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German Pages 160 Year 1925
VOM BEGRIFF DER GEOGRAPHIE IM VERHÄLTNIS ZU GESCHICHTE UND NATURWISSENSCHAFT VON
DR. OTTO GRAF
... alle Begrifft von Wisimdiaften lind Begrifft von Aufgaben, und ihr logitchet Verständnis ist nur mdglich, wenn nua von dem Ziel, das ti* sith teilen. In die logische Struktur ihrer Methode eindringt. Heinrkh Rickerl.
MÜNCHEN UND BERLIN 1925 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
Alle Rechte, einschließlich des Obersetzungsrechtes, vorbehalten Copyright 1925 by R. Oldenbourg, München
MEINEN AKADEMISCHEN LEHRERN DER GEOGRAPHIE UND P H I L O S O P H I E AN DER UNIVERSITÄT J E N A
HERRN PROFESSOR DR. V. ZAHN UND
HERRN PROFESSOR DR. BAUCH IN VEREHRUNG UND DANKBARKEIT ZUGEEIGNET
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Vorwort. Jede Untersuchung über die M e t h o d e d e r G e o g r a p h i e ragt in die Bereiche von drei Wissenschaften hinein: in die der G e o g r a p h i e , der P h i l o s o p h i e und der P ä d a g o g i k . Das darf allerdings nicht so verstanden werden, daß einer jeden von diesen Wissenschaften ein wohlgemessen Teil zufiele, vielmehr durchdringen sich in einem solchen Problem alle drei Gebiete, alle drei vermögen aus der richtigen Beantwortung solcher Frage neue Gesichtspunkte zu gewinnen. — Am deutlichsten tritt dies zunächst für die P h i l o s o p h i e hervor; denn sofern solche Arbeit eine „Selbstverständigung" des geographischen Wissens anbahnt, dient sie der Philosophie. Weniger deutlich tritt der Nutzen für die G e o g r a p h i e zutage, doch ist er auch hier vorhanden; denn eine Selbstbesinnung muß die geographische Methode von inneren Widersprüchen befreien, von Widersprüchen, die erst ins helle Licht treten können, wenn man die sich bekämpfenden Einzellehren bis auf ihre Grundvoraussetzungen zurückverfolgt. Sagt man endlich, daß eine Selbstbesinnung der Geographie gleichbedeutend sei mit einer Verständigung über das Ziel, dem sie zuzustreben habe, so tritt auch das Recht der P ä d a g o g i k an dieser Frage deutlich hervor; denn die „Teilziele" oder „Vorziele", die diese Wissenschaft aufzustellen hat, können erst richtig erfaßt werden, wenn das Ziel derjenigen Wissenschaft, die als Bildungsgut erscheint, klar erkannt ist. Wenn so die Berührung mit der P h i l o s o p h i e und P ä d a g o g i k für jede v o m B e g r i f f d e r G e o g r a p h i e handelnde Schrift gilt, so ist doch das Bewußtsein solcher Berührung, die Erkenntnis inniger Verflochtenheit jener drei Gebiete, nicht in jeder Arbeit gleich groß. Die vorliegende Abhandlung erhält, wie mir scheint, ihre Eigenart gerade dadurch, daß sie die Methode der Geographie von p h i l o s o p h i s c h - p ä d a g o g i -
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Vorwort.
s c h e m Blickpunkt aus betrachtet. Ich möchte diese besondere Art auch nicht als Zufall angesehen wissen. Vielmehr bestand die Notwendigkeit solcher Linienführung für mich bereits zu einer Zeit, da mir das abzuhandelnde Problem noch nicht in dem jetzigen Umfang vor Augen stand. Für das Verständnis meiner Arbeit erscheint es mir notwendig, dies besonders zu betonen. Es sei mir darum auch erlaubt, in knappen Zügen darzulegen, wie mir die Idee dieser Arbeit vor Augen getreten ist und wie sich mir das Thema im Laufe der Zeit gewandelt und geformt hat. Nach dem Bekanntwerden von D a v i s ' Methode in Deutschland und besonders nach dem Erscheinen von P a s s a r g e s Streitschrift „Physiologische Morphologie" bewegte sich die geographische Diskussion vielfach um die Fragen: „ D e d u k t i o n oder Induktion?" — „Erklärende Beschreibung o d e r b l o ß e B e s c h r e i b u n g ? " Die Gedankengänge jener Schriften prägten sich mir besonders ein, da diese Streitfragen auch im g e o g r a p h i s c h e n K o l l o q u i u m des Herrn Professor Dr. v. Z a h n zu Jena im W.-S. 1913/14 eingehend behandelt wurden. Da ich zu gleicher Zeit bei Herrn Professor Dr. B a u c h Vorlesungen über den „ Z u s a m m e n h a n g n a t u r w i s s e n schaftlicher und philosophischer Erkenntnis" hörte und mir dieses Problemgebiet noch durch seine „Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften" wie durch O t t o L i e b m a n n s Schriften näher gebracht wurde, schien es mir eine folgerichtige Forderung, daß einer Klärung der aufgeworfenen Fragen eine Auseinandersetzung mit der Philosophie vorauszugehen habe. Schon damals faßte ich den Vorsatz, die Methode der Geographie von philosophischem Standpunkt aus zu betrachten. Dieser G r u n d g e d a n k e meiner Arbeit blieb auch bestehen, so sehr sich — zumeist wohl unter der Einwirkung des Weltkrieges — ein Wandel der Meinungen über die Aufgaben der Geographie ergab, so sehr sich mir demzufolge das Thema meiner Arbeit umgestaltete. Darum blieb mir stets bewußt, daß meine Schrift in dem geistigen Nährboden der U n i v e r s i t ä t J e n a wurzele. Ich gebe diesem Bewußtsein dadurch Ausdruck, daß ich das vorliegende Buch meinen Lehrern der Geographie und Philosophie widme.
Vorwort
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Wenn infolge der Zeitereignisse bis zur Niederschrift meiner Arbeit viele Jahre vergingen, so blieben die Gedanken an sie doch immer in mir wach. Ich trug sie mit mir in Frankreichs Schützengräben und nährte sie in Rußlands weiten Ebenen. Gern denke ich in diesem Zusammenhange an eine Ruhepause im Feldlager zu Poplischki (bei Jelowka), wo ich mich mit meinen Kameraden, Herrn Dr. E r n s t B ü t t n e r (Hannover) und cand. theol. C a r l C a r l s e n aus Hadersleben (gefallen im November 1918 in Frankreich) in die K a n tische Philosophie vertiefte. Nach meiner Rückkehr aus dem Kriege erweiterte sich die Auffassung meiner Arbeit durch mannigfache Lektüre einschlägiger Werke. Ich nenne auf geographischem Gebiete besonders die Arbeiten von B r a u n , H e t t n e r , S c h l ü t e r , S u p a n und V o g e l , auf philosophischem die von R i c k e r t und W i n d e l b a n d . In die Gedankenwelt der Letzteren wurde ich besonders eingeführt durch die Dissertation meines Bruders Dr. W a 11 h e r G r a f über „Wilhelm Windelbands geschichtsphilosophische Anschauungen". Meinem Bruder, einem Schüler des Herrn Professor Dr. C a r t e l l i e r i z u Jena, danke ich auch eine genauere Kenntnis der historischen Methode, eine Vertrautheit mit der Sonderart der Geschichte, wie sie einem von der Naturwissenschaft herkommenden Geographen sonst nicht immer zuteil werden mag. Für die Niederschrift dieser Arbeit kam mir zu statten, daß ich meine Gedanken zunächst in programmatischer Form aussprechen konnte; es geschah dies in einem V o r t r a g e auf dem O l d e n b u r g e r P h i l o l o g e n t a g (Juni 1924), zu dem der Vorsitzende der G e o g r a p h i s c h e n F a c h g r u p p e des O l d e n b u r g e r P h i l o l o g e n v e r e i n s , Herr Studiendirektor Dr. B r i l l (Jever), die Anregung gegeben hatte. Die Zustimmung, die meine Gedanken in jenem Kreise fanden, vor allem die freundliche Anerkennung, die die Herren Ministerialräte Dr. W e ßn e r und T e p i n g meinen Ausführungen zollten, bestärkten mich in dem Vorhaben, die Arbeit weiter auszubauen. So folgte ich gern einer diesbezüglichen Anregung des Herrn Oberstudienrats Dr. A. G e i s t b e c k wie des Verlages R. O l d e n b o u r g , «bschon die Durchführung meines Planes in einer kleinen Stadt wie Nordenham, wo eine zwei- bis dreistündige Arbeit in der nächstgelegenen Bibliothek mit einer Tagereise erkauft werden muß, mit mannigfachen Schwierigkeiten verknüpft erscheinen mußte.
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Vorwort
Diese Schwierigkeiten machten sich in der Tat geltend, und besonders war dies der Fall, weil meine Abhandlung in nebenberuflicher Tätigkeit entstand. Wenn ich sie dennoch in verhältnismäßig kurzer Zeit bewältigt habe, so danke ich dies in erster Linie der treuen und unermüdlichen Hilfe meiner lieben Frau M a r g a r e t e geb. E b b i n g h a u s , von der mir auch manche Anregung im einzelnen zuteil wurde. Bei der stilistischen Durchsicht und beim Lesen der Korrektur fand ich Unterstützung durch meinen Bruder. Der Verlag kam meinen Wünschen bezüglich der Ausstattung des Buches in weitgehendem Maße entgegen, dafür sei ihm auch an dieser Stelle herzlichst gedankt. Z. Z. Marburg a. d. Lahn, im Juli 1925. DR. OTTO GRAF.
Inhaltsverzeichnis: Einleitung: Geographie and Philosophie Einzelwissenschaft und Philosophie. — Geographie und Hilfswissenschaften. — Geographie und Methodologie. — Geographie, Geschichte und Naturwissenschaft. Vorbemerkungen: Vom Sinn der Aufgabe Notwendigkeit der Fühlungnahme mit der Philosophie. — Standpunkt der Betrachtung. — Grundsätze für die Wahl des Standpunktes. — Plan für die Untersuchung. Erster Teil: Geschichte und Katarwissenschaft im Bereich der gesamten Wissenschatten Wissenschaft und Erkenntnis. — Einzelwissenschaft und Logik. — Erkenntnis und Wirklichkeit. — Einteilung der Wissenschaften. — Gegenstand und Methode. — Wirklichkeit und Begriff. — Naturwissenschaft. — Geschichte.
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Zweiter Teil: Geographie and Geschichte Aufgabe der Geographie. — Umfang und Methode. — Methode der Forschung. — Methode der Darstellung. — Spezielle historische Geographie. — Beschreibung und Geographie. — Kunst und Geographie. — Der geographische Zusammenhang.
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Dritter Teil: Geographie and Naturwissenschaft Objektsgemeinschaft. — Das geographische Allgemeine. — Allgemeine Geographie. — Künstliche Systematisierung. — Individualisierende Beschreibung des Erdganzen. — Gruppenbegriff (künstliche Einteilung des Erdganzen). — Vorstufe genetischer Klassifizierung. — Klassifizierung auf genetischer Grundlage. — Ineinandergreifen der Begriffsbildungen. — Wesen der allgemeinen Geographie.
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Inhaltsverzeichnis.
Vierter Teil: Geographie als selbständige Wissenschaft. . . . Stoff und Methode. — Geographie und Hilfswissenschaften. — Geographie als Totalisierung des Einzelwissens. — Allgemeine und spezielle Geographie. — Kompilation oder wissenschaftliche Methode. — Allgemeine Geographie, Abstraktion, Isolierung. — Eigenart der Geographie (Unbestimmtheit des Objektes, dualistische, makroskopische, deduktive Methode). — Kunst und Methode. — Aufgabe der Geographie als Länderkunde. — Landschaft. — Zwei Ausgangspunkte und Wege der Geographie. — Natürliche Landschaft als Durchgangspunkt der Betrachtung. — Begriffliche Struktur der natürlichen Landschaft (Gattungsbegriff, Veranschaulichung der wirksamen Kräfte, Generalnenner landschaftlicher Elemente). — Natürliche, Ur- und Kulturlandschaft. — Landschaftsbegriff als Brücke zwischen Naturwissenschaft und Geschichte. — Umfang und Inhalt des Landschaftsbegriffes. — Natur- und Kulturlandschaft. — Philosophie und Geographie. — Erdteilbegriff. — Wege der speziellen Geographie. Schiaß: Erkenntnis- und Bildungswert der Geographie. Besonderheit geographischer Erkenntnis. — Grenzproblem. — Geographie und Lebensgestaltung.
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Anhang: Anmerkungen Verzeichnis der Literatur.
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Einleitung.
Geographie und Philosophie. „Die höchste Aufgabe wird immer die bleiben, unser Leben aus der dumpfen, halbbewußten Gegebenheit in klares Bewußtsein und deutliche Gestaltung zu bringen." Diese Worte, die •der Heidelberger Philosoph W i l h e l m W i n d e l b a n d 1 ) am Schlüsse eines Aufsatzes über die Mystik unserer Zeit ausspricht, haben eine Bedeutung auch für diejenige Betätigung unseres Lebens, die wir im allgemeinen als bewußt ansprechen, nämlich für die w i s s e n s c h a f t l i c h e A r b e i t In der Tat wächst der Jünger einer Einzelwissenschaft in deren Methoden [1] hinein, ohne sich immer von vornherein die Frage vorzulegen, mit welchem H e e h t s g r u n d e [2] er sich solcher Verfahrungsweise bedient; er übernimmt ohne weiteres die von seiner Wissenschaft im Laufe ihres Werdeganges herausgearbeiteten Begriffe, ohne sich immer Idar zu werden, inwieweit diese wiederum einer Begründung fähig lind bedürftig sind9). Einmal setzt aber eine solche Besinnung ein s ); sie steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Wissenschaft; denn diese selber muß bereits als Tatsache vorliegen, ehe *) Präludien, Bd. I, S. 299. — Für d i e s e wie für alle folgenden Literatura n g a b e n g i l t , d a ß s i c h d i e S e i t e n z a h l e n auf d i e im V e r z e i c h n i s d e r L i t e r a t u r (s. S. 145!) a u f g e f ü h r t e n Ausgaben beziehen. Die e i n g e k l a m m e r t e n Zahlen im T e x t b e z i e h e n s i c h auf d i e A n m e r k u n g e n im A n l a n g (s. S. 125!). ») Vgl. B e c h e r , Naturphilosophie. S. 16 und 30; W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 194 ff.; ders., Die Prinzipien der Logik, S. 48; B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 6 ff. ') Vgl. hierzu: W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 190 ff.; R i c k e r t, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 4 f.; L e u t e n e g g e r , Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie, S. III f.
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Einleitung.
ihre M e t h o d e n den Gegenstand einer besonderen Untersuchung bilden können*). Darum ist es erklärlich, daß die philosophische Betrachtung am frühesten bei denjenigen Wissenschaftsgruppen einsetzt, die bei der Durchbildung ihrer Methoden den anderen am weitesten vorausgeeilt sind. Eine Philosophie der M a t h e m a t h i k und mathematischen N a t u r w i s s e n s c h a f t finden wir bereits zu einer Zeit, als die G e s c h i c h t e noch zu den „belles lettres" gerechnet wurde. Eine G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e als Wissenschaftstheorie konnte sich erst entwickeln, nachdem die Geschichte bedeutende w i s s e n s c h a f t l i c h e Leistungen aufzuweisen hatte"), und es erscheint begreifbar, daß sich der G e o g r a p h i e , die nach ihren Anfängen in die Frühzeit der abendländischen Kultur hinaufreicht, sich aber besonders spät als wissenschaftliche Disziplin ausgebildet hat, die beispielsweise noch von K a n t vornehmlich deshalb geschätzt wird, weil die Beschäftigung mit ihr „reichen Stoff zu gesellschaftlichen Unterhaltungen" gewährt"), daß sich der Geographie auch am spätesten das Interesse der Philosophie zuwendet. Auch sachlich ist die philosophische Besinnung nicht allen Wissenschaften mit gleicher Dringlichkeit nahegelegt, wir stoßen bei einzelnen von ihnen auf l e t z t e G r e n z e n unseres Erkennens: die Mathematik errichtet ihr Gebäude auf A x i o m e n , auf unbeweisbaren Prinzipien, die mathematische Naturwissenschaft führt zu Grundbegriffen wie R a u m , Z e i t , B e w e g u n g , M a s s e , die sich nicht restlos erklären lassen7), die Geschichtschreibung endlich ist bei ihrer Darstellung auf ewig gültige I d e e n gerichtet, auf die Ideen der Wahrheit, Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Schönheit, Religion, Kultur usw., die in ihrer Reinheit von uns nicht erfaßt werden können, und die dennoch in dieser Unerfaßtheit und Unerfaßlichkeit die 4 ) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 191; B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 11 f. •) R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 5 ff.; B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 1 ff.; W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 11 ff. •) Zitiert nach W i s o t z k i , Zeitströmungen in der Geographie, S. 111. 7 ) Vgl. O. L i e b m a n n , Die Klimax der Theorien, ferner „Die mechanische Naturerklärung" in: Gedanken und Tatsachen. Bd.I, S.46—89.
Geographie und Hilfswissenschaften.
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wissenschafIiichen K r i t e r i e n aller historischen Darstellung bilden'). Bei solchen Wissenschaften wird der Blick ohne weiteres auf die Frage gelenkt, wie wir denn zur Erklärung der uns umgebenden Erscheinungen Prinzipien benutzen können, die selbst der Erklärung bedürfen. Anders ist das bei einer Wissenschaft wie der G e o g r a p h i e , die nicht an die letzten Grundfragen unseres Lebens rührt, die vielmehr ihr Bauwerk auf den Pfeilern vieler Hilfswissenschaften errichtet, die im Gebäude der Gesamtwissenschaft ihr Bereich in einem höheren Stockwerk h a t Die Geographie stößt also nicht auf solche letzten Grundfragen, ihre Grenzen verlaufen längs der Gebiete anderer Wissenschaften, ihre Grundlagen bilden die Forschungsergebnisse ihrer Hilfswissenschaften, und diese scheinen ihr ein fester und wohlerforschter Boden zu sein. So entbehrt die Geographie des besonderen Anreizes, den andere Wissenschaften, wie die Mathematik, die exakte Naturwissenschaft und die Geschichte, für die Philosophie besitzen. Doch damit nicht genug! Die Geographie ist so eigentümlich gestaltet, daß sie einer philosophischen Durchdringung besondere Schwierigkeiten entgegenstellt, die wir bei anderen Wissenschaften nicht in gleichem Maße finden. Haben nämlich jene ein fest Umrissenes Gebiet, so daß sie im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung in steter Arbeit ihr Bereich haben erschließen und ihren Gegenstand [3] fortlaufend immer tiefer haben durchdringen können, so erkennen wir bei der Geographie eine m a n n i g f a c h e V e r s c h i e b u n g i h r e r G r e n z e n ' ) ; innerhalb dieser Grenzen finden wir das Gebiet mit w e c h s e l n d e n M e t h o d e n bearbeitet10), so daß der G e g e n s t a n d oftmals einen Wandel seiner Gestalt erfährt. Eine solche Eigentümlichkeit bietet begreiflicherweise der philosophischen Durchdringung erhebliche Schwierigkeiten. So muß es uns nach den angeführten Gründen verständlich erscheinen, daß die Philosophie an der Geographie achtlos vorübergegangen ist, daß von ihrer Seite eine eingehendere Beschäftigung mit den Methoden der Geographie nicht vorliegt und seihst um*) B a u c h , Das Substanzproblem in der griechischen Philosophie bis zur Blütezeit, S. 2 ff. ') Vgl. hierzu insbesondere L e u t e n e g g e r , Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie, S. 66 ff. ,0 ) Vgl. L e u t e n e g g e r , a. a. O., S. 49 ff.
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Einleitung.
fassende Werke der Wissenschaftstheorie wie W u n d t s Logik ihrer nur gelegentlich, und beiläufig Erwähnung tun [4]. Allerdings hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Arbeit der Geographie in „klares Bewußtsein" zu erheben, doch sind solche Schritte von den Vertretern des Faches selbst ausgegangen. Ja, es liegt eine große Anzahl derartiger Arbeiten vor"). Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, daß die Vorliebe der Geographen f ü r methodologische Fragen im Wesen unserer Wissenschaft selbst begründet sei. Es findet sich freilich, was dem Vor hergesagten zu widersprechen scheint, eine R e i h e v o n G r ü n d e n , denen solche Arbeiten entsprungen sind: so mag sich zum Beispiel „einer der leitenden Männer der Wissenschaft" selbst die Frage beantworten wollen, worin denn deren Eigentümlichkeit beschlossen sei12), so mag ein anderer dem Vorwurf zu begegnen trachten, die Methode der Geographie bestehe nur in einem Aufraffen der Forschungsergebnisse anderer Wissenschaften 13 ), so mag man eine neue Methode zu verkünden [5] oder endlich die eigene oder die in weiten Kreisen des Faches vertretene Auffassung gegenüber solcher neu auftauchenden und neuartigen Meinung vom Begriffe der Geographie zu verteidigen suchen14). So mannigfaltig und unterschiedlich solche und andere Anlässe, die zu derartigen Untersuchungen führen, aber auch sein mögen, wie sehr sie uns zu") Schon das unserer Arbeit angefügte Literaturverzeichnis, das einen Anspruch auf Vollständigkeit nicht erhebt, mag diese Aussage bestätigen. Vgl. L e u t e n e g g e r , Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie. 12 ) G. B r a u n, Mitteleuropa und seine Grenzmarken, S. 43. Dahin rechnen die methodologischen Arbeiten A l f r e d H e t t n e r s (vgl. S. 129 f. Anm. 4!), H e r m a n n W a g n e r s (Jahresberichte über die Entwicklung der Methodik der Geographie, Geogr. Jahrb. VII—XIV, XXX) und F. v R i c h t h o f e n s (Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie, China, Bd. I, S. 729 ff., „Die heutigen Aufgaben der wissenschaftlichen Geographie"; Triebkräfte und Richtungen der Erdkunde im neunzehnten Jahrhundert, Zschr. Ges. f. Erdk. Berlin 1903, S. 655 ff). 13 ) S. z. B. F r . H a h n , Methodische Untersuchungen über die Grenzen der Geographie (Erdbeschreibung) gegen die Nachbarwissenschaften (Petermanns Mitt. 1914, S. 1). ") Hierher gehören z. B. P a s s a r g e , Physiologische Morphologie (Mitt. der Geogr. Gesellschaft in Hamburg, Bd. XXVI, Heft 2, S. 133—337), und G r a d m a n n , Das harmonische Landschaftsbild (Ztschr. Ges. f. Erdk. Berlin 1924, S. 129—147).
Geographie und Methodologie.
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nächst rein äußerlich und subjektiv erscheinen mögen, so sehr ähneln doch einander jene Arbeiten im Kernpunkt ihrer Betrachtung, so sehr sind auch alle jene Anlässe v e r a n k e r t i n d e r E i g e n a r t u n s e r e r W i s s e n s c h a f t selbst. Diejenige Frage, die in allen methodologischen Arbeiten aufgeworfen wird, ist die nach den G r e n z e n des geographischen Arbeitsgebietes und nach der M e t h o d e , deren man sich zur Durchforschung dieses Gebietes bedient. In dieser Frage haben wir letzten Endes auch den Grund dafür zu suchen, daß der Geograph wieder und wieder den Begriff seiner Wissenschaft besonderer Betrachtung unterzieht15). Es ist daher unbegreiflich,, daß ein Geograph zu der Meinung kommen kann, es sei „über Methode der Geographie . . . . seit einem Jahrhundert mehr geschrieben, als . . . . für die Entwicklung unserer Wissenschaft" gut sei [6]. Das Interesse für diese Frage innerhalb der Geographie entspringt.eben mit N o t w e n d i g k e i t aus dem Verhältnis zu den Hilfsdisziplinen: wenn der Geograph mit den Forschungsergebnissen jener Wissenschaften arbeitet, wenn er zur Erlangung seines wissenschaftlichen Materials sich selbst der Methoden jener Sonderwissenschaften bedient, so hat er begreiflicherweise das Bedürfnis, die Grenzen zwischen der Geographie und ihren Hilfswissenschaften möglichst scharf und deutlich zu ziehen und den Unterschied zwischen der geographischen Betrachtungsweise und anderen wissenschaftlichen Methoden ins helle Licht zu rücken. Dieses Bedürfnis muß um so stärker hervortreten, je mehr der Geograph von dem E i g e n w e r t seiner wissenschaftlichen Aufgabe durchdrungen ist, je mehr er die G e o g r a p h i e a l s e i n e b e s o n d e r e W i s s e n s c h a f t erkennt, die mit e i g e n e n Forschungsmethoden verfährt und dem Menschen ein b e s o n d e r e s Bereich der Wirklichkeit erschließt. Eine solche Auffassung wird heute übereinstimmend vertreten; die Zeiten, in der die Geographie als reine Naturwissenschaft 16 ) 15
) S. H a s s i n g e r, Ueber einige Aufgaben geographischer Forschung und Lehre (Kartographische und schulgeographische Zeitschrift 1919, S. 65); V o 1 z, Das Wesen der Geographie in Forschung und Darstellung (Schlesische Jahrbücher für Geistes- und Naturwissenschaften, S. 240). 18 ) G e r l a n d s Auffassung, die Geographie sei „eine reine Naturwissenschaft, aus welcher der Mensch ganz und gar zu verbannen" sei (Einleitung zu den Beiträgen zur Geophysik, Bd. I, 1887), wird heute allgemein abgelehnt.
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Einleitung.
oder als ein Anhängsel der Geschichte angesprochen wurde, sind vorüber; man betont allgemein die Besonderheit ihrer Methode, die ihr einen Platz z w i s c h e n der Naturwissenschaft und der Geschichte anweist [7]. Wenn eine solche Besonderheit vorliegt, wird eine Betrachtung Interesse für sich beanspruchen, die v o m B e g r i f f d e r G e o g r a p h i e i m V e r h ä l t n i s zu G e s c h i c h t e u n d N a t u r w i s s e n s c h a f t handelt, sie wird ein solches Interesse um so mehr für sich in Anspruch nehmen dürfen, als eine Beziehung der Geographie zu diesen Wissensgebieten nicht nur gegenwärtig in jener öfters hervorgehobenen „Brückenstellung" besteht17), sondern auch bereits in früheren Stadien ihrer Entwicklung vorhanden ist. Aus der Geschichte der Geographie treten uns z w e i F a s s u n g e n i h r e r A u f g a b e entgegen; die eine lehnt sich an die Geschichte, die andere an die Naturwissenschaft an 18 ); Geschichte und Naturwissenschaft bezeichnen auch die Nachbargebiete, denen gegenüber sich die oben angeführte Unsicherheit der Grenzziehung ausgewirkt hat; die Methode der Geschichte und die der Naturwissenschaft bezeichnen endlich die beiden Pole, zwischen denen ein Schwanken der geographischen Forschungsweise erfolgt ist16). Wenn wir im voranstehenden die Ungewißheit der Grenzziehung und die Unbestimmtheit in der Methode als den l e t z t e n Grund der Betrachtungen über den Begriff der Geographie angesprochen haben, so können wir diesen Gedanken jetzt auch in der Weise aussprechen, daß wir sagen: jenes bewegende Moment besteht gerade in der Unsicherheit des Verhältnisses zu Geschichte und Naturwissenschaft [8]. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint eine Auseinandersetzung mit unserem Problem unerläßlich. Unerläßlich ist sie besonders für denjenigen, bei dem sich mit dem In") S. F i s c h e r, Geographische Bildung und unsere Zeit (Geogr. Bausteine, Heft 5, S. 8). — Denkschrift des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Die Neuordnung des preußischen höheren Schulwesens, Berlin 1924, S. 30. — P a u l W a g n e r , Methodik des erdkundlichen Unterrichts, Teil I, S. VIII. 18 ) H e i d e r i c h , Die Erde, I. Teil, Allgemeine Erdkunde, S. 3f., vgl. P a u l W a g n e r , Methodik des erdkundlichen Unterrichts, Teil I, S. 1, H. W a g n e r, Lehrbuch der Geographie, S. 16 f. 10 ) Diese Bemerkungen gelten insbesondere im Hinblick auf d i e Bedeutung des Wortes M e t h o d e , die im folgenden noch näher erläutert werden soll (s. S. 21 f.!).
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Geographie, Geschichte und Naturwissenschaft.
teresse für eine Wissenschaft zugleich die Frage nach deren E r k e n n t n i s - und B i l d u n g s w e r t verbindet, nämlich für den Pädagogen und Philosophen. Bei beiden tritt die Frage des Verhältnisses der Geographie zu einzelnen Hilfswissenschaften wie der Geologie, der Meteorologie und anderen20), deren Erörterung an sich gewiß hohen Wert besitzt, zurück gegenüber der Frage nach dem V e r h ä l t n i s z u g r ö ß e r e n W i s s e n s c h a f t s g r u p p e n o d e r - b e r e i c h e n , deren Erkenntnisse sich schier zusammenhanglos gegenüberstehen, deren Wesen insbesondere gegensätzlich erscheint in der Wirkung, die sie auf die W e 11 a n s c h a u u n g und L e b e n s g e s t a l t u n g ausüben [9]. Ist der Geograph der Ueberzeugung, daß seiner Wissenschaft ein Einfluß auf die Weltanschauung und Lebensgestaltung zukommt, daß „der auf die Spitze getriebene Positivismus" unserer Zeit und die mit ihm verbundene Spezialisierung alles Wissens ein Gegengewicht in einer „totalisierenden Wissenschaft" verlangt21) — in diesem Moment erblickt E d u a r d S p r a n g e r den B i l d u n g s w e r t d e r H e i m a t k u n d e , also einer besonderen Aufgabe der Geographie —, bekennt sich der Geograph wohl gar zu der Meinung, die D i x in seiner „Politischen Geographie" ausspricht, daß der Gegenwart die Bezeichnung eines „geographischen Zeitalters" zukomme 22 ) und darum g e o g r a p h i s c h e B i l d u n g zur Lösung der Gegenwartsaufgaben vor allem nötig sei, so muß er, um auch andere zu überzeugen, der besonderen Fragestellung von Philosophie und Pädagogik entsprechen. Uns scheint darum ein Erfolg am ehesten möglich, wenn wir die Eigenart und den Eigenwert der Geographie im Verhältnis zu Geschichte und Naturwissenschaft beleuchten. ) Das Verhältnis der Geographie zu den einzelnen Hilfs- und Nachbarwissenschaften erörtert besonders eingehend L e u t e n e g g e r , Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie, S. 66 ff. S1 ) S p r a n g e r, Der Bildungswert der Heimatkunde, S. 25 und 26. " ) D i x, Politische Geographie. Weltpolitisches Handbuch. S. 595. 20
« G r a f , Geographie.
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Vorbemerkungen.
Vom Sinn der Aufgabe. Jede Methode ist unfruchtbar, die nur auf formalen Erwägungen beruht, die nidit auf weltanschaulichem Boden organisch gewachsen ist. Emil Ermatinger.
Wenn die Frage nach dem Wesen der Geographie in der vorbezeichneten besonderen Form innerhalb der geographischen Literatur kaum gestellt und noch weniger in eingehender Weise beantwortet worden ist [1], so erklärt sich das aus der geringen F ü h lung zwischen Geographie und Philosophie; denn diese Frage kann kaum anders als in engem Anschluß an letztere Wissenschaft beantwortet werden. Wohl gehört es zur Arbeit des Geographen wie zu der des Philosophen, mit anderen Wissenschaften in F ü h lung zu sein, der Blick des ersteren aber ist weit mehr, wenn nicht ausschließlich, den Ergebnissen jener anderen Forschungsweisen zugewandt, während der letztere gerade die Grundlagen, die Voraussetzungen, die Methode in das Bereich seiner Untersuchung zieht 1 ). Auch in der Philosophie fehlt zwar „noch viel an einer allgemeinen, die Totalität auch nur der wichtigeren Wissenschaften umfassenden Erkenntnislehre" 2 )» es fehlt vollständig eine Bearbeitung der geographischen Methode, um so tiefer aber sind die Grundlagen der Naturwissenschaft erforscht 3 ), um so mehr auch ist man bemüht gewesen, dem Wesen der Geschichtswissenschaft nahezukommen [2]. Somit ergibt sich also für unsere Untersuchung die N o t w e n d i g k e i t enger Fühlungnahme mit der Philosophie. 1) S. W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 193 ff.; B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 5 ff. 2 ) T. K. O e s t e r r e i c h , Die Philosophischen Strömungen der Gegenwart (Systematische Philosophie, S. 356). 3 ) Vgl. B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 1 ff.; R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 5 ff.
Standpunkt der Betrachtung.
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Doch damit ist uns ein S t a n d p u n k t f ü r u n s e r e B e t r a c h t u n g keinesfalls gegeben. Der Philosophie eignet (weit mehr noch als der Geographie) eine Unbestimmtheit der Aufgabe und des Gegenstandes1): mannigfache und sehr verschiedenartige Geistesströmungen fließen in ihrem Gebiete nebeneinander 5 ), und gar unterschiedlich dürfte sich das Wesen der Geographie darstellen, wenn es vom Boden' der verschiedenen philosophischen Stellungen betrachtet würde. Darum ergibt sich für unsere Untersuchung auch die Notwendigkeit, sie vom Standorte einer b e s t i m m t e n philosophischen Meinung aus zu betreiben. Wie sehr uns nun die Wahl eines solchen Standpunktes anheimgegeben ist, so sehr ist diese Wahl doch abhängig von unserem objektiven wissenschaftlichen Urteil. Keinesfalls dürfen wir also eine Philosophie deshalb verschmähen, weil ihre Lehre die Geographie (ungeachtet des Widerspruches der Gesamtheit aller Geographen) zu einer Naturwissenschaft stempelt6), noch auch können wir nur darum einer philosophischen Meinung zustimmen, weil diese unseren Erwartungen und Wünschen in bezug auf die Einordnung der Geographie in das System der Wissenschaften entgegenkommt. Noch viel weniger aber dürften wir bei einer bestimmten philosophischen Lehre n u r so w e i t eine Anleihe machen, als sie zur sicheren Grundlegung und Verankerung der Geographie notwendig erscheint, während, wir in allen anderen Fragen von dieser Lehre durch Welten getrennt sind. Wer dem R e a l i s m u s zugehört, kann der selbständigen Stellung der Geographie zuliebe nicht P o s i t i v i s t , und, wer dem P o s i t i v i s m u s zuneigt, (aus einem ähnlichen Grunde) nicht I d e a l i s t werden. Auch diese W a h l des Standpunktes also, von dem aus wir unser Problem beleuchten wollen, bedarf des ganzen wissenschaftlichen Ernstes, sie fordert den ungeteilten Einsatz der ganzen Persönlichkeit genau wie die Entscheidung für oder wider eine 4
) Vgl. " W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. I, S. 6 ff.; ders., Einleitung in die Philosophie, S. 9 ff. 5 ) Vgl. W i n d e l b a n d , Was ist Philosophie? (Präludien, Bd. I, S. 1 ff.); W i l h e l m D i 11 h e y, Das Wesen der Philosophie (Kultur der Gegenwart, Systematische Philosophie, S. 1 ff.); O s w a l d K ü l p e , Der Begriff der Philosophie (Einleitung in die Philosophie, S. 7 ff.). 6 ) S. z. B. O e s t e r r e i c h , Die philosophischen Strömungen der Gegenwart (Systematische Philosophie, S. 356). Y
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Vorbemerkungen.
besondere Meinung innerhalb des engeren Bereiches unserer Fachwissenschaft. Darum muß der Standort, auf den man sich gestellt hat, auch eindeutig festgelegt und unverändert beibehalten werden. Diese Forderung wird j a in jeder wissenschaftlichen Arbeit erfüllt. Wie sollten wir uns die Verschiedenartigkeit der Versuche, einund dieselbe Erscheinung zu erklären, wie sollten wir uns Anerkennung und Ablehnung einer besonderen wissenschaftlichen Lehrmeinung anders verständlich und begreiflich machen können als durch die V e r s c h i e d e n h e i t l e t z t e r Grundvorauss e t z u n g e n , als durch die Ungleichartigkeit letzter Wertsetzungen, die bewußt oder unbewußt (und zumeist wohl unbewußt) in jeder einzelnen Persönlichkeit verankert sind? Nur die Unterschiedlichkeit der weltanschaulichen Grundlagen, bildlich gesprochen: die Abgesondertheit der einzelnen Standorte und Blickpunkte, kann die Verschiedenheit der wissenschaftlichen Ansichten erklären [3], Die Mannigfaltigkeit solcher Blickpunkte ist innerhalb der geographischen Forschung groß; denn von verschiedenen Seiten kommend, kann man deren ausgedehntes Gebiet betreten. Im Hinblick darauf muß es auffallen, daß viele Geographen A l f r e d H e t t n e r s Einordnung der Geographie in das System der Wissenschaften7) stillschweigend und vielleicht unbesehen hinnehmen, und dies doch wohl alles, ohne sich damit zugleich auch zu seinem philosophischen Standpunkt bekennen zu wollen! Logischerweise müßte das zutreffen, und doch scheint es seltsam, daß eine Philosophie, die aus einer Umbildung der Lehren C o m t e s und S p e n c e r s hervorgegangen ist, — so charakterisiert W i l h e l m W u n d t H e t t n e r s philosophische Meinung8) — g e r a d e u n t e r d e n G e o g r a p h e n und wohl fast ausschließlich unter diesen in Deutschland so viel Schule gemacht hat. Es dürfte einfacher sein und der Wahrheit näherkommen, wenn wir annehmen, daß die gebietende Stellung H e t t n e r s in dieser Frage wohl dem überragenden Einfluß zuzuschreiben ist, den er innerhalb der Geographie besitzt, und der sich hier besonders auswirken muß, weil H e 11 n e r der einzige ist, der unter den Me7 ) S. Geographische Zeitschrift 1905, S. 553; vgl. A l f r e d Hettn e r , Das System der Wissenschaften (Preußische Jahrbücher, Bd. 122, S. 251—277, besonders S. 274 ff.). ') W . W u n d t , Logik, Bd. II, S. 88.
