CALIGARI nutzen die Produzenten gezielt die zu dieser Zeit enorme Popularität des Expressionismus als kulturbürgerliches
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10.1.1920 mit einer ganzseitigen Anzeige eröffnet, auf der zentriert ein großes Fragezeichen prangte. In selbiger Ausgabe der Lichtbild-Bühne folgte eine wiederum ganzseitige Anzeige, auf der die Worte «Das Cabinett des Dr. Kaligari» standen. Zwei weitere ganzseitige Anzeigen erschienen am 24.1.1920. Auf der ersten Anzeigenseite war zu lesen: «Die große Überraschung», auf der anschließenden erschien der ominöse Satz «Du mußt Caligari werden» («Caligari» dieses Mal und dann auch folgend mit «C»). Abbildung 25: Anzeigenkampagne der Decla zum Film DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920)
Modephänomen. Zum folgenden: Anke J. Hübel: Big, bigger, cinema. Film- und Kinomarketing in Deutschland (1910 – 1933), a. a. O.
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Am 31.1.1920 setze sich die Serie mit wiederum zwei ganzseitigen Anzeigen fort: «Alle Welt fragt sich was bedeutet», und die nächste Seite: «Du mußt Caligari werden».17 Abbildung 26: Anzeigenkampagne der Decla zum Film DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920)
Auch im Kinematograph und Film-Kurier erschienen solch rätselhafte Anzeigen. Begleitet wurden diese Worte im Film-Kurier von zwei unterschiedlichen Bildmotiven, die jeweils separat zum Einsatz kamen und die die «hypnotische» Wirkung des immer wiederkehrenden Satzes «Du mußt Caligari werden» noch unterstrichen: eine Spirale, in die sich die wie von einem kreisenden Strudel erfassten Worte «Du mußt Caligari» einfügten. Und ein zweites Motiv, auf dem zwei
17 Caligari-Werbung jeweils über zwei separate Anzeigenseiten in der Lichtbild-Bühne vom 10.1.1920, 24.1.1920 und am 31.1.1920.
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gespreizte sehnige Hände wie die Klauen eines Greifvogels in die Anzeige hineinragen.18 Doch nicht nur die Branchenzeitschriften bevölkerten diese Motive, sie divergierten auch in die Öffentlichkeit. Auf Schritt und Tritt begegnete man den rätselhaften Worten «Du mußt Caligari werden», die sich so stark in das Bewusstsein der Menschen einprägten, dass sie ein «geflügeltes Wort» kreierten: «Berlin hat ein neues Schlagwort mehr», konstatierte man im März 1920 im Kinematograph, «‹Du mußt Caligari werden›. Seit Wochen schrie einem dieser geheimnisvolle kategorische Imperativ von allen Plakatsäulen entgegen, sprang aus den Spalten aller Tageszeitungen hervor. Eingeweihte fragten: ‹Sind Sie auch schon Caligari?›».19 Caligari war in aller Munde. Mehr sogar: Über den Imperativ «Du mußt Caligari werden» und die Redewendung «Sind Sie auch schon Caligari?» fand Caligari Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch, pflanzte sich im viralen Diskurs immer weiter fort und verfestigte sich so als integraler Bestandteil im Leben der Menschen. Wie der Filmprotagonist «Dr. Caligari» zieht dabei die CALIGARI-Reklame den Rezipienten qua Erregung der Neugierde und Suggestion in ihren Bann und implantiert in seinem Bewusstsein eine Botschaft, ohne, wie es für die «Mystifikationswerbung» charakteristisch ist, dass dem Rezipienten im ersten Schritt überhaupt bewusst wird, dass es sich um eine (Film-)
18 Der Kinematograph, 14. Jg. / 1920, Nr. 682. Die Kampagne im FilmKurier wurde am 28.1.1920 eröffnet und zieht sich durch bis zu einer Anzeige am 23.2.1920, die auf die Uraufführung am 26.2.1920 im Marmorhaus hinweist. Zur Caligari-Kampagne siehe auch: Jürgen Kasten: Der expressionistische Film. Abgefilmtes Theater oder avantgardistisches Erzählkino? Eine stil-, produktions- und rezeptionsgeschichtliche Untersuchung. Münster: MakS Publikationen 1990, S. 39. 19 Der Kinematograph, 14. Jg. / 1920, Nr. 686: «Berliner Filmneuheiten».
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Reklame handelt, bis über die gezielte weitere Informationspreisgabe die entsprechende Auflösung erfolgt.20 Angefacht wurde das «Caligari-Fieber» noch durch eine Lancierung von «Presseartikeln» wie etwa in der Publikumszeitschrift Illustrierter Film-Kurier, in der ein Artikel von Claus Groth (Julius Sternheim) unter dem Titel «Du mußt Caligari werden» erschien. Ähnlich wie der Kinematograph konstatierte Claus Groth: «Vor einigen Wochen tauchte in Berlin ein neues Schlagwort auf: ‹Du mußt Caligari werden›. Von den Anschlagsäulen, in der Untergrundbahn, in den großen Cafés, von überallher rief es einem in grellen Farben an, und der Ruf pflanzte sich fort. In den Nachtbars und Klubs, auf der Straße sprachen Freunde und Bekannte uns mit dem kategorischen Imperativ an, ohne daß ein Mensch gewußt hätte, was diese Worte eigentlich bedeuten. Als kürzlich aber gar jemand behauptete, er sei bereits Caligari, beschloß ich der Bedeutung der Worte auf den Grund zu gehen, denn schließlich muß man doch den Ursprung geflügelter Worte wissen.»
Eine Spur führt den Journalisten ins Decla-Atelier, und die erste Frage, die Groth dort dem Regisseur des Films, Robert Wiene, stellen sollte, war, wie könnte es anders sein: «Sind Sie auch schon Caligari?»21 Bezeichnend bei
diesem Artikel von Claus Groth ist, dass der Autor ihn stilistisch in das Gewand eines (vermeintlich) investigativen Journalismus kleidet. Claus Groth spiegelt damit die im Rahmen der Anzeigenkampagne angewandte Strategie der «Mystifikationswerbung», die durch eine gesteuerte Informationspolitik zunächst ein «Rätsel» kreiert, das dann durch die schrittweise erfolgende Informationsfreigabe seine Auflösung findet.22
20 Dieses Moment der «Auflösung» charakterisiert auch den Film durch die ungeahnte Wendung am Schluss. 21 Claus Groth: «Das Cabinett des Dr. Caligari», Illustrierter Film-Kurier (Berlin) 1920, Nr. 6. 22 Zum Prinzip der gesteuerten Informationsvergabe siehe auch den Artikel
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Nicht selten generierte diese Art Filmwerbekampagnen eine besondere Eigendynamik und rief – analog zur dadaistischen Kunst der Skandalisierung – oftmals auch die Ordnungshüter auf den Plan. So etwa im Dezember 1921 in Neumarkt in der Oberpfalz, als die Dienststelle der örtlichen Polizei plötzlich einen unerwartet regen Zulauf verzeichnete. Ausgelöst worden war dieser ungewöhnliche Ansturm der Bürger von drei Fahndungsplakaten, auf denen mitgeteilt wurde, dass der Bankdirektor Peter Voß, Juniorchef des Kopenhagener Bankhauses Axel Voß Son, mit 25 Millionen Kronen flüchtig geworden sei. Als Belohnung für die Ergreifung des Peter Voß schrieb ein Kopenhagener Detektivbüro, das auch als Unterzeichner der Plakate firmierte, Beträge in Höhe von 100 000 Kronen, 250 000 Kronen und 500 000 Kronen aus. Wie das Staatsministerium des Inneren in München seinerzeit dem Staatsministerium für Justiz mitteilte, veranlassten diese Plakate nicht nur zahlreiche Bürger dazu, bei der Ortspolizei nachzufragen, «ob tatsächlich ein solcher Diebstahl, wie in den Plakaten angegeben, vorgekommen sei», sondern einer habe sogar behauptete, und dies «mit Bestimmtheit», «den ausgeschriebenen Peter Voß in Neumarkt gesehen zu haben.»23 Bei den betreffenden Plakaten handelte es sich allerdings nicht um wirkliche Fahndungsplakate, sie gehörten vielmehr (und dies stellte für das damalige Staatsministerium des Inneren auch den Stein des Anstoßes dar) zu einer groß angelegten Werbekampagne der Projektions-AG Union (PAGU)24, die der Lancierung ihres Serienfilms DER MANN OHNE NAMEN diente und dessen erster Teil unter dem Titel DER MILLIONENDIEB in die Kinos kam. Wer somit den flüchtigen
von Vinzenz Hediger: «Der Film fängt mit der Werbung an. Zur Dramaturgie der Filmvermarktung am Beispiel von Terminator 2». In: Jörg Frieß, Britta Hartmann und Eggo Müller (Hrsg.): Nicht allein das Laufbild auf der Leinwand... Strukturen des Films als Erlebnispotentiale. Festschrift für Peter Wuss zum 60.Geburtstag. Berlin: Visitas Verlag 2001, S. 79 – S. 94. 23 Deutsches Filminstitut, Zensurunterlagen DER MANN OHNE NAMEN, Abschrift 2546 b 19, 20. 24 Die PAGU gehörte seit 1918 zum Großkonzern UFA.
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Peter Voß entdecken wollte, konnte dies nur auf der Kinoleinwand, gespielt von dem seinerzeit sehr populären Schauspieler Harry Liedtke. Ob den Dadaisten die Kampagne zum Film DER MILLIONENDIEB, die in dieser Form auch in anderen Filmverleihbezirken wie Berlin zum Einsatz kam, bekannt war, lässt sich nicht eruieren. Ganz unzweifelhaft besaßen die Dadaisten jedoch ein Bewusstsein für die Werbestrategien des Unterhaltungssektors sowie eine hohe persönliche Affinität zum Kinobusiness. So erwiesen sich einzelne Vertreter des Dadaismus nicht nur als leidenschaftliche Cinephile und regelmäßige Kinogänger; vielmehr waren Heartfield und Grosz Ende der 1910er-Jahre auch als freie Mitarbeiter für die Ufa tätig und dürften nicht zuletzt im Rahmen dieser Tätigkeit sowie durch ihren engen Kontakt zu diesem seinerzeit aufstrebenden Großkonzern mit den Strategien der Filmvermarktung in Berührung gekommen sein. Wie sehr die Dadaisten insgesamt bestimmte Wirkungsmechanismen der ökonomisch erfolgreichen, international tätigen Kinofilmbranche durchschaut hatten und sich selbst auch in dieser Tradition sahen, zeigt nicht zuletzt ein Blick in den Dada-Almanach von 1920: «Die Popularität einer Idee resultiert aus der Verfilmungsmöglichkeit ihres Anekdotenschatzes», wurde hier treffsicher konstatiert. Und mehr noch: «Der Dadaismus als Weltprinzip, das heute in Weimar putscht, morgen die Brotkarte ‹Goethe› herausgibt und übermorgen beim Scheich ul Islam Hammelbraten luncht, füllt die Kinokassen der kommenden Saison.»25 Abbildung 27: Künstler, Kunst und Sensationen! Aus: Der DadaAlmanach (1920)
25 Dada-Almanach, a. a. O., S. 62.
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Die Dadaisten griffen aber nicht nur auf die Werbe- und PR-Strategien der Unterhaltungsindustrie zurück, sie partizipierten auch unmittelbar von den Stars des Unterhaltungssektors – allen voran von dem von den Dadaisten sehr geschätzten und äußerst populären Charlie Chaplin (Abb. 28). Ob infolge eines Schneeballeffekts aufgrund der von den Dadaisten in Form von öffentlichen Grüßen, Texten und Charlie Chaplin gewidmeten Bildern hergestellten Nähe der Dadaisten zu dem amerikanischen Filmstar oder ursächlich auf ein von den Dadaisten gezielt lanciertes Gerücht zurückgehend, wusste die Tagespresse zu berichten, dass Charlie Chaplin «einen Vortrag über die Dadabewegung halten» würde. «Obgleich wir die Nachricht demontiert hatten», so Tristan Tzara, «folgte mir ein Journalist überallhin wie ein Schatten, weil er an eine neue List des berühmten Schauspielers glaubte, der sich die Überraschung durch seine plötzliche Erscheinung nicht entgehen lassen wolle.»26 Abbildung 28: Sympathiegrüße der Dadaisten an den Filmstar Charlie Chaplin (1920)
Diese Episode kann gleichsam als ein Paradebeispiel für die Wirkungsmechanismen der Unterhaltungspresse gelten. Sie ist aber auch eines für das Spiel der Dadaisten mit den Instrumentarien der Öffent-
26 Tristan Tzara: «Erinnerungen an Dada», a. a. O. , S. 56.
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lichkeitsarbeit. Im Rahmen dieser Kommunikationsstrategien gestalten sich – nicht zuletzt eben auch bei den Dadaisten – die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit oftmals fließend. Darum waren sie aber keinesfalls weniger wirksam, im Gegenteil.
