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German Pages XVI, 168 [179] Year 2020
Raúl Rabadán
Das Coronavirus verstehen
Das Coronavirus verstehen
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Raul Rabadan
Das Coronavirus verstehen
Raul Rabadan Columbia University New York, NY, USA Übersetzt von Sebastian Vogel Wissenschaftliche und literarische Übersetzungen Kerpen, Nordrhein-Westfalen Deutschland
ISBN 978-3-662-62428-9 ISBN 978-3-662-62429-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Übersetzung der englischen Ausgabe „Understanding Coronavirus“, (c) Raul Rabadan 2020, erschienen bei Cambridge University Press, www.cambridge.org. Published by arrangement with Cambridge University Press. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung: Stefanie Wolf Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Dieses Buch ist meinen Eltern, Fernando und Felicitas, gewidmet, und all den Leuten im Gesundheitswesen, die für uns alle kämpfen.
Vorwort
An einem Freitagabend im März 2020 rief mich mein alter Freund Luca an. Luca wohnt in Treviso, einer hübschen alten Stadt in Norditalien nicht weit von Venedig. Er machte sich Sorgen um meine Familie, denn er wusste, dass die Zahl der Coronavirus-Fälle und der Toten in beunruhigendem Tempo zunahmen. Aus seiner schwachen Stimme hörte ich eine Mischung aus Erschöpfung und Angst heraus. „Jetzt geht es mir besser, aber der letzte Monat hier war entsetzlich“, sagte er. Und dann, nach einer Pause: „Bei mir hat es mit hohem Fieber angefangen, und ein paar Tage später kam schrecklicher Husten dazu. Es fühlte sich an, als würde in meiner Lunge etwas brennen.“ Luca fühlte sich mittlerweile besser, aber seine Schilderung klang alles andere als ermutigend. „In Treviso und Venedig sind die Straßen leer gefegt. So etwas hätte man nie für möglich gehalten.“ Das ist jetzt einige Zeit her; heute ist Lucas Bericht einer von vielen, und einige davon stammen von meinen Freunden und Angehörigen. Im April war meine Heimatstadt New York eine Wüste mit leeren Straßen, geschlossenen Geschäften und wenigen
VIII Vorwort
Fußgängern. Die Menschen in ihren Wohnungen verfolgten die Ereignisse mit besessener Hartnäckigkeit, hielten sich über entsetzliche Zahlen und behördliche Bekanntmachungen auf dem Laufenden. Wir alle lernen und geben uns Mühe, uns auf die „neue Normalität“ einzustellen: Abstand halten, Quarantäne, Homeoffice, Homeschooling, um nur einige Dinge zu nennen. Die ersten Fälle der Coronavirus-Erkrankung wurden im Dezember 2019 in Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei nachgewiesen. Seitdem herrscht eine Menge Verwirrung rund um die Herkunft und Ausbreitung des Virus mit der offiziellen Bezeichnung SARS-CoV-2 und die Schwere der von ihm ausgelösten Krankheit COVID19. Verstärkt wurde das Durcheinander durch widersprüchliche Meldungen in den Medien, unterschiedliche Aussagen von Amtsträgern in verschiedenen Ländern und Organisationen und durch die Tatsache, dass in verschiedenen Teilen der Welt radikal unterschiedliche Maßnahmen ergriffen wurden, vom völligen Lockdown ganzer Regionen bis zu einem halbherzigen Leugnen der Situation. Noch befremdlicher war, dass die Epidemie je nachdem, welche Medien man befragte, mit einer milden jahreszeitlichen Grippe, der „Spanischen Grippe“ von 1918 oder der SARS-Epidemie von 2003 verglichen wurde. Jede dieser Epidemien wurde von einem anderen Virus in einem anderen historischen Zusammenhang verursacht und hatte andere Folgen. Das Fehlen eindeutiger Aussagen, die Fülle widersprüchlicher Quellen und Vergleiche, die unbegründeten Verschwörungstheorien über den Ursprung des neu aufgetauchten Virus und die unstimmigen staatlichen Gesundheitsmaßnahmen in verschiedenen Ländern haben die Angst in der Bevölkerung verstärkt. Die Idee für dieses Buch erwuchs aus Gesprächen mit der Lektorin Katrina Halliday von „Cambridge University Press“ und ihrem Serienherausgeber Kostas Kampourakis
Vorwort IX
über die Notwendigkeit, der Verwirrung, die seit Beginn der Pandemie herrscht, mit leicht verständlichen Erklärungen entgegenzuwirken. Es soll mithilfe einiger grundlegender Fragen über SARS-CoV-2 und COVID-19 prägnante Grundkenntnisse über Virus und Krankheit vermitteln. Das Buch dient der Information des allgemeinen Lesepublikums, also der Menschen, die mehr über das Coronavirus erfahren wollen, ohne die wissenschaftliche Literatur zurate zu ziehen. Das Themenspektrum umfasst die grundlegenden molekularbiologischen und epidemiologischen Eigenschaften des Virus, ein wenig Genomforschung, eine Beschreibung der Herkunft und Evolution des Virus und den Vergleich mit anderen Viruserkrankungen der Atemwege. Außerdem stellt das Buch begriffliche Hilfsmittel bereit, mit denen man einen Rahmen für die Fragen und Antworten schaffen kann, von denen es handelt. Das Buch wurde nicht im Voraus geplant. Eigentlich sollte ich während eines Sabbaticals auf Reisen gehen und auf der ganzen Welt mit Kolleginnen und Kollegen zusammentreffen. Aber dazu kam es nicht. Angesichts abgesagter Tagungen und vieler Reisebeschränkungen wurde klar, dass ich einige Zeit ganz in Ruhe zu Hause bei meiner Familie verbringen würde. Da ich mir wegen der dynamischen Entwicklung der Lage große Sorgen machte, beteiligte ich mich an der Columbia University zusammen mit meinen Kollegen an der Erforschung des Virus und der Krankheit. Das Sabbatical und die gescheiterten Reisepläne verschafften mir die Möglichkeit, die Herausforderung anzunehmen und dieses Buch zu schreiben. Mein Dank gilt der Columbia University als meiner Heimatinstitution, außerdem dem Center for Advanced Study in Princeton und dem Center for Theoretical Physics der Columbia University in New York, die mich aufnahmen, während ich das Buch schrieb. Außerdem
X Vorwort
danke ich Paula Ralph-Birkett, Andrew Chen und Suzanne Christen für die erste Redaktion des Buches sowie Zixuan Wang für die Abbildungen. Weiterhin danke ich Jean-Michel Bertoli, Katrina Halliday, Kostas Kampourakis, Mathew Kleban und Cristina Rabadan, die mir ständig Rückmeldungen über Inhalt, Aufbau und Ideen gaben. Arnold Levine las das Buch sorgfältig und half mit kenntnisreichen Kommentaren und Ideen. Besonders erwähnen möchte ich Ioan Filip und Juan Patino Galindo für ihre interessanten Beiträge zur Genomstruktur des Coronavirus. Über viele Aspekte des neuen Virus sprach ich mit den Mitarbeitenden in meinem Labor an der Columbia University, insbesondere mit Luis Aparicio, Francesco Brundu, Mathieu Carriere, Oliver Elliott, Karen Gomez, Zhaoqi Liu, Tomin PereaChamblee, Wesley Tansey, Anqi Wang und Junfei Zhao. Für nützliche Rückmeldungen und Kommentare danke ich Freunden und Kollegen, darunter Gyan Bhanot, Julian Bruat, Reuben Danzing, Bernard Dayrit, Lam Hui, Martin Hyatt, Hossein Khiabanian, Luca Magri, Carmen McConnell, Do-Hyun Nam, Massimo Porrati, Leonardo Rastelli, Jeffrey Shaman, Andrea Severin und Jiguang Wang. Vor allem aber danke ich meiner Familie: Jean-Michel, Emma und Alex gewährten mir unermüdlich Geduld und Unterstützung, während ich dieses Buch schrieb. Raul Rabadan
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1 2
Wie breitet sich das Coronavirus aus? 11 Wie lange dauert es, bis Symptome auftreten? 14 Wie viele Menschen stecken sich an? 15 Wie schnell verbreitet sich das Virus in der Bevölkerung? 16 Wie viele Menschen sterben an der Krankheit? 19 Welche Faktoren beeinflussen die Schwere der Erkrankung? 22 Was bedeutet „Abflachung der Kurve“ und warum ist sie wichtig? 24 Was ist Herdenimmunität? 27
3
Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? 31 Was ist ein Virus? 33 Was sind Coronaviren? 35 Wo kommen Coronaviren vor? 38 Wie ist ein Coronavirus aufgebaut? 39 XI
XII Inhaltsverzeichnis
Wie gelangt das Coronavirus in die Zellen, und wie verdoppelt es sich? 46 Wie werden neue Coronaviren aus einer infizierten Zelle freigesetzt? 48 4
Wie verändert sich das Coronavirus? 51 Was ist eine Mutation? 53 Was ist Rekombination? 57 Wie können wir den Ursprung von SARSCoV-2 zurückverfolgen? 61
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Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen, und wie hat sie sich entwickelt? 67 Was ist SARS-CoV-2 und was ist COVID-19? 68 Wo wurde erstmals über SARS-CoV-2 berichtet? 69 Woher kommt das Virus? 72 Wie ist das Virus mit anderen Coronaviren verwandt? 75 Wie dringt das Virus in menschliche Zellen ein? 77 Wie verbreitet sich das Virus? 80 Was sind die klinischen Merkmale der Viren? 82 Wie wahrscheinlich ist es, an dem Virus zu sterben? 83 Wie wirken sich Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen auf die Sterblichkeit aus? 86 Stecken Kinder sich auch an? 88 Wie schnell verbreitet sich das Virus? 89 Wie wandelbar ist das Coronavirus? 89
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Lässt sich die COVID-19-Pandemie mit dem SARS-Ausbruch von 2003 vergleichen? 93 Wie begann die SARS-Epidemie? 95 Woher kam das SARS-Virus? 96
Inhaltsverzeichnis XIII
Gab es Superspreader? 98 Was sind die klinischen Merkmale von SARS im Vergleich zu COVID-19? 101 Wie unterscheiden sich SARS-CoV und SARS-CoV-2 und die von ihnen verursachten Krankheiten? 103 Wie konnte die SARS-Epidemie eingedämmt werden? 104 Warum konnte SARS-CoV-2 sich ausbreiten, während SARS-CoV unter Kontrolle gebracht werden konnte? 105 7
COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen und pandemischen Influenza 107 Ist das Influenzavirus mit dem Coronavirus verwandt? 108 Was kennzeichnet die pandemische Influenza? 108 Was kennzeichnet die jahreszeitliche Grippe? 116 Wie überträgt und verursacht das Influenzavirus die Krankheit? 118 Influenzaviren und Influenza im Vergleich zu SARS-CoV-2 und COVID-19 119 Was können wir aus den gesundheitspolitischen Maßnahmen, die während der Grippe-Epidemie von 1918 ergriffen wurden, lernen? 120
8
Gibt es Therapieverfahren? 123 Wie wird das Virus diagnostiziert? 124 Wie verläuft die Behandlung bei einer Infektion mit dem Virus? 127 Gibt es Medikamente zur Behandlung von Infektionen mit dem Coronavirus? 129 Gibt es Impfstoffe gegen Coronaviren? 131
XIV Inhaltsverzeichnis
9 Anhang 133 Aktuelles 133 10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 147 Weiterführende Literatur 147 Bild- und Zitatnachweise 159 Stichwortverzeichnis 163
Abkürzungsverzeichnis
ACE2 Angiotensin-Convertingenzym 2 (angiotensinconverting enzyme 2) AIDS Erworbene Immunschwäche (acquired immunodeficiency syndrome) CCoV Hunde-Coronavirus (canine coronavirus) COVID-19 Coronavirus-Krankheit 19 (coronavirus disease 19) FCoV Katzen-Coronavirus (feline coronavirus) HIV Menschliches Immunschwächevirus (human immunodeficiency virus) ICTV Internationales Komitee für die Taxonomie von Viren (International Committee on Taxonomy of Viruses) ICU Intensivstation (intensive care unit) ILI Influenza-ähnliche Krankheiten (influenza-like illnesses) MERS-CoV Nahost-Atemwegssysdrom (Middle East respiratory syndrome coronavirus) PCR Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction) XV
XVI Abkürzungsverzeichnis
RBD Rezeptorbindende Domäne (receptor binding domain) R0 Basisreproduktionszahl (basic reproductive number) SARS Schweres akutes Atemwegssyndrom (severe acute respiratory syndrome) WHO Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)
1 Einleitung
Die größte Bedrohung für die fortdauernde Vorherrschaft des Menschen auf der Erde sind die Viren. Joshua Lederberg Vieren bevölkern die Welt zwischen dem Lebendigen und dem Unbelebten, zwischen den Molekülen, die sich selbst verdoppeln können, und denen, die es nicht tun. In Aufbau und Eigenschaften der Viren sind viele Geheimnisse des Lebens eingewoben … Arnold Levine
Ende Dezember 2019 wurde aus der Stadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei über gehäufte Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache berichtet. Die Patienten hatten hohes Fieber und Atemnot. Die meisten Fälle standen in Verbindung mit dem HuananGroßmarkt, auf dem neben Meeresfrüchten auch verschiedene lebende Tiere verkauft wurden. Weitere © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_1
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Infektionen traten bei Personen auf, die zwischen dem 23. und 27. Dezember in einem nahe gelegenen Hotel übernachtet hatten. Das chinesische Zentrum für Seuchenbekämpfung führte Tests auf sämtliche bekannte Viren und Bakterien durch, aber alle waren negativ – ein Hinweis auf einen Erreger, über den zuvor noch nie berichtet worden war. Man isolierte ein neues Virus und sequenzierte sein Genom; es wies Ähnlichkeiten mit SARS-ähnlichen Coronaviren auf, die man von Fledermäusen kannte. Ansonsten ähnelte es stark dem Virus, das 2003 das schwere akute Atemwegssyndrom (SARS) verursacht hatte, unterschied sich von diesem aber doch so stark, dass man es als neuartiges, für Menschen pathogenes Coronavirus einstufte. Die Häufung der infizierten Familien und die Übertragung im medizinischen Umfeld deuteten darauf hin, dass das Virus von Mensch zu Mensch weitergegeben werden konnte. Einen Monat später, Anfang Februar 2020, wurde das Virus rund um die Welt in mehreren Ländern gefunden, und am 11. März 2020 erklärte es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer globalen Pandemie. Die von dem neuen Coronavirus ausgelöste Krankheit wurde als Coronaviruskrankheit 19 (coronavirus disease 19) oder kurz COVID19 bezeichnet. Dass die Ereignisse so schnell aufeinander folgten, gab Anlass zu beträchtlicher Verwirrung. Einstellungen und Wahrnehmung in der Bevölkerung waren höchst unterschiedlich – das Spektrum reichte vom Leugnen bis zu ernsten Bedenken und Panik; damit war es ein Spiegelbild der höchst unterschiedlichen Kommentare und Maßnahmen, die von Behörden und Medien ausgingen. Nach der Erklärung zur Pandemie und den ersten schwerwiegenden Ausbrüchen in Wuhan, Norditalien, Spanien und dem Iran wurde deutlich, dass das Virus eine ernsthafte Bedrohung ist und zu einer beträchtlichen
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Überlastung der Gesundheitssysteme führen konnte. Ende März 2020 berichteten die USA, Großbritannien, Indien und die meisten europäischen Staaten über eine stark steigende Zahl von Erkrankten und Todesfällen, und man ergriff umfangreiche staatliche Maßnahmen bis hin zum Lockdown. Daraus ergaben sich beängstigende wirtschaftliche Auswirkungen wie internationale Reisebeschränkungen, Unsicherheiten auf den Märkten, ein erheblicher Rückgang der Nachfrage nach Gütern und ihrer Produktion und vieles andere. Die Verwirrung in den ersten Monaten der Pandemie führte leider zu einer Überfülle an Mythen, belanglosen Informationen und Verschwörungstheorien, die das Internet schneller infizierten, als das Virus sich über die Welt verbreitete. Als man versuchte, die Situation zu verstehen und aus der überwältigenden Datenfülle eine zusammenhängende Darstellung zu machen, ergaben sich viele Fragen: Was ist das Wesen des Virus? Was für eine Krankheit verursacht es? Wie verändert es sich? Und wie geht es weiter? Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit einigen dieser Themen. Ich habe mich entschlossen, es in Form eines Dialoges mit einfachen Fragen und Antworten aufzubauen. Die meisten dieser Fragen stammten von Angehörigen, Freunden und Kollegen. Dieses Buch richtet sich an Laien, die nur über geringe Vorkenntnisse in Biologie, Virologie, Epidemiologie oder Medizin im Allgemeinen verfügen. Ich habe mich bemüht, abgeschlossene Kapitel zu verfassen, die man in beliebiger Reihenfolge lesen kann. Allerdings empfehle ich, die vier ersten Kapitel auch zuerst zu lesen und damit genauere Kenntnisse über die biologischen und epidemiologischen Konzepte zu gewinnen, die in den Kapiteln über einzelne Viren und Ausbrüche erörtert werden. Da es sich hier nur um eine kurze Einführung in das Thema handelt, gehe ich über einige wichtige Details
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hinweg. Um ein Gegengewicht zu der oberflächlichen Behandlung mancher Themen zu schaffen, habe ich am Ende des Buches eine Liste mit Leseempfehlungen aufgenommen, die dem interessierten Leser als Leitfaden für eine eingehendere Beschäftigung mit einzelnen Themen dienen kann. Das Material wurde dabei aus aktuellen, weiter gefassten wissenschaftlichen Fachartikeln und Lehrbüchern ausgewählt. Den engagierten Leser fordere ich auf, diesen Hinweisen nachzugehen. Gleichzeitig entschuldige ich mich bei einigen Wissenschaftlern, deren Arbeiten ich wegen des einführenden Charakters dieses Buches nicht erörtern oder erwähnen konnte. Viren sind faszinierende Gebilde, aber sie wecken auch unsere urtümlichsten Ängste. Die Geschichte der Menschheit ist ganz buchstäblich verseucht mit Berichten über die verheerenden Wirkungen von Infektionskrankheiten, und dabei waren Viren wichtige Mitspieler. An Pocken starb jeder Dritte, der sich damit infizierte – allein im vergangenen Jahrhundert forderten sie schätzungsweise 300 Mio. Todesopfer. Die berüchtigte Spanische Grippe schockierte 1918 die ganze Welt mit ihrer schnellen Ausbreitung, der völligen Überforderung der Gesundheitssysteme und ihrem heimtückischen Angriff auf die jüngere, erwachsene Bevölkerung. Das menschliche Immunschwächevirus (HIV) prägte in den 1980er Jahren die damals junge Generation und war eine Herausforderung für die sich schnell verändernde Gesellschaft. Die Rotavirus-Infektion – eine Krankheit, die sich mit Impfungen verhüten lässt – ist bei kleinen Kindern eine der häufigsten Ursachen von Durchfall und fordert jedes Jahr 100.000 junge Opfer. Und auch viele weitere aktuelle und historische Beispiele fallen einem sofort ein. Wenn ein infektiöser Erreger auf der Bildfläche erscheint, wollen wir verstehen und quantitativ erfassen, wie er sich ausbreitet, wie er sich auf die Bevölkerung
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auswirkt und wie die Wirksamkeit gesundheitspolitischer Maßnahmen zu bewerten ist. Während sich das COVID19-Virus rapide über die Welt ausbreitete, konnten wir beobachten und miterleben, wie eine drastische Gesundheitspolitik unser gesellschaftliches Leben tief greifend verändert hat, und wir sind Zeuge geworden, wie die Zahl der Erkrankten und Todesfälle im Zusammenhang mit der Krankheit rapide anstieg. Kap. 2 befasst sich mit Grundbegriffen der Epidemiologie, das heißt der Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die Verteilung von Krankheiten und verschiedene Bekämpfungsmaßnahmen zu bewerten. Was wissen wir über das Virus, das COVID-19 verursacht? Die Coronaviruskrankheit oder COVID-19 wird vom SARS-Coronavirus 2 oder kurz SARS-CoV-2 ausgelöst. In Kap. 3 geht es um Viren und insbesondere um die Coronaviren. Viren sind die zahlreichsten biologischen Gebilde der Welt und auf unserem Planeten und kommen in allen Bereichen seiner Oberfläche vor. Nur ein sehr kleiner Bruchteil von ihnen tritt in Wechselbeziehung zu Menschen, und wiederum nur ein kleiner Bruchteil davon erzeugt Krankheiten. Diese pathogenen Viren haben aber in der wissenschaftlichen Welt die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Coronaviren sind ein besonderer Virustyp, der bei Säugetieren und Vögeln vorkommt. Manche von ihnen lösen beim Menschen Krankheiten aus, die meisten infizieren aber andere Arten – beispielsweise Fledermäuse –, ohne dass eine Krankheit zu erkennen wäre. Vier Typen von Coronaviren infizieren Menschen häufig und erzeugen typische Erkältungssymptome. Andere können auch schwerere Krankheiten zur Folge haben, beispielsweise Bronchitis bei Hühnern oder Durchfall bei Schweinen. Und wie wir an dem Erreger von COVID-19 gesehen haben, verursachen manche Coronaviren auch bei Menschen eine schwere Krankheit. Das wirft viele Fragen auf. Ist es ein neues Virus? Woher
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kommt es? In welchem Verhältnis steht es zu anderen Coronaviren? In Kap. 3 erläutere ich einige grundlegende Kenntnisse über Viren und erörtere insbesondere die Coronaviren. Ich erkläre, welche Typen von Coronaviren es gibt und wo sie vorkommen. Alle Viren dieses Typs haben eine gemeinsame, sehr charakteristische Struktur. Außerdem erläutere ich kurz, wie sie in infizierte Zellen eindringen und sie wieder verlassen. Wie kam es dazu, dass das Coronavirus, das COVID19 verursacht, Menschen infizieren und sich unter ihnen ausbreiten konnte? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir wissen, wie die Evolution von Viren abläuft. Viren sind die kleinsten biologischen Gebilde, die man kennt, und machen die schnellste Evolution durch. Nahezu ständig spielen sich in Virusgenomen Veränderungen ab. Alle derartigen Veränderungen lassen sich an den winzigen Genomen ablesen – diese enthalten sämtliche Informationen über das Virus und seine Vergangenheit. Genome zu analysieren, gleicht der Lektüre eines historischen Werkes, dessen Hauptfiguren die Viren sind. Die Aufzeichnungen berichten aber nicht nur von der Geschichte, sondern man kann an ihnen auch ablesen, welche Regeln über den Veränderungsprozess bestimmen. In jüngster Zeit hat sich die Technik der Genomanalyse in atemberaubendem Tempo weiterentwickelt; heute kann man Virusgenome schnell sequenzieren und ihren Veränderungen nahezu in Echtzeit zusehen. Während das Virus, das COVID-19 verursacht, sich rund um die Welt ausbreitet, werden wir parallel dazu eine historische Entwicklung verfolgen können, indem wir die Genome der Viren auslesen, die in verschiedenen Teilen der Erde gesammelt werden. Kap. 4 erklärt die beiden wichtigsten Mutationsmechanismen, von denen die Evolution der Coronaviren vorangetrieben wird. Der erste ist die sogenannte
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„Nachlässigkeit“ des Replikationsapparats. Nachdem ein Virus eine Zelle infiziert hat, stellt es Zehntausende von Kopien seiner selbst her. Diese Kopien sind aber manchmal (oder auch oft) unvollkommen und enthalten kleine Abweichungen vom Hauptthema. Oftmals führen solche Veränderungen zu einer fehlerhaften Kopie. Manchmal erwirbt das Virus damit aber auch neue Fähigkeiten, die im nützen, beispielsweise weil es in Zellen eines neuen Typs eindringen oder der Erkennung durch das Immunsystem des infizierten Organismus entgehen kann. Noch dramatischere Wirkungen hat aber bei den Coronaviren ein anderer Mechanismus: die Rekombination. Bei einem Rekombinationsereignis tauschen zwei Viren sehr schnell genetisches Material aus und erwerben damit neue Eigenschaften. Die Kombination der beiden Prozesse – Nachlässigkeit und Rekombination – prägt die Evolution der Coronaviren. Von beiden und von der Frage, wie man sie an den Virusgenomen ablesen kann, wird noch ausführlich die Rede sein. Die Kap. 2 bis 4 vermitteln die Hintergrundkenntnisse, mit denen wir die Entstehung des COVID-19 verursachenden Virus in einen Zusammenhang stellen können. Von dem Virus selbst handelt Kap. 5. Anhand der Kenntnisse über das Genom können wir einen Zusammenhang zwischen dem neuen Virus SARS-CoV-2 und anderen bekannten Viren sowie deren Entstehungsorten herstellen. Das neue Virus ist mit SARS-CoV verwandt, dem Erreger, der 2002/2003 die SARS-Epidemie verursachte, und auch mit vielen weiteren Viren, die man bei anderen biologischen Arten findet, vor allem bei Fledermäusen. Ich werde darüber berichten, welche ersten Ereignisse aus der Geschichte dieses Ausbruches man kennt, wie das Virus erstmals nachgewiesen wurde und wie es sich weiterentwickelt hat. Anschließend behandle ich COVID-19, die Krankheit, die von dem Virus
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verursacht wird – ihre Symptome, ihre Ursachen und tödlichen Folgen. Außerdem gehe ich auf die demografischen Kenntnisse über die Risikogruppen ein, aber auch auf die Frage, warum Männer häufiger betroffen sind als Frauen, und auf die Wirkungen auf Kinder. Kap. 6 beschäftigt sich mit dem Ausbruch, der sich 2002 und 2003 durch einen der engsten Verwandten des COVID-19-Virus ereignete. Diese Epidemie trug den Namen SARS, und der Erreger war das SARSCoronavirus, das SARS-CoV-2 stark ähnelt. Die beiden sind die einzigen Viren dieses Typs, die bei Menschen bekanntermaßen Epidemien ausgelöst haben. Zwischen der SARS-Epidemie von 2002/2003 und dem COVID19-Ausbruch der Jahre 2019/2020 gibt es bemerkenswerte Ähnlichkeiten. Die beiden Viren sind sich in vielem ähnlich: in ihren Genen, in den Zelltypen, die sie infizieren, in den Wegen, auf denen sie in Zellen eindringen, und in ihren Wechselwirkungen mit dem biochemischen Apparat der Zellen und dem Immunsystem. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch die von den beiden Viren verursachten Krankheiten gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Und was noch interessanter ist: Aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Virus, das SARS verursacht, können wir viel über den neuen COVID-19-Erreger lernen. Die grundlegenden biologischen Eigenschaften und die klinisch-medizinischen Kenntnisse über verwandte Viren können dazu beitragen, dass wir schneller potenzielle Therapieverfahren für COVID-19 finden. Kap. 7 ist eine wissenschaftliche Abschweifung. Es handelt von einem Virus, aber nicht von einem Coronavirus, sondern von einem Erreger, der vielfach als Vergleich herangezogen wurde: dem Influenzavirus. Die Parallelen liegen auf der Hand: Influenzaviren verursachen Atemwegserkrankungen; sie verbreiten sich über Oberflächen oder durch Tröpfchen, die beim Husten und
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Niesen in die Luft gelangen; und sie verursachen bei älteren Menschen schwere Erkrankungen. Alle diese Eigenschaften haben sie mit COVID-19 gemeinsam. In vielen anderen Aspekten sind aber SARS-CoV-2 und Influenzaviren und die von ihnen verursachten Krankheiten sehr unterschiedlich, und die Erkrankungen verlaufen auch mit sehr unterschiedlicher Schwere. Was aber am wichtigsten ist: Gegen die jahreszeitliche Grippe besteht in der Bevölkerung zumindest teilweise eine Immunität, und wir verfügen sowohl über Impfstoffe als auch über Medikamente für eine gezielte Behandlung. Das alles gilt für COVID-19 nicht. Das Fehlen einer Immunität gegen diesen Erreger führte dazu, dass eine immunologisch ungeschützte Bevölkerung überraschend getroffen wurde; die Folge war ein dramatischer Anstieg der Fallzahlen, der die Gesundheitssysteme an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Einen solchen schnellen Überraschungsangriff gab es in der Vergangenheit auch im Zusammenhang mit Influenza-Pandemien, insbesondere bei der berüchtigten Spanischen Grippe von 1918. Damals wusste man noch nicht, dass die Krankheit von einem Virus verursacht wird, und manche Teile der Welt waren immer noch in einen verheerenden Krieg verwickelt. Das Virus war aber kein Coronavirus, und die Krankheitsbilder, die am häufigsten betroffenen Bevölkerungsgruppen und die Gesundheitssysteme waren ganz andere. Dennoch ist es aufschlussreich, einige historische Ereignisse während der Spanischen Grippe von 1918 mit der COVID-19-Pandemie zu vergleichen, so beispielsweise die Frage, wie man an verschiedenen Orten mit dem nicht mehr beherrschbaren Anstieg der Fallzahlen umging. Kap. 8 schließlich handelt von Tests sowie von den Aussichten auf Therapien und Impfstoffe. Zu der Zeit, da diese Zeilen geschrieben werden, gibt es weder
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Medikamente, mit denen man die Sterblichkeit gezielt drastisch senken könnte, noch Impfstoffe – aber es gibt viele Ideen. Manche davon lassen sich bis zu dem SARSAusbruch von 2002/2003 zurückverfolgen, aber da dieser Ausbruch im Juli 2003 unter Kontrolle war, wurden sie nicht in einem klinischen Umfeld erprobt. Die schnelle Entwicklung von COVID-19 hat die Erprobung vieler dieser Ansätze beschleunigt und dazu geführt, dass innovative Ideen für Therapie und Impfstoffe entstanden sind und schnell umgesetzt wurden.
2 Wie breitet sich das Coronavirus aus?
Die Frage ist nicht, ob eine Epidemie auftreten wird, sondern wann. Robert Shope
Wenn eine Epidemie beginnt, ist es wichtig, dass man quantitativ erfasst, wie die Krankheit sich ausbreitet, in welcher Form die Bevölkerung betroffen ist und wie verschiedene gesundheitspolitische Maßnahmen sich auf sie auswirken. Die Wissenschaft der Epidemiologie beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Krankheit in einer Bevölkerung verteilt ist und welche Faktoren über diese Verteilung bestimmen. Mithilfe solcher Untersuchungen können wir quantitative Aussagen über die wichtigsten Faktoren in der Bevölkerung machen, die zum Einschleppen und zur Ausbreitung einer Infektionskrankheit führen, und wir erfahren etwas darüber, welche Faktoren im Zusammenhang mit der Schwere des © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_2
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Krankheitsverlaufs stehen. Außerdem kann man mit epidemiologischen Methoden abschätzen, welches Ausmaß die Krankheit derzeit hat und wie wirksam verschiedene Eingriffe sind, beispielsweise verschiedene Therapieverfahren und gesundheitspolitische Maßnahmen. Und schließlich kann sie helfen, auf der Grundlage der derzeitigen Situationseinschätzung und der ergriffenen Maßnahmen Vorhersagen über wahrscheinliche zukünftige Szenarien zu treffen. In den ersten Monaten der COVID-19-Pandemie wurden wir Zeugen eines exponentiellen Anstiegs in der Zahl der Erkrankten und der Todesfälle. Verschiedene Eindämmungsmaßnahmen in den einzelnen Regionen der Erde hatten höchst unterschiedliche Folgen. Während man in manchen asiatischen Ländern die Infektion mit frühzeitigen Eindämmungsmaßnahmen aufhalten konnte, war eine solche Eindämmung in vielen anderen Regionen durch die wachsenden Fallzahlen irgendwann nicht mehr praktikabel, und man musste zu Strategien wechseln, mit denen man die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und die Zahl der Todesfälle, die auf das Fehlen angemessener Behandlungsmethoden zurückzuführen waren, begrenzen kann (Abb. 2.1). Bei der derzeitigen COVID-19-Pandemie brauchen wir quantitative Angaben darüber, welche Voraussetzungen die Entstehung der Krankheit möglich gemacht haben, wie schnell sie sich in der Bevölkerung ausbreitet, wie tödlich sie ist, welche Faktoren die Schwere des Krankheitsverlaufs beeinflussen, wie wirksam die aktuellen gesundheitspolitischen Maßnahmen sind und wie Zukunftsszenarien für die Pandemie aussehen.
2 Wie breitet sich das Coronavirus aus? 13
60000
Fälle
40000
WHO-Region China Östliches Mittelmeer Europa Andere Amerika Südostasien Westlicher Pazifik (ohne China) Afrika
20000
Mrz
23 Mrz 2020
16 Mrz 2020
09 Mrz 2020
02 Mrz 2020
24 Feb 2020
17 Feb 2020
10 Feb 2020
03 Feb 2020
27 Jan 2020
20 Jan 2020
13 Jan 2020
06 Jan 2020
30 Dez 2019
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Berichtsdatum
Abb. 2.1 Die Zahl bestätigter Fälle von COVID-19, die zwischen dem Beginn der Pandemie Ende Dezember 2019 bis zum 29. März 2020 aus verschiedenen Regionen der Erde an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet wurden. Die grünen Balken stellen die Fälle dar, die zu Beginn der Pandemie an die WHO berichtet wurden; diese stammen in ihrer großen Mehrzahl aus Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei. In China wurde der Ausbruch durch einen Lockdown der gesamten Region und strenge Eindämmungsmaßnahmen schnell unter Kontrolle gebracht. Die Gesamtzahl der Todesfälle in Hubei, die in dieser Zeit mit dem Virus in Verbindung gebracht wurden, lag nach Schätzungen bei über 3000. In anderen Regionen der Erde blieben die Fallzahlen bis Anfang März 2020 sehr niedrig, aber dann wurde in Europa und den USA eine exponentiell wachsende Zahl von Infektionen nachgewiesen. Ihr folgte die Zahl der Todesfälle in Europa und den USA auf dem Fuße.
14 R. Rabadan
Wie lange dauert es, bis Symptome auftreten? Den Zeitraum von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit – das heißt bis zum Auftreten der ersten Symptome – bezeichnet man als Inkubationszeit. Sie ist ein wichtiges Konzept, denn der Zeitraum kann je nach der Krankheit und dem einzelnen Menschen unterschiedlich lang sein. In der Inkubationszeit sind keine Symptome zu erkennen, und man kann nur schwer einschätzen, ob jemand ansteckend ist oder erkranken wird. Eine altbewährte Maßnahme gegen Infektionskrankheiten ist die Quarantäne. Woher stammt der Begriff? Im 14. Jahrhundert wurde Europa von der Pest heimgesucht. Damit die Krankheit nicht in eine Stadt eindrang, mussten alle Schiffe 40 Tage vor Anker gehen. Diese 40 Tage galten als sicherer Zeitraum, wenn man einschätzen wollte, ob jemand an Bord die Pestsymptome aufwies. Von den 40 Tagen – auf Italienisch quaranta giorni – stammt das Wort „Quarantäne“. Wer sich mit der Beulenpest angesteckt hat, erkrankt nach zwei bis sechs Tagen, aber von der Infektion bis zum Tod dauert es fast 40 Tage. Die Inkubationszeit ist bei verschiedenen Infektionskrankheiten unterschiedlich lang. Bei der Influenza beträgt sie beispielsweise einige Tage. Bei der gewöhnlichen Erkältung sind es etwa vier Tage. Dagegen kann die Inkubationszeit bei der Tollwut des Menschen ein bis zwei Monate dauern. Für COVID-19 wurde sie zunächst ähnlich wie bei SARS auf fünf Tage geschätzt. Aber dann wurde berichtet, dass sie in wenigen, seltenen Fällen mehr als zwei Wochen dauerte. Isolationsmaßnahmen
2 Wie breitet sich das Coronavirus aus? 15
sollten wie die Urform der Quarantäne solche längeren Inkubationszeiten berücksichtigen.