Grundsätze für die Wahl des Standpunktes.
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thodikern der Geographie in jüngerer Zeit den Anschluß an die Philosophie gefunden hat [4]. Wenn wir somit für unsere Untersuchung die Wahl eines festen, gesicherten und unveränderlichen Standpunktes für unerläßlich halten, so ist damit nicht etwa auch gesagt, daß wir diesen gegen alle Angriffe verteidigen wollen. Das Sichern und Verteidigen einer weltanschaulichen Stellung ist Aufgabe der P h i l o s o p h i e ; der G e o g r a p h darf sich mit Recht daran genügen lassen, den Platz, auf den er sich gestellt hat, d e u t l i c h zu kennzeichnen. J a , es muß sogar als überflüssig und z w e c k l o s e r - ' scheinen, daß man eine philosophische Lehre aus diesem oder jenem (vielleicht äußerlichen und unbedeutenden) Einzelgrunde glaubt bekämpfen zu müssen, während man doch bei solchem Unterfangen zu jenen letzten begründenden Voraussetzungen zurückgehen müßte, von denen wir im vorangehenden bereits gesprochen haben. Sofern wir also im folgenden anderer philosophischer Einzelmeinungen Erwähnung tun und Gründe gegen sie anführen, hat dies keinesfalls die Bedeutung einer Auseinandersetzung, vielmehr dient uns dies nur dazu, Abwege anzuzeigen und dadurch möglichst deutlich den Weg zu kennzeichnen, den wir gehen wollen. Nur in dem Aufzeigen der Wege, in dem Kennzeichnen unseres Standortes erblicken wir (soweit wir uns mit der Philosophie berühren) unsere Aufgabe. Die Frage lautet also nicht: w a r u m , sondern: w i e kommen wir zu unserer besonderen Stellung? Das Recht, sie einzunehmen, mögen philosophische Untersuchungen erweisen 9 ). Diese Bemerkung bedarf gleich zu Beginn noch einer besonderen Ergänzung. E s könnte scheinen, als ob wir durch die Wahl unseres Themas schon in eine bestimmte philosophische Richtung gedrängt würden. In Wirklichkeit ist das jedoch umgekehrt. Wenn wir nämlich als letzten Grund für die große Häufigkeit der Behandlung geographisch-methodologischer Fragen die Unbestimmtheit des Gegenstandes und der Methode der Geographie bezeichnet haben, wenn wir die Notwendigkeit zur Behandlung unseres Themas gerade darin erblicken, daß jene Unbestimmtheit als ein Schwanken zwischen den Polen: Geschichte und Naturwissenschaft •) Wir verweisen auf die im Verzeichnis der Literatur aufgeführten Schriften von B a u c h , R i c k e r t und W i n d e l b a n d .
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Vorbemerkungen.
charakterisiert wird, so können wir zur Erkenntnis dieses Grundes, zur Feststellung dieser Tatsache nur kommen, wenn für uns wirklich Unterschiede vorhanden sind, m. a. W., wenn wir n i c h t meinen, daß es nur e i n e wissenschaftliche Methode gibt. Haben wir aber solche Schwankungen in der Tat festgestellt, so gleicht oder ähnelt u n s e r B e g r i f f d e r M e t h o d e der Auffassung derjenigen philosophischen Systeme, die eine V e r s c h i e d e n h e i t der Methoden der einzelnen Wissenschaften gelten lassen [5], Auf jeden Fall ist u n s e r B e g r i f f d e r M e t h o d e nicht gleich dem eines Methodenmonismus, der nur e i n e (nämlich d i e) wissenschaftliche Methode kennt10). Wir sehen daraus also, daß unser Thema überhaupt nur vom Boden einer besonderen Meinung aus als Problem auftauchen kann. Mit den im voranstehenden gemachten Bemerkungen ist uns der W e g , den wir in unserer Untersuchung zu gehen haben, bis zu einem gewissen Grade bereits vorgezeichnet. Wir betrachten zunächst die Eigenart der G e s c h i c h t e und der N a t u r w i s s e n s c h a f t , und zwar unter dem Blickpunkt, den wir im voranstehenden gekennzeichnet haben, d. h. in engem Anschluß an eine b e s t i m m t e philosophische Lehre. Gerade die Fühlung mit e i n e r philosophischen Meinung erscheint uns geboten, denn es ist — falls wir von dem Eigenwert, der Unersetzlichkeit und Unentbehrlichkeit der geographischen Betrachtung wirklich durchdrungen sind — notwendiger, der Geographie innerhalb e i n e s Systems einen s i c h e r e n Platz anzuweisen, als a l l e vorhandenen Systeme daraufhin durchzuprüfen, ob der Geographie in ihnen ein gebührender Platz zugewiesen ist. So weit also wäre uns der Weg vorgezeichnet. Für den weiteren Verfolg unserer Untersuchung ergeben sich jedoch zwei Möglichkeiten: wir könnten erstens, dem g e s c h i c h t l i c h e n Werdegang der Erdkunde folgend, die einzelnen Erscheinungen geographischer Forschung und Darstellung auf ihren methodischen Gehalt hin untersuchen, wir könnten zweitens die Aufgabe der heutigen Geographie zu verstehen suchen als das 10
) Ein Vertreter solcher Ansicht ist z. B. A 1 o i s R i e h 1, Logik und Erkenntnistheorie (Systematische Philosophie, S. 83). Er sagt: „Die Wissenschaften, geschieden durch ihre Gegenstände, sind durch die Methode zur Einheit des Wissens verbunden."
Plan für die Untersuchung.
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E r g e b n i s e i n e r l o g i s c h e n E n t w i c k l u n g , die mit der historischen nicht zusammenfällt. Mit beiden Wegen sind Gefahren verbunden. Wollte unsere Untersuchung den ersten Weg beschreiten, so würde sie eine nach der anderen Einzelmeinung an unserem Blick vorüberziehen lassen, kaum aber dürfte sie aus allem Nach- und Nebeneinander solcher Einzelmeinungen klare Einsichten in das Verhältnis der Geographie zu Geschichte und Naturwissenschaft vermitteln. Wir könnten sie für unseren Zweck nur als eine Materialsammlung ansehen. Auch der zweite Weg bringt Nachteile mit sich. Wir müssen in diesem Fall den Werdegang' unserer Wissenschaft, wie er sich in der rein zeitlichen Abfolge darstellt, auflösen und die einzelnen geschichtlich vorgefundenen Auffassungen in ein für unseren Zusammenhang logisches Gefüge bringen, wir müssen (darüber hinaus) die einzelnen konkreten geographischen Erscheinungen, die lebensvoll vor unserem Blicke stehen, begrifflich analysieren. Wir wählen dennoch diesen Weg, weil er allein uns geeignet scheint, unsere Untersuchung zu einiger Klarheit zu führen. Wir können auch getrost die vorbezeichneten Nachteile mit in Kauf nehmen, wenn wir bedenken, daß Unterscheidung nicht Trennung bedeutet, daß, um ein Wort H e i n r i c h R i c k e r t s anzuführen, „logische E i n t e i l u n g . . . nicht wirkliche T e i l u n g " ist11). Somit ergeben sich für unsere Betrachtung v i e r T e i l e : der erste wird Geschichte und Naturwissenschaft im Bereich der gesamten Wissenschaften zur Darstellung bringen, der zweite wird von Geographie und Geschichte, der dritte von Geographie und Naturwissenschaft handeln. Während sich in den beiden ersten Teiluntersuchungen die Geographie in ihren Sondererscheinungen jeweils historisch oder naturwissenschaftlich bestimmt zeigt, sprechen wir im vierten Teil unserer Untersuchung von einer Aufassung der Geographie, die sich in ihrer praktischen Arbeit und logischen Entwicklung zwar als abhängig von den vorbehandelten Aufgaben erweist, die sich aber im Hinblick auf ihre Methode, auf den „Inhalt des Wissens" 12 ) (um mit H e t t n e r zu reden) zu einer s e l b s t ä n d i g e n Wissenschaft erhebt. n
) R i c k e r t , Geschichtsphilosophie (Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer, S. 342). Vgl. R i c k e r t, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, S. 469. 12 ) A l f r e d H e t t n e r , Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 4.
Erster Teil.
Geschichte und Naturwissenschaft im Bereich der gesamten Wissenschaften. Da ... die Mischformen erst verstanden werden können, wenn die reinen Formen verstanden sind, so hat die Wissenschaftslehre es zunädist nur mit den zwei Hauptarten der Begriffsbildung, der generalisierenden und der individualisierenden, zu tun. Heinrich Rickert.
Wenn wir d i e ' A u f g a b e d e r W i s s e n s c h a f t ganz allgem«in dahin bestimmen, daß sie E r k e n n t n i s zu vermitteln habe [1], wenn wir ihr W e s e n als ein Erfassen, ein Durchdringen, ein; Begreifen der Wirklichkeit bezeichnen, so erhebt sich zugleich auch die Frage nach dem Wesen dessen, was wir Erkenntnis nennen 1 ). Die E i n z e l w i s s e n s c h a f t allerdings setzt ohne weiteres voraus, daß sie Erkenntnis zu geben vermag. Wenn der Naturwissenschaftler einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen verschiedenen Dingen oder Vorgängen feststellt, wenn der Historiker das Bild zur Darstellung bringt, das sich ihm auf Grund eingehenden Quellenstudiums von einem bestimmten Zeitabschnitt oder einer einzelnen Persönlichkeit ergibt, wenn endlich der Geograph, den großen Zügen des Erdantlitzes nachspürend, Einzelerscheinungen zu großen Einheiten zusammenschließt, wenn er bestimmte Objekte einem umfassenden Begriffe unterordnet, wenn er eine Landschaft mit den Mitteln seiner Wissenschaft beschreibt, so glaubt ein jeder, daß er mit solcher Arbeit Erkenntnis stifte'), ja, dieser Glaube bildet sogar die unerläßliche V o r a u s s e t z u n g seines Forschens, denn o h n e diese Voraussetzung würde all seine Mühe zu einem sinnlosen Tun herabsinken*). ») W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 194ff. ») W i n d e 1 b a n d, a. a. O., S. 190 und 194. ') Vgl. B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 239 f.; ders., Anfangsgründe der Philosophie, S. 28 f.
Wissenschaft und Erkenntnis.
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Nicht also für die Einzelwissenschaft, sondern erst für die L o g i k wird die Erkenntnis selbst zum Problem'). Die Frage lautet dann wohl, ob der Anspruch auf Wahrheit, den die Einzelwissenschaften für ihre Erkenntnisse erheben, berechtigt ist. Die Kritik, die der Logik in dieser Hinsicht obliegt, spitzt sich zu der Frage nach dem V e r h ä l t n i s d e s E r k e n n e n s z u r a b s o l u t e n W i r k l i c h k e i t zu5). Die Anschauungen über dieses Verhältnis sind verschieden. So kann die Erkenntnis als ein A b b i l d der Wirklichkeit angesehen werden (Realismus), andernteils kann sie als eine U m f o r m u n g derselben gelten (Idealismus), und schließlich kann sie vornehmlich als ein Z w e c k betrachtet werden, indem man die Möglichkeit, daß sie Wahrheit vermittele, gar nicht in Frage stellt (Dogmatismus der Einzelwissenschaft) oder vollständig ablehnt (Positivismus). Wie leicht begreiflich ist, bestimmen diese Ansichten über das Verhältnis des Erkennens zur absoluten Wirklichkeit auch die Auffassung von der A u f g a b e der Wissenschaft, und wie ebenso leicht verständlich wird, liefern sie auch die Standpunkte, von denen aus man die Gesamtheit der Wissenschaften überblickt, und damit die P r i n z i p i e n , nach denen die Gesamtheit der Wissenschaften einzuteilen ist. Wenn z. B. B a c o n in seiner Philosophie den Satz „Wissen ist Macht" voranstellt'), so dient in diesem Falle die Erkenntnis, deren Fraglichkeit als Problem gar nicht vorhanden ist, einem persönlichen Z w e c k , nämlich der Steigerung der geistigen Fähigkeiten, und seine Einteilung der Wissenschaften nach Gedächtnis, Phantasie, Vernunft 7 ), nämlich den Geisteskräften, die zur Ausübung der Wissenschaften nötig sind, entspricht durchaus jener Meinung. Wenn ferner A u g u s t e C o m t e die Lehre verkündet, daß die Erkenntnis „nur Relationen, Gleichartigkeits- und Sukzessionsverhältnisse der Dinge feststellen kann" 8 ), so wird die Wissenschaft selbst zu einem praktischen Z w e c k : „voir pour prévoir"*), und *) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 194. — A. R i e h l , Logik und Erkenntnistheorie (Systematische Philosophie, S. 84 f.). •) Zum folgenden vgl. W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 213 ff. •) V o r l ä n d e r , Geschichte der Philosophie, Bd. I, S. 342. ') W. W u n d t, Logik, Bd. II, S. 86. ») V o r l ä n d e r , Geschichte der Philosophie, Bd. II, S. 374. •) V o r l ä n d e r , a. a. O., S. 374.
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Erster Teil.
ihre Einteilung ergibt eine „lineare"1*) Anordnung, so daß die Fächer nach dem Grade der Abstraktheit in eine Reihe treten: jedes Glied in seiner größeren Konkretheit stützt sich auf das vorhergehende und ist selbst grundlegend für das folgende. Auf einer ähnlichen Einteilung beruht auch H e t t n e r s Einordnung der Geographie in das System der Wissenschaften"). Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Einteilungen mit Recht als „künstliche" zu bezeichnen und ob die nächstfolgenden ihnen als „natürliche"11) gegenüberzustellen sind, nämlich die Einteilungen nach G e g e n s t ä n d e n und M e t h o d e n . Auch für diese ist die Auffassung des Verhältnisses von Erkenntnis und Wirklichkeit entscheidend. Ist man nämlich der Meinung, daß a u ß e r h a l b des erkennenden Subjekts eine absolute Realität besteht, so weist man der Erkenntnis leicht die Aufgabe zu, jene Dinge an sich a b z u b i l d e n ; die Gegenstände der Erkenntnis sind in diesem Falle r e a l e Dinge; zur Einteilung der Wissenschaften wählt man als Prinzip die „Gegenstände". Wenn man dagegen die Ansicht vertritt, daß man von der absoluten Wirklichkeit nur das weiß, was die alltägliche oder wissenschaftliche E r f a h r u n g an die Hand gibt, wenn die absolute Wirklichkeit zur Summe aller m ö g l i c h e n Erfahrung wird, so wird die Erkenntnis zu einer U m f o r m u n g dieser Wirklichkeit; die Wahrheit wird zu einer in bestimmte Form gebrachten Erkenntnis"), und dementsprechend teilt man die Wissenschaften nach f o r m a l e n Prinzipien. Entscheidend sind in diesem Falle also nicht dje Gegenstände, sondern die Methoden. Um den Unterschied der letzten beiden Einteilungsweisen noch deutlicher zu machen, wollen wir uns vergegenwärtigen, daß man unter dem Gegenstand einer Wissenschaft auch etwas anderes verstehen kann, als wir im voranstehenden bezeichneten. Man bestimmt nämlich in anderem Sinne den Gegenstand der Wissenschaft als d a s Gebiet der absoluten Wirklichkeit, das aus dieser mittels der Methode der Wissenschaft herausgearbeitet wird"). Wir ») W u n d t , Logik, Bd. II, S. 87. " ) W u n d t , a. a. O , S. 88. " ) W a n d t , a. a. O., S. 89. u ) R i c k e r t, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 30 fT. " ) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, besonders S. 229 bis 243 (Der Gegenstand der Erkenntnis).
Gegenstand und Methode.
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können uns zur Verdeutlichung an dieser Stelle eines Gleichnisses — wohlgemerkt eines Gleichnisses — bedienen und wählen das Bild aus dem Bereich der Geographie. Wir denken uns die Oberfläche der Erdkugel als die absolute Wirklichkeit. Die Aufgabe der Wissenschaft sei es, diese Oberfläche in einer für uns übersichtlichen Form zur A b b i l d u n g zu bringen, das heißt also: eine W e l t k a r t e zu zeichnen. Die Methode der Wissenschaft würde somit das Gesetz sein, nach dem die Abbildung erfolgt, der Gegenstand der Wissenschaft infolgedessen die Abbildung selbst. Wir wissen alle: es gibt viele Möglichkeiten, die Erdoberfläche (also die absolute Wirklichkeit) zur Darstellung zu bringen. Wir kennen Abbildungen auf dem Globus, auf der Ebene und auf den abwickelbaren Flächen des Kegel- und Zylindermantels. Je nach der Wahl solcher Abbildungsiläche, je nach der Wahl der Gesetze, die bei der Abbildung zur Anwendung kommen, entstehen Bilder, die jeweils verschiedene Eigenschaften der Erdoberfläche in größerer oder geringerer Mannigfaltigkeit in sich aufnehmen. Das Bild der Erdoberfläche, das auf der Karte entsteht, ist also g e s e t z m ä ß i g b e d i n g t , es ist abhängig von der Methode, die bei der Projektion verwendet wird. Umgekehrt ist aber auch die Methode der Projektion gesetzmäßig bedingt durch die Abbildung. Wenn nämlich die Abbildung bestimmte Eigenschaften haben soll, so müssen bei ihrer Konstruktion bestimmte Methoden befolgt werden, d. h. Abbildung und Abbildungsgesetz, Projektion und Projektionsart, Karte und Konstruktionsmethode sind k o r r e l a t i v e M o m e n t e , das eine ist nur möglich durch das andere, das andere nur möglich durch das eine. Ebenso verhalten sich zueinander die M e t h o d e einer Wissenschaft und deren G e g e n s t a n d ; auch sie sind korrelativ, wenn man unter dem Gegenstand der Wissenschaft eben jenes Bild oder jenes B e r e i c h der absoluten Wirklichkeit versteht, das m i t t e l s d e r M e t h o d e dieser Wissenschaft abgebildet bzw. h e r a u s g e h o b e n wird. Somit könnte man annehmen, daß (falls unter dem Gegenstand der Wissenschaft d a s verstanden wird, was wir als solchen soeben herausstellten: die durch die jeweilige methodische Einstellung getroffene A u s w a h l ) die Einteilung der Wissenschaften nach den Gegenständen und die Einteilung nach den Methoden übereinanderfallen müßten. Dies ist allerdings nicht der Fall. Neben diesem Begriffe des Gegenstandes der Wissenschaft besteht auch jene
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Erster Teil.
erste Auffassung, die uns deutlich wird, wenn wir an die Einteilung der Erfahrungswissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften denken. Hier werden nämlich die beiden Erfahrungsgebiete der Natur und des menschlichen Geistes von einander geschieden. Die Unterscheidung erfolgt hier also nach den O b j e k t e n , die in den betreffenden Wissenschaften eine Rolle spielen, und zwar nach den Objekten, wie sie uns gegeben sind in der Auffassung des Realismus. Bei einer solchen Einstellung ist also der Gegenstand einer Wissenschaft die Gesamtheit der körperlichen oder geistigen Erscheinungen, wie sie uns in der alltäglichen Erfahrung gegeben sind. Der Gegenstand der Wissenschaft ist dann nicht ein erst zu Erarbeitendes, sondern ein bereits Gegebenes, und zur Einteilung dienen hier somit nicht logische, sondern metaphysische Gesichtspunkte"). Wenn nun eine Einteilung der Wissenschaften nach den in diesem Sinne bezeichneten Gegenständen erfolgt, so ergibt sich ohne weiteres, daß sich solche Einteilung mit einer Einteilung nach den Methoden nicht deckt. In der Tat erscheinen einzelne Wissenschaften, zum Beispiel die Psychologie, bei den beiden Einteilungsarten auf verschiedenen Seiten"). Die Einteilung nach der Methode ist da fast allgemein anerkannt, wo es sich zunächst nur um die Unterscheidung der beiden großen Gruppen handelt, die man als rationale und empirische 17 ), als Form- und Erfahrungs- 19 ) (auch wohl als abstrakte und konkrete)*') Wissenschaften einander gegenüberstellt. Eine Verschiedenheit ergibt sich erst bei der Unterteilung der letztgenannten Gruppe der empirischen oder Erfahrungswissenschaften; während, man nämlich im Hinblick auf den G e g e n s t a n d von dem Unterschied der Natur- und Geisteswissenschaften spricht, kommt man zu einer anderen Gliederung, sobald man die M e t h o d e zum unterscheidenden Merkmal erhebt. Wenn wir uns für die letztere Einteilung entscheiden, so dürfte das nach allem Vorangegangenen nicht als zufällig erscheinen. Allerdings könnten wir unsere W a h l rein äußerlich mit dem Interesse begründen, daß wir der Geo1B)
W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 139. " ) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 241; Präludien, Bd. II, S. 143. " ) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 236ff. " ) W. W u n d t , Logik, Bd. II, S. 90.
" ) W. W u n d t , a. a. O., S. 87.
ders^
Wirklichkeit und Begriff.
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graphie innerhalb des Bereiches der gesamten Wissenschaften eine feste Stellung zuweisen möchten. Dies dürfte für die erstere Auffassung schwierig sein gegenüber einem Fach, das sich auf verschiedenen Hilfswissenschaften aufbaut und mit diesen die Gegenstände der Betrachtung gemeinsam hat. Unser Entscheid ist tiefer begründet; er hängt ab von der Vorstellung, die wir von der Wirklichkeit besitzen, von d«r Meinung, die wir von der Aufgabe der Wissenschaft hegen, von der Auffassung über das Verhältnis, das zwischen Erkenntnis und absoluter Wirklichkeit besteht. Wir wissen nichts von einer Welt h i n t e r der gegebenen, d. h. der uns durch die Erfahrung gegebenen Wirklichkeit*0). Dadurch verliert für uns die Abbildtheorie ihren Sinn; die Vorstellung, daß die Erkenntnis in einer Abbildung der Wirklichkeit oder in einer restlosen Beschreibung derselben zu bestehen habe, ist nicht mehr haltbar. Die Wirklichkeit ist uns in der Anschauung als eine u n e n d l i c h e M a n n i g f a l t i g k e i t gegeben'1). Schon L e i b n i z hat darauf hingewiesen, daß es zwei gleiche Blätter weder auf demselben Baum noch irgendwo gibt"). Jedes Ding besteht, so wie es ist, nur e i n m a l in der Welt, alle Einzeldinge aber, so sehr auch jedes für sich in Raum und Zeit und Eigenschaften als Besonderheit bestimmt ist, sind untereinander in ihrem Sein und Wirken in einem festen Zusammenhange"). Wenn wir H e r a k 1 i t s na'vra Qel aussprechen, so denken wir nicht nur an das in stetigem Flusse befindliche G e s c h e h e n , an das ewige Werden und Vergehen. Auch die D i n g e der Wirklichkeit in ihrem S e i n erscheinen uns, weil sie durch unendlich feine Uebergänge ihrer Eigenschaften miteinander verbunden sind, einem an uns vorüberfließenden Strome vergleichbar, einem Strome, der von der Quelle bis zur Mündung, von der Jugend bis zum Alter aus einem Stadium unmerklich in ein anderes übergeht Was würde für uns gewonnen sein, wenn die Erkenntnis eine A b b i l d u n g dieser Wirklichkeit wäre? Würden wir durch eine solche „Verdoppelung" der Welt an Einsicht gewinnen")? Und "•) B a u c h, Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S.76 fl. und S.239; Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 29 ff. ») R i c k e r t, a. a. O., S. 31 ff. ") B a u c h , Anfangsgründe der Philosophie, S. 8. *») B a u c h , a. a. O., S. 11 f. ") R i c k e r t , a. a. O., S. 31.
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Erster Teil.
was würde gewonnen sein, wenn die Wissenschaft in einer restlosen B e s c h r e i b u n g aller wirklichen Dinge (mit all ihren Eigenschaften, mit all ihrem Verbunden sein untereinander in Sein und Wirken) ihr Ziel zu erblicken hätte")? Wäre eine solche Beschreibung gegenüber der unendlichen Mannigfaltigkeit der Welt überhaupt möglich, wäre sie nicht sinnlos, weil sie weder vollendbar wäre noch Einsicht stiften könnte? Wir können das Wesen der Erkenntnis n u r in einer U m f o r m u n g der Wirklichkeit erblicken"). Bleiben wir bei dem Bilde, um uns das wissenschaftliche Verfahren klar zu machen! Sofern die Wissenschaft empirisch verfährt, bemüht sie sich, den Strom der Wirklichkeit in einzelne A b s c h n i t t e z u zerlegen"). Die G r e n z e n derselben wählt sie so, daß die von ihnen eingeschlossenen Einzeldinge des Wirklichkeitsflusses durch gemeinsame M e r k m a l e gekennzeichnet sind. Die Grenzen reichen dann stromauf und stromab so weit, wie eine Gemeinsamkeit von Merkmalen besteht Stromauf wie stromab folgen andere Abschnitte, innerhalb derer die im Wirklichkeitsflusse enthaltenen Einzeldinge durch die Gemeinsamkeit anderer Merkmale gekennzeichnet sind; die Abschnitte folgen einer dem anderen, gleichwie im Strome der Wirklichkeit die Einzeldinge sich durch unendlich feine Uebergänge ihrer Eigenschaften aneinanderfügen. Sie ordnen sich also zu einer Reihe, zu einem S y s t e m , nämlich zu einem System von Merkmalskomplexen. Wir haben in ihm das Begriffssystem der Erfahrungswissenschaft vor uns. Ein B e g r i f f entspricht also solchem A b s c h n i t t im Strome der Wirklichkeit, in ihm wird eine Summe von Einzeldingen auf Grund der Gemeinsamkeit bestimmter „wesentlicher" Merkmale zu einer E i n h e i t zusammengeschlossen, d.h.„begriffen". Wie die Abschnitte im Strom der Wirklichkeit, so folgen die Begriffe aufeinander, so bilden sie ein System. Ein Merkmalkomplex geht dergestalt in einen anderen über, daß ein Merkmal ausscheidet und ein anderes hinzutritt. Dieser Uebergang ist jedoch nicht so stetig wie der in den Eigenschaften der wirklichen Dinge. Darum bestehen zwischen den Begriffen immer „Begriffslücken", zwischen den einzelnen Abschnitten im Strom der Wirklichkeit sind n i c h t G r e n z l i n i e n gezogen sondern Grenzsä u m e od e r Grenzstrei fen ") R i c k e r t , a. a. O., S. 31. ,s ) R i c k e r t, a. a. O., S. 30. ") Zum folgenden vgl. R i c k e r t , a. a. O., S. 29—40.
Wirklichkeit und Begriff.
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g e l a s s e n , innerhalb derer die Wirklichkeit „unbegriffen" dahinfließt. Nach diesen Ausführungen dürfte unsere Meinung deutlich geworden sein. Wir haben folgenden Gedankenweg zurückgelegt: die Aufgabe der Wissenschaft ist die Erkenntnis; die Erkenntnis besteht nicht in einer A b b i l d u n g , sondern in einer U m f o r m u n g der Wirklichkeit; eine solche Umformung erfolgt durch die Bildung wissenschaftlicher Begriffe, und diese Begriffsbildung erkennen wir als eine A u s w a h l d e s W e s e n t l i c h e n („selektive Synthesis")"). Wenn wir nun ferner bedenken, daß die Begriffe das Z i e l der wissenschaftlichen D a r s t e l l u n g sind, so ist der Weg, auf dem man zu diesen Begriffen gelangt, gleich der M e t h o d e d e r D a r s t e l l u n g . In der Methode der Darstellung haben wir also die Auswahl des Wesentlichen zu erblicken. Sofern sich Wissenschaften in ihren Zielen unterscheiden, müssen sie es auch tun in den Methoden der Darstellung (die auf jene Ziele gerichtet sind) und somit auch, in der Unterschiedlichkeit, die bei der Auswahl des Wesentlichen in der Begriffsbildung zu beobachten ist An dieser Stelle zeigt sich, weshalb wir n i c h t d i e M e t h o d e n d e r A r b e i t u n d F o r s c h u n g zum Unterscheidungsmerkmal der einzelnen Wissenschaften machen. Wenn wir die Einteilung nach den Methoden der Forschung auf ihre Grundansicht (Verhältnis von Erkenntnis und absoluter Wirklichkeit) zurückverfolgen, s o s c h e i n t uns folgende Gedankenverbindung zu bestehen: das Verhältnis von Erkenntnis und Wirklichkeit tritt in seiner Bedeutimg zurück, die Erkenntnis als solche wird gar nicht fraglich. Diese Meinung hält sich also innerhalb des Dogmas der Einzelwissenschaft; in den Vordergrund treten die Methoden der Forschung als Möglichkeit der Erkenntnis-Gewinnung; je vollkommener die Forschungsmethoden sind, desto mehr erweitert und vertieft sich das Bereich der Erkenntnis. Deshalb erscheinen die Methoden der Forschung selbst als ein Ziel, sie erscheinen so wertvoll, daß sie ein Prinzip für die Einteilung der Wissenschaften abzugeben vermögen. Wir wählen also nicht dieses Prinzip, sondern die Einteilung nach der Methode der D a r s t e l l u n g . Durch die wissenschaftliche Forschung werden ja zunächst die Tatsachen gewonnen, die ") W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 231 ff.
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Erster Teil.
der Darstellung nur als M a t e r i a l gelten. Wir haben jedoch das Wesen der Wissenschaft nicht als Materialsammlung"), sondern als Begriilsbildung im Sinne einer Auswahl des Wesentlichen bestimmt Wenn wir somit den B e g r i f f zum unterscheidenden Prinzip erheben, so müssen wir zur Deutlichkeit noch eine Bemerkung über den Begriff selbst einfügen"). Man pflegt einem Begriff, wie weiß, hart, süß, dessen Bedeutung allgemein festliegt, jedoch nicht weiter bestimmbar ist, einen Begriffskomplex, wie Eisen, Wasser, Lehm gegenüberzustellen. Wenn man nun solche „Begriffe" als „Begriffselemente", solche „Begriffskomplexe" aber als „Begriffe" bezeichnet, so wird damit ganz allgemein der Begriff mit der Darstellung durch Begriffselemente oder Begriffe gleichgesetzt. Wissenschaftliche Begriffe könnten aus Begriffselementen oder aus Begriffen zusammengesetzt sein. Die zusammensetzenden Begriffe könnte man dann in einem höheren Sinne als Begriffselemente gegenüber dem zusammengesetzten Begriff ansprechen [2]. Wenn wir mit dieser Einstellung den Wissenschaften gegenübertreten, so ergeben sich z w e i Gruppen, die allerdings nicht zwei scharf geschiedene Lager, sondern zwei G r u n d t y p e n aufzeigen. W i l h e l m W i n d e l b a n d bezeichnet sie als nomothetisch und idiographisch"), H e i n r i c h R i c k e r t stellt sie als Natur- und Kulturwissenschaften [3] einander gegenüber"). Wenden wir uns zunächst der besonderen Methode der N at u r w i s s e n s c h a f t zu! Wie geht z. B. bei der B o t a n i k die Bildimg von Begriffen vor sich? Von allen Gegenständen, die der wissenschaftlichen Beobachtung unterliegen, die sämtlich, weil sie der Wirklichkeit angehören, gesondert von einander bestehen und sich deutlich unterscheiden, wird für die Begriffsbildung doch nur das wesentlich, was allen diesen Gegenständen g e m e i n ist**). Die Botanik gewinnt den Begriff der Kiefer dadurch, daß sie aus den Eigenschaften der einzelnen Bäume diejenigen auswählt, die allen *) R i c k e r t , Kulturwissenschan und Naturwissenschaft, S. 2. ») R i c k e r t , a. a. O., S. 38 ff. •») W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 145. **) R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft; d e r s , Geschichtsphilosophie (Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, S. 321—420); d e r s . , Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. ") R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 40 ff.
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Naturwissenschaft.
g e m e i n s a m sind; also ergeben sich die M e r k m a l e : die Gestalt der Krone im Alter schirmförmig, in der Jugend pyramidenförmig, die Farbe der Rinde graubraun, die Anordnung der Nadeln zu zweien in einer Scheide, Gestalt des Zapfens kurz und eiförmig. Diese Merkmale sind wesentlich andere als die der Fichte, Tanne und Lärche, und doch faßt man diese alle unter dem Begriff der Nadelhölzer zusammen, und von ausschlaggebender Bedeutung ist bei solcher Begriffsbildimg wiederum nicht das die einzelnen Arten Unterscheidende, sondern das ihnen G e m e i n s a m e , nämlich ihre Eigenart als Holzgewächse mit nadel- oder schuppenförmigen Blättern. Die Z o o l o g i e verfährt in ähnlicher Weise. So erarbeitet sie den Begriff des Haushundes, der sich durch seine Merkmale vom Wolf und vom Fuchs deutlich unterscheidet, und die Gem e i n s a m k e i t der drei Artmerkmale ermöglicht wiederum die Zusammenschliessung dieser drei Gattungen zur Familie canis. Auch die a l l g e m e i n e A n t h r o p o l o g i e richtet, so sehr sie vom Studium einzelner Menschen ausgeht, ihr Augenmerk nicht auf die Individualität dieser Wesen, sondern auf das Gemeinsame der Schädelform, der Haut-, Haar- und Augenfarbe, der Haarform, der Körpergröße und -proportionen; sie schließt all die Einzelwesen zu Rassen zusammen und bildet endlich vermittels der Gemeinsamkeit, die allen Menschen trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Rassenmerkmale verbleibt, den Begriff des homo sapiens. Die Methode dieser Wissenschaften ist, kurz gesagt, die der „vergleichenden" Abstraktion"), die Auswahl des für die Begriffsbildung Wesentlichen erfolgt im Hinblick auf das G e m e i n s a m e , das T y p i s c h e , das A l l g e m e i n e M ) . Ganz entsprechend ist es bei den sogenannten e x a k t e n Wissenschaften, nur tritt hier das Experiment als begriffsbildend in den Vordergrund, aus der Beobachtung an einem Einzelobjekt wird das Gesetz entwickelt, und dieses Gesetz gilt nicht etwa nur für das einzelne Beobachtete, sondern für alle gleich beschaffenen Objekte. So hat G a l i l e i die Fallgesetze nicht durch die Beobachtung frei fallender Körper, sondern durch die des Falles auf der schiefen Ebene bewiesen. Diese Begriffsbildung, die „isolierende" a
) R i c k e r t, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 43. ") W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 149 f.; R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 40 ff. G r a f , Geographie,
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Erster Teil.
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Abstraktion 35 ), stimmt mit der „vergleichenden" insofern überein, als auch hier der Blick nicht der Individualität, sondern dem Allg sm e i n e n zugewandt ist. Die Naturwissenschaft verfährt also „g e n e r a l i s i e r e n d". Wenn wir uns noch einmal die Begriffsbildung der beschreibenden Naturwissenschaft vergegenwärtigen, so erscheint uns diese nicht wesentlich verschieden von der Bildung jener Begriffe, die wir in den a l l g e m e i n e n W o r t b e d e u t u n g e n vorfinden und deren sich auch die Wissenschaft zunächst zu bedienen hat 36 ). Auch in den allgemeinen Wortbedeutungen liegt eine Generalisation vor, nur fehlt ihnen die Bestimmtheit, die von einem wissenschaftlichen Begriff gefordert werden muß. Sie wird in der Wissenschaft dadurch erreicht, daß die Begriffe gleichzeitig in einen allgemeinen Z u s a m m e n h a n g hineingestellt werden, sie werden „klassifiziert". Diese Klassifikation der naturwissenschaftlichen Begriffe ist so beschaffen, daß die speziellen jeweils einem allgemeineren Begriff untergeordnet sind. Als Ideal einer solchen Klassifizierung ergäbe sich dann wohl, daß jeder spezielle einem a l l g e m e i n e n Begriffe untergeordnet werden könnte, und zwar so, daß seine besonderen Merkmale in einen n o t w e n d i g e n Zusammenhang mit jenem Allgemeinbegriff treten37). Dieses Ideal ist jedoch in den beschreibenden Naturwissenschaften bei weitem nicht erfüllt, nur in den exakten Naturwissenschaften ist es möglich, den Einzelbegriff auf ein letztes Allgemeines zurückzuführen. Wir bezeichnen den hier vorliegenden Unterschied gewöhnlich durch die Gegenüberstellung von B e s c h r e i b u n g und E r k l ä r u n g 37). Gewiß ist ja, daß eine Beschreibung zugleich auch eine Erklärung zu geben vermag, als restlos erklärt kann eine Erscheinung jedoch erst dann gelten, wenn sie auf einen allgemeinen notwendigen Zusammenhang zurückgeführt, d. h. wenn sie durch ein N a t u r g e s e t z erklärt wird 37 ). Sofern ein solches Unterordnen der Erscheinung unter ein Naturgesetz nicht möglich ist, verbleibt der Erklärung ein letzter Rest, der gegenüber der Zurückführung auf den Allgemeinbegriff als zufällig erscheinen muß. Sofern eine Wissenschaft auf die restlose Darstellung eines gesetzmäßigen Zu3
=) R i c k e r t, ) R i c k e r t, wissenschaftlichen 37 ) R i c k e r t, 3e
a. a. 0., S. 43. a. a. O., S. 40 f.; d e r s . , Die Grenzen der naturBegriffsbildung, S. 30 ff. a. a. O., S. 101 ff.