9 Unterhaltungskünstler: Die «OriginalBauhaus-Jazz-Band»
War bei den Dadaisten der Name «Dada» nicht nur Programm, sondern auch als Marke zu verstehen (die als eben eine solche von den DadaAkteuren gezielt aufgebaut und kommuniziert wurde), so verfügte das Bauhaus über einen Werbeträger, mit dem sich die Bauhäusler ganz unmittelbar als Akteure des Unterhaltungssektors profilierten: die hauseigene Bauhaus-Kapelle, die sich, erprobt auf den zahllosen Festen der Bauhäusler, schnell einen Namen als Jazzband machen sollte. 1924 als feste Institution ins Leben gerufen, folgte noch im selben Jahr der erste öffentliche Auftritt als «Original-Jazz-Band-Kapelle» im Weimarer Lokal «Goldener Anker» (Abb. 29), und ein Journalist konstatierte: «Sie ist die beste Jazz-Band, die ich je toben hörte, bis in die Fingerspitzen musikalisch. Niemals ist der ‹Bananen-Shimmy› besser gespielt worden, nirgends legt man die ‹Mädchen von Java› schmissiger hin.»1 Die Erfolgsmeldungen sollten den Ruf und die Band schnell über die Grenzen von Weimar hinausführen. Es folgten Engagements in Halle, Hannover, Magdeburg und Berlin, wo man auch auf die JazzKapelle von Friedrich Holländer, der bereits für die Dadaisten den
1
bauhaus utopien, a. a. O., S. 216. Ebenso: Bauhaus Dessau. Dimensionen 1925 – 1932. Ausstellung im Bauhaus Dessau vom 27. März bis zum 1. Juli 1993. Dessau: Bauhaus 1993, S. 99.
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«Foxtrott Dadajama» komponiert hatte, stieß und zusammen aufspielte.2 Abbildung 29: Ankündigung des ersten öffentlichen Auftritts der Original-Jazz-Band-Kapelle des Bauhauses
Dabei überließ man den Erfolg nicht dem Zufall, sondern bewarb gezielt die Bauhaus-Band mithilfe selbst gestalteter Werbemittel: «wie sie sehen: wir überleben alle stürme. wir spielen unsere musik, einen hei – in – die – knochenfahrenden rhythmus!
2
Xanti Schawinksy: «metamorphose bauhaus». In: Eckhard Neumann (Hrsg.): Bauhaus und Bauhäusler. Bern – Stuttgart: Hallwag 1985, S. 115 – 120.
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der schlägt ein! sie müssen uns hören – sie denken an uns! für ihre feste die bauhauskapelle», offerierte ein Werbeflyer die Vorzüge und Dienste der Bauhaus-Band.3 Doch nicht nur für die Bauhaus-Kapelle wurde Werbung betrieben. Mit den zunehmenden Erfolgen der Bauhaus-Jazzband avancierte die Kapelle selbst zu einem wichtigen Baustein innerhalb der ebenso notwendigen wie umfangreich praktizierten Öffentlichkeitsarbeit des Bauhauses, dessen Existenz immer wieder auf den Prüfstand gestellt wurde und dessen finanzielle Situation nur allzu oft äußerst prekär war.4 Waren Triadisches und Mechanisches Ballett lediglich bedingt dazu geeignet, die breite Masse in Begeisterung zu versetzen, traf man hingegen mit der Bauhaus-Jazzband den populären Nerv der Zeit. So wie die Band mit zunehmenden Erfolgen zum Aushängeschild des Bauhauses wurde, so prägte sie andersherum auch die öffentliche Wahrnehmung der in der Band spielenden Bauhausschüler und -künstler: «Meine öffentliche Rolle am Bauhaus war», so erinnerte sich Andor Weininger, «durch die Kapelle zustande gekommen. Die hatte mich sehr beliebt gemacht, nicht nur in Weimar, sondern auch in Berlin»5. War Andor Weininger in jeder Hinsicht ein wichtiger Taktgeber der Bauhaus-Kapelle, so zählten zu Zeiten des Bauhauses in Dessau, neben
3
Flyer u. a. abgedruckt in: Jeannine Fiedler und Peter Feierabend (Hrsg.): Bauhaus. Köln: Könemann Verlagsgesellschaft 1999, S. 148.
4
Andor Weininger, a. a. O., S. 40. Zur Öffentlichkeitsarbeit des Bauhauses siehe: Patrick Rössler (Hrsg.): bauhaus-kommunikation. Innovative Strategien im Umgang mit Medien, interner und externer Öffentlichkeit. Berlin: Gebr. Mann Verlag 2009.
5
Ebd., S. 44.
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Andor Weininger am Piano, zu den Bandmitgliedern: Heinrich Koch (Bumbass), Jackson Jacobson (Schlagzeug), Clemens Röseler (Zweites Piano, Posaune, Banjo), Fritz Kuhr (Zweiter Bumbass, Banjo), Lux Feininger (Klarinette, Banjo) sowie Xanti Schawinsky (Sopran- und Altsaxophon, Flexaton, Cello und Lotosflöte).6 Dass Lux Feininger zu den Bandmitgliedern gehörte, war keineswegs selbstverständlich. Hatte ihm doch seine Mutter schon in früher Jugend attestiert, dass er gänzlich unmusikalisch sei. Doch was Feininger bei seinen musikalischen Studien und Übungen vorantrieb und ihn nicht eher ruhen ließ, bis er sich seinen Platz in der Bauhaus-Band erkämpft hatte, war, wie er selbst bekannte, seine «Leidenschaft für den Jazz».7 Ergänzt wurde das Ensemble respektive das Instrumentenspektrum der Bauhaus-Jazzband durch die ebenso für den Jazz wie für die Avantgarden charakteristischen «Geräuschtoner»; im Fall der Dessauer Bauhaus-Band waren dies Stühle, Revolver, Sirenen, Nägel, Drähte, Klingeln, umgemodelte Klaviere und «jeder art von tonverändernden materialien», die imstande waren, «garantiert tanzbare musik hervorzubringen».8 Der Hinweis von Andor Weininger auf die «garantiert tanzbare musik» der Bauhaus-Band ist bezeichnend. Verweist er doch gleichermaßen auf die populäre Ausformung und Funktionalität der Jazzmusik als Tanzmusik wie eben auch auf die Rolle der BauhausJazzband und ihren PR-Auftrag. Dieses Bekenntnis des Bauhauses zum populären Charakter der Jazzmusik spiegelt sich nicht zuletzt in einer Fotografie des BauhausBandmitgliedes Lux Feininger wider, die Xanti Schawinsky beim Spielen des Saxophons zeigt. Lux Feininger titulierte die Fotografie als «jonny-schawinsky spielt auf», und stellte damit einen klaren Bezug zu der populären Jazzoper «Jonny spielt auf» von Ernst Krenek her, die
6
Xanti Schawinksy: «metamorphose bauhaus», a. a. O., S. 116.
7
Theodor Lux Feininger: Zwei Welten. Mein Künstlerleben zwischen Bauhaus und Amerika. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2006, S. 90.
8
Ebd.
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1927 zunächst am Neuen Theater in Leipzig mit großem Erfolg uraufgeführt und in der Folge an über 40 weiteren Theatern inszeniert wurde. Alleine in Berlin und Wien soll «Jonny spielt auf» über 50 Aufführungen erlebt haben, und die Übertragung der Lizenzrechte an Universal zwecks mechanischer Vervielfältigung der Musik via Grammophonplatte sollte das Ihre zur Popularisierung von Kreneks Stück beitragen. Welch hohe Popularität Kreneks Jazzoper seinerzeit genoss, lässt sich nicht zuletzt an den zahlreichen zeitgenössischen Verweisen, Zitaten und Adaptionen ablesen. So dichtete etwa auch die Werag im März 1928 (Abb. 30): «Es saxt das Phon Es jazzt die Band Man foxt im Trott Wird inspirant Und über der Getriebe Lauf Spielt Jonny auf!»
Lux Feiningers Foto «jonny-schawinsky spielt auf» stellt aber nicht nur eine Reminiszenz an Kreneks berühmte Jazzoper, die seinerzeit populäre Jazzmusik und die erfolgreiche Bauhaus-Band dar. Das Foto wurde vonseiten des Bauhauses auch gezielt zu Werbezwecken eingesetzt. So zierte es als Cover-Bild den Katalog zur Bauhausausstellung 1929 im Basler Gewerbemuseum. Die Wahl dieser Fotografie als Titelbild eines Bauhauskataloges ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich beim Bauhaus ja keineswegs um eine Musikschule mit Jazzklasse wie etwa das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt handelte, ebenso beachtlich wie auch ein klares (werbestrategisches) Statement, mit dem man sich gezielt modern, populär und lebensbejahend präsentieren und die breitere Öffentlichkeit erreichen wollte.
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Abbildung 30: Anleihe an der Jazzoper «Jonny spielt auf», Werag (1928)
Wie sehr man sich am Bauhaus des werbenden Charakters dieser Feininger-Fotografie mit ihren unverkennbaren Bezügen zu Kreneks erfolgreicher Oper und der populären Jazzmusik bewusst war, zeigt auch ein weiterer Verwendungskontext des Fotos: der Einsatz der Fotografie im Rahmen eines mehrsprachigen Aufrufs, mit dem man um neue Studierende für das Bauhaus warb (Abb. 31). Das Bauhaus, insbesondere zu Dessauer Zeiten, hatte somit (auch) in musikalischen Fragen keinerlei Berührungsängste, wenn es um die Erzeugnisse der massenkompatiblen Unterhaltungsindustrie ging. Mehr noch: Die Bauhausmitglieder verstanden es, die populären Musikerscheinungen jener Tage geschickt zu adaptieren und nicht zuletzt eben auch werbewirksam für sich selbst zu nutzen.
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Abbildung 31: BauhausWerbung (1928). Anleihe bei der Jazzoper «Jonny spielt auf» (1927)
Im Sinne einer angestrebten Öffnung des Bauhauses und des gezielten Einsatzes publikumswirksamer Werbemaßnahmen wurden nicht zuletzt auch die bis dahin internen und in der Zahl der geladenen Gäste sehr begrenzten Bauhausfeste einem größeren Publikum zugänglich gemacht. So waren etwa am Abend der Einweihung des neuen Bauhauskomplexes in Dessau, einem Fest, dem eine weitreichende Werbekampagne vorausgegangen war und bei dem die Bauhaus-Kapelle mit der Unterstützung zweier weiterer Bands für den richtigen Rhythmus bis in die frühen Morgenstunden sorgte, 2000 Gäste aus dem In- und Ausland anwesend.
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Das neue Profil des Dessauer Bauhauses machte sich auch in der Struktur dieses Festes bemerkbar. Man war bemüht, die Bauhausfeste von ihrer Jahrmarkts- und Rummelplatzästhetik zu befreien und setzte nun bei diesem Fest – neben dem Zugpferd populärer Jazz- und Tanzmusik – auf einen neuen Leitstern, der selbst dieser Ästhetik entflohen war: auf das Medium Film. Eine halbe Stunde vor Mitternacht führte Gropius in die Filmbeiträge ein, die u. a. aus der ersten Produktion der Humboldt-Film-AG bestanden. Und das Bestreben, die sich bereits in der letzten Weimarer Phase herauskristallisierenden Strukturveränderungen und neuen Schwerpunkte in die Öffentlichkeit zu tragen, verfehlte seine Wirkung nicht, wie der Bericht eines anwesenden Reporters der Anhalter Rundschau zeigt. In übernommener Bauhaustypographie, der konsequenten Kleinschreibung, notierte er: «auf den anfahrtsstraßen war ein gewimmel von autos, wie es dessau noch nie gesehen hatte, um die vielen gäste, die aus allen weltgegenden herbeigereist waren, zu befordern. neben den namhaftesten architekten deutschlands, die fast sämtlich vertreten waren, hatten die meisten großen zeitungen berichterstatter ausgeschickt, und auch das ausland war stark vertreten. wer, vor dem hause stehend, an den erleuchteten glaswänden emporsah, der konnte meinen, ein filmtheater in kalifornien vor sich zu haben.»9
Die vom Reporter der Anhalter Rundschau konstatierte Analogie zu den modernen Lichtspielpalästen der damaligen Zeit erschöpft sich dabei keineswegs in einem Vergleich, der auf die Ästhetik der illuminierten Kinofassaden rekurriert. Auch die von ihm beschriebene Inszenierung der Bauhausfeierlichkeiten, einschließlich internationaler Gäste und geladenen Pressevertreter, erinnert stark an die damaligen großen Filmpremierenfeierlichkeiten. Den Vertretern des Bauhauses konnten diese Assoziationen nur Recht seit, wenn sie nicht vielleicht sogar bewusst herbeigeführt wurden. Waren die großen Filmpremieren in den
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Reporter der «Anhaltische Rundschau». Zitat aus: Bauhaus Dessau, a. a. O., S. 102.
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1920er-Jahren doch längst zu bedeutenden gesellschaftlichen Ereignissen avanciert, die gleichermaßen zahlreiche Pressevertreter, (internationale) Prominenz aus Wirtschaft, Kultur und Politik sowie Scharen von Fans und Schaulustigen anzogen (einschließlich eines oftmals hohen Polizeiaufgebots, das der Lage Herr zu werden versuchte). Dass die Bauhäusler neben der künstlerisch-praktischen Auseinandersetzung mit dem Medium Film auch keine Berührungsängste vor der privatwirtschaftlich organisierten, kommerziellen Filmindustrie hatten, zeigen die unterschiedlichsten Aktivitäten und Pläne: angefangen bei Moholy-Nagys Auseinandersetzung mit der Gestaltung von Filmwerbeplakaten und seinem Bestreben, eine durch die Filmindustrie finanzierte Filmversuchsstelle einzurichten, über die verschiedensten geschäftlichen Beziehungen des Bauhauses zu Filmunternehmen wie der Ufa bis hin zu Herbert Bayers Kinoentwurf, bei dem er – gleich einem Statement – die Kinofront mit dem Konterfei des seinerzeit äußerst erfolgreichen amerikanischen Filmkomikers Harold Lloyd schmückte.
