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German Pages 306 [310] Year 2021
Vom drohenden Bürgerkrieg zum demokratischen Gewaltmonopol (1918–1924) Herausgegeben von Andreas Braune, Michael Dreyer und Sebastian Elsbach
Weimarer Schriften zur Republik
Franz Steiner Verlag
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Weimarer Schriften zur Republik Herausgegeben von Michael Dreyer und Andreas Braune Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Ursula Büttner, Prof. Dr. Alexander Gallus, Prof. Dr. Kathrin Groh, Prof. Dr. Christoph Gusy, Prof. Dr. Marcus Llanque, Prof. Dr. Walter Mühlhausen, Prof. Dr. Wolfram Pyta, Dr. Nadine Rossol, Prof. Dr. Martin Sabrow Band 16
Vom drohenden Bürgerkrieg zum demokratischen Gewaltmonopol (1918–1924)
Herausgegeben von Andreas Braune, Michael Dreyer und Sebastian Elsbach
Franz Steiner Verlag
Gedruckt aus Mitteln des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Entstanden im Rahmen des von der Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Forschungskollegs „Das demokratische Gewaltmonopol in der Weimarer Republik, 1918–1924“ an der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Umschlagabbildung: Kämpfe im Berliner Zeitungsviertel. Barrikaden aus Zeitungspapierrollen vor dem Verlagshaus Rudolf Mosse (Berlin, Schützenstraße), Januar 1919 © Bundesarchiv, Bild 146-1981-126-29A Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13152-0 (Print) ISBN 978-3-515-13153-7 (E-Book)
INHALT Andreas Braune Einleitung: Bürgerkrieg oder Demokratie? Leistungen und Defizite des demokratischen Gewaltmonopols der jungen Weimarer Republik ............................................................................ VII Sebastian Elsbach Der „Deutsche Bürgerkrieg“ und das Versprechen des demokratische Gewaltmonopols ..................................... 1 INFRAGESTELLUNGEN DES DEMOKRATISCHEN GEWALTMONOPOLS Mike Schmeitzner Weltkrieg – Weltrevolution – Diktatur? Gewalt von links und ihre Rechtfertigung 1918 bis 1923/24 ................................ 29 Marc Bartuschka Gewaltoligopol und Bürgerkrieg. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Thüringen ............................................................... 51 Martin Sabrow Terroristische Geheimbündelei versus demokratisches Gewaltmonopol. Die rechtsradikale Anschlagserie gegen die Weimarer Republik 1921/22 ........... 67 Ingo Müller Militärgerichtsbarkeit und Strafjustiz in der frühen Weimarer Republik: Der Fall Jorns ....................................................................... 83 Kathrin Groh Operationsgemeinschaft Vaterlandsliebe. Zur Bestimmung des inneren Feindes durch Reichswehr und Reichsgericht .......................................... 91 Florian J. Schreiner Universität und Reichswehr. Akademisch-militärische Kooperationen als Stützen des staatlichen Gewaltmonopols ....................................................... 109
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Inhalt
ETABLIERUNG UND SICHERUNG DES DEMOKRATISCHEN GEWALTMONOPOLS Martin Platt Republikanische Gewaltsamkeit. Die Gründung der Weimarer Republik und die performative Gewalt des Staates ............................................................. 127 Walter Mühlhausen Reichspräsident und Ausnahmezustand. Friedrich Ebert und die Anwendung von Artikel 48 zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung ................................................. 149 Moritz Herzog-Stamm Ringen um Ordnung. Die preußische Polizei zwischen Selbstvergewisserung und „moderner Reform“ (1918–1924) ............................. 171 Sebastian Elsbach Die Gewalterfahrungen bis 1924 und die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold ....................................................................... 191 Dietfrid Krause-Vilmar Albert Grzesinski und die Neuordnung der preußischen Polizei nach 1924 ....... 209 GEWALTVERARBEITUNG UND GEWALTERINNERUNG Helmuth Kiesel Revolutionäre und staatliche Gewalt in der Literatur der Jahre 1918 bis 1924 und 1928 bis 1933.......................................... 229 Christian Faludi Konflikt ohne Ende. Die Rezeption des Kapp-Lüttwitz-Putsches in vier politischen Systemen 1920 bis 1990 ........................................................ 243
Autorinnen und Autoren ...................................................................................... 281
EINLEITUNG: BÜRGERKRIEG ODER DEMOKRATIE? Leistungen und Defizite des demokratischen Gewaltmonopols der jungen Weimarer Republik Andreas Braune
Abb. 1: Bürgerkrieg oder Demokratie? Wahlplakat der DDP zur Reichstagswahl 19201
„Bürgerkrieg oder Demokratie?“ Mit diesem Slogan warb die DDP im Reichstagswahlkampf 1920 für Stimmen und griff wenige Wochen nach dem Kapp-LüttwitzPutsch die Angst vor der Eskalation der politischen Gewalt als Wahlkampfthema
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Quelle: Bundesarchiv: Plak 002-027-011, Grafiker: Ludwig Mayer-Lukas, Mai 1920.
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auf. Das Plakat allein beweist nicht, dass es einen Bürgerkrieg am Anfang der Weimarer Republik gab, aber es beweist, dass die Furcht vor ihm real und verbreitet war. Angesichts der revolutionären, konterrevolutionären und staatlichen Gewalt seit dem Dezember/Januar 1918/19 überrascht dies auch wenig. In den ‚bürgerkriegsartigen‘ Kämpfen, die auf die Abwehr des Kapp-Lüttwitz-Putsches insbesondere im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland folgten, hatte das Gewaltniveau eine neue Stufe erreicht. Innerhalb weniger Wochen war die ordnungs- und sicherheitspolitische Integrität des neu gegründeten demokratischen Staates von beiden Seiten des politischen Spektrums gewaltsam in Frage gestellt worden – wie es das Plakat sehr anschaulich darstellt. Der Angriff von rechts erfolgte dabei aus dem Sicherheitsapparat heraus, aus Teilen der Reichswehr – und wurde von paramilitärischen bzw. parastaatlichen Akteuren unterstützt, die ihrerseits dann den außerstaatlichen Angriff von links mit militärischen Mitteln niederschlugen. Dass man sich hier mindestens am Rande eines Bürgerkrieges sah, ist nachvollziehbar. Nach diesem ersten Höhepunkt der Eskalation blieb die Sicherheitslage im Reich bis 1923 prekär, auch wenn sich die Gewaltstrategien der Republikgegner änderten. An die Stelle von Putsch und Aufstand trat zunächst vor allem der Terror von rechts, dem mit Matthias Erzberger (1921) und Walther Rathenau (1922) zwei führende Politiker der Republik zum Opfer fielen, der aber noch bei weitem mehr Opfer sogenannter Fememorde forderte. Im Krisenjahr 1923 trat mit dem Hitler-Ludendorff-Putsch und dem ‚Deutschen Oktober‘ der KPD erneut eine putschistische bzw. aufständisch-revolutionäre Strategie auf den Plan, die aber ein weiteres Mal abgewehrt werden konnte. Hinzu kamen separatistische Aufstände am Rande des Reiches im unmittelbaren Nachkrieg, die insbesondere an den Ostgrenzen und im Konflikt mit Polen und im Baltikum (bürger-)kriegsähnliche Züge trugen oder gar Teil von Folgekriegen des Weltkrieges und des russischen Bürgerkrieges waren. Erst 1924 trat eine vorläufige Konsolidierung der Sicherheitslage ein, die den Weg für die ‚relative Stabilisierung‘ der Republik bis zum Ende der 1920er Jahre frei machte. Die ‚Anfangsgewalt‘2 im Zuge der Gründung und Etablierung der Republik war vorläufig eingedämmt worden. Schaut man sich den Slogan des DDP-Plakates noch einmal etwas genauer an, mutet das Begriffspaar, das da zur Auswahl gestellt wird, etwas irritierend an. Bürgerkrieg oder Demokratie? Das sind im politischen Sprachgebrauch eher selten Gegensätze. Das Gegenteil des Bürgerkrieges ist Ordnung und Sicherheit oder innerer Frieden, das Gegenteil der Demokratie ist Diktatur, Obrigkeitsstaat, Aristokratie oder Autokratie. Das Spezifische des Plakates liegt darin, dass es argumentiert, dass nur die Demokratie den Bürgerkrieg wird abwenden können, nur der demokratische Staat ist der Garant der inneren Sicherheit und der Integrität der staatlichen Ordnung. Es verknüpft damit auf eigentümliche Weise die Frage nach der Art der Herrschaftsausübung mit der Fähigkeit der inneren Friedensstiftung und -wahrung. Es tut dies auf eine Art und Weise, die wir mit unserem begrifflichen Vorschlag eines „demokratischen Gewaltmonopols“ wissenschaftlich fruchtbar machen möchten. 2
Schumann (2019): Anfangsgewalten.
Einleitung: Bürgerkrieg oder Demokratie?
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Denn für das Gewaltmonopol tout court, ohne Attribut, ist es – mindestens seit Thomas Hobbes‘ Leviathan – egal, wer oder was Inhaber dieses Monopols ist, solange es effektiv existiert. Im demokratischen Staat ist es das nicht. Art. 1 der Weimarer Reichsverfassung bestimmte: „Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Im demokratischen Staat wird alle Staatsgewalt „im Namen des Volkes“ ausgeübt, nicht durch partikulare soziale Gruppen oder Cliquen (Aristokratie) oder auf Rechnung der Träger der Waffengewalt selbst (Polizeistaat oder Militärdiktatur). Die demokratische Ausübung der Staatsgewalt ist dabei an eine Reihe von Regeln, Verfahren und Institutionen gebunden, die sicherstellen, dass sie nicht nur in einem deklaratorischen Sinne ‚im Namen des Volkes‘ erfolgt, sondern tatsächlich. Dabei ist auch für den demokratischen Staat entscheidend, dass er „das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit (mit Erfolg) beansprucht.“3 Denn das ist nicht nur das der Gegenwart Max Webers im Jahr 1919 „Spezifische“, sondern gilt für alle modernen Staaten: „daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des ‚Rechts‘ auf Gewaltsamkeit.“4 Kann er dieses Monopol nicht mehr effektiv beanspruchen, zerfällt er in Fraktionen mit Zugriff auf Gewaltressourcen, die sich wechselseitig den Zugriff auf das Monopol streitig machen oder Enklaven eigener Gewaltsamkeit zu etablieren beanspruchen. Tun sie dies mit Gewalt und mit Erfolg, löst sich das Gewaltmonopol auf und im schlimmsten Fall bricht der Bürgerkrieg aus. In diesem Sinne hatte Norbert Elias in seinen Studien über die Deutschen ein ‚defektes‘ Gewaltmonopol für die Weimarer Republik diagnostiziert: Charakteristisch für die Lage Deutschlands am Ende des Krieges 1914/18 war, daß die neuen Regierungsbehörden nur in recht begrenztem Maße über die zur Aufrechterhaltung des Monopols der physischen Gewalt und somit des innerstaatlichen Friedens erforderlichen Militär- und Polizeikräfte verfügten. Der deutsche Staat der Weimarer Periode war insofern ein rudimentärer Staat. Das gab gewalttätigen Bewegungen und Organisationen auf Seiten des Bürgertums und der Arbeiterschaft ihre Chance. Das Vermögen der Reichsregierung, mit anderen Worten, die Exekutivorgane des Gewaltmonopols, Reichswehr und Polizei, im Sinne von Parlamentsund Regierungsentscheidungen einzusetzen, war sehr beschränkt.5
‚Rudimentär‘ war der Staat in diesem Verständnis insofern, als dass er die klassische Trias Georg Jellineks von der Einheit von Staatsvolk, Staatgebiet und Staatsgewalt nicht durchgehend sicherstellen konnte, oder dass es immer wieder – in den Worten Elias‘ – zu „Durchbrechungen“ des Staatsmonopols körperlicher Gewalt kam. Die damit gemeinten Durchbrechungen sind jedoch von anderer Qualität als ‚normale‘ kriminelle außerstaatliche Gewalt, für die ja auch charakteristisch ist, dass sich die ‚Verbände oder Einzelpersonen‘, die sie ausüben, nicht darum kümmern, die Erlaubnis des Staates für ihr Gewalthandeln einzuholen. Dafür müssen sie dann mit der Anwendung der staatlichen Gewalt zu ihrer Abwehr und 3 4 5
Weber (1919): Politik als Beruf, S. 6. Ebd., S. 6f. Elias (1989): Studien über die Deutschen, S. 286.