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Geschichte.
sämmenhanges verzichten muß, verfährt sie beschreibend. Es besieht also nicht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Verfahren der Beschreibung und dem der Erklärung. Die beschreibenden und erklärenden Naturwissenschaften bedienen sich im Grunde desselben Verfahrens: die Auswahl des Wesentlichen, die das Eigentümliche ihrer BegrilTsbildung ausmacht, erfolgt bei beiden im Hinblick auf das Allgemeine und Gesetzmäßige [4], Der Gruppe der Naturwissenschaften steht eine zweite gegenüber, die der K u l t u r w i s s e n s c h a f t e n . Da die Methoden der Einzeldisziplinen dieser Gruppe durch die Begriffsbildung der G e s c h i c h t e bestimmt sind, können wir uns auf die Betrachtung dieses Faches beschränken. Aus der Eigenart der naturwissenschaftlichen BegrilTsbildung (als dem Erfassen gesetzmäßigen Zusammenhanges) folgt zugleich, daß sie „ G r e n z e n " besitzt 38 ). Sofern die empirische Wirklichkeit nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, wird sie als Natur bezeichnet und erfährt durch die Naturwissenschaft eine Vereinfachung im Begriff. Sofern aber die Wirklichkeit i n d i v i d u e l l gestaltet ist, liegt sie außerhalb der Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung 39 ). Auch dieser Teil der Wirklichkeit fordert unser Interesse. Es gibt eine ganze Reihe individueller Erscheinungen, die uns nicht nur als Exemplare einer Gattung, nicht nur als Glieder eines gesetzmäßigen Zusammenhanges anziehen, die vielmehr gerade in ihrer Individualität für uns von Bedeutung sind und darum auch in dieser Individualität wissenschaftlich begrillen sein wollen. Für unsere Erkenntnis wäre nichts gewonnen, wenn wir von G o e t h e , K a n t , F r i e d r i c h d e m G r o ß e n und L u t h e r sagen wollten, daß sie Menschen seien, daß sie der nordischen Rasse angehörten, oder daß sie Genies seien. Gewiß kann auch eine solche Betrachtung für die Naturwissenschaft von Nutzen sein, sie versagt aber gerade in dem, was die B e d e u t u n g dieser Menschen für uns ausmacht. Diese Bedeutung liegt nicht in dem, was jene Menschen mit anderen gemeinsam haben, sondern gerade in dem, was sie von anderen unterscheidet, also in ihrer I n d i v i d u a l i t ä t 4 0 ) . 38 )
R i c k e r t , a. a. O., S. 6. R i c k e r t, a. a. O., S. 224; d e r s . , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 60. 40 ) W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 155 f. 39 )
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Erster Teil.
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Der Betrachtung und Darstellung solcher Individualität ist die G e s c h i c h t e gewidmet, sie beschreibt ein einmaliges Geschehen, sofern es Bedeutung für uns besitzt, und beschreibt die Persönlichkeiten, die in solchem Geschehen eine Rolle spielen, in individuellen Zügen. Wir könnten insofern dem Bereich der Natur ein solches der Geschichte als d e n Ausschnitt der Wirklichkeit gegenüberstellen, der aus ihr im Hinblick auf das B e s o n d e r e und I n d i v i d u e l l e gewonnen ist"). Allerdings ist mit diesem Merkmale die Eigenart der Geschichte noch nicht vollständig beschrieben. Wir bezeichnen nicht die Gesamtheit der individuellen Wirklichkeit als Geschichte, und es ist nicht die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, die Wirklichkeit mit all ihren individuellen Erscheinungen abzubilden"). Wäre dies die Aufgabe der historischen Wissenschaften, so würde ihre Arbeit von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt sein, weil die gesamte Mannigfaltigkeit des Wirklichen niemals restlos zu erfassen ist"). So ist denn die Geschichte wiederum nur ein A u s s c h n i t t aus der Wirklichkeit, allerdings in anderem Sinne als die Natur. Ihr Interesse ist nicht auf die Gesamtheit des Individuellen gerichtet, entscheidend für ihre Methode ist wiederum die Auswahl des Wesentlichen aus der individuellen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen. Nicht alles, was geschieht, ist Geschichte, und nicht alles, was geschieht, ist Gegenstand der historischen Betrachtung44). Von großer historischer Bedeutung ist zum Beispiel die Ablehnung des österreichischen Ultimatums durch Serbien im Juli 1914, und somit ist die Ablehnung eine historische Tatsache. E b e n s o w a h r ist, daß fast gleichzeitig mit dem Bekanntwerden dieser Ablehnung am Johannistor in Jena die Friedenspappel zusammengestürzt ist, und doch ist diese Begebenheit keine historische Tatsache. Für eine literaturgeschichtliche Betrachtung ist wichtig, daß G o t t f r i e d K e l l e r einem schweizerischen Bauerngeschlecht entstammt, völlig belanglos aber ist, wennschon es e b e n s o w a h r ist, daß eine seiner Großnichten, die als Dienstmagd in Zürich lebt, bei der ersten Lektüre von einer u
) R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 60. ) W i n d e l b a n d , Präludien, Bd. II, S. 153 ff.; d e r s , Einleitung in die Philosophie, S. 240; R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 89 ff. ») Vgl. S. 19! M ) R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 86 ff. u
Geschichte.
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seiner Novellen das Buch bald gelangweilt aus der Hand gelegt h a t Erstere Wahrheit ist für die Literaturgeschichte eine Tatsache, die zweite jedoch nicht. Also auch in der Geschichte haben wir es ähnlich wie bei der Naturwissenschaft mit einer Auswahl zu tun. Während die letztere das Allgemeine und Gesetzmäßige heraussucht und die Einzelerscheinung nur als „Exemplar" einer Gattung betrachtet, richtet die Geschichte ihren Blick auf die Individualität und gerade auf das Einmalige und Unwiederholbare der Erscheinungen"). Während die Naturwissenschaft nur das gesetzmäßig Bedingte, das stets Wiederkehrende, das Bedeutungslose und W e r t f r e i e betrachtet, wählt die Geschichte unter allen individuellen Erscheinungen diejenigen aus, die für uns von Bedeutung sind, und zwar im Hinblick auf die K u l t u r . Der „wertfreien" Naturbetrachtung4*) stellt sich somit die Geschichte als „wertbeziehende" Betrachtung gegenüber*7), als Betrachtung, die die Einzeltatsachen in einen großen Zusammenhang einfügt, die sie einordnet nach der Bedeutung, die sie im Hinblick auf ewig gültige Werte besitzen. Der Zusammenhang, von dem hier die Rede ist, und den wir im Gegensatz zu dem naturwissenschaftlichen Allgemeinbegriff als das historisch Allgemeine bezeichnen, stellt sich im Verhältnis zur Einzeltatsache anders als bei der Naturwissenschaft dar. Aehnlich wie bei der Naturwissenschaft muß die Begriffsbildung Im Hinblick auf einen Allgemeinzusammenhang erfolgen*1). Auch hier gilt, daß die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Welt in Begriffen erfaßt, und daß diese Begriffe in eine s y s t e m a t i s c h e Ordnung gebracht werden. Die Elemente der historischen Begriffe sind ähnlich wie bei der Naturwissenschaft zunächst die allgemeinen Wortbedeutungen. Die historischen Begriffe sind bestimmt dadurch, daß ihre Bildung, d. h. die Auswahl des Wesentlichen, im Hinblick auf das historische Allgemeine erfolgt. Der allgemeinste Zusammenhang, der für die Geschichte existiert, ist das historische Ganze, der Gesamtverlauf der Geschichte. Die historischen Einzelbegriffe stellen sich gegenüber diesem Ganzen nicht als Exemplare gegenüber der Gattung dar, sondern als T e i l e d e s G a n z e n . *») R i c k e r t , a. a. O., S. 86 ff. **) W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 242. ") R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, S. 94. **) Zum folgenden vgl. R i c k e r t , Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, S. 274 ff.
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Erster Teil.
Wenn wir die Eigenart der naturwissenschaftlichen und der historischen Begriffsbildung noch einmal einander gegenüberstellen wollen, so können wir das im Hinblick auf U m f a n g und I n h a l t der A l l g e m e i n - und S p e z i a l b e g r i f f e tun**). Beim W a c h s e n des Umfanges eines n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Begriffes v e r m i n d e r t sich der Inhalt; umgekehrt v e r g r ö ß e r t sich der Inhalt, je mehr der Umfang a b n i m m t . .Der naturwissenschaftliche Begriff entspricht also durchaus der Regel der Logik. Nicht ebenso ist es beim historischen Begriff; denn der u m f a s s e n d e r e h i s t o r i s c h e Begriff ist ohne Zweifel auch i n h a l t s r e i c h e r , weil die Inhalte der Spezialbegriffe als seiner T e i l e auch in ihm aufgenommen werden [5]. Am Eingang dieses Abschnittes haben wir betont, daß es zunächst darauf ankomme, zwei T y p e n wissenschaftlicher Begriffsbildung voneinander zu unterscheiden. Wir haben dies getan und können die Begriffe, die wir herausgearbeitet haben, als „absolut" naturwissenschaftliche und historische einander gegenüberstellen. In der praktischen Arbeit der SpezialWissenschaften sind diese Begriffe des „absolut" Naturwissenschaftlichen und Historischen, die ja, wie wir von vornherein bemerkt haben, in erster Linie l o g i s c h e Unterschiede bezeichnen, vielfach von „relativ" naturwissenschaftlichen und historischen Begriffen verdrängt, es finden sich also in den Naturwissenschaften historische und in den geschichtlich bestimmten Disziplinen naturwissenschaftliche Begriffe50). Wir können um so mehr darauf verzichten, solchen Vereinzelungen nachzuspüren, als es uns bei allem Vorangehenden gerade darauf ankommt, den l o g i s c h e n Gegensatz klar zu erfassen, um von hier aus die B e s o n d e r h e i t der g e o g r a p h i e s e h e n Begriffsbildung, oder richtiger: Begriffsbildungen zu verstehen. Nur ein Beispiel mag herangezogen werden, um zu zeigen, wie auch solche relativen Begriffe einem von den beiden Typen zuzuweisen sind. Wir wählen den historischen G r u p p e n begriff *•) Zum folgenden vgl. R i c k e r t, Geschichtsphilosophie (Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, S. 344—345); d e r s., Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, S. 365 ff. R i c k e r t, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen BegrifTsbildung, S. 235 ff. und S. 429 ff.
Geschichte.
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heraus 51 ), weil in der Geographie eine ähnliche Begriilsbildung vorliegt Die Geschichte hat es nicht immer nur mit dem Besonderen und Individuellen zu tun. Die Vorgänge und Persönlichkeiten gehören in ihrer Individualität dem historischen Ganzen an, und bei der Darstellung dieses historischen Ganzen kann es sich auch darum handeln, d a s Individuelle herauszustellen^ das einer G r u p p e v o n O b j e k t e n eignet. So wird der Mensch der A u f k l ä r u n g durch eine Reihe von Eigenschaften charakterisiert, die allen oder dem überwiegenden Teil der Menschen jener Zeit g e m e i n s a m ist, und die Gemeinsamkeit dieser Eigenschaften schließt alle jene Menschen zu einer G r u p p e zusammen. Entscheidend ist für jenen Begriff, daß seine Bildung gerade im Hinblick auf die Gemeinsamkeit s o l c h e r Merkmale erfolgt, die die Menschen der Aufklärimg b e d e u t s a m , d. h. im Hinblick auf die K u l t u r , von denen einer anderen Epoche u n t e r s c h e i d e t . Das letzte Ziel der Begriffsbildung ist in diesem Falle nicht die „allgemeine Natur" jener Menschen, die Auswahl des Wesentlichen erfolgt vielmehr im Hinblick auf die I n d i v i d u a l i t ä t , die jener G r u p p e von Menschen eignet, und im Hinblick auf die Bedeutung, die ihr innerhalb der k u l t u r e l l e n Entwicklung der Menschheit zufällt. Somit dürfte es nicht schwer fallen, auch solchen relativen Begriff als „relativ historischen" einem jener besonderen Typen der Begriffsbildimg unterzuordnen. Entsprechendes ergibt sich bei der Betrachtung von Begriffen, die der Naturwissenschaft angehören und historische Bestandteile enthalten. Wir können sie als „relativ naturwissenschaftliche" bezeichnen. Aus den Darlegungen des letzten Abschnittes erkennen wir, daß die n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e und die h i s t o r i s c h e M e t h o d e als G e g e n s ä t z e i n n e r h a l b d e r E r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t bestehen. Wir haben ihre Eigenart dargetan, um das V e r h ä l t n i s z u r G e o g r a p h i e zu bestimmen. Diese Aufgabe vertieft sich uns und gewinnt an Interesse im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der beiden Wissenschaftsgruppen, mit denen die Geographie im Laufe ihrer Entwicklung wechselweise in Verbindung gestanden hat. M ) Zum folgenden vgl. R i c k e r t , a. a. 0., S. 434 ff.; ders., Geschichtsphilosophie (Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahr* hunderts, S. 349 ff.).
Zweiter Teil.
Geographie und Geschichte. Jedem Ort ist in dem Weiden seiner selbst zum Sduaplatz seine Geschichte, jeder Tat des mensch* tidien Willens ist in ihrer nur inner* halb einer bestimmten Raumgrenze möglichen Verwirklichung ihre Geo> graphie eingeboren. Ernst Kapp.
In den schon erwähnten Betrachtungen über Begriff, Aufgabe oder Methode der Geographie pflegen gewöhnlich drei Punkte gegenübergestellt zu werden, nämlich: G e g e n s t a n d , F o r s c h u n g u n d D a r s t e l l u n g ' ) . Der G e g e n s t a n d erscheint dabei vielfach als das Primäre, als ein Ding, oder ein Komplex von Dingen, das nachzuschaffen oder abzubilden ist; die F o r s c h u n g bahnt den Weg zu dem vorbezeichneten Gegenstande, und die D a r s t e l l u n g gibt das Abbild desselben. Gemäß der Einstellung, die wir im vorangehenden Abschnitt dargelegt haben, brauchen wir in diese Unterscheidung nicht einzutreten. Die Methode oder — besser gesagt — die Methoden der Forschung können uns ein Merkmal für die Eigenart unserer Wissenschaft insofern nicht abgeben, als es sich hier in erster Linie um die Gewinnung von Tatsachen handelt, die für eine wissenschaftliche Darstellung erst das M a t e r i a l abgeben. Da wir ferner die Methode der Darstellung mit der Begriflsbildung, d. h. mit der Auswahl des Wesentlichen, gleichgesetzt und Methode und Gegenstand als korrelative Momente erkannt haben, können wir unsere Betrachtung auf die geographische Begriffsbildung einschränken'). *) Vgl. z. B. F r i e d e r i c h s e n , Moderne Methoden der Erforschung, Beschreibung und Erklärung geographischer Landschaften (Geographische Bausteine. Hg. von H. H a a c k. Heft 6); H e 11 n e r, Das "Wesen und die Methoden der Geographie (Geogr. Z. 1905); V o l z , Das Wesen der Geographie in Forschung und Darstellung (Schlesische Jahrbücher für Geistes- und Naturwissenschaften, 1923, S. 239 ff.). ') Vgl. S. 21!
Aufgabe der Geographie.
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Bei einer solchen Untersuchung dürfen wir natürlich das, was wir mit G e o g r a p h i e bezeichnen, nicht aus unserer eigenen Meinung künstlich aufbauen, vielmehr müssen wir uns in die Geschichte unserer Wissenschaft versenken; wir müssen an das anknüpfen, was an wissenschaftlichen Leistungen t a t s ä c h l i c h vorliegt Wir haben diese uns aus der Geschichte entgegentretenden Auffassungen auch nicht vor dem Richterstuhl unserer eigenen Meinung zu b e u r t e i l e n [1], vielmehr müssen wir uns bemühen, diese oder jene Begriflsbildung, wie sie aus einer Sonderauffassung vom Wesen der Geographie entspringt, lediglich auf ihre l o g i s c h e S t r u k t u r hin zu untersuchen. Wir wollen also aus der Betrachtung der Geschichte unserer Wissenschaft nicht auf den a l l e i n r i c h t i g e n Begriff der Geographie schließen. Wir halten durchaus zu der Meinung H e r m a n n W a g n e r s , daß man seine Auffassung vom Wesen der Geographie nicht geschichtlich begründen könne [2], wir wissen wohl, daß man, um die Geschichte einer Wissenschaft zu schreiben, immer schon einen Begriff derselben haben muß'). Wir greifen auf die Geschichte der Geographie zurück, lediglich um die einzelnen Auffassungen, die im Laufe der Zeit in buntem Wechsel aufgetreten sind, zu zeigen und systematisch zu ordnen. Wir kennen bereits zwei solche, einmal an die G e s c h i c h t e , einmal an die N a t u r w i s s e n s c h a f t anknüpfende Richtungen4), deren Gegensatz häufig auch in dem einer Geographie oder E r d b e s c h r e i b u n g (d. h. Erdoberflächenbeschreibung) und dem einer Erdkunde oder W i s s e n s c h a f t v o m E r d k ö r p e r begriffen wird4). Die Berechtigung solcher Namengebung, die allerdings vielfach umstritten ist, wollen wir dahingestellt sein lassen; wir bedienen uns jedoch dieser Ausdrücke nicht, weil der durch sie bezeichnete Unterschied n i c h t m e t h o d i s c h e r A r t ist. Erdkunde als Wissenschaft vom Erdkörper u m f a ß t die Aufgabe der Erdoberflächenbeschreibung. Die Begriffe Geographie und Wissenschaft vom Erdkörper bezeichnen also an sich n i c h t G e g e n s ä t z e , geschweige denn m e t h o d i s c h e Gegensätze, obschon *) B a u c h , Das Substanzproblem in der griechischen Philosophie bis zur Blütezeit, S. 2. 4 ) Vgl. z. B. H e i d e r i c h, Die Erde. I. Teil, Allgemeine Erdkunde, S. 3. 4 ) H. W a g n e r , Lehrbuch der Geographie, I. Bd., S. 25, Anm. 54.
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Zweiter Teil.
die beiden Richtungen der Forschung, die an diese Begriffe anknüpfen, in ihrer tatsächlichen Arbeit vielfach auch methodisch gegensätzlich verfahren mögen. Uns kommt es nicht darauf an, d i e Begriffe der Geographie nebeneinander zu stellen, die sich nach dem U m f a n g ihrer Aufgabe unterscheiden; unsere Ordnung soll vielmehr nur im Hinblick auf die M e t h o d e erfolgen, muß also von dem Gegensatz einer h i s t o r i s c h oder n a turwissenschaftlich orientierten Geographie ausgehen. Fragen wir also zunächst nach der Berührung der Geographie mit der Geschichte! Man wird wiederum versucht sein, eine Verwandtschaft zwischen den beiden Wissenschaften d a zu suchen, wo sie eine G e m e i n s a m k e i t d e r O b j e k t e aufweisen, die den Gegenstand der Betrachtung bilden. In diesem Falle würde die A n t h r o p o g e o g r a phie (im weitesten Sinne als Geographie des Menschen verstanden) in nächste Berührung zur Geschichte treten. Zu demselben Ergebnis würde man offenbar kommen (ja, man würde diesen Gedanken nur in einer anderen Form zum Ausdruck bringen), wenn man die Geschichte als die Wissenschaft betrachtet, in der von W i l l k ü r handlungen des M e n s c h e n die Rede ist. Dann tritt derjenige Teil der Geographie, der ebenfalls mit Willkürhandlungen des Menschen rechnen muß (und das kann nur die Anthropogeographie sein), in engste Beziehung zur Geschichte. Beide Gesichtspunkte sind für uns nicht entscheidend; denn wenn im ersten Falle vom Menschen als vom Gegenstand der Geschichte und der Anthropogeographie gesprochen wird, so ist das Wort Gegenstand nicht in unserem Sinne sondern im Sinne des naiven Realismus bezeichnet. Wenn ferner Geschichte und Anthropogeographie als Bereich von Willkürhandlungen des Menschen angesprochen werden, so ist das offenbar eine ungenaue Bezeichnung [3]; denn jede E r f a h r u n g s wissenschaft ist U r s a c h e n forschung [4]; Willkürhandlungen des Menschen (als ursachlose Handlungen) scheiden somit von vornherein aus der wissenschaftlichen Betrachtung aus. Man wird weiterhin eine Verwandtschaft zwischen Geschichte und Geographie in der Gemeinsamkeit oder Aehnlichkeit der wissenschaftlichen Arbeitsweisen, in dem Verflochtensein der Methoden suchen, die der Gewinnung von Einzeltatsachen dienen. Wenden Wir uns auch dieser Frage zu!
Methode der Forschung.
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Eine Berührung der Geographie mit der Geschichte ist zunächst in vollem Umfange da vorhanden, wo die letztere Wissenschaft in den Anfängen ihrer Entwicklung b l o ß e B e r i c h t e r s t a t t u n g ist. Die Aufzählung d e s s e n , was geschehen ist, kann auf die Schilderung des Schauplatzes der Begebenheit nicht verzichten. Das, w a s geschehen ist, muß i r g e n d w o geschehen sein und kann nur dann deutlich gemacht werden, wenn der Bericht zugleich über Lage, Umgebung und Beschaffenheit der betreffenden Erdstelle Auskunft gibt*). Die historische Quelle ist also zumeist auch eine Fundgrube geographischen Wissens, und wir dürfen die Geographie als einen unveräußerlichen Bestandteil der Geschichte betrachten, sofern wir ihr Wesen in einer auf eigene Beobachtung gestützten Beschreibung, d. h. einer bloßen Berichterstattung, beschlossen sein lassen. Wir wenden uns einer zweiten Auffassung zu und knüpfen an einen Begriff an, den man im Beginn des 17. Jahrhunderts erarbeitet hat7). Wir wissen: während des Mittelalters ist in vielen Wissenschaften ein Stillstand eingetreten; man muß im Beginn der Neuzeit die wissenschaftlichen Schätze aus den überlieferten Werken der Antike neu erschließen. Da sich aber seit der Zeit, da diese Werke entstanden sind, unser Weltbild in seinem Aussehen wesentlich geändert hat, steht man der Aufgabe gegenüber, das Bild der Antike, das durch die Stürme der Völkerwanderung völlig verwischt ist, zu rekonstruieren. Dies ist nur möglich dadurch, daß man sich auf die e i g e n e B e o b a c h t u n g stützt. Dieser Aufgabe unterzieht sich P h i l i p p C l ü v e r . Er durchstreift ganz Europa und vermittelt in seinen Werken „Germania antiqua" und „Italia antiqua" die Kenntnis jener Länder, wie sie zum Verständnis der antiken Schriftsteller nötig ist; er schafft — getreu seinem Wahlspruche: „Geographia historiae lumen" — in seiner „historischen Länderkunde" jenen Zweig der Geographie, der lediglich der Geschichte dienen soll. •) Vgl. B e r n h e i n i , Lehrbuch der historischen Methode, S. 621 ff. 7 ) Zum folgenden vgl. P a r t s c h , Philipp Clüver der Begründer der historischen Länderkunde. (Geogr. Abhandlungen. Hg. von A l b r e c h t P e n c k Bd. V, Heft 3, S. 42 ff.); d e r s . , Die Entwickelung der historischen Länderkunde und ihre Stellung im Gesamtgebiet der Geographie (Das Ausland, 1892, S. 401 ff. und 417 ff.).
Zweiter TeiL
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Eine andere Auffassung der Geographie, die ebenfalls eng mit der Geschichte verknüpft ist, entwickelt sich in jüngerer Zeit: zu Beginn des 19. Jahrhunderts tritt C a r l R i t t e r hervor mit seiner „Allgemeinen Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen". Er betrachtet die Erde als das W o h n und E r z i e h u n g s h a u s des Menschen und unternimmt es, d e n Zügen im Antlitz der Erde nachzuspüren, die für die Schicksalc der Völker von Bedeutung gewesen sind. Ihm genügt es also nicht, den Schauplatz historischer Begebenheiten nach seiner L a g e zu bestimmen, vielmehr kommt es ihm darauf an, die n a t ü r l i c h e n und k u l t u r e l l e n Verhältnisse eines Landes im Zusammenhang mit den geschichtlichen Ereignissen zu betrachten*); er stellt sich damit eine Aufgabe, wie sie in der Gegenwart durch A l b e r t v. H o f m a n n für Deutschland und Italien gelöst worden ist"). Wie wir ohne weiteres erkennen, stehen die beiden letzten Auffassungen der Geographie in engem Verhältnis zur Geschichte. Die erste gibt eine Topographie vergangener Zeiten und liefert die Unterlage zur Zeichnung historischer Karten, die zweite entwirft ein Bild von den Natur- und Kulturverhältnissen jener Länder, die den Schauplatz der Geschichte abgeben, und liefert somit Tatsachen, deren Kenntnis f ü r d i e A u f h e l l u n g h i s t o r i s c h e r E r e i g n i s s e n o t w e n d i g ist. Wenn sich die Geographie in diesen Auffassungen ihres Wesens als eine Hilfswissenschaft der Geschichte darstellt, so kann man d a r a u s a l l e i n noch nicht auf eine innere Verwandtschaft der beiden Wissensgebiete schließen. Ja, es zeigt sich sogleich, daß dieses Verhältnis auch umkehrbar ist"). Welcher Art soll aber dieses Verwandtschaftsverhältnis (als Ursprungsverhältnis) sein, wenn es sich als umkehrbar erweist? Wenn wir ä l t e r e Karten mit h e u t i g e n Karten derselben Gebiete vergleichen, so erkennen wir, daß im Landschaftsbilde oftmals binnen weniger Jahre gewaltige Veränderungen eingetreten sind, wir denken zum Beispiel an die Sturmfluten der Nordsee, die große Teile des festen Landes fortgerissen haben, wir denken an die Umgestaltungen, die 8
) P a r t s c h , Philipp Clüver, a. a. O., S. 45. •) A. v. H o f m a n n, Das Deutsche Land und die deutsche Geschichte; d e r s . , Das Land Italien und seine Geschichte. 10 ) Zum folgenden vergi. S. G ü n t h e r , Historische Geographie und Geschichte der Erdkunde (Pet. Mitt. 1912, II, S. 245 ff.).
Methode der Darstellung.
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eine Landschaft durch vulkanische Ausbrüche erfährt, wir denken an die Wanderung der Dünen und Inseln, an die Verlandung der Häfen, an Küstenhebungen und -Senkungen, an das Wachsen der Deltas und endlich an die Laufänderungen großer Ströme, wie des Rheines, der Weichsel oder des Mississippi. Solche Wandlungen des Landschaftsbildes stellen wir n i c h t i m m e r durch eigene Beobachtung fest, sondern durch Vergleich überlieferter Nachrichten mit den jetzigen Verhältnissen. Die Kenntnis von derartigen Veränderungen ist aber immer notwendig, wenn wir ein Verständnis der gegenwärtigen Landschaft gewinnen wollen. Die Geographie, die das anstrebt, hat sich also bei solcher Arbeit h i s t o r i s c h e r Methoden zu bedienen. Hier ist, wie wir schon sagten, das Verhältnis zwischen Geschichte und Geographie umgekehrt: während sich im voranstellenden die Geographie als Hilfswissenschaft der Geschichte erwiesen hat, muß nun die G e s c h i c h t e zur D i e n e r i n d e r G e o g r a p h i e werden. Das Verhältnis, das wir in den letzten Fällen aufgezeigt haben, ist also vorwiegend äußerlicher Natur: jede der beiden Wissenschaften kann zur Handlangerin der anderen werden. Eine solche Beziehung, eine wechselseitige Belieferung mit Tatsachenmaterial, können wir gewiß nicht als eine Verwandtschaft ansprechen; denn ohne Zweifel stehen auch Naturwissenschaft und Geschichte, von deren grundsätzlichem Unterschiede unsere Betrachtung ausgeht, in dem gleichen Verhältnis"). Denken wir im Zusammenhang hiermit nur an die Beurteilung, die die Urkundenforschung über eine historische Quelle abgibt Berichtet eine solche Quelle von Begebenheiten, die wir unter dem Blickpunkt der Naturwissenschaft als „ W u n d e r " bezeichnen müssen, so scheidet sie in diesem Punkte wegen des Widerspruches, in dem sie sich zur Naturwissenschaft befindet, ohne weiteres als unwahr aus"). Wollen wir also das verwandtschaftliche Verhältnis von Geschichte und Geographie untersuchen, so müssen wir unseren Blick der B e g r i f f s b i l d u n g zuwenden. Daß eine solche innere Beziehimg, eine Verwandtschaft in methodischer Hinsicht, in der Tat besteht, zeigt sich bereits in der Einheit der beiden Wissenschaften auf den ersten Stufen ihrer Entwicklung. Sofern wir ") W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 242f. ") Vgl. B e r n h e i m, Lehrbuch der historischen Methode, S. 326 ff.
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Zweiter Teil.
in diesem Stadium von G e o g r a p h i e im eigentlichen Sinne sprechen können, ist sie B e s c h r e i b u n g individueller E r s c h e i n u n g e n , die in irgendeiner Hinsicht für uns B e d e u t u n g haben, Bedeutung im Hinblick auf einen W e r t , genau wie die Ereignisse, von denen die im gleichen Entwicklungsstadium befindliche Geschichte berichtet. Doch was von der Geographie in ihrem Anfangsstadium gilt, trifft auch für die bisher behandelten Auffassungen und in gewisser Hinsicht auch noch für unsere heutige zu. Die von P h i l i p p C l ü v e r und C a r l R i t t e r entwickelten Begriffe, die wir jetzt nicht mehr als „Geographie" schlechthin, sondern mit dem Namen „historische Länderkunde" als Sonder- oder Teilaufgaben oder gar als Nebenzweige unserer Wissenschaft bezeichnen, sind in der Tat nicht nur bei ihrer praktischen Arbeit, sondern auch in methodischer Hinsicht g e s c h i c h t l i c h bestimmt. Die vornehmste Aufgabe der historischen Länderkunde ist die B e s c h r e i b u n g der historischen Schauplätze"), und zwar eine Beschreibung n i c h t in naturwissenschaftlichem Sinne, sondern im Sinne der Geschichte. Soll eine Schlacht von weltgeschichtlicher Bedeutung geschildert werden, so gehört die Beschreibung des Schauplatzes unmittelbar dazu, gänzlich ohne Belang ist dabei jedoch eine Erklärung dieses Schauplatzes in naturwissenschaftlichem Sinne. Für die Beschreibung des Engpasses von Thermopylä ist es gleichgültig, welcher Gattung von Pässen wir ihn einordnen, ebenso gleichgültig wie eine möglichst vollständige Angabe darüber, wie dieser Engpaß gerade da, wo er sich befindet, naturnotwendig bedingt ist. Für die Geschichte der Hellenen ist die Kenntnis und Beschreibung des Klimas ihres Landes von Bedeutung, überflüssig aber ist die Beschreibung, sofern sie sich über die r e i n ä u ß e r l i c h e Kennzeichnung erhebt zu einer Einordnung in einen Klimatyp oder zur Erklärung als naturnotwendig bedingte Erscheinung. Die h i s t o r i s c h e L ä n d e r k u n d e oder s p e z i e l l e h i s t o r i s c h e G e o g r a p h i e verfährt also i n d i v i d u a l i s i e r e n d und w e r t b e z i e h e n d [5]. Aehnliches trifft, wie wir bereits gesagt haben, in gewissem Sinne noch für unsere heutige Auffassung der Geographie zu. Noch heute ist für jede geographische Forschung die bloße B e s c h r e i ") Vgl. O b e r h u m m e r , Die Stellung der Geographie zu den historischen Wissenschaften, S. 16.
Beschreibung und Geographie.
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b u n g unerläßlich1*). Jedes Objekt, das der geographischen Betrachtung unterliegt, muß, bevor es in der Darstellung einem Begriffe unter- oder eingeordnet werden kann, nach seinen Eigenschaften untersucht, bestimmt und beschrieben werden. Mit dem Worte „Beschreibung" ist jedoch zunächst nur eine A u f g a b e bezeichnet, über deren Ausführung man noch im Zweifel sein kann. Wir haben schon im ersten Abschnitt unserer Betrachtung dargetan, daß die Wirklichkeit mit all ihren mannigfaltigen Erscheinungen nicht restlos beschrieben werden kann. Die Wissenschaften treffen bei ihrer Beschreibung der Wirklichkeit eine A u s w a h l , und auch die Geographie macht hierin keine Ausnahme. So äußert sich zum Beispiel P a s s . a r g e über die Beschreibung einer Landschaft in folgender Weise: „Der maßgebende Grundsatz bei der Landschaftsschilderung muß m. E. der sein, daß man die charakteristischen Erscheinungen erwähnt und damit von der Landschaft ein klares Bild gibt"15). Es erhebt sich sogleich die Frage, was man unter jenen „charakteristischen Erscheinungen" zu verstehen habe. P a s s a r g e fordert, daß die Beschreibung „nur t a t s ä c h l i c h e E r s c h e i n u n g e n zum Ausdruck" bringen dürfe, „nicht aber abstrakte Begriffe"; der Darsteller dürfe „nicht phantasieren und mit Schlagworten um sich werfen", er solle vielmehr „bei der Wirklichkeit, bei tatsächlichen Formen bleiben"1'). Wenn wir das in ühserem Sinne deuten, so soll sich demnach eine solche Beschreibung, die das Material für eine wissenschaftliche Bearbeitung zu bilden hat, nicht vorschneller Verallgemeinerungen bedienen, vielmehr soll sie zur Charakterisierung der Erscheinungen nur die allgemeinen Wortbedeutungen verwenden. Damit ist das hier vorliegende Problem noch nicht vollständig bezeichnet; denn die „tatsächlichen Erscheinungen" sind ja nur e i n i g e unter v i e l e n . Und warum werden gerade e i n i g e tatsächliche Erscheinungen unter den in u n e n d ") T i e s s e n, Beobachtende Geographie und Länderkunde in ihrer neueren Entwicklung (Verh. d. D. Geogr.-Tages in Nürnberg 1907); d e r s . , Zur Förderung der wissenschaftlichen Landeskunde in Deutschland (Zschr. Ges. f. Erdk. Berlin 1909, S. 258). ie ) P a s s a r g e, Physiologische Morphologie (Mitt. Geogr. Ges. Hamburg, Bd. XXVI, Heft 2, S. 160). ") P a s s a r g e, a. a. 0., S. 162 f., vgl. ebendaselbst S. 291.
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Zweiter Teil.
1 i c h e r Mannigfaltigkeit vorhandenen als c h a r a k t e r i s t i s c h e Merkmale erkannt und für die Beschreibung verwendet? Wenn P a s s a r g e diese Lücke in seiner Charakterisierung der geographischen Beschreibung nicht als solche aufweist, so hängt das vielleicht mit der besonderen Tendenz der Schrift zusammen17), aus der wir seine Worte herausgreifen. Er erwähnt aber noch in derselben Arbeit, wennschon in anderem Zusammenhange, eine Tatsache, die das vorliegende Problem hell beleuchtet P a s s a r g e sagt dort: „Es ist erstaunlich festzustellen, wie spät so mancher auffallende Faktor einer Landschaft entdeckt worden ist. Tausende, Hunderttausende von Europäern haben die Tropen besucht, zahlreiche Reisende von wissenschaftlicher Bildung haben sie beschrieben, allein erst v. Richthofen erkannte, daß der charakteristische Verwitterungsboden der Tropen eine r o t e F a r b e besitzt! Groß ist die Zahl der wissenschaftlichen Reisenden in Afrika gewesen, und doch hat erst Bornhardt 1897 die Inselberglandschaften als eine auffallende, schwer zu erklärende Landschaftsform erkannt")!" Diese Bemerkung charakterisiert in der Tat das hier vorliegende Problem. Es erscheint uns durchaus nicht als zufällig, daß gerade v. R i c h t h o f e n die typische Farbe der tropischen Verwitterungserde feststellt. Wie allgemein erkannt und anerkannt ist, bedarf es zur Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeit einer besonderen S c h u l u n g . Diese schärft den Blick gerade in bezug auf s o l c h e Tatsachen und Zusammenhänge, die für die betreffende Wissenschaft w e s e n t l i c h sind; sie kann für den Wissenschaftler sogar zu einem „Zustand geistiger Absperrung" führen, derart, daß „der Chemiker oft genug nur «Chemisches», der Botaniker nur «Botanisches», der Philolog nur «Sprachliches», der Literarhistoriker nur «Literatur»" sieht"). Der Blick des wissenschaftlich geschulten Beobachters ist also auf jeweils b e s o n d e r e Tatsachen gerichtet, seine Beschreibung trifft eine Auswahl aus 17 ) Die „Physiologische Morphologie" wendet sich gegen Davis' sog. „deduktive" Methode. ") P a s s a r g e, a. a. O., S. 289; vgl. P a s s a r g e , Die Grundlagen der Landschaftskunde, Bd. I, S. 3. ") S p r a n g e r , Der Bildungswert der Heimatkunde, S. 25; vgl. zu diesen Gedankengängen auch R i c k e r t, System der Philosophie, Tl. I, Allgemeine Grundlegung der Philosophie, S. VII ff.
Beschreibung and Geographie.