10 «Der kleine ‹Shimmy-Liddy› tanzt auf jeder Platte»: Jazz und neue Medien
Man musste ins Treppenhaus ausweichen. Der tonalen Schlagkraft einer Jazzband mit dem Kaliber eines «Sam-Wooding» war die neue Technik nicht gewachsen. Nur eine Ausquartierung der lautesten Instrumente auf die Stufen des Treppenhauses führte zum erwünschten Erfolg: der Schallplattenaufnahme, die 1925 im Voxhaus an der Potsdamer Straße in Berlin vorgenommen wurde. Dabei war die moderne Aufnahmetechnik dem Jazz sonst sehr wohlgeneigt. Eignete sich doch das Instrumentarium, gerade in der technischen Frühphase, bestens für die Schallplattenproduktion. Während Banjo, Sax, Schlagzeug und die Blechblasinstrumente akustisch annehmbare Ergebnisse erzielten, blieben die Geigen der klassischen Orchester, so sehr sie sich auch mühten, kaum hörbar. Die Flexibilität bei der Zusammenstellung der JazzEnsembles brachte ihrerseits die notwendige Anpassungsfähigkeit an die technischen Gegebenheiten des neuen Mediums mit sich. Galt es anfangs doch, die Musik an die neue Technik anzupassen und nicht andersherum. So konstatierte etwa auch Philipp Jarnach 1926 im Hinblick auf die damalige Aufnahme- und Grammophontechnologie, für die ihm die Jazzmusik geradezu prädestiniert schien: «Die Hauptsache ist der schlackenfreie Ton und eine größere Ausgeglichenheit der Register. Ist man einmal soweit, dann wird das Interesse der Musiker, das
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sich bislang nur kritisch äußern konnte, auch produktiv zu werden beginnen. Das wird die entscheidende Wendung sein. Sie ist im Fall der mechanischen Klaviere, im Falle des Grammophons bereits teilweise eingetreten. Es gibt Originalkompositionen für Pianola. Man weiß, dass die amerikanischen Jazzplatten von spezialisierten Blasorchestern in besonderer Besetzung gespielt werden; diese Platten sind vollkommen frei von den sonst typischen Klangfehlern des Grammophons. Hier ist die authentische Wiedergabe durch subtile Anpassung an die Eigenart des Apparates restlos erreicht.»1
Abbildung 32: Die neueste Erfindung Anfang der 1920er: «Der kleine ‹Shimmy-Liddy› tanzt auf jeder Platte»
1
Philipp Jarnach (Berliner Börsenkurier): «Äusserungen über ‹Mechanische Musik› in Fach- und Tagesblättern». In: Musik und Maschine. Musikblätter des Anbruch, 8. Jg., Oktober – November, 1926.
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Schallplatte und Jazz: Diese Allianz sollte bestimmend für den Jazz und seine Erfolgsgeschichte werden, die nicht ohne die Techniken der medialen Verbreitung zu denken ist. Bereits in den Katalogen der Hersteller von Orchestrions und Pianolas, von Abspielgeräten für Metallscheiben, einer frühen Form der Nickelodeons, den Münzphonographen, fanden sich Titel wie «Mysterious Rag», «Temptation Rag», «Turkey Trott» und Irving Berlins «Alexander’s Ragtime Band». Auch Edison vertrieb Ragtime-, Cake-Walk-, Minstrel- und Gospelstücke zunächst über die Walzenproduktion, um nach der Überwindung der größten technischen Schwierigkeiten ganz auf das Medium Schallplatte zu setzen.2 Der Absatzmarkt für Grammophonplatten boomte unaufhörlich, und in der alten Welt wurden Hunderte von Schallplattengesellschaften gegründet. Innerhalb von fünf Jahren, in dem Zeitraum von 1914 bis 1919, stieg der Jahresumsatz der Schallplattenindustrie von 27.116.000 Dollar auf 158.668.000 Dollar. Ebenso stetig ansteigend wie die Schallplattenproduktion verlief die Nachfrage nach afroamerikanischer Musik. Unterhaltungsindustrie und Schallplattenproduktion gingen dabei Hand in Hand und vereinten sich nicht selten in einer Firma. So auch im Fall von Eldridge Johnsons 1901 gegründeter «Victor Talking Machine Company», die zu einem der mächtigsten Unterhaltungskonzerne mit zahllosen, weltweiten Filialen und Produktionsstätten werden sollte. Behilflich dabei war ein bis heute bekanntes Markenzeichen. Dank seiner 40% Anteile an Berliners Grammophon-Gesellschaft konnte Eldridge Johnson seine Schallplattenproduktion unter dem Label und Motiv von «His Master’s Voice» herausgeben. Und wer kennt ihn nicht, den Hund Nipper, der vor einem Grammophon sitzend andächtig der «Stimme seines Herrn» lauscht. Mit dem Aufkommen dieses akustischen Massenmediums, dem Ausbau der Schallplattenindustrie und einem weltweiten Vertriebsnetz
2
Siehe zu diesem Themenfeld u. a.: Peter J. Schoppmann: «Die Geschichte der Tonaufzeichnung». In: That’s Jazz, a. a. O.; Bernd Hoffmann: «Jazz im Radio der frühen Jahre». In: That’s Jazz, a. a. O.
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verlor der Jazz endgültig seine lokale Begrenztheit. Nicht mehr nur die ausverkauften Etablissements der Unterhaltungsindustrie bei den Tourneeauftritten, sondern zunehmend die Anzahl der Schallplatteneinspielungen und die erreichten Verkaufszahlen wurden für die Jazzbands zum Indikator des Erfolgs. In Deutschland stellte zudem die Schallplatte, insbesondere in den früheren Jahren, oftmals die einzige Möglichkeit dar, amerikanische Jazzbands kennenzulernen. Dies galt auch für die Künstler, die sich mit dem Jazz beschäftigten (Abb. 33). So berichtete etwa das Bauhaus-Jazzbandmitglied Lux Feininger in seinen Lebenserinnerungen, dass ihm sein Bauhaus- und Bandkollege Clemens Rössler «mit Hilfe der Plattensammlung eines Freundes [...] die amerikanische Jazzmusik»3 nähergebracht habe. Der Siegeszug des Jazz via Grammophonplatte behagte jedoch nicht jedem: «Wie man als gesunder Mensch [...] an dieser NiggerInstrumenten-Klopferei Gefallen finden kann, ist rätselhaft. Während die Hom[e]record-Platten mit wundervoller deutscher Musik und in blendender technischer Aufführung kaum Käufer finden, ist die Fabrik kaum imstande, der Nachfrage nach ‹Jazz-Platten› zu genügen»4, klagte die Deutsche Nachrichten-Agentur im März 1921. Stoppen ließ sich der via Massenmedien kursierende «Jazzvirus» indes nicht, im Gegenteil. Vielmehr ging mit dem Siegeszug der Jazzmusik via Grammophon auch eine zunehmende Popularisierung der modernen (Jazz-)Tänze einher (Abb. 32). Ließen sich diese nun doch dank der Schallplatte jederzeit einfach und bequem auch zu Hause einstudieren: «Die Rennreiter, Schwimmer, Fußballer, Leichtathletiker und Randfahrer können aus begreiflichen Gründen zu Hause nicht trainieren. Alle müssen große Wege unternehmen und viel Zeit aufwenden, um ihren geliebten Sportzweig ausüben zu können. Der Tänzer hat das ungleich bequemer, er kann trainieren
3 4
Theodor Lux Feininger, a. a. O., S. 83. Deutsche Nachrichten-Agentur, 4.3.1921. In: F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 10f.
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und üben im eigenen Heim, soviel er Lust hat, er braucht nichts weiter als ein Grammophon und gute Tanzplatten.»5
Dahingehend konstatierte dann auch Neumann 1921, das Geheimnis der perfekten Jazz- und Shimmy-Tänzer liege in der von ihnen gelebten Prämisse: «Wir tanzen täglich nach dem Grammophon!»6 Abbildung 33: Anzeige, aufgegeben von Georg Grosz (1919)
Zwischen Produktionsstätte und dem heimischen Grammophon hatte sich derweil noch eine weitere technisch-akustische Errungenschaft geschoben: das Radio. Im Potpourri der gespielten Musikstücke verstärkt auf Unterhaltungs- und Tanzmusik setzend, verfügte man in den zwanziger Jahren auch über hauseigene Jazzbands, und das «Offizielle Organ des Westdeutschen Rundfunks Köln», die Zeitung Werag, informierte die Hörer über den «Rhythmus Amerika» und führte mit Artikeln wie den «Skizzen zum Jazz» in die neue Musik ein.7 Die Rund-
5
W. Neumann: «Konservenmusik». In: F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 89.
6
Ebd.
7
Abgedruckt in That’s Jazz, a. a. O., S. 572ff.
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funk-Tanzstunden befassten sich ebenfalls mit dem Jazz, einschließlich begleitender Publikationen, wie dem in der Reihe «Werag Bücherei» erschienenen Lehrbuch «Tanz durch Rundfunk», das sich der Jazzmusik und den neuen Modetänzen widmete (Abb. 34).8 Abbildung 34: Anleitung zur Rundfunk-Tanzstunde: Foxtrot II (Quickstep)
Art und Umfang der Aufnahme der Jazzmusik ins Rundfunkprogramm variierten regional teils erheblich. Oder anders ausgedrückt: In den vielfältigen Adaptionen des Jazz für den Rundfunk spiegelte sich ebenso die dezentrale Struktur des deutschen Rundfunkwesens wie auch die musikalische Tradition des jeweiligen Sendegebiets (Abb. 35). Der Bogen spannte sich dabei vom «Jazz-Sinfonie-Orchester» des Berliner Rundfunksenders über die Reihe «Meister des Jazz» des Kölner Senders bis hin zu den Frankfurter Konzerten der seinerzeit ersten und ein-
8
Karl Schäfer jr.: Tanz durch Rundfunk. Vorträge der Werag Bücherei. Band 10. Köln: Rufu-Verlag 1929.
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zigen Jazz-Klasse, die unter der Verpflichtung von Mátyás Seiber im Jahre 1926 am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt ins Leben gerufen worden war. Die Radiokonzerte der Frankfurter Jazzklasse zeigen indes, dass bei allen regionalen Unterschieden in der Programmgestaltung einzelne Programminhalte keineswegs auf die Übertragung durch einen einzigen Sender begrenzt blieben, sondern vielmehr auch eine überregionale Popularität erzielen konnten. Gingen die späteren Konzerte der Frankfurter Jazzklasse, die «Sinfonischen Jazzkonzerte», doch auch über den Berliner und den Stuttgarter Äther.9 Abbildung 35: Saxophonisten des Westdeutschen Rundfunks
Doch nicht nur hinsichtlich der Programminhalte kam es zu einer Liaison zwischen Jazzmusik und Rundfunkempfänger. Auch auf der Ebene der Produktion radiospezifischer Programminhalte erkannte man mit Blick auf die Erzeugung bestimmter akustischer Vorstellungswelten
9
Bernd Hoffmann (Köln): Jazz im Radio der frühen Jahre. http://geb.unigiessen.de/geb/volltexte/2009/6758/pdf/Popularmusik-03-04_S43-59.pdf. Zuletzt aufgerufen im März 2015.
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gewisse Analogien. Dies galt insbesondere für die Produktion von Hörspielen. Bezeichnenderweise erinnerten einen Journalisten, der über die Jazzklasse der Frankfurter Musikhochschule berichtete, die «Geräusch-Instrumente» und Verfahren der Klangerzeugung, die beim Jazz zum Einsatz kamen – «Es werden erzielt: Klingelgeräusche durch Tamburine, Klappergeräusche durch Kastagnetten, Knarrgeräusche durch Ratschen, Reibegeräusche durch Sandpapierreiber, fauchende Geräusche durch Stahlbesen», – an die «Rundfunk-Hörspiel-Apparate» jener Tage.10 Ein ganz eigenes, ebenfalls enges Verhältnis besaßen Jazz und Film zueinander; wurde die Geburt des (langen) Tonfilms doch 1927 durch THE JAZZ SINGER eingeläutet (Abb. 36).11 Produziert von Warner Bros. und mit Al Jolson als (schwarz geschminktem) «Jazz Singer» in der Hauptrolle, avancierte der Film zum Publikumsmagneten und bescherte nicht nur der Kinobranche hohe Umsätze, sondern auch der Schallplattenindustrie. Kam mit dem Tonfilm THE JAZZ SINGER doch gleichzeitig noch eine weitere ökonomisch äußerst rentable Medienkategorie zur Welt: der Tonfilmschlager auf Grammophonplatte. THE JAZZ SINGER war indes kein singuläres Phänomen. Schon seit der Stummfilmzeit bediente man sich vonseiten der Filmindustrie des Labels «Jazz», und sei es auch nur, dass man den Begriff werbewirksam im Filmtitel verwendete. So erschienen in den USA unter anderem die Kinofilme THE LAND OF JAZZ (1920), CHILDREN OF JAZZ (1923), THE JAZZ GIRL (1926), HIS JAZZ BRIDE (1926), JAZZ MAD (1928), JAZZ HEAVEN (1929), THE JAZZ AGE (1929) sowie KING OF JAZZ (1930). Und auch die deutschen Filmproduzenten zogen nach: 1927 mit JAZZBAND-LOTTE, 1929 mit MEIN HERZ IST EINE JAZZBAND sowie 1931/32 mit FÜNF VON DER JAZZBAND (Abb. 37). Erweitert wurde dieser kine-
10 W. St.: «Die Snycopators beim Training. Die Jazzklasse im Hoch’schen Konservatorium», a. a. O., S. 394. 11 Der Film basierte auf dem gleichnamigen Theaterstück von Samson Raphaelson.