Wie viele Menschen stecken sich an? Als Attack Rate oder Neuzugangsziffer bezeichnet man die Zahl der Menschen, die eine Krankheit bekommen oder sich mit einem infektiösen Erreger anstecken, dividiert durch die Gesamtzahl der Menschen, die für die Krankheit anfällig sind. In der Regel wird sie auf der Grundlage aller Fälle am Anfang und Ende der Epidemie abgeschätzt. Während die Epidemie andauert, kann man die Neuzugangsziffer nicht messen, sondern nur anhand mathematischer Modelle schätzen. Wenn es sich um einen neuen infektiösen Erreger wie SARS-CoV-2 handelt, sind alle Angehörigen einer Population anfällig, und die Neuzugangsziffer ist der Anteil der Bevölkerung, der sich mit dem Virus angesteckt hat. Sie hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Erregers und von den Maßnahmen, mit denen man diese Ausbreitung verlangsamen will. Bei der Spanischen Grippe, der ersten InfluenzaPandemie des 20. Jahrhunderts, infizierte sich nach Schätzungen ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung mit dem Virus. Während einer Epidemie lässt sich nur schwer abschätzen, welcher Anteil der Bevölkerung sich anstecken wird. Das hängt davon ab, wie schnell der Erreger sich ausbreitet und wie wirksam die Maßnahmen sind, die zur Eindämmung seiner Ausbreitung ergriffen werden.
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Wie schnell verbreitet sich das Virus in der Bevölkerung? Ein Wert, der quantitativ etwas über die Ansteckungsfähigkeit eines Erregers aussagt, ist die Basisreproduktionszahl (R0), das heißt die geschätzte Zahl der Neuinfektionen je infizierte Person. Ist diese Zahl kleiner als 1, bedeutet das, dass ein Mensch nur selten einen anderen ansteckt; dann geht die Zahl der infizierten Personen in der Bevölkerung nach und nach zurück, bis der Erreger sich nicht mehr vermehren kann (Abb. 2.2). Ist die Basisreproduktionszahl R0 dagegen größer als 1, steigt die Zahl der Infektionen exponentiell an. Stellen wir uns beispielsweise vor, ein infektiöser Erreger habe eine Basisreproduktionszahl R0 von 2. Demnach steckt eine einzige infizierte Person durchschnittlich zwei weitere Menschen an (Abb. 2.3). Diese beiden neu R0 1
Ninfiziert = 1
Ninfiziert = 2
Ninfiziert = 4
Ninfiziert = 8
Abb. 2.3 Die Entwicklung eines infektiösen Erregers mit hoher Basisreproduktionszahl (R0). In dem hier gezeigten Fall wird R0 für einen Erreger auf höher als 1 geschätzt. Dann steckt eine einzelne infizierte Person mehrere andere an, und im weiteren Verlauf steigt die Zahl der Infektionen exponentiell. R0 hängt stark von dem jeweiligen Erreger ab. Für SARS-CoV-2 wird ihr Wert auf 2 bis 3 geschätzt, das heißt, die Zahl der Infizierten wird in den ersten Monaten des Ausbruchs exponentiell ansteigen
infizierten Menschen stecken ihrerseits wieder jeweils zwei an, sodass nun vier Menschen infiziert sind – und so weiter. Ereignen sich die Neuinfektionen fünf Tage nach der vorherigen Ansteckung, gibt es in einem Monat von 30 Tagen insgesamt sechs Phasen von jeweils fünf Tagen, und eine einzelne Person gibt den Anlass zu 2 × 2 × 2 × 2 × 2 × 2 = 64 neuen Infektionen – und nach zwei Monaten sind es schon 4096 Neuinfektionen. Auf diese Weise würde sich innerhalb von sechs Monaten die gesamte Weltbevölkerung anstecken. Ein solches „exponentielles Wachstum“ ist charakteristisch für den anfänglichen Anstieg von Infektionen in einem unkontrollierten Umfeld. Es kann die Fallzahl sehr schnell ansteigen lassen (Abb. 2.4). Das exponentielle Wachstum verdeutlicht sehr gut, warum frühzeitige Eingriffe wichtig sind. Wenn wir beispielsweise durch Abstandhalten die mittlere Zahl der Kontaktpersonen um 50 % senken, geht die Zahl der Neuinfektionen auf nur noch eine zurück. Im ersten Fall könnten Tausende von Neuinfizierten ein Krankenhaus überlasten, im zweiten Fall könnte man die
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Zahl der Infizierten
R0>1
R0=1 R0 1 ist, nimmt die Zahl der Infektionen in einer vollständig anfälligen Population exponentiell zu, wenn keine Eindämmungsmaßnahmen ergriffen werden. Liegt R0 unter 1, nimmt die Zahl der Fälle exponentiell ab. R0 von 1 hat zur Folge, dass die Zahl der Infizierten konstant bleibt, weil jede infizierte Person im Durchschnitt eine weitere ansteckt
Erkrankungen überwachen und eindämmen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie das Abstandhalten und gesellschaftliche Verantwortung große Auswirkungen auf den Verlauf einer Infektion haben können. Natürlich hängt das Wachstum der Zahlen auch davon ab, wie viele Personen anfällig sind und welcher Kontakt zwischen Infizierten und Nichtinfizierten besteht. Strenge Quarantänemaßnahmen können die Basisreproduktionszahl R0 auf Werte unter 1 senken. Die Basisreproduktionszahl R0 ist bei verschiedenen Erregern höchst unterschiedlich. Manche Viren sind nur schlecht übertragbar – das gilt für das Coronavirus des Nahost-Atemwegssyndroms (MERS-CoV): Sein R0 liegt unter 1. Das ist der Grund, warum MERS-Ausbrüche stets nur einen geringen Umfang haben und sich meist in Krankenhäusern abspielen. Für die jahreszeitliche Grippe
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wurde die Zahl auf knapp über 1 geschätzt, und bei der Spanischen Grippe von 1918 lag sie knapp unter 2. Für SARS-CoV und SARS-CoV-2 beträgt sie ungefähr 3, das heißt, jede infizierte Person kann drei weitere anstecken. Andere Infektionskrankheiten, darunter Kinderlähmung und Masern, haben noch wesentlich größere Basisreproduktionszahlen R0.
Wie viele Menschen sterben an der Krankheit? Die Infektionssterblichkeit, fachsprachlich Infizierten-Verstorbenen-Anteil genannt, ist die Zahl der Personen, die in einem bestimmten Zeitraum an der Krankheit sterben, dividiert durch die Gesamtzahl der infizierten Personen. Manchmal kennt man aber die Gesamtzahl der Infizierten nicht. Dann kann man näherungsweise die Fallsterblichkeit (fachsprachlich Fall-Verstorbenen-Anteil) angeben, das heißt die Zahl der Verstorbenen dividiert durch die Gesamtzahl der nachgewiesenen Fälle. Wenn alle infizierten Personen gemeldet werden, sind Infektionssterblichkeit und Fallsterblichkeit gleich. Gibt es bei einer Krankheit jedoch wie bei COVID-19 Fälle, die nicht durch Tests nachgewiesen und in den Berichten erfasst wurden, können die beiden Zahlen stark auseinanderklaffen. Die Mortalität einer Krankheit ist der Anteil der Menschen in einer Bevölkerung, die in einem bestimmten Zeitraum an der Krankheit sterben. Der wichtigste Unterschied zwischen der Infektionssterblichkeit und der Mortalität besteht darin, dass man bei der Infektionssterblichkeit den Anteil der Verstorbenen mit der Gesamtzahl der Infizierten vergleicht, die Mortalität dagegen gibt den
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Vergleich mit der Gesamtbevölkerung an. Ein konkretes Beispiel zeigt Abb. 2.5. Bei der Spanischen Grippe von 1918 wurde die Zahl der Toten auf rund 50 Mio. geschätzt (wobei die Schätzungen allerdings von 20 bis 100 Mio. reichen); die Weltbevölkerung lag damals bei 1,8 Mrd. Menschen, was einer Mortalität von 2,7 % entspricht. Hätte sich ein Drittel der Bevölkerung infiziert, wäre dies gleichbedeutend mit einer Infektionssterblichkeit von fast zehn Prozent, auch hier schwanken die Schätzungen allerdings um den Faktor 2. In den späteren Grippe-Pandemien der Jahre 1957 und 1968 lag die Zahl der gemeldeten Todesfälle mit fast zwei Millionen deutlich niedriger. Die Fallsterblichkeit wird bei anderen Coronaviren wie MERS-CoV mit nahezu 35 % viel höher geschätzt, die Krankheit ist aber weniger leicht übertragbar. Zu den Gruppen, die durch COVID-19 am stärksten gefährdet sind, gehören Menschen im fortgeschrittenen Alter und solche mit schweren oder tödlichen Erkrankungen. Angenommen, jemand ist schwer erkrankt – beispielsweise an Krebs – und stirbt nach einer Infektion mit COVID-19: Soll man dann Krebs oder COVID-19 als Todesursache angeben? In manchen Fällen wird die Todesursache nicht benannt, weil die betreffende Person nicht auf das Coronavirus getestet wurde. Oder angenommen, jemand stirbt aus einem anderen Grund (zum Beispiel an einem Herzinfarkt), weil ein durch das Coronavirus überlastetes Gesundheitssystem ihm nicht die notwendige Versorgung bieten konnte: Soll man dann auch diesen Todesfall zu den Effekten des Virus rechnen? Ein wichtiger Begriff, der solche Fälle in Betracht zieht, ist die sogenannte Übersterblichkeit – das heißt der vorübergehende Anstieg der Sterblichkeit in einer Bevölkerungsgruppe. Diese kann man abschätzen, wenn man die Zahl der Todesfälle während gleicher Zeiträume vor dem Aus-
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Erkrankungsrate = 6/15 = 40%
Verstorben infiziert
Fall-Verstorbenen-Anteil = 2/6 = 33,3%
nicht infiziert
Sterblichkeit = 2/15 = 13%
Abb. 2.5 Drei wichtige Zahlenwerte, die etwas über Ausmaß und tödliche Wirkung einer Infektionskrankheit aussagen. Stellen wir uns eine Population von 15 Personen vor, von denen sechs sich mit der Krankheit angesteckt haben und zwei an der Krankheit gestorben sind. Die Inzidenz ist der Anteil der Population, der sich die Krankheit zuzieht; in diesem Fall handelt es sich um sechs der 15 Angehörigen der Population, die Inzidenz beträgt also 40 %. Die Infektionssterblichkeit ist der Anteil der Infizierten, die an der Krankheit sterben, in diesem Fall zwei von sechs oder 33 %. Die Gesamtmortalität ist der Anteil der Population, der an der Krankheit verstorben ist, hier also zwei der 15 Menschen oder 13 %. Bei einem lokalen Ausbruch kann die Infektionssterblichkeit sehr hoch sein, aber wenn die Krankheit sich nicht ausbreitet, bleibt die Mortalität in der Gesamtbevölkerung gering. Ein Beispiel ist der Ausbruch des Ebolavirus 2014 in Westafrika: Hier lag die Infektionssterblichkeit mit fast 40 % sehr hoch, während sie bei der Spanischen Grippe auf knapp zehn Prozent geschätzt wurde. Die Gesamtzahl der weltweiten Todesfälle durch das Ebolavirus war aber viel niedriger (11.000 im Vergleich zu 50 Mio.), weil der Ausbruch sich auf ganz bestimmte Regionen beschränkte
bruch und während der Epidemie erfasst. Während der Grippe-Epidemie von 1918 lag beispielsweise die Übersterblichkeit bei mehr als 80 % – das heißt, es ereigneten sich 80 % mehr Todesfälle, als man es für einen ähnlichen Zeitraum erwartet hätte. Auch für die Übersterb-
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lichkeit in den ersten Wochen der COVID-19-Pandemie gab es einige Schätzungen (Abb. 2.6). In der spanischen Provinz Madrid beispielsweise wurden in dem Zeitraum vom 10. bis 16. März 2020, während der ersten Wochen des COVID-19-Ausbruchs, 1318 Todesfälle registriert, während man nach Schätzungen aus vorangegangenen Wochen nur 794 erwartet hätte. Nur 192 Todesfälle standen aber den Berichten zufolge im Zusammenhang mit COVID-19; man kann also davon ausgehen, dass es eine beträchtliche nicht gemeldete Zahl zusätzlicher Todesfälle gab, die mit COVID-19 zusammenhingen. Ähnliche Beobachtungen machte man auch im chinesischen Wuhan und in Norditalien.
Welche Faktoren beeinflussen die Schwere der Erkrankung? Wie schwer eine Krankheit verläuft, hängt in den meisten Fällen vom Alter ab. Die jahreszeitliche Grippe zum Beispiel ist besonders für Säuglinge und ältere Menschen eine schwere Erkrankung. Auch COVID-19 nimmt insbesondere bei älteren Menschen einen schweren Verlauf. Wenn wir die Wirkungen von COVID-19 in der Bevölkerung verschiedener Länder vergleichen wollen, müssen wir die jeweilige Altersverteilung berücksichtigen. In Japan liegt das mittlere Alter bei mehr als 47 Jahren, in Afrika bei unter 20 ((Lektorat: Nächsten Satz weggelassen, da eine Wiederholung des vorherigen.)). Bei COVID-19 nimmt die Fallsterblichkeit mit dem Alter dramatisch zu. Das chinesische Seuchenbekämpfungszentrum konnte nachweisen, dass sie für unter 40-Jährige bei 0,2 % liegt, mit dem Alter schnell anwächst und bei über 80-Jährigen 15 % übersteigt. Wenn
2 Wie breitet sich das Coronavirus aus? 23 Übersterblichkeit (Spanien Januar-April 2020) 2600
Todesfälle pro Tag
2400 2200 2000 1800 1600 1400 1200 1000 31-Dez
20-Jan
9-Feb
29-Feb
Date
beobachtete Todesfälle
20-Mrz
9-Apr
erwartete Todesfälle
Abb. 2.6 Übersterblichkeit und die Abschätzung der Zahl der Todesfälle in Verbindung mit COVID-19. Manchmal weiß man nicht genau, ob ein Todesfall auf eine bestimmte Ursache zurückzuführen ist. Im Zusammenhang mit einer Lungenentzündung gibt es beispielsweise viele mögliche Todesursachen, darunter verschiedene Viren und Bakterien. Im Fall von COVID-19 wurden Verstorbene aus verschiedenen Gründen nicht getestet. Handelt es sich bei der Ursache um einen infektiösen Erreger wie SARSCoV-2, kann man die Zahl der damit zusammenhängenden Todesfälle abschätzen, indem man die Zahl der Todesfälle in der Zeit und Region, in der dieser Erreger im Umlauf war, mit der Zahl der Todesfälle unter normalen Umständen vergleicht. Mit anderen Worten: Man kann ermitteln, um wie viel mehr Todesfälle aufgetreten sind, während ein infektiöser Erreger in einer Bevölkerung zirkulierte. Diese Zahl ist die Übersterblichkeit. Das Diagramm zeigt die Zahl der Todesfälle pro Tag in Spanien in den ersten Monaten des Jahres 2020 (rot) im Vergleich zu den entsprechenden Zahlen in anderen Jahren (blau). Der dramatische Anstieg in der Zahl der Todesfälle im März fiel mit der Ausbreitung von SARS-CoV-2 in dem Land zusammen
die Altersverteilung des Fall-Verstorbenen-Anteils in verschiedenen Ländern ähnlich ist und wenn auch eine ähnliche Zahl von Infektionen aufgetreten ist, sollte man damit rechnen, dass die Gesamtzahl der auf COVID19 beruhenden Todesfälle in den meisten afrikanischen
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Ländern niedriger ist als in Ländern mit höherer Lebenserwartung, das heißt in vielen Ländern in Europa, Asien und Nordamerika. Darüber hinaus hat man beobachtet, dass Infektionskrankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich schwer verlaufen können. Bei der jahreszeitlichen Grippe ist der Anteil derer, die ins Krankenhaus müssen, bei Männern höher als bei Frauen, und das gilt sowohl für jüngere als auch für ältere Menschen. Das Gleiche hat man auch bei den Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 festgestellt. Der Unterschied in der Erkrankungshäufigkeit (Morbidität) und der Häufigkeit von Todesfällen (Mortalität) zwischen Männern und Frauen könnte auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein, so auf biologische Eigenschaften und die Lebensweise. In vielen Ländern ist beispielsweise der Anteil der Raucher unter Männern größer als unter Frauen, und Rauchen ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Komplikationen bei Atemwegserkrankungen.
Was bedeutet „Abflachung der Kurve“ und warum ist sie wichtig? Während des COVID-19-Ausbruchs konnte man etwas Wichtiges beobachten: Einer der Hauptgründe, warum man auf die Krankheit nicht adäquat reagieren konnte, war die rapide zunehmende Zahl der Fälle, die dringend medizinischer Versorgung bedurften (Abb. 2.7). Das Gesundheitssystem ist nur begrenzt in der Lage, einen plötzlichen Anstieg der Patientenzahl zu bewältigen. Zu einer Überforderung des Gesundheitssystems kann es kommen, wenn eine sehr ansteckende Krankheit sich in einer Population schnell ausbreitet, sodass die Zahl der infizierten Menschen, die plötzlich im Krankenhaus ver-
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Zahl der Patienten im Krankenhaus
keine Maßnahmen
Eindämmungsmaßnahmen: Abstandhalten, Schul- und Theaterschließungen usw. Kapazität des Gesundheitswesens
Zeit
Abb. 2.7 Abflachung der Kurve und maximale Kapazität. Durch die Überforderung des Gesundheitssystems können sich die Versorgungsmöglichkeiten für die Patienten vermindern, sodass die Sterblichkeit dramatisch ansteigt. Frühzeitige Vorbeugungsmaßnahmen wie Abstandhalten können die Überforderung der Gesundheitssysteme abmildern; wenn der Spitzenwert hinausgezögert wird, bleibt mehr Zeit, sich vorzubereiten und sowohl die erforderliche Ausrüstung als auch Schutz für die Beschäftigten des Gesundheitssystems zu beschaffen. Zu den Abschwächungsstrategien bei Pandemien gehören die freiwillige Selbstisolation und Quarantäne, die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten, die Absage öffentlicher Veranstaltungen, die Verminderung von Kontakten bei der Arbeit, die verstärkte Nutzung von Telekommunikation und andere Maßnahmen, mit denen man Abstand halten kann. Mit solchen Gegenmaßnahmen kann man die Spitzenwerte hinauszögern und ihre Größenordnung vermindern, sodass das Gesundheitssystem sowohl den Patienten als auch den Beschäftigten noch gerecht werden kann. Im Verlauf der COVID-19-Pandemie wurden in vielen Ländern Hilfskrankenhäuser eingerichtet, mit denen man den Anstieg der Patientenzahlen auffangen wollte
sorgt werden müssen, größer ist als die Versorgungskapazität. Das überforderte Gesundheitssystem verfügt nicht über ausreichende physische Mittel, um die Patienten zu versorgen und das medizinische Personal zu schützen; damit vermindert sich die Kapazität noch weiter, sodass sich Morbidität und Mortalität im Zusammenhang mit der Krankheit ansteigen.
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Wenn man den Ausbruch einer Epidemie erkannt hat, ist sofortiges Handeln erforderlich; zu den Maßnahmen gehören Tests in der Bevölkerung, das Nachverfolgen von Kontaktpersonen und ihre Isolation, Quarantäne und die Therapie der Erkrankten. Mit wirksamen Eindämmungsmaßnahmen kann man die Ausbreitung und den plötzlichen Anstieg der Fälle, die eine medizinische Versorgung erfordern, verlangsamen. Erweisen sich solche Maßnahmen als wirkungslos, muss man drastischer vorgehen; dazu gehört die Schließung öffentlicher Versammlungsorte, Schulen und Theater sowie verstärktes Abstandhalten (social distancing). Eine noch drastischere Maßnahme ist der vollständige Lockdown ganzer Städte oder Länder. Solche Maßnahmen können „die Kurve abflachen“, weil sie die Maximalzahl der Fälle vermindern, sodass das Gesundheitssystem noch reagieren und die in schweren Fällen erforderliche medizinische Versorgung leisten kann (Abb. 2.7). Zu einer Überforderung des Gesundheitssystems kam es auch schon bei großen Pandemien der Vergangenheit, so bei der Spanischen Grippe von 1918. Im Oktober 1918 starben 195.000 US-Bürger durch das Virus. Außerdem bedingte der Krieg in Europa, dass Krankenschwestern in Militärlagern eingesetzt wurden, was den Mangel an medizinischem Personal verschärfte. Viele historische Berichte sprechen davon, welche unterschiedlichen Maßnahmen einzelne Städte und Länder ergriffen und wie wirksam diese Maßnahmen waren. Erste aggressive Eingriffe konnten die Fallzahlen wirksam senken und die Belastung der Gesundheitssysteme vermindern. In Kap. 8 werden wir im Zusammenhang mit der Influenza-Pandemie einige Beispiele für solche frühen Eingriffe kennenlernen. Im Fall von COVID-19 haben sich umfangreiche Tests, Nachverfolgung und Isolation zusammen mit dem Abstandhalten in Ländern wie Südkorea als äußerst wirksam erwiesen.
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Was ist Herdenimmunität? Ein wichtiger epidemiologischer Begriff ist die Herdenimmunität. Wenn eine neue Infektionskrankheit wie SARS-CoV-2 auftritt, ist die Bevölkerung zum größten Teil ungeschützt. Dies führt dazu, dass die Infektionskrankheit sich schnell ausbreitet, was zu dem erwähnten schnellen Anstieg der Fallzahlen und der Sterblichkeit sowie im Zusammenhang damit zu großem Druck auf das Gesundheitssystem führt. Wenn jedoch ein Teil der Bevölkerung schon früher der Infektionskrankheit ausgesetzt war oder geimpft wurde, sind die betreffenden Personen immun, und damit verlangsamt sich die Ausbreitung der Krankheit (Abb. 2.8). Je mehr Menschen vor der Krankheit geschützt sind, desto schwerer gelingt es dem Erreger, sich auszubreiten. Ist ein bestimmter Schwellenwert erreicht, wird die weitere Ausbreitung des Erregers unmöglich. Den Anteil der Bevölkerung, der immun werden muss, damit die Ausbreitung der Infektionskrankheit zum Stillstand kommt, bezeichnet man als Herdenimmunitätsschwelle. Sie liegt umso höher, je ansteckender eine Krankheit ist. Die Herdenimmunitätsschwelle hängt von der Basisreproduktionszahl R0 ab. Den Zusammenhang versteht man leicht, wenn man daran denkt, wie viele andere Menschen eine einzige infizierte Person in einer teilweise immunen Bevölkerung anstecken kann: R0, multipliziert mit dem Anteil der anfälligen Personen in der Gesamtbevölkerung. Ist das Produkt kleiner als 1, kann der Erreger sich nicht weiter vermehren.1 Bei dem 1Die
Herdenimmunitätsschwelle kann man näherungsweise berechnen mit der Formel f = 1 − 1/R0. Wenn R0 für SARS-CoV-2 größer als 2 ist, rechnet man damit, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung immun sein muss, damit die Ausbreitung des Virus zum Stillstand kommt.
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anfällig immun infiziert Kontakt
Abb. 2.8 Herdenimmunität. Wenn ein nennenswerter Anteil der Menschen in einer Bevölkerung wegen einer früheren Erkrankung oder Impfung gegen die Krankheit immun ist, kann ein infektiöser Erreger sich nicht weiter vermehren. Damit er sich ausbreiten kann, müssen anfällige Personen (blau) in Kontakt mit ansteckenden Personen (rot) kommen. Je mehr immune Personen (grün) es in der Bevölkerung gibt, desto schwieriger wird die Ausbreitung der Infektion. Als Herdenimmunitäts schwelle bezeichnet man den Anteil der Bevölkerung, der immun sein muss, damit die Ausbreitung der Krankheit verhindert wird. Wie hoch die Schwelle liegt, hängt von der Ansteckungsfähigkeit des jeweiligen Erregers ab. Bei höchstinfektiösen Viren muss ein größerer Anteil der Bevölkerung immun sein. Für Masern liegt die Herdenimmunitätsschwelle beispielsweise bei fast 95 %. Ist also ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung nicht geimpft, kann es zu Ausbrüchen der Krankheit kommen. Für COVID-19 liegt die Schwelle niedriger, nämlich vermutlich bei rund 50 % der Bevölkerung
sehr ansteckenden Masernvirus müssen nach Schätzungen rund 95 % der Bevölkerung immun sein. Bei der jahreszeitlichen Grippe, die nicht so leicht übertragbar ist, liegt die Schwelle ungefähr bei 35 %.
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Für COVID-19 wurde die Herdenimmunitätsschwelle auf rund 50 % der Bevölkerung geschätzt. Demnach werden wir die weitere Verbreitung des Virus zum Stillstand bringen können, wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung entweder infiziert war oder geimpft ist. Wenn im Fall einer Pandemie wie COVID-19 die Eindämmungsmaßnahmen versagen, werden sich die meisten Menschen infizieren. Wenn sie genesen und eine dauerhafte neutralisierende Immunantwort aufbauen, kann das Virus sie nicht erneut infizieren, und die effektive Übertragungsrate geht zurück. Diese Herdenimmunität kann sich vermindern, wenn die Erreger durch ihre weitere Evolution der adaptiven Immunantwort entgehen oder wenn die Immunantwort nicht von Dauer ist. Grippeimpfstoffe zum Beispiel könnten sich bei einem Teil der Bevölkerung – beispielsweise bei älteren Menschen – als wirkungslos erweisen, weil das Immunsystem mit dem Alter schwächer wird. Außerdem mutiert das Virus – das ist der Grund, warum Impfstoffe gegen Influenza jedes Jahr aktualisiert werden müssen. Die Herdenimmunität ist einer der wichtigsten Gründe, warum man die Ausbreitung vieler Infektionskrankheiten mit Massenimpfungen unter Kontrolle bringen konnte. Mangelnde Bereitschaft, der Impfpflicht nachzukommen, schafft größere Bevölkerungsgruppen mit anfälligen Personen und ermöglicht damit den Ausbruch von Infektionskrankheiten, die man ansonsten unter Kontrolle halten könnte. Jedes Virus hat seinen eigenen Charakter, und Coronaviren unterscheiden sich stark von anderen Viren. Um zu verstehen, wie sie Krankheiten verursachen und sich ausbreiten, müssen wir genauer betrachten, was Coronaviren sind, wo sie vorkommen und wie sie Zellen infizieren. Das alles werden wir im nächsten Kapitel detaillierter erfahren.
3 Ein Coronavirus – was ist das eigentlich?
Ein Virus ist eine schlechte Nachricht, eingewickelt in Protein. Peter Medawar Wir leben in einem tanzenden Gerüst von Viren; wie Bienen schwirren sie von einem Lebewesen zum nächsten, von der Pflanze zum Insekt zum Säugetier zu mir und wieder zurück, und ins Meer. Sie nehmen Stücke von diesem Genom und Genabschnitte aus jenem mit, verpflanzen DNA, reichen Vererbung herum wie auf einer großen Party. Lewis Thomas
Viren sind erstaunliche Geschöpfe. Sie sind die am weitesten verbreiteten, vielgestaltigsten biologischen Gebilde der Welt und machen auch die schnellste Evolution durch. Sie infizieren alle bekannten Lebensformen, „übernehmen“ den komplexen Apparat von Zellen und unterwerfen ihn. Sie sind viel kleiner und © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_3
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weniger komplex als Zellen, aber sie verfügen über einen einzigartigen, winzigen „Werkzeugkasten“, mit dem sie die wesentlichen Elemente von Zellen steuern und deren Abwehrmechanismen täuschen können. Erwähnenswert ist, dass Viren außer der Fortpflanzung nicht die Eigenschaften des Lebendigen besitzen, die wir Zellen normalerweise zuschreiben (wie Stoffwechsel, Entwicklung oder Wahrnehmung). In der Praxis „tun“ Viren nicht viel: Sie dringen in die Zellen (ihre „Wirte“) ein und nutzen deren Apparat, um neue Virusteilchen zu produzieren. Da ist es nicht verwunderlich, dass in den vergangenen hundert Jahren viele wichtige Entdeckungen in der Biologie an und durch Viren gemacht wurden. Viren haben grundlegende Erkenntnisse über die Prinzipien der Molekularbiologie geliefert, unter anderem darüber, wie Zellen sich verdoppeln und ihre Information handhaben, durch welche Mechanismen Krebs entsteht und vieles andere. Das nun folgende Kapitel enthält Informationen über Viren im Allgemeinen und Coronaviren im Besonderen. Viren sind obligate Parasiten, das heißt, sie können sich nur dann vermehren, wenn sie einen Wirt infiziert haben. Coronaviren infizieren verschiedene Tiere und insbesondere auch Menschen. Aber Viren, die eine Spezies infizieren können, sind dazu bei anderen oftmals nicht in der Lage. Die Übertragung auf eine neue Spezies kann durch eine Reihe von Prozessen ermöglicht werden, die ich in Kap. 4 im Zusammenhang mit der Evolution von Viren erläutern werde. Vorerst möchte ich einige gemeinsame Merkmale von Coronaviren erklären, darunter ihre Proteine und deren Funktion; außerdem gebe ich einen Überblick über ihr Genom, in dem ihre genetische Information enthalten ist. Wenn man Virusgenome ausliest, erhält man nützliche Informationen darüber, wie Viren miteinander verwandt sind, wie sie sich weiterentwickeln, welches ihre Hauptbestandteile sind,
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wie sie sich vermehren und in welche Wechselbeziehung sie mit ihrem Wirt treten. Dieses Kapitel liefert Hintergrundinformationen, wenn wir verstehen wollen, welche Besonderheiten SARS-CoV-2 hat, das Virus, das für die die COVID-19-Pandemie verantwortlich ist.
Was ist ein Virus? Viren sind kleine, infektiöse Teilchen, die sich in Zellen vermehren. Sie können in Zellen eindringen und deren biochemischen Apparat so unter Kontrolle bringen, dass er Tausende von Kopien des Virus herstellt, die dann ihrerseits weitere Zellen infizieren. Viren sind sehr klein. Coronaviren haben einen Durchmesser von 100 Nanometern – das sind 0,0000001 m oder ungefähr ein Tausendstel der Dicke eines Haares. In einem gewöhnlichen Lichtmikroskop erkennt man sie nicht. Menschliche Zellen sind hundertmal größer. Und während eine typische menschliche Zelle Zehntausende verschiedene Proteine enthält, die Bausteine aller Lebewesen, sind es bei Viren oftmals nur etwa zehn. Mit ihrer geringen, kompakten Größe und der geringen Zahl von Proteinen werfen Viren eine schwierige Frage auf: Wie kann ein so kleines Teilchen in einer komplexen Zelle das Kommando übernehmen? Wie kann etwas so Kleines die notwendigen Hilfsmittel enthalten, um dies zu bewerkstelligen? Solche Fragen gehören zu den faszinierendsten Aspekten der Viren, denn sie liefern Hinweise auf wesentliche Eigenschaften des Lebendigen. Zellen und komplexe Organismen wie der Mensch sind so angepasst, dass sie Viren und andere Krankheitserreger erkennen und beseitigen können. In ihrer Evolution sind Immunsysteme entstanden, und deren Erkennungsmechanismen sind entweder in den Zellen
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„fest verdrahtet“ (angeborenes Immunsystem), oder sie werden durch die Reaktion auf Infektionen „gelernt“ (adaptives Immunsystem). Die Erkennungsmechanismen lösen Reaktionen aus, die darauf abzielen, Krankheitserreger und infizierte Zellen zu zerstören. Viren, die der Erkennung durch das Immunsystem nicht entgehen, werden beseitigt. Erfolgreichen Viren gelingt es aber, der Immunerkennung zu entgehen. Viren sind die am weitesten verbreiteten biologischen Gebilde der Welt: Sie infizieren alle Lebewesen, die aus Zellen bestehen, von Bakterien bis zu großen, vielzelligen Organismen wie dem Menschen. Nachgewiesen wurden sie erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts als kleine Teilchen, die feinporige Porzellanfilter (in denen Bakterien und größere Zellen hängen bleiben) passieren können und bei Tabakpflanzen eine Krankheit verursachen. Im 20. Jahrhundert identifizierte man dann viele Viren, die im Zusammenhang mit verbreiteten und seltenen Krankheiten stehen, darunter Masern, Tollwut, erworbene Immunschwäche (AIDS), Pocken, Grippe (Influenza) und viele andere. Viren sind aber nicht nur am weitesten verbreitet, sie sind auch die vielgestaltigsten biologischen Gebilde. Die genetische Information eines Virus ist in seinem Genom codiert: Dieses bestimmt im Einzelnen, welche Proteine während einer Infektion wann und in welchen Mengen produziert werden. Es enthält Informationen darüber, wie das Virus sich vermehrt und dem Immunsystem des Wirtes entgeht. Die im Genom enthaltene Information ist in allen biologischen Gebilden in Form langer Moleküle codiert – DNA oder RNA. Wie eine Audioaufnahme oder ein Buch – zwei verschiedene Medien zur Informationsspeicherung –, so sind auch DNA und RNA zwei verschiedene Moleküle zur Speicherung genetischer Information. Alle Zellen bedienen sich einer
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ähnlichen Strategie, um die Information des Genoms in doppelsträngiger DNA zu speichern, Viren jedoch können entweder RNA oder DNA (und hier entweder einen Einzel- oder einen Doppelstrang) nutzen. Wegen dieser Vielfalt und da Viren keine gemeinsamen Strukturen haben, ist ihre Klassifikation schwierig. Eine erste weit gefasste Einteilung kann man anhand des jeweils genutzten Genmaterials vornehmen. Manche Viren, so die Erreger von Herpes und Pocken, nutzen DNA als Speichermaterial. Andere speichern ihre genetische Information in RNA – Beispiele sind die Coronaviren, die in diesem Buch die Hauptrolle spielen, aber auch die Influenzaviren.
Was sind Coronaviren? Die Coronaviren gehören zu den Coronaviridae, einer großen Virusfamilie, deren Mitglieder viele verschiedene Säugetiere und Vögel infizieren. Als Coronaviren werden sie bezeichnet, weil Stacheln auf ihrer Oberfläche im elektronenmikroskopischen Bild einer Krone ähneln (lateinisch corona = Krone) (Abb. 3.1). Nachgewiesen wurden Coronaviren erstmals in den 1930er Jahren als infektiöse Erreger der Bronchitis. Coronaviren sind rund und haben einen Durchmesser von etwa 100 Nanometern (0,0001 mm). Ihr Genom ist das längste aller Viren, die RNA als genetisches Material nutzen: Es umfasst rund 30.000 Basen (das sind die DNA-Bausteine A, T, C, und G – die Buchstaben stehen für Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin; in der RNA steht U oderUracil an der Stelle des Thymins). Ihr Genom ist ähnlich aufgebaut wie bei verwandten Viren. Die meisten Coronaviren infizieren nur einen ganz bestimmten Wirt, in manchen Fällen, so bei dem SARS-
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Abb. 3.1 Viren, die am weitesten verbreiteten biologischen Gebilde der Erde. Viren sind die kleinsten, vielgestaltigsten biologischen Gebilde, die man kennt, und sie machen auch die schnellste Evolution durch. Mit einem gewöhnlichen Lichtmikroskop sind sie nicht zu sehen, aber mit dem Elektronenmikroskop kann man sie beobachten. Das typische Kennzeichen der Coronaviren sind Stacheln, die aus dem Virusteilchen herausragen und ihm das Aussehen einer Krone (lateinisch corona ) verleihen. © National Institute of Allergy and Infectious Diseases-Rocky Mountain Laboratories, NIH
Erreger, konnte man aber auch die Infektion verschiedener Säugetiere nachweisen, darunter Katzen, Hunde, Larvenroller und Menschen. Eine Coronavirusinfektion kann bei verschiedenen Tieren mit unterschiedlichen Krankheiten verbunden sein, so mit Erkrankungen der Atemwege, der Verdauungsorgane oder des Nervensystems oder auch mit Hepatitis. Die Coronaviren lassen sich aufgrund ihrer Genome wiederum in mehrere Gattungen unterteilen:
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• Alphacoronaviren: Dies sind Viren, die beim Menschen im Zusammenhang mit der gewöhnlichen Erkältung stehen wie das menschliche Coronavirus 229E und das menschliche Coronavirus NL63. Beide verursachen beim Menschen drei Tage nach der Infektion mäßige Atemwegssymptome, die ungefähr eine Woche anhalten; bei ungefähr 30 % der Infizierten sind überhaupt keine Symptome zu erkennen. Infektionen der unteren Atemwege sind selten. Andere Mitglieder der Gattung hat man bei Schweinen, Hunden und Katzen gefunden. • Betacoronaviren: In diese Gattung gehören SARSCoV-2, die Erreger von MERS und SARS sowie weitere Coronaviren, die mit milden Atemwegsinfektionen einhergehen, so die menschlichen Coronaviren HKU1 und OC43. Andere hat man bei verschiedenen Säugetieren gefunden, unter anderem bei Fledermäusen, Kamelen, Mäusen, Ratten, Kaninchen, Igeln, Schweinen und Kühen. • Gamma- und Deltacoronaviren: Viren dieser Gattung infizieren verschiedene Tierarten, darunter Vögel und Schweine. Bis zu der SARS-Epidemie von 2003 nahm man an, dass Coronaviren, die Menschen infizieren, nur schwache Symptome der Atemwege hervorrufen. Der Hauptdarsteller dieses Buches, SARS-CoV-2, gehört zur Gattung der Betacoronaviren und ähnelt genetisch dem Virus SARS-CoV, das 2003 für die SARS-Epidemie verantwortlich war.
