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German Pages 136 [137] Year 2022
Adolf Wagner
Volkswirtschaft besser verstehen Das Ungefähre in der Nationalökonomik
Edition Wissenschaft & Praxis
ADOLF WAGNER
Volkswirtschaft besser verstehen
Adolf Wagner
Volkswirtschaft besser verstehen Das Ungefähre in der Nationalökonomik Zur guten Erinnerung an Adolph Wagner (1835–1917)
Edition Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagbild: © vartzbed – stock.adobe.com Alle Rechte vorbehalten © 2022 Edition Wissenschaft & Praxis bei Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-89673-782-3 (Print) ISBN 978-3-89644-274-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Ratsuchende Leute in Politik und Wirtschaft staunen immer wieder, wenn sie auf eine bestimmte Frage zum guten oder besseren Funktionieren einer bestimmten staatlich eingebundenen Volkswirtschaft (Nationalökonomie) von verschiedenen Fachleuten unterschiedliche und zudem ungenaue Antworten bekommen. Das Ungenaue, Ungefähre und Mehrdeutige kennzeichnet die Nationalökonomik treffender als jede bisherige mathematische Wirtschaftstheorie mit ökonometrischen Versuchen der Umsetzung. Die Nationalökonomik ist keine Art einer Sozialphysik mit immer und überall zutreffenden Regeln und Systemen. Eigentlich ist es bereits seit 1896 literarisch belegt und bekannt, dass es prinzipiell „keine allgemeingültigen nationalökonomischen Wahrheiten“ geben kann, sondern nur raum-zeitlich beschränkt empirisch gültige sogenannte Quasi-Theorien. Im Quervergleich der Länder und in Längsschnittbetrachtungen offenbaren sich Befunde, die mit unterschiedlichen und veränderlichen – ungefähren – dynamischen Systemen gedeutet werden können. Dissens und Konflikt der Fachleute stecken in der Materie und liegen in der Luft. Ungeachtet der nur beschränkten Wahrheitsfähigkeit aller Sozialwissenschaften verfechten einzelne Ökonomen unbeirrt ihre eigenen AlleinWahrheiten gegenüber dem Publikum und den Fachkollegen. Mit unscharfen Variablen, ungenauen Daten und weichen Verknüpfungen ist das „Ungefähre“ die ehrliche Kehrseite aller mathematisch-ökonometrischen Ökonomik und mancher Illusionen seit Gründung der „Econometric Society“ im Jahre 1930. Bekanntlich kann sich jeder Leser je nach vorrangigem Interesse an verschiedenen thematischen Stationen von dem weiten Gebiet der Nationalökonomik anziehen und fesseln lassen. Dem öffnen sich auch die sieben großen Themenblöcke des vorliegenden Buches, und zwar vom obersten Blickpunkt des Ungefähren her. In der „Evolutorischen Makroökonomik“ von 2012 habe ich erstmals die bestehende Vermutung dazu kurz niedergeschrieben, die nun ausgeführt wird, wobei manche Korrekturen, Kürzungen und Ergänzungen des Üblichen vorgenommen werden mussten. So geht es um Menschen und Bevölkerungen (Teil A), um Geld, Zeit und Machtzuteilung durch aktive Buchgeldschöpfung (Teil B), um die meist unauffällige Fehlvorstellung einer Wirtschaft als „Maschinerie“ (Teil C), um das populäre Zielebündel hinter dem Wunschbild eines „starken Staates“ und eine bescheidenere, praktikable Modellierung (Teil D), unvermeidlich sind sodann „Step Cycles“, Resilienz und Regionales (Teil E), keine Wachstumstheorien, sondern nur Entwicklungsimpulse durch Geldkapital erscheinen machbar (Teil F), abschließend geht es um vergessene Beiträge des Namensvetters Adolph Wagner und um ein Resümee unter dem Stichwort „Koexistenzparadoxon“ (Teil G). Dabei sind „beschränkte Rationalität“, „Animal Spirits“, die „Wucht des Freiheitsgedankens“ und erschwerte Steuerungsgedanken mit zu erörtern.
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Vorwort
Anhänge betreffen Europa und den Euro (Anhang 1), die Anlehnung der Rechtswissenschaft an die Ökonomik (Anhang 2) und ein Sachverzeichnis. Nicht behandelt werden die Schwierigkeiten einer Euro-Stabilitätsspolitik aufgrund der persistenten Heterogenität des Euro-Währungsraumes. Namhafte Nationalökonomen haben inzwischen eingesehen, dass sie bisher ganz aussichtslos wie Physiker zu arbeiten versucht haben. Ungeachtet aller Ausdrucksweisen (mit Algebra oder verbal in verschiedenen Sprachen) ist „Das Ungefähre“ zweifellos berichtigend und zukunftsweisend. Es betrifft Fachleute und Laien gleichermaßen. Rottenburg, im September 2022
Adolf Wagner
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Dreierlei Antriebe zur Bereinigung der Nationalökonomik . . . . . . . . . . 9
Teil A
Menschen und Bevölkerungen
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1. Veränderliche Menschen und Bevölkerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Eine Veblen-Schopenhauer-Bevölkerung und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Macht haben und Macht ausüben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4. Globalisierung, Wirtschaftsunion und Neo-Kolonialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Teil B
Geld, Zeit und Machtzuteilung
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5. Geldwohlstand und Zeitwohlstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6. Budgetdisziplin stabilisiert individuell und kollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7. Aktive Buchgeldschöpfung und Machtzuteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 8. Die Nicht-Neutralität von Geldmengenänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Teil C
Maschinerie und Methodologie
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9. Die Fehlvorstellung vom „Maschinenmodell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 10. Die Nationalökonomik ist keine Sozialphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 11. Ungefähre, unscharfe und bereinigte Ökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 12. Staatsform und Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Teil D
Starker Staat und neue Modellierung
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13. Zwischen Skepsis und Hoffnung auf den guten, starken Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 14. Dynamische Makromodelle transportieren Wirtschaftstheorien für Epochen von Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
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Inhaltsverzeichnis
15. Verformungen der Makromodelle als Strukturwandel und Evolution . . . . . . . . . . . . 54 16. Stützel-Raabe-Modelle mit Einperioden-Theorien zu bevorzugen . . . . . . . . . . . . . . 55
Teil E
Wachstumszyklen, Resilienz und Regionales
61
17. „Step Cycles“ als evolutorische gesamtwirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . 61 18. Induzierte Resilienz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 19. Macht im Kreislauf-Ungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 20. Regionalökonomik: Endogene Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Teil F
Kapitalien, Impulse und Vorauswirtschaft
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21. Unechte Kapitalakkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 22. Wicksell-Effekte verbinden Geldkapital und Realkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 23. Entwicklungsimpulse durch Geldkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 24. Fortschritte, Vorauswirtschaft und Faktorpreis-Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Teil G
Abschließende Bemerkungen
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25. Frühe Schritte der Erneuerung durch Adolph Wagner (1835–1917) . . . . . . . . . . . . . 94 26. Für oder gegen das Koexistenzparadoxon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Anhang 1: „How to get Europe and the Euro shockproof?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Anhang 2: Begrenztes ökonomisches Erfahrungswissen und die Rechtswissenschaft. Einige Thesen und Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
„Nationalökonomie wozu?“ Walter Eucken (1891–1950) „Zum Einüben in das Systemdenken.“ Adolf Wagner (geb. 1939)
Einleitung: Dreierlei Antriebe zur Bereinigung der Nationalökonomik Die Nationalökonomik als die Wissenschaft für das bestmögliche Funktionieren einer staatlich eingebundenen Volkswirtschaft zum Wohle aller sowie des Gemeinwesens und befreundeter Staaten bedarf der Bereinigungen nach dreierlei Beweggründen: 1. Wegen teilweiser Verirrungen des Konventionalismus, wie man Maurice Allais (1911–2010) verstehen darf: „Die vorherrschenden Ideen, so irrig sie auch sein können, gewinnen einfach durch ständige Wiederholung den Charakter von etablierter Wahrheit, die man nicht in Frage stellen kann, ohne sich dem Bannstrahl des ‚Establishments‘ auszusetzen.“ 2. Wegen Fehlorientierungen im Feld möglicher Quasi-Theorien, wie man Joseph Stiglitz (geb. 1943) verstehen darf: „Innerhalb der Kathedrale der Volkswirtschaftslehre gibt es viele Kapellen, die speziellen Problemen ‚geweiht‘ sind. Jede hat eigene Priester und sogar ihren eigenen Katechismus.“ 3. Wegen unbefriedigter Erwartungen politischer Entscheidungsträger, wie dies Edmond Malinvaud (1923–2015) unmißverständlich ausdrückte: „That our present economic theories still are deficient, needs no elaboration. We must realize that … significant changes have taken place in the implicit models used by those deciding the main lines of economic policy or those advising on this policy.“ Manche Leute sagen deshalb, es gehe um eine stets unfertige Wissenschaft unter Leistungsdruck für Gutachten. Karl Brandt (1923–2010), mein Vorvorgänger als Direktor des IAW Tübingen, verstand die Geschichte der Volkswirtschaftslehre als einen „nicht endenden Prozeß des Suchens nach neuer Erkenntnis, um die ständigem Wandel unterliegende, erfahrbare Welt besser erklären und verstehen zu können.“ Im Sinne von Wilhelm Roscher (1817–1894) ist die Nationalökonomik ein Teil des universalgeschichtlichen Begreifens der Welt – mit Ausleuchtung des erkenntnistheoretischen und philosophischen Hintergrundes, nach älterem Verständnis auch eine „politische Klugheitslehre“. Schwerlich zu akzeptieren ist es für viele Berater und Beratene, prinzipiell keine regelrechte, immer und überall gültige Wirtschaftstheorie haben zu können, sondern sich mit der „begrenzten Wahrheitsfähigkeit“ aller Sozialwissenschaften (und sogenannten Quasi-Theorien) begnügen zu müssen. Die Gründung der „Econometric Society“ im Jahre 1930 löste eine Zusammenschau von (a) Wirtschaftstheor ie oder Denkökonomik (we-