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der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, als Merkmale bezeichnet er gerade diejenigen, die für die Begriffsbildung seiner Wissenschaft in Frage kommen oder in Frage kommen könnten [6] Daher kann es nicht seltsam erscheinen, daß gerade ein G e o g r a p h als Erster d e n Faktor einer Landschaft erkennt, der für die geographische Beschreibung als charakteristisch gilt. Selbst wenn sich der Geograph auf die Beschreibung der sog. Tatsächlichkeiten beschränkt, wird seine Aufmerksamkeit i n e i n e b e s t i m m t e R i c h t u n g g e d r ä n g t So sehr sich auch seine Beschreibung bemüht, „bei der Wirklichkeit zu bleiben", ist sie mit Notwendigkeit eine Auswahl aus dieser Wirklichkeit, die zwar selbst noch nicht Begriffsbildung ist, aber doch d a s f ü r e i n e s o l c h e B e g r i f f s b i l d u n g a u s g e w ä h l t e M a t e r i a l liefert Wenn man also sagt, der Geograph habe eine Landschaft zu beschreiben, so ist damit keineswegs angegeben, w a s denn nun •eigentlich in solcher Beschreibung angeführt werden muß, damit „ein v klares Bild'* durch sie entstehe. Daher gibt es auch, wie leicht •erklärlich ist, verschiedene Meinungen über das, was die Beschreibung enthalten soll. So fordert z. B. S c h l ü t e r , daß die Beschreibung alles das erfassen solle, was sich „unter dem Begriff der sinnlich wahrnehmbaren Landschaft vereinigen" lasse; es handelt sich •dabei für ihn um „Wahrnehmungen des Gesichts- und Tastsinnes" wie um solche des „Temperatursinnes"™). Auch bei der „Kulturlandschaft", dem „Zentralbegriff" der Geographie des Menschen"), „sollen es sinnlich wahrnehmbare, körperliche Gegenstände sein, auf die sich die geographische Beschreibung richtet Als solche kommen in Betracht die Spuren menschlicher Tätigkeit an •der Erdoberfläche, also die Siedelungen, die Verkehrswege und die Verkehrsbewegung auf ihnen, der Anbau von Kulturpflanzen, die Viehhaltung, der Bergbau und die gewerblichen Anlagen. Doch zu seinen Werken kommt noch der Mensch hinzu, nicht als Einzelwesen, wohl aber in der von Land zu Land wechselnden Dichtigkeit seines Beisammenlebens". Allerdings entscheidet nicht allein „die Sichtbarkeit und Greifbarkeit der Objekte"; diese müssen, wenn sie in der Beschreibung erwähnt sein sollen, „für das Landschaftsbild Bedeutung haben""). *•) S c h l ü t e r , Die Erdkunde in ihrem Verhältnis zu den Naturund Geisteswissenschaften (Geogr. Anz. 1920, S. 150). ») S c h l ü t e r , a. a. O., S. 213. ") S c h l ü t e r , a. a. 0., S. 215. G r a f , Geographie.
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Zweiter Teil.
Diese Auflassung S c h l ü t e r s bezeichnet H e 1 1 n e r als „zu eng". Nicht nur „die Dinge, die man mit Händen greifen, mit Augen sehen kann", gehören zum Gegenstand der Geographie; „wenn. man der geographischen Betrachtung solche Beschränkung auferlegt, so muß sie verarmen und verdorren"; einzig „die Zugeh ö r i g k e i t . . . . zum W e s e n der Landschaft entscheidet darüber» ob sie ein Gegenstand der Geographie ist". Demgemäß muß die Beschreibung alle solche Erscheinungen erwähnen, „die wir uns. nicht wegdenken können, ohne das ganze Wesen der Landschaft zu verändern""). Endlich mag B a n s e in diesem Zusammenhange genannt werden. Für ihn steht das „Milieu" im Vordergrund der Betrachtung. Dieses „umfaßt nicht nur die greif- und sichtbaren Eigen- und Besonderheiten einer Erdhüllenpartie, sondern daneben und mit ihnen verbunden die geistigen und fühlbaren Charakteristika" 24 ). So sehr die hier aufgeführten Ansichten voneinander abweichen, so stimmen sie doch darin überein, daß sie das Wesen der Beschreibung rein f o r m a l festlegen. Gegenüber dieser Tatsache ist es begreiflich, daß sich einige Vertreter der Geographie vollständig von der Meinung abkehren, eine Beschreibung habe eine Reihe b e s t i m m t e r Merkmale zu erwähnen, also eine bestimmte Auswahl aus allen Merkmalen zu treffen. Sie stellen ganz positiv der geographischen Beschreibung einer individuellen Erscheinung die Aufgabe, eine W e s e n s s c h a u zu vermitteln; sie fordern, die Erdkunde solle im Sinne der expressionistischen Kunst „ein seelisches Wiedergebären erlebter Dinge" sein. B a n s e , der Urheber dieses Gedankens, äußert sich in folgender Weise: „Es erscheint ganz gleichgültig, w a s an einem Lande man schildert / es kommt nur darauf an, w i e man es tut. Ich kann von einem Gebiete ebensogut eine Vorstellung, ein verdichtetes Bild geben dadurch, daß ich sein Klima und dessen Folgen allein schildere / wie wenn ich im üblichen Geographieschema «alles» abwandle und in ungesiebtem Nebeneinander dem Leser vorüberführe. Es wäre denkbar, von Rußland eine viel eindringlichere Anschauung zu erwecken durch eine Betrachtung Do23 ) H e 11 n e r, Die Einheit der Geographie in Wissenschaft Unterricht, S. 11 f. 24 ) B a n s e , Geographie (Pet. Mitt. 1912, I, S. 1).
und
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Kunst und Geographie.
stojewskis und seines Werks / als durch Beschreibung und Untersuchung von Boden und Klima, von Pflanzen-, Tier- und Menschenleben"25). Wie sich diese Auffassung zum Begriff der Geographie verhält, wird aus den noch folgenden Betrachtungen hervorgehen. Hier seien nur zwei Beispiele k ü n s t l e r i s c h e r Landschaftsschilderung angeführt, um an ihnen zu veranschaulichen, w a s sie beschreiben und w i e sie es tun. Wenn in der Beschreibung einer Landschaft eine künstlerische Tätigkeit vorliegt, so muß der K ü n s t l e r am besten befähigt sein, auf diesem Gebiete Vollkommenes zu leisten, und unter den Künstlern muß d e r j e n i g e am besten dazu berufen sein, das Wesen einer Erscheinung zu erfassen, der mit ihr am innigsten vertraut ist. Sofern also ein Künstler eine Landschaft beschreibt, müßte ihm die Darstellung des Wesens seiner h e i m a t l i c h e n Landschaft am besten gelingen [7], Sprechen wir darum zunächst von solchen hierher gehörigen Leistungen, die wir als H e i m a t k u n s t bezeichnen können. Wir wählen T h e o d o r S t o r m s Schilderung seiner Heimatstadt: „Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel drückt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai Kein Vogel ohn' Unterlaß; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras." Wir führen ferner die Schilderung der schaft an: „Ans Haff nun fliegt die Möwe, Und Dämmrung bricht herein; Ueber die feuchten Watten Spiegelt der Abendschein.
Wattenmeerland-
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) B a n s e , Expressionismus und Geographie, S. 17. 4'
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Zweiter Teil. Gräues Geflügel huschet Neben dem Wasser her; Wie Träume liegen die Inseln Im Nebel auf dem Meer. Ich höre des gärenden Schlammes Geheimnisvollen Ton, Einsames Vogelrufen — So war es immer schon. Noch einmal schauert leise Und schweiget dann der Wind; Vernehmlich werden die Stimmen, Die über der Tiefe sind."
Wir könnten auch von anderen Dichtern, so von G o t t f r i e d K e l l e r , von L i l i e n c r o n , von H e r m a n n H e s s e , von H e r m a n n L ö n s , manche Schilderung ihrer Heimat anführen. Alle diese würden aber für unseren Gesichtspunkt nichts Neues ergeben. Wir erleben aus diesen Gedichten im Tiefsten den Stimmungsgehalt jener Landschaften, wir fühlen uns ganz ein in die Welt, in der der Dichter steht, und sind gleich ihm erfüllt vom Anblick seiner heimatlichen Erde. Wenn wir aber darauf achten, w a s denn solche Schilderungen geben, so sehen wir, daß sie das kleine Gebiet, von dem sie handeln, ganz aus dem Zusammenhang mit anderen Objekten herauslösen, daß sie einen fest umrissenen Gegenstand, gleich wie der Maler sein Bild, in einen engen Rahmen spannen, über den hinaus sich Fäden an die Umwelt nicht mehr knüpfen. Der Dichter hat sich an das Wesen seiner Landschaft so ganz verloren, ihre Schönheit hält ihn so sehr gefangen, daß er, sie nachschaffend, sich befreien muß. „Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst" — so sagt E d u a r d M ö r i k e . Die selig in sich selbst ruhende Schönheit ist es, die den Künstler zur Darstellung seiner Heimat treibt. Das „Wesen" seiner Landschaft ist etwas Besonderes, es ist eben das, was i h m am „Wesen" als w e s e n t l i c h erscheint. Dasselbe gilt d a, wo uns der Maler seine heimatliche Landschaft vor Augen führt, wie L e i s t i k o w in den Bildern der märkischen Seen, wie
Kunst und Geographie.
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H a n s T h o m a in seinen Schwarzwaldlandschaften, wie U b b e 1 o h d e in den Zeichnungen seiner hessischen Heimat Aehnliches gilt auch von den Beschreibungen, die der Dichter von fremden Ländern oder van vereinzelten Naturerscheinungen derselben gibt Wir erleben das Tropengewitter in all seiner Eigenart in der Schilderung H e r m a n n H e s s e s (in seinem Buch: „Aus Indien"), wir sehen mit W i l h e l m W e i g a n d das großlinige und farbenreiche Bild der Sahara (in Wendelins Heimkehr), wir atmen mit M a x i m i l i a n D a u t h e n d e y die eigen« tümliche Atmosphäre, die uns in Bombay umgibt (Unter den Totentürmen). G e o g r a p h i s c h e Beschreibungen sind dies jedoch ausnahmslos nicht, womit wir allerdings nicht sagen wollen, daß sie für die Geographie ganz ohne Wert seien. Alle diese Schilderungen gehen nicht auf die Bildung von Begriffen aus, das Erlebnis des Dichters, ja seine Persönlichkeit selbst steht z u m e i s t im Vordetgrund [8]. Dem Dichter H e r m a n n H e s s e ist das Verhältnis des Künstlers, zu der fremden Welt in seinem eigenen Schaffen zum Bewußtsein gekommen. Dem Gedichte „Vor Colombo", das wir als das Motto seines Buches „Aus Indien" bezeichnen könnten, entnehmen wir folgende Worte: „So fand ich bis zum fernsten Wendekreise Mich selber nur, und kehre von der Reise Mit aller alten Wandersehnsucht her Nach Lust und Schmerz des Lebens voll Begehr, Zu neuem Spiel und neuem Kampf gesonnen, Aus allem Abenteuer ungeheilt entronnen." Wir können — das geht aus dem Vorangehenden hervor —, das Wesen der geographischen Beschreibung in einem künstlerischen Expressionismus n i c h t erblicken. Gewiß bedient sich die K u n s t eines i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n Verfahrens, und der A u s g a n g s p u n k t der Geographie ist individualisierende Beschreibung. Während aber die Kunst zugleich i s o l i e r t [9], ist die geographische Beschreibung Vorarbeit und Vorbereitung geographischer Begriffsbildung. Die geographische Beschreibung zielt nicht auf eine I s o l i e r u n g [10], sondern als Vorarbeit für eine Wissenschaft auf die Einordnung in einen allgemeinen Zusammenhang [11].
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Zweiter TeiL
Die besondere Art dieses geographischen Zusammenhanges erhellt aus einem Worte S u p a n s , das wir seinem letzten Werke, den „Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie", entnehmen: „Wir nennen die Erde nicht mehr das Erziehungshaus" — so wird sie von C a r l R i t t e r unter teleologischen Gesichtspunkten bezeichnet — „sondern einfach das W o h n h a u s des Menschen. Aber wir halten daran fest, daß es nicht genügt, den Baustil und den Grundriß dieses Gebäudes zu studieren, sondern wir müssen in alle -Stockwerke hinaufsteigen, in jede Stube hineingucken und uns . . . . klarzumachen suchen, wie es sich darin leben läßt Nur eipe so eingehende Besichtigung wird uns instand setzen, über die einzelnen, nach Größe, Ausstattung und Lage sehr verschiedenartigen Räume zweckmäßig zu verfügen"*). Diese Worte, gegen die sich innerhalb der Geographie kaum ein Widerspruch erheben dürfte, weisen auf das Z i e l , dem unsere Wissenschaft zustrebt, und bezeichnen im Hinblick auf die vorliegende Betrachtung auch das Ziel der geographischen B e s c h r e i b u n g . Die Erde ist ein Individuum. Wird sie als „Wohnhaus" bezeichnet, so sind ihre einzelnen Teile die „Wohnräume". Auch sie sind Individuen. Somit darf man erwarten, daß die Geographie auf die Bildung individueller Begriffe abzielt Wenn individuelle Begriffe w i s s e n s c h a f t l i c h e Begriffe sein wollen, muß ihre Bildung zugleich im Hinblick auf einen Wert erfolgen. Das letztere ist bei der Geographie offenbar nicht ohne weiteres gegeben, da die Erde selbst wie auch ihre einzelnen Teile n a t u f h a f t e Einheiten und n i c h t immer w e r t b e z o g e n sind. Nur wenn man die Erde als Wohnhaus des M e n s c h e n betrachtet, wenn man sie seine Arbeitsstätte nennt und als den Grund und Boden bezeichnet, auf dem sich der Bau der menschlichen K u l t u r erhebt rückt sie unter einen Wertgesichtspunkt Aehnliches gilt von den einzelnen Teilen der Erde; nur als Wohnräume der Menschheit werden sie einer Wertbeziehung teilhaftig [12]. Liegt eine solche individualisierende und wertbeziehende Beschreibung vor, so ist die Methode der Geographie derjenigen der G e s c h i c h t e verwandt oder ihr gleichzusetzen. In der historischen Länderkunde ist uns eine solche Auffassung der Geographie entgegengetreten, sie findet sich auch in jener ä l t e r e n Form " ) Supan, Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie, S. 9.
Der geographische Zusammenhang.
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geographischer S t a a t e n künde, deren Wesen als k o m p i l a t o r i s c h e Anhäufung statistischen Materials durch praktische ¿wecke S t i m m t ist*7) und uns heute nicht mehr als Geographie im eigentlichen Sinne, ja nicht einmal als besondere Nebenaufgabe unserer Wissenschaft gelten kann. Eine e i g e n e g e o g r a p h i s c h e Begriffsbildung liegt also in einer individualisierenden und zugleich wertbeziehenden Beschreibung der Erde n i c h t vor. So muß denn, falls der Anspruch der Geographie auf eine e i g e n e Methode zu recht besteht, die individualisierende und nicht zugleich wertbeziehende (bloße) Beschreibung, die den Anfang jeder Untersuchung bildet, auf einen a n d e r e n Zusammenhang als auf den historischen gerichtet sein. Da nun individualisierende Beschreibung in diesem Sinne Voraussetzung und Ausgangspunkt der naturwissenschaftlichen Forschung ist, haben wir zu untersuchen, wie weit eine G e m e i n s a m k e i t z w i s c h e n d e r n a t u r wissenschaftlichen und geographischen Arbeit besteht. Dieser Aufgabe wenden wir uns im folgenden Abschnitt zu. ") B ü s c h i n g, Neue Erdbeschreibung.
Dritter Teil.
Geographie und Naturwissenschaft. Ins Innere der Natur dringt Beobadi* tung und Zergliederung der ErsdieU nungen. Kant.
Die Erde kann nicht nur als das Wohnhaus des Menschen betrachtet und beschrieben werden, vielmehr bildet sie auch als N a t u r k ö r p e r den Gegenstand unseres wissenschaftlichen Interesses. Eine solche Betrachtung richtet sich lediglich auf die allgemeine Natur der Erde, sie sieht diese als Naturobjekt an. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Erde ein Körper wie alle anderen, sie ist alfe Weltkörper einer unter unzähligen, sie ist ein w e r t l o s e s Exemplar einer Gattung. Aehnlich ist es mit den Teilerscheinungen der Erde, die unserer Betrachtung unterliegen. Auch sie sind unter diesem Blickpunkt w e r t f r e i . Diese Tatsache bietet Grund genug für den Versuch, die Wissenschaft von der Erde als N a t u r w i s s e n s c h a f t anzusprechen. Solch Versuch ist denn auch unternommen worden. Wie wir sofort sehen, geht die Bestimmung des Charakters der Geographie hier vom O b j e k t d e r B e t r a c h t u n g aus. Dem Vertreter jener Ansicht muß also daran gelegen sein, das Objekt der Betrachtung als rein naturwissenschaftlich zu kennzeichnen. Unter diesem Gesichtspunkt hat G e r l a n d die Forderung erhoben, den M e n s c h e n mit all seinem K u l t u r s c h a f f e n aus dem Gebiet der Geographie zu verweisen1). G e r 1 a n d ist jedoch mit seiner Meinung vereinzelt geblieben. Die geographische Forschung ist über sein Programm zur Tagesordnung übergegangen, und sein Vorschlag dient heute nur dazu, als besonders enge und zu enge Fas*) G e r l a n d , Beiträge zur Geophysik, Bd. I, Einleitung; es heißt dort: „Die Geographie ist eine reine Naturwissenschaft, aus welcher der Mensch ganz und gar zu verbannen ist."
Das geographische Allgemeine.
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sung der Geographie exemplifiziert zu werden*). Doch wenn man schon den Menschen mit seinem Kulturschaffen als Objekt der geographischen Betrachtung gelten läßt, so kann man dennoch versucht sein, wenigstens einen T e i l der Geographie der Naturwissenschaft zuzuweisen, nämlich d e n j e n i g e n Teil, der den Menschen in die Untersuchung nicht mit einbezieht, also die p h y s i s c h e Geographie im weitesten Sinne des Wortes. Für uns ist, wie wir auch im vorangehenden Abschnitt schon mehrfach betont haben, dieser Gesichtspunkt nicht maßgebend. Auch die Tatsache, daß die Geographie mit so vielen Einzelzweigen der Naturwissen-* Schaft das Interesse für deren „Gegenstände" teilt, daß sie mit vielen dieser Wissenchaften, wie Geologie, Botanik, Zoologie u. a., im Verhältnis gegenseitiger Förderung steht, ist für unseren Zusammenhang nicht von ausschlaggebender Bedeutung, weil wir unser Hauptaugenmerk der Begriflsbildung zuwenden. Allerdings liegt auch im Hinblick auf die Begriffsbildung Grund genug vor, die Geographie in ein enges Verhältnis zur Naturwissenschaft zu stellen. Um uns diesen Zusammenhang klar vor Augen zu führen, müssen wir noch einmal auf die Eigenart der geographischen B e s c h r e i b u n g zurückkommen*). Jede geographische Beschreibung bezeichnet die charakteristischen Merkmale einer besonderen Erscheinung der Erde, also zum Beispiel einer Landschaft. Als „charakteristisch" werden d i e j e n i g e n Merkmale bezeichnet, die für den g e o g r a p h i s c h e n Z u s a m m e n h a n g wesentlich sind, wenn wir als geographischen Zusammenhang dasjenige Allgemeine bezeichnen, d e m d i e E i n z e l e r s c h e i n u n g e i n - bzw. u n t e r g e o r d n e t w i r d . Offenbar fehlt die Beziehung auf dieses geographisch Allgemeine in allen jenen Darstellungen, die individualisierend, und zwar im Hinblick auf einen Wert individualisierend verfahren. Die Beziehung, die in all jenen Darstellungen vorliegt, ist nicht geographisch, sondern h i s t o r i s c h . Vergegenwärtigen wir uns eine größere Anzahl solcher Darstellungen, denken wir an die bereits erwähnten geographischen Staatenkunden älterer Form, so sehen wir, daß hier w e r t v o l l e s Wissen kompendienartig angehäuft ist, durch kein ') L e u t e n e g g e r , Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie, S. 73; A. G e i s t b e c k, Grundlagen der geographischen Kritik, S. 14; B a n s e , Geographie (Pet. Mitf. 1912 I, S. 71). ') Vgl. S. 37 ff.!
Dritter Teil.
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anderes Band als durch den Namen „Geographie" verbunden. Es besteht zwischen all diesem vereinzelten, für uns wertvollen Wissen kein anderer Zusammenhang als die Tatsache, daß es von Objekten handelt, die samt und sonders der Erde oder der Erdoberfläche angehören. Ein solches Band ist n i c h t m e t h o d i s c h e r A r t . Die einzelnen Beschreibungen sind innerlich nicht miteinander verbunden. Sie sind reine Kompilation und können, sofern sie nicht als anderen Wissenschaften zugehörig betrachtet sein wollen, unter der Bezeichnung „Geographie" einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht erheben. Dasselbe gilt für alle diejenigen B e s c h r e i b u n g e n , die nicht zugleich wertbezogen sind. Sie können wohl als wissenschaftliche A r b e i t betrachtet werden, nicht aber als wissenschaftliche Begriffsbildung. Da sie aber stillschweigend und zum Teil vielleicht unbewußt eine wissenschaftliche Begriffsbildung vorbereiten, sind sie unerläßliche V o r arbeit4). Aus alledem ergibt sich, daß der Geographie im Sinne bloßer Beschreibung das S y s t e m fehlt, also dasjenige Merkmal, das der wissenschaftlichen Begriffsbildung den Charakter gibt. Die Geographie erhebt sich innerhalb wertfreier Betrachtung erst in dem Augenblick zur Wissenschaft, wo sie versucht, das verstreute und in buntem Wechsel aufgereihte Material zu v e r e i n h e i t l i c h e n und zu o r d n e n . Das Verlangen nach einer solchen Vereinheitlichung des verstreuten Wissens muß notwendigerweise mit dem Umfang jenes Wissens selbst anwachsen und muß besonders stark werden zu einer Zeit, da viel neues Beobachtungsmaterial in die Wissenschaft eingeht. In solcher Lage befindet sich die Geographie, als unter den Auswirkungen des Zeitalters der Entdeckungen eine verwirrende Fülle unter sich zusammenhanglosen Wissens auf sie einströmt 5 ). Da unternimmt es der junge B e r n h a r d V a r e h i u s (ein Vierteljähr hundert später, als die Begründung der historischen Länderkunde durch P h i l i p p C l ü v e r erfolgt), das Vielerlei durch eine besonders gestaltete Betrachtung zu vereinheitlichen 6 ). Er teilt die Geographie in eine s p e z i e l l e und a 11 g e 4
) Vgl. S. 39 und 43! ) K r e t s c h m e r , Geschichte der Geographie, S. 98. e ) K r e t s c h m e r , a. a. O., S. 133 ff.
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Allgemeine Geographie.
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m e i n e . Während die erstere die Arbeit der bis dahin geübten Geographie im Sinne bloßer Erd- oder Länderbeschreibung weiterführt, fällt der letzteren die Aufgabe jener Vereinheitlichung zu. Allgemeine und spezielle Geographie haben sich als Zweige unserer Wissenschaft bis auf den heutigen Tag erhalten. Es soll uns nicht obliegen, die r e i n h i s t o r i s c h e Entwicklung jener die Vereinheitlichung geographischen Wissens anstrebenden allgemeinen Geographie von den Anfängen bis zur Gegenwart zu verfolgen, wir fragen vielmehr nach der S o n d e r gestalt der Begriffsbildung, die in dieser Auffassung zutage tritt. Gewiß hat auch die Begriffsbildung der allgemeinen Geographie eine Entwicklung durchgemacht, uns interessiert aber vor allem die l o g i s c h e Seite derselben, wir fragen nach den logischen E t a p p e n , die bei dieser Begriffsbildung durchschritten werden müssen. Die logische Entwicklung fällt mit der historischen nicht immer zusammen, und wenn wir im folgenden einzelne Bildungen als logische Stufen nacheinander betrachten, so wollen wir damit keineswegs Geschichte konstruieren. Ja, wir müssen von vornherein betonen, daß die einzelnen Begriffssysteme in ihrer Entwicklung bis auf den heutigen Tag innig miteinander verschlungen sind; wir können nur eine gedankliche Unterscheidung vornehmen, um uns die logische Struktur der Begriffsbildung klar zu machen. Wir können das Streben nach Vereinheitlichung und Ordnung als das Streben nach Wissenschaftlichkeit kurzweg bezeichnen. Dieses ist bereits da vorhanden, wo man, über die bloße Beschreibung der Erscheinung hinausgehend, diese durch Einordnung in eine nach ä u ß e r e n Merkmalen bezeichnete K l a s s e oder in ein ähnlich gestaltetes System von Klassen näher bestimmt. Das Vielerlei der geographischen Merkwürdigkeiten fordert allein schon im Interesse einer r i c h t i g e n und möglichst v o l l s t ä n d i g e n B e s c h r e i b u n g einen Vergleich der Erscheinungen, ein Nebeneinanderstellen gleichgearteter oder gleichgestalteter Objekte. In den Anfängen der wissenschaftlichen Begriffsbildung beschränkt sich solches Nebenordnen und Vergleichen auf rein äußerliche Merkmale, wie Größe, Gestalt usw.7). Wenn Einzelerscheinungen auf Grund der Gemeinsamkeit gewisser Merkmale zu Klassen zu7
) Vgl. H e 11 n e r, Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie (G. Z. 1903), besonders S. 194 ff. und 202 f.
Dritter TeU.
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sammengeschlössen werden, so gibt eine solche Klassifizierung noch nicht oder nur in sehr beschränktem Umfange eine Erklärung im Sinne gesetzmäßiger Bedingtheit7). Mit einer solchen rein äußerlichen, „künstlichen" Klassifizierung wird lediglich ein besseres Ueberblicken aller vorkommenden Erscheinungen und aller Merkmale erreicht, die für jene charakteristisch sind. Wählen wir einige Beispiele, um das, was wir meinen, noch deutlicher zu machen! Wir nennen die Oberfläche des festen Landes nach dem „Maß der Niveauunterschiede benachbarter Punkte" e b e n oder u n e b e n , wir bezeichnen größere zusammenhängendeLandmassen, die sich im Hinblick auf diese Merkmale unterscheiden, als F l a c h - oder G e b i r g s l a n d , wir sprechen von einem B e r g oder einem G e b i r g e , wo sich ein unebenes Gebiet aus der Ebene erhebt, oder von einer L a n d s e n k e , wo ein ebenes Gebiet in einem Kranz von Gebirgen eingebettet liegt"). Wir können eine große Anzahl von Klassifizierungen nennen, die im Hinblick auf solche und ähnliche äußere Merkmale vorgenommen sind. So unterscheidet man nach der Gestalt die B e r g e als Kamm-, Kegel-, Kuppen-, Tafelberge und die G e b i r g e als Kamm-, Rücken-, Plateau-, Massen-, Kettengebirge, als kuppen- oder tafelförmiges Bergland und als Landstufe. In ähnlicher Weise ordnet man die Gebirge nach dem Maß ihrer absoluten H ö h e in Nieder-, Mittelund Hochgebirge") (wir sehen zunächst davon ab, daß bei dieser Einteilung zugleich« auch ein anderer Unterschied mit erfaßt wird)10). Die T ä l e r teilt man nach dem Maß der T a l t i e f e n in Tieftäler und Flachtäler und nach der F o r m ihres Querschnittes in Schluchten (Klammen), V-förmige, U-förmige und Zirkustäler"). Auch die K ü s t e n unterscheidet man nach ihrer F o r m als Flach-, Steil- und Strandküsten"). Ein entsprechendes Prinzip für die Klassifizierung ergibt die L a g e . So teilt man die Flüsse ii) m a r i n e und k o n t i n e n t a l e " ) , je nachdem sie das Meer 7
) Vgl. fl e 11 n e r, Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie (G. Z. 1903), besonders S. 194 ff. und 202 f. ") Zum voranstehenden vgl. S u p a n, Grundzöge der physischeiti Erdkunde, S. 630. •) S u p a n, a. a. O., S. 631. le ), Vgl. S. 66! ") H. W a g n e r , Lehrbuch der Geographie, I. Bd. S. 402 f. ") S ü p a n , a. a. O., S. 600 f, ") S u p a n , a. a. O., S. 742.
Künstliche Systematisierung.
Sf
erreichen oder nicht, man spricht von Q u e r - und L ä n g s ilüssen in bezug aüf das Verhältnis der L a u f r i c h t u n g zur W a s s e r s c h e i d e " ) und von g l e i c h a r t i g e n und u n g l e i c h a r t i g e n Flüssen, je nachdem sie lediglich einen B e r g oder F l a c h lauf besitzen oder beides vereinigen"). Nicht so deutlich tritt diese Art der Klassifizierung innerhalb der B i o g e o g r a p h i e auf, weil der Vergleich hier zumeist nicht auf einem, sondern auf einer M e h r z a h l von Merkmalen beruht Immerhin wird deutlich, daß die Systematisierung auch hier zunächst an das Aeußere anknöpft: „Je nachdem sich . . . Gewächse gleichen Wuchses und ähnlichen äußeren Aussehens gesellig vereinigen, geben sie einer Landschaft ein bestimmtes Gepräge""). Man kommt zur Unterscheidung typischer V e g e t a t i o n s f o r m e n wie Wiese, Moor, Heide, Wald, Steppe, Wüste usf. Unter diesem Gesichtspunkt hat A l e x a n d e r v O n H u m b o l d t eine Reihe „physiognomischer Pflanzenformen" aufgestellt. Von besonderem Interesse sind Begriffsbildungen innerhalb der A n t h r o p o g e o g r a p h i e , deren einzelne Teile sich als S i e d I u n g s - und V e r k e h r s geographie, als W i r t s c h a f t s - und als p o l i t i s c h e Geographie darstellen, weil es sich hier zumeist um Nebenordnung und Vergleich s o l c h e r individueller Erscheinungen handelt, die zugleich im Sinne der historischen Begriffsbildung wertbezogen sind. Da die allgemeine Geographie diese Einzelerscheinungen ebenfalls in Klassen ordnet, zeigt sich, daß die geographische Betrachtung einem anderen Zusammenhang als' dem historischen zugewandt ist. Greifen wir auch hier einige Beispiele heraus! Wir unterscheiden die menschlichen Siedlungsformen hinsichtlich ihrer G r ö ß e nach drei Haupttypen, nämlich in Kleinsiedlungen, Dörfer und Städte, hinsichtlich ihrer L a g e in Seeplätze und Landplätze1'), in Gebirgs und- Flachlandsiedlungen und dergleichen. Innerhalb der V e r k e h r s geographie teilen wir die Wege nach den Gebieten, in denen sie vorhanden sind, in Landund Wasserwege, oder wir ordnen sie nach der Art des Transport") ") ") ")
S u p a n , a. a. S u p a n , a. a. H. W a g n e r , H. W a g n e r ,
O., S. 742. O., S. 743. a. a. O., S. 681. a. a. O., S. 840 und 847 ff.
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Dritter Teil.
mittels17), des „schreitenden, gleitenden und rollenden" Transportmittels, und nach den verschiedenen Ansprüchen, die diese an den Verlauf und die Beschaffenheit der Wege stellen. Endlich unterscheiden wir die Wege als natürlich und künstlich18) und den Verkehr selbst nach dem Gut, das befördert wird, als Personen-, Güterund Nachrichten verkehr1"). In der W i r t s c h a f t s geographie sprechen wir von wirtschaftlichen oder kommerziellen Groß-, Mittel- und Kleinstaaten20), von „einfacheren" und „vollkommeneren Wirtschaftsstufen"21) u. a. m. Auch die p o 1 i t i s c h e Geographie knüpft bei ihrer Klassifizierung der Staaten zunächst an äußere Merkmale an22). Sie unterscheidet „große", „mittlere" und „Kleinstaaten"23), „einfache" und „mehrteilige" Staaten24), „Binnen-", „Rand-" und „Inselstaaten"25). All diese Klassifizierungsversuche, für die wir aus vielen Zweigen der allgemeinen Geographie Beispiele angeführt haben, stimmen in gewisser Hinsicht überein: sie gehen von der Gemeinsamkeit einzelner rein äußerer Merkmale aus [1]. Sie ordnen vermittels solcher Merkmale alle Einzelerscheinungen einem S y s t e m unter, ähnlich wie zum Beispiel L i n n é alle Pflanzen nach der Zahl der S t a u b g e f ä ß e und S t e m p e l zu einem System ordnet [2]. Die moderne Naturwissenschaft fordert aber von einem System nicht nur Ordnung und Ueberblick, sie verlangt vielmehr, daß die Systematisierung soweit wie möglich zugleich einen E i n b l i c k i n die n a t u r n o t w e n d i g e B e d i n g t h e i t der E r s c h e i n u n g e n vermittelt, sie errichtet ihr System auf g e n e t i s c h e r Grundlage. Diese Tendenz hat auch die allgemeine Geographie be17
) H . V a g n e r , a. a. O., S. 883. ) H. W a g n e r , a. a. O., S. 883 ff. 19 ) L a u t e n s a c h, Supans Deutsche Schulgeographie, Oberstufe, S. 256. 20 ) S a p p e r , Allgemeine Wirtschafts- und Verkehrsgeographie, S. 203 ff. 21 ) R e i n h a r d , Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde, S. 8. 22 ) L a u t e n s a c h , a. a. O., S. 195. 23 ) S u p a n, Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie, S. 48. 24 ) S u p an, a. a. 0., S. 14 f. J5 ) W a g n e r, a. a. 0., S. 795 f. 18
Individualisierende Beschreibung des Erdganzen.
53.
folgt; auch sie ist von der „Systematik zur Genetik"26) fortgeschritten, und wennschon sie bei ihrer praktischen Arbeit auf die an. äußere Merkmale anknüpfenden Systembildungen nicht verzichten kann, so bevorzugt sie doch die Einteilung und Ordnung der Erscheinungen nach genetischen Prinzipien 27 ). Wir können darum in solchem künstlichen System nicht den allgemeinen g e o g r a p h i s c h e n Zusammenhang erblicken, dem die Einzelerscheinung bei der wissenschaftlichen Begriffsbildung eingeordnet wird. Es erhebt sich von neuem die Frage nach der Eigenart des geographischen Zusammenhanges. Wir müssen uns also, um die Begriffsbildung der allgemeinen Geographie zu verstehen, zunächst der Betrachtung dieses ZusamDer geographische Zusammenhang ist menhanges zuwenden. nichts anderes als die E r d e selbst. Das geht schon aus einem Worte K a n t s hervor: „Alle Welt- oder Erdbeschreibung, sofern sie System sein soll, muß vom Globus, der Idee des Ganzen, anfangen und darauf stets Beziehung haben." Jede Einzelerscheinung, der Erde will beschrieben und begriffen sein i m H i n b l i c k a u f d a s G a n z e , also als ein Teil desselben. Man kann allerdings im Zweifel darüber sein, w a s nun mit diesem Globus gemeint sei, ob man darunter den g a n z e n Erdball oder nur seine O b e r f l ä c h e zu verstehen habe. (Ja, man kann sogar sagen, daß der Erdball selbst wiederum einem individuellen Ganzen, dem Sonnensystem, und dieses der Gesamtheit der Weltkörper eingeordnet ist). Wir haben diese Meinung schon einmal in anderem Zusammenhange gestreift und haben gesagt, daß für u n s e r e Betrachtung der Geographie n i c h t d e r U m f a n g , s o n d e r n d i e M e t h o d e der Aufgabe entscheidend sei. An dieser Stelle geht also unsere Frage dahin, ob durch die Beziehung auf jene Zusammenhänge: Erdoberfläche, Erdkörper (Sonnensystem), eine verschiedene m e t h o d i s c h e Einstellung bedingt ist. Offenbar ist dies der Fall. Denn wenn schon beide Zusammenhänge zu Individualbegriffen führen, so ist doch n u r b e i d e m e r s t e r e n , der E r d o b e r f l ä c h e , eine B e z i e h u n g auf die 2e
) S u p a n, Grundzüge der physischen Erdkunde, S. 2; vgl. H e t t n e r , Grundbegriffe u. Grundsätze der physischen Geographie, G. Z. 1903, S. 203; P e n c k, Beobachtung als Grundlage der Geographie, S. 47; H. W a g n e r, Lehrbuch der Geographie, Bd. I. S. 25. 27
) S u p a n, a. a. O., S. 630.
Dritter Teil.
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m e n s c h l i c h e K u l t u r m ö g l i c h . Aus diesem Grunde hebt sich diejenige Auffassung der Geographie, die als den letzten Zusammenhang die E r d o b e r f l ä c h e ansieht, methodisch deutlich von den anderen ab. Gewiß kann die Erdoberfläche vom Zusammenhang mit dem Erdganzen nicht losgelöst werden. Die Eigenart s o l c h e n Zusammenhanges muß aber notwendigerweise naturwissenschaftlicher Betrachtung vorbehalten bleiben. W e n n w i r a l s o v o n der B e h a u p t u n g der G e o g r a p h i e , daß sie w e d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t n o c h G e s c h i c h t e se i28), ausgehen, müssen wir ihren Umfang notwendig e r w e i s e auf die E r d o b e r f l ä c h e b e s c h r ä n k e n . Jede Erscheinung der Erdoberfläche, die einem geographischen Begriff untergeordnet wird, muß sich demnach als Spezialbegiiif der Erdoberfläche darstellen. Jede geographische Einzelerscheinung ist ein Teil der ganzen Erdoberfläche. Insofern liegt ein ähnliches Verhältnis vor wie bei der Geschichte. Dennoch besteht ihr gegenüber ein deutlicher Unterschied. Bei der Geschichte erfolgt die Auswahl des Wesentlichen im Hinblick auf einen W e r t , was bei der Geographie nicht der Fall ist, denn wie die Erde als Naturkörper nicht einen Wert darstellt, vielmehr als g e s e t z m ä ß i g b e d i n g t e Erscheinung betrachtet wird, so sind auch die einzelnen Teilerscheinungen aus der Gesamtheit der Erdoberfläche herausgehoben nicht, weil sie auf einen Wert Bezug haben, sondern weil sie im Rahmen des Ganzen gesetzmäßig bedingt sind, gesetzmäßig bedingt durch alle jene allgemeinen Naturkräfte, denen die Erdoberfläche wie das Erdganze, wie die ganze Welt untersteht [3]. Voraussetzung für die Erkenntnis solcher gesetzmäßigen Bedingtheit ist die K e n n t n i s d e r G e s e t z e selbst. Diese vermittelt uns die Naturwissenschaft. Sofern sie die an der Erdoberfläche wirksamen Kräfte nicht durch allgemeinere Naturgesetze erklären kann, muß sie jene in ihrer Eigenart, in ihrer Sondergestallung und Sonderverteilung b e s c h r e i b e n . Eine solche Beschreibung, die die allgemeinen Verhältnisse der ganzen Erdoberfläche zur Darstellung bringen und somit einen U e b e r b l i c k über ein weitausgedehntes Gebiet vermitteln soll, kann das Bild nur in großen Zügen entwerfen. Wie wir schon gesehen haben, ist jede Landschaftsbeschreibung eine A u s w a h l aus den in unendlicher Man28
) Vgl. Einleitung, S. 5 f.!