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matografische Jazzreigen durch Kinofilme, die den Begriff «Jazz» zwar nicht im Filmtittel trugen, in denen aber Jazzmusiker vorkamen, wie etwa in den Filmen CIRCE, THE ENCHANTRESS (1924) und DER BRAVE SÜNDER (1931) sowie diverse Kurz- und Animationsfilme, die sich des Jazz bedienten, darunter in Deutschland mehrere Animationsfilmstudien von Oskar Fischinger. Im Sinne einer cross-medialen Vermarktung und Auswertung kam noch eine Reihe an Filmen hinzu, mit denen diverse (internationale) Tonfilm-Jazz-Schlager einhergingen, darunter die Tonfilmschlager zu den Filmen SAXOPHON-SUSI (1928), THE SINGING FOOL (1928, Al Jolsons zweiter Spielfilm), HONEY (1930) und LORD BYRON OF BROADWAY (1930). Abbildung 36: Live-Performance einer Jazzband bei der Premiere von THE JAZZ SINGER am 6.10.1927 in New York
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Verband Jazzmusik und Modetanz eine ebenso untrennbare Beziehung wie Musik- und Tanzfilm, so zählte wiederum der Jazz-Tanzfilm zu den ganz frühen (dokumentarischen) Filmadaptionen. Bereits 1921 verkündete die Deutsche Nachrichten-Agentur: «Der Jazz ist der Modetanz von heute, ein Gliederschütteln und Verrenken, wie man es sonst niemals im Tanzsaal sah. Aber es ist Mode, und zwei amerikanische Filmfabriken haben es sich nicht nehmen lassen, Aufnahmen ‹erstklassiger Jazz-Paare› zu kurbeln, auf daß wir amerikanische ‹Culture› in vollen Zügen genießen können. Man wird also auch wohl in Deutschland recht bald die ‹Tanzstars› bewundern können und – daran ist nicht zu zweifeln – die Kinos werden bis auf den letzten Platz besetzt sein.»12
Abbildung 37: Jazz-Akrobaten; Filmbild aus FÜNF VON DER JAZZBAND (1932)
12 Deutsche Nachrichten-Agentur: Mitteilung vom 4.3.1921. In: F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S.10.
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Den grassierenden «Jazz-Hype» für sich zu nutzen wusste in Deutschland insbesondere die Ufa, die über ein eigenes Ufa-Jazzorchester verfügte, dessen populäre Filmmusikschlager die Ufa auch selbst über ihre Tochtergesellschaft «Ufa-Ton» vertrieb und vermarktete. Abbildung 38: Auftritt der Jazzband Weintraubs Syncopators im UfaFilm DER BLAUE ENGEL (1929/1930) mit Marlene Dietrich, am Klavier: Friedrich Holländer
Zu den populärsten (Ufa-)Filmen dieser Zeit, in denen eine Jazzband aufspielte, gehörte DER BLAUE ENGEL (1929/1930) mit Marlene Dietrich, zu dem nicht nur Friedrich Holländer die Musik komponierte, sondern in dem auch die Weintraubs Syncopators, zu deren Mitgliedern Holländer zeitweise zählte, als Filmband mitwirkten (Abb. 38). Und DER BLAUE ENGEL blieb nicht der einzige Film, in dem diese seinerzeit äußerst populäre Jazzband aufspielte: Auch in den Filmen DAS
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KABINETT DES DR. LARIFARI (1930) und HEUT KOMMT’S (1932/1933) wirkten die Weintraubs Syncopators mit.
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Selbiges galt für UND NELSON SPIELT von 1929 (Abb. 39). Wenngleich es sich hierbei nicht um einen Spielfilm mit durchgängigem Handlungsstrang, sondern um einen Kurzfilm handelte, in dem der seinerzeit berühmte Rudolf Nelson durch seine eigene Revueshow führte, so erlangte der Film doch aufgrund der seinerzeit bahnbrechenden Überblendtechnik im Takt der Musik durchaus auch filmhistorische Bedeutung. Abbildung 39: Die Weintraubs Syncopators marschieren im Takt der Musik über den Pianodeckel von Rudolf Nelsons Klavier. Im Vordergrund: Rudolf Nelson. Filmbild aus: UND NELSON SPIELT (1929)
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Der Ruhm der Weintraubs Syncopators wiederum lag nicht zuletzt in ihren spektakulären Bühnenshows begründet. So verwendeten die Weintraubs Syncopators Küchenutensilien als Klangerzeuger, inszenierten Musiknummern als Boxkämpfe, erweiterten die Grenzen von Wort und Gesang durch die Imitation von Tierlauten und spielten ihre Instrumente teils auf dem Boden liegend oder, wie Weintraub am Piano, rücklings vom Klavierdeckel aus (Abb. 40).13 Abbildung 40: Weintraubs Syncopators, links oben auf dem Klavierliegend: Stefan Weintraub
13 Zu den Weintraubs Syncopators siehe u. a.: Horst H. Lange: Jazz in Deutsch land. Hildesheim – Zürich – New York: Olms Presse 1996, S. 60ff; Albrecht Dümling: «Die Weintraubs Syncopators». In: Jazz Zeitung 2006/09.
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Es scheint gerade so, als hätten die Weintraubs Syncopators Elemente dadaistischer Performances gleichsam in eine populäre, für die Unterhaltungsindustrie kompatible (und nicht zuletzt auch ökonomisch äußerst rentable) Dimension überführt.
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Dass sich die Avantgarden dieser Zeit mit dem Medium Film und insbesondere auch mit der Fotografie auseinandersetzten, ist bekannt.1 Hingegen blieben auch die akustischen Massenmedien nicht ganz so unbeachtet, wie dies zunächst den Anschein haben mag. Dabei konnte die Auseinandersetzung mit den akustischen Medien auf ganz verschiedenen Ebenen verlaufen: Sei es das musikalisch-ethnologische Interesse Hugo Balls, das sich über Einspielungen japanischer Tanzmusik auf Schallplatten speiste. Marinettis aus fünf Stücken bestehendes kakophones Hörspiel. Das Gehörlaboratorium von Dziga Vertov und seine Phonographen-Geräusch-Collagen. Oder auch die Dadaisten in Berlin mit ihren regelmäßigen Besuchen von Grammophonarchiven und ihrem Einsatz von «Grammophonvorspielen» im Rahmen ihrer Live-Performances.2
1
Auch zum Themenkomplex «Film und Bauhaus» erschien vor nicht allzu langer Zeit ein Sammelband: Thomas Tode (Hrsg.): Bauhaus & Film. Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft. 57. Jg. 2011, Heft 1 – 2. Wien – Köln – Weimar: Bröhlau 2012.
2
Julius Ferdinand Wolff: «Dada». Dresdner Neueste Nachrichten, 21.1.1920. Abgedruckt in: Karin Füllner, a. a. O., S. 48.
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Auf den ersten revolutionären Kreativ-DJ der Musikgeschichte, Stephan Wolpe, wurde bereits hingewiesen, der neben seinen Kontakten zu den Dadaisten auch ein enges und produktives Verhältnis zu den Künstlern des Bauhauses pflegte. Insbesondere László Moholy-Nagys konstruktivistischer Ansatz fand bei Wolpe in seiner Kompositionsund Montagetechnik seinen Widerhall. 1927 sollte Wolpe MoholyNagy dann auch seinen «Charleston für Klavier» widmen, einer der populärsten Modetänze dieser Zeit vom Künstler Wolpe (de-)montiert. Und dieser Einfluss war keinesfalls eine künstlerische Einbahnstraße. Nicht zuletzt durch Stuckenschmidt wissen wir, dass Moholy-Nagy, der sich «nur für die neueste Musik» interessierte, wie Wolpe eine Anzahl von Schallplatten-Experimenten durchführte: «Vor allem fesselte ihn die Möglichkeit, Kunst mechanisch zu reproduzieren, über die er sich schon vor Walter Benjamin Gedanken machte. Moholy-Nagy sah in der Schallplatte musikalische Zukunft. Aber er protestierte dagegen, sie nur als Mittel der Reproduktion von Aufführungen zu gebrauchen. Wir experimentierten zusammen, ließen sie rückwärts laufen, was vor allem bei Klavierplatten überraschende Effekte ergab. Wir bohrten sie exzentrisch an, so daß sie nicht regelmäßig liefen, sondern ‹eierten› und groteske Glissandotöne produzierten. Wir kratzten sogar mit feinen Nadeln in die Rillen und brachten so rhythmische Figuren und Geräusche zustande, die den Sinn der Musik radikal änderten. Moholy-Nagy meinte, man könne auf Platten mit leeren Rillen direkt mit Nadeln einwirken und so authentische Schallplatten-Musik schaffen.»3
Moholy-Nagys Idee, das Reproduktionsmedium Grammophon als ein künstlerisches Produktionsverfahren zu nutzen, ging bis zum Anfang der 1920er-Jahre zurück. Erste Gedankenansätze hierzu formulierte Moholy-Nagy 1922 zunächst in der Kunstzeitschrift De Stijl, konkretisierte sie 1923 in der Monatsschrift Der Sturm und publizierte sie dann
3
Stuckenschmidt, a. a. O., S. 410.
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1926 erneut im Rahmen eines Sonderheftes der Musikblätter des Anbruch zum Thema «Musik und Maschine».4 Das Anliegen des Künstlers war dabei nichts Geringeres, als durch die Entwicklung «eines Ritzschrift-ABC» ein «Generalinstrument» zu schaffen, «das alle bisherigen Instrumente überflüssig macht», – eine Art Fortsetzung des futuristischen Ansatzes mittels Schallplatte und Grammophon. Moholy-Nagy sah in der von ihm lancierten «graphisch-mechanischen Tonleiter» nicht zuletzt auch Vorteile für den Komponisten. Durch das Verfahren, «auf der Platte ohne vorherige akustische Existenzen durch Einkratzen der dazu nötigen Ritzschriftreihen das akustische Phänomen selbst» entstehen zu lassen, sollte dem Komponisten die Möglichkeit eröffnet werden, «seine Komposition selbst schon auf der Platte reproduktionsbereit» zu schaffen. In der Konsequenz bedeutete dies auch, dass der Komponist fortan nicht mehr «auf das absolute Können des Interpretierenden» angewiesen wäre.5 Dass Moholy-Nagy neben den konstruktiven, künstlerischen Aspekten auch ein größeres kommerzielles Potenzial in seiner Idee sah, zeigen nicht nur seine Gedanken hinsichtlich einer «Einführung dieses Systems bei Musikaufführungen», sondern auch sein Bestreben, zusammen mit Antheil und Stuckenschmidt das von ihm erdachte Verfahren zu einer für die Musikindustrie professionell verwertbaren Reife zu bringen. Als Geschäftspartner hierfür konnte Moholy-Nagy die Vox-Schallplatten- und Sprechmaschinen-AG gewinnen, die Grammophongeräte, Schallplatten, elektromagnetische Diktiergeräte und Rundfunk-Empfänger herstellte sowie Radiosendungen produzierte. Einzig seine Berufung an das Bauhaus Weimar vereitelte – wie Moholy-Nagy
4
Lásló Moholy-Nagy: «Musico-Mechanico, Mechanico-Optico. Gradlinigkeit des Geistes – Umwege der Technik». In: Musik und Maschine. Sonderheft der Musikblätter des Anbruch, 8. Jg., Oktober – November, 1926.
5
Ebd.
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selbst bedauerte – die weitere Ausführung und Umsetzung seiner Pläne.6 Am Bauhaus wiederum blieb die Präsenz von Schallplatte und Grammophon nicht auf die «Laboratorien» der Künstler beschränkt. Eingang fanden Grammophon und Schallplatte auch, ähnlich wie bei den Auftritten der Dadaisten, in die Inszenierungen der Bauhaus-Bühne. Am 20.3.1926 beim «Weißen Fest» in Dessau führte Xanti Schawinsky seine «Stepexzentrik» vor, ein Tanzduell zwischen ihm als Stepptänzer im Frack und einer von ihm selbst konstruierten Steppmaschine. Entsprach dies zunächst einem in dieser Zeit nicht ungeläufigen KunstTopos, so spiegelte sich dieser ebenso auch in der zeitgenössischen Jazzrezeption wider. Denn gleichermaßen wie man bemerkte, dass die Jazzmusiker auf ihren Instrumenten «rasen, toben wie die Wilden»7, wurden sie «zu Automaten, die wirklich unerhört funktionieren». Und selbst Pollack, der das Phänomen Jazz vorzugsweise durch eine expressionistische Brille zu betrachten pflegte, bemerkte: «Yazz-bandMusik ist mechanisierte Musik und zwingt so auch [...] zu rein mechanischen Bewegungen»8. Hatte sich an der Bauhaus-Bühne nicht zuletzt Oskar Schlemmer der Konfrontation von Mensch und Maschine angenommen, so eröffnete Schawinsky mit seiner «Stepexzentrik» eine weitere und neue Dimension, wie die akustische Ebene seiner Inszenierung zu erkennen gibt: zeitgenössische amerikanische Jazzmusik, abgespielt auf einem Grammophon und begleitet von einem Schlagzeug auf der Bühne. Mit dieser medialen Reflexion auf zweiter Ebene und dem Einlass der Populärkultur auf die Bühne des Bauhauses hebt sich
6
Ebd.