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Bestrafung rechnen. Die hier und von Elias gemeinten ‚Durchbrechungen‘ wiegen aber schwerer, da sie die Substanz des herrschenden Gewaltmonopols in Frage stellen. Sie drohen, es zu spalten oder zu zersplittern (territorial, organisatorisch oder sozial), sie bekämpfen die gegenwärtige soziale Trägerschicht des Gewaltmonopols (oder was sie dafür halten) oder sie stellen die öffentlichen Rechtfertigungsgründe in Frage, mit denen die Träger des herrschenden Gewaltmonopols Gefolgschaft beanspruchen. Typisch ist dabei der Versuch, sich entweder selbst den Zugriff auf das staatliche Gewaltmonopol zu verschaffen oder in einem begrenzten territorialen Bereich die Geltung des herrschenden Gewaltmonopols zu negieren und eine eigene Hoheit zu etablieren. Aber auch die Zersetzung und Zermürbung des Sicherheitsapparates und des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung kann ein Ziel sein, wie es insbesondere bei politischem Terror der Fall ist. All dies trifft in der einen oder anderen Form auf die verschiedenen Arten und Anlässe der Anfangsgewalt bis zum Jahr 1923 zu, der sich die Weimarer Republik ausgesetzt sah. Dabei befand sich die junge Republik in einer sehr spezifischen und im mehrfachen Sinne besonders schwierigen Situation. Erstens handelte es sich um eine postrevolutionäre Situation. Der monarchische Herrschaftsapparat und der Obrigkeitsstaat waren im November 1918 geradezu implodiert, zunächst traten die Räte an dessen Stelle, später die Nationalversammlung und die Parlamente der Länder. In jeder politischen Revolution ist es sowohl bei ihrem Ausbruch wie auch für ihren Fortgang eine elementare Frage, wie sich die Träger der bewaffneten Gewalt verhalten. Stehen sie zu den alten Machthabern und sind bereit, den Ausbruch einer Revolution mit Waffengewalt zu unterdrücken? Schlagen sie sich auf die Seite der neuen Machthaber und erkennen sie als legitim an? Tun sie es geschlossen oder nur in Gruppen? Wie verhalten sich die Gruppen, die dies nicht tun? Diese und ähnliche Fragen stellten sich nicht nur den handelnden Akteuren im Jahr 1918 und danach, als mit dem Ebert-Groener-Pakt ein wichtiger Grundstein für die Integrität des Gewaltmonopols gelegt wurde. Was passieren kann, wenn in einer solchen prekären Situation eines revolutionären regime change (oder des Versuchs dazu) das staatliche Gewaltmonopol zerbricht, zeigt etwa der syrische Bürgerkrieg seit 2011, in dem genau das passierte. Das Assad-Regime konnte nur noch Teile des Militärs auf sich verpflichten, das aber umso größere Gewaltbereitschaft gegenüber abtrünnigen Militäreinheiten und anderen sich bewaffnenden Gruppen und Formationen an den Tag legte. Ein blutiger Zerfall des Staates war die Folge. Unweit von Syrien zeigte der Fall Ägypten zur gleichen Zeit: Auch nach einem augenscheinlich erfolgreichen regime change kann sich das Militär zu einem ‚Wächter‘ der Revolution aufspielen und den neuen Machthabern jederzeit das ‚Vertrauen‘ entziehen. Die Liste postrevolutionärer Militärputsche im 20. und 21. Jahrhundert ist lang. Für eine erfolgreiche Revolution in einem modernen Staat ist es daher elementar, dass das Gewaltmonopol des Staates gewahrt wird und dass die Träger der staatlichen Waffengewalt dauerhaft und nicht nur einmalig oder punktuell auf der Seite des neuen Regimes stehen. Gerade aufgrund dieser Konstellation ist der Bürgerkrieg jeder Revolution zumindest als Möglichkeit eingeschrieben. Ihn zu verhindern und einen
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demokratischen regime change zum Erfolg zu führen, ist die ‚hohe Kunst‘ fast jeder demokratischen Revolution. Zweitens befand sich die junge Weimarer Republik in einer Nachkriegssituation, genauer gesagt in einer Nachkriegssituation eines verlorenen Krieges. Ein enormes Weltkriegsheer musste in kürzester Zeit demobilisiert werden, durch die Waffenstillstands- und Friedensbedingungen in besonders großem Ausmaß und hoher Geschwindigkeit. Der Krieg hatte unzählige „Spezialisten der Gewalttat“6 hervorgebracht, die nun in das zivile Leben integriert werden mussten. Viele von ihnen schlossen sich aber zunächst paramilitärischen Einheiten wie den Freikorps an. Zudem zirkulierten große Mengen an Waffen im Graubereich oder außerhalb der staatlichen Kontrolle, und zwar nicht nur Schusswaffen, sondern auch schweres Kriegsgerät. Auch auf lokaler Ebene hatten sich mit Einwohner-, Bürger- und Arbeiterwehren quasi- oder parastaatliche Gewaltakteure gebildet, die zunächst das postrevolutionäre Machtvakuum füllten, dann aber sukzessive wieder entwaffnet und aufgelöst werden mussten, was nicht immer ohne Widerstand oder Reibung erfolgte. Für die Frühphase der Weimarer Republik ist daher ein ‚Ausfransen‘ des staatlichen Gewaltmonopols charakteristisch: Um die Kernakteure staatlicher Gewalt (Reichswehr und Polizei) bildete sich ein Kordon im Grunde ‚privater‘, zugleich aber auch quasi- oder halbstaatlicher Gewaltakteure. Von einer Refeudalisierung wird man nicht sprechen können, aber die Konturen, wo staatliche Gewalt aufhörte und wo außerstaatliche Gewalt anfing, waren in diesen Jahren alles andere als klar. Verstärkt wurde dieses Phänomen durch die restriktiven Friedensbedingungen, weil sie die Bereitschaft vieler staatlicher Akteure erhöhten, Gewaltakteure oder gewaltaffine Praktiken zur Aufrechterhaltung des ‚Wehrgedankens‘ außerhalb des Kernbestands zulässiger staatlicher Gewaltakteure mindestens zu tolerieren, vielleicht sogar, sie heimlich zu fördern. Ein Anreiz zur Festigung und Schärfung der Konturen des Gewaltmonopols war dies jedenfalls kaum, und Pazifisten, die auf den legal gesetzten Rahmen durch den Friedensvertrag verwiesen, setzten sich dem Vorwurf des Landesverrates aus. Hinzu kam schließlich eine Kultur der Gewaltsamkeit, die im Weltkrieg gewachsen war, und die sich nun nach innen kehren konnte, wenn der politische Gegner zum ‚inneren Feind‘ erklärt wurde, gegen den jedes Mittel recht sei. In der politikwissenschaftlichen Friedensforschung ist es eine zentrale Frage, wie Gewaltspiralen durchbrochen werden können und wie sich gesellschaftliche Erfahrungen mit Makrogewalt kurieren lassen, ohne immer wieder zu neuer Gewalt zu führen. Vor dieser Aufgabe stand auch die Weimarer Nachkriegsgesellschaft, die sie aber aufgrund ihrer starken politischen Spaltungen kaum meistern konnte. Drittens gehörte zum Erfahrungshorizont aller Akteure noch vor Ausbruch der Revolution 1918 der Präzedenzfall, „daß sich in Rußland der Gebrauch außerstaatlicher Gewalt als effektives Mittel zur Vertreibung einer herrschenden Gruppe von der Verfügung über die staatlichen Zentralmonopole der Gewalt und der Steuern 6
Ebd., S. 231.
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und zur Übernahme dieser Monopole durch die Führer der gewalttätigen Gruppe“7 erweisen hatte. Die russische Revolution bildete daher ein wichtiges, vielleicht sogar das zentrale Hintergrundszenario der Anfangsgewalt der Weimarer Republik. Aus der Mischung aus der weit verbreiteten Bolschewismusfurcht einerseits und der Bereitschaft der extremen Linken zur gewaltsamen Fortführung der Revolution andererseits ergab sich eine eigentümliche dialektische Dynamik des Gewaltgebrauchs […]. Den russophilen Bewegungen außerhalb Rußlands, die – entsprechend diesem Vorbild – ihre Ideale letzten Endes durch außerstaatliche Gewalt zu verwirklichen suchten […], stellten sich andere Gruppen entgegen, die nun ihrerseits planten, der Gefahr des Gewaltgebrauchs durch diese Gruppen mit Hilfe eigener außerstaatlicher Gewalt zu begegnen. Um die gewaltsame Eroberung der Staatsmonopole durch die andere Seite zu verhindern, schickten sie sich selbst zur Eroberung dieser Monopole an. Das war das Problem.8
Hinzu kam, dass sich für rechte Gruppierungen, die sich aus dem vormaligen wilhelminischen Establishment rekrutierten oder ihm mental nahestanden, der Kampf um das Gewaltmonopol auch als ein Versuch seiner Rückeroberung darstellte. Denn es waren aus ihrer Sicht die ‚nicht-satisfaktionsfähigen‘ Gruppen – allen voran die Sozialdemokratie – die sich in der Revolution des Zugriffs auf die Staatsmonopole der Gewalt, der Steuern und der Verwaltungskarrieren bemächtigt hatten. Die ‚Republik‘ und ihre Symbole versinnbildlichten für sie den eigenen Verlust dieser Zugriffsrechte – mochten diese rechten Akteure nun inner- oder außerhalb der Institutionen der staatlichen Gewalt stehen. Und die Republik selbst? Für sie war es – wie oben beschrieben – angesichts ihrer gewaltsamen Infragestellungen überlebensnotwendig, die Integrität des staatlichen Gewaltmonopols aufrecht zu erhalten, weshalb sie auf die Mitarbeit der bisherigen „Spezialisten der Gewalttat“ angewiesen war. Dass die meisten von ihnen ihr skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, erschwerte auch die zweite Aufgabe, vor der die Republik in Hinblick auf das Gewaltmonopol stand. Denn es musste nicht nur aufrecht erhalten werden, sondern zugleich in ein demokratisches Gewaltmonopol transformiert werden. Die anstehende personelle Demokratisierung und Republikanisierung der Reichswehr und der Polizeien der Länder war dabei nur ein Element unter anderen. Wie eingangs beschrieben, operiert ein demokratisches Gewaltmonopol notwendigerweise auf Basis einer Reihe von spezifischen Regeln, Verfahren und Institutionen. Diese kreisen um das Verständnis, dass die Gewalt eines demokratischen Staates ‚im Namen des Volkes‘ geschieht und nicht nur bloße ‚Sicherheit und Ordnung‘ im Sinne einer Friedhofsruhe zum Ziel hat, sondern sich immer auch als demokratie- und grundrechtswahrende Gewalt verstehen können muss. Hierfür sind die Öffentlichkeit des Gewaltmonopols und seine zivile und politische Kontrolle entscheidend. Um besser einschätzen zu können, was genau damit gemeint ist, sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Herausbildung des Monopols staatlicher Gewalt ein 7 8
Ebd., S. 283. Ebd., S. 284.
Einleitung: Bürgerkrieg oder Demokratie?
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langwieriger Prozess ist, den Max Weber in Politik als Beruf skizziert und Norbert Elias im Prozeß der Zivilisation detailliert beschrieben hat. Weber unterstreicht, dass bei der Herausbildung des modernen Staates aus der Feudalordnung ein Enteignungsprozess zentral ist: Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates dadurch in Fluß, daß von seiten des Fürsten die Enteignung der neben ihm stehenden selbständigen „privaten“ Träger von Verwaltungsmacht: jener Eigenbesitzer von Verwaltungs- und Kriegsbetriebsmitteln, Finanzbetriebsmitteln und politisch verwendbaren Gütern aller Art, in die Wege geleitet wird. Der ganze Prozeß ist eine vollständige Parallele zu der Entwicklung des kapitalistischen Betriebs durch allmähliche Enteignung der selbständigen Produzenten. Am Ende sehen wir, daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze die Verfügung über die gesamten politischen Betriebsmittel zusammenläuft, kein einziger Beamter mehr persönlicher Eigentümer des Geldes ist, das er verausgabt, oder der Gebäude, Vorräte, Werkzeuge, Kriegsmaschinen, über die er verfügt.9
Im modernen Staat sind daher alle ‚Privateigentümer‘ von Betriebsmitteln für Verwaltung und Gewaltanwendung enteignet und ihr einziger Besitzer ist der Staat, an dessen Spitze in der Monarchie der Fürst steht. Aufschlussreich ist die Deutung der Novemberrevolution, die Weber auf diese Passage folgen lässt, denn sie stellt sich ihm als eine „Expropriation dieses Expropriateurs“ dar: Das hat die Revolution wenigstens insofern geleistet, als an die gesetzte Stelle der Obrigkeiten Führer getreten sind, welche durch Usurpation oder Wahl sich in die Verfügungsgewalt über den politischen Menschenstab und Sachgüterapparat gesetzt haben und ihre Legitimität – einerlei mit wieviel Recht – vom Willen der Beherrschten ableiten.10
Ganz ähnlich bei Elias, bei dem dieser Übergang zu einem ‚öffentlichen‘ Monopol ein Bestandteil des Gesamtprozesses der Monopolisierung der Gewalt ist. Auf eine erste Phase der „Akkumulation“ und „Ausscheidungskämpfe“ folgt eine zweite Phase, „in der die Verfügungsgewalt über die zentralisierten und monopolisierten Chancen dazu tendiert, aus den Händen eines Einzelnen in die einer immer größeren Anzahl überzugehen und schließlich zu einer Funktion des interdependenten Menschengeflechts als eines Ganzen zu werden, also die Phase, in der aus dem relativ ‚privaten‘ ein ‚öffentliches‘ Monopol wird.“11 Zu dieser Herausbildung eines öffentlichen Gewaltmonopols gehört schlussendlich dessen gesellschaftliche, zivile bzw. politische Kontrolle: Auf der bisher höchsten Stufe stehen die Befehlshaber und Kontrolleure des Gewaltmonopols ihrerseits unter der Kontrolle von anderen Repräsentanten der betreffenden Gesellschaft, die darüber wachen, daß jene die Gewaltmittel, die ihnen zu Gebote stehen, nicht allein im eigenen Interesse gebrauchen oder allein im Interesse einzelner Schichten der Bevölkerung, die als Staat organisiert ist.12
9 10 11 12
Weber (1919): Politik als Beruf, S. 12f. Ebd., S. 13. Elias (1939): Prozeß der Zivilisation, S. 166. Elias (1989): Studien über die Deutschen, S. 229.