Individualisierende Beschreibung des Erdganzen.
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nigfaltigkeit vorhandenen Erscheinungen. In weit höherem Maße noch trifft die hier vorliegende Beschreibung der ganzen Erde eine Auswahl; sie muß sich noch weit mehr auf das Wesentliche beschränken, ja, sie muß sogar auf Kosten der Genauigkeit eine weitgehende V e r e i n f a c h u n g vornehmen, indem sie große Grupp e n an sich individueller und verschiedener Erscheinungen unter besonderen Gesichtspunkten, d. h. im Hinblick auf besondere Merkmale, zu E i n h e i t e n zusammenfaßt. Die Eigenart dieser Beschreibung kann uns nur deutlich werden, wenn wir sie von der im vorigen Abschnitt geschilderten Landschaftsbeschreibung (diese soll lediglich „Tatsachen" anführen) scharf abgrenzen. Letztere greift aus der unendlichen Mannigfaltigkeit d i e „Tatsachen" heraus, die für die geographische Begriffsbildung wesentlich sind oder wesentlich werden können, sie stellt aber innerhalb der so begrenzten Auswahl eine Wiedergabe des t a t s ä c h l i c h Beobachteten dar. Anders ist dies bei der hier vorliegenden Beschreibung der ganzen Erde. Diese nimmt n o c h i n a n d e r e r W e i s e e i n e U m f o r m u n g d e r W i r k l i c h k e i t vor. Um den hier bezeichneten Unterschied zu erfassen, bedienen wir uns eines Beispieles, das J. v. K r i e s in seiner Logik anführt: „Wenn wir . . . in der Erdkunde einen Flußlauf beschreiben, so bedeutet dies eine Aussage über das Vorhandensein und die Bewegung irgendwelcher Wasserteilchen an gewissen Stellen der Erdoberfläche. Die Bezeichnung und Verfolgung des e i n z e l n e n T e i l c h e n s , wie sie zu einer erschöpfenden Wirklichkeitsdarstellung in idealem Sinne gehören würde, liegt gänzlich außer unserer Erkenntnismöglichkeit" 20 ). Dieses Beispiel soll uns jedoch lediglich an unser Problem h e r a n f ü h r e n ; denn die Bezeichnung „Fluß" ist eine Generalisation, wie sie bereits in der allgemeinen Wortbedeutung festgelegt ist. Das ist nicht der Fall bei vielen Vereinfachungen, die die G e o g r a p h i e bei der B e s c h r e i b u n g d e s E r d g a n z e n verwendet. Immerhin liegt hier eine Vereinfachung gleicher Art vor. Denken wir zunächst nur an kartographische Darstellungen, die uns einen Ueberblick über die Erde geben sollen, zum Beispiel in der Form einer Höhenschichtenkarte über die Höhenverhältnisse des festen Landes und die Tiefenverhältnisse des Ozeans. Die Karte veranschaulicht uns diese Verhältnisse d e r a r t , daß sie die ge29 )
J. v. K r i e s, Logik, S. 515.
G r a f , Geographie,
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Dritter Teil.
samte Erdoberfläche in einzelnen sich überlagernden, ebenen und gleichabständigen Erd- oder Wasserschichten zur Darstellung bringt. Ein solches Bild ist aus der Wirklichkeit durch „Generalisieren" gewonnen [4], d. h. alle unendlich vielen Höhen und Tiefen der Erdoberfläche sind dergestalt vereinigt, daß alle zwischen gewissen Höhen- und Tiefengrenzen liegenden Erdstellen in einem M i t t e l oder D u r c h s c h n i t t s w e r t zur Darstellung gebracht sind. Ein G e n e r a l i s i e r e n der Erdoberflächenerscheinungen liegt allerdings nur in bezug auf e i n e Eigenschaft vor, und zwar im Hinblick auf d i e Eigenschaft, die innerhalb eines Gebietes allgemein ist und zugleich für dieses ein Merkmal abgibt, das es von einem benachbarten Gebiet u n t e r s c h e i d e t Die unterste Höhenschicht faßt zum Beispiel alle diejenigen Erdstellen zusammen, die zwischen 0 und 200 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Diese in feste Grenzen eingeschlossene Höhenlage kennzeichnet eine G r u p p e von Erdstellen im Gegensatz zu einer anderen, die die Gesamtheit aller derjenigen Erdstellen vereinigt, die 200 bis 1000 Meter, 1000 bis 2000 Meter usw. über dem Meeresspiegel liegen. Das Eigentümliche ist, daß das Z i e l einer solchen Generalisa tion durchaus nicht mit der naturwissenschaftlichen generalisierenden Begriilsbildung zusammenfällt; denn das Ziel der hier vorliegenden Generalisation ist gerade eine i n d i v i d u a l i s i e r e n d e B e s c h r e i b u n g " 0 ) . Hier soll die Wirklichkeit, so wie sie ist, beschrieben werden, aber nicht s o, wie sie in allen Einzelheiten ist, sondern s o , wie sich ihr Bild i n g r o ß e n Z ü g e n , v e r e i n f a c h t und ü b e r s i c h t l i c h ergibt Was hier nur an einem Beispiel erörtert worden ist, gilt für viele Formen kartographischer Darstellung, so für die bestimmter Erscheinungen in ihrer Verteilung auf der Erdoberfläche: Isothermen- und Isobarenkarten liefern die individuelle Beschreibung der Verteilung von Wärme und Luftdruck, sie geben zwar kein Bild der Wirklichkeit im vollkommenen Sinne, denn sie herichten keinesfalls über all die vielen kleineren und größeren Schwankungen, die sich an den Erdstellen im Verlauf eines Tages, eines Monats oder eines Jahres vollziehen. Sie drücken vielmehr alle jene Schwankungen durch einen Mittelwert aus, der für die durch ihn bezeichnete Gruppe ein u n t e r s c h e i d e n d e s M e r k m a l ge») Vgl. J. v. K r i e s, Logik, S. 511 ff.
Individualisierende Beschreibung des Erdganzen.
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genüber einer anderen Gruppe gibt11). Das gleiche gilt auch von kartographischen Darstellungen der Regenhöhe, der Bevölkerungsdichte u. a. Alle diese sind individuelle Beschreibungen der Wirklichkeit, in all diesen individuellen Beschreibungen ist jedoch eine. Generalisation in bezug auf e i n e vorherrschende und charakterisierende Eigenschaft getroffen. Diese kartographischen Darstellungen, seien sie nun topographische oder angewandte Karten, sind also B e s c h r e i b u n g e n der Wirklichkeit Die Wirklichkeit ist in ihnen jedoch vermittels einer besonderen Begriifsbildung s t a r k v e r e i n f a c h t . Man macht sich das beim Betrachten von Karten nicht immer mit genügender Deutlichkeit klar. Darauf weist S u p a n gelegentlich der Betrachtung der Meeresströmungen hin: „Von den großen ozeanischen Strömungen, die im Haushalt der Natur eine so bedeutsame Rolle spielen, macht man sich, verführt durch schematisierende Kartenbilder, vielfach falsche Vorstellungen. Man muß sich vor allem der Meinung entschlagen, daß überall auf dem Meer nur bestimmte Stromrichtungen herrschen. Ganz abgesehen von kleinen Schwankungen, kann man i n einer und derselben Gegend zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Richtungen finden. . . . (Es) kann also an der Oberfläche nicht von einer konstanten, sondern nur von einer vorherrschenden Stromrichtung gesprochen werden""). Die Karten veranschaulichen nur d a s Bild, das die Wissenschaft zwecks besserer Uebersichtlichkeit über die vorherrschenden Verhältnisse durch umformende Vereinfachung aus der Wirklichkeit h e r a u s g e a r b e i t e t hat. Die Karten bringen jene vereinfachenden Begriffe in der übersichtlichsten Form zur Darstellung. Die aus der vorangehenden Betrachtung gewonnene Einsicht in eine vereinfachende, zusammenfassende, gruppenbildende Form der Beschreibung ist also nicht lediglich der Kartographie eigen, sondern findet sich in a l l e n Zweigen der a l l g e m e i n e n Geographie. Dieser Art von Beschreibung eignet allerdings dieselbe Eigentümlichkeit, die wir bereits bei der Landschaftsbeschreibung erkannt haben, auch sie richtet ihren Blick auf diejenigen Merkmale der Wirklichkeit, die ihr als w e s e n t l i c h erscheinen, und zwar wesentlich für die geographische Begriffsbildung. Wir begegnen in der allgemeinen Geographie also verschiedenen GruppenbegrifTen„ 31
) Vgl. J. v. K r i e s, Logik, S. 513 ff. ") S u p a n, Grundzüge der physischen Erdkunde, S. 323.
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Dritter Teil.
deren Bildung im Hinblick auf solche Merkmale oder Merkmalskomplexe erfolgt, die für die geographische Begriffsbildung wesentlich sind. Die allgemeine Geographie faßt zu Gruppeneinheiten alle solche Erscheinungen zusammen, deren Sein oder deren Verhältnis zu anderen Erscheinungsgruppen mit dem W i r k s a m s e i n v o n K r ä f t e n und der Lokalisierung solcher Kräfte auf der Erdoberfläche unlösbar verbunden sind. Diese Gruppenbildungen gehen also von dem Gegensatz von Land und Wasser aus und halten sich dann an die großen Erscheinungskreise des Luftmeeres, des Ozeans und des festen Landes. Wenden wir uns einigen Beispielen zu! Die Erdoberfläche wird aufgeteilt in Längen- und Breitengrade. Wichtig für die geographische Begriffsbildung ist insbesondere die letzte Einteilung. Durch sie werden die einzelnen Erdstellen verschiedenen Gruppen zugewiesen; innerhalb der einzelnen Gruppen besteht eine gewisse Gleichartigkeit der Breitenlage, die verschiedenen Gruppen unterscheiden sich dadurch, daß jede einzelne einen besonderen M i t t e l w e r t (oder einen zwischen zwei Grenzen eingeschlossenen Wert) höherer oder niederer B r e i t e besitzt Aehnliche Gruppenbildungen liegen vor in der Ost- und West-, der Nord- und Südhalbkugel, wie vor allem in der Einteilung der Erde in mathematische oder solare Klimazonen. Man gewinnt ferner aus dem Gegensatz von L a n d und W a s s e r den Begriff des Weltmeeres, dem eine große Zahl von Gebieten festen Landes, seien sie als Festländer, als große oder kleine Inseln bezeichnet, gegenübersteht. Jede auch noch so kleine Insel ist ja eine Zusammenfassung sehr vieler Einzelerscheinungen der Erdoberfläche, alle diese Einzelerscheinungen werden im Hinblick auf das eine Merkmal, das sie als d e m f e s t e n L a n d e z u g e h ö r i g bezeichnet, zu einer Einheit zusammengeschlossen. Wir machen uns dieses Verhältnis zumeist nicht in genügendem Umfange klar und betrachten die Insel nur als Exemplar einer Gattung. Zunächst aber müssen wir doch daran festhalten, daß jede einzelne Insel wie Grönland, Island, Irland, Sizilien, Java, Tasmanien eine Gruppen-Individualität ist Mit dem Namen jeder einzelnen wird eine gänzlich verschiedenartige M a n n i g f a l t i g k e i t von Objekten zur E i n h e i t zusammengeschlossen. Was nun all diese Objekte jeweils zur Insel Island, zur Insel Java usf. vereinigt, ist lediglich die Tatsache,
Gruppenbegriff.
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daß sie sich auf einem vom Meer umschlossenen Raum zusammenfinden. Weiterhin kommt man, wie z. B. W i s o t z k i , zum Gegensatz des Kontinentes und des Weltmeeres, und innerhalb des Kontinentes zu den Erdteilen als denjenigen Teilen, die aus der gesamten Landmasse durch „die vier durchsetzenden Mittelmeere, das Romanische, Australasiatische, Arktische und Amerikanische"") herausgeschnitten sind. Endlich gewinnt man auch die Einteilung der Erdoberfläche in eine W a s s e r - und L a n d h a l b k u g e l , wenn man einen« größten Kugelkreis in der Weise um die Erde herumlegt, daß auf der einen Seite die größtmögliche Menge von Land und auf der anderen die größtmögliche Menge von Wasser zu finden ist"). Alle diese Begriffsbildungen zielen auf eine B e s c h r e i b u n g der Erde ab; sie suchen in möglichst e i n f a c h e r Form einen Ueberblick über die Verhältnisse der Erdoberfläche zu geben. Wir finden ähnliche Formen der Beschreibung bei der Betrachtung des Luftmeeres. S u p a n kommt zu einer Einteilung der Erdoberfläche in fünf Wärmezonen, indem er die h e i ß e Zone durch die 20*-Jahresisotherme und die g e m ä ß i g t e n Zonen weiterhin durch die lOMsotherme des wärmsten Monats begrenzt**). K o p p e n geht bei seiner Aufstellung der Wärmezonen von der Dauer gewisser zwischen den Schwellenwerten 20* und 10" liegenden Temperaturen aus. Je nach der Zahl der Monate, die als h e i ß (über 20"), als g e m ä ß i g t (zwischen 20' und l(f) und als k a l t (unter 10°) zu bezeichnen sind, unterscheidet er den heißen Gürtel von den gemäßigten und kalten Gürteln"). S u p a n s wie K ö p p e n s Einteilungen geben in verschiedener Form dasselbe, beide b e s c h r e i b e n durch Bildung von Mittelwerten die Verteilung der Temperatur auf der Erde. Die Verteilung der vorherrschenden W i n d e ersieht man aus der Aufteilung der Erdoberfläche nach den drei „fundamentalen" W i n d s y s t e m e n , dem „äquatorialen" oder „passatischen" und den „subpolaren"'7). In ähnlicher Weise gelangt man zu einer Uebersicht der N i e d e r s c h l a g s Verteilung, indem man Gebiete der Re") ") ») ") ")
W i s o t z k i , Zeitströmungen in der Geographie, S. 397. S u p a n, a. a. O., S. 31 f. S u p a n , a. a. O., S. 100ff. und Tafel VIII. S u p a n , a. a. O., S. 103 f. S u p a n , a. a. 0 , S. 130f.
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Dritter Teil.
genarmut (unter 250mm Nieder schlagshöhe) anderen gegenüberstellt, die als mit mäßigen Niederschlägen versehen (250 bis 500 und 500 bis 1000 mm) oder als regenreich (1000 bis 2000 und über 2000 mm) bezeichnet werden können38). In anderer Hinsicht erreicht man einen Ueberblick, indem man die Gebiete nach der jahreszeitlichen Verteilung der Niederschläge gegeneinander abgrenzt39). Berücksichtigt man endlich a l l e für das Klima wichtigen Faktoren, so gelangt man zur Einteilung der Erdoberfläche nach K l i m a p r o v i n z e n , wie sie von S u p a n vorgenommen worden ist40). Mit den vorgenannten ist die Bildung derartig gestalteter Begriffe nicht erschöpft. Sie finden sich in gleicher Weise innerhalb der B i o - und A n t h r o p o geographie. Als „erste Hauptaufgabe" der Biogeographie wird von B r a u e r bezeichnet, „das heutige Verbreitungsbild der Tiere und Pflanzen zu entwerfen", man hat „das Verbreitungsareal für jede Art, Gattung, Familie usw. zu ermitteln und kartographisch festzulegen". Diese Ermittelung ist „unbedingt notwendig, weil . . . . nur sie auf besondere Verhältnisse in der Verbreitung, auf zonale, meridionale oder eng begrenzte Verbreitung, auf Kontinuität oder Diskontinuität der Areale, auf Armut oder Reichtum der Organismen in verschiedenen Zonen aufmerksam macht" [5], In ähnlicher Weise schließt man innerhalb der Anthropogeographie verschiedene Erdoberflächenteile nach bestimmten Gesichtspunkten zusammen, um dadurch einen Ueberblick über die ganze Erde zu gewinnen. So teilt man die ganze Erdoberfläche auf im Hinblick auf die Bevölkerungsdichte, auf Religion, Sprache, Kultur, Rasse, Volk, Siedlungsform, Verkehr, Wirtschaft, Staatszugehörigkeit usw. Die im voranstehenden angeführten Beispiele mögen genügen! Unsere Aufgabe ist ja nicht, a l l e Spezialbegriffe der allgemeinen Geographie aufzuzählen, wir wollen vielmehr lediglich die b e s o n d e r e A r t der Begriffsbildung verstehen, deren sich die Geographie bei der Beschreibung der allgemeinen Verhältnisse der Erdoberfläche bedient. Wie wir bereits eingangs betont haben, liegt hier eine besondere Art von G e n e r a l i s a t i o n vor, eine bestimmte Auswahl aus der Wirklichkeit. Wir können sie als G r u p p e nb i l d u n g bezeichnen [6], weil sie in gewisser Hinsicht mit der 38
) S u p a n , a. a O., S. 162. ) S u p a n , a. a. O, S 171 ff 40 ) S u p a n , a. a. O., S. 233 ff. 39
Vorstufe genetischer Klassifizierung.
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Bildung des Gruppenbegriffes in der Geschichte übereinkommt. Wenn Einzelerscheinungen einem historischen GruppenbegriiI untergeordnet werden, so nimmt man auch eine Generalisierung vor. Die Generalisation erfolgt im Hinblick auf eine Eigenschaft oder auf eine Summe von Eigenschaften, die zugleich das unterscheidende Merkmal gegenüber anderen Gruppen abgeben. Eine entsprechende V e r e i n f a c h u n g liegt auch bei der Gruppenbildung der allgemeinen Geographie vor. Der Unterschied besteht nur darin, daß das generelle Merkmal der h i s t o r i s c h e n Gruppe w e r t b e z o g e n ist, während dies bei der hier vorliegenden g e o g r a p h i s c h e n Gruppenbildung n i c h t oder doch n i c h t i m m e r der Fall ist. Das Eine jedenfalls müssen wir festhalten: die Gruppenbildung der allgemeinen Geographie erfolgt durch Generalisation im Hinblick auf einen nicht oder doch nicht immer wertbezogenen Merkmalkomplex. Ihr Ziel ist Vereinfachung der individuellen Wirklichkeit und Beschreibung derselben in übersichtlicher Form. J . v. K r i e s hat in seiner „Logik" dieser Art von Beschreibung seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet und erkennt ihr den Rang wissenschaftlicher Begriffsbildung zu, die in ihrer Eigenart gleichberechtigt neben der individualisierenden, wertbeziehenden und der generalisierenden, wertfreien Begriffsbildung besteht [7]. Ohne Zweifel liegen hier Begriffe vor, die sich von den allgemeinen Wortbedeutungen unterscheiden, sie sind bestimmt und scharf umgrenzt; dennoch fehlt diesen Begriffen gerade die Beziehung auf ein Allgemeines, wie es den anderen, von uns als wissenschaftlich bezeichneten Begriffen anhaftet. Gewiß wird durch die hier vorliegenden Verallgemeinerungen ähnlich wie bei der historischen Gruppe eine Einheit aus dem Allgemeinen herausgeschnitten (dort aus der Geschichte, hier aus der Erdoberfläche), aber dort geschieht die Verallgemeinerung im Hinblick auf einen W e r t , der für das Ganze wesentlich ist, hier nur im Hinblick auf eine Eigenschaft, die ein wesentliches Merkmal für eine n a t u r wissenschaftliche Begriffsbildung abzugeben vermag. Endlich müssen wir noch einmal hervorheben, daß hier lediglich eine B e s c h r e i b u n g vorliegt, eine Beschreibung derjenigen E r scheinungen der Erdoberfläche, deren Sein mit dem Wirksamsein von Kräften unlösbar verbunden ist. Man muß die Kräfte in ihrer Eigenart kennen, wenn man die Einzelerscheinung als durch den
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Dritter Teil
„Globus", die „Idee des Ganzen", bedingt begreifen will. Wir können im Hinblick auf dieses Verhältnis die hier vorliegende Beschreibung des Erdganzen eine l o g i s c h e V o r a r b e i t [8] nennen; denn zu einer „ S y s t e m a t i k d e r F o r m e n , die wir als Endergebnis jener teils mit-, teils gegeneinander wirkenden Kräfte verstehen zu lernen haben", kommen wir erst, „nachdem wir die einzelnen Kräfte kennen gelernt haben""). Wir können hier auch insofern von einer Vorarbeit sprechen, als sich die Beschreibimg auf Merkmale richtet, die für die geographische Begriffsbildung wesentlich sind, auf Merkmale also, die die Einzelerscheinung in den Zusammenhang des Erdganzen, in das geographische Allgemeine, hineinstellen. Nach allem, was wir in diesem Abschnitt betrachtet haben, erscheint die a l l g e m e i n e Geographie in scharfem Gegensatz zu jener Auffassung unserer Wissenschaft, die ihre Aufgabe in bloßer B e s c h r e i b u n g beschlossen sein läßt. Die allgemeine Geographie hat bei ihrer Arbeit zur V o r a u s s e t z u n g allerdings solche individualisierende Beschreibung, sie bleibt bei der Individualität aber nicht stehen, sondern „sucht das Gemeinsame""). Dieses Gemeinsame haben wir gefunden in äußerlichen Merkmalen wie der Größe, der Gestalt, der Lage oder in der Zugehörigkeit zu einem großen Erscheinungskomplex des Erdganzen. In beiden Fällen handelt es sich um die Unterordnung der Einzelerscheinung unter einen Zusammenhang, in beiden Fällen wird die Wirklichkeit bei dieser Unterordnung g e n e r a l i s i e r t , wenn auch in verschiedener Weise generalisiert I n n e r h a l b d e r allgemeinen Geographie spielt also die Indiv i d u a l i t ä t d e r E r s c h e i n u n g e n k e i n e R o l l e . Diese Eigentümlichkeit ist uns in den im vorangehenden betrachteten Begriffsbildungen entgegengetreten, wennschon wir den Zusammenhang in bezug auf den die Generalisierung hier erfolgt, nicht als g e o g r a p h i s c h bezeichnen können. So erhebt sich nun die Frage, ob innerhalb der Geographie auch eine besondere Form der G e n e r a l i s i e r u n g besteht, die zugleich i m H i n b l i c k a u f d a s g e o g r a p h i s c h A l l g e m e i n e , das heißt auf das Erdganze, erfolgt, und ob eine solche Begriffsbildung in ihrer Struktur naturwissenschaftlich bestimmt ist. «) u. ») S u p a n, a. a. O., S. 629.
Vorstufe genetischer Klassifizierung.
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Als Ziel der allgemeinen Geographie wird nicht eine künstliche Systematik, nicht auch die geographische Gruppenbildung, sondern — wie wir schon früher bemerkt haben — eine „Klassifizierung . . . . auf genetischer Grundlage" angesprochen**). Die Einsicht in die naturnotwendige Entstehung der Erscheinungen steht darum auch im Mittelpunkt der Betrachtungen, die die allgemeine Geographie vornimmt Eine solche Einsicht ist allerdings nur möglich, wenn man die einzelnen Erscheinungen in ihrer Eigenart genau zu bestimmen vermag — dies geschieht durch V e r g l e i c h und Ordnung nach äußerlichen Merkmalen —, und wenn man sie innerhalb des Bereichs verschiedener Kräftegruppen erkennt — die Kräftegruppen treten uns aus der oben dargelegten B e s c h r e i b u n g d e s E r d g a n z e n entgegen. Individuelle Beschreibung, Ordnung und Systematisierimg der Erscheinungen im Hinblick auf ihre Aehnlichkeit und generalisierende Beschreibung des Erdganzen sind also insgesamt V o r a u s s e t z u n g für die allgemeine Geographie im Sinne einer Klassifizierung auf genetischer Grundlage. Wir wenden uns im folgenden dieser Auffassung zu. Die Verschiedenheiten der Temperatur werden nicht nur in der Form beschrieben, daß man die ganze Erdoberfläche in Wärmezonen einteilt Bei der Aufstellung solcher Regionen wird ja, wie wir gesehen haben, in starkem Maße eine Generalisierung der Wirklichkeit vorgenommen, indem die täglichen und jährlichen Schwankungen der Temperatur in ihrer Verschiedenheit nur in geringem Umfange in solche gruppenbildende Beschreibung eingehen. Wenn man auch das verschieden starke Ausmaß solcher Schwankungen bei der Beschreibung nicht vernachlässigen will, so vermehrt sich natürlicherweise die Zahl der Gebiete, innerhalb derer die Tentperaturverhältnisse als gleichmäßig betrachtet werden können. Ihre Zahl muß notwendigerweise wachsen mit dem Bestreben, bei der Aufteilung in Wärmeregionen möglichst a l l e o b w a l t e n d e n E i g e n t ü m l i c h k e i t e n zu berücksichtigen. Damit ist allerdings der Nachteil verbunden,. daß die Einteilimg an Uebersichtlichkeit verliert [9]. Die Zahl der einzelnen Wärmeregionen würde bei größtmöglicher Genauigkeit der Beschreibung so groß, daß wiederum eine Vereinfachung, eine Zusammenfassung in Gruppen oder u
) S u p a n , a. a. O., S. 629. — Vgl. P h i l i p p s o n , Grundz&ge der allgemeinen Geographie, II. Bd., 1. Hälfte, S. 8.
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Dritter Teil.
Klassen zwecks besserer Uebersichtlichkeit unerläßlich wäre. Da wir im voranstehenden der gruppenbildenden Zusammenfassung schon gedacht haben, so bleibt als andersartig nur noch die Vereinheitlichung in Form von K l a s s e n oder T y p e n bestehen. In der Tat begegnen wir in der allgemeinen Geographie auch der Aufstellung solcher Wärme t y p e n . Wenn man die j ä h r l i c h e Temperatur S c h w a n k u n g als Hauptmerkmal zwischen den einzelnen klimatischen Individuen annimmt, so kommt man zu der Unterscheidung folgender Typen: „Aequatorial-, bzw. Seeklima" (höchstens 15° Jahresamplitude), „Uebergangsklima" (15—20°), „Landklima" (20—40°) und „exzessives Landklima" (über 40°)M). Wenn man dagegen die j ä h r l i c h e u n d t ä g l i c h e Temperaturschwankung v e r g l e i c h e n d berücksichtigt, so kommt man zu folgender Unterscheidung: Aequatorialklima (tägliche und jährliche Schwankung sind gering, die erstere ist größer als die letztere), Seeklima (tägliche und jährliche Schwankung sind hier ebenfalls gering, aber die letztere ist größer als die erstere; landeinwärts nehmen beide Schwankungen zu), Polarklima (die jährliche Schwankung ist groß, die tägliche klein). Endlich kann man in bezug auf die S e e h ö h e das Bergklima vom Plateau- und Hochtälerklima unterscheiden"). Schon aus diesem einen Beispiel wird deutlich, daß hier eine a n d e r e Begriffsbildung vorliegt als in der gruppenbildenden Beschreibung. Während wir zum Begriff der warmen Zone lediglich zufolge der Tatsache kommen, daß innerhalb dieses Gebietes die Durchschnitts-Jahrestemperatur mindestens 20° Wärme beträgt, so finden wir in dem Begriff des Aequatorialklimas eine g r ö ß e r e A n z a h l von Tatsachen vereinigt. Wenn ferner in der Bezeichnung „warme Zone" lediglich eine E i g e n s c h a f t des Gebietes hervorgehoben wird, so werden durch die Namen Aequatorial-, See-, Land-, Berg-, Polarklima zugleich die Faktoren bezeichnet, die jene besonderen Erscheinungen der Wärmeverteilung in ihrer Eigenart b e d i n g e n . Die Bezeichnung „Landklima" gehört also nicht einem künstlichen System an, das die Erscheinungen nach äußerlichen Merkmalen ordnet, sondern einem n a t ü r l i c h e n , das die Individualitäten nach ihrer Genesis klassifiziert. « ) S u p a n , a . a. O., S. 110. «) S u p a n , a. a. O., S. 111 f.
Klassifizierung auf genetischer Grundlage.
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Aehnliche Beispiele lassen sich aus allen Gebieten der allgemeinen Geographie anführen. So kommt man in bezug auf die j a h r e s z e i t l i c h e Verteilung der N i e d e r s c h l ä g e zur Unterscheidung eines ozeanischen und eines kontinentalen Typus") (der erstere ist durch Winterregen, der letztere durch Sommerwegen gekennzeichnet). Die einzelnen Erscheinungen innerhalb der regenarmen Gebiete klassifiziert man als „polare", „innerkontinentale", „Klimaschattengebiete" und „passatische Wüsten mit beständigen Polarwinden"*7), und in der Tropenzone unterscheidet man nach der jahreszeitlichen Regenverteilung Passat-, Monsun-, Aequatorial- und tropischen Grenztypus*8). Auch wenn man a l l e klimatischen Elemente berücksichtigt, kommt man zur Aufstellung klimatischer Typen, die sich zum Teil mit den vorerwähnten Typen der Wärme- und Regenverteilung decken. So unterscheidet man See-, Küsten-, Land-, Wüsten- und Monsunklima**). Wie bei der Klassifizierung klimatischer Erscheinungen die n a t u r h a f t e B e d i n g t h e i t als Einteilungsprinzip in den Vordergrund tritt, finden wir auch innerhalb der M o r p h o l o g i e -des festen Landes eine Einteilung auf genetischer Grundlage. Je nachdem endogene oder exogene Kräfte als formgebend angesehen werden, unterscheiden wir S t r u k t u r formen von den D e s t r u k t i o n s formen. Innerhalb der ersten Gruppe wiederum sondern wir die tektonischen (Flachschichtung, Falten- und Bruchstruktur) von den vulkanischen Formen, und innerhalb der letzten Gruppe gelangen wir wiederum zu Unterscheidungen je nach der Art der Zerstörung, durch die die Oberflächenformen des Festlandes gebildet worden sind"). Den gleichen Grundsatz können wir bei der Betrachtung von Flüssen, von Küstenformen, von Inseln usw. verfolgen. Bei all diesen Betrachtungen tritt die Individualität der Erscheinungen zurück. Man sucht jeweils gleichartige Objekte zu größeren K l a s s e n zusammenzuschließen, indem man sie als g l e i c h m ä ß i g v e r u r s a c h t bestimmt. Wenn wir diese auf genetischem Prinzip beruhenden Einteilungen mit den am Eingang dieses Abschnittes betrachteten künst*•) ") ") *•) ")
S u p a n, a. a. O., S. 171. S u p a n, a. a. 0., S. 174. S u p a n, a. a. O., S. 178 f. K o p p e n , Klimakunde, S. 103 f. S u p a n , a. a. O., S. 696 ff.
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Dritter Teil.
liehen Systembildungen vergleichen, so erkennen wir, daß in mannigfacher Hinsicht eine U e b e r e i n s t i m m u n g zwischen einzelnen Gruppen besteht. So deckt sich „im großen und ganzen der Begriff Faltengebirge mit dem Begriff K e t t e n g e b i r g e " * 1 ) . Ferner ist mit der Unterscheidung der Gebirge nach der absoluten Höhe in Nieder-, Mittel- und Hochgebirge ein Unterschied bezeichnet, der zum mindesten einen Ansatz für eine genetische Begriffsbildung bedeutet, weil „die Temperatur mit der Höhe abnimmt und sich damit die Lebensbedingungen der Organismen wie Wesen und Maß der zerstörenden Kräfte ändern""). Das gleiche Verhältnis zwischen künstlicher Systematisierung und Klassifizierung auf genetischer Grundlage finden wir auch, im Gebiete der B i o g e o g r a p h i e . Die Klassifizierung der einzelnen Gebiete ist z. B. in der Pflanzengeographie von rein äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen ausgegangen, die allerdings schon auf naturhafte Bedingtheiten hindeuten. Im Verlaufe der geschichtlichen Entwickelung der Pflanzengeographie sind anstelle solcher rein „physiognomischen Pflanzenformen" sodann „die physiologischen oder ökologischen getreten, d. h. Gruppen, die durch Gleichartigkeit ihres gesamten Haushaltes verknüpft sind""). So hat z. B. S c h i m p e r klimatische und edaphische Formationsgruppen unterschieden. Als klimatische Formationen stellen sich Gehölz, Grasflur und Wüste dar, die sich durch die klimatischen Verhältnisse der Gegenwart bedingt erweisen, während sich die Oasen in der Wüste, die Wälder innerhalb von Grasfluren, Sümpfe, Moore u. dgl., als edaphische oder Standortsformationen ergeben, weil sie durch verschiedene Bodenbeschaffenheit verursachte Erscheinungen sind5*). Da unsere bisherigen Beispiele nur den Gebieten der physischen und Biogeographie entstammen, ist die Frage aufzuwerfen, ob wir auch in der allgemeinen A n t h r o p o g e o g r a p h i e entsprechende, auf Feststellung von Gesetzmäßigkeiten hinzielende Begriffsbildungen vorfinden. Ohne Zweifel ist dies der Fall, und diese Tatsache ist für uns von besonderem Interesse; denn es h a n ") ") ") M )
S u p a n, a. a. O., S. 663. S u p a n , a. a. O., S. 631. H. W a g n e r , Lehrbuch der Geographie, Tl. I, S. 681. S u p a n , a. a. 0., S. 825 f.
Klassifizierung auf genetischer Grundlage.
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delt sich hier um Erscheinungen, die, sofern sie als Individuen betrachtet werden, in bestimmte Kulturzusammenhänge eingeordnet sind. Wählen wir zunächst ein Beispiel aus der S i e d l u n g s geographie! Diese untersucht die einzelnen Siedlungen, faßt gleichartige Gruppen derselben zunächst nach ä u ß e r l i c h e n Merkmalen zusammen, so Kleinsiedlungen, Dörfer, Städte (Land-, Klein-, Mittel- und Großstädte)") nach der G r ö ß e , so Küsten-, Fluß-, Brücken- und Paßstädte") nach ihrer L a g e , so Industrie-, Handels-, Hafenstädte nach den in ihnen vorherrschenden E rv e r b s z w e i g e n der Einwohner u. a. m " ) . Vom rein äußerlichen Vergleich dieser Erscheinungen sucht man ähnlich wie bei jedem anderen Teilgebiet der allgemeinen Geographie zu der g e s e t z m ä ß i g e n B e d i n g t h e i t vorzudringen; eine solche Feststellung der gesetzmäßigen Abhängigkeit von bestimmten geographischen Faktoren ist auch hier das Z i e l der Betrachtung. Soweit eine solche Begriflsbildung möglich ist, soweit man T y p e n v o n S i e d l u n g e n feststellen kann, haftet jenen Begriffen immer eine G e s e t z m ä ß i g k e i t an. .Ueberall da, wo sich in einem Flusse, der eine bewohnte Landschaft durchfließt, eine Furt befindet, entwickelt sich eine Siedlung, ebenso überall da, wo eine Brücke über den Fluß gelegt ist. Wir können eine noch umfassendere Verallgemeinerung vornehmen und können sagen, daß sich Siedlungen überall da entwickeln, wo der V e r k e h r sich häuft, oder in anderer Hinsicht überall da, wo die Verhältnisse für den E r w e r b oder für die E r n ä h r u n g oder auch für den S c h u t z des Eigentums besonders günstig sind. Eine ähnliche Begriffsbildung finden wir auch in der V e r k e h r s - und W i r t s c h a f t s g e o g r a p h i e . Von der Aehnlichkeit der Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse ausgehend kommt man auch hier zu der Aufstellung von Typen. Man betrachtet „die natürlichen (geographischen) Grundlagen der Wirtschaft, um dann den wirtschaftenden Menschen in seiner Abhängigkeit von menschlichen Zuständen und Einrichtungen samt der Rückwirkung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit auf den Erdraum darzustellen""). Allerdings liegen die Verhältnisse in der Verkehrs- und Wirtschaftsgeographie nicht so deutlich vor unseren Augen wie in der ») ") •7) ")
H a s s e r t, Die Städte, S. 2 und 6. H a s s e r t , a. a. O., S. 47ff. H a s s e r t , a. a. O., S. 26 ff. S a p p e r, Allgemeine Wirtschafts- und Verkehrsgeograph ie, S.
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Dritter Teil.