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Einleitung
gen der Problemstellungen und Ergebnisdeutungen), (b) Ökonometrie (wegen der Test- und Schätzverfahren), (c) Wirtschaftsstatistik (wegen des Zustandekommens und der Fehlerrisiken statistischer Daten und sonstiger Informationen) aus. Sie brachte dabei auch einige illusorische Machbarkeits-Erwartungen mit sich. Insbesondere gibt es in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften keine regelrechte Falsifikation von Hypothesen, sondern nur „innocuous falsifications“ (sogenannte Als-ob-Falsifikationen). Die vorliegenden Ausführungen haben eine lange Vorgeschichte. Von weitgehender Standard-Mikroökonomik und Standard-Makroökonomik der im Jahre 2009 neu aufgelegten Lehrbücher führte der Weg der Materialsichtung – insbesondere – über Evolutorische Makroökonomik (2012), Skeptische Nationalökonomik (2017), Wohlfahrtsökonomik (2020) und All you need is cash (2021). Da man je nach erstem Antrieb an vielen Stationen in das reiche geschriebene Wissen eintreten kann, untermauern meine sämtlichen Schriften seit 2009 die vorliegenden Ergebnisse: Schriftenauswahl (aus www.adolfwagner.eu) zur möglichen Vertiefung: • A. Wagner (2009a): Mikroökonomik. Volkswirtschaftliche Strukturen I, 5. Aufl., Marburg. • A. Wagner (2009b): Makroökonomik. Volkswirtschaftliche Strukturen II, 3. Aufl., Marburg. • A. Wagner (2009c): Volkswirtschaft für jedermann. Die Marktwirtschaftliche Demokratie, 3. Aufl., München. • A. Wagner (2012): Evolutorische Makroökonomik. Innovative Modifikationen zur Stan dardökonomik, Marburg. • A. Wagner (2014b): How to get and stay rich and happy. Über Wohlstand, Wachstum und Verteilung. Bekanntes und Unbekanntes, Marburg. • A. Wagner (2015a): Arbeitsmarktökonomik. Ein Leitfaden für Führungsleute und Mitarbeiter. Der etwas andere Zugang, Marburg. • A. Wagner (2015b): Eine kleine Meta-Makroökonomik. Das Wichtigste aus meiner Sicht zur Evolutorischen Makroökonomik, Marburg. • A. Wagner (2016a): Marktformen, Verhaltensweisen und Spielregeln. Leichte Zugänge zur volkswirtschaftlichen Mikroökonomik, Marburg. • A. Wagner (2016b): Robustheit, Elastizität und Antifragilität einer Volkswirtschaft. Neue Akzente einer angewandten Wohlfahrtsökonomik, Marburg. • A. Wagner (2017): Skeptische Nationalökonomik. Von Schwierigkeiten mit Menschen, Bevölkerungen und Systemen. Zur guten Erinnerung an Kurt Rothschild (1914–2010) und Wolfgang Stützel (1925–1987), Marburg. • A. Wagner (2018a): Verteilungstheorien. Eine zukunftsorientierte Nachschau, E-Book von www.adolfwagner.eu herunterzuladen. • A. Wagner (2018b): Endlich Wohlstand und Gerechtigkeit für alle? Volkswirtschaft für jedermann, 4. Aufl., E-Book von www.adolfwagner.eu herunterzuladen.
Einleitung
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• A. Wagner (2018c): Bauteile der Nationalökonomik. Zur guten Erinnerung an Ernst Helm städter (1924–2018), Marburg. • A. Wagner (2019): Zur rechenhaften Stabilisierung einer freiheitlichen Wirtschaftsgesellschaft. Zwischen Kinetik und Kybernetik. Zur guten Erinnerung an Günter Krüsselberg (1929–2018) und Erich Reigrotzki (1902–1997), Marburg. • A. Wagner (2020): Eine Wohlfahrtsökonomik für die neuen Zeiten und die Menschen in einer fragilen Welt. Zur guten Erinnerung an Eberhard M. Fels (1924–1970) und Heinrich Strecker (1922–2013), Marburg. • A. Wagner (2021): All you need is cash. Ein Wegweiser für die Ökonomie, 4. Aufl., Marburg.
Die nachfolgenden Ausführungen verstehe man als eine Handreichung für Beratungen anhand gängiger Lehrbücher, wobei durch meine deutschsprachigen Bearbeitungen der Lehrwerke von Gregory N. Mankiw, Mark P. Taylor und Andrew Ashwin gegenwartsnahe Entwürfe der angloamerikanischen Ökonomik mit berücksichtigt sind. Eingegangen sind hier ferner die Beratungserfahrungen aus der Leitung von Forschungsinstituten und den vorakademischen Erfahrungen im bayerischen Sparkassenwesen. Als „Angehöriger“ der Universität Leipzig im Ruhestand und zweier aktiver Wissenschaftlervereinigungen (Ausschuss für Evolutorische Ökonomik und Keynes-Gesellschaft) bleiben mir Neuerungen nicht verborgen. Das Buch sei letztlich eine Hilfe beim Aufspüren „weicher Stellen“ in Wirtschaftsgutachten. Wissenschaftsfähige Demokratie: Alter und neuer Deutscher Bundestag von 2021 enthalten zahlreiche junge Abgeordnete, die mit ihrer Unkenntnis eine skeptische Vermutung des Tübinger Wirtschaftspolitikers Manfred Wulff (geb. 1933) von 1985 bestätigen: Dass sich durch Wahlen keine leistungsfähige Elite bildet, weil sich die Eigenschaften für einen Wahlerfolg nicht mit den erforderlichen Eigenschaften für den späteren Arbeitserfolg decken (Wulff 1985, S. 154). So glaubte ein Junger anregen zu müssen, dass die „Demokratie wissenschafts fähig“ und die „Wissenschaft demok ratiefähig“ werden solle. In der Bundesrepublik Deutschland wird dieses Vorhaben spätestens seit Mai 1958 betrieben, als das Wirtschaftsministerium diese exzellente Dreiergruppe von Professoren gewinnen wollte: Wilhelm Kromphardt (1897–1977), Erich Preiser (1900–1967) und Heinz Sauermann (1905–1981). Später kam es – bis heute – zur Umsetzung des Vorhabens mit weniger umfassend qualifizierten Leuten. Der erste Schwung verebbte, als man nicht mit der Meinungsvielfalt umzugehen wusste und von politischer Seite nur noch rituelle Schritte geschahen (Wagner 2021, S. 134). Weiter zurückreichende Wellen „der Anerkennung und des Versagens“ der Nationalökonomik beschrieb der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt (geb. 1929) im Jahre 2001. In Deutschland und anderswo „stand in der Nachkriegszeit die Wirtschaftswissenschaft in hohem Ansehen“ (Borchardt 2001, S. 203), wobei immer wieder einmal eine „Neuordnung von Lorbeerkränzen auf den Gräbern von
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Einleitung
Ökonomen“ geschieht (Borchardt 2001, S. 221). Der Fortschritt des Faches ist insgesamt nur mit Bedacht einzuschätzen, da man ihn nicht zweifelsfrei zuordnen kann und Wohlfahrtswirkungen schwerlich zu erkennen sind, weshalb man sich auf die Laienökonomik („folk economics“) konzentrieren und diese kritisch begleiten sollte (Helmstädter 1999). Als das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen am 18. Juli 1957 gegründet wurde, konnte oder wollte die Universitätsforschung bestimmte Arbeitsaufgaben noch nicht übernehmen, die später als sogenannter Wissens- oder Forschungstransfer betrieben wurden. Die Nachfrage aus der Praxis stellte dem IAW damals „die Aufgabe, Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der ökonomischen Theorie, besonders auch der Ökonometrie, auf Fragen der Wirtschaft anzuwenden und die dafür notwendigen wirtschaftstheoretischen Grundlagen zu erarbeiten“ (wie es ganz ähnlich in den Satzungen aller Trägergesellschaften in Deutschland hieß). Nichts weniger als die Suche nach einem empirisch bewährten Systemwissen schwebte den potenziellen Auftraggebern, den Regierungen, Parlamentariern und Unternehmungen sowie ihren Verbänden vor. Simple Übertragung gültiger, einvernehmlicher Theorie und Deutung war beabsichtigt und ist weiterhin im Idealfall als Rat erwünscht. Man betrieb seither mit großem Ernst und Zuversicht das, was der Historiker und Essayist Thomas Carlyle (1795–1881) mit Blick auf die Politische Ökonomik seiner Zeit als die „Dismal Science“, die unheilbringende Wissenschaft, abwertete und vielen anderen entsprechende negative Vorlagen gab. Noch im Jahre 1985 legte Manfred Wulff (geb. 1933) von der Universität Tübingen eine kritische Abwertung wissenschaftlicher Beratungen vor (Wulff 1985, S. 5): „Das Versagen der Wirtschaftswissenschaftler als Berater der Politiker kann mit der Eigenart des Untersuchungsobjektes der Wirtschaftswissenschaft erklärt werden.“ Im Jahre 2015 griff Dani Rodrik (geb. 1957) „The Rights and Wrongs of the Dismal Science“ auf. Dringend zu behandeln ist nachfolgend die Frage, ob, wie und bis zu welchen Grenzen man trotz aller Unzulänglichkeiten der Nationalökonomik eine ernsthafte wirtschaftswissenschaftliche Beratung zu leisten vermag. Paul Krugman (geb. 1953), Nobelpreisträger, kritisierte die scheinbaren Neuerungen der Makroökonomik der letzten Jahrzehnte als „bestenfalls auf spektakuläre Weise nutzlos“ (gemessen am vorhandenen Fundus). Zwar sind die von der Gründung der „Econometric Society“ 1930 herrührenden Impulse wichtig und richtig, doch muss man sorgfältig darauf achten, die Territorien sowie die Aussage- und Beratungsepochen zu unterscheiden: • Für Vergangenheit und / oder Gegenwart kann man empirisch gültige dynamische Makromodelle entlang verfügbarer Daten und sonstiger Informationen herleiten und daraus per Entscheidung die plausibelste Variante nach „best practice“ vertreten. • Für die Zukunft kann man nur partiell Planungsdaten (etwa Haushaltspläne mit „Leserer“Daten) verwerten, jedoch niemals insgesamt mit verarbeitbaren Daten rechnen.