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Neben dieser konkreten Ausgestaltung durch Öffentlichkeit und seine zivile Kontrolle hat das demokratische Gewaltmonopol eine essentielle Funktion für die Demokratie, nämlich gesellschaftliche Befriedung, die Räume eröffnet für friedliche Konfliktaustragung. Denn „wenn sich ein Gewaltmonopol bildet, entstehen befriedete Räume, gesellschaftliche Felder, die von Gewalttaten normalerweise frei sind.“13 Durch die Zurückdrängung der Gewalt aus dem Alltag der Menschen, durch ihre zunehmende Berechenbarkeit erhält alles ‚Zivile‘ mehr Gelegenheit zur Entfaltung, auch und gerade in der Politik. Demokratie als friedliche gesellschaftliche Konfliktaustragung kann nur dort florieren, wo diese elementare Sicherheit der Öffentlichkeit gewährleistet ist. Die Bedrohung, die der Mensch für den Menschen darstellt, ist durch die Bildung von Gewaltmonopolen einer strengen Regelung unterworfen und wird berechenbarer. […] Die Gewalttat ist kaserniert; und aus ihren Speichern, aus den Kasernen, bricht sie nur noch im äußersten Falle, in Kriegszeiten und in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, unmittelbar in das Leben der Einzelnen ein. Gewöhnlich ist sie als Monopol bestimmter Spezialistengruppen aus dem Leben der anderen ausgeschaltet; und diese Spezialisten, die ganze Monopolorganisation der Gewalttat, steht nur noch am Rande des gesellschaftlichen Alltags Wache als eine Kontrollorganisation für das Verhalten des Einzelnen.14
Durchbrechungen dieses ‚zivilen Normalzustandes‘ – die wie in der Weimarer Republik in Zeiten des Nachkrieges und der Revolution möglich werden – sind durch eine größere Sichtbarkeit und Spürbarkeit der Gewalttat und eine größere Unberechenbarkeit, ihr zum Opfer zu fallen, gekennzeichnet. Die ‚Kasernierung‘ ist aufgehoben, ebenso wie die klare Zuweisung, wer legitimerweise und im Namen des Staates Gewalt ausübt. Das demokratische Gewaltmonopol schafft also überhaupt erst die sicherheitspolitischen Voraussetzungen für die Demokratie und etabliert eine zivile oder politische Prärogative gegenüber dem Militärischen und dem Polizeilichen. Hinzu kommt die prinzipielle Rechtsförmigkeit und Justiziabilität staatlichen Gewalthandelns. Heute sprechen wir beispielsweise von einer ‚Parlamentsarmee‘: Das Parlament als Vertretung des souveränen Volkes bestimmt die Anlässe der Ausübung militärischer Gewalt, die Ausstattung und grundlegende strategische Ausrichtungen der Armee. Ein ‚ziviler‘ Minister oder eine Ministerin ist die oberste Dienstherr_in. Das Zivile herrscht über das Militärische, nicht umgekehrt. Diese innere Logik eines demokratischen Gewaltmonopols nach einem Krieg durchzusetzen, in dessen gesamter Dauer das Zivile dem Militärischen konsequent untergeordnet war, musste nach 1918/19 besonders schwierig sein. Zumal sich die ‚zivilen‘ Vertreter der nun staatstragenden Parteien eben erst die Verfügungsgewalt über das Gewaltmonopol angeeignet hatten. Ähnlich im Polizeilichen, wo manche der neuen zivilen Dienstherren noch vor kurzem zu Beobachtungsobjekten des obrigkeitsstaatlichen Polizeiapparates gehört hatten. 13 Elias (1939): Prozeß der Zivilisation, S. 331. 14 Ebd., S. 336.
Einleitung: Bürgerkrieg oder Demokratie?
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In vielen Fällen wurde dieser Anspruch auf zivile Prärogative von Ministern, Beamten, Parlamentariern und auch dem ersten Reichspräsidenten vernehmbar artikuliert und versucht durchzusetzen. Er stieß in den Organen der staatlichen Gewalt, allen voran in der Reichswehr, auf starke Vorbehalte gegen ‚die Politik‘. Es mischten sich da ‚Zivilisten‘ in Angelegenheiten ein, die sie nichts angingen. Gleichwohl: die starke Fixierung auf den ‚Staat‘ ermöglichte hier auch ein Auskommen: Man begriff sich in den Sicherheitsorganen als Stütze des Staates, als Garant für ‚Sicherheit und Ordnung‘, unabhängig davon, dass der Staat (oder das jeweilige Land) nun eine Republik war. Vor allem im Kampf gegen alles, was auch nur entfernt wie ‚Bolschewismus‘ aussah, war die Einsatzbereitschaft für den Staat daher groß, ohne dass dies zugleich mit einem Einsatz für die Republik einher gehen musste. Schlimmer noch: Der dezidierte Einsatz für die Republik wurde in den Sicherheitsorganen, insbesondere in der Reichswehr, als ‚politisch‘ abgelehnt. So ging beides zusammen: Der Einsatz für das staatliche Gewaltmonopol und seine Durchsetzung einerseits, aber gegen die Republik andererseits. Entweder, weil man die neue und demokratische Logik staatlichen Gewalthandelns nicht verstanden hatte, oder sie rundheraus ablehnte. Der Griff nach dem Gewaltmonopol lag dann nicht mehr fern, um sich der ‚Zivilisten‘ zu entledigen. Im Kapp-Lüttwitz-Putsch hatte sich dieser Wunsch 1920 materialisiert – und er war kläglich gescheitert – so wie alle weiteren Angriffe auf die Republik bis Ende 1923. Zwar konnte die eben beschriebene zivile Prärogative gegenüber der Reichswehr weder vor noch nach 1923 durchgesetzt werden. Doch in vielen anderen Belangen erwies sich die Republik als ausgesprochen resilient und abwehrbereit. Sei es in Form der Anwendung des Notstandsrechts durch Friedrich Ebert, dem Republikschutzgesetz infolge der politischen Morde an Erzberger und Rathenau oder bei Reformbemühungen in den Polizeien der Länder: Die Republik hielt stand und passte sich der herausfordernden Lage weiter an. Im Resultat konsolidierte sich ab 1924 die Sicherheitslage. Das Gewaltmonopol war zumindest vorläufig relativ gefestigt, auch wenn die Transformation hin zu einem demokratischen Gewaltmonopol noch nicht weit voran geschritten war. Das war dann auch einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wenige Jahre später die politische Gewalt erneut als eine Gewalt um den Staat eskalieren konnte, entlang ähnlicher Deutungs- und Konfliktlinien, aber mit neuen Akteuren und neuen Gewaltstrategien. Um diese Folgewirkung der Anfangsgewalt für die Zerstörung der Republik geht es in diesem Band aber ausdrücklich nicht, genauso wenig wie in dem von der Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Forschungsprojekt, das ihm zugrunde liegt. In dem Forschungskolleg „Das demokratische Gewaltmonopol in der Weimarer Republik, 1918-1924“ blicken wir im Sinne eines offenen Zukunftshorizontes aus dem Jahr 1924 auf die Jahre davor zurück. Wir fragen danach, ob die dann einsetzende „relative Stabilisierung“ der Weimarer Republik nicht zuallererst deshalb möglich wurde, weil sich die Sicherheitslage seit der Revolution beträchtlich verbesserte und weil sich das staatliche Gewaltmonopol nach zahlreichen Angriffen als abwehrbereit und relativ gefestigt erwiesen hatte. Ist eine solche Konsolidierung des staatlichen Gewaltmonopols zu beobachten und wenn ja, woran macht sich das fest? Zugleich begreifen wir die Weimarer Republik auch als Transformations-
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gesellschaft, die gerade in diesem Bereich der inneren Sicherheit die Transformation hin zu einem demokratischen Gewaltmonopol in die Wege leiten musste. Geschah dies? Wo waren Erfolge zu verbuchen, wo blieben sie warum aus? Welche Kräfte arbeiteten an Spaltungen, Zersetzungen, Durchbrechungen des demokratischen Gewaltmonopols? Diese und ähnliche Fragen stellen das Forschungsprojekt und auch die in diesem Band versammelten Beiträge. Den Anfang macht ein Beitrag von SEBASTIAN ELSBACH, der sich noch einmal in größerem Detail und in einem ideen- und begriffsgeschichtlichen Ansatz der Konzepte des Bürgerkrieges und des (demokratischen) Gewaltmonopols widmet. Ausgehend von vor allem politikwissenschaftlicher Forschungsliteratur wird zudem die Frage gestellt, ob die vielen und vielschichtigen ‚Ereignisse‘ nach 1918 tatsächlich dafür qualifizieren, von einem Bürgerkrieg zu sprechen, oder ob andere sozial- und politikwissenschaftliche Kategorien dafür in Frage kommen. Diese Frage ist nicht allein eine nominelle, sondern auch eine heuristische. Sie hat nicht nur Folgen darauf, wie man geschichtswissenschaftlich auf die Weimarer Zeit schaut – etwa als Teil eines im Kleinen ausgetragenen größeren ‚europäischen Bürgerkrieges‘. Auch in politikwissenschaftlicher Hinsicht und mit Blick auf innerstaatliche Konfliktsituationen und postrevolutionäre Transformationsprozesse ist dies von Belang. Wie beendet man einen Bürgerkrieg, oder besser noch: Wie verhindert man, dass er überhaupt ausbricht? All das aus eigener Kraft, ohne Intervention von ‚außen‘? Worauf kommt es an? Dies sind auch wichtige Fragen der Gegenwart, auf die der Beitrag von Sebastian Elsbach keine finalen Antworten liefert, die aber als konzeptionelle Rahmungen des Bandes und des Forschungsprojektes umrissen werden. Nach diesem Aufschlag beginnt die erste Sektion des Bandes: „Infragestellungen des Gewaltmonopols“. Das meint zweierlei: Erstens die oben beschriebenen Durchbrechungen des Gewaltmonopols, die gewaltsamen Versuche seiner Zersetzung und das gewaltsame Ringen um die Zugriffsmöglichkeiten darauf, gegen die sich das staatliche Gewaltmonopol zu erwehren hatte. Kurz: der drohende Bürgerkrieg. Zweitens meint es aber auch die Weigerung staatlicher Akteure und von Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols, die Transformation hin zu einem demokratischen Gewaltmonopol – in ihrer erreichten Faktizität wie in ihrer zukünftigen Notwendigkeit – zu akzeptieren. Es geht also auch um die internen Hindernisse bei der Etablierung eines genuin demokratischen Gewaltmonopols, die im Sicherheitsapparat und anderen staatlichen Behörden zu diagnostizieren sind. Der Abschnitt beginnt nicht ohne Grund mit einem Beitrag MIKE SCHMEITZNERS über „Gewalt von links und ihre Rechtfertigung“. Denn es ist fraglich, ob sich ohne das Vorhandensein einer revolutionären und gewaltbereiten Linken die Eskalationsdynamik in Richtung einer Auflösung des Gewaltmonopols überhaupt in Gang gesetzt hätte – machte sie doch in erster Linie eine Reaktion staatlicher Gewaltträger nötig und verschärfte den Eindruck der neuen Machthaber, dabei auf die alten Kräfte im Militär angewiesen zu sein. Es war niemand geringeres als Rosa Luxemburg, die bei aller KPD-internen Zurückhaltung im Januar 1919 noch im November 1918 in der Roten Fahne Bürgerkrieg und Klassenkampf gleichgesetzt
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und ersteren anstelle der ‚Halbheiten‘ des Parlamentarismus gefordert hatte. Auch in den Folgejahren blieb es bei einer prinzipiell gewaltbereiten Strategie mit dem Ziel einer ‚zweiten Revolution‘, wobei die KPD zunehmend unter den Einfluss der Komintern und ihrer Weltrevolutionspläne geriet. Erst mit dem Scheitern des ‚Deutschen Oktober‘ 1923 rückte die Strategie eines gewaltsamen Umsturzes vorläufig in den Hintergrund. Wie sehr sich die Dynamiken konterrevolutionärer, revolutionärer und staatlicher Gewalt wechselseitig verstärkten und einen festen Ort des Monopols der Gewalt immer fragwürdiger machten, verdeutlicht MARC BARTUSCHKA in seinem Beitrag über den Kapp-Lüttwitz-Putsch in Thüringen. Eine ähnlich intensive Gewalteskalation wie in Mitteldeutschland hatte es zwischen militärischen und paramilitärischen Putschisten, Regierungstruppen und Arbeiterwehren 1920 sonst nur im Ruhrgebiet gegeben. Die Thüringer Fallstudie nimmt also exemplarisch die wohl am weitesten gehende Auflösung des Gewaltmonopols der Republik in den Anfangsjahren in den Blick. Daher diagnostiziert Marc Bartuschka ein unübersichtliches Gewaltoligopol, das wesentlich aus einer ad-hoc-Abwehr des rechten Putsches durch lokale Kräfte entstand, die anstelle der Vertreter des legitimen Gewaltmonopols in die Bresche sprangen. Zugleich verbannt Bartuschka die Erzählung von einem koordinierten kommunistischen Umsturzversuch zumindest für Thüringen in den Bereich der anti-bolschewistischen Legenden, die ihrerseits der Gewaltrechtfertigung dienten. Zwar knüpften die USPD und KPD und ihr nahe stehende Akteure an die üblichen Topoi einer ‚zweiten Revolution‘ an, von einem ernst zu nehmenden Angriff auf die Republik konnte aber nicht die Rede sein. Im folgenden Beitrag richtet MARTIN SABROW zunächst einen Blick auf die gewandelte Gewaltstrategie der extremen Rechte infolge des aus ihrer Sicht gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsches. An die Stelle einer offen putschistischen Herangehensweise trat nun der klandestine Terror vor allem der ‚Organisation Consul‘, der entweder als Fanal zum Sturm auf die Republik wirken oder auf dem Umweg einer provozierten linken Gewaltreaktion gar den Bürgerkrieg vom Zaun brechen sollte. Die Reaktion der Republik und ihrer Behörden auf den Rathenau-Mord offenbarte zweierlei: Einerseits zeigte sie sich entschlossen zur Abwehr und gab sich mit dem ‚Gesetz zum Schutz der Republik‘ ein zusätzliches Instrument der wehrhaften Demokratie. Andererseits fehlte in den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz der Wille zur konsequenten Umsetzung, eben weil man sich nur dem Staat als solchem verpflichtet sah, nicht der Demokratie und ihrem Gewaltmonopol. Täter und Mitwisser rechter Gewalt konnten daher auf Nachsicht oder gar Deckung hoffen. Dieses Defizit leuchten im Anschluss daran die beiden Beiträge von INGO MÜLLER und KATHRIN GROH genauer aus. Am Beispiel des Juristen Paul Jorns zeichnet Ingo Müller nach, wie förderlich es über die gesamte Karriere eines Juristen hin sein konnte, auf dem rechten Auge blind zu sein. Jorns hatte 1919 schon als Untersuchungsrichter die Morde an Luxemburg und Liebknecht zu vertuschen geholfen und machte sich später als Strafverfolger am Reichsgericht in Sachen des ‚publizistischen Landesverrates‘ durch Carl von Ossietzky und Ludwig Quidde berühmt und berüchtigt. Belohnt wurde dieser Einsatz für die ‚nationale Sache‘ und gegen die Legalität des Gewaltmonopols mit dem Posten eines Oberreichsanwalts beim