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Wo kommen Coronaviren vor? Man hat Coronaviren bei einer ganzen Reihe verschiedener Wirtsorganismen gefunden, unter anderem bei Vögeln und Säugetieren. Zu den Säugetieren, die sich bekanntermaßen mit Coronaviren anstecken können, gehören Fledermäuse, Kamele, Hunde, Katzen, Schweine, Larvenroller und natürlich Menschen. Die Krankheiten unterscheiden sich je nach dem Wirt und dem Virus. Das Hunde-Coronavirus (CCoV) ist beispielsweise ein höchst ansteckender Erreger, der bei Hunden Erbrechen und Durchfall auslöst. Das Katzen-Coronavirus (FCoV) verursacht bei Katzen eine infektiöse Bauchfellentzündung, die oftmals tödlich verläuft. Unter Menschen sind Viren aus den Gruppen der Alpha- und Betacoronaviren im Umlauf. Derzeit kennt man sieben Coronaviren, die Menschen infizieren. Vier davon (229E, HKU1, NL63 und OC43) zirkulieren dauerhaft in der Bevölkerung und gehen mit schwachen Atemwegsinfektionen einher; gelegentlich können sie bei Säuglingen, älteren Menschen oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem aber auch eine Lungenentzündung verursachen. Diese Viren sind jahreszeitlich verteilt: Man kann sie hauptsächlich im Winter nachweisen. Andere waren die Ursache schwerwiegender Ausbrüche von Lungenentzündungen; hierher gehören SARS-CoV, der Erreger der SARS-Epidemie von 2003, und MERSCoV, der Erreger der Krankheit MERS, der seit dem Erstnachweis 2012 mehr als 2000 Infektionen verursacht hat.
3 Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? 39
Wie ist ein Coronavirus aufgebaut? Coronaviren haben eine gemeinsame Struktur, die sich vom Aufbau anderer Virusfamilien unterscheidet. Es sind umhüllte Viren, das heißt, sie sind vollständig von Teilen der Zellmembran der infizierten Zellen eingehüllt. Die Zellmembran ist die „Wand“, die das Innere der Zelle von der Außenwelt trennt und die Wechselbeziehungen zwischen beiden reguliert. Sie besteht aus einer Lipiddoppelschicht (Lipide sind fettähnliche Substanzen) und Proteinen, die für die Interaktionen mit der Außenwelt sorgen. Umhüllte Viren nehmen Teile der Zellmembran mit, wenn sie sich aus infizierten Zellen abschnüren. Eine solche Hülle besitzen viele Viren, darunter die Coronaund die Influenzaviren. Die Proteine in einem Virus kann man in zwei Gruppen unterteilen: Die einen, Strukturproteine genannt, sind Bausteine des Virusteilchens; die anderen sind im Virusteilchen nicht enthalten, werden aber produziert, wenn es dem Virus gelungen ist, die Zelle zu infizieren. Abb. 3.2 zeigt ein Coronavirus in schematischer Darstellung. Das Genom liegt innerhalb des Virusteilchens, das aus der Lipiddoppelschicht-Membran und den Strukturproteinen besteht. Zahlreiche Moleküle des Nucleocapsidproteins (N) binden an das RNAGenom des Virus und bilden eine Röhrenstruktur, die das Genom schützt. Das Membranprotein (M) steht mit dem Nucleocapsid in Wechselbeziehung und ist für die Verpackung der Virus-RNA notwendig. Außerdem spielt es eine wichtige Rolle, wenn das Virus sich in einer infizierten Zelle vervielfältigt und zusammengebaut wird. Unter den Strukturproteinen ist insbesondere das Spikeprotein S erwähnenswert, denn es ist unter
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Spikeprotein (S) Membranprotein (M)
RNA Hüllprotein (E) Nucleocapsidprotein
Abb. 3.2 Die gemeinsame Struktur der Coronaviren. Das RNA-Genom liegt im Inneren des Virusteilchens und ist an das Nucleocapsidprotein (N) gebunden. Eine der wichtigsten Funktionen des Nucleocapsidproteins besteht darin, das Genom des Virus zu schützen; dazu bildet es eine röhrenförmige Struktur, die an eine Halskette erinnert und aus zahlreichen N-Proteinmolekülen besteht. Dieses Nucleocapsid – die Struktur aus RNA und Protein – wird ihrerseits vom Membranprotein geschützt. In der Membran – der Lipiddoppelschicht-Struktur, die von der infizierten Zelle bei der Entstehung des Virus übernommen wurde – sind mehrere Proteine verankert, darunter das Spikeprotein S, das Matrixprotein M und das Hüllprotein E. Spike-, Hüll-, Matrix- und Neucleocapsidprotein sind die vier Strukturproteine, die bei allen Coronaviren vorkommen. Das S-Protein hat wie die meisten Virusproteine mehrere Funktionen. Es sorgt für die Bindung an den zelleigenen Rezeptor und ist das Protein, das dem Virus das Eindringen ermöglicht. Außerdem setzt es die Verschmelzung von Virus- und Zellmembran in Gang. Das M-Protein interagiert mit dem Nuclocapsid und löst in infizierten Zellen den Viruszusammenbau aus. Das E-Protein wird gebraucht, damit sich neu gebildete Viren von der infizierten Zelle abschnüren können
3 Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? 41
anderem dafür verantwortlich, dass das Virus sich an eine Zelle anheften und in sie eindringen kann. Das Spikeprotein ragt aus der Virushülle heraus und verleiht dem Erreger in den elektronenmikroskopischen Bildern sein charakteristisches „kronenförmiges“ Aussehen (siehe Abb. 3.1). Wie wir noch genauer erfahren werden, bestimmt das Spikeprotein entscheidend über die Zell- und Wirtsspezifität mit. Es bindet an Proteine in der Zellmembran, und wenn die Bindung erfolgreich ist, wird die Zelle infiziert. Das Spikeprotein kann sich an ganz bestimmte Proteine der Wirtszellen anheften, und diese Fähigkeit bestimmt mit über das Wirtsspektrum eines Virus. Die Proteine, die keine Strukturproteine sind, finden sich im Virusteilchen nicht, wenn dieses in die Zelle eindringt, sondern werden erst nach der Infektion produziert. Sie wirken an mehreren Funktionen mit, so an der Verdoppelung des genetischen Materials des Virus. Ein Schlüsselprotein bei solchen Viren ist die Polymerase, das Enzym, das die Replikation des genetischen Materials vorantreibt. Da RNA die wichtigste Substanz im Genom des Virus ist, während das Genom von Zellen aus DNA besteht, bringen Viren die Informationen über die RNAPolymerase mit, das Verdoppelungsenzym, das RNAKopien an einer RNA-Matrize herstellen kann. Die Polymerase produziert Kopien des Virusgenoms, die dann in neue Viruspartikel eingebaut werden. Andere NichtStrukturproteine, die Proteasen, sind dafür zuständig, große Virusproteine in kleinere Stücke zu zerlegen. Weitere Proteine regulieren das angeborene Immunsystem, einen Teil des Immunsystems, der verschiedene Infektionen aufspüren kann; dazu interagieren sie mit zelleigenen Proteinen, die an der Erkennung mitwirken, und blockieren so die nachfolgende Signalübertragung.
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Die Information für den Aufbau aller dieser Proteine ist im Genom des Virus gespeichert. Coronaviren gehören zu den längsten RNA-Viren, die man kennt: Ihr genetisches Material ist ein einziger RNA-Faden von rund 30.000 Nucleotiden – den Molekülen, in denen die RNA-Basen A, C, G und U enthalten sind (im Gegensatz zur DNA enthalten RNA-Moleküle die Base Uracil oder U anstelle des T). Mit molekulargenetischen Methoden können wir diese Genome auslesen; sie bestehen aus langen Reihen der Buchstaben A, C, G und U. So beginnt beispielsweise das Genom des ersten SARS-CoV-2Coronavirus aus Wuhan so: AUUAAAGGUUUAUACCUUCCCAGGUAACAAACC AACCAACUUUCGAUCUCUUGUAGAUCUGUU CUCUAAA CGAACUUUAAAAUCUGUGUGGCUGUCACUCGG CUGCAUGCUUAGUGCACUCACGCAGUAUAAU UAAUAAC UAAUUACUGUCGUUGACAGGACACGAGUAACU CGUCUAUCUUCUGCAGGCUGCUUACGGUUU CGUCCGUG UUGCAGCCGAUCAUCAGCACAUCUAGGUUUCG UCCGGGUGUGACCGAAAGGUAAGAUGGAGA GCCUUGUC CCUGGUUUCAACGAGAAAACACACGUCCAACUC AGUUUGCCUGUUUUACAGGUUCGCGACGUG CUCGUAC GUGGCUUUGGAGACUCCGUGGAGGAGGUCUU AUCAGAGGCACGUCAACAUCUUAAAGAUGGC ACUUGUGG CUUAGUAGAAGUUGAAAAAGGCGUUUUGCCUC AACUUGAACAGCCCUAUGUGUUCAUCAAACG UUCGGAU
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GCUCGAACUGCACCUCAUGGUCAUGUUAUGGU UGAGCUGGUAGCAGAACUCGAAGGCAUUCAG UACGGUC GUAGUGGUGAGACACUUGGUGUCCUUGUCCC UCAUGUGGGCGAAAUACCAGUGGCUUACCG CAAGGUUCU UCUUCGUAAGAACGGUAAUAAAGGAGCUGGUG GCCAUAGUUACGGCGCCGAUCUAAAGUCAUU UGACUUA GGCGACGAGCUUGGCACUGAUCCUUAUGAAGA UUUUCAAGAAAACUGGAACACUAAACAUAGCA GUGGUG UUACCCGUGAACUCAUGCGUGAGCUUAACGGA GGGGCAUACACUCGCUAUGUCGAUAACAACU UCUGUGG CCCUGAUGGCUACCCUCUUGAGUGCAUUAAAG ACCUUCUAGCACGUGCUGGUAAAGCUUCAU GCACUUUG UCCGAACAACUGGACUUUAUUGACACUAAGAG GGGUGUAUACUGCUGCCGUGAACAUGAGCA UGAAAUUG CUUGGUACACGGAACGUUCUGAAAAGAGCUAU GAAUUGCAGACACCUUUUGAAAUUAAAUUGG CAAAGAA AUUUGACACCUUCAAUGGGGAAUGUCCAAAUU UUGUAUUUCCCUUAAAUUCCAUAAUCAAGAC UAUUCAA CCAAGGGUUGAAAAGAAAAAGCUUGAUGGCUU UAUGGGUAGAAUUCGAUCUGUCUAUCCAGU UGCGUCAC CAAAUGAAUGCAACCAAAUGUGCCUUUCAACU... Wenn man das gesamte Genom aufschreibt, nimmt es mehr als zehn Seiten in Anspruch und erscheint zunächst vollkommen unverständlich. Heute wissen wir aber,
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wie man die Gene liest, die im Virus die verschiedenen Proteine codieren – die also genaue Anweisungen über die Virusbestandteile geben. Wenn wir das Genom kennen, können wir nach den Genen suchen, das heißt nach den Abschnitten des Genoms, die Proteine codieren. Dazu sucht man zunächst mit dem Computer nach langen Buchstabenreihen innerhalb des Genoms, die der Verteilung der Buchstaben in bekannten Genen ähneln. Solche Genkandidaten kann man dann in Proteine übersetzen und mit Proteinen anderer Viren vergleichen. Das Genom der Coronaviren gliedert sich in zwei Hauptabschnitte. In den ersten zwei Dritteln finden wir Gene, die Nicht-Strukturproteine codieren, darunter die RNAPolymerase, die für die Verdoppelung der Virus-RNA sorgt. Der letzte Teil des Genoms codiert die Information für die Strukturproteine. Wenn man die Gene und ihre Reihenfolge im Genom vergleicht, kann man abschätzen, wie ähnlich sich verschiedene Viren sind. Eng verwandte Viren haben ähnliche Genome, ihre Gene liegen in einer ähnlichen Reihenfolge und codieren die Informationen für sehr ähnliche Proteine. Abb. 3.3 zeigt in schematischer Darstellung die Genome von drei verschiedenen Viren: SARS-CoV-2, ein SARS-ähnliches Virus aus Fledermäusen (Bat SLCoVZC45) und SARS-CoV, ein Virus, das während der SARS-Epidemie von 2003 aus Menschen isoliert wurde. Wie man sofort erkennt, sind die Genome aller drei Viren sehr ähnlich aufgebaut. Die dunkelroten Balken sind die zwei großen Gene, die mehrere Proteine codieren; sie nehmen die ersten 22.000 Positionen (oder 70 %) des Virusgenoms ein. Die grün dargestellten restlichen 8000 Positionen umfassen die Gene für die Strukturproteine (S, E, M und N) sowie potenziell weitere Gene mit nicht genau bekannten Funktionen.
Abb. 3.3 Verwandte Viren – das heißt solche, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen – ähneln sich in ihren Genomen. Das Genom der Coronaviren ist ein Strang aus ungefähr 30.000 Nucleotiden. Die darin enthaltenen Gene codieren die Information für Virusproteine. Zwei Drittel des Genoms von SARS-CoV-2 codieren Proteine, die nach der Virusinfektion produziert werden, darunter die Enzyme für die Verdoppelung des Virus. Diese NichtStrukturproteine sind in den beiden großen Genen codiert; an ihnen entstehen zwei große Proteine (Polyproteine), die später zu kleineren Proteinen aufgespalten werden. Die restlichen Gene sind im letzten Drittel des Genoms (grün) codiert. Hier findet man die Gene für die Strukturproteine, die das Virusteilchen bilden. Dabei handelt es sich um das Spike-, Hüll-, Membran- und Nucleocapsidprotein. Die Abbildung vergleicht den Aufbau der Gene bei drei verwandten Viren: oben ein Vertreter der SARS-CoV-2-Viren, in der Mitte BAL SL-CoVZC45, ein Vertreter der bei Fledermäusen zirkulierenden SARS-ähnlichen Coronaviren, und unten SARS-CoV, der Erreger der SARS-Epidemie von 2003. Wie man sofort erkennt, sind sich die Genome sehr ähnlich. Ihre rechts angegebene Länge schwankt nur um 0,5 % der Gesamtlänge. Die Gene und die von ihnen codierten Proteine ähneln sich ebenso wie die Anordnung der Gene im Genom. Die wenigen Unterschiede liegen in den grau markierten Genen; diese codieren Hilfsproteine, deren Funktion in manchen Fällen nicht genau geklärt ist. Die Ähnlichkeiten der Genomstruktur sind der beste Anhaltspunkt, wenn man die Verwandtschaftsverhältnisse von Viren beurteilen will, und auch das wichtigste Kriterium, nach dem das International Committee on Taxonomy of Viruses entschieden hat, dass es sich bei dem neuen COVID-19Erreger um einen Verwandten des Virus handelt, der 2003 die Ursache von SARS war
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Wie gelangt das Coronavirus in die Zellen, und wie verdoppelt es sich? In die Zelle einzudringen, ist der erste Schritt des Infektionsprozesses (Abb. 3.4). Dazu kommt es, wenn ein Protein des Virus sich an ein ganz bestimmtes Protein (einen Rezeptor) in der Zellmembran anheftet. Das Protein der Coronaviren, das an die Zelle bindet, ist das im Gen S codierte Spikeprotein. Was für ein Rezeptorprotein genutzt wird, hängt vom Virus und dem jeweiligen Wirt ab. Das Ganze kann man mit einem Schlüssel und einem Schloss vergleichen. Das Spikeprotein dient dem Virus als Schlüssel, und das Schloss ist das Rezeptorprotein der Wirtszelle, das den Eintritt möglich macht. Nach dem Eindringen bestimmen auch andere Faktoren mit darüber, ob das Virus bestimmte Zelltypen infizieren kann. Die meisten Coronaviren infizieren vorwiegend Lungen- und Darmzellen und vermehren sich dort. Wenn das Virus den richtigen Rezeptor gefunden hat, verschmelzen die Membranen von Zelle und Virus. Das Virusgenom wird mit dem Nucleocapsidprotein ins Cytoplasma, das Innere der Zelle, entlassen. Dort angekommen, wird die Virus-RNA in Proteine übersetzt, wobei unter anderem die Polymerase entsteht. Da Coronaviren keine DNA enthalten, können sie nicht den Verdoppelungsapparat der infizierten Zelle nutzen; sie haben ihren eigenen Mechanismus in Form einer RNAabhängigen RNA-Polymerase, das heißt eines Enzyms, das RNA-Kopien an einer RNA-Matrize herstellen kann.
3 Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? 47
Zelle
Virus
Rezeptor
Endosom
Abb. 3.4 Der erste Schritt, wenn ein Virus in eine Zelle eindringt: Es bindet an ein bestimmtes Zellprotein, den Rezeptor. Im ersten Schritt der Virusinfektion dringt das Virus in die Zelle ein. Mehrere Eigenschaften von Wirtszelle und Gewebe bestimmen darüber, dass das Virus sich an ganz bestimmte Zellen anheften kann. Einer der wichtigsten Faktoren ist das S-Protein des Virus. Dieses heftet sich an Rezeptoren, spezifische Proteine an der Oberfläche der Zielzellen. Der Teil des S-Proteins, der an dem Rezeptor andockt, wird rezeptorbindende Domäne oder kurz RBD genannt. Das S-Protein ist eine Art Schlüssel, der das Schloss des Rezeptors aufschließt. Eine solche Schlüssel-SchlossInteraktion ist sehr spezifisch: Verschiedene Viren binden an unterschiedliche Rezeptoren. HCoV-22 zum Beispiel, ein weitverbreitetes, unter Menschen zirkulierendes Coronavirus, bindet an ein Protein namens APN; SARS-CoV und SARS-CoV-2 heften sich dagegen an ACE2, ein Protein, das in der Lunge und im Dünndarm vorkommt und so darüber bestimmt, welche Gewebe das Virus infizieren kann. Nachdem das Virus an seinen spezifischen Rezeptor gebunden hat, verschmelzen die Membranen von Virus und Zelle; dabei bilden sich Endosomen, membranumhüllte Bläschen, die durch die Einstülpung der Membran entstehen
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Wie werden neue Coronaviren aus einer infizierten Zelle freigesetzt? Die neuen Viren bilden sich, wenn die infizierte Zelle das vervielfältigte Genommaterial und die Strukturproteine des Virus in großen Mengen produziert. In Bläschen im Zellinneren treten die Strukturproteine untereinander und mit dem Virusgenom in Wechselwirkung, sodass sich neue Viren zusammenfinden. Wenn dann die Bläschen mit der Membran verschmelzen, wird ihr Inhalt aus der Zelle nach außen entlassen (Abb. 3.5). Eine typische Zelle kann nach
Abb. 3.5 Virusfreisetzung aus infizierten Zellen. Coronaviren können aus einer einzigen infizierten Zelle Zehntausende von Viren produzieren. Der Prozess beinhaltet die Interaktion des Nukleokapsids mit dem RNA-Genom des Virus und dem M-Protein, das sich im Inneren der Zelle befindet und in Vesikeln abgesondert wird, die mit der Zellmembran verschmelzen. Diese elektronenmikroskopische Aufnahme von SARS-CoV-2 zeigt Coronaviren, die sich in einer Zelle absondern
3 Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? 49
einer Infektion mit einem Coronavirus mehrere Zehntausend neue Viren hervorbringen. Wie viele andere Viren, so sind auch die Coronaviren Zellparasiten. Sie müssen in die Zellen eindringen, deren biochemischen Apparat für ihre Vervielfältigung nutzen und dann freigesetzt werden. Gleichzeitig müssen erfolgreiche Viren es auch vermeiden, vom Immunsystem des Wirtes zerstört zu werden. Und wie alle Lebewesen, so sind auch Viren in ständiger Veränderung begriffen, und sie verändern sich sehr schnell. Diese schnelle Evolution bestimmt darüber, wann Viren neue Fähigkeiten erlangen und neue Wirte infizieren können, wie es im Fall der COVID-19-Epidemie geschehen ist. Aber der Wechsel der Eigenschaften von Viren ist auf spezifische Mechanismen zurückzuführen und unterliegt deshalb ganz bestimmten Regeln. Diese Mechanismen der Virusevolution möchte ich im nächsten Kapitel erläutern.
4 Wie verändert sich das Coronavirus?
Die Natur ist kein Erfinder, sondern ein Bastler. Francois Jacob Die Menschen haben immer gefragt, ob die Evolution ständig vorwärts und aufwärts strebt. Finden immer Verbesserungen statt? Die Antwort lautet Nein: Evolution ist eine Abfolge von Formen und Funktionen, aber zielgerichtet ist sie nicht. Sydney Brenner
Von Theodosius Dobzhansky stammt der Satz: „Nichts in der Biologie hat einen Sinn außer im Licht der Evolution.“ Daran zeigt sich, dass die Evolution uns eine nachhaltige Sichtweise für biologische Phänomene verschafft und ganz unterschiedliche Informationsbruchstücke zu einem zusammenhängenden Narrativ vereinigen kann. Biologie mag manchmal chaotisch wirken – viele Organismen, viele Zelltypen, viele Teile und Daten. In
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_4
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jüngster Zeit hat die Revolution der Genomforschung eine wahre Flut von Daten hervorgebracht; richtig interpretiert, bringen sie Licht in die Verwandtschaftsbeziehungen und die Abstammung der verschiedensten Organismen, aber auch in die Mechanismen, die Vielfalt entstehen lassen, und in die Frage, wie Lebewesen mit dieser Vielfalt in der Lage sind, sich an neue Umweltbedingungen anzupassen. Auch Viren machen da keine Ausnahme. Sie beinhalten ihre eigene genetische Information, und ein beträchtlicher Anteil ihrer Gene und Proteine dient dazu, diese Information aufrechtzuerhalten und fortzupflanzen. Wenn ein Virus – auch ein Coronavirus – erst einmal eine Zelle infiziert hat, kann es Zehntausende von Kopien seiner selbst erzeugen. Diese Kopien sind sich zwar alle sehr ähnlich, enthalten aber kleine Abweichungen, die sich auf die Vermehrungsfähigkeit des Virus auswirken können. Wenn Viren durch Zufall und durch eine große Zahl solcher Mutationen die Fähigkeit erlangen, einen neuen Wirt zu infizieren und sich in einer neuen Spezies festzusetzen, schaffen sie mit besonders großem Erfolg eine Fülle weiterer Kopien, mit denen sich die Vermehrung der Virusnachkommen fortsetzt. In dem nun folgenden Kapitel geht es vor allem um die Frage, wie Coronaviren sich verändern und ihr Genmaterial austauschen. Die Evolution der Coronaviren verläuft auf zwei Wegen. Erstens können sich in ihnen Mutationen – Veränderungen einzelner Buchstaben in der RNA – ansammeln und damit für kleine Abweichungen in den Proteinen sorgen. Coronaviren können sich aber auch auf andere Weise verändern. Durch einen Prozess, den man Rekombination nennt, können sie genetische Information mit anderen Coronaviren austauschen. Wenn zwei Viren in dieselbe Zelle eingedrungen sind, ist
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 53
es möglich, dass ein neues Virus entsteht, dessen Genom ein Mosaik aus Teilen der beiden Ausgangsviren ist. Durch einen solchen Vorgang kann ein Coronavirus sehr schnell Teile des genetischen Materials eines anderen Virus und damit auch dessen Fähigkeiten erwerben. Im Folgenden möchte ich erläutern, wie und durch welche Mechanismen Viren sich verändern. Ich erkläre, wie Viren im Vergleich zu Menschen und anderen aus Zellen aufgebauten Lebewesen sehr schnell neue Abweichungen entwickeln können. Diese schnelle Evolution kann man verfolgen, wenn man die Genome der Viren ausliest und daraus ableitet, wie Viren sich in einer Population fortpflanzen und neue Fähigkeiten entwickeln.
Was ist eine Mutation? Eine Mutation ist eine Veränderung im Genom eines biologischen Gebildes. Bei Viren sind Mutationen allgegenwärtig. Am häufigsten kommen Punktmutationen oder Substitutionen vor: An einer bestimmten Position im Genom wird eine Base gegen eine andere ausgetauscht (Abb. 4.1). In vielen Fällen hat eine solche Veränderung keine Auswirkungen auf das Virus. Andere Mutationen sind schädlich: Sie haben zur Folge, dass das Virus bei der Infektion von Zellen weniger gut mit anderen Viren konkurrieren kann. Eine schädliche Mutation im Spikeprotein (dem „Schlüssel“) kann verhindern, dass das Virus in die Zelle eindringt – dann geht es zugrunde, ohne sich zu vermehren. Auch eine Mutation der RNA-Polymerase raubt dem Virus unter Umständen seine Vermehrungsfähigkeit, selbst wenn es noch in die Zelle eindringen kann. In seltenen Fällen jedoch verschaffen Mutationen dem Virus einen Konkurrenzvorteil
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••••GUGUAGCUGGCACUCAGCUG•••• Abb. 4.1 Mutationen in Genomen. Ein Genom ist vergleichbar mit einem langen Text aus vier Buchstaben (A, C, G und T in der DNA, A, C, G und U in der RNA). Das Genom eines Coronavirus ist rund 30.000 Buchstaben lang, beim Menschen besteht es aus 3,3 Mrd. derartigen Bausteinen. Wenn Lebewesen – einschließlich der Viren – sich fortpflanzen, geben sie diese Information an ihre Nachkommen weiter. Bei der Verdoppelung kommt es aber manchmal zu Fehlern; solche Fehlstellen nennt man Mutationen. Es gibt viele Typen von Mutationen. Einer der häufigsten ist die Substitution oder Punktmutation: Ein Buchstabe wird gegen einen anderen ausgetauscht. In der Abbildung tritt ein G an die Stelle eines U. RNA-Viren haben eine besonders hohe Fehlerquote: Bei jeder Verdoppelung kann sich eine Mutation ereignen. In menschlichen Zellen hat sich ein umfangreicher Apparat entwickelt, der potenzielle Fehler beim Kopieren des Genoms aufspürt und korrigiert; den Viren fehlen solche Mechanismen
g egenüber seinen Verwandten. Gewinnt es beispielsweise die Fähigkeit, dem Immunsystem des Wirtes zu entgehen, kann es sich stark vermehren, und die meisten seiner Nachkommen werden die neue Fähigkeit erben. Bei Viren, und insbesondere bei RNA-Viren wie dem Coronavirus, sammeln sich Mutationen im Laufe der Zeit in großem Tempo an.1 So liegt beispielsweise die Zahl der Mutationen pro Jahr (auch Evolutionsrate genannt) für SARS-CoV-2 bei schätzungsweise 20, das heißt,
1Coronaviren verfügen über ein Korrekturlesesystem, das die bei der Replikation auftretenden Fehler korrigiert. Dieser Korrekturmechanismus senkt die Mutationsrate im Vergleich zu anderen RNA-Viren (allerdings ist sie immer noch viel höher als bei Organismen, die aus Zellen aufgebaut sind); das ist eine Erklärung dafür, warum Coronaviren die längsten Genome aller RNAViren haben können.
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 55
ungefähr alle paar Wochen ereignet sich eine Mutation. Ganz ähnliche Werte hat man auch bei anderen Coronaviren und bei RNA-Viren im Allgemeinen gefunden. Was solche Zahlen für die Zahl der Mutationen während einer Infektion bedeutet, hängt davon ab, wie viel Zeit zwischen einer Ansteckung und der Übertragung durch die zuvor infizierte Person vergeht. Wird beispielsweise jemand, der sich mit einem Coronavirus angesteckt hat, nach einer Woche selbst infektiös, können wir abschätzen, dass jeweils nach wenigen Infektionen eine Mutation stattfindet. Eine derart hohe Mutationsrate macht es möglich, die Viren in einer Bevölkerungsgruppe zu verfolgen. Man vergleicht ein Virus mit den Erregern, die man an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt gesammelt hat, und kann dann fragen, an welchem Ort der Ursprung eines Virus liegt, das sich in der jeweiligen Region ausgebreitet hat. Sind beispielsweise die Coronaviren, die man in den USA entdeckt hat, enger mit den in Asien oder in Europa zirkulierenden Viren verwandt? Solche Rückschlüsse über die Evolution sind wichtig, wenn man potenzielle Quellen eines Ausbruchs erkennen will. Um die Zahlen in den richtigen Zusammenhang zu stellen, können wir vergleichen, wie viele Mutationen sich während der Verdoppelung bei verschiedenen Lebewesen ereignen (Abb. 4.2). Wir können beispielsweise vergleichen, wie schnell bei Coronaviren und Menschen neue Varianten entstehen können. Zwischen beiden bestehen drastische Unterschiede in der Verdoppelungszeit, der Zahl der Nachkommen, der Genomgröße und der Mutationsrate. Coronaviren produzieren innerhalb weniger Stunden neue Nachkommen, bei Menschen dauert es ein wenig länger – in der Regel mindestens 20 Jahre. Viren können Zehntausende Kopien ihrer selbst herstellen, ein Mensch bringt dagegen nur wenige Kinder hervor. Auch die Zahl der Veränderungen je
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Viroide
RNA-Viren
Mutationsrate
10–4 10–5 10–6
ssDNA-Viren
dsDNA-Viren
10–7 10–8
Bakterien
10–9
höhere Eukaryoten
niedere Eukaryoten
10–10 10–11
102
103
104
105
106 107 Genomgröße (Bp)
108
109
1010
Abb. 4.2 Die enorme Vielfalt des Lebendigen spiegelt sich auch in der höchst unterschiedlichen Genomgröße wider. Die Kurve zeigt im logarithmischen Maßstab die unterschiedlichen Genomgrößen (x-Achse) und die Zahl der Punktmutationen je Verdoppelungsvorgang und Base (y-Achse). Die kürzesten Gebilde, die Viroide, sind kleine, schwimmende RNA-Abschnitte, die Pflanzen infizieren. Gene oder Proteine besitzen sie nicht. Das Genom eines Viroids ist nur wenige Hundert RNA-Basen lang. Die nächste Größenordnung vertreten die RNA-Viren, darunter auch die Coronaviren, mit einer Genomlänge von rund 30.000 Basen. Coronaviren haben unter allen RNA-Viren das längste Genom. Die DNA-Viren besitzen wie unsere Zellen DNA als Material ihres Genoms. Ihre Größe kann sehr unterschiedlich sein – manche kürzlich entdeckten DNA-Viren enthalten Genome von einer Million Basen. Auch die Genomgröße von Bakterien liegt im Bereich einiger Millionen Basen. Die größten Genome findet man bei den Eukaryoten, darunter Tiere und Pflanzen. Unser Genom umfasst einige Milliarden Basen, bei manchen Pflanzen, so der japanischen Blütenpflanze Paris japonica, sind es sogar 100 Mrd.. Interessanterweise ist die Genomgröße umgekehrt proportional zur Mutationsrate. Viren und anderen Organismen mit kurzem Genom unterlaufen bei der Genomverdoppelung mehr Fehler. Große Genome codieren auch Korrekturmechanismen, die potenziell schädliche Mutationen erkennen und korrigieren
erdoppelungsvorgang – die Mutationsrate – ist sehr V unterschiedlich. RNA-Viren wie das Coronavirus können jeweils nach wenigen Verdoppelungsrunden eine Ver-
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 57
änderung erzeugen, und solche Veränderungen sammeln sich innerhalb weniger Wochen an. Darüber hinaus hat ein Virusgenom eine ganz andere Größe als das Genom eines Menschen. Das Genom eines Coronavirus, das größte unter allen RNA-Viren, ist 30.000 Basen lang; ein menschliches Genom dagegen besteht aus zwei Kopien von jeweils 3.234.000.000 Basen. Mit anderen Worten: Das menschliche Genom ist 100.000-mal größer als das Coronavirusgenom. Solche Unterschiede geben uns eine Ahnung davon, vor was für einer komplizierten Aufgabe unser Immunsystem steht, wenn es sich mit Krankheitserregern, die eine derart schnelle Evolution durchmachen, auseinandersetzen muss. Wegen der schnellen Anreicherung zahlreicher Mutationen, der großen Zahl von Nachkommen und der kurzen Verdoppelungszeit sind Viren außerordentlich vielgestaltige Gebilde und für die Entwicklung von Therapieverfahren und Impfstoffen ein herausforderndes Ziel. Viren bringen schnell eine große Zahl von Abweichungen hervor, mit denen sie sich umgehend an neue Umweltbedingungen und Umstände anpassen können. Erreger wie HIV entgehen der Therapie, weil sie schnell Mutationen durchmachen, durch die ein Medikament weniger gut auf sie abzielen kann. Viren wie Influenza können sich durch ständige Genomveränderungen differenzieren und so der Erkennung durch das Immunsystem entgehen. Um solchen evolutionären Schwierigkeiten zu begegnen, müssen die Impfstoffe regelmäßig aktualisiert werden.
Was ist Rekombination? Viren können sich nicht nur durch Punktmutationen weiterentwickeln, sondern auch indem sie Genmaterial von anderen Viren und manchmal auch von
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G
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G
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Abb. 4.3 Schnelle Evolution von Viren durch Austausch genetischen Materials. Wenn zwei unterschiedliche Viren (hier die Viren mit dem roten und dem grünen Genom) gleichzeitig dieselbe Zelle infizieren, können neue Viren entstehen, deren Genom eine Kombination der Ausgangsgenome ist (hier enthält das neue Virusgenom genetische Information aus dem roten und dem grünen Genom). Das Phänomen, Virusrekombination genannt, ist bei Coronaviren allgegenwärtig. Durch Rekombination können Viren sehr schnell neue Fähigkeiten erwerben. So kann ein Virus beispielsweise plötzlich ein Gen für ein Spikeprotein besitzen, mit dem es in Zellen eines neuen Typs oder einer neuen Wirtsspezies eindringen kann
den Wirtszellen übernehmen. Durch diesen Vorgang, Rekombination genannt, erwerben Viren sehr schnell neue Fähigkeiten. Bei Coronaviren kommen derartige Phänomene in großem Umfang vor.2 Vor allem wenn zwei verschiedene Coronaviren gleichzeitig dieselbe Zelle infizieren, können sie Nachkommen hervorbringen, die genetische Informationen von beiden „Eltern“ enthalten (Abb. 4.3). Haben die Viren unterschiedliche Genome, entstehen Virus-„Chimären“, deren
2Coronaviren neigen besonders stark zur Rekombination. Dieser Mechanismus steht im Zusammenhang mit der Entstehung der RNA und den Sprüngen des Verdoppelungsapparats. Dem interessierten Leser empfehle ich die Hinweise auf die Fachliteratur am Ende des Buches.