Einleitung
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Wirtschaftswissenschaften sind keine Ansammlung konkreter Wahrheiten, sondern zur Entdeckung konkreter Wahrheiten einzusetzen, weiß man von A lfred Marshall (1842–1924), John Maynard Keynes (1883–1946) und Paul Mombert (1876–1938). Eingeübtes Systemdenken auf eigene Fragen anzuwenden, erfuhr man stets auf die von Walter Eucken (1891–1950) formulierte Frage „Nationalökonomie wozu?“. Dabei stellen sich gelegentlich herbe Misserfolge ein: „Schlechte Logiker haben unabsichtlich mehr Verbrechen angerichtet als schlechte Menschen absichtlich“, argwöhnte der französische Abgeordnete Pierre S. Du Pont im Jahre 1790. Ein anderer französischer Abgeordneter und Nationalökonom, Frédéric Bastiat (1801–1850), befürchtete eine besondere Schieflage des Denkens: „Der Staat ist die große Fiktion, mit deren Hilfe sich jeder bemüht, auf Kosten aller zu leben.“ Der einstige US-Starjournalist Henry Hazlitt (1894–1993) sah dabei die Ziele von Eigennutz bei wirtschaftspolitischen Vorschlägen als verwerflich und korrekturbedürftig an. Zweit-, Dritt- und weitere Folgewirkungen hielt er für besonders bedeutsam. Der Wissens- oder Forschungstransfer des Hochschulwesens in die Praxis entwickelt sich stets weiter, wobei sich die leitenden Ideen und die Randbedingungen verändern. Hauptrichtungen sind gegenwärtig die „Digitalisierung“ (Hemel 2020) sowie der Patentschutz und die veränderten Gebräuche bei Publikationen, worüber der Hochschulverband berichtet. Der Konferenzband von Diedrich / Heilemann 2011 entstand aus Anlass des 600jährigen Gründungsjubiläums der Universität Leipzig am 3. Dezember 2009. Die Leitfrage hat inzwischen einiges an Aktualität eingebüßt. Typisch an den Beiträgen ist das, was bei allen sozialwissenschaftlichen Forschungen mit Bedauern bemerkt werden muss: Es findet ein Wettlauf zwischen Vergessen und Unterdrücken sowie Neuentdecken und Fortentwickeln statt. Auffällig an Fehlendem ist der Rektoratsband von 1997, doch auch die DFG-finanzierten empirischen Untersuchungen der Medizinbereiche der Universitäten Tübingen und Marburg (Wagner 1987 und 1990) hätten Anknüpfungsunkte geboten. Alles in allem geht es hier um die möglichst gute erreichbare Qualität der Beratung, die prinzipiell niemals ganz exakt sein kann. Wissenschaftsfreiheit als Innovationshemmnis. Zwar heißt es: „Keine Begierde ist natürlicher als die Begierde nach Wissen“ (so Michel de Montaigne, 1533–1592). Neues, besseres Wissen diffundiert jedoch nicht ohne weiteres in die Lehrbücher und in die Lehre. Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch. Doch welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt von den Umständen ab. Der süddeutsche Volksmund sagt: „Viele Köpfe, viel Sinn.“ Der spanische Philosoph Baltasar Gracián (1601–1658) sagte es ausführlicher (Gracian 2012, S. 84): „So viele Sinne als Köpfe, und so verschiedene.“ Begreift man das vielfältige Angebot aller Richtungen heterodoxer Ökonomik als einen großen und permanenten Inventionsschub für die Standardökonomik, so wirkt die vieltausendfache Anzahl von Professoren- und Wissenschaftlerköpfen weltweit – trotz gewisser multinationaler Gleichschaltungen von der angloamerikanischen Ökonomik her – per verfassungsmäßiger Wissenschaftsfreiheit als Inno-
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Einleitung
vationsfilter und Innovationshemmnis. Die Wissenschaftler müssten bereit sein, Fortschrittsimpulse – nach eigener Überzeugung – aufzunehmen, mit dem Ziel (a) bislang geltendes Wissen zu substituieren, (b) zusätzliches Wissen kumulativ einzuführen und (c) zirkulär erneute Bearbeitungen altbekannter Fragen zur Kenntnis zu nehmen. Von nicht geringer Bedeutung erscheinen mir dabei Umdeutungen („Framing“) und Fehldeutungen durch das Publikum. Ein Filter der Wissenschafts freiheit berufener Leute ist ebenso beachtlich wie ein ständiger Wettlauf von Vergessen, Verdrängen, Erneuerung und Wiederentdeckung. Wissen ist jene Erkenntnis, die der Wahrheit ihres Gegenstandes oder Sachverhaltes gewiss ist, indem sie dessen Tatsächlichkeit feststellt und sich der natürlich-einsichtigen Gründe seines Da- und Soseins versichert. Fachwissen der Nationalökonomik über das Funktionieren von Volkswirtschaften wird stets nur raum-zeitlich relativiert als gültig betrachtet. Man akzeptiert eine „begrenzte Wahrheitsfähigkeit“ sozialwissenschaftlicher Natur. Altes und neues Wissen halten sich nebeneinander und ergeben auf diese Weise oftmals ein Koexistenzparadoxon.
Neues Wissen wird als Invention erfunden oder gefunden. Vieles wird der Vorteile für die Menschen wegen unternehmerisch über die Marktmechanismen oder politisch über die Demokratiemechanismen als gewerbliche Innovation umgesetzt. Vorrangig bekannt ist ein Wissen, das unternehmerisch – soweit es sich kurz- oder mittelfristig mit Kostendeckung oder mehr rechnet – in Produkt- oder Prozessinnovationen umgesetzt wird. Prozessinnovationen senken die Herstellungskosten und oft auch den Kaufpreis altbekannter Produkte für die Nachfrager, die Konsumenten oder anderweitige Investoren. Produktinnovationen führen zu völlig neuen oder merklich verbesserten Produkten, die latente neue oder auch alte Bedürfnisse befriedigen. Produkt- und Prozessinnovationen werden in der angloamerikanischen Literatur neuerdings gelegentlich als „Business-Innovations“ oder B-Innovationen bezeichnet. Darüber hinaus veranschlagt man – über Joseph A. Schumpeter (1883–1950) hinaus – die bislang vernachlässigten „Common-Innovations“ oder C-Innovationen des privaten Haushaltssektors, die „Finance-Innovations“ oder F-Innovationen sowie insgesamt alle letztendlichen „System-Innovations“ oder S-Innovationen.
„Die Vertreibung des Menschen als lebendiges Wesen aus den Modellwelten der Ökonomik hat dramatische Folgen.“ Joachim Güntzel (geb. 1961)
Teil A
Menschen und Bevölkerungen 1. Veränderliche Menschen und Bevölkerungen 1.1 Das vorrangige Studium des Menschen Das Studium des Menschen sei die wichtigste Seite der Nationalökonomik (so Alfred Marshall, 1842–1924, und Carl Jentsch, 1833–1917) neben dem Studium ustafsson, der Wohlfahrt. Doch niemand weiß genau, was ein Mensch ist (so Lars G 1936–2016). „Der Mensch kennt alle Dinge der Erde, aber den Menschen kennt er nicht“ (so Johann H. Pestalozzi, 1746–1827), wobei der Mensch für den Menschen das Interessanteste sein sollte (so Johann W. von Goethe, 1749–1832). Nachwachsende und Zuwandernde bedürfen einer Sozialisierung und Zähmung (so Arthur Schopenhauer, 1788–1860, Frédéric Le Play, 1806–1882, und Joan Robinson, 1903–1983). 1.2 Die Typenvielfalt der Menschen Menschen darf man nicht zu simpel auf Arbeitskräfte oder Konsumenten reduzieren. Die „ökonomischen Menschenfunktionen“ sind graduell von Person zu Person abgestuft (Wagner 2012, S. 302): Alle sind (1.) potenzielle Verbraucher und Nachfrager, viele sind alters- und gesundheitsbedingt (2.) Nutzer staatlicher Einrichtungen. (3.) Potenzielle Arbeitskräfte werden alters- und gesundheitsabhängig gezählt. (4.) Wissensträger, (5.) potenzielle Erfinder und (6.) Unternehmer sind in der Demografie angelegt. (7.) Kulturträger, (8.) potenzielle Elternteile und (9.) Staatsbürger sowie (10.) Träger von Aufgaben in allen Institutionen sind die Men schen auch. Liest man bei Michel de Montaigne (1533–1592) von der einhelligen Weltmeinung, „dass Vergnügen unser Zweck sei, obgleich man über die Mittel verschieden denkt“, so stößt man auf die Typenvielfalt, die Lionel Robbins (1898–1984) im Jahre 1932 mit Blick auf die „Innenleitung“ der Menschen erkannte: Bei verbreitetem Luststreben sind die Argumente der imaginären Nutzenfunktionen höchst unterschiedlich: „our economic subjects can be pure egoists, pure altruists, pure ascetics, pure sensualists or – what is more like – mixed bundles of all these impulses“. Beabsichtigte Nutzenmaximierung durch vieles an höchst Unterschiedlichem könnte also gemeint sein – nach Montaigne, nach Robbins und nach vielen anderen.