7
Steinhard, a. a. O.
8
Pollack, 1922, a. a. O., S. 78. Einen unmittelbaren Vergleich zwischen Hofmanns berühmter «Automate» und der neuen Musik zog auch Paul Stefan in seinem Artikel «Musik und Maschine» in dem gleichnamigen, von Stuckenschmidt herausgegebenen Sonderheft Musikblätter des Anbruch von 1925.
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Schawinsky über Schlemmer hinweg und weist in ein neues, kommendes Kunst-Zeitalter. Schawinsky war eben nicht nur Mitarbeiter an der Bauhaus-Bühne, er war auch tragendes Mitglied der Bauhaus-Jazzband. Innerhalb der akustisch-medialen Interessenlagen der Avantgarden konnten sich dabei «Urkraft und Megaphon»9, Grammophon und Urlaute zu einer Allianz verbinden. Dies mag zunächst widersprüchlich erscheinen, vielmehr jedoch begegneten sich konservierte Tonspur und phonetisches Gedicht jenseits der Schrift mit ihrem Regelsystem, so wie dies Schrift und Bild in den Collagen der Avantgarden über die Rückführung der Schriftzeichen auf ihre graphischen und bildlichen Qualitäten taten. Die Begegnung von Grammophon und Urlauten stellte sich dabei nicht einfach als ein Bekenntnis zu einem vorschriftlichen Zeitalter dar, sondern bewegte sich auf einer medial weitergeschalteten Ebene, den akustisch-technischen Möglichkeiten der Zeit Rechnung tragend. Dabei schienen die akustischen Medien nicht trotz, sondern vielmehr aufgrund ihrer technischen Bedingungen für einen hohen Grad an Authentizität und Unmittelbarkeit zu bürgen.10 Ermöglichte es die akustische Technik, entfernte Klänge und vor allem Stimmen in die heimatliche Stille zu tragen, so beruhte das Gesendete wie auch das auf Schallplatte konservierte Material – vor allem in den frühen Zeiten, in denen eine akustische Nachbearbeitung der Tonspur noch nicht möglich war – auf Live-Aufnahmen und -Mitschnitten. Auf eine ganz besondere Art des Umgangs mit diesem Moment der akustischen Medien verweisen die Experimente von Moholy-Nagy.
9
Hugo Ball: «Die Flucht aus der Zeit (1916)». Hier zitiert nach: Raimund Meyer, a. a. O., S. 92.
10 Über «Authentizität» und eine gewisse «Unmittelbarkeit» zu verfügen, diesen Nimbus hat sich der Jazz trotz massenmedialer Verbreitung erhalten – auf Grund seine improvisatorischen Charakters noch spürbar in der Bewertung von Live-Mitschnitten, die bedeutend höher als in anderen Bereichen der Popmusik veranschlagt werden.
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Der Reiz an Moholy-Nagys Vorschlag eines musikalischen Abdrucks mittels selbst geführter Nadeln, dessen Ziel es war, wohl im Sinne der Fotogramme, «authentische Schallplatten-Musik» zu schaffen, ein Bearbeiten, das den «Sinn der Musik» aber auch «radikal» zu ändern vermochte, liegt gerade in der künstlerischen Mehrfachdecodierung dieses Mediums begründet: in einer Handhabung, die sowohl im Sinne der dem Medium zugrunde liegenden Bestimmungen und technischen Möglichkeiten, aber eben gleichzeitig auch gegen sie und einen festgelegten Gebrauchsrahmen agiert. Dabei fällt im Zeichengriffel als Nadel, die sich in den Rücken der Schallplatte eingräbt, die Hand des Künstlers, des Komponisten, des Musikers und des Technikers in eins. Eine absolute «Schriftlosigkeit» als Charakteristikum des Jazz zu konstatieren, würde sich schnell an den vorhandenen notierten Kompositionen brechen. Sie bleibt aber dennoch bestimmendes Moment dieser Musik, und dies nicht nur hinsichtlich ihrer musikalischen Herkunft, ihrer Klangformen und Strukturmotive, fehlender kompositioneller Notationen oder des Prinzips der Improvisation. Ebenso verlief auch vonseiten der Musiker die Aneignung bestimmter jazztypischer Klänge, die nicht auf die Notation, sondern vielmehr auf die Spielform und den speziellen Umgang mit dem Instrumentarium zurückzuführen sind, zum Teil ausschließlich über den akustischen Wahrnehmungs- und Lernprozess, der sich der Tonspuren, medial auf Schallplatten konserviert und unendlich abspielbar, bediente. So führte denn auch die Programmansage zu einem Jazz-Tanz-Konzert im Radio von Rudolf Hindemith an, Hindemith habe nach dem Gehör von Grammophonplatten amerikanische Gesellschaftstänze neu instrumentalisiert.11 Diese Praxis entsprach durchaus dem Geist der Zeit und den Möglichkeiten, die sich durch die Grammophontechnologie eröffnet hatten. So zog die Schallplatte auch als Lehr- und Lernmedium in die Unterrichtsstunden der Musik-Konservatorien ein, wie etwa in die
11 Rudolf Hindemith war der Bruder von Paul Hindemith.
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Jazzklasse der Frankfurt Musikhochschule (Abb. 41).12 Das neue Medium Schallplatte eröffnete dabei gleichsam die Möglichkeit einer «Schule des vergleichenden Hörens», analog wie seinerzeit mit dem Einzug des Diapositivs in die kunsthistorischen Hörsäle auch die «Schule des vergleichenden Sehens» einhergegangen war. Abbildung 41: Jazz-Studium nach der Schallplatte, Frankfurter Jazzklasse (um 1930)
Auch Stuckenschmidt zählte zu den Befürwortern eines Einsatzes von «Sprechapparat und Schallplatte» im Rahmen des «höhere[n] Musikunterrichts», zuvorderst beim «Spezialfach [...] der Instrumentation»: «Wie unentbehrlich hier die unmittelbare Anschauung, wie wichtig das sinnliche Hören ist, die ständige Kontrolle durch das Ohr, dürfte jeder
12 W. St.: «Die Snycopators beim Training. Die Jazzklasse im Hoch’schen Konservatorium». Stadtblatt der Frankfurter Zeitung, um 1930. Abgedruckt in: That’s Jazz: Der Sound des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Darmstadt 1988, S. 394.
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wissen, der einmal instrumentieren gelernt oder gelehrt», referierte Stuckenschmidt 1926, und konstatierte diesbezüglich weiterführend: «Es ist absolut unmöglich, eine Klangfarbe, den Charakter eines Instruments rein theoretisch zu erfassen. Und vom sinnlichen Erfassen des Einzelklangs bis zum Hören dieses Klangs im vollen Ensemble ist noch ein weiter Weg. Wer zum Beispiel in einer kleineren Stadt nicht die ständige Möglichkeit besitzt, Orchester zu hören, wird schwerlich lernen, wie ein Orchester klingt und was darin klingt. Die Schallplatte aber ersetzt die Erziehung durch das instrumentale Vorbild und ist dieser sogar vorzuziehen. Denn was im Orchester oder in der Kammermusik nur flüchtig unser Ohr streift, kann auf der Platte wieder und wieder, tausendmal systematisch abgehört werden.»
Mehr noch: Denn für Stuckenschmidt erschöpfte sich das «erzieherische» Potenzial der Schallplatte nicht allein im Musikunterricht. Die Schallplatte war für ihn vielmehr aufgrund der durch sie bedingten veränderten Gewohnheiten des «musikalische[n] Hören[s]» von «höchste[r] kulturelle[r] Bedeutung». Wenngleich, wie Stuckenschmidt einräumte, insbesondere die Tanzplatte dominiere, so resümierte er doch abschließend, dass der «Phonograph» allemal besser spiele als «die höhere Tochter» und mithin auch der «Jazz» besser sei, «als musikalische Edelsteine».13 Verdankte der Jazz dem Medium Schallplatte zunächst einmal vor allem seine Popularisierung, so verweist die Praxis, die Grammophonplatte als Kompositions- und Lehrinstrument zu nutzen, noch auf eine weitere wesentliche Funktion der Schallplatte: auf die Rolle dieses Mediums als akustisches Gedächtnis jenseits der klassischen Notation, die dem Jazz erst die Möglichkeit zur Rezeption und Historizität eröffnete.
13 H.H. Stuckenschmidt: Erziehung durch Sprechapparate. In: Musik und Maschine. Musikblätter des Anbruch, 8. Jg., Oktober – November, 1926, S. 370.
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Über diese Möglichkeit verfügten die Avantgarde-Künstler wiederum nur begrenzt, und so liegt es im Fehlen dieser akustisch-medialen Dokumentationsformen begründet, warum das Bild von der Rolle der akustischen Medien innerhalb der frühen Avantgarden unvollständig bleiben muss. Lägen uns Originalaufnahmen von Wolpes Grammophon-Inszenierungen oder von Golymscheffs Geräusch-Montagen im Rahmen der Dada-Soireen vor, verfügten wir über Tonspuren von Moholy-Nagys Schallplattenexperimenten, gäbe es darüber hinaus LiveMitschnitte von Aufführungen wie von Schawinskys «Stepexzentrik» oder Ton- und Filmaufzeichnungen über den Einsatz des Grammophons im Rahmen der dadaistischen Soireen, würde dies unsere akustische Vorstellungswelt, die wir von den damaligen bildenden Künstlern und ihrem kreativen Umgang mit den akustischen Massenmedien haben, enorm bereichern. Muss in diesem Punkt der Historiker medial weit hinter seinem «Betrachtungsobjekt» zurückbleiben, so erlauben es uns doch die vorhandenen Rekonstruktionsmöglichkeiten, mit Sicherheit festzustellen, dass zwischen den «Worte[n] des Heiligen Geistes Arp» und der «Stimme seines Herren» ein mediales Band existierte, das stärker und ganz anderer Art ist, als es uns eine Kunstgeschichte als Literaturgeschichte nahelegen würde. In welchem Umfang sich auch die bildenden Künstler mit den neuen Medien befassten, hiervon legen nicht zuletzt wiederum zahlreiche Collagen, Montagen und Bilder aus den 1920er-Jahren Zeugnis ab. Denn neben den akustischen Experimenten fanden die neuen Medien Grammophon, Schallplatte und Rundfunk auch auf visueller Ebene Eingang in die Arbeiten der Künstler. Zu den interessantesten künstlerischen Auseinandersetzungen dieser Art zählt sicherlich der Vorschlag von Moholy-Nagy, für die Erstellung einer Meister-Mappe zum Geburtstag von Walter Gropius ein Pressefoto aus der wöchentlichen Beilage Zeitbilder der Vossischen Zeitung vom 11.5.1924 als Grundlage zu nehmen (Abb. 42, rechts).
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Abbildung 42: 1918: Philipp Scheidemann ruft die Republik aus (links); 1924: Pressefoto, Rundfunkapparat «verkündet» die Reichstagswahlergebnisse (rechts).
Die Pressefotografie zeigt eine Menschenmenge, die gespannt einem Rundfunkempfänger lauscht, über den die Reichstagswahlergebnisse vom 4.5.1924 verkündet wurden. Konzentrieren sich die in der Auseinandersetzung mit diesem Pressefoto entstandenen Bauhausarbeiten in erster Linie auf eine Beschäftigung mit den Kriterien Form, Farbe, Klang sowie auf deren Zusammenspiel und Komposition (und sind dabei insbesondere auch unter dem Aspekt des Paragone zu bewerten), so liegt doch schon allein der Auswahl dieses Pressefotos eine Perspektive zugrunde, die auf die zunehmende gesellschaftliche und politische Rolle der akustischen Massenmedien und eine dahingehende künstlerische Auseinandersetzung mit diesen verweist. Umso mehr, als im visuellen Gedächtnis von Moholy-Nagy und seinen Kollegen wohl jenes berühmte Foto fest verankert gewesen sein dürfte, das Philipp Scheidemann zeigte, wie er am 9. November 1918 vom Westbalkon des Reichstagsgebäudes die Republik ausrief (Abb. 42, links).