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Genom ein Mosaik darstellt. Abb. 4.3 zeigt, wie zwei Viren mit unterschiedlichen Genomen (rot und grün) dieselbe Zelle infizieren. Innerhalb der Zelle kann sich das genetische Material beider Viren vermischen, was zur Entstehung rekombinierter Genome (rot-grün) führt. Die Vermischung ist aber kein Zufallsereignis. Bestimmte Genomabschnitte der Coronaviren neigen besonders stark zur Rekombination. Abb. 4.4(a) zeigt das Ergebnis der Analyse von Rekombinationsereignissen, die sich bei Betacoronaviren abgespielt haben. Jeder Balken stellt ein einziges Rekombinationsereignis dar. Die x-Achse zeigt die Positionen im Genom, an denen das neu „aufgenommene“ Material nachgewiesen wurde. Eine solche Region ist die mit dem S-Gen (in der Abbildung grau); dieses codiert das Spikeprotein, das die Wechselwirkungen mit dem Rezeptor der Wirtszelle vermittelt und teilweise darüber bestimmt, ob ein Virus eine bestimmte Wirtszelle infizieren kann. Einfacher ist das Prinzip in Abb. 4.4(b) zu erkennen: Dort ist gezeigt, wie viele Rekombinationsereignisse an einer bestimmten Position stattfinden. Dies bedeutet, dass in der Nähe des S-Gens viel mehr Rekombination stattgefunden hat als an anderen Stellen des Genoms. Einer Hypothese zufolge war Rekombination der Mechanismus, durch den SARS-CoV-2 die Fähigkeit erworben hat, Zellen von Menschen zu infizieren. Vorfahren des Virus rekombinierten mit einem SARS-ähnlichen Virus, das in menschliche Zellen eindringen konnte. Denken wir noch einmal an den Vergleich mit Schlüssel und Schloss in Kap. 3: Durch Rekombination kann das Virus von einem anderen Virus den „Schlüssel“ erhalten, der es ihm ermöglicht, in Zellen eines neuen Typs einzudringen. Es lohnt sich darüber nachzudenken, welche Folgerungen sich aus den beiden hier beschriebenen
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Zahl der Ereignisse
(a)
Beta-CoV: Rekombinationsereignisse
102
40
1 Beta-CoV: Rekombinationsbruchstellen in Abschnitten von jeweils 800 Bp 7
25
6 5 4
20 15
3
10 5 0 0
5000 RBD Spike
10000
15000
Zahl der Bruchstellen in dem Abschnitt, der an Position n beginnt
20000
25000
2 1 0 30000
–log10 (p)
Zahl der Bruchstellen
(b)
Binärtest: p-Wert (angeglichen) 5%-Konfidenzintervall
Abb. 4.4 Rekombination kommt bei den Betacoronaviren, der Gattung, zu der auch SARS-CoV-2 gehört, sehr häufig vor. Auf Rekombinationsereignisse kann man schließen, wenn man potenziell neu eingebautes genetisches Material nachweist. Das Diagramm (a) zeigt einen Balken für jedes Rekombinationsereignis, von dem ein Teil des Genoms (x-Achse) betroffen ist. Dabei kann es sich um einen sehr kleinen Abschnitt von wenigen Hundert Basen oder auch um einen größeren mit einigen Zehntausend Basen handeln. Viele rekombinierte Abschnitte liegen rund um das Gen für das Spikeprotein (grau). Um die Dichte der Rekombinationsereignisse quantitativ zu erfassen, kann man den Anfangspunkt des jeweils rekombinierten Abschnitts und die Zahl solcher Abschnitte entlang des Genoms betrachten (Diagramm b, blaue Linie). Die Kurve zeigt eine deutlich höhere Zahl von Rekombinationsereignissen in der Nähe des Gens für das Spikeprotein
Mechanismen ergeben. Punktmutationen spielen sich zwar sehr schnell ab, ziehen aber nur kleine Veränderungen des Genoms nach sich. Das Genom eines Coronavirus kann sich beispielsweise im Laufe eines Jahres auf diese Weise um 0,1 % verändern. Das ist zwar viel, insbesondere wenn man es mit Menschen vergleicht, bei denen die mittlere Zahl
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 61
der Veränderungen pro Jahr auf weniger als 0,000002 % geschätzt wird. Zu größeren Umwälzungen führt jedoch die Rekombination, denn sie beschleunigt die Evolution, indem sie biologische Eigenschaften verschiedener „Elternstämme“ kombiniert.
Wie können wir den Ursprung von SARS-CoV-2 zurückverfolgen? Da wir heute genetisches Material mit der Sequenzierungstechnik lesen können, sind wir auch in der Lage, sehr schnell die Genome zirkulierender und neu entstehender Viren zu charakterisieren. Die so gewonnenen Informationen ermöglichen genaue Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Virus und einen exakten Vergleich mit anderen, ähnlichen Viren. Angenommen, wir interessieren uns für ein neu entstandenes Virus und möchten wissen, um was für einen Virustyp es sich handelt und wie er mit anderen Viren verwandt ist. Wir können sein Genom sequenzieren und feststellen, wie ähnlich es anderen Viren ist, über die bereits berichtet wurde; anschließend können wir uns ansehen, bei welchen Wirtsorganismen diese Viren vorkommen. Stellt sich bei einem neuen Virus wie SARS-CoV-2 heraus, dass es mit Viren verwandt ist, die bei Fledermäusen vorkommen, aber nicht mit den Coronaviren, die derzeit unter Menschen im Umlauf sind, können wir davon ausgehen, dass sein Ursprung bei Tieren liegt (Zoonose). Außerdem können wir mit den Informationen über das Genom des neuen Virus und seiner Verwandten die Genome der Vorfahren rekonstruieren und untersuchen, welche Veränderungen wahrscheinlich die zoonotische Übertragung möglich gemacht haben.
62 R. Rabadan
Vergleicht man ähnliche Viren aus unterschiedlichen Regionen und Zeitpunkten, kann man ihre Verwandtschaftsverhältnisse nachzeichnen. Stellt man beispielsweise fest, dass die entnommenen Viren sehr ähnlich sind, steht zu vermuten, dass der Erreger ein einziges Mal in eine Bevölkerungsgruppe eingeschleppt wurde und später durch die Übertragung innerhalb der Gruppe seine weitere Evolution erlebt hat. Stellen wir dagegen fest, dass die Viren nur weitläufig verwandt sind, können wir annehmen, dass sie mehrmals in die Bevölkerungsgruppe eingedrungen sind. Interessiert man sich für die Herkunft einer Epidemie und die Eigenschaften des Virus, das sie ausgelöst hat, kann man von der Tatsache ausgehen, dass Mutationen sich in Viren sehr schnell anreichern, und sich auf diese Weise vergewissern, wann der gemeinsame Vorfahre der untersuchten Viren zum ersten Mal auftauchte. Wenn wir aus dem Genom auf einen gemeinsamen Vorfahren schließen, erfahren wir nicht nur etwas darüber, wann der Ausbruch seinen Anfang nahm, sondern wir können auch etwas darüber aussagen, welche Veränderungen des Erregers den Ausbruch möglich gemacht haben. Um die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Genomen zu ermitteln und daraus Informationen über Vorfahren abzuleiten, bedient man sich häufig des phylogenetischen Stammbaumes. Dieser stellt die Evolutionsvergangenheit von Genomen dar und zeigt ihre Verwandtschaftsbeziehungen, wobei die Länge der Zweige den entsprechenden Zeitraum wiedergibt. Mit einer phylogenetischen Analyse kann man die Verwandtschaft verschiedener Genome ermitteln und so Rückschlüsse auf ihre früheren Zustände und die zugehörigen Zeitpunkte ziehen. Abb. 4.5 zeigt, wie ein einfacher phylogenetischer Stammbaum die Verwandtschaft zwischen drei einfachen Genomen (ACGA, TCGG und TCGC) wiedergeben kann. Die beiden letzten Genome TCGG und TCGC
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 63 ACGA
TCGG
TCGC
Klades Länge der Verzweigung
Zweig Verzweigungspunkt Wurzel TCGA
Abb. 4.5 Das Prinzip der phylogenetischen Darstellung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen drei Genomen. Das einfache Beispiel macht deutlich, wie man die Verwandtschaft zwischen Genomen in Form eines phylogenetischen Stammbaumes darstellen kann. Jedes der drei Genome – ACGA, TCGG und TCGC – befindet sich an einem Blatt des Baumes. Wir stellen fest, dass sich TCGG und TCGC sehr ähnlich sind: Sie unterscheiden sich nur in einer Base an der letzten Position. Also verbinden wir die beiden Blätter mit einem Verzweigungspunkt; dieser stellt ein Vorläufergenom dar und lässt sich mit dem dritten Genom durch einen Zweig verbinden. Für alle drei können wir auch eine Wurzel angeben, wenn wir etwas über einen früheren Zustand wissen (in diesem Fall war das der Zustand TCGA). Ebenso können wir den einzelnen Zweigen eine Länge zuordnen, die der Zahl der Unterschiede zwischen den Zuständen entspricht. So unterscheiden sich beispielsweise das Genom ACGA und das Genom TCGA an der Wurzel in einer Position. Phylogenetische Stammbäume werden in der Biologie häufig benutzt, wenn man Beziehungen zwischen Genomen, Arten, Familien und so weiter darstellen will. Häufig dienen sie auch zur Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Genomen von Viren, die man an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten isoliert hat. Wenn man dann Rückschlüsse auf frühere Zustände und die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Zweigen zieht, erhält man eine Vorstellung davon, wie das Virus sich in einer Bevölkerungsgruppe verbreitet hat oder in welchen Verwandtschaftsbeziehungen ein neu entstandener Erreger mit älteren Viren steht, die man zuvor bereits bei anderen biologischen Arten isoliert hat
sind sich sehr ähnlich: Sie unterscheiden sich nur an einer einzigen Position. Deshalb ordnet man sie in zwei Unterzweige desselben Zweiges in einem Baum ein, und
64 R. Rabadan
sie bilden gemeinsam eine „Klade“. Der Verzweigungspunkt entspricht dem gemeinsamen Vorfahren der beiden Genome und ist seinerseits über die Wurzel, die dem gemeinsamen Vorfahren aller drei Genome entspricht, mit dem weiter entfernten Genom ACGA verbunden. Die Methode, Rückschlüsse auf phylogenetische Verwandtschaftsbeziehungen zu ziehen, wird bei Virusgenomen häufig angewandt. Man erfährt damit, wie Viren miteinander verwandt sind, die man an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeitpunkten und aus verschiedenen Wirten isoliert hat. Wir können Rückschlüsse auf frühere Zustände ziehen und Vermutungen über Zeitpunkte oder auch Orte anstellen, an denen ein gemeinsamer Vorfahre erstmals auftrat. Besonders nützlich ist das im Fall von Epidemien, kann damit doch dazu beigetragen werden, die potenzielle Herkunft und die Übertragungswege zu klären. Die Virus-Phylogenetik dient auch dazu, die Evolution des Virus im räumlichen und zeitlichen Verlauf nachzuvollziehen. Das Influenzavirus H3N2 zum Beispiel verursacht auf der ganzen Welt die jahreszeitliche Grippe (Abb. 4.6). Dabei ist es interessant zu wissen, wie das Virus, das beispielsweise dieses Jahr in New York im Umlauf war, mit dem Erreger verwandt ist, der im vergangenen Jahr in New York zirkulierte oder mit jenem, der in Peking oder Paris auftrat. Viren, die am gleichen Ort und in der gleichen Jahreszeit auftreten, liegen häufig dicht nebeneinander in eng verwandten Zweigen des phylogenetischen Stammbaumes und deuten damit auf eine genetische Nähe hin. Abb. 4.6 zeigt beispielhaft 1.089 Influenzaviren des Typs H3N2 aus 15 Jahren. Jede Grippesaison hat eine andere Farbe. Wie man leicht erkennt, haben Viren auf dem gleichen Zweig des Baumes die gleiche Farbe, das heißt, in vielen Fällen zirkulierten in einer einzigen Saison mehrere verschiedene Viren.
4 Wie verändert sich das Coronavirus? 65
Abb. 4.6 Die Evolution des Influenza-A-Virus im Laufe mehrerer Jahre, dargestellt als phylogenetische Stammbaum. Der Stammbaum umfasst 1.089 Viren des Typs H3N2, die an verschiedenen Orten auf der Welt im Laufe von 15 Grippesaisons isoliert wurden. Jedes Virus ist durch einen inneren Zweig des Baumes wiedergegeben und je nach der Saison, in der es isoliert wurde, farblich gekennzeichnet. Wie man leicht erkennt, haben Viren, die genetisch verwandt sind und im gleichen Ast des Baumes eingezeichnet wurden, die gleiche Farbe. Darin spiegelt sich der Gedanke wider, dass Viren, die im gleichen Jahr isoliert wurden, genetisch verwandt sind. Interessanterweise gibt es aber auch Zweige mit Viren in verschiedenen Farben, ein Hinweis darauf, dass diese verwandten Viren über mehrere Jahre aktiv waren. In manchen Fällen tauchen Viren mit der gleichen Farbe auch auf verschiedenen Zweigen des Baumes auf. Dies deutet darauf hin, dass in der Saison, die der Farbe entspricht, mehrere Viren im Umlauf waren. Die Tatsache, dass es in derselben Saison mehrere Virusstämme geben kann, bedeutet für die Impfstoffentwicklung eine Herausforderung. Jedes Jahr wird ein H3N2-Stamm für die Impfstoffentwicklung ausgewählt. Wenn in der nächsten Saison ein ganz anderer Stamm oder auch mehrere zirkulieren, reicht der ausgewählte Impfstoff unter Umständen nicht aus
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Zusammengefasst kann man festhalten: Die Evolution von Viren verläuft außerordentlich schnell. Mit ihrer Evolutionsgeschwindigkeit übertreffen sie alle anderen Lebensformen. Im Genom von Coronaviren spielen sich hauptsächlich zweierlei Veränderungen ab. Einerseits ereignen sich Punktmutationen, durch die ein Buchstabe des Genoms gegen einen anderen ausgetauscht wird. Dramatischer ist der zweite Typ von Veränderungen: die Rekombination, das heißt die Vermischung genetischen Materials verschiedener Viren, durch die ein neuer Erreger entsteht. Mit der schnellen Veränderung ihres Genoms können sich Viren in kurzer Zeit an neue Umweltbedingungen anpassen. Wie führten solche Veränderungen zur Entstehung von SARS-CoV-2? Woher kommt das Virus, und wie verläuft seine Evolution? Im nächsten Kapitel werde ich darlegen, was wir über das Coronavirus SARS-CoV-2, den Erreger der Krankheit COVID-19, wissen.
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen, und wie hat sie sich entwickelt?
Sich auf etwas vorzubereiten, was vielleicht niemals eintritt, ist sehr, sehr schwierig. Anthony Fauci
Als im Januar 2020 aus Wuhan die ersten Nachrichten über den Ausbruch eines neuen Coronavirus kamen, das Lungenentzündungen verursacht, war nicht klar, welche Auswirkungen das Virus auf die Bevölkerung und die Wirtschaft der ganzen Welt haben würde. Trotz wiederholter Mahnungen von Gesundheitsorganisationen kamen Eindämmungsmaßnahmen vielerorts zu spät. Als die Fall- und Todeszahlen in den verschiedensten Ländern in die Höhe gingen, verwandelte sich die weltweite Besorgnis in Angst. Und diese Angst schwebte über der Unsicherheit aufgrund der unterschiedlichen Berichterstattung zwischen blanker Leugnung und grausigen Prophezeiungen. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_5
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68 R. Rabadan
Das nun folgende Kapitel handelt von der Krankheit COVID-19 und von SARS-CoV-2, dem Virus, das sie verursacht. Ich werde erörtern, in welcher Beziehung dieses Virus zu den früher bereits bekannten Coronaviren von Menschen und anderen Arten steht; dann werde ich einige Ereignisse aus dem ersten Monat der beginnenden Pandemie noch einmal betrachten und erläutern, wie das Virus sich ausbreitet und die Krankheit verursacht. Ich werde die Morbidität und Mortalität des Virus ebenso erörtern wie die Faktoren, die den Krankheitsverlauf verschlimmern. Und schließlich werde ich mich damit auseinandersetzen, wie dieses Coronavirus sich ausbreitet und vielgestaltiger wird.
Was ist SARS-CoV-2 und was ist COVID-19? Es gibt drei unterschiedliche, aber zusammenhängende Begriffe, und das könnte zu Verwirrung führen: die Krankheit, den Erreger dieser besonderen Krankheit und die Spezies, zu der das Virus gehört. Die Coronaviruskrankheit, auch COVID-19 genannt, wird von dem Coronavirus für schweres akutes Atemwegssyndrom 2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 oder kurz SARS-CoV-2) verursacht. Dieses Virus gehört zur Virusspezies der Coronaviren für schweres akutes Atemwegssyndrom (severe acute respiratory syndrome-related coronaviruses oder SARSr-CoV). Diese Spezies umfasst daneben noch andere, ähnliche Viren. Wie werden Viren benannt? Das Internationale Komitee für die Taxonomie von Viren (International Committee on Taxonomy of Viruses, ICTV) ist ein Expertengremium, das darüber bestimmt, wie Viren benannt und klassifiziert werden. Dazu verwendet es eine Reihe von Kriterien,
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 69
darunter die Ähnlichkeit mit anderen Viren und die infizierten Wirtsorganismen. Am 11. Februar 2020 stellte das Komitee fest, dass das neue Coronavirus, das im Dezember 2019 für den Ausbruch in Wuhan verantwortlich war, zur bereits vorhandenen Spezies der SARS-ähnlichen Viren gehört. Diese Virusspezies umfasst auch das Coronavirus SARS-CoV, das 2003 die SARS-Epidemie verursacht hatte. Als Virusspezies bezeichnet man eine Gruppe eng verwandter Viren, und häufig trägt sie den Namen eines Gründungsmitglieds – in diesem Fall des SARS-Coronavirus. Die Ähnlichkeit wird in der Regel auf der Grundlage der Genomanalyse festgestellt: Die Genome aller Viren namens SARS-CoV sind sehr eng verwandt. Die Virusspezies mit SARS-CoV und SARS-CoV-2 wird ihrerseits in die umfangreiche Familie der weitläufiger verwandten Coronaviridae eingeordnet (Tab. 5.1). Der Krankheit einen Namen zu geben, war Aufgabe der Weltgesundheitsorganisation WHO. Am gleichen Tag, dem 11. Februar 2020, gab sie bekannt, die Krankheit, die vom Virus SARS-CoV-2 verursacht werde, trage den Namen COVID-19. Das Virus ähnelt zwar dem SARSErreger SARS-CoV, die WHO war aber der Ansicht, dass sich die neue Krankheit im Hinblick auf die klinischen und epidemiologischen Befunde von SARS unterscheidet. Deshalb wurde sie als Coronaviruskrankheit 2019 oder kurz COVID-19 bezeichnet.
Wo wurde erstmals über SARS-CoV-2 berichtet? Ende Dezember 2019 wurde aus Wuhan, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Hubei, über eine Häufung ähnlicher Fälle von Lungenentzündung mit unbekannter Ursache berichtet. Interessanterweise standen die meisten
70 R. Rabadan Tab. 5.1 Drei Coronaviren, die schwere Atemwegssyndrome verursachen. Die drei Viren gehören zur gleichen Gattung (und Familie) Betacoronavirus. SARS-CoV ist der Erreger des schweren Atemwegssyndroms (SARS) von 2002/2003; MERS-CoV war von 2012 bis 2019 für das Nahost-Atemwegssyndrom (MERS) verantwortlich; und SARS-CoV-2 ist seit 2019 der Erreger von COVID-19 Name des Virus
Spezies
Gattung
Familie
Name der Krankheit
SARS- Coronavirus Betacorona Corona CoronavirusCoV-2 des schweren virus viridae Krankheit 19 (COVID-19) akuten Atemwegssyndroms SARS- Coronavirus Betacorona Corona Schweres CoV virus viridae akutes des schweren Atemwegsakuten Atemsyndrom wegssyndroms (SARS) MERS- Virus des NahBetacorona Corona NahostCoV virus viridae Atemwegsost-Atemsyndrom wegssyndroms
Fälle im Zusammenhang mit dem Huanan Seafood Wholesale Market, einem Großmarkt, auf dem die unterschiedlichsten Tiere teilweise auch lebend verkauft werden. Einige Fälle hatten nichts mit dem Markt zu tun, waren aber in seiner Nähe angesiedelt – ein Anhaltspunkt dafür, dass ein infektiöser Erreger die Ursache der rätselhaften Lungenentzündung sein könnte. Die von den Gesundheitsbehörden durchgeführten Tests auf bekannte Krankheitserreger, darunter sowohl Viren als auch Bakterien, waren negativ; es stand also zu vermuten, dass man den infektiösen Erreger nicht kannte. Mitte Januar 2020 isolierte man ein neues Virus und sequenzierte sein Genom. Durch die Genomanalyse wurde klar, dass es sich um ein Betacoronavirus handelte, das mit SARSCoV verwandt war, dem Virus, das 2003 die SARS-Epidemie ausgelöst hatte. In der dritten Januarwoche wurde
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 71
aus Thailand und Japan über Fälle der Viruserkrankung berichtet. Eine Woche später, am 23. Januar, riegelte die chinesische Regierung die Stadt Wuhan ab. Der Termin fiel mit dem chinesischen Neujahrsfest zusammen, und danach folgten weitere Maßnahmen in Hubei und in ganz China (Abb. 5.1). Mittlerweile nahm die Zahl der gemeldeten Fälle auf der ganzen Welt zu, und Mitte März
Abb. 5.1 Fälle von COVID-19 in China am 4. Februar 2020. Die Karte zeigt für die einzelnen Provinzen Chinas die Zahl der laborbestätigten Fälle von COVID-19 entsprechend der offiziellen Statistik vom 4. Februar 2020. Das Epizentrum der Epidemie lag in der Stadt Wuhan in der Provinz Hubei. Von dort wurde im Dezember 2019 über die erste Häufung von Fällen berichtet. Einen Monat später wurden Fälle aus allen chinesischen Provinzen gemeldet. Der Lockdown in der Provinz Hubei und gesundheitspolitische Maßnahmen im ganzen Land führten dazu, dass die Zahl der Krankheits- und Todesfälle bis Ende März 2020 stark zurückgegangen war. Die Zahlen in der Landkarte geben jeweils an, wie viele Personen in die Studie eingeschlossen wurden und wie viele Fälle insgesamt offiziell an diesem Tag gemeldet waren
72 R. Rabadan
kam es zu ähnlichen Ausbrüchen in Italien, im Iran und in Spanien. Am 11. März 2020 erklärte die WHO die Krankheit zur globalen Pandemie. Betrachtet man die Genome der Viren, die während der ersten Monate in Umlauf waren, so kann man abschätzen, wann der gemeinsame Vorfahre aller SARS-CoV-2Erreger zum ersten Mal auftrat. Alle Genome sind sich sehr ähnlich, ein Hinweis darauf, dass sämtliche SARSCoV-2-Viren einen gemeinsamen Ursprung haben und nicht mehrfach eingeschleppt wurden. Außerdem kann man davon ausgehen, dass dies erst vor sehr kurzer Zeit geschah, nämlich schätzungsweise Mitte November 2019, also kurz bevor Ende November oder Anfang Dezember der erste Fall nachgewiesen wurde. Die WHO berichtet täglich über die Zahl der neu diagnostizierten Fälle und Todesfälle in den verschiedenen Regionen der Welt.
Woher kommt das Virus? Die Herkunft der Viren ist bis heute nicht geklärt. Man hat SARS-ähnliche Viren aus Fledermäusen isoliert, und die Vermutung, dass das Sammelbecken letztlich bei Tieren dieser Artengruppe liegt, ist plausibel. Um zu erklären, wie das Virus bei Menschen auftauchen konnte, hat man zwei verschiedene Szenarien entworfen. Das erste geht davon aus, dass der Erreger in Wirtstieren eine gewisse Evolution und Anpassung durchlaufen hat, bevor er Menschen infizieren konnte. Bei SARS konnte man beobachten, dass andere Säugetiere sich mit SARS-ähnlichen Coronaviren über die gleichen Eintrittsmechanismen und Zelltypen infizieren, mit denen das Virus auch Menschen befällt. Die vielfältigen Coronaviren bei Fledermäusen und anderen Tierarten sind bisher nicht voll-
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 73
ständig charakterisiert; möglicherweise wird man durch weitere Analysen bei anderen Tieren ein potenzielles Sammelbecken für das Virus finden. Wie bereits erwähnt, wurden die ersten Fälle auf dem Huanan-Markt in Wuhan nachgewiesen, wo verschiedene Tiere verkauft wurden, darunter auch seltene Arten im lebenden Zustand. Das zweite Szenario unterstellt, dass Veränderungen im Virusgenom, die eine schnelle Übertragung möglich machten, sich erst dann abspielten, als das Virus bereits Menschen infiziert hatte. Nach dieser Vorstellung könnte eine nicht nachgewiesene Übertragung von Mensch zu Mensch zur Anpassung des Virus geführt haben. Eine solche weitere Anpassung hätte dann zu dem Nachweis der gehäuften Fälle von Lungenentzündung in Wuhan geführt. Ob SARS-CoV-2 seinen Ursprung in Tieren hat und welches sein natürlicher Wirt ist, weiß man bisher nicht. Das am engsten mit SARS-CoV-2 verwandte Virus, über das kürzlich berichtet wurde, wurde im Institut für Virologie in Wuhan sequenziert und als RaTG13 bezeichnet. RaTG13 wurde am 24. Juli 2013 in Höhlen in Yunnan bei einer Fledermaus gefunden, der Java-Hufeisennase (Rhinolophus affinis). Diese Fledermausart ist in Süd- und Südostasien wie auch in Zentralchina weitverbreitet (Abb. 5.2b). Die Genome der beiden Viren sind zu 96 % identisch. Legt man die aktuellen Schätzungen über die Evolutionsgeschwindigkeit der Viren zugrunde, gelangt man zu der Vermutung, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden Viren im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts existierte. Bei Coronaviren, die aus Schuppentieren isoliert wurden, fand man kleine Genomabschnitte, die SARSCoV-2 ähneln. Die größte Übereinstimmung im ganzen Genom zeigt aber derzeit das Virus aus den Fledermäusen. Mit weiterer systematischer Suche bei Fledermäusen und anderen Säugetieren wird man wahrscheinlich eine potenzielle Quelle des neuen Virus identifizieren.
74 R. Rabadan (a)
(b)
Abb. 5.2 SARS-ähnliche Viren kommen bei Tieren vor. Wie sich herausgestellt hat, sind Fledermäuse die Wirte zahlreicher Viren, darunter auch SARS-ähnliche Typen. Man kann also vermuten, dass diese Tiere das natürliche Sammelbecken der Viren darstellen. Da es bei Fledermäusen so unterschiedliche Viren gibt, liegt auch die Vermutung nahe, dass die Tiere ein Schmelztiegel für neue genetische Kombinationen sind. Das wäre eine Erklärung dafür, warum Viren, die man in China bei Fledermäusen gefunden hat, stark den Viren ähneln, die 2002/2003 SARS und seit 2019 COVID-19 verursacht haben. Ein Virus, dessen Genom dem von SARS-CoV-2 am ähnlichsten ist, wurde in Südchina bei der Java-Hufeisennase (Rhinolophus affinis) gefunden (a). Diese Fledermausart ist in Südasien weitverbreitet (b). Ähnliche Viren gibt es auch bei anderen Hufeisennasen. Man hat vermutet, dass die bei Fledermäusen vorkommenden Viren auch andere Säugetiere infizieren können, die dann ihrerseits Menschen anstecken. Wie es SARS-CoV-2 gelungen ist, den Weg zum Menschen zu finden, konnte bisher nicht geklärt werden
Wenn man in größerem Umfang bei anderen biologischen Arten nach Coronaviren sucht, kann man neue Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Tiere die Quellen sind und mit welchen Mechanismen sich das Virus an die Menschen angepasst hat. Neue und archivierte Blutund Gewebeproben von Menschen liefern außerdem Informationen darüber, ob vielleicht schon früher unbemerkt eine Epidemie stattgefunden hat.
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 75
Wie ist das Virus mit anderen Coronaviren verwandt? Wenn man sich ein umfassenderes Bild davon verschaffen will, wie SARS-CoV-2 mit anderen Betacoronaviren verwandt ist, kann man die Genome vergleichen. In einer der ersten Analysen wurden die Genome der Viren von neun der ersten COVID-19-Patienten, die in Wuhan den Huanan Seafood Wholesale Market besucht hatten, sequenziert und mit ähnlichen Viren verglichen (Abb. 5.3). Den Vergleich kann man in Form eines phylogenetischen Stammbaumes darstellen. Sehr ähnliche Genome sind in Form benachbarter Blätter wiedergegeben. Wie sich in der Analyse zeigte, waren sich die neuen Viren (die in Abb. 5.3 rot dargestellt sind) alle sehr ähnlich – die Übereinstimmung betrug 99,98 %. Dies deutete darauf hin, dass sie erst in sehr junger Vergangenheit einen gemeinsamen Ursprung hatten, und dies stimmte mit der Vorstellung überein, dass die erste Häufung von Krankheitsfällen im Dezember 2019 in Wuhan sehr kurze Zeit nach dem letzten gemeinsamen Vorfahren der Erreger aufgetreten war. In dieser Analyse (in der RaTG13 nicht berücksichtigt wurde) waren die engsten Verwandten einige SARS-ähnliche Coronaviren aus Zhoushan in der chinesischen Provinz Zhejiang. Diese Viren hatte man bei der Chinesischen Hufeisennase Rhinolophus sinicus gefunden, einer Fledermausart, die zu der gleichen Gattung gehört wie die Java-Hufeisennase, aus der man RaTG13 isoliert hatte. Die Ähnlichkeit ist ein Hinweis darauf, dass Fledermäuse aus der Gattung der Hufeisennasen (Rhinolophus) eine natürliche Quelle für das Virus sein könnten. Weitläufiger verwandt waren diese Viren mit anderen Fledermausviren und mit SARS-CoV, dem Erreger der SARS-Epidemie von
76 R. Rabadan
Abb. 5.3 Phylogenetische Analyse von Betacoronaviren. Ein phylogenetischer Stammbaum verdeutlicht die Beziehungen zwischen verwandten Genomen. Dabei werden die Genome als Blätter des Baumes dargestellt. Ähnliche Viren liegen gehäuft nebeneinander. Der hier dargestellte Baum zeigt die Beziehungen zwischen den Genomen einiger Betacoronaviren, die man bei verschiedenen Wirtsorganismen findet: bei Menschen, Fledermäusen, Mäusen und Igeln. Zu den menschlichen Betacoronaviren gehören SARS-CoV-2 und SARS-CoV – beide sind rot gekennzeichnet. SARS-CoV und SARSCoV-2 gehören zusammen mit einer großen Vielfalt von Viren, die man bei Fledermäusen findet, zu den Sarbecoviren, einer Untergattung der Betacoronaviren. SARS-CoV-2 umfasst zehn Genome aus dem ersten Monat der Pandemie in Wuhan; sie alle tauchen in einer sehr kleinen Gruppe auf, ein Hinweis, dass sich ihre Genome sehr ähnlich sind, weil sie erst vor kurzer Zeit einen gemeinsamen Ursprung hatten. Auch die während der SARSEpidemie isolierten SARS-CoV-Viren bilden eine geschlossene Gruppe, was darauf hindeutet, dass sie 2002 ebenfalls einen einzigen Ursprung hatten. Zwischen den beiden Gruppen liegen vielfältige Viren, die bei Fledermäusen vorkommen; dies legt die Vermutung nahe, dass die Ausbrüche von SARS-CoV und SARSCoV-2 die Folgen eines zoonotischen Übergangs von Fledermäusen auf Menschen waren
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 77
2003. Insgesamt zeigte die Analyse, dass SARS-CoV-2 zu einer Untergattung von Betacoronavirus gehört und sowohl mit SARS als auch mit den SARS-ähnlichen Viren aus Fledermäusen verwandt ist. Die Genome von SARS-CoV-2 und SARS-CoV stimmen zu 80 % überein, die Ähnlichkeit ist aber in einzelnen Genomabschnitten unterschiedlich. Die phylogenetische Rekonstruktion kann aber auch in die Irre führen. Grund ist die Rekombination, der Austausch von Genmaterial zwischen verschiedenen Viren. Je nachdem, um welchen Genomabschnitt es sich handelt, ähneln sich manche Viren stärker, wenn zwischen ihnen ein solcher Austausch stattgefunden hat. Um die Rekombination nachzuweisen, kann man die phylogenetische Analyse für verschiedene Abschnitte des Virusgenoms wiederholen. Wenn dabei Widersprüche auftreten, spricht dies dafür, dass Rekombination stattgefunden hat. Insbesondere zeigte sich bei der Untersuchung eines Teils des S-Gens, dessen Proteinprodukt an das Eintrittsprotein der Zelle (den Rezeptor) bindet, dass SARS-CoV-2 mit SARS-CoV verwandt ist, dem zweiten Virus aus dieser Gruppe, das bekanntermaßen Menschen infiziert (Abb. 5.4). Dass bei den beiden einzigen Viren, die Menschen infizieren, im Eintrittsmechanismus in die Zellen eine solche Ähnlichkeit besteht, ist ein Hinweis auf eine Rekombination, die bei einem Vorfahren des neuen Virus im Gen für das Spikeprotein stattgefunden hat und es damit befähigte, Menschen zu infizieren.
Wie dringt das Virus in menschliche Zellen ein? Wenn das Virus in einen neuen Wirt gelangt, infiziert es die Zellen; dazu heftet es sich zunächst an die Moleküle des Rezeptorproteins in der Zellmembran. Wie wir in
78 R. Rabadan
Abb. 5.4 Potenzielle Rekombinationsereignisse bei Vorfahren von SARS-CoV-2. Rekombination kommt bei Coronaviren häufig vor, und besonders oft sind das Gen für das Spikeprotein oder Teile davon betroffen. Die Rekombination könnte die rezeptor bindende Domäne (RBD) betreffen, den Teil des Virus, der mit dem Rezeptor der Zelle in Wechselwirkung tritt und über das Spektrum möglicher Wirte mitbestimmt. Anhand der Veränderungen im Aufbau des phylogenetischen Stammbaumes kann man die Rekombination nachweisen, wenn man zur Analyse verschiedene Genomabschnitte heranzieht. In einem phylogenetischen Stammbaum des gesamten Genoms liegen SARS-CoV und SARS-CoV-2 auf verschiedenen Ästen. Beschränken wir die Analyse aber auf die RBD, sieht der Baum anders aus: Jetzt rücken SARS-CoV und SARS-CoV-2 näher zusammen. Dies lässt auf eine mögliche Rekombination in der RBD-Region schließen, durch die die Rezeptorbindungsstelle von SARS-CoV-2 der von SARS-CoV ähnlicher wurde. Die Befunde lassen Rückschlüsse auf Szenarien mit einer Rekombination vor mindestens elf Jahren zu
Kap. 2 erfahren haben, ist das Spikeprotein für das Virus der wichtigste Schlüssel, der ihm Zutritt zur Zelle verschafft. Viren mit dem gleichen Spikeprotein können in
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 79
die gleichen Zellen eindringen. Genauer gesagt, bindet das Spikeprotein mit einem ganz bestimmten Molekülabschnitt, der Rezeptorbindungsdomäne oder RBD, an den Rezeptor. Aus genetischen Analysen wissen wir, dass SARSCoV-2 und SARS-CoV aufgrund von Rekombinationsereignissen im Gen für das Spikeprotein ähnliche RBDs besitzen; man kann also den Schluss ziehen, dass die Viren sich des gleichen Rezeptors bedienen. Der zelleigene SARS-CoV-2-Rezeptor, der für den Erreger das wichtigste Einfallstor in die Zelle darstellt und auch von SARS-CoV und anderen Coronaviren (zum Beispiel HCoV-NL63) genutzt wird, wurde eingehend analysiert. Er trägt den Namen AngiotensinConvertingenzym 2 oder kurz ACE2. Eigentlich hat er eine andere Funktion: Er lässt ein Hormon reifen, das die Kontraktion von Blutgefäßen sowie die Nierenfunktion steuert und so den Blutdruck reguliert. Anormale Mengen von ACE2 sind mit Herz-Kreislauf- und Nierenkrankheiten verbunden. Das ACE2-Protein kommt in vielen Geweben vor, unter anderem in Lunge, Herz, Nieren und Dünndarm (Abb. 5.5). Es wird auch in den unteren Atemwegen produziert und könnte deshalb dazu beitragen, dass SARS-CoV-2 eine Lungenentzündung verursachen kann. Die Menge des ACE2-Proteins nimmt in vielen Geweben mit zunehmendem Alter ab und schwankt auch zwischen Männern und Frauen (das Gen liegt auf dem X-Chromosom). Ob manche derartigen Nuancen zu dem unterschiedlich schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 in verschiedenen Altersgruppen sowie bei Männern und Frauen beitragen, ist nicht geklärt. Vor Kurzem ist die Struktur der RBD von SARSCoV und ACE2 mittels der Kryoelektronenmikroskopie mit einer Auflösung von 3 Å (0,0000003 mm) ermittelt worden. Solche Analysen zeigen genau, welche Stellen in der RBD mit dem Rezeptor in Wechselwirkung treten
6 4 2 H Dü oden nn da rm Sc Nie r hil dd e rüs e Fe H ttg erz ew eb e Sp eic Bru s he ldr t üs e Sp Vagi n eis erö a h Pa r nk e Eie reas rst oc Eil k eit e Lu r Dic nge Ge kda r bä rm m utt er Ne Leb er be n Ha niere rnb las Ge bä Pros e rm t utt ata erh a Ne ls rve Ma n ge n Blu Hau t tg Hy efäß po ph e ys e Mu sk e Ge ln hir n Mi lz Blu t
0
log2(1+TPM)
8
80 R. Rabadan
Abb. 5.5 Produktion von ACE2 in verschiedenen Geweben. Das Angiotensin-Convertingenzym 2 (ACE2) ist in menschlichen Zellen das Rezeptorprotein, über das SARS-CoV und SARS-CoV-2 in die Zellen eindringen. Würde dieses Protein nicht produziert, könnte das Virus nicht in die Zelle gelangen. ACE2 ist aber ein wichtiges Protein: Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Kontraktion der Blutgefäße zu regulieren. Die Abbildung zeigt die Produktionsmenge von ACE2 in verschiedenen Geweben (y-Achse). Es wird nicht gleichmäßig produziert: Gewebe wie Dünndarm, Herz und Nieren enthalten höhere ACE2-Konzentrationen
(Abb. 5.6). Damit das Protein an ein anderes Protein oder einen anderen Wirtsorganismus binden kann, muss es sich verändern. Die detaillierte Struktur der Virus-RezeptorInteraktionen bildet eine molekulare Grundlage für die Entwicklung gezielter Therapieverfahren, mit denen man das Eindringen des Virus in die Zelle stören oder völlig verhindern kann. Interessanterweise binden SARS-CoV2 und SARS-CoV unterschiedlich stark an ACE2, was vermutlich einer der Gründe ist, warum die beiden Viren unterschiedlich infektiös sind.