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Volksgerichtshof ab 1934. KATHRIN GROH buchstabiert unter dem Stichwort der ‚Operationsgemeinschaft Vaterlandsliebe‘ diesen Schulterschluss zwischen Reichswehr und Reichsgericht in der Weimarer Republik genauer aus. Detailliert zeichnet sie nach, wie sich die Reichswehrführung unter dem Konzept der Wehrhaftigkeit gegen alles richtete, was ‚links‘ anmutete und darin auch den Einsatz für die Republik selbst einschloss. Erneut: ihre formale Loyalität galt dem Staat (und der Nation), nicht der Republik; und alles Verhalten, das den Einsatz für die Republik als ‚politisch‘ aus der Armee fernhielt und umgekehrt das Wehrstaatskonzept der Reichswehr beförderte, wurde von der dritten Gewalt, namentlich vom Reichsgericht, sanktioniert. Die ‚Operationsgemeinschaft Vaterlandsliebe‘ „definierte das Staatswohl durch das Heereswohl und verortete den inneren Feind im republiktreuen Lager.“ Die Judikative scheute dabei auch nicht vor Rechtsbeugung und Rechtsbruch zurück. Im Ergebnis konnten – ähnlich wie es Elias mit seiner Formulierung eines rudimentären Staates diagnostiziert hatte – „Regierung und Reichstag […] spätestens ab Ende der 1920er Jahre nicht mehr sicher damit rechnen, dass die Reichswehr die geltende Verfassung verteidigen würde,“ so Kathrin Groh. Die Reichswehr hatte zusammen mit dem Reichsgericht die für ein demokratisches Gewaltmonopol essentielle zivile Prärogative des Politischen über das Militärische abwenden können, wobei ihr ab 1925 zugute kam, dass sie ein Reichspräsident von Hindenburg auch nicht im gleichen Maße einforderte wie sein Amtsvorgänger Friedrich Ebert. In eine ähnliche Richtung wirkte im unmittelbaren Nachkrieg die Praxis der durch die Reichswehr aufgestellten Zeitfreiwilligenverbände, wie FLORIAN J. SCHREINER in seinem Beitrag über die Kooperationen zwischen dem Militär und den Universitäten zeigt. Zentral war auch hier die Verlagerung des Feindes von der äußeren Front des Krieges zu einer inneren Front im Kampf um den Staat, dem sich die Studenten nur zu gern anschlossen, wiederum mit einem Höhepunkt im KappLüttwitz-Putsch und seiner Gewaltspirale. Als Vertreter des Bildungsbürgertums machten sie den Feind in der ‚roten‘ Arbeiterschaft aus – oder allem, was danach aussah. In aller Widersprüchlichkeit dienten sich die Angehörigen der Universität einem Staat als Stützen seines Gewaltmonopols an, dessen politische Ausrichtung und Ansprüche sie „dem Grund nach missbilligten“. Denn zwischen dem ‚Bolschewismus‘ außerhalb des Staates und den ‚roten‘ ‚jetzigen‘ Inhabern der Macht wurde selten unterschieden. Die politischen Entscheidungsträger der Republik nahmen hingegen in Kauf, „die Handlungsfähigkeit des demokratischen Systems durch dessen Gegner zu sichern,“ so Florian J. Schreiner. Mit diesem Beitrag endet der Abschnitt zu den Infragestellungen des demokratischen Gewaltmonopols und der Band wendet sich Praktiken und Akteuren zu, die in Richtung seiner Stärkung wirkten. Den Auftakt macht der Beitrag von MARTIN PLATT über „republikanische Gewaltsamkeit“. Im Zentrum seiner detaillierten Presse- und Diskursanalyse steht mit Blick auf den Januaraufstand 1919 und dessen ‚Niederschlagung‘ die „performative“ Seite staatlicher Gewaltsamkeit. In einem Moment, in dem ‚Ruhe und Ordnung‘ ein zentrales gesellschaftliches Bedürfnis darstellen, rückt der militärische Gehalt oder die strategische Komponente in der
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Aufstandsbekämpfung in den Hintergrund. Im Vordergrund steht nun ihre kommunikative Dimension und die Versicherung der Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit des Staates gegenüber der Bevölkerung. Ob die Bedrohung tatsächlich existentiell war, ist dabei sekundär. Wichtig ist, dass sich die Autorität des Staates und seine Ordnungsfunktion öffentlich manifestieren konnten. „Die darin verkörperte Gewaltsamkeit war demokratisch autorisiert und gewollt. Sie stellt einen Teil des Weimarer Gründungskonsenses dar. Sie ist eine Gewaltsamkeit aus der Republik heraus, in ihrem Namen und zu ihrem Zweck,“ so Martin Platt in seinem Fazit. Diese performative Gewalt der Republik beanspruchte zu zeigen, was in Frage stand: dass das staatliche Gewaltmonopol existierte und dass es in den Händen derer lag, die für die Republik als parlamentarischer Demokratie einstanden. Es folgt der Beitrag von WALTER MÜHLHAUSEN, der sich detailliert der Anwendungspraxis von Artikel 48 WRV durch Reichspräsident Friedrich Ebert widmet und damit einem zentralen Anwendungsfeld der Behauptung des Gewaltmonopols nach innen und des Versuchs der Durchsetzung einer zivilen und politischen Prärogative. Denn die Regelung des sogenannten ‚Notstandsartikels‘ sollten die Befugnisse des wesentlich militärisch bestimmten Belagerungszustandes ablösen und in die Hände des zivilen und demokratisch legitimierten Oberhauptes der Republik legen. Da der Verfassungsartikel selbst in vielen Detailfragen relativ unbestimmt blieb und die Verabschiedung eines diese Fragen klärenden Ausführungsgesetzes ausblieb, verfügte der Reichspräsident über einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung der Verfassungspraxis zu dieser wichtigen Verfassungsnorm. Einen Scheitelpunkt bildete hier auch der Kapp-Lüttwitz-Putsch, in dessen Folge Ebert zu einer Praxis des „zivilen Ausnahmezustandes“ überging, da die Exzesse und Unkontrollierbarkeit der Reichswehr deren Unzuverlässigkeit als demokratische Ordnungsmacht gezeigt hatten. Von nun ging in Fällen der Anwendung von Art. 48 die vollziehende Gewalt auf das Reichsinnenministerium und einen von ihm bestellten Regierungskommissar über (z.B. Otto Hörsing im Falle des Aufstandes in Mitteldeutschland 1921), blieb also in ziviler Hand. Allerdings bahnte sich damit ein Problem an: Da Polizei auch in der Weimarer Republik Ländersache war, verfügte das Reichsinnenministerium über keine eigene Ordnungsmacht, um tatsächlich mit ‚eigenen Truppen‘ Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Im September des Krisenjahres 1923 übertrug Ebert daher die vollziehende Gewalt doch wieder auf den Reichswehrminister Otto Geßler, der seinerseits vor Ort (etwa in Sachsen) wieder Militärbefehlshaber installierte. Auch wenn Ebert sich bemühte, die Verfassungsnorm im Sinne der Praxis eines demokratischen Gewaltmonopols anzuwenden, bleibt es – auch in Anbetracht der späteren Anwendung des Artikels – ein zentrales Versäumnis des Gesetzgebers, keine näheren Ausführungsbestimmungen erlassen zu haben, so Walter Mühlhausen. Das zeigt schon das Ringen Eberts gegen diverse Machtzentren in der Reichswehr, dem Reichswehrministerium und den Ländern, das dem Reichspräsidenten mit einem solchen Gesetz hätte erspart werden können und den prinzipiell prorepublikanischen Charakter des Artikels geschärft hätte. Einen genaueren Blick auf die Polizei als Ordnungsmacht der Länder wirft im anschließenden Beitrag MORITZ HERZOG STAMM, der sich der Reform der preußischen Polizei unter Carl Severing und Friedrich Wilhelm Abegg widmet. Diese
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nahm erst nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch an Fahrt auf, der auch im Bereich der Länderpolizeien „die tönernen sicherheitspolitischen Füße, auf denen die Republik stand, überdeutlich freigelegt“ hatte. Die preußische Polizei wurde dabei ab 1920 auch bewusst und gezielt als Gegenkraft zur Reichswehr aufgebaut. Dabei kam auch der schon von Wolfgang Heine eingerichteten „Sicherheitspolizei“ (Sipo) als ‚Kampftruppe‘ zur Aufstandsbekämpfung weiterhin eine zentrale Rolle zu (die von den Alliierten kritisch beäugt wurde), nicht zuletzt, um sich im Falle einer nötigen Wiederherstellung von ‚Ruhe und Ordnung‘ strategisch von der Reichswehr und sicherheitspolitisch von der Reichsregierung zu emanzipieren. Auch im Bereich der polizeilichen Einsatztaktiken sollte fortan eine zivile Komponente die militärische überwiegen, was sich aber gerade für die Sipo und angesichts ihrer Erfolge bei der Beendigung des Mitteldeutschen Aufstandes 1921 als schwierig erwies. Auch die übrige Polizeiarbeit wurde zwar nicht explizit auf die Demokratie eingeschworen, wohl aber auf den Volksstaat. Diese Begrifflichkeit baute eine Brücke, um den preußischen Beamten, deren Treue dem preußischen Staat als solchem galt, den Weg in den ‚neuen Staat‘ zu erleichtern. ‚Im Volke stehend‘ sollte die Polizei zu einem ‚Freund und Helfer‘ des Volkes, zu einer ‚Volkspolizei‘ werden. Dies wurde zugleich mit einem umfassenden Modernisierungsprogramm der Polizeiarbeit verknüpft, die sich im Volksstaat als moderner, effizienter und ziviler erweisen sollte als im Obrigkeitsstaat. Im anschließenden Beitrag zeigt SEBASTIAN ELSBACH auf, wie sich die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold im Jahr 1924 aus der Gewaltgeschichte der Anfangsjahre der Republik ergab. Auf Akteursebene zeichnet er detailliert nach, wie republikanische Kriegsteilnehmer, die auch nach 1918 in den Sicherheitsorganen aktiv blieben oder ihnen nahe standen, über das Regiment Reichstag, den Republikanischen Führerbund und den Republikanischen Reichsbund schließlich zur Gründung des Reichsbanners kamen. Es ist demnach durchgängig die Einsicht in die Notwendigkeit personeller Erneuerung in den Sicherheitsorganen und der Wunsch nach zivilgesellschaftlicher Sammlung der Republikaner nachweisbar. Wolfgang Heine, bis zum Kapp-Lüttwitz-Putsch preußischer Innenminister, reagierte 1924 euphorisch auf die Gründung des Reichsbanners und bemängelte nur, dass es gefehlt habe, als es am meisten gebraucht wurde. Mit Blick auf die Fragestellungen des Bandes hat diese Gründung im Jahr 1924 jedoch auch einen ambivalenten Charakter: Die nun einsetzende sicherheitspolitische Stabilisierung ist zwar nicht ursächlich mit der Existenz des Reichsbanners verknüpft. Aber die Gründung eines paramilitärischen Verbandes außerhalb der formellen Sicherheitsorgane des Reichs und der Länder, der sich für die Republik einsetzt, wirft immerhin Fragen an den Glauben an die dauerhafte und stabile Ordnungsfunktion der Republik und ihres Gewaltmonopols selbst in den Reihen der Republikaner auf. Trotzdem: Für die Wehrhaftigkeit der Republik war diese überparteiliche Sammlung in den Folgejahren ein wichtiger Beitrag. Im folgenden Aufsatz greift DIETFRID KRAUSE VILMAR den von Moritz Herzog-Stamm gesponnen Faden wieder auf und widmet sich den preußischen Polizeireformen unter Albert Grzesinski ab 1924. Als Polizeipräsident von Berlin und
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preußischer Innenminister prägte der überzeugte Demokrat die preußische Innenund Polizeipolitik der zweiten Hälfte der Weimarer Republik entscheidend mit. Grzesinski – SPD-Mitglied und auch langjähriger preußischer Landtags-Abgeordneter – begriff die preußische Polizei als Hüter der demokratischen Verfassung und trieb entsprechende Reformen weiter voran, sei es durch Reformen der Verwaltung, die konsequente Auflösung der Gutsbezirke (und damit die Durchsetzung des Polizeimonopols auch in der Fläche), durch eine pro-republikanischen Personalpolitik oder auch durch unermüdliche öffentliche Rede für die Republik und ihre Verfassung. Was im Reich mit Blick auf die Reichswehr offenbar misslang, machte auf Landesebene und mit Blick auf die Polizeien durchaus Fortschritte, wenn sich engagierte Demokraten wie Grzesinski dafür mit Ausdauer und Beharrlichkeit einsetzten. Damit endet der Abschnitt zu den Prozessen und Akteuren der Stärkung des demokratischen Gewaltmonopols und es folgen zwei Beiträge zur kulturellen Verarbeitung und kollektiven Erinnerung an die Anfangsgewalt der Weimarer Republik. Zunächst widmet sich HELMUTH KIESEL Rolle revolutionärer, staatlicher und außerstaatlicher Gewalt in der zeitgenössischen Literatur der Weimarer Republik. Die vornehmlich von politisch links stehenden Autoren verfasste Revolutionsliteratur hat in aller Regel ein ambivalentes Verhältnis zur revolutionären und eine ablehnende Position zur staatlichen Gewalt. Wo die Revolution im Sinne eines neuen Humanismus und eines sozialistischen Pazifismus gedeutet wird, ist eine überschäumende Würdigung revolutionärer Gewalt kaum zu finden, eher eine zögerliche Rechtfertigung. Die Gewalt des Staates wird dagegen als konterrevolutionäre Gewalt gedeutet, die sich in nichts von der unterdrückenden Gewalt des Obrigkeitsstaates unterscheide und ein Instrument der Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft bleibe. Ihre Deutung als Verteidigung der Revolution und ihrer Ergebnisse oder als demokratisch legitimierte Gewalt findet sich nicht. Auch in der politisch rechts stehenden Erinnerungsliteratur aus dem Freikorpsmilieu kommen der neue Staat und seine Gewaltakteure nicht gut weg – immerhin habe man der schwachen Republik der ‚Erfüllungspolitiker‘ im Kampf gegen den ‚Bolschewismus‘ beispringen müssen. Zu heroischer Gewalt im Namen der Nation zeigte sie sich nicht fähig – darum musste man sich schon selbst kümmern. Weder in dieser genuin politischen Literatur noch in der übrigen Literatur der Zeit hatten der Staat und seine Gewaltakteure daher einen guten Leumund: „So gibt es in den Texten dieser Jahre zwar heldenhaft kämpfende Revolutionäre und ehrenhafte Attentäter oder Putschisten, aber keine heldenhaft kämpfenden oder auch nur ehrenvoll handelnden Polizeibeamten. Es sind meist anonyme Uniformträger, die die Aufgaben von Schergen verrichten und kein mitmenschliches Interesse verdienen, geschweige denn Anerkennung,“ so Helmuth Kiesel. Dieser Befund ist ein starkes Zeichen dafür, wie schwach der Rückhalt für das staatliche Gewaltmonopol und seine Funktion für die Demokratie auch bei den kulturellen Eliten und in der breiten Bevölkerung war. Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von CHRISTIAN FALUDI, der die ausgesprochen widersprüchliche Erinnerung an den Kapp-Lüttwitz-Putsch „in vier politischen Systemen“ von 1920 bis 1990 nachzeichnet. Ob in Literatur, Denkmälern, Lehrmaterialien, Wissenschaft oder (Populär-)Kultur: Wesentliche Deutungs-