12 Blue Notes: Jenseits des gelben Klangs
Als im Juni 1921 im Pariser Théâtre des Champs-Élysées die futuristischen Bruitisten ihren Auftritt hatten, befand sich im Publikum, neben einer Reihe an Vertretern der neuen Musik, auch ein bildender Künstler, den dieser Abend veranlasste, zur Feder zu greifen und seine Gedanken zur Musik in eine schriftliche Form zu fassen. Die Rede ist von Piet Mondrian, dessen Eindrücke zunächst noch im selben Jahr in der Zeitschrift De Stijl unter dem Titel «De ‹bruiteurs futuristes italiens› en ‹het› nieuwe in de muziek» veröffentlicht wurden und später in der Bauhauspublikation «Neue Gestaltung» ihren Widerhall fanden. «Durch den Charakter ihrer Instrumente, durch die Bindung an die alten Tonleitern und die hervorgebrachte Komposition», so notierte Mondrian, «drangen die italienischen Futuristen nicht bis zur ‹neuen› Musik vor. Nicht mehr als der Jazzband, trotz aller Neuerungen. Die Futuristen haben auf eine andere Weise das gleiche wie die Jazzband erreicht. Auch dieser bedient sich gleichzeitig der üblichen wie auch neuer Instrumente, wenn schon diese weniger kompliziert sind als die Bruiteure. Obgleich die Bruitisten zuweilen ihr Orchester mit nur neuen Instrumenten besetzen, so verwenden sie doch meistens eine Vermischung neuer und alter. Der Jazzband tut dasselbe, befreit sich aber
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bereits stärker von der üblichen Harmonie, wahrscheinlich, weil er sich nicht verpflichtet fühlt ‹Kunst› zu machen.»1
Dieser letzte Satz, in dem die Entlastung vom Künstlertum zur Potenz wird, einer Potenz, die die frühen Avantgarden zu überholen und aufzulösen droht, zeugt von einer bemerkenswerten Weitsicht Mondrians. Aber so signifikant es ist, dass Mondrian dieses Problemfeld im Kontext Jazz behandelt, so streng erscheint auf den ersten Blick doch das Urteil zu sein, welches er über die Futuristen verhängt. Unter dem Schlachtruf «Klassiker gehören gefoltert»2 waren die futuristischen Museumsstürmer zunächst selbst angetreten, um die Kunst vom historischen Staub und aus den bildungspolitischen und institutionellen Grenzen eines längst in Auflösung befindlichen Bürgertums zu befreien. Mit Aeroplan und Automobil zogen die Futuristen gegen die Wächter des Abendlandes aus und, vom futuristischen Rausch der Geschwindigkeit erfasst, fragmentierten sie in ihren Werken nicht nur Landschaften, Städte und Menschen. Schnell, kurz, verfügbar sollten ebenso die kulturellen Fetische der abzulösenden Kunstpriesterschaft und deren Gemeinde werden: «an einem Abend sämtliche griechische, französische und italienische Tragödien in Kurzform», «Shakespeare [...] auf einen Akt reduziert», «Beethoven wird rückwärts [...] gespielt»3. Dieses Ansinnen beschränkte sich jedoch nicht nur auf den Futurismus. Die Dadaisten ihrerseits propagierten den Kunstdilettantismus, Duchamp verpasste der Mona Lisa einen Schnauzbart und Wolpes Weg zur Avantgarde begann mit der Kombination eines Gos-
1
Piet Mondrian: Neue Gestaltung. Faksimile-Nachdruck. Mainz, Berlin: Kupferberg 1974, S. 39f. Nicht unbedeutsam ist ebenfalls die Tatsache, dass Mondrian den Begriff «Kunst» in Anführungszeichen setzt.
2
Ausdruck Schillingers.
3
F. T. Marinetti: «Das Varieté (1913)». Abgedruckt in: Umbro Apollonio, a. a. O., S. 176. Die damals 3,5 Minuten betragende, durchschnittliche Speicherkapazität einer Schallplatte war in diesem Sinne zeitgemäßer als ein Bayreuther Wagner-Marathon.
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senlieds mit einer Bach’schen Fuge, die ihm den sehnlich erwarteten Rausschmiss aus dem ihm so verhassten, konservativen MusikKonservatorium eintrug. Demontage bestehender Kunst- und Kulturgüter, Erhebung der Trivialkunst oder kunstfremder Artefakte und Gebrauchsgegenstände in einen Kunstkontext, Kombination und Gleichschaltung von «profanen» Erzeugnissen und jenen, die ein kulturelles Gütesiegel erhalten hatten: die drei Strategien der avantgardistischen Meuterer und mit ihnen im Gepäck zwei willkommene Verbündete: Technik und Medien. «Nikola Tesla hat Michelangelo, Kandinsky und Picasso besiegt. Ein serbisches Barbarengenie vom Balkan hat der Menschheit die drahtlose Telegraphie entdeckt. Nicht Marconi! / Radio. Neue Kunst! Alles andere: Limonade mit Eis!»4, verkündete der Dadaist Ljubomir Micic unter dem Schlachtruf des zweiten Barbarendurchbruchs. «Twostep wird Nationalhymne [...] , D.T. drahtlose Telephonie verwandelt die Fugen von Bach»5, notierte Tristan Tzara 1918 und John Heartfield rief seine Kunst- wie Kampfgenossen auf: «Benutze Foto als Waffe!» Weniger der Demontage als dem Konstruktiven verpflichtet fühlten sich die Begründer und Anhänger der Bauhausgruppe KURI (Konstruktiv, Utilität, Rationell, International), die aus den Bauhausbekenntnissen zu Technik und Industrie hervorgegangen war und die die von Itten und Muche geführten Mazdaznan-Anhänger samt ihrer Atemübungen und Fußbäder verdrängten. «Kunst und Technik, eine neue Einheit», mit dieser Parole hatte Gropius die neue Richtung manifestiert: Die Schule wurde zum Labor, der Künstler zum Ingenieur, und die Betonung des Funktionalen rückte in den Mittelpunkt. Itten ging, trat in die Internationale Mazdaznan-Tempelgemeinschaft am Zürichsee ein und gründete eine Werkstatt für Handweberei. Moholy-Nagy kam und baute die Bereiche Fotografie, Film, Werbung aus, und die
4
L. Micic: «Zweiter Barbarendurchbruch». In: Zenitismus. Extra-Ausgabe, München 1922 (Beilage von: Zenit. Deutsches Sonderheft, Nr. 16, Begrad / Zagreb 1922).
5
Tristan Tzara: «Manifest Dada (1918)». In: DADA total, a. a. O ., S. 42.
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Bauhaus-Jazzband- und gleichzeitigen KURI-Mitglieder Weininger, Koch & Co. bliesen der expressionistischen Phase des Bauhauses den letzten Kehraus. Sie taten dies nicht nur laut, sondern auch tanzbar, ganz im Sinne der propagierten Funktionalität und mit entsprechendem Erfolg. Eric Satie hatte in diesem Punkt weniger Glück mit seiner «Musique d’ Ameublement» gehabt. Das Publikum war heillos überfordert mit dieser zum Konsum bereitgestellten Musik eines «ernsthaften» Komponisten gewesen und versagte sich völlig gegenüber Saties Strategie. Statt zu trinken, zu reden und herumzulaufen, blieben die Anwesenden brav auf ihren Stühlen sitzen und lauschten nach eintrainiertem und altbekanntem Verhaltensmuster den Klängen.6 Verabschiedet hatten sich nach einer frühen Liaison auch die Dadaisten vom Expressionismus, deren Vertreter in «fette[r] Idylle und Erwartung guter Pension»7 im Verdacht der dadaistischen «Anartisten» standen, Kunst, und dazu noch eine Kunst der «pathetischen Geste»8, zu machen. «Hat der Expressionismus unsere Erwartungen auf eine Kunst erfüllt, die uns die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt?», hatte Huelsenbeck mehr als rhetorisch gefragt. «Nein! Nein! Nein!», lautete die erwartete Antwort, mit Nachdruck von Huelsenbeck formuliert für all diejenigen, die noch an den Expressionismus und noch nicht an Dada glauben wollten: «Unter dem Vorwand der Verinnerlichung haben sich die Expressionisten in der Literatur und in der Malerei zu einer Generation zusammengeschlossen, die
6
«For Dancing», dieser Slogan hatte auch 1917 die erste Schallplatte mit der Bezeichnung «Jass» auf dem Cover geschmückt und eben diese funktionale Gebundenheit der Jazzmusik war ein weiterer Grund für Schulhoff gewesen, sich mit ihr auseinanderzusetzten.
7
Richard Huelsenbeck: En avant Dada, a. a. O., S. 33.
8
Ebd.
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heute schon sehnsüchtig ihre literatur- und kunsthistorische Würdigung erwartet und für eine ehrenvolle Bürger-Anerkennung kandidiert.»9
Und was eignete sich besser, um dem akademischen und bürgerlichen Kunstverständnis im Allgemeinen, dem Expressionismus im Besonderen und der Kunst im Ganzen zu Leibe zu rücken, als die Rhythmen der neuen Welt? Bereits der anfänglich noch stark vom expressionistischen Geist durchdrungene Hugo Ball wollte die «sentimentale Romantik» mit dem «Amerikanismus»10 aus dem Felde schlagen, Doesburg ließ den Dadaisten «One-Step auf Choralmusik»11 tanzen und Grosz notierte: «Zum Einschlafen gibt’s genügend Musiken! Daher diese Gesänge der Amerikaner, wie spitzige Widerhaken immer wieder ins Gehirn hackend (man kann von Unkunst sprechen – bitte! Ich habe überhaupt mit der Kunscht nichts Intimes).»12 Ebenso wenig «Intimes» wie vermeintlich mit der Kunst hatte Grosz, der die Titulierung «Künstler» als Beleidigung empfand, auch mit den musikalischen Bestrebungen der Expressionisten. Dies zeigt seine Anrufung des apokalyptisch-musischen Reiters Kandinsky: «Oh! Ihr gelben Klänge», notierte Grosz zunächst salbungsvoll, aber nur um in der Fortführung dieses Satzes mit der expressionistischen Aura zu brechen: «Oh! Ihr gelben Klänge – voll Banjomusik!»13 Esoterischer Spährenklang war nicht im Sinne von Dada.
9
Ebd.
10 Hugo Ball: «Die Flucht aus der Zeit (1916)». In: DADA total, a. a. O., S. 17f. 11 Theo van Doesburg: «Charakteristik des Dadaismus». In: DADA total, a. a. O., S. 178. 12 George Grosz. Briefe 1913 – 1959. Reinbek: Rowohlt 1979, S. 62. 13 Ebd., S. 68. Sicherlich blendet dabei Grosz den «Expressionistischen Überhang», der dem Jazz in der Rezeption oft anhaftete, aus, ebenso wie der Jazz nicht nur Bildzeichen für eine neue Großstadtikonographie lieferte, sondern auf Grund seines rhythmischen Strukturprinzips auch gleichermaßen von der Abstraktion entdeckt worden war, wie etwa von Mondrian
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Dass es galt, «auf brutale Weise das Leben in die Kunst» einzuführen, dazu hatte sich bereits Marinetti bekannt, und was hier auf brutale Weise geschehen sollte, die Überführung des Lebens in die Kunst, eine Parole, die die Dadaisten in den ihnen vorausgegangenen Kunstrichtungen als nicht eingelöst ansahen, schien der Jazz nach zeitgenössischen Einschätzungen mühelos erreicht zu haben. Allerdings, und das ist bezeichnend, auf umgekehrtem Wege. «Die Jazzmusik hat das Hinüberspielen von Kunst in den Alltag [...] ohne alle scheumachenden, bemäntelnden Ambitionen erreicht»14, resümierte Simon 1926 in einer dem Jazz gewidmeten Sondernummer des Auftakts. Dass dieser Sachverhalt überhaupt von der Jazzrezeption konstatiert und diskutiert wurde, markiert eine frühe Spiegelung des Jazz im Lichte der europäischen Avantgarden. Die Einschätzungen des allgemeinen Tagesjournalismus hingegen, aber auch großer Teile der Musikkritik, zeugen von ersichtlicher Mühe, dem einen wie dem anderen in all ihren Vielschichtigkeiten Herr zu werden. Aber gerade die auf holprigen Wegen, tastend einherschreitenden Ansichten und Äußerungen sind oft die aufschlussreichsten. 1921 fabulierte man in der Berliner Tagespresse über Bedeutung und Herkunft des Wortes Jazz: «So wird zum Beispiel ein Bild in futuristischem Stile oder eine planlose Farbenzusammenstellung in den Vereinigten Staaten kurzerhand mit ‹Jazz› bezeichnet»15. Dieser Perspektive schloss sich auch Hans Siem-
(die Dadaisten selbst machten dieses Moment des Jazz für ihre Montagen stark). Worum es jedoch Grosz in erster Linie ging, war das Aufbrechen eines Kunstverständnisses, das sich aus der Sicht der Dadaisten im kleinen Zirkel Eingeweihter zu erschöpfen drohte. 14 Dr. A. Simon, a. a. O. Gleichzeitig wurden mit dieser Feststellung aber auch Prämissen ins Spiel gebracht, die später Adorno aufgreifen wird. So wird bei Simon die Synkope zum Narkotikum, und Krenek deutet die Tanzwut seiner Zeit als «die unschätzbare Möglichkeit des unkünstlerischen Menschen über sich hinauszukommen und einen Hauch des Geistes zu spüren». 15 F. W. Koebner, 1921, a. a. O., S. 11.