Wie verbreitet sich das Virus? SARS-CoV-2-Virusteilchen scheinen offenbar in kleinen Wassertröpfchen mit einer Halbwertszeit von einer Stunde erhalten zu bleiben; auf Metall- oder Kunststoffoberflächen liegt die Halbwertszeit bei sechs Stunden. Daraus
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 81
Abb. 5.6 Struktur der Bindung zwischen Virus und zelleigenem Rezeptor. Die RBD ist ein Teil des Spikeproteins, das mit dem Rezeptor in Wechselwirkung tritt. Die beiden Proteine interagieren an ganz bestimmten Stellen, die damit über die Spezifität der Wechselwirkung bestimmen. Mutationen an solchen Stellen stören wahrscheinlich die Interaktionen und vermindern damit die Fähigkeit des Virus, in die Zelle einzudringen
kann man schließen, dass der häufigste Übertragungsweg über Tröpfcheninfektion (Niesen und Husten) und Schmierinfektionen (Kleidung, Haushaltsgegenstände, Möbel) verläuft. In einem Tröpfchen schwebt das Coronavirus einige Sekunden in der Luft, dann zieht die Schwerkraft es zu Boden. In dieser Zeit könnte jemand mit dem Tröpfchen in Kontakt kommen und sich anstecken. Das Virus hat in Tröpfchen und auf Oberflächen eine ähnliche Lebensdauer wie SARS-CoV. SARS verbreitete sich sehr schnell in Krankenhäusern, wo infizierte Patienten behandelt wurden, und in einigen Fällen wurde auch über „Superspreader“ berichtet, Menschen, die eine große Zahl von Kontaktpersonen infiziert hatten. Das Superspreading
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wurde auch bei SARS-CoV-2 mehrfach beobachtet. (Mögliche Erklärungen für das Superspreading werden in Kap. 6 erörtert.) In klinischen Studien hat man verfolgt, wie lange COVID-19-Patienten in Krankenhäusern das Virus ausscheiden. Dabei stellte sich heraus, dass diese Patienten im Durchschnitt 20 Tage lang Viren abgeben, in manchen Fällen aber auch 37 Tage. Außerdem wurde berichtet, dass präsymptomatische Patienten (Patienten, die bereits infiziert sind, aber noch keine Symptome zeigen) und Patienten mit schwachem Verlauf bereits zwei Tage vor Auftreten der ersten Symptome infektiös sind.
Was sind die klinischen Merkmale der Viren? Dem ersten Bericht der WHO zufolge zeigten 80 % der laborbestätigten Fälle einen milden bis mäßigen Krankheitsverlauf, bei 14 % verlief die Krankheit schwer, und für sechs Prozent bestand Lebensgefahr durch Atemnot und multiples Organversagen. Sehr wenige Infizierte blieben symptomfrei. In weiteren Studien stellte sich heraus, dass ein asymptomatischer Verlauf häufiger vorkommt und beträchtlich zur Ausbreitung des Virus beiträgt. Bei der Mehrzahl der Patienten wurde nach einer Inkubationszeit von fünf bis sechs Tagen ein milder bis mäßiger Krankheitsverlauf mit Fieber und schwachen Atemwegssymptomen beobachtet, und die Betroffenen waren nach wenigen Wochen genesen. Die häufigsten Symptome in solchen schwach verlaufenden Fällen waren Fieber und trockener Husten. Bei einem Teil der Patienten wurde über Durchfall berichtet, was auf eine Darminfektion hindeutete. In schwereren Fällen lag die Zeit bis
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zur Genesung bei drei bis sechs Wochen nach den ersten Symptomen. In schwereren Fällen ist die Viruslast höher, und die Patienten scheiden bereits längere Zeit Viren aus, bevor die schweren Symptome einsetzen; demnach liegt die Vermutung nahe, dass man die Virusmenge als prognostisches Merkmal verwenden kann. Ähnliche Verhältnisse findet man auch bei den Patienten, die im Krankenhaus behandelt wurden und nach einer Woche Atemnot bekamen (Abb. 5.7). In einer Studie an 191 erwachsenen Krankenhauspatienten aus Wuhan zeigte sich, dass nach den ersten Symptomen im Durchschnitt 18 Tage bis zum Tod vergingen (Abb. 5.7). Die häufigsten Komplikationen waren Sepsis, Atemstillstand und Herzversagen. In einigen schweren Fällen kam es zu einer übermäßigen Aktivierung des Immunsystems, und die Lunge füllte sich mit Flüssigkeit, was die Atmung unmöglich machte (akutes Atemnotsyndrom, ARDS).
Wie wahrscheinlich ist es, an dem Virus zu sterben? Wenn man quantitativ abschätzen will, wie wahrscheinlich es ist, an einem neu entstandenen Krankheitserreger zu sterben, ermittelt man am besten die Zahl der Infizierten, die infolge der Infektion sterben (Infizierten-VerstorbenenAnteil). Dazu muss man im Prinzip nur zwei Zahlen dividieren, in der Praxis kann dies aber aus mehreren Gründen äußerst schwierig werden. Erstens kennt man oft die Gesamtzahl der Infizierten nicht, und wenn nur über wenige Fälle berichtet wurde – in der Regel die Fälle mit dem schwersten Krankheitsverlauf –, ist es schwierig, die Gesamtzahl der Infizierten abzuschätzen. Man kann zwischen dem Fall-Verstorbenen-Anteil (auchFallsterblichkeit
Fieber
Tod Sekundärinfektion akutes Nierenversagen akutes Herzversagen
Tag 1 Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5 Tag 6 Tag 7 Tag 8 Tag 9 Tag 10 Tag 11 Tag 12 Tag 13 Tag 14 Tag 15 Tag 16 Tag 1 Tag 18 Tag 19 Tag 20
Nichtüberlebender
Entlassung
Tag 1 Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5 Tag 6 Tag 7 Tag 8 Tag 9 Tag 10 Tag 11 Tag 12 Tag 13 Tag 14 Tag 15 Tag 16 Tag 1 Tag 18 Tag 19 Tag 20 Tag 21 Tag 22
Überlebende
Abb. 5.7 Klinischer Verlauf bei einigen der ersten Krankenhauspatienten in China mit Komplikationen und Folgen. In der Studie wurden 191 Krankenhauspatienten begleitet; 137 von ihnen wurden entlassen, 54 starben im Krankenhaus. Die Abbildung zeigt die mittlere Dauer der Symptome und Therapiemaßnahmen, aufgegliedert nach den Folgen. Die häufigsten Symptome bei beiden Patientengruppen waren Fieber und Husten. Sechs Tage nach den ersten Symptomen litten manche dieser Patienten an Atemnot und mussten auf die Intensivstation verlegt werden. Bei einigen kamen am neunten oder zehnten Tag nach den ersten Symptomen Komplikationen wie Sepsis oder akutes Atemnotsyndrom hinzu. Bei denen, die nicht überlebten, lag die mittlere Zeit bis zur Sepsis bei zehn Tagen, zum akuten Atemnotsyndrom bei zwölf Tagen und zum akuten Herzversagen bei 14 Tagen. Die meisten Patienten, die invasiv beatmet werden mussten, starben wenige Tage später. Bei den Überlebenden lag die mittlere Zeit bis zur Entlassung bei 22 Tagen; bei denen, die verstarben, vergingen bis zum Tod durchschnittlich 18 Tage
Tage seit Krankheitsbeginn
Nachweis von SARS-CoV-2-RNA
Corticosteroidbehandlung
künstliche Beatmung
Verlegung auf Intensivstation
Atemnot
Cough
Fieber
Tage seit Krankheitsbeginn
Nachweis von SARS-CoV-2-RNA
Corticosteroidbehandlung
Verlegung auf Intensivstation
Atemnot
Cough
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5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 85
genannt: Todesfälle dividiert durch gemeldete Infektionen) und dem Infizierten-Verstorbenen-Anteil (Todesfälle dividiert durch die mutmaßliche Zahl der Infektionen) unterscheiden. Die beiden Zahlen können sehr unterschiedlich sein, wenn viele Infektionen nicht gemeldet werden. Dass Infektionen nicht gemeldet werden, kann daran liegen, dass keine Symptome aufgetreten sind, dass die Symptome nur schwach waren oder dass die Kriterien für eine Testung nicht erfüllt waren. Mit dem Fall-Verstorbenen-Anteil schätzt man den Infizierten-VerstorbenenAnteil insbesondere in den ersten Phasen der Epidemie zu hoch, wenn nur schwere Fälle gemeldet werden, die eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machen. Der zweite Faktor ist die Tatsache, dass der Tod erst einige Zeit nach der Infektion eintritt. Im Fall von SARSCoV-2 geschieht das den Schätzungen zufolge innerhalb weniger Wochen nach der Diagnose. Wegen dieser zeitlichen Verzögerung kann ein Todesfall während der Phase der schnellen Infektionsausbreitung erst zu einem Zeitpunkt eintreten, wenn die Zahl der Fälle bereits viel größer ist als zum Zeitpunkt der Ansteckung. Dividiert man also während der um sich greifenden Epidemie einfach die Zahl der Todesfälle durch die Zahl der Fälle zum gleichen Zeitpunkt, schätzt man den Fall-VerstorbenenAnteil zu niedrig. Andere Faktoren, die zu Schwankungen bei der Schätzung des Fall-Verstorbenen-Anteils führen können, sind die Qualität des Gesundheitssystems und besondere Merkmale einer Bevölkerung. Der Anteil kann zunehmen, wenn schwer erkrankten Patienten keine angemessene Versorgung zuteilwird oder wenn es sich um ältere Menschen handelt wie in Pflegeheimen oder auf Kreuzfahrtschiffen. In den ersten Phasen der SARS-CoV-2-Epidemie schätzte die WHO den Fall-Verstorbenen-Anteil auf 3,8 %, allerdings mit beträchtlichen Schwankungen an
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verschiedenen Orten. Spätere Infektionsmodelle legten die Vermutung nahe, dass in Wuhan bis zum 23. Januar ein großer Anteil der Infektionen (86 %) nicht gemeldet wurde und dass diese Personen vermutlich schwache oder gar keine Symptome aufwiesen. Sollte sich das bestätigen, läge der Fall-Verstorbenen-Anteil viel niedriger, nämlich eher bei 0,6 %.
Wie wirken sich Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen auf die Sterblichkeit aus? Schon von Anfang an konnte man beobachten, dass die Sterblichkeit bei COVID-19 mit dem Alter zunimmt und dass Männer häufiger sterben als Frauen (4,7 beziehungsweise 2,8 % der gemeldeten Infektionen). Am höchsten war der Fall-Verstorbenen-Anteil bei Menschen über 80 Jahre mit 21,9 %, bei Kindern und Jugendlichen wurde dagegen nur über sehr wenige Todesfälle berichtet. Wie sich herausstellte, spielen auch andere Alterskrankheiten eine wichtige Rolle, darunter Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen und andere. Diese Gesetzmäßigkeit wurde in mehreren Ländern beobachtet, so auch in Italien und Spanien (Abb. 5.8). Eine ähnlich ungleiche Verteilung je nach Alter und Geschlecht beobachtete man auch 2003 während der SARSEpidemie: Damals stieg die Sterblichkeit bei Personen über 60 Jahre auf 50 %. Die gleiche Gesetzmäßigkeit zeigt sich interessanterweise auch in Experimenten mit Mäusen: Junge Mäuse sind widerstandsfähig gegen eine Infektion mit an Mäuse angepasste SARS-Viren, ältere Tiere und insbesondere Männchen sind anfälliger und sterben häufiger.
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 87 über 80 70 bis 79 60 bis 69
Alter
50 bis 59 40 bis 49 30 bis 39 15 bis 29 5 bis 14 2 bis 4 unter 2 0
10
20
30
40
50
60
70
Diagnosen (%) Todesfälle
Intensivstaon
Krankenhaus
Fälle
Abb. 5.8 Verteilung der diagnostizierten Fälle, der ins Krankenhaus eingelieferten Patienten, der Patienten auf Intensivstationen und der Todesfälle durch COVID-19 am 24. März 2020 in Spanien. Die Altersverteilung von COVID-19 war auf der ganzen Welt eindeutig zu erkennen. Der Anteil der Diagnosen war in den Altersgruppen überall gleich verteilt: Bei Kindern und jungen Erwachsenen traten nur sehr wenige Fälle auf. Der Anteil der Krankenhauseinweisungen nimmt mit dem Alter stetig zu. Noch ausgeprägter ist die Altersabhängigkeit bei den Fällen, die auf Intensivstationen (intensive care unit, ICU) behandelt werden mussten. Unter älteren Menschen gab es auch den größeren Anteil an Todesfällen: Mehr als 60 % der Verstorbenen waren Patienten von über 80 Jahren. Krankenhausbehandlung und Todesfälle waren bei Männern häufiger als bei Frauen; das Gleiche wurde auch in anderen Ländern beobachtet
Zu der Frage, welche Mechanismen im Einzelnen für den schwereren Krankheitsverlauf im Alter verantwortlich sind, gab es viele Spekulationen; unter anderem machte man ein gealtertes Immunsystem und Mechanismen zur Dämpfung von Entzündungen und T-ZellAntworten verantwortlich. Im Immunsystem gibt es einen Geschlechtsdimorphismus: Autoimmunkrankheiten kommen bei Frauen häufiger vor, bei Männern haben
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Infektionskrankheiten häufig schlimmere Folgen. Einer Vermutung zufolge haben Frauen eine aktivere angeborene Immunität, was zu einer besseren Bekämpfung von Infektionen führt. Dies wurde nicht nur bei Menschen beobachtet, sondern auch bei vielen anderen Säugetieren. Auch die Lebensweise könnte eine Rolle spielen, so unter anderem der in vielen Ländern höhere Anteil der Raucher unter den Männern. Derzeit gibt es aber für die altersoder geschlechtsbedingten Unterschiede keine schlüssige, eindeutige Erklärung.
Stecken Kinder sich auch an? Man hat nur sehr wenige infizierte Kinder gefunden. Unter den Fällen aus Wuhan handelte es sich nur bei zwei Prozent um Jugendliche unter 19 Jahren, und die Krankheit nahm nur in sehr wenigen Fällen einen schweren Verlauf. In einer retrospektiven Studie an 366 Kindern, die in der Region von Wuhan zwischen dem 7. und 15. Januar 2020 mit Atemwegsinfektionen in Krankenhäuser eingeliefert wurden, fand man nur bei sechs Patienten (1,6 %) SARS-CoV-2. Die infizierten Kinder waren im Mittel drei Jahre alt und litten an hohem Fieber, Husten und Erbrechen. Vier von ihnen bekamen eine Lungenentzündung, und eines wurde auf die Kinderintensivstation verlegt. Epidemiologische Daten von 391 COVID-19-Fällen und 1286 Personen, die mit diesen in engem Kontakt gewesen waren, lassen vermuten, dass für Kinder ein ähnliches Ansteckungsrisiko besteht wie für Erwachsene, aber bei Kindern mit meist weniger schweren Symptomen. Ein ganz ähnliches Muster hatte man auch 2003 bei der SARS-Epidemie gefunden: Damals war kein Verstorbener unter 24 Jahre alt, die meisten Todesfälle ereigneten sich
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 89
bei Patienten über 60 Jahre. Nur sehr wenige SARSInfizierte waren Kinder, und nur fünf Prozent mussten intensivmedizinisch versorgt werden. Die gleiche Beobachtung konnte man auch an Mäusen machen. Junge Tiere zeigten eine ähnlich hohe Viruskonzentration wie ihre ausgewachsenen Artgenossen, aber mit schwächeren Symptomen und geringer Sterblichkeit. Die Beobachtung, dass die alters- und geschlechtsabhängige Morbidität und Mortalität bei Mäusen und Menschen ähnlich ist, lässt auf eine biologische Ursache schließen.
Wie schnell verbreitet sich das Virus? Eine Methode, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus quantitativ zu erfassen, ist die Basisreproduktionszahl R0, die bei den ersten Fällen in Wuhan auf 2 bis 2,5 geschätzt wurde. Sie ist die Erklärung für das exponentielle Wachstum der Fallzahlen und die damit einhergehenden Todesfälle in der Bevölkerung.
Wie wandelbar ist das Coronavirus? Viren unterliegen ständig der Evolution, und je weiter sich das Virus um die Welt verbreitete, desto mehr Mutationen machte es durch. Solche Veränderungen schaffen die Möglichkeit, Virus und Infektionen zu verfolgen. Anhand mancher Mutationen kann man verwandte Viren zu geschlossenen Abstammungsgemeinschaften (Klade) zusammenfassen, Gruppen ähnlicher Erreger, die einige häufige Mutationen gemeinsam haben. Ein Beispiel sind Viren, die im US-Bundesstaat Washington im Umlauf sind: Sie tragen an der Position 8782 ihres Genoms eine Mutation, die man bei in Italien zirkulierenden Viren
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Südkorea Indien
Schweiz Italien Spanien Tschechische Republik Großbritannien Irland Finnland Schweden
Kambodscha Singapur Australien Neuseeland Georgien Frankreich Niederlande Belgien Luxemburg Deutschland
Kongo Brasilien Mexiko Kanada
Abb. 5.9 Die Auseinanderentwicklung von SARS-CoV-2 während seiner weltweiten Verbreitung. Die Genome von SARSCoV-2, die in verschiedenen Regionen der Welt isoliert wurden, sehen sich sehr ähnlich, was sich mit Befunden deckt, wonach die Epidemie im November 2019 in Wuhan ihren Anfang nahm. RNAViren mutieren aber sehr schnell, und diese Mutationen sorgen für eine Reihe von Abweichungen, die Vergleiche der Virusgenome zulassen. Der Stammbaum zeigt die genetische Ähnlichkeit zwischen SARS-CoV-2-Viren, die in verschiedenen Ländern (hier durch verschiedene Farben dargestellt) isoliert wurden. Es ist ersichtlich, dass sich Häufungen von Viren ergeben, und diese Häufungen stehen in Verbindung mit verschiedenen Regionen. Die Gruppe im unteren Teil der Abbildung ist vorwiegend grün und zeigt Viren, die in mehreren europäischen Ländern isoliert wurden. Interessanterweise finden sich dort auch einige rote Punkte aus Proben, die in den USA gewonnen wurden, aber den Viren aus Europa genetisch ähneln und damit auf eine Infektion im Zusammenhang mit dem Reiseverkehr schließen lassen. Die Gruppe rechts oben umfasst genetisch ähnliche Viren, die im USBundesstaat Washington isoliert wurden. Die roten Punkte – Fälle in den USA – tauchen in verschiedenen Teilen des Stammbaumes auf und deuten damit auf mehrfaches Einschleppen hin
5 Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen … 91
nicht findet (Abb. 5.9). Außerdem enthalten die meisten in Europa umlaufenden Viren eine Mutation in der Position 3037, die bei vielen in Asien vorkommenden Viren nicht beobachtet wird. Mithilfe solcher Mutationen können wir den Ursprung eines Virus bestimmen und feststellen, ob eine bestimmte Person sich bei Menschen aus ihrem Umfeld angesteckt hat oder ob das Virus erst vor Kurzem eingeschleppt wurde und wenn ja, von wo. Die Wandelbarkeit des Virus stellt für die Entwicklung von Therapieverfahren und Impfstoffen eine Herausforderung dar. Verändert sich beispielsweise ein Protein, auf das ein Impfstoff abzielt, ist dieser unter Umständen weniger wirksam. Und wenn Mutanten einer Therapie entkommen, wirkt diese nicht mehr. Die Corona-Pandemie, die 2019 begann, ist für große Teile der Weltbevölkerung ein schreckliches Erlebnis. Sie ist aber nicht der erste Ausbruch derartiger Coronaviren. In den Jahren 2002 und 2003 sorgte das SARS-Coronavirus weltweit für Beunruhigung, aber glücklicherweise ließ sich die SARS-Epidemie eindämmen. Seither haben wir viele neue Erkenntnisse über SARS-ähnliche Coronaviren gewonnen. Im nächsten Kapitel werde ich noch einmal auf die Epidemie von 2003 und ihre Zusammenhänge mit der Pandemie von 2019 zurückkommen.
6 Lässt sich die COVID-19-Pandemie mit dem SARS-Ausbruch von 2003 vergleichen?
Wenn eine Krankheit sich so nachdrücklich in die Vorstellungen eines Zeitalters einprägt, dann oft deshalb, weil sie an eine Angst anknüpft, die latent in diesen Vorstellungen vorhanden ist …SARS löste panische Angst aus vor globaler Ausbreitung und Ansteckung in einer Zeit, als die Themen Globalisierung und soziale Übertragung im Westen nervös vor sich hin köchelten. Siddharta Mukherjee Der SARS-Ausbruch spricht für die Hypothese, dass Südchina auch in Zukunft ein Ort für den Ausbruch pandemischer Infektionskrankheiten sein könnte. Zhong et al., Lancet (2003)
Unter allen Viren, die Menschen infizieren, ist SARS-CoV am engsten mit SARS-CoV-2 verwandt, der Erreger, der 2002/2003 die SARS-Epidemie verursachte. Ähnlich
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_6
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sind nicht nur die Genome der beiden Viren, sondern auch die Wege, auf denen sie in Zellen gelangen, und einige klinische Merkmale. Von dem SARS-Erreger haben wir seit 2003 vieles gelernt. Wir wissen heute, wie das Virus in Zellen eindringt, wie es sich vermehrt und wie es mit dem Immunsystem in Wechselbeziehung tritt. Wir haben einige wichtige Faktoren kennengelernt, die zur Verschlimmerung der Krankheit beitragen. Man hat Tiermodelle erzeugt und Therapien entwickelt. Dieses gesammelte Wissen kann die Entdeckung potenzieller Therapieverfahren für COVID-19 beschleunigen. Zwischen dem SARS-Ausbruch von 2002/2003 und der COVID-19-Pandemie von 2019/2020 kann man viele Parallelen ziehen. Beide Viren gingen vermutlich aus dem gleichen Viruspool hervor, waren vermutlich unter Fledermäusen im Umlauf und infizierten andere Arten. Beide Ausbrüche zeigten sich anfangs als Häufung von Lungenentzündungen mit unbekannter Ursache, und im Rahmen einer schnellen Reaktion konnte man die Viren innerhalb von zwei Monaten isolieren und identifizieren. Ähnlichkeiten bestehen auch bei den klinischen Eigenschaften der Krankheiten, so bei der Inkubationszeit, den Übertragungswegen, den ersten Symptomen und der großen Häufigkeit von Erkrankungen der unteren Atemwege. Andererseits gibt es aber auch höchst wichtige Unterschiede. So wurde SARS beispielsweise vor allem in Gesundheitseinrichtungen und einzelnen Familien nachgewiesen, COVID-19 dagegen konnte sich ohne Weiteres über solche Umfelder hinaus verbreiten. SARS wurde eingedämmt und war nach wenigen Monaten praktisch verschwunden, bei COVID-19 ist das nicht der Fall. In diesem Kapitel möchte ich mich näher mit einigen derartigen Parallelen und Unterschieden beschäftigen.
6 Lässt sich die COVID-19-Pandemie … 95
Wie begann die SARS-Epidemie? Im November 2002 wurde aus Foshan nicht weit von Guangzhou in der südchinesischen Provinz Guangdong über den ersten Fall einer atypischen Lungenentzündung berichtet. In der Region Guangdong folgten mehrere weitere Fälle, darunter auch familiäre Häufungen, was auf eine infektiöse Ausbreitung schließen ließ. Viele Patienten wurden zur medizinischen Versorgung in die Krankenhäuser von Guangzhou gebracht, der Hauptstadt von Guangdong. Dies führte dort zu vielen Ansteckungen innerhalb der Krankenhäuser. Die Krankheit begann mit hohem Fieber, Gliederschmerzen und Atemwegssymptomen (trockener Husten und Atemnot), die sich wenige Tage später zu einer Lungenentzündung weiterentwickelten. Als die WHO im Februar 2003 informiert wurde, zählte man im Rahmen des Ausbruches von Guangdong insgesamt 305 Erkrankte und fünf Todesfälle. Unter den Erkrankten waren viele Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen. Im Februar 2003 reiste ein Arzt, der in Guangdong SARS-Patienten behandelt hatte, zu einem Familientreffen nach Hongkong. Während seines dortigen Aufenthalts erkrankte er und starb wenig später. 23 andere Gäste, die in demselben Hotel gewohnt hatten, erkrankten ebenfalls. Viele infizierte Hotelgäste reisten in andere Länder weiter, so nach Kanada, Taiwan, Singapur und Vietnam, wo sie die Krankheit weiterverbreiteten. Im März 2003 hatte man SARS-Fälle in 13 Ländern nachgewiesen, über die meisten Fälle wurde jedoch aus China und Hongkong berichtet. Die Genome der Viren, die man in verschiedenen Regionen isoliert hatte, waren nahezu identisch, was darauf schließen ließ, dass alle Fälle von
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demselben Erreger verursacht wurden, der erst vor sehr kurzer Zeit entstanden war. Die Krankheit erhielt den Namen „schweres akutes Atemwegssyndrom“ (severe acute respiratory syndrome oder kurz SARS). Im April 2003 wurde der SARS-Erreger isoliert; wie sich herausstellte, handelte es sich um ein Coronavirus, das entfernt mit einem bereits bekannten Virus verwandt war. Es wurde auf den Namen SARS-CoV getauft, SARS verursachendes Coronavirus. Unter gesunden Personen besaß niemand Antikörper oder Virus-RNA, was vermuten ließ, dass das Virus neu war. Ebenso stellte man fest, dass die Patienten keine Immunantwort gegen das neue Virus zeigten; auch das deutete darauf hin, dass man es mit einem neuen Virus zu tun hatte, das nicht mit den allgemein verbreiteten menschlichen Coronaviren 229E und OC43 kreuzreagierte. In allen Analysen gelangte man zu dem Ergebnis, dass es sich um ein neues Virus handelte, mit dem das Immunsystem der Patienten noch nie konfrontiert gewesen war.
Woher kam das SARS-Virus? Das SARS-Virus war zuvor bei Menschen nicht im Umlauf gewesen. Deshalb suchte man bei anderen biologischen Arten nach dem Erreger. Eine potenzielle Quelle könnte im Zusammenhang mit kulinarischen Gebräuchen in Südchina stehen: Dort sind Märkte für Wildfleisch und lebende Tiere (sogenannte wet markets ) nichts Ungewöhnliches. Für die Hypothese sprach auch, dass von einigen der ersten SARS-Fälle in Guangdong die Mitarbeiter von Restaurants betroffen waren, in denen Wildtiere auf der Speisekarte standen. Im Jahr 2003 deuteten auch andere Studien darauf hin, dass man die Viren aus Wildtieren isolieren konnte, die
6 Lässt sich die COVID-19-Pandemie … 97
auf den Tiermärkten der chinesischen Provinz Guangdong verkauft wurden. SARS-ähnliche Tieren fand man auf einem Markt für lebende Tiere in Shenzhen bei Larvenrollern (Paguma larvata) und einem Marderhund. Die Sequenzierung der Genome dieser Viren zeigte, dass sie sehr eng mit SARS-CoV verwandt waren, dem Erreger der SARS-Epidemie. Bei zwei Erkrankten handelte es sich um eine Kellnerin und einen Gast eines Restaurants in Guangzhou, das Larvenroller auf der Speisekarte hatte und die lebenden Tiere im Restauranteingang zur Schau stellte. Unter diesen Tieren waren Larvenroller, bei denen der Test auf SARS-ähnliche Viren positiv ausfiel. Die kleine Epidemie griff nicht weiter um sich. Solche Befunde legen die Vermutung nahe, dass Lebendtiermärkte der Übertragung zoonotischer (das heißt von Tieren auf Menschen übertragbarer) Viren durch einige der dort verkauften Tierarten Vorschub leisten könnten. Im Jahr 2004 deuteten weitere Studien darauf hin, dass SARS-CoV-ähnliche Viren in mehreren Regionen Chinas unter verschiedenen Fledermausarten zirkulierten. Als man die Genome dieser Viren analysierte, zeigten sich eine deutliche Ähnlichkeit zu SARS-CoV und eine große genetische Vielfalt. Manche Fledermausarten besaßen Antikörper gegen SARS-ähnliche Viren, was vermuten ließ, dass die Fledermäuse das Sammelbecken für solche Viren darstellten. Insbesondere bei Fledermäusen aus der Gattung der Hufeisennasen (Rhinolophus) wurde eine große Zahl SARS-ähnlicher Coronaviren festgestellt. Weitere Untersuchungen wurden 2017 veröffentlicht: Danach enthielten Viren, die man bei Fledermäusen in Höhlen in der südwestchinesischen Provinz Yunnan gefunden hatte, die Genom-Einzelteile, die notwendig waren, damit durch einen Rekombinationsprozess ein SARS-CoV-Virus entstehen konnte.
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In dem Szenario, das durch solche Befunde nahegelegt wird, rekombinieren und mutieren die Fledermausviren so, dass die neu entstehenden Erreger auch Menschen infizieren können (Abb. 6.1). Andere Arten, beispielsweise die Larvenroller, könnten dabei als Zwischenstation mit im Spiel gewesen sein. Notwendig ist das aber nicht: Manche SARS-CoV-ähnlichen Viren aus Fledermäusen können auch menschliche Zellen infizieren; es wäre also denkbar, dass eine unmittelbare Infektion mit SARS-CoVähnlichen Viren ohne Vermittlung einer weiteren Spezies möglich ist. Interessant ist auch eine weitere Feststellung: Im Gegensatz zu MERS-CoV, das mehrere Male von Kamelen auf Menschen überging, stammen SARS-CoV und SARSCoV-2 jeweils offenbar von einem einzigen Übergang auf Menschen ab.
Gab es Superspreader? Als Superspreader („Superverbreiter“) bezeichnet man Personen, die eine große Zahl von Kontaktpersonen anstecken können. Interessant ist dabei der Hinweis, dass eine einzige zusammenfassende statistische Angabe wie die Basisreproduktionszahl R0 die Vorstellung von Superspreadern nicht berücksichtigt. So könnte beispielsweise eine Krankheit mit einem R0 von 1 auf viele Personen zurückzuführen sein, die jeweils einen weiteren Menschen anstecken, oder auch auf eine einzige Person, die den Erreger an viele andere weitergibt, während die meisten anderen niemanden anstecken. Von einem Superspreader spricht man, wenn die Zahl der Ansteckungen von den Erwartungen abweicht. Wenn man für eine Infektionskrankheit R0 abschätzt, kann man berechnen, wie viele
6 Lässt sich die COVID-19-Pandemie … 99 Larvenroller und andere Tiere von Lebendtiermärkten
Soziale Kontakte
SARS-CoV
Coronavirus
~2002 Übertragung über Artgrenzen
vor über 30 Jahren MERS-CoV Übertragung über Artgrenzen
selten zoonotische Übertragung
Übertragung im Krankenhaus
Krankenhauspatient ständig
Healthcare personnel
Übertragung im Krankenhaus
zoonotische Übertragung anderer Patient
Abb. 6.1 Der Weg der Betacoronaviren von Fledermäusen über andere Arten auf den Menschen vor der COVID-19-Pandemie. Nach heutiger Kenntnis sind Fledermäuse das wichtigste Sammelbecken für Coronaviren. Solche Viren hat man bei verschiedenen Fledermausarten in großer Vielfalt gefunden, und wegen der Rekombination wurden die Tiere zu einem Schmelztiegel verschiedener Erreger. Unter diesen Viren sind die Vorfahren der Erreger, die 2002 die SARS-, 2012 die MERS- und 2019 die COVID19-Epidemie verursacht haben. Nach heutiger Kenntnis können die SARS-ähnlichen Fledermausviren durch andere Tierarten als Zwischenwirte – möglicherweise auf Lebendtiermärkten in China – auch Menschen infizieren; bei einigen derartigen Tieren, beispielsweise bei Larvenrollern, hat man ebenfalls SARS-ähnliche Viren gefunden. Die Viren, die für die MERS-Epidemie verantwortlich waren, gingen vermutlich vor einigen Jahrzehnten von Fledermäusen auf Dromedare über, sodass MERS-CoV nun bei diesen Tieren im Umlauf war. In mehreren Fällen wurde berichtet, dass MERS-CoV von Kamelen auf Menschen übertragen wurde. Nachdem SARS-CoV und MERS-CoV im Menschen angekommen waren, konnten sie – insbesondere in Krankenhäusern – auch andere Menschen infizieren. Das Virus, das COVID-19 verursacht, nahm vermutlich einen ähnlichen Weg von Fledermäusen zu Menschen, und das vermutlich ebenfalls über einen Zwischenwirt; aber in diesem Fall konnte sich das Virus auch über die Einrichtungen des Gesundheitswesens hinaus schnell ausbreiten
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Menschen ein Infizierter maximal ansteckt. Abweichungen von dieser Zahl deuten auf Superspreader-Ereignisse hin. Wenn R0 beispielsweise auf 1 geschätzt wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelner Mensch mehr als zehn weitere ansteckt, sehr niedrig: Sie liegt bei weniger als 1 zu 1 Million Finden wir bei einer solchen Krankheit mit einem R0 von 1 einige Personen, die mehr als zehn andere anstecken, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um Superspreader handelt. Der Begriff Superspreader kam bei SARS auf, nachdem wenige Infizierte viele weitere Menschen angesteckt hatten wie der Arzt, der im Februar 2003 von Guangdong nach Hongkong gereist war. Er hatte zuvor im Zentralkrankenhaus von Guangzhou, der Hauptstadt der Provinz Guangdong, SARS-Patienten behandelt. In dem Hotel in Hongkong steckten sich 23 weitere Gäste an. Der Arzt wurde in Hongkong in ein großes Krankenhaus gebracht, und dort infizierte er über 100 Personen. Er starb am 4. März, erste Symptome hatten sich Ende Februar gezeigt. Nachdem SARS in Singapur angekommen war, wurde über fünf weitere Superspreader berichtet, die jeweils mehr als zehn Kontaktpersonen angesteckt hatten, darunter Angehörige, Krankenhausbeschäftigte und Besucher. Über Superspreader wurde im Zusammenhang mit mehreren Epidemien berichtet, so auch mit MERS-CoV 2015 in Südkorea: Dort steckte eine einzige Person, die aus dem Nahen Osten eingereist war, 29 weitere Menschen an, die meisten davon in dem Krankenhaus, in das man den Patienten eingewiesen hatte. Zwei Infizierte konnten ihrerseits weitere 106 Menschen anstecken; vermutlich wurde die Infektionskette also nur durch wenige infizierte Personen aufrechterhalten. Welche Faktoren im Einzelnen ein SuperspreadingEreignis entstehen lassen, ist nicht geklärt. Möglicherweise besitzen die Viren, mit denen Superspreader infiziert
6 Lässt sich die COVID-19-Pandemie … 101
sind, aufgrund von Mutationen eine besonders hohe Ansteckungsfähigkeit. Dafür gibt es allerdings kaum Belege. Andere Faktoren könnten im genetischen oder medizinischen Hintergrund der Superspreader liegen: Vielleicht besitzen sie spezielle Genvarianten oder ein geschwächtes Immunsystem und neigen deshalb zur Produktion von besonders vielen Viren. Andere, wahrscheinlichere Faktoren haben mit der Umwelt zu tun: enger Kontakt mit vielen anderen Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Wohnanlagen und Krankenhäusern oder auch in sich geschlossene Belüftungssysteme.