Siedlungsgeographie. Hier haben wir es ja durchweg mit solchen individuellen Erscheinungen zu tun oder mit solchen Gruppenerscheinungen, die sich auf kleinem Raum zusammendrängen und sich dadurch dem Betrachter unmittelbar als Individualität (sei es auch als Gruppenindividualität) darbieten. Anders ist das bei der Verkehrs- und Wirtschaftsgeographie. Bei beiden muß man, sofern man die hierher gehörigen Erscheinungen unter geographischem Gesichtspunkt betrachtet, nicht nur von vereinzelten Objekten, sondern zugleich von größeren zusammenhängenden Gebieten sprechen. Zum mindesten ist dies der Fall, wenn auch diesen Sonderzweigen der allgemeinen Geographie die Begriffsbildung auf genetischer Grundlage als Ziel erscheint. Wie wir im voranstehenden gesehen haben, ist ja eine Klassifizierung der Einzelerscheinungen nach ä u ß e r l i c h e n Merkmalen auch hier möglich, so z. B. der Wege, die dem schreitenden, gleitenden oder rollenden Verkehr dienen. Wollen wir aber die Erscheinungen in ihrer B e d i n g t h e i t durch Klima, Bodenart, Oberflächengestaltung, Pflanzenwelt u. dgl. erklären, so kann das nur geschehen, wenn wir nicht nur einzelne Wegegattungen, sondern Wegesysteme, Verkehrsgebiete, Verkehrsgemeinschaften, in ihrer Sonderart und Sonderstruktur untersuchen. Wir wollen damit nicht sagen, daß dieselbe Betrachtungsweise innerhalb der Siedlungsgeographie bedeutungslos wäre. Das kann schon darum nicht der Fall sein, weil Siedlung, Verkehr und Wirtschaft unlösbar miteinander verbunden und von einander abhängig sind, nur tritt in letzterem Falle die Unerläßlichkeit solcher Betrachtung besonders deutlich hervor. Alle diese Sondergebiete der allgemeinen Anthropogeographie sind also innig mit der p o l i t i s c h e n Geographie verknüpft, mit der allgemeinen Geographie der S t a a t e n , also jener Gebilde, die wir als S i e d 1 u n g s-, V e r k e h r s - , W i r t s c h a f t s - und K u l t u r g e m e i n s c h a f t e n anzusehen haben. Die politische Geographie ist also in diesem Zusammenhange von besonderer Bedeutung. Auch in diesem Zweige der allgemeinen Geographie ist das Interesse nicht der Beschreibung individueller Erscheinungen, sondern der Aufstellung eines „Systems klarer, scharfer Begriffe" zugewendet68). Auch hier sind die „geographischen Bedingungen" ") V o g e l , Politische Geographie, S. 3.
Klassifizierung auf genetischer Grundlage. zu ermitteln, also die geographischen Bedingungen der „Staatsentwickelung"*0). Zu einer Vorstellung von diesen Bedingungen kann man erst kommen, nachdem man sich das W e s e n d e s S t a a t e s klar gemacht hat. Die politische Geographie muß zu einem B e g r i f f e des Staates kommen, wenigstens soweit sich dieser als von geographischen Faktoren abhängig darstellt Sie kommt dazu auf dem Wege des Vergleiches zwischen den einzelnen staatlichen Erscheinungen, auch sie knüpft zunächst an die Aehnlichkeit äußerlicher Merkmale an, um von da aus weiter zu einer genetischen Begriffsbestimmung vorzudringen. Zwei Momente erweisen sich als wesentlich für den Begriff des Staates, nämlich „die Gesellschaft der Staatsbewohner als lebendige Träger des Staats oder als die eigentliche Staats s u b s t a n z " und das „Staatsgebiet", die „Staatsunterlage" oder der „Staatsboden"' 1 ). Das Verhältnis dieser beiden Momente bestimmt den C h a r a k t e r des Staates; mit dem Staatsboden"), der eine bestimmte geographische Lage, eine besondere geologische Beschaffenheit, ein ihm eigenes Klima, eine ihm zugehörige Vegetation und Tierwelt besitzt, sind n a t ü r l i c h e B e d i n g u n g e n d e s S t a a t e s bezeichnet. Auf der anderen Seite ist der Staat auch durch die Rasse oder durch die Rassenzusammensetzung, durch die Kulturfähigkeit seiner Einwohner in natürlicher Weise bedingt. Auf Grund dieser Erkenntnisse kommt man sodann zu Klassifizierungen der Staaten, für die die besonders wichtigen bedingenden Faktoren die Unterscheidungsmerkmale abgeben. So unterscheidet man im Hinblick auf die horizontale U m g r e n z u n g „Becken-", „Schwellen-", „Abdachungs-", „Horst-", „Insel-" und „Halbinselstaaten""), und in bezug auf die Sondergestaltung des „inneren Verkehrs" kommt man zur Unterscheidung von „Flußfaden-", „Straßen-" und „Binnenmeerstaaten""). Andere Unterscheidungsmerkmale ergeben die Sonderart der B ö den* 5 ), sofern sie die Vorbedingungen für eine agrarische oder industrielle Entwicklung bieten, ferner die „geophysische" und die") •*) «) •*) ") ")
V o g e 1, a. a. O., S. 7. V o g e l , a. a. O., S. 15. V o g e l , a. a. O., S. 30 ff. V o g e l , a. a. O., S. 36ff. V o g e l , a. a. O., S. 41 ff. V o g e l , a. a. O., S. 43ff.
Dritter Teil.
„geopoiitische" Lage"), die für die staatliche Entwicklung fördernd oder hemmend gewesen sind. Weitere Unterscheidungsmerkmale liefert die i n n e r e S t r u k t u r der Staaten, wie die Ausdehnung über die Erdoberfläche und die Zusammensetzung aus wenigen oder mehreren (vielleicht ungleichartigen) Teilen, sowie die verschiedenartige Erfülltheit des Staatsbodens mit Einwohnern"). Alle diese Klassifizierungsversuche geben eine Einteilung der Staaten derart, daß durch die einzelnen Gruppen wichtige Merkmale bezeichnet sind. So erkennen wir denn, daß auch innerhalb der allgemeinen Anthropogeographie dieselbe Methode vorliegt, die wir für die allgemeine physische und Biogeographie als wesentlich erkannt haben. Wir können somit sagen, daß die allgemeine Geographie der Erfassung des T y p i s c h e n , des g e s e t z m ä ß i g B e d i n g t e n zugewendet ist. Wir wollen rückschauend ihre Begriflsbildung noch einmal kurz zusammenfassen: ihren Ausgangspunkt bildet die individualisierende Beschreibung der Erscheinungen; diese werden mit anderen ähnlichen Erscheinungen verglichen, und man kommt durch solchen Vergleich zu einer schärferen Erfassung und Bestimmung der charakteristischen Merkmale**) ( k ü n s t l i c h e Systematisierung). Nachdem diese Arbeit die Möglichkeit gibt, verschiedene Erscheinungen als g l e i c h a r t i g zu bestimmen, verfolgt man die V e r b r e i t u n g solcher gleichartigen Erscheinungen über die Erdoberfläche hin. Wir haben in dieser Tätigkeit eine g r u p p e n b i l d e n d e B e s c h r e i b u n g vor uns. Die mannigfachsten Erscheinungen werden solcherart in ihrer Verbreitung auf der Erdoberfläche festgelegt, und man kann jeweils überblicken, ob die Gleichartigkeit bestimmter Erscheinungen, wie zum Beispiel die der Fjorde, mit der gleichmäßigen Verteilung anderer Faktoren (Verbreitung des diluvialen Inlandeises) zusammenfällt**). A u s der G l e i c h a r t i g k e i t des Z u s a m m e n t r e f f e n s solcher Erscheinungen schließt man auf einen u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g . Dieser ursächliche Zusammenhang endlich führt zum Z i e l e d e r a l l g e m e i n e n ») *7) ») **)
V o g e l , a. a. O., S. 54ff. V o g e l , a. a. O., S. 56ff. Vgl. S. 135 Anm. 1 und 2! S u p a n , Grundzöge der physischen Erdkunde, S. 811.
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Ineinandergreifen der Begriffsbildungen.
G e o g r a p h i e , zur K l a s s i f i z i e r u n g d e r E r s c h e i n u n g e n a u f g e n e t i s c h e r G r u n d l a g e [10]. Wir haben bereits betont, daß wir die verschiedenen Begriffsbildungen der allgemeinen Geographie: künstliche Systematisiexung, gruppenbildende Beschreibung und Klassifizierung auf Grund naturgemäßer Bedingtheit als l o g i s c h e E t a p p e n geographischer BegriUsbildung betrachten. Damit ist jedoch keinesfalls gesagt, daß diese Begriilsbildungen in der Tat immer deutlich geschieden sind. Wenn wir die beiden ersteren als logische V o r s t u f e n der letzten bezeichnen, so verkennen wir damit doch nicht, daß sich diese Begriilsbildungen in mannigfacher Weise ineinander verschlingen. Wir erkennen das daraus, daß sowohl klassifizierte Erscheinungen zu Gruppenbegriflen zusammengeschlossen werden, wie auch daraus, daß Gruppenbegriffe genetischer Klassiiikation unterworfen sind. So sind, um ein Beispiel für erstere Tatsache zu nennen, die Fjorde zu F j o r d l a n d s c h a f t e n , die Mittel- und Hochgebirge zu M i t t e l - und H o c h G e b i r g s l a n d s c h a f t e n zusammengeschlossen. Ferner könnte die Zusammenfassung aller jüngeren Faltengebirge zum F a l t e n ¿ e b i r g s g ü r t e l genannt werden, der den beiden anderen Gruppen, der b o r e a 1 en und a u s t r a l e n R e g i o n 7 ® ) , gegenübergestellt wird. Solche Gruppenbildung klassifizierter Erscheinungen kann dann wiederum den Ausgangspunkt für die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien abgeben ( G r e e n s Tetraeder-Theorie71)). Umgekehrt werden — um auch ein Beispiel für die Klassiüzierung von Gruppenerscheinungen anzuführen — alle Landaufxagungen als F e s t l ä n d e r und I n s e l n unterschieden"), die Inseln ihrer Entstehung nach als „kontinentale" und „ursprüngliche" und letztere wiederum als „Hebungs-", „Aufschüttungs-", „vulkanische" und „Riffinseln" gegliedert74). Auch klassifizierte Gruppenerscheinungen können zu Gruppen zusammengeschlossen werden, wie zum Beispiel die gleichartig klassifizierten Inseln zu Vulkaninselgr u p pen, Riffinselgruppen usw. n
) ) ") ") 7t
S u p a n, a. a. O., S. 37 ff. S u p a n, a. a. 0., S. 43 ff. S u p a n, a. a. O., S. 34 ff. S u p a n , a . a . O., S. 780ff.
• G r a f , Geographie.
6
Dritter Teil.
72
Wenn wir daraus ersehen, daß Klassifizierung und Gruppenbildung in mannigfacher Weise ineinander verschlungen sind, so kann uns diese Tatsache nicht hindern, beide Begriffsbildungen l o g i s c h scharf zu unterscheiden, ebenso wie wir künstliche Systematisierung und genetische Klassifizierung unterschieden haben, wennschon in der ersteren vielfach Ansätze für die letztere bereits vorhanden sind und somit beide fließend ineinander übergehen. Wir wollen als letztes Beispiel für die mannigfache Verschlingung die Klassifizierung der Landschaften erwähnen. Wir haben des Wortes L a n d s c h a f t schon im voranstehenden mehrfach Erwähnung getan, ohne eine bestimmte Begriflserklärung vorzunehmen74)» Wenn wir darunter zunächst nur ein G e b i e t d e r E r d o b e r f l ä c h e verstehen —im folgenden wird noch ausführlicher darüber zu sprechen sein —, so wird doch schon deutlich, daß mit diesem Worte a l l e E r s c h e i n u n g e n d e s b e t r e f f e n d e n E r d g e b i e t e s zusammengeschlossen sind, daß hier also eine geographische Einheit von komplizierter Struktur vorliegt. Auch solcheLandschaften, die wir einstweilen als die inhaltsreichsten Gruppenbegriffe [11] ansprechen können, unterliegen der Klassifikation78) und Zusammensetzung zu Gruppen7*) genau wie jede andere geographische Erscheinung. Auch hier kommt man zur Aufstellung von L a n d s c h a f t s t y p e n , zum Beispiel von typischen Fjordlandschaften, typischen Wald-, Wüsten-, Marschen-, Heide-» Moor-, Stadt-, Industrielandschaften u. dgl. Alle diese Beispiele mögen genügen, um die M e t h o d e d e r a l l g e m e i n e n G e o g r a p h i e zu kennzeichnen. Wir sehen, daß diese wesentlich anders bestimmt ist als die bloß beschreihende Geographie. S i e s e t z t a l l e s I n d i v i d u e l l e b e i s e i t e u n d s u ch t d a s A l l g e m e i n e , d a s T y p i s c h e u n d Ges e t z m ä ß i g e z u e r f a s s e n . Dem widerspricht auch nicht, daß sie zuweilen der Entstehung einer besonderen, vereinzelten Erscheinung ihr Interesse zuwenden kann. Sie tut das, wenn diesen Erscheinung d e r e i n z i g e V e r t r e t e r e i n e r b e s o n d e r e a G a t t u n g ist. So stellt sie den Typus der „Flußfadenstaaten" auf, obwohl der „Nilstaat" Aegypten das „beinahe einzige Beispiel"* 74
) Vgl. S. 14 und 37 IT.! ™) P a s s a r g e , Vergleichende Landschaftskunde. '•) P a s s a r g e, Die Landschaftsgürtel der Erde.
Wesen der allgemeinen Geographie.
73
bietet77), weil nur er i n v o l l e m U m f a n g e die Merkmale dieses Typus aufweist. S o m i t i s t d i e a l l g e m e i n e G e o graphie ihrem ganzen Gepräge nach Naturwiss e n s c h a f t Angesichts dieser Tatsache nimmt es uns nicht Wunder, daß die Erdkunde zu all d e n Zeiten als naturwissenschaftliche Disziplin angesprochen wird, da die a l l g e m e i n e Geographie das Hauptinteresse für sich in Anspruch nimmt. Heute ist dies nicht der Fall; die überwiegende Mehrheit der Geographen lehnt es ab, die Erdkunde als Naturwissenschaft zu bezeichnen. Damit erhebt sich die Frage, ob es neben den bisher behandelten Auffassungen der Geographie, deren Methode wir jeweils als h i s t o r i s c h und n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h bestimmt haben, eine dritte gibt, in der unsere Wissenschaft e i n e e i g e n e M e t h o d e entwickelt ") V o g e l , Politische Geographie, S. 41.
6"
Vierter Teil.
Geographie als selbständigeWissenschaft. Die Natur ist für die denkende Betraditung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Misdiung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte als ein lebendiges Ganzes. A. v. Humboldt.
In den Betrachtungen der vorangehenden Abschnitte sind wir von rein f o r m a l e n Gesichtspunkten ausgegangen, wir haben lediglich nach der S t r u k t u r der geographischen Begriffsbildung gefragt und haben den besonderen I n h a l t dieser Begriffe, die Eigenart der Begriffselemente, zurückgestellt. Dieser Weg war durch die Richtlinien festgelegt, die wir in den ersten Teilen unserer Arbeit gezogen haben: wenn sich uns der Gegensatz von Geschichte und Naturwissenschaft unter rein formalen Gesichtspunkten ergab, so mußten wir auch der Geographie gegenüber dieselbe Einstellung beibehalten, um ihr Verhältnis zu den beiden Wissenschaftsgruppen zu erkennen. Es ist uns auf diese Weise gelungen, zwei Sonderauffassungen oder Sonderaufgaben unserer Wissenschaft herauszustellen, deren eine wir als h i s t o r i s c h , deren andere wir als n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h bestimmten. Obschon wir auf diese Weise manchen Einblick in die Sonderart der geographischen Begriffsbildung haben tun können, wollen wir keineswegs behaupten, damit schon erschöpfend das Wesen der Geographie geschildert zu haben. Wir beleuchteten die Eigenart der besonderen geographischen Aufgaben im wesentlichen nur so weit, als wir sie auf der einen Seite zur Naturwissenschaft, auf der anderen zur historischen Gruppe gehörig bestimmen konnten. D i e j e n i g e n Eigenschaften der behandelten Auffassungen, die diese gegenüber einzelnen Zweigen der naturwissenschaftlichen und historischen Disziplinen als G e o g r a p h i e kennzeichnen, sind da-
Stoff und Methode.
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bei weniger ins helle Licht gerückt Wir müssen das a u s d r ü c k l i c h b e t o n e n , andernfalls könnte leicht die Meinung entstehen, daß wir im Gegensatz zu anderen methodisch-geographischen Arbeiten stünden, die nicht wie wir auf dem Wege der Analyse zur Bestimmung des Wesens der Geographie kommen. Wir verkennen und übersehen keineswegs diejenige Eigenschaft unseres Faches, die es gegenüber der Gesamtheit seiner Hilfswissenschaften charakterisiert, und die daher am häufigsten zur Darstellung kommt Wir wollen an dieses Merkmal a n k n ü p f e n , weil wir, von der Erkenntnis desselben ausgehend, am besten ein Verständnis für die Begriilsbildung derjenigen geographischen Aufgabe gewinnen können, die sich durch eine besondere wissenschaftliche Methode auszeichnet. Da sich sogleich zeigen wird, daß dieses Merkmal n i c h t r e i n f o r m a l e r N a t u r ist, sagen wir ausdrücklich, daß es unserer ferneren Untersuchung nur als A u s g a n g s p u n k t dienen soll. In vielen methodisch-geographischen Arbeiten pflegt man zu betonen, daß die Eigenart unserer Wissenschaft n i c h t auf einem eigenen S t o f f g e b i e t , sondern auf einer eigenen M e t h o d e beruht 1 ). Unter Methode versteht man dabei zumeist aber n i c h t ein r e i n f o r m a l e s Ziel, s o n d e r n e i n e i n h a l t l i c h b e s o n d e r e E r f ü l l u n g des w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e g r i f f e s ' ) . Man sagt etwa folgendes: so sehr sich die Geographie mit der Physik für mechanische, optische, magnetische und andere Erscheinungen, mit der Chemie für die stoffliche Zusammensetzung der Körper und deren Veränderung befaßt, so sehr sie mit der Meteorologie für die Erscheinungen der Atmosphäre, mit ») B a n s e , Geographie (Pet. Mi». 1912, I, S. 72); d e r s . , Illustrierte Länderkunde, S. 2; d e r s., Lexikon der Geographie, Bd. I, S. 486; F r i ed e r i c h s e n , Die geographische Landschaft (Geogr. Anz. 1921, S. 158); A. G e i s t b e c k , Grundlagen der geographischen Kritik, S. 13f.; E. d e M a r t o n n e, Traité de Géographie physique, S. 21; H e 11 n e r, Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 4f.; V o l z , Das Wesen der Geographie in Forschung und Darstellung (Schlesische Jahrbücher für Geistes- und Naturwissenschaften 1923, S. 240). ') F r i e d e r i c h s e n , Die Geographische Landschaft (Geogr. Anz. 1921, S. 156ff.); H e 11 n e r, Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 4f.; S c h l ü t e r , Die Erdkunde in ihrem Verhältnis zu den Natur- und Geisteswissenschaften (Geogr. Anz. 1920, S. 145 ff. und S. 213 ff ).
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Vierter Teil.
der Botanik für die Pflanzen, mit der Zoologie für die Tiere das Interesse teilt, so sehr unterscheidet sie sich von all diesen Sonderwissenschaften dadurch, daß sie ihre Betrachtung nicht wie die Physik auf physikalische, nicht wie die Chemie auf chemische Vorgänge beschränkt, daß sie nicht wie die Botanik und Zoologie lediglich Pflanzen und Tiere in das Bereich ihrer Untersuchung hineinzieht, daß sie vielmehr a l l d i e s e O b j e k t e berücksichtigt und sie in allumspannenden Begriffen zu einer E i n h e i t zusammenschließt'). Ohne Zweifel ist hiermit ein w i c h t i g e s Charakteristikum der Erdkunde bezeichnet, ja S c h l ü t e r nennt es das wichtigste, er erkennt „als das Wesentliche bei der Geographie . . ., daß sie ganz allgemein Verbindungen zwischen verschiedenen Wissenschaften herzustellen sucht, die sonst zu einer strengen Abgrenzung ihrer Arbeitsfelder gezwungen sind"*). Ob allerdings, wie S c h l ü t e r behauptet, dieses Merkmal der Geographie (als Brücke zwischen verschiedenen Wissenschaften zu dienen) so hervorstechend ist, daß demgegenüber ihre Stellung zwischen den von uns bezeichneten Wissenschaftsgruppen (Natur- und Kulturwissenschaften — Natur- und Geisteswissenschaften) an Bedeutung zurücktritt4), könnte erst auf Grund einer besonderen Untersuchung entschieden werden. Für unseren Zusammenhang ist diese Frage auch ohne Belang, um so mehr aber interessiert uns die Eigenschaft der Geographie, auf die S c h l ü t e r seine Behauptung stützt Diese Eigenschaft geht unmittelbar aus der geographischen Aufgabe hervor, und es ist dabei ganz gleichgültig, wie wir den U m f a n g dieser Aufgabe bemessen. Ob wir die Geographie mit F e r d i n a n d v o n R i c h t h o f e n als die „Wissenschaft von der Erdoberfläche und den Erscheinungen" bezeichnen, „die mit ihr in kausalen Wechselbeziehungen stehen"*), oder ob wir ihr mit G e r 1 a n d , H. W a g n e r u. a.') das Studium des Erdganzen zuweisen, in beiden Fällen ist gesagt, daß eine Unsumme von Objekten der geographischen Betrachtung unterliegt. M a r t h e stellt sie in bezug auf die Geographie als Erdoberflächenwissenschaft in fol») S c h l ü t e r , a. a. O., Geogr. Anz. 1900, S. 146. «) S c h l ü t e r , a. a. O., Geogr. Anz. 1920, S. 145. *) F. v. Richthofens Vorlesungen über Allgemeine Siedlungs- und Verkehrsgeographie. Bearb. u. hg. von S c h l ü t e r , S. 5. •) H. W a g n e r , Lehrbuch der Geographie, Tl. I, S. 26. Anm. 55.
Geographie als Totalisierung des Einzelwissens.
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genden Worten zusammen: „Aus dem richtigen zutreffenden Wissen . . . von der Runzelgestalt der Erdoberseite haben, wie die Naturwissenschaften, so die historischen ein gleich dringendes Bedürfnis. Denn sie ja bedeutet nicht nur das große, rauhe Feld, auf das donnernd der Blitz niederfährt, der Regen herabprasselt, der Sonnenstrahl seiner Wärme sich entäußert, Pflanzen sprossen, Tiere sich tummeln, sondern auch die Tenne und Bühne, auf der das Ameisengeschlecht der geistbegabten Menschheit das Schauspiel seines Ringens mit den Mächten der Natur, seine Kämpfe untereinander aufführt, das vergängliche Werk seiner materiellen Schöpfungen und Anlagen errichtet"7). Wir können die im voranstehenden beschriebene Eigenart der Geographie als universalistische Tendenz, als „Totalisierung"8) des Einzel- und Spezialwissens bezeichnen. Wenn wir ihrer in den vorangegangenen Abschnitten, also auch bei der Behandlung der allgemeinen Geographie, noch nicht Erwähnimg getan haben, so ergibt sich das aus der besonderen Absicht, die wir verfolgten. Allerdings rechtfertigt sich unser Verhalten auch daraus, daß die „totalisierende" Wirkung bei der allgemeinen Geographie noch nicht mit der Deutlichkeit auftritt, mit der sie sich innerhalb der neu zu behandelnden besonderen Aufgabe unserer Wissenschaft zeigt. Die allgemeine Geographie bedient sich, wie wir gesehen haben, eines „generalisierenden" Verfahrens; wenn also ein Objekt einem ihrer Begriffe untergeordnet wird, geht in ihn nicht die Gesamtheit der individuellen Erscheinung ein, vielmehr wird nur d i e j e n i g e Summe von Eigenschaften erfaßt, die das Objekt mit anderen „Exemplaren" der Gattung g e m e i n s a m hat. Obschon also eine „Totalisierung" auch in der allgemeinen Geographie wirksam ist, so ist sie hier doch immerhin beschränkt. Die „Totalisierung" kann sich innerhalb der Geographie erst in derjenigen Sonderaufgabe zeigen, in der die I n d i v i d u a l i t ä t einer bestimmten Erdstelle erfaßt werden soll*). Dieser Sonderaufgabe widmet sich die s p e z i e l l e G e o g r a p h i e oder L ä n d e r k u n d e , derjenigen Aufgabe unserer Wissenschaft also, die lieute von vielen ihrer Vertreter (vielleicht sogar von der Mehrzahl 7
) M a r t h e, Was bedeutet Karl Ritter für die Geographie?, S. 9 f. •) S p r a n g e r , Der Bildungswert der Heimatkunde, S. 25ff. •) Vgl. S c h l ü t e r , Die Erdkunde in ihrem Verhältnis zu den Natur- und Geisteswissenschaften (Geogr. Anz. 1920, S. 152).
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Vierter Teil.
derselben) als e i g e n t l i c h e s Z i e l d e r g e o g r a p h i s c h e n A r b e i t angesprochen wird"). Wir müssen, um Mißverständnissen vorzubeugen, den Begriff „Länderkunde", den wir meinen, genau bestimmen. Folgen wir den Worten H e r m a n n W a g n e r s 1 1 ) ! „Wie die Gesamtwissenschaft ihren Lehrstoff in eine allgemeine und spezielle Erdkunde gliedert, so zerfällt auch die Betrachtung innerhalb der Länderkunde, gleichviel ob sie von großen oder kleineren geographischen Räumen ausgeht, in eine allgemeine und eine besondere (spezielle). Bei der a l l g e m e i n e n L ä n d e r k u n d e werden die im Bereich des fraglichen Erdraumes auftretenden geographischen Erscheinungsformen in ihrer Ausbreitung über denselben oder in ihrer Gesamtwirkung der Reihe nach abgehandelt, wie dies innerhalb der allgemeinen Erdkunde rücksichtlich der gesamten Erdoberfläche geschieht." — Um d i e s e n Begriff der Länderkunde handelt es sich für uns n i c h t . Wie W a g n e r hervorhebt, unterscheidet sich diese Betrachtungsweise von der allgemeinen Geographie nur durch den U m f a n g ihres Arbeitsgebietes. M e t h o d i s c h zeigt sie uns nichts Neues. Es handelt sich innerhalb dieses Zweiges unserer Wissenschaft im wesentlichen um die Bildung von G r u p p e n b e g r i f f e n , die wir im vorigen Abschnitt als V o r a r b e i t für die Klassifizierung auf genetischer Grundlage kennengelernt haben, und die auch Vorarbeit einer anderen Begriffsbildung ist, wie wir im folgenden noch sehen werden. Wenn wir weiterhin von einer mit e i g e n e r Methode arbeitenden Auffassung der Geographie sprechen, denken wir stets an die s p e z i e l l e Länderkunde, die wir als spezielle Geographie oder Länderkunde schlechthin bezeichnen. Wir wenden uns im folgenden der Betrachtung der speziellen Geographie zu, und zwar nicht, weil wir sie für den allein richtigen, logisch und h i s t o r i s c h b e g r ü n d e t e n Begriff hielten"), sondern weil in ihr in der Tat eine e i g e n e M e t h o d e vorliegt. 10 ) B a n s e , Lexikon der Geographie, Bd. I, S. 486 u. a. a. 0.; F r i ed e r i c h s e n , Die geographische Landschaft (Geogr. Anz. 1921, S. 157f.); S c h l ü t e r , a. a. 0. (Geogr. Anz. 1920, S. 146); H a s s i n g e r , Ueber einige Aufgaben geographischer Forschung und Lehre (Kartographische und schulgeographische Zeitschrift 1919, S. 68); H e 11 n e r v Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 8 und a. a. O.; V o h ( B a n s e s Lexikon der Geographie, Bd. II, S. 713). ") Lehrbuch der allgemeinen Geographie, Bd. II, S. 3. ") Vgl. S. 132, Anm. 2!
Geographie alä Totalisierung des Einzelwissens.
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Um ein Verständnis für diese eigene Methode zu gewinnen, gehen wir, wie wir bereits hervorgehoben haben, von der Eigentümlichkeit der Geographie aus, daß sie die Objekte der verschiedensten Wissensgebiete, die sonst zusammenhanglos nebeneinander stehen, im Begriffe v e r b i n d e t und v e r e i n h e i t l i c h t Angesichts dieser Tatsache erhebt sich nämlich sogleich die Frage nach der M ö g l i c h k e i t der begrifflichen Vereinheitlichung all jener Objekte, die sonst nur getrennt voneinander in den verschiedenen Einzelwissenschaften behandelt werden. Diese Frage ist gleichbedeutend mit derjenigen, ob der Geographie der R a n g e i n e r W i s s e n s c h a f t zukomme oder nicht. Ist es nicht möglich, die verschiedenartigen Objekte einem spezifisch geographischen Begriffe unter- oder einzuordnen, so kann das Wesen der Geographie nur in einer Nebeneinanderstellung, in einer K o m p i l a t i o n bestehen. Ist aber eine Begriffsbildung im vorliegenden Sinne möglich, so erfüllt die Geographie die Aufgabe einer besonderen Wissenschaft. Diese Frage muß, wie leicht begreiflich ist, zunächst beantwortet werden; erst nach ihrer Bejahung gewinnt die Frage nach der l o g i s c h e n S t r u k t u r der Begriffe eine Bedeutung.Die Mehrzahl der Geographen hat sich infolgedessen nicht der letzteren, sondern der ersteren Frage zugewandt. Der methodische Streit bewegt sich zu einem großen Teil um die Entscheidung: K o m p i lation oder eigene wissenschaftliche Met h o d e »). Man erzählt von O s k a r P e s c h e l , daß ihn beim Bearbeiten eines geographischen Handbuches des öfteren ein Gefühl beschlichen habe, „als .pflücke er Rosen in fremden Gärten""). Wenn eine solche Meinung bei einem Geographen selbst aufkommen kann, so darf es nicht verwunderlich erscheinen, daß sie sich auch bei den Vertretern anderer Wissenschaften zeigt. Die Geographie befindet sich hier in einer ähnlichen Stellung wie die P h i l o s o p h i e . Auch diese teilt ja mit vielen änderen Wissenschaften den ") B r a u n , Mitteleuropa und seine Grenzmarken, S. 41; Fr. H a h n , Methodische Untersuchungen über die Grenzen der Geographie (Erdbeschreibung) gegen die Nachbarwissenschaften (Pet. Mitt. 1914, S. 1 ff.); H e 11 n e r, Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 3 IT.; L e u t e n e g g e r, Begriff, Stellung und Einteilung der Geographie, S. 79 ff. ") H a h n , a. a. 0. (Pet. Mitt. 1914, S. 1).
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Vierter Teil.
Gegenstand, oder besser das Objekt der Betrachtung. So handeln Naturphilosophie und Naturwissenschaft von der Natur, Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft von der Geschichte, Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft vom Recht und endlich Religionsphilosophie und Theologie von der Religion"). Während aber die Philosophie gegenüber der Geographie in der glücklichen Lage ist, auf eine lange Entwicklung zurückzublicken, ist die letztere als Wissenschaft noch jung; während erstere ihr festumrissenes Arbeitsgebiet in der Untersuchung der Voraussetzungen und Methoden jener Einzelwissenschaften hat, besteht das Wesen der Geographie gerade in einer V e r b i n d u n g der Forschungsergebnisse ihrer Hilfswissenschaften; ihre Arbeit wird durch die in jenen gewonnenen Einzelergebnisse in starkem Maße beeinflußt. Darum fällt es der Geographie auch weit schwerer als der Philosophie, sich des Vorwurfs der Kompilation zu erwehren. Dem Vorwurf der Kompilation verfällt allerdings nicht nur die Geographie als Länderkunde, vielmehr haben auch die in den vorangehenden Abschnitten behandelten Aufgaben'der Geographie mit ihm zu tun. Wir müssen daher, um das Problem klar zu erfassen, noch einmal zu jenen Auffassungen zurückblicken. Sowohl die ihrer Methode nach als historisch wie die als naturwissenschaftlich bestimmte Auffassung der Geographie hat es mit der Mannigfaltigkeit und Fülle von Erscheinungen zu tun, die in dem zitierten Worte M a r t h e s aufgezählt wird"). Welches ist nun die m e t h o d i s c h e Verbindung der verschiedenartigen Objekte? Innerhalb der h i s t o r i s c h bestimmten Geographie ist die Antwort darauf sehr leicht zu finden: die Objekte, die bei der Beschreibung erwähnt werden, stehen in Zusammenhang mi^ historischen Ereignissen und kulturellen Erscheinungen. Der methodische Zusammenhang ist in diesem Falle also der geschichtliche. Wenn die Frage „Kompilation oder wissenschaftliche Methode?" für diesen Zweig der Geographie beantwortet werden soll, so fällt die Entscheidung zugunsten der letzteren. Die verwendete wissenschaftliche Methode ist jedoch nicht geographisch, sondern historisch. Auch für die a l l g e m e i n e Geographie können wir die Frage beantworten, nachdem wir im vorangehenden Abschnitt einen Ein") Vgl. W i n d e l b a n d , Einleitung in die Philosophie, S. 321. ") Vgl. S. 77!
Allgemeine und spezielle Geographie.
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blick in die Besonderheit ihrer Begriffsbildung getan haben: der Zusammenhang, in den die einzelnen Erscheinungen bei der allgemeinen Geographie eingeordnet werden, ist die gesamte Erdoberfläche. Das Ziel der allgemeinen Geographie ist die K l a s s i f i z i e r u n g der Erscheinungen. Mit der Klassifizierung ist eine A b s t r a k t i o n verbunden, und diese Abstraktion bedeutet zugleich eine I s o l i e r u n g . Wie wir gesehen haben, wird jedes einzelne Objekt analysiert im Hinblick auf seine naturhaften Bedingungen. Daher kommt es, daß ein- und dieselbe Erscheinung in völlig v e r s c h i e d e n e n Z u s a m m e n h ä n g e n erwähnt wird. Vergleichen wir daraufhin lediglich die Sachregister geographischer Lehrbücher: das Objekt H i m a l a j a , das an sich eine Individualität darstellt und demzufolge in einer l ä n d e r k u n d l i c h e n Beschreibung mit a l l seinen besonderen Erscheinungen an e i n e r bestimmten und beschränkten Stelle Erwähnung findet (zum Beispiel in H e t t n e r , „Grundzüge der Länderkunde", Bd. II, Seite 125 und Seite 134 f.), erscheint in einem Lehrbuch der a l l g e m e i n e n Geographie an den v e r s c h i e d e n s t e n Stellen und in den verschiedensten Zusammenhängen {in S u p a n, „Grundzüge der physischen Erdkunde", findet sich das Objekt H i m a l a j a an 28 verschiedenen Stellen des Buches behandelt, und zwar im Zusammenhang mit der Schneegrenze, dem geologischen Bau, den Beziehungen zum Vorland, den Seen, den Pflanzenregionen, der Waldgrenze, Flora und Fauna — um nur einiges herauszugreifen). Wir ersehen daraus, daß die I n d i v i d u a l i t ä t des Himalaja innerhalb der allgemeinen Geographie wohl Objekt des Studiums ist, daß Sie aber in die Begriffsbildungen n i c h t mit der g e s a m t e n Mannigfaltigkeit ihrer Merkmale eingeht. Bei den einzelnen Klassifizierungen erscheint der Himalaja an gänzlich verschiedenen Stellen; jeweils e i n e besondere Eigenschaft oder eine besondere S u m m e von Eigenschaften ergibt seine Einordnung in einen begrifflichen Zusammenhang. Damit ist ¿gesagt, daß bei den Begriffsbildungen der allgemeinen Geographie nicht das gesamte und mannigfaltig erfüllte Oberflächengebiet, das der Name Himalaja bezeichnet, erfaßt wird, daß vielmehr die einzelnen, in diesem Erdoberflächengebiet vorhandenen Erscheinungen — seien sie nun besondere Dinge oder Eigenschaften, die ihm anhaften — aus ihren Zusammenhängen herausgelöst, „isoliert" ^werden, um i n d i e s e r I s o l i e r t h e i t d e r K l a s s i f i z i e -
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Vierter Teil.
r u n g z u u n t e r l i e g e n . Der Zusammenhang, in dem die einzelnen isolierten Dinge oder Eigenschaften erscheinen, ist, wie wir bei der Betrachtung der allgemeinen Geographie gesehen haben, das Erdganze; alle Einzelobjekte: Flüsse, Berge, Pflanzengemeinschaften, Städte usw. werden im Zusammenhang mit dem Erdganzen betrachtet, sie sind aber aus dem Zusammenhang der sie umgebenden Objekte herausgelöst. Wenn sie klassifiziert werden, unterliegen also nicht einzelne Teile der Erdoberfläche mit ihrer gesamten mannigfaltigen Erfülltheit von Dingen der Klassifizierung, vielmehr handelt es sich bei dieser nur um isolierte Einzelerscheinungen [1] oder um isolierte Eigenschaften von Teilen der Erdoberfläche, also um g e o g r a p h i s c h e Begriffselemente. Wir können sagen: die allgemeine Geographie erfaßt nicht das W e s e n der individuellen Erdeinheiten, sie entkleidet diese ihrer bunten Farben- und Lebensfülle, ihre Begriffe sind nur blasse A bs t r a k t i o n e n oder Projektionen der wirklichen Erscheinungen. Für sie trifft zu, was für die g e s a m t e Naturwissens c h a f t gilt, die der Wirklichkeit mit ihrem starren begrifflichen Schema gegenübertritt: Sie „entgöttert" die Natur. „Ach, von ihrem lebenwarmen Bilde Blieb der Schatten nur zurück." Wennschon die allgemeine Geographie somit die einzelnen Erscheinungen im Hinblick auf den geographischen Zusammenhang betrachtet, wennschon sie begriffliche Vereinheitlichungen verschiedener Objekte vornimmt, wennschon auch bei ihr n i c h t von einer Kompilation gesprochen werden kann, so ist doch die wissenschaftliche Methode, deren sie sich bedient, nichts anderes als n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h . Es erhebt sich nun die Frage nach der besonderen Methode, die die Arbeit der s p e z i e l l e n Geographie über die bloße Kompilation zum Range einer Wissenschaft erhebt Diese Frage muß, wie wir ohne weiteres erkennen, zugleich die Frage nach dem e i g e n t l i c h e n W e s e n d e r G e o g r a p h i e sein. Mit ihrer Aufdeckung müßten wir die Besonderheit unserer Wissenschaft am sichersten charakterisieren und am deutlichsten von anderen Disziplinen abgrenzen. Ja, eine solche Charakterisierung und Abgrenzung ist n u r a u f diesem Wege möglich. Um diese Ansicht zu erhärten, fragen wir zunächst, in welchen Eigenschaften der Geographie man auffallende Merkmale
Unbestimmtheit des Objekts.