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Teil A: Menschen und Bevölkerungen
1.3 Das Staatsvolk der Staatsangehörigen wird unscharf Staat und Volkswirtschaft ruhen auf der Bevölkerung, dem Staatsvolk, als der wichtigsten von drei Säulen neben Staatsgebiet und Staatsgewalt (so Georg Jellinek, 1851–1911). „The ultimate resource is people – skilled, spirited, and hopeful people – who will exert their wills and imaginations for their own benefit.“ And: „Population growth has long-term benefits, though added people are a burden in the short run“ (so Julian L. Simon, 1932–1998). Betriebe sind dann am produktivsten, wenn ihre Belegschaft zusammensteht und sich durch einen „Corpsgeist“ oder eine „Corporate Identity“ verbunden fühlt. Vergleichbares gilt auch für die Bevölkerung einer „Volks“-Wirtschaft und insbesondere für die Staatsangehörigen (das Staatsvolk). Man weiß es lange schon von Ernest Renan (1823–1892) und Joan Robinson (1903–1983): „A society cannot exist unless its members have common feelings about what is the proper way of conducting its affairs, and these common feelings are expressed in ideology.“ Man spricht bisweilen vom Wertekonsens einer Gesellschaft, von Verfassungskultur oder auch von Leitkultur. Der juristische Begriff des Staatsvolks als der Gesamtheit der Staatsangehörigen ist für die ökonomische Argumentation unscharf geworden. Nach axiomatischer Ökonomik bestimmt der wahlberechtigte Teil des Staatsvolks zwar mit seinen Präferenzen und Vorlieben das gesamtwirtschaftliche Dispositionsgleichgewicht („top-level equilibrium“), doch stören dabei Mehrfach-Staatsbürgerschaften sowie grundsätzliche Probleme: Darf sich ein Staatsvolk zum eigenen Nutzen eine Unterschicht (z. B. „Gastarbeiter“) in das Land holen? – habe ich 1975 vergeblich auf einer wissenschaftlichen Tagung gefragt. Jagdish Bhagwati (geb. 1934) und Paul Krugman (geb. 1953) stellten 1992 bzw. 1991 die Frage, welche Gruppen von Einwohnern (ungeachtet der Staatsangehörigkeit) – da und dort – überhaupt in der nationalen oder sozialen Wohlfahrtsfunktion eine Rolle spielen sollten. Die Freizügigkeit in der EU hat derlei Fragen noch dringlicher gemacht. 1.4 Eine soziologisch-demografische Begriffsbestimmung der Bevölkerung N. Gregory Mankiw (geb. 1958) und Mark P. Taylor stellen lapidar fest: „An economy is just a group of people interacting with one another as they go about their lives.“ Beliebige statistisch ortsanwesende Menschenmassen da und dort können den Voraussetzungen eines integrierten Staatsvolks kaum jemals genügen. Der Tübinger Rechtswissenschaftler Michael Ronellenfitsch (geb. 1945) schrieb ausführlicher zur Identität des Staatsvolks: „Deutschland ist ein zugleich pluralistischer und wertgebundener Staat. Er ist Kulturstaat auch in dem Sinn, dass durch überkommene kulturelle Wertvorstellungen, die in das Grundgesetz und die Ver fassungen der Länder eingeflossen sind, Identität des Staatsvolks erzielt wird.“ Feindselige innere Spaltungen der Bevölkerung sind in jedem Fall zu vermeiden, ebenso nach Möglichkeit akkulturierte Zuwanderung (Kaufmann 1975, S. 209).
1. Veränderliche Menschen und Bevölkerungen
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1.5 Fakten der Populationsdynamik Ein Blick auf den großen Rahmen sowie auch auf die Evolution der Bevölkerung: Auf der Erde gibt es derzeit nahezu 7,5 Milliarden Menschen, die alle gut und glücklich leben wollen sowie ausnahmslos alle staatlich eingebunden sind. In freiheitlichen Gesellschaften ist effizientes Wirtschaften zur Zufriedenheit der Bevölkerung demnach wesentlich von guten staatlichen Rahmenbedingungen abhängig. In Deutschland belief sich die Bevölkerung Ende 2017 auf 82,8 Millionen Menschen, und zwar auf 73,1 Millionen Staatsangehörige (juristisch das Staatsvolk) und 9,7 Millionen sonstige legal ortsanwesende Menschen (Ausländer). Insgesamt weist das „Volk“ der deutschen Volkswirtschaft im Generationenmaßstab mit einer statistischen Nettoreproduktionsrate (NRR) von nur 0,758 (des ungefähren Ersatzes der Mütter- durch die Töchtergeneration) eine Schrumpfungstendenz auf, die wesentlich auf der absehbaren Schrumpfung der staatsangehörigen Altbevökerung (mit einer NRR von 0,703) beruht, wohingegen der ausländische Bevölkerungsanteil (ohne alle weiteren Zuwanderungen) wachsen wird (mit einer NRR von 1,038). Nach Erkenntnissen des Bevölkerungsmathematikers Nathan Keyfitz (1913–2010) ist die langfristige Bestandserhaltung einer Bevölkerung nur endogen durch eine hinreichende Neigung der Ansässigen zum Kinderhaben möglich (NRR = 1). Dafür treten Oswald von Nell-Breuning (1890–1991), Herwig Birg (geb. 1939) und viele andere nachdrücklich ein, damit Staat und Nationalökonomie ohne Turbulenzen erhalten werden können. 1.6 Solidaristische Menschen, Satisfizierungsverhalten und Umgestaltung der Welt Oswald von Nell-Breuning schwebt der Typ eines solidaristischen Menschen vor, d. h. einem Mittelding zwischen einem individualistischen und einem kollektivistischen Menschentyp. Spätestens seit der Ehrung von Herbert A. Simon (1916–2001) ist begrenzte oder beschränkte Rationalität aller Entscheider zu unterstellen, womit einerseits den beschränkten perzeptionellen, kognitiven und intellektuellen Verarbeitungs- und Speicherungskapazitäten Rechnung getragen wird und andererseits die unerfüllbare Verhaltensannahme einer simultanen Maximierung einer Zielfunktion durch das empirisch plausiblere Satisfizierungsverhalten (d. h. des Suchens und Auswählens einer halbwegs befriedigenden Alternative) ersetzt wird. Mit weitreichenden Konsequenzen verbunden ist die Überzeugung, Menschen seien nicht nur Anpasser an vorfindliche Lagen, sondern selbst aktive Betreiber einer wünschenswerten Umgestaltung der Faktenlage. Man braucht nicht zu betonen, wie unkalkulierbar ein zukünftiges Verhalten von Wirtschaftseinheiten ist, die gelegentlich künftiger Entscheidungen zugleich das Entscheidungsfeld umzugestalten trachten. Aus dem von Hans Küng (1928–2021) gegründeten Tübinger „Weltethos-Institut“ heraus regte Claus Dierksmeier (geb. 1971) „Refraiming Economic Ethics“ an
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(Dierksmeier 2016b). Dierksmeier griff dabei tief in die philosophiegeschichtlichen Vorräte hinein, ohne wichtige ökonomische Denkfiguren korrekt nachzeichnen und einschätzen zu können. „Bottom up“ hätte man von Tübingen aus gewiss den weltbekannten Friedrich List (1789–1846) mit zu Wort kommen lassen müssen; denn er war und ist dem Volke sprachnäher, als er z. B. gegen die sieben christ lichen Todsünden wetterte. Eugen Wendler (geb. 1939), der weithin bekannte ListForscher, übermittelt sie uns in dieser Fassung (Wendler 2020, S. 58): (1) Willkür der Beamtenaristokratie und Krebsgeschwür der Korruption, (2) Körperliche Schwerstarbeit, insbesondere von Frauen und Kindern, (3) Ausbeutung von Arbeitnehmern durch die Unternehmerschaft, (4) Sklaven- und Drogenhandel, (5) Habgier und Spekulationssucht, (6) Natur- und Umweltzerstörung, (7) Nationale Hybris und nationaler Egoismus.