Was sind die klinischen Merkmale von SARS im Vergleich zu COVID-19? Die Inkubationszeit von SARS wurde auf ungefähr fünf Tage geschätzt; ähnlich wie bei COVID-19 schwankt sie zwischen zwei und zehn Tagen. Die wichtigsten Symptome sind Fieber und Gliederschmerzen, selten kommen Infektionen der oberen Atemwege (verstopfte Nase oder Halsschmerzen) hinzu. In den meisten Fällen folgten schwerwiegende Infektionen der unteren Atemwege, aber auch über Darminfektionen und Durchfall wurde berichtet. Ein beträchtlicher Teil der Infizierten musste im Krankenhaus behandelt werden, und bei bis zu 20 % war die Behandlung auf der Intensivstation erforderlich. In den ersten Phasen der SARS-Epidemie stellte man einen Fall-Verstorbenen-Anteil von zwei Prozent fest. Später, als man alle Fälle erfasste und feststellte, dass es nur wenige schwache Krankheitsverläufe gab, stiegen die Schätzungen für die Fallsterblichkeit auf bis zu zehn Prozent. Dagegen scheint COVID-19 einen vergleichsweise milden Verlauf zu nehmen: Es gibt mehr Infizierte mit schwachen Symptomen und mehr asymptomatische Fälle;
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die Fallsterblichkeit liegt mit zwei Prozent niedriger, und ein geringerer Anteil der Fälle nimmt einen schweren Verlauf, der einen Krankenhausaufenthalt oder sogar intensivmedizinische Behandlung erforderlich macht. Bei SARS kamen asymptomatische oder schwache Verläufe nur selten vor. Als man in serologischen Studien bei Beschäftigten des Gesundheitssystems nach Antikörpern suchte, die auf einen früheren Kontakt mit dem Virus hindeuteten, fand man nur wenige Fälle, in denen die Betroffenen keine klinischen Symptome gehabt hatten. Für COVID-19 wird die Zahl der nicht gemeldeten Fälle auf 80 % geschätzt, was bei SARS nicht der Fall war. Die Pathologie von SARS ist nicht vollständig geklärt. Man zog mehrere Faktoren in Betracht, darunter die Infektion der unteren Atemwege und eine anormale Immunantwort. Interessanterweise verschlimmerten sich in manchen Fällen von SARS die Symptome, als das Virus aus dem Organismus beseitigt war; vermutlich wurden die Lungenschäden also durch die Immunmechanismen verursacht, die das Virus bekämpften. Eine starke Vermehrung entzündungsfördernder Moleküle infolge eines überaktiven Immunsystems wurde mit einer schlechten Prognose in Verbindung gebracht. Außerdem beobachtete man bei vielen SARS-Patienten eine anormal niedrige Zahl weißer Blutkörperchen, die an der Immunantwort mitwirken. Ähnliche Effekte hat man auch bei manchen schweren COVID-19-Fällen beobachtet, ein Hinweis auf einen gemeinsamen Mechanismus der Immun-Fehlregulation, der bei beiden Fällen zu Komplikationen führt. Bei SARS wurde spekuliert, die Bindung des Virus an den ACE2-Rezeptor könne Auswirkungen auf dessen normale Aktivität haben und zu den Lungenschäden beitragen, die man bei der Krankheit beobachtet hatte. Ein schwerer Krankheitsverlauf wurde bei Männern häufiger beobachtet als bei Frauen, und sowohl die
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Schwere des Krankheitsverlaufs als auch die Sterblichkeit nahmen mit zunehmendem Alter drastisch zu. Als Erklärungen kommen Lebensweise, Umwelteinflüsse und biologische Unterschiede infrage. Bei älteren Menschen über 60 Jahre stieg der Fall-Verstorbenen-Anteil bis auf 50 % an. Umgekehrt beobachtete man bei Kindern keine schweren Erkrankungen. Viele dieser Beobachtungen ließen sich auch in Tierversuchen nachvollziehen. Junge Mäuse entwickelten seltener eine schwere Erkrankung, während ältere Tiere, und zwar vor allem Männchen, an der Krankheit starben. Eine verringerte Menge weiblicher Hormone führte bei Mäusen zu einer Verschlimmerung, was vermuten lässt, dass hormonelle Faktoren für den Krankheitsverlauf eine Rolle spielen können. Die Parallelen bei Morbidität und Mortalität zwischen verschiedenen Arten deutet darauf hin, dass die Alters- und Geschlechtsverteilung, die man bei SARS und COVID-19 beobachtet, biologische Ursachen haben könnte.
Wie unterscheiden sich SARS-CoV und SARS-CoV-2 und die von ihnen verursachten Krankheiten? Zwischen SARS-CoV und SARS-CoV-2 bestehen auffällige Ähnlichkeiten. Die Viren sind sich genetisch sehr ähnlich: Sie enthalten ähnliche Gene und nutzen das gleiche Einfallstor (den ACE2-Rezeptor) zum Eindringen in die Zellen. Das Internationale Komitee für die Taxonomie der Viren (International Committee on Taxonomy of Viruses, ICTV) geht deshalb davon aus, dass die beiden Viren zur gleichen Virusspezies gehören, den Coronaviren für schwere akute Atemwegssyndrome (severe acute respiratory syndrome-related coronavirus). Die Spezies
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umfasst auch Viren, die andere Wirte infizieren, so die SARS-ähnlichen Coronaviren von Larvenrollern und Fledermäusen. Der Hinweis auf SARS in dem Namen der Spezies bedeutet, dass die Virusstämme genetisch mit dem Prototyp der Spezies verwandt sind: mit SARS-CoV, dem Erreger von SARS. Auch beim Krankheitsverlauf von SARS und COVID19 gibt es viele Gemeinsamkeiten. Die Inkubationszeit ist mit fünf Tagen sehr ähnlich, ebenso die ersten Symptome (Fieber und Atembeschwerden) und die weiteren Komplikationen in den unteren Atemwegen, die zur Lungenentzündung führen. Bemerkenswert sind auch die Parallelen in der Alters- und Geschlechtsverteilung der beiden Krankheiten. Unterschiede gibt es allerdings bei einigen klinischen Empfehlungen, den Testmethoden, der Fallsterblichkeit und der Übertragung, was vermutlich auch zum unterschiedlichen Erfolg bei der Eindämmung der beiden Viren beitrug. Einige derartige Faktoren waren auch entscheidend für die Entscheidung der WHO, den Krankheiten zwei verschiedene Namen zu geben: SARS, verursacht von SARS-CoV, und COVID-19, verursacht von SARS-CoV-2.
Wie konnte die SARS-Epidemie eingedämmt werden? Nachdem man im November 2002 in Guangdong die ersten Fälle nachgewiesen hatte, steckten sich im Rahmen der SARS-Epidemie mehr als 8000 Menschen an und 774 starben. Von der schnellen Ausbreitung auf nahezu 20 Länder waren vor allem Krankenhäuser und andere Brennpunkte betroffen. Da man den Erreger schnell identifizieren und wirksame Eindämmungsmaßnahmen
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ergreifen konnte, wurde er unter Kontrolle gebracht, und am 9. Juli 2003 erklärte die WHO die Krankheit für eingedämmt. Seither gab es noch vereinzelte Fälle und Laborunfälle, aber zu einer nennenswerten Epidemie kam es nicht mehr. Viele Menschen, die von SARS genesen waren, litten noch Monate oder sogar Jahre später an langfristigen Nachwirkungen, darunter ein insgesamt schlechterer Gesundheitszustand und eine geringere Belastbarkeit, zusätzlich zu den Verhaltensfolgen von Stress.
Warum konnte SARS-CoV-2 sich ausbreiten, während SARS-CoV unter Kontrolle gebracht werden konnte? Bei SARS-CoV erfüllten der frühzeitige Nachweis und die Isolation der Betroffenen ihren Zweck, aber als es darum ging, die Verbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen, erwiesen sich solche Maßnahmen als unzureichend. Nach heutigem Kenntnisstand werden beide Viren auf ähnliche Weise weitergegeben: durch Wassertröpfchen und infizierte Oberflächen; auch ihre Lebensdauer in der Umwelt ist ähnlich. Im Laufe der SARS-Epidemie ereigneten sich die meisten Fälle offensichtlich in Einrichtungen des Gesundheitswesens oder in deren Nähe, COVID-19 dagegen verbreitet sich anscheinend leichter. Möglicherweise gibt es aber auch einige Unterschiede. Erstens erfolgte die Ansteckung mit SARS-CoV in den meisten Fällen erst einige Tage, nachdem die Krankheit zu erkennen war, SARS-CoV-2 dagegen wird schon kurz nach Einsetzen der Symptome weitergegeben, und das ähnlich stark, ganz gleich, ob der Krankheitsverlauf leicht oder schwer ist. Wer sich mit SARS-CoV-2 angesteckt hat,
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weiß es unter Umständen nicht, weil die Symptome noch nicht eingesetzt haben oder nur schwach ausgeprägt sind. Dennoch können solche Menschen andere infizieren und zur Ausbreitung der Krankheit beitragen. Unterschiede könnte es auch bei der Fähigkeit zur Bindung an den zelleigenen Rezeptor geben, und auch das könnte dazu beitragen, dass die beiden Viren unterschiedlich leicht übertragbar sind. Im nächsten Kapitel wird von einem anderen Virus die Rede sein, das bereits mehrere Pandemien verursacht hat: Influenza. Das Grippe- oder Influenzavirus ist uns allen besser vertraut; es ist jahreszeitlich schwankend auf der ganzen Welt im Umlauf, aber ungefähr alle 30 Jahre taucht eine neue Variante auf, die schnell überall zu Infektionen führen kann. Die Spanische Grippe von 1918 wurde mehrfach für einen Vergleich mit der derzeitigen Pandemie herangezogen. Über die letzte InfluenzaPandemie wurde im März 2009 berichtet, und sie breitete sich ebenso wie 2019 das Coronavirus innerhalb weniger Monate rund um den Globus aus.
7 COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen und pandemischen Influenza
COVID-19 ist gedopte Influenza! Steven Magee
Als man zu Beginn der COVID-19-Pandemie verstehen wollte, wie schwer die Krankheit ist, wurde zum Vergleich häufig die echte Grippe oder Influenza herangezogen. Solche Vergleiche waren eine Hauptursache für Verwirrung und Missverständnisse. Der Vergleich mit der jahreszeitlichen Grippe – dem Influenzavirus, das uns jeden Winter heimsucht – führte zu der Vorstellung, auch der Krankheitsverlauf sei ähnlich schwer; dabei wurde nicht berücksichtigt, dass der COVID-19Erreger in der Bevölkerung neu ist und dass man für ihn im Gegensatz zur Influenza weder einen Impfstoff noch eine wirksame virushemmende Therapie kennt. Der zweite Vergleich wurde mit der pandemischen Influenza gezogen, insbesondere mit der Spanischen Grippe, die 1918 zig Millionen Todesopfer forderte. Das Virus, das © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_7
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diese Pandemie verursachte, war ebenfalls neu in der Bevölkerung, verbreitete sich schnell und war für eine beträchtliche Anzahl junger Erwachsener tödlich. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs, man wusste noch nicht einmal, dass Influenzaviren die Ursache sind, und die Therapiemethoden waren viel weniger weit entwickelt als zur heutigen Zeit. In dem nun folgenden Kapitel möchte ich der Frage nachgehen, ob man die Influenza mit den Coronaviren vergleichen kann. Ich erläutere die pandemische und jahreszeitliche Grippe und vergleiche die beiden Krankheiten. Außerdem werde ich an einigen historischen Beispielen zeigen, wie verschiedene politische Systeme 1918 mit der Welle der Krankheitsfälle und der Überlastung des Gesundheitssystems umgingen.
Ist das Influenzavirus mit dem Coronavirus verwandt? Nein, das ist es eindeutig nicht. Es sind ganz unterschiedliche Viren. Influenzaviren ähneln in ihrer Größe den Coronaviren, aber ihr Genom ist viel kleiner: Es besteht nur aus 13.000 Nucleotiden, die sich in acht Segmente gliedern (Abb. 7.1). Seine Verdoppelungsstrategie, der Weg, auf dem es in die Zellen der Menschen gelangt, und sein Wirtsspektrum unterscheiden sich von SARS-CoV-2.
Was kennzeichnet die pandemische Influenza? Die natürlichen Wirtstiere der Influenza A sind Wasservögel wie Enten, Schwäne, Gänse und Möwen (Abb. 7.2). Sie alle sind in der Regel mit Influenza-A-Viren infiziert,
7 COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen … 109
Neuraminidase
Hämagglutinin
Matrix
Ionenkanal
PB2 PB1 PA HA NP NA M NS
Abb. 7.1 Die Struktur des Influenza-A-Virus und die Entstehung neuer genetischer Varianten durch Umordnung. Influenza A ist ein segmentiertes RNA-Virus: Sein kleines Genom aus 13.000 Basen verteilt sich auf acht getrennte Segmente. Jedes davon codiert ein oder zwei Gene. Die drei längsten Segmente enthalten die Information für die Polymerase, das heißt den Verdoppelungsapparat; dieser besteht aus den drei Proteinen PB2, PB1 und PA. Umgeben ist das Genom von einem Nucleoprotein, das die RNA schützt. Das Genom liegt in einem Capsid, das aus dem Matrixprotein besteht. Wie die Coronaviren, so sind auch Influenzaviren eingehüllt und von einer Lipiddoppelschichtmembran umgeben, die sie aus der infizierten Zelle mitnehmen. In die Oberfläche des Influenzavirus sind zwei Proteine eingebettet: Hämagglutinin und Neuraminidase. Diese Proteine werden in der Regel im Namen des Virus genannt. Ein Virus des Typs H1N1 hat beispielsweise das Hämagglutinin des Typs 1 und die Neuraminidase des Typs 1
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Abb. 7.2 Influenza-A-Viren kommen in vielen Wirtsorganismen vor. Am häufigsten sind Wasservögel der Wirt. Manche Wasservögel, beispielsweise Enten, Gänse und Schwäne, sind häufig mit Influenza-A-Viren infiziert. Die Infektion verursacht aber in der Regel keine Symptome und macht die Tiere nicht krank. Einige derartige Viren können jedoch mutieren und zu sehr pathogenen Formen werden, an denen die Tiere sterben. Viren des Typs H5N1 zum Beispiel sind sowohl für Vögel als auch für Menschen tödlich. Influenza-A-Viren findet man auch bei Schweinen, Pferden, Fledermäusen, Menschen und vielen anderen Lebewesen
erkranken aber nicht. Die Influenza A kommt aber auch bei Säugetieren vor, so bei Schweinen, Pferden, Robben und Menschen. Influenzaviren, die einen Wirt infizieren, können in der Regel nicht auf andere Wirte übergehen. Ein pandemisches Influenzavirus jedoch, das in einem nichtmenschlichen Wirt angesiedelt ist, erwirbt die Fähigkeit, Menschen zu infizieren, sich an sie anzupassen und sich in der gesamten Weltbevölkerung zu verbreiten. Wie erwerben solche Viren die Fähigkeit, sich in Menschen zu vermehren? Die Evolution der Influenzaviren folgt zwei Hauptmechanismen. Der erste ist die
7 COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen … 111
Anreicherung von Mutationen, der zweite die sogenannte Umordnung: Zwei Viren bringen Nachkommen hervor, die genetisches Material von beiden enthalten. Die Umordnung der Influenzaviren ähnelt der Rekombination bei den Coronaviren – in beiden Fällen wird genetisches Material aus verschiedenen Viren neu zusammengestellt. Die Umordnung ist eine besondere Methode, durch die Viren mit segmentiertem Genom – das aus verschiedenen unabhängigen Fragmenten oder Segmenten besteht – neue Varianten hervorbringen. Während das Genom der Coronaviren ein einziger Molekülstrang ist, liegt es bei segmentierten Viren wie Influenza in Form mehrerer Fragmente vor. Durch unterschiedliche Kombination dieser Fragmente können neue Viren entstehen. Und mit einer solchen Umordnung können neue Influenzaviren auch Gene von Viren übernehmen, die Menschen infizieren können (Abb. 7.3). Im 20. Jahrhundert gab es drei Influenzapandemien (1918, 1959 und 1968), eine weitere ereignete sich 2009 (Abb. 7.4). Die Pandemie von 1918, auch Spanische Grippe1 genannt, forderte weltweit zwischen 50 und 100 Millionen Todesopfer. Bei einer damaligen Weltbevölkerung von 1,8 Milliarden Menschen lag die Gesamtsterblichkeit bei nahezu drei Prozent. Anders als bei SARS-CoV-2 waren vorwiegend jüngere Menschen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren betroffen. Die Lage wurde zu jener Zeit in Bildern festgehalten (Abb. 7.5),
1Die
Influenza-Pandemie von 1918 wurde im Volksmund „Spanische Grippe“ genannt, weil aus Spanien als erstem Land in der freien Presse über die Auswirkungen der Pandemie berichtet wurde; selbst der König steckte sich an. Zuvor gab es bereits viele Fälle in Ländern, die am Ersten Weltkrieg beteiligt waren, aber darüber wurde wegen der kriegsbedingten Zensur nicht berichtet. Heutzutage wählen internationale Organisationen die Namen von Infektionskrankheiten mit mehr politischem Feingefühl aus.
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Abb. 7.3 Die Entstehung neuer Varianten des Influenzavirus durch genetische Umordnung. Influenza-A-Viren können neue Varianten hervorbringen, indem die genetische Information verschiedener Stämme durch einen Umordnungsprozess neu kombiniert wird. Das geschieht, wenn verschiedene Viren die gleiche Zelle infizieren und Nachkommen hervorbringen, die Segmente beider Ausgangsstämme enthalten. Durch die Umordnung können in einem Wirt neue Viren entstehen, weil Segmente von Viren, die in einem anderen Wirt im Umlauf sind, mit aufgenommen werden. In dem hier gezeigten Beispiel infizieren ein menschliches und ein Schweinevirus dieselbe Zelle in einem Schwein; dabei entsteht ein neues Virus, das auch Menschen infizieren kann. Dies ist der wichtigste Evolutionsmechanismus, der pandemische Influenzaviren entstehen lässt
7 COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen … 113 H1? H3?
1889 1900
1918
H1N1
Jahr
1940 H2N2
1960 H3N2 H1N1
1980
2000 H1N1pdm
2010
Abb. 7.4 Influenza-Pandemien im 20. und 21. Jahrhundert. Ungefähr alle 30 Jahre taucht in der Bevölkerung ein neues Influenzavirus auf und verursacht eine Pandemie. Der erste gut belegte Fall war die Spanische Grippe von 1918 mit dem Virus H1N1. Woher der Erreger stammte, ist nicht geklärt. Das Virus kam in mehreren Wellen im Frühjahr 1918, im Herbst 1918 und im Frühjahr 1919. Die Pandemie hatte katastrophale Folgen: Weltweit starben mindestens 50 Millionen Menschen. Danach war das Virus jahreszeitlich in der Bevölkerung im Umlauf, aber die Fallsterblichkeit war wesentlich geringer. Auf diese Weise zirkulierte das Virus bis 1959, dann trat ein neuer pandemischer Stamm, die Asiatische Grippe H2N2, an die Stelle des Virus H1N1. Die H2N2-Pandemie verlief vergleichsweise milder, forderte aber immer noch mehr als eine Million Opfer. Das H2N2-Virus war durch Umordnung aus dem zirkulierenden Virus H1N1 und einem Virus aus Vögeln entstanden. H2N2 kursierte jahreszeitlich bis 1968, dann löste ein neuer Stamm, die Hongkonggrippe H3N2, wiederum eine Pandemie aus; die Zahl der Todesopfer war dabei ähnlich wie bei der vorherigen. Das Virus H3N2 war ebenfalls durch Umordnung aus einem bei Menschen zirkulierenden H2N2-Virus und einem Virus aus Vögeln entstanden. H3N2 war auch jahreszeitlich aktiv und verdrängte alle anderen Stämme. Im Jahr 1977 tauchte ein Virus des Typs H1N1, der den in den 1950er Jahren zirkulierenden H1N1-Viren ähnelte, in der Bevölkerung auf. Seit Ende der 1970er Jahre sind zwei Influenza-A-Stämme im Umlauf: H3N2 und H1N1. Im Jahr 2009 verbreitete sich ein neuer pandemischer Stamm, der aus Schweinen stammte, sehr schnell auf der ganzen Welt
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Abb. 7.5 Durch ihre schnelle Ausbreitung überforderte die Influenza-Pandemie von 1918 das Gesundheitssystem und führte zu einer Welle von Krankheits- und Todesfällen. Die Zahl der Kranken, die versorgt werden mussten, führte Krankenhäuser und Bestattungsunternehmen an ihre Grenzen. Auf der ganzen Welt wurden improvisierte Feldlazarette und Versorgungszentren eingerichtet. Zur Überlastung der Krankenhäuser kam noch hinzu, dass viele Beschäftigte des US-amerikanischen Gesundheitswesens in Europa zur Unterstützung der Truppen eingesetzt waren, die sich am Ersten Weltkrieg beteiligten. Viele Freiwillige setzten ihr Leben aufs Spiel, um bei der Versorgung der Kranken und der Bestattung der Toten zu helfen. Das Foto wurde während der Influenza-Epidemie in einem Hilfskrankenhaus in Camp Funston (Kansas) aufgenommen
und auch Bücher und Briefe berichteten darüber; der folgende Bericht stammt von einem Arzt, der in einem Lager nicht weit von Boston arbeitete: Die Epidemie begann vor ungefähr vier Wochen und hat sich so schnell entwickelt, dass das Lager demoralisiert ist und alle gewöhnliche Arbeit eingestellt wurde, bis sie vorüber ist … Zu Beginn haben die Männer etwas,
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was wie ein Grippeanfall aussieht, und wenn man sie ins Krankenhaus bringt, entwickelt sich sehr schnell eine höchst heimtückische Lungenentzündung, wie man sie noch nie gesehen hat. Zwei Stunden nach der Einlieferung haben sie dunkelbraune Flecken auf den Wangenknochen, und wenige Stunden später kann man sehen, wie die Cyanose sich von den Ohren über das ganze Gesicht ausbreitet, bis man farbige Männer kaum noch von Weißen unterscheiden kann. Dann ist es nur noch eine Frage von Stunden, bis der Tod eintritt, und es ist einfach ein Ringen um Luft, bis sie ersticken. Es ist entsetzlich … Wir haben durchschnittlich 100 Todesfälle pro Tag, und ihre Zahl nimmt immer noch zu … Wir haben eine unfassbar große Zahl von Krankenschwestern und Ärzten verloren … Man braucht besondere Eisenbahnzüge, um die Toten abzutransportieren. Mehrere Tage gab es keine Särge, und die Leichen stapelten sich überall. Wir gingen hinüber zum Leichenhaus (das gleich hinter meiner Station liegt) und sahen, wie die Jungen in langen Reihen abgelegt wurden. Das übertrifft jeden Anblick, den ich in Frankreich nach einer Schlacht gesehen habe. Lebwohl, alter Junge, Gott sei mit dir, bis wir uns wiedersehen.
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg führte die Pandemie zu drastischen gesundheitspolitischen Maßnahmen ähnlich jenen, die heute auch gegen SARS-CoV-2 ergriffen werden. Unter anderem wurden Massenveranstaltungen verboten. Der Infizierten-Verstorbenen-Anteil während der Pandemie von 1918 wurde jedoch auf nahezu zehn Prozent geschätzt und lag damit beträchtlich höher als heute die Fallsterblichkeit bei SARS-CoV-2 und vermutlich auch höher als der heutige Infizierten-Verstorbenen-Anteil. Die Influenza-Pandemie spielte sich in mehreren Wellen ab. Eine erste Welle im Frühjahr 1918 hatte die Form einer milderen Erkrankung, die der jahreszeitlichen Grippe ähnelte. Die Welle mit den meisten Todesfällen begann im August 1918, breitete sich
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schnell über die ganze Welt aus und dauerte zwei Monate. In New York wurde sie am 19. November 1918 für überwunden erklärt. Die Zahl der Todesopfer in der Stadt New York wurde auf rund 30.000 geschätzt, für die gesamten USA lag sie bei rund 675.000. Eine dritte, mildere Welle setzte im Winter 1918 und Frühjahr 1919 ein; dieses Mal wurden in New York 67 Todesfälle gemeldet. Die Pandemie von 1957 war die Folge einer Vermischung der jahreszeitlichen Erreger aus der Pandemie von 1918 und einem Virus, das mit Influenza A verwandt war und bei Vögeln zirkulierte. Die Zahl der Todesopfer wurde weltweit auf mehr als eine Million geschätzt. Ähnliche Zahlen wurden auch während der Pandemie von 1968 gemeldet, die ebenfalls auf eine neue Mischung von Viren aus Menschen und Vögeln zurückzuführen war. Die bisher letzte Influenza-Pandemie setzte 2009 ein; ihre Ursache war wiederum eine Vermischung verschiedener Viren, die Schweine infizieren. Sie forderte zwar weniger Todesopfer als vorangegangene Pandemien (nämlich weltweit ungefähr 200.000), aber in 80 % der Fälle waren jüngere Bevölkerungsgruppen betroffen.
Was kennzeichnet die jahreszeitliche Grippe? Wenn ein pandemisches Virus in die Bevölkerung eingedrungen ist, wird es zu einem jahreszeitlichen Erreger: Es taucht jeden Winter mit geringfügig anderen Eigenschaften wieder auf (Abb. 7.6). In Influenzaviren reichern sich Mutationen sehr schnell an – es sind etwa 20 Mutationen im Jahr. Die Immunantwort aus
7 COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen … 117 Country Breitengrad Winter Island Finnland Norwegen Schweden Lettland Dänemark Russland Irland Deutschland Polen Belgien Tschech. Rep. Ukraine Frankreich Schweiz Rumänien Italien China Spanien USA Portugal Tunesien Japan Philippinen Thailand Guyana Kolumbien Indonesien Brasilien Madagaskar Mexiko Paraguay Südafrika Australien Chile Uruguay Argentinien Neuseeland
Frühjahr
Sommer
Herbst
Winter
sporadisch
lokal
Frühjahr
Sommer
Herbst
64N 60N 60N 59N 57N 55N 55N 53N 52N 52N 50N 50N 50N 49N 47N 44N 42N 40N 40N 40N 38N 36N 35N 14N 13N 7N 4N 6S 15S 19S 19S 25S 25S 33S 33S 34S 36S 41S
Regional
allgemein verbreitet
Abb. 7.6 Die Infektion mit der jahreszeitlichen Grippe erfolgt in regelmäßigen jährlichen Abständen mit höherer Häufigkeit in den Wintermonaten. Die Abbildung zeigt die Zahl der Influenza-ähnlichen Erkrankungen (influenza-like illnesses, ILI) aus dem Überwachungssystem der Weltgesundheitsorganisation zu verschiedenen Jahreszeiten. Die Länder sind nach der geografischen Breite angeordnet: Nördliche Länder stehen oben, südliche im unteren Teil. In Nordeuropa findet man alle Krankheitsfälle im Winter oder Vorfrühling, meist zwischen Dezember und März. Im Sommer wird nicht über Fälle berichtet. Auf der Südhalbkugel erreichen die Fallzahlen von Juni bis September ihren Höhepunkt, was dort den Wintermonaten entspricht. In tropischen Ländern verteilen sich die InfluenzaFälle gleichmäßiger, die Zahlen folgen hier keinem strengen jahreszeitlichen Muster. In Ländern auf dem gleichen Breitengrad erreicht die Zahl der Influenza-Fälle rund um die Welt zur gleichen Zeit ihren Höhepunkt
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einem Jahr ist im nächsten möglicherweise nicht mehr optimal oder sogar völlig unwirksam. Dieser ständige Evolutionsprozess stellt für die Impfstoffentwicklung eine Herausforderung dar; jedes Jahr muss man aktuelle Erregerstämme für die Herstellung neuer Impfstoffe auswählen. Die Zahl der Betroffenen, die wegen der jahreszeitlichen Influenza ins Krankenhaus müssen oder daran sterben, ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Nach Schätzungen der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention erkrankten in der Saison 2018/2019 in den USA 35,5 Millionen Menschen durch jahreszeitliche Grippeviren, was zu fast einer halben Million Krankenhausbehandlungen und 34.200 Todesfällen führte.
Wie überträgt und verursacht das Influenzavirus die Krankheit? Für Influenzaviren gibt es zwei Hauptübertragungswege: die Tröpfcheninfektion durch Husten oder Niesen und die Schmierinfektion durch Oberflächen. Wie effizient die Übertragung ist, hängt von den atmosphärischen Bedingungen ab, insbesondere von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Diese Faktoren spielen nach heutiger Kenntnis eine wichtige Rolle für die jahreszeitlichen Effekte, die man bei der Grippe beobachtet. Influenzaviren infizieren meist die oberen Atemwege, was zu verschiedenen Symptomen führen kann, so zu Fieber, Husten, Halsschmerzen, Gliederschmerzen und Müdigkeit. In manchen Fällen führt die Infektion zu Komplikationen bis hin zum Tod. Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr weltweit rund eine halbe Million Menschen an der jahreszeitlichen Influenza.
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Influenzaviren und Influenza im Vergleich zu SARS-CoV-2 und COVID-19 Eine der unglücklichsten und verwirrendsten Aussagen aus der Anfangszeit der COVID-19-Pandemie war der Vergleich zwischen dem Erreger und der jahreszeitlichen oder pandemischen Influenza. Ein solcher Vergleich kann zwar aufschlussreich sein, er kann aber auch in die Irre führen. Influenza- und Coronaviren sind ganz unterschiedliche Krankheitserreger: Sie gehören zu zwei verschiedenen Virusfamilien und bedienen sich ganz unterschiedlicher Mittel, um in Zellen einzudringen und sich zu vermehren. Ebenso ist ihr Genmaterial unterschiedlich codiert, und ihre Proteine und Gene haben keinerlei Ähnlichkeit. Auch die Inkubationszeit – einige Tage bei Influenza, fünf oder mehr für SARS-CoV-2 – und das Infektionsmuster sind unterschiedlich. Die jahreszeitliche Influenza ist vor allem eine Erkrankung der oberen Atemwege. Komplikationen bis hin zur Lungenentzündung können zwar auftreten, kommen aber nicht so häufig vor wie bei COVID-19. Morbidität und Mortalität sind bei der jahreszeitlichen Influenza bei sehr jungen und sehr alten Menschen am höchsten, Fälle von COVID-19 dagegen sind in den jungen Altersgruppen selten. Für die jahreszeitliche Influenza gibt es wirksame Medikamente und Impfstoffe, für die COVID-19-Pandemie von 2019/2020 steht bisher nichts dergleichen zur Verfügung. Besser stellt man vielleicht den Vergleich zwischen früheren Influenza-Pandemien und der COVID-19Pandemie von heute an: Damals wie heute gab es keinen Impfstoff, manche Medikamente könnten allerdings nützlich sein. Die besten Vergleichsmöglichkeiten bieten vielleicht die Influenza-Pandemien von 1918, 1957 und 1967. Der Vergleich mit 1918 könnte allerdings ebenfalls
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in die Irre führen, denn zu jener Zeit hatte die Welt gerade einen verheerenden Krieg hinter sich, die Informationen wurden unter Kriegsbedingungen teilweise unterdrückt, und das Gesundheitssystem war nicht so weit entwickelt wie heute. Auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren 1918 sehr begrenzt: Man wusste nicht, dass ein Virus die Ursache der Pandemie ist (die meisten Ärzte hielten sie für eine bakterielle Erkrankung), und es gab keine Möglichkeiten zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten. Natürlich bestehen zwischen Influenza und SARS-CoV-2 gewisse Ähnlichkeiten im Hinblick auf die Ansteckungswege durch Tröpfchen- und Schmierinfektionen. Eine wichtige Gemeinsamkeit mit der pandemischen Influenza besteht darin, dass die Bevölkerung noch nicht mit dem Virus in Kontakt gekommen ist und deshalb Pandemien entstehen können. Wegen der hohen Zahl anfälliger Menschen kommt es bei den Fallzahlen zu einer Welle, die das Gesundheitssystem überfordert. Interessanterweise sind die Eindämmungsmaßnahmen hundert Jahre später noch gleich: Isolation, Quarantäne, Schließung von Schulen und öffentlichen Einrichtungen, Abstandhalten.
Was können wir aus den gesundheitspolitischen Maßnahmen, die während der Grippe-Epidemie von 1918 ergriffen wurden, lernen? Die pandemische Influenza und SARS-CoV-2 sind zwar sehr unterschiedliche Viren, aber die Eindämmungs maßnahmen, mit denen man 1918 die Ausbreitung der Spanischen Grippe verlangsamen wollte, machen dennoch
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deutlich, wie gesundheitspolitisches Handeln die tödliche Wirkung der Krankheit lindern oder verstärken kann. Mitte September 1918 breitete sich die Spanische Grippe in Militärlagern rapide aus. Die Stadt Philadelphia entschloss sich, am 28. September zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen in Europa eine große Parade zu veranstalten. Wenige Tage später waren alle Krankenhäuser der Stadt überfüllt, und innerhalb einer Woche starben mehrere Tausend Menschen. In St. Louis reagierte man ganz anders. Schon bevor die ersten Fälle gemeldet wurden, verbot die Stadt öffentliche Versammlungen und schloss die Schulen. Dies führte dazu, dass sowohl die plötzliche Belastung der Krankenhäuser als auch die Sterblichkeit sich verminderten. Wenn man untersucht, wie sich gesundheitspolitische Maßnahmen während der Influenza-Pandemie von 1918 ausgewirkt haben, lautet eine der interessantesten Lektionen: Staatliche Eingriffe haben einen wichtigen Einfluss auf die Sterblichkeit und auf die Fähigkeit des Gesundheitssystems, mit dem Anstieg der Krankheitsfälle fertig zu werden. Viele europäische Staaten nahmen die Pandemie von 1918 zum Anlass, andere Formen eines gesamtgesellschaftlichen, zentralisierten Gesundheitssystems einzuführen. Die Regierungen fühlten sich verpflichtet, besondere Behörden und Ministerien zu schaffen und die Finanzierung des Gesundheitswesens zu verbessern. Klar war auch, dass große Pandemien sich nicht um lokale oder nationale Grenzen scheren und dass die Anstrengungen auf internationaler Ebene koordiniert werden mussten. Wir müssen uns daran erinnern, dass 1918 das Jahr war, in dem der Erste Weltkrieg endete; damals war es politischer Wille, ähnliche internationale Katastrophen in Zukunft zu vermeiden.