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linien wurden während des Putsches und in den unmittelbaren Folgejahren von allen beteiligten Akteuren festgelegt und schrieben sich entlang der politischen Vorzeichen der jeweils herrschenden politischen Ordnung fort. Dass der Nationalsozialismus die nationalistische, gewaltverherrlichende, anti-bolschewistische und antidemokratische Kultur des Freikorpsmilieus für sich vereinnahmte, überrascht ebenso wenig wie die Deutung des Putsches von 1920 und dessen Abwehr durch die von der KPD angeführte ‚Arbeiterklasse‘ als erstes Auflehnen des Antifaschismus in der DDR. In der BRD wiederum spannte sich die Erinnerung in das Feld zwischen Freikorpsnostalgie und Rechtsextremismus, linkem Antifaschismus, dem Bemühen um historische Aufarbeitung und einem sukzessiven Vergessen in der Mehrheitsgesellschaft ein. Für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik unmittelbar vor und nach 1990 spielte der Kapp-Lüttwitz-Putsch jenseits ‚interessierter Kreise‘ jedenfalls keine signifikante erinnerungspolitische Rolle mehr, auch wenn in ihm viele Fluchtlinien der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts wie in einem Brennpunkt zusammenkommen. In der Gesamtschau dieser Beiträge ergibt sich ein ausgesprochen ambivalentes Bild. Ja, im Wesentlichen konnte das staatliche Gewaltmonopol in der Revolution und den Anfangsjahren der Republik gewahrt werden. Wo es zu erodieren drohte oder signifikante ‚Durchbrechungen‘ zu befürchten waren, hielt es stand und erwehrte sich dieser Angriffe. Ein offener und flächendeckender Bürgerkrieg, eine gewaltsame Desintegration des Reiches traten nicht ein: 1924 bestand das Deutsche Reich, es bestand relativ gewaltfrei und stabil, und es bestand als parlamentarische Demokratie. Nichts davon war 1920 oder 1923 selbstverständlich. Führende Politiker hatten dies bewerkstelligt und immer wieder Mittel, Wege und neue Instrumente gefunden, existenzielle Bedrohungen abzuwenden. Gleichwohl: Der Preis für diesen ‚Erfolg‘ war hoch. Es war wohl die permanente Einsatzbereitschaft und das wiederholte Angewiesensein auf die alten ‚Spezialisten der Gewalttat‘, die eine signifikante Transformation hin zu einem genuin demokratischen Gewaltmonopol verhinderten. Das betraf vor allem die Reichswehr und ihr nahestehende para- oder halb-staatliche Akteure der Gewalttat (Freikorps, Zeitfreiwilligenverbände, rechte paramilitärische Verbände), die sich zentralen Elementen eines solchen demokratischen Gewaltmonopols, allen voran der politischen und zivile Prärogative, erfolgreich widersetzten. Unterstützung fanden sie dabei in Justiz und Verwaltung bei allen Beamten, denen die Nation, das Vaterland, die Wehrhaftigkeit, der Wiederaufstieg nach der Schmach von Versailles, die Abschüttelung der ‚Erfüllungspolitiker‘ und ‚Novemberverbrecher‘ höher standen als die Verfassung von Weimar, die Demokratie oder die Republik. Aber auch diese Infragestellung des demokratischen Gewaltmonopols aus dem Staat heraus war nicht die einzige Option oder eine Einbahnstraße. Auf dem Umweg der Staatstreue der Beamten war es durchaus möglich, den Einsatz für das Gewaltmonopol und die neue politische Ordnung in Einklang miteinander zu bringen. Die vergleichsweise erfolgreichen Bemühungen um eine Republikanisierung der preußischen Polizei und anderer Landespolizeien zeigen dies. Fehlte es der Weimarer Republik zur Schaffung eines soliden demokratischen Gewaltmonopols also lediglich an Zeit? Die Frage ist spekulativ und
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schwer zu beantworten. Leichter zu diagnostizieren ist dagegen der Umstand, dass es die Defizite bei der Etablierung eines genuin demokratischen Gewaltmonopols waren, die einen erheblichen Anteil daran hatten, dass die Demokratie ab 1930 zerstört werden konnte. Aber dies ist ein Thema für ein anderes Buch… Dieser Band ist aus der gemeinsamen Jahrestagung der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Weimarer Republik e.V. entstanden. Sie fand Ende Februar 2020 in Weimar statt und war für fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für sehr lange Zeit die letzte Gelegenheit eines persönlichen wissenschaftlichen Austausches. Umso dankbarer sind wir daher allen Personen und Institutionen, die dies möglich gemacht haben. Allen voran sind dies das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, deren Förderung unsere Aktivitäten überhaupt erst möglich macht. Wir danken auch der GerdaHenkel-Stiftung für die großzügige und unkomplizierte Förderung des eingangs genannten Forschungsprojektes, dessen Zwischenergebnisse wir auf der Tagung präsentieren konnten und das selbst erheblich von dem Austausch mit ausgewiesenen Kolleginnen und Kollegen profitiert hat. Hier gilt unser Dank der gesamten Forschungsgruppe aus geförderten und assoziierten Kollegen für die vielen konstruktiven Diskussionen vor und nach der Tagung: Sebastian Elsbach, Martin Platt, Axel Mössinger, Florian J. Schreiner und Christian Faludi. Aus dem Umfeld der Forschungsstelle und des Vereins gilt unser Dank Jonathan Overmeyer, Max Streckhardt, Katharina Vogt, Tim Haas, Monika Keilich, Tim Niendorf sowie Alf Rößner, Stephan Zänker, Markus Hünniger, Markus Lang und Linda Schuhmann, die allesamt mit kleineren oder größeren organisatorischen, logistischen oder anderen Beiträgen ihren Anteil am Gelingen eines solchen Vorhabens haben. Ganz besonderer Dank gilt natürlich allen Kolleginnen und Kollegen, die die Konferenz mit ihren Vorträgen, Sitzungsleitungen und Diskussionsbeiträgen enorm bereichert haben. Gegenüber allen, die nun auch in diesem Tagungsband vertreten sind, sei der Dank noch einmal potenziert. Wir hoffen, dass er neben zahlreichen Erkenntnissen zur Gewaltgeschichte der frühen Weimarer Republik im Speziellen und zur Bedeutung eines demokratischen Gewaltmonopols im Allgemeinen auch genauso viele Anregungen liefert, sich mit beiden Aspekten staatlicher und außerstaatlicher Gewaltsamkeit genauer zu beschäftigen. Vermehrte Meldungen extremistischer oder demokratiefeindlicher Positionen in den Sicherheitsorganen der Bundesrepublik machen diese Fragen genauso aktuell wie die Problematik der Beendigung oder Vermeidung von Bürgerkriegen in demokratischen Transformationsgesellschaften auf der ganzen Welt. LITERATUR Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Amsterdam / Frankfurt am Main 1997, zuerst 1939.
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Elias, Norbert: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1992, zuerst 1989. Schumann, Dirk: Anfangsgewalten. Gewalterfahrungen und ihre Nachwirkungen in der Weimarer Republik. In: Wagner, Patrick / Hettling, Manfred (Hg.): Revolutionäre Zeiten zwischen Saale und Elbe, Halle 2019, S. 217–238. Weber, Max: Politik als Beruf. Stuttgart 1992, zuerst 1919.
DER „DEUTSCHE BÜRGERKRIEG“ UND DAS VERSPRECHEN DES DEMOKRATISCHEN GEWALTMONOPOLS Sebastian Elsbach Max Weber definierte in seinem Aufsatz Politik als Beruf den Staat als eine „menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.“1 Dieser Satz lädt zu vielfältigen Nachfragen, Spezifikationen und Missverständnissen ein. Was ist eine „Gemeinschaft“? Wie definiert Weber „Legitimität“? Will er in affirmativer Absicht sagen, dass „der Staat“ Gewalt gegen seine Bürger ausüben soll? Ein genauerer Blick in Webers Schriften würde auf diese und andere Fragen Antworten liefern. Es scheint jedoch die Regel zu sein, dass Webers Gedanken zu den Fragen des Gewaltmonopols außerhalb der Herrschaftssoziologie und den Weber-Biografien nur auf diesen einen, eben zitierten Satz reduziert werden.2 Webers Begriff des Gewaltmonopols ist dennoch bis heute in allen Sozialwissenschaften die Standarddefinition und dies international.3 Für die Überlegungen zum „demokratischen Gewaltmonopol“ stellen sie den richtigen Ausgangspunkt, freilich nicht den Endpunkt dar.4 Mit „Gewaltmonopol“ ist nicht gemeint, dass ein Staat alle Gewalt monopolisiert und so ein bestimmtes Gebiet vollständig ‚befriedet‘ bzw. dieses Gebiet als Ganzes in einen ‚gewaltfreien Raum‘ verwandelt. Weber spricht nur von „legitimer physischer Gewaltsamkeit“. Die kriminelle Gewalt beispielsweise eines Straßenräubers oder häusliche Gewalt wird nicht abgeschafft, sondern vom Staat als illegitim angesehen und mehr oder weniger effektiv sanktioniert. Ein staatliches Zwangsmonopol meint Weber ebenso wenig, auch wenn er so missverstanden werden könnte. Werksintern war Weber (für ihn untypisch) in dieser Begriffsfrage nicht 1 2
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Weber (1919): Politik als Beruf, S. 4. Hervor. i. O. Ausführlicher: Anter / Breuer (2016): Webers Staatssoziologie; Hanke/Mommsen (2001): Webers Herrschaftssoziologie. Knöbl erklärt dieses nur oberflächliche Interesse an Webers Ausführungen außerhalb der Weber-Debatte im engeren Sinne mit der langjährigen Dominanz einer fortschrittsoptimistischen Modernisierungstheorie und der vergleichsweise späten Wiederentdeckung des modernisierungspessimistischen Theoriebeitrags von Norbert Elias (Knöbl (1998): Polizei und Herrschaft, S. 11f.). Grimm (2006): staatliches Gewaltmonopol, S. 20. Ferner zur Ideengeschichte des Gewaltmonopols: Kley (2006): staatliches Gewaltmonopol; Münkler/Llanque (2002): Rolle der Eliten. Ähnliche Formulierungen bereits bei Wirsching (2019): Demokratie und Gesellschaft, S. 245f. („Gewaltmonopol des demokratischen Staates“) oder Wirsching (1999): Weltkrieg, S. 599 („demokratisch-rechtsstaatlichen Gewaltmonopols“), wo allerdings keine Theoriebildung oder Erklärung der Begriffe erfolgt.
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ganz einheitlich. So heißt es in den Soziologischen Grundbegriffen: „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwangs [!] für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.“5 Es geht also nicht um den „Zwang“ an sich, sondern spezifischer um den „physischen Zwang“, der in legitimer Weise vom Staat zur Aufrechterhaltung seiner „Ordnungen“ angedroht und bei Zuwiderhandlung auch eingesetzt wird. Beide Definitionsvarianten Webers widersprechen sich insofern nicht, können aber zu einer Verwischung der Grenzen von „Zwang“ und „Gewalt“ verleiten.6 Im polizeilichen Sprachgebrauch ist es dementsprechend üblich von „Zwang“ bzw. „Zwangsmaßnahmen“ zu sprechen, wenn der gewaltsame Teil der eigenen Arbeit gemeint wird, womit die Legitimität des staatlichen Handelns in Abgrenzung zu prinzipiell illegitimer privater Gewaltsamkeit betont werden soll.7 Um physische Gewalt handelt es sich freilich so oder so. Dennoch ist die deutsche Sprache eigentlich hinreichend genau und auch andere Sprachen trennen die beiden Begriffe klar voneinander, so im Englischen und Französischen (force / pouvoir – violence) oder im Polnischen (Przymus – Przemoc). Ein staatliches Gewaltmonopol schließt insofern die Androhung von Zwangsmaßnahmen, wie auch deren Anwendung mit ein, wobei diese Maßnahmen physische Gewaltsamkeit beinhalten können, aber nicht notwendigerweise müssen. Man denke allein an ein behördlich verordnetes „Zwangsgeld“, welches ebenso zu einer Verhaltensänderung der betroffenen Person führen soll, wie polizeilich angewandte physische Gewalt – alias „unmittelbarer Zwang“ / „use of force“. Was meint demgegenüber das „demokratische Gewaltmonopol“? Grundsätzlich betrachtet beschreibt dieser Begriff erstens das Gewaltmonopol eines demokratisch verfassten Staates – einer Demokratie, zweitens die demokratische Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols. Es ist sinnvoll, in diesem Sinne ein deskriptives von einem normativen Begriffsverständnis zu trennen, ohne dass dies zur Folge haben darf, eine der beiden Aspekte kategorisch auszuschließen. Realität und Versprechen des demokratischen Gewaltmonopols müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Denn begrifflich interessant ist jener Grenzfall, in dem Realität und Versprechen am deutlichsten auseinander klaffen. Dieser tritt ein, wenn ein demokratischer Staat zwar versucht, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, hierbei aber auf organisierten Widerstand trifft und dies zu einer kriegerischen Auseinandersetzung innerhalb dieses Staates – einem Bürgerkrieg – führt. Eine verbreitete Definition ex negativo beschreibt „Bürgerkrieg“ als einen Zustand, in dem das staatliche Gewaltmonopol durch eine interne Herausforderung zerstört wurde.8 Diesem Verständnis 5 6
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Weber (1920): Soziologische Grundbegriffe, S. 29. Hervor. i. O. Ausführlich: Braune (2016): Zwang und Heteronomie. Zur Werksgeschichte Webers: Breuer (1991): Webers Herrschaftssoziologie, S. 13–32. Zur Unterscheidung (bzw. Nicht-Unterscheidung) von „Gewalt“ und „Zwang“ bei Weber: Colliot-Thélène (2016): Monopol der legitimen Gewalt, insb. S. 41–43 sowie Anter (2001): Monopol der legitimen Gewaltsamkeit, insb. S. 121–126. Grimm (2006): staatliche Gewaltmonopol, S. 20. Vgl. Kalyvas (2006): Logic of Violence, S. 18.