Für Eugen Wendler qualifizierte sich Friedrich List zu seiner Zeit bereits als ein „Ökonom mit Weitblick“ und ein „Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft“. Als beachtliche Erkenntnisse werte ich das Eintreten gegen Natur- und Umweltzerstörung (6.) und die erkennbare machtpolitische Ablehnung von Eroberungskriegen (7.). 1.7 Sachpolitik und öffentliche Meinung Sachpolitik stellte man sich in etwa so vor: Diagnose der Lage aufgrund empirischer Forschung, Vergleich des Lagebildes mit parlamentarisch festgelegten MakroZielen, Entscheidung für zielführende wirtschaftspolitische Maßnahmen aufgrund erfahrungsgestützten Systemwissens, Erfolgskontrolle und Politikbewertung. Dieser Standpunkt begegnet entscheidungstheoretischen und politikwissenschaftlichen Einwänden. Für Gruppen lässt sich kein schlüssiges Zielsystem aus den Präferenzen der Mitglieder ableiten, wie man von Kenneth J. Arrow (1921–2017) und dem Arrow-Paradoxon oder dem älteren Condorcet-Paradoxon weiß. Gruppenentscheidungen und Mehr-Personen-Entscheidungen überhaupt lassen sich nicht streng rational begründen. Hinzu kommen auf lange Sicht die demografischen Veränderungen des Wählerpotenzials, die alte Mehrheiten schwinden und neue Mehrheiten entstehen lassen. Ganz im Sinne des US-Politikwissenschaftlers Murray Edelman (1919–2001) kommt es zu einer veränderten Auffassung von Wirtschaftspolitik, die der Schweizer Nationalökonom Alfred Meier (geb. 1937) bereits im Jahre 1988 als ein bloßes Management der öffentlichen Meinung umschrieb: „Zweck allen wirtschaftspolitischen Handelns ist es letztlich, die Leute zufrieden zu stellen, indem ein wahrgenommenes Problem verschwindet. Wirtschaftspolitik kann in diesem Sinne
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auch als Management der öffentlichen Meinung gesehen werden, das auf der Erzeugung realer (Veränderung der Umweltbedingungen) und symbolischer Effekte (Beeinflussung von Wahrnehmung und Ordnungsvorstellungen) beruht“ (Wagner 2009c, S. 34). Meier würde wohl zustimmen, wenn man seine Position so deutet: Sachpolitik alter Art plus Meinungsmache. In der Standardökonomik weiß man um eine Makroökonomik des Ungefähren (Wagner 2012, S. 345–346), die aus einer Überforderung der Aggregationstheorie herrührt, aber auch auf Plänekompatibilität und Strömesynchronität zurückgeht (Wagner 2009a, S. 20) sowie unvermeidlich die unscharfen Begriffe der Theorie und die ungenaue statistische Adäquation ber ücksichtigt. Die hier erwähnten politikwissenschaftlichen und entscheidungstheoretischen Umstände stellen einen weiteren grundsätzlichen Beitrag zum Ungefähren dar. „Vermauert ist dem Sterblichen die Zukunft.“ Friedrich Schiller (1759–1805)
2. Eine Veblen-Schopenhauer-Bevölkerung und Gesellschaft 2.1 Ein Blick auf das Ganze Der US-Politikwissenschaftler Murray Edelman (1919–2001) schrieb: „Was der Mensch ist, ganz zu schweigen davon, was er will, ist zum Teil Produkt des poli tischen Systems, wie er umgekehrt das System auch bedingt. Das ‚Wesen des Menschen‘ und das Funktionieren des Systems sind Teil ein und desselben Zusammenhangs“ (Edelman 2005, S. 16). Drückt Edelman damit eine bekannte Überzeugung von Karl Marx (1818–1883) aus, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt? Von daher darf man fragen, ob die Typenvielfalt der juristischen und soziologischen IstGesellschaft in bestimmter Weise mit dem Kapitalismus korreliert ist, der in jeder Form nach Adam Smith (1723–1790) „the best government policy for the growth of a nation’s wealth sees in a policy which governs least“. Gewiss zählt hierbei die besondere Kenntnis von Thorstein Veblen (1857–1929), einem Vorläufer der Nationalökonomik und der Soziologie, erworben unter Zeitgenossen der USA und formuliert mit Blick auf Einstellungen zur Zufriedenheit mit Einkommen und Vermögen. Veblen schrieb 1899 in seiner „Theorie der feinen Leute“ („Theory of the Leisure Class“), das Streben nach Reichtum könne schwerlich eine individuelle Erfüllung finden, und eine Befriedigung des Wunsches nach Wohlstand offensichtlich auch nicht – wie die Verteilung auch immer sei. Damit ist nicht nur ein Urteil über die Unerheblichkeit nationalökonomischer Ver teilungstheorien festgelegt, sondern mehr noch: ein Wesenszug dominanter Teile der Bevölkerung – systembedingt vom Sein in einem bestimmten System. Immer, immer mehr, ungeachtet des bereits Erreichten und ungeachtet des Erfolgs der Mitmenschen, auf deren Mit- und Zusammenleben man sich eingelassen hat.
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Überhöht wird die alltägliche Bedeutung dieser unbegrenzt erwerbsgeneigten Bevölkerung – auch in einer Marktwirtschaftlichen Demokratie – durch einen durchsetzungswilligen und kämpferischen Bevölkerungsteil, den der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) als zivilisatorisch ungezähmt einschätzt. Im Demokratieteil einer „Marktwirtschaftlichen Demok ratie“ beobachtet man immer wieder neue Formen der kämpferischen Vorgehensweise von Gruppen. 2.2 Konflikthafte evolutorische Wirtschaftsbevölkerung? Man glaubt es kaum, was man aus der nachkolonialen Welt hört: „In most thirdworld countries, the state itself has been hijacked by gangsters, with every key institution (judiciary, banking, military, press etc.) debauched“ – schrieb George Ayittey (1945–2022), der afrikanische Präsident der „Free Africa Foundation“ aus Washington an den „Economist“. Gangstertum als banalisierte Form von Staatsmissbrauch im Gruppeninteresse ist nicht neu. 2.3 Opferbereite, rechtschaffene bürgerliche Gesellschaft? Die opferbereite, integrationsbesessene bürgerliche Gesellschaft, die unausgesprochen den Anfangspunkt der Nationalökonomik bildet, kann nicht generell als verwirklicht gelten. Der individualistische Charakterzug kann in kapitalistischen Systemen wie der Marktwirtschaftlichen Demokratie sehr verstärkt ausgeprägt sein. Eine Balance im Sinne des „solidaristischen Menschen“ nach Oswald von Nell-Breuning wird man nicht leicht als dominant vorfinden. „Die Erfahrung war, dass kaum ein Mensch verstand, was man ihm sagte. Dabei wollte jeder verstehen: alle waren ärgerlich wenn man ihnen diesen Erfolg vorenthielt.“ Sten Nadolny (geb. 1942)
3. Macht haben und Macht ausüben Als mein verehrter Münchener Diplom-Vater Erich Preiser (1900–1967) in seinem vielverkauften Büchlein „Nationalökonomie heute“ schrieb, die „Monopolpreisbildung“ sei „das sicherste Lehrstück der ganzen Preistheorie“ (Preiser 1992, S. 67), veranlasste er seine Leser zum Nachdenken, zur Ergänzung und zur Korrektur. Preiser dachte bei seiner Feststellung an Augustin Cournot (1801–1877), nicht aber an seinen Fakultätskollegen Bernhard Pfister (1900–1987). Für den voll informierten Cournot-Monopolisten mit dem Versuch einer Maximierung des Periodengewinns und die allermeisten Lehrbücher trifft Preisers Feststellung zu; für den
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moderneren Pfister-Monopolisten mit einem bescheideneren „Satisfizierungsverhal ten“ jedoch nicht. Am Vergleich des Cournot-Monopolisten und des Pfister-Monopolisten bricht das Problem der Überschrift auf. Wollen und werden Leute in einer Position der Marktmacht oder der Macht schlechthin diese Macht stets und ganz selbstverständlich auszunutzen, ja aus zureizen versuchen? Ja, nach Cournot. Nein, nach Pfister. Cournot sucht dabei eine Schreibtisch-Lösung des Mathematikers umzusetzen, Pfister regt zur Umschau in der Praxis an. Die Spaltung durchzieht auch die gesamte Oligopoltheorie, bei der die Informationserfordernisse um einiges höher liegen: Es geht den Oligopolisten um eine „konjekturale Strategie“, d. h. um eine Mengen- oder Preis setzung bei Berücksichtigung der vermuteten Konkurrentenreaktion mit Blick auf die Gesamtnachfrage oder die gemeinsame Preis-Absatz-Funktion. Mit Blick auf die Demokratiemechanismen vermisst man Ethische Verhaltensregeln für die Ab geordneten sämtlicher Parlamente. In beiden Mechanismen können Konstellationen von Macht angelegt sein (einerseits Marktmacht und andererseits politische Macht), die oftmals unerwähnt bleiben und der empir ischen Analyse überlassen sind. Die bekannte britische Fachkollegin Joan V. Robinson (1903–1983) schätzte den Monopolisten, der oftmals der obsiegende „letzte“ Wettbewerber ist, ähnlich vernünftig und zurückhaltend für aktuelles und zukünftiges Wirtschaften ein. Sein konkretes Verhalten des „Sufficing“ sei allerdings eine Sache der empirischen Klärung, keine Angelegenheit der Mathematik in der Studierstube wie bei Cournot. Die verzweigteste Diskussion über das absehbare Verhalten eines Monopolisten stieß Helmiut Arndt (1911–1997) an, ein früherer Kollege des Arbeitsfeldes „Evolutorische Ökonomik“ (Arndt 1994, S. 159–192). Sein Ausgangspunkt war die „Verharmlosung der Macht“ durch den Zuschnitt der volkswirtschaftlichen Mikroökonomik. Das Gesamtbild „Cournot-, Pfister- und Arndt-Robinson-Monopol“ wird nach Meinung des US-Politikwissenschaftlers Murray Edelman (1919–2001) allenfalls unvollständig und verzerrt analysiert, weil hinter einer scheinbar um Objektivität bemühten Wissenschaft stillschweigend Machtkampf und Täuschung darüber ablaufen. Er vertritt ein düsteres Bild politischen Geschehens und zieht Schlüsse von einer „Zweiwirklichkeitenebene“ aus (Edelman 2005). Der Schweizer Kollege Alfred Meier vertrat eine dazu passendes, neues Verständnis von „Wirtschaftspolitik“: „Zweck allen wirtschaftspolitischen Handelns ist es letztlich, die Leute zufrieden zu stellen, indem ein wahrgenommenes Problem verschwindet. Wirtschaftspolitik kann in diesem Sinne auch als Management der öffentlichen Meinung gesehen werden, das auf die Erzeugung realer (Veränderung der Umweltbedingungen“ und symbolischer Effekte (Beeinflussung von Wahrnehmung und Ordnungsvorstellungen) beruht“ (Meier / Mettler 1988, S. 20). „Symbolische Politik“ steht für falschen Schein, bewusste Täuschung, eine Politik des „Als-ob“, für Placebopolitik, Verschleierung, Verstellung, Übertünchung, Verdrängung, für Politik als Unterhaltungsshow, als ästhetische Inszenierung, als Medienspektakel und Massenmanipulation.