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Im Jahr 1920 gründete der Völkerbund, der Vorgänger der Vereinten Nationen, die Gesundheitsorganisation des Völkerbundes. Im Jahr 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde daraus die Weltgesundheitsorganisation, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
8 Gibt es Therapieverfahren?
Innovation entspringt immer aus einem Angriff auf das Unbekannte. Sydney Brenner Alle, die diese Arznei trinken, genesen nach kurzer Zeit, außer jenen, denen sie nicht hilft, denn die sterben alle. Es liegt also auf der Hand, dass sie nur in unheilbaren Fällen versagt. Galen
Zu der Zeit, da diese Zeilen geschrieben werden, gibt es für SARS-CoV-2 keine Impfstoffe und keine gezielten virushemmenden Therapieverfahren, mit denen sich die Sterblichkeit deutlich vermindern ließe. Die Lehren aus der SARS-Epidemie haben uns eindeutig geholfen, viele Aspekte dieses neuartigen Virus und des mit ihm zusammenhängenden Krankheitsverlaufs zu verstehen. Für SARS wurden aber keine wirksamen Therapiemethoden © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_8
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entwickelt, die man auch in der COVID-19-Pandemie einsetzen könnte. In diesem Kapitel erörterte ich kurz einige Ideen für Therapieverfahren, die vorgeschlagen wurden und derzeit geprüft werden. Zu Beginn führe ich in die Thematik ein, indem ich erkläre, wie das Virus diagnostiziert wird und wie man Infektionen heute je nach der Schwere des Krankheitsverlaufs behandelt. Außerdem beschreibe ich einige therapeutische Strategien, die derzeit erprobt werden, darunter auch Impfstoffe.
Wie wird das Virus diagnostiziert? Tests sind eine höchst effiziente Methode, um Ressourcen im Gesundheitswesen den Menschen zugutekommen zu lassen, die sie brauchen, und gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die Infektionsgefahr für andere zu vermindern. Das Virus wurde am 7. Januar 2020 in Wuhan aus einer Materialprobe isoliert, und am 12. Januar wurden die Genomsequenzen der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Dies ermöglichte sehr schnell die Entwicklung von Testmethoden auf der Grundlage der Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR; Abb. 8.1). Mit diesem Verfahren zur Vervielfältigung von Genmaterial werden bestimmte Genomabschnitte kopiert, die Kopien werden wiederum kopiert und so weiter, bis die Menge für eine Identifizierung ausreicht. Mit der PCR misst man unmittelbar, ob das Genmaterial des Virus vorhanden ist, aber man erfährt nichts über eine Immunantwort. PCR-Tests erfordern entsprechend ausgestattete Labors, und bis man die Ergebnisse erhält, können einige Stunden vergehen. Einige Wochen nachdem sich jemand mit SARSCoV-2 infiziert hat, bildet das Immunsystem Antikörper,
8 Gibt es Therapieverfahren? 125 ursprüngliche DNA Nucleotide Denaturieren
Annealing
Verlängerung
DNA-Primer
Abb. 8.1 Mit der Polymerasekettenreaktion (PCR) kann man das vorhandene Genmaterial exponentiell vermehren. Das Ganze beginnt mit zwei kurzen Nucleinsäureabschnitten, den „Primern“. Diese sind so gestaltet, dass sie zu der Region des Genoms, für die man sich interessiert, komplementär sind. Interessieren wir uns beispielsweise für ein bestimmtes Gen, werden wir die Primer so gestalten, dass sie spezifisch an die Sequenz dieses Gens binden. Die DNA in der Probe wird erhitzt, sodass die beiden DNA-Stränge sich trennen. Dann binden die Primer an die Abschnitte, die man nachweisen will. Eine Polymerase verlängert die Genomabschnitte, die an die Primer gebunden haben, sodass nun die DNA des betrachteten Gens in Form von zwei Kopien vorliegt. Lässt man den Prozess mehrere Male ablaufen, vermehrt sich die DNA exponentiell. Auf diese Weise kann man aus kleinen Mengen eines Genoms sehr schnell große Mengen machen
Moleküle, die das Virus sehr spezifisch erkennen. Der Nachweis spezifischer Antikörper gegen das Virus deutet darauf hin, dass die betreffende Person in der Vergangenheit infiziert war und eine wirksame Immunantwort aufgebaut hat. Mit serologischen Tests kann man im Blut nach solchen Antikörpern suchen. Da die Bildung der Antikörper nach der Infektion einige Wochen in Anspruch nimmt, liefern Antikörpertests keinen schnellen Hinweis auf ein aktives Virus. Solche Tests sind vielmehr sehr nützlich, wenn man feststellen will, ob jemand in der Vergangenheit infiziert war, auch wenn das Virus jetzt nicht mehr vorhanden ist. Mit serologischen Tests kann man beurteilen, wie viele Menschen infiziert waren, ohne dass über die Infektion
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berichtet wurde, weil sie nur schwache oder gar keine erkennbaren Wirkungen hatte (Abb. 8.2). Zu Beginn der Pandemie beruhten solche Abschätzungen vorwiegend auf mathematischen Modellen, bei denen die Annahmen und damit auch die Ergebnisse weit auseinanderklafften. Serologische Übersichtsuntersuchungen könnten ein genaueres Bild der tatsächlichen Infektionshäufigkeit vermitteln. Außerdem liefern sie einen Hinweis darauf, dass jemand eine wirksame Reaktion auf das Virus aufgebaut hat, und Viruskonzentration Antikörper gegen Virus
Virus nachweisbar
5 Tage 1 Woche
Immunantwort (Antikörper) nachweisbar 2 Wochen
3 Wochen
Zeit nach der Infektion
Abb. 8.2 Virus- und Antikörperkonzentration bei einem Patienten mit einer leichten Infektion. Viren lassen sich wenige Tage nach der Ansteckung nachweisen. Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Krankheitssymptome liegt bei ungefähr fünf Tagen. In den ersten beiden Wochen nach der Infektion kann man sowohl das Genom als auch die Proteine des Virus nachweisen, wobei zwischen einzelnen Personen starke Schwankungen auftreten. Die Antikörper gegen das Virus werden ungefähr zwei Wochen nach der Infektion gebildet und lassen sich im Blut nachweisen. Sie zeigen nicht an, ob jemand derzeit mit dem Virus infiziert ist, sondern ob eine Immunantwort aufgebaut wurde
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man kann mit ihrer Hilfe feststellen, ob die betreffende Person aktiv mit Risikopatienten in Kontakt kommen darf. Und schließlich kann man abschätzen, wie häufig es zu nochmaligen Infektionen kommt und wie lange die Immunantwort anhält. Die Immunantwort gegen manche Viren, beispielsweise Masern, bleibt während des ganzen Lebens erhalten, gegen andere Erreger dagegen, so auch gegen die gewöhnlichen Coronaviren, die unter den Menschen im Umlauf sind, wirkt sie nur einige Jahre. Wie lange die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 bestehen bleibt, wissen wir derzeit noch nicht. Als Immunoassay bezeichnet man einen Test, bei dem man mit Antikörpern, die im Labor erzeugt wurden und spezifisch an Proteine an der Virusoberfläche binden, nach solchen Proteinen sucht. Damit kann man die Virusproteine unmittelbar nachweisen, nicht aber die Reaktion des Immunsystems; ein positiver Befund deutet also auf die Gegenwart eines Virus und damit auf eine aktive Infektion hin. Solche Tests und die PCR weisen das Virus also anhand seiner Proteine oder seines Genoms nach, sagen aber nichts über frühere Infektionen aus. Auf Antikörpern basierende Tests haben den Vorteil, dass sie keine spezielle Laborausrüstung wie beispielsweise PCR-Geräte erfordern und sich leicht anwenden lassen: Ein Ergebnis erhält man in weniger als einer Stunde.
Wie verläuft die Behandlung bei einer Infektion mit dem Virus? Derzeit wird COVID-19 vor allem unterstützend behandelt. Die WHO stellt Behandlungsrichtlinien bereit, die sich an der Schwere der Erkrankung orientieren:
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• Fälle mit mildem Verlauf sollen überwacht werden; Symptome (Fieber, Gliederschmerzen) werden mit rezeptfreien Medikamenten behandelt. • Schwere Fälle erfordern die Gabe von Sauerstoff und die Behandlung von Begleitinfektionen. Dazu sind unter Umständen Antibiotika erforderlich, wenn man den Verdacht auf bakterielle Infektionen hat; besteht der Verdacht auf Influenza, wird ein Neuraminidasehemmer eingesetzt. • Fälle mit Sepsis und septischem Schock: Zur Sepsis kommt es durch eine Fehlregulation der Immunantwort, die zum Organversagen führen kann. Der septische Schock ist ein schwerer Krankheitszustand, der sich von der Sepsis ableitet und mit sehr niedrigem Blutdruck und sich ausbreitenden Infektionen einhergeht. Viele Todesfälle im Zusammenhang mit COVID19 waren auf eine Sepsis zurückzuführen. • In manchen Fällen tritt akutes Lungenversagen (acute respiratory distress syndrome, ARDS) auf; seine Ursache ist eine schnell fortschreitende Lungenentzündung, die dazu führt, dass sich Flüssigkeit in der Lunge ansammelt. Dadurch wird die normale Atmung behindert, sodass weniger Sauerstoff in die Organe gelangt. Solche Patienten brauchen unter Umständen Beatmungsgeräte oder eine Intubation. Das Blut genesener Patienten enthält Antikörper, die das Virus neutralisieren können. Diese Antikörper werden nach zwei Wochen vom adaptiven Immunsystem gebildet und sind sehr spezifisch für das Virus. Der Einsatz von Plasma genesener Patienten zur Behandlung aktiv infizierter Personen wurde in mehreren Ländern zugelassen.
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Gibt es Medikamente zur Behandlung von Infektionen mit dem Coronavirus? Derzeit gibt es keine spezifischen, zugelassenen virushemmenden Medikamente gegen COVID-19, aber mehrere Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Erprobung. In Fällen, die sofortiges Handeln erforderten, bestand die erste therapeutische Strategie darin, vorhandene Medikamente einem neuen Zweck zuzuführen und damit die Schwere des Krankheitsverlaufs zu lindern. Solche Wirkstoffe zielen auf verschiedene Aspekte im Lebenszyklus des Virus, seiner Vermehrung oder seinen Wechselwirkungen mit dem menschlichen Organismus, oder aber sie unterstützen das Immunsystem bei der Bekämpfung des Erregers. Ein guter Ausgangspunkt sind dabei die Therapieverfahren, die während der SARS-Epidemien erprobt wurden. Es gab umfangreiche Tierversuche, und im Zusammenhang mit SARS wurden verschiedene therapeutische Strategien vorgeschlagen. Da sich SARSCoV und SARS-CoV-2 genetisch so ähnlich sind, kann man annehmen, dass einige Kenntnisse und Modelle, die für SARS entwickelt wurden, auch die Erforschung von Therapien gegen COVID-19 beschleunigen können. Derzeit gibt es aber keine handfesten klinischen Daten über die Wirksamkeit potenzieller Therapieverfahren während der aktuellen Pandemie. Ein virushemmendes Medikament mit breitem Wirkungsspektrum ist Remdesivir. Es wurde zur Behandlung von Ebolavirusinfektionen entwickelt, hat aber auch bei anderen Viren, darunter die Coronaviren, einen potenziellen Nutzen. Es wirkt, weil es in den Vermehrungsapparat des Virus eingreift. Seine Wirksamkeit
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im Labor und bei Tieren, die mit SARS infiziert waren, wurde nachgewiesen. Derzeit laufen mehrere klinische Studien, in denen seine Wirkung beim Menschen ausgelotet werden soll. Ein anderer Breitspektrum-Virushemmer ist Favilavir. Der Wirkstoff wurde zur Behandlung der Influenza zugelassen und darf in China jetzt auch zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden. Er zielt ebenfalls auf den Vermehrungsapparat des Virus und wurde in Tiermodellen gegen viele RNA-Viren getestet, darunter Influenza, das West-Nil-Virus, Ebola und andere. Untersucht werden auch die Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir, die in der Behandlung von HIV verwendet werden. Während der SARS-Epidemie von 2003 deuteten in vitro-Experimente und kleine Studien darauf hin, dass sich schwerwiegende Folgen (Lungenversagen oder Tod) möglicherweise lindern lassen. Fallberichte und kleine Studien sprechen zwar auch bei COVID-19 für einen potenziellen Nutzen, in einer randomisierten Studie an 199 Krankenhauspatienten in Wuhan war aber über die normalen Wirkungen der medizinischen Versorgung hinaus kein zusätzlicher Nutzen zu erkennen. An Zellen, die unter Laborbedingungen gezüchtet wurden, konnte man erkennen, dass Chloroquin und der mit diesem verwandte Wirkstoff Hydroxychloroquin, die häufig zur Behandlung der Malaria verwendet werden, SARS-CoV und SARS-CoV-2 hemmen können. Beide Wirkstoffe greifen nicht nur in die Virusinfektion ein, sondern sie verändern auch die Immunantwort, die in schweren Fällen von COVID-19 häufig fehlreguliert ist. Wirkung und Wirkungsmechanismus bei COVID-19 sind aber bisher nicht geklärt. Auch viele andere Strategien werden erprobt, beispielsweise ACE2-Köder, die an das Virus binden und mit dem zelleigenen ACE2 konkurrieren, oder Strategien
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zur Abwandlung der Immunantwort gegen das Virus, mit denen eine Überreaktion des Immunsystems verhindert werden soll; dazu gehört die Zweckentfremdung von Immunmodulatoren, die bereits zur Behandlung von Immunstörungen zugelassen sind.
Gibt es Impfstoffe gegen Coronaviren? Impfstoffe lösen eine Immunantwort aus und sind seit Langem das erfolgreichste Mittel zur Bekämpfung von Viren. Sie regen das Immunsystem an, weil sie ihm Teile oder eine abgeschwächte Version eines Krankheitserregers anbieten. Dies führt dazu, dass das adaptive Immunsystem später den Erreger erkennt. Umfangreiche Impfungen können in der Bevölkerung zu einer weitverbreiteten „Herdenimmunität“ führen, was es dem Erreger schwer macht, Menschen zu infizieren und eine große Zahl von Erkrankungen auszulösen. Impfstoffe haben sich als äußerst wirksam gegen verschiedene Krankheiten erwiesen, so gegen Masern, Mumps, Röteln, Pocken, Hepatitis B und andere. Durch systematische Impfungen und aktive internationale Anstrengungen konnte man die Pocken ausrotten, eine der verheerendsten Infektionskrankheiten der Menschheitsgeschichte, an der noch im 20. Jahrhundert fast 300 Millionen Menschen starben. Die Wirksamkeit mancher Impfstoffe – ein Beispiel sind die Influenza-Impfstoffe – kann schwanken, wenn unterschiedliche Virusstämme im Umlauf sind. Gegen SARS-CoV-2 und SARS-CoV gibt es bisher keinen Impfstoff. Gegen kein menschliches Coronavirus ist ein Impfstoff verfügbar, klinische Versuche laufen allerdings. Einige Impfstoffe helfen gegen Coronaviren, die Haustiere wie beispielsweise Vögel und Hunde infizieren. Aber selbst in solchen Fällen ist die Impfung
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mit Schwierigkeiten verbunden, weil ständig neuartige Virustypen auftreten. Noch liegen viele Herausforderungen vor uns. Zunächst einmal müssen wir wissen, ob ein Impfstoff bewirkt, dass wir eine Immunität gegen das Virus entwickeln und wie lange sie anhalten wird. Darüber hinaus muss das Phänomen der Krankheitsverstärkung berücksichtigt werden: Dabei führt der Impfstoff zu starken Immunreaktionen, die den Krankheitsverlauf verschlimmern können. Als man 2004 einen SARS-Impfstoff an Frettchen erprobte, stellte sich heraus, dass die immunisierten Tiere eine starke Reaktion mit neutralisierenden Antikörpern entwickelten, wenn man sie mit dem Virus konfrontierte, aber gleichzeitig entwickelten sich auch entzündliche Leberschäden, die in eine Hepatitis mündeten. Und schließlich gibt es eine weitere wichtige Schwierigkeit: Wie beim Influenzavirus schaffen die hohe Evolutionsgeschwindigkeit der Coronaviren und ihre Fähigkeit zur Rekombination ständig wechselnde Antigene. Einen Impfstoff zu entwickeln, der wirksam mit den im Umlauf befindlichen, vielfältigen Virusstämmen fertig wird, könnte sich als ebenso schwierig erweisen wie bei den Coronavirus-Impfstoffen für Tiere.
9 Anhang
Aktuelles Zahl der Infizierten • Serologische Untersuchungen vermitteln einen ersten Eindruck davon, wie viele Menschen bereits eine Immunantwort aufgebaut haben, die sich mit solchen Tests nachweisen lässt. In stark betroffenen Gebieten wie New York könnte ihr Anteil bei bis zu 25 % der Bevölkerung liegen. Wenn serologische Tests überall verfügbar sind, werden wir solche Zahlen und die wahre Zahl nicht gemeldeter Infektionen besser abschätzen können. Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs • Die anfängliche Beobachtung, wonach COVID-19 bei älteren Menschen und Männern häufiger vorkommt, wurde mit der weltweit zunehmenden Zahl © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_9
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der Infektionen in vielen anderen Ländern bestätigt. Es gab aber einige Unterschiede. So wurden beispielsweise in den USA im Vergleich zu anderen Ländern mehr junge Patienten in die Krankenhäuser eingewiesen, und das stand im Zusammenhang mit Risikofaktoren wie Übergewicht und Diabetes (in den USA sind 40 % der Bevölkerung übergewichtig, in Südeuropa nur 20 % und in China sechs Prozent). Andere klinische Erscheinungsformen: Mit zunehmender Zahl der Infektionen wurde über eine größere Vielfalt der klinischen Erscheinungsformen berichtet • Heute ist klar, dass von COVID-19 neben der Lunge auch viele andere Organe angegriffen werden können, darunter das Herz, die Verdauungsorgane, die Nieren und die Haut. In schweren Fällen beobachtete man häufig Blutgerinnsel, was zu schweren Komplikationen bis hin zum Schlaganfall führte. Zu den Hauterkrankungen gehörten ungewöhnliche Ausschläge und Beulen an den Zehen (die manchmal als COVIDZehen bezeichnet wurden); beide kamen vorwiegend bei jüngeren Patienten vor. • Bei Kindern wurde über eine überschießende Entzündungsreaktion berichtet, die der KawasakiKrankheit ähnelte und die Ursache weniger Todesfälle war. Die Symptome sind unter anderem hohes Fieber, Schmerzen und Verdauungsstörungen. Vorläufige Berichte deuten darauf hin, dass das Krankheitsbild bei Jungen häufiger sein könnte als bei Mädchen. • Häufig wurde berichtet, der Verlust von Geruchsund Geschmackssinn sei eines der häufigsten charakteristischen Kennzeichen einer SARS-CoV-2Infektion. Durch welchen Mechanismus das Virus den Verlust verursacht, ist nicht bekannt.
Entwicklungen in der Therapie • Erste Ergebnisse einer großen klinischen Erprobung von Remdesivir an mehr als 1000 Personen haben gezeigt, dass der Wirkstoff die Infektionsdauer um vier Tage verkürzen kann, aber zu einem größeren Rückgang der von COVID-19 verursachten Sterblichkeit führt das nicht. Auf der Grundlage dieser Befunde erteilte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA eine „Notfallzulassung“ für die Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen. • Mehrere Wirkstoffe, die man gegen SARS-CoV und MERS-CoV erprobt hatte, wurden auch zur Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen eingesetzt. In Hongkong zeigte eine klinische Studie, dass eine Kombinationstherapie mit Interferon beta-1b, Lopinavir-Ritonavir und Ribavirin die Zeit der Virusausscheidung im Vergleich zu Kontrollgruppen um fünf Tage verkürzte. • Erste Beobachtungen in kleinen klinischen Studien mit Hydroxychloroquin wurden durch größere Studien nicht bestätigt; es wurde aber über potenzielle unerwünschte Nebenwirkungen berichtet, so über Herzrhythmusstörungen. • Die klinischen Studien laufen weiter, und es steht zu hoffen, dass wir bald positivere Nachrichten erhalten. Literatur www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS01406736(20)31024-2/fulltext www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS01406736(20)31094-1/fulltext www.nature.com/articles/d41586-020-01295-8
www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS01406736(20)31042-4/fulltext www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2012410? query=featured_home
Häufige Missverständnisse COVID-19 ist nur eine andere Form der Grippe. Corona- und Influenzaviren sind ganz unterschiedliche Krankheitserreger. Was ihre Gene, ihre Proteine oder die Art der Infektion von Zellen angeht, haben sie keine Gemeinsamkeiten. Auch die von ihnen verursachten Krankheiten sind unterschiedlich. Infektionen mit der jahreszeitlichen Grippe spielen sich meist in den oberen Atemwegen ab, SARS-CoV-2 dagegen verursacht häufig Infektionen der unteren Atemwege bis hin zur Lungenentzündung, sodass bei einem bestimmten Anteil der Patienten eine Krankenhausbehandlung und sogar intensivmedizinische Versorgung erforderlich sind. Die Sterblichkeit ist bei COVID-19 ebenso groß wie bei der jahreszeitlichen Grippe. Das stimmt nicht. Die Fallsterblichkeit bei der gewöhnlichen Grippe ist unterschiedlich, wird aber in der Regel auf 1 zu 1000 geschätzt. Für COVID-19 liegen die Schätzungen bei rund 20 zu 1000. Die Sterblichkeit ist also 20-mal höher. Außerdem verbreitet die Krankheit sich effizienter als die jahreszeitliche Grippe. Beide Faktoren tragen dazu bei, dass die Zahl der schweren Fälle rapide ansteigt, bis Gesundheitseinrichtungen und die dort Beschäftigten überlastet sind. Außerdem besteht in der Bevölkerung ein gewisser Schutz gegen die jahreszeitliche Grippe, da diese von einem häufig zirkulierenden Virus verursacht wird; für ein neues pandemisches Virus besteht dieser Schutz nicht. Demnach ist die gesamte Bevölkerung gefährdet. Außerdem haben
wir für Grippe virushemmende Medikamente und Impfstoffe, für das pandemische Coronavirus gibt es nichts Derartiges. Die Sterblichkeit durch COVID-19 ist ebenso hoch wie bei der Influenza von 1918. Wie hoch die Gesamtzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 sein wird, ist noch nicht klar. Für das Influenzavirus von 1918 wurde der Infizierten-Verstorbenen-Anteil auf fast zehn Prozent geschätzt – viel höher als alle derzeitigen Schätzungen für COVID-19. Der COVID-19-Erreger ist nicht mit dem SARSVirus verwandt, denn das neue Virus hat eine Pandemie verursacht, das alte dagegen nicht. Die Viren, die SARS und COVID-19 auslösen, sind in vielerlei Hinsicht verwandt. Beide gehören zur gleichen Virusspezies der Betacoronaviren. Sie besitzen die gleichen Gene und ähnliche Proteine. Sie bedienen sich mit dem ACE2-Rezeptor des gleichen Einfallstors in die Zellen. Auch die von ihnen verursachten Krankheiten weisen gewisse Ähnlichkeiten auf – häufig kommt es zu Infektionen der unteren Atemwege und schwerer Atemnot. Die Fallsterblichkeit ist bei COVID-19 niedriger, aber die Infektiosität ist höher als bei SARS. Wegen der Ähnlichkeit der beiden Viren können wir frühere medizinische Erfahrungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden aus der SARS-Epidemie von 2003 nutzen, um die Suche nach Therapieverfahren zu beschleunigen. Kinder und junge Erwachsene stecken sich nicht an. Kinder und junge Erwachsene stecken sich sehr wohl an, die Krankheit verläuft aber in den meisten Fällen milder. Hin und wieder kommt es aber auch bei ihnen zu schweren Komplikationen bis hin zum Tod. Außerdem tragen infizierte Menschen unabhängig von ihrem Alter zur Ausbreitung der Krankheit bei. Wir haben die moralische Verantwortung, auf alle Menschen und
insbesondere auf diejenigen, die in einer Gesellschaft am verletzlichsten sind, Rücksicht zu nehmen. Eindämmungsmaßnahmen wirken nicht. Die strikten Maßnahmen, die in asiatischen Ländern (China, Hongkong, Taiwan, Singapur, Südkorea) während der ersten beiden Monate der Pandemie ergriffen wurden, haben bewiesen, dass Eindämmungsmaßnahmen wirksam sind. Das schnelle Erkennen und Testen der Infizierten, Kontaktnachverfolgung, frühzeitige Isolation und Therapie der Erkrankten in Verbindung mit Maßnahmen zum Abstandhalten verminderten die Zahl der Infizierten. Sind die Fallzahlen zu hoch, können nachdrückliche gesundheitspolitische Maßnahmen die Verbreitung eindämmen und den plötzlichen Anstieg der Zahl der Fälle vermindern, die medizinischer Versorgung bedürfen. Der Anstieg der Fallzahlen führt zur Überlastung des Gesundheitssystems, und zahlreiche ungeschützte Beschäftigte können dann die medizinische Versorgung von Patienten mit allen Krankheiten nicht mehr gewährleisten. Als Folge steigen die Komplikationen und Todesfälle in Verbindung mit COVID-19 und allen anderen Krankheiten. Die historischen Erfahrungen mit früheren Pandemien haben gezeigt, dass Abstandhalten und frühzeitige gesundheitspolitische Maßnahmen den Anstieg der Fallzahlen begrenzen können. Beispiele aus der Influenza-Epidemie von 1918 machen deutlich, wie Städte, die Eindämmungsstrategien nicht wirksam umsetzten, unter einem dramatischen Anstieg der Fall- und Todeszahlen zu leiden hatten. Das Coronavirus ist außerirdischen Ursprungs und andere interessante Ideen. Das Internet ist von vielen fragwürdigen Theorien mit einem zunehmenden Maß von Raffinesse und Kreativität bevölkert. So wurde beispiels-
weise die Vermutung geäußert, das Virus sei mit einem Meteoriten oder Kometen, der im Herbst 2019 über Nordostchina niedergegangen sei, auf die Erde gelangt. Diese Theorie folgt einem unorthodoxen Gedankengang, den einige Kosmologen 1979 in einem Buch skizzierten: Danach sind Pandemien und Virusausbrüche extraterrestrischen Ursprungs. Die gleiche Hypothese wurde von denselben Personen auch 2003 im Zusammenhang mit SARS und 2020 im Hinblick auf COVID-19 aufgestellt. Diese Theorie lässt sich leicht widerlegen: Aus der Genomanalyse des Virus wissen wir, dass der Erreger sehr eng mit vielen Coronaviren aus Fledermäusen und anderen Säugetieren verwandt ist. Er hat den natürlichen Evolutionsprozess mit Mutationen und Rekombination durchgemacht, den man bei Coronaviren beobachtet. Die natürliche Evolution aus einem Sammelbecken von Tieren ist die einfachste Erklärung. Warum sollte ein Komet ein Virus, das mit anderen, in chinesischen Fledermäusen zirkulierenden Coronaviren verwandt ist, nach China bringen? Ist es da nicht wahrscheinlicher, dass es von einem anderen Säugetier stammt? Die gleichen Überlegungen gelten für alle Virusausbrüche – für SARS ebenso wie für die Grippe-Pandemien von 1918, 1957, 1968 und 2009, für Ebola und so weiter. Alle diese Erreger sind mit Viren verwandt, die bei Tieren im Umlauf sind, und Tiere sind der wahrscheinlichste Ursprung.
Fazit Leben ist nur rückwärts zu verstehen. Aber wir müssen es vorwärts leben. Søren Kierkegaard
Im Zusammenhang mit den SARS-CoV-2-Viren gibt es noch sehr viele unbeantwortete Fragen: • Woher stammt das Virus und wie ist es ihm gelungen, Menschen zu infizieren? Wenn wir über diesen Weg Bescheid wissen, können wir in Zukunft vielleicht Ereignisse wie die SARS- oder COVID-19-Epidemie verhindern. Außerdem werden wir dann die Anpassungsmechanismen zoonotischer Viren genauer verstehen. • Durch welche Mechanismen verursacht SARS-CoV-2 im Einzelnen die Krankheit? Das Virus löst bei einem nennenswerten Anteil der Infizierten einen schweren Krankheitsverlauf aus, andere haben aber nur milde Symptome. Wenn wir die Krankheitsmechanismen verstehen, werden wir Therapieverfahren, die den schweren Krankheitsverlauf abmildern, entwickeln und anwenden können. • In welche Wechselbeziehung tritt das Virus mit dem Immunsystem? Wir müssen herausfinden, wie die Mechanismen der normal angeborenen und adaptiven Immunantwort gegen das Virus im Einzelnen aussehen. Bei vielen Patienten löst das Virus eine anormale Immunreaktion aus, die nur schwer unter Kontrolle zu bringen ist und tödlich ausgehen kann. Derzeit verstehen wir nicht genau, wie das Virus bei einem milden oder schweren Krankheitsverlauf mit dem Immunsystem interagiert. • Wie groß ist die tatsächliche Zahl der Infizierten? Es gibt sehr unterschiedliche Schätzungen darüber, wie viele Menschen sich tatsächlich mit dem Virus angesteckt haben. Mathematische Modelle legen die Vermutung nahe, dass ein beträchtlicher Anteil der Infizierten keine oder nur sehr milde Symptome bekommt. Würden wir diese Zahlen kennen, könnten
wir besser verstehen, wie schwer die Krankheit ist, welche Faktoren im Organismus über den Krankheitsverlauf bestimmen, wie die Übertragung durch unerkannte Fälle verläuft und vieles andere. • Welche Rolle spielen die milden oder asymptomatischen Fälle für die Ausbreitung der Infektion? Epidemiologische Modelle lassen vermuten, dass es eine erhebliche Zahl von unerkannten Fällen gibt, die zur Ausbreitung der Krankheit beitragen. • Bei Kindern wurde nur über eine sehr geringe Zahl von Infektionen und Todesfällen berichtet. Warum bekommen die meisten Kinder nur schwache Symptome, und warum treten Todesfälle meist bei älteren Menschen und in der Mehrzahl bei Männern auf? • Bestimmen genetische oder epidemiologische Eigenschaften über die Schwere des Krankheitsverlaufs? Neben dem Alter und Begleiterkrankungen gibt es auch andere Anzeichen, anhand derer man einschätzen kann, ob jemand einen schweren Verlauf erleiden wird. Wie bei vielen anderen Infektionskrankheiten könnten genetische Faktoren zum Risiko beitragen und dafür sorgen, dass manche Menschen geschützt sind oder schwer erkranken. Ob solche genetischen Marker auch mit COVID-19 assoziiert sind, wissen wir noch nicht. • Wie lange bleibt die Immunantwort bestehen, nachdem jemand von der Krankheit genesen ist? Kann man sich ein zweites Mal anstecken? Es sieht so aus, als würden die im Laufe einer Infektion gebildeten Antikörper das Virus neutralisieren. Bei mehreren anderen Coronaviren bleibt diese „Erinnerung“ des Immunsystems aber nur wenige Monate erhalten, und man hat neue Infektionen mit demselben Virus beobachtet. Ob das auch für COVID-19 gilt oder ob genesene Patienten eine langfristige Immunität besitzen, wissen wir noch nicht. Wenn eine solche langfristige Immunität fehlt,
könnte es auch in Zukunft zu COVID-19-Wellen kommen, solange das Virus nicht ausgerottet ist. • Wird man die Krankheit mit irgendeinem Therapieverfahren – ob mit einem das Virus hemmenden Medikament oder mit einem Impfstoff – effektiv bekämpfen können? In den nächsten Monaten und Jahren werden wir miterleben, dass virushemmende Wirkstoffe zur Behandlung von COVID-19 zugelassen werden. Es steht zu hoffen, dass auch ein Impfstoff schon bald verfügbar ist. • Wird sich in der Gesellschaft eine Herdenimmunität ausbilden? Wenn ausreichend viele Menschen eine dauerhafte Immunantwort aufgebaut haben, wird es für das Virus schwierig, sich wieder auszubreiten. Angesichts der derzeitigen Zahlen sieht es so aus, als müsste mindestens die Hälfte der Bevölkerung sich infizieren oder geimpft werden, damit die Ausbreitung des Virus zurückgedrängt wird. • Wird es auch in Zukunft wieder Infektionswellen geben? Und wenn ja: Werden sie milder verlaufen oder andere Bevölkerungsgruppen betreffen? Bei früheren Pandemien, so bei der Grippe von 1918, gab es mehrere Wellen in der Bevölkerung, bevor das Virus sich schließlich als jahreszeitliche Grippe festsetzte. • Wird das Virus durch weitere Evolution den Therapieverfahren oder der entstandenen Immunität entgehen? RNA-Viren machen eine sehr schnelle Evolution durch. Das stellt für die Entwicklung von Therapien oder Impfstoffen eine beträchtliche Schwierigkeit dar. Wenn das Virus sich vermehrt, wird es immer vielgestaltiger, und wir müssen dafür sorgen, dass jede Therapie, die wir entwickeln, die Mehrzahl der im Umlauf befindlichen Viren bekämpfen kann.
Alle diese Fragen werden die Wissenschaftlergemeinde noch lange beschäftigen, und in den nächsten Jahren werden wir Zeugen vieler neuer Entwicklungen werden. Jedes Gen, jedes Protein, jedes Stückchen neuen Wissens über das Virus ist eine Gelegenheit, die Krankheit zu bekämpfen. Die Wissenschaft sucht fieberhaft nach Wegen, um das Eindringen des Virus, seine Vermehrung und seine Freisetzung zu blockieren, die Krankheit besser zu verstehen, die Immunantwort zu beeinflussen und zu beurteilen, welche gesundheitspolitischen Maßnahmen bei dieser Infektionskrankheit und vielen anderen die besten sind. Wir leben heute in einer ganz anderen Zeit als 1918, als das Influenzavirus zuschlug. Damals gab es weder die Technik noch das Wissen, mit denen wir heute den Erreger schnell erforschen können. Mit vielen nationalen und internationalen Anstrengungen versucht man derzeit, die zuvor genannten Fragen zu beantworten. Wahrscheinlich werden manche Therapieverfahren und Impfstoffe, die sich heute in der klinischen Prüfung befinden, einen gewissen Effekt auf COVID-19 haben. Während der ersten Welle der Krankheit werden sie nicht helfen, aber wahrscheinlich werden sie schon in naher Zukunft zur Verfügung stehen. Unter den Menschen sind viele Viren im Umlauf, und all diese Viren sind irgendwann einmal von einer anderen Spezies auf uns übergegangen. Wir müssen uns bewusst machen, dass schon vor der SARS-CoV-2-Pandemie vier Coronaviren unter den Menschen zirkulierten. Andere Beispiele sind die Influenzaviren, angefangen bei den Pandemien von 1918, 1957, 1968 und 2009. Wenn ein immer größerer Anteil der Bevölkerung sich infiziert, wird sich bei den Menschen wahrscheinlich eine Immunität entwickeln, was den Anstieg der Fallzahlen und
die Überlastung der Gesundheitssysteme verhindert. Ebenso wird die Immunität erreicht, wenn eine wirksame Impfung angewandt wird. Insgesamt aber wird uns SARSCoV-2 wahrscheinlich ebenso wie einige seiner Coronavirus-Vettern weiter begleiten. Die Entstehung dieses Virus war nur eines von vielen Ereignissen, allerdings ein besonders folgenschweres. Die WHO berichtete seit 1970 über mehr als 1500 neue Krankheitserreger, und die meisten davon hatten ihren Ursprung in Tieren. Zu den neuartigen Viren der vergangenen 50 Jahre gehören HIV, das Influenzavirus H1N1, das Ebolavirus mit mehreren Epidemien, das MERS-Coronavirus, das Zikavirus und viele andere. Zu den Ausbrüchen der jüngsten Zeit und ihrer Ausbreitung in der Bevölkerung haben viele Faktoren beigetragen. Zu den wichtigsten gehören das Bevölkerungswachstum und die Zuwanderung in große, überbevölkerte Ballungsräume. Als 1918 die Spanische Grippe erstmals auftrat, lebten 1,8 Mrd. Menschen auf der Welt; heute sind es 7,8 Mrd.. Einer der wichtigsten Faktoren, die zur schnelleren Ausbreitung dieses pandemischen Virus beigetragen hatten, war der umfangreiche Reiseverkehr im Inland und international. Ende Dezember 2019 wurde aus Wuhan über den COVID19-Ausbruch berichtet, und am 20. Januar 2020 wurde der erste Fall aus den Vereinigten Staaten gemeldet. Ende Januar gab es aus 21 Ländern Berichte über das Virus. Ähnlich war es auch 2009: Damals wurden die ersten Fälle des pandemischen Virus H1N1 im April gemeldet, und Ende Mai gab es bereits Fälle auf allen bewohnten Kontinenten. Solche Beispiele aus jüngerer Zeit machen deutlich, wie schwierig es ist, neue Atemwegsviren in der modernen Welt einzudämmen. Andere Faktoren, durch die neue Krankheitserreger häufiger bei anderen Spezies auftreten, haben mit der starken Beeinträchtigung der
natürlichen Lebensräume und dem Kontakt zwischen Nutz- und Wildtieren zu tun. Die COVID-19-Pandemie war und ist in unserem Leben ein bedeutsames, dramatisches Ereignis. Der Traum von der Globalisierung, der während der vergangenen 50 Jahre die weltweite Antriebsfeder war, wurde durch den Lockdown ganzer Staaten, die Stilllegung der Weltwirtschaft und die systematische Lähmung des weltweiten Verkehrs erschüttert. Welche langfristigen wirtschaftlichen und politischen Folgen das haben könnte, ist noch nicht abzusehen, aber beim nächsten Mal werden wir hoffentlich besser vorbereitet sein.