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gesehen hat. Wir werden dann untersuchen, ob diese Merkmale eine Abgrenzung oder Unterscheidung der Geographie von anderen Wissenschaften ergeben. Die Eigenart der Geographie ist im wesentlichen in zweierlei Richtung bestimmt worden, man knüpft entweder an die Eigentümlichkeit der geographischen O b j e k t e an, oder man beschreibt die M e t h o d e der Geographie im Hinblick auf das Merkmal, das sie besonders bezeichnet. Bezüglich der Eigenart der geographischen O b j e k t e hat man hervorgehoben, daß sie nicht „voneinander abzugrenzen" sind, „wie dies bei den anderen Naturkörpern (Mineralien, Pflanzen, Tiere) der Fall ist. Der Abhang eines Berges ist zugleich Flanke des benachbarten Tales, es gibt keine Grenze zwischen Berg und Tal; das Gebirge dacht sich in der Regel in Vorbergen, Hügeln, Schuttkegeln zur Ebene ab, niemand kann sagen: hier hört das Gebirge auf, fängt die Ebene an, usf. Wir haben es nicht mit abgegrenzten Körpern zu tun, sondern mit ineinander übergehenden Teilen einer einzigen großen unebenen Fläche, der Erdoberfläche"17). Ob die angeführte Eigenschaft in der Tat als eine Besonderheit geographischer Objekte bezeichnet werden kann, hängt davon ab, ob man bei der S i n n f ä l l i g k e i t der Erscheinungen stehen bleiben will (bzw. kann) oder nicht. Aus den Betrachtungen unseres ersten Abschnittes ist bereits hervorgegangen, daß sich die ganze Wirklichkeit in ihrem Wesen durch das allmähliche Ineinanderfließen der Dinge, durch einen allmählichen Uebergang der Eigenschaften auszeichnet, dem gegenüber die Wissenschaft mit ihrem mehr oder weniger starren Begriffssystem nicht genügend Erfassungsmöglichkeiten besitzt"). In der Tat zeigt sich diese Eigentümlichkeit auch in anderen Wissenschaften. Wennschon die einzelnen Exemplare der Gattungen innerhalb der M i n e r a l o g i e , B o t a n i k , Z o o l o g i e usw. als ,.Körper" vor ") P h i 1 i p p s o n, Die Lehre vom Formenschatz der Erdoberfläche als Grundlage für die geographische Wissenschaft, S. 12 f.; d e r s., Grundzüge der allgemeinen Geographie, Bd. II, 1. Hälfte, S. 7 f. — Vgl. H e t t n e r , Die geographische Einteilung der Erdoberfläche (G. Z. 1908, S. 107), undH. W a g n e r , Lehrbuch der Geographie, Bd. I, S. 333, 337, 400, 414, 439, 623, a. a. O. — Ueber weitere Literatur s. S o l c h , Die Auffassung der „natürlichen Grenzen" in der wissenschaftlichen Geographie, S. 54, Anm. 25. ") Vgl. S. 19 ff.!
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Vierter Teil.
unsere Sinne treten, so sind sie dennoch durch mannigfache U n t e r s c h i e d e gekennzeichnet, in denen sie nach dieser oder jener Richtung unendlich feine U e b e r g ä n g e von einer zur anderen. Gattung darstellen. Betrachten wir ferner die G e s c h i c h t e ! Auch sie ist in dieser Hinsicht nicht in glücklicherer Lage als die Geographie. Die Abgrenzung der h i s t o r i s c h e n E p o c h e n [2] voneinander ist d u r c h a u s f l i e ß e n d . Wo.befindet sich ein deutlicher Einschnitt zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit? Wir wissen, daß man die letztere in verschiedenster 'Weise mit der Zerstörung des oströmischen Reiches (dem Falle Konstantinopels, 1453), mit der Entdeckung Amerikas durch C h r i s t o p h C o l u m b u s (1492), mit der Reformationstat M a r t i n L u t h e r s (1517)") oder mit der französischen Revolution im Jahre 1789 beginnen läßt. Schließlich kann man mit solcher Fragestellung noch weiter vordringen und kann die Grenze zwischen beiden Abschnitten auf das Genaueste festzulegen suchen. Wir würden aber bei solchem Unterfangen nur von neuem erkennen, daß wir wieder und wieder vor Entscheidungen gestellt sind, die unter verschiedenen Blickpunkten so oder so zu treffen sind. Aus allem Angeführten mag hervorgehen, daß die bezeichnete Eigenschaft des geographischen Objektes als Charakteristikum unserer Wissenschaft n i c h t gelten kann. Ein solcher Unterschied besteht jedenfalls nicht der Art, sondern höchstens dem Grade nach. Wenn nämlich P h j l i p p s o n die dargestellte Schwierigkeit, den „Mangel scharfer Grenzen . . . in gesteigertem Maße bei den aus zahlreichen Einzelfornjen — Bergen, Tälern, Ebenen usw. — zusammengesetzten Landschaften" findet90), so ist damit gesagt, daß die Abgrenzung der geographischen Objekte infolge der „unendlichen Mannigfaltigkeit der Eigenschaften", die samt und sonders berücksichtigt sein müssen, in höchstem Grade schwierig ist Häufiger als die Eigentümlichkeit des geographischen Objekts findet sich innerhalb der Literatur die Sonderart der geographischen M e t h o d e beschrieben, unter der man aber nicht, wie wir es tun, die Auswahl des Wesentlichen aus der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen versteht. So hat H e r m a n n W a g n e r die Methode der Geographie als „dualistisch" bezeichnet [3]. Diese Cha*•) Vgl. B e r n h e i m , Lehrbuch der historischen Methode, S. 78! *•) P h i l i p p s o n , Die Lehre vom Formenschatz der Erdoberfläche als Grundlage für die geographische Wissenschaft, S. 13.
Makroskopische Methode.
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rakterisierung hat ihr gutes Recht, wenn man unter Methode n i c h t die Methode der D a r s t e l l u n g , sondern die der gesamten wissenschaftlichen F o r s c h e r a r b e i t bezeichnet. Wir haben schon gesehen, daß der Geograph sowohl in naturwissenschaftlicher wie in historischer Arbeit „geschult" sein muß. Wenn wir aber unseren Gesichtspunkt beibehalten wollen (die Methode der Darstellung als unterscheidendes Merkmal heranzuziehen), so verliert diese Eigenschaft des Dualismus für uns ihre Bedeutung. A l b r e c h t P e n c k hat unter anderem Blickpunkt die Methode der Geographie als „makroskopisch" bezeichnet"), worunter er die Eigentümlichkeit versteht, daß die geographischen Objekte eine g r o ß e r ä u m l i c h e A u s d e h n u n g besitzen. Man könnte deren Eigentümlichkeit infolgedessen darin erblicken, daß sie nur vermittels k a r t o g r a p h i s c h e r Darstellung übersehen werden können. Für unseren Zusammenhang kann auch diese Eigenschaft als Charakteristikum n i c h t gelten; denn andere Wissenschaften, wie die A s t r o n o m i e , die G e o l o g i e , die M e t e o r o l o g i e und endlich auch die G e s c h i c h t e , sind in diesem Sinne ebenfalls makroskopisch, bedürfen also in gleicher Weise der kartographischen Darstellung. So eng übrigens die Kartographie mit der Geographie zusammenhängt, so wenig kann man doch sagen, daß die Begriffe der s p e z i e l l e n Geographie durch sie eine Darstellung finden könnten. Die topographischen Karten geben ein mathematisch mehr oder weniger getreues Bild der Erdoberfläche und ihrer Gestaltung in horizontaler und vertikaler Richtung. Die dingliche Erfülltheit kann auf diesen Karten nur vermittels Signaturen zur Darstellung gebracht werden, und auch hier können nur die t a t s ä c h l i c h e n Verhältnisse, n i c h t a b « r d e r Z u s a m m e n h a n g zwischen den einzelnen E r scheinungen veranschaulicht werden. Die angewandten Karten endlich sind Darstellungen geographischer G r u p p e n begriffe"); sie dienen also unmittelbar nur der a l l g e m e i n e n Geographie. Der s p e z i e l l e n Geographie dienen sie als Unterlage nur, soweit diese auch der allgemeinen Geographie als solcher bedarf. Von einer kartographischen Darstellung der Begriffe der speziellen Geo" ) P e n c k , Ziele des geographischen Unterrichts (Mitteilungen der Preußischen Hauptstelle für den naturwissenschaftlichen Unterricht, Heft 2, S. 10). " ) Vgl. S. 55 ff.!
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Vierter Teil.
graphie könnte man erst sprechen, wenn es gelänge, die G e s a m th e i t der geographisch wirksamen Faktoren in ihrer kausalen Abhängigkeit voneinander auf e i n e m Kartenblatt zu veranschaulichen. Vielleicht ist das wenigstens in bezug auf alle solche Faktoren möglich, die zu der vertikalen Erhebung der betreffenden Erdstelle in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden können, wenn man die zur Darstellung kommende Erscheinung, zum Beispiel die Dichtigkeit der Bevölkerung, die Regenhöhe, die geologische Formation u. dgl. in einer Farbenskala bezeichnet, die zugleich vermöge der dem Nebeneinander verschiedener Farben anhaftenden Raumwirkung die Höhenverhältnisse des betreffenden Erdoberflächenteils veranschaulicht. Die M ö g l i c h k e i t solcher kartographischen Darstellung [4] interessiert uns hier nur insofern, als sie in Beziehung steht zu der Frage: wie vereinheitlicht die Geographie die Mannigfaltigkeit verschiedenartiger Erscheinungen? Das Verhältnis der Geographie zur Kartographie kann darauf k e i n e Antwort geben. Wir kommen zu einer weiteren Form der Charakterisierung unserer Wissenschaft. Die Methode der Geographie ist — allerdings vornehmlich im Hinblick auf die allgemeine Morphologie — von dem amerikanischen Geographen W i l l i a m M o r r i s D a v i s ")» der durch seine im Wintersemester 1908/09 in Berlin gehaltenen Vorlesungen über die erklärende Beschreibung der Landformen zu jener Zeit in Deutschland viele Anhänger gefunden hat, als „deduktiv" angesprochen worden. Demzufolge ist eine Zeitlang, da die Geographie als eine auf der Beobachtung beruhende Erfahrungswissenschaft folgerichtig nur i n d u k t i v verfahren kann, der Streit um D e d u k t i o n o d e r I n d u k t i o n hin- und hergetragen worden"); mit besonderem Nachdruck ist P a s s a r g e gegen D a v i s ' Anspruch hervorgetreten. Wenn wir aber D a v i s ' Methode auf ihre Eigenart hin ansehen, so erkennen wir in ihr höchstens eine neuartige Bezeichnung, keineswegs aber eine völlig neuartige Forschungsweise; denn wenn wir sie als d e d u k t i v bezeichnen, können wir auch gegenüber J. G. K o h 1 (Der Verkehr lud die Ansiedlungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der " ) D a v i s - B r a u n , Grundzüge der Physiogeographie; D a v i s B Q h 1, Die erklärende Beschreibung der Landformen. " ) P a s s a r g e , Physiologische Morphologie (Mitt. d. Geogr. Ges. Hamburg, Bd. XXVI, 1912, S. 133 ff.).
Deduktive Methode.
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^Gestaltung der Erdoberfläche. Dresden und Leipzig 1841) eine a n dere Bezeichnung nicht anwenden. K o h l s Betrachtungsweise ist genau mit dem gleichen Rechte als deduktiv zu bezeichnen"). Damit wollen wir aber nicht sagen, daß eine Berechtigung zu dieser Bezeichnung überhaupt vorläge. Es kann gar keine Rede davon sein, daß D a v i s ' Methode wirklich deduktiv sei. Er hat sie nur unrichtiger Weise als „deduktiv" bezeichnet. Viel glücklicher würde für sie der Ausdruck „geographische Denkübung" sein") (H e 11 n e r führt diesen ein, als er dieselbe tektonische Erscheinung dem Wirken verschiedener Klimate ausgesetzt denkt u n d die Umformung und Erfüllung dieser geographischen Erscheinung mit Pflanzen, Tieren, Menschen usw. in Gedanken ableitet). D a v i s ' Methode ist also nichts anderes als eine solche Denkübung. Er legt sich in seiner Arbeit die Frage vor, wie sich eine von ihm willkürlich angenommene Landschaft entwickeln muß, wenn sie der zerstörenden oder umgestaltenden Wirkung des fließenden Wassers, des Windes, des Eises oder des Meeres ausgesetzt wird. Je nach der Beschaffenheit, nach dem geologischen Bau (Struktur), je nach der Zusammensetzung des Untergrundes a u s mehr oder weniger widerstandsfähigem Gestein, wird solche Landschaft in bestimmter Weise umgestaltet. Die Veränderungen sind verschieden je nach der Länge der Zeit, in der solche Kräfte wirksam gewesen sind. Auf diese Weise kommt Davis zu Landschaftstypen, die durch Schlußfolgerung abgeleitet sind. Die erdachten Formen stellt D a v i s den in der Natur beobachteten gegenüber und sucht dadurch eine e i n f a c h e B e z e i c h n u n g f ü r die Erscheinungen der festen Landoberfläche zu gewinnen; er ordnet deren Formen nach Struktur, Vorgang und Stadium. Wenn wir dieser Methode die Bezeichnung „Deduktion" nicht zuerkennen, so glauben wir damit nicht in Gegensatz zu D a v i s zu stehen. Seine eigenen Worte leiten uns auf den Weg: „Ein bekannter Grundsatz der Logik sagt aus, daß Verallgemeinerungen, die auf Beobachtung und Induktion allein beruhen, wie alle empirischen Schlüsse, nur soweit zuverlässig sind, als es die Grundlage ist. Um sie über ein größeres Gebiet ausdehnen zu ») S c h l ü t e r , Die Stellung der Geographie des Menschen in der. •erdkundlichen Wissenschaft, S. 25. M ) H e t t n e r , Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht, S. 18. G r a f , Geographie.
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Vierter Teil.
können, muß das allgemeine Prinzip, das der Induktion zugrunde liegt, bestimmt, und neue Fälle müssen aus diesem durch zutreffende Deduktion entwickelt werden. Auf dieser Regel der Logik ruht die erklärende Methode, weil die bei ihr verwendeten Erklärungen über den kleinen Bereich der Induktion durch die richtige Anwendung eines anderen und gänzlich verschiedenen geistigen Prozesses hinaus ausgedehnt werden. Beobachtung und Induktion behalten ihre Bedeutung nach wie vor bei, sie erfahren nur durch die Deduktion eine Ergänzung""). In diesen Worten tritt uns nichts anderes entgegen als die Meinung, daß die I n d u k t i o n allein, sofern sie nichts anderes als. Induktion ist, zur Erklärung der Natur n i c h t a u s r e i c h t . Die Induktion, wie sie nicht nur in der Geographie, sondern in der Erfahrungswissenschaft ganz allgemein zur Anwendung kommt* beruht auf der V o r a u s s e t z u n g d e r G e s e t z m ä ß i g k e i t d e r N a t u r , sie besitzt ein „deduktives Moment"'9). Einzig und allein auf induktivem Wege kann k e i n e Wahrheit erschlossen werden, durch bloße Beobachtung allein kann auch in der Geographie nichts gewonnen werden. Denken wir in diesem Zusammenhang noch einmal an G a l i l e i s Fallgesetze! Beruht seine Beweisführung auf der Anwendung bloßer Induktion, hat er seine Gesetze über freifallende Körper in der Natur beobachtet, und hat er dann von besonderen beobachteten Vorgängen auf das allgemeine Gesetz geschlossen? Jedes Experiment der Naturwissenschaft ist n i c h t n u r I n d u k t i o n , jedem einzelnen muß eine Gedankenarbeit vorausgehen, die den P l a n für das Experiment festlegt, und solcher Gedankenarbeit liegt als V o r a u s s e t z u n g die Ueberzeugung zugrunde, daß die Kräfte der Natur stets in gleicher Weise, eben in g e s e t z m ä ß i g e r Weise wirksam sind"). D a v i s ' sogenannte „deduktive" Methode beruht nun auf nichts anderem als darauf, daß er seine erdachten Landschaften dem gesetzmäßigen Wirken der Naturkräfte ausgesetzt denkt. Seine Methode ist also n i c h t d e d u k t i v . D a v i s selbst kennzeichnet ") D a v i s - R ü h l , Die erklärende Beschreibung der Landformen,. S. IX. ") B a u c h , Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften, S. 18ff. ") Vgl. B a u c h , a. a. O., S. 17 f.; R i e h l , Logik und Erkenntnistheorie (Systematische Philosophie, S. 80 f., „Galilei über den rein induktiven Schluß").
Deduktive Methode.
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diese Tatsache. Er sagt: „Daher ist es auch nicht richtig, wenn man diese Methode als «deduktive» bezeichnet, weil ja die Deduktion nur einen Teil von ihr ausmacht und nicht wesentlicher ist als die Induktion"30). D a v i s ' Methode kann einzig und allein mit dem Namen einer D e n k ü b u n g innerhalb der i n d u k t i v e n Wissenschaft bezeichnet werden. Damit haben wir jedoch über den Wert der D a v i s sehen Methode innerhalb der Geographie ein Urteil keineswegs abgegeben. Dieses Urteil steht einzig und allein der Geographie selbst zu31); für uns kommt es nur darauf an, die Methode als solche in ihrer Eigenart zu charakterisieren. Somit kennzeichnet sich die Methode der Geographie auch in dieser Hinsicht nicht als besondere Gestaltung, sie ist weder deduktiv noch zeichnet sie sich vor anderen dadurch aus, daß innerhalb ihrer Arbeit Deduktion und Induktion sich wechselseitig fördern, sie ist schlechthin e i n e u n t e r v i e l e n Erfahrungswissenschaften. Es ist heute ein allgemein anerkannter Grundsatz, daß die Geographie auf Beobachtung beruhe33). Allerdings ist das nicht zu allen Zeiten so gewesen; in der rationalistischen Epoche des 18. Jahrhunderts findet sich eine Reihe von „aprioristischen Träumern", zu denen auch K a n t gehört, sofern er Geograph ist, „die ohne genügende Erfahrungsgrundlage oft auf ein Minimum eigener Anschauung gestützt, ihr geogonisches System, wie die Spinne ihr Netz, aus sich heraus spannen""). Heute aber ist es selbstverständlich, daß die Geographie den induktiven Wissenschaften zuzurechnen ist Sie gehört also der großen Gruppe der Erfahrungswissenschaften zu. Alle die im voranstehenden aufgeführten Eigenschaften der Geographie, die unsere Wissenschaft nach dieser oder jener Richtung beschreiben, haben im allgemeinen nur indirekt eine Beziehung zu der von uns aufgeworfenen Frage nach der Verbindung der verschiedenartigen Objekte im geographischen Begriff. Das ist erklärlich, denn wir haben jene Worte aus andersartigen ZusammenD a v i s - R ü h l , Die erklärende Beschreibung der Landformen, S. X.
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) Vgl. S. 86, Anm. 24! ") P e n c k, Beobachtung als Grundlage der Geographie. **) A d i c k e s , Kants Ansichten über Geschichte und Bau der Erde» S. 190. T
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Vierter TeiL
hängen herausgelöst, die gar nicht eine vollständige Beschreibung unserer Wissenschaft liefern wollen. Wir haben sie angeführt, um zu zeigen, daß die Geographie in ihrer Eigenart von all diesen Gesichtspunkten aus nicht charakterisiert werden kann. Wir wenden uns nun einer Kennzeichnung der geographischen Methode zu, die deren Merkmal gerade im Hinblick auf unseren Zusammenhang erfaßt, also im Hinblick auf die e i n h e i t l i c h e V e r b i n d u n g der m a n n i g f a l t i g e n g e o g r a p h i s c h e n Objekte"). B a n s e , den wir gelegentlich der geographischen Beschreibung bereits erwähnt haben, erblickt das M i t t e l jener Vereinheitlichung in der K u n s t Sie allein ist nach seiner Meinung imstande, die wissenschaftliche Geographie „aus einer toten Ablagerungsstätte in einen lebendigen, blühenden Garten zu verwandeln"®), sie allein ist imstande, die Kompilation zu überwinden. Dem gegenüber ist nicht viel zu sagen: wer die Geographie als eine Kirnst ansehen will, mag sie mit den Mitteln der Kunst betreiben; es kann aber nicht übersehen werden, daß eine große Zahl, wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit der Geographen, die sich des Wesens ihrer Arbeit wohl bewußt sind, diese nicht als künstlerische, sondern als w i s s e n s c h a f t l i c h e Leistung bewertet wissen wollen"). Das ist auch leicht begreiflich; denn ein Fach, das seine Erkenntnisse auf wissenschaftlichen Prinzipien aufbaut, kann selbst nichts anderes als eine Wissenschaft sein. Damit wollen wir den Wert künstlerischer Gestaltung innerhalb der Geographie keineswegs unterschätzen. Vielleicht ist es unmöglich, daß ein Geograph eine gute Länderkunde schreibt, ohne künstlerische Qualitäten zu besitzen. „Gute Länderkunden sind", so sagt H a s s i n g e r , „Werke der Darstellungskunst mit starker persönlicher Note"*7). Die Länderkunden B a n s e s charakterisieren sich darum auch nicht insofern, als sie schlechthin K u n s t zu nennen wären, sondern insofern, als sie G e o g r a p h i e sind im Gewände der Kunst Dieses Merkmal charakterisiert nun, wie aus H a s s i n g e r s Worten hervorgeht, j e d e gute Länderkunde. ") Vgl. S. 82! *) B a n s e , Die Seele der Geographie, S. 9. M ) F r i e d e r i c h s e n , Die geographische Landschaft (Geogr. Anz. 1921, S. 237). ,7 ) H a s s i n g e r , Ueber einige Aufgaben geographischer Forschung und Lehre (Kartographische und schulgeographische Zeitschrift 1919, S. 75); vgl. F r i e d e r i c h s e n , a. a. 0. (Geogr. Anz. 1921, S. 235).
Kunst und Methode.
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Die Wissenschaft liefert das b e g r i f f l i c h e G e r ü s t , durch das die einzelnen Tatsachen mit einander verbunden sind, die Kunst ist nicht das Mittel, das die Verbindung herstellt, sie füllt nur dieses nackte Gerüst und umzaubert das blasse Schema begrifflicher Relationen mit dem Hauche warmen und blühenden Lebens. Wir dürfen an dieser Stelle, wennschon es unseren Zusammenhang stört, nicht verschweigen, daß B a n s e sich neuerdings gegen die Meinung, wie wir sie im voranstehenden behandelt haben, als gegen eine „Unterstellung" verwahrt Er sagt: „Ganz grobes Mißverstehen war die Unterstellung, ich wollte die wissenschaftliche, also analytische Vorarbeit der Geographie abschaffen und nur die Synthese, die Kunst noch gelten lassen"*8). Doch wir wollen diesen Gegensatz auch gar nicht konstruieren, was schon daraus hervorgehen mag, daß wir von B a n s e selbst nicht im zweiten Abschnitt unserer Betrachtung, also im Verein mit den N u r - K ü n s t l e r n gesprochen haben, sondern erst jetzt, da wir von der mit eigener Methode arbeitenden G e o g r a p h i e handeln. Unsere Frage lautet also: Ist die Methode der Geographie (d. h. die synthetische Zusammenfassung der gleichartigen und verschiedenartigen Objekte) K u n s t o d e r W i s s e n s c h a f t ? Wir werden uns für das Letztere entscheiden, wie im folgenden noch eingehend begründet werden soll. Die Unterscheidimg Analyse und Synthese, auf die B a n s e abzielt, ist für unseren Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung; denn, so sehr z. B. die allgemeine Geographie die Erscheinungen nach verschiedenen Richtungen hin analysiert, so sehr nimmt sie z u g l e i c h auch eine S y n t h e s e vor. Ja, man kann sagen, daß sie n u r zum Zweck der synthetischen Vereinigung in eine zergliedernde Betrachtung eintritt. Das Ziel dieser Synthesis sind nur nicht konkrete Erscheinungen, wie sie uns leibhaftig vor Augen stehen, sondern begriffliche Relationen, die den Zusammenhang der Einzelerscheinungen mit dem Erdganzen in b e s t i m m t e r Richtung angeben. Da wir das Wesen der Wissenschaft, wie bereits aus dem ersten Abschnitt unserer Untersuchung hervorgeht, als „selektive Synthesis" erfassen"), scheint uns an der Geographie einzig wesentlich die Besonderheit des wissenschaftlichen B e g r i f f e s , nicht aber die Kunst, w
) B a n s e , Die Seele der Geographie, S. 54. ») Vgl. S. 21!
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Vierter Teil.
die stets persönlich ist und niemals allgemein lehrbar, die dieser oder jener wissenschaftlichen Einzelleistung anhaften oder fehlen mag, die ihr im Hinblick auf die pädagogische Eignung einen besonderen Wert verleihen oder vorenthalten mag, die aber bezüglich der wissenschaftlichen Erkenntnis, der rein objektiven Leistung gänzlich ohne Belang ist. Darum kann man B a n s e s sachliche Leistung in weitgehendem Maße anerkennen, ohne ihm doch in der Ansicht zuzustimmen, daß die Kunst das methodische Mittel der speziellen Geographie sei. B a n s e selbst dürfte die Beantwortung der Frage schwer fallen, ob er seine Arbeiten hätte schreiben können, ohne durch die Schule F e r d i n a n d v. R i c h t h o f e n s , K i r c h h o f f s und U 1 e s gegangen zu sein"). Ja, es ist fraglich, ob er die Dinge, die er jetzt im Zusammenhang d a r s t e l l t , überhaupt im Zusammenhang hätte s e h e n können. Halten wir uns an seine eigenen Worte: „. . . ich sah (d. h. vor Jaffa), bisher nur an die weißen Flachdächer tripolitanischer und ägyptischer Städtebilder gewöhnt, zum erstenmal schräge rote Ziegeldächer im Orient. Dadurch wurde mir ohne weiteres klar, daß einem nördlichen Orient mit stärkeren Regenfällen, farbigen Schrägdächern und frischerem Laubgrün ein südlicher mit Regenarmut, Flachdächern, vorherrschendem Immergrün und Palmen gegenüberstand"*1). Ist wohl anzunehmen, daß einem Menschen beim Anblick eines Hausdaches ohne weiteres der Gedanke an einen k l i m a t i s c h e n Zusammenhang kommt, wenn er nicht eine geographische S c h u l u n g durchgemacht hat, wenn sein Blick nicht, wie wir schon im zweiten Abschnitt unserer Betrachtung ausführten, durch begriffliche Verbindungen in eine bestimmte R i c h t u n g gelenkt worden ist")? Einer großen Anzahl von Menschen würde die besondere Form des Daches gar nicht zum Bewußtsein kommen,anderen wieder würde sie vielleicht nur in ihrer ästhetischen Wirkung vor Augen treten. So kalt und blaß und blutleer also immerhin auch die wissenschaftlichen Relationen sein mögen, so sind sie eben doch Relationen und schaffen einen festen Zusammenhang. Ohne diesen festen Zusammenhang würde eine in künstlerischer Hinsicht noch so hochstehende Geographie eben dessen entbehren, was sie als • ) B a n s e , a. a. O., S. 19. ") B a n s e, a. a. O., S. 22 f. Vgl. S. 38 f.!
Kunst und Methode.
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g e o g r a p h i s c h kennzeichnet. Künstlerische Landschaftsschilderung, deren Betrachtung wir-uns bereits zugewendet haben**), entbehrt vielfach dieses Zusammenhanges. Im Gegensatz zu ihnen spricht man B a n s e s Arbeiten als Geographie an41), weil sie, wennschon in der äußeren Form nicht sichtbar, jene begrifflichen Zusammenhänge als Voraussetzung und Grundlage in sich bergen45). Wenn man die Methode der Geographie als „Kunst" bestimmen wollte, so läge übrigens kein Grund vor, anderen beschreibenden Wissenschaften diese Bezeichnung vorzuenthalten. Wer wollte einem Werke wie B r e h m s Tierleben den künstlerischen Wert absprechen, wer wollte vor allem h i s t o r i s c h e n Werken gegenüber behaupten, daß in ihnen die künstlerische Gestaltung nicht eine hervorragende Rolle spielte? Die Wirksamkeit künstlerischer Befähigung, die innerhalb der geographischen Darstellung unentbehrlich ist, dürfte also kaum ein Grund dafür sein, die Geographie als „Kunst" zu bezeichnen und demgegenüber die Bedeutung des wissenschaftlichen Begriffes auch nur zu vernachlässigen oder ihn als Beiwerk und bloßes Tatsachenmaterial anzusehen [5]. Wir kommen somit zu der oben aufgeworfenen Frage zurück, wie die Geographie, die von H e t t n e r als „die chorologische Wissenschaft von der Erdoberfläche", als die „Wissenschaft von den Erdräumen und Erdstellen nach ihrer Verschiedenheit und nach ihren räumlichen Beziehungen"**) bezeichnet wird, die Mannigfaltigkeit der Objekte im Begriff zur Einheit verbindet. Wir haben die Definition H e t t n e r s angeführt, weil in ihr bereits ein Hinweis auf die Eigentümlichkeit der Geographie gegeben ist. Die verschiedenen geographischen Objekte werden im Hinblick auf ihre r ä u m l i c h e V e r e i n i g u n g und im Hinblick auf ihre g e g e n s e i t i g e W e c h s e l w i r k u n g innerhalb die*») Vgl. S. 40 ff.! **) Vgl. A. G e i s t b e c k , Grundlagen der geographischen Kritik, S.. 32 f.; H a s s i n g e r , a. a. O. (Kartogr. u. schulgeogr. Zeitschr. 1919, S. 75); V o l z , Das Wesen der Geographie in Forschung und Darstellung (Schlesische Jahrbücher für Geistes- und Naturwissenschaften, S. 270 ff.). **) G r a d m a n n , Das harmonische Landschaftsbild (Zschr. Ges. f. Erdk. 1924, S. 142). *•) H e t t n e r , Das Wesen und die Methoden der Geographie (G. Z. 1905, S. 553).
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Vierter TeiL
ser räumlichen Einheit zusammengeschlossen. Es ist mit diesem Hinweis dasselbe gesagt, was S c h l ü t e r ausspricht, wenn er den G e s i c h t s w i n k e l d e r L a n d s c h a f t als das Eigentümliche des länderkundlichen Begriffes bezeichnet*7). Der Untersuchung dieses Begriffes wenden wir uns im folgenden zu. Da erhebt sich jedoch gleich zu Anfang die Frage, was denn unter einer L a n d s c h a f t zu verstehen sei"). Gar mannigfach sind die Bedeutungen, die dieses Wort innerhalb des alltäglichen Lebens und auch innerhalb der geographischen Wissenschaft besitzt So spricht man von einer schönen und häßlichen, von einer fruchtbaren Und unfruchtbaren, von einer Natur- Und Kulturlandschaft; das Wort „Urlandschaft" wird im doppelten Sinne gebraucht, nämlich im Sinne von D a v i s ' „Uroberfläche", als von einem Gebiete, das den destruktiven Kräften noch nicht ausgesetzt gewesen ist**), und im Sinne S c h l ü t e r s als von einem einheitlichen Naturgebiet, in dem alle Spuren menschlicher Tätigkeit fortzudenken sind50). Endlich finden wir Bezeichnungen wie typische, historische51), harmonische5*), rhythmische") Landschaft usw. Unter all diesen Bedeutungen kommen aber, wie wir sofort übersehen, für unseren. Zusammenhang alle diejenigen nicht in Frage, die eine Benennung im Hinblick auf die besondere inhaltliche Erfülltheit eines Erdoberflächengebietes bezeichnen. Auch innerhalb derjenigen Bezeichnungen, die im Hinblick auf formale Gesichtspunkte getroffen sind, die also das Wort „Landschaft" als begriffliches S c h e m a , als begriffliche l o g i s c h e S t r u k t u r verwenden, können wirdiejenigen heraussuchen, die uns als t y p i s c h e Begriffsbildung der *7) S c h l ü t e r , Die Stellung der Geographie des Menschen in der erdkundlichen Wissenschaft, S. 16 f. und a. a. O. ") Vgl. die Entwicklung dieses Begriffes bei S o l c h , Die Auffassung der „natürlichen Grenzen" in der wissenschaftlichen Geographie, S. 22 ff. *•) D a v i s - R ü h l , Die erklärende Beschreibung der Landformen, S. 30 und a. a. O. M ) S c h l ü t e r , Die Stellung der Geographie des Menschen in der erdkundlichen Wissenschaft, S. 19. u ) W i m m e r , Historische Landschaftskunde. "') Vgl. G r a d m a n n , Das harmonische Landschaftsbild (2sehr. Ges. f. Erdk. Berlin 1924, S. 129 ff.). M ) V o 1 z, Das Wesen der Geographie in Forschung und Darstellung (Schlesische Jahrbücher für Geistes- und Naturwissenschaften 1923, S. 257 ff.).
Zwei Ausgangspunkte und Wege der Geographie.
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L ä n d e r k u n d e gelten und sich als solche von Begriffsbildungen der historisch oder naturwissenschaftlich orientierten Geographie unterscheiden. Fassen wir eine Landschaft, wie wir es schon früher getan haben, lediglich als ein Gebiet der Erdoberfläche auf, so erhebt sich die Frage, unter welchen Gesichtspunkten dieses Gebiet aus der ganzen Erdoberfläche herausgeschnitten ist. Wir wollen uns zunächst einmal, ohne uns durch irgendwelche Definitionen innerhalb der geographischen Literatur leiten zu lassen [6], rein gedanklich die M ö g l i c h k e i t e n solches Herausschneidens vor Augen führen. Die Wissenschaft besitzt zwei Arten der Betrachtung: sie individualisiert in bezug auf einen Wert oder sie generalisiert im Hinblick auf allgemeingültige Gesetzmäßigkeit. Wenn wir diese Prinzipien auf die Erdoberfläche anwenden, so kommen wir nach dem ersten zu einer Aufteilung derselben in individuelle Einheiten, die sich im Hinblick auf W e r t e unterscheiden, und nach dem zweiten zu n a t u r h a f t b e d i n g t e n G e b i e t e n , die sich je nach der gleichartigen oder ungleichartigen Bedingtheit ähneln oder voneinander unterscheiden. Im ersten Falle können wir mit Recht von einer E i n t e i l u n g der Erdoberfläche sprechen: wir fassen unsere Aufgabe von vornherein so auf, daß wir die einzelnen Einheiten, die sich als Teile des Ganzen ergeben, voneinander unterscheiden. Solche Einteilungen der Erdoberfläche liegen uns vor in der Form wertbezogener Gruppen Individualitäten. Wir teilen die Erde zum Beispiel nach Kulturen, nach Sprachen, nach Religionen, nach Siedlungs-, Verkehrs- und Wirtschaftsformen und endlich nach Staaten. In der letzteren Einteilung gipfelt gleichsam diese Methode; denn im S t a a t haben wir d a s Gebilde vor uns, das sich in umfangreichem Maße für alle jene kulturellen Erscheinungen als bedingend erweist oder zum mindesten mit ihnen in Verbindung steht. Die zweite Möglichkeit des Herausschneidens von Gebietseinheiten aus der Erdoberfläche dürfen wir logischerweise im Gegensatz zu der vorhergehenden n i c h t als eine E i n t e i l u n g bezeichnen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist hier nicht, T e i l e der Erdoberfläche zu bekommen, die sich voneinander unterscheiden und deutlich voneinander abgrenzen, sondern es soll eine Gebietseinheit nach der anderen unter d e m Gesichtspunkt zusammengeschlossen werden, daß das Verbu nden sein der in ihr enthaltenen Dinge aus dem G l e i c h k l a n g , aus
Vierter Teil.