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Teil A: Menschen und Bevölkerungen „Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse.“ Bertolt Brecht (1898–1956)
4. Globalisierung, Wirtschaftsunion und Neo-Kolonialismus 4.1 Altbekannte Erscheinungen Die sogenannte „Globalisierung“ ist kein völlig neues Phänomen. Bereits 1927, als Oskar Morgenstern (1902–1977) vergleichende Konjunktur- und Wachstumsforschung betrieb, stellte er fest (Morgenstern 1927, S. 261): „Das Objekt der Konjunkturforschung kennt keine nationalen Grenzen, es handelt sich vielmehr wesentlich um ein international-weltwirtschaftliches Problem. Die theoretische Analyse der Wirtschaftsschwankungen, wie ihre deskriptive Darstellung, ihre statistische Erfassung und ihre rein historische Wiedergabe, haben diesem Tatbestande Rechnung zu tragen.“ Eine Zwischenbilanz des IAW Tübingen für das Bundeswirtschaftsministerium im Jahre 1974 ergab einen ähnlichen, kaum veränderten Stand (Majer / Wagner 1974, S. 6). Im Sinne der zu bevorzugenden saldenmechanischen Zusammenhänge ging man bei der IAW-Untersuchung zunächst von diesen Mechanismen aus (Wagner 2009c, S. 284): (1) Waren- und Dienstleistungshandel, (2) Zahlungsverkehr und Kreditgewährung sowie Vermögenstransfer, (3) a) Bevölkerungswanderungen sowie b) Unternehmensmigrationen, (4) Informationsströme (als sozialpsychologische und entscheidungstheoretische Bindungen, insbesondere bei multinationalen Unternehmungen, aber auch zwischen Regierungen). (5) Übertragungen von Teilen der Rechts- und Wirtschaftsordnungen kommen bei der Bildung von Großterritorien vor (z. B. bei der Europäischen Union, mit der Gefahr der qualitativen „Herabmittelung“). Erst im Anschluss an die Mechanismen (1) bis (3) können weitere Modellteile sinnvoll eingeführt werden, wie man am Beispiel der Großmodelle MEMMOD der Deutschen Bundesbank und QUEST der Europäischen Kommission sieht. 4.2 Der zweckmäßige und haltbare Zuschnitt eines Wirtschaftsgebietes Was eine Volkswirtschaft ist, glaubt jeder zu wissen. Sie ist im Großen zumeist – wie ein Staat (nach der Dreierlehre von Georg Jellinek, 1851–1911) – aus (a) Staatsgebiet, (b) Staatsvolk der Staatsangehörigen und (c) Staatsgewalt mit dem
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Rechtssystem aufgebaut. In Deutschland leben rund 82,2 Millionen Menschen auf einer Fläche von 357 Tausend Quadratkilometern, in Frankreich kommen 62,3 Millionen auf eine Fläche von 544 Tausend Quadratkilometern und in den USA leben 314,7 Millionen Menschen auf 9,373 Millionen Quadratkilometern Staatsgebiet. Zu (a): Die befriedende Respektierung der Grenzen von Staatsgebieten bildete im Europa der Nachkriegszeit bis zum aktuellen Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 kein Problem. Zu (b): Zuflucht und Einwanderung sind die großen Probleme in Mitteleuropa und in den USA. Eine wahre „Völkerwanderung“ in die entwickelten und demografisch schrumpfenden Länder war bereits 1992 vorausgesagt worden (Prof. Michael Stürmer). Regelungen dafür stehen noch aus. Im Kleinen sind Bundesländer, Bezirke und Kreise sowie Städte und Sondergebiete mit gemeint. Ökonomisch sind jedoch Akzente zu setzen. Herausragend wichtig ist das Staatsvolk der Verfassung (Nation), das man sich – ökonomisch – als Gruppe von Menschen vorstellen soll, die bei ihrer Lebensgestaltung zusammenwirken wollen. Das gilt für Ost- und Westdeutsche, für West- und Ostukrainer, für Katalanen und die übrigen Spanier sowie für viele, viele andere. Die frühere Sowjetunion und das alte Jugoslawien haben sich in souveräne Nationalstaaten zergliedert, weil die Völker nicht mehr „zusammenwirken wollten“. Staatsgebiete und Volkswirtschaften kann man nicht auf dem Reißbrett bestimmen, etwa nach dem geflügelten Wort des US-amerikanischen Soziologen Daniel Bell (1919–2011), wonach Nationalstaat und nationale Volkswirtschaft mittlerweile zu klein für die großen und zu groß für die kleinen Probleme des Lebens wären. Zwischen der Zweckmäßigkeit einer kontinentalen und einer regionalen Dimensionierung von Wirtschaftsgebieten besteht also ein Spannungsfeld. Eine historisch zufällig entstandene statistische Bevölkerung auf einem Gebiet reicht nicht aus für die Kennzeichnung einer groß- oder kleinräumigen Volkswirtschaft. Nach Ausführungen des französischen Religionshistorikers Ernest Renan von 1882 müsse man eine Nation oder ein Staatsvolk als eine Solidargemeinschaft mit gegenseitiger Opfer- und Umverteilungsbereitschaft verstehen. Ähnlich folgert man für eine regionalistische Position nach Georg W. F. Hegel, dass Zusammengehörigkeit nur eine begrenzte Reichweite hat, in der Sittlichkeit konkret in überschaubarer Gemeinschaft ausgelebt werden kann. Im Übrigen sollte eine Rechtsordnung bestehen, die positives Verhalten anregt und negatives verhindert, demnach so etwas wie „Enabling rules“ aufstellt. Die gute Ordnung einer Volkswirtschaft soll den Menschen gedeihliches Wirtschaften ermöglichen, ihnen aber auch die Zuversicht zur Familiengründung vermitteln. Den in Freiheit agierenden Menschen muss eine Rechtsordnung als Rahmen vorgegeben sein, die Anreize für positives Verhalten zulässt oder setzt, aber auch negatives und gemeinschaftsschädliches Verhalten verhindert. Die anzustrebende gute wirtschaftliche Ordnung, die mit allerlei wirtschaftspolitischen Maßnahmen herbeigeführt wird, ist generell nichts anderes als der zentrale Erkenntnisgegenstand des Fachs „Law and Economics“. Beispielsweise ist ein Patentrecht erforderlich, das unternehmerische Neuerer und Erfinder vor sofortiger Nachah-
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mung und Enteignung schützt, aber auch nach gewisser Zeit eine entgeltliche Diffusion des Neuen in die Breite der Volkswirtschaft ermöglicht. Für Familien muss eine gute Wirtschaftsordnung den potenziellen Elternpaaren Optimismus über jeweils eine Zwanzig-Jahres-Periode hinaus vermitteln (u. a. auf auskömmlich bezahlte Beschäftigung), so dass sie trotz erheblicher Unsicherheit den „Schattenpreis“ eines Kindes (also die absehbare Differenz eines Lebens mit Kind und eines Lebens ohne Kind) mit Blick auf die Kinderfreuden auf sich nehmen, damit die Bestandserhaltung einer Bevölkerung (bei einer Netto reproduktionsrate von etwa Eins) möglich wird. Mit Einwanderungen ist eine per manente Kompensation demografischer Schrumpfung eines Staatsvolkes nicht möglich (wie ein Bevölkerungsforscher namens Keyfitz bereits 1971 geklärt hat). Eine ungebrochene demografische Schrumpfungstendenz kann m. E. summarisch auf ein bestehendes ordnungspolitisches Defizit sämtlicher Politikbereiche sowie des Unternehmenssektors zurückgeführt werden. Wie Joan V. Robinson 1965 in ihrem Buch über Wachstumstheorie schrieb, müsse die tiefsitzende, betrübliche Malaise unzulänglicher demografischer Stabilisierung in jedem Falle näher untersucht und überwunden werden. Den Bevölkerungsstatistiker Gerhard Gröner bewegte dazu in seiner Habilitationsschrift von 1976 die Vermutung, es gebe in der Abfolge der historischen Phasen nach Gerhard Mackenroth (1903–1955) für entwickelte, moderne Länder künftig eine prägende „Phase V“ der Schrumpfung (mit einem Fruchtbarkeitsniveau unterhalb der Bestandserhaltung) (Gröner 1976, S. 11). Interessant ist eine rechtswissenschaftliche Akzentuierung der Ordnungspolitik, die ganz aktuell vom Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer aus dem Bereich Law and Economics heraus formuliert wurde. Man solle die Rechtsordnung als eine Infrastruktur für die Ausübung von Freiheiten begreifen und eher weniger politische Eingriffe zulassen. Ordnungspolitik aus dem Blickfeld der Wirtschaftstheorie: Makroökonomische Wirtschaftstheorie für bestimmte Regionen und Zeiten manifestiert sich in Viel-Gleichungs-Modellen, die mit statistischen Vergangenheitsdaten auf empirische Gültigkeit geprüft sind. Verhaltensgleichungen, Technologiegleichungen, Institutionengleichungen sowie Real- und sonstige Definitionsgleichungen für Gruppen von Wirtschaftseinheiten enthalten (a) Variablen für Einflussnahmen sowie (b) parametrische Konstanten und teilweise stillschweigende Rahmenbedingungen. Ordnungspolitik zielt formal auf die verbessernde Einf lussnahme im Sinne von (b); Prozesspolitik setzt dagegen bei Variablen im Sinne von (a) an. Für (b) liefert die Ökonomik plausible Vermutungen, die im Einzelnen nicht durch empirische Studien belegt sind. Für (a) dient das konkrete, jeweils vorliegende makroökonometrische Modell als Vorlage für nachvollziehbare Wirkungsrichtungen. Manche sagen zur Prozesspolitik auch: Der Staat greift unmittelbar in die Güter-, Geld- und Arbeitsmärkte ein (etwa mit Straßenbauinvestitionen). Entgegen allem Anschein und gewagter Andeutungen bei Adam Smith (1723–1790) ist eine Nationalökonomie keine wirkliche „Maschine“, die man zukunftsgültig aus der Vergangenheit heraus erforschen könnte!