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sen an, allerdings unter positiven Vorzeichen: «Es ist komisch – aber es ist auch schön. Wie die kubistischen Bilder Picassos, wie die Aquarelle von Klee. Scheinbar sinnlos und unharmonisch, in Wahrheit sehr sinnvoll und, gerade durch Disharmonie, harmonisch»16. In Stakkatomontage rasen dann die Begriffe und Vergleiche bei Pollack übers Papier. Hier gibt es kein Halten mehr, die Worte gehen ihm formlich durch und enden in einem heillosen Durcheinander als Finale: «Im Winter 1921 raunte es urplötzlich: Boston? Tot! Tango? Tot! One-Step, Fox-trot? Tot! Das war alles fader Impressionismus. Fort damit! [...] Negerkultur. Neue Armhaltung. Neue Bewegungen. Schultertanz, Bauchtanz, Rückentanz. Yazz-band-Musik. Shimmy. Shimmy-Shag. Scottish-Espagnol, ShimmyFox. Expressionismus, Futurismus, Kompressionismus. Revolution!»17
Dass Pollack im selben, 1922 erschienenen Buch auch im Zusammenhang mit dem Jazz von «neue[n] futuristische[n] Negertöne[n]» sprach, hätte Marinetti in dieser Form wohl weniger behagt, jedoch immer noch mehr, als in Expressionismusverdacht zu geraten. Diese Arten der zeitgenössischen Spiegelung von Avantgarde und Jazz verkennen jedoch nicht einfach nur die Mehrschichtigkeiten und Differenzen der Avantgarden, deren Parameter hier so bruchlos ineinanderfließen und durcheinanderwirbeln. Sie sind zunächst vor allem einmal Indikatoren eines Transferprozesses, in dem nicht nur die populären Jazzrhythmen zu den Avantgarden durchdrangen, sondern auf umgekehrtem Wege auch die Ästhetiken und Leitbilder der Avantgarde an ihren Hütern wie Kritikern vorbei bis in die Strukturen der Unterhaltungs- und Populärkultur diffundiert waren. Die Jazz-Plakate und -Abbildungen dieser Zeit verweisen dabei auch auf frühe ästhetische Rückkoppelungen auf dem Gebiet der Bildsprache (Abb. 43). Changierend zwischen Kubismus und Montage werden die fragmentierten Elemente und (auf-)
16 Hans Siemsen, a. a. O., . S. 17. 17 Heinz Pollack, 1922, a. a. O., S.71.
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gebrochenen Formen gleichermaßen demontiert wie arrangiert, wodurch auf den ersten Blick das Bild eines vermeintlichen Chaos entsteht. Bei genauer Betrachtung erweist sich dieses Chaos jedoch als eine geschickt austarierte, spannungs- wie abwechslungsreiche Komposition, die gleichsam ein ebenso stabiles wie agiles und damit lebendiges Gefüge darstellt. Abbildung 43: Ästhetische Konvergenzen – auch auf visueller Ebene: links: Marcel Janco: «Cabaret Voltaire», verschollenes Ölgemälde (1916); rechts: Buchillustration «Scala Jazz Band» (1921)
Allerdings ließen sich insgesamt betrachtet bei diesen Transferprozessen einige Verluste beklagen: Die avantgardistischen Strategien wurden in ihrer Prägnanz zurückgenommen, und was bei der Avantgarde noch als Provokation angelegt war, feierte auf populärem Wege Erfolge. Saties Ballett «Parade», in dem der Jazzbruitismus auf die Bühnenbretter geholt worden war, hatte einst für Aufruhr gesorgt. Kreneks Jazzoper «Johnny spielt auf» von 1927 hingegen, in der er eine recht schlichte Geschichte mit einer Jazzband am Bühnenrand musikalisch aufbereitete und mit einem Geräuschteppich aus Telegraphengeticker, Telephongeklingel und Polizeisirenen unterlegte, erwies sich schnell als populäres Zugpferd. Und auch der «Begründer» des «symphonischen Jazz», Paul Whiteman, der den Jazz gleichermaßen zähmte wie
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die Klassiker «verjazzte», rief mit seinen Jazzüberformungen des «Liebestraums» von Liszt und Wagners «Tannhäuser» keine Irritationen und Krawalle hervor, wie dies noch bei den Futuristen und Dadaisten der Fall gewesen war, sondern konnte sich einer steigenden Popularität (und entsprechender Einnahmen) erfreuen. Zu- wie abgewandt steht diesem Crossover das Janusgesicht gegenüber, das die Avantgarde für den Jazz einnahm und mit ihm verband. Unter dem Signet des Modernen, Beschleunigten und Aggressiven, mit einem Geruch des Antibürgerlichen und Revolutionären behaftet, wies der Jazz gleichzeitig den avantgardistisch ersehnten internationalen Siegeszug, unter Ausschöpfung eines ganzen Apparates an Strategien der Unterhaltungsindustrie und neuen massenmedialen Technologien, auf. Mussten in letzter Konsequenz die Museumsstürmer und verbalen Brandstifter mit ihrer Verweigerung der akademischen Weihe die existierenden bürgerlichen Verteilungs- und Distributionssysteme kappen, so eröffneten sich hier auf der Suche nach Kommunikationsnetzen und Transferwegen jenseits des bestehenden Kunstbetriebes neue Möglichkeiten. Indes zeichneten sich, bei allem produktiven Potenzial dieser Grenzgänge, schnell auch erste Probleme ab. So verweist der aufgezeigte Umstand nicht nur auf eine ausgesprochen frühe Verbreitung avantgardistischer Parameter. Auf dem Wege der Popularisierung beschleunigten sich vielmehr auch die Ritualisierung provokativer Strategien und die Gewöhnung des Publikums an diese. Dass sich der «klassische» Kunstbetrieb als ebenso unerschütterlich wie das Publikum der Unterhaltungsindustrie erweisen sollte, und dies sowohl hinsichtlich des Moments des Provokativen wie des Populären, verringerte dabei mitnichten die Problemlage. Wollten und konnten die Avantgarden nie ganz zu denen gehören, die sie suchten – dies hätte in letzter Konsequenz die Auflösung ihrer selbst bedeutet –, so holten sie also auch gleichzeitig jene ein, vor denen sie geflohen waren. Bei genügender Aufwartung an Überbietungsstrategien, die den Verzehr von Reserven wieder auszugleichen hatten und die zu immer neuen akrobati-
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schen Hochleistungen anhielten, ließ es sich zwar weiterhin populär durch Provokation werden, indes durch ein Bekenntnis zum Populären tiefergehende Irritationen hervorzurufen, diese Strategie verlor schnell an provokativem Potenzial. Mit der Zunahme der Grenzgänge und der fortschreitenden Entwicklung des Jazz wurden gleichzeitig aber auch die Positionen vielschichtiger, die man zum Jazz einnahm, und so blieb Mondrian in der Diskussion über «Nutzen und Nachteil» von Kunst oder Nicht-Kunst, und die daraus sich ergebenden Problemlagen der Grenzbestimmung, die ihren Niederschlag im Thema Jazz gefunden hatten, keine einsame Stimme. Ribemont-Dessaignes etwa vertrat die Ansicht, die Jazzbands würden nicht ernst genommen, eben aufgrund der Tatsache, dass man ihnen absprach, Kunst zu machen. Milhaud hingegen schloss sich der Perspektive Mondrians an – allerdings, was bei Mondrian noch in eine «Wahrscheinlichkeit» gekleidet wurde, kommt bei Milhaud ganz dezidiert zum Ausdruck: «Dies sind keine Kunstwerke, und das ist ihre Stärke.»18 Aber Jazz war nicht gleich Jazz und so kam es in diesen Fragen unter den Jazzkennern der Avantgarde schnell zu Binnendifferenzierungen, die sich insbesondere am «symphonischen Jazz» entzündeten. War für Milhaud das Whiteman-Orchester schlicht ein «Militärgesangsverein» zum Einsatz «chirurgischer Operationen», so fand Schulhoff über Ferdie Grofé, den Arrangeur von Whiteman, durchaus positive Worte. Ihm war ein guter Handwerker allemal lieber als ein schlechter Komponist. Auf völlige Ablehnung, und in diesem Punkt begegneten sich Milhaud und Schulhoff wieder, musste dann der Rat eines Kollegen stoßen, der den Jazzbands das Instrumentieren nahezulegen gedachte. Darauf kann Schulhoff nur ironisch fragen: «Warum nicht gar auch noch Kontrapunkt und Formenlehre?»19 Diese Differenzierungen sind nicht unwesentlich, verweisen sie doch auf die Abhängigkeit des Standpunktes vom jeweiligen Radius des Blickfeldes, mit dem man den Jazz in Augenschein nahm und aus dem sich eine Bewer-
18 Darius Milhaud, a. a. O. 19 Erwin Schulhoff, a. a. O.
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tung ableitete. Ließe sich nun also aus der einen oder anderen Perspektive für oder wider Mondrian argumentieren, so bedarf es aber eben jener Sicht, die die beiden Seiten des Jazz in den Blick nimmt. Denn erst diese beiden zusammen ergeben das charakteristische Gesicht des Jazz. Und jenseits aller Zustimmung und Kritik, die Mondrians Urteil in dem von ihm aufgestellten Paragone entgegengebracht werden könnte, in einem hatte er recht: dass die Futuristen letztendlich Kunst mit Kunst bekämpften, so wie die Dadaisten, die sich vom Industriezeitalter auf das Zeitalter der medialen Kommunikationsstrategien zubewegten, zwar der Kunst nicht mit Kunst zu Leibe rücken wollten, dafür aber umso entschlossener mit Anti-Kunst. Jenseits dieser Stürme fuhr in besänftigtem Fahrwasser die Bauhaus-Jazzband. Sich weder der einen noch der anderen Position verschreibend, blieb sie dennoch nicht weniger klangstark. Und der Jazz? Auch dieser blieb von den Diskussionen nicht unberührt. Denn während die Avantgarden ausgeschwärmt waren, die Populärkultur auszuloten, die sie jenseits eines geerbten und abzulösenden Kunstbegriffs entdeckt hatten, ging der Jazz auf der geschlagenen Brücke den zu ihm eilenden Avantgarden nicht nur entgegen. Er ging an ihnen vorbei und forderte ein Recht ein: sein eigenes Recht auf Avantgarde.
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L ITERATURVERZEICHNIS | 153
«Zum Einschlafen gibt’s genügend Musiken». Referate des Erwin Schulhoff-Kolloquiums in Düsseldorf. Hamburg: von Bockel 1996.
W EITERE Q UELLEN / ARCHIVE Deutsches Filminstitut, Zensurunterlagen DER MANN OHNE NAMEN, Abschrift 2546 b 19, 20. Schriftgutarchiv Kinemathek Berlin, HEUT KOMMT’S DRAUF AN, Nr. 444a. Einladungskarte Premiere im Gloria-Palast Berlin, 17. März. Schriftgutarchiv Kinemathek Berlin, HEUT KOMMT’S DRAUF AN, Nr. 22974, Anzeige Capitol Heidelberg. Schriftgutarchiv Kinemathek Berlin, DER BLAUE ENGEL (1930), Nr. 552, Rezension. Fritz Olimsky: DER BLAUE ENGEL. Gloria-Palast.
F ILMMATERIAL DVD: DER (2014).
BRAVE
SÜNDER (1931), AL!VE, Edition Filmjuwelen
DVD: DER BLAUE ENGEL (1929/30). Ein Film von Josef von Sternberg, FOCUS Edition (2006). Universum Film (2004). DVD: 2-Disc-Special Edition AL JOLSON. DER JAZZSÄNGER (1927). Eine Warner Bros. Produktion. Tuner Entertainment Co. & Warner Bros. Entertainment Inc. (2007). Kurzfilm UND NELSON SPIEL (1929). https://www.youtube.com/watch? v=rEiZgwVAckk.
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Filmszenen aus DIE FÜNF VON com/watch?v=Wq6gvPlOv-c.
DER JAZZBAND.
https://www.youtube.
T ONMATERIAL Musik am Bauhaus. Piano: Steffen Schleiermacher. CD, Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, 1999. Der Jazz in Deutschland. Vom Cakewalk zum Jazz. CD-Box-Set. Bear Familly Records, 2009. Schulhoff. Jazz inspired Piano Works. Piano: Tomáš Víšek. Supraphon, 1993.
Abbildungsnachweise
Abbildung 1: Sousa mit seiner Kapelle in Paris, 1900. Unter: http:// tubapastor.blogspot.de/2012/10/conns-monsters-invade-europe. html. Zuletzt aufgerufen im Mai 2015. Abbildung 2: Leutnant Europe mit seiner Band. Unter: http://en. wikipedia.org/wiki/James_Reese_Europe. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 3: Mitja Nikisch und sein Orchester. Aus: Horst Bergmeier und Rainer E. Lotz: Der Jazz in Deutschland. Volume I. Booklet zu Der Jazz in Deutschland. Vom Cakewalk zum Jazz. CD-Box-Set. Bear Familly Records, 2009, S. 179. Abbildung 4: Arseni Avraamov dirigiert seine «Symphonie der FabrikSirenen»: https://www.youtube.com/watch?v=Kq_7w9RHvpQ. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 5, links: «Russolophon». Aus: Luigi Russolo: Die Kunst der Geräusche (1913). Reprint hrsg. von Johannes Ullmaier. Mainz: Schott Musik International 2000/2005, Umschlag rückseitig (U4). Abbildung 5, rechts: Jazz-Schlagzeug. Aus: Seite in einem Katalog der Firma Gebrüder Schuster, Anfang der 1920er-Jahre. Abgedruckt in: That’s Jazz: Der Sound des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Darmstadt 1988, S. 18. Abbildung 6: Mann am Schlagzeug. Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 109.
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Abbildung 7: Perham’s Opera Vocalists, Plakat abgedruckt in: That’s Jazz: Der Sound des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Darmstadt 1988, S. 52. Abbildung 8: Umberto Boccioni, Futuristenabend (1914). Aus: Umbro Apollonio (Hrsg.): Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909 – 1918. Köln: DuMont 1972, S. 9. Abbildung 9: Charleston-Tänzer. Foto aus: Uhu – Das neue Monatsmagazin, Oktober 1926, Heft 1, 3. Jg., S. 124. Abbildung 10: Filmbilder aus UND NELSON SPIEL (1929). Film unter: https://www.youtube.com/watch?v=rEiZgwVAckk. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 11: Tanzpaar. Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 116. Abbildung 12 und Abbildung 13: Tanzpaar im Boxring. Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 54. Abbildung 14: Werbeplakat zum Boxkampf Cravan vs. Johnson. Aus: Arthur Cravan: Der Boxer-Poet oder Die Seele im zwanzigsten Jahrhundert. Schriftensammlung. Hamburg: Edition Nautilus 1991, Bildtafeln zwischen S. 96 und S. 97. Abbildung 15, links: Box-Match Grosz vs. Heartfield. Aus: Hanne Bergius (Hrsg.): Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen. Gießen: Anabas-Verlag 1989, S. 24. Abbildung 15, rechts: Frank Thiess am Punchingball. Aus: Uhu – Das neue Monatsmagazin, Oktober 1926, Heft 1, 3. Jg., S. 69. Abbildung 16: Boxer beim Charleston-Unterricht. Aus: Der Querschnitt, 6. Jg., Heft 8, 1926, S. 600. Abbildung 17: Box trot. Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 47. Abbildung 18: Jazz-Band. Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 7. Abbildung 19: Filmbild aus dem Film: DER BRAVE SÜNDER (1931), AL!VE, Edition Filmjuwelen (2014).