Der „Deutsche Bürgerkrieg“ und das Versprechen des demokratischen Gewaltmonopols
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nach besteht ein staatliches „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ nur dann, wenn der betreffende Staat in der Lage ist, seine Legitimität auch durch andere als gewaltsame Mittel aufrechtzuerhalten. Über die technische Ausgestaltung der hierfür nötigen Zwangsmittel sollen hier keine Aussagen getroffen werden. Wichtig ist, dass für eine Demokratie die ersten Mittel der Wahl auf nicht-physischem Zwang sowie freiwilliger Kooperation beruhen sollten. Schließlich fußt eine Demokratie dem Selbstverständnis nach auf dem „Willen des Volkes“ und dürfte insofern mit geringerem Widerstand gegen das staatliche Handeln rechnen können als eine Regierungsform ohne Massenpartizipation. Bürgerkriege wie auch allgemeiner gesprochen militanter Widerstand innerhalb des eigenen Staates stellen daher Demokratien vor eine besondere legitimatorische Herausforderung, da ihr Vorhandensein eo ipso den demokratischen Gehalt des Gemeinwesens in Frage stellt. Im Folgenden soll den Fragen nachgegangen werden, in welchem allgemeinen Verhältnis Gewalt und (demokratische) Staatsautorität zueinander stehen. Wie kann der demokratische Gehalt der Weimarer Republik bewertet werden und wie hängt dies mit den Gewaltereignissen insbesondere in ihrer Anfangsphase zusammen? Dies erlaubt trotz der mitunter bemühten ‚Weimarer Verhältnisse‘ zwar kein besseres Verständnis der aktuellen deutschen Innenpolitik, doch kann auf dieser Basis eine begründete Diskussion der Frage stattfinden, ob bzw. inwiefern sich ein Bürgerkrieg in der frühen Weimarer Republik ereignete. Dies wird weitere Bezüge auf die sozial- und politikwissenschaftliche Theoriebildung notwendig machen, wobei der nächste Anknüpfungspunkt erneut bei Weber liegen muss. 1. GEWALTMONOPOL UND DEMOKRATISCHE STAATSAUTORITÄT „Physische Gewaltsamkeit“ ist laut Max Weber dasjenige politische Mittel, welches dem Staat spezifisch ist. Erst mit der Beanspruchung und erfolgreichen Durchsetzung des Monopols auf legitime physische Gewaltsamkeit beginnt für Weber die Geschichte des modernen Staates.9 Der Staat ist […] ein auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit er bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herrschenden fügen. Wann und warum tun sie das? Auf welche inneren Rechtfertigungsgründe und auf welche äußeren Mittel stützt sich diese Herrschaft?10
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Zur Bildung des preußisch(-deutsch)en Gewaltmonopols bis 1914 aus herrschaftssoziologischer Perspektive: Funk (1986): Polizei und Rechtsstaat; Knöbl (1998): Polizei und Herrschaft. Schon vor 1914 hat es demnach bereits Tendenzen zu einer „Modernisierung“ und „Zivilisierung“ des staatlichen Gewaltmonopols gegeben (vgl. Funk (1986): Polizei und Rechtsstaat, S. 312–327), dies war aber höchstens die Vorarbeit zu einer späteren Demokratisierung, da sich die gewandelte Rolle der Polizei nicht auf den Kern des politischen Systems auswirkte. 10 Weber (1919): Politik als Beruf, S. 5. Hervor. i. O.
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Selbstverständlich müssen sich Menschen „fügen“, wenn sie einer überlegenen physischen Gewaltsamkeit ausgesetzt sind. Weber geht es jedoch weiter gefasst um jede Form von „fügen“ und der zentrale Begriff hierfür ist „Autorität“ als die wesentlichste Eigenschaft der „Herrschenden“. Herrschende verfügen in diesem Sinne über Autorität, wenn sie „für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam [.] finden.“11 Dieser Gehorsam erfolgt allerdings nicht primär aufgrund einer Androhung von Gewalt oder Zwang, sondern vielmehr weil die Herrschaftshierarchie als legitim anerkannt wird. Idealtypisch benennt Weber drei Gründe für einen solche Herrschaftsglauben der Beherrschten: Sitte, Gnadengabe und Satzung bzw. (etwas zeitgemäßer formuliert) Tradition, Charisma und Legalität.12 Entscheidend für die Durchsetzung des Gewaltmonopols in einer Demokratie ist der letztgenannte Punkt und zwar insofern, als dass jede demokratische Verfassung entsprechende rechtliche Bestimmungen über die Ausübung des Gewaltmonopols trifft. Findet die Verfassung Anerkennung wird eine rationale Form von Herrschaft etabliert, die (mit deren Einverständnis) Herrschende und Beherrschte gleichermaßen der Rechtsordnung unterwirft. Aufgrund dieser Reglementierung der Herrschaftsausübung spricht man daher auch von „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann), und dies Verfahren regulieren und institutionalisieren in der liberalen Demokratie die Mehrheitsherrschaft mit Minderheitenschutz, wobei auch dann Tendenzen zur Mobilisierung von nicht-rechtlichen „Legitimitätsressourcen“ beobachtbar sind.13 Von einer demokratischen Ausprägung des staatlichen Gewaltmonopols ist in Politik als Beruf aber keine Rede. Dies dürfte nicht etwa daran liegen, dass Weber als linksliberaler Publizist und Politiker die Demokratie abgelehnt hätte. Das genaue Gegenteil ist der Fall, vor allem befürwortete er die parlamentarische Demokratie als Möglichkeit zur Kontrolle der Bürokratie.14 Seine Ausführungen über das Gewaltmonopol sind jedoch erkennbar in der vor-demokratischen Situation des Kaiserreiches verhaftet und angesichts seines baldigen Todes im Zuge der damaligen globalen Grippe-Pandemie hatte er offenkundig keine Gelegenheit, diese Stelle seines Werkes eigenhändig auszubauen, sofern dies überhaupt in seinem Interesse gewesen wäre. Überlegungen zum demokratischen Gewaltmonopol trifft Weber also nicht direkt, aber sein Werk bietet dennoch Anknüpfungspunkte.15 So bestand für Weber ein wesentlicher Aspekt des Parlamentarismus englischer Prägung in der Tatsache, 11 12 13 14 15
Weber (1920): Soziologische Grundbegriffe, S. 28. Vgl. Weber (1919): Politik als Beruf, S. 5f. Vgl. Di Fabio (2018): Herrschaft und Gesellschaft, S. 44–46. Llanque (2000): Demokratisches Denken, S. 235–263, hier vgl. S. 250–252. Schwieriger wäre dies im Falle des Werkes von Georg Jellinek, der zwar einen wesentlichen Beitrag zur Theorie der Staatsgewalt leistete, deren Demokratisierung aber ablehnte (Anter (2004): Jellineks Staatsdenken, S. 42–44). Stattdessen vertrat Jellinek in Bezug auf die Staatsgewalt eine sog. Selbstbindungslehre, die vor dem Problem steht, dass „der Staat“ sich seiner selbst gesetzten Grenzen auch jederzeit entledigen könnte und diese Lehre somit ein großes Einfallstor für Willkürherrschaft bietet (ebd., S. 47–49). Bei einer an einen Mehrheitswillen rückgekoppelten Staatsgewalt ist dies eben nur sehr begrenzt möglich, da die staatlichen Entscheidungen dann einen durch Debatten erzielten Konsens voraussetzen.
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dass die Parlamentsmehrheit echte Kontrolle über die Exekutive und damit wirklichen Einfluss auf die „Herrschaftsverhältnisse“ ausüben konnte, während dies im preußisch geprägten Parlamentarismus eben nicht der Fall war. Zudem waren die unpolitischen „Fachbeamten“ in Preußen „unendlich viel informierter über die eigentlichen technischen Probleme des Faches“ als so mancher Politiker. Sie konnten „Direktiven politischer Art“ ausgeben, die nicht gegenüber dem Parlament verantwortet werden mussten. Dieses Machtgefälle sei jedoch auch vom deutschen „Revolutionsstaat“ nicht angetastet worden, wobei Weber in (wohl zwangsläufiger) Unkenntnis über die inneren Prozesse des Machtapparates insgesamt urteilt, dass die „Verfügung[smacht] über die Maschinengewehre“ nun in den Händen der Minister läge, die er aber als „absolute Dilettanten“ bezeichnet. Nur sei dieses ‚Dilettantentum‘ der Minister in technischen Fragen eben keine Neuerung der Novemberrevolution, so Weber, sondern Teil der preußisch-deutschen Tradition.16 Dass wiederum die deutschen Parlamente und Parteien keine „[charismatischen] Führer“ hervorgebracht hätten, die in der Lage gewesen wären, anders als durch Fachwissen Macht zu erlangen, sondern selbige fern hielten, unterdrückten oder glattschliffen, läge an der bisherigen subalternen Position der Parlamente im Verhältnis zu den monarchischen Regierungen. Ob die Revolution mit der Zeit zu einer Behebung dieses Missstandes führen würde, wollte Weber im Januar 1919 berechtigterweise nicht als Sicherheit bezeichnen.17 Webers weitere Ausführungen über den Unterschied zwischen einer „Führerdemokratie“ und einer „führerlosen Demokratie“ sowie seine baldige Fürsprache für einer Direktwahl des Reichspräsidenten als „charismatischem Führer“ müssen hier nicht näher interessieren.18 Für ein Verständnis des demokratischen Gewaltmonopols als Fortführung von Webers Gedanken sind die bisherigen Ausführungen auch so anregend. Denn wer entscheidet über die Frage, was die „technischen Probleme des Faches“ sind? Die „Fachbeamten“ oder die einer (parlamentarischen) Mehrheit verpflichteten Minister? In diesem Sinne kann Webers Hinweis auf das ‚Dilettantentum‘ der Minister auch als Vorteil verstanden werden, da für sie eben politische Gesichtspunkte entscheidend sind und keine nur vermeintlich unpolitischen, technischen Erwägungen, hinter denen stets eindeutige Machtinteressen standen. Das Grundproblem schon der frühen Weimarer Republik bestand darin, dass im Weberschen Sinne ein Konflikt zwischen verschiedenen Arten und Inhalten von Herrschaftsglauben vorlag. Ein Blick auf die Wahlen dieser Epoche zeigt, dass bereits in der Weimarer Nationalversammlung ein beträchtliches Potential (~20%) von demokratieskeptischen bis -feindlichen Parteien und Meinungen existierte, welches in den 1920er Jahren anwuchs, auch da sich nun die KPD trotz ihrer Parlamentsfeindlichkeit überhaupt an den Wahlen beteiligte, dies aber stets mit einer 16 Vgl. Weber (1919): Politik als Beruf, S. 19–21. 17 Vgl. ebd., S. 44–46. Ebendort wird als Beispiel für einen charismatischen Führer August Bebel besprochen. 18 Vgl. ebd., S. 47f. sowie Weber (1919): Reichspräsident. Einordnend: Llanque (2000): Demokratisches Denken, S. 317–321.
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verfassungsfeindlichen Botschaft. Schon ab 1920 war die Regierungsbildung auf Reichsebene von der demokratieskeptischen, rechtsnationalen DVP abhängig und die demokratiefeindliche DNVP wurde auch aufgrund der gemeinsamen antikommunistischen Haltung innerhalb der parlamentarischen Mitte als ‚legitime‘ Regierungspartei anerkannt. In der Frage des Herrschaftsglaubens sonderten sich DVP und DNVP dabei klar von den Parteien der „Weimarer Koalition“ ab und traten als Advokaten eines vermeintlich höheren Interesses von „Nation“ und „Staat“ auf, die in Abgrenzung zu echten oder vermeintlichen Fehlleistungen der „Demokratie“ und ihrer Unterstützer verstanden wurde. Diese einseitige Mobilisierung von „Staatsinteressen“ gegen die „Demokratie“ bedeutete praktisch gesehen eine Mobilisierung eines Teils des Staates gegen einen anderen Teil. Analog kam die Mobilisierung der „Nation“ gegen die „Demokratie“ einem Ausschluss großer Teile der Bevölkerung aus der „Nation“ gleich. Ganz gleich wie integrativ sich beispielsweise das NS-Konzept von der „Volksgemeinschaft“ öffentlich präsentierte. Die Autorität des demokratischen Staates litt unter dieser heterogenen Gemengelage logischerweise beträchtlich. Der fehlende weltanschauliche Konsens für die parlamentarische Demokratie verursachte nicht nur große Herausforderungen für die erfolgreiche Durchsetzung des Gewaltmonopols, sondern erschwerte zudem ein effektives Vorgehen gegen diese Bedrohungen. Für die zeitgenössischen Unterstützer der Republik war es kein Widerspruch, im Namen der Demokratie eine „Staatsautorität“ oder sogar eine „republikanische Diktatur“ einzufordern.19 Dies klingt für heutige Ohren seltsam, drückte aber eine Form von demokratischem Herrschaftsglauben aus. Der Begriff „Diktatur“ meinte in den 1920er Jahren noch kein politisches System, sondern eine auf Notfälle zeitlich begrenzte Herrschaftsmethode im Sinne der Cäsaren der römischen Republik.20 Dass solche Diktatoren auf Zeit sich verselbstständigen und auf die Abschaffung republikanischer Strukturen hinarbeiten konnten, war den Zeitgenossen bewusst und wurde in der Weimarer Nationalversammlung mit den Begriffen „Bonapartismus“ oder „Cäsarismus“ debattiert.21 Auf der Ebene der Begriffsgeschichte waren die 1920er dabei ein Wendepunkt. Der Politikwissenschaftler Giovanni Sartori verdeutlicht, dass vor Weber die heute nicht unübliche Gleichsetzung von „Herrschaft“, „Autorität“, „Gewalt“ und „Zwang“ so nicht bestand. Erst nach seinem Tod habe demnach eine Verwischung der Grenzen zwischen diesen Begriffen ein 19 Vgl. Schreiben Konrad Haenischs an Friedrich Ebert von 2.3.1924, in: BArch, Nachlass Konrad Haenisch, N 2104 / 82, Bl. 25–34 sowie der Beitrag von Dietfrid Krause-Vilmar in diesem Band. 20 Gusy (2018): Weimarer Verfassung, S. 212–216; Di Fabio (2018): Herrschaft und Gesellschaft, S. 38f. 21 Gleichfalls vermieden werden sollte aber auch ein „Parlamentsabsolutismus“ französischer Prägung (vgl. Dreyer (2018): Hugo Preuß, S. 380). Ausführlich zu den Weimarer Versuchen eine so verstandene „Autorität“ zu erlangen: McElligott (2014): Authority and Authoritarianism, der auch auf das Bemühen Carl Schmitts eingeht die zeitliche Begrenzung von „Diktatur“ zu beseitigen und so zum Wegbereiter des heute üblichen „Diktatur“-Verständnisses wurde.