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4.3 Auf dem Weg zu einem EU-Staatsvolk Die Grundstimmung in den 27 Ländern der Europäischen Union ist beileibe nicht so, dass man von jedem einzelnen Parlament die Zustimmung zu einem denkbaren „EU-Grundgesetz“ mit Aufgabe des nationalstaatlichen Vaterlandes erwarten könnte. Das einheitliche Heer müsste nach der Meinung vieler Leute den Anfang eines europäischen Einheitsstaates bilden – nichts anderes. Im Hinblick auf den oben erwähnten Angriff Russlands auf europäisches Staatsgebiet ist Verteidigung gefordert, aber auch Autarkie in das Blickfeld zu nehmen (vor allem bei Energie und Grundstoffen), wie es nach älterer Außenwirtschaftstheorie üblich war. Als Projektleiter des ersten umfassenden „Gastarbeiter“-Gutachtens von 1972 aus dem IAW Tübingen, das mit der Empfehlung regelrechter Einwanderungen endete, hatte ich mich mit dem „Rotationsprinzip“ auseinanderzusetzen, das der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger (1913–2007) vertrat: Die angeworbenen „Arbeitsmigranten“ sollten nach einer gewissen Zeit in ihre Heimatländer zurückkehren und sodann durch andere Personen ersetzt werden – jeweils ohne Familien. Später hat ein anderer Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth (1937–2016), in Vorträgen und Schriften wiederholt vor „Einwanderungen in die Sozialsysteme“ gewarnt. Beide Ministerpräsidenten – Filbinger und Späth – waren noch von einer gewissen „Fremdenfeindlichkeit“ bewegt. Bei Späth schwang allerdings eine demografische Sachkenntnis mit, die Nathan Keyfitz (1913–2010) bekanntgemacht hatte: Nur bei einer Nettoreproduktionsrate von Eins der Alteingesessenen könne die Bevölkerung der Staatsangehörigen stabilisiert und gleichmäßig strukturiert werden – permanente Zuwanderungen vermögen das nicht zu leisten. Mit Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaften – auch über das EU-Gebiet hinaus – ist das brüchig geworden, was der Bundespräsident Walter Scheel (1919– 2016) einst mit diesen Worten klarstellte: „Die gewachsenen Elemente Europas sind die Nationen. Die Nation ist nicht überholt. Überholt ist die uneingeschränkte Souveränität des Nationalstaates.“ 4.4 Gibt es Tendenzen zu Imperialismus und zu Neo-Kolonialismus? „Ungewollt zur Größe“ gelangen, wie es Bodo Spiethoff (1918–2000) in seinem historischen Abriss den bayerischen Sparkassen 1955 bescheinigte, ist nicht bei allen erfolgreichen Ländern die zutreffende Deutung der Entwicklung. Bereits jährliche Berichte der Bundesländer lassen es erkennen, wenn man stets bei diesem und jenem Kriterium den Platz Eins haben will. Imperialismus wird zwar nicht offiziell eingeräumt, aber im Stillen gelebt. Man will doch schwächere Bundesländer und Staaten gezielt politisch, wirtschaftlich oder kulturell abhängig oder gefügig machen. Als Neo-Kolonialismus setzt sich der geschichtlich überwundene Kolonialismus fort, sofern Staaten und Länder der Industrienationen den „globa-
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len Süden“ die Abhängigkeit spüren lassen. Nötigenfalls werden nach fruchtlosen Forderungen – bisweilen über viele Jahre hinweg – Sanktionen verhängt (von USA aus denke man an Kuba sowie den Iran). Die Vergrößerung eines Staatsgebietes alleine ergibt keinen Zuwachs an wirtschaftlicher Stärke, eher schon die Intensivierung der „Bewirtschaftung“. Insofern bleiben manche Versuche zur Unterwerfung und Einverleibung anderer Staaten (z. B. Tibet, Ukraine) ökonomisch rätselhaft.
Galoppierende Inflation: „Nach meiner Geigenstunde musste die Frau des Musiklehrers jeweils sofort mit dem Geld zum Kaufmann laufen; denn nach der nächsten Stunde hatte das Geld bereits wieder weniger Kaufkraft.“ Werner Bauer (1912–2003)
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Geld, Zeit und Machtzuteilung 5. Geldwohlstand und Zeitwohlstand 5.1 Arbeitsfreude und Zeitwohlstand Tagediebe und Anfangssemester der Wirtschaftswissenschaften, aber auch Philosophen, verkennen die Arbeit als reine Beschwernis, deren „Arbeitsleid“ man kalkuliert auf sich nimmt, um zu Geld zu kommen, mit dem man sich sodann die eigentlich schönen Dinge des Lebens leisten kann. Beide könnten sich auf angesehene Irrlichter des Geisteslebens berufen. Die Philosophen Friedrich Schlegel (1772–1829) und Ortega y Gasset (1883–1955) bezeichneten nämlich die Faulheit als das letzte dem Menschen vom Paradies verbliebene Gut. Auch Karl Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue (1842–1911) wie der Theologe Erich Benz (1907–1978) konstatierten sogar ein „Recht auf Faulheit“. Der geläuterte Marxist und Philosoph André Gorz (1923–2007) leitete daraus eine veränderte Sicht auf Arbeitszeitverkürzung und Arbeitslosigkeit ab: Man solle diese als „befreite Zeit“ begreifen – beim Übergang in eine neue, andere Zivilisation, bei der das „Volkseinkommen“ irgendwie anders anfällt. Vielleicht suchte man damals schon nach dem Phänomen des Zeitwohlstands, wie er schließlich von dem Soziologen Harald Welzer (geb. 1958) und zuvor insbesondere von Gerhard Scherhorn (1930–2018) und anderen (vgl. Biervert / Held 1995) angesprochen wurde: Nutzen- und Wohlstands steigerung durch Wegfall der Zeit des Arbeitsleids? Es kann ja für die Volksmassen nicht die Lebensweise des Rentiers gemeint sein, die auf einem stattlichen Vermögenseinkommen beruht. Gleichwohl führt eine Spur dorthin, die Thorstein Veblen (1857–1929) gelegt hat: Die Befreiung von der Arbeit (Veblen 1971, S. 141 ff). Bei meiner Antrittsvorlesung am 9. Dezember 1986 an der Universität Tübingen sowie zuvor schon in wissenschaftlichen Veröffentlichungen habe ich die Zeitbudgets der Menschen thematisiert. Unmittelbar angeregt hat mich seinerzeit Staffan B. Linder (1931–2000) mit seiner Abhandlung über die „Leisure Class“ (Linder 1970). Ich hätte damals ebenso gut Thorstein Bunde Veblen (1857–1929) mit seinem bekannten Buch „The Theory of the Leisure Class“ von 1899 heranziehen können (Veblen 1971). Die Zeitbudgets einzelner erwachse-
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Teil B: Geld, Zeit und Machtzuteilung
ner Menschen sowie von ganzen Volkswirtschaften und ihren Bevölkerungszahlen werden noch immer viel zu wenig in der Nationalökonomik beachtet. 5.2 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein Als „Politische Ökonomik“ umfasst die Volkswirtschaftslehre oder Nationalökonomik viel mehr, als herkömmliche Einführungslehrbücher ansprechen. Es geht um eine umfassende „Gesellschaftstheorie“ sozialökonomischer Zusammenhänge – bis hin zu den mentalen Motivationen und ideologischen Wurzeln der Politik. „Der Mensch als Träger und Zweck der Volkswirtschaft“, wie Carl Jentsch (1831–1917) titelte, fordert und verdient eine weit gefasste Einschätzung seiner Bedürfnisse, nämlich 1. Gesundheit und Vitalität, 2. Ansehen und Respekt in der Gemeinschaft (mit Kontakt und Nähe zu den Menschen), 3. Vermögensbildung, 4. erfüllende Arbeitsaufgaben und 5. ein auskömmliches Einkommen zur Verwirklichung der materiellen Freiheit, 6. Vermeidung von Kriegen und innergesellschaftlichen Konflikten. Zu 1.: Aufgefallen war diese Selbstverständlichkeit bereits einem Heinrich von Storch (1766–1834). Unter dem Blickwinkel des Human- und Vitalvermögens einer Volkswirtschaft haben Theodore W. Schultz (1902–1998) und Günter Krüsselberg (1929–2018) dazu besondere Analysen vorgelegt. Querverbindungen ergeben sich zur Ressource Bevölkerung als der Gesamtheit menschlichen Zeitpotenziale einer Nationalökonomie (vgl. 1.5) sowie zum Bevölkerungsdenken („Population think ing“) der Evolutorischen Ökonomik, das auf Ernst Mayr (1904–2005) aus Kempten zurück geht. Die Gesellschaft als ein Verbund einmaliger, einzigartiger Individuen“ spricht m. E. für die Setzung der Annahme „aggregativer Stabilität“ (vgl. 11.4). Zu 2.: kann man Adam Smith (1723–1790) zu Wort kommen lassen: „Dass man uns bemerkt, dass man auf uns Acht hat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt.“ So hat Joachim Frohn (geb. 1941) im Jahr 2011 folgerichtig versucht, sein Makromodell mit Blick auf soziale Befindlichkeiten durch „soziale Variablen“ zu erweitern. Verbunden sind damit m. E. auch der „sozialpsychologische Kernprozess“ der Konjunkturen nach Walter A. Jöhr (1910–1987) sowie das Phänomen des „Systemvertrauens“ nach Niklas Luhmann (1927–1998), die sich in gesellschaftlichen Wellen von Optimismus und Pessimismus zeigen. Zu 3.: Der süddeutsche Volksmund sagt: „Hast Du was, so bist Du was.“ Ansehen hängt auch am Vermögen, wie die völlig verarmten Nachkriegs-Vertriebe-