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen
Weiterführende Literatur Die folgenden weiterführenden Informationen sollen dem wissbegierigen Leser als Leitfaden dienen und sind nach Kapiteln und Themen geordnet. Unter den Literaturhinweisen finden sich allgemein verständliche Bücher, Lehrbücher über verwandte Themen, wissenschaftliche Artikel und wissenschaftliche Audioblogs. Kapitel 2: Wie breitet sich das Coronavirus aus? Lu R, Zhao X, Li J, et al (2020) Genomic characterisation and epidemiology of 2019 novel coronavirus: implications for virus origins and receptor binding. Lancet. https://doi. org/10.1016/S0140-6736(20)30251-8 Einer der ersten Artikel, in denen über den COVID19-Ausbruch im chinesischen Wuhan berichtet wurde. Der Artikel berichtet, wie die ersten Fälle abliefen, wie das Coronavirus entdeckt wurde, wie sein Genom aufgebaut © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6_10
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ist und in welchem Zusammenhang es mit anderen Coronaviren steht. Gordis L (2014) Epidemiology, 5th ed. Elsevier/ Saunders Ein Lehrbuchklassiker der Epidemiologie. Das Buch bietet theoretische Grundlagen, aber auch praxisorientierte Fälle mit echten Beispielen. Es ist stark pädagogisch aufgebaut und für Neulinge auf dem Fachgebiet sehr zu empfehlen. Novel Coronavirus Pneumonia Emergency Response Epidemiology Team (2020) The epidemiological characteristics of an outbreak of 2019 novel coronavirus diseases (COVID-19) in China. Zhonghua Liu Xing Bing Xue Za Zhi 41:145–151. https://doi.org/10.3760/cma.j.i ssn.0254-6450.2020.02.003 Eine sehr detaillierte Analyse der COVID-19-Fälle in China von den Anfängen der Epidemie bis Mitte Februar. Der Bericht enthält eine Beschreibung der ersten Patienten mit Alter und Geschlecht, besondere Merkmale der Krankheit, Schätzungen des Fall-Verstorbenen-Anteils und Annahmen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Ein wenig fachsprachlich, aber mit vielen interessanten Zahlen. World Health Organization (2010) Sex, gender and influenza. World Health Organization Dieser interessante Bericht der WHO untersucht die unterschiedlichen Reaktionen von Männern und Frauen auf Influenza-Infektionen und die Schwere des Krankheitsverlaufs. Zu den beobachteten Unterschieden in Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit bei Atemwegsviren tragen genetische und hormonelle Unterschiede bei. Kapitel 3: Ein Coronavirus – was ist das eigentlich? Flint SJ, Racaniello VR, Rall GF, Skalka AM, Enquist LW (2015) Principles of virology, 4th ed. ASM Press
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 149
Eines meiner Lieblingslehrbücher über Viren. Das zweibändige Werk gliedert die wichtigsten gemeinsamen Merkmale nach allgemeinen Prinzipien: Wie infizieren die Viren eine Zelle, wie vermehren sie sich und wie treten sie mit dem Immunsystem in Wechselbeziehung? Gute Abbildungen und verständliche Erklärungen. Levine AJ (1992) Viruses (W.H. Freeman and Co., 1992) [dt. Viren: Diebe, Mörder und Piraten. Üb. v. S. Vogel; Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag] Dieses allgemein verständliche Werk über Viren schrieb Arnold J. Levine schon 1992. Es bietet eine gute Einführung in die Geschichte der Virusforschung, die Biologie der Viren und die von ihnen verursachten Krankheiten. Es ist sehr schön geschrieben, informiert in knapper Form, und interessante Geschichten machen es zu einer der besten Einführungen in die Welt der Viren. Morse SS (1993) Emerging viruses. Oxford University Press Steve Morse stellte die Ansichten von Fachleuten für neu auftauchende Viren zusammen. Das Buch wurde lange vor SARS und COVID-19 geschrieben, zeichnet aber ein gutes Bild davon, wie Viren in der menschlichen Bevölkerung auftauchen, wie sie Krankheiten verursachen und wie man solche Krankheiten verhüten kann. Die Aussagen gelten auch heute noch. Knipe DM, Howley PM (2013) Fields virology, 6th ed. Wolters Kluwer/Lippincott Williams & Wilkins Health Fields ist der Lehrbuchklassiker für alle, die Genaueres über die detaillierten Eigenschaften der Virusfamilien erfahren wollen. Ein gutes Kapitel über Coronaviren liefert fachliche Einzelheiten über ihre Molekularbiologie, die von ihnen verursachten Krankheiten und Ausbrüche der jüngeren Zeit. Coronaviridae Study Group of the International Committee on Taxonomy of Viruses (2020) The species
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severe acute respiratory syndrome-related coronavirus: classifying 2019-nCoV and naming it SARS-CoV-2. Nat Microbiol. https://doi.org/10.1038/s41564-020-0695-z In diesem Artikel schlug das Internationale Komitee für die Taxonomie der Viren den Namen SARS-CoV-2 für den Erreger von COVID-19 vor. Es zeichnet ein Bild des Virus und erläutert, warum man es der gleichen Virusspezies zuordnen sollte wie die SARS-Viren. Kapitel 4: Wie verändert sich das Coronavirus? Rambaut A (2020) Phylogenetic analysis of nCoV-2019 genomes. www.Virological.org Andrew Rambaut von der Universität Edinburgh ist ein führender Experte für Phylogenetik. In seinem Blog liefert er aktuelle Analysen der SARS-CoV-2-Genome sowie der geschätzten Zeit bis zu den jüngsten Vorfahren. Seine Analysen sind gut erläutert, und Rambaut berichtet kurz über neue phylogenetische Befunde. Die in den Analysen verwendeten Daten sind öffentlich zugänglich und können von jedem, der gern Datenanalyse betreibt, nachvollzogen werden. Der gleiche Blog berichtet auch über interessante Studien anderer Wissenschaftler zu SARSCoV-2 und anderen Viren. Kapitel 5: Wie hat die COVID-19-Pandemie begonnen, und wie hat sie sich entwickelt? Kristian G, Andersen AR, Ian Lipkin W et al (2020) The proximal origin of SARS-CoV-2. Nat Med 26:450–452 Eine gute, von einigen führenden Experten des Fachgebiets verfasste Darstellung der verschiedenen Szenarien für das Auftauchen von SARS-CoV-2 unter Menschen. Es gibt einen Überblick über aktuelle Informationen über genetische Verwandte des neuen Virus und erörtert verschiedene Theorien über die Herkunft des Virus aus Fledermäusen, Schuppentieren und anderen Tierarten.
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 151
Yan R, Zhang Y, Li Y, et al (2020) Structural basis for the recognition of the SARS-CoV-2 by full-length human ACE2. Science. https://doi.org/10.1126/science.abb2762 Der Artikel berichtet über die detaillierte Struktur des Virus und seine Bindung an den zelleigenen Rezeptor, der das Einfallstor des Virus in die Zelle darstellt. Die Strukturen liefern die molekularen Grundlagen für die Entwicklung therapeutischer Wirkstoffe, mit denen man diese entscheidende Wechselbeziehung unterbinden will. van Doremalen N, Bushmaker T, Morris D et al (2020) Aerosol and surface stability of SARS-CoV-2 as compared with SARS-CoV-1. N Engl J Med. https://doi. org/10.1056/NEJMc2004973 Diese wichtige Studie befasst sich mit der Lebensdauer von SARS-CoV-2 in Aerosolen und auf verschiedenen Oberflächen. Die Befunde deuten auf die wichtigsten Übertragungswege zwischen Menschen hin. World Health Organization (2020) Report of the WHO–China joint mission on coronavirus disease 2019 (COVID-19). World Health Organization Dies ist der gemeinsame Bericht der Weltgesundheitsorganisation und Chinas über den Ausbruch in Wuhan. Er enthält detaillierte Messungen für Infektionsgeschwindigkeiten, Morbidität und Mortalität, Altersverteilung und viele andere Faktoren. Außerdem bietet er interessante Beschreibungen über die klinischen Merkmale der Patienten sowie über die in Wuhan und Hubei ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen. Zhou F, Yu T, Du R et al (2020) Clinical course and risk factors for mortality of adult inpatients with COVID19 in Wuhan, China: a retrospective cohort study. Lancet. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30566-3 Eine umfassende Studie mit 191 COVID-19Krankenhauspatienten in Wuhan mit einem Vergleich zwischen Überlebenden und Verstorbenen. Der Artikel
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enthält eine detaillierte Analyse des klinischen Krankheitsverlaufs in beiden Gruppen sowie eine Analyse von als tödlich assoziierten Risikofaktoren. Dazu gehören Bluthochdruck, Diabetes und koronare Herzkrankheit. Die Studie nennt für die Virusausscheidung durch solche Patienten eine mittlere Dauer von 20 Tagen, sie kann sich aber auch über bis zu 37 Tagen erstrecken. Channappanavar R, Fett C, Mack M et al (2017) Sex-based differences in susceptibility to severe acute respiratory syndrome coronavirus infection. J Immunol 198:4046–4053. https://doi.org/10.4049/ jimmunol.1601896 Dieser Artikel untersucht Geschlechtsunterschiede der Erkrankungs- und Todeshäufigkeit, die während der SARS-Epidemie beobachtet worden, anhand von SARSMausmodellen. Anhand der Ergebnisse ist erkennbar, dass männliche Mäuse stärker zur Infektion neigen als Weibchen, und dieses Ungleichgewicht nimmt mit dem Alter zu. Dabei spielen sich Veränderungen im Immunsystem ab. Die Hemmung des Östrogens bei Mäuseweibchen lässt die Sterblichkeit steigen, ein Hinweis darauf, dass hormonelle Veränderungen die Auswirkungen der Krankheit abmildern können. Liu W, Zhang Q, Chen J et al (2020) Detection of Covid-19 in children in early january 2020 in Wuhan, China. N Engl J Med. https://doi.org/10.1056/ NEJMc2003717 Diese Mitteilung umreißt einige Befunde an infizierten Kindern im chinesischen Wuhan. Häufigkeit und Schwere der Infektionen sind niedriger als bei älteren Menschen. Liu Y, Yan L, Xiang T et al (2020) Viral dynamics in mild and severe cases of COVID-19. Lancet Infect Dis. https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30232-2
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 153
Diese kleine Notiz berichtet über die klinischen Merkmale mild verlaufender Fälle und über die Viruslast als Hinweis auf die Schwere des Krankheitsverlaufs. Qifang Bi YW, Shujiang M, Chenfei Y et al (2020) Epidemiology and transmission of COVID-19 in Shenzhen China: analysis of 391 cases and 1,286 of their close contacts. MedRxiv Eine Analyse der Fälle im chinesischen Shenzhen mit detaillierten Informationen über dieNachverfolgung und Beobachtung enger Kontaktpersonen. Die Studie misst die Zeit von den ersten Symptomen bis zur Bestätigung der Erkrankung, der Isolation und der klinischen Versorgung. Sie wirft ein Schlaglicht auf die große Bedeutung einer sorgfältigen Kontaktnachverfolgung, mit der man den Zeitraum bis zur Isolation infizierter Personen verkürzen konnte. Eine Analyse einzelner Haushalte zeigte, dass Kinder sich mit der gleichen Wahrscheinlichkeit anstecken wie Erwachsene. Holshue ML, DeBolt C, Lindquist S et al (2020) First case of 2019 novel coronavirus in the United States. N Engl J Med 382:929–936. https://doi.org/10.1056/ NEJMoa2001191 Eine Analyse des ersten Falls von COVID-19, über den aus den USA berichtet wurde. Kapitel 6: Lässt sich die COVID-19-Pandemie mit dem SARS-Ausbruch von 2003 vergleichen? Zhong NS, Zheng B, Li Y et al (2003) Epidemiology and cause of severe acute respiratory syndrome (SARS) in Guangdong, people’s republic of China, in February, 2003. Lancet 362:1353– 1358. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(03)14630-2 Ksiazek TG, Erdman D, Goldsmith C et al (2003) A novel coronavirus associated with severe acute respiratory
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syndrome. N Engl J Med 348:1953–1966. https://doi. org/10.1056/NEJMoa030781 Diese beiden Artikel berichten über die ersten SARSFälle aus dem chinesischen Guangdong und die Isolierung des SARS-Coronavirus. Die genetische Analyse zeigte, dass alle SARS-Fälle im Zusammenhang mit einem einzigen Coronavirus standen, das sich 2003 auch in anderen Ländern verbreitete. Peiris JSM, Lai S, Poon L et al (2003) Coronavirus as a possible cause of severe acute respiratory syndrome. Lancet 361:1319–1325. https://doi.org/10.1016/S0140-6736 (03)13077-2 Eine Analyse aufgrund von 50 SARS-Patienten aus fünf Übertragungsclustern im Jahr 2003. Die Autoren berichten über die klinischen Merkmale der Patienten und über die Faktoren, die im Zusammenhang mit der Schwere des Krankheitsverlaufs standen. Guan Y, Zheng B, He, Y et al (2003) Isolation and characterization of viruses related to the SARS coronavirus from animals in southern China. Science 302:276–278. https://doi.org/10.1126/science.1087139 Eine Studie über die Suche nach SARS-ähnlichen Viren bei verschiedenen biologischen Arten. Auf einem Lebendtiermarkt im chinesischen Guangdong wurden Larvenroller gefunden, die mit einem SARS-ähnlichen Virus infiziert waren. Die Studie macht deutlich, wie gefährlich enge Kontakte zwischen Menschen und Tieren auf Lebendtiermärkten sind, und gibt Hinweise auf eine mögliche Quelle des SARS-Coronavirus von 2002. Wang M, Yan M, Xu H et al (2005) SARS-CoV infection in a restaurant from palm civet. Emerg Infect Dis 11:1860–1865. https://doi.org/10.3201/ eid1112.041293 Nachdem man den SARS -Ausbruch von 2003 im Juli 2003 für beendet erklärt hatte, wurde bei Menschen nur
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 155
noch vereinzelt über SARS-Infektionen berichtet. Dieser Artikel befasst sich mit zwei Personen, die sich in einem Restaurant im chinesischen Guangzhou mit SARS-ähnlichen Viren angesteckt hatten. In dem Restaurant standen Larvenroller auf der Speisekarte, und lebende Exemplare wurden im Eingangsbereich zur Schau gestellt. Dieser Einzelfall macht deutlich, wie enge Kontakte zwischen Mensch und Tier zu solchen zoonotischen Ereignissen führen können. Hu B, Zeng L-P, Yang X-L et al (2017) Discovery of a rich gene pool of bat SARS-related coronaviruses provides new insights into the origin of SARS coronavirus. PLoS Pathog 13:e1006698. https://doi.org/10.1371/journal. ppat.1006698 Ein breites Spektrum von Stichproben SARS-ähnlicher Coronaviren, die bei Fledermäusen in verschiedenen Regionen Chinas gesammelt wurden, zeigt einen höchst vielfältigen Pool von Coronaviren mit zahlreichen rekombinierten Abschnitten. Die in dieser Studie nachgewiesene große Vielgestaltigkeit der Viren und die rekombinierten Formen legen die Vermutung nahe, dass Fledermäuse der wichtigste Schmelztiegel für SARS-ähnliche Viren und der Ausgangspunkt für die Ausbrüche unter den Menschen sein könnten. Centers for Disease, Control & Prevention (2003) Severe acute respiratory syndrome: Singapore, 2003. Morb Mortal Wkly Rep 52:405–411 Große gemeinsame Studie von Singapur und der WHO über SARS-Fälle in Singapur 2003. Die Arbeit berichtet über Superspreader, das heißt über Personen, die viele andere anstecken. de Wit E, van Doremalen N, Falzarano D, Munster VJ (2016) SARS and MERS: recent insights into emerging coronaviruses. Nat Rev Microbiol 14:523–534. https:// doi.org/10.1038/nrmicro.2016.81
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Dieser sehr gute Übersichtsartikel berichtet noch einmal über die Übertragung und den Krankheitsverlauf bei den beiden früheren epidemisch aufgetretenen SARS-ähnlichen Coronaviren: dem Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) und dem acute respiratory syndrome coronavirus (SARS-CoV). Ich empfehle diesen Artikel, weil er eine gute Einführung in Bezug auf die Kenntnisse ist, die wir vor dem COVID-19-Ausbruch über SARS-ähnliche Viren besaßen. Kuba K, Imai Y, Rao S et al (2005) A crucial role of angiotensin converting enzyme 2 (ACE2) in SARS coronavirus-induced lung injury. Nat Med 11:875–879. https://doi.org/10.1038/nm1267 Dieser Artikel liefert den Beleg dafür, dass das Angiotensin-Convertingenzym 2 (ACE2) als Rezeptor für das Virus benötigt wird und dass die Bindung des VirusSpikeproteins zur Krankheit beiträgt, weil es zu einer Fehlregulation des Renin-Angiotensin-Signalweges führt. Außerdem zeigt er, wie SARS eine Lungenerkrankung verursachen kann, und macht Vorschläge für mögliche Wege für therapeutische Intervention. Zou L, Ruan F, Huang M et al (2020) SARS-CoV-2 viral load in upper respiratory specimens of infected patients. N Engl J Med. https://doi.org/10.1056/ NEJMc2001737 Die Wissenschaftler berichten über die Ergebnisse der genauen Überwachung von 18 SARS-CoV-2-Patienten im chinesischen Guangdong. In die Studie eingeschlossen wurden familiäre Häufungen und ein asymptomatischer Fall. Die Viruslast war bei dem asymptomatischen Patienten ähnlich wie bei den Personen mit Symptomen, ein Hinweis darauf, dass eine Übertragung auch durch Patienten ohne oder mit sehr schwachen Symptomen erfolgen kann. Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass COVID-19 nicht mit jenen Strategien eingedämmt
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 157
werden kann, die sich 2003 bei der Ausrottung von SARS als erfolgreich erwiesen haben. Kapitel 7: COVID-19 im Vergleich zur jahreszeitlichen und pandemischen Influenza Johnson NP, Mueller J (2002) Updating the accounts: global mortality of the 1918–1920 “Spanish” influenza pandemic. Bull Hist Med 76:105–115. https://doi.org/10.1353/bhm.2002.0022 Diese historische Darstellung betrachtet noch einmal einige Verstorbenen-Zahlen aus der Influenza-Pandemie von 1918. Die Analyse der Zahlen lässt darauf schließen, dass die Zahl der Toten weltweit in der Größenordnung von 50 Mio. oder eventuell auch höher lag. Später wurden diese Schätzungen durch weitere Analysen infrage gestellt. Grist NR (1979) Pandemic influenza 1918. BMJ 2:1632–1633. https://doi.org/10.1136/bmj.2.6205.1632 Der Brief vom 29. September 1918 berichtet über die verheerenden Auswirkungen der Grippe-Epidemie von 1918 in einem Militärlager in Massachusetts. Bootsma MC, Ferguson NM (2007) The effect of public health measures on the 1918 influenza pandemic in U.S. cities. Proc Natl Acad Sci 104:7588–7593. https:// doi.org/10.1073/pnas.0611071104 Diese ausgezeichnete Studie vergleicht die Auswirkungen der Influenza-Pandemie von 1918 in verschiedenen Städten der USA. Sie zeigt, dass Umfang, Ausmaß und Zeitpunkt der gesundheitspolitischen Maßnahmen starken Einfluss auf die Mortalität hatten. Diese wurde durch frühzeitige Eingriffe deutlich vermindert. Manche Städte konnten die Übertragung mit frühzeitigen, wirksamen Interventionen erheblich reduzieren. Kapitel 8: Gibt es Therapieverfahren? Chu CM, Cheng V, Hung I et al (2004) Role of lopinavir/ritonavir in
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the treatment of SARS: initial virological and clinical findings. Thorax 59:252–256. https://doi.org/10.1136/ thorax.2003.012658 Eine klinische Studie aus dem Jahr 2003: 41 SARSPatienten erhielten eine Kombination aus Lopinavir/ Ritonavir und Ribavirin und wurden mit 111 Patienten verglichen, die nur mit Ribavirin behandelt worden waren. Die kleine Studie erbrachte einige ermutigende Ergebnisse. Cao B, Wang Y, Wen, D et al (2020) A trial of lopinavir–ritonavir in adults hospitalized with severe Covid-19. N Engl J Med. https://doi.org/10.1056/ NEJMoa2001282 Eine Studie an 199 Covid-19-Krankenhauspatienten, in der die Behandlung mit Lopinavir-Ritonavir im chinesischen Wuhan mit der Standardversorgung verglichen worden ist. Den Berichten zufolge erbrachte die Behandlung keinen Nutzen bei der Sterblichkeitsrate oder für die Verminderung der Viruslast. Weingartl H, Czub M, Czub S et al (2004) Immunization with modified vaccinia virus Ankara-based recombinant vaccine against severe acute respiratory syndrome is associated with enhanced hepatitis in ferrets. J Virol 78:12672–12676. https://doi.org/10.1128/ JVI.78.22.12672-12676.2004 Eine Studie aus dem Jahr 2004 mit der Erprobung eines SARS-Impfstoffes an Frettchen. Es zeigte sich, dass der Impfstoff eine starke Reaktion mit Neutralisierensantikörpern hervorrief. Bei den immunisierten und infizierten Tieren trat aber häufig eine starke entzündliche Reaktion auf, die zu Leberschäden führte. Dieses Ergebnis verdeutlicht, welche Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen SARSähnliche Coronaviren auftreten können.
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 159
World Health Organization (2018) Managing Epidemics. World Health Organization Ein guter, vollständiger Bericht der WHO über die fortdauernde Bedrohung durch Ausbrüche neu entstandener infektiöser Krankheitserreger. Er betrachtet die jüngere Geschichte in einem neuen Licht, liefert Statistiken und beschreibt im Einzelnen medizinische und gesundheitspolitische Eindämmungsmaßnahmen. Der Schwerpunkt liegt auf 15 tödlichen Krankheiten, für die jeweils genaue Informationen bereitgestellt werden.
Bild- und Zitatnachweise Abb. 2.1 Wiedergegeben mit Genehmigung der Weltgesundheitsorganisation Abb. 2.6 Daten aus dem Meldesystem für die täglichen Todesfälle, Spanish Center for Epidemiology, Instituto Carlos III: www.isciii.es/QueHacemos/Servicios/ VigilanciaSaludPublicaRENAVE/Enfermedades Transmisibles/MoMo/Paginas/default.aspx Abb. 3.1 © National Institute of Allergy and Infectious Diseases-Rocky Mountain Laboratories, NIH Abb. 3.3 Wiedergegeben nach Wu, F. et al. A new coronavirus associated with human respiratory disease in China (2020): https://doi.org/10.1038/s41586-020-2008-3. Nachdruck aus Nature mit Genehmigung von Springer Nature Abb. 3.5 Mit freundlicher Genehmigung von John Nicholls, Leo Poon und Malik Peiris/The University of Hong Kong Abb. 4.2 Wiedergegeben nach: Topological Data Analysis for Genomics and Evolution: Topology in Biology ©Raul Rabadan und Andrew J. Blumberg/Cambridge University Press 2020
160 R. Rabadan
Abb. 4.4 Wiedergegeben nach Patiño-Galindo et al. Recombinationand convergent evolution led to the emergence of 2019 Wuhan coronavirus. https://doi. org/10.1101/2020.02.10.942748. Abb. 4.5 Wiedergegeben nach: Topological Data Analysis for Genomics and Evolution: Topology in Biology ©Raul Rabadan und Andrew J. Blumberg/Cambridge University Press 2020 Abb. 4.6 Verändert nach Zairis et al., Genomic data analysis in tree spaces: arXiv: 1607.07503 [q-bio.GN] Abb. 5.1 Wiedergegeben nach Guan et al. Clinical characteristics of coronavirus disease 2019 in China (2020): https://doi.org/10.1056/NEJMoa2002032. Nachdruck aus dem New England Journal of Medicine mit Genehmigung der Massachusetts Medical Society Abb. 5.2(a) Mit freundlicher Genehmigung von Gareth Jones Abb. 5.2(b) Wiedergegeben mit Genehmigung der International Union for Conservation of Nature. Rhinolophus affnis. The IUCNRed List of Threatened Species. Version 2020-1. www.iucnredlist.org. Heruntergeleden am 6. April 2020 Abb. 5.3 Wiedergegeben nach Lu et al., Genomic characterisation and epidemiology of 2019 novel coronavirus: implications for virus origins and receptor binding, P565–574 (2020): https://doi.org/10.1016/ S0140-6736(20)30251-8. Nachdruck aus The Lancet mit Genehmigung von Elsevier Abb. 5.4 Wiedergegeben nach Patiño-Galindo et al. Recombination and convergent evolution led to the emergence of 2019 Wuhan coronavirus (2020): https:// doi.org/10.1101/2020.02.10.942748 Abb. 5.6 Wiedergegeben nach Renhong Yan et al. Structural basis for the recognition of SARS-CoV-2 by full-length human ACE2 (2020): https://doi.
10 Weiterführende Literatur und Anmerkungen 161
org/10.1126/science.abb2762. Nachdruck aus Science mit Genehmigung der AAAS Abb. 5.7 Wiedergegeben nach Zhou et al. Clinical course and risk factors for mortality of adult inpatients with COVID-19 in Wuhan, China (2020): https://doi. org/10.1016/S0140-6736(20)30566-3. Nachdruck aus The Lancet mit Genehmigung von Elsevier Abb. 5.8 Daten des Centro Nacional de Epidemiología, Spain. ©Raul Rabadan Abb. 5.9 Wiedergegeben mit Genehmigung von GISAID (www.gisaid.org) Abb. 6.1 Wiedergegeben nach de Wit et al. SARS and MERS: recent insights into emerging coronaviruses (2016): https://doi.org/10.1038/nrmicro.2016.81. Nachdruck aus Nature Reviews Microbiology mit Genehmigung von Springer Nature Abb. 7.1–7.4 Wiedergegeben nach: Topological Data Analysis for Genomics and Evolution: Topology in Biology ©Raul Rabadan und Andrew J. Blumberg/ Cambridge University Press 2020 Abb. 7.5 “Emergency hospital during iinfluenza epidemic, Camp Funston, Kansas” (NCP 001603). OHA 250: New Contributed Photographs Collection. Otis Historical Archives, National Museum of Health and Medicine, public domain Abb. 7.6 Wiedergegeben nach Nelson, M., Holmes, E. The evolution of epidemic influenza (2007): https:// doi.org/10.1038/nrg2053. Nachdruck aus Nature Reviews Genetics mit Genehmigung von Springer Nature Alle anderen Abbildungen © Raul Rabadan/Cambridge University Press (2020)
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Zitate Kap. 3: aus The Lives of a Cell: Notes of a Biology Watcher von Lewis Thomas. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung seiner Erben Kap. 4: aus Sydney Brenner’s 10-on-10: The Chronicles of Evolution © 2019 Agency for Science, Technology and Research. Nachdruck mit Genehmigung von Wildtype Media Group und der Agency for Science, Technology and Research Kap. 6: aus Zhong, N. S. et al. Epidemiology and cause of severe acute respiratory syndrome (SARS) in Guangdong, People’s Republic of China (2003). Lancet 362, 1353–1358, https://doi.org/10.1016/s01406736(03)14630-2 (2003). Nachdruck mit Genehmigung von Elsevier Dieses Buch ist meinen Eltern, Fernando und Felicitas, gewidmet, und all den Leuten im Gesundheitswesen, die für uns alle kämpfen.
Stichwortverzeichnis
A
Abflachung der Kurve 24, 25 Abstandhalten 17, 26 ACE2 79, 80 ACE2-Rezeptor 103 Adenin 35 AIDS 34 Akutes Atemnotsyndrom s. ARDS Alphacoronaviren 37 Alterskrankheit 86 Analyse, phylogenetische 62 AngiotensinConvertingenzym 2 s. ACE2 Antikörper 124, 127 ARDS 83, 128 Asiatische Grippe 113
Atemnot 82–84, 95 Atemstillstand 83 Atemwegserkrankung 86 Attack Rate s. Neuzugangsziffer Ausbreitungsgeschwindigkeit 89 Autoimmunkrankheit 87 B
Bakterien Genomgröße 56 BAL SL-CoVZC45 45 Basisreproduktionszahl 16, 18, 89, 98 Beatmungsgerät 128 Betacoronaviren 37, 59, 99
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Rabadan, Das Coronavirus verstehen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62429-6
163
164 Stichwortverzeichnis
phylogenetische Analyse 76 Rekombination 60 Betacoronavirus 70 Bluthochdruck 86 C
Chinesischen Hufeisennase 75 Chloroquin 130 Coronaviren 2, 6, 31, 35, 75, 131 gemeinsame Merkmale 32 Genom 44, 57 Struktur 39 Veränderungen 52 Coronaviridae 35, 69 COVID-19 2, 5, 12, 20, 22, 28, 33, 68, 70, 94, 119, 130 Inkubationszeit 14 Cytosin 35
F
Fallsterblichkeit s. Fall-Verstorbenen-Anteil Fall-Verstorbenen-Anteil 19, 23, 83, 85 Favilavir 130 Fieber 82, 84 Fledermäuse 74, 97 Foshan 95 G
Gammacoronaviren 37 Genomanalyse 6 Genome 72 rekombinierte 59 Verwandtschaft 63 Genomforschung 52 Genomgröße 56 Grippe s. Influenza jahreszeitliche 116 Grippeimpfstoff 29 Guangdong 95, 104 Guanin 35
D
Diabetes 86 DNA 34, 125 Dobzhansky, Theodosius 51 Durchfall 82 E
Ebolavirus 21, 129 Epidemie 11 Evolution 31, 51, 58, 89, 118
H
Hämagglutinin 109 Hepatitis 131 Herdenimmunität 27, 28 Herdenimmunitätsschwelle 29 Herzinfarkt 20 Herz-Kreislauf-Krankheit 86 Herzversagen 83
Stichwortverzeichnis 165
Hilfskrankenhäuser 25 HIV 4, 57 Hongkong 95, 100 Hongkonggrippe 113 Huanan-Markt 73 Hufeisennase 74, 97 Hunde-Coronavirus (CCoV) 38 Husten 82, 84, 95 Hydroxychloroquin 130 I
ICTV s. International Comittee on Taxonomy of Viruses Immunantwort 127, 131 adaptive 29 Immunität, angeborene 88 Immunoassay 127 Immunsystem 7, 54, 57, 87, 101, 124, 131 adaptives 34 angeborenes 34, 41 Impfstoff 57, 119, 123, 131 Infektionshäufigkeit 126 Infektionssterblichkeit s. Infizierten-Verstorbenen-Anteil Infizierten-VerstorbenenAnteil 19, 85, 115 Influenza 34, 106, 107, 119, 130 A 116 Ähnlichkeiten mit SARSCoV-2 120 pandemische 108, 120
Influenza-A-Viren 108, 109 Wirtsorganismen 110 Influenzaviren 8, 39, 64, 118 Umordnung 112 Inkubationszeit 14, 82 Intensivstation 87 International Committee on Taxonomy of Viruses 45, 68 Internationales Komitee für die Taxonomie der Viren 103 Intubation 128 Inzidenz 21 J
Java-Hufeisennase 74 K
Katzen-Coronavirus (FCoV) 38 Kinder 88 Klades 64, 89 Komplikation 84 Kontaktperson 17 Krankheitsverlauf 12, 82, 87, 132 Krebs 20 Kryoelektronenmikroskopie 79 L
Larvenroller 97, 98 Lebendtiermarkt 97
166 Stichwortverzeichnis
Lebensweise 88 Lichtmikroskop 33 Lipiddoppelschicht 39 Lockdown 3, 26 Lopinavir 130 Lungenentzündung 95, 119, 128 Lungenversagen 128 M
Masern 127, 131 Medikamente 129 Membranprotein 39 MERS 18, 20, 70 MERS-CoV 38, 99, 100 Molekularbiologie 32 Morbidität 24 Mortalität 19 Mumps 131 Mutationen 6, 52–54, 62, 81, 89, 116 N
Neuraminidase 109 Neuraminidasehemmer 128 Neuzugangsziffer 15 Nucleocapsidprotein 39, 46 Nucleoprotein 109 O
Organversagen 82
P
Paguma larvata s. Larvenroller Pandemie 3, 13, 121, 126 Parasiten, obligate 32 Paris japonica 56 PCR 124 Pest 14 Pocken 34, 131 Polymerase 41, 46, 109 Polymerasekettenreaktion s. PCR Primer 125 Proteasen 41 Proteine 33, 39 Punktmutationen 57, 66 Q
Quarantäne 14 R
Raucher 88 Reisebeschränkung 3 Rekombination 7, 52, 58, 66, 132 Remdesivir 129 Rezeptor 46, 77, 79, 81 Rhinolophus affinis s. Java-Hufeisennase Rhinolophus sinicus s. Chinesische Hufeisennase Ritonavir 130 RNA 34
Stichwortverzeichnis 167
RNA-Polymerase 41, 44 RNA-Viren 42, 54, 130 segmentierte 109 Rotavirus 4 Röteln 131 S
Sarbecoviren 76 SARS 7, 35, 69, 70, 86, 93, 96, 129 Inkubationszeit 14 klinischer Verlauf 101 Krankheitsmechanismus 102 Superspreader 100 SARS-CoV 7, 38, 45, 99 Ähnlichkeiten mit SARSCoV-2 103 SARS-CoV-2 5, 27, 33, 42, 59, 68, 85, 88, 123, 129 Auseinanderentwicklung 90 Basisreproduktionszahl 19 Evolutionsrate 54 Genom 43 Rekombination 78 Stammbaum 90 Ursprung 61, 73 SARS-CoV-2-Viren 45 SARS-Virus Ursprung 96 SARSr-CoV 68 Schmierinfektion 81, 118 Sepsis 83, 128 Singapur 100
social distancing s. Abstandhalten Spanien 23 Spanische Grippe 9, 15, 20, 26, 107, 111, 113, 121 Spikeprotein 39, 53, 59, 60, 81 Stammbaum, phylogenetischer 63 Sterblichkeit 27, 86 Strukturproteine 39, 45, 48 Superspreader 81, 98, 100 Symptome 14 T
Testmethode 104 Tests 124 serologische 125 Therapie 123, 129 Thymin 35 Todesursache 20 Tröpfcheninfektion 81, 118 U
Überforderung des Gesundheitssystems 26 Übersterblichkeit 20 Umordnung 111 Uracil 35, 42 V
Verdoppelungszeit 57 Viren 4, 31, 32
168 Stichwortverzeichnis
Evolution 66 Phylogenetik 64 umhüllte 39 Ursprung 55 Veränderungen 49, 52 verwandte 45 Viroide 56 Virusrekombination 58 Virus-RNA 46
Weltgesundheitsorganisation s. WHO West-Nil-Virus 130 WHO 2, 69, 127 Wirtsspektrum 41 Wirtsspezifität 41 Wuhan 1, 42, 67, 69, 83 Z
W
Wachstum, exponentielles 17, 18, 89
Zellen 33 Zellmembran 39 Proteine 41 Zoonose 61