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gesetzt, die in der zweiten Nachkriegszeit an Fahrt aufgenommen habe.22 Für das Verständnis der Weimarer Republik als eigenständiger Epoche sind solche Begriffsunklarheiten von großer Bedeutung. Zwischen „Autorität“ und „Autoritarismus“ besteht in diesem Sinne ein zentraler Unterschied, wie auch Sartori hervorhebt. „Autorität“ ist mit „Demokratie“ nicht einfach nur vereinbar, sondern im Sinne der Autorität eines demokratischen Staates wesensmäßig verwachsen. Als Staaten ohne jegliche Autorität bzw. Staatsgewalt bezeichnet man in der heutigen Politikwissenschaft die sogenannten failed states und ein solcher war die Weimarer Republik zweifellos nicht.23 Dies belegt ja allein die Tatsache, dass die fundamentale Staatskrise von 1923 gemeistert werden konnte. „Autoritarismus“ wiederum bezeichnet laut Sartori ein politisches System, welches grundsätzlich „keine Freiheit anerkennt“.24 Hier reicht es zu definieren, dass mit „Freiheit“ sinnvollerweise nur eine individuelle, politische Freiheit gemeint sein kann, was gleichermaßen die Freiheit von Willkürherrschaft und die Freiheit zur politischen Teilhabe beschreibt. Demokratien sind in diesem Sinne jene politischen Systeme, die Freiheit mittels einer „beschränkten Mehrheitsherrschaft“ (Sartori) ermöglichen.25 Eine unbeschränkte, im Sinne von schrankenloser Mehrheitsherrschaft ist ebenso wenig wie eine Minderheitsherrschaft eine Demokratie. Damit dies in einem politisch bedeutsamen Zeitraum gewährleistet wird, sind Demokratien auf ein bestimmtes Verfahren angewiesen, auf welches sich die Teilhabenden vorher geeinigt haben und welches in einem Verfassungsdokument festgeschrieben und auf diese Weise institutionalisiert sein sollte. So wird ein vom Grundsatz her durch die Wählerschaft legitimiertes, gewaltfreies Abwechseln zwischen Mehrheiten und Minderheiten ermöglicht, was Demokratie einen institutionell eingebauten Mechanismus zur Fehlerkorrektur verleiht.26 Dass ein solches Verfahren und die mit ihnen verbundenen Institutionen historisch bedingten Transformationen unterworfen sind, die sich auf den Charakter des politischen Systems auswirken können, versteht sich von selbst. Ob, wann und wie sich solche Transformationen vollziehen, hängt zwar indirekt mit Krisen (Kriege, Wirtschaftseinbrüche, Pandemien usw.) zusammen, nur sind die entscheidenderen Fragen, inwiefern solche Krisen politisiert werden und welche Auswirkungen die staatliche Krisenreaktion auf die Legitimität des politischen Systems als Ganzes hat.27 In der heutigen Bundesrepublik (und nicht nur hier) wird die Legitimität des 22 Sartori (1997): Demokratietheorie, S. 188. Sartori macht hierfür eine Fehlübersetzung von Webers Begriff der „Herrschaft“ in das englische authority verantwortlich, während es eigentlich rule oder power hätte heißen müssen. 23 Auf die Unterscheidung von failed und fragile states wird hier nicht eingegangen. ‚Fragil‘ war die Weimarer Republik durchaus (Müller/Tooze (2015): Normalität und Fragilität). 24 Vgl. Sartori (1997): Demokratietheorie, S. 192. Sartori versucht den Kunstbegriff „autoritativ“ gegen den historisch gewachsenen Begriff „autoritär“ auszuspielen, was wie er selber zugibt, aber ein wenig tragfähiges Unterfangen ist (ebd., S. 191f.). 25 Sartori (1997): Demokratietheorie, S. 40–43. 26 Merkel (2010): Systemtransformation, S. 57–59. 27 Ebd., S. 98–101.
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staatlichen Gewaltmonopols primär über dessen „Verrechtlichung“ hergestellt. Ein Zustand, der selbstverständlich nur in einem konsolidierten Rechtsstaat möglich ist.28 Beschreibt aber der Begriff „beschränkte Mehrheitsherrschaft“ das politische System der Weimarer Republik? Bestand in dieser Zeit überhaupt eine demokratische Staatsautorität? Grundsätzlich ja, da die Gründerinnen und Gründer der ersten deutschen Republik in den Kern ihres politischen Systems den Wahlakt setzten. Die freie, gleiche, geheime und allgemeine Verhältniswahl des in seiner Macht deutlich gestärkten Reichstages, die Direktwahl des Reichspräsidenten und die direktdemokratischen Volksentscheide bildeten die verschiedenen Facetten des Wahlaktes. Hierbei war das bisher geltende Wahlalter von 25 auf 20 Jahren herabgesetzt und das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Die so getroffenen Entscheidungen über das politische Spitzenpersonal oder (in Ausnahmefällen) konkrete Gesetzesvorhaben konnten insofern, anders als im Kaiserreich, für sich in Anspruch nehmen, von einer Mehrheit der Bevölkerung legitimiert worden zu sein. Die Beteiligung an den Reichs- und Landtagswahlen sowie den verschiedenen Durchgängen der Reichspräsidentenwahl lag durchschnittlich bei rund 80%. Die Herrschaft einer Mehrheit in Form des Wahlaktes war somit von den Verfassungsprinzipien her gesehen gewährleistet. Auch die Rechte politischer Minderheiten blieben im Grundsatz gewahrt, wie ein Blick in die Weimarer Reichsverfassung zeigt.29 Bürgerliche Freiheitsrechte, politische Partizipationsrechte, vertikale und horizontale Gewaltenteilung. Die zentralen normativen und funktionalen Kategorien und Institutionen einer rechtsstaatlichen, liberalen Demokratie waren alle vorhanden und wurden von einer Mehrheit der Weimarer Nationalversammlung als Demokratisierung bisheriger „obrigkeitsstaatlicher“ Traditionen betrachtet.30 Was ist aber mit der Frage nach dem „Erfolg“ der hierauf beruhenden Herrschaftsansprüche? 2. WEIMAR ALS DEFEKTE DEMOKRATIE Neben den Geschichts- und Rechtswissenschaften hat auch die politikwissenschaftliche Transformationsforschung zum Ende der Weimarer Republik seit vielen Jahrzehnten gearbeitet.31 „Weimar“ ist nicht nur in der Allgemeinheit, sondern (nicht immer mit Unrecht) auch in diesem Forschungszweig zu einem häufig bemühten Beispiel für das „Scheitern“ einer Demokratie geworden.32 Doch wie lassen sich die verschiedenen Transformationen des politischen Systems in Deutschland 28 Vgl. Grimm (2006): staatliches Gewaltmonopol, S. 24–26. 29 Gusy (2018): Weimarer Verfassung, S. 263–271. 30 Ausführlich: Dreyer (2018) Hugo Preuß, S. 361–402; Gusy (2018): Weimarer Verfassung, Kap. 2. 31 Jüngst Kailitz (2017): Nach dem „Großen Krieg“. Ein Forschungsüberblick bei: Merkel (2010): Systemtransformation, S. 131–136. 32 Synder (2000): From Voting to Violence, S. 117–128; Levitsky/Ziblatt (2018): Wie Demokratien sterben, u.a. S. 22–25.
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weniger emotional und abstrakter beschreiben als mit dem problematischen Begriff des „Scheiterns“? Eine Forschungsgruppe um den Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel hat zur genaueren Unterscheidung von politischen Systemen ein viergleisiges Modell erarbeitet, welches zwischen den Polen einer vollständigen, totalitären Autokratie und einer vollständigen, rechtsstaatlichen Demokratie die Kategorien einer gewissermaßen unvollständigen und daher defekten Demokratie sowie einer Semiautokratie einführt. Dieses Modell hat den Vorteil, dass der Graubereich zwischen Autokratie und Demokratie drastisch auf jenen Bereich reduziert wird, in dem sich defekte Demokratie und Semiautokratie berühren, sodass auf den sonst üblichen, aber kritikwürdigen Begriff mixed system verzichtet werden kann.33 Übertragen auf die jüngere deutsche Geschichte lässt sich so die Bundesrepublik als rechtsstaatliche Demokratie, die Weimarer Republik als defekte Demokratie, das Kaiserreich als Semiautokratie und das sog. Dritte Reich als totalitäre Autokratie klassifizieren.34 Wann genau die autokratische DDR ihren totalitären Charakter abstreifte, ist Gegenstand laufender Debatten. Würde diese viergleisige Unterscheidung nicht gemacht, müsste in nicht erkenntnisfördernder Weise die gesamte Zeit von 1871 bis 1933 als demokratisch-autokratisch gemischt betrachtet werden.35 In der Politikwissenschaft gibt es hierfür den nicht immer präzise gebrauchten Begriff der „Demokratur“.36 Ausgangspunkt des Konzepts der defekten Demokratie ist die funktionalistisch orientierte Theorie der „embedded democracy“.37 Nach Merkel et al. besteht eine rechtsstaatliche Demokratie aus mehreren Teilregimen, die einander stützen und intern, aber auch extern in eine internationale, sozioökonomische, kulturelle und ökologische Umwelt „eingebettet“ sind. Verschiebungen in einem Teilregime machen sich in anderen Teilregimen bemerkbar und können sich auf deren Leistungsfähigkeit auswirken. In einer defekten Demokratie (im Sinne einer dysfunktionalen Demokratie) sind eines oder mehrere der Teilregime in ihrer Funktion stark gestört bzw. werden von anderen Teilregimen überlagert, so dass das Gerüst der rechtstaatlichen Demokratie in eine Schieflage gerät. Wäre eines der Teilregime vollständig 33 Vgl. Merkel (2010): Systemtransformation, S. 24. 34 Merkel sieht im Wesentlichen ähnlich und gibt an, dass sich das Deutsche Reich zu Beginn der 1930er im Graubereich zwischen einer defekten Demokratie und einem semiautokratischen Regime bewegt habe, um zwischen 1933 und 1938 zu einer totalitären Diktatur zu werden (vgl. ebd., S. 26). Das Kaiserreich wird dort als „semiautoritär“ bezeichnet (ebd., S. 24). Präziser ist m. E. „semiautokratisch“. 35 So Synder (2000) From Voting to Violence, S. 20–27 u. 93. Dort ist die Rede dem Deutschen Reich als „democratizing state“, der sowohl autokratische als auch demokratische Elemente in sich vereinigen würden. Diese Bezeichnung unterstellt aber einen Drang zur immer weiter fortschreitenden ‚Demokratisierung‘, die so für das Kaiserreich nicht zutrifft. Erst dessen Ende leitete denn auch eine tatsächliche Demokratisierung ein. 36 Ursprünglich wurde dieser Begriff als Beschreibung jener Systeme von „begrenzter Demokratie“ erdacht, die bestimmte Individuen oder Gruppen grundsätzlich von einer demokratischen Teilhabe ausschließen (vgl. O’Donnell/Schmitter 1986, S. 9). Dies trifft weder auf das semiautokratische Kaiserreich noch die ‚unbegrenzt‘ demokratische Weimarer Republik zu. 37 Merkel (2010): Systemtransformation, S. 30–37.