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der H a r m o n i e , aus dem R h y t h m u s gleichmäßig wirkender Kräfte zu verstehen ist Diese beiden Möglichkeiten stehen sich also — nach ihrem Ausgangspunkt beurteilt — diametral gegenüber. Bei der ersten ist das Primäre die g a n z e E r d o b e r f l ä c h e (das Wohnhaus des Menschen), von ihrem Begriff aus kommt man zu den U n t e r t e i l e n (den Wohnräumen). Umgekehrt liegt die Sache im zweiten Falle; hier ist das Primäre n i c h t die Erdoberfläche, sondern die l a n d s c h a f t l i c h e Einheit. Die Grenzen dieser Einheit reichen so weit, wie die in ihr enthaltenen Dinge als zusammengehörig betrachtet werden können. Wenn man diese Zusammengehörigkeit nicht nur aus äußeren Merkmalen, zum Beispiel aus der A e h n l i c h k e i t bestimmter E i n z e l erscheinungen ableiten, wenn man sie vielmehr als n o t w e n d i g erfassen will, so kann man sie nur aus einer g l e i c h m ä ß i g e n n a t u r h a f t e n B e d i n g t h e i t verstehen. Die hier vorliegende landschaftliche Einheit wird als Folgeerscheinung der auf der Erde waltenden Kräfte erkannt"). Jede einzelne von ihnen besitzt infolge der Wirksamkeit von Kräften und Kräftegruppen, die innerhalb dieses Gebietes in bestimmter Weise überund ineinander greifen, ein besonderes Gepräge, einen besonderen „Charakter"85). Man könnte sie, wenn man die Erde einem Organismus vergleicht, als Organ betrachten, dem innerhalb des Ganzen eine bestimmte Funktion zufällt. Wie sich nun der Organismus aus den einzelnen Organen zusammensetzt, bilden die landschaftlichen Einheiten die Zellen, aus denen sich der Erdorganismus aufbaut [7]. Die Struktur, die in solchen Begriffsbildungen vorliegt, ist klar ersichtlich. Die erste ist rein h i s t o r i s c h , die zweite rein n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h , d i e erste berücksichtigt lediglich die k u l t u r e l l e n Erscheinungen, die mit der Erdoberfläche als dem Wohnhaus des Menschen in Verbindung stehen, die zweite richtet sich ebenso einseitig auf die a l l g e m e i n e N a t u r . Geographisch im Sinne eigenstruktureller Begriffsbildung sind also beide nicht, wenn man der geographischen Begriffsbildung zuschreibt, daß sie historische und naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht nur stofflich-kompilatorisch, sondern — und das vor allem — ideenhaft logisch vereinige. T a t s ä c h l i c h wird dies von der M
) Vgl. S o l c h , a. a. O., S. 26f. ) V o g e l , Politische Geographie, S. 27.
M
Zwei Ausgangspunkte und Wege der Geographie.
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Geographie erreicht, und zwar stehen ihr zur Erreichung dieses Zieles zwei Wege zur Verfügung; von zwei Ausgangspunkten kommt man zu dem gleichen Ziel. Diese Ausgangspunkte haben wir soeben kennen gelernt in den Begriffsbildungen von Gebiets«inheiten, deren Struktur wir als historisch im ersten, als naturwissenschaftlich im zweiten Fall bestimmten. Wird die im Hinblick auf den h i s t o r i s c h e n Zusammenhang gewonnene Gebietseinheit in einen n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Zusammenhang hineingestellt, m. a. W.: fragt man danach, wie sich die k u l t u r e l l e Einheit zur N a t u r des Erdoberflächenteiles verhalte, in dem sie sich befindet, so kommt man zu einem Zusammenklang der beiden Wissenschaftsbereiche: die Fragestellung wird g e o g r a p h i s c h . Diese Fragestellung geht allerdings kaum von anderen Einheiten aus als von denen, die durch die p o l i t i s c h e n , die s t a a t l i c h e n Grenzen gegeben sind; denn wie wir schon hervorgehoben haben, ist der S t a a t jener Zentralbegriff, der für viele, wenn nicht für die Gesamtheit der kulturellen Erscheinungen bestimmend ist. Wir haben in der vorstehend beschriebenen Fragestellung die der s p e z i e l l e n p o l i t i s c h e n G e o g r a p h i e , oder, wie wir im Anschluß an A. G e i s t b e c k M ) und G. B r a u n 5 7 ) auch sagen können, die der g e o g r a p h i s c h e n S t a a t e n k u n d e vor uns. Sie zielt auf das Verständnis der politischen Erscheinung ab, sie sucht die Erdgebundenheit, die natürliche Lebensmöglichkeit eines kulturellen Gebildes zu erfassen. Diesem Wege steht der zweite gegenüber, der von der naturhaften Bedingtheit eines Erdoberflächenteils ausgeht und nun untersucht, wie dieser Teil zur kulturellen Entwicklung der Menschheit in Beziehung getreten ist. Die naturhaft bedingte Einheit — wir können sie als n a t ü r l i c h e L a n d s c h a f t bezeichnen — bietet in ihrer besonderen Gestaltung, in ihrem „Charakter" für die Kultur b e s t i m m t e E n t f a l t u n g s m ö g l i c h k e i t e n 8 8 ) . Diese sind von der Menschheit in bestimmter Richtung ausgenützt worden; die natürliche Landschaft ist im Laufe der historischen Entwicklung umgestaltet worden, sie hat sich zur K u l t u r land*•) 57 ) ™) S. 165
Grundlagen der geographischen Kritik, S 36. Zur Methode der Geographie als Wissenschaft, S. 18 ff. Vgl. P a s s a r g e , Die Grundlagen der Landschaftskunde, IT.; V o g e l , Politische Geographie, S. 25 ff.
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Vierter Teil.
schaft umgebildet. Gegenüber dieser Kulturlandschaft spricht man wohl die natürliche Landschaft, aus der sie sich entwickelte, als Urlandschaft an ( S c h l ü t e r " ) , B r a u n " ) , G r a d m a n n * 1 ) ) , n a t ü r l i c h e Landschaft und Urlandschaft bezeichnen in diesem Sinne also die gleiche Erscheinung, das gleiche Objekt Nennen wir diese Erscheinung „natürliche Landschaft", so denken wir an ihre gesetzmäßige Bedingtheit, wir stellen sie also in einen n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Zusammenhang, nennen wir sie jedoch U r landschaf t, so denken wir an ihren h e s o n d e r e n Charakter, der an dieser Erdstelle gerade d i e s e und k e i n e a n d e r e n Anlässe für die kulturelle Entwicklung abgegeben hat, der gerade d i e s e und k e i n e a n d e r e K u l t u r l a n d s c h a f t hat entstehen lassen. Unter der Bezeichnung „Urlandschaft" ragt alsodie natürliche landschaftliche Einheit in einen h i s t o r i s c h e n Zusammenhang, die Fragestellung ist wiederum geograp h i s c h . Die in diesem Sinne bestimmte Kulturlandschaft trägt, wie ihre Urlandschaft einen besonderen Charakter, sie hat infolgedessen innerhalb eines größeren Kulturgebietes, einer kulturellen (politischen) Einheit eine besondere, nach bestimmter Richtimg hin festgelegte Bedeutung, sie tritt in ihrer B e s o n d e r h e i t in Beziehung zu dieser kulturellen Einheit So mündet dieser zweite Weg in den Ausgangspunkt des ersten, in den S t a a t [8]. Beide Wege verlaufen also in entgegengesetzter Richtung, durchmessen aber das gleiche Gebiet stiften die gleiche systematisch-logische Verbindung, nämlich die Verbindung historischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnis [9]. Man könnte sagen, daß sich das S c h w e r g e w i c h t der Betrachtung innerhalb dieser beiden-Möglichkeiten verschiebt Im ersten Falle, in dem das kulturelleGebilde den Ausgangspunkt abgibt stehen naturgemäß die k u l t u r e l l e n Zusammenhänge im Vordergrund der Betrachtung, während im zweiten, in dem die naturhaft bedingte landschaftliche Einheit am Anfang der eigentlich geographischen Betrachtung ™) S c h i f i t e r , Die Stellung der Geographie des Menschen in der erdkundlichen Wissenschaft, S. 18 ff. ") G . B r aun, Deutschland, Bd. I, S. 43ff. ") G r a d m a n n , Das mitteleuropäische Landschaftsbild nach seiner geschichtlichen Entwicklung (G. Z. 1901, S. 361 ff. u. 435 ff.); d e r s . , Beziehungen zwischen Pflanzengeographie und Siedlungsgeschichte (G. Z. 1906, S. 305ff.); d e r s . , Pflanzen und Tiere im Lehrgebäude der Geographie, S. 16.
Natürliche Landschaft.
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steht, das Schwergewicht auf der n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Seite bleibt. Der Unterschied jedenfalls, der sich zwischen beiden Betrachtungsmöglichkeiten ergibt, ist ein Unterschied dem G r a d e , nicht aber der A r t nach. Die beiden hier beschriebenen Wege der Geographie stehen darum unter logischen Gesichtspunkten g l e i c h b e r e c h t i g t nebeneinander, und es ist nicht einzusehen, daß sie sich nach dem Grade der Klarheit [10] oder Wissenschaftlichkeit [11] voneinander unterscheiden sollten. Wenn wir die beiden Richtungen geographischer Untersuchung nicht nur auf das Unterschiedliche, sondern auf das Gemeinsame hin betrachten, so sehen wir, daß sie sich in einem Punkte berühren: in beiden spielt die E i n h e i t d e r L a n d s c h a f t eine hervorragende Rolle, nur haben wir unter einer solchen nicht, wie wir es anfänglich festsetzten, ein Gebiet der Erdoberfläche schlechthin zu verstehen, sondern eine n a t ü r l i c h e L a n d s c h a f t , eine durch das Erdganze gesetzmäßig bedingte und abgegrenzte Einheit, die zugleich in einen historischen Zusammenhang hineinragt In der natürlichen Landschaft haben wir das Bindeglied zu sehen, mit dem innerhalb der Geographie naturwissenschaftliche und historische Betrachtung verknüpft werden; denn erstens ist die natürliche Landschaft das E n d g l i e d einer naturwissenschaftlichen Entwicklungsreihe, und zweitens ist sie als Urlandschaft der A u s g a n g s p u n k t einer historischen Entwicklung. Für beide im voranstehenden beschriebenen Wege der Geographie ist der Begriff der natürlichen Landschaft ein unvermeidlicher D u r c h g a n g s p u n k t [12]. Wenn wir also das Wesen der l ä n d e r k u n d l i c h e n Begriffsbildung erfassen wollen, so müssen wir zunächst ein Verständnis für die Sondergestaltung des Begriffes „ n a t ü r l i c h e L a n d s c h a f t " gewinnen, wir müssen untersuchen, in welcher Weise sich in ihm die verschiedenen geographischen Objekte vereinigen. Die Beantwortung dieser Frage dürfte uns am leichtesten fallen, wenn wir ein konkretes Beispiel zur Untersuchung heranziehen. Treten wir eine Wanderung durch Deutschland an, so durchstreifen wir dabei Gebiete, die in ihrer natürlichen Eigenart, in dem Vorkommen bestimmter Erscheinungen sich unverkennbar voneinander abgrenzen"). Wie deutlich hebt sich zum Beispiel (auch wenn wir von Unterschieden der Landschaftsumgestaltung durch ° ) G . B r a u n , Deutschland, Bd. II, Tafel I.
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den Menschen absehen) der baltische Landrücken von den Marschgebieten der Elbe und Weser ab, wie sondern sich von diesen wiederum als E i n h e i t die Lüneburger Heide, der Harz, das Thüringer Vorland, der Thüringer Wald, Franken und manch anderes Gebiet! Was berechtigt uns, solche Einheiten aus der Gesamtheit des deutschen Landes h e r a u s z u h e b e n , und was berechtigt uns dann, Reihen dieser Einzellandschaften wiederum zu größeren Gebieten, wie dem Norddeutschen Tiefland, der Mitteldeutschen Schwelle, dem Süddeutschen Stufenland und dergleichen Begriffen z u s a m m e n z u f a s s e n und gegeneinander abzugrenzen")? Nehmen wir eine Einzellandschaft heraus, zum Beispiel den Harz, und vergegenwärtigen wir uns, was alles im Begriff der n a t ü r l i c h e n H a r z l a n d s c h a f t zusammengeschlossen ist! Offenbar ist es eine M a n n i g f a l t i g k e i t von Objekten, die hier im Begriffe vereint wird. Sie setzt sich zusammen aus verschiedenen G r u p p e n unter sich gleichartiger Objekte. So sehen wir beim Klange des Wortes Harz eine Gruppe von Bergformen, die eine gewisse Gleichförmigkeit des Aussehens und der Entstehung aufweisen. Es treten uns Klima, Vegetation und Tierwelt vor Augen, und alle diese Erscheinungen besitzen innerhalb ihrer Gruppe etwas G e m e i n s a m e s , was der Harzlandschaft gerade ihr t y p i s c h e s Aussehen verleiht. Die Landschaft tritt uns hier also als ein S a m m e l b e g r i f f entgegen, der Gruppen gleichartiger oder ähnlicher Gebilde in sich zusammenfaßt [13]. Die einzelnen hier zur Einheit zusammengeschlossenen Erscheinungen, also Berge, Klima, Flora und Fauna der einzelnen Teile des Harzes sind sämtlich Individualitäten. Im Begriffe der Landschaft wird nun das, was all diesen Einzelformen g e m e i n s a m ist, herausgehoben, und dieses Gemeinsame bildet den l o g i s c h e n G r u n d der Vereinheitlichung all dieser Teile im Begriffe der Landschaft. Da die Zusammenfassung im Hinblick auf ein Gemeinsames, Typisches erfolgt, so charakterisiert sich der Begriff der natürlichen Landschaft als n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h . Er ist ein G a t t u n g s begriff. Allerdings ist er von komplizierterer Struktur als der Gattungsbegriff innerhalb der Botanik oder Zoologie. Hier sind unter sich ähnliche Individuen zusammengefaßt, im Begriff der Landschaft jedoch vereinen sich nicht nur ähnliche Individuen, ") P a s s a r g e, Die Grundlagen der Landschaftskunde, S. 166.
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sondern verschiedene G r u p p e n unter sich ähnlicher Individuen. Im Begriff des Harzes finden sich also nicht nur ähnliche Bergformen, nicht nur gleichartige Erscheinungen des Klimas, der Tierund Pflanzenwelt, sondern gerade das Ungleichartige und nicht in Vergleich zu Stellende des Bodens, des Klimas, der Tier- und Pflanzenwelt schließen sich zur Einheit der natürlichen Landschaft zusammen. Diese Eigentümlichkeit muß es als seltsam erscheinen lassen, daß wir von einem G a t t u n g s b e g r i f f sprechen. Ein solcher liegt trotzdem vor, wir verzichten aber vorerst auf eine Begründung dieser Behauptung und werden darauf zurückkommen, wenn wir einen noch deutlicheren Begriff der natürlichen Landschaft erhalten haben. Wir knüpfen, um diesen Begriff auch von anderer Seite möglichst hell zu beleuchten, an Gleichnisse an, an Bilder, wie sie H e t t n e r und S c h l ü t e r gebrauchen; wir werden dabei allerdings einige Aenderungen vornehmen, wie sie für unseren Zweck als notwendig erscheinen. Beide Bilder sollen nämliclv dazu dienen, die S t r u k t u r des Begriffes „natürliche Landschaft", die wir soeben schon behandelt haben, möglichstdeutlich von den Begriffen der a l l g e m e i n e n Geographie abzugrenzen. Zum Zwecke einer ähnlichen Unterscheidung (allgemeine und spezielle Geographie) zeichnet H e t t n e r gelegentlich ein Bild"), dessen wir uns bedienen, sofern es für die Erkenntnis der natürlichen Landschaft von Bedeutung ist: man denkt sich die Erdoberfläche als. Karte oder Globus zunächst frei von allen ihr anhaftenden Eigenschaften und allen sie erfüllenden Objekten. Jede einzelne Eigenschaft und jede Sonderart der erfüllenden Objekte denken wir uns. nun auf je einer d u r c h s i c h t i g e n , die Erdoberfläche umgebenden Schicht in d e r Form zur Darstellung gebracht, daß jedeSchicht entsprechend jeder Eigenschaft oder jeder Art von Objekten durch eine besondere F a r b e gekennzeichnet ist. Die verschiedene Verbreitungsweise der einzelnen Eigenschaften oder Objekte denken wir uns sodann innerhalb der einfarbigen Schicht durch verschiedene Grade der S ä t t i g u n g dieser Farbe zur Darstellung gebracht. Deckt man nun alle Schichten übereinander, so treten durch die verschiedenartige Ueberdeckung von Farben und Sättigungsgraden verschieden gefärbte und abgetönte Einheiten aus. M
) Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht,. S. 20 f.
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dem Kartenbild heraus. Wenn man nun lediglich diejenigen Eigenschaften und Objekte auf den farbigen Schichten zur Darstellimg bringt, die sich auf die allgemeine Natur der Erde beziehen, m. a. W. wenn man die m e n s c h l i c h e n Erscheinungskreise u n b e r ü c k s i c h t i g t läßt, so vermitteln uns die oben erwähnten verschieden gefärbten und abgetönten Gebiete eine Vorstellung der n a t ü r l i c h e n Landschaften. H e 11 n e r zeichnet sein Bild nicht mit der von uns getroffenen Einschränkung, er berücksichtigt „alle Erscheinungskreise der Natur und des Menschenlebens, inneren Bau, Oberflächenformen und Beschaffenheit der festen Erdrinde, Gewässer, Luftdruck und Winde, Wärme der Luft, Feuchtigkeit und Niederschläge, Vegetation und Fauna, Tierwelt, Völker und Staaten, Besiedlung, Verkehr, die wirtschaftlichen Verhältnisse usw." Wir haben diese Beschränkung vorgenommen, weil wir gerade den Begriff der n a t ü r l i c h e n Landschaft herausstellen wollen. Wie ist nun diese natürliche Landschaft aus der Erdoberfläche herausgehoben? Die Antwort wird uns leicht, wenn wir uns an die G r u p p e n b i l d u n g e n der a l l g e m e i n e n Geographie erinnern. Jede einzelne durch eine besondere Farbe gekennzeichnete Schicht gibt eine Uebersicht über die Verteilung und Verbreitung jener Einzelerscheinungen. In einer natürlichen Landschaft bringen sich jeweils gleichgroße und in sich gleichförmige Gruppenteile der einzelnen Erscheinungskreise zur Deckung [14]. Die natürlichen Landschaften sind also durch das eigentümliche Uebereinanderfallen der Erscheinungsgruppen bedingt. Da sich die Erscheinungsgruppen kennzeichnen als dem Erdganzen unlösbar anhaftend und die Natur desselben bestimmend, so ergeben sich die natürlichen Landschaften als durch die a l l g e m e i n e N a t u r der Erde, durch die besondere Gestaltung der auf ihr wirksamen Kräfte bedingt Ein anderes Bild bezüglich der Vereinheitlichung der einzelnen Objekte in der natürlichen Landschaft gebraucht S c h l ü t e r . Er sagt, jede Einzelerscheinung müsse auf den „ G e n e r a l n e n n e r " der Landschaft gebracht werden"). Wenn wir für die folgende Betrachtung anstelle dieses Wortes die Bezeichnung „ k l e i n s t e s g e m e i n s c h a f t l i c h e s V i e l f a c h e s " [15] einführen, so tun wir es nicht, weil wir sie für bildkräftiger hielten (S c h 1 ü ") Zitiert nacb F r i e d e r i c h s e n , Die geographische Landschaft (Geogr. Anz. 1921, S. 159).
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t e r s Bezeichnung ist dies vielleicht in stärkerem Maße, weil die einzelnen landschaftlichen Elemente zugleich als Bruchteil einer Einheit genannt werden). Die Beziehung der einzelnen Objekte, der landschaftlichen Elemente, zur Landschaft tritt auch bei beiden Bildern in gleicher Weise hervor, denn der Generalnenner ist als kleinstes gemeinschaftliches Vielfaches der einzelnen Nenner (der landschaftlichen Elemente) bestimmt. Wir ziehen unsere Bezeichnung vor, weil von ihr aus der von der s p e z i e l l e n Geographie verwendete Begriff der natürlichen Landschaft am leichtesten von den Begriffsbildungen der a l l g e m e i n e n Geographie unterschieden werden kann. Wir denken uns wiederum (wie bei dem von H e 11 n e r gezeichneten Bilde) die Erdoberfläche in Karten- oder Globusform frei von allen mit ihr verbundenen Erscheinungskreisen. Wir bezeichnen nun jede einzelne Art von Eigenschaften oder Objekten, die sich auf der wirklichen Erdoberfläche finden, auf unserem Globus durch eine besondere Primzahl (2, 3, 5, 7, 11, 13 usw.) und haben zugleich die Möglichkeit, diese Erscheinungen nach dem Grade ihrer I n t e n s i t ä t oder nach der H ä u f i g k e i t ihres Vorkommens darzustellen, indem wir sie in dieser verschiedenen Intensität und Häufigkeit durch niedrigere und höhere P o t e n z e n von Primzahlen aufführen. Wir könnten also, um ein Beispiel zu nennen, die jährliche Niederschlagshöhe von 10 cm als 21, die von 20 cm als 2* angeben, die Verteilung der Niederschläge auf einen Monat mit 31, die auf zwei Monate mit 3* usw., das verschiedene Maß der in den Strukturformen erkennbaren endogenen Kräfte mit 51, 5' usw., das Ausmaß der Destruktion mit 7S T usw. bezeichnen. Auf diese Weise würden alle Erdstellen auf unserem Globus durch Z a h l e n angezeigt, die sich aus dem P r o d u k t der einzelnen Primzahl-Potenzen ergeben und alle Verschiedenheiten der einzelnen Erscheinungen m der angegebenen Form darstellen. Jede Erdstelle würde also durch eine Zahl angezeigt; der Globus wäre mit Zahlen bedeckt, die insofern untereinander verwandt wären, als sie in mannigfach verschiedener Weise gleiche Primzahlen, gleiche Primzahlprodukte, Primzahlpotenzen oder gleiche Potenzen gleicher Primzahlprodukte enthielten. Eine Zusammenfassung der den Globus bedeckenden Zahlen könnte gemäß den verschiedenen verwandtschaftlichen Beziehungen in verschiedener Form erfolgen. Wir wollen, ohne die MöglichG r a f , Geographie.
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keiten zu erschöpfen, d i e j e n i g e n Formen herausstellen, die einen Vergleich mit den geographischen Begriffsbildungen zulassen: 1. Die Gesamtheit der Zahlen werde dergestalt in örtlich zusammenhängende Gruppen a u f g e t e i l t , daß sich die Zahlen innerhalb einer Gruppe durch die G e m e i n s a m k e i t von einer oder von mehreren Primzahlpotenzen kennzeichnen. Die Gemeinsamkeit innerhalb jeder Gruppe ergibt das Unterscheidungsmerkmal gegenüber jeder anderen und liefert also die Benennung der G r u p p e . Es ergeben sich so viele Einteilungsmöglichkeiten, wie verschiedene Primzahlen vorhanden sind. Wir haben in dieser Form die als „ G r u p p e " bezeichnete Begriilsbildung der allgemeinen Geographie vor uns"). 2. Die Gesamtheit der Zahlen werde unabhängig von ihrer räumlichen Anordnung dergestalt zu Klassen vereinigt, daß die Zahlen innerhalb der einzelnen Klassen ein m ö g l i c h s t g r o ß e s g e m e i n s c h a f t l i c h e s M a ß besitzen, dieses liefert die Benennung der Klasse. — Diese Zusammenfassung können wir der K l a s s i f i k a t i o n der allgemeinen Geographie (sei sie k ü n s t l i c h oder g e n e t i s c h zu nennen) vergleichen"). 3. Die Gesamtheit der Zahlen werde dergestalt in räumlich geschlossenen Einzelgruppen vereinigt, daß die in einer Einheit verbundener^ Zahlen ein m ö g l i c h s t k l e i n e s g e m e i n s c h a f t l i c h e s V i e l f a c h e s ergeben. Das besagt m. a. W.: die hier r ä u m l i c h zusammengeschlossenen Erdstellen zeichnen sich in ihrem gegenseitigen Verhältnis durch ein m ö g l i c h s t g r o ß e s g e m e i n s c h a f t l i c h e s M a ß aus. — Wir vergleichen die Struktur dieser Zusammenfassung dem Begriff der „ n a t ü r l i c h e n L a n d s c h a f t". Die unterschiedliche Struktur der drei Begriffe wird, wie wir hoffen, an Hand dieser Bilder hell ans Licht treten. Die hierdurch erreichte Einsicht soll uns befähigen, im Verlauf unserer Untersuchung einen besonderen, viel umstrittenen Begriff nach seiner Zugehörigkeit zur allgemeinen oder speziellen Geographie zu be") Vgl. S. 55 ff.! •7) Vgl. S. 50 ff. und S. 62 ff.!
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stimmen*8). Einstweilen aber diene der Vergleich nur zur Erkenntnis des Begriffes der natürlichen Landschaft, den wir als charakteristisch für die länderkundliche Betrachtung bezeichnet haben! T r i t t u n s i n d i e s e m B e g r i f f e n u n a u c h d i e E i g e n b e d e u t u n g der G e o g r a p h i e entgegen, ist d i e b e g r i f f l i c h e S t r u k t u r der n a t ü r l i c h e n Lands c h a f t s o e i g e n t ü m l i c h , daß sie e i n b e d e u t s a m e s Merkmal der Geographie gegenüber Geschichte u n d N a t u r w i s s e n s c h a f t d a r s t e l l t ? Wir haben diese Krage bereits in verneinendem Sinne beantwortet, wenn wir im voranstehenden die n a t ü r l i c h e L a n d s c h a f t H a r z als einen G a t t u n g s b e g r i f f angesprochen haben. Kehren wir, um unsere dort aufgestellte Behauptung zu erhärten, zu jenem Beispiel zurück! Die Eigentümlichkeit, daß im Begriffe der natürlichen Landschaft Harz nicht nur gleichartige Erscheinungen, sondern gerade das Ungleichartige und nicht in Vergleich zu Stellende des Bodens, des Klimas, der Tier- und Pflanzenwelt zur Einheit zusammengeschlossen sind, muß es, wie wir bereits hervorgehoben haben, als seltsam erscheinen lassen, daß wir hier von einem Gattungsbegriff sprechen. Dennoch liegt ein solcher vor; denn wir erfassen die verschiedenartigen Gruppen gleichartiger Objekte als Einheit, weil wir sie innerhalb dieses Gebietes aus dem Gleichklang, aus der Harmonie, aus dem Rhythmus der hier wirksamen Kräfte und Kräftegruppen begreifen. Wir verstehen das Verbundensein der verschiedenen Gruppen gleichartiger Objekte aus dem Ueber- und Ineinandergreifen von Kraftwirkungen, wie sie sich auf der Erde finden und ihr eigentümlich sind. Wenn diese Kräftegruppen in der besonderen Mannigfaltigkeit, in der besonderen Vereinigung, in der besonderen Richtung zusammenklingen wie in d e m Erdgebiet, das wir als Harz bezeichnen, so entsteht d i e s e natürliche Landschaft. Wenn sie sich s o , wie sie ist, nur e i n m a l auf der Erde findet, so ist sie doch wegen der für uns ersichtlichen n a t u r h a f t e n B e d i n g t h e i t durch das Erdganze E x e m p l a r einer G a t t u n g , wenn auch das einzige derselben. Diese Tatsache ergibt sich wiederum aus der besonderen Natur der Erde, nämlich daraus, daß Wasser und Land ungleichmäßig verteilt, daß Hoch und Tief ungleichmäßig angeordnet, daß in irgend welcher '") Vgl. S. 113 ff.! 8'
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Hinsicht eine Symmetrie auf der Erdoberfläche nicht anzutreffen ist. So sehr uns also der Harz als I n d i v i d u u m vor Augen steht, so sehr uns selbst die natürliche Landschaft Harz als I n d i v i d u a 1 begriff e r s c h e i n e n mag, weil d a s , was an ihr t y p i s c h ist, gerade das ausmacht, was sie von anderen Landschaften abhebt und unterscheidet, so müssen wir doch daran festhalten, daß uns die Individualität dieser natürlichen Landschaft n u r interessiert, sofern wir sie in ihrer gesetzmäßigen Bedingtheit und somit als E x e m p 1 a r , wennschon als e i n z i g e s Exemplar einer Gattung erfassen. Das soeben Gesagte wird noch deutlicher, wenn wir auf eine im voranstehenden getroffene Unterscheidung zurückgreifen. Wir müssen „natürliche Landschaft" und „Urlandschaft", „Urlandschaft" und „Kulturlandschaft" in ihrer jeweiligen Bedeutung und in ihrem Verhältnis zueinander genau zu erfassen suchen. Das ist insofern nicht leicht, als wir gerade durch die g e o g r a p h i s c h e Beschreibung gewöhnt sind, Landschaften wie den Harz nur als K u 11 u r landschaften zu sehen. Alle drei, natürliche, Ur- und Kulturlandschaft Harz sind Begriffe von der g l e i c h e n Erdoberflächeneinheit, jede einzelne jedoch erfaßt diese Einheit in besonderer Form. Die natürliche Landschaft tritt uns vor Augen, wenn wir alle menschliche Betätigung, alle kulturelle Entfaltung aus jenem Gebiete fortdenken, ja, wenn wir j e d e M ö g l i c h k e i t e i n e r K u l t u r b e z o g e n h e i t gänzlich bei Seite lassen. Die Landschaft interessiert uns unter diesem Gesichtspunkt nur insofern, als wir in ihr das Endergebnis blindwaltender Naturkräfte erkennen. Die natürliche Landschaft ist also das Ergebnis einer wertbeziehungsfreien, einer nicht auf das Individuelle, sondern auf die a l l g e m e i n e G e s e t z l i c h k e i t gerichteten, d. h. einer als N a t u r w i s s e n s c h a f t bestimmten Betrachtung. Somit haben wir in ihr das an sich wertlose (wennschon einzige) Exemplar einer Gattung vor uns. Die gleiche Gebietseinheit tritt uns unter der Bezeichnung Urlandschaft vor Augen; wenn wir sie a l s s o l c h e beschreiben, erfassen wir z u g l e i c h auch die natürliche Landschaft. Diese ist innerhalb der Urlandschaft dasjenige, was der naturwissenschaftlichen Betrachtung zugänglich ist. Mit dem Wort „Urlandschaft" sagen wir nun aber, daß die durch sie bezeichnete Gebietseinheit A n l a ß zu einer b es t i m m t e n k u l t u r e l l e n E n t f a l t u n g gegeben hat. Die
Natürliche, Ur- und Kulturlandschaft.
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Anlässe für diese sind in i n d i v i d u e l l e n Zügen der Landschaft zu suchen; die individuellen Züge müssen uns vor Augen stehen, wenn wir die k u l t u r e l l e Entfaltung der Landschaft verfolgen und verstehen wollen, und es ist dabei ganz ohne Belang, ob diese individuellen Züge der naturwissenschaftlichen Betrachtung zugänglich sind oder nicht — Aus der Urlandschaft Harz hat sich die Kulturlandschaft dieses Gebietes entwickelt. Mit dem Begriff der letzteren verbindet sich uns unlösbar all jenes Geschehen, für das die Urlandschaft in ihrer individuellen Gestaltung gewisse Voraussetzungen und Entwickelungsmöglichkeiten geboten hat: die Entwicklung deutschen Lebens, die Entfaltung deutschen Geistes. Mit dem Begriffe der Kulturlandschaft Harz, wie ihn die geographische Beschreibung gibt, wie wir ihn erhalten, wenn wir den Harz erblicken, durchwandern und erleben, verbindet sich uns die Geschichte der sächsischen Kaiser* wie die Entwicklung des deutschen Bergbaus, die Schöpfungen deutscher Volkskunst in Märchen und Sage, wie das Werk G o e t h e s und W i l h e l m R a a b e s. All diese i n d i v i d u e l l e W e r t b e z i e h u n g haftet jenem Erdoberflächengebiet an, wenn wir es unter dem Blickpunkt „ K u l t u r l a n d s c h a f t " betrachten. Die Kulturlandschaft könnten wir also als Ergebnis h i s t o r i s c h bestimmter Betrachtungsweise ansehen, wenn in ihrem Begriffe nicht Urlandschaft und natürliche Landschaft eingeschlossen wären. Im Begriff der Urlandschaft, die sich einerseits an die n a t ü r l i c h e und andererseits an die K u 11 u r landschaft knüpft, ist die Verbindung naturwissenschaftlicher und historischer Betrachtungsweise gegeben, in ihm zeigt sich die B r ü c k e n s t e l l u n g d e r G e o g r a p h i e z w i s c h e n N a t u r w i s s e n s c h a f t u n d Geschichte. Aus dem vorangehenden wird deutlich, warum wir die beiden Momente der Natur und Kultur im Begriffe der Landschaft unter logischem Gesichtspunkt scheiden mußten. Innerhalb der geographischen erklärenden Landschaftsbeschreibung tritt, wie wir bereits betont haben, diese Unterscheidung nicht hervor. Die beschriebene Kulturlandschaft steht uns als „ g e o g r a p h i s c h e s I n d i v i d u u m " * * ) vor Augen, wir übersehen dabei vollständig, **) Vgl. H ö z e l , Das geographische Individuum bei Karl Ritter und seine Bedeutung für den Begriff des Naturgebietes und der Naturgrenze (G. Z. 1896).
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daß, sofern die Beschreibung wirklich geographisch ist, die Naturbedingtheit des betreffenden Erdoberflächenteils m i t erfaßt Ist. Die Darstellung dieser Naturbedingtheit ist innerhalb der geographischen Beschreibung so innig mit der wertbezogenen Individualität der Kulturlandschaft verbunden, daß man die beiden ihrer Struktur nach unterschiedlichen Momente auch gedanklich nur schwer zu sondern vermag. Dies darf uns jedoch nicht daran hindern, einen l o g i s c h e n Unterschied zwischen beiden zu erkennen, nur zufolge dieser l o g i s c h e n Unterscheidung können wir im Landschaftsbegriff die B r ü c k e erkennen, die die Geographie zwischen Geschichte und Naturwissenschaft schlägt. Wie diese Brückenstellung der Geographie gerade am Landschaftsbegriff ins helle Licht tritt, mag noch an einer anderen Frage erläutert werden. Im ersten Teil unserer Untersuchung haben wir im Anschluß an H e i n r i c h R i c k e r t ausgeführt, wie sich U m f a n g und I n h a l t des h i s t o r i s c h e n und n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Begriffes in v e r s c h i e d e n e r Weise ändern, wenn ein speziellerer einem allgemeineren Begriff untergeordnet wird. Die Brückenstellung des Landschaftsbegriffes müßte also auch in der Aenderung seines U m f a n g e s und I nh a 11 e s zu beobachten sein. Wenn wir uns dieser Untersuchung zuwenden, müssen wir an der oben getroffenen Unterscheidung der n a t ü r l i c h e n und K u l t u r landschaft festhalten. Als konkretes Beispiel wählen wir wiederum den Harz. Wir sind gewöhnt, die einzelnen deutschen Mittelgebirgslandschaften, wie den Harz, das Rheinische Schiefergebirge, den Thüringer- und Frankenwald u. a. zur Mitteldeutschen Gebirgsschwelle zusammenzufassen70). Da in geographischen Beschreibungen eine Unterscheidung von natürlicher und Kulturlandschaft im obigen Sinne zumeist nicht getroffen wird, sind wir auch hier gewohnt, solche größere Einheit, wie die Mitteldeutsche Gebirgsschwelle, das Norddeutsche Tiefland, das Südwestdeutsche Stufenland u. a. lediglich als Individualbegriff aufzufassen. Doch wir wollen auch in diesem Falle die natürliche von der Kulturlandschaft unterscheiden. W i e verhält sich dann der Begriff „natürliche Landschaft Harz" zum Begriff „natürliche Landschaft Mitteldeutsche Gebirgsschwelle"? Wenn wir den Harz dem umfassenderen Begriffe unterordnen, so 70)
G. B r a u n, Deutschland, Bd. I, S. 121 ff.
Umfang und Inhalt des Landschaftsbegriffes.
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erweitert sich ohne Zweifel der U m f a n g des Spezialbegriffes, vom I n h a l t des Spezialbegriffes „Harz" gehen aber nur diejenigen Merkmale in den Begriff „Mitteldeutsche Gebirgsschwelle" ein, •die den Harz als zu dieser gehörig bezeichnen. Das sind nun d i ej e n i g e n Merkmale, die der Harz mit all den anderen dem umfassenderen Begriff untergeordneten Gebirgen g e m e i n s a m hat. Alle diejenigen n a t u r h a f t bedingten Züge, die den Harz von jenen anderen Gebirgen unterscheiden, alle diejenigen Merkmale auch, die jenen anderen Gebirgen allein anhaften, gehen in den allgemeineren Begriff nicht ein [16]. Somit können wir bezüglich der natürlichen Landschaft beim W a c h s e n d e s U m f a n g e s von einer V e r r i n g e r u n g d e s B e g r i f f s i n h a l t e s sprechen. Der Begriff der natürlichen Landschaft zeigt also auch in dieser Hinsicht das M e r k m a l des G a t t u n g s b e g r i f f e s [17]. Wir sind aber, wie wir bereits betont haben, weit mehr daran gewöhnt, den Harz als K u 11 u r landschaft zu betrachten, nämlich so, wie ihn die geographische Beschreibung zumeist zeigt. Wenn wir die Kulturlandschaft „Harz" beschreiben wollen, so dürfen wir uns nicht nur auf die naturhaft bedingten Züge beschränken. Die U r landschaft „Harz" ist vom Menschen in einer b e s t i m m t e n Weise zur Kulturlandschaft umgestaltet worden, und so sehr diese Kulturlandschaft (Besiedlung, Verkehrslage, wirtschaftliche und politische Verhältnisse) t y p i s c h e Züge aufweisen mag, nämlich Züge, wie sie sich auch in anderen Gebirgslandschaften und besonders in anderen d e u t s c h e n Mittelgebirgslandschaften finden, so sehr besitzt sie doch darüber hinaus eine I n d i v i d u a l i t ä t , wie sie n u r i h r e i g e n ist. Gerade in dieser Einmaligkeit ist sie uns b e d e u t s a m . Goslar ist so, wie es vorhanden ist, nur e i n m a l da, ebenso wie sich in Thüringen nur e i n Weimar findet, das in einer und in d i e s e r g a n z b e s t i m m t e n Weise mit der Entwicklung der deutschen Kultur verbunden ist. Soll also die K u l t u r landschaft „Harz" beschrieben werden, so dürfen diejenigen individuellen Züge nicht fehlen, die dem Harz im Entwicklungsgange der deutschen Kultur aufgeprägt sind. Andere deutsche Mittelgebirgslandschaften sind in anderer Weise und auch wieder in g a n z b e s o n d e r e r Form in