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Abbildung 20: Dada Jazz Band. http://www.bibliofil.hr/proizvod.aspx? p=3197&c=5. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 21: dada-Reklame-Gesellschaft. In: Der Dada, Nr. 2, 1919, Umschlag rückseitig (U4). Abbildung 22: Internationaler Pressespiegel. Aus: Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach, Berlin 1922. Reprint. Hamburg: Edition Nautilus 1980, S. 41 und S. 42. Abbildung 23: Filmanzeige. Aus: Lichtbild-Bühne, 30.8.1913. Abbildung 24: Was ist dada?. In: Der Dada, Nr. 2, 1919. Abbildung 25, links: Anzeige aus der Anzeigenserie und Werbekampagne der Decla zum DAS KABINETT DES DR. CALIGARI (1920), in: Lichtbild-Bühne, 10.1.1920. Abbildung 25, rechts: Anzeige aus der Anzeigenserie und Werbekampagne der Decla zum Film DAS KABINETT DES DR. CALIGARI (1920), in: Lichtbild-Bühne, 24.1.1920. Abbildung 26, links: Anzeige aus der Anzeigenserie und Werbekampagne der Decla zum Film DAS KABINETT DES DR. CALIGARI (1920), in: Lichtbild-Bühne, 31.1.1920. Abbildung 26, rechts: Anzeige aus der Anzeigenserie und Werbekampagne der Decla zum Film DAS KABINETT DES DR. CALIGARI (1920), in: Lichtbild-Bühne, 31.1.1920. Abbildung 27: Sensationelle Enthüllungen. Aus: Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach, Berlin 1922. Reprint. Hamburg: Edition Nautilus 1980, S. 62. Abbildung 28: Sympathiegrüße für Charlie Chaplin. In: Der Dada, Nr. 3, 1920, S. 4. Abbildung 29: Programmzettel. Aus: Andor Weininger: Weininger spricht über das Bauhaus (Passagen aus Interviews, zusammengestellt von Katherine Jánszky Michaelsen). In: Jiri Svestka (Hrsg.): Andor Weiniger. Vom Bauhaus zur konzeptionellen Kunst. Düsseldorf: Kunstverein für die Rheinlande und Westphalen 1990, S. 40. Abbildung 30: Mädchen mit Saxophon. In: Werag, 12.8.1928, 3. Jg., Heft 33.
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Abbildung 31: Bauhaus-Werbung. In: bauhaus – zeitschrift für gestaltung, Heft 2/3 Juli 1928, S. 29. Abbildung 32: «Shimmy-Liddy». Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 88. Abbildung 33: Anzeige. In: Jedermann sein eigener Fussball, 1. Jg., Nr. 1, 15.2.1919, S. 2. Abbildung 34: Anleitung zum Tanz. Aus: Karl Schäfer Jr.: Tanz durch Rundfunk. Vorträge der Werag Bücherei. Band 10. Köln: RufuVerlag 1929, S. 41 – 42. Abbildung 35: Saxophonisten des Westdeutschen Rundfunks. Aus: Die Werag. Das Ansagenblatt der Westdeutschen Rundfunk A.-G. Köln, 3. Jg., 12.8.1928, S. 17. Abbildung 36: Jazz-Band (Premiere von THE JAZZ SINGER am 6.10.1927 in New York): Filmbild vom Trailer von 1927. Trailer: Bonusmaterial, 2-Disc-Special Edition AL JOLSON. DER JAZZSÄNGER. Eine Warner Bros. Produktion. Abbildung 37: Filmbilder aus DIE FÜNF VON DER JAZZBAND. Filmszene unter: https://www.youtube.com/watch?v=Wq6gvPlOv-c. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 38: Filmbild aus dem Film: DER BLAUE ENGEL (1929/30). Ein Film von Josef von Sternberg, FOCUS Edition (2006). Universum Film (2004). Abbildung 39: Filmbilder aus UND NELSON SPIEL (1929). Film unter: https://www.youtube.com/watch?v=rEiZgwVAckk. Zuletzt aufgerufen im März 2015. Abbildung 40: Weintraubs Syncopators, 1931. In: Host Lange: Jazz in Deutschland. Hildesheim – Zürich – New York: Olms Presse 1996, S. 274. Abbildung 41: Jazz-Studium nach der Schallplatte. Aus: «Die Snycopators beim Training. Die Jazzklasse im Hoch’schen Konservatorium». Stadtblatt der Frankfurter Zeitung, um 1930. Abgedruckt in: That’s Jazz: Der Sound des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Darmstadt 1988, S. 394.
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Abbildung 42 (links): Foto: Philipp Scheidemann ruft die Republik aus. Quelle: http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/architektur/ reichstag/geschichte/orte. Zuletzt aufgerufen: November 2014. Abbildung 42 (rechts): Pressefoto. Aus: Beilage «Zeitbilder», Vossische Zeitung, 11.5.1924 sowie: Leben am Bauhaus. Die Meisterhäuser in Dessau. München: Bayerische Vereinsbank 1993, S. 89. Abbildung 43 (links): Marcel Janco: «Cabaret Voltaire» (verschollenes Ölgemälde von 1916). In: Raimund Meyer: Dada in Zürich. Die Akteure, die Schauplätze. Frankfurt am Main: Luchterhand 1990, S. 10. Abbildung 43 (rechts): Buchillustration «Scala Jazz Band». Aus: F. W. Koebner: Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze. Berlin: Dr. Eysler & Co. 1921, S. 16.
Personenregister
A Antheil, George 24, 34, 123 Arna, Lissi (auch: Lissy) 58 Arp, Hans 28, 35, 76, 129 Auric, Georges 30 Avraamov, Arseni 20, 21 B Bach, Johann Sebastian 64, 133 Baker, Josephine 43, 61 Ball, Hugo 66, 74, 121, 135 Beethoven, Ludwig van 21, 29, 64, 132 Berg, Alban 37 Berlin, Irving 64, 109 Bernhard, Paul 19, 33, 47 Boccioni, Umberto 35 Botsford, George 64 Bourget, Paul 67 Brandt, Marianne 57 Busoni, Ferruccio 18, 37 C Casavola, Franco 23 Casella, Alfredo 23
162 | J AZZ , POPULÄRKULTUR UND DIE N EUERFINDUNG DES KÜNSTLERS
Chaplin, Charlie 51, 52, 71, 94, 95 Cocteau, Jean 30 Coeuroy, André 31 Cowell, Henry 33 Cravan, Arthur 52, 54, 55, 56, 67 D Depero, Fortunato 23 Dietrich, Marlene 117 Doesburg, Theo van 46, 67, 135 E Eisler, Hanns 64 Europe, James «Reese» 13, 14 F Feininger, Theodor Lux 100, 101, 102, 110 Fischinger, Oskar 115 G Genaro, Frankie 57 Golyscheff, Jefim 68, 129 Graf, Herbert 62 Griebel, Ott 25 Grofé, Feride 140 Gropius, Walter 55, 104, 129, 133 Grosz, George 25, 26, 30, 51, 52, 53, 56, 57, 64, 93, 111, 135 Groth, Claus (Julius Sternheim) 92 Gruenwald, Johannes Theodor (Baargeld) 74 H Hanslick, Eduard 10, 11 Hausmann, Raoul 24, 27, 68, 77, 82 Haywood, William 13
P ERSONENREGISTER | 163
Heartfield, John 53, 76, 94 Heuser, Hans 37 Hindemith, Paul 34, 126 Holländer, Friedrich 98, 117 Huelsenbeck, Richard 38, 46, 67, 68, 73, 74, 76, 82, 134 I Itten, Johannes 45, 133 J Jacobson, Jackson 100 Janco, Marcel 138 Jarnach, Philipp 107 Jarvis, Ernie 57 Johnson, Eldridge 109 Johnson, Jack 52, 54 Jones, Edgar 63 K Kaiser Wilhelm II 9 Kandinsky, Wassily 133, 135 Klee, Paul 137 Krenek, Ernst 100, 101, 102, 136, 138 Koch, Heinrich 100, 134 Kuhr, Fritz 100 L Leonard, R. L. 41, 43 Liedtke, Harry 92 Liszt, Franz 139 Little, Arthur 13
164 | J AZZ , POPULÄRKULTUR UND DIE N EUERFINDUNG DES KÜNSTLERS
M Marinetti, Filippo Tommaso 23, 27, 46, 49, 65, 66, 72, 77, 78, 121, 136, 137 Mehring, Walter 30 Meyer, Hannes 47 Michelangelo (Buonarroti) 133 Micic, Ljubomir 133 Milhaud, Darius 13, 23, 61, 72, 140 Moholy-Nagy, László 105, 122, 123, 125, 126, 129, 130, 133 Molnár, Farkas 36, 55 Mona Lisa 132 Mondrian, Piet 131, 132, 135, 140, 141 Mortari, Virgilio 23 Muche, Georg 133 N Nelson, Rudolf 44, 118 Nietzsche, Friedrich 66, 67, 77 O Ott, Richard 87 P Pallenberg, Max 69 Picabia, Francis 30, 55 Picasso, Pablo 133, 137 Pollack, Heinz 43, 124, 137 Poulenc, Francis 30 Pratella, Francesco Balilla 19 R Ravel, Maurice 23 Ribemont-Dessaignes, Georges 36, 140 Röseler, Clemens 100
P ERSONENREGISTER | 165
Rühmann, Heinz 69 Russolo, Luigi 19, 21, 22, 23, 29 S Satie, Erik 23, 64, 134, 138 Schad, Christian 37 Schaeffner, André 31 Schawinsky, Xanti 45, 100, 101, 124, 125, 129 Seiber, Mátyás 113 Serner, Walter 37, 38, 76, 86 Schillinger, Joseph 24 Schlemmer, Oskar 124, 125 Schmeling, Max 52 Schulhoff, Erwin 24, 25, 26, 28, 36, 37, 48, 49, 134, 140 Schwitters, Kurt 27, 73, 83 Siemsen, Hans 43, 137 Simon, A. 136 Sousa, Philip 9, 10 Stefan, Paul 15 Steinhard, Erich 32 Strawinsky, Igor 23 T Termen, Lew 21, 33 Tesla, Nikola 133 Thiess, Frank 53, 55 Tucholsky, Kurt 53, 78 Tzara, Tristan 26, 30, 39, 54, 73, 95, 133 V Vertov, Dziga 121 Vodery, Will 13
166 | J AZZ , POPULÄRKULTUR UND DIE N EUERFINDUNG DES KÜNSTLERS
W Wagner, Richard 21, 139 Weiniger, Andor 46, 99, 100, 134 Weintraub, Stefan 117, 118, 119, 120 Wense, Jürgen von der Whiteman, Paul 32, 138, 140 Wolpe, Stephan 29, 122, 129, 133 Wooding, Sam13, 107
Autorin
Dr. Anke J. Hübel Studium an der Universität zu Köln, der Ruhr-Universität Bochum, der Freien Universität zu Berlin, der Universidad Complutense de Madrid und der Humboldt-Universität zu Berlin. Magister Artium-Abschluss an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Fachbereichen Kunstund Bildgeschichte und Kulturwissenschaft. Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Fachbereichen Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft. Ehemalige Stipendiatin und jetzige Alumna der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Berufliche Tätigkeit in der Kultur- und Medienbranche seit 2002 sowie mehrfache Buchautorin. Sommersemester 2014: Lehrauftrag am Institut für Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Bisher erschienene Publikationen: Anke J. Hübel: Big, bigger, Cinema! Film- und Kinomarketing in Deutschland. 1910 – 1933. Marburg: Schüren Verlag 2011. Anke J. Hübel: «Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus». Strategien der Filmwerbung und Filmvermarktung. Marburg: Schüren Verlag 2014.
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Gabriele Brandstetter, Bettina Brandl-Risi, Kai van Eikels Szenen des Virtuosen Februar 2016, ca. 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1703-0
Sybille Bauriedl (Hg.) Wörterbuch Klimadebatte November 2015, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3238-5
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Gabriele Brandstetter, Maren Butte, Kirsten Maar (Hg.) Topographien des Flüchtigen: Choreographie als Verfahren November 2015, ca. 340 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2943-9
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Jan-Henrik Witthaus, Patrick Eser (Hg.) Machthaber der Moderne Zur Repräsentation politischer Herrschaft und Körperlichkeit Oktober 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3037-4
Werner Hennings, Uwe Horst, Jürgen Kramer Die Stadt als Bühne Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert Oktober 2015, ca. 424 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2951-4
Wiebke Ohlendorf, André Reichart, Gunnar Schmidtchen (Hg.) Wissenschaft meets Pop Eine interdisziplinäre Annäherung an die Populärkultur August 2015, 214 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3100-5
Ivan Bazak, Gordon Kampe, Katharina Ortmann (Hg.) Plätze. Dächer. Leute. Wege. Die Stadt als utopische Bühne Mai 2015, 114 Seiten, kart., zahlr. Abb., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-3197-5
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