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zerstört, würde das betreffende System in eine Autokratie abgleiten. Dies alles heißt nicht, dass defekte Demokratien immer instabil sind. Sie sind aber deutlich krisenanfälliger als funktionale Demokratien und sie sind im Krisenfall stärker auf das taktische Geschick der Herrschenden angewiesen, da sie nicht in vollem Umfang auf die systemischen Leistungen von gestörten Teilregimen zurückgreifen können (z.B. eine die Realität stark verzerrende Medienlandschaft, die informierte Entscheidungen behindert). Das Vorhandensein von politisch bedeutungsvollen Wahlen gewährleistet aber auch in defekten Demokratien dasjenige Stabilitätsmerkmal, über welches Autokratien nicht verfügen: der durch wechselnde Mehrheiten hervorgerufene inhaltliche Anpassungsdruck und der damit verbundene institutionelle Lernzwang.38 Für den Problemkreis des Gewaltmonopols in der Weimarer Republik bietet dies eine anregende Perspektive, da sie einen Hinweis darauf bietet, warum die Weimarer Republik trotz ihrer Funktionsstörungen für eine gewisse Zeit als Demokratie existieren konnte. Eine Demokratie setzt einen wiederholbaren Wahlprozess voraus, der wechselnde Mehrheiten und Minderheiten ermöglicht. Wahlen sind in heutigen Millionenstaaten an einen Repräsentationsmechanismus (i.d.R. Parlament und/oder Präsident) gekoppelt, da anders als in dörflichen Versammlungen keine direkte, unmittelbare Form der Kommunikation zwischen Allen möglich ist. Um sowohl eine bedeutungsvolle Wahl als auch eine bedeutungsvolle Repräsentation zu gewährleisten, muss eine Kontrolle der Gewählten durch die Wählenden stattfinden, was wiederum nur mit Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit funktioniert. Die demokratische Herrschaft der Repräsentanten bedeutet einerseits, dass sie durch Wahlen legitimiert sind sowie – einmal gewählt – die Formen und Inhalte dieser Herrschaft festlegen und durchführen können. Andererseits unterliegt diese Herrschaft insofern demokratischen Beschränkungen, als dass sie die bürgerlichen Freiheitsrechte – persönliche Freiheit, Eigentumsfreiheit, Freiheit von Staatsterror etc. – achten muss, wenn sie ihren demokratischen Charakter nicht verlieren will. Denn ohne den Schutz der jeweils wechselnden politischen Minderheiten existiert keine Demokratie in einem bedeutungsvollen Sinne. Effektiven Schutz vor einer ‚Tyrannei der Mehrheit‘ durch einen in Wahlen legitimierten Staat bietet zudem die Aufteilung der Staatsgewalt auf mehrere Institutionen. Dieser Gedanke ist mit John Locke oder Montesquieu sogar schon deutlich älter als die moderne Demokratie als realexistierende Herrschaftsform und lässt sich als Beitrag zur Reduktion von innerstaatlichen Konflikten deuten.39 Die Idee der Gewaltenteilung steht mit dem Anspruch eines Gewaltmonopols jedoch erkennbar im Widerspruch. In einer Demokratie wird dieser Widerspruch dadurch aufgelöst, dass der Staat zwar die Gewaltmittel bzw. deren legitimen Einsatz monopolisiert, aber intern gewaltenteilig aufgebaut ist und insbesondere die militärischen Gewaltmittel unter eine zivile Kontrolle stellt. Zudem ist die Rechtsförmigkeit des staatlichen (Gewalt-)Handelns und deren Justiziabilität durch zivile Gerichte 38 Vgl. ebd., S. 28–40. Ausführlicher: Merkel et al. (2003): Defekte Demokratie, Kap. II. u. III. 39 Armitage (2017): Bürgerkrieg, S. 131–135 u. 140.
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notwendig, um die bürgerlichen Freiheits- und Partizipationsrechte nicht auszuhebeln, die wie erwähnt essentieller Bestandteil eines demokratischen Wahlaktes sind. Alle europäischen Nachkriegsgesellschaften wurden schon im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise ab 1929 durch vielfältige Krisenphänomene und politische Gewalt erschüttert. Die Krisen der Weimarer Republik waren insofern keine Einzelfälle. Der europäische Vergleich verdeutlicht jedoch, dass die Zerstörung der Weimarer Republik sich nicht zwingend aus diesen Krisen ergab. Andere Demokratien der Zwischenkriegszeit mit einem vergleichbaren sozioökonomischen Entwicklungsniveau meisterten alle Krisen und wurden wie Belgien, Frankreich oder die Tschechoslowakei erst durch den Einmarsch der Wehrmacht zerstört.40 Die zentralen Gründe für die relative Instabilität der Weimarer Republik müssen daher in der Struktur des politischen Systems gesucht werden, die autokratischen Akteuren eine Zerstörung der Demokratie ermöglichten. Hier stößt man schnell auf die Rolle des Militärs, welches sich – gestützt auf einen nicht-demokratischen Herrschaftsglauben – der Kontrolle durch die gewählten Repräsentanten weitgehend erfolgreich entziehen und sich so als „Vetomacht“ in zentralen Fragen der Innen- und Außenpolitik etablieren konnte. Hinzu kam die in Krisenzeiten starke Stellung des Reichspräsidenten im Verfassungsgefüge, was Friedrich Ebert zwar eine erfolgreiche Krisenbewältigung ermöglichte, aber sich in den Händen von Paul von Hindenburg als fatal erweisen sollte.41 In der Terminologie von Merkel et al. entspricht die Weimarer Republik als defekte Demokratie am ehesten dem Idealtypus der „Enklavendemokratie“.42 Die Forschungsliteratur zur Weimarer Republik kennt diese Annahme schon länger in Form der Formulierung, dass die Reichswehr ein „Staat im Staate“ (sprich eine Enklave innerhalb einer Demokratie) gewesen sei und auch neuere Studien haben keine bedeutungsvolle juristische, administrative oder gar parlamentarische Kontrolle nachgewiesen.43 Die nicht erfolgte Demokratisierung der Reichswehr und die insgesamt nur unzureichende Demokratisierung des staatlichen Gewaltmonopols sind auch für die hiesigen Betrachtungen von hoher Bedeutung. Im Hinblick auf die Frage der Stabilität bzw. Konsolidierung von Demokratie in der frühen Weimarer Republik ist eben nicht nur dieser Teilbereich des poli 40 Capoccia (2007): Defending Democracy; Berg-Schlosser / Mitchell (2000): Conditions of Democracy. 41 Vgl. hierzu den Beitrag von Walter Mühlhausen in diesem Band. Man muss angesichts von Eberts verfassungskonformem Amtshandeln konstatieren, dass weniger dessen Machtfülle, sondern die Modus der Reichspräsidentschaftswahl entscheidend für die Zerstörung der Republik war. Ebert wurde parlamentarisch gewählt, Hindenburg aber in direkter Volkswahl bestimmt, was eine polarisierte Lager- und keine Konsensbildung begünstigte. 42 Merkel et al. bilden Untergriffe ihres Konzepte, die sich danach richten, welches Teilregime am stärksten gestört ist (siehe Merkel (2010): Systemtransformation, S. 37f. sowie Merkel et al. (2003): Defekte Demokratie, Kap. III). 43 Leßmann-Faust (2000): Gewaltmonopole, S. 244–251; Heinemann (2018): Rechtsgeschichte der Reichswehr, S. 16–24; Schumann (2019): Anfangsgewalten, S. 230–235. Die Reichswehr war sicherlich nicht unabhängig von der Gesellschaft, aber es ist auch nicht vorstellbar wie dies der Fall gewesen sein könnte, da „Gesellschaft“ im modernen Verständnis die Gesamtheit sozialen Handelns beschreibt (Luhmann (2000): Politik der Gesellschaft, S. 7–17).
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tischen Systems wichtig, sondern die Gesamtkonstruktion, in der Dysbalancen in einem Bereich flexibel ausgeglichen werden können.44 Erst wenn dieses Ausbalancieren nicht mehr funktioniert, bricht das politische Konstrukt Demokratie. Das Ende der Republik interessiert hier jedoch weniger als ihr Anfang, denn warum war Weimar eine defekte Demokratie? Mannigfaltige Erklärungen für das „Scheitern“ Weimars wurden in der Forschungsliteratur gesammelt. Die preußischdeutschen Militärtraditionen waren zweifellos sehr resilient, die gesellschaftlichen Belastungen durch den Ersten Weltkrieg können kaum überschätzt werden und die Weltwirtschaftskrise hat auch deutlich stabilere Demokratien an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Über das Institutionengefüge der Weimarer Republik wurde jedoch an ihrem Anfang entschieden, als die teilweise aufgelösten Institutionen des Kaiserreiches grundlegend reformiert und in Form einer defekten Demokratie neu stabilisiert wurden. Grundlegende Änderungen an diesem Verfassungsrahmen hat es in späteren Jahren nicht mehr gegeben. Wie gesagt können auch defekte Demokratien stabil sein, etwa falls die sozioökonomischen Bedingungen günstig sind. Chile als Musterbeispiel einer Enklavendemokratie erwies sich im regionalen Vergleich über Jahrzehnte hinweg als sehr stabil.45 Wenn hier der Fokus auf der Gründungsphase der Weimarer Republik liegt, bedeutet dies also nicht, dass hier eine überdeterminierte Linie vom Anfang der Republik bis zu ihrer Zerstörung gezeichnet werden soll. Die massive politische Gewalt in der Gründungsphase der Republik hatte starke Auswirkungen auf die Restabilisierung des politischen Systems, was schon in der älteren Forschungsliteratur weithin anerkannt und von dem Historiker Dirk Schumann anhand des Nachweises einer Militarisierung der politischen Kultur auch in den mittleren Jahren der Republik herausgearbeitet wurde.46 Auf einer abstrakteren Ebene kommt der Politikwissenschaftler Jack Synder in dessen Buch From Voting to Violence zu ähnlichen Ergebnissen.47 Demnach sind Demokratisierungsprozesse, also die Übergänge von einem autokratischen zu einem demokratischen System, grundsätzlich anfällig für politische Gewalt, da die hiermit verbundene Umgestaltung des politischen Systems zwar einerseits die Partizipation von bisher nicht integrierten Teilen der Bevölkerung ermöglicht, andererseits die Institutionen (Parteien, Medien, Parlament etc.) noch nicht für diese Massenbeteiligung ausgelegt sind und sie daher anfällig für populistische und/oder nationalistische Gruppierungen werden, die einfache, schnelle und radikale Lösungen versprechen. Insbesondere jene, die materiell oder ideell zu den Verlierern des Transformationsprozesses zählen, fühlen sich typischerweise von solchen politischen ‚Angeboten‘ ange 44 Auch innerhalb der Sicherheitsarchitektur der Weimarer Republik wurde versucht durch eine Stärkung der Polizei die Reichswehr als innenpolitischen Sicherheitsgaranten zu ersetzen (siehe hierzu den Beitrag von Dietfrid Krause-Vilmar in diesem Band). 45 Zu Chile als Enklavendemokratie „fast reinen Typs“: vgl. Merkel et al. (2003): Defekte Demokratie, S. 140. 46 Schumann (2001): Politische Gewalt, Kap. V. 47 Synder konzentriert sich auf Nationalismus als wirkmächtigen Teilaspekt von politischer Kultur (Synder (2000): From Voting to Violence, S. 21–25).
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sprochen. Dies verstärkt den Anpassungsdruck auf die Institutionen, was ihre ohnehin geschwächte Stabilität und Leistungsfähigkeit weiter mindert, wobei zu bedenken ist, dass Demokratisierungsprozesse meist durch eine Leistungsschwäche der bisherigen Autokratie ausgelöst werden und der betreffende Staat insofern ohnehin nicht auf der Höhe seiner Macht ist. Im Falle von anhaltenden Leistungsdefiziten des Staates droht sich selbst dessen grundlegendste Funktion, die Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols, aufzulösen, was wiederum Spielräume für private Gewaltakteure oder reaktionär-autokratische Bewegungen eröffnet, die nicht selten auf Sympathisanten im noch unzureichend reformierten Staatsapparat zählen können. Demokratisierungsprozesse sind Synder zufolge also höchst prekär, auch wenn der eben beschriebene Teufelskreis aus Nationalismus, Gewalt, Staatsversagen und autokratischer Reaktion auch durchbrochen werden kann, wenn sich ausreichend mächtige Akteure finden, die den Demokratisierungsprozess unterstützen. Ist dies aber nicht der Fall hält Synder einen bewaffneten Konflikt für wahrscheinlich.48 3. GAB ES EINEN „DEUTSCHEN BÜRGERKRIEG“ NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG? Die Geschichte der Weimarer Republik weist zu der eben beschriebenen Dynamik eindeutige Parallelen auf, was wenig überraschend ist, da Synder seine Ausführungen auch auf das deutsche Fallbeispiel stützt.49 Ob Synders Darstellungen zur Geschichte der Weimarer Republik im Detail überzeugen, braucht hier nicht zu interessieren.50 Als Modell für eine tiefergehende Beschäftigung mit der frühen Weimarer Republik sind seine Abstraktionsleistungen dennoch geeignet. Es ist ja wie gesagt nicht zu leugnen, dass die frühe Weimarer Republik von sich überlappenden und gegenseitig verstärkenden Krisen gezeichnet war und ein hohes Maß an politischer Gewalt bestand.51 Auf die Fragen, ob das staatliche Gewaltmonopol in dieser Zeit überhaupt noch bestand, wie schnell dessen Restabilisierung erfolgte und in welchem Zusammenhang dies mit der Demokratisierung des politischen Systems stand, lassen sich jedoch recht verschiedene Antworten geben.52 Immerhin die Teilfrage, welches Ausmaß politische Gewalt in dieser Zeit hatte, lässt sich inzwischen mit relativer Sicherheit beantworten. Folgende Tabelle fasst die bedeutendsten bewaffneten Konflikte, die sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahren im vom Deutschen Reich beanspruchten Herrschaftsgebiet ereigneten, überblicksartig zusam 48 Ausführlich: ebd., S. 15–91. 49 Seine anderen historischen Fallbeispiele sind Frankreich, Serbien und Großbritannien, während im späteren Verlauf des Buches eine Anwendung auf kontemporäre Fallbeispiele erfolgt (ebd., S. 42f.). 50 Allein da keine Auswertung der deutschsprachigen Forschungsliteratur erfolgt (ebd., S. 93– 128). 51 Schumann (2001): Politische Gewalt, Kap. III. u. IV. 52 Siehe hierzu die Beiträge von Moritz Herzog-Stamm, Martin Platt und Martin Sabrow in diesem Band
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men.53 Militärisch ausgetragene Konflikte ereigneten sich in den Jahren danach nicht mehr, weswegen es sinnvoll ist diesen Zeitabschnitt gesondert zu betrachten, auch wenn noch 1932 der Einsatz der Reichswehr eine reale Option darstellte. Konflikt
Dauer
Todesopfer (ca.)
Regierungsgegner
Posener Aufstand
Dez. 1918 – März 1919
3.500
nationalpolnischer Separatismus
Berliner Unruhen
Dez. 1918 – März 1919
1.500
Linksradikalismus
Räterepubliken
Feb. 1918 – Mai 1919
1.500
linksradikaler Sezessionismus
Kapp-Putsch54
März – April 1920
3.500
Rechtsradikalismus / Linksradikalismus
Mitteldeutscher Aufstand
März 1921
200
Linksradikalismus
Schlesische Aufstände
Schwerpunkt April – Juli 1921
3.000
nationalpolnischer Separatismus
Hamburger Aufstand
Oktober 1923
100
Linksradikalismus
Hitler-Putsch
November 1923
20
Rechtsradikalismus
Rheinische Republik
Oktober 1923 – Februar 1924