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nen in der unfreiwilligen dörflichen Lebenswelt in Oberbayern erfahren mussten: Man blickte auf sie herab wie auf die früheren „Armenhäusler“ des Ortes, und die tonangebenden Großbauern nahmen wiederum die Kleinbauern nicht ernst. Im freiheitlichen Menschenbild von Erich Preiser (1900–1967) waren Selbstbestimmung und Entfaltung der Persönlichkeit stets auch mit Eigentum verbunden. Nicht zufällig sah er jedoch in übergroßen Vermögen, die er als „Klassenmonopol“ einstufte, ein Ärgernis. Das Streben nach Vermögensbildung (z. B. durch Sparen) ist also zugleich ein Streben nach Ansehen in der Gemeinschaft. Dies hat Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929) nicht erkannt, als er die „Akkumulation des Kapitals“ mit Zügen eines Messie-Syndroms in Verbindung brachte: sich statt im Müll in eigenen Milliarden einzumauern (Enzensberger 2019, S. 105). Um genau zu sein: Vermögensbildung durch Sparen dient (a) dem Zukunftskonsum, aber auch (b) pauschal dem Ansehen des Vermögenden. Zu 4.: Siehe oben 5.1. Zu 5.: Die Massen der Habenichtse sind auf Arbeitseinkommen angewiesen, das ihr Budget für Konsumgüter aller Art und für die Vermögensbildung hergeben muss. Als einem potenziellen Verbraucher und Nachfrager werden dem Menschen profunde Kenntnisse der Waren und Dienstleistungen zugeschrieben. Nur Gutes und Sinnvolles für die Lebensführung interessiert vernünftige Verbraucher und Nachfrager. Schädliches, Ungutes „wird nicht angerührt“. Auf diese Weise soll sich Konsumentensouveränität in der Volkswirtschaft auswirken: Nur jene Güter, die vernünftige Verbraucher annehmen und nachfragen, bestimmen das Produkti ons- und Handelsgeschehen. Für die Gesamtheit der Bevölkerung soll sich alles Wirtschaftsgeschehen nach den Nützlichkeitsvorstellungen der einzelnen regeln. Nachdenklich stimmen in diesem Zusammenhang das Nachfrageprofil aus dem Ausland und die darauf ausgerichteten Exportgeschäfte (z. B. Waffengeschäfte abseits ethischer Normen). Darüber hinaus: Schädlich in zweifacher Hinsicht – individuell sowie unternehmerisch – sind Führungs- und Organisationsdefizite, die zu der von Harvey Leibenstein (1922–1994) erforschten X-Ineffizienz führen. Die „Standard-Mikroökonomik“ setzt die vereinfachende Annahme, dass es für den Nachfrager und Konsumenten auf Konsumgüter ankommt, die in der betrachteten Wirtschaftsperiode entstehen und per Verbrauch untergehen. Der – nicht messbare – Nutzen leite sich aus diesen (4a) Private Goods ab. Es gibt weder Lagerbestände aus vergangenen Perioden noch Restbestände für die Zukunft. Bei mehr Realitätsnähe der Mikroanalysen ist der Blick zu erweitern auf anderes, das den Menschen Nutzen verschafft: (4b) Public Goods aller Art, die von allen Seiten der demokratischen Institutionen bereitgestellt werden (Sicherheit, Krankenversorgung, Bildungseinrichtungen), (4c) Infrastruktur (Verkehrswege, Strom- und Wasserleitungen u. dgl.), (4d) Klimatische Lebensbedingungen (Wasser, Luft und mehr). Ferner im Privatbereich: (4e) Dauerhafte Konsumgüter (mit Nutzung über mehrere Perioden hinweg, etwa Maschinen im Haushalt), (4f) Immobilien (privat genutzt, in der Volkswirtschaftsrechnung als private Investitionen registriert, etwa Eigenheime und Eigentumswohnungen), (4g) Vermögen (Ersparnisse) schlechthin,
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dessen Vorhandensein den Menschen positive Gefühle verschafft (siehe Ansehen und Respekt oben, Selbstwertgefühl). Eine „Fortgeschrittene Mikroökonomik“ wäre demnach konzeptionell erheblich zu erweitern, wobei die Hürde der NichtMessbarkeit in verstärkter Form bestehen bliebe. Staatsbürgerlich eingebundene Wirtschaftsmenschen müssen neben der eigenen Freiheit und dem eigenen Wohlstand auch Freiheit und Wohlstandserwartungen der anderen Menschen (evtl. sogar der Weltbevölkerung) einbeziehen. Dies zu erwarten, entspricht am ehesten dem „solidaristischen Menschenbild“ eines Oswald von Nell-Breuning (1890–1991). Zu 6.: Dies ist als ein selbstverständliches Lebensziel zu verstehen. Es wird in der Gegenwart durch den schändlichen Angriff Russlands auf die Ukraine allen Leuten bewusst, aber auch durch allerlei innergesellschaftliche Konflikte anderswo. 5.3 Geldoptimale und zeitoptimale Konsumpläne Die Zeit des Genusses kann sich ein Konsument nicht sinnvoll durch einen Stellvertreter erkaufen. Er muss sie im Rahmen seines Zeitbudgets selbst aufbringen. Zeitbudget und Geldbudget sind deshalb unabhängige Restriktionen. Für zwei Konsumgüter (x1 und x2) kommen deshalb bei Ausschöpfung des Geldbudgets (C) zwei Geld-Preise (p1 und p2) oder bei Ausschöpfung des Zeitbudgets (Z) zwei Konsumzeit-Inputkoeffizienten (z1 und z2) zum Ansatz (Wagner 2009b, S. 436): C = p1x1 + p2x2 und Z = z1x1 + z2x2
Könnte man empirisch (!) jeweils eine einschlägige (substitutionale) Nutzenfunktion einer Person für die beiden Güter kennen, so wäre man in der Lage, die lehrbuchüblichen „optimalen Konsumpläne“ für zwei Güter zu bestimmen (geldoptimal bzw. zeitoptimal) sowie einzelwirtschaftliche Nachfragefunktionen abzuleiten. Tatsächlich ist dies nicht möglich. Insofern ist „Freiheit“ nicht rechenhaft verfügbar. Insofern muss man die tatsächlichen Konsumentscheidungen im Rahmen der Budgets der Empirie überlassen. Oftmals besteht bei den Massen der Konsumenten mit Blick auf ihre Budgets Geldillusion, indem man die oft „schleichende Inflation“ über die Jahre hinweg nicht als eine Verminderung des Realeinkommens und des realen Geldvermögens wahrnimmt. Unübersehbar wird das Problem der Geldillusion oft erst dann, wenn man „galoppierende Inflation“ erlebt: „Nach meiner Geigenstunde musste die Frau des Musiklehrers jeweils sofort mit meinem Geld zum Kaufmann laufen; denn nach der nächsten Stunde hatte das Geld bereits wieder weniger Kaufkraft“ (so Werner Bauer, 1912–2003). Anzumerken ist, dass eine begründete und verwirk lichte Geldillusion in der Rechtswissenschaft ihren Platz hat: Das „Mark-gleichMark-Prinzip“ früherer Tage sowie das „Euro-gleich-Euro-Prinzip“ seit 2002 solle gewährleisten, dass Schuldverhältnisse ohne Gewinne oder Verluste durch Inflation oder Deflation für einen der beiden Vertragspartner von Schuldverhältnissen eintreten.
5. Geldwohlstand und Zeitwohlstand
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5.4 Heteronome Änderungen der Spar- und Konsumquoten Empirisch handhabbar sind die Budget-Gleichungen für die Auswirkungen struktureller Veränderungen in der erwachsenen Bevölkerung („Staatsvolk“ der Staatsangehörigen plus legal ortsanwesende Ausländer). Einerseits kann man autonome Sparquoten-Änderungen von Gruppen betrachten, und andererseits sind heteronome Sparquoten-Änderungen zu registrieren, sofern sich die Gruppenanteile und -gewichte in der Bevölkerung verändern. Übliche Gruppen sind entweder Unternehmerhaushalte und Arbeitnehmerhaushalte oder aber Haushalte mit einschneidender Geldbudget-Restriktion („Haushalte in Geldnot“) und Haushalte mit einschneidender Konsumzeit-Restriktion („Haushalte in Zeitnot“). Wir greifen den zweiten Fall der erwähnten Strukturen auf: „Haushalte in Geldnot“ (Anteil h) und „Haushalte in Zeitnot“ (Anteil q). Im Laufe des Wachstums von Wohlstand und Volkseinkommens kann man sich einen Übergang der Konsumenten über drei Strukturepochen vorstellen: Epoche A (mit h = 1 & q = 0) Epoche B (mit 0